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German Pages 1328 Year 2018
Wenzel Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung
Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung Handbuch des Äußerungsrechts Begründet von
Prof. Dr. Karl Egbert Wenzel † Rechtsanwalt in Stuttgart
Fortgeführt und bearbeitet von
Prof. Dr. Emanuel H. Burkhardt Rechtsanwalt in Stuttgart
Dr. Waldemar Gamer † Rechtsanwalt in Stuttgart
Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer Universitätsprofessor in Köln Richter am OLG Köln
Prof. Joachim Ritter von Strobl-Albeg Rechtsanwalt in Stuttgart
6., neu bearbeitete Auflage
2018
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. … Rz. …
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-15675-6 ©2018 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany
Vorwort Karl-Egbert Wenzel hatte im Jahr 1967 die 1. Auflage dieses Buches allein verfasst und bis zur 4. Auflage allein fortgeführt. Vor nunmehr 20 Jahren ist er verstorben. Die 5. Auflage wurde durch Autoren aus „seinem Büro“ allein fortgeführt. Für die vorliegende 6. Auflage konnte als weiterer Autor Herr Professor Dr. Karl-Nikolaus Peifer von der Universität zu Köln gewonnen werden. Er hat im Rahmen der Neuauflage die Einleitung, Kapitel 1 bis 3, 5, in Kapitel 8 die Darstellung zu den Bildnissen aus dem Bereich der Zeitgeschichte und den ganz überwiegenden Teil des Kapitels 10 übernommen sowie die aktualisierende Überarbeitung des Kapitels 13, nachdem Dr. Waldemar Gamer im September 2016 verstorben ist. Seit dem Erscheinen der 5. Auflage sind 15 Jahre vergangen. Die Zeit ist geprägt durch den digitalen Wandel, der auch die Medienwelt verändert hat. Dies hat naturgemäß Auswirkungen auf die Gesetzgebung und Rechtsprechung. Auch die Rechtsprechung des EGMR nimmt zunehmend Einfluss auf das nationale Recht. Hinzu kommen die im Übrigen vielfältigen Fortentwicklungen des Äußerungsrechts, auch durch den wachsenden Einfluss des Datenschutzrechts. Die Fülle des seit Erscheinen der letzten Auflage zu berücksichtigenden Materials machte eine vollständige Neubearbeitung des Werkes erforderlich. Die Autoren behielten gleichwohl die bewährte Konzeption des Werkes bei. Im Interesse einer umfassenden Darstellung, in der auf möglichst viele Fragen eine Antwort zu finden sein soll, war es trotz des Bemühens um Kürze unvermeidlich, den Umfang des Werkes erneut anschwellen zu lassen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur konnten allgemein bis Mai 2018 berücksichtigt werden. Für Kritik, Hinweise und Anregungen, die Sie dem Verlag unter [email protected] übermitteln können, sind die Autoren stets dankbar. Stuttgart, im Juli 2018
Emanuel H. Burkhardt
V
Inhaltsübersicht* Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schrifttumsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Äußerungsfreiheit als Prinzip . . . . . . . . . . . . . II. Tendenzschwankungen bei der Schrankenziehung III. Der Begriff des Äußerungsrechts . . . . . . . . . . .
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V XI XIX
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1 1 2 9
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-Grundrechte-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freiheitsrechte und Grundrechtsschutz im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . Äußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zensurverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art. 11 EU-Grundrechte-Charta und Art. 85 Datenschutzgrundverordnung
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11 11 13 25 28 38 39 50
2. Kapitel Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG . I. Ausstrahlung der Grundrechte auf das Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundrechtsschranken nach Art. 5 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . IV. Schranken aufgrund zivilrechtlicher Vertragsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . V. Verpflichtung zur Berichterstattung und zum Senden . . . . . . . . . . . . . . . . .
59 59 63 69 89 99
3. Kapitel Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Freiheit der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104 104 122
Erster Teil Grundrechtsschutz 1. Kapitel I. II. III. IV. V. VI. VII.
* Ausführliche Inhaltsverzeichnisse finden sich jeweils am Anfang der einzelnen Kapitel.
VII
Inhaltsübersicht
Zweiter Teil Zivilrechtsschutz Seite
4. Kapitel Wortberichterstattung – die Äußerung . . . I. Sinn der Äußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen . III. Behaupten und Verbreiten . . . . . . . . . . . . . . . . .
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127 127 150 175
5. Kapitel Wortberichterstattung – die Tatbestände . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Recht am Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Beleidigungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kreditgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Sittenwidrige Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Amtspflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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183 184 184 268 290 323 342 346
6. Kapitel Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeines Haftungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wahrnehmung berechtigter Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sonstige Rechtfertigungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . .
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349 350 350 363 390 396
7. Kapitel Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder . . . . I. Das Kunsturhebergesetz – KUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Recht am eigenen Bild als Teil des Persönlichkeitsrechts III. Begriff des Bildnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anfertigung von Bildnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verbreitung und Zurschaustellung von Bildnissen . . . . . . . VI. Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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417 418 420 423 433 494 508 540
8. Kapitel Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes . I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG . . III. Ausnahmen im öffentlichen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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553 554 603 633
9. Kapitel Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . I. Zivilrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strafrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
636 636 677
VIII
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Inhaltsübersicht Seite
10. Kapitel Sonderfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungen zur Erleichterung der Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . II. Verwendung unzulässig beschaffter Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . III. Privilegierte Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Namensgebrauch und Namensnennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verwendung von Marken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Äußerungen im politischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Waren-, Leistungs- und Preistests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Boykott- und sonstige Aufrufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Äußerung eines Verdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Berichte über Ermittlungsverfahren, Ermittlungs- und Fahndungsaufrufe XI. Gerichtsberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Haftung und Haftungsbegrenzung bei bloßer Verbreitung . . . . . . . . . . . XIII. Verantwortlichkeit für Telemediendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Haftung für Druck- und sonstige Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Öffentliche Äußerungen und Warnungen der Behörden . . . . . . . . . . . .
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678 679 690 695 708 724 727 732 754 763 775 782 798 810 828 837
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845 858 863 874 884 889 891 910 912 916 928 942 945 975 1009 1020
Dritter Teil Ansprüche 11. Kapitel Gegendarstellungsanspruch . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruches III. Ausschluss des Entgegnungsrechts . . . . . . . . . . . . IV. Anspruchsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Anspruchsverpflichtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Inhalt der Gegendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Umfang der Gegendarstellung . . . . . . . . . . . . . . VIII. Form der Gegendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Zuleitung und Abdruckverlangen . . . . . . . . . . . . X. Abdruck der Gegendarstellung . . . . . . . . . . . . . . XI. Zurückweisung des Abdruckverlangens . . . . . . . . XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches . . XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen . . . XIV. Gegendarstellungen in Telemedien . . . . . . . . . . . XV. Vertraglich vereinbartes Gegendarstellungsrecht . . .
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IX
Inhaltsübersicht Seite
12. Kapitel Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . I. Charakter des Unterlassungsanspruches . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen des Unterlassungsanspruches . . . . . III. Anspruchsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anspruchsverpflichtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Umfang und Schranken des Unterlassungsanspruches . VI. Durchsetzung des Unterlassungsanspruches . . . . . . .
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1021 1022 1024 1044 1054 1066 1083
13. Kapitel Berichtigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgabe einer berichtigenden Erklärung . . . . . . . . . . . . . . II. Veröffentlichung einer Unterlassungsverpflichtung . . . . . . . III. Sonderfragen der Berichtigung bei Äußerungen im Internet
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1118 1120 1172 1176
14. Kapitel Zahlungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bereicherungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ersatz materieller Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ersatz immaterieller Schäden (Geldentschädigung)
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1187 1187 1188 1195 1219
15. Kapitel Hilfsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ansprüche zur Sicherung des Unterlassungsanspruches .
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1274 1274 1274 1279
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1283
X
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Abkürzungsverzeichnis
a.A. ABl. Abs. AcP a.E. a.F. AfP AG AGB AktG allg. M AmtsBl. Anm. AnwBl AnwGH AöR AP aPR ArbG ArbGG ArchPR Art. Aufl.
anderer Ansicht Amtsblatt Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Archiv für Presserecht Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Aktiengesetz allgemeine Meinung Amtsblatt Anmerkung Anwaltsblatt Anwaltsgerichtshof Archiv für öffentliches Recht Arbeitsrechtliche Praxis allgemeines Persönlichkeitsrecht Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Archiv presserechtlicher Entscheidungen Artikel Auflage
BAG BAM BÄO BayObLG BayObLGSt BayObLGZ BayVerwBl BB Bd. BDSG BDZV Beil. Beschl. betr. BetrVG BGB BGBl. BGE BGH BGHSt BGHZ
Bundesarbeitsgericht Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung Bundesärzteordnung Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung der Entscheidungen des BayObLG in Strafsachen Sammlung der Entscheidungen des BayObLG in Zivilsachen Bayerische Verwaltungsblätter Betriebsberater (Zeitschrift) Band Bundesdatenschutzgesetz Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger Beilage Beschluss betreffend Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen XI
Abkürzungsverzeichnis
BJM BKA BMVtg BR BRAO BR-Drucks. bspw. BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW bzw.
Bundesminister der Justiz Bundeskriminalamt Bundesministerium der Verteidigung Bundesrat Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache beispielsweise Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg beziehungsweise
CR
Computer und Recht (Zeitschrift)
DB dgl. d.h. Diss. DiszplGH DJT DJV DÖV DRiG DRiZ DRZ DS DSAnpUG
Der Betrieb dergleichen das heißt Dissertation Disziplinargerichtshof Deutscher Juristentag Deutscher Journalisten-Verband Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift Der Sachverständige (Zeitschrift) Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 Europäische Datenschutz-Grundverordnung Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Welle
DSGVO DVBl DVO DW ECRL EGBGB EGG EGH EGMR Einl. EKMR EMöGG EMRK etc. EU XII
Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Gesetz über die rechtlichen Rahmenbedingungen im elektronischen Geschäftsverkehr Ehrengerichtshof Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung Europäische Kommission für Menschenrechte Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren Europäische Konvention der Menschenrechte et cetera Europäische Union
Abkürzungsverzeichnis
EuGH EuGRZ
Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte – Zeitschrift
FamRZ FS
Familienrechtszeitschrift Festschrift
GA GBl./GesBl. GewO GG ggf. GjS GKG GmbH GrCh grds. GrS GRUR GRUR Int
Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gesetzblatt Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Charta der Grundrechte der Europäischen Union grundsätzlich Großer Senat Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Praxis im Immaterialgüterund Wettbewerbsrecht (Zeitschrift) Großer Senat in Zivilsachen Der Gerichtssaal (Zeitschrift) Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
GRUR-Prax GrZS GS GVBl. GVG GVOBl. GWB HDStR HESt HGB h.L. h.M. HPRG HRR Hrsg./hrsg. HWG
Handbuch des Deutschen Staatsrechts Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Hessisches Privatrundfunkgesetz Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber/herausgegeben Gesetz über die Werbung auf dem Gebiet des Heilswesens
i.d.R. i.e.S. IFG insb. IPR IPRB i.S. i.S.d.
in der Regel im engeren Sinne Informationsfreiheitsgesetz insbesondere Internationales Privatrecht IP-Rechtsberater im Sinne im Sinne des/der
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Abkürzungsverzeichnis
i.V.m. IVW
in Verbindung mit Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern
JMBlNRW JMStV JR JSchÖG JuRPC JuS JuSchG Justiz JW JZ
Justizministerialblatt Nordrhein-Westfalen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag Juristische Rundschau Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit Internet-Zeitschrift für Rechtsinformatik Juristische Schulung (Zeitschrift) Jugendschutzgesetz Die Justiz (Zeitschrift) Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
K&R Kap. KG krit. KSchG KUG
Kommunikation & Recht (Zeitschrift) Kapitel Kammergericht/Kommanditgesellschaft kritisch Kündigungsschutzgesetz Gesetz betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie
LAG LG LK LM LMedienG LPG LRG Ls. LuftVG LZ
Landesarbeitsgericht Landgericht Leipziger Kommentar Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von Lindenmaier/Möhring Landesmediengesetz Landespressegesetz Landesrundfunkgesetz Leitsatz Luftverkehrsgesetz Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
MA MarkenG MD MdB MDR MDStV MedR MEG MMR MuR MuW m.w.N.
Der Markenartikel (Zeitschrift) Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen Magazindienst Mitglied des Deutschen Bundestages Monatsschrift für Deutsches Recht Mediendienstestaatsvertrag Medizinrecht (Zeitschrift) Medienerprobungsgesetz Multimedia und Recht (Zeitschrift) Medien und Recht (Zeitschrift) Markenschutz und Wettbewerb (Zeitschrift bis 1941) mit weiteren Nachweisen
XIV
Abkürzungsverzeichnis
Nds. NdsRpfl NetzDG n.F. NJ NJW NJW-RR NordÖR Nr. n.rkr. NRW GüSchG NStZ n.v. NVwZ NZV
Niedersachsen Niedersächsische Rechtspflege Netzwerkdurchsetzungsgesetz neue Fassung Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland Nummer nicht rechtskräftig Gütestellen- und Schlichtungsgesetz Nordrhein-Westfalen Neue Strafrechtszeitschrift nicht veröffentlich Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht
ÖBl OGH OGHSt
OHG OLG OLGR OLGZ OstEuR OVG
Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Oberster Gerichtshof (Österreich) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Zivilsachen Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht OLG-Report Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Osteuropa-Recht (Zeitschrift) Oberverwaltungsgericht
PolG PrOVGE pVV
Polizeigesetz Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts positive Vertragsverletzung
RegBl RfÄndStV RG RGBl. RGRK RGSt RGZ RHG Rh.-Pf. RiStBV rkr. Rpfleger RPG Rspr. RStV Rz.
Regierungsblatt Rundfunkänderungsstaatsvertrag Reichsgericht Reichsgesetzblatt BGB-Kommentar der Reichsgerichtsräte und Bundesrichter Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechtshilfegesetz Rheinland-Pfalz Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren rechtskräftig Der Rechtspfleger (Zeitschrift) Reichspressegesetz Rechtsprechung Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien Randzahl
OGHZ
XV
Abkürzungsverzeichnis
s. S. SchBerG SchlHAnz SGB SJZ SMG sog. SoldG Sp. StA StGB StPO str. st. Rspr. StrVert StUG
siehe Seite Schutzbereichsgesetz Schleswig-Holsteinische Anzeigen Sozialgesetzbuch Süddeutsche Juristen-Zeitung Saarländisches Mediengesetz sogenannt Soldatengesetz Spalte Staatsanwaltschaft Strafgesetzbuch Strafprozessordnung streitig ständige Rechtsprechung Der Strafverteidiger (Zeitschrift) Stasi-Unterlagen-Gesetz
TDG TKG TKVO TMG TRG TÜV
Teledienstegesetz Telekommunikationsgesetz Telekommunikations-Kundenschutzverordnung Telemediengesetz Thüringer Rundfunkgesetz Technischer Überwachungsverein
u.a. Ufita UIG UmwG UN UrhG usw. u.U. UWG UZwGBw
unter anderem/und andere Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Umweltinformationsgesetz Umwandlungsgesetz United Nations Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen
v. VDZ VerfGH VerlG VersG VersR VG VGH vgl. VO Vorb.
vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger Verfassungsgerichtshof Gesetz über das Verlagsrecht Versammlungsgesetz Versicherungsrecht (Zeitschrift) Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vorbemerkungen
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Abkürzungsverzeichnis
VVDStRL VwVfG
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsverfahrensgesetz
WarnR WiB WRP WRV WuW
Warneyers Rechtsprechung Wirtschaftsrechtliche Beratung (Zeitschrift) Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) Weimarer Reichsverfassung Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift)
ZAkDR ZAW z.B. ZGB ZInsO ZLR ZPO ZRP ZStW z.T. ZugVO ZUM ZUM-RD
Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zentralausschuss der Werbewirtschaft zum Beispiel Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil Zugabeverordnung Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Rechtsprechungsdienst
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Schrifttumsübersicht Die nachfolgende Übersicht enthält im Wesentlichen nur die für das Äußerungsrecht bedeutsamen Kommentare und Gesamtdarstellungen. Monografien und Aufsätze sind den einzelnen Themenbereichen vorangestellt. Bamberger, Einführung in das Medienrecht, 1986 Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl. 2001 Berner, Lehrbuch des Deutschen Pressrechtes, 1876 Bogler, Schadenersatz wegen unwahrer Presseveröffentlichungen im amerikanischen Recht, 1986 Born, Reichspressegesetz, 4. Aufl. 1931 Branahl, Medienrecht, 7. Aufl. 2013 Castendyk, Fotorecht, 2. Aufl. 2012 Damm, Presserecht, Kommentar, 1985 Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 3. Aufl. 2008 Dasch, Die Einwilligung zum Eingriff in das Recht am eigenen Bild, 1990 Delp, Das gesamte Recht der Publizistik, Loseblattwerk Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, Kommentar, 5. Aufl. 2015 Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte, 1963 Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 15. Aufl. 2017 Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar, 64. Aufl. 2017 Franke, Die Bildberichterstattung über den Angeklagten und der Öffentlichkeitsgrundsatz im Strafverfahren, 1978 von Gamm, Persönlichkeits- und Ehrverletzungen durch Massenmedien, 1969 Geiger, Die Grundrechte in der Privatrechtsordnung, 1960 Gerhardt/Steffen/Tillmanns, Kleiner Knigge des Presserechts, 4. Aufl. 2015 Götting/Schertz/Seitz, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008 Gounalakis/Rhode, Persönlichkeitsschutz im Internet, 2002 Gross, Presserecht, 3. Aufl. 1999 Häntzschel, Reichspressegesetz, 1927 Härting, Internetrecht, 6. Aufl. 2017 Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner/Cole/Wagner, Rundfunkstaatsvertrag Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, Loseblattwerk Helle, Ernst, Der Schutz der Persönlichkeit, der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes im Privatrecht, 2. Aufl. 1969 Helle, Jürgen, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, 1991 Herrmann/Lausen, Rundfunkrecht, 2. Aufl. 2004 Hoeren/Sieber/Holznagel, Handbuch Multimedia-Recht, Loseblattwerk Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl. 1967 Kitzinger, Das Reichsgesetz über die Presse, 1920 Kloepfer, Informationsrecht, 2002
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Schrifttumsübersicht
Köhler/Bornkamm/Feddersen, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 35. Aufl. 2017 Korte, Praxis des Presserechts, 2014 Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 6, 12. Aufl. 2009 Löffler, Presserecht, 6. Aufl. 2015 Mannheim, Presserecht, 1927 Mathy, Das Recht der Presse, Ein Leitfaden für die Redaktionsarbeit, 4. Aufl. 1988 Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblattwerk Mielke, Fragen zum Fotorecht, 1996 Möhring/Nicolini, Urheberrecht, 3. Aufl. 2014 Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 7. Aufl. 2017 (zitiert MüKo/Bearbeiter) Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb: UWG, 7. Aufl. 2016 Osiander, Das Recht am eigenen Bild im allgemeinen Persönlichkeitsrecht, 1993 Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 76. Aufl. 2017 Paschke/Berlit/Meyer (Hrsg.), Hamburger Kommentar Gesamtes Medienrecht, 3. Aufl. 2016 Prinz/Peters, Medienrecht, 1999 Raue/Hegemann (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Urheber- und Medienrecht, 2. Aufl. 2017 Rebmann/Ott/Storz, Das baden-württembergische Gesetz über die Presse vom 14.1.1964, 1964 Regensburger, Die pressgesetzliche Berichtigungspflicht, 1911 Reh/Grass, Hessisches Pressegesetz, 1963 Rehbinder, Presserecht, 1967 Rehbock/Gaudlitz, Beck’sches Mandatshandbuch Medien- und Presserecht, 2. Aufl. 2011 Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl. 2012 Ring, Medienrecht, Loseblattwerk Scheer, Deutsches Presserecht, 1966 Schiwy/Schütz/Dörr, Medienrecht, 5. Aufl. 2009 Schmidt-Leonhardt/Gast, Das Schriftleitergesetz, 1934 Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit nach dem Grundgesetz, 1962 Scholler, Person und Öffentlichkeit, 1967 Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 29. Aufl. 2014 Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl. 2017 Schwarz/Peschel-Mehner, Recht im Internet, Loseblattwerk Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht in der deutschen Zivilrechtsordnung, 1977 Seitz, Der Gegendarstellungsanspruch, 5. Aufl. 2017 Soehring/Hoene, Presserecht, 5. Aufl. 2013 Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015 Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2 – Recht der Schuldverhältnisse, Unerlaubte Handlungen 1, 2017 Stock, Meinungs- und Pressefreiheit in den USA, 1986 Wanckel, Foto- und Bildrecht, 5. Aufl. 2017 Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 4. Aufl. 2014 Wasserburg, Der Schutz der Persönlichkeit im Recht der Medien, 1988 Wente, Das Recht der journalistischen Recherche, 1987 Wittig-Terhardt/Rumphorst, Rechtliche Grundsätze der Berichterstattung in Hörfunk und Fernsehen, 1976 XX
Einleitung I. Äußerungsfreiheit als Prinzip Die Freiheit der Rede ist in der Bundesrepublik im Grundsatz unbestritten. Sie ist in Art. 5 1 Abs. 1 Satz 1 GG verankert. Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht der freien Rede als unmittelbarsten Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft und als für eine freiheitlich-demokratische Rechtsordnung schlechthin konstituierend bezeichnet1. Freiheit der Rede muss vornehmlich herrschen, wenn es um eine den geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geht2. Ganz besonders trifft das zu, wenn Grundrechtsträger sich zu den Staat oder seine Institutionen betreffenden Fragen äußern. Hiergegen gerichtete Kritik zu beschneiden wäre unerträglich. Der Staat muss gegenüber Kritik offen sein. Äußerungen zu diesem Bereich überschreiten die Grenze der Zulässigkeit erst, wenn sie geeignet sind, die Identität des Gemeinwesens in grundlegender Weise in Frage zu stellen3. Dies wäre dann der Fall, wenn „auf Grund der konkreten Art und Weise der Meinungsäußerung der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, die Funktionsfähigkeit seiner staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“4. Mit dieser Maßgabe sind auch die strafrechtlichen Staatsschutzbestimmungen (§§ 84 ff. StGB) und der Tatbestand der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole (§ 90a StGB) zu akzeptieren. Die Ausübung der Freiheit der Rede kann häufig zu Konflikten mit den Belangen Einzelner 2 führen. Diese Belange dürfen nicht schutzlos bleiben, zumal auch ihr Schutz grundrechtlich verankert und konstituierend für die Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit ist5. Das Risiko missbräuchlichen Gebrauchs der Äußerungsfreiheit ist vor dem Hintergrund einer wachsenden Tendenz zur Trivialisierung, Boulevardisierung und Kommerzialisierung zu Zwecken der Sensationsberichterstattung deutlich gestiegen6. Es bedarf also eines Persönlichkeitsschutzes. Schranken der Äußerungsfreiheit sind indes nicht nur im Interesse des Betroffenen, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit unverzichtbar. Die Allgemeinheit will umfassend unterrichtet sein, vor allem aber zutreffend. Bestünde keine ausreichende Möglichkeit, die Verbreitung von Unwahrheiten über einzelne Grundrechtsträger zu unterbinden, und würde die Öffentlichkeit also falsch unterrichtet, liefe das den Interessen der Allgemeinheit zuwider. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass der durch Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ga- 3 rantierte Persönlichkeitsschutz ebenso wie die Äußerungsfreiheit i.S.d. Art. 5 Abs. 1 GG es1 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, BVerfGE 7, 198 = NJW 1958, 257, 258 – Lüth. 2 Std. Rspr., vgl. u.a. BVerfG v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308 = CR 2017, 332 = NJW 2017, 1460 Rz. 14 – Obergauleiter der SA-Horden. 3 Vgl. BVerfG v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300 = NJW 2010, 47 Rz. 6 – Wunsiedel. 4 BVerfG v. 28.11.2011 – 1 BvR 917/09, AfP 2012, 141 Rz. 24. 5 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, BVerfGE 101, 361 = MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021. 6 BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, BGHZ 68, 331 = NJW 1977, 1288, 1289 – Abgeordnetenbestechung; Klass, Realitätsfernsehen, S. 39; BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, BVerfGE 101, 361 = MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021.
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Einleitung
sentielle Bestandteile der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes bilden, so dass keiner von ihnen grundsätzlichen Vorrang beanspruchen kann7. Der Anerkennung der Eigenständigkeit der individuellen Persönlichkeit bedarf es ebenso wie der Sicherung eines freiheitlichen Lebensklimas, das ohne freie Kommunikation nicht denkbar ist. Für den Konfliktfall fordert das Bundesverfassungsgericht, beide Verfassungswerte nach Möglichkeit zum Ausgleich zu bringen. Lässt sich das nicht erreichen, ist unter Berücksichtigung der falltypischen Gestaltung und der besonderen Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, welches Interesse zurückzutreten hat. Hierbei sind beide Verfassungswerte in ihrer Beziehung zur Menschenwürde als der Mittelpunkt des Wertsystems der Verfassung zu sehen8.
II. Tendenzschwankungen bei der Schrankenziehung 4
Der Gegensatz zwischen Äußerungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz ist ein aporetischer. Deswegen kann nicht überraschen, dass die zur Konfliktlösung vertretenen Auffassungen nicht immer die gleichen gewesen sind. Sie werden es wohl auch künftig nicht bleiben. Schon gar nicht wird es möglich sein, zu Einzelfallentscheidungen ausnahmslos Konsens zu erzielen. Damit, dass Unbefriedigendes verbleibt, muss man leben. Das darf nicht von dem Bemühen abhalten, dem vom Bundesverfassungsgericht hoch gesteckten Ziel zumindest nahezukommen.
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Zu Beginn der Rechtsprechung der Bundesrepublik hat das Bestreben vorgeherrscht, den als lückenhaft empfundenen Rechtsschutz gegenüber kritischen Äußerungen auszubauen. Den ersten Markstein der Entwicklung, die zunächst in diese schutzerweiternde Richtung gegangen ist, bildet die Constanze-Entscheidung vom 26.10.19519. Damit hat der BGH das Recht am Unternehmen i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB auf die Ausstrahlungen des Gewerbebetriebes erstreckt, also auf die Beziehungen zu den Geschäftspartnern. Ein Eingriff in diese Beziehungen, z.B. durch kritische Äußerungen, stellte sich damit als Eingriff in dieses Recht dar, wobei nach der klassischen Lehre davon ausgegangen wurde, ein tatbestandliches Handeln indiziere die Rechtswidrigkeit. Rechtmäßig sei also ein durch eine kritische Äußerung erfolgender Eingriff nur bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes.
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Nach dieser Erweiterung des Rechtsschutzes gegenüber Kritik im wirtschaftlichen Bereich konnte ein Korrelat für den persönlichen Bereich nicht ausbleiben. Bereits im vergangenen Jahrhundert ist die Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gefordert worden. Der Gesetzgeber des BGB hat die Forderung nach einem solchen Rechtsschutz noch abgelehnt10. Die Rechtsprechung ist dieser Haltung gefolgt11. Im Anschluss an namhafte Literaturstimmen hat der BGH diese Haltung mit seiner Leserbrief-Entscheidung vom 25.5.1954 aufgegeben12. Der in Art. 1 und 2 GG grundrechtlich gesicherte Würde- und Persönlichkeitsschutz gebiete, das allgemeine Persönlichkeitsrecht als verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht zu betrachten. Mit dieser Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts war der Rechtsschutz weitgehend komplettiert.
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BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226 – Lebach I. BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226, 1229 – Lebach I. BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51, NJW 1952, 660. Leuze, Die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts im 19. Jahrhundert, 1962, S. 68 ff. RG v. 28.2.1889, RGZ 41, 48, 50; RG v. 2.9.1937, RGZ 156, 372, 374. BGH v. 25.5.1954 – I ZR 211/53, BGHZ 13, 334 = NJW 1954, 1404.
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II. Tendenzschwankungen bei der Schrankenziehung
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Eine grundsätzliche Erweiterung hat der zivilrechtliche Rechtsschutz später nur noch einmal 7 erfahren, nämlich durch die Anerkennung der Möglichkeit, bei schweren Persönlichkeitsverletzungen ein Schmerzensgeld (Geldentschädigung) fordern zu können. Dazu hat der BGH in der Herrenreiter-Entscheidung vom 14.2.1958 die Auffassung vertreten13, dass es eine unerträgliche Missachtung des Persönlichkeitsrechts wäre, wenn man demjenigen, der in der Freiheit der Selbstentschließung über seinen persönlichen Lebensbereich verletzt ist, einen Anspruch auf Ersatz des hierdurch hervorgerufenen immateriellen Schadens versage. Obschon diese Entscheidung vor allem wegen der ausdrücklich gegenteiligen Regelung des § 253 BGB weit mehr als ein Jahrzehnt umstritten war, hat sich die Auffassung des BGH im Ergebnis durchgesetzt. Mit der Soraya-Entscheidung vom 14.2.1973 hat schließlich auch das Bundesverfassungsgericht die Zuerkennung eines immateriellen Schadensersatzanspruches bei Persönlichkeitsverletzungen verfassungsrechtlich legitimiert14. Dieser Ausbau des Rechtsschutzes hat die Gefahr eröffnet, dass die Abwehrrechte das Über- 8 gewicht erlangen. Wenn praktisch jede Kritik an wirtschaftlichen Leistungen als Verletzung des Rechts am Unternehmen und wenn beeinträchtigende Äußerungen zum Persönlichkeitsbereich als Persönlichkeitsverletzung mit der Möglichkeit betrachtet werden, daraus negatorische und eventuell materielle und immaterielle Ersatzansprüche abzuleiten, kann die Äußerungsfreiheit leicht zur Fiktion werden. Ein Umschwung war damit vorprogrammiert. Eingeleitet hat ihn das Bundesverfassungsgericht mit dem Lüth-Urteil15, das am 15.1.1958 fast zeitgleich mit der Herrenreiter-Entscheidung ergangen ist16. In diesem grundlegenden Urteil stellt das Bundesverfassungsgericht im Anschluss an Dürig17 fest, dass das grundrechtliche Wertsystem als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelte, weswegen es auch das bürgerliche Recht beeinflusse. Dann aber sei es nicht folgerichtig, die sachliche Reichweite des Art. 5 Abs. 1 GG jeder Relativierung durch einfaches Gesetz und damit zwangsläufig durch die Rechtsprechung der die Gesetze auslegenden Gerichte zu überlassen. Die allgemeinen Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG setzten dem Grundrecht zwar dem Wortlaut nach Schranken. Sie seien aber ihrerseits aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung der Äußerungsfreiheit im freiheitlich-demokratischen Staat auszulegen und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder einzuschränken (sog. Wechselwirkungs-Lehre). Es hat erhebliche Zeit in Anspruch genommen, bis die sog. Lüth-Formel sich in der Recht- 9 sprechung der Zivil- und vor allem auch der Strafgerichte durchgesetzt hat. Speziell die Vorstellungen zum Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb hatten allzu tiefe Wurzeln geschlagen. Bereits mit der Waffenhandel-Entscheidung von 1961 hat der BGH bevorstehende Veränderungen signalisiert18, vollzogen hat er aber den Wandel erst mit der Höllenfeuer-Entscheidung von 196619. Darin bezeichnet er das Recht am Unternehmen nur noch als bloßen Auffangtatbestand, bei dem die Rechtswidrigkeit ebenso wie beim Persönlichkeitsrecht nicht, wie bis dahin angenommen, aus der Tatbestandsmäßigkeit, sondern erst aus der zu missbilligenden Art der Schädigung abzuleiten sei, so dass es der Berufung des Täters auf einen besonderen Rechtfertigungsgrund jedenfalls nicht immer bedürfe. Dem lie13 14 15 16 17 18 19
BGH v. 14.2.1958 – I ZR 151/56, BGHZ 26, 349 = NJW 1958, 827. BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221. BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257. BGH v. 14.2.1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827. Dürig, AöR 81 (1956) 117, 130. BGH v. 24.10.1961 – VI ZR 204/60, NJW 1962, 32. BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617.
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Rz. 10
Einleitung
ge die Vorstellung zugrunde, dass der mündige und zum eigenen Urteil im Kampf der Meinungen aufgerufene Bürger in der freiheitlichen Demokratie selbst fähig sei, zu erkennen, was von einer Kritik zu halten sei, die auf eine Begründung verzichte und in hämisch-ironischer oder schimpfend-polternder Art die Gegenmeinung angreife. Gegenüber diesem Wagnis der Freiheit sei hinzunehmen, dass das Recht dem Betroffenen nicht gegenüber jeder unangemessen scharfen Meinungsäußerung Schutz gewähre. 10
Erst diese Höllenfeuer-Entscheidung hat den vom Bundesverfassungsgericht hergestellten Grundrechtsbezug effektiv gemacht. In der Folgezeit ist der Unternehmens- und mit ihm auch der Persönlichkeitsschutz ganz erheblich zurückgefahren worden. Das Pendel ist in Richtung Meinungsfreiheit ausgeschlagen. Die These, das Recht am Unternehmen erfasse auch die Ausstrahlungen des Gewerbebetriebes, ist zwar aufrechterhalten geblieben. Fortan ist aber ein solcher Eingriff grundsätzlich nicht mehr als rechtswidrig bezeichnet worden. Beim Persönlichkeitsschutz war es neben anderen Gütern speziell die Ehre, deren Schutz weitgehend auf der Strecke blieb20. Die Rechte aus Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG drohten gegenüber Art. 5 Abs. 1 GG in Vergessenheit zu geraten. Wiederum war es das Bundesverfassungsgericht, das korrigierend eingegriffen hat. Im Jahre 1973 hat ihm der Lebach I-Fall dazu Gelegenheit geboten21.
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Im Lebach I-Fall ging es um ein Fernseh-Dokumentarspiel, das den Soldatenmord von Lebach behandelt. Darin wurden die Namen der Täter genannt und Abbildungen von ihnen mehrfach eingeblendet. Es sollte zu eben jener Zeit ausgestrahlt werden, zu der die Entlassung des geringst belasteten Teilnehmers bevorstand. Damit hätte die Ausstrahlung seine Resozialisierung erheblich gefährdet. In diesem Falle hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass das Äußerungsrecht gegenüber dem Persönlichkeitsschutz keinen grundsätzlichen Vorrang beanspruchen kann, sondern die Rechte im Konfliktfalle gegeneinander abzuwägen sind. Da der Einbruch in die personale Sphäre des Straftäters nicht zum Zwecke der aktuellen Berichterstattung, sondern im Rahmen eines auch der Unterhaltung dienenden, die Täter identifizierenden Dokumentarspiels erfolgen sollte, ist das Bundesverfassungsgericht bei dieser Abwägung zu dem Ergebnis gelangt, dass im konkreten Falle die Rundfunkfreiheit hinter dem Persönlichkeitsschutz zurückzutreten habe.
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Die Lebach I-Entscheidung bedeutet einen Markstein. Sie hat dazu beigetragen, den insbesondere auf Grund der Lüth-Entscheidung einseitig auf die Äußerungsfreiheit ausgerichteten Blick auszuweiten und den Persönlichkeitsschutz zu stärken. Die Stärkung des Persönlichkeitsschutzes war notwendig geworden. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass keinem der gegeneinander abzuwägenden Verfassungswerte grundsätzlich der Vorrang gebühre. Die einseitige Betonung der Äußerungsfreiheit hatte das Gefühl aufkommen lassen, die Verfügungsmacht über ein Medium eröffne eine unbegrenzte Möglichkeit zur Einflussnahme auf die öffentliche Meinung, und zwar auch zur Erreichung besonderer Reichweite auf Kosten der betroffenen Person. Dass eine solche Betrachtungsweise inakzeptabel ist, bedarf keiner besonderen Begründung. Praktisch kann dem nur ein effizienter Persönlichkeitsschutz entgegenwirken.
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Das Resultat der Stärkung des Persönlichkeitsschutzes durch die Lebach I-Entscheidung war allerdings, dass eine Periode des Abwägens begonnen hat. Lerche22 hat einmal von dem 20 Kriele NJW 1994, 1897; ebenso Seitz, NJW 2003, 3523; Ladeur, AfP 2016, 402, 403; Graef, K&R 2016, 594. 21 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226. 22 Lerche, AfP 1976, 55.
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II. Tendenzschwankungen bei der Schrankenziehung
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wohltätig einlullenden Balsam der Güterabwägung je nach Fall gesprochen. Die im Anschluss an die Lebach-Entscheidung festzustellende Reduktion der Rechtsfindung auf eine bloße Einzelfallabwägung hat erneut eine verfassungsgerichtliche Reaktion ausgelöst. In der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Axel Springer-Verlages gegen das ihn betreffende Wallraff-Urteil23 weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin24, dass die als „offen“ bezeichneten Tatbestände speziell die höchstrichterliche Rechtsprechung verpflichten, die Offenheiten konkretisierend zu schließen, indem unter Berücksichtigung der Besonderheiten der zu beurteilenden Sachverhalte und der Bedeutung der Grundrechte Grundsätze entwickelt werden, welche die Entscheidung des Einzelfalles normativ zu leiten imstande sind. Das, was das Gesetz offenlässt, sei durch Richterrecht auszufüllen. Abwägung im Einzelfalle möge zwar in besonderem Maße Einzelfallgerechtigkeit verwirklichen. Dem rechtsstaatlichen Gebot der Berechenbarkeit des Rechts, der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit vermöge sie allein jedoch nicht gerecht zu werden. Der Rechtsfortbildung durch die Zivilgerichte ist damit auch verfassungsrechtlich ein beachtlicher Raum belassen, der insbesondere zur Erweiterung grundrechtlicher Schutzräume genutzt werden kann25. In der 1987 erschienenen dritten Auflage dieses Handbuchs ist die Hoffnung ausgesprochen 14 worden, die Wallraff-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1984 werde der Rechtsprechung Veranlassung zu vermehrten Bemühungen um die Ausprägung persönlichkeitsrechtlicher Einzeltatbestände, also Fallgruppen besonderer Persönlichkeitsrechte, geben. Solche Ausprägungen machen zwar die Prüfung der Umstände des Einzelfalles nicht entbehrlich. Trotzdem können sie zu der vom Bundesverfassungsgericht in Erinnerung gerufenen Rechtsklarheit und Rechtssicherheit beitragen, die der Einzelfallgerechtigkeit im Rang nicht nachstehen und deswegen als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips i.S.d. Art. 20 Abs. 3 GG nicht vernachlässigt bleiben dürfen. Leider muss man feststellen, dass der Ruf von 1984 weitgehend ungehört verhallt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat auch seinerseits kaum erkennbare Konsequenzen daraus gezogen. Vielmehr nimmt es verstärkt wieder fallbezogene Einzelabwägungen vor26. Es mag an der Vielzahl der gerade im äußerungsrechtlichen Bereich erhobenen Verfassungsbeschwerden liegen, dass seine Entscheidungen immer häufiger aus formelhafter Wiederholung von früher Gesagtem bestehen und Richtungweisendes nicht allzu häufig spürbar wird. Einen Wendepunkt bildeten die Caroline von Monaco-Entscheidungen und insb. der Ein- 15 fluss der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hierzu, die in den 2000er Jahren einen spürbaren Einfluss auf die deutsche Rechtsprechung erhielten. Nach dem Tod ihres Ehemanns Stefano Casiraghi legte die Prinzessin vermehrt Wert auf den Schutz ihrer Privatsphäre und den ihrer drei Kinder. Das Medieninteresse, insb. der sog. Yellow Press, an dem Privatleben blieb jedoch unvermindert. Paparazzi-Fotos erschienen fast täglich. Da es sich insoweit um wahrheitsgetreue Berichterstattung aus dem Alltagsleben handelte, z.B. Abbildung des Spaziergangs mit Kindern in der Öffentlichkeit, konnten diese nach früherer Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen untersagt werden. Nach damaligem Verständnis umfasste der Privatsphärenschutz nämlich nur den häuslichen Bereich. Das OLG Hamburg und ihm folgend der BGH27 versuchten, den Privatsphärenschutz behutsam auch 23 24 25 26 27
BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, MDR 1981, 484 = AfP 1981, 270 = NJW 1981, 1089. BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741, 1743. Vgl. BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 287 = NJW 1973, 1221 – Soraya. Vgl. BVerfG v. 9.10.2000 – 1 BvR 1839/95, NJW-RR 2001, 411. BGH v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861; v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94, MDR 1996, 366 = AfP 1996, 137 = NJW 1996, 984.
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Einleitung
auf Situationen zu erstrecken, in denen der Einzelne begründetermaßen erwarten darf, unbeobachtet zu sein. Dies sei der Fall, wenn sich Prominente in einen räumlich abgeschiedenen Bereich eines öffentlich zugänglichen Ortes begäben. Diese Rechtsprechung verhalf der Privatsphäre Prominenter in der Öffentlichkeit aber nur zu einem sehr eingeschränkten Schutz. Auf Beschwerde der Betroffenen gegen die deutsche Rechtsprechung erweiterte der EGMR die Formel vom räumlich abgeschiedenen Schutzbereich. Jede Person, selbst wenn sie in der Öffentlichkeit bekannt ist, müsse „eine berechtigte Erwartung“ auf Schutz und Achtung ihres Privatlebens haben können28. In dieses Recht dürfe durch die Presse nur eingegriffen werden, wenn die Rolle der Medien als „Wachhund“ in der demokratischen Gesellschaft dazu beitrage, „Ideen und Informationen zu Fragen allgemeinen Interesses zu vermitteln“29. Die Rechtsprechung wurde von den deutschen Gerichten übernommen30. Ausnahmen machte der EGMR bei öffentlichen Auftritten von Prominenten und bei Politikern, deren Privatleben oft auch ihre politische Vorbildfunktion beeinflusst31 oder bei Fotos, deren Begleittext den Bezug zu einer öffentlichen Debatte über das Vorbildverhalten Prominenter herstellen32. Im Übrigen ist die Einwilligung erforderlich. Die Betroffenen versuchen, ihre Medienpräsenz zu dosieren und diese insbesondere für die eigenen kommerziellen Zwecke einzusetzen. In seiner grundlegenden Entscheidung vom 15.12.1999 hat das Bundesverfassungsgericht33 zwar die Ausweitung des Privatsphärenschutzes bestätigt, gleichzeitig jedoch darauf hingewiesen, dass der Schutz nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet ist. Der Schutz entfalle daher, wenn jemand selbst gewöhnlich als privat gehaltene Angelegenheiten öffentlich macht, indem er z.B. Exklusivverträge über die Berichterstattung über seine Privatsphäre abschließt oder seine Privatsphäre selbst preisgibt. 16
Demgegenüber steht der BGH einer Kommerzialisierung von Persönlichkeitsrechten durchaus aufgeschlossen gegenüber. Wenige Tage vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 15.12.1999 hatte der BGH am 1.12.1999 seine Marlene Dietrich I-Entscheidung34 verkündet. Darin geht der BGH davon aus, dass das Persönlichkeitsrecht auch nach dem Tode fortbestehe und zwei Bestandteile habe. Der eine Bestandteil schütze die ideellen Interessen und sei höchstpersönlicher Natur, also weder übertragbar noch vererblich. Ein anderer Bestandteil schütze die vermögenswerten Interessen. Dieser Bestandteil sei auch vererblich. Die Erben verfügten über ein eingeschränktes positives Benutzungsrecht im Hinblick auf die Verwertungsmöglichkeiten persönlichkeitsrechtlicher Merkmale. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Sichtweise akzeptiert. Mit Nichtannahmebeschluss vom 22.8.200635 hat es klargestellt, dass die Verfassung einen Schutz vor kommerzieller Ausbeutung zwar nicht kenne, der einfachrechtlichen Anerkennung eines solchen Schutzes in Form vererblicher vermögenswerter Bestandteile allerdings auch nicht entgegenstehe. Gleichwohl gehe der in zulässiger 28 EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00, AfP 2004, 348 Rz. 69 – von Hannover/Deutschland. 29 EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00, AfP 2004, 348, Rz. 63 – von Hannover/Deutschland. 30 BGH v. 6.3.2007 – VI ZR 13/06, AfP 2007, 121 Rz. 15 – „Abgestuftes Schutzkonzept“; BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07 u.a., NJW 2008, 1793, Rz. 81 f.; die Europäische Menschenrechtskonvention genießt im nationalen Recht zwar bloß den Rang einfachen Rechts, ist aber ebenso wie die Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung des Inhalts und der Reichweite von Grundrechten zu beachten, s. BVerfG, a.a.O., Rz. 52. 31 EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00, AfP 2004, 348 Rz. 64. 32 EGMR v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 – von Hannover/Deutschland III. 33 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021. 34 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, MDR 2000, 1147 = AfP 2000, 356; Vorarbeiten durch Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 1995. 35 BVerfG v. 22.8.2006 – 1 BvR 1168/04, GRUR 200, 1049 – Werbekampagne mit blauem Engel.
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II. Tendenzschwankungen bei der Schrankenziehung
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Rechtsfortbildung entwickelte (einfachrechtliche) postmortale Persönlichkeitsschutz über die Reichweite des grundrechtlichen Persönlichkeitsschutzes hinaus36. So begrüßenswert der erweiterte Schutzumfang des Persönlichkeitsrechts ist, so wenig sollte indes mit Mitteln des Rechts seiner Kommerzialisierung Vorschub geleistet werden37. Persönlichkeitsschutz ist Ausdruck unserer Wertordnung. Wird diese auf das Kommerzialisierungsinteresse reduziert, stellt sie ihre eigene Grundlage in Frage. Gerade die durch den technischen Wandel bedingten Fortschritte in der Kommunikation zeigen, dass das Recht einer laufenden Anpassung an die sich wandelnden Verhältnisse bedarf. Einen weiteren Markstein stellen die Benetton-Entscheidungen des Bundesverfassungsge- 17 richts38 dar. Durch sie wurde dem verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit auch im Bereich des Wettbewerbsrechts Geltung verschafft. Das Bundesverfassungsgericht weist auch darauf hin, dass der grundrechtliche Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sich auch auf kommerzielle Meinungsäußerungen sowie reine Wirtschaftswerbung, die einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat, erstrecke. Bei der wettbewerbsrechtlichen Bewertung von Anzeigen seien Bedeutung und Tragweite der Meinungsäußerungsfreiheit zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hat daher die zugrunde liegenden Urteile des BGH39 aufgehoben. Nach Zurückverweisung der Sache hat der BGH mit zusätzlichen Erwägungen die beanstandete Werbung wiederum verboten40. Auf die dagegen gerichtete weitere Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot erneut aufgehoben und festgestellt, dass die beanstandete Werbung insb. nicht die Menschenwürde der dadurch Betroffenen verletzt41. Die verfassungsrechtliche Verbürgung der Meinungsfreiheit auch für Werbeäußerungen, in denen ein Werturteil, eine Ansicht oder Anschauung bestimmter Art zum Ausdruck kommt, ist heute anerkannt42. Einschränkungen solcher Äußerungen unterliegen den üblichen Grenzen des Art. 5 Abs. 2 GG. Dabei kann der Umstand, dass die Äußerung nicht zu einer Meinungsdebatte beiträgt, sondern allein kommerzielle Interessen verfolgt, allerdings dazu führen, dass die Äußerung stärkeren Einschränkungen unterliegt43. Allerdings muss nachgewiesen werden, ob und inwieweit Werbung Rechte oder Interessen konkret verletzt44. Als eine Korrektur der meinungsäußerungsfreundlichen Rechtsprechung wurde die sog. 18 „Stolpe-Rechtsprechung“ des Bundesverfassungsgerichts wahrgenommen45. Es ging um ei36 Vgl. ständige Rechtsprechung des BVerfG, wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit dem Tode endet und Verstorbene nur den grundrechtlichen Schutz durch die Menschenwürde genießen: BVerfG v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 594 – Willy Brandt-Gedächtnismünze; BVerfG v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, AfP 2001, 295 = ZUM 2001, 584 – Kaisen. 37 Peifer, GRUR 2002, 495. 38 BVerfG v. 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95 u.a., AfP 2001, 44, NJW 2001, 591; v. 11.3.2003 – 1 BvR 426/02, AfP 2003, 149 = MDR 2003, 1065 = NJW 2003, 1303. 39 BGH v. 6.7.1995 – I ZR 239/93, MDR 1995, 1028 = AfP 1995, 602 = NJW 1995, 2488 – Ölverschmutzte Ente; v. 6.7.1995 – I ZR 110/93, MDR 1995, 1028 = AfP 1995, 600 = NJW 1995, 2490 – Kinderarbeit; v. 6.7.1995 – I ZR 180/94, NJW 1995, 2492 – H.I.V. POSITIVE I. 40 BGH v. 6.12.2001 – I ZR 284/00, AfP 2002, 162 = MDR 2002, 773 = NJW 2002, 1200 – H.I.V. POSITIVE II. 41 BVerfG v. 11.3.2003 – 1 BvR 426/02, AfP 2003, 149 = MDR 2003, 1065 = NJW 2003, 1303. 42 Zuletzt BVerfG v. 5.3.2015 – 1 BvR 3362/14, NJW 2015, 1438 Rz. 20 – Werbetassen. 43 BVerfG v. 5.3.2015 – 1 BvR 3362/14, NJW 2015, 1438 Rz. 29. 44 BVerfG v. 12.7.2007 – 1 BvR 2041/02, GRUR 2008, 81, 83 – Pharmakartell. 45 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, BVerfGE 114, 339 = AfP 2005, 544 = AfP 2006, 41 – Stolpe/IM-Sekretär; Vorinstanz BGH v. 16.6.1998 – VI ZR 205/97, BGHZ 139, 95 = MDR 1998, 1226 = NJW 1998, 3047; Literaturnachweise unten Kap. 5 vor Rz. 1.
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Einleitung
ne mehrdeutige Äußerung eines Berliner Abgeordneten über einen früheren Ministerpräsidenten, die den Verdacht nahelegen konnte, dass Letzterer zu DDR-Zeiten mit dem Ministerium für Staatssicherheit bewusst zusammengearbeitet habe. Der Wahrheitsgehalt stand zum Zeitpunkt der ersten Aufstellung weder fest noch war die Unwahrheit erwiesen. Der BGH hatte – im Einklang mit der früheren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts46 – in der Vorinstanz diejenige (mögliche) Deutung der Äußerung zugrunde gelegt, welche die Freiheit des Äußernden stärkt und zugleich den Betroffenen weniger beeinträchtigt47. Das Bundesverfassungsgericht48 hat diese Form der von Helle49 als „Variantenlehre“ bezeichneten Auslegung für Unterlassungsansprüche umgekehrt und gemeint, bei in die Zukunft wirkenden Ansprüchen (wie dem Unterlassungsanspruch) müsse diejenige Deutung zugrunde gelegt werden, die das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen besser schützt. Darin liege keine Schwächung der Meinungsfreiheit, denn der Äußernde habe die Möglichkeit, „sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der rechtlichen Prüfung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts zugrunde zu legen ist“50. Die Rechtsprechung ist heftig kritisiert worden, weil sie das Günstigkeitsprinzip für Äußerungen schwäche51. Sie hat aber auch Unterstützung gefunden, weil sie auf Unterlassungsansprüche begrenzt sei und daher keine übermäßig abschreckende Wirkung auf den Gebrauch der Äußerungsfreiheiten ausübe52. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regel nur in einem Fall auch auf Werturteile erweitert53, nicht dagegen auf Gegendarstellungsansprüche54. Die Stolpe-Entscheidung erzeugt Folgeprobleme: Man wird zunächst annehmen, dass die nach dem Urteil geschuldete Klarstellung die Wiederholungsgefahr für die Zukunft beseitigt, allerdings nur, wenn sie zutreffend formuliert ist. Das ist alles andere als trivial55; die zutreffende Formulierung bedarf einer großzügigen Wertung durch die Gerichte, um die auch bei Unterlassungsklagen zu begrenzende einschüchternde Wirkung auf Äußerungsfreiheiten zu begrenzen56. Da die Verbreitung mehrdeutiger Äußerungen für sich genommen nicht rechtswidrig ist, sondern allenfalls für die Zukunft Reaktionen erfordert, sind die Kosten der Erstabmahnung nicht erstattungsfähig57. Die Klarstellung gegenüber dem Betroffenen allein genügt
46 BVerfG v. 19.4.1990 – 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86, BVerfGE 82, 43, 52 = MDR 1990, 896. 47 BGH v. 16.6.1998 – VI ZR 205/97, BGHZ 139, 95 = MDR 1998, 1226 = NJW 1998, 3047, 3048. 48 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, BVerfGE 114, 339 = AfP 2005, 544 = AfP 2006, 41; Literaturnachweise unten Kap. 5 vor Rz. 1. 49 Helle, AfP 2006, 110, 115. 50 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, BVerfGE 114, 339, 350 = AfP 2005, 544 = AfP 2006, 41. 51 Mann, AfP 2006, 6, 8; Seelmann-Eggebert, AfP 2007, 86, 88; Gas, AfP 2006, 428, 429, Gas/Körner, AfP 2007, 17; Teubel, AfP 2006, 20, 32. 52 Grimm, AfP 2008, 1, 4; Helle, AfP 2006, 110, 115; Hochhuth, NJW 2006, 189. 53 BVerfG v. 24.5.2006 – 1 BvR 49/00, NJW 2006, 3769, 3773 – Babycaust; anders aber bereits v. 8.9.2009 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Genmilch. 54 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58 = ZUM 2008, 325; a.A. noch OLG Hamburg v. 26.9.2000 – 7 U 73/00, NJW-RR 2001, 186 f.; KG v. 9.11.2004 – 9 U 215/04, ZUM-RD 2005, 53; LG München I v. 21.12.2005 – 9 O 23986/05, AfP 2006, 379. 55 Mann, AfP 2011, 326, 329, hierzu KG v. 18.8.2008 – 10 U 47/08; OLG Hamburg v. 29.6.2006 – 3 U 12/06, AfP 2007, 483 = NJW-RR 2007, 702; LG Hamburg v. 28.12.2010 – 324 O 140/10, ZUMRD 2011, 506; LG Hamburg v. 22.10.2010 – 324 O 100/10, AfP 2010, 613; LG Stuttgart v. 13.1.2015 – 11 O 224/14, ZUM 2015, 1016; OLG Stuttgart v. 11.5.2015 – 4 W 14/15, ZUM 2015, 1009. 56 Seelmann-Eggebert, AfP 2007, 86, 90. 57 Schippan, ZUM 2015, 974, 977; a.A. Specht/Müller-Riemenschneider, ZUM 2015, 727, 730.
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III. Der Begriff des Äußerungsrechts
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nur ausnahmsweise, denn die Verbreitung selbst ist Kommunikationsdelikt und daher gegenüber den Rezipienten erforderlich58.
III. Der Begriff des Äußerungsrechts Wie die bis 1933 ergangenen Entscheidungen zeigen, sind schon im Kaiserreich und ebenso 19 in der Weimarer Republik Konflikte zwischen Person und Öffentlichkeit entstanden. Sie waren aber wohl nicht allzu zahlreich. Während des „Dritten Reiches“ waren Presse und der damals gerade erst in Mode gekommene Rundfunk staatlich gelenkt. Zu voller Entfaltung gelangt ist der Konfliktstoff erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Er traf die Gerichte unvorbereitet. Adolf Arndt hat dazu bemerkt59, die entstandenen Probleme ließen sich mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr lösen. Da vornehmlich Äußerungen in den Medien zu Konflikten führen, ist vielfach angenommen 20 worden, der Problembereich sei dem Presse- bzw. Medienrecht zuzuordnen. Dass Medienäußerungen wegen ihrer Reichweite in mancher Hinsicht besonderer Beurteilung bedürfen, ist richtig. Primär geht es aber nicht um die aus der Verbreitungsform folgenden Sonderprobleme, sondern um die Äußerung als solche. Deswegen ist es nicht möglich, den Konflikt zwischen Äußerungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz als Angelegenheit des Presse- bzw. Medienrechts zu behandeln, zumal die Mediengesetze neben dem gegen Behörden gerichteten Auskunftsanspruch lediglich den Gegendarstellungsanspruch regeln. Die sonstigen Ansprüche folgen aus Tatbeständen, die in dem allgemein geltenden BGB enthalten sind, ferner im KUG in Bezug auf den Bildnisschutz. Der Problembereich lässt sich mit dem Begriff des Persönlichkeitsrechts nicht ausreichend beschreiben. Das Persönlichkeitsrecht hat überragende Bedeutung erlangt. Des Persönlichkeitsschutzes bedarf es aber nicht nur gegenüber Äußerungen, sondern auch in anderen Bereichen, etwa im Datenschutzrecht, das über § 823 Abs. 2 BGB auch in das Zivilrecht hineinwirkt. Abgesehen davon existieren sonstige Tatbestände wie die Beleidigungsdelikte und die Kreditgefährdung. Da unverkennbar die rechtliche Behandlung von Äußerungen einen eigenständigen Problembereich bildet, lässt dieser sich nach wie vor treffend als Äußerungsrecht bezeichnen. Die Behandlung des Äußerungsrechts als selbständige Materie ist nicht neu. Die Fülle der 21 Untersuchungen zum Konflikt der Äußerungsfreiheit mit dem Persönlichkeitsschutz zielt in die gleiche Richtung. Beispielhaft sei verwiesen auf Scholler, „Person und Öffentlichkeit“ (1967). Nachdem Löffler schon mit der ersten Auflage seines Kommentars zum Presserecht von 1955 wesentliche Grundlagen geschaffen hatte60, hat Helle die wahrscheinlich erste systematische Untersuchung geliefert, nämlich seine 1957 erschienene Monographie „Der Schutz der persönlichen Ehre und des wirtschaftlichen Rufes im Privatrecht“ (2. Aufl. 1969). Erwähnt sei weiter die 1969 erschienene Schrift von von Gamm, „Persönlichkeits- und Ehrverletzungen durch Massenmedien“. Die in neuerer Zeit erschienene Vielzahl zum großen Teil sehr wertvoller Schriften zu diesem Themenbereich ist kaum noch zu überblicken (Literaturübersicht unten Kap. 1 vor Rz. 5). Darüber hinaus sind gesetzgeberische Versuche unternommen worden, speziell durch den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des zivil-
58 KG v. 18.8.2008 – 10 U 47/08; a.A. LG Hamburg v. 28.12.2010 – 324 O 140/10, ZUM-RD 2011, 560, 561; Mann, AfP 2011, 326; Schippan, ZUM 2015, 974, 978. 59 Arndt, NJW 1966, 869, 871. 60 2. Aufl. 1969, 3. Aufl. 1983, 4. Aufl. 1997 – Neubearbeitung.
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rechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes von 195961. Auch im Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften von 1967 waren äußerungsrechtliche Vorschriften enthalten62. Der Deutsche Juristentag hat sich 2012 mit Fragen zum Schutz der Persönlichkeit in virtuellen Räumen, insb. bezüglich Äußerungen in Internetdiensten, befasst63. Die Rechtsdurchsetzung gegenüber solchen Äußerungen ist erheblich erschwert, zum Einen, weil die Äußerungen vielfach anonym erfolgen, zum anderen, weil die schnelle und effektive Bekämpfung die Inanspruchnahme von Providern erfordert, die selbst oft den Zugang zu den Äußerungen nur vermitteln, ohne redaktionelle Tätigkeiten zu entfalten64. Die Trennung zwischen professioneller Massenkommunikation und dezentraler Individualkommunikation, die das Äußerungsrecht bisher stark beherrschte, ist an vielen Stellen aufgehoben. Die Gerichte haben die daraus entstehenden Konflikte bei Weitem noch nicht bewältigt. 22
Der Begriff des Äußerungsrechts ist anfänglich vielfach auf Skepsis gestoßen und gelegentlich in Anführungszeichen gesetzt worden. Inzwischen hat er auch in die Rechtsprechung Eingang gefunden; in der Lehre wird – angesichts des Vordringens datenschutzrechtlicher Probleme – auch von Informationsrecht gesprochen65. Naturgemäß kommt es nicht auf die Bezeichnung an. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass dieser Konfliktbereich nur lösbar ist, wenn man ihn als Ganzes sieht. Es geht um die Freiheit der Rede einerseits und um den notwendigen Schutz der Person gegenüber beeinträchtigenden Äußerungen andererseits. Gerechte Lösungen sind nur möglich, wenn beides im Auge behalten wird. Solche Lösungen unter möglichst weitgehender Ausschöpfung vorhandener Erkenntnisse zu erreichen, ist das Anliegen dieses Handbuches. Damit soll ein Beitrag zur Erfassung des Rechts auf freie Rede geleistet werden, das das Bundesverfassungsgericht als unmittelbarsten Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit, als eines der vornehmsten Menschenrechte und als für eine freiheitliche Demokratie schlechthin konstituierend bezeichnet hat66. Der EGMR bezeichnet die Äußerungsfreiheit als eine der Grundsäulen einer demokratischen Gesellschaft und als eine der wesentlichen Bedingungen für ihren Fortschritt und für die Selbstverwirklichung jedes Einzelnen67. Das Recht auf freie Rede ist die Grundlage jeder Freiheit überhaupt.
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Ufita 29/1959, 39. Näheres Wenzel, GRUR 1970, 278. Näheres Peifer, JZ 2012, 851. Peifer, AfP 2015, 193. Kloepfer, Informationsrecht, 2002; Zech, Information als Schutzgegenstand, 2012. BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257 – Lüth. EGMR v. 8.7.1986 – 12/1984/84/131, NJW 1987, 2143 – Kreisky.
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Erster Teil Grundrechtsschutz 1. Kapitel Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-Grundrechte-Charta I. Freiheitsrechte und Grundrechtsschutz im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . .
1
3. Zulässigkeit von Beschwerden, Entscheidungen des EGMR . . . . . . . .
55
II. Äußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . .
5
4. Fallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Informationsfreiheit . . . . . . . . . . . . .
26
VII. Art. 11 EU-Grundrechte-Charta und Art. 85 Datenschutzgrundverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit
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V. Zensurverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
VI. Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung von Art. 10 EMRK . . . . . . 2. Beschränkung des Freiheitsrechts. . . .
1. Bedeutung der Grundrechte-Charta .
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2. Schutzinhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Beschränkungen des Freiheitsrechts . .
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4. Datenschutz und Äußerungsfreiheit .
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I. Freiheitsrechte und Grundrechtsschutz im Zivilrecht Art. 5 GG (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. (3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Die aus Art. 5 Abs. 1 GG folgenden Freiheitsrechte sind Jedermannrechte. Sie setzen kein 1 bestimmtes Alter, insb. nicht Geschäftsfähigkeit, voraus, sondern lediglich Grundrechtsmündigkeit, d.h. die Fähigkeit, Grundrechte selbständig auszuüben. Ebenso wenig sind sie von einer bestimmten Staatsangehörigkeit abhängig. Zulässig ist aber bspw., die Tätigkeit des verantwortlichen Redakteurs eines periodischen Druckwerkes an bestimmte persönliche Anforderungen zu knüpfen, z.B. an den ständigen Aufenthalt innerhalb des Geltungsbereichs des GG. Entsprechendes gilt für die Zulassung als privater Rundfunkveranstalter. Auf die aus Art. 5 Abs. 1 GG folgenden Freiheitsrechte können sich auch Personenvereinigungen berufen, ebenso juristische Personen des Privatrechts mit Sitz im Inland (Art. 19 Abs. 3 GG), unabhängig von der Staatsbürgerschaft ihrer Mitglieder1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich mit Ausnahme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
1 BVerfG v. 16.6.2000 – 1 BvR 1539/94 ua., NVwZ 2000, 1281.
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Kap. 1 Rz. 2
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
nicht auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen2. Deswegen haben sich z.B. kommunale Amtsblätter im Rahmen der gemeindlichen Aufgaben zu halten3. 2
Die Beachtung der aus Art. 5 GG folgenden Freiheitsrechte durch die Fachgerichte überprüft das BVerfG. Diese Überprüfung beschränkt sich nicht auf die Frage, ob die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insb. vom Umfang seines Schutzbereiches, beruhen4. Das Bundesverfassungsgericht hat auch im Einzelnen zu prüfen, ob die Entscheidung bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhaltes sowie der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts die verfassungsrechtlich gewährleistete Meinungsfreiheit verletzt hat5. Insb. unterliegt die Interpretation der streitigen Äußerung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Es kann also eine sog. intensivierte Kontrolle stattfinden6.
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Eine intensivierte Kontrolle wird für notwendig erachtet, wenn eine Äußerung von den Fachgerichten als unwahre Tatsachenbehauptung qualifiziert wird, weil der sich Äußernde aufgrund dieser Einordnung die Möglichkeit der Berufung auf Art. 5 GG weitgehend verliert7. Entsprechendes gilt für die Einordnung einer Äußerung als Formalbeleidigung, weil auch solche Äußerungen nicht den Schutz des Grundrechts genießen8. Eine verfassungsgerichtliche Überprüfung muss ferner stattfinden, wenn die Fachgerichte eine Äußerung als Schmähkritik einordnen9. Im Gegensatz zu Formalbeleidigungen, die nach einer früheren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen sollen10, fällt Schmähkritik zwar nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG heraus. Bei der Abwägung zwischen dem Ehrenschutz und der Äußerungsfreiheit sind an die Annahme von Schmähkritik aber strenge Maßstäbe anzuwenden11. Die fachgerichtliche Ermittlung des Sinnes einer Äußerung steht der verfassungsgerichtlichen Überprüfung offen, weil sie die Grundlage für ihre rechtliche Qualifizierung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung, als Formalbeleidigung oder Schmähkritik bildet12. In solchen Fällen hat das Bundesverfassungsgericht darauf zu achten, dass nicht schon bei der Einordnung von Äußerungen, durch die Reichweite und Gewicht des Grundrechtsschutzes präjudiziert wird, die freie geistige Auseinandersetzung über Gebühr eingeschränkt wird13.
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BVerfG v. 2.5.1967 – 1 BvR 578/63, NJW 1967, 1411. Jarass, NJW 1981, 193; Ricker, AfP 1981, 320. BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 967/15, AfP 2017, 147 Rz. 14. BVerfG v. 3.12.1969 – 1 BvR 624/56, NJW 1970, 799. BVerfG v. 19.4.1990 – 1 BvR 40/86, NJW 1990, 1980. BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415; v. 15.12.2004 – 2 BvR 2219/01, NJW 2005, 1341, 1343; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001. BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655. BVerfG v. 23.8.2005 – 1 BvR 1917/04, NJW 2005, 3274; v. 29.6.2016 – 1 BvR 2732/15, AfP 2016, 433 Rz. 13. BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, BVerfGE 60, 234, 42 = MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 – Kredithaie. BVerfG v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308 = CR 2017, 332 = NJW 2017, 1460 Rz. 14; so für die Formalbeleidigung auch BVerfG v. 26.6.1990 – 1 BvR 1165/89, BVerfGE 82, 272, 280 = MDR 1991, 125 – Zwangsdemokrat; v. 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04, AfP 2009, 361 Rz. 28 – durchgeknallter Staatsanwalt. BVerfG v. 7.12.1976 – 1 BvR 460/72, NJW 1977, 799. BVerfG v. 19.4.1990 – 1 BvR 40, 42/86, NJW 1990, 1980, 1981; v. 25.8.1998 – 1 BvR 1435/98, NJW 1999, 483, 484; v. 15.1.1999 – 1 BvR 1274/92, NJW 1999, 3326, 3327.
Burkhardt/Peifer
II. Äußerungsfreiheit
Rz. 4 Kap. 1
Allerdings ist es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, den Sinn einer umstrittenen Äußerung abschließend zu bestimmen oder eine unter Beachtung der grundrechtlichen Anforderung erfolgte Deutung durch eine andere zu ersetzen, die es für treffender hält. Voraussetzung ist jedoch, dass die Äußerung unter Einbeziehung ihres Kontextes ausgelegt und ihr kein Sinn zugeschrieben wird, den sie objektiv nicht haben kann. Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen die Fachgerichte sich ferner im Bewusstsein der Mehrdeutigkeit mit den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten auseinandergesetzt und die gefundene Lösung überzeugend begründet haben14. Alles das erweist, dass dem Grundrechtsschutz im Bereich des Äußerungsrechts nicht nur 4 theoretische, sondern eminent praktische Bedeutung zukommt. So kommt es auch, dass die Zahl von Verfassungsbeschwerden, die auf Art. 5 GG oder umgekehrt auf den Menschenwürde- und Persönlichkeitsschutz der Art. 1 und 2 GG gestützt sind, nach wie vor hoch ist. Dabei haben derzeit noch Verfahren unter Beteiligung von Diensten der Massenkommunikation eine hohe Bedeutung. Angesichts des Vordringens individueller Äußerungen in Sozialen Netzwerken und sonstigen Diensten der Informationsgesellschaft ergibt sich jedoch eine beachtliche Verschiebung des Rechtsgebiets von der professionellen zur gelegentlichen und privaten Äußerung mit massenkommunikativer Wirkung15.
II. Äußerungsfreiheit Schrifttum: Häntzschel, Das Recht der freien Meinungsäußerung, HDStR, hrsg. von Anschütz und Thoma, 1932, Bd. II, S. 651; Ridder, Meinungsfreiheit, in Die Grundrechte, hrsg. von Neumann, Nipperdey, Scheuner, Band II, 1954, S. 243; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961; Rothenbücher, Das Recht der freien Meinungsäußerung, VVDStRL 4, 6; Smend, Das Recht der freien Meinungsäußerung, VVDStRL 4, 44; Bettermann, Grenzen der Grundrechte, 1968; Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, 1529; Wenzel, Die Verfassungsrechtsprechung in Sachen Böll, Eppler und Kunstkritik, AfP 1980, 195; Assmann/Kübler, Staatliche Verbraucherinformation im Ordnungsgefüge des Privatrechts, 1981; Bemmann, Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981; Jarass, Rechtsfragen der Öffentlichkeitsarbeit, NJW 1981, 193; G.H. Gornig, Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988; Grimm, Die Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des BVerfG, NJW 1995, 1697; Huster, Das Verbot der Auschwitzlüge, die Meinungsfreiheit und das BVerfG, NJW 1996, 487; Kahl, Vom weiten Schutzbereich zum engen Gewährleistungsgehalt: Kritik einer neuen Richtung der deutschen Grundrechtsdogmatik, Der Staat 43 (2004) 167; Poscher, Neue Rechtsgrundlagen gegen rechtsextremistische Versammlungen, NJW 2005, 1316; Classen, Die wettbewerbs- und verfassungsrechtliche Beurteilung produktunabhängiger Wirtschaftswerbung – Darstellung am Beispiel der Benetton-Rechtsprechung des BGH und BVerfG, 2006; J. Helle, „Variantenlehre“ und Mehrdeutigkeit der verletzenden Äußerung, AfP 2006, 110; Hochhuth, Kein Grundrecht auf üble Nachrede – Der Stolpe-Beschluss des BVerfG schützt das Personal der Demokratie, NJW 2006, 189; Teubel, Unterlassungsanspruch bei mehrdeutigen Äußerungen und zweifelhaftem Wahrheitsgehalt, AfP 2006, 20; Hochhuth, die Meinungsfreiheit im System des Grundgesetzes, 2007; Hochhuth, Schatten über der Meinungsfreiheit – Der „Babycaust“-Beschluss des BVerfG bricht mit der „Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede“, NJW 2007, 192; Lenski, Personenbezogene Massenkommunikation als verfassungsrechtliches Problem – das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Konflikt mit Medien, Kunst und Wissenschaft, 2007; Seelmann-Eggebert, Im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit – Zu den Entscheidungen „IM Sekretär/Stolpe“ und „Babycaust“ des BVerfG, AfP 2007, 86; Greve/Schärdel, Der digitale Pranger – Be14 BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439 – BayerBeschluss; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001, Rz. 19; vgl. Rz. 21. 15 Lenski, Personenbezogene Massenkommunikation als verfassungsrechtliches Problem, 2007.
Burkhardt/Peifer 13
Kap. 1 Rz. 5
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
wertungsportale im Internet, MMR 2008, 644; Grimm, Der Stolpe-Beschluss des BVerfG – eine Rechtsprechungswende?, AfP 2008, 1; Mann, Einschüchterung oder notwendiger Schutz der Persönlichkeit, AfP 2008, 6; Hufen, Keine Freiheit den Feinden der Freiheit?, FS Falter, 2009, S. 101; Volkmann, Die Geistesfreiheit und der Ungeist – Der Wunsiedel-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, NJW 2010, 417; Bernreuther, Zur Interessenabwägung bei anonymen Meinungsäußerungen im Internet, AfP 2011, 218; Ladeur, Der Fall Eva Herman(s) – Grundrechtsschutz für mediale Ächtung?, AfP 2011, 446; Mann, Die Klarstellung nach der Stolpe-Rechtsprechung, AfP 2011, 326; Ohly, Verändert das Internet unsere Vorstellung von Persönlichkeit und Persönlichkeitsrecht?, AfP 2011, 428; Schmelz, Historische Entwicklungslinien bei Meinungs- und Pressefreiheit – Erinnerung für die Zukunft?, Ufita 2011, 111; Wiese, Bewertungsportale und allgemeines Persönlichkeitsrecht, JZ 2011, 608; Schippan, Keine überhöhten Anforderungen an eine Klarstellungserklärung nach der „Stolpe“-Rechtsprechung, ZUM 2015, 974; Specht/Müller-Riemenschneider, Der Unterlassungsanspruch bei mehrdeutigen Äußerungen, NJW 2015, 727; Ladeur, Die „durchgeknallte Staatsanwältin“ – Ende des Schutzes der persönlichen Ehre in öffentlichen Auseinandersetzungen?, AfP 2016, 402; Graef, Naht das Ende des allgemeinen Persönlichkeitsrechts?, K&R 2016, 594; Hopfauf, Die Freiheit der Andersdenkenden, ZRP 2017, 124; Milker, „Social-Bots“ im Meinungskampf – Wie Maschinen die öffentliche Meinung beeinflussen und was wir dagegen unternehmen können, ZUM 2017, 216.
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Abgesehen von der Informationsfreiheit gewährt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Dieses Recht besteht unabhängig von der Art des benutzten Mediums16. Das Grundrecht steht jedermann, also nicht nur Deutschen und auch nicht nur Erwachsenen zu. Äußerungsfreiheiten sind Menschenrechte, jeder Mensch, der grundrechtsmündig ist, wird vom Schutz umfasst17.
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In Anknüpfung an die Begriffe „Meinung“ und „frei“ wird das Grundrecht im Allgemeinen als Meinungsfreiheit bezeichnet. Das ist begrifflich unscharf. Die Meinung bildet sich in einem inneren, gedanklichen, nicht notwendig nach Außen dringenden Vorgang. Deswegen legt der Begriff „Meinungsfreiheit“ die Vermutung nahe, er betreffe die Freiheit des Denkens, die im Verlaufe der Geschichte keineswegs durchgängig gewährleistet wurde. Daher ist verständlich, dass es international und national vielfältige Regelungen gibt, welche die Freiheit des Denkens unter besonderen Schutz stellen. Insb. Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10.12.1948 erkennt jedem Menschen das Recht auf Meinungs- und Äußerungsfreiheit zu. Die Meinung als solche genießt also auch für sich betrachtet Schutz. Der Unterschied zwischen dem Denken und der Äußerung kommt auch in Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4.11.195018 zum Ausdruck, nach dessen Satz 1 jeder Anspruch auf freie Meinungsäußerung hat, wobei dieses Recht nach Satz 2 die Freiheit der Meinung ebenso einschließt wie die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen.
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Anders als die Menschenrechtserklärung der UN und die Europäische Menschenrechtskonvention fokussiert Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht das Denken als solches, sondern die Äußerung der Gedanken und den Kommunikationsprozess, der im Austausch solcher Gedanken liegt. Die Frage, ob zwischen dem Äußern und dem Verbreiten ein Unterschied besteht19 ist juristisch wenig bedeutsam, solange es zu einem kommunikativen Prozess wie der Entäußerung nicht kommt. Dann aber erfasst Art. 5 GG nicht nur die primäre Äußerung, sondern 16 BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439 – Bayer. 17 VerfGH Bayern v. 27.5.1981 – Vf.15-VII/80, Vf.4-VII/81, Vf.5-VII/81, NJW 1982, 1089 – politische Werbung in der Schule. 18 BGBl. II 1952, 686. 19 Dazu Ridder, Grundrechte II, 1954, S. 274.
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Burkhardt/Peifer
II. Äußerungsfreiheit
Rz. 9 Kap. 1
auch ihre Verbreitung durch Intermediäre als Prozess zwischen dem sich Äußernden, dem Verbreitenden und dem Rezipienten20. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geht auf Art. 118 WRV zurück und dieser wiederum auf Abschnitt VI Art. IV § 143 der Paulskirchenverfassung von 1849. Damals stand das Verlangen nach Pressefreiheit im Vordergrund, mit der sich § 143 in besonders ausführlicher Weise befasst. Eine Notwendigkeit, zwischen dem Gedanken und seiner Äußerung zu differenzieren, scheint damals nicht gesehen worden zu sein, was keinen ernstlichen Mangel bedeutet. Die Freiheit zum bloßen Haben einer Meinung erlaubt der Schluss a maiore ad minus. Wenn man sich frei äußern darf, muss freies Denken umso mehr zulässig sein. Insoweit gewährt das GG Meinungsäußerungsfreiheit. Der Begriff Meinungsäußerungsfreiheit lässt die Frage offen, ob diese Freiheit nur Mei- 8 nungsäußerungen betrifft oder auch Tatsachenbehauptungen. Diese Frage ist in der früheren Literatur lebhaft erörtert worden, wobei schon zu Art. 118 WRV und ebenso zu Art. 5 GG die Ansicht vertreten worden ist, Tatsachenbehauptungen stünden nicht unter Verfassungsschutz21. Inzwischen hat sich durchgesetzt, dass ausgeschlossen ist, Tatsachenbehauptungen den Grundrechtsschutz zu verwehren. Wie Rehbinder schon in seiner 1962 erschienenen Schrift „Die öffentliche Aufgabe und rechtliche Verantwortlichkeit der Presse“ treffend bemerkt hat (S. 84), wäre ein Meinungskampf oder auch nur eine Diskussion wenig sinnvoll, dürften nur die Meinungen frei geäußert werden, die ihnen zugrunde liegenden Tatsachen nicht. Die heute ganz herrschende Lehre und Rechtsprechung stellt nicht mehr in Abrede, dass Tatsachenbehauptungen von Art. 5 GG jedenfalls und insoweit erfasst sind, als sie Grundlage zur Bildung von Meinungen darstellen können22. Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Durchsetzung der Äußerungsfreiheit bahnbre- 9 chend gewirkt. Zu der hier erörterten Problematik hat es anfänglich nur zögernd Stellung bezogen. So meint es z.B. in der Böll/Walden-Entscheidung unter Hinweis auf seine st. Rspr. lediglich soweit Werturteile im öffentlichen Meinungskampf in Frage stehen, müsse im Interesse des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses ohne Rücksicht auf den Inhalt des Urteils die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede sprechen. Für unwahre Tatsachenbehauptungen gelte das nicht in gleicher Weise. Unrichtige Information sei unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut, weil sie der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Aufgabe zutreffender Meinungsbildung nicht dienen könne. Hieran anknüpfend führt das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung Wahlkampfäußerung aus23, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleiste, ohne ausdrücklich zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung zu unterscheiden, jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Für Tatsachenbehauptungen gelte das nicht in gleicher Weise. Die Mitteilung einer Tatsache sei im strengen Sinne keine Äußerung einer „Meinung“, weil ihr das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung fehle. Dennoch sei sie durch das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit geschützt, weil und soweit sie Vo20 Grabenwarter in Maunz/Dürig, Art. 5 GG Rz. 2. 21 Häntzschel, HDStR II, S. 656; Hensel, AöR 13 (1927), 100; von Mangoldt/Klein, Art. 5 GG Anm. III 1; Ridder, Grundrechte II, 1954, S. 264; Weitnauer, NJW 1959, 313; Wernicke, Art. 5 Abs. 2 Satz 1b; ähnlich Huster, NJW 1996, 487. 22 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61, 1, 8 = AfP 1982, 215 – NPD Europas, Grabenwarter in Maunz/Dürig, GG (2016), Art. 5 GG Rz. 48; Starck in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 GG Rz. 22 unter Hinweis auf Herzog in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz (2002), Art. 5 Abs. 1 GG Rz. 51; Wendt in von Münch, Art. 5 GG Rz. 9a. 23 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung.
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Kap. 1 Rz. 10
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
raussetzung der Bildung von Meinungen sei, welche Art. 5 Abs. 1 GG in seiner Gesamtheit gewährleiste. Was nicht zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen könne, sei nicht geschützt, insb. die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung. Im Gegensatz zur eigentlichen Äußerung einer Meinung könne es also für den verfassungsrechtlichen Schutz einer Tatsachenmitteilung auf deren Richtigkeit ankommen. Der Satz, die Vermutung spreche für die Zulässigkeit der freien Rede, gelte infolgedessen für Tatsachenbehauptungen nur eingeschränkt24. 10
In der dritten Auflage dieses Handbuchs ist noch bezweifelt worden, ob das Bundesverfassungsgericht seine Ansicht zum Grundrechtschutz von Tatsachenbehauptungen tatsächlich in diesem Sinne verstanden wissen wolle. Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht diese Ansicht mehrfach bestätigt25. In seinen neueren Entscheidungen26 weist es zwar darauf hin, dass der Grundrechtsschutz nicht vom Wahrheitsgehalt der mitgeteilten Tatsachenbehauptung abhänge, gleichwohl nimmt es gelegentlich Tatsachenbehauptungen vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aus, deren Unwahrheit dem sich Äußernden bekannt oder bereits im Zeitpunkt der Äußerung erwiesen ist. Damit hält das Bundesverfassungsgericht jedenfalls an seiner Prämisse fest, unwahre Tatsachenbehauptungen könnten zur Meinungsbildung nichts beitragen. Auch der BGH27 meint lakonisch: „Die Allgemeinheit ist an einer solch unrichtigen Information nicht interessiert, weshalb auch von einem grundrechtlich schützenswerten Recht nicht gesprochen werden kann“. Das ist schon insofern überraschend, als die Prämisse nicht der Wirklichkeit entspricht. Unwahre Behauptungen können zur Meinungsbildung selbstverständlich beitragen, u.U. sehr nachhaltig. Eine auf Unwahrheiten aufbauende Meinung mag zwar i.d.R. unberechtigt und zu vermeiden sein. Es gibt aber Ausnahmen. Dazu sei an die Notlüge erinnert, die Fehlreaktionen verhindern soll, mit denen bei vorzeitigem Bekanntwerden der Wahrheit zu rechnen wäre. Abgesehen davon ist die Möglichkeit, unwahre Behauptungen mit rechtlichen Mitteln bekämpfen zu können, nach richtiger Auffassung keine Frage des Eingreifens von Art. 5 Abs. 1 GG, sondern seiner nach Art. 5 Abs. 2 GG zu beachtenden Schranken28. Es verhält sich ebenso wie bei Meinungen. Tatsachenbehauptungen unterfallen nach richtiger Auffassung ebenfalls allesamt dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, mag auch im Einzelfalle eine der in Art. 5 Abs. 2 GG erwähnten Schranken eingreifen.
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Im Ergebnis entspricht die hier vertretene Auffassung der Linie, die das Bundesverfassungsgericht in anderem Zusammenhang auch selbst vertritt. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits in der Soraya-Entscheidung betont29, dass die Verhängung übermäßig strenger Sanktionen, zu denen u.U. auch unvorhersehbar hohe Schadensersatzansprüche gehören könnten, die Pressefreiheit verfassungswidrig einschränken würde. Auf dieser Linie liegt auch die allerdings aus anderen Gründen nicht unproblematische Stellungnahme des Bundesverfas24 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415. 25 U.a. durch die Beschlüsse v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439; v. 9.6.1992 – 1 BvR 824/90, NJW 1993, 916; v. 1.3.1994 – 1 BvR 23/94, MDR 1994, 738 = AfP 1994, 126 = NJW 1994, 1779. 26 Z.B. BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; v. 15.1.1999 – 1 BvR 1274/92, NJW 1999, 3326, 3327 – MfS-Gehaltsliste; BVerfG v. 13.4.2000 – 1 BvR 589/95, AfP 2000, 351 – DGHS II; v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02, NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch; v. 17.9.2012 – 1 BvR 2979/10, CR 2013, 59 = IPRB 2013, 26 = NJW 2012, 3712 Rz. 27; v. 29.6.2016 – 1 BvR 2487/14, NJW 2016, 3362 Rz. 14. 27 BGH v. 30.4.1997 – I ZR 154/95, AfP 1997, 797 = MDR 1997, 1144 = CR 1997, 691 = NJW 1997, 2681, 2682 – Die 500 besten Anwälte II. 28 Kahl, Der Staat 43 (2004) 167, 187. 29 BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221, 1224.
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Burkhardt/Peifer
II. Äußerungsfreiheit
Rz. 14 Kap. 1
sungsgerichts in der Böll/Walden-Entscheidung30, es könne nur darum gehen, die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so zu bemessen, dass dadurch die Funktion der Meinungsfreiheit in Gefahr gerät oder leidet. Eine Übersteigerung der Wahrheitspflicht könne wegen der daran anknüpfenden, u.U. strengen Sanktion zu einer Einschränkung und Lähmung namentlich der Medien führen. Die Argumentationskette: strenge Wahrheitsanforderungen – erhöhtes Risiko schwerwiegender Sanktionen – Gefährdung der Medienfreiheit und die daraus gezogene Schlussfolgerung, die Anforderungen an die Wahrheitspflicht dürften nicht überspannt werden, vermag nicht zu überzeugen. Statt die Anforderungen an die Wahrheitspflicht zu senken, sollten die Sanktionen so gestaltet werden, dass die Befürchtung einer Gefährdung der Medienfreiheit sich erübrigt31. Trotz oder gerade wegen dieser Problematik zeigt die zitierte Stellungnahme in der Böll/Walden-Entscheidung, dass das Bundesverfassungsgericht auch selbst davon ausgeht, dass es keineswegs möglich ist, Tatsachenbehauptungen wegen fehlender Wahrheit jeglichen Grundrechtsschutzes zu entkleiden. Im Übrigen ist die Ansicht, unwahre Tatsachenbehauptungen fielen nicht in den Schutz- 12 bereich des Grundrechts, bereits vom Ausgangspunkt her problematisch. Ihr liegt die Idee zugrunde, das aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG folgende Recht, seine Meinung frei zu äußern, bedeute „eigentlich“ nur das Recht zu Meinungsäußerungen, weswegen Tatsachenbehauptungen „an sich“ nicht geschützt seien. Dieser Idee kann nicht gefolgt werden. Seiner Meinung kann man auch durch Tatsachenbehauptungen Ausdruck verleihen, z.B. dadurch, dass man bestimmte Tatsachen behauptet und ggf. betont, andere unterbelichtet oder völlig verschweigt. Insb. im politischen Meinungskampf, aber auch in der Publizistik, speziell beim Sensationsjournalismus, ist das ein erprobtes Mittel. Äußerungsrechtlich wird dieses Problem unter dem Stichwort Faktenauswahl erörtert. Mit der Frage, ob eine einseitige Faktenauswahl die Wahrheit verfälscht, hat sich bereits das Reichsgericht befasst32. Dass sich mit Hilfe von Tatsachenbehauptungen Meinungen erzeugen lassen, ist also nicht neu. Der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts liegt die weitere Vorstellung zugrunde, der Un- 13 terschied zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen sei präjuristischer Natur und als gegeben hinzunehmen. Auch das lässt sich in Zweifel ziehen. Eingehend hat sich mit dieser Unterscheidung erst Max Weber in seinem Gutachten zur Werturteilsdiskussion von 1913 auseinandergesetzt33. Zuvor wurde die Möglichkeit einer solchen Unterscheidung überwiegend geleugnet. Dementsprechend hat der Begriff der Tatsachenbehauptung auch in die Terminologie des Gesetzgebers erst nach 1945 Eingang gefunden. Soweit ersichtlich, ist dieser Begriff erstmals in § 10 des Hessischen LPG von 1958 verwendet worden. In § 186 des Strafgesetzbuches von 1871 findet er sich ebenso wenig wie in § 824 des im Jahre 1900 in Kraft getretenen BGB. Auch nach der heutigen Fassung des § 186 StGB kann das Behaupten einer nicht erweislich wahren Tatsache strafbar sein, so als gäbe es unwahre Tatsachen. Noch nicht einmal das RPG von 1874 erwähnt den Begriff der Tatsachenbehauptung. Im dortigen § 11 ist von mitgeteilten Tatsachen die Rede, zu denen der Abdruck einer „Berichtigung“ gefordert werden könne. Wie diese frühere Terminologie erweist, wurde nicht zwischen bestimmten Äußerungsfor- 14 men unterschieden. Es ging allein um den Inhalt der Äußerung, nämlich darum, ob sie eine Tatsache zum Gegenstand hat. Dementsprechend war weder mit dem in § 143 der Paulskir30 31 32 33
BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072. Näheres: Wenzel, AfP 1980, 195, 197. U.a. RG, JW 1912, 290; 1932, 3060; RGZ 75, 61, 63. Abgedruckt in Eduard Baumgarten (Hrsg.), Max Weber, Werk und Person, S. 102.
Burkhardt/Peifer 17
Kap. 1 Rz. 15
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
chenverfassung von 1849 vorgesehenen Recht, „seine Meinung frei zu äußern“, noch mit Art. 118 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 die Freiheit nur zu Meinungsäußerungen im heutigen, als Gegensatz zur Tatsachenbehauptung verstandenen Sinne gemeint. Gemeint war die Freiheit des Sich-Äußern-Dürfens. So wie Art. 118 WRV auf § 143 der Paulskirchenverfassung zurückgeht, basiert der heutige Art. 5 GG auf Art. 118 WRV, mit dem er fast wörtlich übereinstimmt. Demzufolge lässt es sich nur als Missverständnis bezeichnen, wenn angenommen wird, anders als seine Vorläufer wolle Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nur Meinungen im Sinne von Meinungsäußerungen schützen, Tatsachenbehauptungen jedoch nicht. Richtiger Auffassung nach ist Art. 5 GG ein Kommunikationsgrundrecht34. Damit gewährleistet Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG das Recht, sich frei äußern zu dürfen; dies unabhängig davon, welche Qualität der Äußerung zuerkannt wird, die einer Tatsachenbehauptung oder die einer Meinungsäußerung. Schützt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch die Tatsachenbehauptung, gilt das für unwahre Behauptungen gleichermaßen, mag auch insoweit die Schrankenregelung des Art. 5 Abs. 2 GG relativ häufig praktisch werden. 15
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist also, wie die Formulierung in Art. 10 EMRK auch, dahin zu verstehen, dass jeder Mensch grundsätzlich das Recht hat, sich in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Demzufolge sollte das für eine freiheitliche Demokratie schlechthin konstituierende Kommunikationsgrundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG als Äußerungsfreiheit bezeichnet werden. Diese Frage ist nicht nur akademischer Natur. In einer durch Internetdienste geprägten vernetzten Kommunikationsumgebung wird zunehmend diskutiert, ob bewusst falsche Nachrichten („fake news“), die darauf abzielen, politische Prozesse, wie etwa Wahlen, zu beeinflussen oder die Öffentlichkeit in wichtigen Fragen zu desorientieren, aber auch bewusste Ausgrenzungen von Bevölkerungsgruppen durch Schmähreden („hate speech“), gleichwohl grundrechtlichen Schutz genießen sollen. Dabei ist unstreitig, dass bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, die fremde Rechtsgüter, etwa Persönlichkeitsrechte verletzen, im Abwägungsprozess gegenüber diesen Rechtsgütern unterliegen35. Ob bewusste Falschnachrichten als Verletzung von Interessen der Allgemeinheit Löschpflichten auslösen können und sollen (etwa für die Betreiber von Suchmaschinen oder sozialen Mediendiensten), ist damit jedoch noch nicht geklärt, im Ergebnis aber abzulehnen. Lediglich in einzelnen Fällen, in denen Gesetze Irreführungen untersagen (z.B. § 5 UWG), besteht überhaupt ein Verbot zur Verbreitung von Unwahrheiten. Löschpflichten von Providern können nur eine Grundlage haben, wenn bestimmte Tatsachenbehauptungen eindeutig unzulässig sind. Darunter fällt etwa die Verbreitung der sog. „Auschwitz-Lüge“ (§ 130 Abs. 3 StGB)36 oder die Verherrlichung oder Billigung der Verbrechen des Nationalsozialismus (§ 130 Abs. 4 StGB)37. Für solche Äußerungen müssen die Betreiber Sozialer Medien nach § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken vom 30.6.201738 Löschverfahren vorhalten und durchführen. Das Gesetz verbessert einerseits die Durchsetzung von Persönlichkeitsrechten, setzt aber stets auch voraus, dass eine Rechtsverletzung offenkundig 34 Grabenwarter in Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1 GG Rz. 2; auch BVerfG v. 7.3.1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87, MDR 1990, 685 = NJW 1990, 1982, allerdings ohne daraus die zutreffende Folgerung für den Schutz auch unwahrer Tatsachenbehauptungen zu ziehen. 35 Vgl. insoweit BGH v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 = CR 2013, 459 = MDR 2013, 710 = ITRB 2013, 150 = AfP 2013, 260 Rz. 22 – Autocomplete. 36 Dazu BGH v. 12.12.2000 – 1 StR 184/00, CR 2001, 260 m. Anm. Vassilaki = ITRB 2001, 79 = NJW 2001, 624. 37 Dazu Poscher, NJW 2005, 1316 und BVerfG v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300; Volkmann, NJW 2010, 417. 38 BT-Drucks. 18/12356 und 18/12727; BGBl. I 2017 v. 7.9.2017, S. 3352.
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II. Äußerungsfreiheit
Rz. 17 Kap. 1
und eindeutig ist sowie, dass es einen zivilrechtlichen Löschanspruch oder eine Grundlage für ein behördliches Löschverlangen gibt. Das Gesetz ändert also nichts daran, dass „fake news“ oder „hate speech“ nur bekämpft werden können, wenn es eine individuelle Betroffenheit oder eine strafrechtliche Verbotsgrundlage gibt. In den meisten Fällen werden falsche Tatsachenbehauptungen, selbst wenn sie bewusst geäußert werden, nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG herausfallen. Der Äußerungsfreiheit i.S.d. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unterfallen sämtliche Äußerungsformen 16 durch Wort, Schrift, Bild und in sonstiger Weise. Voraussetzung dafür ist, dass die Auseinandersetzung sich auf geistige Argumente beschränkt, handgreifliche „Überzeugungshandlungen“, insb. Gewalttätigkeiten und körperlich wirkende Blockaden, fallen nicht darunter39. Im Übrigen kommt es nicht darauf an, ob die Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, rational oder emotional begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich gehalten wird40. Das folgt aus dem umfassenden Charakter der Äußerungsfreiheit. Eine Differenzierung nach der sittlichen Qualität der Meinungen würde diesen umfassenden Schutz relativieren41. Das GG schützt daher auch die „falsche“ Meinung42. Der geistige Meinungskampf ist nicht nur um die Ermittlung der Wahrheit Willen gewährleistet, sondern soll auch dazu dienen, dass jeder sich in der Öffentlichkeit darstellen kann. Jeder soll frei sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil anführt oder anführen kann43. Geschützt ist auch die Wahl des Ortes und der Zeit der Äußerung44. Auszunehmen sind nur 17 jene Fälle, in denen anderen eine Meinung aufgezwungen werden soll. Dort findet keine schützenswerte geistige Auseinandersetzung mehr statt45. Das Bundesverfassungsgericht geht im Übrigen aber davon aus, dass die Bürger frei sind, selbst grundlegende Wertungen der Verfassung durch geistige Äußerungen in Frage zu stellen, solange sie Rechtsgüter Anderer nicht gefährden oder verletzen46. Das erlaubt selbst Versammlungen, die zur Ausgrenzung und Missachtung Andersdenkender aufrufen. Dieses auf radikales Selbstbewusstsein setzende Verständnis der Äußerungsfreiheit ist kritisiert worden, weil es die Gefahr trägt, den gesellschaftlichen Kitt toleranten Zusammenlebens zu zerstören47. Etwas relativiert ist diese Toleranz gegenüber der Toleranz durch strafrechtliche Verbote (§ 130 Abs. 3 und Abs. 4 StGB), die das Grundgesetz als „Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes“
39 OLG Celle v. 21.10.1969 – 3 Ss 228/69, NJW 1970, 206, 207. 40 BVerfG v. 1.8.2001 – 1 BvR 1906/97, AfP 2001, 382 = NJW 2001, 3613; v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 Rz. 67. 41 BVerfG v. 14.3.1972 – 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, 1, 14 = NJW 1972, 811 – Gefangenenpost. 42 BVerfG v. 14.3.1972 – 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, 1, 14 = NJW 1972, 811 – Gefangenenpost; v. 19.12.1990 – 1 BvR 389/90, AfP 1991, 387 = NJW 1991, 1529; BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762, vorige Rz. 15. 43 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 163/72, NJW 1976, 1680 – Deutschlandstiftung; v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung. 44 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder II. 45 Vgl. BVerfG v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63, BVerfGE 25, 256 – Blinkfüer. 46 So zu rechtsextremen Versammlungen: BVerfG v. 24.3.2001 – 1 BvQ 13/01, NJW 2001, 2069, 2070. 47 Volkmann, NJW 2010, 417, 418; vgl. auch OVG NW v. 30.4.2001 – 5 B 585/01, NJW 2001, 2114: Verbot einer Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit propagierenden Versammlung.
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Kap. 1 Rz. 18
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
verstehen und daher auch die Abwehr extremer Äußerungen grundsätzlich ermöglichen48. Insgesamt ist dieser Weg, Äußerungen bereits wegen der darin liegenden Gesinnung zu verbieten, klar freiheitsfeindlich und daher sehr eng zu markieren. Intolerante Geisteshaltungen sind durch geistige Mittel, nicht durch Denkverbote zu bekämpfen. 18
Grundsätzlich unterliegt auch die Form der Äußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden. Mit dem Recht der freien Rede wäre es nicht in Einklang zu bringen, wenn dem Einzelnen vorgeschrieben würde, in welcher Form er seine Beiträge angemessen auszudrücken habe49. Das gilt namentlich für das gesprochene Wort, kann aber auch bei Äußerungen in der Presse nicht außer Betracht bleiben. Im Interesse der freien Rede müssen im Einzelfalle Schärfen und Überspitzungen des öffentlichen Meinungskampfes hingenommen werden. Die Befürchtung, wegen einer beleidigenden Äußerung einschneidenden gerichtlichen Sanktionen ausgesetzt zu werden, trägt die Gefahr in sich, öffentliche Kritik und öffentliche Diskussion zu lähmen oder einzuengen und damit Wirkungen herbeizuführen, die der Funktion der Äußerungsfreiheit in der durch das GG konstituierten Ordnung zuwiderlaufen50. Stets zurückzutreten hat die Äußerungsfreiheit bei Eingriffen in die Menschenwürde. Die Menschenwürde ist als Wurzel aller Grundrechte nicht abwägungsfähig51. Auch im Falle von Schmähkritik (vgl. Kap. 5 Rz. 97) und Formalbeleidigungen tritt die Äußerungsfreiheit regelmäßig (gegenüber dem Persönlichkeitsrecht) zurück52. Gerade wegen dieses absoluten Schutzes haben die Instanzgerichte jedoch den Begriff der Schmähkritik eng auszulegen53.
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Bei einem Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit berührenden Frage spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede54. Für Äußerungen im Zuge einer ausschließlich privaten Auseinandersetzung besteht die Vermutung nicht55. Auch bei bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen (Rz. 15) gilt die Vermutung nicht. Bei der Auslegung der die Äußerungsfreiheit beschränkenden Gesetze dürfen an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik im Übrigen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden56. Das trifft namentlich auf Beiträge zum öffentlichen politischen Meinungskampf zu, in dem auch scharfe Wendungen üblich sind und normalerweise ohne Beanstandung hingenommen wer-
48 BVerfG v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300 = NJW 2010, 47 – Wunsiedel. 49 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677 – DGB. 50 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie. 51 BVerfG v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, AfP 2001, 295 = NJW 2001, 2959 – Kaisen. 52 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder II. 53 BVerfG v. 29.6.2016 – 1 BvR 2732/15, AfP 2016, 433 – Bezeichnung eines Polizisten als „Spanner“; v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, CR 2017, 332 = NJW 2017, 1460 Rz. 14 – Obergauleiter der SA-Horden. 54 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257 – Lüth; v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung; v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 u.a., NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder; BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124, 125 f. 55 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder II; v. 16.10.1998 – 1 BvR 590/96, NJW 1999, 2262. 56 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie.
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II. Äußerungsfreiheit
Rz. 20 Kap. 1
den57; dies, zumal solche Äußerungen häufig komplexe Bewertungen enthalten oder nicht wörtlich zu verstehen sind58. Zulässig ist daher auch der Aufmacher eines Artikels „Referenten-Entscheidung vor heißer Phase – Kultur: ein Jude? Recht: Rosenmeier! …“59. Die Äußerungsfreiheiten sind auf diesem Feld ohne Ansehen der politischen Ausrichtung, selbst der bewusst staatsfeindlichen Tendenzen gewährleistet. Insb. entfällt der Grundrechtsschutz nicht, wenn eine Äußerung die Staats- und Verfassungsordnung in Frage stellt oder gar auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung abzielt; das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung von Verfassungsloyalität auf, erzwingt sie aber nicht60. Ob ein öffentliches Interesse stets anzunehmen ist, wenn die Medien sich kritisch speziell über Erzeugnisse oder Leistungen der Wirtschaft äußern, hat das Bundesverfassungsgericht in der Kredithaie-Entscheidung offengelassen61. Jedenfalls ist das aber bei der Auseinandersetzung mit Missständen in einem ganzen Zweig der gewerblichen Wirtschaft der Fall. Das gilt besonders, wenn die kritisierten Geschäftspraktiken zu einer Gefährdung Geschäftsunerfahrener führen können und die öffentliche Information und Diskussion geeignet ist, Abhilfe zu schaffen. Auch der BGH geht davon aus62, dass bei einer Kritik an Waren und Leistungen die Vermutung für die Zulässigkeit spricht. Die Aufklärung der Verbraucher dient nicht nur individuellen Interessen, sondern ist auch aus volkswirtschaftlichen Gründen unerlässlich. In solchen Fällen kann auch die Verwendung von Namen und Bildnissen der Vorstandsmitglieder des kritisierten Unternehmens zulässig sein63. Meinungsäußerungen eines Gewerbetreibenden stehen nicht schon deshalb außerhalb des Schutzbereichs der Meinungsäußerungsfreiheit, weil sie (auch) geschäftlichen Zwecken dienen64. Auch bei Auslegung und Anwendung des Wettbewerbsrechts, insb. § 1 UWG, ist die Äußerungsfreiheit zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hat daher Urteile des BGH65 aufgehoben, mit denen z.B. die Werbung mit einem Foto eines nackten menschlichen Gesäßes verboten wurde, auf dem die Worte „H.I.V. positive“ aufgestempelt sind und sich am Bildrand auf grünem Feld der Schriftzug „United Colors of Benetton“ befindet66. Allerdings besteht ein zumindest gradueller Unterschied, ob ein von einem Zivilgericht aus- 20 gesprochenes Äußerungsverbot die Kundgabe einer Meinung, d.h. eines Gedankens, betrifft oder ausschließlich die Form der Äußerung. Formulierungen lassen sich i.d.R. auswechseln, ohne dass der Gedanke als solcher darunter leidet. Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die 57 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 163/72, NJW 1976, 1680 – Deutschlandstiftung. 58 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder II; v. 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, MDR 1994, 844 = AfP 1994, 118 = NJW 1994, 1781. 59 BVerfG v. 6.9.2000 – 1 BvR 1056/95, AfP 2000, 563 = NJW 2001, 61. 60 BVerfG v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300 = NJW 2010, 47, Rz. 50 – Wunsiedel. 61 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655. 62 BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192. 63 BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124. 64 BVerfG v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02, NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch; v. 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95, NJW 2001, 591, 592 – Benetton; v. 1.8.2001 – 1 BvR 1188/92 AfP 2001, 380 – Glibenclamid; BGH v. 19.6.1997 – I ZR 16/95, AfP 1997, 798 = NJW 1997, 3302 – Kaffeebohne. 65 BGH v. 6.7.1995 – I ZR 180/94, MDR 1995, 1030 = AfP 1995, 599 = NJW 1995, 2492 – H.I.V. POSITIVE; v. 6.7.1995 – I ZR 239/93, MDR 1995, 1028 = AfP 1995, 602 = NJW 1995, 2488 – Ölverschmutzte Ente; v. 6.7.1995 – 1 ZR 110/93, NJW 1995, 2490 – Kinderarbeit. 66 Zur erneuten Verurteilung durch den BGH mit weiteren Erwägungen vgl. BGH v. 6.12.2001 – I ZR 284/00, NJW 2002, 1200 – H.I.V. POSITIVE II; wiederum aufgehoben durch BVerfG v. 11.3.2003 – 1 BvR 426/02, NJW 2003, 1303.
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Kap. 1 Rz. 21
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
Persönlichkeit anderer führt deshalb im Allgemeinen so lange nicht zu einer praktischen Beschränkung der freien Rede, als dies durch den Gebrauch einer anderen, nicht kränkenden Ausdrucksform geschehen kann. Das Beharren auf der Schärfe der verwendeten Ausdrücke, vollends deren Steigerung, ist nicht Teil jener in Freiheit geführten geistigen Auseinandersetzung, die das GG garantiert. Dieses setzt ein Argumentieren, einen Austausch von Gedanken voraus, an dem es fehlt, wenn allein beschimpfende Formulierungen benutzt werden. Solche Beschimpfungen, insb. eine Schmähkritik67, können gerichtlich unterbunden werden68. Nach der abweichenden Meinung der Richterin Rupp-von Brünneck kommt es bei der Abwägung darauf an69, ob sich die Kritik auf eine Person oder eine Sache bezieht. Einen besonders großen Spielraum räumt sie der Kritik an Presseerzeugnissen ein, weil die freie Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Organen der politischen Presse zum Grundbestand der Pressefreiheit gehört. Jedenfalls darf ein die Form einer Äußerung betreffendes Verbot nur die wörtliche und nicht auch die sinngemäße Wiederholung der Äußerung erfassen70. 21
Art. 5 Abs. 1 GG verbietet es den Gerichten auch, ihrer Beurteilung eine Äußerung zugrunde zu legen, die so nicht gefallen ist. Ein Gericht darf einer Äußerung nicht einen Sinn geben, den sie nach dem festgestellten Wortlaut objektiv nicht hat. Sind mehrere Deutungen möglich, hat das Bundesverfassungsgericht bislang verlangt, dass ein Gericht sich nicht für die zur Verurteilung führende entscheiden dürfe, ohne die anderen unter Angabe überzeugender Gründe auszuschließen71. In neuerer Zeit sind die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr einheitlich. In der „Soldaten sind Mörder“-Entscheidung spricht das Bundesverfassungsgericht von „schlüssigen“ Gründen72. In seinem DGHS-Beschluss73 verlangt es unter Hinweis auf seinen Bayer-Beschluss74 „tragfähige“ Gründe, obgleich es dort noch „überzeugende“ Gründe forderte. In seinen neuesten Entscheidungen75 fordert das Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf den DGHS-Beschluss „nachvollziehbare“ Gründe, obgleich dort von „tragfähigen“ Gründen die Rede war76. Ob durch die neuerdings milderen Formulierungen die Anforderungen an die Begründung durch die Gerichte vermindert werden sollten, ist zweifelhaft. Im Hinblick auf die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts sind auch weiterhin bei Vorliegen mehrerer Deutungsmöglichkeiten überzeugende Gründe erforderlich, mit denen nicht zu einer Verurteilung führende Deutungsvarianten ausgeschlossen werden müssen. Dementsprechend darf wegen der Formulierung „Funktionäre nehmen sich Gelder und Spesen“ keine Verurteilung mit der Begründung erfolgen, den Funktionären werde eine unberechtigte Geldentnahme nach eigenem Gutdünken vorgeworfen, wenn sie auch dahin verstanden werden kann, die Geldentnahme erfolge zwar satzungsgemäß, sei aber dennoch kritikwürdig77. Größte Sorgfalt ist insb. bei der Einordnung einer Äußerung als Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung anzuwenden. Wird von einer Tatsachen67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77
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BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762. BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677. Rupp-von Brünneck, NJW 1976, 1678. BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677. BVerfG v. 7.12.1976 – 1 BvR 460/72, BVerfGE 43, 130; v. 19.4.1990 – 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86, BVerfGE 82, 43 = MDR 1990, 896. BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3305. BVerfG v. 13.2.1996 – 1 BvR 262/91, NJW 1996, 1529, 1530. BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439. BVerfG v. 10.7.2002 – 1 BvR 354/98, AfP 2002, 417 = NJW 2002, 3767 – Stern Bonnbons. Ohne Hinweis auf den DGHS-Beschluss BVerfG v. 25.3.2008 – 1 BvR 1753/03, NJW 2008, 2907, 2908; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW 2017, 1001, vgl. Rz. 21. BVerfG v. 19.12.1990 – 1 BvR 389/90, AfP 1991, 387 = NJW 1991, 1529.
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II. Äußerungsfreiheit
Rz. 23 Kap. 1
behauptung ausgegangen, so hängt das Ergebnis der Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter vom Wahrheitsgehalt der Äußerung ab. Nach früherer Meinung des Bundesverfassungsgerichts genießen bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen keinen Grundrechtsschutz (vgl. Rz. 9 ff.)78, nach neuerer (richtiger) Auffassung sind sie stärker beschränkbar (oben Rz. 10)79. Ist die Wahrheit nicht erwiesen, hängt die Rechtmäßigkeit der Äußerung davon ab, ob z.B. sorgfältig recherchiert wurde und die Äußerung durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt werden kann. Demgegenüber sind Meinungsäußerungen grds. frei und können nur unter besonderen Umständen beschränkt werden80. Angesichts ihrer möglicherweise grundrechtseinschränkenden Wirkung bedarf die Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung daher einer besonders sorgfältigen Begründung81. Die Nennung des eigenen Namens ist keine eigenständige Äußerungsform und i.d.R. kein 22 Bestandteil der Äußerung i.e.S. Durch sie erhält die Äußerung jedoch häufig erst das gebotene Maß an Authentizität und Glaubhaftigkeit, welches ihr den gewünschten Einfluss verleiht. Da zur Äußerungsfreiheit auch das Recht gehört, für die Äußerung diejenigen Formen und Umstände zu wählen, die ihr eine möglichst große Wirkung sichern, nimmt die Nennung des eigenen Namens am Schutz der Äußerungsfreiheit teil (zum Zitieren vgl. Kap. 10 Rz. 52 ff.)82. Geschützt ist aber auch die Anonymität der Äußerung. Das gebietet bereits das aus dem Persönlichkeitsrecht des Äußernden resultierende Recht auf Anonymität83, aber auch die Beobachtung, dass anonyme Äußerungen überall dort unerlässlich sind, wo es ein Machtgefälle in der Kommunikationssituation zu Lasten des Äußernden gibt84. Zum Teil wird allerdings gefordert, die anonyme Äußerung stärkeren Schranken auszusetzen, etwa wenn es um Löschansprüche des Betroffenen gegenüber einem Provider geht85. Die Äußerungsfreiheit i.S.d. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst auch das Verbreiten. Das Ver- 23 breiten kann auch durch die Verteilung von Handzetteln erfolgen. Die Zulässigkeit der Verteilung auf öffentlichen Straßen von einer zuvor eingeholten Erlaubnis abhängig zu machen, steht außer Verhältnis zu dem erstrebten Erfolg der Gewährleistung eines leichten Fußgängerverkehrs. Ein solches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt verletzt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG86. Äußerungen in Versammlungen sind ebenso an Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG zu messen. Sie genießen trotz der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG keinen weitergehenden Schutz87. Die Wahlwerbung der Parteien durch Plakate, Informationsstände und Flugblattverteilung fällt in den Schutzbereich der Parteifreiheit gemäß Art. 21 Abs. 1 GG. Die Meinungsäußerungsfreiheit gewährt insoweit keinen weitergehenden Schutz88. Noch unklar ist, ob auch 78 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung. 79 BVerfG v. 17.9.2012 – 1 BvR 2979/10, AfP 2012, 549 = CR 2013, 59 = IPRB 2013, 26 = NJW 2012, 3712 Rz. 27; v. 29.6.2016 – 1 BvR 2487/14, NJW 2016, 3362 Rz. 14. 80 BVerfG v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02, AfP 2002, 419 = NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch. 81 BVerfG v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13, BeckRS 2016, 50714 Rz. 11. 82 BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, BVerfGE 97, 391 = NJW 1998, 2889. 83 BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 = CR 2009, 593 = MDR 2009, 1038 = ITRB 2009, 195 = AfP 2009, 401 Rz. 42 – spickmich.de. 84 Bernreuther, AfP 2011, 218, 219. 85 Greve/Schärdel, MMR 2008, 644, 648; Bernreuther, AfP 2011, 218, 219; Wiese, JZ 2011, 608, 612 und 614; Ohly, AfP 2011, 428, 435. 86 BVerfG v. 18.10.1991 – 1 BvR 1377/91, AfP 1991, 740. 87 BVerfG v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, MDR 1994, 738 = AfP 1994, 126 = NJW 1994, 1779, 1780 – Auschwitz-Lüge. 88 BVerfG v. 10.12.2001 – 2 BvR 408/01, NVwZ 2002, 467.
Burkhardt/Peifer 23
Kap. 1 Rz. 24
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
technisch erzeugte, insb. algorithmisch veranlasste Meinungsäußerungen, wie etwa die Weiterverbreitung von Informationen durch Suchmaschinen oder sog. „Social Bots“ (technische Programme, die auf elektronisch übermittelte Signale hin Texte absetzen und verbreiten), Meinungsfreiheit genießen. Zum Teil wird das mit dem beachtlichen Hinweis darauf, dass der Algorithmus jedenfalls menschlich veranlasst ist, bejaht89. Jedenfalls verbessert die algorithmische Veranlassung einer Äußerung die Informations- und Zugangsfreiheit der Nutzer, betrifft also Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Alt. 2 GG (unten Rz. 26 ff.). Daraus folgt, dass ein Eingriff in Algorithmen keine äußerungsfreiheitsneutrale Handlung ist. Ob bereits aus dieser Erkenntnis ein Grundrecht von Intermediären folgt, solche Eingriffe auch unter Berufung auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG abzuwehren, ist aber fragwürdig, denn Intermediäre kämpfen insoweit nicht um die eigene Informationsfreiheit (jedenfalls solange sie sich für neutrale Übermittler halten), sondern um die der Nutzer (zur Frage einer „Internetfreiheit“, s. unten Rz. 32). 24
Die Ausübung wirtschaftlichen Drucks erfasst der Schutz der Äußerungsfreiheit nicht. Mit Recht hat das Bundesverfassungsgericht den Aufruf von Konkurrenten zum Boykott einer Wochenzeitung als verfassungswidrig bezeichnet, wenn er dazu bestimmt ist, die weitere Verbreitung bestimmter Nachrichten zu verhindern. Ein gegen Mitbewerber gerichtetes Verhalten, das auf ein Unterdrücken von Nachrichten mit vornehmlich wirtschaftlichen Mitteln hinausläuft, ist gegen die Freiheit der Berichterstattung gerichtet90. Anders ist es jedoch, wenn die Boykottaufforderung im politischen Meinungskampf erfolgt, insb. Dritte zum Boykott von Unternehmen aus politischen oder weltanschaulichen Gründen rufen91. Dass die Anwendung von Gewalt, z.B. das Errichten von Barrikaden zur Verhinderung der Zeitungsauslieferung, ebenfalls aus dem Schutzbereich des Art. 5 GG herausfällt, ist selbstverständlich92. Ebenso wenig unterfallen rechtsgeschäftliche Erklärungen dem Schutzbereich des Art. 5 GG. Insb. ist es nicht etwa möglich, eine sozialwidrige Kündigung unter Hinweis auf Art. 5 GG zu rechtfertigen. Andererseits sollen nach Ansicht des BGH Abmahnungen, die kein ernsthaftes und endgültiges Unterlassungsbegehren enthalten, unter dem Blickwinkel des Art. 5 GG zu sehen sein, weil damit eine Rechtsmeinung geäußert werde93.
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Geht es nicht um konkrete Äußerungen, sondern um das grundsätzliche Recht zu Veröffentlichungen, z.B. in einer Werkszeitung, berührt das nicht Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. Rz. 30)94.
89 Peifer, FS Schricker, 2005, S. 137, 146; Milker, ZUM 2017, 216, 217; zurückhaltend EuGH v. 13.5.2014 – C-131/12, CR 2014, 460 = ITRB 2014, 150 = IPRB 2014, 171 = AfP 2014, 245 Rz. 97 – Google Spain. 90 BVerfG v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63, NJW 1969, 1161 – Blinkfüer; v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/80, 1 BvR 438/80, 1 BvR 437/80, AfP 1983, 267 = NJW 1983, 1181 – Denkzettel-Aktion. 91 BVerfG v. 8.10.2007 – 1 BvR 292/02, NJW-RR 2008, 200, 201 – „Plakatieren für Scientology Bewegung“; OLG Dresden v. 5.5.2015 – 4 U 1676/14, ITRB 2016, 33 = AfP 2016, 157: Boykottaufruf gegen einen Friseur, der Mitglied einer rechtsgerichteten Partei ist; OLG Düsseldorf v. 19.11.1996 – U (Kart.) 14/96, NJW-RR 1997, 1045: Aufforderung zur Zurückbehaltung von Telefongebühren; krit. Holle, FS Hufen, 2015, S. 465, 468. 92 OLG Celle v. 21.10.1969 – 3 Ss 228/69, NJW 1970, 206. 93 BGH v. 16.4.1969 – I ZR 59, 60/67, NJW 1969, 2046, 2048 – Colle de Cologne; v. 10.7.1997 – I ZR 42/95, MDR 1998, 359 = GRUR 1997, 896 – Mecki-Igel III. 94 BVerfG v. 8.10.1996 – 1 BvR 1183/90, NJW 1997, 386 – Werkszeitung.
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Burkhardt/Peifer
III. Informationsfreiheit
Rz. 27 Kap. 1
III. Informationsfreiheit Schrifttum: Bruns, Informationsansprüche gegen Medien – Ein Beitrag zur Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes im Medienprivatrecht, 1997; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997; Fikentscher/Möller, Die (negative) Informationsfreiheit als Grenze von Werbung und Kunstdarbietung, NJW 1998, 1337; Rossi, Informationszugangsfreiheit und Verfassungsrecht: Zu den Wechselwirkungen zwischen Informationsfreiheitsgrenzen und der Verfassungsordnung in Deutschland, 2004; Beater, Informationsinteressen der Allgemeinheit und öffentlicher Meinungsbildungsprozess, ZUM 2005, 602; von Coelln, Zur Medienöffentlichkeit der Dritten Gewalt, 2005; Fechner/Popp, Informationsinteresse der Allgemeinheit, AfP 2006, 213; Wegener, Der geheime Staat: Arkantradition und Informationsfreiheitsrecht, 2006; Kühling/Gauß, Suchmaschinen – eine Gefahr für den Informationszugang und die Informationsvielfalt?, ZUM 2007, 881; Schulz, Von der Medienfreiheit zum Grundrechtsschutz für Intermediäre? CR 2008, 470; Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts 2012; Caspar, Informationsfreiheit, Transparenz und Datenschutz, DÖV 2013, 371; von Coelln, Auskunftsansprüche der Medien gegenüber Bundesbehörden, FS Hufen, 2015, S. 423; Neuner, Das Recht auf Uninformiertheit, ZfPW 2015, 257; Wirtz/Brink, Die verfassungsrechtliche Verankerung der Informationszugangsfreiheit. Kennt das Grundgesetz ein Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen?, NVwZ 2015, 1166; Blome, Ein Auskunftsanspruch zu Lasten Dritter aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 GG?, NVwZ 2016, 1211.
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährt jedem das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen 26 ungehindert zu unterrichten. Bis zum Jahre 1945 kannte die deutsche Verfassungsgeschichte kein solches Grundrecht. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand die Informationsfreiheit zunächst Eingang in verschiedene Landesverfassungen, sodann in das Grundgesetz. Ursächlich waren die Erfahrungen mit den zur nationalsozialistischen Regierungspraxis gehörenden Informationsbeschränkungen. Im Zusammenhang mit der Einführung von Informationsfreiheitsgesetzen ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass Informationsfreiheit und das Erfordernis transparenten Regierungshandelns zu den Grundvoraussetzungen einer demokratischen, auf Teilhabe und Mitbestimmung der Bürger angewiesenen Öffentlichkeit gehört, während ihr Gegenteil, die Amtsverschwiegenheit, zu den Charakterzügen absolutistischer Staatsordnungen zählt95. Diese grundsätzliche Debatte spielt eine Rolle bei der Frage, ob Informationszugangsrechte für die Presse und die Allgemeinheit auch ohne einzelgesetzliche Grundlage bestehen können96 oder ob der Staat diese Zugangsrechte behutsam und bereichsspezifisch öffnen muss97. Die Informationsfreiheit steht in der grundgesetzlichen Ordnung gleichwertig neben der Äu- 27 ßerungs- und der Medienfreiheit. Sie enthält das Recht, sich selbst zu informieren. Nur umfassende Information ermöglicht dem Einzelnen wie der Gemeinschaft freie Meinungsbildung und -äußerung. Ebenso enthält die Informationsfreiheit das Recht zur Informationswahl und damit zugleich das Negativrecht, sich aufgedrängten Informationen zu verschließen98. Diese Rechte weisen zwei Komponenten auf. Einmal enthalten sie einen Bezug zum demokratischen 95 Wegener, Der geheime Staat, 2006; Caspar, DÖV 2013, 371; dezidiert a.A. Rossi, Informationszugangsfreiheit, 2004. 96 Blome, NVwZ 2016, 1211; dafür BVerwG v. 20.2.2013 – 6 A 2/12, BVerwGE 146, 56 = AfP 2013, 355; bestätigt in BVerwGE 151, 348 und ZUM 2016, 794, ebenso für die Presse Soehring/Hoehne, Presserecht, § 4 Rz. 3; Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 19. Kap. Rz. 7, 22. Kap. Rz. 6; Burkhardt in Löffler, Presserecht, § 4 Rz. 16; offengelassen von BVerfG NVwZ 2016, 50, Rz. 12 und für die Allgemeinheit Schoch, IFG, Ein. Rz. 259 m.w.N. 97 So Rossi, Informationszugangsfreiheit, passim; Kloepfer, JZ 2013, 892, 893; Wirtz/Brink, NVwZ 2015, 1166, 1172; skeptisch auch von Coelln, FS Hufen, 2015, S. 423, 431. 98 Neuner, ZfpW 2015, 257.
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Kap. 1 Rz. 28
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
Prinzip i.S.d. Art. 20 Abs. 1 GG99; ein demokratischer Staat kann nicht ohne eine freie und möglichst gut informierte öffentliche Meinung bestehen. Daneben weisen sie eine aus Art. 1 und 2 GG folgende individualrechtliche Komponente auf; es gehört zu den elementaren Bedürfnissen des Menschen, sich aus möglichst vielen selbstgewählten Quellen zu unterrichten, das eigene Wissen zu erweitern und sich so als Persönlichkeit zu entfalten100. 28
Aus dieser vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Auffassung ergibt sich, dass Informationserteilung nicht allein um der Informanten, sondern ebenso um der zu Informierenden Willen erforderlich und dass diese grundrechtlich abgesichert ist. Das bedeutet, dass die zu Informierenden bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Äußerungen in die Betrachtung einzubeziehen sind. Daraus ergeben sich Konsequenzen in Bezug auf die Zuerkennung zivilrechtlicher Ansprüche. Bei ihrer Beurteilung geht es nicht allein um den Ausgleich der Interessen zwischen Anspruchsteller und Anspruchsgegner, sondern ebenso um die Belange der Öffentlichkeit. Daraus folgt, dass subjektive Absichten des Mitteilenden, insb. eine Wettbewerbsabsicht, außer Betracht zu bleiben haben, wenn es um die Information der Allgemeinheit geht. Es wäre also verfehlt, eine gebotene Information an einem Wettbewerbstatbestand scheitern zu lassen101. Andererseits will die Öffentlichkeit nicht nur vielfältig, sondern auch zutreffend unterrichtet werden. Ansprüche, die auf Vermeidung einer falschen oder die Herbeiführung einer richtigen Information der Öffentlichkeit abzielen, erlangen damit besondere Bedeutung. Die Geltendmachung solcher Ansprüche kann auch im Allgemeininteresse liegen. Bei einer Interessenabwägung kann das den Ausschlag geben. Anerkannt ist, dass ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an einer Information wesentliche Rechtfertigung für die Berichterstattung über Personen des öffentlichen Interesses, auch im Hinblick auf Vorgänge aus deren Privatsphäre ist102; in gewisser Hinsicht enthält dieses Interesse Aspekte einer „kollektiven Form der Informationsfreiheit“103. Davon unabhängig stellt sich die Frage, ob „die Öffentlichkeit“ (oder ein Mitglied der Öffentlichkeit) selbst befugt sein muss, zum einen Informationszugang zu erzwingen oder ob das Informationsinteresse auch mittelbar durch Dritte verteidigt oder gar erzwungen werden kann. Geht man davon aus, dass die Informationsfreiheit nur Abwehrrecht, nicht aber Leistungsanspruch ist104, kommt es auf die zuletzt genannte Frage an. Sie stellt sich im Hinblick auf Intermediäre, insb. Suchmaschinenanbieter, Zugangsdienstleister oder Dienste, die fremde Inhalte beherbergen (Host Provider). Bisher geht die Rechtsprechung davon aus, dass diesen Diensten keine eigenen Kommunikationsgrundrechte zustehen105. Das provoziert die Frage, ob Intermediäre einen mittelbaren Schutz über Art. 5 Abs. 1 GG erhalten, wenn der Zugang ihrer Nutzer zu allgemein zugänglichen Informationen erschwert oder gar (durch Löschung oder Blockade) erschwert wird. Es wäre angemessen, diese Position in die Abwägung einzuführen, allerdings dürfte es dogmatisch schwierig sein, die Intermediäre insoweit zu Sachwaltern ihrer Nutzer zu machen.
99 Wegener, Der geheime Staat, 2007, S. 428. 100 BVerfG v. 3.10.1969 – 1 BvR 46/65, BVerfGE 27, 71 = NJW 1970, 235; v. 9.2.1994 – 1 BvR 1687/92, MDR 1994, 547 = AfP 1994, 121 = NJW 1994, 1147 – Parabolantenne. 101 Kübler, zitiert in AfP 1984, 213. 102 Beater, ZUM 2005, 602. 103 Fechner/Popp, AfP 2006, 213, 214. 104 So etwa Wirtz/Brink, NVwZ 2015, 1166, 1173. 105 EuGH v. 13.5.2014 – C-131/12, ITRB 2014, 150 = IPRB 2014, 171 = AfP 2014, 245 Rz. 97 – Google Spain; a.A. Schulz, CR 2008, 470; zweifelnd im Hinblick auf die Auswahlmacht solcher Dienste: Kühling/Gauß, ZUM 2007, 881, 883.
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Burkhardt/Peifer
III. Informationsfreiheit
Rz. 29 Kap. 1
Die grundrechtliche Informationsfreiheit bezieht sich nur auf allgemein zugängliche Quel- 29 len. Das sind Quellen, die objektiv technisch geeignet und dazu bestimmt sind, der Allgemeinheit, d.h. einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu beschaffen, und zwar auch, wenn sie außerhalb der Bundesrepublik liegen106. Soweit für den Empfang technische Anlagen, z.B. Parabolantennen, erforderlich sind, die eine an die Allgemeinheit gerichtete Information erst individuell erschließen, erstreckt sich der Grundrechtsschutz auch auf die Beschaffung und Nutzung solcher Anlagen. Werden dadurch die Rechte Dritter, z.B. das Eigentumsrecht des Vermieters, beeinträchtigt, ist aufgrund einer fallbezogenen Interessenabwägung festzustellen, welche Rechtsposition schwerer wiegt107. Allerdings besteht kein Anspruch auf Eröffnung einer bestimmten Informationsquelle. Über die Zugänglichkeit und die Modalitäten des Zugangs entscheidet, wer über ein entsprechendes Bestimmungsrecht verfügt. Erst nach Eröffnung der allgemeinen Zugänglichkeit kann der Schutzbereich der Informationsfreiheit betroffen sein. Daher ist es z.B. dem Staat erlaubt, eine beschränkte Öffentlichkeit, die sog. Saalöffentlichkeit, für Gerichtsverhandlungen vorzusehen, ohne dass dadurch die Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt wird108. Anders ist es, wenn der Staat den Zugang prinzipiell öffnet, dabei aber Beschränkungen verhängt. So darf der Vorsitzende einer Strafrechtskammer nicht ohne zureichende Gründe und ohne Abwägung gegen das Informationsinteresse Bild- und Filmaufnahmen „15 Minuten vor Verhandlungsbeginn“ untersagen109. Reicht die Platzkapazität im Sitzungssaal nicht aus, muss die Zuteilung von Plätzen nach sachlichen Kriterien erfolgen, die den gleichen Zugang von Pressevertretern gewährleisten, wobei eine Bevorzugung der Presse gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit nicht ermessensfehlerhaft ist110. Die gesetzlich beschränkte Eröffnung einer Informationsquelle stellt kein Schrankengesetz i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG dar. Ein solcher Fall läge nur vor, soweit die Zugangsmöglichkeit zu einer schon eröffneten Informationsquelle durch staatliche Maßnahmen eingeschränkt würde. Sofern keine Sonderregelung besteht, wie z.B. für das Grundbuch111 und das Handelsregister, ist der behördliche Bereich nicht allgemein zugänglich, auch soweit es sich um Verwaltungsvorschriften handelt112. Diese Sichtweise ist spätestens mit der Einführung von Informationsfreiheitsgesetzen allerdings unter Druck geraten. Geht man davon aus, dass Informationsfreiheit das Prinzip und Geheimhaltung die Ausnahme darstellt, so ist jedenfalls eine gesetzliche Grundlage erforderlich, um den Informationszugang auszuschließen113. Andererseits sind der private Bereich sowie Vorgänge aus der Privatwirtschaft und Äußerungen, die an Einzelne gerichtet sind, nicht allgemein zugänglich114. Aus den allgemein zugänglichen Quellen kann sich jeder ungehindert unterrichten. Das ist schon dann nicht mehr der Fall, wenn unzumutbare 106 BVerfG v. 3.10.1969 – 1 BvR 46/65, BVerfGE 27, 71, 83 – Leipziger Volkszeitung; v. 9.2.1994 – 1 BvR 1687/92, BVerfGE 90, 27, 32 = MDR 1994, 547 = AfP 1994, 121 – Parabolantenne; v. 24.1.2005, 1 BvR 1953/00, CR 2005, 645; NJW-RR 2005, 661; BerlVerfGH v. 29.8.2001 – VerfGH 39/01, NJW 2002, 2166. 107 BVerfG v. 9.2.1994 – 1 BvR 1687/92, MDR 1994, 547 = AfP 1994, 121 = NJW 1994, 1147 – Parabolantenne; v. 24.1.2005 – 1 BvR 1953/00, CR 2005, 645; NJW-RR 2005, 661; BerlVerfGH v. 29.8.2001 – VerfGH 39/01, NJW 2002, 2166. 108 BVerfG v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, AfP 2001, 48 u.a., NJW 2001, 1633 mit abweichender Meinung der Richter Kühling, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem. 109 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, BVerfGE 119, 309 = AfP 2008, 156 = NJW 2008, 977. 110 BVerfG v. 12.4.2013 – 1 BvR 990/13, AfP 2013, 233 = NJW 2013, 1293 m. krit. Anm. Zuck. 111 Vgl. BVerfG v. 7.10.2000 – 1 BvR 1521/00, NJW 2001, 503; AfP 2000, 566. 112 BVerwG v. 16.9.1980 – 1 C 52/75, BVerwGE 61, 15, 22 = MDR 1981, 342. 113 Von Coelln, FS Hufen, 2015, S. 423, 432. 114 VG Bremen v. 27.2.1997 – 2 A 28/96, NJW 1997, 2696; Löffler/Wenzel, § 4 Rz. 14.
Burkhardt/Peifer 27
Kap. 1 Rz. 29
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
Verzögerungen bewirkt werden, wie es nach dem Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote der Fall gewesen ist115. Auch das Vorenthalten von Informationen, z.B. durch das Verbot zur Veröffentlichung ausländischer Stellenanzeigen, verstößt gegen die Informationsfreiheit116.
IV. Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit Schrifttum zur Pressefreiheit: Dagtoglou, Wesen und Grenzen der Pressefreiheit, 1963; Scheuner, Pressefreiheit, VVDStRL 22, 1; Schnur, Pressefreiheit, VVDStLR 22, 101; Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, 1978; Siegel, Über die Grundrechte, insb. die Pressefreiheit in der Schweiz und Großbritannien, Diss. Zürich 1981; Ricker, Freiheit und Aufgabe der Presse, 1983; Wilke (Hrsg.), Pressefreiheit, 1984; Janisch, Investigativer Journalismus und Pressefreiheit, 1998; Spranger, Die Figur der „Schutzbereichsverstärkung“, NJW 2002, 2074; Bullinger, Das teilweise Zusammenwachsen von Presse und Rundfunk und ihren Freiheiten, AfP 2007, 407; Bullinger, Bedeutungsverlust der Pressefreiheit, AfP-Sonderheft 2007, 21; Gaede, Neuere Ansätze zum Schutz der Pressefreiheit beim Geheimnisverrat durch Journalisten, AfP 2007, 410; Berka, Medienrecht und Medienverantwortung in der Informationsgesellschaft, 2008, S. 31; Bronsema, Medienspezifischer Grundrechtsschutz der elektronischen Presse, 2008; Möllers, Pressefreiheit im Internet, AfP 2008, 241; Peifer, Presserecht im Internet, in Gundel/Heermann/Leible, Konvergenz der Medien – Konvergenz des Rechts?, 2008, S. 47; Pomorin, Die Presse als „watchdog“ – eine gefährdete Art?, ZUM 2008, 40; S. Schulz, Ist die Pressefreiheit änderungsfest?, AfP 2009, 121; Fiedler, Zunehmende Einschränkungen der Pressefreiheit, ZUM 2010, 18; Kujath, Der Laienjournalismus im Internet als Teil der Medienöffentlichkeit im Strafverfahren. Neue Herausforderungen durch die Entwicklung des Web 2.0, 2011; Rahvar, Die Zukunft des deutschen Presserechts im Lichte konvergierender Medien, 2011; Dittmayer, Wahrheitspflicht und Presse, 2013; Frenzel, „Schlechthin konstituierende“ – zur Gewichtung der Kommunikationsgrundrechte, AfP 2014, 394; Schierbaum, Sorgfaltspflichten von professionellen Journalisten und Laienjournalisten im Internet, 2016. Zur Rundfunkfreiheit: Günter Herrmann, Fernsehen und Hörfunk in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1975; Hans Hugo Klein, Die Rundfunkfreiheit, 1978; Scheuner, Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit, 1982; Rossen, Freie Meinungsbildung durch den Rundfunk, 1988; Jarass, Rundfunkbegriffe im Zeitalter des Internet, AfP 1988, 133; Mecklenburg, Internetfreiheit, ZUM 1997, 525; Ricker/Schiwy, Rundfunkverfassungsrecht, 1997; Gersdorf, Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung, 1995; Klein, Maßstäbe für die Freiheit der öffentlichen und privaten Medien, DÖV 1999, 578; Th. Brand, Rundfunk i.S.d. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, 2002; Bullinger, Von presseferner zu pressenaher Rundfunkfreiheit, JZ 2006, 1137; Bullinger, Private Rundfunkfreiheit auf dem Weg zur Pressefreiheit, ZUM 2007, 337; Degenhart, Duale Rundfunkordnung im Wandel, AfP-Sonderheft 2007, 24; Lerche, Aspekte des Schutzbereichs der Rundfunkfreiheit, AfP-Sonderheft 2007, 52; von Coelln, Die Rundfunkrechtsordnung Deutschlands – eine entwicklungsoffene Ordnung, AfP 2008, 433; Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, 2008; Klaes, Verfassungsrechtlicher Rundfunkbegriff und Internet, ZUM 2009, 135; Schmid/Kitz, Von der Begriffs- zur Gefährdungsregulierung im Medienrecht, ZUM 2009, 739; Hahn-Lorber/Roßner, TV-Duell ohne Herausforderer?, NVwZ 2011, 471; Kunisch, Rundfunk im Internet und der Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks, 2011; Hain, Medienmarkt im Wandel: Technische Konvergenz und Anbieterkonkurrenz als Herausforderung an Verfassungsrecht und Regulierung, AfP 2012, 313; Korte, Die dienende Funktion der Rundfunkfreiheit in Zeiten medialer Konvergenz, AöR 2014, 384; Paulus/ Nölscher, Rundfunkbegriff und Staatsferne im Konvergenzzeitalter, ZUM 2017, 177. Zu Medienfreiheiten jenseits von Rundfunk und Presse (Internetdienste): Gounalakis, Konvergenz der Medien – Sollte das Recht der Medien harmonisiert werden?, Gutachten C zum 64. Deutschen Juristentag, 2002; Peifer, Internet-Suchmaschinen und das Recht auf freie Meinungsäußerung, FS 115 BVerfG v. 3.10.1969 – 1 BvR 46/65, BVerfGE 27, 71. 116 BVerfG v. 4.4.1967 – 1 BvR 414/64, BVerfGE 21, 271 – Südkurier.
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Burkhardt/Peifer
IV. Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit
Rz. 30 Kap. 1
Schricker, 2005, S. 137; W. Schulz, Von der Medienfreiheit zum Grundrechtsschutz für Intermediäre?, CR 2008, 470; Kübler, Medien, Menschenrecht und Demokratie, 2008; Cole, Die traditionellen Medien in der Krise: Bedeutungsverlust und rechtlicher Handlungsbedarf?, AfP 2009, 541; Holznagel, Internetdienstefreiheit und Netzneutralität, AfP 2011, 532; Hain, Ist die Etablierung einer Internetdienstefreiheit sinnvoll?, K&R 2012, 98; Neuhoff, Die Dynamik der Medienfreiheit am Beispiel von Presse und Rundfunk, ZUM 2012, 371; Jäkel, Internetformate und Grundgesetz – Ist eine Internetfreiheit wirklich nötig?, AfP 2012, 224; Milstein/Lippold, Suchmaschinenergebnisse im Lichte der Meinungsfreiheit der nationalen und europäischen Grund- und Menschenrechte, NVwZ 2013, 182; Dörr/Natt, Suchmaschinen und Meinungsvielfalt, ZUM 2014, 829; Franzius, Das Internet und die Grundrechte, JZ 2016, 650; Zur Filmfreiheit: Sänger, Filmfreiheit und Filmkunst und das Problem staatliche rund gesellschaftlicher Kontrolle, 1971; Neupert, Die Filmfreiheit und ihre verfassungsmäßigen Schranken, 1976; Bär, Die verfassungsrechtliche Filmfreiheit und ihre Grenzen – Filmzensur und Filmförderung, 1984; Reupert, Die Filmfreiheit: der verfassungsrechtliche Schutz des Films, 1994.
Neben der Äußerungs- und Informationsfreiheit gewährleistet Art. 5 Abs. 1 GG die Presse-, 30 Rundfunk- und Filmfreiheit. Dass Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einerseits von der Pressefreiheit, andererseits von der Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film spricht, bedeutet keinen sachlichen Unterschied. Nicht zuletzt aus historischen Gründen hat die Pressefreiheit besondere Bedeutung. Sie ist nicht nur ein Unterfall der Äußerungsfreiheit. Die Pressefreiheit ist berührt, wenn es nicht um konkrete Äußerungen, sondern um das grundsätzliche Recht zu Veröffentlichungen geht117. Das Grundrecht gewährleistet darüber hinaus die institutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung118. Der Begriff der Pressefreiheit ist nach st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts weit und formal auszulegen. Er umfasst nicht nur sämtliche periodische Druckwerke der seriösen wie auch der sog. Yellow Press119, sondern auch alle einmalig gedruckten Werke, wie Bücher, Flugblätter, Handzettel etc. Der Absatzweg ist unerheblich. Dementsprechend sind auch Zeitungen und Zeitschriften, die allein an Angehörige eines Betriebes oder Unternehmens verteilt werden, durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützt120. Auf das Recht können sich sowohl natürliche wie auch juristische Personen berufen, und zwar unabhängig davon, zu welchem Prozentsatz sie mit Pressearbeit befasst sind121. Daraus ergeben sich vielfältige Konsequenzen, z.B. die Freiheit des Zuganges zum Presseberuf, der Informationsanspruch der Pressevertreter, das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten122 und die Notwendigkeit der Bekämpfung der Pressekonzentration oder Medienkonzentration durch die Fusionen von Presse und Rundfunk123. Wesentlich ist das Recht, Presseerzeugnisse zu gründen und diese nach eigenen Vorstellungen zu gestalten sowie frei zu entscheiden, was in diese aufgenommen wird124. Gewährleistet ist die Gestaltungsfreiheit in formaler wie auch in inhaltlicher Hinsicht. Presseagenturen unterliegen im
117 BVerfG v. 8.10.1996 – 1 BvR 1183/90, NJW 1997, 386 – Werkszeitung. 118 BVerfG v. 28.2.1961 – 2 BvG 1, 2/60, NJW 1961, 547 – Deutschland-Fernsehen. 119 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco. 120 BVerfG v. 8.10.1996 – 1 BvR 1183/90, NJW 1997, 386 – Werkszeitung. 121 BVerfG v. 8.10.1996 – 1 BvR 1183/90, NJW 1997, 386 – Werkszeitung. 122 Dazu BVerfG v. 13.9.2001 – 1 BvR 1398/01, AfP 2001, 500 = NJW 2002, 592. 123 Riesenhuber, AfP 2003, 481; von Coelln, AfP 2008, 433, 436. 124 BVerfG v. 8.10.1996 – 1 BvR 1183/90, NJW 1997, 386 – Werkszeitung; v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93 u.a., NJW 1998, 1381, 1382 – Gegendarstellung auf Titelseite, v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229 = NJW 2017, 1537.
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Kap. 1 Rz. 31
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
Wesentlichen denselben Regeln125. Dazu gehört auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird, einschließlich der Abbildung von Personen126 sowie der Abdruck von Anzeigen127. Ebenso ist die Eigenwerbung der Presse auch mit Bildnissen Dritter geschützt128. Diese Freiheiten sind in mehrfacher Hinsicht bedroht: der wirtschaftliche Druck auf die klassische Presse sorgt für Gewichtsverschiebungen in der Berichterstattung hin zum Trivialen und Unterhaltenden129, kostenlose Angebote durch Internetdienste gefährden die bisherige Werbefinanzierung130, die Beitragsfinanzierung öffentlich-rechtlicher Angebote führt zu ständigen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Markt- und Aufgabenfinanzierung131. Zum Teil wird auch von ihren Verbänden ganz offen gefordert, die Presse in allen Regulierungsbereichen von Restriktionen weitgehend freizustellen, um ihre Aufgabenerfüllung zu unterstützen132. Diese Forderung dürfte zu weit gehen. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die Pressefreiheit, wie auch die übrigen Freiheiten, einen besonderen Stellenwert hat, der sie zwar nicht auf die Stufe von höherrangigen Grundrechten hebt133, wohl aber dafür sorgt, dass bei Eingriffen in die Freiheit ihrer Betätigung auch ihre Bedeutung für die freie Meinungsbildung stets eine Rolle spielen muss134. 31
Infolge des erzielten technischen Fortschrittes, insb. durch das Kabel- und Satellitenfernsehen sowie die Möglichkeit zur Verbreitung von Sendungen durch Internetdienste, tritt die Rundfunkfreiheit immer stärker in den Vordergrund. Grundlegend für den Privatfunk ist das FRAG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts135. Auch der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit reicht von der Beschaffung der Information bis zu deren Verbreitung. Rundfunkfreiheit ist in ihrem Kern Programmfreiheit136. Sie gewährleistet, dass die Gestaltung des Programms wie auch der einzelnen Sendungen Sache des Rundfunkveranstalters ist und sich an publizistischen Kriterien ausrichten kann, insb. „dass der Rundfunk frei von externer Einflussnahme entscheiden kann, wie er seine publizistische Aufgabe erfüllt“137. Das gilt für die journalistische Aufarbeitung von Sendeformaten generell138, aber besonders auch für politische Programme in Vorwahlzeiten. Maßgebend ist, ob ein schlüssiges und folgerichtig umgesetztes Konzept für eine Sendung, z.B. ein TV-Duell der Kanzlerkandidaten vorliegt. Dann ist es zulässig, nur die aussichtsreichsten Kandidaten zu einer solchen Sendung einzuladen. Ein Teilnahmeanspruch eines Kanzlerkandidaten, der mutmaßlich keine Chance hat, tatsächlich Bundeskanzler zu werden, besteht nicht. Dies gilt jedenfalls, wenn er im Rahmen anderer Sendun125 BVerfG v. 26.8.2003 – 1 BvR 2243/02, AfP 2003, 539 = NJW 2004, 589, 590. 126 BVerfG v. 28.5.1999 – 1 BvR 77/99, NJW 1999, 2880; v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco; v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97 u.a., NJW 2001, 1921 – relative Person der Zeitgeschichte. 127 BVerfG v. 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95 und 1 BvR 1787/85, NJW 2001, 591 – Benetton. 128 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317 – Marlene II. 129 Berka, Medienrecht und Medienverantwortung S. 31, 41. 130 Bullinger, AfP Sonderheft 2007, 21, 22; Cole, AfP 2009, 541, 543. 131 Held, Online-Angebote, 2008. 132 Fiedler, ZUM 2010, 18; Fiedler, AfP 2011, 15. 133 Frenzel, AfP 2014, 394, 396. 134 Zur Bedeutung im Rahmen des Art. 79 Abs. 3 GG: S. Schulz, AfP 2009, 121. 135 BVerfG v. 16.6.1981 – 1 BvL 89/78, AfP 1981, 398 = NJW 1981, 1774. 136 BVerfG v. 22.2.1994 – 1 BvL 30/88, MDR 1994, 630 = AfP 1994, 32 = NJW 1994, 1942 – Rundfunkgebühr; v. 20.2.1998 – 1 BvR 661/94, NJW 1998, 2659. 137 BVerfG v. 14.12.2004 – 1 BvR 411/00, NJW-RR 2005, 119. 138 BVerfG v. 15.1.2004 – 1 BvR 1807/98, NJW 2004, 672, 673: Rechtsinformationen im Fernsehen.
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IV. Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit
Rz. 32 Kap. 1
gen hinreichend Gelegenheit hat, die Gunst der Wähler zu gewinnen139. Die Freiheit beschränkt sich nicht auf politische Programme, sondern umfasst auch die unterhaltenden140. Der Schutz erstreckt sich überdies auf die dem Medium eigentümlichen Formen der Berichterstattung und die Verwendung der dazu erforderlichen technischen Vorrichtungen141. Die Rundfunkfreiheit wird durch die Pflicht privater Rundfunkveranstalter, Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen unter bestimmten Voraussetzungen der zuständigen Landesmedienanstalt vorzulegen, nicht verletzt142. Die Filmfreiheit hat Sonderprobleme nur insoweit aufgeworfen, als es hierbei auch um fiktionale und künstlerische Formate geht, so dass Überschneidungen mit der Freiheit der Kunst in Art. 5 Abs. 3 GG bestehen (dazu auch Kap. 3 Rz. 20). Die Freiheit zur Äußerung durch das Medium des Films umfasst nicht nur dokumentarische Filme, sondern auch Spielfilme und jede andere Art filmischer Äußerungen. Das Filmschaffen ist grundsätzlich privatwirtschaftlich organisiert, doch gibt es bedeutsame Unterstützungen durch die staatliche Filmförderung. Inwieweit Online-Dienste, insb. Internetdienstangebote, in den Schutzbereich der Rund- 32 funkfreiheit fallen, ist noch umstritten. Debattiert wird vor allem, ob es eine eigenständige „Internetfreiheit“ unter Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geben sollte143. Der Streit über die Berechtigung einer solch herausgehobenen Freiheit hängt damit zusammen, dass Internetdienste nicht nur etablierte und neue journalistisch-redaktionell arbeitende Dienste der Massenkommunikation konvergieren, sondern in starkem Maße auch Individualäußerungen, insb. durch Laienjournalisten in Web-Tagebüchern (Blogs), Meinungsforen oder Äußerungen in den Profilen sozialer Mediendienste und Kurznachrichtendienste erfassen144. Massenkommunikation wird damit zunehmend fragmentiert. Das in Art. 5 Abs. 1 GG geregelte System der Medienfreiheiten unterscheidet traditionell zwischen individueller Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und institutioneller Meinungsverbreitung und Meinungsbildung (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG). Beide Äußerungsformen gelten als die für die demokratische Willensbildung konstitutiven Grundrechte. Die „institutionellen“ Freiheiten von Presse, Rundfunk und Film haben damit eine gegenüber der Individualäußerung herausgehobene Stellung, weil sie nicht nur Meinung verbreiten, sondern auch Meinung gestalten. Daher spricht man von einer „öffentlichen Aufgabe“, die Presse und Rundfunk treffe145. Diese „öffentliche Aufgabe“ bringt Privilegien mit sich146, institutionelle Förderungen147, damit korrespondieren 139 BVerfG v. 30.8.2002 – 2 BvR 1332/02, NJW 2002, 2939; OVG NW v. 15.8.2002 – 8 B 1444/02, AfP 2002, 456 = NJW 2002, 3417; zur Auswahl von Kandidaten vor Landtagswahlen Hahn-Lorber/Roßner, NVwZ 2011, 471. 140 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 348/98 u.a., NJW 2000, 1859 – Lebach II. 141 BVerfG v. 14.7.1994 – 1 BvR 1595/92, 1 BvR 1606/92, AfP 1994, 213 = NJW 1995, 184. 142 BVerfG v. 26.2.1997 – 1 BvR 2172/96, AfP 1997, 616 = CR 1998, 367 = NJW 1997, 1841. 143 Dafür Mecklenburg, ZUM 1997, 525; Holznagel, AfP 2011, 532; Kujaht, Der Laienjournalismus, S. 150; Wellenreuther, Presseähnliche Telemedien, 2011, S. 54 ff.; für eine einheitliche Medienfreiheit dagegen Lenski, Massenkommunikation, S. 72 ff.; Koreng, Zensur im Internet, 2010, S. 83; Hain, AfP 2012, 313; Jäkel, AfP 2012, 224; Neuhoff, ZUM 2012, 371; Paulus/Nölscher, ZUM 2017, 177; für eine weitgehende Erfassung unter dem Aspekt der Rundfunkfreiheit Klaes, ZUM 2009, 135; Korte, AöR 2014, 384. 144 Spindler, Gutachten F, 65. DJT 2012, S. F 11; Franzius, JZ 2016, 650. 145 Vgl. in Bezug auf die Presse: BVerfG v. 5.8.1966 – 1 BvR 586/62, BVerfGE 20, 162, 175. 146 Z.B. Zeugnisverweigerungsrechte für Journalisten, Quellenschutz, Schutz vor Durchsuchungen; BVerfG v. 10.2.2010 – 1 BvR 1739/04, NJW 2011, 1859; Gaede, AfP 2007, 410; Pomorin ZUM 2008, 40. 147 Z.B. den Rundfunkbeitrag für die Veranstalter öffentlich-rechtlicher Rundfunk- und Internetangebote.
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Kap. 1 Rz. 33
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
allerdings auch Verantwortlichkeiten (wie die Pflicht zur sorgfältigen Recherche, Programmaufträge für Rundfunkveranstalter, Werberestriktionen oder besondere Kennzeichnungspflichten)148. In der Debatte über die Reichweite solcher institutionellen Freiheiten wird einerseits betont, dass Internetdienste, wie etwa die Betreiber von Suchmaschinen, in gleicher Weise wie die sonstigen Massenmedien verfassungsrechtlich geschützt sein müssen149. Andererseits besteht noch Unklarheit darüber, ob die Erweiterung der Freiheiten mit einer gesteigerten Verantwortung korrelieren muss. Dies betrifft etwa die Frage, ob Laienjournalisten ohne Quellenrecherche und Anhörungspflichten privilegiert Informationen verbreiten dürfen oder ob auch ihnen Sorgfaltspflichten obliegen150. Für Suchmaschinenanbieter geht es um die Frage, ob sie für den erleichterten Zugang zu Informationen als intellektuelle Verbreiter haften151 oder ob ihre Stellung dem des technischen Hilfsdienstleisters entspricht. Für das Verhältnis zwischen Rundfunk und Presse geht es um die Frage, ob elektronische Angebote über Internetdienste einer positiven Ausgestaltung des Gesetzgebers, also der als „dienend“ verstandenen Rundfunkfreiheit unterliegen152, oder ob sich die privatrechtliche Struktur der Presse auch auf Internetdienste erstreckt153. Daraus folgen Fragestellungen des öffentlichen Medienrechts, etwa, ob auch Internetdienstleister Vielfalts- und Ausgewogenheitspflichten (wie im Rundfunkbereich) treffen. 33
Um diese mit der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit verbundenen speziellen Probleme geht es in diesem Handbuch nicht154. Hier ist allein das Äußerungsrecht zu erörtern. Deswegen wird auf eine vollständige Kommentierung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verzichtet. Behandelt werden nur die Sonderfragen, die zur Äußerungsfreiheit unmittelbaren Bezug haben. Insb. geht es um die Frage, ob das Zusammentreffen der Rechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ein Mehr an Äußerungsfreiheit vermittelt, ob also den Medien zusätzliche Äußerungsmöglichkeiten zur Seite stehen oder ob es sich umgekehrt verhält. Die Frage, ob Laien Sorgfaltspflichten treffen, gehört dazu ebenso wie die Frage, ob Zugangsvermittler und Intermediäre für fremde Angebote intellektuelle Verbreiter sind, also auch Haftungspflichten tragen.
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Richtiger Auffassung nach ist prinzipiell davon auszugehen, dass der Umfang der Äußerungsfreiheit unabhängig von dem Medium ist, das für die Verbreitung von Äußerungen benutzt wird. Wie der BGH mit Recht hervorgehoben hat, können sich nicht „die Presse“ oder „der Rundfunk“ äußern, sondern immer nur die in diesen Institutionen tätigen Menschen. Dabei ist nicht zu ersehen, inwiefern die Tatsache der Verbreitung einer Äußerung in gedruckter Form oder unter Inanspruchnahme technischer Hilfsmittel über den Äther bzw. per Kabel oder über Internetdienste zu einem Mehr an Rechten führen könnte155. Auch das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass das Recht zur Teilnahme an der öffentlichen 148 149 150 151
154 155
Vgl. Peifer, Presse im Internet, S. 47. Dafür W. Schulz, CR 2008, 470, 473. Für solche Sorgfaltspflichten Schierbaum, Sorgfaltspflichten, 2016. Dafür BGH v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 = CR 2013, 459 = MDR 2013, 710 = ITRB 2013, 150 = AfP 2013, 260 Rz. 22 – Autocomplete. BVerfG v. 11.9.2007 – 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, BVerfGE 119, 181 = AfP 2007, 457; Th. Brand, Rundfunk i.S.d. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, 2002, S. 204; Lerche, AfP-Sonderheft 2007, 52; krit. zum Konzept einer Schutzbereichsausgestaltung Hain, AfP 2012, 313, 318; Hesse, Rundfunkrecht, 1999, Rz. 2.46. Dafür Bullinger, JZ 1996, 385, 386; Bullinger, JZ 2006, 1137, 1139; Bullinger, ZUM 2007, 337, 343; Degenhart, AfP Sonderheft 2007, 24; wohl auch Möllers, AfP 2008, 241, 247. Vgl. hierzu etwa Kübler, Medien, 2008. Vgl. BGH v. 5.10.1962 – GSSt 1/62, BGHSt 18, 182 – Callgirl.
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IV. Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit
Rz. 38 Kap. 1
Diskussion jedem Staatsbürger zusteht156. Das Recht zur Teilnahme an der öffentlichen Diskussion ist für alle Grundrechtsträger durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet; Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG privilegiert nicht die in den Medien geäußerte Diskussionsbeiträge. Diese Erkenntnis hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Bayer-Beschluss bestätigt157. 35 Danach ist Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG weder ein Spezialgrundrecht für drucktechnisch verbreitete Meinungen noch eine auf die Presse bezogene Wiederholung der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährten Äußerungsfreiheit. Die vorstehend skizzierte Auffassung war nicht schon immer die herrschende. Der Gedanke, 36 der Presse und damit wohl auch dem Rundfunk müsse in Bezug auf die Äußerungsfreiheit eine Sonderstellung eingeräumt werden, ist über lange Zeit hinweg sogar mit Nachdruck verfochten worden. Ursächlich war die frühere Rechtsprechung, nach der unter die Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.d. § 193 StGB nur eigene Interessen und die Interessen nahestehender Menschen (z.B. aufgrund naher Verwandtschaft) fielen bzw. wenn die Interessenwahrnehmung eine soziale Obliegenheit bedeutet (Näheres Kap. 6 Rz. 43)158. Wenn es nur unter diesen besonderen Voraussetzungen möglich ist, in rechtfertigender Weise berechtigte Interessen wahrzunehmen, musste sich zwangsläufig die Frage stellen, ob die Presse diese ebenfalls zu erfüllen hat, wenn ihre Berichterstattung zulässig sein soll. Das haben das RG und anfänglich auch der BGH bejaht. Auch ein Journalist dürfe bspw. Kritik an Straßenbahntarifen nur üben, wenn er selbst Straßenbahnbenutzer ist159, an Grenzverhältnissen nur, wenn er selbst an der Grenze wohnt160. Dass diese Rechtsprechung zu Unzuträglichkeiten führen musste, ist einsichtig, und damit ebenso das Bestreben, der Presse eine Sonderlegitimation zu verschaffen. Den Ansatzpunkt für eine Sonderlegitimation der Presse bildete die Annahme, die Auf- 37 gabe, die sie erfüllt, wenn sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt, sei eine öffentliche (zur Entstehungsgeschichte von § 3 LPG vgl. Kap. 6 Rz. 46). Da die Presse bei dieser Tätigkeit eine öffentliche Aufgabe erfülle, könne die Zulässigkeit ihrer Kritik nicht daran scheitern, dass Journalisten nicht immer nur eigene oder sie nahe angehende Interessen wahrnähmen, wie § 193 StGB das voraussetze. Die Öffentlichkeit ihrer Aufgabe verschaffe der Presse eine spezielle, nur ihr zur Seite stehende Legitimation zur Wahrnehmung auch fremder Interessen. Die Presse habe also eine Sonderstellung, die ihr ein Mehr an Äußerungsfreiheit verschaffe. In der Zeit, in der zwischen der Äußerungsfreiheit des Bürgers und der der Presse in dieser 38 Weise differenziert wurde, hat sich zwangsläufig die weitere Frage ergeben, ob das der Presse zuerkannte Mehr an Äußerungsfreiheit ihr in jedem Falle oder nur bei Erörterung politischer oder sonstiger öffentlicher Angelegenheiten zustehe. Im Anschluss an zahlreiche Literaturstimmen hat der BGH dazu die Ansicht vertreten161, Berichte und Kommentare im Bereich von Sensation und Skandal lägen von vornherein außerhalb des Bereiches der öffentlichen Aufgabe, um derentwillen die Presse als Einrichtung den besonderen Schutz der Verfassung 156 157 158 159 160 161
BVerfG v. 25.1.1961 – 1 BvR 9/57, NJW 1961, 819 – Schmid. BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439. Vgl. RGSt 15, 17; 23, 285; 23, 423; BGH v. 20.1.1959 – 1 StR 518/58, BGHSt 12, 287. RGSt 61, 10. BGH, BGHSt 7, 388. BGH v. 15.1.1963 – 1 StR 478/62, NJW 1963, 665, 667.
Burkhardt/Peifer 33
Kap. 1 Rz. 39
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
genieße162. Solche Gedanken entwickelte auch F. Schneider, der die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die Presse als Causa der institutionellen Garantie der Pressefreiheit bezeichnet, welche auch ein subjektiv-öffentliches Recht der diese Aufgaben erfüllenden Individuen darstelle163. Praktisch lief diese Auffassung darauf hinaus, zwischen der informativen, speziell der politischen Presse auf der einen und der Unterhaltungspresse, vornehmlich der Yellow Press, auf der anderen Seite einen rechtlichen Trennungsstrich zu ziehen. Das hat eine unter dem Schlagwort „Die Pressefreiheit ist unteilbar“ geführte Gegenbewegung ausgelöst. Diese Auseinandersetzung klingt in der Soraya-Entscheidung an164, in der das Bundesverfassungsgericht es als zu weitgehend bezeichnet hat, der Unterhaltungs- oder Sensationspresse den Schutz des Art. 5 GG überhaupt zu versagen, wie das in der landgerichtlichen Entscheidung unter Berufung auf Literaturstimmen geschehen ist. Der Begriff „Presse“ sei weit und formal auszulegen. Er könne nicht von einer an welchen Maßstäben auch immer ausgerichteten Bewertung des einzelnen Druckerzeugnisses abhängig gemacht werden. Die Pressefreiheit sei nicht auf die seriöse Presse beschränkt165. 39
Die Auffassung, als berechtigt i.S.d. § 193 StGB könnten nur eigene oder einen Menschen nahe angehende Interessen wahrgenommen werden, jene Auffassung, die den Gedanken an die vermeintlich öffentliche Aufgabe der Presse mit all seinen Folgewirkungen ausgelöst hat, ist inzwischen überwunden. Heute darf als unbestritten gelten, dass es bei § 193 StGB vornehmlich um Informationsinteressen geht, zu deren Wahrnehmung jedermann befugt ist, unabhängig von der dazu vorhandenen persönlichen Beziehung. Damit ist auch die Erkenntnis gereift, dass es ebenso wenig der Inanspruchnahme eines besonderen Mediums bedarf, um berichten und Kritik üben zu dürfen. Der Wert der Äußerungsfreiheit zeigt sich gerade darin, dass jeder von ihr Gebrauch machen kann, unabhängig von der Funktion, in der er tätig ist166. Die Landespressegesetze bezeichnen zwar die von der Presse wahrgenommene Aufgabe weiterhin als öffentliche. Ein Mehr an Äußerungsfreiheit wird daraus aber nicht mehr abgeleitet (Näheres Kap. 6 Rz. 46). Allerdings haben Presse und Rundfunk Privilegien, die sich aus ihrer besonderen Stellung für die Meinungsbildung in einer Gesellschaft ableiten (oben Rz. 32). Angesichts der wachsenden Bedeutung von auch laienjournalistischen Äußerungen in Internetdiensten wird die öffentliche Aufgabe der Presse allerdings zu einer kritischen Ressource, wenn es um Zuverlässigkeit und Genauigkeit von Meinungsäußerungen geht.
40
Ist die Frage eines im Verhältnis zu Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fließenden Mehr an Äußerungsfreiheit negativ beantwortet, bleibt die weitere Frage nach einem eventuellen Weniger. Zu fragen ist also, ob eine über die Medien erfolgende Berichterstattung Beschränkungen unterliegt, denen der Einzelne nicht unterworfen ist. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht schon in der Nordrhein-Westfalen-Entscheidung ausgeführt167, dass die institutionelle Sicherung das subjektive öffentliche Recht der im Pressewesen tätigen 162 Ähnlich BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, BGHZ 68, 331 = NJW 1977, 1288, 1289 – Abgeordnetenbestechung. 163 F. Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 136; F. Schneider, Anm. zu BGH v. 15.1.1963 – 1 StR 478/62, NJW 1963, 665. 164 BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221. 165 Seither st. Rspr., BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 283; v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco; BGH v. 9.12.2003 – VI ZR 373/02, MDR 2004, 507 = AfP 2004, 119 = NJW 2004, 762, 764. 166 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, 229 – Lüth. 167 BVerfG v. 6.10.1959 – 1 BvL 118/53, NJW 1960, 29.
34
Burkhardt/Peifer
IV. Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit
Rz. 41 Kap. 1
Personen einschließt, ihre Meinung in der ihnen geeignet erscheinenden Form ebenso frei und ungehindert zu äußern wie jeder andere Bürger168. Im Prinzip ist das zweifellos richtig. Andererseits kann die Wirkung nicht unberücksichtigt bleiben, die von der Presse und von den anderen Massenmedien ausgeht. Ganz besonders gilt das für das Fernsehen, aber auch die schnelle und virale Verbreitung von Informationen über Internetdienste. Diesem Gesichtspunkt tragen die besonderen Bindungen von Presse und Rundfunk Rechnung, insb. die von den Massenkommunikatoren einzuhaltenden Sorgfaltspflichten bei der Recherche (unten Rz. 43). Bereits in der Lebach I-Entscheidung betonte das Bundesverfassungsgericht169, dass die 41 durch eine öffentliche Darstellung bewirkte Einbuße an Personalität nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Veröffentlichung für die freie Kommunikation stehen darf. Das Bundesverfassungsgericht forderte eine Abwägung zwischen der Intensität des Eingriffs in den Persönlichkeitsbereich und dem mit der Sendung konkret wahrgenommenen Interesse. Dazu wies es darauf hin, dass auch eine um Objektivität und Sachlichkeit bemühte Fernsehberichterstattung wegen der Kombination von Bild und Ton in ihrer Reichweite i.d.R. einen weitaus stärkeren Eingriff in die private Sphäre bedeutet als eine Wort- und Schriftberichterstattung in Hörfunk oder Presse. In seiner Entscheidung zur Zulässigkeit von Fernsehaufnahmen anlässlich des Honecker-Prozesses170 wies das Bundesverfassungsgericht ferner darauf hin, dass diese Beeinträchtigungen durch den durch das Fernsehen hervorgerufenen Eindruck gesteigerter Authentizität, der Breite des Empfängerkreises und der beliebigen Wiederholbarkeit der Sendungen noch gesteigert werden könnten. Allerdings könnten diese Gefahren keine Verengung des Schutzumfangs des Grundrechts rechtfertigen, sondern nur dessen weitergehende Beschränkungen. Ob ein besonderes Schutzbedürfnis anzuerkennen ist, bleibe Frage des Einzelfalls. Das Bundesverfassungsgericht hat daher in seiner Lebach IIEntscheidung171 die Ausstrahlung eines Fernsehspiels über den Überfall auf das Munitionsdepot Lebach, bei dem vier Wachsoldaten ermordet wurden, für zulässig erachtet. Dabei lässt das Bundesverfassungsgericht offen, wie sehr sich die Fernsehbedingungen seit 1972 geändert haben. Jedenfalls gingen von dem neuen Fernsehspiel nicht die befürchteten negativen Auswirkungen einer den Täter identifizierenden Sendung aus. In dem Dokumentarspiel aus dem Jahr 1972 wurden Bilder der Täter mehrfach eingeblendet und dazu deren wahre Namen genannt. Demgegenüber wurden in dem neuen Film Namen geändert und die Täter nicht im Bild gezeigt. Das Bundesverfassungsgericht ging daher davon aus, dass mit der Ausstrahlung des neuen Films eine Identifizierungsmöglichkeit nicht verbunden sei. Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht Straftätern keinen Anspruch darauf vermittle, in der Öffentlichkeit nach einer gewissen Zeit überhaupt nicht mehr mit ihrer Tat konfrontiert zu werden, sei unter Berücksichtigung der Bedeutung der Rundfunkfreiheit die Ausstrahlung des Fernsehspiels zulässig. Im Ergebnis ist das Bundesverfassungsgericht nach wie vor der Auffassung, dass dem Fernsehen wegen der Intensität und Reichweite seiner Darstellungen ein höheres Maß an Zurückhaltung aufzuerlegen als anderen Medien sei, deren kritische Berichte die Persönlichkeit weniger nachhaltig tangieren würden172. 168 Bestätigt durch BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie. 169 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226, 1229; ebenso v. 9.2.2017 – 1 BvR 967/15, AfP 2017, 147, Rz. 15. 170 BVerfG v. 14.7.1994 – 1 BvR 1595/92, 1 BvR 1606/92, AfP 1994, 213 = NJW 1995, 184, 185. 171 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 348/98 ua., NJW 2000, 1859. 172 Vgl. BVerfG v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95 u.a., AfP 2001, 48, NJW 2001, 1633 – Gerichtsfernsehen.
Burkhardt/Peifer 35
Kap. 1 Rz. 42
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
42
Wenn das Maß der Äußerungsfreiheit nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts sogar innerhalb der Medien Abstufungen unterliegt, erscheint eine Differenzierung zwischen den Äußerungen Einzelner und denen, die durch die Medien verbreitet werden, umso unverzichtbarer. Das kommt auch in der Entscheidung Wallraff II zum Ausdruck. Der BGH erwähnte dort mit Recht173, dass z.B. der Schutz der Privatsphäre gegenüber Äußerungen eine sehr unterschiedliche Reichweite hat, je nachdem, ob Äußerungen im privaten Kreise oder in den Medien in Frage stehen. Wer einem anderen Einblick in seinen häuslichen Bereich gewährt, kann nicht verhindern, dass der Dritte seine Eindrücke und Erlebnisse mitteilt. Das gilt grds. auch für die Medien. Wer selbst private Bereiche öffnet, kann sich nicht gleichzeitig auf den Privatsphärenschutz berufen174. Schutz besteht nur, wenn situationsübergreifend und konsistent deutlich gemacht wird, eine Berichterstattung über Privates sei unerwünscht. Gleiches gilt für den Fall, dass eine einmal vorgenommene Öffnung wieder rückgängig gemacht werden soll175. Anders verhält es sich bei Äußerungen, die nicht auf einer Öffnung des privaten Bereiches für – auch nur einzelne – Medien beruhen, sondern die Kenntnis privat erlangt wurde. Die Berichterstattung über private Dinge vor einem breiten Leserpublikum hat unvergleichlich nachhaltigere und damit nachteiligere Wirkungen. Bei einer solchen Darstellung kann der Schutz der Privatsphäre durchgreifen.
42a
Die gewonnenen Erkenntnisse wurden im Zusammenhang mit dem besonderen Schutz von Kindern und familiärer Vertraulichkeit relativiert. Vormals hatte das Bundesverfassungsgericht den Schutzbereich der speziellen Freiheitsrechte wie auch des allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundsätzlich getrennt voneinander bestimmt. In der Caroline v. Monaco-Entscheidung meinte das Bundesverfassungsgericht allerdings, der Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts könne durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG in einer Situation spezifisch elterlicher Zuwendung verstärkt werden. Wie sich die Verstärkung des Persönlichkeitsschutzes durch Art. 6 GG im Einzelnen auswirke, ließe sich nicht generell und abstrakt bestimmen176, doch geht es hierbei vor allem um den Schutz minderjähriger Kinder. Die Figur der Schutzbereichsverstärkung177 findet sich in zwei weiteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts178. In allen Entscheidungen geht es nicht um die Frage, Abwägungsparameter bei der Kollision von Grundrechten zu finden. Dazu bräuchte der Schutzbereich eines Grundrechtes nicht verstärkt, d.h. erweitert werden. Die Kollision könnte auch durch das Hinzutreten weiterer verfassungsrechtlich geschützter Positionen aufgelöst werden. Das Bundesverfassungsgericht bemüht vielmehr ein weiteres Verfassungsgut, um den Schutzumfang des Grundrechts, auf das sich der Betroffene allein berufen kann, zu erweitern. Die Verstärkung des Schutzbereichs eines Grundrechts durch jenen eines anderen Grundrechts führt zu einer Vermischung der verschiedenen Schutzbereiche. Dadurch wird das Spezialitätenprinzip der Grundrechte berührt. Wie Spranger179 zu Recht kritisch bemerkt, besteht dadurch die Gefahr, dass klar definierte Grundrechtsverbürgungen zugunsten der Möglichkeit einer denk173 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366. 174 So bereits LG Berlin v. 19.11.1996 – 27 O 449/96, NJW 1997, 1155, 1156 – Pornodarsteller; ebenso BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 332/09, MDR 2012, 25 = AfP 2012, 47 Rz. 12. 175 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco. 176 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco. 177 Spranger, NJW 2002, 2074. 178 BVerfG v. 28.3.2000 – 1 BvR 1460/99, MDR 2000, 756 = NJW 2000, 2658; v. 15.1.2002 – 1 BvR 1783/99, NJW 2002, 663 – Schächten. 179 Spranger, NJW 2002, 2074.
36
Burkhardt/Peifer
IV. Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit
Rz. 43 Kap. 1
bar kreativen Grundrechtskonstruktion aufgegeben werden, indem Grundrechte mit „einem Schuss“ z.B. aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG oder „einer Prise“ z.B. aus Art. 12 Abs. 1 GG „angereichert werden“. Die Figur der Schutzbereichsverstärkung ist daher auch für die Äußerungsfreiheit und die mit ihr im Einzelfall kollidierenden Grundrechte problematisch. Welche Folgerungen aus den genannten Grundsätzen für die einzelnen Bereiche abzuleiten 43 sind, lässt sich nicht einheitlich beantworten. Allgemein lässt sich nur sagen, dass die Inanspruchnahme der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit die Beachtung der besonderen Pflichten erfordert, die sich aus der Wirkung dieser Medien ergeben180. Das hat das Bundesverfassungsgericht bereits in der Schmid-Entscheidung hervorgehoben181, in der es erwähnte, dass mit der Pressefreiheit Pflichten einhergingen, die umso ernster genommen werden müssten, je höher man das Grundrecht der Pressefreiheit einschätze. In die gleiche Richtung geht die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass der öffentlich-rechtliche und ebenso der private Rundfunk zu sachgemäßer, umfassender und wahrheitsgemäßer Information und einem Mindestmaß an gegenseitiger Achtung verpflichtet sind182. In seinem Bayer-Beschluss betonte das Bundesverfassungsgericht die besondere Sorgfaltspflicht der Presse und sonstiger öffentlich zugänglicher Quellen183. Vom Einzelnen dürfe eine vergleichbare Sorgfalt nur verlangt werden, soweit er Tatsachenbehauptungen aus seinem eigenen Erfahrungs- und Kontrollbereich aufstellt. Äußerungen der Medien erfordern also eine strengere Prüfung als Äußerungen Einzelner. Diese Festlegung gilt bis heute184. Sie ist aber problematisch geworden, seit der Laienjournalismus in Internetdiensten in der Lage ist, Informationen mit erheblicher Breitenwirkung und Reichweite, vor allem viraler Wirkung, zu verbreiten185. Auf diesem Feld finden sich vergleichbare Gefahren, wie sie durch die Verbreitung von massenkommunikativen Inhalten durch Presse und Rundfunk erzeugt werden. Man mag lediglich einwenden, dass das Vertrauen in laienjournalistische Beiträge beim Publikum noch nicht so ausgeprägt ist wie gegenüber dem professionellen Journalismus. Wenn man solche Beiträge mit medialen Freiheiten, wie sie auch die Presse genießt, ausstatten möchte186, müsste man konsequenterweise auch presseübliche Sorgfaltsmaßstäbe für solche Beiträge verlangen (vgl. auch Kap. 12 Rz. 137).187
180 BGH v. 15.4.1980 – VI ZR 76/79, MDR 1980, 746 = AfP 1980, 154 = NJW 1980, 1790. 181 BVerfG v. 25.1.1961 – 1 BvR 9/57, NJW 1961, 819. 182 BVerfG v. 28.2.1961 – 2 BvG 1, 2/60, NJW 1961, 547 – Deutschland-Fernsehen; v. 16.6.1981 – 1 BvL 89/78, AfP 1981, 398 = NJW 1981, 1774 – FRAG-Urteil. 183 BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439, 1442; Beater, Medienrecht, Rz. 1160. 184 BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480 = NJW-RR 2010, 470, Rz. 61; BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 = CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 140 Rz. 26 – Sächsische Korruptionsaffäre; Diederichsen AfP 2011, 113, 116. 185 Kujaht, Laienjournalismus, S. 65; Schierbaum, Sorgfaltspflichten, 2016. 186 So Kujaht, Laienjournalismus, S. 118 f., 227; a.A. Bronsema, Medienspezifischer Grundrechtsschutz, S. 5. 187 So Schierbaum, Sorgfaltspflichten, 2016; Rahvar, Die Zukunft des deutschen Presserechts im Lichte konvergierender Medien, 2011, S. 70; anders LG Berlin v. 11.9.2008 – 27 O 829/08, MMR 2009, 62; bestätigt durch KG v. 29.1.2009 – 10 W 73/08, MMR 2009, 482: Übernahme einer ehrverletzenden Pressemeldung in private Website durch Laienprivileg gedeckt; LG Köln v. 11.5.2011 – 28 O 72/11, IPRB 2011, 250; weitgehend bestätigt durch OLG Köln v. 22.11.2011 – 15 U 91/11, CR 2012, 116 = ITRB 2012, 79 = MMR 2012, 197.
Burkhardt/Peifer 37
Kap. 1 Rz. 44
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
V. Zensurverbot Schrifttum: Pfeifer, Zensurbehütete Demokratie – Das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 Grundgesetz, 2002; Hüper, Zensur und neue Kommunikationstechnologien, 2004; Nessel, Das grundgesetzliche Zensurverbot, 2004; Schulz/Held, Der Index auf dem Index? Selbstzensur und Zensur bei Suchmaschinen, in Machill/Beiler, Die Macht der Suchmaschinen, 2007, S. 71; Koreng, Zensur im Internet – Der verfassungsrechtliche Schutz der digitalen Massenkommunikation, 2010; von Lewinski, Staat als Zensurhelfer – Staatliche Flankierung der Löschpflichten Privater nach dem Google-Urteil des EuGH, AfP 2015, 1.
44
Die h.M. sieht im Zensurverbot kein eigenständiges Grundrecht, sondern eine Schrankenschranke, die präventive Einschränkungen der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG verbietet188. Das Bundesverfassungsgericht spricht von einer Eingriffsschranke189. Die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG dürfen auch dann nicht im Wege der Zensur beschränkt werden, wenn die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 GG vorliegen.
45
Unter Zensur i.S.d. Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG versteht die h.M. nur die Vorzensur, d.h. einschränkende Maßnahmen vor der Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerkes, insb. das Abhängigmachen von behördlicher Vorprüfung und Genehmigung seines Inhaltes190. Eine Zensur setzt eine Inhaltsprüfung voraus. Genehmigungsverfahren, die ausschließlich der Abwehr von Gefahren dienen, die unabhängig vom Inhalt sind, fallen nicht unter Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG, z.B. das Verbot, Flugblätter aus Luftfahrzeugen abzuwerfen. Die Unterscheidung zwischen Vor- und Nachzensur ist jüngst kritisiert worden. Mehrere Autoren fordern eine Ausweitung des Zensurverbots auf solche staatlichen Eingriffe, als deren Folge nicht nur ein einzelner Kommunikationsvorgang, sondern der Kommunikationsprozess insgesamt beeinträchtigt wird, dies alles mit der Folge einschüchternder Wirkung auf die Kommunikationsfreiheiten191. Diese Wirkung wird insb. bei Einwirkungen auf die Kommunikationsstruktur im Internet als bedrohlich bewertet192, mit der Folge, dass Lösch- oder Sperrpflichten für Internetzugangsvermittler oder Intermediäre wie Suchmaschinen als kritische Kandidaten für eine Zensurwirkung angesehen werden193. Die Gerichte sind dieser weitgehenden Deutung bisher zu Recht nicht gefolgt. Sie gehen auch im Übrigen mit dem Zensurverbot behutsam um194, sind aber durchaus bereit, allzu breite Zugangshürden zu unterbinden195. Die genannten Literaturtendenzen beschreiben zwar einen wichtigen Zusammenhang, letztlich geht es jedoch nur um die bei Anwendung von Eingriffen in die Äußerungsfreiheit stets zu befürchtenden abschreckenden Effekte auf die Meinungsfreiheit insgesamt. Sie lassen sich bei der Abwägung zwischen Äußerungsfreiheiten und gegenläufigen
188 Grabenwarter in Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1 GG Rz. 15; Wendt in v. Münch/Kunig, Art. 5 GG z. 66; von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Rz. 66. 189 BVerfG v. 25.4.1972 – 1 BvL 13/67, BVerfGE 33, 52. 190 BVerfG v. 25.4.1972 – 1 BvL 13/67, BVerfGE 33, 52, 72 – DEFA-Film „Der lachende Mann“; v. 14.2.1978 – 2 BvR 523/75 ua., BVerfGE 47, 198, 236 – Wahlwerbespot. 191 So Nessel, Zensurverbot, 2004. 192 Koreng, Zensur im Internet, 2010. 193 von Lewinski, AfP 2015, 1, 5; Schulz/Held, Der Index, S. 71. 194 BVerfG v. 6.2.2007 – 1 BvR 218/07, NJW-RR 2007, 1053: Ausschluss eines Fotojournalisten keine Zensurmaßnahme. 195 BGH v. 17.8.2011 – V ZB 47/11, AfP 2012, 43 = NJW-RR 2011, 1651, Rz. 12: keine Vorauswahl beim Zugang zu Grundbuchinformationen durch die Presse.
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Burkhardt/Peifer
VI. Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention
Rz. 47 Kap. 1
Rechten und der Annahme „schwerwiegender Eingriffe“ in die Medienfreiheiten berücksichtigen196. Das Zensurverbot betrifft nach h.M. nur staatliche Maßnahmen und Maßnahmen von an- 46 deren Trägern öffentlicher Gewalt197. Deswegen können Private den Anspruch geltend machen, eine rechtsverletzende Veröffentlichung zu unterlassen, noch ehe sie erfolgt ist. Ein solcher vorbeugender Unterlassungsanspruch ist trotz Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG auch gerichtlich durchsetzbar (Näheres Kap. 12 Rz. 33 ff.)198. Unter den Zensurbegriff fallen nur solche staatlichen Maßnahmen, die in einen fremden Funktionsbereich eingreifen. Keine Zensur bedeutet es also, wenn die Schulverwaltung Vorschriften über den Inhalt von Schulbüchern erlässt. Entsprechendes gilt, wenn der Rundfunkrat einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt deren Programm überwacht und für seine Gestaltung Grundsätze entwickelt. Anders könnte es sich verhalten, wenn der Rundfunkrat von Inhabern staatlicher Ämter und Mandate beherrscht wäre199. Die h.M. geht von einem formellen Zensurbegriff aus. Zensur liegt im Falle eines formellen 47 behördlichen Prüfungsverfahrens vor. Beim materiellen Zensurbegriff wird auf die von der Behörde verfolgten Motive und Absichten abgestellt. Richtiger Auffassung nach kann es auf das letztere allenfalls ankommen, wenn eine Umgehung des Zensurverbotes in Frage steht, z.B. mit Hilfe steuerlicher Maßnahmen200.
VI. Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention Art. 10 EMRK (1) Jeder hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriff öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Dieser Artikel schließt nicht aus, dass die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen. (2) Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafandrohungen unterworfen werden, wie sie vom Gesetz vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten, unentbehrlich sind. Schrifttum: Prepeluh, Die Entwicklung der Margin of Appreciation Doktrin im Hinblick auf die Pressefreiheit, ZaöRV 2001, 771; A. Busch, Freiheit und Pluralität der Medien nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2003; Holoubek, Medienfreiheit in der Europäischen Menschenrechtskonvention, AfP 2003, 193; Cremer, Zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen, EuGRZ 2004, 683; Grabenwarter, Schutz der Privatsphäre vs. Pressefreiheit, AfP 2004, 309; Mann, Auswir196 Vgl. BVerfG v. 29.8.2007 – 1 BvR 1223/07, AfP 2007, 453 = 1224/07, NJW 2007, 3197: Ausstrahlungsverbot für einen Fernsehfilm per einstweiliger Anordnung als schwerwiegender Eingriff. 197 A.A. Löffler, 3. Aufl. 1983, § 1 LPG Rz. 166. 198 Koebel, NJW 1967, 321. 199 Starck, JZ 1978, 306. 200 Vgl. BVerwG v. 28.1.1996 – VII C 128/64, BVerwGE 23, 199 betreffend die steuerliche Behandlung von Kulturfilmen.
Burkhardt/Peifer 39
Kap. 1 Rz. 48
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
kungen der Caroline-Entscheidung auf die forensische Praxis, NJW 2004, 3220; Behnsen, Das Recht auf Privatleben und die Pressefreiheit – Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Sache Hannover ./. Deutschland, ZaöRV 2005, 239; Meyer-Ladewig/Petzold, Die Bindung deutscher Gerichte an Urteil des EGMR, NJW 2005, 1; Romatka, Absolute und relative Person der Zeitgeschichte: Vom Erfolgsmodell zum Auslaufmodell?, FS Damm, 2005, S. 170; Sauer, Die neue Schlagkraft der gemeineuropäischen Grundrechtsjudikatur – Zur Bindung deutscher Gerichte an die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ZaöRV 2005, 35; Stern/ Prütting (Hrsg.), Das Caroline-Urteil des EGMR und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2005; Papier, Umsetzung und Wirkung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aus der Perspektive der nationalen deutschen Gerichte, EuGRZ 2006, 1; Pellonpää, Kontrolldichte und Kontrollfragen beim nationalen und europäischen Schutz von Freiheitsrechten in mehrpoligen Rechtsverhältnissen – Aus der Sicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EuGRZ 2006, 483; Teichmann, Abschied von der absoluten Person der Zeitgeschichte, NJW 2007, 1917; Uerpmann-Wittzack/Jankowska-Gilberg, Die Europäische Menschenrechtskonvention als Ordnungsrahmen für das Internet, MMR 2008, 83; Hoffmann-Riem, Die Caroline II-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 2009, 20; Masing, Vielfalt nationalen Grundrechtsschutzes und die einheitliche Gewährleistung der EMRK, FS Krämer, 2009, S. 61; Hong, Hassrede und extremistische Meinungsäußerungen in der Rechtsprechung des EGMR und nach dem Wunsiedel-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, ZaöRV 2010, 73; Schilling, Freiheit und Pluralität der Medien nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010; Kirchhof, Grundrechtsschutz durch europäische und nationale Gerichte, NJW 2011, 3681; Masing, Grundrechtsvielfalt und Grundrechtskonflikte im europäischen Mehrebenensystem – am Beispiel der Meinungsfreiheit, des Datenschutzes, des Rechtsschutzes gegen den Richter und bei Auslegungskonkurrenzen, EuGRZ 2011, 232; Sauer, Bausteine eines Grundrechtskollisionsrechts für das europäische Mehrebenensystem, EuGRZ 2011, 195; Kirchhof, Kooperation zwischen nationalen und europäischen Gerichten, EuR 2014, 267; Nußberger, Der freie Meinungsbildungsprozess als gefährdetes Gut in Europa, AfP 2014, 481; Haug, Die Bedeutung der EMRK in Deutschland und ihre Auslegung durch den EGMR, AfP 2016, 223; Schmahl, Der Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention: Wo liegt das Problem?, JZ 2016, 921.
1. Bedeutung von Art. 10 EMRK 48
Nach Auffassung des EGMR ist die Freiheit der Meinungsäußerung i.S.d. Art. 10 Abs. 1 EMRK eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft und eine der besten Voraussetzungen für ihren Fortschritt und für die Selbstverwirklichung des Individuums201. Die EMRK differenziert – anders als das GG – nicht nach individueller und institutioneller Meinungsäußerung, erfasst also alle kommunikativen Handlungen ebenso wie alle am Kommunikationsprozess Beteiligten202. Rundfunkveranstaltungen sind davon ebenso erfasst203 wie Filme204, Buchveröffentlichungen205, Flugblätter206 und Mitteilungen in Internetdiensten207. Auch kommerzielle Äußerungen wie Werbung sind durch Art. 10 EMRK
201 EGMR v. 26.11.1991 – Nr. 13585/88, A/216 (1991), EuGRZ 1995, 16, Rz. 59 – Observer und Guardian/Vereinigtes Königreich; EGMR v. 19.1.2006 – Nr. 59491/00, Rz. 59-60 – United Macedonian Organisation Ilinden; EGMR v. 14.2.2006 – Nr. 28793/02 – Christian Democratic Peoples’ Party. 202 EGMR v. 4.11.2014 – Nr. 30162/10 – Braun. 203 EGMR v. 21.6.2012 – Nr. 34124/06, NJW 2013, 765 – SRG. 204 EGMR v. 16.1.2014 – Nr. 45192/09, AfP 2015, 320 = NJW 2015, 763 – Tierbefreier. 205 EGMR v. 22.10.2007 – Nr. 21279/02, 36448/02, NJOZ 2009, 2203. – Lindon: „Le Procès de JeanMarie Le Pen“; EGMR v. 3.12.2015 – Nr. 30936/12 – Prompt: „Affaire Grégory“. 206 EGMR v. 17.4.2014 – Nr. 5709/09, NJW 2014, 3501 – Brosa. 207 EGMR v. 10.1.2013 – Nr. 36769/08, NJW 2013, 2735 – Ashby Donald.
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Burkhardt/Peifer
VI. Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention
Rz. 49 Kap. 1
geschützt208. Werbeeinschränkungen, etwa durch Sendeverbote, haben besondere Rechtfertigungshürden zu überwinden, wenn Werbung politische Stellungnahmen enthält209. Viele Fälle, die vom Gerichtshof zu entscheiden waren, betreffen Presse und Rundfunk, die als die klassischen „public watchdogs“ besondere Bedeutung für die Meinungsbildung haben und daher auch besonderen Schutz genießen210, und zwar auch im Hinblick auf die Durchsuchung ihrer Redaktionsräume und ihren Quellenschutz211. Insgesamt hat das Gericht eine stark demokratie- und am westeuropäischen offenen Diskursdenken orientierte Funktion der Meinungsfreiheit im Blick212. Die Unterhaltungsmedien erhalten zwar gleichfalls Schutz, ihre Berichterstattung muss aber einem öffentlichen Interesse dienen213. In den Schranken des Art. 10 Abs. 2 EMRK ist die Meinungsfreiheit nicht allein auf positive, harmlose und unbedeutende Nachrichten anwendbar, sondern auch auf solche, die beleidigen, schockieren oder stören. Das fordere der Geist des Pluralismus, der Toleranz und der Großzügigkeit, ohne den eine demokratische Gesellschaft nicht bestehen könne214. Auch die Form der Darstellung ist durch Art. 10 EMRK geschützt215. Die „Majestätsbeleidigung“ und Kritik an Politikern muss weitgehend erduldet werden216. Kritik an der Justiz darf zwar nicht in gleichem Maße personalisiert werden, wie dies bei Politikern zulässig ist, doch ist es ohne weiteres zulässig, Kritik an der Funktionsweise von Gerichten zu üben, wenn es hierfür einen Anlass gibt217. Die Bedeutung dieser das nationale Recht, auch das nationale Verfassungsrecht überwöl- 49 benden Vorschrift ist seit der Reform des EGMR durch das 11. Zusatzprotokoll im Jahre 1998, aufgrund derer der EGMR als ständig tagender Gerichtshof ausgestaltet worden ist, erheblich gestiegen. Die Zahl der Gerichtsverfahren ist seither stark angestiegen, ebenso ist die Professionalisierung des Gerichtshofs verbessert worden218. Insb. ist die Zahl der Individualbeschwerden beträchtlich gestiegen. Das Gericht hat spürbaren Einfluss auf die Rechtsprechung der deutschen Gerichte erhalten, als es den Persönlichkeitsschutz von Prominenten in der Öffentlichkeit stärkte219. Die Gerichtssprache ist Englisch und Französisch, deutsche Übersetzungen sind nicht bindend. Deutschland wird verhältnismäßig selten der Vertragsverletzung überführt, was zeigt, dass die Maßstäbe des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts durchaus ähnlich sind. In der Literatur wird teilweise von einer eigenen Medienund Kommunikationsordnung gesprochen220. Die EMRK hat in Deutschland zwar nur den
208 EGMR v. 24.2.1994 – Nr. 15450/89 – Casado Coca. 209 EGMR v. 30.6.2009 – Nr. 32772/02 – Verein gegen Tierfabriken; EGMR v. 8.11.2012 – Nr. 43481/09 – Peta-Werbung: „Der Holocaust auf dem Teller“; EGMR v. 22.4.2013 – Nr. 48876/08, NVwZ 2015, 1197 – Animal Defenders International. 210 EGMR v. 25.3.1985 – 10/1983/66/101, NJW 1985, 2885, Rz. 59 – Barthold; v. 22.11.2007 – Nr. 64752/01, NJW 2008, 2563, Rz. 57 – Voskuil. 211 EGMR v. 19.1.2016 – Nr. 49085/07, NJW 2017, 1533, Rz. 32-35, 40-49 – Görmüs¸. 212 EGMR v. 8.7.2014 – Nr. 53413/11 – S¸ik; Nußberger, AfP 2014, 481. 213 EGMR v. 10.5.2011 – Nr. 48009/08, NJW 2012, 747 – Mosley m. Anm. Frenzel, AfP 2011, 335. 214 EGMR v. 7.12.1976 – Nr. 5493/72, EuGRZ 77, 38, 42 – Handyside; v. 8.7.1986 – Nr. 12/1984/84/131, NJW 1987, 2143 – Lingens. 215 EGMR v. 23.5.1991 – 6/1990/197/257, NJW 1992, 613, 615 – Oberschlick. 216 EGMR v. 15.3.2011 – Nr. 2034/07, NJOZ 2012, 833 Rz. 50 – Otegi Mondragon; Nußberger, AfP 2014, 481, 483. 217 EGMR v. 8.1.2009 – Nr. 34736/03 – Rz. 27 – Obukhova. 218 Haug, AfP 2016, 223, 224. 219 EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00, AfP 2004, 348. 220 Holoubek, AfP 2003, 193.
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Kap. 1 Rz. 50
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
Rang eines Bundesgesetzes221, ihre Vorschriften stehen daher im Rang unter dem GG. Sie sind im Rahmen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung von den deutschen Gerichten aber nicht nur zu beachten, sondern erforderlichenfalls auch mit Vorrang vor der nationalen Instanzrechtsprechung zu behandeln222. Die Gewährleistungen der EMRK gehören in Deutschland zu den nach Art. 20 Abs. 3 GG von der öffentlichen Gewalt und den Gerichten bei der Auslegung und Anwendung nationaler Regelungen zu berücksichtigenden Rechtsvorschriften223. 2. Beschränkung des Freiheitsrechts 50
EKMR (Europäische Kommission für Menschenrechte) und EGMR gehen übereinstimmend davon aus, dass eine Beschränkung der freien Meinungsäußerung nur zulässig ist, wenn sie den Bedingungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK genügt. Das setzt voraus, dass sie – gesetzlich vorgesehen ist (Rz. 51), – einen der in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten zulässigen Zwecke verfolgt (Rz. 52) und – unter Bedachtnahme auf die Pflichten und die Verantwortung, die die Ausübung dieser Freiheit mit sich bringt, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig (verhältnismäßig) ist (Rz. 53).
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Der Eingriff muss gesetzlich vorgesehen sein. Er muss also eine Grundlage im innerstaatlichen Recht haben, die ausreichend zugänglich und mit hinreichender Genauigkeit formuliert ist, um dem einzelnen Rechtsunterworfenen die Möglichkeit zu geben, sein Verhalten ggf. unter Zuhilfenahme rechtlicher Beratung darauf einzustellen. Der Begriff der gesetzlichen Grundlage wird weit verstanden. Zu § 1 UWG 1909 (jetzt § 3 UWG 2015) hat der EGMR bemerkt224, er räume den Gerichten einen weiten Ermessensspielraum ein. Nationale Beleidigungsverbote werden typischerweise als ausreichend bestimmt angesehen225. Auch Richterrecht ist als gesetzliche Ermächtigung anzusehen226. Selbst Berufsordnungen, wie etwa das im konkreten Falle vom OLG Hamburg angewendete Werbeverbot des § 7 Berufsordnung der Hamburger Tierärzteschaft, kommen als gesetzliche Grundlage in Betracht, wenn sie innerstaatlich als solche anerkannt sind227. Im Übrigen muss der Eingriff mit dem innerstaatlichen Recht im Einklang stehen, was in erster Linie von den innerstaatlichen Behörden und Gerichten zu prüfen ist.
221 Nach Transformation, Art. 59 Abs. 2 GG. 222 Vgl. BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407, 3410 – Görgülü; Kirchhof, NJW 2011, 3681, 3683. 223 BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407. 224 EGMR v. 25.3.1985 – 10/1983/66/101, NJW 1985, 2885, 2886. 225 EGMR v. 25.11.1996 – Nr. 17419/90, Rz. 42 – Wingrove; EGMR v. 13.7.1995 – Nr. 18139/91, Rz. 41–44 – Tolstoy Miloslavski; zu § 185 StGB insb. EGMR v. 13.1.2011 – 397/07 2322/07, NJW 2011, 3353 – Hoffer: „Babycaust“. 226 EGMR v. 26.4.1979 – Nr. 6537/74, EuGRZ 1979, 386, Rz. 56 – Sunday Times: „contempt of court“ als common-law-Doktrin; v. 29.10.1992 – Nr. 14234/88; 14335/88, Rz. 59-60 – Open Door and Dublin Well Woman; v. 23.7.2009 – Nr. 12268/03 – Hachette Filipacchi Associes: Richterrecht zum Schutz der Privatsphäre. 227 Vgl. dazu BVerfG v. 9.5.1972 – 1 BvR 518/62 u.a., NJW 1972, 1504.
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Burkhardt/Peifer
VI. Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention
Rz. 53 Kap. 1
Der Eingriff muss einem zulässigen Zweck dienen. Als zulässigen Zweck bezeichnet Art. 10 52 Abs. 2 EMRK (1) die nationale Sicherheit228, (2) die territoriale Unversehrtheit, (3) die öffentliche Sicherheit, (4) die Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensbekämpfung, (5) den Schutz der Gesundheit und der Moral229, (6) den Schutz des guten Rufes, (7) den Schutz der Rechte anderer, (8) die Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Nachrichten, (9) die Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung. Damit ist eine Vielzahl von Zwecken als legitim anerkannt. Im zivilrechtlichen Bereich sind insb. Regelungen zum Schutz der Rechte anderer einschlägig, wie es z.B. bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsgeboten der Fall ist.230 Der Eingriff muss notwendig sein. Hierzu vertritt der EGMR die Auffassung, das Adjektiv 53 „notwendig“ in Art. 10 Abs. 2 EMRK sei nicht gleichbedeutend mit „unbedingt erforderlich“. Andererseits sei es nicht so flexibel wie die Ausdrücke „zulässig“, „normal“, „nützlich“, „vernünftig“ oder „zweckmäßig“. Vielmehr verweise dieser Ausdruck auf ein „dringendes soziales Bedürfnis“231 bzw. auf ein „dringendes gesellschaftliches Erfordernis“232. Die Notwendigkeit jeder Einschränkung muss durch die nationalen staatlichen Stellen überzeugend nachgewiesen werden233. Zwar haben die Vertragsstaaten einen gewissen Beurteilungsspielraum. Dieser ist jedoch insb. bei Presseberichterstattung durch das Interesse der demokratischen Gesellschaft begrenzt, die Freiheit der Presse zu sichern und zu bewahren. Der Umfang wird im Einzelfall durch den EGMR überprüft234. Der Spielraum ist etwas weiter in Bereichen, in denen es noch keinen europäischen „common ground“ gibt235 und er erlaubt kulturell begründete Abweichungen in Fragen der Moral236 und bei Verboten der Verwendung religiöser Symbole237. Die Entscheidung, ob ein bestimmter Eingriff einem „dringenden sozialen Bedürfnis“ entspricht, ob er „gemessen an dem verfolgten Zweck verhältnismäßig“ ist und ob die von den staatlichen Behörden gegebene Begründung „zutreffend und ausreichend“ ist, obliegt letzten Endes der Beurteilung durch den EGMR238. Bei Ausübung seiner Kontrollfunktion darf sich der EGMR nicht auf eine isolierte Betrachtung der gerügten Gerichtsentscheidung beschränken. Er muss diese Entscheidung im Lichte der Gesamtsituation des Falles und der Umstände prüfen, unter denen die Äußerung zustande kam239. 228 Bsp. aus Deutschland: EGMR v. 26.9.1995 – Nr. 17851/91 – Vogt: Pflicht von Beamten, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen. 229 Z.B. durch Verbot eines im Bereich Drogen- und Sexualaufklärung liberalen Schulbuchs, EGMR v. 7.12.1976 – Nr. 5493/72 – Handyside. 230 EGMR v. 25.3.1985 – 10/1983/66/101, NJW 1985, 2885, 2886. 231 EGMR v. 25.3.1985 – 10/1983/66/101, NJW 1985, 2885 – Barthold. 232 EKMR v. 7.3.1991 – Nr.14622/89, NJW 1992, 963 – Hempfing; in der amtlichen deutschen Übersetzung ist das Adjektiv allerdings nicht mit „notwendig“ angegeben, sondern mit „unentbehrlich“. 233 EGMR v. 21.1.1999 – 26/1998/929/1141, NJW 1999, 1315, 1316. 234 EGMR v. 21.1.1999 – 26/1998/929/1141, NJW 1999, 1315, 1316; v. 20.5.1999 – 21980/93, NJW 2000, 1015, 1016; Pellonpää, EuGRZ 2006, 483. 235 Prepeluh, ZaöRV 2001, 771, 775. 236 EGMR v. 21.10.2010 – Nr. 4916/07, 25924/08 und 14599/09, NVwZ 2011, 1375 – Alekseyev: Demonstration von Homosexuellen. 237 Zur Zulässigkeit des Burka-Verbotes in Frankreich: EGMR v. 1.7.2014 – Nr. 43835/11, NJW 2014, 2925 – S.A.S. 238 EGMR v. 26.4.1979 – Nr. 6537/74, EuGRZ 1979, 386, Rz. 66 – Sunday Times; v. 25.3.1985 – 10/1983/66/101, NJW 1985, 2885 – Barthold; v. 20.5.1999 – 21980/93, NJW 2000, 1015, Rz. 59 f. – Bladet Tromsø. 239 EGMR v. 8.7.1986 – 12/1984/84/131, NJW 1987, 2143, Rz. 40 – Lingens.
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Kap. 1 Rz. 54 54
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
Bei Pressekritik ist zu berücksichtigen, dass die Presse insb. im politischen Bereich nicht nur die Aufgabe hat, über Fakten zu informieren, sondern auch, sie zu bewerten240. Bei politischer Kritik ist der Zulässigkeitsrahmen besonders weit gezogen. Eingriffe sind seltener notwendig als im Privatbereich (vgl. Kap. 10 Rz. 64). Nicht als i.S.d. Art. 10 Abs. 2 EMRK notwendig hat der EGMR die Verurteilung eines Journalisten wegen übler Nachrede bezeichnet241, die auf seine Behauptung gestützt war, ein bestimmtes Verhalten des damaligen österreichischen Bundeskanzlers Kreisky sei „übelster Opportunismus, unmoralisch und würdelos“ gewesen. Auch im Übrigen ist harsche Kritik am Verhalten eines Politikers typischerweise von diesem zu dulden242. Im Fall „markt intern“ hat die EKMR243 das vom Bundesverfassungsgericht244 infolge Einsatzes von wirtschaftlichem Druck bestätigte Verbot eines Boykottaufrufes als nicht notwendig, sondern den Aufruf als durch Art. 10 EMRK gerechtfertigt angesehen. Der Fall zeigt, dass kommerzielle Äußerungen, wie auch Werbung, einerseits durch Art. 10 EMRK geschützt werden245, andererseits Werbeeinschränkungen, etwa durch Sendeverbote, besondere Hürden zu gewärtigen haben, wenn Werbung auch politische Stellungnahmen enthält246. 3. Zulässigkeit von Beschwerden, Entscheidungen des EGMR
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Seit Inkrafttreten des 11. Protokolls zur EMRK am 1.11.1998247 ist jede Person, Personengruppe oder nichtstaatliche Organisation berechtigt, selbst eine Beschwerde beim nunmehr ständig tagenden Gerichtshof einzureichen (Art. 34 EMRK). Zuvor sind jedoch die innerstaatlichen Rechtsbehelfe auszuschöpfen (Art. 35 Abs. 1 EMRK), was bspw. bereits dann der Fall ist, wenn ein Antrag auf Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Revisionsverfahrens abgelehnt wurde, weil das Revisionsgericht die Durchführung des Rechtsmittels für erfolglos gehalten hat248. Dadurch soll den Vertragsstaaten Gelegenheit gegeben werden, Verstöße, die ihnen angelastet werden, zu verhindern oder ihnen abzuhelfen, bevor der Gerichtshof angerufen wird. Die Beschwerdepunkte sind daher zuvor wenigstens der Sache nach entsprechend den nationalen Vorschriften geltend zu machen. Eine Verletzung der EMRK muss nicht ausdrücklich gerügt werden249. Die Regelung ist vielmehr mit einer „gewissen Geschmeidigkeit und ohne überzogenen Formalismus“ anzuwenden. Es genügt daher, wenn auch unausgesprochen eine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit gerügt wird. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, weist der EGMR die Beschwerde als unzulässig zurück250. 240 BVerfG v. 5.8.1966 – 1 BvR 586/62, BVerfGE 20, 162, 174. 241 EGMR v. 8.7.1986 – 12/1984/84/131, NJW 1987, 2143 – Lingens. 242 EGMR v. 17.4.2014 – Nr. 209871/10 – Mladina: „typische Haltung eines intellektuellen Bankrotteurs“. 243 EKMR v. 18.12.1987 – 10572/83, AfP 1988, 231; EGMR v. 20.11.1989, 3/1988/147/201, IIC 1990, 680. 244 BVerfG v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/80, 1 BvR 438/80, 1 BvR 437/80, AfP 1983, 267 = NJW 1983, 1181 – Denkzettel-Aktion. 245 EGMR v. 24.2.1994 – Nr. 15450/89 – Casado Coca. 246 EGMR v. 30.6.2009 – Nr. 32772/02 – Verein gegen Tierfabriken; v. 8.11.2012 – Nr. 43481/09 – Peta-Werbung: „Der Holocaust auf dem Teller“; v. 22.4.2013 – Nr. 48876/08, NVwZ 2015, 1197 – Animal Defenders International. 247 BGBl. II 1995, 578. 248 EGMR v. 26.11.2015 – Nr. 3690/10, NJW 2016, 1867 – Annen, wie sich vor dem EGMR herausstellte: zu Unrecht. 249 EGMR v. 21.1.1999 – 26/1998/929/1141, NJW 1999, 1315, 1316 – Fressoz u. Roire/Frankreich. 250 Zur Beschwerdemöglichkeit vgl. auch das Merkblatt des EGMR vom Oktober 2011, abgedruckt in StV 2012, 60, abrufbar auch über www.ehcr.coe.int.
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Burkhardt/Peifer
VI. Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention
Rz. 57 Kap. 1
Das Beschwerderecht darf nicht missbräuchlich genutzt werden (Art. 35 Abs. 3 lit. a EMRK). Ein zur Unzulässigkeit führender Missbrauch kann darin liegen, dass dem Gerichtshof wesentliche tatsächliche Veränderungen, die während des Verfahrens eingetreten sind, vom Beschwerdeführer vorenthalten werden und das Gericht dadurch getäuscht wird251. Kommt bei zulässigen Beschwerden ein freundschaftlicher Ausgleich nicht zustande, so stellt 56 der Gerichtshof nach Verhandlung und evtl. Beweisaufnahme fest, ob der Mitgliedstaat die Konvention verletzt hat. Liegt eine Verletzung vor, so setzt er eine Entschädigung für den Beschwerdeführer fest (Art. 41 EMRK). Sie muss verhältnismäßig zur Schädigung des verletzten Interesses sein252. Der EGMR kann nationale Urteile jedoch nicht förmlich aufheben, er kann allenfalls eine Konventionsverletzung feststellen (Art. 41 EMRK) und die Mitgliedstaaten zur Befolgung der Konvention anhalten (Art. 46 Abs. 1, Abs. 4 EMRK)253. Die nationalen Gerichte sind gehalten, gemäß Art. 44 i.V.m. Art. 46 EMRK die materielle Rechtskraft der Entscheidungen des EGMR zu beachten254. 4. Fallrecht Der EGMR unterscheidet – wie im deutschen Recht – Werturteile und Tatsachenbehaup- 57 tungen255. Werturteile müssen in der öffentlichen Auseinandersetzung auch dann geduldet werden, wenn sie scharf und polemisch geäußert werden, solange sie in einem kritischen Zusammenhang stehen, es also einen Anlass auch für die scharfe Sprache gab256. Im Falle Lingens257 ging es um den erwähnten, in einem Presseartikel enthaltenen Vorwurf des „übelsten Opportunismus“ und eines „unmoralischen und würdelosen Handelns“ des seinerzeitigen österreichischen Bundeskanzlers Kreisky (Rz. 54). Der EGMR hat die Verurteilung des Journalisten Lingens durch das Strafgericht in Wien als einen nicht notwendigen Eingriff und als Verletzung von Art. 10 EMRK angesehen. Im Fall Otegi Mondragon hatte ein baskischer Politiker den spanischen König als „eine echte politische Schande“ bezeichnet und ihm vorgeworfen, die Folter zu schützen und „sein monarchisches Regime unseren Leuten mit Folter und Gewalt [aufzuzwingen]“. Die einjährige Gefängnisstrafe, die ein spanisches Gericht dafür verhängte, sah der EGMR als nicht gerechtfertigten Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit an258. Tendenziell etwas schärfer urteilt der EGMR in Bezug auf pauschale Werturteile. Werturteile müssen nämlich, um gerechtfertigt zu sein, auf einer faktischen Grundlage beruhen259. Die Verurteilung eines polnischen Staatsbürgers wegen Beleidigung von Beamten260 verstößt demgegenüber nicht gegen Art. 10 EMRK, da Beamte nicht in demselben Umfang wie Politiker Kritik hinnehmen müssen261. Wer einem Bürgermeister „Rechtsbeugung“ vorwirft, ohne dass es hierfür einen Anlass gibt, möchte nicht mehr sachlich kritisieren, son251 252 253 254 255 256 257 258 259 260 261
EGMR v. 23.11.2010 – Nr. 12977/09, NJW 2011, 3145. EGMR v. 15.2.2005 – Nr. 68416/01, NJW 2006, 1255 – Steel, Morris. Masing, FS Krämer, 2009, S. 61, 63. BVerfG v. 11.10.1985 – 2 BvR 336/85, EuGRZ 1985, 654 – Pakelli; Cremer, EuGRZ 2004, 683; Sauer, ZaöRV 2005, 35, 41. EGMR v. 24.2.1997 – Nr. 19983/92, Rz. 42 – De Haes und Gijsels; v. 23.6.2009 – Nr. 17089/03, Rz. 29 – Sorguc; v. 15.4.2014 – Nr. 40877/07, NJW 2015, 779, Rz. 51 – Yazici. EGMR v. 1.10.2013 – Nr. 20147/06, Rz. 29-31 – Cholakov. EGMR v. 8.7.1986 – 12/1984/84/131, NJW 1987, 2143. EGMR v. 15.3.2011 – Nr. 2034/07, NJOZ 2012, 833, Rz. 50 – Otegi Mondragon. Obiter in EGMR v. 1.12.2009 – Nr. 5380/07, BeckRS 2016, 10852, Rz. 34 – Karsai. „Ignoranten“, „Kriminelle“, „Blödmänner“, „Dummköpfe“. EGMR v. 21.1.1999 – 11/1998/914/1126, NJW 1999, 1318 – Janowski/Polen.
Burkhardt/Peifer 45
Kap. 1 Rz. 58
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
dern diffamieren und genießt keinen Schutz nach Art. 10 EMRK262. Bei Werturteilen, die auf Tatsachen Bezug nehmen, darf es an einer angemessenen Tatsachengrundlage allerdings nicht fehlen263. 58
Bei Tatsachenbehauptungen kommt es darauf an, ob die erhobene Behauptung beweisbar ist und bewiesen wurde. Im Falle Oberschlick264 ging es um die von Oberschlick veranlasste Veröffentlichung der von ihm gegen einen österreichischen Politiker erstatteten Strafanzeige, nach der dieser Politiker Ziele wie die der NSDAP verfolge und Volksverhetzung betreibe. Da Oberschlick den Wahrheitsbeweis nicht erbracht habe, hat das LG Wien ihn verurteilt. Demgegenüber vertrat der EGMR die Auffassung, bei einem Politiker seien die Grenzen zulässiger Kritik weiter gezogen als sonst. Er müsse ein größeres Maß von Toleranz zeigen; dies besonders, wenn die Kritik auf problematischen Äußerungen des Politikers beruhe. Der EGMR hat Oberschlick zugutegehalten, dass seine Publikation eine öffentliche Diskussion ausgelöst habe. Demgegenüber wird seine Verurteilung in zwei Separatvoten mit dem Argument verteidigt, er habe nicht nur Kritik geübt, sondern seine späterhin verworfene Strafanzeige publiziert, wodurch der Eindruck entstanden sei, gegen den Politiker werde tatsächlich ein Strafverfahren durchgeführt. Ist eine Tatsachenbehauptung pauschal und abstrakt, so kann es Art. 10 EMRK verletzen, wenn aufgrund ihrer Annahme eine strafrechtliche Verurteilung wegen übler Nachrede erfolgt, weil die Äußerung zu Unrecht nicht als Werturteil behandelt wurde265. Die deutsche Regelung, wonach der Äußernde die Beweislast für die Wahrheit einer ehrverletzenden Äußerung trägt, ist mit Art. 10 EMRK vereinbar266.
59
Die EMRK besitzt eine institutionelle Intoleranz gegenüber Äußerungen, welche die Grundlage von Freiheit und Toleranz selbst erschüttern, insbesondere gegenüber der sog. Hassrede. Anders als die in Deutschland geltende Äußerungsfreiheit, nach der man auch die Grundlagen der staatlichen Ordnung in Frage stellen darf267, verbietet Art. 17 EMRK einen Missbrauch von Freiheiten. Dieses Verbot erlaubt es grundsätzlich, Äußerungen wegen ihres Inhalts stärker zu beschränken, als dies durch Art. 5 Abs. 2 GG zugelassen ist. Art. 17 EMRK wird dazu genutzt, Leugnungen oder Bagatellisierungen nationalsozialistischer Verbrechen268 und rassistische Äußerungen, also Aspekte der sog. „Hassrede“ entweder gar nicht erst unter Art. 10 EMRK zu fassen oder jedenfalls im Rahmen der Rechtfertigung nach Art. 10 Abs. 2 EMRK zu untersagen269. So hat der EGMR in einem deutschen Fall, in dem eine beschwerdeführende Organisation Israel das Existenzrecht abgesprochen und zur gewaltsamen Zerstörung des Staates und zur Ermordung seiner Einwohner aufgerufen und Selbstmordattentate gutgeheißen hatte, keinen Schutz durch Art. 10 EMRK gewährt270. Zur Schrankenlösung griff das Gericht in einem ungarischen Fall, in dem eine sog. ungarische Garde Anti-Roma262 EGMR v. 17.9.2015 – Nr. 14464/11 – Langner. 263 EGMR v. 10.7.2014 – Nr. 48311/10, AfP 2016, 24 = NJW 2015, 1501 – Axel Springer Nr. 2: Vermutung, dass deutscher Ex-Bundeskanzler Schröder Neuwahlen herbeigeführt hat, um einen lukrativen Posten beim russischen Unternehmen Gazprom anzunehmen. 264 EGMR v. 23.5.1991 – 6/1990/197/257, NJW 1992, 613. 265 EGMR v. 12.7.2016 – Nr. 50147/11, AfP 2016, 520 – Reichman. 266 EGMR v. 2.12.2014 – Nr. 18748/10, NJW 2016, 785 – Albrecht Kieser. 267 BVerfG v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300 = NJW 2010, 47 Rz. 65 – Wunsiedel; v. 28.11.2011 – 1 BvR 917/09, AfP 2012, 141 Rz. 24. 268 EGMR v. 24.6.2003 – Nr. 65831/01, NJW 2004, 3691 – Garaudy; v. 13.9.2016, Nr. 52672/13, AfP 2017, 145 – Jean Marie Le Pen; auch für Satire angewendet in EGMR v. 20.10.2015 – Nr. 25239/13, NJW-RR 2016, 1514 – Dieudonné M’Bala. 269 Hong, ZaöRV, 73, 126; Nußberger, AfP 2014, 481, 486. 270 EGMR v. 12.6.2012 – Nr. 31098/08, EuGRZ 2013, 114 – Hizb Ut-Tahrir.
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Burkhardt/Peifer
VI. Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention
Rz. 60 Kap. 1
Demonstrationen organisiert und aus diesem Anlass nicht nur schockierende Äußerungen getätigt, sondern auch physische Drohkulissen gezeigt hatte271. Dazu kontrastiert eine neuere Entscheidung, die es einem Politiker gestattete, den „Völkermord“ an Armeniern eine „internationale Lüge“ zu nennen, solange in einem strafrechtlichen Verfahren wegen dieser Äußerung nicht bewiesen ist, dass die Äußerung zu einer Störung der öffentlichen Ordnung führen konnte oder geführt hat272. Wird einem Wissenschaftler von seiner Institution bei Äußerungen, die den Holocaust leugnen, Zurückhaltung auferlegt, ist dies eine zulässige Beschränkung seiner Äußerungsfreiheit273. Streng zu trennen von Hassrede ist die schockierende, aufrüttelnde und polemisch scharfe Kritik von Politik, Staat und Gesellschaft unterwandernden Gruppen274. Sie ist regelmäßig zulässig, wenn die Form der Kritik durch ein erhebliches öffentliches Interesse gedeckt ist275. Im Vordringen sind Konstellationen, die im weitesten Sinne dem Phänomen des „Whistle- 60 blowing“ zuzuordnen sind276. Typisch dafür sind Funktionsträger wie Richter oder Beamte, die mit kritischen Informationen über ihre Beschäftigungsinstitution an die Öffentlichkeit treten oder aber auch Journalisten, die private oder vertrauliche Informationen veröffentlichen, um auf Missstände hinzuweisen, an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse besteht277. Eine russische Richterin, die als Kandidatin eines Wahlkampfes öffentlich Kritik an der Justiz und der Handhabung eines konkreten Falles durch eine Moskauer Gerichtspräsidentin geübt hatte, wurde daraufhin entlassen. Der EGMR sah diese Beschränkung ihrer Äußerungsfreiheit – wenn auch mit nur knapper Mehrheit unter den Richtern – als nicht gerechtfertigt an278. Ein ungarischer Richter durfte wegen einer kritischen Bemerkung zu einer Justizreform nicht mit einer Verkürzung seines Mandats um drei Jahre gemaßregelt werden.279. Wissenschaftler dürfen ihre eigene Institution kritisieren280. Die Verurteilung eines französischen Anwalts, der einer Untersuchungsrichterin in einem veröffentlichten Brief vorgeworfen hatte, ihr Verhalten widerspreche den Grundsätzen von Unparteilichkeit und Fairness, wurde als Verstoß gegen Art. 10 EMRK angesehen281. Im Falle des französischen Journalisten Fressoz hatte dieser im Rahmen einer öffentlichen Auseinandersetzung über Lohnforderungen der Belegschaft des Automobilbauers Peugeot darüber berichtet, dass das Gehalt des Vorsitzenden der Geschäftsführung in den Jahren 1986 bis 1988 um 45,9 % gestiegen sei. Als Beweis veröffentlichte er auszugsweise Kopien der jeweiligen Steuerbescheide. Aufgrund der Strafanzeige des Betroffenen verurteilte das Berufungsgericht Paris den Journalisten und den Herausgeber der Zeitung jeweils wegen Hehlerei von Abschriften der Steuerbescheide. Der EGMR sah in den Verurteilungen eine Verletzung von Art. 10 EMRK insbesondere wegen der besonderen Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit der Presse
271 272 273 274 275 276 277 278 279 280 281
EGMR v. 9.7.2013 – Nr. 35943/10 – Vona. EGMR v. 15.10.2015 – Nr. 27510/08, NJW 2016, 3353 – Perinçek. EGMR v. 7.6.2011 – Nr. 48135/08, NJW 2012, 1197 – Gollnisch. EGMR v. 17.1.2008 – Nr. 25145/05 – Vasilakis. EGMR v. 27.5.2001 – Nr. 26985/95, Rz. 31-35 – Jerusalem: Kritik an „sektenartigen“ Organisationen. EGMR v. 19.1.2016 – Nr. 49085/07, NJW 2017, 1533, Rz. 53-56 – Görmüs¸. EGMR v. 10.12.2007 – 69698/01, NJW-RR 2008, 1141 – Stoll; v. 24.2.2015 – Nr. 21830/09 – Haldimann. EGMR v. 28.2.2008 – Nr. 29492/05 – Kudeshkina, vgl. dort die Äußerung unter Rz. 88. EGMR v. 27.5.2014 – Nr. 20261/12 – Baka. EGMR v. 15.4.2014 – Nr. 40877/07; BGH v. 13.11.2014 – VII ZB 16/13, MDR 2015, 179 = NJW 2015, 77, Rz. 55 – Yazici. EGMR v. 23.4.2015 – Nr. 29369/10 – Morice.
Burkhardt/Peifer 47
Kap. 1 Rz. 61
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
in demokratischen Gesellschaften282. Die Freiheiten des Art. 10 EMRK gelten auch am Arbeitsplatz und begrenzen die Möglichkeiten des Arbeitgebers, wegen „Whistleblowing“ das Arbeitsverhältnis einer Altenpflegerin zu beendigen283. 61
In einem ersten – Estland betreffenden – Fall hat der EGMR auch die Haftung von Portalbetreibern für die Abrufbarkeit anonymer Äußerungen angenommen. Die Verurteilung des Betreibers zur Zahlung von Schadensersatz wegen des Hostings von erheblichen Beschimpfungen wurden nicht als Verletzung des Art. 10 EMRK angesehen. Der Betrieb von Online-Archiven fällt zwar unter den Schutzbereich des Art. 10 EMRK, doch darf den Archivbetreibern durch gerichtliche Anordnung abverlangt werden, einen Hinweis über die Rechtswidrigkeit des Ursprungsartikels anzubringen284. Dem Betreiber eines Nachrichtenportals darf zwar nicht die Pflicht zur Bearbeitung von Nutzerkommentaren vor ihrer Veröffentlichung auferlegt, jedoch darf er verpflichtet werden, beleidigende und zum Hass aufstachelnde Kommentare unverzüglich nach ihrem Erscheinen und auf Rüge der Nutzer oder der Betroffenen hin von der Website zu nehmen285. Der Verletzungsbeitrag wurde vielmehr darin gesehen, dass der Portalbetreiber anonyme Kommentare ohne Registrierung ermöglicht und damit den Schutz von Persönlichkeitsinteressen zugunsten eigener gewerblicher Vorteile gefährdet hatte286. Im Übrigen ist das Gericht ohne weiteres bereit, auch wissenschaftliche Schriftsteller in ihrer Publikationstätigkeit wie berufsmäßige Journalisten zu schützen287. Subjektiv geschützt sind zudem öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten288, die Betreiber von Internetplattformen289 und Amtsträger290. Internetäußerungen dürften in der künftigen Spruchpraxis des Gerichts eine wichtige Rolle spielen291.
62
Verbreitet die Presse herabsetzende Tatsachenäußerungen, hat sie diese i.d.R. zuvor auf ihre Richtigkeit zu überprüfen292. Interviews dürfen nicht ohne Zustimmung des Betroffenen veröffentlicht werden, wenn die Richtigkeit der übermittelten Äußerungen fraglich ist293. Die Presse darf sich jedoch grundsätzlich auf die Richtigkeit amtlicher Berichte verlassen. Der EGMR hat daher die Verurteilung einer norwegischen Zeitung und ihres Herausgebers wegen eines kritischen Berichts über die Seehundjagd, in dem unwahre Tatsachenbehauptungen enthalten waren, die jedoch aus einem Bericht des Seehundjagdinspektors stammten, als eine Verletzung des Art. 10 EMRK angesehen294. Zu erweiterten Begründungspflichten nationaler Gerichte bei Eingriffen in die Privatsphäre Prominenter führt der Entscheidungskomplex „Caroline von Hannover“. Der EGMR hat in einer in Deutschland vielbeachteten Entscheidung 2004 die pressefreundliche deutsche Rechtsprechung zur Bild-Berichterstattung über Prominente bei alltäglichen Verrichtungen (Einkaufen, Urlaubsverhalten) in der Öffentlichkeit als Verletzung des Schutzes des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8
282 283 284 285 286 287 288 289 290 291 292 293 294
EGMR v. 21.1.1999 – 26/1998/929/1141, NJW 1999, 1315 – Fressoz u. Roire/Frankreich. EGMR v. 21.7.2011 – Nr. 28274/08, NJW 2011, 3501 – Heinisch. EGMR v. 16.7.2013 – Nr. 33846/07, AfP 2014, 517 – Wgrzynowski. EGMR v. 16.6.2015 – Nr. 64569/09, GRUR-Int. 2014, 507 = NJW 2015, 2863 Rz. 159 – Delfi. EGMR v. 10.10.2013 – Nr. 64569/09, GRUR-Int. 2014, 507 = NJW 2015, 2863 – Delfi. EGMR v. 17.7.2008 – Nr. 42211/07 – Riolo. EGMR v. 7.12.2006 – Nr. 35841/02 – ORF. EGMR v. 16.6.2015 – Nr. 64569/09, GRUR-Int. 2014, 507 = NJW 2015, 2863 Rz. 110 – Delfi. EGMR v. 3.5.2007 – Nr. 1543/06 – Baczkowski. Uerpmann-Wittzack/Jankowska-Gilberg, MMR 2008, 83. Sorgfaltspflichten, EGMR v. 6.4.2010 – Nr. 45130/06, NJW-RR 2011, 981 – Ruokanen. EGMR v. 5.7.2011 – Nr. 18990/11, NJOZ 2012, 330 – Wizerkaniuk. EGMR v. 20.5.1999 – 21980/93, NJW 2000, 1015 – Bladet Tromso/Norwegen.
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Burkhardt/Peifer
VI. Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention
Rz. 63 Kap. 1
EMRK angesehen295. Solche Fotos dürfen nur verbreitet werden, wenn ihr Begleittext den Bezug zu einer öffentlichen Debatte über das Vorbildverhalten Prominenter herstellt296. Manche sehen das Urteil nur als Korrektur eines deutschen Sonderwegs an297, andere sehen darin einen folgenschweren Eingriff in die Pressearbeit298. Richtig dürfte sein, dass die Korrektur begrenzt war und gerade die Möglichkeit ergänzender Wortberichterstattung für die Pressearbeit durchaus zu bewältigende Strategien belassen hat, um gleichwohl die Vorbildund Orientierungswirkung Prominenter für Zwecke der Berichterstattung zu nutzen299. Allerdings ist die deutsche Figur der absoluten Person der Zeitgeschichte mit der Entscheidung der Geschichte überantwortet worden300. Das Privatleben von Politikern ist auch nach der Auffassung des EGMR keineswegs der öffentlichen Berichterstattung entzogen und diese kann durchaus zulässig sein, wenn es aus dem Privatleben einen publizistisch relevanten Anlass gibt301. Deren Intimsphäre ist allerdings gegen Buchveröffentlichungen geschützt302. Die deutsche Rechtsprechung, wonach Prominente die kommerzielle Nutzung ihres Na- 63 mens oder sonstiger Persönlichkeitsattribute zu dulden haben, wenn diese Nutzung aus aktuellem Anlass in satirischer oder humorvoller Weise erfolgt, ist mit Art. 10 EMRK vereinbar303. Interessanterweise hält der EGMR diese Form der Nutzung typologisch für einen Eingriff in die Privatsphäre gemäß Art. 8 EMRK, der allerdings durch Art. 10 EMRK gerechtfertigt werden kann, weil auch Wirtschaftswerbung als kommerzielle Äußerung in den Schutzbereich der Norm fällt und außerdem zur Kommentierung gesellschaftlich bewegender Ereignisse eingesetzt werden darf304. Dagegen wurde die massenhafte Weiterleitung von nach finnischem Recht öffentlich zugänglichen Steuerdaten per SMS-Dienst nicht als durch Art. 10 Abs. 2 EMRK geschützte journalistische Tätigkeit angesehen305. Mit dieser Entscheidung hat der EGMR einen ersten Pfeiler gesetzt, der für das Verhältnis zwischen Datenschutz und Äußerungsfreiheiten relevant ist (unten Rz. 69 ff.).
295 EGMR v. 24.6.2004 – Nr. 59320/00, AfP 2004, 348 m. Anm. Heldrich – Hannover, NJW 2004, 2634; hierzu statt vieler Schilling, Deutscher Grundrechtsschutz, S. 17 ff., 80 ff.; Behnsen, ZaöRV 2005, 239 sowie die Beiträge in Stern/Prütting, Das Caroline-Urteil, 2005. 296 EGMR v. 19.9.2013 – Nr. 8772/10, AfP 2013, 500 – von Hannover/Deutschland III; EGMR v. 7.2.2012 – Nr. 39954/08, NJW 2012, 1058 – Springer m. Anm. M. Lehr, GRUR 2012, 750; EGMR v. 16.1.2014 – Nr. 13258/09, NJW 2014, 3291 – Lillo-Sternberg. 297 Grabenwarter, AfP 2004, 309. 298 Mann, NJW 2004, 3220. 299 Hoffmann-Riem, NJW 2009, 20, 26. 300 Romatka, FS Damm, 2005, S. 170; Teichmann, NJW 2007, 1917. 301 EGMR v. 4.6.2009 – Nr. 21277/05, NJW 2010, 751 – Standard Verlags-GmbH: Bericht über angebliche Eheprobleme eines ehemaligen Bundespräsidenten; v. 12.6.2014 – Nr. 40454/07, AfP 2016, 413 – Couderc et Hachette Filipacchi Associés: Bericht über das nichteheliche Kind von Albert von Monaco. 302 EGMR v. 14.1.2014 – Nr. 73579/10, AfP 2014, 317 – Ruusunen, m. Anm. Klass, ZUM 2014, 261. 303 EGMR v. 19.2.2015 – Nr. 53659/09, NJW 2016, 781 – Ernst August von Hannover: Lucky StrikeWerbung mit zerknüllter Zigarettenpackung und dem Titel „War das Ernst? Oder August?“. 304 EGMR v. 19.2.2015 – Nr. 53495/09, AfP 2015, 323 – Bohlen. 305 EGMR v. 21.7.2015 – Nr. 931/13, AfP 2016, 346 – Markkinapörssi u. Satamedia.
Burkhardt/Peifer 49
Kap. 1 Rz. 64
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
VII. Art. 11 EU-Grundrechte-Charta und Art. 85 Datenschutzgrundverordnung Art. 11 EU-GrCh (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. (2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet. Art. 85 Datenschutzgrundverordnung – Verarbeitung und Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit (1) Die Mitgliedstaaten bringen durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken, in Einklang. (2) Für die Verarbeitung, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, sehen die Mitgliedstaaten Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze), Kapitel III (Rechte der betroffenen Person), Kapitel IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), Kapitel V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), Kapitel VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), Kapitel VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und Kapitel IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) vor, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen. (3) Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission die Rechtsvorschriften, die er aufgrund von Abs. 2 erlassen hat, sowie unverzüglich alle späteren Änderungsgesetze oder Änderungen dieser Vorschriften mit. Schrifttum (s. auch Nachweise vor Rz. 48): Kühling, Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, 1999; Stock, EU-Medienfreiheit, KTR 2001, 289; Stock, Medienfreiheit in der EU nur „geachtet“, EuR 2002, 566; Bär, Freiheit und Pluralität der Medien nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2005; Freise, Medienfreiheit und Medienvielfalt gem. Art. 11 Abs. 2 der Europäischen Grundrechtecharta, 2006; Neukamm, Bildnisschutz in Europa: zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten und der EMRK für die Auslegung der Unionsgrundrechte, 2007; Kokott/Sobotta, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, EuGRZ 2010, 265; Lutzhöft, Eine objektiv-rechtliche Gewährleistung der Rundfunkfreiheit in der Europäischen Union?, 2012; Chr. Schmidt, Grund- und Menschenrechte in Europa: Das neue System des Grund- und Menschenrechtsschutzes in der Europäischen Union nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und dem Beitritt der Union zur EMRK, 2013; Jarass, Charta der Grundrechte, 3. Aufl. 2016; Burchardt, Die Ausübung der Identitätskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht, ZaöRV 2016, 527; Sauer, „Solange“ geht in Altersteilzeit – Der unbedingte Vorrang der Menschenwürde vor dem Unionsrecht, NJW 2016, 1134.
1. Bedeutung der Grundrechte-Charta 64
Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) schließt einerseits an Art. 10 EMRK an (Abs. 1), geht aber andererseits über das darin formulierte Menschenrecht hinaus, indem es dem Schutz der Kommunikationsfreiheit mit Abs. 2 noch eine institutionelle Komponente306 hinzufügt. Auch Art. 11 GrCh enthält somit die aus dem GG und der EMRK bekannte objektiv-rechtliche Gewährleistung von Meinungsfreiheit als „wesentliche 306 Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vergleichbar.
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Burkhardt/Peifer
VII. Art. 11 EU-Grundrechte-Charta und Art. 85 Datenschutzgrundverordnung
Rz. 65 Kap. 1
Grundlage einer demokratischen Gesellschaft“307. Da Art. 11 Abs. 1 GrCh ausweislich der Erläuterungen zur Charta „die gleiche Bedeutung und Tragweite [hat] wie das in der EMRK gewährte Recht“308 werden auch hier Tatsachen und Werturteile geschützt, mögen sie auch scharf und polemisch vorgetragen werden. Aus diesem Grund und wegen Art. 52 Abs. 3 GrCh sind Beeinträchtigungen der Kommunikationsfreiheit an Art. 10 Abs. 2 EMRK zu messen. Wie Art. 17 EMRK verbietet Art. 54 GrCh einen missbräuchlichen Einsatz von Freiheiten. Das gibt Raum für eine Schutzbereichsausnahme oder jedenfalls einen typischerweise geringen Schutz für Hassrede und sonstige gegen die Freiheit selbst gerichtete Äußerungen (oben Rz. 48)309. Art. 11 Abs. 2 GrCh ist keine Schutzbereichsbegrenzung, sondern hat kompetenzbegrenzende Bedeutung, indem er klarstellt, dass die Ausgestaltung der nationalen Mediensysteme weiterhin in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt310. Das wird bestätigt durch Art. 51 Abs. 1 Satz 2 GrCh, der die Achtung des unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung verlangt. Diese Festlegung ist wichtig, um die Bedeutung der datenschutzrechtlichen Öffnungsklausel zugunsten der kommunikativen Freiheiten in Art. 85 DSGVO zu bemessen (unten Rz. 69 ff.). Der in Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GrCh festgelegte sachliche Schutzbereich ist enger als der in der EMRK gesteckte. Die GrCh verpflichtet nur die Unionsorgane, die Mitgliedstaaten lediglich dann, wenn diese Unionsrecht umsetzen oder ausführen311. Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1.12.2009 bekennt sich die Europäische Uni- 65 on zu den in der GrCh niedergelegten Grundrechten und erklärt diese zu europäischem Primärrecht (Art. 6 Abs. 1 EUV). Über Art. 6 Abs. 3 EUV werden zudem die Grundrechte, „wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben“ und die Grundrechte der EMRK miteinbezogen. Im Hinblick auf die Medienfreiheit lehnt sich die Charta allerdings nur an das an, was der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) auch vorher schon aus der EMRK als Bestandteil des unionsweiten Grundrechtsschutzes angesehen hat312. Die Grundrechte der Charta reflektieren insoweit „allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts“ i.S.d. Art. 6 Abs. 3 EUV. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union313 erhalten die Charta-Grundrechte eine immer größere Rolle bei der Abwägung von konfligierenden Interessen, und zwar auch zur Begrenzung der Grundfreiheiten des Vertrages, etwa im Falle eines nationalen Rundfunkmonopols, das mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar sein kann314. Nunmehr sind also drei Gerichte – EuGH, EGMR, BVerfG – an der Ausformulierung des Grundrechtsschutzes in den Staaten der Europäischen Union beteiligt315. Im Gegensatz zur EMRK sehen die Verträge eine generelle Individualbeschwerdemöglichkeit zum EuGH nicht vor. Individualrechtsschutz kann daher nur mittelbar über 307 EuGH v. 12.12.2006 – Rs. 380/03, Slg. 2006, I-11573, Rz. 154; Lutzhöft, Eine objektiv-rechtliche Gewährleistung, S. 217. 308 ABl. C 303 v. 14.12.2007, S. 17, 21. 309 Vgl. Augsberg in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 11 GRC Rz. 6. 310 Stock, EuR 2002, 566, 575 f.; Stock, K&R 2001, 289, 301 f.; Schwarze, AfP 2003, 209, 213. 311 EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, CR 2013, 336 = NJW 2013, 1415, Rz. 19 – Åkerberg Fransson; Kokott/Sobotta, EuGRZ 2010, 265, 266. 312 EuGH v. 28.10.1991 – C-219/91, Slg. 1992, I-5485, Rz. 38 – Ter Voort; v. 26.6.1997 – C-368/95, Slg. 1997, I-3689 = GRUR-Int. 1997, 823, Rz. 26 – Familiapress. 313 Bezeichnung seit 1.12.2009: EuGH. 314 EuGH v. 18.6.1991 – C-260/89, Slg. 1999, I-2925, Rz. 41-45 – ERT; entsprechend zur begrenzten Zuteilung von Sendefrequenzen aus Gründen der Pluralismussicherung: EGMR v. 7.6.2012 – Nr. 38433/09, NVwZ-RR 2014, 48 – Centro Europa 7 Srl u. Di Stefano. 315 Kirchhof, NJW 2011, 3681.
Burkhardt/Peifer 51
Kap. 1 Rz. 66
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
das Instrument der Vorabentscheidung (Art. 167 AEUV) erfolgen. Das Rangverhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und EuGH ist in Einzelfragen noch unklar316. Die sog. „Solange-Doktrin“, wonach das Bundesverfassungsgericht unionsrechtliche Rechts- oder Umsetzungsakte nicht an deutschen Grundrechten misst, „solange“ das Unionsrecht generell ein den deutschen Grundrechten im Wesentlichen gleich zu achtendes, wirksames Schutzniveau gewährleistet317, ist in dieser Formulierung überholt. Das Bundesverfassungsgericht prüft mittlerweile europäische Rechtsakte nur dann, wenn ein „kompetenzwidrige[s] Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zu Lasten der Mitgliedstaaten führt“318 oder im Fall der Verletzung der deutschen Verfassungsidentität319. Zur Verfassungsidentität in diesem Sinne (Art. 79 Abs. 3 GG) gehört die Verpflichtung zum Schutz des Wesensgehalts der Grundrechte, insb. der Menschenwürde320. Vor Annahme eines solchen Verstoßes durch ein nationales Gericht ist dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens Gelegenheit (Art. 267 AEUV) zu geben, über die unionsrechtlichen Fragen (selbst) zu entscheiden. 2. Schutzinhalt 66
Das Unionsrecht gestaltet die Ausübung der Äußerungsfreiheit zum Teil als Dienstleistungen aus. Beschränkungen von Rundfunktätigkeiten, insb. Werbebegrenzungen im Rundfunkprogramm, sind zunächst als Beschränkungen einer Grundfreiheit wahrgenommen worden321. Solche sind zulässig, wenn sie der Pluralismussicherung dienen322, aber auch wenn sie allgemein der Durchsetzung von Äußerungsfreiheiten dienen, wie der EuGH bereits vor Verkündigung der GrCh unter Rückgriff auf die Grundrechte der EMRK festgestellt hat323. Aus diesem Grunde können auch Behinderungen der Warenverkehrsfreiheit hinzunehmen sein324. Soweit Dienstleistungen Äußerungen zum Gegenstand haben, wie dies etwa bei kommerzieller Werbung der Fall ist, erfolgt eine Schutzverstärkung über Art. 10 EMRK325. Soweit Äußerungen Dienstleistungen behindern oder hierzu geeignet sind (z.B. die Kritik an Schwangerschaftsabbrüchen), kann die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit in zulässiger Weise beschränkt sein326. Damit kommt aber auch der EuGH nicht umhin, den Schutzinhalt von Äußerungen zu umschreiben. Zu diesem Zweck greift er vollumfänglich auf die „allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts“, also Art. 10 Abs. 1 EMRK und die hierzu ergangene 316 Kirchhof, EuR 2014, 267, 268. 317 Zuletzt BVerfG v. 13.3.2007 – 1 BvF 1/05, NVwZ 2007, 937 – Treibhausgas-Emissionshandel. 318 Sog. Ultra-Vires-Kontrolle, BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286, 298 f. – Honeywell. 319 Sog. Identitätskontrolle, zuletzt BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvR 2735/14, NJW 2016, 1149; Burchardt, ZaöRV 2016, 527, 544 mit FN. 48f. 320 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvR 2735/14, BVerfGE 140, 317 = NJW 2016, 1149 – juris Rz. 48. 321 EuGH v. 25.7.1991 – C-288/89, GRUR-Int. 1993, 223, Rz. 22 – Stichting Collective Antennevoorziening Gouda. 322 EuGH v. 25.7.1991 – C-353/89, CR 1992, 96 = GRUR-Int. 1993, 226, Rz. 30 – Mediawet; v. 26.6.1997 – C-368/95, GRUR-Int. 1997, 823, Rz. 26 – Familiapress; v. 22.12.2008 – C-336/07, AfP 2009, 42 = ZUM 2009, 547, Rz. 37 – Kabel Deutschland. 323 EuGH v. 18.6.1992 – C-260/89, Slg. 1999, I-2925, Rz. 41 – ERT. 324 EuGH v. 12.6.2003 – C-112/00, EuZW 2003, 592, Rz. 86 – Schmidberger: behördliche Duldung einer Brenner-Blockade durch Demonstranten. 325 EuGH v. 28.10.1992 – C-219/91, Slg. 1992, I-5485, Rz. 38 – Ter Voort; v. 12.12.2006 – C-380/03, NVwZ 2007, 561 Rz. 154 – Tabakwerbebegrenzung; v. 17.12.2015 – Rs. C-157/14, GRUR-RS 2015, 82002, Rz. 64 – Neptune. 326 EuGH v. 4.10.1993 – C-159/90, NJW 1993, 776 Rz. 30 – Grogen.
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Burkhardt/Peifer
VII. Art. 11 EU-Grundrechte-Charta und Art. 85 Datenschutzgrundverordnung
Rz. 68 Kap. 1
Rechtsprechung des EGMR, zurück327. Der Schutzinhalt des Art. 11 Abs. 1 GrCh entspricht dem des Art. 10 EMRK328. Erfasst sind „nicht nur […]‚Informationen‘ und ‚Ideen‘, die Zustimmung erfahren oder die als harmlos oder unerheblich betrachtet werden, sondern auch … sämtliche Informationen und Ideen, die den Staat oder einen Bereich der Bevölkerung beleidigen, aus der Fassung bringen oder stören“329. Insoweit kann im Wesentlichen auf oben Rz. 48 verwiesen werden. Interessanterweise schützt der EuGH im Rahmen seiner Rechtsprechung zu den Grundfrei- 67 heiten aber auch Zugangsfreiheiten, also den Aspekt der Informationsfreiheit von Rezipienten. Das zeigt sich etwa darin, dass Fernsehzuschauer durch Werbebegrenzungen vor einem Übermaß an Unterbrecherwerbung (mittelbar) geschützt werden330 oder Rundfunkveranstaltern Kurzberichterstattungsrechte zuerkannt werden331. Die Freiheit, Informationen zu erlangen, ist grundsätzlich von Art. 10 EMRK umfasst, wenngleich sie sich nicht gegen das Eigentumsinteresse von Urhebern durchsetzt, welche die Verbreitung ihrer Werke durch ausschließliche Rechte kontrollieren wollen332. Die Frage, ob Internetdiensteanbietern Pflichten zur Überwachung des Kommunikationsverkehrs auferlegt werden dürfen, beeinflusst dagegen unmittelbar die Informationsfreiheit der im Netz nach Informationen suchenden Rezipienten333. 3. Beschränkungen des Freiheitsrechts Gemäß Art. 52 Abs. 3 GrCh gilt auch für die Beschränkungen der Äußerungsfreiheiten des 68 Art. 11 GrCh Art. 10 EMRK, also steht hierbei der dortige Schrankenkatalog ebenfalls zur Verfügung334. Beschränkungen von Äußerungsfreiheiten erfordern demnach eine gesetzliche Grundlage, ein legitimes Ziel entsprechend Art. 10 Abs. 2 EMRK und die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (oben Rz. 50). Das gilt etwa für die Beschränkung von Werbeäußerungen über Arzneimittel335, wobei bei Werbeverboten, die zu einer Debatte von allgemeinem Interesse nichts beitragen, nur die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Bezug auf das Ziel der Beschränkung zu prüfen ist336. 4. Datenschutz und Äußerungsfreiheit Schrifttum (s. auch Nachweise vor Rz. 48): Lazarakos, Datenschutzrechtliches Medienprivileg, 2003; Dörr, Freies Wort, freies Bild und freie Berichterstattung vs. Datenschutz?, ZUM 2004, 536; Kloepfer, Datenschutz in Redaktionen. Bilanz und Perspektiven, AfP 2005, 118; Neunhoeffer, Das Presseprivileg im Datenschutzrecht, 2005; Placzek, Allgemeines Persönlichkeitsrecht und privatrechtlicher Informations- und Datenschutz – Eine schutzgutbezogene Untersuchung des Rechts auf informationelle 327 328 329 330 331 332 333
EuGH v. 6.3.2001 – C-274/99, Slg. 2001, I-1611, Rz. 39 – Connolly. EuGH v. 23.10.2003 – C-245/01, GRUR-Int. 2004, 242, Rz. 70 – RTL. EuGH v. 6.3.2001 – C-274/99, Slg. 2001, I-1611 Rz. 39 – Connolly. EuGH v. 23.10.2003 – C-245/01, GRUR-Int. 2004, 242, Rz. 70-75 – RTL. EuGH v. 22.1.2013 – C-283/11, IPRB 2013, 147 = AfP 2013, 123, Rz. 51 – Sky/ORF. EuGH v. 12.9.2006 – C-479/04, EuZW 2006, 662, Rz. 63-64 – Laserdisken ApS. EuGH v. 24.11.2011 – C-70/10, CR 2012, 33 = ITRB 2012, 26 = Slg. 2011, I-12006, Rz. 52 – Scarlet Extended S.A., ebenso in Bezug auf Filterpflichten EuGH v. 16.2.2012 – C-360/10, CR 2012, 265 = ITRB 2012, 75 = IPRB 2012, 98 = IPRB 2012, 74 = AfP 2012, 138, Rz. 50 – SABAM. 334 EuGH v. 25.3.2004 – C-71/02, NJW 2004, 3550 Rz. 50 – Karner. 335 EuGH v. 2.4.2009 – C-421/07, EuZW 2009, 428, Rz. 26 – Damgaard. 336 EuGH v. 2.4.2009 – C-421/07, EuZW 2009, 428, Rz. 27 – Damgaard.
Burkhardt/Peifer 53
Kap. 1 Rz. 69
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
Selbstbestimmung, 2006; Thomale, Die Privilegierung der Medien im deutschen Datenschutzrecht, 2006; Eberle, Medien und Datenschutz – Antinomien und Antipathien, MMR 2008, 508; Härting, Prangerwirkung und Zeitfaktor – 14 Thesen zu Meinungsfreiheit, Persönlichkeitsrechten und Datenschutz im Netz, CR 2009, 21; Peifer/Kamp, Datenschutz und Persönlichkeitsrecht, ZUM 2009, 185; Kamp, Personenbewertungsportale, 2011; Koreng/Feldmann, Das „Recht auf Vergessen“ – Überlegungen zum Konflikt zwischen Datenschutz und Meinungsfreiheit, ZD 2012, 311; Lorenz, Das Schriftformerfordernis für das Veröffentlichen von Bildnissen – Verhältnis der Datenschutzgesetze zum KUG, ZD 2012, 367; Masing, Herausforderungen des Datenschutzes, NJW 2012, 2305; G. Spindler, Gutachten F zum 69. Deutschen Juristentag, 2012; Hornung/Hofmann, Ein „Recht auf Vergessenwerden“? Anspruch und Wirklichkeit eines neuen Datenschutzrechts, JZ 2013, 163; Kodde, Die „Pflicht zu Vergessen“ – „Recht auf Vergessenwerden“ und Löschung in BDSG und DS-GVO, ZD 2013, 115; Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, 2013; von Danwitz, Die Grundrechte auf Achtung der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten, DuD 2015, 581; Keppeler, Was bleibt vom TMG-Datenschutz nach der DSGVP?, MMR 2015, 779; V. Schumacher/J. Spindler, Suchmaschinen und das datenschutzrechtliche Medienprivileg, DuD 2015, 606; Albrecht/Janson, Datenschutz und Meinungsfreiheit nach der Datenschutzgrundverordnung, CR 2016, 500; Benecke/Wagner, Öffnungsklauseln nach der DSGVO, DVBl. 2016, 600; Holznagel/Hartmann, Das „Recht auf Vergessenwerden“ als Reaktion auf ein grenzenloses Internet – Entgrenzung der Kommunikation und Gegenbewegung, MMR 2016, 228; Kühling/Martini/Herberlein/Kühl/Nink/Weinzierl, Die Datenschutzgrundverordnung und das nationale Recht, 2016; McCarthy, All the World’s a Stage: The European right to be forgotten revisited from a US perspective, GRUR-Int. 2016, 604; Klar, Die extraterritoriale Wirkung des neuen europäischen Datenschutzrechts, DuD 2017, 533; Lauber-Rönsberg/Hartlaub, Personenbildnisse im Spannungsfeld zwischen Äußerungs- und Datenschutzrecht, NJW 2017, 1057; Paal/Hennemann, Online-Archive im Lichte der Datenschutz-Grundverordnung, K&R 2017, 18.
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Datenschutzrechtliche Probleme tauchten im journalistisch-redaktionellen Bereich in der Vergangenheit nur in sehr beschränktem Maße auf. Die Pressearbeit war durch § 41 BDSG weitgehend aus dem Schutzsystem des Datenschutzrechts ausgenommen und der Mediengesetzgebung der Länder überantwortet337. Ob ein solches „Medienprivileg“ aufgrund des starken verfassungs- und unionsrechtlichen Schutzes der journalistischen Arbeit im Verhältnis zum Datenschutzrecht zu rechtfertigen ist oder die Medienfreiheiten gleichwertig gegenüber dem Schutz personenbezogener Daten abgewogen werden müssen338, schien zuletzt nur eine akademische Frage zu sein. Sie stellt sich neuerdings aber wieder. Denn seit dem 25.5.2018 kommt die am 14.4.2016 verabschiedete Datenschutz-Grundverordnung (EU) 2016/679 (DSGVO) in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union unmittelbar zur Anwendung und ersetzt in Deutschland das BDSG weitgehend. Sie legt über sämtliche Verarbeitungsvorgänge, die personenbezogene oder personenbeziehbare Informationen nutzen, einen Schutzmantel, der rechtstechnisch als Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet ist und insoweit gerade nicht von einer gleichberechtigten Abwägung ausgeht. Mit dieser Neuerung verbindet sich die Befürchtung gravierender Eingriffe in die Äußerungsfreiheiten, sofern bei deren Ausübung personenbezogene Informationen verarbeitet werden339. Die Wirkung der DSGVO reicht zudem über die Europäische Union hinaus, weil sie jedenfalls für den grenzüberschreitenden Datentransfer Mindeststandards setzt, die auch Zielländer einer Datenübertragung einhalten müssen. Hinzu kommt, dass bereits nach der vor Inkrafttreten der DSGVO geltenden Rechtslage Datenabrufe innerhalb der Europäischen Union zur Anwendbarkeit des Unionsrechts führten, selbst wenn die Server, von de337 Dazu Dörr, ZUM 2004, 536; Eberle, MMR 2008, 508; Kloepfer, AfP 2005, 118 und monografisch Lazarakos, Medienprivileg, 2003; Neunhoeffer, Presseprivileg, 2005. 338 So richtig Albrecht/Janson, CR 2016, 500, 502. 339 Härting, CR 2009, 21; Feldmann, AnwBl. 2011, 250; Masing, NJW 2012, 2305.
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Burkhardt/Peifer
VII. Art. 11 EU-Grundrechte-Charta und Art. 85 Datenschutzgrundverordnung
Rz. 71 Kap. 1
nen aus die Daten abgerufen werden, außerhalb der Union lokalisiert sind und eine Niederlassung des Verantwortlichen im EU-Territorium fehlte340. Das Unions-Datenschutzrecht erfährt insoweit eine extraterritoriale Anwendung. Bestätigt wird dies nun durch die ausdrückliche Verankerung des sog. Marktortprinzips in Art. 3 Abs. 2 DSGVO341. Der Datenschutz erhält damit für die Reichweite der Äußerungsfreiheiten eine hohe Relevanz, die es erfordert, Datenschutzfragen auch im vorliegenden Handbuch zu erörtern. Das wird zudem durch die Beobachtung getragen, dass der EuGH äußerungsrechtliche Fälle bisher überwiegend über das Datenschutzrecht löst. Die DSGVO enthält – wie auch bereits Art. 9 der bis 2018 geltenden Datenschutzrichtlinie 70 95/46/EG – eine Öffnungsklausel, aufgrund derer die Mitgliedstaaten das Datenschutzrecht „mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken, in Einklang“ bringen müssen (Art. 85 Abs. 1 DSGVO). Da die DSGVO zahlreiche solcher Klauseln enthält, bleibt es zwar bei ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit in den Mitgliedstaaten, doch bedarf es nationaler Vorschriften, um die vom Normgeber der DSGVO bewusst belassenen Lücken zu füllen. Diesem Zweck dient zum Teil das Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 v. 30.6.2017342, das ebenfalls am 25.5.2018 in Kraft getreten ist. Allerdings füllt das DsAnpUG den von Art. 85 DSGVO belassenen Raum nicht aus, da die Gesetzgebung im Bereich der Medien in den Zuständigkeitsbereich der Bundesländer fällt (Art. 30, 70 GG). Die DSGVO verpflichtet in Art. 85 Abs. 1 DSGVO die Mitgliedstaaten zunächst bei Regeln über die Nutzung personenbezogener Informationen Gesichtspunkte der freien Meinungsäußerung und Informationsfreiheit zu berücksichtigen. Zudem dürfen nach Art. 85 Abs. 2 DSGVO die Mitgliedstaaten „Abweichungen und Ausnahmen“ vorsehen, „wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen“. Diese Ausnahmen beziehen sich u.a. auf die Betroffenenrechte, das System der Aufsichtsbehörden und einige Grundsatzbestimmungen, etwa die über die Einwilligung. Vorschriften, die solche „Abweichungen oder Ausnahmen“ vorsehen, sind einschließlich späterer Änderungen gegenüber der Europäischen Kommission zu notifizieren (Art. 85 Abs. 3 DSGVO). Die Reichweite dieser Öffnungsklausel wird heftig diskutiert343. Unstreitig dürfte zunächst 71 sein, dass es keine vollständige Bereichsausnahme für massenkommunikative Publikationen gibt, sofern Veröffentlichungen personenbezogene Daten enthalten. Vorschläge, das eigentliche Datenschutzrecht auf seine historische Grundidee, den Individualaustausch von Daten zwischen verantwortlichen Institutionen (z.B. Auskunfteien) zu begrenzen und Veröffentlichungen nicht dem strengen datenschutzrechtlichen Verbotsprinzip mit Einwilligungsvorbehalt zu unterwerfen344, haben sich nicht durchgesetzt. Diese grundlegende Weichenstellung führt dazu, dass alle nationalen Regeln, welche die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung (wie z.B. auch die Verbreitung) personenbezogener Informationen zum Gegenstand haben, in den Anwendungsbereich der DSGVO fallen und insb. die Ansicht, dass etwa KUG und TMG 340 Vgl. EuGH v. 13.5.2014 – C-131/12, CR 2014, 460 = ITRB 2014, 150 = IPRB 2014, 171 = AfP 2014, 245, Rz. 55 – Google Spain. 341 Hierzu Klar, DuD 2017, 533. 342 DsAnpUG-EU, BGBl. I 2097. 343 Ausführlich Cornils, Das datenschutzrechtliche Medienprivileg unter Behördenaufsicht?, 2018; Hornung/Hofmann, JZ 2013, 163, 170; Benecke/Wagner, DVBl. 2016, 600, 602. 344 Kamp, Personenbewertungsportale, 2011, S. 130; Peifer/Kamp, ZUM 2009, 185.
Burkhardt/Peifer 55
Kap. 1 Rz. 72
Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
Spezialregelungen seien, die den datenschutzrechtlichen Bestimmung vorgingen345, in dieser Allgemeinheit nicht mehr haltbar ist. Das bedeutet zwar bei Weitem nicht, dass solche Regeln nicht beibehalten werden dürfen, jedenfalls aber werden sie durch die DSGVO überlagert346. Dabei müssen sie sich – soweit sie journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken dienen – an Art. 85 Abs. 2 DSGVO messen lassen und notifiziert werden (Art. 85 Abs. 3 DSGVO). Derzeit betrifft dies die Regeln des KUG, des TMG, aber auch die Regeln über den Persönlichkeitsschutz, die zu § 823 Abs. 1 BGB entwickelt wurden, sowie die urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen der §§ 44a ff. UrhG. Selbst Vorschriften wie § 13 MarkenG mögen notifizierungspflichtig sein. Im Übrigen ermöglicht Art. 85 Abs. 1 DSGVO generell die Berücksichtigung von Äußerungsfreiheiten bei der Bestimmung und Begrenzung des Schutzumfangs datenschutzrechtlicher Gebote. Bereits in der Vergangenheit waren die Vorschriften über das klassische Medienprivileg datenschutzrechtlich angebunden, also über § 41 BDSG (für die Presse und die Deutsche Welle) und über den nunmehr durch das 16. RundfunkänderungsG vom 8.5.2018 reformierten § 57 RStV (für redaktionelle Telemedien, siehe auch den neu eingefügten § 9c RStV speziell für die Rundfunkveranstaltung). Im Rahmen der Anpassung des deutschen Datenschutzrechts an die DSGVO hat der Bundesgesetzgeber auf ein Medienprivileg nach dem Vorbild des § 41 BDSG verzichtet, insb. weil nach Verlust der Rahmenkompetenz für das Pressewesen die Länder in diesem Bereich zuständig sind347. Zuständig bleibt der Bundesgesetzgeber für die Deutsche Welle. Im Gesetz über die Deutsche Welle fehlt derzeit noch eine entsprechende Regelung. Im Übrigen mussten der RStV, die Landesmedien- und Landespressegesetze nicht nur angepasst, sondern auch durch den Bund348 notifiziert werden, was bisher (Juni 2018) nicht geschehen ist. Der Bund müsste zudem zumindest KUG und TMG notifizieren. Die Grundrechtskontrolle würde grundsätzlich nach dem Unionsrecht (GrCh/EMRK) erfolgen. Dort, wo allerdings die pluralismussichernde Kompetenz der Mitgliedstaaten auf dem Spiel steht, also in Deutschland beim Kern der ordnenden Funktion des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, wäre seitens der Mitgliedstaaten jedenfalls eine eigene verfassungsrechtliche Kontrolle erforderlich. In Deutschland betrifft dies die Sicherung der Verfassungsidentität und den Wesensgehalt der Grundrechte, insb. der Menschenwürde (oben Rz. 65). 72
Sachliche Anwendungsvoraussetzung der datenschutzrechtlichen Regeln ist, dass auf natürliche Personen bezogene Daten erhoben, gespeichert, verarbeitet oder sonst genutzt werden (siehe Art. 2 Abs. 1, 4 Nr. 1, 2 DSGVO). Eine Begrenzung auf elektronische Datenbanken gibt es nicht, auch analoge Vorgänge werden erfasst, solange Informationen in Dateien gespeichert werden, denn gemäß Art. 4 Nr. 2 DSGVO kann eine Datenverarbeitung sowohl mit als auch ohne Hilfe automatisierter Verfahren erfolgen. Damit ist selbst ein Zettelkasten mit Redaktionsdaten erfasst. Nicht erfasst sind dagegen die personenbezogenen Daten juristischer Personen und Verstorbener (siehe Art. 4 Nr. 1 und Erwägungsgrund 27 der DSGVO). Fachlich fallen allerdings die Arbeit der Redaktionsarchive, der Journalisten und der gesamte Vorgang der Veröffentlichung von Redaktionsergebnissen unter den Anwendungsbereich des Datenschutzrechts. Nach der Mechanik des Rechtsgebietes würde damit zunächst ein Datenverarbeitungsverbot greifen, das nur durch Einwilligung oder eine gesetzliche Ermächtigung 345 BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13, MDR 2015, 1082 = AfP 2015, 358 = CR 2015, 453 m. Anm. Werkmeister/Schröder = ITRB 2015, 133 = NJW 2015, 2140 Rz. 16, 25; Lorenz, ZD 2012, 367, Lauber-Rönsberg/Hartlaub, NJW 2017, 1057, 1059. 346 Zum TMG Keppeler, MMR 2015, 779; zum KUG OLG Köln v. 18.6.2018 – 15 W 27/18 (unten Rz. 74). 347 Benecke/Wagner, DVBl. 2016, 600, 602. 348 Auernhammer/von Lewinsky, DSGVO, Art. 85 Rz. 25.
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Burkhardt/Peifer
VII. Art. 11 EU-Grundrechte-Charta und Art. 85 Datenschutzgrundverordnung
Rz. 74 Kap. 1
überwunden werden kann. Eine gesetzliche Ermächtigung hierzu zu schaffen, liegt nach Art. 85 Abs. 2 DSGVO in der Befugnis (allerdings auch in der Pflicht) der Mitgliedstaaten. Das Medienprivileg bisheriger Art taucht damit als Ausfüllung der Öffnungsklausel nach 73 Art. 85 Abs. 2 DSGVO wieder auf. Technisch stellen die bisherigen nationalen Regelungen in den Landesmediengesetzen und im RStV sowie in BGB, KUG, TMG und UrhG solche Ausfüllungsgesetze dar. Ob sie zureichend sind, hängt allerdings vor allem davon ab, ob die in ihnen genannten Anforderungen an die Nutzung personenbezogener Informationen „erforderlich“ sind, „um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen“ (Art. 85 Abs. 2 DSGVO mit Erwägungsgrund Nr. 153). Die Formulierung ist einerseits breit genug, um nicht nur das enge journalistisch-redaktionelle Schaffen zu erfassen, sondern auch bestimmte individuelle Meinungsäußerungen, soweit diese etwa in sozialen Medien, in WebTagebüchern (Blogs) oder anlässlich von Internetbewertungen erfolgen, vor allem auch die künstlerische und literarische Äußerung zu erfassen349. Schon in der Vergangenheit wurde das auf journalistische Tätigkeiten begrenzte Redaktionsgeschehen durchaus weit verstanden. Die DSGVO geht und der EuGH ging bisher stets davon aus, dass der Begriff des journalistischen Zwecks weit zu interpretieren ist, also keineswegs nur die berufliche Redaktionsarbeit, sondern auch den Laienjournalismus erfasst. Jede zu enge Begrenzung würde sich im Übrigen auch an den Unionsgrundrechten stoßen. Fallrecht hierzu ist bereits vorhanden. Das OLG Köln hat in einer ersten Entscheidung nach 74 Inkrafttreten der DSGVO zur Zulässigkeit von Bildaufnahmen in einem Fernsehbeitrag festgehalten, dass Art. 85 DSGVO eine Öffnungsklausel nicht nur für neue Gesetze, sondern auch für bestehende Regelungen – soweit sie sich einfügen – enthalte. Die Zulässigkeit der Datenverarbeitung bestimme sich nach dem in §§ 9c, 57 RStV enthaltenen und europarechtskonformen Medienprivileg. Zudem könnten das Äußerungsrecht (§ 823 Abs. 1 BGB i.V.m. APR) und das KUG die notwendige Abwägungs- und Ausgleichsfunktion zur Herbeiführung praktischer Konkordanz widerstreitender Grundrechtspositionen auch unter Berücksichtigung der Unionsgrundrechte übernehmen350. Auf die fehlende Notifikation ging das Gericht nicht ein. Der EuGH hat die Übermittlung von öffentlich zugänglichen Steuerdaten in SMS-Diensten als potentiell journalistische Tätigkeit angesehen, die Beurteilung im Einzelfall aber dem jeweiligen Mitgliedstaat, in jenem Fall Finnland, überlassen351. Dessen Gerichtsbarkeit wählte eine engere Herangehensweise, indem sie nachgehend zum selben Sachverhalt entschied, dass die bloße Datenübermittlung mangels hinreichendem öffentlichen Interesse keine journalistische Relevanz habe352. Ungewichtet blieben dabei zum einen der Umstand, dass die Daten bereits öffentlich zugänglich waren, und zum anderen die Bedeutung der Informationsfreiheit von Nutzern. In seiner berühmten Google-Spain-Entscheidung hat der EuGH die Tätigkeit von Redaktionsarchiven mit offenem Zugang unangetastet gelassen353, allerdings die Hinführung von Nutzern durch die Betreiber von Such349 Roßnagel/Hodin, Europäische Datenschutzgrundverordnung, 2017, S. 265; ebenso EuGH v. 16.12.2008 – C-73/07, CR 2009, 229 m. Anm. Härting = EuZW 2009, 108, Rz. 58 – Markkinpörssi/Satamedia. 350 OLG Köln v. 18.6.2018 – 15 W 27/18 – juris Rz. 5 f., 8. 351 EuGH v. 16.12.2008 – C-73/07, CR 2009, 229 m. Anm. Härting = EuZW 2009, 108, Rz. 58-60 – Markkinapörssi/Satamedia. 352 EGMR v. 21.7.2015 – Nr. 931/13, AfP 2016, 346 Rz. 71-73 – Markkinapörssi. 353 Ebenso OLG Celle v. 29.12.2016 – 13 U 85/16, CR 2017, 408 = MDR 2017, 275 = AfP 2017, 90 = ITRB 2017, 53 = K&R 2017, 203.
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Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 11 EU-GrCh
maschinen als Verstoß gegen datenschutzrechtliche Verwendungsverbote angesehen354. Auch in diesem Fall wurde die Informationsfreiheit der Nutzer nicht gewichtet, eine Schwäche, die insb. im US-amerikanischen Schrifttum zum Anlass genommen wurde, die Entscheidung für einen zensurgleichen Eingriff in die Äußerungsfreiheiten zu halten, der am Maßstab des Ersten Zusatzartikels der US-Verfassung nicht haltbar wäre355. In Deutschland wurde die Bewertung von Lehrern in einem algorithmisch arbeitenden Portal nicht als journalistisch angesehen, wohl aber als durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt356. Kommunalen Wählervereinigungen wurde für ihre Webseite kein Presseprivileg zugestanden357. Eine Sammlung von Gebäudeaufnahmen in einem Stadt-Bilderbuch mit historischen Gegenüberstellungen verschiedener Bauepochen wurde hingegen unter die Pressefreiheit gefasst358. Die Fälle deuten bereits an, dass das Datenschutzrecht in den kommenden Jahrzehnten einen erheblichen Einfluss auf das Äußerungsrecht erhalten wird. Dieser Einfluss wird allerdings stärker bei Intermediären ohne redaktionelle Ambition und bei Laienäußerungen als bei den etablierten Mediendiensten zu spüren sein.
354 EuGH v. 13.5.2014 – C-131/12, CR 2014, 460 = ITRB 2014, 150 = IPRB 2014, 171 = AfP 2014, 245 – Google Spain. 355 McCarthy, GRUR-Int. 2016, 604; kritisch aus europäischer Sicht: Koreng/Feldmann, ZD 2012, 311; Kodde, ZD 2013, 115; von Lewinsky, AfP 2015, 1; Holznagel/Hartmann, MMR 2016, 228; Paal/Hennemann, K&R 2017, 18. 356 BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, AfP 2009, 401 = CR 2009, 593 = MDR 2009, 1038 = ITRB 2009, 195 = ZUM 2009, 753, Rz. 20-21 – spickmich.de. 357 BVerwG v. 29.10.2015 – 1 B 32.15, ITRB 2016, 76 = CR 2016, 154; VGH Bayern v. 25.3.19215 – 5 B 14.2164, ZD 2015, 324, Rz. 19-22. 358 LG Köln v. 13.1.2010 – 28 O 578/09, AfP 2010, 198 = CR 2010, 198 = ITRB 2010, 101 = NJOZ 2010, 1933 – Stadt-Bilderbuch.
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2. Kapitel Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG I. Ausstrahlung der Grundrechte auf das Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Ausstrahlungswirkung und verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . .
2
2. Ausstrahlungswirkung im Falle des Art. 5 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . II. Grundrechtsschranken nach Art. 5 Abs. 2 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Äußerungsrecht von Richtern . . . . . .
38
6. Äußerungsrecht von Rechtsanwälten
41
7. Äußerungsrecht von Beschuldigten .
45
8. Äußerungsrecht von Ärzten . . . . . . . .
46
7
IV. Schranken aufgrund zivilrechtlicher Vertragsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . .
50
11
1. Gesellschaftsverhältnis . . . . . . . . . . . .
51
1. Allgemeine Gesetze . . . . . . . . . . . . . . .
12
2. Dienst- und Arbeitsverhältnis . . . . . .
53
2. Gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend . . . . . . . . . . . . . . .
3. Exklusivverträge . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
19
4. Sperrfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
3. Recht der persönlichen Ehre . . . . . . .
20
III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse . . . . . . . . . .
5. Unterlassungspflicht aufgrund sonstiger Vertragsverhältnisse . . . . . .
71
23
1. Äußerungsrecht von Körperschaften und öffentlichen Verbänden . . . . . . .
V. Verpflichtung zur Berichterstattung und zum Senden . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
23
1. Vertragliche Verpflichtungen . . . . . . .
75
2. Äußerungsrecht von Abgeordneten .
24
2. Wahlwerbesendungen . . . . . . . . . . . . .
76
3. Äußerungsrecht von Staatsorganen und Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
4. Äußerungsrecht von Soldaten . . . . . .
36
3. Gesetzliche Verpflichtungen . . . . . . . a) Zivilrechtliche Erörterungspflicht. . b) Verlautbarungsrecht . . . . . . . . . . . .
79 79 80
Schrifttum: Häntzschel, Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung und die Schranken der allgemeinen Gesetze des Art. 118 Abs. 1 der Reichsverfassung, AöR 10 (1926), 28; Dürig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, FS Nawiasky, 1956, S. 156; Laufke, Vertragsfreiheit und Zivilrecht, FS Heinrich Lehmann, 1956, Bd. I, S. 145; Bettermann, Die allgemeinen Gesetze als Schranken der Pressefreiheit, JZ 1964, 601; Boehmer in Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. II, 2. Aufl. 1968, S. 422. Schwarz, Der Begriff der „Allgemeinen Gesetze“ in Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes, 1970; Starck, Herkunft und Entwicklung der Klausel „allgemeine Gesetze“ als Schranke der Kommunikationsfreiheiten in Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes in Im Dienst an Recht und Staat, FS W. Weber, 1974, S. 189; Grimm, Die Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1995, 1697; Schmitt-Glaeser, Meinungsfreiheit, Ehrenschutz und Toleranzgebot, NJW 1996, 873; Kulick, „Drittwirkung“ als verfassungskonforme Auslegung – Zur neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 2016, 2236; Barczak, Konstitutionalisierung der Privatrechtsordnung, in Scheffczyk/Wolter (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 4, 2017, S. 91.
I. Ausstrahlung der Grundrechte auf das Zivilrecht Die Grundrechte sind im Ausgangspunkt Freiheitsrechte gegenüber dem Staat. Damit ergibt 1 sich die Frage, ob sie für den zivilrechtlichen Bereich überhaupt Bedeutung haben. Wird
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Kap. 2 Rz. 2
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
diese Frage bejaht, stellt sich sogleich die weitere, welchen Schranken der Grundrechtsschutz unterliegt. Diese Fragen werfen Probleme auf, deren Durchdringung nicht einfach ist. 1. Ausstrahlungswirkung und verfassungskonforme Auslegung 2
Da die Grundrechte im Ausgangspunkt Abwehrrechte gegenüber dem Staat sind, stehen sie in Gegensatz zum bürgerlichen Recht, das die Rechtsverhältnisse der Bürger untereinander regelt1. Hätte es damit sein Bewenden, bestünden zwischen dem Grundrechtsschutz und dem bürgerlichen Recht keinerlei Berührungspunkte. Für Ansprüche, die Bürger untereinander geltend machen, wäre der Grundrechtsschutz ohne Belang2.
3
Verschiedentlich ist ein wesentlich anderes Grundrechtsverständnis entwickelt worden, nämlich die Auffassung, die Grundrechte hätten eine Drittwirkung in dem Sinne, dass sie im Verhältnis der Bürger untereinander ebenso zu beachten seien wie im Verhältnis der Bürger zum Staat. Folglich sei z.B. eine letztwillige Verfügung nichtig, wenn sie jemanden wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache oder aus ähnlichen Gründen benachteiligt oder bevorzugt3. Legt man den Grundrechten eine solche unmittelbare Wirkung bei, steht jedem eine prinzipiell unbegrenzte Äußerungsfreiheit zu. Schranken bestünden nur im Falle des Eingreifens eines durch Art. 5 Abs. 2 GG legitimierten allgemeinen Gesetzes bzw. einer Bestimmung zum Schutze der Jugend oder des Rechtes der persönlichen Ehre.
4
Das Bundesverfassungsgericht ist weder der einen noch der anderen Ansicht uneingeschränkt gefolgt. Es hat sich unter allgemeiner Billigung einer von Dürig entwickelten Auffassung angeschlossen4. Nach der sog. Lüth-Formel sind die Grundrechte zwar in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des Einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern. Andererseits will das Grundgesetz keine wertneutrale Ordnung sein. Durch den Grundrechtsabschnitt ist eine objektive Wertordnung errichtet worden, die Ausstrahlungen nicht nur auf das öffentliche, sondern auf das gesamte Recht und mithin auch auf das bürgerliche Recht hat. Das bürgerliche Recht ist deswegen im Geiste der Grundrechte auszulegen und anzuwenden. Vornehmlich die wertausfüllungsfähigen und -bedürftigen Generalklauseln und sonstigen Begriffe des Privatrechts werden durch die grundrechtliche Wertordnung beeinflusst. Damit misst das Bundesverfassungsgericht den Grundrechten zwar eine Drittwirkung zu, aber eine nur mittelbare.
5
Bereits die Annahme einer nur mittelbaren Drittwirkung erfordert, dass die Fachgerichte bei ihrer Entscheidung dem Einfluss der Grundrechte auf das bürgerliche Recht Rechnung zu tragen haben5. Das Bundesverfassungsgericht hat in jüngerer Zeit hinzugefügt, dass Grundrechte nicht nur objektive Wertgrundlagen reflektierten, sondern auch einen Schutzauftrag zugunsten Privater enthalten, insb. den Staat und seine Organe sowie Gerichte dazu verpflichten, den Einzelnen vor Persönlichkeitsgefährdungen durch Dritte zu schützen6. Ein Streit zwi1 BVerfGE 128, 126, Rz. 48. 2 Vgl. die Übersicht von Dürig, FS Nawiasky, 1956, S. 156 ff.; Laufke, FS Heinrich Lehmann, 1956, Bd. I, S. 145 ff. 3 Boehmer in Die Grundrechte, Bd. II, S. 422. 4 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 = NJW 1958, 257 – Lüth; Dürig, FS Nawiasky, 1956, S. 156, 176. 5 Std. Rspr., u.a. BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung. 6 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93 ua., NJW 1998, 1381 – Gegendarstellung auf Titelseite; v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein.
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Burkhardt/Peifer
I. Ausstrahlung der Grundrechte auf das Zivilrecht
Rz. 6 Kap. 2
schen Privaten bleibt materiell und prozessual ein bürgerlicher Rechtsstreit7, doch haben die ordentlichen Gerichte stets grundrechtlich verbürgte Positionen Privater gegeneinander abzugrenzen. „Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Normen ist nicht auf die Generalklauseln beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften“8. Insoweit tritt die verfassungskonforme Auslegung jeder Zivilrechtsnorm an die Stelle der früher auf die Generalklauseln des Zivilrechts beschränkten mittelbaren Drittwirkung9. Für die Abwägung zwischen Äußerungsfreiheiten und Persönlichkeitsinteressen ergibt sich hieraus allerdings keine deutliche Akzentverschiebung, denn hier hatten es die ordentlichen Gerichte stets mit offenen, generalklauselartigen Rechten zu tun, so dass die betroffenen Grundrechte auch stets interpretationsleitend zu berücksichtigen waren10. Damit sind zugleich die gerichtlichen Kompetenzen abgesteckt. Den ordentlichen Gerich- 6 ten ist die Auslegung und Anwendung des von der grundrechtlichen Wertordnung beeinflussten einfachen Rechts zugewiesen. Die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu überprüfen. Ihm obliegt lediglich, die Beachtung der grundrechtlichen Normen und Maßstäbe durch die Fachgerichte sicherzustellen11. So wie die Fachgerichte unbeschadet der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte allein auf der Grundlage des Zivilrechts zu entscheiden haben, entscheidet das Bundesverfassungsgericht allein auf der Grundlage der Verfassung. Das ist allerdings nicht immer streng beachtet worden. So hat das Bundesverfassungsgericht mit der Lebach I-Entscheidung einem vom Landund OLG zurückgewiesenen Verfügungsantrag selbst entsprochen12. Wenn die Grundrechte im Privatrechtsverkehr keine unmittelbare Geltung haben, sondern in der Zivilrechtsordnung lediglich interpretationsleitend sind, und wenn das Bundesverfassungsgericht allein das im Privatrechtsverkehr nicht unmittelbar wirksame Verfassungsrecht anzuwenden hat, ist ihm die Möglichkeit versagt, über zivilrechtliche Streitigkeiten selbst zu entscheiden. Gelegentlich hebt das Bundesverfassungsgericht Zivilrechtsurteile im Falle eines Verfassungsverstoßes auf und verweist den Rechtsstreit mit dem Hinweis an das Zivilgericht zurück, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Fachgericht bei Beachtung der jeweils dargelegten verfassungsrechtlichen Grundlage zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre13. Das ist konsequent. Wenn zivilrechtliche Streitigkeiten allein am Maßstab des Zivilrechts zu entscheiden sind, das Bundesverfassungsgericht aber zur Auslegung und Anwendung des Zivilrechts nicht berufen ist, kann es zivilgerichtliche Entscheidungen als nicht verfassungskonform aufheben. Über einen Zivilrechtsstreit selbst zu entscheiden bleibt ihm verwehrt14. Problematisch ist insoweit die Möglichkeit, einstweilige Anordnungen nach § 32 Abs. 1 BVerfGG zu erlassen15. Wird eine Äußerung auch nur vorläufig, d.h. vorübergehend unter7 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257. 8 BVerfG v. 31.5.2016 – 1 BvR 1585/13, BVerfGE 142, 74 = IPRB 2016, 171 = NJW 2016, 2247, Rz. 82 – Sampling. 9 Kulick, NJW 2016, 2236. 10 Vgl. BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, BVerfGE 114, 339, 348 = AfP 2005, 544 = AfP 2006, 41 – Stolpe/IM-Sekretär. 11 Std. Rspr., u.a. BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677 – DGB. 12 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226. 13 Ua. BVerfG v. 13.5.1980 – 1 BvR 103/77, AfP 1980, 147 = NJW 1980, 2069, 2070 – Kunstkritiker; v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02, AfP 2002, 419 = NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch. 14 So ausdrücklich BVerfG v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 594, 595 – Willy Brandt-Gedächtnismünze. 15 Vgl. BVerfG v. 21.7.2000 – 1 BvQ 17/00, AfP 2000, 454 = NJW 2000, 2890.
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Kap. 2 Rz. 7
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
sagt, greift dies erheblich in die Rechte des Verpflichteten ein. Häufig entfaltet eine Äußerung gerade nur unter den gegebenen Umständen und zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre Wirkung. Die vom Bundesverfassungsgericht zur Entscheidungsfindung vorgenommene Folgenbeurteilung und -abwägung mag zwar hilfreich sein, sie ändert an der Irreversibilität, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht äußern zu dürfen, jedoch nichts. Eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts sollte daher nur unter sehr strenger Auslegung der Voraussetzungen eines schweren Nachteils, der Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderem wichtigen Grund zum gemeinen Wohl – nicht zum Wohl des Einzelnen – erfolgen. 2. Ausstrahlungswirkung im Falle des Art. 5 Abs. 1 GG 7
In der Lüth-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die Problematik angeschnitten16, ob das Verhältnis der Grundrechte zum Privatrecht im Falle des Art. 5 Abs. 1 GG anders zu sehen sei, weil die Äußerungsfreiheit nur in den Schranken der allgemeinen Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG gewährleistet ist. Wie das Bundesverfassungsgericht ausführt, ließe sich die Auffassung vertreten, hier habe die Verfassung selbst durch die Verweisung auf die Schranke der allgemeinen Gesetze den Geltungsanspruch der Grundrechte von vornherein auf den Bereich beschränkt, den ihm die Gerichte durch ihre Auslegung dieser Gesetze noch belassen. Das Ergebnis dieser Auslegung müsse, soweit es eine Beschränkung des Grundrechts darstelle, hingenommen werden und könne deshalb niemals als „Verletzung“ des Grundrechts angesehen werden. Der zweite wesentliche Inhalt der Lüth-Entscheidung besteht in der Zurückweisung dieser vom Bundesverfassungsgericht zitierten Ansicht.
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Das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Freiheit zur Äußerung als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt ist. Für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung ist dieses Grundrecht schlechthin konstituierend. Es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der das Lebenselement dieser Staatsform ist. Aus dieser grundlegenden Bedeutung der Äußerungsfreiheit folgt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass es vom Standpunkt dieses Verfassungssystems aus nicht folgerichtig wäre, die sachliche Reichweite gerade dieses Grundrechts jeder Relativierung durch einfaches Gesetz und damit zwangsläufig durch die Rechtsprechung auszusetzen, die diese Gesetze auslegt und anwendet. Stattdessen gilt nach den Worten des Bundesverfassungsgerichts das Prinzip, dass die Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden müssen, dass der besondere Wertgehalt dieses Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede führt, auf jeden Fall gewahrt bleibt. Die Beziehung zwischen dem Grundrecht und den allgemeinen Gesetzen sei also nicht als einseitige Beschränkung der Geltungskraft des Grundrechts aufzufassen. Vielmehr findet nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Auffassung eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die allgemeinen Gesetze dem Grundrecht zwar dem Wortlaut nach Schranken setzen, sie aber in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen.
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Dieser Wechselwirkungslehre ist voll beizupflichten, soweit öffentlich-rechtliche wie z.B. strafrechtliche Normen in Frage stehen. Geht es, wie im Lüth-Fall, um zivilrechtliche Normen, sind insofern Zweifel angebracht, als diese, wie noch zu zeigen sein wird (Rz. 16), keine allgemeinen Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG sind. Deswegen ist die vom Bundesverfas16 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257, 258.
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Burkhardt/Peifer
II. Grundrechtsschranken nach Art. 5 Abs. 2 GG
Rz. 11 Kap. 2
sungsgericht zitierte Auffassung, wegen Art. 5 Abs. 2 GG sei die Problematik des Verhältnisses der Grundrechte zum Privatrecht im Falle des Grundrechts der freien Meinungsäußerung anders gelagert als sonst, schon von vornherein nicht vertretbar. Wenn zivilrechtliche Normen keine allgemeinen Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG sind, besteht weder Veranlassung noch auch nur die Möglichkeit, die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte im Falle des Art. 5 Abs. 1 GG anders zu sehen als bei anderen Grundrechten, z.B. denen aus Art. 5 Abs. 3 GG. Die grundrechtliche Wertordnung strahlt auf einfach-rechtliche Normen, mit deren Hilfe Äußerungen zivilrechtlich unterbunden werden können, jedenfalls im Prinzip ebenso aus wie auf andere17. Die Frage, ob man im Falle des Art. 5 Abs. 1 GG zusammen mit dem Bundesverfassungs- 10 gericht bei zivilrechtlichen Normen ebenso wie bei öffentlich-rechtlichen von einer Wechselwirkung spricht oder ob man die Geltung der zivilrechtlichen Normen unabhängig von Art. 5 Abs. 2 GG anerkennt und demzufolge von einer prinzipiell unveränderten Ausstrahlungswirkung der Grundrechte ausgeht, hat sich entschärft, seit das Bundesverfassungsgericht stärker betont, dass jede einfachrechtliche Norm verfassungskonform auszulegen ist (oben Rz. 5). Gerade der offene Tatbestand des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts ist im Geiste der grundrechtlichen Wertordnung zu interpretieren und eine Anwendung darf nicht gegen diese Ordnung verstoßen. Art. 5 Abs. 1 GG ist auf drei Ebenen zu beachten: zum einen beim Verständnis der Äußerung, zum anderen bei der Auslegung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen und zum dritten bei der Abwägung kollidierender Rechtspositionen18.
II. Grundrechtsschranken nach Art. 5 Abs. 2 GG Schrifttum: Schwark, Der Begriff der „Allgemeinen Gesetze“ in Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes, 1970; Hoppe, Die „allgemeinen Gesetze“ als Schranke der Meinungsfreiheit, JuS 1991, 734; Beisel, Die Strafbarkeit der Auschwitzlüge – Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des neuen § 130 StGB, NJW 1995, 997; Faber, Jugendschutz im Internet – Klassische und neue Regulierungsansätze zum Jugendmedienschutz im Internet, 2005; Kapries, Die Schranken der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG, 2005; Enders, Die Freiheit der Andersdenkenden vor den Schranken des BVerwG, JZ 2008, 1092; Gosche, Das Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz in der fragmentierten Öffentlichkeit, 2008; Hufen, Keine Freiheit den Feinden der Freiheit?, FS Falter, 2009, S. 101; Ladeur, Die „allgemeinen Gesetze“ als Schranken der Meinungsfreiheit: Zur dogmatischen Leistungsfähigkeit der formalen Konzeption. Zugleich ein Kommentar zum „Wunsiedel-Beschluss“, K&R 2010, 642; J. Ph. Schaefer, Wie viel Freiheit für die Gegner der Freiheit? – Zum Wunsiedel-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, DÖV 2010, 379; Volkmann, Die Geistesfreiheit und der Ungeist – Der Wunsiedel-Beschluss des BVerfG, NJW 2010, 417; R. Zimmermann, Die Meinungsfreiheit in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJ 2011, 145; Rüthers, Meinungsfreiheit und Ehrenschutz bei Kollektivurteilen – Zur Zulässigkeit von Pauschalbeleidigungen, NJW 2016, 3337.
Nach Art. 5 Abs. 2 GG finden „diese Rechte“ ihre Schranken in den Vorschriften der allgemei- 11 nen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Mit „diese Rechte“ sind die Rechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG gemeint19. Das Zensurverbot ist kein Grundrecht, sondern enthält eine Eingriffsschranke, die
17 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, BVerfGE 114, 339, 348 = AfP 2005, 544 – Stolpe/IM-Sekretär. 18 Grimm, NJW 1995, 1697, 1700. 19 So Kapries, Die Schranken der Grundrechte, 2005.
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Kap. 2 Rz. 12
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
ausnahmslos gilt20. Die Schranken „dieser Rechte“ bedürfen hier nur insoweit der Erörterung, als es um eine Beschränkung der Äußerungsfreiheit geht. 1. Allgemeine Gesetze 12
Die Interpretation des Begriffs „allgemeine Gesetze“, der bereits in Art. 118 WRV enthalten war, bereitet unverändert Schwierigkeiten. Schon in der Weimarer Zeit war umstritten, ob die Formulierung das Ergebnis eines bloßen Redaktionsversehens ist oder ob ihr sachliche Bedeutung zukommt21. Zum einen wurde die Auffassung vertreten, das Wort „allgemein“ sei als nicht vorhanden zu betrachten22. Zum anderen wurde versucht, den Begriff durch Herausarbeitung eines Gegensatzes, also vom Negativen her, zu erfassen.
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Die Allgemeinheit ist als Gegensatz zur Individualität interpretiert worden. Das Gesetz dürfe also nicht nur für den Einzelfall gelten23. Dazu hat Bettermann darauf hingewiesen24, dass grundrechtseinschränkende individuelle Gesetze bereits durch Art. 19 Abs. 1 GG ausgeschlossen sind. Die Allgemeinheit ist weiter als Gegensatz zur Spezialität aufgefasst worden. Nicht allgemein sei ein Gesetz also, wenn es sich speziell „gegen eine Meinung als solche“ richtet, statt ein Rechtsgut gegenüber jedwedem Angriff zu schützen25. Dazu hatte Starck darauf aufmerksam gemacht26, dass sich bei diesem Verständnis nur schwer erklären lässt, inwiefern es verfassungskonform sei, die öffentliche Aufforderung und die Billigung von Straftaten (§§ 111, 140 Nr. 2 StGB), die Werbung für terroristische Vereinigungen (§ 129a StGB) und die Gewaltverherrlichung (§ 131 StGB) unter Strafe zu stellen. Besonders heikel ist auch die Einführung von Strafnormen gegen die Verharmlosung oder Billigung nationalsozialistischer Verbrechen (§ 130 Abs. 3, Abs. 4 StGB). Diese Schwierigkeiten haben schon frühzeitig Veranlassung zur Suche eines Auswegs gegeben. So hat insb. Smend27 versucht, die rein begriffliche Unterscheidung durch wertende Gesichtspunkte zu ersetzen. Smend bezeichnet ein Gesetz als allgemein, wenn es sachlichen Vorrang hat. Der sachliche Vorrang sei zu bejahen, wenn das Gesetz gesellschaftliche Werte erfasst, die der Freiheit der Meinungsäußerung vorgehen müssen28.
14
Ausführlich hat sich das Bundesverfassungsgericht mit dieser Problematik im Lüth-Urteil befasst29 und dabei Sonderrechtslehre und Wertungslehre miteinander kombiniert. Das Bundesverfassungsgericht erwähnt, dass der umstrittene Begriff während der Zeit der WRV in dem Sinne interpretiert worden ist, „dass darunter alle Gesetze zu verstehen sind, die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung einer Meinung als solche richten, die vielmehr dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgutes dienen, dem Schutze eines Gemeinschaftswertes, der gegenüber der Betätigung der Meinungsäußerung den Vorrang hat“. Werde durch die Meinungsäußerung ein gesetzlich geschütztes Rechtsgut eines Anderen beeinträchtigt, dessen 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
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BVerfG v. 25.4.1972 – 1 BvL 13/67, BVerfGE 33, 52, 72 – Der lachende Mann. Zur Genese: Grabenwarter in Maunz/Dürig, Art. 5 GG Rz. 121. PrOVGE 77, 514; Kitzinger, Das Reichsgesetz über die Presse, S. 203. U.a. Jellinek, VVDStRL Heft 4, 1928, S. 82. Bettermann, JZ 1964, 601. U.a. Rothenbücher, VVDStRL Heft 4, 1928, S. 16; Nipperdey, DVBl. 1958, 445, 448. von Mangoldt/Klein/Starck, 3. Aufl., Art. 5 GG Rz. 125, 6. Aufl., Art. 5 Abs. 1, 2 GG Rz. 202. Smend, VVDStRL Heft 4, 1928, S. 44. A.A. Nipperdey, DVBl. 1958, 445, 449. BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257.
Burkhardt/Peifer
II. Grundrechtsschranken nach Art. 5 Abs. 2 GG
Rz. 15 Kap. 2
Schutz gegenüber der Meinungsfreiheit den Vorrang verdient, werde dieser Begriff nicht dadurch erlaubt, dass er mittels einer Meinungsäußerung begangen wird. Damit werde eine Güterabwägung erforderlich. Das Recht zur Meinungsäußerung müsse zurücktreten, wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden. Ob solche Interessen anderer vorhanden sind, sei aufgrund aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Mit dieser Stellungnahme hat das Bundesverfassungsgericht die unterschiedlichen Abgren- 15 zungsmöglichkeiten miteinander verbunden, wobei auch der von Smend entwickelte Wertungsgedanke wiederkehrt. Allerdings hat Smend die wertende Betrachtungsweise auf das Gesetz als solches bezogen. Das Bundesverfassungsgericht will eine Interessenabwägung für den Einzelfall vornehmen. Das hat zu Kritik insb. von Bettermann30 geführt. In der Entscheidung „Denkzettelaktion“ zitiert das Bundesverfassungsgericht31 seine in der Lüth-Entscheidung entwickelte Auffassung nur noch in verkürzter Form. Allgemeine Gesetze seien Gesetze, die sich nicht gegen die Äußerung einer Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgutes dienen. Auf die Berücksichtigung wertender Gesichtspunkte im Sinne Smends lässt sich trotzdem nicht verzichten. Sonst bleibt die Verfassungskonformität der §§ 90, 90a, 111, 129a, 131, 140 Nr. 2 StGB und anderer Regelungen unerklärlich32. Erklärungen fehlen auch, wenn es um strafbare Hassrede33, die Strafbarkeit der Leugnung, die Verharmlosung oder Billigung nationalsozialistischen Unrechts (§ 130 Abs. 3, Abs. 4 StGB) sowie das Tragen nationalsozialistischer Symbole (§§ 86, 86a StGB) geht. Mit der Problematik der Billigung nationalsozialistischen Unrechts hat sich das Bundesverfassungsgericht im vieldiskutierten Wunsiedel-Beschluss auseinandergesetzt34. Kann man bei Strafnormen, die die Leugnung historischen Unrechts sanktionieren, noch von der Verbreitung unwahrer Tatsachen ausgehen35, die nur einen sehr schwachen Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG genießen, so kam das Bundesverfassungsgericht für § 130 Abs. 4 StGB zur klaren Einschätzung, dass diesbezüglich eine „Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze“ der Verfassung „immanent“ sei, weil das Grundgesetz „als Gegenentwurf“ zu den historischen Erfahrungen in der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft zu verstehen sei36. Gleichwohl neigt das Gericht zu einer engen Auslegung dieses ausnahmsweise zulässigen „Sonderrechts“, wenn es betont, dass auch in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten die offene geistige Auseinandersetzung Vorrang vor Verboten habe (vgl. auch Kap. 1 Rz. 17 ff.)37. Bei der sog. „Hassrede“, die am ehesten unter das auf Ausgrenzung und Diskriminierung zielende Verbot in § 130 Abs. 2 StGB fällt, hat das Bundesverfassungsgericht die Grenzen der Meinungsfreiheit zuletzt weit gezogen. Weder als Kollektivbeleidigung (§ 185 StGB) noch als Volksverhetzung (§ 130
30 31 32 33 34
Bettermann, JZ 1964, 601. BVerfG v. 15.11.1982 – 1 BvR 437, 438/80 ua., NJW 1983, 1181. Vgl. die Interpretation von von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 GG Rz. 202. § 130 Abs. 2 StGB; krit. zur Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 2 GG: Beisel, NJW 1995, 997, 1000 f. BVerfG v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300 = NJW 2010, 47 m. Anm. Degenhart, JZ 2010, 306; Hörnle, JZ 2010, 310; Maluga, jurisPR-StrafR 20/2010 Anm. 1. 35 Vgl. hierzu Enders, JZ 2008, 1092; Hufen, FS Falter, 2009, S. 101 und Besprechungen von Ladeur, K&R 2010, 642; Schaefer, DÖV 2010, 379; Volkmann, NJW 2010, 417. 36 BVerfG v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300, Rz. 64. 37 Hufen, JuS 2010, 558, 559.
Burkhardt/Peifer 65
Kap. 2 Rz. 16
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
Abs. 2 StGB) wurde das Tragen eines Stickers „FCK CPS“38 oder „ACAB“39 angesehen, weil in beiden Fällen das adressierte Kollektiv als zu groß angesehen wurde, um eine individuelle Betroffenheit zu erzeugen40. Neben den explizit genannten Schranken des Jugend- und Ehrenschutzes können im Ergebnis auch andere Verfassungsgüter Vorrang vor der Meinungsfreiheit erhalten41. 16
Aus dem Bisherigen ergibt sich noch nicht, ob auch die Normen des bürgerlichen Rechts allgemeine Gesetze sind. Das haben diejenigen verneint, die in den Grundrechten allein Abwehrrechte gegenüber dem Staat gesehen haben. Unter dieser Voraussetzung kommen als grundrechtseinschränkend allein öffentlich-rechtliche Normen in Betracht. Wie vorstehend dargestellt (Rz. 4) geht das Bundesverfassungsgericht von einem anderen Grundrechtsverständnis aus, nämlich davon, dass die grundrechtliche Wertordnung auf das gesamte und also auch auf das bürgerliche Recht ausstrahlt. Dazu meint es, wenn die Äußerungsfreiheit in den Zivilrechtsverkehr hineinwirke, müsse auf der anderen Seite die das Grundrecht uU. beschränkende Gegenwirkung einer zivilrechtlichen Norm beachtet werden. Aus welchem Grunde zivilrechtliche Vorschriften, die die Ehre oder andere wesentliche Güter der menschlichen Persönlichkeit schützen, nicht ausreichen sollten, um der Ausübung des Grundrechts Schranken zu setzen, auch ohne dass zu dem gleichen Zweck Strafvorschriften erlassen werden, sei nicht einzusehen. Es bestünden also keine Bedenken, auch die Normen des bürgerlichen Rechts als allgemeine Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG anzuerkennen42.
17
Die Lüth-Entscheidung erzeugt Widerspruch allenfalls, wenn man davon ausgeht, dass die Grundrechte auf das Zivilrecht lediglich ausstrahlen (dazu oben Rz. 5). Bleibt die Wirkung der Grundrechte hierauf beschränkt, sind zivilrechtliche Normen unabhängig davon anwendbar, ob sie die Merkmale eines allgemeinen Gesetzes erfüllen. Besonders deutlich wird das bei der Anwendung zivilrechtlicher Normen in Fällen, die eine als künstlerisch oder wissenschaftlich zu qualifizierende Darstellung betreffen und die damit in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG fallen. Die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 3 GG stehen nicht unter einem Art. 5 Abs. 2 GG entsprechenden Gesetzesvorbehalt43. Bedürfte es eines solchen Gesetzesvorbehaltes, um zivilrechtliche Normen gegenüber künstlerischen oder wissenschaftlichen Darstellungen durchgreifen zu lassen, könnten Zivilgerichte die Verbreitung solcher Darstellungen angesichts des fehlenden Gesetzesvorbehaltes niemals unterbinden. Diese Konsequenz zieht aber das Bundesverfassungsgericht mit Recht gerade nicht44. Wenn die Kunstfreiheitsgarantie, wie das Bundesverfassungsgericht mit Recht annimmt, und dann konsequenterweise auch die Wissenschaftsfreiheitsgarantie, trotz fehlenden Gesetzesvorbehaltes unter bestimmten Voraussetzungen gegenüber einer zivilrechtlichen Norm zurückzutreten haben, kann für die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG nichts Abweichendes gelten. Bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen haben sie gleichfalls gegenüber zivilrechtlichen Normen unabhängig davon zurückzutreten, ob diese Normen die Merkmale eines allgemeinen Gesetzes erfüllen oder nicht. 38 „Fuck Cops“, BVerfG v. 26.2.2015 – 1 BvR 1036/14, AfP 2015, 236 = IPRB 2015, 175 = NJW 2015, 2022, Rz. 11. 39 „All Cops Are Bastards“, BVerfG v. 17.5.2016 – 1 BvR 2150/14, NJW 2016, 2643, Rz. 16. 40 Krit. Rüthers, NJW 2016, 3337. 41 Kühling, in Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Art. 5 GG Rz. 109. 42 Krit. aber Kapries, Die Schranken der Grundrechte, 2005. 43 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645 – Mephisto. 44 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645 – Mephisto; v. 7.7.1984 – 1 BvR 816/82, NJW 1985, 261 – Anachronistischer Zug.
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Burkhardt/Peifer
II. Grundrechtsschranken nach Art. 5 Abs. 2 GG
Rz. 19 Kap. 2
Zuzugeben ist, dass diese Problematik Bedeutung nur erlangen würde, wenn es eine zivil- 18 rechtliche Norm gäbe, die den Anforderungen eines allgemeinen Gesetzes nicht entspricht. Eine solche Norm hat sich bislang nicht auffinden lassen. Insb. § 823 Abs. 1 BGB hat das Bundesverfassungsgericht als den Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 GG entsprechend bezeichnet45, ebenso die §§ 22, 23 KUG46 oder die Vorschriften des UWG, soweit sie Äußerungen in Presse und Rundfunk betreffen. Medienrechtliche Relevanz haben solche Verbote häufig, wenn abzugrenzen ist, ob redaktionelle Berichte mit einem auch kommerziell förderlichen Inhalt Werbung oder Information und Verbraucheraufklärung darstellen47.Werden die Voraussetzungen eines allgemeinen Gesetzes i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG als erfüllt angesehen, kann dahingestellt bleiben, wie zu entscheiden wäre, wenn das nicht zuträfe. 2. Gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend Die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend betreffen eine eigenständige Schran- 19 kenregelung, nicht nur eine beispielhafte Ausführung der „allgemeinen Gesetze“48. Unterschiede gegenüber dem Begriff der allgemeinen Gesetze ergeben sich einerseits dadurch, dass es hier um (zulässiges) Sonderrecht geht, andererseits hat aber auch bei diesen Regelungen eine materielle Wertung zwischen Eingriff und Schutzrichtung zu erfolgen. Jugendschutzregeln sind also nicht per se zulässige Eingriffe in die Meinungsfreiheit, allerdings hat der Gesetzgeber bei der Beurteilung des Gefahrenpotentials von Inhalten einen Einschätzungsund Gestaltungsspielraum49. Eine gesetzliche Bestimmung zum Schutze der Jugend liegt vor, wenn sie bestimmt und geeignet ist, die Jugend zu schützen50. Die Regelung muss das gebotene und adäquate Mittel zum Schutze der Jugend sein51. Solche Regelungen enthalten das Jugendschutzgesetz52 sowie der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Die beiden Normwerke sind parallel im April 2003 in Kraft getreten53, der JMStV ist zuletzt zum 1.10.2016 geändert worden54. Das JuSchG erfasst neben dem Schutz Jugendlicher in der Öffentlichkeit55 Äußerungen, die auf Trägermedien56 verkörpert sind. Der JMStV gilt für elektronische Informations- und Kommunikationsmedien57. Der Rundfunkstaatsvertrag und die Landesrundfunk- bzw. Landesmediengesetze enthalten keine eigenen Inhaltsregelungen, sondern verweisen diesbezüglich auf den JMStV58. Auch durch die Schranke des Jugendschutzes dürfen die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG nicht ausgehöhlt werden. Gegen übermäßige Eingriffe staatlicher Verwaltung können Abwehransprüche geltend gemacht werden. So kann durch die
45 BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221, 1223 – Soraya. 46 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226, 1228 – Lebach I. 47 Dazu BVerfG v. 11.3.2004 – 1 BvR 517/99, NJW 2004, 1855; v. 21.7.2005 – 1 BvR 217/99, AfP 2006, 39 = NJW 2005, 3201. 48 BVerfG v. 23.3.1971 – 1 BvL 25/61, u.a., BVerfGE 30, 336, 353. 49 Kühling, in Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Art. 5 GG Rz. 122. 50 Bauer, JZ 1965, 44. 51 BVerfG v. 23.3.1971 – 1 BvL 25/61 ua., BVerfGE 30, 336, 354 – Sonnenfreunde. 52 JuSchG v. 23.7.2002, BGBl. I, 2730. 53 Überblick bei Bornemann, NJW 2003, 787. 54 Hopf/Braml, ZUM 2016, 1001. 55 Zutritt zu Kinos, Spiel- und Gaststätten, §§ 4-10 JuSchG. 56 Buch, Video, CD, DVD, § 1 Abs. 2 Satz 1 JuSchG. 57 Rundfunk und Telemedien, § 2 Abs. 1 JMStV. 58 Vgl. § 4 Abs. 1 LMedienG Baden-Württemberg; vgl. aber § 8a Abs. 1 Satz 3 RStV für Gewinnspielsendungen; zum rundfunkrechtlichen Verbot pornographischer Sendungen s. BVerwG v. 20.2.2002 – 6 C 13/01, NJW 2002, 2966.
Burkhardt/Peifer 67
Kap. 2 Rz. 20
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
Indizierung einer Schrift in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG eingegriffen werden59. Ansprüche zwischen Privaten ergeben sich aus diesen Vorschriften jedoch nicht, mit Ausnahme etwaiger wettbewerbsrechtlicher Ansprüche wegen Rechtsbruchs (§ 3a UWG), die häufig Versandangebote durch Internetverkaufsplattformen betreffen60. Im Bereich des Äußerungsrechts können sie außer Betracht bleiben. 3. Recht der persönlichen Ehre 20
Art. 5 Abs. 2 GG nennt das Recht der persönlichen Ehre als dritte Schranke der Rechte aus Art. 5 Abs. 1 GG. Auch diese Schranke ist eigenständig gegenüber den „allgemeinen Gesetzen“61. Daraus folgt, dass das Verbot von Ehrverletzungen grundsätzlich zulässiges Sonderrecht gegenüber bestimmten Meinungen ist. Andererseits darf nicht jede Ehrverletzung bereits wegen der Reputationsschmälerung des Betroffenen untersagt werden; auch sie muss sich an den verfassungsrechtlichen Wertungen im Übrigen, insb. dem Gewicht der Kommunikationsfreiheit, in die eingegriffen wird, messen lassen. Ehrverletzungen sind Äußerungen, in denen eine negative Einschätzung über den Betroffenen zum Ausdruck kommt. Wird an das Äußern einer solchen Negativbewertung eine rechtliche Sanktion geknüpft, beschränkt diese Regelung die Negativmeinung als solche und erfüllt damit nicht die Voraussetzungen, die sich für ein allgemeines Gesetz aufstellen lassen.
21
Die Frage, welche Konsequenzen aus der grundrechtlichen Verankerung des Ehrenschutzes zu ziehen sind, wird heute selten gestellt62. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der Kronprinz-Rupprecht-Entscheidung63 betont, dass die Verfassung selbst der Äußerungsfreiheit durch das Recht der persönlichen Ehre eine Schranke setze, wobei die von den zuständigen Gerichten getroffene Feststellung eines Verstoßes gegen die strafrechtlichen Ehrenschutzbestimmungen die verfassungsrechtliche Grenze der Äußerungsfreiheit jeweils im Einzelfall aktualisiere. Den Gedanken, aus der Erwähnung des Rechts der persönlichen Ehre in Art. 5 Abs. 2 GG eine verfassungsrechtliche Unterstreichung des Ehrenschutzes abzuleiten, hat aber das Bundesverfassungsgericht nicht weiterverfolgt. Vielmehr bezieht es den Ehrenschutz ebenso in die von ihm entwickelte Wechselwirkung zwischen Verfassungs- und einfachem Recht ein wie die aus allgemeinen Gesetzen folgenden Rechte und Ansprüche64. Daraus entnimmt das Gericht, dass erst die nicht mehr durch die Sachdebatte getragene bloße persönliche Herabsetzung die Grenzen der Äußerungsfreiheit verlasse65. Diese Grenzen werden in der öffentlichen Debatte durch den Begriff der „Schmähkritik“, in der privaten Auseinandersetzung durch den der „Formalbeleidigung“ markiert. Die vorschnelle
59 BVerfG v. 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, MDR 1994, 844 = AfP 1994, 118 = NJW 1994, 1781. 60 BGH v. 12.7.2007 – I ZR 18/04, BGHZ 173, 188 = AfP 2007, 477 = CR 2007, 729 m. Anm. Härting = MDR 2008, 97 = ITRB 2007, 269 zu § 15 JuSchG. 61 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, BVerfGE 93, 266, 290, = MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 vgl. auch von der Decken, NJW 1983, 1400. 62 Vgl. aber Rüthers, NJW 2016, 3337, 3339 m.w.N. 63 BVerfG v. 25.5.1965 – 1 BvR 154/64, NJW 1965, 1371. 64 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677 – DGB; v. 11.5.1976 – 1 BvR 163/72, NJW 1976, 1680 – Deutschlandstiftung. 65 BVerfG v. 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15, AfP 2016, 431 = NJW 2016, 2870 Rz. 17: Kritik an einer Ermittlerin durch die Bezeichnung „durchgeknallte Staatsanwältin“.
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Burkhardt/Peifer
III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse
Rz. 22 Kap. 2
Subsumtion einer Herabsetzung unter eine dieser Kategorien ist riskant, weil sie die Äußerungsfreiheiten verkürzt66. Unklar bleibt, ob die Hervorhebung der persönlichen Ehre Ausdruck eines besonderen 22 Schutzanliegens des Verfassungsgebers ist, welches die Gerichte aber nicht zureichend umsetzen. Historisch ist das zweifelhaft, weil bei Erlass des Grundgesetzes das allgemeine Persönlichkeitsrecht zivilrechtlich nur im Bereich des Ehrenschutzes anerkannt war, mittlerweile aber unbestritten ist, dass Persönlichkeitsrechte und Äußerungsfreiheit auf einer Abwägungsstufe stehen. Ein der Ehre gewährter Sonderschutz würde gleichwohl schon wegen des herausgehobenen Charakters der Menschenwürde in Einklang mit dem Grundrechtsgefüge stehen. Allerdings ist auch die Freiheit der Rede jedenfalls zum Teil Ausdruck persönlicher Entfaltung, mithin gleichermaßen an die Menschenwürde angebunden. Daher endet nicht zwangsläufig die Redefreiheit stets dort, wo der Schutz der Ehre anderer beginnt (so Vorauflage). Doch folgt aus dem besonderen Schutz der Ehre durchaus, dass das konkrete öffentliche Interesse an einer in der Form scharfen Auseinandersetzung ebenso bei der Abwägung gewichtet werden muss wie eine in der Äußerung zutage tretende Herabwürdigungsabsicht des Äußernden. Dieser Gesichtspunkt erlaubt es jedenfalls bei privaten Streitigkeiten, mögen diese auch über öffentliche Kommunikationskanäle (wie Internetdienste) ausgetragen werden, anlasslose oder übertrieben scharfe Herabsetzungen als unzulässige Ehrverletzungen zu kennzeichnen. Als übertrieben scharfe Herabsetzung können überdies Äußerungen gekennzeichnet werden, die erkennbar darauf abzielen, die Entfaltung bestimmter Personengruppen (Minderheiten) durch verbale Gewalt zu verhindern oder deren Angehörige einzuschüchtern. Verbale Gewalt, die konkret zur Ausübung körperlicher Gewalt anstachelt, genießt daher in der Auseinandersetzung keinen besonderen Schutz. In solchen Fällen drohen umgekehrte Abschreckungseffekte. Die Meinungsäußerungsfreiheit wird infolge Einschüchterung der Äußerungswilligen nicht gestärkt, sondern gefährdet67. Eine Anpassung der Maßstäbe im Bereich von Werturteilen entspricht allerdings derzeit nicht der herrschenden Entscheidungslinie der Verfassungsrechtsprechung. Die Literatur unterstützt dies zum Teil mit Hinweis auf einen behaupteten vorgrundgesetzlichen, feudalen Charakter der Ehre als Schutzgut68 und den fragmentierten Charakter der Öffentlichkeit in modernen medial geprägten Gesellschaften69. Eine darin drohende Marginalisierung der Ehre kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht, vor allem die informationelle Selbstbestimmung, zum Teil auffangen. Doch zeigt sich gerade in modernen Kommunikationsumgebungen einerseits eine starke Bereitschaft, die eigene Reputation zu verteidigen und zu stärken, andererseits das Interesse, diese Reputation als Basis persönlicher Entfaltung vor verbaler Gewalt besser zu schützen. Das Zeitalter der Ehre ist daher noch nicht der Geschichte überantwortet.
III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse Schrifttum: Lohse, Meinungsäußerungsfreiheit der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, Verwaltungsrundschau 1979, 257; Lisken, Zur Meinungsfreiheit im Sonderstatusverhältnis, NJW 1980, 1503; Löffler, Die Kommunikationsfreiheit im Einordnungsverhältnis, NJW 1984, 1206; Kübler, Meinungsfreiheit im Einordnungsverhältnis, AfP 1984, 89; Lorz/Bosch, Rechtliche Parameter für die Öf66 Vgl. BVerfG v. 29.9.2016 – 1 BvR 2732/15, AfP 2016, 433 Rz. 13: Bezeichnung eines Polizisten, der anlasslose Verhaltenskontrollen durchführt, als „Spanner“. 67 Vgl. Schmitt-Glaeser, NJW 1996, 879. 68 Kübler, JZ 1984, 541. 69 Gosche, Das Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz in der fragmentierten Öffentlichkeit, 2008.
Burkhardt/Peifer 69
Kap. 2 Rz. 23
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
fentlichkeitsarbeit der Justiz, AfP 2005, 97; Huff, Informationspflichten und Informationsverhalten der Justiz, AfP 2010, 332; Kloepfer, Über erlaubte, unerwünschte und verbotene Parteien, NJW 2016, 3003.
1. Äußerungsrecht von Körperschaften und öffentlichen Verbänden 23
Aus Art. 2 Abs. 1 GG folgt, dass öffentlich-rechtliche Verbände (mit Zwangsmitgliedschaften) nur gegründet werden dürfen, um vom Gesetzgeber bestimmte öffentliche Aufgaben wahrzunehmen70. Dementsprechend haben die Mitglieder eines solchen Verbandes einen im Verwaltungsrechtswege verfolgbaren Anspruch darauf, dass der Verband sich nicht mit Aufgaben befasst, die der Gesetzgeber ihm nicht zugewiesen hat (zur Informationstätigkeit staatlicher Stellen vgl. Rz. 29). So können die Mitglieder von Zwangsverbänden verwaltungsgerichtlich dagegen vorgehen, dass die Vorstände diesen Aufgabenkreis verlassen71. Studenten können als Zwangsmitglieder der Studentenschaft verlangen, dass diese keine von ihnen nicht gebilligten politischen Erklärungen abgibt72, denn solche Vereinigungen können sich als öffentlich-rechtliche Körperschaften nur eingeschränkt auf Äußerungsrechte berufen73. Wer nicht Zwangs-, sondern freiwilliges Mitglied einer Körperschaft oder eines sonstigen Verbandes ist, hat gegenüber den Körperschaftsorganen keinen Anspruch auf Unterlassung eines den Zuständigkeitsbereich überschreitenden Verhaltens. Deswegen steht einem Studenten kein Anspruch gegen den Universitätsrektor zu, die Veröffentlichung von Informationen über andere als hochschulbezogene Vorgänge zu unterlassen74. Bei Sanktionen, die Verbände gegen ihre Mitglieder erlassen (etwa Parteiausschlüsse wegen schädlicher Äußerungen), haben sich die staatlichen Gerichte wegen des Vorrangs der Verbandsautonomie zurückzuhalten. Sie können im Ergebnis nur nachprüfen, ob der sanktionierende Verband sich an die selbstgesetzten Regeln gehalten hat und ob diese Regeln mit zwingendem Recht vereinbar sind75. Das ermöglicht allerdings nicht nur eine Kontrolle dahingehend, ob ein verbandsinternes Sanktionsverfahren formell rechtmäßig durchgeführt wurde, sondern auch eine inhaltliche Kontrolle von Beschlüssen im Hinblick auf mögliche Verstöße gegen das Verbot unbilligen und willkürlichen Handelns76. Werden einem Vereinsmitglied vereinsschädigende unwahre Tatsachenverbreitungen vorgeworfen, muss dieser Vorwurf daher angemessen ermittelt worden sein, bevor er einen Ausschluss rechtfertigt77. Gegenüber politischen Parteien, die bei der Aufnahme ihrer Mitglieder frei sind (§ 10 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 PartG), sind die Regeln über Vereine mit Monopolstellung und daraus resultierendem Aufnahmezwang nicht anwendbar78.
70 BVerfG v. 29.7.1959 – 1 BvR 394/58, BVerfGE 10, 89, 102; v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12, NVwZ 2017, 1282, Rz. 78. 71 BVerfG v. 29.7.1959 – 1 BvR 394/58, BVerfGE 10, 89, 102; v. 25.2.1960 – 1 BvR 239/52, BVerfGE 10, 354; VG Stuttgart v. 7.4.2011 – 4 K 5039/10, NVwZ 2011, 895: Äußerungen einer IHK. 72 BVerwG v. 26.9.1969 – VII C 65/68, NJW 1970, 292, 293; OVG Lüneburg v. 24.2.2015 – 2 M.E. 274/14, NVwZ-RR 2015, 460, 461. 73 Vgl. OLG Frankfurt v. 7.1.2016 – 16 W 63/15, AfP 2016, 167. 74 VG Freiburg v. 18.11.1975 – VS. VII 166/75, NJW 1976, 534. 75 BGH v. 9.6.1997 – II ZR 303/95, MDR 1997, 954 = NJW 1997, 3368. 76 BGH v. 30.5.1983 – II ZR 138/82, MDR 1983, 997 = NJW 1984, 918. 77 LG Bonn v. 8.1.2013 – 18 O 63/12, BeckRS 2013, 05886. 78 KG v. 21.10.2006 – 3 U 47/05, NJOZ 2008, 1379: zulässiger Parteiausschluss wegen antisemitischer Äußerungen.
70
Burkhardt/Peifer
III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse
Rz. 25 Kap. 2
2. Äußerungsrecht von Abgeordneten Nach Art. 46 Abs. 1 GG darf ein Abgeordneter zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder 24 wegen einer Äußerung, die er im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. Dieses als Indemnität bezeichnete Privileg beruht auf der Erwägung, dass die für eine repräsentative Demokratie unerlässliche parlamentarische Redefreiheit, d.h. das Recht, durch Rede und Argument an der parlamentarischen Willensbildung mitzuwirken und auf sie Einfluss zu nehmen, nur verwirklicht werden kann, wenn die Ausübung in weitestem Umfang vor allen Sanktionen geschützt ist79. Die Landesverfassungen sehen einen entsprechenden Indemnitätsschutz für Landtagsabgeordnete vor. Die Regelung ist in § 36 StGB übernommen worden. § 36 StGB schützt auch Mitglieder der Bundesversammlung. Auch ohne spezielle gesetzliche Regelung80 genießen Stadt- und Gemeinderäte einen vergleichbaren Schutz81. Auch unabhängig von einem Rückgriff auf Indemnitätsvorschriften wird Ratsmitgliedern eine Äußerungsfreiheit zuerkannt, die erst bei Schmähkritik überschritten wird82. Wegen der Äußerung von Schmähungen dürfen Abgeordnete zur Ordnung gerufen werden83. Der Indemnitätsschutz steht nur Abgeordneten zur Seite. Eine Ausdehnung des Privilegs auf 25 Personen ohne Abgeordnetenmandat ist nicht möglich. Auch Sachverständige genießen keinen solchen Schutz84. Unter dem Bundestag ist nur das Plenum zu verstehen. Der Begriff Ausschüsse wird in untechnischem Sinne als Inbegriff aller selbständig organisierten Ausbildungen des Parlamentsorganismus aufgefasst. Geschützt sind damit auch Äußerungen im Präsidium, Vorstand, Ältestenrat des Bundestags, ebenso Äußerungen innerhalb einer Fraktion. Innerhalb dieser Gremien sind grundsätzlich sämtliche Äußerungen von jedweder Rechtsverfolgung freigestellt, gleich welchen Inhalt sie haben und welcher Zweck verfolgt wird. Unter den Schutz fallen auch parlamentarische Anfragen85. Das gilt aber nicht, wenn der Abgeordnete die Anfrage schon vor der Beantwortung der Presse übergibt86. Ausgenommen sind gemäß Art. 46 Abs. 1 Satz 2 GG allein verleumderische Beleidigungen i.S.d. § 187 StGB. Ob die Freistellung von der Rechtsverfolgung umfassend ist, ist umstritten. Das LG Hamburg hat sie in einem Fall, der die Indemnität eines Abgeordneten des Europäischen Parlaments betraf, für die Verfolgung eines zivilrechtlichen Anspruchs im einstweiligen Verfügungsverfahren abgelehnt und gemeint, die Indemnität beziehe sich nur auf die strafrechtliche Verfolgung87. Allerdings betraf der Fall auch die Äußerung in einem Presseartikel außerhalb der Parlamentsdebatte. Für Parlamentsäußerungen selbst ist daher festzuhalten, dass die Freiheit der Debatte nur gewahrt wird, wenn umfassende Befreiung von rechtlicher Verfolgung gewährleistet ist.
79 Klein in Maunz/Dürig, Art. 46 GG Rz. 3. 80 Vgl. aber Art. 51 Abs. BayGO. 81 OLG München v. 12.12.1986 – 21 U 5918/85, AfP 1987, 440, 441; LG Köln v. 11.1.2002 – 18 O 280/01, AfP 2002, 346. 82 OVG Saarlouis v. 17.10.2013 – 2 A 303/12, NJOZ 2015, 274, 279; OVG Koblenz v. 17.9.1991 – 7 A 10357/91, OVG Rheinland-Pfalz v. 19.9.1991 – 7 A 10359/91, NJW 1992, 1844, 1846. 83 SächsVerfGH v. 3.12.2010 – Vf. 16-I-10, NVwZ 2011, 134. 84 BGH v. 5.5.1981 – VI ZR 184/79, MDR 1981, 926 = NJW 1981, 2117. 85 LG Hamburg v. 5.5.1988 – 71 O 153/88, NJW 1989, 231. 86 BGH v. 18.12.1979 – VI ZR 240/78, NJW 1980, 780; vgl. Roll, NJW 1980, 1439. 87 LG Hamburg v. 16.4.2004 – 324 O 100/04, BeckRS 2016, 15139 unter Hinweis auf EuGH v. 12.5.1964 – C- 101/64, Slg. 1964, 423; v. 10.7.1986 – C- 149/95, Slg. 1986, 2403.
Burkhardt/Peifer 71
Kap. 2 Rz. 26
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
26
Die bundesrechtliche Privilegierung von Abgeordneten aufgrund der Indemnität nach Art. 46 GG, § 36 StGB erfasst lediglich Äußerungen, die der Abgeordnete in der Körperschaft oder in einem ihrer Ausschüsse getan hat. Auch wenn eine Landesverfassung einen weiter gehenden Schutz gewährt, wie z.B. Art. 81 der Verfassung des Saarlandes, die auf Äußerungen in Ausübung des Abgeordnetenmandats abhebt, setzt die Indemnität einen inneren Bezug zur Arbeit im Parlament voraus. Deswegen greift der Schutz der Indemnität noch ein, wenn eine Parlamentsfraktion eine Presseerklärung herausgibt88, nicht aber, wenn ein Abgeordneter, der Mitglied eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses war, nach Abschluss der Untersuchung eine Druckschrift herausgibt, in der die Mindermeinung des Ausschusses artikuliert wird89. Auch wenn der Abgeordnete die Presse selbst einschaltet, ist er bei einem solchen Vorgehen durch das Indemnitätsprivileg nur insoweit geschützt, als die parlamentarische Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit ausgetragen wird. Das trifft nicht zu, wenn ein Abgeordneter eine geschäftsordnungsmäßig schriftlich zu stellende Anfrage von sich aus in die Öffentlichkeit bringt90. Das gilt auch, wenn er der Pressesprecher seiner Fraktion ist91.
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Nach Art. 46 Abs. 2 GG genießen Bundestagsabgeordnete außerdem Immunität. Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf ein Abgeordneter grundsätzlich nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. Die Immunität bezieht sich nur auf die strafprozessuale Verfolgung einschließlich der Privatklage. Zivilklagen können ohne Genehmigung gegen Abgeordnete erhoben werden, und zwar auch, wenn sie auf eine strafbare Handlung gestützt sind, z.B. auf eine Beleidigung oder üble Nachrede. Aus einem Zivilurteil kann auch vollstreckt werden, z.B. nach § 890 ZPO. Lediglich die Verhängung einer Ordnungshaft bedarf wegen Art. 46 Abs. 3 GG der Genehmigung des Bundestages. 3. Äußerungsrecht von Staatsorganen und Beamten Schrifttum: Leisner, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Rechtsstaat, 1966; di Fabio, Information als hoheitliches Gestaltungsmittel, JuS 1997, 1; Murswiek, Staatliche Warnungen, Wertungen, Kritik als Grundrechtseingriffe, DVBl. 1997, 1021; Ladeur, Verfassungsrechtliche Fragen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit und öffentlicher Wirtschaftstätigkeit im Internet, DÖV 2002, 1; Mandelartz/Grotelüschen, Das Internet und die Rechtsprechung des BVerfG zur Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, NVwZ 2004, 647; Gersdorf, Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages, 2008; Goerlich/Laier, „Parlamentsfernsehen“ und Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages, ZUM 2008, 475; Degenhart, Staatspresse in der Informationsgesellschaft. Verfassungs- und wettbewerbsrechtliche Schranken für die Publikationstätigkeit der öffentlichen Hand, AfP 2009, 207; Koreng, Staatliche Internetpräsenzen zwischen legitimer Öffentlichkeitsarbeit und dem Verbot des Staatsrundfunks, AfP 2009, 117; Degenhart, Der Staat im freiheitlichen Kommunikationsprozess: Funktionsträgerschaft, Funktionsschutz und Funktion, AfP 2010, 324; Lehr, Presse- und äußerungsrechtliche Instrumente des Staates im öffentlichen Meinungskampf, AfP 2010, 25; Schoch, Informationszugangsfreiheit des Einzelnen und Informationsverhalten des Staates, NVwZ 2011, 193; Schoch, Amtliche Publikumsinformation zwischen staatlichem Schutzauftrag und Staatshaftung, NJW 2012, 2844; Lehr, Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechte – Ein Spannungsverhältnis für die Öffentlichkeitsarbeit der Justiz, NJW 2013, 728; Martini/Kühl, Der informierende Staat als Katalysator der Meinungsbildung im digitalen Zeitalter, DÖV 2013, 573; Beutel, Parlamentarische Missfallensäußerung bezüglich privat geäußerter Meinungen, NJ 2014, 282; Murswiek, Das BVerfG und die Dogmatik mittelbarer Grundrechtseingriffe. Zu der Glykol- und der Osho-Entscheidung vom 26.6.2002, DÖV 2015, 417; Barczak, Die partei88 LG Hamburg v. 30.3.2007 – 324 O 460/06, AfP 2007, 384. 89 BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 251/80, MDR 1983, 43 = AfP 1982, 217 = NJW 1982, 2246 – Klinikdirektoren; LG Hamburg v. 16.4.2004 – 324 O 100/04, BeckRS 2016, 15139. 90 BGH v. 18.12.1979 – VI ZR 240/78, NJW 1980, 780 – Abgeordnetenindemnität. 91 OLG München v. 12.12.1986 – 21 U 5918/85, AfP 1987, 440.
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Burkhardt/Peifer
III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse
Rz. 28 Kap. 2
politische Äußerungsbefugnis von Amtsträgern, NVwZ 2015, 1014; Gusy, Neutralität staatlicher Öffentlichkeitsarbeit – Voraussetzungen und Grenzen, NVwZ 2015, 700; Cornils, Parteipolitische Neutralität des Bundespräsidenten. Wahlrechtsprägende Verfassungserwartung, nicht Amtspflicht, FS Hufen, 2015, S. 151; Mandelartz, Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung – Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache „Schwesig“, DÖV 2015, 326; Putzer, Verfassungsrechtliche Grenzen der Äußerungsbefugnisse staatlicher Organe und Amtsträger, DÖV 2015, 417; Tanneberger/Nemeczek, Anmerkung zum Fall Schwesig, NVwZ 2015, 209, 214; Gersdorf, Staatliche Kommunikationstätigkeit, AfP 2016, 293; Knebel, Umfang und Legitimationsprobleme staatlichen Informationshandelns im Internet, DÖV 2016, 105; Müller-Franken, Unzulässige Staatsmedien oder zulässige Informationstätigkeit?, AfP 2016, 301; Wahnschaffe, Zur Neutralitätspflicht staatlicher Hoheitsträger gegenüber Organisationen ohne Parteienstatus, NVwZ 2016, 1767; Heyers, Meinungsfreiheit bei Warnungen vor Produkten oder Leistungen durch staatliche und staatsnahe Institutionen?, AfP 2017, 118; Kliegel, Äußerungsbefugnisse von Amtsträgern gegenüber politischen Parteien, in Scheffczyk/Wolter (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 4, 2017, S. 413.
Die Regierung und sonstige Staatsorgane sind keine Grundrechtsberechtigten, sondern 28 Grundrechtsverpflichtete. Insoweit haben sie kein „Recht auf politische Meinungsäußerung“ (missverständlich Vorauflage), sondern sie dürfen (und ggf. müssen sie auch) kommunizieren, sofern dies im Rahmen der ihr gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen verbleibt. Die Berechtigung zur Teilnahme an der öffentlichen Kommunikation leiten Staat und staatliche Organe insoweit „nicht aus Grundrechten, sondern aus Kompetenznormen ab“92. Das Recht der Massenkommunikation ist vielfach durch das Prinzip der Staatsferne gekennzeichnet, Rundfunk darf der Staat selbst daher nicht als Veranstalter betreiben93; wird er als Presseveranstalter tätig, so greift er als Wettbewerber grundsätzlich unzulässig in die Handlungsgrundlagen der freien Presse ein94. Noch nicht geklärt ist, inwieweit diese Begrenzung von Handlungsbefugnissen auch für Internetdienste gilt95. Faktisch bedienen sich staatliche Stellen vielfach der Möglichkeiten neuer Mediendienste. Dies ist zulässig, soweit es um Informationen über die Regierungstätigkeit geht und das Informationsverhalten keinen Eingriffscharakter im Verhältnis zu Grundrechtsberechtigten hat. Sonst bedarf es einer Aufgabenzuweisung oder Kompetenznorm, wie sie etwa in § 40 LFGB oder § 5 VIG enthalten ist96. Zulässig ist der Gegenschlag gegenüber privaten Meinungsäußerungen, die das staatliche Handeln betreffen. Dazu bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 5 GG, wenn dieses Recht zur Ausübung des Informationsverhaltens, insb. zur Orientierung der Bevölkerung in Fragen der Regierungstätigkeit, erforderlich ist. Dass der Grad der Schärfe des Angriffs das Maß der zulässigen Schärfe des Gegenangriffs bestimmt, ist ein auf die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Güterabwägung zurückgehender Rechtsgrundsatz, der z.B. auch beim Schutz berechtigter Interessen Anwendung findet (Näheres Kap. 10 Rz. 273 ff.)97. Auch Behörden steht das Recht auf Gegendarstellung gegenüber der Presse im Grundsatz zu, doch ist es wegen des darin liegenden Eingriffs in die Grundrechte Privater nur zulässig gegenüber Tatsachenbehauptungen, die in gravierender Weise in ihre Funktionsabläufe eingreifen, insb. das unerlässliche Vertrauen in die Integrität staatlicher Stellen in Frage stellen98. 92 93 94 95
Gersdorf, AfP 2016, 293, 294. Degenhart, AfP 2010, 324, 326. Degenhart, AfP 2009, 207. Ladeur, DÖV 2002, 1; Goerlich/Laier, ZUM 2008, 475, 482; Koreng, AfP 2009, 117; Gersdorf, AfP 2016, 293, 295; Knebel/Schoss, DÖV 2016, 105. 96 Schoch, NJW 2010, 2242, 2246. 97 BVerwG v. 13.4.1984 – 7 B 20/83, MDR 1984, 783 = AfP 1984, 251. 98 BerlVGH v. 20.8.2008 – VerfGH 22/08, NJW 2008, 3491.
Burkhardt/Peifer 73
Kap. 2 Rz. 29 29
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
Zu der umstrittenen Frage, welche Voraussetzungen für eine darüber hinausgehende staatliche Informationstätigkeit erfüllt sein müssen, hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach Stellung genommen99. Danach setzt die Verbreitung staatlicher Informationen zunächst eine Aufgabe der handelnden Stelle und darüber hinaus die Einhaltung der Zuständigkeitsgrenzen voraus. Ist der Regierung oder Verwaltung eine Aufgabe zugewiesen, liegt darin auch eine Ermächtigung zum Informationshandeln. Einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf es insoweit nicht100. Die Aufgabe der Staatsleitung der Regierung ermächtigt sie auch, über die herkömmliche regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit hinaus die Öffentlichkeit über wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit zu unterrichten. Dies kann insb. Bereiche betreffen, in denen die Informationsversorgung der Bevölkerung auf interessengeleiteten, mit dem Risiko der Einseitigkeit verbundenen Informationen beruht und die gesellschaftlichen Kräfte nicht ausreichen, um ein hinreichendes Informationsgleichgewicht herzustellen. Von der Staatsleitung in diesem Sinne wird nicht nur die Aufgabe erfasst, durch rechtzeitige öffentliche Information die Bewältigung von Konflikten in Staat und Gesellschaft zu erleichtern, sondern auch neuen, oft kurzfristig auftretenden Herausforderungen entgegenzutreten, auf Krisen schnell und sachgerecht zu reagieren sowie den Bürgern zur Orientierung zu verhelfen. Jedoch ist auch beim Informationshandeln die Kompetenzordnung zu beachten. Dies gilt zum einen für den föderalen Kompetenzaufbau zwischen Bund und Ländern, jedoch auch für das Verhältnis zwischen z.B. Bundeskanzler, Bundesministern und der Bundesregierung als Kollegium nach Art. 65 GG. Zwar gibt es für die Regierungskompetenz zur Staatsleitung keine ausdrücklichen Bestimmungen im Grundgesetz. Das Grundgesetz geht aber stillschweigend von entsprechenden Kompetenzen aus. Daher ist z.B. die Bundesregierung überall dort zur Informationsarbeit berechtigt, wo ihr eine gesamtstaatliche Verantwortung der Staatsleitung zukommt, die mit Hilfe von Informationen erfüllt werden kann. Dies betrifft z.B. Vorgänge, die wegen ihres Auslandsbezugs oder ihrer länderübergreifenden Bedeutung überregionalen Charakter haben und bei denen eine bundesweite Informationsarbeit der Regierung die Effektivität der Problembewältigung fördert. Zum Zwecke der Problembewältigung ist die Bundesregierung dann auch berechtigt, Empfehlungen oder Warnungen auszusprechen. Staatliche Information muss jedoch inhaltlich zutreffend und unter Beachtung des Gebots der Sachlichkeit sowie mit angemessener Zurückhaltung formuliert sein. Der Staat kann allerdings zur Verbreitung von Informationen unter besonderen Voraussetzungen schon dann berechtigt sein, wenn ihre Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt ist. Die Rechtmäßigkeit hängt in solchen Fällen davon ab, ob der Sachverhalt vor seiner Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung verfügbarer Informationsquellen, ggf. auch unter Anhörung Betroffener, sowie in dem Bemühen um die nach den Umständen erreichbare Verlässlichkeit aufgeklärt worden ist. Verbleiben dennoch Unsicherheiten, bedarf die Informationstätigkeit eines öffentlichen Interesses. In solchen Fällen ist es angezeigt, auf verbleibende Unsicherheiten über die Richtigkeit der Information hinzuweisen. Erweist sich eine Information im Nachhinein als unrichtig, darf sie nicht mehr weiterverbreitet werden. Ist die Information weiterhin für die Öffentlichkeit von Belang, muss sie korrigiert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat nach diesen Grundsätzen bspw. die Veröffentlichung einer Liste über Weine und andere Erzeugnisse, in denen Diethylenglykol festgestellt war, ebenso als zulässig erachtet, wie die Bezeichnung der Osho-Bewegung als „Sekte“, „Jugendreligion“, „Ju99 BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91, NJW 2002, 2621 – Glykol; v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91, AfP 2002, 410 = NJW 2002, 2626 – Osho; vgl. zur Sektenwarnung der Bundesregierung auch EGMR v. 6.11.2008 – Nr. 58911/00, NVwZ 2010, 177. 100 Enger BVerwG v. 20.11.2014 – 3 C 27/13, NVwZ-RR 2015, 425: Öffentliche Warnung vor E-Zigaretten erfordert gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.
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Burkhardt/Peifer
III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse
Rz. 30 Kap. 2
gendsekte“ und „Psychosekte“. Demgegenüber verstoße die Bezeichnung der Osho-Bewegung als „destruktiv“ und „pseudo-religiös“ gegen das Sachlichkeitsgebot staatlichen Informationshandelns. Dasselbe gelte für den Vorwurf der Manipulation von Mitgliedern. Zwar dürften staatliche Organe sich mit Grundrechtsträgern öffentlich auch kritisch auseinandersetzen. Auch unter Beachtung der grundrechtlichen Gewährleistung der Religionsfreiheit sei es dem Staat erlaubt, sich mit derartigen Fragen zu befassen. Unzulässig seien jedoch diffamierende, diskriminierende oder verfälschende Darstellungen einer religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaft. Zulässig ist es, dass der zuständige Minister auf verfassungsfeindliche Bestrebungen hinweist, nicht aber, dass politische Gegner von Amts wegen als Verfassungsfeinde denunziert werden. Wenn das Kabinett ohne hinreichenden Grund und ohne Anhörung des Betroffenen aufgrund nur unsicherer Gerüchte nach außen eine unrichtige oder nicht beweisbare scharfe oder gar diskriminierende Bewertung ausspricht, z.B. ein Außenhandelskaufmann sei als „Landesverräter“ und „Schädling“ eine persona non grata, kann das eine Amtspflichtverletzung sein101. Von der Möglichkeit einer Amtspflichtverletzung ist der BGH auch im Scientology-Fall ausgegangen102, der die Weitergabe eines BKA-Berichts mit ungesicherten Erkenntnissen über die Scientology-Sekte an das Max-Planck-Institut für Psychiatrie betrifft. Auch die Antwort einer Landesregierung auf eine Landtagsanfrage kann Grundrechte einzelner verletzen. Dagegen kann der Betroffene einen Unterlassungs- und Folgenbeseitigungsanspruch geltend machen. Solche Ansprüche bestehen allerdings nicht, wenn ein Ministerium auf eine Anfrage lediglich mitteilt, zukünftig müsse eine staatliche Förderung von Veranstaltungen in Frage gestellt werden, in denen aktiv und offen bekennende Scientologen und Mitglieder ähnlicher Gruppierungen auftreten103. Ebenso wenig steht dem Betroffenen ein Anspruch zu, wenn er die Anfrage selbst veranlasst und die Angelegenheit damit in die Öffentlichkeit getragen hat104. Ansprüche auf Unterlassung und Widerruf sind im Verwaltungsrechtsweg durchsetzbar, Ersatzansprüche nach § 839 BGB im Zivilrechtsweg105. Eine nicht gerechtfertigte, ansehensmindernde amtliche Äußerung eines Ministers über Beamte kann zugleich eine Fürsorgepflichtverletzung sein. Zur Beseitigung der Ansehensbeeinträchtigung kann der Beamte auch aus Fürsorgegründen eine geeignete, nach Form und Adressatenkreis der beeinträchtigenden Äußerung entsprechende Erklärung des Dienstherrn verlangen106. Öffentlichkeitsarbeit der Regierung und der übrigen verfassten Staatsorgane ist notwendig, 30 um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten107. Regierungsmitglieder müssen aber zurückhaltend bei der Nutzung der amtlichen Kommunikationsmacht auftreten. Insb. dürfen sie diese Kommunikationsmacht nicht dazu nutzen, die Chancengleichheit konkurrierender Parteien zu beeinträchtigen108. Das Neutralitätsgebot für Äußerungen öffentlicher Amtsträger gilt im Verhältnis zu politischen Parteien und folgt aus 101 BGH v. 13.3.1967 – III ZR 28/64, Ufita 50/1967, 975. 102 BGH v. 25.9.1980 – III ZR 74/78, MDR 1981, 388 = NJW 1981, 675. 103 BVerfG v. 18.6.2002 – 1 BvR 1241/97, NJW 2002, 3459 – Chick Corea; VGH Mannheim v. 15.10.1996 – 10 S 176/96, NJW 1997, 754. 104 So VG München, zitiert nach Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 4. 105 BGH v. 25.9.1980 – III ZR 74/78, MDR 1981, 388 = NJW 1981, 675; VG Bremen v. 10.2.1978 – II A 103/77, NJW 1978, 1650. 106 BVerwG v. 29.6.1995 – 2 C 10/93, NJW 1996, 210; VGH Hessen v. 27.2.1977, ZBR 1974, 261. 107 BVerfG v. 19.7.1966 – 2 BvF 1/65, NJW 1966, 1499; v. 23.2.1983 – 2 BvR 1765/82, NJW 1983, 1105. 108 ThürVerfGH v. 8.6.2016 – VerfGH 25/15, NVwZ 2016, 1408 – Fall Ramelow, m. Anm. Mast, K&R 2016, 542; v. 3.12.2014 – VerfGH 2/14, ThürVBl. 2015, 295 – Fall Taubert.
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Kap. 2 Rz. 30
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
deren Recht auf Chancengleichheit gemäß Art. 21 GG; gegenüber sonstigen Personen und Gruppierungen gilt das Sachlichkeitsgebot109. Jedenfalls während der Vorwahlzeit unterliegen Regierungsäußerungen über konkurrierende Parteien speziellen Schranken110. Ausgehend von der zeitlichen Beschränkung des Bundestag und Bundesregierung erteilten Auftrages und der Notwendigkeit der Chancengleichheit bei der Wahl, bezeichnet das Bundesverfassungsgericht111 ein parteiergreifendes Einwirken von Staatsorganen in die Wahlen zur Volksvertretung als unzulässig, wenn es zugunsten oder zu Lasten Einzelner oder aller am Wahlkampf beteiligten politischen Parteien oder Bewerber erfolgt. Dies gilt auch für eine in der Vorwahlzeit als Öffentlichkeitsarbeit bezeichnete Verbreitung von Anzeigen, Faltblättern, Broschüren usw.112. Die in der Vorwahlzeit geltenden Beschränkungen schließen nicht aus, dass die Mitglieder der Bundesregierung sich auch in amtlicher Funktion über Rundfunk und Fernsehen an die Öffentlichkeit wenden oder Presseerklärungen abgeben, ebenso wenig, dass sie außerhalb ihrer amtlichen Funktion für eine Partei in den Wahlkampf eingreifen. Sich während der Vorwahlzeit unmittelbar durch Anzeigen, Druckschriften oder durch ähnliche Maßnahmen in den Wahlkampf einzuschalten ist der Bundesregierung versagt. Wohl aber darf sie auf verfassungsfeindliche Tendenzen einer Partei hinweisen, wenn die Partei durch den Verfassungsschutz überwacht wird oder ein Parteiverbotsverfahren anhängig ist113. Wenn aber eine Partei, die dem rechten politischen Spektrum zuzuordnen ist, zu einer Versammlung gegen die Politik der Bundeskanzlerin aufruft, steht einer Bundesministerin kein „Recht auf Gegenschlag“ in Form einer Pressemitteilung ihres Ministeriums dergestalt zu, dass sie auf unsachliche oder diffamierende Angriffe in gleicher Weise reagieren dürfe („Rote Karte für Merkel“ – „Rote Karte für die AfD“)114. Je näher die Veröffentlichungen an den Beginn der „heißen Phase“ des Wahlkampfes heranrücken, desto weniger können ihre Auswirkungen auf das Wahlergebnis ausgeschlossen werden. Ein genauer Stichtag, von dem an das Gebot äußerster Zurückhaltung strikt zu beachten und für Arbeits-, Leistungs- und Erfolgsberichte kein Raum mehr ist, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Als Orientierungspunkt kann etwa der Zeitpunkt gelten, an dem der Bundespräsident nach § 16 BundeswahlG den Wahltag bestimmt115. Entsprechendes gilt für die Regierungen der Länder und der Stadtstaaten. Unzulässig kann bereits eine einzelne Anzeige bzw. ein Beitrag innerhalb einer Informationsschrift sein116. Zulässig sind aber Anzeigen, die aus akutem Anlass eine neue Rechtslage erläutern117. Mit der Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen zulässiger und verfassungswidriger Öffentlichkeitsarbeit hat sich auch der Saarländische Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil vom 26.3.1980 befasst118. Bürgermeister sind zwar kommunale Wahlbeamte, aber als gewählte Stadtoberhäupter haben sie kraft Amtes kommunikative Befugnisse119. Auch Bürgermeister unterliegen im Wahlkampf Beschränkungen120. Der Bürgermeister kann zwar Wahl109 BVerwG v. 13.9.2017 – 10 C 6/16, JZ 2018, 360 m. Anm. Ferreau – „Licht aus“. 110 RhPfVerfGH v. 23.10.2006 – VGH O 17/05, NVwZ 2007, 200; Kliegel, Äußerungsbefugnisse von Amtsträgern, in Scheffczyk/Wolter, 2017, S. 413, 429. 111 BVerfG v. 2.3.1977 – 2 BvE 1/76, NJW 1977, 751. 112 Vgl. Zuck, NJW 1977, 1054. 113 BVerfG v. 20.2.2013 – 2 BvE 11/12, NVwZ 2013, 568, 569; VGH Bayern v. 22.10.2015 – 10 B 15.1609, BeckRS 2015, 55371. 114 BVerfG v. 27.2.2018 – 2 BvE 1/16, NJW 2018, 928. 115 BVerfG v. 2.3.1977 – 2 BvE 1/76, NJW 1977, 751, 754. 116 StGH Bremen v. 30.11.1983 – St 1/83, AfP 1983, 458. 117 BVerfG v. 23.2.1983 – 2 BvR 1765/82, NJW 1983, 1105. 118 VerfGH Saarland v. 26.3.1980 – Lv 1/80, NJW 1980, 2181. 119 BVerwG v. 13.9.2017 – 10 C 6/16, JZ 2018, 360 m. Anm. Ferreau – „Licht aus“. 120 VG Trier v. 20.1.2015 – 1 K 1591/14.TR, BeckRS 2015, 41622.
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Burkhardt/Peifer
III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse
Rz. 31 Kap. 2
kampf betreiben, auch in öffentlichen Versammlungen. Das ihm bei amtlicher Tätigkeit zufallende Gewicht und die in diesem Rahmen bestehenden Einflussmöglichkeiten darf er aber nicht in einer Weise benutzen, die mit seiner der Allgemeinheit verpflichteten Aufgabe unvereinbar ist121. Dies gilt auch, wenn er sich sozialer Medien bedient, die nicht für private, sondern amtliche Mitteilungen Verwendung finden122. Unzulässig ist es, wenn er die Wahl bestimmter Personen in einer mit „Der Bürgermeister“ unterzeichneten „Amtlichen Bekanntmachung“ empfiehlt123. Unzulässig ist es auch, wenn ein Bürgermeister gegenüber Versammlungen von Gruppen, die am politisch rechten Rand stehen, zu einem Boykott durch eine „Licht aus“-Aktion aufruft: Maßstab für sein Handeln im politischen Meinungskampf muss stets das Gebot der Sachlichkeit sein. Amtsträgern ist eine lenkende oder steuernde Einflussnahme auf den politischen Meinungsbildungsprozess der Bürger verwehrt; eine Meinungskundgabe auch durch symbolische Handlungen ist nicht per se unzulässig, muss aber Teil eines rationalen, nicht diskreditierenden Diskurses sein.124. Einer Behörde wie z.B. einer Staatsanwaltschaft steht es als Organ der öffentlichen Gewalt 31 nicht frei, rufschädigende Tatsachen über einzelne Bürger nach Belieben zu behaupten. Nach überwiegender Auffassung bedarf es für ein derartiges Vorgehen einer staatlichen Stelle gegenüber Rechtspositionen Privater grundsätzlich einer gesetzlichen Ermächtigung125. Handelt die Behörde im Rahmen ihrer gesetzlich zugewiesenen Aufgaben, umfasst die Aufgabenerfüllung auch das Informationshandeln. Einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf es insofern nicht stets126. Im Bereich der staatsanwaltlichen Information ist das jedenfalls anders, wenn Persönlichkeitsrechtsverletzungen drohen. Hier verschafft jedoch der presserechtliche Auskunftsanspruch (§ 4 LPG) eine Ermächtigung der Behörde, weil sie danach zur Auskunftserteilung verpflichtet ist127. Allerdings sind insb. bei der Berichterstattung über Ermittlungen die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen streng zu wahren, die Unschuldsvermutung ist vom Staat und seinen Organe in besonderer Weise zu beachten128. Bei unwahrer Auskunft kann der Betroffene unter dem Blickwinkel der Beseitigung einen Widerruf fordern129. Das gilt auch, wenn durch eine Presseerklärung ein unzutreffender Eindruck erweckt wird130. Vorverurteilende und sachlich falsche öffentliche Äußerungen der Staatsanwaltschaft über einen Beschuldigten können zu zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen, auch zu einer immateriellen Geldentschädigung führen131.
121 VG Köln v. 30.3.2017 – 4 L 750/15, BeckRS 2017, 106696. 122 VG München v. 19.1.2015 – M 7 E 15.136, MMR 2016, 71; VGH Kassel v. 24.11.2014 – 8 A 1605/14, NVwZ 2015, 508. 123 BVerwG v. 29.5.1973 – VII B 27/73, DÖV 1974, 388. 124 BVerwG v. 13.9.2017 – 10 C 6/16, JZ 2018, 360 m. Anm. Ferreau – „Licht aus“. 125 BVerwG v. 18.4.1985 – 3 C 34/84, DVBl. 1985, 857; di Fabio, JuS 1997, 1 ff.; Murswiek, DVBl. 1997, 1021; a.A. VG Köln v. 11.3.1999 – 20 L 3757/98, AfP 2000, 114 = CR 1999, 557 m. Anm. Ehmann = ZUM-RD 2000, 255, 256 für Äußerungen des Bundesdatenschutzbeauftragten. 126 BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91 ua., NJW 2002, 2621 – Glykol; v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91, AfP 2002, 410 = NJW 2002, 2626 – Osho. 127 OVG Rheinland-Pfalz v. 20.3.1990 – 7 A 101/89, AfP 1992, 93; VGH Bayern v. 18.6.2002 – 22 CE 02.815, AfP 2002, 452; OLG Hamm v. 31.1.2000 – 2 Ws 282/99, AfP 2000, 598 = NJW 2000, 1278. 128 Vgl. zu kritischen Sachverhalten insoweit Lehr, NJW 2013, 728; Lehr, AfP 2010, 25. 129 BVerwG v. 19.7.1984 – 3 C 81/82, NJW 1985, 817. 130 VGH Bayern v. 18.6.2002 – 22 CE 02.815, AfP 2002, 452. 131 LG Wiesbaden v. 3.6.2015 – 10 O 80/12, NJW 2015, 2975 m. Anm. Huff.
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Kap. 2 Rz. 32 32
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
Vom Regierungs- oder Behördenhandeln sind gelegentlich Äußerungen des Bundespräsidenten und von Mitgliedern der Regierung zu unterscheiden. Funktional stehen sie zwar dem Regierungshandeln gleich, sofern für die Regierung oder ein Staatsorgan gehandelt wird. Die Abgrenzung kann heikel sein. Großzügige Äußerungsbefugnisse stehen dem Bundespräsidenten zu. Er durfte in einer Diskussion mit Schülern Unterstützer rechtsextremer Parteien als „Spinner“ bezeichnen, weil die besondere Funktion des Bundespräsidenten im Staatsgefüge auch ohne gesetzliche Ermächtigung solche Freiheiten rechtfertige. Verboten bleibt auch dem Bundespräsidenten Schmähkritik oder die ausgrenzende oder begünstigende Äußerung in Bezug auf Parteien132. Die Kritik an dieser Rechtsprechung entzündet sich zu Recht daran, dass der Bundespräsident eine besondere und zur Neutralität verpflichtende Autorität innehat, so dass seine Äußerungen hohe Glaubwürdigkeit und hohes Gewicht besitzen133. Problematisch ist insofern auch, wenn Äußerungsbefugnisse danach beurteilt werden, ob ein Regierungsmitglied in seiner Funktion oder als Parteimitglied bzw. Privatperson auftritt. So hat das Bundesverfassungsgericht einer Bundesfamilienministerin zugestanden, in einem Interview am Rande einer Preisverleihung zu äußern, sie werde alles dafür tun, dass es nicht so weit komme, dass eine am rechten politischen Rand stehende Partei in den Landtag kommt. Die Äußerung erfolgte wenige Monate vor den Landtagswahlen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht daran festgehalten, dass Regierungsmitglieder bei der Wahrnehmung von Amtsgeschäften dem Neutralitätsgebot unterliegen, doch soll dies nur gelten, wenn ein Amtsbezug vorliege oder hergestellt werde134. Diese Differenzierung überzeugt nicht vollständig, denn amtierende Regierungsmitglieder werden nicht als Privatpersonen, sondern stets mit Bezug auf ihre Amtswahrnehmung interviewt oder zu öffentlichen Äußerungen eingeladen135. Auch der Rezipient dürfe die Äußerung nicht als Privatmeinung begreifen, sondern sie auch der Funktion des Befragten zuschreiben136. Sofern sich Regierungsmitglieder scharf und abfällig äußern, gefährdet dies die Debattenkultur in einem Bereich, in dem jedenfalls der Staat und seine Organe zu Sachlichkeit und vorbildhaftem Diskussionsverhalten verpflichtet sein müssen137. Gesondert zu betrachten ist die Frage, ob und inwieweit ausländische Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder sich in Deutschland in ihrer amtlichen Funktion äußern dürfen. Dies liegt allein im außenpolitischen Ermessen der Bundesregierung (Art. 32 GG); jedenfalls können ausländische Regierungsmitglieder sich nicht auf Grundrechte berufen138.
132 BVerfG v. 10.6.2014 – 2 BvE 4/13, BVerfGE 136, 323 – Fall Gauck. 133 Kliegel, Äußerungsbefugnisse von Amtsträgern, S. 413, 427; Cornils, FS Hufen, 2015, S. 151, 164. 134 BVerfG v. 16.12.2014 – 2 BvE 2/14, BVerfGE 138, 102 – Fall Schwesig, m. krit. Anm. Tanneberger/Nemeczek, NVwZ 2015, 209; BVerfG v. 7.11.2015 – 2 BvQ 39/15 – Fall Wanka, BVerfGE 140, 225 Rz. 32: Pressemitteilung mit ausgrenzender Äußerung über eine Partei auf der Homepage einer Bundesministerin; VGH Rheinland-Pfalz v. 21.5.2014 – VGH A 39/14, NVwZ-RR 2014, 665; VGH Saarland v. 8.7.2014 – Lv 5/14, DÖV 2014, 845; OLG Dresden v. 5.5.2015 – 4 U 1676/14, ITRB 2016, 33 = AfP 2016, 157 – Boykottaufruf durch Oberbürgermeister. 135 Krit. auch Putzer, DÖV 2015, 417, 423; Krüper, JZ 2015, 414, 415; Mandelartz, DÖV 2015, 326, 329. 136 So EuGH v. 17.4.2007 – C-470/03, NVwZ 2007, 1282. 137 Tanneberger/Nemeczek, NVwZ 2015, 214, 216. 138 BVerfG v. 8.3.2017 – 2 BvR 483/17 – Fall Yildirim: Abgewiesen wurde mangels persönlicher Betroffenheit ein Antrag auf einstweilige Anordnung dahingehend, dem türkischen Ministerpräsidenten werbende Äußerungen für eine Verfassungsänderung in seinem Land auf einer öffentlichen Veranstaltung in Deutschland zu untersagen.
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Burkhardt/Peifer
III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse
Rz. 33 Kap. 2
Beamte genießen selbstverständlich das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG, al- 33 lenfalls sind ihre Äußerungsfreiheiten durch Funktionsbelange der Organisation, der sie angehören, beschränkt139. Beamte unterliegen unabhängig von den sonstigen Beschränkungen der sich aus Art. 33 Abs. 5 GG ergebenden politischen Treuepflicht. Dieser hergebrachte Grundsatz des Berufsbeamtentums ist sachlich mit der sich aus § 52 Abs. 2 BBG ergebenden Pflicht des Beamten identisch140. Danach muss sich ein Beamter durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Allerdings stellt das bloße Haben einer Überzeugung und die bloße Mitteilung, dass man diese habe, niemals eine Verletzung der politischen Treuepflicht dar. Die politische Treuepflicht ist erst verletzt, wenn der Beamte Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung, für die Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten im Sinne seiner politischen Überzeugungen zieht141. Planmäßige Agitation oder aggressives Werben, z.B. für verfassungsfeindliche Ziele, sind daher durch die auch Beamten grundsätzlich zustehende Äußerungsfreiheit nicht mehr gedeckt. Zusätzliche Schranken der Äußerungsfreiheit ergeben sich für Beamte aus den weiteren Regelungen des Beamten- und Disziplinarrechts, die allgemeine Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG sind142. Dazu gehört z.B. die Pflicht des Beamten zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten (§ 61 Abs. 1 Satz 3 BBG) und die Pflicht zu unparteiischer und gerechter Amtsführung (§ 60 Abs. 1 Satz 2 BBG). Diese Pflichten sind schwer verletzt, wenn bspw. ein als Leiter des Personalreferats eingesetzter Beamter in einem Kantinengespräch mit anderen Bediensteten äußert, Deutschland sei ein „Tummelplatz für Ausländer und Gangster“, „diese müssten ausgemerzt werden“ und „die Juden“ seien an dem ihnen im Nationalsozialismus widerfahrenen Schicksal, an ihrer Verfolgung und Vernichtung, „selbst schuld“, sie seien „gerissen“ und hätten „die Deutschen übervorteilt“ „benachteiligt“ und „über’s Ohr gehauen“143. Bei innerdienstlichen Beanstandungen gebietet die Pflicht des Beamten und ebenso des Angestellten des öffentlichen Dienstes zu Treue und Loyalität gegenüber dem Dienstherrn, zunächst die in der institutionellen Ordnung der Verwaltung und des demokratischen Staates liegenden Abhilfemöglichkeiten auszuschöpfen, bevor er den in seinen Folgen von ihm oft nicht übersehbaren und nicht beherrschbaren Weg in die Öffentlichkeit beschreitet. Das gilt auch, wenn der Beamte oder Angestellte verfassungswidrige Vorgänge in seinem Bereich erkannt zu haben glaubt. Er muss mit der Rüge und mit Vorschlägen zur Abhilfe zunächst an seine Vorgesetzten herantreten. Ein vermeintlich verfassungswidriges Verhalten seiner Behörde darf der Beamte intern kundtun, allerdings hat er sich in Form und Inhalt dabei zu mäßigen144. Tritt dieser die „Flucht in die Öffentlichkeit“ unter Missachtung dieser Pflichten an, so drohen ihm disziplinarrechtliche Maßnahmen145. Allerdings werden Verfehlungen dieser Art nur geringes Gewicht haben und mit einer Disziplinarstrafe geahndet werden können; weitere Grundrechtseingriffe, wie eine Wohnungsdurchsuchung, werden dadurch noch nicht gerechtfertigt, sofern mildere Mittel zur Sachverhaltsaufklärung
139 Zimmermann, NJ 2011, 145, 147. 140 BVerwG v. 1.2.1989 – 1 D 2/86, NJW 1989, 2554. 141 BVerfG v. 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; BVerwG v. 20.1.2001 – 1 D 55/99, NJW 2002, 155. 142 BVerfG v. 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; BVerwG v. 20.2.2001 – 1 D 55/99, NJW 2002, 155; BayVerfGH v. 6.11.1990 – Vf. 74-VI/88, NJW 1992, 226; dazu Schick, NJW 1975, 2169. 143 BVerwG v. 20.2.2001 – 1 D 55/99, NJW 2002, 155. 144 BVerfG v. 20.9.2007 – 2 BvR 1047/06, NVwZ 2008, 416. 145 BVerwG v. 10.10.1989 – 2 WDB 4/89, BVerwGE 86, 188 = NVwZ 1990, 762.
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Kap. 2 Rz. 34
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
möglich sind146.Sollten die Vorgesetzten nicht der Sachlage entsprechend auf die Mitteilung des Beamten reagieren oder verspricht ihre Unterrichtung den Umständen nach ersichtlich keinen Erfolg, ist dem Beamten anzusinnen, den Dienstweg bis zu dem für die Tätigkeit der Behörde parlamentarisch verantwortlichen Minister weiterzuverfolgen, ggf. auch vom Petitionsrecht Gebrauch zu machen147. Einen größeren Freiraum wird man einem Beamten zugestehen müssen, wenn es um seine Selbstverteidigung gegenüber belastenden Presseberichten geht und der Dienstherr es z.B. infolge politischer Rücksichtnahmen trotz Aufforderung ablehnt, seinerseits auf eine den Beamten entlastende Richtigstellung hinzuwirken. 34
Bei politischer Betätigung sind Beamte auch außerdienstlich zur Mäßigung verpflichtet. Die entsprechenden beamtenrechtlichen Regelungen sind allgemeine, nicht auf eine bestimmte politische Meinung bezogene Gesetze und damit durch Art. 5 Abs. 2 GG gedeckt. Die Verbreitung rechtsextremistischer Thesen durch einen Gymnasiallehrer kann ein Dienstvergehen sein148. Ein Lehrer an einer höheren Schule verstößt aber nicht schon dadurch gegen das Mäßigungsgebot, dass er am Ausgang des Schulgeländes ein zusammen mit Anderen verfasstes Flugblatt an Schüler verteilt, um gegen die Nachrüstung zu opponieren149.
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Kenntnisse, die er durch seine dienstliche Tätigkeit erlangt hat, darf ein Beamter zu publizistischen Zwecken, auch zu literarischen wie z.B. für einen Roman, nur verwenden, soweit sie keinen vertraulichen Charakter haben. Ob im Einzelfall die Verschwiegenheits- und Treuepflicht oder das allgemeine Informationsinteresse überwiegt, ist eine Frage der Abwägung. Grundsätzlich muss sich der Dienstherr darauf verlassen können, dass seine Beamten und Angestellten die behördliche Tätigkeit nicht durch publizistische Stellungnahmen konterkarieren. Etwas anderes kann für Angehörige der Personalvertretung im Rahmen ihrer besonderen Aufgaben gelten. Evtl. könnte auch einem pensionierten Beamten ein etwas größerer Freiraum einzuräumen sein. Vermehrt relevant werden Fälle des „Whistleblowing“ (Kap. 1 Rz. 60). Zur Klärung möglicher Missstände ist der Beamte gehalten, zunächst interne Lösungen zu suchen, bevor er an die Öffentlichkeit tritt (Rz. 33). 4. Äußerungsrecht von Soldaten
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Das in Art. 10 EMRK garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung gilt auch für Soldaten150. Das gilt auch für Art. 5 GG151. Soldaten steht ebenso das Koalitionsrecht nach Art. 9 GG zu. Mitgliedschaft und öffentliche Äußerungen verletzen grds. keine Dienstpflicht. Dies gilt auch für eine Mitgliedschaft in rechtsgerichteten Organisationen, z.B. Republikanern, soweit diese keine Zielsetzung verfolgen, die mit der verfassungsrechtlichen Ordnung unvereinbar ist152. Allerdings ist die Äußerungsfreiheit von Soldaten eingeschränkt. Sie erlaubt ihrerseits naturgemäß keine beleidigenden Äußerungen153. Überdies ist die Äußerungsfreiheit eingeschränkt, soweit es um Funktionsinteressen der Armee geht. So verwehren die §§ 10 Abs. 6, 14 und 15 des Soldatengesetzes dem Soldaten, sich über geheimzuhaltende Tatsachen oder „im Dienst“ 146 147 148 149 150 151 152 153
BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvR 1780/04, NVwZ 2006, 1282. BVerfG v. 28.4.1970 – 1 BvR 690/65, NJW 1970, 1498 – Pätsch. VerfGH Bayern v. 6.11.1990 – Vf.74-VI/88, NJW 1992, 226. DiszplGH BW v. 8.7.1986 – DH 25/85, AfP 1987, 643; vgl. auch VGH BW v. 24.5.1984 – DH 18/83, NJW 1985, 1661. EMRK v. 14.9.2010 – Nr. 51001/07, NVwZ-RR 2011, 733. BVerfG v. 28.4.2007 – 2 BvR 71/07, NVwZ 2008, 330. BVerwG v. 18.5.2001 – 2 WD 42/00, 43/00, NJW 2002, 980. BVerwG v. 24.4.2007 – 2 WD 9/06, NVwZ 2008, 92: sexuell anzügliche Bemerkungen.
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Burkhardt/Peifer
III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse
Rz. 36 Kap. 2
zugunsten einer bestimmten politischen Richtung frei zu äußern154. Während ein aufgrund der Wehrpflicht dienender Soldat noch nicht pflichtwidrig handelt, wenn er außerhalb des Dienstes in Zivil und in räumlicher Trennung von militärischen Bereichen und Veranstaltungen Schriften des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer verteilt, die lediglich auf das Recht der Kriegsdienstverweigerung nach Art. 4 Abs. 3 GG hinweisen155, kann bei Offizieren auch durch außerdienstliche Äußerungen die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr durch eine Untergrabung der Moral und Disziplin innerhalb der Streitkräfte gefährdet werden, so dass das Grundrecht der freien Meinungsäußerung in solchen Fällen zurücktritt156. Dies gilt allerdings nur, soweit die Gefahr besteht, dass die Äußerungen Untergebenen zu Gehör kommen oder in die Öffentlichkeit dringen157. Die in einer öffentlichen Veranstaltung aufgestellte Forderung eines Soldaten, der Verteidigungsminister solle wegen seines Verhältnisses zur eigenen Partei zurücktreten, verstößt noch nicht ohne weiteres gegen die Dienstpflichten158. Auch ein Hauptmann verletzt nicht seine Pflicht zur Zurückhaltung gemäß § 10 Abs. 6 Satz 1 SoldG, wenn er dem Oberbürgermeister einer etwa 10 km von der Garnison entfernten Stadt in Zivil eine Petition überreicht159. In Zivil darf auch ein Stabsoffizier an einem Ostermarsch teilnehmen. Die Beurteilung seiner Äußerungen hängt davon ab, ob er als Staatsbürger oder als Angehöriger der Streitkräfte auftritt160, zudem ob ein außerdienstliches Verhalten konkret Funktionsinteressen der Armee beeinträchtigt161. Hat sich ein Vorgesetzter während einer nachträglich publizierten Ansprache in überzogener Form geäußert, ist ein Soldat berechtigt, dem in Form eines offenen Briefes auch ohne die sonst gebotene Zurückhaltung entgegenzutreten162. Ein Bundeswehroffizier ist für seinen Dienstherrn untragbar, wenn er gegenüber Offiziersanwärtern im privaten Kreis den Holocaust als „Lüge“ bezeichnet, antisemitische Parolen verbreitet und Nato-Verbündete schmäht163. Das Verteilen von NS-Propagandamittel in dienstlichen Einrichtungen und Unterkünften darf durch Dienstvorschriften verboten werden164. Ein schweres Dienstvergehen liegt vor, wenn ein Oberfeldwebel behauptet, die Widerstandskämpfer des 20.7.1944 seien „Verräter“, auch wenn er dies nur tut, um einen Kameraden zu provozieren und keine Untergebenen anwesend sind165. Das gilt auch für die Äußerung in einer Dezernatsrunde, die „Kapazität der Gaskammern“ sei „nicht ausreichend“ gewesen166. Das mehrfache Zeigen des „Hitlergrußes“ durch einen Feldwebel kann dessen Entlassung aus dem Dienstverhältnis auf Zeit rechtfertigen167.
154 Vgl. BVerfG v. 26.5.1970 – 1 BvR 657/68, NJW 1970, 1837. 155 BVerwG v. 25.2.1969 – I WDB 1/69, NJW 1969, 675. 156 BVerfG v. 28.4.2007 – 2 BvR 71/07, NVwZ-RR 2008, 330; BVerwG v. 22.10.2008 – 2 WDB 1/08, NVwZ-RR 2009, 426. 157 BVerwG v. 22.10.2008 – 2 WDB 1/08, NVwZ-RR 2009, 426. 158 BVerwG v. 12.4.1978 – 2 WDB 24/77, NJW 1978, 2109. 159 BVerwG v. 25.7.1984 – 2 WDB 3/84, NJW 1985, 160. 160 BVerfG v. 10.10.1985 – 2 WD 19/85, NJW 1987, 82. 161 BVerwG v. 28.4.2007 – 2 BvR 71/07, NVwZ-RR 2008, 330, 331: Öffentliche Äußerung eines Offiziers der Bundeswehr, die im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg den deutschen Generälen jegliches Ehrgefühl, Rechts- und Moralbewusstsein abspricht, durfte mit einer Disziplinarbuße belegt werden. 162 BVerwG v. 23.10.1984 – 1 WB 98/82, NJW 1985, 1658. 163 BVerwG v. 28.9.1990 – 2 WD 27/89, NJW 1991, 997. 164 BVerwG v. 18.11.2003 – 2 WDB 2/03, NVwZ-RR 2004, 760. 165 BVerwG v. 24.10.1996 – 2 WD 22/96, NJW 1997, 1383. 166 BVerwG v. 28.8.2001 – 2 WD 27/01, NVwZ-RR 2002, 204. 167 OLG Schleswig v. 19.10.2015 – 2 LB 25/14, NJOZ 2016, 437.
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Kap. 2 Rz. 37 37
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
Vorgesetzte haben ferner gegenüber ihren Untergebenen herabwürdigende oder demütigende Äußerungen zu unterlassen. Die Verpflichtung, die nach Art. 1 Abs. 1 GG unantastbare Würde und die Ehre eines Menschen zu achten, kann innerhalb und außerhalb der Streitkräfte nicht unterschiedlich beurteilt werden168. Ein Vorgesetzter soll in seiner Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben (§ 10 Abs. 1 SoldG). Ihm obliegt die Fürsorge für seine Untergebenen. Äußerungen wie „[…] den sollte man teeren und federn und hintern Wagen spannen und über die Berg schleifen“ sind menschenverachtend und mit einer Disziplinarstrafe zu ahnden169. 5. Äußerungsrecht von Richtern Schrifttum: Sendler, Was dürfen Richter in der Öffentlichkeit sagen?, NJW 1984, 689; G. Hager, Freie Meinung und Richteramt, NJW 1988, 1694; Wassermann, Aktuelles zur Freiheit richterlicher Meinungsäußerung, NJW 1995, 1653; von Münch, Gesprächige Richter, NJW 1998, 2571; Wassermann, O si tacuisses – Was Richter nicht sagen sollten, NJW 2001, 1470; Mosbacher, Richterliches Mäßigungsgebot und moderne Medien: Facebook- „Sheriff“ und Online-Kolumnist: moderne Richter, LTO, 25.7.2016.
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Als Staatsbürger genießen auch Richter das Grundrecht der Äußerungsfreiheit. Richter dürfen sich deswegen politisch ohne Rücksicht darauf betätigen, ob die Richtung mit der jeweiligen Regierung übereinstimmt. Andererseits hat sich ein Richter nach § 39 DRiG auch außerdienstlich so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) nicht gefährdet wird. Ihn trifft also eine Pflicht zur Zurückhaltung und Mäßigung170, was Unmutsäußerungen salopper oder derber Art über das Verhalten von Prozessbeteiligten nicht ausschließt171. Insbesondere dürfen Richter und auch Staatsanwälte das ihnen anvertraute Amt nicht dazu benutzen, ihrer politischen Auffassung Nachdruck zu verleihen. Ein namentlich gezeichnetes Inserat mit der Überschrift „35 Richter und Staatsanwälte gegen Raketenstationierung“ ist unzulässig172. In Zeiten eines immer stärker auf Experteneinschätzung und starke Meinungskundgebungen setzenden massenkommunikativen Arbeitens wird das Mäßigungsverbot von Richtern stark strapaziert173. Dem Ansehen einer als unabhängig geltenden Justiz ist es jedenfalls abträglich, wenn Richter sich ungefragt zu politischen oder wirtschaftlichen Fragen äußern. Ebenso kritisch zu bewerten ist aber die Herausforderung der Justiz durch Richterschelte von Politikern und Verbänden, die sich auch an nachvollziehbar und gut begründete Urteile nicht mehr gebunden fühlen wollen, wenn deren Ergebnis politisch unpassend erscheint. Insoweit dürfte auch der Richterschaft jedenfalls ein Recht auf Gegenschlag gegen Justizschelte zustehen174. 168 Zur Wehrverfassung vgl. § 6 SoldG. 169 BVerwG v. 14.11.1996 – 2 WD 31/96, NJW 1997, 1520. 170 Vgl. BVerfG v. 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, BVerfGE 39, 334, 366; v. 30.8.1983 – 2 BvR 1334/82, NJW 1983, 2691; BVerwG v. 27.11.1980 – 2 C 38/79, BVerwG 61, 176; BGH v. 18.4.1980 – RiZ [R] 1/80, DRiZ 1980, 391. 171 OLG Stuttgart v. 29.3.2012 – 14 W 2/12, MDR 2012, 732 = NJW-RR 2012, 960; ebenso für wissenschaftliche Äußerungen Sendler, NJW 1984, 689, 694. 172 BVerwG v. 29.10.1987 – 2 C 73/86, NJW 1988, 1747; v. 29.10.1987 – 2 C 72/86, NJW 1988, 1748; vgl. dazu Hager, NJW 1988, 1694. 173 von Münch, NJW 1998, 2571, 2572; Wassermann, NJW 2001, 1470; krit. zum übermäßigen medialen Auftritt von Richtern Mosbacher, Richterliches Mäßigungsgebot und moderne Medien: Facebook-„Sheriff“ und Online-Kolumnist: moderne Richter, Legal Tribune Online v. 25.7.2016. 174 Vgl. Wieduwilt, „Die Wut des Senats auf Sigmar Gabriel“, FAZ-Blog v. 2.8.2016.
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Burkhardt/Peifer
III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse
Rz. 40 Kap. 2
Zu wissenschaftlichen Fragen darf der Richter auch unter Nennung seiner Amtsbezeichnung 39 Stellung nehmen. Hat der Richter sich zu einer Rechtsfrage wissenschaftlich geäußert, die für ein bei ihm anhängiges Verfahren bedeutsam ist, rechtfertigt das nicht seinen Ausschluss wegen Besorgnis der Befangenheit175. Eine Besorgnis der Befangenheit ergibt sich auch nicht daraus, dass ein Richter einer unzutreffenden Presseberichterstattung über seine Äußerungen nicht entgegentritt176. Etwas anderes kann gelten, wenn ein Richter rechtliche und politische Auffassungen in zeitlicher Nähe zu einem bei ihm anhängigen Verfahren mit besonderem Engagement vertritt177. Namentlich wenn sich ein innerer Zusammenhang zwischen rechtlicher Auffassung und politischer Überzeugung aufdrängt, kann ein Prozessbeteiligter den Schluss ziehen, der Richter werde einer der seinen widersprechenden Rechtsauffassung nicht mehr frei und unvoreingenommen gegenüberstehen178. Für eine solche Befangenheit muss es aber Anhaltspunkte geben, die auch im Prozessverhalten des betroffenen Richters zum Ausdruck kommen, etwa eine deutlich abwertende Beurteilung der von der eigenen Auffassung abweichenden Meinung oder ein innerer Zusammenhang zwischen einer vom Richter mit Engagement geäußerten politischen Überzeugung und seiner Rechtsauffassung179. Bezüglich der ihm bei seiner richterlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Angelegenheiten 40 unterliegt der Richter der Schweigepflicht. Die Einzelheiten ergeben sich aus dem Beamtenrecht sowie aus den Vorschriften über die Öffentlichkeit bestimmter Verfahren oder Verfahrensabschnitte (z.B. §§ 169, 173 GVG). Erklärungen (auch Presseerklärungen) über Angelegenheiten, die Gegenstand der Schweigepflicht sind, darf der Richter nur mit Genehmigung des Dienstvorgesetzten abgeben. Presseerklärungen über anhängige Verfahren darf grundsätzlich nur der Behördenvorstand oder der von ihm bestimmte Pressesprecher erteilen. Die Schweigepflicht gilt nicht für Mitteilungen im dienstlichen Verkehr180 oder bezüglich Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen181. Abwegige Presseartikel eines Richters können u.U. ein Dienstvergehen bedeuten182. 6. Äußerungsrecht von Rechtsanwälten Schrifttum: Helle, Die Rechtswidrigkeit der ehrenrührigen Behauptung, NJW 1961, 1896; Ott, Publizistische Tätigkeit des Rechtsanwalts nach Verfassungs- und Standesrecht, NJW 1979, 1146; Jarass, Die freien Berufe zwischen Standesrecht und Kommunikationsfreiheit, NJW 1982, 1833; Kleine-Cosack, Kammerzensur contra anwaltliche Meinungsfreiheit, NJ 1998, 626; Pflieger, Äußerungsfreiheit des Anwalts bei öffentlichkeitswirksamen Mandaten, AnwBl. 1999, 638; Hoß, Berufs- und wettbewerbsrechtliche Grenzen der Anwaltswerbung im Internet, AnwBl. 2002, 377; Faßbender, Von Fachanwälten und selbsternannten Spezialisten – Ein Beitrag zu den zulässigen Grenzen werblicher Äußerungen von Rechtsanwälten, NJW 2006, 1463; Rüpke, Datenschutz, Mandatsgeheimnis und an175 BVerfG v. 25.1.1972 – 2 BvA 1/69, BVerfGE 32, 288; BGH v. 13.1.2016 – VII ZR 36/14, MDR 2016, 634 = MDR 2016, 668 = NJW 2016, 1022. 176 BVerfG v. 29.5.1973 – 2 BvQ 1/73, BVerfGE 35, 171 = NJW 1973, 1267 – Rottmann I. 177 BVerfG v. 19.4.2010 – 1 BvR 626/10, NJW-RR 2010, 1150. 178 BVerfG v. 2.12.1992 – 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92, BVerfGE 88, 17, 22; v. 16.6.1973 – 2 BvQ 1/73 ua., BVerfGE 35, 246 = NJW 1973, 1276 – Rottmann II; BGH v. 13.1.2016 – VII ZR 36/14, MDR 2016, 634 = MDR 2016, 668 = NJW 2016, 1022, Rz. 11-17. 179 BVerfG v. 11.10.2011 – 2 BvR 1010/10, 2 BvR 1219/10, NJW 2011, 3637. 180 Zur Richtermitteilung an den LG-Präsidenten über eine Klage gegen einen Notar vgl. OLG Dresden v. 11.1.1999 – 6 VA 4/98, NJW 2000, 1503. 181 BGH v. 4.4.1973 – Rit 3/72, DRiZ 1973, 281. 182 Vgl. OLG Hamburg v. 1.7.1975 – RDS 1/47, DRiZ 1975, 373 betreffend „Meine Eindrücke im KZ Auschwitz“.
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Kap. 2 Rz. 41
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
waltliches Kommunikationsverhalten, NJW 2008, 1121); K. Wolf, Anwaltliches Werberecht, NJ 2013, 10; Henssler, Anforderungen an ein modernes Anwaltsrecht – Blick ins Jahr 2030, AnwBl. 2013, 394; Kleine-Cosack, Verbraucherschutz als Vorrangmaßstab bei freiberuflichen Werbeverboten, NJW 2014, 514.
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Wird der Anwalt in seiner Eigenschaft als Organ der Rechtspflege tätig, verwirklicht er das seinem Mandanten nach Art. 103 Abs. 1 GG zustehende Recht auf Gehör. Damit kann er sich auf ein spezielles Anwaltsrederecht stützen183. An die Ausführungen eines Anwaltes in einem formalisierten Verfahren ist auch insofern ein besonderer Maßstab anzulegen, als sie der einseitigen Wahrung der Interessen einer Partei dienen. Zudem wenden sie sich an das Gericht, das auch dem Gegner rechtliches Gehör zu gewähren und den Sachverhalt aufzuklären hat. Deswegen darf der Anwalt sich grundsätzlich auf die Informationen seines Mandanten verlassen184. Zur Überprüfung ist er nur verpflichtet, wenn dazu Veranlassung besteht und sie ihm möglich und zumutbar ist185. Nach § 43a Abs. 2 BRAO darf sich der Anwalt zwar standesrechtlich nicht unsachlich verhalten, also insb. keine Unwahrheiten bewusst verbreiten oder sich in einer Weise herabsetzend äußern, zu der andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben. Gleichwohl kann dem Anwalt nicht verwehrt werden, auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte zu verwenden, selbst wenn dem Gegner das unangenehm im Ohr klingen muss186. Die Art und Weise des Vortrags muss jedoch auf die Ehre des Betroffenen Rücksicht nehmen187. Die Grenze der strafbaren Beleidigung darf nicht überschritten werden188. Der gegen eine Bank erhobene Vorwurf des Wuchers und eines erpresserischen Verhaltens kann deswegen noch gerechtfertigt sein189. Unwahren und beleidigenden Behauptungen eines Anwaltes in einem Verfahren kann vorbehaltlich standesrechtlicher Maßnahmen grundsätzlich nur mit den Rechtsbehelfen entgegengetreten werden, die das jeweilige Verfahren vorsieht, nicht aber mit einem selbständigen Anspruch auf Unterlassung oder Widerruf190. Selbst Formulierungen wie „Absahnhai“ in Bezug auf einen Kosten verursachenden Abmahnverein191 oder „Gestapo-Methoden“ in Bezug auf Polizeibeamte192 können noch durch § 193 StGB gedeckt sein. Auch die Schriftsatzformulierung, der Beklagte sei „zwei ganz ausgekochten Betrügern aufgesessen“, ist als noch zulässig angesehen worden193. Auch die Bezeichnung von Mitarbeiterinnen eines Ministeriums als „Volljuristinnen, deren Kopf in erster Linie für die gestalterische Arbeit von Friseuren und Kosmetikern Verwendung findet“ gepaart mit dem Vorwurf „wahrscheinlich dümmste Bezirksregierung Deutschlands“, wurde akzeptiert, weil beides eine interne Auseinandersetzung über Fördermittel betraf und als ironisierende Formulierung angesehen wurde194. Als un183 Arndt, NJW 1967, 1331. 184 BGH v. 14.11.1961 – VI ZR 89/59, NJW 1962, 243. 185 OLG Hamburg v. 17.10.1951 – Vs 6/51, NJW 1952, 903; LG Köln v. 18.2.1972 – 37 Qs 73/72, MDR 1973, 65; Praml, NJW 1976, 1967, 1969. 186 So bereits RGZ 140, 389. 187 BVerfG v. 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15, AfP 2016, 431 = NJW 2016, 2870; v. 11.4.1991 – 2 BvR 963/90, NJW 1991, 2074, 2075. 188 AnwGH NRW v. 8.1.2016 – 2 AGH 18/15, BeckRS 2016, 6376 = AnwBl 2016, 521. 189 OLG Köln v. 20.2.1979 – 1 Ss 69/79, NJW 1979, 1723. 190 BGH v. 14.11.1961 – VI ZR 89/59, NJW 1962, 243; OLG Hamburg v. 12.10.1972 – 3 U 99/72, MDR 1973, 407; Helle, NJW 1961, 1896; a.A. OLG München v. 19.12.2000 – 21 W 3174/00, NJW-RR 2001, 765. 191 LG Berlin v. 6.12.1983 – 20 O 410/83, NJW 1984, 1760. 192 LG Hechingen v. 6.12.1983 – Ns 157/83, NJW 1984, 1766. 193 LG Bochum v. 8.7.1992 – 4 O 225/92, NJW-RR 1992, 1305. 194 AnwG Köln v. 10.11.2014 – 10 EV 116/14, NJW-RR 2015, 1013.
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III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse
Rz. 43 Kap. 2
sachlich und daher unzulässig gewertet wurde dagegen die Formulierung „ob es dreiste kriminelle Energie oder bloß Einfältigkeit war“ in einem Schriftsatz, mit dem für einen Mandaten Maklerhonorar verlangt wurde195. Auch nach dem neuen Standesrecht darf einem Anwalt nicht verwehrt werden, das vorzu- 42 bringen, was im Interesse seines Mandanten erforderlich ist. ZB. muss er auch weiterhin zur Erörterung stellen dürfen, ob es mit der für einen Richter gebotenen Objektivität in Einklang zu bringen ist, bestimmte Handlungen vorzunehmen196. Die Verpflichtung zu sachlichem Verhalten wird jedenfalls durch Beleidigungen verletzt, wie z.B. durch die Bezeichnung von Justizbediensteten als „Hornochsen“ und die Gleichsetzung von Verfahrensbeteiligten mit „Dummköpfen“ und „unaufrichtigem Gesindel“ (Näheres zu Äußerungen im Prozess Kap. 10 Rz. 29 ff.)197. Bei den Zulässigkeitsgrenzen der publizistischen Tätigkeit unterscheidet der BGH zwi- 43 schen Stellungnahmen, die innerhalb, und solchen, die außerhalb des Berufs erfolgen, weil ein außerhalb des Berufs liegendes Verhalten eines Anwaltes nach § 113 Abs. 2 BRAO eine ehrengerichtlich zu ahndende Pflichtverletzung nur ist, wenn es nach den Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen der Rechtssuchenden in bedeutsamer Weise zu beeinträchtigen. Nach Ansicht des BGH ist die schriftstellerische Tätigkeit eines Anwalts, bei der er sich mit dem Recht und seiner Anwendung durch die Gerichte oder mit Organen der Rechtspflege auseinandersetzt, ein berufsmäßiges Verhalten198. Außerhalb des Berufs liege eine schriftstellerische Tätigkeit nur, wenn sie in keinem Zusammenhang mit Recht und Rechtsordnung steht199. Dementsprechend hat der BGH die Veröffentlichung des Aufsatzes „Vor den Schranken – Erfahrungen eines linken Anwaltes“ wegen darin enthaltener unsachlicher und beleidigender Vorwürfe200 als Verletzung beruflicher Pflichten gewertet201. Einem als Rechtsanwalt zugelassenen, im Wesentlichen aber als „Justizjournalist“ tätigen Publizisten hat der EGH Baden-Württemberg einen erheblich weiteren Spielraum eingeräumt als einem hauptberuflich praktizierenden Anwalt202. Auch die Bezeichnung eines BGH-Urteils als „skandalös“ und Formulierungen wie „rechtliche Schlampigkeit“ und „Missbrauch des Freibeweisverfahrens“ hat der EGH Baden-Württemberg als noch zulässig angesehen, weil sie durch den Gesamtzusammenhang an Schärfe verlören203. Hierzu hat Jarass zutreffend darauf hingewiesen204, dass eine Limitierung der Kritik eines Anwaltes verfassungsrechtlich nicht haltbar ist, soweit sie über das allgemein geltende Recht hinausgeht205. Auch verfassungsrechtlich muss allerdings die Äußerung eines Anwalts gegenüber einem Journalisten nicht geduldet werden, eine Staatsanwältin sei „durchgeknallt“, „widerwärtig, boshaft, dümmlich“ und „geisteskrank“206.
195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205 206
AnwG Köln v. 17.2.2014 – 10 EV 245/13, NJW-Spezial 2014, 447. BGH v. 31.10.1966 – AnwSt (R) 7/66, NJW 1967, 893. BGH v. 8.2.1988 – AnwSt (R) 18/87, NJW 1988, 1099. BGH v. 16.10.1978 – AnwSt [R] 6/78, BGHSt 28, 150 = NJW 1979, 556. A.A. Ott, NJW 1979, 1146. U.a.: „Richter und Staatsanwälte sind unsere verhassten Gegner“. BGH v. 16.10.1978 – AnwSt [R] 6/78, NJW 1979, 556. EGH Baden-Württemberg v. 7.11.1981 – EGH 25/81 (III), NJW 1982, 661. Weitere Beispiele finden sich bei Isele, BRAO 1976, S. 674 ff., 772 ff. Jarass, NJW 1982, 1833. Ebenso Ott, NJW 1979, 1147. BVerfG v. 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15, AfP 2016, 431 = NJW 2016, 2870.
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Kap. 2 Rz. 44 44
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
Das früher in § 2 der Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts enthaltene Werbeverbot war keine geeignete Grundlage für eine Einschränkung der Freiheit der Berufsausübung von Rechtsanwälten207, auch wenn nach den Umständen des Einzelfalls das Verbot nicht zugleich gegen Art. 10 EMRK verstieß208. Die nunmehr in § 43b BRAO enthaltene Regelung lässt nach Form und Inhalt sachliche Information über die berufliche Tätigkeit zu, wenn sie nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist209. Ausführende Bestimmungen dazu enthalten die §§ 6 ff. der Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA), die zuletzt 2017 novelliert wurde210. Nach diesen Vorschriften darf ein Rechtsanwalt in Zeitungen oder diesen gleichzusetzenden Mitteilungsblättern auch ohne besonderen Anlass unter Angabe seiner Tätigkeitsschwerpunkte werben211. Auch die Annoncierung in z.B. vierseitigen, zweifarbigen Faltblättern, die sonst ausschließlich Anzeigen von Gewerbetreibenden enthalten und als Postwurfsendung verteilt werden, überschreitet nicht die Grenze zu marktschreierischem Werbestil212, wohl aber die Werbung mit einem Kalender, der erotische Motive enthält213. Zulässig sind Rundschreiben auch an Nichtmandanten214. Es muss sich jedoch um eine sachliche und berufliche Informationswerbung handeln, was beim Hinweis auf besondere Qualifikationen des Anwalts, etwa sportliche Erfolge einer Sportrechtsanwältin, zu bejahen ist215. Unsachlich, weil nicht mehr informierend, ist nach Meinung des OLG Köln216 die Aussage „Ihre Rechtsfragen sind unsere Aufgabe“. Diese enge Sichtweise dürfte überholt sein, nachdem das Bundesverfassungsgericht auch das reine Qualitätsversprechen ohne nähere Information („S Rechtsanwalt hat es sich zu seiner wichtigsten Aufgabe gemacht, die wirtschaftlichen Interessen seiner Mandanten optimal zu wahren und durchzusetzen“) für nicht berufswidrig, insb. nicht irreführend hält217. Damit steht im Einklang, wenn das OLG Hamburg218 den Satz „Heute stehen Ihnen acht Rechtsanwälte für die optimale Vertretung Ihrer Interessen in den verschiedensten Rechtsgebieten zur Verfügung“ noch als sachlich bezeichnet. Insb. kann allein aus dem Umstand, dass die Werbung anders als bisher in der Berufsgruppe üblich gestaltet wird, nicht deren Unzulässigkeit gefolgert werden219. Das Sachlichkeitsgebot schließt zwar aus, Anwälten die in der gewerblichen Wirtschaft üblichen Werbemethoden ohne Prüfung des Einzelfalles allgemein zuzugestehen220, andererseits kann kein Werbemittel allein wegen des gewählten Mediums als unsachlich angesehen werden221. Eine Ausnahme betrifft 207 BVerfG v. 14.7.1987 – 1 BvR 537/81, 1 BvR 195/87, MDR 1988, 110 = NJW 1988, 191; v. 14.7.1987 – 1 BvR 362/79, MDR 1988, 111 = NJW 1988, 194. 208 EuKomMR v. 7.3.1991 – Nr.14622/89, NJW 1992, 963. 209 Krit. zur Regelungsdichte Henssler, AnwBl. 2013, 394, 396; Kleine-Cosack, NJW 2014, 513, 417. 210 Zur Reform Deckenbrock, NJW 2017, 1425; zur Einführung NJW-Beilage zu Heft 19/97; zur Wirksamkeit BVerfG v. 21.11.2002 – 1 BvR 1965/02, NJW 2003, 344; BGH v. 21.6.1999 – AnwZ (B) 85/98, MDR 1999, 1159 = NJW 1999, 2678. 211 BVerfG v. 28.7.2004 – 1 BvR 159/04, MDR 2004, 1085 m. Anm. Römermann = NJW 2004, 2656; BGH v. 26.5.1997 – AnwZ (B) 67/96, MDR 1997, 987 = NJW 1997, 2522; v. 18.1.1996 – I ZR 15/94, MDR 1996, 530 = NJW 1996, 852; Faßbender, NJW 2006, 1463. 212 BGH v. 24.11.1997 – AnwSt [R] 10/97, NJW-RR 1998, 1282. 213 LG Köln v. 23.3.2017 – 24 S 22/16, r+s 2017, 306. 214 BGH v. 15.3.2001 – I ZR 337/98, NJW 2001, 2886. 215 BVerfG v. 4.8.2003 – 1 BvR 2108/02, NJW 2004, 2816. 216 OLG Köln v. 29.7.1998 – 6 U 66/98, MDR 1998, 1505 = NJW 1999, 63. 217 BVerfG v. 28.2.2003 – 1 BvR 189/03, NJW 2003, 1307. 218 OLG Hamburg v. 3.7.2002 – 5 U 135/01, NJW 2002, 3183. 219 BVerfG v. 1.12.1999 – 1 BvR 1630/98, MDR 2000, 358 = NJW 2000, 1635. 220 OLG München v. 23.4.1998 – 29 W 1015/98, NJW 1999, 1409. 221 Wolf, NJ 2013, 10, 11.
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III. Schranken auf Grund besonderer Einordnungsverhältnisse
Rz. 45 Kap. 2
das Tragen einer Robe mit Werbeaufdruck im Gerichtssaal, weil die Robe als Amtstracht keine Werbezusätze erlaubt222. Daher ist Rundfunkwerbung, die Problemfälle des Straßenverkehrs kurz und prägnant schildert und den Tätigkeitsschwerpunkt des Anwalts mitteilt, ebenso zulässig wie die Werbung auf einem Taxi223 oder die Nutzung sozialer Medien und einprägsamer Domains. Die Unsachlichkeit kann allenfalls aus der Gestaltung im Einzelfall folgen. Eine an sich sachliche Werbung kann durch die Platzierung auf einer drehbaren Werbescheibe vor einer Tankstelle unzulässig werden224. Zulässig ist eine sachliche Bandenwerbung an einer Eislauffläche225. Die Teilnahme an einer Messe ist nicht per se unzulässig. Vielmehr kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an, wie etwa die Gestaltung des Ausstellungsstandes, die Art und Weise der Präsentation, das Auftreten der den Stand betreuenden Personen226. Ebenso sind Informationsveranstaltungen über die eigene rechtliche Tätigkeit oder zu allgemeinen rechtlichen Themen zulässig. Dazu können auch Personen eingeladen werden, zu denen kein mandantschaftliches Verhältnis besteht. Ferner darf ein kostenloser Mittagsimbiss gereicht werden227. Auch Sponsoring von kulturellen oder Sportveranstaltungen ist Anwälten erlaubt228. Wird eine Werbung mit Musikeinlagen untermalt, verlässt der Anwalt hingegen den durch das Sachlichkeitsgebot begrenzten Rahmen zulässiger Werbung229. Nach § 7 Abs. 1 BORA darf seit 2006 mit Teilbereichen einer Berufstätigkeit geworben werden, ohne dass die Nennung von Tätigkeits- und Interessenschwerpunkten, wie noch bis zum 28.2.2006, zahlenmäßig beschränkt ist230. Bereits in der Vorauflage war bezweifelt worden, ob die frühere Beschränkung verhältnismäßig231 und mit den Anforderungen an die Meinungsfreiheit des Betroffenen und dem Informationsbedürfnis der Mandanten232 vereinbar war233. 7. Äußerungsrecht von Beschuldigten Ein Beschuldigter, gegen den kein Haftbefehl besteht, kann im Allgemeinen nicht gehindert 45 werden, an der Presseberichterstattung über seinen Fall mitzuwirken. Befindet er sich in Untersuchungshaft, ist er in seinen Rechten beschränkt. Aber auch dann kann er sich auf die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Prinzip der Verhältnismäßigkeit berufen. Diese gebieten es, den Besuchsantrag eines Häftlings in Auslieferungshaft für ein Interview mit einem Journalisten nur abzulehnen, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass der Besuch den Haftzweck oder die Ordnung der Anstalt gefährden könnte und die Gefahrenabwehr nicht mit weniger einschneidenden Mitteln erreicht werden kann. Das Bundesverfassungsgericht234 hat daher die Verweigerung einer vierstündi222 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233 234
BGH v. 7.11.2016 – AnwZ (Brfg.) 47/15, NJW 2017, 407. LG Nürnberg-Fürth v. 1.7.1998 – 3 O 269/98, MDR 1998, 1505 = NJW 1999, 1410. OLG Frankfurt v. 17.5.1999 – 6 W 56/99, MDR 1999, 1029 = NJW 1999, 2826. AnwG Hamm v. 14.3.2002 – AR 19/01, NJW-RR 2002, 1065. BGH v. 3.12.1998 – I ZR 112/96, MDR 1999, 1164 = NJW 1999, 2444; OLG Saarbrücken v. 5.4.2000 – 1 U 988/99-240, NJW 2000, 1874. BGH v. 1.3.2001 – I ZR 300/98, MDR 2001, 898 = NJW 2001, 2087 – Anwaltswerbung II. BVerfG v. 17.4.2000 – 1 BvR 721/99, MDR 2000, 730 m. Anm. Härting = NJW 2000, 3195; v. 22.5.1996 – 1 BvR 744/88 ua., NJW 1996, 3067 – Apotheker. LG Nürnberg-Fürth v. 1.7.1998 – 3 O 269/98, MDR 1998, 1505 = NJW 1999, 1410. Zu den Gründen BVerfG v. 28.7.2004 – 1 BvR 159/04, MDR 2004, 1085 m. Anm. Römermann = NJW 2004, 2656; Faßbender, NJW 2006, 1463. Vgl. EuGH v. 19.2.2002 – C-309/99, MDR 2002, 849 = NJW 2002, 877 – Wouters. Vgl. EGMR v. 17.10.2002 – Nr. 37928/97, unveröffentlicht. Vgl. BVerfG v. 21.11.2002 – 1 BvR 1965/02, NJW 2002, 344. BVerfG v. 19.7.1995 – 2 BvR 1439/95, AfP 1995, 596 = NJW 1996, 983.
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Kap. 2 Rz. 46
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
gen Besuchserlaubnis für einen Journalisten als unzulässig bezeichnet, zumal der in einen spektakulären Fall verwickelte Auslieferungshäftling geltend gemacht hatte, durch das zur weltweiten Verbreitung vorgesehene Interview vielfältigen Falschdarstellungen entgegenwirken zu wollen235. Nur wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass die ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens durch seine Mitwirkung an der Medienberichterstattung gestört werden könnte, kann es dem Zweck der Untersuchungshaft entsprechen, einem Häftling diese, z.B. Teilnahme an einer Fernsehsendung, zu untersagen236. Der Angeklagte oder sonstige Verfahrensbeteiligte hat auch das Recht, Richter und Ermittlungspersonen zu kritisieren. Dazu darf er sich auch scharfer Formulierungen bedienen, solange die strafrechtlichen Grenzen oder die der Schmähkritik nicht überschritten werden. So müssen Richter nach Auffassung der Gerichte es ggf. dulden, mit dem Nationalsozialisten Roland Freisler verglichen zu werden, solange dies wegen des Zusammenhangs mit einer Verfahrenskritik nicht eindeutig als Schmähung identifiziert werden kann237. 8. Äußerungsrecht von Ärzten 46
Nach den landesrechtlichen Berufsordnungen unterliegt der Arzt der Schweigepflicht. Sie bezieht sich auf das, was ihm in seiner Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses ist nach § 203 StGB strafbar. Berichtet ein Klinikarzt dem Hausarzt eines Patienten über das Ergebnis seiner konsiliarischen Untersuchung, stimmt der Patient dieser Mitteilung mangels gegenteiliger Erklärung stillschweigend zu, so dass keine Verletzung des Berufsgeheimnisses vorliegt238. Die Herausgabe von Adressdaten zur Verfolgung von Schadensersatzansprüchen durch eine Klinik kann dagegen gerechtfertigt sein239.
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Neben der Schweigepflicht unterliegen Ärzte berufsrechtlichen Werbeeinschränkungen. Die landesrechtlichen Berufsordnungen sehen u.a. vor, dass der Arzt keine ihn betreffende Werbung durch andere veranlassen oder dulden darf. Das grundsätzliche Werbeverbot hatten sowohl das Bundesverfassungsgericht240 wie auch der EGMR241 als zulässig bezeichnet. Allerdings wurde diese Rechtsprechung mittlerweile liberalisiert. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass Ärzten sowohl Informationen über ihre Tätigkeit als auch bestimmte Werbeankündigungen gestattet sind242. Der EuGH hält ein ausnahmsloses Werbeverbot für unionsrechtswidrig243. Werbung ist daher Ärzten nicht verboten, sie kann aber beschränkt werden. Unzulässig ist die berufswidrige Werbung244. Sie liegt – wie bei der Anwaltswerbung – vor, wenn nicht sachangemessen geworben wird245. Das ist beim Internetauftritt eines Arztes
235 Vgl. auch BerlVerfGH v. 16.6.1993 – VerfGH 19/93, NJW 1994, 3343. 236 OLG Karlsruhe v. 28.2.1973 – 1 Ws 52/73, NJW 1973, 1291; zum Briefverkehr eines Untersuchungsgefangenen vgl. BVerfG v. 11.4.1973 – 2 BvR 701/72, BVerfGE 35, 35 = NJW 1973, 1643; v. 16.6.1976 – 2 BvR 97/76, NJW 1976, 1629. 237 OLG München v. 11.7.2016 – 5 OLG 13 Ss 244/16, NJW 2016, 2759 m. zust. Anm. Putzke, anders noch LG München I v. 30.11.2016 – 24 Ns 235 Js 132863/15 (2.), BeckRS 2016, 110444. 238 OLG München v. 17.9.1992 – 1 U 6307/91, NJW 1993, 797. 239 BGH v. 9.7.2015 – III ZR 329/14, MDR 2015, 940 = NJW 2015, 2652. 240 BVerfG v. 19.11.1985 – 1 BvR 934/82, BVerfGE 71, 162 = NJW 1986, 1533. 241 EuGRZ 1983, 170. 242 BVerfG v. 23.7.2001 – 1 BvR 873/00, 874/00, NJW 2001, 2788. 243 EuGH v. 4.5.2017 – C-339/15, GRUR-Int. 2017, 519 – Vanderborght. 244 BVerfG v. 19.11.1985 – 1 BvR 934/82, NJW 1986, 1533. 245 BVerfG v. 17.7.2003 – 1 BvR 2115/02, AfP 2003, 478 = NJW 2003, 2818.
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Burkhardt/Peifer
IV. Schranken aufgrund zivilrechtlicher Vertragsverhältnisse
Rz. 49 Kap. 2
noch nicht der Fall246. Zulässig sind Informationen über den Tätigkeitsbereich, über Spezialisierungen, aber auch Angaben, die zu dem – auch emotional geprägten – Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient beitragen können, also eine „Sympathiewerbung“ darstellen, soweit durch solche Aussagen nicht der Informationscharakter in den Hintergrund gedrängt wird247. Ebenso wenig liegt eine berufswidrige Werbung vor, wenn ein Arzt in einer Buchpublikation eine Heilmethode wie z.B. die Frischzellentherapie erörtert; dies auch dann nicht, wenn er die Therapie selbst betreibt, sofern es ihm um deren Durchsetzung, nicht aber darum geht, dass Heilungssuchende sich speziell an ihn wenden248. Ein unzulässiges Dulden einer durch Dritte in Form eines Zeitschriftenartikels erfolgenden 48 Werbung liegt wegen Unzumutbarkeit des Einschreitens jedenfalls dann nicht vor, wenn der Zeitschriftenartikel einer den Arzt betreffenden Pressekritik entgegenwirkt249. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass einem Arzt trotz publizierter Kritik jegliche öffentliche Stellungnahme verwehrt wäre, wenn er sich gegenüber einem an der Thematik interessierten Journalisten nicht äußern dürfte, weil dessen zu erwartender Beitrag evtl. einen werbenden Charakter haben könnte. Den Arzt nur unter der Voraussetzung von seiner vermeintlichen „Haftung“ für einen werbenden Charakter freizustellen, dass er den Journalisten zur Vorlage des Manuskripts verpflichte, sei kein Ausweg, weil Journalisten sich einer externen Überprüfung im Zweifel nicht unterwerfen. Dementsprechend wird der Arzt in seiner Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und in seiner Äußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beschränkt, wenn ihm trotz geäußerter Kritik die Möglichkeit abgeschnitten würde, sich öffentlich zu Wort zu melden. Unzulässig ist die irreführende Werbung oder die kommerziell getarnte Werbung eines Arz- 49 tes. Insofern sind eine Reihe von spezialgesetzlichen Werbeverboten, etwa in § 11 HWG oder § 5 UWG zu beachten250. Unzulässig ist Werbung, die die Angst von Patienten adressiert oder die Heilwirkungen verspricht. Diese auf das UWG zurückgehenden Werbeverbote haben allerdings verbraucher- oder konkurrentenschützenden Charakter und sind innerhalb dieser Zweckbestimmung eine zulässige Einschränkung der Äußerungsfreiheit durch ein allgemeines Gesetz (Art. 5 Abs. 2 UWG).
IV. Schranken aufgrund zivilrechtlicher Vertragsverhältnisse Schrifttum: Simitis/Kreuder, Betriebsrat und Öffentlichkeit, NZA 1992, 1009; Plander, Außenbeziehungen des Betriebsrats, AuR 1993, 161; Lelley, Die Grenzen digitaler Gewerkschaftsrechte im Betrieb, BB 2002, 252; Kort, Kündigungsrechtliche Fragen bei Äußerungen des Arbeitnehmers im Internet, NZA 2012, 1321; Kort, Soziale Netzwerke und Beschäftigtendatenschutz; DuD 2012, 722; Melot de Beauregard, Social Media am Arbeitsplatz – Chancen und Risiken, DB 2012, 2044; Wiese, Internet und Meinungsfreiheit des Arbeitgebers, Arbeitnehmers und Betriebsrats, NZA 2012, 1.
246 BGH v. 9.10.2003 – I ZR 167/01, CR 2004, 129 = MDR 2004, 224 = ITRB 2004, 178 = NJW 2004, 440. 247 BGH v. 9.10.2003 – I ZR 167/01, CR 2004, 129 = MDR 2004, 224 = ITRB 2004, 178 = NJW 2004, 440. 248 BVerfG v. 19.11.1985 – 1 BvR 934/82, NJW 1986, 1533. 249 BVerfG v. 11.2.1992 – 1 BvR 1531/90, MDR 1992, 719 = AfP 1992, 128 = NJW 1992, 2341. 250 OLG Koblenz v. 8.6.2016 – 9 U 1362/15, GRUR-RR 2017, 32: unzulässige Werbung eines plastischen Chirurgen mit Vorher-Nachher-Bildern.
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Kap. 2 Rz. 50 50
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
So wie öffentlich-rechtliche Einordnungsverhältnisse eine Beschränkung der Äußerungsfreiheit zur Folge haben können, ist das auch aufgrund zivilrechtlicher Vertragsverhältnisse möglich. Vertragsrechtlich geht es um Loyalitäts- und Rücksichtnahmepflichten, die insb. in Arbeits- und sonstigen Dauerschuldverhältnissen auch als ungeschriebene Nebenpflichten eine hohe Bedeutung haben (§§ 611, 705, 241 BGB). Äußerungsschranken dieser Art berühren das Persönlichkeitsrecht. Wirksamkeit und Reichweite von Äußerungsschranken, die auf einem zivilrechtlichen Vertragsverhältnis beruhen, sind deswegen grundsätzlich zurückhaltend zu beurteilen. Werden Äußerungen durch eigene Presseorgane kommuniziert, ist der besondere Schutz durch die (innere) Pressefreiheit zu berücksichtigen. So dürfen z.B. in einer von einem Unternehmen herausgegebenen Werkszeitung ohne Mitwirkung des Betriebsrats auch Probleme behandelt werden, die zum Bereich des Mitbestimmungsrechts gehören251. 1. Gesellschaftsverhältnis
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Ebenso wie Dienst- und Arbeitsverhältnisse begründen auch gesellschaftsrechtliche Verhältnisse Treue- und Verschwiegenheitspflichten. So kann einen aus der Geschäftsführung ausgeschiedenen Gesellschafter die vertragliche Nebenpflicht treffen, sich jeder Einflussnahme auf die Geschäftsführung zu enthalten und dementsprechend zu unterlassen, sich mit Kritik und Verbesserungsvorschlägen an Mitarbeiter des Unternehmens zu wenden. Eine solche Nebenpflicht ist zu rechtfertigen, weil die herausgehobene Stellung des Gründungsgesellschafters dazu beitragen kann, dass seine Einmischung die Entscheidungsfreiheit der aktiven Geschäftsführung in unzumutbarer Weise beeinträchtigt252.
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Dem Herausgeber einer Sportvereinszeitschrift kann vertraglich auferlegt werden, sich vereinsschädigender publizistischer Darstellungen zu enthalten253. Eine außerordentliche Kündigung des Vertrages nach Zuwiderhandlung ist möglich254 und jedenfalls begründet, wenn die den Vereinsbelangen gewogene Grundeinstellung des Herausgebers Geschäftsgrundlage der Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Verein ist. 2. Dienst- und Arbeitsverhältnis
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Seit seiner grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1954 vertritt das BAG durchgehend die Ansicht, dass die Grundrechte als „Ordnungssätze für das soziale Leben in näher zu entwickelndem Umfang unmittelbar Bedeutung auch für den Rechtsverkehr der Bürger haben“255. Das BAG rechnet aber zu den allgemeinen Gesetzen, die nach Art. 5 Abs. 2 GG die Äußerungsfreiheit einschränken, auch die allgemein anerkannten arbeitsrechtlichen Grundsätze einschließlich der arbeitsvertraglichen Treuepflicht256. Bereits unter Art. 118 WRV, in dem ausdrücklich bestimmt war, dass das Arbeitsverhältnis den Arbeitnehmer an der freien Meinungsäußerung nicht hindern dürfe, sei allgemein anerkannt gewesen, der Arbeitnehmer dürfe nicht „ohne jede Rücksicht auf sein Arbeitsverhältnis von seinem Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch machen“257. Der Arbeitnehmer sei unbeschadet der generellen Äu251 BVerfG v. 8.10.1996 – 1 BvR 1183/90, AfP 1997, 465 – Werkszeitung. 252 BGH v. 23.10.1979 – VI ZR 230/77, MDR 1980, 300 = NJW 1980, 881, 883 – Vermögensverwaltung. 253 BGH v. 19.11.1976 – I ZR 46/75, GRUR 1977, 229 – WSV-Kurier. 254 BGH v. 19.11.1976 – I ZR 46/75, GRUR 1977, 229, 230 – WSV-Kurier. 255 BAG v. 3.12.1954 – 1 AZR 150/54, AP Nr. 2 zu § 13 KSchG. 256 BAG v. 28.9.1972 – 2 AZR 469/71, AP Nr. 2 zu § 134 BGB. 257 Dazu Löffler, NJW 1974, 1107; Fuhr, AfP 1975, 736.
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Burkhardt/Peifer
IV. Schranken aufgrund zivilrechtlicher Vertragsverhältnisse
Rz. 55 Kap. 2
ßerungsfreiheit „genötigt, auch seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu beachten“. Aus dem Pflichtgebot, sich ggf. hinsichtlich der Äußerungsfreiheit eine Schranke aufzuerlegen, folge, dass er nicht „den Interessen des Arbeitgebers zuwider handeln oder diesen beeinträchtigen“ dürfe. Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Es ist eine Interessenabwägung durchzuführen, letztlich also eine verfassungskonforme Kalibrierung von Beschränkungen der Äußerungsfreiheit im Arbeitsverhältnis nötig. Schmähkritik und Formalbeleidigungen gegenüber dem Arbeitgeber sind ebenso unzulässig wie es unwahre, Arbeitnehmerinteressen schädigende Tatsachenbehauptungen oder die Preisgabe von vertraulichen oder geheimen Informationen aus dem Betrieb sind258. Weitere Einschränkungen der Äußerungsfreiheit können sich ergeben, wenn eine Verletzung von gesetzlichen Pflichten des Arbeitgebers, etwa die Pflicht zur Ausgewogenheit und Unparteilichkeit259, droht. Doch ist damit keineswegs jede tendenziöse Aussage eines Reporters in einem Nachrichtenmagazin unzulässig, selbst wenn die Rundfunkanstalt derartige Äußerungen missbilligt260. Auch die Äußerungsfreiheit von Arbeitnehmern untereinander ist eingeschränkt, speziell im Rahmen der Unternehmenshierarchie und auch zu Betriebsratsangehörigen. So wird man es z.B. nicht als unangreifbare rechtliche Wertung, sondern als unzulässigen Angriff werten müssen, wenn ein kaufmännischer Leiter einem Betriebsratsmitglied einen „Versuch der Erpressung“ vorwirft. Zudem ist § 74 Abs. 2 BetrVG zu beachten. Danach sind Arbeitgeber und Betriebsrat partei- 54 politische Betätigung im Betrieb schlechthin und ohne Rücksicht darauf untersagt, ob eine Gefährdung des Betriebsfriedens zu besorgen ist. Andere als parteipolitische Betätigungen haben Arbeitgeber und Betriebsrat nur zu unterlassen, wenn sie den Arbeitsablauf und den Frieden im Betrieb beeinträchtigen. Die im Betriebsgelände erfolgende Verteilung von Handzetteln mit einem gewerkschaftlichen Aufruf, bei einer Kommunalwahl aktive Arbeitnehmer zu wählen, ist noch keine parteipolitische Betätigung. Wenn aber eine solche Betätigung als Verstoß gegen § 74 Abs. 2 BetrVG zu betrachten wäre, müssten die zu verhängenden Sanktionen und ihre Voraussetzungen im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG gesehen werden. Ein Ausschluss eines Betriebsratsmitgliedes aus dem Betriebsrat ist deswegen nicht ohne weiteres gerechtfertigt261. Die Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) und die Er- 55 haltung des Betriebsfriedens gebieten eine Zurückhaltung bei Äußerungen. Der Betriebsrat ist nicht berechtigt, von sich aus und ohne Veranlassung durch den Arbeitgeber die außerbetriebliche Öffentlichkeit über allgemein interessierende Vorgänge des Betriebes zu unterrichten262. Gespräche nach Dienstschluss haben allerdings nicht zwangsläufig vertraulichen Charakter, wenn sie in einer öffentlichen Gaststätte und während des Betriebsratswahlkampfs stattfinden263. Da die Information der Öffentlichkeit nicht zu den Aufgaben des Betriebsrats gehört, darf er keine eigene Homepage im Internet unterhalten264. Hat der Arbeitgeber sich an die Medien gewandt, so kann auch dem Betriebsrat das Recht zustehen, die Öffentlichkeit über seine Sicht der Dinge zu unterrichten. Allerdings darf das Unternehmen in einer von ihm herausgegebenen Werkszeitung ohne Mitwirkung des Betriebsrats auch Probleme 258 259 260 261 262 263 264
Kort, NZA 2012, 1321. Vgl. heute § 11 Abs. 2 RStV. LAG Baden-Württemberg v. 2.8.2000 – 12 Sa 7/00, ZUM-RD 2001, 209, 213. BVerfG v. 28.4.1976 – 1 BvR 71/73, NJW 1976, 1627. BAG v. 18.9.1991 – 7 ABR 63/90, AfP 1992, 90 = DB 1992, 434. BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 927/98, BeckRS 2010, 69168. ArbG Paderborn v. 29.1.1998 – 1 BV 35/97, CR 1998, 337 = DB 1998, 678; zur Verwendungsbefugnis sonstiger elektronischer Kommunikationsmittel vgl. Lelley, BB 2002, 252.
Burkhardt/Peifer 91
Kap. 2 Rz. 56
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
behandeln, die zum Bereich des Mitbestimmungsrechts gehören265. Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers sind erhebliche vertragliche Nebenpflichtverletzungen des Arbeitsverhältnisses266. Ein Arbeitnehmer, der innerhalb eines gewerkschaftseigenen Intranets seinen Arbeitgeber grob beleidigt, ihn etwa als „Nazi“ bezeichnet, setzt einen Grund für eine – auch ohne Abmahnung – zulässige verhaltensbedingte Kündigung267. Auch einem Arbeitnehmer, der in einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber oder einen seiner Repräsentanten wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben macht, darf gekündigt werden268. 56
Außerhalb des Betriebes ist der Arbeitnehmer hinsichtlich seiner Äußerungen und seines politischen Verhaltens grundsätzlich frei269. Dem Arbeitgeber ist im Allgemeinen verwehrt, den Arbeitnehmer außerhalb der Arbeitszeit zu überwachen und aus seinem Verhalten irgendwelche Folgerungen für die Behandlung im Betrieb zu ziehen270. Das ändert nichts daran, dass Arbeitnehmer auch außerhalb des Betriebes bei der Ausübung ihres Grundrechtes nicht den Interessen des Arbeitgebers zuwiderhandeln oder diese beeinträchtigen dürfen. Eine Zuwiderhandlung ist gegeben, wenn eine (öffentliche) Äußerung des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis konkret negativ berührt. Z.B. dürfen an einen Beitrag eines Auszubildenden in einer Schülerzeitung zum Einsatz von Gewalt bei Demonstrationen gegen den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf ohne konkrete weitere Anhaltspunkte keine negativen Folgen geknüpft werden271. Im Falle einer Kollision betrieblicher Interessen mit denen der Gewerkschaft hat der Arbeitnehmer eine einseitige Parteinahme zugunsten gewerkschaftlicher Interessen zu unterlassen. Ein Leserbrief an eine Zeitung mit einem für den Arbeitgeber abträglichen Inhalt kann ein Grund zur fristlosen Kündigung sein272. Ebenso können beleidigende und herabsetzende Äußerungen über den Arbeitgeber im Internet jedenfalls nach Abmahnung eine ordentliche Kündigung rechtfertigen273, auch wenn die Äußerung in sozialen Medien zum außerbetrieblichen und damit nicht arbeitsvertraglich verbietbaren Bereich der persönlichen Entfaltung gehört274. Abmahnungen und Kündigungen wegen des Verhaltens von Mitarbeitern in Sozialen Medien nehmen gleichwohl zu275. Sachliche Kritik am Arbeitgeber ist außerhalb des Dienstverhältnisses zulässig, das gilt auch für Kritik in sozialen Medien276. Die Beleidigung von Vorgesetzten in sozialen Medien (auch mittels sog. Emoticons) darf dagegen sogar Grundlage für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB sein277. Vermehrt erkennen die Gerichte auch an, dass nicht dienstbezogene außerbetriebliche Äußerungen und Verhaltensweisen die Grundlage von Abmahnungen und Kündigungen sein können. So dürfen Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes in ihrer Freiheit keinen Newsletter tätigen, dessen Inhalte darauf abzielen, die freiheitlich-demokratische Grundord265 266 267 268 269 270 271 272 273 274 275 276 277
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BVerfG v. 8.10.1996 – 1 BvR 1183/90, NJW 1997, 386. BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917. BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 63/03, CR 2005, 456 = ITRB 2005, 201 = NJW 2005, 619. BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, MDR 2004, 693 = NJW 2004, 1547. BVerfG v. 19.5.1992 – 1 BvR 126/85, NJW 1992, 2409; BAG v. 11.12.1975 – 2 AZR 426/74, AP Nr. 1 zu § 15 KSchG 1969; v. 8.8.1968 – 2 AZR 348/67, AP Nr. 57 zu § 626 BGB; v. 28.9.1972 – 2 AZR 469/71, NJW 1973, 77. Molitor, BB 1954, 134. BVerfG v. 19.5.1992 – 1 BvR 126/85, NJW 1992, 2409. LAG Saarbrücken v. 24.9.1969 – 1 Sa 4/69, DB 1970, 499. LAG Köln, RDV 1999, 223. Kort, DuD 2012, 722, 725; Melot de Beauregard, DB 2012, 2044, 2045. Kort, NZA 2012, 1321; Wiese, NZA 2012, 1, 4. LAG Baden-Württemberg v. 10.2.2010 – 2 Sa 59/09, K&R 2010, 287. LAG Baden-Württemberg v. 22.6.2016 – 4 Sa 5/16, CR 2017, 120 = ITRB 2016, 249 = MMR 2016, 702; ArbG Duisburg v. 26.9.2012 – 5 Ca 949/12, ZD 2013, 95.
Burkhardt/Peifer
IV. Schranken aufgrund zivilrechtlicher Vertragsverhältnisse
Rz. 57 Kap. 2
nung zu beseitigen oder verächtlich zu machen278. Dem Erzieher einer Kinderbetreuungsstelle darf gekündigt werden, wenn er durch sein Profil in Sozialen Medien und Internetauftritte als gewaltbereiter Hooligan und Anhänger der Neonazi-Szene auftritt279. Auch rassistische private Meinungsäußerungen in Sozialen Medien, welche die Beschäftigungsstelle des Mitarbeiters zu erkennen geben und die Gefahr geschäftsschädigender Rückwirkungen auf den Arbeitgeber erzeugen, können Grundlage einer außerordentlichen Kündigung sein280. Selbst im Falle eines solchen arbeitgeberschädigenden Äußerungsverhaltens während des Mutterschutzes einer Arbeitnehmerin kann die Kündigung zulässig sein281. Arbeitsrechtlich nicht sanktionierbar sind Äußerungen im privaten Bereich, zu dem auch ein der Öffentlichkeit nicht zugänglicher Profilbereich in Sozialen Medien gehört. Besondere Beschränkungen gelten für sog. Tendenzträger in einem Tendenzbetrieb. Dazu 57 gehören Unternehmen und Organisationen, die geistig-ideelle Bestimmungen verfolgen, also Presse, Rundfunk, Kirchen und Religionsgemeinschaften, karitative und erzieherische Institutionen. Ob auch nicht-gewerbliche Forschungseinrichtungen dazu gehören282, erscheint zweifelhaft, weil diese Institutionen bestimmten Methoden zur Erforschung einer tendenzfreien Wahrheit verpflichtet sind und die Wissenschaftsfreiheit an die Verpflichtung gegenüber diesen Methoden gebunden ist. Zu Tendenzträgern hat das BAG im sog. Anstreicher-Urteil von 1956 festgestellt, dass einem Arbeitnehmer eines Tendenzbetriebes gekündigt werden kann, wenn sein außerdienstliches Verhalten der Tendenz des Arbeitgebers nachhaltig zuwiderlaufe und dadurch die betrieblichen Interessen berührt würden283. Diesen Grundsatz hat das BAG später dahin präzisiert, dass ein konkreter Bezug zum Arbeitsverhältnis vorhanden sein muss284 und dass dieser Bezug die Tätigkeit inhaltlich prägen muss285. Wirke sich das außerdienstliche Verhalten betrieblich nicht aus, sei es arbeitsrechtlich unbeachtlich286. Dementsprechend kommt es nicht allein darauf an, ob der Betreffende selbst Tendenzträger ist. Bedeutsam ist, in welcher Weise er die Tendenz verwirklicht287. Spezifischen Äußerungsschranken unterliegen Redakteure politisch engagierter Zeitungen und Zeitschriften288, ebenso Mitarbeiter von Religionsgemeinschaften289. Die Zulässigkeit einer Äußerung, wie bspw. die Unterzeichnung eines politisch einseitigen Aufrufes, kann auch davon abhängen, ob der Redakteur seiner Berufsbezeichnung den Titel seines Blattes hinzufügt290. Das Verlangen einer Gegendarstellung in der eigenen Zeitung durch eine Redakteurin kann Ausdruck und ge-
278 BAG v. 6.9.2012 – 2 AZR 372/11, NZA-RR 2013, 441. 279 ArbG Mannheim v. 19.5.2015 – 7 Ca 254/14, BeckRS 2015, 68510. 280 ArbG Mannheim v. 19.2.2016 – 6 Ca 190/15, MMR 2016, 499; ArbG Herne v. 22.3.2016 – 5 Ca 2806/15, ZD 2017, 41; LAG Hamm v. 10.10.2012 – 3 Sa 644/12, CR 2013, 60 = ITRB 2013, 57; vgl. auch OLG München v. 17.3.2016 – 29 U 368/16, AfP 2016, 278 = NJW-RR 2016, 871. 281 VGH Bayern v. 29.2.2012 – 12 C 12.264, NZA-RR 2012, 302. 282 Dafür Altenburg in Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwort-Kommentar Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2017, Stichwort „Tendenzbetrieb“, Rz. 6. 283 BAG v. 31.1.1956 – 3 AZR 67/54, AP Nr. 15 zu § 1 KSchG. 284 BAG v. 6.2.1969 – 2 AZR 241/63, AP Nr. 58 zu § 626 BGB. 285 BAG v. 13.2.2007 – 1 ABR 14/06, NJZA 2007, 1121. 286 BAG v. 15.7.1971 – 2 AZR 232/70, JZ 1971, 785, 786; v. 28.9.1972 – 2 AZR 469/71, NJW 1973, 77, 78. 287 Mayer-Maly, BB 1973, 769. 288 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 483/07, AfP 2009, 286; eingehend Rath-Glawatz, AfP 1982, 125. 289 Ruland, NJW 1980, 89. 290 Näheres Neumann-Duesberg, NJW 1964, 1701; Fuhr, AfP 1975, 738.
Burkhardt/Peifer 93
Kap. 2 Rz. 58
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
wichtiges Indiz für eine erheblich gestörte Kommunikation innerhalb des Arbeitsverhältnisses sein291. 58
Fälle des sog. Whistleblowings durch Arbeitnehmer nehmen erheblich zu (Kap. 1 Rz. 60). Mitarbeiter haben zunächst betriebsinterne Lösungen zu suchen, sich insb. an Ansprechstellen im Betrieb selbst zu wenden, bevor sie mit Äußerungen über Missstände in ihrem Unternehmen an die Öffentlichkeit treten. Die Freiheiten des Art. 10 EMRK gelten aber auch am Arbeitsplatz und begrenzen daher die Möglichkeiten des Arbeitgebers, wegen „Whistleblowing“ bspw. das Arbeitsverhältnis einer Altenpflegerin zu beendigen292. Großzügig wird man eine die Kunst betreffende Kritik von Mitarbeitern kultureller Einrichtungen behandeln müssen, z.B. eine Kritik des Orchestervorstandes an der Kunst- und Personalpolitik des Operndirektors; dies vor allem, wenn es um eine Einrichtung geht, die durch öffentliche Mittel subventioniert wird. Dann hat die Öffentlichkeit ein Recht zu erfahren, was hinter den Kulissen gespielt wird.
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Aufgrund von Äußerungen ist die Kündigung durch den Arbeitgeber u.a. in folgenden Fällen bestätigt worden: Ein Betriebsratsmitglied führt in der Nähe des Betriebes eine KPD-gesteuerte „Volksbefragung“ durch293. Ein angestellter Lehrer behauptet in einer Wahlversammlung „irrtümlich“, die SPD habe dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt; außerdem äußert er sich in sonstiger NS-verdächtiger Weise294. Ein DKP-Mitglied, Angestellter einer Privatbank, verteilt Flugblätter, in denen sein Arbeitgeber „kämpferisch“ angegriffen wird295. Ein Dienstordnungs-Angestellter beantwortet die Frage nach einer früheren MfS-Tätigkeit unwahr296. Während einer Betriebsratswahl verteilt ein Kandidat Flugblätter, die beleidigende Äußerungen gegen den Arbeitgeber und den Betriebsrat enthalten297. Ein Betriebsratsmitglied veranlasst einen Teil der Belegschaft, betriebliche Anordnungen zu missachten298. Es besteht der Verdacht, ein Arbeitnehmer habe zu einem wilden Streik aufgewiegelt299. Ein Arbeitnehmer weigert sich, eine Anti-Strauß-Plakette während der Arbeitszeit abzulegen300.
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Nicht bestätigt worden ist die Kündigung durch den Arbeitgeber in folgenden Fällen: Ein Straßenbahnschaffner ist wegen Verstoßes gegen das KPD-Verbot und wegen Agententätigkeit strafrechtlich abgeurteilt worden301. Ein Fernmeldehandwerker der Post erklärt in einem dienstlichen Gespräch, etwaige Weisungen aufgrund der sog. Notstandsgesetze nicht befolgen zu wollen, und zwar in einem Zeitpunkt, zu dem die Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetze zweifelhaft war302. Ein Jugendvertreter gibt einer KPD-Zeitung ein Interview und verteilt vor dem Betrieb Flugblätter, in denen sein Arbeitgeber kritisiert wird303. Ein befristet beschäftigter Mitarbeiter kritisiert unter Bezugnahme auf Presseveröffentlichungen seinen Arbeitgeber in 291 292 293 294 295 296 297 298 299 300 301 302 303
BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 483/07, AfP 2009, 286. EGMR v. 21.7.2011 – Nr. 28274/08, NJW 2011, 3501 – Heinisch. BAG v. 13.1.1956 – 1 AZR 167/55, AP Nr. 4 zu § 13 KSchG. BAG v. 23.2.1959 – 3 AZR 583/57, AP Nr. 1 zu Art. 5 Abs. 1 GG – Meinungsfreiheit. BAG v. 28.9.1972 – 2 AZR 469/71, NJW 1973, 77. BAG v. 2.12.1999 – 2 AZR 724/98, MDR 2000, 839 = NJW 2000, 2444. BAG, AP Nr. 69 zu § 626 BGB. LAG Bayern v. 23.5.1958 – Sa 71/58/VI N, DB 1958, 900. LAG Düsseldorf v. 13.12.1961 – 1 Sa 664/58, DB 1962, 806; vgl. auch BAG v. 17.12.1976 – 1 AZR 772/75, NJW 1977, 918; v. 15.8.1980 – 1 AZR 599/78, unveröffentlicht. BAG v. 9.12.1982 – 2 AZR 620/80, NJW 1984, 1142. BAG v. 6.2.1969 – 2 AZR 241/63, AP Nr. 58 zu § 626 BGB. BAG v. 15.7.1971 – 2 AZR 232/70, JZ 1971, 785. BAG v. 11.12.1975 – 2 AZR 426/74, AP Nr. 1 zu § 15 KSchG.
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Burkhardt/Peifer
IV. Schranken aufgrund zivilrechtlicher Vertragsverhältnisse
Rz. 62 Kap. 2
Leserbriefen304. Ein Beitrag eines Auszubildenden in einer Schülerzeitung zum Einsatz von Gewalt bei Demonstrationen gegen den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf berechtigt nicht, seine Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis abzulehnen305. Dienst- und Arbeitsverhältnisse begründen auch noch nach ihrer Beendigung nachwirken- 61 de Treuepflichten zu loyalem Verhalten und Verschwiegenheit306. Darauf hat der BGH auch in der Entscheidung „Aufmacher I“ hingewiesen307, die das Bundesverfassungsgericht allerdings in diesem Punkt aufgehoben hat308, weil der BGH den Unterlassungsanspruch gegen die Veröffentlichungen des ehemaligen Arbeitnehmers im Ergebnis verneint hat. Wie der BGH ausführt, kann auch ein ausgeschiedener Arbeitnehmer, selbst wenn er weder ausdrücklich noch durch Übernahme einer herausgehobenen Vertrauensstellung für die Zeit nach seinem Ausscheiden besondere Pflichten zur Verschwiegenheit übernommen hat, verpflichtet sein, das Bedürfnis nach einer Vertrauenssphäre zu berücksichtigen, auf die das Unternehmen bei Bildung und Durchsetzung seiner Entscheidungen angewiesen ist und die ganz allgemein die unverzichtbare Grundlage für jede Zusammenarbeit ist. Bei Presseunternehmen kann die Verweigerung eines Unterlassungsanspruches gegen die Verbreitung von Informationen, die rechtswidrig mit Hilfe eines erschlichenen Anstellungsverhältnisses beschafft wurden, einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bedeuten309. 3. Exklusivverträge Schrifttum: Schmidt-Osten, Informationsmonopol durch Exklusivverträge, AfP 1973, 416; Krone, Der Exklusivvertrag – im Spannungsfeld von Berichterstattungs- und Vertragsfreiheit, AfP 1982, 196; Prantl, Der journalistische Exklusivvertrag über Informationen aus der personalen Sphäre, AfP 1984, 17; Fuhr, Exklusivberichterstattung des Rundfunks, ZUM 1988, 327; T. Urek, Grenzen der Zulässigkeit von Exklusivvereinbarungen über die Fernsehberichterstattung, 1991; Holznagel/Höppner, Exklusivvereinbarungen vs. Pressefreiheit, DVBl. 1998, 868; Moosmann, Exklusivstories. Zur rechtlichen Problematik der Exklusivvermarktung von Lebensgeschichten und anderen persönlichkeitsrechtlich geschützten Informationen, 2002.
Ein Exklusivvertrag verpflichtet den einen Vertragspartner üblicherweise, die Vermittlung von 62 Informationen an Dritte, die Gegenstand des Exklusivvertrages sind, zu unterlassen oder sich auch nicht zur Anfertigung von Fotografien zur Verfügung zu stellen usw. Darüber hinaus enthält ein Exklusivvertrag zumeist den Verzicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen, die sich aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen gegenüber der vorgesehenen Berichterstattung des Vertragspartners ergeben könnten, insb. Ansprüche wegen Verletzung der Intim- oder Privatsphäre bzw. des Schutzes des Lebensbildes. Ist streitig, wie weit dieser Verzicht reicht, kommt die Heranziehung der Zweckübertragungstheorie i.S.d. § 31 Abs. 5 UrhG in Betracht310.
304 LAG Bremen v. 15.3.1986 – 2 Sa 53/67, AP Nr. 56 zu § 626 BGB. 305 BVerfG v. 19.5.1992 – 1 BvR 126/85, NJW 1992, 2409. 306 BGH v. 21.12.1962 – I ZR 47/61, BGHZ 38, 391, 395 = NJW 1963, 856; BAG v. 25.8.1966 – 5 AZR 525/65 und v. 13.2.1969 – 5 AZR 199/68, AP Nr. 1 und 3 zu § 611 BGB – Schweigepflicht; v. 27.2.1958 – 2 AZR 349/55, v. 19.2.1959 – 2 AZR 341/56, v. 10.7.1959 – VI ZR 149/58, v. 11.12.1967 – 3 AZR 22/67, AP Nr. 1-4 zu § 242 BGB – Nachvertragliche Treuepflicht. 307 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, MDR 1981, 484 = AfP 1981, 270 = NJW 1981, 1089. 308 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741. 309 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741. 310 Brandel, AfP 1981, 349.
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Kap. 2 Rz. 63
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
63
Solche Exklusivverträge sind grundsätzlich wirksam. Das gilt insb., soweit der Informationsgegenstand der freien Verfügung des Informanten unterliegt wie etwa Vorgänge aus der Privat- und Intimsphäre311. Daher kann ein (ehemals) Schiffbrüchiger mit einer Zeitschrift vereinbaren, dass er seinen Bericht bei Vermeidung einer Konventionalstrafe nur ihr zur Verfügung stellt312. Daran hat auch die Caroline von Monaco-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts313 nichts geändert314. Allerdings sind auch Konstellationen denkbar, in denen die rechtliche Wirksamkeit zweifelhaft bzw. zu verneinen ist. Das ist der Fall, wenn durch eine solche Vereinbarung die einzige Quelle der Information über ein Geschehen versperrt wird, an welchem die Öffentlichkeit jedoch ein erhebliches berechtigtes Informationsinteresse hat. Dann muss der Zugang zur einzigen Informationsquelle grundsätzlich jedermann freistehen315. Diesem Zweck dient auch Nr. 1.1 der Richtlinie zu Ziff. 1 des Pressekodex des Deutschen Presserats (Anhang). Zwar bindet die Richtlinie als Standesauffassung die Medien nicht unmittelbar. Sie kann jedoch im Rahmen der §§ 3, 4 Nr. 4 UWG und nach § 826 BGB Bedeutung erlangen316. Als unwirksam müsste z.B. eine Vereinbarung angesehen werden, durch die Weltraumfahrer ihre mit Hilfe öffentlicher Mittel gewonnenen Eindrücke unter Ausschluss der übrigen nur einem oder einigen Publikationsorganen gegen Entgelt zur Verfügung stellen. Im Falle des Grubenunglücks in Lengede hat der BGH dahinstehen lassen, ob die von den eingeschlossen gewesenen Bergleuten mit einer Illustrierten getroffene Exklusivvereinbarung wirksam war. Er weist aber darauf hin, dass eine Unterlassungsvereinbarung vor allem dann unzulässig sein kann, wenn sie den Zweck hat, das Schweigen des Betroffenen zu erkaufen, um die in Betracht kommenden Nachrichten der Öffentlichkeit gänzlich vorzuenthalten, etwa um Fehler der Bergwerksleitung zu verheimlichen. Bei von einem einzigen Berechtigten gehaltenen Informationen wird man im Falle erheblicher Informationsinteressen hilfsweise über Zugangs- oder auch Zutrittsrechte (z.B. bei Pressekonferenzen) der mit der Verbreitung von Informationen Befassten ausgehen können, die über § 826 BGB durchsetzbar sind317.
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Durch einen Exklusivvertrag wird ein Dauerschuldverhältnis begründet. Eine Kündigung ist grundsätzlich nur möglich, wenn dafür ein wichtiger Grund vorliegt. Das kann zutreffen, wenn das Vertrauen des Kündigenden in eine ordnungsgemäße Vertragserfüllung seitens des anderen Teiles verlorengegangen oder erschüttert ist, ebenso wenn bei notwendigem persönlichem Kontakt kein gedeihliches Zusammenarbeiten mehr zu erwarten ist. Bei einem Exklusivvertrag mit einem Verlag, der mehrere Blätter herausgibt, begründet ein auf der Art der Berichterstattung beruhendes Zerwürfnis mit dem zuständigen Redakteur eines Blattes nicht notwendigerweise ein Recht zur Kündigung des Gesamtvertrages, insb. wenn der Chefredak-
311 OLG Köln, ArchPR 1975, 37. 312 LG Hamburg, ArchPR 1975, 37. 313 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco. 314 Zur Wirkung gegenüber Dritten vgl. Rz. 65. 315 BGH v. 27.10.1967 – Ib ZR 140/65, GRUR 1968, 209 – Lengede; Krone, AfP 1982, 196; Ricker/ Weberling, Handbuch des Presserechts, Kap. 7 Rz. 5. 316 Löffler/Löffler, BT Standesrecht, Rz. 3. 317 Vgl. OLG Köln v. 7.3.2000 – 16 W 8/00, NJW-RR 2001, 1051; ferner Holznagel/Höppner, DVBl. 1998, 868 mit der Empfehlung, gesetzliche Zugangsrechte für die Presse zu schaffen; zum Zutrittsrecht der Presse zu Amateurveranstaltungen aber zurückhaltend OLG München v. 23.3.2017 – U 3702/16 Kart, GRUR-RR 2017, 355.
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Burkhardt/Peifer
IV. Schranken aufgrund zivilrechtlicher Vertragsverhältnisse
Rz. 68 Kap. 2
teur eines anderen Blattes sich für die Belange des Vertragspartners besonders eingesetzt hat318. Ein Exklusivvertrag hat Auswirkungen auf die Berichterstattungsmöglichkeit anderer Me- 65 dien. Umstritten ist, ob Zugangsrechte konkurrierender Medien zu begründen sind. Das LG Hamburg geht von einer allgemein befolgten Standesauffassung der Presse aus319, Exklusivverträge seien von anderen Verlagen zu respektieren. Sich über diese Standesauffassung zum eigenen Vorteil hinwegzusetzen bedeute einen Verstoß gegen § 1 UWG. Die Einhaltung der Standesauffassung und deren Sicherung durch Anwendung des § 1 UWG liege im allgemeinen Interesse, weil der Vertragspartner des Informanten dann nicht unter zeitlichem Druck stehe und die Informationen gründlicher prüfen könne. Ob die vom LG Hamburg unterstellte Standesauffassung tatsächlich besteht, ist jedoch eher zweifelhaft320. Der BGH vertritt in der Lengede-Entscheidung die Auffassung321, auch im Falle eines wirksamen Exklusivvertrages sei die übrige Presse nicht gehindert, sich ihrerseits einen gemeinfreien Tatsachenstoff zu beschaffen und darüber zu berichten. Diese Sichtweise ist zutreffend. Soweit Angelegenheiten in Rede stehen, die der Intim- oder Privatsphäre zuzurechnen sind, 66 ist zu beachten, dass der Sphärenschutz nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person besteht. Der Sphärenschutz entfällt daher, wenn sich jemand selbst damit einverstanden zeigt, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden, etwa indem er Exklusivverträge über die Berichterstattung aus seiner Privatsphäre abschließt322. Exklusivverträge über solche Verhältnisse können also keine andere Medien ausschließende Wirkung entfalten. Eine zeitgleiche Berichterstattung ist daher zulässig, soweit die betreffenden Informationen anderweitig beschafft wurden. Ebenso darf ggf. unter Angabe der Quelle nachberichtet werden. Eine Einschränkung ist nur hinsichtlich etwa verwendeten Bildmaterials anzuerkennen. Dies ergibt sich im Regelfall bereits aus dem Urheberrecht, da dessen Schrankenbestimmungen eine Übernahme von Bildmaterial nur in engen Grenzen, z.B. zur Unterrichtung über Tagesfragen nach § 46 UrhG, zulassen. Daneben kann sich ein Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG unter dem Gesichtspunkt der Ausnut- 67 zung einer etwaigen Vertragsuntreue des Informanten ergeben323. Bei bedeutsamen Ereignissen, bei denen die Wirksamkeit einer Exklusivvereinbarung ohnehin mindestens zweifelhaft ist, muss dem Informationsinteresse der Allgemeinheit grundsätzlich Vorrang eingeräumt werden. 4. Sperrfristen Schrifttum: Prantl, Die Sperrfrist für journalistische Information, AfP 1982, 204.
Sperrfristen, also Fristen, vor deren Ablauf die Publikation einer Meldung oder eines Manu- 68 skriptes unterbleiben soll, lagen früher bei noch wenig entwickelter Nachrichtentechnik auch im Interesse der Presse, weil sie kleineren Blättern die Möglichkeit boten, hinsichtlich 318 319 320 321 322
OLG München v. 20.12.1979 – 6 U 3430/79, AfP 1981, 347 – Vera Brühne. LG Hamburg, ArchPR 1975, 37. Verneinend: Soehring/Hoehne, Rz. 7.57. BGH v. 27.10.1967 – Ib ZR 140/65, GRUR 1968, 209. BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco. 323 Vgl. Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rz. 4.36b.
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Kap. 2 Rz. 69
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
der Aktualität mit den großen gleichzuziehen. Heute liegen Sperrfristen praktisch nur noch im Interesse der Informanten324. Dauerinformanten wie insb. Nachrichtenagenturen pflegen die Vertragspartner zur Beachtung angeordneter Sperrfristen zu verpflichten. Übersenden Gelegenheitsinformanten wie z.B. Firmen, Verbände usw. Informationen mit dem Vermerk „Veröffentlichung nicht vor …“, wird das urheberrechtliche Nutzungsrecht erst ab dem genannten Zeitpunkt eingeräumt. Die vorzeitige Verwertung nicht urheberschutzfähiger Informationen wird durch einen solchen Hinweis nicht ausgeschlossen. Es gilt aber als Standesregel, auch einseitig festgesetzte Sperrfristen einzuhalten, sofern an der Einhaltung ein berechtigtes Interesse besteht. 69
Zur Einhaltung einseitig festgesetzter Sperrfristen hat der Deutsche Presserat Richtlinien325 entwickelt. Danach dürfen solche Fristen keine Beeinträchtigung der Informationspflicht zur Folge haben. Ein berechtigtes Interesse an der Einhaltung ist bei noch nicht eingetretenen Ereignissen anzuerkennen, z.B. bei Versammlungen, Beschlüssen, Ehrungen usw. Zu missbilligen sind Sperrfristen, wenn ein bestimmter Veröffentlichungszeitpunkt Werbezwecken dienen soll. Absprachen zwischen Journalisten über Sperrfristen sind nur verbindlich, wenn die beteiligten Redaktionen sie bestätigen.
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Die Nichteinhaltung einer vertraglich vereinbarten, aber auch einer einseitig erklärten Sperrfrist kann wettbewerbswidrig sein. Dazu hat schon das RG die Auffassung vertreten326, dass wettbewerbswidrig handelt, wer sich wirtschaftlich wertvolle Informationen (Rennergebnisse) von Dritten beschafft, obschon diese bekanntermaßen zur Weitergabe nicht befugt sind. Das OLG Stuttgart hat die Klage einer konkurrierenden Tageszeitung mit der Begründung abgewiesen327, der Verlag habe die vorzeitige Veröffentlichung als zweckmäßig ansehen dürfen und dabei nicht in Wettbewerbsabsicht gehandelt. Die damals zu § 1 UWG 1909 ergangene Entscheidung könnte aus heutiger Sicht die Fallgruppe der gezielten Behinderung durch Verleitung zum Vertragsbruch (§ 4 Nr. 4 UWG 2015) betreffen. Denkbar ist auch eine Unlauterkeit wegen Erlangung von Informationen, die einer Exklusivabrede unterliegen, sofern die Veröffentlichung durch einen Dritten vor der Veröffentlichung durch den hierzu Berechtigten erfolgt328. 5. Unterlassungspflicht aufgrund sonstiger Vertragsverhältnisse
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In einem Auftrag zur Erstellung einer Biographie, einer Firmengeschichte usw. kann vereinbart werden, dass der beauftragte Verfasser das Werk nur mit Zustimmung des Auftraggebers veröffentlichen darf. Eine ohne Willen des Auftraggebers erfolgende Veröffentlichung lässt sich auch dadurch vermeiden, dass der Auftragnehmer verpflichtet wird, dem Auftraggeber die ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte an dem Werk einzuräumen. Solche Beschränkungen des Verfassers können auch stillschweigend vereinbart werden329. 324 325 326 327 328
Prantl, AfP 1982, 204. Vgl. Richtlinie 2.5 zum Pressekodex, s. Anhang. RG, MuW 1934, 464. OLG Stuttgart v. 26.7.1960 – 6 U 65/60, NJW 1960, 2291. Vgl. als Parallele BGH v. 27.1.1982 – I ZR 177/80, GRUR 1983, 377 – Brombeer-Muster, heute § 4 Nr. 3 c. 329 BGH v. 9.5.1985 – I ZR 52/83, MDR 1986, 121 = CR 1985, 22 = NJW 1986, 192 – Inkassoprogramm; KG v. 1.10.1996 – 5 U 6959/95, NJW 1997, 1164; für Ghostwritervereinbarungen LG Köln v. 13.11.2014 – 14 O 315/14, AfP 2014, 553, bestätigt durch OLG Köln v. 5.5.2015 – 15 U 193/14, AfP 2015, 430 und BGH v. 10.7.2015 – V ZR 206/14, MDR 2015, 1432 = CR 2016, 253 = AfP 2015, 560.
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Burkhardt/Peifer
V. Verpflichtung zur Berichterstattung und zum Senden
Rz. 75 Kap. 2
Die Verletzung einer Verschwiegenheitsvereinbarung verpflichtet zur Leistung von Schadenersatz330, der auch eine hohe immaterielle Geldentschädigung umfassen kann331. Enthält der Auftrag keine Beschränkung, kann der Autor an der Veröffentlichung der Auftragsarbeit auch dann nicht gehindert werden, wenn der Auftraggeber ihn honoriert hat332. Hat die Witwe eines verstorbenen Komponisten einem Wissenschaftler den Auftrag erteilt, aufgrund durchzuführender Recherchen eine Biographie über ihren verstorbenen Ehemann zu schreiben, folgt daraus nicht ohne weiteres, die Biographie müsse einen ausschließlich positiven Inhalt haben. Die Behauptung, die Biographie sei persönlichkeitsverletzend, bedarf konkreter Darlegungen333. Die Pflicht zur Unterlassung bestimmter Äußerungen kann sich auch als vertragliche Ne- 72 benpflicht ergeben. Vertragspartner haben sich bei der Abwicklung des Schuldverhältnisses so zu verhalten, dass Rechtsgüter des anderen Teils nicht verletzt werden. Deswegen kann es bspw. unzulässig sein, den Firmennamen des Vertragspartners ausdrücklich an den Pranger zu stellen und herabzusetzen, um Kunden Verzögerungen verständlich zu machen, die durch mangelnde Funktionsfähigkeit einer EDV-Anlage entstanden sind, insb. wenn die Eignung dieser Anlage für den betreffenden Geschäftszweig erst getestet werden sollte334. Der bloße Abschluss eines Anzeigenvertrages bedeutet nicht, das betreffende Blatt sei ver- 73 pflichtet, sich kritischer Äußerungen über das Angebot zu enthalten, das Gegenstand des Inserates ist. Solche Kritik kann u.U. Anlass zum Storno des Anzeigenauftrages geben. Ein Anspruch auf Unterlassung oder Widerruf lässt sich allein aus dem Anzeigenauftrag nicht herleiten335. Die Anbringung und das Belassen eines Plakates mit politischem Inhalt („Keine Startbahn 74 West“) im Fenster eines gemieteten Hauses seitens des Mieters gibt dem Vermieter kein Recht zur fristlosen Kündigung. Auch eine Hausordnung, nach der das sichtbare Aufhängen und Auslegen von Wäsche auf dem Balkon und in Fenstern unzulässig ist, rechtfertigt keine fristlose Kündigung wegen des Aushängens eines solchen Plakates336. Das Anbringen von Spruchbändern mit politischen Parolen an Balkonbrüstungen einzelner Wohnungseigentümer kann in Wohnungseigentümeranlagen aber nach § 14 Nr. 1 WEG beschränkt werden337.
V. Verpflichtung zur Berichterstattung und zum Senden 1. Vertragliche Verpflichtungen In dem Rahmen, in dem vereinbart werden kann, die Veröffentlichung bestimmter Informa- 75 tionen zu unterlassen oder diese nur bestimmten Personen zu geben, kann auch die Verpflichtung zur Verbreitung von Berichten begründet werden, ebenso die Verpflichtung, ein 330 LG Hamburg v. 29.10.1993 – 324 O 250/93, AfP 1993, 782 = NJW-RR 1994, 1012 – Die Akte Wehner. 331 LG Köln v. 27.4.2017 – 14 O 286/14, 14 O 323/15, 14 O 261/16: 1 Mio. Euro für den Bruch einer Verschwiegenheitsvereinbarung im Rahmen eines Ghostwriterverhältnisses. 332 KG v. 1.10.1996 – 5 U 6959/95, NJW 1997, 1164. 333 KG v. 1.10.1996 – 5 U 6959/95, NJW 1997, 1164. 334 OLG Hamburg v. 24.5.1973 – 3 U 181/72, MDR 1973, 1019. 335 BGH v. 14.4.1965 – Ib ZR 80/63, GRUR 1965, 547 – Zonenbericht; OLG Köln, AfP 1977, 355. 336 LG Darmstadt v. 1.10.1982 – 17 S 161/82, NJW 1983, 1201. 337 KG v. 15.2.1988 – 24 W 4716/87, MDR 1988, 587.
Burkhardt/Peifer 99
Kap. 2 Rz. 76
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
Manuskript nicht ohne vorherige Überprüfung des Vertragspartners zu veröffentlichen. Eine einer solchen Vereinbarung zuwiderlaufende Berichterstattung bedeutet eine Vertragsverletzung. Eine Persönlichkeitsverletzung ergibt sich daraus nicht ohne weiteres, insb. keine solche, die zur Leistung immateriellen Schadensersatzes verpflichtet338. Das ist bei Ghostwriterverträgen allerdings anders, denn hier ist gerade die Vertraulichkeit der Information Kern der vertraglichen Verschwiegenheitsvereinbarung (oben Rz. 71). 2. Wahlwerbesendungen Schrifttum: Bolwin, Besteht ein Rechtsanspruch der politischen Parteien auf Darstellung ihrer Standpunkte in Wahlsendungen und Wahlhearings?, AfP 1990, 165; Püschel, Wahlwerbung politischer Parteien im Rundfunk, ZUM 1990, 396; Gabriel-Bräutigam, Wahlkampf im Rundfunk, ZUM 1991, 466; Ladeur, Zum Recht politischer Parteien, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu Wort zu kommen, ZUM 1991, 456; Ukena, Wahlwerbesendungen privater Rundfunkveranstalter, ZUM 1991, 75; Benda, Rechtliche Perspektiven der Wahlwerbung im Rundfunk, NVwZ 1994, 521; Lackner, Gestaltungsform und Inhalt von Wahlwerbesendungen unter verfassungsrechtlichen Aspekten, ZUM 1997, 732; Hahn-Lorber/Roßner, TV-Duell ohne Herausforderer? Baden-Württemberg 2011, Chancengleichheit im Wahlkampf und eine veränderte Parteienlandschaft, NVwZ 2011, 471; Holznagel, Verantwortung der Massenmedien im Wahlkampf – Reformbedarf im Zeitalter des Web 2.0, JZ 2012, 165; Gundel, Die EMRK und das Verbot der ideellen Rundfunkwerbung – Entwarnung für § 7 Abs. 9 RStV?, ZUM 2013, 921.
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Ob öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten grundrechtlich verpflichtet sind, politischen Parteien für Wahlpropaganda Sendezeiten zur Verfügung zu stellen, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 3.9.1957 dahingestellt sein lassen339. Wenn das aber geschieht, haben die Rundfunkanstalten den Gesichtspunkt der Chancengleichheit (nun § 5 Abs. 1 Satz 1 PartG) zu beachten, was nicht ausschließt, bei der Bemessung der Sendezeit die Bedeutung der jeweiligen Partei angemessen zu berücksichtigen340. Rundfunkanstalten sind befugt, die Ausstrahlung an die Voraussetzung zu knüpfen, dass die Sendezeit nur zum Zwecke der Wahlwerbung und in rechtlich zulässiger Form genutzt wird. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen können sie überprüfen. Die Intendanten sind aber zur Zurückweisung nur berechtigt, wenn der Verstoß gegen die Strafgesetze evident ist und nicht nur leicht wiegt341. Das den Rundfunkanstalten zustehende Prüfungsrecht ist großzügig zu handhaben. Das Bundesverfassungsgericht kann Rundfunkanstalten im Wege der einstweiligen Anordnung zur Ausstrahlung von Wahlwerbespots verpflichten342. Die Verfassungswidrigkeit bestimmter Äußerungen rechtfertigt die Zurückweisung noch nicht, zumal sonst die Gefahr bestünde, dass der Wähler über die wahren Ziele und Absichten der betreffenden Partei irregeführt wird343. Die Darstellung zerstückelter Föten, die Behauptung, das sei die Ermordung menschlichen Lebens, der Bundeskanzler und auch die christlichen Parteien hätten in Bezug auf § 218 StGB 338 LG Hamburg, ArchPR 1970, 96. 339 BVerfG v. 3.9.1957 – 2 BvR 7/57, BVerfGE 7, 99 = NJW 1957, 1513. 340 BVerfG v. 30.5.1962 – 2 BvR 158/62, BVerfGE 14, 121 = NJW 1962, 1493; v. 24.2.1983 – 2 BvR 323/83, NJW 1983, 1107; v. 30.8.2002 – 2 BvR 1332/02, NJW 2002, 2939 – TV-Duell; v. 6.3.2006 – 2 BvR 1545/05, NVwZ-RR 2006, 369; OVG NW v. 15.8.2002 – 8 B 1444/02, AfP 2002, 456 = NJW 2002, 3417; OVG Brandenburg v. 14.9.2004 – 1 B 271/04, ZUM-RD 2004, 555; VG Mainz v. 7.5.2009 – 4 L 521/09.MZ, AfP 2009, 425. 341 BVerfG v. 6.3.2006 – 2 BvR 1545/05, NVwZ-RR 2006, 369, 370. 342 BVerfG v. 30.5.1984 – 2 BvR 617/84, NJW 1984, 2201. 343 BVerfG v. 14.2.1978 – 2 BvR 523/75 ua., BVerfGE 47, 198 = NJW 1978, 1043; OVG Hamburg v. 1.3.1974 – Bf. I 13/74, NJW 1974, 1523.
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V. Verpflichtung zur Berichterstattung und zum Senden
Rz. 78 Kap. 2
versagt, enthalten weder einen evidenten Verstoß gegen § 90a StGB noch gegen § 185 StGB, der die Zurückweisung eines Wahlwerbespots rechtfertigt344. Anders ist es, wenn friedlich feiernde Homosexuelle durch bildliche Gleichsetzung mit gewalttätigen Demonstranten und Attentätern auf den Fernsehturm am Alexanderplatz sowie durch die Einblendung der Worte „Unsere Zukunft? Niemals!!!“ in ihrer Menschenwürde verletzt werden345. Haben die größeren Parteien auf Wahlwerbung verzichtet, dürfen kleinere nicht allein deswegen von der Wahlwerbung ausgeschlossen werden346. Ein Kanzlerkandidat kann einen Anspruch auf Sendezeit nicht darauf stützen, dass eine 77 Rundfunkanstalt bereits eine Diskussionsrunde mit den zwei prognostisch aussichtsreichsten Kandidaten ausstrahlt. Das Auswahlermessen der Rundfunkanstalt bezüglich einer solchen Sendung wird bestimmt durch das Spannungsverhältnis zwischen der Chancengleichheit der Kandidaten und der Rundfunkfreiheit (vgl. Kap. 1 Rz. 31). Wenn die Rundfunkanstalt zu einer solchen Veranstaltung nur die aussichtsreichsten Kandidaten einlädt, ist das keine sachfremde Erwägung. Allerdings kann die Einschätzung nicht allein auf Wahlergebnisse der Vergangenheit gestützt werden, wenn ein aussichtsreicher Kandidat bereitsteht, der gleichwohl realistische Chancen auf einen Wahlsieg hat, wie dies in Baden-Württemberg 2011 der Fall war. Die damalige Nichtbeteiligung des späteren Ministerpräsidenten war daher fehlerhaft347. Jedoch muss für den nicht eingeladenen Kandidaten im Rahmen anderer Sendungen ausreichend Gelegenheit bleiben, um die Gunst der Wähler zu werben348. Entsprechendes gilt für andere Wahlbewerber wie z.B. Landtagswahlkandidaten349 oder einen Oberbürgermeister-Kandidaten350. Die Rundfunkstaatsverträge und Landesrundfunk- bzw. Mediengesetze regeln den An- 78 spruch auf Wahlwerbezeit auch gesetzlich. § 42 Abs. 2 RStV und § 11 Abs. 1 ZDF-StV gewähren den Parteien gegen Erstattung der Selbstkosten Anspruch auf Sendezeit für Wahlwerbung zu den Wahlen des Deutschen Bundestages351. § 8 Abs. 2 des WDR-Gesetzes sieht vor, dass der WDR Parteien oder Wählergruppen während ihrer Beteiligung an Wahlen zum Europäischen Parlament, zum Bundestag oder zum Landtag angemessene Sendezeit zur Wahlwerbung einzuräumen hat, wenn sie in Nordrhein-Westfalen (1) mit einem Listenwahlvorschlag, einer Landesliste oder einer Landesreserveliste oder (2) in einem Sechstel der Wahlkreise mit Kreiswahlvorschlägen zugelassen sind. Der Intendant kann die Ausstrahlung der Sendung einer Partei oder Wählergruppe ablehnen, wenn die Sendung nicht dem Zweck der Wahlwerbung dient. Entsprechende Regelungen finden sich in Umsetzung des § 42 RStV in § 14 Abs. 2 MDR-StV, § 15 Abs. 1 NDR-StV (auch für Mecklenburg-Vorpommern), § 8 Abs. 2 Staatsvertrag Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB-StV), § 9 Abs. 2 SDR-StV, § 13 Abs. 1 MedienStV Hamburg und Schleswig-Holstein sowie in § 3 Abs. 6 HR-Gesetz, § 30 Abs. 2 PRG Hessen, § 22 Abs. 1 Niedersächsisches MedienG, § 36 Abs. 2 LMG NRW, § 19 Abs. 2 LMG Rh.-Pf., § 19 Abs. 2 SMG, § 22 Abs. 1 sächsPRG, § 29 Abs. 1 MedienG Sachsen344 BVerfG v. 25.4.1985 – 2 BvR 617/84, NJW 1985, 2521. 345 VG Berlin v. 4.10.2001 – VG 2 A 200/01, AfP 2002, 364 = ZUM 2002, 492; OVG Koblenz v. 7.9.2005 – 2 B 11269/05, NJW 2005, 3593. 346 BVerwG v. 11.1.1991 – 7 C 13/90, NJW 1991, 938. 347 Hahn-Lorber/Roßner, NVwZ 2011, 471. 348 BVerfG v. 30.8.2002 – 2 BvR 1332/02, NJW 2002, 2939 – TV-Duell; OVG NW v. 15.8.2002 – 8 B 1444/02, AfP 2002, 456 = NJW 2002, 3417. 349 OVG NW v. 30.4.2012 – 13 B 527/12, BeckRS 2012, 50558, OVG Saarlouis v. 13.3.2017 – 2 B 340/17, BeckRS 2017, 104568. 350 VG Stuttgart v. 3.11.1982 – 4 K 5136/82, NJW 1983, 467. 351 Dazu Kommentierungen von Flechsig in Hahn/Vesting, RStV, 3. Aufl. 2012.
Burkhardt/Peifer 101
Kap. 2 Rz. 79
Ausstrahlung und Schranken der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG
Anhalt und § 29 Abs. 1 ThürLMG. Auch § 11 Abs. 1 Deutschlandradio-StV gewährt einen entsprechenden Anspruch. 3. Gesetzliche Verpflichtungen Schrifttum: Link/Pahlke, Kirchliche Sendezeiten in Rundfunk und Fernsehen, AöR 108 (1983), 248; D. Lorenz, Das Drittsendungsrecht der Kirchen, insb. im privaten Rundfunk, 1988; Stock, Viele Religionen im Rundfunk? „Religiöse Sendungen“ – gestern, heute und morgen, ZevKR 45 (2000), 380.
a) Zivilrechtliche Erörterungspflicht 79
Speziell bei Tageszeitungen ohne lokale Konkurrenz kann sich die Frage stellen, ob bei offenbar bewusstem Ausblenden einer Person oder eines Vorganges aus der Berichterstattung ein zivilrechtlicher Anspruch auf Erwähnung besteht. Der Verdacht bewussten Ausblendens kann sich z.B. ergeben, wenn ein plötzliches Totschweigen nach vorheriger lebhafter Erörterung offenbar auf einem Zerwürfnis mit dem Verleger oder einem Redakteur beruht. Zur Informationsvielfalt in Zeitungen mit Alleinstellung hat der Deutsche Presserat festgestellt, dass eine verantwortungsvolle publizistische Arbeit dazu verpflichtet, aus allen Lebensbereichen von öffentlichem Interesse unvoreingenommen und unter gewissenhafter Abwägung der Bedeutung der Nachrichten und Berichte unbeeinflusst von persönlichen Interessen zu informieren (Pressekodex, Einleitung und Ziff. 7, s. Anhang). Ein Verstoß gegen diese Empfehlung kann Anlass für eine Beschwerde beim Presserat geben. Ein zivilrechtlicher Anspruch auf Berichterstattung wird – vorbehaltlich der Vorschriften über die Richtigstellung oder Gegendarstellung im Falle von interessenbeeinträchtigenden Tatsachenmitteilungen, auch in Form einer Auslassung352 – nur anzuerkennen sein, wenn das Unterlassen als sittenwidrige Schädigung i.S.d. § 826 BGB zu werten ist. b) Verlautbarungsrecht
80
Die Rundfunkstaatsverträge und Landesrundfunk- bzw. Mediengesetze der Länder (nicht: der RStV) sehen eine Verlautbarungspflicht zugunsten der Bundesregierung, Landesregierungen und oberster Landesbehörden zur Durchgabe „amtlicher Verlautbarungen“ insb. in Fällen von Katastrophen und Gefahrensituationen vor. Einige Rechtsgrundlagen erweitern dies auf Gemeindeorgane und Bürgermeister. Die Regelungen hierüber finden sich in § 5 LMedienG BW; Art. 5 Abs. 8 BayMG; § 20 Bremisches MedienG, § 14 MedienStV Hamburg und Schleswig-Holstein, § 11 NDR-StV, § 8 Abs. 1 RBB-StV, § 14 Abs. 1 MDR-StV, § 9 Abs. 1 SWR-StV, § 8 Abs. 1 WDR-Gesetz sowie § 29 PRG Hessen, § 31 RG Meckl.-V., § 21 LMedienG Niedersachsen; § 36 Abs. 1 LMG NRW, § 18 rh-pf LMedienG, § 19 Abs. 1 SMG; § 21 sächsPRG, § 28 MedienG Sachsen-A., § 32 LRG Schleswig-Holstein; § 28 ThürLMG. Auch § 10 Deutschlandradio-StV gewährt der Bundes- und den Landesregierungen, § 16 DWG nur der Bundesregierung ein Verlautbarungsrecht. Die Verantwortung für die Sendung trägt derjenige, dem die Sendezeit zur Verfügung gestellt worden ist.
81
Einige Rundfunkstaatsverträge und Landesrundfunk- bzw. Mediengesetze sehen die Verpflichtung von Rundfunkveranstaltern vor, auch den Kirchen, den öffentlich-rechtlichen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und den jüdischen Kultusgemeinden (nicht dagegen den islamischen Gemeinschaften) auf ihren Wunsch angemessene Sendezeiten zur Übertragung gottesdienstlicher Handlungen und Feierlichkeiten sowie sonstiger religiöser 352 Dazu LG Köln v. 22.8.2007 – 28 O 152/07, ZUM 2008, 450, 451.
102
Burkhardt/Peifer
V. Verpflichtung zur Berichterstattung und zum Senden
Rz. 81 Kap. 2
Sendungen einzuräumen. Rundfunksender dürfen die zur Verfügung gestellten Sendezeiten auch in Abstufung zu der Bedeutung der jeweiligen Körperschaft beschränken353. Die Bestimmungen fußen auf § 42 Abs. 1 RStV und in Bayern auf Art. 111a der bayerischen Verfassung. Im Einzelnen finden sich die Zugangsregelungen in § 14 Abs. 3 MDR-StV, § 15 Abs. 2 NDRStV, § 8 Abs. 3 RBB-StV, § 9 Abs. 3 SWR-StV, § 8 Abs. 3 WDR-Gesetz, Art. 4 Abs. 2 Nr. 3 BRGesetz; § 5 Abs. 2 LMG Baden-Württ., § 13 Abs. 2 MStV HH und Schleswig-Holstein, § 30 Abs. 1 PRG Hessen, § 32 LandesRG Mecklenburg-V., § 22 Abs. 2 LRG NiedersMedienG, § 36 Abs. 4 LMedienG NRW, § 19 Abs. 1 LMG Rh.Pf.; § 19 Abs. 3 SMG, § 22 Abs. 2 sächsPRG, § 29 Abs. 2 PRG Sachsen-Anhalt. Auch § 11 Abs. 3 „Deutschlandradio“-StV sowie § 17 DWG sehen eine solche Regelung vor. In Bezug auf das ZDF folgt der Zugang zu Sendezeiten aus § 11 Abs. 3 ZDF-StV. In § 29 ThürLMG fehlt eine Zugangsregelung. Die Begünstigten dieser Regelung sind im RStV genannt. Auf andere verfasste Religionsgemeinschaften sind die Vorschriften jedenfalls insoweit anwendbar, als diese „angemessen berücksichtigt“ werden müssen354. Einschränkungen des Zugangs durch die Beschränkung oder den Ausschluss von Drittsendungsrechten der Gemeinschaften können noch zulässig sein, wenn in anderer Weise sichergestellt wird, dass die Vielfalt religiöser Anschauungen im Rundfunk zur Sprache kommt355.
353 VGH Bayern v. 29.1.2007 – 7 BV 06.764, ZUM-RD 2007, 217. 354 Vgl. § 17 DW-Gesetz. 355 Vgl. Korioth, Freiheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. IV, 2011, § 97 Rz. 67.
Burkhardt/Peifer 103
3. Kapitel Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 GG 4. Praktische Folgerungen . . . . . . . . . . . .
13
2
5. Satire und Karikatur . . . . . . . . . . . . . . .
30
6
II. Freiheit der Wissenschaft . . . . . . . . . .
36
I. Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Begriff der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konfliktlösung auf der Grundrechtsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Schrifttum: Dünnwald, Kunst und Unzüchtigkeit, JR 1965, 46; Erbel, Inhalt und Auswirkungen der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie, 1966; Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, 1967; Würtenberger, Karikatur und Satire aus strafrechtlicher Sicht, NJW 1982, 610; Würtenberger, Satire und Karikatur in der Rechtsprechung, NJW 1983, 1144; Zechlin, Kunstfreiheit, Strafrecht und Satire, NJW 1984, 1091; Otto, Strafrechtlicher Ehrenschutz und Kunstfreiheit der Literatur, NJW 1986, 1306; E. Ehrhard, Kunstfreiheit und Strafrecht, 1989; Henschel, Die Kunstfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1990, 1937; Würkner, Das Bundesverfassungsgericht und die Freiheit der Kunst, 1992; Isensee, Kunstfreiheit im Streit mit Persönlichkeitsschutz, AfP 1993, 619; Vlachopoulos, Kunstfreiheit und Jugendschutz, 1996; Beisel, Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen, 1997; Zöbeley, Warum lässt sich Kunst nicht definieren? NJW 1998, 1372; St. Vogel, Der Prüfungsumfang des Bundesverfassungsgerichts bei Verfassungsbeschwerden am Beispiel der Kunstfreiheitsrechtsprechung, 2004; von Becker, Fiktion und Wirklichkeit im Roman: der Schlüsselprozess um das Buch „Esra“; ein Essay, 2006; von Becker, Docufiction – ein riskantes Format, ZUM 2008, 265; Dörre, Rechtsschutz gegen „Reality Literatur“, 2008; Neumeyer, Person – Fiktion – Recht – Verletzungen des Persönlichkeitsrechts durch Werke der fiktionalen Kunst, 2010; Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, 2011; Riedel, Vermutung des Künstlerischen – der Esra-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – eine rechts- und literaturwissenschaftliche Untersuchung, 2011; Gärtner, Was die Satire darf, 2009; Dahm, Der Schutz des Urhebers durch die Kunstfreiheit, 2012; Siegle, Das Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht, 2012; Borutta, Der realistische Roman – ein Problem des Verfassungsrechts, 2013; Bülow, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch künstlerische Werke, 2013; Bünnigmann, Die „Esra“-Entscheidung als Ausgleich zwischen Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit, 2013; Cornils, Gefühlsschutz, negative Informationsfreiheit oder staatliche Toleranzpflege: Blasphemieverbote in rechtlicher Begründungsnot, AfP 2013, 199; Isensee, Meinungsfreiheit im Streit mit der Religion – „Gotteslästerung“ heute, AfP 2013, 189; Fuchs/Schäufele, Die Beachtung von Persönlichkeitsrechten bei der Verfilmung wahrer Begebenheiten, AfP 2015, 395; Lindner, Die Persönlichkeitsverletzung durch Kunst, 2015; Würtenberger, Zur Geschichte der Kunstfreiheit, FS Hufen, 2015, S. 137; Bergau, Die Vermeidung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen bei Spielfilmen über reale Ereignisse, ZUM 2016, 812; Fröhlich, Freie Rede und freie Kunst in einer offenen Gesellschaft ohne „Schmähkritik“?, AfP 2016, 312; Hildebrand, Abbildungen von Personen bei künstlerischer Street Photography, ZUM 2016, 305; Kaerkes, Die vergessene Schranke der Kunstfreiheit, AfP 2016, 398; Klass, Satire im Spannungsfeld von Kunstfreiheitsgarantie und Persönlichkeitsrechtsschutz, AfP 2016, 477; Rusch/Becker, Warum Satire eben doch fast alles darf, AfP 2016, 201; Seitz, Realität im Film – Der schmale Grat zwischen Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit, ZUM 2016, 817; T. Hermann, Persönlichkeitsrechtsverletzende Passagen einer Satire – Schmähgedicht, AfP 2017, 177.
I. Kunstfreiheit 1
Die WRV hat die Garantie der Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Lehre in Art. 142 von der Äußerungs- und Pressefreiheit in Art. 118 systematisch getrennt. Dass das GG diese Ga104
Burkhardt/Peifer
I. Kunstfreiheit
Rz. 2 Kap. 3
rantiebereiche in einem Artikel zusammengeführt hat, stieß auf Kritik1. Zusammen mit Scholz ist die Zusammenführung zu verteidigen. In beiden Fällen geht es um Kommunikationsgrundrechte, d.h. um Teile der grundrechtlichen Kommunikationsverfassung2. Dennoch ist Kunstfreiheit nicht nur ein Unterfall der Äußerungsfreiheit. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG enthält nach Wortlaut und Sinn eine objektive, das Verhältnis des Bereiches Kunst zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm. Zugleich gewährleistet die Bestimmung jedem, der in diesem Bereich tätig ist, ein individuelles Freiheitsrecht3. Dies schützt sowohl den Werk- als auch den Wirkbereich. In der EMRK ist die Kunstfreiheit zwar nicht ausdrücklich erwähnt, sie wird aber durch die in Art. 10 EMRK erfasste Meinungsfreiheit mitgeschützt4. 1. Begriff der Kunst Da Art. 5 Abs. 3 GG den Begriff der Kunst verwendet und an dieses Merkmal rechtliche Fol- 2 gerungen knüpft, ist eine Unterscheidung zwischen Kunst und Nicht-Kunst ebenso unvermeidlich5 wie aussichtslos. Scholz spricht im Unterschied zu Knies6 von einem Definitionsgebot7. Beide Positionen haben ihre Berechtigung. Ein Definitionsgebot folgt daraus, dass bei Kollision mit anderen Rechtsgütern, etwa dem Schutz der inneren Persönlichkeitssphäre vor ihrer Aufdeckung in einem fiktiven Werk wie einem Roman, die künstlerische Betätigung nur so lange Vorrang genießt, wie es an einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung fehlt8. Aber auch die Auffassung, dass Kunst undefinierbar ist, weil sie besonders den Tabubruch und die Grenzüberschreitung benötige, um fruchtbar wirken zu können, hat ihre Berechtigung, denn erst diese Deutung verschafft dem Künstler die Freiheit, eigenen Gesetzen zu folgen und gibt ihm den gesellschaftlichen Raum, der gerade diese Freiheit zulassen soll9. Damit stellt sich jedenfalls für Juristen unausweichlich die Frage, von welchen Kriterien diese Unterscheidung abhängt. In der Mephisto-Entscheidung geht das Bundesverfassungsgericht davon aus10, das Wesentliche der künstlerischen Betätigung sei die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Bei künstlerischem Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen. Es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck, und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers. Knüpft die erzählende Kunst an Vorgänge der realen Wirklichkeit an, ist entscheidend, ob die Realität aus den Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten der empirisch-geschichtlichen Wirklichkeit gelöst und in neue Beziehungen gebracht wird, für die nicht die Realitätsthematik, sondern das künstlerische Gebot der anschaulichen Gestaltung im Vordergrund stehen. Die Wahrheit des einzelnen Vorganges
1 So u.a. von Herzog in Maunz/Dürig, 57. EL 2010, Art. 5 GG Rz. 1: „Fremdkörper“. 2 Scholz in Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 GG Rz. 13, so jetzt auch Grabenwarter in Maunz/Dürig, 79. EL 2016, Art. 5 GG Rz. 2. 3 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173 = NJW 1971, 1645 – Mephisto. 4 EGMR v. 24.5.1988 – 10737/84, NJW 1989, 379 – Müller u.a./Schweiz. 5 BVerfG v. 17.7.1984 – 1 BvR 816/82, BVerfGE 67, 213 = MDR 1985, 201 = NJW 1985, 261 – Anachronistischer Zug; BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882, 1884. 6 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 219. 7 Scholz in Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 GG Rz. 25. 8 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, AfP 2007, 441 = NJW 2008, 39 Rz. 80 – Esra. 9 Ruppert, Der moderne Künstler, 1998, S. 591. 10 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 189 = NJW 1971, 1645 – Mephisto.
Burkhardt/Peifer 105
Kap. 3 Rz. 3
Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 GG
kann und muss dann u.U. der künstlerischen Einheit geopfert werden11. Man spricht von einem materialen Kunstbegriff, dem ein formaler, an die Gattungszugehörigkeit von Äußerungen anknüpfender und ein „offener“ Kunstbegriff12 beigestellt werden13. 3
Eine nach diesen Kriterien erfolgende Abgrenzung der Kunst von der Nicht-Kunst darf gleichwohl nicht in eine qualitative Bewertung umschlagen. Eine Differenzierung zwischen „höherer“ und „niederer“, „guter“ und „schlechter“ und deshalb nicht oder nur weniger schutzwürdiger Kunst liefe auf eine Inhaltskontrolle hinaus, die unstatthaft wäre14. In diesem Sinn hat sich auch der BGH in der Entscheidung „Geist von Oberzell“ ausgesprochen15. Danach ist die Anlegung von Maßstäben wie „kunstvolles Versmaß“, „Aussagekraft der Sprache“, „Ausfüllung der Form mit einem gewissen Wert“ nicht möglich. Dadurch lässt sich die Qualität eines Kunstwerkes umschreiben, nicht aber lässt sich davon die Freiheitsgarantie abhängig machen. Entscheidend kann nur eine Gesamtbeurteilung sein, wobei die Frage ist, wessen Urteil maßgeblich sein soll. Knies setzt sich kritisch mit der Frage auseinander16, ob Stellungnahmen Sachverständiger eingeholt werden sollten. Dafür spricht, dass bei der Definition von Kunst an sich nicht auf juristische, sondern auf außerrechtliche Kategorien zurückgegriffen werden muss. Dagegen spricht, dass am Ende der Richter eine normative Wertung treffen muss, die in angemessener Zeit und zu angemessenen Kosten für die Parteien zu erzielen ist. Dabei spielt auch eine Rolle, dass Kunstsachverständige den prozesshaften und kontextgebundenen Charakter von Kunst betonen, also durchaus nicht stets eindeutige Wertungen treffen können, auch wenn in der Kunsthistorie Systemkriterien und Canones zur Abgrenzung zwischen Kunst und Nicht-Kunst herangezogen werden können17.
4
Die Kriterien zur Unterscheidung zwischen Kunst und Nicht-Kunst gelten für die Bildende Kunst, also für die künstlerische Gestaltung von Flächen und Raumkörpern ebenso wie für die Literatur, den Film und die Bühnenkunst, zunehmend aber auch für die ästhetische oder kommunikative Gestaltung von Gebrauchsgegenständen, „angewandte Kunst“. Sie gelten ebenfalls für Karikaturen und satirische Darstellungen. Auch sie können schöpferische Gestaltungen sein, in denen Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Eine damit zugleich zum Ausdruck gebrachte Meinung ändert an der Eigenschaft als Kunstwerk grundsätzlich nichts. Eine Meinung, auch eine politische, lässt sich durchaus in der Form künstlerischer Betätigung kundgeben18. Auch in diesem Falle greift Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein, weil dies im Vergleich zu Art. 5 Abs. 1 GG die speziellere Norm ist19. Auch wenn Karikaturen und Satire grundsätzlich Kunst sein können, ist nicht jede Karikatur und Satire zugleich Kunst. Erforderlich ist, dass die Darstellung das geformte Ergebnis einer freien schöpferischen Gestaltung ist, während die bewusste Suche nach wahrer 11 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 189 = NJW 1971, 1645 – Mephisto. 12 Interpretations- und Deutungsoffenheit von Kunst gegenüber Faktendarstellungen; BVerfG v. 17.7.1984 – 1 BvR 816/82, BVerfGE 67, 213, 226 = MDR 1985, 201 und 227 = NJW 1985, 261 – Anachronistischer Zug. 13 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1873/05, BVerfGE 119, 1, 20 – Esra. 14 BVerfG v. 3.6.1987 – 1 BvR 313/85, MDR 1987, 992 = AfP 1987, 677 = NJW 1987, 2661 – StraußKarikatur. 15 BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882. 16 Knies, AfP 1978, 60. 17 Vgl. Ziff, Was es heißt zu definieren, was ein Kunstwerk ist (1966), in Henrich/Iser, Theorien der Kunst, 1992, S. 524, 527. 18 Scholz in Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 GG Rz. 13. 19 BVerfG v. 3.6.1987 – 1 BvR 313/85, MDR 1987, 992 = AfP 1987, 677 = NJW 1987, 2661 – StraußKarikatur.
106
Burkhardt/Peifer
I. Kunstfreiheit
Rz. 5 Kap. 3
Darstellung, nach Dokumentation oder die reine Gebrauchszweckgebung nicht den Bereich der Gestaltungsfreiheit fällt, weil sie gerade durch ihre Zweckhaftigkeit schöpferische Freiheiten vermissen lassen. Künstlerische Freiheit erlaubt es, einen geschützten Werktitel oder ein geschütztes Kennzeichnen zu karikieren, mit einer Gegenaussage zu attackieren, wie dies geschieht, wenn die als Marke geschützte Farbe Lila zu einer die Konsumwelt des Gegenstandes persiflierenden parodistischen Postkarte genutzt wird20 oder ein Buch mit dem Titel „Die schönsten Wanderwege der Wanderhure“ das Original mit seiner Tendenz der Perpetuierung eines eher kleinteiligen Grundgedankens in der Titelgebung von Fortsetzungen bewusst karikiert. Kunst liegt aber nicht schon bei jeder bloßen Übertreibung, Verzerrung und Verfremdung vor21. Fotografie, auch und gerade Straßenfotografie, kann Kunst sein, da ihr Ziel darin liegt, „die Realität unverfälscht abzubilden, wobei das spezifisch Künstlerische in der bewussten Auswahl des Realitätsausschnitts und der Gestaltung mit fotografischen Mitteln zum Ausdruck kommt22. Kunst kann eine aus der Verbindung zweier Fotografien bestehende Collage sein23. In jenem Fall bildete die untere Fotografie ein Gelöbnis ab, bei dem Soldaten eine Bundesflagge ausgebreitet hatten. Auf der darübergesetzten war ein von den Knien bis zur Hüfte abgebildeter männlicher Torso in Urinierhaltung zu sehen. Der Urinstrahl zielte auf die Bundesflagge, unter ihr eine Urinpfütze. Als Kunst angesehen wurde auch die Zusammenfassung von Stellen eines Bühnenwerkes zu einem neuen Bühnenstück in Form einer Textcollage24 sowie das Herauslösen von Tonelementen aus einem Tonträger zur Herstellung eines Werkes der Hip-Hop-Musikkunst25. Demgegenüber ist das in der Zeitschrift Stern veröffentlichte „Bonnbon“ „doofer lederbehoster Bayer“ keine Kunst26. Die in einer Bildfolge angeordneten drei Fotos zeigen eine Person in trachtenmäßiger Aufmachung, zusammen mit dem damaligen CSU-Vorsitzenden und Bundesfinanzminister Waigel. Den im Stern veröffentlichten Aufnahmen waren drei Sprechblasen beigefügt, in denen Finanzminister Waigel die Person in Trachtenkleidung als Herrn Hingerl vorstellt, der Generalsekretär der CSU werden solle und der genauso peinliche Statements wie Herr Portzner abgebe, die aber Gott sei Dank keiner verstehe. Diese Darstellung ist als bloße Verzerrung durch das Grundrecht der Kunstfreiheit nicht geschützt. Die Darstellung unterfällt jedoch dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit (vgl. Kap. 4 Rz. 40a). Kunstkritik unterfällt nicht dem Kunstschutz, denn sie möchte nicht frei schöpfen, sondern 5 gebunden an ihrem Zweck Leitlinien, Interpretationen und Wirkungsweisen erörtern. Allenfalls ihre Einkleidung in eine eigenständige künstlerische Form, etwa in die Form einer Satire, kann die Anwendung des Art. 5 Abs. 3 GG rechtfertigen27. Nicht unter die Kunstfreiheit fallen Tatsachendarstellungen, denn bei ihnen macht der Äußernde weder von einer schöpferischen Gestaltungsfreiheit Gebrauch (sofern er die Tatsache als feststehend darstellt) noch gibt es einen Interpretationsspielraum. Die nicht als Satire oder künstlerische Verfremdung erkennbare Verzerrung von Gesichtszügen in einer Zeichnung, die den Abgebildeten fehlerhaft darstellt, lässt sich daher nicht als Ausdruck von künstlerischer Freiheit schützen, wenn 20 BGH v. 3.2.2005 – I ZR 159/02, AfP 2005, 489 = GRUR 2005, 583 – Lila-Postkarte. 21 BVerfG v. 12.11.1997 – 1 BvR 2000/96, NJW 1998, 1386, 1387 – Münzen-Erna; v. 10.7.2002 – 1 BvR 354/98, AfP 2002, 417 = NJW 2002, 3767 – Stern Bonnbons. 22 BVerfG v. 8.2.2018 – 1 BvR 2112/15 – Street Art. 23 BVerfG v. 7.3.1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87, MDR 1990, 685 = NJW 1990, 1982. 24 BVerfG v. 29.6.2000 – 1 BvR 825/98, AfP 2000, 451 – Germania 3. 25 BVerfG v. 31.5.2016 – 1 BvR 1585/13, BVerfGE 142, 74 = IPRB 2016, 171 – Metall auf Metall. 26 BVerfG v. 10.7.2002 – 1 BvR 354/98, AfP 2002, 417 = NJW 2002, 3767 – Stern Bonnbons. 27 BVerfG v. 25.2.1993 – 1 BvR 151/93, MDR 1993, 586 = AfP 1993, 476 = NJW 1993, 1462 – Böll.
Burkhardt/Peifer 107
Kap. 3 Rz. 6
Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 GG
das Bild den Anschein einer authentischen Abbildung erweckt28. Eine Autobiographie, die einen künstlerischen Partner persönlich herabsetzt, kann nicht über Art. 5 Abs. 3 GG gerechtfertigt werden, wenn das Werk den Anspruch einer authentischen Berichterstattung erhebt29. Prostituierte sind nicht als Kunstausübende geschützt, weil im Vordergrund ihrer Tätigkeit eine sexuelle, auf den Kunden bezogene Dienstleistung steht, mag dem Kunden auch mit schauspielerischem Geschick Genuss vorgespiegelt werden (müssen). Prostituierte können daher keine Künstlernamen in ihren Personalausweis eintragen lassen30. Zwar genießen Werkvermittler, wie Verlage, Medienunternehmen oder Tonträgerhersteller, einen mittelbaren Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG, weil sie im Wirkbereich der Kunst tätig sind, doch setzt sich der ihnen zuerkannte Grundrechtsschutz nicht gegenüber den unmittelbaren Schöpfer von Kunst durch. Ein den Künstler benachteiligender Tonträgervertrag kann daher nicht unter Hinweis auf die Kunstfreiheit des hierdurch begünstigten Tonträgerherstellers geschützt werden31. 2. Schutz der Kunst 6
Sinn und Aufgabe der Kunstfreiheit ist es vor allem, die auf der eigenen Gesetzlichkeit der Kunst beruhenden, von ästhetischen Rücksichten bestimmten Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen von jeglicher Ingerenz öffentlicher Gewalt freizuhalten. Die Kunstgarantie erstreckt sich auf alles, was nach seiner Struktur, d.h. der Anlage von Darstellung und Dargestelltem, als ernsthafter Versuch zur Gestaltung von Wirklichkeit in der Anschauung anzusehen ist und daher wesensmäßig an der Eigengesetzlichkeit des Kunstbereichs teilhat32. Hieraus folgt, dass die Art und Weise, in der der Künstler der Wirklichkeit begegnet und die Vorgänge gestaltet, die er in ihrer Begegnung erfährt, ihm nicht vorgeschrieben werden darf, damit sich der künstlerische Schaffensprozess frei entfalten kann. Über die „Richtigkeit“ einer Haltung gegenüber der Wirklichkeit kann nur der Künstler selbst entscheiden. Insoweit bedeutet die Kunstfreiheitsgarantie das Verbot, auf Methoden, Inhalte und Tendenzen der künstlerischen Tätigkeit einzuwirken, insb. den künstlerischen Gestaltungsraum einzuengen oder allgemein verbindliche Regeln für den Schaffensprozess vorzuschreiben. Deswegen kann ein Künstler ein Kunstwerk z.B. auch in Form einer Fotomontage schaffen33.
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Für das erzählende Kunstwerk ergibt sich aus diesen Grundsätzen im Wesentlichen, dass die Verfassungsgarantie die Freiheit der Themenwahl und der Themengestaltung umfasst, indem sie dem Staat verbietet, diesen Bereich des spezifischen künstlerischen Ermessens durch verbindliche Regeln oder Wertungen zu beschränken. Das gilt auch für die Auseinandersetzung mit dem aktuellen Geschehen. Der Bereich der engagierten Kunst ist von der Freiheitsgarantie nicht ausgenommen, ebenso wenig eine politisch engagierte Kunst34. Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft nicht nur die künstlerische Betätigung, den Werkbereich des Künstlers, sondern ebenso die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerkes, den Wirkbereich, in dem der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk verschafft wird35. Die Art der Verbreitung ist
28 BVerfG v. 24.2.2005 – 1 BvR 240/04, GRUR 2005, 500 – Satirische Fotomontage des TelekomVorstandes Ron Sommer. 29 Vgl. LG Berlin v. 17.2.2005 – 27 O 877/04, NJW-RR 2005, 693. 30 VG Berlin v. 20.1.2015 – VG 23 K 180/14, NJW 2015, 811 m. zust. Anm. Fischinger. 31 OLG Düsseldorf v. 5.8.2014 – I-20 U 63/14, IPRB 2014, 270 = AfP 2014, 538. 32 BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882 – Geist von Oberzell. 33 OLG Köln v. 6.6.1978 – Ss 313/78, AfP 1978, 223. 34 OLG Köln v. 19.10.1976 – Ss 71/76, AfP 1977, 231. 35 BVerfG v. 29.6.2000 – 1 BvR 825/98, NJW 2001, 598 – Zitierfreiheit.
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Burkhardt/Peifer
I. Kunstfreiheit
Rz. 9 Kap. 3
grundsätzlich ohne Belang36. Der Schutz bleibt nicht auf die Kunsthalle beschränkt, sondern greift prinzipiell ebenso ein, wenn Kunst sich z.B. durch öffentlich verbreitete Plakate entfaltet37. Mit der Kunstfreiheit wäre es nicht vereinbar, „ihren Wirkbereich von vorneherein auf Galerien, Museen oder ähnliche räumlich begrenzte Ausstellungsorte zu begrenzen“38. Soweit es zur Verbreitung der publizistischen Medien bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die an der Verbreitung der Medien beteiligt sind39. Insb. gilt das für die verlegerische Tätigkeit40, aber auch die Betätigung des Herstellers von Tonträgern41. Die wirtschaftliche Verwertung eines Kunstwerks wird für sich genommen dagegen durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht gewährleistet, ausgenommen vielleicht für den Fall, dass ohne eine wirtschaftliche Auswertung die freie künstlerische Betätigung praktisch nicht mehr möglich wäre42. Wie das Bundesverfassungsgericht in der Mephisto-Entscheidung ausführt, ist die Kunst in 8 ihrer Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos gewährleistet. Versuche, die Kunstfreiheitsgarantie durch wertende Einengung des Kunstbegriffes, durch erweiternde Auslegung oder Analogie aufgrund der Schrankenregelung anderer Verfassungsbestimmungen einzuschränken, mussten erfolglos bleiben43. Es kommt auch nicht auf die Gestaltungshöhe an. Art. 5 Abs. 3 GG schützt nicht allein das gelungene Werk, sondern auch das Bemühen darum44. Die urheberrechtliche Einordnung einer Schöpfung als Werk der Kunst ist nicht konstitutiv für die Frage, ob die Gestaltung durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt ist45. Unanwendbar ist Art. 5 Abs. 2 GG46. Nach der vom Bundesverfassungsgericht vertretenen, sicher nicht auf alle Darstellungsformen anwendbaren Auffassung, ist ebenso wenig angängig, aus dem Zusammenhang eines Werkes der erzählenden Kunst einzelne Teile herauszulösen und sie als Äußerung i.S.d. Art. 5 Abs. 1 GG anzusehen, auf die die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG Anwendung finden. Abzulehnen sei auch die Meinung, die Freiheit der Kunst sei durch die Rechte anderer, durch die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz beschränkt. Im Verhältnis zu dem benannten Freiheitsrecht des Art. 5 Abs. 3 GG habe Art. 2 Abs. 1 GG nur subsidiäre Bedeutung. 3. Konfliktlösung auf der Grundrechtsebene Nach der Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts enthält die Freiheitsver- 9 bürgung des Art. 5 Abs. 3 GG eine das Verhältnis zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm, zugleich aber auch ein individuelles Freiheitsrecht für jeden, der im Kunst36 BVerfG v. 3.11.2000 – 1 BvR 581/00, NJW 2001, 596, 597. 37 OLG Köln v. 19.10.1976 – Ss 71/76, AfP 1977, 231; v. 6.6.1978 – Ss 313/78, AfP 1978, 223; zur sog. Street-Photography KG v. 11.6.2015 – 10 U 119/14, ZUM 2016, 383; Elmenhorst, ZUM 2014, 734; Hildebrand, ZUM 2016, 305. 38 BVerfG v. 8.2.2018 – 1 BvR 2112/15 – Street Art. 39 BVerfG v. 7.3.1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87, MDR 1990, 685 = NJW 1990, 1982 – Lesebuch. 40 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645 – Mephisto. 41 BVerfG v. 27.7.2005 – 1 BvR 2501/04, AfP 2005, 461 = GRUR 2005, 880, 881 – Xavier Naidoo. 42 BVerfG v. 16.8.2002 – 1 BvR 1241/97, NJW 2002, 3458 – Chick Corea. 43 Seither st. Rspr., BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173 = NJW 1971, 1645; v. 7.3.1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87, MDR 1990, 685 = NJW 1990, 1982; v. 3.11.2000 – 1 BvR 581/00, NJW 2001, 596; kritisch Knies, AfP 1978, 57, 60. 44 OLG Stuttgart v. 5.10.1988 – 4 U 111/88, AfP 1988, 374 – Barfuß im Sand. 45 Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl. 2017, Rz. 4. 46 Ebenso BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1773; anders Kaerkes, AfP 2016, 398.
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Kap. 3 Rz. 10
Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 GG
bereich tätig ist. Daraus leitet das Bundesverfassungsgericht ab, mangels Vorbehaltes für den einfachen Gesetzgeber dürfe die Kunstfreiheit durch die allgemeine Rechtsordnung nicht relativiert werden. Ein im Rahmen der Kunstfreiheitsgarantie zu berücksichtigender Konflikt sei nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems durch Verfassungsauslegung zu lösen. Der Vorbehaltlosigkeit des Grundrechts komme die Bedeutung zu, dass die Grenzen der Kunstfreiheitsgarantie nur von der Verfassung selbst zu bestimmen sind47. Dazu kommen zum einen die Grundrechte anderer Rechtsträger, z.B. das Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, aber auch sonstige Rechtsgüter mit Verfassungsrang, z.B. der Jugendschutz oder die Eigentumsgarantie in Betracht48. 10
Mit dieser Stellungnahme hat sich das Bundesverfassungsgericht einer unmittelbaren Drittwirkung des Art. 5 Abs. 3 GG zumindest angenähert, jedenfalls aber den Weg verfassungskonformer Auslegung aller zivilrechtlichen Bestimmungen (oben Kap. 1 Rz. 5) konsequent fortgeführt. Es fällt auch nicht ganz leicht, keinen Gegensatz zu den immer wieder bestätigten Grundsätzen der Lüth-Entscheidung zu erkennen, nach denen die grundrechtliche Wertordnung lediglich eine Ausstrahlungswirkung auf das bürgerliche Recht hat und ein Streit zwischen Privaten über Rechte und Pflichten aus solchen grundrechtlich beeinflussten Verhaltensnormen des bürgerlichen Rechts materiell und prozessual ein bürgerlicher Rechtsstreit bleibt49. Allerdings würde, wie noch zu zeigen sein wird, selbst eine ausdrückliche Anerkennung einer unmittelbaren Drittwirkung im Vergleich zur Annahme einer bloßen Ausstrahlungswirkung im praktischen Ergebnis kaum Unterschiede zur Folge haben. Selbst die Anwendung des Schrankenvorbehaltes des Art. 5 Abs. 2 GG auf Art. 5 Abs. 3 GG würde keine wesentlichen Änderungen bewirken, wie das insb. Scholz aufgezeigt hat50.
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Dass es im praktischen Ergebnis keinen Unterschied bedeutet, ob auf der verfassungsrechtlichen oder auf der traditionellen zivilrechtlichen Ebene im Wege der verfassungskonformen Anwendung des einfachen Rechts argumentiert wird, folgt daraus, dass die Kunstfreiheit auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht schrankenlos gewährt ist51. Die Kunstfreiheit sei wie alle Grundrechte am Menschenbild des GG orientiert, d.h. am Menschen als eigenverantwortlicher Persönlichkeit, die sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltet. Ein im Rahmen der Kunstfreiheitsgarantie zu beurteilender Konflikt sei deswegen nach Maßgabe der grundrechtlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses Wertsystems zu lösen. Als Teil des grundrechtlichen Wertsystems sei die Kunstfreiheit insb. der in Art. 1 GG garantierten Würde des Menschen zugeordnet, die als oberster Wert das gesamte grundrechtliche Wertsystem beherrscht52. Die Kunstfreiheit hat daher stets zurückzutreten, wenn durch das Werk die Menschenwürde eines Anderen angetastet wird. Zudem könne die Kunstfreiheitsgarantie mit dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich in Konflikt geraten, an dem neben natürlichen – über Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG – auch juristische Personen teilhaben. Das folge daraus, dass ein Kunstwerk nicht nur als ästhetische Realität wirkt, sondern daneben ein Dasein in den Realien hat, die zwar in der Darstel47 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645, 1646 – Mephisto; v. 3.11.2000 – 1 BvR 581/00, NJW 2000, 596 – Deutschland muss sterben. 48 BVerfG v. 29.6.2000 – 1 BvR 825/98, NJW 2001, 598 – Zitierfreiheit. 49 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, 205. 50 Scholz in Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 GG Rz. 11 ff., 59 ff. 51 Ebenso BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882 – Geist von Oberzell. 52 BVerfG v. 16.1.1957 – 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32, 41; v. 16.7.1969 – 1 BvL 19/63, BVerfGE 27, 1, 6.
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I. Kunstfreiheit
Rz. 14 Kap. 3
lung künstlerisch überhöht werden, dadurch aber ihre sozialbezogene Wirkung nicht verlieren. Durch den Zugriff des Künstlers auf Persönlichkeits- und Lebensdaten von Menschen seiner Umwelt könne der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Dargestellten betroffen sein. Diese Wirkungen entfalteten sich „neben“ dem eigenständigen Werk der Kunst. Gleichwohl seien sie auch im Blick auf den Gewährleistungsbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu würdigen, weil die ästhetische und die reale Welt im Kunstwerk als Einheit zu betrachten sind53. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Kunstfreiheit hiernach zu Recht nicht als isolier- 12 ten Wert, sondern als Bestandteil der grundrechtlichen Wertordnung sieht, die, orientiert an der sich frei und eigenverantwortlich entfaltenden Persönlichkeit, auch andere Werte schützt, bedarf es im Konfliktfalle bei einer auf der Grundrechtsebene erfolgenden Betrachtung einer Abwägung der widerstreitenden Interessen. Diese Interessenabwägung kann zu keinem anderen Ergebnis führen als eine solche, die auf der Ebene eines an der grundrechtlichen Wertordnung ausgerichteten Zivilrechts erfolgt. Wenn also das Bundesverfassungsgericht in der Mephisto-Entscheidung im Grunde eben doch von einer unmittelbaren Drittwirkung des Art. 5 Abs. 3 GG ausgeht statt von einer bloßen Ausstrahlung der Kunstfreiheitsgarantie auf die zivilrechtlichen Normen, nimmt es praktisch nur einen Austausch der Etiketten vor. Nach der vom Bundesverfassungsgericht sonst vertretenen Auffassung ist eine zwischen Bürgern bestehende Konfliktsituation anhand der einschlägigen zivilrechtlichen Normen zu entscheiden. Führt diese zivilrechtliche Betrachtung dazu, dass die Schaffung oder Verbreitung von Kunst beeinträchtigt wird, ist auf der Grundlage der vom Bundesverfassungsgericht sonst vertretenen Auffassung zu fragen, ob das mit der Ausstrahlungswirkung ihrerseits durch andere Verfassungswerte beeinflusst sein kann, insb. durch den Würde- und den Persönlichkeitsschutz. So gesehen ist richtig, dass auch auf der Grundrechtsebene eine Abwägung möglich oder sogar unvermeidlich sein kann. Daran, dass zivilrechtliche Konflikte primär mit zivilrechtlichen Mitteln gelöst werden müssen, darf das nichts ändern. 4. Praktische Folgerungen Die Garantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG findet ihre Grenze nicht nur in den Grundrechten 13 Dritter. Sie kann mit Verfassungsbestimmungen aller Art kollidieren54. Das ist die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass ein geordnetes menschliches Zusammenleben eine funktionierende staatliche Ordnung voraussetzt, die die Effektivität des Grundrechtsschutzes erst sicherstellt. Kunstwerke unterliegen Schranken nicht erst, wenn sie den Bestand des Staates oder der Verfassung unmittelbar gefährden. In allen Fällen, in denen andere Verfassungsgüter mit der Ausübung der Kunstfreiheit in Widerstreit geraten, muss ein Ausgleich gefunden werden55. Das Bundesverfassungsgericht fordert eine fallbezogene Abwägung56. Je stärker ein Künstler bzw. Schriftsteller beansprucht, das in seinem Werk entworfene Per- 14 sönlichkeitsbild spiegele die soziale Wirklichkeit des Dargestellten wider, desto schutzwürdiger ist dessen Interesse, dass die Darstellung seiner Person nicht im Gegensatz zu dieser
53 Im Ergebnis ebenso BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226, 1233 – Lebach; BGH v. 8.6.1982 – VI ZR 139/80, MDR 1982, 840 = AfP 1982, 173 = NJW 1983, 1194 – Moritat. 54 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645. 55 BVerfG v. 3.11.1987 – 1 BvR 1257/84, 1 BvR 861/85, MDR 1988, 284 = NJW 1988, 325. 56 BVerfG v. 7.3.1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87, MDR 1990, 685 = NJW 1990, 1982.
Burkhardt/Peifer 111
Kap. 3 Rz. 15
Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 GG
Wirklichkeit erfolgt57. Das ist umso mehr der Fall, als die Freiheit des Schriftstellers die Freiheit einschließt, in eine verdichtete künstlerische Wirklichkeit auch reale Wirklichkeit einzubetten, Kunst und Realität in einem Werk nebeneinander erscheinen zu lassen, auch in einer Weise, bei der diese unterschiedlichen Bereiche ohne weiteres erkennbar und voneinander zu trennen sind. Beispiele hierfür sind Rahmenhandlungen, bei denen in ein wirkliches Geschehen Erfundenes oder in einen erfundenen Rahmen Wirkliches eingefügt ist, oder auch Kunstformen wie die sog. Dokumentarsatire, die ihren Reiz daraus beziehen soll, dass die Fakten, die sie enthält und an die die eigentliche Satire anknüpft, als Wiedergabe der Wahrheit dargestellt werden58. In einem vom OLG Stuttgart59 behandelten Fall einer solchen Dokumentarsatire hat der Autor im Geleitwort selbst bemerkt, keine Zahl, kein Faktum, kein Vorgang sei erfunden und dies durch Angabe zahlreicher Quellen untermauert. Im Fall „Esra“ hat das Bundesverfassungsgericht einen Schlüsselroman als partiell wahrheitsgemäße Erzählung über Geschehenes angesehen, obgleich der Autor in einem „Disclaimer“ die Fiktivität des Geschehens behauptet hat, der Leser jedoch aufgrund der Umstände des Werkes den Eindruck des Geschehenen erhalten konnte60. 15
Den Anspruch, Betrachtung und Deutung auf der Wirklichkeit, nicht auf Erfundenem aufzubauen, kann der Schriftsteller durch mannigfache Mittel zum Ausdruck bringen, z.B. dadurch, dass er sein Werk als „Tatsachenroman“ bezeichnet61. Die von Richard Schmidt gestellte Frage, ob der Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG versagt, wenn der Autor eines aus Protokollen, Dokumenten, Tonbandaufnahmen usw. entstandenen Werkes die dokumentarische Qualität selbst für sich in Anspruch nimmt62, hat das OLG Stuttgart mit Recht bejaht63. Kunstfreiheit und Tatsachentreue werden miteinander vermischt, wenn Dokumentation und Fiktion miteinander verschmelzen, wie dies bei dem Format der Doku-Fiction der Fall ist64. Das Format ist beliebt, weil es mit den Mitteln der Erzählung auch komplizierte und schwerfällige Begebenheiten für ein breites Publikum erklärbar macht. Der Autor kann den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG für die inhaltliche Aussage seiner Gestaltung nur beanspruchen, wenn die Darstellung auch eine künstlerische Aussage betrifft, nicht wenn er Aussagen über die reale Wirklichkeit trifft. Aussagen über die reale Wirklichkeit sind Äußerungen i.S.d. Art. 5 Abs. 1 GG, die den einfach-rechtlichen Schranken unterliegen, auch wenn der Autor sie zum Bestandteil eines Kunstwerkes gemacht hat65.
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Dass es nicht billigenswert wäre, eine nach einfachem Recht rechtswidrige Tatsachenbehauptung durch Einkleidung in eine besonders gelungene Form gegen Rechte anderer immun zu machen, folgt auch daraus, dass das eine Privilegierung besonders sprachgewandter Grund57 BGH v. 8.6.1982 – VI ZR 139/80, MDR 1982, 840 = AfP 1982, 173 = NJW 1983, 1194 – Moritat. 58 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 348/98, AfP 2000, 160 – Lebach II; BGH v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464 – Esra. 59 OLG Stuttgart v. 11.6.1975 – 4 U 142/74, NJW 1976, 628. 60 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, BVerfGE 119, 1 = AfP 2007, 441 Rz. 84 – Esra. 61 So im Falle des LG Stuttgart v. 16.9.1976 – 17 O 322/74. 62 Schmidt, Das Unbehagen an der Justiz, 1975, S. 95. 63 OLG Stuttgart v. 11.6.1975 – 4 U 142/74, NJW 1976, 628 – Dokumentarsatire. 64 Dazu Fuchs/Schäufele, AfP 2015, 395. 65 OLG Stuttgart v. 11.6.1975 – 4 U 142/74, NJW 1976, 628, ebenso BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 1533/07, AfP 2008, 161 = ZUM 2008, 265 – Hagener Mädchenmord m. Anm. von Becker, ZUM 2008, 323; BGH v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564; LG Köln v. 1.6.2016 – 28 O 84/16, AfP 2016, 370 – Fall Krampusch; LG Hamburg v. 3.6.2016 – 324 O 78/15, NJW-RR 2016, 1442.
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Burkhardt/Peifer
I. Kunstfreiheit
Rz. 18 Kap. 3
rechtsträger zur Folge hätte. Eine Behauptung brauchte dann nur durch stilistische Mittel auf eine Formhöhe von künstlerischem Rang gebracht zu werden, wie das in Biographien und auch bei Beiträgen in der periodischen Presse durchaus vorkommt, um einen Freibrief für Persönlichkeitsverletzungen und Kreditschädigungen zu erhalten, den der Normalbürger nicht hat. Das kann nicht Sinn des Kunstschutzes sein. Ausscheidbare Tatsachenbehauptungen unterliegen also den Schranken des einfachen Rechts66. Die entscheidende Frage ist, unter welchen Voraussetzungen der Künstler befugt ist, Zugriff 17 auf Persönlichkeitsdaten auch zu nehmen, wenn die Darstellung geeignet ist, das Persönlichkeitsbild des Betroffenen oder seine Privatsphäre zu beeinträchtigen. Zu diesem Fragenkreis hat sich das Bundesverfassungsgericht in zwei grundlegenden Entscheidungen, nämlich im Fall „Mephisto“ und im Fall „Esra“ geäußert67. In „Mephisto“ ging es um die Verzerrung der Biografie des verschlüsselt dargestellten Gustaf Gründgens, in „Esra“ um den fiktiven Einbruch in eine als real wahrnehmbare Intimsphäre einer Betroffenen. In dem mit Stimmengleichheit gefassten, die Ausgangsentscheidung des BGH68 bestätigenden Mephisto-Beschluss bezeichnet das Bundesverfassungsgericht es als wesentlich, ob und inwieweit das „Abbild“ gegenüber dem „Urbild“ in der künstlerischen Darstellung so verselbständigt erscheint, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der „Figur“ objektiviert ist. In einem solchen Falle bestehe kein Anspruch des Dargestellten auf Unterlassung. Ergebe aber eine das Kunstspezifische berücksichtigende Betrachtung, dass der Künstler ein „Portrait“ des Urbildes gezeichnet hat oder gar zeichnen wollte, komme es auf das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung oder den Umfang und die Bedeutung der „Verfälschung“ für den Ruf des Betroffenen oder für sein Andenken an. Zeige sich, dass die dargestellte Person nicht so verselbständigt und in der Darstellung künstlerisch transzendent ist, dass der Abgebildete als solcher erkennbar bleibt, sei die Darstellung aber in zahlreichen Einzelheiten unwahr, werde sie durch erfundene, die Gesinnung des Dargestellten negativ kennzeichnende Verhaltensweisen angereichert und enthalte sie verbale Beleidigungen und Verleumdungen, handle es sich somit um eine „Schmähschrift in Romanform“, versage der Kunstschutz gegenüber geltend gemachten Zivilrechtsansprüchen. Die „Esra“-Entscheidung bestätigt diese Differenzierung, und zwar für eine Konstellation, in der „durch die genaue Schilderung intimster Details [die Persönlichkeitssphäre] einer Frau [dargestellt wird], die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar ist“69. Sie stellt zudem klar, dass wegen der besonderen Bedeutung der Kunstfreiheit nur eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung geeignet ist, gegenüber der künstlerischen Freiheit zu überwiegen70. Dieser Gesichtspunkt ist besonders zu betonen. Zu beiden Entscheidungen gibt es abweichende Voten. Im „Mephisto-Beschluss“ vertritt 18 Verfassungsrichter Stein in seiner Meinung die Auffassung71, dass die Kunst eine ihrer wichtigsten Aufgaben nicht erfüllen könnte, wenn ihr die Verwendung von Daten aus dem Persönlichkeitsbereich in allen Fällen untersagt würde, in denen befürchtet werden muss, dass ein Teil der Öffentlichkeit die kunstspezifische Wirkung des Kunstwerkes nicht zur Kenntnis nimmt, sondern es einseitig an außerkünstlerischen Maßstäben misst und auf diesem Wege 66 OLG Stuttgart v. 11.6.1975 – 4 U 142/74, NJW 1976, 628 – Dokumentarsatire. 67 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645, 1647 – Mephisto; v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, BVerfGE 119, 1 = AfP 2007, 441 – Esra. 68 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1773. 69 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, BVerfGE 119, 1 = AfP 2007, 441, Rz. 102 – Esra. 70 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, BVerfGE 119, 1, 80 = AfP 2007, 441 – Esra. 71 Stein, NJW 1971, 1648, 1649.
Burkhardt/Peifer 113
Kap. 3 Rz. 19
Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 GG
zu einer negativen Einstellung der Person gegenüber gelangt, über die sie aus dem Dargestellten etwas zu erfahren meint. Einer freien Kunst müsse es grundsätzlich gestattet sein, insb. bei Personen der Zeitgeschichte an Persönlichkeitsdaten anzuknüpfen und ihnen durch Zeichenwerte verallgemeinernde Bedeutung zu geben. Dass die künstlerischen Ausdrucksmittel bei einem von der ästhetischen Wirkung absehenden Vergleich des Dargestellten mit der Welt der realen Tatsachen als „Verzerrung“ des Persönlichkeitsbildes verstanden werden könnten, beruhe nicht auf einer Missachtung der Persönlichkeit, sondern sei im Wesen und in der Aufgabe der Kunst begründet, das aus dem Wirklichen herausgehobene Typische darzustellen. 19
In ganz ähnlichem Sinne hat sich die Verfassungsrichterin Rupp-von Brünneck geäußert72. Die Herauslösung von Einzelpunkten aus dem Zusammenhang der künstlerischen Komposition und die Feststellung eines mangelnden Wahrheitsgehaltes führe zu dem widersprüchlichen Ergebnis, dass dem Autor einerseits der Vorwurf gemacht werde, er habe zu wenig verfremdet, d.h. er habe eine wirkliche Persönlichkeit noch erkennbar werden lassen, andererseits, er habe zu viel verfremdet, nämlich die betreffende Persönlichkeit mit erdichteten negativen Verhaltensweisen und Charakterzügen ausgestattet. Diese kritische Auffassung stimmt mit der dissenting vote gegen eine Entscheidung des kalifornischen Court of Appeal überein. Eine bekannte Bestsellerautorin hatte in einem Roman in verfremdender Weise über eine Gruppentherapie berichtet, bei der die Teilnehmer zwecks Beseitigung psychologischer Hemmungen nackt zu erscheinen hatten. Bei der Schadensersatzklage des Therapeuten wurde die Frage, ob er identifizierbar ist, vom Berufungsgericht bejaht. Demgegenüber meint die dissenting vote, bei einer solchen Betrachtungsweise könne der beklagte Autor nie gewinnen: Praktiken, die denen des klagenden Therapeuten ähneln, würden als diesen identifizierend betrachtet. Praktiken aber, die denen des Therapeuten nicht ähneln, würden für falsch und damit als ehrenrührig bezeichnet. Der Supreme Court in Washington hat den Revisionsantrag der beklagten Autorin verworfen und damit ebenso gegen die dissenting vote entschieden wie das Bundesverfassungsgericht gegen die abweichende Meinung der Richter Stein und Rupp-von Brünneck73. Diese Kritik wird geteilt in den abweichenden Meinungen zum Esra-Beschluss durch die Richter Hohmann-Dennhart und Gaier74 sowie den Richter Hoffmann-Riem75. Die Sondervoten rügen, dass die Senatsmeinung der kunstspezifischen Betrachtung des Romans nicht ausreichend Rechnung trage, indem sie einerseits das Fiktive als Ausdruck der Kunst betone, es andererseits in seinem Freiheitsraum verkürze, indem der Verdacht der Realität zum Anlass genommen werde, dem Autor die Möglichkeit zu beschränken, aus dem Realen zu künstlerischen Zwecken zu schöpfen. Zudem werde im Bereich der Intimsphäre eine Tabuzone aufgebaut, wenn Vorgänge aus dem Sexualleben der literarischen Verarbeitung entzogen würden, sofern die Gefahr der Erkennbarkeit realer Vorbilder bestünde76. Vor diesem Hintergrund mögen auch wichtige Werke der Weltliteratur, wie Goethes Werther, aus heutiger Sicht einem Publikationsverbot unterliegen, weil dort intime Begebenheiten aus dem Leben der als Vorbild erkennbaren Charlotte von Buff berichtet wurden. Die Kritik am Fall Esra ist zum Teil nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, dass Schlüsselwerke einerseits davon zehren, dass die behandelten Personen erkennbar sind, andererseits aber die Betroffenheit den Autor dazu führen muss, möglichst viele Hinweise zu streuen, welche die Erkennbarkeit verwässern77. Gleichwohl ist der Grundsatz der Ent72 73 74 75 76 77
Rupp-von Brünneck, NJW 1971, 1652, 1653. Zitiert nach Rie, Ufita 89/1981, 1/10. Hohmann-Dennhart/Gaier, NJW 2008, 44. Hoffmann-Riem, NJW 2008, 47. Vgl. Seitz, ZRP 2005, 141. Seitz, ZUM 2016, 817, 819.
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Burkhardt/Peifer
I. Kunstfreiheit
Rz. 21 Kap. 3
scheidung zutreffend: Da Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit gleichwertige Verfassungsgüter sind, kann das eine niemals vollständig zugunsten des anderen geopfert werden. An der Einzelfallbetrachtung führt daher kein Weg vorbei. Die Problematik kann nicht nur bei Literatur78, sondern auch bei Filmwerken und Büh- 20 nenstücken praktisch werden. Die Kunsteigenschaft eines filmischen Werks ist keine triviale Frage, da eine solche Einstufung den Film insoweit von den Schranken des Gesetzesvorbehalts gemäß Art. 5 Abs. 2 GG befreit und nur den Grenzen anderer Verfassungsbestimmungen unterwirft, die ein im Grundgesetz ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen79. Film- und Kunstfreiheit stehen nicht im Alternativverhältnis, sondern können einander überschneiden. Die Abgrenzung zum Persönlichkeitsschutz ist, wie gesagt, jedoch eine Frage des Einzelfalls. So hat das LG Berlin im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen, die die aufgrund des Gesetzes über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter vom 23.6.195080 anerkannte Ehefrau des Sängers Josef Schmidt dagegen erhoben hatte, dass in dem Film „Ein Lied geht um die Welt“ eine Fantasiefigur namens Brigitte von Hilden erschienen ist, die den berühmten Tenor als nach längerer Trennung zu ihm gekommene Geliebte in seinem Hotelzimmer in Nizza umarmt und dort, nur mit einem Schlafanzug bekleidet, von einem eindringenden Gestapo-Beamten überrascht worden war. Diese erfundene Episode verletzt zwar die Interessen der ständigen Lebensgefährtin und von Gesetzes wegen anerkannten Ehefrau des Sängers. Das Hinzuerfinden solcher Episoden muss aber der Freiheit des Filmschaffenden überlassen bleiben, sofern sich das als künstlerische Überhöhung darstellt81. Filme wie „Der Kannibale von Ro(h)tenburg“82, „Der Bader-Meinhof-Komplex“83 oder „Eine einzige Tablette“84 zeigen ebenso wie Bühnenstücke85, dass die Grenze zwischen Realität und Fiktion bei der künstlerischen Produktion eine besondere Rolle spielt. Den Schaffenden wird dabei abverlangt, den behandelten Originalstoff deutlich zu fiktionalisieren, wenn Personen aus der Realität nicht nur erkennbar, sondern auch in ihren Persönlichkeitsinteressen substantiell beeinträchtigt sein können86. Bei der rechtlichen Beurteilung kann auch die Situation des Urhebers während der Schaffung 21 des Werkes in die Betrachtung einzubeziehen sein. Mit Recht hat die Richterin Rupp-v. Brünneck in ihrer abweichenden Meinung zum Mephisto-Beschluss darauf hingewiesen87, dass nicht 78 Hierzu KG v. 15.4.2004 – 10 U 385/03, ZUM-RD 2004, 466 – Meere; Ladeur, AfP 2003, 287; Hahn, ZUM 2008, 97. 79 BGH v. 26.5.2009 – VI ZR 191/08, AfP 2009, 398 = MDR 2009, 1040 = NJW 2009, 3576 f. m.w.N. 80 BGBl. I 1950, 226 und BGBl. I 1956, 104. 81 Vgl. das Urteil des LG Berlin in Ufita 30/1960, 92, das die Klageabweisung allerdings wesentlich anders begründet, ferner den Beschluss des KG in Ufita 30/1960, 105. 82 BGH v. 26.5.2009 – VI ZR 191/08, AfP 2009, 398 = MDR 2009, 1040 = NJW 2009, 3576; LG Koblenz v. 2.6.2006 – 13 O 4/06, AfP 2006, 576 = NJW 2007, 695 – Fall Gäfgen. 83 LG Köln v. 9.1.2009 – 28 O 765/08, AfP 2009, 78 = NJW-RR 2009, 623; ferner OLG München v. 14.9.2007 – 18 W 1902/07, AfP 2008, 75. 84 Contergan-Problematik, OLG Hamburg v. 10.4.2007 – 7 U 142/06, AfP 2007, 143 = NJW-RR 2007, 1268 m. Anm. Fricke ZUM 2007, 487; v. 16.12.2008 – 7 U 49/08, NJW 2009, 1510 m. Anm. Dünnwald, ZUM 2009, 538; vgl. auch LG Hamburg v. 3.6.2016 – 324 O 78/15, NJW-RR 2016, 1442. 85 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 1533/07, AfP 2008, 161 – Ehrensache; BGH v. 16.9.2008 – VI ZR 244/07, AfP 2008, 601 – Ehrensache. 86 Vgl. hierzu aus Sicht der Filmschaffenden Bergau, ZUM 2016, 812. 87 Rupp-von Brünneck, NJW 1971, 1654.
Burkhardt/Peifer 115
Kap. 3 Rz. 22
Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 GG
gleichgültig sein kann, ob der Autor aus politischen Gründen auswandern musste und er sich trotz aller Anfeindungen als Emigrant gegen ein Unrechtsregime wie das des Nationalsozialismus gewandt hat. Wenn ein Schriftsteller unter solchen Umständen die ihm allein zur Verfügung stehenden geistigen Waffen im Dienste der guten Sache einsetzt und wenn er dabei seinen Gedanken und Gefühlen nicht in einer politischen Streitschrift, sondern in der wirkungsvollen Form eines satirischen Romans Ausdruck gibt und die Romanhandlung an eine weithin bekannte Person der Zeitgeschichte anlehnt, die wegen ihrer hervorgehobenen Stellung als kultureller Repräsentant des bekämpften Regimes angesehen worden ist, rechtfertigt die Notstandssituation die schriftstellerische Darstellung auch, wenn der Autor sich bei der Wahl der Mittel im Einzelnen vergriffen haben sollte. 22
Unabhängig vom Vorstehenden kann es auf die Interpretation des Textes ankommen. Insoweit bedarf es der Anlegung werkgerechter Maßstäbe.
23
Insb. wäre es mit der Kunstgarantie unvereinbar, ein sozialkritisches Gedicht deshalb mit einem Veröffentlichungsverbot zu belegen, weil Vorgänge, die sich erst nach dessen Veröffentlichung ereignet haben, Missdeutungen ermöglichen. Darauf hat der BGH in der Moritat-Entscheidung hingewiesen88, in der es um die Formulierung „bezahlte Politiker“ geht, die infolge nachträglicher Geschehnisse im Sinne von „bestochene Abgeordnete“ verstanden werden konnte. In einem aufgrund wirklichen Geschehens gestalteten Kriminalroman kann die Dramaturgie es erfordern, eine wirkliche Tat der Hauptfigur auch zuzuschreiben, wenn sie alle sonst beschriebenen, nicht aber diese begangen hat. Das folgt daraus, dass die den Handlungsablauf literarisch bereichernde Erwähnung einer Tat in einem Kriminalroman nur sinnvoll ist, wenn als Täter eine Figur bezeichnet wird, die in dem Roman eine Rolle spielt89.
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Außer Streit steht, dass im Interesse des Persönlichkeitsschutzes und der Menschenwürde eine Begrenzung der Kunstfreiheit in Betracht kommt, wenn die Kunstform zu Beleidigungsoder Verleumdungszwecken missbraucht wird oder wenn das Werk nach objektiver Würdigung des Inhaltes und der Darstellung und nach den erkennbaren Motiven des Autors einem anderen als einem künstlerischen Anliegen dient. Jedenfalls versagt die Kunstfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsschutz, wenn die Darstellung die Menschenwürde verletzt bzw. wenn die Voraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht sind. Entsprechend der Entscheidung „Geist von Oberzell“90 ist der geschützte Persönlichkeitsbereich betroffen, wenn eine juristische Person und ihre Betriebsangehörigen unter Verwendung ihrer realen Existenz und Tätigkeit zu Objekten einer herabwürdigenden Kritik gemacht werden, die ihre Bezugspunkte nicht in den konkreten Verhältnissen, sondern in allgemeinen kritischen Einsichten des Verfassers gegenüber einem von ihm aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnten Wirtschaftssystem hat. Mit Recht weist der BGH darauf hin, dass die vom Autor geschaffene Konfliktsituation mit dem Wesen künstlerischer Gestaltung nicht unvermeidbar verknüpft ist, wenn er auf der Wirklichkeitsebene verharrt, in seiner Darstellung also das Gestaltungsmittel des Anscheins eines wirklichen Geschehens erweckt, obschon er Erfundenes wiedergibt. Auch das Kriterium der Verfremdung kann dann versagen. Unter solchen Umständen ist vom Künstler mit Rücksicht auf den erforderlichen Schutz des Betroffenen zu verlangen, dass er, wenn er auf solche Gestaltung nicht verzichten will, die nachteiligen Wirkungen für den Ruf des Betroffenen durch besondere Vorkehrungen vermeidet, z.B. indem er die Darstellung für den Durchschnittsbetrachter als satirische oder sonstige Übertreibung erkennbar macht. 88 BGH v. 8.6.1982 – VI ZR 139/80, MDR 1982, 840 = AfP 1982, 173 = NJW 1983, 1194. 89 OLG Stuttgart v. 5.10.1988 – 4 U 111/88, AfP 1988, 374 – Barfuß im Sand. 90 BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882.
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Burkhardt/Peifer
I. Kunstfreiheit
Rz. 29 Kap. 3
Erscheint in einer fiktiven Handlung, wie eines Kriminalfilms, der wirkliche Name z.B. einer 25 Firma oder eines Hotels, kann entscheidend sein, ob die Namensnennung dramaturgisch notwendig ist. Erfolgt eine beeinträchtigende Namensnennung in pointierter Weise nach Art des An-den-Pranger-Stellens, spricht das für Unzulässigkeit; z.B. ist das der Fall, wenn bei einer gefährlichen Aktion zehn Kfz einer bestimmten Marke eingesetzt und zusätzlich ein Kfz einer besonders renommierten Marke gezeigt werden und allein dieses Fahrzeug wegen Getriebeschadens ausfällt. In der Prangerwirkung einer Berichterstattung sieht auch das Bundesverfassungsgericht einen die Beeinträchtigung qualifizierenden Umstand91. Persönlichkeits- und menschenwürdeverletzend können Darstellungen sein, wenn sie anti- 26 semitisch sind. Hat der Text eines Schauspiels eine solche Tendenz, lässt das noch nicht den zwingenden Schluss zu, für die Aufführung werde das ebenfalls gelten. Die Aufführung kann ein selbständiges Kunstwerk sein und ein antisemitisches Stück prosemitisch umformen92. Die Grenze der Kunstfreiheit überschreitet auch, wer in einem Lied einer Person tausendfache Blutschande mit dem Vater nachsagt93. Unzulässig sind auch Schilderungen aus dem Privat- und Intimleben einer Romanfigur in 27 einem in einer Illustrierten in Fortsetzung abgedruckten Schlüsselroman, wenn erkennbar ist, dass sich dahinter ein bestimmter Fußballstar verbirgt. Daran ändert sich nichts, wenn die Illustrierte den realen Bezug zu diesem Star nach Zustellung einer Unterlassungsverfügung in einem besonderen Artikel bestreitet. Unzulässig kann dann die Verbreitung der Romanserie in ihrer Gesamtheit sein94. Wird Erfundenes mit Wirklichem ohne klare Trennung verbunden, empfiehlt sich ein klar- 28 stellendes Vorwort. Das ist ganz besonders dann der Fall, wenn ein an tatsächliche Begebenheiten anknüpfender sozial-kritischer Roman zum Gegenstand einer Fernsehserie gemacht wird wie der Hans Fallada-Roman „Der eiserne Gustav“. Er enthält eine Darstellung der historischen Droschkenfahrt, die Gustav Hartmann 1928 von Berlin nach Paris unternommen hat, sowie die Darstellung seiner Tochter Eva, aus der eine Hure geworden sei95. Werden religiöse Lehren mit dem Mittel der Kunst, z.B. mittels eines Musicals, bekämpft, ist 29 das in einem freiheitlichen Staatswesen an sich noch kein Grund für staatliches Eingreifen. Anlass dazu kann aber bestehen, wenn das religiöse Bekenntnis anderer in einer Weise beschimpft und in den Schmutz gezogen wird, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden i.S.d. § 166 StGB zu stören. Dies ist z.B. bei dem Rock-Musical „Das Maria-Syndrom“ angenommen worden. Darin wird das christliche, insb. das katholische Bekenntnis, durch eine zum Teil besonders grobe Sexual- und Fäkalsprache beschimpft. Der Schutz der Kunstfreiheit gebietet zwar eine restriktive Auslegung des Begriffs „beschimpfen“96. Insb. kann nicht etwa jede Kritik 91 Vgl. BVerfG v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358, 2359: Greenpeace-Plakataktion unter Herausstellung des Hoechst-Vorstandsvorsitzenden. 92 OLG Frankfurt v. 27.2.1986 – 1 W 67/85, NJW 1987, 1410; v. 18.3.1986 – 9 W 52/85, NJW 1987, 1411 – Der Müll, die Stadt und der Tod von Rainer Werner Faßbinder; vgl. auch die Vorentscheidung LG Frankfurt v. 12.11.1985 – 2/7 O 508/85, NJW 1986, 1258. 93 OLG Karlsruhe v. 27.4.1994 – 7 O 114/93, NJW 1994, 1963 – Steffi Graf. 94 LG Köln v. 10.8.1982 – 28 O 250/82, AfP 1983, 414, s. auch oben Rz. 17 zum Fall „Esra“. 95 LG Berlin, Ufita 86/1980, 313, näher Bülow, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch künstlerische Werke, S. 117; Bünnigmann, Die „Esra“-Entscheidung als Ausgleich zwischen Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit, S. 36, 154, 446 f.; Lindner, Die Persönlichkeitsverletzung durch Kunst, S. 208; Seitz, ZUM 2016, 817. 96 Vgl. OLG Karlsruhe v. 17.10.1985 – 2 Ss 58/85, NStZ 1986, 363.
Burkhardt/Peifer 117
Kap. 3 Rz. 30
Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 GG
an Glaubensvorstellungen verboten werden. Nur besonders grobe Äußerungen der Missachtung sind als Beschimpfung zu werten. Entscheidend ist, welchen Eindruck das Werk nach seinem objektiven Sinngehalt auf einen künstlerisch aufgeschlossenen oder zumindest um Verständnis bemühten Menschen macht97. Die Geschichte des Musicals „Das Maria-Syndrom“ ist, wie ein darin vorkommender Erzähler es selbst erwähnt, obszön und geschmacklos. Z.B. wird die Jungfrauengeburt Marias in Verbindung mit einem auf einer Toilette onanierenden Mann gebracht. Das OVG Koblenz hat daher ein polizeiliches Aufführungsverbot bestätigt98. Zahlreiche weitere Beispielsfälle finden sich bei Isensee99 und Cornils100, dort allerdings überwiegend im Feld von satirischer Verwendung (dazu nachfolgend Rz. 30). 5. Satire und Karikatur 30
Satire und Karikatur bedürfen insofern besonderer Beurteilung, als sie bewusst ein Spottoder Zerrbild der Wirklichkeit vermitteln. Wie schon das RG festgestellt hat101, ist der Satire wesenseigen, dass sie übertreibt, d.h. dem Gedanken, den sie ausdrücken will, einen scheinbaren Inhalt gibt, der über das wirklich Gemeinte hinausgeht, aber in einer Weise, dass der kundige Leser oder Beschauer den geäußerten Inhalt auf den ihm bekannten oder den tatsächlich gemeinten Gehalt zurückzuführen vermag. Solche Darstellungen dürfen deswegen nicht vordergründig aufgefasst werden. Vielmehr ist bei der rechtlichen Würdigung zwischen dem Aussagekern und seiner Einkleidung in die satirische oder karikaturistische Form zu unterscheiden102. Die Darstellung ist aus ihrer Einkleidung zu lösen, beides muss gesondert auf eine etwaige Unzulässigkeit untersucht werden103. Dabei sind die Maßstäbe für die Beurteilung der Einkleidung weniger streng als für die Bewertung des Aussagekerns, weil der Einkleidung die Verfremdung wesenseigen ist104. Nach dem EGMR ist Satire nicht nur eine Form des künstlerischen Ausdrucks, sondern auch eine besondere Erscheinung der sozialen Kommentierung105.
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Verfremdung, Verzerrung und Übertreibung können ein Mittel einfacher Darstellung, aber auch Kunst sein. Dann unterfällt die Darstellung dem Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG106, was zur Folge hat, dass nur schwere Persönlichkeitsrechtsverletzungen ihre Zulässigkeit begrenzen können. Der Kunstcharakter fehlt einer Satire, die Mittel einer Literaturkritik ist, sie ist daher
97 Vgl. OLG Köln v. 11.11.1981 – 3 Ss 704/81, NJW 1982, 657, 658; OLG Karlsruhe v. 17.10.1985 – 2 Ss 58/85, NStZ 1986, 363. 98 OVG Rh.-Pf. v. 2.12.1996 – 11 A 11503/96, NJW 1997, 1174. 99 Isensee, AfP 2013, 189. 100 Cornils, AfP 2013, 199. 101 RGSt 62, 183; vgl. auch RGSt 12, 141. 102 BVerfG v. 7.3.1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87, MDR 1990, 685 = NJW 1990, 1982, 1984. 103 BVerfG v. 12.11.1997 – 1 BvR 2000/96, NJW 1998, 1387 – Münzen-Erna; v. 3.11.2000 – 1 BvR 581/00, NJW 2001, 596 – Deutschland muss sterben; RGSt 62, 183; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1039 – Verdachtsberichterstattung; Finck, AfP 1974, 552; Würtenberger, NJW 1982, 610; Würtenberger, NJW 1983, 1144; Zechlin, NJW 1984, 1091; Klass, AfP 2016, 477; Hermann, AfP 2017, 177. 104 BVerfG v. 7.3.1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87, MDR 1990, 685 = NJW 1990, 1982, 1984; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1039 – Verdachtsberichterstattung. 105 EGMR v. 2.5.2017 – 55537/10, AfP 2018, 38, Rz. 33 – Haupt/Österreich. 106 BVerfG v. 25.3.1992 – 1 BvR 514/90, AfP 1992, 133 = NJW 1992, 2073.
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Burkhardt/Peifer
I. Kunstfreiheit
Rz. 32 Kap. 3
stärker begrenzt, wenn sie einen persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalt hat107. Fehlt der Kunstcharakter, so ist die Darstellungsform bei der Anwendung z.B. des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit zu berücksichtigen108. So kann sich der Moderator einer satirischen Talk-Show, der eine Person, die in den Hochadel eingeheiratet hat, „Münzen-Erna“ nennt, (nur) auf die Meinungsfreiheit berufen109. Auch einer solchen Darstellung ist der ihr gebührende Freiraum zu gewähren, selbst wenn die Gefahr von Missverständnissen besteht110. In einer Satire eine missverständliche Formulierung zu verwenden, ist nicht schon prinzipiell unzulässig111. Insb. müssen Personen der Zeitgeschichte und Staatsorgane sich solche Darstellungen gefallen lassen, wenn sie ein Charakteristikum zum Ausdruck bringen, vornehmlich, wenn das Individuelle hinter dem Zeichenhaften der Figur zurücktritt, wenn es also der Sache nach nicht um die Person, sondern um kritisierte Verhältnisse geht112. Entsprechendes gilt, wenn die Person zu Kritik Anlass gegeben hat113. Unzulässig können Satire und Karikatur sein, wenn sie nicht etwas Vorhandenes übertreiben, überspitzen, überpointieren, sondern ohne realen Ansatz „in die falsche Richtung“ zielen. Wenn sich der Künstler in seiner Arbeit mit Personen seiner Umwelt auseinandersetzt, darf er sich nicht rücksichtslos über deren verfassungsrechtlich ebenfalls geschütztes Persönlichkeitsrecht hinwegsetzen. Er muss sich innerhalb des Spannungsverhältnisses halten, in dem die kollidierenden Grundwerte als Teil eines einheitlichen Wertsystems neben- und miteinander bestehen können. Es bedarf einer Abwägung114. Je stärker das entworfene Persönlichkeitsbild beansprucht, sich mit der sozialen Wirklichkeit des Dargestellten zu identifizieren, desto schutzwürdiger ist dessen Interesse an der Vermeidung persönlichkeitsbeeinträchtigender Verfremdungen und umso weniger Anlass besteht dann auch, den Künstler rechtlich anders zu behandeln als einen Kritiker, der Unwahrheiten behauptet115. Die personale Würde muss gewahrt bleiben116. Ist eine Karikatur schmähend, kann ihre Verbreitung mit Geld entschädigt werden. Das ist 32 z.B. der Fall, wenn eine Zeitschrift eine Zeichnung abdruckt, die den Chefredakteur und Verlagsgeschäftsführer eines Nachrichtenmagazins, der den Werbeslogan „Fakten, Fakten, Fakten …“ propagiert, bei einer Redaktionskonferenz mit der Faust auf den Tisch schlagend ohne irgendeine sachliche Veranlassung mit der Sprechblase des Inhalts „Ficken, ficken, ficken … und nicht an die Leser denken“ zeigt. Dadurch entsteht der Anschein, als habe der Chefredakteur in Wirklichkeit etwas ganz anderes im Sinn, als die Leser über Fakten zu informieren117. Zulässig ist es hingegen, wenn ein Satiremagazin diese Karikatur im Rahmen eines Artikels zitiert, der sich zwar satirisch auch gegen die „Humorlosigkeit“ des Chefredakteurs, hauptsächlich aber gegen eine Rechtsprechung wendet, nach der solche Karikaturen geldentschädi107 BVerfG v. 25.2.1993 – 1 BvR 151/93, MDR 1993, 586 = AfP 1993, 476 = NJW 1993, 1462 – Böll. 108 BVerfG v. 10.7.2002 – 1 BvR 354/98, AfP 2002, 417 = NJW 2002, 3767 – Stern Bonnbon. 109 BVerfG v. 12.11.1997 – 1 BvR 2000/96, NJW 1998, 1386 – Münzen-Erna. 110 BVerfG v. 3.6.1987 – 1 BvR 313/85, MDR 1987, 992 = AfP 1987, 677 = NJW 1987, 2661 – Strauß-Karikatur. 111 BGH v. 8.6.1982 – VI ZR 139/80, MDR 1982, 840 = AfP 1982, 173 = NJW 1983, 1194. 112 BVerfG v. 3.11.2000 – 1 BvR 581/00, NJW 2001, 596 – Deutschland muss sterben; Zechlin, NJW 1983, 1195. 113 BayObLG, ArchPR 1962, 244. 114 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645; BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882. 115 BGH v. 8.6.1982 – VI ZR 139/80, MDR 1982, 840 = AfP 1982, 173 = NJW 1983, 1194. 116 BVerfG v. 3.6.1987 – 1 BvR 313/85, MDR 1987, 992 = AfP 1987, 677 = NJW 1987, 2661 – Strauß-Karikatur. 117 Vgl. LG Berlin v. 9.11.1996 – 27 O 381/96, NJW 1997, 1371.
Burkhardt/Peifer 119
Kap. 3 Rz. 33
Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 GG
gungswürdig seien118. Unzulässig ist die Einkleidung einer satirischen Kritik an Karriereplänen einer Fernsehmoderatorin, wenn diese Darstellung in eine nachgestellte pornographische Szene eingebettet wird119. Eine Minderjährige, die an einem Schönheitswettbewerb teilgenommen und aus diesem Anlass eine kurze Stellungnahme abgegeben hat, darf auch in einer Fernsehsatireshow nicht wegen ihres Namens in einen pornographischen Zusammenhang gerückt werden120. Unzulässig ist eine satirische Darstellung, wenn eine dabei benutzte Karikatur den Eindruck fehlerhafter Darstellung der Physiognomie des Dargestellten, also letztlich eine unwahre Tatsachenbehauptung, verbreitet121. Reine Schmähkritik stellt es dar, wenn ein Satiriker sich in einer Comedy-Einlage über einen Schauspieler, der im Alter von 70 Jahren noch einmal Vater geworden ist, mit den Worten äußert „1,50m geballte Erotik, mit 40 Kilo zu viel auf der künstlichen Hüfte, ein künstliches Gebiss tragend und dieses beim Küssen schon mal in die Tasche steckend“122. 33
Als zulässig hat es der BGH bezeichnet123, in einem satirischen Gedicht mit dem Titel „Moritat auf Helmut Hortens Angst und Ende“ von „bezahlten Politikern“ zu sprechen, obschon das infolge späterer Ereignisse im Sinne von „bestochenen Politikern“ missverstanden werden könne. Auch die in einer satirischen Rundfunksendung aufgestellte „Behauptung“, ein Minister sei störrischer und unbelehrbarer als ein Esel, der Esel müsse davor geschützt werden, dass man ihn mit diesem Minister gleichsetze, ist als noch zulässig angesehen worden124. Das OLG Karlsruhe hat ein Poster zugelassen125, das eine Persönlichkeit der Rüstungsindustrie mit großkalibriger Patrone in der Hand mit dem Text gezeigt hat „Alle reden vom Frieden … wir nicht – Zweckverband Rüstungsindustrie“. Als zulässig ist auch ein Plakat mit der Überschrift bezeichnet worden „Krieg dem Kriege – stoppt S“, das das „Portrait“ eines Kanzlerkandidaten wie folgt zeigte: Die rechte Gesichtshälfte blickte freundlich nach rechts. Die linke war als Skelettkopf mit geöffneter Schädeldecke ausgebildet, aus der Raketen und anderes Kriegsgerät herausragten, aus dem Gebiss weitere Raketen. Der Angriff ziele nicht auf die persönliche Ehre, sondern auf die Politik126. Die in einem satirischen VIP-Kalender enthaltene Zeichnung, die eine Politikerin ebenso wie männliche Kollegen im Wesentlichen unbekleidet zeigt, ist nicht ohne weiteres frauenverachtend, sexistisch und würdeverletzend127. Auch die verfremdete Karikatur eines als Mr. Universum und Mr. World bekannt gewordenen Bodybuilders, die das Bodybuilding satirisch aufspießt („Er hat alle Glieder unter Kontrolle – bis auf das eine“), ist Kunst, die keinen Ersatzanspruch auslöst128. Als zulässig ist der von Greenpeace auf ein führendes Chemieunternehmen gemünzte Slogan „Alle reden vom Klima – wir ruinieren es. Absolute Spitze bei Produkten des Ozon- und Klimakillers FCKW“ in Verbindung mit einem Foto des Vorstandsvorsitzenden angesehen worden129.
118 LG Berlin v. 9.11.1996 – 27 O 381/96, NJW 1997, 1371, 1373. 119 LG Hamburg v. 13.8.1999 – 324 O 106/99, NJW-RR 2000, 978 – Fall Harald Schmidt/Susan Stahnke. 120 OLG Hamm v. 4.2.2004 – 3 U 168/03, AfP 2004, 453 – Fall Stefan Raab. 121 BVerfG v. 14.2.2005 – 1 BvR 240/04, MDR 2005, 806 = AfP 2005, 171 = GRUR 2005, 500 – Fall Ron Sommer. 122 OLG München v. 6.2.2013 – 18 W 206/13, AfP 2013, 154. 123 BGH v. 8.6.1982 – VI ZR 139/80, MDR 1982, 840 = AfP 1982, 173 = NJW 1983, 1194. 124 OLG Hamburg v. 16.9.1966 – 2 Ss 98/66, MDR 1967, 146. 125 OLG Karlsruhe v. 27.11.1981 – 10 W 72/81, AfP 1982, 48 = NJW 1982, 647. 126 OLG Köln v. 8.6.1982 – 1 Ss 237/82, AfP 1983, 285. 127 KG v. 13.12.1988 – 9 U 828/88, NJW 1990, 1996. 128 LG Hamburg v. 3.9.1986 – 17 S 297/85, AfP 1986, 352, 354. 129 OLG Frankfurt v. 19.6.1990 – 6 W 101/90, AfP 1990, 228.
120
Burkhardt/Peifer
I. Kunstfreiheit
Rz. 34 Kap. 3
Zulässig ist es nach dem Bundesverfassungsgericht130 ebenso, einen Bundeswehr-Bewerber in einem Satiremagazin als „geb. Mörder“ zu bezeichnen, weil das nach dem Gesamtzusammenhang im übertragenen Sinne zu verstehen gewesen sei131. Auch die Bezeichnung einer nur durch Heirat dem Hochadel zugehörigen Person in einer satirischen Fernsehsendung als „Münzen-Erna“ kann zulässig sein132. Noch innerhalb der Grenzen der Satirefreiheit bewegt sich ein „Schmähgedicht“ auf einen ausländischen Staatspräsidenten, wenn durch diese Darstellung erläutert werden soll, wann genau die Grenzen der juristischen Einordnung von Satire überschritten sind (nämlich im Falle der Schmähung und Menschenwürdeverletzung) und der Staatspräsident durch seine vorangegangene Kritik an einer eher harmlosen Satire Anlass zu der „Belehrung“ gegeben hat133. Auch die Verbreitung einer solchen Satire ohne eigene Vertiefung oder Veränderung nimmt an dem Freiheitsrecht teil134. Dafür spricht insbesondere, dass der schmähende Charakter entfällt, wenn die Darstellung nach ihrem Kontext, auf den es bei Satire stets ankommt135, zu beurteilen ist. Steht im Vordergrund der Darstellung die Belehrung, nicht aber der persönliche Angriff, mag dieser auch in der Darstellung scharf und überzogen sein, so entfällt die Rechtswidrigkeit. Zulässig ist außerdem die Bezeichnung einer in einer rechtsgerichteten Partei tätigen Politikerin als „Nazi-Schlampe“, wenn die Betroffene zuvor in einer öffentlichen Rede geäußert hat: „Denn die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte“ und der Satiriker dies mit den Worten kommentiert hat „Jawoll, Schluss mit der politischen Korrektheit! Lasst uns alle unkorrekt sein, da hat die Nazi-Schlampe doch recht. War das unkorrekt genug? Ich hoffe!“136. Die Äußerung des Moderators einer Comedy-Show, wonach der Vorsitzende der FPÖ in gleicher Weise wie ein Flusspferd im Wiener Zoo „gewöhnlich von kleinen brauen Ratten umgeben“ sei, ist mit Art. 8 EMRK vereinbar; zwar ist die suggerierte unklare Beziehung zum Nationalsozialismus ein sehr ernsthafter Vorwurf, aber dieser ist als Werturteil in Form der politischen Satire zulässig137. Als unzulässig hat das OLG München die Karikatur eines Politikers bezeichnet138, der darin 34 so in eine schwarz-weiß-rote Fahne eingewickelt war, dass der Rumpf und die unnatürlich abgewinkelten Arme und Beine die Form eines Hakenkreuzes angenommen hatten. Dies erwecke den Eindruck, der Karikierte sei ein Neonazi schlechthin, weswegen zwischen dem erstrebten Ziel und der Ehrbeeinträchtigung kein vertretbares Verhältnis bestehe. Als unzulässig ist auch die in einer Schülerzeitung unter der Schlagzeile „Abtreten“ gebrachte Fotomontage eines hohen Beamten bezeichnet worden, bei der der Kopf auf einen menschlichen Körper mit sichtbarem Skelett aufgesetzt und in der Höhe der Genitalien ein Spruchband „do-it-your130 BVerfG v. 25.3.1992 – 1 BvR 514/90, AfP 1992, 133 = NJW 1992, 2073. 131 Anders die Vorentscheidung OLG Düsseldorf v. 14.3.1990 – 15 U 89/89, AfP 1990, 142 = NJWRR 1990, 1116. 132 BVerfG v. 12.11.1997 – 1 BvR 2000/96, NJW 1998, 1386. 133 GStA Koblenz v. 13.10.2016 – 4 ZS 831/16, AfP 2016, 556, 561 – Fall Böhmermann/Erdogan; Rusch/Becker, AfP 2016, 201, 204; Klass, ZUM 2016, 477; Christoph, JuS 2016, 599, 601; Fricke, GRUR-Prax, 2016, 548, 550; Hoßbach, ZUM-RD 2017, 417; Fröhlich, AfP 2016, 312; tlw. anders LG Hamburg v. 10.2.2017 – 324 O 402/16, AfP 2017, 177 m. Anm. Hermann = IPRB 2017, 177 = ZUM-RD 2017, 412 und im eV-Verfahren LG Hamburg v. 17.5.2016 – 324 O 255/16, ZUM 2016, 744; Hermann AfP 2017, 177, 181; Ladeur, ZUM 2016, 775, 776. 134 OLG Köln v. 21.6.2016 – 15 W 32/16, AfP 2016, 358. 135 BGH v. 10.1.2017 – VI ZR 562/15, AfP 2017, 157 = MDR 2017, 396 = NJW 2017, 1617 m. Anm. Brauneck, ZUM 2017, 432 – Die Anstalt. 136 LG Hamburg v. 11.5.2017 – 324 O 217/17, AfP 2017, 262. 137 EGMR v. 2.5.2017 – 55537/10, AfP 2018, 38 Rz. 34 ff. – Haupt/Österreich. 138 OLG München v. 10.2.1971 – 12 U 2775/70, NJW 1971, 844.
Burkhardt/Peifer 121
Kap. 3 Rz. 35
Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 GG
self“ angebracht war139. Wird ein Kanzlerkandidat auf einem Wahlplakat unter der Parole „Stoppt S.! Gegen Reaktion, Faschismus und Krieg!“ als mit roten Pfeilen gespickter, angeschlagener, schwitzender und stampfender Kampfstier dargestellt, der auf eine Gruppe junger Leute losgeht, bedeutet das nach Auffassung des OLG Hamm140, S. sei ein Vertreter des Faschismus und ein Kriegstreiber, der menschenverachtend vernichten wolle. Das OLG Hamburg hat auch eine „Strauß-Peep-Show“ für unzulässig erklärt. Hinter einem Sehschlitz war eine nackte Frau zu sehen, daneben ein Wolf mit dem Kopf von Franz Josef Strauß. Hinter dem anderen Sehschlitz sah man einen nackten fetten Mann mit einer mit Militärmütze bedeckten Kopfkarikatur von Strauß. Strauß werde dadurch in den Bereich eines Obszönitätenkabinetts gerückt141. Ebenfalls als beleidigend ist eine Karikatur bezeichnet worden, die Strauß als Schwein darstellt, das mit einem richterliche Amtstracht tragenden Schwein kopuliert. Sie besage, der Karikierte verbinde sich mit der Justiz in anstößiger Weise und empfinde dabei besondere Lust142. 35
Als unbefugten Namensgebrauch hat das OLG Karlsruhe143 das Staeck-Plakat mit dem Slogan gewertet „Die Reichen müssen noch reicher werden – deshalb CDU“, weil Staeck für die Buchstaben das CDU-Signum verwendet hatte. Zulässig ist die Namensverwendung aber, wenn ohne weiteres erkennbar ist, dass der Namensgebrauch zu parodistischen Zwecken erfolgt. Das ist z.B. der Fall, wenn das Mitglied einer Punk-Band mit blonder Perücke und Sonnenbrille auftritt und sich als „Heino“ oder als „Der wahre Heino“ bezeichnet144.
II. Freiheit der Wissenschaft Schrifttum: Bussmann, Wissenschaftler im Wettbewerb, WRP 1956, 121; von Gamm, Wissenschaftliche Kritik, WRP 1956, 321; Nettesheim, Grund und Grenzen der Wissenschaftsfreiheit, DVBl. 2005, 1072; Ruffert, Grund und Grenzen der Wissenschaftsfreiheit, VVDStRL 65 (2006), 148; Schulte, Grund und Grenzen der Wissenschaftsfreiheit, VVDStRL 65 (2006), 110; Dähne, Forschung zwischen Wissenschaftsfreiheit und Wirtschaftsfreiheit – dargestellt anhand der Forschung und Verwertung ihrer Erkenntnisse in der Bio- und Gentechnik, 2007; Bäcker, Ausschluss aus der Theologenausbildung – Fall Lüdemann, NVwZ 2009, 827.
36
Die Wissenschaftsfreiheit i.S.d. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistet dem Wissenschaftler einen gegen Angriffe des Staates geschützten Freiraum, der vor allem die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen beim Auffinden von Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe umfasst145. Ähnlich wie bei der Kunst bereitet die Definition des Begriffs Wissenschaft Schwierigkeiten. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet als wissenschaftliche Tätigkeit „alles, was nach Inhalt und Form als ernsthaft planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist“146. Dazu gehört sowohl die Gewinnung neuer wie die Bestätigung oder das Inzweifelziehen vorhandener Erkennt139 140 141 142 143 144 145 146
122
LG Baden-Baden, ArchPR 1971, 138. OLG Hamm v. 9.12.1981 – 7 Ss 1584/81, MDR 1982, 428 = NJW 1982, 659. Zitiert nach Würtenberger, NJW 1983, 1144, 1149. OLG Hamburg v. 17.1.1985 – 1 Ss 168/84, MDR 1985, 427 = NJW 1985, 1654; bestätigt durch BVerfG v. 3.6.1987 – 1 BvR 313/85, MDR 1987, 992 = AfP 1987, 677 = NJW 1987, 2661. OLG Karlsruhe v. 1.9.1972 – 10 U 137/72, NJW 1972, 1810. LG Düsseldorf v. 18.3.1986 – 4 O 300/85, NJW 1987, 1413. BVerfG v. 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u.a., NJW 1973, 1176; v. 17.2.2000 – 1 BvR 484/99, AfP 2000, 555; v. 26.10.2004 – 1 BvR 911/00, 1 BvR 927/00, 1 BvR 928/00, BVerfGE 111, 333, 354. BVerfG v. 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u.a., BVerfGE 35, 79, 113 = NJW 1973, 1176.
Burkhardt/Peifer
II. Freiheit der Wissenschaft
Rz. 37 Kap. 3
nisse. Inhalt und Methode der Erkenntnisgewinnung sind einer Abgrenzung unzugänglich. Auch Intuition und Irrationalität können Erkenntnisse fördern147 und sind daher grds. geschützt148. Typisch ist das planmäßige Bemühen um rationale Erklärung und Einordnung. Einem Werk fehlt nicht schon deshalb die Wissenschaftlichkeit, weil es Einseitigkeiten und Lücken aufweist oder gegenteilige Auffassungen unzureichend berücksichtigt. Fehlt jede Auseinandersetzung mit der entgegenstehenden h.M., liegt kein wissenschaftliches Werk vor149. Formalisierte Anerkennung als Wissenschaftler durch Habilitation oder Berufung für ein bestimmtes Lehrfach sollen nach h.M. ausreichen, um wissenschaftliche Lehre anzunehmen150. Keinen Wissenschaftsschutz genießt das Ummünzen bestimmter Erkenntnisse in politische Aktionen. Ein von der Absicht getragenes Verhalten, eine (politische) Reaktion Anderer auszulösen, ist keine wissenschaftliche Tätigkeit151. Praktisch ist zwischen der Kritik an einer wissenschaftlichen Leistung und einer solchen zu 37 unterscheiden, die selbst wissenschaftliche Leistung ist. Der Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG steht nur der Letzteren zur Seite152. Ob die Darstellung als wissenschaftliche Leistung anzuerkennen ist, kann im Einzelfall schwer zu entscheiden sein. Eine Auslegungsrichtlinie ergibt sich daraus, dass Art. 5 Abs. 3 GG neben der Wissenschaft die Forschung erwähnt. Danach ist eine wissenschaftliche Leistung jedenfalls zu bejahen, wenn sie auf eigener Forschung beruht, ebenso wenn sie die Forschung oder wenigstens die wissenschaftliche Diskussion fördert. Äußerungen in einer Dissertation („Die Automatenindustrie hat die gesetzlichen Vorschriften über Spielautomaten geschickt umgangen“) genießen grundsätzlich den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG153. Allerdings erstreckt sich der Grundrechtsschutz nicht zwingend auf jeden Bestandteil eines wissenschaftlichen Werkes. Äußerungen, die für sich genommen nicht auf Wahrheitserkenntnis gerichtet sind und von den übrigen Teilen des wissenschaftlichen Werkes getrennt werden können, ohne dass die wissenschaftliche Aussage als solche, also der Versuch des Erkenntnisgewinns und des Gewinns an Wahrheit, darunter erkennbar leidet, nehmen am Schutz nicht teil154. Dies kann auch bei Sachverhaltsdarstellungen in z.B. juristisch-wissenschaftlichen Werken der Fall sein. Die Wissenschaftsvoraussetzungen können auch bei der angewandten Wissenschaft gegeben sein155. Nicht unbedingt entscheidend ist, ob die Äußerung im Rahmen eines wissenschaftlichen Werkes, eines Diskussionsbeitrages oder in sonstigem Zusammenhang erfolgt. Allerdings ist nicht jede Form der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse selbst Wissenschaft i.S.d. Art. 5 Abs. 3 GG. Ein während der Abendzeit u.a. zur Unterhaltung gesendetes Dokumentarspiel genießt den Schutz der Wissenschaftsfreiheit auch dann nicht ohne weiteres, wenn ihm Erkenntnisse zugrunde liegen, die ihrerseits auf wissenschaftlicher Arbeit beruhen. Auch eine populärwis147 Smend, VVDStRL 4/1928, S. 61. 148 BVerfG v. 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, MDR 1994, 844 = AfP 1994, 118 = NJW 1994, 1781, 1782. 149 BVerfG v. 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, MDR 1994, 844 = AfP 1994, 118 = NJW 1994, 1781, 1782. 150 Scholz in Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 GG Rz. 105; zu den Anforderungen an die Wissenschaftlichkeit medizinischer Darlegungen s. LG Köln v. 8.1.1982 – 28 O 441/81, MedR 1984, 110. 151 BVerfG v. 17.8.1956 – 1 BvB 2/51, NJW 1956, 1393; v. 14.1.1969 – 1 BvR 553/64, NJW 1969, 738; BayVerfGH v. 6.11.1990 – Vf. 74 – III/88, NJW 1992, 226. 152 Vgl. Bussmann, WRP 1956, 121; von Gamm, WRP 1956, 321. 153 OLG Köln v. 2.8.1983 – 15 U 91/83, AfP 1983, 470 = NJW 1984, 1119. 154 BVerfG v. 17.2.2000 – 1 BvR 484/99, AfP 2000, 555; OLG Frankfurt v. 13.1.2000 – 16 U 179/99, AfP 2000, 384 = MDR 2000, 1219 = ZUM-RD 2001, 19. 155 BVerfG v. 13.4.2010 – 1 BvR 216/07, NVwZ 2010, 1285; v. 27.6.2013 – 1 BvR 1501/13, NVwZ 2013, 1145.
Burkhardt/Peifer 123
Kap. 3 Rz. 38
Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 GG
senschaftliche Abhandlung, die lediglich über fremde wissenschaftliche Leistung berichtet, wird Art. 5 Abs. 3 GG i.d.R. nicht unterfallen156. 38
Die Wissenschaftsfreiheit unterliegt nicht dem Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG (vgl. Rz. 9). Auch ohne Vorbehalt gewährte Freiheitsrechte müssen aber im Rahmen gemeinschaftsgebundener Verantwortung gesehen werden157. Wissenschaftliche Arbeiten sind also nicht absolut geschützt. Allerdings lassen sich Einschränkungen nur aus der Verfassung selbst herleiten. Konflikte zwischen der Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit und dem Schutz anderer verfassungsrechtlich garantierter Rechtsgüter sind nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses Wertsystems durch Verfassungsauslegung zu lösen. Diese Grenzziehung kann nicht generell, sondern nur im Einzelfalle durch Güterabwägung vorgenommen werden158.
39
Konflikte sind insb. mit der Menschenwürde und dem Persönlichkeitsrecht möglich. Gegenüber diesen Grundrechten kommt der Wissenschaftsfreiheit nicht immer Vorrang zu, bei einer Verletzung der Menschenwürde nie. Der wissenschaftlichen Kritik ist aber ein noch größerer Freiraum gewährt als einer Äußerung, die lediglich Art. 5 Abs. 1 GG unterfällt159. Mit dieser Problematik hat sich der BGH bereits in der Reichstagsbrand-Entscheidung auseinandergesetzt160. Der BGH geht dort davon aus, dass nach dem Ergebnis der Prüfung aller Be- und Entlastungstatsachen die erneute Behauptung, der Kläger sei an der Inbrandsetzung des Reichstages aktiv beteiligt gewesen, eine nicht zu rechtfertigende Ehrenkränkung bedeuten würde. Andererseits betont er, dass das Recht des Beklagten unberührt bleibe, über das Ergebnis von Ermittlungen und Forschungen unter Darstellung und Würdigung aufgetretener Verdachtsmomente zu berichten, wenn dabei dem Ehrenschutz des Klägers gebührend Rechnung getragen und auch auf die zu seinen Gunsten sprechenden Umstände hingewiesen werde.
40
Speziellen Schutz genießen wissenschaftliche Stellungnahmen auch insofern, als sie i.d.R. nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern als Meinungsäußerungen zu qualifizieren sind. Schon das RG hat ausgesprochen161, dass die Darstellung fachwissenschaftlicher Untersuchungen und ihrer Ergebnisse und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen grundsätzlich Urteile ohne Tatsachenqualität sind162. Für diese Einordnung kann entscheidend sein, wie die Darstellung sich präsentiert, ob als definitive Behauptung oder als das Ergebnis um Erkenntnis ringender Bemühungen. Geht es um eine als unwahr festgestellte Tatsachenbehauptung, ändert der wissenschaftliche Charakter der Arbeit an der Unzulässigkeit nichts163. Der Plagiatsvorwurf eines Wissenschaftlers gegen einen anderen Wissenschaftler muss sich als nicht bewiesene Tatsachenbehauptung dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auch dann beugen, wenn der Vorwurf mit wissenschaftlichen Motiven verteidigt wird164. Der sich gegen den Vorwurf des Plagiierens aus einer Studienarbeit in einem Disziplinarverfahren in einer 156 157 158 159 160 161 162
Hubmann, Ufita 79/1977, 72. BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645. BVerfG v. 1.3.1978 – 1 BvR 174/71 u.a., NJW 1978, 1621, 1622. Hubmann, Ufita 79/1977, 67. BGH v. 11.1.1966 – VI ZR 221/63, NJW 1966, 647. RGZ 84, 294, 296. Im Ergebnis ebenso RGZ 115, 74/82; BGH v. 18.10.1977 – VI ZR 171/76, NJW 1978, 751 – Schriftsachverständiger. 163 BVerfG v. 4.10.1988 – 1 BvR 556/85, AfP 1989, 532; v. 17.2.2000 – 1 BvR 484/99, AfP 2000, 555; OLG Frankfurt v. 13.1.2000 – 16 U 179/99, AfP 2000, 384 = MDR 2000, 1219 = ZUM-RD 2001, 19. 164 LG Hamburg v. 21.1.2011 – 324 O 358/10, AfP 2011, 198 = ZUM 2011, 679.
124
Burkhardt/Peifer
II. Freiheit der Wissenschaft
Rz. 41 Kap. 3
Vorlesung verteidigende Wissenschaftler kann sich für die Befugnis zum Zitieren aus den Disziplinarverfahrensunterlagen nicht auf die Wissenschaftsfreiheit berufen165. Ist das einen Dritten beeinträchtigende Ergebnis einer Forschungsarbeit zwar nicht zwin- 41 gend, ebenso wenig aber ohne weiteres als verfehlt zu bezeichnen, kann ein eingeschränkter Unterlassungsanspruch dahin in Betracht kommen, dass die beeinträchtigende Darstellung nur unter Hinweis darauf verbreitet werden darf, dass Zweifel vorhanden sind bzw. dass der Betroffene den Vorwurf (Rosa Luxemburg erschossen zu haben) bestreitet166. Der Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG versagt, wenn die Behauptung die bloße Folge eines Irrtums oder Versehens ist, z.B. wenn ein Autor sich kritisch mit der Ginseng-Werbung auseinandersetzen will und dabei versehentlich das Warenzeichen Tai-Ginseng herausstellt, wodurch der falsche Anschein entsteht, die mitgeteilten Tatsachen und Bewertungen beträfen speziell dieses Präparat167. Gleiches gilt, wenn ein unzutreffender Sachverhalt wiedergegeben wird, z.B. Polizeibeamte hätten bei einer Demonstration auf Weisung des Polizeipräsidenten gehandelt, als sie Geprügelten nicht geholfen und die Namen der Täter nicht festgehalten hätten168.
165 166 167 168
VG Berlin v. 29.10.2012 – 80 K 23.12 OL, FamRZ 2012, 381. LG Stuttgart, Ufita 54/1969, 330. BGH v. 26.4.1966 – VI ZR 240/64, NJW 1966, 1857. BVerfG v. 17.2.2000 – 1 BvR 484/99, AfP 2000, 555.
Burkhardt/Peifer 125
Zweiter Teil Zivilrechtsschutz 4. Kapitel Wortberichterstattung – die Äußerung I. Sinn der Äußerung . . . . . . . . . . . . . . .
1
bb) Meinungsäußerungen . . . . . . . cc) Überwiegen des Tatsachenoder Meinungsgehaltes . . . . . . b) Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Innere Vorgänge . . . . . . . . . . . . bb) Formulierung . . . . . . . . . . . . . . cc) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . dd) Rechtliche Beurteilungen . . . . . ee) Prognosen . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ironie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zweifelsfallentscheidung . . . . . . . . .
50 54 54 55 58 61 64 65 66
2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangsproblematik . . . . . . . . . . . b) Problem der Sachverhaltsprüfung . c) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zustandekommen der Aussage bb) Gegenstand der Aussage. . . . . . cc) Empfängerverständnis . . . . . . .
69 69 74 87 88 91 94
III. Behaupten und Verbreiten . . . . . . . . .
95
1. Behaupten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96 99 100 101 102 102 110
1. Allgemeine Interpretationsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Empfängerverständnis . . . . . . . . . . . b) Verständnis und Vorverständnis aufgrund des Textes . . . . . . . . . . . . . c) Offene und verdeckte Äußerungen . d) Mehrdeutige Äußerungen . . . . . . . . e) Bedeutungswandel . . . . . . . . . . . . . . f) Verständnis aufgrund des Mediums
8 15 18a 19 21
2. Engerer und weiterer Sinn . . . . . . . . . a) Engerer Sinn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weiterer Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beurteilung von Fragen . . . . . . . . . .
23 24 28 31
3. Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zitate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bildliche Darstellungen . . . . . . . . . . c) Verhältnis Schlagzeile/Artikelinhalt d) Beweiserhebung über Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Satire. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 32 35 36 38 40a
II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen . . . . . . . . . . . . .
41
2. Verbreiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Intellektuelles Verbreiten . . . . . . . . . b) Technisches Verbreiten . . . . . . . . . .
1. Herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Abgrenzungskriterien . . aa) Tatsachenbehauptungen. . . . . .
42 42 43
3. Beeinflussungsmöglichkeiten . . . . . . a) Sich-zu-eigen-Machen. . . . . . . . . . . b) Sich distanzieren . . . . . . . . . . . . . . .
4 4
48
I. Sinn der Äußerung Gegenstand der rechtlichen Beurteilung sind nicht einzelne Wörter, sondern Äußerungen. 1 Die Äußerung ist als zusammenhängendes Ganzes unter Berücksichtigung des Kontextes und der Begleitumstände zu würdigen, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind1. Bei einem Zeitungsartikel, der in mehreren Sätzen einen einheitlichen, erst durch den Zu1 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder II; v. 13.2.1996 – 1 BvR 262/91, NJW 1996, 1529 – DGHS I; RGSt 41, 51; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung; BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1133 – Der Lohnkiller; v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, NJW 2000, 656; v. 9.12.2003 – VI ZR 38/03, NJW 2004, 1034.
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Kap. 4 Rz. 2
Wortberichterstattung – die Äußerung
sammenhang voll verständlichen Gedanken wiedergibt, dürfen nicht einzelne Sätze isoliert auf ihre Berechtigung hin untersucht werden. Es muss auf den gesamten zusammenhängenden Text abgestellt werden2. Diese Grundsätze sind sinngemäß auch auf das Verständnis von Abbildungen3 und Filmberichterstattungen4 zu übertragen. Enthält ein Bericht sowohl Text als auch Bilder, ist der Deutung der Gesamtbericht unter Berücksichtigung der Wechselwirkung von Text und Bild zugrunde zu legen5. Dabei sind die Eigengesetzlichkeiten des Mediums zu berücksichtigen6. Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. 2
Im Bereich des Äußerungsrechts kann eine Äußerung rechtliche Erheblichkeit erlangen, wenn sie eine Aussage über einen Rechtsträger, also über eine natürliche oder juristische Person, oder über eine Mehrheit von Rechtsträgern enthält. In diesem Fall ist zu fragen, ob die Aussage in den geschützten Individualbereich des oder der Rechtsträger eingreift. Das hängt entscheidend von dem Sinn ab, der der streitigen Äußerung beizumessen ist. Das Bundesverfassungsgericht und der BGH betonen zu Recht, dass dem der Aussage zugrunde zu legenden Verständnis eine Schlüsselfunktion für die rechtliche Konfliktlösung und damit für den Schutz der betroffenen Interessen zukommt7. Weder darf ein Gericht seiner Beurteilung eine Äußerung zugrunde legen, die so nicht gefallen ist, noch darf es ihr einen Sinn geben, den sie nach dem festgestellten Wortlaut objektiv nicht hat. Sind mehrere Deutungen möglich, darf das Gericht sich nicht für die zur Verurteilung führende entscheiden, ohne die anderen unter Angabe überzeugender Gründe auszuschließen8. Die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts sind insoweit nicht immer einheitlich. In der Soldaten sind Mörder II-Entscheidung spricht das Bundesverfassungsgericht von schlüssigen Gründen9. In seinem DGHS-I-Beschluss10 2 Std. Rspr., vgl. BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; v. 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04, AfP 2009, 361; v. 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, NJW 2013, 217, 218 – „Focus“-Ärzteliste; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung; BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = NJW 1996, 1131, 1133 – Der Lohnkiller; v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, NJW 2000, 656; v. 25.11.2003 – VI ZR 226/02, AfP 2004, 56; v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65; v. 5.12.2006 – VI ZR 45/05AfP 2007, 46 – Terroristentochter; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, GRUR 2015, 289, 291 – Hochleistungsmagneten; v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, AfP 2016, 248 Rz. 17 – Nerzquäler; von Pentz, AfP 2014, 8 ff. 3 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 1082/95, AfP 2000, 163 = NJW 2000, 1026 – Kundenzeitschrift; BGH v. 14.3.1995 – VI ZR 52/94, MDR 1995, 909 = AfP 1995, 495 = NJW-RR 1995, 789. 4 BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, AfP 1992, 140; v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen. 5 BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 967/15, AfP 2017, 147 Rz. 16; BGH v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen. 6 BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, AfP 1992, 140; v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen. 7 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3305 – Soldaten sind Mörder II; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung; BGH v. 9.2.1982 – VI ZR 123/80, MDR 1982, 568 = GRUR 1982, 318. 8 Std. Rspr., u.a. BVerfG v. 7.12.1976 – 1 BvR 460/72, BVerfGE 43, 130; v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3305 – Soldaten sind Mörder II; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung; BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = NJW 1992, 1312, 1313 – Korruptionsprozess; v. 27.9.2016 – VI ZR 250/13, AfP 2017, 48 Rz. 12 – „Mal PR-Agent, mal Reporter“ m.w.N. 9 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3305. 10 BVerfG v. 13.2.1996 – 1 BvR 262/91, NJW 1996, 1529, 1530.
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I. Sinn der Äußerung
Rz. 3 Kap. 4
verlangt es unter Hinweis auf seinen Bayer-Beschluss11 tragfähige Gründe, obgleich es dort noch überzeugende Gründe forderte. In weiteren Entscheidungen12 fordert das Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf den DGHS I-Beschluss nachvollziehbare Gründe, obgleich dort von tragfähigen Gründen die Rede war. In der Entscheidung Anspielung auf NS-Zeit fordert das Bundesverfassungsgericht schlüssige Gründe13. Ob durch die unterschiedlichen Formulierungen die Anforderungen an die Begründung durch die Gerichte vermindert werden sollten, ist zweifelhaft. Im Hinblick auf die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts sind auch weiterhin bei Vorliegen mehrerer Deutungsmöglichkeiten überzeugende Gründe erforderlich, durch die der Entscheidung nicht zugrunde gelegte Deutungsvarianten ausgeschlossen werden müssen14. Im Zweifel hat sich das Gericht für jene zu entscheiden, die dem in Anspruch Genommenen günstiger ist15. Dies gilt auch für die Einordnung einer Äußerung als Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung (vgl. Kap. 1 Rz. 21). Die Interpretation streitiger Äußerungen bedarf großer Sorgfalt. Die Interpretationsmaßstä- 3 be müssen mit Art. 5 GG vereinbar sein. Einer Äußerung eine Deutung zu geben, die sich aus ihrem Wortlaut nicht oder nicht mit hinreichender Klarheit ergibt, verstößt gegen das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit16. Die instanzgerichtliche Ermittlung des Sinnes einer Äußerung steht der revisionsrechtlichen17 und verfassungsgerichtlichen Überprüfung offen, weil sie die Grundlage für ihre rechtliche Qualifizierung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung, als Formalbeleidigung oder Schmähkritik bildet und damit zugleich über den Umfang des verfassungsrechtlichen Schutzes entschieden wird, den die Äußerung genießt18. Unter Hinweis darauf hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt die Auslegung 11 BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439. 12 BVerfG v. 4.4.2002 – 1 BvR 724/98, NJW 2002, 2315; v. 10.7.2002 – 1 BvR 354/98, AfP 2002, 417 = NJW 2002, 3767 – Stern Bonnbons. 13 BVerfG v. 23.8.2005 – 1 BvR 1917/04, NJW 2005, 3274; ebenso v. 24.1.2018 – 1 BvR 2465/13, NJW 2018, 770. 14 So nun auch BVerfG v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung. 15 BGH v. 16.6.1998 – VI ZR 205/97, MDR 1998, 1226 = NJW 1998, 3047; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192, 1193; OLG Karlsruhe v. 8.11.2000 – 6 U 95/00, NJW-RR 2001, 766, 767. 16 BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439; v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3305 – Soldaten sind Mörder II; v. 25.8.1998 – 1 BvR 1435/98, NJW 1999, 483; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung; v. 16.3.2017 – 1 BvR 3085/15, NJW-RR 2017, 1003 Rz. 12. 17 BGH v. 25.3.1997 – VI ZR 102/96, MDR 1997, 643 = NJW 1997, 2513; v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, NJW 2000, 656; v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65; v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 15 – Gen-Milch; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, GRUR 2015, 289 Rz. 8 – Hochleistungsmagneten; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 – Organentnahme; v. 10.1.2017 – VI ZR 561/15, ZUM-RD 2017, 254 Rz. 11. 18 BVerfG v. 7.12.1976 – 1 BvR 460/72, NJW 1977, 799; v. 19.4.1990 – 1 BvR 40/86 u.a., NJW 1990, 1980, 1981; v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = NJW 1992, 1439, 1440; v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = NJW 1995, 3303, 3305 – Soldaten sind Mörder II; v. 13.2.1996 – 1 BvR 262/91, NJW 1996, 1529, 1530; v. 25.8.1998 – 1 BvR 1435/98, NJW 1999, 483, 484; v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02, NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch; v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13; BeckRS 2016, 50714; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung; v. 16.3.2017 – 1 BvR 3085/15, NJW-RR 2017, 1003; v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308 Rz. 14 – Obergauleiter der SA-Horden; a.A. BayVerfGH v. 14.6.1994 – Vf. 33-VI/94, NJW 1994, 2944; zur Bindungswirkung einer BVerfG-Entscheidung BGH v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65.
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Kap. 4 Rz. 4
Wortberichterstattung – die Äußerung
von Äußerungen durch die Fachgerichte als unzutreffend gerügt. Dies führte zu dem Vorwurf, das Bundesverfassungsgericht prüfe nicht nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts, sondern habe sich zu einer Superrevisions- und sogar einer Superberufungsinstanz gemacht19. Zwar weist das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen darauf hin, dass es nicht seine Sache sei, den jeweiligen Rechtsstreit, der trotz des grundrechtlichen Einflusses seine Eigenart als Zivil- oder Strafverfahren nicht verliere, selbst zu entscheiden20. An der sehr detaillierten Überprüfung der Auslegung einer Äußerung durch die Fachgerichte hat sich hierdurch jedoch nichts geändert21, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, in denen das Bundesverfassungsgericht unterschiedliche Beurteilungen durch die Fachgerichte nicht mit zusätzlichen eigenen Erwägungen aufheben wollte22. Zur Begründung führt das Bundesverfassungsgericht dort aus, den Fachgerichten stehe bei der Auslegung von Äußerungen ein Beurteilungsspielraum zu23. 1. Allgemeine Interpretationsgrundsätze a) Empfängerverständnis 4
In welchem Sinne der Kritiker die streitige Äußerung verstanden wissen will, ist im Allgemeinen unerheblich24. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob er die erfolgte Beeinträchtigung gewollt hat25 oder welches Verständnis der von der Äußerung Betroffene hat26. Stattdessen sind Äußerungen entsprechend dem Verständnis des unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittsempfängers zu interpretieren27, und zwar unter Berücksichtigung der Ge19 Vgl. Isensee, JZ 1996, 1090; Stark, JZ 1996, 1033; neuerdings Huff, www.lto.de//recht/hintergruen de/h/bverfg-meinungsfreiheit-superrevisionsinstanz/. 20 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, NJW 2000, 1021, 1024; v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 595 – Willy-Brandt-Gedächtnismünze; v. 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95, 1 BvR 1787/95, NJW 2001, 593 – Benetton; Beschl. v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, NJW 2001, 2958 – Kaisen. 21 Vgl. BVerfG v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02, MDR 2003, 344 = NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung. 22 Vgl. BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 1082/95, AfP 2000, 163 = NJW 2000, 1026 – Kundenzeitschrift. 23 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 1082/95, AfP 2000, 163 = NJW 2000, 1026 – Kundenzeitschrift; dazu BGH v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65 = NJW 2006, 601, 602; OLG Zweibrücken v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169 = NJW-RR 2015, 561 Rz. 20, dazu BVerfG v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, BeckRS 2018, 2868, OLG Zweibrücken v. 5.9.2012 – 4 U 72/12, BeckRS 2014, 03080 und BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433. 24 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 25.3.2008 – 1 BvR 1753/03, NJW 2008, 2907, 2908 – Heimatvertriebenenlied; BGH v. 20.6.1961 – VI ZR 222/60, NJW 1961, 1914; NJW 1966, 1214; v. 16.6.1998 – VI ZR 205/97, MDR 1998, 1226 = NJW 1998, 3047; v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 15 – Gen-Milch. 25 BGH v. 9.2.1982 – VI ZR 123/80, MDR 1982, 568 = GRUR 1982, 318. 26 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe m.w.N. 27 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, NJW 2013, 217, 218 – „Focus“-Ärzteliste; v. 11.12.2013 – 1 BvR 194/13, AfP 2014, 133; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; BGH v. 17.3.1970 – VI ZR 151/68, GRUR 1970, 370, 372; v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, MDR 1981, 484 = GRUR 1981, 437; v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 – Babycaust; v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, AfP 2005, 70; v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 15 – Gen-Milch; v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, AfP 2013, 260; v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, AfP 2016, 248 Rz. 17 – Nerzquäler; v. 10.1.2017 – VI ZR 561/15, ZUM-RD 2017, 254 Rz. 11; v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen.
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I. Sinn der Äußerung
Rz. 5 Kap. 4
samtdarstellung wie sie für den Rezipienten erkennbar ist und entsprechend der Eigengesetzlichkeit des Mediums28, d.h. auch unter Berücksichtigung einer Wechselwirkung von Text und Bild29. Es kommt auf Durchschnittsempfänger an, die mit der Materie nicht (speziell) vertraut sind30. Die Formulierung, der Kläger lüge, wenn er eine bestimmte Behauptung aufstelle, versteht der unbefangene Rezipient dahin, der Kläger habe die Behauptung wider besseres Wissen aufgestellt. Ist die umstrittene Behauptung auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbar, ist die Formulierung, „Der Kläger lügt, wenn er behauptet, …“ eine (ggf. unwahre) Tatsachenbehauptung (vgl. Rz. 41 ff.)31. In der Exdirektor-Entscheidung meint der BGH, es komme auf das Verständnis des unkritischen Durchschnittslesers an32. Richtigerweise ist jedoch vom unvoreingenommenen und verständigen Publikum auszugehen33. Allgemeine Kenntnisse und Erfahrungen können aber zu berücksichtigen sein, auch Kenntnisse über Denk- und Verhaltensweisen des Behauptenden. Wird z.B. behauptet, jemand sei am 9.2.1967 entlassen worden, kann daraus nur entnommen werden, es handle sich um eine fristlose Entlassung, was unwahr ist, wenn der Betroffene einvernehmlich ausgeschieden ist34. Werden Abkürzungen genutzt, kann der rechtlichen Bewertung die Äußerung, für die die Abkürzung steht, zugrunde gelegt werden, wenn diese eindeutig feststellbar dem Verständnis des Rezipientenkreises entspricht35. Davor, das Verständnis des Durchschnittslesers mit dem des flüchtigen Lesers gleichzusetzen, 5 hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht gewarnt36. Ob der Maßstab des flüchtigen Lesers jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht kommen könne oder ob er generell verworfen werden müsse, weil er die Bestimmung des Inhaltes der Äußerung von der Deutung 28 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder II; v. 25.8.1998 – 1 BvR 1435/98, NJW 1999, 483, 484; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 Rz. 31 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229 – ziemlich beste Freunde; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung; BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = NJW 1992, 1312; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, NJW 1997, 1148, 1149; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192; v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65; v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, AfP 2009, 137 Rz. 14, 22 – Fraport-Manila-Skandal; v. 27.5.2014 – VI ZR 153/13, AfP 2014, 449 Rz. 13 mit Anm. Gostomzyk NJW 2014, 3155; NJW 2017, 1550 Rz. 22; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 Rz. 11 – Organentnahme; v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen.; OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 = NJOZ 2017, 1424, Rz. 94 – Panama-Papers. 29 BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 967/15, AfP 2017, 147 Rz. 16; KG v. 13.4.1999 – 9 U 1606/99, NJWRR 1999, 1547; BGH v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus BioHühnerställen; LG Berlin v. 11.11.1999 – 27 O 463/99, AfP 2000, 393 – Das Leben der Huren. 30 BGH, NJW 1961, 1913; NJW 1965, 29; NJW 1974, 1762; NJW 1977, 626; v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco I. 31 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148. 32 BGH v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, NJW 1979, 1041. 33 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = NJW 1995, 3303, 3305 – Soldaten sind Mörder II; v. 29.7.1998 – 1 BvR 287/93, NJW 1999, 204; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; v. 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, NJW 2013, 217; BGH v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, CR 2013, 459 = MDR 2013, 710 = ITRB 2013, 150 = AfP 2013, 260; BVerfG v. 11.12.2013 – 1 BvR 194/13, AfP 2014, 133. 34 BGH, LM § 824 BGB Nr. 13a. 35 Vgl. BVerfG v. 17.5.2016 – 1 BvR 2150/14, NJW 2016, 2643 Rz. 12 – „all cops are bastards“ II; v. 17.5.2016 – 1 BvR 257/14, AfP 2017, 44 Rz. 12 – „all cops are bastards“ I. 36 BVerfG v. 7.12.1976 – 1 BvR 460/72, NJW 1977, 799.
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Kap. 4 Rz. 6
Wortberichterstattung – die Äußerung
eines abstrakten, unklaren und dehnbaren Begriffes abhängig macht und damit möglicherweise zu einem Kunstgriff werden könne, der es erlaube, der Wirklichkeit widersprechende Inhaltsfeststellungen zu treffen, hat das Bundesverfassungsgericht offengelassen. Jedenfalls verbiete Art. 5 GG, den Inhalt einer Information mit Hilfe dieses Maßstabes zu bestimmen, wenn die Information im konkreten Fall ersichtlich politisch interessierte und aufmerksame Leser voraussetzt und sich an diese richtet. In solchen Fällen werde der Begriff des flüchtigen Lesers zum unangemessenen Interpretationsmaßstab, der zu einem unzulässigen Eingriff in den verfassungsrechtlich geschützten Prozess der Kommunikation führen könne. 6
Insbesondere angesichts dieser verfassungsgerichtlichen Stellungnahme kommt es auf das Verständnis eines speziellen Kreises an, wenn die Aussage sich an ihn wendet37. Z.B. können landsmannschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen sein. Wendet sich eine fremdsprachliche Darstellung an ausländische Mitbürger, kommt es auf deren Verständnis an38. Auch ein Vorverständnis kann zu berücksichtigen sein, wenn ein Blatt eine Leserschaft mit spezifischer ideologischer Ausrichtung hat39.
7
Bei einer nur an einen Adressaten gerichteten Äußerung ist im Zweifelsfalle entscheidend, wie der Empfänger die Äußerung verstehen kann, nicht, wie er sie verstehen muss40. Deswegen ist unerheblich, ob der Empfänger eines Einzelschreibens die Äußerung tatsächlich in dem vom Betroffenen als unwahr bezeichneten Negativsinn verstanden hat. Es kommt darauf an, ob sie objektiv geeignet war, von einem Durchschnittsleser in diesem Sinne verstanden zu werden41. Hierbei darf allerdings kein allzu strenger Maßstab angelegt werden, insbesondere kein so strenger wie im Wettbewerbsrecht. Insbesondere kommt es nicht auf das Verständnis speziell des Betroffenen an, der die Äußerung notorisch in besonders negativem Sinne versteht42. b) Verständnis und Vorverständnis aufgrund des Textes
8
Bei der Deutung ist zunächst vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn jedoch nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und von den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt43. Soweit keine allgemeinen oder speziellen Vorkenntnisse in Rechnung zu stellen sind, hat die Interpretation allein anhand des vom Behauptenden stammen-
37 BGH, GRUR 1971, 591, 592. 38 BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621 – Türkol. 39 Ladeur, Anm. zu Schulze, OLGZ 215. 40 BGH, AfP 1975, 804, 806. 41 OLG Bremen, AfP 1979, 355, 357. 42 LG Köln, Ufita 78, 274, 283. 43 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229 Rz. 21 – Ziemlich beste Freunde; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung; BGH v. 25.3.1997 – VI ZR 102/96, MDR 1997, 643 = AfP 1997, 634; v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 20 ff. – Gen-Milch; v. 10.1.2017 – VI ZR 561/15, ZUM-RD 2017, 254 Rz. 11; v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen; OLG Düsseldorf v. 13.8.2015 – I-16 U 121/14, BeckRS 2016, 02919 – Das kleine Luder vom Lerchenberg; dazu BVerfG v. 2.4.2017 – 1 BvR 2194/15, AfP 2017, 228.
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Burkhardt
I. Sinn der Äußerung
Rz. 9 Kap. 4
den Textes und des sprachüblichen Verständnisses zu erfolgen44. Es kommt nicht darauf an, allgemein gültige Definitionen zu finden und einen philologisch exakten Sprachgebrauch zu ermitteln; maßgebend ist das Verständnis im konkreten Falle45. Der Aussagegehalt der Äußerungen, die dem Behauptenden verboten werden sollen, können nicht losgelöst von dem Gesamttext beurteilt werden46. Eine isolierte Betrachtung wird den Anforderungen an eine tragfähige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht47. Dies gilt insbesondere bei Schlagworten. Für deren Deutung ist der jeweilige Kontext von besonderer Bedeutung. Fehlt ein solcher wie bspw. beim Kioskleser, kann schon wegen einer Substanzarmut von einer Meinungsäußerung auszugehen sein (s. Rz. 53)48. Durch das Schlagwort „Gen-Milch“ im Zusammenhang mit Protestaktionen für eine Kennzeichnung von Milch, deren Erzeugertiere gentechnisch verändertes Futter erhalten haben, wird nicht die Behauptung aufgestellt, die Milch selbst sei gentechnisch verändert49. Jedoch kann der Vorwurf der Fälschung eines Tagebuches auch unzulässig sein, wenn er in dem Sinne zu verstehen ist, die Aufzeichnungen stammten von einem anderen, obschon sie vom benannten Verfasser stammen, mögen sie auch anderen Skripten als seinem Tagebuch entnommen sein50. Für etwas, was der Behauptende nicht gesagt hat, kann er nicht haftbar gemacht werden (zur 9 verdeckten Äußerung s. Rz. 15)51. Bedeutung hat aber nicht allein der Wortlaut, sondern vornehmlich der Sinn. Dementsprechend hat der BGH die Behauptung, ein Verein sei „von Altund Neufaschisten durchsetzt“, als Hinweis darauf gedeutet, dass ein nach Zahl und Einfluss den Standort des Vereins bestimmender Teil seiner Mitglieder durch eine Grundhaltung geprägt ist, die auf einer gemeinhin rechtsradikal eingestuften, übertrieben nationalen, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung feindlichen Einstellung beruht, die auch vor kriegerischen Auseinandersetzungen zur Verteidigung der eigenen nationalen Ehre nicht zurückschreckt52. Heißt es, ein Arzt habe „überdurchschnittlich operiert“, es sei zu starken Blutungen gekommen und die Patientinnen hätten davon nichts erfahren, muss der unbefangene Rezipient diese Darstellung jedenfalls dann in dem Sinne verstehen, dass von Abweichungen vom normalen Operationsverlauf die Rede ist, wenn das im Zusammenhang mit Negativbehauptungen über die Leistungen des Klägers, insbesondere als Operateur, behauptet wird53. Ebenso kann der Ausdruck „Miese“ aufgrund des Kontextes als Hinweis auf eine Überschuldungssituation und damit als Tatsachenbehauptung verstanden werden54.
44 BVerfG v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung; BGH, GRUR 1968, 205, 207; GRUR 1975, 36, 37. 45 BGH, GRUR 1971, 591, 592. 46 BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 199/72, NJW 1974, 1470 – Brüning II; v. 25.3.1997 – VI ZR 102/96, AfP 1997, 634 = MDR 1997, 643 = NJW 1997, 2513. 47 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; v. 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04, AfP 2009, 361; v. 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, NJW 2013, 217, 218 – „Focus“-Ärzteliste; BGH v. 25.11.2003 – VI ZR 226/02, MDR 2004, 393 = AfP 2004, 56; v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65; v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 20 ff. – Gen-Milch; v. 2.12.2008 – VI ZR 219/06, AfP 2009, 55; v. 10.1.2017 – VI ZR 561/15, ZUM-RD 2017, 254 Rz. 11; vgl. von Pentz, AfP 2014, 8 ff. 48 Vgl. BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 20 – Gen-Milch. 49 BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 24 – Gen-Milch. 50 BGH v. 16.12.1980 – VI ZR 308/79, MDR 1981, 486 = NJW 1981, 2062, 2063 – Anne Frank. 51 BGH v. 9.2.1982 – VI ZR 123/80, MDR 1982, 568 = GRUR 1982, 318. 52 BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschlandstiftung. 53 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148. 54 BVerfG v. 1.12.1999 – 1 BvR 1462/96; OLG Hamburg v. 13.7.1995 – 3 U 257/94, beide n.v.
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Kap. 4 Rz. 10
Wortberichterstattung – die Äußerung
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Ob mit einer im Präsens erfolgenden Darstellung tatsächlich das Präsens gemeint ist, lässt sich nur aus dem Zusammenhang entnehmen. Im Deutschen wird das Präsens häufig anstelle des gemeinten Futurs verwendet. Evtl. kann es auch um das sog. „erzählende“ oder „historische“ Präsens gehen; gemeint sein kann also auch eine in der Vergangenheit liegende Handlung.
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In der aus kommunistischer Quelle stammenden „Behauptung“, der Bundeskanzler bereite einen neuen Weltkrieg vor, hat der BGH lediglich ein die Tatsachen umfärbendes Werturteil im Sinne der Lehren Lenins und Stalins gesehen55. Für das Verständnis insbesondere eines Vorwurfes kann es entscheidend auch auf den Gesamtzusammenhang der Darstellung ankommen. Bei umfangreicheren Darstellungen, z.B. in einem Buch, muss der Text insgesamt gewürdigt und ermittelt werden, welche Maßstäbe und dramaturgischen Absichten der Autor hat erkennbar werden lassen, allerdings nicht allein unter dem Gesichtspunkt des Ehrenschutzes56. Wird z.B. von einer „brutalen Grundstimmung“ gesprochen, die in einer Zeitungsgruppe herrsche, kann sich aus dem Zusammenhang ergeben, dass damit nicht das Arbeitsklima gemeint ist, sondern die Absicht, sich immer mehr Zeitungen einzuverleiben57.
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Das behandelte Thema kann auch einen spezifischen Sinn der beanstandeten Darstellung vermitteln. Heißt es in einem Artikel über konspirative Verhaltensweisen terroristischer Gewalttäter, ein Anwalt sei in Paris „untergetaucht“, ist das in dem Sinne zu verstehen, er habe sich besonders behördlicher Verfolgung entzogen. Deswegen ist die gegenteilige Behauptung nicht offenkundig unwahr, wenn der Anwalt seine Anschrift zwar nicht der Presse, wohl aber der für seinen Asylantrag zuständigen Behörde mitgeteilt und wenn er außerdem an Pressekonferenzen und Fernsehinterviews teilgenommen hat58.
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Ein Problem besonderer Art ist die Metapher, also die Vertauschung des eigentlich gemeinten Begriffes mit einem anderen. Zumeist wird ein abstrakter Begriff durch einen sinnlich anschaulichen ersetzt. Metaphern zeichnen sich dadurch aus, dass sie, würden sie wörtlich genommen, eine offenbar unsinnige Aussage bedeuteten, wie das z.B. auf den Vorwurf zutrifft, die CSU sei „die NPD von Europa“59. Ähnlich wie eine Satire (Kap. 3 Rz. 30 ff. und Kap. 4 Rz. 40a) muss auch eine Metapher auf ihren eigentlichen Aussagekern zurückgeführt werden. Grundsätzlich kann niemandem verwehrt werden, anstelle des Gemeinten eine Metapher zu verwenden. Es herrscht „Metaphernfreiheit“.
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Auch ein durch eine frühere Darstellung verursachtes Vorverständnis kann zu berücksichtigen sein. Das kommt z.B. in Betracht, wenn in der Ursprungsausgabe eines Buches Unwahrheiten enthalten gewesen sind. Hat der Autor auf diese Weise ein bestimmtes Vorverständnis verursacht, kann er bei einer notwendigen Manuskriptbereinigung zu größerer Zurückhaltung verpflichtet werden, als dies sonst der Fall wäre60. Einem solchen negativen Vorverständnis lässt sich auch durch einen klarstellenden Zusatz begegnen, z.B. durch den Hinweis, bestimmte Absichten sollten nicht unterstellt werden61. Im Übrigen kann das Verständnis durch die Ankündigung beeinflusst sein. Heißt es z.B. zu Beginn einer Fernsehreportage, sie be55 56 57 58 59
BGHSt 6, 159, 162. BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 158/78, MDR 1981, 40 = GRUR 1980, 1099, 1102. BGH v. 5.5.1981 – VI ZR 184/79, MDR 1981, 926 = NJW 1981, 2117, 2120. OLG Hamburg, Ufita 86/1980, 301. BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung. 60 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = GRUR 1980, 1090, 1096. 61 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 159/78, MDR 1981, 40 = GRUR 1980, 1105, 1110.
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Burkhardt
I. Sinn der Äußerung
Rz. 15 Kap. 4
handle „zweifelhafte Aktivitäten“ eines Agenten, bezieht der Zuschauer die dargestellten Vorgänge im Zweifel auch dann auf ihn, wenn Handlungen eines anderen dargestellt werden, der als sein Unteragent vorgestellt worden ist. Der Zuschauer meint, der Unteragent sei auf Veranlassung des Agenten tätig geworden, weswegen er für die Handlungen verantwortlich sei. c) Offene und verdeckte Äußerungen Grundsätzlich darf der Kritiker erwarten, dass ihm nur das entgegengehalten wird, was er 15 offen ausgesprochen hat. Der Gefahr, dass der Leser „weiterdenkt“ und in den Text eine Gesamtaussage hineininterpretiert, braucht er grundsätzlich nicht zu begegnen62. Gleichwohl sind Darstellungen möglich, die verdeckte bzw. versteckte Aussagen enthalten, die sich aus dem Gesamtzusammenhang ergeben. Bei der Feststellung solcher verdeckter Behauptungen ist jedoch besondere Zurückhaltung geboten, um die Spannungslage zwischen Ehrschutz und Äußerungsfreiheit nicht einseitig zu Lasten der Äußerungsfreiheit zu verschieben63. Der BGH64 hat mit Recht betont, dass der Betroffene ihnen gegenüber besonders schutzwürdig sein kann, weil sie ihm eine weniger feste Grundlage an die Hand geben, von der aus er zur Abwehr in der Lage ist. Zudem zwingen sie den Betroffenen häufig zu Offenbarungen persönlicher Umstände, deren fehlende Kenntnis den Angreifer von einer offenen Anschuldigung abgehalten hat. Überdies ist die Missverständnisbreite dadurch erhöht, dass dem Leser die Ermittlung des Aussagegehaltes anheim gegeben ist, die ihm bestimmte Schlussfolgerungen nahelegt. Die Einbeziehung solcher aus dem Gesamtzusammenhang gewonnener Sinninterpretationen in die deliktsrechtliche Betrachtung ist nur nach genauer Prüfung zulässig, ob der Äußernde mit den „offenen“ Fakten dem Leser Schlussfolgerungen unabweislich nahelegt oder aufzwingt, die einen verdeckten Sachverhalt ergeben65. Eine solche zusätzliche eigene Sachaussage muss die Grenzen des Denkanstoßes überschreiten und sich dem Leser unabweislich aufdrängen66. Es ist mithin zu unterscheiden zwischen einerseits der Mitteilung einzelner Fakten, aus denen der Leser eigene Schlüsse ziehen kann und soll, und andererseits der erst eigentlich „verdeckten“ Aussage, mit der der Autor durch das Zusammenspiel offener Äußerungen eine zusätzliche Sachaussage macht und diese dem Leser als
62 BGH v. 28.6.1994 – VI ZR 274/93, MDR 1994, 990 = AfP 1994, 295, 297; v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65 = NJW 2006, 601, 603; OLG Köln v. 19.5.2015 – 15 U 208/14, AfP 2015, 440. 63 BVerfG v. 19.2.2004 – 1 BvR 417/98, NJW 2004, 1942; BGH v. 28.6.1994 – VI ZR 274/93, MDR 1994, 990 = AfP 1994, 299, 301; v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, NJW 2000, 656, 657. 64 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = NJW 1980, 2807. 65 BVerfG v. 19.2.2004 – 1 BvR 417/98, NJW 2004, 1942; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229 Rz. 23 – Ziemlich beste Freunde; BGH v. 28.6.1994 – VI ZR 274/93, MDR 1994, 990 = AfP 1994, 295, 297. 66 BVerfG v. 19.2.2004 – 1 BvR 417/98, NJW 2004, 1942; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, BeckRS 2018, 2868; BGH v. 25.11.2003 – VI ZR 226/02, AfP 2004, 56 = MDR 2004, 393 = NJW 2004, 598, 599; v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65; v. 27.9.2016 – VI ZR 250/13, MDR 2017, 209 = IPRB 2017, 126 = AfP 2017, 48; OLG Karlsruhe v. 29.9.2008 – 6 U 72/08; v. 25.10.2013 – 14 U 5/12, AfP 2014, 76; OLG Köln v. 27.5.2014 – 15 U 3/14, AfP 2014, 463; v. 19.5.2015 – 15 U 208/14, AfP 2015, 440; OLG Düsseldorf v. 16.10.2013 – I-15 U 130/13, AfP 2014, 70; LG Hamburg v. 1.10.2010 – 324 O 3/10, AfP 2011, 394; LG Köln v. 30.11.2011 – 28 O 654/11, AfP 2012, 185; v. 13.2.2013 – 28 O 773/11, ZUM-RD 2013, 402, dazu OLG Köln v. 19.5.2015 – 15 U 38/13, BeckRS 2015, 116856.
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Kap. 4 Rz. 15a
Wortberichterstattung – die Äußerung
unabweisliche Schlussfolgerung aufdrängt67. Daraus ergibt sich auch, dass es eine mehrdeutige verdeckte Tatsachenbehauptung nicht geben kann68. 15a
In seiner Entscheidung Korruptionsvorwurf meint der BGH69, dass auch eine bewusst unvollständige Berichterstattung rechtlich wie eine unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln sei. Werden dem Leser Tatsachen mitgeteilt, aus denen er erkennbar eigene Schlussfolgerungen ziehen soll, so dürften hierbei keine wesentlichen Tatsachen verschwiegen werden, die dem Vorgang ein anderes Gewicht geben könnten und deren Kenntnis für den Leser unerlässlich ist, der sich im Kernpunkt ein zutreffendes Urteil bilden will70. Dies gelte auch, wenn dem Leser eine Schlussfolgerung nicht unabweislich nahegelegt oder aufgezwungen werde, sondern wenn bei Mitteilung der verschwiegenen Tatsache eine bestimmte Schlussfolgerung lediglich weniger naheliegend erscheint und deshalb ein falscher Anschein entstehen kann. Bei derartigen Vorwürfen sei eine vollständige Berichterstattung erforderlich, so dass dem Leser auch entlastende Umstände mitgeteilt werden müssten71. Dies kann jedoch nur für wesentliche Angaben gelten, die dazu dienen, dem Vorgang ein anderes Gewicht in seiner Kernaussage zu geben. Deren Kenntnis muss für den Leser unerlässlich sein, um sich im Kernpunkt ein zutreffendes Urteil zu bilden72. Ein Anspruch auf vollständige Berichterstattung im Übrigen ist im Hinblick auf die Notwendigkeit der Medien, aus einer Fülle von Fakten jene auszuwählen, über die berichtet werden soll, nicht möglich. Für einen Unterlassungsanspruch bedarf es daher hinreichender konkreter Bezugspunkte, die die Berichterstattung als unwahr erscheinen lassen.
16
Ein Bezugspunkt kann z.B. die Behauptung sein, eine mit einem Modedesigner bekannte Schauspielerin habe sich gerade ihren zweiten Aids-Test machen lassen und beabsichtige eine baldige Wiederholung. Daraus kann der Leser nur entnehmen, ursächlich seien sexuelle Beziehungen zu dem Modedesigner73. Aus dem Aufmacher auf der Titelseite einer Zeitschrift „G.J. Liebes-Krise? Unfassbar, was ein Nachbar jetzt verrät“ ist zu entnehmen, dass der Nachbar sich zur möglichen Liebeskrise geäußert hat74. Aus der Behauptung, nach Erlass der Ordnungsverfügung habe es schon wieder gestunken, kann im Zweifel allenfalls die (verdeckte) Behauptung herausgelesen werden, auch den erneuten Gestank habe der Adressat der Ordnungsverfügung verursacht, nicht aber, er habe die Verfügung bewusst verletzt75. Fordert ein Krebsarzt von Patienten ein Honorar von bis zu 3000 DM pro Quartal und 67 BGH v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65 = NJW 2006, 601, 603; OLG Karlsruhe v. 25.10.2013 – 14 U 5/12, AfP 2014, 76; OLG Köln v. 27.5.2014 – 15 U 3/14, AfP 2014, 463; v. 19.5.2015 – 15 U 208/14, AfP 2015, 440; OLG Düsseldorf v. 16.10.2013 – I-15 U 130/13, AfP 2014, 70; LG Hamburg v. 1.10.2010 – 324 O 3/10, AfP 2011, 394; LG Köln v. 30.11.2011 – 28 O 654/11, AfP 2012, 185; v. 13.2.2013 – 28 O 773/11, ZUM-RD 2013, 402, dazu OLG Köln v. 19.5.2015 – 15 U 38/13, BeckRS 2015, 116856. 68 OLG Köln v. 19.5.2015 – 15 U 38/13, BeckRS 2015, 116856 Rz. 21. 69 BGH v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, AfP 2000, 88 = MDR 2000, 273 = NJW 2000, 656, 657. 70 BGH v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, AfP 2000, 88 = MDR 2000, 273 = NJW 2000, 656, 657; v. 25.11.2003 – VI ZR 226/02, AfP 2004, 56 = MDR 2004, 393 = NJW 2004, 598, 599; v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65. 71 BGH v. 25.11.2003 – VI ZR 226/02, AfP 2004, 56 = MDR 2004, 393 = NJW 2004, 598, 599; v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65 = NJW 2006, 601, 603. 72 BGH v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, AfP 2000, 88 = MDR 2000, 273 = NJW 2000, 656, 657. 73 OLG Hamburg v. 13.8.1987 – 3 U 78/87, AfP 1988, 143. 74 OLG Karlsruhe v. 25.10.2013 – 14 U 5/12, AfP 2014, 76. 75 BGH v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = AfP 1987, 597 = NJW 1987, 2225, 2227 – Chemiegift.
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I. Sinn der Äußerung
Rz. 18a Kap. 4
heißt es dazu, manche müssten „Haus und Hof“ verkaufen, kann das dahin zu verstehen sein, sie hätten sich von nicht ganz unbedeutenden Vermögenswerten trennen müssen76. Wird im Rahmen einer Berichterstattung über sexuelle Beziehungen prominenter Politiker das Portrait einer Frau mit der Zwischenüberschrift „Willy Brandt und der Sonderzug“ veröffentlicht, kann dem nur die Schlussfolgerung entnommen werden, die Abgebildete habe eine sexuelle Beziehung zu Willy Brandt unterhalten77. Der Hinweis, die heutige politische Einstellung des Betroffenen tendiere zur CSU, ist kein zureichender Bezugspunkt für seine politische Haltung während der Nazizeit, auch nicht, wenn die angeführte heutige Einstellung abwertend gemeint ist78. Andererseits hat der BGH einen Bauamtsleiter als beeinträchtigt angesehen, obschon der Kritiker ihm die Qualifikation nicht ausdrücklich abgesprochen, aber im Zusammenhang mit ähnlichen Beispielen erwähnt hat, 18 Bewerber hätten sich gemeldet, drei hätten sich vorstellen sollen, doch nur einer, der Christdemokrat, sei erschienen79. Bringt eine Zeitschrift eine namentliche Aufstellung von Sanierern der Treuhand mit Anga- 17 be der Anzahl ihrer Sanierungsfälle und dem dafür erhaltenen Honorar, neben der ein Artikel mit schweren Vorwürfen gegen einzelne der Sanierer abgedruckt ist, entsteht der Anschein, diese Vorwürfe bezögen sich auch auf den an 7. Stelle der Aufstellung genannten Sanierer. Dies ist nach Auffassung des OLG München80 persönlichkeitsverletzend, wenn die Vorwürfe auf ihn nicht zutreffen. Das gelte jedenfalls, wenn der Hinweis möglich gewesen wäre, die Tabelle gebe nur zur Anzahl der Verfahren und zur Höhe des Honorars Auskunft, ohne die erhobenen Vorwürfe auf jeden einzelnen der erwähnten Sanierer beziehen zu wollen. Verdeckt können Behauptungen auch durch Zitate von Auskunftspersonen aufgestellt wer- 18 den, deren Angaben zwar für sich betrachtet zutreffen mögen, die aber dadurch ein falsches Bild vermitteln, dass sie nicht kompetent sind. Wird z.B. ein Staatsanwalt mit der Bemerkung zitiert „soweit ich es beurteilen kann, hat dieser V-Mann so gut wie keine Erfolge erzielt“, kann trotz der Einschränkung „soweit ich es beurteilen kann“ der Eindruck entstehen, der V-Mann habe ganz allgemein erfolglos gearbeitet. Dieser Eindruck ist falsch, wenn der zitierte Staatsanwalt mit dem V-Mann nur in wenigen bedeutungslosen Fällen zusammengearbeitet hat, die für dessen Gesamttätigkeit nicht repräsentativ sind. Eine weitere Variante ist die Gegenüberstellung von Ereignissen, die zeitgleich stattgefunden haben. Dadurch kann der Anschein entstehen, als gehe es nicht allein um Koinzidenz, sondern als sei eine kausale Verknüpfung vorhanden. d) Mehrdeutige Äußerungen Wann nach dem Verständnis des unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspu- 18a blikums eine mehrdeutige Äußerung81 vorliegt, ist anhand der bestehenden Deutungsgrundsätze zu bestimmen. Nach der Stolpe-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gingen Instanzgerichte häufig vorschnell von der Mehrdeutigkeit einer Äußerung aus, obschon durch 76 77 78 79 80 81
OLG München v. 3.5.1996 – 21 W 1384/96, NJW 1997, 804. OLG Köln v. 18.5.1999 – 15 U 4/99, NJW-RR 2000, 470. BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = GRUR 1980, 1090, 1097. BGH v. 9.2.1982 – VI ZR 123/80, MDR 1982, 568 = GRUR 1982, 318 – Schwarzer Filz. OLG München v. 10.5.1996 – 21 U 4468/95, NJW 1997, 62. Vgl. BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2005, 544 – „IM-Sekretär“/Stolpe (Tatsachenbehauptungen); v. 24.5.2006 – 1 BvR 49/00, 1 BvR 55/00, 1 BvR 2031/00, AfP 2006, 349 – Babycaust (auch Werturteile), insoweit unbeanstandet von EGMR v. 13.1.2011 – 397/07, 2322/07, NJW 2011, 3353; BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58 – Gegendarstellung.
Burkhardt
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Kap. 4 Rz. 18b
Wortberichterstattung – die Äußerung
die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Unterlassungsanspruch bei mehrdeutigen Äußerungen sich die Interpretationsgrundsätze von Äußerungen nicht geändert haben. Das Bundesverfassungsgericht sah sich daher veranlasst, in seiner Gen-Milch-Entscheidung festzustellen, dass die sog. Stolpe-Rechtsprechung keinen Anlass gibt, in größerem Umfang als zuvor zu der Annahme eines mehrdeutigen Aussagegehalts zu gelangen82. Bei der Prüfung einer Äußerung sind daher zunächst theoretisch mögliche aber fernliegende Deutungen auszuscheiden83. Ebenso substanzarme Äußerungen. Als eine solche hat der BGH84 die Bezeichnung „Gen-Milch“ für Milch von Kühen, die u.a. mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert werden, angesehen. Hierbei handele es sich nicht um eine eigenständige Behauptung eines bestimmten Sachverhalts. Die Äußerung sei vielmehr ohne weiteres als eine in tatsächlicher Hinsicht unvollständige und ergänzungsbedürftige schlagwortartige Äußerung erkennbar. Erforderlich sei aber, dass eine Äußerung als eine in sich geschlossene, aus sich heraus aussagekräftige Aussage wahrgenommen werde. Dies sei bei einem Schlagwort wie „Gen-Milch“ nicht der Fall. 18b
Liegt eine in sich geschlossene, aus sich heraus aussagekräftige Aussage vor und wird diese in unterschiedlichem Sinne verstanden, ist von einer Mehrdeutigkeit der Äußerung auszugehen. Welche Deutungsvariante der weiteren Prüfung zugrunde zu legen ist, hängt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sodann vom Äußernden ab. Dieser habe die Möglichkeit, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der weiteren rechtlichen Prüfung zugrunde zu legen ist. Sei der Äußernde nicht bereit, seiner Aussage einen eindeutigen Inhalt zu geben, könne einer Verurteilung zum Unterlassen auch die den Betroffenen am meisten beeinträchtigende Deutungsvariante zugrunde gelegt werden85. e) Bedeutungswandel
19
Die Bedeutung von Begriffen kann einem Wandel unterliegen. Z.B. hat der Begriff des Faschismus außerhalb der wissenschaftlichen Diskussion einen Wandel erfahren. Er wird jetzt nicht mehr nur zur Kennzeichnung politischer Strömungen verwendet, sondern auch als Schimpfwort zur Diffamierung des politischen Gegners86. Unter einem „Schreibtischtäter“ wird jetzt nicht mehr nur jemand verstanden, der (Nazi-)Verbrechen vom Schreibtisch aus befohlen oder organisiert hat, sondern auch Beamte, Wirtschaftsführer, Publizisten usw., die zu der Gesamtsituation beigetragen haben, ohne die es solche Verbrechen nicht hätte geben können87.
82 BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Gen-Milch. 83 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = NJW 1995, 3303; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2005, 544 – „IM Sekretär“/Stolpe; v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Gen-Milch; v. 24.1.2018 – 1 BvR 2465/13, NJW 2018, 770 Rz. 19; BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 – Gen-Milch; OLG Stuttgart OLG Stuttgart, v. 11.5.2015 – 4 W 14/15, ZUM 2015, 1009. 84 BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 – Gen-Milch, Verfassungsbeschwerde dagegen nicht zur Entscheidung angenommen BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501. 85 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2005, 544 – „IM Sekretär“/Stolpe; v. 24.5.2006 – 1 BvR 49/00, 1 BvR 55/00, 1 BvR 2031/00, AfP 2006, 349 – Babycaust; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58 – Gegendarstellung. 86 OLG Hamm v. 9.12.1981 – 7 Ss 1584/81, MDR 1982, 428 = NJW 1982, 659. 87 LG Köln v. 15.6.1988 – 28 O 671/87, AfP 1988, 376, 377.
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I. Sinn der Äußerung
Rz. 21 Kap. 4
Grundsätzlich ist von dem Verständnis auszugehen, den die Darstellung und die Begriffe im 20 Zeitpunkt der Veröffentlichung haben. Ein nachträglicher Bedeutungswandel hat im Allgemeinen außer Betracht zu bleiben. Das gilt speziell für künstlerische Darstellungen. Deswegen kann die in einem Gedicht enthaltene Erwähnung von „bezahlten Politikern“ nicht deswegen allein im Sinne von „Abgeordnetenbestechung“ interpretiert werden, weil solche Bestechungen nachträglich vorgekommen sein sollen und in aller Munde geraten sind. Vielmehr muss auch an die Möglichkeit einer bloßen Parteienfinanzierung gedacht werden, insbesondere wenn der Betroffene sich daran tatsächlich beteiligt hat88. f) Verständnis aufgrund des Mediums Nicht nur Besonderheiten des Behauptenden können für das Verständnis einer Äußerung 21 von Bedeutung sein, sondern auch die Eigengesetzlichkeiten, die sich aus der Art des von ihm benutzten Mediums ergeben89. Auch die Wechselwirkung zwischen Abbildungen und Text können zu berücksichtigen sein90. Der Titelseiten- bzw. Kioskleser wird häufig nur Schlagzeilen oder Schlagworte auf dem Titelblatt, bei Zeitungen beschränkt auf oberhalb des Bruchs, zur Kenntnis nehmen, so dass er eine korrigierende Darstellung im Innenteil des Blattes weder kennt noch bei der Erfassung des Sinns der Äußerung berücksichtigen kann91. Dann ist der Deutung auch nur der Text auf dem Titelblatt zugrunde zu legen92. Es ist dann zu prüfen, ob die Meldung auf der Titelseite eine eigenständige Aussage oder nur eine Inhaltsankündigung enthält. Maßgebend ist, ob die Meldung aus sich heraus, d.h. ohne den im Heftinneren stehenden Artikel, verständlich ist oder ob diese sich nur als Neugier erweckenden Aufmacher verstanden werden kann93. Anders liegt es regelmäßig bei Internetnutzern, die Beiträge bewusst abrufen und daher auch deren gesamten Inhalt oder jedenfalls die wesentliche Züge zur Kenntnis nehmen und zur Auslegung von Überschrift oder Schlagworten heranziehen94. Werden Internetnutzern nur Teaser angeboten, ohne dass davon auszugehen ist, dass der jeweilige Bericht vom Nutzer vollständig abgerufen wird, sind der rechtlichen Bewertung allein die Teaserdarstellungen zugrunde zu legen95. Alle Medien unterliegen bestimmten Sachzwängen96. Die Darstellungsart in offiziellen Stellungnahmen und wissenschaftlichen Publikationen ist eine andere als in Publikumszeitschriften. Besonders die Boulevard- und insbesondere die Re88 BGH v. 8.6.1982 – VI ZR 139/80, MDR 1982, 840 = AfP 1982, 173 – Moritat. 89 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = GRUR 1980, 1090, 1093; v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen. 90 BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, AfP 1992, 140; v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen; KG v. 13.4.1999 – 9 U 1606/99, NJW-RR 1999, 1547. 91 Vgl. BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381, 1384. 92 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381; BGH v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco I; OLG Zweibrücken v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169 = NJW-RR 2015, 561 Rz. 29, dazu BVerfG v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, BeckRS 2018, 2868, OLG Zweibrücken v. 5.9.2012 – 4 U 72/12, BeckRS 2014, 03080 und BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433. 93 BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; OLG München v. 31.7.2014 – 18 U 308/14 Pre, BeckRS 2014, 18546. 94 Vgl. BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 20 – Gen-Milch; KG v. 13.4.1999 – 9 U 1606/99, AfP 1999, 369, 370; zur Funktion von Überschriften BVerfG v. 6.9.2000 – 1 BvR 1056/95, NJW 2001, 61. 95 Vgl. OLG Köln MMR-Aktuell 2015, 371750. 96 BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = AfP 1992, 140 = NJW 1992, 1312, 1313 – Korruptionsprozess.
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Kap. 4 Rz. 22
Wortberichterstattung – die Äußerung
genbogenpresse neigen zu Übertreibungen. Es kann geboten sein, den Sinngehalt entsprechend zu reduzieren. Bedeutung kann auch die politische oder sonstige Haltung des Mediums haben. In einem linksgerichteten Blatt wirkt Linkes notorisch positiv, Rechtes negativ. In einem rechtsgerichteten Blatt verhält es sich umgekehrt. Bringt ein Blatt, das ein Thema als erstes aufgegriffen und ständig eine bestimmte These verfochten hat, ein diese These bestätigendes Interview, wird das im Zweifel auch ohne besonderen Hinweis so aufzufassen sein, dass es sich die Äußerungen des Interview-Partners zu eigen macht. Zumindest spricht dann für das Zu-eigen-Machen die Vermutung. Widerspricht der Interview-Partner der These des Blattes, wird das Zu-eigen-Machen im Zweifel zu verneinen sein (vgl. Rz. 102). 22
Beim Fernsehen ist neben dem Text auch das Bild ein Informationsträger. Es soll das Gesagte veranschaulichen, so wie umgekehrt der Text die Bildaussage erklärt und durch ihn strukturiert und eingegrenzt wird. Da grundsätzlich vom Text auszugehen ist, darf dazu gezeigten Bildern nicht ohne weiteres ein texterweiternder oder -einengender Sinn beigelegt werden. Das Bild darf in seiner Bedeutung nicht überinterpretiert werden. Soll dem Bild eine texterweiternde oder -eingrenzende Sinngebung beigemessen werden, bedarf dies der Heraushebung des Bildes als eigenständigen Informationsträger97. Werden z.B. in einem Fernsehbericht einige der Absperrpfähle gezeigt, für deren Aufstellung ein Beamter Schmiergelder erhalten habe, besagt das nicht ohne weiteres, der Hersteller der Pfähle sei zugleich der Aufsteller und damit an der Bestechung beteiligt98. Dies bedeutet jedoch nicht, dass gezeigte Bilder bei der Interpretation außer Betracht bleiben können. Gerade bei visuell-auditiven Darstellungen kann den Bildern auch eine gegenüber dem Text hervorgehobene Bedeutung zukommen. Wird beispielsweise kritisch über die Einstellung eines Strafverfahrens berichtet, ohne Tatsachen offen zu legen, die eine Fortsetzung des Strafverfahrens erforderlich erscheinen lassen, und werden gleichzeitig eindrucksvolle Bilder gezeigt über zurückliegende Durchsuchungsmaßnahmen, Interviews und zwischenzeitlich sich als nicht mehr haltbar erweisende Darstellungen, kann dem Text eine durchaus untergeordnete Bedeutung zuzumessen sein. Dies jedenfalls, wenn durch die Bilder der Eindruck erweckt wird, dass die Kritik an der Einstellung des Strafverfahrens berechtigt ist und weiter ein (dringender) Tatverdacht bestehe. Werden Filmaufnahmen von Hühnern mit unvollständigem Federkleid gezeigt, kann allein daraus nicht der Vorwurf einer nicht artgerechten Tierhaltung entnommen werden, wenn der Bericht zu den Ursachen keine Aussage trifft99. 2. Engerer und weiterer Sinn
23
Bestimmte Aussageformen können typischerweise in einem engeren Sinne zu verstehen sein, als dies dem eigentlichen Wortsinne entspricht. Ebenso kann ein über den Wortlaut hinausgehender Sinn in Betracht kommen.
97 BGH v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen. 98 BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = AfP 1992, 140 = NJW 1992, 1312 – Korruptionsprozess. 99 BGH v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen.
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I. Sinn der Äußerung
Rz. 26 Kap. 4
a) Engerer Sinn Einen engeren Sinn als den dem Wortlaut entsprechenden pflegen insbesondere Scherzerklä- 24 rungen zu haben. Insbesondere sie sind typischerweise nicht „so“, d.h. nicht so weitgehend, gemeint. Auch Rechtsbegriffe sind nicht immer im technischen Sinne zu verstehen. Sie können viel- 25 mehr auch in einem allgemeinen alltagssprachlichen Sinne verwendet werden100. Z.B. kann es zulässig sein, jemanden als Täter zu bezeichnen, auch wenn er nur Beihilfe geleistet hat, zumal neben dem restriktiven auch der extensive Täterbegriff existiert101. Auch die Bezeichnung des Betroffenen als Mörder bedeutet nicht unbedingt, es liege eine besonders verwerfliche Tötung vor, ebenso wenig, der Täter sei zu bestrafen102. Die Bezeichnung eines Hingerichteten als „verbrecherisches Vorbild“, als „Mörder“ und „Killer“ wird allerdings zumindest in dem Sinne zu verstehen sein, er habe an verantwortlicher Stelle an der Tötung von Menschen teilgenommen103. Wird behauptet, jemand habe etwas veruntreut, ist das nicht notwendigerweise als erschwerte Unterschlagung i.S.d. § 246 StGB zu verstehen104. Der Vorwurf des „Betrugs“ kann auch als pauschale Kritik an einem als anstößig bewerteten Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung aufzufassen sein105. Die Würdigung eines mitgeteilten Verhaltens als „ungesetzlich“ und „außerhalb der Legalität“ bedeutet im allgemeinen eine bloße subjektive Bewertung, der eine andere Auffassung entgegengehalten, die jedoch nicht ohne weiteres mit negatorischen Ansprüchen bekämpft werden kann106. Auch mit dem Begriff „Sabotage“ ist nicht unbedingt ein unredliches Spiel gemeint und der Vorwurf bewusster Schädigung verbunden107. Bei der Behauptung, ein Schauspieler sei „Sexstar in Pornos“ gewesen, ist der Begriff „Porno“ nicht i.S.d. § 184 StGB zu verstehen108. Wird in einem Bericht zur Bekräftigung geäußerter Verdachtsmomente auf eine dem Medium vorliegende „eidesstattliche Versicherung“ verwiesen, ist damit nicht die Aussage verbunden, dass das Schriftstück i.S.d. § 156 StGB einer zuständigen Behörde bereits zugegangen ist109. Politische Aussagen lassen sich i.d.R. nicht beurteilen, ohne in Rechnung zu stellen, dass 26 der Erklärungsempfänger hinsichtlich der wirklichen Absichten weitgehend auf Vermutungen angewiesen ist, weswegen er öffentliche politische Äußerungen über politische Gegner („Sein Geheimrezept besteht darin, 450 000 Arbeitslose in Kauf zu nehmen“) ebenfalls als bloße Meinungen ansieht, die sich des Beweises entziehen110. Auch wenn behauptete weltpolitische Handlungen auf angeblich unehrenhafte Beweggründe zurückgeführt werden („Vorbereitung eines Krieges aus Profitgier, die Jugend soll als Kanonenfutter missbraucht
100 BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439, 1441 – Bayer-Beschluss; BGH v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192, 1193. 101 OLG Frankfurt v. 6.9.1979 – 16 U 75/79, AfP 1980, 50 = NJW 1980, 597. 102 OLG Karlsruhe, Justiz 1974, 223 = ArchPR 1973, 92. 103 BGH, GRUR 1974, 797, 798 – Fiete Schulze. 104 BGH, GRUR 1970, 465. 105 BGH v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192, 1193. 106 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, AfP 1976, 75, 79 – Panorama. 107 BGH, GRUR 1971, 591. 108 OLG München v. 28.3.1990 – 21 U 1938/90, AfP 1990, 214. 109 A.A. OLG Karlsruhe v. 7.1.2011 – 14 U 104/10, n.v. 110 OLG Bremen, ArchPR 1972, 108.
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Kap. 4 Rz. 27
Wortberichterstattung – die Äußerung
werden“), werden im Zweifel nur scheinbar innere Tatsachen angeführt (vgl. auch Rz. 43, 54)111. 27
Wahlkampfäußerungen sind besonders zurückhaltend zu interpretieren, weil hastige, aber übertreibende und verzerrende Darstellungen dabei keine Ausnahme sind112. So wird mit der Bezeichnung gegnerischer politischer Äußerungen als „Verleumdung“ häufig nur zum Ausdruck gebracht, dass der Kritiker sie aus anderer politischer Sicht für falsch hält113. Das Bundesverfassungsgericht hat auch die Wahlkampfbehauptung, die CSU sei „die NPD von Europa“, als noch zulässige bloße Meinungsäußerung eingestuft114. b) Weiterer Sinn
28
Äußerungen können im weitest möglichen Sinne zu verstehen sein. Heißt es z.B., K. habe behauptet, die FIBAG-Gewinne mit dem Kläger teilen zu müssen, kann dies den Vorwurf bedeuten, die Gewinnteilung sei tatsächlich erfolgt115. Da der Begriff der Fälschung nicht eindeutig ist, kann aus dem gegenüber einer Illustrierten erhobenen Vorwurf der Fälschung entnommen werden, der betreffende Bericht sei nicht nur in Teilen falsch, sondern er sei insgesamt ein Phantasieprodukt116. Der Ausdruck „clever“ kann nicht nur im Sinne einer besonderen Geschäftstüchtigkeit, sondern auch einer übersteigerten Tätigkeit zu verstehen sein, die den Betroffenen in zweifelhaftem Licht erscheinen lässt117. Heißt es, ein Anwalt und Stadtratsmitglied unterhalte seine Kanzlei „in einer umfunktionierten städtischen Wohnung – selbstverständlich zu sozialer Miete“, kann darunter nicht bloße Preiswürdigkeit zu verstehen sein, sondern die Behauptung einer Miete nach den Vorschriften des sozialen Wohnungsbaus118. Die bloße Möglichkeit von Missverständnissen braucht nicht durch klärende Zusätze ausgeschlossen zu werden119. Ist die Äußerung mehrdeutig, bedarf sie der Klarstellung durch den Äußernden (s. Rz. 18a und Kap. 12 Rz. 84a f.)120.
29
Wird ein Verdacht oder ein Zweifel geäußert, eine Möglichkeit angedeutet oder eine Vermutung ausgesprochen, kann das genügen, um den Eindruck einer definitiven Behauptung zu vermitteln. Z.B. kann die Äußerung des Verdachts, die Authentizität von Memoiren sei „nicht sichergestellt“, dahin zu verstehen sein, dem Buch fehle die Authentizität tatsächlich121. Geht es um einen Eindruck, muss sich dieser aus der Gesamtäußerung unabweisbar aufdrängen122.
30
Auch Gerüchte können ihrem Sinngehalt nach wie eine definitive Behauptung wirken. Wird z.B. die reißerische Überschrift eines Artikels mit einem Fragezeichen versehen und im Text
111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122
142
BGHSt 6, 357. BGH v. 6.10.1964 – VI ZR 176/63, BGHZ 42, 210, 220. BGH, GRUR 1971, 529. BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215. BGH, GRUR 1969, 147. BGH, GRUR 1968, 262, 265. BGH, GRUR 1968, 314, 316. OLG München, ArchPR 1972, 110. BGH v. 17.12.1991 – VI ZR 169/91, MDR 1992, 942 = AfP 1992, 75 = NJW 1992, 1314, 1315. Vgl. BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 Rz. 34 f. – „IM-Sekretär“/Stolpe. BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, AfP 1975, 804 – Brüning I. OLG Köln v. 15.12.2016 – 15 W 46/16, AfP 2017, 57.
Burkhardt
I. Sinn der Äußerung
Rz. 31 Kap. 4
von „soll“ und „angeblich“ gesprochen, kann das gleichwohl eine Rechtsverletzung bedeuten123. c) Beurteilung von Fragen Echte Fragen, die eine Antwort herausfordern, sind an sich weder am Wahrheits- noch am 31 Richtigkeitsmaßstab messbar. Sie bilden eine eigene semantische Kategorie. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind solche Fragen gleichfalls durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt124. Echte Fragen stehen Meinungsäußerungen gleich125. Die Tatsache, dass der Fragende den Gegenstand seiner Frage als klärungsbedürftig bezeichnet, kann aber eine (Verdachts-)Äußerung enthalten (Kap. 10 Rz. 155a). Zudem kann die Frage rhetorischen Charakter haben und damit als definitive Aussage aufzufassen sein. Diese können sowohl wertenden als auch tatsächlichen Charakter haben126. Ist ein Fragesatz mehreren Deutungen zugänglich, von denen ihn eine als echte, die andere als rhetorische Frage erscheinen lässt, müssen die Gerichte jedoch beide Deutungen erwägen und ihre Wahl begründen127. Bei konkreten Fragesätzen hängt die Einordnung als echte oder rhetorische Frage davon ab, ob die Frage auf eine inhaltlich noch nicht feststehende Antwort zielt oder ob der Zweck der Äußerung bereits mit der Stellung der Frage erreicht wird. Die Zuordnung muss unter Berücksichtigung von Kontext und Umständen der Äußerung erfolgen. Im Zweifel ist im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes – ebenso wie von einem weiten Meinungsbegriff – von einem weiten Fragebegriff auszugehen128. So kann die Frage „Hat Stadtrat A das Armbrustschützenzelt erst zugelassen, nachdem es bei ihm versichert war?“ infolge der Überschrift „Die Machenschaften des Stadtrates A“ als Behauptung einer Tatsache aufzufassen sein129. Als Tatsachenbehauptungen wurden bspw. angesehen „Udo Jürgens im Bett mit Caroline?“130, „Ehebruch schon in der Hochzeitsnacht?“131, „Liebes-Krise? Unfassbar, was ein Nachbar jetzt verrät“132, „Ehebruch und Unfall-Drama – Was hat er damit zu tun?“133 und „J – Ster123 BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = NJW 1996, 1131, 1132; OLG Hamburg, AfP 1970, 968; OLG Brandenburg v. 12.6.2002 – 1 U 6/02, NJW-RR 2002, 1269; OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 = NJOZ 2017, 1424 Rz. 142 – Panama-Papers; LG München I v. 13.10.1997 – 9 O 11777/97, ZUM 1998, 576. 124 BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 221/90, NJW 1992, 1442; v. 12.11.2002 – 1 BvR 232/97, NJW 2003, 660, 661; v. 4.11.2013 – 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, BeckRS 2018, 2868. 125 BVerfG v. 12.11.2002 – 1 BvR 232/97, NJW 2003, 660, 661; v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; BGH v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, MDR 2015, 24 = IPRB 2015, 54 = AfP 2015, 36 Rz. 19 – Chefjustiziar; v. 27.9.2016 – VI ZR 250/13, MDR 2017, 209 = IPRB 2017, 126 = AfP 2017, 48 Rz. 13 f. – „Mal PR-Agent, mal Reporter“. 126 BVerfG v. 12.11.2002 – 1 BvR 232/97, AfP 2003, 41 = NJW 2003, 660; BGH v. 9.12.2003 – VI ZR 38/03, AfP 2004, 124; v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, MDR 2015, 24 = IPRB 2015, 54 = AfP 2015, 36 Rz. 19 – Chefjustiziar; v. 27.9.2016 – VI ZR 250/13, MDR 2017, 209 = IPRB 2017, 126 = AfP 2017, 48 Rz. 13 f. – „Mal PR-Agent, mal Reporter“. 127 Vgl. BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 221/90, NJW 1992, 1442; v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433. 128 Vgl. BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 221/90, NJW 1992, 1442; v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, BeckRS 2018, 2868. 129 OLG München v. 12.12.1986 – 21 U 5918/85, AfP 1987, 440. 130 BGH v. 9.12.2003 – VI ZR 38/03, MDR 2004, 572 = NJW 2004, 1034. 131 OLG Karlsruhe v. 7.7.2006 – 14 U 86/06, AfP 2006, 372. 132 OLG Karlsruhe v. 25.10.2013 – 14 U 5/12, AfP 2014, 76. 133 OLG München v. 31.7.2014 – Az. 18 U 308/14 Pre.
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Kap. 4 Rz. 32
Wortberichterstattung – die Äußerung
bedrama um seinen besten Freund – Hätte er ihn retten können?“134. Insbesondere detailreiche Fragen können den Charakter eines sog. Fragesatzes, also einer Aussage, haben. Dann gelten die allgemeinen Grundsätze. Das OLG Frankfurt hat die Balkenüberschrift „OPPfusch ohne Ende?“ als die nach §§ 823 Abs. 2, 824 BGB zum Schadensersatz verpflichtende unwahre Tatsachenbehauptung gewertet, dem namentlich genannten Chirurgen sei eine Mehrzahl von Operationsfehlern vorzuwerfen135. Den Betroffenen mit aus der Luft gegriffenen Fragen zumindest zu verdächtigen kann auch gegen § 826 BGB verstoßen. Die öffentlich gestellte Frage, ob die Handlungsweise eines Richters mit der gebotenen Objektivität in Einklang zu bringen sei, hat der BGH als Beschuldigung, mindestens als Verdächtigung gewertet136. Keine wahrheitswidrige Behauptung liegt in der Überschrift „Können Psychosekten in der Praxis-EDV spionieren?“, wenn der Softwareanbieter ein sog. „Christusbetrieb“ einer Glaubensgemeinschaft ist137. Als Meinungsäußerung hat der BGH die Äußerung „Erst streite M mit Z um Geld, dann dreht M’s guter Bekannter einen kritischen Bericht über das Unternehmen? Die ‚Frontal 21‘-Macher halten das ebenfalls für puren Zufall“ eingeordnet, wobei er offen ließ, ob es sich um eine offene oder rhetorische Frage handele138. 3. Einzelfragen a) Zitate 32
Mit einem Zitat wird nicht die subjektive Meinung des Kritikers zur Diskussion gestellt, sondern eine Tatsache behauptet, an der der Zitierende sich festhalten lassen muss139. Dies gilt zum einen hinsichtlich der Tatsache, dass eine solche Äußerung des Zitierten tatsächlich erfolgt ist140, zum anderen im Hinblick auf den Inhalt der zitierten Äußerung (Näheres: Verbreiterhaftung, Rz. 99 und Kap. 10 Rz. 207 ff.)141. Der grundrechtliche Schutz des Rechts am eigenen Wort (s. Kap. 5 Rz. 28a) wirkt dabei nicht nur gegenüber Fehlzitaten, sondern auch gegenüber unrichtigen, verfälschten oder entstellten Wiedergaben einer Äußerung142. Maßgebend für die Feststellung der Frage, ob eine Äußerung zutreffend wiedergegeben wurde oder nicht, ist dabei nicht das vertretbare Verständnis eines Durchschnittslesers oder Durchschnittshörers, sondern das, was der Zitierte gemessen an seiner Wortwahl, dem Kontext seiner Gedankenführung und dem darin erkennbar gemachten Anliegen zum Ausdruck
134 OLG Zweibrücken v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169 = NJW-RR 2015, 561; a.A. BVerfG v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, BeckRS 2018, 2868; dazu auch OLG Zweibrücken v. 5.9.2012 – 4 U 72/12, BeckRS 2014, 03080 und BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433. 135 OLG Frankfurt, ZUM 1992, 361. 136 BGH, NJW 1967, 891. 137 OLG Hamburg v. 21.4.1998 – 7 U 237/97, VersR 1999, 1252. 138 BGH v. 27.9.2016 – VI ZR 250/13, MDR 2017, 209 = IPRB 2017, 126 = AfP 2017, 48 Rz. 15 f. – „Mal PR-Agent, mal Reporter. 139 BGH v. 30.5.1978 – VI ZR 117/76, NJW 1978, 1797 – Terroranschlag I. 140 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072; v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, NJW 1995, 861, 862 – Caroline v. Monaco I. 141 BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131; KG v. 29.2.2000 – 9 U 5861/98, AfP 2001, 65; OLG Celle v. 1.11.2001 – 13 U 169/01, AfP 2002, 506. 142 BVerfG v. 14.9.2010 – 1 BvR 1842/08, 1 BvR 6/09, 1 BvR 2538/08, AfP 2010, 562 – Wortberichterstattung Prominentenkind; BGH v. 21.6.2011 – VI ZR 262/09, MDR 2011, 1352 = AfP 2011, 484 Rz. 11 – Das Arche Noah Prinzip, bestätigt durch BVerfG v. 25.10.2012 – 1 BvR 2720/11, AfP 2013, 49 = IPRB 2013, 75 = NJW 2013, 774.
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I. Sinn der Äußerung
Rz. 35 Kap. 4
gebracht hat143. Die vom BGH anfänglich vertretene Auffassung, Zitate seien rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie durch ein vertretbares Verständnis der Veröffentlichungen des Zitierten gedeckt seien, bei mehrdeutiger Ausdrucksweise dürfe er nicht erwarten, dass das Zitat seine Äußerung gerade in der Bedeutung wiedergibt, in der er sie verstanden wissen wollte, hat das Bundesverfassungsgericht mit Recht verworfen144. Es hebt hervor, dass das Persönlichkeitsrecht den Grundrechtsträger auch davor schützt, dass ihm beeinträchtigende Äußerungen in den Mund gelegt werden, die er nicht getan hat, zumal er dadurch sozusagen als Zeuge gegen sich selbst ins Feld geführt wird. Nach der Zurückverweisung hat der BGH deswegen in der Entscheidung Terroranschlag II darauf hingewiesen, dass ein Zitat auch ohne einen Hinweis wie „… so wörtlich …“ als wörtliche Wiedergabe verstanden werden kann. Enthält ein scheinbar wörtliches Zitat in Wahrheit eine bloße Deutung der Äußerungen des Zitierten, muss das deutlich gemacht werden145. Das gilt auch für Übersetzungen146, bei denen häufig die Gefahr einer sog. interpretativen Übersetzung besteht. Erkennt der Leser jedoch, dass die Erstäußerung in Wahrheit nicht zitiert wird, sondern es sich lediglich um eine ironisch pointierte Zusammenfassung dessen handelt, finden die strengen Zitiergrundsätze keine Anwendung147. Wie das OLG Hamburg festgestellt hat, darf ein für sich betrachtet zutreffendes Zitat auch 33 nicht in unzutreffendem Sinne wiedergegeben werden. Von Unwahrheit ist z.B. auszugehen, wenn das Zitat „Wichtig ist, dass Sie sich Geschichten ausdenken“ als scheinbarer Beleg für die Haltung der Redaktion angeführt wird, obschon die Redaktion diesen Hinweis nicht als Aufforderung zur Erfindung von Lügengeschichten aufgefasst hat, sondern zur Entwicklung journalistischer Darstellungen anhand wirklicher Sachverhalte148. Die strengen Grundsätze greifen nicht erst ein, wenn der Betroffene wörtlich zitiert wird, sondern schon, wenn er nach dem beim Leser hervorgerufenen Gesamteindruck als „Zeuge gegen sich selbst“ ins Feld geführt wird149. Richtet sich der Anspruch gegen einen Interviewten, kommt es allein auf den Interviewtext 34 und nicht auch darauf an, in welchen Zusammenhang die Redaktion ihn gestellt hat150. b) Bildliche Darstellungen Bildliche Darstellungen, seien es Fotographien, -montagen, symbolische Illustrationen und 35 dgl., sind bei der Auslegung der Berichterstattung ebenso zu berücksichtigen wie der Text selbst. Häufig kommt einer bildlichen Darstellung sogar größere Bedeutung zu, wenn sie 143 BGH v. 21.6.2011 – VI ZR 262/09, MDR 2011, 1352 = AfP 2011, 484 Rz. 12 – Das Arche Noah Prinzip, bestätigt durch BVerfG v. 25.10.2012 – 1 BvR 2720/11, AfP 2013, 49 = IPRB 2013, 75 = NJW 2013, 774. 144 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072. 145 BGH v. 1.12.1981 – VI ZR 200/80, MDR 1982, 396 = AfP 1982, 28 = NJW 1982, 635; v. 21.6.2011 – VI ZR 262/09, MDR 2011, 1352 = AfP 2011, 484 – Das Arche Noah Prinzip, bestätigt durch BVerfG v. 25.10.2012 – 1 BvR 2720/11, AfP 2013, 49 = IPRB 2013, 75 = NJW 2013, 774. 146 BGH v. 27.1.1998 – VI ZR 72/97, NJW 1998, 1391 – Klartext. 147 BVerfG v. 25.10.2012 – 1 BvR 2720/11, AfP 2013, 49 = IPRB 2013, 75 = NJW 2013, 774 Rz. 15 – Das Arche Noah Prinzip, zu BGH v. 21.6.2011 – VI ZR 262/09, MDR 2011, 1352 = AfP 2011, 484. 148 OLG Hamburg, AfP 1979, 243. 149 BVerfG v. 4.10.1988 – 1 BvR 556/85, AfP 1989, 532 = NJW 1989, 1789. 150 OLG München v. 3.5.1996 – 21 W 1384/96, NJW 1997, 804.
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Kap. 4 Rz. 36
Wortberichterstattung – die Äußerung
die Aufmerksamkeit des Lesers in besonderer Weise auf sich zieht. Dann ist zu prüfen, ob der bildlichen Darstellung ein vom Text losgelöster eigenständiger Aussagegehalt zukommt. In der Regel wird dies allerdings nicht der Fall sein. Die Aussage wird sich gerade aus der Kombination von Text und Bild ergeben151. Wird in einer Fernsehreportage über die Nitratbelastung von Grund- und Mineralwasser das Etikett eines bestimmten Mineralwassers eingeblendet, kann dem nur entnommen werden, auch diese Sorte gehöre zu den belasteten Wässern152. Ebenso wird der Leser eines Beitrages über „sexuelle Frühlingsgefühle“ annehmen, es handele sich um die Schilderung der auf dem abgedruckten Foto abgebildeten jungen Frau, jedenfalls aber habe sie in die konkrete Veröffentlichen ihres Bildnisses eingewilligt153. Die karikierende Darstellung eines Menschen als Kampfstier beinhaltet nicht die Gleichstellung mit einem Tier. Aus der Art der Darstellung kann aber die Behauptung zu entnehmen sein, er gehe blindwütig auf Menschen los, die ihm in den Weg treten154. c) Verhältnis Schlagzeile/Artikelinhalt 36
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts155 darf von der Überschrift nicht die unverkürzte Wiedergabe der Gesamtdarstellung verlangt werden. Problematisch ist seine weitere Meinung, die Überschrift präge den Aussagegehalt weit weniger als der Text selbst. Zu unterscheiden sind zunächst Titelblattankündigungen von sonstigen Überschriften im Heft. Für Titelblattankündigungen hat das Bundesverfassungsgericht anerkannt156, dass ein besonderer Leserkreis der Titelseiten- und Kioskleser besteht. Enthält die Titelseite eine in sich geschlossenen, selbständige Aussage, kann diese auch ohne Rücksicht auf den Inhalt der Artikel in dem Medium angegriffen werden157. Ähnliches kann auch für sonstige Überschriften im Heft gelten. Viele lesen nur die Schlagzeile. Deswegen ist sie richtiger Auffassung nach selbständig angreifbar, wenn sie eine vollständige Aussage enthält, aus der sich auch der Betroffene ergibt158. Das gilt jedenfalls, wenn die nachfolgende Darstellung keine eindeutige Korrektur enthält oder diese erst an untergeordneter Stelle, z.B. am Ende des Artikels, erfolgt. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere kurze hervorgehobene Zusammenfassungen zwischen Schlagzeile und eigentlichem Bericht159. Wird in der Überschrift und einer halbfett gedruckten Einleitung eines längeren Artikels eine Behauptung aufgestellt und zentriert im Artikel das Foto des Betroffenen mit dessen in Fettdruck hervorgehobener Aussage dazu wiedergegeben, kann sich allein aus diesem Zusammenspiel eine eigene Sachaussage ergeben. Auch soweit diese in dem längeren Artikel sodann relativiert wird, ist zu berücksichtigen, dass viele Leser nur die 151 BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 967/15, AfP 2017, 147 Rz. 16; BGH v. 11.3.2009 – I ZR 8/07, AfP 2009, 485 – Wer wird Millionär?; KG v. 13.4.1999 – 9 U 1606/99, NJW-RR 1999, 1547. 152 OLG Stuttgart v. 15.4.1987 – 2 U 217/86, AfP 1988, 147. 153 OLG Hamburg v. 22.9.1994 – 3 U 106/94, AfP 1995, 508. 154 OLG Hamm v. 9.12.1981 – 7 Ss 1584/81, MDR 1982, 428 = NJW 1982, 659. 155 BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 221/90, AfP 1992, 51, 52. 156 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381, 1384; v. 4.11.2013 – 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433, dazu OLG Zweibrücken v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169 = NJW-RR 2015, 561 und BVerfG v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, BeckRS 2018, 2868, sowie OLG Zweibrücken v. 5.9.2012 – 4 U 72/12, BeckRS 2014, 03080; insoweit jedenfalls missverständlich BGH v. 11.3.2009 – I ZR 8/07, AfP 2009, 485 – Wer wird Millionär? 157 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381; BGH v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco I; OLG Hamburg v. 23.6.2015 – 7 U 73/12, AfP 2015, 444. 158 OLG München v. 8.12.1980 – 21 U 2015/80, AfP 1981, 297. 159 KG v. 13.4.1999 – 9 U 1606/99, NJW-RR 1999, 1547; OLG Hamburg v. 23.6.2015 – 7 U 73/12, AfP 2015, 444.
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I. Sinn der Äußerung
Rz. 38 Kap. 4
blickfangmäßig dargestellten Informationen wahrnehmen. Dann kann von einer eigenständigen Sachaussage auszugehen sein. Das LG Hamburg160 hat die in einem Fernsehspot zur Ankündigung der neuen Ausgabe eines Nachrichtenmagazins enthaltene Aussage „Bank in Not“ und „Die Kunden müssen um ihr Geld zittern“ sowie die gleichlautende Titelblattankündigung unabhängig vom Inhalt des Beitrages als eigenständige Aussage gewertet, zumal von einer Hamburger Privatbank die Rede war und in dem Fernsehspot eine Abbildung des Bankhauses gezeigt worden war. Aus dem Beitrag war zu entnehmen, dass sich keineswegs das Bankhaus, sondern lediglich dessen Inhaber „in Not“ befunden hatte161. Anders ist zu entscheiden, wenn sich der Betroffene erst aus einem die Einzelheiten zutreffend darstellenden Text ergibt162. Zwischenüberschriften, Bildunterschriften usw. können i.d.R. nur im Zusammenhang mit dem übrigen Text beurteilt werden, weil bis zu ihnen im Allgemeinen nur vordringt, wer den Text insgesamt liest. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass solche Heraushebungen die Tendenz des Beitrages maßgeblich mitbestimmen und den Leser gewissermaßen vorprogrammieren163. Die Meinung des Bundesverfassungsgerichts, Schlagzeilen prägten den Gehalt weit weniger als der Text, gilt deswegen nicht für alle Fallkonstellationen. Lässt die Kombination der Heraushebungen mit dem Text Zweifel offen, muss dem Betroffenen zumindest die Möglichkeit einer klarstellenden Gegendarstellung gegeben werden. Das ist z.B. bei der Schlagzeile der Fall „Petra Kelly nackt – Sie will 80 000 DM“, obschon es statt um ein Aktfoto um eine Zeichnung und nicht um Honorar, sondern um Schmerzensgeld gegangen ist164. Auf sonstige Hervorhebungen können die zum Verhältnis Schlagzeile/Artikelinhalt entwi- 37 ckelten Grundsätze nicht ohne weiteres übertragen werden. Z.B. ist es nicht möglich, den ersten Absatz eines Zeitungsartikels nur deswegen unabhängig vom Folgetext zu interpretieren, weil er in halbfett gesetzt ist. Durch diese Gestaltung soll zwar der Leser auf den wesentlichen Inhalt aufmerksam gemacht, aber zum Weiterlesen und nicht wie durch eine Titelblattschlagzeile überhaupt erst zum Kauf angeregt werden. Teile einer Darstellung gegenüber anderen ohne hinreichende Veranlassung zu isolieren, um dadurch einen anspruchsbegründenden Sinn zu konstruieren, wäre mit Art. 5 Abs. 1 GG unvereinbar165. d) Beweiserhebung über Aussagegehalt Da die für die Beurteilung entscheidende Interpretation einer streitigen Aussage vom Emp- 38 fängerverständnis abhängt, ergibt sich die Frage, ob über dieses Verständnis Beweis erhoben werden darf oder muss. Soweit ersichtlich, ist diese Frage bislang nicht weiter erörtert worden. Anlass dazu besteht, nachdem das Bundesverfassungsgericht ein in einer Gegendarstellungssache ergangenes klagabweisendes Urteil wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgehoben hat, weil das Gericht eine privat veranlasste Meinungsumfrage zum Empfängerverständnis
160 LG Hamburg v. 11.7.1997 – 324 O 69/96, ZUM-RD 1998, 166. 161 Aufgehoben, da es sich um Meinungsäußerungen handele, OLG Hamburg v. 9.10.2001 – 7 U 50/00; die Revision wurde vom BGH v. 8.10.2002 – VI ZR 372/01 nicht angenommen; beide unveröffentlicht. 162 OLG Köln v. 23.91975, 15 U 56/75, AfP 1976, 132; v. 17.9.1985 – 15 U 96/85, AfP 1985, 295; OLG München, AfP 1978, 206. 163 OLG Köln v. 23.91975, 15 U 56/75, AfP 1976, 132. 164 OLG Hamburg v. 21.5.1987 – 3 U 49/87, AfP 1988, 247. 165 Vgl. OLG Hamburg v. 8.11.1984 – 3 U 124/84, AfP 1985, 54; v. 21.5.1987 – 3 U 49/87, AfP 1988, 247; KG v. 13.4.1999 – 9 U 1606/99, AfP 1999, 369; Soehring/Hoene, § 16 Rz. 43.
Burkhardt
147
Kap. 4 Rz. 39
Wortberichterstattung – die Äußerung
eines Fernsehbeitrages unbeachtet gelassen hat166. Auch nach Ansicht des BGH sind Meinungsumfragen grundsätzlich in die rechtliche Würdigung einzubeziehen167. Wenn eine privat veranlasste Meinungsumfrage prozessual zu beachten ist, wäre es nur konsequent, einen entsprechenden Beweisantrag gleichfalls für erheblich zu halten. 39
Eine gewisse Parallele bietet die Frage, ob eine Äußerung im wettbewerbsrechtlichen Sinne irreführend ist. Die Irreführung wird als Rechtsfrage und damit als dem Beweis unzugänglich angesehen. Die Fälle unterscheiden sich aber in einem wesentlichen Punkt. Bei der Irreführungsproblematik kommt es auf die Gefahr einer zukünftigen Irreführung an, über die sich jedenfalls kein Beweis im strengen Sinne erheben lässt. Für das hier interessierende Empfängerverständnis ist entscheidend, wie eine in der Vergangenheit liegende Darstellung von den Rezipienten aufgenommen worden ist. Darüber Beweis zu erheben ist an sich möglich.
40
Trotz theoretischer Beweismöglichkeit wird die Durchführung aus praktischen Gründen kaum in Betracht kommen können. Das Empfängerverständnis hängt von einer Vielzahl von Umständen ab, insbesondere vom Kontext, vom evtl. zeitgebundenen Vorverständnis und von sonstigen Faktoren. Verlässlich wäre eine nur in Form einer Verkehrsbefragung durchführbare Beweisaufnahme deswegen nur, wenn die Befragten diese Umstände mitberücksichtigen. Falls sie nicht die Darstellung im Zeitpunkt der Verbreitung gelesen, gehört oder gesehen haben, müssten ihnen die Umstände also mitgeteilt werden. Ob das in verlässlicher Weise realisierbar ist, erscheint fraglich. U.a. unter Hinweis darauf, dass bei der Befragung der Gesamtzusammenhang keine hinreichende Berücksichtigung gefunden habe, hat der BGH168 in der Gen-Milch-Entscheidung die Berücksichtigung von Klägerseite vorgelegter Umfrageergebnisse abgelehnt. Deswegen wird es zumindest i.d.R. dabei bleiben müssen, dass das Gericht die Interpretation der Äußerung aufgrund eigener Sachkunde vornimmt. Zur prozessualen Darlegungs- und Beweislast vgl. Kap. 12 Rz. 131 ff. e) Satire
40a
Satire kann zwar Kunst sein, nicht jede Satire ist jedoch zugleich Kunst169. Soweit Satire der Kunstfreiheit (dazu Kap. 3 Rz. 30 ff.) nicht unterfällt, ist im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Deutungsebene stets der spezifische Charakter der einzelnen Meinungskundgabe zu berücksichtigen. Bei der Deutung einer glossierenden, satirischen oder karikaturhaft übersteigerten Äußerung sind darauf bezogene „werkgerechte Maßstäbe“ anzulegen. Um ihren Aussagegehalt festzustellen, sind solche Äußerungen ihrer in Wort oder Bild gewählten formalen Verzerrung zu entkleiden170. Der Aussagekern und seine Einkleidung sind, wie im Bereich der Kunstfreiheit auch im Bereich des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Missachtung gegenüber der betroffenen Person enthalten171. Dabei muss beachtet werden, dass 166 167 168 169
BVerfG v. 13.11.1992 – 1 BvR 708/92, NJW 1993, 1461. BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 26 – Gen-Milch. BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 26 – Gen-Milch. BVerfG v. 25.3.1992 – 1 BvR 514/90, AfP 1992, 133 = NJW 1992, 2073 – geborener Mörder; v. 12.11.1997 – 1 BvR 2000/96, NJW 1998, 1386 – Münzen-Erna; v. 10.7.2002 – 1 BvR 354/98, AfP 2002, 417 = NJW 2002, 3767 – Stern Bonnbons. 170 BVerfG v. 14.2.2005 – 1 BvR 240/04, MDR 2005, 806 = AfP 2005, 171, 172; BGH v. 10.1.2017 – VI ZR 561/15, ZUM-RD 2017, 254 Rz. 12. 171 BVerfG v. 12.11.1997 – 1 BvR 2000/96, NJW 1998, 1386 – Münzen-Erna; v. 1.8.2001 – 1 BvR 1906/97, AfP 2001, 382 = NJW 2001, 3613; v. 10.7.2002 – 1 BvR 354/98, AfP 2002, 417 = NJW
148
Burkhardt
I. Sinn der Äußerung
Rz. 40a Kap. 4
die Maßstäbe im Hinblick auf das Wesensmerkmal der Verfremdung für die Beurteilung der Einkleidung i.d.R. weniger streng sind als für die Bewertung des Aussagekerns172. Eine Satire oder ähnliche Übersteigerung darf als Stilmittel der Kommunikation grundsätzlich nicht schon selbst als Kundgabe der Missachtung betrachtet werden173. Solchen Äußerungen darf kein Inhalt untergeschoben werden, den ihnen ihr Urheber erkennbar nicht beilegen wollte174. Enthält der satirische Beitrag eine unwahre Tatsachenbehauptung, so kommt es für die rechtliche Beurteilung auch darauf an, ob für den Empfänger erkennbar ist, dass es sich dabei um eine für die Satire typische Verfremdung oder Übertreibung handelt, er sie als für seine Meinungsbildung bewertend einordnen kann, oder ob er zu der irrigen Einschätzung kommen kann, die Angabe sei tatsächlich wahr175. Im Fall eines im Rahmen einer Satiresendung gezeigten Schaubilds über die Anzahl angeblich bestehender Verbindungen des Betroffenen zu verschiedenen Organisationen ging der BGH davon aus, dass der Zuschauer die dargestellte Anzahl nicht als Tatsache aufnimmt176. Ist trotz Beachtung dieser Grundsätze von einem ehrkränkenden Inhalt auszugehen, ist eine Abwägung unter Berücksichtigung der Schwere der Beeinträchtigung vorzunehmen, die jedem der betroffenen Rechtsgüter droht. Das Bundesverfassungsgericht hat daher eine Entscheidung des OLG München177 auf Ersatz immateriellen Schadens wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts i.H.v. 10 000 DM aufgrund einer Veröffentlichung eines Stern-„Bonnbons“ aufgehoben. Der Stern druckte in einer Bildfolge drei Fotos ab, die den in trachtenmäßiger Aufmachung am Sommerfest der bayerischen Landesvertretung im August 1994 in Bonn teilnehmenden Kläger mit dem damaligen CSU-Vorsitzenden und Bundesfinanzminister Waigel zeigen. Den Aufnahmen waren drei Sprechblasen beigefügt, in denen Waigel den Kläger als Herrn Hingerl vorstellt, der Generalsekretär der CSU werden solle und der genauso peinliche Statements wie Herr Portzner abgebe, die aber Gott sei Dank keiner verstehe. Das OLG München war bei seiner Verurteilung davon ausgegangen, dass der Kläger als „dummer Bayer“ hingestellt werde, als „Seppel in der Lederhose“, der nicht einmal in der Lage sei, sich verständlich zu artikulieren. Dadurch werde er auf die Stufe eines primitiven satten Bayern herabgewürdigt und im Kern seiner Persönlichkeit getroffen. Das Bundesverfassungsgericht weist in seiner Entscheidung178 darauf hin, dass bei der Auslegung des „Bonnbons“ zumindest in gleicher Weise die weitere Deutung plausibel ist, wonach es nicht um den Kläger als Person, sondern als Typus gehe. Der eigentliche Aussagekern könne danach auch in der Botschaft bestehen, dass der Generalsekretär der CSU eine Fehlbesetzung ist und man besser daran täte, einen „Bilderbuchbayern“ wie den Abgebildeten zu nehmen, dessen Ausdrucksweise für den Nichtbayern sowieso unverständlich sei. Bei dieser Auslegung ist der Abgebildete ohne weiteres durch jede andere Person, die dem äußeren Erscheinungsbild der Klischeevorstellung eines Bayern entspricht, austauschbar. Ist eine Äußerung jedoch mehrdeutig, kommt eine Verurteilung zur Zahlung einer Geldentschädigung nur in Betracht, wenn das Gericht die alternative,
172 173 174 175 176 177 178
2002, 3767 – Stern Bonnbons; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung. BVerfG v. 12.11.1997 – 1 BvR 2000/96, NJW 1998, 1386 – Münzen-Erna; BGH v. 10.1.2017 – VI ZR 561/15, ZUM-RD 2017, 254 Rz. 12. BVerfG v. 3.6.1987 – 1 BvR 313/85, MDR 1987, 992 = AfP 1987, 677 = NJW 1987, 2661; EGMR v. 2.5.2017 – 55537/10, AfP 2018, 38 – Haupt/Österreich. BVerfG v. 1.8.2001 – 1 BvR 1906/97, AfP 2001, 382 = NJW 2001, 3613. BGH v. 10.1.2017 – VI ZR 561/15, ZUM-RD 2017, 254 Rz. 12; vgl. EGMR v. 2.5.2017 – 55537/10, AfP 2018, 38 – Haupt/Österreich. BGH v. 10.1.2017 – VI ZR 561/15, ZUM-RD 2017, 254 Rz. 13. OLG München, AfP 1979, 71. BVerfG v. 10.7.2002 – 1 BvR 354/98, AfP 2002, 417 = NJW 2002, 3767, 3768.
Burkhardt
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Kap. 4 Rz. 41
Wortberichterstattung – die Äußerung
nicht zur Verurteilung führende Deutung in nachvollziehbarer Weise ausgeschlossen hat (vgl. Rz. 2). Gleiches gelte nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch im Hinblick auf die Auslegung durch das OLG, der Kläger werde als Repräsentant des „doofen lederbehosten Bayern“ dargestellt, da das „Bonnbon“ auch dahin verstanden werden könne, dass die Unverständlichkeit nicht auf dem Inhalt der Worte, sondern auf dem typisch bayerischen Dialekt beruhe. Ebenso kann die am Schluss eines Kommentars gemachte Äußerung, der Betroffene „solle lieber einen Arzt aufsuchen“, als bewusst provozierender Ausdruck zulässig sein179. Die Bezeichnung „Münzen-Erna“ für eine eingeheiratete Prinzessin im Rahmen einer satirischen Talk-Show hat das Bundesverfassungsgericht als nicht persönlichkeitsverletzend betrachtet180. Heftig umstritten ist, ob ein „Schmähgedicht“, das Jan Böhmermann in der Sendung Neo Magazine Royale vorgetragen hat, als Satire zulässig war oder wie das OLG Hamburg meint, jedenfalls große Teile des Gedichts das zulässige Maß der satirischen Einkleidung aufgrund der drastischen Sexualbezüge, z.B. „am liebsten mag er Ziegen ficken“, „Fellatio mit hundert Schafen“, „dieser Mann ist schwul, pervers, verlaust und zoophil“, überschritten haben und zweifelsohne schmähend und ehrverletzend seien181. Entscheidend ist auch hier der Gesamtkontext, d.h. die Sendung ist als Ganzes zu berücksichtigen.
II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen Schrifttum: Wenzel, Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen, NJW 1968, 2353; Bund, Das Äußerungsrisiko des Wissenschaftlers, FS von Caemmerer, 1978, S. 297; Schneider, Der Widerruf von Werturteilen, MDR 1978, 613; Wenzel, Wahrheit und Wertung in der Pressekritik I, AfP 1979, 276; Stoffen, Wahrheit und Wertung in der Pressekritik II, AfP 1979, 284; Pärn, Tatsachenmitteilung und Tatsachenbehauptung, NJW 1979, 2544; Roellecke, Wahrheit, Gemeinwohl und Meinungsfreiheit, JZ 1981, 688; Benedikt-Jansen, Die Anwendung der Begriffe Tatsachenbehauptung und Werturteil als ein allgemeines äußerungsrechtliches Problem, AfP 1987, 696; Grimm, Die Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1995, 1697.
41
Die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen beruht auf einer erst späten wissenschaftlichen Erkenntnis182. Im Bereich des Äußerungsrechts hat diese Unterscheidung zentrale Bedeutung. Die Mehrzahl äußerungsrechtlicher Streitigkeiten entsteht, wenn der Betroffene die angegriffene Behauptung für falsch und aus diesem Grunde für ungerechtfertigt hält. Dann steht und fällt die Entscheidung über das Begehren mit der Frage, ob die streitige Darstellung als Meinungsäußerung zu qualifizieren ist oder als unwahre Tatsachenbehauptung. Erfolg wird das Begehren im Zweifel nur letzterenfalls haben. Das folgt daraus, dass wertende Äußerungen grundsätzlich den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen183. Nur soweit die Grenze zur Schmähkritik überschritten wird, sich die Äußerung als 179 BVerfG v. 1.8.2001 – 1 BvR 1906/97, AfP 2001, 382 = NJW 2001, 3613. 180 BVerfG v. 12.11.1997 – 1 BvR 2000/96, NJW 1998, 1386 – Münzen-Erna. 181 Keine Straftat: GStA Koblenz v. 13.10.2016 – 4 ZS 831/16, AfP 2016, 556; großer Teil des Gedichts unzulässig: OLG Hamburg v. 15.5.2018 – 7 U 34/17, BeckRS 2018, 8374; LG Hamburg v. 17.5.2016 – 324 O 255/16, AfP 2016, 282; v. 10.2.2017 – 324 O 402/16, IPRB 2017, 177 = AfP 2017, 177 m. Anm. Hermann; zur rechtlichen Einordnung vgl. Klaas, AfP 2016, 477; Libor, AfP 2016, 515; Rusch/Becker, AfP 2016, 201; Sajuntz, NJW 2017, 698, 702. 182 Ernst Topitsch, Sozialphilosophie, S. 31. 183 Std. Rspr., BVerfGE 42, 163 – Echternach; BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder II; v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02, MDR 2003, 344 = NJW 2003, 277 – JuveHandbuch; v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308 – Obergauleiter der SA-Horden; BGH
150
Burkhardt
II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen
Rz. 42 Kap. 4
Formalbeleidigung darstellt, ist die Äußerung dem grundrechtlichen Schutz entzogen, so dass es einer Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht bedarf184. Andernfalls ist aufgrund einer Abwägung festzustellen, ob die Meinungsäußerung einen Anspruch auf Unterlassung oder Zahlung begründet185. Ein Widerruf oder sonstige Berichtigung kann auch in diesen Fällen nicht verlangt werden186. Demgegenüber gilt für Tatsachenbehauptungen die Vermutung der Zulässigkeit der freien Rede nur eingeschränkt (vgl. Kap. 1 Rz. 9 ff.)187. Gegen unwahre Tatsachenbehauptungen kommen alle Arten von Ansprüchen in Betracht: Gegendarstellungs-, Unterlassungs-, Berichtigungs- sowie Zahlungsansprüche. Die unzutreffende Einstufung einer Äußerung als Meinungsäußerung schneidet daher Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen ab188. Wie auch umgekehrt die unrichtige Annahme einer Tatsachenbehauptung den Äußernden in seinen Grundrechten verletzt189. Eine unrichtige Einordnung als Meinungsäußerung verstößt jedenfalls dann gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wenn die durch die Äußerung hervorgerufene Beeinträchtigung schwer wiegt190. Die Einordnung als Tatsachenbehauptung oder als Meinungsäußerung ist nach Auffassung des BGH eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Beurteilung des Revisionsgerichts191 unterliegt. Da schon bei unzutreffender Erfassung und Würdigung einer Äußerung auch ein Eingriff in die Meinungsfreiheit vorliegen kann, prüft auch das Bundesverfassungsgericht die Einordnung durch die Fachgerichte192. 1. Herrschende Meinung a) Allgemeine Abgrenzungskriterien Die h.M. unterscheidet zwar auch zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerun- 42 gen. Als eigentlichen Gegensatz zur Tatsachenbehauptung betrachtet sie aber das Werturteil.
184
185 186 187 188 189 190 191 192
v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192; v. 16.12.2017 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 – Hochleistungsmagneten. BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = NJW 1995, 3303; v. 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15, AfP 2016, 431 Rz. 13 – „durchgeknallte Staatsanwältin“; v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, CR 2017, 332 = AfP 2017, 308 Rz. 14 – Obergauleiter der SA-Horden; BGH v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192; v. 5.12.2006 – VI ZR 45/05, AfP 2007, 46 = MDR 2007, 519 = NJW 2007, 686 Rz. 16 – Terroristentochter; v. 16.12.2017 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 – Hochleistungsmagneten. BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439 – Bayer-Beschluss; v. 24.7.2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13, AfP 2013, 793 = ZUM 2013, 793 Rz. 18. BGH, NJW 1962, 1438; BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 251/80, MDR 1983, 43 = AfP 1982, 217 = NJW 1982, 2246; OLG Karlsruhe v. 8.11.2000 – 6 U 95/00, NJW-RR 2001, 766. BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung. BVerfG v. 25.8.1998 – 1 BvR 1435/98, NJW 1999, 483. BVerfG v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02, AfP 2002, 419 = NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch. BVerfG v. 25.8.1998 – 1 BvR 1435/98, NJW 1999, 483, 484. Std. Rspr., BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, GRUR 2015, 289 = AfP 2015, 41 Rz. 8 – Hochleistungsmagneten; v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, CR 2016, 407 = MDR 2016, 391 = AfP 2016, 248 Rz. 16 – Nerzquäler. Std. Rspr., BVerfG v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13, BeckRS 2016, 50714; v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308 – Obergauleiter der SA-Horden.
Burkhardt
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Kap. 4 Rz. 43
Wortberichterstattung – die Äußerung
Häufig wird von Werturteilen bzw. bloßen Meinungsäußerungen gesprochen193. Werturteile und Meinungsäußerungen werden als gleichwertig angesehen. aa) Tatsachenbehauptungen 43
Von einer Tatsachenbehauptung ist nach h.M. auszugehen, wenn der Gehalt der Äußerung entsprechend dem Verständnis des Durchschnittsempfängers der objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes grundsätzlich dem Beweis offensteht194. Es kommt darauf an, ob der Durchschnittsempfänger dem Beitrag, mag er auch wertend eingekleidet sein, einen dem Beweis zugänglichen Sachverhalt entnehmen kann195. Dabei kann es sich sowohl um äußere wie um innere Tatsachen handeln. Jedenfalls wenn ein innerer Vorgang mit einer äußeren Hilfstatsache begründet wird, kann die Behauptung eines inneren Vorganges als Tatsache und nicht mehr als nur subjektive Wertung der betreffenden Person anzusehen sein196. Um eine innere Tatsache geht es z.B. bei der Behauptung, W habe seine Bilder für 10 000 DM verkaufen wollen, wenn W weder jemals eine Verkaufsabsicht noch eine Preisvorstellung hatte (Näheres Rz. 54)197. Als Tatsachenbehauptung wird eine Aussage also angesehen, wenn sie konkrete, nach Raum und Zeit bestimmte, der Vergangenheit oder Gegenwart angehörige Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt oder des menschlichen Seelenlebens betrifft. Wird der Schilderung des historischen Vorganges ein Adjektiv bzw. Adverb hinzugefügt wie z.B. „Gift einfach weggekippt“, lässt das den Tatsachencharakter im Zweifel unberührt198. Am tatsächlichen Charakter unwahrer Behauptungen, z.B. an einer Auflistung von 49 tatsächlich nicht vorhandenen Kunstfehlern eines Arztes, ändert sich nichts, wenn sie als angeblicher Beleg für ein allgemeines Problem, z.B. die Schwierigkeit eines Angriffs gegen die „Götter in Weiß“, angeführt werden199. Behauptungen, Aktionären werde seit 2003 der Kauf ihrer Aktien zu einem höheren Preis als dem Emissionspreis versprochen und vertraglich zugesichert, der Vorstand halte die Aktionäre schon sieben Jahre mit immer neuen Versprechen hin, wonach die Kaufabwicklung unmittelbar bevorstehe, sind als Tatsachenbehauptungen einzuordnen200. Keine Tatsachenbehauptung liegt vor bei einer kritischen Bewertung „Ob [der Kläger] die Wahrheit sagt oder lügt, ob er vom Wulff-M.-Sumpf wusste (oder womöglich selbst darin schwamm), ist kaum herauszufinden. … [Der Kläger] muss, anders als der Bun193 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, BGHZ 66, 182 = AfP 1976, 75 – Panorama. 194 So bereits RGSt 55, 131; BVerfG v. 8.5.2007 – 1 BvR 193/05, NJW 2008, 358, 359; v. 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, NJW 2013, 217, 218 – „Focus“-Ärzteliste; v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13, BeckRS 2016, 50714; v. 16.3.2017 – 1 BvR 3085/15, NJW-RR 2017, 1003 Rz. 13; BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51, NJW 1952, 660 – Constanze; v. 9.4.1963 VI ZR 54/62, NJW 1963, 1155 – Geisterreigen; v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 296 – Höllenfeuer; v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, AfP 1975, 804 – Brüning I; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, NJW 1997, 1148, 1149 – Stern-TV; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192; v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, AfP 2015, 425 Rz. 24; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, GRUR 2015, 289 Rz. 8 – Hochleistungsmagneten; v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, AfP 2016, 248 Rz. 16 – Nerzquäler. 195 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 = AfP 1976, 75 – Panorama; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung. 196 KG, NJW 1970, 2029; OLG Karlsruhe v. 11.3.2011 – 14 U 185/10, AfP 2011, 281 – zu Tränen gerührt. 197 OLG München v. 21.2.1990 – 21 U 6869/89, AfP 1990, 137. 198 BGH v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = AfP 1987, 597 = NJW 1987, 2225 – Chemiegift. 199 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV. 200 BGH v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, CR 2015, 671 = MDR 2015, 1065 = AfP 2015, 425 Rz. 26 – Zahlungsklage erhoben.
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II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen
Rz. 46 Kap. 4
despräsident, kaum fürchten, dass seine Verstrickungen enthüllt und seine Abhängigkeiten öffentlich werden.“201. Auch das Verschweigen weiterer Tatsachen in einem Bericht kann seinerseits eine Tat- 44 sachenbehauptung darstellen. Dies ist nach Meinung des BGH202 dann der Fall, wenn eine bestimmte (ehrverletzende) Schlussfolgerung bei Mitteilung der verschwiegenen Tatsache weniger nahe liegend erscheint und deshalb durch das Verschweigen der Tatsache beim unbefangenen Durchschnittsleser ein falscher Anschein entstehen kann. Das Abstellen auf die Beweisbarkeit bereitet in der Praxis oft Schwierigkeiten. Bereits das 45 RG hat darauf hingewiesen, dass Sachverhalte sich oft nicht einwandfrei beweisen, sondern nur bis zu einem gewissen Grad wahrscheinlich machen lassen203. Auch Ladeur hat verdeutlicht204, dass das Problem der Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen durch Verlagerung in das Beweisrecht nur verschoben wird. Von dort kommt es ungelöst zurück, weil die Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsfragen gleichfalls umstritten ist. Unter Berücksichtigung dieser Bedenken stellt der BGH seit den siebziger Jahren nicht mehr nur auf die Beweisbarkeit ab, sondern auch darauf, ob die Äußerung als wahr oder unwahr feststellbar ist oder nur als richtig oder falsch. Ersterenfalls handele es sich um eine Tatsachenbehauptung. Letzterenfalls erfolge eine Beurteilung, die auf eine objektive Ordnung bezogen sein könne, die aber regelmäßig eine erst durch subjektive Wertung gewonnene Meinung sei, der eine andere Auffassung entgegengehalten, nicht aber mit negatorischen Ansprüchen begegnet werden könne205. Im gleichen Sinne führt der BGH in der Klinikdirektoren-Entscheidung aus206, der Vorwurf der „Illoyalität der Kassenarzt-Praxen“ sei lediglich eine durch Anführung von Beurteilungsgrundlagen ergänzte Rechtsauffassung, die sich nicht als wahr oder unwahr, sondern lediglich als richtig oder falsch qualifizieren lasse, weswegen von einer bloßen Meinungsäußerung auszugehen sei. Später spricht er wieder davon, es komme darauf an, ob die Äußerung einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sei207. Das Bundesverfassungsgericht hat die Abkehr des BGH von der Beweisbarkeit und die Hin- 46 wendung zur Unterscheidung zwischen Wahrheit und bloßer Richtigkeit nicht nachvollzogen. Es geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Tatsachenbehauptungen dem Beweis zugänglich sind, und spricht von der Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit von Tatsachenbehauptungen208. Übrigens ist der BGH auch selbst nicht konsequent. Obschon seiner Auffassung nach Tatsachenqualität nur haben soll, was am Wahrheitsmaßstab messbar ist, spricht auch er bei201 BVerfG v. 16.3.2017 – 1 BvR 3085/15, NJW-RR 2017, 1003. 202 BGH v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, AfP 2000, 88 = MDR 2000, 273 = NJW 2000, 656 – Korruptionsvorwurf; ebenso OLG München v. 11.2.1999 – 21 U 5210/99, AfP 2001, 63. 203 RGZ 156, 1, 11. 204 Anm. zu Schulze, OLGZ 215. 205 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 = AfP 1976, 75 – Panorama. 206 BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 251/80, MDR 1983, 43 = AfP 1982, 217 = NJW 1982, 2246. 207 U.a. BGH v. 17.12.1991 – VI ZR 169/91, MDR 1992, 942 = AfP 1992, 75 = NJW 1992, 1314, 1316; v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, AfP 2010, 72 – Interviewäußerung; v. 16.12.2017 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 – Hochleistungsmagneten. 208 BVerfGE 42, 143; v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415; v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, MDR 1994, 738 = AfP 1994, 126 = NJW 1994, 1779; v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder II; v. 13.2.1996 – 1 BvR 262/91; v. 13.2.1996 – 1 BvR 262/91, NJW 1996, 1529, 1530 – DGHS I.
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Kap. 4 Rz. 47
Wortberichterstattung – die Äußerung
spielsweise im Schriftsachverständigen-Urteil davon209, der Widerruf enthalte die Richtigstellung falscher Tatsachenbehauptungen. 47
Die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Richtigkeit erscheint auf den ersten Blick einleuchtend. Unbeschadet der Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten lässt sich unter Wahrheit die Übereinstimmung von Erkenntnis und Seiendem, zwischen Erkenntnis und Wirklichkeit verstehen. Demgegenüber ist der Begriff der Richtigkeit mit dem Urteil verknüpft. Ein Urteil ist richtig, wenn es einem Richtmaß entspricht, falsch, wenn es ihm widerspricht. Zwischen Wahrheit und Richtigkeit zu unterscheiden erscheint also möglich. Im Bereich des Äußerungsrechts geht es aber nicht um die Erkenntnis als solche, sondern um sprachliche Darstellungen, die durch Subsumtion von Sachverhalten und Empfindungen unter sprachliche Begriffe erfolgen (Näheres Rz. 70). Dieser Subsumtionsvorgang enthält zwangsläufig ein wertendes Element, das umso deutlicher wird, je unbestimmter die verwendeten Begriffe sind. Dabei sind es gerade die unbestimmten und nicht die mathematisch-naturwissenschaftlichen Begriffe, die im praktischen Leben dominieren. So werden die Lichtverhältnisse üblicherweise mit hell, dämmrig, dunkel beschrieben und nicht in Lux gemessen, die Temperatur mit heiß, warm, kalt statt in Celsius-Graden, der Geräuschpegel mit laut, leise, still statt in Phon. Dann ergibt sich stets die Frage, ob die Subsumtion des Sachverhaltes unter solche sprachlichen Begriffe „richtig“ ist. Damit aber lässt sich in Zweifel ziehen, ob es überhaupt möglich ist, nicht nur eine Erkenntnis, sondern auch ihre sprachliche Darstellung als wahr zu bezeichnen, womit die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen, die Steffen als erkenntnistheoretisch nicht haltbar bezeichnet210, insgesamt ins Wanken gerät. Die Unterscheidung ist aber notwendig. Nach Steffen hat sie „funktionale“ Bedeutung. Unbeschadet aller verbleibenden Zweifel wird man sich deswegen auch mit dem Wahrheits-/Richtigkeitskriterium abfinden müssen. bb) Meinungsäußerungen
48
Im Gegensatz zur Tatsachenbehauptung misst eine Meinungsäußerung einen Vorgang oder Zustand an einem vom Kritiker gewählten Maßstab. Davon geht die h.M. aus, wenn die Äußerung den Empfänger als subjektive Meinung anspricht und ihm als solche erkennbar ist211. Es kommt darauf an, ob die Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist212. Von Meinungsäußerungen ist auszugehen, wenn
209 BGH v. 18.10.1977 – VI ZR 171/76, NJW 1978, 751. 210 RGRK § 824 BGB Rz. 12. 211 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617 – Höllenfeuer; v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschlandstiftung. 212 Std. Rspr., BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung; v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439 – Bayer-Beschluss; v. 10.10.1995 – 1 BvR 1471/91 u.a., NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder II; v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02, AfP 2002, 419 = NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch; v. 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, NJW 2013, 217 – „Focus“-Ärzteliste; v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13, BeckRS 2016, 50714; BGH v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192; v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, NJW 2006, 830; BVerfG v. 8.5.2007 – 1 BvR 193/05, NJW 2008, 358, 359; BGH v. 17.11.2000 – VI ZR 226/08, AfP 2010, 72 – Heute wird offen gelogen; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, GRUR 2015, 289 Rz. 8 – Hochleistungsmagneten; v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, AfP 2016, 248 Rz. 16 – Nerzquäler.
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II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen
Rz. 49a Kap. 4
Beurteilungen, Wertungen, Einschätzungen erfolgen oder wenn Auffassungen, Ansichten, Anschauungen geäußert werden. Ebenso bei echten Fragen213. Der von der h.M. außerdem verwendete Begriff des Werturteils hat seine nähere Ausprägung 49 insbesondere durch Max Weber erfahren214. Jedenfalls in der juristischen Diskussion stiftet dieser Begriff eher Verwirrung. Es ergibt sich die Frage, ob andere Urteile, z.B. sog. Sachurteile, keine Meinungsqualität haben. Unter einem Sachurteil soll eine auf Nachrichten aufbauende Zusammenfassung von Meldungen zu verstehen sein, die grundsätzlich Tatsachencharakter habe215. Seitz meint (Kap. 6 Rz. 101), das Sachurteil könne Sachverständigengutachten, Sammelbehauptung oder Schlussfolgerung sein. Die Tatsachen- oder Meinungsqualität hänge von den Umständen ab. Demgegenüber hat ein Urteil und also auch ein Sachurteil richtiger Auffassung nach jedenfalls dann stets Meinungsqualität, wenn man darunter nicht auch die bloße Aussage über die Wahrnehmung eines Sachverhaltes, also einen Deklarationssatz, sondern nur Beurteilungen versteht, also nur Einschätzungen aufgrund eines gewählten Maßstabes wie z.B. Rechtssätze, wissenschaftliche Lehrmeinungen, Glaubenssätze usw.216. Dies gilt insbesondere wenn sie das Ergebnis einer z.B. medizinisch äußerst schwierigen Deduktion sind217. Die Sachurteils-Kategorie, die die Vorstellung vermittelt, zumindest irgendwelche Sachurteile seien Tatsachenbehauptungen, stiftet also ausschließlich Verwirrung. Auf sie sollte vollständig verzichtet werden218. Meinungsäußerungen können sich auch als Schmähkritik erweisen. Bei ihr steht die Diffa- 49a mierung der Person im Vordergrund, nicht aber die Auseinandersetzung in der Sache selbst. Der Begriff der Schmähung ist verfassungsrechtlich eng definiert und liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt219. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Angesichts der heutigen Reizüberflutung stellen auch starke Formulierungen mit scharfer und abwertender Kritik noch keine Schmähung dar220. Erforderlich ist vielmehr, dass der Betroffene jenseits polemischer und überspitzer Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt wird221. Bei der Beurteilung ist nicht nur die jeweilige Äußerung zu bewerten, sondern es sind auch
213 BVerfG v. 12.11.2002 – 1 BvR 232/97, AfP 2003, 41 = NJW 2003, 660, 661; v. 4.11.2013 – 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, BeckRS 2018, 2868. 214 Eduard Baumgarten (Hrsg.), Max Weber, Werk und Person, S. 102. 215 Löffler, Presserecht, 3. Aufl. 1983, § 6 LPG, Rz. 18. 216 Vgl. BGH v. 18.10.1977 – VI ZR 171/76, NJW 1978, 751 – Schriftsachverständiger. 217 OLG Stuttgart v. 10.8.2000 – 4 W 48/00, ZUM-RD 2001, 84. 218 So auch Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 90. 219 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = NJW 1995, 3303; v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358, 2359; v. 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15, AfP 2016, 431 Rz. 17 – „durchgeknallte Staatsanwältin“ m. krit. Anm. Gostomzyk NJW 2016, 2871; v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, CR 2017, 332 = AfP 2017, 308 Rz. 14 – Obergauleiter der SA-Horden. 220 BGH v. 5.12.2006 – VI ZR 45/05, AfP 2007, 46 = MDR 2007, 519 = NJW 2007, 686 Rz. 18 – Terroristentochter. 221 BVerfG v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, CR 2017, 332 = AfP 2017, 308 Rz. 14 – Obergauleiter der SA-Horden; BGH v. 5.12.2006 – VI ZR 45/05, MDR 2007, 519 = NJW 2007, 686 Rz. 18 – Terroristentochter; v. 11.3.2008 – VI ZR 189/06, AfP 2008, 193 Rz. 15 – „namenloser“ Gutachter; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, GRUR 2015, 289, 292 – Hochleistungsmagneten.
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Kap. 4 Rz. 49a
Wortberichterstattung – die Äußerung
die Umstände zu berücksichtigen, unter denen die Äußerung getätigt wird222. Daher kann die Bezeichnung „durchgeknallte Staatsanwältin“ aufgrund der Gesamtumstände zulässig223, die Bezeichnung einer ehemaligen Landrätin als „durchgeknallte Frau“ aber unzulässig sein224. Wertende Kritik an gewerblichen Leistungen erfüllt im Regelfall die Voraussetzungen einer Schmähkritik nicht. Wird die Wirkungslosigkeit von angeblich die Verbrennungswirkung steigernden Magneten mit Begriffen wie „Scharlatanerieprodukte“, „Schwindel“, „Betrug“ kritisiert, liegt noch eine Auseinandersetzung in der Sache und keine Schmähkritik vor225. Keine Schmähkritik liegt vor, wenn der Autor u.a. eines Artikels mit dem Titel „Art. 146 GG – Die Mär von der gesamtdeutschen Verfassung“ und der Behauptung, „Das Grundgesetz ist lediglich ein ordnungsrechtliches Instrumentarium der Siegermächte“ kritisiert wird, er verbreite „rechten Dreck“ bzw. „typische rechtsextreme originelle Beiträge“ und müsse es sich gefallen lassen, „rechtsradikal“ genannt zu werden226. Ebenso wenig überschreitet die Äußerung, ein Verein sei anerkanntes Sprachrohr für Rassismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, die Grenze zur Schmähkritik227. Aufgrund des wahren Tatsachenkerns und des Gesamtzusammenhangs lag auch in dem Begriff „Terroristentochter“ keine Schmähung228. Auch der Begriff „namenloser“ Gutachter enthält keine Schmähung229. Nicht als Schmähkritik eingeordnet hat das Bundesverfassungsgericht die Äußerung eines Demonstrationsleiters über einen Bundestagsabgeordneten, der an einer Gegendemonstration teilnahm: „Ich sehe hier einen aufgeregten grünen Bundestagsabgeordneten, der Kommandos gibt, der sich hier als Obergauleiter der SA-Horden, die er hier auffordert. Das sind die Kinder von Adolf Hitler. Das ist dieselbe Ideologie, die haben genau so angefangen.“ Zuvor hatte der Bundestagsabgeordnete, der an der Gegendemonstration teilnahm und die Durchführung der Demonstration aktiv zu verhindern versuchte, deren Teilnehmer mehrfach als „braune Truppe“ und „rechtsextreme Idioten“ bezeichnet. Das Bundesverfassungsgericht hob die Verurteilung wegen Schmähkritik auf, wies darauf hin, dass die Äußerung des Versammlungsleiters schon deswegen einen Sachbezug habe, weil der Bundestagsabgeordnete zuvor seinerseits die Demonstranten als „braune Truppe“ und „rechtsextreme Idioten“ beschimpft und deren Demonstrationszug aktiv behindert hatte230. Bezeichnet ein Politiker einen Entertainer als „wunderbarer Neger“, liegt in dessen Reaktion, den Politiker als „wunderbares Inzuchtsprodukt“ zu bezeichnen, keine Schmähung231. Im Rahmen des politischen Meinungskampfes können Bezeichnungen wie Betrüger, Rechtsbrecher, Lügner, Halunke oder Gauner die Grenze zur Schmähkritik noch nicht überschreiten232. Durch die Äußerung „D. wird inzwischen von Journalisten benutzt wie eine alte Hure, die zwar billig ist, aber für ihre Zwecke immer noch ganz brauchbar, wenn man sie auch etwas aufhübschen muss … fragt sich nur, wer da Hure 222 BVerfG v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, CR 2017, 332 = AfP 2017, 308 Rz. 14 – Obergauleiter der SA-Horden; v. 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15, AfP 2016, 431 Rz. 17 – „durchgeknallte Staatsanwältin“ m. krit. Anm. Gostomzyk NJW 2016, 2871. 223 BVerfG v. 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15, AfP 2016, 431 Rz. 17 – „durchgeknallte Staatsanwältin“ m. krit. Anm. Gostomzyk, NJW 2016, 2871. 224 BVerfG v. 11.12.2013 – 1 BvR 194/13, AfP 2014, 133 – „durchgeknallte Frau“. 225 BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, GRUR 2015, 289, 292 – Hochleistungsmagneten. 226 BVerfG v. 17.9.2012 – 1 BvR 2979/10, AfP 2012, 549 = ZUM 2013, 36. 227 OLG Frankfurt v. 21.1.2016 – 16 U 87/15, NJW-RR 2016, 681. 228 BGH v. 5.12.2006 – VI ZR 45/05, AfP 2007, 46 = MDR 2007, 519 = NJW 2007, 686 Rz. 18 – Terroristentochter. 229 BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 189/06, AfP 2008, 193 Rz. 16 – „namenloser“ Gutachter. 230 BVerfG v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, CR 2017, 332 = AfP 2017, 308 Rz. 17 f. – Obergauleiter der SA-Horden. 231 LG Karlsruhe v. 20.7.2016 – 4 Qs 25/16 Rz. 14, FD-StrafR 2016, 380617. 232 OLG Karlsruhe v. 14.1.2015 – 6 U 156/14, ZUM 2015, 400.
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II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen
Rz. 51 Kap. 4
und wer Drübersteiger ist?“ wird der betroffene Politiker nicht als Hure bezeichnet. Es handelt sich vielmehr um einen Vergleich des Verhältnisses zwischen dem Betroffenen und Journalisten, der die Grenze zur Schmähung nicht überschreitet233. cc) Überwiegen des Tatsachen- oder Meinungsgehaltes Die Schwierigkeit der Abgrenzung der Tatsachenbehauptung von der Meinungsäußerung 50 sieht die h.M. darin, dass Werturteilen i.d.R. ein Tatsachenkern zugrunde liege, von dem sie nicht zu lösen seien234. Tatsachenbehauptungen und Werturteile könnten miteinander verbunden sein bzw. ineinander übergehen235. Deswegen wird oft auf die Frage abgestellt, was im Vordergrund steht und damit überwiegt236. Wird eine Äußerung in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt, ist sie als Meinungsäußerung in vollem Umfang durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt237. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte238. Vom Überwiegen des tatsächlichen Charakters wird ausgegangen, wenn die Äußerung sich 51 als zusammenfassender Ausdruck von Tatsachenbehauptungen darstellt und damit eine Beweisaufnahme über die Wahrheit der prägenden tatsächlichen Umstände möglich ist239. Der Tatsachenkern könne auch überwiegen, wenn Teilbereiche der Angabe als Wertung aufzufassen sind240. Auch eine zusammenfassende Kurzformel zu einer Arbeitsmethodik kann als (unwahre) Tatsachenbehauptung anzusehen sein. Das gilt z.B. für Charakterisierungen wie „BKAChef betreibt Rasterfahndung durch positiven Dateiabgleich“, obschon er sich allein für den negativen Dateiabgleich ausgesprochen hat. Eine unwahre Tatsachenbehauptung ist das auch, wenn der Behauptende damit lediglich seine subjektive Einschätzung wiedergibt, wenn er das aber nicht erkennbar macht241, etwa bei Übersetzungen durch einen Interpretationsvorbehalt242. Das LG Hamburg243 hat die Formulierung „Bank in Not“, zu der es geheißen hat, „Kunden müssen um ihr Geld zittern“, als unwahre Tatsachenbehauptung bezeichnet, weil die Bank in Wirklichkeit völlig intakt war. Das OLG Hamburg sah darin jedoch lediglich Mei-
233 OLG Frankfurt v. 12.9.2012 – 16 W 36/12, AfP 2012, 577. 234 U.a. BGHSt 12, 287, 292; BGH, GRUR 1972, 435, 349. 235 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415, 1416; v. 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, MDR 1994, 844 = AfP 1994, 118 = NJW 1994, 1781, 1782; v. 24.7.2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13, AfP 2013, 793 = ZUM 2013, 793, 795; v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13; BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, GRUR 1966, 693 – Höllenfeuer; v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, GRUR 1975, 89 – Brüning I. 236 OLG Frankfurt v. 13.11.1970 – 16 U 89/70, NJW 1971, 471. 237 BVerfG v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung; BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131 – Lohnkiller; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192, 1194; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 – Hochleistungsmagneten. 238 BVerfG v. 8.5.2007 – 1 BvR 193/05, NJW 2008, 358, 359; BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 Rz. 8 – Hochleistungsmagneten. 239 BGH GRUR 1972, 453, 439 – Grundstücksgesellschaft; GRUR 1975, 36 – Arbeitsrealitäten; v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = AfP 1987, 597 = NJW 1987, 2225, 2226. 240 OLG Hamburg, Ufita 86/1980, 301. 241 BVerfG v. 4.10.1988 – 1 BvR 556/85, AfP 1989, 532 = NJW 1989, 1789. 242 BGH v. 27.1.1998 – VI ZR 72/97, NJW 1998, 1391 – Klartext. 243 LG Hamburg v. 11.7.1997 – 324 O 69/96, ZUM-RD 1998, 166.
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Kap. 4 Rz. 52
Wortberichterstattung – die Äußerung
nungsäußerungen und hat das LG-Urteil aufgehoben244. Nicht gefolgt werden kann dem LG Düsseldorf245, das die Einordnung einer Partei als rechtsgerichtet als Tatsachenbehauptung bezeichnet246. 52
Komplexe Äußerungen sind entsprechend dem Gesamtzusammenhang zu würdigen. Hat ein Teil der Äußerungen tatsächlichen Charakter („Während der Beratungsdauer von A ist mir ein Schaden von 1,5 Mio. DM entstanden“.), während der folgende Teil evtl. als wertend einzustufen sein könnte („In meinem erfolglosen Schadensersatzprozess ist mir nach Meinung der Gerichte die Schadensursächlichkeit von A nachzuweisen nicht gelungen“.), darf nicht der erste Teil isoliert beurteilt werden. Es bedarf einer Gesamtwürdigung beider Teile. Nach Meinung des BGH247 könne die Gesamtwürdigung ergeben, dass der Behauptende zum Ausdruck habe bringen wollen, die Gerichte hätten seine Schadensersatzklage zu Unrecht abgewiesen, weil A für den Schadenseintritt eben doch ursächlich gewesen sei. Diese Beurteilung des BGH ist zwar feinsinnig. Sie könnte aber im Ergebnis dazu führen, dass jedwede Bezichtigung eines anderen für zulässig zu halten sei, wenn ihr nur angefügt wird, sie werde zwar (von den Gerichten) für falsch gehalten, der Behauptende halte sie aber dennoch für richtig. Das könnte jedenfalls dann eine Verkürzung des Persönlichkeitsschutzes zur Folge haben, wenn die Bezichtigung in plakativer Form erfolgt, z.B. wie im BGH-Fall durch Handzettel. Ggf. wird auch an die Anwendung des § 826 BGB zu denken sein.
53
Vom Überwiegen des Wertungscharakters wird ausgegangen, wenn das wertende Element die Äußerung prägt bzw. der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm ist, dass er gegenüber dem Wertungscharakter in den Hintergrund tritt248. Das wird bei Urteilen und pauschalen Behauptungen angenommen249. Wird z.B. in einem Buch die Auffassung vertreten, das NS-Regime und Hitler treffe keine Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, liegt eine Wertung komplexer historischer Sachverhalte vor. Diese lässt sich nicht auf eine unwahre Tatsachenbehauptung reduzieren250. Dasselbe gilt für die Äußerung „Kollusion der Geschäftsführung“251 und den Begriff der Tierquälerei252 oder nicht artgerechter Entenhaltung253 in einem Geflügelmastbetrieb, und die Bezeichnung „Gen-Milch“254. Auch bei der 244 OLG Hamburg v. 9.10.2001 – 7 U 50/00; die Revision wurde vom BGH v. 8.10.2002 – VI ZR 372/01 nicht angenommen; beide unveröffentlicht. 245 LG Düsseldorf v. 17.10.2001 – 12 O 278/01, ZUM 2002, 390. 246 Ebenso Erman/Ehmann, 12. Aufl. 2008, Anh. zu § 12 BGB Rz. 33. 247 BGH v. 25.3.1997 – VI ZR 102/96, AfP 1997, 634 = MDR 1997, 643 = NJW 1997, 2513. 248 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415; v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439, 1440; v. 9.10.2000 – 1 BvR 1839/95, NJW-RR 2001, 411 – Kollusion; BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, GRUR 1966, 693; v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, GRUR 1975, 89; v. 11.3.2008 – VI ZR 189/06, AfP 2008, 193 Rz. 13 – „namenloser“ Gutachter; v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 16 ff. – Gen-Milch; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 Rz. 8 – Hochleistungsmagneten. 249 BGH v. 20.5.1969 – VI ZR 256/67, GRUR 1969, 555 – Cellulitis; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192, 1194; kritisch dazu OLG Nürnberg v. 29.11.2001 – 8 U 1652/01, AfP 2002, 328 = NJW-RR 2003, 40, 41. 250 BVerfG v. 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, MDR 1994, 844 = AfP 1994, 118 = NJW 1994, 1781, 1782; v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, MDR 1994, 738 = AfP 1994, 126 = NJW 1994, 1779, 1780. 251 BVerfG v. 9.10.2000 – 1 BvR 1839/95, NJW-RR 2001, 411 – Kollusion. 252 BGH v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, AfP 2016, 248 Rz. 16 – Nerzquäler; OLG Nürnberg v. 29.11.2001 – 8 U 1652/01, AfP 2002, 328 = NJW-RR 2003, 40. 253 OLG Nürnberg v. 11.6.2002 – 1 U 3939/01, NJW-RR 2002, 1471. 254 BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 16 ff. – Gen-Milch; BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 Rz. 23 – Gen-Milch.
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II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen
Rz. 53 Kap. 4
Äußerung, eine Person würde einer „totalitären, verfassungs- und jagdfeindlichen Sekte nahestehen“ handelt es sich um eine Meinungsäußerung, da die Bewertung der Beziehung zwischen beiden im Vordergrund steht255. Ähnliches gilt für Bezeichnungen wie „rechtsextrem“, „rechtsradikal“256 oder „nationalistisch“, „fremdenfeindlich“257, da diese auch von dem eigenen politischen Standpunkt abhängen. In der Entscheidung fix und clever hat der BGH die Auffassung vertreten, bei der Charakterisierung der Handlungsweise eines Filmproduzenten als „fix und clever“ stehe bezüglich „fix“ der tatsächliche Gehalt im Vordergrund, bei „clever“ der wertende258. Kann der wertende Inhalt von dem tatsächlichen nicht getrennt werden, ohne dass der Sinn der Äußerung beeinträchtigt wird, ist ebenso von einer Meinungsäußerung auszugehen259. Eine Meinungsäußerung liegt z.B. in der Aussage über die Zeugen Jehovas „Feuerwehr, Rotes Kreuz, Bundeswehr oder Zivildienst werden als Einrichtungen abgelehnt“260 und in dem Aufruf „Volksbank – kündigt die Konten der Nerzquäler, jetzt“ bzw. „keine Geschäfte mit Tierquälern“261 sowie als Bewertung eines geschilderten tatsächlichen Geschehens in der Bezeichnung „Spanner“262. Ebenso in der Bewertung einer Lehrerin als „fachlich kompetent“ und „gut vorbereitet“, auch wenn darin ein Tatsachengehalt mit enthalten ist263. Wird über mögliche Gründe für die Verzögerung beim Verkauf eines im Eigentum des Landes stehenden Turmes an einen Investor berichtet, der frühere Finanzsenator und der Investor seien „ziemlich beste Freunde“ bzw. „dicke“ gewesen, doch beide hätten sich heftig zerstritten, „da haben sich zwei Alphatierchen ineinander verkeilt“, lässt dies offen, ob Verhandlungspositionen sich verändert haben oder die Verzögerung auf persönliche Animositäten zurückzuführen ist. Daher liegt keine Tatsachenbehauptung vor264. Nach dem Kontext der Äußerung kann die Bezeichnung „Freund“ ebenso eine Meinungsäußerung darstellen265. Äußert ein Interviewpartner sich zum Rücktritt eines Vorstandsvorsitzenden, indem er „mutmaßt“, dass „die Geschäfte nicht immer so sauber waren“ und Dinge „in den nächsten Monaten“ geklärt würden, handelt es sich insgesamt um eine Meinungsäußerung266. Ebenso wenn ein Sachkenner nach ernsthafter Prüfung eines Kunstwerkes dieses für unecht erklärt267. Wurden spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten nur vorgetäuscht oder die methodische Untersuchung grob leichtfertig vorgenommen, liegt eine (unwahre) Tatsachenbehauptung vor268. 255 256 257 258 259
260 261 262 263 264 265 266 267 268
OLG Saarbrücken v. 10.2.2010 – 5 U 362/09, NJW-RR 2010, 1349. BVerfG v. 17.9.2012 – 1 BvR 2979/10, AfP 2012, 549. OLG Frankfurt v. 21.1.2016 – 16 U 87/15, NJW-RR 2016, 681 Rz. 23. BGH v. 20.12.1967 – Ib ZR 127/65, GRUR 1968, 314. BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = NJW 1992, 1439, 1440; v. 29.6.2016 – 1 BvR 2732/15, AfP 2016, 433 Rz. 12 – Spanner; BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = NJW 1994, 124, 126 – Greenpeace; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169, 170; v. 11.3.2008 – VI ZR 189/06, AfP 2008, 193; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 Rz. 8 – Hochleistungsmagneten; v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, AfP 2016, 248 Rz. 16 – Nerzquäler. OLG Köln v. 16.9.1997 – 15 U 70/97, AfP 1998, 404. BGH v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, CR 2016, 407 = MDR 2016, 391 = AfP 2016, 248 Rz. 18 ff. – Nerzquäler. BVerfG v. 29.6.2016 – 1 BvR 2732/15, AfP 2016, 433 Rz. 13 – Spanner. BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, CR 2009, 593 = MDR 2009, 1038 = ITRB 2009, 195 = AfP 2009, 401 Rz. 33 – www.spickmich.de. BVerfG v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229 – Ziemlich beste Freunde. OLG Köln v. 12.11.2013 – 15 U 65/13, BeckRS 2014, 14430. BGH v. 22.9.2009 – VI ZR 19/08, AfP 2009, 588 – unsaubere Geschäfte. KG v. 13.8.1993 – 5 U 261/93, KG v. 13.8.1993 – 5 U 2661/93, AfP 1994, 220. BGH, NJW 1989, 294; v. 23.2.1999 – VI ZR 140/98, MDR 1999, 743 = NJW 1999, 2736 – Verdachtsdiagnose; zur Haftung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen nach § 839a BGB vgl. Wagner, NJW 2002, 2061.
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Kap. 4 Rz. 54
Wortberichterstattung – die Äußerung
In einem Handbuch enthaltene Anwalts-Ranglisten sind Meinungsäußerungen, da dadurch ein Werturteil über die Leistungen der aufgeführten Kanzleien ausgedrückt wird269. Auch bei der Bezeichnung von Hochleistungsmagneten zur angeblichen Steigerung des Verbrennungswirkungsgrades von Heizungen als „Scharlatanerieprodukte“, „Betrug“ und die vom Hersteller herbeigezerrte wissenschaftliche Begründung der angeblichen Wirkung sei „völliger Unsinn“, handelt es sich um Meinungsäußerungen, auch wenn dadurch zugleich zum Ausdruck gebracht wird, die Magnete seien wirkungslos270. Ebenso ist die Bezeichnung als „billiges Plagiat“ eine Meinungsäußerung271. Ist eine Äußerung als Meinungsäußerung einzuordnen, sind darin enthaltene tatsächliche Aussagen und deren Wahrheitsgehalt bei der Abwägung zur Prüfung der Zulässigkeit der Äußerung zu berücksichtigen272. Ist der tatsächliche Gehalt jedoch so substanzarm, dass er gegenüber der subjektiven Wertung in den Hintergrund tritt, beeinflusst er die Abwägung nicht. Gleiches gilt bei bloß pauschalen Urteilen273. Die Bezeichnung eines Gutachters als „namenlos“ enthält zwar die Aussage, dieser sei unbedeutend. Dabei handelt es sich jedoch um eine substanzarme Bewertung, die auch keine Schmähung enthält274. b) Einzelfragen aa) Innere Vorgänge 54
Innere Umstände (wie z.B. das Fehlen von Kenntnissen) oder Vorgänge (wie z.B. das Verfolgen bestimmter Absichten oder Zwecke) sind gleichfalls Gegebenheiten tatsächlicher Art, weswegen Aussagen dazu Tatsachenbehauptungen sein können, falls nicht erkennbar wird, dass der Behauptende lediglich seine subjektive Meinung zur Denkweise des Kritisierten kundtun will. Z.B. hat der BGH die Behauptung als Tatsachenbehauptung bezeichnet, der Kläger habe „wissentlich“ fehlerhafte Zahlen genannt, „damit“ Prüfungsausschüsse fehlgesteuert würden275. Auch in der Aussage über ein zukünftiges Verhalten kann die Behauptung einer gegenwärtigen Absicht liegen. Dies ist z.B. bei der Äußerung der Fall, dass „im September die Hochzeit stattfinden werde“, da darin auch die Behauptung gegenwärtiger Heiratspläne liegt276. Auch die Mitteilung über das Bestehen einer Freundschaft kann sich als innere Tatsache darstellen277. Zu solchen inneren Vorgängen vermag sich im Ausgangspunkt allein der Betroffene kompetent zu äußern, z.B. zu seinen Motiven. Die Wahrheit seiner Erklärungen lässt sich anhand von Hilfstatsachen überprüfen, z.B. anhand seiner früheren Erklärungen oder durch einen
269 270 271 272 273 274 275 276 277
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BVerfG v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02, AfP 2002, 419 = NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch. BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, GRUR 2015, 289, 291 – Hochleistungsmagneten. OLG München v. 11.12.2003 – 29 U 4296/03, AfP 2004, 269. BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 189/06, AfP 2008, 193 Rz. 18 – „namenloser“ Gutachter; BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 13 – Gen-Milch; OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16 Rz. 93, BeckRS 2017, 103495 = NJOZ 2017, 1424 – Panama-Papers. BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 189/06, AfP 2008, 193 Rz. 18 – „namenloser“ Gutachter; BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 13 – Gen-Milch. BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 189/06, AfP 2008, 193 Rz. 19 – „namenloser“ Gutachter. BGH v. 17.12.1991 – VI ZR 169/91, MDR 1992, 942 = AfP 1992, 75 = NJW 1992, 1314 – Korruptionsprozess. BGH v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco I; vgl. auch BGH v. 25.11.1997 – VI ZR 306/96, MDR 1998, 283 = NJW 1998, 1223 – Versicherungsrundschreiben. OLG Karlsruhe v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267, 268.
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II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen
Rz. 56 Kap. 4
Vergleich mit den von ihm sonst verfolgten Absichten und Zwecken278. Ergibt sich daraus ein Widerspruch zu dem, was er im Prozess vorträgt, kann das zur Folge haben, dass der Beweis, er habe andere als die ihm unterstellten Motive verfolgt, als misslungen anzusehen ist. Handelt es sich nicht um die Darstellung der Absicht als innere Tatsache, sondern um eine daraus gezogene Schlussfolgerung, liegt eher eine Meinungsäußerung vor279. bb) Formulierung Die Formulierung einer umstrittenen Äußerung ist kein entscheidendes Kriterium für ihre 55 Einstufung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung. Auch in die Form eines Urteils gekleidete Äußerungen können als Tatsachenbehauptungen angesehen werden, wenn die Äußerung zu bestimmten einzelnen Vorgängen oder Geschehnissen in äußerlich erkennbarer Weise in Beziehung gesetzt ist280. Von der Möglichkeit einer in die Form eines Werturteils gekleideten Tatsachenbehauptung spricht auch der BGH281. Z.B. kann die Bezeichnung „Nazi“, „Kommunist“, „Sozialist“ Tatsachencharakter haben, wenn darunter die Zugehörigkeit zu einer Partei zu verstehen ist und nicht eine bloße Einstufung bzw. Beschimpfung282. Wird eine Behauptung mit dem einschränkenden Zusatz versehen, das Behauptete stehe „mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ fest, steht das der Qualifikation als Tatsachenbehauptung i.d.R. nicht entgegen283. Auch Floskeln wie „… sollen angeblich …“284 oder „Ich meine, dass …“ vermögen an einem vorhandenen Tatsachencharakter nicht unbedingt etwas zu ändern285. Ebenso wenig „soviel ich weiß“ oder „offenbar“286. Die gegenteilige Auffassung des OLG Bremen287, es bedeute einen Unterschied, ob jemand erklärt, ein Autor habe in seinem Buch eine bestimmte Behauptung aufgestellt, oder ob der Kritiker formuliert, „Ich meine, der Autor lasse in seinem Buch erkennen“, dass er eine bestimmte Behauptung „meint“, läuft nach der Urteilsanmerkung von Ladeur auf Sprachpurismus hinaus. So wie eine wertend eingekleidete Äußerung u.U. als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, 56 kann umgekehrt eine wie eine Tatsachenbehauptung formulierte Äußerung Wertungscharakter haben. Z.B. kann die „Behauptung“, der Bundeskanzler bereite einen neuen Weltkrieg vor, als ein die Tatsachen umfärbendes Werturteil zu verstehen sein, insbesondere wenn sie in einem leninistisch-stalinistisch gefärbten Flugblatt enthalten ist288. Ebenso der Vorwurf des „Nichtstuns“ gegen einen Baudezernenten, wenn der Artikel insgesamt die Amtsführung 278 Vgl. BVerfG v. 21.3.2007 – 1 BvR 2231/03, NJW 2007, 2686, bestätigt: EGMR v. 4.5.2010 – 38059/07, BeckRS 2011, 19781; OLG Karlsruhe v. 11.3.2011 – 14 U 185/10, AfP 2011, 281 – zu Tränen gerührt. 279 BVerfG v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13, BeckRS 2016, 50714; EGMR v. 10.7.2014 – 48311/10, AfP 2016, 24 Rz. 63 f. – Axel Springer/Deutschland II. 280 RGSt 68, 121; RG, JW 1934, 692; BayObLGSt 63, 177. 281 BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 225/80, GRUR 1982, 633, 635 – Geschäftsführer. 282 BVerfG v. 19.12.1991 – 1 BvR 327/91, AfP 1992, 58 = NJW 1992, 2013, 2014; OLG Düsseldorf, NJW 1970, 905; OLG Frankfurt v. 5.7.1979 – 16 U 48/79, AfP 1979, 359, 360; OLG Hamburg v. 31.10.1991 – 3 U 22/91, AfP 1992, 163 = NJW 1992, 2035. 283 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV. 284 BGH v. 27.5.1986 – VI ZR 169/85, MDR 1987, 44 = AfP 1986, 241 = NJW 1986, 2503. 285 BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, AfP 2008, 381 Rz. 18 – BKA gegen Focus; v. 22.9.2009 – VI ZR 19/08, AfP 2009, 588 – unsaubere Geschäfte; OLG Frankfurt v. 14.5.1981 – 16 U 207/80, NJW 1981, 2707; OLG Celle v. 25.10.2012 – 13 U 156/12, NJOZ 2013, 1464. 286 BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, AfP 2008, 381 Rz. 18 – BKA gegen Focus; Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 93. 287 Schulze, OLGZ 215. 288 BGHSt 6, 159; vgl. auch BGHSt 12, 294.
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Kap. 4 Rz. 57
Wortberichterstattung – die Äußerung
kritisiert289. Der wertende Charakter kann auch daraus folgen, dass die Äußerung, würde sie wörtlich verstanden, offenbar absurd wäre. Davon ist das Bundesverfassungsgericht bei der in einer Wahlrede aufgestellten Behauptung ausgegangen „Die CSU ist die NPD von Europa“290. Werden Fachbegriffe nicht fachspezifisch, sondern in einem alltagsspezifischen Sinne verwendet, liegt regelmäßig ebenso eine Meinungsäußerung vor291. 57
Da es auf die Formulierung nicht unbedingt ankommt, kann auch die Äußerung eines Verdachts als Tatsachenbehauptung aufzufassen sein (Näheres zum Äußern eines Verdachts Kap. 10 Rz. 154 ff.)292. Gleiches gilt für eine Frage293. Demgegenüber wird eine Vermutung regelmäßig als Meinungsäußerung zu qualifizieren sein294. cc) Schlussfolgerungen
58
Schlussfolgerungen können sowohl auf der Tatsachen- wie auf der Meinungsebene liegen295. Als entscheidend wird es angesehen, ob die Schlussfolgerung dem Adressaten auch Tatsachen mitteilt. Das ist z.B. der Fall, wenn behauptet wird, „Da ich zu dieser Zeit im Ausland war, kann ich an der Kölner Demonstration nicht teilgenommen haben“. Nach Auffassung des OLG Köln werden auch bei der Erklärung Tatsachen mitgeteilt, eine Finanzprüfung werde dadurch völlig unmöglich, dass neben dem WDR auch Privatpersonen als Gesellschafter fungierten296. Diese Äußerung vermittle den Eindruck, es finde überhaupt keine Finanzprüfung statt. Im Übrigen kommt es darauf an, ob die Schlussfolgerung als so zwingend dargestellt wird, dass für ein subjektives Meinen kein Raum vorhanden sei, weswegen sie als objektive Gegebenheit und damit als Tatsache angesehen werden muss297.
59
Äußerungen zur Kausalität eines Vorganges für ein Resultat können das Ergebnis einer Wahrnehmung sein (z.B.: Weil A auf B geschossen hat, ist er dessen Mörder = Tatsachenbehauptung) oder einer (evtl. auf Mutmaßungen aufbauenden) Schlussfolgerung (z.B.: Durch seinen Schuss auf den österreichischen Thronfolger in Sarajevo hat Gabriel Princip den Ersten Weltkrieg ausgelöst = Meinungsäußerung). Aussagen zur Schuld und Verantwortlichkeit für historische Ereignisse erfordern komplexe Beurteilungen und sind i.d.R. Meinungsäußerungen298. Auch wenn die Kausalitätsbehauptung eine Schlussfolgerung ist (z.B.: Die an Abgeordnete gezahlten Beträge haben eine Verwässerung des Arzneimittel-Gesetzes bewirkt), kann dennoch statt von einer Meinungsäußerung von einer unwahren Tatsachenbehauptung auszugehen sein. Das ist der Fall, wenn die Schlussfolgerung offenkundig verfehlt ist (wie es der 289 OLG Brandenburg v. 13.12.1995 – 1 W 17/95, MDR 1996, 154 = NJW 1996, 1002. 290 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415. 291 BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439 – Bayer-Beschluss; BGH v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192. 292 OLG Brandenburg v. 12.6.2002 – 1 U 6/02, AfP 2003, 343 = NJW-RR 2002, 1269. 293 BGH, NJW 1951, 352; NJW 1978, 151; v. 22.6.1982 – VI ZR 255/80, MDR 1983, 44 = AfP 1982, 219 = NJW 1982, 2248; OLG Düsseldorf v. 5.11.1987 – 10 U 25/87, NJW 1988, 1391. 294 OLG Frankfurt v. 2.3.1983 – 8 U 177/81, AfP 1983, 279, 281; krit. Staudinger/Hager, § 823 BGB Rz. C 76. 295 BGH, GRUR 1970, 254 – Remington; v. 20.2.2003 – III ZR 224/01, AfP 2003, 326 = MDR 2003, 809 = NJW 2003, 1308, 1309 – kirchlicher Sektenbeauftragter. 296 OLG Köln v. 12.5.1981 – 15 U 145/80, WRP 1982, 110. 297 OLG Hamburg v. 5.10.1989 – 3 U 183/89, AfP 1990, 128. 298 BVerfG v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, MDR 1994, 738 = AfP 1994, 126 = NJW 1994, 1779 – Auschwitz-Lüge.
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Burkhardt
II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen
Rz. 61 Kap. 4
Fall wäre, wenn der erwähnten Schlussfolgerung der Sachverhalt zugrunde läge: Zahlungen sind nur an drei mit den Gesetzgebungsarbeiten nicht befasste Abgeordnete i.H.v. je 1 000 Euro gezahlt worden, und zwar für tatsächlich gehaltene Vorträge). Der Tatsachencharakter kann zu verneinen sein, wenn mitgeteilte Vorgänge mit Schlussfol- 60 gerungen versehen werden, die übergreifend sind. Mit dieser Begründung hat der BGH den Tatsachencharakter des Vorwurfes verneint, durch ihre Tendenz verfolge eine Zeitung indirekt eine Politik, die dadurch gekennzeichnet sei, Hass und Kampf gegen Minderheiten zu schüren299. Auch der EGMR geht davon aus, dass Schlussfolgerungen über Beweggründe und etwaige Absichten Dritter eher Meinungsäußerungen seien300. Unter Hinweis hierauf hat das Bundesverfassungsgericht die Einordnung der Äußerung, dass mit Übergabe eine Tagesbuches aufgrund einer Abrede mit dem Ministerium der Staatssicherheit der damaligen DDR eine „Ausreise erster Klasse“ ermöglicht werden sollte, und dass die Verwertung der in dem Tagebuch enthaltenen Informationen zu Nachteilen für die dort genannten Personen führte, als Meinungsäußerung angesehen301. Ebenso sind Schlussfolgerungen eines Sachverständigen und ärztliche Diagnosen i.d.R. Wertungen und daher als Meinungsäußerungen geschützt302. dd) Rechtliche Beurteilungen Zu rechtlichen Beurteilungen vertritt der BGH die Auffassung, nicht nur zivilrechtliche, 61 sondern auch strafrechtliche Einstufungen brächten i.d.R. nur die persönliche Rechtsauffassung zum Ausdruck, die als Meinung dem grundsätzlichen Schutz der Äußerungsfreiheit unterfalle. Das gelte auch, wenn die Rechtsauffassung einer objektiven Beurteilung nicht standzuhalten vermöge303. Dementsprechend hat der BGH den auf die pauschale Behauptung strafbaren Verhaltens gestützten Vorwurf der „Illegalität“ als zu substanzarm angesehen, um als wahr oder unwahr eingestuft werden zu können; der Meinungscharakter dieses Vorwurfes bleibe sogar erhalten, wenn ein Untersuchungsausschuss den Fragenkomplex untersucht und anders als der Kritiker nicht zu einem negativen, sondern mehrheitlich zu einem positiven Ergebnis gelangt ist304. Auch der Begriff der Tierquälerei bzw. Nerzquälerei erfordere eine umfassende Bewertung, ob dem Tier erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden i.S.d. §§ 17 f. TierSchG zugefügt wurden, weshalb die Äußerung erkennbar von ei-
299 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, MDR 1981, 484 = AfP 1981, 270 = NJW 1981, 1089, 1095 – Wallraff. 300 EGMR v. 10.7.2014 – 48311/10, AfP 2016, 24 Rz. 63 f. – Axel Springer/Deutschland II. 301 BVerfG v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13, BeckRS 2016, 50714. 302 KG v. 20.6.2011 – 10 U 170/10, ZUM-RD 2011, 666. 303 BVerfG v. 8.5.2007 – 1 BvR 193/05, NJW 2008, 358; BGH v. 17.11.1964 – VI ZR 181/63, NJW 1965, 294 – Volkacher Madonna; v. 4.6.1974 – VI ZR 68/73, NJW 1974, 1371 – Fiete Schulze; v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 = AfP 1976, 75 – Panorama; v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, MDR 2005, 507 = NJW 2005, 279, 282; v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, CR 2009, 457 = AfP 2009, 137 Rz. 15 – Fraport-Manila-Skandal; v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, CR 2016, 407 = MDR 2016, 391 = AfP 2016, 248 Rz. 20 – Nerzquäler; zum Schutz durch die Wissenschaftsfreiheit vgl. BVerfG v. 17.2.2000 – 1 BvR 484/99, AfP 2000, 555; OLG Frankfurt v. 13.1.2000 – 16 U 179/99, AfP 2000, 384 = MDR 2000, 1219 = ZUM-RD 2001, 19. 304 BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 251/80, MDR 1983, 43 = AfP 1982, 217 = GRUR 1982, 631, 632 – Klinikdirektoren.
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Kap. 4 Rz. 62
Wortberichterstattung – die Äußerung
nem Dafürhalten geprägt sei305. Nach Ansicht des BGH306 kann auch von einer rechtlich unangreifbaren Beurteilung auszugehen sein, wenn der Darstellung, „bei“ einer mehrjährigen Anlageberatung sei ein Schaden von 1,5 Mio. DM entstanden, durch den Zusatz ergänzt wird, „Eine von mir erhobene Schadenersatzklage ist erfolglos geblieben. Der Nachweis, dass das Verhalten des Herrn … schadensursächlich war, ist mir nach Meinung der Gerichte nicht gelungen.“ Die Würdigung des Gesamtzusammenhanges der Äußerung könne ergeben, dass der Behauptende nur zum Ausdruck habe bringen wollen, entgegen der Meinung der Gerichte halte er die Schadensursächlichkeit für gegeben. Wird ein Fachbegriff, z.B. Betrug, erkennbar nicht in fachspezifischem Sinne, sondern alltagssprachlich verwendet, kann ebenso eine Meinungsäußerung vorliegen307. Das OLG Köln hat die Bemerkung, in NRW sei die Prüfung einer Tochtergesellschaft des WDR „gesetzlich eingeschränkt“, als bloße Wertung bezeichnet, weil damit nicht der Inhalt der Vorschriften mitgeteilt, sondern daraus eine Schlussfolgerung abgeleitet werde308. Auch die Bezeichnung „Falkendieb“ für jemanden, der bei der Verbringung von Falken mitgewirkt hat und deswegen in den USA bestraft worden ist, verbleibt im zulässigen Meinungsbereich309. 62
Im Gegensatz zum Vorstehenden ist die Mitteilung von Rechtsverhältnissen als Tatsachenbehauptung anzusehen, wenn sie nicht als Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern dem Adressaten die Vorstellung von konkreten Vorgängen vermittelt, die beweismäßig überprüfbar sind310. So enthält die Behauptung „Eigentümer des Hauses bin ich“ zwar einen Rechtsbegriff. Dennoch ist die Äußerung im Zweifel als Tatsachenmitteilung zu verstehen311. Ebenso kann die Bemerkung, die Regierung habe „Entschädigungsangebote ohne gesetzliche Grundlage abgegeben“, die Behauptung enthalten, die Angebote seien ohne geschriebene Ermächtigungsnorm erfolgt312. Von einer Tatsachenbehauptung ist ebenso auszugehen, wenn nicht eine Rechtsauffassung nur durch Beurteilungsgrundlagen ergänzt, sondern wenn im Kern ein Sachverhalt mitgeteilt wird, so dass eine Bezeichnung wie z.B. „illegal“ nur als dessen Zusammenfassung erscheint313.
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Ob von einer Tatsachenmitteilung oder von einer rechtlichen Wertung auszugehen ist, kann auch vom Kontext abhängen. So kann die Formulierung „Geschäftsführer S. betrügt Landesbeamten“ den Eindruck erwecken, der Betroffene habe sich oder einem Dritten durch Täuschung einen Vermögensvorteil verschafft. Bei entsprechendem Zusammenhang kann die
305 BGH v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, CR 2016, 407 = MDR 2016, 391 = AfP 2016, 248 Rz. 20 – Nerzquäler. 306 BGH v. 25.3.1997 – VI ZR 102/96, AfP 1997, 634 = MDR 1997, 643 = NJW 1997, 2513 – Gesamtäußerung. 307 BGH v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192. 308 OLG Köln v. 12.5.1981 – 15 U 145/80, WRP 1982, 110. 309 OLG Köln v. 17.9.1985 – 15 U 96/85, AfP 1985, 295. 310 BVerfG v. 8.5.2007 – 1 BvR 193/05, NJW 2008, 358; BGH v. 27.4.1999 – VI ZR 174/97, NJW-RR 1999, 1251 – Bestechungsvorwurf, die Annahme einer Tatsachenbehauptung im konkreten Fall ist jedoch bedenklich; v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, NJW 2005, 279, 282; v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, CR 2016, 407 = MDR 2016, 391 = AfP 2016, 248 Rz. 20 – Nerzquäler; OLG Celle v. 1.11.2001 – 13 U 70/01, AfP 2002, 508 – Prozessbetrug; OLG Stuttgart v. 16.6.2010 – 4 U 182/09, ZUM-RD 2010, 614, 621. 311 Löffler, BB 1962, 84. 312 OLG Hamburg, MDR 1966, 594; AfP 1973, 387, 388. 313 BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 344/91, MDR 1993, 122 = NJW 1993, 930, 931 – Illegaler Fellhandel.
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II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen
Rz. 64 Kap. 4
Formulierung als überspitzte Kennzeichnung eines Interessenkonfliktes aufzufassen sein314. Die Verleihung des Negativpreises „Plagiarius“ vermittelt die Vorstellung, der Betroffene habe rein tatsächlich eine fremde Schöpfung übernommen. Trifft das nicht zu, bedeutet die Verleihung zumindest eine unzulässige Verdächtigung315. Die Behauptung, ein Intendant habe Theatermittel dadurch „unterschlagen“, dass er sie für Dreharbeiten an einem Film abgezweigt habe, hat das OLG Hamburg als unwahre Tatsachenbehauptung angesehen316, weil dadurch ein Vorgang näher beschrieben werde. Die Unwahrheit folge daraus, dass als Straftatbestand anstelle von Unterschlagung allein Untreue in Betracht komme, die aber ausscheide, weil glaubhaft gemacht worden sei, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden über den Vorgang laufend unterrichtet worden waren, ohne dass sie widersprochen haben. ee) Prognosen Eine Prognose ist eine Vorhersage, also eine Aussage über die Zukunft. Das trifft z.B. auf die 64 Aussage zu, der Erlös aus dem Verkauf einer wirtschaftlichen Beteiligung reiche nicht aus, um ein Unternehmen während der nächsten Monate über die Runden zu bringen. Nach früherer Auffassung des BGH ist das keine gegenwartsbezogene Tatsachenbehauptung317. Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass Prognosen, sofern sie nicht rein spekulativer Natur sind, auf einer Grundlage aufbauen, die ihrerseits der Vergangenheit oder Gegenwart angehört und überprüfbar sein kann. Für gesetzgeberische Prognosen fordert das Bundesverfassungsgericht eine Überprüfbarkeit mit Hilfe einer Evidenz-, Vertretbarkeits- oder intensivierten inhaltlichen Kontrolle318. Tritt ihre Grundlage hinreichend deutlich in Erscheinung, kann eine verbale Prognose als Aussage zu dieser Grundlage und damit zu einem vergangenen oder gegenwärtigen Umstand aufzufassen sein. Eine solche Aussage kann auf der Tatsachenebene liegen (zB: Das Geschäft wird wegen Betriebsferien drei Wochen geschlossen bleiben), ebenso auf der Meinungsebene (zB: Die Regierungspolitik wird für künftige Generationen nachteilig sein). Die zu Anfang eines Jahres verbreitete Äußerung „Hochzeit im September“ besagt für den Durchschnittsleser, dass im September die Hochzeit stattfinden werde. Für ihn enthält sie die Ankündigung einer konkreten zukünftigen Tatsache und als deren Voraussetzung die Behauptung gegenwärtiger Heiratspläne. Die Äußerung ist rechtlich als Tatsachenbehauptung zu qualifizieren319. Damit folgt der BGH der zutreffenden Auffassung, dass die Ankündigung eines zukünftigen Ereignisses die Aussage enthalten kann, gegenwärtig bestehe die Absicht, zukünftig wie angekündigt zu verfahren320. Von dieser Betrachtungsweise geht mit Recht auch das OLG Köln aus, wenn es einen Bericht über bereits vollzogene Handlungen Dritter, die ihre Tätigkeit nach bestimmtem Handlungsplan fortsetzen wollen, als Tatsachenbehauptung einstuft321. Tatsachencharakter hat z.B. auch die Prognose „Wie die Kommanditisten sich auch immer entscheiden werden, die Kapitalaufstockung kommt!“, wenn damit dem Sinne nach gesagt wird, eine noch laufende Abstimmung sei ohne praktische Bedeutung, weil es im Ergebnis allein auf das Votum eines für die Kommanditisten tätigen Treuhänders ankomme. Ergibt sich aus dem Gesellschaftsvertrag, dass die Kapitalaufstockung schon scheitert, wenn bloße 25 % 314 315 316 317 318 319
BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 225/80, GRUR 1982, 633 – Geschäftsführer. OLG Frankfurt v. 28.11.1990 – 6 W 98/90, AfP 1991, 639. OLG Hamburg v. 6.12.1990 – 3 U 117/90, AfP 1992, 364. BGH, AfP 1975, 801 – Metzeler; vgl. auch RGSt 20, 143. BVerfG v. 26.5.1981 – 1 BvL 56/78, 1 BvL 57/78, 1 BvL 58/78, NJW 1981, 2107. BGH v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco I. 320 BGH v. 25.11.1997 – VI ZR 306/96, MDR 1998, 283 = NJW 1998, 1223 – Versicherungsrundschreiben. 321 OLG Köln v. 10.1.1984 – 15 U 45/83, AfP 1984, 56.
Burkhardt
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Kap. 4 Rz. 65
Wortberichterstattung – die Äußerung
der Kommanditisten mit „nein“ votieren, baut die Prognose auf einer Grundlage auf, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Damit ist die Aussage unwahr. ff) Ironie 65
Ist eine Äußerung ironisch gemeint oder hat sie einen ironischen Unterton, kann sie in die Nähe der Satire geraten (Näheres Kap. 3 Rz. 30 und Kap. 4 Rz. 40a). Im Zweifel wird sie dann als Meinungsäußerung anzusehen sein. Die Behauptung, die Herausgabe des Werkes „Die Deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus“ sei „die Hauptleistung des Klägers nach dem Kriege“, hat der BGH angesichts des Kontextes als ironisch-abqualifizierend im Sinne einer Bewertung als „negatives Spitzenprodukt“ bezeichnet322. c) Zweifelsfallentscheidung
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Da die Abgrenzungskriterien oftmals keine eindeutige Entscheidung zulassen, hat sich die Frage ergeben, ob im Zweifelsfall von einer Tatsachenbehauptung auszugehen ist oder von einer Meinungsäußerung. In der Constanze-Entscheidung hat der BGH die Ansicht vertreten, der Begriff der Tatsachenbehauptung sei im Zweifel weit auszulegen323. Die neuere Rechtsprechung hat sich ganz eindeutig dafür entschieden, im Zweifel Meinungscharakter anzunehmen324. Auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts haben Äußerungen im Zweifel Meinungscharakter325.
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Verschiedentlich wird die Entscheidung auch vom jeweiligen Sachbereich abhängig gemacht. Nach Auffassung des OLG Frankfurt steht bei Aussagen über gewerbliche Äußerungen i.d.R. der Tatsachenkern im Vordergrund, bei politischen Auseinandersetzungen der wertende Charakter326. Allerdings kann es sich auch bei Angaben zu gewerblichen Leistungen um bloße Wertungen handeln. Davon geht der BGH insbesondere bei substanzarmen Pauschalurteilen aus327. Zusammenfassende Ergebnisse vergleichender Warentests wie z.B. „weniger empfehlenswert“ betrachtet der BGH grundsätzlich als Meinungsäußerung328.
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Im Übrigen wird die Beurteilung des Tatsachencharakters auch von der Art des geltend gemachten Anspruches abhängig gemacht. Bei Gegendarstellungsansprüchen wird der Tatsachencharakter oftmals weiter gezogen als bei Abwehr- und Ersatzansprüchen, weil die Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung keine Beschränkung der Äußerungsfreiheit
322 BGH v. 20.5.1986 – VI ZR 242/85, AfP 1986, 333 = NJW 1987, 1398 – Kriegsrichter. 323 BGHZ 3, 270, 283; ebenso u.a. KG v. 2.6.1970 – 9 U 606/70, NJW 1970, 2029. 324 So u.a. BGH v. 21.11.1961 – VI ZR 73/61, NJW 1962, 152; v. 17.11.1064 – VI ZR 181/63, NJW 1965, 294; v. 11.5.1965 – VI ZR 16/64, NJW 1965, 1476; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = IPRB 2015, 78 = AfP 2015, 41 Rz. 8 – Hochleistungsmagneten; OLG Köln v. 16.9.1997 – 15 U 70/97, AfP 1998, 404; OLG Zweibrücken v. 25.9.1998 – 2 U 7/98, AfP 1999, 362; OLG Karlsruhe v. 8.11.2000 – 6 U 95/00, AfP 2001, 130 = NJW-RR 2001, 766; VGH München v. 28.3.1994 – 7 CE 93.2403, NVwZ 1994, 787. 325 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung; v. 9.10.1991 – 1 BvR 221/90, NJW 1992, 1442; v. 4.11.2013 – 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; v. 28.3.2017 – 1 BvR, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung. 326 OLG Frankfurt v. 13.11.1970 – 16 U 89/70, NJW 1971, 471. 327 BGH v. 20.5.1969 – VI ZR 256/67, GRUR 1969, 555, 557 – Cellulitis. 328 BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, GRUR 1976, 268, 270 – Warentest II.
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II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen
Rz. 71 Kap. 4
bewirke329. Allerdings greift die Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung in die Pressefreiheit ein, weshalb die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung den gleichen Grundsätzen zu folgen hat330. Dass die Einordnung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung oftmals davon abhängt, ob das erkennende Gericht dem Betroffenen Schutz oder dem Kritiker Freiraum gewähren will, kommt besonders deutlich in der Geschäftsführer-Entscheidung zum Ausdruck331. Dass die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen funktionalen Charakter habe, betont insbesondere Steffen332. 2. Stellungnahme a) Ausgangsproblematik Wenn Äußerungen als Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen qualifiziert wer- 69 den, geschieht das zu bestimmtem Zweck. Es soll ermittelt werden, ob die Voraussetzungen eines äußerungsrechtlichen Anspruches erfüllt sind. Äußerungsrechtliche Ansprüche setzen voraus, dass die streitige Äußerung einen oder mehrere Rechtsträger individuell betrifft. Ist das nicht der Fall wie z.B. bei einer Aussage über die Europäer oder bei einer abstrakten Erkenntnis, etwa einem naturwissenschaftlichen Lehrsatz, entfallen äußerungsrechtliche Ansprüche schon von vornherein, so dass die Abgrenzung sich erübrigt. Wird die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen nur bei 70 Aussagen über einzelne Rechtsträger praktisch, gründen die in Betracht kommenden Aussagen sich nicht nur „letztlich“ auf äußere oder innere Tatsachen, wie die Rechtsprechung dies gelegentlich formuliert333. Es geht stets und ausnahmslos um die Beschreibung von Sachverhalten. Die Sachverhaltsbeschreibung erfolgt im Wege der Subsumtion. Der Sachverhalt wird unter sprachliche Begriffe subsumiert. Die notwendige Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen erfordert, die Subsumtionsvorgänge zu kategorisieren, in solche, die tatsächlichen Charakter haben und damit anspruchsbegründend sein können, und in andere, die keinen tatsächlichen Charakter haben und damit im Zweifel keinen Anspruch auslösen. Diese Kategorisierung kann sinnvollerweise nur anhand der schon von Max Weber gestellten 71 Frage erfolgen, ob die streitige Beschreibung einen Sachverhalt mitteilt oder ob sie einen als bekannt vorausgesetzten Sachverhalt bewertet334. Sachverhaltsmitteilungen lassen sich beweismäßig und ebenso auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen und haben damit die Qualität einer Tatsachenbehauptung. Sachverhaltsbewertungen können zwar anhand einer Werteskala als richtig oder falsch einzustufen sein. „Beweisbar“ sind sie nicht. Sachverhaltsbewertungen
329 KG v. 2.6.1970 – 9 U 606/70, NJW 1970, 2029; v. 18.5.1984 – 9 U 565/84, ZUM 1985, 103, 105; a.A. OLG Köln, AfP 1972, 231. 330 Instruktiv die Entscheidungen bzgl. der Äußerung auf einem Titelblatt: „J – Sterbedrama um seinen besten Freund – Hätte er ihn damals retten können?“:, OLG Zweibrücken v. 5.9.2012 – 4 U 72/12, BeckRS 2014, 03080, dazu BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433, nach Zurückverweisung: OLG Zweibrücken v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169 = NJW-RR 2015, 561 Rz. 20, dazu BVerfG v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, BeckRS 2018, 2868. 331 BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 225/80, GRUR 1982, 633. 332 Steffen, AfP 1979, 284. 333 U.a. BGH, NJW 1959, 639. 334 Max Weber, Werk und Person, S. 113.
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Kap. 4 Rz. 72
Wortberichterstattung – die Äußerung
haben deswegen keinen Tatsachen-, sondern Meinungscharakter. Dass es darauf ankommt, ob im Sachverhalt beschrieben oder bewertet wird, erkennt auch der BGH335 an. 72
Ob eine Beschreibung eine Mitteilung oder Wertung eines Sachverhaltes enthält, hängt zunächst vom Verständnis der Äußerung ab. Ein anschauliches Beispiel bietet die Entscheidung des OLG Düsseldorf336, die die Aussage betrifft, ein Wissenschaftler habe die Abkehr von Vorsorgeuntersuchungen propagiert, „ohne dafür Beweise vorzulegen“. Dies lässt sich so verstehen, der Wissenschaftler habe rein tatsächlich keine Beweise vorgelegt. Dann wird ein Sachverhalt mitgeteilt. Das Verständnis kann aber auch dahin gehen, die von dem Wissenschaftler angeführten Literaturstimmen seien nicht überzeugend. Darin wird ein als bekannt vorausgesetzter Sachverhalt bewertet.
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Die Schwierigkeit der Abgrenzung folgt nicht nur daraus, dass bereits zum Verständnis der Äußerung u.U. höchst unterschiedliche Auffassungen möglich sind. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, dass Sachverhaltsmitteilungen mangels absoluter Objektivität in aller Regel eine subjektive Färbung aufweisen und damit eine Wertung einschließen so wie umgekehrt Wertungen einen Sachverhalt voraussetzen, der in Wahrheit fehlen oder sich anders darstellen kann, als bei der Wertung unterstellt. b) Problem der Sachverhaltsprüfung
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Die Schwierigkeit, die sich aus dem ambivalenten Aussagegehalt streitiger Darstellungen ergibt, lässt sich auf prinzipiell unterschiedliche Weise lösen. Das Sachverhaltsprinzip besteht darin, der streitigen Aussage den wirklichen Sachverhalt gegenüberzustellen bzw. im Prozess zu fragen, ob der Betroffene einen Grundsachverhalt vorträgt, der von dem abweicht, der mit der streitigen Aussage behauptet worden ist. Geht es z.B. um die Aussage, ein Meinungsforschungsinstitut habe zu einer politischen Wahl eine Fehlprognose verbreitet, kommt es nach diesem Prinzip darauf an, ob das Institut bereits den Grundsachverhalt, die Prognose als solche, in Abrede stellen kann oder ob es die Prognose zugestehen muss, so dass nur die Qualifikation als Fehlprognose streitig ist. Auf der Grundlage des Sachverhaltsprinzips ist letzteren Falles weiter nach dem wirklichen Wahlergebnis zu fragen und anhand des Vergleiches zwischen dem wirklichen und dem prognostizierten Ergebnis zu ermitteln, ob die Behauptung, das Institut habe eine Fehlprognose verbreitet, Tatsachen- oder Meinungsqualität hat. Das diesem Sachverhaltsprinzip entgegenstehende Bewertungsprinzip besteht darin, auf eine solche sachverhaltsmäßige Überprüfung ganz, zumindest aber weitgehend zu verzichten und stattdessen abzuwägen, welcher Teil der Aussage, der tatsächliche oder der wertende, im Vorder- bzw. im Hintergrund stehe.
75
Schon in der ersten Auflage ist versucht worden, diese Problematik anhand des KaffeetassenBeispiels zu verdeutlichen: Zur Vorbereitung der Gesamtbeurteilung eines Hotels in einem Hotelführer bezeichnet ein Tester den ihm servierten Frühstückskaffee als „kalt“. Der Grundsachverhalt besteht darin, dass dem Tester überhaupt Kaffee serviert worden ist. Der Detailsachverhalt betrifft die Temperatur des Kaffees. Das Problem ist, ob und in welchem Umfang es für die Qualifikation der Aussage „kalt“ als Tatsachenbehauptung oder als Meinungsäußerung auf diese Sachverhaltsfragen ankommt, d.h. auf den Grund- und den Detailsachverhalt. 335 BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 344/91, MDR 1993, 122 = NJW 1993, 930, 932 – Illegaler Fellhandel. 336 OLG Düsseldorf v. 24.10.1979 – 15 U 73/79, AfP 1980, 46.
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II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen
Rz. 78 Kap. 4
Was den Grundsachverhalt anlangt, lässt sich die Notwendigkeit, ihn bei der Abgrenzung 76 zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen zu berücksichtigen, vernünftigerweise nicht in Abrede stellen. Würde z.B. behauptet, Bundeskanzler A bereite einen neuen Weltkrieg vor, kann A nicht der Einwand abgeschnitten werden, als Bundeskanzler nicht mehr aktiv zu sein, sondern nur noch so genannt, in der Politik aber nicht mehr tätig zu werden, weswegen die Behauptung der Vorbereitung eines neuen Weltkrieges nicht nur unrichtig sei, sondern unwahr337. Ebenso wenig braucht sich ein Meinungsforschungsinstitut eine Fehlprognose vorwerfen zu lassen, wenn es nicht nur keine solche, sondern überhaupt keine Prognose aufgestellt hat. Und ein Hotel braucht sich die Behauptung nicht gefallen zu lassen, einem Tester kalten Kaffee serviert zu haben, wenn in Wahrheit ein Test überhaupt nicht stattgefunden hat. Nach der hier vertretenen Auffassung ist nicht nur der Grundsachverhalt zu berücksichti- 77 gen, sondern jedenfalls im Prinzip auch der Detailsachverhalt, wenn auch zuzugeben ist, dass es Ausnahmen gibt. Berücksichtigt man neben dem Grund- auch den Detailsachverhalt, sind drei Ergebnisse möglich: – Es kann sich ergeben, dass der Sachverhalt mit der streitigen Darstellung auch insoweit übereinstimmt, als sie scheinbar wertenden Charakter hat. Bei dem erwähnten Kaffeetassen-Beispiel wäre das z.B. der Fall, wenn sich herausstellt, dass der vom Tester als „kalt“ bezeichnete Kaffee mit einer Temperatur serviert worden ist, die unter Zimmertemperatur liegt. Ein solcher Kaffee ist wirklich kalt. Die Behauptung ist also wahr. – Ebenso kann sich ergeben, dass der Sachverhalt mit der streitigen Darstellung nicht übereinstimmt. Das wäre z.B. der Fall, wenn sich herausstellt, dass der Kaffee mit einer Temperatur serviert worden ist, die kurz unter dem Siedepunkt liegt. Ein Kaffee, der bei einer um nur einige Grade gesteigerten Temperatur verdampfen würde, ist nicht kalt, sondern warm bzw. „heiß“. Bei diesem Sachverhalt ist die dennoch aufgestellte Behauptung, der servierte Kaffee sei „kalt“ gewesen, unwahr. – Schließlich kann sich ein Sachverhalt ergeben, bei dem unterschiedliche Meinungen möglich sind, ob die streitige Behauptung mit dem Sachverhalt noch oder nicht mehr übereinstimmt. Das ist z.B. der Fall, wenn sich herausstellt, dass der Kaffee eine über Körpertemperatur liegende Temperatur hatte, die der eine bereits als „heiß“, ein anderer als „lauwarm“, ein Dritter aber so empfinden kann, dass sich von „kalt“ sprechen lässt. In diesem Falle liegt die streitige Äußerung nach der hier vertretenen Auffassung im Meinungsbereich. Den dem Kritiker zuzubilligenden Beurteilungsspielraum hat im Streitfall der Richter festzulegen. Beschränkt man sich nicht auf eine bloße Abwägung, sondern berücksichtigt man neben 78 dem Grund- auch den Detailsachverhalt, bestätigt sich, dass der Tatsachen- oder aber Meinungscharakter nicht von der Formulierung abhängt, weswegen auch durch Wertungen geprägte Aussagen Tatsachencharakter haben können, jedenfalls wenn sie außerhalb eines vertretbaren Beurteilungsspielraumes liegen. Heißt es z.B., in einem Restaurant, Hotel, Theater usw. sei es „kalt“ gewesen, ist das unwahr, wenn die Temperatur in Wirklichkeit 30 Grad Celsius oder mehr betragen hat. Ob die Temperatur in Celsius-Graden angegeben oder ob der Sachverhalt infolge nicht vorhandenen Thermometers unter Verwendung von Begriffen wie kalt, warm usw. mitgeteilt wird, kann nicht entscheidend sein. Der Auffassung des OLG Karls-
337 Vgl. BGHSt 6, 159 und oben Rz. 56.
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Kap. 4 Rz. 79
Wortberichterstattung – die Äußerung
ruhe338, es sei in jedem Falle eine Wertung, wenn der Prozentsatz der in Betracht kommenden Interessenten nicht mit 3-10 angegeben, sondern wenn formuliert wird, es sei „ein geringer Teil“ gewesen, ist also nicht zu folgen. Die Behauptung, ein Preis, ein Honorar oder eine Provision sei „zehnfach überhöht“ gewesen, ist unwahr, wenn die geforderte Zahlung einer gesetzlichen Regelung wie z.B. der BRAGO oder dem allgemein üblichen Preis entsprochen hat. Mit Recht ist der BGH339 davon ausgegangen, dass die Kritik an einer Honorarvereinbarung, die den Eindruck vermittelt, die Tätigkeit des Klägers sei nutzlos gewesen, er habe sich ein gänzlich unangemessenes Honorar zahlen lassen, nachprüfbare Vorgänge behandelt, auf deren richtige Darstellung mit einem Berichtigungsanspruch eingewirkt werden könne. Probleme können sich allerdings ergeben, wenn der Behauptende geltend macht, er habe nur das Preis/ Leistungs-Verhältnis gemeint. Eine Überhöhung liege nur insofern vor, als die Gegenleistung unter Niveau gewesen sei. Im Verhältnis zur Leistung sei der Preis tatsächlich überhöht. Kann dieser Inhalt der Aussage zugrunde gelegt werden, hat sie Tatsachencharakter, wenn ein vertretbarer Beurteilungsspielraum überschritten ist. Wenn der BGH in der Cellulitis-Entscheidung davon ausgeht340, die Behauptung, eine Firma „verhökert unter phantastischen Anpreisungen wertlose Stoffe mit beträchtlichem Gewinn“, enthalte „im Kern“ ein Werturteil, bleibt offen, ob diese Abwägung zutrifft. Wäre die Behauptung mit dem wirklichen Sachverhalt verglichen worden, hätte sich zumindest theoretisch herausstellen können, dass die betreffende Firma bei zurückhaltender Werbung hochwertige Erzeugnisse zu Niedrigstpreisen vertreibt. Dann wäre die gegenteilige Behauptung weder „im Kern“ noch überhaupt als Werturteil einzustufen, sondern als grobe Unwahrheit zu bezeichnen gewesen. 79
Dass der Tatsachen- oder aber Meinungscharakter nicht oder nur sehr bedingt davon abhängt, ob der Gehalt der Äußerung konkret oder pauschal ist341, sondern dass es auf den zugrunde liegenden Sachverhalt ankommt, bestätigt auch eine Parallelentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. In der Kredithaie-Entscheidung geht das Bundesverfassungsgericht mit Recht davon aus342, dass eine Äußerung nicht ohne weiteres als Formalbeleidigung für unzulässig erklärt werden darf. Vielmehr komme es darauf an, ob die Kritik (an Kreditvermittlern) von unzutreffenden Voraussetzungen ausgeht oder ob die Voraussetzungen für die Kritik gegeben sind (was der Fall ist, wenn Kreditvermittler das zwei- bis dreifache des banküblichen Zinses fordern). Wenn eine Behauptung nicht ohne weiteres als Formalbeleidigung eingestuft werden kann, sondern wenn es dazu eines Vergleiches mit dem zugrunde liegenden Sachverhalt bedarf, kann für die Qualifikation einer Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung nichts anderes gelten. Auch einige Entscheidungen des BGH lassen sich im Sinne der hier vertretenen Auffassung interpretieren. Seit der Panorama-Entscheidung stellt der BGH gelegentlich darauf ab343, ob die Äußerung als wahr oder unwahr feststellbar ist oder lediglich als richtig oder falsch. Ohne Berücksichtigung des Sachverhaltes lässt sich eine solche Feststellung allenfalls ausnahmsweise treffen344.
338 339 340 341 342 343 344
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OLG Karlsruhe, ArchPR 1976, 47. BGH, NJW 1961, 1913. BGH, GRUR 1969, 558, 559. So aber u.a. BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, NJW 1970, 187, 189 – Hormoncreme. BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655. BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198. So wie hier auch Kübler, AcP 172 (1972), 177, 199.
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II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen
Rz. 83 Kap. 4
Besonders mit seinen Türkol-Entscheidungen hat sich der BGH dem Sachverhaltsprinzip 80 genähert345. Zu der Behauptung, das Charterunternehmen Türkol habe von weither angereiste Fluggäste dadurch in eine „erbärmliche Lage“ gebracht, dass sich trotz Ausfalls des gebuchten Türkei-Fluges niemand um sie gekümmert habe, meint er dort, von einer „erbärmlichen Lage“ hätte nicht gesprochen werden dürfen, wenn die Passagiere, wie von Türkol im Prozess behauptet, sogleich mit anderen Maschinen hätten fliegen können. Zwecks Klärung dieser Sachverhaltsfrage hat der BGH den Rechtsstreit gleich zweimal zurückverwiesen. Nach dem Bewertungsprinzip wäre erklärt worden, der Vorwurf, jemanden in eine „erbärmliche Lage“ gebracht zu haben, sei „ein typisches Werturteil“. Vollständig hat sich der BGH allerdings noch nicht zum Sachverhaltsprinzip bekannt. Seiner 81 Ansicht nach kommt es auf die Faktengrundlage einer Kritik nur an, wenn der Kritiker sie mitteilt. Z.B. hat er die Behauptung, ein Unternehmen gehöre zur „Ketten-Mafia“, nur deswegen als Tatsachenbehauptung bezeichnet, weil sie in Verbindung mit konkreten, dem Beweis zugänglichen Vorgängen aufgestellt worden war, durch die sie „inhaltlich ausgefüllt“ werde. Dadurch verliere sie den Charakter einer bloßen subjektiven Wertung346. Wie problematisch die Ansicht ist, der Tatsachen- oder Meinungscharakter einer sprach- 82 lichen Zusammenfassung lasse sich von der (gleichzeitigen) Mitteilung der zugrunde liegenden Einzelvorgänge abhängig machen, erweist die in der Ketten-Mafia-Entscheidung enthaltene Bemerkung, ohne Begründung sei die Warnung für das betroffene Unternehmen „nicht mit geringeren Belastungen verbunden, weil sie den Spekulationen freien Lauf“ lasse. Die Beeinträchtigung ist also, so der BGH, unabhängig davon, ob die Bezeichnung „Ketten-Mafia“ durch konkrete Vorgänge „inhaltlich ausgefüllt“ wird. Wenn die Beeinträchtigung die gleiche ist, lässt sich nur schwer nachvollziehen, inwiefern die ohne Begründung verbreitete Behauptung, ein Unternehmen gehöre zur „Ketten-Mafia“, eine bloße, rechtlich nicht angreifbare subjektive Wertung sei. Abgesehen davon bleibt schon von vornherein unverständlich, inwiefern die Qualität einer Darstellung davon abhängen soll, ob Einzelheiten oder nur die vermeintlich wesentlichen Punkte mitgeteilt werden347. Die vom BGH in der Ketten-Mafia-Entscheidung und häufiger vertretene Ansicht beruht 83 auf dem Missverständnis, ohne mitgelieferte Detailangaben lasse sich kein Beweis erheben. Die Erweislichkeit fehle also auch rein theoretisch. Das trifft nicht zu. Es kommt nicht darauf an, welche Details in der umstrittenen Darstellung mitgeliefert werden, sondern welche objektiv vorhanden bzw. im Rahmen der Auseinandersetzung nachweisbar sind. Ergibt die Auseinandersetzung, dass es keine die Zusammenfassung tragenden Fakten gibt, ist sie eine Unwahrheit. Gibt es sie, dann entspricht die Zusammenfassung den Tatsachen und damit der Wahrheit. Heißt es z.B., bei Operationen eines Arztes sei es zu Komplikationen gekommen, brauchen keine Details genannt zu werden. Die Wahrheit der Aussage lässt sich anhand der Aufzeichnungen über die Operationen überprüfen348. Kann man trotz Offenle-
345 BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621 – Türkol I; v. 13.1.1987 – VI ZR 45/86, MDR 1987, 572 = AfP 1987, 494 = NJW 1987, 1403 – Türkol II. 346 BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 352/91, MDR 1993, 230 = NJW 1993, 525, 526 – Ketten-Mafia; vgl. auch BGH v. 11.7.1989 – XI ZR 59/88, NJW-RR 1990, 752. 347 Zur Mitteilung eines zusammenfassenden Vorwurfes ohne Begründung vgl. BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschlandstiftung. 348 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV.
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Kap. 4 Rz. 84
Wortberichterstattung – die Äußerung
gung der Details über die Berechtigung der zusammenfassenden Darstellung streiten, liegt sie im Meinungsbereich. 84
Den Tatsachen- oder Meinungscharakter einer zusammenfassenden Darstellung von der gleichzeitigen Anführung von Detailangaben abhängig zu machen ist nicht nur verfehlt, sondern gefährlich. Diese Ansicht kann Publikationsorgane dazu verleiten, sich speziell bei erdichteten Skandalberichten auf pauschale Abqualifizierungen zu beschränken. Die auflagenfördernde Negativwirkung bleibt die gleiche. Bis zur vollständigen Überwindung dieser Ansicht ist der Betroffene aber rechtlicher Möglichkeiten beraubt. So wird die probate Möglichkeit gefördert, auf Kosten eines ausgehöhlten Persönlichkeitsschutzes mit Sensationsberichten Kasse zu machen. Das wird auch vom Bundesverfassungsgericht und ihm folgend dem BGH349 nicht ausreichend berücksichtigt, wenn es die Frage nach dem der Äußerung zugrunde liegenden Sachverhalt unbeachtet lässt und meint, eine Äußerung, bei der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, sei eine Meinungsäußerung, „wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte“350. Es geht nicht um eine „Trennung“ des tatsächlichen und des Meinungsgehaltes, sondern um die Frage, ob der zugrunde liegende Sachverhalt die Darstellung zulässt. Darüber mag man im konkreten Falle unterschiedlicher Auffassung sein. Daran aber, dass der Persönlichkeitsschutz unvertretbar verkürzt wird, wenn man zusammenfassende Negativdarstellungen wegen verwendeter Wertungsbegriffe unabhängig vom zugrunde liegenden Sachverhalt als vermeintliches bloßes „Meinen“ ohne weiteres zulässt und der Skandalpresse damit Tür und Tor öffnet, ändert das nichts.
85
Zu einem anderen Ergebnis ist nur zu gelangen, wenn die vom Bundesverfassungsgericht und vom BGH gelegentlich vertretene Ansicht auf Aussagen beschränkt bleibt, mit denen ein als bekannt vorausgesetzter Vorgang, z.B. ein politisches Geschehen, bewertet wird. Wird stattdessen etwas wirklich oder vermeintlich Neues behauptet, wie insbesondere beim investigativen Journalismus, ist diese Auffassung fehl am Platze. Fehl am Platze ist sie insbesondere, wenn sich die Darstellung zwar in der Anführung von Wertungsbegriffen erschöpft, bei objektiver Betrachtung aber dennoch klar ist, dass es um die Behauptung eines Sachverhaltes geht. Dann kann es nur darauf ankommen, ob der Behauptende Fakten anzuführen vermag, die seine Darstellung als zumindest vertretbar erscheinen lassen, oder ob im Gegenteil der Betroffene einen Sachverhalt darzulegen und ggf. zu beweisen in der Lage ist, aus dem sich ergibt, dass der mit Hilfe von Wertungsbegriffen behauptete Sachverhalt mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Die Türkol-Entscheidungen351 sind ein Beispiel dafür, dass die Berechtigung einer Sachverhaltsschilderung auch dann vom zugrunde liegenden Sachverhalt abhängt, wenn die Schilderung mit Hilfe von Wertungsbegriffen erfolgt, wie z.B. durch die Behauptung, Fluggäste seien in eine „erbärmliche Lage“ gebracht worden.
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Geht es um eine bloße Gegendarstellungsforderung, genügt das beiderseitige Behaupten. Ein Beweis braucht nicht geführt zu werden. Unter der Voraussetzung der Betroffenheit kann deswegen grundsätzlich auf jede Darstellung mit einer Gegendarstellung reagiert werden. Vo349 BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124, 126 – Greenpeace. 350 St. Rspr., BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439 – Bayer; v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 – Volksverhetzung. 351 BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621 – Türkol I und v. 13.1.1987 – VI ZR 45/86, MDR 1987, 572 = AfP 1987, 494 = NJW 1987, 1403 – Türkol II.
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II. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen
Rz. 89 Kap. 4
raussetzung ist lediglich, dass der Betroffene die Möglichkeit sieht, der wie auch immer formulierten Erstmitteilung einen anderen Sachverhalt gegenüberzustellen. Bei deliktischen Ansprüchen bedarf es des Beweises. Kann der Beweis, wie häufig, von keiner Seite ausreichend geführt werden, hängt der Verfahrensausgang letztlich von der Beweislastverteilung ab. Bei äußerungsrechtlichen Streitigkeiten kann sie wegen der Möglichkeit der Umkehr der Beweislast und des Wegfalls der Umkehr im konkreten Fall höchst unterschiedlich beurteilt werden (Näheres Kap. 12 Rz. 131). Wendet sich ein Kläger bei ungesicherter Beweislage gegen eine zusammenfassende Darstellung, bleibt der Verfahrensausgang also ungewiss. Kann er aber beweisen, dass das Behauptete unwahr ist, scheitert er auf der Grundlage der hier vertretenen Auffassung nicht daran, dass eine ihn verletzende Sachverhaltsdarstellung in eine bloße „Wertung“ umgemünzt wird. c) Ausnahmen Die Notwendigkeit, der streitigen Aussage zwecks Feststellung des Tatsachen- oder Meinungs- 87 gehaltes den wirklichen Sachverhalt gegenüberzustellen, erleidet allerdings wie fast alle Regeln einige Ausnahmen. aa) Zustandekommen der Aussage Eine Sachverhaltsmitteilung kann das Resultat einer einfachen Umsetzung eines wahrge- 88 nommenen Sachverhaltes in das Medium der Sprache sein, ebenso das Produkt gedanklicher Operationen. Letzteres kann z.B. zutreffen, wenn ein Sachverständiger mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden zu dem Ergebnis gelangt, eine bestimmte Sachverhaltsfrage sei in diesem oder jenem Sinne zu entscheiden. In diesem Falle erfolgt nicht eine Tatsachenbehauptung im eigentlichen Sinne, sondern eine Tatsachenbeurteilung352. Hiervon ist der BGH im Schriftsachverständigen-Urteil ausgegangen353. Dort ging es um die Frage, ob ein Graphologe verpflichtet werden kann, die von ihm in einem Gutachten fälschlich getroffene Feststellung, Postkarten mit obszönem Inhalt stammten von Frau B., als unwahr zu widerrufen. Infolge des Wertungsgehaltes der getroffenen Feststellung hat der BGH den Widerrufsanspruch zu Recht verneint. Ein wertendes Tatsachenurteil können z.B. auch die Erklärungen der Staatsanwaltschaft zu vorläufigen Ermittlungsergebnissen sein. Von einer (unwahren) Tatsachenbehauptung kann aber auszugehen sein, wenn die der Schlussfolgerung vorausgehende Untersuchung grob leichtfertig war oder wenn spezielle Kenntnisse nur vorgetäuscht oder nicht eingesetzt worden sind354. Die Unterscheidung zwischen einer Tatsachenbehauptung im eigentlichen Sinne und einem 89 als Meinungsäußerung zu qualifizierenden Tatsachenurteil ist nicht leicht zu treffen. Sicher scheint aber, dass eine ohne weiteres als unwahr festzustellende Tatsachenbehauptung nicht durch den bloßen Hinweis in den Meinungsbereich transponiert werden kann, der Behauptende habe bei der Sachverhaltsermittlung statt eines einfachen ein kompliziertes Verfahren verwendet, weswegen das Resultat statt Unwahrheit eine rechtlich folgenlose bloße Meinung sei. Es kommt darauf an, ob die Äußerung sich in objektiver Sicht als Tatsachenbehauptung oder als bloßes Urteil und damit als Meinungsäußerung darstellt. Das letztere wird nur angenommen werden können, wenn mit Hilfe wissenschaftlicher oder wissenschaftsähnlicher Methoden eine Aussage zu einem Sachverhalt getroffen wird, der öffentlich nicht bekannt 352 Näheres Pärn, NJW 1979, 2544. 353 BGH v. 18.10.1977 – VI ZR 171/76, NJW 1978, 751. 354 BGH v. 11.4.1989 – VI ZR 293/88, MDR 1989, 981 = GRUR 1989, 536 – Ärztliche Diagnose.
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Kap. 4 Rz. 90
Wortberichterstattung – die Äußerung
ist. Fachwissenschaftliche Darstellungen hat schon das Reichsgericht als Meinungsäußerungen bezeichnet355. 90
Stellt sich im Nachhinein heraus, dass das Tatsachenurteil falsch gewesen ist, wird z.B. ein angeblich verbrannter Gegenstand unversehrt aufgefunden, behält die frühere Äußerung gleichwohl ihre Meinungsqualität. Würde aber die Äußerung trotz des inzwischen bekanntgewordenen wirklichen Sachverhaltes wiederholt, wäre die erneute Behauptung im Zweifel als unwahre Tatsachenbehauptung anzusehen. bb) Gegenstand der Aussage
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Unabhängig von der Wortwahl kann sich der wertende Charakter einer Aussage auch aus der Komplexität des Sachverhaltes ergeben, auf den sie sich bezieht. Dazu hat Scholler darauf hingewiesen356, dass einer Äußerung regelmäßig umso komplexere Sachverhalte zugrunde liegen, je öffentlichkeitsbezogener sie ist. Umso unterschiedlicher seien dann auch die möglichen Betrachtungsweisen und umso geringer die Möglichkeit der Verifizierung. Scholler hat vorgeschlagen, die Nachprüfung einer wertend formulierten Darstellung auf ihren sachlichen Gehalt nur bis zur Schwelle der, wie er sie bezeichnet, „qualifizierten Öffentlichkeitssphäre, also bis einschließlich des Gemeinbereiches“ zuzulassen.
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Tendenziell trifft diese Auffassung zu. Heißt es z.B., „Der Zusammenschluss der Flüchtlingsverbände ist 1951 am Kläger gescheitert“, kommt es zwar auf den Grundsachverhalt an, also darauf, ob der Kläger bei der Zusammenschlussfrage überhaupt mitgewirkt hat. Die Detailfrage klären zu wollen, an wem der Zusammenschluss „wirklich“ gescheitert ist, wäre aber im Zweifel müßig357. Auch bei der Behauptung komplexer innerer Vorgänge wird eine Sachverhaltsaufklärung i.d.R. verzichtbar sein. Hierzu sei auf die vom BGH erörterte Behauptung verwiesen „W. hat die bisher von ihm vertretenen landsmannschaftlichen Ziele um eines Regierungspostens und damit um seiner politischen Karriere willen preisgegeben“358.
93
Auch wenn man grundsätzlich akzeptiert, dass eine Sachverhaltsaufklärung, weil nicht erfolgversprechend, entbehrlich sein kann, wenn die streitige Äußerung sich auf einen komplexen Sachverhalt bezieht, darf das nicht dazu verleiten, die Schwelle, von der an auf die oft mühsame Beschäftigung mit Sachverhaltsfragen verzichtet werden kann, allzu niedrig anzusetzen. Auf die Sachverhaltsaufklärung mit der Begründung zu verzichten, der Sachverhalt sei „zu komplex“ und ohne Sachverhaltsprüfung zu erklären, es sei die Wertung, die „im Vordergrund“ stehe, ist arbeitstechnisch rationell. Bei der Behauptung, eine Firma „verhökert unter phantastischen Anpreisungen wertvolle Stoffe mit beträchtlichem Gewinn“ wie im Cellulitis-Fall359, ist das Verfahren rasch erledigt, wenn der Sachverhalt kurzerhand als „zu komplex“ und die Behauptung als „pauschal“ bezeichnet wird, weswegen „im Kern“ ein bloßes Werturteil vorliege. Sich mit dem Sachverhalt zu befassen ist erheblich zeitaufwendiger. Ein anschauliches Beispiel liefert der lehrreiche Türkol-Fall360. Es könnte aber auf eine Verkürzung des Persönlichkeitsschutzes hinauslaufen, wenn der Rechtsschutz von arbeitstechnischen Ge355 356 357 358 359 360
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RGZ 84, 294, 296; 115, 74, 82. Scholler, Person und Persönlichkeit, S. 410 f. BGH v. 21.11.1961 – VI ZR 73/61, NJW 1962, 152 – Vertriebenenfunktionär. BGHSt 12, 287 – Zwiespältiger Charakter. BGH, GRUR 1969, 558. BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621 – Türkol I; v. 13.1.1987 – VI ZR 45/86, MDR 1987, 572 = AfP 1987, 494 = NJW 1987, 1403 – Türkol II.
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III. Behaupten und Verbreiten
Rz. 95 Kap. 4
sichtspunkten abhängig gemacht würde. Im Türkol-Fall hat der BGH die Beschäftigung mit dem Sachverhalt nachdrücklich angemahnt. Eine Sachverhaltsprüfung kann im Übrigen unabhängig von der Tatsachenfrage erforderlich sein, um zu klären, ob die Äußerung formalbeleidigenden bzw. schmähenden Charakter hat361. cc) Empfängerverständnis Schließlich können Aussagen, die bei wörtlichem Verständnis möglicherweise „konkrete, 94 nach Raum und Zeit bestimmte, der Vergangenheit oder Gegenwart angehörige Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt oder des menschlichen Seelenlebens“ wiedergeben, infolge des Zusammenhanges und der Umstände dennoch als bloße Wertungen aufzufassen sein. Das ist der Fall, wenn der Behauptende erkennbar keinen Sachverhalt mitteilen, sondern zu als bekannt vorausgesetzten Umständen seine „Meinung“ kundtun will. Wird z.B. die „Behauptung“ aufgestellt, „das Adenauer-Regime versucht, durch Anwendung faschistischer Regierungs- und Unterdrückungsmethoden und Entrechtung der Arbeiter die Politik des Generalkriegsvertrages durchzusetzen“362, geht es ebenso um ein die Tatsachen umfärbendes Werturteil wie im Falle BGHSt 6, 159 betreffend die „Behauptung“, der Bundeskanzler bereite einen neuen Weltkrieg vor. Ob die Äußerung wörtlich zu nehmen oder unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes als bloße auf einer bestimmten Grundhaltung basierende subjektive Wertung zu verstehen ist, kann im Streitfalle nur der Richter entscheiden. Die bloße Möglichkeit, dass einzelne Rezipienten die Darstellung in bestimmtem Sinne verstehen, reicht zur Annahme einer Rechtsverletzung nicht aus363. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass eine dazu privat veranlasste Meinungsumfrage vom Gericht zu berücksichtigen ist364. Ob bei einer Meinungsumfrage der Gesamtzusammenhang hinreichend berücksichtigt werden kann, erscheint dem gegenüber zweifelhaft (s. Rz. 38 ff.).
III. Behaupten und Verbreiten Der Unterscheidung zwischen dem Behaupten und dem bloßen Verbreiten kommt erhebliche 95 Bedeutung zu, als zwar sowohl in § 824 BGB wie auch in § 186 StGB die Rechtsfolgen insofern gleichgestellt sind, als der Verbreitende im Prinzip ebenso Störer ist wie der Behauptende365, die Rechtsprechung aber differenziert. Im Interesse der Nachrichtenübermittlung lässt sie das Verbreiten in erheblich weiterem Umfang zu als das Behaupten366. Jedoch kann es erforderlich sein, dass das Medium sich ausdrücklich von der verbreiteten Äußerung distanziert (Näheres zur Verbreiterhaftung Kap. 10 Rz. 207 ff.)367.
361 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655. 362 BGHSt 7, 67. 363 BVerfG v. 25.9.1992 – 1 BvR 205/92, NJW 1993, 1463; BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = AfP 1992, 140 = NJW 1992, 1312. 364 BVerfG v. 13.11.1992 – 1 BvR 708/92, NJW 1993, 1461; v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 26 – Gen-Milch. 365 BGH, GRUR 1957, 352, besonders unter IV. 366 KG v. 29.2.2000 – 9 U 5861/98, AfP 2001, 65. 367 BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV.
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Kap. 4 Rz. 96
Wortberichterstattung – die Äußerung
1. Behaupten 96
Ein Behaupten geschieht durch eine gegenüber Dritten erfolgende Aussage über einen oder mehrere Rechtsträger, die eine eigene Erkenntnis oder eigene Mitteilung enthält368. Auch bei einem Rundschreiben an Geschäftsstellenleiter geht es um eine Aussage gegenüber Dritten und nicht um eine bloße „Selbstinformation“ des Unternehmens369. Ob das Mitgeteilte selbst ermittelt bzw. wahrgenommen oder von dritter Seite erfahren ist, bleibt sich grundsätzlich gleich (vgl. Sich-zu-eigen-Machen, Rz. 102). Ebenso unerheblich ist, ob der Behauptende die Initiative zu der beanstandeten Darstellung ergriffen oder ob ein Reporter ihn dazu aufgefordert hat370.
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Dass die behauptete Tatsache mit Bestimmtheit als wahr hingestellt wird, ist nicht erforderlich. Zusätze wie „Soweit ich weiß“, „Ich nehme an“ können deswegen unbeachtlich sein371; ebenso Einschübe wie „… sollen angeblich …“372 oder „… mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit …“373. Der zu berücksichtigende Zweck des Ruf- und Ehrenschutzes darf auch nicht daran scheitern, dass der Angreifer seine verletzende Äußerung in ausgeklügelte Wendungen kleidet oder nur in versteckter Form vorbringt374. Die Äußerung eines Verdachts oder das Aufwerfen einer Frage kann deswegen gleichfalls als (versteckte) Behauptung zu verstehen sein375. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn der Angreifer für sich genommen belanglose Umstände mitteilt, die einen belangvollen Sinn nur unter der Voraussetzung ergeben, dass der Verfasser damit eine über den Text hinausgreifende Behauptung aufstellen will. Dies trifft z.B. zu, wenn in einem Artikel zunächst eine Frage aufgeworfen wird (Ist Staatssekretär Dr. M. der Vater der Beförderung des LG-Rates CH?) und im nächsten Absatz Ausführungen erfolgen, die als Bestätigung aufgefasst werden können376.
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Ebenso kann ein Zitat als eigene Behauptung zu verstehen sein, und zwar umso mehr, als die Zitatenform („Es wird behauptet …“) nicht selten gewählt wird, um nicht selbst als Behauptender in Erscheinung zu treten. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich niemand durch ein solches Verstecken hinter einem zumeist anonymen angeblichen Urheber der Haftung ohne weiteres entziehen kann. Sonst ließe sich praktisch jeder Angriff führen, ohne dass der Betroffene dem entgegentreten könnte377. Trotz der Zitatenform erfolgt ein Behaupten, wenn der Mitteilende sich die Äußerung zu eigen macht (Näheres Rz. 102)378. 2. Verbreiten
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Das Verbreiten von Behauptungen kann auf zweierlei Weise erfolgen, nämlich durch Intellektuelles und durch nur Technisches. 368 369 370 371 372 373 374 375 376 377 378
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RGSt 38, 368; BGH, GRUR 1966, 653. BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 352/91, MDR 1993, 230 = NJW 1993, 525, 526 – Kettenmafia. BGH, GRUR 1974, 105 – Kollo-Schlager. RGSt 60, 373; RGSt 67, 268; OLG Köln, NJW 1962, 1121 m. Anm. Schaper, dort weitere Nachweise. BGH v. 27.5.1986 – VI ZR 169/85, MDR 1987, 44 = AfP 1986, 241 = NJW 1986, 2503, 2504. BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148, 1149 – Stern-TV. RGZ 60, 190; RGZ 95, 343; BGH, NJW 1951, 352 und insbesondere v. 8.7.1980 – VI ZR 159/78, MDR 1981, 40 = NJW 1980, 2801 – Medizin-Syndikat III. BGH, NJW 1978, 2151; OLG Hamburg v. 30.3.1995 – 3 U 167/94, AfP 1997, 477. OLG Köln, Ufita 42/1964, 343. LG Hamburg, AfP 1973, 441, 443. BGH v. 20.5.1969 – VI ZR 256/67, GRUR 1969, 555, 557 – Cellulitis.
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III. Behaupten und Verbreiten
Rz. 101 Kap. 4
a) Intellektuelles Verbreiten Intellektueller Verbreiter ist, wer zu der verbreiteten Behauptung eine eigene gedankliche Be- 100 ziehung hat. Insbesondere gehören dazu diejenigen, die Fremdbehauptungen zitieren, sei es mündlich, sei es schriftlich, z.B. in einem Aufsatz oder Kommentar. Ein solches intellektuelles Verbreiten erfolgt, wenn eine Fremdbehauptung, als von anderer Seite gehört, als Äußerung eines Dritten wiedergegeben wird379. Das ist der Fall, wenn ein von beachtlicher Seite geäußerter Verdacht in einer die Öffentlichkeit erheblich berührenden Angelegenheit erörtert und dabei eine die Verdachtsrichtung angebende Stellungnahme der Äußerung eines Fürsprechers gleichgewichtig gegenübergestellt wird380. Ebenso erfolgt ein bloßes Verbreiten, wenn in einer Sendung berichtet wird, Banken und ordentliche Makler bezeichneten unseriöse Geldvermittler als „Kredithaie“ und „Krawattenmacher“381. Lässt eine Fernsehanstalt fremde Personen zu Wort kommen, bedeutet das nicht notwendig ein Zu-eigen-Machen, speziell wenn in der Sendung gegensätzliche Auffassungen zutage treten382. Auch das „Teilen“ von Beiträgen in sozialen Medien ist als Verbreitungshandlung des Nutzers anzusehen383. Kein bloßes Verbreiten findet statt, wenn der Zitierende sich die Fremdbehauptung zu eigen macht (dazu Rz. 102 ff.). b) Technisches Verbreiten Technischer Verbreiter ist, wer Behauptungen verbreitet, ohne zu ihnen eine gedankliche Be- 101 ziehung zu haben. Insbesondere sind dies der Drucker und diejenigen, die in den Vertrieb von Druckschriften eingeschaltet sind wie Grossisten, Buchhändler, Kioskinhaber usw.384, ebenso Transportunternehmer und Austräger. Im Rundfunkbereich sind es Nachrichtensprecher, soweit sie lediglich vorgegebene Texte verlesen, und diejenigen, die mit der Ausstrahlung der Sendung befasst sind. Auch Zugangs-, Cache- und Hostprovider sind i.d.R. technische Verbreiter. Für sie gelten besondere Verantwortlichkeitsregeln gemäß §§ 7–10 TMG (Näheres s. Kap. 10 Rz. 228). Technischer Verbreiter ist auch ein Internetportal, das Informationen per RSS bezieht und seinen Nutzern zur Verfügung stellt385. Ebenso der Verpächter einer Domain386. Dem im Strafrecht erwogenen Gedanken, die Weitergabe einer bereits bekannten Behauptung sei nicht als Verbreitungshandlung anzusehen und also auch nicht die Weitergabe einer allgemein erhältlichen Druckschrift, die Verbreitung sei mit dem Erscheinen der Druckschrift abgeschlossen387, kann im Zivilrecht nicht gefolgt werden. Richtig ist aller-
379 Vgl. BVerfG v. 21.3.2007 – 1 BvR 2231/03, NJW 2007, 2686, bestätigt EGMR v. 4.5.2010 – 38059/07, BeckRS 2011, 19781; RGSt 38, 368; RGZ 101, 335, 338; BGH, JZ 1958, 438. 380 Vgl. EGMR v. 16.3.2017 – 58493/13, AfP 2017, 402, 404 – Olafsson/Island; LG Hamburg, AfP 1973, 441, 443. 381 BGH, GRUR 1969, 304, 306. 382 BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, GRUR 1969, 624, 627 – Hormoncreme. 383 OLG Frankfurt v. 26.11.2015 – 16 U 64/15, CR 2016, 326 = ITRB 2016, 102 = GRUR-RR 2016, 307 – Hofdamen; OLG Dresden v. 7.2.2017 – 4 U 1419/16, CR 2017, 323 = ITRB 2017, 102 = AfP 2017, 257. 384 BGH v. 3.2.1976 – VI ZR 23/72, NJW 1976, 799 – Alleinimporteur; OLG Frankfurt v. 30.10.2007 – 11 U 9/07, ZUM-RD 2008, 128; LG Düsseldorf v. 18.3.2009 – 12 O 5/09, ZUM-RD 2009, 279. 385 BGH v. 27.3.2012 – VI ZR 144/11, MDR 2012, 767 = CR 2012, 464 = ITRB 2012, 174 = AfP 2012, 264 – RSS-Feed. 386 BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, AfP 2009, 494 – Focus Online. 387 RG, JW 1907, 333; KG, JW 1930, 1239.
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Kap. 4 Rz. 102
Wortberichterstattung – die Äußerung
dings, dass die zivilrechtliche Haftung technischer Verbreiter erheblichen Einschränkungen unterliegt (Näheres Kap. 10 Rz. 207 ff.). 3. Beeinflussungsmöglichkeiten a) Sich-zu-eigen-Machen 102
Ob ein intellektueller Verbreiter sich Fremdäußerungen zu eigen macht, hängt davon ab, wie seine Darstellung auf den Durchschnittsempfänger wirkt und von ihm verstanden wird388. Ein Zu-Eigen-Machen liegt vor, wenn der Verbreiter die fremde Äußerung so in den eigenen Gedankengang einfügt, dass sie als seine eigene erscheint389. Zwar ist dies im Interesse der Meinungsfreiheit und zum Schutz der Presse mit der gebotenen Zurückhaltung zu prüfen. Einer ausdrücklichen Billigung der Fremdäußerung bedarf es jedoch nicht. Es kann schon genügen, wenn dies „zwischen den Zeilen“ geschieht390. Wird eine übernommene Darstellung kommentiert „Das Ganze stinkt zum Himmel! Insbesondere wenn man noch daran denkt, …“, handelt es sich um einen eigenständig wertenden Bericht391. Ein Zu-Eigen-Machen liegt regelmäßig auch dann vor, wenn auf Rüge des Betroffenen eine inhaltlich-redaktionelle Überprüfung eines fremden Beitrags, z.B. einer Nutzerbewertung in einem Online-Portal, erfolgt392. Dies kann auch der Fall sein, wenn „strittige Tatsachenbehauptungen“ entfernt werden, so dass die Äußerung nun den Nutzungsrichtlinien des Portals entspreche393. Allerdings kann sich auch aus der äußeren Form des Beitrags ergeben, dass lediglich eine fremde Äußerung mitgeteilt wird, wie beispielsweise im Fall einer Presseschau394.
103
Bei Printmedien kann ein Zu-Eigen-Machen bereits darin zu erblicken sein, dass eine Zeitung eine in einem anderen Blatt aufgestellte Behauptung ohne Quellenangabe wiedergibt395, z.B. die Behauptung, K. habe „die Fibag-Gewinne mit dem Kläger teilen müssen“396. Ein Zu-Eigen-Machen kann sich auch daraus ergeben, dass die Erklärung eines Dritten in den Mittelpunkt des Berichts gestellt wird397 Auch wenn nicht lediglich ein Sachverhalt referiert wird, sondern durch bewertende Äußerungen Stellung bezogen wird, kann darin eine Identifikation mit dem Dargestellten liegen. Dies nahm der BGH hinsichtlich der von einer früheren Sekretärin des Betroffenen gemachten Angaben an, da in dem Bericht für die Sekretärin Partei ergriffen wurde, indem u.a. das behauptete Verhalten des Betroffenen als 388 BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480 – Presseschau; BGH, NJW 1961, 364; NJW 1964, 1144; v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861, 864 – Caroline von Monaco I. 389 BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494 – Focus Online; v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72; v. 27.3.2012 – VI ZR 144/11, MDR 2012, 767 = CR 2012, 464 = ITRB 2012, 174 = AfP 2012, 264; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre. 390 OLG Köln, NJW 1979, 1562. 391 BVerfG v. 21.3.2007 – 1 BvR 2231/03, NJW 2007, 2686, bestätigt: EGMR v. 4.5.2010 – 38059/07, BeckRS 2011, 19781 – Effecten-Spiegel. 392 BGH v. 4.4.2017 – VI ZR 123/16, AfP 2017, 316. 393 OLG Dresden v. 6.3.2018 – 4 U 1403/17, AfP 2018, 142. 394 BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480; BGH v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72 Rz. 11. 395 OLG Nürnberg, ArchPR 1969, 81. 396 BGH, GRUR 1969, 147, 151. 397 OLG München, AfP 1972, 278, 280; LG Offenburg v. 28.11.2012 – 3 O 215/12, AfP 2013, 429.
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III. Behaupten und Verbreiten
Rz. 103 Kap. 4
„armselig“ und als „Mobbing“ bezeichnet wurde398. Anders, wenn über einen „ungewöhnlichen Auftritt“ eines berühmten Liedermachers im Rahmen einer CSU-Klausurtagung neutral berichtet wird399. Heißt es in einer auf der Titelseite gebrachten Ankündigung einer Illustrierten „Ici Paris will wissen: Hochzeit im September!“, kann davon ausgegangen werden, dass die Illustrierte sich die Behauptung „Hochzeit im September“ zu eigen gemacht hat, wenn die weitere Schlagzeile lautet „Caroline im Glück“, und zwar neben der von einem Blumenherz umrandeten Fotomontage, die Caroline in weißem Brautkleid zeigt400. Ebenso kann eine eigene Behauptung anzunehmen sein, wenn berichtet wird, das Gericht habe jemanden als „Mörder“ und „Verbrecher“ bezeichnet401. Entsprechendes gilt, wenn eingehend dargelegt wird, ein Belastungszeuge habe seine Aussage unter Eid gemacht, Anhaltspunkte für Unrichtigkeiten hätten sich nicht ergeben402. Ein Zitat kann man sich weiterhin dadurch zu eigen machen, dass man es als Bestätigung der eigenen Auffassung erscheinen lässt403. Sogar der Vorbehalt „Wir selbst können dazu nicht Stellung nehmen“ kann unerheblich sein, wenn die Behauptung eines anderen so zitiert wird, dass sie sich in den Rahmen der Darstellung nahtlos einfügt. Wer ein von einem Blatt verbreitetes (Börsen-)Gerücht mit der Bemerkung wiedergibt, „Die Berichterstattung hat ins Schwarze getroffen“, macht es sich im Sinne einer eigenen Aussage auch zu eigen, wenn es in der Spalte „Gerüchte“ erscheint404. Anders jedoch wenn die Drittäußerung eindeutig als Zitat gekennzeichnet ist und weitere Drittäußerungen dem gegenüber gestellt werden405. Besonderheiten gelten für Interviews. Ein Interview könnte nicht frei veröffentlicht werden, wenn damit der Zwang zu ständiger Distanzierung verbunden wäre. Ein Zu-Eigen-Machen liegt daher nicht schon im Verbreiten von ehrenrührigen Äußerungen eines Dritten in einem Interview ohne ausdrückliche Distanzierung des Mediums406. Allerdings ist von einem Zu-Eigen-Machen auszugehen, wenn Haupt- und Zwischenüberschriften eindeutig eine Bejahung der Thesen des Interviewten ergeben407 und nicht nur der besseren Übersichtlichkeit über den Inhalt des Interviews dienen. Auch den Inhalt eines Leserbriefes kann sich ein Blatt zu eigen machen, z.B. durch eine Kommentierung oder Überschrift. Zu eigen macht sich eine Zeitschrift einen Leserbrief, wenn sie z.B. die Negativbehauptungen des Einsenders über ein von ihr bekämpftes Unternehmen mit der Überschrift versieht „Abzocken, absahnen“. Wird der Leserbrief oder Fremdbericht nur übernommen und als solcher gekennzeichnet, liegt darin kein Zu-Eigen-Machen408.
398 BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre. 399 KG v. 29.2.2000 – 9 U 5861/98, AfP 2001, 65. 400 BGH v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco I. 401 BGH v. 4.6.1974 – VI ZR 568/73, GRUR 1974, 797 – Fiete Schulze; vgl. auch BGH v. 30.11.1971 – VI ZR 115/70, BGHZ 57, 325, 329 – Freispruch. 402 OLG München, AfP 1976, 130. 403 OLG Frankfurt v. 14.5.1981 – 16 U 207/80, NJW 1981, 2707. 404 OLG Düsseldorf v. 28.3.1990 – 15 U 254/89, AfP 1990, 303. 405 OLG Frankfurt v. 13.10.2016 – 16 W 57/16, ZUM 2017, 245 Rz. 18 ff. 406 BGH v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72 Rz. 11; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 Rz. 19 – Sächs. Korruptionsaffäre; EGMR v. 14.12.2006 – 76918/01 Rz. 33 – Verlagsgruppe News GmbH/Österreich; v. 21.1.2016 – 29313/10, NJW 2017, 795 Rz. 46 – Carolis u. France Televisions/Frankreich; a.A. OLG Hamburg v. 25.10.2005 – 7 U 68/05, AfP 2006, 564, 565; v. 6.2.2007 – 7 U 151/06, ZUM-RD 2007, 476, 477. 407 OLG Hamburg v. 21.4.1983 – 3 U 237/82, AfP 1983, 412. 408 BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480 – Presseschau.
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Kap. 4 Rz. 104
Wortberichterstattung – die Äußerung
104
Druckt eine Zeitung oder Zeitschrift einen namentlich gezeichneten Beitrag ab, wird sie sich den Inhalt i.d.R. zu eigen machen. Dafür sprechen schon praktische Gründe. Der Verfassername könnte ein Pseudonym sein. Abgesehen davon ist dem Betroffenen die Anschrift des Verfassers im Zweifel unbekannt. Die Anschrift zu nennen, könnte sich das Blatt u.U. mit Rücksicht auf das Redaktionsgeheimnis weigern. Dann wäre der Betroffene rein faktisch gehindert, Ansprüche geltend zu machen. Zusatzprobleme entstünden, wenn mehrere Verfasser benannt sind. Im Zweifel müssten dann alle Verfasser in Anspruch genommen werden. Anders verhält es sich, wenn sich das Blatt ausdrücklich oder den Umständen nach von dem Inhalt des Beitrages distanziert. Zweifel können ebenso entstehen, wenn es sich beim Verfasser um einen renommierten Publizisten oder Politiker handelt, der bekanntermaßen eigene oder eigenwillige Ansichten vertritt, von denen nicht angenommen werden kann, auch das Blatt vertrete solche Ansichten.
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Wird ein Bild oder eine Fotomontage verbreitet, macht sich das Medium dies zu eigen, insbesondere wenn es zur Illustration eines Wortbeitrags verwendet wird.
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Für den Rundfunk gelten insofern besondere Grundsätze, als dieser häufig auch als „Markt der Meinungen“ tätig wird und oft nicht bestimmen kann, was Gesprächspartner sagen, insbesondere bei live-Diskussionen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, mangels sofortigen Widerspruches des Moderators mache der Rundfunk sich den Inhalt von Diskussionsbeiträgen zu eigen. Dadurch würden Detailkenntnisse und Schlagfertigkeit der Moderatoren überfordert. Mit Recht geht der BGH deswegen davon aus, dass die ohne Distanzierung erfolgende Ausstrahlung der Äußerungen Dritter noch nicht ohne weiteres bedeutet, der Rundfunk identifiziere sich mit ihnen409. Das ist auch nicht unbedingt der Fall, wenn die Äußerung wegen ihres Inhaltes Interesse weckt und dadurch innerhalb der Sendung besonderes Gewicht erlangt. Selbst Heraushebungen durch Schnitte oder Musikuntermalung bei späterer Ausstrahlung der Aufzeichnung sind vielfach durch das Medium, nicht durch die kritische Einstellung der Verantwortlichen bestimmt. Ganz besonders gilt das für das Fernsehen, und zwar auch in der Vorstellung der Zuschauer, die die Kundgabe zunächst dem akustisch wie optisch in Erscheinung tretenden Interviewpartner und allenfalls ausnahmsweise der Fernsehredaktion zurechnen410.
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Etwas anderes gilt, wenn zwar rein formal zwei unterschiedliche Auffassungen einander gegenübergestellt werden, die Einleitung des Beitrages und seine Gesamttendenz aber erkennen lassen, dass die Darstellung des Betroffenen für abwegig gehalten wird, z.B. die Behauptung eines Konzernchefs, von Verlusten des zum Konzern gehörigen Bankhauses aus Devisentermingeschäften habe er erst verspätet erfahren411. Wird in einem Fernsehbericht über ein generelles Problem, z.B. „Götter in Weiß“, im Wesentlichen nur über angebliche Behandlungsfehler eines einzigen Arztes berichtet und stützt sich der Bericht ausschließlich auf Behauptungen Dritter, muss sich der Fernsehveranstalter diese Behauptungen bei fehlender Distanzierung als eigene zurechnen lassen412. Eine Rundfunkanstalt kann sich eine Behauptung auch durch die bloße Anmoderation zu eigen machen413.
409 410 411 412 413
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BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198, 1200 = AfP 1976, 75 – Panorama. BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198, 1200 = AfP 1976, 75 – Panorama. OLG Hamburg, Ufita 76/1976, 354, 361. BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV. BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621 – Türkol I.
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III. Behaupten und Verbreiten
Rz. 109 Kap. 4
Für Telemedien sehen §§ 7–10 TMG eine besondere, dem materiellen Recht vorgelagerte 108 Verantwortlichkeitsregelung vor (s. Kap. 10 Rz. 228 ff.). Allerdings sind sie für eigene Informationen nach § 7 Abs. 1 TMG unmittelbar verantwortlich. Allein in der Verpachtung einer Domain oder der Nennung der Domain auf dem Titelblatt einer Zeitschrift liegt kein Zu-eigen-Machen der über die Domain abrufbaren Inhalte414. Ebenso wenig macht sich der Betreiber einer Internet-Plattform fremde per RSS-Feed bezogene und auf der Website als fremd gekennzeichnete Inhalte zu eigen415. Auch wenn ein Beitrag in sozialen Netzwerken „geteilt“ wird, macht sich der jeweilige Nutzer dessen Inhalt nicht zu eigen416. Dies ist erst dann der Fall, wenn er die Weiterverbreitung mit einer positiven Bewertung verbindet. Dies kann durch sog. „Liken“ oder etwa den Hinweis, der Inhalt sei „zu erwägenswert, um ihn zu unterschlagen“, erfolgen417. Ein Zu-Eigen-Machen kann auch durch Setzen eines Hyperlinks erfolgen. Erforderlich ist, dass der durchschnittliche Betrachter die verlinkten Inhalte dem in Anspruch Genommenen zurechnet. Anhaltspunkte hierfür können z.B. sein, dass die eigene Darstellung unvollständig ist und durch die verlinkten Inhalte sinnhaft ergänzt wird, oder die verlinkten Inhalte für das weitergehende Verständnis eines Beitrags erkennbar von Bedeutung und dadurch Bestandteil der eigenen Inhalte werden418. Ändert der Betreiber eines Bewertungsportals auf Rüge eines Betroffenen ohne Rücksprache mit demjenigen, der die Bewertung vorgenommen hat, diese nur teilweise ab, behält jedoch andere ebenso angegriffene Aussagen bei, macht er sich diese zu eigen419. Äußerungen des Vorstandssprechers einer Bank anlässlich eines Rundfunkinterviews und ei- 109 ner Pressekonferenz, die Bank wolle wegen eines Bauherrenkonkurses steckengebliebene Bauvorhaben fördern, begründen grundsätzlich keinen gegen die Bank gerichteten Anspruch konkursgeschädigter Bauhandwerker420. Eine weitere Frage ist, inwieweit der Mandant sich das Vorbringen des Anwaltes als eigenes zurechnen lassen muss421. Zitiert ein Debattenredner den Vorwurf eines Fraktionskollegen, um sich durch einschränkende Interpretation schützend vor ihn zu stellen („Ich nehme an, dass der Kollege das nur in diesem Sinne gemeint hat“), bedeutet das nicht ohne weiteres, der Debattenredner habe sich den Vorwurf dadurch jedenfalls im eingeschränkten Sinne zu eigen gemacht. Nach Auffassung des OLG Köln422 bedarf es für ein Zu-Eigen-Machen eines satirischen Beitrags der Wiederholung zumindest der satirischen Einkleidung. Daher liege auch in der Äußerung „Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichthalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen.“ kein Zu-EigenMachen im Rechtssinne. 414 BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494 Rz. 19 – Focus Online. 415 BGH v. 27.3.2012 – VI ZR 144/11, MDR 2012, 767 = CR 2012, 464 = ITRB 2012, 174 = AfP 2012, 264 Rz. 11. 416 OLG Frankfurt v. 26.11.2015 – 16 U 64/15, CR 2016, 326 = ITRB 2016, 102 = GRUR-RR 2016, 307 – Hofdamen. 417 OLG Dresden v. 7.2.2017 – 4 U 1419/16, CR 2017, 323 = ITRB 2017, 102 = AfP 2017, 257. 418 BGH v. 19.5.2011 – I ZR 147/09, CR 2012, 51 = MDR 2012, 177 = GRUR 2012, 74 – CoachingNewsletter; v. 18.6.2015 – I ZR 74/14, MDR 2016, 223 = CR 2016, 170 = ITRB 2016, 51 = AfP 2016, 45 – Haftung für Hyperlink. 419 BGH v. 4.4.2017 – VI ZR 123/16, AfP 2017, 316 m. Anm. Franz = MDR 2017, 880 = ITRB 2017, 179 = NJW 2017, 2029 m. Anm. Lampmann. 420 OLG Frankfurt v. 27.6.1996 – 10 W 37/95, NJW 1997, 136. 421 Vgl. BGH v. 14.11.1972 – VI ZR 102/71, GRUR 1973, 550 – Halbseiden; Praml, NJW 1976, 1967. 422 OLG Köln v. 21.6.2016 – 15 W 32/16, AfP 2016, 358.
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Kap. 4 Rz. 110
Wortberichterstattung – die Äußerung
b) Sich distanzieren 110
Sollen Zweifel über die Urheberschaft und die Frage des Sich-zu-eigen-Machens möglichst ausgeschlossen werden, ist ratsam, sich von der verbreiteten Behauptung zu distanzieren. Das kann auf vielfältige Weise geschehen. Wie deutlich die Form sein muss, hängt von den Umständen ab. Es dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (Näheres zur Verbreiterhaftung Kap. 10 Rz. 207 ff.)423.
111
Bei Meldungen in Printmedien kann es u.U. ausreichen, die streitige Behauptung („Ostagent“) in Anführungszeichen zu setzen424 oder als Drittäußerung zu kennzeichnen425. Bei schwerwiegenden Vorwürfen reichen Anführungszeichen nicht aus, um die erforderliche Distanzierung herbeizuführen426. Ebenso wenig genügt dann die Mitteilung, der Betroffene dementiere die Vorwürfe427. Auch genügt regelmäßig nicht der Hinweis, die Meldung nur übernommen, aber nicht recherchiert zu haben428. In der Regel wird es erforderlich sein, die Gegenansicht gegenüberzustellen429. Wird ein Zitat eines Dritten in Anführungszeichen als Überschrift verwendet und erfolgt die Distanzierung erst im nachfolgenden Text in normaler Schriftgröße, kann regelmäßig nicht von einer ausreichenden Distanzierung ausgegangen werden. Bei einem Kommentar, der die Meinung des Autors in den Vordergrund stellt, wird es regelmäßig eines deutlicheren Abrückens bedürfen. Erst recht gilt das für Polemiken, Klatsch- und Tratsch-Berichte, bei denen es besonders eingehender Prüfung bedarf, ob das Distanzieren als ernsthaft zu werten ist. Wird auf der Titelseite einer Zeitschrift ein Beitrag im Inneren mit der Schlagzeile „Wie gemein! A & B ‚Sie standen vor der Trennung!‘ Wer setzt solche Gerüchte in die Welt? Es geht um die Zeit vor dem Unfall …“ angekündigt, liegt weder in der Bewertung des Gerüchts als „gemein“ auf der Titelseite noch als „fies“ und „widerlich“ im Innenteil eine hinreichende Distanzierung vom Inhalt des weiterverbreiteten Gerüchts430.
112
In den elektronischen Medien kann ein Einschub ausreichend sein wie z.B. „Nach unbestätigter Meldung soll …“, „… so wurde erklärt …“ usw. Das gilt jedenfalls für Nachrichtensendungen. Zitiert ein Interviewpartner Stimmen anderer, z.B. Meldungen ausländischer Blätter, kann eine Klarstellung erforderlich sein, ob er sich von sämtlichen Meldungen distanzieren oder einige auch selbst aufstellen will. Das gilt insbesondere, wenn er die schwerwiegenden Vorwürfe an den Schluss stellt und damit besonders hervorhebt. Fehlt eine spezielle Distanzierung hierzu, kann der Hörer glauben, der Interviewpartner halte zwar nicht die weniger wichtigen, wohl aber die gravierenden Behauptungen für erwiesen. 423 BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480 Rz. 67; EGMR v. 14.2.2008 – 20893/03, NJW 2009, 3145 Rz. 71; v. 10.7.2014 – 48311/10, NJW 2015, 1501 Rz. 69 – Axel Springer/ Deutschland. 424 OLG Hamburg, ArchPR 1974, 11; LG Stuttgart v. 4.7.2000 – 17 O 79/00, NJW-RR 2001, 834. 425 BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480 – Presseschau; OLG Frankfurt v. 13.10.2016 – 16 W 57/16, ZUM 2017, 245; EGMR v. 16.3.2017 – 58493/13, AfP 2017, 402, 404 – Olafsson/ Island. 426 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148, 1149 – Stern-TV; v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, NJW 2000, 656, 658 – Korruptionsvorwurf. 427 OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 = NJOZ 2017, 1424 Rz. 143 – Panama-Papers. 428 Soehring/Hoene, § 16 Rz. 4. 429 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148, 1149 – Stern-TV; EGMR v. 16.3.2017 – 58493/13, AfP 2017, 402, 404 – Olafsson/Island. 430 OLG Hamburg v. 17.1.2017 – 7 U 32/15, IPRB 2017, 198 = AfP 2017, 260.
182
Burkhardt
5. Kapitel Wortberichterstattung – die Tatbestände I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . .
2
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . b) Erfassung als Rahmenrecht . . . . . . c) Ausprägung einzelner Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 3 7 16
2. Einzelne Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . a) Informationelle Selbstbestimmung und Schutz gegen ungewollte Kommerzialisierung . . . . . . . . . . . . aa) Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ziviler Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lebens- und Charakterbild . . . cc) Recht am gesprochenen Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ausbeutung von Persönlichkeitsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz vor Indiskretion . . . . . . . . . aa) Geheimsphäre (Vertraulichkeitssphäre) . . . . . . . . . . . . . . . bb) Intimsphäre . . . . . . . . . . . . . . . cc) Privatsphäre. . . . . . . . . . . . . . . dd) Sozialsphäre . . . . . . . . . . . . . . . ee) Öffentlichkeitssphäre . . . . . . . c) Schutz vor Unwahrheit (Recht auf Identität oder Individualität) . aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schranken des Schutzes . . . . . cc) Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . dd) Besonderheiten beim Zitieren d) Schutz von Ehre und Ruf . . . . . . . . aa) Schutzumfang . . . . . . . . . . . . . bb) Schmähkritik . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonstige Rufbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . e) Gefährdung von Leben und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109
3. Träger des Persönlichkeitsschutzes . a) Natürliche Personen . . . . . . . . . . . . b) Juristische Personen . . . . . . . . . . . . c) Sonstige Personengemeinschaften .
113 114 125 127
III. Recht am Unternehmen . . . . . . . . . .
128
20 20 21 23 28a 29 35 40 47 54 65 71 74 74 83 87 91 94 95 97 102 103
1. Anerkennung des Rechts am Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung des RG . . . . . . . . . b) Anfängliche Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Neuere Rechtsprechung des BGH . d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . .
129 129 130 135 138
2. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gewerbebetrieb. . . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbarer und betriebsbezogener Eingriff . . . . . . . . . . . . . c) Rechtswidrigkeit des Eingriffs . . . .
140 140
3. Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz bejaht . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . bb) Schmähkritik, Diskriminierung und Diffamierung . . . . . cc) Unzulässige Verwendung von Namen und Marken . . . . dd) Boykott-, Protest- und sonstige Aufrufe . . . . . . . . . . . ee) Unveranlasstes Anprangern . . ff) Nötigung . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Verdachterweckung . . . . . . . . . hh) Einflussnahme auf ein Wettbewerbsverhältnis . . . . . . b) Schutz verneint . . . . . . . . . . . . . . . .
151 152 152
142 148
153 154 155 158 160 161 162 166
IV. Beleidigungstatbestände . . . . . . . . . .
171
1. Beleidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff der Ehre. . . . . . . . . . . . . . . . aa) Objektiver und subjektiver Ehrbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Innere und äußere Ehre . . . . . b) Beleidigungsfähigkeit . . . . . . . . . . . c) Verwirklichung des Tatbestandes. . aa) Kundgebung . . . . . . . . . . . . . . bb) Geringachtung, Nichtachtung, Missachtung . . . . . . . . . . . . . . cc) Schmähkritik . . . . . . . . . . . . . . d) Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . aa) Beleidigung bejaht. . . . . . . . . . bb) Beleidigung verneint . . . . . . . .
172 172
2. Üble Nachrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwirklichung des Tatbestandes. . aa) Aufstellen oder Verbreiten einer Tatsachenbehauptung . . . . bb) Eignung zur Ehrverletzung . . .
207 208
173 175 181 186 188 192 196 197 197 202
209 214
Burkhardt/Peifer 183
Kap. 5 Rz. 1
Wortberichterstattung – die Tatbestände
2. Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . a) Behaupten und Verbreiten einer unwahren Tatsache . . . . . . . . . . . . . aa) Tatsachenbehauptung . . . . . . . bb) Unwahrheit der Behauptung . cc) Behaupten . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verbreiten . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Beweislast. . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rufgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . .
245 246 249 252 253 255 256 260
225
3. Anspruchsberechtigte . . . . . . . . . . . .
261
229
4. Haftungsausschluss nach § 824 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtliche Bedeutung. . . . . . . . . . . b) Notwendigkeit von Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Anwendung des § 193 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
cc) Fehlender Wahrheitsbeweis . . b) Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . .
217 219
3. Verleumdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwirklichung des Tatbestandes. . b) Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . .
221 222 223
4. Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
224
5. Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wahrheitsbeweis durch Strafurteil . 7. Formalbeleidigung . . . . . . . . . . . . . . .
232
V. Kreditgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . .
237
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . b) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis zu anderen Haftungstatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . bb) Recht am Unternehmen . . . . . cc) Sittenwidrige Schädigung . . . . dd) Wettbewerbstatbestände . . . . .
237 237 238 241 241 242 243 244
VI. Sittenwidrige Schädigung . . . . . . . . .
245
266 267 271 278 279
1. Sittenwidrige Handlung . . . . . . . . . .
279
2. Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . .
284
VII. Amtspflichtverletzung . . . . . . . . . . . .
291
I. Überblick 1
Grundvoraussetzung für die Geltendmachung eines deliktischen Anspruches ist, dass ein Dritter einen Deliktstatbestand verwirklicht hat. Überragende Bedeutung hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das als sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB anerkannt ist. Gewerbetreibende können sich unter bestimmten Voraussetzungen auch auf das sog. Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stützen, gleichfalls ein sonstiges Recht. Hinzu kommen die Beleidigungsdelikte, die Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sind. Weiter kann die in § 824 BGB geregelte Kreditgefährdung in Betracht zu ziehen sein, gelegentlich auch die sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB. Bei Amtspflichtverletzungen greift § 839 BGB ein. Ist die Äußerung Teil einer geschäftlichen Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG), so sind §§ 3, 7 UWG zu beachten.
II. Persönlichkeitsrecht § 823 BGB (1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
184
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 1 Kap. 5
Schrifttum: Nipperdey, Die Würde des Menschen, in Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte II, 1954; Bussmann, Persönlichkeitsrecht und Berichterstattung in Presse, Film und Funk, JR 1955, 202; Larenz, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Recht der unerlaubten Handlungen, NJW 1955, 521; Koebel, Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Unterlassungsanspruch, NJW 1955, 1337; H. Maurer, Das Persönlichkeitsrecht der juristischen Person bei Konzern und Kartell, 1955; Westermann, Person und Persönlichkeit als Wert im Zivilrecht, 1957; Hubmann, Der zivilrechtliche Schutz der Persönlichkeit gegen Indiskretionen, JZ 1957, 521; Neumann-Duesberg, Abgrenzbarkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und sein Schutz nach § 823 Abs. 1, NJW 1957, 1341; Coing, Zur Entwicklung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes, JZ 1958, 558; Löffler, Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit, NJW 1959, 1; Reinhardt, Der Streit um den Persönlichkeitsschutz nach dem Referenten-Entwurf des BJM, JZ 1959, 41; Weitnauer, Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes, DB 1959, 45; Coing, Ehrenschutz und Presserecht, 1960; Lenze, Die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts im 19. Jahrhundert, 1962; Erdsiek, Unvollkommenheiten des zivilrechtlichen Ehrenschutzes, NJW 1966, 1358; Scholler, Person und Öffentlichkeit, 1967; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl. 1967; Helle, Der Schutz der Persönlichkeit, der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes im Privatrecht, 2. Aufl. 1969; von Gamm, Persönlichkeits- und Ehrverletzungen durch Massenmedien, 1969; Adomeit, Wahrnehmung berechtigter Interessen und Notwehrrecht, JZ 1970, 495; Buschmann, Zur Fortwirkung des Persönlichkeitsrechts nach dem Tode, NJW 1970, 2081; Engel, Persönlichkeitsrechtlicher Schutz für wissenschaftliche Arbeiten und Forschungsergebnisse, GRUR 1972, 705; Koebel, Persönlichkeitsschutz gegenüber öffentlichen Informationen, MDR 1972, 8; Wronka, Das Verhältnis zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem sog. besonderen Persönlichkeitsrecht, Ufita 69/1973, 71; Reinhardt, Das Lebensbild und der Schutz der Persönlichkeit im modernen Privatrecht, FS Schwinge, 1973, S. 127; Benda, Privatsphäre und Persönlichkeitsprofil, FS Geiger, 1974, S. 23; Hoch, Fortwirkung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes nach dem Tode, Diss. Köln 1975; Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht, 1976; Schwerdtner, Zivilrechtlicher Persönlichkeitsschutz, JuS 1978, 28; von Gamm, Persönlichkeitsschutz und Massenmedien, NJW 1979, 513; Roellecke, Meinungskampf und allgemeines Persönlichkeitsrecht, JZ 1980, 701; Starck, Menschenwürde als Verfassungsgarantie im modernen Staat, JZ 1981, 457; Hattenhauer, ‚Person‘ – Zur Geschichte eines Begriffs, JuS 1982, 405; Weibrock, Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheit, 1982; Körscher, Gerichtsberichterstattung und Persönlichkeitsschutz, Diss. Hamburg 1982; Sieger, Von Mephisto zum Aufmacher – Öffentliches Interesse zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheit, AfP 1982, 11; Helle, Die Begrenzung des zivilrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit und der Ehre gegenüber Äußerungen in rechtlich geordneten Verfahren, GRUR 1982, 207; Wellbrock, Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheit, 1982; Steindorff, Persönlichkeitsschutz im Zivilrecht, 1983; Schmitt-Glaeser, Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, JZ 1983, 95; Tettinger, Der Schutz der persönlichen Ehre im freien Meinungskampf, JZ 1983, 318; Brandner, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Entwicklung durch die Rechtsprechung, JZ 1983, 689; Bornkamm, Die Berichterstattung über schwebende Strafverfahren und das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten, NStZ 1983, 102; Ehlers, Der persönlichkeitsrechtliche Schutz des Verbrauchers vor Werbung, WRP 1983, 187; von der Decken, Meinungsäußerungsfreiheit und Recht der persönlichen Ehre, NJW 1983, 1400; R. 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Hager, Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht, 1991; Heinz, Zur Rechtsprechung des BGH über die Verletzung von Persönlichkeitsrechten, AfP 1992, 234; Degenhart, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, JuS 1992, 361; Kriele, Ehrenschutz und Medienfreiheit, NJW 1994, 1897; Soehring, Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, NJW 1994, 2926; Prinz, Der Schutz der Persönlichkeitsrechte vor Verletzungen durch die Medien, NJW 1995, 817; Barton, Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz, AfP 1995, 452; Gottwald, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, 1996; Gounalakis, Soldaten sind Mörder, NJW 1996, 481; Seitz, Prinz und Prinzessin – Wandlungen des Deliktrechts durch Zwangskommerzialisierung der Persönlichkeit, NJW 1996, 2848; Schmitt-Glaeser, Meinungsfreiheit, Ehrenschutz und Toleranzgebot, NJW 1996, 873; Scholz, Meinungsfreiheit und Persönlich-
Burkhardt/Peifer 185
Kap. 5 Rz. 1
Wortberichterstattung – die Tatbestände
keitsschutz: Gesetzgeberische oder verfassungsrechtliche Verantwortung, AfP 1996, 323; Hager, Schutz der Ehre im Zivilrecht, AcP 196 (1996), 168; Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, 1997; Steffen, Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsverletzung durch die Medien, NJW 1997, 10; Seitz, Staatsehrengrenzen in Europa?, NJW 1997, 1346; Scholz/Konrad, Meinungsfreiheit und allgemeines Persönlichkeitsrecht, AöR 123 (1998), 60; Kübler, Ehrenschutz, Selbstbestimmung und Demokratie, NJW 1999, 1281; Seyfarth, Der Einfluss des Verfassungsrechts auf zivilrechtliche Ehrenschutzklagen, NJW 1999, 1287; Soehring, Caroline und ein Ende?, AfP 2000, 230; Schertz, Die wirtschaftliche Nutzung von Bildnissen und Namen Prominenter, AfP 2000, 495; Ladeur, Schutz von Prominenz als Eigentum, ZUM 2000, 879; Klippel/Lies-Benachib, Der Schutz von Persönlichkeitsrechten um 1900, in Falk/Mohnhaupt, Das BGB und seine Richter, 2000, S. 343; Beuthien/Hieke, Unerlaubte Werbung mit dem Abbild prominenter Personen, AfP 2001, 353; von Gerlach, Persönlichkeitsschutz und öffentliches Informationsinteresse im internationalen Vergleich, AfP 2001, 1; Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001; Ahrens, Persönlichkeitsrecht und Freiheit der Berichterstattung, 2002; Gounalakis/Rhode, Persönlichkeitsschutz im Internet – Grundlagen und Online-Spezifika, 2002; Beater, Deliktischer Äußerungsschutz als Rechts- und Erkenntnisquelle des Medienrechts, JZ 2004, 889; Forkel, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht – Betrachtung einer fünfzigjährigen Entwicklung der Persönlichkeitsrechte im deutschen Privatrecht, in Forkel/Sosnitza, Zum Wandel beim Recht der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistungen, 2004, S. 9; Günther, Zur Notwendigkeit der Anerkennung nicht spezialgesetzlich normierter besonderer Persönlichkeitsrechte, Ufita 2004, 323; Lettl, Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Medienberichterstattung, WRP 2005, 1045; Kläver, Rechtliche Entwicklungen zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, JR 2006, 229; Stender-Vorwachs, Das Persönlichkeitsrecht der Frau in den Medien, NJW 2006, 549; Kübler, Perspektiven des Persönlichkeitsrechts, AfP 2007 (Sonderheft), S. 7; Wallenhorst, Medienpersönlichkeitsrecht und Selbstkontrolle der Presse: eine vergleichende Untersuchung zum deutschen und englischen Recht, 2007; Müller, Der Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts im Zivilrecht, VersR 2008, 1141; Beuthien, Ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht eine juristische Missgeburt?, FS Medicus, 2009, S. 1; Martin, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner historischen Entwicklung, 2009; Martini, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Spiegel der neueren Judikatur des Bundesverfassungsgerichts, JA 2009, 839; Loef, Zum Spannungsfeld zwischen Medienfreiheit und Persönlichkeitsschutz, 2009; Spindler, Erosion des Persönlichkeitsrechts im Internet, FS Deutsch, 2009, S. 925; Germann, Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, JURA 2010, 734; Ohrmann, Der Schutz der Persönlichkeit in Online-Medien: unter besonderer Berücksichtigung von Weblogs, Meinungsforen und Onlinearchiven, 2010; Bull, Persönlichkeitsschutz im Internet: Reformeifer mit neuen Ansätzen, NVwZ 2011, 257; Ohly, Verändert das Internet unsere Vorstellung von Persönlichkeit und Persönlichkeitsrecht?, AfP 2011, 428; Bäcker, Grundrechtlicher Informationsschutz gegen Private, Der Staat 51, 2012 91; Frenz, Konkretisierte Abwägung zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz, NJW 2012, 1039; Heckmann, Persönlichkeitsschutz im Internet, NJW 2012, 2631; Peifer, Persönlichkeitsschutz und Internet – Anforderungen und Grenzen einer Regulierung, JZ 2012, 851; Spindler, Persönlichkeitsschutz im Internet: Anforderungen und Grenzen einer Regulierung, Gutachten zum 69. Deutschen Juristentag, 2012; Peifer, Persönlichkeitsrechte im 21. Jahrhundert, JZ 2013, 853; Spindler, Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte im Internet – der Rahmen für Forschungsaufgaben und Reformbedarf, GRUR 2013, 996; Wieczorek, Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit im Internet: Kollision und Abwägung bei Internetangeboten; eine verfassungsrechtliche Analyse, 2013; Peifer, Analoger und Digitaler Persönlichkeitsschutz im Recht, in Kops (Hrsg.), Der Rundfunk als privates und öffentliches Gut, 2016, S. 64; Fezer, Theorie des immaterialgüterrechtlichen Eigentums an verhaltensgenerierten Personendaten der Nutzer als Datenproduzenten, MMR 2017, 3; Palzer, Persönlichkeitsschutz im Internet, AfP 2017, 199; Srocke, Allgemeines Persönlichkeitsrecht: Kein Ende in Sicht, K&R 2017, 1; Diederichsen, Aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Persönlichkeitsschutz, AfP 2012, 217; von Pentz, Ausgewählte Fragen des Medien- und Persönlichkeitsrechts im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des VI. Zivilsenats, AfP 2013, 20; AfP 2014, 8; AfP 2015, 11; AfP 2016, 101; Mafi-Gudarzi, #MeToo: Wieviel Wahrheit ist erlaubt?, NJOZ 2018, 521.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 4 Kap. 5
1. Allgemeines Im Anschluss an seine zivilrechtliche Anerkennung durch die Leserbrief-Entscheidung aus 2 dem Jahre 19541 hat sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht alsbald zum wichtigsten äußerungsrechtlichen Tatbestand entwickelt. Heute ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht der zentrale Punkt des Rechtsschutzes gegenüber beeinträchtigenden Äußerungen. Die anfänglich gesehenen dogmatischen Schwierigkeiten mit der Unbestimmtheit des Tatbestandes und der Anbindung von gegenläufigen Äußerungsinteressen in die Tatbestandsprüfung sind weitgehend überwunden. Neuerdings wächst mit dem zivilrechtlichen Datenschutz ein bedeutsamer Konkurrent heran, mit dem Gefährdungen und Bedrohungen persönlicher Interessen durch Datennutzungen im Vorfeld und anlässlich einer publizistischen Äußerung zum Teil sehr viel stärker reguliert werden, als dies das abwägungsoffene allgemeine Persönlichkeitsrecht zulässt; vgl. hierzu oben Kap. 1 Rz. 68 ff. a) Entstehungsgeschichte § 823 Abs. 1 BGB schützt neben dem als Herrschaftsrecht zu verstehenden Eigentum aus- 3 drücklich nur ganz bestimmte Lebens- und Persönlichkeitsgüter bzw. -interessen. Entgegen der ursprünglichen gesetzgeberischen Absicht ist die Persönlichkeit als solche im Katalog der subjektiven Rechte nicht enthalten. Jedenfalls die Ehre als wesentlicher Teilbereich des Persönlichkeitsrechts war zunächst zur Aufnahme vorgesehen. Das Persönlichkeitsrecht in stärkerem Maße als geschehen in den ausdrücklichen Schutzbereich des § 823 Abs. 1 BGB einzubeziehen, hätte der Tradition der um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland geltenden Rechtslage durchaus entsprochen. Erwähnt seien die actio iniuriam aesti-matoria und die actio recantatoria des gemeinen Rechts, nach denen die Persönlichkeitsmissachtung zur Zahlung einer Geldbuße bzw. zu Widerruf oder Abgabe einer Ehrenerklärung verpflichtet haben, ferner Art. 1382 des damals im Rheinland geltenden code civil, nach dem auch ideelle Interessen schutzwürdig waren und im Falle der Verletzung zu Ersatzansprüchen führten2. Die Aufnahme eines umfassenden persönlichkeitsrechtlichen Tatbestandes oder auch nur der Ehre in den Katalog der subjektiven Rechte des § 823 BGB ist aber an der dagegen vorhandenen Opposition gescheitert. Als Ablehnungsgrund wurde u.a. geltend gemacht, die Anerkennung der Ehre als sonstiges Recht habe zur Folge, dass auch die fahrlässige Ehrabschneidung zum Ersatzanspruch führe, was nicht tragbar sei. Vor allem wurde darauf verwiesen, die Ehre und, in noch stärkerem Maße, die Persönlichkeit seien Lebensgüter, die in ihrem Ausmaß ständiger Veränderung unterlägen, weswegen ein genereller Schutz ausscheiden müsse. Überdies berge die Anerkennung des Persönlichkeitsrechts die Gefahr in sich, der Entfaltung anderer Persönlichkeiten könnten „schwere Hemmnisse“ auferlegt werden3. Gegenüber dieser von Anfang an umstrittenen Ansicht4 vollzog sich unter dem Einfluss des 4 GG und der Folgen der modernen Technik ein grundlegender Wandel. Art. 1 GG erklärt die Würde des Menschen für unantastbar. Art. 2 GG garantiert die freie Entfaltung der Persönlichkeit, soweit ihr nicht die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz entgegenstehen. Damit rückt das GG die Würde und die sich innerhalb der Ge1 BGH v. 25.5.1954 – I ZR 211/53, BGHZ 13, 334. 2 Näheres Coing, JZ 1958, 558; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 31 ff.; Scheyhing, AcP 1959, 1513, 1520. 3 Nachweise bei Nipperdey, Ufita 30/1960, 1, 3; Larenz, NJW 1955, 521; zur Entstehungsgeschichte vgl. auch BGH, NJW 1963, 1871 – Elektronische Orgeln. 4 Vgl. bereits von Gierke, Deutsches Privatrecht I, §§ 81 ff.; Klippel/Lies-Benachib, Der Schutz von Persönlichkeitsrechten, 2000, S. 343, 344.
Burkhardt/Peifer 187
Kap. 5 Rz. 5
Wortberichterstattung – die Tatbestände
meinschaft frei entfaltende Persönlichkeit in den Mittelpunkt des von ihm errichteten Wertsystems5. Dem gesteigerten Empfinden für die Werthaftigkeit des Menschen wurde damit nachhaltig Ausdruck verliehen6. 5
Die Freiheitsgarantie richtet sich primär gegen die staatliche Gewalt. Dazu gehört auch die Rechtsprechung. Sie hat auch das Zivilrecht im Geiste der grundrechtlichen Wertordnung zu interpretieren und kann an dem gesteigerten Persönlichkeitswert und der daraus resultierenden Notwendigkeit des Persönlichkeitsschutzes nicht vorübergehen7. Das wäre auch insofern ausgeschlossen, als die moderne Technik, deren Eindringen in unser Leben Carl Jaspers als „das schlechthin Neue unserer Epoche“ bezeichnet hat8, für den Einzelnen und damit zugleich für das Zusammenleben aller Gefahren mit sich bringt, die bei Einführung des BGB unvorhersehbar waren. Man braucht lediglich an die technisch perfekten Voraussetzungen für eine in Sekundenschnelle um den Erdball erfolgenden Nachrichtenübermittlung, an Abhöreinrichtungen und die erheblichen Möglichkeiten der ständigen Informationsübermittlung an und von jedem Ort aus durch vernetzte elektronische Dienste zu denken, um zu verstehen, dass unbeschadet des technischen Fortschrittes bereits früh von einem „unvorstellbaren Schädigungspotential“ gesprochen wurde9. Diese Entwicklung hat bereits in der unmittelbaren Zeit nach 1945 den Zwang zu neuen Lösungen bewirkt. Nachdem vor allem Coing10, Hubmann11 und Nipperdey12 für das Persönlichkeitsrecht eingetreten waren, hat der BGH mit seinem grundlegenden Urteil in Sachen „Leserbriefe“ vom 25.5.1954 die entscheidende Weichenstellung vorgenommen13. Sie erfolgte auch vor den erst kurze Zeit zurückliegenden Erfahrungen einer um den Würdeschutz entkleideten Rechtsanwendung in der Zeit des Nationalsozialismus14.
6
Mit dem Leserbrief-Urteil erkennt der BGH an, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht angesichts der Art. 1 und 2 GG als ein verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht angesehen werden muss, das auch im Privatrechtsverkehr gegenüber jedermann wirkt und dementsprechend zivilrechtliche Ansprüche auslöst. Dieser Entscheidung ist eine ununterbrochene Kette weiterer Entscheidungen gefolgt15. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung gebilligt16. Es hat darauf verwiesen, dass die Rechtsfigur des Persönlichkeitsrechts Lücken des Persönlichkeitsschutzes füllt, die trotz Anerkennung einzelner Persönlichkeitsrechte verbleiben und im Laufe der Zeit immer fühlbarer geworden sind. Insb. im Blick auf neuartige Gefährdungen der Persönlichkeitsentfaltung, die meist in Begleitung des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts auftreten, sei die lückenschließende Gewährleistung notwendig17. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB zu behandeln sei verfas5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, BVerfGE 7, 198, 205. Westermann, Person und Persönlichkeit als Wert im Zivilrecht, 1957. Hubmann, JZ 1957, 521. Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 81 ff. Oftinger, FS Friedrich Liszt, 1957, S. 120. Coing, SJZ 1947, 642. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 1953. Nipperdey, Die Würde des Menschen, S. 8 ff. BGH v. 25.5.1954 – I ZR 211/53, BGHZ 13, 334. Hattenhauer, JuS 1982, 405, 411; Gottwald, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, S. 62 ff. Vgl. nur BGH v. 2.4.1957 – VI ZR 9/56, BGHZ 24, 72, 76 – Krankenpapiere. Vgl. u.a. BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 194 – Mephisto; v. 7.11.1972 – 1 BvL 4/71, BVerfGE 34, 118, 135. 17 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77, AfP 1980, 149 = NJW 1980, 2070; v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, NJW 2000, 1021.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 8 Kap. 5
sungsrechtlich nicht zu beanstanden18. Die Literatur ist dem nahezu ausnahmslos gefolgt. Statt vieler sei Dürig zitiert, der die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als den fraglos kühnsten und im Prinzip gelungensten Entwurf des Privatrechts während der letzten Jahre bezeichnet19. Die richterrechtliche Anerkennung und Ausformulierung ist allerdings auch kritisiert worden. Das Lehrbuch von Medicus spricht von einer „juristischen Missgeburt“20, Schwerdtner von einem „faustischen“ Konstrukt, das nicht leistet, was es leisten könnte21. Den immer wieder geäußerten Forderungen nach einer Kodifikation klarer Schutzbereiche22 ist der Gesetzgeber nie nachgekommen23. Einen letzten Versuch, dies zu tun, gab es im Jahr 2011, als es ein Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums unternahm, die Befugnis zur geschäftsmäßigen Veröffentlichung von personenbezogenen Informationen an die Voraussetzung zu knüpfen, dass diese keine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung enthielten24. Mit den Entwicklungen im Bereich des Datenschutzrechts (s. Kap. 1 Rz. 68 ff.) wird die Forderung nach einer klaren Kodifikation wieder aufkommen, denn die Bundesrepublik hat Vorschriften, welche die Befugnis zur Verwendung personenbezogener Daten beschränken, bei der Kommission der EU zu notifizieren. Für das auf ausgefeilten Regelungen der Rechtsprechung beruhende deutsche allgemeine Persönlichkeitsrecht ist dies kein triviales Unterfangen, es bleibt aber eine unerfüllte Forderung25. b) Erfassung als Rahmenrecht Welche Konsequenzen aus der Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als 7 Recht, besser wohl als Lebensgut i.S.d. § 823 BGB im Einzelnen zu ziehen sind, insb. welcher Schutzumfang dem Persönlichkeitsrecht beizumessen ist, war lange Zeit umstritten und ist abschließend noch immer nicht geklärt. § 823 Abs. 1 BGB ist keine in sich abgeschlossene Regelung, sondern eine Verweisungsnorm. Das zeigt sich vor allem beim Eigentumsschutz. Schutzumfang und Schranken des Eigentums ergeben sich nicht aus dem Delikts-, sondern aus dem sonstigen Recht, insb. aus den §§ 903 ff. BGB. Für die durch § 823 Abs. 1 BGB weiterhin geschützten subjektiven Rechte gilt Entsprechendes, mit dem Unterschied allerdings, dass Umfang und Grenzen dieser Lebensgüter weitgehend bereits aus der Natur der Sache folgen. Wird auch das Persönlichkeitsrecht als ein solches Lebensgut behandelt, lässt sich sein Zuweisungsgehalt gleichfalls nur aus Normen außerhalb des Deliktsrechts entnehmen. Grundlage des Persönlichkeitsrechts ist die aus Art. 1 und 2 GG folgende Gewährleistung. 8 Verfassungsrechtlich ist das Persönlichkeitsrecht ein die benannten Freiheitsrechte, wie etwa die Gewissens- und die Äußerungsfreiheit, ergänzendes unbenanntes Freiheitsrecht mit der Aufgabe, i.S.d. obersten Konstitutionsprinzips, der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG), die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten26. Zur weiteren Ausformung ist auch Art. 8 der Europaratskonvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 heranzuziehen27, nach dem jeder18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221, 1223 – Soraya. Maunz/Dürig, Grundgesetz [1958], Sonderdruck, 2003, Art. 1 GG Rz. 38. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 2017, Rz. 615. Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht, 1977, S. 86. Zuletzt Beuthien, FS Medicus, 2009, S. 1, 13. Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, S. 166-174. Dazu Bull, NVwZ 2011, 257, 261. Peifer, Analoger und digitaler Persönlichkeitsschutz, 2016, S. 64, 74. BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77, AfP 1980, 149 = NJW 1980, 2070 – Eppler. BGBl. II 1952, 685.
Burkhardt/Peifer 189
Kap. 5 Rz. 9
Wortberichterstattung – die Tatbestände
mann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs hat. Die EMRK, die in Art. 10 auch die Äußerungsfreiheiten als Menschenrecht schützt (siehe auch Kap. 1 Rz. 48), ist in jüngerer Zeit zu einem eigenständigen System des Schutzes der Persönlichkeit ausgebaut worden. Der Begriff „Privatleben“ wird dabei keineswegs nur im engeren Sinne eines Privatsphärenschutzes verstanden, er umfasst Elemente der Identität einer Person wie ihren Namen oder das Recht am eigenen Bild. Zur Privatsphäre gehört auch die körperliche und geistige Integrität einer Person; Art. 8 EMRK will vorrangig das Recht des Einzelnen schützen, seine Persönlichkeit in seinen Beziehungen zu seinen Mitmenschen ohne Einmischung von Außen zu entwickeln28. Persönlichkeitsschutz vermittelt überdies Art. 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10.12.1948, nach dem niemand willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, sein Heim oder seinen Briefwechsel oder Angriffen auf seine Ehre und seinen Ruf ausgesetzt werden darf. Das sind aber keine abschließenden Regelungen. Angesichts der Universalität und Dynamik der Persönlichkeit können abschließende Regelungen auch nicht das Ziel sein, zumal immer neue Schädigungsmöglichkeiten entstehen29. Die Zuordnung eines konkreten Schutzbegehrens zu den verschiedenen Aspekten des Persönlichkeitsrechts muss vor allem im Hinblick auf die Persönlichkeitsgefährdung im Einzelfall erfolgen. Dadurch kann gerade vor dem Hintergrund neuartiger Gefährdungen, die in Begleitung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts entstehen, ein lückenschließender Schutz der Person gewährleistet werden30. 9
So wie der Gehalt des Persönlichkeitsrechts nicht abschließend zu bestimmen ist, lassen sich auch seine Grenzen nicht ein für allemal festlegen. Das Persönlichkeitsrecht kann Schutz nur im Rahmen der Sozialgebundenheit der Persönlichkeit gewähren. Der Mensch ist nur in der Gemeinschaft existenzfähig. Mit ihr ist er unlösbar verbunden. Auch das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines souveränen Individuums. Das Grundgesetz löst die vorgegebene Spannung zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft im Sinne dieser Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit des Einzelnen, ohne die menschliche Eigenständigkeit anzutasten31. Diese Sozialgebundenheit hat nicht nur Rückwirkungen auf das Verhältnis des Einzelnen zum Staat, sondern ebenso auf das Verhältnis der Rechtsgenossen untereinander, d.h. auf den Umfang der dem Einzelnen zustehenden Rechtsposition. Rechte können nur in dem Umfang gewährt werden, den die Sozialgebundenheit noch zulässt. Mit Recht weist auch der BGH darauf hin, dass das menschliche Zusammenleben zwangsläufig zu den verschiedensten Beeinträchtigungen führt, die als Schicksal hingenommen werden müssen32. In der Gerichtspraxis führt diese Aussage insb. dazu, dass die Person zwar ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung genießt, diese Befugnis aber nicht das Recht umfasst, auch die Fremdwahrnehmung vorzugeben, also gewissermaßen seinen öffentlichen Auftritt und sein Image zu steuern33. Die Person hat gerade nicht das Recht zu bestimmen, welches Persönlichkeitsbild sie von sich vermitteln möchte34. 28 EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00, AfP 2004, 348 Rz. 50 – von Hannover/Deutschland. 29 Allgemeine Auffassung, vgl. BGH v. 2.4.1957 – VI ZR 9/56, BGHZ 24, 72 – Krankenpapiere. 30 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, AfP 2004, 72 = NJW 2002, 3619, 3621 – mitgehörtes Telefonat; vgl. auch BVerfG v. 27.2.2008 – 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, BVerfGE 120, 274, = CR 2008, 306 = ITRB 2008, 75 Rz. 169 – Online-Durchsuchung. 31 BVerfG v. 20.12.1960 – 1 BvL 21/60, BVerfGE 12, 45, 51. 32 BGH v. 15.1.1965 – I b ZR 44/63, NJW 1965, 1374, 1375; vgl. auch LG Nürnberg-Fürth v. 23.1.1970 – 5 O 67/69, NJW 1970, 2066, 2067. 33 BVerfG v. 15.8.1989 – 1 BvR 881/89, NJW 1989, 3269. 34 Missverständlich insoweit BVerfG v. 26.6.1990 – 1 BvR 776/84, BVerfGE 82, 236, 269: MDR 1990, 977 = „Freiheit des einzelnen, selbst zu bestimmen, welches Persönlichkeitsbild er von sich vermitteln will“.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 12 Kap. 5
Der sich hieraus ergebende Rahmen erweist, dass das Persönlichkeitsrecht gegenüber den 10 anderen Rechten und Lebensgütern des § 823 Abs. 1 BGB wesensverschieden ist. Wegen seines nicht abschließend festgelegten Inhaltes und seiner fließenden Grenze wird es überwiegend als Recht generalklauselartigen Charakters bzw. als echte Generalklausel bezeichnet35. Hieraus ergibt sich die grundlegende Frage, ob der Charakter des Persönlichkeitsrechts mit dem der anderen Rechte des § 823 Abs. 1 BGB unbeschadet aller Unterschiede zumindest darin übereinstimmt, dass eine Persönlichkeitsverletzung rechtswidrig und nur bei Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes zugelassen ist, oder ob das Persönlichkeitsrecht sich auch in dieser Hinsicht unterscheidet und die Rechtswidrigkeit, trotz tatbestandsmäßiger Verletzung, besonderer Begründung bedarf. Speziell hierzu sind die Auffassungen anfänglich weit auseinandergegangen. Wertet man das Persönlichkeitsrecht als ein subjektives Recht, ist mangels Rechtfertigung 11 die Rechtswidrigkeit die zwangsläufige Folge einer Verletzungshandlung36. Will man diese Folge vermeiden und lässt man die Rechtswidrigkeit erst aus einer Interessenabwägung bzw. der zu missbilligenden Art der Schädigung resultieren, nähert man das Persönlichkeitsrecht dem Tatbestand des § 826 BGB. Dazu sei an den ursprünglichen Vorschlag von Larenz erinnert37, alles als sittenwidrig zu betrachten, was als Missachtung der Menschenwürde oder überhaupt der Persönlichkeit zu werten ist38. Für die eine wie für die andere Richtung hat die Literatur in einem zunächst nicht enden wollenden Streit eine Fülle beachtlicher Argumente entwickelt, die in der 3. Aufl. auszugsweise behandelt sind. Die unterschiedliche Betrachtungsmöglichkeit spiegelt sich auch in der Lösung wider, die 1959 mit dem gescheiterten Entwurf eines Ehrenschutzgesetzes versucht worden ist. Der Entwurf enthält einerseits tatbestandlich umschriebene Fälle, andererseits eine Generalklausel. Bei den Ersteren sollte die bloße Tatbestandsverwirklichung die Rechtswidrigkeit indizieren, bei der Generalklausel sollte sie von einer Interessenabwägung abhängen39. Die anfängliche Rechtsprechung hat eine klare Entscheidung vermieden. So erwähnt der 12 BGH in der Leserbrief-Entscheidung einerseits40, das RG habe Persönlichkeitsrechte mit der absoluten Wirkung der Ausschließlichkeitsbefugnis nur für bestimmte einzelne Persönlichkeitsgüter anerkannt. Nachdem der BGH diese Auffassung mit der Leserbrief-Entscheidung überwinden wollte, konnte daraus entnommen werden, künftig solle das Persönlichkeitsrecht insgesamt die absolute Wirkung der Ausschließlichkeitsbefugnis haben. Andererseits heißt es in dieser Entscheidung, die Abgrenzung des Persönlichkeitsrechts bedürfe in besonderem Maße einer Güterabwägung, was zu der Frage geführt hat, ob sie auf der Tatbestands- oder auf der Rechtswidrigkeitsebene erfolgen solle41. Noch im Höllenfeuer-Urteil hat der BGH unter Verweisung auf Vorentscheidungen bemerkt42, der VI. Senat sei „in zunehmendem Maße“ dazu übergegangen, bei dem von der Rechtsprechung herausgebildeten Auffangtatbestand der gewerblichen Tätigkeit und bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die 35 U.a. Hubmann, JZ 1957, 521; Koebel, JZ 1959, 276; Nipperdey, Ufita 30/1960, 1, 6; Reinhardt, JZ 1959, 41; Weitnauer, BB 1959, 45. 36 So u.a. Neumann-Duesberg, NJW 1957, 1276 und insb. Nipperdey, Ufita 30/1960, 1, 8; ebenso bis zur 3. Aufl. 37 Larenz, NJW 1955, 521, 524. 38 Ähnlich Coing, JZ 1947, 642. 39 BR-Drucks. 217/59, 11. 40 BGH v. 25.5.1954 – I ZR 211/63, BGHZ 13, 334. 41 Vgl. dazu u.a. Neumann-Duesberg, NJW 1957, 1276. 42 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617.
Burkhardt/Peifer 191
Kap. 5 Rz. 13
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Rechtswidrigkeit erst aus der zu missbilligenden Art der Schädigung abzuleiten, so dass es der Berufung des Täters auf einen besonderen Rechtfertigungsgrund „nicht immer“ bedürfe. 13
Inzwischen ist die Waage ganz eindeutig zugunsten des Rahmenrechts ausgefallen, und zwar in dem Sinne, dass die Rechtswidrigkeit der Verletzung des Persönlichkeitsrechts erst auf Grund einer Güter- und Pflichtenabwägung festgestellt werden kann, die sich am konkreten Konflikt zwischen den schützwürdigen Interessen der betroffenen Persönlichkeit und den Belangen der in Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Kritikfreiheit auszurichten hat43. Wegen der verfassungsrechtlichen Anbindung ist mittlerweile klar, dass aus dem Rahmenrecht auch neue Befugnisse ableitbar sind, wenn die technische oder gesellschaftliche Entwicklung zeigt, dass in den ursprünglichen Ausprägungen des Persönlichkeitsschutzes Lücken erkennbar sind. Da der Persönlichkeitsschutz Ausdruck einer Schutzpflicht des Gesetzgebers und der Gerichte auch im Zivilrecht ist, ist methodisch abgesichert, dass auch durch richterliche Rechtsfortbildung solche Tatbestände geschaffen werden können44.
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Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht ganz einheitlich. Insb. in der Lüth-Entscheidung45 ist es von einer Abwägung ausgegangen, die als reine Einzelfallabwägung verstanden werden konnte, was ihm neben Zustimmung auch viel Kritik eingetragen hat46. Später, insb. in der Lebach-Entscheidung47, hat es verdeutlicht, dass eine generelle Interessenabwägung stattzufinden habe. Dementsprechend hat es von anerkannten Ausformungen des Persönlichkeitsrechts gesprochen, die bei gerichtlichen Entscheidungen zu beachten seien48. In der Wallraff-Entscheidung hat es Konkretisierungen des Persönlichkeitsrechts ausdrücklich angemahnt49. Demgegenüber meint es neuerdings, dass die Zuordnung eines konkreten Rechtsschutzbegehrens zu den verschiedenen Aspekten des Persönlichkeitsrechts vor allem mit Blick auf die Persönlichkeitsgefährdung erfolgen müsse, die den konkreten Umständen des Anlassfalls zu entnehmen sind50. Damit kommt der Einzelfallabwägung die zentrale Bedeutung zu.
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Trotz gewisser Zweifel, die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts offenlässt, wird man es als anerkannt ansehen können, dass wegen des Rahmencharakters des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die generelle Ausformung von Fallgruppen als Einzeltatbestände möglich und sinnvoll ist. Das betrifft insb. das Zivilrecht. Dort ist anerkannt, zwischen den zum Teil kodifizierten besonderen Persönlichkeitsrechten (Name, Bildnis, gesprochenes Wort) und den Persönlichkeitsinteressen, die im Auffangrecht des § 823 Abs. 1 BGB angesiedelt sind, sowie jeweils einzelnen Schutzbereichen oder Fallgruppen zu unterscheiden. „Die richtige Bestimmung des betroffenen Schutzgutes ist deshalb wichtig, weil die verschiedenen Bereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in unterschiedlichem Maße schutzwürdig und -bedürftig sind“51. So verletzen wahre reputationsbeeinträchtigende Tatsachenbehauptungen zwar 43 BVerfGE 35, 202 – Lebach I; BGH, NJW 1968, 1773; NJW 1978, 751; v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366. 44 Vgl. Bäcker, Der Staat 5,1 2012, 91, 100. 45 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198. 46 Insb. von Bettermann, JZ 1964, 601; Lerche, DVBl. 1958, 526 Anm. 28. 47 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226, 1230. 48 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77, AfP 1980, 149 = NJW 1980, 2070 – Eppler. 49 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741, 1743 – Der Aufmacher. 50 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, 1857/98, 1918/98, 2109/99, 182/00, NJW 2001, 1921 – Person der Zeitgeschichte. 51 von Pentz, AfP 2015, 11, 13.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 17 Kap. 5
nicht die Ehre des Betroffenen, können allerdings sehr wohl seine Privat- oder Intimsphäre beeinträchtigen. Während die Intimsphäre absoluten Schutz genießt, bedarf es bei privaten Handlungen in der Öffentlichkeit einer Abwägung zwischen Berichtsinteresse und Privatsphäre. Die Berichtsmedien dürfen Persönlichkeitsattribute wie Namen und Bildnis nutzen, um den Betroffenen zu bezeichnen, demgegenüber ist eine solche Nutzung für Werbezwecke der Wirtschaft unzulässig. Die Identifizierung des betroffenen Schutzgutes schließt weder aus, dass in bestimmten Sachverhalten mehrere Schutzsphären betroffen sind, noch, dass es im konkreten Falle einer zusätzlichen Einzelabwägung bedarf, aus der erst die Rechtswidrigkeit der Handlung folgt. Letzteres folgt daraus, dass es regelmäßig um die Abwägung gleichberechtigter Grundrechte im Bereich der Äußerungsfreiheit und konfligierender Persönlichkeitsinteressen geht, die im Wege der praktischen Konkordanz in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu bringen sind. Dabei sollte es das Ziel sein, den Einzeltatbeständen im Interesse der Stetigkeit der Rechtsanwendung immer festere Konturen zu geben, um die Notwendigkeit der Einzelabwägung auf ein immer geringer werdendes Maß zu reduzieren. c) Ausprägung einzelner Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Der Schutz, den das Persönlichkeitsrecht bietet, ist vielfältig. Hier geht es lediglich um einen 16 Teilbereich, allerdings um einen wesentlichen, nämlich um die Verletzung der Persönlichkeit durch Äußerungen, insb. durch Darstellung in den Medien. In diesem Zusammenhang bezeichnet das Bundesverfassungsgericht in der Eppler-Entscheidung52 neben dem Recht am eigenen Bild und im Übrigen auch am gesprochenen eigenen Wort53 als anerkannte Ausprägungen des Persönlichkeitsrechts das Verfügungsrecht über Darstellungen der eigenen Person54, den Schutz der Geheim-, der Intim- und der Privatsphäre55, das Recht, von der Unterschiebung nicht getaner Äußerungen über das Privatleben verschont zu bleiben56, überdies die persönliche Ehre57. Diesen Ausformungen fügt das Bundesverfassungsgericht in der Eppler-Entscheidung eine weitere hinzu, nämlich das Recht, sich gegen die Unterschiebung einer nicht getanen Äußerung zu wenden, wenn sie den selbstdefinierten sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigt. Diese vom Bundesverfassungsgericht genannten Ausprägungen lassen sich auf den dem Per- 17 sönlichkeitsrecht zugrunde liegenden Gedanken der informationellen Selbstbestimmung zurückführen. Das Zivilrecht, insb. die Rechtsprechung des zuständigen VI. BGH-Senats hat eigene Kategorien oder Schutzkreise gebildet, die sich in Randbereichen überschneiden können. Persönlichkeitsinteressen betreffen zunächst das Interesse auf Schutz gegen Indiskretionen mit den Schutzkreisen Sozial-, Privat- und Intimsphäre58, sodann Ehre und Ansehen59 und schließlich das Interesse auf wahrheitsgemäße Darstellung der eigenen Person, das in der Literatur gelegentlich als Recht auf Identität60, in der Rechtsprechung (etwas zu weit) als 52 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77, AfP 1980, 149 = NJW 1980, 2070. 53 BVerfG v. 31.1.1973 – 2 BvR 454/71, BVerfGE 34, 238, 246; v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77, BVerfGE 54, 148, 154 = AfP 1980, 149. 54 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 220. 55 Vgl. dazu BVerfG v. 16.7.1969 – 1 BvL 19/63, BVerfGE 27, 1, 6; v. 8.3.1972 – 2 BvR 28/71, BVerfGE 32, 373, 379; v. 31.1.1973 – 2 BvR 454/71, BVerfGE 34, 238, 245; v. 21.12.1977 – 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75, BVerfGE 47, 46, 73; v. 11.10.1978 – 1 BvR 16/72, BVerfGE 49, 286, 298. 56 BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 282. 57 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 220. 58 Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, S. 397. 59 Insb. im Hinblick auf die §§ 185-187 StGB. 60 Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 271; Forkel, FS Hubmann, 1985, S. 93, 98.
Burkhardt/Peifer 193
Kap. 5 Rz. 18
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Recht auf informationelle Selbstbestimmung bezeichnet wird61, tatsächlich aber dem Schutz der Besonderheit, also der Individualität des Menschen auch dort dient, wo eine Fremddarstellung nicht reputationsschädlich ist, gleichwohl aber Wesentliches am So-Sein der Person verfälscht62. In diesem letztgenannten Bereich stellen Veröffentlichungen, die das Lebensoder Charakterbild des Betroffenen verzerren, besonders intensive Verletzungsformen dar. Verkürzt geht es also zunächst um drei Schutzinteressen: Diskretion, Ansehen und Individualität. Der Grad der Öffentlichkeit (Sozial-, Privat- und Intimsphäre) spielt nicht immer eine Rolle, der Grad der Verletzungsintensität (Bildnis, Name, Ausmaß einer Verfälschung) bestimmt den Grad der Beeinträchtigung und damit das Abwägungsergebnis. Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren auf Vorschlag der Literatur63 einen vierten Schutzkreis hinzugefügt, den man als Rechte auf Abwehr kommerzieller Aneignungen von Persönlichkeitsattributen bezeichnen kann64. Dieser Schutzkreis lässt sich dem in der Vorauflage verwendeten Begriff der „Selbstbestimmung über die Darstellung und Benutzung der Person“ (nachfolgend Rz. 20) zuordnen. 18
Man mag darüber streiten, ob aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gerade diese vier Ausprägungen abzuleiten sind, also der Schutz vor Indiskretion, der Schutz von Ehre und Ruf, der Schutz gegen personengefährdende unwahre Darstellungen und der Schutz vor kommerziellen Aneignungen von Persönlichkeitsmerkmalen. Wie die nachfolgende Untersuchung zeigt, ermöglicht dieser Ansatz aber weitere Konkretisierungen. Auf diese Weise lassen sich die persönlichkeitsrechtlichen Einzeltatbestände immer genauer umschreiben. Damit geschieht das, was das Bundesverfassungsgericht mit der Wallraff-Entscheidung fordert65, nämlich die abwägungsoffene Haftungstatbestände konkretisierend zu schließen, indem unter Berücksichtigung der Besonderheiten der zu beurteilenden Sachverhalte und der Bedeutung der Grundrechte Grundsätze entwickelt werden, die die Entscheidung des Einzelfalles normativ zu leiten imstande sind. Darauf, überhaupt typisierende Fallgruppen herauszubilden, sollte hiernach keinesfalls verzichtet werden.
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Soweit bestimmte Bereiche des Persönlichkeitsrechts durch besondere gesetzliche Regelungen normiert sind, z.B. der Datenschutz, das Bildnis- und Namensrecht, einzelne Urheberpersönlichkeitsrechte, konkretisieren diese Regelungen die genannten Schutzkreise. Bildnisverletzungen sind mal Einbrüche in die Diskretion, mal Falschdarstellungen der Person, gelegentlich auch mit repuationsschädlichen Auswirkungen. Der Datenschutz erfasst mittlerweile alle genannten Schutzkreise, obgleich er zunächst im Bereich der Vertraulichkeit von Informationen seinen Ursprung findet. Wesentlich an ihm ist, dass er das Gefährdungspotential vorverlagert und zum Teil lediglich abstrakte Bedrohungen abwehren möchte, indem er besondere Abwägungen, technische Absicherungen, vor allem aber Informationspflichten des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen und Auskunftsrechte des Betroffenen vorgibt, die jeweils Ausdruck der grundrechtlichen Schutzpflichten sind66. Die kodifizierten Persönlichkeitsgüter
61 BGH v. 30.9.2014 – VI ZR 490/12, MDR 2014, 1443 = CR 2015, 35 = ITRB 2015, 32 = AfP 2014, 534 Rz. 15 und von Pentz, AfP 2015, 11, 13. 62 Peifer, Individualität im Zivilrecht, S. 251. 63 Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 1995. 64 „Kommerzielles Persönlichkeitsrecht“; BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, BGHZ 143, 214 = MDR 2000, 1147 – Marlene Dietrich m. Vorbereitung durch Ullmann, AfP 1999, 209. 65 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741, 1743 – Der Aufmacher. 66 Bäcker, Der Staat 51, 2012, 91, 108.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 20 Kap. 5
werden von Helle67 und Steffen68 auch hier als besondere Persönlichkeitsrechte, die hergeleiteten Fallgruppen als Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bezeichnet. Stehen die Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Konkurrenz mit besonderen Persönlichkeitsrechten, so gehen Letztere als lex specialis vor69. Das entspricht der Deutung, dass die kodifizierten Rechte oft intensiveren Schutz und Vorfeldwirkungen gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entfalten. 2. Einzelne Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts a) Informationelle Selbstbestimmung und Schutz gegen ungewollte Kommerzialisierung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist durch das Bundesverfassungsgericht im 20 Zusammenhang mit dem Schutz des Bürgers vor ungewollter Datenerhebung entwickelt worden und als die Befugnis des Einzelnen, „grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“ definiert worden70. Von dort hat der Gedanke der Selbstbestimmung als Leitprinzip einen Siegeszug angetreten, der sich vor allem im Schutz vor Datenerhebungen auch durch Unternehmen und Private auswirkt71. Informationelle Selbstbestimmung deutet auf eine Art allgemeine Verfügungsbefugnis des Betroffenen über personenbezogene Informationen hin, die jede Verwendung dieser Informationen im Ausgangspunkt der Kontrolle der Person unterwirft. Diese weite Deutung als beinahe eigentumsähnliches Verfügungsrecht ist mittlerweile anerkannt, wenn es um die kommerzielle Nutzung von Persönlichkeitsattributen geht (unten Rz. 94 ff.). Sie ist auf dem Vormarsch, wenn es um die Nutzung personenbezogener Informationen zu anderen Zwecken als die der Äußerungsfreiheit geht (Datenschutz); sie wird neuerdings diskutiert im Zusammenhang mit der Verwendung von personenbezogenen Daten in datengetriebenen Industrien72. Es handelt sich einerseits um eine der drängendsten Fragen der digitalen Welt, andererseits um eine der größten Gefahren für die publizistische Verwendung von Informationen, letztlich um eine Frage, die den Rahmen des Äußerungsrechts beeinflusst, aber nicht sprengt. Die Vorauflage hat sich den hieraus resultierenden grundlegenden Problemen noch nicht schwerpunktmäßig zuwenden können. Auch in der Neuauflage wird man die Fragen der Digitalisierung zwar nicht ausblenden dürfen, die durch den zivilen Datenschutz bewirkte stürmische Veränderung für den Umgang mit Informationen wird die Leitprinzipien einer auf die Abwägung von Äußerungsfreiheiten und Persönlichkeitsinteressen gleichermaßen Rücksicht nehmenden Darstellung aber nicht bestimmen können. Daher sei nur eine vorsichtige Anpassung der in der Vorauflage unternommenen Darstellung an dieser Stelle unternommen. Grundlage des Äußerungsrechts bleibt der Befund, dass der Einzelne die Wahrnehmung seiner Persönlichkeit durch Andere beeinflussen, aber nicht bestimmen kann. Wenn die aus dem Selbstbestimmungsrecht abgeleitete Befugnis, die Verbreitung von Äußerungen zu verhindern, auf das sich daraus zwangsläufig ergebende Recht stößt, die Ver67 68 69 70
Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 37 ff. Löffler/Steffen, § 6 Rz. 57. Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 40 f. BVerfG v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, 1 BvR 269/83, 1 BvR 362/83, 1 BvR 420/83, 1 BvR 440/83, 1 BvR 484/83, BVerfGE 65, 1, 42 f. – Volkszählung. 71 BGH v. 13.11.1990 – VI ZR 104/90, MDR 1991, 519 = AfP 1991, 416 – Notfalldienst-Arzt; v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 = AfP 2009, 401 = CR 2009, 593 = MDR 2009, 1038 = ITRB 2009, 195 Rz. 28 – spickmich.de. 72 Sog. „Industrie 4.0“, Fezer, MMR 2017, 3.
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Kap. 5 Rz. 20
Wortberichterstattung – die Tatbestände
breitung dennoch vorzunehmen, besteht die Gefahr, dass das Selbstbestimmungsrecht als Leerformel missverstanden wird, die verdeckt, dass in solchen Konfliktfällen auf Grund zusätzlicher Gesichtspunkte entschieden werden muss. Das ändert nichts daran, dass die Rechtsprechung das Selbstbestimmungsrecht schon frühzeitig herangezogen und im Laufe der Zeit immer stärker aktiviert hat. Bereits bei der Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nämlich in der Leserbrief-Entscheidung73, ist das Selbstbestimmungsrecht von Bedeutung gewesen. Der BGH führt dort aus, auch bei fehlendem Urheberschutz stehe allein dem Verfasser die Befugnis zu, über das Ob und Wie der Veröffentlichung einer sprachlichen Gedankenfestlegung zu entscheiden. Begründet hat er das damit, aus der Veröffentlichung schließe die Allgemeinheit auf eine entsprechende Willensrichtung des Verfassers. Von dieser Begründung hat er sich in der Soraya-Entscheidung verabschiedet74. Dort stellt er auf den bloßen Umstand ab, dass die Veröffentlichung eines erfundenen Interviews einen Eingriff in das Recht bedeute, selbst darüber zu bestimmen, ob der Betroffene mit eigenen Äußerungen über die Privatsphäre öffentlich hervortreten will und in welcher Form das geschehen soll. Dieser Gedanke hat sich schließlich dahin verselbständigt, das Selbstbestimmungsrecht eröffne nicht nur die Möglichkeit, die Verbreitung eigener schriftlicher Gedankenfestlegungen und, wie im Soraya-Fall, vermeintlich eigener Darstellungen zu unterbinden, sondern auch die Darstellung anderer, soweit sie die eigene Person betreffen. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährt allerdings kein umfassendes Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person75. Insb. reicht der Schutz durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht so weit, dass es dem Einzelnen einen Anspruch darauf verleihen würde, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder von anderen gesehen werden möchte76. Der aus dem Selbstbestimmungsrecht abgeleitete Anspruch dominiert allerdings als Ausgangsbefund das zivile Datenschutzrecht (unten Rz. 21 f.), er führt zu einer grundsätzlichen Erlaubnisbefugnis bei der Nutzung vergegenständlichter Persönlichkeitsattribute (wie Bildnis, Lebensbild oder Name, unten Rz. 23 ff. und Rz. 28a ff.) und er dominiert die Befugnis zur Kontrolle kommerzieller Nutzung solcher Attribute (unten Rz. 29 ff.). aa) Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ziviler Datenschutz Schrifttum: Wente, Informationelles Selbstbestimmungsrecht und absolute Drittwirkung des Grundrechts, NJW 1984, 1446; Vogelsang/Starck, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, 1987; Garstka, Empfiehlt es sich, Notwenigkeit und Grenzen des Schutzes personenbezogener – auch grenzüberschreitender – Informationen neu zu bestimmen?, DVBl. 1988, 981; Gallwas, Der allgemeine Konflikt zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Informationsfreiheit, NJW 1992, 2785; Hoffmann-Riem, Informationelle Selbstbestimmung in der Informationsgesellschaft, AöR 123 (1998), 513; Wittig, Die datenschutzrechtliche Problematik der Anfertigung von Persönlichkeitsprofilen zu Marketingzwecken, RDV 2000, 59; Kloepfer, Pressefreiheit statt Datenschutz? – Datenschutz statt Pressefreiheit?, AfP 2000, 511; Buchner, Informationelle Selbstbestimmung im Privatrecht, 2006; Hohmann-Dennhart, Informationeller Selbstschutz als Bestandteil des Persönlichkeitsrechts, RDV 2008, 1; Jahn/Striezel, Google Street View is watching you, K&R 2009, 753; Ladeur, Das Recht auf informaitonelle Selbstbestimmung: Eine juristische Fehlkonstruktion?, DÖV 2009, 45; Dreier/ Spiecker genannt Döhmann, Die systematische Aufnahme des Straßenbildes. Zur rechtlichen Zulässigkeit von Online-Diensten wie „Google Street View“, 2010; Forgó/Krügel/Müllenbach, Zur datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Zulässigkeit von Google Street View, CR 2010, 616; Lindner, Persönlichkeitsrecht und Geo-Dienste im Internet – z.B. Google Street View/Google Earth, ZUM 73 BGH v. 25.5.1954 – I ZR 211/53, NJW 1954, 1404, 1405. 74 BGH v. 8.12.1964 – VI ZR 201/63, NJW 1965, 685, 686. 75 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, BVerfGE 101, 361 = MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 – Caroline von Monaco; v. 4.4.2000 – 1 BvR 1509/99, NJW 2000, 2189. 76 BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein.
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II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 22 Kap. 5
2010, 292; Holznagel/Schumacher, Google Street View aus verfassungsrechtlicher Sicht, JZ 2011, 57; Bruns, Persönlichkeitsschutz im Internet – medienspezifisches Privileg oder medienpersönlichkeitsrechtlicher Standard?, AfP 2011, 421; Spindler, Persönlichkeitsschutz im Internet: Anforderungen und Grenzen einer Regulierung, Gutachten zum 69. Deutschen Juristentag, 2012; Peifer, Persönlichkeitsschutz und Internet – Anforderungen und Grenzen einer Regulierung, JZ 2013, 853; Spindler, Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte im Internet – der Rahmen für Forschungsaufgaben und Reformbedarf, GRUR 2013, 996; Nebel, Schutz der Persönlichkeit – Privatheit oder Selbstbestimmung? Verfassungsrechtliche Zielsetzungen im deutschen und europäischen Recht, ZD 2015, 517.
Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem persönlichkeitsrechtlichen Selbstbestimmungs- 21 recht ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgeleitet77. Unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung setze die freie Entfaltung der Persönlichkeit den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz sei daher vom Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleiste insoweit die Befugnis des Einzelnen, grds. selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Gestützt hierauf hat das Bundesverfassungsgericht wesentliche Teile des Volkszählungsgesetzes 1983 vom 25.3.198278 für verfassungswidrig erklärt und dazu bemerkt, dies sei keine erschöpfende Erörterung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Allerdings folgt aus der grundsätzlichen Anerkennung dieses Rechts, dass staatliche Stellen für die Erhebung, Verarbeitung und Übermittlung personenbezogener Daten einer Ermächtigungsgrundlage bedürfen. Diese Ermächtigungsgrundlage darf – wegen der hoheitlichen Bestimmungsmacht öffentlicher Stellen – auch nicht ohne Weiteres durch eine Einwilligung des Betroffenen ersetzt werden. Vor diesem Hintergrund ist jede Datenverarbeitung durch öffentliche Stellen zunächst verboten und rechtfertigungsbedürftig. Die durch § 687 ZPO a.F. vorgeschriebene öffentliche Bekanntmachung der Entmündigung wegen Verschwendung oder Trunksucht ist unter dem Blickwinkel der informationellen Selbstbestimmung verfassungswidrig79. Gerichtsentscheidungen dürfen grds. nur in anonymisierter Form veröffentlicht werden80, das gilt richtigerweise aber nur für Entscheidungen, die natürliche Personen betreffen, denn juristische Personen sind keine Träger des Rechts der informationellen Selbstbestimmung81. Die Einzelheiten regeln die Datenschutznormen auf der Ebene von Bund und Ländern. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist auf bürgerliche Rechtsverhältnisse nicht 22 unmittelbar anwendbar. Im Bereich der Wort- und Bildberichterstattung kann dieses Recht unter dem Blickwinkel der Verwendung persönlicher Daten Bedeutung erlangen. Persönliche Daten genießen allerdings keinen absoluten Schutz, insb. wenn diese die Sozial- oder Öffentlichkeitssphäre betreffen. Ob eine Veröffentlichung erfolgen darf, ist herkömmlich aufgrund einer Interessen- und Güterabwägung zu ermitteln82. Auch im Anwendungsbereich des Datenschutzrechts hat der BGH diese Abwägung aus Gründen einer verfassungskonformen Auslegung der Datenschutzregeln für richtig und erforderlich gehalten83. Das ist jedenfalls richtig, 77 BVerfG v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, 1 BvR 269/83, 1 BvR 362/83, 1 BvR 420/83, 1 BvR 440/83, 1 BvR 484/83, BVerfGE 65, 1 = NJW 1984, 419, 421. 78 BGBl. I 1983, 369. 79 BVerfG v. 9.3.1988 – 1 BvL 49/86, MDR 1988, 749 = CR 1989, 51 = NJW 1988, 2031. 80 Näheres Hirte, NJW 1988, 1698. 81 Pfeiffer, NJW 1994, 2996. 82 BGH v. 13.11.1990 – VI ZR 104/90, MDR 1991, 519 = AfP 1991, 416 = NJW 1991, 1532, 1533 – Notfalldienst. 83 BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 = AfP 2009, 401 = CR 2009, 593 = MDR 2009, 1038 = ITRB 2009, 195 Rz. 42 – spickmich.de.
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Kap. 5 Rz. 22
Wortberichterstattung – die Tatbestände
wenn es um Veröffentlichungen zu Zwecken der Meinungsäußerung, insb. zu publizistischen Zwecken geschieht (siehe Kap. 1 Rz. 69 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner IMListe-Entscheidung daher zu Recht darauf hingewiesen. Das Veröffentlichungsinteresse muss aber auch nach bisherigen Standards sorgfältig gegen eine etwaige Beeinträchtigung durch die Publizierung von Daten abgewogen werden, wie das Bundesverfassungsgericht im IM-ListenFall entschied84. Der BGH85 hatte, wie schon die Vorinstanzen, einer in der öffentlich ausgelegten Liste mit Angaben zu 4.500 inoffiziellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (kurz MfS) genannten Person einen Unterlassungsanspruch zugebilligt, da jedenfalls Personen, die weder im Gefüge des MfS der ehemaligen DDR noch heute im öffentlichen Leben eine herausgehobene Position bekleiden, die Veröffentlichung ihres Vor-, Deck- und Familiennamens nebst Personenkennnummern und Einsatzorten und -richtungen nicht dulden müssten. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts hat der BGH insoweit das Veröffentlichungsinteresse im Hinblick auf die Aufarbeitung der Tätigkeit des MfS, insb. die massive Durchdringung der Gesellschaft der DDR durch das MfS, nicht hinreichend berücksichtigt. Daneben habe er die Beeinträchtigung der in der Liste genannten Personen durch die Veröffentlichung überbewertet. Die Klägerin sei nur eine von 4.500 genannten Personen gewesen. In der DDR seien mindestens 600.000 Personen als inoffizielle Mitarbeiter registriert gewesen. Daher führe die Behauptung, eine bestimmte Person sei inoffizieller Mitarbeiter des MfS gewesen, für sich genommen nicht zu einer nachhaltigen Ausgrenzung. Dass das Bundesverfassungsgericht trotz des Überwiegens des Informationsinteresses die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen und die Vorentscheidungen aufgehoben hat, ist zwar bedauerlich, im Hinblick auf die Funktion des Gerichts jedoch konsequent (vgl. Kap. 4 Rz. 3). Im Hinblick auf die ab Mai 2018 geltende Datenschutzgrundverordnung ist das Ergebnis nur vertretbar, wenn man die Publikation als zu Zwecken der Meinungsäußerung erforderlich ansieht (oben Kap. 1 Rz. 73). Ein Informationsinteresse kann auch an der Veröffentlichung einer Berufungsbegründungsschrift bestehen. Dies war z.B. der Fall bei der wörtlichen Wiedergabe in einem Buch mit dem Titel „Der Fall Havemann – Ein Lehrstück politischer Justiz“. Dadurch wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Anwalts nicht verletzt, da sich daraus nur ein Hinweis auf das Mandatsverhältnis entnehmen lässt86. Anders wäre wohl zu entscheiden, wenn sich das Opfer gegen die Veröffentlichung aus seinen StasiUnterlagen wendet87. Problematisch ist häufig die Veröffentlichung von Anschriften, Telefonnummern etc. Bei einer Veröffentlichung im Rahmen redaktioneller, insb. überregionaler Berichterstattung kann nicht ohne Weiteres von einem überwiegenden Informationsinteresse ausgegangen werden. Dies gilt insbesondere, wenn die Veröffentlichung von Informationen, welche die Adresse eines privaten Anwesens zugänglich machen, die Gefahr von Belästigungen der Privatsphäre durch Neugierige erzeugt88. Problematisch ist der Betrieb eines Geodienstes („Street View“), der private Anwesen durch Luftbilder und Fotoaufnahmen einsichtig macht, denn Wohnhäuser genießen als Rückzugsorte grundsätzlich den Schutz der Privatsphäre, ihre Abbildung kann zur Identifizierung der Bewohner führen89. In der Praxis wurde der Dienst zugelassen, nachdem der Betreiber ein Widerspruchsrecht für jeden Hauseigentümer zugesi-
84 BVerfG v. 23.2.2000 – 1 BvR 1582/94, AfP 2000, 445 = NJW 2000, 2413. 85 BGH v. 12.7.1994 – VI ZR 1/94, MDR 1995, 266 = AfP 1994, 306 = GRUR 1994, 913. 86 BVerfG v. 23.2.2000 – 1 BvR 1582/94, NJW 2000, 2416, 2417; OLG Hamburg v. 29.7.1999 – 3 U 34/99, AfP 2000, 91 = NJW 1999, 3343. 87 Vgl. Fall Helmut Kohl, BVerwG v. 8.3.2002 – 3 C 46/01, NJW 2002, 1815. 88 BGH v. 9.12.2003 – VI ZR 373/02, MDR 2004, 507 = AfP 2004, 119 – Feriendomizil. 89 Vgl. im Zusammenhang mit Presseabbildungen von Hausfassaden OLG Hamburg v. 21.6.2011 – 7 U 28/11, AfP 2012, 165.
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II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 23 Kap. 5
chert hatte90. Unter Äußerungsbefugnisse fällt die Tätigkeit schon deswegen nicht, weil sie nicht Zwecken der Meinungsbildung dient. Soweit sie Informationsinteressen der Öffentlichkeit nütztlich ist, müssen diese Interessen gegenüber den Interessen am Schutz der Privatsphäre zurücktreten. Ein absolutes Verfügungsrecht von privaten Hauseigentümern an Bildmaterial, das ihre Anwesen zeigt, folgt daraus im Ergebnis nicht. Allerdings steht Grundstückseigentümern aus § 903 BGB ein ausschließliches Recht zur Anfertigung und Verwertung von Fotografien ihrer Bauwerke und Gartenanlagen zu, soweit Abbildungen von ihren Grundstücken aus angefertigt worden sind91. bb) Lebens- und Charakterbild Schrifttum: Neumann-Duesberg, Fragen als Persönlichkeitsrechtsverletzung und Lüge als Notwehr, Ufita 36 (1962), 101; Bernhardt, Das Lebensbild und der Schutz der Persönlichkeit im modernen Privatrecht, FS Schwinge, 1973, S. 127; Benda, Privatsphäre und „Persönlichkeitsprofil“, in: Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, FS Geiger, 1974, S. 34; Fehnemann, Rechtsfragen des Persönlichkeitsschutzes bei der Anwendung psychodiagnostischer Verfahren in der Schule, 1976; Huth, Persönlichkeitsverletzung durch psychologische Darstellung und Beurteilung des Lebens- und Charakterbildes in der Presse, AfP 1977, 212; Wiese, Persönlichkeitsrechtliche Grenzen sozialpsychologischer Experiemente, FS Duden, 1977, S. 719; Wittig, Die datenschutzrechtliche Problematik der Anfertigung von Persönlichkeitsprofilen zu Marketingzwecken, RDV 2000, 59; Schaar, Persönlichkeitsprofile im Internet, DuD 2001, 383; Schuler-Harms, Die kommerzielle Nutzung statistischer Persönlichkeitsprofile als Herausforderung für den Datenschutz, in Sokol (Hrsg.), Living by numbers – Leben zwischen Statistik und Wirklichkeit, 2005, S. 5; Bull, Zweifelsfragen um die informationelle Selbstbestimmung – Datenschutz als Datenaskese?, NJW 2006, 1617; Rammos, Datenschutzrechtliche Aspekte verschiedener Arten „verhaltensbezogener“ Onlinewerbung, K&R 2011, 692; vgl. auch Schrifttum vor Rz. 21.
In der Lebach I-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt92, dass grds. je- 23 dermann selbst und allein bestimmen darf, ob und inwieweit andere sein Lebensbild im Ganzen oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich darstellen dürfen93. Ergänzend heißt es dazu in der Eppler-Entscheidung94, der dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugrunde liegende Gedanke der Selbstbestimmung bedeute, dass der Einzelne ohne Beschränkung auf seine Privatsphäre grundsätzlich selbst entscheiden können solle, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen will und ob und inwieweit von Dritten über seine Persönlichkeit verfügt werden dürfe. Dazu gehöre im Besonderen auch die Entscheidung, ob und wie er mit einer eigenen Äußerung hervortreten will. Diese Interpretation ist grds. richtig, denn das Lebensbild ist das „Bild vom Werden, Wirken und Wesen des Menschen, wie es sich in seinen Handlungen, in der durch ihn gestalteten Umgebung (…), in seinen Worten, Gedanken und in den äußeren Ereignissen und Zufällen des Lebens widerspiegelt“95. Viele Verzerrungen, Verfälschungen und Fehldeutungen sind damit möglich, der darin liegende Eingriff intensiv und daher in der Abwägung gegenüber Äußerungsinteressen oft überwiegend. Auch daraus folgt allerdings nicht, dass die Person ein Bestimmungsrecht über ihre Biografie hat. Vielmehr bleibt richtig, dass der Mensch die Sicht durch Andere nicht diktieren kann. Allerdings kann er gravierende Fehldarstellungen deuten 90 Dreier/Spiecker, Die systematische Aufnahme des Straßenbildes, 2010; Forgó/Krügel/Müllenbach, CR 2010, 616; Holznagel/Schumacher, JZ 2011, 57; Jahn/Striezel, K&R 2009, 753. 91 BGH v. 17.12.2010 – V ZR 45/10, GRUR 2011, 323 – Preußische Gärten und Parkanlagen I. 92 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226 – Lebach I. 93 Zum Schutz des Lebensbildes vgl. namentlich Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 302 m.w.N. 94 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77, AfP 1980, 149 = NJW 1980, 2070. 95 Ramelow, Der Lebensbildschutz, 1963, S. 33.
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Kap. 5 Rz. 24
Wortberichterstattung – die Tatbestände
und naturgemäß kann er auch verhindern, dass er überhaupt in den Blickpunkt der öffentlichen Darstellung rückt, wenn ein überwiegendes Berichts- und Informationsinteresse dafür fehlt. Jeweils geht es aber um eine Abwägung zwischen Selbstbestimmung und Fremddarstellung. Der Schutz des Lebensbildes ist daher letztlich kein selbständiges Bestimmungsrecht. Er ist Ausdruck des Diskretionsschutzes, also bspw. des Interesses eines nach Strafverbüßung soeben entlassenen Täters, „alleingelassen zu werden“, speziell wenn das für seine Resozialisierung bedeutsam ist96, ohne dass freilich ein Anspruch darauf besteht, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden97. Der Schutz des Lebensbildes ist Ausdruck des Rechts auf wahrheitsgemäße Darstellung der Person (Recht auf Individualität) und mithin verletzt, wenn die Persönlichkeit verzerrt, unterkomplex oder in wesentlicher Hinsicht falsch dargestellt wird. Belanglose Tatsachenbehauptungen, mögen sie auch unrichtig sein, genügen dazu nicht98. Das spielt eine besondere Rolle, wenn es um die Darstellung realer Personen in Filmen, Bühnenstücken oder literarischen Werken geht, also die Befugnis zur künstlerischen Verfremdung gegen das Interesse an vollständiger und wahrheitsgemäßer Darstellung abgewogen werden muss. Während die einseitige Darstellung von Gustav Gründgens im Mephisto-Roman von Klaus Mann nicht mehr zulässig war, konnte sich die Witwe des von RAF-Mitgliedern getöteten Jürgen Ponto nicht gegen eine filmische Szene der Tötung zur Wehr setzen, welche die Witwe vom Geschehen unbeteiligt auf der Terrasse ihres Hauses telefonierend zeigt, obgleich sie tatsächlich in der Nähe ihres Mannes das Geschehen beobachten konnte, weil die Abweichung des tatsächlichen Verlaufs nicht hinreichend gewichtig ist, um das Lebensbild zu verfälschen99. Schließlich kann der Schutz des Lebensbildes durchgreifen, wenn öffentliche Wort- oder Bildberichte sich einer Person bedienen, um sie zu vermarkten, sofern die Persönlichkeit dadurch ungewollt zum Gegenstand fremder Kommerzialisierungsinteressen wird (siehe auch unten Rz. 29 ff.)100. 24
Die Grundsätze des Lebensbildschutzes gelten in verstärktem Maße in Bezug auf das Charakterbild. Mit Recht hat insb. Hubmann101 darauf hingewiesen, dass die moderne Psychologie Methoden entwickelt hat, aus äußeren Ausdrucksmitteln ein Bild der inneren Persönlichkeitsstruktur zu zeichnen, das zum Gegenstand von Missbräuchen werden kann. Dass die Erhebung solcher Persönlichkeitsbilder durch Behörden, etwa die Polizei, einer Eingriffsgrundlage bedarf, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, steht außer Frage102. Die Veröffentlichung oder Verbreitung solcher Charakter- oder Persönlichkeitsbilder durch Medien oder Private kann Persönlichkeitsrechtsverletzung sein, wenn sie den Kern der Person offenbart oder Privates ohne überwiegendes Interesse zugänglich macht103. Aus Sicht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zweifelhaft ist dagegen, ob bereits die bloße Anfertigung von Dossiers über eine Person, die sich zu einem Charakterbild zusammenfügen, eine Persönlichkeitsrechtsverletzung ist. Im analogen Zeitalter musste man das bereits bezweifeln, weil die private Erstellung solcher Dossiers kaum greifbar oder verfolgbar war. Die bloße Beobachtung des Verhaltens von Mitbürgern wurde daher noch nicht als relevante Persönlichkeitsrechtsverletzung angesehen, wohl aber die Videoaufzeichnung durch permanente Beobachtung des ei96 97 98 99 100 101 102
BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226, 1231 – Lebach I. BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 348/98, NJW 2000, 1859 – Lebach II. BVerfG v. 23.10.2007 – 1 BvR 150/06, AfP 2008, 55. LG Köln v. 9.1.2009 – 28 O 765/08, AfP 2009, 78. BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203, 2204 – Fußballkalender. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 306. Vgl. BVerfG v. 24.6.1993 – 1 BvR 689/92, BVerfGE 89, 65 = MDR 1993, 1027 – medizinisch-psychologisches Gutachten nach Haschischkonsum. 103 Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, S. 370.
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II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 25 Kap. 5
genen Grundstücks104. Im digitalen Zeitalter entstehen Charakter- oder Persönlichkeitsbilder in Form von Persönlichkeitsprofilen dagegen in der Regel durch die Sammlung, Speicherung und Aufbereitung von Datenspuren, die insgesamt Verhaltens- und Bewegungsmuster, Vorlieben und Charakterzüge offenbaren können. Arbeitgeber, aber auch Schulen, Universitäten, Kreditinstitute und Versicherungsgesellschaften haben einen erheblichen Anreiz, solche Profile zu erheben, um Karrieren, Arbeitsteams oder Kundentauglichkeit zu überprüfen105. Die Anfertigung von Persönlichkeitsprofilen sollte daher in einem Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums („Rote-Linie-Gesetz“) aus dem Jahr 2011 als besonders schwerer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht definiert und im Wesentlichen untersagt werden106. Das schweizerische Bundesgesetz über den Datenschutz vom 19.6.1992 definiert sie in Art. 3 d als „Zusammenstellung von Daten, die eine Beurteilung wesentlicher Aspekte der Persönlichkeit einer natürlichen Person erlaubt“. Die Datenschutzgrundverordnung definiert in Bezug auf ihren Verwendungszweck in Art. 4 Nr. 4 DSGVO mit Erwägungsgrund Nr. 24 „Profiling“ als „jede Art der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten, die darin besteht, dass diese personenbezogenen Daten verwendet werden, um bestimmte persönliche Aspekte, die sich auf eine natürliche Person beziehen, zu bewerten, insb. um Aspekte bezüglich Arbeitsleistung, wirtschaftliche Lage, Gesundheit, persönliche Vorlieben, Interessen, Zuverlässigkeit, Verhalten, Aufenthaltsort oder Ortswechsel dieser natürlichen Person zu analysieren oder vorherzusagen“. Diese Definition enthält noch kein Verbot, verboten sind nach Art. 22 DSGVO erst automatisierte Entscheidungen, die auf solchem Profiling beruhen. Daraus wird man jedenfalls noch nicht folgern können, dass die Erstellung von Charakterbildern oder Persönlichkeitsprofilen für sich genommen bereits deliktische Verletzung ist. Die ungenehmigte Publikation von Charakterstudien muss allerdings nach wie vor als unzulässig angesehen werden, weil ihr Inhalt i.d.R. auf der Meinungsebene liegt und damit nicht als unwahr angreifbar ist. Wäre die Verbreitung derartiger Ansichten nicht unter dem Blickwinkel des Selbstbestimmungsrechts zu untersagen, stünde der Betroffene ihnen machtlos gegenüber, so dass speziell der Regenbogenpresse ein weites Feld von Spekulationen eröffnet wäre, z.B. ob Körpergröße, Herkunft wie etwa die uneheliche Geburt, ob Lebensschicksale wie der Freitod von Verwandten Wirkungen auf die Psyche gehabt hätten und ursächlich dafür seien, dass der Dargestellte sich so und nicht anders verhalte bzw. künftig verhalten werde. Etwas Derartiges wäre mit dem hohen Rang des Rechts auf freie Entfaltung und Achtung der Persönlichkeit, der sich aus der engen Beziehung zum höchsten Verfassungswert, der Menschenwürde, ergibt, nicht in Einklang zu bringen. Im Ergebnis erfordert die Veröffentlichung allerdings eine Verletzung der Privatoder Intimsphäre oder eine unwahre Darstellung, mag diese auch auf bloßen Werturteilen beruhen. Voraussetzung für diesen Schutz ist, dass der Rezipient davon ausgehen muss, ihm werde 25 ein wirkliches Lebens- oder Charakterbild dargeboten. Das ist bei fiktiver Verarbeitung zweifelhaft, bei der Behauptung von faktengetreuer Umsetzung allerdings sehr viel naheliegender. Diese Voraussetzung fehlt, wenn der Betroffene durch den Beitrag nicht identifiziert wird, was Tatfrage ist. Von einer Identifizierung durch den Bericht wird i.d.R. nur ausgegangen werden können, wenn keine völlig unaufwendigen zusätzlichen Recherchen notwendig sind. Daher hat das Bundesverfassungsgericht107 das Verbot der Ausstrahlung des Fernseh104 BGH v. 25.4.1995 – VI ZR 272/94, MDR 1995, 1125 = CR 1995, 727 = AfP 1995, 597 = NJW 1995, 1955. 105 Vgl. zu psychologischen Tests im Arbeitsverhältnis bereits Wiese, FS Duden, 1977, S. 719, 728. 106 Bull, NVwZ 2011, 257, 261. 107 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 348/98, NJW 2000, 1859 – Lebach II.
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Kap. 5 Rz. 26
Wortberichterstattung – die Tatbestände
spiels „Verbrechen, die Geschichte machten – Der Fall Lebach (1969)“ durch das OLG Koblenz108 aufgehoben und die gegenteilige Entscheidung des OLG Saarbrücken109 bestätigt. Im Unterschied zu dem Dokumentarspiel des ZDF aus dem Jahr 1972110 wurden in dem neuen Film die Täter weder im Bild gezeigt noch deren Namen genannt. Dazu führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass Personen, die die Täter bereits kennen, in ihrem (Vor-)Urteil bestärkt werden mögen, da aber Dritte, die sie vor der Ausstrahlung nicht kannten, sie auch nach dieser nicht kennen würden, führe dies zu keiner erheblichen Beeinträchtigung. Angesichts der seit der Tat verstrichenen Zeit sei es auch höchst unwahrscheinlich, dass Dritte durch den Beitrag veranlasst werden könnten, durch zusätzliche Recherchen die Täter zu identifizieren. Darüber hinaus würde mit dem zeitlichen Abstand die Empörung über das Handeln der Täter verblassen. Daher fehle es an einer erheblichen Beeinträchtigung der Persönlichkeitsbelange der Täter, was bei Abwägung der Grundrechte zu einem Überwiegen der Rundfunkfreiheit führe111. Damit bestätigt das Bundesverfassungsgericht, dass auch rückschauende Wertungen (Näheres Kap. 10 Rz. 200) den Medien gestattet sein müssen, jedenfalls wenn eine hinreichende Anonymisierung erfolgt. Allerdings ist der bloße Hinweis „Die Handlung ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufällig“ nicht allein hinreichend112. Die Verfilmung der Taten der RAF-Mitglieder in einem Spielfilm mit zahlreichen Originalbildern war riskant, führte aber gleichwohl nicht dazu, dass Faktentreue auch in jedem Detail bewahrt werden musste113. 26
Im Übrigen folgt aus dem persönlichkeitsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht kein absoluter Schutz des Lebens- und Charakterbildes, sondern nur ein Schutz gegen wesentliche Falschdarstellungen oder Einbrüche in die Privat- oder Intimsphäre durch die Mitteilung von Indiskretionen114. Wenn der Einzelne als ein in der Gemeinschaft lebender Bürger in Kommunikation mit Anderen tritt, durch sein Verhalten auf Andere einwirkt oder auf sonstige Weise Belange Anderer oder des Gemeinschaftslebens berührt, können Informationsinteressen vorhanden sein, denen gegenüber den persönlichen Belangen Vorrang eingeräumt werden muss. Das ist lediglich auf Grund einer Güter- und Interessenabwägung zu ermitteln, bei der es darauf ankommt, ob die mitgeteilten Fakten einen Bezug zu einem schutzwürdigen Anliegen der Kritik aufweisen115. Eine Berichterstattung ist erst unzulässig, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht116. Dies wird i.d.R. umso weniger der Fall sein, je stärker der Betroffene auf das Gemeinschaftsleben einwirkt und je mehr die Darstellung zeitgeschichtliche Bedeutung hat117. Insofern kommt eine entsprechende Anwendung, jedenfalls aber eine
108 109 110 111 112 113 114 115 116 117
202
OLG Koblenz v. 24.3.1998 – 4 U 1922/97, ZUM-RD 1998, 260. OLG Sarbrücken v. 14.1.1998 – 1 U 785/97, ZUM-RD 1998, 264. BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226 – Lebach I. BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 348/98, NJW 2000, 1859, 1860 f. – Lebach II. BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645 – Mephisto; Vorentscheidung: BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, BGHZ 50, 133. Vgl. LG Köln v. 9.1.2009 – 28 O 765/08, AfP 2009, 78. BVerfG v. 13.7.2007 – 1 BvR 1783/05, BVerfGE 119, 1 = AfP 2007, 441 Rz. 102 – Esra. BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889; v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein; v. 25.11.1999 – 1 BvR 348/98, NJW 2000, 1859 – Lebach II; BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366. BVerfG, v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889; v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein. Vgl. OLG Hamburg v. 31.1.1985 – 3 U 226/84, AfP 1985, 209; OLG Frankfurt v. 5.10.1989 – 3 U 183/89, AfP 1990, 128, 129.
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 28a Kap. 5
Heranziehung des Rechtsgedankens der §§ 22, 23 KUG in Betracht118. Das Bundesverfassungsgericht hat den Hinweis als persönlichkeitsverletzend betrachtet, eine Person sei Mitglied und Geistlicher der Scientology-Gruppe, obgleich der Betroffene sich zwischenzeitlich von dieser Organisation distanziert hatte119. Keinen Schutz kann ein Fernseh-Showmaster in Anspruch nehmen, wenn zutreffend über 27 seine NS-Vergangenheit, also einen wesentlichen Bereich seiner persönlichen Biografie, berichtet wird120. Die Veröffentlichung einer Auftragsbiografie kann der Auftraggeber nur verhindern, wenn er sich ausdrücklich das Recht dazu vorbehalten hat. Hat er dies nicht getan, kann die Biografie veröffentlich werden, auch wenn deren Inhalt für den Betroffenen negativ sein mag121. Unzutreffende Verfälschung eines wesentlichen Details der eigenen Biografie ist der Bericht über ein öffentlich interessierendes Strafverfahren eines bekannten Publizisten, wenn über den das Strafverfahren abschließenden Freispruch auf Verlangen des Betroffenen nicht berichtet wird122. Inwieweit und für welche Dauer die namentliche Erwähnung als Straftäter hingenommen werden muss, hängt von den Umständen ab (Näheres Kap. 10 Rz. 197 ff.). Durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Äußerungsfreiheit ist die Nennung des 28 eigenen Namens in den Medien geschützt. Berichtet z.B. in mehreren Fernsehshows die Tochter unter Nennung ihres eigenen Namens wahrheitsgemäß, ihr Vater habe sie über Jahre hinweg sexuell missbraucht, muss dieser die Berichterstattung grundsätzlich hinnehmen, auch wenn er dadurch ohne Weiteres identifiziert werden kann123. cc) Recht am gesprochenen Wort Schrifttum: Neumann-Duesberg, Das gesprochene Wort im Urheber- und Persönlichkeitsrecht, 1949; Greulich, Aufnahme geschäftlicher Verhandlungen auf Tonband, BB 1953, 818; Neumann-Duesberg, Heimliche Tonbandaufnahmen von Gesprächen über Abwesende – Der Zivilrechtsschutz des Abwesenden, BB 1957, 865; Leinveber, Zur Frage des persönlichkeitsrechtlichen Schutzes mündlicher und schriftlicher Äußerungen, GRUR 1968, 81; Foerste, Anmerkung zu BAG v. 29.10.1997 – 5 AZR 508/96, JZ 1998, 793; Kopke, Heimliches Mithörenlassen eines Telefongesprächs, NZA 1999, 917; Helle, Der Telefonzeuge im Zivilprozess, JR 2000, 353; Kattanek, Die Verletzung des Rechts am gesprochenen Wort durch das Mithören anderer Personen, 2000; Ernst, Gleichklang des Persönlichkeitsschutzes im Bild- und Tonbereich?, NJW 2004, 1277.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt Elemente der Persönlichkeit, die nicht schon 28a Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Daraus leitet das Bundesverfassungsgericht ab, dass auch ein Recht am gesprochenen Wort bestehe, das durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt werde124. Dieses soll die Selbstbestimmung über die eigene Darstellung der Person in der Kommunikation schützen125. Der Einzelne soll sein 118 119 120 121 122 123 124
AA. Schwerdtner, S. 218. BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein. LG München v. 23.11.1971 – 18 O 675/71, ArchPR 1971, 103. KG v. 1.10.1996 – 5 U 6959/95, NJW 1997, 1164. BGH v. 30.11.1971 – VI ZR 115/70, BGHZ 57, 325 – Freispruch. BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889. BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96; 805/98, NJW 2002, 3619, v. 14.9.2010 – 1 BvR 1842/08, NJW 2011, 740. 125 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77, AfP 1980, 149 = NJW 1980, 2070; v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 ua., NJW 2002, 3619 – Mitgehörtes Telefonat.
Burkhardt/Peifer 203
Kap. 5 Rz. 28b
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Kommunikationsverhalten allein nach eigener Einschätzung bestimmen können. Dazu gehöre auch, selbst zu bestimmen, ob der Kommunikationsinhalt einzig dem Gesprächspartner, einem bestimmten Personenkreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Damit erstrecke sich das Selbstbestimmungsrecht auch auf die Auswahl der Personen, die unmittelbar Kenntnis vom Gesprächsinhalt erhalten sollen. Das Recht schütze daher nicht nur vor einer Verdinglichung des Wortes durch Aufzeichnung auf Tonträger126, sondern auch dagegen, dass ein Kommunikationspartner ohne Kenntnis des sich Äußernden eine dritte Person als Zuhörer in das Gespräch miteinbezieht oder die unmittelbare Kommunikationsteilhabe durch den Dritten gestattet127. Der Schutz bestehe, wenn der sich Äußernde auf Grund der Rahmenbedingungen begründetermaßen erwarten dürfe, nicht von Dritten gehört zu werden. Das sei nicht der Fall, wenn er unerwünschte Hörer übersehe oder die Lautstärke seiner Äußerung falsch einschätze. Der Schutz beziehe sich allein auf die Selbstbestimmung über die unmittelbare Zugänglichkeit der Kommunikation. Erheblich sei weder, ob es sich um eher belanglose oder besonders sensible Informationen handele, noch komme es auf die Vereinbarung einer besonderen Vertraulichkeit der Gespräche an. 28b
Das Recht am gesprochenen Wort ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht identisch mit dem Schutz der Privatsphäre. Dieser schützt in thematischer und räumlicher Hinsicht den privaten Bereich. Äußerungen über diesen Bereich sind unabhängig davon geschützt, wie der Inhalt an einen Dritten gerät (Näheres zum Privatsphärenschutz Rz. 54). Demgegenüber ist der Schutz des Rechts am gesprochenen Wort nicht auf bestimmte Inhalte und Örtlichkeiten begrenzt, sondern bezieht sich allein auf die Selbstbestimmung über die unmittelbare Zugänglichkeit der Kommunikation. Allerdings schützt auch das Recht am gesprochenen Wort Aspekte der Privatsphäre (Vertraulichkeit), wie auch das Interesse an der Abwehr von Kontextveränderungen, die durch die Aufzeichnung des Wortes, insb. der Stimme, berührt werden können. Wie beim Recht am eigenen Bild ergibt sich der Eingriffscharakter einer Wortaufzeichnung zum Einen aus der Verfügbarmachung eines Persönlichkeitsaspekts, der den Eindruck von Authentizität (Wiedererkennbarkeit) trägt, zum Anderen aus Kürzungen, Veränderungen und eben dem Hineinrücken in einen neuen Kontext, welcher besondere Verletzungsgefahren erzeugt. Es geht daher im Ergebnis nicht um ein eigentumsgleiches Verfügungsrecht, sondern die Abwehr besonderer Gefahren. Man sollte daher auf den Schutz der Stimme, die das gesprochene Wort trägt, §§ 22, 23 KUG analog anwenden128. Die Aneignung der Stimme durch sog. „sound-alikes“ kann den Charakter falscher Tatsachenmitteilungen erreichen, aber bei Einsatz in der Werbung auch als unerwünschte kommerzielle Nutzung zu behandeln sein (siehe auch Rz. 29 ff.)129.
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Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht vorbehaltlos gewährleistet ist, muss die Rechtswidrigkeit eines Grundrechtseingriffs auf Grund einer Abwägung der widerstreitenden rechtlich geschützten Interessen festgestellt werden. Zulässig könne daher ein Eingriff in das Recht auf Grund einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage sein130, so z.B. zur Feststellung der Identität eines Anrufers, der sich als eine andere Person ausgegeben hatte, um ge126 Vgl. BVerfG v. 31.1.1973 – 2 BvR 454/71, NJW 1973, 891 – Tonbandaufnahme; BGH v. 13.10.1987 – VI ZR 83/87, MDR 1988, 305 = CR 1988, 559 = NJW 1988, 1016 – Tonband-Mitschnitt; § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB. 127 OLG Karlsruhe v. 11.12.2002 – 6 U 135/02, AfP 2003, 440 = NJW-RR 2003, 410: Ausstrahlung einer gruppentherapeutischen Sitzung im Rundfunk. 128 Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001, S. 165; Ernst, NJW 2004, 1277. 129 Bsp. aus den USA Midler v. Ford Motor Co., 849 F.2d 460, 9th Cir. 1988 = GRUR-Int. 1989, 338. 130 Vgl. BGH v. 20.5.1958 – VI ZR 104/57, BGHZ 27, 284.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 28d Kap. 5
fahrlos Verleumdungen auszusprechen131. Zulässig könne ein Eingriff auch zur Schaffung von Beweismitteln dann sein, wenn auf andere Weise nur schwer, möglicherweise überhaupt nicht kriminelle Angriffe auf die berufliche Existenz abgewehrt werden könnten132. Demgegenüber reicht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts „Mitgehörtes Telefonat“ das Interesse nicht aus, sich für zivilrechtliche Ansprüche ein Beweismittel zu sichern133. Das Bundesverfassungsgericht verwirft mit dieser Entscheidung die in Zivilrechtsprechung 28d und Lehre zwischenzeitlich herrschende Meinung, dass ein schlichtes Mithören jedenfalls nach Maßgabe einer Einzelfallabwägung134 zulässig ist135 und folgt der heftig kritisierten Auffassung136 des BAG137. Die Entscheidung vermag nicht zu überzeugen. Eine Wortadressierungsmacht besteht, wie schon Helle138 überzeugend nachgewiesen hat, nicht139. Eine Person mag entscheiden können, ob sie redet oder schweigt, ob sie laut oder leise redet, sich mündlich, telefonisch oder schriftlich äußert. Sie kann diese Entscheidungen davon abhängig machen, dass nach ihrer Einschätzung dies nur Personen wahrnehmen, für die die Worte bestimmt sind. Sie kann dabei irren und unerwünschte Hörer in der Nähe übersehen oder ihre Lautstärke unzutreffend einschätzen140. Dies erkennt im Grunde auch das Bundesverfassungsgericht an. Es meint daher, der Schutz bestehe nur, wenn der Sprecher aufgrund der Rahmenbedingungen begründetermaßen erwarten dürfe, nicht von Dritten gehört zu werden141. Die notwendige Konsequenz aus dieser Einsicht zieht das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht. Mit wenigen Worten stellt es apodiktisch fest, dass der Schutz nicht von einem vertraulichen Charakter des Gespräches oder davon abhängig ist, dass der Anrufer erkennbar Wert auf Vertraulichkeit legt. In welchen Fällen der Schutz auf Grund der Rahmenbedingungen begründetermaßen besteht bzw. nicht besteht, erörtert das Gericht dann lediglich unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen Einwilligung zum Mithören. Besteht der Schutz jedoch demnach nur in Situationen, auf Grund derer erwartet werden darf, nicht von Dritten gehört zu werden, so berührt die Frage der Üblichkeit, Mithöreinrichtungen zu nutzen, nicht die Einwilligung, sondern die davor liegende Frage des Schutzbereichs. Darf ein Anrufer tatsächlich begründetermaßen darauf vertrauen, dass Dritte das Telefonat nicht mithören? Ob der Schutzbereich dieses Rechts überhaupt berührt sein kann, ist gerade im entschiedenen Fall besonders zweifelhaft. Der Anruf wurde zunächst von der Mutter des Angerufenen angenommen. Der Anrufer wusste daher, dass in der unmittelbaren räumlichen Nähe eine dritte Person anwesend ist. Macht er in diesem Fall nicht deutlich, dass er seine Worte allein an den Betroffenen richten will, kann richtigerweise nicht davon ausgegangen werden, der Anrufende könne begründetermaßen erwarten, nicht von Dritten gehört zu werden. Ist der Schutzbereich jedoch nicht berührt, kommt es entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auf die Frage einer etwaigen Einwilligung nicht mehr an. 131 Vgl. BGH v. 24.11.1981 – VI ZR 164/79, NJW 1982, 277. 132 Vgl. BGH v. 27.1.1994 – I ZR 326/91, MDR 1994, 766 = NJW 1994, 2289, 2292 f. 133 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, NJW 2002, 3619, 3624 – Mitgehörtes Telefonat; a.A. OLG Düsseldorf v. 21.1.2000 – 22 U 127/99, NJW 2000, 1578. 134 Weitergehend OLG Düsseldorf v. 21.1.2000 – 22 U 127/99, NJW 2000, 1578. 135 BGH v. 27.1.1994 – I ZR 326/91, MDR 1994, 766 = NJW 1994, 2289 – Lauschzeuge II; eingehend Helle, JR 2000, 353 m.w.N. 136 Vgl. Erman/Klass, Anhang zu § 12 BGB Rz. 134 m.w.N. 137 BAG v. 29.10.1997 – 5 AZR 508/96, MDR 1998, 421 = CR 1998, 219 = NJW 1998, 1331. 138 Helle, JR 2000, 353, 356 ff. 139 Ebenso Erman/Klass, Anhang § 12 BGB Rz. 126, 134. 140 Helle, JR 2000, 353, 357. 141 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, NJW 2002, 3619, 3621 – Mitgehörtes Telefonat.
Burkhardt/Peifer 205
Kap. 5 Rz. 28e
Wortberichterstattung – die Tatbestände
28e Zutreffend gehen Foerste142 und Helle143 davon aus, dass die Gefahr des Mithörens Dritter
jedenfalls zivilrechtlich grds. der Risikosphäre des Sprechers zuzuweisen ist. Das Recht am gesprochenen Wort ist auf bürgerliche Rechtsverhältnisse nicht unmittelbar anwendbar. Es kann seine Wirkung vielmehr nur bei Auslegung und Anwendung einfach rechtlicher Bestimmungen entfalten. Das Zivilrecht kann daher die Rahmenbedingungen, unter denen der sich Äußernde begründetermaßen erwarten darf, nicht von Dritten gehört zu werden, eigenständig definieren. Wird davon ausgegangen, erweisen sich die jüngeren Urteile der Zivilgerichte144 entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts als richtig. Sie bestimmen die Rahmenbedingungen entsprechend dem heute üblich Gewordenen. Helle145 weist zutreffend darauf hin, dass es gerade der sich Äußernde selbst ist, der z.B. das Telefon als technisches Mittel nutzt, um die naturgegebene räumliche Grenze seines gesprochenen Wortes zu überwinden. Damit begibt er sich der Möglichkeit, zu kontrollieren, in welcher Situation sein gesprochenes Wort den Empfänger erreicht. Anders als beim mündlichen Gespräch vermag er die Verhältnisse beim Empfänger nicht zu überblicken. Dann kann er aber nicht darauf vertrauen, Dritte würden ihn nicht hören können. Die Gefahr des Mithörens gehört daher zur Risikosphäre des sich Äußernden146. Insoweit gilt nichts anderes als beim mündlichen Gespräch, wenn ein zufälliger Mithörer übersehen wird. Für diesen Fall geht das Bundesverfassungsgericht selbst davon aus, dass ein Schutz nicht besteht147. Daher kann ein etwa anzuerkennendes Recht am gesprochenen Wort nur bei darüber hinausgehenden Eingriffen verletzt werden (vgl. Kap. 10 Rz. 18 ff.). Dies gilt auch in Zeiten, in denen zunehmend in der Öffentlichkeit telefoniert wird. Allerdings ist das Mitschneiden eines mitgehörten Gesprächs über die Diktierfunktion des eigenen Mobiltelefons eine unzulässige Aufzeichnung, deren Verbreitung analog §§ 22, 23 KUG grundsätzlich unzulässig ist. dd) Ausbeutung von Persönlichkeitsgütern Schrifttum: Nimmer, The Right of Publicity, 19 Law & Cont. Prob. 203, 1954; Forkel, Lizenzen an Persönlichkeitsrechten durch gebundene Rechtsübertragung, GRUR 1988, 491; Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, 1991; Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 1995; Seemann, Prominenz als Eigentum, 1996; Beuthien/Schmölz, Persönlichkeitsschutz und Persönlichkeitsgüterrechte, 1999; Ullmann, Persönlichkeitsrechte in Lizenz?, AfP 1999, 209; Ladeur, Schutz von Prominenz als Eigentum, ZUM 2000, 879; Peukert, Persönlichkeitsbezogene Immaterialgüterrechte?, ZUM 2000, 710; Schertz, Die wirtschaftliche Nutzung von Bildnissen und Namen Prominenter, AfP 2000, 495; Beuthien, Persönlichkeitsgüterschutz vor und nach dem Tode, 2002; von Gerlach, Gewinnherausgabe bei Persönlichkeitsverletzungen nach schweizerischem Vorbild?, VersR 2002, 917; Peifer, Eigenheit oder Eigentum? Was schützt das Persönlichkeitsrecht?, GRUR 2002, 495; Kläver, Vermögensrechtliche Aspekte des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, ZUM 2002, 205; Fricke, Personenbildnisse in der Werbung für Medienprodukte, GRUR 2003, 406; Biene, Starkult, Individuum und Persönlichkeitsgüterrecht. Überlegungen zur interessengerechten rechtlichen Gestaltung der wirtschaftlichen Nutzung von Persönlichkeitsrechten, 2004; Koos, Der Name als Immaterialgut, GRUR 2004, 808; Klass, Die zivilrechtliche Einwilligung als Instrument zur Disposition über Persönlichkeitsrechte, AfP 2005, 507; Büchler, Die Kommerzialisierung von Persönlichkeitsgütern, AcP 2006, 300; Tampe, Der Schutz gegen die kommerzielle Ausnutzung von Identitätsmerkmalen im US-amerikanischen Recht, 2006; Helle, Privatautnomie und kommerzielles Persönlichkeitsrecht, JZ 142 Foerste, JZ 1998, 793, 794. 143 Helle, JR 2000, 353, 357. 144 Z.B. BGH v. 27.1.1994 – I ZR 326/91, MDR 1994, 766 = NJW 1994, 2289 – Lauschzeuge II; OLG Düsseldorf v. 21.1.2000 – 22 U 127/99, NJW 2000, 1578. 145 Helle, JZ 2000, 353, 359 f. 146 Foerste, JZ 1998, 793, 794; Helle, JZ 2000, 353, 360. 147 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 ua., NJW 2002, 3619, 3621 – Mitgehörtes Telefonat.
206
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 29 Kap. 5
2007, 444; Ladeur, Fiktive Lizenzentgelte für Politiker?, ZUM 2007, 111; Ahn, Der vermögensrechtliche Zuweisungsgehalt des Persönlichkeitsrechts, 2009; Helle, Die kommerzielle Persönlichkeit und das Grundgesetz, AfP 2010, 531; Lettmaier, Prominente in der Werbung für Presseerzeugnisse – Ende des Privilegs?, WRP 2010, 695; Reber, „Celebrity Impersonators“ zwischen Persönlichkeitsschutz und Kunstreiheit, GRUR-Int. 2010, 22; Blank, Wirtschaftsgut Celebrity? – Handel mit Persönlichkeitsrechten, NJ 2012, 457; Helle, Das kommerzielle Persönlichkeitsrecht im Rechtsverkehr, AfP 2013, 288; Gerecke, Der Einsatz von Doppelgängern und Lookalikes zu kommerziellen Zwecken, GRUR 2014, 518; Ettig, Bereicherungsrechtliche Ansprüche bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch redaktionelle Berichterstattung, K&R 2016, 12; Kretschmer, Die Verwertung von Persönlichkeitsrechten im Profisport, 2016; Thalmann, Nutzung der Abbilder von Personen des öffentlichen Interesses zu Werbezwecken, 2016; Gomille, Die Verteidigung gegen unerwünschte Werbung, GRUR 2017, 241; Wandtke, Ökonomischer Wert von persönlichen Daten, MMR 2017, 6.
Bereits das RG hat ausgesprochen, dass es der freien Entscheidung des Einzelnen vorbehal- 29 ten bleiben muss, ob er sein Bildnis als Anreiz für den Kauf von Waren zur Verfügung stellen will148. Der gleiche Gedanke liegt der Paul Dahlke-Entscheidung zugrunde149, die die Verwendung eines einvernehmlich hergestellten Bildnisses zu Werbezwecken betrifft. Dass die ungenehmigte Verwendung eines Bildnisses zu Werbezwecken eine Persönlichkeitsverletzung bedeutet, entspricht heute der st. Rspr.150. Auch in der Abbildung eines Doppelgängers, der einer berühmten Person täuschend ähnlich sieht, liegt ein Bildnis der berühmten Person151. Das gleiche gilt, wenn der Eindruck, es handele sich um die berühmte Person, nicht auf Grund einer Ähnlichkeit der Gesichtszüge, sondern auf andere Weise erzeugt wird, etwa durch Nachstellen einer bekannten Situation oder Szene152. Auch die Abbildung eines Schauspielers in seiner Rolle ist als Bildnis des Schauspielers anzusehen, wenn er noch erkennbar und identifizierbar ist153. Das gilt auch bei Einsatz eines Doppelgängers154. Nicht als kommerzielle Aneignung gilt allerdings die zu Zwecken der Meinungsäußerung, Kritik, Satire oder zur Berichterstattung155 erfolgende Verwendung von Persönlichkeitsattributen. Davon profitiert auch die Werbung für das jeweilige publizistische Produkt. Wird über den Abgebildeten in der Presse in zulässiger Weise berichtet, kann das Bildnis auch für die Eigenwerbung der Presse verwendet werden156. Eine Zeitung durfte das von dritter Seite beschaffte Porträtfoto 148 RG v. 28.10.1910 – Rep. II. 688/09, RGZ 74, 308 – Graf Zeppelin. 149 BGH v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1554. 150 BVerfG v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 594, 595 – Willy Brandt-Gedenkmünze; BGH v. 28.10.1960 – I ZR 87/59, NJW 1961, 558 – Familie Schölermann; v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor; v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593 – Willy Brandt; v. 11.3.2009 – I ZR 8/07, MDR 2009, 1292 = AfP 2009, 485. 151 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel; OLG Karlsruhe v. 4.11.1994 – 14 U 125/93, AfP 1996, 282; LG Köln v. 19.9.2000 – 33 O 276/00, ZUM 2001, 180. 152 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel. 153 BGH v. 28.10.1960 – I ZR 87/59, NJW 1961, 588 – Familie Schölermann; v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201, 2202 – Der blaue Engel. 154 „lookalike“, OLG Köln v. 6.3.2014 – 15 U 133/13, AfP 2015, 347; Gerecke, GRUR 2014, 518. 155 BGH v. 28.5.2013 – VI ZR 125/12, MDR 2013, 1100 = IPRB 2013, 197 = AfP 2013, 399 – Eisprinzessin Alexandra. 156 BGH v. 29.10.2009 – I ZR 65/07, MDR 2010, 706 = AfP 2010, 237 = GRUR 2010, 546 – Der strauchelnde Liebling; v. 18.11.2010 – I ZR 119/08, AfP 2011, 350 = MDR 2011, 872 = GRUR 2011, 647 – Markt und Leute; ebenso EGMR v. 23.7.2009 – 12268/03, MuR 2009, 298 Rz. 48 – Hachette/Johnny Halliday; Fricke, GRUR 2003, 406.
Burkhardt/Peifer 207
Kap. 5 Rz. 29
Wortberichterstattung – die Tatbestände
eines Mädchens, das bei einem Autounfall, an dem ein prominenter Musiker beteiligt war, zu Tode kam, gegen den Willen der Eltern ablichten, obwohl in der plakativen Berichterstattung auf der Titelseite ein kommerzieller Effekt für das Produkt selbst lag157. Wer ein Künstlerfoto zu Zwecken der Bewerbung eines Filmes oder eines Musicals nutzt, handelt zwar kommerziell, doch schützt Art. 5 Abs. 1 GG diesen Wirkbereich von Medien, Film und Kunst158. Der Betreiber einer Webseite mit Informationen zu Klaus Kinski durfte die Domain „kinski-klaus.de“ verwenden159, obgleich die Namensverwendung grundsätzlich auch gegen die Anmaßung von Namen zur Bezeichnung von Domains schützt160. Die satirische Verwendung von tagesaktuellen Nachrichten, die einen Prominenten betreffen, ist selbst in der Werbung gestattet, denn Werbung ist ihrerseits geschützte Äußerung und darf daher auch kritisch und persiflierend zu tagesaktuellen Geschehnissen Stellung nehmen161. Die Grenze ist überschritten, wenn der Bericht über das Privatleben eines Prominenten im Kern nur noch dazu dient, ein Presseprodukt zu bewerben. So konnten die Erben des verstorbenen Gunter Sachs die Verwendung eines Fotos, das Sachs beim Studium einer Zeitung auf seiner Jacht in Südfrankreich zeigt, erfolgreich untersagen, weil die Eigenwerbung den Berichtswert des Ereignisses klar überstieg162. Unzulässig war es, mit dem Bildnis eines Prominenten auf dem Titelblatt eines Rätselheftes mit einer Unterzeile zu werben, die nur den Titel der von ihm moderierten Fernsehsendung zeigt, aber im Übrigen kein Informationsinteresse bedient; die Veröffentlichung diente vielmehr ausschließlich den Geschäftsinteressen des Presseorgans, weil das Bildnis nur verwendet wurde, um deren Werbewert auszunutzen163. Im Übrigen darf das Persönlichkeitsrecht nicht zusätzlich beeinträchtigt werden. Ein anderes Foto darf z.B. nicht verwendet werden, wenn es den Betroffenen besonders unvorteilhaft darstellt oder dadurch der Sinngehalt der Bildaussage erheblich geändert wird. Auch darf nicht der Eindruck entstehen, der Abgebildete identifiziere sich mit dem Produkt und empfehle es164. Wird eine Szene eines Wimbledon-Turniers in der Werbung für ein Fernsehgerät als „Fernsehbild“ eingeblendet, verletzt dies das Persönlichkeitsrecht des abgebildeten Tennisprofis, weil es hierbei nicht um mediale Informationsvermittlung, sondern um kommerzielle Werbung für das Gerät geht (Näheres zum Bildnisschutz s. Kap. 7 Rz. 3 ff.)165.
157 BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, MDR 2012, 641 = AfP 2012, 260 – Fall Max Mutzke. 158 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, BGHZ 143, 214 = AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = GRUR 2000, 709, 711 – Marlene Dietrich. 159 BGH v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, BGHZ 169, 193 = AfP 2007, 42 = CR 2007, 101 = MDR 2007, 417 = ITRB 2007, 57 Rz. 14. 160 BGH v. 26.6.2003 – I ZR 296/00, BGHZ 155, 273 = AfP 2003, 579 = CR 2003, 845 = MDR 2004, 347 = ITRB 2004, 3 – maxem.de. 161 BGH v. 26.10.2006 – I ZR 182/04, BGHZ 169, 340 = NJW 2007, 689 – Rücktritt des Finanzministers; v. 5.6.2008 – I ZR 96/07, MDR 2008, 1408 = NJW 2008, 3782 Rz. 14 – Zerknitterte Zigarettenschachtel, gebilligt durch EGMR v. 19.2.2015 – Nr. 53649/09, AfP 2015, 327; ähnlich BGH v. 5.6.2008 – I ZR 223/05, AfP 2008, 598 = NJOZ 2008, 4549. 162 BGH v. 31.5.2012 – I ZR 234/10, MDR 2013, 165 = NJW 2013, 793 Rz. 43 – Playboy am Sonntag. 163 BGH v. 12.3.2009 – I ZR 8/07, AfP 2009, 485. 164 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317 – Marlene Dietrich II. 165 LG München I v. 13.3.2002 – 21 O 12437/99, ZUM 2002, 565; ähnlicher Fall: OLG Köln v. 5.11.2013 – 15 U 44/13, AfP 2014, 151.
208
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 31 Kap. 5
Auch die ungenehmigte werbliche Verwendung des Namens eines Anderen bedeutet regel- 30 mäßig eine unzulässige Ausbeutung von Persönlichkeitsgütern166. In der Caterina ValenteEntscheidung hatte der BGH noch dahingestellt sein lassen167, ob Fälle denkbar sind, in denen die ungenehmigte Erwähnung einer Person in einem Werbetext nicht zu beanstanden ist. Jedenfalls brauche aber niemand zu dulden, ungefragt in einer Werbeanzeige genannt zu werden, wenn darunter sein Ansehen leiden könnte, wie es der Fall sei, wenn der Name einer beliebten Sängerin im Zusammenhang mit der Werbung für ein Zahnprothesenmittel erscheint. In der Entscheidung „Rennsportgemeinschaft“ geht der BGH hierüber hinaus168. Dort stellt er mit Recht fest, dass der Name vor unbefugter Ausnutzung für fremde Geschäftsinteressen auch zu schützen ist, wenn mit dem Namensgebrauch keine Minderung von Ruf und Ansehen des Berechtigten verbunden ist. Ähnlich den Grundsätzen beim Bildnisschutz kann auch in der Verwendung eines abgewandelten Namens ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des berühmten Namensträgers liegen, jedenfalls wenn auf Grund sonstiger Umstände nur dieser gemeint sein kann169. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass Namen häufig mehrere Träger haben, so dass nicht allein auf Grund zufälliger Namensgleichheit auf eine bewusste Anmaßung fremder Personenattribute geschlossen werden kann; gelegentlich ist der Name auch beschreibend für andere Zusammenhänge. So konnte ein Namensträger die zufällige Verwendung der Bezeichnung „Hasso von Wedel“ trotz Namensgleichheit für einen Plüschhund nicht verbieten170. Denn der Namensträger hat kein alleiniges Benutzungrecht171. Wer fremde Namen benutzt, eignet sich nicht schon per se Persönlichkeitsattribute an, denn der Name bezeichnet die Person zwar, ist aber – anders als das Bildnis – nicht stets geeignet, die Person auch zuverlässig zu individualisieren. Schon gar nicht ist er eine Art Lebensgut, die mit der Person untrennbar verbunden ist. Ebenso wie beim Bildnis ist auch beim Namen die freie Entscheidung geschützt, ob er Ge- 31 schäftsinteressen Dritter dienstbar gemacht werden darf. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährt dem Berechtigten einen generellen Schutz vor Eingriffen Dritter, die die Person als solche berühren. Ein in einem bestimmten Gebiet bekannter Name darf dort auch nicht unter Beifügung des Fotos einer anderen, aber ähnlich aussehenden Person zu Werbezwecken verwendet werden172. Werden andere schützenswerte Persönlichkeitsmerkmale zu Werbezwecken verwendet, kann darin ebenso eine Ausbeutung von Persönlichkeitsgütern liegen173. Dementsprechend ist es auch unzulässig, die bekannte Stimme eines Künstlers, auch eines verstorbenen, zu Werbezwecken zu imitieren (zur Vererblichkeit der vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts s. Rz. 116 ff.)174 oder in der Werbung für einen Online-Dienst einen berühmten Tennisspieler als Absender einer E-Mail durch Bezugnahme auf einen anderen Werbespot und Nennung des Vornamens der Ehefrau erscheinen zu 166 BGH v. 26.6.1981 – I ZR 73/79, BGHZ 81, 75 – Rennsportgemeinschaft; BGH v. 26.6.2003 – I ZR 296/00, BGHZ 155, 273 = AfP 2003, 579 = CR 2003, 845 = MDR 2004, 347 = ITRB 2004, 3 – maxem.de. 167 BGH v. 18.3.1959 – IV ZR 182/58, BGHZ 30, 7 = NJW 1959, 1269. 168 BGH v. 26.6.1981 – I ZR 73/79, NJW 1981, 2402. 169 OLG Hamburg v. 24.9.1992 – 3 U 72/92, AfP 1993, 582 – Huschke von Hanstein/Huschke von Busch. 170 OLG Hamburg v. 1.11.1990 – 3 U 168/90, AfP 1992, 267. 171 Peifer, Individualität im Zivilrecht, S. 181. 172 OLG Bremen v. 17.12.1985 – 1 U 128/85, AfP 1987, 514. 173 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195, 2197 – Marlene Dietrich. 174 OLG Hamburg v. 8.5.1989 – 3 W 45/89, AfP 1989, 760 = GRUR 1989, 666 – Heinz Erhardt „und noch ’n Gedicht“.
Burkhardt/Peifer 209
Kap. 5 Rz. 32
Wortberichterstattung – die Tatbestände
lassen175. Aus der auf die freie Entscheidung abstellenden Schutzrichtung folgt allerdings auch, dass das Persönlichkeitsrecht unerwünschte Kommerzialisierungen in erster Linie abwehren soll, nicht auch, dass über solche Kommerzialisierungen Verfügungsrechte und Lizenzbefugnisse entstehen. Die Umbildung des auf ideellen Schutz abstellenden Persönlichkeitsrechts zu einem Verfügungs- und Eigentumsgegenstand ist insofern der Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes nicht immer förderlich, weil die Lizenzierung solcher Nutzungen das Risiko birgt, dass die Person die Verfügungsmöglichkeiten über persönliche Interessen gegen Geldzahlung preisgibt und einbüßt, ohne den Umfang der Gestattung selbstbestimmt kontrollieren zu können176. Diskutiert wird eine solche Kommerzialisierung neuerdings auch für personenbezogene Daten, insb. in Bezug auf Werbenutzungen solcher Daten und daraus entstehender Persönlichkeitsprofile177. Die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts zum Vermögensrecht ist durch den BGH allerdings gebilligt worden. Sie stellt heute die wesentliche Grundlage für das Merchandising von Persönlichkeitsgütern im Bereich von Film, Unterhaltung und Sport dar. Insoweit ist das in den USA begründete right of publicity178 mittlerweile im Wesentlichen auch in Deutschland rezipiert, wenngleich das Bundesverfassungsgericht nach wie vor und zu Recht darauf besteht, dass der Persönlichkeitsschutz nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet ist179. Im Datenschutzrecht fehlt es bisher richtigerweise an einer Umbildung des Abwehrrechts zum Eigentumsrecht des Betroffenen. Sie sollte auch nicht angestrebt werden. 32
Eine Persönlichkeitsverletzung kann nicht nur darin liegen, dass das Bildnis oder der Name eines Anderen ungefragt zu Werbezwecken verwendet, sondern auch darin, dass ein solches Persönlichkeitsgut zum unmittelbaren Kaufgegenstand gemacht wird. Das ist z.B. der Fall, wenn aus der Lebensgeschichte oder dem Berufsleben eines Menschen eine Illustriertenserie, ein Roman oder ein Film gemacht wird, wie etwa ein mehrteiliger Fernsehfilm, dessen Gegenstand die wesentlichen Leistungen eines Kriminalkommissars sind. Dies gilt jedenfalls, wenn der Betroffene diesen „Stoff“ geheim hält, um ihn selbst für Memoiren oder ähnliche Zwecke zu verwenden. Werden dafür insgeheim beschaffte Tagebuchkopien oder sonstige private Aufzeichnungen verwendet, ist dies unabhängig von der Frage des eventuell zusätzlich eingreifenden Urheberschutzes unzulässig. Es ist auch nicht unbedingt entscheidend, ob der Lebensbildschutz eingreift (vgl. Rz. 23). Die Unzulässigkeit folgt aus der kompakten Ausbeutung des Materials, das der Betroffene allein für sich und nicht auch für Andere geschaffen hat. Ganz besonders gilt das, wenn der Betroffene die Tagebuchaufzeichnungen gefertigt hat, um sie für eigene Memoiren zu verwenden. Dasselbe gilt, wenn nur einzelnen Personen, etwa einem Biographen oder Ghostwriter, Zugang zu vertraulichem Material verschafft wurde, ohne dass die Einwilligung zur Veröffentlichung des Originalmaterials vorliegt180. Handelt es sich um eine absolute Person der Zeitgeschichte, wie z.B. einen König oder einen Staatspräsidenten, deren Wirken eine wesentliche Bedeutung für die Allgemeinheit hat(te), ist i.d.R. von der Zulässigkeit solcher Darstellungen auszugehen, wenn damit zugleich schutzwürdige Publikationsinteressen wahrgenommen werden, nicht aber, wenn über die Unterlagen eine Vertraulichkeitsvereinbarung getroffen wurde181. Zulässig ist es, eine Gedenkmünze mit dem Bildnis Willy Brandts zu vertreiben, auf deren Rückseite sich stilisierte Abbildungen 175 176 177 178 179 180 181
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OLG München v. 26.1.2001 – 21 U 4612/00, AfP 2001, 244 = ZUM 2001, 434. Schack, AcP 195 (1995), 594; Peifer, GRUR 2002, 495, 499. Dazu Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, 2006; Wandtke, MMR 2017, 6. Nimmer, 19 Law & Cont. Prob. 203, 1954. BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021. OLG Köln v. 5.5.2015 – 15 U 193/14, AfP 2015, 430 = ZUM-RD 2015, 731 – Fall Kohl. OLG Köln v. 5.5.2015 – 15 U 193/14, AfP 2015, 430 = ZUM-RD 2015, 731 – Fall Kohl.
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 33 Kap. 5
des Bundesadlers, des Brandenburger Tors und einer Friedenstaube sowie am Münzrand die Angaben „Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“, „Regierender Bürgermeister von Berlin“ und „Friedensnobelpreisträger“ befinden182. Der BGH führt dazu – vom Bundesverfassungsgericht unbeanstandet – aus, dass ein zu berücksichtigendes Informationsinteresse um so näher liegt, je stärker die allgemeine Aufmerksamkeit auf eine Person gerichtet ist. Wird das Bildnis für den Betrachter in einen deutlichen Zusammenhang mit den Leistungen als Politiker und Staatsmann gestellt, sei der Vertrieb trotz des verfolgten kommerziellen Interesses auch ohne Einwilligung zulässig. Allerdings können sich Abgrenzungsprobleme ergeben. So hat der BGH es in der Ligaspieler-Entscheidung als unzulässig bezeichnet183, Porträtfotos von Bundesligaspielern ohne Einwilligung in Tüten à vier Stück zum Einkleben in ein Sammelalbum zu vertreiben. Bei den Erwerbern stehe nicht ein Informationsbedürfnis, sondern das Bestreben im Vordergrund, die Bildnisse der beliebten Sportler im eigenen Besitz zu haben. Zudem erschienen den jugendlichen Sportfreunden die Bildnisse als besonders geeignete Objekte für die ihrem Alter eigene Tausch- und Sammelleidenschaft184. Die Verwendung eines Aktionsfotos des seinerzeitigen Spielführers der Nationalelf als Titelblatt eines aus zwölf Blättern bestehenden Wandkalenders hat der BGH demgegenüber als zulässig bezeichnet185, weil die Kampfszene Information biete und auch die informative Gesamtkonzeption des Kalenders berücksichtigt werden müsse. Durch die Aufnahme seines Bildnisses in den Kalender könne der Fußballstar sich kaum in stärkerem Maße kommerzialisiert fühlen, als wenn sein Bildnis in einer Illustrierten erschienen wäre. Hat der Verwerter mit dem Betroffenen gegen Zahlung eines Entgeltes eine Verwertungsvereinbarung getroffen, erfolgt die Verwertung dann aber in größerem Rahmen als in der Vereinbarung vorgesehen, kann der Betroffene evtl. ein Zusatzhonorar fordern. Auch die ungenehmigte Verwendung der Abbildung oder Nachbildung einer Sache zu 33 Zwecken der Werbung oder der sonstigen Kommerzialisierung kann persönlichkeitsverletzend sein. Das kommt in Betracht, wenn mit der Sache eine bestimmte Person identifizierbar ist und sie durch die Kommerzialisierung in ein falsches Licht gerückt wird. Z.B. hat es der BGH als persönlichkeitsverletzend bezeichnet, in einem Werbeprospekt ein in fremdem Eigentum stehendes Haus so abzubilden, dass der Anschein entsteht, Erbauer sei der Werbungtreibende, wenn das aber in Wirklichkeit der Eigentümer war186. Es entsteht dann der Verdacht, mit seiner Behauptung, er sei der Erbauer, habe der Eigentümer die Unwahrheit gesagt, oder aber, der Eigentümer sei an der Werbung beteiligt. Ein persönlichkeitsverletzender falscher Anschein kann auch bei der Kommerzialisierung der Abbildung oder Nachbildung sonstiger Gegenstände entstehen, z.B. eines selbst gebastelten Pkws oder Segelbootes oder auch eines charakteristischen Haustieres, das einer bestimmten Persönlichkeit zugeordnet wird. Daher kann die werbliche oder kommerzielle Verwendung der Abbildung oder Nachbildung charakteristischer Gegenstände der freien Selbstbestimmung des Eigentümers bzw. des Gestalters unterworfen werden, wenn eine nach außen erkennbare persönliche Beziehung besteht und die Art der Abbildung einen inhaltlich unrichtigen Kontext erzeugt oder aber die Privatheit des Eigentümers beeinträchtigt187. Unzulässig kann dies insbesondere sein, wenn 182 BVerfG v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 594; BGH v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593. 183 BGH v. 20.2.1968 – VI ZR 200/66, BGHZ 49, 288 = NJW 1968, 1091. 184 Ebenso OLG München v. 28.7.1983 – 6 U 2517/83, v. 10.5.1985 – 21 U 3674/84, ZUM 1985, 448; ZUM 1985, 452. 185 BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203. 186 BGH v. 2.4.1971 – VI ZR 171/69, NJW 1971, 1359 – Haus auf Teneriffa. 187 OLG Hamburg v. 21.6.2011 – 7 U 28/11, AfP 2012, 165.
Burkhardt/Peifer 211
Kap. 5 Rz. 34
Wortberichterstattung – die Tatbestände
die Vermarktung nur mit Rücksicht auf die Person des Eigentümers erfolgt. Wird die Beziehung des Eigentümers zum Abbildungsgegenstand nicht erkennbar, kann er die gewerbliche Verwertung der Abbildung, z.B. eines Hauses für einen Werbeprospekt, allerdings grundsätzlich nicht verhindern188. Davon hat der BGH eine zweifelhafte Ausnahme für den Fall gemacht, dass der die Fotografie Erstellende zum Zwecke der Aufnahme das Grundstück betritt189. Damit wurde eine immaterielle Beeinträchtigung systemwidrig zum Inhalt der an die Körperlichkeit einer Beeinträchtigung anknüpfenden Sacheigentümerbefugnis gemacht190. 34
Ob und inwieweit geschützte Firmennamen durch Dritte kommerzialisiert werden dürfen, ist problematisch. Das OLG Frankfurt hat die Auffassung vertreten, das Recht hierzu unterliege der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Unternehmens. Den Vertrieb eines Autoaufklebers mit einem Paarungshaltung einnehmenden Kranichpaar und der Aufschrift „Lusthansa“ hat es zwar für zulässig gehalten191, für unzulässig aber den Vertrieb eines Aufklebers mit dem BMW-Emblem und der Aufschrift „Bumms Mal Wieder“192. Die letzterwähnte Entscheidung hat der BGH mit der Begründung aufgehoben193, es gehe um einen bloßen Scherz. Ob es sich ein Unternehmen tatsächlich gefallen lassen muss, dass andere die Bekanntheit seines Namens und Emblems nicht nur zum Gegenstand eines Scherzes machen, sondern diesen kommerzialisieren, lässt sich aber allenfalls dann in Zweifel ziehen, wenn der Unternehmensname zugleich auch dem Inhaber zusteht, also persönlichkeitsschützende Funktion hat. Unternehmen haben im Übrigen nur die Möglichkeit, den verwechslungsfähigen Gebrauch ihres Namens oder ihrer Firma zu untersagen. Das ermöglicht in Grenzen – wie bei Markenrechten nach § 14 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG – auch den Schutz der Reputation gegen Ausnutzung oder Verwässerung (§ 15 Abs. 3 MarkenG), nicht aber die Abwehr von Parodien oder satirischen Verwendungen194. Näheres zum Recht am Unternehmen Rz. 128 ff., zur Verwendung von Namen Kap. 10 Rz. 40 ff. und Marken Kap. 10 Rz. 60 ff. b) Schutz vor Indiskretion Schrifttum: Hubmann, Der zivilrechtliche Schutz der Persönlichkeit gegen Indiskretionen, JZ 1957, 521; Seiler, Der strafrechtliche Schutz der Geheimsphäre, 1960; Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, 1970; Neumann-Duesberg, Persönlichkeitsrecht und Namensanonymität, JZ 1970, 564; Hermann, Zum verfassungsrechtlichen Schutz der Persönlichkeit in ihrer Identität, Selbstbestimmung und Ehre, ZUM 1990, 541; Seitz, Einmal nackt – immer frei?, NJW 2000, 2167; von Gerlach, Persönlichkeitsschutz und öffentliches Informationsinteresse im internationalen Vergleich, AfP 2001, 1; Amelung, Der Schutz der Privatheit im Zivilrecht: Schadensersatz und Gewinnabschöpfung bei Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung über personenbezogene Informationen im deutschen, 188 BGH v. 9.3.1989 – I ZR 54/87, MDR 1989, 966 = AfP 1989, 660 = GRUR 1990, 390 – Friesenhaus. 189 BGH v. 17.12.2012 – V ZR 45/10, AfP 2011, 158 – Preußische Gärten und Parkanlagen I; v. 1.3.2013 – V ZR 14/12, CR 2013, 408 = MDR 2013, 666 = NJW 2013, 1809 – Preußische Gärten und Parkanlagen II. 190 Dagegen Stieper, ZUM 2013, 574, 575 m.w.N. 191 OLG Frankfurt v. 17.12.1981 – 6 U 49/81, MDR 1982, 577 = NJW 1982, 648. 192 OLG Frankfurt v. 28.2.1985 – 6 U 89/84, NJW 1985, 1649. 193 BGH v. 3.6.1986 – VI ZR 102/85, MDR 1986, 925 = NJW 1986, 2951. 194 BGH v. 1.4.1984 – VI ZR 246/82, GRUR 1984, 684 – Mordoro; v. 10.2.1994 – I ZR 79/92, MDR 1995, 65 = GRUR 1994, 808, 811 – Markenverunglimpfung I, v. 19.10.1994 – I ZR 130/92, MDR 1995, 598 = GRUR 1995, 57, 59 – Markenverunglimpfung II; v. 3.2.2005 – I ZR 159/02, AfP 2005, 489 = GRUR 2005, 583, 585 – Lila Postkarte; v. 2.4.2015 – I ZR 59/13, MDR 2015, 1252 = GRUR 2015, 1114 – Springender Pudel.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 35 Kap. 5
englischen und US-amerikanischen Recht, 2002; Münch, Der Schutz der Privatsphäre in der Spruchpraxis des Deutschen Presserats, AfP 2002, 18; Beuthien, Das Recht auf nichtmediale Alltäglichkeit, K&R 2004, 457; Beuthien, Bildberichte über aktive und passive Personen der Zeitgeschichte, ZUM 2005, 352; Forkel, Das „Caroline-Urteil“ aus Straßburg – richtungweisend für den Schutz auch der seelischen Unversehrtheit, ZUM 2005, 192; Grützner, Unzulässige Bild- und Wortberichterstattung über die Intimsphäre, ZUM 2005, 922; Kutscha, Verfassungsrechtlicher Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung – nichts Neues aus Karlsruhe?, NJW 2005, 20; Balthasar, Der Schutz der Privatsphäre im Zivilrecht: Eine historisch-vergleichende Untersuchung zum deutschen, französischen und englischen Recht vom ius commune bis heute, 2006; Hohmann-Dennhart, Freiräume – Zum Schutz der Privatheit, NJW 2006, 545; Klass, Die neue Frau an Grönemeyers Seite, ein zeitgeschichtlich relevantes Ereignis? Zur Neukonturierung der Begleiterrechtsprechung, ZUM 2007, 818; Baldus, Der Kernbereich privater Lebensgestaltung – absolut geschützt, aber abwägungsoffen, JZ 2008, 218; Petersdorff-Campen, Persönlichkeitsrecht und digitale Archive, ZUM 2008, 102; Dreier, Erinnern Sie sich, als – sein Opfer erschlug? – Löschung von Berichten aus Online-Archiven aus Gründen des Persönlichkeitsrechts?, FS Loewenheim, 2009, S. 67; Härting, „Prangerwirkung“ und „Zeitfaktor“, CR 2009, 21; Hoecht, Zur Zulässigkeit der Abrufbarkeit identifizierender Presseberichte über Straftäter aus Onlinearchiven, AfP 2009, 342; Fechner, Wahrung der Intimität? Grenzen des Persönlichkeitsschutzes für Prominente, 2010; Libertus, Persönlichkeitsrechtliche Aspekte der Berichterstattung über ehemalige Stasi-Mitarbeiter sowie der Beweiswert der SIRA- und Rosenholz-Dateien, ZUM 2010, 221; Alexander, Urheber- und persönlichkeitsrechtliche Fragen eines Rechts auf Rückzug aus der Öffentlichkeit, ZUM 2011, 382; Desoj/Knierim, Intimsphäre und Kernbereichsschutz – Ein unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, DÖV 2011, 398; Koch, Schutz der Persönlichkeit im Internet: Problemlage, ITRB 2011, 128; Heckmann, Persönlichkeitsschutz im Internet – Anonymität der IT-Nutzung und permanente Datenverknüpfung als Herausforderung für Ehrschutz und Profilschutz, NJW 2012, 2631; Krüger/Backer, Online-Archive und Persönlichkeitsschutz – Gesetzgeberischer Handlungsbedarf?, WRP 2012, 1211; Mann, Die Rzeczpospolita-Entscheidung des EGMR und ihre Folgen – Online-Archive in der Rechtsprechung des EGMR, K&R 2013, 553; Ruttig, Damit das Internet vergisst – Online-Archive und das Recht verurteilter Straftäter auf Beseitigung ihrer Namensnennungen jedenfalls nach Verbüßung der Strafe, AfP 2013, 372; Haug, Die Zulässigkeit von Altmeldungen in Online-Archiven, AfP 2014, 503; Kummermehr/Peter, Presseveröffentlichungen von SMS, ZUM 2014, 116; Tofall, Selbstbegeung und Zurechnung auf Dritte, AfP 2014, 399; Geminn/Roßnagel, „Privatheit“ und „Privatsphäre“ aus der Perspektive des Rechts – ein Überblick, JZ 2015, 703; Märten, Die Vielfalt des Persönlichkeitsschutzes – Pressefreiheit und Privatsphärenschutz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in Deutschland und im Vereinigten Königreich, 2015; Nebel, Schutz der Persönlichkeit – Privatheit oder Selbstbestimmung? Verfassungsrechtliche Zielsetzungen im deutschen und europäischen Recht, ZD 2015, 517; Mann, Zur identifizierenden Berichterstattung in der Sozialsphäre, AfP 2016, 119; McCarthy, All the World’s a Stage: The European right to be forgotten revisited from a US perspective, GRUR-Int. 2016, 604; Paschke/Halder, Auskunftsansprüche bei digitalen Persönlichkeitsrechtsverletzungen, MMR 2016, 723; Srocke, Anonymitätsschutz für „Pick-Up Artists?, K&R 2016, 163; Ettig, Zur Zulässigkeit der Berichterstattung über Hochzeit eines Prominenten, K&R 2017, 154; Paal/Hennemann, Online-Archive im Lichte der Datenschutzgrundverordnung, K&R 2017, 18.
Dass der Persönlichkeit ein Kreis zusteht, der Schutz vor unbefugter, insb. öffentlicher 35 Kenntnisnahme genießt, ist seit jeher anerkannt195. Darauf basiert das Recht, von einem Anderen zu fordern, diesen Kreis betreffende Vorgänge unerörtert zu lassen, obschon bzw. gerade weil es um die Wahrheit geht. In der Zeit vor Anerkennung des Persönlichkeitsrechts wurde der Schutz aus § 826 BGB hergeleitet196. Darüber hinaus haben stets den Geheimnisschutz betreffende Spezialvorschriften gegolten wie z.B. das durch Art. 10 GG für unverletzlich erklärte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Auch an Art. 8 EMRK (Kap. 1 Rz. 62 f.) 195 Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 209 ff. m.w.N. 196 RG v. 13.1.1927 – IV 489/26, RGZ 115, 416: Mitteilung einer Vorstrafe durch Auskunftei.
Burkhardt/Peifer 213
Kap. 5 Rz. 36
Wortberichterstattung – die Tatbestände
und an Art. 12 der UN-Menschenrechtscharta sei erinnert. Heute ist unbestritten, dass das Recht, ein Leben führen zu können, ohne durch öffentliche Darstellungen bestimmter persönlicher Verhältnisse behelligt zu werden, Ausfluss des Rechts auf freie Entfaltung und der Menschenwürde und damit des Persönlichkeitsrechts ist. Das Persönlichkeitsrecht gewährt jedem ein „Recht auf Eigenleben“197, einen „lebensnotwendigen Eigenraum“198, eine „Eigensphäre der Persönlichkeit“199, einen „Für-sich-Bereich“200, einen „Raum der Stille und Ungestörtheit“201, einen „Raum des Stilleseins“202, ein Recht, „allein gelassen zu werden“203. All dies knüpft an Gedanken und Entwicklungen an, die in unterschiedlicher Form in allen Kulturen eine Rolle spielen. In Deutschland hat bereits Gustav Radbruch ein „Menschenrecht auf Einsamkeit“ gefordert204. In den USA haben Warren und Brandeis sich schon 1890 für ein „right to privacy“ eingesetzt205. 36
Dieser unverzichtbare Freiraum bedarf der Abgrenzung, zumal das Bundesverfassungsgericht eine allgemeine, vom konkreten Fall losgelöste Interessenabwägung zwischen dem Zugriff auf Privates, insb. durch Berichterstattung, und den die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Angelegenheiten in einer freiheitlichen Gesellschaft für erforderlich hält (Rz. 60). Daher ist es notwendig, den Schutz des persönlichen Bereiches vor indiskreten öffentlichen Berichten schon tatbestandsmäßig so konkret wie möglich herauszuarbeiten.
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Solche Versuche sind bereits in sehr vielfältiger Weise unternommen worden. Ihnen ist gemein, dass die an sich stufenlose Skala zwischen dem Geheimsten und Intimsten auf der einen und dem Öffentlichkeitsbezogenen auf der anderen Seite unterteilt und damit gegliedert wird. Dass dieses Bemühen zu Recht erfolgt, darf als weitgehend unbestritten gelten206. Eine bloße Dichotomie Privatheit/Öffentlichkeit wäre unzulänglich. Unterschiedliche Auffassungen bestehen aber bezüglich der Art der Aufteilung.
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Hubmann unterscheidet nach Sphären zwischen der von ihm so bezeichneten Persönlichkeitssphäre, die die wertvollen Beziehungen des Menschen zur Welt erfasse, der Individualsphäre, die den Menschen in seiner Einmaligkeit und Eigenart schütze, und weiterhin der Privat- und Geheimsphäre, die das Eigenleben vor der Öffentlichkeit hüte207. Nipperdey unterscheidet zwischen der Geheimsphäre, die besonders Briefe und Aufzeichnungen betreffe, der Privatsphäre, die auch das Lebens- und Charakterbild erfasse, und einem Recht auf Achtung der persönlichen Gefühlswelt208. Interessant ist auch die Betrachtung von Peter Jäggi
197 198 199 200 201 202 203 204 205 206 207 208
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Hubmann, JZ 1957, 521. Nipperdey, Verhandlungen des 42. DJT II, 1959, S. 8. Weitnauer, DB 1959, 45. Evers, Privatsphäre, S. 13. Reinhardt, Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit, 1961, S. 14. Hirsch, Maulkorb für die Presse?, 1959, S. 8. BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 348/98, NJW 2000, 1859 – Lebach II, erstmals Cooley, Torts, 2, Aufl. 1888, S. 29. Zitiert nach Adolf Arndt, NJW 1967, 1845, 1846. Harvard-Law Review, vol 4, 1890, S. 220; zu ähnlichen Rechtsfiguren in Frankreich und Italien vgl. Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 71; Constantinesco, AcP 159 (1959), 320; Hubmann, AcP 158 (1959), 383. Kritisch zur Abgrenzung nach Sphären aber Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, 1997, S. 399. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 268 ff.; JZ 1957, 521. Nipperdey, Ufita 30/1960, 1, 17.
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 40 Kap. 5
zum Schweizerischen Recht209. Nach ihm ist zu unterscheiden zwischen dem Geheimbereich, dem Privatbereich, dem privat-öffentlichen Bereich betreffend das Erscheinen in der Öffentlichkeit ohne Kundgabewillen und dem Gemeinbereich, also der Öffentlichkeitssphäre im eigentlichen Sinne (vgl. dazu auch Rz. 71). Scholler grenzt ganz ähnlich ab210. In neuerer Zeit haben mit im Detail unterschiedlichen Nuancierungen ähnliche Abgrenzungen vorgenommen Soehring211, Löffler/Steffen212 und Prinz/Peters213. Nach der hier vertretenen Auffassung, die mit der Rechtsprechung im Wesentlichen überein- 39 stimmt, geht es einmal um den Geheimbereich im eigentlichen Sinne, vornehmlich um die Wahrung solcher Geheimnisse, die gesetzlich oder sogar strafgesetzlich geschützt sind, zum anderen um die Bewahrung der schutzbedürftigen natürlichen Lebensbereiche vor Störungen durch das Eindringen der Öffentlichkeit. Bei diesen natürlichen Lebensbereichen lässt sich zwischen der Intimsphäre, der Privatsphäre und der Sozialsphäre unterscheiden, an die sich die Öffentlichkeitssphäre anschließt. Der Schutz dieser Sphären bedarf der Abstufung. Vorgänge aus dem Intimbereich verdienen den stärksten Schutz vor Indiskretion. Bei Vorgängen aus dem Öffentlichkeitsbereich besteht grundsätzlich ein Vorrang für die Freiheit zu Einblick und Berichterstattung, allerdings ist spätestens seit der Caroline-Entscheidung des EGMR anerkannt, dass eine Privatsphäre sowohl für Normalbürger als auch für Prominente auch im öffentlichen Raum besteht214. Diese Entscheidung hat besondere Bedeutung auch für den Schutz von Privatheit in öffentlichen Kommunikationsräumen, wie etwa der Diskussion in sozialen Medien, Chat-Rooms oder in der elektronischen Mailkommunikation in Internetdiensten. Da in solchen Räumen technisch der Blick von außen kaum zuverlässig abgeschirmt oder überhaupt erst bemerkt werden kann, muss das Recht Räume der Privatheit auch dort absichern, wo ein Blick der Öffentlichkeit möglich bleibt. Das gilt im öffentlichen Raum umso mehr, als die Möglichkeit zum Abhören, aber auch zur Aufzeichnung von Informationen auf Ton- oder Bildträger besteht, ohne dass der Betroffene dies bemerken kann. aa) Geheimsphäre (Vertraulichkeitssphäre) Die Geheimsphäre, vom BGH auch als Vetraulichkeitssphäre bezeichnet215, betrifft den Be- 40 reich menschlichen Lebens, der der Öffentlichkeit bei verständiger Würdigung und auf Grund eines erkennbaren Willens des Betroffenen nicht preisgegeben werden soll. Was verständigerweise geheim sein soll, wird zum Teil durch gesellschaftliche Konventionen bestimmt, die sich allerdings je nach Kulturkreis unterscheiden können. Im hiesigen Kulturraum dürfen schriftliche und Tonbandaufzeichnungen, auch einvernehmlich hergestellte216, grundsätzlich nur mit Zustimmung des Verfassers bzw. Urhebers und allein in der von ihm gebilligten Weise
209 Jäggi, Fragen des privatrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit, Basel 1960, S. 243. 210 Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 89; vgl. weiter Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz, 1960. 211 Soehring in Soehring/Hoene, Presserecht, § 19 Rz. 4 ff. 212 Löffler/Steffen, Presserecht, § 6 LPG Rz. 63 ff. 213 Prinz/Peters/Perten, Medienrecht, Rz. 53 ff. 214 EGMR v. 24.6.2004 – Nr. 59320/00, AfP 2004, 348 = NJW 2004, 2647 Rz. 69 – Caroline von Hannover. 215 BGH v. 30.9.2014 – VI ZR 490/12, MDR 2014, 1443 = CR 2015, 35 = ITRB 2015, 32 = AfP 2014, 534 – Innenminister unter Druck. 216 BGH v. 10.3.1987 – VI ZR 244/85, MDR 1987, 748 = CR 1988, 390 = AfP 1987, 508 = NJW 1987, 2667.
Burkhardt/Peifer 215
Kap. 5 Rz. 41
Wortberichterstattung – die Tatbestände
veröffentlicht werden, wenn sie erkennbar vertraulichen Charakter haben217. Die Vertraulichkeit kann sich aus dem Charakter der Information ergeben. Das gilt für den Inhalt von persönlichen Briefen, auch von geöffneten218 und von E-Mails219 sowie SMS-Nachrichten220, privater Facebook- oder WhatsApp-Chatverläufe221, ebenso für Aufzeichnungen vertraulicher Telefonate222 sowie für eine Publikation über die Tätigkeit einer bestimmten Person für Geheimdienste durch einen früheren Verfassungsschutzpräsidenten223. Vom Schutz erfasst sind weiterhin Tagebuch- und sonstige Aufzeichnungen, jedenfalls wenn sie das private Leben betreffen. Grundsätzlich muss jedermann freistehen, seine Empfindungen, Gefühle, Ansichten und Erlebnisse beliebig für sich festzuhalten, ohne befürchten zu müssen, dass solche Aufzeichnungen unbefugt verwendet werden. Tagebuchaufzeichnungen dürfen noch nicht einmal im Strafprozess ohne Weiteres verwendet werden224. 41
Die Geheim- oder Vertraulichkeitssphäre ist von der Intimsphäre abzugrenzen. Letztere ist stets, auch ohne besondere Vorkehrungen, gegen den Bruch von Vertraulichkeit geschützt. Um die Geheimsphäre zu definieren, wird allein der vertrauliche Charakter einer Information nicht genügen. Hinzukommen müssen daher neben einem – auch aus der Art der Information – erkennbaren Geheimhaltungswillen zusätzlich Vorkehrungen des Berechtigten, diese Geheimsphäre auch abzusichern, sei es durch Absicherung des Ortes der Einsichtnahme oder durch Vereinbarung. An beidem fehlt es oft bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken, deren Zugangsbereich weder technisch noch durch Vereinbarungen („privater Kreis“) abgegrenzt ist. Hinreichende Vorkehrung ist jedoch die Abspeicherung von Informationen auf einem privaten Laptop, der – ebenso wie ein Tagebuch oder Brief – zwar entwendet werden kann, dadurch aber nicht seinen vertraulichen Charakter verliert225. Für die Annahme einer geheimen Information sollte man im Übrigen eine Vereinbarung verlangen, aus welcher der Wille ersichtlich ist, Vorgänge vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Diese Vereinbarung kann auch definieren, welchem Kreis von Personen Informationen mit der Bindung zugänglich werden, die Information ihrerseits nicht weiterzugeben226. Eine Vereinbarung kann auch konkludent erfolgen. So kann aus dem Abschluss eines Ghostwritervertrages über die Biografie einer bekannten Person grundsätzlich auf eine konkludente Verpflichtung des Ghostwriters zur Verschwiegenheit über Vorgänge geschlossen werden, die aus Gesprächen über den Inhalt des zu erstellenden Werkes folgen227. Sofern eine Vereinbarung mit Geheimhaltungswillen und erkennbarer Absicht zur Vertraulichkeit vorliegt, ge217 Std. Rspr., BVerfG v. 24.5.1977 – 2 BvR 988/75, BVerfGE 44, 353, 372; BGH v. 26.11.1954 – I ZR 266/52, OLG Köln v. 5.5.2015 – 15 U 193/14, AfP 2015, 430 = ZUM-RD 2015, 731. 218 BGH v. 25.5.1954 – I ZR 211/53, BGHZ 13, 334 – Leserbriefe; v. 26.11.1954 – I ZR 266/52, BGHZ 15, 249, 257 – Cosima Wagner. 219 BGH v. 30.9.2014 – VI ZR 490/12, MDR 2014, 1443 = CR 2015, 35 = ITRB 2015, 32 = AfP 2014, 534; vgl. auch BGH v. 15.12.2015 – VI ZR 134/15, CR 2016, 451 = AfP 2016, 149 = MDR 2016, 271 = GRUR 2016, 530; LG Köln v. 28.5.2008 – 28 O 157/08, CR 2008, 664 = ITRB 2008, 173 = ZUM-RD 2009, 349. 220 OLG Köln v. 3.2.2015 – 15 U 133/14, NJOZ 2016, 245. 221 LG Köln v. 10.6.2015 – 28 O 547/14, CR 2016, 48. 222 BGH v. 19.12.1978 – VI ZR 137/77, BGHZ 73, 120 – Kohl/Biedenkopf. 223 OLG Bremen v. 1.11.1995 – 1 U 51/95, NJW 1996, 1000 – Willy Lemke. 224 BGH v. 21.2.1964 – 4 StR 519/63, BGHSt 19, 325. 225 BGH v. 30.9.2014 – VI ZR 490/12, MDR 2014, 1443 = CR 2015, 35 = ITRB 2015, 32 = AfP 2014, 534. 226 Bsp. LG Köln v. 28.5.2008 – 28 O 157/08, CR 2008, 664 = ITRB 2008, 173 = ZUM-RD 2009, 349: Zusendung von E-Mails mit der Bitte um vertrauliche Behandlung. 227 LG Köln v. 5.5.2015 – 15 U 193/14, ZUM-RD 2015, 731.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 42 Kap. 5
nießen auch Aufzeichnungen den Schutz der Geheimsphäre, die berufliche oder geschäftliche Fragen betreffen, insb. persönliche Aufzeichnungen zu beruflichen oder geschäftlichen Erlebnissen oder Planungen. Mit Recht hat es der BGH als unzulässig bezeichnet, die Niederschrift der telefonischen Aussprache, die ein Kanzlerkandidat über Fragen seiner politischen Chancen mit dem Generalsekretär seiner Partei geführt hat, in der Publikumspresse zu verbreiten228. In der Waffenhandel-Entscheidung bezeichnet der BGH sogar die Veröffentlichung reiner Geschäftsbriefe als die Geheimsphäre jedenfalls u.U. verletzend, wenn sie auf unlautere Weise beschafft worden sind229. Einen generellen Geheimnisschutz für geschäftliche Aufzeichnungen230 kann man allerdings nicht auf persönlichkeitsrechtliche Interessen, sondern allenfalls auf konkrete Vertraulichkeitsvereinbarungen stützen. Im Übrigen helfen für Geschäftsgeheimnisse die Vorschriften der §§ 17-20 UWG gegen Geheimnisverletzung und Betriebsspionage. Der Know-how-Schutz hat eine unionsweite Harmonisierung durch die bis Juni 2018 umzusetzende Richtlinie der EU 2016/943 erfahren. Danach sind als Geschäftsgeheimnisse Informationen geschützt, die (1) weder allgemein bekannt noch ohne Weiteres zugänglich sind, die (2) kommerziellen Wert haben und (3) Gegenstand von angemessenen Geheimhaltungsvorkehrungen sind (Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 2016/943). Infolge des Selbstbestimmungsrechts ist der erkennbare Geheimhaltungswille des Betroffe- 42 nen vorbehaltlich entgegenstehender überwiegender Informationsinteressen jedenfalls zu respektieren, wenn der Betroffene selbst Vorkehrungen gegen die Offenbarung trifft. Das gilt auch, wenn die Abschottung zum Lebensprinzip des Betroffenen unabhängig davon gehört, ob es um positive oder negative Umstände geht. Inwieweit über die Lebensverhältnisse einer Person berichtet werden darf, hängt also unabhängig von dem jedermann zustehenden Schutz der Intim- und der Privatsphäre auch von der Lebensführung und der Haltung gegenüber der Öffentlichkeit und den Medien ab231. Wer sich der Öffentlichkeit präsentiert, z.B. durch Interviews, kann die Respektierung seines Geheimhaltungswillens in nur geringerem Maße fordern als derjenige, der auch und gerade ihn betreffende positive Berichte notfalls sogar mit gerichtlichen Mitteln zu verhindern bemüht ist. Wer Medien und Teile der Öffentlichkeit zu einer privaten Veranstaltung (etwa einer Hochzeitsfeier) zulässt, kann auf Vertraulichkeit und Geheimhaltung nur auf Grund vertraglicher (ggf. auch konkludenter) Vereinbarungen vertrauen232. Der Bruch der Vertraulichkeit erhält dann – wie im englischen Recht – den Charakter eines Vertragsbruchs („breach of confidence“)233. Diese Deutung ermöglicht es, – anders als beim Schutz der Intimsphäre – auf einen absoluten Schutz der Geheim- oder Vertraulichkeitssphäre verzichten zu können. Damit bleibt es möglich, im Falle überwiegender Interessen jedenfalls den vertraglich nicht gebundenen Personen, etwa der Presse, die Möglichkeit zur Mitteilung nicht vollständig zu entziehen234.
228 229 230 231
BGH v. 19.12.1978 – VI ZR 137/77, BGHZ 73, 120. BGH v. 24.10.1961 – VI ZR 204/60, NJW 1962, 32, 34. Dafür Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 317 m.w.N. Vgl. BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco; OLG Hamburg v. 13.9.1990 – 3 U 129/90, AfP 1991, 533. 232 EGMR v. 16.6.2016 – Nr. 68273/10, 341914/11, BeckRS 2016, 14000. 233 High Court of Chancery v. 8.2.1849 – 2 De G & Sm 652 – Prince Albert v. Strange; Court Chancery Division v. 27.1.2003 – [2003] EWHC 55 (Ch); [2003] EMLR 601 – Douglas v. Hello! Ltd (No.3). 234 Vgl. BGH v. 30.9.2014 – VI ZR 490/12, MDR 2014, 1443 = CR 2015, 35 = ITRB 2015, 32 = AfP 2014, 534 Rz. 16 f. – Innenminister unter Druck; Söder in: Gersdorf/Paal, Informationsund Medienrecht, § 823 Rz. 161.
Burkhardt/Peifer 217
Kap. 5 Rz. 43
Wortberichterstattung – die Tatbestände
43
Eine unzulässige Veröffentlichung einer geheimen Information vermag die Verbreitung oder Wiederholung der Publikation nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen. Sonst ließe sich jeder Geheimnisschutz durch einmalige Missachtung unterlaufen235. Aus dem Umstand, dass Tatsachen lediglich einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind (vgl. § 93 StGB), kann geschlossen werden, dass der Zugang zu solchen Informationen unter der konkludenten Vereinbarung von Vertraulichkeit gewährt wird. Das gilt besonders bei Informationen, deren Aufdeckung zu einer Gefährdung von Leben und Freiheit führen können236. Hier kommt es darauf an, potentiellen Straftätern keine Hinweise auf Angriffsmöglichkeiten zu geben, z.B. durch Veröffentlichung von Personenfotos, Angabe oder Abbildung von Wohnstätten, Nennung von Lebensgewohnheiten, Clubmitgliedschaften, Kfz-Kennzeichen usw. Auch wenn solche Fakten in der Vergangenheit publiziert worden sind, kann die zukünftige Unterlassung wichtig sein, weil Straftäter die früheren Publikationen allenfalls ausnahmsweise asserviert haben. Ein anderweitiger Vorabdruck lässt den persönlichkeitsrechtlichen Geheimnisschutz nicht entfallen. Der Nachdruck bleibt unzulässig, solange dadurch noch berechtigte Interessen verletzt werden können. Der Schutz entfällt erst, wenn das Faktum allgemein bekannt ist. Von einer allgemeinen Bekanntheit ist auszugehen, wenn ein Foto oder Faktum Gegenstand häufiger Berichterstattung in den Medien war, weil daran ein allgemeines Interesse besteht237.
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Hat sich ein Informant gegenüber einem Gesprächspartner auf Grund verabredeter Vertraulichkeit über seine beruflichen Erfahrungen (als Mitarbeiter des BND) in komplexer Weise geäußert, ist die Veröffentlichung mitgeteilter geheimer Vorgänge auch unzulässig, wenn der Informant an den Vorgängen persönlich nicht beteiligt ist. Das gilt jedenfalls, wenn die Person des Informanten dadurch in rücksichtsloser Weise bloßgestellt wird, speziell wenn der Reiz der Veröffentlichung in der Pflichtwidrigkeit des Ausplauderns behördeninterner Vorgänge besteht. Geht es neben Tonbandaufzeichnungen auch um sonstige mündliche Informationen, bezieht sich der Schutz ausnahmsweise auf beides238. Setzt sich der Vertragspartner über eine wirksame Vertraulichkeitsvereinbarung hinweg, wird man auch eine Ausnutzung dieses Vertragsbruches grundsätzlich als sittenwidrig bezeichnen müssen; dies auch, wenn nicht zu Wettbewerbszwecken, aber zur Förderung der Verkaufsauflage bzw. der Einschaltquote gehandelt worden ist.
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Die Veröffentlichung von Informationen kann gleichfalls unzulässig sein, wenn die Informationsbeschaffung aus sonstigen Gründen zu missbilligen ist (Näheres Kap. 10 Rz. 18 ff.). Z.B. hat der BGH es als unzulässig bezeichnet239, den Text eines unbefugt abgehörten Telefonates eines Kanzlerkandidaten und des Generalsekretärs einer Partei zu veröffentlichen, obschon Gegenstand des Gespräches nicht private Angelegenheiten waren, sondern die Wahlchancen. Ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinsichtlich geheimgehaltener privater Dinge wird daher nur in seltenen Ausnahmefällen anzunehmen sein. Demgegenüber soll es zulässig sein, dass ein berühmter Schauspieler mit über 1,4 Mio. Followern eine auf Facebook privat erhaltene Nachricht, in der sich die Absenderin kritisch zur politischen Haltung 235 Zur Unerheblichkeit einer Vorveröffentlichung vgl. LG Hamburg v. 6.11.1987 – 74 O 526/87, CR 1990, 652 = AfP 1988, 170; vgl. auch BGH v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, CR 2013, 462 = MDR 2013, 652 = IPRB 2013, 150 = AfP 2013, 250: Mitteilungen aus dem nicht-öffentlichen Teil der Strafverhandlung. 236 OLG München v. 13.7.1989 – 29 U 2063/89, AfP 1990, 35 = ZUM 1990, 145 – Geheimagent. 237 OLG Köln v. 12.7.2016 – 15 U 175/15, BeckRS 2016, 12714 Rz. 41. 238 BGH v. 10.3.1987 – VI ZR 244/85, MDR 1987, 748 = CR 1988, 390 = AfP 1987, 508 = NJW 1987, 2667 – Operation Eva. 239 BGH v. 19.12.1978 – VI ZR 137/77, BGHZ 73, 120 = NJW 1979, 647 – Kohl/Biedenkopf.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 48 Kap. 5
des Schauspielers geäußert hat, in identifizierender Weise per Screenshot veröffentlicht240. Diese Ansicht überzeugt insofern nicht, als sie das Risiko der Stigmatisierung in sozialen Netzwerken infolge der unmittelbaren Erreichbarkeit und Bloßstellung durch einen besonders einflussreichen Facebook-Nutzer nicht hinreichend würdigt241. Der Schutz der Geheimsphäre wird durch spezialgesetzliche Regelungen wie etwa das Amts-, 46 Brief-, Post- und Telekommunikationsgeheimnis242 ergänzt. bb) Intimsphäre Die Intimsphäre umfasst den letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit243 und 47 schafft die Distanz zum Mitmenschen, die Voraussetzung und Kennzeichnung jeder Kultur ist244. Die Intimsphäre bildet den engsten Persönlichkeitsbereich und genießt den stärksten Schutz gegen Angriffe Dritter. Vorgänge aus der Intimsphäre haben von einer ungenehmigten öffentlichen Erörterung verschlossen zu bleiben245. Der Schutz der Intimsphäre ist absolut246. Das gilt auch in Bezug auf Politiker, speziell im Wahlkampf247. Eine detailreiche Schilderung, wie sie etwa im Fall Clinton/Lewinsky 1998 in den US-amerikanischen Medien erfolgt ist248, ist ebenso unzulässig wie ein Outing eines Politikers als homosexuell durch oder in den Medien249. Auch Nichtprominente sind vor einer unfreiwilligen Preisgabe ihrer sexuellen Orientierung durch die Presse geschützt250. Angesichts der Stärke des Schutzes ist von besonderer Bedeutung, welche Vorgänge bzw. 48 Darstellungen der Intimsphäre zuzurechnen sind. Insb. sind das Vorgänge aus dem Sexualbereich251. Über die geschlechtliche Begegnung von Mann und Frau ist „bei allen Kulturvölkern der schützende und bergende Schleier der Scham und des nur den beiden Partnern vorbehaltenen Geheimnisses gebreitet“252. Dieser Schutz ist nicht auf heterosexuelle Beziehungen beschränkt, aber nur bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen anzunehmen253. 240 LG Saarbrücken v. 23.11.2017, 4 O 328/17, ZUM-RD 2018, 74 – Til Schweiger. 241 Siehe auch Ladeur, ZUM-RD 2018, 122. 242 Vgl. dazu BVerfG v. 14.7.1999 – 1 BvR 2226/94 u.a., BVerfGE 100, 313 = NJW 2000, 55 – BND; v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, BVerfGE 141, 220 = NJW 2016, 1781; zum Rechtsschutz gegen erledigte Überwachungsmaßnahmen BVerfG v. 26.1.2017 – StB 26 und 28/14, NJW 2017, 2631. 243 BVerfG v. 16.1.1957 – 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32, 41; v. 16.7.1969 – 1 BvL 19/63, BVerfGE 27, 1, 6; v. 8.3.1972 – 2 BvR 28/71, BVerfGE 32, 373, 378, v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, BVerfGE 119, 1 = AfP 2007, 441 Rz. 70 – Esra: „Menschenwürdekern“. 244 Hubmann, JZ 1957, 521; Erdsiek, NJW 1958, 1720. 245 OLG Hamburg v. 11.5.1967 – 3 U 200/66, NJW 1967, 2314, 2316; OLG Köln v. 17.1.1973 – 2 U 97/72, AfP 1973, 477, 478. 246 BVerfG v. 4.4.2000 – 1 BvR 1505/99, AfP 2000, 352 = NJW 2000, 2189; BGH v. 19.12.1978 – VI ZR 137/77, NJW 1979, 647; v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366 – Wallraff II; v. 29.6.1999 – VI ZR 264/98, NJW 1999, 2893, 2894. 247 LG München v. 29.8.1961 – 7 Q 59/61, Ufita 37/1962, 123. 248 Vgl. The Starr-Report, 1998, abrufbar über die Website der Washington Post. 249 Obiter in BVerwG v. 5.6.2012 – 8 B 24/12, BeckRS 2012, 210267, Rz. 11. 250 LG München v. 21.7.2005 – 7 O 4642/05. 251 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, BVerfGE 119, 1 – Esra; v. 19.12.2007 – 1 BvR 1533/07, AfP 2008, 161 – Ehrensache; BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 332/09, NJW 2012, 676 – Pornodarsteller; OLG Karlsruhe v. 18.11.2005 – 14 U 169/05, AfP 2006, 170. 252 BGH v. 18.11.1957 – GSSt 2/57, BGHSt 11, 67, 71. 253 Vgl. Mafi-Gudarzi, NJOZ 2018, 521, 522 f.
Burkhardt/Peifer 219
Kap. 5 Rz. 49
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Weiter sind zu den Vorgängen aus dem Sexualbereich nicht wahrnehmbare körperliche Gebrechen, gesundheitliche Zustände, z.B. HIV-Infektion254, und Ergebnisse medizinischer Untersuchungen zu rechnen255. Selbstverständlich dürfen Gesundheitsinformationen eines Patienten nicht öffentlich gemacht werden256. Generell gehören Informationen über den Gesundheitszustand allerdings zur Privatsphäre257 und nur ausnahmsweise, insb. bei Detailberichterstattung über körperliche Untersuchungen, zur Intimsphäre. Soweit der BGH258 eine Erkrankung wie Brustkrebs der Privatsphäre zuordnet, ist das nachvollziehbar, weil es sich bei Krebserkrankungen um schicksalhafte, nicht aber stigmatisierende oder sozial isolierende Erkrankungen handelt (anders Vorauflage), gleichwohl verletzt die Offenbarung solcher Erkrankungen die Privatsphäre, wenn es hierfür keinen Berichtsanlass gibt. Gerade derartige, der Kenntnis Dritter grds. verborgen bleibende und dem engsten Bereich menschlicher Existenz zuzuordnende Krankheiten müssen einem starken Schutz durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht unterliegen. Anders ist dies etwa bei einem amputierten Bein zu beurteilen, wenn sich der Betroffene in der Öffentlichkeit bewegt und deshalb das Gebrechen für jedermann unschwer erkennbar ist. Auch der Umstand, dass eine Krankheit eine Prominente aus ihrer Karriere herausgerissen habe, gehört für sich genommen nicht zur Intim-, sondern Privatsphäre259. Zur Intimsphäre gehören auch körperliche Untersuchungen, Eingriffe und Operationen260. Intime Gespräche sind grundsätzlich auch geschützt, wenn sie am Arbeitsplatz geführt werden261. Ein Unternehmen hat keine Intimsphäre262. 49
Ob eine Darstellung der Intim- oder nur der Privatsphäre zuzurechnen ist, hängt weitgehend davon ab, inwieweit auf Einzelheiten eingegangen wird263. Nicht allein die Erwähnung eines sexuellen Verhältnisses berührt die Intimsphäre264, sondern erst die Verbreitung von bildlichen, akustischen oder verbalen Darstellungen über die Einzelheiten der Beziehung265, denn dieser Kernbereich der persönlichen Zurückgezogenheit muss dem Blick der Öffentlichkeit verschlossen bleiben. Der bloße Hinweis auf ehebrecherische Beziehungen zu mehreren Frauen betrifft im Allgemeinen nur die Privatsphäre266. Auch die Erwähnung eines
254 KG v. 18.6.2009 – 9 W 123/09, AfP 2009, 418; v. 12.6.2009 9 W 122/09, NJW-RR 2010, 622. 255 OLG Karlsruhe v. 14.10.1998 – 6 U 120/97, AfP 1999, 489, 490 – Wachkomapatient; LG Hamburg v. 11.12.2015 – 324 O 132/15, BeckRS 2016, 15249; IPRspr 2015, Nr. 239, 593 – Hirnzeichnung eines Schwerverletzten. 256 OLG Bamberg v. 10.4.2013 – 3 U 282/12, NJW-RR 2014, 158. 257 BGH v. 29.11.2016 – VI ZR 382/15, MDR 2017, 209 = GRUR 2017, 304; OLG München v. 19.1.2016 – 18 U 2856/15, ZUM-RD 2017, 35, OLG Hamburg v. 14.6.2016 – 7 U 1/16. 258 BGH v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94, MDR 1996, 366 = AfP 1996, 137 = NJW 1996, 984, 985. 259 BGH v. 18.9.2012 – VI ZR 291/10, AfP 2012, 551 = MDR 2012, 1284 = NJW 2012, 3645. 260 OLG Hamburg v. 17.3.1977 – 3 U 167/76, Ufita 81/1978, 278, 286. 261 BGH v. 24.11.1987 – VI ZR 42/87, MDR 1988, 400 = AfP 1988, 30 = NJW 1988, 1984, 1985 – Telefon-Sex im Büro. 262 BGH v. 20.1.1983 – VI ZR 162/79, NJW 1981, 1089, 1091 – Wallraff II. 263 BGH v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 = CR 2013, 462 = MDR 2013, 652 = IPRB 2013, 150 = NJW 2013, 1681: Bericht über Sexualstrafverfahren; OLG Karlsruhe v. 18.11.2005 – 14 U 169/05, AfP 2006, 170: Bericht über die außereheliche Beziehung eines Thronfolgers. 264 BGH v. 2.5.2017 – VI ZR 262/16, MDR 2017, 879 = IPRB 2017, 173 = AfP 2017, 310. 265 EGMR v. 10.5.2011 – Nr. 48009/08, NJW 2012, 747 – Fall Mosley; BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, BGHZ 207, 163 = MDR 2016, 84 = AfP 2016, 24 Rz. 35; v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464 Rz. 25 – Esra; LG München I v. 11.5.2016 – 9 O 3610/16, AfP 2016, 368. 266 BGH v. 5.5.1964 – VI ZR 64/63, NJW 1964, 1471 – Sittenrichter; v. 29.6.1999 – VI ZR 264/98, NJW 1999, 2893, 2894 – Scheidungsgrund; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 =
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II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 50 Kap. 5
Triolenverkehrs berührt den Intimbereich nicht notwendig267. Ebenso kann es zulässig sein, die in einem ausländischen Blatt erfolgte Erwähnung von „obszönen Spielchen unter der Dusche“ zu zitieren, wenn das zur Erläuterung der dortigen fristlosen Kündigung eines deutschen Fußballtrainers erforderlich ist. Aus der Artikelankündigung „Wo blieben ihre Pistolen? Ihre Männer? Und das Geld?“ kann nicht geschlossen werden, neben der Darstellung des von einer „Banklady“ zusammen mit Männern durchgeführten Bankraubes werde auch über ihre Intimsphäre berichtet268. Unzulässig ist es aber, Spekulationen, ein katholischer Geistlicher sei der Grund für das Scheitern einer Ehe, zur Befriedigung des Sensationsbedürfnisses nur deswegen in der Boulevardpresse breitzutreten, weil er mit der Ehefrau viel diskutiert, in der ehelichen Wohnung übernachtet und ihr ein Auto geschenkt hat. „Der Ehemann: Er schlief im Ehebett, meine Frau im Kinderzimmer. Aber eines Nachts sah ich sie aus dem Schlafzimmer kommen – im durchsichtigen Nachthemd“. Der Geistliche: „Da war nichts!“. Das gilt jedenfalls, wenn nicht ordnungsgemäß recherchiert und nur der Ehemann, entgegen dem erweckten Anschein, aber nicht der Geistliche, gehört worden ist269. Ein Internetspiel, das in Anlehnung an allgemein bekannte Details einer kurzen sexuellen Beziehung zu einem bekannten früheren Tennisprofi unter der Überschrift „Sex in 5 Sekunden: Wie geht das eigentlich?“, „Kick die (…)“ Spieler auffordert, mit der Maustaste das Bild einer vollständig bekleideten Frau anzuklicken, das in schneller Folge in verschiedenen Ecken einer Wäschekammer gezeigt wird, verletzt zwar nicht die Intimsphäre ieS., stellt jedoch einen Eingriff in die Menschenwürde dar, da die Betroffenen zum Objekt schneller und mechanischer sexueller Begierden und Fantasien Dritter herabgewürdigt werden270. Religiöse Überzeugungen und die Zugehörigkeit zu religiösen Vereinigungen können nach 50 Auffassung des OLG München271 gleichfalls der Intimsphäre zuzuordnen sein. I.d.R. betrifft dieser Lebensbereich aber die geschützte Privatsphäre272. Als geschützter Bereich der Intimsphäre können allerdings Aspekte des seelischen Friedens, insb. Trauergefühle und die Gefühle von Schmerz um schwerkranke Familienmitglieder geschützt sein273. Daher ist die Berichterstattung über Trauerfeiern, aber auch das Belagern von Krankenhäusern, in denen ein Schwerverletzter liegt, mit dem Ziel, die Angehörigen und ihre Gefühle für Berichtszwecke ausnutzen, i.d.R. unzulässig274. Bei Berichten über den Gesundheitszustand kommt es hingegen darauf an, in welchem Umfang die Betroffenen selbst mit Berichten bereits an die Öffentlichkeit gegangen sind275. Als ohne Abwägungsspielraum unzulässig wurden durch ein Schweizer Gericht zu Recht Filmaufnahmen eines Politikers angesehen, der in einem Hotel Suizid begangen hatte276, wobei es in solchen Fällen weniger um den Schutz des postmorta-
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MDR 2014, 216 = AfP 2014, 135 = ITRB 2014, 102 = GRUR 2014, 693 – Sächsische Korruptionsaffäre. BGH v. 9.6.1965 – Ib ZR 126/63, NJW 1965, 2148 – Spielgefährtin. OLG Hamburg, Ufita 78/1979, 244, 248. BGH v. 15.12.1987 – VI ZR 35/87, MDR 1988, 486 = AfP 1988, 34 – Geistliche Intimbeziehungen. LG München I v. 14.11.2001 – 9 O 11617/01, CR 2002, 567 = ITRB 2002, 230 = AfP 2002, 340. OLG München v. 20.9.1985 – 21 U 5750/84, NJW 1986, 1260. So auch BVerfG v. 14.4.1989 – 1 BvR 1235/85, NJW 1990, 1980 – Opus Dei. LG Frankfurt/O. v. 25.6.2013 – 16 S 251/12, AfP 2013, 438 = NJW-RR 2014, 159; vgl. auch OLG Dresden v. 12.7.2012 – 4 U 188/11, AfP 2012, 168: Bericht über den Suizid eines nahen Angehörigen. OLG Köln v. 28.4.2015 – 15 U 167/14, ZUM 2016, 290. BGH v. 29.11.2016 – VI ZR 382/15, MDR 2017, 209 = NJW 2017, 1550. SchwBG v. 10.7.1992, NJW 1994, 505, 505 – Fall Barschel.
Burkhardt/Peifer 221
Kap. 5 Rz. 51
Wortberichterstattung – die Tatbestände
len Persönlichkeitsrechts als um den Schutz der Intimsphäre der Angehörigen geht. Auch die Satirefreiheit hat hier ihre Grenzen277. 51
Der Schutz der Intimsphäre versagt, wenn der Betroffene einen intimen Bereich seiner Lebensgestaltung selbst der Öffentlichkeit zugänglich macht. Der Gedanke lässt sich in Grenzen mit der Einwilligung des Betroffenen, jedenfalls in die Selbstentblößung in der Öffentlichkeit, und damit einem Einverständnis mit dem Einblick der Allgemeinheit rechtfertigen. In der Kunstkritiker-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt278, dass derjenige, der aus eigenem Entschluss am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung teilnimmt und sich damit den Bedingungen des Meinungskampfes unterwirft, sich eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre begibt. In seiner Caroline von Monaco-Entscheidung stellt das Bundesverfassungsgericht279 generalisierend fest, dass der Schutz der Privatsphäre entfällt, „wenn sich jemand selbst damit einverstanden zeigt, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden, etwa indem er Exklusivverträge über die Berichterstattung aus seiner Privatsphäre abschließt“. Für den Intimbereich gilt Entsprechendes, sofern nicht besondere Umstände eingreifen280. Wer sein Sexualleben selbst öffentlich ausbreitet, z.B. durch die Publikation von Gedichten oder die Teilnahme an einer Fernsehdiskussion mit dem Ziel, auf die Sexualnot von Müttern und Hausfrauen aufmerksam zu machen, kann sich nicht auf den Schutz seiner Intimsphäre berufen281. Wer als Pornodarsteller aufgetreten ist, kann sich später für sein Interesse, anonym zu bleiben, nicht auf die Intimsphäre berufen282. Hat eine Person der Zeitgeschichte in die Herstellung und Veröffentlichung von Nacktfotos eingewilligt, so kann eine anderweitige, hierauf aber redaktionell Bezug nehmende Veröffentlichung des Nacktfotos auch ohne Einwilligung der Abgebildeten erfolgen; davon unbeschadet bleibt die urheberrechtliche Befugnis zur Nutzung des Lichtbilds, die allerdings auch den Schranken einer tagesaktuellen Bericherstattung unterliegt, § 50 UrhG (Näheres zum Bildnisschutz der Intimsphäre Kap. 8 Rz. 95 ff.).283. Allerdings kann dies nicht uneingeschränkt gelten. Es sind das Medium, dessen Zielgruppe und evtl. weitere Begleitumstände bei der Feststellung, in welchem Umfang die Intimsphäre geöffnet wurde, mit zu berücksichtigen. Insoweit macht es einen Unterschied, ob die Intimsphäre etwa im Playboy preisgegeben wird oder nur zur Illustration in einem Biologiebuch284. Kein Einverständnis mit Fotos oder gar deren Verbreitung erklärt, wer sich am Nacktstrand oder im Englischen Garten textillos zeigt285. Die Ausübung des Verbotsrechts darf nicht nur dem Kommerzialisierungsinteresse des Betroffenen dienen286, sondern muss sich am Maß der Öffnung der Intimsphäre und dem daran bestehenden Informationsinteresse orientieren. Z.B. berührt die öffentliche Erwähnung, dass ein im Privatfernsehen tätiger Moderator früher bei 277 LG Hamburg v. 26.12.1993 – 324 O 511/93, AfP 1994, 68. 278 BVerfG v. 13.5.1980 – 1 BvR 103/77, AfP 1980, 147 = NJW 1980, 2069. 279 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023. 280 Ebenso Koppehele, AfP 1981, 337; Soehring, AfP 2000, 230, 234. 281 OLG Hamburg v. 5.12.1974 – 3 U 95/74, ArchPR 1974, 128. 282 BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 332/09, AfP 2012, 47 = MDR 2012, 25 = NJW 2012, 767 – Pornodarsteller. 283 OLG Frankfurt v. 21.9.1999 – 11 U 28/99, AfP 2000, 185 = NJW 2000, 594; a.A. OLG München v, 1.12.2000 – 21 U 3740/00, AfP 2001, 135. 284 Vgl. BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617 – Nacktfoto. 285 OLG München v. 13.11.1987 – 21 U 2979/87, NJW 1988, 915. 286 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 52 Kap. 5
Pornofilmen als Darsteller mitgewirkt hat, seine Intimsphäre. Die hat er allerdings der Öffentlichkeit preisgegeben. Trotzdem kann die öffentliche Erwähnung unzulässig sein, wenn die Aufnahmen lange (z.B. 20 Jahre) zurückliegen und der Moderator zu erkennen gegeben hat, dass er sich von diesem früheren Broterwerb abgewandt hat und dass er damit nichts mehr zu tun haben will287. Der Auffassung des OLG München288, wonach für einen identifizierenden Bericht aus dem Intim- und Privatleben eine konkludente Einwilligung nicht ausreicht, sondern eine ausdrückliche Einwilligung erforderlich ist, sollte jedenfalls bei publizistischer Zweckverfolgung nicht gefolgt werden. Weshalb hier andere Anforderungen gelten sollen, ist nicht erkennbar. Wer z.B. nackt auf einer belebten Geschäftsstraße geht, muss nicht nur damit rechnen, dass darüber in Text und Bild berichtet wird, sondern erklärt damit auch sein Einverständnis. In solchen Fällen eine ausdrückliche Einwilligung einzuholen, ist den Medien auch bei einer identifizierbaren Berichterstattung aus dem Intimleben nicht zuzumuten. Strengere Anforderungen sind nicht an das Vorliegen einer Einwilligung zu stellen. Allenfalls im Hinblick auf ihren Umfang, z.B. Wiederholungen – auch in anderen Medien etc. –, kann dies in Betracht kommen. Gemeinsame Urlaubsreisen, Hotelübernachtungen nicht miteinander verheirateter Paare usw. sind zwar im Allgemeinen der Intimsphäre zuzurechnen. Die Erwähnung kann aber zulässig sein, wenn das Paar keinerlei Geheimhaltungsvorkehrungen trifft, sondern sich im Gegenteil öffentlich zu der Partnerbeziehung bekennt. Das kann vornehmlich bei Persönlichkeiten aus dem Showbusiness der Fall sein. Nicht mehr zur Intimsphäre gehören Vorgänge, wenn sie eine soziale Dimension erlangen. 52 Das ist z.B. der Fall, wenn aus einer Intimbeziehung ein Kind hervorgeht289. Dann kann die Frage, wer der Vater ist, nicht schon von vornherein aus der Diskussion ausgeklammert werden. Das OLG Hamburg meint290, Vorgänge dieser Art seien Gegenstand der Privatsphäre. Da es um soziale Beziehungen geht, ist das Vaterschaftsverhältnis richtiger Auffassung nach eine Angelegenheit der Sozialsphäre, die einen nur begrenzten Schutz genießt. Dieser Gesichtspunkt spielt bei Straftaten im Sexualbereich (Vergewaltigung, sexuelle Belästigung, Verstoß gegen Pornografieverbote) eine wichtige Rolle. Auch eine Sexualstraftat mag zwar intime Züge tragen, doch geht mit ihr ein gewalttätiger Übergriff in die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers einher, so dass nicht nur Belange Dritter, sondern auch solche der Allgemeinheit an einer Verfolgung der Tat berührt sind291. Zwar kann das Opfer Schutz seiner Intimsphäre erwarten, nicht jedoch auch der einer solchen Tat Beschuldigte292. Er kann sich zwar zum Schutz seiner Privatheit auf den Grundsatz der Unschuldsvermutung und den Schutz seiner Privatsphäre im Hinblick auf identifizierende Berichterstattung293, nicht aber einschränkungslos auf den Schutz seiner Intimsphäre berufen. Selbst Berichte über Sexualpraktiken sollen während des Laufs eines Strafverfahrens zulässig sein294. Das hat im Strafverfahren gegen einen Fernsehmoderator zu einer detailreichen Presseberichterstattung geführt, die eher voyeuristische Bedürfnisse der Öffentlichkeit befriedigt als zur öffentlichen Debatte über die Vorbildwirkung Prominenter Nennenswertes beigetragen hat. Zutreffend ist allerdings, dass ein 287 288 289 290 291 292 293
LG Berlin v. 19.11.1996 – 27 O 381/96, NJW 1997, 1155. OLG München v. 1.12.2000 – 21 U 3740/00, AfP 2001, 135. OLG Karlsruhe v. 18.11.2005 – 14 U 169/05, AfP 2006, 170. OLG Hamburg v. 13.9.1990 – 3 U 129/90, AfP 1991, 533 = NJW-RR 1991, 98. BVerfG v. 10.6.2009 – 1 BvR 1107/09, AfP 2009, 365 = ITRB 2010, 26 = NJW 2009, 3357. Vgl. Mafi-Gudarzi, NJOZ 2018, 521. BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = NJWRR 2017, 31. 294 BGH v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, CR 2013, 462 = MDR 2013, 652 = IPRB 2013, 150 = AfP 2013, 250.
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Kap. 5 Rz. 53
Wortberichterstattung – die Tatbestände
absoluter Schutz der Intimsphäre gegen solche Berichte unangebracht wäre. Das Verhalten fällt gleichwohl in die Privatsphäre und eine detailreiche Berichterstattung kann im Rahmen der Abwägung mit Berichtsinteressen unverhältnismäßig sein. 53
Die Intimsphäre ist absolut geschützt295. Daher ist sie keiner Abwägung zugänglich. Wird ein Einbruch in die Intimsphäre festgestellt, bleibt es bei der Rechtswidrigkeit. Sofern gleichwohl Gründe für eine Interessenabwägung für erforderlich gehalten werden (so die Vorauflage), muss man bei der begrifflichen Festlegung des Umfangs der Intimsphäre berücksichtigen, dass ein absoluter Schutz nur angebracht ist, wenn ein Vorgang eindeutig in den Kernbereich der Menschenwürde fällt und in diesem Kernbereich keinen Sozialbezug aufweist. Dabei ist es nach wie vor angebracht, das Sexualleben, stigmatisierende Krankheiten, höchstpersönliche Entscheidungen, aber auch alle Vorgänge in diesem Schutzbereich zu belassen, deren Aufdeckung zu einer sozialen Isolation oder Ausgrenzung führen können (wie etwa die sexuelle Orientierung in einer noch wenig toleranten Umgebung). Nicht unter eine solchermaßen definierte Intimsphäre fällt daher die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder zu einer religiösen Gruppierung, deren Ziele in der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt werden, solange diese Ablehnung nicht zu Gefahren für Körper, Gesundheit oder Freiheit führen. Solche Zugehörigkeiten können allerdings unter den Schutz der Privatsphäre fallen. Dort ist ihre Offenbarung einer Abwägung zugänglich, bei der Berücksichtigung finden kann, inwieweit gesellschaftliche Belange durch die Abgrenzung des Privaten vom Öffentlichen beeinträchtigt werden. cc) Privatsphäre
54
Die Privatsphäre umfasst einen Bereich der menschlichen Persönlichkeit, zu dem andere nur Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird. Der Schutzbereich ist räumlich und thematisch bestimmt296. Insb. ist das der häusliche und familiäre Bereich, allerdings ist auch im außerhäuslichen Bereich die Möglichkeit des „Zu-Sich-Selbst-Kommens und der Entspannung“ geschützt297. Grundsätzlich hat jeder einen durch Art. 1 und 2 GG geschützten Anspruch auf Wahrung seiner Privatsphäre. In ihrem Privatbereich muss die Persönlichkeit vor Kontrolle und Zensur durch die Öffentlichkeit sicher sein, wenn nicht die Basis gefährdet werden soll, auf der sie sich entwickeln und entfalten kann. In den Schutzbereich kann durch Bild- wie auch durch Wortberichterstattung eingegriffen werden. Eine Wortberichterstattung ist nicht in weiterem Umfang als Bildberichte zulässig, da ein Text das allgemeine Persönlichkeitsrecht in gleicher oder sogar stärkerer Weise beeinträchtigen kann298. Schutz genießen auch Personen, die auf Grund ihres Ranges oder Ansehens, ihres Amtes oder Einflusses, ihrer Fähigkeiten oder Taten besondere öffentliche Beachtung finden299, z.B. Politiker300. Sofern die 295 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, AfP 2007, 441 = BVErfGE 119, 1 Rz. 88 – Esra; BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = AfP 2014, 135 = ITRB 2014, 102 = GRUR 2014, 693 Rz. 66. 296 BVerfG v. 5.4.2000 – 1 BvR 2479/97, AfP 2000, 349 = NJW 2000, 2194 – Caroline von Monaco I; BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128 – Caroline von Monaco III. 297 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, BVerfGE 120, 180 = NJW 2008, 1793. 298 BVerfG v. 8.12.2011 – 1 BvR 927/08, AfP 2012, 37; BGH v. 26.10.2010 – VI ZR 230/08, MDR 2011, 59 = GRUR 2011, 262; OLG Köln v. 9.6.2015 – 15 U 217/14, AfP 2016, 160. 299 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, BVerfGE 101, 361 = MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1022 – Caroline von Monaco. 300 BGH v. 15.1.1963 – 1 StR 478/62, BGHSt 18, 186; v. 19.12.1978 – VI ZR 137/77, BGHZ 73, 120.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 55 Kap. 5
Darstellung den Betroffenen erkennen lässt, greift der Schutz auch ein, wenn sein Name unerwähnt bleibt301. Zur Privatsphäre zählen neben dem häuslichen Bereich302 auch andere Örtlichkeiten, die 55 von der breiten Öffentlichkeit deutlich abgeschieden sind303. Auf eine örtliche Abgeschiedenheit kommt es seit der Entscheidung des EGMR im Fall Caroline von Hannover nicht mehr stets an, allenfalls kann die Abgeschiedenheit das Gewicht des Zugriffsinteresses erhöhen304. Danach haben Prominente, die sich in der Öffentlichkeit bei alltäglichen Verrichtungen (Einkaufen, Urlaubsverhalten) aufhalten, grundsätzlich einen Anspruch auf Schutz vor Einblicken der Öffentlichkeit (oben Einleitung, vor Kap. 1 Rz. 15)305. Fotos hierzu dürfen nur verbreitet werden, wenn ihr Begleittext den Bezug zu einer öffentlichen Debatte über das Vorbildverhalten Prominenter herstellt306. Nicht zur Privatsphäre gehören danach öffentliche Auftritte von Politikern, Schauspielern, aber auch ihrer weniger prominenten Familienangehörigen, sofern sie jedenfalls in der Öffentlichkeit auch bekannt sind307. Das Privatleben von Politikern ist auch nach der Auffassung des EGMR nicht der öffentlichen Berichterstattung entzogen. Vielmehr kann sie zulässig sein, wenn es für die Berichterstattung aus dem Privatleben einen publizistisch relevanten Anlass gab308. Nur deren Intimsphäre ist gegen Buchveröffentlichungen stets geschützt309. Zum privaten Verhalten Prominenter gehört ihr Beziehungsleben310, ihr Urlaubs-311, Einkaufs-312 und Freizeitverhalten313. Begleiter und Lebenspartner, die selbst nicht prominent sind, genießen einen höheren Schutz vor Berichterstattung, ihre Erwähnung bedarf daher eines besonderen öffentlichen Interesses314. Dazu gehört es aber, wenn über den Lebenspartner einer Prominenten berichtet wird, dass er in 301 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366 – Wallraff I. 302 Dazu BGH v. 9.12.2003 – VI ZR 373/02, MDR 2004, 507 = AfP 2004, 119 – Feriendomizil. 303 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1022 f. – Caroline von Monaco I; BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128, 1129 – Caroline von Monaco III. 304 BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 2897/14, AfP 2017, 149; BGH v. 27.9.2016 – VI ZR 310/14, ZUM 2017, 804. 305 EGMR v. 24.6.2004, Nr. 59320/00, AfP 2004, 348 – Hannover. 306 EGMR v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 – von Hannover/Deutschland III; EGMR v. 7.2.2012 – Nr. 39954/08, NJW 2012, 1058 – Springer, m. Anm. Lehr, GRUR 2012, 750; EGMR v. 16.1.2014 – Nr. 13258/09, NJW 2014, 3291 – Lillo-Sternberg. 307 BGH v. 26.10.2010 – VI ZR 230/08, MDR 2011, 59 = GRUR 2011, 261 – Partyprinzessin. Hier konnte der BGH offenlassen, unter welchen Umständen und in welchen Grenzen die Wortberichterstattung über eine der Öffentlichkeit bislang nicht bekannte Person zulässig ist. 308 EGMR v. 4.6.2009 – Nr. 21277/05, NJW 2010, 751 – Standard Verlags-GmbH: Bericht über angebliche Eheprobleme eines ehemaligen Bundespräsidenten; EGMR v. 12.6.2014 – Nr. 40454/07, AfP 2016, 413 – Couderc et Hachette Filipacchi Associés: Bericht über das nichteheliche Kind von Albert von Monaco. 309 EGMR v. 14.1.2014 – Nr. 73579/10, AfP 2014, 317 – Ruusunen, m. Anm. Klass, ZUM 2014, 261. 310 BGH v. 17.2.2009 – VI ZR 75/08, AfP 2009, 256 = MDR 2009, 687 = NJW 2009, 1502; v. 2.5.2017 – VI ZR 262/16, AfP 2017, 310 m. Anm. Bergmann = MDR 2017, 879 = IPRB 2017, 173; KG v. 22.6.2004 – 9 U 53/04, AfP 2004, 556 = GRUR 2004, 1056. 311 BGH v. 13.11.2007 – VI ZR 265/06, BGHZ 174, 262 = VersR 2008, 552; LG Berlin v. 11.6.2015 – 27 O 120/15, AfP 2015, 569. 312 BGH v. 1.7.2008 – VI ZR 243/06, AfP 2008, 507 = MDR 2008, 1213 = NJW 2008, 3138. 313 BVerfG v. 13.4.2000 – 1 BvR 2080/98, AfP 2000, 348 = NJW 2000, 2192; v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, BVerfGE 120, 180 = NJW 2008, 1793. 314 BGH v. 19.6.2007 – VI ZR 12/06, AfP 2007, 472 = GRUR 2007, 899 Rz. 17-22.
Burkhardt/Peifer 225
Kap. 5 Rz. 56
Wortberichterstattung – die Tatbestände
der Vergangenheit für das MfS der DDR gearbeitet habe, zumal eine solche Tätigkeit nicht der Privat-, sondern der Sozialsphäre zuzuordnen ist315. 56
Zur Privatsphäre gehören grundsätzlich alle Vorgänge und Lebensäußerungen innerhalb des häuslichen, familiären, freizeit- und urlaubsbezogenen Bereichs, außerhalb beruflicher oder funktionsgezogener Tätigkeiten von Normalbürgern, z.B. die Vorgeschichte der Eheschließung, eheliche Streitigkeiten, Eifersucht usw., soweit die Vorgänge nicht bereits intimer Natur sind316. Probleme und Vorgänge, die an sich interessieren, rechtfertigen nicht ohne Weiteres die namentliche Erwähnung eines Einzelschicksals wie etwa die in Gretna Green (Schottland) mögliche Heirat Minderjähriger317, das Eheproblem des erheblichen Altersunterschiedes318 oder der Versuch einer Mutter, dem Vater das Kind trotz Gerichtsbeschlusses vorzuenthalten319. Gleiches gilt für Auseinandersetzungen mit Familienmitgliedern, für familiäre Zerwürfnisse und Scheidungsabsichten, auch bei prominenten Persönlichkeiten320. Dass Scheidungsurteile in öffentlicher Sitzung verkündet werden, rechtfertigt i.d.R. nicht die Namenserwähnung in der Presse321; anders möglicherweise bei Personen, die im öffentlichen Leben stehen, wenn an dem Ereignis ein Berichterstattungsinteresse besteht oder die Betroffenen auch in der Vergangenheit ihr Beziehungsleben öffentlich geführt haben322. Die Privatsphäre kann auch durch die Verbindung von Bild und Text verletzt werden, z.B. durch Veröffentlichung des Hochzeitsfotos eines Margarinefabrikanten zusammen mit Wäschefotos seiner früher als Mannequin tätig gewesenen Ehefrau und der Kommentierung „Begüterte Kaufmannsgattin als früheres Warenhausmodell in modischem Hemdröckchen“. Dadurch wird nicht allein das Persönlichkeitsrecht der Ehefrau, sondern auch das des Ehemannes verletzt323. Ob der Betroffene seinen Wohnsitz innerhalb oder außerhalb des deutschen Sprachraums oder des Verbreitungsgebietes hat, ist ohne Belang324. Auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind nach der hierzulande herrschenden kulturellen Anschauung grundsätzlich Privatsache. Das gilt jedenfalls für schlechte wirtschaftliche Verhältnisse. Deswegen hat es das OLG Bremen als schmerzensgeldwürdige Persönlichkeitsverletzung angesehen325, die Vorladung eines Prinzen zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung publizistisch zu verarbeiten. Auch die Tatsache, dass der Prinz angeblich auf Grund finanzieller Interessen den Carl-Alexander-Orden gegründet hatte, rechtfertige diese Mitteilung nicht. Zur geschützten Privatsphäre gehören grundsätzlich auch private Streitigkeiten z.B. wegen der Frage, ob ein verkauftes Privathaus Mängel habe. Dies gilt auch, wenn es ein namhafter Unternehmer ist, der sein Privathaus an einen Privatmann verkauft hat. Wäre die Berichterstattung über solche die Öffentlichkeit nichts angehenden Umstände ohne Weiteres zulässig, könnte das auch zu Nötigungszwecken missbraucht werden, weil es für den Betroffenen naturgemäß unangenehm ist, wegen privater Querelen öffentlich erwähnt zu werden oder sogar in die Schlagzeilen der Yellow Press zu geraten. Auch die Videoüberwachung privater 315 316 317 318 319 320 321 322 323 324 325
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KG v. 19.2.2010 – 9 U 32/09, AfP 2010, 376. OLG Hamburg v. 24.10.1974 – 3 U 134/74, NJW 1975, 649 – Mordfall Hanzlicek. BGH v. 26.1.1965 – VI ZR 204/63, GRUR 1965, 256. LG Bielefeld v. 12.7.1974 – 5 O 537/73, MDR 1975, 54. OLG Köln v. 22.5.1973 – 16 U 219/72, AfP 1973, 479. BGH v. 5.3.1974 – VI ZR 89/73, GRUR 1974, 794 – Todesgift; OLG Hamburg v. 26.1.1999 – 7 U 79/98, ZUM-RD 2000, 142 – Scheidungsabsicht eines Bundestagsfraktionsvorsitzenden. OLG Hamburg v. 26.3.1970 – 3 W 4/70, AfP 1971, 32. Vgl. BGH v. 29.6.1999 – VI ZR 264/98, NJW 1999, 2893. OLG Hamburg v. 31.3.1960 – 3 U 152/1959, Ufita 38/1962, 358. OLG Köln v. 22.5.1973 – 16 U 219/72, AfP 1973, 479. OLG Bremen v. 20.5.1992 – 1 U 20/92, CR 1994, 158 = MDR 1992, 1033.
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 59 Kap. 5
Bereiche ist i.d.R. unzulässig326. So verletzt die heimliche Videoüberwachung eines Teiles einer Tiefgarage in einer Wohnungseigentumsanlage ebenso das Persönlichkeitsrecht der Mitbewohner327 wie die Videoüberwachung eines Hauseingangs einer Wohnungseigentumsanlage, die es erlaubt, dass jeder Wohnungseigentümer jederzeit den Hauseingang über sein Fernsehgerät ständig beobachten, Videoaufzeichnungen herstellen und auswerten kann328 (Näheres zum Bildnisschutz Kap. 7 Rz. 3 ff.). Zur Privatsphäre gehören auch rein private Gespräche, selbst wenn sie berufliche Aussichten 57 zum Gegenstand haben, sofern nicht die dargestellten Vorgänge einen besonderen Öffentlichkeitsbezug aufweisen329. Auch ein von einem Kanzlerkandidaten mit dem Generalsekretär seiner Partei geführtes Telefonat über politische Aussichten der Privatsphäre zuzurechnen330, erscheint problematisch. Richtiger Auffassung nach sind Telefonate und Gespräche dieser Art unter dem Blickwinkel der gesondert zu beurteilenden Geheim- oder Vertraulichkeitssphäre zu sehen (vgl. Rz. 40; zum Recht am gesprochenen Wort vgl. Rz. 28a ff.). Zur Privatsphäre gehört es allerdings, wenn ein zweijähriges Kind aus zehn Metern Höhe aus dem Fenster stürzt, aber überlebt; ohne besonderen Anlass besteht kein Recht, darüber unter Namensnennung zu berichten331. Gesundheitliche Probleme, Krankenhaus- und Sanatoriumsaufenthalte sind grds. der Privatsphäre zuzuordnen. Äußerlich nicht wahrnehmbare Krankheiten gehören zur Intimsphäre. Nach Auffassung des BGH332 und des OLG Hamburg333 gehört die Erkrankung an Brustkrebs bzw. Krebs gleichfalls der Privat- und nicht der Intimsphäre an (dagegen Vorauflage, s. Intimsphäre Rz. 48). Religiöse Überzeugungen und die Zugehörigkeit zu religiösen oder kirchlichen Gemein- 58 schaften und Vereinigungen gehören grundsätzlich gleichfalls zur Privatsphäre (vgl. aber Rz. 50). Bei der Beurteilung ist die sog. negative Bekenntnisfreiheit zu beachten, also das Recht, seine eigene Überzeugung zu verschweigen (vgl. Art. 4 Abs. 1 GG sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 WRV). Dieser Schutz entfällt nicht schon, wenn sich die betreffende Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft „überwiegend“ wirtschaftlich betätigt, wohl aber, wenn ihre religiösen oder weltanschaulichen Lehren als bloßer Vorwand dienen334. Nach Auffassung des OLG Stuttgart335 und des OLG München336 ist für den persönlichkeitsrechtlichen Diskretionsschutz entscheidend, welche Bedeutung die Gemeinschaft für den Betroffenen hat. Einen Eingriff in den persönlichen Lebensbereich bedeutet es insbesondere, wenn religiöse 59 Übungen, die der Betroffene sogar vor ihm nahestehenden Personen geheimhalten will, offengelegt werden. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn es um eine Darstellung des Vaters des Betroffenen geht337. Der Diskretionsschutz kann z.B. eingreifen, wenn der Betroffene in einem Haus der religiösen Vereinigung lebt. Das gilt jedenfalls, wenn das nicht allgemein be326 BGH v. 16.3.2010 – VI ZR 176/09, CR 2010, 524 = AfP 2010, 257 = MDR 2010, 682 = ITRB 2010, 253 = NJW 2010, 1533. 327 OLG Karlsruhe v. 8.11.2001 – 12 U 180/01, NJW 2002, 2799. 328 KG v. 26.6.2002 – 24 W 309/01, MDR 2002, 1364 = NJW 2002, 2798. 329 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366 – Wallraff II. 330 So BGH v. 19.12.1978 – VI ZR 137/77, NJW 1979, 647 – Kohl/Biedenkopf. 331 OLG Köln v. 29.11.1977 – 15 U 155/77, AfP 1978, 148. 332 BGH v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94, MDR 1996, 366 = AfP 1996, 137 = NJW 1996, 984, 985. 333 OLG Hamburg v. 13.5.1976 – 3 U 194/75, Ufita 78/1977, 252. 334 BVerwG v. 27.3.1992 – 7 C 21/90, NJW 1992, 2496 – Osho-Bewegung, früher Bhagwan. 335 OLG Stuttgart v. 25.5.1992 – 1 Ss 64/92, NJW 1992, 3251. 336 OLG München v. 13.8.1993 – 21 U 1717/93, AfP 1993, 762. 337 OLG Celle v. 13.5.1998 – 13 U 169/97, NJW-RR 1999, 1477.
Burkhardt/Peifer 227
Kap. 5 Rz. 60
Wortberichterstattung – die Tatbestände
kannt ist und der Betroffene in der Vereinigung keine herausragende Position bekleidet338. Kein Diskretionsschutz besteht, wenn der Betroffene die Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft bzw. deren Lehren zu wirtschaftlichen Zwecken nutzt, z.B. die Kommunikationslehren des Scientology-Gründers Ron L. Hubbard zur Gestaltung gewerblicher Management-Seminare339. 60
Anders als die Intimsphäre ist die Privatsphäre nicht absolut geschützt. Vielmehr ist zu beachten, dass bei einer Presseveröffentlichung das Persönlichkeitsrecht zu der mit gleichem Rang gewährleisteten Äußerungs- und Pressefreiheit in ein Spannungsverhältnis tritt. Die Gerichte sprechen von einem „abgestuften Schutzkonzept“, bei dem Privatsphäre und Äußerungsfreiheit durch wechselseitige Abwägung in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu bringen sind340. Deswegen kann auch die ungenehmigte Veröffentlichung zulässig sein, wenn eine alle Umstände des konkreten Falles berücksichtigende Interessenabwägung ergibt, dass das Informationsinteresse gegenüber den persönlichen Belangen des Betroffenen überwiegt341. Dabei kann auch berücksichtigt werden, ob Angelegenheiten, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen, erörtert oder im Rahmen bloßer Unterhaltung lediglich private Dinge, die nur die Neugier befriedigen, ausgebreitet werden342. Z.B. muss i.d.R. ein von den Massen verehrter Weltstar es hinnehmen, dass seine Fans auch die näheren Lebensumstände ihres Idols kennenlernen wollen, und zwar einschließlich der persönlichen Lebensführung, der Partnerbeziehungen und auch etwaiger Schicksalsschläge343. Ganz besonders gilt das, wenn der Star sich zwar nicht mit dem konkreten Bericht einverstanden erklärt hat, er aber sein Privat- und Familienleben aus Publizitätsgründen allgemein in den Vermarktungsprozess einzubeziehen pflegt344. Dann muss auch der Partner bzw. die Partnerin die öffentliche Erwähnung hinnehmen. Wer den süßen Tropfen der Beziehung zum Star genießt, muss den bitteren ertragen, dass an solchen Partnerbeziehungen in weiten Kreisen gesteigertes Interesse besteht345. Andererseits hat das OLG Hamburg346 einen Bericht über den Kauf von Blumen für Prinzessin Caroline von Monaco als unzulässig angesehen; ebenso die Berichterstattung über den Kauf eines Pullovers durch die Prinzessin unter Angabe der Konfektionsgröße, benutzter Kreditkarte und ähnlicher Details (Näheres zur Parallelproblematik der Bildnisverbreitung vgl. Kap. 8 Rz. 101 ff.)347.
338 OLG München v. 20.9.1985 – 21 U 5750/84, NJW 1986, 1260; bestätigt durch BVerfG v. 14.4.1989 – 1 BvR 1235/85, NJW 1990, 1980 – Opus Dei. 339 OLG München v. 13.8.1993 – 21 U 1717/93, AfP 1993, 762. 340 BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 967/15, AfP 2017, 147. 341 EGMR v. 21.1.1999 – 26/1998/929/1141, NJW 1999, 1315, 1316; BVerfG v. 4.4.2000 – 1 BvR 1505/99, AfP 2000, 352 = NJW 2000, 2189 – Scheidungsgrund; BGH v. 29.6.1999 – VI ZR 264/98, NJW 1999, 2893, 2894 – Scheidungsgrund. 342 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco I; v. 5.4.2000 – 1 BvR 1213/97, NJW 2000, 2190 – Person der Zeitgeschichte I; v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97 – 1857/98 – 1918/98 – 2109/99 – 182/00, AfP 2001, 212 – Person der Zeitgeschichte II. 343 OLG Hamburg v. 17.3.1977 – 3 U 167/76, Ufita 81/1978, 278, 285. 344 So auch BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco I; Koebel, JZ 1965, 414; von Gamm, NJW 1979, 513, 516; Koppehele, AfP 1981, 337, 339. 345 Vgl. BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, AfP 2001, 212 – Person der Zeitgeschichte II. 346 Bestätigt durch das BVerfG v. 5.4.2000 – 1 BvR 1213/97, AfP 2000, 350 = NJW 2000, 2190 – Person der Zeitgeschichte I. 347 BVerfG v. 5.4.2000 – 1 BvR 2479/97, AfP 2000, 349 = NJW 2000, 2194.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 62 Kap. 5
Das Informationsinteresse kann sich auch aus der sozialen Stellung des Betroffenen er- 61 geben. Ist z.B. im Ausland zulässig über den Scheidungsgrund Ehebruch eines Angehörigen des Hochadels berichtet worden, der auch sonst häufig das Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf sich zieht, ist ein entsprechender Bericht eines inländischen Mediums jedenfalls dann zulässig, wenn keine Details der ehebrecherischen Beziehung mitgeteilt werden348. Zulässig ist es, wenn in einem Dokumentarfilm von einer ehemals mit einem Kaiser verheirateten Prinzessin wahrheitsgemäß behauptet wird, „Sie kriegt keine Kinder“, jedenfalls wenn die Kinderlosigkeit das weltpolitisch bedeutsame Scheitern der Ehe verursacht hat. Unzulässig ist es aber, in diesem Zusammenhang aus angeblichen Briefen zu zitieren, z.B. aus dem eines Zahnarztes, der der Prinzessin eine Untersuchung ihrer Zähne vorschlägt, oder aus dem einer Frau, die ihr rät, dem Schah abends in die Schlafanzugjacke Stanniolkugeln zu stecken349. Vorrang hat das Persönlichkeitsrecht auch, wenn dem Leser lediglich Gelegenheit geboten wird, gleichsam „durch das Schlüsselloch an hässlichen Auseinandersetzungen innerhalb einer Familie teilzunehmen, von der man gepflegtere Umgangsformen erwartet hätte“350. Z.B. braucht ein Bürgermeister und Landtagskandidat die Verbreitung der Behauptung, er habe seine Mutter geschlagen, nicht hinzunehmen, wenn das ein bereits ein Jahr zurückliegendes einmaliges Fehlverhalten war351. Ein Berichtsinteresse kann jedenfalls bei einer prominenten Person auch aus einem in der Vergangenheit mit großem Medienecho geführten Gerichtsverfahren resultieren mit der Folge, dass ein Foto des Betroffenen in der Sozialsphäre („Gehweg-Foto“) zulässig sein kann352. Anders ist es dagegen, wenn das Foto nicht im öffentlichen Raum, sondern auf einem nur eingeschränkt einsehbaren privaten Innenhof angefertigt wurde353. Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes, weil sie sich erst noch zu eigenverantwortlichen 62 Personen entwickeln müssen. Das Bundesverfassungsgericht354 geht daher davon aus, dass der Bereich, in dem Kinder sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten dürfen, umfassender geschützt sein müsse. Bei elterlicher Hinwendung zu Kindern erfahre der Schutz durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine Verstärkung durch Art. 6 GG (zur Figur der Schutzbereichsverstärkung vgl. Kap. 1 Rz. 42a). Wie sich dies im Einzelnen auf den Schutzbereich auswirke, lasse sich nicht generell und abstrakt bestimmen. Ein Schutz komme auch dort in Betracht, wo es an den Voraussetzungen der örtlichen Abgeschiedenheit fehle. Kein Schutzbedürfnis bestehe, wenn sich Eltern mit ihren Kindern bewusst der Öffentlichkeit zuwenden. Mit dieser Begründung hat das Bundesverfassungsgericht Entscheidungen insb. des OLG Hamburg bestätigt, mit denen Verlagen untersagt wurde, über Alltagssituationen der Kinder von Caroline von Monaco in Wort355 und Bild356 zu berichten. Es mag zwar zweifelhaft sein, ob gerade der Kläger in diesen Ausgangsverfahren die vom Bundesverfassungsgericht angenommene Beeinträchtigung überhaupt wahrnimmt oder sich dadurch in irgend348 BVerfG v. 4.4.2000 – 1 BvR 1505/99, AfP 2000, 352 = NJW 2000, 2189 – Scheidungsgrund; BGH v. 29.6.1999 – VI ZR 264/98, NJW 1999, 2893, 2894 – Scheidungsgrund. 349 LG Stuttgart v. 24.1.1963 – 6 Q 38/62, Ufita 40/1963, 226. 350 OLG Hamburg v. 18.2.1971 – 3 U 181/70, ArchPR 1971, 107. 351 LG Oldenburg v. 14.7.1986 – 5 O 1824/86, AfP 1987, 537. 352 BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 967/15, AfP 2017, 147. 353 BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 2897/14, 1 BvR 790/15, AfP 2017, 149. 354 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco I; v. 29.7.2003 – 1 BvR 1964/00, AfP 2003, 537 = NJW 2003, 3262; BGH v. 28.5.2013 – VI ZR 125/12, MDR 2013, 1100 = IPRB 2013, 197 = AfP 2013, 399. 355 BVerfG v. 31.3.2000 – 1 BvR 1454/97, NJW 2000, 2191; OLG Hamburg v. 22.6.1999 – 7 U 19/99, NJW-RR 1999, 1550: Der älteste Sohn habe noch keine Freundin. Er liebe Fußball. 356 BVerfG v. 31.3.2000 – 1 BvR 1454/97, NJW 2000, 2191: z.B. Spaziergang.
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Kap. 5 Rz. 63
Wortberichterstattung – die Tatbestände
welcher Weise beeinträchtigt fühlt. Dass Kinder besonderen Schutzes bedürfen, ist nicht zu bezweifeln. Allerdings sollten das Alter und die tatsächliche Stellung des Kindes nicht unberücksichtigt bleiben. Es macht einen Unterschied, ob über die Sportinteressen eines 17-jährigen, der an dritter Stelle in der Thronfolge seines Landes steht oder das Heimweh eines Achtjährigen berichtet wird. Eine „absolute Person der Zeitgeschichte in nuce“ muss eher eine Berichterstattung hinnehmen als nach ihrer Stellung weniger herausgehobene Kinder. Wenn das Bundesverfassungsgericht maßgeblich auf die Abwägung im Einzelfall abstellt, darf der Privatsphärenschutz auch bei Kindern nicht zu einem Quasi-Schutzwall gegen jegliche Berichterstattung über Dinge führen, die nicht bewusst der Öffentlichkeit zugewandt werden. Eindeutig zulässig ist die Berichterstattung über Kinder Prominenter, die als Protagonisten an öffentlichen Veranstaltungen (z.B. einem Ball oder einem Sportturnier) teilnehmen357 und so die Öffentlichkeit selbst suchen358, unzulässig ist sie dagegen, wenn die Kinder in Begleitung Erwachsener nur auf der Zuschauertribüne zu sehen sind359. Zulässig ist auch eine Berichterstattung über ein Fehlverhalten von Jugendlichen in der Öffentlichkeit, wenn diese durch Filmrollen einen eigenen Prominentenstatus gewonnen haben360. Als zulässig angesehen wurde die Veröffentlichung einer Adoptionsbeziehung zu einem prominenten Vater unter Namensnennung eines zehnjährigen Mädchens361. 63
Berichtet jemand in den Medien über seine eigene Vergangenheit, berührt dies i.d.R. nicht nur die Sphäre des Berichtenden, sondern auch diejenige Dritter. Ob diese den Eingriff hinzunehmen haben, hängt insb. von der Identifizierungsmöglichkeit durch den Bericht, die Art und Schwere des Eingriffs und die wahrgenommenen Informationsinteressen ab362. Dies ist auf Grund einer umfassenden Interessensabwägung festzustellen. Daher kann die Nennung des eigenen Namens des Berichtenden unzulässig sein. Bei der Beurteilung ist u.a. die Breitenwirkung des Berichts etwa auf Grund des Bekanntheitsgrads des Betroffenen oder aber der Häufigkeit des Namens zu berücksichtigen. Z.B. hat das Bundesverfassungsgericht363 das gegenüber einer Frau ergangene Verbot aufgehoben, in einer Fernsehtalkshow unter Nennung ihres Mädchennamens über jahrelangen sexuellen Missbrauch vom Kindesalter an durch ihren Vater zu berichten. Andererseits hat es die auf Antrag des Sohnes ergangene Entscheidung des OLG München364 bestätigt365, mit der einer Fernsehanstalt verboten wurde, im Rahmen einer Fernsehdokumentation den Vater unter Nennung seines Namens und bildlich dargestellt im Fernsehen über die Mitgliedschaftspraktiken von Opus Dei berichten zu lassen. Richtigerweise wird eine Namensnennung und bildliche Darstellung von Personen nur in Betracht kommen, wenn die Folgewirkungen durch die Identifizierung für den Betroffenen geringer als das Informationsinteresse sind. Im Zweifel hat der Berichtende eine Anonymisierung hinzunehmen366. Allein das Bedürfnis, seine eigene Vergangenheit in der Öffent357 BGH v. 28.9.2004 – VI ZR 305/03, MDR 2005, 272 = GRUR 2005, 74, 75 – Charlotte Casiraghi II; v. 28.5.2013 – VI ZR 125/12, MDR 2013, 1100 = IPRB 2013, 197 = AfP 2013, 399. 358 OLG Hamburg v. 21.11.2017 – 7 U 113/16, AfP 2018, 54. 359 OLG Köln v. 10.11.20116 – 15 U 94/16, NJW 2017, 1114 – Politikertochter. 360 BVerfG v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09, AfP 2012, 143 – Wilde Kerle. 361 BGH v. 5.11.2013 – VI ZR 304/12, MDR 2014, 29 = CR 2014, 135 = IPRB 2014, 29 = AfP 2014, 58 – Mascha S. 362 BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889 – Namensnennung; KG v. 18.12.2007 – 9 U 95/07, AfP 2008, 396. 363 BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889 – Namensnennung. 364 OLG München v. 20.9.1985 – 21 U 5750/84, NJW 1986, 1260 – Opus Dei. 365 BVerfG v. 14.4.1989 – 1 BvR 1235/85, NJW 1990, 1980 – Opus Dei. 366 Vgl. Brandner, JZ 1983, 690.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 64 Kap. 5
lichkeit aufzuarbeiten, vermag wegen der damit verbundenen Prangerwirkung eine Identifizierung(smöglichkeit) des Betroffenen nicht zu rechtfertigen367. Wird über die heutigen Lebensumstände eines ehemaligen RAF-Terroristen berichtet, muss dieser die Namensnennung hinnehmen, nicht jedoch weitere über die bloße Identifizierung hinausgehende Mitteilungen über private Umstände368. Die Namensnennung selbst ist allenfalls Eingriff in die Privatsphäre, wenn eine unbekannte Person damit an die Öffentlichkeit gezogen wird (zur Namensnennung in der Sozialsphäre unten Rz. 69). Im Falle der Einwilligung entfällt der Schutz der Privatsphäre von vornherein. Dies gilt auch, 64 wenn die Einwilligung nur gegenüber einem Medium erteilt wird. Der Schutz besteht nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person. Er entfällt daher, wenn jemand sich selbst damit einverstanden erklärt, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden, etwa indem Exklusivverträge über die Berichterstattung aus der Privatsphäre geschlossen werden. Öffnet jemand seinen privaten Bereich, kann er sich nicht mehr auf den Privatsphärenschutz berufen369. Unter bestimmten Voraussetzungen soll die Einwilligung eines Angehörigen genügen. So ist das LG Berlin davon ausgegangen370, der Sohn von Gustav Hartmann, des von Hans Fallada in dem Roman „Der Eiserne Gustav“ beschriebenen Droschkenkutschers, der 1928 von Berlin nach Paris gefahren ist, müsse gegen sich gelten lassen, dass sein Vater mit der Publizität der Fahrt einverstanden war, weswegen er sich nicht dagegen wenden könne, in einem nach diesem Roman gedrehten Film gleichfalls eine Rolle zu spielen. Eine Einwilligung in die Darstellung einer Nierentransplantation deckt nicht eine drei Jahre später erfolgende erneute Veröffentlichung371. Kein Einverständnis mit einer öffentlichen Darstellung bedeutet die bloße Gewährung eines Einblicks in den häuslichen Bereich372. Jedoch kann eine Einwilligung in die Filmaufzeichnung auch konkludent erteilt werden, indem z.B. ein Kaufhaus betreten wird, obgleich an den Eingängen zum Kaufhaus deutlich sichtbar auf eine Videoüberwachung und -aufzeichnung hingewiesen wird373, weitergehende Verwendungen des Bildmaterials werden dadurch allerdings nicht erlaubt. Hat der Betroffene eine (General-)Vollmacht erteilt, so kann auch der Bevollmächtigte wirksam die Einwilligung erklären374. Ein Rückzug aus der Öffentlichkeit ist möglich. Allerdings muss er situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck gebracht werden375. Die Selbstöffnung der Privatsphäre ist keine rechtsgeschäftliche Einwilligungsklärung, sondern ein schlichtes Einverständnis im Sinne eines Vertrauenstatbestandes, der eine Selbstbindung gegenüber öffentlicher Berichterstattung erzeugt. Die Rücknahme des Einverständnisses muss daher konsequent und deutlich erfolgen, sie kann nicht situativ zu einer Steuerung des öffentlichen 367 BGH v. 21.11.2006 – VI ZR 259/05, AfP 2007, 44 = MDR 2007, 588 = GRUR 2007; 350; zur unzulässigen Prangerwirkung von Boykottaufrufen: BVerfG v. 8.10.2007 – 1 BvR 292/02, NJW-RR 2008, 200. 368 KG v. 18.12.2007 – 9 U 95/07, AfP 2008, 396. 369 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco I; BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 261/10, MDR 2012, 279 = NJW 2012, 771 Rz. 16 – Babyklappen; v. 5.12.2006 – VI ZR 45/05, AfP 2007, 46 = MDR 2007, 519 = NJW 2007, 686 Rz. 21 – Terroristentochter; OLG Köln v. 7.1.2014 – 15 U 86/13, ZUM 2014, 806. 370 LG Berlin v. 11.7.1978 – 27 O 196/78, Ufita 86/1980, 313. 371 OLG Oldenburg v. 26.11.1982 – 6 U 107/82, NJW 1983, 1202. 372 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366 – Wallraff II. 373 BayObLG v. 24.1.2002 – 2 St RR 8/02, NJW 2002, 2893. 374 OLG München v. 30.5.2001 – 21 U 1997/00, AfP 2001, 400. 375 BVerfG v. 21.8.2006 – 1 BvR 2606/04 – 2845/04, 2846/04, 2847/04, ZUM 2006, 868, 871; BGH v. 19.10.2004 – VI ZR 292/03, MDR 2005, 334 = AfP 2004, 540 = NJW 2005, 594; OLG Köln v. 7.1.2014 – 15 U 86/13, ZUM 2014, 806; KG v. 3.11.2009 – 27 O 343/09, ZUM-RD 2011, 31.
Burkhardt/Peifer 231
Kap. 5 Rz. 65
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Auftritts überall dort führen, wo der Blick genehm ist und überall dort entzogen werden, wo er lästig wird. Zum Einwilligungsproblem vgl. weiter Kap. 6 Rz. 92 und Kap. 7 Rz. 132 ff. dd) Sozialsphäre 65
Die Sozialsphäre umfasst den jenseits des Privaten liegenden Bereich der Person, der nach außen so in Erscheinung tritt, dass er grundsätzlich von jedem, jedenfalls aber auch von Menschen wahrgenommen werden kann, zu denen keine rein persönlichen Beziehungen bestehen, ohne aber der Öffentlichkeit bewusst zugekehrt zu sein: Der Mensch während seiner beruflichen, gewerblichen oder politischen Betätigung376, bei Veranstaltungen, auf der Straße, d.h. allgemein gesehen als Mitglied der sozialen Gemeinschaft. Dass dieser Bereich besonderer Beurteilung bedarf, hat der BGH inzwischen anerkannt und in der Entscheidung Wallraff I auch den Begriff der Sozialsphäre übernommen377. In diesem Bereich muss dem Einzelnen ebenfalls grundsätzlich die Bestimmung darüber vorbehalten bleiben, welcher Öffentlichkeit er vorgestellt wird. Der Lebens- und Entfaltungsraum der Persönlichkeit wäre übermäßig eingeengt, wenn sie mit der steten Gefahr konfrontiert wäre, einer breiteren Öffentlichkeit ausgesetzt zu werden als jener, die sie im sozialen Kontakt gesucht hat378. Allerdings ist dem Informationsinteresse ein erheblicher Rang beizumessen379. Das gilt z.B. für Schreiben, die der Verfasser in amtlicher Eigenschaft verfasst und an einen Amtsinhaber gerichtet hat. Deren Publikation muss der Verfasser auch gegen seinen Willen hinnehmen380. Anders kann bei urheberrechtlich geschützten Schreiben zu entscheiden sein381.
66
Persönlichkeitsrechtliche Beschränkungen der Äußerungsfreiheit können sich insb. bei partnerschaftlichen Beziehungen ergeben, die nach außen in Erscheinung treten und deswegen nicht mehr reine Privatsache, trotzdem aber nicht unbedingt für die öffentliche Erörterung geeignet sind. Z.B. gehört eine Eheschließung zum Bereich der Sozialsphäre, so dass bei vorhandenem Informationsinteresse darüber berichtet werden darf. Entsprechendes gilt, wenn aus einer Intimbeziehung ein Kind hervorgegangen ist. Infolge der sozialen Dimension ist das gleichfalls eine Angelegenheit der Sozialsphäre (Rz. 52)382.
67
Persönlichkeitsrechtliche Beschränkungen der Äußerungsfreiheit können auch bei der Darstellung der beruflichen Tätigkeit zu beachten sein383. Insoweit ist der Einzelne ebenfalls auf einen Mindestbestand an Schutz vor der Öffentlichkeit angewiesen, ohne den seine Persönlichkeit sich auch in diesem Bereich nicht frei entfalten kann. Z.B. braucht niemand, der dazu keine Veranlassung gegeben hat, hinzunehmen, zur Personifizierung eines bestimmten Systems eingesetzt zu werden, z.B. des Boulevard-Journalismus oder als Symbolfigur eines 376 BGH v. 10.11.1994 – I ZR 216/92, MDR 1995, 710 = AfP 1995, 404, 407 – Dubioses Geschäftsgebaren; v. 24.6.2008 – VI ZR 156/06, BGHZ 177, 119 = NJW 2008, 3134 Rz. 17 – Einkaufsbummel nach Abwahl; v. 25.10.2011 – VI ZR 332/09, MDR 2012, 25 = NJW 2012, 767: kommerzielle Betätigung. 377 BGH v. 20.1.1983 – VI ZR 162/79, NJW 1981, 1089, 1091; seither st. Rspr., vgl. v. 10.11.1994 – I ZR 216/92, MDR 1995, 710 = AfP 1995, 404, 497 – Dubioses Geschäftsgebaren. 378 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366 – Wallraff II. 379 BGH v. 10.11.1994 – I ZR 216/92, MDR 1995, 710 = AfP 1995, 404, 407 – Dubioses Geschäftsgebaren. 380 BVerfG v. 12.4.1991 – 1 BvR 1088/88, NJW 1991, 2339. 381 KG v. 21.4.1995 – 5 U 1007/95, NJW 1995, 3392 – Botho Strauß-Briefe. 382 Vgl. OLG Hamburg v. 13.9.1990 – 3 U 129/90, AfP 1991, 533 = NJW-RR 1991, 98. 383 BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 = CR 2009, 593 = MDR 2009, 1038 = ITRB 2009, 195 = AfP 2009, 401 – spickmich.de.
232
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 69 Kap. 5
kritisierten Wirtschaftssystems384. Das gilt auch, wenn ein erfundener Name genannt, der Betroffene aber leicht identifizierbar ist. Dieser Schutz reicht allerdings nicht soweit, dass der Betroffene gegenüber Kritik abgeschirmt wäre. Soweit er Vorgänge zu vertreten hat, muss er es hinnehmen, im Zusammenhang damit genannt zu werden. Der Schutz bleibt dann auf die Verpflichtung des Kritikers zur Wahrheit beschränkt385. Bei der Abwägung ist entscheidend, ob die Person dargestellt und damit über sie berichtet oder ob ihre Tätigkeit mit sozialem Bezug dargestellt wird. Wird in den Memoiren eines ehemaligen Leiters eines Landesamts für Verfassungsschutz über eine Person behauptet, sie sei vom sowjetischen Geheimdienst verpflichtet worden und habe deutschen Behörden ihre Mitarbeit angedient, betrifft dies nicht die Sozial-, sondern die Geheimsphäre, da dadurch das Amtsgeheimnis verletzt wird386. Zur Sozialsphäre gehören auch strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Durch die Unterrich- 68 tung Anderer über ein solches Verfahren werden nicht ohne Weiteres berechtigte Informationsinteressen wahrgenommen. Jedenfalls ist es grundsätzlich unzulässig, ein gegen einen Hausnachbarn laufendes Ermittlungsverfahren dessen Arbeitgeber mitzuteilen, zumal dadurch der Eindruck entsteht, der erhobene Vorwurf sei begründet387. Näheres zur Berichterstattung über Ermittlungs- und gerichtliche Verfahren Kap. 10 Rz. 166 ff. Besondere Bedeutung hat die Frage, ob über einen Vorgang, der sich in der Öffentlichkeit 69 abgespielt hat, unter Namensnennung auch berichtet werden darf, wenn er für den Betroffenen peinlich ist388. Zu denken ist z.B. an eine junge Segelfliegerin, die statt auf dem Flugfeld in Baumwipfeln landet, was umfangreiche Rettungsaktionen auslöst, die schließlich erfolgreich sind. Es entsteht dann die Frage, ob der Persönlichkeitsschutz es gebietet, einen solchen der Sozialsphäre zuzuordnenden Vorgang zu anonymisieren. Das lässt sich nur auf Grund einer Abwägung der Umstände entscheiden. Dem Persönlichkeitsschutz wird grundsätzlich Vorrang einzuräumen sein, wenn die Darstellung eine Bloßstellung bewirkt, ohne dass es auf die betroffene Person ankommt (zur Sonderproblematik der Berichte über Ermittlungsverfahren, der Gerichtsberichte und der Berichte über Straftäter vgl. Kap. 10 Rz. 166 ff.). Andererseits darf der persönlichkeitsrechtliche Schutz der Sozialsphäre nicht zu einer Verpflichtung der Medien ausgeweitet werden, jeden dieser Sphäre zuzuordnenden Vorgang zu anonymisieren, sofern der Betroffene nicht nur positiv Erwähnung findet. Das würde auf die Verpflichtung der Medien hinauslaufen, unter Namensnennung grundsätzlich nur berichten zu dürfen, wenn die Gefahr einer Negativinterpretation auszuschließen ist. Dies würde eine Überziehung des Persönlichkeitsschutzes darstellen. Satirische Kritik am Verhalten eines Prominenten unter Nennung seines Namens ist selbstverständlich zulässig389. Geht es um berufliches Verhalten von Lehrern ist die namentliche Nennung des Betroffenen in ei-
384 BVerfG v. 8.6.2010 – 1 BvR 1745/06, NJW 2011, 47 AfP 2010, 465 Rz. 21; v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358, 2359: Greenpeace-Plakataktion unter Herausstellung des HoechstVorstandsvorsitzenden; BGH v. 21.11.2006 – VI ZR 259/05, AfP 2007, 44 = MDR 2007, 588 = GRUR 2007, 350. 385 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366 – Wallraff II. 386 OLG Bremen v. 1.11.1995 – 1 U 51/95, NJW 1996, 1000, 1001 – Willy Lemke. 387 OLG Düsseldorf v. 22.1.1992 – 15 U 228/90, AfP 1992, 369. 388 Vgl. BGH v. 26.1.1965 – VI ZR 204/63, GRUR 1965, 256 – Gretna Green betr. eine heimliche Hochzeit. 389 BGH v. 5.6.2008 – I ZR 96/07, MDR 2008, 1408 = GRUR 2008, 1124; v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72.
Burkhardt/Peifer 233
Kap. 5 Rz. 70
Wortberichterstattung – die Tatbestände
nem Bewertungsportal ebenso zulässig390 wie die namentlich identifizierende Kritik an in der Wirtschaft391 oder Kultur öffentlich hervorgetretenen Personen392. 70
Handelt es sich um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, wie etwa den Klimaschutz, kann auch eine scharfe, abwertende Kritik, die mit übersteigerter Polemik vorgetragen oder in ironischer Weise formuliert wird, zulässig sein. Ein Vorstandsvorsitzender eines der größten Chemieunternehmen, das u.a. auch FCKW produziert, hat es daher hinzunehmen, auf einem Greenpeace-Plakat, das sich gegen die FCKW-Produktion wendet, in Zusammenhang mit dem Text „Alle reden vom Klima – Wir ruinieren es“ mit einem ca. 70 × 50 cm großen Foto abgebildet und namentlich genannt zu werden393. Unzulässig soll der Vorwurf des Gefälligkeitsjournalismus zugunsten eines sehr großen Anzeigenkunden sein, auch wenn nachgewiesen ist, dass Anzeigenaufträge in erheblichem Umfang vorliegen394. Zutreffend geht das OLG Karlsruhe395 davon aus, dass in einem sachlichen Bericht über die Vitaminindustrie auch Begriffe wie „Pfuscher“, „Scharlatan“ und „pseudoreligiöser Vitaminguru“ zulässig sein können. Wird ein Scientology-Mitglieder vertretender Anwalt namentlich erwähnt, ist dies nur unzulässig, wenn dadurch der falsche Anschein erweckt wird, der Anwalt habe über das Mandatsverhältnis hinaus etwas mit der Ideologie seines Mandanten zu tun396. Ein Fernsehjournalist muss es hinnehmen, dass im Rahmen einer Berichterstattung über einen bekannten Schauspieler ein Bild abgedruckt wird, das den Journalisten zeigt, wie er von dem Schauspieler geohrfeigt wird. Allerdings darf bei einer Berichterstattung über die zurückliegenden Eskapaden des Schauspielers nach über drei Jahren nach dem Vorfall der Name des Journalisten nicht mehr genannt werden397. Ein zum Notfalldienst eingeteilter Kassenarzt hat keinen Anspruch darauf, in der Notfalldienst-Rubrik einer Zeitung unerwähnt zu bleiben398. ee) Öffentlichkeitssphäre
71
Die Öffentlichkeitssphäre umfasst den Bereich menschlichen Lebens, von dem jedermann Kenntnis nehmen kann und eventuell sogar Kenntnis nehmen soll. Es handelt sich um denjenigen Ausschnitt aus der Sozialsphäre, der weder räumlich noch thematisch abgeschieden ist, also die Sphäre, die bewusst der Öffentlichkeit zugekehrt ist. In diesem Bereich besteht kein persönlichkeitsrechtlicher Schutz vor Indiskretion, weil der Betroffene den Kontakt mit der Öffentlichkeit sucht und will. Dabei ist regelmäßig ohne Belang, ob der Vorgang absichtlich oder unabsichtlich in den Bereich der Öffentlichkeit gelangt ist. Typische Beispiele für Äußerungen im Öffentlichkeitsbereich sind Berichte über das öffentliche Auftreten von Politikern, Wissenschaftlern, Künstlern. Auch Berichte über sonstiges öffentliches Sich-zurSchau-Stellen sind regelmäßig der Öffentlichkeitssphäre zuzurechnen.
390 BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, AfP 2009, 401 = CR 2009, 593 = MDR 2009, 1038 = ITRB 2009, 195 = NJW 2009, 2888 – spickmich.de. 391 OLG Stuttgart v. 28.3.2007 – 4 U 158/06, BeckRS 2007, 14835. 392 OLG Rostock v. 5.11.2014 – 2 W 12/14, AfP 2015, 350. 393 BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124. 394 OLG Köln v. 23.5.2001 – 6 U 45/01, AfP 2001, 332. 395 OLG Karlsruhe v. 24.7.2002 – 6 U 205/01, AfP 2002, 533 = NJW-RR 2002, 1695. 396 Wenzel, AfP 1997, 939; a.A. LG Berlin v. 18.4.1996 – 27 O 15/96, AfP 1997, 938; vgl. auch BVerfG v. 8.10.2007 – 1 BvR 292/02, NJW-RR 2008, 200. 397 OLG Düsseldorf v. 13.3.2001 – 20 U 178/00, NJW-RR 2001, 1623. 398 BGH v. 13.11.1990 – VI ZR 104/90, MDR 1991, 519 = AfP 1991, 416 = NJW 1991, 1532 – Notfalldienst.
234
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 73 Kap. 5
Derjenige, der an einer öffentlichen Quizveranstaltung teilnimmt, kann eine Darstellung sei- 72 ner Beteiligung nicht verhindern, sondern allenfalls geltend machen, sie sei unwahr oder beleidigend. Wer einer Fernsehanstalt ein Interview gibt, kann dessen Ausstrahlung nicht unterbinden, soweit er sich dieses Recht nicht ausdrücklich hat einräumen lassen399. Der Auftritt eines Schauspielers in einem Film ist ebenso öffentlich, auch wenn es sich um einen Erotikoder Pornofilm handelt400. Auch ein Anwalt, der in einer öffentlichen Verhandlung auftritt, z.B. als Strafverteidiger, hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Unterlassung der Nennung seines Namens401. Er kann sich auch nicht darauf berufen, infolge einer solchen Berichterstattung könne er mit der Person des Angeklagten und dessen Straftat geistig und moralisch in Verbindung gebracht werden, oder er könne in den Verdacht der Publizitätssucht kommen402. Ebenso können sonstige Vorgänge wie z.B. eine briefliche Stellungnahme der Öffentlich- 73 keitssphäre zuzurechnen sein, wenn die Öffentlichkeit daran interessiert ist403. Ob es sich um einen positiv oder negativ zu bewertenden Vorgang – wie etwa ein Verbrechen – handelt, ist grundsätzlich ohne Belang404. Soweit Informationen in vernetzten Datenumgebungen, insb. in Internetdiensten, öffentlich einsehbar sind, folgt daraus noch nicht, dass diese auch für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Hier wird man sehr viel stärker nach Einzelinteressen differenzieren müssen. So ist die Wiedergabe einer öffentlichen Äußerung, die in einem sozialen Medium (Facebook) abgegeben wurde, noch nicht zwangsläufig auch für eine breite Öffentlichkeit derart bestimmt, dass sie in Medien der Massenkommunikation unter namentlicher Nennung ihres Autoren weiterverbreitet werden darf405. c) Schutz vor Unwahrheit (Recht auf Identität oder Individualität) aa) Grundsatz Schrifttum: Kitzinger, Die Berichtigungspflicht der Presse und das Recht auf Berichtigung, ZStW 27 (1907), 872; De Cupis: La verità nel diritto, Foro it. 1952 IV 223; Hubmann, Das Recht auf Identität, Gedächtnisschrift R. Schmidt, 1966, S. 161; Macioce, Tutela civile della persona e identitá personale, 1984; Forkel, Zur systematischen Erfassung und Abgrenzung des Persönlichkeitsrechtes auf Individualität, FS Hubmann, 1985, S. 93; Ulrich, Das Recht auf Identität im zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz, 1995; Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001; Ladeur, Die Anpassung des privaten Medienrechts an die „Unterhaltungsöffentlichkeit“, NJW 2004, 393; Helle, „Variantenlehre“ und Mehrdeutigkeit der verletzenden Äußerung, AfP 2006, 110; Beater, Auslegung massenmedialer Äußerungen, JZ 2006, 432; Gas/Körner, Mit wahren Worten das Falsche sagen, AfP 2007, 17; Sedelmayer, Rechtsschutz gegen verdeckte oder mehrdeutige Aussagen und Eindrücke, AfP 2012, 451; Dittmayer, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Äußerungen im Internet, DuD 2013, 780; Loschelder, Verfälschungen des Persönlichkeitsbildes in der Kunst, GRUR 2013, 14; Peifer, Die zivilrechtliche Verteidigung gegen Äußerungen im Internet, AfP 2015, 193; Haug, Berichterstattung zwischen „Political Correctness“ und dem Vorwurf der „Lügenpresse“, AfP 2016, 122. 399 OLG München v. 17.11.1995 – 21 U 3032/95, AfP 1997, 636, 639. 400 BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 332/09, AfP 2012, 47 = MDR 2012, 25 = NJW 2012, 767 Rz. 13; LG Berlin v. 19.11.1996 – 27 O 381/96, NJW 1997, 1155. 401 Jarass, NJW 1982, 1833. 402 AG Kaiserslautern v. 20.11.1967 – 6 G 124/67, ArchPR 1970, 70; a.A. LG Berlin v. 18.4.1996 – 27 O 15/96, AfP 1997, 938 m. krit. Anm. Wenzel. 403 BGH v. 22.12.1959 – VI ZR 175/58, BGHZ 31, 308, 313 – Alte Herren. 404 BGH v. 5.1.1962 – VI ZR 72/61, NJW 1962, 1004 – Doppelmörder. 405 OLG München v. 17.3.2016 – 29 U 368/16, AfP 2016, 278 = NJW-RR 2016, 817 – Internetpranger; anders OLG Saarbrücken v. 30.6.2017 – 5 U 16/16, ITRB 2017, 206.
Burkhardt/Peifer 235
Kap. 5 Rz. 74
Wortberichterstattung – die Tatbestände
74
Zu den gravierendsten Beeinträchtigungen der Persönlichkeit gehört es, Unwahrheiten über sie zu verbreiten. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht schon in der Schmid-Entscheidung betont406, dass mit der Pressefreiheit Pflichten einhergehen, die um so ernster zu nehmen sind, je höher man das Grundrecht der Pressefreiheit einschätzt. Wenn die Presse von ihrem Informationsrecht Gebrauch macht, sei sie folglich zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung verpflichtet. Die Erfüllung der Wahrheitspflicht werde schon um des Ehrenschutzes der Betroffenen willen gefordert, ebenso wegen der Bedeutung der öffentlichen Meinungsbildung in einer freiheitlichen Demokratie. Zwar meint das Bundesverfassungsgericht in neueren Entscheidungen407, die Anforderungen an die Wahrheitspflicht dürften nicht übersteigert werden408, auch habe die Person kein Recht darauf, nur so dargestellt zu werden, wie sie sich selbst sieht409. Daran, dass eine unrichtige Information trotz der Äußerungsfreiheit kein schutzwürdiges Gut ist, weil sie der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Aufgabe zutreffender Meinungsbildung nicht zu dienen vermag, lässt es aber weiterhin keinen Zweifel410. Davon geht auch der BGH in st. Rspr. aus411. In der Klinikdirektoren-Entscheidung hat er erklärt412, an der Weiterverbreitung einer unwahren Tatsachenbehauptung könne „nie, auch nicht im Blick auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit ein schutzwürdiges Interesse bestehen“. Gleichwohl bestehen bezüglich des Schutzes vor Unwahrheiten noch immer Unklarheiten.
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Unbeschadet des Bekenntnisses zur Wahrheitspflicht geht der BGH davon aus, wegen einer eine Person betreffenden Unwahrheit bestehe ein Anspruch nur, wenn sie ein anerkanntes Schutzgut des Persönlichkeitsrechts verletze. Als Schutzgut dieser Art hat er in der Leserbrief-Entscheidung die persönlichkeitsrechtliche Eigensphäre herangezogen413. In der Sherlock Holmes-Entscheidung arbeitet er mit dem Begriff des Lebensbildes414. In der einen WortBildbericht betreffenden Doppelmörder-Entscheidung versucht er, den falschen Wortbericht mit Hilfe des Bildnisschutzes zu erfassen415. Im Soraya-Fall nennt der BGH das Recht auf freie Selbstbestimmung416. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Falle von der Privatsphäre gesprochen417. In der Entscheidung betreffend einen Untersuchungsausschuss meint der BGH zwar, wenn die angegriffenen Behauptungen unwahr sind, sei einer Unterlassungsklage ohne Weiteres zu entsprechen; gemeint hat er damit aber nur ehrverletzende Behauptungen418.
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Schon in den Vorauflagen ist die Auffassung vertreten worden, dass diese Betrachtungsweise dem unverzichtbaren Schutz der Person vor Unwahrheiten nicht ausreichend gerecht wird. 406 BVerfG v. 25.1.1961 – 1 BvR 9/57, NJW 1961, 819, 821. 407 Ua. BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072, 2073 – Böll; v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein. 408 Vgl. dazu auch Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 412. 409 BVerfG v. 14.2.2005 – 1 BvR 240/04, MDR 2005, 806 = AfP 2005, 171 = GRUR 2005, 500 – Satirische Fotomontage. 410 BVerfG v. 14.2.2005 – 1 BvR 240/04, MDR 2005, 806 = AfP 2005, 171 = GRUR 2005, 500. 411 Vgl. u.a. BGH v. 9.7.1974 – VI ZR 112/73, NJW 1974, 1710; v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882; v. 30.5.1978 – VI ZR 117/76, NJW 1978, 1797; v. 5.5.1981 – VI ZR 184/79, MDR 1981, 926 = NJW 1981, 2117. 412 BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 251/80, MDR 1983, 43 = AfP 1982, 217 = NJW 1982, 2246. 413 BGH v. 25.5.1954 – VI ZR 211/53, NJW 1954, 1404. 414 BGH v. 15.11.1957 – I ZR 83/56, NJW 1958, 459, 462. 415 BGH v. 5.1.1962 – VI ZR 72/61, NJW 1962, 1004. 416 BGH v. 8.12.1964 – VI ZR 201/63 NJW 1968, 685. 417 BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221. 418 BGH v. 3.10.1978 – VI ZR 191/76, NJW 1979, 266.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 78 Kap. 5
Sie relativiert die Wahrheitspflicht und vermittelt die Vorstellung, Unwahrheiten über eine Person zu verbreiten, sei unbeschadet alles dazu Gesagten nicht schon für sich betrachtet, sondern nur in besonderen Fällen unzulässig. Auf der Grundlage dieser abzulehnenden Vorstellung ist es auch dazu gekommen, dass der BGH in seiner ersten Böll-Entscheidung gemeint hat419, einen Schriftsteller falsch zu zitieren, verletze sein Persönlichkeitsrecht nicht420. Die Unzulänglichkeit der Ausprägung des Schutzes vor Unwahrheiten hat sich beispielsweise auch in einer Entscheidung des OLG Stuttgart niedergeschlagen421, in der das OLG meint, einem Politiker eine nicht getane Äußerung in den Mund zu legen, sei persönlichkeitsverletzend nur, wenn er dadurch verächtlich gemacht werde, was nicht der Fall sei, wenn er die betreffende Äußerung entsprechend seinen sonstigen Ansichten jedenfalls getan haben könnte422. Der Eppler-Fall hat dem Bundesverfassungsgericht Gelegenheit gegeben, den Schutz vor Un- 77 wahrheiten verfassungsrechtlich zu prüfen423. Das Bundesverfassungsgericht vertritt die Auffassung, der keineswegs außergewöhnliche Fall der Unterstellung einer nicht getanen politischen Äußerung werde von keinem der bis dahin anerkannten Konkretisierungen des Persönlichkeitsrechts erfasst. Die Unterstellung einer nicht getanen Äußerung bedeute aber auch ohne Verletzung eines anerkannten Schutzgutes einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wenn sie den sozialen Geltungsanspruch verletze, den zu definieren dem Betroffenen vorbehalten bleiben müsse. Das folge aus dem Gedanken der Selbstbestimmung. Jeder solle ohne Beschränkung auf die Privatsphäre grundsätzlich selbst entscheiden können, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen wolle und ob und inwieweit Dritte über seine Person verfügen dürfen. Ob das Bundesverfassungsgericht davon ausgeht, dieser Grundsatz solle allein für den Fall des Unterschiebens nicht getaner Äußerungen gelten, oder ob es ihn für verallgemeinerungsfähig hält, lässt sich der Entscheidung nicht eindeutig entnehmen. Auf den persönlichkeitsrechtlichen Schutz des sozialen Geltungsanspruches können sich auch juristische Personen einschließlich politischer Parteien berufen424. In seiner Helnwein-Entscheidung erstreckt das Bundesverfassungsgericht den Schutz gegen 78 fälschliche Zuschreibung einer Mitgliedschaft in Vereinigungen und Gruppen, sofern diese Bedeutung für die Persönlichkeit hat oder deren Bild in der Öffentlichkeit nachteilig beeinflusst425. Allerdings reiche der Schutz nicht soweit, dass er dem Einzelnen einen Anspruch darauf verleihe, in der Öffenlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder von anderen gesehen werden möchte426. Jedenfalls wird er aber vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen seiner Person geschützt, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind427. Damit scheint das Bundesverfassungsgericht nunmehr den Schritt zu einem umfasserenden Schutz vor Unwahrheit gemacht zu haben. Ob dies in Wirklichkeit der Fall ist, erscheint jedoch zweifelhaft. Das Gericht lässt 419 BGH v. 30.5.1978 – VI ZR 117/76, NJW 1978, 1797. 420 Vgl. die korrigierende Entscheidung des BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072. 421 OLG Stuttgart v. 25.8.1976 – 4 U 69/76, AfP 1976, 183 – Eppler. 422 Vgl. dazu Wenzel, AfP 1979, 276, 283. 423 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77, AfP 1980, 149 = NJW 1980, 2070 – Eppler. 424 OLG Köln v. 17.12.1985 – 15 U 263/85, AfP 1986, 7 = NJW 1987, 1415. 425 BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1323. 426 So auch BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 332/09, AfP 2012, 47 = MDR 2012, 25 = NJW 2012, 767 Rz. 20 – Pornodarsteller. 427 BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889 – Namensnennung; v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1323 – Helnwein; v. 23.10.2007 – 1 BvR 150/0, AfP 2008, 55.
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Kap. 5 Rz. 79
Wortberichterstattung – die Tatbestände
auch weiterhin die Verbreitung der Unwahrheit allein für einen Abwehranspruch nicht genügen. Hinzukommen müsse, dass die entstellende Darstellung von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung ist428. Da das Gericht damit im konkreten Fall das Ansehen einer Person auf Grund ihrer Gruppenzugehörigkeit meint, geht es im Ergebnis wiederum von der Notwendigkeit aus, es müsse der soziale Geltungsbereich verletzt sein. Da im Grundsatz heute durchaus anerkannt ist, dass die betroffene Person unwahre Darstellungen, die sie in ein falsches, nicht notwendig reputationsminderndes Licht rücken, abwehren können muss, sollte man das darin liegende Persönlickeitsinteresse auch benennen. Das Lebensbild hat davon Elemente, ist aber insgesamt zu schwergewichtig, weil nicht jede Falschdarstellung die gesamte Biografie einer Person verändert oder verfälscht. Erstmals im italienischen Recht ist vorgeschlagen worden, von einem Recht auf persönliche Identität (identitá personale) zu sprechen429. Hubmann hat den Import dieser Entwicklung ins deutsche Recht bereits 1966 empfohlen430, Forkel hat diesen Vorschlag wiederholt, das Recht allerdings „Individualität“ genannt431. Stets geht es um die Abwehr nicht notwendig ehrverletzender Falschdarstellungen über die Person. Das Interesse als Recht auf Individualität zu bezeichnen, vermeidet Abgrenzungsschwierigkeiten zum Schutz der biologischen Abstammung, die man auch als Identität bezeichnet. Ferner stellt es klar, dass es nicht um die Abwehr kleinteiliger Unrichtigkeiten, sondern einerseits nur um gewichtige Falschdarstellungen geht, die den Betroffenen erkennbar machen, und andererseits darum, wofür er als Persönlichkeit steht, richtig dargestellt zu sehen432. Danach wird das Recht auf Individualität verletzt durch (1) unwahre Tatsachenbehauptungen, welche (2) die betroffene Person erkennbar machen, (3) ihre Persönlichkeit (oder Individualität) verfälschen und (4) nicht nur unerhebliche Unrichtigkeiten darstellen433. 79
Die unzulängliche Ausformung des Schutzes vor Unwahrheiten beruht auf der vom BGH ausgesprochenen434 und vom Bundesverfassungsgericht übernommenen Sorge435, eine „Übersteigerung“ der Wahrheitspflicht könne wegen daran geknüpfter, u.U. schwerwiegender Sanktionen eine Einschränkung und Lähmung der Medientätigkeit zur Folge haben. Diese Argumentation, u.U. schwerwiegende Sanktionen könnten die Medientätigkeit beeinträchtigen, weswegen statt der Sanktionen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht zu modifizieren seien, überzeugt nicht. Richtiger Auffassung nach bedürfen allenfalls die Sanktionen der Modifikation, nicht aber die Anforderungen an die Wahrheitspflicht436. Deswegen kann unbesorgt davon ausgegangen werden, dass die Wiederholung einer eine Person betreffenden Unwahrheit stets unzulässig ist, weil sie grundsätzlich eine Verfälschung der Besonderheit (Individualität) zur Folge hat. Die dem Recht auf Individualität entsprechenden Rechtsbehelfe
428 So auch BVerfG v. 23.10.2007 – 1 BvR 150/06, AfP 2008, 55; LG Hamburg v. 31.10.2011 – 324 O 492/11, AfP 2012, 289. 429 De Cupis, Foro it. 1952 IV S. 223; stärker ausdifferenziert bei Macioce, Tutela civile della persona, 1984; im deutschen Rechte bereits Kitzinger, ZStW 27 (1907), 872, 883 und 899. 430 Hubmann, FS R. Schmidt, 1966, S. 161; aufgegriffen von Ulrich, Das Recht auf Identität, 1995. 431 Forkel, FS Hubmann, 1985, S. 93. 432 Peifer, Individualität im Zivilrecht, S. 251. 433 Näher Peifer, Individualität im Zivilrecht, S. 252-264. 434 BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/47, BGHZ 68, 331 = NJW 1977, 1288, 1289 – Abgeordnetenbestechung. 435 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072, 2073 – Böll. 436 Näheres Wenzel, AfP 1980, 195, 197; ähnlich Prinz/Peters, Rz. 128 f.; a.A. Soehring/Hoene, § 18 Rz. 4.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 81 Kap. 5
sind demgemäß neben der Gegendarstellung zudem der Anspruch auf Richtigstellung und Widerruf. Richtiger Auffassung nach kann das Persönlichkeitsbild (oder die Individualität) auch ver- 80 fälscht werden, wenn einer Person eine Äußerung zugeschrieben wird, die sie in Wahrheit nicht getan hat437. Der in der Eppler-Entscheidung enthaltenen Entwicklung des Gedankens438, das Unterschieben nicht getaner Äußerungen könne den sozialen Geltungsanspruch verletzen, hätte es deswegen noch nicht einmal bedurft. Der Gedanke ist aber dennoch fruchtbar gewesen, weil er dem Bundesverfassungsgericht Anlass zu dem Hinweis gegeben hat, dass nicht Dritte, auch nicht die Gerichte darüber zu befinden haben, ob eine effektive Unwahrheit beanstandbar ist, sondern dass die Entscheidung hierüber dem Betroffenen vorbehalten bleiben muss. Das ist schon insofern unvermeidlich, als auch scheinbar neutrale Unwahrheiten beeinträchtigend sein können, wie z.B. die Angabe, an einem Seminar hätten 50 Hörer teilgenommen: Bei besonderem Renommee des Dozenten kann diese Zahl als niedrig und damit als renommeeschädigend empfunden werden, bei erfolgter Ankündigung eines individuellen Zirkels als übersetzt und damit gleichfalls als nachteilig. Auch die Behauptung, jemand habe ein grünes Hemd getragen, ist für sich betrachtet wertneutral. Anders aber, wenn der Täter ein grünes Hemd getragen hat und die Hemdfarbe damit eine Verdächtigung bedeutet. Entsprechend dem in der Eppler-Entscheidung zum Ausdruck kommenden Verständnis439 muss deswegen jedermann das aus dem Persönlichkeitsrecht folgende Recht eingeräumt werden, über die Beeinträchtigung einer effektiven Unwahrheit selbst zu entscheiden440. Wird jemand in Dialekt, z.B. in Ruhrgebietsplatt zitiert, der diesen Dialekt nicht spricht, kann das persönlichkeitsverletzend sein, wenn die hochdeutsche Ausdrucksweise von dem Betroffenen erwartet wird. Das kann jedenfalls zutreffen, wenn der betreffende Dialekt üblicherweise nur in einfacheren Kreisen gesprochen wird, zu denen der Betroffene nicht gehört. Der Wahrheitsschutz bezieht sich auch auf die Zuschreibung von Mitgliedschaften in Vereinigungen oder Gruppen. War der Betroffene zwar früher ein – auch an herausgehobener Stelle tätiges – Mitglied einer Vereinigung, so kann der Hinweis auf diese Mitgliedschaft persönlichkeitsverletzend sein, sofern der Betroffene sich zwischenzeitlich von der Vereinigung distanziert hat441. Geschützt sind auch innere Tatsachen, z.B. eine verfolgte Absicht oder ein vorhandenes bzw. fehlendes Wissen442. Ein Künstler, dem ein Werk fälschlich als eigenes untergeschoben wird, kann diese Zuschreibung als Persönlichkeitsverfälschung abwehren443. Selbstverständlich können auch Fotomontagen abgewehrt werden, wenn sie Unwahrheiten berichten444. Dem Schutz vor Unwahrheit unterfallen auch sog. verdeckte Tatsachenbehauptungen. Da- 81 rüber hinaus bezieht der BGH neuerdings auch eine bewusst unvollständige Berichterstattung in den Schutzbereich ein, auch wenn die daraus zu ziehende Schlussfolgerung nicht 437 BGH v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco I; KG v. 31.10.2008 – 9 W 152/06, ZUM-RD 2009, 244; Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, S. 423 m.w.N. 438 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77, AfP 1980, 149 = NJW 1980, 2070. 439 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77, AfP 1980, 149 = NJW 1980, 2070. 440 So insb. auch OLG Bremen, AfP 1979, 355, 357. 441 BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein. 442 OLG Stuttgart v. 20.2.1987 – 2 U 222/86, AfP 1987, 606. 443 Vgl. BGH v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, BGHZ 107, 384 = MDR 1989, 1076 = AfP 1989, 728 – Emil Nolde, dort allerdings zum postmortalen Schutz. 444 OLG Oldenburg v. 11.8.2015 – 13 U 25/15, ITRB 2016, 31 = K&R 2016, 64: pornografische Fotomontage.
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Kap. 5 Rz. 82
Wortberichterstattung – die Tatbestände
unabweislich naheliegt oder aufgezwungen wird. Die Unwahrheit kann sich auch aus einem Verschweigen ergeben445. Lässt sich aus mitgeteilten wahren Tatsachen eine bestimmte ehrverletzende Schlussfolgerung ziehen, so ist eine bewusst unvollständige Darstellung rechtlich wie eine unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln – dies jedenfalls, wenn die Schlussfolgerung bei Mitteilung der verschwiegenen Tatsache weniger naheliegt und durch das Verschweigen beim Rezipienten ein falscher Anschein entstehen kann446. Auch bei mehrdeutigen Äußerungen kann dem Grundsatz nach ein Anspruch auf zutreffende Wiedergabe bestehen, allerdings ist bei der Frage, ob Mehrdeutigkeit vorliegt, die Aussage in ihrem vollständigen Kontext zu interpretieren; dabei ist zu klären, ob die Gefahr des Missverständnisses beim Rezipienten tatsächlich besteht oder ob die Äußerung noch zulässige Intepretation des tatsächlich Gesagten war447. 82
Kein Schutz besteht, wenn es statt um Unwahrheiten um bloße Meinungen geht, die nicht unwahr, sondern lediglich falsch sein können. Deswegen kann ein Schauspieler, der in erotischen Filmen wie „Hausfrauen-Report“ oder „Die Klosterschülerinnen“ mitgewirkt hat, sich nicht gegen die Formulierung wenden, er sei „Sexstar in Pornos“ gewesen. Die Klassifikation solcher Filme als Pornos ist eine bloße Wertung448. bb) Schranken des Schutzes
83
Vergröberungen und Einseitigkeiten, die infolge des Zwanges zu Kürze und mediengerechter Darstellung unvermeidlich sind, beeinträchtigen das Persönlichkeitsbild nicht ohne Weiteres, weswegen im Zweifel kein Abwehranspruch besteht449. Das gilt speziell für Äußerungen im politischen Meinungskampf450. Ebenso müssen in bestimmtem Umfang Übertreibungen hingenommen werden, insb. in der Boulevard-Presse, bei der die Öffentlichkeit hieran gewöhnt ist451. Gleiches gilt für Ausschmückungen452. Besonders kann das auf Herzensangelegenheiten eines Show-Stars zutreffen453. Wegen des öffentlichen Auftrags der Presse und der Selbstbindung durch die Presseselbstkontrolle wird man unterstellen dürfen, dass Journalisten, auch solche der Boulevardpresse, nichts Unwahres berichten wollen. Durchaus verbreitet ist aber die Neigung, Nichtigkeiten als vermeintlichen „Skandal“ erscheinen zu lassen, um den Aufmerksamkeitswert der Meldung zu steigern und von Rezipienten besser wahrgenommen zu werden. Dass dem mit rechtlichen Mitteln kaum begegnet werden kann, lässt sich insofern als bedauerlich bezeichnen, als dadurch zwar das Sensationsbedürfnis befriedigt werden kann, im Ergebnis aber u.U. völlig falsche Vorstellungen vermittelt werden. Dem entgegenzuwirken, liegt im allgemeinen Interesse. Dadurch darf aber die Äußerungsfreiheit nicht beschränkt werden. Bloße Ungenauigkeiten sind daher nur angreifbar, wenn sie den Sinn der Darstellung in beeinträchtigender Weise verfälschen. Heißt es z.B., jemand habe einer Firma einen „Zuschuss“ gewährt, obschon es um das Entgelt für eine erbrachte Leistung gegangen ist, kann das jedenfalls dann unangreifbar sein, wenn der Firma durch 445 BGH v. 12.11.2005 – VI ZR 204/04, NJW 2006, 601 Rz. 19. 446 BGH v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, AfP 2000, 88 = MDR 2000, 273 = NJW 2000, 656 – Korruptionsvorwurf; OLG München v. 11.2.1999 – 21 U 5210/99, AfP 2001, 63. 447 BGH v. 21.6.2011 – VI ZR 262/09, MDR 2011, 1352 = AfP 2011, 484 – Fall Eva Hermann. 448 OLG München v. 28.3.1990 – 21 U 1938/90, AfP 1990, 214. 449 BGH v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, NJW 1979, 1041 – Exdirektor; OLG Brandenburg v. 2.9.1998 – 1 U 4/98, NJW 1999, 3339. 450 OLG Stuttgart v. 20.2.1987 – 2 U 222/86, AfP 1987, 606, 608. 451 BGH v. 7.12.1976 – VI ZR 272/75, NJW 1977, 626, 628. 452 BGH v. 27.10.1967 – Ib ZR 140/65, GRUR 1968, 209 – Lengede. 453 Koppehele, AfP 1981, 337, 339.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 85 Kap. 5
das Geschäft geholfen werden sollte. Bei ernsthaft beeinträchtigenden Darstellungen ist ein strengerer Maßstab anzulegen, ebenso bei protokollarischer Darstellungsform, die den Eindruck der Authentizität vermittelt454. Das Persönlichkeitsrecht auf Individualität wird aus diesem Grunde erst verletzt, wenn eine Verfälschung von einigem Gewicht vorliegt, nicht aber schon bei kleineren Unrichtigkeiten455. Nicht erfasst ist die Abwehr von wahren Tatsachen, die der Betroffene gleichwohl als peinlich empfindet456, etwa die zutreffende Aufdeckung der Zugehörigkeit zu einer Partei oder Vereinigung457. Die Abwehr solcher Äußerungen kann nur erfolgen, wenn der betreffende Bereich die Privatsphäre betrifft458 oder wenn der Betroffene durch die Äußerung übermäßig angeprangert wird459. In einem solchen Fall kann die Verzerrung der Persönlichkeitssphäre darin gesehen werden, dass der Betroffene auf die dargestellte Äußerung reduziert wird, er also gewissermaßen als paradigmatischer Vertreter einer verurteilenswerten Einstellung präsentiert wird. Mit diesem Gesichtspunkt einer übermäßigen Personalisierung ist allerdings vorsichtig umzugehen, denn häufig ändert sie nichts daran, dass die Tatsachendarstellung auch noch zutreffend ist, wenn sie auf den Betroffenen verengt wird. Allerdings muss die Darstellung zumindest im Kern wahr sein460. Das ist z.B. bei der Be- 84 hauptung der Fall, eine Autorin bezeichne die Judenvernichtung als „Feindpropaganda“, obschon sie lediglich über ihre Vorstellung im Jahre 1944 berichtet hat, wenn sich aber aus einem ihrer anderen Bücher ergibt, dass ihre Vorstellung von 1944 sich nicht geändert hat461. Unwahr ist die Behauptung, ein Konkursverwalter habe sein Gehalt aus einem Konkursverfahren aufgebessert, wenn er zwar eine höhere Vergütung erhalten hat, diese aber über seine arbeitsvertraglich vereinbarte nicht hinausging462. Keine unwahre Tatsachenbehauptung stellt die Verwendung des Begriffes „Türschlösser“ dar, auch wenn es in Wahrheit um eine am Eingangstor zu einem Grundstück angebrachte Kette mit Schloss handelt463. Ist eine Darstellung im Kern zutreffend, ergibt sich kein Anspruch wegen einer nur rechtlich falschen Qualifikation464 oder, wenn der Begriff auslegungsbedürftig ist465. Auch aus der Beschreibung von Rechtsstreitigkeiten in einem „Handbuch der Markenpiraterie in Europa“ folgt noch nicht, dass ein Betroffener, hier der Anmelder der Marke „Classe E“, ein Markenpirat im engeren Wortsinne ist466. Auch eine offensichtliche Unschlüssigkeit bzw. Unsinnigkeit kann der Äußerung die Zuläs- 85 sigkeit nehmen467. Das ist aber nur der Fall, wenn die Unsinnigkeit für jedermann offen zu454 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366, 1368 – Wallraff II. 455 LG Hamburg v. 31.10.2011 – 324 O 492/11, AfP 2012, 289. 456 BVerfG v. 18.2.2010 – 1 BvR 2477/08, AfP 2010, 145 = CR 2010, 380 = ITRB 2010, 224 = IPRB 2010, 147 = NJW 2010, 1587. 457 BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322. 458 BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 262/10, IPRB 2012, 101 = ZUM-RD 2012, 253; v. 20.12.2011 – VI ZR 261/10, MDR 2012, 279 = NJW 2012, 771. 459 BVerfG v. 8.6.2010 – 1 BvR 1745/06, AfP 2010, 465. 460 BGH v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, NJW 1979, 1041; OLG Brandenburg v. 2.9.1998 – 1 U 4/98, NJW 1999, 3339. 461 OLG Bremen v. 27.3.1979 – 1 U 8/79, AfP 1979, 355, 357. 462 BGH v. 18.10.1994 – VI ZR 74/94, MDR 1995, 593 = NJW 1995, 397. 463 OLG Brandenburg v. 2.9.1998 – 1 U 4/98, NJW 1999, 3339, 3342 – Wessi-Kuckuck. 464 BGH v. 15.11.1966 – VI ZR 65/65, NJW 1967, 390. 465 BVerfG v. 9.10.2000 – 1 BvR 1839/95, NJW-RR 2001, 411 – Kollusion. 466 OLG Frankfurt v. 28.5.2001 – 29 W 1371/01, WRP 2001, 1102. 467 LG Oldenburg v. 18.12.1987 – 5 O 3310/86, AfP 1988, 82.
Burkhardt/Peifer 241
Kap. 5 Rz. 86
Wortberichterstattung – die Tatbestände
tage tritt, wie z.B. bei der „Behauptung“, „Alle deutschen Richter beugen das Recht“, durch die sich kein Richter subjektiv betroffen fühlen kann468 oder die satirische Verzerrung einer Darstellung, die sofort erkennbar ist469. Ergibt sich die Unsinnigkeit erst auf Grund gedanklicher Operationen, vermag sie an der Unzulässigkeit nichts zu ändern. Auch die Satirefreiheit erlaubt keine unwahren Tatsachenbehauptungen und Persönlichkeitsverfälschungen. So konnte sich der Vorstand eines Unternehmens dagegen zur Wehr setzen, dass er in einer Fotomontage negativ in seinem Äußeren verändert dargestellt wurde470. Dafür ist entscheidend, dass auch durch die satirische Einkleidung oder Verfremdung nicht der Eindruck einer feststehenden, aber unrichtigen Tatsache erweckt werden darf, die zu einem verfälschten Persönlichkeitsbild führt. Daher durfte auch durch eine satirisch gemeinte Fotomontage nicht ein technisch manipuliertes Bild verbreitet werden, das den Anschein erweckte, authentisches Abbild der Person zu sein471. Entscheidend dabei ist, ob der Betrachter die manipulative Veränderung erkennen kann oder ob er zu der Einschätzung gelangen muss, dass eine getreue Abbildung der Person vorliegt472. Allerdings ist nicht jede Verfälschung des Äußeren durch eine karikierte Darstellung zwangsläufig auch eine Veränderung des Persönlichkeitsbildes. 86
Schlechter Leumund kann zwar zur Einschränkung des Geldentschädigungs-, nicht aber des Unterlassungsanspruches führen. Auch ein Bordellbesitzer hat Anspruch darauf, dass ihn betreffende Unwahrheiten unterbleiben, z.B. er sei als Bordellspion bereits überführt473. cc) Anwendungsfälle
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Wenn in einem Prospekt der Eindruck erweckt wird, der Kläger habe sich wahrheitswidrig gerühmt, sein Haus selbst errichtet zu haben, entsteht die Gefahr, dass er als unglaubwürdiger Prahler erscheint474. Wenn persönliche Erklärungen eines Anstaltspfarrers über seine Ziele eines humanen Strafvollzuges in einer Illustrierten unrichtig wiedergegeben werden, bedeutet das eine Verfälschung475. Wird jemand, der unter verschiedenen Schriftstellernamen aufgetreten ist, in einem Zeitungsartikel mit allen diesen Namen vorgestellt, und zwar jeweils unter Voranstellung des Wortes „alias“, bedeutet das ebenfalls eine Verfälschung, weil der Eindruck entsteht, der Schriftsteller habe die Namen zur Verschleierung seiner Identität benutzt476. Unzulässig ist auch die Erweckung des Verdachts, jemand sei an Aids erkrankt477.
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Die Bezeichnung eines Firmeninhabers als „Lehrlings-Ausbeuter“ ist nicht gerechtfertigt, wenn er nur einige Lehrlinge für ganz geringe Zeit mit berufsfremden Aufgaben beschäftigt hat478. Wird gegen jemanden wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt, braucht er nicht hinzunehmen, fälschlich mit anderen Vorgängen in Verbindung gebracht
468 BGH v. 3.5.1988 – VI ZR 276/87, MDR 1988, 952 = AfP 1989, 534, 536; vgl. auch BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung. 469 Vgl. OLG Dresden v. 16.4.2010 – 4 U 12/170, GRUR-RR 2010, 399: satirische Darstellung einer nackten Politikerin auf einem Gemälde. 470 BVerfG v. 14.2.2005 – 1 BvR 240/04, MDR 2005, 806 = AfP 2005, 171 = GRUR 2005, 500. 471 BVerfG v. 14.2.2015 – 1 BvR 240/04, GRUR 2005, 500. 472 BVerfG v. 14.2.2015 – 1 BvR 240/04, GRUR 2005, 500, 502. 473 KG v. 14.5.1968 – 9 U 74/68, NJW 1968, 1969. 474 BGH v. 27.4.1971 – VI ZR 171/69, NJW 1971, 1359 – Haus auf Teneriffa. 475 LG Hamburg v. 2.10.1970 – 74 O 84/70, ArchPR 1970, 96. 476 OLG Köln v. 29.4.1971 – 14 U 183/70, AfP 1971, 170. 477 OLG Hamburg v. 16.4.1987 – 3 U 210/86, AfP 1987, 703. 478 LG Essen v. 5.6.1970 – 3 O 445/69, JZ 1972, 89.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 91 Kap. 5
zu werden (Sexdarstellungen vor Kindern), die als verwerflich angesehen werden479. Ist jemand in den Jahren 1941, 1952 und 1961 wegen krimineller Handlungen bestraft worden, bedeutet es eine Verfälschung, ihn im Jahre 1968 als „Kriminellen“ zu bezeichnen480. Wird eine Person aufgrund der Funktionsweise von Suchwortergänzungen unrichtig als Mitglied der Scientology-Bewegung dargestellt, so liegt eine unwahre Tatsachenbehauptung von einigem Gewicht vor, die auch gegenüber einem Internet-Provider zu Löschungsansprüchen führen kann481. Drückt jemand seinem Unmut über das strafrechtlich relevante Verhalten eines Notars da- 89 durch aus, dass er Plakate mit entsprechendem Text nach Art eines Sandwich-Mannes auf Bauch und Rücken öffentlich umherträgt, kann dagegen infolge der Demonstrationsfreiheit grundsätzlich nichts eingewandt werden, sofern der Text nicht seinerseits angreifbar ist. Unzulässig ist es aber, mit solchen Plakaten gezielt vor dem Büro eines anderen Notars zu demonstrieren, weil dadurch der Eindruck entsteht, dieser sei der bezeichnete Notar oder er habe etwas mit dem strafrechtlich relevanten Verhalten seines Kollegen zu tun482. Sprechen für eine beeinträchtigende Behauptung Anhaltspunkte, ist sie aber nicht voll er- 90 wiesen, kann eine Kompromisslösung dahin erforderlich sein, dem Beklagten (Rundfunk) die Behauptung zwar nicht zu untersagen, ihm aber zur Auflage zu machen, sie nur mit deutlichem Hinweis zu veröffentlichen, dass es sich bei der Behauptung nicht um eine unbestrittene, objektiv gesicherte Erkenntnis handelt (zur Verdachtsberichtserstattung vgl. Kap. 10 Rz. 154 ff.)483. dd) Besonderheiten beim Zitieren Wird die Äußerung eines Dritten wiedergegeben, ist das Zitat keine Meinungsäußerung, 91 sondern eine Tatsachenbehauptung und damit im Meinungskampf eine scharfe Waffe. Für den Zitierten ist ein Falschzitat besonders beeinträchtigend, wenn es als scheinbarer Beleg für Kritik verwendet wird. Der Betroffene wird dann sozusagen als Zeuge gegen sich selbst ins Feld geführt. Zitate müssen deswegen richtig sein484. Das gilt sowohl für die Frage, ob überhaupt eine Äußerung erfolgt ist, als auch hinsichtlich des Inhalts der Äußerung485. Das gilt auch, wenn in indirekter Rede zitiert wird. Insb. ist es unzulässig, die zitierte Äußerung durch Einfließenlassen eigener Kritik zu entstellen486, ebenso durch Auslassungen einen falschen Anschein zu vermitteln, z.B. den, ein Politiker habe mit „Banditen“ statt Terroristen den politischen Gegner gemeint. Das Zitat einer gegebenen Antwort kann auch durch die Voranstellung einer nicht oder nicht so gestellten Frage verfälscht sein, ebenso durch eine nur teilweise Wiedergabe. Das ist insb. der Fall, wenn der falsche Anschein entsteht, der Zitierte habe zu der angeblichen Frage nichts zu sagen gewusst bzw. er habe Teile unbeantwortet gelassen. Dass ein solcher falscher Anschein beim Durchschnittsleser zwingend entsteht, ist nicht er479 OLG Düsseldorf v. 26.3.1971 – 2 U 93/70, MDR 1971, 661. 480 OLG Köln v. 29.4.1971 – 14 U 183/70, AfP 1971, 170. 481 BGH v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 = CR 2013, 459 = MDR 2013, 710 = ITRB 2013, 150 = AfP 2013, 260. 482 LG Stuttgart v. 12.2.1999 – 17 O 5/99, unveröffentlicht. 483 LG Stuttgart v. 23.12.1968 – 17 O 328/68, Ufita 54/1969, 330 – Rosa Luxemburg. 484 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072 – Böll. 485 BGH v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861; NJW 1998, 1391 – Klartext; KG v. 29.2.2000 – 9 U 5861/98, AfP 2001, 65; OLG Celle v. 1.11.2001 – 13 U 169/01, AfP 2002, 506. 486 BGH v. 30.5.1978 – VI ZR 117/76, NJW 1978, 1797 – Böll I.
Burkhardt/Peifer 243
Kap. 5 Rz. 92
Wortberichterstattung – die Tatbestände
forderlich. Die Möglichkeit, dass der Zitierte durch Fehldeutungen ins Zwielicht gerät, genügt487. Die Wahrheit oder Unwahrheit der auf eine Kurzformel gebrachten Arbeitsmethodik des Betroffenen hängt (auch) von dessen Selbsteinschätzung ab, wenn der Behauptende sich auf sie in unzutreffender Weise beruft, also zu Unrecht als „Zeuge gegen sich selbst“ ins Feld geführt wird488. 92
Hat der Zitierte sich mehrdeutig geäußert, darf der Zitierende bei der Wiedergabe weder von seiner eigenen, evtl. durch politische Gegnerschaft geprägten Sicht ausgehen, noch vom Verständnis eines Durchschnittsrezipienten, sofern er nicht kenntlich macht, dass er interpretiert489. Das gilt sogar, wenn die Interpretation noch vertretbar, aber auch ein Verständnis möglich ist, das dem Zitierten gerechter wird490. Die Persönlichkeitsverletzung folgt daraus, dass der Kritiker dem Rezipienten vorenthält, dass der Zitierende die Äußerung mit anderer Tendenz auf den Weg gebracht hat und er, der Kritiker, sie erst auf Grund eigener Interpretation für seinen Vorwurf dienstbar machen konnte. Je stärker ein Missverständnis den Zitierten belasten kann, umso mehr bedarf es des Interpretationsvorbehaltes491.
93
Wird ein einzelnes Wort in Anführungszeichen gesetzt, ist das nicht zwingend in dem Sinne zu verstehen, es stamme vom Kritisierten. Anführungszeichen dieser Art sollen im Gegenteil zumeist eine Verfremdung anzeigen. Ebenso kann damit eine zusammenfassende Wertung der Haltung des Kritisierten gemeint sein492. Wird in einer Fußnote zu einer Textpassage eine Belegstelle angegeben, macht dies die Äußerung noch nicht zu einem Fremdzitat493. d) Schutz von Ehre und Ruf Schrifttum: Sauer, Die Ehre und ihre Verletzung, 1915; Müllereisert, Die Ehre im deutschen Privatrecht, 1931; von Bar, Zur Lehre von der Beleidigung mit besonderer Rücksicht auf die Presse, GS 1952, 81; Nipperdey, Die Würde des Menschen, in Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte II, 1954; Coing, Ehrenschutz und Presserecht, 1960; Graehl, Das Verhältnis der freien Meinungsäußerung zur persönlichen Ehre nach dem Grundgesetz, Diss. München 1960; Neumann-Duesberg, Ehrenrecht und Presserecht, NJW 1960, 749; E. Helle, Die Rechtswidrigkeit der ehrenrührigen Behauptung, NJW 1961, 1896; Erdsiek, Unvollkommenheiten des zivilrechtlichen Ehrenschutzes, NJW 1966, 1385; Hirsch, Ehre und Beleidigung, 1967; K. Schmidt, Freiheit der Meinungsäußerung und strafrechtlicher Ehrenschutz, 1972; Erdsiek, Der Ehrenschutz in der Defensive, FS Reinhard, 1972, 69; von der Decken, Meinungsäußerungsfreiheit und Recht der persönlichen Ehre, NJW 1983, 1400; Tettinger, Der Schutz der persönlichen Ehre im freien Meinungskampf, JZ 1983, 317; W. H. Kiel, Strafrechtliche Toleranz wechselseitiger Ehrverletzungen, 1986; Kübler, Öffentlichkeit als Tribunal? – Zum Konflikt zwischen Medienfreiheit und Ehrenschutz, JZ 1984, 876; J. Helle, Der Ausschluss privatrechtlichen Ehrenschutzes gegenüber Zeugenaussagen im Strafverfahren, NJW 1987, 233; Dau, Der strafrechtliche Ehrenschutz der Bundeswehr, NJW 1988, 2650; Mackeprang, Ehrenschutz im Verfassungsstaat, 1990; Ladeur, Ehrenschutz des Staates, AfP 1991, 584; Ladeur, Meinungsfreiheit, Ehrenschutz und die Veränderung der Öffentlichkeit in der Massendemokratie, AfP 1993, 531; Schwetzler, Persönlichkeitsschutz durch Presseselbstkontrolle – Unter besonderer Berücksichtigung des Ehrenschutzes, 487 488 489 490
OLG München v. 8.12.1980 – 21 U 2015/80, AfP 1981, 297. BVerfG v. 4.10.1988 – 1 BvR 556/85, AfP 1989, 532 = NJW 1989, 1789. BGH v. 3.10.1978 – VI ZR 191/76, NJW 1979, 266 – Untersuchungsausschuss. BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072; BGH v. 1.12.1981 – VI ZR 200/80, MDR 1982, 396 = AfP 1982, 28 = NJW 1982, 635 – Böll II. 491 BGH v. 1.12.1981 – VI ZR 200/80, MDR 1982, 396 = AfP 1982, 28 = NJW 1982, 635; v. 27.1.1998 – VI ZR 71/97, NJW 1998, 1391, 1392 – Klartext. 492 BVerfG v. 31.3.1993 – 1 BvR 295/93, AfP 1993, 563. 493 OLG Frankfurt v. 13.1.2000 – 16 U 179/99, MDR 2000, 1219 = AfP 2000, 384.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 95 Kap. 5
2005; Ladeur, Mediengerechte Spezifizierung des Schutzes von Persönlichkeitsrechten gegen Beeinträchtigung durch Tatsachenbehauptungen und Schmähkritik, AfP 2009, 446; Glaser, Grundrechtlicher Schutz der Ehre im Internetzeitalter, NVwZ 2012, 1432; Ladeur/Gostomczyk, Der Schutz von Persönlichkeitsrechten gegen Meinungsäußerungen in Blogs, NJW 2012, 710; Fröhlich, Freie Rede und freie Kunst in einer offenen Gesellschaft ohne „Schmähkritik“?, AfP 2016, 312; Ladeur, Die „durchgeknallte Staatsanwältin“ – Ende des Schutzes der persönlichen Ehre in öffentlichen Auseinandersetzungen?, AfP 2016, 402; Ziegelmayer, Vorsichtsmaßnahmen statt Vorab-Kontrollen: Zur Haftung für „Hass-Postings“, K&R 2016, 228; Ladeur, Facebook und die Grenzen des klassischen Ehrenschutzes, ZUM 2017, 449; Oechsler, Die Satire – Rechtliche Grenzen eines Kulturinstituts, NJW 2017, 757.
Unter der Ehre ist die innere oder wahre Ehre, d.h. das Ehrgefühl des Betroffenen, zu verste- 94 hen, ferner die äußere Ehre, der gute Ruf494 oder die Reputation in der Gesellschaft. Die so zu verstehende Ehre ist ein aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgendes besonderes Persönlichkeitsrecht495. Ob das Persönlichkeitsrecht die sog. Geschäftsehre gleichfalls einschließt, ist umstritten496, aber im Ergebnis jedenfalls insoweit zu bejahen, als die Sozialgeltung von Unternehmen Teil ihres rechtlich geschützten Interesses an wirtschaftlicher Entfaltung ist497. Eine Verletzung der Ehre erfolgt, wenn der sich aus ihr ergebende Achtungsanspruch des Ehrenträgers durch ehrbemakelnde Äußerungen beeinträchtigt wird (Näheres Rz. 186 ff.). Der Schutz hiergegen ist durch die in Art. 5 Abs. 2 GG enthaltene Schranke der Äußerungsund Pressefreiheit verfassungsrechtlich positiviert498. Allerdings ist diese Schranke ihrerseits im Lichte der wertsetzenden Bedeutung der Äußerungsfreiheit zu interpretieren499. aa) Schutzumfang Früher war der Ehrenschutz relativ stark ausgeprägt. Noch in der DGB-Entscheidung hat 95 das Bundesverfassungsgericht zwar erwähnt, Art. 5 Abs. 1 GG umfasse grundsätzlich auch die Freiheit der Entscheidung über die Art der Formulierung500. Es hat aber betont, dass die Gerichte sich über den Ehrenschutz auch nicht ohne Weiteres mit dem Argument hinwegsetzen dürften, angesichts der heutigen Reizüberflutung könne eine Meinungskundgabe, um bessere Wirkung zu erzielen, einprägsame und auch starke Formulierungen erfordern. Dieser Gesichtspunkt könne ebenso wie das Recht des Gegenschlages von Bedeutung sein, wenn es auf den Inhalt einer Äußerung ankommt. Erwägungen solcher Art rechtfertigten aber nicht eine der Form nach überzogene Sprache. Das gelte namentlich, wenn es nicht um eine spontane mündliche Äußerung, sondern um gezielte Angriffe geht und der Beleidiger auf einer Sprache beharrt, deren Schärfe er noch steigern will. Auch wenn der Gegner sich einer ähnlichen Sprache bedient, ändere das an der Unzulässigkeit nichts. Das Beharren auf der Schärfe der verwendeten Ausdrücke sei nicht Teil jener in Freiheit geführten Auseinandersetzung, die das GG
494 BGH v. 18.11.1957 – GSSt 2/57, BGHSt 11, 67, 71. 495 BGH v. 18.3.1959 – IV ZR 182/58, BGHZ 30, 7, 10. 496 Verneinend KG v. 16.12.1977 – 9 U 1730/77, NJW 1979, 48 betr. die ungerechtfertigte Eintragung eines Kaufmanns in das Schuldnerverzeichnis. 497 Vgl. BGH v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, BGHZ 206, 289 = CR 2015, 671 = MDR 2015, 1065 = AfP 2015, 425 – „sozialer Geltungsanspruch“; v. 10.11.1994 – I ZR 216/92, MDR 1995, 710 = NJW-RR 1995, 301, 303 – Dubioses Geschäftsgebaren; OLG Köln v. 23.5.2001 – 6 U 45/01, AfP 2001, 332, 334 – Wirtschaftsmagazin. 498 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677; vgl. auch EGMR v. 7.2.2012 – Nr. 39954/08, GRUR 2012, 741. 499 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257 – Lüth. 500 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677.
Burkhardt/Peifer 245
Kap. 5 Rz. 96
Wortberichterstattung – die Tatbestände
garantiere. Lediglich überzogene Formulierungen zu unterbinden, beeinträchtigt diese Freiheit nicht501. 96
Nachdem schon die Bundesverfassungsrichterin Rupp-von Brünneck in ihrem Sondervotum502 Bedenken angemeldet hatte, bei der Sprache lasse sich zwischen Inhalt und Form kaum unterscheiden, abgesehen davon habe die streitige Bezeichnung „rechtsradikales Hetzblatt“ sich nicht gegen eine Person, sondern gegen ein Presseerzeugnis gerichtet, legt das Bundesverfassungsgericht in neueren Entscheidungen die Betonung stärker darauf, dass auch die Form einer Meinungsäußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden unterliegt503. Das entspricht auch der Auffassung des BGH. In der Entscheidung betreffend das Abgeordnetenprivileg führt er aus504, insb. bei Erörterung einer die Öffentlichkeit besonders berührenden Frage sei wegen der grundlegenden Bedeutung des Austausches von Meinungen sowohl für die Selbstverwirklichung des Einzelnen wie auch für den Bestand der Gemeinschaft der Einsatz auch starker Ausdrücke, polemisierender Wendungen, überspitzter, plakativer Wertungen nicht unzulässig, solange der Kritiker hierdurch nur dem eigenen Standpunkt Nachdruck zu verleihen sucht. Auch wer sich im Wirtschaftsleben oder in der Verbandspolitik betätigt, muss sich in weitem Umfang der Kritik aussetzen505. In der gerichtlichen Praxis hat dies letztlich dazu geführt, dass die Ehre gegenüber Werturteilen nur noch ausnahmsweise geschützt wird, nämlich wenn das Werturteil in keinerlei sachlichem Zusammenhang steht, sondern nur die Herabsetzung der Person bezweckt. Das betrifft die im öffentlichen Raum anzutreffende Schmähkritik und die im engeren Kreis vorkommende Formalbeleidigung. Beide Formen der persönlichen Herabsetzung sind unzulässig, aber eng zu definieren (nachfolgend Rz. 97). Im Übrigen spielt vor allem die Reputation im beruflichen und wirtschaftichen Umfeld eine erhebliche Rolle, wenn es um den Schutz vor falschen Tatsachenbehauptungen geht. Hierauf verlagern sich viele Prozesse in der heutigen Praxis. Die Gerichte prüfen häufig, ob eine falsche Tatsachenbehauptung reputationsschädliche Wirkungen hat und sehen darin eine eigene Verletzungsvoraussetzung. In Abgrenzung zum Recht auf Individualität (oben Rz. 74 ff.) bedarf es in solchen Fällen keiner Persönlichkeitsverfälschung. Der Schutz gegen unwahre Tatsachenbehauptungen wirkt also in zwei Fällen: bei der Verfälschung des Persönlichkeitsbildes, auch wenn die Äußerung nicht ansehensverletzend ist, im Übrigen bei reputationsschädlichen unwahren Tatsachenbehauptungen. Für Werturteile verbleibt daher nur ein kleiner Raum. Das wird seit Langem kritisiert506, eine Trendwende scheint mit wachsender Bedeutung sozialer Medien und der dort vielfach anzutreffenden „Beleidigungskultur“ einzusetzen. Im Gerichtsalltag des Äußerungsprozesses ist dies aber erst in Ansätzen bemerkbar. bb) Schmähkritik
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Angesichts des spürbaren Wandels der Rechtsprechung greift der persönlichkeitsrechtliche Ehrenschutz jedenfalls bei Erörterung gemeinschaftswichtiger Fragen heute praktisch nur noch gegenüber einer sog. Schmähkritik ein. Den Begriff der Schmähkritik hat der BGH, so501 Ähnlich BGH v. 9.11.1971 – VI ZR 57/70, GRUR 1972, 435, 439 – Grundstücksgesellschaft. 502 Rupp-von Brünneck, NJW 1976, 1678. 503 So insb. BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie. 504 BGH v. 5.5.1981 – VI ZR 184/79, MDR 1981, 926 = NJW 1981, 2117. 505 BGH v. 10.11.1994 – I ZR 216/92, MDR 1995, 710 = AfP 1995, 404 = NJW-RR 1995, 301, 305 – Dubioses Geschäftsgebaren. 506 Vgl. nur Ladeur, AfP 2016, 402.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 97 Kap. 5
weit ersichtlich, erstmals in der Höllenfeuer-Entscheidung verwendet507, ohne ihn dort zu erläutern. Später hat er eine Kritik als Schmähkritik bezeichnet, wenn sie nicht mehr nur scharf, schonungslos oder auch ausfällig, aber sachbezogen ist, sondern auf eine vorsätzliche Ehrenkränkung hinausläuft508. Die Diffamierung der Person muss im Vordergrund stehen509. Der Begriff der Schmähkritik ist wegen seiner die Meinungsfreiheit verdrängenden Wirkung eng auszulegen510. Dabei ist die Kategorie der Schmähkritik auf Meinungsäußerungen beschränkt. Wird eine Äußerung fälschlich als Schmähung angesehen, mit der Folge, dass eine Aufklärung der zugrunde gelegten Tatsachen unterbleibt, verletzt dies Art. 5 Abs. 1 GG511. Eine Schmähkritik liegt nicht schon in einer überzogenen, ungerechten oder gar ausfälligen Kritik. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll512. Bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage wird daher Schmähkritik nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sog. Privatfehde beschränkt bleiben513. In der Warentest II-Entscheidung heißt es514, der Grenze der Schmähkritik unterlägen auch kritisierende Meinungsäußerungen zu gewerblichen Leistungen, jedenfalls wenn sie nicht im geistigen Meinungskampf zu einer die Öffentlichkeit berührenden Frage erfolgen515. Erforderlich ist aber stets, dass die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht. Wertende Kritik an gewerblichen Leistungen darf sich angesichts der heutigen Reizüberflutung auch einprägsamer, starker Formulierungen bedienen. Auch starke, abwertende Kritik, die mit übersteigerter Polemik vorgetragen wird, ist noch zulässig, selbst wenn andere die Kritik für „falsch“ oder „ungerecht“ halten516. Damit hat der BGH den Begriff der Schmähkritik gegenüber seinen früheren Entscheidungen einschränkend weiter präzisiert. In der HalsabschneiderEntscheidung sah der BGH eine Schmähung bereits in einem Überschuss an nicht mehr
507 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617, 1619. 508 BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschlandstiftung. 509 BVerfG v. 25.2.1993 – 1 BvR 151/93, MDR 1993, 586 = AfP 1993, 476 = NJW 1993, 1462 – Böll. 510 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = NJW 1995, 3303; v. 29.7.1998 – 1 BvR 287/93, NJW 1999, 204; v. 31.8.2000 – 1 BvR 826/00, NJW-RR 2000, 1712; v. 29.6.2016 – 1 BvR 2732/15, AfP 2016, 433; v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, CR 2017, 332 = NJW 2017, 1460; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167, 170; v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421 – Babycaust; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1193; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = IPRB 2015, 78 = NJW 2015, 773. 511 BVerfG v. 17.12.2002 – 1 BvR 755/99 ua., AfP 2003, 43 = NJW 2003, 1109. 512 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3304; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036; v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421, 3422 – Babycaust; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1193. 513 BVerfG v. 11.11.1992 – 1 BvR 693/92, NJW 1993, 1845, 1846; v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, NJW 1995, 3303; v. 29.7.1998 – 1 BvR 287/93, NJW 1999, 204. 514 BVerfG v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620, 622. 515 Ebenso BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = AfP 2015, 41 = IPRB 2015, 78 = NJW 2015, 773. 516 BGH v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1193; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = AfP 2015, 41 = IPRB 2015, 78 = NJW 2015, 773.
Burkhardt/Peifer 247
Kap. 5 Rz. 98
Wortberichterstattung – die Tatbestände
hinzunehmender Abwertung517. In einer anderen Entscheidung folgerte der BGH aus der zu Tage tretenden Absicht, nicht mehr nur anzuprangern, sondern zu beleidigen, eine unzulässige Schmäkritik518. Er hat die Beleidigungsabsicht bereits bei der Behauptung angenommen, „Schmuddel-Bauer“ werde sich furchtbar ärgern, wenn „konkret“ mit von ihm für ein Inserat gezahltem Geld „kleinen Vietnamesen helfe, denen unter seiner Beihilfe Napalm über den Körper geschüttet worden sei“. Mit Recht erwähnen Mathy/Wendt, dass von einer Schmähung auch auszugehen sein kann, wenn die Kritik nur darauf abzielt, einen Anderen lächerlich zu machen519. 98
Eine Schmähkritik zeichnet sich dadurch aus, dass der Anwurf auch aus der eigenen Sicht des Kritikers keine verwertbare Grundlage mehr hat520. Als schmähend hat das Bundesverfassungsgericht die Behauptung bezeichnet, Heinrich Böll sei „ein steindummer, kenntnisloser, talentfreier Autor, auch einer der verlogensten, ja korruptesten“. Er sei „ein teils pathologischer, teils harmloser Knallkopf“. Seine Werke seien häufig „widerwärtiger Dreck“521. Ob eine Schmähung vorliegt, kann erst nach Ermittlung des Sinns der Äußerung beurteilt werden522. Eine Satire ist zunächst von ihrer Einkleidung zu befreien. Weist der Aussagekern einen sachlichen Bezug auf, ist im Zweifel nicht von einer Schmähkritik auszugehen523. Nach Auffassung des OLG Frankfurt524 kann eine Schmähkritik auch vorliegen, wenn Tatsachen unvollständig und falsch mitgeteilt werden und von einem „haarsträubenden Ergebnis und eiskalter Verkaufsstrategie“ die Rede ist. Dementsprechend hat das OLG Hamburg es trotz kritikwürdigen Verhaltens des Betroffenen als unzulässig bezeichnet525, ihn uneingeschränkt als Halunke, Kanaille oder Schuft zu bezeichnen. Als schmähend hat das OLG Karlsruhe die Behauptung angesehen526, die Person des Klägers und seines Anwaltes bestätigten, dass ihre Klage betreffend Schwangerschaftsabbrüche Ausdruck einer „unheiligen Allianz zwischen klerikalem und rechtsradikalem Gedankengut“ sei. Die Tatsache, dass diese Behauptung in einer Festschrift für einen ehemaligen Verfassungsrichter enthalten ist und also ernst genommen werde, verstärke die Unzulässigkeit. Ob dieser Entscheidung zugestimmt werden kann, erscheint angesichts der Tendenz, den Bereich der Schmähkritik wegen des die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng zu fassen527, eher zweifelhaft. Der BGH hat daher zu Recht eine Kritik am Zuschussverlagswesen noch als zulässig erachtet, obgleich darin behauptet wurde, der Verlag verhalte sich gegenüber den bei ihm publizierenden Autoren wie ein Lebensmittelhändler, bei dem man ein Pfund Käse verlange, es bezahle, dann aber zu Hause feststelle, dass man nur 100 Gramm bekommen habe und dies ja
517 518 519 520 521 522 523 524 525 526 527
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BGH v. 1.2.1977 – VI ZR 204/74, GRUR 1977, 801. BGH v. 7.12.1976 – VI ZR 272/75, NJW 1977, 626. AfP 1982, 144, 151; zum Begriff vgl. auch Sedelmeier, AfP 1980, 232. BVerfG v. 12.12.1990 – 1 BvR 839/90, MDR 1991, 403 = NJW 1991, 1475, 1477. BVerfG v. 25.2.1993 – 1 BvR 151/93, MDR 1993, 586 = AfP 1993, 476 = NJW 1993, 1462. BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung „Schleimerschmarotzerpack“; v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421, 3422 – Babycaust. BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1039 – Verdachtsberichterstattung „Schleimerschmarotzerpack“. OLG Frankfurt v. 13.2.1992 – 6 U 160/90, AfP 1992, 297 = ZUM 1992, 647. OLG Hamburg v. 4.1.1990 – 3 U 129/89, AfP 1990, 135. OLG Karlsruhe v. 10.8.1988 – 1 U 49/88, NJW 1989, 1360. Vgl. BVerfG v. 31.8.2000 – 1 BvR 826/00, NJW-RR 2000, 1712; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1038 – „Schleimerschmarotzerpack“; v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421, 3422 – Babycaust.
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 101 Kap. 5
Betrug sei528. Ebenso hat er ein Flugblatt u.a. mit folgenden Äußerungen als noch zulässig angesehen: „Stoppen Sie den Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikums N. Damals: Holocaust – heute: Babycaust. Wer hierzu schweigt, wird mitschuldig!“ „Tötungs-Spezialist für ungeborene Kinder Dr. F auf dem Gelände des Klinikums N“529. Wird jemand als „Nazi“ bezeichnet, kommt es zunächst darauf an, wie das zu verstehen ist, ob im Sinne der historischen Terminologie oder als substanzloses Schimpfwort. Geht es um eine Vereinigung mit Bezügen zum „Dritten Reich“, ist Sachnähe vorhanden530, ebenso bei gegenwärtigen nazistischen Bezugspunkten, deren Veranlassung nicht streng bewiesen zu werden braucht531. Gleiches gilt für die Bezeichnung „Multifunktionär mit einschlägiger brauner Sektenerfahrung“532. Eine sachverhaltsmäßige Grundlage ist noch vorhanden, wenn ein Sachverständiger anlässlich 99 eines Hearings im Zusammenhang mit Ausführungen zu auffälligen Übernahmen von Tageszeitungen erklärt, eine Zeitungsgruppe sei „durch brutalen Machtmissbrauch zusammengeschmiedet worden“533. Der Sachbezug einer Kritik, der ihre Einordnung als Schmähkritik verbietet, ist auch bei der Bemerkung „Man bekommt schlichtweg Angst, wenn man den Flohmarkt-Pächter und seine Anhängerschaft sieht“ vorhanden, wenn diese Äußerung auf die Gefühlslage der Anlieger abzielt534. Unzulässig und nicht mehr durch die Kunstfreiheit gedeckt ist die Bezeichnung einer in der Öffentlichkeit bekannten Frau als „olle Crackbraut“ im Rahmen eines „Rap Battle“ während einer Preisverleihung535. Unzulässig ist eine Äußerung unter dem Gesichtspunkt der Schmähkritik nur, wenn hinrei- 100 chende Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass es dem Kritiker statt um die Sache um vorsätzliche Kränkung des Betroffenen geht. Die mit der Kritik verfolgte Absicht ist nicht ohne Bedeutung536. Das gilt jedenfalls bei Wahlkampfäußerungen, die sich gegen eine konkurrierende Partei richten, wie z.B. die „Behauptung“, die CSU sei die NPD von Europa537. Ein Politiker muss es sich gefallen lassen, als Beispiel für den Typus des „Zwangsdemokraten“ bezeichnet zu werden, wenn das nicht persönlich, sondern als Warnung vor politischen Gefahren zu verstehen ist538. Ursächlich hierfür ist, dass Meinungsäußerungen grds. zulässig sind, und zwar auch, wenn sie einen für den Betroffenen abträglichen Inhalt haben. Für die Zulässigkeit von Meinungen spricht die Vermutung sogar, wenn sie falsch sind539. Allerdings sind Beschimpfungen nicht unterschiedslos als zulässige Meinungsäußerungen zu 101 respektieren. Auch Werturteile, die die Grenze zur Schmähung nicht überschreiten, können 528 BGH v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192; vgl. auch BVerfG v. 8.5.2007 – 1 BvR 193/05, NJW 2008, 358: Bezeichnung eines Prozesskostenfinanzierungsmodells als „Bauernfängerei“. 529 BGH v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421 – Babycaust; ebenso BVerfG v. 24.5.2006 – 1 BvR 49/00, NJW 2006, 3769. 530 OLG Hamburg v. 31.10.1991 – 3 U 22/91, AfP 1992, 163 = NJW 1992, 2035. 531 BVerfG v. 19.12.1991 – 1 BvR 327/91, AfP 1992, 58 = NJW 1992, 2013, 2014. 532 BVerfG v. 31.8.2000 – 1 BvR 826/00, NJW-RR 2000, 1712. 533 BGH v. 5.5.1981 – VI ZR 184/79, MDR 1981, 926 = NJW 1981, 2117 – Abgeordnetenprivileg. 534 BVerfG v. 12.12.1990 – 1 BvR 839/90, MDR 1991, 403 = NJW 1991, 1475, 1477. 535 LG Köln v. 14.7.2010 – 28 O 857/09. 536 BGH v. 20.3.1986 – I ZR 13/84, MDR 1987, 27 = AfP 1986, 219 = NJW 1987, 1082, 1083 – Gastrokritiker. 537 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415. 538 BVerfG v. 26.6.1990 – 1 BvR 1165/89, MDR 1991, 125 = AfP 1990, 192, 194. 539 BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschlandstiftung.
Burkhardt/Peifer 249
Kap. 5 Rz. 101
Wortberichterstattung – die Tatbestände
unzulässig sein540. Das ist der Fall, wenn eine Abwägung ergibt, dass der Persönlichkeitsschutz Vorrang gewinnt541. Entscheidend ist daher der Kontext der Äußerung. Die Bezeichnung des Leiters einer Staatsanwaltschaft als „durchgeknallt“ wurde als noch zulässige Kritik an Funktionsmängeln angesehen, weil der Sprecher der Behörde vorläufige Ermittlungsergebnisse der Presse bekanntgegeben hatte542. Gleiches gilt für die Wertung des Verhaltens eines Richters als „schäbig, rechtswidrig und unwürdig“, verbunden mit der Forderung, der Richter müsse „effizient bestraft werden, um zu verhindern, dass er auf eine schiefe Bahn“ gerät, wenn dies in einer Sachauseinandersetzung geäußert wird543. Erst recht kann die Zulässigkeit daraus folgen, dass die Schärfe Teil eines Gegenschlags auf einen scharfen Angriff ist544. Die identische Bezeichnung gegenüber einer Staatsanwältin wurde jedoch als Schmähung angesehen, weil der Rechtsanwalt, der die Äußerung zusammen mit weiteren drastischen Beschimpfungen unternahm, sich von dem Ermittlungsverfahren völlig gelöst hatte bzw. „der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren“545. Richtiger Auffassung nach ist mit dem OLG Köln darauf abzustellen546, ob und inwieweit die streitige Äußerung zu einer zugrunde liegenden Auseinandersetzung Sachnähe hat. In diesem Falle sind angesichts der heutigen Reizüberflutungen aller Art auch einprägsame, starke Formulierungen hinzunehmen547. Dies gilt insb. für griffige, einprägsame Übertreibungen, die nicht wörtlich genommen werden, sondern lediglich erkennen lassen sollen, in welche Richtung der Vorwurf zielt548. Unter dieser Voraussetzung wird auch bei drastischen Formulierungen („Der Vermieter ist ein Wohnungshai, dem Wolfscharakter zukommt“) von Schmähabsicht i.d.R. noch nicht auszugehen sein. Auch die Bezeichnung einer Gruppe als „Nazi-Sekte“ kann Sachnähe haben549, ebenso die Bezeichnung eines Abgeordneten als „Obergauleiter der SA-Horden“, wenn dies im Zusammenhang mit einer konkreten Kritik an dem Verhalten des Betroffenen anlässlich einer Demonstration geäußert wurde550; ebenso die Umschreibung des Programms einer Partei, wonach Menschen zu Heuschrecken werden, die mit Gewalt dezimiert werden müssen551 oder der gegen einen Geflügelmastbetrieb erhobene Vorwurf der Tierquälerei552. Die Verwendung grober Schimpfworte ohne Sachnähe (wie z.B. „Gesindel“) indiziert demgegenüber die Schmähabsicht. Dies ist bei einem Bericht über die Rockgruppe Böhse Onkelz der Fall, in dem diese als Neonazi-
540 BGH v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421 – Babycaust. 541 BVerfG v. 31.3.1993 – 1 BvR 295/93, AfP 1993, 563. 542 BVerfG v. 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04, AfP 2009, 361 = NJW 2009, 3016. 543 BVerfG v. 28.7.2014 – 1 BvR 482/13, AfP 2015, 331 = NJW 2014, 3357. 544 BVerfG v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13, IPRB 2016, 172 = AfP 2016, 240. 545 BVerfG v. 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15, AfP 2016, 431 = NJW 2016, 2870. 546 OLG Köln v. 2.8.1983 – 15 U 78/83, AfP 1983, 472. 547 BVerfG v. 6.11.1968 – 1 BvR 501/62, NJW 1969, 227; BGH v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421, 3422 – Babycaust; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1192. 548 Ebenso BGH v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421, 3422 – Babycaust; AfP 2000, 167, 170 f.; v. 10.11.1994 – I ZR 216/92, MDR 1995, 710 = NJW-RR 1995, 301 – Dubioses Geschäftsgebaren; OLG München v. 27.9.1990 – 29 U 2750/90, AfP 1991, 534, 537. 549 OLG Hamburg v. 31.10.1991 – 3 U 22/91, AfP 1992, 165. 550 BVerfG v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308 = CR 2017, 332 = NJW 2017, 1460. 551 OLG München v. 26.4.1996 – 21 U 5435/95, AfP 1996, 391. 552 OLG Nürnberg v. 29.11.2001 – 8 U 1652/01, AfP 2002, 328 = NJW-RR 2003, 40.
250
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 103 Kap. 5
Band bezeichnet wurde553. Auch ein häufig durch kritische Presseberichte Betroffener darf einen Journalisten nicht als „Berufsdesinformant“ und „Mitglied der journalistischen Totenkopfdivision Josef Goebbels“ bezeichnen554. Im Rahmen einer Berichterstattung über Vitaminpräparate kann es jedoch zulässig sein, den Vertreter einer bestimmten Auffassung, der sich selbst häufig in der Öffentlichkeit mit Kritik zu Wort meldet, als „pseudoreligiösen Vitaminguru“, „Pfuscher“ und oder „Scharlatan“ zu bezeichnen555. cc) Sonstige Rufbeeinträchtigungen Jedenfalls in seiner früheren Rechtsprechung ist der BGH davon ausgegangen, der Ehren- 102 schutz greife auch ein, wenn jemand den Ruf eines Anderen, dessen Ansehen und die ihm in der Öffentlichkeit entgegengebrachte Wertschätzung eigenmächtig zur Förderung materieller Interessen ausnutzt. Das gelte jedenfalls, wenn der den Ruf verkörpernde Name in einer Weise in Beziehung zu in der Werbung angepriesenen Gegenständen gesetzt werde, dass diese Beziehung als unangenehm oder gegen den guten Geschmack verstoßend empfunden wird, so dass der Genannte eine Verminderung seiner Wertschätzung und damit der Entfaltungsmöglichkeit seiner Persönlichkeit befürchten müsse, wie es etwa der Fall ist, wenn der Name einer Sängerin im Zusammenhang mit der Werbung für ein Pflegemittel für Gebisse verwendet wird556. Der heutigen Auffassung entspricht es wohl mehr, Fälle dieser Art unter dem Blickwinkel des Selbstbestimmungsrechts zu sehen (vgl. Rz. 20). Tatsächlich geht es hier um die kommerzielle Nutzung von Persönlichkeitsattributen, die auch unabhängig von der Frage abgewehrt werden können, ob die betroffene Person die Einspannung für Werbezwecke als reputations- oder ehrverletzend ansieht. dd) Anwendungsfälle Ehrenschutz bejaht: Eine Persönlichkeitsverletzung bedeutet die Behauptung, eine Fernseh- 103 ansagerin passe in ein „zweitklassiges Tingeltangel auf der Reeperbahn“, sie sehe aus „wie eine ausgemolkene Ziege“, bei ihrem Anblick werde „dem Zuschauer die Milch sauer“557. Ebenso ist die gegen einen Journalisten gerichtete Äußerung beleidigend „Wenn ich nur an meine Frau und mich zu denken hätte und nicht durch Amt und Aufgabe gebunden wäre, gäbe es nur noch eine Antwort: Die mit der Hundepeitsche“; das ist eine überzogene Schmähung, bei der der Journalist auf die Stufe eines Tieres herabgewürdigt wird558. Eine nicht mehr zu rechtfertigende Schmähung enthält eine Darstellung, wenn sie einen als Kampfstier karikierten Kanzlerkandidaten mit Wendungen wie „Faschismus“ und „Krieg“ verunglimpft559. Als Schmähung sind auch angesehen worden die Bezeichnung eines Lokalpolitikers als „allergrößte Pfeife“560, eines Offiziers der Bundeswehr als „Wehrsklavenhalter“561 und eines Frauenarztes, der Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, als „Kindermörder“562. Die plakative Kritik an Dorfbewohnern, die sich für mehr Ausgewogenheit und Multikulturalität engagie-
553 554 555 556 557 558 559 560 561 562
LG Göttingen v. 21.12.1995 – 8 O 182/95, NJW 1996, 1138. LG München v. 25.7.1995 – 23 O 12786/95, AfP 1997, 827. OLG Karlsruhe v. 24.7.2002 – 6 U 205/01, AfP 2002, 533 = NJW-RR 2002, 695. BGH v. 18.3.1959 – IV ZR 182/58, BGHZ 30, 7 – Caterina Valente. BGH v. 5.3.1963 – VI ZR 55/62, BGHZ 39, 124 – Fernsehansagerin. LG München I v. 18.9.1961 – 11 Q 52/61, Ufita 37/1962, 228. OLG Hamm v. 9.12.1981 – 7 Ss 1584/81, MDR 1982, 428 = NJW 1982, 659, 661. LG Oldenburg v. 27.10.1995 – 5 O 932/94, AfP 1995, 679. LG Kaiserslautern v. 3.10.1988 – 21 Js 10457/85-Cs Ns, NJW 1989, 1369. LG Nürnberg-Fürth v. 20.10.1997 – 17 O 8640/97, NJW 1998, 3423.
Burkhardt/Peifer 251
Kap. 5 Rz. 104
Wortberichterstattung – die Tatbestände
ren und dafür Preisgelder und Spenden erhalten haben, mit dem Text „Die Faulen und die Dreisten bekommen am meisten“ durfte als beleidigend angesehen werden563. 104
Als unzulässig ist das Erwecken des Anscheins angesehen worden, ein Rechtsanwalt, von 1931 bis 1934 Gauleiter, danach aus der NSDAP ausgeschlossen und bis 1938 in GestapoHaft, sei ein „Nazi-Mörder“564. Ebenso bedeutet die Behauptung eine Ehrverletzung, der Kläger, früherer SA-Sturmbannführer, sei „einer der Hauptbrandstifter“ gewesen, er sei ein Räuberhauptmann und „Prototyp eines erfolgreichen SA-Heros“565. Beleidigend ist weiterhin der gegenüber einem Anwalt unter Hervorhebung seines Berufes erhobene Vorwurf, er bagatellisiere Nazi-Verbrechen und stehe Gedankengängen des Nationalsozialismus auch heute noch nahe566. Für alle Beispielsfälle ist allerdings aus heutiger Sicht zu berücksichtigen, dass die Drastik des Vorwurfs, auch die bewusste Identifizierung eines Verhaltens mit der nationalsozialsozialistischen Vergangenheit für sich genommen nicht genügt, um die Meinungsfreiheit zu begrenzen. Entscheidend ist auch bei diesen Fällen stets der Kontext, in dem der Vorwurf erhoben wird567.
105
Ehrverletzend ist es, durch eine verzerrte Darstellung den Anschein zu erwecken, ein Anwalt habe nur unnütze Tätigkeit entfaltet und sich ein hohes Honorar ohne ausreichende Gegenleistung zahlen lassen568. Ein Anwalt wird auch durch die Veröffentlichung seines Praxisschildes mit dazugehöriger Überschrift „Haben Sie Vertrauen zu einem Killer?“ in seinem sozialen Wert herabgesetzt, weil er dem Verdacht standeswidriger Werbung, andererseits der Gefahr ausgesetzt wird, mit einem „Killer“ in Verbindung gebracht zu werden569. Auch der ohne nachvollziehbare Grundlage erhobene Vorwurf, ein Anwalt wolle ein Immobiliengeschäft auf das gemeinste und hinterhältigste niedermachen, ist ehrverletzend570; ebenso die Äußerung gegenüber einer Kollegin eines Rechtsanwalts, dieser sei kriminell und habe einen Prozess nur auf Grund einer falschen eidesstattlichen Versicherung gewonnen571. Ehrverletzend soll auch der Vorwurf des Gefälligkeitsjournalismus’ sein, selbst wenn eine hohe Anzeigenanzahl in dem Medium nachgewiesen ist572. Der gegenüber der Polizei erhobene Vorwurf des Terrors und des Mordes ist schmähend573. Ebenso die gegenüber dem Vorgesetzten eines Polizisten aufgestellte Behauptung, dieser liebe Sex mit Rentnerinnen und sei ein Charakterschwein574. Unzulässig ist auch das Hervorrufen des Anscheins, der lediglich wegen einfacher Hehlerei angeklagte Kläger sei Chef einer großen Diebes- und Hehlerbande575. Die Bezeichnung eines Querschnittgelähmten als „Krüppel“ ist kränkend576. In Konstellationen wie den genannten ist die Grenze der Meinungsfreiheit allerdings erst überschritten, wenn ein Anlass 563 564 565 566 567 568 569 570 571 572 573 574 575 576
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BVerfG v. 13.3.2017 – 1 BvR 1438/15. BGH v. 12.10.1965 – VI ZR 95/64, NJW 1965, 2395 – Mörder unter uns. BGH v. 11.1.1966 – VI ZR 221/64, NJW 1966, 647 – Reichstagsbrand. BGH v. 22.12.1959 – VI ZR 175/58, BGHZ 31, 308 – Alte Herren. BVerfG v. 17.9.2012 – 1 BvR 2979/10, AfP 2012, 549 = CR 2013, 59 = IPRB 2013, 26 = NJW 2012, 3712 Rz. 35; OLG Stuttgart v. 23.9.2015 – 4 U 101/15, AfP 2016, 268 = MMR 2016, 642. BGH v. 20.6.1961 – VI ZR 222/60, NJW 1961, 1914. OLG Köln v. 25.11.1966 – 11 U 41/65, GRUR 1967, 319. OLG Hamm v. 15.5.1995 – 13 U 16/95, NJW-RR 1995, 1399. OLG Koblenz v. 16.12.2013 – 3 U 1287/13, MDR 2014, 986 = NJW-RR 2014, 871. OLG Köln v. 23.5.2001 – 6 U 45/01, AfP 2001, 332. OLG Frankfurt v. 23.11.1976 – 2 Ss 549/76, NJW 1977, 1353. OLG Hamm v. 13.3.1995 – 13 U 135/94, NJW-RR 1995, 1114. BGH v. 5.3.1963 – VI ZR 61/62, NJW 1963, 904 – Gerichtsberichterstattung. BVerfG v. 25.3.1992 – 1 BvR 514/90, AfP 1992, 133 = NJW 1992, 2073, 2074.
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 106 Kap. 5
für die Verhaltenskritik fehlt, der Anlass nicht genügend ist, um die drastische Sprache zu rechtfertigen oder die Kritik gegenüber Personen erhoben wird, die nicht im öffentlichen Raum hervortreten. Es geht also jeweils um ein Übermaß an Drastik, die in solchen Fällen die Äußerungsfreiheiten begrenzen kann. Ehrenschutz verneint: Keine Beleidigung ist die Bezeichnung „Terroristentochter“, sofern 106 die Betroffene zuvor selbst in Berichterstattungen ihre familiären Beziehungen offenbart hatte, denn in der Zuspitzung alleine liegt noch keine ungerechtfertigte Herabsetzung577. Als noch zulässig ist auch die in Bezug auf einen im politischen Kampf hervorgetretenen Publizisten gebrauchte Behauptung bezeichnet worden, es bestünden Zweifel, ob er die unter seinem Namen erscheinenden Leitartikel und Pamphlete auch selbst verfasse, weil er sich vor Gericht und Untersuchungsausschuss so unglaublich primitiv ausgedrückt habe; der Kläger sei ein aufsässiger Opportunist578. Der EGMR hat die Verurteilung eines Journalisten wegen Beleidigung als mit Art. 10 EMRK unvereinbar angesehen, der den FPÖ-Politiker Jörg Haider im Zusammenhang mit einer Kritik an einem Redeauftritt von Haider als „Trottel“ bezeichnet hatte579. Die Behauptung, ein bekannter Verleger und Chefredakteur habe sich der Begünstigung und Hehlerei schuldig gemacht, weil er für die Rückgabe einer gestohlenen Plastik eine Belohnung ausgesetzt habe, ist gleichfalls als zulässig bezeichnet worden; der Kläger habe bei der Aussetzung der Belohnung von vornherein mit Kritik rechnen müssen; dem Beklagten könne nicht verwehrt werden, seine Rechtsansicht weiter zu vertreten, auch wenn sie unhaltbar sei580. Auch die Behauptung, ein Chefarzt habe ein Krankenhaus heruntergewirtschaftet, ist keine Schmähung581. Eine sog. Geistheilerin muss es hinnehmen, dass ihr Tun als „absurde Scharlatanerie“ bezeichnet wird582, ein Rechtsanwalt muss ggf. den Vorwurf der „Winkeladvokatur“ ertragen, wenn er in eine Kritik an seinem Verhalten eingebettet ist583. Die Bezeichnung eines Fußballtrainers als „linke Bazille“ in einer Auseinandersetzung mit einem seiner Spieler ist noch nicht ehrverletzend584; ebenso wenig die Bezeichnung eines Profifußballspielers als „Abkassierer“ in einem Bericht über dessen schlechte Leistungen585. Den Präsidenten einer bedeutenden Sportvereinigung als Mitglied einer „Clique“ und einer „Dreierbande“ zu bezeichnen, bedeutet nicht ohne Weiteres eine Schmähung, insb. wenn das Wort „Dreierbande“ in Anlehnung an den um 1979/80 aktuellen Begriff der chinesischen sog. Viererbande verwendet wird586. Die Bezeichnung eines Kripochefs, der Mitglied der Grünen ist, als „Grüner Kasper“ ist jedenfalls während eines Wahlkampfes zulässig, wenn er eine Ratssitzung u.a. durch die akustische Nachahmung eines Pferdes gestört hat587. Der Begriff „Schikaneur“ ist im Zweifel nicht i.S.v. § 226 BGB, sondern als die Grenze zur Schmähkritik noch nicht überschreitende Wertung des Verhaltens einer Person zu verstehen588. Auch die Äußerung, man denke nolens volens an den Titelhändler „Konsul W“ und an einen interessanten Stoff für Fernsehfahnder Z, wenn „Berufsverbände“ nach Zahlung eines Ablassgeldes einen 577 578 579 580 581 582 583 584 585 586 587 588
BGH v. 5.12.2006 – VI ZR 45/05, AfP 2007, 46 = MDR 2007, 519 = NJW 2007, 686 Rz. 21. BGH v. 11.5.1965 – VI ZR 16/64, NJW 1965, 1476 – Glanzlose Existenz. EGMR v. 1.7.1997 – 47/1996/666/852, NJW 1999, 1321. BGH v. 17.11.1964 – VI ZR 181/63, NJW 1965, 294 – Volkacher Madonna. BVerfG v. 11.11.1992 – 1 BvR 693/92, NJW 1993, 1845. OLG Karlsruhe v. 25.6.1996 – 14 U 222/94, AfP 1997, 721, 722. BVerfG v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, AfP 2013, 388 = MDR 2013, 1070 = GRUR 2013, 1266. OLG Saarbrücken v. 8.5.1996 – 1 U 794/95-155, NJW-RR 1996, 1048. OLG Celle v. 17.7.1996 – 13 U 34/96, AfP 1997, 819. LG Stuttgart v. 10.3.1981 – 10 O 69/81, AfP 1981, 368. LG Arnsberg v. 8.1.1987 – 4 O 587/86, NJW 1987, 1412. OLG Karlsruhe v. 21.3.2001 – 6 U 54/00, ZUM 2001, 888.
Burkhardt/Peifer 253
Kap. 5 Rz. 107
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Registereintrag und Titelverleihung vornehmen, stellt im Rahmen einer Kritik an deren Geschäftsgebaren keine Ehrverletzung dar589. Auch ein Arzt, der öffentlich auf die mittelalterliche Heilkunst der Hildegard von Bingen und deren göttlichen Ursprung setzt, muss eine kritische Würdigung seiner Behandlungsmethode als u.U. lebensgefährdend hinnehmen590. Die Überschrift „F-Leute total betrogen“ ist weder eine Tatsachenbehauptung noch eine Ehrverletzung, wenn in dem nachfolgenden Artikel zum Ausdruck kommt, dass es sich dabei um die Sichtweise des Betriebsrats handelt591. Wurde ein Großflächenplakat mit dem Portrait einer Schauspielerin und dem Text „Wer trinkt, fährt ohne mich, Jahr für Jahr verunglücken junge Frauen, weil der Fahrer getrunken hatte“ veröffentlicht, hat es die Schauspielerin hinzunehmen, wenn in satirischer Form dasselbe Plakat in einem Presseorgan mit dem Text veröffentlicht wird „Wer trinkt, fährt besser als ich nüchtern. Jahr für Jahr verunglücken junge Frauen, weil sie kein Auto fahren können.“, da damit eine kritische Auseinandersetzung mit den Aussagen des Plakats erfolgt592. 107
Eine Frau wird in ihrem Persönlichkeitsrecht nicht dadurch verletzt und auch nicht gegenüber Männern diskriminiert, wenn sie mit „Frau“ statt mit „Dame“ angesprochen wird, obschon bei Männern der Begriff „Herr“ üblich ist593. Die Bezeichnung einer Schönwetterperiode als „Altweibersommer“ verletzt nicht das Persönlichkeitsrecht einer älteren Frau594. Auch der Hinweis „kleingewachsener Patriarch“ auf körperliche Merkmale eines Familienvaters ist keine Schmähkritik595.
108
Wird eine behördliche Maßnahme kritisiert, z.B. die nächtliche Abschiebung einer Asylbewerberfamilie durch die Bezeichnung „Gestapo-Methode“, so berührt das zwar die Ehre der an der Abschiebung beteiligten Beamten. Richtet sich aber die Kritik nicht gegen sie als Person, sondern gegen die Maßnahme, hat die dann nur mittelbare Ehrbeeinträchtigung im öffentlichen Meinungskampf nur geringes Gewicht. Zumal grds. auch die Form der Äußerung der Selbstbestimmung des Äußernden unterliegt596, muss eine solche überspitzte Formulierung hingenommen werden. Dies auch, wenn die Abschiebung rechtmäßig war597. Ein Polizist muss es dulden, als „Spanner“ in einem Internetdienst bezeichnet zu werden, wenn die Betroffene damit anlasslose Kontrollen vor ihrer Wohnung kritisiert598. e) Gefährdung von Leben und Freiheit Schrifttum: Rieble/Klumpp, Mobbing und die Folgen, ZIP 2002, 369; Giebel, Zivilrechtlicher Rechtsschutz gegen Cybermobbing in sozialen Netzwerken, NJW 2017, 977.
589 BGH v. 10.11.1994 – I ZR 216/92, MDR 1995, 710 = AfP 1995, 404 = NJW-RR 1995, 301 – Dubioses Geschäftsgebaren. 590 OLG Karlsruhe v. 24.2.1995 – 14 U 96/94, AfP 1995, 524 = NJW 1996, 1140. 591 OLG Brandenburg v. 15.11.1995 – 1 W 15/95, NJW 1996, 666. 592 OLG Zweibrücken v. 25.9.1998 – 2 U 7/98, AfP 1999, 362. 593 BVerfG v. 20.7.1981 – 1 BvR 1417/80, NJW 1981, 2178. 594 LG Darmstadt v. 2.2.1989 – 3 O 535/88, AfP 1989, 482 = NJW 1990, 1997. 595 OLG Karlsruhe v. 21.3.2001 – 6 U 54/00, AfP 2001, 336 = ZUM 2001, 888. 596 BVerfG v. 13.5.1980 – 1 BvR 103/77, AfP 1980, 147 = NJW 1980, 2069; v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415. 597 BVerfG v. 5.3.1992 – 1 BvR 1770/91, AfP 1992, 132 = NJW 1992, 2815. 598 BVerfG v. 29.6.2016 – 1 BvR 2732/15, AfP 2016, 433 – Bezeichnung eines Polizisten als „Spanner“.
254
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 109 Kap. 5
Die bedauerlichen Erfahrungen mit dem Terrorismus und der Entführungskriminalität ha- 109 ben für das Verhältnis des Persönlichkeitsschutzes zur Pressefreiheit insofern Bedeutung, als öffentliche Berichte eine von den Medien ungewollte Gefährdung von Leben und Freiheit Einzelner zur Folge haben können. Z.B. haben Entführer mit der Ermordung des Opfers gedroht, falls, abgesehen von der Polizei, die Presse eingeschaltet werde. Die öffentliche Darstellung bestimmter persönlicher Umstände kann auch zur Folge haben, dass Kriminelle auf den Betroffenen aufmerksam werden bzw. Kenntnis von Möglichkeiten erhalten, sich seiner zu bemächtigen. Insoweit geht das Bundesverfassungsgericht zu Recht davon aus, dass auch wahre Aussagen nicht hingenommen werden müssen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten drohen, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht599. Dies gilt umso mehr bei einer Gefährdung von Leben und Freiheit. Leben und Freiheit gehen dem Äußerungsrecht vor. Demjenigen, der durch Medienberichte gefährdet werden kann, muss deswegen das Recht zuerkannt werden, sie zu unterbinden600, ebenso, insb. in einem Entführungsfall, seinen Angehörigen. Gegebenenfalls sind Medienberichte, auch Fernsehaufnahmen, die z.B. vor einer Strafverhandlung angefertigt wurden, zu anonymisieren601. In neuerer Zeit kommt eine weitere Gruppe von Fällen hinzu, in denen es um die Gefährdung der Gesundheit von Betroffenen geht. Es geht um die systematisch gezielte Einwirkung auf einen Arbeitnehmer („Mobbing“) oder auch auf einen Arbeitgeber („Bossing“). Beides kann eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen, wenn die Handlungen einen erheblichen Schweregrad erreichen. Die Rechtfertigung für die Erfassung solcher Konstellationen liegt in der Gefahr von Gesundheitsverletzungen bei den Betroffenen. „Mobbing“ betrifft eine Serie von Einzelhandlungen, die zwar für sich genommen noch nicht die Verletzungsschwelle erreichen, aber in der Gesamtheit „bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“602. Mobbing kann unter Arbeitnehmern oder durch Arbeitgeber ausgelöst werden, aber auch den umgekehrten Fall – Arbeitnehmer wenden sich gegen eine Führungskraft (sog. „Bossing“) – betreffen. Die Fälle betreffen bisher vor allem das Arbeitsrecht. Über die Verbreitung von Internetdiensten, in denen Personen systematisch verbal angegriffen werden, häufig gepaart mit der Verbreitung von falschen Tatsachenbehauptungen, Offenbarungen aus der Privatsphäre oder massiven Ehrverletzungen, kann Mobbing ein bisher nicht gekanntes Ausmaß erreichen. Das mittlerweile als „Cybermobbing“ oder auch „Cyberstalking“ (bei Nachstellungen) bezeichnete Phänomen kann zu erheblichen Einschränkungen der sozialen Entfaltung, zur gesellschaftlichen Isolierung, aber auch zur Gesundheitsbeeinträchtigung der Betroffenen führen603, so dass es angemessen ist, diese Qualität und Intensität der Beeinträchtigungen als eigenen persönlichkeitsrechtlichen Verletzungstatbestand zu erfassen. Die Ansprüche werden sich häufiger gegen Intermediäre als gegen die anonym handelnden Verletzer richten müssen. In Ansätzen werden solche Fälle durch neue Durchsetzungsmechanismen wie das sog. „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (Kap. 10 Rz. 233 ff.) erfasst.
599 BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889; v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein. 600 BVerfG v. 31.3.2000 – 1 BvR 2223/96, AfP 2000, 348 = NJW 2000, 2194. 601 BVerfG v. 15.4.2002 – 1 BvR 680/02, AfP 2002, 213 = NJW 2002, 2021 – El-Kaida; KG v. 6.4.2010 – 9 U 45/09, AfP 2010, 395 = NJW-RR 2010, 1417. 602 BAG v. 28.10.2010 – 8 AZR 546/09, NZA-RR 2011, 378 Rz. 17; bestätigt durch BAG v. 15.9.2016 – 8 AZR 351/15, ArbR 2017, 117; dazu Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369. 603 Hierzu Giebel, NJW 2017, 977.
Burkhardt/Peifer 255
Kap. 5 Rz. 110
Wortberichterstattung – die Tatbestände
110
Die Frage ist jeweils, unter welchen Voraussetzungen von einer Gefährdung oder auch einer Gesundheitsgefährdung auszugehen ist. Aus einem Terroranschlag auf das Pariser Restaurant des Bruders eines in einem Geheimdienstskandal vernommenen Zeugen ergibt sich nach Auffassung des LG München noch kein hinreichender Anhaltspunkt, der Zeuge sei auch seinerseits gefährdet604. Die Entscheidung ist im Ergebnis zu billigen. Allgemein gesehen dürfen die Anforderungen an den Nachweis bzw. an das Wahrscheinlichmachen einer Gefährdung jedoch nicht allzu hoch angesetzt werden. Als gefährdet ist z.B. ein Geheimagent anzusehen, der gegen Banden und Schwerkriminelle erfolgreich in verdeckter Form, also unter einer Legende, ermittelt hat. Wird er enttarnt, erfahren die Kriminellen, wer sie überführt hat und es sind Racheakte zu befürchten. Deswegen kann es unzulässig sein, Fotos des Agenten zu verbreiten, seine Wohnanschrift mitzuteilen und zu berichten, an welchen Festnahmen von Gewalttätern er beteiligt war605. Bei verdeckt ermittelnden Polizeibeamten wird man es als grds. unzulässig ansehen müssen, den V-Mann-Einsatz öffentlich mitzuteilen606. Unzulässig ist auch eine „Feindbild-Darstellung“ mittels Fotografie und unter namentlicher Nennung auf der Internetseite einer rechtsextremen Vereinigung607.
111
Voraussetzung für einen solchen Schutz ist, dass der Betroffene seinerseits alles Zumutbare zu seinem Schutz getan hat bzw. um die Enttarnung zu vermeiden. Andererseits lässt eine gelegentliche öffentliche Erwähnung den Schutz nicht automatisch entfallen. Sonst hätte jeder Publizist es in der Hand, alle Geheimhaltungsvorkehrungen mit einem Schlage zunichte zu machen. Das wäre auch insofern ungerechtfertigt, als Kriminelle von einer nur gelegentlichen Erwähnung nicht unbedingt Kenntnis erlangen. Auch eine gelegentliche Bildnisveröffentlichung bedeutet nicht ohne Weiteres, der Gefährdete könne daraufhin überall identifiziert werden.
112
Die Forderung von Geheimhaltungsvorkehrungen bedeutet nicht, dem Betroffenen könne entgegengehalten werden, er habe gegenüber Vorveröffentlichungen keine rechtlichen bzw. gerichtlichen Schritte eingeleitet. Es kann gute Gründe geben, auf die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches im Einzelfall zu verzichten, etwa aus Beweisgründen, die sich später verbessern können. Abgesehen davon ist die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches gegenüber einer bereits veröffentlichten zutreffenden, aber geheimhaltungsbedürftigen Mitteilung nicht sonderlich interessant. Lebenswichtig kann es aber sein, eine bevorstehende erneute Publikation in einem anderen Blatt zu verhindern, speziell wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Vorveröffentlichung bereits in Vergessenheit geraten ist. 3. Träger des Persönlichkeitsschutzes Schrifttum: Brauer, Das Persönlichkeitsrecht der juristischen Person, 1962; Leßmann, Persönlichkeitsschutz juristischer Personen, AcP 170 (1970), 266; Kraft, Gedanken zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht juristischer Personen, FS Hubmann, 1985, S. 201; Klippel, Der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz von Verbänden, JZ 1988, 625; Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz. Persönlichkeitsschutz juristischer Personen in verfassungsrechtlicher Sicht, 1989; Beuthien/Schmölz, Persönlichkeitsschutz durch Persönlichkeitsgüterrechte, 1999; Quante, Das Persönlichkeitsrecht juristischer Personen, 1999; Schack, Zur Frage, ob bei postmortaler Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Schadensersatzanspruch des Erben in Betracht kommt, JZ 2000, 1060; Ullmann, 604 LG München v. 13.9.1982 – 9 O 16383/82, AfP 1983, 296. 605 OLG München v. 13.7.1989 – 29 U 2063/89, NJW-RR 1990, 1364 = AfP 1991, 435. 606 Vgl. OLG Celle v. 8.10.1990 – 1 VAs 9/90, NJW 1991, 856; OLG Hamm v. 18.8.1989 – 1 VAs 1/88, NStZ 1990, 44. 607 OLG Jena v. 16.8.2000 – 3 W 486/00, ITRB 2001, 54 = AfP 2001, 78.
256
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 113 Kap. 5
Caroline v., Marlene D., Eheleute M. – ein fast geschlossener Kreis, WRP 2000, 1049; Bender, Das postmortale allgemeine Persönlichkeitsrecht und Schutzbereiche, VersR 2001, 815; Götting, Die Vererblichkeit der vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts – ein Meilenstein in der Rechtsprechung des BGH, NJW 2001, 585; Zacharias, Zur Abgrenzung von Menschenwürde und allgemeinem Persönlichkeitsrecht, NJW 2001, 2950; Taupitz/Müller, Rufausbeutung nach dem Tode: Wem gebührt der Profit?, 2002; Beuthien, Persönlichkeitsgüterschutz vor und nach dem Tode, 2002; Pabst, Der postmortale Persönlichkeitsschutz in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 2002, 999; Lilienfeld-Toal, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht juristischer Personen, 2003; Fischer, Die Entwicklung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes: v. Bismarck bis Marlene Dietrich, 2004; Götting, Sanktionen bei Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts, GRUR 2004, 801; Born, Gen-Milch und Goodwill – Äußerungsrechtlicher Schutz durch das Unternehmenspersönlichkeitsrecht, AfP 2005, 110; Lichtenstein, Der Idealwert und der Geldwert des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts vor und nach dem Tode: Grundlage für die Verwertung individueller Erkennbarkeit, 2005; Schweers, Die vermögenswerten und ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts nach dem Tod des Trägers, 2006; Reber, Die Schutzdauer des postmortalen Persönlichkeitsrechts in Deutschland und den USA (von Marlene Dietrich über Klaus Kinski zu Marilyn Monroe) – ein Irrweg des BGH?, GRUR-Int. 2007, 492; Luther, Postmortaler Schutz nichtvermögenswerter Persönlichkeitsrechte, 2009; Luther, Postmortaler Persönlichkeitsschutz als Grenze der Kommunikationsgrundrechte, AfP 2009, 215; Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, 2011; Martini, Der digitale Nachlass und die Herausforderung postmortalen Persönlichkeitsschutzes im Internet, JZ 2012, 1145; Ziegelmayer, Die Reputation als Rechtsgut, GRUR 2012, 761; Beater, Persönlichkeitsschutz Minderjähriger und mediale Berichterstattung, JZ 2013, 111; Brinkert/Stolze/Heidrich, Der Tod und das soziale Netzwerk. Digitaler Nachlass in Theorie und Praxis, ZD 2013, 153; Specht/Riemenschneider, Äußerungsrechtliche Ansprüche juristischer Personen des öffentlichen Rechts, ZUM 2013, 929; Ludyga, Entschädigung in Geld und postmortales allgemeines Persönlichkeitsrecht, ZEV 2014, 333; Brost, Postmortaler Persönlichkeitsschutz – Eine Systematisierung der zivilrechtlichen Ansprüche, AfP 2015, 510; Helle, Dissonanzen des postmortalen Persönlichkeitsrechts, AfP 2015, 216; Kutscher, Der digitale Nachlass, 2015; Solmecke/Köbrich/Schmitt, Der digitale Nachlass – haben Erben einen Auskunftsanspruch? Überblick über den rechtssicheren Umgang mit den Daten von Verstorbenen, MMR 2015, 291; Alexander, Digitaler Nachlass als Rechtsproblem?, K&R 2016, 301; Peifer, Beseitigungsansprüche im digitalen Äußerungsrecht – Ausweitung der Pflichten des Erstverbreiters, NJW 2016, 23; Stelkens/ Wabnitz, Pietät, Totenfürsorge, Totenruhe und postmortales Persönlichkeitsrecht in der neueren Rechtsprechung zum Friedhofs- und Bestattungsrecht, GewArch Beilage WiVerw Nr. 1/2016, S. 11.
Träger des Persönlichkeitsschutzes sind natürliche Personen, von ihm profitieren über Art. 19 113 Abs. 3 GG, konkret über § 824 BGB, in Grenzen auch juristische Personen sowie sonstige Personengemeinschaften608. Als höchstpersönliches Recht ist das Persönlichkeitsrecht weder übertragbar noch vererblich609. Mittlerweile spaltet der BGH610 das Persönlichkeitsrecht nach Schutzzwecken in vornehmlich dem Schutz ideeller Interessen sowie vornehmlich dem Schutz vermögenswerter Interessen dienende Bestandteile auf. Er meint, während die ideelle Interessen schützenden Bestandteile mit dem Tod endeten, seien die vermögenswerten Bestandteile vererblich (Näheres Rz. 116 ff.).
608 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 ua., NJW 2002, 3619, 3622 – Mitgehörtes Telefonat; BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 251/80, MDR 1983, 43 = AfP 1982, 217 = GRUR 1982, 631 – Klinikdirektoren; v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65 = NJW 2006, 601. 609 BVerfG v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 594 – Willy Brandt-Gedächtnismünze; BGH v. 20.3.1968 – 1 ZR 44/66, BGHZ 50, 133 = GRUR 1968, 552, 545 – Mephisto. 610 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich.
Burkhardt/Peifer 257
Kap. 5 Rz. 114
Wortberichterstattung – die Tatbestände
a) Natürliche Personen 114
Lebende natürliche Personen sind unbestritten Träger des Persönlichkeitsschutzes. Das gilt auch für Kinder, selbst für kleine Kinder, unabhängig davon, ob sie sich ihrer persönlichen Interessen bewusst sind. Sie sind besonders zu schützen, da sie sich erst noch zu eigenverantwortlichen Personen entwickeln müssen611. Auch sonstige Geschäftsunfähige, körperlich oder geistig Gebrechliche sind Träger des Persönlichkeitsschutzes612. Der BGH ist bislang davon ausgegangen, dass das Persönlichkeitsrecht mit dem Tode des Rechtsträgers zwar eine Einschränkung erfährt, dass aber die auch nach dem Tode schutzwürdigen Güter den Verstorbenen überdauern, d.h. dass das Persönlichkeitsrecht über den Tod hinaus fortwirkt613. Jedenfalls gegen grobe Entstellungen des Lebensbildes könne auch noch nach dem Tode von jemandem, der selbst nicht Subjekt des Rechtes ist, ein Unterlassungsanspruch geltend gemacht werden614. Das Bundesverfassungsgericht hat die Fortwirkung des Persönlichkeitsrechts nach dem Tode verneint615. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG setze die Existenz einer wenigstens potentiell oder zukünftig handlungsfähigen Person unabdingbar voraus. Zu bejahen sei aber das Fortwirken der Menschenwürde i.S.d. Art. 1 Abs. 1 GG. Dessen Schutzwirkungen seien nicht mit jenen des Persönlichkeitsrechts identisch616. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Menschenwürde im Konflikt mit der Äußerungsfreiheit nicht abwägungsfähig sei, während es bei einem Konflikt mit dem Persönlichkeitsrecht regelmäßig einer Abwägung bedürfe617. Geschützt ist bei Verstorbenen zum einen der allgemeine Achtungsanspruch. Dieser schützt den Verstorbenen insb. davor, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden. Daneben wird auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert geschützt618. Ist der Schutz der Privatsphäre (bei wahren Tatsachenbehauptungen) schon zu Lebzeiten abwägungsoffen, so gilt das für Verstorbene wegen des nur eingeschränkten Schutzes ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts erst recht. Deshalb kann es bei einem anerkennenswerten Berichterstattungsinteresse sogar gerechtfertigt sein, detailliert aus der Krankenakte eines Verstorbenen zu zitieren619. Keinen ideellen Schutz über dieses postmortale Persönlichkeits-
611 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco I; v. 31.3.2000 – 1 BvR 1454/97, NJW 2000, 2191 – Casiraghi, Rz. 62; v. 14.2.2005 – 1 BvR 1783/02, AfP 2005, 459 = NJW 2005, 1857, v. 9.3.2007 – 1 BvR 1946/04, NJW-RR 2007, 1191; EGMR v. 17.1.2012 – Nr. 340/07, NJW 2013, 771 Rz. 52; BGH v. 29.4.2014 – VI ZR 137/13, AfP 2014, 325 = GRUR 2014, 802 Rz. 9. 612 Vgl. BGH v. 29.11.2016 – VI ZR 382/15, MDR 2017, 209 = NJW 2017, 1550 Rz. 16; LG Hamburg v. 5.5.2017 – 324 O 189/16, AfP 2017, 263; Buschmann, NJW 1970, 2081, 2083. 613 So bereits von Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, S. 709. 614 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, BGHZ 50, 133 = NJW 1968, 1773, 1775 – Mephisto; v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, BGHZ 107, 384 = MDR 1989, 1076 = AfP 1989, 728 = NJW 1990, 1986, 1987 – Emil Nolde; v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04, AfP 2006, 67 = MDR 2006, 930 = GRUR 2006, 252. 615 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645 – Mephisto; v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 594 – Willy Brandt-Gedächtnismünze; v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, AfP 2001, 295 = ZUM 2001, 584, 586 – Kaisen; ebenso OLG Düsseldorf v. 16.6.1999 – 15 U 171/98, AfP 2000, 468. 616 BGH v. 16.9.2008 – VI ZR 244/07, AfP 2008, 601 = GRUR 2009, 83; OLG Hamm v. 5.10.2001 – 9 U 149/01, NJW 2002, 609. 617 BVerfG v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 594 – Willy Brandt-Gedächtnismünze. 618 BVerfG v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, ZUM 2001, 584, 586 – Kaisen; OLG Düsseldorf v. 16.6.1999 – 15 U 171/98, AfP 2000, 468; OLG Hamm v. 5.10.2001 – 9 U 149/01, NJW 2002, 609. 619 OLG Köln v. 30.11.2017 – 15 U 67/17, K & R 2018, 266.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 116 Kap. 5
recht genießen hingegen die Angehörigen selbst620. Sie können allenfalls ein Eindringen in ihre Sphäre über den Schutz der Privat- und Intimsphäre reklamieren (oben Rz. 50)621. Immaterielle Geldentschädigungsansprüche stehen ihnen allein wegen des seelischen Schmerzes durch Verlust eines nahen Angehörigen nicht zu622. Der dem Betroffenen lebzeitig entstandene Geldentschädigungsanspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ist auch grds. nicht vererblich, denn die Genugtuungs- und Ausgleichsfunktion ist höchstpersönlicher Natur und nach dem Tode des Betroffenen nicht mehr beeinträchtigt (vgl. Kap. 14 Rz. 140)623. Von einer Verletzung der Menschenwürde ist lediglich bei schweren Eingriffen auszugehen. 115 Ein Infragestellen des erworbenen Geltungsanspruchs genügt nicht. Auch Äußerungen, die den ungeschriebenen Gesetzen des politischen Anstands und des guten Geschmacks widersprechen, können noch zulässig sein. Erst eine grobe Entstellung verletzt die Menschenwürde624. Eine solche liegt noch nicht vor, wenn z.B. die rechtsextreme DVU in einer Wahlkampfzeitung behauptet, Personen wie Wilhelm Kaisen, Kurt Schumacher, Friedrich Ebert und Friedrich Engels würden heute DVU wählen. Dies ist eine ohne Weiteres erkennbare spekulative, lediglich verbale Vereinnahmung, durch die die Lebensleistungen der genannten Personen nicht in Frage gestellt oder verfälscht werden625. Anders kann dies sein, wenn unwahre Tatsachenbehauptungen über einen Verstorbenen verbreitet werden. Das OLG Hamburg hat daher die Behauptung, ein ums Leben Gekommener sei Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann gewesen, als Beeinträchtigung der Menschenwürde bezeichnet626. Zu weitgehend ist die Ansicht des LG Düsseldorf627, das in der Äußerung, der Künstler Beuys habe einmal für eine rechtsgerichtete Partei, die AUD, für den Bundestag kandidiert, eine grobe Beeinträchtigung des nach dem Tode fortwirkenden Schutzes sieht, obgleich nur die Einordnung der Partei als rechtsgerichtet streitig war. Bereits in den Vorauflagen wurde die Auffassung vertreten, auch die Verwendung der Per- 116 sönlichkeit eines Verstorbenen bzw. des Andenkens an sie zu Zwecken der Werbung bzw. Vermarktung eigener Produkte sei grundsätzlich als Verletzung der Menschenwürde anzusehen. Zu diesem Ergebnis nötigt die pragmatische Erwägung, dass es in hohem Maße unbillig wäre, eine (bekannte) Persönlichkeit vom Zeitpunkt ihres Todes an für beliebige Werbezwecke freizugeben. Zu ihrem Schutz bedarf es des Unterlassungs- sowie Beseitigungsanspruchs. In seiner Emil Nolde-Entscheidung meinte der BGH628, der postmortale Persönlichkeitsschutz greife jedenfalls dann ein, wenn durch Anbringen einer gefälschten Signatur auf einem Kunstwerk 620 BGH v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04, AfP 2006, 67 = MDR 2006, 930 = GRUR 2006, 252; BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, MDR 2012, 641 = AfP 2012, 260. 621 OLG Jena v. 31.3.2005 – 8 U 910/04, NJW-RR 2005, 1566. 622 BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, MDR 2012, 641 = AfP 2012, 260. 623 BGH v. 29.4.2014 – VI ZR 241/12, GRUR 2014, 702 Rz. 12; Erman/Klass, Anh. § 12 BGB Rz. 320; a.A. Cronenmeyer, AfP 2012, 10. 624 BVerfG v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, ZUM 2001, 584, 586 – Kaisen; OLG Düsseldorf v. 16.6.1999 – 15 U 171/98, AfP 2000, 468; OLG München v. 9.8.2002 – 21 U 2654/02, GRUR-RR 2002, 341; offengelassen in OLG Hamm v. 5.10.2001 – 9 U 149/01, NJW 2002, 609. 625 BVerfG v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, ZUM 2001, 584, 587 – Kaisen; ebenso Vorinstanz OLG Bremen v. 13.4.1994 – 1 U 149/93, AfP 1994, 145 = NJW-RR 1995, 84; a.A. OLG Köln v. 24.9.1998 – 15 U 122/98, AfP 1998, 647 – Adenauer; OLG Koblenz v. 9.3.1999 – 4 U 1641/98, AfP 1999, 285 – Adenauer. 626 OLG Hamburg v. 7.7.1983 – 3 U 7/83, AfP 1983, 466, 468. 627 LG Düsseldorf v. 17.10.2001 – 12 O 278/01, ZUM 2002, 390. 628 BGH v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, MDR 1989, 1076 = AfP 1989, 728 = NJW 1990, 1986.
Burkhardt/Peifer 259
Kap. 5 Rz. 117
Wortberichterstattung – die Tatbestände
das künstlerische Ansehen und die künstlerische Wertschätzung eines so bedeutenden Künstlers wie Emil Nolde beeinträchtigt werde. Später hat der BGH in seinen Entscheidungen „Marlene Dietrich“629 und „Der blaue Engel“630 diesen Schutz wesentlich erweitert und mit anderer Begründung bestätigt. Er ging davon aus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowohl die ideellen als auch die vermögenswerten Interessen einer Person schützt. Während der Schutz der ideellen Interessen jedoch unauflöslich mit der Person verbunden und als höchstpersönliches Recht weder übertragbar noch vererblich sei, seien die vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vererblich. Die Anerkennung der Vererblichkeit sei geboten, um den Schutz gegenüber einer kommerziellen Nutzung von Name, Bildnis und sonstigen Persönlichkeitsmerkmalen des Verstorbenen durch Nichtberechtigte zu gewährleisten631. Der Schutz allein durch Abwehransprüche sei nicht ausreichend, da diese nur für den Wiederholungsfall zur Verfügung stünden. Dem Interesse, das Lebensbild des Verstorbenen zu schützen, werde am besten in der Weise gedient, dass dem Erben als Inhaber der vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts grds. dieselben Ansprüche zu Gebote stünden wie dem lebenden Träger des Persönlichkeitsrechts632. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung gebilligt633. Der BGH hat sie ausdifferenziert, indem er klargestellt hat, dass die Erben des Verstorbenen nur grobe Persönlichkeitsrechtsverletzungen abwehren können. Der Schutz der vermögenswerten Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts ist entsprechend § 22 Satz 3 KUG auf zehn Jahre nach dem Tode der Person begrenzt, während die ideellen Bestandteile darüber hinaus fortdauern können634. Die Rechtsprechung hat in der Literatur zum Teil Zustimmung erfahren635. 117
Reichweite und Begründung der zuerkannten Ansprüche begegnen allerdings nicht unerheblichen Bedenken. Bereits die Aufspaltung des Persönlichkeitsrechts in ideelle und vermögenswerte Bestandteile richtet sich im Ergebnis gegen das Individuum636. Was einen Menschen ausmacht, seine unverwechselbare Persönlichkeit, ist er selbst. Der Mensch ist aber kein Vermögensgegenstand und besitzt keinen Vermögenswert. Vermögenswert kann allenfalls das sein, was der Mensch durch Einsatz seiner Person und deren Merkmale, Fähigkeiten und Fertigkeiten leistet637. Mit Anerkennung vererblicher Bestandteile des Persönlichkeitsschutzes wird es ferner den Erben überlassen, ob, wie sehr und zu welchen Zwecken sie die Persönlichkeit des Verstorbenen ausbeuten. Zwar erhalten sie nach Meinung des BGH nur ein eingeschränktes positives Benutzungsrecht. Dies dürfe nicht gegen den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen eingesetzt werden638. Wer den mutmaßlichen Willen feststellen und dessen 629 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, BGHZ 143, 214 = AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195. 630 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201. 631 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195, 2198. 632 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195, 2199. 633 BVerfG v. 22.8.2006 – 1 BvR 1168/04, NJW 2006, 3409. 634 BGH v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, BGHZ 169, 193 = AfP 2007, 42 = CR 2007, 101 = MDR 2007, 417 = ITRB 2007, 57 = GRUR 2007, 168 – Kinski-klaus.de m. Anm. Schack, JZ 2007, 364; Stieper, MMR 2007, 106. 635 Beuthien/Schmölz, Persönlichkeitsschutz durch Persönlichkeitsgüterrechte, 1999; Ahrens, Die Verwertung persönlichkeitsrechtlicher Positionen, 2002; Klüber, Persönlichkeitsschutz und Kommerzialisierung, 2007. 636 Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 7. Aufl. 2015, Rz. 57, Peifer, GRUR 2002, 495, 499; Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, 2008, S. 836. 637 Beuthien, Zum postmortalen Persönlichkeitsschutz in Persönlichkeitsgüterschutz vor und nach dem Tode, 2002, S. 85. 638 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195, 2199.
260
Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 119 Kap. 5
Einhaltung fordern soll, sagt der BGH nicht. In Betracht kommen nur die Angehörigen. Ihnen bleibt es weiterhin überlassen, die ideellen Interessen des Verstorbenen zu schützen. Sind die Angehörigen auch Erben, bleibt es im Ergebnis in deren Belieben, den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen festzulegen und sein Persönlichkeitsrecht dementsprechend zu vermarkten. Die Schranke des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen besteht in Wahrheit nicht. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus den erbrechtlichen Vorschriften. Soweit der Erbe nicht durch eine Auflage (§§ 2192 ff. BGB) gebunden ist, kann er über den Nachlass frei verfügen (§§ 1922 Abs. 1, 903 BGB). Sind Angehörige nicht zugleich auch Erben, fällt die Berechtigung hinsichtlich der kommer- 118 ziellen und ideellen Interessen auseinander. Wird in diesen Fällen durch eine Nutzung auch in die ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts eingegriffen, so bedarf es nach Meinung des BGH dafür der Zustimmung sowohl der Erben als auch der Angehörigen, wie dies etwa in § 22 Satz 3 KUG gesetzlich zum Ausdruck kommt. Wird eine ausdrückliche Zustimmung auch der Angehörigen verlangt, so ist dies vom Ergebnis her betrachtet weniger problematisch639. Bedarf es bei einem Auseinanderfallen der Berechtigung an den ideellen und jener an den 119 kommerziellen Interessen der Zustimmung der Angehörigen nicht, können diese nach Meinung des BGH gleichwohl gegen eine Verwendung von Persönlichkeitsmerkmalen einschreiten, durch die die ideellen Interessen des Verstorbenen tangiert werden. Gegen wen sich dieser Anspruch richtet (Erben oder Verwerter), sagt der BGH nicht. Eine Beschränkung auf die Erben dürfte jedoch auszuschließen sein. Richtigerweise wird den Angehörigen ein Anspruch auch unmittelbar gegen die Verwerter einzuräumen sein. Der BGH präzisiert auch nicht näher, in welchem Umfang in die ideellen Interessen des Verstorbenen eingegriffen sein muss, um den Angehörigen einen Abwehranspruch zu gewähren. Jedoch geht er erkennbar von einer niedrigeren Eingriffsschwelle aus als das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hält auch nach der Marlene Dietrich-Entscheidung des BGH an seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit dem Tod endet. Nach dem Tod eines Menschen können nur solche Eingriffe abgewehrt werden, die die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG verletzen640. In die Menschenwürde wird durch die üblichen Verwertungsarten zumeist jedoch nicht eingegriffen641. Damit können Angehörige i.d.R. von Erben gewählte Verwertungsarten allein mit dem Argument, der Verstorbene habe diese nicht gewollt oder vermutlich nicht gewollt, nicht abwehren. Der Verstorbene wird zum Dispositionsgut seiner Erben. Dies ist kaum mit der ideellen Natur der menschlichen Persönlichkeit zu vereinbaren. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Caroline von Monaco-Entscheidung642 darauf hingewiesen, dass der Privatsphärenschutz nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet ist. Besteht diese Einschränkung bereits zu Lebzeiten, ist sie nach dem Tode einer Person um so mehr zu beachten. Es erscheint daher fraglich, ob angesichts dieser divergierenden Rechtsprechung des BGH und des Bundesverfassungsgerichts die Kunstfigur eines eigenständigen Vermögensrechts der vermögenswerten Be639 Krit. zur Aufspaltung Götting, GRUR 2004, 801, 804. 640 BVerfG v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 594 – Willy Brandt-Gedächtnismünze; v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, AfP 2001, 295 = ZUM 2001, 584 = NJW 2001, 2957 – Kaisen. 641 Zum Schutzbereich vgl. BVerfG v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, AfP 2001, 295 = v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, ZUM 2001, 584 = NJW 2001, 2957 – Kaisen; krit. dazu Zacharias, NJW 2001, 2950; Pabst, NJW 2002, 999. 642 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, BVerfGE 101, 361 = MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023.
Burkhardt/Peifer 261
Kap. 5 Rz. 120
Wortberichterstattung – die Tatbestände
standteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Bestand haben kann. Der Gegensatz kann jedenfalls nicht durch den Hinweis auf einen unterschiedlichen Gehalt des verfassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber dem zivilrechtlichen aufgelöst werden. Der zivilrechtliche Schutz knüpft unmittelbar an die verfassungsrechtlichen Vorgaben an. Ist der Schutz eines Verstorbenen verfassungsrechtlich beschränkt, kann durch dessen zivilrechtliche Erweiterung in die ebenso verfassungsrechtlich geschützten Positionen Dritter eingegriffen werden. Dies gilt besonders für die Anerkennung von Zahlungsansprüchen durch die Rechtsprechung. Die Behauptung des BGH, es bedürfe der Anerkennung eines vererblichen Rechts zum Schutze der Persönlichkeit Verstorbener, ist jedenfalls ein Scheinargument. Bei einem Auseinanderfallen der kommerziellen und der ideellen Interessen wird dies offensichtlich. Der Schutz des Verstorbenen ist durch die Entscheidung des BGH nicht wirklich gestärkt. Es wird im Ergebnis nur eine rechtliche Grundlage für eine Einnahmequelle der Erben geschaffen. Dies ist abzulehnen. Zutreffend geht auch das OLG Hamm davon aus, dass ein umfassender Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts wie bei lebenden Personen nicht besteht643. 120
Um etwaige Auseinandersetzungen zwischen Erben und Angehörigen zu vermeiden, kann nur empfohlen werden, bereits zu Lebzeiten im Rahmen einer Verfügung von Todes wegen über Art und Umfang der Verwertung des Persönlichkeitsrechts zu bestimmen und die Ausübung des Rechts an die Zustimmung eines Testamentsverwalters zu binden. Liegen solche eindeutigen Verfügungen von Todes wegen nicht vor, ist Verwertern zu empfehlen, sich stets der Einwilligung sowohl der Erben als auch der Angehörigen zu versichern. Dies werden sie sich vermutlich teuer bezahlen lassen, weshalb die neue Rechtsprechung des BGH Verwertern nur wenig nutzen dürfte. Dieser Weg spielt neuerdings auch eine wachsende Rolle im Zusammenhang mit der Verwaltung digitaler Profildaten nach dem Tode des Betroffenen. Die Frage, ob E-Mail-Konten, Profildaten in Sozialen Netzwerken oder sonstige personenbezogenen Daten vererblich sind, wird künftig eine bedeutende Rolle spielen. Derzeit ist umstritten, ob solche digitalen Güter am Grundsatz der Universalsukzession teilhaben. Das Erbrecht des BGB beschränkt sich darauf, den materiellen Nachlass zu regeln, nur ausnahmsweise gibt es Regelungen etwa für persönliche Schriftstücke (§§ 2047 Abs. 2, 2373 Satz 2 BGB)644. Zum Teil wird empfohlen, materielle wie nicht-materielle Güter einem einheitlichen Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge zu unterwerfen645, zum Teil wird darauf verwiesen, dass nur materielle Gegenstände der Vererbung unterliegen646. Einen postmortalen Datenschutz insgesamt kennt das Datenschutzrecht nicht647. Die Praxis ist bereits mit ersten Fällen konfrontiert worden, in denen es um die Frage ging, ob das Benutzerkonto eines durch Suizid aus dem Leben geschiedenen 15-jährigen Mädchens dessen Eltern geöffnet werden muss. Das LG Berlin hat § 1922 BGB auch auf Verträge über digitalisierte Daten der Persönlichkeit angewendet und den Zugangsanspruch der Eltern im Ergebnis bejaht648. Das ist pragmatisch gedacht649, aber es ist noch nicht das letzte Wort, denn Erben und Angehörige sind nicht notwendig personenidentisch. Zudem kann es berechtigte Interessen des Verstorbenen geben, die einer Herausgabe der 643 644 645 646 647 648
OLG Hamm v. 5.10.2001 – 9 U 149/01, NJW 2002, 609. Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262, 263; Pruns, NWB 2013, 3161, 3166. Kutscher, Der digitale Nachlass, 2015, S. 115; Klas/Möhrke-Sobolewski, NJW 2015, 3473, 3478. Hoeren, NJW 2005, 2113, 2114 in Bezug auf E-Mails; Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446. Krit. Martini, JZ 2012, 1145. LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, MDR 2016, 165 = CR 2017, 122 = ITRB 2016, 103 = ZUM-RD 2016, 471; iE. ebenso zur Vererblichkeit des Nutzervertrages KG v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, CR 2017, 454; Kunz in Staudinger, § 1922 BGB Rz. 619 m.w.N. 649 Ebenso Herzog, NJW 2013, 3745.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 122 Kap. 5
Daten an mit ihm wenig verbundene Erben entgegenstehen können650. Das KG hat die Entscheidung des LG gleichwohl aufgehoben und ausgeführt, die Zugangseröffnung durch die Accountbetreiberin könne gegen das Fernmeldegeheimnis (§ 88 Abs. 3 TKG) verstoßen651. Diese Lösung schützt Interessen von Kommunikationspartnern der Verstorbenen, sie führt im Ergebnis allerdings auch dazu, dass die Daten beim Provider verbleiben, was dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entsprechen kann, aber nicht muss. Regelmäßig werden die Angehörigen, dazu zählen vor allem Ehe- und Lebenspartner, in der Lage sein, über persönliche Interessen des Verstorbenen Entscheidungen zu treffen. Daher sollte insoweit § 22 KUG analog angewendet werden. Die Praxis empfiehlt mit Nachdruck lebzeitige Regelungen der Frage, und zwar auch, weil es letztlich um Ansprüche geht, die gegenüber Providern durchgesetzt werden müssen652. Zur Wahrnehmung des dem Toten zustehenden nichtvererblichen Rechts sind in erster Li- 121 nie der vom Verstorbenen zu Lebzeiten Berufene und daneben die Angehörigen berechtigt653. Als Angehörige sind in Anlehnung an §§ 22 KUG, 77 Abs. 2 StGB jedenfalls der überlebende Ehegatte und die Kinder, auch Adoptivkinder, anzusehen654, ferner die Eltern, schließlich auch Geschwister (vgl. auch § 60 Abs. 3 UrhG); Lebenspartner nach bisherigem Recht stehen dem gleich (§ 11 Abs. 1 LPartG). Bei Partnern einer nichtehelichen und nicht eingetragenen Lebensgemeinschaft müsste man ebenso entscheiden, allerdings ist der Beweis der Gemeinschaft nicht immer einfach zu führen. Überdies ist zu erwägen, ein Wahrnehmungsrecht kraft besonderer Qualifikation anzuerkennen, namentlich wenn die Rechtsausübung spezielle Kenntnisse erfordert. Zu denken ist an den Assistenten eines Forschers, an den Sozius eines Anwaltes, an einen Berufsverband, dem der Verstorbene angehört hat, sowie an andere entsprechende Fälle655. Einer testamentarischen oder sonstigen Ermächtigung des Verstorbenen bedarf es zur Wahrnehmung des Rechtes nicht, weil die Rechtsverfolgung dann von dem Zufall abhinge, ob der Verstorbene von der Rechtsverletzung noch Kenntnis erlangt hat656. Hat aber der Verstorbene einen Willen zum Ausdruck gebracht, z.B. durch Erteilung einer über den Tod hinausgehenden (General-)Vollmacht, ist dieser zu respektieren657. Auch die Ermächtigung einer juristischen Person, z.B. einer Stiftung, durch den Wahrnehmungsberechtigten ist zulässig658. Da die vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Meinung 122 des BGH vererblich659 sind, ist Inhaber des Rechts der testamentarische oder gesetzliche
650 651 652 653 654 655 656 657 658 659
Vgl. Klas/Möhrke-Sobolewski, NJW 2015, 3473, 3476; Raude, RNotZ 2017, 17, 21. KG v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, CR 2017, 454, n.rkr., Revision anhängig unter III ZR 183/17. Deusch, ZEV 2014, 7; Biermann, ZErb 2017, 210. BGH v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, MDR 1989, 1076 = AfP 1989, 728 = NJW 1990, 1986, 1987 – Emil Nolde; v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, BGHZ 143, 214 = AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1773, 1775 – Mephisto; OLG München v. 28.7.1989 – 21 U 2754/88, AfP 1989, 747; OLG Köln v. 24.9.1998 – 15 U 122/98, AfP 1998, 647, AfP 1998, 647 – Adenauer. Koebel, NJW 1958, 936. BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1773, 1774 – Mephisto. OLG München v. 30.5.2001 – 21 U 1997/00, AfP 2001, 400. BGH v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, MDR 1989, 1076 = AfP 1989, 728 = NJW 1990, 1986, 1987 – Emil Nolde. BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, BGHZ 143, 214 = AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich.
Burkhardt/Peifer 263
Kap. 5 Rz. 123
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Erbe. Das KG Berlin660 musste sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die erbenden Eltern auf Basis ihres eigenen allgemeinen Persönlichkeitsrechtes Anspruch auf Zugang zum Facebook-Account ihres verstorbenen Kindes haben müssten und verneinte dies mit der Erwägung, dass der Wunsch nach Kenntnis über die Umstände und Hintergründe des Todes ihres Kindes sich nicht auf die die eigene Persönlichkeit konstituierenden Merkmale und Umstände beziehe. Ein Grundrecht auf Kenntnis aller Umstände und die Hintergründe von Ereignissen, die für die Persönlichkeitsentfaltung in irgendeiner Weise bedeutsam ist, wäre konturenlos damit nicht mehr handhabbar. 123
Nach Ablauf einer bestimmten Frist endet das Recht vollständig. Als Anknüpfungspunkt kommt die Zehn-Jahres-Frist des § 22 Satz 3 KUG in Betracht661, ferner die in § 83 Abs. 3 UrhG zur Rechtsverfolgung gegenüber Entstellungen der Darbietung eines ausübenden Künstlers vorgesehene 50-Jahres-Frist, schließlich die 70-Jahres-Frist des § 64 UrhG. In der Emil Nolde-Entscheidung äußerte der BGH, die Dauer des postmortalen Persönlichkeitsschutzes lasse sich nicht generell festlegen. Sie hänge von den Umständen des Einzelfalles ab. Dabei komme es neben der Intensität der Beeinträchtigung vor allem auf die Bekanntheit und Bedeutung des durch das (künstlerische) Schaffen geprägten Persönlichkeitsbildes an. Das Schutzbedürfnis schwinde in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasse und im Laufe der Zeit auch das Interesse an einer Nichtverfälschung des Lebenswerks abnehme662. Bei einem bildenden Künstler, der seiner Nachwelt ein bleibendes Werk hinterlässt, könne der Schutz noch Jahrzehnte nach dem Tod fortbestehen. Bei einem Maler, der – wie Emil Nolde – zu den namhaften Vertretern des deutschen Expressionismus zählt, sei auch rund drei Jahrzehnte nach dem Tod noch ein fortwirkendes Schutzbedürfnis anzuerkennen.
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Diese Auffassung berücksichtigt nicht genügend das Erfordernis der Rechtssicherheit. Die Schutzdauer muss für die Beteiligten berechenbar sein. Richtiger Auffassung nach sollte deswegen von einer festen postmortalen Schutzdauer von 30 Jahren, etwa die Dauer einer Generation663, ausgegangen werden. Auch im Entwurf eines Ehrenschutzgesetzes von 1959 waren 30 Jahre vorgesehen. Danach endet die Wahrnehmungsmöglichkeit unabhängig vom Zeitpunkt der beeinträchtigenden Handlung664. Auf das Verblassen der Erinnerung kann es entgegen der Meinung des BGH nicht angekommen. Andernfalls könnten etwaige Nachfahren Goethes auch heute noch Persönlichkeitsrechte ihres berühmten Vorfahren geltend machen665. Auszugehen ist vielmehr davon, dass ein Werk, dessen Schöpfer über eine Zeit von dreißig Jahren hinaus in der Erinnerung der Allgemeinheit fortlebt, zum Bestandteil des Kulturgutes geworden ist. Nach Ablauf einer dreißigjährigen Frist muss der persönlichkeitsrechtliche Schutz folglich ein Ende finden. Dies hätte einheitlich sowohl für die vom BGH angenommenen vermögenswerten Bestandteile wie auch die ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts gelten können. Für die vermögenswerten Bestandteile geht der BGH aber
660 KG v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZUM-RD 2017, 524, 539. 661 Vgl. BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, BGHZ 143, 214 = AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195, 2199 – Marlene Dietrich. 662 BGH v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, MDR 1989, 1076 = AfP 1989, 728 = NJW 1990, 1986, 1988; OLG Frankfurt v. 15.10.2009 – 16 U 39/09, AfP 2009, 612 = IPRB 2010, 53 = ZUM 2009, 952, 954. 663 Ebenso LG Hamburg v. 4.12.1992 – 324 O 404/92, AfP 1993, 595. 664 A.A. OLG Köln, v. 24.9.1998 – 15 U 122/98, AfP 1998, 647 – Adenauer. 665 Vgl. hierzu auch Schack, GRUR 1985, 352.
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Burkhardt/Peifer
II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 125 Kap. 5
mittlerweile von einer zehnjährigen Schutzdauer entsprechend § 22 Satz 3 KUG aus666. Das erhöht die Rechtssicherheit, hat aber ein Element von willkürlicher Festsetzung667. b) Juristische Personen An dem durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsbereich nimmt auch die juristi- 125 sche Person des Privatrechts teil, wenn auch nur in dem beschränkten Umfang, der sich aus ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und den ihr zugewiesenen Funktionen ergibt668. Ein Persönlichkeitsrecht juristischer Personen oder ein Unternehmenspersönlichkeitsrecht ist in der Literatur häufig gefordert worden669; in der Rechtsprechung taucht der Begriff des Unternehmenspersönlichkeitsrechts gelegentlich auf670. Der BGH spricht in jüngeren Entscheidungen, in denen Gewerbekritik gegenständlich ist, ganz offen von einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, auch wenn es um Verbände und Unternehmen geht671. Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob es ein solches Recht gibt oder von Verfassungs wegen geben müsste, bisher immer dahingestellt sein lassen672. Tatsächlich benötigt man das Recht nicht, denn Unternehmen sind in ihren Funktionsinteressen ausreichend grundrechtlich geschützt (Art. 19 Abs.3 GG)673; im Zivilrecht steht ihnen neben dem Schutz ihres Kredites (§ 824 BGB) das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zur Verteidigung ihrer Vermögensinteressen aus § 823 BGB zur Verfügung. Einen noch weitergehenden oder auf andere Grundlagen gestützten Schutz durch einen an Menschenwürde und Persönlichkeit anknüpfenden ideellen Schutz bedürften sie nicht. Die Zuerkennung eines solchen Schutzrechtes wäre auch nicht sachgemäß674. Es geht um die Abwehr von Handlungen, die bestimmte Vermögensinteressen an der Funktion einer juristischen Person, sei es ein Unternehmen oder ein Verein, beeinträchtigen. Mit dieser Modifikation ist es unzulässig, den im Bundesanzeiger veröffentlichen Jahresabschluss eines Unternehmens in nicht anonymisierter Form als Fallstudie für ein Seminar zu verwenden675. Dagegen haben Unternehmen auch polemische und überspitzte Kritik an ihren Leistungen und Produkten hinzunehmen, sofern dem ein sachbezogenes Anliegen zugrunde
666 BGH v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, BGHZ 169, 193 = AfP 2007, 42 = CR 2007, 101 = MDR 2007, 417 = ITRB 2007, 57 = GRUR 2007, 168 – kinski-klaus.de. 667 Krit. Heckmann, GRUR 2007, 170. 668 BVerfG v. 2.5.1967 – 1 BvR 578/63, NJW 1967, 1411; BGH v. 28.11.1969 – I ZR 139/67, NJW 1970, 378, 381. 669 Kraft, FS Hubmann, 1985, S. 201, 219; Quante, Persönlichkeitsrecht, 1999, S. 33; Born, AfP 2005, 110; Gostomzyk, NJW 2008, 2082; Koreng, GRUR 2010, 1065; Cronemeyer, AfP 2014, 111. 670 BVerwG v. 23.5.1989 – 7 C 2/87, AfP 1989, 789 = NJW 1989, 2272; OLG Hamburg v. 20.4.2007 – 7 U 143/06, AfP 2007, 146 = NJOZ 2007, 2695; v. 16.12.2008 – 7 U 49/08, NJW 2009, 1510; OLG Frankfurt v. 28.1.2015 – 6 W 4/15, MDR 2015, 532 = ZUM 2015, 509; OLG München v. 27.4.2015 – 18 W 591/15, CR 2015, 602 = K&R 2015, 502; OLG Köln v. 13.10.2016 – 15 U 189/15. 671 BGH v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, AfP 2016, 248 = CR 2016, 407 = MDR 2016, 391 = NJW 2016, 1584 Rz. 11 – Nerzquäler. 672 BVerfG v. 3.5.1994 – 1 BvR 737/94, NJW 1994, 1784; v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Gen-Milch. 673 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 1977, S. 120, 122; Kau, Funktionsschutz, 1989, S. 100. 674 Klippel, JZ 1988, 625, 630; Peifer, Individualität im Zivilrecht, S. 535. 675 BGH v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, MDR 1994, 991 = CR 1994, 396 = AfP 1994, 138 = NJW 1994, 1281 – Jahresabschluss.
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Kap. 5 Rz. 126
Wortberichterstattung – die Tatbestände
liegt und sofern Werturteile die Grenze der Schmähkritik nicht überschreiten676. Einschränkungen kann dieser Schutz allenfalls unterliegen, wenn die Kritik ohne Sachanlass oder eigennützig erfolgt, insb. durch Konkurrenten ausgeübt wird677 und dadurch immaterielle Vermögenswerte, wie etwa Marken, Kennzeichen oder Goodwill spürbar sowie mit nachteiliger Wirkung für Vermögensinteressen betroffen sind678. Unternehmen können überdies nachteilige unwahre Tatsachenbehauptungen, die ihren Kredit schädigen, abwehren679, auch wenn solche Behauptungen in Dokumentarsatiren680 oder in Spielfilmen enthalten sind681, allerdings muss die Unwahrheit einiges Gewicht haben682. Die betriebliche Sphäre von Unternehmen ist im Übrigen gegen körperlich wirkende Eingriffe, auch durch unerwünschte elektronische Nachrichten683, geschützt. Geschäftliche Gespräche dürfen nicht abgehört werden684, weil hierdurch in die Vertraulichkeit der Unternehmenskommunikation eingegriffen wird. Ihre Betriebsräume sind über Art. 13 GG gegen Durchsuchungen geschützt685. Ist eine Kommanditgesellschaft Eigentümerin einer Wohnung, genießt sie ebenfalls den Schutz nach Art. 13 GG686. 126
Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind in Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgabe keine Grundrechtsträger, soweit sie nicht den unmittelbar durch Grundrechte gewährleisteten Lebensbereichen zuzuordnen sind, wie es auf Rundfunkanstalten zutrifft687. Dementsprechend ist ein Persönlichkeitsschutz zu verneinen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind aber durch die Straftatbestände der §§ 185 ff. StGB geschützt688. Sie können auch einen auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB gestützten zivilrechtlichen Unterlassungs-
676 BGH v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, CR 2016, 407 = MDR 2016, 391 = AfP 2016, 248 – Nerzquäler; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = IPRB 2015, 78 = AfP 2015, 41 Rz. 18 – Hochleistungsmagnet; v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, NJW 2008, 2110 – Gen-Milch; OLG Frankfurt v. 28.1.2015 – 6 W 4/15, MDR 2015, 532 = ZUM 2015, 509. 677 BGH v. 31.3.2016 – I ZR 160/14, MDR 2016, 895 = AfP 2016, 440 – Im Immobiliensumpf. 678 Peifer, NJW 2016, 23, 24. 679 OLG München v. 27.4.2015 – 18 W 591/15, CR 2015, 602 = K&R 2015, 502; OLG Saarbrücken v. 27.1.2016 – 5 U 5/15, BeckRS 2016, 15985; OLG Köln v. 13.10.2016 – 15 U 189/15. 680 OLG Stuttgart v. 11.6.1975 – 4 U 142/74, NJW 1976, 628, 630 – Dokumentarsatire/Fall Siemens-Delius. 681 OLG Hamburg v. 10.4.2007 – 7 U 143/06, AfP 2007, 146 = NJOZ 2007, 2695 – Contergan. 682 OLG Hamburg v. 16.12.2008 – 7 U 49/08, NJW 2009, 1510. 683 BGH v. 12.9.2013 – I ZR 208/12, MDR 2014, 45 = CR 2013, 797 m. Anm. Schirmbacher = ITRB 2014, 27 = IPRB 2013, 267 = GRUR 2013, 1259; v. 20.5.2009 – I ZR 218/07, AfP 2009, 493 = CR 2009, 733 = MDR 2009, 1234 = ITRB 2010, 56 = NJW 2009, 2958. 684 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, AfP 2004, 72 = NJW 2002, 3619, 3621 – mitgehörtes Telefonat. 685 BVerfG v. 16.6.1987 – 1 BvR 1202/84, MDR 1987, 903 = NJW 1987, 2499. 686 BVerfG v. 16.6.1987 – 1 BvR 1202/84, MDR 1987, 903 = NJW 1976, 1735. 687 Std. Rspr. u.a. BVerfG v. 2.5.1967 – 1 BvR 578/63, NJW 1967, 1411; v. 27.3.1979 – 2 BvR 1011/78, NJW 1979, 1875. 688 BVerfG v. 7.3.1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87, MDR 1990, 685 = NJW 1990, 1982; v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3304; BGH v. 2.6.1956 – 4 StR 171/56, BGHSt 9, 230 = NJW 1956, 1367; v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 = AfP 2008, 381 = MDR 2008, 916 = NJW 2008, 2262 – Fall Cicero/BKA m. Anm. Specht/Riemenschneider, ZUM 2013, 929; v. 2.12.2008 – VI ZR 219/06, AfP 2009, 55 = ITRB 2009, 128 = NJW 2009, 915; KG v. 12.1.2010 – 9 W 259/09, AfP 2010, 85; LG Hamburg v. 31.10.2011 – 324 O 492/11, AfP 2012, 289; v. 21.1.2011 – 324 O 274/10, ZUM-RD 2011, 511.
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II. Persönlichkeitsrecht
Rz. 127 Kap. 5
anspruch geltend machen689. Dieser Schutz richtet sich auch auf die Abwehr unwahrer Tatsachenbehauptungen, welche das Vertrauen und die Funktionsfähigkeit der Behörde beeinträchtigen, denn auch in solchen Fällen ist § 823 Abs. 2 BGB mit den §§ 185 ff. StGB anwendbar690 Der Bundesrepublik und den Bundesländern steht weder ein persönlichkeitsrechtlicher noch ein sonstiger zivilrechtlich einklagbarer Ehrenschutz zur Seite. Der Ehrenschutz bleibt auf die Straftatbestände des § 90a und § 90b StGB beschränkt, die nicht etwa als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sind691. Bedenklich ist insofern die Entscheidung des LG Hamburg692, das der Bundesrepublik jedenfalls bei besonders gravierenden Einzelfällen, in denen bei vergleichbarem Vorwurf einer natürlichen Person eine ganz beträchtliche Geldentschädigung zuzusprechen wäre, sogar einen Richtigstellungsanspruch zuerkennen will (im konkreten Fall jedoch verneint). c) Sonstige Personengemeinschaften Dass die Rechtsfähigkeit693 keine unbedingte Schutzvoraussetzung ist, folgt schon daraus, 127 dass es insb. bei einer Handelsgesellschaft eine bloße Zweckmäßigkeitsfrage ist, ob sie als Kapital- oder als Personalgesellschaft organisiert wird. Auch der OHG und der KG ist deswegen Persönlichkeitsschutz zuzubilligen694. Entsprechendes gilt für Vereine, politische Parteien695 und gemeinnützige Stiftungen bürgerlichen Rechts (Koordinierungsstelle für postmortale Organspenden), bei denen es nicht um den Schutz von Vermögensinteressen im eigentliche Sinne geht, wohl aber um das berufliche Vertrauen und die Reputation, welche diese Einheiten benötigen, um ihren Auftrag zu erfüllen696. Der Persönlichkeitsschutz eines Vereins oder auch einer Gewerkschaft kann nicht schon an der fehlenden Eintragung scheitern697. Voraussetzung für die Schutzwürdigkeit ist, dass die Gemeinschaft oder der Verband eine anerkannte gesellschaftliche oder sonstige wirtschaftliche Aufgabe bzw. soziale Funktion erfüllt und einen einheitlichen Willen bilden kann698. Dafür ist nicht erforderlich, dass die Gemeinschaft eine besonders hervorgehobene oder vom sittlichen Standpunkt aus wertvolle Funktion erfüllt. Ausreichend ist, dass die Vereinigung gemäß ihrer Satzung rechtlich zulässig ist699.
689 BGH v. 16.11.1982 – IV ZR 122/80, NJW 1983, 1183 – Vetternwirtschaft; vgl. auch BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607 – Bundesbahnplanungsvorhaben. 690 BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 = MDR 2008, 916 = AfP 2008, 381 Tz. 11 – Fall Cicero/BKA. 691 LG Wiesbaden v. 14.2.1979 – 5 O 392/78, AfP 1979, 327; LG Hamburg v. 17.5.2002 – 342 O 780/01, AfP 2002, 450. 692 LG Hamburg v. 17.5.2002 – 342 O 780/01, AfP 2002, 450. 693 Zur Beleidigungsfähigkeit von Personengesamtheiten vgl. auch OLG Düsseldorf v. 30.4.1981 – 5 Ss 142/81, JMBl. NRW 1981, 322 = MDR 1981, 868 (Beamte der Schutzpolizei und Kriminalpolizei) und OLG Hamm v. 15.7.1981 – 2 Ss 920/81, JMBl. NRW 1982, 22 – Bezeichnung von Polizeibeamten als „Bulle“ einerseits und KG v. 18.8.1983 – 4 Ss 100/83, JR 1984, 165 andererseits. 694 Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1976, 628, 630 – Dokumentarsatire. 695 OLG Köln v. 17.12.1985 – 15 U 263/85, AfP 1986, 7 = NJW 1987, 1415; OLG Stuttgart v. 29.5.2013 – 4 U 163/12, NJW-RR 2014, 487. 696 BGH v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, MDR 2016, 648 = NJW-RR 2017, 98. 697 BGH v. 18.5.1971 – VI ZR 220/69, NJW 1971, 1655 – Sabotage. 698 BGH v. 8.1.1954 – 1 StR 260/53, BGHSt 6, 186. 699 OLG Stuttgart v. 25.11.1993 – 4 U 149/92, NJW-RR 1993, 733 – Scientology.
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Kap. 5 Rz. 128
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III. Recht am Unternehmen Schrifttum: Gieseke, Recht am Unternehmen und Schutz des Unternehmens, GRUR 1950, 298; Lingenberg, Kreditschutzlisten als unzulässiger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, NJW 1954, 449; Schippel, Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, 1956; Völp, Probleme des Rechts am Gewerbebetrieb, WuW 1956, 31; Fabricius, Zur Dogmatik des „sonstigen Rechts“, AcP 160, 273; Puttfarcken, Der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs bei freien Berufen, GRUR 1962, 500; Schock, Der Eigentumsschutz gewerblicher Rechtspositionen in der Rechtsprechung des BGH, BB 1963, 1227; Ettner, Die Abwehr betriebsschädigender Publikationen unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, DB 1963, 367; Uhlitz, Gewerbeschädigende Werturteile, NJW 1966, 2097; Fikentscher, Das Recht am Gewerbebetrieb als „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 in der Rechtsprechung des RG und des BGH, FS Kronstein, 1967, 261; NeumannDuesberg, Korrektur des Unmittelbarkeitsbegriffs beim Eingriff in den Gewerbebetrieb, NJW 1968, 1990; Buchner, Die Bedeutung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für den deliktsrechtlichen Unternehmensschutz, 1971; Badura, Der Eigentumsschutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs, AöR 98, 1973, 153; Neumann-Duesberg, Zum Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, NJW 1972, 133; Buchner, Konsolidierung des deliktsrechtlichen Unternehmensschutzes, DB 1979, 1069; Löwisch/Meyer/Rudolph, Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in der Rechtsprechung des BGH und des BAG, JuS 1982, 237; Mathy/Wendt, Der Westfälische Friede und die Pressefreiheit – Über die rechtlichen Grenzen der Gastronomiekritik, AfP 1982, 144; Brinkmann, Der äußerungsrechtliche Unternehmensschutz der Rechtsprechung des BGH, GRUR 1988, 516; Ricker, Unternehmensschutz und Pressefreiheit, 1989; Waschull, Das Unternehmen im engeren Sinne als verfassungsrechtliches Eigentum, 1999; Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001; Koppe/Zegouras, Haftung für Produktkritik, GRUR 2005, 1011; Rohnke/Bott/Jonas/Asschenfeldt, Konflikte zwischen Markenrechten und dem Recht auf freie Meinungsäußerung, GRUR-Int. 2005, 419; Schaub, Äußerungsfreiheit und Haftung, JZ 2007, 548; Sack, Das Recht am Gewerbebetrieb, 2007; Gostomzyk, Äußerungsrechtliche Grenzen des Unternehmenspersönlichkeitsrechts, NJW 2008, 2082; Degenhart, Testberichte und Werbebeschränkungen im Recht der Arzneimittel: Äußerungsfreiheit, Recht am Unternehmen und Gesundheitsschutz, PharmR 2010, 261; Koreng, Das „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ als Element des gewerblichen Reputationsschutzes, GRUR 2010, 1065; Lamprich/Sander, Von streikenden Fluglotsen, Vorfeldmitarbeitern und Schleusenwärtern – wenn Gewerkschaften Dritte instrumentalisieren, NZA 2014, 337; Peifer, Auskunftsansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen – Zwischen effektiver Rechtsdurchsetzung und anonymer Meinungsäußerung, NJW 2014, 3067; Ziegelmayer, Vergessen Sie uns bitte! – Neue rechtliche Instrumente zum Reputationsschutz von Unternehmen im Netz, CR 2014, 659; Scharff, Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter bei Arbeitskampfmaßnahmen, BB 2015, 1845; Höch, Bewegung bei Bewertungsportalen – wie Unternehmen ihren Ruf im Netz besser schützen können, BB 2016, 1475; Sakowski, Unternehmen in der Kritik – Die Grenzen der Meinungsfreiheit im wirtschaftlichen Kontext, WRP 2017, 138; s. auch Schrifttumshinweise vor Rz. 113.
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Die Bedeutung des Rechts am Unternehmen für das Äußerungsrecht hat im Laufe der Jahrzehnte Schwankungen unterlegen. Das RG hat den Schutz anfänglich nur bei einem Eingriff unmittelbar gegen den Bestand des Unternehmens gewährt700. Damit konnte das Recht am Unternehmen bei unberechtigten Schutzrechtsverwarnungen eine Bedeutung erlangen701, die es bis heute nicht verloren hat702. Wenn es nicht um die mit einer Verwarnung geltend gemachte Unterlassungsforderung, sondern lediglich um in sonstiger Weise beeinträchtigende Äußerungen ging, galt das Recht am Unternehmen nicht als verletzt. Das war erst der Fall, 700 RG v. 27.4.1904 – I 418/03, RGZ 58, 24. 701 RG v. 8.7.1933 – I 95/33, RGZ 141, 336. 702 Vgl. dazu BGH v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, MDR 2006, 280 = GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; Deutsch, WRP 1999, 25; Sack, NJW 2009, 1642.
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III. Recht am Unternehmen
Rz. 128 Kap. 5
nachdem die Voraussetzung des Eingriffs in den Unternehmensbestand gelockert worden war703. Die Auffassung, § 823 Abs. 1 BGB setze allgemein einen gegen den Bestand des Betriebes gerichteten Angriff voraus, hat das RG endgültig mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 1941704 aufgegeben. Damit war der Constanze-Entscheidung vom 26.10.1951 der Weg geebnet705, nach der das Recht am Unternehmen auch dessen Ausstrahlungen, also die Beziehungen zu Kunden usw., erfasst, weswegen es auch durch gewerbestörende Werturteile verletzt werden könne. Fortan erschien nahezu jede Negativdarstellung gewerblicher Leistungen als unzulässiger Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Darüber ist § 824 BGB zeitweilig nahezu in Vergessenheit geraten. Einen ganz grundsätzlichen Umschwung hat die Höllenfeuer-Entscheidung vom 21.6.1966 zur Folge gehabt706, nach der kritische Urteile über gewerbliche Leistungen zwar einen Eingriff in das Unternehmensrecht bedeuten, die Rechtswidrigkeit aber erst auf Grund einer Güter- und Pflichtenabwägung festgestellt werden könne. In der Folgezeit wurde diese Abwägung zwar regelmäßig durchgeführt. Das Ergebnis pflegte aber stets das gleiche zu sein, nämlich die Feststellung des Fehlens der Rechtswidrigkeit. Die Folge war, dass gegen Gewerbekritik mit Aussicht auf Erfolg praktisch nur noch unter den Voraussetzungen des § 824 BGB vorgegangen werden konnte. Danach hat das Pendel etwas zurückgeschlagen, so dass eine ganze Reihe von Entscheidungen folgte, bei denen die Abwägung zur Unzulässigkeit geführt hat. Mit seiner Entscheidung vom 25.1.1984 im Wallraff-Fall hat das Bundesverfassungsgericht diese neuerliche Trendwende unterstützt707. Darin deutet das Bundesverfassungsgericht sogar die Möglichkeit an, das Recht am Unternehmen könnte von der Gewährleistung der Eigentumsgarantie umfasst sein708, ohne diesen Schritt aber bisher zu gehen709. Bisher wird das Recht nur auf Art. 12 Abs. 1 GG gestützt710. Damit hat das Recht am Unternehmen für den Bereich des Äußerungsrechts eine, wenn auch vielleicht nur bescheidene, Attraktivität zurückerobert. Das Recht am Unternehmen ist ein „Auffangtatbestand“, der ansehensmindernde Werturteile gegen Unternehmen und Verbände erfasst, soweit diese nicht durch Konkurrenten erfolgen. Die Abwehr unwahrer kreditgefährdender Tatsachenbehauptungen erfolgt über § 824 BGB711. Sofern beide Äußerungen durch Konkurrenten im geschäftlichen Verkehr erfolgen, ist § 4 Nr. 2 UWG vorrangig vor § 824 BGB und § 4 Nr. 1 UWG vorrangig vor § 823 Abs. 1 BGB zu prüfen. Daneben behält § 823 Abs. 1 BGB seine traditionelle Rolle zur Abwehr von unberechtigten Schutzrechtsberühmungen, Boykotten oder körperlichen Eingriffen in die Substanz des Gewerbebetriebs, die im geschäftlichen Verkehr unter Konkurrenten wiederum vorrangig durch § 4 Nr. 4 UWG erfasst werden712. 703 704 705 706 707 708 709 710 711 712
RG v. 19.11.1938, II 69/38, JW 1939, 484; v. 17.2.1940 – II 107/59, GRUR 1940, 375, 378. RG v. 3.10.1941 – I 32/41, GRUR 1942, 54. BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51, BGHZ 3, 270 = NJW 1952, 660. BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617. BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741 – Der Aufmacher. Dafür in Ansätzen BVerwG v. 16.9.2004 – 3 C 35/03, BVerwGE 121, 382 = NVwZ 2005, 337, 339. Offengelassen in BVerfG v. 31.10.1984 – 1 BvR 35/82, 1 BvR 356/82, 1 BvR 794/82, BVerfGE 68, 193, 223 = MDR 1985, 818; v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 Rz. 25 – GenMilch. BVerfG v. 8.5.2007 – 1 BvR 193/05, NJW 2008, 358, 359; v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 Rz. 25. BGH v. 22.2.2011 – VI ZR 120/10, MDR 2011, 598 = AfP 2011, 259; Peifer, NJW 2014, 3067, 3068. Dazu Peifer in Großkommentar UWG, 2. Aufl. 2013, zum vormaligen § 4 Nr. 10 UWG Rz. 50.
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Wortberichterstattung – die Tatbestände
1. Anerkennung des Rechts am Unternehmen a) Rechtsprechung des RG 129
Das RG hat bereits alsbald nach seiner Gründung einen spezifischen Unternehmensschutz entwickelt. So hat es in einer eine Buchhändler-Boykottaufforderung betreffenden Entscheidung von 1890 ausgesprochen713, jeder Gewerbetreibende habe Anspruch auf Wahrung des Ansehens seines individuellen Geschäftsbetriebes, und zwar wegen der erforderlichen Achtung der Person und des Ansehens des individuellen Geschäftsbetriebes. Den Ausgangspunkt des heutigen Rechts am Unternehmen bilden also persönlichkeitsrechtliche Erwägungen. Die gesetzgeberische Ablehnung des Persönlichkeitsschutzes bei Einführung des BGB hat aber nach 1900 zu einer dem Eigentums- und Vermögensschutz angenäherten neuen Begründung geführt, welche die Rechtsähnlichkeit des Rechts am Unternehmen mit dem Eigentum betont. Besonders deutlich kommt das in einer Entscheidung vom 27.2.1904 zum Ausdruck714, nach der Störungen und Beeinträchtigungen, die sich unmittelbar gegen den Gewerbebetrieb richten, als eine unter § 823 Abs. 1 BGB fallende Rechtsverletzung anzusehen seien, weil es sich bei den bestehenden selbständigen Gewerbebetrieben nicht bloß um die Willensbetätigung des Gewerbetreibenden handle, sondern der Wille im Gewerbebetrieb seine gegenständliche Verkörperung gefunden habe, die die feste Grundlage für die Annahme eines subjektiven Rechtes bilde. Dieser neue Bezugspunkt führte zwangsläufig zu einer strengen Trennung zwischen Personen, die Inhaber eines Gewerbebetriebes waren, und solchen, auf die das nicht zutraf. Folgerichtig ist die Klage eines Arbeitnehmers gegen rufbeeinträchtigende Äußerungen mit der Begründung abgewiesen worden, die freie Betätigung der Arbeitskraft „von Seiten gewerblicher Arbeiter zu künftigem Erwerb“ sei kein „wohlerworbenes Recht“ und demzufolge nicht wie ein Gewerbebetrieb schutzfähig715. b) Anfängliche Rechtsprechung des BGH
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Den Ausgangspunkt der Nachkriegsrechtsprechung zum Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und zum Äußerungsrecht überhaupt bildet die Constanze-Entscheidung716. Sie betrifft den Artikel „Die Lesemappe des P-Ringes in jede Familie“, der in einer Dekanatsbeilage zu einem Kirchenblatt verbreitet worden war und in dem es hieß, die Frauenzeitschrift C. sei eine „Blüte aus dem Sumpf der fragwürdigen Kulturerzeugnisse nach Art der Magazine“. Mit dem Empfang vergesse der christliche Leser, was er der Ehre seiner Frau und Tochter schuldig sei. Das LG und das OLG hatten die gegen diese Behauptungen gerichtete Klage abgewiesen. Der BGH hat den Rechtsstreit zurückverwiesen.
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Zur Begründung führt der BGH aus, abgesehen von der Frage des Eingreifens des Wettbewerbsrechts sei davon auszugehen, dass auch Äußerungen, die keinen Beleidigungstatbestand erfüllen, aber die Verhältnisse eines gewerblichen Unternehmens, seine Erzeugnisse oder Leistungen herabsetzen und damit störend in die freie gewerbliche Entfaltung des Unternehmers eingreifen würden, einen unmittelbaren Eingriff in das nach § 823 Abs. 1 BGB geschützte Recht an der Ausübung eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes darstellten. Da § 824 BGB und § 14 UWG 1909 (= § 4 Nr. 2 UWG 2015) Ansprüche nur bei unrichtigen Tatsachenbehauptungen gewährten, sei der Rechtsschutz bei schädigenden Werturteilen, die nicht den Makel der Sittenwidrigkeit tragen, unvollkommen. Das RG habe 713 714 715 716
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RG v. 25.6.1890 – I 96/90, RGZ 28, 238, 249. RG v. 27.2.1904 – I 418/03, RGZ 58, 24. RG v. 29.5.1902 – VI 50/02, RGZ 51, 369, 372. BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51, NJW 1952, 660.
Burkhardt/Peifer
III. Recht am Unternehmen
Rz. 133 Kap. 5
zwar zunächst einen Eingriff unmittelbar gegen den Bestand des Gewerbebetriebes verlangt717. Später sei aber das RG auf dem Gebiet des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts weitergegangen und habe für den Unterlassungsanspruch jede widerrechtliche Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung für ausreichend erachtet, wenn sie einen unmittelbaren Eingriff in den Bereich des Gewerbebetriebes dargestellt habe718. Für eine Beschränkung dieses weiterreichenden Schutzes auf das Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes bestehe kein sachlicher Grund. So wie das Eigentum nicht nur in seinem Bestand, sondern auch in seinen einzelnen Ausstrahlungen vor unmittelbaren Eingriffen geschützt sei, müsse auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht nur in seinem eigentlichen Bestand, sondern ebenso in seinen einzelnen Erscheinungsformen, wozu der gesamte gewerbliche Tätigkeitskreis zu rechnen sei, vor unmittelbaren Störungen bewahrt bleiben. Auch die kritische Äußerung sei ein unmittelbarer Eingriff in das Recht einer störungsfreien 132 Entfaltung des gewerblichen Tätigkeitskreises. Nicht rechtswidrig sei dieser Eingriff nur bei Eingreifen eines besonderen Rechtfertigungsgrundes. Gewerbestörende Werturteile, die den Boden der sachlichen Kritik verlassen, seien aber der Widerrechtlichkeit nur entkleidet, wenn sie nach Inhalt, Form und Begleitumständen zur Wahrnehmung rechtlich gebilligter Interessen objektiv erforderlich seien. Die Erforderlichkeit und damit die Grenze der Äußerungsfreiheit sei nach dem Grundsatz der Güter- und Pflichtenabwägung zu ziehen. Durch den Eingriff in ein fremdes Rechtsgut könnten aber berechtigte Interessen nur wahrgenommen werden, wenn das kleinste Rechtsübel, das schonendste Mittel gewählt werde. Mit den streitigen Äußerungen sei im konkreten Fall diese Grenze überschritten worden. Es liege ein Übermaß des Eingriffes und ein unnötiger Exzess vor. Mit dieser Entwicklung wurde der Gesichtspunkt der Sachlichkeit und Mäßigung zu einem tragenden Gesichtspunkt bei der Beurteilung gewerbekritischer Äußerungen. Der Gesichtspunkt spielt in stark abgemildeter Form bis heute eine Rolle und sorgt noch dafür, dass jedenfalls Gewerbetreibende bei wechselseitiger Kritik größeren Einschränkungen unterliegen als Medienunternehmen, ideelle Vereinigungen oder Verbraucher, die Unternehmen kritisieren. Die mit der Constanze-Entscheidung begründete Rechtsprechung hat der BGH zunächst 133 fortgesetzt. Z.B. hat er die Empfehlung als unzulässig bezeichnet, vor Aufnahme von Geschäftsbeziehungen mit einem Unternehmen bei einem Verband Rücksprache zu halten719. Auch die Verbreitung wahrer Tatsachen über einen Kaufmann hat er als unzulässig angesehen720, wenn sie einen ungünstigen Schluss auf seine Kreditwürdigkeit zulassen könnten und die Konkurrenzinteressen nicht gewissenhaft gegeneinander abgewogen worden seien. Die Verbreitung der Tatsache eines gestellten Konkursantrages ist gleichfalls als unzulässig bezeichnet worden721. Diese Rechtsprechung ist heute überholt. An zutreffenden Informationen hat der Markt ein berechtigtes Interesse722, sie sind allenfalls unzulässig, wenn sie aus der Geheim- oder Vertraulichkeitssphäre des Unternehmens stammen723. 717 RG v. 17.2.1921 – VI 473/20, RGZ 101, 335, 337; RG v. 28.10.1929 – VI 1/29, RGZ 126, 93, 96. 718 RG v. 19.11.1938 – II 69/38, RGZ 158, 377; RG v. 17.1.1940 – II 82/39, RGZ 163, 21; v. 17.2.1940 – II 107/39 GRUR 1940, 375; v. 3.10.1941 – I 32/41, GRUR 1942, 54; v. 1.4.1942 – II 124/41, GRUR 1942, 365. 719 BGH v. 24.5.1955 – I ZR 138/53, GRUR 1956, 212 – Wirtschaftsarchiv. 720 BGH v. 28.11.1952 – I ZR 21/52, NJW 1953, 297 – Kreditschutzlisten. 721 BGH v. 3.10.1961 – VI ZR 242/60, BGHZ 35, 18 = JZ 1962, 94. 722 BVerfG v. 28.7.2004 – 1 BvR 2566/95, NJW-RR 2004, 1710, 1711. 723 BGH v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, AfP 2006, 150 = MDR 2006, 940 = NJW 2006, 830.
Burkhardt/Peifer 271
Kap. 5 Rz. 134 134
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Gegen die Ausweitung des Unternehmensschutzes sind bereits früher kritische Stimmen laut geworden724. Die Instanzgerichte sind der Rechtsprechung des BGH allerdings zunächst gefolgt725. Selbst die Behauptung, die Zeitschrift DM werde in Stuttgart „fabriziert“, ist als abwertend untersagt worden726. c) Neuere Rechtsprechung des BGH
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Bereits in der Waffenhandel-Entscheidung hat der BGH Bedenken angemeldet727, ob eine gewerbeschädigende Kritik nur gerechtfertigt sei, wenn der Kritiker das mildeste Mittel angewendet hat. Die Wende hat der BGH erst mit der Höllenfeuer-Entscheidung vom 21.6.1966 vollzogen728. In diesem Fall ging es um Behauptungen über die Zeitschrift „Stern“, wie z.B. dass der von ihm verwendete Titel „Brennt in der Hölle wirklich ein Feuer?“ eine „auf Dummenfang abzielende Überschrift gewesen“ sei. Dieser Aufsatz enthalte „unglaublich dreiste theologisch und kirchenrechtlich falsche Thesen“. Man täte dem „Stern“ „zu viel Ehre an, von ihm eine fundierte Meinung in religiösen und politischen Fragen zu erwarten – sein Maßstab ist die Straße. Ihr unterwirft sich die auflagenstärkste deutsche Illustrierte seit Jahren.“
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Mit Recht führt der BGH aus, die entscheidende Frage sei, ob diese abfällige Kritik die gewerbliche Betätigung in einer unstatthaften Weise beeinträchtigt. Dazu führt er aus, das Recht am Unternehmen sei lediglich ein Auffangtatbestand. Ebenso wie beim Persönlichkeitsrecht werde auch beim Recht am Unternehmen die Rechtswidrigkeit durch die Tatbestandsmäßigkeit nicht in jedem Falle indiziert. Vielmehr sei angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts729 davon auszugehen, dass die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede streite, wenn es um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten geht. Dem liege die Vorstellung zugrunde, dass der mündige und zum eigenen Urteil im Kampf der Meinungen aufgerufene Bürger in der freiheitlichen Demokratie selbst fähig sei, zu erkennen, was von einer Kritik zu halten ist, die auf eine Begründung verzichtet und in hämisch-ironischer oder schimpfendpolternder Art die Gegenmeinung angreift. Gegenüber diesem Wagnis der Freiheit sei hinzunehmen, dass das Recht dem Betroffenen nicht gegenüber jeder unangemessen scharfen Meinungsäußerung Schutz gewährt. Rechtsschutzbeschränkungen seien besonders dann zu vertreten, wenn es dem Kritiker darum geht, einen Angriff abzuwehren, den er seinerseits als unangemessen oder anstößig empfinden konnte.
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Mit dieser Entscheidung hat der BGH das Recht am Unternehmen für sich betrachtet unberührt gelassen. Wie er durch Folgeentscheidungen weiter verdeutlicht hat, geht er jetzt aber davon aus, dass die Rechtswidrigkeit erst auf Grund einer Güter- und Pflichtenabwägung festgestellt werden kann730. Der BGH begreift das Recht am Unternehmen als offenen Tatbestand. Seinen Inhalt und Umfang habe der Richter von Fall zu Fall auf Grund der jewei724 U.a. Lehmann, MDR 1952, 297; Deutsch, JZ 1963, 385; Schultz, NJW 1963, 1801. 725 OLG Hamburg v. 6.5.1959 – 3 U 219/58, NJW 1959, 1784 – Stern; OLG Stuttgart, NJW 1964, 48 – Fiat Europa I; v. 12.9.1963 – 2 W 55/63, NJW 1964, 595 – Fiat Europa II; OLG München v. 16.1.1964 – 6 U 1647/63, BB 1964, 325 – Arzberger. 726 OLG Stuttgart v. 28.11.1962 – 4 U 134/62, JZ 1963, 259. 727 BGH v. 24.10.1961 – VI ZR 204/60, NJW 1962, 32. 728 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617. 729 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, BVerfGE 7, 198 – Lüth und v. 25.1.1961 – 1 BvR 9/57, BVerfGE 12, 113 – Schmid. 730 So insb. BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620 – Stiftung Warentest; v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 = NJW 2008, 2110 Rz. 10.
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Burkhardt/Peifer
III. Recht am Unternehmen
Rz. 139 Kap. 5
ligen Spannungslage zu ermitteln, in der die Interessen des Unternehmens im Konflikt mit den Interessen Anderer stehen731. Grundsätzlich ist das richtig. Das Bundesverfassungsgericht hat aber auf die Aufgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufmerksam gemacht, Lücken im Rechtsschutz zu schließen und unter Berücksichtigung der Bedeutung der Grundrechte Grundsätze zu entwickeln, die die Entscheidung des Einzelfalles normativ zu leiten imstande sind. Das, was das Gesetz offen lässt, ist durch Richterrecht auszufüllen732. Im Sinne dieser verfassungsgerichtlichen Mahnung soll nachfolgend ein Literaturbeitrag zur Ausformung des Unternehmensrechts versucht werden. d) Stellungnahme Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb hat seine Berechtigung, weil 138 Unternehmen Beeinträchtigungen ausgesetzt sein können, die über den sonstigen Eigentumsund Rechsgüterschutz nicht immer erfassbar sind733. Richtiger Auffassung nach hat aber der spezielle Unternehmensschutz seinen Sinn nur bei Eingriffen, die ein Unternehmen oder einen Verband voraussetzen, dazu gehören unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen, Aufforderungen zu rechtswidrigen Streiks oder Blockaden734. Geht es nicht hierum, sondern um einen durch Äußerungen erfolgenden Angriff auf den wirtschaftlichen Ruf, ist der Rückgriff auf das Recht am Unternehmen problematisch und gelegentlich auch gegenüber dem vorrangig anzuwendenden UWG sowie gegenüber § 824 BGB entbehrlich. Seinen wirtschaftlichen Ruf hat jeder zu verteidigen. Wird in Fällen dieser Art kein Persön- 139 lichkeitsrecht des Unternehmens, sondern der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb herangezogen, so führt dies nicht zwangsläufig zu unterschiedlichen Ergebnissen. Insb. genießt der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb keinen Sonderstatus und er bedeutet keinesfalls, dass sich ein Unternehmer in stärkerem Maße gegen beeinträchtigende Darstellungen zur Wehr setzen kann als ein Arbeitnehmer, dem lediglich, wie das RG formuliert hat735, seine Arbeitskraft zu künftigem Erwerb zur Seite stehe, die anders als ein Gewerbebetrieb jedoch kein wohlerworbenes Recht sei. Das Unternehmensinteresse an der Abwehr von Kritik ist ein vermögensbezogenes, das der Person häufig ein ideelles. Vermögensinteressen hat das BGB stets geschützt, wenn es um die Abwehr kreditschädigender unwahrer Tatsachenbehauptungen geht. Dann nämlich gilt § 824 BGB und man benötigt weder ein ein Recht am Gewerbebetrieb noch ein Unternehmenspersönlichkeitsrecht. Das Recht am Gewerbebetrieb spielt vor allem bei der Abwehr von kritischen Werturteilen eine Rolle. Soweit solche Werturteile die Marktbeziehungen des Unternehmens stören oder die Funktionsfähigkeit von Verbänden beeinträchtigen, kann unter dem Blickwinkel des Funktionsschutzes über Art. 19 731 BVerfG v. 28.7.2004 – 1 BvR 2566/95, NJW-RR 2004, 1710, 1711; BGH v. 20.1.1983 – VI ZR 162/79, NJW 1981, 1089 – Der Aufmacher I; v. 21.4.1998 – VI ZR 196/97, MDR 1998, 841 = NJW 1998, 2141, 2143 – Appartementanlage; BGH v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, AfP 2009, 137 = CR 2009, 457 = NJW 2009, 1872. 732 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741, 1743 – Der Aufmacher. 733 Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001, S. 490; a.A. und für eine Aufgabe des Rechts und Integration in die UWG-Normen Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II, 13. Aufl. 1994, § 81 II 2, S. 545; § 81 IV, S. 560; Sack, Das Recht am Gewerbebetrieb, 2007, S. 142. 734 Vgl. BGH v. 31.1.1978 – VI ZR 32/77, NJW 1978, 816, 817; v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, MDR 1984, 216 = NJW 1984, 607, 609; BAG v. 20.12.1963 – 1 AZR 157/63, BAGE 15, 211 = NJW 1964, 1291; v. 21.10.1969 – 1 AZR 93/68, BAGE 22, 162 = NJW 1970, 486. 735 RG v. 29.5.1902 – VI 50/02, RGZ 51, 369, 372.
Burkhardt/Peifer 273
Kap. 5 Rz. 139a
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Abs. 3 GG auch juristischen Personen, Handelsgesellschaften und Verbänden ein Schutz ihrer Entfaltungsfreiheit zukommen. In diesem Bereich hat das Recht am Gewerbebetrieb gemäß § 823 Abs. 1 BGB seine Bedeutung. 139a
Dass das RG nach Inkrafttreten des BGB das Recht am Unternehmen als einen auf dem Eigentumsrecht aufbauenden Schutzbereich ausgestaltet hat, liegt auch daran, dass der damalige Gesetzgeber die Anerkennung eines Persönlichkeitsrechts ausdrücklich abgelehnt hatte. Da die Gleichsetzung von Unternehmen und Persönlichkeit nicht trägt (insoweit abweichend von der Vorauflage) und durch sie auch verfassungsrechtlich die Schutzaspekte vertauscht würden, kann man Unternehmen einen Schutz ihrer Corporate Personality zubilligen, wenn man sich darüber im Klaren ist, dass ein solcher Schutz den „Goodwill“ als Vermögensinteresse, nicht aber als Interesse an der Anerkennung einer eigenen Unternehmenswürde betrifft736. Dazu kommt es nicht auf die Frage an, ob ein durch eine Äußerung erfolgender Eingriff „betriebsbezogen“ ist. Tragfähiger ist es, zu prüfen, ob das Unternehmen durch eine Kritik konkret betroffen ist (wie bei § 824 BGB), ferner, ob durch Äußerungen ein Vermögensverlust entsteht, der in einer wirtschaftlich spürbaren Ansehensminderung (Goodwill) liegen kann737. Manche dieser Minderungen hat ein Unternehmen jedoch ebenso hinzunehmen, wie die natürliche Person Kritik zu ertragen hat. Die Grenze der Schmähkritik markiert für beide diese Toleranzlinie. 2. Schutzbereich a) Gewerbebetrieb
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Nach h.M. setzt der Unternehmensschutz einen eingerichteten und ausgeübten, also einen bereits vorhandenen und noch betriebenen Gewerbebetrieb voraus738. Bloße gelegentliche Produktionsversuche sollen das Recht noch nicht begründen739, was heute zweifelhaft erscheint. Als Gewerbebetriebe in diesem Sinne hat der BGH auch landwirtschaftliche Betriebe angesehen740, ebenso das Unternehmen eines Boxveranstalters741, ferner die Bundesbahn742. Ob ein Idealverein als Gewerbebetrieb angesehen werden kann, ist umstritten743, aber heute richtigerweise anzunehmen. Bejaht hat der BGH die Betriebseigenschaft im Falle einer Gewerkschaftspropaganda744, ebenso das BAG im Falle einer irreführenden Mitgliederwerbung745.
736 Dazu Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001, S. 472. 737 Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001, S. 522. 738 BGH v. 25.6.1959 – III ZR 220/57, NJW 1959, 2156, 2160; v. 18.3.1969 – VI ZR 204/67, NJW 1969, 1207, 1208. 739 BGH 18.3.1969 – VI ZR 204/67, NJW 1969, 1207, 1208. 740 BGH v. 7.7.1960 – VIII ZR 215/59, NJW 1961, 725. 741 BGH v. 22.4.1958 – I ZR 67/57, NJW 1958, 1486; v. 29.4.1970 – I ZR 30/68, NJW 1970, 2060. 742 BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607; KG v. 30.11.1999 – 9 U 8222/99, AfP 2000, 598 = NJW 2000, 2210; v. 25.10.2012 – 10 U 136/12, NJOZ 2013, 931. 743 Offengelassen in BGH v. 15.11.1967 – Ib ZR 137/65, GRUR 1968, 205 – Teppichreinigung betreffend einen Gewerbeverband und in BGH v. 15.10.1969 – I ZR 3/68, NJW 1970, 243 betreffend einen Verbraucherverband, dazu Lessmann, NJW 1970, 1528. 744 BGH v. 6.10.1964 – VI ZR 176/63, NJW 1965, 29. 745 BAG v. 11.11.1968 – 1 AZR 16/68, NJW 1969, 861.
274
Burkhardt/Peifer
III. Recht am Unternehmen
Rz. 142 Kap. 5
Ob der Unternehmensschutz bei wirtschaftlicher Betätigung in einem freien Beruf in An- 141 spruch genommen werden kann, ist streitig. Da die freiberufliche Tätigkeit keine gewerbliche ist (§ 2 BRAO, § 1 BÄO), neigte die ältere Rechtsprechung zur Verneinung746, anders aber beim privaten Krankenhaus747. Die Rechtsprechung748 bejaht mit der h.M. im Schrifttum richtigerweise den Unternehmensschutz für Freiberufler749. Stets geht es um eine Entfaltung auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Das wird am deutlichsten, wenn der BGH zutreffend auch das Recht eines Eislauftrainers, Bundeswehrsportsoldaten auszubilden, als Inhalt eines Rechts am Gewerbebetrieb ansieht750. Mit dieser grundlegenden Weichenstellung wird klargestellt, dass zum „Gewerbebetrieb“ oder neuer „Unternehmensrecht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB jede wirtschaftliche oder ideelle berufliche Betätigung durch Freiberufler, Verbände oder Vereinigungen gehört. Dementsprechend kann sich auch eine Warentestorganisation, die vor allem Verbraucheraufklärung betreiben soll, gegen eine unberechtigte Presserüge zur Wehr setzen, indem sie sich auf ihr Recht am Unternehmen i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB beruft751. Insoweit wird auch ein Gleichlauf zwischen § 823 Abs. 1 und § 824 BGB hergestellt. b) Unmittelbarer und betriebsbezogener Eingriff Das Recht am Unternehmen erfasst die gesamte unternehmerische Tätigkeit in allen ihren 142 Erscheinungsformen752. Verletzt ist das Recht nur, wenn ein Eingriff in das Unternehmen erfolgt. Nicht jede unwahre oder negative Behauptung ist als Eingriff zu werten. Nach bisheriger Ansicht des BGH ist das nur möglich, wenn der Betroffene konkrete Umstände darlegt, die hinreichend belegen, dass mit nachteiligen Folgen der Kritik zu rechnen ist. Im Falle Bundesbahnplanungsvorhaben hat der VI. Senat des BGH gefordert753, die Bundesbahn müsse darlegen, dass die in einer Dokumentation enthaltenen Unrichtigkeiten zusätzliche Einsprüche gegen ihr Planungsvorhaben zur Folge haben könnten. Allerdings ging es in der Dokumentation nicht um die normalen Leistungen der Bundesbahn, sondern um die Planung der Schnellstrecke Stuttgart-Mannheim und die dabei entstandenen Probleme für den Landschaftsschutz. Der I. Senat des BGH ist ohne Weiteres davon ausgegangen754, ein Protest gegen die photokina 1978, der den Vorwurf beinhaltete, vom Veranstalter unfair behandelt worden zu sein, sei ein Eingriff von genügender Schwere. In neueren Entscheidungen fordert der BGH einen Eingriff in den betrieblichen Organismus oder die unternehmerische Entscheidungsfreiheit, der über eine bloße Belästigung oder sozialübliche Behinderung hinausgeht
746 RG v. 4.8.1937 – V 53/37, RGZ 155, 239; OLG Karlsruhe v. 13.7.1963 – 5 W 58/63, NJW 1963, 2374; zweifelnd OLG Frankfurt v. 9.6.1971 – 6 U 44/70, NJW 1971, 1900. 747 RG v. 24.11.1936 – II 131/36, RGZ 153, 280, 284. 748 BGH v. 15.5.2012 – VI ZR 117/11, BGHZ 193, 227 = MDR 2012, 763 = NJW 2012, 2579 Rz. 19; OLG München v. 15.12.1975 – 21 U 3434/71, NJW 1977, 1106; OLG Hamburg v. 4.6.1998 – 3 U 246/97, NJW-RR 1999, 1060; OLG Brandenburg v. 2.9.1998 – 1 U 4/98, NJW 1999, 3339; LG Berlin v. 7.1.2000 – 15 O 495/99, CR 2000, 622 = ITRB 2001, 31 = NJW-RR 2000, 1229. 749 U.a. Leisner, NJW 1974, 478; Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001, S. 490; MüKo/Wagner, § 823 BGB Rz. 321; Staudinger/Hager, 2009, § 823 BGB Rz. D 6. 750 BGH v. 15.5.2012 – VI ZR 117/11, BGHZ 193, 227 = MDR 2012, 763 = NJW 2012, 2579. 751 OLG Köln v. 11.7.2006 – 15 U 30/06, AfP 2006, 374 = ZUM 2006, 929, 931; LG Frankfurt/M. v. 26.4.2007 – 2/03 O 692/06, ZUM 2007, 663, 664. 752 U.a. BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51, NJW 1952, 660 – Constanze I; v. 24.2.1983 – I ZR 207/80, MDR 1983, 907 = AfP 1983, 460 = NJW 1983, 2195, 2196 – photokina; st. Rspr. 753 BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607. 754 BGH v. 24.2.1983 – I ZR 207/80, MDR 1983, 907 = AfP 1983, 460 = NJW 1983, 2195.
Burkhardt/Peifer 275
Kap. 5 Rz. 143
Wortberichterstattung – die Tatbestände
und geeignet ist, den Betrieb in empfindlicher Weise zu beeinträchtigen755. So müssen Unternehmen – ebenso wie Personen – geringe Falschdarstellungen ebenso dulden756 wie ganz allgemeine Kritik an ihrer Leistung und ihren Produkten757. Der Umstand, dass die Sozialgeltung von Unternehmen Vermögenswert hat, während es bei natürlichen Personen „nur“ um ideelle Einbußen geht, kann im Hinblick auf die Wertordnung der Verfassung nicht zu einer Besserstellung des Vermögensschutzes führen. 143
Die ursprüngliche Rechtsprechung hat gefordert, der Eingriff in das Recht am Unternehmen müsse ein unmittelbarer sein. Als unmittelbarer Eingriff ist z.B. die satirisch verfremdete Wiedergabe einer Zigarettenwerbung in einem Nichtraucherkalender bezeichnet worden758. Ob das Merkmal der Unmittelbarkeit ausreicht, ist allerdings auf Grund einer Parallelproblematik zweifelhaft geworden. Ein Gewerbetreibender, dessen Stromkabel bei Erdarbeiten mit der Folge zeitweiligen Betriebsstillstandes beschädigt worden war, hatte geltend gemacht, dadurch sei „unmittelbar“ in die „Ausstrahlungen“ seines Unternehmens eingegriffen worden, nämlich in seine Beziehungen zum Elektrizitätswerk. In diesem Fall hat der BGH die Ansicht entwickelt, das Erfordernis der Unmittelbarkeit sei nicht im rein sprachlichen Sinne zu verstehen. Auch die Kausalitätslehre sei nicht wesentlich. Entscheidend sei die „Betriebsbezogenheit“ des Eingriffs759. Als rechtserheblich seien deswegen nur Eingriffe zu betrachten, die „irgendwie gegen den Betrieb als solchen gerichtet sind und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen.“ Die Unterbrechung der Stromzufuhr gehöre nicht dazu, weil „die Lieferung elektrischen Stromes und der Anspruch darauf keine dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wesenseigentümliche Eigenheit“ darstelle760. Letztlich geht es um die Zielgerichtetheit eines Angriffs, die im Äußerungsrecht mit der Betroffenheit gleichgesetzt wird. Äußerungen, die ein konkretes Unternehmen adressieren, sind insoweit stets betriebsbezogen und auf den Betroffenen gerichtet. Ein Pressebereicht mit der Überschrift „Keine Angst vor Wessi-Kuckuck: Anwalt will Ostberliner vom Grundstück vertreiben“ adressiert diesen selbstverständlich, insb. wenn er mehrfach namentlich genannt wird. Zu diskutieren ist allenfalls, ob die Äußerung geeignet ist, Vermögensinteressen des von ihm betriebenen Unternehmens zu beeinträchtigen, was aber nicht zweifelhaft erscheint. Die Frage der Zulässigkeit verlagert sich damit auf die Ebene der Rechtswidrigkeit, die nicht indiziert ist, sondern durch Abwägung mit den Interessen des Äußernden durchaus dazu führen kann, dass die Kritik zu dulden ist761. Bedenklich ist die Entscheidung des OLG München762, das in der Verwendung des Begriffs „Online-Verlag“ in der Äußerung „OnlineVerlag hat Prozess in Berlin verloren“ einen unmittelbaren Eingriff in den Gewerbebetrieb
755 BGH v. 29.1.1985 – VI ZR 130/83, MDR 1985, 1011 = AfP 1985, 114 = NJW 1985, 1620; v. 21.4.1998 – VI ZR 196/97, NJW 1998, 2141, 2143; v. 13.10.1998 – VI ZR 357/97, NJW 1999, 279, 281. 756 OLG München v. 26.6.2008 – 29 U 1537/08, CR 2008, 810 = ITRB 2008, 247 = ZUM-RD 2009, 344, 345: Vorwurf, unlizenzierte Ausschnitte für einen Werbefilm verwendet zu haben; OLG Köln v. 13.10.2016 – 15 U 189/15: Vorwurf der Beschäftigung von Mitarbeitern, die früher politisch rechtsextrem eingestellt waren. 757 BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Gen-Milch. 758 BGH v. 17.4.1984 – VI ZR 246/82, MDR 1984, 747 = AfP 1984, 151 = NJW 1984, 1956 – Mordoro. 759 BGH v. 9.12.1958 – VI ZR 199/57, BGHZ 29, 65 – Stromunterbrechung. 760 Dazu Larenz, NJW 1956, 1797. 761 OLG Brandenburg v. 2.9.1998 – 1 U 4/98, NJW 1999, 3339, 3340. 762 OLG München v. 17.5.2002 – 21 U 5569/01, AfP 2002, 522 = AfP 2003, 93 = CR 2003, 141 = ITRB 2003, 142 = NJW 2002, 2398.
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Burkhardt/Peifer
III. Recht am Unternehmen
Rz. 146 Kap. 5
der Firma „Online-Verlag“ sieht, obgleich die Bezeichnung eher Gattungsbegriff ist, also nicht zwangsläufig jedes Unternehmen dieser Gattung als Betroffenen identifiziert. Das Merkmal der Betriebsbezogenheit hat sich in der Rechtsprechung zum Gewerbebetrieb 144 durchgesetzt763. Auch im äußerungsrechtlichen Bereich verwendet der BGH das Merkmal der Betriebsbezogenheit. Als betriebsbezogener Eingriff ist z.B. die Dokumentation einer Vereinigung angesehen worden, die sich gegen ein Sanierungsvorhaben der Bundesbahn gerichtet hat764. Kein betriebsbezogener Eingriff sei die Hervorhebung eines Konkurrenzproduktes. Sie könne zwar die Absatzchancen herabsetzen und den Gewerbebetrieb damit berühren. Das sei aber lediglich eine Reflexwirkung, der die Betriebsbezogenheit fehle765. Ebenso wenig seien Räume einer Appartementanlage in Spanien Betriebsräume der Person, die zwar ein ausschließliches Belegungsrecht habe, aber nicht Eigentümer sei. Die allein von Gästen gestattete Anfertigung von Filmaufnahmen in solchen Räumen ohne Zustimmung des Belegungsberechtigten stellt keinen betriebsbezogenen Eingriff dar766. Betriebsbezogen kann richtigerweise auch ein Eingriff sein, der sich nur gegen einzelne Geschäftsaktivitäten, nicht aber den Betrieb in seiner Gesamtheit, richtet767. Die Verwendung des Merkmals der Betriebsbezogenheit wird als haftungbeschränkendes 145 Korrektiv zur Auslese haftungsrelevanter Verhaltensweisen für erforderlich gehalten. Dieses Merkmal soll den früher verwendeten Begriff des unmittelbaren Eingriffs deutlicher machen768. Mit Recht bemerkt Steffen, es sei ein wenig scharfes Wertungskriterium geblieben769. Das überrascht nicht, weil bereits der vorstehend skizzierte Ausgangspunkt der Lehre von der Erforderlichkeit eines betriebsbezogenen Eingriffes einigermaßen fragwürdig ist. Im Bereich des Äußerungsrechts erzeugt das Merkmal aber weniger Probleme, wenn man berücksichtigt, dass es zunächst nur darum geht, den Betroffenen einer Äußerung zu identifizieren. Wenn das OLG Köln einen gewerkschaftlichen Aufruf gegen die Privatisierung der städti- 146 schen Reinigung, der mit angeblichen Negativverhältnissen im privaten Reinigungsgewerbe begründet war, als nicht betriebsbezogen ansieht770, so verwendet es diesen Begriff als Synonym für die in der Tat fehlende individuelle Betroffenheit der Reinigungsunternehmen, die sich gegen den Aufruf gewandt haben. Auf ein ganz anderes Problem hebt der BGH im Warentest-Fall ab771. Dort meinte er, die gerügte ungünstige Platzierung einer Ware im Rahmen eines vergleichenden Warentests habe auf den Gewerbebetrieb lediglich die Wirkung eines Reflexes. Hätte der BGH die von ihm angenommene Unbegründetheit der gegen die Platzierung gerichteten Klage hieraus abgeleitet, ließe sich über sein Ergebnis diskutieren. Der BGH hat aber weiter argumentiert, infolge der von ihm angenommenen bloßen Reflexwirkung der
763 BGH v. 15.5.2012 – VI ZR 117/11, MDR 2012, 763 = NJW 2012, 2579 Rz. 21. 764 BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607 – Bundesbahnplanungsvorhaben. 765 BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620, 624 – Warentest. 766 BGH v. 21.4.1998 – VI ZR 196/97, MDR 1998, 841 = NJW 1998, 2141. 767 BGH v. 15.5.2012 – VI ZR 117/11, MDR 2012, 763 = NJW 2012, 2579 Rz. 21. 768 BGH v. 12.3.1968 – VI ZR 178/66, NJW 1968, 1279; NJW 1970, 243; v. 15.10.1969 – I ZR 3/68, NJW 1970, 378, 381. 769 RGRK, § 823 BGB Rz. 42. 770 OLG Köln v. 19.4.1983 – 15 U 182/82, NJW 1985, 1643. 771 BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/3, NJW 1976, 620, 624.
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Kap. 5 Rz. 147
Wortberichterstattung – die Tatbestände
gerügten Platzierung sei der Eingriff nicht betriebsbezogen772. Das erscheint kaum noch als diskutabel. Betriebsbezogener als die Behauptung, eine Ware stehe an letzter Stelle statt an der erwünschten ersten, kann der Eingriff in den Betrieb des Herstellers nicht sein. Umgekehrt nahm das OLG München773 bereits einen betriebsbezogenen Eingriff in den Buchverlag, der das Buch von Hubbard, „Scientology – Die Grundlagen des Denkens“, in Deutschland vertreibt, bei der Ankündigung der Jungen Union an, sie werde künftig Werbeunternehmen namentlich nennen, die für die Scientology-Sekte werben würden, u.a. auch durch Werbung für dieses Buch. 147
An der Betriebsbezogenheit kann man nicht zweifeln, wenn ein einzelnes Unternehmen pars pro toto kritisiert oder auch angeprangert wird, um die Missstände in einer Branche zu beschreiben (unten Rz. 156)774. In einem solchen Fall ist das kritisierte Unternehmen durch Personalisierung eindeutig erkennbar. Der Umstand, dass die gesamte Branche mitkritisiert wird, sorgt nicht dafür, dass gegen das genannte Unternehmen kein unmittelbarer, also betriebsbezogener Eingriff vorliegt. c) Rechtswidrigkeit des Eingriffs
148
Seit der Höllenfeuer-Entscheidung geht der BGH davon aus775, dass ein Eingriff in das subsidiäre Recht am Unternehmen nicht ohne Weiteres rechtswidrig ist. Die Rechtswidrigkeit kann erst auf Grund einer Güter- und Pflichtenabwägung festgestellt werden776. Hierzu geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Gewerbebetreibende sich einer Kritik an seiner Leistung zu stellen hat777. Insb. wenn es um wahre Behauptungen geht, ist bei der Annahme einer rechtswidrigen Beeinträchtigung Zurückhaltung geboten778. Informationen, welche die Markttransparenz verbessern und den Marktteilnehmern eine an Entscheidung über die Marktteilhabe ermöglichen, müssen auch dann hingenommen werden, wenn sie die Wettbewerbsposition eines Unternehmens beeinträchtigen779. Betrifft ein Beitrag zur Meinungsbildung eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, dürfen bei der Auslegung der die Äußerungsfreiheit beschränkenden Gesetze an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik keine überhöhten Anforderungen gestellt werden780. Die Vermutung streitet dann für die Zuläs772 Ähnlich BGH v. 21.4.1998 – VI ZR 196/97, MDR 1998, 841 = NJW 1998, 2141 – Appartementanlage. 773 OLG München v. 30.11.2001 – 21 U 4137/01, AfP 2002, 235 = ZUM-RD 2002, 370 – Scientology-Verlag. 774 BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, GRUR-RR 2011, 224 – Gen-Milch. 775 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617. 776 BGH v. 14.1.1969 – VI ZR 196/67, GRUR 1969, 304 – Kredithaie; v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, AfP 2009, 137 = CR 2009, 457 = NJW 2009, 1872; v. 15.5.2012 – VI ZR 117/11, MDR 2012, 763 = NJW 2012, 2579 Rz. 27; OLG Düsseldorf v. 19.11.1996 – U Kart. 14/96, NJW-RR 1997, 1045. 777 BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Gen-Milch; BGH v. 24.10.1961 – VI ZR 204/60, NJW 1962, 32 – Waffenhandel; v. 21.6.1966 – VI ZR 266/64, NJW 1966, 2010 – Teppichkehrmaschine; BGH v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, AfP 2009, 137 = CR 2009, 457 = NJW 2009, 1872; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = IPRB 2015, 78 = AfP 2015, 41 = NJW 2015, 773 Rz. 7 – Hochleistungsmagnet. 778 BGH v. 23.10.1979 – VI ZR 230/77, MDR 1980, 300 = NJW 1980, 881, 882 – Vermögensverwaltung; v. 20.1.1983 – VI ZR 162/79, NJW 1981, 1089, 1091 – Der Aufmacher I. 779 BVerfG v. 28.7.2004 – 1 BvR 2566/95, NJW-RR 2004, 1710, 1711. 780 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 163/72, NJW 1976, 1680; v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655.
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Burkhardt/Peifer
III. Recht am Unternehmen
Rz. 150 Kap. 5
sigkeit der freien Rede und damit auch für die Zulässigkeit der Kritik an Waren und Leistungen781. Ob stets von einem öffentlichen Interesse auszugehen ist, wenn die Presse sich kritisch zu Erzeugnissen oder Leistungen der Wirtschaft äußert, hat das Bundesverfassungsgericht in der Kredithaie-Entscheidung noch offen gelassen782, in jüngerer Zeit aber immer häufiger vorausgesetzt783. Insb. ist bei der Auseinandersetzung mit Missständen in einem ganzen Zweig der gewerblichen Wirtschaft davon auszugehen, dass es sich um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage handelt, zumal wenn die Diskussion geeignet ist, geschäftsunerfahrene Personen vor einer Gefährdung zu bewahren. Grundsätzlich unterliegt auch die Form der Darstellung der durch Art. 5 Abs. 1 GG ge- 149 schützten Selbstbestimmung des Äußernden784. Auch eine überpointierte Darstellung kann zulässig sein, z.B. eine gesundheitsmotivierte Kritik an einer Zigarettenwerbung. Der Kritiker ist nicht auf eine ausgewogene oder gar schonende Darstellung beschränkt. Die für den vergleichenden Warentest entwickelten besonderen Schranken gelten für Aufklärungskampagnen nicht785. Die grundsätzliche Freiheit der Rede bedeutet nicht, dass Anliegen, auch wenn sie an sich be- 150 rechtigt sind, ohne jede Rücksicht auf den Betroffenen verfolgt werden dürften. Die Form der Darstellung muss in einem vertretbaren Verhältnis zu dem sachlichen Anliegen und zu den belastenden Auswirkungen für den Betroffenen stehen786. Der Kritiker darf den Betroffenen nicht ohne sachlichen Bezug zu seinem Anliegen in einer Weise zur Zielscheibe seiner Kritik machen, die ihn diffamiert oder diskreditiert. Pauschale und substanzarme Herabsetzungen, wie die Bezeichnung eines Finanzdienstlers als „Vermögensvernichter“, müssen aber nur nicht geduldet werden, wenn sie ohne Bezug auf einen sachbezogenen Anlass erfolgen787. Insoweit gelten die Anforderungen, welche beim Ehrenschutz natürlicher Personen durch den Begriff der Schmähkritik eingeführt wurden, auch gegenüber Unternehmen und Verbänden788. Unzulässig ist daher z.B. eine Restaurantkritik auf der Grundlage des „Testes“ einer einzigen Tasse Cappuccino, die „mehr nach Haarwasch-Wasser als nach italienischem Kaffee schmeckt“789. Ebenso wenig ist es zulässig, ein Unternehmen in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen und die Kritik damit zu personifizieren, wenn das nur geschieht, um die Bekanntheit und die Werbekraft des Unternehmens für sich auszunutzen. Das Herausgreifen der Zi781 BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620; v. 19.6.1997 – I ZR 16/95, AfP 1997, 798 = NJW 1997, 3302 – Kaffeebohne. 782 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655. 783 BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Gen-Milch. 784 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655, 2656. 785 BGH v. 17.4.1984 – VI ZR 246/82, MDR 1984, 747 = AfP 1984, 151 = NJW 1984, 1956, 1957 – Mordoro; BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 = NJW 2008, 2110 Rz. 33 – GenMilch. 786 OLG Frankfurt v. 8.5.1990 – 6 W 62/90, CR 1991, 414 = GRUR 1991, 49, 50 – Steuerberater; OLG Köln v. 23.8.1996 – 6 U 98/96, AfP 1996, 398, 400 – Blut und Sperma; OLG München v. 30.11.2001 – 21 U 4137/01, AfP 2002, 235 = ZUM-RD 2002, 370 – Scientology-Verlag. 787 BVerfG v. 28.7.2004 – 1 BvR 2566/95, NJW-RR 2004, 1710, 1711. 788 BGH v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, CR 2009, 457 = NJW 2009, 1872; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = IPRB 2015, 78 = AfP 2015, 41 = NJW 2015, 773 – Hochleistungsmagnet. 789 OLG München v. 9.7.1993 – 21 U 6720/92, AfP 1993, 760 = NJW 1994, 1964; ähnlich OLG Köln v. 3.5.2011 – 15 U 194/10, IPRB 2011, 247 = AfP 2011, 489: Kritik aufgrund eines einzigen Besuchs nicht hinreichend substantiiert möglich.
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Kap. 5 Rz. 151
Wortberichterstattung – die Tatbestände
garettenmarke Marlboro und das Wortspiel mit Mordoro im Rahmen einer satirischen Anti-Werbung bedeutet aber noch nicht ohne Weiteres einen unzulässigen Eingriff790. Dass der Eingriff durch die sozialen Verhaltensregeln nicht gedeckt ist, hat der Kläger darzutun und ggf. zu beweisen791. 3. Anwendungsfälle 151
Das Recht am Unternehmen ist ein subsidiärer Auffangtatbestand. Greifen andere Tatbestände ein, scheidet seine Anwendung aus. In Betracht kommt die Anwendung also nur, wenn eine Lücke zu schließen ist. Das kann insb. der Fall sein, wenn § 824 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB entfallen, weil es nicht um eine Gefährdung geschäftlicher Beziehungen durch unwahre Tatsachenbehauptungen geht, und wenn auch § 826 BGB und § 4 UWG ausscheiden, z.B. weil die dafür erforderlichen subjektiven oder die Unlauterkeit erst begründenden Voraussetzungen nicht feststellbar sind792. Liegt jedoch eine unwahre Tatsachenbehauptung vor, z.B. in deutschen Pelzgeschäften könnten Ozelot-Pelze erworben werden, greift das Recht am Unternehmen nicht ein. Es liegt ein Verstoß gegen § 824 BGB vor793. Kommt die Notwendigkeit der Schließung einer Lücke in Betracht, setzt die Bejahung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs in das Recht am Unternehmen eine Güter- und Pflichtenabwägung voraus794. Die zur Lückenschließung und zur Interessenabwägung entwickelten allgemeinen Grundsätze reichen aber nicht aus, um mit hinreichender Sicherheit abschätzen zu können, ob ein Eingriff in das Recht am Unternehmen unzulässig ist. Unbeschadet der zu berücksichtigenden Besonderheiten des Einzelfalles bedarf es deswegen der Entwicklung von Grundsätzen, die die Entscheidung des Einzelfalles normativ zu leiten imstande sind. Das, was das Gesetz offenlässt, ist durch Richterrecht auszufüllen795. Die Entwicklung solcher konkreter Grundsätze und Fallgruppen ist anspruchsvoll. Ganz grob kann man davon ausgehen, dass die Motivation des Handelnden oft das Zünglein an der Waage ist. Wer kritisiert, um einen Missstand, den er in seiner Kritik behandelt und ausführt, zu beseitigen, genießt ein weites Privileg, auch polemisch und überspitzt formulieren zu dürfen796. Wer aus Eigennutz handelt, muss sich zurücknehmen797. Wer als Konkurrent kritisiert, muss den Eindruck eigennützigen Handelns durch einen verstärkten Sachbezug zerstreuen798. Wer als neutral und unabhängig geltender Produkttester (wie etwa die Stiftung Warentest) auftritt, muss die Neutralität und Objektivität auch in den Testmethoden und in der Ausgestaltung des Tests zeigen, also besonders sorgfältig und ausgewogen arbeiten. Wer als Produkttester diese Neutralität nicht für sich reklamiert, muss jedenfalls seine Methoden
790 BGH v. 17.4.1984 – VI ZR 246/82, MDR 1984, 747 = AfP 1984, 151 = NJW 1984, 1956. 791 BGH v. 23.10.1979 – VI ZR 230/77, MDR 1980, 300 = NJW 1980, 881, 882 – Vermögensverwaltung. 792 BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = AfP 1992, 140 = NJW 1992, 1312 – Korruptionsprozess. 793 Unzutreffend insoweit OLG Hamm v. 17.9.1966 – 27 U 102/96, AfP 1998, 68; vgl. BGH v. 21.2.1989 – VI ZR 18/88, MDR 1989, 624 = AfP 1989, 538 = NJW 1989, 1923. 794 BGH v. 15.5.2012 – VI ZR 117/11, MDR 2012, 763 = NJW 2012, 2579 Rz. 27. 795 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741, 1743 – Der Aufmacher. 796 BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = IPRB 2015, 78 = AfP 2015, 41. 797 OLG Dresden v. 22.5.2007 – 14 U 258/07. 798 Vgl. OLG München v. 21.10.1993 – 6 U 6987/92, ZUM 1995, 42, 47.
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Burkhardt/Peifer
III. Recht am Unternehmen
Rz. 153 Kap. 5
offenlegen und sich um Objektivität und Neutralität bemühen, auch wenn dies noch einen erheblichen Spielraum in der Darstellung belässt799. a) Schutz bejaht aa) Vertrauensschutz Wie vom Bundesverfassungsgericht und vom BGH, soweit ersichtlich, erstmals im Wallraff- 152 Fall erörtert, gehört ein Mindestbestand an Vertrauensschutz zu den Grundlagen nicht nur jedes Anstellungsverhältnisses, sondern ebenso jeder unternehmerischen Betätigung. Das bestätigt auch die Schweigepflicht von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern nach §§ 93 Abs. 1, 116 AktG800. Deswegen kann die Publikation von Betriebsinterna unter dem Blickwinkel des Unternehmensschutzes rechtswidrig sein, wenn die Information auf unzulässigem Wege beschafft worden ist801. Erforderlich ist i.d.R. ein grober Eingriff in die unternehmerische Vertraulichkeitssphäre802. Unzulässig sein können öffentliche Darstellungen betriebsinterner Vorgänge insb., wenn die Informationen im Wege des sog. „Einschleichjournalismus“ beschafft worden sind, d.h. von einem Journalisten, der in einem Unternehmen als vermeintlich loyaler Mitarbeiter tätig ist, in Wirklichkeit aber das Unternehmen nur ausspionieren will, um nachträglich eine „Betriebsreportage“ in Form eines Sensationsberichtes publizieren zu können. In Fällen dieser Art hat die Verbreitung der unzulässig beschafften Informationen grundsätzlich zu unterbleiben. Eine Ausnahme kann nur gelten, wenn die Bedeutung der Information für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für die öffentliche Meinungsbildung eindeutig die Nachteile überwiegt, die der Rechtsbruch für den Betroffenen nach sich zieht. Das wird i.d.R. nur der Fall sein, wenn die widerrechtlich beschafften Informationen Zustände oder Verhaltensweisen offenbaren, die ihrerseits rechtswidrig sind803. Ganz besonders gilt das, wenn Gegenstand der unzulässig beschafften Information die Tätigkeit der Redaktion eines Presseunternehmens ist, weil diese den besonderen Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG genießen804. Das hat der BGH unbeachtet gelassen, als er in seiner Ausgangsentscheidung angenommen hat805, die Verwertung sei schon zulässig, wenn wirkliche oder vermeintliche Missstände aufgezeigt würden. bb) Schmähkritik, Diskriminierung und Diffamierung Schon in der Höllenfeuer-Entscheidung hat der BGH ausgesprochen806, dass ein in Form ei- 153 ner Schmähkritik erfolgender Eingriff in das Recht am Unternehmen rechtswidrig ist (zur Schmähkritik vgl. Rz. 97 ff. und Rz. 196 ff.). In der Entscheidung „Warentest II“ geht der BGH gleichfalls davon aus807, dass ein in der Form einer Schmähkritik erfolgender Eingriff unzulässig ist. Werturteile im Rahmen eines den zu stellenden Anforderungen entsprechenden Testberichts bezeichnet er dort sogar allein im Falle der Schmähkritik als unzulässig. Bei 799 OLG Köln v. 24.9.2013 – 15 U 54/13. 800 Vgl. BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, NJW 1975, 1412; zum persönlichkeitsrechtlichen Geheimnisschutz s. BGH v. 19.12.1978 – VI ZR 137/77, NJW 1979, 647 – Telefongespräch I. 801 Näheres Lerche, AfP 1976, 55. 802 BGH v. 21.4.1998 – VI ZR 196/97, MDR 1998, 841 = NJW 1998, 2141, 2144. 803 OLG München v. 20.1.2005 – 6 U 3236/04, AfP 2015, 371, 374 f. 804 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741 – Der Aufmacher. 805 BGH v. 20.1.1983 – VI ZR 162/79, NJW 1981, 1089, 1093. 806 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617. 807 BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/3, NJW 1976, 620, 622.
Burkhardt/Peifer 281
Kap. 5 Rz. 154
Wortberichterstattung – die Tatbestände
diesem Merkmal kommt es auch auf die verfolgte Absicht an808. Auch diskriminierende oder diffamierende Behauptungen sind unzulässig, wie z.B. die Formulierung, in einem Restaurant angebotene Speisen würden „wie eine Portion Pinscherkot in den Teller hineingeschissen“809. Eine Marlboro-Anzeige auf einem Blatt eines Anti-Raucher-Kalenders satirisch verfremdet in der Weise wiederzugeben, dass ein Marlboro-Poker als Mordoro-Poker erscheint, bei dem „Preise“ wie Magengeschwür, Herzinfarkt und Lungenkrebs ausgespielt werden, bedeutet noch keine Diskriminierung oder Diffamierung810. Als unzulässige Abqualifizierung hat das OLG Düsseldorf die Behauptung bezeichnet811, ein bestimmter Reifen sei ein „Sicherheitsrisiko“ (Näheres Kap. 10 Rz. 93). Ein unzulässiger Angriff auf einen Zeitschriftenverlag kann auch durch eine Schmähung seiner Autoren bewirkt werden. Wird von den Autoren behauptet, der „Inhalt des Kopfes entspricht dem Aussehen nach Überschütten mit Gülle“, ist die weitere Äußerung „Will Leser verblöden“ zugleich eine Schmähung des Verlages, wenn die Äußerungen allein auf der Arbeit für den Verlag beruhen. Geht es um unwahre Tatsachenbehauptungen, greift nach BGH812 § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB ein, hinzu kommt insoweit allerdings § 824 BGB. cc) Unzulässige Verwendung von Namen und Marken 154
In der photokina-Entscheidung bezeichnet der BGH es als unzulässigen Eingriff in das Recht am Unternehmen, in der Werbung die Bezeichnung photokina blickfangartig herauszustellen, wenn der Werbetext „Suchen Sie uns nicht auf der Photokina, wir verlassen diese aus Protest, weil die Kölner Messegesellschaft unseren festen Stand anderweitig vergeben hat“ lautet813. Die Unzulässigkeit der Namensverwendung folge daraus, dass der Text, in dessen Rahmen der Name blickfangartig erschienen ist, diskriminierend sei, weil er den Anschein vermittle, die Messegesellschaft habe den Kläger unfair behandelt. Demgegenüber enthält die Verwendung des Bildzeitungs-Emblems zur Kennzeichnung einer Zeitungsrubrik, die sich mit der Bild-Zeitung kritisch auseinandersetzt, keinen unzulässigen Eingriff814. Den Verkauf von Autoaufklebern mit einem Paarungshaltung einnehmenden stilisierten Kranichpaar und dem Schriftzug „Lusthansa“ hat das OLG Frankfurt weder als persönlichkeitsverletzend noch als betriebsbezogenen Eingriff gewertet815, zumal die Verballhornung der Namen von Fluggesellschaften nicht unüblich sei. Entgegen OLG Frankfurt816 hat der BGH817 auch den Vertrieb eines Aufklebers mit dem BMW-Emblem und dem Text „Bums mal wieder“ als zulässig angesehen. Ob dieser Entscheidung des VI. Zivilsenat beigetreten werden kann, hat der I. Senat in seiner Entscheidung Markenverunglimpfung I818 ausdrücklich offengelassen. Keinen Eingriff in das Recht am Unternehmen stellt auch die Verwendung der Farbe und Schriftart der 808 BGH v. 20.3.1986 – I ZR 13/84, MDR 1987, 27 = AfP 1986, 219 = NJW 1987, 1082, 1083 – Gastro-Kritiker. 809 OLG Frankfurt v. 24.11.1989 – 6 W 122/89, NJW 1990, 2002. 810 BGH v. 17.4.1984 – VI ZR 246/82, MDR 1984, 747 = AfP 1984, 151 = NJW 1984, 1956 – Mordoro. 811 OLG Düsseldorf v. 25.6.1981 – 2 U 23/81, BB 1982, 62. 812 BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = AfP 1992, 140 = NJW 1992, 1312 – Korruptionsprozess. 813 BGH v. 24.2.1983 – I ZR 207/80, MDR 1983, 907 = AfP 1983, 460 = NJW 1983, 2195 = GRUR 1983, 467 m. abl. Anm. Gisela Wild. 814 BGH v. 23.3.1979 – I ZR 50/77, NJW 1980, 280 – Metallzeitung. 815 OLG Frankfurt v. 17.12.1981 – 6 U 49/81, MDR 1982, 577 = NJW 1982, 648. 816 OLG Frankfurt v. 28.2.1985 – 6 U 89/84, NJW 1985, 1649. 817 BGH v. 3.6.1986 – VI ZR 102/85, MDR 1986, 925 = NJW 1986, 2951. 818 BGH v. 10.2.1994 – I ZR 79/92, MDR 1995, 65 = NJW 1994, 1954.
282
Burkhardt/Peifer
III. Recht am Unternehmen
Rz. 156 Kap. 5
Marke „.T…“ der Telekom für eine Postkarte mit der Aufschrift „Toll! Alles wird.T.e.u.r.e.r“ dar819. Gleiches gilt für die ironisierende Parodie einer „Eck-Weg-Karte“ (Postkarte mit einer rechts oben abgeschnittenen Ecke des Künstlers Kuno Klaboschke) mit der Aufschrift „Bild Dir keine Meinung“820. Regelmäßig werden die genannten Verwendungen unter die Freiheit zur Parodie fallen, also in weitem Umfang zulässig sein. Grenzen ergeben sich, wenn Unternehmenskennzeichen für politische Zwecke eingespannt werden. So hat das OLG Hamburg die Verwendung des ESSO-Slogans „Pack’ den Tiger in den Tank“ durch Verwendung im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf („Pack’ den Tiger in die Bürgerschaft“) als unzulässig angesehen821; das OLG Hamm hat sogar die Verwendung der für einen Ruhrgebietsverein identifizierende Bezeichnung „Südtribüne“ auf einem Wahlplakat („Von der Südtribüne in den Stadtrat!“ auf einem Querbalken in den Vereinsfarben) untersagt822. Näheres zur Verwendung von Namen vgl. Kap. 10 Rz. 40 ff. und Marken vgl. Kap. 10 Rz. 60 ff. dd) Boykott-, Protest- und sonstige Aufrufe Der besondere Schutz des Gewerbebetriebes ist nicht zuletzt entwickelt worden, um den 155 Vermögensschutz für diesen Interessenverbund gegen organisierte Aktionen zu erweitern, die darauf abzielen, auf die unternehmerische Tätigkeit Druck auszuüben823. Z.B. ist die Blockade des Axel Springer-Verlages anlässlich des Attentats auf Rudi Dutschke im Jahre 1968 als unzulässiger Eingriff in das Recht am Unternehmen bezeichnet worden824. Der Fluglotsenstreik von 1973 hat den Schutz des Gewerbebetriebes von Reiseunternehmen verletzt825. Die Abgrenzung zwischen zulässiger Demonstration und unzulässigem Boykott wird durch das Merkmal des körperlichen Eingriffs bestimmt. Erst eine Blockade, die konkrete Betriebseinrichtungen körperlich blockiert oder Kunden körperlich am Zugang zum Unternehmen hindert, wird zum rechtswidrigen Eingriff in das Recht am Unternehmen826. Boykottaufrufe, die sich auf verbale Aufforderungen zum Kauf- oder Abnahmeboykott beschränken, sind generell als Ausdruck der Äußerungs- und Kritikfreiheit zulässig827. Sie unterliegen mitunter aber einem Mäßigungsgebot828, insb. wenn der erzeugte Druck so intensiv wird, dass er gleichsam körperlich auf das betroffene Unternehmen einwirkt829. Auch Äußerungen können auf die Organisation eines Protestes abzielen, der die unterneh- 156 merische Tätigkeit behindern soll. § 824 BGB scheidet in solchen Fällen aus. Nach Ansicht des BGH greift die Vorschrift nur ein, wenn durch unwahre Behauptungen die Beziehungen zu Geschäftspartnern gefährdet werden, nicht aber, wenn Äußerungen die Gefahr begründen, dass außenstehende Dritte auf das Unternehmen einwirken (Näheres Rz. 168, Rz. 258)830.
819 820 821 822 823 824 825 826 827
KG v. 20.8.1996 – 5 U 4311/96, AfP 1997, 923 = WRP 1997, 85. OLG Hamburg v. 4.6.1998 – 3 U 246/97, NJW-RR 1999, 1060. OLG Hamburg v. 12.9.1997 – 3 U 202/97, NJW-RR 1998, 552. OLG Hamm v. 9.12.2013 – 6 W 56/13, GRUR-RS 2013, 21587. BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607, 1609. BGH v. 30.5.1972 – VI ZR 6/71, NJW 1972, 1366. BGH v. 16.6.1977 – III ZR 179/75, NJW 1977, 1875. Möllers, NJW 1996, 1374. BGH v. 29.1.1985 – VI ZR 130/83, MDR 1985, 1011 = AfP 1985, 114 = GRUR 1985, 470, 471. 828 BVerfG v. 8.10.2007 – 1 BvR 292/02, NJW-RR 2008, 200. 829 OLG Dresden v. 22.5.2007 – 14 U 258/07. 830 BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607 – Bundesbahnplanungsvorhaben.
Burkhardt/Peifer 283
Kap. 5 Rz. 157
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Falls nicht § 824 BGB, § 4 Nr. 4 UWG oder das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot831 eingreifen, verbleibt somit im Fall von Äußerungen dieser Art allein das Recht am Unternehmen als Auffangtatbestand. Nach Auffassung des BGH setzt das den Nachweis voraus, dass dem Unternehmen durch die unwahren Behauptungen tatsächlich ein Nachteil droht, z.B. dadurch, dass Grundeigentümer sich zu Masseneinsprüchen gegen das Planungsvorhaben veranlasst sehen832. Damit besteht ein Korrektiv, um herauszufinden, ob der zum Boykott Aufrufende tatsächlich über eine nennenswerte Wirkkraft verfügt. Ohne Nachweis, dass der Boykott zu spürbaren und kausalen Einwirkungen auf die geschäftlichen Entscheidungen der Abnehmer führt, wird ein Boykottaufruf aus Gründen gesellschaftlicher, politischer oder wirtschaftlicher Kritik regelmäßig nach Art. 5 Abs. 1 GG zulässig sein833. Die Entscheidung kann gegen den zum Boykott Aufrufenden ausfallen, wenn dieser über seine bloße verbale Mobilisierungsmacht hinaus Einflussmöglichkeiten gegenüber potentiellen Kunden des zu Boykottierenden hat. So liegt es, wenn eine Gewerkschaft ankündigt, über ihre Betriebs- und Personalräte zu versuchen, den Verkauf eines kritisierten Presseproduktes in Werkskantinen, an Kiosken und sonstigen Einrichtungen zu unterbinden834. 157
Boykottaufrufe können einen unzulässigen Eingriff in das Recht am Unternehmen bedeuten, wenn der Aufruf sich nicht in einer Meinungskundgabe erschöpft, sondern wenn wirtschaftlicher oder sonstiger Druck angekündigt wird (Näheres Kap. 10 Rz. 132 ff.)835. Unzulässig ist z.B. die Aufforderung eines Haftpflichtversicherers an Geschädigte, unter Hinweis auf deren Schadensminderungspflicht ein bereits bei einem bestimmten Vermieter angemietetes Ersatzfahrzeug zurückzugeben und bei einer anderen Firma ein gleichwertiges Fahrzeug zum billigsten am Markt erhältlichen Mietpreis anzumieten, weil sie sonst die Kosten teilweise selbst tragen müssten836. Nach Auffassung des OLG München837 stellt auch die Ankündigung der Jungen Union, künftig Werbeunternehmen namentlich zu benennen, die für die Scientology-Sekte Werbung machen, einen unzulässigen Eingriff in das Recht eines dadurch auch betroffenen Buchverlages dar, der das Buch von Hubbard „Scientology – Die Grundlagen des Denkens“ in Deutschland vertreibt. Ein Boykottaufruf ist nicht deshalb ein lediglich unwesentlicher Eingriff, weil er in einer geschlossenen Facebook-Gruppe erfolgt; von Bedeutung ist, ob die Gruppe innerhalb des Sozialen Netzwerks (Facebook) einen öffentlichen Marktplatz für Informationen und den Meinungsaustausch bietet und ob es besondere Sicherheitseinstellungen oder eine Begrenzung des Zugangs für nur ausgewählte Personen gibt838.
831 Vgl. dazu OLG Frankfurt v. 23.9.1997 – 11 U (Kart) 18/97, n.v. – GS-Zeichen. 832 BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607, 1610; OLG Düsseldorf v. 19.11.1996 – U (Kart.) 14/96, NJW-RR 1997, 1045. 833 BGH v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, CR 2016, 407 = MDR 2016, 391 = AfP 2016, 248 – Nerzquäler; v. 6.2.2014 – I ZR 75/13, CR 2014, 616 = MDR 2014, 1222 = GRUR 2014, 904; OLG München v. 15.11.2012 – 29 U 1481/12, MDR 2013, 165 = IPRB 2013, 130 = ITRB 2013, 53 = NJW 2013, 398; OLG Dresden v. 5.5.2015 – 4 U 1676/14, AfP 2016, 157 = ITRB 2016, 33 = MMR 2015, 552 – Boykottaruf via Twitter. 834 LG Chemnitz v. 26.10.2004 – 2 O 2864/04, AfP 2005, 80. 835 BVerfG v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63, BVerfGE 25, 256, NJW 1969, 1161 – Blinkfüer; BGH v. 29.1.1985 – VI ZR 130/83, MDR 1985, 1011 = AfP 1985, 114 = NJW 1985, 1620 – Mietboykott; OLG Dresden v. 22.5.2007 – 14 U 258/07. 836 BGH v. 13.10.1998 – VI ZR 357/97, NJW 1999, 279. 837 OLG München v. 30.11.2001 – 21 U 4137/01, AfP 2002, 235 = ZUM-RD 2002, 370 – Scientology-Verlag. 838 OLG Frankfurt a.M. v. 10.8.2017, ZUM-RD 2018, 74, 76.
284
Burkhardt/Peifer
III. Recht am Unternehmen
Rz. 160 Kap. 5
ee) Unveranlasstes Anprangern Im Zuge der Entwicklung werden immer wieder Stoffe als gefährdend und schädlich er- 158 kannt, die zuvor als einwandfrei gegolten haben. Darauf nachdrücklich hinzuweisen ist das selbstverständliche Recht der Medien. Damit ergibt sich die Frage, ob und inwieweit einzelne Erzeugnisse, die den (neuerdings) als gefährlich erkannten Stoff (noch) enthalten, zur Veranschaulichung herausgegriffen werden dürfen. Nach h.M. sind die Medien dazu grundsätzlich berechtigt839. In der Antiseptica-Entscheidung betont der BGH aber840, dass zwar keine Verpflichtung zu besonders schonender Berichterstattung besteht, die Medien aber nicht von der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Betroffenen entbunden sind. Insb. das Fernsehen muss dem nachhaltigen Eindruck seiner Sendungen auf den Betrachter Rechnung tragen. Auch Verbraucherverbände dürfen im Rahmen von Unternehmenskritik personalisieren841. Der Umstand, dass diese aufmerksamkeitsfördernde Methode auch dabei hilft, Spenden zu akquirieren, macht dieses Vorgehen nicht unzulässig842. Allerdings erspart die Personalisierung nicht die Abwägung zwischen Gewicht und Wirkung der Vorwürfe für den Betroffenen und seiner Bedeutung für die Art des geltend gemachten Missstandes. Mehr als ein Übermaßverbot mit schwieriger Anwendung im Einzelfall folgt daraus jedoch nicht. Ein Produkt ohne Anlass an den Pranger zu stellen, ist unzulässig. Ein hinreichender Anlass, ein Desinfektionsmittel im Zusammenhang mit einer Warnung vor Formaldehyd durch bildschirmfüllende Einblendung des Etiketts negativ zu plakatieren, ist aber nach Ansicht des BGH bereits dadurch hinreichend veranlasst, dass es Formaldehyd enthält. Unzulässig ist ein solches Anprangern aber, wenn wesentliche Fakten verschwiegen oder falsch dargestellt werden, wozu in der Antiseptica-Entscheidung auf die Fälle „Maris“843 und „Tai-Ginseng“844 verwiesen wird. Auch das Negativurteil „Absteiger des Jahres“ für ein Restaurant, verbunden mit unzutreffenden Tatsachenbehauptungen, ist unzulässig, jedenfalls wenn es lediglich auf einem einzigen Testessen beruht und damit ohne zuverlässige Tatsachengrundlage aufgestellt wird845. Unzulässig kann auch die Erwähnung lange zurückliegender Negativvorgänge sein, speziell 159 wenn dadurch der Anschein entsteht, als hätten diese Vorgänge noch immer aktuelle Bedeutung, obschon das Unternehmen sich inzwischen zum Positiven hin gewandelt hat. Das gilt vornehmlich, wenn für die Erinnerung an die früheren, längst überwundenen Vorgänge kein aktueller Anlass besteht. Ist ein solcher Anlass vorhanden, z.B. infolge eines Rückfalles, wird die Erwähnung der früheren Vorgänge im Zweifel als zulässig angesehen werden müssen. ff) Nötigung Als unzulässige Nötigung kann die Ankündigung anzusehen sein, eine Negativliste derjeni- 160 gen zu verbreiten, die eine Anfrage des Verbreiters unbeantwortet gelassen haben. Nötigend kann das sein, wenn die Negativliste einen Beantwortungsdruck auslöst, wenn also das Recht, sich frei zu entscheiden, beeinträchtigt bzw. praktisch genommen wird. Unzulässig ist es insb., die Nichtbeantwortung einer Frage wie „Führt Ihr Unternehmen Tierversuche durch?“ als vermeintlichen Beweis für ein angeprangertes Verhalten darzustellen und die Betroffenen in eine
839 840 841 842 843 844 845
BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 266/64, NJW 1966, 2010 – Teppichkehrmaschine. BGH v. 25.11.1986 – VI ZR 269/85, NJW 1987, 2746. BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, GRUR-RR 2011, 224 – Gen-Milch. BGH v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, AfP 2009, 137 = CR 2009, 457 = NJW 2009, 1872. BGH v. 18.12.1962 – VI ZR 220/61, NJW 1963, 484. BGH v. 26.4.1966 – VI ZR 240/64, NJW 1966, 1857. BGH v. 12.6.1997 – I ZR 36/95, MDR 1998, 300 = AfP 1997, 909, 911 – Restaurantführer.
Burkhardt/Peifer 285
Kap. 5 Rz. 161
Wortberichterstattung – die Tatbestände
„Schwarze Liste“ aufzunehmen. Das kann in besonders drastischen Fällen auch eine besondere Form eines unzulässigen Boykottaufrufes sein. gg) Verdachterweckung 161
Richtiger Auffassung nach ist von der Unzulässigkeit des Eingriffes auch bei einer unbegründeten Verdachterweckung auszugehen. Die Verbreitung eines Verdachts, z.B. ein Unternehmen habe die Inbrandsetzung seines Betriebsgebäudes womöglich selbst veranlasst, um mit Hilfe von Versicherungsgeldern eine versäumte Rationalisierung nachzuholen, kann außerordentlich nachteilige Folgen haben. Davon ist der BGH auch in der Brüning-Entscheidung ausgegangen846, in der er allerdings den Tatsachencharakter der streitigen Darstellung bejaht hat, so dass § 824 BGB angewendet werden konnte und es des Rückgriffs auf das Recht am Unternehmen nicht bedurft hat. Gegen einen unbegründeten Verdacht muss ein Unternehmen sich aber unabhängig davon zur Wehr setzen können, ob die beeinträchtigenden Verdächtigungen, Mutmaßungen und Kombinationen als Tatsachenbehauptungen zu qualifizieren sind. Im Übrigen lassen sich die allgemeinen Grundsätze für Verdachtsäußerungen heranziehen (Kap. 10 Rz. 154 ff.). hh) Einflussnahme auf ein Wettbewerbsverhältnis
162
Es bleibt die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Einflussnahme auf eine Konkurrenzbeziehung einen unzulässigen Eingriff in das Recht am Unternehmen bedeuten kann847. Grundsätzlich müssen Unternehmen Konkurrenz dulden, also auch die Einwirkung auf ihre Kundenkreise und Geschäftsbeziehungen durch Dritte ertragen. Das gilt allerdings nicht mehr, wenn Konkurrenten ihre Mitbewerber anschwärzen oder deren Leistungen schmähen, denn hier wird regelmäßig der Eigennutz das wirtschaftskritische Anliegen überlagern. Erfolgen herabsetzende wertende Äußerungen im geschäftlichen Bereich unter Konkurrenten, greift § 4 Nr. 1 UWG 2015 ein. Sind solche Äußerungen Teil eines Werbevergleichs, gilt § 6 UWG. Auf Grund des bis 2002 geltenden grundsätzlichen Verbots der Bezug nehmenden und vergleichenden Werbung hatte der I. Senat selbst eine relativ harmlose redaktionelle Äußerung eines Börseninformationsdienstes, wonach ein Konkurrenzdienst „nicht eben für Seriosität bekannt“ sei, für unzulässig erklärt, weil sie in Wettbewerbsabsicht erfolgt sei848. Aus heutiger Sicht sind solche Äußerungen großzügiger zu beurteilen, ob die persönlich kritisierende vergleichende Werbung überhaupt unter § 6 UWG fällt, ist umstritten.
163
Die Teppichreinigungs-Entscheidung849 betrifft die Behauptung eines Verbandes, eine maßgebende Fachzeitschrift sei sein Verbandsorgan und die Mehrheit aller Fachbetriebe habe sich ihm spontan angeschlossen. Diese Behauptung barg die Gefahr einer Schwächung des Konkurrenzverbandes in sich. Der BGH hat der dagegen erhobenen Klage entsprochen, und zwar, wohl zu Unrecht, nach § 824 BGB. Die gleiche Problematik liegt der Sportkommissions-Entscheidung zugrunde850. Sie betrifft den von ADAC und AvD vermittelten Anschein, die von ihnen gebildete „Oberste nationale Sportkommission für den Automobilsport in Deutschland (OMS)“ sei in Deutschland „Inhaber der Sporthoheit“ mit dem Recht zur Vergabe von Teilnehmerlizenzen und der Aufstellung eines „Nationalen Terminkalenders“ sowie mit der Ver846 BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, GRUR 1975, 89 – Brüning-Memoiren. 847 Wenzel, AfP 1984, 211 und NJW 1985, 1453. 848 BGH v. 30.10.1981 – I ZR 93/79, MDR 1982, 547 = AfP 1982, 107 = NJW 1982, 637 – Restquoten. 849 BGH v. 15.11.1967 – Ib ZR 137/65, GRUR 1968, 205. 850 BGH v. 28.11.1969 – I ZR 139/67, NJW 1970, 378.
286
Burkhardt/Peifer
III. Recht am Unternehmen
Rz. 166 Kap. 5
antwortlichkeit für die Einhaltung des „Internationalen Automobilsportgesetzes“. Diesmal hat der BGH die Klage des konkurrierenden Verbandes abgewiesen. Bei der Verwendung der Bezeichnung OMS und der Aufforderung, Veranstaltungen des klagenden Verbandes fernzubleiben, handelten ADAC und AvD nicht in Wettbewerbsabsicht, so dass UWG-Tatbestände entfielen. § 824 BGB scheide wegen fehlender Betroffenheit des klagenden Verbandes aus. Ob dem klagenden Idealverein das Recht am Unternehmen überhaupt zur Seite stehe, könne offenbleiben. Jedenfalls sei der Eingriff nicht „unmittelbar“, weswegen eine Verletzung in jedem Falle ausscheide. Erwähnt sei außerdem die Entscheidung „Warentest II“851. Sie betrifft die zu günstige Beurteilung von Konkurrenzprodukten in einem vergleichenden Warentest. Dazu meint der VI. Senat, die zu günstige Beurteilung führe zwar dazu, dass das Produkt des betroffenen Unternehmers in der Relation einen zu ungünstigen Platz erhalte. Ein solcher Eingriff in das Recht des betroffenen Unternehmens sei aber nicht „betriebsbezogen“. Die Begründung vermag in keinem der drei Fälle zu überzeugen. In den Fällen Teppichreini- 164 gung und Sportkommission hätten Wettbewerbsverhältnis und eigennütziges Handeln bejaht und die Auseinandersetzung unter dem Blickwinkel des UWG erörtert werden können, weil solche Verbände durchaus in Konkurrenz zueinander stehen und es sich um Äußerungen gehandelt hat, die zwar nicht den Konkurrenzverband, wohl aber das Konkurrenzverhältnis betroffen haben. Abgesehen davon wäre das Recht am Unternehmen eine Anspruchsgrundlage gewesen, deren Anwendbarkeit nicht an fehlender „Unmittelbarkeit“ hätte scheitern können. Schon gar nicht hat es im Warentest-Fall an der „Betriebsbezogenheit“ gefehlt. Wenn einem Unternehmen, wie unterstellt sei, der erste Platz gebührt, es aber im Testbericht an letzter Stelle rangiert, muss unerfindlich bleiben, inwiefern die „Betriebsbezogenheit“ des Eingriffes zu leugnen ist, was auch immer darunter zu verstehen sein mag. Die zitierten Fälle zeigen, dass ein Bedürfnis für den Rückgriff auf das Recht am Unterneh- 165 men besteht, wenn auf ein Wettbewerbsverhältnis in unlauterer Weise eingewirkt wird, die Anwendung von UWG-Tatbeständen aber am Fehlen der dafür erforderlichen speziellen Voraussetzungen scheitert. Insoweit weist der Rechtsschutz tatsächlich eine Lücke auf, die durch den Auffangtatbestand des Rechts am Unternehmen geschlossen werden kann. Mit Recht hat es deswegen das OLG Koblenz als unzulässigen Eingriff in dieses Recht bezeichnet852, in einem Restaurantführer für eine Region mit ca. 4.000 Restaurants zu behaupten, die Schrift könne den Benutzer „davor bewahren, in Restaurants zu essen, in denen eine Enttäuschung zwangsläufig ist – und das gilt für die meisten der Region“, obschon von den insgesamt 4.000 Restaurants nur 250 getestet und davon 86 genannt worden waren. Eine solche Darstellung erregt den Anschein, als sei in allen nicht erwähnten Restaurants mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Enttäuschung zu erwarten, obwohl auch bei Betrachtung vom Standpunkt des Kritikers aus dafür jeder tatsächliche Anhaltspunkt gefehlt hat. Gleiches gilt für den Bericht über einen Weingütertest, wenn darin herabsetzende Äußerungen über ein Weingut enthalten sind, dessen aktuelle Weine nicht Gegenstand des Testes waren853. b) Schutz verneint In der Zeit nach der Höllenfeuer-Entscheidung854 hat die Rechtsprechung die Rechtswidrig- 166 keit von Eingriffen in das Recht am Unternehmen zumeist verneint. Zulässig ist die in ei851 852 853 854
BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620. OLG Koblenz v. 17.11.1983 – 6 U 1330/83, WRP 1984, 105. OLG Frankfurt v. 11.1.1996 – 6 W 126/95, NJW 1996, 1146 – Adel verzichtet. BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617.
Burkhardt/Peifer 287
Kap. 5 Rz. 167
Wortberichterstattung – die Tatbestände
nem redaktionellen Beitrag erfolgende Verwendung des Firmennamens Zeiss zur Bezeichnung des in der DDR enteigneten Unternehmens855, ebenso die öffentliche Kritik an der Einstellung einer Firma zum Problem des Warentests856, die Veröffentlichung von Testberichten857, von kritischen Berichten über Hormoncremes858 sowie die Mitteilung geschäftlicher Verfehlungen zwecks Verhinderung der Auszahlung von Akkreditiven859 und die bloße Anfertigung von Filmaufnahmen außerhalb der eigentlichen Betriebsstätte860. Zulässig ist harsche Kritik an Unternehmen, wenn dem ein konkreter Sachbezug zugrunde liegt. So durfte ein Verfahren zur Einsparung von fossilen Brennstoffen als „groß angelegter Betrug“ klassifiziert werden, wenn es Anhaltspunkte für seine Wirkungslosigkeit gab und ein Wirtschaftsjournalist diese Wirkungslosigkeit gegenüber Kunden des Unternehmens anprangerte861. Im Zusammenhang mit der wirtschaftlich nachteiligen Beteiligung eines deutschen Unternehmens am Bau eines Flughafenterminals in Manila durfte einer Wirtschafts- und Steuerberatungsgesellschaft in ihrem Internetauftritt von einem „Sumpf an Lügen, Täuschung, Vertuschung, Vetternwirtschaft, Polit-Kumpanei und Korruption“ sprechen, um die Kritik an diesem wirtschaftlichen Vorgang zu bekräftigen862. Vor einem Elektrofahrrad durfte mit der Aussage gewarnt werden, es erzeuge „Gefahr für Leib und Leben“863. Bezüglich des Rücktritts eines Vorstandsvorsitzenden wurde der Verdacht „unsauberer Geschäfte“ als Meinungsäußerung für zulässig erachtet864. 167
Die Einmischung eines Gesellschafters in die Geschäftsführung der Gesellschaft durch Erteilung von Ratschlägen kann zwar vertragswidrig sein, sie bedeutet aber keinen unzulässigen Eingriff in das Recht am Unternehmen865. In der Entscheidung „Preisvergleich“ geht es um den Bericht einer Verbraucherzentrale zum Thema „Wo ist was am billigsten?“. Obschon die Anbieter namentlich erwähnt waren, untersucht der BGH erst gar nicht, ob der Preisvergleich unter dem Blickwinkel des Unternehmensschutzes unzulässig sein könne866. Ob die Bezeichnung von Kreditvermittlern als Kredithaie ein unzulässiger Eingriff in das Unternehmensrecht ist, hat der BGH in der Geldmafiosi-Entscheidung offengelassen867. Zu dieser Frage hat auch das Bundesverfassungsgericht keine klare Stellung bezogen868.
168
Auch wenn eine Schrift Unwahrheiten enthält, ist die Rechtswidrigkeit des Eingriffes nach der Entscheidung „Bundesbahnplanungsvorhaben“ nicht ohne Weiteres zu bejahen, sondern 855 BGH v. 14.4.1965 – Ib ZR 80/63, GRUR 1965, 547 – Zonenbericht. 856 BGH v. 11.1.1966 – VI ZR 175/64, GRUR 1966, 386. 857 BGH v. 18.10.1966 – VI ZR 29/65, GRUR 1967, 113; v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620; OLG Frankfurt v. 25.4.2002 – 16 U 136/01, NJW-RR 2002, 1697. 858 BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, GRUR 1969, 624. 859 BGH v. 17.12.1969 – I ZR 152/67, GRUR 1970, 465 – Prämixe. 860 BGH v. 21.4.1998 – VI ZR 196/97, MDR 1998, 841 = NJW 1998, 2141 – Appartementanlage. 861 BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = IPRB 2015, 78 = AfP 2015, 41. 862 BGH v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, AfP 2009, 137 = CR 2009, 457 = NJW 2009, 1872; vgl. auch LG Köln v. 3.2.2016 – 6 U 2488/11: „Abzocker“. 863 LG Hamburg v. 18.9.2009 – 324 O 400/09. 864 OLG Hamburg v. 22.9.2009 – VI ZR 19/08, NJW 2009, 3580. 865 BGH v. 23.10.1979 – VI ZR 230/77, MDR 1980, 300 = NJW 1980, 881 – Vermögensverwaltung. 866 BGH v. 13.6.1980 – V ZR 11/79, NJW 1981, 2304. 867 BGH v. 17.2.1983 – I ZR 194/80, MDR 1983, 819 = NJW 1983, 1559, 1561. 868 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie.
288
Burkhardt/Peifer
III. Recht am Unternehmen
Rz. 170 Kap. 5
nur, wenn der Betroffene nachweist, dass ihm aus der Darstellung Nachteile erwachsen sind bzw. dass mit Nachteilen zu rechnen ist869. Mit dieser Begründung hat der BGH das Berufungsurteil in einem Verfahren der Bundesbahn gegen eine Umweltschutzvereinigung aufgehoben, deren Gegenstand eine gegen ein Planungsvorhaben gerichtete Dokumentation gewesen ist, in der auch Falschbehauptungen enthalten waren. Der BGH hat den Nachweis vermisst, die Dokumentation habe eine signifikante Zunahme von Einsprüchen gegen das Planungsvorhaben zur Folge gehabt bzw. dass mit solchen Ansprüchen zu rechnen sei. Ebenso als zulässig angesehen wurde sowohl die Ankündigung als auch die tatsächliche Aufforderung des Verbandes der Postbenutzer, Telekom-Kunden sollten Fernmelderechnungen nur unter Vorbezahlt zahlen870. Noch nicht als unzulässig hat der BGH auch die satirische Verfremdung einer Zigarettenwerbung in einem Nichtraucherkalender bezeichnet871. Das OLG Hamburg hat schon in einem Urteil von 1959 die in einem kirchlichen Zeitschrif- 169 tenbeobachtungsdienst enthaltene Warnung, die Zeitschrift Stern sei „für alle entschieden abzulehnen“, zwar als hart, aber als nicht über das hinausgehend bezeichnet, was der Leser bei Kritiken über öffentliche Angelegenheiten gewohnt sei. Auch wenn ein Buch, ein Film oder ein Theaterstück in einer Pressekritik ungünstig beurteilt werde, müssten sich nicht nur der Autor und die Schauspieler damit abfinden, die über keinen Gewerbebetrieb verfügen, sondern auch der Verlag, das Filmunternehmen und das Theater. Dabei werde noch nicht einmal vorausgesetzt, dass die Kritik objektiv zutreffe, weil Art. 5 GG auch das Äußern einer falschen Meinung schützt872. Bei der Nennung von nur zwei Frauenzeitschriften und der Nichterwähnung der auflagenstärksten in einem Fernsehbeitrag zum Thema „Die unzufriedenen Frauen“ hat das LG Hamburg die Rechtswidrigkeit an der fehlenden Unmittelbarkeit des Eingriffes scheitern lassen873. Ebenso wenig kann sich ein Unternehmen unter Berufung auf das Unternehmensrecht dagegen wenden, in einer kritischen Monitor-Sendung zum Thema Dioxin in Haarshampoos durch ein ihrer Werbung entnommenes Zitat besonders ins Blickfeld gerückt zu werden, obschon viele andere Hersteller gleichfalls Dioxin verwenden. Den Medien ist es grundsätzlich gestattet, kritische Berichte durch konkrete Beispiele zu verdeutlichen874. Die Aufforderung eines Politikers, die Inserenten eines Anzeigenblattes sollten berücksichti- 170 gen, dass es eine handfeste politische Zielrichtung im Sinne der NPD verfolge, hat das OLG München zwar als Eingriff, nicht aber als unzulässig bezeichnet875. Auch die Warnung, ein Verlagserzeugnis sei ein „Gegenstand verantwortungsloser Verlagsspekulation“, ist als zulässig bezeichnet worden876. Ein Chirurg darf in einer Fernsehsendung vor Gefahren der plastischen Chirurgie warnen und auch vor Privatkliniken, die dafür werben877. Auch die Rückstufung eines Hotels in einem Reiseführer ist grundsätzlich zulässig878.
869 BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607. 870 OLG Düsseldorf v. 19.11.1996 – U (Kart.) 14/96, NJW-RR 1997, 1045. 871 BGH v. 17.4.1984 – VI ZR 246/82, MDR 1984, 747 = AfP 1984, 151 = NJW 1984, 1956 – Mordoro. 872 OLG Hamburg v. 6.5.1959 – 3 U 219/58, Ufita 31/1960, 370. 873 LG Hamburg v. 24.4.1963 – 15 Q 195/63, Ufita 40/1963, 220. 874 BGH v. 25.11.1986 – VI ZR 269/85, GRUR 1987, 187 – Antiseptica; OLG Frankfurt v. 10.11.1988 – 6 U 206/87, AfP 1989, 553, 555. 875 OLG München v. 24.6.1969 – 5 U 2422/68, ArchPR 1969, 57. 876 OLG Hamburg v. 5.12.1974 – 3 U 107/74, ArchPR 1974, 122. 877 OLG Frankfurt v. 9.6.1971 – 6 U 44/70, NJW 1971, 1900. 878 OLG Frankfurt v. 24.1.1974 – 6 U 51/73, NJW 1974, 1568.
Burkhardt/Peifer 289
Kap. 5 Rz. 170
Wortberichterstattung – die Tatbestände
IV. Beleidigungstatbestände Schrifttum: Engelhard, Die Ehre als Rechtsgut im Strafrecht, 1921; Weber, Die Bedeutung der Worte „das Vorhandensein einer Beleidigung“ in §§ 192, 193 StGB, ZStW 1953, 196; Oppe, Ist eine Beleidigungsabsicht zur Strafbarkeit nach §§ 192, 193 StGB erforderlich?, MDR 1962, 947; Kaufmann, Zur Frage der Beleidigung an Kollektivpersönlichkeiten, ZStW 1972, 418; Otto, Persönlichkeitsschutz durch strafrechtlichen Schutz der Ehre, FS Schwinge, 1973, S. 78; Tenckhoff, Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände, 1975; Praml, Beleidigungsdelikte bei anwaltlicher Interessenvertretung, NJW 1976, 1967; Wolff, Ehre und Beleidigung, ZStW 1981, 886; Nolte, Beleidigungsschutz in der freiheitlichen Demokratie, 1992; Kriele, Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, NJW 1994, 1897; Soehring, Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, NJW 1994, 2926; Gounalakis, Soldaten sind Mörder, NJW 1996, 481; Nolte, Soldaten sind Mörder – Europäisch betrachtet, AfP 1996, 313; Scholz, Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz: gesetzgeberische oder verfassungsrechtliche Verantwortung, AfP 1996, 323; Schmitt-Glaeser, Meinungsfreiheit, Ehrschutz und Toleranzgebot, NJW 1996, 873; Amelung, Die Ehre als Kommunikationsvoraussetzung – Studien zum Wirklichkeitsbezug des Ehrbegriffs und seiner Bedeutung im Strafrecht, 2002; Kaiser, Medienkriminalität, ZRP 2002, 30; Brugger, Verbot oder Schutz von Hassrede? – Rechtsvergleichende Beobachtungen zum deutschen und amerikanischen Recht, AöR 2003, 372; Brugger, Hassrede, Beleidigung, Volksverhetzung, JA 2006, 687; Brauneck, Kritische Anmerkungen zur konventionellen gerichtlichen Prüfungsmethodik bei satirischen Darstellungen, ZUM 2004, 887; Karpf, Die Begrenzung des strafrechtlichen Schutzes der Ehre, 2004; Geppert, Zur passiven Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften und von Einzelpersonen unter einer Kollektivbezeichnung, JURA 2005, 244; Otto, Der strafrechtliche Schutz vor ehrverletzenden Meinungsäußerungen, NJW 2006, 575; Heller/Goldbeck, Mohammed zu Gast in Popetown, ZUM 2007, 628; Jendrusch, Beleidigung durch ausgestreckten Mittelfinger gegen eine Radaranlage, NZV 2007, 559; Tellenbach, Die Rolle der Ehre im Strafrecht, 2007; Simon, Lehrermobbing durch Videos im Internet – ein Fall für die Staatsanwaltschaft?, MMR 2008, 77; Kett-Straub, Hat Porsche eine Ehre? – Die passive Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften, ZStW 2008, 759; Beck, Internetbeleidigung de lege lata und de lege ferenda – Strafrechtliche Aspekte des „spickmich“-Urteils, MMR 2009, 736; Gärtner, Was die Satire darf – Eine Gesamtbetrachtung zu den rechtlichen Grenzen einer Kunstform, 2009; Leipziger Kommentar, Strafgesetzbuch, Band 6: §§ 146 bis 210 StGB, 12. Aufl. 2009; Hilgendorf, Strafrecht und Interkulturalität, JZ 2009, 139; Valerius, Die Berücksichtigung kultureller Wertvorstellungen im Strafrecht, JA 2010, 481; Marfels, Von der Ehre zur Anerkennung – die Bedeutung sozialphilosophischer Anerkennungstheorien für den strafrechtlichen Ehrbegriff, 2011; Valerius, Kultur und Strafrecht – die Berücksichtigung kultureller Wertvorstellungen in der deutschen Strafrechtsdogmatik, 2011; Klas/Blatt, „ACAB“ – Strafbare Beleidigung von Polizisten?, HRRS 2012, 388; Foerstner, Kollektivbeleidigung, Volksverhetzung und „lex Tucholsky“ – eine Untersuchung zu Äußerungsdelikten und Meinungsfreiheit, 2012; Geppert, Zur Frage strafbarer Kollektivbeleidigung der Polizei oder einzelner Polizeibeamter durch Verwendung des Kürzels „a.c.a.b.“, NStZ 2013, 553; Krischker, Gefällt mir, Geteilt, Beleidigt? Die Internetbeleidigung in sozialen Netzwerken, JA 2013, 488; Engelberg, Strafe – eine Frage der Ehre? – ein Beitrag zur Erläuterung der Auswirkungen der Lehre von der Strafrechtswidrigkeit auf den Fall von Ehrverletzungen durch die Presse, 2014; Mensching, Hassrede im Internet – Grundrechtsvergleich und regulatorische Konsequenzen, 2014; Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 29. Aufl. 2014; Finger, Homophobie und Strafrecht – eine strafrechtliche Untersuchung homophober Äußerungen und Äußerungen in Bezug auf Homosexualität, 2015; Kretschmer, Beleidigung durch Tragen eines Ansteckers mit der Aufschrift „FCK CPS“?, JR 2015, 442; Og˘lakcıog˘lu/Rückert, Anklage ohne Grund – Ehrschutz contra Kunstfreiheit am Beispiel des sog. Gangsta-Rap, ZUM 2015, 876; Oppermann, Ehrensache Satire – zur Frage satirischer Ehrbeeinträchtigungen im Strafrecht, 2015; Fahl, Böhmermanns Schmähkritik als Beleidigung, NStZ 2016, 313; Härting, Hatespeech bei Facebook & Co., K&R Beilage 1/2016, 8; Putzke, Strafbarkeit nach § 185 StGB und Meinungsfreiheit – oder: Zur Sorgfalt bei Gerichtsurteilen und Presseberichterstattung, NJ 2016, 177; Rüthers, Meinungsfreiheit und Ehrenschutz bei Kollektivurteilen – Zur Zulässigkeit von Pauschalbeleidigungen, NJW 2016, 3337; Rusch/Becker, Warum Satire eben doch fast alles darf – Der Fall Böhmermann und seine straf- und rundfunkrechtliche Bewertung, AfP 2016, 201; Hermann, Persönlichkeitsrechtsverletzende Passagen einer Satire – Schmähgedicht, AfP 2017, 180; Nolte, Hate-Speech,
290
Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 174 Kap. 5
Fake-News, das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ und Vielfaltsicherung durch Suchmaschinen, ZUM 2017, 552.
Die strafrechtlichen Beleidigungstatbestände sind als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB an- 171 erkannt und haben damit auch im Zivilrecht Bedeutung. Ein Unterlassungsanspruch kann schon bei objektiver Verwirklichung eines Straftatbestandes begründet sein, so dass es auf die strafrechtlichen Verschuldensvoraussetzungen insoweit nicht ankommt. Schadensersatzansprüche sind allerdings auch im Zivilrecht mindestens an das Erfordernis fahrlässiger Verletzung geknüpft. Für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche analog § 1004 Abs. 1 BGB genügt allerdings die objektive Rechtswidrigkeit des Verhaltens. Dieser Umstand ist eine entscheidende Voraussetzung für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegenüber Internet-Providern, denen regelmäßig Wissen und Wollen in Bezug auf von ihnen gehostete beleidigende oder schmähende Äußerungen fehlt (s. dazu Kap. 10 Rz. 233 ff.). 1. Beleidigung § 185 StGB Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
a) Begriff der Ehre Schutzobjekt der Beleidigung ist der Rechtsanspruch eines jeden auf Achtung seiner Ehre879. 172 Dieser Anspruch wird durch einen vorsätzlich auf die Ehre gerichteten Angriff verletzt. Ein solcher Angriff liegt vor bei Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung880. Ausgangspunkt der rechtlichen Betrachtung ist damit die Erfassung des Ehrbegriffes. aa) Objektiver und subjektiver Ehrbegriff Wird der Ehrbegriff objektiv verstanden, richtet sich der Umfang der dem Einzelnen indivi- 173 duell zustehenden Ehre nach der wirklichen Situation. Wird der Ehrbegriff subjektiv verstanden, ist das „Ehrgefühl“ maßgebend, d.h. die Spiegelung des wirklichen oder vermeintlichen Persönlichkeitsbildes im Objekt der Wertung881. Der Begriff wird allerdings in der Praxis durch normative Korrekturen überlagert, so dass die reine Empfindlichkeit im Ergebnis keinen Schutz genießt. Das spielt vor allem eine Rolle, wenn es um die Frage geht, inwieweit kulturell beeinflusste Ehrbegriffe, Ehrbegriffe besonderer Gruppen in der Gesellschaft, aber auch geschlechtsspezifische oder der sexuellen Orientierung entstammende Ehrbegriffe Einfluss auf die Beurteilung einer Beleidigung haben882. Ohne Normativierung kann die Rechtsordnung hier nur noch schwer sichere Abgrenzungen schaffen. Nach richtiger und wohl h.M. ist von einem objektiv verstandenen Ehrbegriff auszugehen. Ob 174 der wirklich oder nur vermeintlich Beleidigte den Umfang der ihm individuell zustehenden Ehre über- oder unterschätzt, ist gleichgültig. Die Grenzen des Schutzes unterliegen nicht der 879 Einhellige Meinung, BGH v. 18.11.1957 – GSSt 2/57, BGHSt 11, 67, 70. 880 BGH v. 29.5.1951 – 2 StR 153/51, BGHSt 1, 289; v. 16.12.1954 – 3 StR 384/54, BGHSt 7, 131; v. 18.11.1957 – GSSt 2/57, BGHSt 11, 67; BGHSt 16, 63. 881 Vgl. Rehbinder, JZ 1963, 314. 882 Vgl. zu diesen Fragen Tellenbach, Die Rolle der Ehre, 2007; Valerius, Kultur und Strafrecht, 2011; Finger, Homophobie und Strafrecht, 2015.
Burkhardt/Peifer 291
Kap. 5 Rz. 175
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Selbstbestimmung des Betroffenen883. Selbst wenn es an einem Gefühl für den eigenen Wert überhaupt fehlt, wie es bei kleinen Kindern oder Geistesschwachen der Fall sein kann, ändert das am Vorhandensein und Umfang der Ehre an sich nichts884. bb) Innere und äußere Ehre 175
Die in objektivem Sinne zu verstehende Ehre umfasst in erster Linie die dem Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommende innere Ehre885. Früher ist das bezweifelt worden, weil die innere Ehre im eigentlichen Sinne unverletzlich ist und auch durch Beleidigung nicht beeinträchtigt werden kann886. Da Art. 1 GG die dem Menschen von Geburt an zukommende Personenwürde als unantastbar erklärt und ihren Schutz aller staatlichen Gewalt zur Pflicht macht, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die innere Ehre den wesentlichen Bestandteil des Ehrbegriffs überhaupt ausmacht. Das schließt Normativierungen des Ehrbegriffs allerdings nicht aus, sondern erfordert sie, um rechtssichere Begründungen zu erlangen (oben Rz. 173).
176
Im Kern folgt die innere Ehre aus der bloßen Tatsache des Menschseins, verfassungsrechtlich aus der Anerkennung der Menschenwürde in Art. 1 GG. Dadurch erhält jeder einen unverlierbaren Status, auch wenn er die Forderungen des Gemeinschaftslebens aus physischen oder psychischen Gründen nicht erfüllen kann, und sogar, wenn er in gröblichster Weise gegen die rechtliche oder soziale Ordnung verstößt. Völlige Ehrlosigkeit eines Menschen ist undenkbar887. Man mag daher etwas exakter statt von Ehre von Würde sprechen, um deutlich zu machen, dass das Vorhandensein von Ehre außer dem Menschsein nichts erfordert, insb. nicht voraussetzt, dass man Teil einer auf gesellschaftliche Differenzierung setzenden Klasse ist888.
177
Zum angeborenen Kernbestandteil der inneren Ehre tritt als zweite Wurzel die erworbene Ehre hinzu, und zwar je nach Charakter und Leistungswert des einzelnen Menschen. Der Rechtschaffene genießt einen höheren Status als der Rechtsbrecher, der sittlich Gefestigte hat mehr Ehre als der sich sittlich anstößig Verhaltende. Deswegen kann die Ehre sich umfangmäßig wandeln. Der Umfang kann sich vergrößern, bei Negativleistungen auch verringern889.
178
Von der inneren ist die äußere Ehre zu unterscheiden, auch als Verkehrsehre bezeichnet, d.h. der gute oder schlechte Ruf, der Leumund, der „Name“, besser die Sozialgeltung oder Reputation. Nach heutiger Auffassung ist die äußere Ehre gleichfalls in den Schutzbereich der Beleidigungstatbestände einbezogen890. Das führt allerdings nicht dazu, auch den Ruf zu schützen, der zu Unrecht erworben oder erhalten ist891. Der sog. faktische Ehrbegriff wird in883 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco; a.A. Kübler, Anm. zu BVerfGE 82, 43, JZ 1990, 916. 884 Lenckner/Eisele, in Schönke/Schröder, Vorb. §§ 185 ff. StGB Rz. 2; grundlegend BGH v. 18.11.1957 – GSSt 2/57, BGHSt GrS 11, 67. 885 BGH v. 18.11.1957 – GSSt 2/57, BGHSt 11, 67, 70. 886 Vgl. Lenckner/Eisele, in Schönke/Schröder, Vorb. §§ 185 ff. StGB Rz. 1 m.w.N. 887 Vgl. dazu bereits Kohler, GA 1947, 140; Lenckner/Eisele, in Schönke/Schröder, Vorb. §§ 185 ff. StGB Rz. 1. 888 Zu den historischen Wurzeln dieser Deutung Taylor, Ursprünge des neuzeitlichen Selbst, in Michalski (Hrsg:) Identität im Wandel. Castelgandolfo-Gespräche 1995, S. 11, 20. 889 OLG Karlsruhe v. 24.8.1972 – 1 U 69/72, AfP 1973, 396; Tettinger, JuS 1997, 769, 770. 890 BGH v. 18.11.1957 – GSSt 2/57, BGHSt 11, 67, 71; OLG Karlsruhe v. 24.8.1972 – 1 U 69/72, AfP 1973, 396. 891 Leipziger Kommentar/Hilgendorf, vor § 185 StGB Rz. 8.
292
Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 180 Kap. 5
soweit normativ korrigiert. Die Entlarvung des nur vermeintlichen Ehrenmannes ist selbst dann nicht strafwürdig, wenn sie seinen guten Ruf besonders nachhaltig zerstört892. Schutzwürdig ist nur die verdiente Geltung. Unter Berufskollegen, z.B. Rechtsanwälten und Notaren, gelten keine höheren Anforderungen893. Der Bereich der beruflichen, wirtschaftlichen und kaufmännischen Betätigung wird durch 179 die sog. Geschäftsehre geschützt894. Ob die Geschäftsehre Bestandteil des Persönlichkeitsrechts ist, wird zu Recht bezweifelt895. Es genügt, die Sozialgeltung insoweit anzuerkennen, als dies für die Ausübung der wirtschaftlichen Entfaltung erforderlich ist. Der BGH weist zu Recht darauf hin, dass der Rechtsschutz insoweit nicht dem Schutz der persönlichen Ehre dient, sondern das Ziel verfolgt, „dasjenige Mindestmaß an öffentlicher Anerkennung zu gewährleisten, das erforderlich ist, damit die betroffene Einrichtung ihre Funktion erfüllen kann und das unerlässliche Vertrauen in die Integrität öffentlicher Stellen nicht in Frage gestellt wird“896. Dass juristische Personen und Personengemeinschaften beleidigungsfähig sind, entnimmt man insb. aus § 194 Abs. 3 Satz 2, 3 StGB. Zwar ist die Vorschrift auf Behörden zugeschnitten, genannt werden aber auch „sonstige Stellen“, so dass eine entsprechende Anwendung auch auf Körperschaften und Vereinigungen des Zivilrechts naheliegt897. In der Praxis verhindert dies häufig nur Schmähkritik, doch stehen natürliche Personen bei der Abwehr von Kritik nicht unbedingt besser da. Strafrechtlich geht es meist um die Frage, ob die Beleidigung eines Kollektivs gleichzeitig auch eine Beleidigung der dahinterstehenden Personen ist (unten Rz. 182)898. Im Zivilrecht ist der Grundsatz, dass über § 823 Abs. 2 BGB auch die §§ 185 ff. StGB zugunsten von juristischen Personen und Personengemeinschaften relevant sind, abstrakt noch gültig. Keine Verletzung der Geschäftsehre bedeutet es, wenn ein Kaufmann aufgrund eines zu Unrecht erfolgten Wechselprotestes in die von der Arbeitsgemeinschaft des Bankgewerbes zu Wechselprotesten vertraulich geführte Liste aufgenommen wird899. Nicht in den Ehrbegriff einzubeziehen ist die sog. Rechtswürde, die der Staat sich selbst, sei- 180 nen Beamten und sonstigen Organen ohne Rücksicht auf die individuelle Ehrhaftigkeit beilegen kann und die nach herkömmlicher Auffassung zu Ehrerbietung verpflichtet. Der Gedanke der Rechtswürde lag dem alten crimen maiestatis zugrunde. Das heutige StGB enthält nur noch den besonderen Tatbestand der Verunglimpfung des Bundespräsidenten, der neben seiner Person auch das Amt schützt (vgl. auch das besondere Strafantragsrecht nach § 194 Abs. 3 StGB). Die Beleidigung ausländischer Staatsorgane und Vertreter, die bisher über § 103 StGB erfasst wurde900, entfieh als Sondertatbestand zum 1.1.2018901. Hintergrund waren die Strafverfahren gegen den deutschen Satiriker Böhmermann, der mit einem Schmähgedicht 892 893 894 895 896 897 898 899 900 901
Vgl. Leipziger Kommentar/Hilgendorf, vor § 185 StGB Rz. 6. BVerfG v. 16.10.1998 – 1 BvR 590/96, NJW 1999, 2262. KG v. 16.12.1977 – 9 U 1730/77, NJW 1979, 48. Dafür BGH v. 10.11.1994 – I ZR 216/92, MDR 1995, 710 = AfP 1995, 404 = NJW-RR 1995, 301, 303 – Dubioses Geschäftsgebaren und Vorauflage. BGH v. 2.12.2008 – VI ZR 219/06, AfP 2009, 55 = ITRB 2009, 128 = NJW 2009, 915 zu den in der ARD zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten; OLG Stuttgart v. 29.5.2013 – 4 U 163/12, NJW-RR 2014, 487. LG Düsseldorf, v. 19.4.2016 – 6 O 226/15, NJOZ 2016, 1735. Kett-Straub, ZStW 2008, 759. KG v. 16.12.1977 – 9 U 1730/77, NJW 1979, 48. Dazu Heinen, Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes, 2005. Gesetz zur Reform der Straftaten gegen ausländische Staaten vom 17.7.2017, BGBl. I 2017, 2439; dazu Vormbaum, JZ 2017, 413.
Burkhardt/Peifer 293
Kap. 5 Rz. 181
Wortberichterstattung – die Tatbestände
den türkischen Staatspräsidenten verunglimpft hat und dafür mit mehreren strafrechtlichen Anzeigen, auch solchen wegen Verstoßes gegen § 103 StGB, überzogen wurde. Die Strafverfolgung scheiterte daran, dass der Einwand des satirischen Einsatzes von Beleidigung zur Aufklärung des Publikums (und des Betroffenen) über die Grenzen der Schmähkritik nicht widerlegt werden konnte und daher rechtfertigend wirkte902. Diskutiert wird allerdings in rechtspolitischer Hinsicht über die Frage, ob der Schutz gegen Beleidigungen nur individuellen oder auch kollektiven Zwecken dient. Zum Teil wird mit Recht darauf hingewiesen, dass der Beleidigungsschutz eine besondere Funktion für die Erhaltung einer Kommunikationskultur, aber auch die Fähigkeit zur Kommunikation innerhalb einer Gesellschaft hat903. Andere Stimmen wollen den strafrechtlichen Schutz der Ehre ganz aufgeben und die Verteidigung der Reputation nur noch dem Zivilrecht überantworten904. Eine Lösung ist noch nicht in Sicht. Der Schutz der Ehre spielt allerdings mittlerweile bei Beleidigungen, die oft anonym, vielfach jedoch besonders scharf und anlasslos auf Internetdiensten aufgestellt und verbreitet werden, eine erhebliche Rolle905. Das Zivilrecht ist daher auch künftig gefordert, Würde und Reputation zu verteidigen. Das Strafrecht wird sich der Aufgabe schon deswegen nicht entziehen können, weil die allein zivilrechtliche Durchsetzung durch die Betroffenen erheblich erschwert ist906. b) Beleidigungsfähigkeit 181
Der lebende Mensch ist ausnahmslos beleidigungsfähig. Es kommt weder auf das Alter noch auf Geistesverfassung oder körperlichen Zustand an. Auch Kinder und Unzurechnungsfähige sind beleidigungsfähig907. Der Verstorbene hat keine Ehre. Diese Persönlichkeitseigenschaft erlischt mit der Persönlichkeit im Ganzen. Verstorbene sind also nicht beleidigungsfähig. Hierfür spricht auch, dass das Persönlichkeitsrecht mit dem Tod untergeht908. § 189 StGB schützt aber das Andenken Verstorbener909.
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Personengemeinschaften sind als Korporation oder Institution beleidigungsfähig, wenn sie eine anerkannte gesellschaftliche Aufgabe oder soziale Funktion erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden können910. Die Rechtsform ist nicht entscheidend. Geschützt sind also Kapitalgesellschaften911, Personengesellschaften912, rechtsfähige und nichtrechtsfähige Vereine913, ebenso juristische Personen des öffentlichen Rechts, z.B. die Kassenärztliche Vereini-
902 Hierzu Generalstaatsanwaltschaft Koblenz v. 13.10.2016 – 4 ZS 831/16, AfP 2016, 556; Fahl, NStZ 2016, 313; Rusch/Becker, AfP 2016, 201; Hermann, AfP 2017, 180. 903 Amelung, Die Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, 2002. 904 Karpf, Die Begrenzung des strafrechtlichen Schutzes der Ehre, 2004. 905 Vgl. Beck, MMR 2008, 77; Beck, MMR 2009, 736. 906 Zur Durchsetzung gegenüber Intermediären kritisch Härting, K&R Beilage 1/2016, 8. 907 RG v. 2.5.1884 – 971/84, RGSt 10, 372; v. 27.2.1939 – 3 D 38/39, RGSt 73, 113, 116; v. 10.4.1941 – 2 D 69/41, RGSt 75, 179; BGH v. 16.12.1954 – 3 StR 384/54, BGHSt 7, 129, 132; BGH v. 13.5.1969 – 2 StR 616/68, BGHSt 23, 1, 3. 908 BVerfG v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1971, 1645, 1647 – Mephisto. 909 Geppert, JURA 2005, 244. 910 Std. Rspr., vgl. u.a. BGH v. 8.1.1954 – 1 StR 260/53, BGHSt 6, 186. 911 BVerfG v. 24.5.2006 – 1 BvR 49/00, 1 BvR 55/00, 1 BvR 2031/00, NJW 2006, 3769 – Babycaust; BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/47, NJW 1975, 1882, 1883. 912 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = NJW 1980, 2807, 2808 – Medizinsyndikat. 913 BGH v. 18.5.1971 – VI ZR 220/69, NJW 1971, 1655, v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, MDR 2016, 648 = NJW 2017, 98 Rz. 27: Koordinierungsstelle für postmortale Organspenden; LG Düsseldorf v. 19.4.2016 – 6 O 226/15, NJOZ 2016, 1735: Fußballverband.
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Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 183 Kap. 5
gung914, die Rundfunkanstalten der ARD915, die Katholische Kirche916, die Bundesanstalt für Arbeit917 das Bundeskriminalamt918 und sonstige Behörden und Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen919, wie z.B. die Bundeswehr920, ein Landkreis921 oder eine Kommune922. Das folgt auch aus dem dem Behördenleiter durch § 194 Abs. 3 Satz 2 und 3 StGB eingeräumten Strafantragsrecht. Sind staatliche Einrichtungen Gegenstand öffentlicher Kritik, kommt § 193 StGB gesteigerte Bedeutung zu. Der strafrechtliche Schutz darf sie nicht gegen öffentliche Kritik, auch in scharfer Form, abschirmen923. Dies ist insb. bei auf den Ehrenschutz gestützten Unterlassungsansprüchen924 zu berücksichtigen. Auch politische Parteien925 und Gewerkschaften926 sind als schutzwürdige Personengemeinschaften anerkannt. Nach Auffassung des BGH kann die Beleidigungsfähigkeit auch daraus folgen927, dass das Unwerturteil seiner Art nach auf sämtliche Angehörigen des gemeinten Kollektivs zutrifft, wie z.B. die „Behauptung“, mit dem Soldatenberuf sei „höchstens noch der des Folterknechts, des KZ-Aufsehers oder des Henkers“ vergleichbar. Nicht beleidigungsfähig sind gesellige Vereinigungen wie z.B. ein Skatclub oder eine Stammtischrunde, möglich ist aber eine Kollektivbeleidigung. Der Ehrenschutz wegen Verunglimpfung des Staates gemäß § 90a StGB ist nicht zivilrechtlich, sondern nur strafrechtlich durchsetzbar928. Ob Berufsstände wie z.B. die Richterschaft, die Anwaltschaft usw. als solche beleidigungs- 183 fähig sind, ist umstritten929. Richtiger Ansicht nach hängt die Beleidigungsfähigkeit auch insoweit davon ab, ob eine einheitliche Willensbildung möglich ist. Die Polizei ist keine beleidigungsfähige Personengesamtheit, wohl aber sind einzelne Polizisten beleidigungsfähig. Weder als Kollektivbeleidigung (§ 185 StGB) noch als Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 StGB) angesehen wurde daher das Tragen eines Stickers „FCK CPS“930 oder „ACAB“931, weil in beiden Fällen das angezielte Kollektiv als zu groß angesehen wurde, um eine individuelle Betroffenheit zu erzeugen. Auch eine Sammelbeleidigung kommt nicht in Betracht, weil der umschriebe914 915 916 917 918 919 920 921 922 923 924 925 926 927 928 929 930 931
BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 251/80, MDR 1983, 43 = AfP 1982, 217 = NJW 1982, 2246. BGH v. 2.12.2008 – VI ZR 219/06, AfP 2009, 55 = ITRB 2009, 128 = NJW 2009, 915. OLG Hamburg v. 18.10.2011 – 7 U 11/11, ZUM-RD 2013, 452. BGH v. 16.11.1982 – IV ZR 122/80, NJW 1983, 1183. BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, AfP 2008, 381 = MDR 2008, 916 = NJW 2008, 2262 Rz. 28. BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3304 – Soldaten sind Mörder II; BGH v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421 – Babycaust. BGH v. 3.5.1988 – VI ZR 276/87, MDR 1988, 952 = AfP 1989, 534, 537. VGH Kassel v. 26.4.1989 – 6 TG 748/89, NJW 1990, 1005. OVG Saarlouis v. 17.10.2013 – 2 A 303/12, NJOZ 2015, 274. BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3304 – Soldaten sind Mörder II. BGH v. 16.11.1982 – IV ZR 122/80, NJW 1983, 1183 – Vetternwirtschaft. OLG München v. 26.1.1976 – 21 U 5657/75, AfP 1976, 130. BGH v. 18.5.1971 – VI ZR 220/69, NJW 1971, 1655. BGH v. 3.5.1988 – VI ZR 276/87, MDR 1988, 952 = AfP 1989, 534. Vgl. BVerfG v. 29.7.1998 – 1 BvR 287/93, NJW 1999, 204. Bejahend LG Ravensburg v. 20.10.1936 – K Ms 3/36, JW 1937, 181; wohl auch LG Hannover v. 7.11.1947 – 13 K Ms 2/47, NJW 1948, 349; verneinend Bockelmann, NJW 1953, 554. „Fuck Cops“, BVerfG v. 26.2.2015 – 1 BvR 1036/14, AfP 2015, 236 = IPRB 2015, 175 = NJW 2015, 2022 Rz. 11. „All Cops Are Bastards“, BVerfG v. 17.5.2016 – 1 BvR 2150/14, NJW 2016, 2643 Rz. 16; v. 29.6.2017 – 1 BvR 1593/16, NJW 2017, 1092; krit. Rüthers, NJW 2016, 3337; Kretschmer, JR 2015, 442; vgl. zur Beleidigung der Polizei die zahlreichen Beispiele bei Krumm, SVR 2009, 255.
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Kap. 5 Rz. 184
Wortberichterstattung – die Tatbestände
ne Personenkreis zu wenig überschaubar ist932. Anders verhält es sich, wenn die der Beleidigung zugrunde liegenden Vorwürfe eine örtlich oder persönlich abgrenzbare Gruppe von Polizisten betrifft933. Dies traf auch auf einen anderen „ACAB“-Fall zu, in dem der Täter als Teilnehmer einer NPD-Gegendemonstration einen Beutel mit jener Aufschrift „ostentativ“ und „nachgerade paradierend“ vor den Polizeibeamten zur Schau stellte934. Ein Wirtschaftsverband hat zumindest die Möglichkeit, Ehrangriffe auf Mitgliedsfirmen in gewillkürter Prozessstandschaft abzuwehren. Eine solche Abwehr kann aber nicht erfolgreich sein, wenn die beanstandete Darstellung deutlich werden lässt, dass es auch seriöse Mitgliedsfirmen gibt und der Angriff sich nur gegen tatsächlich vorhandene unseriöse Mitglieder richtet935. 184
Ob der Familie ein eigenständiges Persönlichkeitsrecht zusteht und sie als solche beleidigt werden kann, ist umstritten936. Die Verletzung der Ehre eines Familienmitgliedes kann aber eine Beeinträchtigung der Ehre auch eines anderen bedeuten, allerdings nur bei Hinzutreten besonderer Umstände, z.B. wenn die Äußerung zugleich den Vorwurf der Vernachlässigung der Erziehungspflicht enthält oder wenn die Ehrverletzung eines Verheirateten auch das Persönlichkeitsbild des Ehepartners mit der Vorstellung eines Minderwertes belastet937. Das ist z.B. der Fall, wenn behauptet wird, der Ehemann sei mit einer Hure verheiratet938. Die Ehefrau ist nicht beleidigt, wenn behauptet wird, ihr Ehemann habe die Ehe mit Fräulein M gebrochen939. Ob der Ehepartner eine Behauptung als kränkend empfunden hat, ist nicht unbedingt entscheidend940. Ebenso wenig liegt eine Beleidigung der Familienangehörigen eines getöteten Gewichthebers vor, wenn in einem Bericht über einen Mordprozess („Tödlicher Streit um eine kleine Katze“) der Anschein erweckt wird, der Getötete habe die Tierliebe des Mörders ignoriert und die Tat damit selbst provoziert941.
185
Gegen eine Personenmehrheit kann unter einer Kollektivbezeichnung eine Sammelbeleidigung begangen werden. Insoweit geht die Strafrechtsprechung sehr weit. Sie lässt ausreichen, dass es sich um eine nach äußerlichen Kennzeichen abgegrenzte Mehrheit handelt und die verletzten Personen erkennbar sind942. Der Personenkreis muss zahlenmäßig überschaubar sein943. Die Äußerung muss von einem verständigen Dritten so verstanden werden können, 932 OLG Düsseldorf v. 14.5.1980 – 2 Ss 129/80- 77/80 III, MDR 1981, 337 = NJW 1981, 1522; BayObLG v. 22.12.1989 – RReg.1 St 193/89, MDR 1990, 564 = NJW 1990, 1742. 933 OLG Frankfurt v. 23.11.1976 – 2 Ss 549/76, NJW 1977, 1353. 934 BVerfG v. 13.6.2017 – 1 BvR 2832/15, NJW 2017, 2607. 935 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655, 2656 – Kredithaie. 936 Verneinend BGH v. 26.4.1951 – 4 StR 99/51, NJW 1951, 531; JZ 1951, 520 m. Anm. Metzger = MDR 1951, 500 m. Anm. Welzel; offengelassen in BGH v. 25.2.1969 – VI ZR 241/67, NJW 1969, 1110; v. 16.6.1970 – VI ZR 162/68, NJW 1970, 1599; v. 15.4.1980 – VI ZR 76/79, MDR 1980, 746 = AfP 1980, 154 = NJW 1980, 1790. 937 BGH v. 25.2.1969 – VI ZR 241/67, NJW 1969, 1110 – Detektei. 938 OLG Bremen v. 1.11.1961 – Vs 3/61, MDR 1962, 234. 939 BGH v. 16.6.1970 – VI ZR 162/68, NJW 1970, 1599. 940 BGH v. 25.1.1969 – VI ZR 241/67, NJW 1969, 1110. 941 OLG Karlsruhe v. 10.5.1971 – 5 U 184/70, ArchPR 1971, 81. 942 BGH v. 23.11.1951 – 2 StR 612/51, BGHSt 2, 39; v. 28.2.1958 – 1 StR 387/57, BGHSt 11, 208; BayObLG v. 9.4.1952 – RReg. III 494/51, NJW 1953, 555. 943 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3306 – Soldaten sind Mörder II; BGH v. 19.1.1989 – 1 StR 641/88, MDR 1989, 558 = NJW 1989, 1365; BayObLG v. 22.12.1989 – RReg.1 St 193/89, MDR 1990, 564 = NJW 1990, 1742.
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Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 185 Kap. 5
dass bestimmte Personen von ihr betroffen sind944. Kann der verständige Leser den Kreis der Betroffenen nicht zweifelsfrei abgrenzen, ist keine der in Betracht kommenden Personen betroffen945. Wird ohne nähere Eingrenzung von „Soldaten sind Mörder“ gesprochen, kann die Äußerung nicht auf die beleidigungsfähige Untergruppe der Bundeswehrsoldaten bezogen werden946. Werden Bundeswehrsoldaten als Mörder bezeichnet, soll damit jeder einzelne Bundeswehrsoldat in seiner persönlichen Ehre verletzt werden947. Gleiches kann bei einer Anknüpfung an z.B. ethnische, rassische, körperliche oder geistige Merkmale gelten948. Bejaht worden ist durch das RG eine Sammelbeleidigung beispielsweise bei Äußerungen gegen die deutschen Ärzte949 oder die Gesamtheit aller Patentanwälte950. Zum Zeitpunkt der Entscheidungen mögen diese Gruppen noch überschaubar gewesen sein. Jedenfalls heute ist dies zu weitgehend951. Beleidigungsfähig sind die Kriminalbeamten, die zu bestimmter Zeit an bestimmtem Ort Dienst getan haben952, die GSG 9953, die jetzt in Deutschland lebenden Juden, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden954. Außerdem hat der BGH ausgesprochen, dass auch nach 1945 geborene Personen, wenn sie im „Dritten Reich“ als „Volljuden“ oder „jüdische Mischlinge“ verfolgt worden wären, durch die Leugnung von Judenmorden im „Dritten Reich“ beleidigt werden955. Zwar dürfte dies eine Überdehnung des Beleidigungstatbestandes sein956, Grundrechte werden dadurch aber nicht verletzt957. Diese Ausnahme ist auf Grund des den Juden angetanen unfassbaren Unrechts berechtigt958. Die Gleichsetzung von Tieren mit Holocaustopfern ist eine Persönlichkeitsrechtsverletzung der Holocaustüberlebenden, und zwar auch dann, wenn dies in einer Kampagne einer deutschen Tierschutzorganisation, d.h. zu Zwecken der Meinungsäußerung, erfolgte959. Der EGMR hat diese deutsche Rechtsprechung mit Rücksicht auf ihren historischen und sozialen Zusammenhang in Deutschland gebilligt960. Verneint worden ist eine Sammelbeleidigung in Bezug auf die aktiv an der Entnazifizierung beteiligten Personen961, die Christen962, die Akademiker963, die Polizei in ihrer
944 BGH v. 18.2.1964 – 1 StR 572/63, BGHSt 19, 235, 237. 945 BVerfG v. 24.5.2006 – 1 BvR 49/00, 1 BvR 55/00, 1 BvR 2031/00, NJW 2006, 3769, 3773 – Babycaust. 946 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3306 – Soldaten sind Mörder II. 947 KG v. 5.6.2002 – (5) 1 Ss 247/98, NJW 2003, 685. 948 BVerwG v. 18.5.2001 – 2 WD 42/00, 43/00, NJW 2003, 980, 985. 949 RG v. 3.5.1932 – 1 D 427/32, JW 1932, 3113. 950 BayObLG v. 9.4.1952 – RReg III 494/51, NJW 1953, 554. 951 Vgl. OLG Karlsruhe v. 13.4.2007 – 11 U 11/07, ZUM-RD 2007, 411: Anprangerung „niedergelassener Ärzte“. 952 RG v. 13.7.1911 – II 470/11, RGSt 45, 138. 953 OLG Köln v. 30.1.1979 – 1 Ss 848/79, AfP 1980, 112. 954 BGH v. 28.2.1958 – 1 StR 387/57, BGHSt 11, 207; BGH v. 25.7.1963 – 3 StR 4/63, NJW 1963, 2034 – Jud Süß. 955 BGH v. 18.9.1979 – VI ZR 140/78, MDR 1980, 134 = NJW 1980, 45. 956 Lenckner/Eisele, in Schönke/Schröder, Vorb. § 185 StGB Rz. 8. 957 BVerfG v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, MDR 1994, 738 = AfP 1994, 126 = NJW 1994, 1779 – Auschwitzlüge. 958 Vgl. BGH v. 15.12.1994 – 1 StR 656/94, NJW 1995, 340 – Deckert II. 959 BVerfG v. 20.2.2009 – 1 BvR 226/04 und 1 BvR 2620/05, ZUM-RD 2009, 306. 960 EGMR v. 8.11.2012 – Nr. 43481/09, ZUM-RD 2013, 233. 961 BGHSt 2, 38. 962 LG Köln v. 29.4.1982 – 105 Qs 109/82, 105 Qs 117/82, MDR 1982, 771. 963 BGH v. 23.11.1951 – 2 StR 612/51, BGHSt 11, 209.
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Kap. 5 Rz. 186
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Gesamtheit964. Auch „die Frauen“ sind keine Personengemeinschaft, deren Mitglieder dadurch beleidigt werden könnten, dass einzelne von ihnen auf Titelseiten von Illustrierten als bloßes Sexualobjekt dargestellt werden, über das der Mann beliebig verfügen könne965. Ebenso wenig sind die älteren Frauen beleidigungsfähig, z.B. durch die Bezeichnung „Altweibersommer“966. Nicht betroffen sind einzelne Parteimitglieder durch die Äußerung „In den Köpfen vieler in der baden-württembergischen CDU befindet sich noch braune Soße“967. c) Verwirklichung des Tatbestandes 186
Eine Definition der Beleidigung ist im Gesetz nicht enthalten. Die Norm verstößt gleichwohl nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG968. Unbestritten ist aber, dass die Beleidigung einen Angriff auf die Ehre voraussetzt, und zwar durch eine Kundgebung der Geringachtung, Nichtachtung oder Missachtung969. Schutzobjekt der Beleidigungstatbestände ist der Rechtsanspruch auf Achtung der Ehre. Deswegen genügt es, dass der Beleidiger sich durch eine Ehrbemakelung über diesen Anspruch hinwegsetzt. Dass der gute Ruf dadurch tatsächlich beeinträchtigt wird, ist nicht Voraussetzung, eine Gefährdung reicht aus.
187
Bei der Anwendung strafrechtlicher Normen verlangt die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts auf Äußerungsfreiheit regelmäßig eine Gewichtung der Beeinträchtigungen, sowohl der persönlichen Ehre auf der einen Seite als auch der Äußerungsfreiheit durch eine Verurteilung auf der anderen Seite. Dabei sind alle wesentlichen Umstände zu berücksichtigen. Werden fälschlich Umstände angenommen, die dazu führen, dass eine solche Abwägung von vornherein unterbleibt, wird das Grundrecht auf Äußerungsfreiheit verletzt970. Wird von Journalisten verlangt, dass sie sich von beleidigenden Zitaten, die in ihrer Berichterstattung mit verbreitet werden, distanzieren, so würde ihre Arbeit übermäßig und in einer die Äußerungsfreiheit zu stark beeinträchtigenden Weise erschwert971. Die Abwägung zwischen Äußerungsfreiheit und Ehrschutz führt auch bei der Überprüfung strafrechtlicher Verurteilungen regelmäßig dazu, dass die Rechtswidrigkeit ausscheidet, wenn die äußerlich beleidigende Äußerung Teil einer Auseinandersetzung in der Sache darstellt972. Selbst der Vergleich mit der NS-Zeit in einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen zwei wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit einschreitende Polizeibeamte kann daher zulässige Kritik sein973. Großzügig
964 965 966 967 968 969 970 971 972 973
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BayObLG v. 8.9.1988 – RReg.5 St 96/88, MDR 1989, 760 = NJW 1989, 1744. LG Hamburg v. 26.7.1978 – 74 O 235/78, NJW 1980, 56. LG Darmstadt v. 2.2.1989 – 3 O 535/88, AfP 1989, 482 = NJW 1990, 1997. LG Karlsruhe v. 31.5.2007 – 8 O 279/07, ZUM-RD 2008, 154. BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3304. RG v. 18.3.1937 – 5 D 760/36, RGSt 71, 159, 160; BGH v. 29.5.1951 – 2 StR 153/51, BGHSt 1, 289; v. 15.3.1989 – 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 148 = MDR 1989, 753; Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, § 185 StGB Rz. 4; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 185 StGB Rz. 4. BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303; v. 16.3.1999 – 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199; v. 6.6.2017 – 1 BvR 180/17, NJW 2017, 2606. EGMR v. 14.2.2008 – Nr. 20893/03, NJW 2009, 3145; vgl. auch OLG Rostock v. 9.9.2016 – 20 RR 66/16, AfP 2017, 71. OLG Köln v. 9.12.2014 – 15 U 148/14, AfP 2015, 63: Bezeichnung eines Politikers in einer hitzigen Fernsehtalkrunde als „Borderliner“. BVerfG v. 23.8.2005 – 1 BvR 1917/04, NJW 2005, 3274.
Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 189 Kap. 5
sind regelmäßig auch die Grenzen für Satire und Parodie974, auch hier darf aber nicht grundlos geschmäht werden975. aa) Kundgebung Die Beleidigung setzt eine Kundgebung voraus. Es muss ein bestimmter Gedankeninhalt 188 zum Ausdruck gebracht werden. In welcher Form das geschieht, ist gleichgültig. In erster Linie kommen mündliche, schriftliche oder bildliche Darstellungen in Betracht. Selbstverständlich sind auch elektronische Äußerungen wie Kurzmitteilungen (SMS) erfasst976. In Sozialen Netzwerken dürfen keine anderen Maßstäbe als in der analogen Welt gelten; gerade die Abschottung interner Foren nach außen kann zur verbalen Enthemmung der Teilnehmer und zu strafrechtlichen Beleidigungen führen977. Ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen bzw. um Werturteile handelt, ist grundsätzlich ohne Belang; allerdings ist bei Meinungsäußerungen und Werturteilen die Frage der Rechtswidrigkeit besonders zu prüfen978. Auch satirische Äußerungen kommen in Betracht, ebenso Karikaturen979 sowie das Tragen 189 eines Stickers oder eines Aufnähers auf der Kleidung980. Bei diesen ist zwischen dem verdeckten, aber erkennbaren Aussagekern und dessen kritischer, satirischer oder karikativer Einkleidung zu unterscheiden. Ist der Aussagekern schmähend, liegt eine Beleidigung vor. Die satirische Einkleidung erfüllt nur unter besonderen Umständen den Straftatbestand, da sie i.d.R. als solche erkennbar ist. Drückt sie eine besondere Miss- oder Nichtachtung aus, z.B. wird ein Politiker als sich sexuell betätigendes Schwein dargestellt981, sind die Grenzen des Zulässigen überschritten, es sei denn die Grenzen des Zulässigen werden bewusst und mit besonderem Hinweis hierauf überschritten, um die Grenze zwischen zulässiger Satire und unzulässiger Schmähkritik nach Auslegung der Gerichte zu verdeutlichen (s. oben Rz. 180)982.
974 975 976 977 978 979 980 981 982
LG Köln v. 5.6.2002 – 28 O 12/02, ZUM 2003, 325, 326. OLG Hamm v. 4.2.2004 – 3 U 168/03, AfP 2004, 543 = NJW-RR 2004, 919. BGH v. 24.5.2016 – VI ZR 496/15, MDR 2016, 1086 = MMR 2016, 849. OLG Dresden vom 14.2.2017 – 4 U 195/17, MMR 2017, 704. BGH v. 9.11.1971 – VI ZR 57/70, GRUR 1972, 435, 438 – Grundstücksgemeinschaft; v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschlandstiftung. BayObLG v. 3.7.1957 – RReg. 1 St 451/56, NJW 1957, 1607; v. 10.12.1968 – 4 b St. 109/68, ArchPR 1968, 125; OLG Hamburg v. 16.9.1966 – 2 Ss 98/66, MDR 1967, 146; v. 17.1.1985 – 1 Ss 168/84, NJW 1985, 1654. BVerfG v. 26.2.2015 – 1 BvR 1036/14, AfP 2015, 236 = IPRB 2015, 175 = NJW 2015, 2022 – „FCK CPS“; v. 17.5.2016 – 1 BvR 257/14, AfP 2017, 44 = 1 BvR 2150/14, K&R 2016, 494 – A.C.A.B.; v. 16.1.2017 – 1 BvR 1593/16, NJW 2017, 1092. BVerfG v. 3.6.1987 – 1 BvR 313/85, MDR 1987, 992 = AfP 1987, 677 = NJW 1987, 2661. GStA Koblenz v. 13.10.2016 – 4 ZS 831/16, AfP 2016, 556, 561 – Fall Böhmermann/Erdogan; Rusch/Becker, AfP 2016, 201, 204; Klass, ZUM 2016, 477; Christoph, JuS 2016, 599, 601; Fricke, GRUR-Prax, 2016, 548, 550; Hoßbach, ZUM-RD 2017, 417; Fröhlich, AfP 2016, 312; teilweise anders LG Hamburg v. 10.2.2017 – 324 O 402/16, AfP 2017, 177 m. Anm. Hermann = IPRB 2017, 177 = ZUM-RD 2017, 412 und im eV-Verfahren LG Hamburg v. 17.5.2016 – 324 O 255/16, ZUM 2016, 744; Hermann AfP 2017, 177, 181; Ladeur, ZUM 2016, 775, 776; s. oben Rz. 180.
Burkhardt/Peifer 299
Kap. 5 Rz. 190
Wortberichterstattung – die Tatbestände
190
Ausreichend sind auch symbolische Handlungen, z.B. das Tippen an die Stirn983, das Anspucken984, das Ausräuchern eines Stuhles, auf dem jemand gesessen hat985, das Tragen einer Uniform986 oder das Zeigen des „Stinkefingers“ beim Passieren einer Radaranlage987, allerdings nicht, wenn der diese Geste zeigende Autofahrer nicht wusste, dass die Radaranlage auch aufzeichnet, wenn er nicht mit überhöhter Geschwindigkeit an ihr vorbeipassiert988. Das Unterlassen steht einer durch Handlung erfolgenden Kundgebung gleich, wenn zur Vermeidung einer Ehrverletzung ein bestimmtes Tun erforderlich gewesen wäre, z.B. die Verwendung einer Höflichkeitsbezeichnung, etwa die Anrede mit dem Wort „Herr“989. Eine Postkarte, die ein feistes Gesäß auf einem dafür zu kleinen Bürostuhl zeigt, mit der Bemerkung „Gewidmet Herrn/Frau/Frl…“ zu übersenden, ist jedenfalls beleidigend, wenn der Adressat Polizist ist990.
191
Voraussetzung einer Kundgebung ist, dass die Äußerung einem oder mehreren Erklärungsempfängern wissentlich und willentlich mitgeteilt worden ist. Es genügt die Übermittlung an den Betroffenen selbst, mag sie auch über flüchtige Kommunikationsmittel, wie eine SMS, erfolgen991. Die Anfertigung eines ausschließlich für den persönlichen Gebrauch bestimmten Manuskriptes bewirkt keine Beleidigung, ebenso wenig Tagebuchaufzeichnungen, selbst wenn sie wider Erwarten in die Hand Unbefugter gelangen992. Keine Kundgebung im Sinne der Beleidigungsdelikte sind Äußerungen im engsten Familienkreis, weil solche Äußerungen sich nicht gegen die Geltung des Betroffenen in der Allgemeinheit richten; anders aber, wenn die begründete Möglichkeit der Weitergabe durch ein Familienmitglied besteht993. Ob auch das Verhältnis zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten diesem straffreien Raum zuzurechnen ist, wird diskutiert994. Gelegentlich wird die Beleidigung verneint, wenn nach einer Abwägung die Belästigungsschwelle als nicht überschritten angesehen wird. So wurde der Äußerungsfreiheit der Vorrang vor dem Ehrschutz eingeräumt, wenn in einem kleinen Kreis unmittelbar Beteiligter die Betroffenen die völlige Haltlosigkeit des ihnen gemachten Vorwurfs und zugleich den groben Unverstand des Äußernden auf Anhieb erkennen995. bb) Geringachtung, Nichtachtung, Missachtung
192
Durch die Kundgebung muss eine Geringachtung, Nichtachtung oder Missachtung zum Ausdruck gebracht, der Betroffene muss also unter seinem Ehrstand eingestuft werden. Ob das der Fall ist, richtet sich nach objektiven Kriterien. Was der Täter sich gedacht oder was er gewollt hat, ist grundsätzlich ohne Belang, ebenso was zufällig Anwesende verstanden haben996. 983 984 985 986 987 988 989 990 991 992 993
OLG Düsseldorf v. 2.3.1960 – 2 Ss 934/59 (1047), NJW 1960, 1072. OLG Zweibrücken v. 18.6.1990 – 1 Ss 238/89, MDR 1990, 1036 = NJW 1991, 240. RG, LZ 15, Sp. 60. BVerfG v. 27.4.1982 – 1 BvR 1138/81, MDR 1983, 22 = NJW 1982, 1803. BayObLG v. 23.2.2000 – 5 St RR 30/00, NZV 2000, 337. LG Kassel v. 30.11.2007 – 9012 Js 44909/06 7 Ns, NZV 2008, 310, 311. RG v. 3.12.1914 – III 850/14, LZ 1915, Sp. 445. AG Hamburg v. 9.11.1988 – 201-518/88 201 Cs/1100, NJW 1989, 410. BGH v. 24.5.2016 – VI ZR 496/15, MDR 2016, 1086 = MMR 2016, 849. BayObLG v. 27.6.1951 – Rev.Reg Nr. III 170/51, JZ 1951, 786. BayObLG v. 15.11.1955 – 2 St 1263/54, MDR 1956, 182; OLG Oldenburg v. 22.6.1954 – Vs 6/54, GA 1954, 284; OLG Stuttgart v. 2.2.1962 – 1 Ss 893/61, NJW 1963, 119; OLG Celle v. 8.11.1963 – 4 U 85/63, NdsRpH 1964, 174; OLG Hamm v. 29.1.1971 – 1 Ss 976/70, MDR 1971, 679. 994 Vgl. OLG Hamm v. 29.1.1971 – 1 Ss 976/70, NJW 1971, 1852; OLG Hamburg v. 23.1.1990 – 2 Ss 103/89, NJW 1990, 1246. 995 OLG Koblenz v. 29.7.1998 – 1 Ss 165/99, NStZ-RR 2000, 44. 996 BayObLG v. 3.7.1957 – RReg. 1 St 451/56, NJW 1957, 1607.
300
Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 192 Kap. 5
Es kommt darauf an, wie die Erklärung entsprechend der Verkehrsauffassung zu deuten ist. Diese Deutung erfolgt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, insb. der Verhältnisse der Beteiligten997. Festzustellen ist zunächst, ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder um eine Meinungsäußerung handelt. Ergibt die Prüfung, dass es sich um eine Tatsachenbehauptung handelt, hängt ihre Zulässigkeit von ihrem Wahrheitsgehalt ab. Erweist sich die Äußerung dagegen als Meinungsäußerung, geht die Meinungsfreiheit grundsätzlich dem Ehrschutz vor, soweit sich die Äußerung nicht als Angriff auf die Menschenwürde oder als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt998. Die Aussage „Gauweiler und Co.! Das sind doch alles Faschisten!“ stellt im Rahmen eines Fernsehspiels, das die in der Wirklichkeit vorkommende Meinungsvielfalt anlässlich der Aids-Diskussion Ende der 1980er Jahre widerspiegeln soll, keine Beleidigung dar999. Auch Alter und Geschlecht, Unbescholtenheit und sonstige Eigenschaften des Kritisierten sind von Bedeutung, ferner spezielle Gepflogenheiten bei der Ausdrucksweise usw.1000 Äußert ein Strafgefangener in einem Brief an seine Verlobte Kritik an dem Verbot, eine elektrische Schreibmaschine benutzen zu dürfen mit dem Hinweis, „Sagt jedenfalls das Reichsparteitags-OLG“ in Nürnberg, ist dies noch nicht beleidigend1001. Eine ungewollte sexuelle Handlung bedeutet für sich allein noch keine Kundgabe eines ehrmindernden Geltungswertmangels; beleidigend kann die Handlung aber bei Hinzutreten besonderer Umstände sein1002. § 185 StGB wird daher nicht als Auffangdelikt für fehlgeschlagene Handlungen unterhalb der Schwelle der §§ 174 ff. StGB angesehen1003. Die dadurch möglicherweise drohenden Strafbarkeitslücken werden teilweise durch die Pönalisierung sexueller Belästigungen aufgefangen, die durch das Gesetz zur Verbesserung der sexuellen Selbstbestimmung vom 4.11.20161004 zum 10.11.2016 eingeführt wurden1005. In der Vergangenheit wurde eine Kundgebung von Missachtung auch in Handlungen gesehen, die heute zum Teil unter diese mit dem plakativen Aufruf „Nein heißt Nein“ begleitetenen neuen Vorschriften zu fassen wären. Legte sich ein Mann zu einer ihm bekannten schlafenden unverheirateten Frau in der Absicht ins Bett, nach dem Austausch von Zärtlichkeiten mit ihr geschlechtlich zu verkehren, bedeutete das noch keine Beleidigung der Frau, wenn der Mann glauben konnte, die Frau werde seine Zuneigung erwidern1006. Anders verhält es sich bei einem gegenüber einer 16-jährigen Anhalterin geäußerten Wunsch, mit ihr geschlechtlich zu verkehren mit der Frage, „ob sie nicht ihr Taschengeld aufbessern möchte“1007 oder der Übergabe der Telefonnummer an eine 15-Jährige mit dem Ansinnen, mit ihr Telefonsex machen zu wollen1008. 997 BVerfG v. 16.3.1999 – 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199, 200. 998 OLG Düsseldorf v. 4.3.1998 – 5 Ss 47/98-25/98 II, NJW 1998, 3214; OLG Frankfurt v. 2.10.2002 – 1 Ss 329/01, NJW 2003, 77. 999 OLG Köln v. 28.1.1992 – Ss 567/91, Ss 568/91, Ss 569/91, AfP 1992, 293 = NJW 1993, 1486 – Lindenstraße. 1000 BVerfG v. 16.3.1999 – 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199; v. 28.3.2000 – 2 BvR 1392/96, NJW 2000, 3196; RG v. 10.4.1941 – 2 D 69/41, RGSt 75, 182. 1001 BVerfG v. 8.7.1993 – 2 BvR 1576/92, NJW 1994, 1149. 1002 BGH v. 15.3.1989 – 2 StR 662/88, MDR 1989, 753 = NJW 1989, 3028; v. 25.7.1989 – 1 StR 95/89, NJW 1989, 3029; krit. Kiehl, NJW 1989, 3003. 1003 OLG Nürnberg v. 3.11.2010 – 1 St OLG Ss 219/10, NStZ 2011, 217: heimliches Unterschieben eines Mobiltelefons mit Kamerafunktion unter den Rock einer Frau auf der Rolltreppe; Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, § 185 StGB Rz. 4. 1004 BGBl. I 2460. 1005 Hierzu Hörnle, NStZ 2017, 13; Renzikowski, NJW 2016, 3553. 1006 OLG Zweibrücken v. 5.7.1985 – 1 Ss 62/84, MDR 1986, 871 = NJW 1986, 2960; vgl. auch BGH v. 14.5.1986 – 3 StR 504/85, NJW 1986, 2442. 1007 BGH v. 19.9.1991 – 1 StR 509/91, NStZ 1992, 33. 1008 LG Freiburg v. 3.9.2002 – 5 Qs 69/02, NJW 2002, 3645.
Burkhardt/Peifer 301
Kap. 5 Rz. 193
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Das bloße Absprechen besonderer Verdienste, Leistungen und Vorzüge ist dagegen noch keine Beleidigung1009. Heißt es, „Das Kreiswehrersatzamt behandelt Wehrpflichtige bei der Musterung wie den letzten Dreck“, ist dies im Zweifel noch keine Beleidigung der Dienststelle oder ihrer Mitarbeiter. Ebenso wenig ist im Rahmen einer Strafverteidigung die Aussage beleidigend, ein Ermittlungsrichter habe eine Telefonüberwachung willkürlich angeordnet1010. Auch eine spontane, in höchster Erregung gefallene Äußerung, die ein offensichtlich absurdes, gleichwohl dem Grunde nach beleidigendes Werturteil enthält, stellt für den davon Betroffenen einen wesentlich geringeren Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht dar als eine wohlüberlegte, ggf. schriftlich abgefasste und auch Dritten zur Kenntnis gelangte Äußerung. 193
Anhand der Umstände des Einzelfalles ist auch zu beurteilen, ob die Äußerung etwa nur scherzhaft erfolgt ist. Scherzhaftigkeit schließt eine Beleidigung aber nicht ohne Weiteres aus. Schon die Tatsache, dass der Behauptende mit dem Gefoppten überhaupt einen Scherz treibt, oder auch die Art, in der es geschieht, kann eine Missachtung bedeuten. Bei satirischen Erörterungen, z.B. öffentlicher Einrichtungen und Vorgänge, oder einer satirischen Kritik einer Person ist zwischen dem Aussagekern und seiner Einkleidung zu unterscheiden1011. Für beide ist gesondert zu prüfen, ob sie eine Beleidigung enthalten. Auch wenn der Aussagekern nicht beleidigend ist, kann die Kundgebung der Missachtung aus der satirischen Form folgen1012. Allerdings ist hierbei Zurückhaltung zu üben1013. Einer als ironisch eingestuften Äußerung kann daher keine Bedeutung beigelegt werden, die ihr nur zukommen könnte, wenn sie ernstgemeint beim Wort zu nehmen wäre. Die Empfehlung in einem ironisch kritischen Artikel, der Betroffene „sollte lieber einen Arzt aufsuchen“, ist daher noch nicht beleidigend1014, ebensowenig der einer Stadtverwaltung in einem Satiremagazin untergeschobene „Aufruf“ an Rechtsextreme, in diese Stadt zu kommen, weil sie hier willkommen seien1015. Bei der Auslegung äußerlich beleidigender Formulierungen muss gelegentlich berücksichtigt werden, dass die Herabsetzung künstlerisches Stilmittel ist. Das trifft zu auf die Stilart des sog. „Gangsta-Rap“, bei dem das sog. „Dissen“ (= Diskriminieren), Beleidigen und Bedrohen anderer Künstler gängiges Gestaltungsmittel ist1016. Allerdings führt diese Freiheit nicht dazu, dass auch Dritte, die außerhalb der Szene stehen, mit Schmähkritik überzogen werden dürfen1017.
194
Ob die Kundgebung der Geringachtung, Nichtachtung oder Missachtung Erfolg hat, ist ohne Belang. Insb. braucht der Angegriffene sich in seinem Ehrbewusstsein oder -empfinden nicht getroffen zu fühlen1018. Erforderlich ist lediglich, dass diese tatsächlich vorliegt1019. Die Beleidigung ist deswegen vollendet, wenn die Kundgebung von einem Dritten wahrgenommen
1009 1010 1011 1012 1013
1019
Lenckner, in Schönke/Schröder, § 185 StGB Rz. 4. OLG Düsseldorf v. 4.3.1998 – 5 Ss 47/98-25/98 II, NJW 1998, 3214. OLG Hamburg v. 16.9.1966 – 2 Ss 98/66, MDR 1967, 146. BayObLG v. 10.12.1968 – 4 b St. 109/68, ArchPR 1968, 125. BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, BGHZ 45, 296, 308 – Höllenfeuer; BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschlandstiftung. BVerfG v. 1.8.2001 – 1 BvR 1906/97, AfP 2001, 382. OLG Frankfurt v. 8.12.2008 – 22 U 23/08, NJW-RR 2009, 475. AG Tiergarten v. 19.11.2013 – 222 Js 1201/13, ZUM 2015, 904; Og˘lakcıog˘lu/Rückert, ZUM 2015, 876. LG Köln v. 14.7.2010 – 28 O 857/09. BGH v. 16.12.1954 – 3 StR 384/54, BGHSt 7, 132; BGH v. 16.1.1951 – 3 StR 45/50, NJW 1951, 368. BGH v. 12.1.1956 – 4 StR 470/55, BGHSt 9, 17.
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Burkhardt/Peifer
1014 1015 1016 1017 1018
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 196 Kap. 5
und als beleidigend bewertet worden ist. Die Kenntnisnahme durch den Schreiber, dem die Äußerung diktiert wird, oder durch den Setzer des Manuskriptes genügt1020. Keine Kundgebung einer Geringachtung, Nichtachtung oder Missachtung liegt vor, wenn die 195 aufgestellte Behauptung wahr ist. Die Mitteilung der Wahrheit kann höchstens einen zu Unrecht erworbenen oder erhaltenen Ruf beeinträchtigen; dieser aber ist nicht geschützt. Sofern es sich um eine Tatsachenbehauptung handelt, ist die Unwahrheit folglich Tatbestandsmerkmal und damit anders als bei § 186 StGB vom Kläger zu beweisen1021. Trotz Wahrheit der Behauptung kann aber eine Formalbeleidigung i.S.d. § 192 StGB vorliegen. cc) Schmähkritik Der Terminus Schmähkritik hat auch in die Strafrechtsprechung Eingang gefunden1022. Bei 196 der Erörterung öffentlich interessierender Angelegenheiten lässt die Strafrechtsprechung ebenfalls einseitig gefärbte Stellungnahmen und beißende Kritik zu, selbst wenn sie objektiv verfehlt, geschmacklos oder banal sind, nicht aber Äußerungen, die sich jenseits sachlicher Kritik in Schmähungen und Diffamierungen erschöpfen oder die einen in keinem Verhältnis zum Anlass stehenden Wertungsexzess bedeuten1023. Bei der Abwägung zwischen dem Ehrschutz und der Äußerungsfreiheit sind an die Annahme von Schmähkritik strenge Maßstäbe anzulegen1024. Schmähkritik wird daher bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vorliegen und i.Ü. eher auf die sog. Privatfehde beschränkt sein1025. Als Schmähkritik gewertet worden ist z.B. die Charakterisierung des Verhaltens eines Beamten, der für den beanstandeten Vorgang noch nicht einmal zuständig war, mit Worten wie „Da muss man schon eine ganz gehörige Portion an imprägnierter Hornhaut um das entwickelt haben, was man landläufig Seele nennt … den Amtsschimmel sollte man in den breiten Hintern treten“1026. Schmähend ist die Bezeichnung eines CSU-Ministerpräsidenten als „bundesdeutscher Verschnitt des nationalsozialistischen Führerkults“, der „nur durch die zweite deutsche Demokratie domestiziert worden“ sei1027. Die Bezeichnung einer Staatsanwältin als „durchgeknallt“ ist Schmähung, wenn der Rechtsanwalt sich mit dieser und weiteren beleidigenden Äußerung von der Kritik am Ermittlungsverfahren völlig gelöst hatte oder „der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren“1028. Unzulässig ist die Bezeichnung einer Prominenten als „olle Crackbraut“ in einem Rapsong, wenn dadurch der Eindruck unzulässi1020 RG v. 7.5.1932 – 2 D 235/23, JW 1924, 911. 1021 BayObLG v. 15.10.1958 – RReg. 1 St 467/57, NJW 1959, 57; OLG Köln v. 2.7.1964 – 1 Vw 7/64, NJW 1964, 2121. 1022 Vgl. BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303; v. 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07, AfP 2009, 49 = NJW 2009, 749: „Dummschwätzer“. 1023 OLG Frankfurt v. 23.11.1976 – 2 Ss 549/76, NJW 1977, 1353. 1024 BVerfG v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308 = CR 2017, 332 = NJW 2017, 1460 Rz. 14; so für die Formalbeleidigung auch BVerfG v. 26.6.1990 – 1 BvR 1165/89, BVerfGE 82, 272, 280 = MDR 1991, 125 – Zwangsdemokrat; v. 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04, AfP 2009, 361 Rz. 28 – durchgeknallter Staatsanwalt. 1025 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3304; v. 29.7.1998 – 1 BvR 287/93, NJW 1999, 204. 1026 OLG Düsseldorf v. 21.4.1982 – 2 Ss 95/82, 2 Ss 31/83, AfP 1982, 234. 1027 OLG München v. 28.7.1989 – 21 U 2754/88, AfP 1989, 747 = ZUM 1990, 195, 197. 1028 BVerfG v. 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15, AfP 2016, 431 = NJW 2016, 2870.
Burkhardt/Peifer 303
Kap. 5 Rz. 197
Wortberichterstattung – die Tatbestände
gen Drogenkonsums entstehen kann1029. Ob die Bezeichnung von Soldaten als „Mörder“ oder „potentielle Mörder“ schmähend ist1030, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. So hat das Bundesverfassungsgericht1031 auf Grund des speziellen Kontextes die Erörterung dieser Formulierung nicht als Dienstvergehen eines Offiziers bezeichnet. Äußerungen im politischen Meinungskampf sind um so eher zulässig, je größer das bezeichnete Kollektiv ist. Werden einzelne Bundeswehrsoldaten als Mörder bezeichnet, liegt richtiger Auffassung nach eine Schmähung vor. Daran ändern auch die Deutungsversuche des Bundesverfassungsgerichts1032 nichts. Es ist bereits zweifelhaft, ob der Durchschnittsleser den Begriff Mörder anders verstehen kann. Mord ist auch nach seinem Verständnis das schwerste Verbrechen. Aber die Deutung als vermeintlich milderer Vorwurf der ungerechtfertigten und deshalb missbilligten Tötung eines Menschen ist ein unzulässiger Ehreingriff1033. Auch eine Schmähung kann ausnahmsweise erlaubt sein, wenn sie als Gegenschlag auf eine Äußerung erfolgt, die ihrerseits schmähenden Charakter hat. So musste sich der bayerische Innenminister als „wunderbares Inzuchtsprodukt“ schmähen lassen, nachdem er kurz zuvor in einer Fernsehtalkshow einen schwarzen Künstler als „wunderbaren Neger“ bezeichnet hatte1034. d) Anwendungsfälle aa) Beleidigung bejaht 197
Eindeutig beleidigend sind grundlose Herabwürdigungen, mögen diese auch von Ärger getragen sein. So ist es, wenn ein Fahrgast einen Taxifahrer, der nur gegen Vorkasse befördern möchte, übel beschimpft, indem er ihn u.a. „Hurensohn“ und „Rassistenschwein“ nennt. Eine Rechtfertigung kommt nicht einmal entfernt in Betracht, wenn dies mit Tätlichkeiten einhergeht1035. Der Umstand, dass eine Herabsetzung höflich verpackt oder in zurückhaltende Formulierungen gekleidet wird, nimmt ihr aber nicht den beleidigenden Charakter. So bedeutet es eine Herabwürdigung, wenn der Anschein erweckt wird, die bürgerliche Ehefrau eines Prinzen sei keine Dame, oder wenn ihr das sogar nachgesagt wird1036, die scheinbar harmlose Bezeichnung eines Jagdpächters als „Rabaukenjäger“ kann im konkreten Äußerungskontext eine Herabwürdigungsabsicht offenbaren1037, die allerdings ausscheidet, wenn solche Äußerungen durch einen Journalisten nur zitiert werden1038. Als die Geschäftsehre beeinträchtigend ist der gegenüber einem Konkurrenzblatt erhobene Vorwurf angesehen worden, eine Fälschung sei „unrichtig, böswillig und leichtfertig erhoben“1039. Eine Ehrverletzung bedeutet es auch, wenn durch die Art der Abbildung eines Ferienhauses in einem Werbepro1029 LG Köln v. 14.7.2010 – 28 O 857/09. 1030 So z.B. BayObLG v. 16.11.1990 – RReg.1 St 228/89, MDR 1991, 273 = AfP 1991, 420; OLG Frankfurt v. 11.3.1991 – 1 Ss 31/90, MDR 1991, 888 = NJW 1991, 2032. 1031 BVerfG v. 10.7.1992 – 2 BvR 1802/91, NJW 1992, 2750. 1032 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303. 1033 Zutreffend Gounalakis, NJW 1996, 481, 485. 1034 LG Karlsruhe v. 20.7.2016 – 4 Qs 15/16. 1035 BGH v. 3.2.2015 – 3 StR 555/14; ebenso BGH v. 24.5.2016 – VI ZR 496/15, MDR 2016, 1086 = MMR 2016, 849: wüste Beschimpfung eines Vermieters, als „Lusche allerersten Grades“, „arrogante rotzige große asoziale Fresse“, „Schweinebacke“, „feiges Schwein“, „feige Sau“, „feiger Pisser“, „asozialer Abschaum“ und „kleiner Bastard“. 1036 OLG Hamburg v. 4.5.1972 – 3 U 137/71, ArchPR 1972, 110 – Prinzessin von Preußen III. 1037 AG Pasewalk v. 20.5.2015 – 711 Js 10447/14. 1038 OLG Rostock v. 9.9.2016 – 20 RR 66/16, AfP 2017, 71. 1039 BGH v. 20.12.1967 – Ib ZR 141/65, GRUR 1968, 262 – Fälschung.
304
Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 198 Kap. 5
spekt wahrheitswidrig der Eindruck erweckt wird, das Haus liege in einem von einer Bauträgergesellschaft erschlossenen Gebiet und sei von ihr erbaut, der Hauseigentümer wirke folglich an der unwahren und strafbaren Werbung der Gesellschaft mit1040. Beleidigend ist ferner die Behauptung, eine namentlich erwähnte Mutter sei darauf aus, aus dem auf ärztlichem Kunstfehler beruhenden Tod ihres Kindes Kapital zu schlagen1041. Gleiches gilt für den Vorwurf, der Kläger wisse die „Dreckschleuder“ so gut zu führen wie die Feder und er „preise kaum verhüllt den abgefeimten Mord“1042, ebenso die Bemerkung „Du primitive kleine Nutte“, auch wenn diese im Rahmen einer Auseinandersetzung zwischen benachbarten Ladeninhaberinnen gefallen ist1043. Eine Beleidigung liegt vor, wenn die Bezeichnung „dumm“ und „dreist“ auf einem an prominenter Stelle am Ortseingang aufgestellten Schild allein zur Verunglimpfung von sich gegen Fremdenhass in der Gemeinde engagierenden Bewohnern aufgestellt wird und dadurch die Betroffenen an den Pranger gestellt und aus der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt werden1044. Bei Beleidigungen im Internet zeigen sich häufig Konstellationen, die auf Ausgrenzung, soziale Isolierung und Erregung feindseliger Einstellungen der Bevölkerung gerichtet sind. Die Fälle, die oftmals unter dem Begriff „Hassrede“ oder „Hate-Speech“ geführt werden (oben Kap. 1 Rz. 15), sind gelegentlich schwer zu erfassen, weil entweder unklar bleibt, welcher Betroffene konkret gemeint ist oder die Gruppe der Betroffenen so groß ist („alle Flüchtlinge“), dass eine individuelle Betroffenheit nach den Maßstäben der Kollektivbeleidigung nicht auszumachen ist. Als beleidigend angesehen wurde die von einer rechtsgerichteten Partei aufgestellte Forderung nach einer „echt weißen“ Nationalmannschaft unter gleichzeitigem Hinweis auf einen farbigen Nationalspieler, der nicht dazugehöre1045. Zu den auf Ausgrenzung zielenden Äußerungen zählen häufig auch auf die sexuelle Orientierung abstellende Äußerungen, wenn sie Homophobie zeigen oder fördern1046. Die Bezeichnung eines Polizeibeamten als „Homosexueller“ wurde nicht als beleidigend angesehen, wohl aber die zusätzliche Titulierung als „Schwuchtel“1047. Keine Beleidigung wurde in der Bezeichnung „Zigeuner“ erblickt, solange der Kontext der Äußerung nicht ausreichend darauf hindeutet1048. Beleidigend kann der Vergleich der Rechtskenntnisse eines Richters mit denen eines Rechts- 198 kandidaten sein1049, ebenso die Bezeichnung der Polizei als „Schlag- und Schießgesellschaft, die Studenten abknallt und Beweismittel unterdrückt“ sowie die Herstellung eines Vergleiches mit der SS in einem fingierten Inserat, in dem die Werbung für den Beruf des Polizeibeamten glossiert wird1050. Die Angabe, der Betroffene habe einer Frau, die möglicherweise aktive Helferin der Baader-Meinhof-Bande sei, ein verborgenes, vor der Polizei sicheres Quartier beschafft, reiht ihn als Helfershelfer der Bande ein, was ehrenrührig ist, nachdem die Bande schwerster krimineller Strafen beschuldigt wird und auch die Helfershelfer mit mindestens moralischer Verurteilung und Ablehnung durch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung 1040 1041 1042 1043 1044 1045 1046 1047 1048
BGH v. 27.4.1971 – VI ZR 171/69, GRUR 1971, 417 – Haus auf Teneriffa. OLG Köln v. 25.1.1972 – 3 U 13/71, AfP 1972, 223. BGH v. 25.5.1971 – VI ZR 26/70, GRUR 1971, 529 – Dreckschleuder. LG Köln v. 17.10.2001 – 26 S 270/01, NJW-RR 2002, 189. BVerfG v. 13.3.2017 – 1 BvR 1438/15. LG Berlin v. 18.5.2006 – 27 O 372/06, AfP 2006, 386. Hierzu Finger, Homophobie und Strafrecht, 2015. LG Tübingen v. 18.7.2012 – 24 Ns 13 Js 10523/11, NStZ-RR 2013, 10. OLG Hamm v. 28.4.2016 – 3 RVs 37/16, BeckRS 2016, 11333 m. Anm. Krug, FD-StrafR 2016, 379652. 1049 RG v. 10.10.1881 – Rep 1684/81, RGSt 5, 55. 1050 OLG Hamm v. 2.4.1974 – 5 Ss 25/74, AfP 1974, 724 = ArchPR 1974, 163.
Burkhardt/Peifer 305
Kap. 5 Rz. 199
Wortberichterstattung – die Tatbestände
rechnen müssen1051. Beleidigend ist auch die Bezeichnung eines siebenmal wegen Betruges bestraften Rückfalltäters als „Doctorand der Knastologie“1052. Beleidigend ist die Bezeichnung der GSG 9 als „Killertruppe“1053. Auch der gegenüber einer Gruppe von Polizisten auf einem Plakat erhobene Vorwurf von „Mord“ und „Terror“ ist beleidigend1054, ebenso die Bezeichnung eines Polizisten als „Bulle“1055; dies jedenfalls, wenn Bullen mit Schweinen gleichgestellt werden1056, und eines Prozessbevollmächtigten als „kriminell“, dem Beteiligung an einem Prozessbetrug vorgeworfen wurde, indem er die Passivlegitimation seiner Partei bestritten hatte1057. Ebenso ist die Bezeichnung eines als Zeugen vernommenen Polizeibeamten als „bedenkenloser Berufslügner“ in einem Beweisantrag eine Beleidigung1058. Soweit ein Belastungszeuge im Rahmen der Verteidigung nur als unglaubwürdig hingestellt wird, ist dies noch nicht beleidigend1059. Beleidigend ist es auch, Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes als „private Schlägertruppe“, „hastig umgekleidete Skinheads“ und „primitive Schlägernaturen“, die in einem Einkaufszentrum „ihr Unwesen treiben“, zu bezeichnen1060, soweit es sich dabei nicht nur um die Wiedergabe einer subjektiven Wahrnehmung eines Geschehens handelt. Beleidigend kann der Vorwurf gegenüber Ermittlungsbeamten sein, sie hätten anlässlich einer Wohnungsdurchsuchung dem Betroffenen unerlaubte Drogen untergeschoben, jedenfalls wenn dafür keine ausreichende Tatsachengrundlage angegeben wird1061. 199
Ehrkränkend ist die Bezeichnung eines politischen Gegners als „Freiwild“1062, ferner die Behauptung, ein Stadtrat habe sich „im Schmutz seiner Gesinnung gebrüstet“, in einer Auseinandersetzung habe er sich „geifernd“ geäußert1063. Schwer ehrenkränkend ist die in einer Wahlbroschüre aufgestellte Behauptung, ein gegnerischer Politiker habe „sein gestörtes Verhältnis zum freiheitlichen Rechtsstaat schon wiederholt erkennen lassen“1064, ebenso der unwahre Vorwurf, eine Stadt habe Verfassungsbruch und Gesetzwidrigkeiten begangen1065, die Kritik eines oppositionellen Politikers an einem Abgeordneten der Regierungsparteien „Wir sind doch keine Betrüger, wir heißen doch nicht X, wir gaunern doch nicht Sachen vor, die in Wirklichkeit zur Zeit nicht zu machen sind“1066 sowie die unwahre Behauptung, eine Partei habe im Zusammenhang mit dem Einkauf von Flugzeugen Schmiergelder angenommen1067. Ehrkränkend ist die auf den Vorsitzenden einer Partei gemünzte Wendung, „… dann müssen wir dem Schweinehirten aus Passau diese Hetzparolen in den geschwollenen Hals zurückstoßen“; die Bezeichnung als „Schweinehirt“ und die Anspielung auf Schwächen 1051 1052 1053 1054 1055
1067
KG v. 23.10.1973 – 9 U 344/73, AfP 1974, 720. LG Nürnberg-Fürth v. 24.1.1972 – 13 S 287/71, ArchPR 1972, 84. OLG Köln v. 30.1.1979 – 1 Ss 848/79, AfP 1980, 112. OLG Frankfurt v. 23.11.1976 – 2 Ss 549/76, NJW 1977, 1353. OLG Hamm, JMBl. NRW 1982, 22; einschränkend KG v. 18.8.1983 – (4) Ss 100/83 (45/83), JR 1984, 165; anders LG Regensburg v. 6.10.2005 – 3 Ns 134, Js 97458/04, NJW 2006, 629. BayObLG v. 22.12.1989 – RReg.1 St 193/89, MDR 1990, 564 = NJW 1990, 1742. BayObLG v. 18.1.2001 – 5 St RR 378/00, NJW 2001, 1511. OLG Hamburg v. 12.11.1996 – 2 Ss 42/96, NStZ-RR 1997, 103. BGH v. 3.8.1994 – 2 StR 161/94, NStZ 1995, 78. BVerfG v. 4.4.2002 – 1 BvR 724/98, NJW 2002, 3315. BVerfG v. 31.1.2017 – 1 BvR 2454/16. OGHSt 1, 268. BayObLG v. 8.2.1961 – 1 St 760 96/60, BayObLGSt 1961, 46. OLG München v. 19.3.1973 – 21 U 3237/72, ArchPR 1973, 114. OLG Nürnberg v. 27.6.1969 – 1 U 43/69, ArchPR 1969, 80. Rechtfertigung nur bei entsprechendem Sachverhalt, LG Bonn v. 8.1.1971 – 3 O 208/70, ArchPR 1971, 102. OLG München v. 26.1.1976 – 21 U 5657/75, AfP 1976, 130.
306
Burkhardt/Peifer
1056 1057 1058 1059 1060 1061 1062 1063 1064 1065 1066
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 201 Kap. 5
in der körperlichen Erscheinung sind Kundgebungen der Missachtung1068. Der Vorwurf der geistigen Miturheberschaft des Terrorismus ist vor allem beleidigend, wenn der Betroffene als einziger namentlich erwähnt wird1069. Als ehrverletzend ist auch die Äußerung in einem Schlussvortrag eines Verteidigers angesehen worden, „Wenn ein Staatsanwalt zu DDR-Zeiten für diesen Sachverhalt dies beantragt hätte, wäre er zu Recht der Rechtsbeugung angeklagt worden.“(zu privilegierten Äußerungen im Prozess Kap. 10 Rz. 29 ff.)1070. Jedoch kann die am Schluss eines Kommentars gemachte Äußerung, der Betroffene „sollte lieber einen Arzt aufsuchen“, als bewusst provozierender Ausdruck zulässig sein1071. Grob beleidigend ist die Bezeichnung eines Widerstandskämpfers als „Landesverräter“1072; 200 die Bezeichnung eines Vermieters als „Lusche allerersten Grades“, „arrogante rotzige große asoziale Fresse“, „Schweinebacke“, „feiges Schwein“, „feige Sau“, „feiger Pisser“, „asozialer Abschaum“ und „kleiner Bastard“ soll allerdings keinen Geldersatzanspruch wegen schwerer Persönlichkeitsrechtsverletzung rechtfertigen1073. Als ehrenrührig ist die Behauptung betrachtet worden, jemand sei „noch immer Nazi“1074, ebenso die Herabwürdigung eines Vereins, er sei „von Alt- und Neufaschisten durchsetzt“1075, die Gleichstellung mit einem Gauleiter1076, die Bezeichnung einer periodischen Druckschrift als „rechtsradikales Hetzblatt“1077. Beleidigend ist auch die Bezeichnung von Mitgliedern einer rechtsextremen Vereinigung als „Rechtsterroristen“ soweit diese allein mit politischen Mitteln, nicht jedoch mit Gewalt ihre Ziele verfolgen1078. Die Einbeziehung der Karikatur eines Politikers in eine schwarz-weiß-rote Flagge in der Weise, dass der Rumpf und die unnatürlich abgewinkelten Arme und Beine die Form eines Hakenkreuzes angenommen haben, enthält die Behauptung, der Politiker identifiziere sich mit dem gesamten Ideengut des Nationalsozialismus und sei ein Neo-Nazi schlechthin; das wurde als beleidigend und nur bei besonderem Sachverhalt zu rechtfertigen angesehen1079. Die Darstellung eines Kanzlerkandidaten als Kampfstier ist zwar für sich betrachtet noch nicht beleidigend, wohl aber, wenn das so geschieht, als greife er die vor ihm stehenden kleinen Leute an, verbunden mit der Parole „Stoppt S. gegen Reaktion, Faschismus und Krieg“1080. Die aktiven Soldaten der Bundeswehr werden durch die Behauptung beleidigt, mit dem Sol- 201 datenberuf vergleichbar sei „höchstens noch der des Folterknechts, des KZ-Aufsehers oder des Henkers“1081. Beleidigend ist auch die Bezeichnung von Soldaten als „Henker im Warte-
1068 1069 1070 1071 1072 1073 1074 1075 1076 1077 1078 1079 1080 1081
OLG Koblenz v. 10.7.1978 – 2 Ss 311/78, NJW 1978, 1816. BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072 – Böll. OLG Jena v. 4.7.2001 – 1 Ss 157/01, NJW 2002, 1890. BVerfG v. 1.8.2001 – 1 BvR 1906/97, AfP 2001, 382 = NJW 2001, 3613. BGHSt 11, 329. BGH v. 24.5.2016 – VI ZR 496/15, MDR 2016, 1086 = MMR 2016, 849. OLG Düsseldorf v. 29.7.1947 – 4 U 131/47, NJW 1948, 386. BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762. OLG Celle v. 14.6.1947 – Ss 120/47, HESt 1, 61. OLG München v. 14.7.1970 – 9 U 1028/70, ArchPR 1970, 89; dazu BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677 – Deutschlandstiftung. AG Pforzheim v. 8.11.2002 – 8 Cs 85 Js 3744/02, n.v. OLG München v. 10.2.1971 – 12 U 2775/70, NJW 1971, 844. OLG Hamm v. 9.12.1981 – 7 Ss 1584/81, MDR 1982, 428 = NJW 1982, 659. BGH v. 3.5.1988 – VI ZR 276/87, MDR 1988, 952 = AfP 1989, 534.
Burkhardt/Peifer 307
Kap. 5 Rz. 202
Wortberichterstattung – die Tatbestände
stand“1082 oder die Bezeichnung eines Offiziers als „Wehrsklavenhalter“1083. Die Bezeichnung „Soldaten sind (potentielle) Mörder“ kann beleidigend sein1084. bb) Beleidigung verneint 202
Noch keine Ehrverletzung enthält das bloße Fotografieren eines Betroffenen, z.B. eines zum Gerichtsgebäude geführten Untersuchungsgefangenen1085. Die Bezeichnung einer Aktion als „verantwortungslos“ kann eine noch angemessene Reaktion sein, z.B. auf den Streik von Fluglotsen1086, ebenso die Bezeichnung der Tätigkeit eines Rechtsanwalts als „Winkeladvokatur“, wenn sie in eine Sachkritik eingebettet wurde1087. Die Verleihung eines „Denkzettels für strukturellen und systeminternen Rassismus zum Antirassismus-Tag 2010 an das Rechtsamt der Stadt B.“ verliert noch nicht den Sachbezug einer Kritik an der Integrationspolitik der Behörde, sie wird auch nicht auf die Sachbearbeiterin persönlich, sondern auf die Behörde bezogen1088. Die Bezeichnung einer Lüge als „unverschämt“ bedeutet, dass diese besonders grob und weit von der Wahrheit entfernt ist; ein entsprechender Vorwurf bedeutet noch keine allgemeine Diskriminierung des Betroffenen1089. Bezeichnungen wie „Schinder-Syndikat“, „Ganovenkreis“, „finstere Machenschaften“, „Offenbarungseids-Genossen“, „Gammler-Riege“ bedeuten keine Beleidigung, wenn sie im Zusammenhang mit der Anprangerung von Wirtschaftsverbrechen von einem Wirtschaftsmagazin verwendet werden und ein entsprechender Sachverhalt vorliegt1090. Auch die Wortkomposition „Vorbeugemord“ enthält keine Äußerung schlechthin ehrkränkenden Charakters1091. Der Vergleich einer Tätigkeit von Justizbeamten mit „Auswüchsen im Stil faschistischer Sippenhaftung“1092 kann ebenso noch vom Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit umfasst sein wie der im Rahmen einer Richterablehnung erhobene Vorwurf „Diese Richterin hat keinerlei Skrupel, auf abenteuerlichste Art und Weise Recht verfassungswidrig und demonstrativ gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung so auszulegen, dass für mich immer eine Negativentscheidung herauskommt“1093. Die Äußerung „Ich halte das für organisierte Wirtschaftskriminalität“ ist – trotz des darin liegenden Vorwurfs strafrechtlicher Verfehlung – noch Werturteil und gerechtfertigt, wenn sie zur Untermauerung eines Sachvorwurfs verwendet wird1094.
203
Die Behauptung, ein Politiker sei ein „Heckenschütze“, der einen anonymen Angriff gegen ein prominentes Mitglied einer konkurrierenden Partei gestartet habe, kann durch Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt sein1095. Wird ein 80-jähriger Oberbürgermeister ohne Abqualifizierung als „Stadtfossil“ bezeichnet, ist das nicht beleidigend, wenn damit die 1082 AG Spaichingen v. 16.10.1990 – 2 Cs 152/90, NJW 1991, 1496. 1083 LG Kaiserslautern v. 3.10.1988 – 21 Js 10457/85-Cs Ns, NJW 1989, 1369. 1084 BVerfG v. 10.7.1992 – 2 BvR 1802/91, NJW 1992, 2750; v. 25.8.1994 – 1 BvR 1423/92, AfP 1994, 286 = NJW 1994, 2943; v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, NJW 1995, 3303. 1085 OLG Oldenburg v. 18.1.1963 – 1 Ss 323/62, NJW 1963, 920. 1086 OVG NRW v. 21.8.1973 – 14 B 596/73, ArchPR 1973, 101. 1087 BVerfG v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, AfP 2013, 388 = MDR 2013, 1070 = NJW 2013, 3021 Rz. 21. 1088 BVerfG v. 24.7.2013 – 1 BvR 444/13, AfP 2013, 389, 391 f. 1089 LG Frankfurt v. 5.8.1974 – 5/9 Qs 607/74, NJW 1974, 2244. 1090 OLG München v. 3.12.1973 – 21 U 3402/73, ArchPR 1973, 94. 1091 AG Hamburg v. 24.1.1974 – 136 Ds 189/72, ArchPR 1974, 162. 1092 OLG Düsseldorf v. 29.12.1995 – 5 Ss 381/95-93/95 II, NStZ-RR 1996, 164. 1093 BayObLG v. 24.5.2000 – 2 St RR 66/00, NJW 2000, 3079. 1094 BGH v. 31.3.2016 – I ZR 160/14, AfP 2016, 440 = MDR 2016, 895 = NJW 2016, 3373. 1095 OLG Köln v. 15.12.1967 – 9 U 133/67, MDR 1968, 496.
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Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 204 Kap. 5
Aufrechterhaltung einer konkreten politischen Gemeindesituation satirisch gekennzeichnet wird1096. Die Bezeichnung eines Universitätsinstitutes als „Zentralinstitut für Anti-AmerikaStudien“ ist eine zulässige Meinungsäußerung1097. Die auf entsprechende Umstände gestützte Bezeichnung eines Amtsbewerbers als „linksradikal bis prokommunistisch eingestellter Kommunistenspezi“ seitens eines Kommunalpolitikers ist keine Beleidigung, sondern eine pointierte Äußerung, die nicht aus dem Rahmen vergleichbarer Wahlkampfschriften fällt1098. Auch der gegen die GEMA erhobene Vorwurf, sie unternehme den Versuch, „in östliche Zustände“ hineinzuhören, kann durch Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt sein1099. Wird ein Oberbürgermeister als „scheinheilig“ bezeichnet, weil er öffentlich als Christ auftritt, tatsächlich aber hinter angeblichen Machenschaften von Opus Dei stehe, hält sich das noch im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 GG1100. Die Unterschiebung einer nicht vorgenommenen Äußerung ist nicht ohne Weiteres ehrver- 204 letzend. Z.B. bedeutet es keine Beleidigung, einem Politiker die Forderung zu unterstellen, man solle die Belastbarkeit der Wirtschaft prüfen, weil diese angebliche Forderung weder etwas Unehrenhaftes noch die Aufforderung zu verfassungswidrigem Vorgehen enthält. Sofern die Unterstellung beeinträchtigend ist, kann ihr mit Hilfe des Rechts auf freie Selbstbestimmung begegnet werden, nicht aber mit dem Ehrenschutz1101. Ein gegen eine Bürgerinitiative erhobener Vorwurf der Lüge, der Völkerhetze und des Faschismus kann als noch zulässige schlagwortartige Wertung zu beurteilen sein, wenn dafür sachliche Bezugspunkte vorhanden sind1102. Der Vorwurf des Faschismus ist schillernd und kann als Versuch einer politischen Platzanweisung zu verstehen sein1103. Die Äußerung „In Deutschland können Polizisten wieder, wie vor 60 Jahren, Menschen zu Tode prügeln, ohne dass sie irgendetwas zu befürchten haben“ in einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen zwei wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit einschreitenden Polizeibeamten kann zulässige Kritik sein1104. Einen bayerischen Politiker mit Wolfskrallen in einem Bett mit weißblau kariertem Kopfkissen zusammen mit einem Rotkäppchen in Form einer Karikatur abzubilden, verbunden mit dem Text „Warum hast du ein so großes Maul?“, ist nicht beleidigend, weil der Wolf als Rudeljäger dem Durchschnittsbetrachter nicht als ein aus dem Hinterhalt jagendes Tier bekannt ist, weswegen er nicht zwingend darauf schließen lässt, dem Politiker solle Hinterhältigkeit vorgeworfen werden1105. Nicht beleidigend ist auch die am Ende eines Kommentars ersichtlich ironisch gemeinte Äußerung, der Betroffene „solle lieber einen Arzt aufsuchen“1106, ebenso wenig die Bezeichnung eines Polizeibeamten als „Herr Oberförster, zum Wald geht es da lang!“1107 oder die Äußerung „Sie sind mir ein komischer Vogel“ gegenüber einem ermittelnden Polizeibeamten in einer vernehmungsähnlichen Situation1108.
1096 1097 1098 1099 1100 1101 1102 1103 1104 1105 1106 1107 1108
AG Baden-Baden v. 25.2.1969 – 5 Cs 338/68, Ufita 58/1970, 335. KG v. 29.11.1974 – 9 U 2177/4, ArchPR 1974, 122. OLG München v. 18.9.1972 – 21 U 1956/72, ArchPR 1972, 109. BVerfG v. 6.11.1968 – 1 BvR 501/62, NJW 1969, 227. OLG Köln v. 24.6.1986 – Ss 84/86, Ss 85/86, AfP 1987, 524. BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77, AfP 1980, 149 = NJW 1980, 2070 – Eppler. LG Stuttgart v. 20.10.1981 – 17 O 252/81, v. 20.10.1981 – 17 O 252/81, n.v. OLG München v. 30.5.1975 – 21 U 1902/75, ArchPR 1975, 54 – „Neo-Faschist“. BVerfG v. 23.8.2005 – 1 BvR 1917/04, NJW 2005, 3274. VGH Bay. v. 4.10.1983 – 21 B 83 A.794, NJW 1984, 1136. BVerfG v. 1.8.2001 – 1 BvR 1906/97, AfP 2001, 382 = NJW 2001, 3613. AG Berlin-Tiergarten v. 26.5.2008 – (412 Ds) 2 JuJs 186-08 (74/08). OLG Bamberg v. 11.6.2008 – 3 Ss 64/08, DAR 2008, 531.
Burkhardt/Peifer 309
Kap. 5 Rz. 205
Wortberichterstattung – die Tatbestände
205
Die verballhornende Schmähung des Namens kann eine Missachtung und damit eine Beleidigung bedeuten. Ist der Eingriff in einem Kunstwerk enthalten, kann er im Blick auf Art. 5 Abs. 3 GG noch gerechtfertigt sein, ebenso die in einem Schlüsselroman enthaltenen Formulierungen „Paarung von Unverschämtheit und Dummheit“, „willfähriger Beamter“ und „auswechselbare Beamtenseele“1109.
206
Dass der Rundfunk ein „Markt der Meinungen“ und deswegen für die Ausstrahlung der Äußerungen anderer grundsätzlich nicht haftbar ist1110, muss auch bei der strafrechtlichen Beurteilung beachtet werden. Eine strafrechtlich verfolgbare Beleidigung fehlt auch, wenn in einem Fernsehspiel eine von Teilen der Bevölkerung tatsächlich vertretene Ansicht (der bayerische Politiker Peter G. sei u.a. wegen seiner Haltung zu Aids ein „Faschist“) mediengerecht verkürzt in plakativer Form wiedergegeben wird1111. Auch extrem abwertende Kritik über Geschäftsbeziehungen von Banken zu einer rechtsradikalen Partei ist wegen der die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragestellung noch keine Beleidigung1112. Wegen des Rechts, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, stellt es wohl keine Beleidigung dar, wenn ein Rechtsanwalt in einer Dienstaufsichtsbeschwerde die Prozessführung eines Richters als „Musikantenstadl“ bezeichnet1113. 2. Üble Nachrede § 186 StGB Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
207
Im Gegensatz zur Beleidigung setzt die üble Nachrede keine Kundgebung der Geringachtung, Nichtachtung oder Missachtung voraus, sondern die Mitteilung von Tatsachen, die andere zur Missachtung veranlassen können. Der Täter liefert also die Grundlagen, die geeignet sind, den Adressaten zur Bildung eines negativen Urteils zu veranlassen1114. Sind durch ein und dieselbe natürliche Handlung beide Tatbestände verwirklicht, tritt die Beleidigung als subsidiär hinter der üblen Nachrede zurück1115. a) Verwirklichung des Tatbestandes
208
Die üble Nachrede setzt voraus, dass eine Tatsachenbehauptung aufgestellt oder verbreitet wird, die einen anderen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herab1109 OLG Hamburg v. 13.5.1983 – 2 Ss 134/82, NJW 1984, 1130. 1110 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 – Panorama; v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72 = NJW 2010, 760 Rz. 11 – Heute wird offen gelogen. 1111 OLG Köln v. 28.1.1992 – Ss 567/91, Ss 568/91, Ss 569/91, AfP 1992, 293 = NJW 1993, 1486 – Lindenstraße, ähnlich OLG Frankfurt v. 13.10.2016 – 16 W 57/16, CR 2017, 408 = ITRB 2017, 32 = ZUM 2017, 245, 246: „öffentliche Gelder für Israelfeinde“. 1112 LG Mainz v. 9.11.2000 – 1 O 386/00, AfP 2001, 157 = NJW 2001, 761. 1113 BVerfG v. 6.6.2017 – 1 BvR 180/17, NJW 2017, 2606. 1114 Lenckner/Eisele, in Schönke/Schröder, § 186 StGB Rz. 1. 1115 BGH v. 12.5.1954 – 6 StR 92/54, BGHSt 6, 159, 161; OLG Stuttgart v. 30.5.1968 – 2 Ss 614/67, JZ 1969, 77.
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Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 211 Kap. 5
zuwürdigen geeignet ist, und zwar eine Tatsachenbehauptung, die nicht erweislich wahr ist. Den Nachweis hat grds. der Äußernde zu führen. aa) Aufstellen oder Verbreiten einer Tatsachenbehauptung Tatsachenbehauptungen sind Behauptungen, die dem Beweis zugänglich, also als wahr oder 209 unwahr feststellbar sind. Den Gegensatz bilden Meinungsäußerungen, d.h. Äußerungen, über die sich auch bei Kenntnis des zugrunde liegenden Sachverhaltes streiten lässt. Im Zweifel ist von einer Meinungsäußerung auszugehen, da ansonsten der grundrechtliche Schutz wesentlich verkürzt würde1116. Näheres Kap. 4 Rz. 66 und Kap. 6 Rz. 12. § 186 StGB ist nicht nur anwendbar, wenn der Täter sich auf die kommentarlose Behaup- 210 tung von Tatsachen beschränkt, sondern ebenso, wenn er daran eine Wertung knüpft1117. Das trifft z.B. zu, wenn fälschlich behauptet wird, die SPD habe die Entfernung eines Kruzifixes gefordert, und sich daran eine negative Bewertung des Werbens dieser Partei um die konfessionsgebundene Wählerschaft anschließt1118. § 186 StGB ist ebenfalls anwendbar, wenn eine Wertung durch Tatsachen belegt wird1119. Eine Wertung liegt auch noch vor, wenn komplexere Zusammenhänge dargestellt und mit einer Wertung versehen werden. Jedenfalls darf die Wertung dann nicht dadurch angegriffen werden, dass aus dem Gesamtzusammenhang einzelne Sätze abgetrennt und als üble Nachrede verboten werden1120. In jüngerer Zeit neigt vor allem das Bundesverfassungsgericht allerdings dazu, in Wertungen eingekleidete pauschale Behauptungen nur als Werturteil anzusehen. So ist die Bezeichnung eines eine Wohnung beobachtenden Polizisten als „Spanner“ keine Tatsachenbehauptung, sondern Wertung, die als Teil einer Kritik an einer als fehlerhaft empfundenen Maßnahme zulässig sein kann1121. Auch die Anmeldung einer Domain „lotto-betrug.de“, unter der Internetnutzern mitgeteilt wird, dass der Autor den Verdacht unlauteren Umgangs mit Lotterieeinsätzen hege, ist keine Tatsachenbehauptung, sondern Wertung, wenn keinerlei Tatsachen mitgeteilt werden, die einem Beweis zugänglich sind1122. Die Bezeichnung einer Person als „Alkoholiker“ ist substanzarm und daher noch Wertung1123, ebenso die Bezeichnung „Neonazi“1124. Eine Tatsachenbehauptung ist dagegen die Behauptung, eine Schauspielerin habe bei einem öffentlichen Anlass nach Alkohol gerochen, sie habe gelallt, wodurch unterstellt wird, sie habe einen Alkoholrückfall erlitten1125. Nach der ersten Alternative des § 186 StGB muss die Tatsache behauptet, d.h. es muss ei- 211 nem Dritten gegenüber eine Tatsachenbehauptung aufgestellt werden. Das ist der Fall, wenn die Aussage dem Dritten als Gegenstand eigener Überzeugung dargestellt wird. Ob das Behauptete selbst ermittelt bzw. wahrgenommen oder aber von dritter Seite erfahren ist, ist irrelevant. Ebenso ist unerheblich, ob der Behauptende die Initiative zu der beanstandeten 1116 BVerfG v. 11.4.1991 – 2 BvR 963/90, NJW 1991, 2074, 2075; v. 28.3.2000 – 2 BvR 1392/96, NJW 2000, 3196; v. 29.2.2012 – 1 BvR 2883/11, NJW-RR 2012, 1002; v. 6.6.2017 – 1 BvR 180/17, NJW 2017, 2606; vgl. auch EGMR v. 2.12.2014 – Nr. 18748/10, NJW 2016, 785. 1117 BGH v. 20.1.1959 – 1 StR 518/58, BGHSt 12, 287, 291. 1118 OLG Stuttgart v. 30.5.1968 – 2 Ss 614/67, JZ 1969, 77. 1119 BGH v. 20.1.1959 – 1 StR 518/58, BGHSt 12, 287. 1120 BGH v. 2.12.2008 – VI ZR 219/06, AfP 2009, 55 = ITRB 2009, 128 = NJW 2009, 915. 1121 BVerfG v. 29.6.2016 – 1 BvR 2732/15, AfP 2016, 433 = K&R 2016, 667. 1122 OLG Frankfurt v. 22.1.2007 – 11 W 25/06, K&R 2007, 209. 1123 KG v. 30.4.2012 – (4) 161 Ss 80/12 (104/12), NStZ-RR 2013, 8, 9. 1124 OLG Stuttgart v. 23.9.2015 – 4 U 101/15, AfP 2016, 268. 1125 LG Köln v. 1.3.2017 – 28 O 41/16.
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Kap. 5 Rz. 212
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Berichterstattung ergriffen hat oder ob er von einem Reporter auf Aufforderung zu einem Interview und damit zu der streitigen Äußerung veranlasst worden ist1126. Auch die Hinzufügung einschränkender Zusätze („m.E.“, „so wie ich es sehe“ usw.) steht der Annahme des Behauptens nicht entgegen1127. Die Behauptung einer Tatsache kann auch durch Aussprechen eines bloßen Verdachtes, einer Andeutung oder Frage1128, durch Hinweis auf eine Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, u.U. sogar durch Aussprechen einer Unwahrscheinlichkeit erfolgen (vgl. ferner Rz. 252 und Kap. 4 Rz. 55)1129. Die Behauptung kann auch „vertraulich“ erfolgen. Immer aber muss dies einem Dritten gegenüber geschehen. Das folgt aus dem Wesen der üblen Nachrede. Wird die Behauptung allein gegenüber dem Betroffenen aufgestellt, fehlt es – anders als bei § 185 (oben Rz. 191) – an der in § 186 StGB vorausgesetzten Eignung zur Ansehensminderung. Zu Äußerungen, die im engsten Familienkreis aufgestellt werden, vgl. Kap. 10 Rz. 27. 212
Die zweite Alternative des § 186 StGB betrifft das Verbreiten von Behauptungen. Unter dem Verbreiten ist die Weitergabe einer von anderer Seite aufgestellten Behauptung zu verstehen, die der Verbreitende sich nicht zu Eigen macht, sondern die er als fremde weitergibt1130. Selbst beim ausdrücklichen Hinweis darauf, die Behauptung stamme von einem Dritten, kann mangels Distanzierung ein haftungsbegründendes Verbreiten vorliegen1131. Dementsprechend kann auch und besonders ein Gerücht verbreitet werden1132. Das Verbreiten braucht nicht öffentlich zu erfolgen; die Weitergabe der Behauptung an einen Dritten genügt. Die ernsthafte Distanzierung nimmt der Verbreitung die Rechtswidrigkeit, weil das ernsthafte Entgegentreten die Ehre des Betroffenen schützt, indem es jedenfalls Raum für Zweifel lässt1133. Wegen der Einzelheiten der Verbreiterhaftung vgl. Kap. 10 Rz. 207 ff. Keine Verbreitung liegt vor, wenn die Äußerung eines Dritten als Teil der Wiedergabe eines Meinungsstandes weitergegeben wird, in einem solchen Fall darf auch die Distanzierung fehlen1134.
213
Die Tatsache muss in Beziehung auf einen anderen behauptet oder verbreitet werden. Der Beleidigte und der Empfänger der Mitteilung dürfen also nicht identisch sein; in diesem Falle kommt die Anwendung des § 185 StGB in Betracht (oben Rz. 191)1135. Ob der Beleidigte beim Aufstellen oder Verbreiten zugegen war, ist belanglos. Nicht erforderlich ist, dass der 1126 BGH v. 11.5.1973 – I ZR 123/71, GRUR 1974, 105 – Kollo-Schlager. 1127 OLG Frankfurt v. 14.5.1981 – 16 U 207/80, NJW 1981, 2707, 2708. 1128 BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, GRUR 1969, 624 – Hormoncreme; OLG München v. 26.4.1993 – 31 U 5234/92, NJW 1993, 2998, 2999. 1129 RG v. 6.3.1906 – 188/06, RGSt 38, 368; v. 7.10.1926 – III 646/26, RGSt 60, 371, 373; v. 11.7.1933 – I 749/33, RGSt 67, 268; BGH v. 16.1.1951 – I ZR 19/50, NJW 1951, 352. 1130 RG v. 17.2.1921 – VI 473/20, RGZ 101, 335, 338; BGH v. 25.4.1958 – I ZR 97/57, JZ 1958, 438. 1131 BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, GRUR 1969, 624, 627 – Hormoncreme; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148, 1149. 1132 RG v. 12.5.1919 – VI 374/18, RGZ 95, 339, 343; BGH v. 16.1.1951 – I ZR 19/50, NJW 1951, 352; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1132; OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, GRURPrax 2017, 335. 1133 Leipziger Kommentar/Hilgendorf, § 186 StGB Rz. 8. 1134 BGH v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72 = NJW 2010, 760 Rz. 11 – Heute wird offen gelogen; OLG Frankfurt v. 13.10.2016 – 16 W 57/16, CR 2017, 408 = ITRB 2017, 32 = ZUM 2017, 245. 1135 BayObLG v. 15.10.1958 – RReg. 1 St 468/57, NJW 1959, 57; OLG Köln v. 28.7.1964 – 1 Vs 7/64, NJW 1964, 2121.
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Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 216 Kap. 5
andere namentlich bezeichnet wird. Es genügt, dass er nach den Umständen sicher erkennbar ist1136. Richtet sich die Beschuldigung gegen einen von mehreren Angehörigen einer begrenzten Gruppe, ist jeder Gruppenangehörige verletzt1137. Näheres Rz. 185. bb) Eignung zur Ehrverletzung Die üble Nachrede ist ein Ehrverletzungsdelikt, das nur zur Anwendung kommt, wenn die 214 nicht erweislich wahre Tatsachenbehauptung geeignet ist, den Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Dabei verlangt das Grundrecht auf Äußerungsfreiheit eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der persönlichen Ehre durch die umstrittene Äußerung auf der einen Seite und der Äußerungsfreiheit durch eine Verurteilung auf der anderen Seite droht. Dabei sind alle wesentlichen Umstände zu berücksichtigen. Dazu gehört auch z.B. die Funktion, in welcher der sich Äußernde seine ehrkränkende Behauptung aufgestellt hat1138. An einer Betroffenheit fehlt es, wenn die Behauptung von Störungen bei einer Demonstration zwar unwahr sein kann, jedoch die Veranstalterin der Kundgebung, anlässlich derer es zu den Störungen kam, nur mittelbar betroffen hat1139. Verächtlichmachen bedeutet, den Kritisierten als der Achtung anderer überhaupt unwürdig 215 hinzustellen oder ihn zumindest im Wert herabzusetzen, z.B. dadurch, dass er als Person geschildert wird, die ihren sittlichen oder sonstigen Pflichten nicht gerecht wird. Man kann das Merkmal so verstehen, dass es in erster Linie auf die sittlich-personale Komponente hindeutet, während das Herabwürdigen in der öffentlichen Meinung auf die Reputation in den Augen Dritter zielt1140. Es genügt, dass die nicht erweislich wahre Tatsachenbehauptung hierzu geeignet ist. Dass ein solcher Erfolg tatsächlich eintritt, ist nicht erforderlich. Herabwürdigen bedeutet, den Kritisierten zu diskreditieren, d.h. ihn in rechtlicher, sitt- 216 licher oder sonstiger Hinsicht einer besonderen Unwürdigkeit zu zeihen. Auch hier genügt die bloße Eignung. Nicht ausreichend ist die abwegige Beurteilung eines unverfänglichen Geschehens1141. Die Eignung zur Herabwürdigung muss in Bezug auf die öffentliche Meinung vorhanden sein. Unter der öffentlichen Meinung ist die Auffassung eines größeren, nicht individuell bestimmten Teils der Bevölkerung zu verstehen1142. Den Gegensatz bilden mehr oder weniger abgeschlossene Kreise, insb. der Kreis der Freunde und Bekannten. Lässt sich die Frage des beleidigenden Gehaltes der Äußerung unterschiedlich beurteilen, reicht es aus, wenn immerhin ein Bevölkerungsteil vorhanden ist, der die Behauptung als herabwürdigend empfinden kann. Das kann z.B. der Fall sein, wenn behauptet wird, eine Firma beabsichtige, Atombomben zu bauen, sie werde nicht über die Runden kommen oder dgl. Die Eignung zur Herabwürdigung in der öffentlichen Meinung ist noch nicht vorhanden, wenn die Behauptung lediglich einem Dritten mitgeteilt worden ist, auch nicht, wenn dies zum Zwecke der Veröffentlichung geschehen ist, sondern erst, wenn die Veröffentlichung tatsächlich erfolgt ist1143. Keine Herabwürdigung ist die Behauptung, dass eine Behörde Misstände bei der Vergabe von Subventionen an ein Medienproduktionsunternehmen prüfe, denn die 1136 OLG Braunschweig v. 30.4.1965 – Ss 56/65, NdsRpfl. 1965, 210. 1137 BGH v. 8.12.1959 – 2 StR 486/59, BGHSt 14, 48 = NJW 1960, 779. 1138 BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889; v. 16.3.1999 – 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199, 200. 1139 OLG Stuttgart v. 29.5.2013 – 4 U 163/12, NVwZ-RR 2014, 487, 489. 1140 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, § 186 StGB Rz. 5. 1141 KG v. 22.5.1963 – I Ss 69/63 (10/63), JR 1963, 351. 1142 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, § 186 StGB Rz. 5. 1143 OLG Stuttgart v. 16.8.1972 – 1 Ss 278/72, NJW 1972, 2320 = AfP 1972, 332.
Burkhardt/Peifer 313
Kap. 5 Rz. 217
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Prüfung der Subventionsvergabe gehört zur Aufgabe der Behörde und verletzt für sich genommen noch nicht die Ehre des betroffenen Unternehmens1144. cc) Fehlender Wahrheitsbeweis 217
Der Tatbestand des § 186 StGB setzt voraus, dass die aufgestellte oder verbreitete Tatsachenbehauptung nicht erweislich wahr ist. Sie muss allerdings einiges Gewicht haben, um überhaupt relevante Ehrverletzung sein zu können1145. Es kommt nicht darauf an, ob die Behauptung wirklich wahr ist, sondern ob die Wahrheit bewiesen werden kann. Für die Presse folgen hieraus besondere Recherchepflichten, die desto intensiver sind, je gravierender der behauptete Vorwurf ist1146. Kann der Wahrheitsbeweis nicht geführt werden, darf über einen Verdacht in Fragen öffentlichen Berichtsinteresses durchaus berichtet werden, dafür gelten allerdings enge Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung (dazu Kap. 10 Rz. 166 ff.)1147. Die behaupteten und die bewiesenen Tatsachen müssen identisch sein1148. Jedoch kann der Wahrheitsbeweis schon geführt sein, wenn der Tatsachenkern erwiesen ist1149. Unbedeutende Übertreibungen können unschädlich sein1150. Den Beweis hat grds. der sich Äußernde zu führen1151. Diese Beweislastregel verletzt nicht Art. 10 Abs. 1 EMRK1152. Sie gilt auch, soweit nur zivilrechtliche Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB verfolgt werden und soweit der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht eingreift (Näheres Kap. 12 Rz. 138 ff.). Zum Wahrheitsbeweis darf sich der Äußernde in Angelegenheiten öffentlichen Interesses auf Behördeninformationen stützen, so etwa beim Verdacht einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR auf Verlautbarungen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR1153. Zudem darf der Behauptende sich auch auf das Geständnis des Betroffenen stützen. Hat der Betroffene gestanden, drei Menschen getötet zu haben, und sich in einem Brief an den Polizeipräsidenten selbst als „großer Mörder“ bezeichnet, ist eine Zeitung berechtigt, ihn öffentlich in dieser Weise einzustufen, und zwar auch in Bezug auf die Qualifizierung des Tötungsdeliktes als Mord1154.
218
Ist die behauptete oder verbreitete Tatsache eine Straftat, ist nach § 190 Satz 1 StGB der Beweis als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Tat rechtskräftig verurteilt ist. Dagegen ist nach § 190 Satz 2 StGB der Beweis der Wahrheit ausgeschlossen, wenn der Be1144 BGH v. 2.12.2008 – VI ZR 219/06, AfP 2009, 55 = ITRB 2009, 128 = NJW 2009, 915. 1145 LG Köln v. 30.11.2016 – 28 O 419/15. 1146 BVerfG v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, IPRB 2016, 243 = NJW 2016, 3360 – Doping in der DDR. 1147 BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = AfP 2014, 135 = ITRB 2014, 102 = GRUR 2014, 693 Rz. 26 – Sächsische Korruptionsaffäre; BGH v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, MDR 2015, 24 = AfP 2015, 36 = IPRB 2015, 54 = GRUR 2015, 96 – Chefjustiziar. 1148 BGH v. 14.5.1963 – VI ZR 20/61, VersR 1963, 943. 1149 BGH v. 15.1.1963 – 1 StR 478/62, BGHSt 18, 182; OLG Brandenburg v. 7.5.2007 – 1 U 19/06, MDR 2007, 1316 = AfP 2007, 247, 248. 1150 OLG Hamm v. 29.11.1957 – 1 VS 857, JMBl. NRW 1958, 112; OLG Karlsruhe v. 13.3.1987 – 14 U 197/85, AfP 1987, 614, 616. 1151 BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = AfP 2014, 135 = ITRB 2014, 102 = GRUR 2014, 693 Rz. 24 – Sächsische Korruptionsaffäre. 1152 EGMR v. 2.12.2014 – 18748/10, NJW 2016, 785 – Fall DuMont. 1153 BGH v. 11.12.2012 – VI ZR 314/10, AfP 2013, 57 = CR 2013, 184 = MDR 2013, 405 = NJW 2013, 790 Rz. 15 – IM Christoph. 1154 OLG Karlsruhe v. 24.8.1972 – 1 U 69/72, AfP 1973, 396.
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Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 220 Kap. 5
leidigte wegen der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen ist1155. Näheres insb. zur Übertragung ins Zivilrecht Rz. 229 ff. b) Anwendungsfälle Als üble Nachrede ist die Behauptung gewertet worden, ein Kaufmann habe Konkurs ge- 219 macht1156, ein Rechtsanwalt sei ein „Sozialbetrüger“ und beziehe zu Unrecht Sozialleistungen1157, ebenso der Vorwurf, ein Minister habe einen Koffer voll nagelneuer 50-DM-Scheine erhalten, er habe während seiner Ministerzeit Geld angenommen, das ihm nicht gehört habe und sei ein der Korruption schuldiger Minister1158, desgleichen die unwahre Behauptung, die SPD habe gefordert, ein Kruzifix müsse entfernt werden1159; ebenso der Vorwurf, „StasiHelfer“ zu sein1160. Eine üble Nachrede liegt auch in der unwahren Behauptung, ein Fußballtrainer habe seine ehemaligen Spieler als „Ganovenmannschaft“ bezeichnet1161, ein Taxifahrer habe die Beförderung eines Fahrgastes mit der Begründung abgelehnt, er sei zu dick und damit transportunfähig1162. Die Äußerung „Haben’s schon warm genug“ kann als Behauptung homosexuellen Verkehrs eine üble Nachrede sein1163. Diese Rechtsprechung dürfte auf Grund der Entkriminalisierung homosexuellen Verhaltens und des allgemeinen Wandels des Sittenverständnisses heute so nicht mehr relevant sein, wohl aber kann die Äußerung herabwürdigendes Werturteil sein. Die vom Arbeitgeber aufgestellte Behauptung, sein Arbeitnehmer habe ihn durch einen Diebstahl geschädigt, ist geeignet, das Ansehen des Arbeitnehmers im Betrieb und in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen1164. Ein Arbeitsamt wird durch den Vorwurf, „nachweislich unbefugt auf der Basis von Günstlings- und Vetternwirtschaft in Reinkultur öffentliche Gelder verschwendet“ zu haben, herabgewürdigt1165. Eine üble Nachrede ist auch der gegenüber einem Richter erhobene Vorwurf, er habe gelogen, also bewusst die Unwahrheit gesagt; das gilt jedenfalls, wenn mit dem Vorwurf der Eindruck erweckt wird, der Richter sei unwahrhaftig und habe wider besseres Wissen von geistig Behinderten gesprochen1166. Üble Nachrede soll mangels Wahrheitsbeweises die Behauptung sein, ein Mitglied einer Spontigruppe habe als „passionierter Schläger“ gegolten1167, ebenso die Behauptung Polizeibeamte seien mit Flaschen, Eiern und Böllern bombardiert worden, wenn dabei nicht mitgeteilt wird, dass diese aus den Reihen der Gegendemonstranten beworfen wurden1168. Keine üble Nachrede bedeutet die Behauptung, die Berichterstattung eines Presseorgans sei 220 unwahr, auch nicht, wenn sie öffentlich verbreitet wird. Die Behauptung der Unwahrheit einer Berichterstattung ist für sich allein nicht geeignet, den Verleger oder Redakteur eines Presseorgans in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzuwürdigen, weil Fehler unvermeidlich sind und die Allgemeinheit daher ein Presseorgan nicht schon 1155 1156 1157 1158 1159 1160 1161 1162 1163 1164 1165 1166 1167 1168
OLG München v. 18.1.2002 – 21 U 3164/01, NJW-RR 2002, 1045. RG v. 1.10.1880 – 1447/80, RG v. 14.3.1898 – 422/98, RGSt 2, 309, 310; RGSt 31, 84. OLG Brandenburg v. 5.3.2012 – 1 U 8/11, NJW-RR 2012, 1191. BGH v. 29.10.1968 – VI ZR 180/66, GRUR 1969, 147, 150 – Korruptionsvorwurf. OLG Stuttgart v. 30.5.1968 – 2 Ss 614/67, JZ 1969, 77. OLG Hamburg v. 10.10.1991 – 3 U 61/91, DtZ 1992, 223. OLG Nürnberg v. 4.11.1969 – 3 U 111/69, ArchPR 1969, 81. OLG Stuttgart v. 16.8.1972 – 1 Ss 278/78, AfP 1972, 332. RG v. 23.5.1908 – II 187/08, RGSt 41, 277, 286. BAG v. 21.2.1979 – 5 AZR 568/77, NJW 1979, 2532. BGH v. 16.11.1982 – IV ZR 122/80, NJW 1983, 1183 – Vetternwirtschaft. OLG Frankfurt v. 14.5.1981 – 16 U 207/80, NJW 1981, 2707. LG Frankfurt/M. v. 1.6.2006 – 2-03 O 360/02, ZUM-RD 2006, 404. OLG Stuttgart v. 29.5.2013 – 4 U 163/12, NVwZ-RR 2014, 487.
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Kap. 5 Rz. 221
Wortberichterstattung – die Tatbestände
wegen einer Unrichtigkeit als unzuverlässig ablehnt; anders kann es sich beim Vorwurf der üblen Nachrede verhalten1169; auch die Behauptung, gegen ein Unternehmen werde durch eine Behörde ermittelt, ist für sich genommen noch nicht ehrverletzend1170. Keine üble Nachrede ist es, wenn behauptet wird, ein Unternehmer habe kein ausreichendes Kapital, der Staat fordere vor einer Kreditgewährung die Aufnahme eines Partners; der in einem Kommentar enthaltene Satz „Wie zu hören ist, steht man bei den zuständigen Ministerien auf dem Standpunkt, dass K. nur dann mit finanzieller Hilfe rechnen kann, wenn er einen Partner beibringt, der neues Kapital zuschießt und unternehmerische Verantwortung mitträgt“ und die darauf basierende Überschrift „Staatsbürgschaft durch Partner?“ sind deswegen als zulässig bezeichnet worden1171. Die durch einen den Halbsatz „Ehrliche Meinung meinerseits“ eingeleitete kritische Bewertung eines Polizeieinsatzes ist zum Einen Werturteil, fällt also nicht unter § 186 StGB, zum Anderen ist sie als Wertung zulässig im Rahmen der Äußerungsfreiheit1172. Als zulässige Behauptung hat es das Bundesverfassungsgericht angesehen, wenn die Anzeigenerstatterin in einem Strafverfahren nach dem Freispruch des Angeklagten behauptet, der Tatvorwurf habe zugetroffen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Äußerung als Wertung angesehen und zudem einen besonderen Schutz für emotionalisierte Äußerungen zugelassen1173. Da es um einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch, also das Verbot einer Wiederholung ging, ist dies problematisch1174. 3. Verleumdung § 187 StGB Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
221
§ 187 StGB ist ein Mischtatbestand. Er enthält einen Sonderfall der üblen Nachrede. Zum Anderen richtet er sich gegen die Kreditgefährdung. a) Verwirklichung des Tatbestandes
222
Der Unterschied zur üblen Nachrede besteht darin, dass die aufgestellte oder verbreitete Tatsachenbehauptung als unwahr nachgewiesen sein muss1175. Bloße Nichterweislichkeit ist ungenügend. Außerdem muss der Täter die Behauptung wider besseres Wissen aufgestellt oder verbreitet, also positive Kenntnis der Unwahrheit gehabt haben. Bedingter Vorsatz reicht nicht aus1176. Der Kredit ist das Vertrauen, das jemand hinsichtlich der Erfüllung seiner vermögens-
1169 1170 1171 1172 1173
OLG Hamburg v. 4.1.1973 – 3 W 128/72, AfP 1973, 385. BGH v. 2.12.2008 – VI ZR 219/06, AfP 2009, 55 = ITRB 2009, 128 = NJW 2009, 915. BGH v. 14.1.1975 – VI ZR 198/72, VI ZR 135/72, AfP 1975, 801 – Metzeler. BVerfG v. 29.2.2012 – 1 BvR 2883/11, NJW-RR 2012, 1002. BVerfG v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13, IPRB 2016, 172 = NVwZ 2016, 761; anders OLG Köln v. 6.11.2012 – 15 U 97/12, AfP 2013, 144 m. Anm. von Bassewitz. 1174 Sachs, NVwZ 2016, 763, 764. 1175 Zur Behauptung der Protokollfälschung durch einen Richter als Tatsachenbehauptung KG v. 31.7.2015 – 161 Ss 131/15, OLGSt StGB § 187 Nr 1. 1176 RG v. 28.10.1937 – 2 D 582/37, JW 1937, 3215.
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Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 224 Kap. 5
rechtlichen Verbindlichkeiten genießt1177. Eine Behauptung, die geeignet ist, den Kredit zu gefährden, betrifft den wirtschaftlichen Ruf. Die Ehre braucht dadurch nicht tangiert zu werden1178. Deswegen kann auch eine nicht kränkende Behauptung den Tatbestand des § 187 StGB erfüllen. b) Anwendungsfälle Eine Verleumdung kann zu bejahen sein, wenn ein Rechtsanwalt in einer Verfassungs- 223 beschwerde ohne konkrete Anhaltspunkte geltend macht, die Richter einer Zivilkammer hätten sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen und rein theoretisch sei eine Bestechlichkeit nicht völlig auszuschließen, wenn er diese Verdächtigung mehrfach mit dem Hinweis wiederholt, seine Ausführungen seien so ernst aufzufassen, wie sie gemeint seien1179. Keine rechtswidrige Verleumdung kann vorliegen, wenn die verleumderische Behauptung dazu dient, verteidigungsweise einen gegen einen Täter bestehenden unbegründeten Verdacht durch Leugnen von Tatsachen zu entkräften1180. 4. Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens § 188 StGB (1) Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine üble Nachrede (§ 186) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. (2) Eine Verleumdung (§ 187) wird unter den gleichen Voraussetzungen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Die Vorschrift entspricht dem vorherigen § 187a StGB. Der Straftatbestand des § 188 StGB 224 schafft einen verstärkten Ehrenschutz für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens (zur Beleidigung ausländischer Staatsorgane vgl. oben Rz. 180, Rz. 189)1181. Dadurch soll der Vergiftung des politischen Lebens durch Ehrabschneidungen entgegengewirkt werden1182. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz ergibt sich daraus nicht1183. Besonders geschützt sind die im politischen Leben des Volkes stehenden Personen. Das sind alle, die sich für eine gewisse Dauer mit Angelegenheiten befassen, die den Staat, seine Verfassung, Gesetzgebung und Verwaltung, insb. das staatsbürgerliche Verhältnis seiner Angehörigen oder seine internationalen Beziehungen zu anderen Staaten, unmittelbar berühren1184. Hierzu sind insb. Mitglieder des Bundestages1185 und der Landtage1186 zu rechnen, unabhängig davon, ob sie einer Regierungs1177 1178 1179 1180 1181 1182 1183 1184 1185 1186
Lenckner/Eisele, in Schönke/Schröder, § 187 StGB Rz. 4 m.w.N. RG v. 28.11.1910 – III 754/10, RGSt 44, 160. OLG Hamm v. 15.1.1971 – 3 Ss 972/70, NJW 1971, 853. RG v. 19.3.1901 – 458/01, RG v. 7.12.1923 – I 922/23, RGSt 34, 222; RGSt 58, 39; BGH v. 23.10.1951 – 1 StR 7/50g, NJW 1952, 194; OLG Hamm v. 15.1.1971 – 3 Ss 972/70, NJW 1971, 853. Heinen, Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes, 2005. BGH v. 12.5.1954 – 6 StR 92/54, BGHSt 6, 161. BVerfG v. 30.11.1955 – 1 BvL 120/53, BVerfGE 4, 352. Vgl. RG v. 4.12.1924 – III 892/24, RGSt 58, 415; BGH v. 22.9.1953 – 5 StR 213/53, BGHSt 4, 338; Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, § 187a StGB Rz. 2. BGH v. 26.6.1952 – 5 StR 382/52, BGHSt 3, 74. BGH v. 23.10.1951 – 1 StR 7/50, NJW 1952, 194.
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Kap. 5 Rz. 225
Wortberichterstattung – die Tatbestände
oder Oppositionspartei angehören. Wer zwar im öffentlichen, nicht aber speziell im politischen Leben des Volkes wirkt, gehört nicht zum Kreis der besonders geschützten Personen, z.B. Wissenschaftler, Wirtschaftler, Künstler. Eine politische Betätigung ist nicht erforderlich1187. Ein Landrat hat in der Regel nicht die Stellung einer im politischen Leben des Volkes stehenden Person1188. Der Tatbestand setzt die Verwirklichung einer üblen Nachrede oder einer Verleumdung voraus. Nachdem diese bereits ihrerseits Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sind, kommt § 188 StGB für das Zivilrecht keine eigenständige Bedeutung zu. In zivilrechtlicher Hinsicht ergeben sich daraus keine Konsequenzen. 5. Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener § 189 StGB Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
225
Das Schutzobjekt des § 189 StGB ist dem durch Verordnung vom 29.5.1943 neu gefassten Gesetzestext nicht zu entnehmen. Nach der vorherigen Fassung war das Beschimpfen des Andenkens eines Verstorbenen strafbar, wenn wider besseres Wissen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet wurde, „welche denselben bei seinen Lebzeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet gewesen wäre“. Dadurch kam zum Ausdruck, zusammen mit dem Ableben gehe auch die Ehre unter. Deswegen wurde angenommen, Schutzobjekt sei das Pietätsgefühl der nächsten Angehörigen und der Allgemeinheit1189 oder auch die Ehre der Familie. Die heutige Fassung ist neutral. Dies hat zur gegenteiligen Meinung geführt, Schutzobjekt des § 189 StGB sei eine fortbestehende Ehre des Toten.
226
Das Bundesverfassungsgericht1190 hat überzeugend dargelegt, dass das Persönlichkeitsrecht und damit auch die Ehre das Leben nicht überdauern1191. Trotz der neutralen Gesetzesfassung kann also die Ehre eines Toten nicht Schutzobjekt des § 189 StGB sein. Wie dem in § 194 Abs. 2 StGB geregelten Strafantragsrecht zu entnehmen ist, kann das Pietätsgefühl der Allgemeinheit ebenfalls nicht als Schutzobjekt betrachtet werden (str.). Richtiger Ansicht nach ist davon auszugehen, dass mit dem Ableben zwar das Persönlichkeitsrecht untergeht, der Schutz der Menschenwürde aber dennoch fortbesteht1192. § 189 StGB ist ein Beispiel hierfür. Schutzobjekt ist damit die im Nachruf bestehende Nachwirkung der Persönlichkeit1193, also letztlich die lebzeitige Entfaltung einer Person, die gestärkt wird, wenn die Person im Bewusstsein der Achtung ihrer Ehre über den Tod hinaus lebt1194. Es geht um den allgemeinen Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personseins gegen Herabwürdigung und
1187 1188 1189 1190 1191 1192
BGH v. 22.9.1953 – 5 StR 213/53, BGHSt 4, 338 – Bundesverfassungsrichter. OLG Frankfurt v. 12.2.1981 – 2 Ss 606/80, NJW 1981, 1569. So u.a. OLG Düsseldorf v. 16.3.1967 – (1) Ss 840/66, NJW 1967, 1142. BVerfG v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1971, 1645, 1647 – Mephisto. So auch RG v. 5.7.1894 – 1790/93, RGSt 26, 33. So auch BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645, 1647; v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 594 – Willy Brandt-Gedächtnismünze; v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, AfP 2001, 295 = ZUM 2001, 584 – Kaisen. 1193 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, BGHZ 50, 136 – Mephisto; vgl. Lenckner/Eisele, in Schönke/ Schröder, § 189 StGB Rz. 1. 1194 Schack, Weiterleben nach dem Tode – juristisch betrachtet, JZ 1989, 609; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S 166.
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Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 228 Kap. 5
Erniedrigung zusteht, sowie den sittlichen, personalen und sozialen Geltungswert qua erworbener Lebensleistung1195. Der Tatbestand kann durch eine Beleidigung, eine üble Nachrede oder eine Verleumdung er- 227 füllt werden. Durch die Forderung einer Verunglimpfung bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass der Täter den Nachruf in schwerer Weise beeinträchtigen oder gefährden muss1196. Die Schwere kann sich aus dem Inhalt oder aus der Form der Äußerung ergeben, aus dem Beweggrund oder der Gelegenheit der Kundgebung. In der Bezichtigung eines Verstorbenen, eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen zu haben, liegt noch keine schwerwiegende Kränkung1197. Auch unter einer Gruppenbezeichnung können Verstorbene verunglimpft werden1198. Die Verunglimpfung eines Verstorbenen kann zugleich die Verletzung der Ehre eines Lebenden bedeuten1199. Sind Geständnisse von Morden unter Beifügung von Protokollen und Lichtbildern bereits in allen Einzelheiten veröffentlicht worden, bedeutet es keine Verunglimpfung des Andenkens des verstorbenen Täters, wenn in einem Film „Nachts wenn der Teufel kam“ ein Mord dargestellt wird, den er nicht begangen hat1200. Die Kritik an einem ein DDR-Strafurteil aufhebenden Rehabilitationsbeschluss, in welcher der verstorbene Rehabilitierte als „Anführer einer terroristischen Vereinigung“ bezeichnet wird, erfüllt den Tatbestand des § 189 StGB nicht, wenn nach dem Kontext der Schwerpunkt der Kritik nicht darauf liegt, den Verstorbenen verächtlich zu machen, sondern einen „doppelbödigen Umgang mit der DDR-Vergangenheit“ anzuprangern und die Herabsetzung nach 60 Jahren die Person nur noch als historische Figur betrifft1201. Anders kann es sein, wenn der Verstorbene „noch als individualisierte Person in der Öffentlichkeit oder durch ihn persönlich verbundene Angehörige und Freunde präsent ist und daraus noch einen besonders gewichtigen personalisierten Geltungsanspruch ableiten kann“.1202 Demgegenüber kann allein das Leugnen der Massentötung von Juden durch Giftgas im Kon- 228 zentrationslager Auschwitz den Tatbestand erfüllen1203. Die sog. Auschwitz-Lüge1204 ist nunmehr durch § 130 Abs. 3 StGB als Unterfall der Volksverhetzung strafbar. Die Regelung war als erforderlich erachtet worden, nachdem der BGH1205 entschieden hatte, dass das schlichte Leugnen des Massenmords an Juden im Dritten Reich nach damaligem Recht nicht strafbar sei1206. 1195 BVerfG v. 24.1.2018 – 1 BvR 2465/13, NJW 2018, 770. 1196 Vgl. BGH v. 28.1.1959 – 3 StR 41/58, BGHSt 12, 366; LG Bonn v. 9.9.2013 – 25 Ns 555 Js 94/12 – 113713, NStZ-RR 2014, 79: Bezeichnung Dietrich Bonhoeffers als Landesverräter. 1197 Greiner, NZV 2017, 314, 315. 1198 BGH v. 30.3.1955 – 6 StR 246/54, NJW 1955, 800 Ls. 1199 RG v. 14.4.1942 – 1 D 86/42, RGSt 76, 226. 1200 OLG Hamburg v. 17.4.1958 – 3 U 25/1958, Ufita 26/1958, 109 – Massenmörder Lüthge. 1201 BVerfG v. 24.1.2018 – 1 BvR 2465/13, NJW 2018, 770. 1202 BVerfG v. 24.1.2018 – 1 BvR 2465/13, NJW 2018, 770. 1203 BayObLG v. 17.12.1996 – 2St RR 178/96, NStZ 1997, 283. 1204 Zur Problematik des Begriffs Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 130 StGB Rz. 25. 1205 BGH v. 15.3.1994 – 1 StR 179/93, MDR 1994, 599 = NJW 1994, 1421. 1206 Vgl. auch EGMR v. 13.12.2005 – 7485/03, HRRS 2006 Nr. 655; BVerfG v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, MDR 1994, 738 = AfP 1994, 126 = NJW 1994, 1779; BGH v. 12.12.2000 – 1 StR 184/00, CR 2001, 260 m. Anm. Vassilaki = ITRB 2001, 79 = NJW 2001, 624 – Auschwitz-Lüge im Internet; v. 10.4.2002 – 5 StR 485/01, NJW 2002, 2114 – Leugnen des Holocaust durch Verteidigerhandeln; Huster, Das Verbot der Auschwitzlüge, die Meinungsfreiheit und das Bundesverfassungsgericht, NJW 1996, 487; AG Schwerin v. 16.8.2012 – 38 Ls 322/11 m. Anm. Oehmichen, FD-StrafR 2012, 339014.
Burkhardt/Peifer 319
Kap. 5 Rz. 229
Wortberichterstattung – die Tatbestände
6. Wahrheitsbeweis durch Strafurteil § 190 StGB Ist die behauptete oder verbreitete Tatsache eine Straftat, so ist der Beweis der Wahrheit als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Tat rechtskräftig verurteilt worden ist. Der Beweis der Wahrheit ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Beleidigte vor der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen worden ist.
229
Der BGH geht davon aus1207, die Beweisregel des § 190 Satz 1 StGB werde über § 823 Abs. 2 BGB ebenso in das Zivilrecht transformiert wie die Beweislastverteilung nach § 186 StGB. Diese Ansicht hat zur Konsequenz, dass Unterlassungs- und sonstige Ansprüche gegen den Vorwurf, jemand habe eine Straftat begangen, nicht mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden können, wenn der Betroffene wegen der behaupteten Tat rechtskräftig verurteilt ist. Wird die Beweisregel des § 190 Satz 1 StGB in das Zivilrecht übernommen, wäre nur konsequent, auch § 190 Satz 2 StGB im Zivilrecht anzuwenden. Das würde bedeuten, dass eine Unterlassungsklage nahezu sicher erfolgreich wäre, wenn sie gegen die Wiederholung des Vorwurfes einer strafbaren Handlung gerichtet ist, die dem Betroffenen im Strafverfahren nicht hat nachgewiesen werden können. Der Tatbestand des § 190 Satz 2 StGB schließt nicht aus, auch Freisprüche ausländischer Gerichte, insb. solche aus Staaten der Europäischen Union, zu berücksichtigen1208. Keine Anwendung findet § 190 Satz 2 StGB in Verwaltungsverfahren, in denen eine Entscheidung auf strafrechtlich relevante Vorgänge gestützt wurde, obgleich der Betroffene wegen der Vorwürfe aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde1209.
230
Die Konsequenz im Falle der Anwendung von § 190 Satz 2 StGB zeigt in besonders offenkundiger Weise, dass die Übernahme dieser Beweisregel in das Zivilrecht jedenfalls nicht ohne Modifikation möglich ist. Den Vorwurf einer Straftat nur deswegen zu unterbinden, weil sie dem Betroffenen während des Strafverfahrens noch nicht hat nachgewiesen werden können, bedeutete einen offenbaren Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die gegenteilige Ansicht des OLG Dresden1210 und OLG München1211 verkennt, dass die Äußerungsfreiheit gerade auch Berichterstattung über nicht sicher festgestellte Umstände schützt. Zwar mögen die Erkenntnismöglichkeiten in manchen Strafverfahren günstiger sein als im Zivilprozess. Angesichts des strengen strafrechtlichen Prinzips „in dubio pro reo“ rechtfertigt ein Freispruch noch keine absolut wirkende Beschränkung der Äußerungsfreiheit. Es bedarf einer verfassungskonformen Interpretation. Trotz Freispruches muss der Vorwurf einer strafbaren Handlung grundsätzlich als zulässig angesehen werden, wenn zugleich darauf hingewiesen wird, dem Betroffenen habe die Tat im Strafverfahren nicht nachgewiesen werden können, und der Behauptende in Wahrnehmung berechtigter Interessen handelt. Auch die Beweisregel des § 186 StGB, auf deren Übernahme in das Zivilrecht der BGH verweist, ist nach allgemeiner Auffassung in dieser Weise zu modifizieren (Kap. 12 Rz. 139). Das Bundesverfassungsgericht hat zivilrechtliche Entscheidungen gebilligt, die einen Unterlassungsanspruch wegen der Weitergabe von Informationen über eine frühere Verurteilung, die im Bundeszentralregister getilgt war, für unbegründet gehalten haben1212. 1207 BGH v. 9.7.1985 – VI ZR 214/83, MDR 1985, 1014 = AfP 1985, 204 – Nachtigall II. 1208 A.A. OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, GRURPrax 2017, 335 Rz. 149 – Panama Papers. 1209 BVerwG v. 24.1.2017 – 2 B 75/16, DÖV 2017, 602; vgl. im Übrigen Jansen, Die Rechtsfolgenseite des § 190 Satz 2 StGB, 2003. 1210 OLG Dresden v. 13.11.1997 – 4 U 1392/97, AfP 1998, 410. 1211 OLG München v. 18.1.2002 – 21 U 3164/01, NJW-RR 2002, 1045. 1212 BVerfG v. 24.1.2006 – 1 BvR 2602/05, NJW 2006, 1865.
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Burkhardt/Peifer
IV. Beleidigungstatbestände
Rz. 232 Kap. 5
Im Falle der Verurteilung des Betroffenen kann ebenso wenig richtig sein, ihn dem Vorwurf 231 einer Straftat lebenslang auszusetzen, wenn die Verurteilung zu Unrecht erfolgt ist. Das wäre ein Verstoß gegen das durch Art. 1, 2 GG geschützte Persönlichkeitsrecht. Deswegen ist auch insoweit eine verfassungskonforme Interpretation unverzichtbar. Der BGH verweist darauf, dass in der DDR ergangene Urteile unter den Vorbehalten des § 2 RHG stehen, weswegen der Behauptende auf ihren Bestand nicht ohne Weiteres vertrauen dürfe, sondern die Möglichkeit berücksichtigen müsse, dass die Unzulässigkeit der Urteilsvollstreckung festgestellt werde. Deshalb treffe ihn, wenn er den Gesichtspunkt der berechtigten Interessenwahrnehmung in Anspruch nehmen wolle, in Grenzen eine Recherchepflicht. In der Bundesrepublik ergangene Strafurteile stehen unter dem Vorbehalt der Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten nach § 349 StPO. Deswegen wird man dem Behauptenden auch bei einer Verurteilung des Betroffenen durch ein Gericht der Bundesrepublik eine zumindest begrenzte Recherchepflicht nicht ersparen können. Das ist umso weniger möglich, als es nicht darauf ankommen kann, ob der Betroffene von der Wiederaufnahmemöglichkeit erfolgreich Gebrauch gemacht oder ob er, aus welchem Grunde auch immer, von einem Wiederaufnahmeverfahren abgesehen hat. Wenn der BGH solche weitergehenden Erwägungen unterlassen hat, beruht das möglicherweise darauf, dass im dortigen Falle die Urteilsvollstreckung für unzulässig erklärt worden war, weswegen er die fragliche DDR-Verurteilung im Ergebnis als nicht existent betrachtet hat. Damit könnte die Nachtigall II-Entscheidung zu einer Quelle von Missverständnissen werden. 7. Formalbeleidigung § 192 StGB Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache schließt die Bestrafung nach § 185 nicht aus, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt1213, dass grundsätzlich auch die Form einer 232 Meinungsäußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden unterliegt. Das gilt namentlich für das gesprochene Wort, kann aber auch bei Äußerungen in der Presse nicht außer Betracht bleiben. Im Interesse der freien Rede, deren Zulässigkeit grundsätzlich vermutet wird, müssen im Einzelfall Schärfen und Überspitzungen des öffentlichen Meinungskampfes hingenommen werden. Die Befürchtung, wegen einer wertenden Äußerung einschneidenden gerichtlichen Sanktionen ausgesetzt zu werden, trägt die Gefahr in sich, öffentliche Kritik und öffentliche Diskussion zu lähmen oder einzuengen und damit Wirkungen herbeizuführen, die der Funktion der Meinungsfreiheit und der durch das Grundgesetz konstituierten Ordnung zuwiderlaufen1214. § 192 StGB korrigiert den Satz, dass die Wahrheit stets verbreitet werden kann, indem er klarstellt, dass dieser Satz nur auf Mitteilungen zutrifft, die ohne ehrverletzende Begleitumstände erfolgen. Solche Umstände werden auch in einer übermäßigen Herausstellung einer peinlichen Wahrheit gesehen, etwa darin, dass einem Schuldner ein „schwarzer Schatten“, nämlich ein schwarz gekleideter Begleiter folgt, dessen Auftreten klarstellt, dass der Betroffene seine Schulden nicht bezahlt hat1215. 1213 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie. 1214 BVerfG v. 13.5.1980 – 1 BvR 103/77, AfP 1980, 147 = NJW 1980, 2069, 2070 – Kunstkritiker. 1215 LG Leipzig v. 31.8.1994, NJW 1995, 3190; dazu Scheffler, NJ 1995, 573; Edenfeld, Der Schuldner am Pranger, JZ 1998, 645.
Burkhardt/Peifer 321
Kap. 5 Rz. 233
Wortberichterstattung – die Tatbestände
233
Eine Formalbeleidigung liegt bei einem Überschuss an nicht mehr hinzunehmender Abwertung vor1216, sofern der Kritiker nicht mehr nur anprangern, sondern beleidigen will1217. Bei der Würdigung der gewählten Ausdrucksform sind die persönlichen Umstände des Täters und die sonstigen Umstände des Falles in die Betrachtung einzubeziehen. Die Prüfung einer Äußerung auf einen formal beleidigenden Gehalt kann deswegen eine Sachverhaltsaufklärung bedingen. Daraus können sich Umstände ergeben, die selbst schärfste Formulierungen als noch gerechtfertigt erscheinen lassen. Dazu hat schon das RG festgestellt1218, dass keine absoluten Beleidigungen existieren. Insb. ist nicht möglich, einen Katalog von Wörtern, Ausdrücken und Formulierungen zu entwickeln, deren Verwendung automatisch formalbeleidigend sei. Es kommt auf die Umstände und damit auf den der Kritik zugrunde liegenden Sachverhalt an. Selbst wenn von einer Formalbeleidigung ausgegangen wird, bleibt zu prüfen, ob sie durch die grundsätzliche Äußerungsfreiheit gedeckt ist1219.
234
Regelmäßig zu bejahen sein wird eine Formalbeleidigung, wenn ein Mensch als Schwein, Affe, Ochse bzw. mit entsprechenden Formulierungen bezeichnet wird. Auch aus sonstigen Darstellungsweisen kann ein formalbeleidigender Gehalt zu entnehmen sein, z.B. bei der Verbreitung eines in Steckbriefform aufgemachten Plakates. Bejaht worden ist das bei einem Plakat, wonach der der amtierende Bundeskanzler wegen „Beihilfe zum organisierten Völkermord“ (Vietnam) gesucht wurde1220.
235
Zu verneinen ist eine Formalbeleidigung, wenn der Sachverhalt die Darstellungsweise als noch gerechtfertigt erscheinen lässt. Schon das RG1221 hat es als zulässig bezeichnet, jemanden „Kurpfuscher“ zu nennen, der unter Umgehung der ärztlichen Untersuchungen systematisch Selbstbehandlung angeboten hatte. Die Bezeichnung „zwiespältiger Charakter“ hat der BGH1222 infolge widersprüchlichen politischen Verhaltens als gerechtfertigt angesehen, das OLG Hamm1223 die Bezeichnung „hitzköpfiger Demagoge“. Auch Formulierungen wie „skandalumwittert, korrupt, faul“1224, „Schinder-Syndikat, Ganovenkreis, Gaunerriege“1225 und „Agitprop-Organ“1226 sind bei entsprechenden tatsächlichen Anhaltspunkten nicht ohne Weiteres formalbeleidigend. Bei der Bezeichnung „Pornograph“ kommt es nach OLG München1227 darauf an, ob der Zusammenhang literarischer (dann nicht formalbeleidigend) oder anderer Art ist (dann formalbeleidigend). Die Bezeichnung „Kredithaie“ ist nicht formalbeleidigend1228.
1216 1217 1218 1219
1226 1227 1228
BGH v. 1.2.1977 – VI ZR 204/74, GRUR 1977, 801. BGH v. 7.12.1976 – VI ZR 272/75, NJW 1977, 626. RG v. 23.10.1930 – II 1408/29, RGSt 65, 1. BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie. LG Frankfurt/M. v. 2.7.1968 – 4 KMs. 3/68, ArchPR 1968, 126; vgl. auch OLG Frankfurt v. 19.6.1990 – 6 W 101/90, AfP 1990, 228. RG v. 26.11.1932 – IX 278/32, JW 1933, 2045. BGH v. 20.1.1959 – 1 StR 518/58, BGHSt 12, 287. OLG Hamm v. 18.5.1962 – 1 Ss 175/62, ArchPR 1962, 81. BayObLG v. 21.12.1972 – 8 St 79/72, ArchPR 1972, 160. OLG München v. 3.12.1973 – 21 U 3402/73, ArchPR 1973, 94: „Pfuscher, Scharlatan, pseudoreligiöser Vitaminguru“; OLG Karlsruhe v. 24.7.2002 – 6 U 205/01, AfP 2002, 533 = NJW-RR 2002, 1695. OLG Saarbrücken v. 21.1.1970 – 1 U 70/68, ArchPR 1970, 97. OLG München v. 8.1.1969 – 12 U 2407/67, ArchPR 1969, 77. BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655.
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Burkhardt/Peifer
1220 1221 1222 1223 1224 1225
V. Kreditgefährdung
Rz. 237 Kap. 5
Ob der Behauptende Gründe für die Kritik anführt oder zumindest andeutet oder ob die 236 Darstellung auf scharfe Formulierungen beschränkt bleibt, ist für die rechtliche Beurteilung grundsätzlich ohne Belang. Unbeschadet der Darlegungslast im Prozess kann der Kritiker zu einer Begründung nicht verpflichtet werden, schon gar nicht zur Wiederholung eines bereits früher oder von dritter Seite dargelegten Sachverhalts1229. Richtig ist allerdings, dass sich aus der Beschränkung auf bloße Schimpfwörter ein Indiz ergeben kann, dass es dem Mitteilenden nicht um die Wahrnehmung von Informationsinteressen, sondern darum gegangen ist, den Kritisierten zu beleidigen1230.
V. Kreditgefährdung § 824 BGB (1) Wer der Wahrheit zuwider eine Tatsache behauptet oder verbreitet, die geeignet ist, den Kredit eines anderen zu gefährden oder sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen, hat dem anderen den daraus entstehenden Schaden auch dann zu ersetzen, wenn er die Unwahrheit zwar nicht kennt, aber kennen muss. (2) Durch eine Mitteilung, deren Unwahrheit dem Mitteilenden unbekannt ist, wird dieser nicht zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hat. Schrifttum: Bartelt-Bloch/Klingsporn, Betrachtungen zur geplanten Neufassung des § 824 Abs. 1, NJW 1960, 1434; Neumann-Duesberg, Einschränkung des Geltungsbereichs des § 824 durch die Meinungs- und Informationsfreiheit, NJW 1968, 81; Kübler, Der Referentenentwurf für ein neues Schadensersatzrecht und die zivilrechtliche Haftung der Presse, JZ 1968, 542; Wenzel, Empfiehlt es sich, § 824 Abs. 1 BGB in Anlehnung an den heutigen Stand der Rechtsprechung zum Eingriff in den Gewerbebetrieb und zum Persönlichkeitsrecht neu zu fassen?, GRUR 1970, 278; Kübler, Öffentliche Kritik an gewerblichen Erzeugnissen und beruflichen Leistungen, AcP 172 (1972), 177; Tilmann, Haftungsbegrenzung im Äußerungsdeliktsrecht, NJW 1975, 758; Bund, Das Äußerungsrisiko des Wissenschaftlers, FS von Caemmerer, 1978, S. 313; Roellecke, Wahrheit, Gemeinwohl und Meinungsfreiheit, JZ 1981, 688; Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001; Sack, Das Verhältnis des UWG zum allgemeinen Deliktsrecht, FS Ullmann, 2006, S. 825; Sosnitza, Fake-Werbung, GRUR 2010, 106; Krämer, Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Wirtschaftsauskunfteien, NJW 2012, 3201; Honsell, Haftung für wahre Äußerungen?, ZIP 2013, 444; Mann, „Natürlich künstlich?“, AfP 2015, 126.
1. Allgemeines a) Entstehungsgeschichte Bei den Beratungen zur Einführung des BGB war ursprünglich vorgesehen, in den Katalog 237 der besonders geschützten Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB auch die Ehre aufzunehmen. Angesichts der Opposition dagegen hat sich das nicht durchsetzen lassen. Nach den ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers sollte der zivilrechtliche Ehrschutz auf die über § 823 Abs. 2 BGB in den Zivilrechtsbereich transponierten §§ 185, 186, 187 StGB beschränkt bleiben. Es wurde aber erkannt, dass der Schutz der sog. Geschäftsehre dann lückenhaft geblieben wäre, weil § 187 StGB hinsichtlich des wirtschaftlichen Bereiches nur die wider besseres Wissen begangene Kreditgefährdung unter Strafe stellt1231. Die Gefährdung des Kredi1229 BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschland-Stiftung. 1230 Vgl. RG v. 2.5.1902 – 940/02, RGSt 35, 227, 231; OGHZ 2, 310. 1231 Mugdan, Materialien zum BGB II, 1118.
Burkhardt/Peifer 323
Kap. 5 Rz. 238
Wortberichterstattung – die Tatbestände
tes ist nicht die einzige Angriffsform, der gegenüber Schutz erforderlich ist. Die Erwerbsund Berufstätigkeit kann auch unabhängig davon durch unwahre Behauptungen nicht hinnehmbar beeinträchtigt werden. Dem hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er die Äußerungsdelikte durch die in § 824 BGB enthaltene Regelung ergänzt hat, welche die soziale Ehrschätzung schützt, indem sie an die schuldhafte Verbreitung einer unwahren Tatsachenbehauptung eine Ersatzpflicht knüpft, sofern die Behauptung geeignet ist, den Kredit eines anderen zu gefährden oder sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen1232. § 824 BGB schützt die Sozialgeltung von Unternehmen und damit die Basis dafür, Vertrauen bei Kunden und Geschäftspartnern zu gewinnen, das wiederum die Basis dafür ist, dass Geschäftsbeziehungen entstehen und beibehalten werden1233. Die Bedeutung dieses Schutzes ist in Zeiten, in denen die unternehmerische Reputation sehr anfällig gegenüber Tatsachenbehauptungen in Sozialen Medien und sonstigen Internetdiensten sein kann, besonders wichtig. Dies liegt darin begründet, dass unrichtigen Behauptungen wegen der leichten Zugänglichkeit und viralen Verbreitbarkeit u.U. in erheblichem Umfang Glauben geschenkt wird. Unwahre Tatsachenbehauptungen spielen vor allem in Internetbewertungsportalen, in denen Kunden die Leistungen ihrer Vertragspartner beschreiben und bewerten können, heute eine beträchtliche Rolle. b) Normzweck 238
§ 824 BGB ist der einzige spezifisch äußerungsrechtliche Tatbestand des BGB. Zeitweilig ist seine Bedeutung dadurch verdrängt worden, dass der BGH in der Constanze-Entscheidung davon ausgegangen ist1234, auch gewerbestörende Werturteile seien als Eingriffe in das Recht am Unternehmen grundsätzlich rechtswidrig. Auf der Basis dieser Vorstellung ist z.B. die Formulierung für unzulässig erklärt worden, die Zeitschrift DM werde in Stuttgart „fabriziert“. Die Vokabel „fabriziert“ sei abwertend1235. Zu der Zeit, als das Erstreiten von Unterlassungsurteilen so einfach war, ist § 824 BGB beinahe in Vergessenheit geraten. Inzwischen ist erkannt, dass es ein Irrweg gewesen ist, gewerbestörende Werturteile für grundsätzlich unzulässig zu erklären. Das Recht am Unternehmen gilt nur noch als Auffangtatbestand (Näheres Rz. 136 und Rz. 151). Damit hat § 824 BGB seine ursprüngliche Bedeutung als Hauptanspruchsstütze gegenüber Unwahrheiten im wirtschaftlichen Bereich wiedererlangt.
239
§ 824 BGB greift unabhängig davon ein, ob die streitige Äußerung ehrbeeinträchtigend ist. Deswegen ist es problematisch, davon zu sprechen, § 824 BGB wolle die Geschäftsehre bzw. die gesellschaftliche Ehre schützen1236. § 824 BGB soll ganz generell gewährleisten, dass das wirtschaftliche Fortkommen von Unternehmen und das berufliche Fortkommen von Personen nicht durch die Behauptung oder Verbreitung von Unwahrheiten beeinträchtigt wird. Im Unternehmensbereich geht es um das Interesse des Betroffenen an durch Falschmeldungen nicht belasteten wirtschaftlichen Beziehungen zu seinen Geschäftspartnern1237. 1232 RG v. 6.12.1926 – I 137/26, RGZ 115, 74, 79. 1233 BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = AfP 1992, 140 = NJW 1992, 1312; zur Entstehungsgeschichte von § 824 BGB vgl. auch BGH v. 2.7.1963 – VI ZR 251/62, NJW 1963, 1871 – Elektronische Orgeln. 1234 BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51, NJW 1952, 660. 1235 OLG Stuttgart v. 28.11.1962 – 4 U 134/62, JZ 1963, 259. 1236 So vormals Staudinger/Schäfer, 12. Aufl. 1986, § 824 BGB Rz. 2; anders Staudinger/Hager, 2010, § 824 BGB Rz. 1. 1237 BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = AfP 1992, 140 = NJW 1992, 1312, 1313; v. 7.2.1984 – VI ZR 198/82, BGHZ 90, 113, 119 f.
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Burkhardt/Peifer
V. Kreditgefährdung
Rz. 240 Kap. 5
Der Wortlaut des § 824 Abs. 1 BGB lässt die Ausdeutung zu, die Vorschrift wolle alle Un- 240 wahrheiten erfassen, die zur Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Rufes in irgendeiner Weise geeignet sind. Davon ist das RG ausgegangen. Einschränkend hat es aber gefordert, die Unwahrheit müsse das Unternehmen als Ganzes betreffen. Nicht ausreichend sei, dass sie den Absatz nur eines einzelnen Erzeugnisses beeinträchtige1238. Als § 824 BGB in diesem Sinne unterfallend hat das RG z.B. die Behauptung anerkannt, in der Verwaltung einer Aktiengesellschaft bestünden starke Differenzen1239, jemand sei vertragsbrüchig geworden1240. Der BGH hat die Behauptung als unzulässig bezeichnet, das Kind eines Metzgermeisters sei an Maulund Klauenseuche erkrankt1241. Von dem Erfordernis, das Unternehmen müsse als Ganzes betroffen sein, hat der BGH sich im Anschluss an Helle1242, Weitnauer1243 und Deutsch1244 mit der Teppichkehrmaschinen-Entscheidung gelöst1245. § 824 Abs. 1 BGB schützt danach auch einzelne Erscheinungsformen eines Unternehmens vor Fehlvorstellungen durch das Behaupten oder Verbreiten von Unwahrheiten. Insofern besteht eine Parallele zum Eingriff in das Recht am Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 BGB (vgl. oben Rz. 144)1246. Allerdings fordert der BGH eine enge Beziehung der Tatsachenbehauptung zum Anspruchsteller, dessen gewerbliche Leistungen herabgesetzt werden. Nur mittelbare Beeinträchtigungen oder sog. Reflexwirkungen reichen nicht aus1247. Insb. muss die Äußerung geeignet sein, geschäftliche Entschließungen gegenwärtiger und künftiger Geschäftspartner des Betroffenen beeinflussen zu können1248. § 824 Abs. 1 BGB schützt den wirtschaftlichen Ruf (Sozialgeltung) gegenüber unmittelbaren verbalen Angriffen durch unwahre Behauptungen (Näheres Rz. 249)1249. Ausgenommen vom bürgerlich-rechtlichen Schutz sind behördliche Verfahren zur Erteilung gewerblicher Schutzrechte. So kann sich ein Unternehmen nicht auf dem Zivilrechtsweg dagegen wehren, dass in einer Patentschrift herabsetzende Bemerkungen enthalten sind, hiergegen soll das Unternehmen nur im Wege patentrechtlicher Verfahrensrügen vorgehen können1250. Das schützt das Patentverfahren vor zivilrechtlichen Klagen, setzt allerdings voraus, dass die Rüge unwahrer Tatsachenbehauptungen im Verfahren tatsächlich erfolgreich eingewendet werden kann. Fehlt es dran, so besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für eine zivilrechtliche Unterlassungsklage.
1238 1239 1240 1241 1242 1243 1244 1245 1246 1247 1248 1249 1250
RG v. 25.3.1930 – II 515/29, JW 1930, 1732. RG v. 11.12.1913 – VI 383/13, RGZ 83, 362. RG v. 21.6.1913 – VI 196/13, WarnR 1913, Nr. 416. BGH v. 20.3.1954 – VI ZR 6/53, BB 1954, 360. Helle, Der Schutz der persönlichen Ehre und des wirtschaftlichen Rufes im Privatrecht, 1957, S. 50. Weitnauer, DB 1963, 55, 57. Deutsch, JZ 1964, 510. BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 266/64, NJW 1966, 2010 – Teppichkehrmaschine. OLG München v. 9.9.2014 – 18 U 516/14, AfP 2015, 47, 54. BGH v. 20.12.1988 – VI ZR 95/88, MDR 1989, 438 = AfP 1989, 456 = GRUR 1989, 222 – Filmbesprechung. BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, BGHZ 90, 113 = MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607, 1609. BGH v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, CR 2015, 671 = MDR 2015, 1065 = AfP 2015, 425 – Aktienrückkauf. BGH v. 10.12.2009 – I ZR 46/07, BGHZ 183, 309 = MDR 2010, 583 = IPRB 2010, 149 = GRUR 2010, 253 Rz. 13 – Fischdosendeckel, m. krit. Anm. Götting.
Burkhardt/Peifer 325
Kap. 5 Rz. 241
Wortberichterstattung – die Tatbestände
c) Verhältnis zu anderen Haftungstatbeständen aa) Persönlichkeitsrecht 241
Die Anwendbarkeit des § 824 BGB schließt eine gleichzeitige Verletzung des durch Art. 2, 1 GG, § 823 Abs. 1 BGB geschützten Persönlichkeitsrechts nicht aus. Eine Behauptung kann sowohl den wirtschaftlichen Ruf wie auch die persönliche Ehre beeinträchtigen, doch muss sich dann der Angriff sowohl gegen das Unternehmen als auch gegen die das Unternehmen leitenden natürlichen Personen richten1251. Auch die Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185, 186 StGB kommt neben § 824 BGB in Betracht. bb) Recht am Unternehmen
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Das Recht am Unternehmen i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB ist ein bloßer Auffangtatbestand (Rz. 136 und Rz. 151). Ihm gegenüber ist § 824 BGB vorrangig1252. Ist § 824 BGB verwirklicht, scheidet die Anwendbarkeit des § 823 Abs. 1 BGB unter dem Blickwinkel des Unternehmensschutzes aus1253. cc) Sittenwidrige Schädigung
243
Auch Ansprüche nach § 826 BGB können neben solchen aus § 824 BGB bestehen. § 826 BGB verdrängt § 824 BGB auch nicht, wenn der Schädiger die Unwahrheit der Behauptung gekannt hat1254. Allerdings verlangt § 826 BGB neben der Sittenwidrigkeit des Vorgehens auch eine konkrete Schädigungsabsicht, die oft schwer nachzuweisen ist. Ergibt sich allerdings aus dem Vorgehen des Äußernden, dass sein Handeln allein auf die wirtschaftliche Schädigung eines Unternehmens gerichtet ist, so kommt § 826 BGB als Anspruchsgrundlage in Betracht. Ein solcher Fall kann vorliegen, wenn gegen ein Unternehmen auf Basis unwahrer Angaben ein Insolvenzantrag gestellt wird, um dieses Unternehmen aus dem Wirtschaftsverkehr zu ziehen1255. dd) Wettbewerbstatbestände
244
Handelt der Behauptende im geschäftlichen Verkehr, so können Wettbewerbstatbestände eingreifen, insb. § 4 Nr. 1 UWG für die Herabsetzung oder Verunglimpfung geschäftlicher Werte und Leistungen1256, ferner die geschäftliche Verleumdung i.S.d. § 4 Nr. 2 UWG (vormals § 15 UWG bzw. § 4 Nr. 8 UWG 2008) oder der Verrat von Geschäftsgeheimnissen i.S.d. §§ 17 ff. UWG. Auch diese Vorschriften verdrängen § 824 BGB nicht. Da die Wettbewerbstatbestände eine schärfere Haftung vorsehen, kann sich eine zusätzliche Berufung auf § 824 BGB erübrigen. Bedeutung kann § 824 BGB neben den Wettbewerbstatbeständen aber insofern erlangen, als wettbewerbliche Ansprüche nach § 21 UWG bereits nach sechs Monaten ab Kenntnisnahme verjähren. § 824 BGB ist das zivilrechtliche Pendant zu § 4 Nr. 2 UWG 2015. Er betrifft unwahre Tatsachenbehauptungen, während § 4 Nr. 1 UWG bzw. § 823 1251 BGH v. 26.10.1953 – I ZR 156/52, NJW 1954, 72. 1252 BGH v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 = MDR 2006, 940 = AfP 2006, 150 Rz. 94 – Kirch/Deutsche Bank; OLG München v. 26.6.2008 – 29 U 1537/08, CR 2008, 810 = ITRB 2008, 247 = ZUM-RD 2009, 342, 343. 1253 Std. Rspr., vgl. u.a. BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 266/64, NJW 1966, 2010 – Teppichkehrmaschine; BGH v. 22.2.2011 – VI ZR 120/10, AfP 2011, 259 = MDR 2011, 598 = NJW 2011, 2204 – Bonitätsbeurteilungen. 1254 BGH v. 3.6.1969 – VI ZR 17/68, LM § 824 Nr. 13 a. 1255 Vgl. BGH v. 3.10.1961 – VI ZR 242/60, BGHZ 36, 18, 20. 1256 Vormals § 14 UWG 1909 bzw. § 4 Nr. 7 UWG 2008.
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V. Kreditgefährdung
Rz. 246 Kap. 5
Abs. 1 BGB herabsetzende Werturteile erfasst1257. Die lauterkeitsrechtlichen Tatbestände bestehen nur unter Konkurrenten und setzen einen Wettbewerbsbezug voraus. Fehlt es an einer oder beiden Voraussetzungen, werden die BGB-Normen benötigt1258. Wird eine Tatsachenbehauptung unter Verwendung von Unternehmenskennzeichen in einer parteipolitischen Werbung aufgestellt, so ist § 824 BGB insoweit anwendbar, als Tatsachen einer Organisation (Stiftung Warentest) unterstellt werden, die diese Organisation nicht aufgestellt hat. Darin liegt allerdings nur nach Maßgabe der §§ 14, 15 MarkenG eine Beeinträchtigung des Rufs des verwendeten Kennzeichens1259. 2. Anspruchsvoraussetzungen a) Behaupten und Verbreiten einer unwahren Tatsache § 824 BGB setzt voraus, dass eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet wird. Ob das 245 zutrifft, hängt zunächst vom Sinn der Äußerung ab. Entscheidend ist der Sinn, der sich nach dem Gesamtinhalt der Aussage dem unbefangenen Hörer oder Leser aufdrängt. Abzustellen ist darauf, wie die beanstandete Mitteilung von den Empfängern verstanden wird und welcher Eindruck bei ihnen entsteht1260. Da § 824 BGB nur eingreift, wenn eine Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Rufes in Frage steht, muss das Behaupten oder Verbreiten gegenüber Dritten erfolgen. Angaben lediglich gegenüber dem Betroffenen erfüllen die Voraussetzungen des § 824 BGB nicht. aa) Tatsachenbehauptung § 824 BGB greift nur bei Tatsachenbehauptungen ein. Tatsachenbehauptungen sind Behaup- 246 tungen, die zumindest theoretisch dem Beweis zugänglich sind und sich damit als wahr oder unwahr feststellen lassen. Tatsachencharakter hat die Mitteilung eines Sachverhaltes. Den Gegensatz bilden Meinungsäußerungen, d.h. Äußerungen, über die sich auch bei Kenntnis des zugrunde liegenden Sachverhaltes streiten lässt, weil sie diesen Sachverhalt nicht mitteilen, sondern bewerten. Die Grenze zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen ist fließend. Entscheidend ist, ob der Schwerpunkt der Äußerung auf einer tatsächlichen Behauptung oder einer Wertung beruht1261. Da der Spielraum des Äußernden für Wertungen größer ist, ist im Zweifel von einer Meinungsäußerung auszugehen (Näheres Kap. 4 Rz. 66 ff.)1262. Werturteile sind typischerweise Bonitätsbeurteilungen, Bewertungen in Internetdiensten in Form von Notenstufen sowie Warentests. Gerade in diesen drei Bereichen können Wertungen allerdings mit Tatsachen zusammenfallen, wenn nämlich die Bewertung auf einer Tatsachenäußerung beruht. So kann ein Warentest mit dem Resultat „mangelhaft“ insgesamt unrichtig sein, wenn die Note nur auf Grund der unrichtigen Tatsachenbehauptung gebildet wurde, dass das Produkt unrichtige Inhaltsstoffe deklariert habe, weil Wertung und Tatsachenbehauptung in diesem Fall nicht voneinander trennbar sind1263. Bei Bonitätsbeur1257 Vgl. zur Abgrenzung BGH v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 = MDR 2006, 940 = AfP 2006, 150 Rz. 94 – Kirch/Deutsche Bank. 1258 BGH v. 26.1.2017 – I ZR 217/15, MDR 2017, 1137 = GRUR 2017, 918. 1259 KG v. 20.11.2009 – 5 W 120/09, GRUR-RR 2010, 79; dazu Sosnitza, GRUR 2010, 106. 1260 BGH v. 20.6.1961 – VI ZR 222/60, NJW 1961, 1913; v. 12.10.1965 – VI ZR 95/64, NJW 1965, 2395; v. 3.6.1969 – VI ZR 17/68, LM § 824 Nr. 13 a; v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 = AfP 2006, 150 = MDR 2006, 940 = NJW 2006, 830 Rz. 74 – Kirch/Deutsche Bank. 1261 BVerfG v. 16.3.2017 – 1 BvR 3085/15, NJW-RR 2017, 1003 Rz. 13. 1262 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61, 1 = AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415. 1263 OLG München v. 9.9.2014 – 18 U 516/14, AfP 2015, 47, 49.
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Kap. 5 Rz. 247
Wortberichterstattung – die Tatbestände
teilungen ist das gewährte Rating selbst Werturteil, und zwar auch, wenn unrichtige Tatsachenbehauptungen in das Rating Eingang finden1264. Sofern diese Tatsachenbehauptungen allerdings gleichzeitig verbreitet werden, ist insoweit wiederum § 824 BGB anzuwenden. Bei Internetportalbewertungen gilt Entsprechendes. Die Note selbst ist Werturteil und in der Regel nicht angreifbar. Werden gleichzeitig Tatsachen mitgeteilt, die unrichtig sind, bleibt der Abwehranspruch aus § 824 BGB1265. Ob die Tatsache wahr ist, darf in solchen Fällen auch nach prozessualen Grundsätzen geprüft werden, d.h. derjenige, der die Beweislast trägt, die Wahrheit aber nicht beweisen kann, unterliegt einem Unterlassungsanspruch nach § 824 BGB1266. 247
Der Tatsachencharakter ist bejaht worden bei der Behauptung, ein Unternehmen sei eines der zweifelhaftesten Wäscheversandgeschäfte, die Firma habe allem Anschein nach von den Betrügereien ihrer Reisenden gewusst1267, ein Wettbewerber schmiere seine Einkäufer1268, die Angabe der üblichen Durchschnittspreise eines Erzeugnisses, auch wenn ein gewisser Spielraum für Schätzungen verbleibt1269, jemand sei zu einem bestimmten Zeitpunkt entlassen worden1270, „habe schon zweimal pleite gemacht“1271, ein Fachverband sei einem anderen überlegen und habe eine größere Bedeutung1272, einem Unternehmer sei die Möglichkeit einer Prüfung als Voraussetzung für die Schadensregulierung genommen1273, Produkte seien nicht biologisch abbaubar oder kompostierbar1274. Die Behauptung, jemand sei ein Ausbeuter, kann Tatsachencharakter haben, wenn sie auf bestimmte Tatsachen gestützt wird1275, ebenso die Behauptung, Zähneputzen mit einer Alkoholzahncreme verursache die Gefahr, den Führerschein zu verlieren1276. Die Verleihung des Negativpreises „Plagiarius“ ist eine Kreditgefährdung durch unwahre Tatsachenbehauptung, wenn ein LG den Plagiatsvorwurf verneint hat1277. Die Bezeichnung eines Verhaltens als illegal kann je nach dem Schwerpunkt der Aussage Tatsachenbehauptung1278 oder Meinungsäußerung1279 sein. Obschon Schlussbewertungen in Warentests regelmäßig Meinungsäußerungen darstellen, liegen z.B. in der Abbildung von Scan-Ergebnissen1280 oder dem Hinweis auf ein bestimmtes Weingut, dessen aktuelle Weine tatsächlich nicht an dem Test teilgenommen hatten1281, Tatsachenbehauptungen.
1264 BGH v. 22.2.2011 – VI ZR 120/10, AfP 2011, 259 = MDR 2011, 598 = NJW 2011, 2204 Rz. 13 – Bonitätsbeurteilungen; vgl. Krämer, NJW 2012, 3201. 1265 BGH v. 4.4.2017 – VI ZR 123/16, MDR 2017, 880 = ITRB 2017, 179 = AfP 2017, 316 Rz. 27 – Klinikbewertungen; v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 = MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 Rz. 13 = AfP 2016, 253 – www.jameda.de. 1266 OLG München v. 9.9.2014 – 18 U 516/14, AfP 2015, 47 m. Anm. Mann, AfP 2016, 126. 1267 RG v. 12.5.1919 – VI 374/18, RGZ 95, 339, 340. 1268 BGH v. 29.4.1958 – I ZR 56/57, GRUR 1959, 31. 1269 BGH v. 3.6.1964 – Ib z.B. 4/63, NJW 1965, 33, 36 – Marktbericht. 1270 BGH v. 3.6.1969 – VI ZR 17/68, LM § 824 Nr. 13 a. 1271 BGH v. 28.6.1994 – VI ZR 252/93, MDR 1995, 698 = AfP 1994, 218 = NJW 1994, 2614. 1272 BGH v. 15.11.1967 – Ib ZR 137/65, GRUR 1968, 205 – Teppichreinigung. 1273 LG Düsseldorf v. 11.9.2009 – 12 O 260/09, DS 2012, 135. 1274 OLG Köln v. 16.9.2014 – 15 U 28/14. 1275 LG Essen v. 5.6.1970 – 3 O 445/69, JZ 1972, 89 m. krit. Anm. Kübler. 1276 BGH v. 15.11.1977 – VI ZR 101/76, BGHZ 70, 39 = NJW 1978, 210. 1277 OLG Frankfurt v. 28.11.1990 – 6 W 98/90, AfP 1991, 639. 1278 BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 344/91, MDR 1993, 122 = NJW 1993, 930. 1279 BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 251/80, MDR 1983, 43 = AfP 1982, 217 = NJW 1982, 2246. 1280 OLG Köln v. 10.5.1994 – 15 U 86/92, AfP 1995, 498 = NJW-RR 1995, 1489. 1281 OLG Frankfurt v. 11.1.1996 – 6 W 126/95, NJW 1996, 1146.
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Burkhardt/Peifer
V. Kreditgefährdung
Rz. 248 Kap. 5
Verneint wird der Tatsachencharakter bei unsubstantiierten Urteilen über den Wert gewerb- 248 licher Leistungen sowie bei allgemein abfälligen Äußerungen wie z.B.: die Einnahmen eines Unternehmens beruhten auf Nepp, eine Firma sei eine Schwindelfirma, bei Geschäftsverbindungen müsse man vorsichtig sein1282, der Kauf in Warenhäusern sei wenig vorteilhaft1283. Zu verneinen ist der Tatsachencharakter auch bei der rechtlichen Wertung eines mitgeteilten Vorganges als Straftat1284. Weiter sind als Werturteile bzw. Meinungsäußerungen eingestuft worden die Bezeichnung eines Verlegers als glanzlose Existenz1285, die Behauptung, eine Zeitschrift sei auf Dummenfang aus1286, ein Geschäftsgebaren sei clever1287, eine Firma verhökere unter phantastischen Anpreisungen wertlose Stoffe mit beträchtlichem Gewinn1288, ein Verhalten sei Sabotage1289 oder „Abzocke“1290, ein Unternehmer wisse, „wie man gekonnt pleite geht“1291, die Äußerung des Verdachts „unsauberer Geschäfte“ in einem von „Mutmaßungen“ geprägten Äußerungskontext1292, ein Produkt sei „groß angelegter Schwindel“ oder ein „Scharlatanerieprodukt“1293, die Arbeitszustände in einem Unternehmen „grenzen an Sklavenarbeit“1294. Auch Testbehauptungen liegen i.d.R. auf der Meinungsebene1295, Bonitätsbeurteilungen und Ratings von Unternehmen1296 sowie Beurteilungen auf Bewertungsportalen in Internetdiensten1297. Gleiches gilt für wissenschaftliche Äußerungen und Behauptungen von Sachverständigen1298 sowie juristische Bewertungen, wie etwa den Begriff „Vertragsstrafe“1299 oder die Wertung, ein Unternehmen werde wohl nach dem „was [man alles] darüber lesen und hören kann … auf unveränderter Basis (nicht) noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel“ erhalten1300. Keine Tatsachenbehauptungen sind Äußerungen über Geschehnisse, die erst für die Zukunft angekündigt werden, sich also noch nicht ereignet haben, so z.B. die Ankündigung eines Versicherungsunternehmens, es werde künftig „einen Verstoß gegen eine Schadensminderungspflicht einwenden müssen“1301. Eine Äußerung über die Zukunft 1282 1283 1284 1285 1286 1287 1288 1289 1290 1291 1292 1293 1294 1295 1296 1297 1298 1299 1300 1301
RG v. 17.2.1921 – VI 473/20, RGZ 101, 335. RG v. 11.4.1911 – 170/11, JW 1911, 870. BGH v. 17.11.1964 – VI ZR 181/63, NJW 1965, 294 – Volkacher Madonna. BGH v. 11.5.1965 – VI ZR 16/64, NJW 1965, 1476. BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617 – Höllenfeuer. BGH v. 20.12.1967 – Ib ZR 127/65, GRUR 1968, 314. BGH v. 20.5.1969 – VI ZR 256/67, GRUR 1969, 555 – Cellulitis. BGH v. 18.5.1971 – VI ZR 220/69, NJW 1971, 1655. OLG Köln v. 6.12.1999 – 16 U 44/99, NJW-RR 2000, 829. BGH v. 28.6.1994 – VI ZR 252/93, MDR 1995, 698 = AfP 1994, 218 = NJW 1994, 2614. BGH v. 22.9.2009 – VI ZR 19/08, AfP 2009, 588 = NJW 2009, 3580. BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = IPRB 2015, 78 = AfP 2015, 41 – Hochleistungsmagneten. OLG Dresden v. 8.9.2011 – 4 U 459/11, AfP 2012, 383. BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620 – Warentest II; OLG München v. 9.9.2014 – 18 U 516/14, AfP 2015, 47. BGH v. 22.2.2011 – VI ZR 120/10, AfP 2011, 259 = MDR 2011, 598 = NJW 2011, 2204 Rz. 13 – Bonitätsbeurteilungen. BGH v. 4.4.2017 – VI ZR 123/16, MDR 2017, 880 = ITRB 2017, 179 = AfP 2017, 316 Rz. 27 – Klinikbewertungen; v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 = MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 Rz. 13 = AfP 2016, 253 – www.jameda.de. BGH v. 18.10.1977 – VI ZR 171/76, NJW 1978, 751 – Schriftsachverständiger; v. 3.5.1988 – VI ZR 276/87, MDR 1988, 952 = AfP 1989, 534 = NJW 1989, 774; v. 23.2.1999 – VI ZR 140/98, NJW 1999, 2736. BGH v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, MDR 2005, 507 = AfP 2005, 70 = NJW 2005, 279. BGH v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 = AfP 2006, 150 = MDR 2006, 940 – Kirch/ Deutsche Bank. BGH v. 25.11.1997 – VI ZR 306/96, MDR 1998, 283 = NJW 1998, 1223.
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Kap. 5 Rz. 249
Wortberichterstattung – die Tatbestände
kann jedoch zugleich die Behauptung einer gegenwärtigen (inneren) Tatsache enthalten. So kann der Äußerung, dass „im September die Hochzeit stattfinden werde“, die Behauptung gegenwärtiger Heiratspläne entnommen werden1302. bb) Unwahrheit der Behauptung 249
§ 824 BGB greift nur gegenüber unwahren Behauptungen ein. Unwahr ist eine Behauptung, wenn sie mit der Wirklichkeit, also mit dem tatsächlichen Sachverhalt, nicht übereinstimmt. Die Unwahrheit folgt aber nicht schon aus einer unbedeutenden Übertreibung oder aus dem Weglassen von Nebensächlichkeiten, wenn der Aussagegehalt dadurch nicht beeinträchtigt wird1303. Z.B. wird ein Schadensersatzanspruch nach § 824 BGB nicht schon durch die Behauptung begründet, von der Annullierung eines Fluges seien 40 Personen betroffen gewesen, wenn es tatsächlich nur 30 waren1304. Übertreibungen, Weglassungen und Einseitigkeiten können die Wirklichkeit aber auch verfälschen und damit zur Folge haben, dass die Aussage als unwahr zu qualifizieren ist1305. Berichtet eine Zeitschrift über ein Investitionsvolumen eines Unternehmens ohne Berücksichtigung einer nachträglichen Anhebung, hängen Ansprüche davon ab, ob die Anhebung wesentlich ist. Ist z.B. das Investitionsvolumen von einer Mio. Euro auf zehn Mio. Euro angehoben worden, ist die Behauptung, es betrage lediglich eine Mio., unwahr und im Zweifel ruf- bzw. kreditgefährdend. Anders bei einem nur geringfügigen Unterschiedsbetrag (z.B. 5.000 Euro). Auch die Behauptung, ein Journalist stünde bei einem Fernsehproduzenten, über dessen Sendungen er regelmäßig berichtet, mit monatlich DM 6.000 auf der Gehaltsliste, während er tatsächlich nur DM 1.500 erhielt, enthält nur eine Vergröberung, da Kern der Mitteilung ist, der Journalist sei käuflich1306. Unwahr ist z.B. die Behauptung, eine Brauerei zahle an eine Parteikasse Beiträge, wenn sie nur Anzeigenrechnungen beglichen hat1307. Eine Kritik an einer Honorarvereinbarung kann unwahr sein, wenn sie durch Auslassung oder Verzerrung wesentlicher Umstände zu Unrecht den Anschein vermittelt, die Tätigkeit des Klägers sei nutzlos gewesen, er habe sich für ein ohne Schwierigkeit zu erreichendes Ergebnis ein gänzlich unangemessenes Honorar zahlen lassen1308. Wird durch die Formulierung, ein Unternehmen werde sich nicht an gewählte Ausschüttungswünsche halten, der Eindruck vertragswidrigen Verhaltens erweckt, obgleich keinerlei rechtliche Verpflichtung besteht, ist die Aussage unwahr1309. Von Unwahrheit ist auch auszugehen, wenn behauptet wird, ein Mitarbeiter sei zu einem bestimmten Zeitpunkt entlassen worden, obschon die Trennung einvernehmlich erfolgt ist1310. Nicht als unwahr hat der BGH die für sich betrachtet zutreffende Mitteilung der Schufa angesehen1311, dass gegen W. in D., Y-Str. 11, Haftbefehl ergangen sei, obschon im Betreff die Konto-Nummer des namensgleichen, allerdings in D., B-Str. 45 wohnhaften Klägers angege1302 BGH v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco. 1303 RG v. 21.12.1911 – 156/11 VI, JW 1912, 290; v. 18.5.1932 – 77/32 IX, JW 1932, 3060. 1304 BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621 – Türkol. 1305 RG v. 16.12.1910 – II 259/10, RGZ 75, 61, 63; BGH v. 20.6.1961 – VI ZR 222/60, NJW 1961, 1913; v. 28.6.1994 – VI ZR 273/93, MDR 1994, 989 = AfP 1994, 295, 297; v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, MDR 2000, 273 = NJW 2000, 656, 657 – Korruptionsvorwurf. 1306 OLG München v. 30.5.1996 – 21 W 1564/96, NJW-RR 1996, 926. 1307 RG v. 16.12.1910 – II 259/10, RGZ 75, 61; BGH v. 16.1.1951 – I ZR 19/50, NJW 1951, 352. 1308 BGH v. 20.6.1961 – VI ZR 222/60, NJW 1961, 1913. 1309 LG Stuttgart v. 17.9.2002 – 17 O 380/02, n.rkr., n.v. 1310 BGH v. 3.6.1969 – VI ZR 17/68, LM § 824 Nr. 13 a. 1311 BGH v. 20.6.1978 – VI ZR 66/77, NJW 1978, 2151.
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V. Kreditgefährdung
Rz. 252 Kap. 5
ben war, woraufhin die Banken dem Kläger Schwierigkeiten bereitet haben (vgl. Rz. 276, aber auch Kap. 6 Rz. 4)1312. Geht es nicht um das Behaupten, sondern um das Verbreiten, ergibt sich die Frage, ob der 250 Inhalt des Zitates zutreffen muss oder ob es genügt, dass der Zitierte sich im behaupteten Sinn geäußert hat (vgl. Rz. 91 ff.). Dem Grundsatz nach muss ein Zitat auch inhaltlich zutreffen, wenn die Weitergabe zulässig sein soll. Dass der Zitierte sich tatsächlich in der behaupteten Weise geäußert hat, reicht im Allgemeinen nicht aus. Etwas anderes gilt aber, wenn die Äußerung nicht als Unterrichtung über den zugrunde liegenden Sachverhalt aufzufassen ist, sondern gerade als Mitteilung, dass der Zitierte in der dargelegten Weise Stellung bezogen hat. Ob von der einen oder der anderen Grundform auszugehen ist, hängt nicht von der vom Mitteilenden verfolgten Absicht ab, sondern vom Verständnis des durchschnittlichen Rezipienten (Näheres Kap. 4 Rz. 1 ff.). Die Zulässigkeit hängt davon ab, ob an der Äußerung des Zitierten ein Informationsinteresse besteht. Ist z.B. schon länger öffentlich darüber diskutiert worden, es könne nur ein bestimmter Anwalt gewesen sein, der die bei einem Häftling aufgefundene Pistole in das Gefängnis geschmuggelt habe, ist wegen dessen spezieller Kenntnisse von Interesse, ob der Gefängnisdirektor diese Ansicht teilt. Die Wiedergabe seiner Stellungnahme kann deswegen unabhängig davon zulässig sein, wer die Pistole wirklich geschmuggelt hat. In Bezug auf die Zulässigkeit des Zitierens gibt es auch Zweifelsfälle. Haben z.B. die Medien ausführlich über die in Kairo erfolgte Verhaftung eines dort tätigen deutschen Fußballtrainers berichtet und wird daraufhin in der Bundesrepublik eine Kairoer Zeitung mit der Behauptung zitiert, der Präsident des Fußballvereins werfe dem Trainer vor, zahlreiche Mädchenbekanntschaften unterhalten und mit den Spielern zweifelhafte Spiele unter der Dusche getrieben zu haben, kommt es letztlich darauf an, ob man ihm zumuten will, sich in Kairo mit dem dortigen Fußballpräsidenten auseinanderzusetzen, oder umgekehrt den deutschen Medien, in Kairo Beweismittel zu beschaffen, wenn sie der abweichenden Darstellung des Trainers nicht vertrauen wollen. Hat der Zitierende sich das Zitat zu Eigen gemacht, kommt ein Unterlassungsanspruch dahin in Betracht, „unter Berufung auf … zu behaupten …“. Maßgebender Zeitpunkt für die Unwahrheit ist die Verbreitung der Darstellung durch den 251 Behauptenden1313. Ein nachträglicher Wegfall des behaupteten Vorganges oder Zustandes ändert an der Wahrheit grundsätzlich nichts. Ist die nachträglich unwahr gewordene Behauptung in einem Buch enthalten, z.B. ein Hersteller betreibe Fabrikverkauf, darf die Auflage grundsätzlich noch ausverkauft werden. Tritt das behauptete Ereignis später ein, ist zu prüfen, ob die Behauptung als Prognose gerechtfertigt ist (vgl. Kap. 4 Rz. 64). Steht die Unwahrheit im Zeitpunkt der Behauptung nicht fest, muss das Gericht dem Kläger die Möglichkeit geben, sie nachzuweisen. Entsprechenden Beweisantritten hat es nachzugehen. Auf diese Weise kann der Kläger einen tatsächlichen bzw. behaupteten Verdacht ausräumen, z.B. den Verdacht, Memoiren seien nicht authentisch1314. cc) Behaupten Nach der ersten Alternative des § 824 BGB muss die Tatsache behauptet, d.h. eine Tatsa- 252 chenbehauptung muss aufgestellt werden, und zwar einem Dritten gegenüber. Das geschieht, wenn die Aussage dem Dritten gegenüber als Gegenstand eigener Überzeugung dar1312 Sehr zweifelhaft; a.A. auch Simon, NJW 1979, 265. 1313 BGH v. 15.10.1968 – 6 ZR 126/67, ArchPR 1968, 55. 1314 BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, GRUR 1975, 89 – Brüning.
Burkhardt/Peifer 331
Kap. 5 Rz. 253
Wortberichterstattung – die Tatbestände
gestellt wird. Ob das Behauptete selbst ermittelt bzw. wahrgenommen oder von dritter Seite erfahren ist, bleibt sich gleich1315. Unerheblich ist auch, ob der Behauptende die Initiative zu der beanstandeten Berichterstattung ergriffen hat oder ob er von einem Reporter zu einem Interview aufgefordert und so zu der streitigen Äußerung veranlasst worden ist1316. Auch die Zufügung einschränkender Zusätze („mE.“, „soweit ersichtlich“) steht der Annahme des Behauptens nicht entgegen1317. Der Schutz des Rufes darf nicht daran scheitern, dass der Angreifer seine verletzenden Äußerungen in ausgeklügelte Wendungen kleidet oder in versteckter Form vorbringt1318. Die Behauptung einer Tatsache kann auch durch Aussprechen eines bloßen Verdachtes, einer Andeutung oder Frage1319, durch Hinweis auf eine Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, u.U. sogar durch Aussprechen einer Unwahrscheinlichkeit erfolgen (Näheres Rz. 211)1320. Ebenso kann die Behauptung „vertraulich“ erfolgen, allerdings muss sie stets einem Dritten gegenüber aufgestellt werden. Wird die Behauptung allein dem Betroffenen gegenüber aufgestellt, kann sich die in § 824 BGB vorausgesetzte Gefährdungsfolge nicht einstellen1321. dd) Verbreiten 253
Die zweite Alternative des § 824 BGB betrifft das Verbreiten von Behauptungen. Unter dem Verbreiten ist die Weitergabe einer von anderer Seite aufgestellten Behauptung zu verstehen, die der Verbreitende sich nicht zu Eigen macht, sondern als fremde weitergibt. Selbst beim ausdrücklichen Hinweis darauf, die Behauptung stamme von einem Dritten, kann mangels Distanzierung ein haftungsbegründendes Verbreiten vorliegen1322. Auch ein Gerücht kann verbreitet werden1323. Die Weitergabe an einen Dritten ist ausreichend; die Verbreitung braucht nicht öffentlich zu erfolgen.
254
Zu unterscheiden ist zwischen dem intellektuellen Verbreiter, der zu der von ihm weitergegebenen Behauptung eine gedankliche Beziehung hat, und dem nur technischen Verbreiter, der an der Verbreitung nur technisch mitwirkt, z.B. als Drucker, Spediteur, Buchhändler1324. Die Verbreiterhaftung des technischen Verbreiters ist eingeschränkt (Kap. 10 Rz. 221 ff.). Beschränkt ist auch die Verbreiterhaftung der Medien, wenn sie lediglich als Meinungsmarkt fungieren (Näheres Kap. 4 Rz. 106)1325. Bei Bewertungsportalen im Internet liegt jedenfalls eine Verbreitungshandlung auch darin, dass die Bewertung auf dem Portal auffindbar bleibt und nach Rüge des Betroffenen nicht gelöscht wird. Die Rechtsprechung spricht hier von einer mittelbaren Störung, meint letztlich aber nichts anderes als eine Verbreiterhaftung, die
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1324 1325
BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 266/64, NJW 1966, 2010 – Teppichkehrmaschine. BGH v. 11.5.1973 – I ZR 123/71, GRUR 1974, 105 – Kollo-Schlager. OLG Frankfurt v. 14.5.1981 – 16 U 207/80, NJW 1981, 2707, 2708. BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 159/78, MDR 1981, 40 = NJW 1980, 2801. BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, GRUR 1969, 624 – Hormoncreme. RG v. 6.3.1906 – 188/06, RGSt 38, 368; RG v. 12.10.1926 – I 504/26, RGSt 60, 373; RG v. 11.7.1933 – I 749/33, RGSt 67, 268; BGH v. 16.1.1951 – I ZR 19/50, NJW 1951, 352. RG v. 17.2.1921 – VI 473/20, RGZ 101, 335, 338. BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, GRUR 1969, 624, 627 – Hormoncreme. BGH v. 16.1.1951 – I ZR 19/50, NJW 1951, 352; OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, GRURPrax 2017, 335. BGH v. 3.2.1976 – VI ZR 23/72, NJW 1976, 799 – Alleinimporteur. BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198.
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Burkhardt/Peifer
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V. Kreditgefährdung
Rz. 256 Kap. 5
erst dadurch ausgelöst wird, dass auf das Vorhandensein einer rechtsverletzenden Äußerung auf dem Portal hingewiesen wird1326. ee) Beweislast Die Beweislast dafür, dass eine unwahre Behauptung aufgestellt oder verbreitet worden ist, 255 trägt der Kläger1327. Den Beklagten trifft aber eine Darlegungslast. Ist Prozessgegenstand die Behauptung, Memoiren seien „nicht authentisch“, muss der Beklagte darlegen, inwiefern die Authentizität fehlen soll. Genügt er dem nicht und unterlässt er auch ein substantiiertes Bestreiten des klägerischen Vortrages, kann die Beweiserhebung sich erübrigen1328. Vor der Beweiseinziehung bedarf es einer Schlüssigkeitsprüfung. Wird z.B. behauptet, ein Bauvorhaben sei wirtschaftlich nicht sinnvoll gestaltet und deshalb überteuert, ist der Beweisantritt, die veranschlagten Baupreise seien angesichts der Ausstattung angemessen und üblich, nicht ausreichend, wenn Unwirtschaftlichkeit und Überteuerung sich möglicherweise daraus ergeben, dass die Planung insgesamt zu aufwendig war1329. Komplizierter ist die Beweislastfrage, wenn unwahre Tatsachenbehauptungen auf Portalen von Internetdienstleistern bereitgestellt werden. Da die Intermediäre, insb. die Portalbetreiber, nur als mittelbare Störer gelten, haften sie erst ab Kenntnisnahme von einer konkreten Rechtsverletzung (soeben Rz. 254). Ob eine Tatsachenbehauptung unwahr ist, kann der Intermediär regelmäßig ohne Hilfe des Äußernden nicht beurteilen. Die Gerichte haben daher eine Art Moderationsverfahren eingeführt, durch welches der Intermediär auf die Rüge des Betroffenen dem Äußernden die Gelegenheit zur Substantiierung seines Vorwurfs geben muss1330. Fehlt es an dieser Substantiierung, muss der Provider den Eintrag löschen, um nicht zum Verbreiter einer dann prozessual als unwahr anzusehenden Tatsachenbehauptung zu werden. Diese Lösung ist dogmatisch noch nicht befriedigend, weil sie eine Beweislastregelung trifft, die dem Intermediär kaum Leistbares abverlangt. b) Rufgefährdung § 824 BGB setzt weiter voraus, dass die unwahre Behauptung geeignet ist, den Kredit eines 256 anderen zu gefährden oder sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen. Diese Folge muss durch die Tatsache selbst drohen. Beruht die Beeinträchtigung auf der Reaktion des Betroffenen auf eine Tatsachenbehauptung, ist dies kein Fall des § 824 BGB. Wird z.B. behauptet, ein unbekanntes Flugobjekt habe beim Absturz ein parkendes Auto in der Nähe des Geländes des Bundesnachrichtendienstes durchschlagen, um damit das Verhalten der Presse zu testen, und berichtet ein Presseunternehmen tatsächlich über 1326 BGH v. 4.4.2017 – VI ZR 123/16, MDR 2017, 880 = ITRB 2017, 179 = AfP 2017, 316 – Klinikbewertungen; v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 = MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 253 – www.jameda.de; hierzu Peifer, Konvergenz in der Störer- und Verbreiterhaftung – Vom Störer zum Verbreiter?, AfP 2014, S. 18; Peifer, Die zivilrechtliche Verteidigung gegen Äußerungen im Internet, AfP 2015, 193. 1327 BGH v. 9.11.1971 – VI ZR 57/70, GRUR 1972, 435, 439 – Grundstücksgesellschaft. 1328 BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, GRUR 1975, 89 – Brüning. 1329 BGH v. 9.11.1971 – VI ZR 57/70, GRUR 1972, 435, 439. 1330 Grundlegend BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 = CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = AfP 2012, 50 Rz. 25 – Blog-Eintrag; v. 23.9.2014 – VI ZR 358/13, BGHZ 202, 242 = CR 2015, 116 = MDR 2014, 1388 = IPRB 2015, 28 = AfP 2014, 529 Rz. 28 f. – Ärztebewertungsportal II; v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 = MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 253 Rz. 24 – www.jameda.de; vgl. hierzu Paal, NJW 2016, 2081; Peifer, AfP 2015, 193.
Burkhardt/Peifer 333
Kap. 5 Rz. 257
Wortberichterstattung – die Tatbestände
den angeblichen Absturz, nachdem ein Reporter sich vor Ort von dem Geschehen „überzeugt“ hat, liegt ein Fall der Selbstschädigung vor. § 824 BGB ist unanwendbar1331. Die Kreditgefährdung besteht in der Gefährdung des Vertrauens Dritter, das der andere hinsichtlich der Erfüllung seiner vermögensrechtlichen Verbindlichkeiten genießt1332. Unter dem Fortkommen sind sämtliche, auch die über den Kredit hinausgehenden wirtschaftlichen und beruflichen Zukunftsaussichten des Betroffenen zu verstehen1333. § 824 BGB schützt also den wirtschaftlichen Ruf in seiner Gesamtheit1334. 257
Dass die unwahre Behauptung den wirtschaftlichen Ruf tatsächlich gefährdet, setzt § 824 BGB nicht voraus. Es genügt die Eignung zur Rufgefährdung. Der Betroffene braucht also nicht nachzuweisen, sein good will habe tatsächlich gelitten1335. Wenn Steffen meint1336, die Gefährdungseignung sei schon zu bejahen, wenn die Mitteilung bei objektiver Betrachtung geeignet sei, die Meinung interessierter Kreise „nachhaltig“ negativ zu beeinflussen, ist dem insoweit zu folgen, als eine Vermögensgefährdung einigermaßen plausibel sein muss (anders Vorauflage). Daran fehlt es, wenn nicht zu befürchten ist, dass Geschäftspartner nachteilige Folgen aus der Tatsachenbehauptung ziehen werden. Ob dies der Fall ist, hat das Gericht auf Basis einer Prognose zu beurteilen, für deren Durchführung der Kläger Anhaltspunkte und Nachweise zu erbringen hat. Gleichwohl kann § 824 BGB auch bei Unwahrheiten eingreifen, die an sich neutral sind, z.B. bei der Behauptung, ein Geschäft befinde sich in der Oberen Königstraße, wenn es in Wirklichkeit in der Unteren belegen ist, weil Interessenten es dann eventuell nicht finden1337. Selbst die unwahre Behauptung von Umständen, die an sich positiv aufzufassen sind, kann den wirtschaftlichen Ruf beeinträchtigen, z.B. die Behauptung, ein Theater sei ständig ausverkauft. Dadurch können Interessenten vom Besuch abgehalten werden, weil sie befürchten, keinen Einlass mehr zu erhalten. Zu weit würde es allerdings gehen, ohne Hinzutreten besonderer Umstände auch die Nennung eines zu niedrigen Preises als gegen § 824 BGB verstoßend anzusehen.
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Eine zutreffende Einschränkung des wirtschaftlichen Rufschutzes hat der BGH mit der Entscheidung Bundesbahnplanungsvorhaben vorgenommen1338. Dort meint er, § 824 BGB schütze das Interesse an ungestörter wirtschaftlicher Betätigung nicht umfassend gegen jede Bedrohung, die auf eine falsche Information zurückzuführen sein kann, sondern nur das Interesse an ungestörten Beziehungen zu den Geschäftspartnern. Deswegen greife § 824 BGB nicht ein, wenn zwar die unwahre Äußerung die geschäftliche Betätigung beeinträchtigen könne, aber durch äußerungsbedingte Nachteile, die sich nicht über Geschäftsbeziehungen, sondern außergeschäftlich vollziehen. Anlass zu dieser Einschränkung hat dem BGH eine Klage der Bundesbahn gegen Behauptungen eines Umweltschutzvereins in einer Dokumentation gegeben, die gegen die Schnellbahnplanung der Strecke Mannheim-Stuttgart gerichtet war. Dazu vertrat der BGH die Auffassung, die Dokumentation gefährde nicht die geschäftlichen Beziehungen der Bundesbahn. Sie könne allenfalls zu Einwirkungen Außenstehender führen.
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OLG München v. 5.12.1997 – 21 U 3776/97, NJW-RR 1998, 1480 – Verstehen Sie Spaß. Siehe MüKo/Wagner, § 824 BGB Rz. 36 m.w.N. BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, GRUR 1975, 89 – Brüning. Helle, Der Schutz der Persönlichkeit, der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes im Privatrecht, 2. Aufl., S. 8 ff.; ebenso RGRK/Steffen, § 824 BGB Rz. 27. BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, GRUR 1975, 89 – Brüning. RGRK, § 824 BGB Rz. 28 und Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 110. Wenzel, GRUR 1970, 278, 279; ebenso Staudinger/Schäfer, 12. Aufl. 1986, § 824 BGB Rz. 32. BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607.
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Burkhardt/Peifer
V. Kreditgefährdung
Rz. 261 Kap. 5
Das Interesse am Unterbleiben solcher Einwirkungen sei durch § 824 BGB ebenso wenig geschützt wie das Interesse, dass Aufforderungen zu Streiks unterbleiben. Der Wortlaut des § 824 BGB zwingt zwar nicht zu dieser Einschränkung, sie verhindert aber, 259 dass allzu fernliegende Gefahren bereits zu Unterlassungsansprüchen führen können. Nicht jede Unwahrheit verletzt mithin die Sozialgeltung, dies ist erst der Fall, wenn konkrete Umstände nachgewiesen werden, die hinreichend belegen, dass Beeinträchtigungen des Unternehmens erfolgt oder zu erwarten sind. Im Falle des Bundesbahnplanungsvorhabens hat der BGH einen Nachweis gefordert wie z.B. die streitige Dokumentation könne Masseneinsprüche verursachen und damit eine Verzögerung des Vorhabens verursachen. c) Verschulden Nach § 824 Abs. 1 BGB tritt die Ersatzverpflichtung „auch dann“ ein, wenn der Behauptende 260 die Unwahrheit zwar nicht kennt, aber kennen muss. Das bedeutet, dass § 824 BGB nicht nur den Fall der positiven Kenntnis der Unwahrheit, also den dolus directus erfassen will1339. Fahrlässigkeit genügt. Sie setzt voraus, dass der Behauptende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens hätte erkennen müssen (Näheres Kap. 6 Rz. 104). Richtiger Auffassung nach muss sich das Verschulden sowohl auf die Unwahrheit wie auch auf das Merkmal des Behauptens bzw. Verbreitens beziehen, ebenso auf die Eignung zur Rufgefährdung1340. Fahrlässiges Behaupten erfolgt, wenn ein Autor die Bezeichnung des kritisierten Präparates verwechselt1341. 3. Anspruchsberechtigte § 824 BGB schützt natürliche Personen, aber nur lebende. Ist der Kritisierte verstorben, kön- 261 nen die Erben sich nur noch gegen eine Verfälschung des Lebensbildes wenden1342. Ebenso schützt § 824 BGB juristische Personen1343, auch Idealvereine1344. Gleichermaßen geschützt sind nichtrechtsfähige Vereine1345 wie auch die OHG und KG1346. Andere Personengemeinschaften sind geschützt, soweit die Kritik geeignet ist, ihre wirtschaftliche Tätigkeit zu beeinträchtigen1347. Auch Körperschaften des öffentlichen Rechts können sich auf § 824 BGB beru-
1339 BGH v. 12.1.1958 – VIII ZR 426/56, LM § 824 Nr. 3 und v. 3.6.1969 – VI ZR 17/68, LM § 824 Nr. 13a. 1340 BGH v. 26.4.1966 – VI ZR 240/64, NJW 1966, 1857; Klingsporn, NJW 1960, 1436; a.A. Bartels/ Bloch, NJW 1960, 1434. 1341 BGH v. 26.4.1966 – VI ZR 240/64, NJW 1966, 1857 – Tai Ginseng. 1342 BVerfG v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1971, 1645 – Mephisto; v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, AfP 2001, 295 = ZUM 2001, 584 – Kaisen. 1343 BGH v. 3.6.1957 – VI ZR 123/47, NJW 1975, 1882. 1344 BGH v. 28.11.1969 – I ZR 139/67, NJW 1970, 378; v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762. 1345 BGH v. 18.5.1971 – VI ZR 220/69, NJW 1971, 1655; v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762. 1346 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = NJW 1980, 2807. 1347 BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762; v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882; v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = NJW 1980, 2807.
Burkhardt/Peifer 335
Kap. 5 Rz. 262
Wortberichterstattung – die Tatbestände
fen1348, ebenso Verbände1349 und sogar Behörden1350. Bei ihnen geht es zwar nicht um den Schutz eines wirtschaftlich begründbaren Rufes, wohl aber um den Schutz des Vertrauens in ihre Integrität und Funktionstüchtigkeit. Allerdings dürfte ein Schadensersatzanspruch kaum in Betracht kommen, wohl aber ein Anspruch auf Richtigstellung einer unwahren Behauptung, die geeignet ist, die Behörde in ihrer Funktion schwerwiegend zu beeinträchtigen1351. 262
Ein Anspruch steht nur demjenigen zu, der durch die Kritik individuell betroffen ist. Der BGH fordert1352, dass die Äußerung, so wie sie vom Verkehr verstanden wird, sich mit dem Anspruchstellenden befasst oder in enger Beziehung zu seinen Verhältnissen, seiner Betätigung oder gewerblichen Leistung steht1353. Eine nur mittelbare Betroffenheit genügt nicht. Ansprüche stehen nur demjenigen zu, der von der „Stoßrichtung“ des Angriffs betroffen ist1354. Die individuelle Betroffenheit setzt keine namentliche Erwähnung, sondern nur die Erkennbarkeit voraus1355. Wird eine Gesellschaft kritisiert, sind die Gesellschafter nicht ohne Weiteres mitbetroffen, wird eine Branche kritisiert, ist noch nicht auch der Branchenverband betroffen1356. Anders kann es sich verhalten, wenn ein Gesellschafter die Gesellschaft infolge seiner beherrschenden Stellung repräsentiert, so dass die Kritik speziell ihn trifft1357. Die individuelle Betroffenheit fehlt, wenn lediglich allgemein Kritik geübt wird, die Äußerung sich also nicht speziell mit dem Anspruchsteller befasst. Das ist der Fall, wenn verschiedene Systeme miteinander verglichen werden und z.B. gefragt wird, ob elektronische Orgeln herkömmliche Pfeifenorgeln zu ersetzen vermögen1358, ferner bei falschen Angaben über durchschnittliche Marktpreise, und zwar selbst dann, wenn sie sich zum Nachteil eines Händlers auswirken können1359. Wegen der Behauptung, der Verzehr von Seefischen sei gesundheitsgefährdend, weil sie an Wurmbefall litten, steht einem Fischhändler auch dann kein Anspruch nach § 824 BGB zu, wenn die Behauptung unwahr ist1360. Unternehmen der Zuckerproduktion und des Zuckerhandels steht gegen einen Verbraucherverband kein Anspruch zu, die Bezeichnung von Zucker als „Schadstoff“ zu unterlassen1361. Eine unmittelbare Beeinträchtigung fehlt auch, wenn diese nicht auf der unwahren Tatsache selbst beruht, sondern durch die Reaktion des Betroffenen hervorgerufen wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Presseunternehmen großformatig über einen „Satelliteneinschlag“ berichtet, der scherzhaft im Rahmen der Produktion der Fernsehsendung „Verstehen Sie Spaß?“ in Szene gesetzt wurde1362. 1348 OLG München v. 27.1.2011 – 29 U 3012/10. 1349 LG Frankfurt/M. v. 8.5.2014 – 2-03 O 500/13, AfP 2014, 365. 1350 BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 = AfP 2008, 381 = MDR 2008, 916 = NJW 2008, 2262. 1351 BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 = AfP 2008, 381 = MDR 2008, 916 = NJW 2008, 2262. 1352 Std. Rspr., u.a. BGH v. 20.6.1978 – VI ZR 66/77, NJW 1978, 2151. 1353 Ebenso OLG München v. 25.1.1982 – 21 U 2603/81, AfP 1983, 278. 1354 BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = AfP 1992, 140 = NJW 1992, 1312 – Korruptionsprozess. 1355 BGH v. 20.12.1988 – VI ZR 95/88, MDR 1989, 438 = AfP 1989, 456 = GRUR 1989, 222, 224 – Filmbesprechung. 1356 LG Frankfurt/M. v. 8.5.2014 – 2-03 O 500/13, AfP 2014, 365. 1357 BGH v. 26.10.1953 – I ZR 156/52, NJW 1954, 72. 1358 BGH v. 2.7.1963 – VI ZR 251/62, NJW 1963, 1871. 1359 BGH v. 13.10.1964 – VI ZR 130/63, NJW 1965, 36. 1360 AG Köln v. 11.4.1988 – 139 C 710/87, AfP 1988, 390. 1361 OLG Hamburg v. 29.10.1987 – 3 U 11/87, AfP 1988, 348 = NJW 1988, 3211. 1362 OLG München v. 5.12.1997 – 21 U 3776/97, NJW-RR 1998, 1480.
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V. Kreditgefährdung
Rz. 265 Kap. 5
Die Beschränkung der Anwendbarkeit des § 824 BGB kann zu Problemen führen, wenn 263 nicht eine bestimmte Ware, sondern eine Warengattung kritisiert wird, wenn aber ein Hersteller eine Marktposition innehat, die bewirkt, dass die Kritik zwangsläufig auf seine Produkte bezogen wird. Zumal es praktisch vornehmlich um den Unterlassungs- und evtl. um den Berichtigungsanspruch geht, um den Ersatzanspruch nur selten, sollte bei der Kritik an einer Warengattung bei der Prüfung der individuellen Betroffenheit nicht allzu kleinlich verfahren werden. § 824 BGB setzt den Nachweis einer unwahren Tatsachenbehauptung voraus. Die Unwahrheit ist kein schützenswertes Gut1363. Daran, dass Unwahrheiten unterlassen werden, besteht ein allgemeines Interesse. Insb. wird die individuelle Betroffenheit deswegen zu bejahen sein, wenn zwar der Kritiker die Ware nur der Gattung nach nennt, wenn er aber ersichtlich einen bestimmten Hersteller meint bzw. wenn die Rezipienten die Kritik speziell auf ihn beziehen. Auch wenn über eine Branche insgesamt unwahre Behauptungen aufgestellt werden, sollte zumindest ein ggf. vom zuständigen Verband in Prozessstandschaft geltend zu machender Unterlassungsanspruch zugebilligt werden, wenn der Kreis der Branchenmitglieder überschaubar ist, wie das z.B. auf die Versicherungswirtschaft, auf Rettungsflugunternehmen usw. zutrifft1364. Es ist nicht zu erkennen, aus welchem Grunde Unwahrheiten nur deswegen hinzunehmen sein sollen, weil nicht nur ein einziges, sondern ein abgegrenzter Kreis von mehreren Unternehmen davon betroffen ist. Bezieht sich die Kritik auf ein namentlich benanntes Erzeugnis, stehen Ansprüche i.d.R. 264 nur dem Hersteller zu1365, bei Büchern dem Verleger1366. Ist der Hersteller im Ausland ansässig, kann sich ein Alleinimporteur jedenfalls dann gegen die Produktkritik wenden, wenn er Inhaber des Zeichenrechts ist1367. Der frühere Ib-Senat des BGH hat auch die Aktivlegitimation eines Filmimporteurs bejaht, allerdings in einem Falle, in dem die Kritik auch ihn betraf. Er habe „fix und clever“ gehandelt1368. Wenn man zusammen mit Steffen auf die „Stoßrichtung“ der Kritik abstellt1369, wird man dem Importeur eines kritisierten Erzeugnisses die Aktivlegitimation unabhängig von der Inhaberschaft am Zeichenrecht auch zuerkennen müssen, wenn er der maßgebliche Importeur ist und das Erzeugnis für sein Unternehmen eine nicht unerhebliche Bedeutung hat1370. Das RG hat darauf abgestellt, dass die Kritik an einem ausländischen Hersteller und dessen Erzeugnis zugleich als Kritik am Importeur aufzufassen sein kann, dass er mit einem solchen Lieferanten Geschäftsbeziehungen unterhalte1371. Ein sonstiges Handelsunternehmen wird man bei Produktkritik als aktivlegitimiert ansehen müssen, wenn es das Erzeugnis exklusiv für sich herstellen lässt, wie das z.B. bei Kauf- und Versandhäusern nicht selten der Fall ist. Befasst sich die Behauptung nicht mit dem Kläger oder dessen Verhältnissen, sondern mit 265 denen des behauptenden Beklagten oder eines sonstigen Dritten, fehlt die Betroffenheit. Eine nur mittelbare Auswirkung auf den Anspruchsteller reicht nicht aus. Das hat der 1363 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072; v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415. 1364 Vgl. aber LG Frankfurt/M. v. 8.5.2014 – 2/03 O 500/13, AfP 2014, 365. 1365 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 266/64, NJW 1966, 2010 – Teppichkehrmaschine. 1366 BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, GRUR 1975, 89 – Brüning. 1367 BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, GRUR 1969, 624 – Hormoncreme. 1368 BGH v. 20.12.1967 – Ib ZR 127/65, GRUR 1968, 314, 316. 1369 RGRK § 824 Rz. 30. 1370 So jetzt auch BGH v. 20.12.1988 – VI ZR 95/88, MDR 1989, 438 = AfP 1989, 456 = GRUR 1989, 222 – Filmbesprechung. 1371 RG v. 16.12.1910 – II 259/10, RGZ 75, 61.
Burkhardt/Peifer 337
Kap. 5 Rz. 266
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Ib-Senat im Teppichreinigungs-Urteil verkannt1372. Dort meinte er, ein Fachverband könne Ansprüche nach § 824 BGB aus Behauptungen ableiten, die ein Konkurrenzverband zu seiner angeblichen eigenen Bedeutung mit der mittelbaren Folge aufgestellt hatte, dass der klagende Verband als weniger gewichtig erschien. In solchen Fällen kommen nur Ansprüche wettbewerbsrechtlicher Art oder wegen Verletzung des Rechts am Unternehmen in Betracht (Rz. 128 ff.), eventuell nach § 826 BGB. Anders kann es sein, wenn die Behauptung, die der Mitteilende über sich selbst oder einen Dritten aufstellt, mit einer Behauptung über den betroffenen Kläger synonym ist. Das trifft z.B. zu, wenn A behauptet, er habe den ersten Preis gewonnen, weil sich daraus unmittelbar ergibt, B habe ihn nicht erhalten. Ist das unwahr, steht B ein Anspruch nach § 824 BGB zu. 4. Haftungsausschluss nach § 824 Abs. 2 BGB 266
Nach § 824 Abs. 2 BGB, der seine Einfügung insb. dem Interesse der Auskunfteien verdankt1373, ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn dem Mitteilenden die Unwahrheit der Mitteilung unbekannt ist und er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hat. a) Rechtliche Bedeutung
267
Die h.M. betrachtet § 824 Abs. 2 BGB als eine dem § 193 StGB nachgebildete Vorschrift, also als Rechtfertigungsgrund1374. Verschiedentlich wird aber auch von einem Schuldausschließungsgrund ausgegangen1375 auch von einem bloßen Haftungsausschluss1376.
268
Der Unterschied zu § 193 StGB wird im Wesentlichen nur darin gesehen, dass nach § 824 Abs. 2 BGB auch ein berechtigtes Interesse des Mitteilungsempfängers zu berücksichtigen ist. Andererseits genügt nach § 193 StGB ein Handeln „zur Wahrnehmung“ berechtigter Interessen, so dass sich darauf u.U. auch berufen kann, wer an Umstände, die ein berechtigtes Interesse ergeben würden, nur irrtümlich glaubt1377. Demgegenüber setzt § 824 Abs. 2 BGB voraus, dass der Mitteilende oder der Empfänger ein berechtigtes Interesse hat. Das berechtigte Interesse muss also vorhanden sein1378.
269
Die entscheidende Frage ist, ob § 824 Abs. 2 BGB im Gegensatz zu § 193 StGB auch eingreift, wenn dem Behauptenden die Unwahrheit der Mitteilung schuldhaft unbekannt ist. Davon ist zusammen mit der h.M. grundsätzlich auszugehen. Dafür spricht insbesondere, dass es bei schuldlosem Handeln eines Haftungsausschlusses nicht bedarf, weil § 824 Abs. 1 BGB nur für den Verschuldensfall eine Ersatzpflicht begründet. Wagner meint hierzu1379, § 824 Abs. 2 BGB schränke die prinzipiell umfassende Prüfungspflicht ein, indem er für den 1372 BGH v. 15.11.1967 – Ib ZR 137/65, GRUR 1968, 205. 1373 Prot. II 638. 1374 BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51, NJW 1952, 660; MüKo/Wagner, § 824 Rz. 42; RGRK/Steffen, § 824 Rz. 34. In der Entscheidung BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621 – Türkol ist der BGH über diese Problematik hinweggegangen. 1375 Erdsiek, JZ 1969, 311, 315; Schmidt, JZ 1970, 8; Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/1, § 79 I 4 d. 1376 So insb. Tilmann, NJW 1975, 758, 764. 1377 RG v. 12.11.1925 – II 44/25, RGSt 59, 414; zum Verbotsirrtum vgl. OLG Hamburg v. 7.7.1966 – 2 Ss 94/66, NJW 1966, 1977; Schaffstein, NJW 1951, 691. 1378 Staudinger/Schäfer, 12. Aufl. 1986, § 824 BGB Rz. 49. 1379 MüKo/Wagner, § 824 BGB Rz. 44.
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Burkhardt/Peifer
V. Kreditgefährdung
Rz. 272 Kap. 5
Fall eines berechtigten Interesses an der Mitteilung einer Tatsachenbehauptung ohne vorherige Ausschöpfung der Prüfungsmöglichkeiten die Rechtswidrigkeit verneine, um zu verhindern, dass Informationen wegen nicht ausreichender Prüfungsmöglichkeit unterbleiben oder verzögert werden. Sieht man den Stellenwert des § 824 Abs. 2 BGB in dieser Weise, mag naheliegend scheinen, ihn zusammen mit der h.M. ebenso wie § 193 StGB als Rechtfertigungsgrund zu betrachten. Legt man stattdessen das Schwergewicht darauf, dass § 824 Abs. 2 BGB nur bei schuldhaftem Handeln praktisch werden kann, schuldhaftes Handeln aber Rechtswidrigkeit voraussetzt, wird man zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass § 824 Abs. 2 BGB eben doch nur die Ersatzverpflichtung ausschließt. Praktische Bedeutung hat die Frage des rechtlichen Charakters des § 824 Abs. 2 BGB aller- 270 dings kaum, und zwar auch im Hinblick auf den Unterlassungs- und den Widerrufsanspruch. § 824 Abs. 1 BGB setzt den Nachweis der Unwahrheit der streitigen Behauptung voraus. Dann aber kann bei vorhandener Wiederholungs- bzw. Begehungsgefahr im Prinzip unabhängig davon Unterlassung gefordert werden, ob die streitige Behauptung rechtswidrig oder rechtmäßig war, weil unrichtige Informationen auch unter dem Aspekt der Äußerungsfreiheit kein schützenswertes Gut sind1380. Ebenso kann ein Widerruf bzw. eine sonstige Berichtigung unabhängig von einer etwaigen Rechtfertigung der aufgestellten unwahren Behauptung gefordert werden (Näheres Kap. 13 Rz. 23)1381. Für das praktische Ergebnis ist es also nicht von wesentlichem Belang, ob § 824 Abs. 2 BGB rechtfertigenden, entschuldigenden oder nur haftungsausschließenden Charakter hat (vgl. dazu aber Kap. 14 Rz. 23). b) Notwendigkeit von Einschränkungen Die Annahme, § 824 Abs. 2 BGB schließe die Haftung auch und gerade im Verschuldensfalle 271 aus, ist nicht ohne Einschränkungen möglich. Unterließe man Einschränkungen, fände § 824 Abs. 2 BGB auch Anwendung, wenn der Mitteilende von der Unwahrheit zwar keine positive Kenntnis hat, sie aber für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (dolus eventualis). Dann aber behauptet der Mitteilende etwas, obwohl er weiß, dass er möglicherweise die Unwahrheit sagt. Deswegen stellt die Rechtsprechung den dolus eventualis dem dolus directus gleich. Sie geht also davon aus, der Haftungsausschluss entfalle, wenn der Mitteilende vorhandene Zweifel verschweigt1382. Entfällt der Haftungsausschluss in diesem Fall, ist es konsequent, ihn ebenso entfallen zu lassen, wenn der Mitteilende zwar der Wahrheit der Information vertraut, dies aber infolge grober Fahrlässigkeit, d.h. leichtfertigerweise, tut. Allerdings darf das Merkmal der Leichtfertigkeit nicht über Gebühr ausgedehnt werden. Ansonsten würde die Äußerungsfreiheit zu sehr eingeschränkt1383. Im Ergebnis schließt also § 824 Abs. 2 BGB richtiger Auffassung nach die Haftung allenfalls bei leichter Fahrlässigkeit aus1384. Darüber hinaus hat sich die Frage ergeben, ob die Annahme, § 824 Abs. 2 BGB schließe die 272 Haftung trotz Fahrlässigkeit aus, in allen Fällen gerechtfertigt ist. Insb. ist zu fragen, ob § 824 Abs. 2 BGB bei fahrlässig unwahren Behauptungen auch eingreift, wenn sie öffentlich verbreitet werden, speziell durch die Medien. Einen Haftungsausschluss auch in Fällen die1380 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072, 2073. 1381 BGH v. 12.1.1960 – I ZR 30/58, GRUR 1960, 500 – La chatte. 1382 RG v. 2.5.1911 – VI 371/10, RGZ 76, 313; BGH v. 12.1.1958 – VIII ZR 426/56, LM § 824 Nr. 3 = MDR 1958, 335 = DB 1958, 276. 1383 BVerfG v. 16.3.1999 – 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199, 200. 1384 BGH v. 15.11.1977 – VI ZR 101/76, BGHZ 70, 39 = NJW 1978, 210 – Alkoholtest; RGRK/Steffen, § 824 BGB Rz. 42.
Burkhardt/Peifer 339
Kap. 5 Rz. 273
Wortberichterstattung – die Tatbestände
ser Art anzuerkennen mag vertretbar sein, wenn davon ausgegangen wird, berechtigte Interessen i.S.v. § 824 Abs. 2 BGB nehme der Behauptende nur wahr, wenn es sich um eigene oder ihn nahe angehende Angelegenheiten handelt. Das entspricht der früheren Auffassung, nach der z.B. das Interesse des Staatsbürgers an Zucht und Ordnung kein berechtigtes Interesse war1385, auch nicht das Interesse an der Sauberkeit des öffentlichen Lebens und an der Führung einer nationalen Politik1386. Auch der einzelne Glaubensgenosse wurde früher nicht als berufen angesehen, die Belange seiner Konfession wahrzunehmen1387. Für die Presse galt nach dieser früheren Auffassung nichts anderes. Die Interessen der Allgemeinheit oder der Leser zu vertreten, wurde nur unter der Voraussetzung als durch § 193 StGB gerechtfertigt angesehen, dass die Interessen den Redakteur auch persönlich nahe angehen. Kritik an den Straßenbahntarifen durfte ein Journalist nur üben, wenn er selbst Straßenbahnbenutzer war. 273
Inzwischen ist anerkannt, dass nicht nur die Presse, sondern jedermann befugt ist, sich frei zu äußern, und zwar auch und gerade zu allgemein interessierenden Fragen. Das Recht hierzu folgt aus Art. 5 Abs. 1 GG. Angesichts der grundsätzlichen Redefreiheit kann der Begriff der Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.d. § 193 StGB und ebenso des § 824 Abs. 2 BGB nicht mehr in dem früheren engen Sinne aufgefasst werden. Die Presse nimmt berechtigte Interessen auch wahr, wenn sie Fragen diskutiert, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren. Gilt das für die Presse, gilt es zugleich für jedermann, weil das GG Äußerungsfreiheit unabhängig vom benutzten Medium gewährt (Kap. 1 Rz. 34). Würde trotz dieses grundlegenden Wandels unverändert davon ausgegangen, § 824 Abs. 2 BGB schließe auch bei öffentlichen Äußerungen, insb. solchen in den Medien, die Ersatzpflicht trotz Fahrlässigkeit aus, hätte das zur Folge, dass selbst ein Testveranstalter nach Veröffentlichung eines falschen Testberichtes die Ansicht vertreten könnte, seine Behauptungen seien zwar unwahr und rechtswidrig und der angerichtete Schaden beruhe auf seinem Verschulden. Irgendeine Haftung brauche er aber dennoch nicht zu übernehmen, weil § 824 Abs. 2 BGB sie ausschließe. Ein solches Ergebnis wäre unvertretbar1388.
274
Dass das neue Verständnis zur Möglichkeit der Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.d. § 824 Abs. 2 BGB zur einschränkenden Interpretation dieser Vorschrift zwingt, klingt bereits in der Entscheidung „Teppichkehrmaschine“ an1389. Der BGH meint dort zwar, selbst bei Fahrlässigkeit entfalle die Ersatzpflicht, wenn der Verbreiter oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hat. Andererseits erklärt er aber, wer Behauptungen öffentlich verbreitet, die geeignet sind, den Absatz einer Ware zu erschweren und den Hersteller empfindlich zu schädigen, werde sehr sorgfältig prüfen müssen, ob seine Erkenntnisquellen genügend zuverlässig und umfassend sind. Dieser Prüfungspflicht komme bei den Rundfunkund Fernsehanstalten eine gesteigerte Bedeutung zu, weil die von ihnen ausgestrahlten Sendungen einen weitreichenden Einfluss auf die Meinungsbildung ausübten und die Empfänger der Sendung davon ausgingen, dass eine strenge Objektivität der Berichterstattung gewährleistet ist. Entspreche die Prüfung diesen Anforderungen nicht, sei der Vorwurf der Fahrlässigkeit begründet. Wer unterlasse, vor der öffentlichen Verbreitung erwerbsgefährdender Behauptungen eine gründliche, der Bedeutung der Sache entsprechende Prüfung durchzuführen, könne sich auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen mit Erfolg nicht berufen. Äußerungen der 1385 1386 1387 1388
RG v. 6.11.1903 – 4020/03, RGSt 36, 422. RG v. 20.3.1928 – I 963/27, RGSt 62, 83. BayObLG v. 27.10.1926 – I A 136/26, LZ 1927, 182. So im Ergebnis auch BGH v. 3.12.1985 – VI ZR 160/84, MDR 1986, 394 = AfP 1986, 47 = GRUR 1986, 330 – Warentest III. 1389 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 266/64, NJW 1966, 2010.
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Burkhardt/Peifer
V. Kreditgefährdung
Rz. 276 Kap. 5
Medien erfordern allerdings eine strengere Prüfung als Äußerungen Einzelner1390. In dem Maße, in dem man Laien auch Äußerungsprivilegien zuerkennt, muss man allerdings von ihnen zumindenst rudimentäre Prüfungen verlangen1391. Das in der Entscheidung „Teppichkehrmaschine“ enthaltene anfängliche Festhalten an dem 275 Haftungsausschluss auch bei Fahrlässigkeit und die hernach statuierte Prüfungspflicht, die der BGH mit der Türkol-Entscheidung bestätigt hat1392, bedeutet einen Widerspruch, mit dem sich der BGH bedauerlicherweise auch in der Entscheidung „Filmbesprechung“ nicht auseinandergesetzt hat1393. Dieser Widerspruch lässt sich nur lösen, wenn man anerkennt, dass ein Haftungsausschluss für fahrlässig unwahre Presse- und sonstige öffentliche Behauptungen mit § 824 Abs. 2 BGB offensichtlich nicht bezweckt ist, sondern dass er sich lediglich auf interne Äußerungen, insb. interne Auskünfte, bezieht1394. Dafür spricht schon der Wortlaut, nach dem die Haftung nur bei bestimmten „Mitteilungen“ entfällt. Unter diesen Mitteilungen sind nicht beliebige öffentliche Darstellungen zu verstehen, sondern allein interne Äußerungen und Informationen. Für diese Interpretation spricht außerdem, dass § 824 Abs. 2 BGB seine Entstehung insb. der Interessenvertretung der Auskunfteien verdankt, deren Tätigkeit notorisch in individuellen Auskünften besteht. Auch teleologische Gesichtspunkte sind anzuführen. Im internen Kreis, z.B. am Stammtisch, will man „frei von der Leber weg“ reden, eventuell auch schwadronieren können, ohne befürchten zu müssen, haftungsrechtlich in Anspruch genommen werden zu können. Bei internen Äußerungen lässt sich auch ein berechtigtes Interesse des Mitteilungsempfän- 276 gers vorstellen, den gegenwärtigen Wissensstand eines Informanten sofort und ohne Überprüfung auf eigenes Risiko zu erfahren. I.d.R. besteht eine individuelle Beziehung, so dass sich abschätzen lässt, was von der Mitteilung zu halten ist. Von einem Haftungsausschluss nach § 824 Abs. 2 BGB wäre auch im Schufa-Fall auszugehen gewesen1395, in dem es sich um die für sich betrachtet zutreffende Mitteilung der Schufa gehandelt hat, gegen W. in D., Y-Str. 11, sei Haftbefehl ergangen, aber unter Nennung der Konto-Nummer des gleichnamigen, allerdings in der B-Str. 45 wohnhaften Klägers, dem die Banken daraufhin Schwierigkeiten bereitet haben. Obschon sich die Schufa gegen die Verurteilung zur Unterlassung und zum Widerruf nicht gewandt hat, ist der BGH dennoch davon ausgegangen, die Mitteilung sei „nicht unwahr“ gewesen. In Wirklichkeit handelt es sich sozusagen um einen klassischen Fall des § 824 Abs. 2 BGB, der erweist, dass bei der hier vertretenen Auffassung der Haftungsausschluss in den Fällen erhalten bleibt, in denen es eines solchen bedarf. 1390 BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480 = NJW-RR 2010, 470 Rz. 61; BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 = CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 140 Rz. 26 – Sächsische Korruptionsaffäre; Diederichsen, AfP 2011, 113, 116. 1391 Schierbaum, Sorgfaltspflichten, 355 ff., 2016; Rahvar, Die Zukunft des deutschen Presserechts im Lichte konvergierender Medien, 2011, S. 70; anders LG Berlin v. 11.9.2008 – 27 O 823/08, LG Berlin v. 11.9.2008 – 27 O 829/08, MMR 2009, 62; bestätigt durch KG v. 29.1.2009 – 10 W 73/08, MMR 2009, 482: Übernahme einer ehrverletzenden Pressemeldung in private Website durch Laienprivileg gedeckt; LG Köln v. 11.5.2011 – 28 O 72/11, IPRB 2011, 250; weitgehend bestätigt durch OLG Köln v. 22.11.2011 – 15 U 91/11, CR 2012, 116 = ITRB 2012, 79 = MMR 2012, 197. 1392 BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621. 1393 BGH v. 20.12.1988 – VI ZR 95/88, MDR 1989, 438 = AfP 1989, 456 = GRUR 1989, 222, 224. 1394 Vgl. LG Stuttgart v. 23.5.1989 – 17 O 411/88, AfP 1989, 768 = NJW 1989, 2257, 2262. 1395 BGH v. 20.6.1978 – VI ZR 66/77, NJW 1978, 2151.
Burkhardt/Peifer 341
Kap. 5 Rz. 277 277
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Wie schon in den Vorauflagen vertreten, ist also zu unterscheiden zwischen öffentlichen Äußerungen, insb. solchen in den Medien einerseits und intern bleibenden Mitteilungen andererseits. Das aus § 824 Abs. 2 BGB folgende Haftungsprivileg genießen nur die letzteren. Damit erfolgt zugleich eine Synchronisation mit § 675 Abs. 2 BGB, nach dem für Schäden, die aus der Verfolgung eines Rates entstehen, grundsätzlich nicht gehaftet wird (Näheres Kap. 10 Rz. 264 ff.). Genausowenig wie der Empfänger eines Rates wegen darauf beruhender Schäden Ansprüche geltend machen kann, steht demjenigen ein Ersatzanspruch zu, der durch solche Äußerungen als außenstehender Dritter betroffen ist. Empfiehlt z.B. jemand einem Examenskandidaten, ein bestimmtes Buch nicht zu kaufen, weil es, wie er fahrlässigerweise fälschlich behauptet, Fehler enthalte, und fällt der Kandidat durch, weil er gerade die in dem Buch behandelten Probleme nicht gekannt hat, kann weder der Kandidat noch der Buchautor bzw. der Verleger Schadensersatz fordern. Wird demgegenüber in der Öffentlichkeit, speziell in den Medien, schuldhaft eine entsprechende unwahre Behauptung aufgestellt, z.B. die Authentizität der Memoiren Brünings sei nicht sichergestellt, wird eine nach § 824 Abs. 1 BGB etwa begründete Ersatzpflicht durch § 824 Abs. 2 BGB nicht ausgeschlossen1396. c) Keine Anwendung des § 193 StGB
278
Insb. wenn die Anwendung des § 824 Abs. 2 BGB auf leicht fahrlässige interne Mitteilungen beschränkt wird, ergibt sich die Frage, ob daneben § 193 StGB Anwendung finden kann. Richtiger Auffassung nach ist das zu verneinen, zumal § 824 Abs. 2 BGB gerade die Funktion des § 193 StGB im Zivilrecht übernehmen soll. § 193 StGB ist ein Fall des erlaubten Risikos (Kap. 6 Rz. 29)1397. Die Vorschrift greift ein, wenn sich eine Behauptung trotz sorgfältiger Recherchen dennoch nachträglich als unwahr erweist. § 193 StGB setzt also die sorgfältige Ausschöpfung der vorhandenen Erkenntnisquellen, d.h. Schuldlosigkeit, voraus. Damit ist ausgeschlossen, dass er im Rahmen des § 824 BGB praktisch wird. § 824 Abs. 1 BGB gewährt einen Ersatzanspruch nur bei mindestens fahrlässigem, also schuldhaftem Handeln. Ist diese Voraussetzung nachgewiesen, steht zugleich fest, dass die Interessenwahrnehmung, weil nicht schuldlos, keine Rechtfertigung durch § 193 StGB erfährt. Auch gegenüber einem aus §§ 824, 1004 BGB folgenden Unterlassungsanspruch kann § 193 StGB nicht praktisch werden. § 824 BGB setzt den Nachweis der Unwahrheit voraus. Nachgewiesen unwahre Behauptungen sind kein schützenswertes Gut und deswegen zu unterlassen. Daran vermag auch § 193 StGB nichts zu ändern1398. Entsprechendes gilt für Berichtigungsansprüche, weil sie unabhängig von der Rechtswidrigkeit der aufgestellten Behauptung gewährt werden (Näheres Kap. 13 Rz. 23)1399. Im Rahmen des § 824 BGB ist also keine Konstellation denkbar, bei der es auf die Anwendbarkeit des § 193 StGB ankommen könnte.
VI. Sittenwidrige Schädigung § 826 BGB Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatze des Schadens verpflichtet. 1396 BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, GRUR 1975, 89 – Brüning. 1397 BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621 – Türkol. 1398 BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621 – Türkol. 1399 BGH v. 12.1.1960 – I ZR 30/58, GRUR 1960, 500 – La chatte.
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Burkhardt/Peifer
VI. Sittenwidrige Schädigung
Rz. 283 Kap. 5
1. Sittenwidrige Handlung Der Tatbestand der sittenwidrigen Schädigung greift ein, wenn eine Handlung, die an sich 279 zulässig sein könnte, bei Würdigung der Gesamtumstände des Falles gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt1400. Damit enthält § 826 BGB eine wichtige Ergänzung der Vorschriften mit fest umrissenen Tatbeständen, insb. der §§ 823, 824 BGB. Für das Äußerungsrecht hat § 826 BGB nur noch geringe Bedeutung, weil das Persönlichkeitsrecht und das Recht am Unternehmen als offene Tatbestände angesehen werden, bei denen die zu missbilligende Art der Schädigung, also der Handlungsunwert, bereits auf der Tatbestandsebene mit berücksichtigt werden kann. Ob eine Handlungsweise gegen die guten Sitten verstößt, lässt sich nicht ein für allemal fest- 280 stellen. Das hängt von den jeweiligen Anschauungen ab1401. Maßgebend ist die jeweilige Anschauung der Allgemeinheit1402. Dabei ist ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen. In manchen Kreisen etwa herrschende, besonders laxe Anschauungen sind ebenso unbeachtlich wie eine besonders vornehme, von verfeinertem Anstandsgefühl geprägte Denkungsart1403. Ist die Handlung innerhalb eines abgegrenzten Volksteils vorgenommen worden, ist auf das Anstandsgefühl dieses speziellen Kreises Rücksicht zu nehmen. Das findet seine Grenze, wenn die in dem speziellen Kreis herrschenden Anschauungen von der Allgemeinheit als unsittlich empfunden werden1404. Der Maßstab ist ein objektiver. Soweit standesrechtliche Maßstäbe vorhanden sind, z.B. der Pressekodex des Deutschen 281 Presserates, erlangen diese über § 826 BGB nicht die Qualität von Haftungsnormen1405. Standeswidrigkeit ist nicht gleich Sittenwidrigkeit1406. Standesrechtliche Grundsätze können jedoch zu berücksichtigen sein, soweit sie Ausdruck einer vom Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden getragenen sittlichen Wertordnung sind. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn eine zugesicherte Vertraulichkeit für ein Gespräch ohne Grund gebrochen wird1407. Der deliktische Interessenschutz, den § 826 BGB gewähren kann, ist ebenso wie im Fall des 282 § 823 BGB gegenüber den mit der Veröffentlichung etwa verfolgten schutzwürdigen Belangen abzuwägen, und zwar unter Heranziehung aller Umstände, durch die die Spannungslage im konkreten Fall geprägt wird. Diese Abwägung steht unter dem Einfluss der Wertentscheidung, die das GG mit der Gewährleistung der Äußerungsfreiheit auch für das Zivilrecht verbindlich getroffen hat1408. Der Schädiger muss vorsätzlich gehandelt haben, d.h. die Art und Richtung der Schadens- 283 folgen vorausgesehen und gewollt oder jedenfalls billigend in Kauf genommen haben. Eine Absicht der Schädigung ist nicht erforderlich1409. Ebenso nicht erforderlich ist ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit. Es genügt die Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten als sit1400 1401 1402 1403 1404 1405 1406 1407
RG v. 11.4.1901 – VI 443/00, RGZ 48, 114. BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, BVerfGE 7, 198, 215 – Lüth. RG v. 13.3.1936 – RG Nr. 558 – V 184/35, RGZ 150, 1, 4 – GZS. BGH v. 9.7.1953 – IV ZR 242/52, BGHZ 10, 232. BGH v. 20.5.1960 – I ZR 93/59, NJW 1960, 1853. Löffler/Steffen, § 6 Rz. 241. BGH v. 7.12.1972 – VII ZR 235/71, BGHZ 60, 28, 32. BGH v. 10.3.1987 – VI ZR 244/85, MDR 1987, 748 = CR 1988, 390 = AfP 1987, 508 = NJW 1987, 2667 – Langemann; Verstoß gegen Nr. 5 Pressekodex. 1408 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, NJW 1981, 1089, 1090 – Der Aufmacher I. 1409 BGH v. 14.6.2000 – VIII ZR 218/99, MDR 2000, 1191 = NJW 2000, 2896.
Burkhardt/Peifer 343
Kap. 5 Rz. 284
Wortberichterstattung – die Tatbestände
tenwidrig erscheinen lassen1410. Auch wer sich dieser Kenntnis bewusst verschließt, handelt sittenwidrig1411. 2. Anwendungsfälle 284
Im Bereich des Äußerungsrechts kommt die Anwendung des § 826 BGB insb. gegenüber der Verbreitung wahrer Tatsachenbehauptungen in Betracht1412. Sittenwidrig kann es z.B. sein, ohne besonderen Anlass Tatsachen aus dem privaten Lebensbereich eines Menschen bekanntzugeben, wenn das in der Absicht geschieht, ihn durch die Verbreitung zu schädigen1413. Auch in sonstigen Fällen wird von Sittenwidrigkeit auszugehen sein, wenn der Zweck der Äußerung und ihre Verbreitung zu missbilligen, speziell wenn das Zweck-Mittel-Verhältnis als anstößig zu bezeichnen ist1414. Dies ist jedoch bei der Veröffentlichung rechtswidrig beschaffter Informationen, die der Presse zugespielt werden, ohne dass diese selbst an dem Rechtsoder Vertrauensbruch beteiligt ist, nicht der Fall1415. Auch eine intensive Pressekampagne, die das Intimleben des Betroffenen anlässlich einer Gerichtsberichterstattung betraf, wurde in der Rechtsprechung noch nicht als sittenwidrige vorsätzliche Schädigung angesehen1416.
285
Im Wallraff-Fall hat der BGH die Anwendung des § 826 BGB erwogen1417, weil Streitgegenstand Behauptungen waren, die Wallraff auf Grundlage des „Einschleichjournalismus“ aufgestellt hatte. Im Ergebnis hat er aber diese Norm nicht durchgreifen lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat das Zweck-Mittel-Verhältnis anders beurteilt und den Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils an den BGH zurückverwiesen1418.
286
Das Zweck-Mittel-Verhältnis ist auch zu beanstanden, wenn die Publikation erfolgt, um einer Schweigegeldforderung Nachdruck zu verleihen. Hat jemand eine Methode entwickelt, nach der Heizkörpermessgeräte sich zugunsten des Benutzers verändern lassen, ist die Verbreitung in der Publikumspresse unzulässig, weil die Methode im Zweifel zu Betrugsmanövern missbraucht wird. Von Unzulässigkeit ist insb. auszugehen, wenn der Hersteller der Messgeräte die Zahlung eines Schweigegeldes verweigert hat. Wurde das Angebot eines Sachverständigen zum Erwerb eines entlastenden Gutachtens in einem Strafverfahren von dem Beschuldigten abgelehnt und bietet der Sachverständige sodann dem Beschuldigten ein umgearbeitetes Gutachten als Belastungsgutachten an, das er für den Fall, der Beschuldigte erwerbe es, nicht der Staatsanwaltschaft zuleitet, liegt ebenso ein Verstoß gegen die guten Sitten vor.
287
Eine sittenwidrige Absicht kann sich auch daraus ergeben, dass der Behauptende Kritik immer nur an ein- und demselben übt, besonders wenn er seine Kritik nicht oder nicht nur öffentlich verbreitet, sondern durch Rundschreiben usw. gezielt bei den Kreisen platziert, die für den Betroffenen von besonderer Bedeutung sind, um auf diese Weise eine möglichst 1410 BGH v. 15.5.1979 – VI ZR 230/79, BGHZ 74, 281. 1411 BGH v. 27.1.1994 – I ZR 326/91, MDR 1994, 766 = NJW 1994, 2289. 1412 BGH v. 23.10.1979 – VI ZR 230/77, MDR 1980, 300 = NJW 1980, 881, 882 – Vermögensverwaltung. 1413 BGH v. 20.3.1954 – VI ZR 6/53, BB 1954, 360. 1414 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741, 1743 – Der Aufmacher. 1415 BGH v. 19.12.1978 – VI ZR 137/77, NJW 1979, 647 – Kohl/Biedenkopf; v. 10.3.1987 – VI ZR 244/85, MDR 1987, 748 = CR 1988, 390 = AfP 1987, 508 = NJW 1987, 2667 – Langemann. 1416 OLG Köln v. 12.7.2016 – 15 U 175/15. 1417 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, NJW 1981, 1089 – Der Aufmacher I. 1418 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741.
344
Burkhardt/Peifer
VI. Sittenwidrige Schädigung
Rz. 289 Kap. 5
nachhaltige Schädigung zu erreichen. Sittenwidrig kann eine derartige Schädigung vornehmlich sein, wenn sie als Reaktion darauf erfolgt, dass der Betroffene, z.B. eine Verbraucherorganisation, wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche gegen den Behauptenden durchgesetzt hat. Solche Schädigungen sind durch Art. 5 GG nicht gedeckt. Würde der Rechtsschutz gegenüber derartigen Angriffen verweigert, geriete praktisch jedermann in Gefahr, von bestimmter Seite als missliebig eingestuft und allein auf Grund zu missbilligender subjektiver Erwägungen ständigen Attacken ausgesetzt zu sein. Dies hätte eine Aushöhlung der Rechtsordnung zur Folge, weil niemand mehr wagen könnte, berechtigte Ansprüche und Anliegen der Allgemeinheit durchzusetzen, ohne unter dem Deckmantel der Äußerungsfreiheit geführte, sich eventuell ständig wiederholende Diskriminierungen befürchten zu müssen. Die zu missbilligende Schädigungsabsicht kann sich auch aus der Form der Kritik ergeben. 288 Zu denken ist an in plakativer Weise verbreitete Aufrufe, insb. an Boykottaufrufe (Näheres Kap. 10 Rz. 133), ferner an die Verbreitung von vermeintlichen Fragen, die negative Assoziationen wecken sollen. Des Weiteren kann der Zeitpunkt der Publikation von Bedeutung sein. Ist dem Kritiker der Sachverhalt seit Langem bekannt und bringt er ihn gerade in dem Zeitpunkt vor, in dem dies für den Betroffenen besonders nachteilig ist, kann sich daraus ebenfalls ein Missbrauch ergeben. Unabhängig davon kann die Wiederholung, speziell eine mehrfache oder ständige Wiederholung ein- und desselben Sachverhaltes, zu missbilligen sein, wenn der Zweck nur darin besteht, den Betroffenen durch immer erneutes Aufwärmen längst erledigter Vorgänge aus eigensüchtigen Motiven in Misskredit zu bringen. Überdies kann sich die Sittenwidrigkeit der Verbreitung von Äußerungen aus der zu beanstandenden Art der Tatsachenermittlung ergeben. Grundsätzlich kommt es zwar nur auf den Inhalt und die Form der Äußerung sowie auf ihre Verbreitungsart an, nicht darauf, in welcher Weise der Behauptende vom mitgeteilten Sachverhalt Kenntnis erlangt hat. Das gilt aber nicht uneingeschränkt. Die Art des Recherchierens kann die Publikation auch ihrerseits als anstößig erscheinen lassen, z.B. wenn der Sachverhalt auf strafbare oder sonst zu beanstandende Weise ermittelt ist (Näheres Kap. 10 Rz. 18 ff.). Auch Äußerungen eines Sachverständigen können unter dem Blickwinkel des § 826 BGB 289 zu sehen sein, wenn die Unrichtigkeit auf grober Fahrlässigkeit beruht und der Sachverständige mit einer Rechts- oder Rechtsgutsverletzung oder einer sonstigen Schädigung gerechnet und diese billigend in Kauf genommen hat1419. In den Schutzbereich eines Sachverständigenauftrages kann auch der künftige Vertragspartner des Auftraggebers einbezogen werden und daher berechtigt sein, Ansprüche gegen den Sachverständigen geltend zu machen1420. Die Haftung der gerichtlichen Sachverständigen richtet sich seit dem 1.8.2002 nach § 839a BGB, der für diese eine abschließende Regelung trifft. Danach haftet ein gerichtlicher Sachverständiger für Schäden, die einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entstehen, die auf einem vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen Gutachten beruhen. Zu beachten ist jedoch der durch Verweisung auf § 839 Abs. 3 BGB eingefügte Haftungsausschluss für den Fall, dass der Verletzte es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden1421.
1419 BGH v. 18.12.1973 – VI ZR 113/71, NJW 1974, 312, 315; v. 24.9.1991 – VI ZR 293/90, MDR 1991, 1138 = NJW 1991, 3282 – Bodenwertgutachten; OLG Frankfurt v. 30.9.2015 – 4 U 67/15. 1420 BGH v. 9.7.2002 – X ZR 244/00, NJW-RR 2002, 1528. 1421 Näheres Wagner, NJW 2002, 2061.
Burkhardt/Peifer 345
Kap. 5 Rz. 290 290
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Ausnahmsweise kann auch das Verschweigen wesentlicher Umstände zu einer sittenwidrigen Schädigung führen, soweit eine Aufklärungspflicht besteht1422. In der heutigen Gerichtspraxis des Äußerungsrechts spielt § 826 BGB nur noch eine Rolle, wenn bewusst fehlerhafte Informationen zu wirtschaftlichen Sachverhalten, insb. zu Fragen der Geldanlage verbreitet werden1423, etwa durch Abgabe von unrichtigen Garantieversprechen1424. Die besondere Verwerflichkeit des Handelns kann nicht allein aus der Verletzung von vertraglichen oder gesetzlichen Aufklärungspflichten geschlossen werden1425. Ausnahmsweise kann eine solche Informationshaftung auch die Presse treffen, wenn sie wissentlich unrichtige Informationen gegenüber Kapitalanlegern verbreitet1426.
VII. Amtspflichtverletzung § 839 Abs. 1 BGB Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
291
Jeder Beamte ist verpflichtet, sich bei der Amtsausübung aller Eingriffe in fremde Rechte zu enthalten. Verwirklicht ein Beamter in Ausübung seines öffentlichen Amtes den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB, verletzt er dadurch zugleich eine ihm gegenüber dem Träger des Rechtes oder Rechtsgutes obliegende Amtspflicht1427. Das gilt auch im Falle einer Persönlichkeitsoder Ehrverletzung1428. Deswegen kommt auch in solchen Fällen ein Anspruch nach § 839 BGB in Betracht. Z.B. können kränkende Veröffentlichungen der Staatsanwaltschaft während eines Ermittlungsverfahrens eine Amtspflichtverletzung bedeuten1429, ebenso eine von einem Behördenleiter herausgegebene „interne Information“, wenn sie rufschädigende Äußerungen enthält1430. Auch die Weitergabe eines BKA-Berichtes an Unbefugte kann als Amtspflichtverletzung zu werten sein, wenn er ungesicherte Erkenntnisse enthält, die sich nicht bestätigen1431, die Bespitzelung eines Journalisten durch einen BKA-V-Mann kann einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen Amtspflichtverletzung begründen1432. Amtspflichtverletzung kann ein öffentliches Fahndungsersuchen der Polizei sein, wenn die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, wobei insb. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist (Kap. 10
1422 OLG Hamm v. 15.6.1998 – 6 W 24/97, MDR 1999, 42. 1423 BGH v. 19.11.2013 – VI ZR 336/12, MDR 2014, 85 = NJW 2014, 383 m. Anm. Meixner/Schröder. 1424 BGH v. 20.11.2012 – VI ZR 268/11, MDR 2013, 87 = NJW-RR 2013, 550. 1425 BGH v. 15.10.2013 – VI ZR 124/12, MDR 2014, 88 = NJW 2014, 1380. 1426 LG Essen v. 5.5.2011 – 4 O 244/09; vgl. aber auch OLG Braunschweig v. 12.1.2016 – 7 U 59/14, NJW-RR 2016, 625: Pressemitteilung erfüllt nicht die Anforderungen einer Insiderinformation oder Ad-Hoc-Mitteilung. 1427 BGH v. 16.6.1977 – III ZR 179/75, BGHZ 69, 128 = NJW 1977, 1875. 1428 BGH v. 25.9.1980 – III ZR 74/78, MDR 1981, 388 = NJW 1981, 675 – Scientology. 1429 BGH v. 29.5.1958 – III ZR 38/57, BGHZ 27, 338; Blomeyer, JZ 1970, 715; Steffen, DRiZ 1972, 153. 1430 BGH v. 23.9.1976 – III ZR 119/74, MDR 1977, 206. 1431 BGH v. 25.9.1980 – III ZR 74/78, MDR 1981, 388 = NJW 1981, 675, 677. 1432 LG Berlin v. 2.12.2009 – 23 O 68/09, AfP 2010, 284.
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Burkhardt/Peifer
VII. Amtspflichtverletzung
Rz. 292 Kap. 5
Rz. 172 ff.)1433. Eine Amtspflichtverletzung kann auch in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft gegenüber der Presse über ein Ermittlungsverfahren unter Nennung des Namens und Berufs des Beschuldigten1434 bzw. auf entsprechende Nachfrage in einer solchen Bestätigung liegen, ebenso die unterlassene Mitteilung einer Verfahrenseinstellung wegen Verjährung, nachdem über die Wiederaufnahme des Verfahrens berichtet worden war1435. Unzulässig ist die Eröffnung des Diskussionsforums im Internet zur Aufklärung eines Kapitalverbrechens1436 sowie die Übermittlung eines Fotos nebst Namen eines Verdächtigen, gegen den wegen Kindesmissbrauchs ermittelt wird, an Schulen1437. Auch die vorverurteilende Information der Öffentlichkeit, etwa durch Hinweise, es werde auch wegen „erkauften Sinneswandels“ ermittelt, ist persönlichkeitsrechtsverletzend1438. Führt die darauf beruhende öffentliche Berichterstattung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen, kommt auch ein Anspruch auf Schmerzensgeld (Geldentschädigung) in Betracht1439. Äußerungen gerichtlich beauftragter Sachverständiger lösen keinen Anspruch nach § 839 BGB aus, weil ein Sachverständiger keine öffentliche Gewalt ausübt1440. Deren Haftung ist seit dem 1.8.2002 in § 839a BGB geregelt1441. Jedoch soll ein Sektenbeauftragter einer öffentlich-rechtlich korporierten Religionsgemeinschaft, der sich in Wahrnehmung kirchlicher Aufgaben in den Medien äußert, in Ausübung eines öffentlichen Amtes i.S.v. Art. 34 GG handeln. Seine Äußerungen sollen daher Amtshaftungsansprüche auslösen können1442. Amtshaftungsansprüche resultieren auch aus rechtswidrigen richterlichen oder staatsanwaltlichen Anordnungen, etwa Durchsuchungen1443. „Mobbing“ gegen Mitarbeiter von Behörden kann auch zu Amtshaftungsansprüchen führen1444. Zu den ersatzpflichtigen materiellen Schäden können auch Aufwendungen für im Ergebnis 292 erfolglose Prozesse gehören, wenn der Kläger die Rechtsstreitigkeiten nach Lage der Dinge verständigerweise für erforderlich halten durfte. Ebenso kann Ersatz für schadensmindernde Aufwendungen gefordert werden, z.B. Ersatz der Kosten für berichtigende Darstellungen und
1433 OLG Hamburg v. 2.11.1978 – 3 U 120/78, NJW 1980, 842; OLG Hamm v. 15.7.1992 – 11 U 88/92, NJW 1993, 1209. 1434 LG Wiesbaden v. 3.6.2015 – 10 O 80/12, NJW 2015, 2975 m. Anm. Huff. 1435 LG Karlsruhe v. 8.8.2006 – 2 O 564/05, NJOZ 2007, 91. 1436 OLG Celle v. 19.6.2007 – 16 U 2/07, CR 2008, 123 = ITRB 2008, 100 = MMR 2008, 180. 1437 OLG Brandenburg v. 16.10.2014 – 2 W 2/14, NJW-RR 2015, 239. 1438 OLG Düsseldorf v. 27.4.2005 – I-15 U 98/03, AfP 2005, 375 = NJW 2005, 1791 – Fall Mannesmann/Vodafone; dazu Anm. v. Lorz, NJW 2005, 2657 und zur Vorinstanz LG Düsseldorf v. 30.4.2003 – 2 b O 182/02, NJW 2003, 2536; Anm. v. Becker-Toussaint, NJW 2004, 414; Lorz/ Bosch, AfP 2005, 97; vgl. zur vorverurteilenden Information der Öffentlichkeit auch LG Frankfurt. v. 7.3.2011 – 2-04 O 584/09, IÖS 2011, 284. 1439 BGH v. 17.3.1994 – III ZR 15/93, MDR 1994, 773 = AfP 1994, 142 = NJW 1994, 1950; OLG Düsseldorf v. 27.4.2005 – I-15 U 98/03, AfP 2005, 375 = NJW 2005, 1791 – Fall Mannesmann/ Vodafone: 5.000 Euro. 1440 BGH v. 5.10.1972 – III ZR 168/70, NJW 1973, 554. 1441 Dazu Wagner, NJW 2002, 2061; OLG Koblenz v. 14.7.2006 – 10 U 1685/05, DS 2007, 193; Volze, DS 2011, 201. 1442 BGH v. 20.2.2003 – III ZR 224/01, AfP 2003, 326 = MDR 2003, 809 = NJW 2003, 1308; dazu Wilms, NJW 2003, 2070; Wißmann, NJW 2003, 3455; Ehlers, JZ 2004, 196; Thiel, JR 2004, 148. 1443 OLG München v. 27.11.2014 – 1 U 781/13, AfP 2015, 151. 1444 BGH v. 1.8.2002 – III ZR 277/01, MDR 2002, 1368 = NJW 2002, 3172; v. 30.6.2016 – III ZR 316/15, NVwZ-RR 2016, 917.
Burkhardt/Peifer 347
Kap. 5 Rz. 293
Wortberichterstattung – die Tatbestände
Gegenerklärungen1445. Des Weiteren kann ein Amtshaftungsanspruch die Zahlung einer Entschädigung in Geld für immaterielle Nachteile zum Gegenstand haben1446. Ein Schadensersatz kann entfallen, wenn eine persönlichkeitsrechtsverletzende Berichterstattung durch eine unmittelbar nachfolgende Information entkräftet wird1447. 293
Auch wenn die Rechtsverletzung nur fahrlässig begangen ist, kann der Verletzte nicht ohne Weiteres nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB auf Ersatzansprüche gegen Publikationsorgane verwiesen werden, wenn diese die beeinträchtigende Darstellung verbreitet und den Schaden dadurch vergrößert bzw. im eigentlichen Sinne erst bewirkt haben. Der Geschädigte hat ein Recht auf alsbaldigen Ersatz, weswegen ihm ein im Ergebnis unsicheres und zweifelhaftes Vorgehen gegen Dritte nicht angesonnen werden kann. Auf einen möglichen Anspruch gegen Publikationsorgane kann der Geschädigte folglich nicht verwiesen werden, wenn diese sich eventuell auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen oder auf fehlendes Verschulden berufen können, weil sie nur berichtet hätten, was amtlicherseits mitgeteilt worden ist1448.
294
Hat der Beamte in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt, so tritt anstelle der Beamtenhaftung die Staatshaftung gemäß Art. 34 GG. Die persönliche Haftung des Beamten gegenüber dem Verletzten entfällt. War der Beamte auf privatrechtlicher Ebene tätig, so haftet neben dem Beamten persönlich die Anstellungskörperschaft für die unerlaubte Handlung nach §§ 89, 30, 31, 831 BGB. Hat der Beamte nur fahrlässig gehandelt, so kann er sich gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB darauf berufen, dass gerade die Anstellungskörperschaft ein anderer Ersatzpflichtiger ist, und den Geschädigten darauf verweisen1449.
1445 BGH v. 15.11.1977 – VI ZR 101/76, BGHZ 70, 39 = NJW 1978, 210; v. 25.9.1980 – III ZR 74/78, MDR 1981, 388 = NJW 1981, 675, 676. 1446 BGH v. 25.9.1980 – III ZR 74/78, MDR 1981, 388 = NJW 1981, 675, 676; v. 17.3.1994 – III ZR 15/93, MDR 1994, 773 = AfP 1994, 142 = NJW 1994, 1950; OLG Hamburg v. 2.11.1978 – 3 U 120/78, NJW 1980, 842. 1447 OLG Frankfurt v. 14.7.2014 – 1 U 156/12, NJW-RR 2015, 102; Vorinstanz LG Wiesbaden v. 10.5.2012 – 9 O 395/11. 1448 BGH v. 25.9.1980 – III ZR 74/78, MDR 1981, 388 = NJW 1981, 675, 676 – Scientology. 1449 OLG Köln v. 11.1.1990 – 7 U 127/89, VersR 1990, 898.
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Burkhardt/Peifer
6. Kapitel Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden d) Situation der Beteiligten . . . . . . . . . e) Wahrheit und Unwahrheit . . . . . . .
69 72
4. Mittel der Interessenwahrnehmung . a) Problem des schonendsten Mittels . b) Problem des notwendigen Mittels . c) Problem des angemessenen Mittels d) Sachlichkeit der Darstellung . . . . . .
76 77 80 81 82
10 10
5. Absicht der Interessenwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
12 12 14 15 17 19 21
IV. Sonstige Rechtfertigungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
1. Sonstige Rechtfertigungsgründe des § 193 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
2. Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
3. Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Allgemeines Haftungskonzept . . . . . .
2
1. Erfolgs- und Verhaltensunrecht. . . . .
2
2. Rechtswidrigkeit bei offenen Tatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
3. Ausstrahlungswirkung des Art. 5 Abs. 1 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Leitgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsäußerungen . . . . . . . bb) Tatsachenbehauptungen. . . . . . cc) Zweck der Äußerung . . . . . . . . dd) Form der Äußerung . . . . . . . . . ee) Angewandtes Mittel . . . . . . . . . c) Recht auf Gegenschlag . . . . . . . . . . . III. Wahrnehmung berechtigter Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anerkennung des § 193 StGB als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . a) Interessenkollision und erlaubtes Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verkehrsrichtiges Verhalten . . . . . . . 2. Zu beachtende Interessen . . . . . . . . . . a) Verletzte Interessen . . . . . . . . . . . . . b) Wahrgenommene Interessen . . . . . . aa) Erheblichkeit der wahrgenommenen Interessen . . . . . . . bb) Wahrnehmung eigener und fremder Interessen . . . . . . . . . . cc) Problem einer Sonderlegitimation der Presse. . . . . . . . . . dd) Bedeutung der öffentlichen Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wahrnehmung von Informationsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundsätze der Interessenabwägung a) Sachlichkeit des Informationsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Intensität des Informationsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anlass der Berichterstattung . . . . . .
27 28 29 34 38 39 41 42 43 46 54 56 61 62 65 66
1. Allgemeine Verschuldensvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verschuldensbegriff . . . . . . . . . . . . . b) Handlungsunwert . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . c) Vorwerfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zurechnungsfähigkeit . . . . . . . bb) Bewusstsein der Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schuldausschließungsgründe . . . . .
98 98 101 102 104 106 107 108 109
2. Journalistische Sorgfaltspflicht . . . . . a) Maßstab der Sorgfaltspflicht . . . . . . aa) Erforderliche Sorgfalt . . . . . . . . bb) Sorgfaltspflicht und öffentliche Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . b) Sorgfaltsanforderungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wahrheit und Richtigkeit. . . . . (1) Eigene Berichte . . . . . . . . . (2) Übernommene Meldungen bb) Vollständigkeit . . . . . . . . . . . . . cc) Kunstkritik . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Güterabwägung . . . . . . . . . . . .
110 117 117
127 128 129 134 139 147 151
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Kap. 6 Rz. 1
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
I. Einführung 1
Eine Forderung auf Unterlassung, Beseitigung oder Schadensersatz setzt grundsätzlich voraus, dass eine einfach-rechtliche Norm tatbestandlich erfüllt ist und die Äußerung rechtswidrig, eventuell auch schuldhaft war. Dabei ist die Frage nach der Rechtswidrigkeit im Allgemeinen die letztlich entscheidende. Diese Entscheidung ist um so schwieriger zu treffen, als die grundrechtliche Garantie der Äußerungsfreiheit zu beachten ist, die allerdings nur in den Schranken der allgemeinen Gesetze, der Gesetze zum Schutze der Jugend und des Rechts der persönlichen Ehre gilt, wobei aber nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zwischen dem Grundrechtsschutz und den einfachrechtlichen Normen eine Wechselwirkung besteht1. Überdies tritt der grundrechtliche Persönlichkeitsschutz hinzu, dem der gleiche Rang zukommt wie der Äußerungsfreiheit2. Praktisch hat das zu einer Verflechtung der zivilrechtlichen Ebene mit der verfassungsrechtlichen geführt. Der Vorrang des Verfassungsrechts und der starke Einfluss, der von ihm ausgeht, darf aber nicht zu dem Missverständnis verleiten, zivilrechtliche Instrumente wie z.B. der Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen seien außer Kraft gesetzt3. Die Benutzung auch dieser Instrumente erübrigt sich nicht. Es bedarf im Gegenteil ihrer umso sorgfältigeren Handhabung, um erst gar nicht in die Nähe eines Konfliktes mit der Verfassung zu geraten. Geschieht das, könnte der Blick auf Art. 5 GG im Laufe der Zeit weniger häufig erforderlich und wieder deutlicher werden, dass es nicht das Verfassungs-, sondern das Zivilrecht ist, das die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander regelt. Unbeschadet des grundrechtlichen Einflusses ist das Zivilrecht eine eigenständige Materie, die die Entwicklung eines Systems ermöglicht, das auch in verfassungsrechtlicher Sicht tragfähig ist. Diese Entwicklung zu fördern ist gerade im Hinblick auf die Fülle verfassungsgerichtlicher Entscheidungen der jüngsten Zeit aber erstrebenswert. Der Ansatz dazu muss ganz besonders bei der Rechtswidrigkeitsproblematik gesucht werden.
II. Allgemeines Haftungskonzept 1. Erfolgs- und Verhaltensunrecht 2
Ob die Verletzung eines fremden Rechtsgutes, z.B. des Persönlichkeitsrechts, als rechtswidrig zu bezeichnen ist, lässt sich von dem vom Störer verursachten Erfolg, aber auch von seiner Verhaltensweise abhängig machen. Diese gegensätzlichen Möglichkeiten finden ihren Niederschlag in der unterschiedlichen Strukturierung des § 823 Abs. 1 BGB einerseits und des § 826 BGB andererseits. § 823 BGB liegt ein erfolgsorientiertes Konzept zugrunde4. § 826 BGB stellt auf die Handlung ab. Die Frage ist, ob das § 823 BGB zugrunde liegende Prinzip des Erfolgsunrechts einschränkungslos zu verwirklichen ist. Grundsätzlich in Frage stellen das die Finalisten, die als Ansatz für das Rechtswidrigkeitsurteil generell nicht das Ergebnis des Verhaltens, sondern nur den Vollzug der Handlung als möglich erachten5. Die Rechtsprechung ist dieser Betrachtung nicht gefolgt. Bei Verletzungen der in § 823 genannten Schutzgüter geht sie dem Grundsatz nach weiter vom Erfolgsunrecht aus. Danach ist die Verletzung eines geschützten Rechtsgutes rechtswidrig, falls kein vom Schädiger nachzuweisender Rechtfertigungsgrund eingreift. Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit6. Allerdings hat die 1 2 3 4 5 6
BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257 – Lüth. BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226 – Lebach I. BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677 – DGB. BGH v. 12.7.1996 – V ZR 280/94, MDR 1996, 1115 = NJW 1996, 3205. U.a. Welzel, NJW 1968, 425. Std. Rspr., vgl. u.a. BGHZ 39, 103, 108; BGH, NJW 1978, 2028.
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II. Allgemeines Haftungskonzept
Rz. 5 Kap. 6
Rechtsprechung sich zu bemerkenswerten Einschränkungen gezwungen gesehen, die auch für das Äußerungsrecht von Bedeutung sind. Eine der Einschränkungen ist der vom Großen Senat in Zivilsachen in seinem Beschluss 3 vom 4.3.1957 aufgestellte Rechtssatz7, dass im Bereich des Straßen- und Eisenbahnverkehrs trotz verursachter Schädigung rechtswidriges Verhalten nicht vorliege, wenn der Störer sich verkehrsrichtig verhalten hat. Zur Begründung führt der Große Senat in Zivilsachen aus, indem die Rechtsordnung den gefahrvollen Verkehr zulasse und den Teilnehmern im Einzelnen vorschreibe, wie sie ihr Verhalten einzurichten haben, spreche sie auch aus, dass sich ein Verhalten unter Beachtung dieser Vorschriften im Rahmen des Rechts halte. Es gehe nicht an, ein Verkehrsverhalten, das den Ge- und Verboten der Rechtsordnung Rechnung trägt, trotzdem mit dem negativen Werturteil der Rechtswidrigkeit zu versehen. Der eingetretene Erfolg gebe dafür keine ausreichende Grundlage8. Bereits in den Vorauflagen ist unter dem Stichwort „subjektive Rechtfertigung“ die Auffas- 4 sung vertreten worden, dass dieser Rechtssatz der Anwendung auch im Bereich des Äußerungsrechts bedürfe. Beachtet der Mitteilende bei seiner Äußerung alle Sorgfaltsregeln, lässt sie sich nicht als rechtswidrig bezeichnen, wenn sich im Nachhinein ein Sachverhalt herausstellt, bei dem die Darstellung oder Bewertung nicht aufrechtzuerhalten ist. Seit der erstmaligen Anerkennung der Rechtmäßigkeit einer Äußerung aufgrund verkehrsrichtigen Verhaltens in der Schutzgemeinschafts-Entscheidung9 bedurfte es noch einiger Zeit, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass das Prinzip des Erfolgsunrechts auch bei Äußerungen nicht voll durchzuhalten, sondern eine Äußerung als rechtmäßig zu behandeln ist, wenn der Mitteilende alle Sorgfaltsregeln beachtet hat. Inzwischen hat sich dieser Rechtssatz auch im Äußerungsrecht durchzusetzen vermocht10. Als „subjektive Rechtfertigung“ richtet sich der Umfang der Sorgfaltspflichten nach den 5 Aufklärungsmöglichkeiten des einzelnen. Medien unterliegen i.d.R. strengeren Anforderungen als Privatleute11. Die Anforderungen an die Sorgfalts- und Wahrheitspflichten dürfen jedoch nicht überspannt werden. Durch sie darf der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützte freie Kommunikationsprozess nicht eingeschnürt werden12.
7 BGHZ 24, 21. 8 Zustimmend u.a. Nipperdey, NJW 1957, 1777; Stoll, JZ 1958, 137; ablehnend u.a. Bettermann, NJW 1957, 986; R. Schmidt, NJW 1958, 488. 9 BGH v. 20.6.1978 – VI ZR 66/77, NJW 1978, 2151. 10 Vgl. nur BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein; v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, NJW-RR 2000, 1209, 1210; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 Rz. 21 – Doping in der DDR; BGH v. 20.6.1978 – VI ZR 66/77, NJW 1978, 2151; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131 – Lohnkiller; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 – Organentnahme. 11 BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein; v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, AfP 2000, 272 = NJW-RR 2000, 1209 – Sorgfaltspflicht; BGH, NJW 1978, 2225, 2226; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131 – Lohnkiller. 12 BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein; v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, AfP 2000, 272 = NJW-RR 2000, 1209, 1210 – Sorgfaltspflicht; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 Rz. 21 – Doping in der DDR; BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 – Organentnahme.
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Kap. 6 Rz. 6
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
2. Rechtswidrigkeit bei offenen Tatbeständen 6
Zu einer parallelen Rechtswidrigkeitsproblematik haben die sog. offenen Tatbestände geführt, also das für das Äußerungsrecht besonders bedeutsame Persönlichkeitsrecht und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Die Besonderheit dieser Tatbestände, insbesondere des Persönlichkeitsrechts, besteht darin, dass sie nicht in so starkem Maße abgegrenzt sind wie die sonstigen Rechts- und Lebensgüter des § 823 Abs. 1 BGB. Sie haben im Gegenteil eine generalklauselartige Weite13. Die generalklauselartige Weite braucht nicht zu hindern, die Rechtswidrigkeit dennoch aus der Tatbestandsmäßigkeit folgen zu lassen. Ermöglichen ließe sich das durch Herausbildung fassbarer tatbestandlicher Merkmale. Dafür sind in der Literatur zahlreiche Stimmen eingetreten14. Auch der Entwurf eines Ehrenschutzgesetzes aus dem Jahre 1959 hat tatbestandlich umschriebene Fälle enthalten, zusätzlich aber auch eine Generalklausel.
7
Die Rechtsprechung hat anfänglich geschwankt, sich jedenfalls zunächst nicht eindeutig festgelegt. Inzwischen geht sie unter dem Einfluss des Bundesverfassungsgerichts mit aller Eindeutigkeit davon aus, dass ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht oder das Recht am Unternehmen nicht schon für sich betrachtet rechtswidrig ist. Über die Rechtswidrigkeit wird erst aufgrund einer situationsbezogenen Güter- und Interessenabwägung entschieden. Rechtswidrig ist nur eine zu missbilligende Art der Schädigung15. Dementsprechend wird gefragt, ob eine Kritik so schwer wiegt, dass das Interesse des Beklagten an freier Rede dem Persönlichkeitsrecht des Klägers zu weichen hat16. Hierbei wird davon ausgegangen, dass derjenige, der sich öffentlich zu Wort meldet, grundsätzlich das Recht der freien Meinungsäußerung für sich habe17. Das gilt speziell, wenn der Betroffene den Kritiker herausgefordert hat, sei es durch einen auf den Kritiker gerichteten Angriff, sei es durch sein öffentliches Auftreten (zum Recht auf Gegenschlag vgl. Rz. 21 ff.)18. Kritische Bemerkungen wie etwa, jemand habe sich „merkwürdiger Transaktionen“ bedient, werden deswegen als grundsätzlich zulässig betrachtet19. Das gilt auch, wenn dem Leser oder Hörer keine Tatsachen an die Hand gegeben werden, die ihn befähigen, die Wertung kritisch nachzuvollziehen20. Ebenso wenig wird verlangt, dass die Äußerung für das Erreichen des vom Kritiker beabsichtigten Zweckes objektiv erforderlich war21. Insbesondere setzt die Zulässigkeit nicht voraus, dass die Darstellung dem Gedanken des audiatur et altera pars Rechnung trägt. Einseitigkeit einer Darstellung ist mit Unzulässigkeit nicht notwendig gleichzusetzen. Der Gedanke des audiatur et altera pars hat 13 Vgl. u.a. Hubmann, JZ 1957, 521, 524; Koebel, JZ 1959, 276; Weitnauer, BB 1959, 45. 14 U.a. Bussmann, Gutachten zum 42. DJT 1957, Bd. 1 S. 69; Neumann-Duesberg, NJW 1957, 1276; Nipperdey, Ufita 30/1960, l. 15 Std. Rspr.; zum Persönlichkeitsrecht vgl. BVerfG v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 Rz. 21 – Doping in der DDR; BGHZ 45, 296, 307; BGHZ 50, 133, 143; BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 – Organentnahme; zum Recht am Unternehmen vgl. BGHZ 36, 252, 256; BGH v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9, 14; v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, AfP 2016, 248 – Nerzquäler; OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450 – Heimliche Filmaufnahmen; vgl. EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 – von Hannover/Deutschland II. 16 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 – Panorama. 17 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617 – Höllenfeuer. 18 BVerfG v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13, AfP 2016, 240, 242 – Fall Kachelmann; BGH v. 18.5.1971 – IV ZR 220/69, GRUR 1971, 591 – Sabotage. 19 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 – Panorama. 20 BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762. 21 BGH v. 9.11.1971 – VI ZR 57/70, GRUR 1972, 435 – Grundstücksgesellschaft.
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II. Allgemeines Haftungskonzept
Rz. 8 Kap. 6
seinen Platz im Gegendarstellungsrecht (vgl. Kap. 11 Rz. 3 und 19). Schon gar nicht kann Ausgewogenheit verlangt werden. Die Zulässigkeitsgrenzen sind überschritten, wenn die streitige Darstellung die Menschen- 8 würde des anderen antastet oder als Schmähkritik zu bezeichnen ist22. Im Falle einer Schmähkritik ist der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht unzulässig23, ebenso der Eingriff in das Recht am Unternehmen24. Die bloße Einprägsamkeit und Stärke der Sprache führt noch nicht zur Annahme einer Schmähkritik. Davon ist aber auszugehen, wenn die Äußerung formalbeleidigend ist. Dabei trifft den Richter die Pflicht, im Einzelfalle abzuwägen, was nach Sachlage als Schmähkritik oder aufgrund des noch vorhandenen Sachbezugs als ausfallende, aber noch zulässige Kritik empfunden werden muss. Diese Pflicht setzt vor allem bei Ausdrücken ein, die wegen ihres spezifisch abwertenden Charakters im gegebenen Zusammenhang als Schimpfwörter empfunden werden können25. Als unzulässige Beschimpfung dieser Art ist beispielsweise die Bezeichnung eines Publikumsorgans als „rechtsradikales Hetzblatt“ bezeichnet worden26, ferner die Titulierung eines Unternehmers als „Halsabschneider“27. Wegen seiner die Meinungsfreiheit verdrängenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik eng auszulegen. Eine auch überzogene oder gar ausfällige Kritik stellt für sich genommen noch keine Schmähung dar. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll28. Bei die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen ist nur ausnahmsweise von einer Schmähung auszugehen. Sie ist eher auf den Bereich der Privatfehde beschränkt29. Tragen Äußerungen Züge einer Privatfehde, kann eher von einer unzulässigen Schmähkritik auszugehen sein30. Die Bezeichnung des Leiters einer Staatsanwaltschaft in einer Fernsehdiskussion als „durchgeknallt“ wurde wegen des Zusammenhang mit der Mitteilung an die Presse eines wegen des Verdachts des unerlaubten Umgangs mit Betäubungsmitteln eingeleiteten Ermittlungsverfahrens gegen den 22 BVerfG v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308 – Obergauleiter der SA-Horden; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; BGH v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421, 3422 – Babycaust; v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13, Beck RS 2016, 50714. 23 BVerfG v. 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04, AfP 2009, 361; v. 28.7.2014 – 1 BvR 482/13, AfP 2015, 331; v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308 – Obergauleiter der SA-Horden; BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617 – Höllenfeuer; v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschland-Stiftung; v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 – Panorama; v. 1.2.1977 – VI ZR 204/74, GRUR 1977, 801 – Halsabschneider. 24 BGH v. 9.12.1975 – IV ZR 157/73, NJW 1976, 620 – Warentest II; BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = IPRB 2015, 78 = AfP 2015, 41 – Hochleistungsmagneten. 25 BGH v. 1.2.1977 – VI ZR 204/74, GRUR 1977, 801, 803 – Halsabschneider. 26 BVerfG v. 11.5.1975 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677 – DGB. 27 BGH v. 1.2.1977 – VI ZR 204/74, GRUR 1977, 801. 28 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder; v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308 – Obergauleiter der SA-Horden; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; BGH v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421 – Babycaust; v. 11.3.2008 – VI ZR 189/06, AfP 2008, 193 – namenloser Gutachter; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 – Hochleistungsmagneten. 29 Std. Rspr., BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = IPRB 2015, 78 = AfP 2015, 41 – Hochleistungsmagneten. 30 OLG Dresden v. 5.9.2017 – 4 U 682/17, NJW-RR 2018, 44.
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Kap. 6 Rz. 9
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
damaligen Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden und Fernsehmoderators der Presse nicht als Schmähung eingeordnet31. Auch eine polemische und überspitzte Kritik eines Prozessbeteiligten an der Arbeitsweise eines Richters erfüllt nicht die Voraussetzungen einer Schmähkritik, soweit die Auseinandersetzung in der Sache und nicht die Herabsetzung des Richters im Vordergrund steht32. 9
In dem Abstellen auf die zu missbilligende Art der Schädigung liegt wiederum eine Hinwendung zum Verhaltensunrecht. Diese Auffassung steht im Einklang mit dem Rechtssatz des verkehrsrichtigen Verhaltens. Zuzugeben ist auch, dass diese Betrachtungsweise Flexibilität und den Versuch der Einzelfallgerechtigkeit ermöglicht. Zudem entspricht das Prinzip des Abwägens der vom Bundesverfassungsgericht bereits in der Lüth-Entscheidung geforderten33 und anschließend oft bzw. regelmäßig verwendeten Methode. Bislang hat sich dieser Trend fortgesetzt. Auch wenn Abwägungskriterien präzisiert wurden34, hat eine Rückkehr zur Entwicklung umgrenzter Tatbestände und dann eventuell auch zum Erfolgsunrecht bislang nicht stattgefunden. Bemerkenswert bleibt aber die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts in der Wallraff-Entscheidung35, wenn der BGH als zuständiger oberster Gerichtshof den Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes als einen ebenso wie § 826 BGB nach Umfang und Inhalt offenen Haftungstatbestand bezeichne, führe das zu der Notwendigkeit, diese Offenheit konkretisierend zu schließen, indem unter Berücksichtigung der Besonderheiten der zu beurteilenden Sachverhalte und der Bedeutung der Grundrechte Grundsätze entwickelt werden, welche die Entscheidung des Einzelfalles normativ zu leiten imstande sind. Das, was das Gesetz offenlässt, sei durch Richterrecht zu schließen. Eine bloße auf den Einzelfall bezogene Güter- und Interessenabwägung möge zwar die Einzelfallgerechtigkeit in besonderem Maße verwirklichen, vermöge aber dem rechtsstaatlichen Gebot der Berechenbarkeit des Rechts, der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nicht gerecht zu werden. Das sind deutliche Worte, wie das Bundesverfassungsgericht sie in diese Richtung gehend bislang nicht ausgesprochen hat. Leider haben sie bislang nicht zu einer Verstärkung der Ausformung persönlichkeits- und unternehmensrechtlicher Tatbestände beigetragen, deren Verwirklichung zumindest ein sehr starkes Indiz für die Rechtswidrigkeit sein könnte, so dass die situationsbezogene Güter- und Interessenabwägung an Bedeutung verliert. Vielmehr betont das Bundesverfassungsgericht weiterhin, dass das Ergebnis der Abwägung von den Umständen des Einzelfalls abhänge. Dazu seien durch die Rechtsprechung Prüfungsgesichtspunkte und Vorzugsregeln entwickelt worden, um eine größtmögliche Wahrung der beiderseitigen grundrechtlichen Positionen und Interessen zu ermöglichen36. 3. Ausstrahlungswirkung des Art. 5 Abs. 1 GG a) Allgemeines
10
Die Ausstrahlungswirkung der grundrechtlichen Wertordnung und speziell des Art. 5 Abs. 1 GG hat insbesondere das Bundesverfassungsgericht herausgearbeitet. Nach den von ihm entwickelten Grundsätzen entscheiden die Zivilgerichte zivilrechtliche Streitigkeiten zwar 31 32 33 34
BVerfG v. 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04, AfP 2009, 361. BVerfG v. 28.7.2014 – 1 BvR 482/13, AfP 2015, 331. BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257. Instruktiv mit entsprechenden Nachweisen: OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 = NJOZ 2017, 1424 Rz. 89 ff. – Panama Papers. 35 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741, 1743 – Der Aufmacher. 36 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM Sekretär“/Stolpe.
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II. Allgemeines Haftungskonzept
Rz. 11 Kap. 6
aufgrund des bürgerlichen Rechts. Das GG schreibt nicht vor, wie die richtige Lösung einer bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit konkret auszusehen hat. Es hat aber in seinem Grundrechtsabschnitt verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts getroffen, die sich durch das Medium der das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften entfalten. Diese Wertentscheidungen, die auch auf das Zivilrecht ausstrahlen, hat der Zivilrichter zu beachten. Sie modifizieren das einfache Recht, z.B. die Normen i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG, die der Äußerungsfreiheit Schranken setzen. Dementsprechend hat der Zivilrichter die Bedeutung des Grundrechts gegenüber dem Wert des im allgemeinen Gesetz geschützten Rechtsgutes für den durch die Äußerung angeblich Verletzten abzuwägen37. Auch wenn er damit grundrechtsbezogen argumentiert, wendet er dennoch Privatrecht an38. Ob die ordentlichen Gerichte die Reichweite und Wirkkraft der Grundrechte im Gebiet des 11 bürgerlichen Rechts zutreffend beurteilt haben, überprüft das Bundesverfassungsgericht39. Bei dieser Prüfung kann es zu dem Ergebnis gelangen, dass eine für rechtswidrig erklärte Äußerung durch Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt, dass sie also rechtmäßig ist, was bedeutet, dass das Zivilgericht die Ausstrahlung dieses Grundrechts auf das bürgerliche Recht unzutreffend beurteilt hat. Speziell im Bereich des § 823 Abs. 1 BGB ist das Verfassungsrecht für die Feststellung der Widerrechtlichkeit der Verletzung von Bedeutung40. Entsprechendes gilt im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung, wobei zu beachten ist, dass eine Sanktion kriminellen Unrechts schon für sich betrachtet von stärkerer Intensität als eine zivilrechtliche Verurteilung ist. Die Ausstrahlungswirkung bedarf deswegen im Falle einer strafrechtlichen Beurteilung besonders sorgfältiger Berücksichtigung41. Eine weitere Abstufung des Schutzbedarfs nimmt das Bundesverfassungsgericht in seiner Stolpe-Entscheidung an42. Bei gerichtlichen Entscheidungen über die Unterlassung künftiger Äußerungen bestehe kein gleicher Schutzbedarf wie bei einem Strafurteil oder bei zivilrechtlichen Sanktionen, wie einer Verurteilung zum Schadensersatz, zum Widerruf oder zur Berichtigung43. Dem Äußernden sei es bei mehrdeutigen Äußerungen möglich, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welchen Inhalt seine Äußerung haben sollte. Die Entscheidung über den zivilrechtlichen Streit ist Sache der Fachgerichte, denen insoweit ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist. Dabei ist es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, den Fachgerichten vorzugeben, wie sie den Streitfall im Ergebnis zu entscheiden haben44. 37 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257, 259 – Lüth; v. 10.6.2009 – 1 BvR 1107/09, AfP 2009, 365. 38 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677 – DGB. 39 Std. Rspr.; u.a. BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257 – Lüth; v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1976, 1680 – Deutschland-Stiftung; v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02, NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 10.6.2009 – 1 BvR 1107/09, AfP 2009, 365; v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13, BeckRS 2016, 50714; v. 16.3.2017 – 1 BvR 3085/15, NJW-RR 2017, 1003. 40 BVerfG v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63, NJW 1969, 1161 – Blinkfüer. 41 BVerfG v. 7.12.1976 – 1 BvR 460/72, NJW 1977, 799 – Politisches Flugblatt; v. 17.7.1984 – 1 BvR 816/82, MDR 1985, 201 = NJW 1985, 261 – Anachronistischer Zug; v. 3.11.2000 – 1 BvR 581/00, NJW 2001, 596 – Deutschland muss sterben. 42 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe. 43 Krit. u.a. Mann, AfP 2011, 326. 44 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 1082/95, AfP 2000, 163 = NJW 2000, 1026 – Kundenzeitschrift; v. 13.4.2000 – 1 BvR 2080/98, AfP 2000, 348 = NJW 2000, 2192; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR.
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Kap. 6 Rz. 12
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
b) Leitgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts aa) Meinungsäußerungen 12
Die Ausstrahlungswirkung des Art. 5 Abs. 1 GG kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere dann zum Tragen, wenn Streitgegenstand eine Meinungsäußerung ist. Der Sinn von Meinungsäußerungen ist es, geistige Wirkung auf die Umwelt ausgehen zu lassen, meinungsbildend und überzeugend zu wirken. Diesen Meinungsbildungsprozess will das Grundrecht schützen. Dabei bezieht der Schutz sich in erster Linie auf die eigene Stellungnahme des Redenden45. Jedermann hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Es würde dem Grundgedanken und der Funktion der Meinungsfreiheit in der verfassungsmäßigen Ordnung des GG widersprechen, wenn die Zulässigkeit öffentlicher, auch scharfer Kritik undifferenziert davon abhängig gemacht würde, dass sie jeweils durch Tatsachen belegt und für den Durchschnittsleser überprüfbar gemacht wird. Denn das Grundrecht der Meinungsfreiheit will nicht nur der Ermittlung der Wahrheit dienen. Es will auch gewährleisten, dass jeder frei sagen kann, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann46. Ob die Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, rational oder emotional begründet ist, hat keine Erheblichkeit47.
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Konstitutiv für die Bestimmung dessen, was als Äußerung einer Meinung vom Schutz des Grundrechts umfasst wird, ist das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung48. Der Begriff der Meinung ist grundsätzlich weit auszulegen. Das gilt auch, wenn die Meinungselemente mit den Elementen der Tatsachenmitteilung verbunden oder vermischt sind, jedenfalls wenn beide sich nicht trennen lassen und der Tatsachengehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt (s. dazu Kap. 4 Rz. 50 ff.)49. bb) Tatsachenbehauptungen
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Die Mitteilung von Tatsachen ist durch die Äußerungsfreiheit geschützt, weil sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen ist, die Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistet. Für Tatsachenbehauptungen gilt der Satz, die Vermutung spreche für die Zulässigkeit der freien Rede, nur eingeschränkt. Sie sind Einschränkungen aufgrund von allgemeinen Gesetzen leichter zugänglich als Meinungsäußerungen50. Tatsachenbehauptungen, die nicht zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen können, sind nicht geschützt. Das ist bei bewusst oder erwiesen unwahren Tatsachenbehauptungen der Fall51. Im Gegensatz zur Meinungsäuße-
45 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257 – Lüth. 46 BVerfG v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1976, 1680, 1681 – Deutschlandstiftung. 47 Std. Rspr.; BVerfG v. 11.4.1973 – 1 BvR 701/72, NJW 1972, 811; v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung. 48 Std. Rspr.; BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung; aus neuerer Zeit: v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308; v. 24.1.2018 – 1 BvR 2465/13, NJW 2018, 770. 49 Std. Rspr.; BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415, 1416 – Wahlkampfäußerung; aus neuerer Zeit: BVerfG v. 16.3.2017 – 1 BvR 3085/15, NJW-RR 2017, 1003. 50 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung. 51 BVerfG v. 16.3.1999 – 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199, 200; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, NJW 2013, 217, 218 – „Focus“Ärzteliste; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530.
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Rz. 15 Kap. 6
rung kommt es insoweit also auf den Wahrheitsgehalt der Mitteilung an52. Daher wird bereits durch die Einordnung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung der verfassungsrechtliche Schutz beschränkt. Ist die Einordnung fehlerhaft, liegt eine Grundrechtsverletzung vor53. Ist die Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung nicht erwiesen (non liquet), kann das Grundrecht der Meinungsfreiheit einem generellen Vorrang des Persönlichkeitsrechts entgegenstehen54. Auch bei Zitaten kommt es darauf an, ob diese zutreffend sind55. Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Äußerungsfreiheit leiden könnte56. cc) Zweck der Äußerung Die Vermutung spricht vor allem dann für die Zulässigkeit der freien Rede, wenn es sich nicht 15 um eine unmittelbar gegen ein privates Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaftlichen Verkehr und in Verfolgung eigennütziger Ziele, sondern um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten handelt57. Der besondere Wertgehalt des Grundrechts der freien Meinungsäußerung in der freiheitlichen Demokratie führt zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich im öffentlichen Leben58. Handelt es sich um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, kann auch eine möglicherweise unwahre Behauptung solange nicht untersagt werden, wie zuvor hinreichend sorgfältig recherchiert wurde59. Bei Äußerungen im Rahmen einer ausschließlich privaten Auseinandersetzung, z.B. Brief an einen Notar, gilt die Vermutung nicht in gleicher Weise60. Grundsätzlich ist ein öffentliches Interesse anzuerkennen, wenn die Presse sich kritisch über Erzeugnisse oder Leistungen der Wirtschaft äußert. Anerkannt ist dies jedenfalls bei der Auseinandersetzung mit Missständen in einem ganzen Zweig der Wirtschaft der Fall, insbesondere wenn die Diskussion geeignet ist, einer Gefährdung geschäftsunerfahrener Personen abzuhelfen61. Wenn es den Mitteilenden um die Sache und nicht um eine vorsätzliche Kränkung des Gegners geht, dürfen bei der Auslegung der die Äußerungsfreiheit einschrän-
52 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, NJW 1983, 1415, 1416 – Wahlkampfäußerung; v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13 Rz. 13; EGMR v. 10.7.2014 – 48311/10, AfP 2016, 24 – Axel Springer/Deutschland II. 53 BVerfG v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13 Rz. 13; v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308 – Obergauleiter der SA-Horden. 54 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR. 55 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072 – Böll; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR. 56 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, NJW 1980, 2072; v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, NJW 1983, 1415; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; EGMR v. 10.7.2014 – 48311/10, AfP 2016, 24 – Axel Springer/Deutschland II. 57 Std. Rspr.; u.a. BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257, 259 – Lüth. 58 BVerfG v. 2.3.1977 – 1 BvR 1319/76, NJW 1977, 2205. 59 BVerfG v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre. 60 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder; v. 16.10.1998 – 1 BvR 590/96, NJW 1999, 2262. 61 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie.
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Kap. 6 Rz. 16
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
kenden Gesetze an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik keine überhöhten Anforderungen gestellt werden62. 16
Auch bei einem Boykottaufruf ist nach dem Motiv der Aufforderung zu fragen. Findet die Aufforderung ihren Grund nicht in eigenen Interessen wirtschaftlicher Art, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange, dient sie der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, spricht das dafür, dass die Aufforderung durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt ist63, auch wenn dadurch private und namentlich wirtschaftliche Interessen berührt werden64. dd) Form der Äußerung
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Grundsätzlich unterliegt auch die Form einer Meinungsäußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden. Das gilt namentlich für das gesprochene Wort. Die Spontanität der freien Rede ist Voraussetzung der Kraft und der Vielfalt der öffentlichen Diskussion, die ihrerseits Grundbedingung eines freiheitlichen Gemeinwesens ist. Soll diese Kraft und Vielfalt generell erhalten bleiben, müssen im Einzelfall Schärfen und Überspitzungen des öffentlichen Meinungskampfes oder ein Gebrauch der Meinungsfreiheit in Kauf genommen werden, der zu sachgemäßer Meinungsbildung nichts beitragen kann. Die Befürchtung, wegen einer wertenden Äußerung einschneidenden gerichtlichen Sanktionen ausgesetzt zu werden, trägt die Gefahr in sich, jene Diskussion zu lähmen oder einzuengen und damit Wirkungen herbeizuführen, die der Funktion der Äußerungsfreiheit zuwiderlaufen65.
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Bei Äußerungen in der Presse kann die grundsätzliche Freiheit auch der Form gleichfalls nicht außer Betracht bleiben. Im Interesse der freien Rede müssen auch hier im Einzelfall Schärfen und Überspitzungen hingenommen werden, weil ein öffentlicher Meinungskampf grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fällt66. Allerdings ist ein Verbot, das ausschließlich die Form einer Äußerung berührt, weniger gravierend als ein solches, das auch gegen die sinngemäße Wiederholung gerichtet ist67. Werden Gedankeninhalte untersagt, berührt das das Grundrecht des Art. 5 GG in seiner Kernbedeutung68. ee) Angewandtes Mittel
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Neben dem Zweck und der Art der Äußerung ist das Mittel von Bedeutung, durch das der Zweck verfolgt wird. Die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgte Presse- und Rundfunkfreiheit gewährleistet zwar nicht nur die Freiheit der Verbreitung von Meinungen und Nachrichten, sondern darüber hinaus den gesamten Bereich publizistischer Vorbereitungstätigkeit, zu
62 BVerfG v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1976, 1680, 1681 – Deutschlandstiftung; v. 28.3.2000 – 2 BvR 1392/96, NJW 2000, 3196, 3197. 63 BVerfG v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63, NJW 1969, 1161 – Blinkfüer. 64 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257 – Lüth; Näheres Kap. 10 Rz. 132 ff. 65 BVerfG v. 13.5.1980 – 1 BvR 103/77, AfP 1980, 147 = NJW 1980, 2069, 2070 – Kunstkritiker. 66 BVerfG v. 13.5.1980 – 1 BvR 103/77, AfP 1980, 147 = NJW 1980, 2069 – Kunstkritiker; v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung. 67 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677 – DGB; v. 24.9.1984 – 1 BvR 976/84, NJW 1985, 263 – Hessenlöwe. 68 BVerfG v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1976, 1680, 1681 – Deutschlandstiftung.
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Rz. 21 Kap. 6
der insbesondere die Beschaffung von Informationen gehört69. Wird aber eine durch Täuschung widerrechtlich beschaffte und zu einem Angriff gegen den Getäuschten verwendete Information verbreitet, indiziert ein solches Mittel i.d.R. einen nicht unerheblichen Eingriff in den Bereich des anderen, speziell wenn dieser, wie es auf eine Zeitungsredaktion zutrifft, wegen seiner Vertraulichkeit geschützt ist. Eine solche Verbreitung ist nur zulässig, wenn die Bedeutung der Information für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für die öffentliche Meinungsbildung eindeutig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für den Betroffenen und die Geltung der Rechtsprechung nach sich ziehen muss. Das wird i.d.R. nicht der Fall sein, wenn die Information Zustände oder Verhaltensweisen offenbart, die ihrerseits nicht rechtswidrig sind70. Allerdings verengt sich das öffentliche Interesse nicht auf die Aufdeckung von Straftaten. Von besonderem öffentlichen Interesse können auch Fehlentwicklungen und Missstände sein, die zwar nicht rechtswidrig sind, jedoch sich für die Allgemeinheit, zumindest aber für einen erheblichen Teil derselben als so einschneidend darstellen, dass deren öffentliche Behandlung als wesentlich anzusehen ist71. Dies kann bei gewichtigen gesellschaftlichen Themen, wie etwa dem Tierschutz72, der Verschwendung von Steuergeldern73, Lohndumping74 oder des Nutzens von Briefkastenfirmen zur Abwicklung von Zahlungsströmen oder steuerlicher Vorteile der Fall sein75. Auch bei einem Boykottaufruf kommt es auf das zu seiner Durchsetzung eingesetzte Mittel 20 an. Das Mittel muss verfassungsrechtlich zu billigen sein, was der Fall ist, wenn der Verrufer sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung beschränkt, nicht aber, wenn er wirtschaftlichen Druck ausübt76. c) Recht auf Gegenschlag Besondere Bedeutung hat die vom Bundesverfassungsgericht in der Schmid-Entscheidung 21 entwickelte sog. Gegenschlagthese erlangt77. Der Schmid-Entscheidung78 liegt die strafrechtliche Verurteilung eines OLG-Präsidenten wegen des von ihm erhobenen Vorwurfes zugrunde, eine Wochenzeitschrift betriebe „eine der Pornographie vergleichbare geistige Enthüllung als Reizmittel für die Leserschaft“, ihre Stellungnahme zu seiner Person sei „bösartiger Klatsch“, 69 Std. Rspr.; u.a. BVerfG v. 6.10.1959 – 1 BvL 118/53, NJW 1960, 29 – Nordrhein-Westfalen; v. 28.2.1961 – 2 BvG 1/60 u. 2 BvG 2/60, NJW 1961, 547 – Deutschland-Fernsehen; BVerfG v. 6.2.1979 – 2 BvR 154/78, NJW 1979, 1400 – Kölner Volksblatt; v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, 622/99, NJW 2001, 1633 – Gerichtsfernsehen. 70 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741, 1743 – Der Aufmacher; BGH v. 30.9.2014 – VI ZR 490/12, AfP 2014, 534, 537 – E-Mail. 71 BGH v. 30.9.2014 – VI ZR 490/12, AfP 2014, 534, 537 – E-Mail; v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16; OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450 Rz. 151 ff.; v. 8.2.2017 – 4 U 166/16 – Panama-Papers. 72 BGH v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16; OLG Hamm v. 21.7.2004 – 3 U 77/04, ZUM-RD 2004, 579. 73 OLG Köln v. 19.11.2013 – 15 U 53/13, BeckRS 2014, 65073. 74 OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450. 75 OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 53 – Panama-Papers; vgl. Renner/Baumann, AfP 2015, 285. 76 BVerfG v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63, NJW 1969, 1161 – Blinkfüer; v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/80, 1 BvR 438/80, 1 BvR 437/80, AfP 1983, 267 = NJW 1983, 1181, 1182 – Denkzettel-Aktion; Näheres s. Kap. 10 Rz. 133 ff. 77 BVerfG v. 25.1.1961 – 1 BvR 9/57, NJW 1961, 819; v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13, AfP 2016, 240, 242 – Fall Kachelmann. 78 BVerfG v. 25.1.1961 – 1 BvR 9/57, NJW 1961, 819.
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Kap. 6 Rz. 22
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
und zwar publiziert als Reaktion auf die vorangegangene Unterstellung, der OLG-Präsident habe eine Neigung zum Kommunismus. Dazu stellt das Bundesverfassungsgericht fest, die Bedeutung eines in der Presse erscheinenden tadelnden Urteils als Faktor der öffentlichen Meinungsbildung könne nicht mit dem Hinweis auf persönliche Motive abgetan werden, die bei Meinungsäußerungen, auch solchen in der Presse, häufig mit im Spiel seien. Eine der persönlichen Rechtfertigung dienende Stellungnahme könne gleichfalls der Unterrichtung und der öffentlichen Meinungsbildung dienen, wenn sie zugleich allgemein interessierende Fragen berührt, wie es in der erörterten Auseinandersetzung der Fall gewesen sei, in der es sich um die Besetzung eines hohen Richteramtes und damit um die Personalpolitik und die Vertrauenswürdigkeit der Justiz gehandelt habe. Das Hineinwirken des Art. 5 Abs. 1 GG in die Interpretation der berechtigten Interessenwahrnehmung gebiete, das Interesse an der Einwirkung auf die Bildung der öffentlichen Meinung zu einer wichtigen Frage der Ämterpolitik anzuerkennen und die Äußerung auch als Gegenschlag gegen eine unzutreffende Information zu werten, die mit Rechtsmitteln nicht zu unterbinden sei. 22
In der Tonjäger-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht das Recht auf Gegenschlag dahin erweitert79, dass Äußerungen grundsätzlich zulässig sind, wenn es sich um eine adäquate Reaktion auf einen anderen Vorgang handelt. In einem schwebenden Meinungskampf ist die Verknüpfung von Anlass und Reaktion nicht auf gegenseitige Beleidigungen beschränkt. Da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, seien anlässlich der heutigen Reizüberflutung einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen. Setzen sie den Betroffenen in seiner Ehre herab, sind sie jedenfalls dann noch rechtmäßig, wenn sie gemessen an den von der Gegenseite erhobenen Ansprüchen oder aufgestellten Behauptungen nicht unverhältnismäßig erscheinen.
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Das Recht auf Gegenschlag hat in starkem Maße Eingang in die Rechtsprechung der Fachgerichte gefunden. Es ist im Besonderen bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu berücksichtigen. So hat der BGH in der Dreckschleuder-Entscheidung ausgesprochen80, dass Einschränkungen des Persönlichkeitsschutzes insbesondere zu vertreten sind, wenn es dem Kritiker darum geht, einen Angriff auf die von ihm vertretene Auffassung abzuwehren, den er aus seiner Sicht nach Tendenz und Aufmachung als unangemessen oder anstößig empfinden konnte. Unter dieser Voraussetzung sei hinzunehmen, dass das Recht dem Betroffenen Schutz nicht gegenüber jeder unangemessen scharfen Meinungsäußerung gewährt. Ob die frühere Äußerung des Angreifers in objektiver Sicht durch berechtigte Interessen gedeckt oder unzulässig war, ist nicht entscheidend. Vielmehr kommt es darauf an, welche Wirkungen die Auseinandersetzung hat. Dabei kann auch von Bedeutung sein, ob sie sich über einen längeren Zeitraum hinweg derartig verschärft hat, dass beim angesprochenen Publikum eine Reizabstumpfung und eine Gewöhnung an einen extrem harten Stil eingetreten sind. Es muss die Möglichkeit gewährleistet bleiben, auch und gerade in solchen Situationen seine Meinung wirksam zu äußern, sich also der Abstumpfung durch entsprechende Formulierungen anzupassen81.
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Das Recht auf Gegenschlag setzt eine unmittelbar vorausgegangene Beleidigung nicht notwendig voraus82. Der Kritisierende braucht auch nicht selbst vom Kritisierten angegriffen 79 BVerfG v. 6.11.1968 – 1 BvR 501/62, NJW 1969, 227. 80 BGH v. 25.5.1971 – VI ZR 26/70, GRUR 1971, 529. 81 BVerfG v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13, AfP 2016, 240, 242 – Fall Kachelmann; BGH v. 18.5.1971 – IV ZR 220/69, NJW 1971, 1655 – Sabotage. 82 BGH v. 18.5.1971 – IV ZR 220/69, NJW 1971, 1655 – Sabotage.
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II. Allgemeines Haftungskonzept
Rz. 25 Kap. 6
worden zu sein. Wer Kritik dadurch auf sich lenkt, dass er in der Öffentlichkeit zu Grundfragen des Gemeinschaftslebens betont Stellung bezieht, muss u.U. ebenfalls eine scharfe, übersteigerte Kritik an seiner Person durch seine Gegner hinnehmen, die sich in ihrer entgegengesetzten Grundeinstellung angegriffen fühlen und seinen Standpunkt als unangemessen oder anstößig empfinden können83. Wie das Bundesverfassungsgericht speziell durch die Kunstkritiker-Entscheidung bestätigt hat84, kann auch sonstiges, zu Kritik herausforderndes Verhalten das Recht begründen, darauf entsprechend zu reagieren. Z.B. ist es als zulässig bezeichnet worden, jemanden als „geschickten Erpresser“ zu bezeichnen, der von einem Dritten brieflich ein erhebliches Schweigegeld gefordert hatte85. Zugelassen worden ist auch die Behauptung, eine Frau betreibe „Hurerei“, weil sie per Zeitungsinserat Sexualpartner gesucht und ihre Erlebnisse in Gedichten, einem Buch und einer Fernsehsendung als angenehm und nachahmenswert geschildert hatte86. Ebenso ist die Bezeichnung „pseudoreligiöser Vitaminguru“ für einen herausgehobenen Vertreter einer bestimmten Richtung der Vitaminindustrie zulässig87. Allerdings weist der BGH einschränkend darauf hin, das Recht zum Gegenschlag sei kein Freibrief für polemische Ausfälle, die jedes Maß vermissen lassen88. Bestimmte Grenzen sind auch unter der Voraussetzung eines Gegenschlages zu wahren, insbesondere die Grenze der Schmähkritik. Obschon das OLG Düsseldorf89 nicht von einer Schmähkritik ausging, hat es einem Blog-Autor, von dem eine Fernsehmoderatorin meinte, er sei ein armer Mann, der sich als „Mühlstein der Vergangenheitsbewältigung“ zur Verfügung gestellt habe, das Recht auf Gegenschlag für Äußerungen wie „Das kleine Luder vom Lerchenberg“, „Tina – sie ist es nicht, sie heißt nur so – M. neigt ihr Köpfchen zur Seite, damit der Verstand sich in einer Ecke konzentrieren kann“, „delirierende Hausfrau“, „von allen kz-Moderatoren und Moderatorinnen ist sie die dummste und unfähigste“ nicht zugestanden. Zutreffend hat das LG Karlsruhe die Bezeichnung eines Politikers als „wunderbares Inzuchtsprodukt“ in Reaktion auf dessen vorangehende Äußerung in einer bundesweit ausgestrahlten Fernsehsendung, der Entertainer sei ein „wunderbarer Neger“, als durch das Recht auf Gegenschlag gerechtfertigt angesehen90. Auch hat ein Abgeordneter, der in einer Parlamentsdebatte Homosexuelle verspottet, es hinzunehmen, wenn ihm die „typische Haltung eines intellektuellen Bankrotteurs“ vorgeworfen wird91. Nachdem sich die sonstigen Leitgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts in immer stärke- 25 rem Maße durchgesetzt haben (Rz. 12 ff.), ist die Bedeutung des Rechtes auf Gegenschlag etwas verblasst. In den Hintergrund getreten ist es vor allem aufgrund der Kunstkritiker-Entscheidung92. Das Bundesverfassungsgericht wiederholt dort zwar, dass derjenige, der im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, eine scharfe Reaktion grundsätzlich auch hinnehmen muss, wenn sie sein Ansehen mindert, und dass die Verknüpfung von Anlass und Reaktion nicht auf gegenseitige Beleidigungen beschränkt 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92
BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschland-Stiftung. BVerfG v. 13.5.1980 – 1 BvR 103/77, AfP 1980, 147 = NJW 1980, 2069. OLG Köln, AfP 1971, 170. OLG Hamburg, ArchPR 1974, 128. OLG Karlsruhe v. 24.7.2002 – 6 U 205/01, AfP 2002, 533 = NJW-RR 2002, 1695. BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762, 1763 – Deutschland-Stiftung; OLG Düsseldorf v. 13.8.2015 – I-16 U 121/14, BeckRS 2016, 02919. OLG Düsseldorf v. 13.8.2015 – I-16 U 121/14, BeckRS 2016, 02919; dazu BVerfG v. 2.4.2017 – 1 BvR 2194/15, AfP 2017, 228. LG Karlsruhe v. 20.7.2016 – 4 Qs 25/16 Rz. 16 ff. EGMR v. 17.4.2014 – 20981/10, AfP 2016, 137 – Mladina D.D. Ljubljana vs. Slowenien. BVerfG v. 13.5.1980 – 1 BvR 103/77, AfP 1980, 147 = NJW 1980, 2069.
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Kap. 6 Rz. 26
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
ist. Weitergehend stellt es aber fest, dass maßgeblich darauf abzustellen ist, ob und in welchem Ausmaß der von herabsetzenden Äußerungen Betroffene seinerseits an dem von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Prozess der öffentlichen Meinungsbildung teilgenommen hat. Wer sich aus eigenem Entschluss den Bedingungen des Meinungskampfes unterwirft, begibt sich damit eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre. Allein die freiwillige Teilnahme am Meinungskampf reicht also aus, um auch harte Kritik hinnehmen zu müssen. 26
Bedeutsam geblieben ist die Gegenschlagthese für das Recht auf Selbstverteidigung. In Fällen eines unmittelbar vorangegangenen Angriffs auf die Ehre kommt das Recht auf Gegenschlag weiterhin zur Rechtfertigung einer diesem Angriff entsprechenden, ähnlich wirkenden Erwiderung in Betracht93. Einem in einem mehrseitigen Interview enthaltenen Vorwurf der Lüge verbunden mit weiteren Behauptungen darf daher detailliert und in emotionalisierender Weise auch mit deutlichen Worten begegnet werden. Der Angreifer hat die scharfe Reaktion hinzunehmen, zumal an dem damaligen Strafverfahren und dessen Ausgang ein großes Informationsinteresse bestand94. Aufgrund des Rechtes auf Gegenschlag geht die Rechtsprechung ferner davon aus, dass es einem in der Öffentlichkeit Angegriffenen im Grundsatz erlaubt ist, sich mit der Wiedergabe seiner eigenen Sachdarstellung auch zu verteidigen, wenn diese unzutreffend ist. Der Angegriffene ist also, jedenfalls solange die Auseinandersetzung noch aktuell ist, grundsätzlich berechtigt, die Behauptungen des Angreifers unabhängig vom objektiven Wahrheitsgehalt als unwahr und falsch zu bezeichnen, auch gegenüber Meinungsmultiplikatoren, Nachrichtenagenturen, Presseverlagen, Rundfunkanstalten usw.95. Im Zusammenhang hiermit sind diejenigen gleichfalls gerechtfertigt, die eine solche Verteidigung veröffentlichen96. Dem Betroffenen muss die Möglichkeit belassen werden, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu leugnen, was die Bezeichnung der kritischen Darstellung als unwahr unvermeidlich machen kann97. Wer angegriffen wird, darf einen gegen ihn erhobenen Vorwurf sogar als „Lüge“ bezeichnen und sich mit der Behauptung verteidigen, „Wer das sagt, der lügt“98. Das Recht hierzu folgt daraus, dass vom mündigen Bürger einer freiheitlichen Demokratie zu erwarten ist, dass er sich im Meinungskampf selbst ein Urteil bilden kann99. Im Übrigen ist der geistige Meinungskampf nicht nur um der Ermittlung der Wahrheit willen gewährleistet, sondern auch, damit jeder sich in der Öffentlichkeit darstellen kann100. Je mehr die Verfolgung von Eigeninteressen im Mittelpunkt steht, desto weniger darf die Gegenäußerung jedoch zielgerichtete persönliche Angriffe gegen den Erstäußernden enthalten101.
26a
Der Bundesregierung und anderen staatlichen Stellen steht das Recht auf Gegenschlag nicht zu102. Wie jedes Staatshandeln unterliegt auch die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit
93 94 95 96 97 98 99 100 101 102
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BVerfG v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13, AfP 2016, 240, 242 – Fall Kachelmann. BVerfG v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13, AfP 2016, 240, 242 – Fall Kachelmann. OLG Stuttgart, ArchPR 1975, 25; OLG Köln v. 8.8.1989 – 15 U 93/89, AfP 1991, 438. LG Hamburg, AfP 1973, 441. OLG Hamburg, AfP 1973, 385. OLG Köln v. 8.8.1989 – 15 U 93/89, AfP 1991, 438; vgl. BVerfG v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13, AfP 2016, 240, 242 – Fall Kachelmann. BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617 – Höllenfeuer. BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschland-Stiftung; OLG Stuttgart, ArchPR 1975, 25. OLG Düsseldorf v. 13.8.2015 – I-16 U 121/14, BeckRS 2016, 02919; dazu BVerfG v. 2.4.2017 – 1 BvR 2194/15, AfP 2017, 228. BVerfG v. 27.2.2018 – 2 BvE 1/16, NJW 2018, 928 Rz. 60 – Wanka.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 27 Kap. 6
staatlicher Stellen dem Sachlichkeitsgebot103. Danach sind diese zwar berechtigt, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen. Darüber hinausgehende, mit der Kritik am staatlichen Handeln in keinem inhaltlichen Zusammenhang stehende, verfälschende oder herabsetzende Äußerungen sind demgegenüber zu unterlassen. Daraus folgt auch, dass staatliche Organe auf unsachliche Kritik oder diffamierende Angriffe nicht in gleicher Weise reagieren dürfen. Insbesondere dürfen sie nicht bei einem auf unwahre Behauptungen gestützten Angriff ihrerseits unwahre Tatsachen verbreiten. Auch wenn die gesellschaftliche Entwicklung dazu geführt hat, dass nur das „lautstark“ Gesagte Gehör findet, oder eine politische Partei sich das Recht nimmt, diskreditierend in der öffentlichen Debatte zu agieren, sind staatliche Stellen einschließlich der Regierungen darauf beschränkt, im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit über das staatliche Handeln aufzuklären, hiergegen erhobene Vorwürfe in der Sache aufzuarbeiten und diffamierende Angriffe zurückzuweisen. Darüber hinausgehender wertender Einflussnahmen auf den politischen Wettbewerb und die an diesem beteiligten Parteien haben sie sich – auch soweit es sich um bloß reaktive Äußerungen handelt – aufgrund der Gebote der Neutralität und Sachlichkeit zu enthalten104. Die Neutralitätspflicht der Regierung sah der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes durch die Bezeichnung der NPD als „braune Brut“ noch nicht verletzt, da eine wehrhafte Demokratie auch klare Aussagen brauche105. Ebenso wurde die Äußerung des Bundespräsidenten „Spinner“ in Bezug auf Mitglieder der NPD noch als zulässig angesehen106.
III. Wahrnehmung berechtigter Interessen § 193 StGB Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, desgleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von Seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. Schrifttum: A. Weber, Das Recht der freien Meinungsäußerung im Lichte von §§ 192, 193 RStGB, JW 1927, 2671; Hubmann, Grundsätze der Interessenabwägung, AcP 155 (1955), 85; Neumann-Duesberg, Keine Wahrnehmung berechtigter Interessen durch die Presse bei Missbrauch der Pressefreiheit, JR 1957, 85; Ohlgart, Wahrnehmung berechtigter Interessen durch die Presse, Diss. Hamburg 1963; Erdsiek, Wahrnehmung berechtigter Interessen ein Rechtfertigungsgrund?, JZ 1969, 311; Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund, 1969; E. Schmidt, Wahrnehmung berechtigter Interessen ein Rechtfertigungsgrund?, JZ 1970, 8; Adomeit, Wahrnehmung berechtigter Interessen und Notwehrrecht, JZ 1970, 495; Larenz, Methodische Aspekte der „Güterabwägung“, FS Klingmüller, 1974, S. 235; von Pentz, Ausgewählte Fragen des Medien- und Persönlichkeitsrechts im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des VI. Zivilsenats, AfP 2017, 102.
Angesichts des allgemeinen Haftungskonzeptes, nach dem im Bereich des Äußerungsrechts 27 die finale, auf die zu missbilligende Art der Schädigung abstellende Betrachtungsweise die herrschende geworden und bislang noch immer geblieben ist, und angesichts des intensiven 103 BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91 u.a., AfP 2002, 498; v. 27.2.2018 – 2 BvE 1/16, NJW 2018, 928 Rz. 59 – Wanka. 104 BVerfG v. 27.2.2018 – 2 BvE 1/16, NJW 2018, 928 Rz. 60 – Wanka; vgl. Schoch, AfP 2010, 313; Degenhart, AfP 2010, 324; Gersdorf, AfP 2016, 293; Müller-Franken, AfP 2016, 301. 105 VerfGH Saarl v. 8.7.2014 – Lv 5/14, BeckRS 2014, 53505. 106 BVerfG v. 10.6.2014 – 1 BvE 4/13, BVerfGE 136, 323.
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Kap. 6 Rz. 28
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
Einflusses, den die grundrechtliche Wertordnung auf das Zivilrecht hat bzw. gehabt hat, könnte der Eindruck entstehen, der Gesichtspunkt der Rechtfertigung durch Wahrnehmung berechtigter Interessen sei bedeutungslos geworden. Das ist nicht der Fall. Der Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.d. § 193 StGB ist eine der Einbruchstellen der Grundrechte107. Die Anwendung des § 193 StGB enthebt das Gericht zwar nicht der Aufgabe, die verfassungsrechtliche Lage in seine Erwägungen einzubeziehen108. Das ändert nichts daran, dass der Zivilrichter aufgrund des Zivilrechts zu entscheiden hat109. § 193 StGB ist unbestritten eine auch im Zivilrecht anwendbare Norm, die also jedenfalls in den Fällen zu berücksichtigen ist, in denen die Rechtswidrigkeit nicht erst aufgrund einer Interessenabwägung aus der zu missbilligenden Art der Schädigung zu entnehmen ist (Rz. 9). Aber auch wenn die Rechtswidrigkeit sich erst aus der zu missbilligenden Art der Schädigung ergibt, sind die Grundsätze des § 193 StGB bedeutsam. Sie liefern die erforderlichen Maßstäbe für die auf der zivilrechtlichen Ebene erforderliche Abwägung, die in einer die grundrechtliche Wertordnung nicht tangierenden Weise möglich ist. Jedenfalls sollte das möglich und die Notwendigkeit der Anrufung der Grundrechte allenfalls ausnahmsweise erforderlich sein. 1. Anerkennung des § 193 StGB als Rechtfertigungsgrund 28
Der Wortlaut des § 193 StGB besagt nur, dass eine in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgte Äußerung grundsätzlich nicht strafbar ist. Damit lässt der Gesetzestext offen, ob § 193 StGB rechtfertigende Wirkung hat oder ob er ein bloßer Schuldausschließungsgrund ist. Die ganz h.M. betrachtet § 193 StGB als Rechtfertigungsgrund110. Die Auffassung, es handle sich um einen bloßen Schuldausschließungsgrund, ist aber ebenfalls vertreten worden111. Wenn auch die h.M. im Ergebnis keineswegs in Zweifel gezogen werden soll, zeigt die nähere Betrachtung doch, dass sie nicht ganz einfach zu begründen ist. a) Interessenkollision und erlaubtes Risiko
29
Bisher ist § 193 StGB als Fall der Interessenkollision angesehen worden, wie er auch dem Rechtsinstitut des übergesetzlichen Notstandes zugrunde liegt112. Diese Auffassung beruht auf dem Gedanken, dass § 193 StGB die Verletzung eines schutzwürdigen Interesses voraussetzt, und zwar in Wahrnehmung eines Interesses, das gegenüber dem Verletzten als höherwer-
107 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677 – DGB; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR. 108 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655, 2656 – Kredithaie. 109 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677 – DGB; v. 13.4.2000 – 1 BvR 2080/98, NJW 2000, 2192 – Caroline von Monaco Strandbad; v. 5.4.2000 – 1 BvR 2479/97 u.a., NJW 2000, 2194 – Caroline von Monaco/Pulloverkauf; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR. 110 U.a. BVerfG v. 28.3.2000 – 2 BvR 1392/96, NJW 2000, 3196; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGHZ 3, 270, 281; BGHSt 18, 184; OLG Frankfurt v. 6.9.1979 – 16 U 75/79, NJW 1980, 597. 111 U.a. RGSt 6, 407; RGSt 64, 23; RG, JW 1939, 400; Westermann, JZ 1960, 692; Erdsiek, NJW 1966, 1385. 112 BGHZ 3, 270, 281; BGHSt 18, 184.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 33 Kap. 6
tig bzw. als überwiegend anzusehen ist113. Begreift man § 193 StGB als Fall der Interessenkollision, folgt seine Anerkennung als Rechtfertigungsgrund mit Zwangsläufigkeit. Die vorstehende Auffassung ist unproblematisch, wenn § 193 StGB bei Tatbeständen ange- 30 wendet wird, die unabhängig von der Wahrheitsfrage erfüllt sein können, wie es etwa bei Eingriffen in die Persönlichkeitssphären der Fall ist, also bei Eingriffen z.B. in die Intimoder die Privatsphäre. Liegt ein solcher Eingriff vor, besteht eine echte Kollision der Interessen des Mitteilenden mit denen des dadurch Betroffenen, deren Lösung die Gegenüberstellung der beiderseitigen Interessen erforderlich macht. Ergibt sich ein Überwiegen der Interessen des Mitteilenden, ist die Äußerung regelmäßig gerechtfertigt, andernfalls nicht. Ob die Anwendung des § 193 StGB bei wahrheitsunabhängigen Tatbeständen tatsächlich in Betracht kommt, ist aber keineswegs selbstverständlich, sondern im Gegenteil jedenfalls im Zivilrecht fraglich. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass die Verletzung des Persönlichkeitsrechts und damit auch der geschützten Persönlichkeitssphären ebenso wie die Verletzung des Rechts am Unternehmen die Rechtswidrigkeit der Äußerung noch nicht ohne weiteres nach sich zieht, sondern nur bei entsprechender Lagerung des Falles. Liegt eine solche, die Rechtswidrigkeit begründende Fallgestaltung vor, erübrigt sich die Frage nach einer Rechtfertigung. Durch die Begründung der Rechtswidrigkeit ist über die Rechtfertigungsmöglichkeit im negativen Sinne mitentschieden. Auch unabhängig von dieser Sonderproblematik liegt jedenfalls das ursprüngliche Anwen- 31 dungsgebiet des § 193 StGB keineswegs bei den von Wahrheit oder Unwahrheit unabhängigen Tatbeständen, sondern bei der üblen Nachrede. Wird § 193 StGB in diesem Falle angewendet, ist die Annahme einer Interessenkollision einigermaßen problematisch. Im Falle einer üblen Nachrede entsteht ein Interessenkonflikt im eigentlichen Sinne nur bei einer wahren Tatsachenbehauptung. Nur dann kollidiert das vom Mitteilenden verfolgte Interesse mit dem des Betroffenen wirklich. Bei einer wahren Tatsachenbehauptung fehlt es aber an der Verwirklichung des Tatbestandes, so dass es einer Rechtfertigung nicht bedarf. Ist die Behauptung unwahr und der Tatbestand damit erfüllt, so dass es auf die Rechtfertigungsfrage ankommt, nimmt der Mitteilende lediglich vermeintliche Interessen wahr. Richtiger Auffassung nach ist § 193 StGB deswegen nicht als Fall der Interessenkollision, son- 32 dern des erlaubten Risikos anzusehen. § 193 StGB entbindet den Mitteilenden zwar nicht von der Verpflichtung, sich vor dem Aufstellen der Behauptung in gehöriger Form über den Wahrheitsgehalt zu vergewissern. Wenn das aber geschehen ist und der Mitteilende den Sachverhalt unter Beachtung aller Sorgfaltsregeln aufgeklärt hat, nimmt § 193 StGB ihm das Risiko ab, dass die aufgestellte oder verbreitete Behauptung sich nachträglich dennoch als unwahr erweist114. Auch der BGH bezeichnet § 193 StGB als Fall des erlaubten Risikos115. Wird § 193 StGB als Fall des erlaubten Risikos betrachtet, zeigt sich, dass er beim Irrtum 33 eingreift, nämlich beim Tatbestandsirrtum des Mitteilenden. Ein Tatbestandsirrtum bewirkt aber gemeinhin gerade keine Rechtfertigung, sondern lediglich eine Entschuldigung. Das ist
113 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530; BGHZ 3, 270, 281; BGHZ 13, 334, 338; BGHZ 24, 200, 206; Hubmann, JZ 1957, 753, 755. 114 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR. 115 BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621, 1622 – Türkol.
Burkhardt
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Kap. 6 Rz. 34
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
die Ursache dafür, dass die Eigenschaft des § 193 StGB als Rechtfertigungsgrund bis in die neueste Zeit hinein immer wieder bezweifelt worden ist. b) Verkehrsrichtiges Verhalten 34
Zu einer befriedigenden Lösung kann man nur durch Heranziehung des vom Großen Senat in Zivilsachen116 entwickelten Rechtssatzes vom verkehrsrichtigen Verhalten gelangen. Danach ist im Bereich des Straßen- und Eisenbahnverkehrs eine Schädigung nicht rechtswidrig, wenn der Schädiger alle Sorgfaltsregeln beachtet hat. Davon ist auch im Bereich des Äußerungsrechts auszugehen. Indem die Rechtsordnung grundsätzlich Äußerungsfreiheit gewährt, kann eine Äußerung nicht allein deswegen rechtswidrig sein, weil das Risiko des Irrtums trotz Beobachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt praktisch geworden ist. Sich zu äußern schließt die Gefahr einer falschen Äußerung zwangsläufig ein. Ein Teil der Äußerungen stellt sich nachträglich stets als unwahr und falsch heraus. Ist das Risiko der Unwahrheit unvermeidlich, wäre es inkonsequent, unwahre Äußerungen der Möglichkeit einer Rechtfertigung ausnahmslos zu entziehen. Derjenige, der sich rechtmäßig und nur rechtmäßig verhalten will, müsste dann auf Äußerungen konsequenterweise überhaupt verzichten. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Sinn der grundrechtlich gewollten Äußerungsfreiheit. Art. 5 GG zwingt dazu, Äußerungen, die unter Beachtung aller Sorgfaltsregeln aufgestellt oder verbreitet worden sind, auch als rechtmäßig zu betrachten, wenn sie sich nachträglich als unwahr erweisen117. Das aber setzt voraus, dass § 193 StGB nicht nur entschuldigt, sondern rechtfertigt.
35
Gegen den vom Großen Senat in Zivilsachen entwickelten Rechtssatz, mit dem Grundgedanken der finalen Handlungslehre ins Zivilrecht übernommen werden, ist eingewandt worden, es sei mehr oder weniger ein Spiel mit Worten, ob eine verkehrsrichtige Handlung als rechtmäßig oder nur als schuldlos bezeichnet werde. Entscheidend sei nur die Frage eines durch die Handlung ausgelösten Anspruches. Der Ersatzanspruch entfalle aber unabhängig davon, ob nur das Verschulden oder zusätzlich auch die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen ist. Im Bereich des Äußerungsrechts verhält es sich anders. Hier geht es nur vergleichsweise selten um den Ersatzanspruch. Im Vordergrund steht der Unterlassungsanspruch und darüber hinaus der Beseitigungs-, vornehmlich der Widerrufsanspruch. Außerdem kann bei einer Ausbeutung geschützter Persönlichkeitsgüter der Bereicherungsanspruch in Frage stehen. Deswegen kann von erheblicher Bedeutung sein, ob die Beachtung der Sorgfaltsregeln die Rechtswidrigkeit ausschließt oder nur das insoweit unerhebliche Verschulden. Wird die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen, entfällt ein auf die Gefahr der Wiederholung einer rechtswidrigen Handlung gestützter Unterlassungsanspruch. Möglich ist nur ein solcher, der aus einer Begehungsgefahr abgeleitet wird. Trotz fehlender Rechtswidrigkeit einen Widerrufsanspruch zu begründen bereitet besondere Schwierigkeiten118.
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Wegen dieser Schwierigkeiten ist schon in den Vorauflagen vorgeschlagen worden, die Handlung und den dadurch verursachten Erfolg nicht als unauflösliche Einheit zu betrachten, sondern unabhängig voneinander zu beurteilen. Geschieht das im Bereich des Straßen- und Eisenbahnverkehrs, kann man nur zu dem Ergebnis gelangen, dass der bewirkte Zustand, z.B. das Fehlen eines im Verkehr abgefahrenen Beines oder der Tod des Überfahrenen, auch 116 BGHZ 24, 21. 117 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR. 118 BGH v. 12.1.1960 – I ZR 30/58, NJW 1960, 672 – La Chatte.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 39 Kap. 6
dann keineswegs als rechtmäßig zu bezeichnen ist, wenn der Schädiger sich verkehrsrichtig verhalten hat. Wenn Handlung und Erfolg im Bereich des Äußerungsrechts getrennt beurteilt werden, lässt sich gleichfalls nicht als rechtmäßig bezeichnen, dass jemand z.B. infolge unwahrer kreditschädigender Behauptungen wirtschaftlich ruiniert ist. Beruht die Rechtfertigung der Handlung auf der Verkehrsrichtigkeit des Verhaltens und damit auf subjektiven Gründen, kann also der verursachte Erfolg trotzdem rechtswidrig sein. Geht man hiervon aus, lösen sich die Schwierigkeiten, die sich auf der Basis der h.M. er- 37 geben. Es wird dann klar, aus welchem Grunde ein Bedrohter Notwehr üben und ein Verletzter Beseitigung des Störungszustandes fordern kann. Dass ein rechtswidriger Zustand geschaffen wird oder bestehen bleibt, braucht niemand hinzunehmen. Das hat insbesondere für die Widerrufsforderung praktische Bedeutung. Wer durch eine Unwahrheit einen Störungszustand schafft, hat ihn unabhängig davon durch Widerruf oder in sonstiger geeigneter Weise zu beseitigen, ob die Handlung infolge Beachtung der Sorgfaltsregeln gerechtfertigt war. Auch ein Bereicherungsanspruch sollte nicht ohne weiteres ausgeschlossen sein, falls er in Fällen in Betracht kommt, die der subjektiven Rechtfertigung unterliegen. 2. Zu beachtende Interessen Nach § 193 StGB können Äußerungen gerechtfertigt sein, wenn sie zur Wahrnehmung be- 38 rechtigter Interessen erfolgen. Das bedeutet nicht, es könne allein auf das Interesse des Mitteilenden abgestellt werden. Keine Interessenwahrnehmung hat absolut rechtfertigende Wirkung. Die wahrgenommenen Interessen müssen zu den verletzten in bestimmtem Verhältnis stehen119. Somit bedarf es einer Gegenüberstellung und eines Vergleiches der wahrgenommenen Interessen mit denen, die verletzt sind. Diese Interessenabwägung ist der entscheidende Vorgang, der im Rahmen des § 193 StGB zu vollziehen ist. a) Verletzte Interessen Den Ausgangspunkt bilden die verletzten Interessen, weil die Frage einer Rechtfertigung nur 39 im Falle einer Interessenverletzung relevant wird. Anhaltspunkte für die Qualität der verletzten Interessen lassen sich aus der Frage nach der Strafbarkeit der Interessenverletzung und dem Strafrahmen entnehmen, der bei den einzelnen Delikten vorgesehen ist. Danach sind Ehre und persönlicher Ruf grundsätzlich höher zu bewerten als der wirtschaftliche Ruf. Der persönliche Ruf wird durch sämtliche Beleidigungsdelikte geschützt, der wirtschaftliche allein durch den Verleumdungstatbestand, und zwar nur im Falle der Kreditgefährdung. Überdies ergibt sich aus § 186 StGB, dass der persönliche Ruf gegenüber öffentlichen Äußerungen stärker geschützt ist als gegenüber intern bleibenden. Dafür spricht auch § 824 Abs. 2 BGB. Aus der Tatsache, dass § 189 StGB das Andenken Verstorbener nur gegen Verunglimpfungen schützt, lässt sich entnehmen, dass der Schutz im Verhältnis zu Lebenden gemindert ist. Die Möglichkeit der Heranziehung der Strafrahmen unterliegt allerdings Einschränkungen. Jedenfalls ist nicht möglich, aus der Erweiterung des Strafrahmens in § 188 StGB bei übler Nachrede oder Verleumdung gegen Personen des öffentlichen Lebens abzuleiten, sie könnten sich gegenüber Kritik stärker abschirmen als andere. Insoweit trifft das Gegenteil zu. Ergänzend können allgemeine Wertmaßstäbe herangezogen werden. Richtig ist allerdings, dass diese, wie etwa die materiale Wertethik (Nicolai Hartmann, Max Scheler), nur in den groben Zügen allgemein akzeptierte Richtmaße sind, so dass sich daraus regelmäßig nur Tendenzen ableiten lassen. 119 Hubmann, JZ 1957, 753, 755.
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Kap. 6 Rz. 40 40
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
Bei der Interessenquantität geht es einmal um die Quantität der Interessen des Betroffenen, zum anderen um die Zahl derjenigen, die einem Kreis von Betroffenen angehören. Je mehr eine Äußerung zerstören kann, desto sorgfältiger muss der Kritiker prüfen, ob die Darstellung zu verantworten ist, und zwar hinsichtlich der sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen und auch bezüglich der Form der Darstellung. Aus vermehrten verletzlichen Interessen folgt eine Steigerung der an die Sorgfalt zu stellenden Anforderungen. Wer nichts Gravierendes zu berichten hat, mag sich mit überschläglicher Prüfung zufrieden geben. Wer eine Darstellung publiziert, die den Kritisierten ins Mark treffen kann, muss sehr genau ermitteln, ob dafür die Grundlage ausreicht. Dann gelten besonders hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflicht120. Entsprechendes gilt für eine Kritik, die sich gegen mehrere richtet. Hier bezieht sich die Prüfungspflicht auch und besonders auf die Frage, wer in den Kreis der Betroffenen einbezogen werden kann. b) Wahrgenommene Interessen
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Bei der Interessenabwägung können nur solche vom Behauptenden wahrgenommenen Interessen Berücksichtigung finden, die rechtlich relevant sind. Nicht relevante Interessen sind auszuscheiden. aa) Erheblichkeit der wahrgenommenen Interessen
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Der Begriff des Interesses beinhaltet objektive und subjektive bzw. generelle und individuelle Momente. Ein Interesse kann in objektiv messbarer Weise vorhanden sein oder nur in der subjektiven Vorstellung des einzelnen. Zwischen diesen Positionen sind Verbindungen und Abstufungen möglich, die allesamt unter dem Begriff des Interesses fassbar sind. Nicht alle Werte, die als Interesse aufgefasst werden können, sind im Rahmen des § 193 StGB erheblich. § 193 StGB schützt lediglich die berechtigte Interessenwahrnehmung. Deswegen hat bereits das RG den Kreis möglicherweise relevanter Interessen auf diejenigen beschränkt121, „die das Recht anerkennt, und zwar auch gegenüber dem Recht auf Achtung der Person“. Damit sind von vornherein alle Interessen ausgeschieden, die in Widerspruch zur Rechtsordnung oder zu den guten Sitten stehen. Die Relevanz des Interesses hängt damit von der Rechtsordnung ab, außerdem von außerrechtlichen Maßstäben, d.h. von solchen, die höchstens über Generalklauseln in das Recht Eingang finden. Maßgeblich sind insoweit „die Anschauungen der anständigen Leute“ davon, was im sozialen Verkehr zwischen den Rechtsgenossen „sich gehört’“122. bb) Wahrnehmung eigener und fremder Interessen
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Dass jedermann grundsätzlich das Recht zur Wahrnehmung eigener Interessen zusteht, ist unbestritten. Für die Wahrnehmung fremder Interessen haben Rechtsprechung und weithin auch die Literatur bis vor einiger Zeit eine besondere Legitimation gefordert. Die Legitimation zur Wahrnehmung fremder Interessen könne sich daraus ergeben, dass den Mitteilen120 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH v. 11.12.2012 – VI ZR 315/10, ZUM 2013, 207; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre. 121 RGSt 15, 15, 17. 122 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, 215; BGH, MDR 1958, 303; vgl. auch die amtliche Begründung zum Entwurf eines Ehrenschutzgesetzes von 1959, BR-Drucks. 217/59, 16.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 45 Kap. 6
den das fremde Interesse notstandsähnlich nahe angeht, er also ein individuelles Interesse hat, seine Meinung auf die Gefahr hin kundzutun, dass der Achtungsanspruch eines anderen verletzt wird123. Das könne z.B. bei naher Verwandtschaft, Freundschaft oder langjährigem Arbeitsverhältnis zutreffen124. Ferner könne die Legitimation aus einem Vertrag folgen, z.B. aus einem Auftragsverhältnis, etwa dem eines Anwaltes, Geschäftsführers, Vormundes125. Außerdem ist von Sonderobliegenheiten des Mitteilenden gesprochen worden. Z.B. ist ein Landtagsabgeordneter aufgrund seines Mandates als berechtigt und verpflichtet angesehen worden, die allgemeinen Belange des Volkes gegenüber der Regierung und notfalls auch gegen sie wahrzunehmen126. Ein Gemeinderatsmitglied ist als legitimiert bezeichnet worden, dem Gemeindekassierer ein Gerücht über eine grundlose Ausgabe des Bürgermeisters mitzuteilen127. Ebenso ist ein Kreisrat zu negativen Beurteilungen eines Angestellten jedenfalls dann berechtigt, wenn dies in einer nichtöffentlichen Sitzung des Kreistages geschieht, deren Gegenstand auch eine mögliche Entlassung oder Herabstufung des Angestellten ist128. Auch ein Wahlkandidat sei legitimiert, sich mit Eigenschaften eines Wahlkampfgegners zu befassen129. Überraschenderweise klingt der Gedanke an die Notwendigkeit einer Legitimation zur Wahrnehmung fremder Interessen auch noch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an. So heißt es im Lüth-Urteil, der Schutz der privaten Rechtsgüter müsse zurücktreten, wenn es sich bei der Äußerung um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten handle130. Der Hamburger Senatsdirektor Lüth ist als legitimiert angesehen worden, Kritik an dem in der Nazizeit bekanntgewordenen Filmregisseur Veit Harlan zu üben. Bei fehlender Legitimation ist nach der noch vor einiger Zeit h.M. das Recht zur Wahrneh- 44 mung fremder Interessen versagt worden. Dem lag der Gedanke zugrunde, die Ehre eines anderen dürfe nicht um der Interessen beliebiger Dritter willen angegriffen werden. § 193 StGB sei nicht geschaffen, denjenigen eine Rechtfertigung zu ermöglichen, die den Beruf zu haben glauben, sich als allgemeine Sittenrichter aufzuspielen. Grundsätzlich gelte das auch für die Wahrnehmung von Interessen der Allgemeinheit. Zwar stehe jedermann das Recht zu, Verfehlungen von Behauptungen nach pflichtmäßiger Prüfung bei den dafür zuständigen Behörden anzuzeigen. Ein Ehrangriff sei aber nur rechtfertigungsfähig, wenn der Mitteilende aus einer Zwangslage heraus gehandelt hat. Das setze voraus, dass es sich um die Verteidigung eigener Interessen oder solcher handelt, die den Mitteilenden nahe angehen131. Auf der Grundlage dieser Auffassung kommt es entscheidend darauf an, inwieweit wahr- 45 genommene Interessen als eigene anzuerkennen sind. Insoweit ist die Rechtsprechung großzügig verfahren. Auch öffentliche Angelegenheiten könnten den einzelnen u.U. unmittelbar berühren. Z.B. habe jeder Staatsbürger ein eigenes Interesse an der Verfolgung von Verbrechen132, an Ordnung und Frieden133, an der Sauberkeit des öffentlichen Lebens und der Füh123 124 125 126 127 128 129 130 131
RGSt 15, 17; RGSt 23, 285; RGSt 39, 399; RGSt 56, 383; RGSt 63, 231. OLG Braunschweig, NJW 1948, 697; OLG Düsseldorf, JR 1948, 350. RGSt 25, 68; RGSt 30, 42. BGH bei Dallinger, MDR 1955, 270. BayObLG, NJW 1956, 354. OLG Dresden v. 24.4.1997 – 7 U 289/97, NVwZ 1998, 102. BGHSt 12, 287. BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257. Näheres bei Rehbinder, Die öffentliche Aufgabe und rechtliche Verantwortlichkeit der Presse, 1962, S. 33. 132 RGSt 20, 164; RGSt 71, 34, 39. 133 RGSt 36, 422.
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Kap. 6 Rz. 46
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rung einer nationalen Politik134, ebenso an der rechtsstaatlichen Grundordnung des Staatswesens135. Außerdem seien bestimmte mittelbar eigene Interessen anzuerkennen, die vorlägen, wenn sie in gleicher Weise auch anderen Personen zukommen, die mit dem Beleidiger durch ein gemeinsames Band verbunden sind und einen gegen die Allgemeinheit erkennbar abgegrenzten Personenkreis bilden, z.B. ein Richter- oder ein Lehrerkollegium, ein Verein, eine Genossenschaft136. cc) Problem einer Sonderlegitimation der Presse 46
Auf der Grundlage der vorstehend zitierten, heute erfreulicherweise überholten, um nicht zu sagen antiquierten Auffassung musste sich zwangsläufig die Frage ergeben, wie es sich mit der Presse verhält, wenn sie nicht ausnahmsweise eigene Anliegen verfolgt, sondern ihre eigentliche Aufgabe wahrnimmt, die Leser zu unterrichten, anzuregen, zu unterhalten. Dieses Problem hat zu bemerkenswerten, bis heute nachwirkenden Verirrungen geführt. Die frühere h.M. nahm an, die von ihr für die Wahrnehmung berechtigter Interessen entwickelten Voraussetzungen seien auch für die Presse gültig. Der Presse komme keine Sonderstellung zu. Auch sie benötige zur Wahrnehmung fremder Interessen eine besondere Legitimation. Das gelte auch für Fachzeitschriften137. Ein Schriftleiter könne öffentliche Interessen nur in seiner Eigenschaft als Gemeindemitglied oder Staatsbürger wahren138. Die in einer Zeitung geübte Kritik an Straßenbahntarifen hat das RG zwar als gerechtfertigt anerkannt, aber nur, weil der Redakteur selbst Straßenbahnbenutzer war139. In seinen frühen Entscheidungen ist auch der BGH von dieser Auffassung ausgegangen. Die kritische Erörterung der Erschießung eines Schmugglers hat er nur deswegen als durch § 193 StGB gedeckt angesehen, weil der Schriftleiter Grenzbewohner war, weswegen er an der Klärung der Verhältnisse an der Grenze ein eigenes Interesse habe140. In der Constanze-Entscheidung hat der BGH die Rechtfertigungsmöglichkeit der Kritik eines Kirchenblattes anerkannt, weil „die Belange, die im Abwehrkampf der Kirche gegen das von ihr missbilligte Zeitschriftenunwesen auf dem Spiele standen, die Beklagte als Verlegerin des Kirchenblattes so nahe angehen, dass ihr ein besonderes Recht zur Wahrung dieser Interessen zuzubilligen“ sei. Die Bezeichnung der Zeitschrift „Constanze“ als „Blüte aus dem Sumpf zweifelhafter Magazine“ sei allerdings ein Exzess, der nicht verantwortet werden könne141.
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Die Forderung einer besonderen Legitimation zur Wahrnehmung fremder Interessen und die Weigerung, der Presse einen Sonderstatus einzuräumen, sind zwangsläufig auf Kritik gestoßen. Das LG Berlin I hat dem RG bereits Mitte der zwanziger Jahre die Gefolgschaft verweigert142. Die Gegenströmung hat sich aber zunächst nicht durchzusetzen vermocht. So ist schließlich der Gedanke entstanden, was die Presse leiste, sei eine öffentliche Aufgabe. Die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe legitimiere zur Wahrnehmung fremder Interessen
134 135 136 137 138 139 140 141 142
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RGSt 62, 83, 93. BGH v. 5.3.1953 – 5 StR 562/52, NJW 1956, 799. RGSt 25, 364; RGSt 44, 148. RGSt 30, 41; RGSt 39, 399; RGSt 40, 102; RGSt 56, 380; RGSt 65, 359. RGSt 64, 13. RGSt 64, 10, 13. BGHSt 7, 388. BGHZ 3, 270; vgl. auch Forsthoff, Tagespresse und Grundgesetz, DÖV 1963, 633. LG Berlin I, JW 1925, 83; vgl. auch Markuse, JW 1925, 1474.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 50 Kap. 6
zumindest bei Angelegenheiten des Gemeinwohls. Pressekritiken seien also rechtfertigungsfähig, wenn sie im Rahmen der öffentlichen Aufgabe lägen, die der Presse gestellt sei143. Der Gedanke, die Presse nehme eine öffentliche Aufgabe wahr, weswegen ihr bei der Interes- 48 senwahrnehmung eine Sonderstellung zukomme, hat seinen Ausgangspunkt in § 1 des NSSchriftleitergesetzes vom 4.10.1933144. Dieser bezeichnet den Beruf des Schriftleiters und damit die Tätigkeit der Presse ausdrücklich als öffentliche Aufgabe. Das Ziel war es, den Redakteur in ein beamtenähnliches Abhängigkeitsverhältnis zum Staat zu bringen145. Interessant ist in diesem Zusammenhang das sog. Stürmer-Urteil146. Dem nationalsozialistischen Kampfblatt „Der Stürmer“ war der Fehler unterlaufen, eine harmlose Pension als „jüdisches Bordell“ zu bezeichnen. Das galt es zu rechtfertigen. Gelungen ist dem OLG Frankfurt das durch die Erwägung, der Presse sei das Recht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht in weiterem Umfange als Privatpersonen zugebilligt worden, solange sie „nur der Förderung persönlicher Erwerbsinteressen oder politischer, häufig dem Staatswohl abträglicher Bestrebungen besonderer Volkskreise“ gedient habe. § 1 NS-Schriftleitergesetz habe das Pressewesen auf eine neue Grundlage gestellt. Dadurch sei der Schriftleiter Träger einer öffentlichen Aufgabe mit besonderen Rechten und Pflichten geworden, vornehmlich der öffentlichen Erziehung und Belehrung. Dieses ihm übertragene Amt und damit ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 193 StGB nehme der Schriftleiter auch wahr, wenn er fremde Angelegenheiten erörtert. Ohne diese Befugnis könne er das ihm übertragene Amt überhaupt nicht ausüben147. Angesichts dieser nazistischen Herkunft des Begriffes „öffentliche Aufgabe der Presse“ wäre 49 zu erwarten gewesen, dass nach 1945 zusammen mit der Abschaffung des Schriftleitergesetzes auf seine Weiterverwendung verzichtet werden würde. Das Gegenteil war der Fall. Mit Ausnahme von Bayern und Hessen ist noch heute in den LPG verankert, die Presse erfülle eine öffentliche Aufgabe. Dass die Ursache hierfür die vermeintliche Notwendigkeit ist, der Presse bei der Wahrnehmung fremder Interessen eine Sonderlegitimation zu verschaffen, belegen u.a. die Regelungen, die den vorerwähnten, Mitte der sechziger Jahre erlassenen LPG vorangegangen sind. Besonders deutlich kommt das durch den Wortlaut des nach wie vor in Kraft befindlichen Art. 3 BayPrG vom 3.10.1949 zum Ausdruck: (1) Die Presse dient dem demokratischen Gedanken. (2) Sie hat in Erfüllung dieser Aufgabe die Pflicht zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung und das Recht, ungehindert Nachrichten und Informationen einzuholen, zu berichten und Kritik zu üben. (3) Im Rahmen dieser Rechte und Pflichten nimmt sie in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens berechtigte Interessen i.S.d. § 193 des Strafgesetzbuches wahr.
Auf dem gleichen Gedanken fußend hieß es in § 1 Abs. 2 des inzwischen aufgehobenen 50 Württemberg-Badischen Pressegesetzes vom 1.4.1949148: Der Presse steht der Schutz des § 193 RStGB zur Seite.
143 U.a. OLG Celle, NJW 1953, 1764; OLG Hamm, MDR 1953, 310; OLG Hamburg, NJW 1954, 1297; OLG Köln, GA 1957, 61; OLG Stuttgart, BB 1963, 831; Schneider, NJW 1963, 665. 144 RGBl. 11, 713. 145 Schmidt-Leonhardt, Das Schriftleitergesetz, 3. Aufl. 1944, § 1 Anm. 1 und 2. 146 OLG Frankfurt, JW 1937, 1261. 147 Zum Begriff „öffentliche Aufgabe der Presse“ vgl. Arndt, NJW 1963, 193; Schneider, NJW 1963, 665; Groß, NJW 1963, 893; Rehbinder, NJW 1963, 1387. 148 RegBl. 1949, 59.
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Kap. 6 Rz. 51 51
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
Der Entwurf eines Ehrenschutzgesetzes aus dem Jahre 1959 belegt gleichfalls den gedanklichen Ausgangspunkt der „öffentlichen Aufgabe“. In § 14 Abs. 2 hieß es149: Presse, Rundfunk und Film nehmen ein berechtigtes Interesse wahr, wenn sie im Rahmen ihrer öffentlichen Aufgabe die Öffentlichkeit unterrichten oder Kritik üben.
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Der Gedanke, die Presse sei insofern zur Wahrnehmung fremder Interessen berechtigt, als sie öffentliche Aufgaben erfülle, hat sich auch in der Rechtsprechung niedergeschlagen. In der Altherren-Entscheidung vom 22.12.1959 führt der BGH aus150: „Das RG hatte der Presse den Rechtfertigungsgrund nur dann zugebilligt, wenn zu der behandelten Angelegenheit eine nahe Beziehung des Redakteurs oder Autors im Sinne einer besonderen Interessenberührung bestand (RGZ 83, 362; RGSt 56, 380; RGSt 63, 92; RGSt 64, 10). Diese Auffassung wird der im demokratischen Staat besonders bedeutsamen Funktion der Presse, die Bürger über öffentliche Angelegenheiten zu unterrichten und an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken, nicht gerecht. Gerade wegen der Wichtigkeit dieser Aufgabe ist die Freiheit der Presse durch das Grundgesetz (Art. 5 Abs. 1 Satz 2) besonders geschützt. Es ist der inzwischen herrschend gewordenen Meinung zuzustimmen, dass die Presse im Rahmen ihrer öffentlichen Aufgabe, insbesondere bei der Behandlung politischer Angelegenheiten, zur Wahrung der Interessen der Öffentlichkeit befugt ist.“
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Die Annahme, die Presse erfülle eine öffentliche Aufgabe und nur deswegen sei sie zur Wahrnehmung fremder Interessen legitimiert, hat zur Folge, dass derjenige, der nicht zur Presse gehört und damit keine „öffentliche Aufgabe“ erfüllt, keine Legitimation zur Wahrnehmung fremder Interessen hat. Besonders prägnant kommt diese Konsequenz in einer Entscheidung des OLG Stuttgart zum Ausdruck, in der es heißt151: „Nur derjenige kann sich auf das öffentliche Informationsbedürfnis berufen, der berechtigt ist, Interessen des Publikums wahrzunehmen. Privatpersonen scheiden danach in der Regel aus. Dagegen ist bereits oben die Presse als Sprachrohr der öffentlichen Meinung anerkannt.“
dd) Bedeutung der öffentlichen Aufgabe Schrifttum: Rehbinder, Öffentliche Aufgabe und rechtliche Verantwortung der Presse, Diss. Berlin 1961; Erdsiek, Unterhaltung als öffentliche Aufgabe der Presse?, NJW 1962, 1392; Czajka, Pressefreiheit und „öffentliche Aufgabe“ der Presse, 1968.
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Dass der Presse in vielerlei Hinsicht eine Sonderstellung zukommt, ist richtig152. Für ihre Privilegierung in Bezug auf die Äußerungsfreiheit und demzufolge für eine Zurückstufung anderer ist indessen kein Raum. Mit Recht hat der BGH schon in der Callgirl-Entscheidung vom 15.1.1963 ausgeführt153, die Tatsache der gedruckten Verbreitung könne für sich genommen kein Mehr an Rechten vermitteln, sondern lediglich ein Anzeichen dafür sein, dass der Mitteilende öffentliche Interessen im Auge hat. Ob er, worauf es im Ergebnis allein ankomme, berechtigte Interessen wahrnimmt, sei unabhängig vom benutzten Verbreitungsmittel nach den für alle geltenden Gesetzen zu entscheiden. Im Übrigen sei von vornherein unscharf, wenn gesagt werde, „die Presse“ nehme berechtigte Interessen wahr. Das könne nur eine durch ein Presseorgan zur Öffentlichkeit sprechende Person sein. Die Befugnis dazu beruhe auf dem
149 150 151 152
Vgl. dazu auch die Amtliche Begründung, BR-Drucks. 217/59, 18. BGH v. 22.12.1959 – VI ZR 175/58, BGHZ 31, 308, 312. OLG Stuttgart, JZ 1960, 126, 130. Vgl. BVerfG v. 5.8.1966 – 1 BvR 586/62, 1 BvR 610/63, 1 BvR 512/64, NJW 1966, 1603 – Spiegel. 153 BGHSt 18, 182.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 57 Kap. 6
Recht jedes Bürgers, an der politischen Willensbildung tätigen Anteil zu nehmen. Für die Frage der Rechtfertigung nach § 193 StGB bedeute es deshalb keinen Unterschied, ob die sich äußernde Person damit zugleich eine Berufstätigkeit als Journalist ausübt oder nicht. Diese Auffassung wird heute einmütig vertreten. Von einer Sonderlegitimation der Presse 55 zur Wahrnehmung fremder Angelegenheiten und demzufolge von einer Zurückstufung anderer kann keine Rede mehr sein. Das hat das Bundesverfassungsgericht u.a. in der SchmidEntscheidung klargestellt154. Umso mehr muss überraschen, dass es die aus dem Lüth-Urteil stammende Formulierung155, die Vermutung spreche für die Zulässigkeit der freien Rede, wenn es sich um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage „durch einen dazu Legitimierten“ handle, noch in der Wahlkampf-Entscheidung vom 22.6.1982 wiederholt hat156. Nachdem trotz dieser wenig geglückten Formulierung kein Zweifel mehr besteht, dass es gerade nicht eines „dazu Legitimierten“ und auch nicht der Zugehörigkeit zur Presse bedarf, um Kritik üben zu dürfen, hat die „öffentliche Aufgabe“, die die Presse erfüllt, jedenfalls im hier erörterten Bereich, ihre Bedeutung verloren. Es bedarf dieses Instrumentes nicht mehr, um zu einer Rechtfertigungsmöglichkeit für Presseäußerungen gelangen zu können. Trotzdem besteht vorerst keine Aussicht, es werde auf diesen von Scholler als „Wichtigkeitsattribut“ bezeichneten Begriff verzichtet werden157. Er hat ein Eigenleben zu entfalten begonnen. So bezeichnet Ricker die von ihm bejahte öffentliche Aufgabe als „entscheidenden Kulminationspunkt für die Diskussion über die Stellung und die Funktion der Presse in Staat und Gesellschaft“158. Selbst in die neuen Rundfunk- und Mediengesetze hat der Begriff Eingang gefunden, obschon mutmaßlich niemand wird erklären können, welche Rechtsfolge sich daraus ergeben soll. c) Wahrnehmung von Informationsinteressen Richtiger Auffassung nach geht es im Bereich des Äußerungsrechts vornehmlich um ein In- 56 teresse, dessen Wahrnehmung bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen sein kann, nämlich um das Informationsinteresse. Das Interesse der Mitteilungsempfänger, informiert zu werden, ist zwar aus der Sicht des Mitteilenden regelmäßig ein fremdes. Zur Wahrnehmung ist aber grundsätzlich jedermann befugt. Die Vorstellung, es bedürfe dazu einer besonderen Legitimation, ist überholt. Jeder hat das Recht, durch freie Äußerung seiner Meinung zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen159. Nicht nach der Legitimation ist zu fragen, sondern ob für die streitige Äußerung ein Informationsbedürfnis vorhanden und ob sie an Informationsinteressenten gerichtet ist. Ein Informationsinteresse, das als berechtigt anzuerkennen sein könnte, ist keineswegs für 57 jede Mitteilung vorhanden. Interesse besteht z.B. an Berichten über Strafverfahren. Der Bürger will wissen, wie Verkehrs- oder sonstige Delikte behandelt werden. Entsprechendes gilt für Berichte über zivilrechtliche Auseinandersetzungen. Das legitime Informationsbedürfnis bleibt aber regelmäßig auf die Thematik als solche beschränkt. Ein Bedürfnis, über die Personen unterrichtet zu werden, die an der Auseinandersetzung beteiligt sind, besteht nur aus-
154 155 156 157 158 159
BVerfG v. 25.1.1961 – 1 BvR 9/57, NJW 1961, 819. BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257. BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415. Scholler, Person und Öffentlichkeit, 1967, S. 338. Ricker, Die öffentliche Aufgabe der Presse, 1974, S. 8. BVerfG v. 25.1.1961 – 1 BvR 9/57, NJW 1961, 819 – Schmid.
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Kap. 6 Rz. 58
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
nahmsweise. Deswegen werden bei Gerichtsberichten Namen von Angeklagten, Prozessbeteiligten usw. im Allgemeinen nur erwähnt, wenn wissenswert erscheint, dass es gerade der Genannte ist, der vor Gericht steht. Die Unterscheidung zwischen der Thematik als solcher und den daran beteiligten Personen ist ganz allgemein erforderlich160. Mit Recht hat schon der BGH erklärt, für die Öffentlichkeit möge wissenswert sein, dass minderjährige Mädchen heimlich nach Schottland reisen, um dort die Ehe mit einem den Eltern nicht genehmen Mann zu schließen. Das bedeute aber keineswegs, dass ein Interesse auch daran besteht, über die Namen der Mädchen unterrichtet zu werden. Jedenfalls könne einem etwaigen Interesse daran das Gebot der Achtung fremden Privat- und Familienlebens entgegenstehen161. Allerdings dürfen die Medien nicht grundsätzlich auf eine anonyme Berichterstattung verwiesen werden162. Verfehlungen auch konkreter Personen aufzuzeigen gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien163. 58
Auf das Bedürfnis, neben der Thematik auch die Namen der beteiligten Personen zu erfahren, ist besonders zu achten, wenn die Darstellung eine Prangerwirkung hat, wie es speziell bei Bildberichten, namentlich solchen im Fernsehen, der Fall sein kann164. Darauf hat auch der BGH bei einem Fernsehbericht hingewiesen, der den Kläger stellvertretend für eine gewisse Gruppe im sog. Dritten Reich verantwortlich gewesener Nazis in seinem heutigen Erscheinungsbild und in seinen heutigen Lebensverhältnissen vorgeführt hat165. Dass eine Frau das Opfer eines in ein Betrugsverfahren verwickelten Heiratsschwindlers geworden ist, rechtfertigt es grundsätzlich nicht, ihren Namen öffentlich zu nennen. Ob das anderweitig bereits geschehen ist, hat keine Bedeutung. Andernfalls könnte praktisch jeder Unterlassungsforderung der Einwand entgegengesetzt werden, an irgendeiner Stelle sei der Name bereits erschienen. Damit wäre der Rechtsschutz wirkungslos. Hieran ändert sich auch nichts, wenn das Strafverfahren großes Aufsehen erregt und der Gerichtsvorsitzende gesagt hat „Hier können wir Männer wirklich lernen, was Frauen schwach macht“. Näheres zur Namensnennung Kap. 10 Rz. 51 ff.
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Das Vorstehende schließt nicht das Recht aus, kritische Berichte zu gemeinschaftswichtigen Themen durch konkrete Beispiele zu belegen und zu verdeutlichen166. Ob der Betroffene hinnehmen muss, als Beispiel vorgeführt zu werden, hängt auch davon ab, ob er dazu An160 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 565/06, AfP 2006, 354 Rz. 10 ff. – Verkehrsverstoß; v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09, AfP 2012, 143 Rz. 39 – Ochsenknecht Söhne; BGH v. 21.11.2006 – VI ZR 259/05, MDR 2007, 588 = AfP 2007, 44 – Klinik-Geschäftsführer. 161 BGH v. 26.1.1965 – VI ZR 204/63, GRUR 1965, 256 – Gretna Green. 162 BVerfG v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09, AfP 2012, 143 Rz. 39 – Ochsenknecht Söhne; BGH v. 21.11.2006 – VI ZR 259/05, MDR 2007, 588 = AfP 2007, 44 – Klinik-Geschäftsführer; v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12 Rz. 26, AfP 2013, 250 – Wettermoderator; OLG Saarbrücken v. 05.10.2016 – 5 U 3/16, AfP 2017, 65 Rz. 37; vgl. EGMR v. 10.2.2009 – 351/02 Rz. 63 – Eerikainen; v. 7.2.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 – Axel Springer/Deutschland. 163 BVerfG v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09, AfP 2012, 143 Rz. 39 – Ochsenknecht Söhne. 164 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226 – Lebach I; v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09, AfP 2012, 143 Rz. 39 – Ochsenknecht Söhne; BGH v. 26.10.2010 – VI ZR 230/08, GRUR 2011, 261 – Party-Prinzessin m. Anm. Stender-Vorwachs, GRUR 2011, 265; OLG Köln v. 9.6.2015 – 15 U 217/14, AfP 2016, 160. 165 BGH v. 16.9.1966 – VI ZR 268/64, NJW 1966, 2353 – Vor unserer eigenen Tür. 166 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 565/06, AfP 2006, 354 Rz. 10 ff. – Verkehrsverstoß; v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09, AfP 2012, 143 Rz. 39 – Ochsenknecht Söhne; BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 266/64, GRUR 1966, 633 – Teppichkehrmaschine; v. 14.1.1969 – VI ZR 196/67, GRUR 1969, 304 – Kredithaie; v. 20.5.1969 – VI ZR 256/67, GRUR 1969, 555, 559 – Cellulitis; v. 21.11.2006 – VI ZR 259/05, MDR 2007, 588 = AfP 2007, 44 – Klinik-Geschäftsführer.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 61 Kap. 6
lass, insbesondere ob er mehr Anlass gegeben hat als andere. Dieser Anlass kann sich aus Verfehlungen, namentlich aus aktuellen Verfehlungen, aber auch aus seiner allgemeinen Haltung und seinem Einfluss ergeben. Das OLG Frankfurt geht davon aus167, die Namensnennung müsse auch hinnehmen, wer nur im Verdacht steht, an nationalsozialistischen Gewaltverbrechen beteiligt gewesen zu sein, wenn dafür zumindest gewichtige Anhaltspunkte sprechen. Der BGH hat die namentliche Erwähnung eines international anerkannten Fachmannes, der als Leiter einer Datenzentrale plötzlich entlassen worden war, für zulässig bezeichnet, weil der Vorgang in der Öffentlichkeit bereits ein breites Echo gefunden hatte und die vom Betroffenen begehrte Aufdeckung der Hintergründe von allgemeinem Interesse war168. Auch der Geschäftsführer einer landeseigenen GmbH, die ein Klinikum mit ca. 900 Mitarbeitern in einer strukturschwachen Region Brandenburgs unweit von Berlin betreibt, musste seine namentliche Nennung in Berichten über seine Abberufung hinnehmen169. Er war nach einem medienwirksamen Skandal im Zusammenhang mit der Abberufung seines Vorgängers angetreten, um als neuer Geschäftsführer das Klinikum aus der Krise herauszuführen und ist damit über den lokalen Bereich hinaus mit Interviews an die Öffentlichkeit getreten. Wer im Wirtschaftsleben – noch dazu im Bereich der öffentlichen Hand – als Geschäftsführer eines großen Klinikums eine solch herausragende Position inne hat, muss es hinnehmen, dass die Presse auch über seine Abberufung wegen einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses mit einem Großteil der Mitarbeiter als Vorgang von öffentlichem Interesse unter Namensnennung berichtet (weitere Bsp. vgl. Kap. 10 Rz. 53 f.)170. Der Kreis der Informationsinteressenten bedarf besonderer Prüfung. Oftmals besteht ein 60 Informationsbedürfnis, aber nicht in der Öffentlichkeit, sondern nur bei einigen oder gar nur bei einem. Besonders deutlich wird das bei Vorgängen aus der Privat- und der Intimsphäre. Der Öffentlichkeit sind solche Vorgänge zumeist gleichgültig oder es handelt sich nicht um ein Informations-, sondern um ein bloßes Sensationsbedürfnis. Auch bei Vorgängen aus dem wirtschaftlichen Bereich kann der Kreis der Informationsinteressenten durchaus unterschiedlich sein. Speziell wenn es um Verdachtsmomente, darauf gestützte Prognosen usw. geht, kann das für die Öffentlichkeit belanglos, für Geschäftspartner aber von hohem Interesse sein. Wird die streitige Äußerung in Kreisen verbreitet, die kein Informationsbedürfnis haben, werden insoweit keine Informationsinteressen wahrgenommen. 3. Grundsätze der Interessenabwägung Eine Rechtfertigung durch Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt nur, wenn die 61 wahrgenommenen im Verhältnis zu den verletzten Interessen als höherwertig bzw. als überwiegend anzuerkennen sind. Auf die Höherwertigkeit kann abgestellt werden, wenn die sich gegenüberstehenden Interessen zahlenmäßig messbar sind, insbesondere wenn sie sich in Geldeswert ausdrücken lassen. Bei inkommensurablen Werten ist das nicht möglich171. Nicht möglich ist das auch, wenn Informationsinteressen auf der einen und persönlichkeitsrechtliche oder wirtschaftliche Belange auf der anderen Seite einander gegenüberstehen. In solchen Fällen kann nur auf das Überwiegen abgestellt werden172. Auch der rechtfertigende
167 168 169 170 171 172
OLG Frankfurt v. 6.9.1979 – 16 U 75/79, AfP 1980, 50 = NJW 1980, 597. BGH v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, NJW 1979, 1041 – Exdirektor. BGH v. 21.11.2006 – VI ZR 259/05, MDR 2007, 588 = AfP 2007, 44 – Klinik-Geschäftsführer. BGH v. 21.11.2006 – VI ZR 259/05, MDR 2007, 588 = AfP 2007, 44 – Klinik-Geschäftsführer. Larenz, NJW 1955, 522. Hubmann, AcP 155, 1955, 101.
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Kap. 6 Rz. 62
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
Notstand hängt nach § 34 StGB davon ab, dass das geschützte Interesse das beeinträchtigte überwiegt, und zwar wesentlich. a) Sachlichkeit des Informationsinteresses 62
Das vom Kritiker wahrgenommene Informationsinteresse muss sachlich bedingt sein. Das gilt jedenfalls für einen gravierenden Eingriff. In der Entscheidung Der Aufmacher II bemerkt der BGH173, der Kritisierte sei durch die Verpflichtung des Kritikers zur Wahrheit und Sachlichkeit seiner Kritik hinreichend geschützt, weswegen er sich nicht dagegen wenden könne, zum Gegenstand einer Betriebsreportage gemacht worden zu sein. Der Presse wird die Wahrnehmung berechtigter Interessen vornehmlich zugebilligt, wenn sie über Angelegenheiten berichtet, an denen ein ernsthaftes Interesse der Öffentlichkeit besteht174. Diese darf sie auch pointiert aufgreifen und ggf. drastisch darstellen175 wenn ein sachlicher Anlass besteht (vgl. Rz. 77 ff.).
63
Als Gradmesser für Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit des Informationsinteresses kann die Antwort auf die Frage dienen, ob die Informationsempfänger aus dem mitgeteilten Vorgang Konsequenzen ziehen können. Das kann in politischer Hinsicht der Fall sein. Wenn ein Politiker sich in Affären verwickeln lässt, wird man ihn möglicherweise nicht mehr wählen wollen. Das Interesse, nicht nur über die Affäre als solche, sondern auch über die daran beteiligten Personen unterrichtet zu werden, hat damit im Zweifel eine sachlich fundierte Grundlage. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht können Konsequenzen zu ziehen sein. Ist eine Ware fehlerhaft oder überteuert, wird man sie möglicherweise nicht erwerben wollen. Der allgemeine Hinweis, es seien fehlerhafte oder überteuerte Waren auf dem Markt, wäre deswegen nicht ausreichend. Konsequenzen können sich sogar im privaten Bereich ergeben. Wer einer kriminellen Straftat verdächtigt oder deswegen verurteilt ist oder wer sich sonstiges hat zuschulden kommen lassen, ist möglicherweise kein Gesprächspartner mehr. Insbesondere in solchen Fällen ist allerdings auch zu fragen, wie groß der Personenkreis ist, bei dem ein Informationsbedürfnis besteht, und ob es gerechtfertigt ist, den Namen nicht nur im kleinen Kreis, sondern in der Öffentlichkeit zu nennen, zumal die öffentliche Erwähnung eine Prangerwirkung verursachen kann.
64
Dient die Darstellung einem bloßen Unterhaltungsinteresse, ist die Wahrnehmung von Informationsinteressen jedenfalls in der Vergangenheit kritischer beurteilt worden. In der Callgirl-Entscheidung meint der BGH sogar176, Berichte und Kommentare, denen es auf Skandal und Sensation ankommt, seien grundsätzlich nicht rechtfertigungsfähig177. Inzwischen ist anerkannt, dass auch das Bedürfnis, einfach unterhalten zu werden, legitim ist178. Publizistikwissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass die Unterhaltung nicht nur den Informationswert einer Zeitung fördert, sondern dass durch Beiträge unterhaltenden Cha173 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366, 1368. 174 BVerfG v. 6.11.1968 – 1 BvR 501/62, NJW 1969, 227; BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 266/64, GRUR 1966, 633; v. 20.5.1969 – VI ZR 256/67GRUR 1969, 555 – Cellulitis. 175 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie. 176 BGH v. 15.1.1963 – VI ZR 478/62, NJW 1963, 665. 177 Vgl. auch BGH v. 5.3.1963 – VI ZR 55/62, NJW 1963, 902 – Fernsehansagerin; LG Bielefeld v. 12.7.1974 – 5 O 538/73, MDR 1975, 55. 178 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco I.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 65 Kap. 6
rakters das politische und gesellschaftliche Bewusstsein stärker geprägt werden kann als durch politische179. Auch ein aus dem Unterhaltungsbedürfnis erwachsendes Informationsinteresse kann deswegen ein berechtigtes sein180. Entscheidend ist, ob ein solches Unterhaltungsbedürfnis als gegenüber den Interessen des Betroffenen überwiegend anzuerkennen ist181. Das wird zu verneinen sein, wenn die Darstellung für den Betroffenen ernsthaft beeinträchtigend ist. Z.B. braucht eine im öffentlichen Leben stehende Person es nicht hinzunehmen, dass ihr Ruf zu Zwecken der Unterhaltung anderer dadurch gefährdet wird, dass die in einem Strafverfahren von einer Prostituierten gemachten Angaben über einen ihrer Kunden und eine angebliche Ähnlichkeit mit dem Betroffenen in der Presse breitgetreten werden182. Geht es stattdessen um das Privatleben eines Showstars, der durch freiwillige Bekanntgabe von Intimitäten Aufmerksamkeit zu erregen versucht hat, wird ein ausnahmsweises Geheimhaltungsinteresse weitaus eher hinter einem Unterhaltungsbedürfnis zurückzutreten haben. Dies gilt auch für berichtete Trivialitäten und Klatsch183. Ob eine Darstellung informativ oder unterhaltend ist, hängt weitgehend auch vom Rezipientenverständnis ab. Z.B. wird die vollständige Fernsehübertragung eines Fußballspiels oder Tennismatches für die Zuschauer im Prinzip unterhaltend sein. Für aktive Fußball- und Tennisspieler kann es stattdessen um die Information gehen, welche Spielvarianten welche Gegenzüge erfordern und womit zum Erfolg zu kommen ist. Das Prädikat „informativ“ bzw. „unterhaltend“ hat deswegen allenfalls relative Bedeutung. b) Intensität des Informationsinteresses Die Intensität des Informationsinteresses folgt u.a. aus der Bedeutung der Konsequenzen, die 65 aufgrund der Berichterstattung zu ziehen sein können. Die öffentliche Auseinandersetzung über gesellschaftliche und politische Fragen soll möglichst frei vonstatten gehen. Daher kann auch die Äußerung gegenüber Bundeswehrsoldaten „Mörder aus niederen Beweggründen“ noch gerechtfertigt sein184. Bei der öffentlichen Berichterstattung kommt es auf die Bedeutung für die Allgemeinheit an, d.h. für die Allgemeinheit innerhalb des Verbreitungsgebietes. Dazu erwähnt der BGH mit Recht185, besonders starke Berücksichtigung verdiene die Äußerungsfreiheit bei einer über einzelpersönliche Bezüge hinausgehenden Thematik von großer Tragweite, wie es z.B. beim Verhältnis der Konfessionen zueinander der Fall ist. Entsprechendes gilt für kritische Auseinandersetzungen im politischen Tageskampf, speziell im Wahlkampf, wenn es darauf ankommt, dass sich die Entscheidung des Volkes aufgrund freien Wettbewerbs der Meinungen und Personen bildet. Während eines Wahlkampfes ist der politische Meinungskampf auf das höchste intensiviert186. Folglich ist es grundsätzlich rechtens, auf das Verhalten eines Wahlkandidaten hinzuweisen, das den Schluss erlaubt, wünschenswerte 179 Berg/Kiefer (Hrsg.), Massenkommunikation V, 1996. 180 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco I; OLG Nürnberg, MDR 1963, 412; OLG München v. 28.3.1990 – 21 U 1938/90, AfP 1990, 214; Mallmann, JZ 1966, 1625; Soehring/Hoene, § 15 Rz. 11; a.A. Erdsiek, NJW 1963, 1392; Prinz/Peters, Rz. 256; Ricker/Weberling, Kap. 42 Rz. 66. 181 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco I. 182 BGH v. 15.1.1963 – 1 StR 478/62, NJW 1963, 665 – Callgirl. 183 OLG München v. 28.3.1990 – 21 U 1938/90, AfP 1990, 214. 184 KG v. 5.6.2002 – [5] 1 Ss 247/98 [66/98], NJW 2003, 685. 185 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617, 1619 – Höllenfeuer. 186 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415, 1416 – Wahlkampfäußerung.
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Kap. 6 Rz. 66
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
Eigenschaften könnten ihm fehlen187. Ebenso kann es zulässig sein, die CSU als „NPD Europas“ zu bezeichnen188. Auch an wirtschaftlichen Vorgängen kann ein intensives Informationsinteresse bestehen. In der Waffenhandel-Entscheidung bemerkt der BGH, die kritische Beschäftigung mit Waffenhandelsgeschäften eines Bankhauses sei auch insofern zulässig gewesen, als Attentate auf deutsche Waffenhändler die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf dieses Problem gelenkt und die Frage nahegelegt hätten, ob gesetzliche Maßnahmen erforderlich seien, um die Gefährdung der inneren Sicherheit abzustellen und außenpolitische Verstrickungen zu vermeiden189. Dient die Äußerung der Information von Verbrauchern, ist zu berücksichtigen, dass eine marktwirtschaftliche Ordnung ein möglichst hohes Maß an Informationen über marktrelevante Faktoren voraussetzt190. An solchen Informationen besteht regelmäßig ein besonderes Informationsinteresse191. Von besonderem öffentlichen Interesse können auch Fehlentwicklungen und Missstände sein, die sich für die Allgemeinheit, zumindest aber für einen erheblichen Teil derselben als so einschneidend darstellen, dass deren öffentliche Behandlung als wesentlich anzusehen ist192. Dies kann bei gewichtigen gesellschaftlichen Themen, wie etwa dem Tierschutz193, der Verschwendung von Steuergeldern194, Lohndumping195 oder des Nutzens von Briefkastenfirmen zur Abwicklung von Zahlungsströmen oder steuerlicher Vorteile der Fall sein196. c) Anlass der Berichterstattung 66
Auch der Anlass der Berichterstattung kann bei der Interessenabwägung ins Gewicht fallen. Anlass für eine Kritik können politische Aktivitäten des Betroffenen liefern, z.B. eine Kandidatur197 oder widersprüchliche Verhaltensweisen198. Hat ein Kripochef, der Mitglied der Grünen ist, eine Ratssitzung u.a. durch die akustische Nachahmung eines Pferdes gestört, muss er es hinnehmen, von politischen Gegnern während des Wahlkampfes als „Grüner Kasper“ bezeichnet zu werden199. Berechtigter Anlass zu Kritik kann sich auch aus wirtschaftlichen Verhaltensweisen ergeben. Dazu heißt es schon in der Phylax-Entscheidung, ein Gewerbetreibender müsse sich besonders scharfe Kritik gefallen lassen, wenn er Apparate
187 BGH v. 20.1.1959 – 1 StR 518/58, NJW 1959, 636 – Altbaden. 188 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung. 189 BGH v. 24.10.1961 – VI ZR 204/60, NJW 1962, 32. 190 BVerfG v. 28.7.2004 – 1 BvR 2566/95, NJW-RR 2004, 1710, 1711 f. 191 BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 = GRUR 2015, 289, 294 – Hochleistungsmagneten; EGMR v. 15.2.2005 – 68416/01, NJW 2006, 1255 Rz. 94 – Steel und Morris/Vereinigtes Königreich. 192 OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450 Rz. 151 ff.; v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 – Panama-Papers. 193 OLG Hamm v. 21.7.2004 – 3 U 77/04, ZUM-RD 2004, 579. 194 OLG Köln v. 19.11.2013 – 15 U 53/13, K&R 2014, 430 BeckRS 2014, 65073. 195 OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450. 196 OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 53 – Panama-Papers; vgl. Renner/Baumann, AfP 2015, 285. 197 OLG München, ArchPR 1972, 109 betr. die Behauptung, der Kläger sei ein „linksradikal bis prokommunistisch eingestellter Kommunistenspezi“. 198 BGH v. 20.1.1959 – 1 StR 518/58, NJW 1959, 636 – Altbaden betr. die Bezeichnung eines ursprünglichen Wortführers der Altbadener Bewegung, der alsdann Staatsrat in der Landesregierung Baden-Württemberg geworden war, als „zwiespältiger Charakter“. 199 LG Arnsberg v. 8.1.1987 – 4 O 587/86, NJW 1987, 1412.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 68 Kap. 6
vertreibt, die der Volksgesundheit nur angeblich dienen200. Ebenso kann berechtigter Anlass zu Kritik bestehen, wenn der Kritisierte selbst Kritik geübt hat201. Dazu meint der BGH in der Sittenrichter-Entscheidung202, wenn ein Verleger in der von ihm beherrschten Presse Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wegen angeblicher sittlicher Verfehlungen angegriffen habe, gebe er Anlass zu der Frage, wer es eigentlich ist, der solche Maßstäbe setzt und sich als Sittenrichter über andere Gehör zu verschaffen sucht, weil derartige Angriffe in einem anderen Licht erscheinen, wenn man weiß, dass der Angreifer es mit seiner eigenen Moral nicht eben genau nimmt und gerade das tut, was er gegenüber anderen öffentlich rügt. In solchen Fällen greift auch das Recht auf Gegenschlag ein (vgl. Rz. 21). Es kommt aber nicht nur auf den Anlass als solchen, sondern auch auf dessen Aktualität an. 67 Das gilt vornehmlich für Berichte über Straftäter. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht in der Lebach I-Entscheidung ausgeführt203, bei genereller Abwägung des Informationsinteresses an einer entsprechenden Berichterstattung im Fernsehen mit dem damit zwangsläufig verbundenen Einbruch in den Persönlichkeitsbereich des Täters verdiene für die aktuelle Berichterstattung im allgemeinen das Informationsinteresse den Vorrang. Wer den Rechtsfrieden bricht, durch eine Straftat und ihre Folgen Mitmenschen oder Rechtsgüter der Gemeinschaft angreift oder verletzt, muss sich nicht nur den hierfür in der Rechtsordnung verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen. Er muss grundsätzlich auch dulden, dass das von ihm selbst durch seine Tat erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit in einer nach dem Prinzip der freien Kommunikation lebenden Gemeinschaft auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird. Der Persönlichkeitsschutz lässt es aber nicht zu, dass die Kommunikationsmedien sich über die aktuelle Berichterstattung hinaus zeitlich unbeschränkt mit der Person eines Straftäters und seiner Privatsphäre befassen. Vielmehr gewinnt nach Befriedigung des aktuellen Informationsinteresses grundsätzlich das Recht darauf, „allein gelassen zu werden“, zunehmende Bedeutung und setzt dem Wunsch der Massenmedien und einem Bedürfnis des Publikums, den individuellen Lebensbereich eines Straftäters zum Gegenstand der Erörterung oder gar der Unterhaltung zu machen, Grenzen. Das gilt insbesondere bei namentlicher Erwähnung des Betroffenen oder einer Identifizierungsmöglichkeit. Ein Anspruch, nicht mehr mit der Tat in der Öffentlichkeit konfrontiert zu werden, besteht allerdings nicht204. Das LG Hamburg hat eine erst Jahre nach der Verurteilung und damit verspätet erfolgte namentliche Erwähnung eines Straftäters sogar als geldentschädigungswürdig bezeichnet205. Eine entfallene Aktualität kann infolge neuer Vorgänge neu entstehen. Z.B. kann eine Kan- 68 didatur Anlass geben, auch lange zurückliegende Vorgänge erneut aufzurollen. Ob der Kritiker eine Aktualisierung selbst herbeiführen kann, z.B. durch Herausgabe einer Chronik, in der vergleichbare Fälle aus verschiedenen Zeiten zusammengestellt sind, ist zweifelhaft206. In diesen Fällen hat jedenfalls eine namentliche Erwähnung oder Darstellung, die eine einfache Identifizierungsmöglichkeit des Betroffenen eröffnet, zu unterbleiben207. Andererseits können in einem Online-Archiv nicht mehr aktuelle identifizierende Berichte zum Abruf bereit200 BGH, GRUR 1957, 360; vgl. auch BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 = GRUR 2015, 289, 294 – Hochleistungsmagneten. 201 BVerfG v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13, AfP 2016, 240, 242 – Fall Kachelmann. 202 BGH, NJW 1964, 1471. 203 BVerfG, NJW 1973, 1226, 1230. 204 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 248/98, 1 BvR 755/98, NJW 2000, 1859 – Lebach II. 205 LG Hamburg, ArchPR 1975, 31. 206 Verneinend LG Hamburg, ArchPR 1975, 31. 207 Vgl. BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 248/98, 1 BvR 755/98, NJW 2000, 1859 – Lebach II.
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Kap. 6 Rz. 69
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
gehalten werden, wenn sie im Zeitpunkt der Veröffentlichung zulässig waren und auch heute noch ein Informationsinteresse besteht208. d) Situation der Beteiligten 69
Für die Interessenabwägung und die Zubilligung eines Rechtsschutzes kommt es nach Auffassung der Rechtsprechung auch darauf an, ob der Betroffene die Möglichkeit zur Selbsthilfe hat. Dazu heißt es bereits in der Lüth-Entscheidung209, die Interessen des durch eine Berichterstattung Betroffenen seien auch dann nicht schutzlos, wenn der Rechtsschutz aus Gründen der Äußerungsfreiheit beschränkt werde und er deswegen im Einzelfall versagt. Der Betroffene könne sich seinerseits äußern und dadurch den von ihm gewünschten Zustand wiederherstellen. Dementsprechend hat der BGH gelegentlich darauf abgestellt, ein Politiker habe im Allgemeinen genügend Möglichkeiten, gegenüber einer Kritik seine eigene Auffassung in der Öffentlichkeit mit Nachdruck darzulegen, so dass eine Versagung des Rechtsschutzes keine unbillige Härte bedeute210. Der gleiche Gedanke kommt in der Höllenfeuer-Entscheidung zum Ausdruck, in der der BGH darauf hinweist211, die durch Kritik betroffene Zeitschrift sei infolge ihrer weiten Verbreitung und der hierdurch gegebenen Einflussmöglichkeit nicht schutzlos gegenüber scharfen Angriffen, die aus einem anderen Lager erhoben werden. Sogar bei der Wirtschaftsberichterstattung hat der BGH den Selbsthilfegedanken ins Spiel gebracht und gemeint, wirtschaftlich interessierte Personen hätten gleichfalls i.d.R. genügend Möglichkeiten, ihre eigene Stellungnahme gegenüber allgemeiner Systemkritik öffentlich zur Geltung zu bringen und dabei auch unrichtigen oder übertriebenen Behauptungen entgegenzutreten212. Zu Sachverständigenäußerungen während eines Hearings in Anwesenheit des Betroffenen hat der BGH erklärt, dieser habe die Möglichkeit gehabt, darauf in entsprechender Weise zu entgegnen. Folglich könne auch für die Zukunft die Behauptung nicht unterbunden werden, eine Zeitungsgruppe sei nur durch „brutalen Machtmissbrauch“ zustande gekommen, bei ihr herrsche „eine brutale Grundstimmung“213.
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Dieser Selbsthilfegedanke ist problematisch. Man mag ihn durchgreifen lassen, wenn Kritik mit Rechtsmitteln bekämpft wird, weil sie „zu scharf“, „unangemessen“ oder aus ähnlichen Gründen zu missbilligen sei, also aus Gründen einer vom Kläger nicht akzeptierten Art der Darstellung. Der Betroffene mag dann entweder wirkungsvoll Gegenpolemiken vortragen oder den Kontrahenten durch Verwendung einer umso vornehmeren Ausdrucksweise als Sprachrowdy bloßstellen. Die Möglichkeit, das Gericht nach Art des Palmwedel-Ordens als Wächter über den Sprachstil in Anspruch zu nehmen, gehört aber weitgehend der Vergangenheit an. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegt die Form der Darstellung grundsätzlich dem Selbstbestimmungsrecht des Mitteilenden214. Eine Ausnahme gilt nur bei Formalbeleidigungen bzw. einer Schmähkritik. Deswegen betrifft die 208 BGH v. 30.10.2012 – VI ZR 4/12, AfP 2013, 50 – Gazprom-Manager; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II. 209 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257. 210 BGH, NJW 1962, 152 – Vertriebenenfunktionär. 211 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617, 1619. 212 BGH, NJW 1963, 1872 – Elektronische Orgeln. 213 BGH v. 5.5.1981 – VI ZR 184/79, MDR 1981, 926 = NJW 1981, 2117, 2119 – Abgeordnetenprivileg. 214 U.a. BVerfG v. 13.5.1980 – 1 BvR 103/77, AfP 1980, 147 = NJW 1980, 2069, 2070 – Kunstkritiker; v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 72 Kap. 6
Mehrzahl der rechtshängig werdenden Fälle Eingriffe in die Intim- bzw. Privatsphäre oder eine Beeinträchtigung durch Unwahrheiten. Einer Verletzung der geschützten Persönlichkeitssphären kann mit Gegenpolemiken ohnehin nicht begegnet werden. Geht es um die Wahrheitsfrage, mag der Betroffene zwar aufklärend wirken können. Den Rezipienten wird aber im Zweifel unklar bleiben, ob der eine oder der andere Teil „im Recht“ ist. Vor allem wird es kaum möglich sein, die Öffentlichkeit von der Richtigkeit der eigenen Darstellung zu überzeugen, wenn eine erhobene Klage abgewiesen worden ist. Dass die Abweisung auf der Rechtsmeinung beruhen könne, „im Recht“ sei zwar der Betroffene, er habe aber genügend Möglichkeiten zur Selbstverteidigung, weswegen seinem Begehren dennoch nicht entsprochen werden könne, vermag ein äußerungsrechtlich noch ungeschulter Rezipient nicht nachzuvollziehen. Auf Seiten des Mitteilenden kann es bei der Abwägung auf die Art des Publikationsorgans 71 ankommen. Allerdings ist eine solche Unterscheidung nicht etwa in der Weise möglich, dass seriösen Presseorganen mehr gestattet wird als angeblich weniger seriösen. Bereits in der Soraya-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt215, dass der Begriff Presse weit und formal auszulegen ist. Er kann nicht von einer Bewertung des einzelnen Druckerzeugnisses abhängig gemacht werden. Die Pressefreiheit ist auf die seriöse Presse nicht beschränkt. Daraus folgt aber nicht, dass der Schutz des Grundrechts jedem Presseorgan in jedem rechtlichen Zusammenhang und für jeden Inhalt seiner Äußerungen in gleicher Weise zuteil werden müsste. Bei der Abwägung zwischen der Pressefreiheit und anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern kann von Bedeutung sein, ob die Presse im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtert, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllt und zur Bildung der öffentlichen Meinung beiträgt, oder ob sie lediglich das Bedürfnis einer mehr oder minder breiten Leserschicht nach oberflächlicher Unterhaltung befriedigt216. So wie die Befriedigung eines bloßen Unterhaltungsbedürfnisses einer Rechtfertigung nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts entgegenstehen kann, ist umgekehrt möglich, dass der Boulevard-Charakter des Blattes zu spezifischer Beurteilung der Darstellung zwingt. Dazu hat das OLG Köln darauf hingewiesen217, dass die Unterhaltungspresse von der Zuspitzung, der Verdichtung, der Raffung der Realität lebt und die Öffentlichkeit sich an Übertreibungen von Boulevardblättern gewöhnt hat. Entsprechende Darstellungen, insbesondere Personality Stories, werten die Leser deswegen anders als in wohlabgewogener Sprache abgefasste Berichte aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Somit kann in solchen Fällen hinsichtlich der Zulässigkeit ein großzügigerer Maßstab angelegt werden. Z.B. kann es in einem Boulevardblatt zulässig sein, einen Kriminellen nur mit dem Vornamen zu nennen218. e) Wahrheit und Unwahrheit Mit einer unwahren Behauptung lassen sich in objektiver Sicht keine berechtigten Interessen 72 wahrnehmen219. Auch zur Meinungsbildung vermögen unwahre Behauptungen nichts Positives beizutragen220. Das bedeutet nicht, dass damit die Möglichkeit entfiele, bereits erfolgte 215 BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221, 1224. 216 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco I. 217 OLG Köln v. 23.3.1982 – 15 U 113/81, AfP 1982, 181, 182. 218 OLG Frankfurt v. 2.7.1990 – 6 W 104/90, AfP 1990, 229. 219 BGH v. 9.11.1971 – VI ZR 57/70, GRUR 1972, 435, 438 – Grundstücksgesellschaft. 220 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung; v. 16.3.1999 – 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199, 200; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekre-
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Kap. 6 Rz. 73
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
unwahre Äußerungen durch § 193 StGB zu rechtfertigen. § 193 StGB ist ein Fall des erlaubten Risikos (Rz. 32). Deswegen greift er auch und gerade in den Fällen ein, in denen dieses Risiko dadurch praktische Bedeutung erlangt, dass die Behauptung sich im Nachhinein als unwahr erweist. In diesem Falle bedarf es eines juristischen Hilfsmittels. Bei der Prüfung der Wahrnehmung berechtigter Interessen ist die Wahrheit zu unterstellen und zu fragen, ob der Mitteilende berechtigte Interessen wahrgenommen hätte, wenn der Wahrheitsbeweis gelungen wäre221. Ohne dieses Hilfsmittel würde § 193 StGB leerlaufen. Dementsprechend weist das Bundesverfassungsgericht in jüngerer Zeit darauf hin, dass nur eine bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung zur Meinungsbildung nichts mehr beitragen könne222. Ist die Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung nicht erwiesen (non liquet), kann das Grundrecht der Meinungsfreiheit einem generellen Vorrang des Persönlichkeitsrechts entgegenstehen223. Auch bei Zitaten kommt es darauf an, ob diese zutreffend sind224. Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Äußerungsfreiheit leiden könnte225. 73
Die Rechtfertigung einer unwahren Behauptung setzt allerdings voraus, dass der Mitteilende die ihm obliegende Sorgfaltspflicht beachtet hat226. Die Sorgfaltspflichten richten sich im Einzelnen nach den Aufklärungsmöglichkeiten des sich Äußernden. Sie sind daher in der Regel für Medien strenger als für Privatleute227. Die Sorgfaltspflicht der Presse folgt aus dem Wesen der Pressefreiheit. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht bereits in der Schmid-Ent-
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tär“/Stolpe; v. 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, NJW 2013, 217, 218 – „Focus“-Ärzteliste; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; EGMR v. 10.7.2014 – 48311/10, AfP 2016, 24 – Axel Springer/Deutschland II. BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = NJW 1985, 1621, 1622 – Türkol; v. 11.7.1989 – VI ZR 255/88, MDR 1990, 42 = AfP 1989, 669, 671 – Wünschelrute; Helle, NJW 1962, 1814. BVerfG v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, MDR 1994, 738 = NJW 1994, 1779; v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; v. 16.3.1999 – 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199, 200; BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, NJW 2013, 217, 218 – „Focus“-Ärzteliste; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR. BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; BVerfG v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530. BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072 – Böll. BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, NJW 1980, 2072; v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, NJW 1983, 1415; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; EGMR v. 10.7.2014 – 48311/10, AfP 2016, 24 – Axel Springer/Deutschland II. Std. Rspr., BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, NJW-RR 2000, 1209, 1210; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 21.3.2007 – 1 BvR 2231/03, NJW 2007, 2686, bestätigt: EGMR v. 4.5.2010 – 38059/07, BeckRS 2011, 19781 – Effecten-Spiegel; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH, NJW 1959, 2011; NJW 1965, 685; NJW 1972, 1658; v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621, 1622; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1133 – Lohnkiller; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 – Organentnahme; OLG Saarbrücken v. 5.10.2016 – 5 U 3/16, AfP 2017, 65. BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, NJW-RR 2000, 1209, 1210; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = AfP 1987, 597 = NJW 1987, 2225, 2226; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131 –
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 74 Kap. 6
scheidung festgestellt228, dass die öffentliche Meinung sich nur richtig bilden kann, wenn der Leser im Rahmen des Möglichen zutreffend unterrichtet wird. Um ihrer Aufgabe bei der öffentlichen Meinungsbildung und dem Ehrenschutz der Betroffenen zu genügen, ist die Presse gehalten, Nachrichten und Behauptungen, die sie weitergibt, auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Mit Ausnahme von Bayern, Berlin und Hessen ist die Sorgfaltspflicht auch in § 6 LPG statuiert. Danach hat die Presse alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit, Inhalt und Herkunft zu prüfen. Wird diese Pflicht vernachlässigt, entfällt die Rechtfertigung nach § 193 StGB229. Von wesentlicher Bedeutung für die Rechtmäßigkeit einer Äußerung ist hiernach, welche An- 74 forderungen an die Sorgfaltspflicht zu stellen sind. An die Erfüllung der journalistischen Sorgfaltspflicht die Maßstäbe gerichtlicher Wahrheitsfindung anzulegen ist nicht möglich. Es genügt, dass der Journalist mit pressemäßiger Sorgfalt arbeitet (weitere Einzelheiten zur journalistischen Sorgfaltspflicht Rz. 110 ff.)230. Der BGH stellt weitgehend auf den Einzelfall ab und erklärt für entscheidend, was in der konkreten Situation gefordert werden muss231. Dadurch darf jedoch der freie Kommunikationsprozess nicht eingeschnürt werden232. Das gilt auch allgemein, z.B. für abträgliche Behauptungen im Rundschreiben einer Bank233. Dabei kommt es auch auf die Schwere des Vorwurfes an. Je schwerer er wiegt, umso höhere Anforderungen sind an die Prüfung zu stellen234. Wer besonders abträgliche Behauptungen auf-
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Lohnkiller; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 – Organentnahme. BVerfG, NJW 1962, 819, 821. BGH v. 29.10.1968 – VI ZR 180/66, GRUR 1969, 147, 151 – Korruptionsvorwurf; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1133 – Lohnkiller. BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1133; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148, 1149; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II; OLG Köln, NJW 1963, 1634; OLG München, ArchPR 1973, 94; EGMR v. 10.7.2014 – 48311/10, AfP 2016, 24 – Axel Springer/Deutschland II. BGHSt 18, 182; BGH v. 29.10.1968 – VI ZR 180/66, GRUR 1969, 147, 151 – Korruptionsvorwurf; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = NJW 1996, 1131, 1133 – Lohnkiller; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre; BVerfG v. 21.3.2007 – 1 BvR 2231/03, NJW 2007, 2686, bestätigt: EGMR v. 4.5.2010 – 38059/07, BeckRS 2011, 19781 – Effecten-Spiegel. BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322; v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, NJW-RR 2000, 1209, 1210; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH v. 11.12.2012 – VI ZR 315/10, ZUM 2013, 207; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II; OLG Saarbrücken v. 5.10.2016 – 5 U 3/16, AfP 2017, 65; EGMR v. 10.7.2014 – 48311/10, AfP 2016, 24 – Axel Springer/Deutschland II. BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 352/91, MDR 1993, 230 = NJW 1993, 525, 527 – Ketten-Mafia. BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 25.8.2005 – 1 BvR 2165/00, NJW 2006, 595; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH, NJW 1965, 685; NJW 1972, 1658; v. 11.12.2012 – VI ZR 315/10, ZUM 2013, 207; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II.
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Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
stellt, muss es sich gefallen lassen, bei der rechtlichen Auseinandersetzung auch seinerseits kritisch geprüft zu werden235. 75
Hat der Behauptende das erforderliche Maß an Sorgfalt verfehlt, ist der journalistischen Sorgfaltspflicht nicht genügt (Näheres Rz. 110 ff.). Das trifft insbesondere zu, wenn der Behauptende leichtfertig gehandelt hat. Der Begriff der Leichtfertigkeit ist nicht iS eines feststehenden Sorgfaltsmaßstabes zu verstehen. Die Rechtsprechung nimmt einen gleitenden Sorgfaltsmaßstab je nach Schwere des Eingriffes und den Aufklärungsmöglichkeiten des sich Äußernden an. Dabei ist die die Meinungsfreiheit verdrängende Wirkung zu berücksichtigen236. Wer über Rundfunk und Fernsehen Behauptungen ausstrahlt, muss wegen des weitreichenden Einflusses dieser Medien die Zuverlässigkeit seiner Erkenntnisquellen besonders sorgfältig prüfen. Bei dem im Fernsehen erhobenen Vorwurf des gemeinen Mordes sind an die Prüfungspflicht die denkbar größten Anforderungen zu stellen237. Für politische Parteien gilt der gleiche Sorgfaltsmaßstab wie für andere Unternehmen der Publizistik. Die Persönlichkeit hat gegenüber politischen Parteien keinen geringeren Anspruch auf Achtung ihrer schutzwürdigen Interessen. Auch im Wahlkampf ist nicht die übliche, sondern die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten, an die strenge Anforderungen zu stellen sind, wenn es um den Schutz der Persönlichkeit geht238. Nach Auffassung des OLG Stuttgart239 besteht bei Internetäußerungen eine der Veröffentlichung nachgelagerte Sorgfalts- und Recherchepflicht für den Fall, dass der Betroffene die Unwahrheit der Berichterstattung rügt. In diesem Fall müssten entweder ergänzende Recherchen angestellt werden oder die behauptete Verletzung des Persönlichkeitsrechts anderweitig kompensiert werden, indem etwa darauf hingewiesen wird, woher die angegriffenen Angaben stammen und dass der Betroffene diese (nun) bestreitet, andernfalls entfalle der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen. Die weitere Verbreitung, auch in einem Online-Archiv, begründe dann eine Begehungsgefahr. Durch eine solche quasi neu auflebende bzw. weitergehende Recherchepflicht bezüglich eines konkreten Artikels würde die Meinungs- und Medienfreiheit nicht unzulässig eingeschränkt. Der BGH nimmt in seiner Chefjustiziar-Entscheidung240 an, dass dem Betroffenen ein Folgenbeseitigungsanspruch zustehen kann, wenn sich ein geäußerter Verdacht zwischenzeitlich als 235 BVerfG v. 25.1.1961 – 1 BvR 9/57, NJW 1961, 819 – Schmid; v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = NJW 1996, 1131, 1133 – Lohnkiller; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, NJW 1997, 1148, 1149 – Stern-TV; EGMR v. 10.7.2014 – 48311/10, AfP 2016, 24 – Axel Springer/Deutschland II. 236 BVerfG v. 16.3.1999 – 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199, 200; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 21.3.2007 – 1 BvR 2231/03, NJW 2007, 2686 – EffectenSpiegel; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre; EGMR v. 4.5.2010 – 38059/07, BeckRS 2011, 19781 – Effecten-Spiegel; v. 10.7.2014 – 48311/10, AfP 2016, 24 – Axel Springer/Deutschland II. 237 OLG Stuttgart v. 20.1.1971 – 4 U 71/70, ArchPR 1971, 104 – Rosa Luxemburg. 238 BGH v. 27.11.1979 – VI ZR 148/78, MDR 1980, 301 = AfP 1980, 35 = NJW 1980, 994 – Wahlkampfillustrierte. 239 OLG Stuttgart v. 18.1.2017 – 4 U 173/16, aufgehoben wegen Vollziehungsmangel LG Stuttgart, Anerkenntnisurteil v. 18.5.2017 – 11 O 82/16. 240 BGH v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, MDR 2015, 24 = IPRB 2015, 54 = AfP 2015, 36 – Chefjustiziar; nachfolgend OLG Hamburg v. 10.2.2015 – 7 U 44/12, AfP 2015, 253 – Chefjustiziar/Nachtrag, Verfassungsbeschwerde anhängig, vgl. einstweilige Anordnung des BVerfG v. 22.6.2017 – 1 BvR 666/17, NJW 2017, 2671, vgl. dazu Kap. 10 Rz. 162.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 77 Kap. 6
unbegründet erwiesen hat. Dadurch ändere sich jedoch nichts an der Rechtmäßigkeit der Berichterstattung, soweit diese im Zeitpunkt der Berichterstattung gegeben war. Dies erscheint richtig. Solange die Unwahrheit der ursprünglichen Äußerung nicht feststeht, stellt die Forderung nach Nachrecherchen oder einer Änderung eines in einem Online-Archiv enthaltenen Beitrags entgegen der Auffassung des OLG Stuttgart einen unzumutbaren Eingriff in die Medienfreiheit dar. Davon scheint auch der BGH auszugehen, wenn er selbst für den Fall, dass ein Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, das weitere Vorhalten eines Artikels im Online-Archiv von einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Wahrheitsgehaltes einzelner berichteter Tatsachen abhängig macht241. Zu der Frage, ob eine Rückfrage beim Betroffenen erforderlich ist, vgl. Rz. 122 f. 4. Mittel der Interessenwahrnehmung Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts unterliegt zwar die Form einer Meinungs- 76 äußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden242. Trotzdem ist weiter davon auszugehen, dass es bei der Abwägung zusätzlich zu den im Streit befindlichen Interessen auch darauf ankommen kann, welches Mittel der Interessenwahrnehmung der Mitteilende eingesetzt hat. a) Problem des schonendsten Mittels Die frühere Rechtsprechung ist davon ausgegangen, die Rechtfertigung einer in die Rechte 77 Dritter eingreifenden Darstellung setze voraus, dass der Mitteilende das schonendste Mittel angewandt habe243. Daraus ergab sich die Konsequenz, dass allein gemäßigte Darstellungen als rechtfertigungsfähig angesehen wurden. Kräftige Formulierungen wie etwa die Bezeichnung einer Frauenzeitschrift als „Sumpfblüte“ wurden für unzulässig gehalten244. Ein Wandel hat sich mit der Waffenhandels-Entscheidung angekündigt245. Darin heißt es, die Presse müsse die Möglichkeit haben, die Dinge beim Namen zu nennen, und zwar beim richtigen Namen. Den endgültigen Bruch mit der früheren Rechtsprechung hat der BGH mit der HöllenfeuerEntscheidung vollzogen246. In ausdrücklichem und betontem Gegensatz zur Constanze-Entscheidung lässt er dort auch scharfe und schärfste Formulierungen zu wie z.B. die Behauptung, mit der Artikelüberschrift „Brennt in der Hölle wirklich ein Feuer?“ habe die kritisierte Zeitschrift „auf Dummenfang abgezielt“. Mit dem Artikel seien „unglaublich dreiste theoretisch und kirchenrechtlich falsche Thesen über den Papst, das Verhältnis der kirchlichen Konfessionen zueinander und das bevorstehende Konzil an den Mann gebracht worden“. Aber man täte dem Blatt „zu viel Ehre an, von ihm eine fundierte Meinung in politischen und religiösen Fragen zu erwarten. Sein Maßstab ist die Straße. Ihr unterwirft sich die auflagenstärkste deutsche Illustrierte seit Jahren.“
241 BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = NJWRR 2017, 31 – Online-Archiv II. 242 BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie. 243 BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51, NJW 1952, 660 – Constanze. 244 BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51, NJW 1952, 660 – Constanze. 245 BGH v. 24.10.1961 – VI ZR 204/60, NJW 1962, 32. 246 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617.
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Kap. 6 Rz. 78
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
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Zur Begründung dieses Wandels beruft der BGH sich auf die Lüth-Entscheidung247, nach der die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede streitet, wenn es sich um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten handelt. Um die freie Diskussion gemeinschaftswichtiger Fragen zu sichern, könne es nach den Umständen des Einzelfalles geboten sein, den Schutz privater Rechtsgüter zurücktreten zu lassen. Gerade in Auseinandersetzungen, die über einzelpersönliche Bezüge hinausgehen und eine Thematik von großer Tragweite für das Gemeinschaftsleben ansprechen, erfordere es die Bedeutung des Art. 5 GG, dass auch in der Art der Meinungsäußerung von Rechts wegen große Freiheit gewährt und in der Bejahung einer Beleidigungsabsicht oder einer rechtswidrigen Störung gewerblicher Belange Zurückhaltung geübt wird. Die strengen Sorgfaltspflichten, die die Rechtsprechung mit Recht stellt, wenn die Presse ehrenrührige Tatsachen über einen Bürger verbreitet, sei nicht in gleicher Weise am Platz, wenn Wertungen in Fragen allgemeiner Bedeutung, mögen sie auch dem einzelnen abträglich sein, vorgetragen werden. Wenn das Grundgesetz der rechtlichen Sicherung der Freiheit der Meinungsäußerung eine überragende Bedeutung beimesse, liege dem die Vorstellung zugrunde, dass der mündige und zum eigenen Urteil im Kampf der Meinungen aufgerufene Bürger in der freiheitlichen Demokratie selbst fähig ist zu erkennen, was von einer Kritik zu halten ist, die auf eine Begründung verzichtet und in hämisch-ironischer oder schimpfend-polternder Art die Gegenmeinung angreift. Gegenüber diesem Wagnis der Freiheit sei es hinzunehmen, dass das Recht dem Betroffenen nicht gegenüber jeder unangemessen scharfen Meinungsäußerung Schutz gewährt.
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Hiermit hat der BGH zwar die abzulehnende Vorstellung übernommen, die Zulässigkeit einer Kritik setze eine besondere Legitimation voraus. Zumindest missverständlich ist auch, dass der BGH die von ihm erörterte Art der Meinungsäußerung in Verbindung zu den Sorgfaltspflichten bringt, die bei Tatsachenbehauptungen zu beachten sind. Die Art der Darstellung und die Ermittlung des ihr zugrunde liegenden Sachverhaltes liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Den Ausführungen des BGH zum Mittel der Interessenwahrnehmung ist aber voll beizupflichten. In einer reizüberfluteten Welt kann auch eine kräftige Sprache unverzichtbar sein. Man muss sich auch scharfer Mittel bedienen dürfen, um das erforderliche Gehör zu finden. Die Forderung, bei Kritik dürfe nur das schonendste Mittel angewendet werden, hat der BGH zu Recht aufgegeben248. b) Problem des notwendigen Mittels
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Im Anschluss an den Verzicht auf die Forderung des schonendsten Mittels hat der BGH klargestellt, dass ebenso wenig entscheidend ist, ob das angewendete Mittel notwendig war. Dazu führt er in der Teppichkehrmaschinen-Entscheidung aus249, dass sich auch eine scharfe Formulierung der Kritik nicht beanstanden lässt, wenn sie vom Kritiker als sachlich ausreichend fundiert angesehen werden kann. Wer aufgrund sorgfältiger Prüfung die Überzeugung gewinnt, dass eine scharfe Kritik einer Ware im Interesse der angesprochenen Verbraucherschaft angemessen ist, darf sie auch aussprechen, wenn sie einem anderen abträglich ist. Wenn die Revision darauf abstellen wolle, ob die abwertende Beurteilung in der gewählten Form notwendig gewesen sei, werde diese Auffassung der Bedeutung der Äußerungsfreiheit nicht gerecht. Dass eine Kritik auch gerechtfertigt sein kann, wenn keine Notwendigkeit bestanden 247 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257. 248 BGH v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421 – Babycaust; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1193. 249 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 266/64, NJW 1966, 2010, 2012.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 81 Kap. 6
hat, sie in der gewählten Form auszusprechen, entspricht inzwischen der einhelligen Meinung250. Auch in der Abgeordnetenprivileg-Entscheidung bezeichnet der BGH es als fehlerhaften Ansatz, die Zulässigkeit einer subjektiven Meinung oder einer Wertung daran zu messen, was aus der Sicht eines außenstehenden objektiven Betrachters oder gar des Kritisierten selbst als notwendig oder auch nur als nützlich erscheint, um den Standpunkt des Kritikers zu verdeutlichen. Der öffentlichen Diskussion sei auch eine wertende Kritik adäquat, die aus distanzierterer Sicht dem Gegenstand der Bewertung nicht gerecht wird, von einem vertretbaren Anliegen des Kritikers aus aber verständlich ist. Die Äußerungsfreiheit wäre in ihrem Kern getroffen, wenn das Kriterium des objektiv Erforderlichen oder des Nützlichen für die Zulässigkeit einer Äußerung entscheidend wäre (zum Boykott vgl. Kap. 10 Rz. 133 ff.)251. c) Problem des angemessenen Mittels Darüber, dass § 193 StGB weder die Verwendung des schonendsten noch des notwendigen 81 Mittels voraussetzt, besteht Einigkeit. Darüber, ob eine Kritik angemessen sein muss, wenn sie rechtfertigungsfähig sein soll, lässt sich streiten. Auf das Erfordernis der Angemessenheit zu verzichten bedeutet auch eine unangemessene Kritik für zulässig zu halten und von Unzulässigkeit erst bei Überschreitung der Grenze zur Schmähkritik auszugehen252. Das liegt in der Tendenz der Rechtsprechung253. Hierzu ist auch auf die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu verweisen, nach der die Form einer Meinungsäußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden unterliegt254. Gleichwohl kann nicht davon ausgegangen werden, Kritik sei trotz Unangemessenheit ausnahmslos zulässig. Eine solche Auffassung wäre schon insofern nicht vertretbar, als die Unangemessenheit unterschiedliche Ursachen haben kann. Insbesondere wenn die Unangemessenheit daraus folgt, dass die Darstellung falsche Sachverhaltsvorstellungen vermittelt, wird man sie als unzulässig bezeichnen müssen. Darauf, dass Form und Inhalt einer Aussage sich kaum voneinander trennen lassen, hat u.a. die Richterin Rupp-von Brünneck in ihrer abweichenden Meinung zur DGB-Entscheidung hingewiesen255. Das ist zwar im Interesse der Äußerungsfreiheit geschehen. Das Argument hat aber auch im Interesse des Persönlichkeitsschutzes Gültigkeit. Wenn die Form und der Inhalt einer Aussage sich nicht trennen lassen, können auch durch die Form Sachverhaltsvorstellungen vermittelt werden, die mit der – dem Äußernden bekannten – Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Jedenfalls unter dieser Voraussetzung lässt sich eine unangemessene Form nicht rechtfertigen. Auch die Schwere des Vorwurfes kann von Bedeutung sein. Je schwerer der Vorwurf wiegt, umso höhere Anforderungen sind an die Angemessenheit 250 Vgl. u.a. BGH v. 9.11.1971 – VI ZR 57/70, GRUR 1972, 435. 251 BGH v. 5.5.1981 – VI ZR 184/79, MDR 1981, 926 = NJW 1981, 2117, 2119; OLG Stuttgart v. 23.11.1978 – 4 W 26/78, AfP 1980, 43. 252 So Soehring/Hoene, § 15 Rz. 14. 253 Zur Schmähkritik vgl. BVerfG v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14, AfP 2017, 308 – Obergauleiter der SA-Horden; BGH v. 25.5.1971 – VI ZR 26/70, GRUR 1971, 529 – Dreckschleuder; v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, GRUR 1975, 208 – Deutschlandstiftung; GRUR 1976, 268, 271 – Warentest; v. 1.2.1977 – VI ZR 204/74, GRUR 1977, 801 – Halsabschneider; v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421 – Babycaust; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1193; v. 11.3.2008 – VI ZR 189/06, AfP 2008, 193 – namenloser Gutachter; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 – Hochleistungsmagneten. 254 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677 – DGB; v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie. 255 Rupp-von Brünneck, NJW 1976, 1679.
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Kap. 6 Rz. 82
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
der Kritik zu stellen256. In der Wallraff-II-Entscheidung stellt der BGH257, wenn auch in etwas anderem Zusammenhang, die Frage nach dem adäquaten Mittel. Von Bedeutung sei, ob das mit der Kritik Bewirkte den Aufgaben adäquat sei, um derentwillen die Äußerungsfreiheit gewährleistet ist. Geht es um die Öffentlichkeit wesentlich berührende Fragen, wie etwa den Schutz Ungeborener, können auch extrem erscheinende Äußerungen zulässig sein258. d) Sachlichkeit der Darstellung 82
Im Spiegel-Urteil erwähnt das Bundesverfassungsgericht259, die liberale Errungenschaft der Pressefreiheit solle einer Versachlichung der Politik durch freie öffentliche Diskussion verantwortungsbewusster Bürger dienen. Geht man hiervon aus, ist die Annahme einer Pflicht zu sachlicher Form der Berichterstattung nicht fernliegend. Auch der BGH ist gelegentlich vom Erfordernis der Sachlichkeit ausgegangen und hat die Ansicht vertreten, „dass nach dem Recht der freien Meinungsäußerung sachliche Kritik jedem offensteht“260. Die Forderung einer sachlichen Darstellung ist mitunter auf heftige Kritik gestoßen. Vor allem Adolf Arndt hat geltend gemacht261, in Art. 5 GG stehe nichts davon, jeder habe nur das Recht, seine Meinung sachlich zu äußern, sondern es heiße, dass es frei für jeden ist, eine Meinung kundzutun, welche die seinige ist. Sachlichkeit zu wünschen könne deswegen nicht mehr heißen als zu fordern, dass bei der Sache geblieben wird. Unsachlich rede, wer persönlich wird, also die Person eines anderen, z.B. weil er Ausländer ist, als minderwertig abtut. Das Verlangen nach Sachlichkeit bedeute aber nicht, dass Kritik, weil sie zersetzend ist, zu unterbleiben habe oder nur flaumweich zu üben sei262.
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Richtigerweise wird man Sachlichkeit wohl nicht nur als Gegensatz zum Persönlichen auffassen können. Man wird einen weiter gehenden Sinn anerkennen müssen. Unter einer sachlichen Berichterstattung ist eine nüchterne, ausgewogene, abgerundete Art der Darstellung zu verstehen. Unsachlich ist ein Bericht also auch, wenn er sich dadurch von der Sache löst, dass er aufbauscht, die Dinge in grellerem Licht erscheinen lässt, als sie es den Umständen nach verdienen, wenn er auf der einen Seite überflüssiges Pathos, auf der anderen Polemik enthält263. Versteht man den Begriff in dieser Weise, lässt sich weder sagen, Sachlichkeit sei stets verzichtbar, noch, sie sei ausnahmslos notwendig. Es kommt auf die Thematik und die Umstände an. Bei einem Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage und einer Thematik von großer Tragweite für das Gemeinschaftsleben kann das Recht, auch polemisch, drastisch, übertreibend und insgesamt gesehen unsachlich zu argumentieren, nicht versagt werden. Das ist umso weniger möglich, als eine Vielzahl von Lesern abgewogene Darstellungen erst gar nicht zur Kenntnis nehmen,
256 BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschlandstiftung; BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR. 257 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366. 258 BGH v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421 – Babycaust. 259 BVerfG v. 5.8.1966 – 1 BvR 586/62, 1 BvR 610/63, 1 BvR 512/64, NJW 1966, 1603, 1614. 260 BGH v. 18.12.1962 – VI ZR 220/61, NJW 1963, 484, 485 – Maris; ebenso BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschlandstiftung. 261 Arndt, NJW 1964, 1312. 262 Vgl. auch Mallmann, JZ 1966, 625. 263 Ähnlich BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschlandstiftung.
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Rz. 84 Kap. 6
sondern oft nur mit Hilfe einer sensationellen Aufmachung ansprechbar sind264. Wird über Vorgänge aus dem privaten Leben berichtet oder über Ereignisse, die sich auf einzelne Wirtschaftsunternehmen beziehen, ist eine andere Beurteilung erforderlich. Der Persönlichkeitsschutz kann dann eine sachliche Darstellung erforderlich machen. Das gilt insbesondere, wenn der Betroffene zu polemischen Ausfällen keinen Anlass gegeben hat. Es kommt auch auf den Kontext an. Eine aus dem Zusammenhang herausfallende Unsachlichkeit kann einen Sachverhalt suggerieren, der in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. Bei einer Kritik an beruflicher oder wissenschaftlicher Tätigkeit, die einen stark emotionsbeladenen Bereich betrifft, z.B. während des Dritten Reiches veröffentlichte medizinische Studien zu Sterilisationsmöglichkeiten, bedeutet eine Polemik, auch wenn sie nicht durchweg sachlich ist, noch keine unzulässige Schmähkritik265. 5. Absicht der Interessenwahrnehmung Der Wortlaut des § 193 StGB setzt voraus, dass die Äußerung „zur“ Wahrnehmung berech- 84 tigter Interessen erfolgt. Daraus wird hergeleitet, der Behauptende müsse die Absicht der Interessenwahrnehmung gehabt haben266. Allerdings brauche die Interessenwahrnehmung nicht der einzige Zweck gewesen zu sein. Zusätzliche Motive werden als grundsätzlich unbeachtlich betrachtet. Bei der Wahrnehmung von Informationsinteressen ist diese Auffassung problematisch. In diesem Sonderfalle kann die Absicht des Mitteilenden nur ausnahmsweise das entscheidende Kriterium sein. Das gilt insbesondere, wenn es sich um öffentliche Äußerungen handelt. Obschon bei ihnen Wertungen und Interessen verschiedenster Art im Spiel zu sein pflegen, dienen sie dennoch der Unterrichtung und tragen zur öffentlichen Meinungsbildung bei267. § 193 StGB verfassungskonform dahin zu interpretieren, dass die Wahrnehmung fremder, speziell die Wahrnehmung von Informationsinteressen der Allgemeinheit auch ohne entsprechende Absicht möglich ist, stimmt mit den praktischen Bedürfnissen überein. In diesem Bereich lassen die wirklichen Absichten sich nur selten klären. Käme es dennoch auf die Absicht an, bestünde die Gefahr, dass sie bei der sog. seriösen Presse prinzipiell unterstellt, bei der sog. Skandalpresse im Zweifel verneint wird268. Das wäre auch insofern verfehlt, als die Gestaltung eines Blattes meist weniger eine Frage der Gesinnung als vielmehr der Kalkulation ist. Dem Verleger muss es zwangsläufig darauf ankommen, seine Mitteilungen so zu verpacken, dass sie verkäuflich sind. Dabei braucht die etwaige Gestaltung als Unterhaltungs- oder Skandalblatt den Informationswert keineswegs zu beeinträchtigen. Vielmehr lässt sich eine Tendenz in den Medien erkennen, die Trennung von Information und Unterhaltung sowohl hinsichtlich eines Presseerzeugnisses insgesamt als auch in den einzelnen Beiträgen aufzuheben und Informationen in unterhaltender Form zu verbreiten oder mit Unterhaltung zu vermengen (sog. Infotainment). Viele Leser beziehen folglich die ihnen wichtig oder interessant er-
264 BGH v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421 – Babycaust; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1193; OLG Nürnberg, MDR 1963, 412; Mallmann, JZ 1966, 625; a.A. Erdsiek, NJW 1963, 1392. 265 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = GRUR 1980, 1090, 1097 – Medizin-Syndikat I; v. 30.5.2000 – VI ZR 276/99, AfP 2000, 463 = MDR 2000, 1316 = NJW 2000, 3421 – Babycaust; v. 29.1.2002 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169 = MDR 2002, 640 = NJW 2002, 1193; v. 11.3.2008 – VI ZR 189/06, AfP 2008, 193 – namenloser Gutachter; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 – Hochleistungsmagneten. 266 U.a. BGHSt 18, 182 – Callgirl. 267 BVerfG v. 25.1.1961 – 1 BvR 9/57, BVerfGE 12, 113 – Schmid. 268 Vgl. Dagtoglou, DÖV 1963, 6636.
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Kap. 6 Rz. 85
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
scheinenden Informationen gerade aus unterhaltenden Beiträgen269. Jedenfalls bei einfacheren Kreisen hat diese Darstellungsform oftmals eine weitaus stärkere Wirkung als abgewogene Untersuchungen, zu denen nur schwer Zugang zu finden ist. Die Darstellungs- und Gestaltungsform hat deswegen mit der Wahrnehmung von Informationsinteressen nur sehr bedingt etwas zu tun. 85
Trotz des Vorstehenden kann die mit der Darstellung verfolgte Absicht Erheblichkeit erlangen, wenn die Verbreitung erkennbar nur den Zweck hat, den Betroffenen zu schädigen. Bloße Schädigungsabsicht schließt die Wahrnehmung berechtigter Interessen aus. Das kann selbst bei wahren Mitteilungen der Fall sein. Ein Indiz für eine Schädigungsabsicht kann sich daraus ergeben, dass der Mitteilende von dem behaupteten Vorgang bereits des längeren Kenntnis hatte, er die Meldung aber erst in dem Zeitpunkt verbreitet, in dem die Schädigung am nachhaltigsten ist. Die Schädigungsabsicht kann auch daraus zu entnehmen sein, dass der Mitteilende seine Aktivitäten erst entfaltet, nachdem der Betroffene den Mitteilenden seinerseits angegriffen hat, z.B. dadurch, dass er Wettbewerbswidrigkeiten gerichtlich verfolgt hat. Wer in einem solchen oder ähnlichen Verfahren unterlegen war und hernach über den Kläger herzieht, will sich u.U. nur rächen. Fordert jemand für die Unterlassung einer rufbeeinträchtigenden Publikation Geld und veröffentlicht er die Meldung, wenn er es nicht erhält, geschieht dies im Zweifel, um die Ernsthaftigkeit der Drohung zu dokumentieren und die Chance zu künftig erfolgreicher Erpressung zu vergrößern. In rein objektiver Sicht kann zwar auch eine solche Veröffentlichung Informationswert haben. Jedenfalls bei zu bejahender Sittenwidrigkeit der Handlungsweise muss sie dennoch als unzulässig bezeichnet werden. Die Sittenwidrigkeit der Handlung begrenzt die Möglichkeit der Rechtfertigung (Näheres Kap. 5 Rz. 279 ff.).
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Erfolgt die Kritik zu einem allgemein interessierenden Thema, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, abwertende Äußerungen über eine bestimmte, an dem betreffenden Vorgang beteiligte Person erfolgten allein, um sie zu diffamieren. Auch wenn eine übersteigerte Polemik unterschiedlichen Gehalts und Niveaus den Betroffenen einbezieht, braucht es nicht ausschließlich und in erster Linie um die Wirkung auf dessen Rechtskreis und damit um eine persönliche Herabsetzung zu gehen.
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Es kann sich gleichwohl um Kritik an einer bestimmten geistigen Richtung handeln270. Auch wenn mit einer Negativbehauptung parteipolitische Interessen verfolgt werden, hat das mit Schädigungsabsicht i.d.R. nichts zu tun271.
IV. Sonstige Rechtfertigungsmöglichkeiten 1. Sonstige Rechtfertigungsgründe des § 193 StGB 88
Nach § 193 StGB sind nicht nur Äußerungen rechtmäßig, die zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgen, sondern auch tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, desgleichen Äußerungen, die zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von Seiten eines Beamten und ähn269 Vgl. BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024; Berg/Kiefer (Hrsg.), Massenkommunikation V, 1996. 270 BVerfG v. 13.5.1980 – 1 BvR 103/77, AfP 1980, 147 = NJW 1980, 2069 – Kunstkritiker. 271 BGH v. 3.10.1978 – VI ZR 191/76, NJW 1979, 266 – Untersuchungsausschuss.
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IV. Sonstige Rechtfertigungsmöglichkeiten
Rz. 89 Kap. 6
liche Fälle, wenn nicht das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. Auch Mandatsträger, z.B. Gemeinde- und Stadträte, können sich bei Ausübung ihres Mandats hierauf berufen272. Richtiger Ansicht nach sind das näher konkretisierte Fälle der berechtigten Interessenwahrnehmung. Die für die berechtigte Interessenwahrnehmung entwickelten Grundsätze sind deswegen voll anwendbar. Die Zulässigkeit solcher ehrbeeinträchtigender Äußerungen hängt von einer Güterabwägung 89 im Einzelfall ab273. Gegenüber stehen sich das Interesse an der Vermeidung der Ehrbeeinträchtigung und das durch § 193 StGB i.V.m. Art. 5 GG geschützte Interesse an der freien Meinungsäußerung274. Geht es um Behauptungen in einer Strafanzeige, tritt das aus Art. 2 Abs. 1 GG folgende Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip hinzu275. Grundsätzlich ist deswegen jedermann zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt. Sie dient der Aufklärung möglicher Straftaten276. Bei einer Strafanzeige genießt den Schutz des § 193 StGB auch, wer neben dem Strafverfolgungsinteresse auch zu missbilligende Interessen vertritt, etwa das Interesse an Vergeltung. Bei bewusst unwahren Äußerungen oder solchen, deren Unwahrheit ohne weiteres – also ohne Beweisaufnahme – auf der Hand liegt, scheidet eine Rechtfertigung jedoch regelmäßig aus277. Dass unwahre Tatsachen leichtfertig aufgestellt wurden, führt allein noch nicht zum Wegfall der Rechtfertigungsmöglichkeit278, kann aber bei der Abwägung mit zu berücksichtigen sein. Leichtfertigkeit ist zu bejahen, wenn der Täter bei zumutbarer Prüfung hätte erkennen müssen, dass die Grundlagen seiner Behauptung unzulänglich oder unzuverlässig sind oder dass er nur auf haltlose Vermutungen hin die Ehre eines anderen antastet279. Der Umfang der Prüfungspflicht ist nicht in allen Fällen gleich. Vielmehr ist die Sorgfalt, die er in der Wahrheitsfrage zu beachten hat, situations- und konfliktabhängig280. Wer sich mit einer ehrbeeinträchtigenden Äußerung an die Öffentlichkeit wendet, hat genauer zu prüfen als derjenige, der sich lediglich an einen eng begrenzten Kreis wendet. Auch derjenige, der sich mit einer Strafanzeige an die zuständige Ermittlungsbehörde wendet, hat nur eine eingeschränkte Prüfungspflicht zu beachten281. Werden solche Äußerungen gegenüber einer unzuständigen Behörde
272 LG Köln v. 11.1.2002 – 18 O 280/01, AfP 2002, 346. 273 BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322, 1324; BGH v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659; OLG Frankfurt v. 11.3.1991 – 1 Ss 31/90, MDR 1991, 888 = NJW 1991, 2032, 2034. 274 BVerfG v. 6.11.1968 – 1 BvR 501/62, NJW 1969, 227; BGH, NJW 1959, 636; v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659. 275 BVerfG v. 25.2.1987 – 1 BvR 1086/85, BVerfGE 74, 257, 262 = MDR 1987, 640 = NJW 1987, 1929; v. 28.8.2003 – 1 BvR 2194/02, NJW 2004, 354 – Widerruf gegenüber Landesärztekammer; v. 25.9.2006 – 1 BvR 1898/03, NJW-RR 2007, 840; v. 15.12.2008 – 1 BvR 1404/04; BGH v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659. 276 BVerfG v. 25.2.1987 – 1 BvR 1086/85, BVerfGE 74, 257, 262 = MDR 1987, 640 = NJW 1987, 1929; BGH v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659. 277 BVerfG v. 12.12.1990 – 1 BvR 839/90, NJW 1991, 1475; v. 28.8.2003 – 1 BvR 2194/02, NJW 2004, 354 – Widerruf gegenüber Landesärztekammer. 278 BVerfG v. 16.3.1999 – 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199; v. 28.8.2003 – 1 BvR 2194/02, NJW 2004, 354 – Widerruf gegenüber Landesärztekammer; v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, AfP 2013, 388 = MDR 2013, 1070 = NJW 2013, 3021. 279 OLG Celle v. 12.5.1987 – 1 Ss 94/87, NJW 1988, 353. 280 BGH, NJW 1960, 779; OLG Köln v. 21.1.1997 – Ss 10/97, NJW 1997, 1247. 281 OLG Köln v. 21.1.1997 – Ss 10/97, NJW 1997, 1247.
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Kap. 6 Rz. 90
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oder ohne jeglichen Sachbezug zu dem Verfahren gemacht, entfällt der Rechtfertigungsgrund282. Näheres zu sog. privilegierten Äußerungen s. Kap. 10 Rz. 26 ff. 2. Notwehr § 227 BGB (1) Eine durch Notwehr gebotene Handlung ist nicht widerrechtlich. (2) Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
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Begriff und Rechtsfolge der zivilrechtlichen Notwehr sind die gleichen wie im Strafrecht und im Ordnungswidrigkeitenrecht (§§ 32 StGB, 15 OWiG). Die Berufung auf Notwehr und ebenso auf Nothilfe setzt voraus, dass ein Eingriff in geschützte Individualinteressen abgewehrt werden soll. Störung der öffentlichen Ordnung reicht nicht aus. Deswegen ist keine Notwehr gegen das Auslegen pornographischer Schriften in einer Buchhandlung möglich, auch nicht, wenn ein Kunde das Zurschaustellen als Bedrohung seiner Intimsphäre empfindet283. Ausreichend ist aber ein Angriff auf die Ehre284, Privat- oder Intimsphäre285 oder das informationelle Selbstbestimmungsrecht286 als Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts287. Notwehr setzt voraus, dass der Angriff gegenwärtig ist. Dies kann auch schon vor seinem Beginn der Fall sein, sofern er unmittelbar bevorsteht. Erforderlich ist ein Verhalten, das unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann288. Ebenso, wenn der Angriff noch nicht beendet ist oder seine Fortsetzung befürchtet werden muss289. Zulässig ist dann das mildeste, gleichwohl sofort und endgültig Erfolg versprechende Gegenmittel290. Gegenüber einer Beleidigung durch einen erkennbar infolge Alkoholeinflusses in seiner Erkenntnisfähigkeit Beeinträchtigten ist die Erwiderung mit Worten zulässig, nicht aber eine tätliche Abwehr, wenn der Angriff nur geringfügig ist291. Das Abreißen verunglimpfender Plakate wird nur ausnahmsweise gerechtfertigt sein, da im Allgemeinen die Möglichkeit besteht, sie im Verfügungswege entfernen zu lassen. § 199 StGB, nach dem der Richter beide Beleidiger oder einen von ihnen für straffrei erklären kann, wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, lässt die Möglichkeit der Berufung auf Notwehr unberührt. Liegt die Ehrenkränkung bereits einige Zeit zurück, ist eine Notwehr nicht mehr möglich292. In der Praxis hat der Gesichtspunkt der Notwehr kaum bzw. kaum noch Bedeutung. Er ist durch das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Recht auf Gegenschlag abgelöst worden293. Das Recht auf Gegenschlag besteht u.U. fort, obschon die Ehrabschneidung abgeschlossen und Wiederholungen
282 BVerfG v. 28.3.2000 – 2 BvR 1392/96, NJW 2000, 3196, 3198; BGH v. 27.4.1999 – VI ZR 174/97, NJW-RR 1999, 1251, 1253. 283 BGH, NJW 1975, 1161. 284 BGH, GRUR 1968, 382, 385 – Favorit II; v. 18.5.1971 – IV ZR 220/69, GRUR 1971, 591, 593 – Sabotage; BayObLG v. 28.2.1991 – RReg.5 St 14/91, NJW 1991, 2031. 285 OLG Düsseldorf v. 15.10.1993 – 2 Ss 175/93-65/93 II-2 Ws 214/93, NJW 1994, 1971. 286 Ronellenfitsch, DuD 2008, 110. 287 MüKo/Grothe, § 227 BGB Rz. 7. 288 BayObLG v. 29.3.1985 – 3 ObOWi 16/85, MDR 1985, 872 = NJW 1985, 2601. 289 RGSt 29, 240; BGHSt 3, 217. 290 MüKo/Grothe, § 227 BGB Rz. 12 ff.; Palandt/Ellenberger, § 227 BGB Rz. 7 jeweils m.w.N. 291 BGHSt 3, 217, 218. 292 BGH v. 18.5.1971 – IV ZR 220/69, GRUR 1971, 591, 593 – Sabotage. 293 BGH v. 18.5.1971 – IV ZR 220/69, GRUR 1971, 591 – Sabotage.
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IV. Sonstige Rechtfertigungsmöglichkeiten
Rz. 93 Kap. 6
ernstlich nicht zu befürchten sind. Das Recht auf Gegenschlag geht also weiter (Näheres Rz. 21). Nach h.M. ist auch das Recht am eigenen Bild, das bereits durch unbefugtes Fotografieren ver- 91 letzt wird, notwehrfähig294. Rebmann vertritt dazu – wie schon das OLG Hamburg295 – die Auffassung, auch Polizeibeamten stehe ggf. das Notwehrrecht zur Seite296. Dagegen haben sich Haberstroh297 und Schomburg298 gewandt. Die Anfertigung einer Aufnahme lasse keinen gesicherten Schluss auf eine rechtswidrige Verbreitung zu299. Ein Notwehrrecht kann auch bei Anfertigung von Fotografien, auf denen keine Person abgebildet oder jedenfalls nicht identifizierbar ist, in Betracht kommen300. Werden intime Handlungen in der Öffentlichkeit vollzogen, besteht jedoch gegenüber sog. Spannern kein Notwehrrecht301. 3. Einwilligung Ob die Einwilligung rechtsgeschäftlichen bzw. rechtsgeschäftsähnlichen Charakter hat oder 92 ob sie eine bloße Gestattung zur Vornahme von Handlungen ist, die in rechtlich geschützte Güter eingreifen, ist in hohem Maße umstritten. Früher wurde der rechtsgeschäftliche Charakter praktisch ausnahmslos bejaht302. In der Folgezeit wurde der rechtsgeschäftliche Charakter vielfach verneint303, weil es um persönlichkeitsrechtliche Befugnisse geht und das Persönlichkeitsrecht ein höchstpersönliches Recht ist. Abgesehen davon wurde geltend gemacht, es widerspreche der Natur des Persönlichkeitsrechts, die im Verkehrsinteresse erfolgte Standardisierung der rechtlichen Handlungsfähigkeit auf persönlichkeitsrechtliche Belange zu übertragen und dem Minderjährigen das Entscheidungsrecht über seine höchstpersönlichen Rechtsgüter ausnahmslos zu versagen304. Der BGH geht von einem Realakt aus, wobei er zur Auslegung der Erklärung die Grundsätze für rechtsgeschäftliche Erklärungen heranzieht305 (Näheres Kap. 7 Rz. 133 ff., 151 ff.). Die anzuerkennende Notwendigkeit, auch Minderjährige über bestimmte höchstpersönli- 93 che Rechtsgüter unter bestimmten Voraussetzungen selbst entscheiden oder mitentscheiden zu lassen, ändert nichts daran, dass das Persönlichkeitsrecht und die sich daraus ergebenden Befugnisse und Möglichkeiten auch eine kommerzielle Seite haben. Besonders deutlich wird 294 BGH NStZ 2003, 599; OLG Hamm v. 2.4.1987 – 4 U 296/86, JZ 1988, 380; OLG Karlsruhe v. 1.10.1981 – 1 Ss 200/81, NStZ 1982, 123; OLG Düsseldorf v. 15.10.1993 – 2 Ss 175/93-65/93 II-2 Ws 214/93, NJW 1994, 1971; Rebmann, AfP 1982, 195; Schönke/Schröder/Perron, § 32 StGB Rz. 5 m.w.N. 295 OLG Hamburg, NJW 1972, 1290; ebenso BayObLGSt 91, 141; OLG Celle v. 8.2.2000 – 16 U 106/99, NJW-RR 2001, 1033; VGH Mannheim v. 10.7.2000 – 1 S 2239/99, NVwZ 2001, 1292. 296 Vgl. dazu den Tagungsbericht von Kübler, AfP 1982, 214; ferner Jarass, JZ 1983, 280. 297 Haberstroh, JR 1983, 314, 318. 298 Schomburg, AfP 1984, 80, 84. 299 Ebenso nun BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12.11, AfP 2012, 411; VGH Mannheim v. 19.8.2010 – 1 S 2266/09, AfP 2011, 97: „Vermutung der Rechtstreue“ jedenfalls zugunsten von Pressefotografen. 300 OLG Düsseldorf v. 15.10.1993 – 2 Ss 175/93-65/93 II-2 Ws 214/93, NJW 1994, 1971. 301 BayObLG, NJW 1962, 1782. 302 RGZ 68, 431; RGZ 168, 208; BGHZ 2, 159; BGHZ 7, 207; BGH, NJW 1958, 905. 303 Heidenreich, AfP 1970, 960; vgl. BGH, NJW 1974, 1947; NJW 1980, 1907: Realakt. 304 U.a. Böhmer, MDR 1957, 707. 305 BGH v. 18.3.1980 – VI ZR 155/78, NJW 1980, 1903; OLG Düsseldorf v. 24.5.2011 – 20 U 39/11, BeckRS 2011, 21498.
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Kap. 6 Rz. 94
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
das bei den Rechten am Bild und am Namen, die in vielfältiger Weise kommerzialisierbar sind, z.B. zu Werbezwecken. Auch sonstige persönlichkeitsrechtliche Bereiche lassen sich wirtschaftlich verwerten, etwa das Lebensbild in Form eines hochbezahlten Exklusivinterviews. Diese kommerzielle Seite des Persönlichkeitsrechts hat funktionsmäßig Ähnlichkeiten mit dem Urheberrecht. Angesichts dieser wirtschaftlichen Bedeutung ist eine Leugnung des rechtsgeschäftlichen Charakters der Einwilligung und der dadurch erfolgenden Verfügung über persönlichkeitsrechtliche Befugnisse nicht sachgerecht. Der rechtsgeschäftliche Charakter ist zu bejahen306. Die Einwilligung kann daher auch durch einen Bevollmächtigten erteilt werden307. Das schließt nicht aus, in anderen Bereichen zu anderen Ergebnissen zu gelangen, speziell was ärztliche Eingriffe betrifft. Insoweit steht die Einwilligung nicht unter einem Bedürfnis des Rechtsverkehrs, das Vertrauen in ihren Bestand zu schützen308. 94
Allerdings ist das Problem der Grundrechtsmündigkeit zu beachten. Darunter ist die Fähigkeit zur Selbstbestimmung zu verstehen. Grundrechtsmündig ist, wem zwar die Geschäftsfähigkeit fehlt, wer aber die natürliche Fähigkeit hat, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs zu erkennen, das Für und Wider abzuwägen und seine Entscheidung nach dieser Einsicht zu bestimmen309. Im Bereich des Äußerungsrechts hat diese Frage insbesondere bei Nacktaufnahmen einer Jugendlichen Bedeutung erlangt. Ist sie grundrechtsmündig, kann sie der Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters in die Verwertung ihrer Nacktaufnahmen widersprechen, wenn persönlichkeitsrechtliche Gesichtspunkte entgegenstehen. Sie kann ein Vetorecht ausüben310. Infolge des rechtsgeschäftlichen Charakters ist die Einwilligung aber voll wirksam, wenn es allein um wirtschaftliche Fragen geht, z.B. darum, dass die mit der Verbreitung ihrer Nacktfotos einverstandene Minderjährige lediglich mehr Geld haben möchte (vgl. auch Kap. 7 Rz. 177 ff.)311.
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Es bedarf der Erklärung der Einwilligung. Die bloße innere Zustimmung (Willensrichtungstheorie) genügt nicht. Ausdrücklich braucht die Erklärung nicht zu sein. Stillschweigende Einwilligung reicht aus. Sie kann auch durch konkludente Handlung erfolgen312. Hierzu ist der Erklärungswert des als Einwilligung zu wertenden Verhaltens im Wege der Auslegung zu ermitteln313. Die Anbringung eines Praxisschildes an der Hauswand bedeutet kein konkludentes Einverständnis mit der Verbreitung seiner fotografischen Wiedergabe314. Eine konkludente Zustimmung kann sich aber aus dem freundlichen Lächeln in eine Fernsehkamera ergeben, 306 So insbesondere Helle, AfP 1985, 93; Ricker/Weberling, 43. Kap. Rz. 6; Frömming/Peters, NJW 1996, 958; ebenso OLG München v. 17.3.1989 – 21 U 4729/88, AfP 1989, 570; OLG München v. 30.5.2001 – 21 W 1997/00, AfP 2001, 400; vgl. OLG Frankfurt v. 4.6.2009 – 16 U 206/08, ZUM-RD 2010, 320; zum Streitstand Schricker/Loewenheim/Götting, § 22 KUG Rz. 38 ff. 307 OLG München v. 30.5.2001 – 21 W 1997/00, AfP 2001, 400; Müller, ZUM 2002, 202. 308 Steffen, RGRK § 823 Rz. 377. 309 U.a. BGHZ 29, 33; BGHZ 38, 49, 54. 310 Steffen, RGRK § 823 Rz. 378. 311 BGH v. 2.7.1974 – VI ZR 121/73, NJW 1974, 1947 – Nacktaufnahme. 312 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 u.a., NJW 2002, 3619, 3623 – Mitgehörtes Telefonat; BGH v. 18.10.2011 – VI ZR 5/10, NJW 2012, 762 – Besuch einer Vernissage; v. 11.11.2014 – VI ZR 9/14, MDR 2015, 392 = NJW 2015, 1450 – Hostess auf Eventportal; v. 28.9.2004 – VI ZR 305/03, MDR 2005, 272 = AfP 2004, 534 – Charlotte Casiraghi II; OLG Frankfurt v. 4.6.2009 – 16 U 206/08, ZUM-RD 2010, 320; OLG Köln v. 10.11.2016 – 15 U 94/16, NJW 2017, 1114 m. Anm. Elmenhorst. 313 BVerfG v. 14.9.2010 – 1 BvR 2538/08, AfP 2010, 562 Rz. 44 – Carolines Tochter; OLG Frankfurt v. 21.4.2016 – 16 U 251/15, CR 2016, 733 = ZUM-RD 2016, 573. 314 Vgl. BGH, NJW 1954, 1404; NJW 1958, 1344; NJW 1960, 1614; GRUR 1962, 210.
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IV. Sonstige Rechtfertigungsmöglichkeiten
Rz. 96 Kap. 6
wenn der Betroffene den Zweck der Aufnahme kennt315, insbesondere wenn er an einem Vorgespräch vor Herstellung der Aufnahmen teilgenommen hat316. Ist ein Kind mit seinen prominenten Eltern auf einer Ehrentribüne Zuschauer eines Springturniers, folgt daraus keine konkludente Einwilligung zur Veröffentlichung von Fotos, auf denen das Kind herausgezoomt dargestellt wird317. Die konkludente Einwilligung erstreckt sich jedoch nicht auf eine Nutzung in anderem Zusammenhang318. Bietet eine Frau als Hostess im Auftrag einer PromotionAgentur auf einer Prominentenparty Zigaretten als Aktionsware an, ist ihre Tätigkeit nur dahin zu verstehen, dass sie mit Fotos und deren Veröffentlichung auch im Interesse ihres Arbeitgebers einverstanden ist319. Auch aus den einem Journalisten bereitwillig gegebenen Auskünften kann auf das Einverständnis mit einer nachfolgenden Veröffentlichung geschlossen werden320. Keine Einwilligung liegt vor, wenn der Betroffene ausdrücklich erklärt hat, mit der Publikation, z.B. intimer Vorgänge, nicht einverstanden zu sein, und wenn er das Gespräch mit dem Journalisten nur im Vertrauen auf die Respektierung seines Willens geführt hat. Etwaige Zweifel hinsichtlich der Vertraulichkeitsabrede können zu Lasten des Betroffenen gehen, jedenfalls wenn er sich ohne ausdrückliche Vertraulichkeitsvereinbarung gegenüber Journalisten geäußert hat321. Bei an sich wirksamer Einwilligung ist ggf. zu prüfen, worauf sie sich bezieht. Auch wenn der Betroffene mit einem Bericht über einen bestimmten Lebensvorgang an sich einverstanden ist, bedeutet das nicht, er habe auch in eine einseitige, verzerrende, abwertende Darstellungsform eingewilligt322. Im Zweifelsfall kann der Rechtsgedanke des § 31 Abs. 5 UrhG – Zweckübertragungstheorie – herangezogen werden. Näheres zu Umfang und Dauer der Einwilligung, zur Möglichkeit des Widerrufes und der Anfechtung, die vornehmlich beim Bildnisschutz Bedeutung erlangen können, vgl. Kap. 7 Rz. 132 ff. Neben der ausdrücklich oder stillschweigend erklärten Einwilligung kann auch die mut- 96 maßliche Einwilligung Bedeutung erlangen. Sie greift als Rechtfertigungsgrund ein, wenn für die verbale oder bildliche Darstellung die Zustimmung des Betroffenen nicht eingeholt werden konnte, eine Würdigung der Sachlage aber die Annahme rechtfertigt, dass er sie erteilt haben würde. Gleiches gilt, wenn die Einholung zwar möglich gewesen wäre, aber ohne weiteres davon ausgegangen werden konnte, dass der Betroffene auf eine Befragung keinen Wert legt323. Zu denken ist an Betroffene, denen es notorisch auf Publizität ankommt, etwa an eine Filmschauspielerin, bei der sich Garderobeteile speziell im Blickwinkel von Kameras zu lösen pflegen.
315 OLG Frankfurt v. 4.6.2009 – 16 U 206/08, ZUM-RD 2010, 320; OLG Hamburg v. 28.6.2011 – 7 U 39/11, AfP 2012, 166. 316 OLG Düsseldorf v. 24.5.2011 – 20 U 39/11, BeckRS 2011, 21498. 317 OLG Köln v. 10.11.2016 – 15 U 94/16, NJW 2017, 1114 m. Anm. Elmenhorst. 318 BGH v. 28.9.2004 – VI ZR 305/03, MDR 2005, 272 = AfP 2004, 534 – Charlotte Casiraghi II; OLG Hamburg v. 28.6.2011 – 7 U 39/11, AfP 2012, 166; v. 4.9.2012 – 7 U 56/11, ZUM 2013, 581. 319 BGH v. 11.11.2014 – VI ZR 9/14, MDR 2015, 392 = NJW 2015, 1450 – Hostess auf Eventportal. 320 OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 89 ff. = NJOZ 2017, 1424 – Panama Papers; LG Stuttgart v. 19.5.2016 – 11 O 77/16, n.v. 321 OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 89 ff. = NJOZ 2017, 1424 – Panama Papers; LG Stuttgart v. 19.5.2016 – 11 O 77/16, n.v. 322 LG Bielefeld, MDR 1975, 54. 323 OLG Hamburg, NJW 1960, 1482.
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Kap. 6 Rz. 97
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht Schrifttum: Wente, Das Recht der journalistischen Recherche, 1987; Steffen, Schranken des Persönlichkeitsschutzes für den investigativen Journalismus, AfP 1988, 117; Dohnold, Verfassungsrechtliche Grenzen des investigativen Journalismus, ZUM 1991, 28; Ollendorff, Der Schutz der Recherche im strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrecht der Medienschaffenden, 1991; Schippan, Anforderungen an die journalistische Sorgfaltspflicht, ZUM 1996, 398; Peters, Die publizistische Sorgfalt, NJW 1997, 1334; Schippan, Der Umgang der Presse mit anonym zugesandtem Material, ZUM 2008, 572; Tillmanns, Die „Lauterkeit“ bei der journalistischen Recherche, ZRP 2011, 203; Libertus, Der Programmgrundsatz der Verpflichtung auf die Wahrheit und die daraus resultierenden Sorgfaltspflichten für die redaktionelle Arbeit, ZUM 2015, 627; Schierbaum, Sorgfaltspflichten von professionellen Journalisten und Laienjournalisten im Internet, 2016.
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Im Bereich des Äußerungsrechts dominieren die sog. offenen Tatbestände, bei denen Schuldelemente bereits im Rahmen der Rechtswidrigkeit geprüft werden. Auch die Rechtfertigung durch Wahrnehmung berechtigter Interessen hängt davon ab, dass der Mitteilende die zu stellenden Sorgfaltsanforderungen erfüllt hat. Bei Medienberichten werden diese Sorgfaltsanforderungen im Allgemeinen als journalistische Sorgfaltspflicht bezeichnet. Wird eine Äußerung als rechtswidrig bezeichnet, ist folglich über die Fahrlässigkeit bereits mitentschieden. Das für den Ersatzanspruch zusätzlich zur Rechtswidrigkeit erforderliche Verschulden setzt aber das Vorliegen zusätzlicher Merkmale voraus. 1. Allgemeine Verschuldensvoraussetzungen a) Verschuldensbegriff
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Nach der sog. psychologischen Schuldauffassung sind Vorsatz und Fahrlässigkeit die einzigen Schuldelemente. Diese Auffassung ist überwunden. Verschiedene Bestimmungen, z.B. § 829 BGB, setzen ein vorsätzliches Handeln voraus, behandeln es aber dennoch nicht als verschuldet. Vorsatz ist damit ersichtlich nicht die alleinige Beziehung des Täters zur Tat und kann folglich mit Schuld nicht gleichgesetzt werden. Abgesehen davon liegen Fahrlässigkeit und psychologische Beziehung des Täters zur Tat im Zivilrecht ohnehin auf unterschiedlichen Ebenen, weil hier die Fahrlässigkeit im Wesentlichen von objektiven Kriterien abhängt, nämlich von der Beobachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.
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An die Stelle der psychologischen ist die normative Schuldauffassung getreten. Sie betrachtet das Wesen der Schuld als Werturteil der Rechtsordnung über den Täter. Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, nicht rechtmäßig gehandelt, sondern sich für das Unrecht entschieden zu haben, obschon ihm die Entscheidung für das Recht möglich gewesen sei. Ein Schuldspruch erfolgt deswegen nicht schon bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit, also aufgrund des Handlungsunwertes. Hinzukommen muss die Vorwerfbarkeit, nämlich die Zurechnungsfähigkeit, das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und das Fehlen von Schuldausschließungsgründen.
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Die finale Handlungslehre nimmt an, dass Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht Schuld-, sondern Handlungselemente sind. Entgegen der komplexen Schuldauffassung besteht das Verschulden dann nur noch aus der Zurechnungsfähigkeit und dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. Wenn bei den offenen Tatbeständen nach der zu missbilligenden Art der Schädigung und bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen nach der Beachtung der zu stellenden Sorgfaltsanforderungen gefragt wird, entspricht das ebenso finalem Denken wie der Rechtssatz vom verkehrsrichtigen Verhalten. 396
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V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht
Rz. 105 Kap. 6
b) Handlungsunwert Schuldhaft kann nur eine Handlung sein. Eine Handlung setzt voraus, dass der Täter sein 101 Verhalten auf einen bestimmten Erfolg final gesteuert oder dass er diese Steuerung entgegen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unterlassen hat. Vorsatz oder Fahrlässigkeit sind damit notwendige Voraussetzungen des Schuldvorwurfes. aa) Vorsatz Eine Definition des Vorsatzbegriffes enthält das BGB nicht. Weitgehende Einigkeit besteht 102 aber, dass Vorsatz das Wollen einer bestimmten Handlung und eines dadurch verursachten Erfolges ist, und zwar in Kenntnis der dafür maßgeblichen Umstände324. Vorsatz setzt mithin drei Merkmale voraus: – Der Täter muss ein auf eine bestimmte Handlung bezogenes Wollen haben, z.B. das Wollen, eine Behauptung aufzustellen oder zu verbreiten. – Der Täter muss weiterhin wollen, dass die Handlung zu einem bestimmten Erfolg führt, z.B. dass die Behauptung eine Beeinträchtigung des Rufes bewirkt (dolus directus), zumindest aber den Erfolgseintritt als möglich voraussehen und billigend in Kauf nehmen (dolus eventualis). Das Wollen des durch die Rufbeeinträchtigung verursachten Schadens ist keine Voraussetzung des Vorsatzes. – Schließlich muss der Täter Kenntnis der Tatbestandsmerkmale haben, an die die Rechtsordnung das Verbot der Handlung knüpft. Treffen diese Merkmale zusammen, hat der Täter bei vorhandener Tatbestandsmäßigkeit 103 und Rechtswidrigkeit vorsätzlich gehandelt, womit jedoch über das Verschulden noch nicht endgültig befunden ist, sondern erst, wenn auch die weiteren Verschuldensvoraussetzungen geprüft sind. bb) Fahrlässigkeit Nach § 276 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht 104 lässt. Das ist in zweierlei Weise möglich: – Der Täter erkennt, dass sein Verhalten möglicherweise zu einem bestimmten Erfolg führen kann, beruhigt sich aber unter Vernachlässigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit der Hoffnung, dies werde nicht der Fall sein (bewusste Fahrlässigkeit). Beispiel: Ein Redakteur lässt eine Falschmeldung auf seinem Schreibtisch in der Hoffnung liegen, sein Kollege werde davon keine Kenntnis nehmen und sie unveröffentlicht lassen. – Der Täter erkennt nicht, dass sein Verhalten möglicherweise zu einem bestimmten Erfolg führen kann, bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt wäre das aber möglich und der Erfolgseintritt zu verhindern gewesen (unbewusste Fahrlässigkeit). Beispiel: Ein Redakteur glaubt, seine Meldung sei richtig, obschon er bei den erforderlichen Nachforschungen die Unrichtigkeit hätte erkennen und die Verbreitung verhindern können. Das Maß der erforderlichen Sorgfalt bestimmt sich nach objektiven Kriterien325. Es kommt 105 darauf an, was entsprechend der Art der Tätigkeit von einem normalen, ordentlichen und 324 BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 309/10, MDR 2012, 280 = NJW-RR 2012, 404. 325 BGHZ 5, 319; BGHZ 8, 140; BGH v. 27.3.2003 – IX ZR 399/99, MDR 2003, 897 = NJW 2003, 2022.
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Kap. 6 Rz. 106
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
verständigen, ggf. auch sach- oder fachkundigen Verkehrsteilnehmer zu erwarten gewesen wäre, z.B. von einem ordentlichen und verständigen, sach- und fachkundigen Journalisten. Individuelle Tätereigenschaften bleiben außer Ansatz326. Zu beachten ist aber die konkrete Situation, speziell ein ungewöhnlicher Umstand327, etwa ob ein schneller Entschluss zu fassen war328. Fahrlässig handelt auch, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, indem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss329. c) Vorwerfbarkeit 106
Das Verschulden setzt voraus, dass die Tat dem Täter vorzuwerfen ist. Der Täter muss zurechnungsfähig sein und das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit haben. aa) Zurechnungsfähigkeit
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Die fehlende Verantwortlichkeit Zurechnungsunfähiger ist in den §§ 827, 828 BGB positiv geregelt. Danach ist für den von ihm verursachten Schaden nicht verantwortlich, wer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit gehandelt hat (§ 827 Satz 1 BGB); ob der die freie Willensbestimmung ausschließende Zustand dauernd oder vorübergehend ist, hat keine Bedeutung. Auch plötzliche Anfälle, z.B. epileptischer Art, entbinden von der Verantwortlichkeit. Ausgenommen hiervon sind Störungen, die auf freiwilligem Genuss geistiger Getränke oder ähnlicher Mittel beruhen; sie entbinden nicht von der Verantwortlichkeit (§ 827 Satz 2 BGB). Nach § 828 BGB entfällt die Verantwortlichkeit auch bei jugendlichem Alter. bb) Bewusstsein der Rechtswidrigkeit
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Das Verschulden setzt weiter voraus, dass der Täter das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit hatte oder hätte haben können. War das Verbot dem Täter unbekannt und konnte er es trotz gehöriger Gewissensanspannung nicht erkennen, kann ihm der Verstoß nicht vorgeworfen werden. Im Bereich des Äußerungsrechts ist dieses Erfordernis ohne praktische Bedeutung. Die insoweit bestehenden Verbote sind zumindest erkennbar. Dass keine ernsthafte Chance besteht, sich der Ersatzpflicht mit dem Argument eines fehlenden Bewusstseins der Rechtswidrigkeit zu entziehen, zeigt insbesondere die Entscheidung Terroranschlag II330. Mit der Entscheidung Terroranschlag I hatte der BGH eine Schmerzensgeldklage von Heinrich Böll abgewiesen331, weil der streitige Fernsehkommentar von Matthias Waiden rechtmäßig gewesen sei. Auf die Verfassungsbeschwerde Bölls hat das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung Terroranschlag I mit der Begründung aufgehoben332, der Kommentar von Matthias Waiden sei durchaus persönlichkeitsverletzend gewesen. Mit der daraufhin erforderlich gewordenen Entscheidung Terroranschlag II hat der BGH das Berufungsurteil des OLG Köln 326 327 328 329
BGH, JZ 1954, 297; v. 13.2.2001 – VI ZR 34/00, NJW 2001, 1786. BGH, LM § 286A ZPO Nr. 2. RGZ 164, 41. BGH v. 6.5.1999 – I ZR 199/96, CR 1999, 496 m. Anm. Wuermeling = NJW 1999, 2898; v. 22.11.2001 – I ZR 138/99, AfP 2002, 364 = MDR 2002, 835 = CR 2002, 525 = ITRB 2002, 177 = NJW 2002, 2031, 2035 – Shell.de; v. 11.3.2009 – I ZR 8/07, AfP 2009, 485 – Wer wird Millionär? 330 BGH v. 1.12.1981 – VI ZR 200/80, MDR 1982, 396 = AfP 1982, 28 = NJW 1982, 635. 331 BGH v. 30.5.1978 – VI ZR 117/76, NJW 1978, 1797. 332 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78, AfP 1980, 151 = NJW 1980, 2072.
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V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht
Rz. 110 Kap. 6
wiederhergestellt, durch das Matthias Waiden zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 40 000 DM verurteilt worden ist. Zur Begründung führt der BGH aus333, der Geltungsanspruch des Rechts fordere grundsätzlich, dass der Verpflichtete das Risiko eines Irrtums über die Rechtslage selbst trägt. Auch ein Richterkollegium könne ihn hiervon auf Kosten des Berechtigten nur unter besonderen Umständen entlasten. Das müsse insbesondere gelten, wenn der Verpflichtete das Risiko eines Verbotsirrtums bewusst eingegangen sei, etwa indem er sich durch sein Vorgehen zu den geschützten Gütern und den Interessen eines anderen wissentlich in eine scharfe Spannungslage gebracht habe, in der ihm die Möglichkeit, dass seine Rechtsauffassung über die Zulässigkeit seines Vorgehens falsch sein könne, habe vor Augen stehen müssen. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Rechtsprechung für die Amtshaftung Grundsätze entwickelt hat, nach denen der Rechtsirrtum eines Beamten entschuldigt sein kann, wenn ein seine Entscheidung überprüfendes Kollegialgericht die Rechtsauffassung des Beamten zu Unrecht billigt334. Mit dieser Begründung hat der BGH das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit des Kommentators bejaht, obschon der BGH den Kommentar zuvor höchstselbst als rechtmäßig bezeichnet hatte. Bei Anlegung eines derartig strengen Maßstabes ist nicht zu erkennen, wie eine Entlastung jemals möglich sein sollte335. Zumal unrichtige Rechtsauskünfte eines Rechtsanwalts oder Gutachten von Sachverständigen ggf. nach § 278 BGB zuzurechnen sind336. d) Schuldausschließungsgründe Handlungsunwert und Vorwerfbarkeit sind positive Schuldvoraussetzungen. Daneben kön- 109 nen negative, die Schuld ausschließende Merkmale zu beachten sein. Als Schuldausschließungsgrund kommt z.B. der Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit in Betracht. In Anlehnung an die Notstandsregelung muss anerkannt werden, dass den Täter kein Schuldvorwurf trifft, wenn ihm ein normgerechtes Verhalten nach den Umständen des Falles, z.B. wegen eines auf ihm lastenden ungewöhnlichen seelischen Druckes, schlechterdings nicht zuzumuten war. 2. Journalistische Sorgfaltspflicht Die Inanspruchnahme der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit erfordert die Beachtung be- 110 sonderer Pflichten (vgl. Kap. 1 Rz. 43). Die gesteigerte Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit konkretisiert sich in der journalistischen Sorgfaltspflicht. Diese ist dem Grunde nach von allen Massenmedien zu beachten. Gesetzliche Grundlagen sind für die Presse § 6 LPG, Berlin: § 3 Abs. 2, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen: § 5; Rheinland-Pfalz: § 7 LMG; Ausnahmen: Bayern, vgl. aber Art.§ 3 Abs. 2 BayPRG und Hessen, für den Rundfunk: z.B. § 10 Abs. 1 RStV, § 3 Abs. 3 und 4 LMedienG Baden-Württemberg, § 6 Abs. 3 SWR-StV, für Telemedien mit journalistisch-redaktionellen Inhalten: § 54 Abs. 2 RStV. Die gleichen Grundsätze gelten auch für Bücher, wenn diese eine presseähnliche Funktion erfüllen337.
333 334 335 336 337
BGH v. 1.12.1981 – VI ZR 200/80, MDR 1982, 396 = AfP 1982, 28 = NJW 1982, 635. BGH, NJW 1976, 363; v. 7.2.1980 – III ZR 153/78, MDR 1980, 655 = NJW 1980, 1679. Vgl. auch BGH, NJW 1974, 1903 – Lufttaxi II; NJW 1975, 2064 – Reichswehrprozess. Vgl. BGH v. 11.6.2014 – VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717, 2720. BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1133 – Der Lohnkiller; OLG München v. 26.7.1996 – 21 U 6350/95, NJW-RR 1996, 1365 – ScientologyAnwalt.
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Kap. 6 Rz. 111 111
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
§ 6 LPG Baden-Württemberg Die Presse hat alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit, Inhalt und Herkunft zu prüfen. Die Verpflichtung, Druckwerke von strafbarem Inhalt freizuhalten oder Druckwerke strafbaren Inhalts nicht zu verbreiten (§ 20 Abs. 2), bleibt unberührt.
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§ 10 RStV (1) Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen. Kommentare sind von der Berichterstattung deutlich zu trennen und unter Nennung des Verfassers als solche zu kennzeichnen.
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§ 3 LMedienG Baden-Württemberg (3) Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten und Berichte sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen. Noch nicht ausreichend verbürgte Nachrichten und Berichte dürfen nur veröffentlicht werden, wenn sie mit einem erkennbaren Vorbehalt versehen sind. Tatsachenbehauptungen, die sich als falsch erwiesen haben, sind unverzüglich und angemessen richtig zu stellen. Kommentare sind von der Berichterstattung deutlich zu trennen und unter Nennung des Verfassers als solche zu kennzeichnen.
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(4) Die Personen oder Stellen, die durch eine Nachricht oder einen Bericht wesentlich betroffen werden, sollen vor der Verbreitung nach Möglichkeit gehört werden. Sendungen, die in den Privatbereich einer Person ohne deren Einwilligung eingreifen, sind nur zulässig, soweit der Eingriff in den Privatbereich im Einzelfall durch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gefordert wird und in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung der Sache für die Öffentlichkeit steht. Die Intimsphäre ist in jedem Fall zu achten.
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§ 54 RStV (2) Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, in denen insbesondere vollständig oder teilweise Inhalte periodischer Druckerzeugnisse in Text oder Bild wiedergegeben werden, haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen. Nachrichten sind vom Anbieter vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen.
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Wer die journalistische Sorgfaltspflicht im Rahmen der Berichterstattung außer Acht lässt, handelt gemäß § 276 BGB fahrlässig. Die Nichtbeachtung hat zur Folge, dass die dann fahrlässige Äußerung nicht rechtfertigungsfähig ist. § 193 StGB nimmt dem Behauptenden das Risiko der Unwahrheit nur unter der Voraussetzung ab, dass die Sorgfaltsregeln beachtet sind. Gleiches gilt für das Risiko der Güterabwägung (vgl. Rz. 151). Die Beachtung der journalistischen Sorgfaltspflicht hat damit entscheidende Bedeutung. a) Maßstab der Sorgfaltspflicht aa) Erforderliche Sorgfalt
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Der Maßstab der Sorgfaltspflicht ergibt sich aus § 276 BGB und den jeweiligen medienrechtlichen Gesetzen. Danach hat der Journalist die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten, nicht nur die übliche. Etwa üblich gewordene Nachlässigkeiten bleiben außer Be-
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V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht
Rz. 119 Kap. 6
tracht338. Die Erforderlichkeit richtet sich nach objektiven Kriterien. Maßgeblich ist, welche Sorgfalt angesichts der konkreten Situation tatsächlich zu fordern ist, nicht, was der Journalist glaubt, für erforderlich halten zu sollen339. Die tatsächlichen Erfordernisse sind nach der wirklichen Situation zu bemessen, nicht nach einer nur gedachten. Das kommt z.B. in § 6 LPG Baden-Württemberg (s. Rz. 110 f.) zum Ausdruck. Danach hat die Presse alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit, Inhalt und Herkunft zu prüfen. Grundsätzlich gilt dies auch für Anzeigeninhalte. Allerdings haften Medienunternehmen für die Veröffentlichung rechtswidriger Anzeigen nur im Fall grober, unschwer zu erkennender Verstöße (s. Kap. 10 Rz. 213 ff.)340. Grundsätzlich ist ein strenger Maßstab anzulegen341. Wird die Äußerungsfreiheit in so weit- 118 gehendem Umfang gewährt, wie dies mit Recht geschieht, ist das Korrelat dazu die Pflicht, beim Aufstellen und Verbreiten von Behauptungen besonders sorgfältig zu verfahren. Für publizistische Äußerungen gilt das umso mehr, als Presse und Rundfunk infolge ihres hohen Ansehens weitreichenden Einfluss haben. Publizistische Äußerungen werden im Allgemeinen ernstgenommen, ihnen wird Vertrauen geschenkt. Dieses Vertrauen bedingt größtmögliche Verlässlichkeit. Darauf hat auch das Bundesverfassungsgericht mit seiner klassisch gewordenen Formulierung aufmerksam gemacht, nach der mit der Pressefreiheit Pflichten einhergehen, die um so ernster genommen werden müssen, je höher man das Grundrecht der Pressefreiheit einschätzt342. Das Bundesverfassungsgericht leitet daraus die Folgerung ab, dass die Presse, wenn sie von ihrem Recht, die Öffentlichkeit zu unterrichten, Gebrauch macht, zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung verpflichtet ist. Die Erfüllung dieser Wahrheitspflicht wird schon um des Ehrenschutzes der Betroffenen willen gefordert343. Trifft eine Berichterstattung den Kern der Persönlichkeit des Betroffenen, ist die Presse in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet344. Die grundsätzliche Strenge darf keine Überspannung zur Folge haben. Das würde die pu- 119 blizistische Tätigkeit empfindlich behindern. An die Wahrheitspflicht dürfen daher keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen345. Es kann nur das Zumutbare gefordert werden346. Unzumutbar wäre es, wenn an die publizistische Tätigkeit die Maßstäbe gerichtlicher Wahrheitsfindung angelegt würden347. Dementsprechend kann von einem juristisch nicht vorgebildeten Publizisten nicht gefordert 338 BGHZ 30, 7 – Caterina Valente. 339 BGH v. 15.1.1963 – 1 StR 478/62, NJW 1963, 665 – Callgirl; NJW 1965, 1374 – Satter Deutscher; EGMR v. 16.3.2017 – 58493/13, AfP 2017, 402, 404 – Olafsson/Island. 340 BGH v. 26.4.1990 – I ZR 127/88, MDR 1991, 29 = NJW-RR 1990, 1184 – Pressehaftung; v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, AfP 1998, 624 – Möbelklassiker. 341 So auch BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617, 1619 – Höllenfeuer. 342 BVerfG v. 25.1.1961 – 1 BvR 9/57, BVerfGE 12, 113 – Schmid. 343 Vgl. dazu BGH, NJW 1952, 194; NJW 1953, 1722; NJW 1960, 476. 344 BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 Rz. 28 ff. – Sächs. Korruptionsaffäre. 345 BVerfG v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR. 346 BVerfG v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, NJW-RR 2000, 1209, 1211 – Sorgfaltspflicht; v. 26.8.2003 – 1 BvR 2243/02, AfP 2003, 539; v. 21.3.2007 – 1 BvR 2231/03, NJW 2007, 2686 – Effecten-Spiegel; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; EGMR v. 4.5.2010 – 38059/07, BeckRS 2011, 19781 – Effecten-Spiegel; v. 16.3.2017 – 58493/13, AfP 2017, 402, 404 – Olafsson/Island. 347 OLG Köln, NJW 1963, 1634, 1635; OLG Nürnberg v. 10.2.1998 – 3 U 3480/97, ZUM 1998, 849, 850.
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Kap. 6 Rz. 120
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
werden, bei der Interpretation eines Strafurteils die Sorgfalt eines strafrechtlich geschulten Lesers anzuwenden348. Auch die Landespressegesetze fordern nur, dass die Nachrichten vor ihrer Verbreitung geprüft werden. Für diese Prüfung genügt eine „pressemäßige Sorgfalt“. Diese vom OLG Köln349 im Anschluss an das Bundesverfassungsgericht350 und Coing351 entwickelte Auffassung hat inzwischen auch der BGH übernommen352. 120
Pressemäßige Sorgfalt bedeutet, dass die berufsmäßigen Besonderheiten der Presse bei dem anzulegenden Sorgfaltsmaßstab hinreichend zu berücksichtigen sind. Auslegungshilfe bieten die Publizistischen Grundsätze (Pressekodex) des Deutschen Presserats353. Diese haben zwar nicht die Bindungswirkung von Rechtsnormen und sind insbesondere keine Haftungsgründe. Sie konkretisieren die Berufsethik der Presse. Als standesrechtliche Grundsätze einer Berufsethik vermögen sie jedoch Orientierungsmaßstab zu sein. Hiernach kann von der Presse, ebenso vom Rundfunk und journalistisch-redaktionellen Telemedien nicht verlangt werden, Meldungen zurückzuhalten, bis Beweismittel vorliegen, die auch ein Gericht als ausreichend anerkennen müsste354. Es genügt, dass die angesichts der Umstände des Falles vernünftigerweise in Betracht kommenden Recherchen hinreichend gründlich durchgeführt worden sind355. Welche Recherchen das sind, hängt von den Umständen ab, insbesondere von der Materie, von der Verlässlichkeit der Quelle und von der Eilbedürftigkeit356. Damit ergibt sich ein gleitender Sorgfaltsmaßstab357.
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Wesentliche Bedeutung kommt der Frage zu, ob eine Kritik auf einzelne Menschen abzielt oder auf öffentliche Institutionen, auf einflussreiche Gruppen oder Unternehmen. Der Mensch genießt stärkeren Schutz als Gruppierungen. In der Höllenfeuer-Entscheidung meint der BGH in etwas missverständlicher Weise358, die strengen Sorgfaltspflichten, denen die Presse unterworfen ist, wenn ehrenrührige Tatsachen über einen Bürger verbreitet werden, seien nicht in gleichem Maße vorhanden, wenn Wertungen in Fragen allgemeiner Bedeutung vorgetragen werden, auch nicht, wenn sie dem einzelnen abträglich sind. Missverständlich ist das insofern, als Wertungen von allgemeiner Bedeutung mit rechtlichen Mitteln ohnehin nicht angreifbar sind. Richtig ist aber, dass zwischen Angriffen unterschieden werden muss, die sich gegen eine Person richten, und solchen, die politische, wirtschaftliche oder sonstige Zielset348 349 350 351 352 353 354 355 356
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BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, 227 – Lüth. OLG Köln, NJW 1963, 1634, 1635. BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257 – Lüth. Coing, Ehrenschutz und Presserecht, 1960, S. 22 ff. U.a. BGH v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = AfP 1987, 597 = NJW 1987, 2225, 2226 – Chemiegift. Aktuelle Fassung abrufbar unter: http://www.presserat.de/pressekodex/pressekodex/. BGH, NJW 1979, 266; v. 5.5.1981 – VI ZR 184/79, MDR 1981, 926 = NJW 1981, 2117, 2120. BGHSt 18, 182; BGH v. 29.10.1968 – VI ZR 180/66, GRUR 1969, 147, 151 – Korruptionsvorwurf. BVerfG v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = NJW 1996, 1131 – Lohnkiller; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, NJW 1997, 1148 – Stern-TV; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; v. 17.11.2009 – VI ZR 226/09, AfP 2010, 72; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 Rz. 28 ff.– Sächs. Korruptionsaffäre; 18.11.2014 – VI ZR 76/14, AfP 2015, 36 Rz. 15 – Chefjustiziar; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rz. 22 – Online-Archiv II; OLG Saarbrücken v. 05.10.2016 – 5 U 3/16, AfP 2017, 65 Rz. 32. OLG Stuttgart v. 20.1.1971 – 4 U 71/70, ArchPR 1971, 104 – Rosa Luxemburg. BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617, 1619 – Höllenfeuer.
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V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht
Rz. 122 Kap. 6
zungen zum Gegenstand haben. Geht es z.B. um Probleme des Umweltschutzes, kann nicht verlangt werden, der Kritiker habe zunächst ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob vom Abwasser aufsteigendes ätzendes Gas auf die Einleitung von Abwässern schließen lasse, die als giftig zu bezeichnen sind. Dies jedenfalls dann nicht, wenn die Stadt aufgrund von Laboratoriumsversuchen eine Untersagungsverfügung erlassen hat359. Außerdem kommt es auf die Schwere des Vorwurfes an. Je schwerer der Vorwurf, desto grö- 122 ßere Anforderungen sind an die Prüfungspflicht zu stellen360. Die Gefahr, dass über einen Betroffenen etwas Falsches berichtet wird, ist nach Kräften auszuschließen. Auf eine Veröffentlichung muss verzichtet werden, sofern nicht ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorhanden ist; ebenso wenn bereits zu diesem Zeitpunkt Zweifel an der Richtigkeit vorhanden sind361. Ggf. sind gegenteilige Anhaltspunkte mitzuteilen362. Z.B. hat es das Reichsgericht als fahrlässig gewertet, dass eine Zeitung die unwahre Behauptung, ein bekannter Architekt sei finanziell zusammengebrochen, ohne Rückfrage bei ihm veröffentlicht hat, zumal die Nachricht von einer zweifelhaften Persönlichkeit stammte und die Rückfrage leicht möglich gewesen wäre363. Die Sorgfaltspflicht verletzt auch, wer behauptet, ein ehemaliger Polizeichef habe für einen Bordellbesitzer „gearbeitet“, obgleich seine einzige Quelle dafür die Aussage einer im Rotlichtmilieu tätigen Person ist364. Beim Vorwurf eines gemeinen Mordes sind an die Prüfungspflicht die strengsten Anforderungen zu stellen. Ähnlich, wenn der Betroffene als gewissen- und skrupelloser pädophiler Täter dargestellt wird, der ein sexuelles Verhältnis mit einem vielleicht 14 Jahre alten Mädchen hatte und weder vor der Zerstörung der beruflichen Existenz einer langjährigen loyalen Mitarbeiterin noch vor der Ankündigung von Straftaten zurückschreckt365. Bei historischen Vorgängen ist u.U. die Zuziehung eines Fachhistorikers erforderlich366. Auch darf nicht selektiv und ohne dass dies dem Leser erkennbar ist, die Berichterstattung nur auf nachteilige Anhaltspunkte gestützt und dabei verschwiegen werden, was gegen die Richtigkeit der aufgestellten Behauptung spricht367. Wird offenbar, dass die Wahrheit einer persönlichkeitsverletzenden Äußerung sich nicht erweisen lässt, kann es zumutbar sein, auch nach umfassenden Recherchen kenntlich zu machen, dass
359 BGH v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = AfP 1987, 597 = NJW 1987, 2225 – Chemiegift. 360 BVerfG v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, NJW-RR 2000, 1209, 1211 – Sorgfaltspflicht; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530; BGH, GRUR 1969, 151; v. 15.12.1987 – VI ZR 35/87, MDR 1988, 486 = NJW-RR 1988, 733; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, NJW 1996, 1131; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 Rz. 28 ff. – Sächs. Korruptionsaffäre; v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, AfP 2015, 36 Rz. 15 – Chefjustiziar; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rz. 22 – Online-Archiv II; OLG Saarbrücken v. 5.10.2016 – 5 U 3/16, AfP 2017, 65 Rz. 32. 361 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, NJW 1997, 1148, 1149 – Stern-TV; BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 Rz. 28 ff. – Sächs. Korruptionsaffäre; vgl. auch BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288, 1289. 362 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe. 363 RGZ 148, 154; vgl. weiter BGH, NJW 1965, 685; NJW 1972, 1658. 364 BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1133 f. – Lohnkiller. 365 BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 Rz. 28 ff. – Sächs. Korruptionsaffäre. 366 OLG Stuttgart v. 20.1.1971 – 4 U 71/70, ArchPR 1971, 104 – Rosa Luxemburg. 367 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe.
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Kap. 6 Rz. 123
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
eine verbreitete Behauptung durch eigene Nachforschungen nicht bestätigt oder kontrovers beurteilt wird368. 123
Des Weiteren ist von Bedeutung, ob der zu erörternde Vorgang aktuell ist und unter Berücksichtigung des nächstfolgenden Erscheinungsdatums alsbaldiger, ggf. sofortiger Veröffentlichung bedurft hat. Hierdurch verursachter Zeitdruck kann zu einer Minderung der Sorgfaltsanforderungen führen, z.B. dazu, dass eine aus Zeitmangel unterlassene Rückfrage nicht als sorgfaltswidrig zu betrachten ist. Bei einer Wochen- oder Monatszeitschrift oder einer entsprechenden Rundfunksendung, der es weniger auf Aktualität als auf Ausleuchtung der Zusammenhänge und Hintergründe ankommt, bedarf es eingehenderer Ermittlungen. Rückfragen beim Betroffenen und sonstigen Auskunftspersonen können dann unverzichtbar sein; bei Nichterreichbarkeit bedarf es ggf. mehrerer Versuche369. bb) Sorgfaltspflicht und öffentliche Aufgabe
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Gelegentlich wird angenommen, der Maßstab der Sorgfaltspflicht werde auch dadurch beeinflusst, dass die Presse entsprechend § 3 LPG eine öffentliche Aufgabe wahrnehme370. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in der Schmid-Entscheidung ausgeführt, die Presse sei „um ihrer Aufgabe bei der öffentlichen Meinungsbildung willen gehalten, Nachrichten und Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen“371.
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Der Bezeichnung der von der Presse wahrgenommenen Aufgaben als „öffentlich“ zu entnehmen, die Aufgabenerfüllung habe mit besonderer Sorgfalt zu erfolgen, die Presse unterliege also strengeren Sorgfaltsanforderungen als andere, ist zwar nicht fernliegend. Zutreffend wäre das aber nur, wenn der Begriff „öffentliche Aufgabe“ im Sinne einer hoheitlichen, quasihoheitlichen oder ähnlich zu begreifenden Aufgabenstellung zu verstehen wäre. Das ist nicht der Fall. Die Presse steht in bewusstem Gegensatz zur Staatsgewalt372. Wenn die Landespressegesetze die von der Presse erfüllte Aufgabe dennoch als „öffentlich“ bezeichnen, geschieht das nur, um ihr die nach früherer Auffassung erforderliche Legitimation zur Wahrnehmung auch fremder Interessen zu verschaffen. Nachdem dieses Legitimationsproblem überwunden ist, hat die Bezeichnung der von der Presse erfüllten Aufgabe als „öffentlich“ ihre rechtliche Relevanz verloren (Näheres Rz. 54). Dann aber kann die auf überholtem Ausgangspunkt basierende Bezeichnung nicht gegen die Presse gekehrt und es können daraus nicht Pflichten abgeleitet werden, die nur sie und nicht auch andere zu beachten hätten373.
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Richtig ist allerdings, dass die Tätigkeit der Presse sich rein faktisch „öffentlich“ vollzieht, worauf die Vertreter der sog. funktionalen Sicht zu Recht verweisen374. Die Reichweite der Presse und ihr Ansehen haben einen erheblichen Einfluss zur Folge. Insofern bedeutet es in der Tat einen Unterschied, ob eine abträgliche Behauptung nach Art eines Gerüchtes von Mund zu Mund geht oder quasi ex cathedra verkündet wird. Wenn hieraus in Bezug auf das Maß der zu beachtenden Sorgfalt Unterschiede abgeleitet werden, ist das nur konsequent. Diese Unterschiede folgen dann aber nicht aus § 3 LPG, sondern nur aus der tatsächlichen Situation und gelten für jeden, der sich in vergleichbar einflussreicher Weise äußert. Davon 368 369 370 371 372 373 374
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BVerfG v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR. OLG Frankfurt, ArchPR 1972, 111, 112; vgl. auch § 3 Abs. 4 Satz 1 LMedienG BW. Näheres Löffler, NJW 1965, 942 und 957; Löffler/Cornils, § 3 LPG Rz. 1 ff. Kritisch Mallmann, JZ 1966, 625. Ricker/Weberling, 3. Kap Rz. 13 ff. Ebenso Franz Karl Maier, zitiert von Löffler, NJW 1965, 957. Vgl. Ricker/Weberling, 3. Kap Rz. 19 ff.
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V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht
Rz. 130 Kap. 6
gehen auch Bundesverfassungsgericht und BGH aus, die die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht u.a. an die Aufklärungsmöglichkeiten des Äußernden anknüpfen und der Presse strengere auferlegen als Privatpersonen375. Entsprechende Anforderungen gelten auch für den Rundfunk und journalistisch-redaktionelle Telemedien376. b) Sorgfaltsanforderungen im Einzelnen Hauptsächlich bezieht die Sorgfaltspflicht sich auf die Ermittlung von Wahrheit und Rich- 127 tigkeit, die auch durch mangelnde Vollständigkeit beeinträchtigt werden können. Unabhängig davon besteht die Pflicht zur Güterabwägung. aa) Wahrheit und Richtigkeit Unter Wahrheit ist die Übereinstimmung von Erkenntnis und Wirklichkeit zu verstehen, 128 unter Richtigkeit die Übereinstimmung mit einem Richtmaß (Näheres Kap. 4 Rz. 47). Ob nicht nur die Erkenntnis, sondern auch eine dazu erfolgende Aussage, um die es sich im Bereich des Äußerungsrechts allein handelt, wahr bzw. unwahr sein kann oder nur richtig bzw. falsch, ist zweifelhaft. Immerhin ist ein Streben, ein Bemühen um Wahrheit der Aussage möglich. Jedenfalls ist zu verlangen, dass Aussagen einem vertretbaren Richtmaß entsprechen. In welchem Maße das zu fordern ist, hängt von den Umständen ab. Diese Umstände sind in bestimmtem Umfang generalisierbar. Insbesondere lässt sich zwischen eigenen Berichten und übernommenen Meldungen unterscheiden. (1) Eigene Berichte Eigene Berichte sind solche, die das Medium, ein Redakteur oder Journalist selbst recher- 129 chiert, zumindest selbst verfasst hat. Meist werden solche Berichte durch namentliche Zeichnung besonders ausgewiesen. Beispiele für eigene Berichte über selbstentdeckte Vorgänge bieten Meldungen, die Journalisten als „Knüller“ bezeichnen. Ein „Knüller“ ist es z.B., wenn ein Journalist entdeckt zu haben glaubt, „Minister Kunde eines Callgirl-Ringes!“ oder „Durch Versetzung und Beförderung zweier Landgerichtsräte hat ein ehemaliger Staatssekretär in unzulässiger Weise auf ein zivilgerichtliches Verfahren Einfluss genommen, um eine für das Land günstige Entscheidung zu erreichen“377. Ebenso gehören Testberichte zu diesem Bereich (Näheres dazu s. Kap. 10 Rz. 72 ff.). Ist das Publikationsorgan selbst Testveranstalter, schafft es sogar den Vorgang selbst, über den es anschließend berichtet. Dass insbesondere die Pressesolche selbst ermittelten Fakten publiziert, ist legitim und not- 130 wendig. Nur so wird sie ihrem Wächteramt gerecht. Wenn aber erstmalig Fakten dieser Art gebracht werden, muss der Journalist alle erreichbaren Quellen ausschöpfen, um sich über den 375 BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = NJW 1992, 1439; v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IMSekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72; v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, MDR 2015, 24 = IPRB 2015, 54 = AfP 2015, 36 – Chefjustiziar; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II. 376 BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = NJWRR 2017, 31 – Online-Archiv II. 377 OLG Köln, NJW 1963, 1634.
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Kap. 6 Rz. 131
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
Wahrheitsgehalt in den Grenzen des Möglichen Gewissheit zu verschaffen. Hierzu gehören auch Rückfragen beim Betroffenen. Sich auf Gerüchte zu verlassen, genügt nicht378. Ist trotz aller Bemühungen Gewissheit nicht zu erlangen, muss der dann nur vorhandene Verdacht als solcher gekennzeichnet werden. Einen Verdacht als feststehende Tatsache erscheinen zu lassen ist unzulässig (Näheres zu Verdachtsäußerungen Kap. 10 Rz. 154 ff.)379. Testveranstaltungen müssen so angelegt sein, dass Fehler soweit wie möglich ausgeschlossen sind (Näheres Kap. 10 Rz. 101 ff.). Mit Recht hat der BGH die eine Alkoholzahncreme betreffende Schlagzeile „Zähneputzen genügt – Führerschein futsch“ als schuldhaft angesehen, weil lediglich ein einziger Reporter mit dieser Zahncreme einen unzulänglichen Test durchgeführt hatte380. Auch bei einem Preistest geht der BGH davon aus, dass insbesondere eine Organisation wie die Stiftung Warentest zur Rückfrage gehalten ist, wenn Fehler sich sonst nicht ausschließen lassen (Näheres Kap. 10 Rz. 72 ff.)381. 131
Beispiele für eigene Berichte über bereits bekannte Vorgänge bieten Reportagen, die das Detail behandeln, die näheren Umstände erläutern, Hintergründe erforschen. Werden aufgrund der Recherchen neue Tatsachen ermittelt, gilt das Vorerwähnte. Soweit der Bericht auf bereits Gemeldetem aufbaut, sind die Medien grds. zur eigenen Überprüfung verpflichtet. Die andere Auffassung, wonach ein Journalist vorbehaltlich besonderer Umstände davon ausgehen können muss, dass eine allgemein und damit auch dem Betroffenen zugängliche Meldung, die keinen Widerspruch erfahren hat, auch weiterhin verbreitet werden darf382, hat sich nicht durchzusetzen vermocht383. Zwar weist Kriele384 zutreffend darauf hin, dass ein Schweigen des Betroffenen auch auf der nicht unbegründeten Vorstellung beruhen kann, dass ein vor Gericht erstrittener Erfolg häufig sich als Pyrrhussieg entpuppt. Das Untätigbleiben des Betroffenen darf sich aber nicht zu Lasten der Medien auswirken. Nach dem vom Bundesverfassungsgericht im Bayer-Beschluss385 entwickelten sog. Laien-Privileg können sich auf unwidersprochen gebliebene Veröffentlichungen der Medien nur private Personen und weltanschauliche Gruppierungen berufen386. Journalisten, die ohne eigene Recherche Meldungen aus anderen Medien übernehmen, genügen danach ihrer Sorgfaltspflicht nicht387. Dies führt im Ergebnis zu einer Überspannung der Sorgfaltspflichten der Medien. Soweit Zweifel an dem bereits Berichteten nicht bestehen und es sich um eine als seriös anerkannte Quelle handelt, dürfen auch Medien auf dessen Inhalt vertrauen. Abhängig von der Schwere des Vorwurfs kann eine Nachfrage bei dem vorpublizierenden Medium nach den dortigen Re378 OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 142 – Panama Papers. 379 BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1132 – Lohnkiller; OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 142 – Panama-Papers. 380 BGH v. 15.11.1977 – VI ZR 101/76, NJW 1978, 210 – Alkoholtest. 381 BGH v. 3.12.1985 – VI ZR 160/84, MDR 1986, 394 = AfP 1986, 47 = NJW 1986, 981. 382 OLG Köln v. 19.7.1988 – 15 U 86/88, AfP 1991, 427; KG v. 31.3.1992 – 9 U 3070/91, AfP 1992, 302; Damm/Rehbock, Rz. 678. 383 Vgl. Soehring/Hoene, § 2 Rz. 20 ff. 384 Kriele, NJW 1994, 1902. 385 BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439, 1442. 386 Vgl. auch BVerfG v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, AfP 2000, 272 = NJW-RR 2000, 1209, 1211; OLG Köln v. 22.11.2011 – 15 U 91/11, MMR 2012, 197; krit. Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 169. 387 OLG Hamm v. 1.6.1992 – 3 U 25/92, NJW-RR 1993, 735, 736; OLG Brandenburg v. 15.2.1995 – 1 U 23/94, AfP 1995, 520, 522; OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 149 f. – Panama Papers; OLG Köln v. 16.3.2017 – 15 U 134/16, BeckRS 2017, 133470; Peters, NJW 1997, 1334, 1337; Soehring/Hoene, § 2 Rz. 20.
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V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht
Rz. 133 Kap. 6
cherchen erforderlich sein, aber auch genügen388. Zutreffend weist das OLG Hamburg389 darauf hin, dass die Zulässigkeit einer Berichterstattung in Fällen, in denen Recherchen Dritter, etwa eines anderen Presseorgans, die erforderlichen Grundlagen für diese geschaffen haben, nicht von einer erneuten Eigenrecherche abhängig gemacht werden kann. Andernfalls käme es zu dem fehlerhaften Ergebnis, dass nur wegen des Kriteriums der fehlenden Eigenrecherche eine Berichterstattung rechtswidrig wäre, obschon beide dieselben Inhalte haben. Im gerichtlichen Verfahren sind jedoch die Rechercheergebnisse darzulegen und zu beweisen. Eine Übernahme aus anderen Quellen kommt insbesondere für Blogger in Betracht390. Häufig sind deren Aufklärungsmöglichkeiten gegenüber herkömmlichen Medien deutlich vermindert. Soweit diese nicht in gleicher Weise wie herkömmliche Medien tätig sind, ist dies bei den Anforderungen an die Sorgfaltspflicht zu berücksichtigen. Wird auf einer Internetseite, auf der über lokale Ereignisse und Veranstaltungen berichtet wird, zur Ankündigung einer Gegendemonstration ein angebliches Zitat eines AfD-Politikers wiedergegeben, das dem öffentlichen Gegendemonstrationsaufruf entnommen war, bedurfte es nach Auffassung des LG Köln391 keiner Nachfrage beim Zitierten. Ob Übertreibungen vorwerfbar sind, hängt in besonderem Maße von den Umständen ab. 132 Z.B. ist es falsch, von einem Politiker zu behaupten, er ziere sich „in der Öffentlichkeit gern mit dem Lenin-Abzeichen“, wenn er das Abzeichen zwar gelegentlich angesteckt hat, aber nicht in der Öffentlichkeit, sondern in privatem Kreise. Dazu vertritt das OLG München die Auffassung, dem Kritiker könne kein Vorwurf gemacht werden, dass er die Übertreibung nicht erkannt habe392. Ebenso wenig ist in der Bezeichnung einer ohne Voranmeldung benutzten Mithörtaste als „Abhöranlage“ und aus der in der Artikelüberschrift erfolgten Verwendung des Wortes „Telefonaffäre“ eine die Sorgfaltspflicht verletzende Übertreibung gesehen worden393. Bei all dem hat auch der Zeitfaktor Bedeutung. Ein strenger Prüfungsmaßstab ist insbeson- 133 dere anzulegen, wenn über Vorgänge berichtet wird, die sich bereits des längeren gleichförmig vollzogen haben, speziell wenn einer Verzögerung der Meldung keine wesentliche Bedeutung zukommt. Duldet die Verbreitung keinen Aufschub, z.B. wegen bevorstehender Wahlen oder aufgrund sonstiger dringender Ereignisse, etwa wegen drohender Gesundheitsgefährdung, kann hinsichtlich des Sorgfaltsmaßstabes großzügiger verfahren werden394. Selbst vage Verdachtsmomente können dann für eine Publikation des Verdachts ausreichen (ferner Kap. 10 Rz. 154 ff.)395. In seiner Stern-TV-Entscheidung396 vertritt der BGH die Auffassung, dass die Gefahr einer unzutreffenden Verbreitung von Informationen über eine andere Person weitestgehend ausgeschlossen werden müsse und eine Veröffentlichung zu unterbleiben habe, wenn nicht ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt. Eine Veröffentlichung sei auch unzulässig, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt Zweifel an der Richtigkeit vorhanden seien. Dieser strenge Maßstab ist bei Berichten über Privatpersonen angezeigt. Da bei inves388 OLG Karlsruhe v. 13.5.2005 – 14 U 209/04, AfP 2006, 162. 389 OLG Hamburg v. 15.7.2014 – 7 U 75/11, BeckRS 2015, 15796. 390 KG v. 29.1.2009 – 10 W 73/08, MMR 2009, 482; LG Köln v. 26.4.2017 – 28 O 162/16, ZUM-RD 2018, 32. 391 LG Köln v. 26.4.2017 – 28 O 162/16, ZUM-RD 2018, 32. 392 OLG München, MDR 1972, 52. 393 LG München, ArchPR 1971, 102. 394 BVerfG v. 26.8.2003 – 1 BvR 2243/02, AfP 2003, 539. 395 Zweifelnd BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 – Abgeordnetenbestechung; vgl. Sedelmeier, AfP 1977, 377. 396 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148.
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Kap. 6 Rz. 134
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
tigativem Journalismus Zweifel selten ausgeschlossen sind, bedarf er der Einschränkung, soweit es sich um politische oder bedeutende wirtschaftliche Vorgänge handelt. Diese werden häufig erst in ihrem wahren Ausmaß offenbar, nachdem erste vage Verdachtsmomente publiziert wurden. Das Merkmal hinreichende Beweistatsachen ist daher restriktiv auszulegen. In solchen Fällen abzuwarten, bis eine Äußerung beweisende Tatsachen zusammengetragen wurden, ist für die Medien unzumutbar und weder mit dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes noch mit der Pressefreiheit vereinbar. Das Recht, auch vage Verdachtsmeldungen zu publizieren, muss den Medien auch insofern zugebilligt werden, als diese Stellungnahmen Dritter herausfordern können, die zu einer Bestätigung oder Ausräumung des Verdachtes beitragen. Voraussetzung für die Zulässigkeit von Verdachtsäußerungen ist, dass die objektiv vorhandenen Zweifel ebenfalls gemeldet werden. Von dieser Pflicht entbindet auch die subjektive Überzeugung nicht. Einen den Betroffenen beeinträchtigenden Sachverhalt als feststehend erscheinen zu lassen, obschon er objektiv ungeklärt ist, überschreitet die Zulässigkeitsgrenzen397. Der BGH hat es als unzulässig angesehen, einen Beitrag mit dem Vorwurf zahlreicher Kunstfehler gegenüber einem Chefarzt auszustrahlen, wenn dieser lediglich auf eine Beschwerdeliste von Assistenz- und Oberärzten gestützt werden kann, sofern eine maßgebliche Persönlichkeit wie z.B. der ärztliche Direktor des betreffenden Krankenhauses die Vorwürfe als unbegründet bezeichnet hat. Im konkreten Falle hatte der Betroffene ein berufsgerichtliches Verfahren gegen sich selbst initiiert, um die Unbegründetheit der Vorwürfe zusätzlich feststellen zu lassen. Dies ist später auch geschehen. Im Zeitpunkt der Berichterstattung stand das Ergebnis dieser Überprüfung noch nicht fest398. (2) Übernommene Meldungen 134
Hauptsächlich Tageszeitungen sind nicht in der Lage, sämtliche Meldungen selbst zu formulieren oder gar selbst zu recherchieren. Sie sind auf die Übernahme von Agentur- und sonstigen Meldungen angewiesen, weitgehend ohne eigene zusätzliche Prüfung.
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Stammt die Meldung von einer anerkannten Agentur, etwa von dpa, UPI, AP, Reuters, dapd, AFP, besteht im Allgemeinen keine Verpflichtung zur Nachrecherche399. Voraussetzung ist jedoch, dass die Meldung keinen Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit aufkommen lässt400. Wird in der Meldung als einzige Quelle eine andere Zeitung genannt, können weitere Recherchen in Betracht kommen401. Ob solche im Einzelfall erforderlich sind, hängt auch von der Schwere des mit der Meldung verbundenen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und den Aufklärungsmöglichkeiten der Redaktion ab402. Derartige Überprüfungen müssen jedoch auf das notwendige Maß beschränkt bleiben. Auch derjenige, der ein Werk in Lizenz verlegt, kann sich im Allgemeinen darauf verlassen, dass der Lizenzgeber die Rechtmäßigkeit 397 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR. 398 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV. 399 KG v. 7.6.2007 – 10 U 247/06, AfP 2007, 571; OLG Nürnberg v. 12.12.2006 – 3 U 2023/06, AfP 2007, 127; LG München, AfP 1975, 758; LG Hamburg v. 28.9.1990 – 324 O 351/90, AfP 1990, 332; offengelassen in BVerfG v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, NJW-RR 2000, 1209, 1210 und BVerfG v. 26.8.2003 – 1 BvR 2243/02, AfP 2003, 539. 400 KG v. 7.6.2007 – 10 U 247/06, AfP 2007, 571. 401 Weiter gehend Peters, NJW 1997, 1334, 1337. 402 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – IM-Sekretär/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH v. 11.12.2012 – VI ZR 315/10, ZUM 2013, 207; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre.
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V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht
Rz. 136 Kap. 6
des Inhaltes geprüft hat. Eine Überprüfung wird daher i.d.R. nur bei nicht unerheblichen Zweifeln in Betracht kommen. Bei Lichtbildern ist zu unterscheiden, ob diese Bestandteil der Agentur-Meldung sind und diese als Gesamtes (Wort und Bild) übernommen und veröffentlicht werden. Dann darf sich das Medium darauf verlassen, dass die erforderlichen Rechte eingeholt wurden und es hinsichtlich des Inhalts i.d.R. keiner eigenen weiteren Recherche bedarf403. Wird von der Agentur lediglich ein Bild bezogen, kennt diese Zweck und Kontext der beabsichtigten Berichterstattung nicht. Die Agentur ist auch nicht verpflichtet, diesen vor einer Überlassung des Bildes aufzuklären404. Das publizierende Medium trägt in diesem Fall die Prüf- und Sorgfaltspflicht405. Auch im Übrigen darf sich die Presse auf zuverlässige Informationsquellen verlassen406. Das 136 gilt auch und besonders bei Presseerklärungen oder Meldungen der Staatsanwaltschaft, der Polizei oder sonstiger Behörden und amtlichen Stellen407. Ebenso für amtliche Mitteilungen von Gerichten, etwa der Aushang zu Strafverfahren „Terminsrolle“408. Auch sind Feststellungen im Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH als aus einer privilegierten Informationsquelle stammend anzusehen409. Verlautbarungen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR darf ebenso ein gesteigertes Vertrauen entgegen gebracht werden410. Nach Ansicht des KG411 gilt dies jedoch nicht in gleicher Weise für den Inhalt von vom Bundesbeauftragten herausgegebenen Kopien von Akten. Demgegenüber weist der BGH darauf hin, dass zwar die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der freien Beweiswürdigung unterliegen. Im Einzelfall könne ihnen aber durchaus ein hoher Beweiswert zukommen412. Ein als „geheim“ eingestufter Bericht eines Landesamtes für Verfassungsschutz hat der BGH demgegenüber nicht als eine für die Öffentlichkeit bestimmte Verlautbarung, der
403 LG Duisburg v. 20.2.2004 – 3 O 377/03, AfP 2004, 160 zur Überlassung von Standbildern zur Ankündigung eines Filmes in einer Programmzeitschrift. 404 BGH v. 7.12.2010 – VI ZR 30/09, NJW 2011, 755 = AfP 2011, 77 – Jahrhundert-Mörder; LG Frankfurt v. 17.4.2008 – 2/3 O 129/07, AfP 2008, 417; LG Hamburg v. 20.4.2007 – 324 O 859/06, AfP 2007, 385. 405 BGH, GRUR 1962, 211; KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, NJW-RR 1999, 1703; v. 28.4.2011 – 10 U 196/10, IPRB 2012, 10 = ITRB 2012, 32 = AfP 2011, 383. 406 KG v. 29.2.2000 – 9 U 5861/98, AfP 2001, 65, 66. 407 BVerfG v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, NJW-RR 2000, 1209; v. 9.3.2010 – 1 BvR 1891/05, AfP 2010, 365; BGH v. 11.12.2012 – VI ZR 314/10, CR 2013, 184 = MDR 2013, 405 = AfP 2013, 57 – IM Christoph; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II; OLG Stuttgart v. 21.3.1990 – 1 U 132/89, AfP 1990, 145; v. 25.11.1992 – 4 U 149/92, NJW-RR 1993, 733; v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 151 – Panama-Papers; KG v. 31.3.1992 – 9 U 3070/91, AfP 1992, 302; v. 7.6.2007 – 10 U 247/06, AfP 2007, 571; OLG Karlsruhe v. 8.12.1992 – 3 U 37/92, AfP 1993, 586 = NJW-RR 1993, 732; OLG Dresden v. 27.11.2003 – 4 U 991/03, NJW 2004, 1181; OLG Hamburg v. 15.7.2014 – 7 U 75/11, BeckRS 2015, 15796; LG Berlin v. 15.1.2008 – 27 O 973/07, AfP 2008, 530; vgl. EGMR v. 20.5.1999 – 21980/93, NJW 2000, 1015; v. 10.7.2014 – 48311/10, NJW 2012, 1058 – Axel Springer/Deutschland. 408 OLG Dresden v. 22.12.2010 – 23 U 1260/10, AfP 2011, 189. 409 KG v. 4.7.2016 – 10 U 54/16, n.v. 410 BGH v. 11.12.2012 – VI ZR 314/10, CR 2013, 184 = MDR 2013, 405 = AfP 2013, 57 – IM Christoph. 411 KG v. 19.10.2010 – 9 U 210/09, ZUM-RD 2011, 468. 412 BGH v. 11.12.2012 – VI ZR 314/10, AfP 2013, 57 Rz. 32 – IM Christoph.
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Kap. 6 Rz. 137
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
ein gesteigertes Vertrauen entgegen gebracht werden darf, eingestuft413. Schon das RG hat die gutgläubige Wiederholung einer von der zuständigen Amtsstelle erteilten unzutreffenden Auskunft unter den Schutz der subjektiven Wahrheit gestellt414. Insbesondere für Ersatzansprüche ist dann nicht der Journalist, sondern nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG u.U. die Behörde bzw. die zuständige Gebietskörperschaft wegen einer etwa in Betracht kommenden Amtspflichtverletzung passiv legitimiert415. Das kann sogar der Fall sein, wenn die Kripo einen Polizeibericht herausgibt, der auf der Anzeige einer Bardame beruht, so dass die Möglichkeit einer auf Zahlungsstreit oder Rache beruhenden falschen Anschuldigung in Betracht zu ziehen ist416, oder wenn sie ein Foto, von dem sich nachträglich etwas anderes herausstellt, als das des Verdächtigen oder des Tatopfers bezeichnet417. Grundsätzlich kann der Journalist sich darauf verlassen, dass die Polizei die ihr zur Verfügung stehenden vielfältigen Möglichkeiten ausreichend ausgeschöpft hat und nicht leichtfertig handelt418. Die Wertung eines Kriminalbeamten einschränkungslos weiterzugeben und zur Kernaussage eines Artikels zu machen, ist indessen nur zulässig, wenn die Wertung durch mitgeteilte konkrete Tatsachen hinreichend gedeckt ist. Trifft das nicht zu, darf der Verdacht nur weitergegeben werden, wenn die Zeitung sich in sonstiger Weise eine ausreichende Tatsachengrundlage verschafft hat (vgl. Kap. 10 Rz. 154 ff.)419. 137
Stammt die Meldung von einer nicht ohne weiteres als zuverlässig anerkannten Quelle, ist die Übernahme ohne eigene Prüfung nur ausnahmsweise zulässig420. Das gilt vornehmlich bei Sensationen, ganz besonders wenn die Quelle bereits früher unrichtige oder verzerrte Meldungen gebracht hat. Als nicht ausreichend hat das OLG Stuttgart421 die Bezugnahme auf nahezu 20 Jahre alte und noch ältere Presseberichte angesehen. Dies stelle keine eigene Recherche dar und erfülle daher auch nicht die pressemäßige Sorgfaltspflicht. Sich lediglich darauf zu berufen, der Informant habe einen zuverlässigen Eindruck gemacht, reicht im Allgemeinen nicht aus422. Zusammen mit weiteren Anhaltspunkten kann die Sorgfaltspflicht aber erfüllt sein423. Auch der Umstand, dass es sich bei dem Informanten um einen freien Journalisten handelt, genügt im Zweifel nicht, ohne eigene Überprüfung durch das Medienunternehmen 413 BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, AfP 2014, 135 Rz. 30 – Sächs. Korruptionsaffäre. 414 RGSt 73, 67. 415 BGH v. 17.3.1994 – III ZR 15/93, MDR 1994, 773 = NJW 1994, 1950 – Presseverlautbarung; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 Rz. 30 – Sächs. Korruptionsaffäre; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = NJW-RR 2017, 31 Rz. 28 – Online-Archiv II; OLG Hamburg, Ufita 70/1974, 305; OLG Stuttgart v. 21.3.1990 – 1 U 132/89, AfP 1990, 145, 147 – Birkel. 416 LG Hamburg, ArchPR 1972, 84. 417 LG Hannover, ArchPR 1971, 141; LG München, ArchPR 1973, 152. 418 BGH v. 26.1.1971 – VI ZR 95/70, NJW 1971, 698, 700 – Pariser Liebestropfen; OLG Hamburg, AfP 1977, 35; OLG Karlsruhe v. 8.12.1992 – 3 U 37/92, AfP 1993, 586. 419 OLG Hamburg, ArchPR 1972, 86. 420 BVerfG v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, AfP 2000, 272 = NJW-RR 2000, 1209; BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1133 – Lohnkiller; OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 151 – Panama-Papers. 421 OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 151 – Panama-Papers. 422 BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, AfP 2008, 381 Rz. 26 – BKA gegen Focus; OLG Hamburg, ArchPR 1970, 94 betr. die Behauptung, ein Mitglied des europäischen Hochadels habe seine Tochter zum Abbruch einer unehelichen Schwangerschaft veranlasst. 423 OLG Düsseldorf v. 22.6.2011 – I-15 U 17/08, BeckRS 2011, 21050 zu Dokumenten des F.B.I.; bestätigt: EGMR v. 19.10.2017 – 71233/13 – Fuchsmann/Germany; EGMR v. 16.3.2017 – 58493/13, AfP 2017, 402, 404 – Olafsson/Island.
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V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht
Rz. 140 Kap. 6
einen Bericht oder Interview zu veröffentlichen424. Anders kann es sich nur verhalten, wenn keine Aufklärungsmöglichkeiten vorhanden sind425. Allerdings sind auch insoweit Abstufungen zu machen. Aufgrund des Laienprivilegs (s. Rz. 131) dürfen sich Private eher auf andere Quellen verlassen als dies bei herkömmlichen Medien der Fall ist. Auch bei Bloggern kann die Übernahme aus einer zwar nicht privilegierten, aber glaubwürdigen Quelle genügen426. Dies hat das LG Köln427 im Fall eines lokalen Blogs mit Veranstaltungsankündigungen angenommen, auf dem ein angebliches Zitat eines AfD-Politikers wiedergegeben wurde, das einem öffentlichen Gegendemonstrationsaufruf entnommen war. Auf eine anonyme Quelle darf niemals allein vertraut werden428. Eine grob fahrlässige Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht liegt auch dann vor, wenn ein Reporter auf die Nachricht hin, ein unbekanntes Flugobjekt habe beim Absturz ein parkendes Auto in der Nähe des Geländes des Bundesnachrichtendienstes durchschlagen, den Ort aufsucht, fotografiert und anschließend als Sensationsbericht publiziert, ohne weitere Recherchen anzustellen429. Als schuldhaft ist es bezeichnet worden, ein Inserat so zu gestalten, dass es ohne Einwilligung des Betroffenen mit Sicherheit persönlichkeitsverletzend ist, und sich mit der mündlichen Zusage zu begnügen, die Einwilligung sei erteilt430. Erfolgt eine Ergänzung durch eigene Angaben oder Wertungen, trägt der Behauptende da- 138 für die volle Verantwortung431. Dies gilt auch für etwaige Umformulierungen von Agenturmeldungen, wenn diese sinnverändernd sind. Auskünfte und Informationen von amtlichen Stellen werden i.d.R. nicht wortgleich veröffentlicht. Für den Inhalt der konkreten Berichterstattung, insbesondere ob diese durch die Mitteilung der amtlichen Stelle hinreichend gedeckt ist, bleibt der Äußernde verantwortlich. Dies gilt auch für die Frage, ob im Einzelfall identifizierend berichtet werden darf oder eine Anonymisierung erforderlich ist, auch wenn die amtliche Stelle den Betroffenen genannt hat. Ein Redakteur verletzt die journalistische Sorgfaltspflicht in grobem Maße, wenn er einen aus einem anderen Blatt übernommenen Bericht zum Nachteil des Betroffenen verändert, ohne entsprechende eigene Recherchen angestellt zu haben432. Ebenso, wenn ein von einer Behörde, z.B. der Staatsanwaltschaft, nach augenblicklichem Ermittlungsstand geäußerter Verdacht als feststehende Tatsache geschildert und womöglich mit erfundenen Details angereichert wird433. bb) Vollständigkeit Grundsätzlich besteht die Pflicht zur Vollständigkeit insoweit, als bei Auslassung ein falscher 139 Anschein entsteht. In den Einzelheiten gehört die Frage nach dem erforderlichen Maß an Vollständigkeit zu den schwierigsten, die sich im Äußerungsrecht überhaupt ergeben. Eine wirklich jedes Detail wiedergebende Berichterstattung ist praktisch unmöglich. Es be- 140 darf nahezu ausnahmslos einer Auswahl der Fakten, die der Berichterstattung wert sind. Überdies ist regelmäßig unvermeidlich, Einzelvorgänge „auf einen Nenner zu bringen“, ei424 425 426 427 428 429 430 431 432 433
OLG München v. 2.5.2000 – 21 W 988/00, NJW-RR 2001, 42, 43. OLG Köln, ArchPR 1970, 93. KG v. 29.1.2009 – 10 W 73/08, MMR 2009, 482. LG Köln v. 26.4.2017 – 28 O 162/16, ZUM-RD 2018, 32. BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288, 1289 – Abgeordnetenbestechung. OLG München v. 5.12.1997 – 21 U 3776/97, NJW-RR 1998, 1480 – Verstehen Sie Spaß. LG Düsseldorf, BB 1971, 237. OLG Hamburg, ArchPR 1972, 86. OLG Saarbrücken v. 12.2.1997 – 1 U 515/96-87, NJW 1997, 1376 – Rotlichtfürst. BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, AfP 2008, 381 Rz. 34 – BKA gegen Focus.
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Kap. 6 Rz. 141
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
nem generalisierenden Begriff unterzuordnen und die Fakten damit in stärkerem Maße zu bewerten, als die Umsetzung des tatsächlichen Geschehens in das Medium der Sprache dies ohnehin erforderlich macht. Typisch hierfür sind Schlagzeilen, die den vom Journalisten angenommenen oder auch nur behaupteten Kern des Vorganges in wenige Worte kleiden. 141
Solche Zusammenfassungen sind an sich zulässig. Es ist auch nicht erforderlich, die zugrunde liegenden Fakten ebenfalls zu nennen434. Die Sorgfaltspflicht gebietet aber, durch ausreichende Prüfung zu ermitteln, ob die zusammenfassende Wertung durch den zugrunde liegenden Lebenssachverhalt gedeckt ist. Wenn die Wertung unter Vernachlässigung alles Positiven allein auf negativen Umständen basiert, vermittelt sie zwangsläufig ein einseitig verzerrtes Bild, das durch den wirklichen Sachverhalt im Zweifel nicht gedeckt ist.
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Allerdings kommt es auch darauf an, welchen Vollständigkeitsanspruch die Darstellung erhebt. Wird z.B. über den Lebensweg eines Politikers berichtet, „so wie er wirklich war“, wäre es unzulässig, zwar seine NS-Vergangenheit darzustellen, aber unerwähnt zu lassen, dass er bei der Entnazifizierung wegen Widerstandstätigkeit als Entlasteter eingestuft worden ist. Werden in einem Literaturlexikon kurz gefasste biographische Daten mit dem Hinweis gebracht, dass nur die für das schriftstellerische Schaffen bedeutsamen Daten genannt werden, kann der Hinweis auf die Entnazifizierung entbehrlich sein435. Wird aus einem Brief zitiert, dürfen nicht einzelne Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden436. Gegen eine Wiedergabe nur der Kernsätze ist im Allgemeinen nichts einzuwenden. Der Inhalt darf dadurch aber nicht verfälscht oder entstellt werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn über vermeintliche Kunstfehler eines Chefarztes aufgrund von Beschuldigungen durch Stations- und Assistenzärzte berichtet wird, ohne zugleich zu erwähnen, dass der ärztliche Direktor die Vorwürfe nicht teilt und der Betroffene eine Untersuchung durch die Ärztekammer gegen sich selbst beantragt hat437.
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Die Auswahl der angeführten Fakten und die schlagwortartige Zusammenfassung eines komplexen Vorganges können auf der Tatsachen-, ebenso auch auf der Meinungsebene liegen. Eine falsche Tatsachenbehauptung ergibt sich erst, wenn die Zusammenfassung außerhalb eines möglichen Beurteilungsspielraumes liegt (Näheres vgl. Kap. 4 Rz. 77 ff.)438. Das ist z.B. der Fall, wenn zum Verlauf einer Gerichtsverhandlung behauptet wird, einer der Angeklagten sei als „Hauptdrahtzieher“ ermittelt worden, obschon der Stand des Verfahrens und die Art der Beschuldigung dazu keinen Anlass gegeben haben439. Um eine Meinungsäußerung handelt es sich, wenn die Faktenauswahl innerhalb eines möglichen Beurteilungsspielraumes liegt, z.B. wenn nur solche Fakten genannt werden, die der Verfasser als für das Werk eines Schriftstellers relevant hält440.
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Bei einer Berichterstattung über den persönlichen Bereich und ebenso über wirtschaftliche Vorgänge, die einzelne Unternehmen betreffen, ist der Journalist grundsätzlich verpflichtet, größtmögliche Vollständigkeit und damit Objektivität anzustreben. Die Gefahr einer Falsch-
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BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 – Deutschlandstiftung. BGH, NJW 1966, 245 – Literaturlexikon. BGH v. 22.12.1959 – VI ZR 175/58, BGHZ 31, 308 – Alte Herren. BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV. Vgl. BVerfG v. 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, MDR 1994, 844 = AfP 1994, 118 = NJW 1994, 1781, 1782; OLG Karlsruhe v. 21.3.2001 – 6 U 54/00, ZUM 2001, 888. 439 BGH v. 5.3.1963 – VI ZR 61/62, NJW 1963, 904 – Gerichtsberichterstattung. 440 BGH v. 9.11.1965 – VI ZR 276/64, NJW 1966, 245.
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V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht
Rz. 146 Kap. 6
berichterstattung ist durch mögliche Recherchen nach Kräften auszuschließen441. Das ist umso mehr erforderlich, als in diesem Bereich Objektivität erwartet wird und in bestimmten Grenzen auch möglich ist. Vorgänge aus dem persönlichen und einzelne betreffenden wirtschaftlichen Bereich sind i.d.R. weit weniger komplex als Vorgänge im öffentlichen Bereich. Diese Vorgänge lassen einen nur geringeren Beurteilungsspielraum zu. Z.B. kann man bei ausreichender Sachverhaltskenntnis nur in sehr begrenztem Maße geteilter Meinung sein, wer in einem Strafverfahren der Hauptangeklagte und bei der Tat der Hauptdrahtzieher war442. Deswegen ist dem Journalisten im Allgemeinen verwehrt, über solche Umstände dadurch zu spekulieren, dass er nur die belastenden und nicht auch die entlastenden Umstände erwähnt bzw. in die zusammenfassende Wertung einfließen lässt443. Wirft er z.B. einem Arzt schwerwiegende Fehler vor, darf er die Aussage von dessen Vorgesetzten nicht verschweigen, der die Vorwürfe für unbegründet erklärt444. Fehlt ein Mindestbestand an Beweistatsachen, ist weiter zu recherchieren445 oder muss jedenfalls vorläufig auf eine Veröffentlichung verzichtet werden446. Steht bei Veröffentlichung fest, dass ein Verdacht auf Beteiligung an einer erpresserischen Entführung sich nicht bestätigt hat, darf nicht lediglich darauf hingewiesen werden, die Staatsanwälte fanden jedoch keine Beweise, wenn in einer Entscheidung der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft die Unschuld eindeutig festgestellt wurde447. Vorgänge aus dem öffentlichen, namentlich aus dem politischen und ideologischen Be- 145 reich sind zumeist komplexer Natur, auch soweit es sich um die Beteiligung Einzelner handelt. Angesichts der Komplexität fehlt es zumeist schon an der Möglichkeit einer vollständigen Darstellung aller für den Vorgang maßgeblicher Fakten. Die Dinge lassen sich nur aus bestimmter Sicht darstellen, aus liberaler, konservativer, sozialistischer Sicht, aus evangelischer, katholischer, atheistischer. Einer solchen Sicht haftet notwendige Einseitigkeit an und ermöglicht damit eine Entgegnung aus anderer, nicht minder einseitiger Sicht oder fordert diese geradezu heraus. Dagegen ist mit rechtlichen Mitteln nichts zu unternehmen. Zutreffend bezeichnet der BGH eine „Polemik, die auch in ihrer Schärfe nur durch eine völlig andere Grundeinstellung zu erklären ist“, noch nicht als böswillige oder gehässige Schmähkritik448. Im öffentlichen Bereich lässt sich Einseitigkeit nicht ohne weiteres mit dem Verdikt der Rechtswidrigkeit belegen (Näheres Kap. 10 Rz. 64 ff.). Umstritten ist, ob die journalistische Sorgfaltspflicht es gebietet, dem Betroffenen vor einer 146 Veröffentlichung stets Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die überwiegende Meinung in der Rspr. hält dies für erforderlich, jedenfalls wenn eine Rückfrage leicht möglich ist und Aufklärung verspricht449. Dies gelte insbesondere bei einer sog. Verdachtsberichterstattung 441 BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288, 1289 – Abgeordnetenbestechung; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017; 98, 103 – Organentnahme. 442 BGH v. 5.3.1963 – VI ZR 61/62, NJW 1963, 904 – Gerichtsberichterstattung. 443 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – „IM-Sekretär“/Stolpe; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR. 444 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV. 445 OLG München v. 17.11.1995 – 21 U 3032/95, AfP 1997, 636 = NJW-RR 1996, 1487, 1489. 446 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV. 447 LG Stuttgart v. 16.8.2001 – 17 O 272/01, n.v. 448 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617 – Höllenfeuer. 449 BVerfG v. 21.3.2007 – 1 BvR 2231/03; BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288, 1289 – Abgeordnetenbestechung; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = NJW 1996, 1131,
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Kap. 6 Rz. 146
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
(s. dazu Kap. 10 Rz. 159b)450. In der Literatur wird überwiegend nach dem Inhalt der Berichterstattung, z.B. persönlicher Angriff, Schwere des Vorwurfs, differenziert und darauf abgestellt, ob bei einer Rückfrage weitere Aufklärung zu erwarten ist451. Eine pauschale Verpflichtung der Medien, Betroffenen stets Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, erscheint nicht sachgemäß. Medien wollen berichten und bedürfen dafür der Information. Die Einladung zu einem Interview genügt als Gelegenheit zur Stellungnahme nicht452. Lehnt der Betroffene ein Interview oder ein Hintergrundgespräch ab, macht dies eine konkrete Fragestellung nicht entbehrlich453. Ist neben Dementis ein Mehr an Information durch eine Rückfrage beim Betroffenen nicht zu erwarten, können die Medien ihre Aufgabe auch ohne eine solche erfüllen454. Journalistische Sorgfaltspflicht dient nicht der Gewährung rechtlichen Gehörs; mag dies auch ein Gebot der Fairness sein455. Gleichwohl wird es regelmäßig ratsam sein, den Betroffenen zu hören; dies schon, um dem Einwand mangelnder Sorgfalt in einem etwaigen Rechtsstreit zu begegnen. Jedenfalls bei schwerwiegenden Vorwürfen hat eine Rückfrage jedenfalls dann zu erfolgen, wenn die Quellenlage nicht eindeutig ist, z.B. im Hinblick auf Auskünfte von amtlichen Stellen. Vorhaltungen im Rahmen der Recherche sind nicht angreifbar, wenn diese in Wahrnehmung berechtigter Interessen, also zur Erfüllung der Recherchepflicht als wichtigstem Bestandteil der journalistischen Sorgfaltspflicht erfolgen456. Der Betroffene braucht nicht zu antworten. Ihn trifft keine Obliegenheit zur Stellungnahme. Auch wenn er schweigt, kann er gegen eine rechtsverletzende Berichterstattung vorgehen457.
450 451 452 453 454 455 456 457
414
1133 – Der Lohnkiller; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, NJW 1997, 1148 – Stern-TV; v. 11.12.2012 – VI ZR 314/10, CR 2013, 184 = MDR 2013, 405 = AfP 2013, 57 – IM Christoph; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre; OLG Stuttgart, NJW 1972, 2320, 2321; OLG Brandenburg v. 15.2.1995 – 1 U 23/94, AfP 1995, 520, 522; OLG München v. 17.11.1995 – 21 U 3032/95, NJW-RR 1996, 1487, 1489; OLG Hamburg v. 30.3.1995 – 3 U 167/94, AfP 1997, 477, 478; v. 8.4.2008 – 7 U 21/07, AfP 2008, 404; v. 23.3.2010 – 7 U 95/09, ZUM 2010, 606; OLG Dresden NJW 2004, 1181; v. 8.9.2011 – 4 U 459/11, AfP 2012, 383; KG v. 19.10.2010 – 9 U 210/09, ZUM-RD 2011, 468; vgl. EGMR v. 7.2.2012 – GK – 39954/08, NJW 2012, 1058; a.A. OLG München v. 8.6.1990 – 21 U 6162/89, AfP 1990, 222; ebenso einschränkend für den Fall, dass der Betroffene schon zu Wort gekommen ist: OLG Hamburg v. 11.5.1995 – 3 U 264/94, NJW-RR 1996, 597; eine generelle Verpflichtung zur Vorinformation besteht auch nach Art. 8 EMRK nicht, EGMR v. 10.5.2011 – 48009/08, NJW 2012, 747 – Mosley/Vereinigtes Königreich. BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung; vgl. EGMR v. 16.3.2017 – 58493/13, AfP 2017, 402, 404 – Olafsson/Island. Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 170; Löffler/Ricker, S. 309; Soehring/Hoene, § 2 Rz. 22 ff.; Damm/Rehbock, Rz. 522; Schippan, ZUM 1996, 398, 402; strenger: Peters, NJW 1997, 1334, 1338; vgl. auch z.B. § 3 Abs. 4 Satz 1 LMedienG BW. OLG Hamburg v. 23.3.2010 – 7 U 95/09, ZUM 2010, 606. BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre. OLG Köln, NJW 1963, 1634; OLG Hamburg v. 11.5.1995 – 3 U 264/94, AfP 1996, 154 = NJWRR 1996, 597; OLG Frankfurt v. 20.2.2002 – 23 U 212/01, AfP 2003, 63 = NJW-RR 2003, 37. Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 170. OLG Frankfurt v. 20.2.2002 – 23 U 212/01, AfP 2003, 63; LG Wiesbaden v. 16.9.2009 – 9 O 229/09, AfP 2010, 282; zur Begehungsgefahr bei Recherchen s. Kap. 12 Rz. 35. Zum Gegendarstellungsanspruch: BVerfG v. 9.4.2018 – 1 BvR 840/15, BeckRS 2018, 9259; OLG Hamburg v. 3.2.2015 – 7 U 29/13, BeckRS 2013, 19693.
Burkhardt
V. Verschulden und journalistische Sorgfaltspflicht
Rz. 151 Kap. 6
cc) Kunstkritik So wie die Kunst als solche besondere Probleme aufwirft, wenn sie unter rechtliche Begriffe 147 subsumiert werden soll, sind auch an die Kunstkritik spezielle Maßstäbe anzulegen. Kunstkritik kann die Wirkung einer Zensur haben. Die negative Beurteilung eines maßgeblichen Kritikers kann bedeuten, dass ein Künstler oder ein Kunstwerk von der Bühne verbannt sind. Dennoch muss der Kunstkritik ein weiter Beurteilungsspielraum gewährt werden. Dementsprechend kann auch in diesem Bereich Vollständigkeit allenfalls ausnahmsweise und nur bedingt gefordert werden. Welche Fakten der Kritiker für unmaßgeblich, nicht erwähnenswert hält, und auf welche er sein Urteil stützt, ist weitgehend Meinungssache458. In diesem Zusammenhang zitiert Boden folgende Kritik459: „Herr Kunold sang zum ersten Male den Escamillo. Die Stelle seines Auftrittsliedes ‚Der Stier, er brüllte fürchterlich‘, klang wie eine Selbstbiographie.“ Gelegentlich der Aufführung des Othello erfuhr eine Schauspielerin diese Würdigung: „Als 148 Erkner Fräulein Bertram im letzten Akt des Othello erwürgte, ging eine Welle freudiger Zustimmung durch das Haus.“ Solche Kritik mag unsachlich sein. Das wertende Herausstellen einzelner behaupteter Vorgän- 149 ge führt gleichwohl nicht zur Unzulässigkeit. Der Zulässigkeitsrahmen ist erst überschritten, wenn die tatsächliche Darbietung und ihre sprachliche Darstellung so stark auseinanderklaffen, dass die Wertung von keinem als vernünftig zu bezeichnenden Standpunkt als möglich erscheint. Das wird nur selten der Fall sein. Als unzulässige Schmähung wird man es bezeichnen müssen, wenn der Auftritt einer Schauspielerin mit den Worten kommentiert wird „Zu Goebbels Zeiten hätte man ihr den nackten Hintern versohlt“. Die Bezeichnung eines Kunstwerkes als Fälschung stellt einen besonders gravierenden An- 150 wurf dar. Ob eine solche Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung einzuordnen ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Eine nach ernsthafter Prüfung und aufgrund kunstkennerschaftlichem Sachverstand vorgenommene Bewertung ist trotz der darin enthaltenen tatsächlichen Elemente zulässig, auch wenn sie sich später als unwahr erweist460. dd) Güterabwägung Die Sorgfaltsanforderungen bleiben auf die Ermittlung von Wahrheit, Richtigkeit und Voll- 151 ständigkeit nicht beschränkt. Der Journalist hat nicht nur zu prüfen, ob seine Darstellung mit dem zugrunde liegenden Sachverhalt in Einklang zu bringen, sondern auch, ob sie unter rechtlichen Gesichtspunkten zu vertreten ist. Das gilt insbesondere bei Berichten, die unabhängig vom Wahrheitsgehalt unzulässig sein können, speziell bei Schilderungen aus dem Privat-, Intim- und Geheimbereich461, ferner für die Form der Darstellung. Der journalistischen Sorgfaltspflicht ist nur genügt, wenn der Journalist eine Güterabwägung vollzieht, die bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles dazu führt, dass die schutzwürdigen Belange des Betroffenen hinter dem wahrgenommenen Informationsinteresse zurücktreten. Dabei ist 458 Zum Vorwurf der „Kopie“ vgl. OLG Bremen, MDR 1958, 516; zur Kritik an wissenschaftlichen Arbeiten vgl. OLG Köln, AfP 1972, 225 m. Anm. Wenzel. 459 Boden, AnwBl. 1966, 285, 296. 460 KG v. 13.8.1993 – 5 U 2661/93, AfP 1994, 220. 461 BGH v. 15.12.1987 – VI ZR 35/87, MDR 1988, 486 = AfP 1988, 34 = NJW-RR 1988, 733; OLG Köln, AfP 1973, 479, 481; KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, NJW-RR 1999, 1703.
Burkhardt
415
Kap. 6 Rz. 152
Wortberichterstattung – Rechtswidrigkeit und Verschulden
von der Gleichwertigkeit der Grundrechte auf Meinungsäußerungsfreiheit bzw. Pressefreiheit und dem Schutz der Menschenwürde, der Persönlichkeit und der Ehre auszugehen462. 152
Ebenso wie bei der gerichtlichen Überprüfung ist von den verletzten Interessen auszugehen. Der Journalist muss prüfen, welche Beeinträchtigung die Offenbarung des betreffenden Vorganges, die Nennung des Namens, die Veröffentlichung des Bildes oder auch die Stärke des Ausdruckes und die Art der Publikation im Allgemeinen hat. Anschließend ist zu fragen, in welchem Maße Informationsinteressen vorhanden und wer die Informationsinteressenten sind. Anhand dieser Gegenüberstellung ist zu ermitteln, ob die Informationsinteressen überwiegen und in Bezug auf welche Kreise das der Fall ist. Hiervon hängt ab, ob der Journalist sich zur Verbreitung der Darstellung entschließen und ob dies in der Öffentlichkeit geschehen darf. Die Form der Darstellung ist in diese Prüfung einzubeziehen. Handelt es sich z.B. um ein Fernseh-Dokumentarspiel, darf nicht außer Betracht bleiben, dass davon eine der intensivsten Beeinflussungen ausgeht, die überhaupt denkbar sind, soweit die Betroffenen dadurch identifiziert werden463.
153
Diese zu vollziehende Güterabwägung setzt eine echte Gewissensanspannung voraus. Fehlt die Gewissensanspannung, ist den an die journalistische Sorgfaltspflicht zu stellenden Anforderungen nicht genügt und eine rechtsverletzende Publikation als zumindest fahrlässig zu bezeichnen464.
154
Folgt aus der Güterabwägung kein Überwiegen der Informationsinteressen, muss das Einverständnis des Betroffenen eingeholt oder auf Veröffentlichung verzichtet werden. Behauptet ein Dritter, das Einverständnis des Betroffenen liege vor, bezieht sich die Überprüfungspflicht hierauf465. Das gilt speziell, wenn Namen oder Abbildungen zu Werbezwecken verwendet werden, was stets eine Einwilligung voraussetzt. Wie weit die Veröffentlichungsbefugnis in solchen Fällen reicht, hat der Veröffentlichende grundsätzlich selbst zu prüfen. Z.B. kann nicht angenommen werden, eine Schauspielerin sei damit einverstanden, dass ein im Programmheft enthaltenes Foto, das sie in enger Umarmung mit ihrem Partner zeigt, zur Werbung für ein sexuelles Anregungsmittel verwendet wird, von dem es heißt „Ein modernes Lockmittel der Liebe, betörend, verführerisch, unwiderstehlich. Wenige Tropfen genügen für rasche Wirkung“466. Es reicht nicht aus, sich auf die Zusage eines Dritten zu verlassen, die Einwilligung sei mündlich erteilt. Wenn auf schriftliche Zustimmung verzichtet wird, kann dies den Vorwurf der Fahrlässigkeit begründen467.
462 BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1324; BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, NJW 1996, 1133. 463 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202 – Lebach I; v. 25.11.1999 – 1 BvR 248/98, 1 BvR 755/98, NJW 2000, 1859 – Lebach II. 464 BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1133; OLG Köln, AfP 1973, 479, 481. 465 BGH, GRUR 1962, 611 – Hochzeitsbild; OLG Nürnberg, GRUR 1973, 40 – Kunstflieger. 466 BGH v. 26.1.1971 – VI ZR 95/70, NJW 1971, 698 – Pariser Liebestropfen. 467 LG Düsseldorf, BB 1971, 237 = ArchPR 1970, 99.
416
Burkhardt
7. Kapitel Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder I. Das Kunsturhebergesetz – KUG . . . .
1
II. Das Recht am eigenen Bild als Teil des Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . .
b) Luftverkehrsgesetz, Schutzbereichsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104
3
6. Notwehr gegen Fotografen . . . . . . . . .
106
III. Begriff des Bildnisses . . . . . . . . . . . . .
11
1. Abbildung einer Person . . . . . . . . . . .
11
2. Erkennbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
7. Polizeiliches Eingreifen bei Verletzungen des KUG und § 201a StGB sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113
3. Herstellungsart . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
IV. Anfertigung von Bildnissen . . . . . . . .
27
1. Allgemeine Grundsätze. . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anfertigung der Aufnahme als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . c) Rechtswidrigkeit des Eingriffs . . . . . d) Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Presseprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Hausrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Beweiszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Videoüberwachung . . . . . . . . . . . . . i) Dashcams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Anfertigen von Aufnahmen im Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . k) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . l) Ansprüche nach dem KUG sind keine Urheberrechtsstreitigkeiten . .
27 27
2. Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB) . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bildaufnahme in einer Wohnung oder Räumen mit Blickschutz . . . . . c) Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bildaufnahmen unbekleideter Kinder und Jugendlicher . . . . . . . . . e) Wahrnehmung berechtigter Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30 34 38 43 45 46 47 51 52 53 54
55 55 56 64 70 72
8. Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und KUG. . . . . . . . . . . . . . . a) Bildnisse und Bilder als personenbezogene Daten . . . . . . . . . . . . b) KUG und BDSG a.F. . . . . . . . . . . . c) Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Räumlicher Geltungsbereich . . . . . e) Verarbeitung personenbezogener Daten i.S.d. DSGVO. . . . . . . . . . . . f) KUG und DSGVO . . . . . . . . . . . . . g) Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 1 DSGVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Geltung des KUG infolge des Haushaltsprivilegs des Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO . . . . . . . . . . . . i) Geltung des KUG infolge eines Medienprivilegs über Art. 85 Abs. 2 DSGVO . . . . . . . . . . . . . . . . j) Schadenersatz nach der DSGVO? . k) DSGVO bei anderen Zwecken . . . . l) Rechtmäßigkeit der Aufnahmen gem. Art. 6 DSGVO . . . . . . . . . . . . m) Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . n) Einwilligung von Kindern und Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . o) Widerruf der Einwilligung . . . . . . . p) Erfüllung eines Vertrages, Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO . . . . . . . . . . . . q) Wahrnehmung berechtigter Interessen nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
117 117 118 119 120 121 122 123 126 127 129 130 131 132 133 134 135
3. Aufnahmen durch die Polizei . . . . . .
75
4. Fotografieren von Staatsorganen und Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Verbreitung und Zurschaustellung von Bildnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138
80
1. Allgemeine Grundsätze. . . . . . . . . . . .
138
89
2. Räumlicher Schutzumfang; grenzüberschreitende Verbreitung . . . . . . . a) Innerdeutsche Sachverhalte . . . . . . . b) Internationale Sachverhalte . . . . . . .
142 142 143
5. Gesetzliche Fotografierverbote . . . . . a) Gerichtsverhandlungen, § 169 GVG und § 17a BVerfGG . . . . . . . . . . . . .
89
von Strobl-Albeg 417
Kap. 7 Rz. 1
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
c) Zuständigkeit bei innereuropäischen Sachverhalten. . . . . . . . . . . . . d) Zuständigkeit bei außereuropäischen Sachverhalten. . . . . . . . . . . . .
144 147
3. Zeitlicher Schutzumfang . . . . . . . . . .
151
VI. Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157
1. Erforderlichkeit einer Einwilligung – § 22 KUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Umfang und Reichweite der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Räumliche, zeitliche und inhaltliche Beschränkungen . . . . . . . . . . . c) Bildnisse im Arbeitsverhältnis. . . . . d) Sonstige Einschränkungen . . . . . . .
186 189 192 202
5. Anfechtung und Widerruf . . . . . . . . .
203
157
VII. Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209
2. Rechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . .
158
3. Erteilung der Einwilligung . . . . . . . . .
162
1. Das Bild – Abbildung eines Gegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209
4. Erklärungsinhalt der Einwilligung . .
186
2. Fotografieren von Sachen . . . . . . . . . .
210
3. Verbreitung von Sachfotografien. . . .
231
Schrifttum: Neumann-Duesberg, Bildberichterstattung über absolute und relative Personen der Zeitgeschichte, JZ 1960, 114; Jürgen Helle, Die Einwilligung beim Recht am eigenen Bild, AfP 1985, 93; Lausen, Der Schauspieler und sein Replikant, ZUM 1997, 86; Eickmeier/Eickmeier, Die rechtlichen Grenzen des Doku-Dramas, ZUM 1998, 1; Schertz, Die Verfilmung tatsächlicher Ereignisse, ZUM 1998, 757; Prinz/Peters, Medienrecht, 1999; Ullmann, Persönlichkeitsrechte in Lizenz?, AfP 1999, 209; Peukert, Persönlichkeitsbezogene Immaterialgüterrechte?, ZUM 2000, 710; Boeckh, Markenschutz an Namen und Bildnissen realer Personen, FS Paul W. Hertin, 2000; Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadenersatz in Presse und Rundfunk, 2. Aufl. 2001; Schertz, Bildnisse, die einem höheren Interesse der Kunst dienen, GRUR 2007, 558; Götting/Schertz/Seitz, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008; Beck’sches Mandats-Handbuch Medien- und Presserecht, 2. Aufl. 2011; Hamburger Kommentar Gesamtes Medienrecht, 2. Aufl. 2011; Kötz/Gabriel-Jürgens, Honorare und Recht für Models, KÖGA-Liste 2011/2012; Castendyk, Fotorecht, 2. Aufl. 2012; Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl. 2012; Soehring/Hoene, Presserecht, 5. Aufl. 2013; Gerecke, Der Einsatz von Doppelgängern und Lookalikes zu kommerziellen Zwecken, GRUR 2014, 518; Möhring/Nicolini, Urheberrecht, 3. Aufl. 2014; Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 4. Aufl. 2014; Dreier/ Schulze, Urheberrechtsgesetz, Kommentar, 5. Aufl. 2015; Steffen in Löffler, Presserecht, 6. Aufl. 2015, § 6 LPG; Härting, Internetrecht, 6. Aufl. 2017; Münchener Anwalts-Handbuch Urheber- und Medienrecht, Hrsg. Raue und Hegemann; 2. Aufl. 2017; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl. 2017; Wanckel, Foto- und Bildrecht, 5. Aufl. 2017.
I. Das Kunsturhebergesetz – KUG 1
Das Recht am eigenen Bild ist kein Urheberrecht, sondern eine Ausprägung und ein Bestandteil des Persönlichkeitsrechts1. Dementsprechend war es in den letztlich gescheiterten Entwurf des Persönlichkeitsschutzgesetzes von 1959 aufgenommen worden2. In das am 1.1.1966 in Kraft getretene UrhG hat der Gesetzgeber das Recht am Bild mit Recht nicht übernommen. Vielmehr lässt § 141 Nr. 5 UrhG die den Bildnisschutz betreffenden Bestimmungen des KUG fortgelten. So kommt es, dass die §§ 22–24 KUG weiter in Kraft sind, ferner die §§ 33, 37, 38, 42, 43, 44, 48 und 50 KUG, die den Rechtsschutz betreffen.
1 BVerfG v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358 – Greenpeace; v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202 – Lebach; BGH v. 26.1.1971 – VI ZR 95/70, NJW 1971, 698; NJW 1974, 1917. 2 BT-Drucks. 3/1237 = Ufita 29/1959, 39.
418
von Strobl-Albeg
I. Das Kunsturhebergesetz – KUG
Rz. 2 Kap. 7
Die noch in Kraft befindlichen Vorschriften haben folgenden Wortlaut: § 22 KUG [Recht am eigenen Bilde] Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, dass er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt. Nach dem Tode des Abgebildeten bedarf es bis zum Ablaufe von 10 Jahren der Einwilligung der Angehörigen des Abgebildeten. Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner und die Kinder des Abgebildeten, und wenn weder ein Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten. § 23 KUG [Ausnahmen zu § 22] (1) Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden: 1. Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte; 2. Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen; 3. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben; 4. Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient. (2) Die Befugnis erstreckt sich jedoch nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt wird. § 24 KUG [Ausnahmen im öffentlichen Interesse] Für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit dürfen von den Behörden Bildnisse ohne Einwilligung des Berechtigten sowie des Abgebildeten oder seiner Angehörigen vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werden. § 33 KUG [Strafvorschrift] (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen den §§ 22, 23 ein Bildnis verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt. (2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. § 37 KUG [Vernichtung] (1) Die widerrechtlich hergestellten, verbreiteten oder vorgeführten Exemplare und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung oder Vorführung ausschließlich bestimmten Vorrichtungen, wie Formen, Platten, Steine, unterliegen der Vernichtung. Das gleiche gilt von den widerrechtlich verbreiteten oder öffentlich zur Schau gestellten Bildnissen und den zu deren Vervielfältigung ausschließlich bestimmten Vorrichtungen. Ist nur ein Teil des Werkes widerrechtlich hergestellt, verbreitet oder vorgeführt, so ist auf Vernichtung dieses Teiles und der entsprechenden Vorrichtungen zu erkennen. (2) Gegenstand der Vernichtung sind alle Exemplare und Vorrichtungen, welche sich im Eigentume der an der Herstellung, der Verbreitung, der Vorführung oder der Schaustellung Beteiligten sowie der Erben dieser Personen befinden. (3) Auf die Vernichtung ist auch dann zu erkennen, wenn die Herstellung, die Verbreitung, die Vorführung oder die Schaustellung weder vorsätzlich noch fahrlässig erfolgt. Das gleiche gilt, wenn die Herstellung noch nicht vollendet ist. (4) Die Vernichtung hat zu erfolgen, nachdem dem Eigentümer gegenüber rechtskräftig darauf erkannt ist. Soweit die Exemplare oder die Vorrichtungen in anderer Weise als durch Vernich-
von Strobl-Albeg 419
2
Kap. 7 Rz. 3
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
tung unschädlich gemacht werden können, hat dies zu geschehen, falls der Eigentümer die Kosten übernimmt. § 38 KUG [Recht der Übernahme] Der Verletzte kann statt der Vernichtung verlangen, dass ihm das Recht zuerkannt wird, die Exemplare und Vorrichtungen ganz oder teilweise gegen eine angemessene, höchstens dem Betrage der Herstellungskosten gleichkommende Vergütung zu übernehmen. § 42 KUG [Zivil- oder Strafverfahren] Die Vernichtung der Exemplare und der Vorrichtungen kann im Wege des bürgerlichen Rechtsstreits oder im Strafverfahren verfolgt werden. § 43 KUG [Vernichtung nur auf Antrag] (1) Auf die Vernichtung von Exemplaren oder Vorrichtungen kann auch im Strafverfahren nur auf besonderen Antrag des Verletzten erkannt werden. Die Zurücknahme des Antrags ist bis zur erfolgten Vernichtung zulässig. (2) Der Verletzte kann die Vernichtung von Exemplaren oder Vorrichtungen selbständig verfolgen. In diesem Falle finden die §§ 477 bis 479 (jetzt §§ 430 bis 432 StPO) der Strafprozessordnung mit der Maßgabe Anwendung, dass der Verletzte als Privatkläger auftreten kann. § 44 KUG [Recht auf Übernahme] Die §§ 42, 43 finden auf die Verfolgung des im § 38 bezeichneten Rechtes entsprechende Anwendung. § 48 KUG [Verjährung] (1) Der Anspruch auf Schadenersatz und die Strafverfolgung wegen widerrechtlicher Verbreitung oder Vorführung eines Werkes sowie die Strafverfolgung wegen widerrechtlicher Verbreitung oder Schaustellung eines Bildnisses verjähren in drei Jahren. (2) Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die widerrechtliche Handlung zuletzt stattgefunden hat. § 50 KUG [Antrag auf Vernichtung] Der Antrag auf Vernichtung der Exemplare und der Vorrichtungen ist so lange zulässig, als solche Exemplare oder Vorrichtungen vorhanden sind.
II. Das Recht am eigenen Bild als Teil des Persönlichkeitsrechts 3
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist seit BGHZ 13, 334 – Leserbriefe als ein durch Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsmäßig garantiertes Grundrecht und zugleich als ein nach § 823 Abs. 1 BGB geschütztes „sonstiges Recht“ anerkannt. Es gewährleistet gegenüber jedermann den Schutz der Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Besondere Erscheinungsformen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind das Recht am eigenen Bild (§§ 22 ff. KUG) und das Namensrecht (§ 12 BGB). Sie gewähren Persönlichkeitsschutz für ihren Regelungsbereich3. Auch juristische Personen haben als Ausprägung ihres Unternehmens-Persönlichkeitsrechts ein Recht am eigenen Bild (vgl. Rz. 33 und 221).
3 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; v. 18.3.1959 – IV ZR 182/58, NJW 1959, 1269 – Caterina Valente; v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor.
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II. Das Recht am eigenen Bild als Teil des Persönlichkeitsrechts
Rz. 5 Kap. 7
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und damit auch das Recht am eigenen Bild als seine be- 4 sondere Erscheinungsform dienen in erster Linie dem Schutz ideeller Interessen, insbesondere dem Schutz des Wert- und Achtungsanspruchs der Persönlichkeit. Dieser Schutz der ideellen Interessen wird dadurch verwirklicht, dass bei einer Rechtsverletzung neben Abwehransprüchen auch Schadensersatzansprüche für materielle und immaterielle Schäden in Betracht kommen (vgl. Kap. 9). Soweit die Persönlichkeitsrechte dem Schutz ideeller Interessen dienen, sind sie unauflöslich an die Person ihres Trägers gebunden und als höchstpersönliche Rechte unverzichtbar und unveräußerlich, also nicht übertragbar und nicht vererblich. Niemand kann sich seines Rechts am eigenen Bild, seines Namensrechts oder eines sonstigen Persönlichkeitsrechts vollständig und abschließend entäußern; dies stünde im Widerspruch zur Garantie der Menschenwürde (Art. 1 GG) und zum Recht auf Selbstbestimmung (Art. 2 GG)4. Darüber hinaus gewährt das allgemeine Persönlichkeitsrecht und damit auch das Recht am eigenen Bild Schutz für die vermögenswerten Interessen des Betroffenen. Der Abbildung, dem Namen, der Stimme einer Person kann ein erheblicher wirtschaftlicher Wert zukommen. Diese vermögenswerten Bestandteile seines Persönlichkeitsrechts kann der Betroffene kommerzialisieren, indem er Dritten gegen Entgelt gestattet, sein Bildnis, seinen Namen oder seine Stimme in der Werbung für Produkte oder Leistungen einzusetzen. Anders als die ideellen Interessen sind die vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vererblich5. Die vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Privatsphärenschutz getroffene, aber immerhin zum Leitsatz erhobene Feststellung, das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet6, steht der zivilrechtlichen Anerkennung von vermögenswerten Bestandteilen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Zivilgerichte nicht entgegen. Insoweit gewährt das Zivilrecht mehr an Schutz, als die Verfassung garantiert. Hier gilt Ähnliches wie für die Unterscheidung zwischen dem bürgerlichen Eigentum und dem Eigentum i.S.d. Art. 14 GG7. Dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt kommt aber im Rahmen von § 23 Abs. 2 KUG Bedeutung zu bei der Abwägung widerstreitender Interessen und er führt z.B. dazu, dass bei einer Abwägung zwischen der Pressefreiheit und kommerziellen Interessen des Abgebildeten die Pressefreiheit vorgeht (vgl. Kap. 8 Rz. 151). Als allgemeines Persönlichkeitsrecht umfasst das Recht am eigenen Bild die Freiheit zu ent- 5 scheiden, wie man sich in der Öffentlichkeit darstellt8. Dagegen verleiht es seinem Träger keinen Anspruch, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder von anderen gesehen werden möchte9. Wohl aber schützt es ihn gegenüber entstellenden und verfälschenden Darstellungen sowie gegenüber Darstellungen, die die Persönlichkeitsentfaltung erheblich beeinträchtigen können10. 4 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 5 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 6 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco. 7 Jarass, NJW 1989, 857. 8 BVerfG v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358 – Greenpeace; v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226 – Lebach. 9 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco; v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358 – Greenpeace. 10 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 248/98, 1 BvR 755/98, NJW 2000, 1859 – Lebach II; v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358 – Greenpeace; v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889 – Namensnennung.
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Kap. 7 Rz. 6
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
6
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Es findet seine Grenzen nach Art. 2 Abs. 1 GG in den Rechten anderer, zu denen auch die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG gehören. Diese Rechte sind jedoch ihrerseits nicht schrankenlos. Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG unterliegen sie vielmehr den Beschränkungen, die sich aus den allgemeinen Gesetzen ergeben. Zu denen zählen die §§ 22 und 23 KUG, die dem verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrecht zivilrechtlichen Ausdruck verleihen11.
7
Der Schutz des Bildnisses kann sich auch aus der Unverletzlichkeit der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG ergeben. Da das Grundrecht der Menschenwürde im Gegensatz zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht mit dem Tode der Person endet, kann diesem Grundrecht für den postmortalen Persönlichkeitsschutz Bedeutung zukommen (vgl. Rz. 152 f.). Im Gegensatz zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ist die Menschenwürde im Konflikt mit anderen Grundrechten wie z.B. denen aus Art. 5 GG nicht abwägungsfähig.
8
Das Recht am eigenen Bild ist in §§ 22 ff. KUG geregelt, soweit es um das Verbreiten und das öffentliche Zurschaustellen von Personenaufnahmen geht (vgl. Rz. 138 ff.), während die Herstellung und Vervielfältigung in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fällt (vgl. Rz. 27 ff.).
9
Flankierenden Schutz bei Fragen der Zulässigkeit von Herstellung, Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlicher Zurschaustellung der Aufnahmen lebender Menschen gewährt Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Art. 8 EMRK schützt das Privatleben. Der Begriff Privatleben umfasst auch das Recht am eigenen Bild12. Bereits das Anfertigen von Fotos und von Videoaufnahmen (vgl. Rz. 30) greift ebenso in das Privatleben einer Person ein wie die Veröffentlichung der Aufnahmen selbst dann, wenn es sich um eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens handelt13. Zum Begriff des Privatlebens nach Art. 8 EMRK vgl. Kap. 8 Rz. 105. Die Normen der EMRK haben gem. Art. 59 Abs. 2 GG den Rang eines einfachen Gesetzes (vgl. Rz. 10). Als einfaches innerstaatliches Gesetz ist die EMRK in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar anwendbar und kann auch vor deutschen Gerichten direkt geltend gemacht werden14. Die Anrufung des EGMR ist jedoch erst dann möglich, wenn der nationale Rechtsweg – einschließlich des nationalen Verfassungsgerichts – ausgeschöpft wurde (Art. 35 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 EMRK). Zur Anwendung des EMRK und der Rechtsprechung des EGMR auf die Wort- und Bildberichterstattung vgl. Rz. 30 ff. und Kap. 8 Rz. 1 ff.
10
Wegen ihres Ranges wie ein Bundesgesetz ist die unterbliebene oder fehlerhafte Berücksichtigung der ERMK durch deren konventionskonforme Auslegung ein Revisionsgrund i.S.v. §§ 545, 546 ZPO. Rechtskräftige Urteile können mit der Restitutionsklage mit dem Ziel ihrer Aufhebung angefochten werden, wenn der EGMR eine Verletzung der EMRK oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das angefochtene Urteil auf dieser Verletzung beruht (§ 580 Nr. 8 ZPO). Die für andere Anfechtungsgründe geltende Fünf-Jahres-Frist ab Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung für die Zulässigkeit der Restitutionsklage gilt nicht für den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 8 ZPO (§ 586 Abs. 4 ZPO). Auf Verfahren, die vor dem 21.12.2006 rechtskräftig abgeschlossen worden sind, ist § 580 Nr. 8 ZPO jedoch nicht anzuwenden (§ 35 EGZPO). 11 12 13 14
BVerfG v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358 – Greenpeace. EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 – von Hannover II. EGMR v. 27.5.2014 – 10764/09, NJW 2015, 1079 – De la Flor Cabrera/Spanien Rz. 30. Haug, Die Bedeutung der EMRK in Deutschland und ihre Auslegung durch den EGMR, AfP 2016, 223 m.w.N.
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III. Begriff des Bildnisses
Rz. 13 Kap. 7
III. Begriff des Bildnisses 1. Abbildung einer Person Das KUG unterscheidet zwischen Bildnissen und Bildern (Rz. 209). Nach der amtlichen 11 Begründung (S. 31) ist unter einem Bildnis „die Darstellung der Person in ihrer wirklichen, dem Leben entsprechenden Erscheinung“ zu verstehen bzw. die Darstellung einer Person, die deren äußere Erscheinung in einer für Dritte erkennbaren Weise wiedergibt15. Es muss sich also um eine Person, d.h. um einen Menschen handeln, der erkennbar wiedergegeben wird. Erst die Erkennbarkeit der abgebildeten Person macht ein Bild zum „Bildnis“ im Sinne des KUG (Rz. 16). Alter sowie geistige, körperliche und sonstige Eigenschaften sind ohne Bedeutung. Ob das Recht am eigenen Bild nur Außenaufnahmen des Körpers betrifft oder auch Aufnahmen des Körperinneren, kann in aller Regel dahinstehen (bejaht für MRT-Aufnahmen einer Lendenwirbelsäule, bei deren sog. Scout-Scan die Außenansicht des nackten Körpers einschließlich Intimbereich einer Patientin aufgenommen wurde16. Denn in aller Regel wird es an der Erkennbarkeit des Betroffenen fehlen und bei seiner Erkennbarkeit – z.B. wegen der Angabe des Namens auf der Abbildung – ist die Weitergabe der Aufnahme vom Facharzt an den Hausarzt von der Einwilligung des Patienten gedeckt; legt der Abgebildete die Aufnahme selbst seinem Hausarzt vor, fehlt es am Tatbestand des Verbreitens. Eine einwilligungslose Verbreitung einer identifizierenden Aufnahme zu wissenschaftlichen Zwecken analog § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG würde allerdings an den berechtigten Interessen des Abgebildeten nach § 23 Abs. 2 KUG scheitern, da seine Erkennbarkeit für wissenschaftliche Zwecke nicht erforderlich sein dürfte (vgl. Kap. 8 Rz. 56 f.). Nach der amtlichen Begründung soll der Bildnisschutz auch die Abbildung eines Toten erfas- 12 sen, ebenso eine Totenmaske. Das findet seine Erklärung wohl darin, dass in der auf den Tod Bismarcks (30.7.1898) folgenden Nacht zwei Fotografen in Schloss Friedrichsruh eingedrungen sind und bei Magnesiumlicht eine Aufnahme der Leiche angefertigt haben, was zu der Entscheidung RGZ 45, 170 v. 28.12.1899 und zur Diskussion und Einführung des Rechts am eigenen Bild geführt hat17. Die Entscheidung des RG ist noch auf der Basis des gemeinen Rechts entschieden worden, und zwar in Anlehnung an das Römische Recht. Auf dieser Grundlage stellt das RG darauf ab, dass die Fotografen sich auf strafbare Weise, nämlich mittels Hausfriedensbruches, etwas verschafft hätten, nämlich das Bildnis der Leiche Bismarcks. In entsprechender Anwendung der für das Eigentum geltenden Grundsätze sei davon auszugehen, dass auch andere Machtbefugnisse und Vorteile, die in dieser Weise erlangt sind, zurückgewährt werden müssten. Dementsprechend hätten die Fotografen sämtliche Negative, Platten, Abzüge usw. zurückzugeben und es zu unterlassen, sie bis dahin in irgendeiner Weise zu verbreiten. Ob die Ansicht, der Bildnisschutz erfasse auch Leichenfotos, aufrechtzuerhalten ist, erscheint 13 insofern fraglich, als das Recht am Bild ein besonderes Persönlichkeitsrecht ist, das Persönlichkeitsrecht aber mit dem Tode untergeht18. Richtiger Auffassung nach ist davon auszugehen, dass Abbildungen von Toten keinen Bildnisschutz genießen19. Gegenüber der Verbreitung sol15 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel. 16 KG v. 29.9.2017 – 20 U 41/16, NJW-RR 2018, 232. 17 Vgl. Kohler, GRUR 1900, 196; Andenaes, Ufita 30/1960, 30. 18 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173 – Mephisto. 19 AA OLG Hamburg v. 7.7.1983 – 3 U 7/83, AfP 1983, 466 – Oktoberfest-Attentäter; Castendyk/ Bezzenberger, Teil 3 Rz. 479; HH-Ko/MedienR/Kröner, Kap. 34/7; Götting in Schricker/Loewen-
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Kap. 7 Rz. 14
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
cher Darstellungen kann aber der Schutz der Menschenwürde i.S.d. Art. 1 GG eingreifen (vgl. Rz. 182), ebenso der der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB). Das neue BDSG und die DSVGO schützen nur natürliche, lebende Personen. Die Aufnahmen von Verstorbenen werden daher von der DSGVO und dem BDSG nicht geschützt20. 14
Zum postmortalen Bildnisschutz vgl. Rz. 151 ff.; zu den Ansprüchen der Erben bei einer postmortalen Verletzung vermögenswerter Bestandteile des Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen Kap. 9 Rz. 33; kein Anspruch der Angehörigen bei einer Verletzung der ideellen Interessen des Verstorbenen auf Geldentschädigung, wenn nicht zugleich das eigene Persönlichkeitsrecht der Angehörigen unmittelbar tangiert wird (Kap. 9 Rz. 59).
15
Phantasiegestalten genießen keinen Bildnisschutz. Würde er hierauf ausgedehnt, hätte dies eine Aushöhlung des Urheberrechts mit den nach § 51 UrhG fest umrissenen Grenzen der Zitierfreiheit zur Folge21. Im Übrigen muss es sich um eine Abbildung des Betroffenen handeln. Zufällige Übereinstimmungen mit dem Äußeren eines anderen verletzen allenfalls dessen Recht am Bild22; zur gewollten Übereinstimmung (Double) vgl. Rz. 23 und zur Darstellung einer Person durch einen Schauspieler auf der Bühne, im Film oder Fernsehen vgl. Rz. 25. 2. Erkennbarkeit
16
Ein Bildnis i.S.v. § 22 Satz 1 KUG ist die Darstellung einer Person, die deren äußere Erscheinung in einer für Dritte erkennbaren Weise wiedergibt23. Der Bildnisbegriff setzt die Erkennbarkeit der abgebildeten Person voraus24. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die äußere Erscheinung einer Person vollständig oder teilweise wiedergegeben wird, ob die Darstellung gut oder mangelhaft ist oder ob die Ähnlichkeit eine größere oder geringere ist. Entscheidend ist, dass Dritte erkennen können, welche Person gezeigt wird25. Die Größe der Abbildung ist grundsätzlich unerheblich. Die Erkennbarkeit kann auch bei kleinem Bildausschnitt zu bejahen sein26. Aus dem Begriff „Bildnis“ folgt, dass es sich um eine visuelle Erkennbarkeit des Betroffenen handeln muss. Es muss eine Abbildung vorliegen, die einen Menschen zeigt. Der abgebildete Mensch muss als bestimmtes Individuum identifizierbar, also erkennbar sein. Daher ist der Schutzbereich des KUG nicht eröffnet, wenn eine bestimmte Person z.B. in einem Film oder Tatsachenroman erkennbar ist, ohne abgebildet zu sein27. Denn das KUG schützt das Bildnis der Person, ihr äußeres Erscheinungsbild, nicht die nicht abgebildete Persönlich-
20 21 22 23 24 25
26 27
heim, § 22 KUG Rz. 15; Raue/Hegemann/Amelung, § 3 Rz. 249; von Gamm, Einf. 106; das KG v. 8.2.1983 – 5 U 376/82, ZUM 1985, 385 – Totenmaske Max Liebermann bezeichnet eine Totenmaske – nicht die Abbildung eines Toten – als Bildnis i.S.d. § 60 UrhG. Gola, Kommentar zur DSGVO, 2017, Art. 4 DSGVO Rz. 25 und Gola/Schomerus, § 3 BDSG Rz. 5. BGH v. 26.3.1971 – I ZR 77/69, NJW 1971, 2169 – Disney-Parodie. von Gamm, Einf. 104. BGH v. 18.11.2010 – I ZR 119/08 Rz. 13, MDR 2011, 872 = AfP 2011, 350 – Markt und Leute; v. 11.11.2014 – VI ZR 18/14, CR 2015, 254 = MDR 2015, 25 = AfP 2015, 33 = ITRB 2015, 86 = ZUM-RD 2015, 80. BGH v. 14.2.1958 – I ZR 151/56, BGHZ 26, 349 – Herrenreiter. BGH v. 18.11.2010 – I ZR 119/08 Rz. 13, MDR 2011, 872, AfP 2011, 350 – Markt und Leute; v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = GRUR 2000, 715 – Der blaue Engel; v. 9.6.1965 – Ib ZR 126/03, NJW 1965, 2148 – Spielgefährtin; v. 14.2.1958 – I ZR 151/56, BGHZ 26, 349 – Herrenreiter. BGH v. 26.1.1971 – VI ZR 95/70, NJW 1971, 698, 700 – Liebestropfen. A.A. wohl Schertz in Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rz. 6.
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III. Begriff des Bildnisses
Rz. 17 Kap. 7
keit. Deshalb ist auch ein Bildfragment, das nicht eine Person oder zumindest ihre charakteristischen Merkmale wiedergibt, sondern lediglich ein geistiges Erinnerungsbild einer bestimmten Person beim Betrachter hervorruft, kein Bildnis dieser Person i.S.v. § 22 KUG. Mit dieser zutreffenden Begründung hat das OLG Karlsruhe nicht das Tatbestandsmerkmal der Erkennbarkeit des Betroffenen verneint, sondern es bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen eines Bildnisses i.S.v. § 22 KUG fehlen lassen, als in einer vergleichenden Werbung Bezug genommen wurde auf die Konkurrenzwerbung mit einer Abbildung eines bekannten Fernsehmoderators, dabei aber nur ein Bildfragment verwendet wurde, welches weder die Andeutung eines Gesichts, noch überhaupt eine menschliche Kontur sichtbar machte, gleichwohl aber durch die Bezugnahme auf die Konkurrenzwerbung erkennbar war, welcher Prominente gemeint war28. Ohne die Abbildung eines Menschen – mag er auf der Abbildung als bestimmtes Individuum erkennbar sein oder nicht – findet der Bildnisschutz des KUG keine Anwendung. In solchen Fällen ist die Erkennbarkeit einer Person und deren Folgen eine Frage des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nicht aber des KUG. Bei einem Nacktfoto oder pornographischen Bildnissen ist aber die Verbreitung auch ohne Erkennbarkeit unter dem Gesichtspunkt der Persönlichkeitsverletzung rechtswidrig. Denn zu dem der Selbstbestimmung vorbehaltenen Persönlichkeitsbereich gehört auch die Entscheidung über die Veröffentlichung des eigenen Nacktbildes, und zwar unabhängig davon, ob es eine Identifizierung des Abgebildeten erlaubt oder nicht. Es ist in einem so starken Maße dem Intimbereich verbunden, dass seine Veröffentlichung auch dann, wenn die abgebildete Person nicht erkennbar ist, ihrer freien Selbstbestimmung unterliegt. Hinzu kommt, dass der Betroffene stets mit der Möglichkeit einer Aufdeckung seiner Anonymität durch den Verletzter rechnen muss und damit einem Gefühl des Preisgegebenseins und der Abhängigkeit unterworfen ist. Die eigenmächtige Herbeiführung einer solchen Lage kann um der Menschenwürde und der freien, eigenverantwortlichen Persönlichkeitsentfaltung willen nicht gestattet sein29. In der Regel sind es die Gesichtszüge, die einen Menschen erkennbar machen. Die Wieder- 17 gabe der Gesichtszüge ist aber keine notwendige Voraussetzung des Bildnisschutzes30. Es genügt, dass der Abgebildete durch charakteristische Merkmale die sich aus dem Bild ergeben, die gerade ihm eigen sind, erkennbar ist31. Welche charakteristischen Merkmale es sind, ist grundsätzlich ohne Belang32. Die Anforderungen an den Bildnisschutz können schon erfüllt sein, wenn ein zwar von hinten fotografierter, dennoch aber durch Statur, Haarschnitt und in für ihn typischer Haltung agierender bestimmter Torwart unschwer erkennbar ist33. Seine typische Haarpracht machte den Fußballer Paul Breitner trotz verdecktem Gesicht erkennbar34. Ein konkreter Trick-Ski-Fahrer war durch seine Kleidung und Sprunghaltung identifizier-
28 OLG Karlsruhe v. 28.7.2004 – 6 U 39/04, AfP 2004, 557 – Bildfragment = NJW-RR 2004, 1633. 29 BGH v. 2.7.1974 – VI ZR 121/73, NJW 1974, 1947 – Nacktaufnahme; LG Frankfurt v. 19.1.2006 – 2/03 O 457/05, AfP 2006, 380 – Privat-Porno I; OLG Stuttgart v. 30.1.1987 – 2 U 195/86, AfP 1987, 693. 30 BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor; LG Berlin v. 29.6.1995 – 20 O 67/95, AfP 1997, 732; LG Bremen v. 15.9.1993 – 5 O 1374/93 b, GRUR 1994, 897; OLG Hamburg v. 16.4.1987 – 3 U 210/86, AfP 1987, 703. 31 BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor. 32 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der Blaue Engel. 33 BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor. 34 OLG München Schulze OLGZ 270.
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Kap. 7 Rz. 18
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
bar35. Auch anhand weiterer Charakteristika kann eine bestimmte Person – trotz Unkenntlichmachung ihrer Gesichtszüge – erkennbar sein (vgl. Rz. 20). 18
Auch begleitende Umstände außerhalb der Abbildung können nach h.M. die Erkennbarkeit im Sinne des KUG zur Folge haben. Für die Erkennbarkeit im Rechtssinne genügt es dabei nach herrschender Meinung, dass der Abgebildete – mag auch sein Gesicht kaum oder gar nicht zu erkennen sein – durch einen beigegebenen Text oder durch den Zusammenhang mit früheren Veröffentlichungen erkannt wird36. Insbesondere der Text, speziell die Erwähnung des Namens, kann die Erkennbarkeit bewirken, auch wenn nur der Vorname genannt wird oder die Initialen, wenn die Adresse des Betroffenen genannt wird, sein Kfz-Kennzeichen oder andere ihn identifizierenden Umstände37. Die Erkennbarkeit kann auch daraus resultieren, dass der Abgebildete bei Fotoausschnitten aufgrund früherer Veröffentlichungen des ganzen Fotos erkannt werden kann38. Bei einem Film soll sich die Erkennbarkeit des unkenntlich gemachten Abgebildeten aus dem Ton ergeben können, wenn die Stimme nicht ausreichend verfremdet ist39. Dies ist jedoch fragwürdig, da das KUG eine visuelle Erkennbarkeit des Abgebildeten verlangt (Rz. 16). Das LG Hamburg bejahte bei der Abbildung eines vollständig von Textilien umhüllten Babys, bei dem kein Körperteil und keine Konturen erkennbar waren, die Verletzung des Bildnisses des Babys. Denn es war für den Betrachter trotz der konturlosen Umhüllung die Darstellung eines menschlichen Körpers feststellbar, somit die Abbildung eines Menschen. Die Erkennbarkeit des Babys ergab sich aus den Umständen der Veröffentlichung: Der begleitende Artikel berichtete über die Geburt des Kindes. Die Abbildung zeigte die prominente Mutter beim Verlassen der Klinik mit dem „Bündelchen“ im Arm. Eine Erkennbarkeit des Babys im Rechtssinne war daher gegeben40. Das OLG Nürnberg hat angenommen, die an den Bildnisbegriff zu stellenden Anforderungen seien schon erfüllt, wenn bei der Abbildung eines Kunstfliegers, bei der der Kopf des Piloten als knapp 1 mm großer Punkt erscheint, infolge der charakteristischen Merkmale des Flugzeuges zumindest von Eingeweihten auf die Person des Piloten geschlossen werden könne41. Ob dem gefolgt werden könne, hat der BGH zu Recht als zweifelhaft bezeichnet42. Wird allerdings bei der Veröffentlichung des Bildes einer Person durch Angabe des Namens mitgeteilt, wen das Bild darstellen soll, so liegt ein Bildnis i.S.d. § 22 KUG auch dann vor, wenn der Abgebildete allein auf Grund der bildlichen Darstellung – bei Wegfall der Namensunterschrift – nicht wiedererkannt wer35 LG München I Schulze LGZ 197. 36 BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor; KG v. 22.1.2015 – 10 U 134/14, AfP 2015, 249 – Zorro; LG Frankfurt v. 19.1.2006 – 2/03 O 457/05 AfP 2007, 378 – Privat-Porno; OLG Karlsruhe v. 28.7.2004 – 6 U 39/04, AfP 2004, 557 – Bildfragment; OLG Frankfurt v. 26.7.2005 – 11 U 13/03, NJW 2006, 619; KG v. 5.9.2006 – 9 W 127/06, AfP 2006, 567; OLG Hamburg v. 6.1.1993 – 3 W 2/93, AfP 1993, 590 = NJW-RR 1993, 923. 37 BGH v. 10.11.1969 – I ZR 78/60, MDR 1962, 194 – Hochzeitsbild; v. 9.6.1965 – I b ZR 126/03, NJW 1965, 2148 – Spielgefährtin; KG v. 5.9.2006 – 9 W 127/06, AfP 2006, 567; OLG Hamburg v. 28.3.1991 – 3 U 262/90, NJW-RR 1992, 536; OLG Stuttgart v. 2.4.2014 – 4 U 174/13, AfP 2014, 352 zu einer durch Pixel unkenntlich gemachten Fotografie eines Mannes zur Illustration eines Artikels über das Strafverfahren gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden „So brachte sein Vater ihm das Schießen bei“. 38 LG Bremen v. 15.9.1993 – 5 O 1374/93 b, GRUR 1994, 897. 39 OLG Düsseldorf v. 26.10.2011 – I 15 U 101/11, ZUM-RD 2012, 137. 40 LG Hamburg v. 7.1.2000 – 324 O 441/99, 324 O 431/99 und 324 O 426/99, wiedergegeben bei Wanckel, Rz. 127. 41 OLG Nürnberg v. 26.10.1971 – 3 U 68/71, GRUR 1973, 40 = Schulze, OLGZ 141 mit zust. Anm. Neumann-Duesberg. 42 BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor.
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III. Begriff des Bildnisses
Rz. 20 Kap. 7
den könnte. Denn durch die Verbindung von Bild und Namensangabe erhält der Betrachter den Eindruck, das Bild zeige die mit dem Namen genannte Person. Bei dieser Sachlage ist es daher im Gegensatz zu einer anonymen Bildwiedergabe nicht erforderlich, dass die Beziehung zwischen der Abbildung einer Person und der abgebildeten Person selbst, welche das Bild erst zu einem „Bildnis“ macht, nämlich die Erkennbarkeit des Abgebildeten, im Bild (sichtbar) gegeben ist43. Insbesondere bei der Verfilmung tatsächlicher Ereignisse beispielsweise in sog. Doku-Dramas 19 oder Film-Biographien („Biopic“) ergibt sich die Erkennbarkeit häufig neben der bildlichen Darstellung der betroffenen Persönlichkeit durch einen Schauspieler vor allem auch aus dem sog. Lebens- und Charakterbild der dargestellten Person, also ihrem Leben, Schicksal und Charakter. Ob auch dieses Lebens- und Charakterbild zu den Umständen zu zählen ist, die zur Erkennbarkeit einer Person i.S.d. KUG führen, ist umstritten44. Letztlich kann dies in der Regel dahinstehen. Denn wenn sich die im Film dargestellte Person erkennbar von der Person des Darstellers unterscheidet, ist mangels Erkennbarkeit im Sinne des KUG keine Einwilligung der dargestellten Person erforderlich; wird der Darsteller jedoch für die von ihm dargestellte Person gehalten, dient die Verbreitung oder zur Schaustellung des Bildnisses einem höheren Interesse der Kunst i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG, was gleichfalls eine Einwilligung entbehrlich macht (vgl. Kap. 8 Rz. 85). Bei der Beurteilung der Identifizierbarkeit des Abgebildeten (der Erkennbarkeit im Rechts- 20 sinne) ist nicht darauf abzustellen, ob auch der flüchtige Durchschnittsleser oder -betrachter den Abgebildeten erkennen kann; vielmehr genügt die Erkennbarkeit durch einen mehr oder minder großen Bekanntenkreis. Das folgt aus dem Zweck des Bildnisschutzes, die Persönlichkeit davor zu bewahren, gegen ihren Willen durch die Abbildung für andere verfügbar zu werden45. Für die Wortberichterstattung hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass für die Identifizierung des Betroffenen eine Erkennbarkeit im Bekanntenkreis genügt46. Die Erkennbarkeit im Bekanntenkreis trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz der Persönlichkeit Rechnung. Denn das Grundrecht kann auch dann betroffen sein, wenn persönlichkeitsrechtsverletzende Informationen nicht an einen großen Kreis von Dritten gelangen, sondern nur an solche Rezipienten, die aufgrund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, die betroffene Person zu identifizieren. Gerade für Leser oder Zuschauer mit Einblick in das berufliche oder persönliche Umfeld des Betroffenen ist die Information in ihrem persönlichkeitsverletzenden Teil aussagekräftig und für den Betroffenen besonders nachteilig47. Es gibt keinen Grund, bei der Bildberichterstattung einen geringeren Schutz zu gewähren als bei der Wortberichterstattung, zumal für die Bildberichterstattung ein strengerer Maßstab als bei bloßer Wortberichterstattung anzulegen ist, weil Bildaufnahmen einen
43 BGH v. 9.6.1965 – Ib ZR 126/03, NJW 1965, 2148 – Spielgefährtin. 44 Vgl. Gerecke, GRUR 2014, 518 und bejahend Götting/Schertz/Seitz § 12 Rz. 6 m.w.N. 45 BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205; v. 10.11.1961 – I ZR 78/60, GRUR 1962, 211 – Hochzeitsbild; OLG Köln v. 10.11.2016 – 15 U 94/16, NJW 2017, 1114 – Eine furiose EM; KG v. 22.1.2015 – 10 U 134/14, AfP 2015, 249 – Zorro; OLG Stuttgart v. 2.4.2014 – 4 U 174/13, AfP 2014, 352, OLG Karlsruhe v. 6.7.2001 – 14 O 71/00, AfP 2002, 42; OLG Hamburg v. 28.3.1991 – 3 U 262/90, NJW-RR 1992, 536; LG Frankfurt v. 19.1.2006 – 2/03 O 468/05 = AfP 2007, 378 – Privat-Porno II. 46 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, AfP 2007, 441 Rz. 75, NJW 2008, 39 – Esra; v. 14.7.2004 – 1 BvR 263/03, NJW 2004, 3619 – Würzburger Anwalt. 47 BVerfG v. 14.7.2004 – 1 BvR 263/03, NJW 2004, 3619 – Würzburger Anwalt.
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Kap. 7 Rz. 20
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
ungleich stärkeren Eingriff in die persönliche Sphäre bedeuten48. Nach dem Schutzzweck der §§ 22, 23 KUG genügt es zur Bejahung der Erkennbarkeit nicht, wenn nur die angeblich abgebildete Person sich selbst wiedererkennt49. Nicht ausreichend kann es nach den Umständen des Einzelfalls für einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen sein, wenn nur seine nächste Umgebung ihn in der Abbildung erkennt50. Der BGH hat in früheren Entscheidungen wiederholt festgestellt, dass eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild schon dann vorliegt, wenn der Abgebildete begründeten Anlass zu der Annahme hat, er könne nach der Art der Abbildung erkannt werden51. Dem ist beizupflichten, wenn ein Bildnis die Intimsphäre einer Person betrifft52. Denn solche Bilder sind auch dann unzulässig, wenn der Betroffene nicht erkennbar ist53. Zu Bildnissen aus der Intimsphäre vgl. Rz. 16. Es scheint jedoch nicht unbedenklich, wenn auch in anderen Fällen als der absolut geschützten Intimsphäre der dem Abgebildeten obliegende Beweis für das Vorliegen der Erkennbarkeit ersetzt wird durch einen „begründeten Anlass“ des Abgebildeten für seine Annahme, er könne erkannt werden. Denn hier wird an ein rein subjektives Kriterium auf Seiten des Betroffenen angeknüpft, das sich einer objektiven Kontrolle entzieht54. Wenn es jedoch genügt, dass der Abgebildete begründeten Anlass hat anzunehmen, er könne erkannt werden, obliegt ihm der Beweis dafür, dass er begründeten Anlass zu der Annahme hat, er könne nach der Art der Abbildung – also wegen der konkreten Identifikationsmerkmale des Bildnisses – erkannt werden, also z.B. wegen der besonderen Art der Anordnung des Brautschleiers von den damaligen Hochzeitsgästen55 oder der Torwart Sepp Maier wegen der spezifischen Statur, Haltung und Haarschnitt von den Fans des FC Bayern als der Torwart des Teams56. Der besonderen Gefährdung persönlichkeitsrechtlicher Interessen, die mit der Verbreitung oder öffentlichen Zurschaustellung von Bildnissen verbunden ist, ist nach der Rechtsprechung dadurch Rechnung zu tragen, dass zugunsten des Anonymitätsinteresses des Betroffenen sehr geringe Anforderungen an die Erkennbarkeit zu stellen sind57. Zu Bildnissen aus der Intimsphäre vgl. Rz. 16. Seine Erkennbarkeit hat der Abgebildete zu beweisen. Dabei reicht es aus, wenn er darlegen und beweisen kann, dass er innerhalb seines Bekanntenkreises tatsächlich erkannt wor-
48 BVerfG v. 14.9.2010 – 1 BvR 1842/68, NJW 2011, 740; v. 27.11.2008 – 1 BvQ 46/08, AfP 2009, 46 = NJW 2009, 350; BGH v. 26.10.2010 – VI ZR 230/08, MDR 2011, 59 = NJW 2011, 744 – Rosenball Rz. 12 m.w.N. 49 LG Stuttgart v. 4.3.1982 – 7 O 516/81, AfP 1983, 292. 50 LG Oldenburg v. 26.9.1985 – 5 O 2883/85, AfP 1985, 299; Soehring/Hoene, § 13 Rz. 37. 51 BGH v. 10.11.1961 – I ZR 78/60, NJW 1962, 1004 – Hochzeitsbild; v. 26.1.1971 – VI ZR 95/70, NJW 1971, 698 – Pariser Liebestropfen; v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor; ebenso OLG München v. 21.1.1998 – 21 U 6238/97, AfP 1999, 351; v. 21.12.1981 – 21 U 3951/81, AfP 1983, 276 – Sex, die heimliche Weltmacht; OLG Hamburg v. 24.10.1974 – 3 U 134/74, AfP 1975, 916; KG v. 22.1.2015 – 10 U 134/14, AfP 2015, 249 – Zorro; OLG Köln v. 10.11.2016 – 15 U 94/16, NJW 2017, 1114 – Eine furiose EM. 52 Z.B. BGH v. 26.1.1971 – VI ZR 95/70, NJW 1971, 698 – Pariser Liebestropfen. 53 BGH v. 2.7.1974 – VI ZR 121/73, NJW 1974, 1947 – Nacktaufnahmen. 54 So auch Soehring/Hoene, § 13 Rz. 37. 55 BGH v. 10.11.1961 – I ZR 78/60, NJW 1962, 1044 – Hochzeitsbild. 56 BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor. 57 OLG Karlsruhe v. 28.7.2004 – 6 U 39/04, AfP 2004, 557 = NJW-RR 2004, 1633 ; solchen geringen Anforderungen an die Erkennbarkeit ist zumindest bei der Bildnisnutzung zu Werbezwecken sowie bei „sensiblen“ Aufnahmen zuzustimmen. Hier kann bereits der begründete Anlass des Betroffenen, er könne erkannt werden, zur Annahme der Erkennbarkeit ausreichen (zum Bildnis zu Werkzwecken BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor; v. 26.1.1971 – VI ZR 95/70, NJW 1971, 698 – Pariser Liebestropfen).
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III. Begriff des Bildnisses
Rz. 22 Kap. 7
den ist58. Ist der Abgebildete auf die Bildnisveröffentlichung angesprochen worden, bedeutet dies eine Bestätigung der Erkennbarkeit59. Eines Beweises, dass Nachbarn, Arbeitskollegen und Freunde einen Abgebildeten erkannt haben, soll es ausnahmsweise nicht bedürfen, wenn ein solcher Beweis dem Betroffenen nicht zumutbar ist. Dies wurde bejaht, als in einer KinoReportage über Mörder das den Abgebildeten eindeutig identifizierende Bildnis einer Person gezeigt wurde, die mit den thematisierten Mordfällen nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte, beim unbefangenen Zuschauer des Films aber der Eindruck erweckt werden konnte, der Abgebildete sei ein Mörder. In einem solchen Fall kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, im Einzelnen Beweis dafür anzutreten, wer von den zahlreichen Zuschauern ihn in der Wochenschau erkannt und dann den Eindruck gewonnen habe, er sei ein Mörder60. Die Veröffentlichung des Bildnisses einer jetzt 11-jährigen, das sie im Alter von drei Jahren in einem Film zeigt, verletzt ihre Rechte am eigenen Bild, auch wenn ihr Aussehen sich in der Zeit der Entwicklung vom Kleinkind zum Teenager stark verändert hat und sie von denjenigen Personen, die sie erst jetzt kennen, nicht identifiziert wird. Denn es wird einen insoweit ausreichenden Bekannten- und Verwandtenkreis geben, der den Teenager als 3-Jährige kannte und jetzt auf dem Foto wiedererkennt. Auch wenn von diesen Personen möglicherweise manche nicht wissen, wie die Betroffene heute aussieht, wo sie anzutreffen ist und sie nicht auf das Foto aus den Kindertagen ansprechen werden, ändert dies nichts daran, dass die Betroffene in ihrem früheren Erscheinungsbild als 3-Jährige diesem Personenkreis gegen ihren Willen vorgeführt wird61. Denn § 22 KUG soll die Person davor schützen, gegen ihren Willen im Bild der Öffentlichkeit vorgestellt und so für andere verfügbar gemacht zu werden. Eine Erkennbarkeit entfällt auch in der Regel nicht alleine dadurch, dass sich das Aussehen des Betroffenen altersbedingt verändert hat, wenn man es als ausreichend ansieht, dass der Abgebildete begründeten Anlass zu der Annahme hat, er könne innerhalb seines Bekanntenkreises bspw. durch Altersgenossen erkannt werden62. Eine Erkennbarkeit aufgrund Sonderwissens genügt jedoch nicht. So kann eine Erkennbar- 21 keit im Sinne des KUG nicht durch einen Zeugen belegt werden, der sich bei dem fotografierten Ereignis in unmittelbarer Nähe des Abgebildeten befand und sogar mit diesem abgebildet wurde. Daher wurde eine Erkennbarkeit verneint, als bei einem Bericht über einen von einem Ausflugsdampfer ins Wasser gestürzten und ertrunkenen Mann eine Frau im Bild gezeigt wurde, wie sie von ihrem Freund getröstet wird und von einer Zeugin, die den Vorfall miterlebt hat, identifiziert wurde. Denn in einem solchen Fall wird der Abgebildete nicht anhand seiner persönlichen Merkmale erkannt, sondern aufgrund von Sonderwissen eines Zeugen identifiziert63. Ein Augenbalken oder ein digitaler Filter („pixelizing“) verhindert die Erkennbarkeit nicht 22 ohne weiteres64. Aufgrund individualisierender Merkmale kann eine Erkennbarkeit jedenfalls 58 OLG Frankfurt v. 7.1.2016 – 16 W 63/15, AfP 2016, 167 = NJW-RR 2016, 1381, 1384 – Pick-upArtists; OLG Hamburg v. 6.1.1993 – 3 W 2/93, AfP 1993, 590 = NJW-RR 1993, 923. 59 BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = AfP 1992, 140 = NJW 1992, 1312; OLG Karlsruhe v. 14.10.1998 – 6 U 120/97, AfP 1999, 489 – Wachkomapatient; OLG München v. 21.12.1981 – 21 U 3951/81, AfP 1983, 276. 60 BGH v. 5.1.1962 – VI ZR 72/61, NJW 1962, 1004 – Doppelmörder. 61 OLG Düsseldorf v. 9.2.2010 – I-20 U 151/09. 62 OLG Frankfurt v. 23.12.2008 – 11 U 22/08, ZUM-RD 2009, 187. 63 KG v. 22.1.2015 – 10 U 134/14, AfP 2015, 249 – Zorro. 64 OLG Karlsruhe v. 2.10.1979 – 4 Ss 200/79, NJW 1980, 1701; OLG Hamburg v. 6.1.1993 – 3 W 2/93, AfP 1993, 590; OLG Frankfurt v. 26.7.2005 – 11 U 13/03, NJW 2006, 619; KG v. 28.4.2011 – 10 U 196/10, IPRB 2012, 10 = ITRB 2012, 32 = AfP 2011, 383 im Falle einer nicht vollständigen
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Kap. 7 Rz. 23
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
für Bekannte trotz Verpixelung erhalten bleiben65. So kann eine zusammen mit zwei Männern unbekleidet in einer Rundwanne badende Jugendliche trotz Augenbalkens erkennbar sein, insbesondere wenn der gerichtliche Spruchkörper sich davon persönlich hat überzeugen können66. Eine Erkennbarkeit liegt auch dann vor, wenn der Augenbalken wegen seiner geringen Größe noch die Identifizierbarkeit des Abgebildeten erlaubt67 oder wenn der Anfangsbuchstabe des Familiennamens und der Beruf des Abgebildeten genannt werden, wodurch trotz Augenbalkens Erkennbarkeit bestehen kann68. Trotz gelungener visueller Unkenntlichmachung durch Filter oder Augenbalken kann sich eine Erkennbarkeit des Betroffenen aus identifizierenden Merkmalen und Umständen in der Abbildung und außerhalb der Abbildung ergeben (Rz. 18). 23
Nach § 22 Satz 1 KUG dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Welche Person abgebildet ist, hängt davon ab, wessen äußere Erscheinung von Dritten auf dem Bildnis erkannt wird. Wird auf dem Bildnis die äußere Erscheinung einer bestimmten Person erkannt, ist deren Einwilligung erforderlich unabhängig davon, ob die Abbildung tatsächlich die betroffene Person zeigt oder ob sie durch eine andere Person (ein Double, ein Lookalike, einen Schauspieler) nachgeahmt oder dargestellt wird69 (Rz. 24 m.w.N.). Dabei ist in der Abbildung des Doubles schon dann das Bildnis der gedoubelten oder dargestellten Person zu sehen, wenn sich das Double in seinem Erscheinungsbild zwar von der nachgeahmten Person unterscheidet, bei einem nicht unerheblichen Teil des Publikums jedoch der Eindruck erweckt wird, es handle sich beim Double um die gedoubelte Person70. Unbeachtlich in diesem Sinne ist nach der Literatur zu § 5 UWG eine Minderheit von 25 % bis 33 % des Publikums. Wenn eine solche Minderheit des Publikums fälschlich im Double das Original „erkennt“, liegt kein Bildnis der gedoubelten Persönlichkeit vor, so dass deren Einwilligung nach § 22 KUG entbehrlich ist. Eine nur zufällige Ähnlichkeit hat die Verletzung des Bildrechtes nicht zur Folge71. Anders verhält es sich, wenn der Anschein erweckt wird, abgebildet sei der Betroffene, z.B. durch den begleitenden Text. Dann kann dessen Bildnisrecht verletzt sein (vgl. Rz. 25).
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Persönlichkeitsverletzend kann es insbesondere sein, die Ähnlichkeit des Abgebildeten mit einer bekannten Persönlichkeit zu Werbezwecken auszunutzen. Zu diesem Zweck werden gelegentlich Prominente durch Doppelgänger ersetzt oder durch Double oder Lookalikes „dargestellt“. Ein Bildnis i.S.v. § 22 KUG ist die Darstellung einer Person, die deren äußere Erscheinung in einer für Dritte erkennbaren Weise wiedergibt. Die Abbildung des Doubles des Prominenten ist daher als Bildnis des Prominenten selbst anzusehen, wenn der Eindruck
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Verpixelung des Gesichts, bei der Stirn, Haaransatz, Ohren sowie Mund- und Kinnpartie als charakteristische Merkmale eines Gesichts erkennbar blieben. Z.B. zurückgekämmte blonde Haare, Ohrschmuck, Gesichtsform, ärmelloses Top, auffällige Uhr, Statur: LG Frankfurt LG Frankfurt/M. v. 19.1.2006 – 2/03 O 468/05, AfP 2007, 378 – Privat-Porno II; auffällige Schuhe: AG München v. 15.6.2012 – 158 C 28716/11, ZUM 2013, 159 – Sex Phantom; markante Körperproportionen und individuelle Konstitution der Arme bei TV-Beitrag trotz verpixeltem Gesicht und nachgesprochener Stimme: OLG Karlsruhe v. 8.10.2014 – 6 U 145/13, AfP 2015, 55. OLG München v. 21.12.1981 – 21 U 3951/81, AfP 1983, 276. LG Berlin v. 29.6.1995 – 20 O 67/95, AfP 1997, 732. LG Berlin v. 26.11.1996 – 27 O 451/96, NJW 1997, 1373. So auch Götting/Schertz/Seitz § 12 Rz. 6 m.w.N. und Rz. 18 m.w.N. BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel. RG, DJZ 1906, 543 – Prof. Biedermann; BGH v. 18.3.1959 – VI ZR 182/58, BGHZ 30, 7, 10 – Catarina Valente; von Gamm, Einf. 104.
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III. Begriff des Bildnisses
Rz. 25 Kap. 7
erweckt wird, bei dem Double handle es sich um den Prominenten selbst72. Dies gilt auch dann, wenn der Eindruck, es handle sich um den Prominenten, nicht aufgrund einer Ähnlichkeit der Gesichtszüge erzeugt wird, sondern auf andere Weise (z.B. durch das Nachstellen einer berühmten Filmszene mit Marlene Dietrich aus dem Film „Der blaue Engel“73) oder durch Körperform, Haltung, Größe, Frisur, Haarfarbe, Brille74 oder bei dem Double eines bekannten TV-Quizmasters, indem im Werbefilm das Format seiner Quizsendung und die Ausstattung des Studios nachempfunden wurde75 In Anlehnung an § 5 UWG ist hierbei ausreichend, dass ein nicht unbeachtlicher Teil des angesprochenen Publikums glaubt, es handle sich tatsächlich um den Prominenten76. Schadenersatz und Bereicherungsansprüche sollen dem Prominenten wegen Verletzung der kommerziellen Interessen seines Persönlichkeitsrechts unabhängig davon zustehen, ob die Doppelgängerwerbung als solche erkennbar ist oder nicht77. Nach h.M. greift der Bildnisschutz auch ein, wenn die Person durch einen Schauspieler auf 25 der Bühne, im Film oder Fernsehen dargestellt, also gedoubelt wird78. Denn „Bildnis“ ist die Darstellung einer Person, die deren äußere Erscheinung in einer für Dritte erkennbaren Weise wiedergibt79. Die Abbildung eines Schauspielers in seiner Rolle der berühmten Person ist als Bildnis der berühmten Person anzusehen, die durch den Schauspieler dargestellt wird, wenn bei einem nicht unerheblichen Teil des Publikums der Eindruck erweckt wird, es handle sich um die berühmte Person selbst80. Das gilt auch, wenn der Name unerwähnt bleibt, aber Umstände genannt werden, die Interessierten die Feststellung der Identität ermöglichen. Die Feststellungsmöglichkeit im Kreis Bekannter genügt. Die Erkennbarkeit kann trotz teilweiser Veränderung der Handlungsumstände erhalten bleiben81. Die h.M. geht auf die Piscator-Ent72 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel; v. 15.11.1957 – I ZR 83/56, NJW 1958, 459 – Sherlock Holmes; LG Düsseldorf v. 29.8.2001 – 12 O 566/00, AfP 2002, 64 – Kaiser Franz; anders – Schutz des Prominenten durch sein allgemeines Persönlichkeitsrecht – OLG Karlsruhe v. 4.11.1994 – 14 U 125/93, AfP 1996, 282 – Ivan Rebroff; Pietzko, AfP 1988, 209, 215; Freitag, GRUR 1994, 345, 346; differenzierend Helle, S. 98 ff. 73 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel. 74 LG Düsseldorf v. 29.8.2001 – 12 O 566/00, AfP 2002, 64 – Kaiser Franz. 75 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel. OLG Köln v. 6.3.2014 – 15 U 133/13, AfP 2015, 347. 76 LG Düsseldorf v. 29.8.2001 – 12 O 566/00, AfP 2002, 64 – Kaiser Franz; OLG Karlsruhe v. 4.11.1994 – 14 U 125/93, AfP 1996, 282 – Ivan Rebroff, Revision nicht angenommen durch Beschl. v. 10.10.1995 – VI ZR 372/94. 77 LG Düsseldorf v. 29.8.2001 – 12 O 566/00, AfP 2002, 64 – Kaiser Franz; LG Köln v. 19.9.2000 – 33 O 276/00, ZUM 2001, 180 – Michael Schumacher. 78 So bereits KG, JW 1928, 363 – Piscator; BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 224; OLG Koblenz v. 24.3.1998 – 4 U 1922/97, AfP 1998, 328; BGH v. 15.11.1957 – I ZR 83/56, NJW 1958, 459 – Sherlock Holmes; OLG Karlsruhe v. 4.11.1994 – 14 U 125/93, AfP 1996, 282; OLG Hamburg v. 24.10.1974 – 3 U 134/74, NJW 1975, 649 – Aus nichtigem Anlass. 79 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel. 80 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel nwN; KG ZUM-RD 2009, 181 – Töchter von Ulrike Meinhof. 81 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173 – Mephisto; v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202 – Lebach; BGH v. 15.11.1957 – I ZR 83/56, NJW 1958, 459 – Sherlock Holmes; v. BGH v. 5.3.1963 – VI ZR 61/62, NJW 1963, 904 – Drahtzieher; OLG Hamburg v. 24.10.1974 – 3 U 134/74, AfP 1975, 916.
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Kap. 7 Rz. 26
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
scheidung zurück, durch die das RG eine Piscator-Inszenierung des Rasputin mit der Begründung untersagt hat, sie vermittle von Kaiser Wilhelm II. ein falsches „Bild“82. Wird jemand in diesem Ausmaß der Erkennbarkeit durch Maske, Mimik und Gesten als lebendes Abbild einer Person dargestellt, bedarf das Bildnis grundsätzlich seiner Einwilligung. Eine Einwilligung ist jedoch nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG nicht erforderlich, wenn die Verwertung oder Schaustellung des Bildnisses einem höheren Interesse der Kunst dient wie z.B. der lebensnahen Darstellung von Persönlichkeiten im Rahmen von biographischen Filmen oder Doku-Dramen. Besteht dagegen keine ausreichende Ähnlichkeit zwischen der durch einen Schauspieler dargestellten Person und dem Bildnis der realen durch ihn dargestellten Person, liegt kein Bildnis der dargestellten Person im Sinne des KUG vor, welches deren Einwilligung erfordern würde, auch wenn erkennbar ist, welche reale Person dargestellt werden soll. Zu Recht wurde daher das Vorliegen eines Bildnisses der Töchter von Ulrike Meinhof in einem Film über die RAF mangels Ähnlichkeit zwischen den Darstellern der Töchter und den dargestellten wirklichen Töchtern verneint, obwohl schon aufgrund der Benennung in der Rolle unzweifelhaft war, dass die beiden Meinhof-Töchter dargestellt werden83. Ebenfalls wegen fehlender Ähnlichkeit zwischen der Darstellerin und der wirklichen, dem Leben entsprechenden äußeren Erscheinung der Dargestellten wurde eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild der Witwe von Jürgen Ponto in einem Spielfilm über die RAF verneint84. In solchen Fällen ist aber der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eröffnet85. Vom gewollt nachgestellten Double zu unterscheiden ist der Sachverhalt, dass nicht eine bekannte Person, sondern nur der Typus eines bestimmten Menschen wiedergegeben wird. Dasselbe gilt, wenn in einem Spielfilm eine konkrete Person durch einen Schauspieler dargestellt wird, der keine besondere Ähnlichkeit mit der betroffenen, von ihm dargestellten und realen Person hat und auch nicht durch andere charakteristische Merkmale der dargestellten Person deren visuelle Erscheinung imitiert wird86. 3. Herstellungsart 26
Dem Bildnisschutz unterliegen sämtliche Abbildungsformen. Entscheidend ist, dass die äußere Erscheinung einer Person in einer für Dritte erkennbaren Weise wiedergegeben wird. Durch welche Art der technischen Darstellung dies geschieht, ist unerheblich87. Dem Schutz unterliegen damit neben Fotografien und Filmaufnahmen88 grundsätzlich ebenso die Darstellung von Personen durch Zeichentrick-Figuren89, Fotomontagen, Zeichnungen90, gemalte
82 RG, MuW 1927/28, 222. 83 KG v. 23.10.2008 – 10 U 140/08, ZUM-RD 2009, 181 – Töchter von Ulrike Meinhof; OLG München v. 14.9.2007 – 18 W 1902/07, AfP 2008, 75 – Töchter von Ulrike Meinhof. 84 LG Köln v. 9.1.2009 – 28 O 765/08, NJW-RR 2009, 623 = AfP 2009, 78 – Der Baader-MeinhofKomplex. 85 OLG München v. 14.9.2007 – 18 W 1902/07, AfP 2008, 75 – Töchter von Ulrike Meinhof; OLG Karlsruhe v. 28.7.2004 – 6 U 39/04, AfP 2004, 557 – Bildfragmente. 86 So zu Darstellungen von RAF-Mitgliedern durch Schauspieler im Film „Der Baader-MeinhofKomplex“ OLG München v. 14.9.2007 – 18 W 1902/07, NJW-RR 2008, 1221 und LG Köln v. 9.1.2009 – 28 O 765/08, AfP 2009, 78 = GRUR-RR 2009, 247; Wanckel, Rz. 123. 87 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 88 OLG Karlsruhe vom 10.9.2010 – 6 U 35/10, AfP 2010, 591. 89 LG München, ZUM-RD 1998, 18 – Meister Eder. 90 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 28 Kap. 7
Bilder, Schattenrisse91 oder durch sonstige graphische Techniken gefertigte Darstellungen92, Karikaturen93. Z.B. verletzt die Porträtzeichnung eines Tagesschausprechers, der vermeintlich einen Werbetext liest, dessen Bildrecht94. Auch im Wege der Computeranimation geschaffene visuelle Darstellung von realen – lebenden oder verstorbenen – Personen, sog. Replikanten, sind Bildnisse im Sinne des KUG95.
IV. Anfertigung von Bildnissen Schrifttum: Haberstroh, Notwehr gegen unbefugte Bildaufnahme, JR 1983, 314; Kramer, Video-Aufnahmen und andere Eingriffe in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht auf der Grundlage des § 163 StPO?, NJW 1992, 2732; Horst, Der Nachbar als „Big Brother“, NZM 2000, 937; Eckstein, Polizei beschlagnahmt Pressefotos, VBlBW 2001, 97; Fischer, polizeiliche Videoüberwachung des öffentlichen Raums, VBlBW 2002, 89.
1. Allgemeine Grundsätze a) Überblick Die §§ 22, 23 KUG erfassen – zusammen mit der Strafvorschrift § 33 KUG – nur das Verbrei- 27 ten und das öffentliche Zurschaustellen von Bildnissen, jedoch – auch im Hinblick auf das strafrechtliche Analogieverbot – nicht deren Anfertigung96. Die Anfertigung und Vervielfältigung von Bildnissen lässt das KUG vielmehr ungeregelt. Dieser Mangel sollte durch das geplante Persönlichkeitsschutzgesetz von 1959 beseitigt werden97. In § 17 Abs. 4 dieses Entwurfes war die Regelung vorgesehen „Eine widerrechtliche Verletzung im Sinne des § 12 liegt vor, wenn jemand … ein Bild eines anderen gegen dessen erkennbaren Willen anfertigt oder durch die Anfertigung eines Bildes ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt“98. Nachdem dieser Entwurf gescheitert ist, finden sich positivrechtliche Bestimmungen lediglich in den §§ 81b und 100h StPO (dazu Rz. 75 f.), § 12a Versammlungsgesetz (dazu Rz. 78) sowie § 5 Abs. 2 Schutzbereichsgesetz betreffend das Verbot von Aufnahmen von militärischen Einrichtungen (dazu Rz. 105); das Verbot von Luftaufnahmen durch § 27 Abs. 2 Luftverkehrsgesetz ist entfallen (dazu Rz. 104). Nach § 201a StGB macht sich – auch ohne ihre Verbreitung – strafbar, wer durch die unerlaubte Herstellung von Bildaufnahmen den höchstpersönlichen Lebensbereich einer anderen Person verletzt (vgl. Rz. 55 ff.) Außerdem sind nach § 169 GVG Ton- und Fernsehrundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts während einer Gerichtsverhandlung unzulässig (Näheres Rz. 89 ff.). Das Anfertigen von Personenaufnahmen stellt grundsätzlich einen Eingriff in das als „sons- 28 tiges Recht“ nach § 823 Abs. 1 BGB geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht dar (Rz. 30). Der Eingriff ist gerechtfertigt, wenn der Betroffene in die Anfertigung der Aufnahme eingewil91 92 93 94 95 96
LG Berlin v. 28.1.1999 – 27 O 605/98, NJW-RR 2000, 555. LG Hamburg v. 8.5.1998 – 324 O 736/97, ZUM 1998, 852, 859. LG Baden-Baden, ArchPR 1971, 138. OLG Hamburg v. 8.4.1982 – 3 U 36/81, AfP 1983, 282. Lausen, ZUM 1997, 86. BVerwG v. 24.7.1999 – 6 C 7/98, ZUM-RD 1999, 526 – polizeiliche Beschlagnahme von Pressefotos bei Einsätzen; OVG Nordrhein-Westfalen v. 30.10.2000 – 5 A 291/00, DöV 2001, 476. 97 BT-Drucks. 3/1237. 98 Näher Paeffgen, JZ 1978, 738.
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Kap. 7 Rz. 29
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
ligt hat (Rz. 32). Für die Wirksamkeit und die Reichweite der Einwilligung gelten die zur Einwilligung nach § 22 KUG entwickelten Grundsätze (vgl. Rz. 157 ff. und Rz. 34). Rechtswidrig ist ein ohne Einwilligung erfolgter Eingriff jedoch nur, wenn bei einer Abwägung der widerstreitenden Grundrechte und der Gewährleistungen der EMRK die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts überwiegt (Rz. 38, 41). Bei der Abwägung der widerstreitenden Belange ist bei der Gewichtung ein besonderer Schutzbedarf zu berücksichtigen, der sich aus der Situation ergeben kann, in welcher der Betroffene fotografiert oder gefilmt wird wie z.B. in Situationen, in denen er berechtigterweise davon ausgehen durfte, keinen Bildnachstellungen ausgesetzt zu sein, bei einem heimlichen oder überrumpelnden Vorgehen oder dem Einsatz technischer Mittel bei der Anfertigung der Aufnahmen, bei dauernder Nachstellung oder Anfertigung der Bildnisse mit List oder illegalen Mitteln (vgl. Rz. 39). Grundsätzlich ist die Anfertigung eines Bildnisses in dem Umfang zulässig, in welchem es nach §§ 22, 23 KUG auch verbreitet werden darf (Rz. 38). Dies gilt jedoch nicht für Aufnahmen, die von oder für Medien im Rahmen von deren Informationsbeschaffung gefertigt werden. Für sie gilt das Presseprivileg der Recherchefreiheit und der Vermutung der Rechtstreue der Medien im Hinblick auf das Ob und das Wie einer Veröffentlichung der Aufnahmen (vgl. Rz. 43). Auch wenn generell nicht davon ausgegangen werden kann, dass einmal angefertigte Fotos anschließend auch verbreitet werden, können sich Private nicht auf dieses Presseprivileg berufen (vgl. Rz. 38); ob Bildnisse zu Beweiszwecken angefertigt werden dürfen, entscheiden die Umstände des konkreten Einzelfalls (vgl. Rz. 43 ff.). Rechtswidrige Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht geben dem Betroffenen neben den zivilrechtlichen Ansprüchen auch das Recht auf Notwehr (Rz. 106 ff.) und ermöglichen u.a. eine Sicherstellung durch eine Beschlagnahme der Aufnahmen (Rz. 113 ff.). 29
Bildaufnahmen von Personen und auch Bilder von Sachen, wenn die abgebildete Sache eine bestimmte Person identifiziert, sind personenbezogene Daten i.S.d. Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und der Verordnung (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten (DSGVO). Für das Anfertigen von Personenaufnahmen sowie das Anfertigen und Verbreiten von identifizierenden Sachaufnahmen können daher die Bestimmungen des BDSG und der DSGVO gelten (Rz. 117 ff. für Bildnisse und Rz. 225 für Bilder). Verarbeitung ist nach der Definition in Art. 4 Nr. 2 DSGVO jeder Umgang mit personenbezogenen Daten vom Erheben bis zum Löschen. Daher fallen sowohl das Anfertigen als auch das Verbreiten von Bildnissen, die in den Geltungsbereich der DSGVO fallen, unter die Bestimmungen der DSGVO. Wenn beim Bildnis einer lebenden natürlichen Person weder das Haushaltsprivileg (Rz. 126) noch das Medienprivileg (Rz. 127), greift, ist sowohl für die Anfertigung der Aufnahmen als auch für deren Verbreitung ein Berechtigungsgrund nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO erforderlich (Rz. 131). b) Anfertigung der Aufnahme als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht
30
Da das Recht am Bild eine Ausprägung des Persönlichkeitsrechts ist, hat die Frage der Anfertigung nach den dafür geltenden Grundsätzen zu erfolgen. Die zeichnerische oder sonstige manuelle Bildnisanfertigung ist zulässig. Etwas anderes gilt für die Fotografie und den Film. Sie bewirken eine bestimmte Herrschaft über persönliche Belange99. Bereits die Anfertigung fotografischer und filmischer Aufnahmen kann daher bei fehlender Einwilligung des Betroffenen (Rz. 32 und Rz. 157 ff.) nach feststehender Rechtsprechung einen Eingriff in das all-
99 Hubmann, JZ 1957, 521, 525.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 30 Kap. 7
gemeine Persönlichkeitsrecht darstellen100. Das steht – mit bindender Wirkung gem. § 31 BVerfGG – durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fest101. Danach gewährleistet das Recht am eigenen Bild dem Einzelnen Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten, soweit es um die Anfertigung und Verwendung von Bildaufzeichnungen seiner Person durch andere geht. Das Schutzbedürfnis ergibt sich vor allem aus der Möglichkeit, das auf eine bestimmte Situation bezogene Erscheinungsbild eines Menschen von ihr zu lösen und das Abbild jederzeit unter für den Betroffenen nicht überschaubaren Voraussetzungen vor Dritten zu reproduzieren. Je leichter dies ist, umso größer kann das Schutzbedürfnis sein. So sind mit dem Fortschritt der Aufnahmetechniken wachsende Möglichkeiten der Gefährdung von Persönlichkeitsrechten verbunden. Die zunehmende Verfügbarkeit kleiner und handlicher Aufnahmegeräte wie etwa in ein Mobiltelefon integrierter Digitalkameras, setzt insbesondere prominente Personen gesteigerten Risiken aus, in praktisch jeder Situation unvorhergesehen und unbemerkt mit der Folge fotografiert zu werden, dass das Bildnis in Medien veröffentlicht wird102. Ein besonderer Schutzbedarf kann sich ferner aus einem heimlichen (vgl. Rz. 40) oder überrumpelnden Vorgehen (vgl. Rz. 41) ergeben103. Für den Schutzbedarf ist auch von Bedeutung, in welcher Situation der Betroffene abgebildet wird (Rz. 42), etwa in seinem gewöhnlichen Alltagsleben oder in einer Situation der Entspannung von Beruf und Alltag, in der er erwarten darf, keinen Bildnachstellungen ausgesetzt zu sein104. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gehört zum Recht am eigenen Bild das Recht, sich bereits der Aufnahme zu widersetzen“. Das Bild einer Person ist eines der wichtigsten Elemente ihrer Persönlichkeit, denn es zeigt ihre Eigenheiten und unterscheidet sie von ihresgleichen. Das Recht am eigenen Bild gehört also zu den wesentlichen Elementen der Entwicklung der Person. Es hat hauptsächlich das Recht zum Inhalt, über die Verwendung des Bildes zu bestimmen, einschließlich des Rechts, einer Veröffentlichung zu widersprechen, erfasst aber auch das Recht, sich der Aufnahme, dem Aufbewahren und der Vervielfältigung eines Fotos durch andere zu widersetzen105. Weil das Bild eines der Charakteristika der Persönlichkeit eines jeden ist, verlangt sein wirksamer Schutz grundsätzlich auch die Zustimmung des Betroffenen zur Aufnahme und nicht nur zur Zeit einer möglichen öffentlichen Verbreitung. Wäre es anders, könnte ein anderer ein wesentliches Element der Persönlichkeit 100 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 Rz. 46 – Bildberichterstattung über das Privat- und Alltagsleben prominenter Personen; EGMR v. 27.5.2014 – 10764/09 – De la Flor/ Cabrera/Spanien, NJW 2015, 1079 – Video als Beweismittel im Zivilprozess; BGH v. 25.4.1995 – VI ZR 272/94, MDR 1995, 1125 = CR 1995, 727 = AfP 1995, 597 = NJW 1995, 1955 – Videoüberwachung; v. 19.6.1966 – VI ZR 268/74, NJW 1966, 2353 – Vor unserer eigenen Tür; v. 10.5.1957 – I ZR 234/55, NJW 1957, 1315 – Spätheimkehrer; VGH Baden-Württemberg v. 20.2.1995 – 1 S 3184/94, AfP 1996, 193; OLG Frankfurt v. 25.8.1994 – 6 U 296/93, NJW 1995, 878; OLG Hamburg v. 13.7.1989 – 3 U 30/89, AfP 1991, 437 = NJW-RR 1990, 1000; BAG v. 19.2.2015 – 8 AZR 1007/13, MDR 2015, 1245 = CR 2016, 155 = ITRB 2015, 280 = NJW 2015, 2749 – Observierung; öOHG v. 27.2.2013, 6 Ob 256/12 h – „zur Belustigung“, der sich explizit der Auffassung des BGH angeschlossen hat. 101 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco II; v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 – Bildberichterstattung über das Privat- und Alltagsleben prominenter Personen. 102 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 Rz. 46. 103 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco II. 104 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 Rz. 46 – Bildberichterstattung über das Privat- und Alltagsleben prominenter Personen. 105 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 26 – Hochzeitsfotos von Prominenten; EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 96 – von Hannover II.
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Kap. 7 Rz. 31
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
halten, ohne dass der Betroffene auf seine mögliche spätere Verwendung Einfluss nehmen könnte106. 31
Nicht nur das Anfertigen der Aufnahmen ist ohne die Einwilligung des Abgebildeten ein Eingriff in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht, sondern auch der Besitz solcher Aufnahmen. Denn wer Aufnahmen besitzt, die einen anderen darstellen, erlangt alleine durch diesen Besitz eine gewisse Herrschafts- und Manipulationsmacht über den Abgebildeten, selbst wenn eine Verbreitung des Bildnisses oder seine Weitergabe an Dritte nicht beabsichtigt oder gar untersagt ist. Schon allein das Innehaben der Verfügungsmacht über Bildnisse durch einen Dritten gegen den Willen des Abgebildeten, sei es nur durch Behalten und Betrachten, kann somit unter Umständen dessen Persönlichkeitsrecht verletzen107. Das ist insbesondere dann evident, wenn im Rahmen einer Beziehung ein Partner vom anderen mit dessen Einwilligung intime Foto- oder Filmaufnahmen hergestellt hat, die der Abgebildete nach dem Ende der Beziehung nicht im Besitz des ehemaligen Partners als Objekt von dessen Betrachtung oder einer von diesem ermöglichten Betrachtung durch Dritte belassen möchte. Dies gilt zwar in erster Linie, aber nicht nur für Aufnahmen aus der Intimsphäre und besonders der Sexualität. Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt auch die Privatsphäre des Betroffenen, so dass nach den Umständen des Falls auch die Herausgabe oder Löschung von Bildnissen aus den sensiblen Bereichen der Privatsphäre verlangt werden kann, bspw. bei Bildnissen, die wegen ihres Abbildungsgegenstands typischerweise als „privat“ eingestuft werden, weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst, wie es gerade auch im Bereich der Sexualität der Fall ist108.
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Zwar regelt § 22 KUG nur das Verbreiten und die öffentliche Zurschaustellung von hergestellten Bildnissen. Die für die Einwilligung nach § 22 KUG entwickelten Grundsätze können jedoch auch herangezogen werden, wenn es um die Rechtfertigung eines Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht geht109. Für die Frage der Wirksamkeit und der Reichweite einer Einwilligung zur Anfertigung und zum Besitz von Personenaufnahmen können daher für die Einwilligung nach § 22 KUG entwickelten Grundsätze Maßstab sein110. Die Reichweite einer Einwilligung ist dabei durch Auslegung nach den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln. Fertigt im Rahmen einer intimen Liebesbeziehung ein Partner vom anderen intime Bild- oder Filmaufnahmen unentgeltlich und ohne vertragliche Vereinbarung im privaten Bereich und nur im Rahmen dieser Liebesbeziehung ausschließlich zu persönlichen bzw. privaten Zwecken an, die nicht zur Veröffentlichung und Verbreitung bestimmt sind, ist die Einwilligung des Abgebildeten konkludent in die Nutzung der Aufnahmen auf Dauer der zwischen den Parteien bestehenden Beziehung beschränkt111. Dem Abgebildeten kann gegen den anderen nach dem Ende der Beziehung zwar kein Vernichtungsanspruch nach 106 EMGR v. 27.5.2014 – Nr. 10764/09, NJW 2015, 1079 Rz. 31. 107 BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, AfP 2016, 243 = MDR 2016, 84 = NJW 2016, 1094 Rz. 32 und 35 – Löschung intimer Filmaufnahmen nach Ende einer Beziehung; EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, NJW 2014, 3291 § 26 – Hochzeitsfotos von Prominenten; v. 27.5.2014 – 10764/09, NJW 2015, 1079 Rz. 31 – De la Flor Cabreva/Spanien. 108 BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, AfP 2016, 243 = MDR 2016, 84 = NJW 2016, 1094 Rz. 33 – Löschung intimer Filmaufnahmen nach Ende einer Beziehung. 109 Soehring/Hoene, § 19 Rz. 43. 110 BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, AfP 2016, 243 = MDR 2016, 84 Rz. 38 = NJW 2016, 1094 – Löschung intimer Filmaufnahmen nach Ende einer Beziehung. 111 BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, AfP 2016, 243 = MDR 2016, 84 = NJW 2016, 1094 Rz. 39.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 34 Kap. 7
§ 37 Abs. 1 KUG zustehen, weil dieser eine widerrechtliche Herstellung des Bildnisses voraussetzt, wohl aber ein Löschungsanspruch nach § 823 Abs. 1, § 1004 BGB wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechtes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, zum Vernichtungsanspruch nach § 37 Abs. 1 KUG vgl. Kap. 9 Rz. 12). Auch juristische Personen haben als Ausprägung ihres Unternehmenspersönlichkeitsrechts 33 ein Recht am eigenen Bild. Es schützt sie beispielsweise auch davor, dass in der räumlichen Sphäre, die ihrem Hausrecht unterliegt und nicht allgemein zugänglich ist, gegen ihren Willen heimlich Filmaufnahmen gefertigt und diese anschließend verbreitet werden112. Vgl. hierzu die Ausführungen zu Sachaufnahmen in Unternehmen Rz. 221 ff. Die Bestimmungen der DSGVO sind allerdings auf juristische Personen nicht anwendbar (vgl. Rz. 126). c) Rechtswidrigkeit des Eingriffs Bei der Verletzung des KUG als besonderem Persönlichkeitsrecht ist bei der Verbreitung und 34 Zurschaustellung die Rechtswidrigkeit bereits durch die Erfüllung des Tatbestandes der §§ 22 ff. KUG erfüllt. Dagegen setzt die Rechtswidrigkeit des Anfertigens von Bildaufnahmen als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine Abwägung der im konkreten Einzelfall betroffenen Güter und Interessen voraus (dazu Rz. 34 und 38). Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein Rahmenrecht, dessen Reichweite nicht absolut feststeht. Diese muss vielmehr erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt113. Der Bereich der Intimsphäre genießt jedoch grundsätzlich wegen ihrer Nähe zur Menschenwürde absoluten Schutz, vor den Einblicken der Öffentlichkeit114. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist einer Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zugänglich; vgl. auch Kap. 8 Rz. 95115. Zur Abwägung vgl. Rz. 38.
112 OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450 – Hungerlohn am Fließband; KG v. 30.11.1999 – 9 U 8222/99, AfP 2000, 598 = NJW 2000, 2210 – Aufnahmen in Bahn; EGMR v. 16.1.2014 – 45192/09 Rz. 49, NJW 2015, 763 – Heimliche Filmaufnahmen von Tierversuchen; OLG Hamm v. 27.5.2014 – 10764/09, ZUM-RD 2004, 579 – Tierversuche für den Profit. 113 BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, AfP 2016, 243 = MDR 2016, 84 Rz. 39 – Löschung intimer Aufnahmen; v. 18.9.2010 – VI ZR 291/10, AfP 2012, 551 Rz. 15; v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464; v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 AfP 2010, 72 Rz. 20 ff. m.w.N.; v. 15.12.2009 – VI ZR 227/08, MDR 2010, 321 = CR 2010, 184 m. Anm. Kaufmann = ITRB 2010, 125 AfP 2010, 77 Rz. 11 – Online-Archiv I; v. 9.2.2010 – VI ZR 243/08, MDR 2010, 570 = AfP 2010, 162 = CR 2010, 480 Rz. 14 – Online-Archiv II; v. 20.4.2010 – VI ZR 245/08, CR 2010, 540 AfP 2010, 261 Rz. 12; v. 22.11.2011 – VI ZR 26/11, CR 2012, 343 = MDR 2012, 217 AfP 2012, 53 Rz. 13. 114 BVerfG Nichtannahmebeschluss v. 10.6.2009, 1 BvR 1107/09, AfP 2009, 365 = ITRB 2010, 26 = NJW 2009, 3357 – Fußballspieler; BVerfG Nichtannahmebeschluss v. 4.4.2000 – 1 BvR 1505/99. 115 BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, AfP 2016, 243 = MDR 2016, 84 Rz. 29.
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Kap. 7 Rz. 35
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
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Auch wenn keine – oder keine nachweisbare – Veröffentlichungsabsicht vorliegt, kann das Fertigen von Aufnahmen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen116. Denn wenn eine Aufnahme angefertigt wurde, kann sie auch veröffentlicht werden, wobei der Abgebildete keinerlei Kontrolle und Einflussmöglichkeit hat, ob, wann, zu welchem Zweck und mit welchem Kontext die Veröffentlichung erfolgt. Dies kann belastend und verunsichernd sein, wenn der Betroffene Kenntnis davon hat, dass er aufgenommen wurde oder dies befürchten muss. Ob in solchen Fällen fehlender Veröffentlichungsabsicht das bloße Herstellen der Aufnahme einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt, ist nach den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung der widerstreitenden Güter und Interessen zu ermitteln. Seit dem 25.5.2018 ist gem. § 4 Abs. 1 BDSG 2018 die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume unzulässig, soweit sie zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen (vgl. zur Videoüberwachung Rz. 47). Die ständige und gezielte Video-Aufzeichnung eines öffentlichen Weges, bei welchem es sich um den Zugang zu Nachbargrundstücken handelt, stellt eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der auf diese Weise beobachteten Personen dar, auch wenn diese Überwachung zur Störungsabwehr erfolgt. Es genügt, dass Dritte eine Überwachung durch Überwachungskameras objektiv ernsthaft befürchten müssen117, und es kommt nicht darauf an, dass tatsächlich Aufnahmen hergestellt werden. Bereits die in der Anbringung der Kamera liegende Androhung einer Aufzeichnung kann das Persönlichkeitsrecht verletzen118. Es kommt insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, ist dann gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor, kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon aufgrund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtigt hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht119.
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Unabhängig von seiner späteren Verbreitung stellt bereits die Anfertigung eines Lichtbildes während einer Brustoperation mittels einer Handykamera durch einen privaten Krankenpfleger einen Eingriff in das durch § 823 Abs. 1 BGB geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht dar120.
116 BGH v. 21.10.2011 – V ZR 265/10, NJW-RR 2012, 140 – Überwachungskamera in Reihenhausanlage; v. 16.3.2010 – VI ZR 176/09, CR 2010, 524 = AfP 2010, 257 = MDR 2010, 682 = ITRB 2010, 253 = NJW 2010, 1533 – Installation von Überwachungskameras; v. 25.4.1995 – VI ZR 272/94, MDR 1995, 1125 = CR 1995, 727 = AfP 1995, 597 = NJW 1995, 1955; OLG Karlsruhe v. 14.10.1998 – 6 U 120/97, NJW-RR 1999, 1699 – Wachkomapatient, 83; OLG Schleswig v. 16.10.1998 – 1 U 194/97, OLGReport Schleswig 1999, 200 – Überwachungskamera; LG Berlin v. 22.8.1986 – 8 O 197/85, NJW 1988, 346 – Video-Kamera; öOHG v. 27.2.2013 – 6 Ob 256/12 h – „Zur Belustigung“. 117 BGH v. 16.3.2010 – VI ZR 176/09, CR 2010, 524 = AfP 2010, 257 = MDR 2010, 682 = ITRB 2010, 253 = NJW 2010, 1533 Rz. 13 – Installation von Überwachungskameras. 118 LG Braunschweig v. 18.3.1998 – 12 S 23/97, NJW 1998, 2457. 119 BGH v. 16.3.2010 – VI ZR 176/09, CR 2010, 524 = AfP 2010, 257 = MDR 2010, 682 = ITRB 2010, 253 = NJW 2010, 1533 – Installation von Überwachungskameras auf privatem Grundstück. 120 LG Aschaffenburg v. 31.10.2011 – 14 O 21/11, NJW 2012, 787.
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von Strobl-Albeg
IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 38 Kap. 7
Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann jedoch insbesondere dann dro- 37 hen, wenn der Betroffene mit einer Veröffentlichung der Aufnahmen rechnen muss. Bei der Frage, ob Aufnahmen zu dem Zweck hergestellt werden, sie zu veröffentlichen, sind die jeweiligen Umstände des Fertigens der Aufnahmen zu berücksichtigen121. Ohne konkrete Anhaltspunkte kann nicht davon ausgegangen werden, dass jemand, der Fotografien herstellt, diese auch in rechtswidriger Weise veröffentlichen wird122. Etwas anderes kann gelten, wenn der Fotograf Reporter ist, so dass der Abgebildete mit einer Veröffentlichung und eventuellen Archivierung rechnen muss123. Aber auch bei Pressefotografen ist im Hinblick auf die zivilrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen einer unrechtmäßigen Veröffentlichung grundsätzlich von der Rechtstreue des Fotografen auszugehen124 und vor allem von der Rechtstreue der Medien, die über das Ob und Wie der Veröffentlichung entscheiden (vgl. Rz. 43 f.). Zum Fotografieren und Filmen von Polizisten und Polizeieinsätzen vgl. Rz. 85 ff. d) Abwägung Eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts ist rechtswidrig, wenn bei der im Einzelfall 38 anzustellenden Abwägung das Schutzinteresse des Abgebildeten die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (Rz. 34)125. Bei der Wort- und Bildberichterstattung sind das Interesse des Betroffenen am durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutz seiner Persönlichkeit einerseits und die durch Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK geschützten Äußerungsinteressen der Medien andererseits abzuwägen126. Die gegeneinander abzuwägenden Belange entsprechen denjenigen, die im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG bei der Verbreitung und zur Schaustellung zu berücksichtigen sind. Daher sind nach vorherrschender Meinung in der Literatur bei der vorzunehmenden Abwägung die Ausnahmebestimmungen der §§ 23, 24 KUG analog anzuwenden; ebenso, ohne dies ausdrücklich zu erörtern, OLG Hamburg ZUM-RD 2012, 462, 463 f. – Fotografieren eines Angeklagten im Gerichtsflur127. Das strafrechtliche Analogieverbot (Kap. 8 Rz. 87) steht dem nicht entgegen, da es nicht für Rechtfertigungs- und Strafausschließungsgründe gilt128. Allerdings ist bei der Gewichtung der widerstreitenden Rechte bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Herstellung einer Aufnahme zwar die vom Bundesverfassungsgericht beschriebene Gefährdungslage begründet, eine Veröffentlichung aber einen ungleich schwereren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt als das bloße Anfertigen der Aufnahme129. Im Ergebnis ist die Anfertigung 121 BGH v. 27.5.2014 – 10764/09, NJW 1975, 2075 – Fotografieren eines Demonstrationszugs durch Polizeibeamte. 122 BVerwG v. 14.7.1999 – 6 C 7/98, AfP 2000, 204 – Beschlagnahme des Films eines Pressefotografen; BVerwG v. 24.7.1999 – 6 C 7/98, ZUM-RD 1999, 526; VGH Baden-Württemberg v. 20.2.1995 – 1 S 3184/94, AfP 1996, 193. 123 OLG Frankfurt v. 25.8.1994 – 6 U 296/93, NJW 1995, 878; OLG Hamburg v. 13.7.1989 – 3 U 30/89, AfP 1991, 437 = NJW-RR 1990, 1000. 124 OVG Saarland v. 11.4.2002 – 9 R 3/01, AfP 2002, 545; OVG Koblenz v. 30.4.1997 – 11 A 11657/96, DÖV 1997, 1011; VGH Baden-Württemberg v. 20.2.1995 – 1 S 3184/94, MDR 1996, 494 = NVwZ-RR 1995, 527 m.w.N. 125 BGH v. 18.9.2012 – VI ZR 291/10, AfP 2012, 551 = MDR 2012, 1284 = NJW 2012, 3645 Rz. 15 – Comedy-Darstellerin m.w.N. 126 BGH v. 18.9.2012 – VI ZR 291/10, MDR 2012, 1284 = AfP 2012, 551 Rz. 16 unter Hinweis auf EGMR v. 7.2.2012, NJW 2012, 1053 von Hannover/Deutschland Nr. 2 und v. 7.2.2012 NJW 2012, 1058 – Axel Springer/Deutschland. 127 Dreier/Schulze/Specht, UrhG, § 22 KUG Rz. 13; Soehring/Hoene, § 9 Rz. 6. 128 Mann, Zur Rechtswidrigkeit der Herstellung von Lichtbildern, AfP 2013, 16, 17. 129 Ebenso Mann, AfP 2013, 16, 19.
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Kap. 7 Rz. 39
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
eines Bildnisses in dem Umfang zulässig, in dem es nach §§ 22, 23 KUG verbreitet werden darf130. Andererseits liegt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bereits durch das Anfertigen eines Bildnisses jedenfalls dann vor, wenn die Verbreitung des Bildnisses unter allen Umständen und in jedem nur denkbaren Kontext unzulässig wäre131. Der Presse kann jedoch ein Anfertigen der Aufnahmen im Rahmen der pressemäßigen Informationsbeschaffung auch in den Fällen erlaubt sein, in denen eine Verbreitung des Bildnisses nach §§ 22, 23. KUG unzulässig wäre (zur Recherchefreiheit vgl. Rz. 43 f.). Auf die durch Art. 5 GG gewährleistete Recherchefreiheit können sich aber nur die Medien berufen132. 39
Neben der Frage, in welcher Situation der Betroffene bildlich erfasst und wie er dargestellt wird (vgl. Rz. 42), sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsrechtsschutzes auch die Umstände von Bedeutung, unter denen die Aufnahme gemacht wurde133. Sowohl bei der im Einzelfall anzustellenden Abwägung, ob die Anfertigung einer Aufnahme das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten verletzt (vgl. Rz. 38) als auch bei der Prüfung, ob berechtigte Interessen des Betroffenen nach § 23 Abs. 2 KUG der Verbreitung der Aufnahme entgegenstehen134, ist deshalb bei der Gewichtung zu berücksichtigen, ob die Aufnahmen durch heimliches (vgl. Rz. 40 f.) oder überrumpelndes Vorgehen gewonnen wurden,135, durch dauernde Nachstellung oder unter Bedingungen, die einer Dauerbelästigung gleich-
130 OLG Hamburg v. 5.4.2012 – 3-14/12, AfP 2012, 392, 394 – Notwehr gegen Fotografieren vor dem Gerichtssaal; OLG Düsseldorf v. 8.3.2010 – I-20 U 188/09, AfP 2010, 182, 183 – heimliche Aufnahmen in Arztpraxis; OLG Karlsruhe NJW 1982, 123; Dreier/Schulze/Specht, UrhG, § 22 KUG Rz. 13; OLG Hamburg v. 13.7.1989 – 3 U 30/89, AfP 1991, 437; LG Oldenburg v. 22.3.1990 – 5 O 3328/89, AfP 1991, 652; OLG Schleswig v. 3.10.1979 – 1 Ss 313/79, NJW 1980, 352; OLG Frankfurt v. 25.8.1994 – 6 U 296/93, NJW 1995, 878; Soehring/Hoene, § 9 Rz. 4; Dittmar, NJW 1979, 1311. 131 OLG Brandenburg v. 21.5.2012 – 1 U 26/11, ZUM 2013, 219; KG v. 2.3.2007 – 9 U 212/06, AfP 2007, 139. 132 A.A. VGH Baden-Württemberg v. 22.2.1995 – 1 S 3184/94, AfP 1996, 494. 133 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 Rz. 69 – Caroline von Monaco III; BVerfG v. 21.8.2006 – 1 BvR 2006/04NJW 2006, 3406 – Berichterstattung über eine Person ohne hervorgehobene Prominenz; EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09 AfP 2015, 137, Rz. 34 – Hochzeitsfotos von Prominenten; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053, Rz. 113 – von Hannover II m.w.N.; BGH v. 18.9.2012 – VI ZR 291/10, MDR 2012, 1284 = AfP 2012, 551 Rz. 18 – Comedy Darstellerin; v. 7.6.2011 – VI ZR 108/10, AfP 2011, 356 = MDR 2011, 847 Rz. 31 – Verpixelung; v. 9.2.2010 – VI ZR 243/08, MDR 2010, 570 = AfP 2010, 162 = CR 2010, 480 Rz. 35 – Mord mit dem Hammer; v. 28.10.2008 – VI ZR 307/07, AfP 2009, 51 = MDR 2009, 204 = NJW 2009, 757 Rz. 24 – Karsten Speck; v. 6.3.2007 – VI ZR 51/06, AfP 2007, 208 = NJW 2007, 1977, Rz. 33 – Veröffentlichung von Fotos aus dem Privatleben m.w.N. 134 BGH v. 6.3.2007 – VI ZR 51/06, AfP 2007, 208 = NJW 2007, 1977, Rz. 33 – Veröffentlichung von Fotos aus dem Privatleben m.w.N. 135 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 Rz. 69 und Rz. 96 – Caroline von Monaco III m.w.N.; BVerfG v. 21.8.2006 – 1 BvR 2006/04, NJW 2006, 3406 – Bildberichterstattung über Privatperson ohne Prominenz; durch den der Heimlichkeit der Aufnahmen gleichkommenden Einsatz technischer Mittel (BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco II; BGH v. 6.3.2007 – VI ZR 51/06, NJW 2007, 1977 Rz. 33 – Veröffentlichung von Fotos aus dem Privatleben; EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 Nr. 39 – Hochzeitsfotos von Prominenten; EGMR v. 24.6.2004, NJW 2004, 2647 Nr. 59 und Nr. 68.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 41 Kap. 7
kommen136, oder mit List oder anderen illegalen Mitteln137. Zu den Kriterien, die nach den Grundsätzen der Interessenabwägung des EGMR Kriterien für die Abwägung des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung gegen das auf Achtung des Privatlebens wesentlich sind138, gehört ebenfalls die Frage, wie die Fotos aufgenommen worden sind, ob sie z.B. ohne Kenntnis des Fotografierten oder mit List oder anderen illegalen Mitteln aufgenommen wurden139 oder heimlich aufgenommen wurden140. Das heimliche Anfertigen von Aufnahmen ist nicht per se unzulässig; als Art der Erlangung 40 von Informationen ist die Heimlichkeit aber im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu berücksichtigen. Dabei ist die heimliche Anfertigung der Bildnisse von natürlichen Personen bei der Verletzung von deren Privatsphäre zu berücksichtigen, bei juristischen Personen und deren Unternehmenspersönlichkeitsrecht im Rahmen ihres Hausrechts (vgl. 45); beim investigativen Journalismus ist zu prüfen, ob das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit die Heimlichkeit der Aufnahmen rechtfertigt (vgl. Rz. 43). Ein besonderer Schutzbedarf kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- 41 gerichts aus einem heimlichen Vorgehen bei der Anfertigung der Aufnahmen ergeben141. In der Rechtsprechung des BGH ist es daher nach den verfassungsgerichtlichen Vorgaben und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR für die Gewichtung der kollidierenden Belange des Persönlichkeitsschutzes bei der Abwägung von Bedeutung, ob die Aufnahmen heimlich und ohne Kenntnis des Betroffenen angefertigt wurden142. Dabei wird die Aufnahme unter Ausnutzung von technischen Mitteln der heimlichen Anfertigung gleichgestellt143. Daher kann sich die heimliche Fotoherstellung unter Verwendung eines Teleobjektivs in der Güterabwägung zu Lasten der Presse auswirken144. Beispielsweise wurde bei der Abwägung zwischen Achtung der Privatsphäre (Art. 8 EMRK) und dem Recht auf freie 136 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 Rz. 69 und Rz. 96 – Caroline von Monaco III. 137 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 113 m.w.N. – von Hannover II. 138 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 108 – von Hannover II. 139 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 113 unter Hinweis auf EGMR v. 23.7.2009 – 12268/03 – HACHETTE Filipacchi/Frankreich sowie v. 6.4.2010 – 25576 – Flinkkilä/Finnland unter Bedingungen, die einer Dauerbelästigung gleichkommen und von der betroffenen Person als besonders heftiges Eindringen in ihr Privatleben, wenn nicht sogar als Verfolgung empfunden werden (EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00 Rz. 59, ZUM 2004, 651 – Caroline von Monaco). 140 EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00, Rz. 68 ZUM 2004, 651 – Caroline von Monaco. 141 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 – Caroline von Monaco III Rz. 46 unter Hinweis auf BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, BVerfGE 101, 361 = MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco II. 142 BGH v. 6.3.2007 – VI ZR 51/06, AfP 2007, 208 = NJW 2007, 1977 Rz. 33 – Veröffentlichung von Fotos aus dem Privatleben m.w.N.; OLG Karlsruhe v. 8.10.2014 – 6 U 145/13, Rz. 56, AfP 2015, 55; OLG Köln v. 26.3.2013 – 15 U 149/12, AfP 2013, 503 – Wiedergabe von Fotos eines Schauspielers unmittelbar nach einem von ihm verursachten Verkehrsunfall. 143 BGH v. 6.3.2007 – VI ZR 51/06, AfP 2007, 208 = NJW 2007, 1977 Rz. 33 – Veröffentlichung von Fotos aus dem Privatleben; BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco II; EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 Rz. 39; v. 24.6.2004 – 59320/00, NJW 2004, 2647 Rz. 59 und 68. 144 LG Hamburg v. 10.7.2009 – 324 O 840/07, ZUM-RD 2009, 676 – Veröffentlichung von Fotos des Strandbesuchs eines Prominenten unter Hinweis auf BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, ZUM 2000, 149 – Caroline von Monaco II und EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00, ZUM 2004, 651 Rz. 59 und Nr. 68 – Caroline von Monaco.
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Kap. 7 Rz. 42
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) zu Lasten der Presse bewertet, dass die von der Teilnahme der Abgebildeten am Treffen einer Drogen-Selbsthilfegruppe gemachten Fotos heimlich gefertigt worden waren145. Im Fall Lillo-Stenberg und Saether/Norwegen fiel die Art und Weise, wie die Fotos aufgenommen wurden, gem. Rz. 139 des Urteils nicht ins Gewicht: Der Fotograf hatte von einer Hochzeit versteckt mit einem starken Teleobjektiv aus einer Entfernung von ca. 250 Metern die Aufnahmen gemacht. Der norwegische OGH hatte festgestellt, die Situation sei auch nicht besser gewesen, wenn die Fotos ohne Teleobjektiv aus näherer Entfernung aufgenommen worden wären oder von einem Ort, wo der Fotograf und Journalist von der Hochzeitsgesellschaft hätte gesehen werden können. Das Foto war auch kein Bruch der Vertraulichkeit, weil etwa ein Gast der Hochzeit es gemacht hätte und es wurde auf einer öffentlich zugänglichen kleinen Insel aufgenommen, also auch nicht an einem Ort gemacht, an dem die Betroffenen annehmen durften, dass die unbeobachtet seien146. Die Unverhältnismäßigkeit eines Eingriffs in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens wurde auch verneint, als ein Privatdetektiv im Auftrag einer Versicherung als Beweismittel für einen Zivilprozess heimlich Videoaufnahmen davon machte, wie ein angeblich krankheitsbedingt für den öffentlichen Straßenverkehr untauglicher Kraftfahrer mit seinem Moped auf einer öffentlichen Straße fuhr, die Aufnahme nicht verbreitet wurde und auch nicht zur Veröffentlichung bestimmt war, sondern ausschließlich als – prozessual zulässiges – Beweismittel in einem Zivilprozess dienen sollte und die Aufnahmen auch nicht systematisch oder ständig erfolgten147. Vom Persönlichkeitsschutz erfasst ist deshalb die heimliche Anfertigung fotografischer Aufnahmen, speziell wenn der Fotograf sich unter einem Vorwand Zutritt verschafft hat148. Jemanden in volltrunkenem Zustand auf Video-Film aufzuzeichnen ist einem heimlichen Aufzeichnen gleichzustellen149. Zur sog. Bildniserschleichung vgl. Kap. 8 Rz. 122. Grundsätzlich sind heimliche Aufnahmen zulässig, wenn für ihre Veröffentlichung keine Einwilligung des Betroffenen nach § 22 KUG erforderlich wäre150, jedoch unzulässig, wenn ihre Verbreitung der Einwilligung des Betroffenen bedürfte. Denn die Einwilligung des Abgebildeten zu einer Veröffentlichung des Bildnisses wird von der Rechtsprechung vorverlagert auf die Herstellung der Aufnahme. Wer der Herstellung zustimmt, willigt gleichzeitig in die Veröffentlichung der Aufnahme ein (vgl. Rz. 163). Dann muss der Betroffene aber bereits bei der Herstellung der Aufnahme die Chance haben, zu widersprechen, eine Möglichkeit, die ihm genommen wird, wenn die Aufnahme heimlich erfolgt. 42
Neben diesen Umständen, unter denen die Abbildung gewonnen wurde, ist für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes von Bedeutung, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird, etwa in seinem gewöhnlichen Alltagsleben oder in einer Situation der Entspannung von Beruf und Alltag, in der er erwarten kann, kei-
145 EGMR v. 18.1.2011 – 39401/04, NJW 2012, 753 (LS) – Naomi Campbell/Vereinigtes Königreich. 146 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09 – Lillo-Stenberg und Saether/Norwegen Rz. 34 und Nr. 139. 147 EGMR v. 27.5.2014 – Nr. 10764/09, NJW 2015, 1079 Nr. 5 Nr. 35 ff.; zur Anfertigung von Personenaufnahmen zu Beweiszwecken vgl. Rz. 46. 148 BGH v. 10.5.1957 – I ZR 234/55, NJW 1957, 1315, BGHZ 24, 200, 208 – Spätheimkehrer; OLG Hamburg v. 21.5.1981 – 3 U 22/81, AfP 1982, 41 – Heimliche Nacktfotos; OLG Frankfurt v. 9.1.1958 – 6 U 77/57, GRUR 1958, 508 – Verbrecherbraut. 149 OLG Frankfurt v. 21.1.1987 – 21 U 164/86, NJW 1987, 1087; vgl. auch BGH v. 20.5.1958 – VI ZR 104/57, NJW 1958, 1344. 150 OLG Düsseldorf v. 8.3.2010 – I-20 U 188/09, AfP 2010, 182 Rz. 23 f – Heimliche Anfertigung von Fernsehaufnahmen in Arztpraxis.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 43 Kap. 7
nen Bildnachstellungen ausgesetzt zu sein151 In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Reihe von Kriterien entwickelt worden, die Leitlinien für den konkreten Abwägungsvorgang vorgeben152. Diese Leitlinien beziehen sich in den aufgeführten Entscheidungen vor allem darauf, dass bei Tatsachenbehauptungen die Abwägung maßgeblich von ihrem Wahrheitsgehalt abhängt: Wahre Tatsachen sind hinzunehmen, auch wenn sie für den Betroffenen nachteilig sind, unwahre dagegen nicht153. Das Interesse der Öffentlichkeit, wahrheitsgemäß insbesondere bei schweren Straftaten auch über die Person des Täters und seiner Motive unterrichtet zu werden, ist jedoch abzuwägen mit der Gefahr einer Stigmatisierung154. e) Presseprivileg Gegenüber diesen persönlichkeitsrechtlichen Belangen ist bei der anzustellenden Interessen- 43 abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Pressefreiheit das Erfordernis der Informationsbeschaffung zur Befriedigung des Informationsinteresses der Allgemeinheit zu beachten. Das Sammeln von Informationen ist ein wesentlicher vorbereitender Schritt im Journalismus und ein Bestandteil der Pressefreiheit155. Das durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Institut „freie Presse“ gewährleistet nicht nur die Freiheit der Verbreitung von Nachrichten und Meinungen, sondern schützt auch den gesamten Bereich publizistischer Vorbereitungstätigkeit, insbesondere die Beschaffung von Informationen156. In den Schutzbereich der publizistischen Informationsbeschaffung fällt auch der investigative Journalismus, der wegen der Wächterrolle der Medien ein hohes Maß an Schutz nach der EMRK genießt157. Dazu gehört auch die Herstellung von Bildaufnahmen durch Fotojournalisten158. Das reine Anfertigen von Pressefotos ist daher dem Stadium der durch das Grundrecht der Pressefreiheit geschützten Recherche zuzuordnen159. Den Medien ist dabei zuzubilligen, dass die Recherche bzw. Beschaffung von Informationen die Grundlage einer freiheitlichen Berichterstattung darstellt, und dass dies grundsätzlich unabhängig davon gilt, woher die Informationen stammen und ob sie rechtmäßig erlangt wurden160. Im Interesse der Pressefreiheit, die nur bei einer möglichst umfassenden Informationsbeschaffung gewährleistet ist, kann daher die Art und Weise der Beschaffung von Aufnahmen nur ausnahmsweise als rechtswid-
151 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 Rz. 69 – Bildberichtverbreitung über das Privat- und Alltagsleben prominenter Personen. 152 Vgl. BVerfG v. 10.6.2009 – 1 BvR 1107/09, ITRB 2010, 26 = AfP 2009, 365 – Identifizierende Berichterstattung über einen Sexualstraftäter, Rz. 17 und v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480 – Fremde Artikel in Presseschau, Rz. 61 jeweils m.w.N. 153 BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480. 154 BVerfG v. 10.6.2009 – 1 BvR 1107/09, ITRB 2010, 26 = AfP 2009, 365 Rz. 17 – Vergewaltigung durch Fußball-Profi. 155 EGMR v. 6.1.2015 – 70287/11 – Weber/Germany. 156 BVerfG v. 28.8.2001 BvR 1307/91, NJW 2001, 503, Rz. 13; BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12.11, NJW 2012, 2676 Rz. 33; OLG Köln v. 2.6.2017 – III–1 RVs 93/17, ZUM-RD 2017, 551 – Ebola. 157 EGMR v. 18.1.2011 – 39401/04, NJW 2012, 753 Rz. 129 – Max Mosley. 158 BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12/11, AfP 2012, 411 Rz. 33. 159 Damm/Rehbock, Rz. 135; Steffen, AfP 1988, 117; einschränkend Soehring/Hoene, § 9 Rz. 5. 160 BVerwG v. 25.1.1984 – 1 BvR 2072/81, NJW 1984, 17140 – Wallraff; BGH v. 30.9.2014 – VI ZR 490/12, AfP 2014, 534 = MDR 2014, 1443 = CR 2015, 35 = ITRB 2015, 32 = NJW 2015, 782 Rz. 18 – Innenminister unter Druck; OLG Düsseldorf v. 26.10.2011 – I-15 U 101/11 Rz. 69 – Fernsehaufnahmen in Arztpraxis.
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Kap. 7 Rz. 44
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
rig angesehen werden161. Die Pressefreiheit gewährleistet dabei auch das Recht der Medien, weitgehend selbst zu entscheiden, ob Anlass zur Recherche besteht und welche Recherchemaßnahmen zur Klärung eines Sachverhalts geeignet und erforderlich sind162. Auch ist es allein Sache der Medien, darüber zu entscheiden, ob eine Wortberichterstattung oder eine Bildberichterstattung erfolgen soll und welcher Art von vorbereitender Recherche es demgemäß bedarf163. Ob im Rahmen einer Recherche gefertigte heimliche Aufnahmen durch die Pressefreiheit gedeckt sind, ist trotzdem im Rahmen der anzustellenden Abwägung auch danach zu beurteilen, ob der Zweck der Recherche auch auf andere Weise als durch Heimlichkeit hätte erreicht werden können164. Dies hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Beispielsweise wurde es als unverhältnismäßig, weil zur Zweckerreichung nicht erforderlich angesehen, durch das heimliche Aufzeichnen eines vorgespielten Patientengesprächs in einer Arztpraxis nachzuweisen, dass es möglich ist, von einem „fremden“ Arzt bereits nach wenigen Minuten verschreibungspflichtige Psychopharmaka zu bekommen. Stattdessen sei es möglich gewesen, den „Patienten“ außerhalb der Praxisräume in Abwesenheit des Arztes zum Inhalt des geführten Gesprächs mit dem Arzt zu befragen und dieses Interview aufzuzeichnen165. Diese Beurteilung ist streng in Anbetracht der Schutzwürdigkeit des investigativen Journalismus, den auch die Konvention im Hinblick auf die Aufgabe der Presse als „Public Watchdog“ betont166, lässt sich aber damit begründen, dass es um heimliche Aufnahmen ging, die ein per se vertrauliches Patientengespräch in einer Arztpraxis betrafen und dabei nicht ein strafbares Verhalten des Arztes aufgedeckt werden sollte, sondern nur eine fragwürdige Verschreibungspraxis, die auch durch die vom Gericht alternativ genannte Darstellung zwar weniger authentisch, aber gleich informativ möglich gewesen wäre. 44
Grundsätzlich ist auch bei Medien davon auszugehen, dass die Anfertigung eines Bildnisses zulässig ist, wenn es wegen einer nach § 22 KUG erteilten Einwilligung oder nach § 23 KUG verbreitet werden darf167. Auf der anderen Seite liegt – abgesehen von den Fällen der Verletzung der Intimsphäre bzw. der Menschenwürde sowie der Bildniserschleichung – bereits durch das Ausfertigen einer Aufnahme eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts jedenfalls dann vor, wenn die Verbreitung der Aufnahme unter allen Umständen und in jedem auch nur denkbaren Kontext unzulässig sein würde168. Bei der Anfertigung von Aufnahmen durch die Medien oder in deren Auftrag steht jedoch oftmals im Zeitpunkt der Aufnahme noch gar nichts fest, ob die konkrete Aufnahme im Rahmen der journalistischen Ausarbeitung und Fertigstellung der Berichterstattung überhaupt zur Veröffentlichung ausgewählt wird169 und falls ja, in welchem Kontext und ob die Aufnahme bei der Veröffentlichung anonymisiert wird oder der Betroffene erkennbar abgebildet wird. Die grundsätzli161 BGH v. 24.6.2008 – VI ZR 156/06, AfP 2008, 499 = MDR 2008, 1097 = NJW 2008, 3134 Rz. 31 – Einkauf nach Abwahl. 162 OLG Koblenz, v. 25.3.2008 – 4 U 1292/07, AfP 2002, 213, 214; OLG Karlsruhe v. 4.8.2006 – 14 U 90/06, AfP 2006, 482. 163 BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12/11, AfP 2012, 411 Rz. 35 – Fotoaufnahmen von SEK Einsatz. 164 LG Essen v. 12.1.2006 – 4 O 480/05, ZUM-RD 2006, 183. 165 LG Düsseldorf v. 2.9.2009 – 12 O 273/09, AfP 2009, 529. 166 EGMR v. 10.5.2011 – 48009/08, Rz. 129, NJW 2012, 747 – Max Mosley. 167 OLG Düsseldorf v. 8.3.2010 – I-20 U 188/09, AfP 2010, 182 – Fernsehaufnahmen in Arztpraxis; OLG Hamburg v. 5.4.2012 – 3-14/12, AfP 2012, 392, 394 – Notwehr gegen Fotografieren vor dem Gerichtssaal und Rz. 23. 168 KG v. 2.3.2007 – 9 U 212/06, AfP 2007, 139, 142; OLG Brandenburg v. 21.5.2012 – I-U 26/11, ZUM 2013, 219. 169 KG v. 4.12.2007 – 9 U 21/07, AfP 2008, 309 – Freigang eines Prominenten; OLG Hamburg v. 12.10.1999 – 7 W 73/99, AfP 2000, 188 = ZUM 2000, 163.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 44 Kap. 7
che Verbreitungsbefugnis nach §§ 22, 23 KUG muss daher nicht bereits im Zeitpunkt der Herstellung der Aufnahme bestehen. Zulässig wäre es daher bspw., eine beliebige Begleiterin eines Prominenten abzulichten für den Fall, dass sie sich zur vertrauten Begleiterin des Prominenten entwickelt, oder eine absolute Person der Zeitgeschichte in deren geschützten Bereich der Privatsphäre in der Hoffnung, sie werde in die Veröffentlichung dieser Aufnahme einwilligen. Auch kann für die Zulässigkeit der Herstellung der Aufnahmen nicht darauf abgestellt werden, ob der Betroffene bei einer Veröffentlichung der Aufnahmen nach § 22 KUG erkennbar oder unkenntlich gemacht sein wird170. Ob eine Aufnahme bei ihrer Veröffentlichung durch einen Text oder Kontext oder fehlende oder unzureichende Anonymisierung rechtsverletzend sein wird, ist bei ihrer Anfertigung unbekannt. Die Entscheidung, ob, wann und wie die Aufnahme verbreitet oder zur Schau gestellt wird, entscheiden die Verwerter der Aufnahme, also der Verlag oder der Sender, nicht der Fotograf oder Kameramann. Bei Aufnahmen von Pressefotografen ist im Hinblick auf die zu vermutende Rechtstreue der Medien (Rz. 38) für die Zulässigkeit der Herstellung einer unter den Ausnahmetatbestand von § 23 KUG fallenden Aufnahme deshalb auf die Zulässigkeit der Abbildung im Zeitpunkt von deren Veröffentlichung abzustellen. Dies sollte auch für Leserreporter gelten, da auch die Veröffentlichung von deren Aufnahmen der Zulässigkeitskontrolle des pressemäßigen Verwerters dieser Aufnahmen unterlieg und dessen Haftung im Falle einer rechtsverletzenden Veröffentlichung der Bildnisse, wenn nicht von vornherein feststeht, dass die Aufnahme – z.B. wegen Verletzung der Intimsphäre oder der Menschenwürde oder wegen Bildniserschleichung – nicht veröffentlicht werden darf. Ob die Anfertigung von Personenaufnahmen einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt, hängt von einer Gesamtabwägung der konkreten Umstände und der betroffenen Grundrechtspositionen ab – Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten, Art. 1 Abs. 1, 2. Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK vs. Recht auf freie Berichterstattung, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 10 EMRK und vermuteter Rechtstreue der Medien bei der Verwertung der Aufnahmen (vgl. Rz. 38). Im Hinblick auf die Pressefreiheit ist hierbei in besonderem Maße das Erfordernis der Informationsbeschaffung zur Befriedigung des Berichterstattungsinteresses der Öffentlichkeit zu beachten171. Ein Verbot bereits der Anfertigung von Bildnissen, an denen ggf. ein öffentliches Informationsinteresse bestehen kann, würde zu Einschränkungen der Pressefreiheit führen und könnte ein journalistisches Arbeiten weitgehend unmöglich machen172. Dies gilt insbesondere für ein vorbeugendes Verbot der Anfertigung von Aufnahmen173. Die Recherchetätigkeit stellt einen Kernbereich der Meinungs- und Pressefreiheit dar, weil sie deren Grundlagen betrifft. Sie muss deshalb grundsätzlich von vorbeugenden Unterlassungsklagen freigehalten werden. Es würde für die Medien eine unerträgliche Belastung und Einschüchterung bedeuten, wenn sie befürchten müssten, dass sie bereits im Recherchestadium mit einem Unterlassungsanspruch überzogen werden174. Zur Sicherung der Recherchefreiheit der Medien ist daher anzunehmen, dass die Recherchetätigkeit grundsätzlich keine Erstbegehungsgefahr be-
170 OVG Saarland v. 11.4.2002 – 9 R 3/01, AfP 2002, 545. 171 OLG Brandenburg v. 21.5.2012 – 1 U 26/11, ZUM 2013, 219, 220; KG v. 4.12.2007 – 9 U 21/07, AfP 2008, 199 = AfP 2008, 309 = ZUM-RD 2008, 461, 464. 172 KG v. 4.12.2007 – 9 U 21/07, AfP 2008, 199 = AfP 2008, 309 = ZUM-RD 2008, 461, 464; OLG Frankfurt v. 25.8.1994 – 6 U 296/93, NJW 1995, 878; OLG Hamburg v. 15.8.1991 – 3 U 99/91, NJW-RR 1990, 1000; OLG Hamburg v. 15.8.1991 – 3 U 99/91, AfP 1992, 279. 173 OLG Frankfurt v. 25.8.1994 – 6 U 296/93, NJW 1995, 878. 174 OLG Koblenz v. 25.3.2008 – 4 U 1292/07, AfP 2008, 213, 214; KG v. 2.3.2007 – 9 U 212/06, AfP 2002, 139, 142; OLG Frankfurt v. 25.8.1994 – 6 U 296/93, NJW 1995, 878; OLG Hamburg v. 12.10.1999 – 7 W 73/99, AfP 2000, 188.
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Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
gründen kann175. Dies gilt vor allem für Filmaufnahmen, da es sich bei ihnen zunächst nur um Rohmaterial handelt und noch nicht zu erkennen ist, wie eine geplante Berichterstattung konkret ausfallen wird. Von einer Erstbegehungsgefahr kann vor allem dann nicht ausgegangen werden, wenn eine Produktionsfirma einen Fernsehbeitrag erstellt, der erst noch einem Sender zur Ausstrahlung angeboten und dort durch eine Ankaufentscheidung angenommen werden muss176. Eine Erstbegehungsgefahr kann nur dann angenommen werden, wenn der Recherchetätigkeit der rechtswidrige Eingriff durch das Presseorgan bereits eindeutig anhaftet und durch den rechtswidrigen Eingriff ein irreparabler Schaden entsteht177. Zudem ist die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Herstellung einer Aufnahme das Ergebnis einer Interessenabwägung, bei der auch die begleitende Wortberichterstattung eine wesentliche Rolle spielen kann. Eine solche Interessenabwägung kann jedoch nicht in Bezug auf Bilder vorgenommen werden, die noch gar nicht bekannt sind und bei denen insbesondere offenbleibt, in welchem Kontext sie veröffentlicht werden178. Die entsprechenden Möglichkeiten sind derart vielgestaltig, dass sie mit einer „vorbeugenden“ Unterlassungsklage selbst dann nicht erfasst werden können, wenn man diese auf „kerngleiche“ Verletzungshandlungen beschränken wollte. Eine vorweggenommene Abwägung, die sich mehr oder weniger nur auf Vermutungen stützen könnte und die im konkreten Verletzungsfall im Vollstreckungsverfahren nachgeholt werden müsste, verbietet sich schon im Hinblick auf die Bedeutung der betroffenen Grundrechte179. Wenn aber sogar bei konkreten, dem Gericht vorliegenden Fotos keine Abwägung „vorweggenommen“ werden kann, weil die Möglichkeiten einer auch kerngleichen Verletzungshandlung zu vielgestaltig sind, gilt dies gleichermaßen bei Bildnissen, die im Zuge von Recherchen für einen Beitrag gefertigt worden sind, bei denen nicht feststeht, ob sie überhaupt veröffentlicht werden und wenn ja, in welchem konkreten Kontext. f) Hausrecht 45
Der Anfertigung eines Bildnisses kann aber das durch Art. 13 GG geschützte Hausrecht entgegenstehen, das sich auch auf Geschäftsräume bezieht (vgl. Rz. 220 f. sowie Rz. 33 zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts juristischer Personen durch Bildaufnahmen). Unzulässig ist es insbesondere, gegen den Willen des Rechtsinhabers in Räume einzudringen und dort zu filmen. Das soll durch Art. 5 GG auch dann nicht gerechtfertigt sein, wenn ein Fernsehteam recherchieren will180. Die Ausstrahlung solchen Filmmaterials, insbesondere wenn es die Abgebildeten in Abwehrhaltung zeigt, ist im Zweifel auch nach § 23 Abs. 2 KUG unzulässig. Anderes gilt, wenn die „Abwehrhaltung“ das zeitgeschichtliche Ereignis dokumentiert, z.B. die Tendenz einer Sekte, eine zulässige Berichterstattung zu verhindern oder zumindest zu behindern181. Zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch das Fotografieren von Räumen und Häusern vgl. Rz. 210 ff.
175 OLG Karlsruhe v. 8.10.2014 – 6 U 145/13, Rz. 62, AfP 2015, 55; OLG Frankfurt v. 20.2.2002 – 23 U 212/01, AfP 2003, 63; OLG Hamburg v. 15.8.1991 – 3 U 99/91, AfP 1992, 279; LG Stuttgart v. 10.4.2003 – 17 O 165/03, AfP 2003, 471. 176 LG Stuttgart v. 10.4.2003 – 17 O 165/03, AfP 2003, 471. 177 OLG Koblenz v. 25.3.2008 – 4 U 1292/07, AfP 2008, 213. 178 BGH v. 9.3.2004 – VI ZR 217/03, AfP 2004, 267 = NJW 2004, 1795. 179 BGH v. 13.11.2007 – VI ZR 265/06, ZUM-RD 2008, 294 Rz. 14; OLG Karlsruhe v. 8.10.2014 – 6 U 145/13 Tz, 62, AfP 2015, 55. 180 OLG München v. 30.11.1991 – 21 U 4699/91, AfP 1992, 78. 181 OLG Frankfurt v. 25.8.1994 – 6 U 296/93, NJW 1995, 878.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 47 Kap. 7
g) Beweiszwecke Zulässig kann es sein, im Falle eines begründeten Verdachts Aufnahmen einer Person zur Be- 46 weissicherung anzufertigen182. Die Privilegierung der Herstellung von Aufnahmen für Zwecke der Rechtspflege gilt nicht für Private (vgl. Kap. 8 Rz. 155). Zur Beweissicherung durch das Fotografieren oder Filmen von Sachen zur Beweissicherung z.B. durch Dashcams vgl. Rz. 225. Zur Videoüberwachung von Arbeitnehmern vgl. Rz. 52. Auch für die Zulässigkeit der Herstellung von Personenaufnahmen und ihre Verwertung als Beweismittel bedarf es im Einzelfall einer Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Aufgenommenen und den durch die Aufzeichnung zu sichernden verfassungsrechtlich geschützten Positionen desjenigen, der die Aufnahmen angefertigt hat oder anfertigen ließ183. An die Zulässigkeit heimlicher Aufnahmen werden hierbei zuweilen strenge Anforderungen gestellt. Stellen die Aufnahmen einen rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, dürfen sie als Beweismittel nicht verwendet werden184. Rechtmäßig soll es sein, ein auf einem Schulhof zusammen mit anderen spielendes neunjähriges Kind aus größerer Entfernung aufzunehmen, um Beweismaterial für die Verursachung von Schäden an einem Zaun zu beschaffen185. Die Unverhältnismäßigkeit eines Eingriffs in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens wurde auch verneint, als ein Privatdetektiv im Auftrag einer Versicherung als Beweismittel für einen Zivilprozess heimlich Videoaufnahmen davon machte, wie ein angeblich krankheitsbedingt für den öffentlichen Straßenverkehr untauglicher Kraftfahrer mit seinem Moped auf einer öffentlichen Straße fuhr, die Aufnahme nicht verbreitet wurde und auch nicht zur Veröffentlichung bestimmt war, sondern ausschließlich als – prozessual zulässiges – Beweismittel in einem Zivilprozess dienen sollte und die Aufnahmen auch nicht systematisch oder ständig erfolgten186. Ebenso darf eine krankgeschriebene Frau bei einem Stadtbummel mit einem bekannten Sänger zu Beweiszwecken fotografiert werden187. Zulässig ist auch das Fotografieren von Teilnehmern einer Demonstration zwecks Identifikation von Beteiligten an früheren Rechtswidrigkeiten188. h) Videoüberwachung Nach § 4 BDSG 2018 ist die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume nur zuläs- 47 sig, soweit sie zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der davon Betroffenen überwiegen. Auch Privateigentum kann öffentlich zugänglich sein, z.B. Verkaufsräume, das 182 OLG Düsseldorf v. 5.5.1997 – 5 U 82/96, NJW-RR 1998, 241; LG Oldenburg v. 22.3.1990 – 5 O 3328/89, AfP 1991, 652; OLG Hamburg v. 13.7.1989 – 3 U 30/89, AfP 1991, 437 = NJW-RR 1990, 1000; a.A. OLG Hamm v. 2.4.1987 – 4 U 296/86, NJW-RR 1988, 425 m. abl. Anm. Helle. 183 BGH v. 24.5.1995 – VI ZR 272/94, NJW 1995 – Videoaufzeichnung von Personen auf öffentlichem Weg; 1995; OLG Köln v. 5.7.2005 – 24 U 12/05, NJW 2005, 2997; OLG Karlsruhe v. 8.11.2001 – 12 U 180/01, NJW 2002, 2799; vgl. dazu Rz. 34 und Rz. 38. 184 OLG Köln v. 5.7.2005 – 24 U 12/05, NJW 2005, 2997 – heimliche Videoaufnahmen; OLG Karlsruhe v. 8.11.2001 – 12 U 180/01, NJW 2002, 2799 – heimliche Videoaufnahme; BGH v. 13.10.1987 – VI ZR 83/87, MDR 1988, 305 = CR 1988, 559 = NJW 1988, 1016 – heimlich mitgeschnittenes Telefonat. 185 KG v. 5.7.1979 – 12 U 1277/79, MDR 1980, 311 = NJW 1980, 894. 186 EGMR v. 27.5.2014 – Nr. 10764/09, NJW 2015, 1079 Nr. 5 Nr. 35 ff. 187 OLG Hamburg v. 13.7.1989 – 3 U 30/89, AfP 1991, 437 = GRUR 1990, 35 – Roy Black. 188 BGH v. 12.8.1975 – 1 StR 42/75, NJW 1975, 2075 – Fotografieren einer Demo durch Polizei; von Münch, JuS 1965, 404, 406.
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Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Treppenhaus eines Wohnblocks oder die nicht nur den Hausbewohnern, sondern auch Besuchern zugängliche Parkfläche oder Tiefgarage. Mit § 4 BDSG 2018 hat der Gesetzgeber von der Öffnungsklausel des Art. 6 Abs. 2 DSGVO Gebrauch gemacht, dabei aber übersehen, dass die Öffnungsklausel nur für gesetzliche Verpflichtungen (Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO) und zur Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde (Art. 6 Abs. 1 lit. e DSGVO). Die Prüfkriterien des § 4 BDSG 2018 – Wahrung berechtigter Interessen, Erforderlichkeit und Interessenabwägung – entsprechen im Wesentlichen den Kriterien von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO (der gemäß § 1 Abs. 5 BDSG 2018 lex specialis gegenüber dem BDSG 2018 ist) sowie den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Videoüberwachung nach dem BDSG a.F. Auf die bisher zur Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume durch Private ergangene Rechtsprechung zum BDSG a.F. kann daher weitgehend zurückgegriffen werden (vgl. Rz. 35). Rechtsgrundlage für die Videoüberwachung durch Private nach § 4 BDSG 2018 dürfte daher das Vorliegen eines berechtigten Interesses i.S.v. Art. 6 Nr. 1 lit. f DSGVO sein. In der Regel stellt der Einsatz verdeckter Videokameras zur Kontrolle eines Personenkreises auch in der Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen wie etwa auf einem öffentlichen Weg einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, wenn keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen dies rechtfertigen189. 48
Die Zulässigkeit der Videoüberwachung von nicht allgemein zugänglichen Räumen richtet sich dagegen nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO und ist rechtmäßig beim Vorliegen einer Einwilligung des Betroffenen, bei ihrer Erforderlichkeit zu einer Vertragserfüllung oder Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, zum Schutz lebenswichtiger Interessen von Menschen oder zur Wahrung berechtigter Interessen, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die diesen Schutz personenbezogener Daten erfordert, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt (Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO). Für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO kommt jedes berechtigte Interesse in Betracht und ist in die Abwägung mit den widerstreitenden Interessen des Überwachten einzustellen. Das berechtigte Interesse kann sich z.B. ergeben aus dem Hausrecht zur Sicherung von Beweisen oder zur Verhinderung von Straftaten. Der Verantwortliche hat dabei seine Informationspflichten nach Art. 14 DSGVO zu beachten (und nicht diejenigen nach Art. 13 DSGVO, da die Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben wurden)190. Eine mehrwöchige „rund um die Uhr“ stattfindende heimliche Videoüberwachung und die dabei gefertigte Videoaufzeichnung einer Waschküche wegen der Beschädigung einer Waschmaschine durch einen Unbekannten stellt bei Reparaturkosten von 250 Euro – in Anbetracht der umfassenden Überwachung und Aufzeichnung aller Bewegungen der Aufgenommenen in der noch zu ihrem privaten Wohnbereich zählenden und von der Aufgenommenen häufig aufgesuchten Waschküche – eine nach Auffassung des Gerichts sehr intensive Persönlichkeitsverletzung dar, hinter der bei der anzustellenden Güter- und Interessenabwägung der Schutz des Eigentums vor weiteren Beschädigungen zurück tritt. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass nach Einschätzung des Gerichts der Schutz vor weiteren Beschädigungen wahrscheinlich besser durch eine offene Videoüberwachung hätte erreicht werden können191. Als rechtswidrig erachtet wurde auch eine heimliche, dauerhafte Videoüberwachung der Tiefgarage eines Mehrfamilienhauses, die dazu diente, Beschädigungen an einem dort abgestellten Pkw aufzuklären, insbesondere weil frag-
189 BGH v. 24.5.1995 – VI ZR 272/94, NJW 1995, 1955. 190 EuGH v. 11.12.2014 – C 212/13, NJW 2015, 463. 191 OLG Köln v. 5.7.2005 – 24 U 12/05, NJW 2005, 2997.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 51 Kap. 7
lich war, ob eine Videoüberwachung überhaupt geeignet ist, hinreichend sichere Rückschlüsse auf die Verantwortlichen bereits begangener Rechtsverletzungen zu liefern192. Grundsätzlich kann auch das Interesse an der Aufklärung einer bereits begangenen Straftat 49 den mit einer heimlichen Videoüberwachung verbundenen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht rechtfertigen. Voraussetzung ist dafür, dass es sich um eine Straftat handelt, deren Erheblichkeit und Intensität der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen zumindest gleichkommt. Bei Verletzungen des Eigentumsrechts durch geringere Sachbeschädigungen kann bei Berücksichtigung der weiteren Umstände des Falls eine heimliche Videoüberwachung nicht gerechtfertigt sein193. Dagegen kann – und muss – auch eine verdeckte Videoüberwachung und -aufzeichnung zur Aufklärung von Straftaten gegen Leib und Leben gerechtfertigt sein, da bei der anzustellenden Abwägung der widerstreitenden Güter und Interessen der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Opfers das berechtigte Interesse des Täters am Schutz seines Persönlichkeitsrechts vor Aufnahmen seiner Person überwiegt, zumindest gleichwertig ist. Zu Recht wurde deshalb die Videoaufnahme einer in der Öffentlichkeit begangener Körperverletzung durch Faustschläge gegen Kopf und Schulter des Opfers mit nicht unerheblichen Verletzungen als zulässig erachtet und die Aufnahme als Beweismittel im Prozess zugelassen.194. Weniger problematisch sollte eine offene Beobachtung zur Verhinderung von Straftaten und 50 Beweissicherung sein. Die Videoüberwachung von Kaufhauskunden zur Aufdeckung und generalpräventiven Verhinderung von Diebstählen ist zulässig, wenn die Kaufhausbesucher bei Betreten der Verkaufsräume auf die Videoüberwachung hingewiesen wurden195. i) Dashcams Weitgehend ungeklärt ist die Rechtslage bei der Aufzeichnung des öffentlichen Straßenver- 51 kehrsgeschehens durch Verkehrsteilnehmer mittels in ihrem Kfz oder auf ihrem Zweirad angebrachter Dashcam, um bei einem eventuellen Unfall über ein Beweismittel zu verfügen und die Zulassung solcher Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel im Zivil- und Strafprozess. Werden dabei auch Bildnisse von Personen aufgezeichnet, ist § 22 KUG nicht einschlägig (zu Sachaufnahmen mittels Dashcam vgl. Rz. 225 ff.). Das Anfertigen von Personenaufnahmen ist jedoch ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und nicht rechtswidrig, wenn bei der anzustellenden Abwägung die durch die Aufzeichnung betroffenen verfassungsrechtlich geschützten Belange desjenigen, der die Aufnahmen anfertigt, die Interessen des Abgebildeten am Schutz seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts überwiegt. Letzteres dürfte im Regelfall zutreffen. Die Aufzeichnung findet in der öffentlichen Sozialsphäre statt und berührt das Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten nur marginal, sofern er überhaupt auf der Aufnahme erkennbar ist. Denn auch der Bildnisschutz nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht setzt voraus, dass die abgebildete Person zumindest in ihrem Bekanntenkreis auf der Abbildung identifiziert werden kann196. Auf der anderen Seite geht es um den Schutz von Eigentum, 192 OLG Karlsruhe v. 8.11.2001 – 12 U 180/01, NJW 2002, 2799. 193 So in den Fällen OLG Karlsruhe v. 8.11.2001 – 12 U 180/01, NJW 2002, 2799 – Beschädigung eines Pkw und OLG Köln v. 5.7.2005 – 24 U 12/05, NJW 2005, 2997 – Beschädigung einer Waschmaschine. 194 OLG Düsseldorf v. 5.5.1997 – 5 U 82/96, NJW-RR 1998, 241. 195 BayObLG v. 24.1.2002 – 2 St RR 8/02, NJW 2002, 2893. 196 BGH v. 26.5.2009 – VI ZR 191/08, AfP 2009, 398 = MDR 2009, 1040 = NJW 2009, 3576 – Kannibale von Rothenburg; BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, NJW 2008, 39 Rz. 75 – Esra;
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Kap. 7 Rz. 52
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Besitz und körperlicher Unversehrtheit. Das Interesse des Abgebildeten besteht im Grunde nur darin, dass ein streitiger Verkehrsunfall nicht aufgeklärt werden soll, was durch die Aufzeichnung der Dashcam möglich wäre. Dieses Interesse ist kein berechtigtes Interesse und nicht schützenswert197. Ob das BDSG auf Dashcam-Aufnahmen von Personen anwendbar ist, ist fraglich. Eine Foto- oder Filmaufnahme, die direkt oder indirekt die Identifikation einer Person ermöglicht, gehört zwar zu den personenbezogenen Daten i.S.v. § 3 Abs. 1 BDSG a.F. als auch gem. § 3 Abs. 1 BDSG 2018 und Art. 4 Nr. 1 DSGVO198. Die Anfertigung von Aufnahmen erkennbarer Personen durch Dashcams ist nach § 4 BDSG 2018 gestattet. Nach dieser Vorschrift ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) zulässig, soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Eine Dashcam, mit welcher ein Verkehrsteilnehmer von seinem Fahrzeug aus das Verkehrsgeschehen auf öffentlichen Straßen aufzeichnet, ist eine optisch-elektronische Einrichtung i.S.v. § 4 BDSG 2018199. Der Zweck einer Dashcam, Beweismittel im Falle eines Verkehrsunfalls zu sichern, ist ein hinreichend konkret verfolgter Zweck i.S.v. § 4 BDSG 2018. Aus den obigen Erwägungen dürften im Regelfall die schutzwürdigen Interessen der abgebildeten Person nicht überwiegen. Es kommt auch eine Datenverarbeitung auf Grundlage berechtigter Interessen i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO in Betracht. Aber selbst wenn Dashcam-Aufnahmen nicht gerechtfertigt wären, sind sie gleichwohl als Beweismittel zuzulassen. Es besteht kein Beweisverwertungsverbot200. Das Herstellen von Videoaufnahmen im Straßenverkehr mittels einer Dashcam zur potentiellen Beweissicherung in einem Unfallprozess sollte als rechtmäßig angesehen werden, wenn die Aufnahmen schwerpunktmäßig auf das Sachgeschehen gerichtet sind und mangels Beweisverwendungsbedarf regelmäßig gelöscht werden. Unabhängig von der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufnahme ist eine vorhandene Dashcam-Aufnahme als Augenscheinbeweis zuzulassen und das Ergebnis zur Beweisaufnahme prozessual zu verwerten201. j) Anfertigen von Aufnahmen im Arbeitsverhältnis 52
Der Bildnisschutz gilt auch im Arbeitsverhältnis. Zur Einwilligung des Arbeitnehmers zur Nutzung seines Bildnisses durch den Arbeitgeber vgl. Rz. 192 ff.). Art. 88 Abs. 1 DSGVO enthält eine Öffnungsklausel, die die Mitgliedstaaten ermächtigt, datenschutzrechtliche Vorschriften u.a. zum Schutz des Eigentums des Arbeitgebers oder der Kunden zu erlassen. Davon wurde ab dem 25.5.2018 durch § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG 2018 Gebrauch gemacht (bereits zuvor seit dem 1.9.2009 in § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG a.F. durch einen entsprechenden Erlaubnistatbestand zur Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten eines Beschäftigten „zur Aufdeckung von Straftaten“). Voraussetzung für die Videoüberwachung sind
197 198 199 200
201
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OLG Saarbrücken v. 17.6.2015 – 5 U 56/14, CR 2016, 261 und OLG Saarbrücken v. 29.4.2009 – 5 U 465/08, NJW-RR 2010, 346. LG Landshut v. 1.12.2015 – 12 S 2603/15, MDR 2016, 792. EuGH v. 11.12.2014 – C-212/13, GRUR-Int. 2015, 293 Rz. 21. OLG Stuttgart v. 4.6.2016 – 4 Ss 543/15, NJW 2016, 2280 zum entsprechenden § 6 b BDSG aF. OLG Stuttgart v. 4.5.2016 – 4 Ss 543/15, CR 2016, 516 = NJW 2016, 2280; LG Landshut v. 1.12.2015 – 12 S 2603/15, MDR 2016, 792 = MDR 2016, 813 m. Anm. Laumen – Juris; a.A. LG Memmingen v. 14.1.2016 – 22 O 1983/13, CR 2016, 240 m. Anm. Starnecker/Wessels = ITRB 2016, 80; LG Heilbronn v. 3.2.2015 – I 3 S 19/14, NJW-RR 2015, 1019; AG München v. 6.6.2013 – 343 C 4445/13, NJW-RR 2014, 413. Ahrens, der Beweis des Unfallgeschehens mittels Dashcam-Videos, MDR 2015, 926.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 53 Kap. 7
– zu dokumentierende – tatsächliche Anhaltspunkte, die den Verdacht einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat begründen. Die Verarbeitung ist zulässig, wenn sie zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzbedürftige Interesse der oder des Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlas nicht unverhältnismäßig sind. Die Erforderlichkeit hängt also vom Ergebnis der Abwägung widerstreitender Interessen ab und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wonach Art und Ausmaß der Verarbeitung – offen oder heimlich, Aufzeichnung oder Überwachung etc. – im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sein dürfen (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG 2018). Das war schon nach der bisherigen Rechtsprechung der Fall. Eingriffe in das Recht des Arbeitnehmers am eigenen Bild durch verdeckte Videoüberwachung sind zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist202. Der Verdacht muss sich dabei in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Er darf sich einerseits nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich andererseits nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein203. Diese Rechtsprechung steht mit Art. 8 Abs. 1 EMRK im Einklang204. Die Datenverarbeitung setzt allerdings voraus, dass es sich um eine Straftat handelt. Eine Ordnungswidrigkeit oder eine schwere Verfehlung genügen nicht205. Ein Verwertungsverbot besteht auch dann nicht, wenn die Videoüberwachung ohne Mitbestimmung des Betriebsrats erfolgte. Denn der Schutzzweck von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und § 77 BetrVG gebietet ein solches Verwertungsverbot jedenfalls dann nicht, wenn die Verwertung der Informationen bzw. des Beweismittels nach allgemeinen Grundsätzen zulässig ist206. k) Darlegungs- und Beweislast Bei heimlich hergestellten Aufnahmen können an die Darlegungslast der Betroffenen zur Be- 53 einträchtigung ihrer individuellen Rechte nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie bei schon bekannten Aufzeichnungen207. Bei der Güterabwägung wird die Verwendung eines technischen Hilfsmittels einer heimlichen Aufnahme gleichgestellt (vgl. Rz. 41) Die Behauptung des Betroffenen im Prozess, dass bei der streitgegenständlichen Aufnahme ein Teleobjektiv eingesetzt worden sei, kann vom Verwerter nicht mit Nichtwissen bestritten werden. Wer das angegriffene Foto veröffentlicht hat, muss sich auch die Herstellung der Aufnahme als eigene Handlung im Sinne des KUG zurechnen lassen, mag die Herstellung auch an einen Dritten delegiert worden sein208.
202 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NJW 2017, 843 – Zufallsfund m.w.N. 203 BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 597/16, NJW 2017, 2853; v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NJW 2017, 843 Rz. 28 – Zufallsfund m.w.N. 204 EGMR v. 5.10.2010 – 420/07 – Köpke/Deutschland, EuGRZ 2011, 471. 205 So bereits LAG Baden-Württemberg v. 20.7.2016 – 4 Sa 61/15 zu § 32 BDSG a.F., der gleichfalls eine Straftat voraussetzte. 206 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NJW 2017, 843 Rz. 44 – Zufallsfund. 207 BVerfG v. 9.9.2013 – 1 BvR 2519/13, ZUM-RD 2014, 344. 208 LG Hamburg v. 10.7.2009 – 324 O 840/07 – ZUM-RD 2009, 676 Rz. 59 und 68.
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Kap. 7 Rz. 54
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
l) Ansprüche nach dem KUG sind keine Urheberrechtsstreitigkeiten 54
Ansprüche nach dem KUG sind keine Urheberrechtsstreitigkeiten i.S.v. § 105 Abs. 1 UrhG, für die die Landesregierungen nach § 105 Abs. 2 UrhG eine Spezialzuständigkeit bestimmter Land- und Amtsgerichte bestimmen können209. 2. Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB) Schrifttum: Hoppe, Bildaufnahmen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich – Der neue § 201a StGB, GRUR 2004, 990; Eisele, Strafrechtlicher Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen, JR 2005, 6; Scherz, Der Schutz der Persönlichkeit vor heimlichen Bild- und Tonaufnahmen, AfP 2005, 421; Busch, Strafrechtlicher Schutz gegen Kinderpornographie und Missbrauch, NJW 2015, 977; Marani, Zum Bedeutungsgehalt der Merkmale Hilflosigkeit, Zurschaustellen und Ansehensgefährdung im neuen § 2019 StGB, AfP 2017, 478. § 201a StGB (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt, 2. eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt, 3. eine durch eine Tat nach den Nummern 1 oder 2 hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht oder 4. eine befugt hergestellte Bildaufnahme der in den Nummern 1 oder 2 bezeichneten Art wissentlich unbefugt einer dritten Person zugänglich macht und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht. (3) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum Gegenstand hat, 1. herstellt oder anbietet, um sie einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen, oder 2. sich oder einer dritten Person gegen Entgelt verschafft. (4) Absatz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Absatz 1 Nummer 3 oder Nummer 4, Absatz 2 und 3 gelten nicht für Handlungen, die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen. (5) Die Bildträger sowie Bildaufnahmegeräte oder andere technische Mittel, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden.
209 BayObLG v. 18.3.2004 – 1Z AR 20/04, ZUM 2004, 672; Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, 3. Aufl. 2015, § 104 UrhG Rz. 4; a.A. für Brandenburg OLG Brandenburg v. 7.11.2017 – 1 AR 35/17, ZUM-RD 2018, 71.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 56 Kap. 7
a) Überblick Mit § 201a StGB hat der Gesetzgeber die Strafbarkeit der vorsätzlichen Verletzung des 55 höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen geregelt. Eine fahrlässige Tatbegehung ist nicht kodifiziert. Die Vorschrift ist am 6.8.2004 in Kraft getreten. Mit ihr wurde eine der Strafbarkeit der Aufzeichnung des gesprochenen Wortes nach § 201 StGB vergleichbare Regelung für die Aufzeichnung von Bildnissen geschaffen, da § 33 KUG erst gegen eine Veröffentlichung von Bildaufnahmen strafrechtlichen Schutz gewährt. Nach § 201a StGB sind unbefugte Aufnahmen von Personen in Wohnungen oder anderen gegen Einblick geschützten Räumen verboten (Rz. 56 f.), wenn dadurch deren höchstpersönlicher Lebensbereich verletzt wird (Rz. 59 f.). Es ist verboten, solche Aufnahmen herzustellen oder zu übertragen (Rz. 61) oder von solchen Bildern Gebrauch zu machen und diese weiterzugeben. Für die Tatbestandsverwirklichung ist es unerheblich, ob der Standort des Täters beim Anfertigen der Aufnahme sich innerhalb oder außerhalb des geschützten Raumes befindet. Für die Erkennbarkeit der abgebildeten Person genügt es, wenn sie sich selbst auf der Aufnahme identifizieren kann (Rz. 63). Im Zuge der Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht wurde § 201a StGB verschärft und erweitert210. Strafbar ist nunmehr auch das Herstellen und Verbreiten von Aufnahmen, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellen (Rz. 64) sowie das Zugänglichmachen von Aufnahmen, die geeignet sind, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, für Dritte (Rz. 67). Verkauf und Erwerb von Aktfotos Minderjähriger gegen Entgelt ist verboten (Rz. 71). In § 201a Abs. 4 StGB wird klargestellt, dass das Verbot der Herstellung und Verbreitung von Bildaufnahmen einer Person in hilfloser Lage (§ 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB), auch i.V.m. den Tatbeständen des § 201a Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 1 Nr. 4 StGB, bei Bildaufnahmen mit der Eignung, dem Ansehen einer Person zu schaden (§ 201a Abs. 2 StGB) sowie bei Bildaufnahmen unbekleideter Kinder und Jugendlicher (§ 201a Abs. 3 StGB) nicht für Handlungen gilt, die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen (Rz. 72). Der Versuch ist nicht strafbar. Die Taten nach § 201a StGB sind Antragsdelikte, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält (§ 205 Abs. 1 StGB). Die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a Abs. 1 und 2 StGB) wurde in den Katalog der Privatklagedelikte des § 374 Abs. 1 StPO aufgenommen (Rz. 73). Die Bildträger und die verwendeten Bildaufnahmegeräte können eingezogen werden (Rz. 74). Die Einziehung der Bildträger und Tatwerkzeuge regelt § 201a Abs. 5 (Rz. 74). b) Bildaufnahme in einer Wohnung oder Räumen mit Blickschutz § 201a Abs. 1 StGB verbietet die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch 56 Bildaufnahmen von einer Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet. Dabei ist bereits das unbefugte Herstellen oder Übertragen solcher Aufnahmen mit Strafe bedroht (§ 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB); strafbar handelt zudem, wer solche Bildaufnahmen „gebraucht“ oder einer dritten Person „zugänglich macht“ (§ 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB). Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Vorschrift auch Bildaufnahmen unterfallen, die allein aus sich heraus keine Individualisierung der abgebildeten Person ermöglichen, ist noch ungeklärt; tatbestandlich erfasst werden jedenfalls solche Bildaufnahmen, die aufgrund hinreichend vorhandener Identifizierungsmerkma210 49. StrÄndG v. 21.1.2015, BGBl. I, 10 mit Wirkung vom 27.1.2015.
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Kap. 7 Rz. 57
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
le vom jeweiligen Tatopfer der eigenen Person zugeordnet werden können211. Weitergehende Anforderungen an die Erkennbarkeit der abgebildeten Personen lassen sich bei einer am geschützten Rechtsgut orientierten Auslegung weder aus dem Tatbestandsmerkmal der Bildaufnahme einer anderen Person noch aus dem tatbestandlich vorausgesetzten Erfolg einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs ableiten. Da der Rechtsgutangriff bereits in der Fertigung der Bildaufnahme durch den Täter liegt, ohne dass es auf eine mögliche spätere Weitergabe oder Verbreitung der Aufnahme ankommt, besteht insbesondere kein Grund, den Eintritt des Taterfolgs davon abhängig zu machen, dass die Identifizierung der abgebildeten Person von Dritten anhand auch anderen bekannten Merkmale oder Besonderheiten vorgenommen werden kann212. 57
Räumlich ist der Schutz beschränkt auf den „letzten Rückzugsbereich“ des Einzelnen und begrenzt den strafwürdigen und bedürftigen Kern auf Wohnungen und den gegen Einblick besonders geschützten Raum213. Umfasst sind eigene und fremde Wohnungen, auch solche, die von Täter und Opfer gemeinsam bewohnt werden. Wer Inhaber des Hausrechts ist, ist irrelevant. Ob Nebenräume der Wohnung, auch wenn sie außerhalb der eigentlichen Wohnung liegen wie z.B. Flur, Treppenhäuser, Kellerräume, Dachböden, zur Wohnung i.S.d. § 201a StGB zählen, ist umstritten. Für ihre Einbeziehung spricht, dass nicht von „Wohnräumen“ die Rede ist, sondern von der „Wohnung“ und dass solche Nebenräume nach der Rechtsprechung zu einer „Wohnung“ i.S.v. § 123 StGB zählen. In Anbetracht der restriktiven Schutzrichtung des § 201a StGB scheiden jedoch solche Räume, die nicht einer Person als Unterkunft dienen, aus dem Wohnungsbegriff des § 201a StGB aus214. Für diese Begrenzung des Wohnungsbegriffs in § 201a StGB spricht neben dem räumlichen Schutzobjekt des „letzten Rückzugsbereiches des Einzelnen“215 der Wortlaut der Bestimmung und das strafrechtliche Analogieverbot. Der Schutzbereich der „Wohnung“ umfasst auch Gäste- oder Hotelzimmer216, sowie zum Wohnen bestimmte Rückzugsbereiche wie Wohnwagen, Zelte, Campingbusse, Schiffe und Krankenzimmer in Kliniken217. Nach der ratio der Vorschrift ist vom Schutz auch der Haftraum eines Straf- oder Untersuchungsgefangenen erfasst218. Dagegen sind Räumlichkeiten, die einer (beschränkten) Öffentlichkeit zugänglich sind, wie Geschäfts- oder Diensträume, grundsätzlich nicht in den Schutz einbezogen219. Die Wohnung ist absolut geschützt; sie fällt in den Schutzbereich des § 201a StGB unabhängig davon, ob ein besonderer Schutz gegen Einblicke besteht oder nicht.
58
Der Strafschutz erstreckt sich auch auf Räume, die gegen unbefugten Einblick geschützt sind. Dies wird mit dem Merkmal „besonders gegen Einblick geschützt“ zum Ausdruck gebracht. Einen umschlossenen Raum verlangt die Regelung nicht. Gemeint sind beispielsweise Toiletten, Umkleidekabinen, ärztliche Behandlungszimmer220, das Besprechungszimmer mit den Mandanten eines Anwalts oder Steuerberaters221, ein Beichtstuhl, eine Wahlkabine. Auch 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221
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BGH v. 26.2.2015 – 4 StR 328/14 Rz. 6. BGH v. 26.2.2015 – 4 StR 328/15 Rz. 6. Begründung zum fraktionsübergreifenden Entwurf, BT-Drucks. 15/466, S. 5. BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg, Rz. 11.1; Lackner/Kühl, § 201a StGB Rz. 2. BT-Drucks. 15/2466, S. 5. BT-Drucks. 15/2466, S. 5. Löffler/Steffen, LPG, § 6 Rz. 122a. BeckOK–StGB/von Heintschel-Heinegg, Rz. 11. BT-Drucks. 15/2466, S. 6. OLG Düsseldorf v. 26.10.2011 – I – 15U 101/11, Rz. 68, ZUM-RD 2012, 137. Nicht aber Räume einer Anwaltskanzlei mit vorhanglosen Fenstern, OLG Karlsruhe v. 7.4.2006 – 14 U 134/05, AfP 2006, 262 Rz. 20.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 59 Kap. 7
ein Garten kann „Raum“ im Sinne der Regelung sein, wenn er z.B. durch eine hohe, undurchdringliche Hecke oder einen hohen Zaun bzw. eine Mauer gegen Einblick geschützt wird222. Nicht überzeugend ist die Ansicht, die Ruhezone im Außenbereich einer öffentlichen Sauna, bei der die nackten Saunabesucher durch einen Mauersockel und Bastmatten vor den Blicken von Passanten geschützt werden, sei kein „Raum“ i.S.v. § 201a Abs. 1 StGB, weil er nicht zum „letzten Rückzugsbereich des Menschen“ im Sinne der Norm gehöre mit der Folge, dass das heimliche Fotografieren nackter Saunagäste durch andere Saunabesucher nicht den Tatbestand des § 201a Abs. 1 StGB erfülle223. Bei dieser Sichtweise wäre der Tatbestand auch bei Aufnahmen in Beichtstühlen, Toiletten und Umkleidekabinen nicht erfüllt, die gleichfalls nicht „zum letzten Rückzugsortbereich des Menschen“ zählen. Der Täter muss zur Tatbestandsverwirklichung nicht den Sichtschutz überwinden, z.B. mittels einer Leiter oder durch eine Luftaufnahme. Ausschlaggebend ist, dass der Aufgenommene sich in einem gegen unbefugten Einblick durch Sichtschutz abgeschirmten Raum befindet. Die Tat kann von einem beliebigen Ort aus begangen werden224. Der Täter kann sich daher beim Anfertigen der Aufnahme im selben gegen Einblick geschützten Raum befinden wie die von ihm aufgenommene Person, ohne einen Sichtschutz überwinden zu müssen225. Erfasst wird auch die Tat, bei der ein Frauenarzt bei einer Untersuchung eine Kamera mitlaufen lässt226. Durch das Erfordernis qualifizierten Sichtschutzes gegen unbefugte Einblicke ist der Schutz des § 201a StGB enger als der Zivilrechtsschutz der Privatsphäre, der beim Rückzug an einen „Ort erkennbarer Abgeschiedenheit“ Schutz vor Indiskretion gewährt. Die lauschige Ecke in einem Gartenlokal oder der abgelegene, aber nicht besonders gegen Blicke geschützte Strand werden vom Zivilrechtsschutz der Privatsphäre erfasst, auch wenn der Durchschnittsbetrachter die Erwartung des Betroffenen teilt, vor öffentlichen Blicken geschützt zu sein227. Durch eine der im Tatbestand genannten Begehensweisen muss in den höchstpersönlichen 59 Lebensbereich des Abgebildeten eingegriffen werden. Der Begriff des höchstpersönlichen Lebensbereichs beschränkt den Straftatbestand auf den Bereich privater Lebensgestaltung, in welchem eine Abwägung zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und dem Schutzinteresse des Einzelnen, wie er bei einem Eingriff in die Privatsphäre und den sonstigen allgemeinen Lebensbereich erforderlich ist, nicht stattfindet228. Dieser grundsätzlich unantastbare und abwägungsresistente Kern des Persönlichkeitsrechts ist im Rahmen der Sphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts die Intimsphäre229. Der Gesetzgeber hat den Begriff des höchstpersönlichen Lebensbereichs dem der Intimsphäre ausdrücklich deshalb vorgezogen, um eine sonst naheliegende Einengung auf den Bereich Sexualität und Nacktheit zu vermeiden230. Der Begriff höchstpersönlicher Lebensbereich soll sich nach dem Willen des Gesetzgebers inhaltlich an dem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwendeten und in der Rechtsprechung der Zivilgerichte näher ausgeformten Begriff der Intimsphäre orientieren. Somit umfasst er nicht nur die Bereich Sexualität, Nacktheit, Krankheit und Tod, sondern grundsätzlich auch die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren 222 223 224 225 226 227 228 229
BT-Drucks. 15/2466, S. 5. So aber OLG Koblenz v. 11.11.2008 – 1 Bs 535/08. Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drucks. 15/1891, S. 7. BGH v. 22.4.2016 – 5 StR 198/16, CR 2017, 395 = ZUM-RD 2017, 328. BGH v. 26.2.2015 – 4 StR 328/14; OLG Zweibrücken v. 21.2.2013 – 4 U 123/12. Löffler/Steffen, LPG, § 6 Rz. 122a; BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg, Rz. 12.1. BT-Drucks. 15/2466, S. 4. BVerfG v. 31.1.1973 – 2 BvR 454/17, NJW 1973, 891 – Heimliche Tonbandaufnahme; v. 10.7.1957 – 1 BvR 550/52, BVerfGE 6, 389 – Homosexualität. 230 BD-Drucks. 15/2466, S. 4.
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Kap. 7 Rz. 60
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Erscheinungsformen wie vertraulichen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen sowie die Angelegenheiten, für die ihrer Natur nach Anspruch auf Geheimhaltung besteht, beispielsweise den Gesundheitszustand, Einzelheiten über das Sexualleben und Nacktaufnahmen. Zur Intimsphäre gehören z.B. ferner die gynäkologische Untersuchung einer Frau, die Benutzung von Toiletten, Saunen, Solarien und Umkleidekabinen231. Auch solche Tatsachen aus dem Familienleben sind dem höchstpersönlichen Lebensbereich zuzurechnen, die die wechselseitigen persönlichen Bindungen, Beziehungen, Verhältnisse innerhalb der Familie betreffen, darum unbeteiligten Dritten nicht ohne weiteres zugänglich sind und Schutz vor dem Einblick Außerstehender verdienen232. 60
Durch die thematische Begrenzung der Norm auf Eingriffe in die Intimsphäre werden Aufnahmen von Personen in dem räumlichen Schutzbereich des § 201a StGB, die nur die Privatsphäre verletzen, straflos, wie z.B. Aufnahmen, die Personen in Wohnräumen beim Essen, beim Arbeiten oder im Gespräch zeigen oder auch beim Ankleiden im Schlafzimmer, wenn die Aufnahme nicht wegen Nacktheit der Person deren Intimsphäre verletzt.
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Verletzungshandlungen sind das Herstellen und das Übertragen von Bildaufnahmen eines lebenden Menschen. Herstellen ist eine Handlung, bei der die Aufnahme auf einem Bild- oder Datenträger abgespeichert wird233. Herstellung ist somit jede auf chemische, elektromagnetische, digitale oder sonstige Weise erfolgte Fixierung des Bildes auf einem Träger, der eine Reproduzierung der Aufnahme ermöglicht, so dass sie erneut wahrnehmbar gemacht werden kann234. Von § 201a StGB nicht erfasst wird dagegen die unbefugte Beobachtung, der „freche Blick“, der Voyeurismus. Denn die bloße Beobachtung mag zwar die Gebote des Anstands verletzen, stellt aber keine der Strafe würdige oder bedürftige Rechtsverletzung dar235. Die bloße unbefugte Beobachtung ist auch dann straflos, wenn sie nicht mit bloßem Auge erfolgt, sondern unter Einsatz von Ferngläsern, Teleskopen oder ähnlichen technischen Sehhilfen, selbst wenn zum Beobachten ein technisches Hilfsmittel verwendet wird, welches – wie z.B. eine Digitalkamera – auch eine Aufnahme ermöglichen würde, selbst wenn beim Beobachten mit solchen Bildaufnahmegeräten die Gefahr einer Aufzeichnung und damit Fixierung und Perpetuierung verbunden ist. Der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion236, der – ebenso wie das Strafrecht der Schweiz in Art. 179bis – auch das Beobachten mit Bildaufnahmegeräten unter Strafe stellen wollte, wurde nicht übernommen. Wird bei einem Blick durch den Spalt unter der Trennwand zwischen zwei Toilettenkabinen hindurch mittels eines Smartphones eine Person in der benachbarten Kabine beobachtet, ist der Tatbestand des § 201a StGB nicht erfüllt, wenn dabei versehentlich der Auslöser des Smartphones betätigt und dadurch eine Aufnahme angefertigt wird. Denn eine fahrlässige Begehung des § 201a StGB ist nicht kodifiziert237. Übertragen einer Aufnahme bedeutet, dass auch Echtzeitübertragungen wie z.B. mittels Web-Cams oder Spy-Cams ohne dauernde Speicherung der aufgenommenen Bilder einbezogen sind238.
231 BT-Drucks. 15/2466, S. 5. 232 BT-Drucks. 15/2466, S. 5 unter Hinweis auf BGH v. 18.9.1981 – 2 StR 370/81, MDR 1982, 68 = NJW 1982, 59 – Ausschluss der Öffentlichkeit. 233 BT-Drucks. 15/2466, S. 5. 234 Kühl, AfP 2004, 1990; BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg, § 201a StGB Rz. 16. 235 BT-Drucks. 15/2466, S. 4. 236 BT-Drucks. 15/361. 237 LAG Saarland, v. 4.5.2016 – 2 Sa 10/15, NZA-RR 2016, 473 – Fristlose Kündigung wegen Smartphone-Foto auf der Toilette. 238 BT-Drucks. 15/2466, S. 4.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 64 Kap. 7
Der Standort des Täters bei der Herstellung der Aufnahmen ist irrelevant239. Er kann die Auf- 62 nahmen von außerhalb in die geschützten Räume hinein anfertigen oder kann sich bei der Tathandlung in den geschützten Räumen befinden, ohne einen Sichtschutz überwinden zu müssen. Täter kann daher auch der Wohnungsinhaber selbst sein, der heimlich seine Gäste filmt240 oder der Gynäkologe, der in seinem Behandlungszimmer heimlich Aufnahmen seiner Patientinnen fertigt241. Für die Tatbestandsverwirklichung ist es ausreichend, dass die Bildaufnahmen aufgrund 63 hinreichend vorhandener Identifizierungsmerkmale von den jeweiligen Tatopfern der eigenen Person zugeordnet werden können. Darüberhinausgehende Anforderungen an die Erkennbarkeit der abgebildeten Personen lassen sich bei einer am geschützten Rechtsgut orientierten Auslegung weder aus den Tatbestandsmerkmalen der Bildaufnahme einer anderen Person noch aus dem tatbestandlich vorausgesetzten Erfolg einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs ableiten. Da der Angriff auf das Rechtsgut bereits in der Herstellung der Bildaufnahme durch den Täter liegt, ohne dass es auf eine mögliche spätere Weitergabe oder Verbreitung der Aufnahme ankommt, besteht insbesondere kein Grund, den Eintritt des Taterfolgs davon abhängig zu machen, dass die Identifizierung der abgebildeten Person von Dritten anhand auch anderen bekannten Merkmale oder Besonderheiten vorgenommen werden kann242. Eine Erkennbarkeit der Person durch Dritte anhand von sie identifizierenden Gegenständen wie Auto, Wohnung etc. oder durch Identifizierungsmerkmale außerhalb der Abbildung wie z.B. einem Begleittext überschreitet den Wortlaut „Bildaufnahme einer Person“ und verstößt gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG. c) Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt Verboten ist das unbefugte Herstellen oder Übertragen einer Bildaufnahme, die die Hilflosig- 64 keit einer anderen Person zur Schau stellt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt (§ 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB), sowie das Gebrauchen oder einer dritten Person Zugänglichmachen einer solchen Bildaufnahme (§ 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB). Der Begriff der Hilflosigkeit wird im Gesetz nicht definiert. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber an Bildaufnahmen in – zum Teil sogar aktiv vom Täter herbeigeführten – entwürdigenden, bloßstellenden oder gewalttätigen Situationen außerhalb des räumlichen Schutzbereichs der Wohnung oder dem gegen Einblicke besonders geschützten Raum dachte, beispielsweise an die Aufnahme einer betrunkenen Person auf dem Heimweg, das Opfer einer Gewalttat, die verletzt und blutend auf der Straße liegt etc.243. Ob eine Situation der Hilflosigkeit im Sinne der Bestimmung vorliegt, ist im Lichte des höchstpersönlichen Lebensbereichs als Schutzzweck der Vorschrift zu ermitteln. Danach handelt es sich um Bildaufnahmen einer Person in Situationen, in denen sie wegen ihres körperlichen oder geistigen Zustandes oder wegen äußerer Einflüsse und Ursachen außer Stande ist, einen Willen zu bilden oder sich einem gebildeten Willen entsprechend zu verhalten und nicht in der Lage ist, sich ohne eigene oder fremde Hilfe dieser Situation zu entziehen244. Hilflos ist 239 BT-Drucks. 15/1891, S. 6. 240 BGH v. 22.6.2016 – 5 StR 198/16, CR 2017, 395 = NStZ-RR 2016, 779 – Vertrauenslehrer. 241 BGH v. 26.2.2015 – 4 StR 328/14, NStZ 2015, 391 – Bildaufnahmen während gynäkologischer Behandlung. 242 BGH v. 26.2.2015 – 4 StR 328/14, NStZ 2015, 391 – Bildaufnahmen während gynäkologischer Behandlung. 243 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 18/2601, S. 36. 244 Busch, NJW 2015, 977, 978.
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Kap. 7 Rz. 65
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
eine Person somit, wenn sie – für den Hersteller der Aufnahme erkennbar – in einer Situation ist, in der sie sich nicht mehr selbst helfen kann. Ob der Abgebildete aus eigenem Verschulden – z.B. wegen Volltrunkenheit – oder unverschuldet – z.B. als Opfer einer Gewalttat oder eines Unfalls – in die hilflose Lage geraten ist, ist für den Schutz nach § 201a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StGB ohne Belang. Der Tatbestand wäre bei Anwendbarkeit des deutschen Rechts in krasser Weise erfüllt gewesen, als italienische Medien Paparazzo-Aufnahmen veröffentlichten, die die sterbende Prinzessin Diana zeigten. Auf den Aufnahmen war zu sehen, wie ein Nothelfer versucht, die bei dem Unfall in Paris schwer verletzte Prinzessin auf dem Rücksitz der Limousine mit Hilfe einer Sauerstoffmaske zu beatmen. Der Straftatbestand wäre dagegen nicht erfüllt, wenn die Prinzessin zur Zeit der Aufnahme bereits tot war. Denn § 201a StGB betrifft Bildaufnahmen Lebender. Der BGH konnte bei Filmaufnahmen des Opfers einer Gewalttat im Wege der Auslegung dem Tatbestandsmerkmal Hilflosigkeit keine für alle Sachverhaltskonstellationen gültige Definition geben: Im allgemeinen Sprachgebrauch wird darunter ein Zustand verstanden, in dem eine Person sich – objektiv und im weitesten Sinne – selbst nicht helfen kann und auf Hilfe angewiesen ist, ohne sie zu erhalten. An der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergeben sich weder Anhaltspunkte noch Kriterien für eine nähere Eingrenzung dieses Tatbestandsmerkmals. Der entsprechenden Beschlussempfehlung des Rechtsausschlusses245 sei aber unter Berücksichtigung des mit der Vorschrift insgesamt beabsichtigten umfassenden Schutzes des höchstpersönlichen Lebensbereichs vor Bildaufnahmen auch außerhalb von Wohnungen oder sonstigen besonders geschützten Räumen zu entnehmen, dass der Gesetzgeber einen eher weiten Begriff der Hilflosigkeit vor Augen hatte. Ein Indiz dafür sind die im ursprünglichen Gesetzentwurf beispielhaft erwähnten Fallkonstellationen, etwa die betrunkene Person auf dem Heimweg oder das verletzt am Boden liegenden Opfer einer Gewalttat246. Auch die systematische Auslegung unter Rückgriff auf das (enger gefasste) Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage in § 221 StGB bzw. den (ebenfalls engeren, weil gewahrsamsbezogenen) Hilflosigkeitsbegriff in § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StGB ergebe hier schon wegen des unterschiedlichen Schutzzwecks der jeweiligen Vorschriften keine Anhaltspunkte für eine nähere Eingrenzung des Merkmals der Hilflosigkeit. Trotz dieser begrifflichen Weite des Tatbestandsmerkmals der Hilflosigkeit verstoße die Vorschrift nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG, da in jedem Einzelfall eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch den Bildinhalt hinzutreten müsse und § 201a Abs. 4 StGB zudem eine die Sozialadäquanz betreffende Ausnahmeregelung enthalte247. Unbeschadet weiterer denkbarer, am Wortsinn orientierter Sachverhaltskonstellationen ist nach Ansicht des BGH das Tatbestandsmerkmal der Hilflosigkeit nach dem Wortsinn und dem gesetzgeberischen Willen erst dann erfüllt, wenn ein Mensch aktuell Opfer einer mit Gewalt oder unter Drohungen gegen Leib und Leben ausgeübten Straftat ist und deshalb der Hilfe bedarf oder sich in einer Entführungs- oder Bemächtigungssituation befindet. Hilflosigkeit i.S.d. § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB war daher nach Auffassung des BGH gegeben, als das männliche Opfer einer Entführung von den Tätern misshandelt und gezwungen wurde, sich unter Schmerzen den Hals einer 0,3 l-Flasche ins Rektum einzuführen. Die Täter filmten bei diesem Vorgang zunächst erkennbar das Gesicht des Opfers und nahmen danach gezielt dessen Gesäß in den Fokus248. 65
§ 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB verlangt ferner, dass die Bildaufnahme die Hilflosigkeit einer Person zur Schau stellt. Der Wortlaut der Regelung setzt eine besondere Hervorhebung der Hilflosigkeit eines Bildinhalts voraus, so dass die Hilflosigkeit für einen Betrachter allein aus 245 246 247 248
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BT-Drucks. 18/3202. BT-Drucks. 18/2601. BGH v. 25.4.2017 – 4 StR 244/16, NJW 2017, 1891. BGH v. 25.4.2017 – 4 StR 244/16, AfP 2017, 497 = NJW 1891 Rz. 18.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 67 Kap. 7
der Bildaufnahme erkennbar wird. In Fällen der bloßen Aufnahme einer Handlung durch eine Person (eines Tatopfers) bedarf dies in der Regel näherer Darlegungen, wenn die abgebildete Handlung nicht schon ohne weiteres die Hilflosigkeit der sie vornehmenden Person impliziert. Gibt erst der Gesamtkomplex der Bildaufnahme – etwas bei ambivalenten Handlungen – zur erkennen, dass die abgebildete Person sie im Zustand der Hilflosigkeit vornimmt, beispielsweise in einer Bemächtigungssituation, bedarf es dazu eingehender tatrichterlicher Feststellungen249. In dem zu entscheidenden Fall zeigte die Filmaufnahme nur das schmerzverzerrte Gesicht des Opfers, als dieses sich die Flasche ins eigene Rektum einführte und anschließend gezielt das Gesäß des Opfers. Die Feststellungen des Landgerichts legten nach Auffassung des BGH nicht hinreichend dar, dass und wie die Aufnahme auch die Bedrohungssituation wiederspiegelt, in der sich das Opfer befand und aus der sich seine Hilflosigkeit ergibt. Der Schutzbereich wird in Nr. 3 des § 201a Abs. 1 StGB dahin erweitert, dass eine nach Nr. 1 66 oder Nr. 2 hergestellte Aufnahme gebraucht oder einer dritten Person zugänglich gemacht wird. Unter „Gebrauchen“ ist jede Nutzung der Bildaufnahme zu verstehen, beispielsweise durch Archivieren, Speichern oder Kopieren250. Ein Gebrauchen der Bildaufnahme – insbesondere durch einen anderen als ihren Hersteller – liegt vor, wenn die technischen Möglichkeiten des Bildträgers ausgenutzt werden (z.B. Speichern, Archivieren, Kopieren, Fotomontage); einem Dritten ist ein Bild „zugänglich gemacht“, wenn der Täter einer oder mehreren anderen Personen Zugriff auf das Bild oder die Kenntnisnahme vom Gegenstand des Bildes ermöglicht251. Nach § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich strafbar, wer eine befugt hergestellte Bildaufnahme 67 einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet (Nr. 1) oder eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt (Nr. 2), wissentlich unbefugt einer dritten Person zugänglich macht und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt. Eine Personenaufnahme ist insbesondere dann befugt hergestellt, wenn sie mit ausdrücklicher oder konkludenter Einwilligung des Abgebildeten, aber auch mit dessen mutmaßlichem Einverständnis hergestellt wurde. Mutmaßliche Einwilligung bedeutet, dass der Täter aufgrund konkreter tatsächlicher Umstände von einer Einwilligung des Abgebildeten in die Herstellung der konkreten Aufnahme seiner Person in der spezifischen Situation seiner bildlichen Fixierung ausgehen durfte. Heimliche Aufnahmen müssen deshalb grundsätzlich als unbefugt hergestellt gelten, weil mangels Kenntnis der Betroffene nicht in die Herstellung einwilligen konnte und der Täter in der Regel auch nicht von einer mutmaßlichen Einwilligung des Betroffenen mit der konkreten Aufnahme ausgehen konnte. In den Fällen des § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB wird eine ausdrückliche oder konkludente Einwilligung des Abgebildeten mit der Anfertigung der Aufnahme häufig deshalb ausscheiden, da er in seiner hilflosen Lage zu einer Einwilligungsbekundung nicht in der Lage ist, so dass – wenn kein anderer Rechtfertigungsgrund eingreift – eine Befugnis des Täters zur Anfertigung der Aufnahme nur angenommen werden kann, wenn er von einer mutmaßlichen Einwilligung der hilflosen Person ausgehen durfte. Die Tatbestandsverwirklichung setzt voraus, dass der Täter wissentlich unbefugt die befugt hergestellte Aufnahme einer dritten Person zugänglich macht, also positiv weiß, dass ihm das Zugänglichmachen der zunächst befugt hergestellten Aufnahme nicht erlaubt ist. Erfasst wird mit dem Straftatbestand beispielsweise der Fall, dass ein Partner dem anderen die Aufnahme 249 BGH v. 25.4.2017 – 4 StR 244/16, AfP 2017, 497 = NJW 2017, 1891 Rz. 20. 250 BT-Drucks. 15/2466, S. 5. 251 BT-Drucks. 15/2466, S. 5.
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Kap. 7 Rz. 68
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
von intimen Bildern gestattet, die dieser dann nach der Trennung aus Rache Dritten zugänglich macht, sie etwa in sozialen Netzwerken oder im Internet verbreitet. Nicht erfasst wird dagegen das unbefugte Zugänglichmachen von Aufnahmen, die befugt außerhalb einer Wohnung oder gegen Einblick besonders geschützte Räume hergestellt wurden, z.B. das unbefugte Verbreiten intimer Aufnahmen, die im Einverständnis mit der abgebildeten Person in freier Natur hergestellt wurden. Das Verbreiten oder öffentliche Zurschaustellen solcher Aufnahmen ist jedoch eine strafbare Verletzung des Bildnisschutzes nach dem KUG, da die Einwilligung des ehemaligen Partners auf die Dauer der Partnerschaft begrenzt war252. Straflos ist auch der wissentlich unbefugte Gebrauch von befugt angefertigten Aufnahmen zu eigenen Zwecken, also ohne, dass sie Dritten zugänglich gemacht werden. 68
Die Anonymität des Internets senkt die Hemmschwelle, Aufnahmen, die dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich schaden können, Dritten zugänglich zu machen. In der Praxis wurden zunehmend Fälle von sog. Cybermobbing bekannt, bei denen entwürdigende Bilder über soziale Netzwerke wie Instagram, Facebook oder Twitter verbreitet werden, um dadurch eine andere Person demütigen. Vor Cybermobbing durch Fotos schützten bislang nur die §§ 33 i.V.m. 22, 23, KUG. Gegen das Herstellen solcher Aufnahmen war der Betroffene nur zivilrechtlich über das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt, wenn nicht der räumliche Schutzbereich des § 201a StGB a.F. verletzt war.
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Nach § 201a Abs. 2 StGB macht sich strafbar, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht. Erfasst wird nicht das Herstellen, sondern nur das Zugänglichmachen solcher Aufnahmen. Der Täter des unbefugten Zugänglichmachens muss die fragliche Aufnahme nicht selbst hergestellt haben. Auch eine befugt hergestellte Aufnahme kann Tatobjekt eines unbefugten Zugänglichmachens sein. Vom Verbot der Norm erfasst sind daher auch die vom Täter oder von Dritten befugt hergestellten Aufnahmen, die unbefugt verbreitet werden. Von der Norm erfasst sind daher z.B. auch befugt gefertigte Aufnahmen im Freundes- oder Familienkreis, deren unbefugtes Zugänglichmachen für den Kreis nicht angehöriger Dritte wegen des Gegenstandes der Aufnahme oder der persönlichen Situation des Abgebildeten geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden. § 201a Abs. 2 StGB verlangt anders als die Tatbestandsvarianten des Abs. 1 nicht, dass durch das einer dritten Person Zugänglichmachen der Aufnahme der höchstpersönliche Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt wird. Voraussetzung ist jedoch die Eignung der Aufnahme, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden. Das strafbewehrte Verbreitungsverbot der Vorschrift bezieht sich nach dem Willen des Gesetzgebers auf bloßstellende Bildaufnahmen wie Bilder, die die abgebildete Person in peinlichen oder entwürdigenden Situationen oder in einem solchen Zustand zeigen und bei denen angenommen werden kann, dass üblicherweise ein Interesse daran besteht, dass sie nicht unbefugt hergestellt, übertragen oder Dritten zugänglich gemacht werden. Maßstab dafür, ob eine Bildaufnahme geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, ist die Beurteilung durch einen durchschnittlichen Betrachter253. Das Tatbestandsmerkmal der Eignung der Aufnahme, in den Augen des Durchschnittsbetrachters dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, ist recht unbestimmt i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG. Ein Anknüpfen an die Rechtsprechung zum strafrechtlichen Ehrenschutz in §§ 185 ff. StGB und dessen Tatbestandsmerkmal, eine Person „verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“, könnte dem un252 BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, MDR 2016, 84 = AfP 2016, 243 – Löschung intimer Filmaufnahmen nach Ende einer Beziehung. 253 BT-Drucks. 18/2601, S. 37.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 72 Kap. 7
bestimmten Tatbestand des § 201a Abs. 2 StGB durch die umfangreiche Kasuistik zu §§ 186 und 187 StGB schärfere Konturen geben254. d) Bildaufnahmen unbekleideter Kinder und Jugendlicher Aufnahmen, die die bloße, einfache Nacktheit von Kindern und Jugendlichen zeigten, wurden 70 bisher nur unzureichend durch die §§ 33 i.V.m. 22, 23 KUG geschützt, soweit es sich nicht um pornographische Schriften i.S.d. §§ 184b, 184c StGB a.F. handelte. Mit dem 49. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, das am 27.1.2015 in Kraft trat, wurde § 184b StGB im pornographischen Bereich auf die Strafbarkeit von Posing-Aufnahmen erweitert, die die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes oder Jugendlichen in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung oder die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes des Kindes zum Gegenstand haben. Zudem wurde das Herstellen einfacher Nacktaufnahmen ohne Posing von Personen unter 18 Jahren, um diese einem Dritten entgeltlich zu verschaffen, in Abs. 3 des neugefassten § 201a StGB unter Strafte gestellt. Nach § 201a Abs. 3 StGB wird bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Nacktheit einer an- 71 deren Person unter 18 Jahren zum Gegenstand hat, herstellt oder anbietet, um sie einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen (Nr. 1) oder sich oder einer dritten Person gegen Entgelt verschafft (Nr. 2). Auch wenn das Merkmal „unbefugt“ in § 201a Abs. 3 Satz 2 StGB bei den Tathandlungen des § 201a Abs. 1 und Abs. 2 StGB fehlt, sollten nach dem Willen des Gesetzgebers nur unbefugte Handlungen strafbar seien: Bildaufnahmen von unbekleideten Kindern in familiären Alltagssituationen, die im familiären Bereich verbleiben und allenfalls im Verwandten- und Freundeskreis gezeigt werden, sind sozialadäquat und üblich. Ihre Verbreitung erfolgt nicht unbefugt. Die Befugnis kann sich entweder aus der Einwilligung des Betroffenen oder bei der Abbildung von einwilligungsunfähigen Kindern aus der Einwilligung der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten ergeben255. Beide Tatbestandsvarianten der Vorschrift setzen voraus, dass die Bildaufnahmen des unbekleideten Kindes oder Jugendlichen gegen Entgelt verschafft werden. Die Vorschrift bezweckt, strafwürdige Sachverhalte im Zusammenhang mit der Herstellung und kommerziellen Vermarktung von Bildaufnahmen unbekleideter Kinder und Jugendlicher insbesondere zu sexuellen Zwecken zu bestrafen. Es dürfte die seltene Ausnahme sein, dass der Tatbestand im Rahmen der Wort- und Bildberichterstattung verwirklicht wird. Daher wird von einer näheren Kommentierung der Bestimmung abgesehen, zumal etwaige Handlungen der Medien in der Regel durch § 201a Abs. 4 StGB gedeckt sein dürften. e) Wahrnehmung berechtigter Interessen Die Strafbarkeit von Bildaufnahmen hilfloser Personen (§ 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB auch in den 72 Fällen von Nr. 3 und Nr. 4), von Aufnahmen, die dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich schaden (§ 201a Abs. 2 StGB) sowie von Nacktaufnahmen von Kindern und Jugendlichen (§ 201a Abs. 3 StGB) entfällt gem. § 201a Abs. 4 StGB, wenn die Handlung in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgt, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeit254 Busch, NJW 2015, 978. 255 Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats in Anlage 4 der BTDrucks. 18/2954 und Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 18/2601, S. 37.
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Kap. 7 Rz. 73
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
geschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen. Der Gesetzentwurf der Fraktionen256 und der Regierungsentwurf257 hatten einen § 201a Abs. 5 StGB vorgeschlagen, demzufolge für alle Tatbestände des § 201a StGB der für Tonaufnahmen geltende Rechtfertigungsgrund des § 201 Abs. 2 Satz 3 StGB entsprechend gelten solle. Dann wären Handlungen nach § 201a StGB gerechtfertigt gewesen, wenn sie „zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen“ hergestellt und verbreitet wurden. Der Rechtfertigungsgrund des § 201 Abs. 2 Satz 3 StGB setzt bei Tonaufnahmen voraus, dass eine Güter- und Pflichtenabwägung ergibt, dass die Bedeutung der Information für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und die öffentliche Meinungsbildung eindeutig den Nachteil überwiegt, welche der Rechtsbruch für den Betroffenen und die Geltung der Rechtsordnung nach sich zieht. Es muss sich dabei um Missstände von erheblichem Gewicht handeln, an deren Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht258. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz war jedoch der Auffassung, dass die Anordnung der entsprechenden Geltung von § 201 Abs. 2 Satz 3 StGB für die Tatbestände des § 201a StGB mit dem Erfordernis der Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen eine zu hohe Hürde darstellt und schlug deshalb eine an die SozialadäquanzKlausel des § 86 Abs. 3 StGB angelehnte Fassung vor. Damit sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass es einer Abwägung zwischen der in § 201a StGB geschützten Privatsphäre und den in § 201a Abs. 4 StGB genannten grundrechtlichen Interessen bedarf. Auf Aufnahmen von Personen in geschützten Räumen (§ 201a Abs. 1 StGB) findet die Sozialadäquanz-Klausel des § 201a Abs. 4 StGB jedoch keine Anwendung. Hier bleibt es für die Straflosigkeit solcher Aufnahmen bei der Frage, ob die Handlung „unbefugt“ war oder ein Rechtfertigungsgrund vorlag, insbesondere eine Einwilligung des Abgebildeten. 73
Der Versuch einer Tatbegehung des § 201a StGB ist nicht strafbar. Wegen der Androhung einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren ist die Tat ein Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB). Der Versuch eines Vergehens ist nur strafbar, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Die Tat ist ein relatives Antragsdelikt (§ 205 Abs. 1 Satz 2 StGB). Damit bleibt eine Strafverfolgung bei fehlendem Strafantrag des Verletzten möglich, wenn die Staatsanwaltschaft wegen des besonderen öffentlichen Interesses ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Die Tathandlungen des § 201a Abs. 1 und Abs. 2 StGB sind Privatklagedelikte (§ 374 Abs. 1 Nr. 2a StPO). Dies gilt jedoch nicht für Bildaufnahmen von unbekleideten Kindern und Jugendlichen nach § 201a Abs. 3 StGB, da diese in der Regel die Allgemeinheit in einem solchen Maß tangieren, dass ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung angenommen werden kann259.
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Nach § 201a Abs. 5 StGB können die vom Täter oder einem Teilnehmer verwendeten Bildträger, Bildaufnahmegeräte oder andere technische Mittel als Tatwerkzeuge eingezogen werden. Durch diese Bestimmung werden die allgemeinen Voraussetzungen der Einziehung nach § 74 StGB für Straftaten nach § 201a StGB erweitert260. In Satz 2 der Vorschrift wird auch § 74a StGB für anwendbar erklärt, so dass unter den dort genannten Voraussetzungen auch eine Dritteinziehung möglich ist. Auch bei der auf § 201a Abs. 5 StGB gestützten Einziehung ist § 74 Abs. 3 Satz 1 StGB anzuwenden (§ 74 Abs. 3 Satz 2 StGB). Obwohl § 201a Abs. 5 StGB zwar auf die Anwendbarkeit von § 74a StGB verweist, nicht aber auch auf § 74f StGB, ist 256 BT-Drucks. 18/2601. 257 BT-Drucks. 18/4954. 258 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741 – Springer/Wallraff. 259 BT-Drucks. 18/3202, S. 25 und 29 und BT-Drucks. 18/2601, S. 40. 260 BGH v. 18.6.2014 – 4 StR 128/14 Rz. 8, RDV 2015, 36.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 77 Kap. 7
diese Bestimmung gleichwohl anzuwenden. Denn als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat § 74f StGB für alle Fälle der obligatorischen oder fakultativen Einziehung zwingenden Charakter261. Sofern der Zweck der Einziehung auch durch weniger einschneidende Maßnahmen wie beispielsweise eine Löschung der Aufnahmen erreicht werden kann, ist anstelle der Einziehung das mildere geeignete Mittel anzuordnen. Kommt eine Rückgabe von Speichermedien mit strafrechtlich relevanten Dateien nicht in Betracht, ist zu prüfen, ob technisch eine Löschung möglich ist, die eine Wiederherstellung dauerhaft unmöglich macht262. 3. Aufnahmen durch die Polizei Nach § 100h StPO dürfen von den Strafverfolgungsbehörden auch ohne Wissen des Betrof- 75 fenen außerhalb von Wohnungen Bildaufnahmen hergestellt werden, wenn sie zur Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre. Dabei dürfen sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel nur dann verwendet werden, wenn Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist. Die Maßnahmen dürfen sich nur gegen den Beschuldigten richten. Auch gegen andere Personen als den Beschuldigten können solche Maßnahmen zulässig sein (§ 100h Abs. 3 StPO). Solche Maßnahmen der Observation dürfen sich nur dann gegen andere Personen als den Beschuldigten richten, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise erheblich weniger erfolgsversprechend oder wesentlich erschwert wäre. Die Observation darf auch dann durchgeführt werden, wenn dabei Dritte unvermeidbar betroffen werden (§ 100h Abs. 3 StPO). Die Vorschrift deckt auch längerfristige Videoaufzeichnungen außerhalb der Wohnung263. Zur Videoüberwachung der Wohnungstüre eines einer Straftat Verdächtigen vor Geltung des § 100h StPO vgl. BGH v. 14.5.1991 – 1 StR 699/90, NJW 1991, 2651 und Kramer, NJW 1992, 1732. Werden Aufzeichnungen ohne die Zustimmung des Betroffenen gemacht, unterliegen diese einem Verwertungsverbot264. Dies gilt auch dann, wenn die Überwachung zum Nachweis von Straftaten vorgenommen wurde265. Nur wenn höherwertige Rechtsgüter zu schützen sind, kann die Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Beobachteten und den Interessen des Beobachtenden eine Verwertung rechtfertigen266. Nach § 81b StPO dürfen Lichtbilder des Beschuldigten auch gegen dessen Willen aufge- 76 nommen werden, soweit dies für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. § 24 KUG gestattet nur die Vervielfältigung, Verbreitung und Zurschaustellung von Bildnis- 77 sen für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit, nicht aber ihre Herstellung (vgl. Kap. 8 Rz. 151).
261 BGH v. 18.6.2014 – 4 StR 128/14 Rz. 9 m.w.N., RDV 2015, 36. 262 BGB v. 11.10.2016 – 4 StR 192/16, juris. 263 BGH v. 29.1.1998 – 1 StR 511/97, NJW 1998, 1237 m. Anm. Gehrlein; Schübel, NJW 1999, 104. 264 OLG Karlsruhe v. 8.11.2001 – 12 U 180/01, NJW 2002, 2799. 265 OLG Köln v. 5.7.2005 – 24 U 12/05, NJW 2005, 2997. 266 OLG Düsseldorf v. 5.5.1997 – 5 U 82/96, NJW-RR 1988, 2041; OLG Köln v. 5.7.2005 – 24 U 12/05, NJW 2005, 2997.
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Kap. 7 Rz. 78
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
78
Nach § 12a Versammlungsgesetz darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen anfertigen, aber nur dann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Eine „erhebliche Gefahr“ bedeutet eine Gefahr für gewichtige Rechtsgüter wie Leib und Leben. Ausreichend dürfte auch das Vorliegen von Verbotsgründen nach § 5 VersG sein267. Diese Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn dabei Dritte unvermeidbar betroffen werden (§ 12a Abs. 1 Satz 2 VersG). Solche Aufnahmen sind jedoch danach nach näherer Maßgabe des § 12a Abs. 2 VersG zu vernichten. Die Regelungen in § 12a VersG gelten für öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen, gem. § 19a VersG jedoch entsprechend für Bild- und Tonaufnahmen durch die Polizei bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen. Eine „Versammlung“ i.S.v. § 16 VersG (und § 106a StGB) ist anzunehmen, wenn mindestens drei Personen sich öffentlich an einem gemeinsamen Ort zu dem gemeinsamen Zweck zusammenfinden, öffentliche Angelegenheiten zu erörtern bzw. eine gemeinsame Kundgebung zu veranstalten268. Infolge der Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht auf die Länder im Rahmen der Föderalismusreform 2006 haben einige Länder eigene Versammlungsgesetze erlassen (Bayern das BayVersG am 1.10.2008, Berlin das Gesetz über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen vom 23.4.2013, Niedersachsen das NVersG vom 7.10.2010, Sachsen das SächsVersG vom 25.1.2012, Sachsen-Anhalt das VersG vom 3.12.2009 und Schleswig-Holstein das Versammlungsfreiheitsgesetz VersFG SH vom 18.6.2015). Diese Länder haben die Regelungen des VersG des Bundes zum Teil geringfügig geändert übernommen. Beispielsweise hat Bayern in Art. 9 Abs. 1 BayVersG bestimmt, dass die Aufnahmen „offen“ zu erfolgen haben (ebenso § 12 NVersG und § 16 VersG Schleswig-Holstein), während das Landesversammlungsgesetz Sachsen-Anhalt keine „offene“ Anfertigung der Aufnahmen vorschreibt. Die Versammlungsgesetze der Länder befassen sich insbesondere auch mit der Zulässigkeit von sog. „Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen“ von Versammlungen. Bei Übersichtsaufnahmen, die der Polizei eine Lagenbeurteilung ermöglichen sollen, werden Bilder von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit der Versammlung lediglich von der Kamera auf einen Monitor in Echtzeit übertragen, verbunden mit der Möglichkeit des Heranzoomens einzelner Teilnehmer der Versammlung, aber nicht gespeichert. Auch solche Übersichtsaufnahmen sind ein Eingriff in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit, weil auch das Anfertigen von bloßen Übersichtsaufnahmen ohne Aufzeichnung geeignet ist, eine einschüchternde Wirkung auf Versammlungsteilnehmer zu entfalten und sie in ihrer Grundrechtsaufübung zu beeinflussen oder sogar von ihr abzuhalten jedenfalls dann, wenn der Versammlungsteilnehmer nicht weiß, dass die Bilder nicht aufgezeichnet und gespeichert werden269. In den Ländern, die nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, das Versammlungsgesetz des Bundes durch eigene Versammlungsgesetze zu ersetzen, findet weiterhin das VersG des Bundes Anwendung.
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Für öffentliche Veranstaltungen und Ansammlungen, die nicht unter die Versammlungsgesetze des Bundes oder der Länder fallen, enthalten die Polizeigesetze der Länder Vorschriften über die Zulässigkeit von Bildaufnahmen270. Überwiegend wird verlangt, dass auf die Beobachtung mittels Bildübertragung und die Bild- und Tonaufzeichnung in geeigneter Weise 267 OVG Rheinland-Pfalz v. 5.2.2015 – 7 A 10683/14 Rz. 24, DVBl. 2015, 583. 268 OLG Köln v. 28.5.1980 – 3 Ss 121/80, MDR 1980, 1040; OLG Köln v. 18.5.1993 – Ss 188/93; OLG Saarbrücken v. 15.9.1998, NStz-RR 1999, 119. 269 OVG Rheinland-Pfalz v. 5.2.2015 7 A 10683/14, DVBl. 2015, 583 Rz. 31 f – Polizeiliche Übersichtsaufnahmen; VerfGH Berlin v. 11.4.2014 – 129/13, juris. 270 Z.B. § 21 Abs. 1 PolG Baden-Württemberg und § 27 POG Rheinland-Pfalz.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 81 Kap. 7
hinzuweisen ist, sofern dies nicht offenkundig ist (z.B. § 21 Abs. 5 PolG Baden-Württemberg und § 27 Abs. 2 POG Rheinland-Pfalz). Darüber hinaus darf die Polizei – i.d.R. offene, also nicht heimliche – Bild- und Tonaufzeichnungen von Personen anfertigen, die sich in einer Verkehrs- oder Versorgungsanlage oder -einrichtung, einem öffentlichen Verkehrsmittel, Amtsgebäude oder einem anderen besonders gefährdeten Objekt oder in unmittelbarer Nähe hiervon aufhalten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an oder in solchen Objekten Straftaten begangen werden sollen271. 4. Fotografieren von Staatsorganen und Polizei Schrifttum: Paeffgen, Fotografieren von Demonstranten durch die Polizei und Rechtfertigungsirrtum, JZ 1978, 738; Franke, Zur Rechtmäßigkeit der Bildberichterstattung über Polizeieinsätze, NJW 1981, 2033; Franke, Bildberichterstattung über Demonstrationen und Persönlichkeitsschutz der Polizei, JR 1982, 48; Rebmann, Recht am eigenen Bild bei Amtsträgern in Ausübung spezifisch hoheitlicher Funktionen, AfP 1982, 189; Krüger, Das Recht am eigenen Bild bei Polizeieinsätzen, NJW 1982, 89; Müller, Zur Rechtmäßigkeit der Bildberichterstattung über Polizeieinsätze, NJW 1982, 863; Jarass, Konflikte zwischen Polizei und Presse bei Demonstrationen, JZ 1983, 280; Kerber, Bildberichterstattung über Polizeieinsätze, 1992; „Verhaltensgrundsätze für Presse/Rundfunk zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und die freie Ausübung der Berichterstattung“, beschlossen von der Innenministerkonferenz und den Medienverbänden 1993 in Jahrbuch Deutscher Presserat 1993, S. 227.
Besondere Bedeutung hat die Frage erlangt, ob und in welcher Weise Beamte bei der Aus- 80 übung ihres Dienstes fotografiert werden dürfen. Beamte sind zwar vom Bildnisschutz nicht ausgenommen. Soweit sie aber in ihrer Eigenschaft als staatliches Organ handeln, tritt dieser Schutz regelmäßig zurück. Wenn keine Geheimhaltungsvorschriften oder ähnliche Belange entgegenstehen, unterliegt staatliches Handeln öffentlicher Kontrolle. Ein Staatsorgan hat deswegen im Allgemeinen kein schutzwürdiges Interesse, bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben unbeobachtet zu bleiben und nicht fotografisch oder filmisch festgehalten zu werden272. Ein Gemeinderatsmitglied darf in öffentlicher Sitzung auch fotografiert werden, wenn es dort eingeschlafen ist273. Auch das Filmen und Fotografieren polizeilicher Einsätze ist grundsätzlich zulässig274. Et- 81 was anderes kann gelten, wenn z.B. beim Fotografieren oder Filmen eines Polizeieinsatzes das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit betroffen ist hinsichtlich der Sicherheit des durchgeführten Einsatzes, einer befürchteten Bedrohung der Funktionsfähigkeit der Polizei durch Enttarnung der Polizisten die Verbreitung der Aufnahme, z.B. eines V-Manns, eines verdeckten Ermittlers oder einer Zivilstreife, die Aufgabenerfüllung beeinträchtigen würde275 sowie des Rechts der Polizeibeamten am eigenen Bild276. Soweit die Aufnahme nicht den hoheitlichen Aufgaben erfüllenden Amtsträger zeigen soll, sondern den Menschen, greift sein Persönlichkeitsrecht durch. Das wird insbesondere bei Portraitaufnahmen regelmäßig der Fall 271 Z.B. § 21 Abs. 2 PolG Baden-Württemberg; VG Stuttgart v. 20.2.2012 – 5 K 89/12 – Videoüberwachung des Stuttgarter Hauptbahnhofes; VGH Baden-Württemberg v. 21.7.2003 – 1 S 377/02 – Videoüberwachung Kriminalitätsbrennpunkte. 272 Paeffgen, JZ 1979, 516; a.A. OLG Celle v. 25.9.1978 – 2 Ss 157/78, NJW 1979, 57. 273 LG Stuttgart v. 14.1.1992 – 17 O 586/91, AfP 1992, 314. 274 BVerwG v. 14.7.1999 – 6 C 7/98, AfP 2000, 204; OVG Koblenz v. 30.4.1997 – 11 A 11657/96, DVBl. 1998, 101; VGH Baden-Württemberg v. 22.2.1995 – 1 S 3184/94, AfP 1996, 193. 275 KG, JR 1973, 69. 276 BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12/11, NJW 2012, 2676, Rz. 23.
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Kap. 7 Rz. 82
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
sein277. Hat bei einer Demonstration ein Teilnehmer Portraitaufnahmen von Polizisten gemacht, um sie zu verbreiten, kann seine vorläufige Festnahme mit dem Ziel, ihm den Film abzunehmen, als Notwehr gerechtfertigt sein278. Dass Portraitaufnahmen angefertigt worden sind und verbreitet werden sollen, darf nicht ohne weiteres unterstellt werden279. Auch ist nicht davon auszugehen, dass unzulässige Lichtbilder stets verbreitet werden280. Es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Bildnisse entgegen den Vorschriften des KUG unter Missachtung des Rechts des Polizeibeamten am eigenen Bild auch veröffentlicht werden281. 82
Zur Gefahrenabwehr kommt dabei insbesondere ein polizeiliches Fotografier- bzw. Filmverbot, eine Beschlagnahme der Aufnahmen oder eine Identitätsfeststellung282 in Betracht. Dabei ist im Rahmen der Ermessensausübung die Verhältnismäßigkeit zu beachten. Denn die polizeiliche Maßnahme muss verhältnismäßig sein, also einen legitimen Zweck verfolgen und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen sein. Erforderlich ist die polizeiliche Maßnahme, wenn kein gleiches, geeignetes, aber milderes Mittel in Betracht kommt. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist eine vorbeugende Beschlagnahme der Aufnahmen gegenüber einem Fotografierverbot mit Blick auf die Pressefreiheit das mildere Mittel, weil dadurch eine Recherche und im Ergebnis auch eine Bildberichterstattung ermöglicht wird. Die vorübergehende Beschlagnahme eines Speichermediums greift weniger in die Pressefreiheit ein als die Verhinderung einer Fotoaufnahme und somit deren Speicherung auf dem Medium283.
83
Ein Tätigwerden zum Zwecke der Gefahrenabwehr setzt jedoch eine konkrete Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut voraus. Sie liegt vor, wenn ein bestimmter einzelner Sachverhalt, d.h. eine konkrete Sachlage oder ein konkretes Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung führen würde. Der Schadenseintritt braucht nicht mit Gewissheit zu erwarten sein. Andererseits ist aber die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts nicht ausreichend. Der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist dabei abhängig vom Rang des Schutzgutes, in das eingegriffen werden soll, sowie vom Rang des polizeilichen Schutzgutes284. Die somit erforderliche Feststellung, ob ein Schadenseintritt wahrscheinlich ist, erfordert eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Gefahren-Prognose, d.h. hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen, auch wenn die zu erwartenden Schäden im Ergebnis ausbleiben können285. Ein gerichtlich nicht überprüfbarer Be277 OVG Koblenz v. 30.4.1997 – 11 A 11657/96, DÖV 1997, 1011. 278 OLG Hamburg v. 14.4.1972 – 1 Ws 84/96, NJW 1972, 1290. 279 OVG Koblenz v. 30.4.1997 – 11 A 11657/96, DVBI. 1998, 101; VG Köln v. 15.5.1987 – 20 K 168/86, AfP 1988, 182 = NJW 1988, 367. 280 BVerwG v. 14.7.1999 – 6 C 7/98, AfP 2000, 204 – polizeiliche Beschlagnahme von Pressefotos bei Einsätzen. 281 BVerwG v. 14.7.1999 – 6 C 7/98 (Mannheim), AfP 2000, 207 – Beschlagnahme der Lichtbilder eines Pressefotographen; OVG Saarland v. 11.4.2002 – 9 R 3/01, AfP 2002, 545; OVG NRW v. 30.10.2000 – 5 A 291/00, DÖV 2001, 476; VGH Baden-Württemberg v. 10.7.2000 – 1 S 2239/99, ZUM-RD 2000, 501; OVG Koblenz v. 30.4.1997 – 11 A 11657/96, DÖV 1997, 1011; VGH Baden-Württemberg v. 20.2.1995 – 1 S 3184/94, AfP 1996, 193. 282 BVerfG v. 24.7.2015 – BvR 2501/13, Rz. 14, ZUM 2015, 988. 283 BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12/11, NJW 2012, 2676 Rz. 38 f. 284 BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12/11, NJW 2012, 2676 Rz. 27. 285 Anscheinsgefahr – BVerwG v. 28.6.2004 – 6 C 21/03.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 85 Kap. 7
urteilungsspielraum steht der Polizei bei dieser Prognoseentscheidung nicht zu, auch wenn dieser Prognose zumindest insofern eine subjektive Einschätzung des Geschehensablaufs zugrunde liegt, als sie auf den im Zeitpunkt der polizeilichen Entscheidung zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten basiert286. Die Gefahren-Prognose ist daher bezogen auf den Erkenntnisstand zu diesem Zeitpunkt (ex-ante) zu überprüfen; ansonsten aber ist ein objektiver Maßstab zugrunde zu legen, d.h. eine pflichtgemäße verständige und besonnene Lagebeurteilung287. Ob eine für ein Tätigwerden der Polizei erforderliche konkrete Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut besteht, ist eine Frage der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls. Eine Gefahr für das Schutzgut der Enttarnung von Polizeibeamten und ein Eingriff in deren Recht am eigenen Bild nach §§ 22 ff. KUG aufgrund der Anfertigung der Bildnisse droht erst, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass derjenige, der Aufnahmen fertigt, diese ohne Einwilligung der abgebildeten Person nach § 22 KUG und ohne einen Rechtfertigungsgrund nach § 23 KUG veröffentlichen und sich dadurch gem. § 33 KUG strafbar machen würde. Daher dürfte ein Livestreaming solcher Aufnahmen ebenso wie eine Live-TV-Übertragung grundsätzlich zu einer Beschlagnahme bzw. polizeilichen Maßnahmen berechtigen, da es wegen der unmittelbaren Verbreitung oder Zurschaustellung der Aufnahmen nicht nur zu einer Gefahr, sondern zu einer Störung kommt. Fertigen Versammlungsteilnehmer, die von der Polizei gefilmt oder videografiert werden, ih- 84 rerseits Ton- und Bildaufnahmen von den eingesetzten Beamten an, kann nicht ohne nähere Begründung von einem zu erwartenden Verstoß gegen § 33 Abs. 3 KUG und damit von einer konkreten Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut ausgegangen werden. Vielmehr ist hier zunächst zu prüfen, ob eine von § 33 Abs. 1 KUG sanktionierte Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung der angefertigten Aufnahmen tatsächlich zu erwarten ist oder ob es sich bei der Anfertigung der Aufnahmen lediglich um eine bloße Reaktion auf die polizeilicherseits gefertigten Bild- und Tonaufzeichnungen etwa zur Beweissicherung mit Blick auf etwaige Rechtsstreitigkeiten handelt. Ebenso wie für ein präventivpolizeiliches Film- oder Fotografierverbot ist auch für eine Identitätsfeststellung der Versammlungsteilnehmer, die ihrerseits die filmenden Polizeibeamten aufnehmen, eine konkrete Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut erforderlich288. Bei Polizeieinsätzen wird oftmals als Rechtfertigungsgrund ein zeitgeschichtliches Ereignis 85 von jedenfalls lokaler Bedeutung i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorliegen289. Zu „relativen Personen“ der Zeitgeschichte können Polizisten im Einsatz mit der Folge werden, dass eine gezielte Aufnahme zulässig wird, wenn an ihrer Person ein besonderes öffentliches Informationsinteresse besteht, weil etwa der Polizist selbst bei der Ausübung seines Amtes eine strafbare Handlung begeht und er besondere durch die Situation nicht gerechtfertigte Gewalt ausübt290 oder wenn ein Polizeibeamter bei seinem Einsatz sonst mit Mitteln vorgeht, die in der konkreten Situation unangemessen sind291. Die mit § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG verbundene Einwil286 BVerwG v. 25.7.2007 – 6 C 39/06, DÖV 2008, 28. 287 VGH Baden-Württemberg v. 15.6.2005 – 1 S 2718/04, NJW 2006, 635; Sächsisches OVG v. 19.11.2007 – 3 B 665/05. 288 BVerfG v. 24.7.2015 – 1 BvR 2501/13, ZUM 20015, 988; OVG Lüneburg v. 19.6.2013 – 11 LA 1/13, DVBl 2013, 1066. 289 So z.B. das BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12/11, NJW 2012, 2676 zum unauffälligen Einsatz eines – wenn auch sichtbar bewaffneten – unvermummtem SEK-Kommandos in Zivil als Begleitung eines Häftlings zum Augenarzt in einer Klein(st)stadt. 290 OVG Saarland 11.11.2002 – 9 R 3/01, AfP 2002, 545. 291 VGH Baden-Württemberg v. 10.7.2000 – 1 S 2239/99, ZUM-RD 2000, 501 Rz. 29.
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Kap. 7 Rz. 86
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
ligungsfreiheit ist dann jedoch abzuwägen mit den berechtigten Interessen des abgebildeten Polizisten nach § 23 Abs. 2 KUG, wenn dieser durch die mit der Veröffentlichung der Aufnahmen verbundene Enttarnung Repressalien gegen sich selbst oder seine Familie befürchten müssen292. 86
Auch die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung geht grundsätzlich davon aus, dass unzulässige Lichtbilder nicht auch stets veröffentlicht werden293. Gehen die Sicherheitsbehörden bei ihrer ex-ante-Einschätzung der Gefahrenlage jedoch davon aus, dass im Einzelfall die konkrete Gefahr besteht, dass neben der unzulässigen Aufnahme der Bilder auch eine unzulässige Verbreitung (§§ 22, 23 KUG i.V.m. § 33 KUG) der Bildnisse zu befürchten sei, bedarf es hierfür hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte294. Der Umstand, dass die Foto- oder Filmaufnahmen eines Polizeieinsatzes von einem Pressefotografen oder Fernsehkamerateam angefertigt werden, begründet für sich alleine jedoch nicht die für ein Eingreifen der Polizei erforderliche konkrete Gefahr einer Veröffentlichung und Verbreitung von Aufnahmen, auf denen die Polizeibeamten erkennbar sind unter Verstoß gegen § 33 KUG. Zwar muss bei einem Pressefotografen grundsätzlich damit gerechnet werden, dass dessen Aufnahmen auch veröffentlicht werden (vgl. Rz. 37). Es darf aber bei Aufnahmen durch die Medien nicht von Vornherein ohne weitere Anhaltspunkte zukünftiges rechtswidriges Verhalten unterstellt werden. Vielmehr muss im Hinblick auf die zivil- und strafrechtlichen Sanktionen einer unrechtmäßigen Veröffentlichung grundsätzlich von der Rechtstreue des Pressefotografen ausgegangen werden295. Von einer solchen vermuteten Rechtstreue kann jedoch im Grundsatz nur bei Pressefotografen ausgegangen werden, nicht aber bei Aufnahmen durch andere Personen296. Denn nur bei einer Veröffentlichung der Aufnahme durch die Medien erfolgt durch diese eine Prüfung und Entscheidung, ob, in welcher Weise und in welchem Kontext die von einem Pressefotografen gefertigte Aufnahme veröffentlicht wird (vgl. Rz. 37, 44). Die Vermutung der Rechtstreue greift allerdings auch bei Bildjournalisten nicht ein, wenn die Veröffentlichung der Aufnahme in jedem auch nur denkbaren Kontext unzulässig wäre (vgl. Rz. 44). Das Presseprivileg der vermuteten Rechtstreue kommt auch dann nicht zum Tragen, wenn gegenteilige Indizien vorliegen. Solche Anhaltspunkte für ein künftiges rechtswidriges Verhalten können etwa in wiederholtem gleichartigen vorausgegangenem rechtswidrigem Verhalten der Presse gesehen werden wie beispielsweise vorausgegangenen unzulässigen Veröffentlichungen in vergleichbaren Fällen297.
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In geeigneten Fällen muss nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht auf die vermutete Rechtstreue der Presse beim Umgang mit Bildmaterial zurückgegriffen werden. Die mit einer Bildaufnahme verbundene Möglichkeit eines rechtsverletzenden Gebrauchs, insbesondere einer gegen Rechte von Dritten verstoßenden Veröffentlichung, muss nicht not292 BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12/11, NJW 2012, 2676 Rz. 34. 293 BVerfG v. 24.7.2015 – 1 BvR 2501/13, ZUM 2015, 988 – Filmen der Polizei durch die Teilnehmer einer Versammlung; BVerwG v. 14.7.1999 – 6 C 7/98 AfP 2000, 204 – Beschlagnahme des Filmes eines Pressefotografen. 294 BVerfG v. 24.7.2015 – 1 BvR 2501/13, ZUM 2015, 988 Rz. 14 – Filmen der Polizei durch die Teilnehmer einer Versammlung. 295 VGH Baden-Württemberg v. 22.2.1995 – 1 S 3184/94, AfP 1996, 494 – Beschlagnahme eines Films durch die Polizei; OVG Koblenz v. 30.4.1997 – 11 A 11657/96, DÖV 1997, 1011 – Filmen polizeilicher Einsätze; OVG Nordrhein-Westfalen v. 30.10.2000 – 5 A 291/00, DÖV 2001, 476 – Sicherstellung von Videokassetten; OVG Saarland v. 11.4.2002 – 9 R 3/01, AfP 2002, 545. 296 A.A. VGH Baden-Württemberg v. 22.2.1995 – 1 S 3184/94, MDR 1996, 494 = AfP 1996, 193. 297 VGH Baden-Württemberg v. 10.7.2000 – 1 S 2239/99, ZUM-RD 2000, 501 Rz. 37; v. 19.8.2010 – 1 S 2266/09, AfP 2011, 97 Rz. 36; Bayerischer VGH v. 16.10.2014 – 10 7B 13.2620.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 88 Kap. 7
wendig immer auf der 1. Stufe ausgeübt werden (also durch eine Verhinderung des Anfertigens der Aufnahmen); dies könne in vielen Fällen vielmehr auch auf der 2. Stufe geschehen, dem Gebrauch des entstandenen Bilds. Denn wenn ein Journalist daran gehindert wird, eine Fotoaufnahme zu tätigen, werde insoweit irreversibel in sein Recht auf Pressefreiheit eingegriffen. Dies kann i.d.R. nicht hingenommen werden. Insbesondere kann diese Rechtsbeeinträchtigung nicht auf die Erwägung gestützt werden, die Wortberichterstattung bleibe auch dann möglich, wenn die Bildberichterstattung vereitelt werde. Denn es kommt nicht der Polizei gegenüber der Presse zu, zu entscheiden, welche Form der Berichterstattung erfolgen soll und welcher Art von vorbereitender Recherche es demgemäß bedarf298. Verhältnismäßig ist es in einem solchen Fall daher in der Regel nicht, die durch den Journalisten beabsichtigte Fotoaufnahme selbst zu verhindern, sondern nur, Vorkehrungen für die befürchtete anschließende Verletzung eines Rechtsguts durch den Gebrauch des Bildes zu treffen, beispielsweise dadurch, dass die Polizei ihren Rechtsstandpunkt dem Journalisten oder dem Presseunternehmen mitteilt und auf eine Verständigung über das „Ob“ und „Wie“ der Veröffentlichung drängt. Bei einem Scheitern der Verhandlungen bleibe der Erlass einer Polizeiverfügung oder die Inanspruchnahme zivilrechtlichen Schutzes möglich. Nur wenn es aus der ex-ante-Sicht der Polizei aus zeitlichen oder anderen Gründen von vornherein keinen Erfolg verspricht, gegenüber Pressevertretern auf konsensualem Weg die Beachtung rechtlicher Beschränkungen bezüglich der Veröffentlichung angefertigter Bildaufnahmen sicherzustellen, sei die Polizei befugt, durch Nutzung polizeilicher Anordnungsbefugnisse bereits die Bildanfertigung zu unterbinden. Gleiches gilt, wenn aufgrund außergewöhnlicher Umstände des Einzelfalls bereits die Anfertigung von Fotos mit dem Anliegen eines wirksamen Schutzes eines i.d.R. stehenden Schutzguts schlechthin unvereinbar wäre299. Wenn aber in solchen Fällen ein Eingreifen erforderlich ist, wäre nach den oben dargestellten Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts die Beschlagnahme als milderes Mittel einem Fotografierverbot vorzuziehen. In der Praxis setzt die vom Bundesverwaltungsgericht favorisierte konsensuale Lösung allerdings voraus, dass die Pressefotografen kooperationsbereit sind und sich als Pressefotografen ausweisen. Denn ohne Feststellung ihrer Identität ist unklar, gegen welche Person und gegebenenfalls welches Medium erforderliche Maßnahmen zu richten sind, wenn keine Einigung gelingt. Wenn aber der Pressefotograf nicht von sich aus seine Identität bekannt gibt, darf die Polizei keine Identitätsfeststellung vornehmen, solange keine hinreichend tragfähigen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine konkrete Gefahr besteht, dass hergestellte Fotos auch veröffentlicht werden. Wenn keine solche konkrete Gefahr besteht, verstößt eine Identitätsfeststellung gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Denn die Identitätsfeststellung ist nur bei konkreter Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut zulässig300. Auch wenn die fotografierte oder gefilmte Person nicht in ihrer Eigenschaft als Polizist ge- 88 gen den Fotografen oder Kameramann einschreiten darf, wird man derselben Person zugestehen müssen, als Persönlichkeit gegen die durch die Herstellung der Aufnahme drohende Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts und die durch eine Veröffentlichung der Aufnahme drohende Verletzung ihres Rechts am eigenen Bild i.S.v. § 22, 23 i.V.m. § 33 KUG vorzugehen. Auch Amtsträger können sich, wenn sie bei der Ausübung ihres Amtes in der Öffentlichkeit auftreten, auf das Recht am eigenen Bild berufen. Dieser Schutz wird durch die ausgeübte staatliche Funktion grundsätzlich nicht einschränkt301. Das Recht eines Polizisten am eigenen Bild steht als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus 298 299 300 301
BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12/11, NJW 2012, 2676, Rz. 35. BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12/11, NJW 2012, 2676, Rz. 35. BVerfG v. 24.7.2015 – 1 BvR 2501/13, ZUM 2015, 988 Rz. 14. VGH Baden-Württemberg v. 10.7.2000 – 1 S 2239/99, ZUM-RD 2000, 501 Rz. 29.
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Kap. 7 Rz. 89
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dem Recht am eigenen Bild anderer Personen in nichts nach. Ob das Fotografieren oder Filmen eines Polizisten einen Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht darstellt, ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und durch Vornahme einer die verfassungsrechtlich geschützten Positionen der Beteiligten berücksichtigenden den Güter- und Interessenabwägung zu ermitteln (vgl. Rz. 38 ff.). Dann kann der Betroffene – nicht als Polizist, aber als Persönlichkeit – gegebenenfalls den drohenden Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht im Wege der Notwehr abwehren, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen einer Notwehr vorliegen (vgl. Rz. 106 ff.). 5. Gesetzliche Fotografierverbote a) Gerichtsverhandlungen, § 169 GVG und § 17a BVerfGG Schrifttum: Renner/Pille, Medienverfügungen in der Prozessberichterstattung, AfP 2018, 23.
89
Nach § 169 GVG sind während einer Gerichtsverhandlung einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhaltes unzulässig. Das Verbot des § 169 GVG gilt für alle Sparten der Justiz, jedoch nicht für die Verhandlungen vor Schiedsgerichten. Beim Bundesverfassungsgericht sind Film- und Fernsehaufnahmen bei Beginn der Verhandlung und während der Urteilsverkündung zulässig (§ 17a BVerfGG). Bei ab dem 19.4.2018 neu anlaufenden Prozessen kann das Gericht für Entscheidungen der obersten Bundesgerichte in besonderen Fällen Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhaltes zulassen. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen oder deren Übertragung teilweise untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig gemacht werden. Die entsprechenden Beschlüsse des Gerichts sind unangreifbar (§ 169 Abs. 3 GVG302). § 169 Abs. 2 GVG in der Fassung des EMöGG v. 8.10.2017 ermöglicht auch die Live-Ton-Übertragung einer mündlichen Verhandlung in einen Arbeitsraum von Medienvertretern, wobei allerdings der Ton weder mitgeschnitten noch aufgenommen werden darf. Bei Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland kann das Gericht – in jeder Instanz – für das gesamte Verfahren einschließlich der Urteilsverkündung Tonaufnahmen zulassen. Die Aufnahmen dienen allein wissenschaftlichen und historischen Zwecken und werden nicht herausgegeben, sondern in einem Landesoder Bundesarchiv eingelagert. Ob die gesetzlichen Voraussetzungen für solche Aufnahmen vorliegen, entscheidet das Gericht – und zwar jede Instanz für sich – unanfechtbar nach eigenem Ermessen.
90
Das Verbot des § 169 GVG ist in Vergangenheit von Fernsehsendern mehrfach der verfassungsrechtlichen Überprüfung unterstellt worden. Sender haben sich zur Veranstaltung des in Amerika beliebten Court-TV auf die Berichterstattungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch bestätigt, dass § 169 GVG verfassungsmäßig ist. Das Verbot wird gerechtfertigt mit der ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung und den Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten. Diese Entscheidung fiel allerdings knapp aus: Drei Verfassungsrichter haben im Hinblick auf das Interesse der Medienöffentlichkeit ein abweichendes Votum abgegeben303. Richter, Schöffen und Staatsanwälte werden jedoch nicht 302 BGBl. I 2017, 3546 – EMöGG. 303 BVerfG v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, AfP 2001, 48 zum Politbüroprozess gegen Egon Krenz.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 93 Kap. 7
durch § 169 GVG geschützt304. Die Gerichtsöffentlichkeit ist gesetzlich nur als Saalöffentlichkeit vorgesehen; eine Medienöffentlichkeit wird durch § 169 GVG ausgeschlossen. § 169 Satz 2 GVG gilt ausnahmslos. Selbst eine Einwilligung der Beteiligten kann keine Medienöffentlichkeit bewirken305. § 169 GVG bezweckt den Schutz des Persönlichkeitsrechts der Verfahrensbeteiligten, den Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung306. Medienöffentlichkeit ist ein aliud gegenüber der Saalöffentlichkeit. Viele Menschen ändern ihr Verhalten bei Anwesenheit der Medien. Manche fühlen sich durch die Medienaufnahme beflügelt, andere gehemmt. Der Prozess der Wahrheitsfindung kann auch darunter leiden, dass Prozessbeteiligte versucht sein könnten, ihr Verhalten an der erwarteten Medienwirkung zu orientieren. Insbesondere bei Strafverfahren kommt bei einer Medienöffentlichkeit die Gefahr einer Prangerwirkung hinzu und eine Erschwerung der späteren Resozialisierung307. Auch wenn naturgemäß die Gefahr von Beeinträchtigungen im Strafprozess am naheliegendsten ist, gilt § 169 GVG – mit Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts – für alle Sparten der Justiz und damit auch im Verfahren vor Arbeits-, Sozial-, Finanz, Zivil- und den Verwaltungsgerichten308. Die grundsätzlich verbotene Verbreitung von Ton- und Filmaufnahmen aus einer strafgerichtlichen Verhandlung durch einen Journalisten kann jedoch im Einzelfall von der Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 10 EMRK gedeckt sein309. Das Verbot des § 169 GVG erfasst nur die Aufzeichnung von Bewegtbildern wie Film- und Vi- 91 deoaufnahmen, nicht einfache Bildaufnahmen wie Fotos oder Zeichnungen310. Das Fotografieren kann jedoch vom Vorsitzenden Kraft der ihm durch § 176 GVG verliehenen Sitzungsgewalt geregelt werden. Zeitlich gilt das Verbot nur für den eigentlichen Gang der Hauptverhandlung, also nur für die 92 Zeit, in der tatsächlich verhandelt wird und Urteile und Beschlüsse verkündet werden. Die Zeiten vor Beginn und nach Schluss der Verhandlung bleiben von dem Verbot ebenso unberührt wie Verhandlungspausen311. Ob während dieser Zeiten Film- und Foto-Aufnahmen zugelassen werden, bestimmt der Vorsitzende durch sitzungspolizeiliche Anordnung nach § 176 GVG312. Räumlich sind die sitzungspolizeilichen Befugnisse des Vorsitzenden nach § 176 GVG sowohl 93 für seine Reglementierung von Fotoaufnahmen als auch für Bewegtbildaufnahmen für Zeiten außerhalb der Hauptverhandlung begrenzt auf den Sitzungssaal, das Beratungszimmer und
304 BVerfG v. 15.3.2007 – 1 BvR 620/07, ZUM 2007, 376. 305 BVerfG v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, AfP 2001, 48 – ntv II. 306 BVerfG v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, AfP 2001, 48 – ntv II; v. 16.4.1999 – 1 BvR 622/99, NJW 1999, 1951 – Kruzifix-Verfahren; v. 11.1.1996 – 1 BvR 2623/95, NJW 1996, 581 – ntv. 307 BVerfG v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, AfP 2001, 48 – ntv II; v. 8.7.2016 – 1 BvR 1534/16. 308 BVerfG v. 16.4.1999 – 1 BvR 622/99, NJW 1999, 1951 – Kruzifix-Verfahren. 309 EGMR v. 22.3.2016 – 48718/11 – Pinto Coehlo, AfP 2016, 532 n. rkr. 310 BGH v. 27.10.1969 – 2 StR 636/68, NJW 1970, 63; LG Berlin v. 18.8.1994 – 27 O 607/94, AfP 1994, 332; Maul, MDR 1970, 286. 311 BT-Drucks. IV/178, S. 45; BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 = NJW 2008, 977. 312 BVerfG v. 14.7.1994 – 1 BvR 1595/92, 1 BvR 1606/92, BVerfGE 91, 125, 136 = AfP 1994, 213; BGH v. 11.2.1998 – 3 StE 7/94-1 (2) StB 3/98, NJW 1998, 1420; v. 14.7.1994 – 1 BvR 1595/92 u.a., AfP 1994, 213 = NJW 1995, 184 – Politbüro II; BGH v. 13.11.1979 – 5 StR 166/79, BGHSt 29, 129 = MDR 1980, 157.
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Kap. 7 Rz. 94
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
den Flur vor dem Sitzungssaal313. Gegen eine sitzungspolizeiliche Anordnung betreffend die Veröffentlichung von Fotos eines Angeklagten in einem Strafprozess ist das Rechtsmittel der Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO gegeben. Sie steht grundsätzlich auch nicht verfahrensbeteiligten Personen zu, die durch die richterliche Entscheidung betroffen sind, wie z.B. die durch eine Verpixelungsanordnung des Vorsitzenden betroffenen Medien314. 94
Da Anordnungen des Vorsitzenden nach § 176 GVG, mit denen die Anfertigung von Bildaufnahmen vom Geschehen im Sitzungssaal am Rande der Hauptverhandlung untersagt oder Beschränkungen unterworfen werden, Eingriffe in den Schutzbereich der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG darstellen, hat der Vorsitzende beim Erlass solcher Anordnungen der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Um den Eingriff in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu rechtfertigen, muss der Vorsitzende seine Entscheidung jeweils auf konkrete Gründe wie insbesondere den Schutz des Angeklagten und der sonstigen Verfahrensbeteiligten, eines ungestörten Verlaufs der Sitzung oder die Bedingungen für eine ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung315. Eines der wesentlichen Ziele der Hauptverhandlung, wahrheitsgemäße und vollständige, forensisch brauchbare Angaben aller Aussagepersonen zu erlangen, setzt Rahmenbedingungen voraus, die Hemmungen und Aufgeregtheit – gerade beim Umgang mit Medien nicht erfahrenen Personen – vermeiden helfen316. Nicht nur für die Frage der Ablichtung des Angeklagten, sondern auch für die Ablichtung von Zeugen und Sachverständigen ist eine Abwägung vorzunehmen, bei der die für den Angeklagten entwickelten Grundsätze entsprechend gelten317. Ton- und Bildaufnahmen unmittelbar vor oder nach einer Verhandlung oder in den Sitzungspausen sind von der Presse- und Rundfunkfreiheit umfasst. Sitzungspolizeiliche Anordnungen, die solche Aufnahmen ausschließen oder einschränken, erfordern daher im Interesse der Wirksamkeit des materiellen Grundrechtsschutzes, dass der Vorsitzende die für seine Entscheidung maßgebenden Gründe offenlegt und dadurch für die Betroffenen erkennen lässt, dass in die Abwägung alle dafür erheblichen Umstände eingestellt worden sind318. Der Vorsitzende hat bei seinen sitzungspolizeilichen Anordnungen die Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten319. Bei der Ermessensausübung sind einerseits die Bedeutung der Pressefreiheit für die Gewährleistung öffentlicher Wahrnehmung und Kontrolle von Gerichtsverhandlungen einerseits und andererseits der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten, namentlich der Angeklagten und der Zeugen, aber auch der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege insbesondere die ungestörte Wahrheit- und Rechtsfindung zu beachten320.
313 314 315 316 317 318 319 320
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BGH v. 11.2.1998 – 3 StE 7/94-1 (2) StB 3/98, NJW 1998, 1420. BVerfG v. 17.4.2015 – 1 BvR 3276/08, AfP 2015, 238 – Rechtswegerschöpfung. BVerfG v. 17.8.2017 – 1 BvR 1741/17. BVerfG v. 31.7.2014 – 1 BvR 1858/14, AfP 2014, 438 Rz. 16, NJW 2014, 3013 – Kindesmord; v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 = NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder. BVerfG v. 31.7.2014 – 1 BvR 1858/14, AfP 2014, 438 Rz. 17 – Kindesmord. BVerfG v. 31.7.2014 – 1 BvR 1858/14, AfP 2014, 438 Rz. 12 – Kindesmord; v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 – Rekruten-Schinder; v. 3.4.2009 – 1 BvR 654/09, AfP 2009, 244 = NJW 2009, 2117 – Komasaufen. BVerfG v. 9.9.2016 – 1 BvR 2022/16, ZUM-RD 2017, 314. BVerfG v. 9.9.2016 – 1 BvR 2022/16, ZUM-RD 2017, 314; v. 31.7.2014 – 1 BvR 1858/14, AfP 2014, 438 Rz. 12, NJW 2014, 3013 – Kindesmord; v. 30.3.2012 – 1 BvR 711/12, AfP 2012, 146; v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 = NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder; v. 21.7.2000 – 1 BvQ 17/00, AfP 2000, 454 = NJW 2000, 2890 – Fernsehaufnahmen im Strafverfah-
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 97 Kap. 7
Überwiegt bei Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Interesse an einer Be- 95 richterstattung unter Nutzung von Ton- und Bewegbildaufnahme andere bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Interessen, ist der Vorsitzende verpflichtet, eine Möglichkeit für solche Aufnahme zu schaffen321. Bei der Gewichtung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit ist der jeweilige Gegen- 96 stand des gerichtlichen Verfahrens von Bedeutung. Bei Strafverfahren ist insbesondere die Schwere der angeklagten Straftat zu berücksichtigen, aber auch die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie etwa aufgrund besonderer Umstände und Rahmenbedingungen, der beteiligten Personen, der Furcht vor Wiederholung solcher Straftaten oder auch wegen des Mitgefühls mit den Opfern und den Angehörigen erlangt hat322. Das Informationsinteresse wird regelmäßig umso stärker sein und in der Abwägung an Gewicht gewinnen, je mehr sich die Straftat von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt, etwa aufgrund der Art der Begehung, der Schwere ihrer Folgen oder der Besonderheit des Angriffsobjekts323. Ein gewichtiges Informationsinteresse kann auch dann gegeben sein, wenn zwar dem Angeklagten selbst keine herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung zukommt, aber ein Informationsinteresse an dem Prozess als solchem besteht, etwa wegen seines aufsehenerregenden Gegenstands324. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist regelmäßig nicht allein auf den Angeklagten und die ihm zur Last gelegten Taten gerichtet, sondern auch auf die Personen, die in dem der besonderen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit unterliegenden Fall als Mitglieder des Spruchkörpers (auch als Laienrichter), als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft oder als zur Mitwirkung an der Verhandlung berufener Rechtsanwalt an der Rechtsfindung im Namen des Volkes mitwirken325. Gegenstand solcher grundsätzlich berechtigter Informationsinteressen kann ferner auch ein sonstiger am Verfahren Beteiligter sein, etwa ein Zeuge326. Bei der Ermessensausübung und der ihr zugrunde liegenden Abwägung sind aber auch 97 schutzwürdige Interessen zu berücksichtigen, die einer Aufnahme und Verbreitung von Tonund Bildaufnahmen entgegenstehen können. Dazu gehören insbesondere der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten (dazu Rz. 98 und insbesondere des Angeklagten Rz. 100), aber auch der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung327. Dabei kommt den gegenläufigen Interessen besonderes Gewicht zu, wenn die vom Gesetzgeber typisierend festgelegten personen-
321 322 323 324 325
326 327
ren; v. 11.11.1992 – 1 BvR 1595/92, 1 BvR 1606/92, AfP 1992, 359 = NJW 1992, 3288 – Politbüro I; v. 14.7.1994 – 1 BvR 1595/92 u.a., AfP 1994, 213 = NJW 1995, 184 – Politbüro II. BVerfG v. 21.2.2007 – 1 BvR 620/07, Rz. 34, NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder; v. 14.7.1994 – 1 BvR 1595/92, 1 BvR 1606/92, AfP 1994, 213 = NJW 1995, 184 – Politbüro II. BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 Rz. 35 = NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder. BVerfG v. 3.4.2009 – 1 BvR 654/09, AfP 2009, 244 Rz. 20 = NJW 2009, 2117 – Komasaufen. BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 Rz. 35 = NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder. BVerfG v. 9.9.2016 – 1 BvR 2022/16, ZUM-RD 2017, 314; v. 30.3.2012 – 1 BvR 711/12, AfP 2012, 146 – Einschränkung von Fernsehaufnahmen; v. 3.4.2009 – 1 BvR 654/09, AfP 2009, 244 Rz. 20 = NJW 2009, 2117 – Komasaufen; v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 = NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder. BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 Rz. 36 = NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder. BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 Rz. 37 = NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder; v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95 – ntv, BVerfGE 103, 45, 46 = AfP 2001, 48.
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Kap. 7 Rz. 98
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
bezogener Voraussetzungen für den Ausschluss selbst der Saalöffentlichkeit vorliegen (etwa § 48, § 109 Abs. 1 Satz 4 JGG, § 171a, § 172 Nr. 1a, Nr. 4 GVG). 98
Zu den bei der Ermessungsausübung und der ihr zugrunde liegenden Abwägung zu berücksichtigenden Schutzinteressen gehört das Persönlichkeitsrecht der Beteiligten, namentlich der Angeklagten, der Zeugen, Sachverständigen, Nebenkläger, Opfer, aber auch der Berufsund Laienrichter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege328. Sie haben kein berechtigtes Interesse, nur durch die in der Sitzung Anwesenden wahrgenommen zu werden. Aber auch ihnen kann ein Anspruch auf Schutz zustehen, der das Veröffentlichungsinteresse überwiegen kann, bspw. wenn die Veröffentlichung von Abbildungen eine erhebliche Belästigung oder eine Gefährdung ihrer Sicherheit durch Übergriffe Dritter bewirken kann329. Er kann auch eine Mitwirkung in anderen Verfahren, aus denen sich solche Umstände für Verfahrensbeteiligte ergeben, von Bedeutung sein330. Die bloße Lästigkeit der Anwesenheit von Presse und Rundfunk als solche und damit notwendig verbundene untergeordnete Auswirkungen auf die Flüssigkeit des Verfahrensablaufs rechtfertigen das Verbot der Erstellung von Bildaufnahmen ebenso wenig wie weitere konkretisierte Auswirkungen eines „Medienrummels“ oder das Bedürfnis der Verfahrensbeteiligten an einer stressfreien Teilnahme an den Verhandlungsterminen331. Soweit der Vorsitzende zur Begründung der Anordnung maßgeblich darauf verweist, dass es den Sitzungsablauf erheblich beeinträchtigen würde, wenn an jedem Sitzungstag erst abgewartet werden müsse, bis Fotografen und Kameraleute ihre Aufnahmen beenden, um mit der Sitzung beginnen zu können, begründet dies keine verhältnismäßige Einschränkung der Presse- und Rundfunkfreiheit der Medien332.
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Die Befugnis der Medien zur Gewinnung und Veröffentlichung von visuellen Aufzeichnungen der bei einer Verhandlung anwesenden Personen ist insbesondere am Recht am eigenen Bild als Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts zu messen, das dem Einzelnen Einflussund Entscheidungsmöglichkeiten nicht nur über die Verwendung, sondern auch für die Anfertigung von Fotografien und Aufzeichnungen seiner Person durch andere bietet333. Die für die einwilligungslose Verbreitung von Personenbildnissen durch die Massenmedien entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe sind auch zu beachten, wenn es um die Anferti328 BVerfG v. 21.7.2014 – 1 BvR 1858/14 Rz. 12, NJW 2014, 3013 = AfP 2014, 438 – Ermordung des eigenen Kindes; v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 Rz. 38 = NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder. Dabei haben jedoch Personen, die im Gerichtsverfahren infolge ihres öffentlichen Amtes oder in anderen Positionen als Organe der Rechtspflege anlässlich ihrer Teilnahme an einer öffentlichen Verhandlung im Blickfeld der Öffentlichkeit und der Medien stehen nicht in gleichem Maße einen Anspruch auf Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte wie eine von dem Verfahren betroffene Privatperson (BVerfG v. 9.9.2016 – 1 BvR 2022/16, ZUM-RD 2017, 314; v. 31.7.2014 – 1 BvR 1858/14, AfP 2014, 438 = NJW 2014, 3013 Rz. 18 – Kindesmörder; v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 = NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder; v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, AfP 2001, 48 – ntv II; v. 21.7.2000 – 1 BvQ 17/00, AfP 2000, 454 = NJW 2000, 2890 Fernsehaufnahmen im Strafverfahren). 329 BVerfG v. 9.9.2016 – 1 BvR 2022/16, ZUM-RD 2017, 314. 330 BVerfG v. 31.7.2014 – 1 BvR 1858/14, AfP 2014, 438 = NJW 2014, 3013 Rz. 18 – Kindesmord; v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 = NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder; v. 3.4.2009 – 1 BvR 654/09, NJW 2009, 2117 – Komasaufen. 331 BVerfG v. 17.8.2017 – 1 BvR 1741/17, AfP 2017, 405 = NJW 2017, 3288. 332 BVerfG v. 9.9.2016 – 1 BvR 2022/16, NJW 2017, 314. 333 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 Rz. 39, NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder unter Hinweis auf BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96 – Caroline von Monaco II, BVerfGE 101, 361, 381 = MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 99 Kap. 7
gung bestimmter Personenbildnisse am Rande der Hauptverhandlung mit dem Ziel der Verbreitung in den Massenmedien geht. Gerichtsverhandlungen, auf die ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerichtet ist, sind Ereignisse aus dem Bereich des Zeitgeschehens; der Schutz des Persönlichkeitsrechts der daran Beteiligten fordert daher kein völliges Filmverbot334. Die Sitzungspolizei i.S.v. § 176 GVG umfasst alle Befugnisse und Maßnahmen, die erforderlich sind, um – letztlich im Interesse der Wahrheitsfindung – den ungestörten Verlauf der Sitzung zu sichern. Dazu gehören der störungsfreie äußere Ablauf der Verhandlung, ferner die ungehinderte Entscheidungsfindung samt allen darauf gerichteten Beiträgen und Interaktionen der Verfahrensbeteiligten und der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Angeklagten335. Der Schutz des Rechts am eigenen Bild der Verfahrensbeteiligten bei Gerichtsverhandlungen geht nicht über den allgemeinen Schutz nach §§ 22, 23 KUG hinaus. Der begrenzte Schutzzweck der Sitzungspolizei nach § 176 GVG gestattet deshalb dem Vorsitzenden nicht, die Zulässigkeit einer Bildnisveröffentlichung zum Schutz des Persönlichkeitsrechts der Verfahrensbeteiligten abweichend von den Vorschriften der §§ 22, 23 KUG und der danach erforderlichen Abwägung zwischen dem Recht der Presse- und Meinungsfreiheit einerseits und dem Persönlichkeitsrecht andererseits (abgestuftes Schutzkonzept) zu regeln. Durch sitzungspolizeiliche Anordnungen kann das Persönlichkeitsrecht der Verfahrensbeteiligten nicht in einem weiteren Umfang geschützt werden, als dies außerhalb von Gerichtsverhandlungen nach §§ 22, 23 KUG der Fall ist. Die Medienverfügungen des Vorsitzenden im Rahmen von § 176 GVG müssen vielmehr ihrerseits dem zu § 22, 23 KUG entwickelten abgestuften Schutzkonzept Rechnung tragen336. Die sitzungspolizeilichen Fotografierverbote oder Anonymisierungs-Anordnungen sowie Verpixelungs-Anordnungen müssen von den Medien deshalb nicht befolgt werden, wenn die Voraussetzungen einer einigungsfreien Verbreitung von Bildnissen nach § 23 KUG vorliegen, weil es sich bei dem Verfahren um ein zeitgeschichtliches Ereignis i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG handelt und keine berechtigten Interessen des Abgebildeten i.S.v. § 23 Abs. 2 KUG der Verbreitung von Bildnissen entgegenstehen. Falls somit trotz eines gerichtlichen Verbots Aufnahmen hergestellt oder eine angeordnete Anonymisierung nicht beachtet wird, kann den Abgebildeten derselbe Schutz gegen die Anfertigung und ebenfalls Veröffentlichung der Bildnisse zustehen, der sich aus den auch außerhalb des Gerichtssaals geltenden allgemeinen Grundsätzen ergibt337. Bei einem erheblichen Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einem Gerichtsverfahren kann es jedoch trotz bestehender Risiken für Leib und Leben von Verfahrensbeteiligten geboten sein, eine Fernsehberichterstattung zuzulassen, sofern sichergestellt ist, dass die Gesichter abgebildeter Personen vor der Veröffentlichung der Aufnahmen und ihrer Weitergabe an andere Fernsehveranstalter anonymisiert werden338, sofern nicht nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG eine Verbreitung und Zurschaustellung der Bildnisse auch ohne Einwilligung der Betroffenen zulässig wäre. Gleichwohl hat der EGMR in der Anordnung des Vorsitzenden, in einem spektakulären Mordprozess Foto- und Videoaufnahmen des geständigen Angeklagten nur unter der Voraussetzung zuzulassen, dass das Gesicht des Angeklagten bei einer Veröffentlichung unkenntlich gemacht wird, keine unzulässige Ein334 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 Rz. 40, NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder. 335 BGH v. 7.6.2011 – VI ZR 108/10, AfP 2011, 356 = MDR 2011, 847 Rz. 27, NJW 2011, 3153 – Anordnung der Verpixelung. 336 BGH v. 7.6.2011 – VI ZR 108/10, NJW 2011, 3151 Rz. 23 – Anordnung der Verpixelung m. Anm. Gostomzyk. 337 Vgl. Soehring/Hoene, § 6 Rz. 13a und BGH v. 7.6.2011 – VI ZR 108/10, AfP 2011, 356 = MDR 2011, 847 = NJW 2011, 3153 Rz. 27 – Anordnung der Verpixelung. 338 BVerfG v. 15.4.2002 – 1 BvR 680/02, AfP 2002, 213 – El-Kaida-Prozess.
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Kap. 7 Rz. 100
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
schränkung der Bildberichterstattung gesehen. Die Anordnung habe einen bedachten Ausgleich zwischen den Interessen der Medien und dem Persönlichkeitsrecht des Angeklagten getroffen. Denn auf der einen Seite sei die Bildberichterstattung nicht vollständig untersagt worden; auf der anderen Seite sei der Angeklagte keine öffentliche Person gewesen und habe selbst nie die mediale Aufmerksamkeit gesucht339. 100
In Gerichtsverfahren gewinnt der Persönlichkeitsschutz der Verfahrensbeteiligten eine Bedeutung, die über den allgemein in der Rechtsordnung anerkannten Schutzbedarf hinausgeht. Dies gilt nicht nur – aber mit besonderer Intensität – für den Schutz der Angeklagten im Strafverfahren, die sich unfreiwillig der Verhandlung und damit der Öffentlichkeit stellen müssen340. Einem Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Person des Täters, das sich auf die Schwere der Tat und die Verwerflichkeit von deren besonderen Umständen stützt, kann entgegenstehen, dass der Angeklagte, für den die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Unschuldsvermutung streitet, im Falle einer Fernsehberichterstattung, die sein – insbesondere nicht anonymisiertes – Bildnis zeigt, Gefahr läuft, eine erhebliche Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts zu erleiden, die im Einzelfall trotz späterem Freispruch schwerwiegende und nachhaltige Folgen haben kann341. Es ist zu bedenken, dass auch eine um Sachlichkeit und Objektivität bemühte Bildberichterstattung regelmäßig einen weitaus stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt als eine Wortberichterstattung. Dies folgt aus der stärkeren Intensität des optischen Eindrucks und der Kombination von Ton- und Bild, aber auch aus der ungleich größeren Reichweite, die dem Fernsehen gegenüber anderen Medien zukommt. Der Betroffene läuft daher möglicherweise Gefahr, auch im Falle eines Freispruchs aus Mangel an Beweisen und der im Verfahren festgestellten Einzelheiten der Tat in der Öffentlichkeit mit dem Makel behaftet zu sein, die Tat „in Wahrheit“ doch begangen zu haben. Wenn sich eine solche Überzeugung mit der lebhaften Erinnerung an das Gesicht des Angeklagten aus der bebilderten Berichterstattung über die Gerichtsverhandlung verbindet, läuft der Angeklagte Gefahr, trotz einem späteren Freispruch eine nachhaltige Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts zu erleiden, die im Einzelfall schwerwiegende Folgen haben kann342. Eine solche nachhaltige Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Angeklagten kann auch dann eintreten, wenn sich im Laufe des Verfahrens herausstellt, dass der Angeklagte schuldunfähig und in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen ist343. In der Regel wird deshalb oftmals bis zu einem erstinstanzlichen Schuldspruch das Gewicht des Persönlichkeitsrechts des Angeklagten gegenüber der Freiheit der Berichterstattung überwiegen. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine individualisierende Bildberichterstattung über einen Angeklagten vor einer erstinstanzlichen Verurteilung oder einem Geständnis stets ausscheidet. Vielmehr können es die jeweiligen Umstände des Falls rechtfertigen, dass sich der Betroffene bei der Abwägung mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht bzw. nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann. Dies kommt beispielsweise in Betracht, wenn sich der Angeklagte in eigenverantwortlicher Weise den ihm gegen339 EGMR v. 21.9.2017 – 51405/12, DÖV 2017, 1003 – Axel Springer und RTL/Deutschland; Haug, AfP 2018, 121. 340 BVerfG v. 3.4.2009 – 1 BvR 654/09, AfP 2009, 244 Rz. 23, NJW 2009, 2117 – Komasaufen; l. v. 30.4.2012 – 1 BvR 711/12, AfP 2012, 146 Rz. 19, ZUM-RD 2012, 309 – Geiselnahme; v. 24.11.2001 – 1 BvR 2623/95, AfP 2001, 48 = NJW 2001, 1633 – ntv. 341 BVerfG v. 30.3.2012 – 1 BvR 711/12, AfP 2012, 146 Rz. 19, ZUM-RD 2012, 309 – Geiselnahme; v. 3.4.2009 – 1 BvR 654/09, AfP 2009, 244 Rz. 23, NJW 2009, 2117 – Komasaufen. 342 BVerfG v. 27.11.2008 – 1 BvQ 46/08, AfP 2009, 46 Rz. 15 = NJW 2009, 350 – Holzklotzfall. 343 BVerfG v. 30.3.2012 – 1 BvR 711/12, AfP 2012, 146 Rz. 19, ZUM-RD 2012, 309 – Geiselnahme.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 104 Kap. 7
über erhobenen Vorwürfen in der medialen Öffentlichkeit auch im Wege einer Bildberichterstattung gestellt hat344. Siehe hierzu aber das Urteil des EGMR vom 21.9.2017 in Sachen Springer und RTL/Deutschland Rz. 99 a.E. Für die Abbildung von Zeugen und Sachverständen gelten die für die Abwägung für den 101 Angeklagten entwickelten Grundsätze entsprechend345. Dabei ist zu bedenken, dass gegebenenfalls vor allem Zeugen des Verfahrens unter besonderem öffentlichen Druck stehen können, etwa weil ihnen die Presse zum Teil eine Mitschuld am Tod des Opfers der angeklagten Tat zugewiesen hat. Bei solchen Umständen ist es naheliegend, dass bei einer Abbildung solcher Zeugen eine erhebliche Belästigung oder Gefährdung ihrer Sicherheit durch Übergriffe Dritte zu befürchten ist und ihr Schutz vor ungewollten Abbildungen auch einen sachlichen, der Wahrheitsfindung fördernden Verfahrensverlauf dienen kann346. Etwas anderes kann allerdings für Zeugen oder Sachverständigen gelten, die sich mit ihren Äußerungen zuvor freiwillig in die Öffentlichkeit begeben haben. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit kann im Einzelfall auch dann das Persönlich- 102 keitsrecht eines Beteiligten überwiegen, wenn der betreffende Verfahrensbeteiligte kraft seines Amtes oder wegen seiner gesellschaftlich hervorgehobenen Verantwortung bzw. Prominenz auch sonst in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medienöffentlichkeit mit Rücksicht hierauf hinzunehmen hat347. § 17a BVerfGG gestattet Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmauf- 103 nahmen vor dem Bundesverfassungsgericht zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts in der mündlichen Verhandlung, bis das Gericht die Anwesenheit der Beteiligten festgestellt hat, und bei der öffentlichen Verkündung der Entscheidungen. Das Bundesverfassungsgericht kann allerdings die genannten Aufnahmen oder deren Übertragung zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens ganz oder teilweise ausschließen oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig machen (vgl. § 17a BVerfGG). b) Luftverkehrsgesetz, Schutzbereichsgesetz Nach § 27 Abs. 2 Luftverkehrsgesetz vom 14.1.1981348 durften von einem Luftfahrzeug aus 104 Lichtbildaufnahmen außerhalb des Fluglinienverkehrs nur mit behördlicher Erlaubnis gefertigt werden. Die Bestimmung wurde durch das Rechtsbereinigungsgesetz vom 28.6.1990 aufgehoben349. Sicherheitsgefährdende Aufnahmen von einem Luftfahrzeug aus sind nach § 109g Abs. 2 StGB verboten.
344 BVerfG v. 27.11.2008 – 1 BvQ 46/08, AfP 2009, 46 = NJW 2009, 350, 352 – Holzklotzfall; nachfolgend BVerfG Nichtannahmebeschluss v. 17.4.2015 – 1 BvR 3276/08, AfP 2015, 238 = NJW 2015, 2175 – Rechtswegerschöpfung. 345 BVerfG v. 31.7.2014 – 1 BvR 1858/14, AfP 2014, 438 = NJW 2014, 3013 Rz. 17 – Kindesmörder. 346 BVerfG v. 31.7.2014 – 1 BvR 1858/14, AfP 2014, 438 = NJW 2014, 3013 Rz. 17 – Kindesmörder; v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 = NJW 2008, 977 – Rekruten-Schinder; v. 3.4.2009 – 1 BvR 654/09, NJW 2009, 2117 – Komasaufen. 347 BVerfG v. 3.4.2009 – 1 BvR 654/09, AfP 2009, 244 Rz. 23, NJW 2009, 2117 – Komasaufen. 348 BGBl. I 1981, 61. 349 BGBl. I 1990, 1221, 1243.
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Kap. 7 Rz. 105 105
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Das Fotografieren militärischer Einrichtungen von außen ist an sich zulässig. Nach § 5 Abs. 2 des Schutzbereichsgesetzes (SchBerG) vom 7.12.1956350 ist es aber unzulässig, ein als Schutzbereich gekennzeichnetes Gebiet oder seine Anlagen ganz oder teilweise ohne Genehmigung zu fotografieren oder Zeichnungen, Skizzen oder andere bildliche Darstellungen davon anzufertigen. Ein Schutzbereich ist gem. § 1 SchBerG ein Gebiet, in dem aufgrund besonderer Anordnung die Benutzung von Grundstücken für Zwecke der Verteidigung usw. beschränkt ist. Außerdem können nach dem UZwGBw vom 12.8.1965351, das die Ausübung unmittelbaren Zwanges durch Soldaten usw. betrifft, zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung allgemeine Anordnungen erlassen werden, auch solche, die das Fotografieren militärischer Bereiche einschränken oder verbieten. Durch das UzwGBw nicht gedeckt ist jedoch das Fotografieren friedlicher Teilnehmer einer Mahnwache außerhalb des Kasernengeländes zur Gefahrenabwehr und zur Dokumentation möglicher Straftaten352. Im Übrigen ist ein sicherheitsgefährdendes Abbilden nach § 109g StGB (am Boden gem. Abs. 1 und von Luftfahrzeugen aus gem. Abs. 2) strafbar. Nach dieser Vorschrift ist es unter Strafandrohung verboten, von einem Wehrmittel, einer militärischen Einrichtung oder Anlage oder einem militärischen Vorgang eine Abbildung anzufertigen oder eine solche Abbildung an einen anderen gelangen zu lassen und dadurch wissentlich die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe zu gefährden. Die Vorschrift gilt auch für das Abbilden von Wehrmitteln, militärischen Einrichtungen, Anlagen oder militärischen Vorgängen in Deutschland stationierter NATO-Truppen353, nicht aber solche des Bundesgrenzschutzes354. 6. Notwehr gegen Fotografen
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Die Strafvorschrift des § 33 KUG greift nur ein, wenn das Recht am eigenen Bild verletzt ist, also ein Bildnis entgegen §§ 22, 23 KUG verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt wird. Das bloße Anfertigen von Bildnissen ist dagegen – von wenigen Ausnahmen gesetzlicher Fotografierverbote abgesehen (vgl. Rz. 89 ff.) – straffrei, kann aber das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen (vgl. Rz. 30 ff.). Aber auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist – als sonstiges Recht i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB – notwehrfähig355. Da das Persönlichkeitsrecht auch den Schutz der Privatsphäre umfasst, sind auch Aufnahmen der Wohnung des Betroffenen356 und bei Trauerfeierlichkeiten357 notwehrfähig ebenso wie die vom Betroffenen genutzten und durch Art. 13 GG dem Schutz der Wohnung gleichgestellten Örtlichkeiten (z.B. Kanzleiräume358).
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Eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Foto- oder Filmaufnahmen ist jedoch erst dann rechtswidrig und damit ein notwehrfähiger Angriff auf das all350 351 352 353 354 355
BGBl. I 1956, 899 i.d.F. v. 13.5.2015. BGBl. I 1965, 796. BVerwG v. 18.11.1997 – 1 WB 46/97, NVwZ 1998, 403. Art. 7 des 4. StÄG, BGBl. I 1986, 2566. OLG Celle, NJW 1962, 195. OLG Hamburg v. 5.4.2012 – 3-14/12, AfP 2012, 392 – Notwehr eines Angeklagten gegen Pressefotograf im Gerichtsgebäude; v. 14.4.1972 – 1 Ws 84/72, NJW 1972, 1290; OLG Düsseldorf v. 15.10.1993 – 2 Ss 175/93-65/93 II-2 Ws 214/93, NJW 1994, 1971. 356 OLG Düsseldorf v. 15.10.1993 – 2 Ss 175/93-65/93 II-2 Ws 214/93, NJW 1994, 1971; LG Hamburg v. 20.9.1995 – 317 S 121/95, ZUM 1996, 430; AG Hamburg v. 6.3.1995 – 6 C 219/94, ZUM 1996, 428. 357 LG Frankfurt/O. v. 25.6.2013 – 16 S 251/12, AfP 2013, 438 = NJW-RR 2014, 159 – Notwehr bzw. Nothilfe eines Trauergastes gem. § 227 BGB gegen Pressefotografen. 358 OLG München v. 30.11.1991 – 21 U 4699/91, AfP 1992, 78.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 109 Kap. 7
gemeine Persönlichkeitsrecht i.S.v. § 227 BGB, wenn bei der im Einzelfall anzustellenden Abwägung der widerstreitenden Interessen analog §§ 22, 23 KUG die schutzwürdigen Belange des Angegriffenen überwiegen (vgl. Rz. 34 und 38). Jedenfalls dann liegt ein rechtswidriger Angriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor, wenn eine Verbreitung der Aufnahme unter allen Umständen und in jedem nur denkbaren Kontext nach § 22, 23 KUG unzulässig wäre (vgl. Rz. 38). Auch ein Eingriff in die Intimsphäre ist rechtswidrig, ohne dass es einer Interessenabwägung bedarf. Im Übrigen ist nach den Umständen des konkreten Falles das Schutzinteresse des Angegriffenen am Unterbleiben der Ablichtung gegen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite abzuwägen. Auf Seiten des Angegriffenen fällt hierbei beispielsweise ins Gewicht, ob durch die Abbildung seine Privatsphäre nur am Rande oder aber in ihrem Kern betroffen ist, ob die Aufnahmen durch heimliches oder überrumpelndes Vorgehen gefertigt wurden, durch dauernde Nachstellung, mit List oder illegalen Mitteln (Rz. 39). Ob und inwieweit der Angegriffene in der konkreten Situation berücksichtigen muss, dass es sich bei dem Kamerateam oder dem Fotografen um – vom Angegriffenen als solche erkannte – Vertreter oder Beauftragte von Medien handelt, bei denen ohne konkrete Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden kann, dass die von ihnen hergestellten Aufnahmen auch in rechtswidriger Weise veröffentlicht werden, ist ungeklärt (vgl. Rz. 44 und Rz. 38). Der Notwehrbegriff und die tatbestandlichen Voraussetzungen der strafrechtlichen und der 108 zivilrechtlichen Notwehr (§ 32 StGB und § 227 BGB) stimmen überein. Voraussetzung ist eine Notwehrlage, die durch einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff auf das rechtlich geschützte Interesse begründet wird. Gegenwärtig ist der Angriff von seinem Beginn bis zu seiner Beendigung. Ein Angriff ist bereits dann gegenwärtig, wenn sich die durch das Verhalten des Angreifers begründete Gefahr so verdichtet hat, dass ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde359. Ein Angriff ist erst dann beendet, wenn die Verletzung des geschützten Rechtsgutes endgültig eingetreten ist, also nicht mehr abgewendet werden kann. Beim Fotografieren endet der Angriff daher erst mit dem Herstellen der Abzüge360. Welche Notwehrhandlungen zulässig sind (Wegnahme der Kamera, Wegnahme des Films aus der Kamera, gewaltsame Durchsetzung des Herausgabeverlangens), hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Denn die konkret ergriffene Notwehrmaßnahme muss erforderlich und geeignet sein, um die Rechtsverletzung zu verhindern. Erforderlichkeit bedeutet Verhältnismäßigkeit. Erforderlich ist daher diejenige Maßnahme, die den Erfolg sicher herbeiführt, deren Folgen dabei aber zu dem erstrebten Erfolg nicht unverhältnismäßig sind361. Die in einer objektiven Notwehrlage ergriffene Notwehrmaßnahme ist nach § 32 Abs. 2 StGB 109 gerechtfertigt, wenn es sich bei ihr um das mildeste zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führende Mittel handelt, das dem Angegriffenen oder seinem Helfer in der konkreten Situation zur Verfügung stand. Ob dies der Fall war, muss aus der Sicht eines objektiven und umfassend über den Sachverhalt unterrichteten Dritten in der Situation des Angegriffenen auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden362. Von einem rechtswidrig Angegriffenen wird nicht verlangt, dass er dem Angriff ausweicht und damit den Angriff 359 360 361 362
BGH v. 25.4.2013 – 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133 Rz. 17. OLG Düsseldorf v. 15.10.1993 – 2 Ss 175/93-65/93 II-2 Ws 214/93, NJW 1994, 1971, 1972. LG Hamburg v. 28.9.1995 – 317 S 121/95, ZUM 1996, 430. BGH v. 25.4.2013 – 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133 Rz. 17 und v. 2.7.2015 – 4 StR 509/14, NJW 2016, 423.
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Kap. 7 Rz. 110
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
hinnimmt und damit weder das bedrohte Persönlichkeitsrecht noch die in ihrem Geltungsanspruch in Frage gestellte Rechtsordnung gewahrt bliebe363. Die Grenzen der erforderlichen Verteidigung waren daher nicht überschritten, als bei einer Trauerfeier ein Angehöriger des Verstorbenen einen Pressefotografen zunächst aufforderte, das Fotografieren einzustellen, dann seine Hand vor das Objektiv hielt und schließlich versuchte, sich mit seinem Körper vor den Fotoapparat zu stellen und erst nachdem diese Maßnahmen nicht fruchteten, unter körperlichem Einsatz versuchte, das weitere Fotografieren zu verhindern. Auch wenn dabei der Fotograf am Handgelenk und im Gesicht nicht unerheblich verletzt wurde und mehrere Wochen arbeitsunfähig krankgeschrieben war, hatte der Angreifer die Grenzen der erforderlichen Verteidigung nicht überschritten, sondern das jeweils mildeste und zugleich Erfolg versprechende Mittel eingesetzt364. Eine gerechtfertigte Notwehr wurde auch bejaht, als ein Pressefotograf, der im Treppenhaus des Amtsgerichts den Angeklagten eines Strafverfahrens fotografierte, mehrfach von diesem aufgefordert wurde, das Fotografieren einzustellen. Dies ignorierte der Fotograf und schlug dem Angeklagten vor, er möge sich doch ein Blatt Papier oder die mitgeführte Tasche vor das Gesicht halten. Der Angeklagte hielt sich stattdessen zunächst die Hand vor das Gesicht, ging aber dann, als der Fotograf weiter fotografierte, wütend auf ihn zu und schlug mit der Hand heftig gegen das Objektiv der Kamera, die der Fotograf gerade vor sein Gesicht hielt. Durch den Schlag wurde die Kamera in das Gesicht des Fotografen gedrückt, wodurch dieser leicht am Kopf verletzt wurde. Diese Verteidigung war eine erforderliche und verhältnismäßige Notwehr. Der Schlag gegen die Kamera war grundsätzlich geeignet, ein rechtswidriges Fotografieren zu beenden. Ein milderes Mittel stand nicht zur Verfügung, nachdem der Fotograf die Aufforderungen, das Fotografieren einzustellen, ignoriert hatte. Der Angeklagte musste sich nicht darauf beschränken, sein Gesicht zu verdecken, sondern durfte die Verteidigung wählen, die den Angriff sofort und endgültig beendet. Der 58-jährige Angeklagte war nicht in der Lage, mit weniger Gewaltanwendung, wie z.B. durch einfaches Wegnehmen der Kamera, den Angriff zu beenden. Die Verteidigung des Angeklagten war daher durch Notwehr gegen den Pressefotografen gerechtfertigt. Wären die Voraussetzungen einer gerechtfertigten Notwehr nach § 32 StGB zu verneinen, wäre die Frage eines Irrtums zu prüfen. Bei der Prüfung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums wäre zu berücksichtigen, dass der Fotografierte von der Situation möglicherweise überrascht worden war und keine Möglichkeit hatte, sich über die Rechtslage und die dazu erforderliche Abwägung der Rechtsgüter zuverlässigen Rechtsrat einzuholen. Den Rechtsrat des Fotografen, das Fotografieren zu dulden und sich einen Gegenstand vor das Gesicht zu halten, habe er nicht ungeprüft akzeptieren müssen365. 110
Verletzungen des Persönlichkeitsrechts durch unerlaubtes Fotografieren dürfen grundsätzlich durch Festhalten der Kamera zur Verhinderung weiterer Aufnahmen abgewehrt werden, wenn ein Widerspruch gegen das Fotografieren erfolglos war. Auch die Wegnahme des in der Kamera befindlichen Films zur Unterbindung von dessen missbräuchlicher Verwendung ist im Rahmen der Notwehr gerechtfertigt, weil dem Verletzten im Regelfall eine anderweitige erfolgreiche Durchsetzung seines Anspruchs auf Herausgabe bereits gefertigter Aufnahmen vor deren missbräuchlichen Verwendung nicht zur Verfügung steht366. Als ein prominenter Sänger mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn bei einer Privatreise auf dem Flughafen Köln von Paparazzi bedängt wurde, setzt er sich dagegen zur Wehr und schleudert seine Reisetasche 363 BGH v. 25.4.2013 – 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133 Rz. 27 m.w.N.; LG Frankfurt/O. v. 25.6.2013 – 16 S 251/12, AfP 2013, 438, 441 – Notwehr gegen Bildaufnahmen bei Trauerfeier. 364 LG Frankfurt/O. v. 25.6.2013 – 16 S 251/12, AfP 2013, 438, 441. 365 OLG Hamburg v. 5.4.2012 – 3 – 14/12 Rev., AfP 2012, 392. 366 OLG Düsseldorf v. 15.10.1993 – 2 Ss 175/93-65/93 II-2 Ws 214/93, NJW 1994, 1971.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 113 Kap. 7
gegen einen der Fotografen, der dabei geringfügig verletzt wurde. Die Medien veröffentlichten eine Videoaufnahme von diesem Vorfall, in welchem wiederholt das Ausrasten des Prominenten gezeigt wurde. Das Gericht hat dahinstehen lassen, ob der Prominente das ihm zustehende Notwehrrecht im Sinne eines Notwehrexzesses überschritten hat und die Videosequenz damit ein zeitgeschichtliches Ereignis i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zeigte. Denn der Veröffentlichung der Aufnahmen standen jedenfalls die berechtigten Interessen des Prominenten gem. § 23 Abs. 2 KUG deshalb entgegen, weil er durch die veröffentliche Fassung des Filmmaterials, bei welcher es sich um eine unvollständige, verkürzte und in der Reihenfolge geänderte Darstellung handelte, die insgesamt ein unzutreffendes Bild von den Geschehnissen zeichnete und den Betroffenen dadurch in der öffentlichen Wahrnehmung in erheblichem Maße herabwürdigte. Diese bewusst unvollständige bildliche Darstellung des Geschehens ist wie eine unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln367. Anstelle von Notwehr kommt auch Notstand, Nothilfe oder Selbsthilfe (§ 229 BGB) in Be- 111 tracht. Auch insoweit ist jedes rechtlich geschützte Interesse notstands- bzw. selbsthilfefähig. Auch bei solchen Abwehrmaßnahmen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Voraussetzungen des strafrechtlichen Notstands (§ 34 StGB) sind gegenüber denen des zivilrechtlichen Notstands (§ 228 BGB) strenger. § 34 StGB gestattet aber anders als § 228 BGB nicht nur die Beschädigung oder Zerstörung fremder Sachen, sondern darüber hinaus auch Eingriffe in persönliche Rechtsgüter wie Gesundheit und Freiheit. Liegt objektiv keine Notwehrsituation vor, wie es der Fall ist, wenn nicht Menschen, sondern 112 die Öffentlichkeit interessierende Gegenstände wie z.B. Gebäude von öffentlichem Grund aus fotografiert werden sollen, ist der Versuch der Verhinderung solcher Aufnahmen objektiv eine unzulässige Nötigung und damit eventuell ein zeitgeschichtlicher Vorgang. Versucht z.B. ein Angehöriger einer öffentliche Interessen berührenden Sekte, das Filmen des Versammlungsgebäudes der Sekte dadurch zu verhindern, dass er sich vor die Kamera stellt, kann es zulässig sein, diesen mit einer zweiten Kamera gefilmten Vorgang im Fernsehen auszustrahlen368. 7. Polizeiliches Eingreifen bei Verletzungen des KUG und § 201a StGB sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Nach der polizeilichen Generalklausel in den Polizeigesetzen der Länder (z.B. §§ 1, 3 PolG 113 BW) hat die Polizei die Aufgabe, von dem Einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist. Dabei hat die Polizei innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinen. Das polizeiliche Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst neben der Unverletzlichkeit der Normen der Rechtsordnung die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des Einzelnen sowie den Bestand und das Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen. Geschützt werden demnach sowohl Individual- wie auch Gemeinschaftsrechtsgüter369. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst mit der Einhaltung der Rechtsordnung auch das durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 367 OLG Köln v. 9.3.2017 – 15 U 46/16, AfP 2017, 253 = NJW-RR 2017, 2074 – Ausraster von Grönemeyer. 368 OLG Frankfurt v. 25.8.1994 – 6 U 296/93, NJW 1995, 878. 369 BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12/11, Rz. 23, NJW 2012, 2676 – Bildaufnahmen eines Polizeieinsatzes.
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Kap. 7 Rz. 114
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht, das u.a. durch das Recht am eigenen Bild konkretisiert wird370. 114
Das Schutzgut der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung ist betroffen, wenn die Aufnahme einer Person durch ein Strafgesetz oder das Ordnungswidrigkeitenrecht sanktioniert ist, wie dies beim strafbaren Verbreiten von Bildnissen nach §§ 33 KUG oder bei den Tatbeständen des § 201a StGB der Fall ist. Dann kann die Polizei von sich aus beim Vorlegen einer konkreten Gefahr für das polizeiliche Schutzgut einschreiten. Ob eine für das Tätigwerden der Polizei erforderliche konkrete Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut besteht, ist eine Frage der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls (vgl. dazu Rz. 83). Konkrete Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr einer nach § 33 KUG strafbaren Bildnisverletzung, die ein polizeiliches Fotografierverbot rechtfertigen, liegen beispielsweise vor, wenn nach dem festgestellten Verhalten von Teilnehmern bei früheren, gleichgelagerten Versammlungen Bildaufnahmen von Gegendemonstranten und unbeteiligten Dritten angefertigt wurden und ohne Einwilligung der Abgebildeten nach § 22 KUG und ohne Rechtfertigung nach § 23 KUG im Internet mit deutlich negativer Tendenz – zur Bloßstellung, Anprangerung und Beleidigung sowie Einschüchterung von opponierenden Personen und Gegendemonstranten – veröffentlicht wurden371. Auch die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung geht aber grundsätzlich davon aus, dass unzulässig hergestellte Lichtbilder nicht auch stets veröffentlicht werden. Für die Annahme einer solchen konkreten Gefahr bedarf es im Einzelfall hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte (vgl. Rz. 83).
115
Bereits das bloße Herstellen von Aufnahmen einer Person ist – sofern das Anfertigen der Aufnahme nicht den Straftatbestand des § 201a StGB erfüllt – ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten (vgl. Rz. 30 ff.). Rechtswidrig ist dieser Eingriff aber nur, wenn bei einer Abwägung der widerstreitenden Grundrechte und der Gewährleistungen der EMRK eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts überwiegt (vgl. dazu Rz. 34 und 38). Am polizeilichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor Beeinträchtigungen, die nicht strafrechtlich sanktioniert sind und daher nicht die Unversehrtheit der Rechtsordnung beeinträchtigen, muss nach dem Polizeirecht ein öffentliches Interesse am Eingreifen bestehen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG BW). Dieses Interesse kann sich insoweit allein aus dem im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnden allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch ergeben, der wirkungsvollen Rechtsschutz garantiert372. Damit kommt die polizeirechtliche Subsidiaritätsklausel zum Tragen (z.B. § 2 Abs. 2 PolG BW). Danach obliegt der Schutz privater Rechte der Polizei nach den Polizeigesetzen nur auf Antrag des Berechtigten und nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird373.
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Zur Gefahrenabwehr kommt sowohl bei einer drohenden Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Bildaufnahmen als auch bei der konkreten Gefahr von deren strafbaren Verbreitung ein polizeiliches Fotografier- bzw. Filmverbot oder eine Beschlagnahme der Aufnahme in Betracht. Dabei ist im Rahmen der Ermessensausübung die Verhältnismäßigkeit
370 VGH Baden-Württemberg v. 8.5.2008 – 1 S 2914/07, AfP 2008, 539 m.w.N. – Beschlagnahme von Fotos zur Sicherung persönlichkeitsrechtlicher Ansprüche. 371 Bayerischer VGH v. 16.10.2014 – 10 ZB 13.2620. 372 BVerfG v. 8.11.2006 – 2 BVR 578/02 m.w.N. 373 VGH Baden-Württemberg v. 8.5.2008 – 1 S 2914/07, AfP 2008, 539 Rz. 37.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 118 Kap. 7
zu beachten (vgl. dazu Rz. 82). Zu polizeilichen Maßnahmen, wenn Polizisten gefilmt oder fotografiert werden, vgl. Rz. 81 ff. 8. Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und KUG Literatur: Gola, DS-GVO, Kommentar 2017; Lauber-Rönsberg/Hartlaub, Personenbildnisse im Spannungsfeld zwischen Äußerungs- und Datenschutzrecht, NJW 2017, 1057; Golz/Gössling, DSGVO und Recht am Bildnis, IPRB 2018, 68.
a) Bildnisse und Bilder als personenbezogene Daten Bildaufnahmen von erkennbaren Personen waren personenbezogene Daten i.S.v. § 3 Abs. 1 117 BDSG in der bis zum 24.5.2018 geltenden alten Fassung374. Sie sind aber auch personenbezogene Daten i.S.v. § 3 Abs. 1 BDSG 2018375 sowie Art. 4 Nr. 1 DSGVO376. Denn nach der Definition von Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind „personenbezogene Daten“ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen bzw. gem. § 3 BDSG 2018 „Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person“. Auch Bildaufnahmen von Sachen fielen unter die Bestimmungen des BDSG a.F., sofern anhand der abgebildeten Sache eine bestimmte Person identifizierbar ist. Denn der Begriff „personenbezogene Daten“ bezog sich nach der durch das BDSG a.F. umgesetzten Richtlinie 95/46 vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten auf „alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person“, wobei als bestimmbar eine Person angesehen wird, „die direkt oder indirekt identifiziert werden kann, insbesondere durch Zuordnung … zu einem oder mehreren spezifischen Elementen, die Ausdruck ihrer physischen … Identität sind“377. Nichts anderes gilt für Bildaufnahmen von Sachen unter der Regie des BDSG 2018 und der DSGVO: Nach der Definition von Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind „personenbezogene Daten“ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen bzw. gem. § 3 Abs. 1 BDSG 2018 „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person“. Auch das von einer Kamera aufgezeichnete Bild einer Sache wie z.B. eines Wohnhauses oder eines Kfz mit sichtbarem KfzKennzeichen fällt daher unter den Begriff der personenbezogenen Daten, sofern es die Identifikation der betroffenen Person ermöglicht (vgl. Rz. 225 zu Dashcam-Aufnahmen). Aus Gründen des „redaktionellen Datenschutzes“ werden deshalb in den Medien auch schon bisher Kfz-Kennzeichen unkenntlich gemacht. b) KUG und BDSG a.F. Das Verbreiten und das öffentliche Zurschaustellen von Bildnissen ist im KUG geregelt; Per- 118 sonenbildnisse sind aber auch personenbezogene Daten im Sinne des Datenschutzrechts 374 EuGH v. 11.12.2014 – C 212/13, GRUR-Int. 2015, 293; BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13, MDR 2015, 1082 = AfP 2015, 358 = CR 2015, 453 m. Anm. Werkmeister/Schröder = ITRB 2015, 133 = NJW 2015, 2140 – Belegschaftsaufnahmen; OLG Stuttgart v. 4.5.2016 – 4 Ss 543/15, CR 2016, 516 = NJW 2016, 2280 – Dashcam; BGH v. 1.2.2011 – IV ZR 345/09 Rz. 23 dahingestellt; v. 1.2.2011 – VI ZR 345/09, MDR 2011, 423 = AfP 2011, 172 = NJW 2011, 2285. 375 BGBl. I 2017, S. 2097. 376 ABl. EU v. 4.5.2017, Nr. L 119, S. 1. 377 EuGH v. 11.12.2014 – C 212/13, GRUR-Int. 2015, 293 Rz. 21f.
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Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
(Rz. 121). Die Regelungen im bis Mai 2018 geltenden BDSG a.F. und KUG divergierten in wesentlichen Punkten: Nach dem KUG kann die Einwilligung konkludent erklärt werden (Rz. 163), § 4a Abs. 1 Satz 3 BDSG a.F. verlangte jedoch grundsätzlich Schriftform (Rz. 196). Nach dem BDSG a.F. war eine erteilte Einwilligung grundsätzlich frei widerruflich (Rz. 199), während die Einwilligung im Rahmen des KUG nur aus wichtigem Grund widerrufen werden kann (vgl. Rz. 204 ff.). Ferner waren vom Geltungsbereich des BDSG nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BDSG a.F. solche Aufnahmen ausgenommen, deren Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung „ausschließlich für persönliche oder familiäre Tätigkeiten“ erfolgte, während das KUG auch auf solche Bildnisse Anwendung findet. Andererseits fand das BDSG a.F. keine Anwendung, wenn die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von personenbezogenen Daten „ausschließlich zu eigenen journalistisch-redaktionellen oder literarischen Zwecken“ geschieht; dagegen enthält das KUG kein solchermaßen rigoroses Medienprivileg. Die deshalb oftmals entscheidende Frage, ob auf die Anfertigung und Verbreitung eines Bildnisses die datenschutzrechtlichen Vorschriften des BDSG a.F. oder die Bestimmungen des KUG anzuwenden sind, war in Literatur und Rechtsprechung streitig und ungeklärt. Diese Unklarheiten werden durch das seit dem 25.5.2018 geltende BDSG 2018 und die Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) nicht ausgeräumt, sondern verstärkt (vgl. Kap. 1 Rz. 69 ff.). c) Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) 119
Zur weitergehenden europäischen Harmonisierung im Datenschutzrecht ist am 25.5.2016 die Verordnung (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG in Kraft getreten378. Die DSGVO gilt gem. Art. 99 Abs. 2 DSGVO ab 25.5.2018 unmittelbar europaweit und löst die geltende EG-Datenschutzrichtlinie (RiLi 95/46/EG) ab. Aufgrund des Rechtsformwechsels von einer Richtlinie hin zu einer Verordnung bedürfen die Regelungen der DSGVO keiner Umsetzung in das nationale Recht, sondern sind ab 25.5.2018 gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV europaweit unmittelbar anwendbar. Während das BDSG a.F. in § 1 Abs. 3 eine Subsidiaritätsklausel gegenüber anderen Gesetzen des Bundes enthielt und deshalb jedenfalls für das Verbreiten von Bildnissen gegenüber den Vorschriften des KUG als subsidiär zurücktrat, enthält die DSGVO keine vergleichbare Subsidiaritätsklausel. Die DSGVO genießt daher in ihrem sachlichen und räumlichen Geltungsbereich einen Anordnungsvorrang gegenüber kollidierenden nationalen Vorschriften und damit grundsätzlich auch gegenüber den Regelungen des KUG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB (vgl. Rz. 30 ff.). Nationale Vorschriften sind daher nur anwendbar, wenn sie nicht in den sachlichen Geltungsbereich der DSGVO fallen (vgl. Rz. 125) oder wenn der nationale Gesetzgeber von einer Öffnungsklausel der DSGVO Gebrauch gemacht hat. Letzteres ist der Fall bezüglich der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit von Bildnissen im Arbeitsverhältnis nach § 26 BDSG 2018 über die vom Bundesgesetzgeber genutzte Öffnungsklausel des Art. 88 Abs. 1 DSGVO (vgl. Rz. 195) Die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume hat der Bundesgesetzgeber in § 4 BDSG 2018 geregelt, die Öffnungsklausel des Art. 6 Abs. 2 DSGVO partiell missbrauchend (vgl. Rz. 47). Die Rechtmäßigkeit einer Videoüberwachung von nicht allgemein zugänglichen Räumen richtet sich nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO (vgl. Rz. 48). Durch die Öffnungsklausel in Art. 85 Nr. 2 DSGVO muss der nationale Gesetzgeber ein Medienprivileg gewähren (vgl. Rz. 122), was zur Datenverarbeitung „für journalistische Zwecke“ bis jetzt teilweise geschehen ist (vgl. Rz. 127), und hat daneben auch das Recht, außer378 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), ABl. EU Nr. L 119 v. 4.5.2016, S. 1; L 314 v. 22.11.2016, S. 72.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 122 Kap. 7
halb des Medienprivilegs über Art. 85 Abs. 1 DSGVO durch nationale Vorschriften die Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit zu schützen (vgl. Rz. 124). d) Räumlicher Geltungsbereich Räumlich findet die DSGVO Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten, so- 120 weit diese im Rahmen der Tätigkeit einer Niederlassung in der Europäischen Union erfolgt oder im Zusammenhang mit dem Angebot von Waren oder Dienstleistungen in der Europäischen Union steht. Dieses Marktortprinzip gilt unabhängig davon, ob die Verarbeitung in der Europäischen Union stattfindet und ob die verarbeiteten Daten einen Bürger der Europäischen Union betreffen oder nicht. e) Verarbeitung personenbezogener Daten i.S.d. DSGVO Sachlich regelt die DSGVO den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personen- 121 bezogener Daten. Verarbeitung ist nach der Definition in Art. 4 Nr. 2 DSGVO jeder Umgang mit personenbezogenen Daten vom Erheben bis zum Löschen, insbesondere also Erheben, Erfassen, die Speicherung, Übermittlung, Verbreitung, Löschung oder Vernichtung. Die DSGVO schützt nur personenbezogene Daten von lebenden natürlichen Personen. Daten juristischer Personen fallen nicht in den sachlichen Geltungsbereich der DSGVO. Eine Verletzung des Unternehmens-Persönlichkeitsrechts z.B. durch heimliche Filmaufnahmen im Unternehmen fällt daher nicht in den Anwendungsbereich der DSGVO, sondern richtet sich nach § 823 Abs. 1 BGB (vgl. Rz. 221). Da der Schutz der DSGVO lebende Personen betrifft, gilt für den postmortalen Bildnisschutz Verstorbener § 22 KUG bzw. für den postmortalen Achtungsanspruch Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. Rz. 151 f.). f) KUG und DSGVO Auf die journalistische Bildberichterstattung sind trotz der DSGVO für das Veröffent- 122 lichen von Bildnissen weiterhin die Bestimmungen des KUG und für das Anfertigen der Bildnisse die Vorschriften zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB – vgl. Rz. 30 ff.) anzuwenden (vgl. Rz. 127). Im Übrigen ist jedoch ungeklärt, ob und inwieweit die DSGVO die Vorschriften der §§ 22 ff. KUG in Bezug auf die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Bildnissen und für deren Anfertigen das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach § 823 Abs. 1 BGB verdrängt. Dieses für die Praxis nur schwer erträgliche Ergebnis hat der deutsche Gesetzgeber zu verantworten, der es verabsäumte, zum Inkrafttreten der DSGVO insoweit für rechtsstaatlich klare Verhältnisse im Inland zu sorgen. Dabei hat der Europäische Gesetzgeber den greifbaren Konflikt zwischen der Ausübung der Meinungsfreiheit und dem Schutz personenbezogener Daten gesehen und deshalb den nationalen Gesetzgebern durch eine Öffnungsklausel in Art. 85 Abs. 1 DSGVO die Möglichkeit eingeräumt, durch nationale Vorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten „mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken, in Einklang“ zu bringen. Daneben verpflichtet Art. 85 Abs. 2 DSGVO den nationalen Gesetzgeber sogar, für die Verarbeitung personenbezogener Daten, „die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, Abweichungen oder Ausnahmen von bestimmten Vorschriften der DSGVO vorzusehen“, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz personenbezogener Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen. Da der nationale Gesetzgeber nicht von Strobl-Albeg 485
Kap. 7 Rz. 123
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
verpflichtet ist und nicht verpflichtet sein kann, zur Erfüllung der Verpflichtung aus Art. 85 Abs. 2 DSGVO neue Gesetze zu schaffen, kann er durch eine Umsetzung der Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO verfügen, dass weiterhin für die Bildberichterstattung die bestehenden Bestimmungen von §§ 22, 23 KUG und für das Anfertigen solcher Aufnahmen der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB (vgl. Rz. 127) sowie für die Verarbeitung, die einem höheren Interesse der Kunst oder wissenschaftlichen Zwecken dient, § 23 Abs. 4 KUG fortbestehen (vgl. Rz. 130).Von dieser Möglichkeit hat er aber nur durch ein Medienprivileg für journalistische Zwecke Gebrauch gemacht (vgl. dazu Rz. 127), nicht aber für Zwecke der Kunst und der Wissenschaft. g) Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 1 DSGVO 123
Anfertigung und Veröffentlichung von Bildnissen für andere als journalistische Zwecke können vom Gesetzgerber durch die Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO geregelt und durch die Aktivierung der auch durch die EMRK geprüften Bestimmungen von KUG und allgemeinem Persönlichkeitsrecht fortgeführt werden.
124
Gegenüber der Öffnungsklausel in Art. 85 Abs. 2 DSGVO stellt Art. 85 Abs. 1 DSGVO eine weitere, eigenständige Öffnungsklausel dar, die es dem nationalen Gesetzgeber ermöglicht, der grundgesetzlich und konventionsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit auch bei deren Ausübung außerhalb journalistischer, wissenschaftlicher, künstlerischer oder literarischer Zwecke i.S.v. Art. 85 Abs. 2 DSGVO Rechnung zu tragen379. Soweit das KUG über ein Medienprivileg für journalistische Zwecke hinaus die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit durch die Veröffentlichung von Bildnissen schützt und § 823 Abs. 1 BGB durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht das Anfertigen von Bildnissen, wäre eine Fortführung dieser nationalen Bestimmungen angesichts der differenzierten und gefestigten Rechtsprechung durch einen Gebrauch der Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 1 DSGVO zugunsten von KUG und allgemeinem Persönlichkeitsrecht zu begrüßen. Dazu muss der Gesetzgeber jedoch aktiv werden. Dies hat er bislang verabsäumt. Eine Regelung der Materie über die Öffnungsklausel in Art. 85 Abs. 1 DSGVO wäre durch ein Bundesgesetz möglich. Zwar liegt die Gesetzgebungskompetenz für das Presserecht bei den Ländern; auf der Grundlage der von ihm wahrgenommenen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG für das bürgerliche Recht könnte der Bundesgesetzgeber das Recht am eigenen Bild sowohl nach dem KUG als auch im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für die Herstellung von Bildnissen in Konformität mit der DSGVO ausgestalten380.
125
Solange der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit des Art. 85 Abs. 1 DSGVO keinen Gebrauch macht und die DSGVO auf das Bildnis anzuwenden ist, weil weder das Haushaltsprivileg (Rz. 126) noch das Medienprivileg (Rz. 127) greift, richtet sich die Rechtmäßigkeit der Nutzung von Bildnissen als personenbezogenen Daten nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO (vgl. Rz. 131) und bedarf deshalb der Einwilligung oder sonstigen Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO, insbesondere einer – nach Art. 7 DSGVO widerruflichen (Rz. 134) – Einwilligung (dazu Rz. 132) oder eines Vertrages (Rz. 135). Ob auch bei der Beibehaltung am 25.5.2018 bereits bestehender nationaler Vorschriften eine Notifizierung nach Art. 85 Abs. 3 DSGVO zu erfolgen hat, ist unklar, aber ohne ernsthafte Relevanz, da die Notifikation ohne Einfluss auf die Wirksamkeit der Einbeziehung der Vorschriften über die Öffnungsklausel ist und mangels zeitlicher Vorgaben jederzeit nachgeholt werden kann. 379 Lauber-Rönsberg/Hartlaub, NJW 2017, 1057. 380 So auch Lauber-Rönsberg/Hartlaub, NJW 2017, 1057, 1060.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 127 Kap. 7
h) Geltung des KUG infolge des Haushaltsprivilegs des Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO In den sachlichen Geltungsbereich der DSGVO fällt nicht die Verarbeitung personenbezoge- 126 ner Daten durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten (Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO, ebenso § 3 Abs. 1 BDSG 2018). Bei solchen Sachverhalten gelten für die Veröffentlichung der Aufnahmen das KUG und für deren Anfertigung die Vorschriften zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. Rz. 30 ff.). Dieses Haushaltsprivileg gilt jedoch nur für natürliche Personen und greift – ebenso wie § 1 Abs. 1 Nr. 3 BDSG a.F. – nur ein, wenn der Kreis der Empfänger der Daten auf das persönliche oder familiäre Umfeld begrenzt ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen die Tätigkeiten ausschließlich in der persönlichen und familiären Sphäre desjenigen vorgenommen werden, der die Daten verarbeitet. Auch die Nutzung sozialer Netzwerke und Online-Aktivitäten im ausschließlich persönlichen oder familiären Kontext fällt unter das Haushaltsprivileg381, nicht dagegen privat motivierte Veröffentlichungen im Internet, die einem unbegrenzten Empfängerkreis zugänglich sind382. Das Haushaltsprivileg greift beispielsweise ein bei Selfies, die vom Betroffenen, dessen Angehörigen oder Freunden in sozialen Netzwerken mit „privatem Nutzerkreis“ eingestellt werden, sowie bei intimen, erotischen Aufnahmen, die während einer Beziehung im beiderseitigen Einvernehmen gefertigt werden383, nicht aber, wenn bei der Videoüberwachung des eigenen Grundstücks auch nur zum Teil ein öffentlicher Bereich von den Aufnahmen erfasst wird384. Ferner ist zu bedenken, dass die Anwendbarkeit des DSGVO voraussetzt, dass die abgebildete Person erkennbar ist, da Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person vorausgesetzt werden, also Daten, mit denen eine Person „direkt oder indirekt identifiziert werden kann“385. Dies entspricht der Voraussetzung der „Erkennbarkeit“ beim Bildnisschutz nach dem KUG und der „Betroffenheit“ bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es genügt daher eine Identifizierung im näheren Bekanntenkreis (vgl. Rz. 20 und Rz. 51). i) Geltung des KUG infolge eines Medienprivilegs über Art. 85 Abs. 2 DSGVO Auch nach dem Inkrafttreten der DSGVO am 25.5.2018 sind die Vorschriften des KUG für die 127 Veröffentlichung von Bildnissen nach § 823 Abs. 1 BGB zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für deren Anfertigung anzuwenden, wenn und soweit die Datenverarbeitung in den Schutzbereich eines vom Gesetzgeber zur Umsetzung von Art. 85 Abs. 2 DSGVO normierten Medienprivilegs fällt, wie es zur Verarbeitung personenbezogener Daten für journalistische Zwecke im Rundfunkstaatsvertrag und in Landespressegesetzen geschehen ist386: Mit Ausnahme seiner §§ 5 (Datengeheimnis), 7 (IT-Sicherheit), 9 und 38a (codes of conduct) fand das BDSG a.F. keine Anwendung, soweit die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von personenbezogenen Daten „ausschließlich zu eigenen journalistisch-redaktionellen oder literarischen Zwecken“ geschah. Vor allem war dann eine Einwilligung des Betroffenen nach § 4 BDSG a.F. entbehrlich. Dieses in § 41 BDSG a.F. und § 57 Abs. 1 Satz 1 RStV angeordnete Me381 Erwägungsgrund 18 der DSGVO; Lauber-Rönsberg/Hartlaub, NJW 2017, 1057, 1060 m.w.N.; Gola, Art. 2 DSGVO Rz. 15. 382 Lauber-Rönsberg/Hartlaub, NJW 2017, 1057, 1060 m.w.N. 383 Z.B. BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, AfP 2016, 243 = MDR 2016, 84 = NJW 2016, 1094 – Löschung intimer Filmaufnahmen nach Ende einer Beziehung. 384 EuGH v. 11.12.2014 – C 212/13, GRUR-Int. 2015, 239 = NJW 2015, 463 – Videoüberwachung des eigenen Hauses unter Einbeziehung des öffentlichen Straßenraums. 385 EuGH v. 11.12.2014 – C 212/13, GRUR-Int. 2015, 293. 386 OLG Köln v. 18.6.2018 – 15 W 27/18, MIR 06/2018.
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Kap. 7 Rz. 128
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
dienprivileg war Ausfluss der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Medienfreiheit. Ohne die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten auch ohne Einwilligung des jeweils Betroffenen wäre journalistische Arbeit nicht möglich. Die Presse könnte ihre in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK, Art. 11 Abs. 1 Satz 1 GrCh garantierten Aufgaben nicht wahrnehmen387. Das Medienprivileg des § 41 BDSG a.F. ist mit dem Inkrafttreten der DSGVO entfallen. Aber durch die Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO kann ein neues nationales Medienprivileg Gesetz werden. Denn Art. 85 Abs. 2 DSGVO enthält einen konkreten Regelungsauftrag an die Mitgliedstaaten für die Verarbeitung personenbezogener Daten zu journalistischen oder wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken mit der Befugnis, dabei von den Vorschriften in Kapitel II bis VII und IX DSGVO abzuweichen oder abzusehen, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen. Nach Erwägungsgrund 153 soll dies insbesondere für die Verarbeitung personenbezogener Daten im audiovisuellen Bereich sowie in Nachrichten und Pressearchiven gelten. Von der Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO zur Normierung eines Medienprivilegs für journalistische Zwecke wurde insbesondere Gebrauch gemacht durch §§ 9c, 57 RStV für die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF, das Deutschlandradio, private Rundfunkanstalten sowie Teleshoppingkanäle. Nach § 9c RStV gelten außer den Kapiteln I, VIII, X und XI der DSGVO nur Art. 5 Abs. 1 lit. f DSGVO i.V.m. Abs. 2, Art. 24 und Art. 32 DSGVO. Art. 82 und Art. 83 DSGVO gelten mit der Maßgabe, dass nur für eine Verletzung des Datengeheimnisses gem. § 9c Satz 1-3 RStV sowie für unzureichende Maßnahmen nach Art. 5 Abs. 1 lit. f, Art. 24 und Art. 32 DSGVO gehaftet wird. Fast identische Medienprivilegien finden sich in § 12 Landespressegesetz Nordrhein-Westfalen, § 12 Landespressegesetz Baden-Württemberg, § 8a Landespressegesetz Mecklenburg-Vorpommern, § 10 Landespressegesetz Schleswig-Holstein, § 11a Landespressegesetz Sachsen, § 10 Landespressegesetz Hessen sowie § 12 Landesmediengesetz Rheinland-Pfalz; Österreich hat das Medienprivileg in § 9 Datenschutzgesetz umgesetzt388. 128
Art. 85 Abs. 2 DSGVO, § 9c RStV und das Medienprivileg in den genannten Landespressegesetzen setzen voraus, dass die Datenverarbeitung „zu journalistischen Zwecken“ erfolgt. Allerdings ist im Rahmen der DSGVO der Begriff des „Journalismus“ weit auszulegen, um „der Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft auch Rechnung zu tragen“ (DSGVO Erwägungsgrund 153). Von der datenschutzrechtlichen Privilegierung sollen alle Vorgänge von der Recherche über die Verarbeitung bis zur Veröffentlichung, Dokumentation und Archivierung erfasst sein389. Unklar ist, ob die Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO auch für Veröffentlichungen zu anderen als journalistischen Zwecken gilt, z.B. für Publikationen für Unternehmen im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit, bei Privaten im Rahmen sozialer Netzwerke etc. Da mit solchen Veröffentlichungen Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit verbreitet werden, sollten sie – angesichts der europarechtlich gebotenen weiten Auslegung des Begriffs „Journalismus“390 – an der Privilegierung teilhaben391. Journalistische Zwecke sind nicht den Medienunternehmen vor-
387 BGH v. 1.2.2011 – VI ZR 345/09, MDR 2011, 423 = AfP 2011, 172 = NJW 2011, 2285 – Internetarchiv. 388 Bundesgesetz zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, BGBl. I v. 31.7.2017, S. 1 ff. 389 BVerfG v. 1.10.1984 – 2 BvR 1434/86, NJW 88, 329 – Filmbeschlagnahme. 390 EuGH v. 16.12.2008 – C-73/07, EuZW 2009, 108 Rz. 56 – SataMedia. 391 A.A. Lauber-Rönsberg/Hartlaub, NJW 2017, 1057.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 130 Kap. 7
behalten. Eine journalistische Tätigkeit kann auch in der Verwendung von Daten über einen Kurzmitteilungsdienst wie WhatsApp, Threema etc. bestehen392. j) Schadenersatz nach der DSGVO? Von den Bestimmungen des Kapitel VIII der DSVGO gestattet die Öffnungsklausel des Art. 85 129 Abs. 2DSGVO jedoch keine nationale Abweichung. Die Art. 77 bis 84 DSGVO – Rechtsbehelfe, Haftung, Sanktionen – sind daher auch anzuwenden, wenn die Datenverarbeitung dem Medienprivileg unterliegt. Dies ist insbesondere von Bedeutung im Hinblick auf Art. 82 DSGVO, der jeder Person, der wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften der DSGVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, einen eigenen, direkt geltenden Schadensanspruch gegen den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter gibt und die Anspruchsgrundlagen §§ 823 Abs. 1, 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG überlagert393. Probleme in der Rechtsanwendung sind hier vorprogrammiert, die erforderliche und bisher im Inland gewährleistete Rechtssicherheit in Frage gestellt. Man sollte daher Art. 82 DSGVO wörtlich nehmen, der Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadenersatz gewährt „wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung“. Wer aber aufgrund des Medienprivilegs gegen die Vorschriften des KUG oder den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verstößt, verstößt nicht gegen Vorschriften der DSGVO. Die Vorschriften des Kapitel VIII der DSGVO sind daher nach hiesiger Auffassung nicht anwendbar, wenn die DSGVO auf eine Bildnisverletzung keine Anwendung findet. Der Rundfunk-Staatsvertrag und die Landespressegesetze beschränken die Rechte des Betroffenen aus Art. 85 Abs. 2 DSGVO auf eine Verletzung von datenschutzspezifischen Normen, nämlich des Datengeheimnisses sowie anderen als journalistischen Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 lit. f, Art. 24 und Art. 32 DSGVO. k) DSGVO bei anderen Zwecken Soll die Verarbeitung nicht der Bildberichterstattung für journalistische Zwecke dienen, aber 130 anderen Zwecken der freien Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, kann der Gesetzgeber von der ihm nach Art. 85 Abs. 1 DSGVO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen, die Anwendbarkeit des KUG für die Veröffentlichung und der Vorschriften des § 823 Abs. 1 BGB für die Anfertigung solcher Bildnisse zu erklären, die im Rahmen der Meinungsäußerung- und Informationsfreiheit verwendet werden (vgl. Rz. 124). Solange der Bundesgesetzgeber nicht auf der Grundlage von Art. 85 Abs. 1 DSGVO aktiv wird, bedeutet die Beschränkung des Medienprivilegs des Art. 85 Abs. 2 DSGVO auf eine Datenverarbeitung für journalistische Zwecke jedoch im Ergebnis, dass außerhalb des Bereichs der journalistischen Verarbeitung (Rz. 158 ff.) der personenbezogenen Daten die Vorschriften der DSGVO Anwendungsvorrang haben, so dass sich für die Datenverarbeitung zu anderen als journalistischen Zwecken sowie für solche, die nicht durch das Haushaltsprivileg vom Geltungsbereich der DSGVO ausgenommen sind, die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung nach Art. 6 DSGVO richtet (vgl. dazu Rz. 131). Dies gilt beispielsweise für Bildnisse, die zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken verarbeitet werden sowie für Aufnahmen von Personen als Beiwerk neben Landschaften und anderen Örtlichkeiten oder von Versammlungen, die nicht zu journalistischen Zwecken verarbeitet werden und deshalb nicht dem Medienprivileg unterfallen. Zur Rechtmäßigkeit der Verarbeitung von Bildnissen, bei denen die abgebildeten Personen nur Beiwerk i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG sind sowie bei Bildern von 392 EuGH v. 16.12.2008 – C-73/07, EuZW 2009, 108 – SataMedia. 393 Lauber-Rönsberg/Hartlaub, NJW 2017, 1057, 1061 m.w.N.
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Kap. 7 Rz. 131
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Teilnehmern an Versammlungen i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG wegen eines berechtigten Interesses des Verantwortlichen oder eines Dritten i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. f DSVGO vgl. Kap. 8 Rz. 69 – Beiwerk und Kap. 8 Rz. 74 – Versammlung. Auch der Einsatz von Bildnissen für kommerzielle Zwecke und zur Wirtschaftswerbung unterfällt dann dem Reglement der DSGVO und erfordert eine Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO (vgl. Rz. 131). Dazu zählen z.B. Bildnisse für kommerzielle Zwecke, auch wenn mit der Abbildung gleichzeitig ein schutzwürdiges Informationsinteresse der Allgemeinheit befriedigt werden soll (vgl. Kap. 8 Rz. 135 ff.). Aber auch die Nutzung von Bildnissen für ausschließlich kommerzielle Zwecke und für die Wirtschaftswerbung können über Art. 85 Abs. 1 DSGVO vom Gesetzgeber den Bestimmungen des KUG und den Betroffenen zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterstellt werden. Denn auch kommerzielle Äußerungen (commercial speech) und Wirtschaftswerbung werden als Meinungsäußerung und Information durch Art. 5 GG sowie Art. 10 EGMR geschützt394; vgl. dazu Kap. 8 Rz. 63 und Rz. 135 ff. l) Rechtmäßigkeit der Aufnahmen gem. Art. 6 DSGVO 131
Wenn die Vorschriften der DSGVO auf eine Aufnahme anzuwenden sind, dürfen Bildnisse lebender natürlicher Personen und Sachaufnahmen, die die Identifizierung lebender natürlicher Personen ermöglichen, nach Art. 6 DSGVO nur verarbeitet werden, wenn – soweit hier von Interesse – die betroffene Person ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben hat (Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO; dazu Rz. 132) oder die Verarbeitung für die Erfüllung eines Vertrages, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich ist, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen (Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO – Rz. 135) oder wenn die Verarbeitung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, der der Verantwortliche unterliegt, erforderlich ist (Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO). Ebenso wenn die Verarbeitung erforderlich ist, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen (Art. 6 Abs. 1 lit. d DSGVO), wenn die Verarbeitung für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde (Art. 6 Abs. 1 lit. e DSGVO) oder wenn die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt (Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO; dazu Rz. 136). m) Einwilligung
132
Die Verarbeitung der Daten ist rechtmäßig, wenn die betroffene Person ihre Einwilligung zur Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben hat (Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO). Der Begriff der Einwilligung wird in Art. 4 Nr. 11 DSGVO definiert. Einzelheiten ergeben sich aus den Bedingungen für die Einwilligung in Art. 7 DSGVO, u.a. die Pflicht ihrer Hervorhebung in Klauselwerken (Art. 7 Abs. 2 DSGVO), zum Widerrufsrecht (Art. 7 Abs. 3 DSGVO), zur Feststellung der Freiwilligkeit der Einwilligung (Art. 7 Abs. 3 DSGVO) sowie zur Beweislast des Verarbeiters für die er394 BVerfG v. 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95, NJW 2001, 591 – Benetton–Werbung; EGMR v. 19.2.2015 – 53495/09, AfP 2015, 323 Rz. 46 – Bohlen/Deutschland; BGH v. 18.11.2010 – I ZR 137/09, WRP 2011, 870 Rz. 20 – Unser wichtigstes Cigarettenpapier.
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 133 Kap. 7
teilte Einwilligung (Art. 7 Abs. 1 DSGVO). Art. 8 DSGVO enthält Bedingungen für die Einwilligung von Kindern bei der Nutzung von Diensten der Informationsgesellschaft. Einwilligung ist nach der Definition in Art. 4 Nr. 11 DSGVO die freiwillig für den bestimmten Fall informiert und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung. Die Einwilligung sollte durch eine „eindeutige bestätigende Handlung erfolgen“ (Erwägungsgrund 32 DSGVO). Dies dürfte eine stillschweigende Einwilligung ausschließen. Dagegen wäre eine konkludente Einwilligung nach dem Wortlaut von Art. 4 Nr. 11 DSGVO möglich („unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist“). Aber auch eine konkludente Einwilligung erfordert eine vorherige Widerrufsbelehrung. An dieser Bedingung der Wirksamkeit dürften viele konkludente Einwilligungen scheitern. Sieht man vom Recht auf jederzeitigen Widerruf und die entsprechende Widerrufsbelehrung unter dem Regime der DSGVO ab, so sind die Anforderungen an die Einwilligung nach dem KUG und der DSGVO deckungsgleich: Eine freiwillige, für einen bestimmten Zweck in Kenntnis der Sachlage, also informiert, ausdrücklich oder konkludent abgegebene Erklärung. Nach Art. 7 Abs. 1 DSGVO muss der Verantwortliche beweisen, dass der Betroffene in die Verarbeitung seiner Daten eingewilligt hat. Dies deckt sich mit der Rechtsprechung zur Beweislast für die Einwilligung nach dem KUG (vgl. Rz. 185). Freiwilligkeit bedeutet, dass der Betroffene eine echte Wahl hat in Bezug auf das Ob, wieviel und wem er die Nutzung seiner Daten gestattet395. Die Freiwilligkeit kann in Frage stehen z.B. bei Abhängigkeitsverhältnissen, insbesondere im Arbeitsverhältnis, bei Überrumpelungen (Parallele bei der Einwilligung nach dem KUG vgl. Rz. 207), bei einer Koppelung der Einwilligung an eine Leistung oder die Ankündigung von Nachteilen für den Betroffenen im Falle seiner Verweigerung der Einwilligung. n) Einwilligung von Kindern und Minderjährigen Zur Einwilligung Minderjähriger in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten schweigt 133 die DSGVO, wenn man von Art. 8 DSGVO absieht. Art. 8 Abs. 3 DSGVO betrifft aber nur das allgemeine Vertragsrecht (vgl. Rz. 135), Art. 8 Abs. 1 DSGVO nur die Bedingungen für die Einwilligung eines Kindes in Bezug auf Dienste der Informationsgesellschaft, bei denen die Einwilligung des Kindes mit Vollendung seines 16. Lebensjahres auch ohne die Einwilligung oder Zustimmung durch den Träger der elterlichen Verantwortung rechtmäßig ist. Nach der Definition in Art. 4 Nr. 25 DSGVO handelt es sich hierbei um Dienstleistungen i.S.d. Art. 1 Nr. 1 lit. b der RiLi (EU) 2015/1535396, die in unmittelbarem Bezug zum Internet stehen wie z.B. der Beitritt zu einem sozialen Netzwerk. Dagegen werden Sachverhalte nicht erfasst, wenn der angebotene und ggf. in Anspruch genommene Dienst „außerhalb“ des Internets liegt und nur der Zugang hierzu durch das Internet vermittelt wird397. Deutschland hat von der in Art. 8 Abs. 1 DSGVO eingeräumten Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, für die genannten Zwecke eine niedrigere Altersgrenze vorzusehen, die aber nicht unter dem vollendeten 13. Lebensjahr hätte liegen dürfen. Da allgemeine Bestimmungen für die Einwilligung Minderjähriger in der DSGVO fehlen, wäre es sachgerecht, auch bei Sachverhalten, auf die nicht das KUG, sondern wegen ihres Anwendungsvorrangs die DSGVO anzuwenden ist, für die Einwilligung von Minderjährigen die bildnisspezifischen Regelungen des § 22 KUG und die dazu ergangene Rechtsprechung analog anzuwenden. In Fällen der Nutzung von Diensten der Informations395 Paal/Pauly, Art. 4 DSGVO Rz. 70. 396 ABl. EU Nr. L 241 v. 17.9.2015, S. 1. 397 Gola, Art. 8 DSGVO Rz. 14.
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Kap. 7 Rz. 134
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
gesellschaft wie z.B. dem Zugang und der Nutzung von Internet und sozialen Netzwerken hat jedoch die Altersgrenze von 16 Jahren des Art. 8 Abs. 1 DSGVO als lex specialis Vorrang. o) Widerruf der Einwilligung 134
Nach Art. 7 Abs. 3 DSGVO hat der Betroffene das Recht, seine Einwilligung jederzeit mit Wirkung ex nunc zu widerrufen. Bei seinem Widerruf kann der Betroffene verlangen, dass seine Daten unverzüglich gelöscht werden (Art. 17 Abs. 1 DSGVO). Der Verantwortliche ist zur unverzüglichen Löschung verpflichtet, wenn kein Ausnahmefall des Art. 17 Abs. 1 lit. a bis f DSGVO vorliegt, z.B. die Verarbeitung aus einem anderen Rechtmäßigkeitsgrund des Art. 6 Abs. 1 DSGVO zulässig ist (Art. 17 Abs. 1 lit. b DSGVO). Der Betroffene muss vor Abgabe seiner Einwilligung – auch seiner konkludenten Einwilligung – über sein Recht zum jederzeitigen Widerruf informiert werden. Die einmal erteilte Einwilligung in die Veröffentlichung eines Bildnisses kann nach der DSGVO jederzeit und ohne Angabe eines Grundes mit Wirkung ex nunc widerrufen werden, während hingegen nach dem KUG eine Einwilligung nur ausnahmsweise beim Vorliegen eines wichtigen Grundes widerrufen werden kann (vgl. Rz. 204). Die rechtlichen Folgen des Fehlens einer solchen vorherigen Widerrufsbelehrung sind unklar. Wenn man davon ausgeht, dass alle Bedingungen des Art. 7 DSGVO für die Wirksamkeit der Einwilligung kumulativ vorliegen müssen, würde die fehlende Widerrufsbelehrung die Unwirksamkeit der Einwilligung bedeuten. Art. 83 Abs. 5 DSGVO sieht bei Verstößen gegen Art. 7 DSGVO ein Bußgeld vor. Diese Sanktion dürfte wegen offensichtlich fehlender Bestimmtheit der Norm i.S.v. Art. 103 Abs. 2 GG verfassungswidrig sein. p) Erfüllung eines Vertrages, Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO
135
Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. b DSGVO ist eine Verarbeitung zulässig, wenn sie für die Erfüllung eines Vertrages, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder wenn die Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen, die auf Antrag der betroffenen Person erfolgen, erforderlich ist. Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung ist in diesen Fällen, dass die betroffene Person – also der Abgebildete – Partei des Verfahrens ist, das mit der Verarbeitung erfüllt werden soll oder dass die Verarbeitung zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich ist, die auf Antrag des betroffenen Abgebildeten erfolgen. Dieser Rechtmäßigkeitsgrund ist insbesondere von Bedeutung für Aufnahmen, die für Zwecke der Werbung gefertigt und verwendet werden und auf die die Bedingungen des KUG keine Anwendung finden (vgl. Rz. 130 und Kap. 8 Rz. 63 ff.), die – nicht künstlerische – Auftragsfotografie (z.B. Aufnahmen von Hochzeitsgesellschaften, die wegen dem Kreis der abgebildeten Personen nicht unter das Haushaltsprivileg fallen, Aufnahmen von öffentlichen gesellschaftlichen Veranstaltungen wie Preisverleihungen, Tanzveranstaltungen etc., die nicht vom Medienprivileg gedeckt sind) sowie Verträge mit Models („Model release“), die in aller Regel nicht vom Medienprivileg profitieren und auch keine Arbeitnehmerdaten im Beschäftigungskontext darstellen, insbesondere keine personenbezogenen Daten zur Erfüllung eines Arbeitsvertrages sind. Die Erfüllung eines Vertrages als Berechtigungsgrund ist gegenüber dem gleichermaßen denkbaren Berechtigungsgrund der Einwilligung aus Gründen der Rechtssicherheit schon deshalb vorzugswürdig, weil die Einwilligung jederzeit widerrufen werden kann, während im Vertrag die ordentliche Kündigung ausgeschlossen und die Vertragslaufzeit befristet werden kann. Für die Willenserklärung Minderjähriger bezüglich Gültigkeit, Zustandekommen und Rechtsfolgen des Vertrages gelten gem. Art. 8 Abs. 3 DSGVO die §§ 104 ff. BGB. Auch bei einem Vertrag hat der Verantwortliche den abgebildeten Vertragspartner im Umfang des Art. 13 Abs. 1 bis 3 DSGVO zu informieren. Dabei handelt es sich aber oftmals um 492
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IV. Anfertigung von Bildnissen
Rz. 137 Kap. 7
Umstände, die – wie z.B. der Zweck der Datenverarbeitung – auch Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung sind. Dann entfällt insoweit die Informationspflicht. Denn die Informationspflicht erübrigt sich, wenn der Betroffene die Information bereits hat (Art. 13 Abs. 4 DSGVO Erwägungsgrund 62 der DSGVO). q) Wahrnehmung berechtigter Interessen nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO Die Verarbeitung personenbezogener Daten des betroffenen Abgebildeten kann auch nach 136 Art. 6 Abs. 1 lit. f rechtmäßig sein. Voraussetzung dafür ist ein berechtigtes Interesse des Verarbeiters oder eines Dritten, welches die Verarbeitung der Daten zur Wahrung ihrer berechtigten Interessen erforderlich macht, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, bei der im Einzelfall vorzunehmenden Abwägung überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei dem Betroffenen um ein Kind handelt. Bis zu welchem Lebensalter der Betroffene im Sinne dieses Artikels ein „Kind“ ist, sagt die Vorschrift nicht. Art. 8 Abs. 1 DSGVO betrifft nur Kinder in Bezug auf die Nutzung von Diensten der Informationsgesellschaft (vgl. Rz. 133), Art. 8 Abs. 3 DSGVO das Kind in Bezug auf Verträge (vgl. Rz. 135). Die Regelungslücke lässt sich sachgerecht schließen, indem man für die Einwilligung von Kindern und Minderjährigen die bildnisspezifischen Regelungen des § 22 KUG und die dazu ergangene Rechtsprechung analog anwendet. Soweit es um die Nutzung von Diensten der Informationsgesellschaft geht, hat allerdings Art. 8 Abs. 1 DSGVO als lex specialis Vorrang. Die Norm Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO ist denkbar unscharf. Es ist abzusehen, dass sie eine 137 Dauerbaustelle der Rechtsprechung werden wird. Auch vor der Geltung der DSGVO hat der BGH im Zusammenhang mit den „schutzwürdigen Interessen des Betroffenen“ im Rahmen des § 29 BDSG a.F. eine Abwägung vorgenommen. Danach verlangt der wertausfüllungsbedürftige Begriff des „schutzwürdigen Interesses“ eine Abwägung des Interesses des Betroffenen an dem Schutz seiner Daten und des Stellenwerts, den die Offenlegung und Verwendung der Daten für ihn hat, mit den Interessen desjenigen, für dessen Zwecke die Datenverarbeitung erfolgt, unter Berücksichtigung der objektiven Wertordnung der Grundrechte. Daher hat eine Abwägung zwischen dem Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung des betroffenen Abgebildeten nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK auf der einen Seite und dem Recht des Verwerters auf Kommunikationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK auf der anderen Seite zu erfolgen bei der auch die mittelbare Drittwirkung des beiden Parteien zustehenden Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG zu berücksichtigen ist398. Die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen können in der Wahrung seines Persönlichkeitsrechts, aber auch in der Abwehr von wirtschaftlichen Nachteilen liegen, die bei der Veröffentlichung der Daten zu besorgen sind. In der Rechtsprechung sind wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts, dessen Reichweite nicht absolut feststeht, Abwägungskriterien u.a. nach Maßgabe einer abgestuften Schutzwürdigkeit bestimmter Sphären, in denen sich die Persönlichkeit verwirklicht, herausgearbeitet worden. Danach genießen besonders hohen Schutz die sogenannten sensitiven Daten, die der Intimund Geheimnisverletzung zuzuordnen sind. Geschützt ist aber auch das Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung von persönlichen Lebenssachverhalten, die lediglich zur Sozial- und Privatsphäre gehören399. Diese Güter- und Interessenabwägung entspricht der im Rahmen des § 23 KUG vorzunehmenden Abwägung, so dass bei der im Rahmen von Art. 6 398 BGH v. 20.2.2018 – VI ZR 30/17, NJW 2018, 1884 – jameda.de; v. 23.9.2014 – VI ZR 358/13, NJW 2015, 489 – spickmich.de. 399 BGH v. 23.6.2009 – 6 ZR 196/08, NJW 2009, 2888 Rz. 30 – spickmich.de.
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Kap. 7 Rz. 138
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Abs. 1 lit. f DSGVO vorzunehmenden Abwägung auf eine analoge Anwendung des § 23 KUG zurückgegriffen werden kann. Das erforderliche Maß an Rechtssicherheit ließe sich aber erreichen, indem man – trotz dessen Unanwendbarkeit – auf die analoge Anwendung von § 23 KUG zurückgreift. Denn bei Bildnissen werden die berechtigten Interessen des Verarbeiters oftmals den berechtigten Interessen entsprechen, die nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 KUG eine Nutzung des Bildnisses ohne Einwilligung des Betroffenen erlauben. Die dagegen abzuwägenden Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten des Betroffenen sind in der Regel die berechtigten Interessen des Abgebildeten, die nach § 23 Abs. 2 KUG nach der auch beim KUG vorzunehmenden Abwägung einer einwilligungslosen Nutzung des Bildnisses nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 KUG entgegenstehen können. Da auch beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht als Rahmenrecht bei der Rechtswidrigkeit der Herstellung von Bildnissen eine Abwägung analog § 23 KUG stattfindet (vgl. Rz. 38), könnte auf diese Weise die von der Rechtsprechung herausgearbeitete bildnisspezifische Rechtsprechung zur Güter- und Interessenabwägung beim KUG, die auch den Anforderungen der EMRK entspricht, mit den datenschutzrechtlichen Anforderungen an den Bildnisschutz harmonisiert werden.
V. Verbreitung und Zurschaustellung von Bildnissen 1. Allgemeine Grundsätze 138
Der aus § 22 KUG folgende Bildnisschutz betrifft das Verbreiten, ferner das öffentliche Zurschaustellen von Bildnissen. Er ist höchstpersönlich und damit nicht abtretbar. Nur der Abgebildete selbst soll darüber befinden dürfen, ob, wann und wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will. Allerdings können unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche in gewillkürter Prozessstandschaft geltend gemacht werden400. Die Herstellung und die Vervielfältigung sind von § 22 KUG nicht erfasst, auch nicht der bloße Besitz und das Betrachten von Bildnissen gegen den Willen des Abgebildeten401. Dazu Rz. 30 ff.
139
Die Verbreitung eines Bildnisses erfolgt i.d.R. nach vorheriger Vervielfältigung. Notwendig ist eine Vervielfältigung nicht; auch das Original kann verbreitet werden. § 22 KUG gilt nicht nur für körperliche Exemplare eines Bildnisses; nach dem Schutzzweck der Vorschrift gilt das KUG auch für digitale Aufnahmen. Der Wortlaut des § 22 KUG „Verbreitung“ deckt diese teleologische Auslegung. Der Begriff des Verbreitens i.S.v. § 22 KUG ist nach überwiegender Auffassung wesentlich umfassender als der urheberrechtliche Begriff des Verbreitens in § 17 Abs. 1 UrhG, der das Verbreitungsrecht als das Recht definiert, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen402. Ein Verbreiten liegt immer dann vor, wenn einem Dritten die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Original oder ein Vervielfältigungsstück des Bildnisses in körperlicher oder auch in digitaler Form verschafft wird403. § 22 KUG erfasst daher jede Art der Verbreitung, auch durch Verschenken der Vervielfältigungsstücke im privaten Bereich. Denn auch durch die Weitergabe 400 OLG München v. 28.7.1983 – 6 U 2517/82, ZUM 1985, 448; Näheres Kap. 12 Rz. 3. 401 BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, AfP 2016, 243 = MDR 2016, 84 = NJW 2016, 1094, Rz. 30 – Löschung gefertigter Bildaufnahmen nach dem Ende einer Beziehung. 402 Götting in Schricker/Loewenheim, § 22 KUG Rz. 36; Ricker/Weberling, Kap. 43 Rz. 3; Raue/Hegemann/Amelung, § 14 Rz. 18; Schertz in Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rz. 16; OLG Frankfurt v. 23.12.2008 – 11 U 22/08, OLG-Rep. 2009, 495; OVG Nordrhein-Westfalen v. 30.10.2000 – 5 A 291/00, DÖV 2001, 476; offengelassen in BGH v. 7.12.2010 – VI ZR 30/09, CR 2011, 256 = MDR 2011, 176 = AfP 2011, 70 = NJW 2011, 755 – Jahrhundert-Mörder. 403 OLG Celle v. 25.8.2010 – 31 Ss 30/10, ZUM 2011, 341.
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V. Verbreitung und Zurschaustellung von Bildnissen
Rz. 140 Kap. 7
des Bildnisses im privaten Kreis wird das Selbstbestimmungsrecht des Abgebildeten verletzt, weil ihm die Verfügungsgewalt über seine bildliche Darstellung entzogen wird404. Das bloße Herumzeigen einer Aufnahme stellt dagegen kein Verbreiten i.S.v. § 22 KUG dar405. Das Herumzeigen kann aber der Tatbestand des öffentlichen Zurschaustellens erfüllen (vgl. Rz. 140). Sowohl die Vorlage eines Bildnisses bei Gericht als Beweismittel durch eine Prozesspartei als auch die Weiterleitung an den Gegner durch das Gericht ist ein Verbreiten i.S.v. § 22 ff. KUG406. Die körperliche Weitergabe eines von ihm – analog oder digital – gefertigten Bildnisses oder von Vervielfältigungen einschließlich von Abzügen digitaler Fotografien407 durch den Fotografen an die Presse, eine Werbeagentur oder einen Auftraggeber erfüllt daher den Tatbestand des Verbreitens i.S.v. § 22 KUG408. Zu welchem Zweck die Verbreitung erfolgt, ist unerheblich. Insbesondere setzt § 22 KUG keine gewerbsmäßige Verbreitung voraus. Auch eine unentgeltliche Verbreitung kann die Voraussetzungen des § 22 KUG erfüllen. Dagegen stellt die Weitergabe archivierter Fotos durch den Betreiber eines Bildarchivs zur kommerziellen Nutzung durch Medien an die Medien kein Verbreiten i.S.v. § 22 KUG dar. Es handelt sich dabei um einen quasi presseintern bleibenden Abruf von Bildnissen durch Presseunternehmen aus einem Bildarchiv. Die Hilfstätigkeit des Bildarchivs ist in diesem Fall typischerweise pressebezogen. Ersichtlich liegt keine Verbreitungshandlung vor, wenn ein Presseverlag auf sein eigenes Bildarchiv zugreift. Nichts anderes gilt aber, wenn er auf das Bildarchiv eines Drittunternehmens zugreift. Das Bildarchiv erbringt in diesem Fall eine typisch medienbezogene Hilfstätigkeit, die in enger organisatorischer Bindung an die Medien erfolgt und für das Funktionieren der freien Medien notwendig ist. Bleibt der Vorgang in dieser Weise ohne Außenwirkung, liegt kein Verbreiten i.S.v. § 22 KUG vor, weil der durch §§ 22, 23 KUG angestrebte Schutz des Persönlichkeitsrechts des Abgebildeten nicht tangiert ist409. Unter dem öffentlichen Zurschaustellen ist die Sichtbarmachung eines Bildnisses gegen- 140 über einer nicht begrenzten Öffentlichkeit insbesondere durch Massenmedien zu verstehen410. Das kann durch Ausstellen geschehen, z.B. durch Aushang in einem Schaukasten oder einem Schaufenster, auf einer Plakatwand, im Museum, durch das Herumzeigen einer Aufnahme, durch das Hochhalten eines Plakats mit dem Bildnis auf einer Versammlung411, ferner durch Senden, durch Wahrnehmbarmachung mittels eines Bildträgers oder durch die Verwendung des Bildnisses im Internet. Ein gewerbliches Zurschaustellen ist nicht erforderlich. Auch das unentgeltliche Zeigen von Bildnissen – z.B. bei einer Ausstellung – kann ein öffentliches Zurschaustellen sein. Wer bei einer Versammlung, eine Demonstration oder bei einer Pressekonferenz ein Plakat mit dem Bildnis einer Person hochhält, stellt es öffentlich zur Schau412. Anders als beim Verbreiten des Bildnisses muss das Zurschaustellen ein öffentliches sein. Für 404 OLG Köln v. 2.6.2017 – III-1 RVs 93/17, ZUM-RD 2017, 551 – Strafbares Verbreiten von Bildnisse; v. 3.7.2012 – 15 U 205/11, ZUM-RD 2012, 675. 405 Raue/Hegemann/Amelung, § 14 Rz. 18; a.A. OLG Köln ZUM-RD 2017, 551. 406 LG Oldenburg v. 22.3.1990 – 5 O 3328/89, AfP 1991, 652. 407 OLG Frankfurt v. 15.6.2004 – 11 U 5/04, ZUM-RD 2004, 576 – Internet-Fotos. 408 OLG Frankfurt v. 23.12.2008 – 11 U 21/08, ITRB 2009, 129; wohl ebenso OLG Köln v. 3.7.2012 – 15 U 205/11, ZUM-RD 2012, 675. 409 BGH v. 7.12.2010 – VI ZR 30/09, CR 2011, 256 = MDR 2011, 176 = AfP 2011, 70 = NJW 2011, 755 – Jahrhundert-Mörder; LG Hamburg v. 20.4.2007 – 324 O 859/06, AfP 2007, 385. 410 OLG Köln v. 3.7.2012 – 15 U 205/11, ZUM-RD 2012, 675; Schertz in Götting/Schertz/Seitz § 12 Rz. 16: In Anlehnung an § 17 UrhG ist die unkörperliche Verbreitung z.B. Wiedergabe durch eine Sendung, einen Bildträger oder im Internet keine Verbreitung, sondern eine Zurschaustellung; VG Köln v. 15.5.1987 – 20 K 168/86, AfP 1988, 182, 184. 411 VerfGH Berlin v. 7.11.2006 – VerfGH 56/05, AfP 2007, 345. 412 VerfGH Berlin v. 7.11.2006 – VerfGH 56/05, AfP 2007, 345.
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Kap. 7 Rz. 141
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
den Öffentlichkeitsbegriff ist § 15 Abs. 3 UrhG maßgeblich413. Danach ist die Wiedergabe eines Werkes öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Personen bestimmt ist, es sei denn, dass der Kreis dieser Personen bestimmt abgegrenzt ist und sie durch gegenseitige Beziehungen oder durch Beziehung zum Veranstalter persönlich untereinander verbunden sind. Eine öffentliche Zurschaustellung erfolgt z.B., wenn eine Rundfunkanstalt ein Bildnis sendet. Nach den Umständen des Einzelfalls kann auch das bloße Herumzeigen einer Abbildung den Tatbestand des öffentlichen Zurschaustellens erfüllen414. Keine öffentliche Zurschaustellung und damit auch ohne Einwilligung zulässig ist die Wahrnehmbarmachung eines Bildnisses mittels Bildträgers im Rahmen einer Vorlesung, eines Seminars oder eines sonstigen geschlossenen Kreises i.S.d. § 15 Abs. 3 UrhG. Zum öffentlichen Zurschaustellen zählt auch das öffentliche Zugänglichmachen i.S.v. § 19a UrhG, also die Verbreitung über das Internet und in Netzwerken wie Facebook. 141
Die Zitierfreiheit (§ 51 Satz 2 Nr. 2 UrhG) und das Recht, durch Bilder über Tagesereignisse zu berichten (§ 50 UrhG), rechtfertigt die Wiedergabe von Fotos nur gegenüber deren Urheber, ersetzt aber nicht die Einwilligung des Abgebildeten415. 2. Räumlicher Schutzumfang; grenzüberschreitende Verbreitung Schrifttum: Ehmann/Thorn, Erfolgsort bei grenzüberschreitenden Persönlichkeitsverletzungen, AfP 1996, 20; Nixdorf, Presse ohne Grenzen: Probleme grenzüberschreitender Presseveröffentlichungen im europäischen Raum, GRUR 1996, 842; Rosengarten, Der Präventionsgedanke im deutschen Zivilrecht, NJW 1996, 1935; Dieselhorst, Anwendbares Recht bei internationalen Online-Diensten, ZUM 1998, 293; Legler, Das Recht am eigenen Bild auf der Datenautobahn, CR 1998, 439; Brand, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, E-Commerce und „Fliegender Gerichtsstand“ NJW 2012, 127; Matthias Lehr, Internationale medienrechtliche Konflikte und Verfahren, NJW 2012, 705.
a) Innerdeutsche Sachverhalte 142
Wird Klage vor einem deutschen Gericht erhoben, ist das Recht des Tatortes anzuwenden. Bei Presseerzeugnissen ist dies der Erscheinungsort des Druckwerks, bei Fernsehsendungen der Ausstrahlungsort (Handlungsort) und daneben der Erfolgsort, d.h. jeder Ort, an dem das Druckwerk bestimmungsgemäß verbreitet wird, Dritten also nicht nur zufällig zur Kenntnis gebracht wird416. Bei bundesweit verbreiteten Presseerzeugnissen und bundesweit empfangbaren Hörfunk- und Rundfunksendungen führt dieser „fliegende Gerichtsstand der Medien“ zur Zuständigkeit aller deutschen – je nach Streitwert zuständigen – Amts- und Landgerichte. Dabei gilt allerdings für Ansprüche nach dem KUG nicht die Zuständigkeitskonzentration des § 105 UrhG. Denn Ansprüche aus §§ 22 ff. KUG sind keine Urheberrechtsstreitigkeiten i.S.d. § 105 UrhG417. Für innerdeutsche Sachverhalte richtet sich auch bei Internet-Veröffentlichungen die örtliche Zuständigkeit für die die Landesregierungen eine Spezialzuständigkeit 413 LG Oldenburg v. 22.3.1990 – 5 O 3328/89, AfP 1991, 652; vgl. auch VG Köln v. 15.5.1987 – 20 K 168/86, AfP 1988, 182 = NJW 1988, 367. 414 A.A. wohl Raue/Hegemann/Amelung, § 14 Rz. 18. 415 BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617 – Nacktfoto. 416 BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128 – Caroline von Monaco III; v. 3.5.1977 – VI ZR 24/75, NJW 77, 1590 – profil. 417 OLG München v. 18.3.2004 – 1 ZAR 020/04, ZUM 2004, 672; OLG Hamm v. 11.4.2014 – I-32 SA 26/14, GRUR-RR 2014, 328 Rz. 13; a.A. für Brandenburg OLG Brandenburg v. 7.11.2017 – 1 AR 35/17, ZUM-RD 2018, 71.
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V. Verbreitung und Zurschaustellung von Bildnissen
Rz. 143 Kap. 7
bestimmter Amts- und Landgerichte festlegen können nach § 32 ZPO. Nicht ausreichend für die Begründung des Gerichtsstandes des Begehungsortes nach § 32 ZPO ist jedoch die bloße Abrufbarkeit eines im Internet verbreiteten Bildnisses. Kommen bei inländischen Sachverhalten mehrere Gerichtsstände nach § 32 ZPO in Betracht, muss vielmehr hinzukommen, dass die als Rechtsverletzung beanstandete Aufnahme – analog den Anforderungen des BGH an den Gerichtsstand bei außereuropäischen internationalen Sachverhalten in seiner „New York Times“-Entscheidung418 – objektiv einen deutlichen Bezug zum Ort des angerufenen Gerichts in dem Sinne aufweist, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen – Persönlichkeitsrechte des Betroffenen auf der einen Seite, Recht der Freiheit der Berichterstattung und zur Gestaltung der Internetseite auf der anderen Seite – nach den Umständen des konkreten Falls bereits eingetreten ist oder noch eintreten kann. Eine Übertragbarkeit der Grundsätze der „New-York-Times“-Entscheidung des BGH419 wird nach ganz überwiegender Auffassung bejaht420. Dieser erforderliche Bezug zum Gerichtsort kann sich insbesondere aus dem Sitz des Verletzers oder des Verletzten im Bezirk des angerufenen Gerichts ergeben421. Ebenso wie beim Streit über Veröffentlichungen in regionalen oder lokalen Printmedien ein Gerichtsstand nach § 32 ZPO innerhalb des Gebiets der bestimmungsgemäßen Verbreitung belegen sein muss422, kann auch bei der Veröffentlichung auf der Website einer Regionalzeitung oder eines Lokalblattes die örtliche Zuständigkeit nicht mit der bloßen Tatsache der Abrufbarkeit im Bezirk des angerufenen Gerichts begründet werden. Richtet sich beispielsweise ein regionaler Tageszeitungsverlag in seinem Internetauftritt an seine Leser, so spricht das mangels konkreter anderweitigen Indizien nicht dafür, dass eine gerichtsstandsbegründende Interessenkollision außerhalb seines Verbreitungsgebiets vorliegt; eine Veröffentlichung auf der Website einer Regionalzeitung in Brandenburg konnte daher nicht der örtlichen Zuständigkeit des LG Kassel allein wegen der dortigen Abrufbarkeit die Meldung begründen423, die Veröffentlichung auf einer Website unter dem Button „Lokales“ mit deutlichem Bezug zu München keinen Gerichtsstand nach § 32 ZPO wegen der Abrufbarkeit der Website auch in Gera424. b) Internationale Sachverhalte Der aus §§ 22, 23 KUG folgende Schutz bleibt auf die Bundesrepublik beschränkt. Anderer- 143 seits gelten innerhalb dieses Gebietes keine ausländischen Regelungen. Daraus können sich insofern Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben, als der Verbreitungsumfang der Medien durch Staatsgrenzen nicht beschränkt ist. Ausländische Printmedien sind hier, deutsche sind im Ausland verbreitet. Rundfunksendungen überschreiten die Landesgrenzen ohnehin. Internet-Seiten sind weltweit aufrufbar. Damit ergibt sich die Frage, ob die Zulässigkeit der innerhalb der Bundesrepublik erfolgenden Verbreitung von Bildnissen z.B. in einem Printmedium wie einer Illustrierten bzw. die Zulässigkeit der öffentlichen Zurschaustellung im Rahmen einer 418 BGH v. 2.3.2010 – VI ZR 23/09, NJW 2010, 1752 – The New York Times. 419 Bestätigt durch Urteil des BGH v. 29.3.2011 – VI ZR 111/10, ZUM 2011, 553 – womanineurope-com. 420 OLG Brandenburg v. 28.11.2016 – 1 U 6/16; ZUM-RD 2017, 589 – Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen via Internet; OLG Schleswig v. 13.9.2013 – 2 AR 28/13, NJW-RR 2014, 442; OLG Jena v. 7.11.2013 – 1 U 511/13, AfP 2014, 75; OLG Frankfurt v. 7.2.2011 – 25 W 41/10, AfP 2011, 278; LG Berlin v. 7.4.2011 – 27 S 20/10, ZUM-RD 2011, 412; LG Hamburg v. 19.9.2014 – 324 S 1/14, AfP 2015, 183. 421 Soehring/Hoene, § 30 Rz. 17b. 422 Soehring/Hoene, § 30 Rz. 17 m.w.N. 423 OLG Frankfurt v. 7.2.2011 – 25 W 41/10, AfP 2011, 278. 424 OLG Jena v. 7.11.2013 – 1 U 511/13, AfP 2014, 75.
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Kap. 7 Rz. 143
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Sendung oder im Internet nach den hier oder nach den im Ursprungsland geltenden Rechtsgrundsätzen zu beurteilen ist. Diese Frage hat insofern praktische Bedeutung, als die Beurteilung nach den Rechtsordnungen der einzelnen Länder unterschiedlich sein kann. Zum Recht am eigenen Bild nach den Rechtsordnungen in der Schweiz, in Frankreich und England vgl. Legler, CR 1998, 439; zu Bildnissen im englischen right of personal privacy vgl. Court of Appeal, GRUR-Int. 2002, 627 – Douglas v. Hello!; zum Recht am eigenen Bild als Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts des Art. 28 Abs. 1 ZGB und als geschützte Personendaten i.S.v. Art. 3 lit. a Datenschutzgesetz sowie zum Begriff der absoluten und der relativen Person der Zeitgeschichte im Recht der Schweiz vgl. Schweizerisches Bundesgericht v. 20.7.2001 – 5 C. 166/2000/HER/bnm, ZUM-RD 2002, 396; zur Nutzung eines Personenbildnisses zu Werbezwecken in Österreich vgl. ÖOGH v. 6.12.1994 – 4 Ob/127/94, GRUR-Int. 1996, 161 m. Anm. Götting; Matthias Schwaibold, Hohle Hände – Große Zahlen, media LEX 2006, 83 ff.; Saxer, Caroline und die Privatsphäre Prominenter in der Schweiz, media LEX 2005, 19 ff.; Schweizerisches Bundesgericht v. 27.5.2010 – 5 A 827/2009, ZUM-RD 2011, 267 – Persönlichkeitsrechte als Gegenstand von Rechtsgeschäften; Thiele, Unbefugte Bildaufnahme und ihre Verbreitung im Internet – Braucht Österreich einen eignen Paparazzi-Paragraphen?, Rz. 2007, S. 2 ff.; Donath, Österreich: Recht am eigenen Bild – Wende in der höchstgerichtlichen Judikatur, GRUR-Int. 2013, 534; Lober/Weber, Entgeltliche und freie Nutzung von Persönlichkeitsrechten zu kommerziellen Zwecken im deutschen und englischen Recht, ZUM 2003, 658; Märten, Kinder Prominenter im Berichterstattungsinteresse englischer Medien, ZUM 2014, 111. Welches nationale materielle Recht auf eine internationale Bildnisverletzung anzuwenden ist, entscheidet das Internationale Privatrecht des Staates, dessen Gericht angerufen wird. Bei der internationalen Presse, also Publikationen, die in vielen Ländern verbreitet und gelesen werden, im Fernsehen und im Internet ist die Bildnisverletzung daher möglicherweise an vielen, z.T. unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen zu messen. Dies könnte nur durch eine Verständigung auf das Ursprungs- oder Sendestaats-Prinzip vermieden werden durch entsprechende völkerrechtliche Verträge oder eine Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften. Die Anwendbarkeit des Rechts jeden Landes, in welchem das Medium verbreitet wird, setzt jedoch nach h.M. im Wettbewerbsrecht voraus, dass im fraglichen Land eine spürbare Verletzung der Rechte des Betroffenen erfolgt425. Die Spürbarkeit ist eine Frage der Quantität und der Qualität. An der Quantität kann es z.B. fehlen, wenn nur geringe Stückzahlen einer Zeitschrift in dem fraglichen Land vertrieben werden (sog. unbeachtlicher spill over). Die Qualität ist beispielsweise eine Frage der Sprache, ob also ein fremdsprachlicher Text von relevanten Teilen der Konsumenten verstanden wird. Wendet man die kollisionsrechtliche Spürbarkeitsregel des Wettbewerbs auf Bildnisse im Internet an, ist eine Spürbarkeit häufig zu bejahen. Denn hinsichtlich der Quantität ist zu beachten, dass ein Bildnis im Internet potentiell von sämtlichen inländischen Internet-Nutzern aufgerufen und betrachtet werden kann, solange nicht – was technisch möglich ist – die Abrufbarkeit in einem Land durch virtuelle Schlagbäume etwa in Form von geographischen Filtersystemen technisch verhindert wird; und das Kriterium der Qualität ist erfüllt, wenn es nicht um das Verständnis eines fremdsprachigen Textes geht, sondern um das Bildnis selbst. An der erforderlichen Qualitäts-Komponente kann es aber dann fehlen, wenn der Abgebildete im fraglichen Land nicht erkennbar i.S.v. § 22 KUG ist. Ob es sinnvoller wäre, bei Bildnisverletzungen im Internet in Anknüpfung an die TampaxEntscheidung426 auf die bestimmungsgemäße Verbreitung abzustellen statt auf die Spürbar425 KG v. 20.12.2001 – 2 W 211/01, GRUR-Int. 2002, 448 – Knoblauch-Kapseln; Sack, WRP 2000, 269, 274, 278; Schmid/Städtler in Schwarze, S. 27 m.w.N. 426 BGH v. 23.10.1970 – I ZR 86/69 GRUR 1971, 153 – Tampax; ebenso OLG Frankfurt v. 3.12.1998 – 6 W 122/98, ZUM-RD 1999, 455; KG v. 20.12.2001 – 2 W 211/01, GRUR-Int. 2002, 448.
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V. Verbreitung und Zurschaustellung von Bildnissen
Rz. 145 Kap. 7
keit der Rechtsverletzung, ist zweifelhaft. Ob die Verbreitung in einem bestimmten Land nur zufällig oder bestimmungsgemäß erfolgt, ist eine subjektive Komponente des Content-Providers, die bei einer Bildnisverbreitung via Internet i.d.R zu bejahen ist. Denn wer ein Bildnis – gleichgültig wo – ins Internet stellt, muss damit rechnen, dass es über Suchmaschinen gefunden und abgerufen werden kann. Und anders als bei Texten – ein Artikel im Internet in kyrillischer Schrift über eine Kolchose in Kasachstan ist subjektiv nicht zum Abrufen in Deutschland gedacht – gibt es bei Bildnissen i.d.R keine tauglichen Kriterien, anhand deren ihr bestimmungsgemäßer Abruf in einem Land festgestellt werden kann. Ein Disclaimer, demzufolge keine Lieferungen einer im Internet angebotenen Ware nach Deutschland erfolgen, kann zwar im Wettbewerbsrecht die Anwendung deutschen Rechts ausschließen427; ein entsprechender Disclaimer bei Bildnissen im Internet kann dagegen nicht verhindern, dass das Bildnis gleichwohl in Deutschland zur Kenntnis genommen wird. Auf eine bestimmungsgemäße Verbreitung eines Bildnisses im Internet kann es daher nicht ankommen. c) Zuständigkeit bei innereuropäischen Sachverhalten Das materielle Medien- und Persönlichkeitsrecht ist in Europa und der Welt sehr unter- 144 schiedlich ausgeprägt und ausgestaltet. Dem Gerichtsstand kommt deshalb in der Praxis große Bedeutung zu, da das nationale IPR des Staates des angerufenen Gerichts darüber entscheidet, welches materielle Recht Anwendung findet. Im Bereich der EU erfolgte zwar mit Wirkung zum 11.1.2009 eine Harmonisierung der IPR-Kollisionsregeln der Mitgliedstaaten über außervertragliche, somit auch deliktische Ansprüche anzuwendende Recht durch die Rom II VO (Verordnung (EG) Nr. 804864/2007 v. 11.6.2007). Jedoch sind vom Anwendungsbereich der Rom II VO ausdrücklich außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte ausgenommen (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II VO). Die mangels Harmonisierung jeweils anzuwendenden nationalen Kollisionsregeln weichen erheblich voneinander ab, auch wenn weitgehende Einigkeit darin besteht, dass Ansprüche aus Persönlichkeitsrechtsverletzungen weitgehend dem Deliktstatus unterstellt werden und in Europa die Tatortregel als Grundanknüpfung für Mediendelikte dient. Wo aber der Tatort liegt, kann bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch internationale Veröffentlichungen schwierig zu bestimmen seien, weil bei diesen Streu-/Distanzdelikten Handlungsund Erfolgsort regelmäßig auseinanderfallen, so dass oft viele Staaten als Tatort in Betracht kommen428. Von zentraler Bedeutung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist daher zunächst die in- 145 ternationale Zuständigkeit, also die Frage, vor den Gerichten welchen Staates der Anspruch geltend gemacht werden kann (zu internationalen medienrechtlichen Konflikten und Verfahren vgl. Lehr, NJW 2012, 705). Wird ein unzuständiges deutsches Gericht angerufen, kann nicht nach § 281 ZPO an ein Gericht außerhalb Deutschlands verwiesen werden. Denn jeder hoheitliche Akt endet an der Staatsgrenze. Bei fehlender internationaler Zuständigkeit kommt daher eine Verweisung an ein ausländisches Gericht weder nach § 281 ZPO noch nach den Vorschriften der EuGVVO in Betracht429. Bei der Bestimmung des international zuständigen Gerichts ist danach zu unterscheiden, ob der Beklagte seinen Sitz außerhalb oder innerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO hat. Die EuGVVO (Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen), auch „Brüssel I VO“ genannt, wur427 KG v. 20.12.2001 – 2 W 211/01, GRUR-Int. 2002, 448 – Knoblauch-Kapseln. 428 Vgl. Lehr, NJW 2012, 705, 708 m.w.N. 429 OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, WM 2000, 2192.
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Kap. 7 Rz. 146
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
de am 10.1.2015 durch die VO (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („Brüssel Ia VO“)430 ersetzt und aufgehoben. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der neugefassten EuGVVO ist, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU hat (Art. 4 Brüssel Ia VO). Für Gesellschaften und juristische Personen ist der Wohnsitz als deren satzungsmäßigem Sitz, hilfsweise als deren Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung bestimmt (Art. 63 Brüssel Ia VO). Für die Schweiz, Island und Norwegen gilt im Verhältnis zwischen EU und diesen früheren EFTAStaaten der inhaltsgleiche Art. 5 Abs. 3 des Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007. Die Vertragsstaaten haben sich zu einer möglichst einheitlichen Auslegung der Bestimmungen der EuGVVO und des LugÜ verpflichtet431. Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 5 Nr. 3 des Lugano-Übereinkommens v. 30.10.2007 (LugÜ II) wurde daher vom BGH bejaht für eine durch „Geo Blocking“ auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkten Unterlassungsklage wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte durch eine Bildberichterstattung auf der Internetseite einer Schweizer Rundfunkt-Anstalt432. 146
Hat der Beklagte seinen Sitz in einem Mitgliedstaat der EU, richtet sich bei innereuropäischen Sachverhalten die internationale Zuständigkeit des Gerichts seit dem 10.1.2015 nach Art. 4 ff. Brüssel Ia VO (zuvor nach Art. 2 ff. EuGVVO a.F.). Gemäß Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia VO (vor dem 10.1.2015 – wortgleich – gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO a.F.) kann der Beklagte nicht nur am allgemeinen Gerichtsstand seines Wohnsitzes (Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia VO, zuvor Art. 2 Abs. 1 EuGVVO a.F.) bzw. seinem Unternehmenssitz (Art. 63 Brüssel Ia VO, zuvor Art. 60 EuGVVO a.F.) verklagt werden, sondern darüber hinaus auch vor den Gerichten des Ortes, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“, „wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden“ (Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia VO, zuvor wortgleich Art. 5 Nr. 3 EuGVVO a.F.). Hierunter fallen auch Persönlichkeitsrechtsverletzungen433. Der Betroffene kann somit den Verletzer an dessen Sitz verklagen434 oder am Erfolgsort. Bei Printmedien ist der Erfolgsort überall dort gelegen, wo das Printmedium bestimmungsgemäß verbreitet und das Ansehen des Betroffenen beeinträchtigt bzw. sein Recht am eigenen Bild oder sein allgemeines Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wurde435. Entsprechendes gilt bei der Verbreitung durch Rundfunk-Sendungen. Bei einer Rechtsverletzung durch Online-Inhalte im Internet ist der Erfolgsort in demjenigen Mitgliedsstaat gelegen, in dem sich der Mittelpunkt der Interessen des Betroffenen befindet436. In der Regel ist dieser Interessenmittelpunkt grundsätzlich mit dem Ort des ge430 431 432 433
ABl. EU 2012 Nr. L 351, S. 1. Vgl. BGH v. 25.10.2016 – VI ZR 678/15, AiP 2017, 45 Rz. 16 – www.srfch. Ebenso bereits BGH v. 28.4.2016 – I ZR 23/15, NJW 2016, 3310 – Geo Targeting. EuGH v. 7.3.1995 – C-68/93, NJW 1995, 1881 – Fiona Shevill/Presse Alliance und BGH EuGHVorlage v. 10.11.2009 – VI ZR 217/08 – www.rainbow.at – Unterlassungsklage des Mörders des Schauspielers Walter Sedlmayr wegen einer identifizierten Berichterstattung auf dem österreichischen Internetportal www.rainbow.at. 434 BGH v. 2.3.2010 – VI ZR 23/09, MDR 2010, 744 = CR 2010, 383 = ITRB 2010, 152 = AfP 2010, 167 – New York Times. 435 EuGH v. 7.3.1995 – C-68/93, NJW 1995, 1881 – Fiona Shervill/Presse Alliance S.A. 436 BGH v. 8.5.2012 – VI ZR 217/08, CR 2012, 525 = MDR 2012, 764 = AfP 2012, 372 – www.rain bow.at II.
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V. Verbreitung und Zurschaustellung von Bildnissen
Rz. 147 Kap. 7
wöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen identisch, wenn nicht Indizien auf einen anderen Ort als Interessenmittelpunkt hindeuten437. Diese Gerichtsstände stehen dem Betroffenen für Unterlassungsansprüche zur Verfügung. Bei Ansprüchen auf Schadensersatz kann der Verletzte entweder bei den Gerichten des Mitgliedsstaats, in welchem der Urheber der Rechtsverletzung seinen Sitz hat oder bei den Gerichten desjenigen Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt seiner Interessen befindet, Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens erheben. Stattdessen kann der Verletzte seine Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet eine persönlichkeitsverletzende Meldung oder ein Bildnis durch Presse oder Rundfunk verbreitet wurde oder im Internet zugänglich gemacht ist oder war. Diese Gerichte sind jedoch nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht wurde438. d) Zuständigkeit bei außereuropäischen Sachverhalten Hat der Beklagte seinen Sitz außerhalb der Europäischen Union und den ehemaligen EFTA- 147 Staaten Island, Norwegen und Schweiz und damit außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Brüssel Ia VO bzw. des Luganer Abkommens, richtet sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Mediendelikte nach § 32 ZPO. Gerichtsstand des § 32 ZPO ist der Begehungsort (vgl. auch Kap. 12 Rz. 121). Begehungsort ist sowohl der Ort, an dem der Verletzer gehandelt hat (Handlungsort), als auch der Ort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde (Erfolgsort). Die Zuständigkeit gilt sowohl für Unterlassungsklagen als auch für Auskunfts- und Schadensersatzklagen. Der Kläger kann zwischen dem Gericht des Handlungsortes und dem des Erfolgsortes wählen. Daneben steht ihm auch der allgemeine Gerichtsstand des Verletzers an dessen Wohnsitz oder Sitz zur Verfügung (§§ 12 ff. ZPO). Die bloße bestimmungsgemäße Aufrufbarkeit der Internetseite kann bei außereuropäischen Sachverhalten die gerichtliche Zuständigkeit nicht begründen. Vielmehr ist bei Veröffentlichungen im Internet Erfolgsort i.S.v. § 32 ZPO derjenige Ort, an dem das beanstandete Bildnis objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland in dem Sinne aufweist, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen – Interesse des Betroffenen an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts einerseits, Interesse des Verletzers an einer Berichterstattung und an der Gestaltung seines Internetauftritts andererseits – nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der konkreten Meldung, im Inland tatsächlich eintreten kann439. Ein solcher hinreichender Inlandsbezug kann sich aus der Stellung der von der Berichterstattung betroffenen Personen ergeben, wenn diese zwar nicht deutsche Staatsangehörige sind und keinen Wohnsitz in Deutschland haben, aber bei ihnen ein ganz erhebliches Interesse der in Deutschland ansässigen Rezipienten besteht. Dieses kann sich daraus ergeben, dass es sich bei den Personen um Angehörige des Fürstenhauses eines Staates handelt, an denen seit jeher ein großes Interesse der deutschen Öffentlichkeit bestand und besteht, so dass Berichte über die Per437 EuGH v. 25.10.2011 – C 509/09 – eDate Advertising, EuGH C 161/10 – Martinez und Martinez/ MGN Ltd. – Klage des französischen Schauspielers Martinez gegen das englische Medienunternehmen MGM Ltd. wegen einer möglichen Verletzung seiner Privatsphäre durch eine Wortund Bildberichterstattung in der Internetausgabe des Sunday Mirrow. 438 EuGH v. 25.10.2011 – C-509/09 und C-161/10 – eDate Advertising, AfP 2011, 565; v. 7.3.1995 – C-68/93, NJW 1995, 1881 – Fiona Shevill/Presse Alliance SA. 439 BGH v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, CR 2013, 459 = MDR 2013, 710 = ITRB 2013, 150 Rz. 7 = AfP 2013, 260 – Autocomplete Funktion; v. 29.3.2011 – VI ZR 111/10, AfP 2011, 265 = MDR 2011, 812 = CR 2011, 459 = ITRB 2011, 149 = NJW 2011, 2059 – womanineurope.com; v. 2.3.2010 – VI ZR 23/09, MDR 2010, 744 = AfP 2010, 167 = CR 2010, 383 = ITRB 2010, 152 = NJW 2010, 1752 – New York Times.
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Kap. 7 Rz. 148
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
sonen, die dem Fürstenhaus angehören, in Deutschland ein hohes Interesse finden, das über das Interesse deutlich hinausgeht, das sonst an prominenten Personen des internationalen öffentlichen Lebens besteht. Das gilt insbesondere dann, wenn die betroffenen Personen zugleich auch politische Repräsentanten eines Staates sind, zu dem die Bundesrepublik Deutschland vielfältige und enge Beziehungen unterhält. Ergibt sich nach diesen Grundsätzen die Zuständigkeit deutscher Gerichte, ist auch für die materiell-rechtliche Betrachtung, ob ein Verstoß vorliegt und welche Rechtsfolgen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sich aus diesem ergeben, das deutsche Recht anwendbar440. Ein hinreichender Inlandsbezug ist auch dann anzunehmen, wenn eine Kenntnisnahme der beanstandenden Meldung oder des Bildnisses nach den Umständen des konkreten Falls im Inland erheblich näherliegt als dies aufgrund der bloßen Abrufbarkeit im Internet der Fall wäre und die vom Betroffenen behauptete Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts durch Kenntnisnahme der Meldung oder des Bildnisses (auch) im Inland eintreten würde441. Maßgebliche Bedeutung für den erforderlichen „deutlichen Bezug“ ist der Inhalt der Information. Eine Interessenkollision im Inland liegt beispielsweise nahe, wenn der von einem Online-Bericht identifizierbar Betroffene in Deutschland wohnt oder geschäftlich tätig ist, der Bericht Vorgänge mit Bezug zum Inland zum Gegenstand hat (z.B. Ermittlungen der deutschen Staatsanwaltschaft) und daher das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auch in Deutschland gestört oder gefährdet wird442. In welchem Teil der Internetausgabe einer Tageszeitung der Artikel zum Abruf bereitsteht – z.B. im Lokalteil –, ist ebenso wenig entscheidend wie der Standort des Servers in Deutschland443. Der Zahl der Zugriffe durch inländische Nutzer kommt keine Bedeutung zu. Denn zur Begründung der internationalen Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen kommt es nicht auf Spürbarkeitsgerichtspunkte an. Der soziale Geltungsanspruch kann bereits dann erheblich tangiert sein, wenn auch nur eine Person aus seinem Lebenskreis die Beeinträchtigung zur Kenntnis nimmt444. So hat der BGH beispielsweise die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei einem in russischer Sprache und kyrillischer Schrift verfassten OnlineBeitrag verneint, der von einem privaten Zusammentreffen des Klägers – einem russischen Geschäftsmann mit Wohnsitz in Deutschland – und der in den USA lebenden Beklagten anlässlich eines Klassentreffens in Russland handelte445. 148
Wird Klage vor einem deutschen Gericht erhoben, sind – mangels Anwendbarkeit der Rom II VO auf Verletzungen des Persönlichkeitsrechts, vgl. Rz. 144 – für die Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts nach deutschen IPR bei grenzüberschreitenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen Art. 40 bis 42 EGBGB einschlägig. Ansprüche aus unerlaubter Handlung unterliegen nach Art. 40 Abs. 1 EGBGB dem Recht des Staates, in welchem der Verletzer gehandelt hat; Tatort ist neben dem Handlungsort nach Wahrheit des Geschädigten auch der Erfolgsort. Handlungsort ist hierbei – ebenso im Rahmen der internationalen Zuständigkeit – regelmäßig der Sitz des Medienunternehmens bei Veröffentlichungen in Hörfunk- oder 440 OLG Hamburg v. 20.12.2016 – 7 U 8/15, ZUM-RD 2018, 131 – Andrea Casiraghi. 441 BGH v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, CR 2013, 459 = MDR 2013, 710 = ITRB 2013, 150 Rz. 7 = AfP 2013, 260 – Autocomplete Funktion; v. 29.3.2011 – VI ZR 111/10, MDR 2011, 812 = CR 2011, 459 = ITRB 2011, 149 Rz. 8, AfP 2011, 265 – womanineurope.com. 442 BGH v. 2.3.2010 – VI ZR 23/09, MDR 2010, 744 = AfP 2010, 167 = CR 2010, 383 = ITRB 2010, 152 = NJW 2010, 1752 Rz. 23 – New York Times. 443 BGH v. 29.3.2011 – VI ZR 111/10, AfP 2011, 265 = MDR 2011, 812 = CR 2011, 459 = ITRB 2011, 149 Rz. 16, NJW 2011, 259 – womanineurope.com. 444 BGH v. 2.3.2010 – VI ZR 23/09, MDR 2010, 744 = AfP 2010, 167 = CR 2010, 383 = ITRB 2010, 152 = NJW 2010, 1752, Rz. 24 – New York Times. 445 BGH v. 29.3.2011 – VI ZR 23/09, NJW 2011, 259 – womanineurope.com.
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V. Verbreitung und Zurschaustellung von Bildnissen
Rz. 150 Kap. 7
Fernsehsendungen der Ausstrahlungsort446, bei Printmedien der Sitz des Presseverlags des Orts des Einspeisens der Informationen beim Internet447. Der Erfolgsort liegt bei Printmedien oder Rundfunksendungen überall dort, wo Dritte die beeinträchtigende Veröffentlichung zur Kenntnis nehmen, also an jedem Verbreitungs- oder Ausstrahlungsort. Für den Erfolgsort ist ein über die bloße Abrufbarkeit hinausgehender Inlandsbezug zu fordern, der eine Persönlichkeitsrechtsverletzung im jeweiligen Staat nahelegt entsprechend der Rechtsprechung des BGH. zur internationalen Zuständigkeit448. Da bei europa- und weltweit verbreiteten Medien der Verletzungserfolg in zahlreichen Rechtsordnungen gleichzeitig eintreten kann, fordert die herrschende Meinung eine „Mosaik-Betrachtung“449. Nach der Mosaik-Betrachtung kommt eine Wahl des Rechts am Erfolgsort jeweils nur für den in dem betreffenden Land konkret eingetretenen Schaden in Betracht, während das Recht des Handlungsortes für die Beurteilung der gesamten Beeinträchtigung gilt450. Dies entspricht der Rechtsprechung des OLG Hamburg zur internationalen Zuständigkeit. Ob für Inhalte auf Websites im Internet das Herkunftslandsprinzip des Art. 3 E-Commerce- 149 Richtlinie (ECRL) Anwendung findet, ist umstritten. Das Herkunftslandprinzip wurde in Deutschland durch § 3 TMG umgesetzt. Auch die Verletzung von persönlichkeitsrechtlichen Vorschriften im Rahmen solcher Internetdienste unterfällt grundsätzlich dem Herkunftslandprinzip451. Rechtsnatur und Auswirkungen des Herkunftslandprinzips sind jedoch umstritten. Der EuGH452 hat die Frage dahingehend beantwortet, dass Art. 3 ECRL keine Umsetzung in Form einer Kollisionsnorm verlangt, jedoch die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass die Websiteanbieter keinen strengeren als den im Recht seines Sitz-Staates vorgesehenen Anforderungen unterworfen wird. Das bedeutet letztlich einen Günstigkeitsvergleich453. Bei der Anwendung deutschen Rechts war allerdings das „privilegium germanicum“ des 150 Art. 38 EGBGB a.F. zu beachten. Danach konnten aus einer im Ausland begangenen unerlaubten Handlung gegen einen Deutschen oder eine juristische Person mit Sitz in Deutschland keine weitergehenden Ansprüche hergeleitet werden, als diese nach deutschen Gesetzen begründet sind454. Art. 38 EGBGB a.F. wurde in der seit 1.6.1999 geltenden EGBGB-Novelle gestrichen. Teilweise wird das „privilegium germanicum“ jedoch durch Art. 40 Abs. 3 EGBGB n.F. aufrechterhalten, wobei das Privileg nicht mehr allein Deutschen zugutekommt, sondern unabhängig von der Staatsangehörigkeit durch die deutschen Gerichte gewährt wird. Danach können Ansprüche nach dem Deliktsrecht eines anderen Staates im Inland dann nicht geltend gemacht werden, soweit sie wesentlich weitergehen als zum Ersatz des Schadens erforderlich oder offensichtlich anderen Zwecken als einer angemessenen Entschädigung des Verletzten dienen oder haftungsrechtlichen Regelungen eines für die Bundesrepublik Deutsch446 OLG München v. 10.12.2003 – 21 U 2392/03, NJW 2004, 224, 226. 447 OLG Hamburg v. 24.3.2009 – 7 U 94/08, AfP 2009, 595. 448 EuGH v. 25.10.2011 – C-509/09, CR 2011, 808 = IPRB 2011, 269 = NJW 2012, 137 Rz. 37 ff. – eDate Advertising GmbH und Martinez/MGM Ltd. 449 Lehr, NJW 2012, 705, 708 m.w.N. 450 OLG Hamburg v. 8.12.1994 – 3 U 64/94, AfP 1996, 69 = NJW-RR 1995, 790, 792; Lehr, NJW 2012, 705, 708; Palandt/Thorn, Art. 40 EGBGB Rz. 10. 451 BGH v. 10.11.2009 – VI ZR 217/08, AfP 2010, 150 = ITRB 2010, 176 = GRUR 2010, 261 Rz. 25 ff.; Lehr, NJW 2012, 705, 709 m.w.N. 452 EuGH v. 25.10.2011 – C-509/09, CR 2012, 808 = IPRB 2011, 269 = NJW 2012, 137 Rz. 53 ff. – eDate Advertising GmbH/Martinez/MGM Ltd. 453 Lehr, NJW 2012, 705, 709 m.w.N. 454 BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128 – Caroline von Monaco III.
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Kap. 7 Rz. 151
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
land verbindlichen Übereinkommens widersprechen. An dieser Regelung scheitert die Durchsetzung von mehrfachem Schadensersatz (multiple damages) oder Strafschadensersatz (punitive damages) vor deutschen Gerichten455, aber auch Schmerzensgeld in exorbitanter Höhe456. Das ausländische Recht bleibt in solchen Fällen zwar anwendbar; aber seine Rechtsfolgen werden „kupiert“457. Ob Art. 38 EGBGB gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 6 EGV (heute Art. 12 AEUV) verstößt, konnte der BGH458 offenlassen, weil Monaco nicht Mitglied der Europäischen Union ist (Art. 237 EGV/271 AEUV) und Angehörige eines dritten Staates – Umkehrschluss aus Art. 59 Abs. 2 EGV (heute Art. 49 Abs. I AEUV) – den Schutz aus Art. 6 EGV nicht in Anspruch nehmen können. 3. Zeitlicher Schutzumfang 151
Nach § 22 Satz 3 KUG endet das Recht am eigenen Bild nicht mit dem Tode des Abgebildeten, sondern erst zehn Jahre danach. Die 10-Jahres-Frist des postmortalen Bildnisschutzes gilt nicht nur für den Schutz der ideellen Interessen des Verstorbenen, sondern auch der vermögenswerten Bestandteile seines postmortalen Rechts am eigenen Bild, also der wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeit des Bildnisses, des Namens, der Stimme oder anderer kennzeichnender Persönlichkeitsmerkmale459. Während dieser Zeit bedarf die Veröffentlichung eines Bildnisses des Verstorbenen, die nicht nach §§ 23, 24 KUG auch ohne Einwilligung zulässig ist, zur Wahrnehmung der ideellen Interessen des Verstorbenen der Einwilligung der Angehörigen des Abgebildeten und wenn es um die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts geht, der Einwilligung seiner Erben. Zur Wahrnehmungsberechtigung durch die Erben und die Angehörigen vgl. Rz. 156. Den Angehörigen und den Erben stehen damit – abgesehen vom Geldentschädigungsanspruch vgl. Kap. 9 Rz. 58 – dieselben Ansprüche zu wie dem Rechtsinhaber zu dessen Lebzeiten. Die 10-Jahres-Frist ist nach herrschender Meinung nach § 186 ff. BGB zu berechnen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, Bildnissen als einer der Erscheinungsformen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen postmortalen Schutz von 10 Jahren zu gewähren, beruht nicht nur auf dem Gedanken, dass das Schutzbedürfnis nach dem Tode mit zunehmendem Zeitablauf abnimmt460, sondern schafft Rechtssicherheit und berücksichtigt das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit, sich mit Leben und Werk einer zu Lebzeiten weithin bekannten Persönlichkeit auseinandersetzen zu können. Die Entscheidung des Gesetzgebers über die Dauer des Schutzes des postmortalen Rechts der ideellen Interessen am eigenen Bild war auf die Dauer des Schutzes für die vermögenswerten Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts zu übertragen. Das Persönlichkeitsbild einer zu Lebzeiten bekannten Person ist nach ihrem Tod auch Teil der gemeinsamen Geschichte. Das Interesse der Angehörigen (§ 22 KUG) oder – bei den vermögenswerten Bestandteilen des postmortalen Persönlichkeitsrechts – das der Erben461 an einer wirtschaftlichen Verwertung des Persönlichkeitsbildes muss deshalb nach Ablauf von 10 Jahren zurücktreten. Eine darü455 Begr. Reg. Entw., BT-Drucks. 14/343, S. 12. 456 BVerfG v. 25.7.2003 – 2 BvR 1198/03, CR 2003, 762 = NJW 2003, 2598 – Napster/Bertelsmann. 457 Sack, WRP 2000, 269, 288. 458 BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128 – Caroline von Monaco III. 459 BGH v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, AfP 2007, 42 = CR 2007, 101 = MDR 2007, 417 = ITRB 2007, 57 = NJW 2007, 684 Rz. 16 – kinski-klaus.de. 460 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645 – Mephisto. 461 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich.
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Rz. 152 Kap. 7
berhinausgehende zeitliche Ausdehnung der Schutzdauer der vermögenswerten Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts wäre mit der Wertung des § 22 KUG nicht vereinbar462. Der postmortale Schutz des Bildnisses endet damit jedoch nicht insgesamt nach Ablauf von 152 10 Jahren. Neben den spezialgesetzlichen Bildnisschutz der KUG tritt ergänzend der Schutz des postmortalen allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Form des postmortalen Achtungsanspruchs. Unter den Voraussetzungen und im Umfang des postmortalen Schutzes der ideellen Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts besteht der Schutz des Bildnisses von Verstorbenen fort463. Ob ein längerer Schutz als die 10 Jahre nach § 22 KUG für einen Schutz der kommerziellen Interessen in Betracht zu ziehen ist, wenn und soweit sich nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausnahmsweise ein längerer Schutz ideeller Interessen ergibt464, hat der BGH in der Entscheidung Marlene Dietrich465 offengelassen. Im Rahmen des postmortalen allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist vor allem der grundrechtliche Schutz der Menschenwürde zu beachten, der an keine einfach-rechtlichen Schranken, insbesondere nicht an die 10-Jahres-Frist des § 22 Satz 3 KUG geknüpft ist. Zwar erlischt mit dem Tode einer Person deren allgemeines Persönlichkeitsrecht. Denn Träger des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG kann nur die lebende natürliche Person sein466. Damit aber ist der Verstorbene nicht schutzlos. Vielmehr greift der grundrechtliche Schutz auf Achtung der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG ein. Dadurch wirkt der Schutz der Persönlichkeit über den Tod hinaus. Denn die in Art. 1 Abs. 1 GG festgelegte Verpflichtung der staatlichen Gewalt, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, endet nicht mit dem Tode467. Dieser postmortale Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts tritt als postmortaler Achtungsanspruch Verstorbener ergänzend neben den spezialgesetzlichen postmortalen Bildnisschutz des § 22 Satz 3 KUG. Im Gegensatz zu dem aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist die Menschenwürde im Konflikt mit anderen Grundrechten nicht abwägungsfähig468. Die Achtung der Menschenwürde verlangt, dass der Einzelne auch nach seinem Tode in seinem allgemeinen Achtungsanspruch nicht herabgewürdigt oder erniedrigt werden darf469. Der postmortale Achtungsanspruch gewährt Schutz gegen Angriffe auf die Menschenwürde durch schwerwiegende Herabsetzungen wie Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und dergleichen und bewahrt den Grundrechtsträger davor, dass er in einer die Menschenwürde verletzenden Weise ausgegrenzt, verächtlich gemacht, verspottet oder sonst wie herabgewürdigt wird. Schutz genießt darüber hinaus auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert, 462 BGH v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, AfP 2007, 42 = CR 2007, 101 = MDR 2007, 417 = ITRB 2007, 57 = NJW 2007, 684 Rz. 18 – kinski-klaus.de. 463 BGH v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, AfP 2007, 42 = CR 2007, 101 = MDR 2007, 417 = ITRB 2007, 57 = NJW 2007, 684 Rz. 18 – kinski-klaus.de. 464 Vgl. BGH v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1968, 1773 – Mephisto. 465 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195. 466 BVerfG v. 22.8.2006 – 1 BvR 1168/04, NJW 2006, 3409 – Marlene Dietrich; v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, NJW 2001, 2957 – Wilhelm Kaisen; v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 594 – Willy Brandt; v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645 – Mephisto; BGH v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, NJW 2007, 684 Rz. 10 – kinski-klaus.de; v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04 NJW 2006, 605 – Mordkommission Köln. 467 BVerfG v. 19.10.2006 – 1 BvR 402/06 – Postmortales Persönlichkeitsrecht Rz. 17; v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, NJW 2001, 2957 – Wilhelm Kaisen; v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 594 – Willy Brandt. 468 BVerfG v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, NJW 2001, 2957 – Wilhelm Kaisen. 469 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645, 1647 – Mephisto.
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Kap. 7 Rz. 153
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den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat470. Deshalb wird der Verstorbene gegen schwerwiegende Entstellungen seines Lebensbildes, gegen die er sich selbst nicht mehr verteidigen kann, auf Verlangen seiner Angehörigen geschützt471. Grundsätzlich kann den Hinterbliebenen ein Unterlassungsanspruch zustehen, wenn durch die Veröffentlichung des Bildnisses eines Verstorbenen dessen postmortaler Achtungsanspruch verletzt wird, z.B. den Hinterbliebenen gegen die Veröffentlichung des Bildnisses eines Mord- oder Unfallopfers. Derartige aus der Wertordnung des Art. 1 Abs. 1 GG herzuleitende Ansprüche, mit denen das fortwirkende Lebensbild des Verstorbenen weiterhin gegen grobe Beeinträchtigungen geschützt wird, bestehen nur in besonderen Fällen, insbesondere dann, wenn das Lebensbild des Verstorbenen durch die beanstandete Berichterstattung schwerwiegend entstellt oder verfälscht wird472. Ein solcher auf den postmortalen Achtungsanspruch des Verstorbenen gestützter Unterlassungsanspruch wurde verneint, als die Mutter der bei dem spektakulären Gladbecker-Geiseldrama ermordeten Tochter Silke zu verhindern suchte, dass 15 Jahre nach der Tat anlässlich eines Freigangs des Täters ein Bildnis der Tochter, welches sie kurz vor ihrer Ermordung in Todesangst zeigt, in der Presse veröffentlicht werden sollte. Das OLG Hamburg verneinte eine Verfälschung des Lebensbildes der Ermordeten durch die beanstandete Bildveröffentlichung, weil die Aufnahme sie zwar als Verbrechensopfer in einer Situation der Todesangst zeige, worin jedoch weder eine Abwertung noch eine Entwürdigung liege. Auf der Abbildung, die sie mit geschlossenen Augen zeigte, seien ihre Gesichtszüge nicht entstellt; sie entsprächen vielmehr der dargestellten Situation extremer Bedrohung, Angst und Anspannung. Eine sie verächtlich machende oder in ihrer Ehre verletzende Wirkung gehe von der Abbildung nicht aus473. Ebenso wurde ein Unterlassungsanspruch der Eltern aus dem postmortalen Achtungsanspruchs ihres durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen Sohnes bei einem Textbericht über den Suizid verneint, weil durch das Foto, welches den Sohn zu Lebzeiten zeigte, dessen fortdauernde Ehre und Menschenwürde nicht schwerwiegend beeinträchtigt wurde474. Eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts liegt auch in der Abbildung Verstorbener für Werbezwecke oder sonstige kommerzielle Nutzungen. Bei einer solchen Verwendung des Bildnisses Verstorbener zu Werbezwecken soll schon die bloße unbefugte Nutzung eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts darstellen, so dass es auf eine besondere Eingriffsintensität der Rechtsverletzung nicht ankommt475. 153
Aber selbst bei schweren, postmortalen Eingriffen in die Menschenwürde, die die ideellen Bestandteile des Rechts am eigenen Bild verletzen, kommen keine Ansprüche auf Geldentschädigung in Betracht. Denn der Anspruch auf immateriellen Schadenersatz wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht nur dem Rechtsträger und nur zu dessen 470 BVerfG v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, NJW 2001, 2957 – Wilhelm Kaisen. 471 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; v. 20.3.1968I ZR 44/66, NJW 1968, 1773 – Mephisto; v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593 – Abschiedsmedaille; OLG Köln v. 31.3.199815 U 122/98, AfP 1998, 648 – Konrad Adenauer. Für eine Verletzung der Menschenwürde genügt jedoch nicht ein bloßes Berühren der Menschenwürde; Voraussetzung ist eine treffende Verletzung der Menschenwürde des Verstorbenen. Bei Angriffen auf den durch die Lebensstellung erworbenen Geltungsanspruch genügt z.B. nicht dessen Infragestellung, wohl aber deren grobe Entstellung (BVerfG v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, NJW 2001, 2957 – Wilhelm Kaisen. 472 Vgl. insbesondere BVerfG v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, NJW 2001, 2957 – Wilhelm Kaisen; v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645 – Mephisto. 473 OLG Hamburg v. 28.9.2004 – 7 U 33/04, AfP 2005, 76 – Silke. 474 OLG Jena v. 31.3.2005 – 8 U 910/04, NJW-RR 2005, 1566. 475 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich.
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V. Verbreitung und Zurschaustellung von Bildnissen
Rz. 155 Kap. 7
Lebzeiten zu (vgl. Kap. 9 Rz. 58). Bei unmittelbarer Betroffenheit eines Angehörigen durch die Bildnisveröffentlichung des Verstorbenen kann den Hinterbliebenen wegen Verletzung ihres eigenen allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein eigener Anspruch auf Geldentschädigung zustehen (vgl. Kap. 9 Rz. 59). Die Dauer des postmortalen Achtungsanspruchs ist ungeklärt und umstritten (vgl. Kap. 5 154 Rz. 124). Jedenfalls für das immaterielle Schutzinteresse erlischt der Achtungsanspruch mit dem Verblassen der Erinnerung an den Verstorbenen476. Die Schutzdauer hängt damit vor allem auch von der Bekanntheit des Verstorbenen ab. Andererseits schützt der postmortale Achtungsanspruch nur vor schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsbildes des Verstorbenen. Durch Zeitablauf kann daher auch bei einem bekannten Verstorbenen der Grad der Beeinträchtigung des Lebensbildes abnehmen, so dass eine schwerwiegende Beeinträchtigung und damit eine Verletzung des Achtungsanspruchs zu verneinen sein kann. Da somit die Schutzdauer von den Umständen des Einzelfalls abhängt, wird aus Gründen der Rechtssicherheit vorgeschlagen, den Schutz des postmortalen Achtungsanspruchs auf 30 Jahre nach dem Tode zu begrenzen, wie dies auch im Entwurf eines Ehrenschutzgesetzes von 1995 vorgesehen war477 (vgl. Kap. 5 Rz. 124). Nach Ablauf der Maximalfrist von 30 Jahren wäre damit allerdings der Verstorbene auch bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebensbildes schutzlos. Bei Eingriffen in das Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde durch Bildnisverletzungen sollte daher die Dauer des postmortalen Achtungsanspruchs zeitlich nicht begrenzt werden, sondern anhand der Umstände des Einzelfalls mit den Parametern Bekanntheit, Zeitablauf und Intensität der Beeinträchtigung ermittelt werden, ob eine schwerwiegende Beeinträchtigung und damit eine Verletzung des postmortalen Achtungsanspruchs gegebenenfalls auch mehr als 30 Jahre nach dem Tod des Betroffenen vorliegt. Von der Geltendmachung des postmortalen Achtungsanspruchs des Verstorbenen durch seine 155 Angehörigen zu unterscheiden sind eigene Ansprüche der Angehörigen des Verstorbenen. Denn Presseveröffentlichungen, die aus Anlass eines Todesfalls erfolgt sind oder im Zusammenhang damit stehen, sind grundsätzlich geeignet, das eigene ideelle Persönlichkeitsrecht der hinterbliebenen Angehörigen zu verletzen. Ihnen können bei einer Bildberichterstattung über den Verstorbenen eigene Ansprüche auf Unterlassung, Schadenersatz oder § 812 BGB sowie auf Geldentschädigung wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts zustehen, sofern sie durch die Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen in ihrem eigenen Persönlichkeitsrecht unmittelbar betroffen sind und der Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht rechtswidrig war. Dieser Eingriff ist erst rechtswidrig, wenn bei der anzustellenden Abwägung das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der Medien überwiegt (vgl. Rz. 34 und 38). Die Veröffentlichung des Fotos der kurz darauf ermordeten Geisel in der Presse 15 Jahre nach der Tat griff zwar in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter der Ermordeten ein. Die Mutter hatte durch ein ärztliches Attest belegt, dass bei ihr immer wieder Essstörungen, Herzrasen, Depressionen und Suizidgefahr durch die Veröffentlichung von Bildern der Entführung ihrer Tochter in der Presse ausgelöst werden, durch die sie sich gezwungen sehe, die Ermordung ihrer Tochter immer wieder zu erleben. Bei der vorzunehmenden Güter- und Interessenabwägung war daher die Gesundheit der Mutter einerseits und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit andererseits zu gewichten. Da es sich bei dem Foto um ein zeitgeschichtliches Dokument zu einem spektakulären 476 BVerfGE v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645 – Mephisto; BGH v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, MDR 1989, 1076 = AfP 1989, 728 = GRUR 1995, 668 – Emil Nolde; Löffler/Steffen § 6 LPG Rz. 71 m.w.N.; Soehring/Hoene, § 13 Rz. 12 ff. m.w.N. 477 Soehring/Hoene, § 13 Rz. 12b.
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Kap. 7 Rz. 156
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Ereignis der Kriminalgeschichte handelte und die Mutter nicht bereits durch die Veröffentlichung der Aufnahme in ihren Rechten beeinträchtigt wurde, sondern erst durch ihre Wahrnehmung der Aufnahme, diese aber vermeiden konnte, ging die Abwägung zugunsten des Informationsinteresses der Öffentlichkeit aus478; zum Geldentschädigungsanspruch von Angehörigen vgl. Kap. 9 Rz. 59, zum Anspruch aus § 812 BGB vgl. Kap. 9 Rz. 24. 156
Zur Wahrnehmung des Schutzes von Bildnissen Verstorbener sind bezüglich der vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts (vgl. Kap. 9 Rz. 33) und der daraus resultierenden Abwehr-, Bereicherungs- und ggf. Schadensersatzansprüche die Erben und bezüglich der ideellen Interessen des Verstorbenen und daraus folgender Abwehransprüche nach § 22 Satz 3 KUG die Angehörigen befugt (vgl. Kap. 9 Rz. 6 und 58). Nach § 22 Satz 4 KUG sind Angehörige der überlebende Ehegatte oder der Lebenspartner und die Kinder des Abgebildeten, bei deren Fehlen dessen Eltern (vgl. Rz. 182). Diese Regelung entspricht der gesetzlichen Erbfolge, so dass – außer in Fällen gewillkürter Erbfolge – Angehörige und Erben identisch sind. Aktivlegitimiert bei einer Verletzung der ideellen Interessen des postmortalen Persönlichkeitsrechts sind die Personen oder auch Institutionen, die der Verstorbene zu Lebzeiten mit der Interessenwahrnehmung beauftragt hat, sonst die „nahen Angehörigen“479. Als „nahe Angehörige“ können die im Falle einer Verunglimpfung Verstorbener i.S.v. § 194 Abs. 2 StGB nach § 77 Abs. 2 StGB strafantragsberechtigten Angehörigen gelten480. Die Rechtsprechung hat keine verbindliche Reihenfolge der „nächsten Angehörigen“ aufgestellt. Von mehreren Anspruchsberechtigten kann auch nur einer im Einvernehmen mit den anderen zum Einschreiten berechtigt sein, wenn er ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis dartut481. Abgesehen davon ergibt sich die Frage eines Wahrnehmungsrechtes kraft besonderer Qualifikation (vgl. Kap. 5 Rz. 116 ff.). Zwischen der Wahrnehmungsbefugnis während der 10-JahresFrist des § 22 Satz 3 KUG und der Zeit danach zu differenzieren, besteht keine Veranlassung.
VI. Einwilligung Schrifttum: Kaulbach, Die Einwilligung nach § 22 KUG, AfP 1971, 67; Helle, Die Einwilligung beim Recht am eigenen Bild, AfP 1985, 93; Frömming/Peters, Die Einwilligung im Medienrecht, NJW 1996, 958; Ernst-Moll, Das Recht am eigenen Bildnis – vor und vor allem nach dem Tode, GRUR 1996, 558; Dasch, Die Einwilligung zum Eingriff in das Recht am eigenen Bild, 1996; Ullmann, Persönlichkeitsrechte in Lizenz?, AfP 1999, 209; Seifert, Postmortaler Schutz des Persönlichkeitsrechts und Schadensersatz – Zugleich ein Streifzug durch die Geschichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, NJW 1999, 1889; Zagouras, Die Situationsgebundenheit der Einwilligung nach § 22 KUG, AfP 2005, 152; Markfort, Popstars und die Pressefreiheit, ZUM 2006, 829; Libertus, Die Einwilligung als Voraussetzung für die Zulässigkeit von Bildnisaufnahmen und deren Verbreitung, ZUM 2007, 621; Kötz/Gabriel-Jürgens, Honorare und Recht für Models, KöGa Liste 2011/2012; Sauer, Nutzungsrechte von Arbeitnehmerfotos im Unternehmen, K&R 2012, 404; Brogt/Rodenbeck, Minderjährige in den Medien – Herausforderungen in alten und neuen Öffentlichkeiten, AfP 2016, 495; Lauber-Rönsberg, Das Recht am eigenen Bild in sozialen Netzwerken, NJW 2016, 744.
478 479 480 481
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OLG Hamburg v. 28.9.2004 – 7 U 33/04, AfP 2005, 76 – Gladbecker Geiseldrama. BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1773 – Mephisto. Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 71 m.w.N. OLG Köln v. 31.3.1998 – 15 U 122/98, AfP 1998, 647 – Konrad Adenauer; OLG München v. 28.7.1989 – 21 U 2754/88, AfP 1989, 747.
von Strobl-Albeg
VI. Einwilligung
Rz. 159 Kap. 7
1. Erforderlichkeit einer Einwilligung – § 22 KUG Das Recht am eigenen Bild ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeits- 157 rechts. § 22 KUG schützt die persönlichkeitsrechtliche freie Selbstbestimmung über das eigene Bildnis482. Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich allein dem Abgebildeten die Befugnis zusteht, darüber zu befinden, ob, wann und in welcher Weise er gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit im Bild vorgestellt wird483. Vorbehaltlich der Ausnahmeregelung in § 23 KUG ist daher die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung von Bildnissen nur mit Einwilligung des Abgebildeten zulässig. Sie kann jedoch in analoger Anwendung des § 22 KUG auch Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten wie das Anfertigen der Bildnisse und deren Besitz rechtfertigen (vgl. dazu Rz. 28 und 32). 2. Rechtliche Bedeutung Die Rechtsnatur der Einwilligung ist umstritten. Es wird die Auffassung vertreten, die Einwil- 158 ligung sei ein bloßer Realakt, allerdings mit der Besonderheit, dass für die Auslegung der Erklärung die Grundsätze für rechtsgeschäftliche Willenserklärungen vorsichtig angewendet werden könnten484. Nach überwiegender Auffassung ist die Einwilligung grundsätzlich eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung485, mindestens rechtsgeschäftsähnliche Handlung486. Als Wirkung der Erklärung wird einerseits ein Gestattungsvertrag, ein pactum de non petendo angenommen487, andererseits eine Rechtfertigung488. Außerdem wird die Einwilligung auch als negatives Tatbestandsmerkmal des § 22 KUG angesehen489. Insbesondere im Hinblick auf die Anerkennung des Rechts am eigenen Bild als vermögenswer- 159 tes Ausschließlichkeitsrecht sowie den Minderjährigenschutz bei der Kommerzialisierung des Rechts am eigenen Bild490 gebietet es die Sicherheit des Rechtsverkehrs mit Bildnissen, die Einwilligung mit der h.M. als rechtsgeschäftliche Willenserklärung anzusehen, mindestens aber als rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf die grundsätzlich die allgemeinen Regelungen über Rechtsgeschäfte (§§ 104 ff. BGB) Anwendung finden. So sind § 116 BGB für die Erteilung der Einwilligung und die §§ 133 ff. BGB zur Ermittlung des Umfangs der Einwilligung direkt anwendbar, sie ist anfechtbar (§ 119 ff. BGB vgl. Rz. 203), – wenn auch nicht frei nach § 183 BGB – gegebenenfalls widerrufbar (vgl. Rz. 204 ff.) und auch eine Stellvertretung für die 482 BVerfG v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358 – Greenpeace; Raue/Hegemann/Amelung, § 14 Rz. 24. 483 BGH v. 28.9.2004 – VI ZR 305/03, MDR 2005, 272 = AfP 2004, 534 = NJW 2005, 56 – Immer hoch zu Ross; v. 14.10.1986 – VI ZR 10/86, MDR 1987, 305 = GRUR 1987, 128 – NENA m.w.N.; BVerfG v. 8.2.1983 – 1 BvR 20/81, BVerfGE 63, 131, 142 – Gegendarstellung. 484 BGH v. 18.3.1980 – VI ZR 155/78, MDR 1980, 746 = NJW 1980, 1903, 1904. 485 OLG Koblenz v. 20.5.2014 – 3 U 1288/13, CR 2014, 665 = ITRB 2014, 177 = ZUM 2015, 88; Anmelung, § 14 Rz. 24; Schertz in Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rz. 13; HH-Ko/MedienR/Kröner 34/19; Damm/Rehbock, Rz. 169. 486 OLG München v. 30.5.2001 – 21 U 1997/00, MDR 2001, 1408 = NJW 2002, 305; ZUM 2001, 708 – Lebenspartnerschaft; v. 17.3.1989 – 21 U 4729/88, AfP 1989, 570 = NJW-RR 1990, 999 – Dolly Dollar; Rehbock/Gaudlitz, § 3 Rz. 260; Helle, S. 101 f.; Schricker/Loewenheim/Götting, § 22 KUG/§ 60 UrhG Rz. 39. 487 von Gamm, UrhG Einl. Rz. 377. 488 U.a. OLG Köln v., ArchPR 1969, 118; OLG Karlsruhe v. 31.3.1983 – 4 U 179/81, FamRZ 1983, 742. 489 U.a. Helle, AfP 1985, 93. 490 Schertz in Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rz. 18.
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Kap. 7 Rz. 160
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Erteilung der Einwilligung im Bereich des § 22 KUG möglich491. Nach §§ 134, 138 BGB kann die Einwilligung auch wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot oder wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein. 160
Die Einwilligung kann im privaten Bereich492 grundsätzlich auch konkludent (Rz. 163) und formlos erfolgen (Rz. 175). Die Einwilligung kann bedingt sein (Rz. 162), beschränkt oder unbeschränkt erteilt werden oder eine Beschränkung in räumlicher, zeitlicher oder inhaltlicher Hinsicht haben (Rz. 189 ff.) oder im Hinblick auf einen bestimmten Zweck oder für bestimmte Medien erfolgen (vgl. dazu Rz. 186 ff.). Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Reichweite einer Einwilligung durch Auslegung nach den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln (vgl. Rz. 186 ff.).
161
Auch bei Personen, bei denen die einwilligungslose Wiedergabe von Bildnissen ihrer öffentlichen Auftritte von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG gedeckt ist, bedarf die Wiedergabe von Bildnissen aus ihrer Kinder- und Jugendzeit sowie aus ihrer privaten und häuslichen Umgebung ihrer Einwilligung493. Denn die Einwilligungsfreiheit nach § 23 Abs. 1 KUG setzt voraus, dass das fragliche Bildnis einen der in § 23 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 aufgeführten Tatbestände erfüllt. 3. Erteilung der Einwilligung
162
Die Einwilligung gem. § 22 KUG folgt den Regeln der §§ 116 ff. BGB. Sie kann Gegenstand eines Vertrages sein, bspw. mit einem Prominenten über das Recht zur Nutzung seines Bildnisses zu Werbezwecken494, mit Models495 in einem sog. Model-Release496 oder mit Fotografen und Medien durch deren Akkreditierungsverträge für Veranstaltungen497. Die Einwilligung kann auch unter einer Bedingung erklärt werden, z.B. unter der aufschiebenden Bedingung des Abschlusses eines Verwertungsvertrages mit angemessener Vergütung für die Rechtseinräumung498. Die Einwilligung kann aber auch einseitig sowohl ausdrücklich als auch konkludent erklärt werden499. 491 OLG München v. 30.5.2001 – 21 U 1997/00, ZUM 2001, 708 – Lebenspartnerschaft; HH-Ko/ MedienR/Kröner 34/20. 492 Zum Bereich des Arbeitsverhältnisses vgl. BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13, MDR 2015, 1082 = AfP 2015, 358 = CR 2015, 453 m. Anm. Werkmeister/Schröder = ITRB 2015, 133 = NJW 2015, 2140 bei Rz. 81c. 493 OLG Karlsruhe v. 10.9.2010 – 6 U 35/10, AfP 2010, 591 Rz. 44 – Profi-Boxerin; OLG Frankfurt v. 22.2.2018 – 16 U 87/17 – Fotos von Toni Schumachers Tochter. 494 BGH v. 14.10.1986 – VI ZR 10/86, MDR 1987, 305 = GRUR 1987, 128 – NENA und Schertz in Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rz. 18. 495 OLG München v. 17.3.1989 – 21 U 4729/88, AfP 1989, 570 = NJW-RR 1990, 999 – Dolly Dollar. 496 Kötz/Gabriel-Jürgens, KöGa-Liste 2011/2012. 497 Markfort, Popstars und die Pressefreiheit, ZUM 2006, 829. 498 OLG Karlsruhe v. 10.9.2010 – 6 U 35/10, AfP 2010, 591 – Königin im Ring. 499 BGH v. 18.10.2011 – VI ZR 5/10, AfP 2012, 45 = MDR 2012, 93 = IPRB 2012, 51 Rz. 6, NJW 2012, 762 – Besuch einer Vernissage; v. 13.4.2010 – VI ZR 125/08, AfP 2010, 259 = MDR 2010, 989 = IPRB 2010, 198 Rz. 11, NJW 2010, 3025 – Gala-Diner im Centre Pompidou; v. 28.9.2004 – VI ZR 303/03, AfP 2004, 533 – Drei Reiterinnen; v. 28.9.2004 – VI ZR 305/03, MDR 2005, 272 = AfP 2004, 534 = NJW 2005, 56 – Immer hoch zu Ross; v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593 – Abschiedsmedaille; v. 14.10.1986 – VI ZR 10/86, MDR 1987, 305 = GRUR 1987, 128 – Nena; v. 8.5.1956 – I ZR 62/54 BGHZ 20, 346, 348 – Paul Dahlke; v. 20.2.1968 – VI ZR 200/66, NJW 1968, 1091 – Ligaspieler; a.A. BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13, MDR 2015, 1082 = AfP 2015, 358 = CR 2015, 453 m. Anm. Werk-
510
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VI. Einwilligung
Rz. 164 Kap. 7
Von einer konkludenten Einwilligung ist auszugehen, wenn der Abgebildete die Anfertigung 163 der Aufnahme in Kenntnis des Zweckes der Aufnahme billigt500, z.B. durch Zulassung von Fotografen zu Hochzeitsfeierlichkeiten501, oder wenn aus dem Zweck der Aufnahme im Wege der Auslegung auf eine stillschweigende Einwilligung zu schließen ist502. Darüber hinausgehend ist für das eindeutige Vorliegen einer konkludenten Einwilligung in die Anfertigung von Aufnahmen erforderlich, dass dem Betroffenen Zweck, Art und Umfang der geplanten Veröffentlichung seines Bildnisses bekannt sind. Eine solche Kenntnis des Betroffenen auch von Art, Umfang und Kontext der geplanten Veröffentlichung seines Bildnisses kann von Bedeutung sein für die Annahme einer konkludenten Einwilligung bei Interviews mit Abgebildeten (Rz. 166), bei der Teilnahme an Reality-Soaps (Rz. 167), bei Aufnahmen, von deren Herstellung der Betroffene überrumpelt oder überrascht wird (Rz. 168) sowie für die Feststellung der inhaltlichen, zeitlichen und räumlichen Reichweite der konkludenten Einwilligung (Rz. 186). In solchen Fällen müssen Zweck, Art und Umfang der geplanten Veröffentlichung gegenüber dem Betroffenen entweder ausdrücklich klargestellt oder nach den Umständen so evident sein, dass über ihren Inhalt seitens des Einwilligenden keine Unklarheiten bestehen503. Wird bei überraschenden Aufnahmen der räumliche Bereich der Privatsphäre des Betroffenen tangiert wie bspw. bei Aufnahmen in seiner Wohnung, wird für eine konkludente Einwilligung gefordert, dass dem Betroffenen bekannt war, dass die Aufnahmen seine Einwilligung voraussetzen (vgl. Rz. 166). Für die Frage, ob eine konkludente Einwilligung in die Herstellung der Aufnahmen erteilt 164 wurde, kommt es allein auf den objektiven Erklärungsinhalt des Verhaltens aus der Sicht des Erklärungsempfängers an504. Dazu ist der Erklärungswert des als Einwilligung zu wertenden Verhaltens vom objektiven Empfängerhorizont aus im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei sind alle Umstände heranzuziehen, insbesondere das Verhalten des Abgebildeten selbst, aus dem der Fotograf auf eine Einwilligung hätte schließen können505. Entscheidend ist, ob der Fotograf aus dem Verhalten des Betroffenen und den sonstigen Begleitumständen auf eine entsprechende Einwilligung schließen konnte506. Kein Zweifel an einer erteilten Einwilligung
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meister/Schröder = ITRB 2015, 133 = NJW 2015, 2140 LS: Die nach § 22 KUG für die Veröffentlichung ihrer Bildnisse erforderliche Einwilligung von Arbeitnehmern müsse schriftlich erfolgen; vgl. dazu und zu Belegschaftsaufnahmen Rz. 193 und Kap. 8 Rz. 77. BGH v. 20.2.1968 – VI ZR 200/66, GRUR 1968, 652, 654 – Ligaspieler. BGH v. 10.11.1961 – 5 ZR 78/60, GRUR 1962, 211 – Hochzeitsbild. BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, GRUR 1979, 425 – Fußballspieler; OLG Hamburg v. 11.6.1998 – 3 U 284/97, ZUM-RD 1999, 122 – Backstreet Boys; OLG Frankfurt v. 4.6.2009 – 16 U 206/08, ZUM-RD 2010, 320 – Fernsehreportage. OLG Köln v. 10.11.2016 – 15 U 94/16, NJW 2017, 1114 Rz. 25; OLG München v. 17.3.2016 – 29 U 368/16, ZUM-RD 2016, 381 – Internetpranger; OLG Karlsruhe v. 26.5.2006 – 14 U 27/05, ZUM 2006, 568; OLG Hamburg v. 28.6.2011 – 7 U 39/11, ZUM-RD 2011, 589 – Flugreisen-Affäre; LG Düsseldorf v. 16.11.2011 – 12-O 438/10, ZUM-RD 2012, 407 – Nacktbild in Programmheft. BGH v. 29.4.2010 – I ZR 69/08, NJW 2010, 2731 – Vorschaubilder I; OLG Hamburg v. 28.6.2011 – 7 U 39/11; ZUM-RD 2011, 589 – Flugreisen-Affäre; LG Köln v. 4.11.2009 – 28 O 251/09, ZUM-RD 2010, 560; LG Nürnberg-Fürth v. 6.2.2009 – 11 O 762/09, AfP 2009, 177; OLG Hamburg v. 4.5.2004 – 7 U 10/04, NJW-RR 2005, 479 – Trickbetrüger. BVerfG v. 14.9.2010 – 1 BvR 1842/08, ZUM-RD 2010, 657 Rz. 44 – Bildberichterstattung über Prominente; BGH v. 18.10.2011 – VI ZR 5/10, AfP 2012, 45 = MDR 2012, 93 = IPRB 2012, 51 Rz. 6, NJW 2012, 762 – Besuch einer Vernissage; OLG Frankfurt v. 21.4.2016 – 16 U 251/15, CR 2016, 733 = ZUM-RD 2016, 573 – Kundgebung. OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJW-RR 1996, 93.
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Kap. 7 Rz. 164
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
kann bestehen, wenn eine Abgebildete für die Fotografen und Kameraleute posiert, ihnen freundlich zuwinkt sowie Kusshände verteilt und sie auffordert, von ihr, der „Giftmörderin“ und „Schwarzen Witwe“, Fotos zu machen507. Ebenso wenig ist an einer verweigerten Einwilligung zu zweifeln, wenn der Betroffene mit dem Regenschirm auf den Fotografen einprügelt, um Aufnahmen zu verhindern, oder mit dem Ausruf „Fuck off“ mit seiner Tasche auf den Fotografen einschlägt508. Dass häufiges nacktes Joggen am Strand keine stillschweigende Einwilligung in die Veröffentlichung davon gefertigter Fotos darstellt, versteht sich von selbst509. Aber so klar liegen die Umstände nicht immer zutage mit entsprechenden Risiken für denjenigen, der die Aufnahmen veröffentlicht. Denn er trägt die Beweislast für die Einwilligung (vgl. Rz. 185). Geradezu verwegen, jedenfalls aber unhaltbar ist der Versuch einer Rechtfertigung von Aufnahmen über den Krankenhausbesuch eines verunfallten prominenten Formel 1Rennfahrers durch dessen Ehefrau mit der Begründung, die Betroffene habe konkludent ihre Einwilligung in die Aufnahmen erteilt, indem sie in Kenntnis des „Medienrummels“ vor dem Haupteingang der Klinik nicht den Hintereingang oder einen anderen, nicht von den Medien belagerten Eingang des Krankenhauses benutzt hat510. Allein aus dem Umstand, dass eine Taufe, Hochzeit oder Trauerfeierlichkeit in einem öffentlichen Gottesdienst stattfindet, an welchem Kirchenbesucher teilnehmen konnten, lässt nicht auf eine stillschweigend erteilte Einwilligung der Betroffenen mit der Anfertigung von Fotoaufnahmen schließen511. Aus der Teilnahme an einer öffentlichen Veranstaltung alleine kann nicht auf eine konkludente Einwilligung der abgebildeten Person für die Veröffentlichung ihres Bildnisses geschlossen werden512. Das gilt auch dann, wenn der Betroffene weiß, dass bei der öffentlichen Veranstaltung Fotos angefertigt werden513. Zur bloßen Teilnahme an solchen Veranstaltungen müssen im Einzelfall weitere Umstände hinzutreten, die aus der Sicht des objektiven Empfängerhorizonts des Fotografen und des Verwerters auf das Vorliegen einer konkludenten Einwilligung schließen lassen. Allein der Umstand, dass eine Person bemerkt, dass sie fotografiert wird, sich dagegen jedoch nicht zur Wehr setzt, reicht für die Annahme einer konkludenten Einwilligung regelmäßig nicht aus514. Zwar muss der Teilnehmer an solchen Veranstaltungen damit rechnen, dass er auf einer einwilligungsfreien Veröffentlichung i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG als Teilnehmer der Veranstaltung abgebildet wird; er willigt aber nicht konkludent in die Anfertigung und Veröffentlichung solcher Einzelbildnisse ein, die auch nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG nicht einwilligungsfrei sind (vgl. Kap. 8 Rz. 78). Eine konkludente Einwilligung wegen der Teilnahme an einer öffentlichen Sportveranstaltung, zu der auch Medienvertreter zugelassen sind, weshalb der Betroffene damit rechnen musste, dass Fotos von seiner Teilnahme angefertigt und verbreitet werden, erstreckt sich allein auf Bilder, die die Teilnahme des Betroffenen an dem Wettbewerb illustrieren, nicht aber auch auf Bilder, die das Zusam507 508 509 510 511
OLG Wien v. 10.7.1996 – 1 R 99/96 b. OLG Köln v. 9.3.2017 – 15 U 46/16, NJW-RR 2017, 2074 – Ausraster von Grönemeyer. OLG Köln v. 15.7.1997 – 15 U 215/96, VersR 1997, 1500 – Nackter Jogger. OLG Köln v. 28.4.2015 – 15 U 167/14, ZUM 2016, 290 – Michael Schumacher. OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJW-RR 1996, 93 – Anne-Sophie Mutter. 512 BGH v. 13.4.2010 – VI ZR 125/08 Rz. 11, AfP 2010, 259 = MDR 2010, 989 = IPRB 2010, 198 = NJW 2010, 3025 – Gala-Dinner im Center Pompidou; OLG Frankfurt, v. 21.4.2016 – 2-3 O 65/15, ZUM-RD 2016, 573 – Einzelbild des Teilnehmers an einer Kundgebung. 513 BGH v. 18.10.2011 – VI ZR 5/10 Rz. 6, AfP 2012, 45 = MDR 2012, 93 = IPRB 2012, 51 = NJW 2012, 762 – Besuch einer Vernissage. 514 BGH v. 18.10.2011 – VI ZR 5/10, AfP 2012, 45 = MDR 2012, 93 = IPRB 2012, 51 = NJW 2012, 762 – Besuch einer Vernissage; OLG Köln v. 10.11.2016 – 15 U 94/16, NJW 2017, 1114 Rz. 25 – Eine furiose EM.
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VI. Einwilligung
Rz. 164 Kap. 7
mentreffen mit seiner Familie am Rande des Geschehens – weder auf dem Turnierplatz selbst noch auf der Tribüne – zeigen. Die Reichweite einer stillschweigenden Einwilligung durch Teilnahme an einer Sportveranstaltung, an der Pressevertreter zugelassen sind, erstreckt sich nicht auf die Verbreitung von Bildnissen, die über das Turniergeschehen hinausgehen515. Wer beispielsweise als Zuschauer einer Sportveranstaltung auf der Ehrentribüne damit rechnen muss, dass von der Presse Fotos von den Personen auf der Ehrentribüne gemacht werden, stimmt aus der Sicht der Medienvertreter zwar konkludent zu, dass er als Teil der Zuschauergesamtheit auf der Ehrentribüne fotografiert und veröffentlicht wird; der objektive Erklärungsinhalt seiner konkludenten Einwilligung erstreckt sich aber aus der Sicht der Medienvertreter nicht auf die Veröffentlichung eines Einzelbildes oder einer von den übrigen Zuschauern abgegrenzten und individualisierenden (herausgezoomten) Abbildung516. Wer dagegen an einer Veranstaltung teilnimmt, bei der mit einer Berichterstattung durch die Medien gerechnet werden muss, willigt in die Herstellung und grundsätzliche Veröffentlichung der Aufnahmen konkludent ein, wenn er für die Aufnahmen posiert oder auch nur fröhlich in die Kamera blickt517. Wird eine Schauspielerin beim Besuch einer Galaveranstaltung dabei fotografiert, wie sie auf dem roten Teppich aus einem Fahrzeug steigt, ist sie im Rahmen ihrer medialen Inszenierung grundsätzlich konkludent damit einverstanden, dass Aufnahmen von ihrem Besuch der Veranstaltung gefertigt und verbreitet werden. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass ihr bewusst war, dass beim Aussteigen aus dem Auto ihr Kleid so verrutschte, dass darunter ihre nicht blickdichte Unterhose sichtbar wurde. Der objektive Erklärungswert ihrer konkludenten Einwilligung erstreckte sich daher nicht auf das Anfertigen und Veröffentlichen solcher Bildnisse, die ihren körperlichen Intimbereich sichtbar machen518. Der Teilnehmer an einer Loveparade, der mit freiem Oberkörper in extrovertierter Pose auf der Straße tanzt, willigt dadurch aus der Sicht des Fotografen konkludent in die Veröffentlichung dabei gefertigter Filmaufnahmen ein519. Dagegen rechnet ein Teilnehmer, der sich in keiner Weise auffällig verhält, mit keiner weitergehenden Bildnisverbreitung, als sie in § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG (Bilder von Teilnehmern an Versammlungen) gestattet und stimmt nur in diesem Umfang konkludent durch die Teilnahme am Umzug der Verbreitung des Bildnisses zu520. Zwar kann aus einem – vom Fotografen so empfundenen – „huldvollen Lächeln in die Kamera“ keine Einwilligung in die Aufnahme gesehen werden und schon gar nicht ein Einverständnis mit der Veröffentlichung der Aufnahme in jedem erdenklichen Zusammenhang521. Dem wird man jedoch in den Fällen widersprechen müssen, in denen die Aufnahmen in der Öffentlichkeitssphäre (Kap. 5 Rz. 71 ff.) des Betroffenen gefertigt werden, etwa bei einer Veranstaltung, bei welcher mit einer Berichterstattung durch die Presse gerechnet werden muss. Hier muss ein Lächeln in die Kamera, sei es fröhlich oder nur huldvoll, im Zweifel als Einwilligung ausreichen. Man wird in Fällen wie Veranstaltungen, auf denen „man sich zeigt“ oder bei denen der Teilnehmer wegen der mit dem „Dazugehören“ verbundenen Reputation üblicherweise „gesehen werden will“, dem Betroffenen nach Treu und Glauben zumuten können, dass er gegenüber Pressefotografen sein fehlendes Einverständnis zum Ausdruck bringt, zumindest aber Gesten und Verhaltensweisen unterlässt, die nach dem Empfängerhorizont des 515 OLG Frankfurt v. 22.2.2018 – 16 U 87/17 – Toni Schumachers Tochter als Teilnehmerin eines Reitturniers; BGH v. 26.10.2010 – 6 ZR 190/08 Rz. 19, NJW 2011, 746; v. 28.9.2004 – VI ZR 305/03, NJW 2005, 56 Rz. 12. 516 OLG Köln v. 10.11.2016 – 15 U 94/16, NJW 2017, 1114 Rz. 27 – Eine furiose EM. 517 BVerfG v. 10.7.2002 – 1 BvR 354/98, AfP 2002, 417 = NJW 2002, 3767 – Glosse und Satire. 518 LG München v. 11.5.2016 – 9 O 3610/16 – AfP 2016, 368 – Nicht blickdichte Unterhose. 519 A.A. LG Berlin v. 30.5.2013 – 27 O 632/12, ZUM-RD 2014, 105; vgl. auch Kap. 8 Rz. 81. 520 LG München I v. 21.7.2005 – 7 O 4742/05. 521 OLG Hamburg v. 8.9.1998 – 7 U 48/98.
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Kap. 7 Rz. 165
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Fotografen (und auch der die Aufnahmen verwertenden Medienunternehmen) als Einwilligung verstanden werden können. Wenige strenge Anforderungen sind an das Vorliegen einer konkludenten Einwilligung zu stellen, wenn es zum Beruf des Betroffenen gehört, sich öffentlich zu zeigen und im Bild gezeigt zu werden: Wer als Fotomodell für Dessous an einer öffentlichen Modenschau teilnimmt und dabei vor ihr nicht bekannten Fotografen posiert, muss davon ausgehen, dass ihrem Verhalten – nämlich ihrem Posieren vor den nicht bekannten Fotografen ohne ausdrücklichen Hinweis an die Fotografen, dass sie keine Veröffentlichung der Fotos wünsche – der Erklärungswert einer konkludenten Einwilligung beigelegt wird522. Auch in der Teilnahme eines Models an einer Modenschau, bei der mit dem Erscheinen von Pressefotografen zu rechnen ist, kann eine stillschweigende Einwilligung zu erblicken sein523. Vor allem muss einer Hostess, die sich dafür engagieren lässt, um auf einer Prominenten-Party für ein bestimmtes Produkt zu werben und dabei zuvor vom Auftraggeber darüber informiert wurde, dass sie bei dieser Tätigkeit von anwesenden Medienvertretern fotografiert werden könnte, sowohl durch die Art der Veranstaltung als auch durch die Art der Tätigkeit bewusst sein, dass mit Fotos ihrer Person und deren Veröffentlichung zu rechnen und dies aus Werbegründen von ihrem Auftraggeber auch erwünscht ist. Auf der Veranstaltung anwesende Medienvertreter können unter diesen Umständen die Tätigkeit der Hostess nur so verstehen, dass sie mit Fotos und deren Veröffentlichung konkludent einverstanden ist524. 165
Wer erkennt, dass er von einem Kamerateam des Fernsehens gefilmt wird und dabei – ohne Unwillen zu zeigen – an ihn gerichtete Fragen beantwortet, willigt in die Herstellung von Aufnahmen und ohne gegenteilige Anhaltspunkte auch in deren spätere Ausstrahlung ein525. Ob eine konkludente Einwilligung zu Filmaufnahmen bereits dann vorliegt, wenn der Abgebildete ein Fernsehteam bei den Aufnahmen beobachtet („ich schau nur, was Sie machen“) und damit rechnet und in Kauf nimmt, „ins Bild zu kommen“526, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Selbst wenn man in solchen Fällen eine Einwilligung in die Anfertigung der Aufnahme sehen sollte, bedarf es deutlicher, konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene auch in die Verbreitung der Aufnahmen eingewilligt hat. Die Tatsache, dass der Betroffene erkennt, dass er fotografiert wird, dagegen aber nicht einschreitet, stellt jedoch kein konkludent erklärtes Einverständnis mit der Veröffentlichung der Aufnahmen dar527. Vor allem muss der Betroffene den Aufnahmen nicht widersprechen, um seine fehlende Einwilligung zum Ausdruck zu bringen. Aus einem unterbliebenen Widerspruch gegen die Aufnahmen kann nicht auf eine konkludente Einwilligung nach § 22 KUG geschlossen werden528. Bei § 22 KUG gibt es keine „opt-out“ Erklärung der Einwilligung.
522 LG Berlin v. 6.3.2007 – 27 O 1063/06. 523 LG Aachen, Ufita 30/1960, 113 und OLG Koblenz v. 2.3.1995 – 6 U 1350/93, NJW-RR 1995, 1112. 524 BGH v. 11.11.2014 – VI ZR 9/14, MDR 2015, 392 = CR 2015, 306 = GRUR 2015, 295 – Hostess auf Eventportal. 525 LG München v. 12.12.2007 – 9 O 13832/07, ZUM-RD 2008, 309, LG Berlin v. 30.5.2013 – 27 O 632/12, ZUM-RD 2014, 105; OLG Frankfurt v. 26.7.2005 – 11 U 12/03, ZUM-RD 2006, 73; OLG Karlsruhe v. 26.5.2006 – 14 U 27/05, AfP 2007, 76 = AfP 2006, 467 = NJW-RR 2006, 1198 – Skurrilitäten des Alltags. 526 So OLG Köln v. 22.2.1994 – 15 U 138/93, NJW-RR 1994, 865 – Wir im Südwesten. 527 OLG Hamburg v. 1.8.1990 – 3 W 83/90, AfP 1991, 626; LG Kleve v. 21.1.2009 – 2 O 229/07, ZUM-RD 2009, 555; LG Berlin v. 30.5.2013 – 27 O 632/12, ZUM-RD 2014, 105; OLG Frankfurt v. 26.7.2005 – 11 U 12/03, ZUM-RD 2006, 73. 528 LG Berlin v. 31.1.2008 – 27 O 1000/107.
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VI. Einwilligung
Rz. 166 Kap. 7
Bei einem Interview müssen zur Annahme einer konkludenten Einwilligung dem Betroffe- 166 nen sowohl der Zweck der Aufnahme als auch die Art und der Umfang der geplanten Veröffentlichung seines Bildnisses bekannt sein529. Zweck der Aufnahme, Art und Umfang der Veröffentlichung müssen daher gegenüber dem Betroffenen klargestellt werden oder aber so offensichtlich sein, dass seitens des Einwilligenden keine Unklarheiten bestehen. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Betroffene objektiv erkennbar zu verstehen gibt, dass ihm der Zweck der Aufnahme und Art und Umfang ihrer Veröffentlichung gleichgültig sind oder er mit jeder Veröffentlichung einverstanden ist, er also seine konkludente Einwilligung „für alle denkbaren Fälle“ abgibt530. Sofern der Interviewte aus den Umständen erkennen konnte, zu welchem Zweck Fernsehaufnahmen von ihm für eine ihm bekannte Sendereihe (hier: „Christopher Posch – Ich kämpfe für Sie“) gefertigt wurden und konkludent in die Ausstrahlung der hergestellten Aufnahmen eingewilligt, ist es für das Bejahen einer konkludenten Einwilligung nicht erforderlich, den Betroffenen über die für ihn erkennbaren Umstände hinaus über den genauen Inhalt der schließlich ausgestrahlten Sendung aufzuklären531. Eine konkludente Einwilligung wurde beispielsweise bejaht, als ein Kamerateam von ZDF.reporter über eine Polizeikontrolle berichtete, die Raser und Drängler auf der Autobahn zum Gegenstand hatte und dabei einen Verkehrssünder zu dem Vorfall interviewte. Die Reporterin hatte sich dem Betroffenen mit ihrem Namen vorgestellt und dem Zusatz „ZDF.reporter“. Damit war dem Betroffenen die Fernsehsendung ZDF.reporter als Zweck des Interviews und der Aufnahmen bekannt. Auch aus den im Interview gestellten Fragen war dem Betroffenen klar, dass sich die Berichterstattung mit Geschwindigkeitsüberschreitungen und Abstandskontrollen bei Pkws befasst. Wenn sich unter diesen Umständen jemand von einem Filmteam des Fernsehens interviewen lässt, ist dies als konkludentes Verhalten der abgebildeten Person zu werten, dass sie mit den Filmaufnahmen einverstanden ist532. Dagegen wurde eine konkludente Einwilligung wegen Unkenntnis über die Art der geplanten Veröffentlichung verneint, als sich ein 5-jähriges Mädchen auf einem weitläufigen Campingplatz in Italien verlaufen hatte und seine Eltern suchte. Ein zufällig anwesendes Kamerateam eines deutschen Fernsehsenders filmte, wie das Kind zur Rezeption der Anlage gebracht, dort befragt und sodann wieder zum elterlichen Zelt gebracht wurde. Dort wurde ein kurzes Interview mit der Mutter aufgezeichnet. Dabei zeigte die Aufnahme die Mutter in einer außerordentlich belasteten, emotionalen Situation, zunächst verzweifelt wegen des Verschwindens des Kindes und danach erleichtert, als das Kind wiederaufgetaucht war. An der Einwilligung der Mutter konnte kein Zweifel bestehen: wer bei einem Fernsehinterview – ohne Unwillen zu zeigen – die an ihn gerichteten Fragen beantwortet, willigt damit grundsätzlich nicht nur in die Aufzeichnung, sondern auch in die spätere Ausstrahlung der ihn zeigenden Fernsehaufzeichnung ein533. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Veröffentlichung nicht in einem Missverhältnis zu der Bedeutung steht, die der Betroffene selbst der Thematik beimisst. Der Mutter war jedoch nicht gesagt 529 LG Düsseldorf v. 6.11.2011 – 12 O 438/10, ZUM-RD 2012, 407 – Nacktbild im Programmheft, OLG Hamburg v. 4.5.2004 – 7 U 10/04, AfP 2005, 73 = NJW-RR 2005, 479 – Fernsehbericht über Trickbetrüger; OLG Frankfurt v. 8.5.1990 – 6 W 62/90, CR 1991, 414 = NJW-RR 1990, 1439 – Steuerberater. 530 OLG Hamburg v. 28.6.2011 – 7 U 39/11, ZUM-RD 2011, 589 – Flugreisen-Affäre und Prinz/Peters, Medienrecht Rz. 834. 531 KG v. 29.10.2015 – 10 U 161/14, AfP 2016, 85. 532 OLG Frankfurt v. 4.6.2099 – 16 U 206/08, ZUM-RD 2010, 320 – ZDF.reporter; Damm/Rehbock, Rz. 173; zum Recht auf Widerruf einer konkludent erklärten Einwilligung bei Interviews vgl. Rz. 86. 533 OLG Karlsruhe v. 26.5.2006 – 14 U 27/05, AfP 2007, 76 = AfP 2006, 467 = NJW-RR 2006, 1198 – Skurrilitäten des Alltags; LG München v. 12.12.2009 – 9 O 13832/07, ZUM-RD 2008, 309.
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Kap. 7 Rz. 167
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
worden, dass das Interview vom Sender in einem Magazin zur oberflächlichen Unterhaltung des Publikums über „Skurrilitäten des Alltags“ gezeigt werden sollte. Die Ausstrahlung wäre durch die konkludente Einwilligung in solchen Fällen nur dann gedeckt, wenn der Betroffene über Art und Kontext der geplanten Verwendung – insbesondere über das Niveau der Sendung und den Zusammenhang, in den das Interview gestellt werden sollte, unterrichtet worden wäre534. Eine Bekanntgabe von Art und Kontext der beabsichtigten Verwendung von Aufnahmen ist jedenfalls dann Voraussetzung für die Wirksamkeit einer stillschweigenden Einwilligung des Betroffenen, wenn dieser im Umgang mit Medien unerfahren ist und wenn der Beitrag Vorgänge betrifft, deren Veröffentlichung für den Betroffenen unangenehm ist. Je weitergehend die geplante Veröffentlichung die Privatsphäre des Betroffenen betrifft, desto klarer muss er über Art und Kontext des Beitrags aufgeklärt worden sein, wenn seine Duldung der Aufnahmen als wirksame stillschweigende Einwilligung gewertet werden soll535. Üblicherweise werden dem Interviewten die Sendung, in der das Interview ausgestrahlt werden soll sowie die Themen der Sendung mitgeteilt, zu denen er interviewt wird. Wird vom Sender bzw. vom Redakteur die getroffene Absprache eingehalten, sind auch die dabei gefertigten Filmaufnahmen von der Einwilligung des Interviewten gedeckt. Wurde der Betroffene über das Thema der Sendung oder des Interviews getäuscht oder weicht der Redakteur von den abgesprochenen Themen ab und geht bspw. zu persönlichkeitsverletzenden Themen oder Fragen über, ist die Aufzeichnung des Interviews nicht mehr von der Einwilligung gedeckt. In einem solchen Fall kann der Interviewte das Gespräch abbrechen, die Antwort auf einzelne Fragen verweigern oder für eine bereits gegebene Antwort durch Unterbrechung des Interviews quasi seine erteilte Einwilligung zurückziehen. Wer jedoch im Bewusstsein der späteren Verwendung des aufgezeichneten Materials dem Interviewer zu den inkriminierenden Themen und Fragen Rede und Antwort gestanden hat oder zwar unter Hinweis auf das nicht vereinbarte Thema das Interview zunächst abbricht, danach aber fortsetzt, willigt nach dem objektiven Erklärungsbewusstsein aus der Sicht des Redakteurs in die Ausstrahlung ein. An der auf diese Weise konkludent erteilten Einwilligung ändert sich auch nichts dadurch, dass der Interviewte ggf. von der Situation überrascht war und unter einem gewissen Druck stand. Denn es bleibt ihm unbenommen, nach Beendigung des Interviews, wenn er in Ruhe den Umfang und den Inhalt des Interviews nochmals überdenken konnte, seine Einwilligung vor der Ausstrahlung der Sendung zu widerrufen536; nach anderer Auffassung führt es nicht zu einem Wegfall der Einwilligung, sondern berechtigt zum Widerruf, wenn die Ausstrahlung eines Fernsehinterviews persönlichkeitsverletzend wäre, weil ein Interviewthema fälschlicherweise vorgespiegelt wurde oder nicht angekündigte persönlichkeitsverletzende Fragen gestellt werden (Rz. 208 f.)537. Der Widerruf hat den Vorteil, dass er klare Verhältnisse schafft und keine Unklarheiten über den Fortbestand oder Wegfall der Einwilligung bestehen. Zum Widerruf vgl. Rz. 208; zur Überrumpelung des Interviewten Rz. 168. 167
Das zur Einwilligung bei Interviews Gesagte gilt entsprechend für die Einwilligung zur Teilnahme an Fernseh-Formaten wie einer Reality-Soap. Auch hier ist Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung, dass dem Betroffenen Art, Umfang und Zweck der Veröffentlichung und der Verbreitung des Bildnisses bekannt sind. Die Bekanntgabe der beabsichtigten Verwen534 OLG Karlsruhe v. 26.5.2006 – 14 U 27/05, AfP 2007, 76 = AfP 2006, 467 = NJW-RR 2006, 1198 – Skurrilitäten des Alltags; vgl. auch Damm/Rehbock, Rz. 148 f. 535 OLG Hamburg v. 4.5.2004 – 7 U 10/04, AfP 2005, 73 = NJW-RR 2005, 479 – Fernsehinterview über Trickbetrüger; LG Berlin v. 26.7.2012 27 O 14/12, ZUM-RD 2012, 595 – Reality-Soap – „Frauentausch“. 536 LG Köln v. 4.11.2009 – 28 O 251/09, ZUM-RD 2010, 560. 537 LG Nürnberg-Fürth v. 26.2.2009 – 11 O 762/09, AfP 2009, 177.
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VI. Einwilligung
Rz. 168 Kap. 7
dung ist für die Wirksamkeit einer Einwilligung des Betroffenen vor allem dann Voraussetzung, wenn dieser im Umgang mit Medien unerfahren ist und der Beitrag Vorgänge betrifft, deren Veröffentlichung für den Betroffenen unangenehm ist.538. Wer beispielsweise für eine in der schriftlichen Mitwirkungsvereinbarung als „TV-Dokumentations-Serie“ bezeichneten Fernsehserie in Filmaufnahmen einwilligt, muss nicht damit rechnen, dass die Aufnahmen so nachbearbeitet werden, dass die Betroffene gezielt lächerlich gemacht wird, indem sie als überforderte und geistig verwirrte, bei ihren Kindern unbeliebte Mutter der praktisch veranlagten, sympathischen und ordentlichen Tauschmutter gegenübergestellt wird. Da erkennbar war, dass die Betroffene „intellektuell schnell überfordert ist“ und offensichtlich keinerlei Erfahrung im Umgang mit Medien hat, hätte sie ausdrücklich darauf hingewiesen werden müssen, dass sich der Sender die nachträgliche Bearbeitung der Aufnahmen vorbehält, die auch dazu führen kann, dass Familienmitglieder lächerlich gemacht und verspottet werden. Je weitergehend die geplante Veröffentlichung die Privatsphäre des Betroffenen tangiert, desto klarer muss er über Art und Verwendung des Beitrags aufgeklärt worden sein539. Duldet jemand, der von Journalisten überrumpelt worden ist, die Bildnis-Aufzeichnung oh- 168 ne Kenntnis von Zweck, Art und Umfang der Veröffentlichung, lässt sich das in der Regel nicht als Einverständnis mit der Veröffentlichung deuten. Bittet beispielsweise ein Kamerateam einen Steuerberater vor die Tür, um ihm „was Schönes“ zum Thema Datenschutz zu zeigen – nämlich die vom Steuerberater unsachgemäß im Mülleimer entsorgten Steuerunterlagen seiner Klienten –, liegt in der Duldung der Aufzeichnung durch den so Überrumpelten ohne sein Wissen, wie und wo die Aufnahmen veröffentlicht werden sollen, keine Einwilligung zur Veröffentlichung der Aufnahmen540. Verschärfte Anforderungen an das Vorliegen einer konkludenten Einwilligung sind auch zu stellen, wenn ein Interview nicht abgesprochen ist, sondern für die interviewte und dabei im Bild festgehaltene Person überraschend erfolgt, vor allem dann, wenn solche Interviews quasi überfallartig nach Manier eines raid erfolgen. Insbesondere dann, wenn solche „überfallartigen“ Interviews mit Bildaufnahme die räumliche Privatsphäre betreffen, ist sorgfältig zu prüfen, ob eine konkludente Einwilligung vorliegt. Dies gilt vor allem dann, wenn Gegenstand der Aufnahme und des Interviews eine Amtshandlung ist, die im räumlichen Bereich der Privatsphäre des Abgebildeten stattfindet. In solchen Fällen sollte eine konkludente Einwilligung nur dann angenommen werden, wenn dem Betroffenen bekannt und bewusst war, dass für die Aufnahme und ihre Veröffentlichung seine Einwilligung erforderlich ist. Als bspw. ein Kamerateam überraschend und unangemeldet in Begleitung eines Gerichtsvollziehers und zweier Polizeibeamter in der Wohnung eines Schuldners erschien, um für eine Fernsehsendung eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme zu filmen, war nicht auszuschließen, dass der Betroffene davon ausging, die Aufnahmen seien vom Gerichtsvollzieher oder der Polizei quasi „amtlich genehmigt“ und daher – ebenso wie ihre spätere Ausstrahlung – von ihm zu dulden. Das lediglich hinnehmend wirkende Verhalten des Wohnungsinhabers wurde unter diesen Umständen nicht als konkludente Einwilligung gewertet. Denn eine konkludente Einwilligung in Filmaufnahmen setze voraus, dass demjenigen, der aufgenommen wird, bekannt ist, dass er die Aufnahmen und deren Ausstrahlung
538 KG v. 19.12.2017 – 10 W 163/17, ZUM 2018, 191; OLG Hamburg v. 4.5.2004 – 7 U 10/04, AfP 2005, 73 – Trickbetrüger; OLG Frankfurt v. 19.4.2012 – 16 U 189/11, Rz. 24 – Mahnwache; LG Essen v. 22.6.2017 – 4 O 4/17 – Film über Flugsicherungs-Kontrolleur n. rkr., Berufung OLG Hamm I-3U 108/17. 539 LG Berlin v. 26.7.2012 – 27 O 14/12, IPRB 2012, 228 = ZUM-RD 2012, 595 – Reality Soap „Frauentausch“. 540 OLG Frankfurt v. 8.5.1990 – 6 W 62/90, CR 1991, 414 = NJW-RR 1990, 1439 – Steuerberater.
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Kap. 7 Rz. 169
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
nicht hinnehmen muss, sondern dafür seine Einwilligung erforderlich ist541. Daher wurde gleichfalls das Vorliegen einer konkludenten Einwilligung verneint, als Polizeibeamte, gefolgt von einem Kamerateam eines Fernsehsenders, unangemeldet in der Wohnung des Betroffenen erschienen und dieser duldete, dass das Kamerateam seine Wohnung betrat und seine Vernehmung filmte. Denn dafür, dass dieses Verhalten aus objektiver Sicht als Einwilligungserklärung zu bewerten ist, sei Voraussetzung, dass dem Betroffenen überhaupt bekannt war, dass er die Aufnahme und deren Ausstrahlung nicht hinnehmen muss, d.h., dass ihm bekannt war, dass seine Einwilligung für die Veröffentlichung erforderlich ist. Denn es sei zweifelhaft, ob dem Betroffenen überhaupt klar war, dass er dem Kamerateam den Zutritt zur Wohnung verweigern und die Aufnahme und deren Ausstrahlung verbieten konnte542. Dagegen hat das LG Hamburg eine konkludente Einwilligung nicht in Zweifel gezogen, als ein Kamerateam unangemeldet Prüferinnen des Sozialamts bei einem Hausbesuch bei einer Bezieherin von Erziehungsgeld begleitete und die Betroffene dem Kamerateam und der Journalistin den Zutritt zu ihrer Wohnung gestattete und sich auch damit einverstanden erklärte, dass der Besuch der Prüferinnen gefilmt wird. Jedoch hat das Gericht der Betroffenen wegen einer „situativen Überrumpelung“ in ihrer Privatwohnung ein Recht zum Widerruf ihrer Einwilligung zugestanden543. In der Regel wird man eine Einwilligung auch in Fällen verneinen müssen, in denen die bei einem Strafverfahren anwesenden Opfer eines Sexualtäters von den Journalisten mehr oder weniger mit Fragen und Bitten um die Genehmigung von Fotos „überrumpelt“ werden. Zum Schutz solcher Opfer wird eine ausdrückliche Erklärung des Betroffenen zu fordern sein. Die Annahme einer konkludenten Einwilligung dürfte in diesen Fällen in der Regel ausscheiden, da ein Medienvertreter nach den Umständen und dem maßgebenden Empfängerhorizont das gezeigte Verhalten des Opfers in einer solchen Situation grundsätzlich nicht als Einwilligung in eine ungepixelte und identifizierende Berichterstattung verstehen darf, selbst wenn das Opfer die Fotografen gewähren lässt und auf gestellte Fragen spontan Antworten geben sollte544. Es ist Teil des Presseprivilegs (Rz. 43 f.), dass Medienvertreter mit solchen Situationen professionell umgehen. 169
Wer sein Bildnis selbst im Internet veröffentlicht, ohne das Bild technisch gegen Zugriffe Dritter zu sichern, erklärt konkludent seine Einwilligung mit den nach den Umständen üblichen Nutzungshandlungen:
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Im Zusammenhang mit urheberrechtlichen Unterlassungsansprüchen hat der BGH festgestellt, dass der Betreiber einer Suchmaschine von einem Einverständnis des Rechteinhabers zur Benutzung von Werkabbildungen in dem bei der Bildersuche üblichen Umfang ausgehen dürfe, wenn der Rechteinhaber die Abbildungen in das Internet eingestellt habe, ohne bestehende Möglichkeiten zu ergreifen, den Zugriff von Suchmaschinen auszuschließen. Wer Texte oder Bilder im Internet ohne Einschränkungen frei zugänglich mache, muss mit den nach den Umständen üblichen Nutzungshandlungen rechnen545. Einem solchen Verhalten komme aus der Sicht des Betreibers einer Suchmaschine als Erklärungsempfänger der objektive Erklärungsinhalt zu, dass ein Einverständnis mit einer Nutzung im üblichen Umfang bestehe546. Eine solche (schlichte) Einwilligung in die Wiedergabe der Abbildung eines urheberrechtlich 541 542 543 544 545 546
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OLG München v. 13.1.2009 – 18 U 4520/08. OLG Hamburg v. 4.5.2004 – 7 U 10/04, AfP 2005, 73 = NJW-RR 2005, 479 – Trickbetrüger. LG Hamburg v. 21.1.2005 – 324 O 448/04, NJW-RR 2005, 1357. KG v. 2.11.2016 – 9 U 208/09, AfP 2011, 269 – Interview eines Verbrechensopfers. BGH v. 6.12.2007 – I ZR 94/05, CR 2008, 211 = GRUR 2008, 245 – Drucker und Plotter. BGH v. 29.4.2010 – I ZR 69/08, AfP 2010, 265 = MDR 2010, 884 = CR 2010, 463 = IPRB 2010, 148 = ITRB 2010, 175 = NJW 2010, 2731 – Vorschaubilder I.
von Strobl-Albeg
VI. Einwilligung
Rz. 171 Kap. 7
geschützten Werkes als Vorschaubild in Ergebnislisten von Bildersuchmaschinen liege auch dann vor, wenn ein Dritter die Abbildung mit Zustimmung des Urhebers ins Internet eingestellt hat, ohne technische Vorkehrungen gegen ein Auffinden und Anzeigen dieser Abbildung durch Suchmaschinen zu treffen547. Diese Rechtsprechung betraf zwar die Einwilligung im Urheberrecht, nicht nach dem KUG. Die Fälle sind jedoch gleich zu behandeln548. In beiden Fällen geht es um die Frage der (schlichten) Einwilligung. Dass es bei der Einwilligung nach § 22 KUG – anders als beim Urheberrecht – um das durch Art. 1, 2 GG grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht in seinem Ausfluss als Recht auf informationelle Selbstbestimmung geht, rechtfertigt keine abweichende Entscheidung, da der Betroffene dieses Selbstbestimmungsrecht ausgeübt hat, indem er sein Bildnis ins Internet einstellte, ohne es gegen den Zugriff durch Dritte zu sichern und dadurch den Zugriff auf andere Internetseiten ermöglichte549. Daher kommt es – wie im Fall des BGH – für die Frage, „ob eine schlichte Einwilligung in die 171 Nutzungshandlung besteht, allein auf den objektiven Erklärungsinhalt des Verhaltens aus der Sicht des Erklärungsempfängers“ an. „Ein solches Verhalten ist nach seinem objektiven Erklärungsinhalt aus der Sicht eines Suchmaschinenbetreibers als Erklärungsempfänger als schlichte Einwilligung in die Bildnisveröffentlichung anzusehen. Wer ein Bildnis selbst im Internet veröffentlicht, ohne den Speicherort gegen den Zugriff Dritter zu sichern, macht im Ergebnis sein Foto frei zugänglich und muss mit den nach den Umständen bei der Bildersuche im Internet üblichen Nutzungshandlungen rechnen und der Suchmaschinenbetreiber darf davon ausgehen, dass hiermit Einverständnis besteht550. Wenn der Betroffene es zulässt, dass sein Bildnis auf der Homepage seines Arbeitgebers veröffentlicht wird, ohne dass bei der Homepage von der technischen Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, das Foto vom Zugriff durch Personensuchmaschinen auszunehmen, darf dieses Verhalten des Betroffenen vom Betreiber einer Personensuchmaschine objektiv als Einverständnis damit verstanden werden, dass das Foto in dem bei der Bildersuche üblichen Umfang genutzt werden darf. Es sei dem Abgebildeten zumutbar gewesen, den Arbeitgeber aufzufordern, Sicherheitsmaßnahmen hinsichtlich seines Fotos einzubauen551. Eine solche „übliche Nutzungshandlung“, mit der der Abgebildete rechnen muss, liegt jedoch keinesfalls bei einer werbemäßigen (und üblicherweise vergütungspflichtigen) Verwendung eines Bildnisses durch einen Dritten für eigene Zwecke vor. Vielmehr muss allenfalls damit gerechnet werden, dass Bilder für den privaten Gebrauch heruntergeladen werden552. Für den Betreiber einer Suchmaschine kommt nur die Haftung als „Störer“ in Betracht, da er keine eigenen Inhalte verbreitet, sondern das Auffinden 547 BGH v. 19.10.2011 – I ZR 140/10, CR 2012, 333 = AfP 2012, 255 = MDR 2012, 662 = IPRB 2012, 125 = ITRB 2012, 100 WRP 2012, 721 – Vorschaubilder II. 548 LG Köln v. 22.6.2011 28 O 819/10, ZUM-RD 2011, 626; LG Hamburg AfP 2010, 606 – Wiedergabe eines Bildnisses durch Personensuchmaschine – bestätigt durch OLG Hamburg v. 13.3.2012 – 7 U 89/10, ZUM-RD 2013, 608. 549 LG Köln v. 22.6.2011 – 28 O 819/10, CR 2012, 59 = ITRB 2011, 281 = ZUM-RD 2011, 626; ebenso Dreier/Schulze/Specht, § 22 KUG Rz. 18; Lauber-Rönsberg, NJW 2016, 744; a.A. Schricker/Loewenheim/Götting, § 22 KUG Rz. 44, aber rechtsmissbräuchliches Verhalten, wenn derjenige, der sein Bildnis ungeschützt einstellt, anderen die Nutzung untersagen will. 550 LG Köln v. 22.6.2011 – 28 O 819/10, CR 2012, 59 = ITRB 2011, 281 = ZUM-RD 2011, 626; LG Memmingen v. 4.5.2011 – 12 S 796/10, ZUM-RD 2011, 628;OLG Köln v. 9.2.2010 – 15 U 107/09, ZUM 2010, 706. 551 LG Hamburg v. 16.6.2010 – 325 O 448/09, AfP 2010, 606 – Wiedergabe eines Bildnisses in Personensuchmaschinen unter Hinweis auf BGH v. 29.4.2010 – I ZR 69/08, MDR 2010, 884 = CR 2010, 463 = IPRB 2010, 148 = ITRB 2010, 175 = AfP 2010, 265 – Vorschaubilder I. 552 LG Memmingen v. 4.5.2011 – 12 S 796/10, ZUM-RD 2011, 628.
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Kap. 7 Rz. 172
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
fremder Inhalte nachweist, wobei dieser Nachweis nicht auf einer intellektuellen Leistung von Menschen beruht, sondern das Ergebnis eines computergesteuerten automatischen Vorgangs ist553. Ein Suchmaschinenanbieter muss nicht damit rechnen, dass Fotografien unerlaubt in die aufgefundenen Internetseiten eingestellt worden sind554. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Hostprovider nicht verpflichtet, die von den Nutzern in das Netz gestellten Beiträge oder Aufnahmen vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Er ist erst verantwortlich, sobald er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt. Weist ein Betroffener den Hostprovider auf eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch den Nutzer eines Blogs hin, kann der Hostprovider verpflichtet sein, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern555. Diese Grundsätze finden auch auf die Betreiber von Personensuchmaschinen Anwendung556. 172
Ebenso wird mit der Einstellung seines Bildnisses auf die Internetseiten eines sozialen Netzwerks wie Facebook nach der Grundeinstellung bei der Anmeldung im Netzwerk die Einwilligung in einen Zugriff von Suchmaschinen auf sein Profilbild erklärt. In den AGB von Facebook ist ausdrücklich vorgesehen, dass der Nutzer gerade mit der Veröffentlichung von Inhalten in anderen Medien einverstanden ist, es sei denn, er macht von der eingeräumten Opt-out-Möglichkeit Gebrauch, seine Daten durch Suchmaschinen zu indizieren oder gänzlich zu unterbinden. Das Einstellen eines Bildnisses auf die Seiten eines sozialen Netzwerks wie Facebook stellt daher nach dem objektiven Erklärungsinhalt aus der Sicht des Erklärungsempfängers eine konkludente Einwilligung in den Zugriff und die Veröffentlichung durch Suchmaschinen dar, wenn der Abgebildete von der ihm eingeräumten Möglichkeit der Sperre gegenüber Suchmaschinen keinen Gebrauch macht557.
173
Durch seine Zielgruppenwahl bestimmt der Betroffene, wer sein Bildnis auf Facebook sehen kann. Er hat die Wahl, ob er die Aufnahme nur einem beschränkten, von ihm gewählten Personenkreis von Facebook-Nutzern zugänglich machen will („Friends“) oder allen FacebookNutzern („Public“). Die Veröffentlichung von Bildnissen in sozialen Netzwerken wie Facebook ist regelmäßig nur für eine bestimmte, vom Betroffenen gewünschte Öffentlichkeit gedacht, nämlich für den Kreis der Nutzer der Plattform. Darüber hinaus stimmt der Betroffene auch einer Verwendung seines Facebook-Profilfotos durch Suchmaschinen zu, wenn er dagegen keine technischen Vorkehrungen getroffen hat (vgl. Rz. 172). Mit der Verbreitung seines Bildnisses in anderen Medien muss der Betroffene jedoch nicht rechnen. Aus dem Umstand, dass der Betroffene sein Bildnis auf Facebook eingestellt hat, kann nicht auf seine konkludente Einwilligung in eine Wiedergabe des Fotos in anderen Medien geschlossen werden. Wer sein Bildnis auf seinem Account bei einem sozialen Netzwerk hochlädt, ohne von möglichen Zugriffssperren Gebrauch zu machen, willigt nicht in die weitere Verbreitung des Fotos durch Dritte außerhalb des Kreises der zugriffsberechtigten Mitglieder des Netzwerkes zu einem anderen Zweck ein558. Das zu Facebook Gesagte gilt entsprechend für Instagram. Auch bei diesem Sozial-Media-Dienst kann derjenige, der Aufnahmen einstellt, durch seine Privat553 OLG Hamburg v. 13.3.2013 – 7 U 89/10, ZUM-RD 2013, 608 – Wiedergabe eines Bildnisses in einer Personensuchmaschine. 554 BGH v. 21.9.2017 – I ZR 11/16, ZUM 2018, 123 – Vorschaubilder III. 555 BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, ZUM-RD 2012, 82. 556 OLG Hamburg v. 13.3.2012 – 7 U 89/10, ZUM-RD 2013, 608 – Wiedergabe eines Bildnisses in einer Internetsuchmaschine. 557 OLG Köln v. 9.2.2010 – 15 U 107/09, CR 2010, 530 = ITRB 2010, 201 ZUM 2010, 706 – Facebook. 558 LG Hamburg v. 2.6.2017 – 324 O 570/16, ZUM 2018, 371 n. rkr.
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VI. Einwilligung
Rz. 174 Kap. 7
sphären- und Anwendungseinstellungen den Kreis der Personen bestimmen, auf deren Kenntnisnahme der Aufnahmen sich seine konkludente Einwilligung bezieht. Deshalb ist es einer Zeitung untersagt, die Profilfotos von Verfassern sog. Hass-Postings auf Facebook auf ihrer Internetseite zu veröffentlichen559. Geht es um das Bildnis eines Minderjährigen, scheitert die Annahme einer konkludenten Einwilligung bereits daran, dass diese von den Erziehungsberechtigten des Minderjährigen hätte erklärt werden müsse560. Zeigen die Aufnahmen nicht nur das Bildnis des jeweiligen Nutzers des sozialen Netzwerkes, sondern auch Dritte, richtet sich die Zulässigkeit solcher Veröffentlichungen nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG. Zur Verantwortlichkeit von Hyperlinks, Framelinks und „Teilen“ von Bildnissen Lauber-Rönsberg NJW 2016, 744. Die Bestimmungen des BDSG sind auf die Anfertigung und Veröffentlichung von Bildnissen 174 nicht anwendbar (zum Verhältnis von KUG und allgemeinen Persönlichkeitsrecht zum BDSG vgl. Rz. 117 ff.). Eine Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, dass er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt (§ 22 Satz 2 KUG). Eigens dafür, dass er sich abbilden ließ, muss der Abgebildete die Entlohnung erhalten haben. Der normale Arbeitslohn einer kaufmännischen Angestellten enthält kein Entgelt für die Anfertigung von Werbeaufnahmen und deren Verbreitung561. Die Entlohnung muss nicht in Geld bestehen. Wenn eine Vergütung vertraglich vereinbart wurde, gilt die Einwilligung jedoch nicht für alle Zwecke als erteilt, sondern nur in dem Umfang, und nur für den konkreten Zweck der mit der vereinbarten Vergütung abgegolten sein sollte. Nach Zweck, Art und Umfang, der Bildnisveröffentlichung differenzierende Einwilligungserklärungen sind bei Vereinbarung einer Vergütung üblich und rechtlich ohne weiteres möglich562. Willigt eine berühmte Sportlerin gegen ein Honorar ein, dass über ihr Leben und ihren Werdegang unter Verwendung von Aufnahmen aus ihrer Kindheit und Privatsphäre ein Dokumentarfilm für das Fernsehen produziert wird, bedeutet das ihr dafür bezahlte Honorar keine Einwilligung, den Film auch im Kino vorzuführen563. Behauptet der Abgebildete, eine Nutzung des Bildnisses sei trotz Entgelt nicht von seiner Einwilligung gedeckt, trägt er wegen der gesetzlichen Vermutung des § 22 Satz 2 KUG dafür die Beweislast564. Hat ein Model gegen Bezahlung der Anfertigung und Veröffentlichung von Modeaufnahmen zugestimmt, beinhaltet die Einwilligung nicht die Herstellung und Nutzung nicht abgesprochener Nacktaufnahmen, schon allein deshalb nicht, weil Auf-
559 OLG München v. 17.3.2016 – 29 U 368/16, AfP 2016, 278; NJW-RR 2016, 871 – Facebook-Profilfoto in Online-Artikel einer Zeitung; ebenso ÖGH v. 30.3.2016 – 6 Ub 14/16a, GRUR GRURInt. 2016, 697: Keine konkludente Einwilligung des Betroffenen zur Verbreitung der von ihm auf Facebook geposteten Bildnisse auf den Websites einer Zeitung, sowie OLG Frankfurt v. 21.4.2016 – 16 U 251/15, CR 2016, 733 = ZUM-RD 2016, 573: keine konkludente Einwilligung des Abgebildeten zur Veröffentlichung eines von ihm bei Facebook eingestellten Fotos von seiner Teilnahme an einer Demonstration durch Dritte auf deren Twitter-Account. 560 LG Frankfurt/M. v. 28.5.2015 – 2-03-O 452/14, ZUM-RD 2016, 390 – Fotoaufnahmen von minderjährigen Mitschülern innerhalb einer Whats App-Gruppe. 561 OLG Nürnberg GRUR 1957, 296. 562 OLG Karlsruhe v. 10.9.2010 – 6 U 35/10, AfP 2010, 591 – Königin im Ring; OLG München v. 4.5.2006 – 29 U 3499/05, ZUM 2006, 936; – Einwilligung in die Nutzung für Werbezwecke; v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, NJW-RR 1999, 1703; OLG Köln v. 28.5.1999 – 4 W 15/99, AfP 1999, 377; OLG Hamburg v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, AfP 1995, 665. 563 OLG Karlsruhe v. 10.9.2010 – 6 U 35/10, AfP 2010, 591 – Königin im Ring. 564 OLG München v. 4.5.2006 – 29 U 3499/05, ZUM 2006, 936.
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Kap. 7 Rz. 175
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
nahmen, die die Intimsphäre betreffen, nicht unter das KUG fallen und daher auch nicht an der Vermutung des § 22 Satz 2 KUG teilhaben können565. 175
Zwar ist eine Einwilligung i.S.d. § 22 KUG formlos möglich und kein Vertrag, sondern eine einseitige Erklärung (zur erforderlichen Schriftform der Einwilligung im Arbeitsverhältnis vgl. Rz. 192 f.). Soll jedoch die Einwilligung als rechtserhebliche Erklärung nach dem Willen auch nur einer Partei im Rahmen eines Vertrages schriftlich fixiert werden, ist § 154 Abs. 2 BGB analog anzuwenden566. Nach dieser Vorschrift ist ein Vertrag im Zweifel nicht geschlossen, wenn eine Beurkundung (Schriftform) des beabsichtigten Vertrags vereinbart war. Insbesondere bei Verträgen, nach denen der Betroffene seine Einwilligung erteilen soll „zur beliebigen Verwendung“ seines Bildnisses zur publizistischen Illustration ohne inhaltliche und örtliche Beschränkung, kommt der Schriftform auch eine Warnfunktion zu. Sie gewährleistet, dass der Betroffene über die Tragweite seine Einwilligung nachlesbar informiert und vor übereilten Erklärungen bewahrt wird567.
176
Die Einwilligung ist eine rechtsgeschäftliche Erklärung, die Geschäftsfähigkeit voraussetzt. Sie fehlt, wenn der Erklärende volltrunken ist568, sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, der seiner Natur nach nicht nur vorübergehend ist (§ 104 Nr. 2 BGB), oder wenn der Erklärende nicht das 7. Lebensjahr vollendet hat (§ 104 Nr. 1 BGB). Wer das 7. Lebensjahr vollendet hat, ist Minderjähriger bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Für rechtsgeschäftliche Erklärungen Minderjähriger gelten §§ 107 bis 113 BGB. Zur Einwilligung i.S.d. § 22 KUG bedürfen daher Minderjährige nach h.M. der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters569. Die Einwilligung eines minderjährigen Primaners in die Verbreitung von Fotos, die ihn zusammen mit seiner 34-jährigen Geliebten in deren Traumvilla zeigen, ist deswegen rechtlich unbeachtlich570. Dagegen ist nach einer Mindermeinung die Einwilligung keine rechtsgeschäftliche Erklärung, sondern die bloße Gestattung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen. Daher sei für die Einwilligung keine Geschäftsfähigkeit erforderlich und keine Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters. Entscheidend sei, ob der Minderjährige nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu erkennen vermag571. Deshalb müsse sich eine 17-jährige Gymnasiastin an der von ihr erteilten Einwilligung in Oben-ohne-Aufnahmen und deren Veröffentlichung in einem Reisekatalog festhalten lassen.
177
Sieht man mit der h.M. die Einwilligung als rechtsgeschäftliche oder rechtsgeschäftsähnliche Erklärung an, bedarf die Einwilligung des Minderjährigen stets nach § 107 BGB der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Gesetzliche Vertreter sind die Eltern. Sie vertreten in Fragen der elterlichen Sorge das Kind gemeinschaftlich. Ein Elternteil vertritt das Kind allein, soweit 565 OLG Stuttgart v. 30.1.1987 – 2 U 195/86, AfP 1987, 693 – Vertrag über die Herstellung pornografischer Aufnahmen. 566 OLG Hamburg v. 22.9.1994 – 3 U 106/94, AfP 1995, 508 = NJW-RR 1995, 220 – Heiße Quickies. 567 OLG Hamburg v. 22.9.1994 – 3 U 106/94, AfP 1995, 508 = NJW-RR 1995, 220, 221 – Heiße Quickies. 568 OLG Frankfurt v. 21.1.1987 – 21 U 164/86, NJW 1987, 1087. 569 BGH v. 28.9.2004 – VI ZR 303/03, AfP 2004, 533 – Drei Reiterinnen; OLG München v. 21.12.1981 – 21 U 3951/81, AfP 1983, 276 = AfP 1982, 230; BGH v. 2.7.1974 – VI ZR 121/73, NJW 1974, 1947 – Nacktaufnahme; LG Berlin v. 12.2.1973 – 16 O 298/71, GRUR 1974, 415 – Saat der Sünde. 570 OLG Köln, ArchPR 1970, 133; vgl. Heidenreich, AfP 1970, 960. 571 OLG Karlsruhe v. 31.3.1983 – 4 U 179/81, FamRZ 1983, 742.
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VI. Einwilligung
Rz. 179 Kap. 7
er die elterliche Sorge alleine ausübt oder ihm die Entscheidung nach § 1628 BGB übertragen ist (§§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 BGB). Sind die Eltern eines Kindes bei dessen Geburt nicht miteinander verheiratet, richtet sich die elterliche Sorge nach § 1626a BGB. Der nichteheliche Vater eines Kleinkindes benötigt daher die Einwilligung der allein sorgeberechtigten Mutter, um ein Foto des gemeinsamen Kindes auf einer allgemein zugänglichen Internetseite zu veröffentlichen572. Anstelle der Eltern kann auch das Jugendamt als Inhaber der Personensorge für die Einwilligung zur Veröffentlichung von Bildnissen des Minderjährigen ausschließlich berechtigt sein573. Der gesetzliche Vertreter kann die Einwilligung ohne Zustimmung des Minderjährigen und sogar gegen dessen Willen erklären (§ 1629 i.V.m. § 164 BGB). Angesichts des persönlichkeitsbezogenen Charakters ist allerdings das Problem der Grundrechtsmündigkeit zu beachten. Es geht dabei um die Frage, ob und inwieweit der Minderjährige sein Grundrecht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit allein, also ohne Zustimmung der Personensorgeberechtigten (oder sogar gegen deren expliziten Willen), ausüben und verwirklichen kann574 und ob die Personensorgeberechtigten allein, also ohne zusätzliche Zustimmung des Minderjährigen (oder sogar gegen dessen expliziten Willen), in eine Veröffentlichung des Bildnisses des Minderjährigen einwilligen können. Voraussetzung in beiden Fällen wäre (entsprechend der Einwilligung Minderjähriger in operative Eingriffe) die Fähigkeit des Minderjährigen, die Bedeutung und Tragweite seiner alleinigen Einwilligung (oder seines Vetos gegen die Einwilligung der Personensorgeberechtigten) in vollem Maße zu überblicken575. Der BGH hat es als durchaus erwägenswert angesehen, dass die Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen auch seine eigene Zustimmung neben der Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters fordern kann576. Die Lösung wird in einer „Doppelzuständigkeit“ gesehen: Die Einwilligung allein des – auch 178 einsichtsfähigen – Minderjährigen genügt nicht. Sie bedarf – wie in § 107 BGB vorgeschrieben – zusätzlich der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter. Dagegen dürfen die gesetzlichen Vertreter ihre Einwilligung in die Veröffentlichung von Bildnissen des (einsichtsfähigen) Minderjährigen nicht gegen dessen Willen erklären577. Für die Frage der ausreichenden Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen können dabei die Vorschriften über und die Übertragung der elterlichen Sorge (§ 1671 BGB) als Anhaltspunkt genommen werden. Nach diesen Vorschriften ist neben der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zusätzlich die Einwilligung des Minderjährigen dann erforderlich, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat578. Sind jedoch nur die kommerziellen Aspekte des Rechts am eigenen Bild des Heranwachsenden betroffen, soll die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter genügen, diejenige des Heranwachsenden entbehrlich sein579. Wegen der somit bei Minderjährigen stets erforderlichen Zustimmung des gesetzlichen Ver- 179 treters unabhängig von der Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen bedeutet dies, dass der Bildnisverwerter sich stets vergewissern muss, ob die abgebildete Person volljährig oder minder-
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AG Menden/S. v. 3.2.2010 – 4 C 526/09, CR 2010, 539 = ITRB 2010, 156 = NJW 2010, 1614. OLG Karlsruhe v. 2.2.2011 – Ss 371/10 – AK 99/10, ZUM-RD 2011, 348. OLG Köln v. 1.4.1970 – 4 W 76/69, AfP 1970, 133 – Minderjähriger Liebhaber. OLG Köln v. 1.4.1970 – 4 W 76/69, AfP 1970, 133 – Minderjähriger Liebhaber. BGH v. 2.7.1974 – VI ZR 121/73, NJW 1974, 1947 – Nacktaufnahme. Frömming/Peters, NJW 1996, 958; Götting in Schricker/Loewenheim, § 60/22 ff. KUG Rz. 14; Prinz/Peters, Rz. 835. 578 LG Bielefeld v. 18.9.2007 – 6 O 360/07, NJW-RR 2008, 715 – Super Nanny; Wanckel, Kap. II, Rz. 129; Frömming/Peters, NJW 1996, 958; Dreier/Schulze/Specht, § 22 KUG Rz. 26. 579 Raue/Hegemann/Amelung, § 14 Rz. 24.
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Kap. 7 Rz. 180
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
jährig ist und daher eine Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich oder entbehrlich ist. Denn der gute Glaube an die Geschäftsfähigkeit wird nicht geschützt580. Wegen des Vetorechts des einsichtsfähigen Minderjährigen, also im Regelfall ab der Vollendung seines 14. Lebensjahres, benötigt der Bildnisverwerter neben der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zusätzlich auch die Einwilligung des Minderjährigen in die Veröffentlichung seines Bildnisses. Gegenüber der Prüfung im Einzelfall, ob der Minderjährige die erforderliche Reife und Einsichtsfähigkeit hat, bietet das Abstellen auf feste Altersgrenzen erhebliche Vorteile. Das Einräumen eines Vetorechtes ab dem vollendeten 14. Lebensjahr unabhängig von Reife und Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall ist auch sachgerecht. Auch beim Volljährigen kommt es nur auf das Erreichen des Volljährigkeitsalters an und nicht darauf, ob er – trotz Volljährigkeit – für sein Alter noch recht unreif und infantil ist. 180
Das Vorliegen der erforderlichen Einwilligung(en) zu überprüfen, ist im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht jeder gehalten, der das Bildnis eines anderen verbreiten will581. Dies gilt jedenfalls dann, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, die Einwilligung könne erforderlich sein, weil es sich um das Bildnis eines Minderjährigen handelt582. Wird bei Minderjährigen stets die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters eingeholt und ab Vollendung des 14. Lebensjahres auch die Zustimmung des abgebildeten Minderjährigen, ist sowohl dem Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen als auch dem Personensorgerecht der Erziehungsberechtigten als auch der erforderlichen Sicherheit des Geschäftsverkehrs bei der Verwertung von Minderjährigenbildnissen Rechnung getragen.
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Ist aber eine Minderjährige mit der öffentlichen Verwertung ihrer Nacktaufnahmen grundsätzlich einverstanden und wendet sie sich lediglich gegen die Höhe des Entgeltes, kann sie gegenüber der Erklärung des Inhabers der elterlichen Gewalt kein Widerspruchsrecht geltend machen583. Die Einwilligung in die Verwertung bereits hergestellter Pornobilder wird man trotz der sittlichen Bedenklichkeit solcher Aufnahmen als wirksam ansehen müssen584.
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Nach dem Tod des Abgebildeten, der zu Lebzeiten keine Einwilligung erteilt hat, sind nach § 22 Satz 3 KUG bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seinem Tode zur Wahrnehmung der ideellen Interessen seine Angehörigen dazu berufen, wenn es um eine Abbildung geht, die den Verstorbenen zu seinen Lebzeiten zeigt. Wenn das KUG auch auf Leichenfotos Anwendung findet – vgl. dazu Rz. 13 –, gilt die Regelung des § 22 Satz 3 KUG auch für Aufnahmen, die einen toten Menschen zeigen. Unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KUG darf die Abbildung einer Leiche auch ohne Einwilligung der Angehörigen verbreitet werden, soweit berechtigte Informationsinteressen der Öffentlichkeit bei der vorzunehmenden Interessenabwägung den postmortalen Achtungsanspruch des Toten überwiegen (Soehring/Hoene, § 21 Rz. 23 nennt als Beispiel die Verbreitung der Aufnahme des toten Ministerpräsidenten Uwe Barschel in der Badewanne eines Genfer Hofes; vgl. zur Verletzung der Intimsphäre durch die Abbildung Verstorbener auch Kap. 8 Rz. 100). Zur Aktivlegitimation der Angehörigen bei einer Verletzung der Intimsphäre durch die Verbreitung von Leichenfotos und die ggf. einwil580 Palandt/Ellenberger, 77. Aufl. 2018, Einführung vor § 104 BGB Rz. 3. 581 BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617; OLG Frankfurt v. 12.7.1991 – 25 U 87/90, NJW 1992, 441; OLG Karlsruhe v. 23.4.1993 – 15 U 237/92, NJW-RR 1994, 95. 582 OLG Frankfurt v. 12.7.1991 – 25 U 87/90, NJW 1992, 441. 583 BGH v. 2.7.1974 – VI ZR 121/73, NJW 1974, 1947 – Nacktaufnahme. 584 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 121; der Tendenz nach wohl ebenso OLG Stuttgart v. 30.1.1987 – 2 U 195/86, AfP 1987, 693 = NJW-RR 1987, 1434.
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VI. Einwilligung
Rz. 184 Kap. 7
ligungsfreie Verbreitung von Aufnahmen von Leichen im öffentlichen Informationsinteresse vgl. Kap. 8 Rz. 100. Zur Einwilligung befugt sind nach § 22 Satz 3 KUG der überlebende Ehegatte oder Lebens- 183 partner im Sinne des Gesetzes über Lebenspartnerschaften v. 16.2.2001585, die Kinder des Abgebildeten, wenn weder ein Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten (§ 22 Satz 4 KUG) sowie ein hierzu berufener Wahrnehmungsberechtigter586 oder ein Stellvertreter, dessen zu Lebzeiten erteilte Vollmacht über den Tod des Vollmachtgebers wirksam ist, auch wenn in einer Generalvollmacht die Bildnisrechte nicht explizit erwähnt sind587. Die Einwilligung muss von allen hierzu nach § 22 Satz 4 KUG befugten Angehörigen gemeinsam erteilt werden, also z.B. vom überlebenden Ehegatten und den Kindern des verstorbenen Abgebildeten588. Da §§ 164 ff. BGB auf die Einwilligung Anwendung finden, ist sowohl eine Vertretung als auch die Bevollmächtigung eines Dritten möglich. Ob – jedenfalls beim Fehlen von den in § 22 Satz 4 KUG genannten Angehörigen – die Geschwister des Abgebildeten einwilligen müssen, ist ungeklärt589. Während die Einwilligung durch alle Angehörigen erfolgen muss, ist jeder von ihnen bei einer Verletzung des postmortalen Rechts am eigenen Bild des Verstorbenen alleine klagebefugt. Bei einer Konkurrenz zwischen Stellvertreter und Angehörigen muss dem erkennbaren Willen des Verstorbenen zur Durchsetzung verholfen werden590. Die Regelung der postmortalen Einwilligung durch Angehörige in § 22 Satz 3 KUG gilt aber 184 nur für die Abwehransprüche, die dem Schutz der ideellen Interessen des Verstorbenen dienen. Dagegen kommen als Träger der vermögenswerten Befugnisse allein die Erben in Betracht, die mit den Wahrnehmungsberechtigten der ideellen Interessen des Verstorbenen nicht notwendig identisch sein müssen591. Dabei darf der Erbe seine Befugnisse jedoch nicht entgegen dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen einsetzen. Er erwirkt kein uneingeschränktes positives Benutzungsrecht. Vielmehr darf der Erbe die nach dem Tode (fort)bestehenden Vermarktungsmöglichkeiten nur unter Berücksichtigung des Interesses des Verstorbenen und dessen ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen nutzen592. Werden die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts vererbt, so bleiben sie gleichwohl zur Wahrung der ideellen Interessen des Verstorbenen untrennbar mit den ideellen Bestandteilen von dessen Persönlichkeitsrecht verbunden. Durch die kommerzielle Verwertung werden häufig auch die Befugnisse tangiert, die den Angehörigen oder sonstigen Wahrnehmungsberechtigten zustehen. Dann ist für die kommerzielle Verwertung des Bildnisses sowohl die Einwilligung der Erben als auch der Angehörigen erforderlich. Werden daher bei einer kommerziellen Verwertung des Bildnisses die ideellen Interessen des Verstorbenen 585 BGBl. I 2001, 266. 586 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 68, 1773 – Mephisto. 587 OLG München v. 30.5.2001 – 21 U 1997/00, MDR 2001, 1408 = NJW 2002, 305 – Lebenspartnerschaft. 588 Raue/Hegemann/Amelung, § 14 Rz. 33; Rehbock/Gaudlitz, § 3 Rz. 276; Götting in Schricker/Loewenheim, § 60/§ 22 KUG Rz. 58. 589 bejahend Schertz in Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rz. 24; ablehnend Götting in Schricker/Loewenheim, § 62 KUG/§ 60 Rz. 57. 590 OLG München v. 30.5.2001 – 21 U 1997/00, MDR 2001, 1408 = NJW 2002, 305 – Lebenspartnerschaft. 591 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 592 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, NJW 2007, 684 – kinski-klaus.de.
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Kap. 7 Rz. 185
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
tangiert, können die Angehörigen gegen eine solche Nutzung einschreiten, auch wenn sie mit Zustimmung der Erben geschah593. 185
Die Beweislast für eine rechtswirksam erklärte Einwilligung trägt, wer die Abbildung verbreitet594. Daher muss derjenige, der sich für die Zulässigkeit der Veröffentlichung auf das Vorliegen einer konkludenten Einwilligung des Abgebildeten in die Veröffentlichung beruft, die Umstände darlegen und beweisen, die nach dem objektiven Empfängerhorizont die Annahme einer konkludenten Einwilligung rechtfertigen595. Darlegung und Beweis der Tatsache, dass der Abgebildete der Veröffentlichung nicht widersprochen hat, sind als Beweis einer konkludenten Einwilligung untauglich596. Der Beweis der erteilten Einwilligung kann auch durch eine Inaugenscheinnahme der fraglichen Aufnahmen geführt werden597. Für die Frage, ob eine im Fernsehen wiedergegebene Person mit den Aufnahmen konkludent einverstanden war, kann nicht nur das gesendete Filmmaterial verwendet werden, sondern das gesamte gedrehte Material, einschließlich herausgeschnittener Teile598. Anders verhält es sich bei Bezahlung: Nach der widerleglichen Vermutung des § 22 Satz 2 KUG gilt die Einwilligung im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, dass er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt (Rz. 174). 4. Erklärungsinhalt der Einwilligung a) Umfang und Reichweite der Einwilligung
186
Ob eine Einwilligung vorliegt sowie deren Umfang und Reichweite hängen nach § 133 BGB vom wirklichen Willen ab, der durch Auslegung anhand der Erklärung und der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln ist. Heranzuziehen sind dabei alle erkennbaren Umstände, insbesondere das Verhalten der Betroffenen selbst599. Dies geschieht durch den Tatrichter. Das Revisionsgericht kann dessen Auslegung nur darauf überprüfen, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, Verfahrensvorschriften, anerkannte Denkgesetze oder Erfahrungssätze vorliegen und ob der Tatrichter sich mit dem Verfahrensstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat600.
593 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 594 BGH v. 15.1.1985 – I b ZR 44/63, NJW 1965, 134 – Satter Deutscher; v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1554 – Paul Dahlke; OLG Karlsruhe v. 26.5.2006 – 14 U 27/05, AfP 2007, 76 = AfP 2006, 467 = NJW-RR 2006, 1198 – Skurrilitäten des Alltags; KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, ZUM-RD 1998, 554 – Schärfere Slips; OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJW-RR 1996, 93 – Anne-Sophie Mutter. 595 LG Berlin v. 18.9.2008 – 27 O 870/07, AfP 2009, 517. 596 LG Berlin v. 31.1.2008 – 27 O 1000/07; OLG Frankfurt, ZUM-RD 2006, 73. 597 OLG Karlsruhe v. 26.5.2006 – 14 U 27/05, AfP 2007, 76 = AfP 2006, 467 = NJW-RR 2006, 1198 – Skurrilitäten des Alltags. 598 OLG Köln v. 22.2.1994 – 15 U 138/93, NJW-RR 1994, 865 – Wir im Südwesten. 599 BVerfG v. 14.9.2010 – 1 BvR 2538/08 Rz. 44; BGH v. 18.10.2011 – VI ZR 5/10, AfP 2012, 45 = MDR 2012, 93 = IPRB 2012, 51 Rz. 6 – Die lange Nacht der Goldkinder; BGH v. 28.9.2004 – VI ZR 305/03, MDR 2005, 272 = NJW 2005, 56 – Immer hoch zu Ross; OLG Hamburg v. 6.11.1980 – 3 U 80, AfP 1981, 356; LG Köln v. 4.11.2009 – 28 O 251/09, ZUM-RD 2010, 560; LG Nürnberg-Fürth v. 6.2.2009 – 11 O 762/09, AfP 2009, 177. 600 BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, AfP 2016, 243 = MDR 2016, 84 = NJW 2016, 1094 Rz. 38 – Löschung intimer Filmaufnahmen nach Ende einer Beziehung m.w.N.
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VI. Einwilligung
Rz. 187 Kap. 7
Ebenso wie bei der Frage, ob eine Einwilligung erteilt wurde601, ist auch bezüglich des Um- 187 fangs und der Reichweite der erteilten Einwilligung auf die Sicht des Erklärungsempfängers abzustellen602. Eine erteilte Einwilligung ist grundsätzlich eng entsprechend der konkreten Zweckbestimmung auszulegen (vgl. Rz. 191). Die inhaltliche räumliche und zeitliche Reichweite einer Einwilligung hängt wesentlich von der Art der Veröffentlichung ab, die den unmittelbaren Anstoß für ihre Erteilung gegeben hat; ihr darüber hinaus Bedeutung auch für spätere Veröffentlichungen eines anderen Zuschnitts beizulegen, ist in aller Regel nur aufgrund eines dahingehenden besonderen Interesses des Betroffenen möglich603. Zur Feststellung der Reichweite der Einwilligung kann bei der Auslegung auf die zur Rechtseinräumung im Urheberrecht entwickelte „Übertragungszweck-Regel“ zurückgegriffen werden (vgl. Rz. 191). Dabei hat insbesondere der Zweck des Rechtsgeschäftes Bedeutung604. Hat sich ein Schauspieler unter der Andeutung, es liege ein Auftrag einer Rundfunkzeitschrift vor, auf einem Motorroller sitzend fotografieren lassen, liegt darin kein Einverständnis zur Verwendung des Fotos für eine Motorroller-Werbung605. Rechnet ein für eine Modeschau engagiertes Mannequin mit einer Bildberichterstattung der Presse, so ist eine Verbreitung der dort von ihr gemachten Fotos im Rahmen eines Berichts über die Modeschau durch ihre Einwilligung gedeckt, nicht aber eine werbliche Verbreitung eines solchen Fotos in einer Geschäftsanzeige606. Ein Skifahrer, der sich von einem Pressefotografen beim Training ablichten ließ, rechnet nicht mit einer Verwendung dieses Bildnisses in der Werbung607, ebenso wenig wie ein bei einer Bergtour fotografierter Wanderer608. Vielmehr muss der Fotograf in solchen Fällen die abgebildete Person über die werbliche Verwendung des Bildmaterials aufklären, damit eine rechtswirksame Einwilligung vorliegt609. Lässt sich aber ein Arbeitnehmer (Croupier) zugunsten seines Arbeitgebers (Spielbank) fotografieren, ist davon auszugehen, dass die dadurch erteilte Einwilligung die Verwendung des Fotos zu Werbezwecken einschließt610. Auch das Einverständnis mit der Verwendung eines Bildnisses als Titelblatt-Foto deckt i.d.R. die Verwendung des Titelblattes zur Werbung für die betreffende Ausgabe611. Die Gestattung von Aufnahmen für einen Ehelichkeitsanfechtungsprozess enthalten keine Einwilligung zur Veröffentlichung612. Auch stellt die Beauftragung eines Fotografen zur Anfertigung von Portraitaufnahmen von bekannten Künstlern ohne konkrete Vereinbarung oder Anhaltspunkte 601 BVerfG v. 14.9.2010 – 1 BvR 1842/08, NJW 2011, 740 Rz. 44; OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJW-RR 1996, 93 – Anne-Sophie Mutter. 602 LG Köln v. 4.11.2009 – 28 O 251/09, ZUM-RD 2010, 560. 603 BGH v. 28.9.2004 – VI ZR 303/03, AfP 2004, 533 – Drei Reiterinnen; v. 28.9.2004 – VI ZR 305/03, MDR 2005, 272 = NJW 2005, 56 – Immer hoch zu Ross; v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593 – Abschiedsmedaille; v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, NJW 1979, 2203 – Fußball Kalender. 604 KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, NJW-RR 1999, 1703; Soehring/Hoene, § 21 Rz. 25; Wanckel, Rz. 162. 605 BGH v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1554 – Paul Dahlke. 606 OLG Koblenz v. 2.3.1995 – 6 U 1350/93, NJW-RR 1995, 1112. 607 LG München Schulze LGZ 197 – Trickskifahrer. 608 OLG Frankfurt v. 28.2.1986 – 6 U 30/85, MDR 1986, 672 = AfP 1986, 140 = NJW-RR 1986, 1118 – Ferienprospekt. 609 OLG Frankfurt v. 28.2.1986 – 6 U 30/85, MDR 1986, 672 = AfP 1986, 140 = NJW-RR 1986, 1118; v. 11.4.1985 – 6 U 8/84, ZUM 1985, 570; BGH v. 27.11.1979 – VI ZR 148/78, MDR 1980, 301 = AfP 1980, 35 = NJW 1980, 994 – Wahlkampfillustrierte. 610 OLG Freiburg v. 11.6.1953 – 2 U 52/53, GRUR 1953, 404. 611 AG München v. 25.3.2009 – 161 C 24 632/08, GRUR-RR 2009, 420; LG Köln v. 22.10.1980 – 78 O 294/80, AfP 1982, 49. 612 OLG Nürnberg Schulze OLGZ 22.
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Kap. 7 Rz. 188
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
für eine Branchenüblichkeit keine Einwilligung in die uneingeschränkte kommerzielle Verbreitung der Bildnisse dar613. Hat sich ein Fotomodell entgeltlich für Aktfotos zur FKK-Reisewerbung zur Verfügung gestellt, umfasst die Einwilligung im Zweifel die Verwendung für Inserate, auch wenn ausdrücklich nur von einem Prospekt die Rede gewesen ist. Nach Auffassung des OLG Frankfurt gilt das jedenfalls, wenn das Modell sich nachträglich anlässlich einer Pressekonferenz für Nacktaufnahmen zur Verfügung gestellt hat614. Schließt ein Modell einen Modellvertrag in der Annahme, geplant seien Fotos für Modekataloge, entstehen dann aber Aktaufnahmen, deren pornographischen Charakter das Modell erst nachträglich zu erkennen vermag, ist die Verbreitung solcher Aufnahmen von dem erteilten Einverständnis nicht umfasst615. Die Einwilligung, sich gegen ein Honorar von 150 DM in Unterwäsche für die Modebeilage einer Zeitschrift ablichten zu lassen, deckt nicht eine spätere Veröffentlichung in einer Zeitschrift zum Zwecke der Illustration fiktiver sexueller Erfahrungen „Partnerschaft im Alltag“616 und die Einwilligung eines Häftlings zur Abbildung in einem Buch über den Strafvollzug nicht die Veröffentlichung des Bildnisses in einer Zeitschrift zum Thema „Aids-Angst hinter Gittern“617. Auch wenn in der Duldung von Fotoaufnahmen bei einem Staatsempfang eine konkludente Einwilligung des Abgelichteten in eine Veröffentlichung der Aufnahmen liegen könnte, deckt diese Einwilligung nicht eine verunglimpfende Veröffentlichung, in welcher der Abgebildete als „doofer lederbehoster Bayer“ hingestellt wird618. Die Begleiterin eines Politikers, die sich zusammen mit dem Politiker anlässlich des Sommerfestes des Bundespräsidenten von Pressefotografen ablichten lässt, willigt daher nicht konkludent ein, dass dieses Foto in einer Zeitschrift zur Bebilderung eines Artikels verwendet wird, der sich mit einer Flugreisen-Affäre des Politikers befasst, in die sie unstreitig nicht involviert ist619. Wenn eine Schauspielerin einwilligt, dass ein sie zeigendes Standfoto aus einem konkreten Film ausschließlich zur Werbung für den fraglichen Film als Video/Blue-ray verwendet wird, ist damit nicht auch die Nutzung der Aufnahme zur Werbung für andere Produkte gedeckt, beispielsweise zur Werbung für Fernsehgeräte, bei der in einem Verkaufsprospekt ein Bildschirm abgebildet ist, auf dem das Standbild eingeblendet ist620. Die Einwilligung, eine Film-Biographie im Fernsehen und auf Filmfestivals zu zeigen, beinhaltet nicht das Recht, den Film auch im Kino vorzuführen621. 188
Nicht gedeckt durch die Einwilligung sind auch Zugriffe durch Hyperlinks auf Bildnisse, durch die das Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten verletzt wird. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Werbungtreibender durch die Verlinkung auf das Bildnis eines Prominenten den Eindruck erweckt, dieser benutze oder empfehle das Produkt des Werbenden, oder wenn durch die Verlinkung der auf der fremden Webseite Abgebildete in einen Zusammenhang gestellt wird, der seine berechtigten Interessen i.S.v. § 23 Abs. 2 KUG verletzt.
613 614 615 616 617 618 619 620 621
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OLG Hamburg v. 11.6.1998 – 3 U 284/97, ZUM-RD 1999, 122 – Backstreet Boys. OLG Frankfurt Ufita 70/1977, 259. OLG Stuttgart v. 30.1.1987 – 2 U 195/86, AfP 1987, 693. KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, NJW-RR 1999, 1703 – Schärfere Slips. OLG Hamburg v. 16.4.1987 – 3 U 210/86, AfP 1987, 703. OLG München v. 5.12.1997 – 21 U 3698/97, NJW-RR 1998, 1036 – Bonnbon. OLG Hamburg v. 28.6.2011 – 7 U 39/11, ZUM-RD 2011, 589 – Flugreisen-Affäre. OLG Köln v. 5.11.2013 – 15 U 44/13, AfP 2014, 151 – Die Rache der Wanderhure. OLG Karlsruhe v. 10.9.2010 – 6 U 35/10, AfP 2010, 591 – Königin im Ring.
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VI. Einwilligung
Rz. 189 Kap. 7
b) Räumliche, zeitliche und inhaltliche Beschränkungen Eine räumliche, zeitliche und inhaltliche Beschränkung der Einwilligung ist möglich und 189 sogar die Regel. Auch ohne ausdrückliche Erklärung kann eine solche Beschränkung anzunehmen sein622. So deckt das Einverständnis mit der Benutzung einer Fotografie für die aktuelle Berichterstattung nicht ohne weiteres die Verwendung für künftige Veröffentlichungen, auch nicht, wenn es entgeltlich erteilt ist623, ebenso wenig die Verwendung für einen Kalender624 oder für ein satirisches Poster625, erst recht nicht für Werbezwecke626. Auch aus der Mitwirkung einer Schauspielerin bei einem Film ist nicht das Einverständnis mit einer Bildveröffentlichung für beliebige Werbezwecke zu entnehmen, insbesondere nicht zur Werbung für Sexualpräparate627. Eine zeitliche Beschränkung der Einwilligung zur Nutzung von Fotos auf die Dauer einer Beziehung ist anzunehmen bei intimen Lichtbildern, die von den Partnern während der Beziehung hergestellt und einander überlassen wurden628. Zur Frage, ob die Nutzungsbefugnis des Arbeitgebers an Aufnahmen seiner Arbeitnehmer auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses beschränkt ist, vgl. Rz. 194 ff. Hat die Gesellschafterin einer Handelsgesellschaft der Gesellschaft gestattet, ihr Bildnis zur Illustration von Werbeprospekten der Gesellschaft zu verwenden, deckt die frühere Einwilligung nicht eine solche Verwendung des Bildnisses nach dem Ausscheiden der Abgebildeten aus der Gesellschaft, auch wenn die Gesellschaft den Namen der früheren Gesellschafterin als Firmenbestandteil weiterverwenden darf629. Ohne ausdrückliche Einwilligung des Künstlers erstreckt sich die Befugnis eines Event-Veranstalters zur Veröffentlichung eines mitwirkenden Künstlers auf Werbeträgern für die Veranstaltung nicht über die Zeit des Engagements hinaus630. Werden bei einem Interview Bildaufnahmen gemacht, darf das bebilderte Interview auch noch zwei Jahre nach seiner Aufzeichnung verbreitet werden, wenn es sich nicht um ein aktuelles Thema gehandelt hat mit einer aus der Aktualität herzuleitenden konkludenten zeitlichen Beschränkung der Einwilligung auf eine zeitnahe Verwertung631. Ist die Einwilligung zu Werbezwecken erteilt, z.B. zur Werbung für eine Rundwanne, bedeutet dies nicht, das Bildnis einer zusammen mit zwei Männern unbekleidet badenden Jugendlichen dürfe für eine schlüpfrige publizistische Darstellung verwendet werden632. Hat sich ein bekannter Fernsehmoderator bei einer Filiale des Modehauses eines Bekannten mit einer Brille abbilden lassen, hat er damit zwar möglicherweise in die Verwendung des Fotos zur Werbung für das Modehaus eingewilligt, nicht aber zur Werbung für beliebige Optikergeschäfte633. Die Einwilligung in die Ver622 BGH v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1554 – Paul Dahlke. 623 LG Hamburg v. 4.7.1969 – 74 O 45/69, ArchPR 1969, 119; AG Kaufbeuren v. 19.1.1988 – 1 C 787/88, AfP 1988, 277. 624 BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203 – Fußballkalender. 625 OLG Karlsruhe v. 27.11.1981 – 10 W 72/81, AfP 1982, 48 = NJW 1982, 647 – Übergabe einer Feldhaubitze an den Verteidigungsminister. 626 BGH v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1554 – Paul Dahlke. 627 BGH v. 26.1.1971 – VI ZR 95/70, NJW 1971, 698 – Pariser Liebestropfen. 628 OLG Koblenz. v. 20.5.2014 – 3 U 1288/13, CR 2014, 665 = ITRB 2014, 177 = ZUM 2015, 58; zum Recht auf Widerruf solcher Aufnahmen vgl. Rz. 85, zum Anspruch auf Löschung Kap. 9 Rz. 12. 629 OLG Köln v. 28.5.1999 – 6 W 15/99, AfP 1999, 377. 630 LG München I v. 27.7.2005 – ZUM 2005, 848 – Palazzo. 631 LG München I v. 12.12.2007 – 9 O 13832/07, ZUM-RD 2008, 309. 632 „Die Sex-Therapie der Lady Hamilton beginnt mit einem munteren Flirt in der vorgeheizten Wanne“, OLG München v. 21.12.1981 – 21 U 3951/81, AfP 1983, 276. 633 BGH v. 14.4.1992 – VI ZR 285/91, MDR 1992, 647 = CR 1993, 621 = AfP 1992, 149 = NJW 1992, 2084 – Werbefoto.
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Kap. 7 Rz. 190
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
breitung eines Nacktfotos in einem Biologiebuch hat nach Ansicht des BGH nicht zur Folge, dass das Foto aus gegebenem Anlass in den Medien zitiert werden darf634. Denn aus der Tatsache, dass der Abgebildete Jahre zuvor der Veröffentlichung von Fotos in der breiten Öffentlichkeit zugestimmt hat, folgt keine generelle Zustimmung für Veröffentlichungen, wenn die früher erteilte Zustimmung auf einen bestimmten Zweck begrenzt war635. Hat sich eine Schauspielerin für Nacktaufnahmen kostenlos zur Verfügung gestellt, damit die Verbreitung ihre Popularität steigert, deckt die Einwilligung zwar die Verbreitung in Publikumszeitschriften wie z.B. in der Q, nicht aber in Herrenmagazinen, auch nicht, wenn sie die Verbreitung von ihr gefertigter Nacktaufnahmen in Herrenmagazinen ausnahmsweise gestattet hat636. Die Einwilligung in die Bildnisveröffentlichung in einer Zeitschrift erstreckt sich häufig auch darauf, das Bildnis für die Werbung für die Zeitschrift zu verwenden637. Jedenfalls schließt die Einwilligung, für das Titelblatt einer Zeitschrift abgelichtet und veröffentlicht zu werden, mit ein, dass mit der Wiedergabe dieses Titelblattes für die betreffende Ausgabe der Zeitschrift in einer anderen Zeitschrift geworben wird638. Die Einwilligung erstreckt sich dabei jedoch nur auf die werbliche Verwendung derjenigen Aufnahmen, die auch in der Zeitschrift oder auf dem Titelblatt verwendet sind, und nicht auf die Verwendung anderer Bildnisse der Person (vgl. aber zur Rechtslage nach § 23 KUG Kap. 8 Rz. 142). 190
Es ist bei zahlreichen Fernsehsendern im In- und Ausland üblich geworden, dass TV-Sendungen inhaltsgleich auch im Internet verbreitet werden. Ob eine Person, die einem Fernsehsender ein Interview gewährt, damit rechnen muss, dass der Filmbeitrag mit dem Interview auch im Internet verbreitet wird, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Ohne das Vorliegen eindeutiger und gewichtiger Hinweise kann der Sender nicht ohne weiteres aus der Einwilligung zur TV-Nutzung auf eine konkludente Einwilligung auch zur Verbreitung des Fernsehinterviews im Internet schließen639. Aus der insoweit allein maßgebenden Sicht des Senders als Erklärungsempfänger war eine konkludente Einwilligung zur Verbreitung auch im Internet bejaht worden, als ein Bischof in einem Interview mit einem schwedischen Fernsehsender den Holocaust leugnete und dieses Interview vom Sender auch über seine Internetseiten verbreitet und in Deutschland aufgerufen wurde. Es wird dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Abgebildeten nicht gerecht, in solchen Fällen von seiner Einwilligung auszugehen. Zum einen ist die Verbreitung des Bildnisses in einer Fernsehsendung auf das Sendegebiet beschränkt, die territoriale Verbreitung im Internet dagegen quasi grenzenlos. Zum anderen ist die Ausstrahlung im Fernsehen einmalig, das Einstellen des Beitrags ins Internet ermöglicht dagegen eine wiederholte und zeitlich beliebig abrufbare öffentliche Wahrnehmung. Die inhaltsgleiche Verbreitung eines Fernsehinterviews über das Internet hat daher inhaltlich, zeitlich und räumlich eine andere Qualität als ein im Fernsehen ausgestrahltes Interview. Eine erteilte Einwilligung ist grundsätzlich eng auszulegen entsprechend der konkreten Zweckbestimmung640 (vgl. Rz. 187). Die Bejahung einer konkludenten Einwilligung analog der Übertragungszweck-Regel setzt voraus, dass nach dem Willen beider Parteien auch eine Internet-Nutzung möglich sein soll. Dann muss aber der Interviewte gewusst haben, dass 634 BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617 – Nacktfoto. 635 KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, NJW-RR 1999, 1703. 636 OLG München v. 17.12.1984 – 21 U 2775/84, ZUM 1985, 327. 637 OLG Zweibrücken v. 25.9.98 – 2 U 7/98, AfP 1999, 362. 638 LG Köln v. 22.10.1980 – 78 O 294/80, AfP 1982, 49. 639 AA OLG Frankfurt v. 24.2.2011 – 16 U 172/10, ZUM-RD 2011, 408 und LG Nürnberg v. 6.2.2009 – 11 O 762/09, AfP 2009, 177. 640 OLG Hamburg v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, AfP 1995, 665 = NJW 1996, 1151.
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VI. Einwilligung
Rz. 193 Kap. 7
das Interview auch im Internet verbreitet werden soll. Ob es genügt, dass der Sender insoweit eine entsprechende Kenntnis des Interviewten voraussetzen konnte, ist fraglich. Eine erteilte Einwilligung ist grundsätzlich eng auszulegen entsprechend der konkreten 191 Zweckbestimmung641; bei „heiklen“ Fotos, insbesondere Aufnahmen sexuellen Charakters, ist die gegenständliche und zeitliche Reichweite der Einwilligung zur Veröffentlichung besonders eng auszulegen642. Zur Feststellung des Umfangs der Einwilligung in sachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht kann wegen desselben Schutzgedankens auf die urheberrechtliche Übertragungszweck-Regel zurückgegriffen werden643. Dies bedeutet, dass im Allgemeinen nur die Rechte stillschweigend eingeräumt sind, die für das Erreichen des Vertragszwecks unerlässlich sind644. Dagegen kann die Einräumung von über den Vertragszweck hinausgehenden Rechten nur angenommen werden, wenn ein dahingehender Parteiwille – und sei es nur aufgrund der Begleitumstände, des schlüssigen Verhaltens der Beteiligten oder einer Branchenübung – unzweideutig zum Ausdruck gekommen ist645. c) Bildnisse im Arbeitsverhältnis Oft präsentieren Unternehmen ihre Mitarbeiter für Zwecke des Unternehmens – z.B. im 192 Werksausweis, in Werbematerialien, auf der Website des Unternehmens oder im Intranet – im Bild. Dabei handelt es sich entweder um Aufnahmen, mit denen ein individueller Mitarbeiter im Bild vorgestellt wird oder um Bildnisse einzelner oder mehrerer Mitarbeiter oder der Belegschaft, die zur bildlichen Illustration des Unternehmens eingesetzt werden. Die dazu im Arbeitsverhältnis erforderliche Einwilligung des Mitarbeiters bedurfte dabei abweichend von § 22 KUG nach der – abzulehnenden – Ansicht des BAG der Schriftform des § 4a Abs. 1 Satz 3 BDSG a.F. (zu BDSG a.F., DSGVO und BDSG 2018 vgl. Rz. 117 ff.). Nach Auffassung des BAG musste die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung eines Arbeit- 193 nehmers zur Veröffentlichung seines Bildnisses im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Arbeitgebers wie beispielsweise auf dessen Homepage schriftlich erfolgen646. Denn ein Bildnis, auf dem eine Person erkennbar ist, gibt Auskunft über das Aussehen dieser Person und gehört daher zu den personenbezogenen Daten i.S.v. § 3 Abs. 1 BDSG a.F. (vgl. dazu Rz. 117)647. 641 OLG Köln v. 5.11.2013 – 15 U 44/13, AfP 2013, 151; OLG Hamburg v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, AfP 1995, 665 = NJW 1996, 1151; OLG Zweibrücken, AfP 1999, 362; Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 127. 642 OLG Celle v. 24.3.1999 – 13 U 188/98, OLGReport Celle 1999, 378. 643 OLG Köln v. 5.11.2013 – 15 U 44/13, AfP 2013, 151; v. 28.5.1999 – 6 W 15/99, ZUM-RD 1999, 444, 445 – Werbefoto; KG v. 28.8.98 – 25 U 7198/97, ZUM-RD 1998, 554; OLG Hamburg v. 22.9.1994 – 3 U 106/94, AfP 1995, 508 = ZUM 1995, 637; LG München v. 19.5.2005 – 7 O 22025/04, ZUM 2006, 937; Soehring/Hoene, § 19 Rz. 46a; Schertz in Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rz. 21; HH-Ko/MedienR/Kröner, 34/27; Götting in Schricker/Loewenheim, §§ 60/22 ff. KUG Rz. 16; Frömming/Peters, NJW 1996, 958, 959; Prinz/Peters, Rz. 837. 644 BGH v. 29.4.2010, ZUM-RD 2010, 529 – Restwertbörse; BGH v. 22.4.2004 – I ZR 174/01, ZUM 2004, 830 – Comic Übersetzungen III. 645 Vgl. BGH v. 22.1.1998 – I ZR 189/95, NJW 1998, 3716 – Comic-Übersetzungen. 646 BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13, MDR 2015, 1082 = AfP 2015, 358 = CR 2015, 453 m. Anm. Werkmeister/Schröder = ITRB 2015, 133 = NJW 2015, 2140. 647 Vgl. EuGH v. 11.12.2014 – C 212/13, GRUR-Int. 2015, 293 Rz. 22; OVG Niedersachsen v. 29.9.2014 – 11 LC 114/13, CR 2015, 39 = ITRB 2014, 273 = NJW 2015, 502; OLG Koblenz v. 20.5.2014 – 3 U 1288/13, ZUM 2015, 58, 61; Schnabel, ZUM 2008, 657, 660 f.; Renner, ZUM 2015, 608.
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Kap. 7 Rz. 194
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
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Bezüglich der Nutzungsrechte des Arbeitgebers an solchen Bildnissen von Mitarbeitern insbesondere nach deren Ausscheiden war wegen der Dauer der Nutzungsberechtigung648 und einem Widerruf der erteilten Einwilligung649 danach zu unterscheiden, ob es sich um eine Werbung des Arbeitgebers handelt, bei der individuelle Mitarbeiter vorgestellt werden sollen, oder ob das Bildnis des Mitarbeiters lediglich zur Illustration des Unternehmens dient.
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Am 25.5.2018 wurde das BDSG a.F. durch die DSGVO, die Datenschutz-Grundverordnung VO/EU 2016/679, ersetzt. Nach der Definition von Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind „personenbezogene Daten“ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Bildnisse von „Beschäftigten“ im Beschäftigungsverhältnis richtet sich seit dem 25.5.2018 nach § 26 BDSG 2018. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber von der Öffnungsklausel des Art. 88 Abs. 1 DSGVO Gebrauch gemacht. Danach können die Mitgliedstaaten durch Rechtsvorschriften Kollektivvereinbarungen (z.B. Betriebsvereinbarungen) spezifischere Vorschriften für die Verarbeitung personenbezogener Daten von Beschäftigten im Kontext ihrer Beschäftigung vorsehen. Soweit § 26 BDSG 2018 keine Regelungen enthält, gelten auch im Beschäftigungsverhältnis die Bestimmungen der DSGVO. Dabei werden sämtliche Vorgänge wie das Erheben, das Erfassen, die Speicherung, die Verwendung, die Übermittlung, die Verbreitung etc. zum Begriff „Verarbeitung“ zusammengefasst (Art. 4 Nr. 2 DSGVO). Während das KUG nur das Veröffentlichen der Mitarbeiteraufnahmen regelte und sich die Zulässigkeit einer Anfertigung nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht § 823 Abs. 1 BGB richtet, gilt somit § 26 BDSG 2018 auch für das Anfertigen und die Veröffentlichung der Aufnahmen. Der Kreis der betroffenen Beschäftigten ist in § 26 Abs. 8 BDSG 2018 definiert.
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Der Beschäftigte muss seine Einwilligung in die Verbreitung seiner Daten freiwillig erteilt haben (§ 26 Abs. 2 Satz 1 BDSG 2018). Freiwilligkeit kann insbesondere vorliegen, wenn für die beschäftigte Person ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteil erreicht wird oder Arbeitgeber und beschäftigte Person gleichgelagerte Interessen verfolgen (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BDSG 2018). Die Gesetzesbegründung nennt hierfür als Beispiele die Nutzung eines Bildnisses im Intranet oder Aufnahmen vom „Zusammenwirken im Sinne eines betrieblichen Miteinander“ wie z.B. Bildnisse von Beschäftigten, die bei Firmenveranstaltungen aufgenommen wurden650. Die Einwilligung bedarf der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist (§ 26 Abs. 2 Satz 3 BDSG 2018). Das Schriftformerfordernis soll die informationelle Selbstbestimmung der Beschäftigten absichern, gleichzeitig wollte der Gesetzgeber damit die Dokumentationspflicht des Arbeitgebers nach Art. 7 DSGVO konkretisieren651. Von dem Schriftformerfordernis kann abgewichen werden, soweit wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist. Eine Abweichung von der Schriftform soll z.B. dann angemessen sein, wenn es um das Einstellen von Fotos oder sonstigen Beiträgen im Firmen-Intranet (der offiziellen Firmen-Internetseite) oder in firmeninternen sozialen Netzwerken geht, wo die Einwilligung unmittelbar vor dem Hochladen bspw. durch Anklicken eines
648 LAG Hessen v. 24.1.2012 – 19 SaGa 1480/11, ZUM-RD 2012, 491. 649 BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13, NJW 2015, 2140, 2142 = AfP 2015, 358 = CR 2015, 453; LAG Hessen v. 24.1.2012 – 19 SaGa 1480/11, ZUM-RD 2012, 491 zum Widerruf der von einer Rechtsanwältin erteilten Einwilligung zur Veröffentlichung ihres Bildnisses auf der Homepage der Sozietät. 650 BT-Drucks. 18/11325, S. 96. 651 BT-Drucks. 18/11325, S. 96.
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VI. Einwilligung
Rz. 198 Kap. 7
entsprechenden Einwilligungsfeldes erfolgt. In weiteren Fällen dürfte eine einfache Einwilligung per E-Mail genügen652. Eine mündliche Einwilligung soll nicht möglich sein653. Im Übrigen gilt für die Einwilligung Art. 7 DSGVO. Der Verantwortliche muss nachweisen 197 können, dass der Betroffene in die Verarbeitung seiner Daten eingewilligt hat (Art. 7 Abs. 1 DSGVO). Das bedeutet jedoch keine Dokumentationspflicht654. Denn die Einwilligung kann auch auf andere Weise als durch eine Urkunde bewiesen werden, beispielsweise durch einen Zeugen. Erfolgt die Einwilligung durch eine schriftliche Erklärung, die noch andere Sachverhalte betrifft, so muss das Ersuchen um Einwilligung in verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache so erfolgen, dass es von den anderen Sachverhalten klar zu unterscheiden ist. Teile der Erklärung sind dann nicht verbindlich, wenn sie einen Verstoß gegen die DSGVO darstellen (Art. 7 Abs. 2 DSGVO). Es muss sich um eine „informierte Einwilligung“ handeln. Der Mitarbeiter muss daher über Zweck, Art und Umfang der geplanten Nutzung seines Bildnisses in Textform informiert werden (§ 26 Abs. 2 Satz 4 BDSG 2018). Dies entspricht den Anforderungen der Rechtsprechung an eine informierte Einwilligung i.S.v. § 22 KUG (vgl. Rz. 163). Der Arbeitnehmer kann seine Einwilligung auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses begrenzen. 198 Wird keine solche Begrenzung vereinbart, ist für die Frage einer stillschweigenden Begrenzung der Dauer nach der Übertragungszweck-Regel (Rz. 191) nach dem Verwendungszweck des Bildnisses zu unterscheiden: Hat das Bild Bezug zu einem individuellen Mitarbeiter, beispielsweise weil er den Kunden als besonders kompetent und erfahren im Bild vorgestellt wird, ist die Einwilligung zeitlich auf die Dauer der Beschäftigung beschränkt. Werden beispielsweise Fotos von anwaltlichen Mitarbeitern einer Anwaltssozietät auf der Homepage der Kanzlei veröffentlicht, um die Mitarbeiter, ihr Tätigkeitsgebiet, ihre Erfahrung und Kompetenz vorzustellen, dient die Präsentation des Mitarbeiters zwar auch der Werbung für die Anwaltssozietät, hat jedoch in erster Linie einen Bezug zu dem individuellen Mitarbeiter. Die Einwilligung des Betroffenen in die Veröffentlichung seines Bildnisses gilt daher nur für die Dauer seiner Beschäftigung, falls nichts anderes vereinbart wurde655. Eine Aufnahme ist daher unverzüglich nach dem Ausscheiden des Abgebildeten zu entfernen, ohne dass der ausgeschiedene Mitarbeiter dies verlangen müsste. Die weitere Veröffentlichung des Fotos des ausgeschiedenen Mitarbeiters wäre zudem gegebenenfalls eine wettbewerbswidrige Irreführung nach §§ 3, 5 UWG. Das Unterlassen der weiteren Verbreitung der Aufnahme könnte jedoch mangels Aktivlegitimation nach § 8 UWG nicht der ausgeschiedene Mitarbeiter geltend machen, sondern nur die Wettbewerber des Arbeitgebers und die weiteren in § 8 UWG genannten Anspruchsberechtigten, es sei denn, der Mitarbeiter tritt nach seinem Ausscheiden als Wettbewerber des ehemaligen Arbeitgebers auf. Ist die Aufnahme dagegen nicht speziell auf den konkreten Mitarbeiter bezogen, sondern dient nur der Illustration des Unternehmens, ist die vom Mitarbeiter erteilte Einwilligung nach ihrem Zweck (Rz. 191 – Übertragungszweck) zeitlich nicht von vornherein auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses begrenzt und endet deshalb nicht automatisch durch Zeitablauf mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn nicht etwas anderes ausdrücklich vereinbart wurde. Vielmehr reicht die Einwilligung zur Verwendung von Belegschaftsfotos über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
652 653 654 655
Paal/Pauly/Gräber/Nolden, 2. Aufl. 2018, § 26 BDSG Rz. 35. Paal/Pauly/Gräber/Nolden, 2. Aufl. 2018, § 26 BDSG Rz. 37. A.A. Paal/Pauly/Gräber/Nolden, 2. Aufl. 2018, § 26 BDSG Rz. 34. LAG Hessen v. 24.1.2012 – 19 SaGa 1480/11, ZUM-RD 2012, 491.
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Kap. 7 Rz. 199
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
hinaus656. Daher muss der Mitarbeiter nach seinem Ausscheiden ausdrücklich erklären, dass der Arbeitgeber sein Foto nicht weiterverwenden darf657. Das sofortige Entfernen der Aufnahme kann nicht verlangt werden658. Solche bloßen Illustrationszwecke von Belegschaftsaufnahmen ohne Bezugnahme auf die individuelle Person des Mitarbeiters sind beispielsweise anzunehmen bei der Abbildung eines Arbeitnehmers auf einem Gruppenbild zusammen mit weiteren 30 Kollegen der Belegschaft in einem Werbefilm des Arbeitgebers, den dieser für die Öffentlichkeitsarbeit zur Darstellung auf der Homepage des Unternehmens im Internet herstellen ließ659, oder bei einvernehmlich vom Arbeitgeber zu Werbezwecken gefertigten Fotos, auf denen eine Mitarbeiterin mit den vom Unternehmer vertriebenen Textilien bekleidet ist660, oder bei dem Bildnis einer freundlich in die Kamera lächelnden Mitarbeiterin beim Telefonieren auf der unternehmenseigenen Homepage661. Solche reinen Illustrationszwecke wurden zu Recht auch bejaht bei der Abbildung eines Mitarbeiters in der Probezeit auf einem mit seiner stillschweigenden Einwilligung gefertigten Belegschaftsbild mit ca. weiteren 33 anderen Mitarbeitern in Firmenbekleidung auf der Homepage des Arbeitgebers auf der Seite „Über uns“, mit welchem die Belegschaft als solches – nicht bestimmte einzelne Mitarbeiter – gezeigt wurden mit dem Begleittext „Der Erfolg unseres Unternehmens ist die Summe der Erfolge unserer Mitarbeiter“662. 199
Die Einwilligung kann vom Beschäftigten jederzeit widerrufen werden. Über dieses Widerrufsrecht nach Art. 7 Abs. 3 DSGVO ist der Beschäftigte vom Arbeitgeber aufzuklären (§ 26 Abs. 2 Satz 4 BDSG 2018). Durch den Widerruf der Einwilligung wird die Rechtmäßigkeit der aufgrund der Einwilligung bis zum Widerruf erfolgten Verarbeitung nicht berührt. Der Mitarbeiter wird vor Abgabe seiner Einwilligung hiervon in Kenntnis gesetzt. Der Widerruf der Einwilligung muss so einfach wie die Erteilung der Einwilligung sein (Art. 7 Abs. 3 DSGVO). Der Widerruf ist demnach auch formlos möglich, wenn die Einwilligung formlos erteilt wurde. Dem Recht zum Widerruf der Einwilligung können vertragliche Vereinbarungen entgegenstehen, z.B. wenn die Verwertung des Bildnisses des Beschäftigten gegen Honorar oder eine andere Gegenleistung vertraglich vereinbart war. Dann kann die Einwilligung nicht einseitig vom Beschäftigten rückgängig gemacht werden663.
200
Nach Art. 17 Abs. 1 lit. DSGVO sind personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, wenn die Verarbeitung sich auf eine Einwilligung stützt und diese widerrufen wurde und es an einer anderweitigen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung fehlt. Für eine solche anderweitige Rechtsgrundlage für eine Nutzungsberechtigung kommt ein zwischen dem Mitarbeiter und dem Unternehmen geschlossener Vertrag infrage (Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO). In solchen Verträgen können anstelle eines Widerrufsrechts das Recht zur Kündigung der Bildnisnutzung vereinbart werden sowie Voraussetzungen und Fristen für eine Löschung bzw. ein Unterlassen
656 BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13, NJW 2015, 2140, 2142 = AfP 2015, 358 = CR 2015, 453 Rz. 36 – Einwilligung des Arbeitnehmers in die Veröffentlichung eines Firmenvideos; LAG Mainz v. 30.11.2012 – 6 Sa 271/12, ZUM 2013, 699; LAG Köln v. 10.7.2009 – 7 Ta 126/09, ITRB 2010, 155 = K&R 2010, 144; LAG Schleswig-Holstein v. 23.6.2010 – 3 Sa 72/10, K&R 2011, 69. 657 LAG Schleswig-Holstein v. 23.6.2010 – 3 Sa 72/10, K&R 2011, 69. 658 LAG Köln v. 10.7.2009 – 7 Ta 126/09, ITRB 2010, 155 = K&R 2010, 144. 659 BAG 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13, NJW 2015, 2140, 2142 = AfP 2015, 358 = CR 2015, 453. 660 LAG Schleswig-Holstein v. 23.6.2010 – 3 Sa 72/10, K&R 2011, 69. 661 LAG Köln v. 10.7.2009 – 7 Ta 126/09, ITRB 2010, 155 = K&R 2010, 144. 662 LAG Mainz v. 30.11.2012 – 6 Sa 271/1, ZUM 2013, 699. 663 Gola, Datenschutzgrundverordnung, 2017, Art. 7 DSGVO Rz. 57.
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VI. Einwilligung
Rz. 202 Kap. 7
weiterer Nutzung des Bildnisses. Dabei sind etwaige Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO zu beachten. Wurde kein Vertrag geschlossen, sondern beruht die Rechtmäßigkeit der Bildnisnutzung nur 201 auf der erteilten Einwilligung, stellt sich die Frage, ob gem. Art. 17 Abs. 1 lit. b DSGVO der Mitarbeiter die unverzügliche Löschung verlangen und der Unternehmer die unverzügliche Löschung zu bewerkstelligen hat. Nach § 121 BGB bedeutet unverzüglich „ohne schuldhaftes Zögern“. Die englische und die französische Fassung der DSGVO sind hier weniger strikt als die deutsche Übersetzung: In der englischen Fassung der DSGVO wird eine Löschung „without undue delay“ verlangt, also eine Löschung ohne unangemessene oder ungerechtfertigte Verzögerung, die französische Fassung verlangt für die Löschung „les meilleurs delais“, also so rasch wie möglich. Trotz der deutschen Formulierung „unverzüglich“ sollte daher die Frage, ob nach einem erklärten Widerruf das Bildnis des Beschäftigten vom Arbeitgeber sofort oder nach einer angemessenen Umstellungsfrist entfernt werden muss, im Rahmen des vertraglichen Rücksichtnahmegebots (§ 241 Abs. 2 BGB) aufgrund der Umstände des Einzelfalls durch eine Abwägung unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit des Verlangens ermittelt werden. Auf der Seite des Arbeitsgebers steht sein Interesse zur Veröffentlichung der Information und das wirtschaftliche Interesse an einer kostendeckenden Verwertung der ihm durch die Erstellung der Homepage oder des Prospekts entstandenen Produktionskosten. Auf der Seite des Arbeitnehmers, der in die Nutzung seines Bildnisses eingewilligt hat, steht sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das bei oder anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses neue Entscheidungskoordinaten bekommen haben kann, aber nicht bekommen haben muss664. Auf Seiten des Beschäftigten können dabei analog § 23 Abs. 2 KUG berechtigte Interessen des Mitarbeiters herangezogen werden, die der Veröffentlichung seines Bildnisses entgegenstehen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob es sich um Belegschaftsaufnahmen zur Illustration des Unternehmens ohne Bezugnahme auf die individuelle Person des Mitarbeiters handelt oder ob die Aufnahme einen Bezug zu einem individuellen Mitarbeiter hat beispielsweise deshalb, weil er den Kunden als besonders kompetent und erfahren im Bild vorgestellt wurde. Im letzteren Fall wird man verlangen können, dass die Aufnahme unverzüglich entfernt wird665. Dagegen wird man dem Unternehmer eine angemessene Umstellungsfrist zugestehen müssen, wenn das Bildnis mit dem Beschäftigten nur der Illustration des Unternehmens diente wie beispielsweise bei der Abbildung eines Arbeitnehmers auf einem Gruppenbild zusammen mit weiteren 30 Kollegen der Belegschaft, in einem Werbefilm des Arbeitgebers für die Öffentlichkeitsarbeit zur Darstellung auf der Homepage des Unternehmens im Internet666, bei einvernehmlich vom Arbeitgeber zu Werbezwecken gefertigten Fotos, auf denen eine Mitarbeiterin mit den vom Unternehmer vertriebenen Textilien bekleidet ist667 oder bei dem Bildnis einer freundlich in die Kamera lächelnden Mitarbeiterin beim Telefonieren auf der unternehmenseigenen Homepage668. d) Sonstige Einschränkungen Die Verbreitung von Bildnissen in negativem Kontext braucht grundsätzlich nicht beson- 202 ders ausgeschlossen zu werden. So ist es unzulässig, ein Werbefoto zu Zwecken politischer 664 665 666 667 668
BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13, NJW 2015, 2140, 2142 = AfP 2015, 358 = CR 2015, 453. LAG Hessen v. 24.1.2012 – 19 U 1480/11, NJW 2012, 32. BAG v. 19.2.2015 – 8 AZR 1011/13, ZUM-RD 2016, 208. LAG Schleswig-Holstein v. 23.6.2010 – 3 Sa 72/10, K & R 2011, 69. LAG Köln v. 10.7.2009 – 7 Ca 126/09, ITRB 2010, 155 = K&R 2010, 144 und LAG Mainz v. 23.11.2012 – 6 Sa 271/1, ZUM 2013, 699.
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Kap. 7 Rz. 203
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Propaganda zu verwenden, wenn dadurch der Eindruck entsteht, die Abgebildete engagiere sich für diese Partei, obschon sie einer anderen angehört669. Auch wenn sich jemand in der äußeren Aufmachung eines Arztes hat abbilden lassen, bedeutet das nicht ohne weiteres, er sei mit einer Veröffentlichung einverstanden, die den Eindruck erweckt, er habe innerhalb der Rubrik „Die intime Sprechstunde“ Ratschläge erteilt670. Hat sich jemand als Straßenpassant einem Interview zu Sexfragen gestellt, braucht er es nicht hinzunehmen, dass die Aufnahmen in dem Kinofilm „Stellungen“ erscheinen. Demgegenüber soll nach Auffassung des LG Nürnberg-Fürth das Einverständnis eines auch als Maklerin tätigen Mannequins mit der Verbreitung eines Halbaktes das Verbreitungsrecht im Zusammenhang mit einer Darstellung des Zusammenbruches einer Unternehmensgruppe einschließen671. 5. Anfechtung und Widerruf 203
Die Möglichkeit der Anfechtung richtet sich nach §§ 119 ff. BGB. Denkbar sind insbesondere ein Erklärungsirrtum (der Abgebildete glaubt, für eine Wirtschaftssendung gefilmt zu werden; in Wirklichkeit handelt es sich um ein Satiremagazin) oder ein Eigenschaftsirrtum (z.B. Irrtum über den Verbreitungsgrad einer Veröffentlichung). Keine Irrtumsanfechtung kommt z.B. in Betracht, wenn der Einwilligende hinsichtlich Anlass, Zweck oder Art der geplanten Veröffentlichung falsche Vorstellungen hatte; hierin ist ein bloßer Motivirrtum zu sehen. Hat der Fotograf die Einwilligung erschlichen oder hat er den Abgebildeten sonst getäuscht, kommt eine Anfechtung nach § 123 BGB in Betracht, beispielsweise wenn dem Abgebildeten eine positive Berichterstattung vorgespiegelt wird, in Wirklichkeit aber ein „Verriss“ geplant ist672. Wird einer bekannten Sportlerin vorgespiegelt, ihre Unterschrift auf einem Schriftstück diene nur der Erlangung von Fördergeldern für ihre Film-Biographie, während in Wirklichkeit die Betroffene mit ihrer Unterschrift erklärt, dass sie auf eine Vergütung verzichtet, kann die Vereinbarung nach § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten und Schadensersatz wegen schuldhafter Verletzung des Rechts am eigenen Bild verlangt werden673.
204
Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Einwilligung widerrufen werden kann, ist umstritten und häng von der Rechtsnatur ab, die man der Einwilligung nach § 22 KUG beimisst (vgl. Rz. 158). Zulässig ist der Widerruf einer Einwilligung jedenfalls, wenn er vertraglich vereinbart wurde wie z.B. für den Fall des Nichtgefallens eines Bildnisses674 oder im Arbeitsvertrag das Recht zum Widerruf der vom Arbeitnehmer erteilten Einwilligung zur Veröffentlichung seines Bildnisses durch den Arbeitgeber auf dessen Homepage zur Visualisierung als Ansprechpartner oder zu Repräsentationszwecken675. Zum Widerruf der Einwilligung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne vertraglich vereinbartes Widerrufsrecht vgl. Rz. 199. Auch wenn man mit der herrschenden Lehre die Einwilligung als rechtsgeschäftliche Willenserklärung ansieht, sind die dafür im BGB vorgesehenen Widerrufsregelungen in § 183 BGB zur adäquaten und vor allem rechtssicheren Lösung der spezifisch bildrechtlichen Fragen sowohl für den Abgebildeten als auch den Bildnisverwerter in anderen Fällen als dem vertraglich vereinbarten Widerrufsrecht ungeeignet, zumal ein Widerruf der Einwilligung gem. 669 BGH v. 27.11.1979 – VI ZR 148/78, MDR 1980, 301 = AfP 1980, 35 = NJW 1980, 994 – Wahlkampfillustrierte. 670 OLG Hamburg v. 6.11.1980 – 3 U 80, AfP 1981, 356. 671 LG Nürnberg-Fürth, ArchPR 1971, 141, zweifelhaft. 672 Frömming/Peters, NJW 1996, 958, 959. 673 OLG Karlsruhe v. 10.9.2010 – 6 U 35/10, AfP 2010, 591 – Königin im Ring. 674 LG Hamburg v. 19.2.2002 – 3240 280/01 – Sabrina Setlur. 675 ArbG Frankfurt/M. v. 20.4.2012 – 7 Ca 1649/12, ZUM-RD 2013, 101.
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von Strobl-Albeg
VI. Einwilligung
Rz. 205 Kap. 7
§ 183 BGB nur vor der Veröffentlichung eines Bildnisses möglich wäre. Auch bedarf es für einen Widerruf nach § 183 BGB keines Grundes; vielmehr ist eine Einwilligung nach § 183 BGB grundsätzlich frei widerruflich, soweit sich nicht aus dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis etwas anderes ergibt. Eine freie Widerruflichkeit i.S.v. § 183 BGB scheidet nicht nur dann aus, wenn die Einwilligung in Form einer einseitigen Erklärung geäußert wurde, sondern auch dann, wenn die Einwilligung in vertraglicher Form erfolgte, dabei aber kein Widerrufsrecht vereinbart wurde.676. Aber auch wenn dogmatisch eine Einwilligung nach § 22 KUG keine solche i.S.d. § 182 BGB ist, muss im Einzelfall ein Widerruf zugelassen werden677. Schon das allgemeine Persönlichkeitsrecht lässt eine unwiderrufliche Bindung an die Einwilligungserklärung nicht zu678. Der persönlichkeitsrechtliche Charakter des Rechts am eigenen Bild legt es nahe, eine Parallele zum Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung nach § 42 UrhG zu ziehen sowie zu § 35 VerlG, der ein Rücktrittsrecht wegen unvorhersehbarer Umstände vorsieht679. Nach § 42 Abs. 1 UrhG kann der Urheber ein Nutzungsrecht gegenüber dem Inhaber zurückrufen, wenn das Werk nicht mehr seiner Überzeugung entspricht und ihm deshalb die Verwendung des Werkes nicht mehr zugemutet werden kann. Wegen des persönlichkeitsrechtlichen Charakters des Rechts am eigenen Bild und zum notwendigen Schutz vor einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts kann in Analogie zu § 42 Abs. 2 UrhG auf den Widerruf nicht im Voraus verzichtet und seine Ausübung nicht ausgeschlossen werden. Für einen Widerruf der Einwilligung vor einer Verbreitung des Bildnisses kann auch der Rechtsgedanke des § 35 VerlG herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift ist bis zum Beginn der Vervielfältigung der Verfasser berechtigt, vom Verlagsvertrag zurückzutreten, wenn sich Umstände ergeben, die bei Abschluss des Vertrages nicht vorauszusehen waren und den Verfasser bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles von der Herausgabe des Werkes zurückgehalten haben würden (§ 35 Abs. 1 VerlG). Ein Widerruf bedingt bei einer Wandlung der Persönlichkeit, dass sich seit der erteilten Einwilligung die innere Einstellung des Betroffenen grundlegend geändert hat680. Dies muss der Betroffene beweisen681. Fraglich ist, ob in analoger Anwendung von § 42 Abs. 3 UrhG der Widerrufende eine angemessene Entschädigung zu bezahlen hat oder in analoger Anwendung des § 122 BGB nur den Ersatz des Vertrauensschadens682. In Anbetracht der Gleichartigkeit der Widerrufsvoraussetzungen mit den Rückrufsvoraussetzungen ist auch eine Analogie der Rechtsfolgen und damit grundsätzlich eine Anwendung des § 42 Abs. 3 UrhG angebracht683. Nach Auffassung des OLG München684 ist der Widerruf einer Einwilligung in die Bildnis- 205 veröffentlichung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich685. Die Einwilligung in die Veröffentlichung des Bildnisses sei insoweit als Dauerschuldverhältnis anzusehen, als der
676 OLG München v. 17.3.1989 – 21 U 4729/88, AfP 1989, 570 = NJW-RR 1990, 999 – Dolly Dollar. 677 OLG Köln, JMBlNRW 1969, 119 = ArchPR 1969, 118; LG Hamburg v. 4.7.1969 – 74 O 45/69 ArchPR 1969, 119. 678 OLG München v. 17.3.1989 – 21 U 4729/88, AfP 1989, 570 = NJW-RR 1990, 999 – Dolly Dollar. 679 OLG München v. 17.3.1989 – 21 U 4729/88, AfP 1989, 570 = NJW-RR 1990, 999; LG Oldenburg v. 21.4.1988 – 5 S 1656/87, GRUR 1988, 694 – Grillfest; LG Köln v. 9.3.1989 – 28 O 134/89, AfP 1989, 766; Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 118. 680 Frömming/Peters, NJW 1996, 958. 681 LG Köln v. 20.12.1995 – 28 O 406/95, AfP 1996, 186 – Widerruf bei Aktaufnahmen. 682 So AG Charlottenburg v. 21.2.2002 – 204 C 574/01, ZUM-RD 2002, 221; Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 127; Damm/Rehbock, Rz. 157. 683 Ebenso Wandtke/Bullinger, § 22 KUG Rz. 20 und Frömming/Peters, NJW 1996, 959. 684 OLG München v. 17.3.1989 – 21 U 4729/88, AfP 1989, 570 = NJW-RR 1990, 999 – Dolly Dollar. 685 Vorliegen „gewichtiger Gründe“ Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 127.
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Kap. 7 Rz. 206
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
Abgebildete mit der Einwilligung auf zukünftige Unterlassungsansprüche verzichtet hat. Das OLG München hat deshalb die allgemeinen Grundsätze über die Widerruflichkeit von Dauerschuldverhältnissen bei Vorliegen eines wichtigen Grundes herangezogen (§§ 626, 723 BGB analog). Diesen unbestimmten Rechtsbegriff will es durch entsprechende Anwendung der §§ 42 UrhG, 35 VerlG ausfüllen. Nichts anderes würde nach Auffassung des Gerichts aus einer Anwendung der Grundsätze über den Wegfall oder die Veränderung der Geschäftsgrundlage bei Dauerschuldverhältnissen folgen: § 313 BGB sieht eine Vertragsanpassung bei einer schwerwiegenden Änderung der Geschäftsgrundlage nach Vertragsschluss vor, wenn ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann und als ultimo ratio die Kündigung, falls eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist (§ 313 Abs. 3 BGB). Zusätzlich kann eine Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Abgebildeten mit den Interessen des Verwerters gleichfalls zu einer Kündigungsmöglichkeit führen686. Wird ein anwaltlicher Mitarbeiter mit seiner Einwilligung auf der Homepage einer Anwaltskanzlei im Bild vorgestellt und ist die dazu von ihm erteilte Einwilligung nicht auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses beschränkt (Rz. 189 zeitliche Befristung), soll ihm sein Ausscheiden einen gewichtigen Grund geben, seine Einwilligung zu widerrufen687. 206
Richtiger Auffassung nach besteht das Recht zu einem ex nunc wirkenden Widerruf688 immer dann, wenn die Weiterverwendung des Fotos in einer für den Betroffenen nicht zumutbaren Weise persönlichkeitsverletzend wäre. Das Vorliegen veränderter Umstände, nach denen es dem Betroffenen nicht mehr zumutbar ist, an einer einmal gegebenen Einwilligung festgehalten zu werden, liegt insbesondere vor, wenn einer der Partner intime Lichtbilder des anderen oder des Paares, die während der Liebesbeziehung mit der Einwilligung des anderen gefertigt wurden, nach Beendigung der Beziehung verwendet. Die Bedeutung des Persönlichkeitsrechts gebietet es in solchen Fällen, dem Betroffenen ein Widerrufsrecht zu gewähren689. Wenn eine 17-jährige Schülerin am Meer von sich ein Busenfoto hat anfertigen lassen und sie dem Berufsfotografen die kommerzielle Verwendung gestattet hat, kann sie die Einwilligung drei Jahre später widerrufen, wenn das Foto für das Titelblatt eines Reiseprospektes verwendet werden soll, sie aber z.B. wegen neuer Partnerbindung ihre frühere Freizügigkeit inzwischen aufgegeben hat690. Der bloße „Wunsch“ einer 27-jährigen Schauspielerin, von der es Aktbilder aus ihren Filmen „waggonweise“ gibt, zukünftig in das ernste Fach zu wechseln, reicht nicht aus, ein zwei Jahre zuvor erklärtes Einverständnis mit der Verbreitung solcher Fotos zu widerrufen691. Auch wenn subjektiv ein Überzeugungswandel vorläge, muss für ein Widerrufsrecht hinzukommen, dass die Verbreitung des Bildnisses darüber hinaus für den Abgebildeten unzumutbar ist (§ 42 Abs. 1 Satz 1 UrhG). Der österreichische OGH hat den Widerruf der Einwilligung eines Geigers in die weitere Verbreitung eines ihn als Primas einer Zigeunerkapelle 686 687 688 689
OLG München v. 17.3.1989 – 21 U 4729/88, AfP 1989, 570 = NJW-RR 1990, 999 – Dolly Dollar. LAG Hessen v. 24.1.2012 – 19 SaGa 1480/11, ZUM-RD 2012, 491. LG Köln v. 20.12.1995 – 28 O 406/95, AfP 1996, 186. OLG Koblenz v. 20.5.2014 – 3 U 1288/13, CR 2014, 665 = ITRB 2014, 177 = ZUM 2015, 58. Hat sich eine Schauspielerin mehrfach als Akt im Playboy ablichten lassen, ist der für einen Widerruf erforderliche Wandel ihrer inneren Einstellung nicht dadurch bewiesen, dass sie nach diesen Veröffentlichungen in ihren Film- und Fernsehverträgen Nackt- oder Oben-ohne-Aufnahmen ausdrücklich ausgeschlossen hat, sich aber gleichzeitig in Interviews positiv über die früheren Aktaufnahmen und über ihre positive Einstellung zur Erotik äußerte (LG Köln v. 20.12.1995 – 28 O 406/95, AfP 1996, 186 – Widerruf bei Aktaufnahmen). 690 Vgl. die abweichende Begründung des OLG Karlsruhe v. 31.3.1983 – 4 U 179/81, FamRZ 1983, 742 und Helle, AfP 1985, 93, 100. 691 OLG München v. 17.3.1989 – 21 U 4729/88, AfP 1989, 570.
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VI. Einwilligung
Rz. 208 Kap. 7
zeigenden Fotos in einem Werbeprospekt für wirksam erklärt, nachdem er Konzertgeiger geworden war692. Dem wäre nach hiesigen Maßstäben nicht zu folgen, da die weitere Verbreitung des Fotos mit der früheren Tätigkeit keine Persönlichkeitsverletzung darstellt, die für einen Konzertgeiger unzumutbar wäre. Das frühere OLG Freiburg hat deshalb demgegenüber gemeint, ein Berufswechsel vom Croupier zum Generalvertreter rechtfertige keinen Widerruf693. Bei Aufnahmen, die anlässlich überrumpelnden Besuchen in der Wohnung – mit oder oh- 207 ne Interview – gemacht werden, gewähren einige Gerichte in Anbetracht einer vergleichbaren Drucksituation in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 312, 355 BGB nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) jedenfalls bei medienunerfahrenen Personen ein Widerrufsrecht694, sofern nicht bereits angesichts der situativen Überrumpelungssituation das Vorliegen einer konkludenten Einwilligung zu verneinen ist (Rz. 168)695. Denn in solchen Fällen besteht die Gefahr, dass wie beim „Haustürgeschäft“ die Einwilligung aufgrund der situativen Überrumpelung erteilt wird. Dem ist zuzustimmen. Bei überrumpelnden Aufnahmen kann ebenso wie bei heimlichem Vorgehen ein besonderer Schutzbedarf des Abgebildeten bestehen696. Jedoch hat ein derartiger Widerruf vor der Ausstrahlung des Beitrags zu erfolgen. Denn in der Regel bleibt dem Interviewten nach Beendigung der Aufzeichnung und der Ausstrahlung genügend Zeit, das Interview – und die Frage, ob und inwieweit das Interview von seiner Einwilligung gedeckt ist – zu überdenken697. Wie beim Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften ist es sachgemäß, nicht nur den gesamten räumlichen Wohnbereich in den Schutz einzubeziehen, sondern auch Hauseingang, Hausflur, Garten und andere zur Wohnung gehörige Anlagen wie Garagen, Gartenhäuser usw., weil der Betroffene sie zu seinem Rückzugsbereich der Privatsphäre zählt und er sich an solchen Orten Aufnahmen nicht durch Weggehen entziehen kann698. Die für den Widerruf des Einverständnisses mit der Bildnisverbreitung entwickelten Grund- 208 sätze können entsprechend auch auf Interviews angewendet werden, insbesondere auf Fernsehinterviews699. Bei nicht vereinbarten, überraschenden Interviews wird eine konkludent erteilte Einwilligung bejaht, wenn der Betroffene ihm gestellte Fragen beantwortet (vgl. Rz. 168). Er muss berechtigt sein, diese Einwilligung in die Verbreitung der Aufnahmen frei zu widerrufen, also auch dann, wenn die Verbreitung der Aufnahmen nicht in einer unzumutbaren Weise persönlichkeitsverletzend wäre. Das gebietet die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts. Das berechtigte Informationsinteresse der Medien und Bildnisverwerter wird gewahrt, weil trotz eines Widerrufs eine Veröffentlichung der Aufnahmen erfolgen kann, wenn die Voraussetzungen des § 23 KUG erfüllt sind. Dagegen ist bei abgesprochenen Interviews ein Einverständnis nicht frei widerruflich, sondern nur, wenn die Ausstrahlung persönlichkeitsverletzend wäre. Das kann auch der Fall sein, wenn andere Fragen gestellt werden als angekündigt und der Interviewte dadurch überrumpelt und dem Publikum „vor692 OGH, ÖBl. 1970, 155. 693 OLG Freiburg v. 11.6.1953 – 2 U 52/53, GRUR 1953, 404. 694 LG Hamburg v. 21.1.2005 – 324 O 448/04, NJW-RR 2005, 1357; LG Köln v. 4.11.2009 – 28 O 251/09, ZUM-RD 2010, 560. 695 LG Hamburg v. 21.1.2005 – 324 O 448/04, NJW-RR 2005, 1357. 696 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 – Bildberichterstattung über das Privatund Alltagsleben prominenter Personen. 697 LG Köln v. 4.11.2009 – 28 O 251/09, ZUM-RD 2010, 560. 698 So zu §§ 312, 355 BGB; BGH v. 10.1.2006 – XI ZR 169/05, MDR 2006, 764 = NJW 2006, 845. 699 LG Köln v. 9.3.1989 – 28 O 134/89, AfP 1989, 766.
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Kap. 7 Rz. 209
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
geführt“ wird. Dagegen besteht kein Recht zum Widerruf, wenn der Interviewte trotz angekündigter Fragen zum vereinbarten Thema das Interview für misslungen hält oder mit dem kritischen Inhalt des Berichts nicht einverstanden ist700. Denn niemand hat Anspruch darauf, von anderen so dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder gesehen werden möchte701. Der Widerruf muss dann aber sogleich erklärt werden, damit das Interview wiederholt werden kann. Auch eine geänderte innere Einstellung nach Aufzeichnung des Interviews kann zum Widerruf berechtigen. Willigt z.B. der Großvater eines Opfers, das bei der Loveparade in Duisburg zu Tode kam, in ein Fernsehinterview ein, um seinen persönlichen Umgang mit der Trauer um den Tod seiner Enkelin öffentlich zu machen, kann er seine Einwilligung widerrufen, wenn nach der Aufzeichnung des Interviews die Mutter des Loveparade-Opfers erklärt, dass sie eine mediale Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Tod ihrer Tochter nicht wünsche und die Löschung der Aufnahmen vor deren Sendung fordert. Vor diesem Hintergrund durfte der Großvater aus Rücksichtnahme auf seine Tochter seine innere Einstellung zum Öffentlichmachen seiner Trauer ändern und seine Einwilligung widerrufen702.
VII. Bilder 1. Das Bild – Abbildung eines Gegenstandes 209
Die Abbildung eines Gegenstandes ist kein Bildnis, sondern ein Bild. Bilder genießen keinen Bildnisschutz nach § 22 KUG. Ob solche Abbildungen hergestellt und verbreitet werden dürfen bzw. woraus sich ein Abwehrrecht ergeben könnte, ist teilweise noch streitig. In Betracht kommen insbesondere urheber-, eigentums-, persönlichkeits-, wettbewerbs- und markenrechtliche Ansprüche. Zur Anwendung datenschutzrechtlicher Vorschriften auf Aufnahmen von Sachen, durch die ein Mensch identifiziert werden kann, vgl. Rz. 117 ff. zu BDSG und DSGVO; wenn die DSGVO auf das Bild anzuwenden ist, bedürfen seine Herstellung und Veröffentlichung einer Berechtigung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f. DSGVO. 2. Fotografieren von Sachen Schrifttum: Gerauer, Der Unterlassungsanspruch des Eigentümers bei gewerblichem Fotografieren, GRUR 1988, 672; Ernst, Zur Panoramafreiheit des Urheberrechts, ZUM 1998, 475; von Gierke, Die Freiheit des Straßenbildes (§ 59 UrhG), FS für Willi Erdmann, 2003, S. 103; Wanckel, Auf dem Weg zum „Recht am Bild der eigenen Sache?“, NJW 2011, 1779; Schabenberger, Mein Schloss, mein Garten, meine Verwertungserlöse? Konsequenzen aus den BGH-Entscheidungen „Preußische Schlösser und Gärten“, GRUR-Prax. 2011, 139; Flöter/Königs, Verletzung des Rechts am grundstücksinternen Bild der eigenen Sache und Schadensberechnung, ZUM 2012, 383.
210
Das ungenehmigte Fotografieren einer Sache und die Verwertung solcher Aufnahmen ist keine nach § 1004 Abs. 1 BGB abwehrbare Beeinträchtigung des Eigentums, wenn dies von allgemein zugänglichen Stellen aus geschieht, und nicht von dem Grundstück aus fotografiert worden ist, auf dem sich das Gebäude oder die Sache befindet703. Dementsprechend wurden 700 OLG Frankfurt v. 24.2.2011 – 16 U 172/10, ZUM-RD 2011, 410. 701 BVerfG v. 14.9.2010 – 1 BvR 1842/07, NJW 2011, 740; v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021; BGH v. 26.10.2010 – VI ZR 230/08, NJW 2011, 744 – Rosenball. 702 LG Düsseldorf v. 27.10.2010 – 12 O 309/10. 703 BGH v. 9.3.1989 – I ZR 54/87, MDR 1989, 966 = AfP 1989, 660 = NJW 1989, 2251 – Friesenhaus; v. 17.12.2010 – V ZR 45/10, AfP 2011, 158 = MDR 2011, 360 = CR 2011, 398 = NJW
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VII. Bilder
Rz. 212 Kap. 7
von den Instanzgerichten die Klagen von Hauseigentümern wegen der kommerziellen Verwertung von Aufnahmen ihres Eigentums von allgemeinen zugänglichen Stellen aus abgewiesen704. Dem Eigentümer stehen Ansprüche auf Unterlassung und Schadenersatz nur dann zu, wenn 211 sein Grundstück betreten wird, um von dort aus Aufnahmen von Gebäuden, Gärten und Kunstwerken anzufertigen, die sich auf dem Grundstück befinden und diese danach zu verwerten705. Da der Grundstückseigentümer darüber entscheidet, wer sein Grundstück betreten darf und zu welchen Bedingungen dies gestattet wird, gehört zum Zuweisungsgehalt des Eigentums auch das Recht darüber zu entscheiden, wer die wirtschaftlichen Vorteile ziehen darf, die das Betreten des Grundstücks eröffnet706. Aber auch dann, wenn der Grundstückseigentümer den Zugang zu privaten Zwecken er- 212 laubt hat, z.B. Besuchern den Besuch seines Schlosses oder Parks, dürfen ohne seine Zustimmung die von seinem Grundstück aus angefertigten Aufnahmen nicht kommerziell verwertet werden707. Über die kommerzielle Verwertung von Aufnahmen, die von seinem Grundstück aus von den darauf befindlichen Gegenständen ausgefertigt werden, entscheidet allein der Grundstückseigentümer708. Es muss kein ausdrückliches Fotografierverbot ausgesprochen worden sein. Besucher eines fremden Grundstücks können grundsätzlich nicht damit rechnen, dass der Eigentümer bereit sei, das Anfertigen von Aufnahmen für kommerzielle Zwecke ohne Entgelt zu gestatten709. Die Fertigung und Veröffentlichung von Filmaufnahmen des Innenbereichs des Kölner Doms zum Zweck des Kundgebungsaufrufs einer politisch aktiven Gruppierung ohne Einwilligung der Eigentümerin der Kathedrale verletzt deren Eigentumsrechte. Die Veranstaltungsfreiheit, die auch das Recht zur Vorbereitung einer Versammlung umfasst, tritt hinter den Interessen der Eigentümerin, deren Selbstverständnis sich durch politische Neutralität auszeichnet, zurück710.
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2011, 749 – Sanssouci; v. 1.3.2013 – V ZR 14/12, CR 2013, 408 = MDR 2013, 666 = NJW 2013, 1809 Rz. 12 ff. – Preußische Gärten und Parkanlagen II; v. 19.12.2014 – V ZR 324/13, NJW 2015, 2037 Rz. 8 – Fotografieren gemeinfreier Gemälde. Wanckel, Rz. 5; LG Freiburg v. 17.1.1985 – 3 S 234/84, GRUR 1985, 545 – Fachwerkhaus als Postkartenmotiv; OLG Bremen v. 27.1.1987 – 1 U 58/86, NJW 1987, 1420 – Friesenhaus in Werbeprospekt für Textilien; LG Oldenburg v. 21.9.1987 – 5 O 2958/87, AfP 1988, 167 – Haus mit Grasdach in redaktionellem Bericht einer Zeitung; OLG München v. 4.12.1986 – 6 U 3911/85, AfP 1988, 45 – Fotoaufnahmen eines Klinikgebäudes zu Werbezwecken; LG Waldshut-Tiengen v. 28.10.1999 – 1 O 200/99, AfP 2000, 101 und VG Karlsruhe v. 1.11.1999 – 2 K 2911/99, NJW 2000, 2222 – Digitale Erfassung von Gebäude-Straße-Ansichten auf CD-ROM mit Gebäudedatenbank. BGH v. 17.12.2010 – V ZR 45/10, AfP 2011, 158 = MDR 2011, 360 = CR 2011, 398 = NJW 2011, 749 Rz. 15 – Sanssouci; v. 20.9.1974 – I ZR 99/73, NJW 1975, 778 – Schloss Tegel; OLG München v. 4.12.1986 – 6 U 3911/85, AfP 1988, 45. BGH v. 19.12.2014 – V ZR 324/13, ZUM 2015, 496 – Fotos alter Meister. BGH v. 17.12.2010 – V ZR 45/10, AfP 2011, 158 = MDR 2011, 360 = CR 2011, 398 = NJW 2011, 749 – Preußische Gärten und Parkanlagen I; v. 9.3.1989 – I ZR 54/87, MDR 1989, 966 = AfP 1989, 660 = NJW 1989, 2251 – Friesenhaus; v. 20.9.1974 – I ZR 99/73, NJW 1975, 778 – Schloss Tegel; OLG Köln v. 25.2.2003 – 15 U 138/02, AfP 2003, 447 = CR 2004, 57 = GRUR 2003, 1066 – Wayang Figuren. BGH v. 1.3.2013 – V ZR 14/12, CR 2013, 408 = MDR 2013, 666 = NJW 2013, 1809 (LS) – Preußische Gärten und Parkanlagen II. BGH v. 20.9.1974 – I ZR 99/73, NJW 1975, 778 – Schloss Tegel; OLG Köln v. 25.2.2003 – 15 U 138/02, AfP 2003, 447 = CR 2004, 57 = GRUR 2003, 1066 – Wayangfiguren. LG Köln v. 20.9.2017 – 28 O 23/17, AfP 2017, 534, n. rkr.
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Kap. 7 Rz. 213
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
213
Das Eigentum gibt dem Eigentümer die Möglichkeit, andere vom Zugang zu der Sache bzw. vor Anblick auf die Sache z.B. durch das Anbringen eines künstlichen oder natürlichen Sichtschutzes auszuschließen711. Das zur Anfertigung und zum Vertrieb von Aufnahmen, die durch Betreten des Grundstücks gefertigt wurden, Gesagte muss daher entsprechend gelten, wenn die Aufnahmen zwar von einer allgemein zugänglichen Stelle oder von einem Nachbargrundstück aus gefertigt wurden, dabei aber ein am Grundstück befindlicher Sichtschutz umgangen wird z.B. durch Luftaufnahmen mittels Flugzeugen oder Drohnen, durch den Einsatz von Leitern oder Hebebühnen zum Überwinden von Hecken, Mauern und Sichtschutzzäunen etc. Auch die Herstellung und Verbreitung so hergestellter Aufnahmen kann der Eigentümer des Grundstücks kraft der Sachherrschaft, die ihm das Eigentum verleiht, untersagen712.
214
Diese Grundsätze gelten nicht nur für Immobilien, sondern auch für andere unbewegliche und bewegliche Sachen und Tiere, wenn die Aufnahmen von öffentlich zugänglichen Plätzen aus gefertigt werden, z.B. Foto einer Segelyacht für die Bewerbung von Ferngläsern713 oder das Foto eines Kalbes, das ein Besucher des Bauernhofs aufgenommen hatte, welches sodann ohne Einwilligung des Eigentümers im Internet zur Werbung für eine Eventagentur veröffentlicht wurde714.
215
Innenaufnahmen von Häusern oder Wohnungen stellen einen Eingriff in die Privatsphäre dar. Das unbefugte Fotografieren einer vermieteten Wohnung durch den Vermieter, um deren Zustand festzuhalten, ist ohne Erlaubnis des Mieters als Eingriff in dessen Persönlichkeitsrecht unzulässig.715. Dies gilt auch für Aufnahmen in anderen privaten Rückzugsbereichen wie z.B. sichtgeschützten Gärten716. Zu Aufnahmen von Personen in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum gem. § 201a StGB vgl. Rz. 56 ff. Ob bereits das Anfertigen solcher Aufnahmen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Bewohners oder Eigentümers verletzt, hängt von den Umständen des Einzelfalls und der anzustellenden Abwägung der widerstreitenden Grundrechte ab (vgl. dazu Rz. 28 ff.). Eine Veröffentlichung solcher Aufnahmen dürfte in der Regel eine unzulässige Verletzung der Privatsphäre darstellen, wenn der Betroffene nicht selbst zuvor durch sein mediales Vorverhalten seine privaten Wohn- und Lebensverhältnisse publik gemacht hat717.
216
Die Herstellung und Verbreitung von Sachfotografien oder Filmaufnahmen von Sachen kann einen Eingriff in die Privatsphäre einer Person bedeuten. Dieser Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist unzulässig, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die anzustellende Abwägung zwischen dem nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutz des Privatlebens einerseits mit den schutzwürdigen Interessen der anderen Seite eine Beein711 BGH v. 9.3.1989 – I ZR 54/87, MDR 1989, 966 = AfP 1989, 660 = NJW 1989, 2251 – Friesenhaus. 712 A.A. für das Fotografieren eines Hausgrundstücks aus der Luft mittels Hubschrauber, weil es insoweit an einer unmittelbaren und fühlbaren Einwirkung auf das Eigentum fehle, OLG Oldenburg v. 12.10.1987 – 13 U 59/87, NJW-RR 1988, 951 und OLG Bremen v. 27.1.1987 – 1 U 58/86, NJW 1987, 1420. 713 LG Hamburg v. 30.4.1993 – 324 O 77/93, AfP 1994, 161. 714 AG Köln v. 22.6.2010 – 111 C 33/10, ITRB 2010, 245. 715 OLG Düsseldorf v. 15.10.1993 – 2 Ss 175/93-65/93 II-2 Ws 214/93, NJW 1994, 1971; AG Frankfurt/M. v. 16.1.1998 – 33 C 2515/97, NJW-RR 1999, 596. 716 Wanckel, Rz. 14. 717 BGH v. 9.12.2003 – VI ZR 373/02, MDR 2004, 507 = AfP 2004, 119 = NJW 2004, 438 – Feriendomizil I.
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VII. Bilder
Rz. 218 Kap. 7
trächtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überwiegt (vgl. dazu Rz. 34 und 38 ff.). Eine solche Verletzung der Privatsphäre ist insbesondere bei Aufnahmen denkbar, die das Innere einer Wohnung oder eines entsprechenden Rückzugsbereichs zeigen sowie bei Außenaufnahmen von Wohngebäuden, die von einer frei zugänglichen Stelle ausgefertigt wurden. Der räumliche Schutzbereich der Privatsphäre umfasst vor allem den räumlich inneren 217 Hausbereich; denn der häusliche Bereich soll stets eine persönliche Rückzugsmöglichkeit gewähren718. Das unbefugte Fotografieren einer vermieteten Wohnung durch den Vermieter, um deren Zustand festzuhalten, ist ohne Erlaubnis des Mieters als Eingriff in dessen Persönlichkeitsrecht unzulässig. Denn es verletzt die Privatsphäre des Mieters719. Unzulässig ist bereits das Herstellen solcher Aufnahmen, nicht erst deren Verbreitung720. Werden Aufnahmen aus dem Inneren eines Wohnhauses oder Wohnraumes in Form eines „virtuellen Rundgangs“ zum Zwecke der Werbung für eine neue Fotografietechnik ohne Einwilligung des Berechtigten angefertigt und im Internet veröffentlicht, bedeutet dies eine rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts entscheidet der Betroffene selbst, wem er in den räumlichen Rückzugsbereich seiner Wohnräume Einblick gewähren will und wem nicht. Für die unzulässige Veröffentlichung solcher Aufnahmen steht dem Betroffenen eine fiktive Lizenzgebühr gem. §§ 812 Abs. 1 Alt. 2, 818 Abs. 2 BGB i.H.v. 2.500 Euro als übliche Vergütung für die Zurverfügungstellung von Wohnräumen für Werbezwecke zu721. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch solche Aufnahmen steht nur demjenigen zu, der durch die verletzende Handlung individuell betroffen ist, also erkennbar zum Gegenstand der Darstellung wurde (vgl. Rz. 30). An der individuellen Betroffenheit des Inhabers des Persönlichkeitsrechts fehlt es, wenn jeglicher Hinweis darauf fehlt, dass es sich gerade um den Wohnraum des Betroffenen handelt und nicht um einen beliebigen anderen Wohnraum. Mangels Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht in solchen Fällen auch kein Anspruch auf Zahlung einer fiktiven Lizenz, wenn die Aufnahmen im Internet zu Werbezwecken verwendet wurden722. Auch Außenaufnahmen von Wohngebäuden, die von frei zugänglichen Standorten aus- 218 gefertigt wurden, können die Privatsphäre ihrer Bewohner tangieren. So stellt es in der Regel einen Eingriff in die Privatsphäre dar, wenn durch Aufnahmen von Wohngrundstücken der räumliche Rückzugsbereich der Betroffenen durch Überwindung von Sichthindernissen mittels des Einsatzes von Leitern, Flugzeugen, Drohnen oder Teleobjektiven ausgespäht wird723. Das BVerfG hat bestätigt, dass Luftbildaufnahmen von Grundstücken und Wohnimmobilien mit Adressangabe und Wegbeschreibungen zu den Objekten unzulässig sind, wenn dadurch Einblick in die räumliche Privatsphäre als einem von öffentlicher Kontrolle und Beobach-
718 BGH v. 9.12.2003 – VI ZR 373/02, MDR 2004, 507 = AfP 2004, 119 = NJW 2004, 762 – Luftbildaufnahmen von Feriendomizilen Prominenter; v. 16.9.1966 – VI ZR 268/64, NJW 1966, 235 – Vor unserer eigenen Tür; vgl. Kap. 8 Rz. 115 m.w.N. 719 OLG Düsseldorf v. 15.10.1993 – 2 Ss 175/93-65/93 II-2 Ws 214/93, NJW 1994, 1971; AG Frankfurt/M. v. 16.1.1998 – 33 C 2515/97, NJW-RR 1999, 596. 720 OLG Düsseldorf v. 15.10.1993 – 2 Ss 175/93-65/93 II-2 Ws 214/93, NJW 1994, 1971. 721 LG Hamburg v. 22.5.2009 – 324 O 791/08, ITRB 2009, 270 = ZUM-RD 2010, 275. 722 AG Donaueschingen v. 10.6.2010 – 11 C 81/10, NJW-RR 2011, 122. 723 BGH v. 9.12.2003 – VI ZR 373/02, MDR 2004, 507 = AfP 2004, 119 = NJW 2004, 762 – Ausspähen von Feriendomizilen durch Luftbildaufnahmen.
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tung freien Rückzugsbereich ermöglicht wird724. Ein Unterlassungsanspruch wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht jedoch nur demjenigen zu, der durch eine mediale Veröffentlichung individuell betroffen ist. Dies setzt voraus, dass er erkennbar zum Gegenstand der Darstellung wurde. Die Erkennbarkeit ist bereits dann gegeben, wenn die Person ohne namentliche Nennung zumindest für einen Teil der Rezipienten aufgrund der dargestellten Umstände hinreichend erkennbar wird725. Die Erkennbarkeit in einem mehr oder minder großen Bekanntenkreis bzw. in der näheren persönlichen Umgebung genügt. Allerdings muss sich aus den mitgeteilten Umständen die Identität für den sachlich interessierten Adressatenkreis ohne weiteres ergeben oder mühelos ermitteln lassen726. Ob beispielweise die Angabe des Wohnortes zu einer individuellen Betroffenheit und zu einer Beeinträchtigung des Wohnobjekts als Rückzugsstätte führt, hängt von den Umständen des konkreten Falls ab wie z.B. der Größe des Ortes. So sah das Kammergericht die Aufnahme eines Hauses, in welchem der Moderator Günter Jauch mit seiner Familie lebte, unter Nennung seines Namens und der Ortsangabe „in Potsdam“ als unzulässigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht an727, ebenso die Angabe „G.’s Luxus-Villa im Berliner Stadtteil Zehlendorf“728. Dagegen wurde die individuelle Betroffenheit verneint, wenn trotz Namensnennung eine Ortsangabe „in Berlin“729, „in Köln“ lautet730. Eine individuelle Betroffenheit mangels hinreichender Erkennbarkeit des konkreten Wohnobjektes wurde auch verneint bei der Veröffentlichung verschiedener Fotos der Innenräume und des Gartens sowie einer detaillierten Beschreibung des Hauses im Internet, jedoch ohne Angabe von Lage und Adresse731. Es genügte auch nicht zur Annahme einer individuellen Betroffenheit, als trotz Angabe des Namens des Bewohners und Abbildung der Immobilie nur Nachbarn und Anwohner sowie deren Besucher durch die Veröffentlichung in die Lage versetzt wurden, das Haus des Betroffenen zu identifizieren732. 219
Ein Eingriff in die Privatsphäre ist jedoch erst und nur dann rechtswidrig, wenn bei der anzustellenden Abwägung zwischen dem Recht auf Schutz der Privatsphäre und den widerstreitenden Interessen insbesondere der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK der Anspruch auf Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überwiegt (vgl. Rz. 34 und 38 ff.). Bei der Abwägung ist auch zu berücksichtigen, ob der Betroffene seinen Wohnsitz bislang von der Öffentlichkeit abgeschirmt und dadurch zum persönlichen Rückzugsbereich gemacht hat oder ob er seine Wohn- und Lebensverhältnisse durch eigene Vorveröffentlichungen einem breiten Publikum bekannt gemacht hat733. Bei dem Bildbericht über das neue 724 BVerfG v. 2.5.2006 – 1 BVR 507/02, BVerfG v. 2.5.2006 – 1 BvR 507/01, AfP 2006, 347 = NJW 2006, 2836 – Regina Ziegler und v. 2.5.2006 – 1 BvR 452/04, NJW 2006, 2838 – Ulla Kock am Brink. 725 BGH v. 26.5.2009 – VI ZR 191/08, AfP 2009, 398 Rz. 9 = MDR 2009, 1040 = NJW 2009, 3576 – Kannibale von Rothenburg m.w.N. 726 OLG Saarbrücken v. 16.6.2015 – 5 U 56/14, CR 2016, 261 unter Hinweis auf BGH v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464 = NJW 2005, 2844 – Esra und OLG Saarbrücken v. 29.4.2009 – 5 U 465/08, NJW-RR 2010, 346. 727 KG v. 14.4.2005 – 10 U 103/04, NJW 2005, 2320. 728 OLG Hamburg v. 28.9.2004 – 7 U 60/04, AfP 2005, 75. 729 KG v. 16.4.2004 – 9 U 10/04, AfP 2004, 564. 730 OLG Hamburg v. 31.1.2006 – 7 U 108/05, AfP 2006, 182. 731 OLG Saarbrücken v. 17.6.2015 – 5 U 56/14, ITRB 2016, 5 = CR 2016, 261 Rz. 26. 732 BGH v. 19.5.2009 – VI ZR 160/08, AfP 2009, 392 Rz. 21 = MDR 2009, 1041 = NJW 2009, 3030 – Joschka Fischer. 733 BGH v. 9.12.2003 – VI ZR 373/02, MDR 2004, 507 = AfP 2004, 119 = NJW 2004, 762 – Ausspähen von Feriendomizilen durch Luftbildaufnahmen.
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Rz. 221 Kap. 7
Wohnhaus des ehemaligen Außenministers Joschka Fischer in einem Berliner Edelviertel mit der Überschrift „Nobel lässt sich der Professor nieder“ kam der BGH im Rahmen der Interessenabwägung zu einem Vorrang des Informationsbedürfnisses der Öffentlichkeit gegenüber der Privatsphäre des ehemaligen Ministers, weil der Bericht die Frage von allgemeinem Interesse aufwarf, wie der Ex-Politiker den Kauf einer solchen denkmalgeschützten, jüngst renovierten und kostspieligen Immobilie finanziert hat, zumal ein Nachbargrundstück gerade für 1,5 Mio. Euro zum Verkauf steht. Das (ungenehmigte) Fotografieren durch Testpersonen in den Geschäftsräumen eines Kauf- 220 manns zur Dokumentation eines angeblichen oder tatsächlichen Wettbewerbsverstoßes ist regelmäßig wettbewerbswidrig. Denn mit dem Fotografieren überschreitet die Testperson die Grenzen des normalen Verhaltens eines Kaufinteressenten734. Als Inhaber des Hausrechts verbindet der Kaufmann mit der Öffnung seines Verkaufsgeschäftes für das Publikum nicht die Erlaubnis, innerhalb des Geschäftslokals zu fotografieren. Aufgrund seines Hausrechts kann er die Zugangsmöglichkeiten beschränken. Dazu zählt auch das (konkludent erklärte) Fotografierverbot735. Sind jedoch Betriebsstörungen ausgeschlossen, weil das Fotografieren durch Kunden und Personal nicht bemerkt wird, z.B. bei Testfotos mittels Minikamera im Knopfloch, liegt keine unlautere geschäftliche Handlung vor, wenn der Wettbewerbsverstoß nur durch Fotoaufnahmen hinreichend bestimmt dargelegt und bewiesen werden kann736. Das Anfertigen von Foto- und Filmaufnahmen gegen den Willen einer juristischen Person 221 oder Personengesellschaft in der ihrem Hausrecht unterliegenden, nicht frei zugänglichen Sphäre und deren anschließende Verbreitung stellt einen Eingriff in das Hausrecht und in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht dar und damit in ein „sonstiges Recht“ i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB737. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass juristische Personen des Privatrechts nicht nur Ehrenschutz genießen738, sondern sich auch auf den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen können739, der sich bei diesen allerdings verfassungsrechtlich nur aus Art. 2 Abs. 1 GG und nicht auch aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt740 und insoweit eingeschränkt ist, als er nur soweit besteht, als die juristischen Personen des Privatrechts aus ihrem Wesen als 734 OLG Koblenz v. 11.7.2001 – 4 U 1417/00. 735 BGH v. 23.5.1996 – I ZR 122/94, MDR 1997, 161 = NJW-RR 1997, 104 – Testfotos II m.w.N. 736 BGH v. 25.1.2007 – I ZR 133/04, AfP 2007, 594 = MDR 2007, 1273 = NJW-RR 2007, 1335 – Testfotos III. 737 BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = AfP 2015, 41 = IPRB 2015, 78 = NJW 2015, 773 Rz. 12 – Hochleistungsmagneten; OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450 – Heimliche Filmaufnahmen einer TV-Anstalt in den Betriebsräumen eines Automobilherstellers zum Thema „Hungerlohn am Fließband“; KG v. 30.11.1999 – 9 U 8222/99, AfP 2000, 598 = NJW 2000, 2210 – Filmaufnahmen mit verdeckter Kamera in der Bahn zur Dokumentation des Diebstahlrisikos; OLG Hamm v. 21.7.2004 – 3 U 77/04, ZUM-RD 2004, 579 – Heimliche Filmaufnahmen von Tierversuchen; LG Leipzig v. 19.6.2008 – 8 O 1796/08, ZUM-RD 2009, 95 – Heimliche Bildaufnahmen einer TV-Anstalt im Kaufhaus; LG Hamburg v. 26.6.2007 – 324 O 268/07, ZUM 2008, 614 – Heimliche Aufnahmen eines Tierschutzvereins in Schweinemastbetrieb; LG Hamburg v. 8.4.2008 – 324 O 121/08, AfP 2008, 639 – Heimliche Aufnahmen in Betriebsräumen während Interview eines Mitarbeiters; LG Berlin v. 14.5.2009 – 27 O 250/09, ZUM-RD 2009, 667 – Heimliche Filmaufnahmen in den Räumen einer in der Rechtsform einer Personengesellschaft betriebenen Arztpraxis. 738 BGH v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, NJW 2009, 1872 – Fraport-Manila-Skandal m.w.N. 739 BGH v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, MDR 1994, 991 = CR 1994, 396 = AfP 1994, 138 = NJW 1994, 1281 – Bilanzanalyse. 740 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, NJW 2002, 3610 – Mithörvorrichtung.
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Zweckschöpfung des Rechts und in ihrer Funktion dieses Schutzes bedürfen741. Letzteres ist der Fall, soweit ihr sozialer Geltungsanspruch als Wirtschaftsunternehmen betroffen ist742, was wiederum insbesondere dann zu bejahen ist, wenn sie in ihrem sozialen Geltungsbereich als Arbeitgeber oder Wirtschaftsunternehmen betroffen sind743. In diesen Grenzen steht juristischen Personen und auch Personengesellschaften sowohl ein Recht am eigenen Bild als auch am eigenen Wort als Ausprägungen des Persönlichkeitsrechts zu744. Auch nach Art. 8 EMRK ist das Unternehmenspersönlichkeitsrecht gegen Eingriffe durch Wort- und Bildberichterstattung geschützt zur Verfolgung des legitimen Ziels des „Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer“745. 222
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung schützt das Unternehmenspersönlichkeitsrecht die juristische Person auch davor, dass in der räumlichen Sphäre, die ihrem Hausrecht unterliegt, gegen ihren Willen heimlich Filmaufnahmen gefertigt und diese anschließend verbreitet werden746. Gegen den Willen des Unternehmens erfolgen derartige heimliche Filmaufnahmen nicht nur dann, wenn sie ausdrücklich verboten sind; vielmehr bedarf umgekehrt das Fertigen von Aufnahmen zu journalistischen Zwecken einer diesbezüglichen Erlaubnis, selbst wenn der Zutritt zu den Räumen an sich gestattet ist und im konkreten Fall auch gestattet wurde747. Denn die generelle Gestattung des Zutritts zu einem räumlich geschützten Bereich kann auf bestimmte Nutzungszwecke beschränkt sein, ohne dass dies ausdrücklich ausgesprochen sein müsste748. Erst recht hat dies zu gelten, wenn der Zutritt zu der geschützten räumlichen Sphäre erschlichen wird, insbesondere dann, wenn ein Journalist als vermeintlich loyaler Mitarbeiter des Unternehmens tätig wird und ihm in dieser Eigenschaft der Zutritt gestattet wird, während er in Wahrheit Informationen erlangen will, um diese dann zu publizieren749. Dies bedeutet letztlich nichts anderes als die Anwendung des vom BGH allgemein ausgesprochenen Grundsatzes auf Bildaufnahmen, dass die Gewinnung von Informationen durch ein 741 BGH v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, MDR 1994, 991 = CR 1994, 396 = AfP 1994, 138 = NJW 1994, 1281 – Bilanzanalyse. 742 BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = AfP 2015, 41 = IPRB 2015, 78 = NJW 2015, 773 Rz. 12 – Hochleistungsmagneten; v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = NJW 1980, 2807 – Medizin-Syndikat I. 743 BGH v. 10.4.2017 – VI ZR 396/16, AfP 2018, 735 – ungenehmigte Filmaufnahmen aus BioHühnerställen; BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = AfP 2015, 41 = IPRB 2015, 78 = NJW 2015, 773 Rz. 12 – Hochleistungsmagneten; v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, MDR 1994, 991 = CR 1994, 396 = AfP 1994, 138 = NJW 1994, 1281 – Bilanzanalyse. 744 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, AfP 2004, 72 = NJW 2002, 3619 – Mithörvorrichtung. 745 EGMR v. 16.1.2014 – 45192/09 Rz. 49, AfP 2015, 320 = NJW 2015, 763 – Heimliche Filmaufnahmen von Tierversuchen, vorangehend OLG Hamm v. 21.7.2004 – 3 U 116/04, ZUM-RD 2004, 131. 746 OLG Hamm v. 21.7.2004 – 3 U 77/04, ZUM-RD 2004, 579 – Heimliche Aufnahmen von Tierversuchen; KG v. 30.11.1999 – 9 U 8222/99, AfP 2000, 598 = NJW 2000, 2210 – Filmaufnahmen mit verdeckter Kamera in der Bahn; Wanckel, Rz. 8 m.w.N.; Czernik, GRUR 2012, 457. 747 OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450 – Hungerlohn am Fließband; KG v. 30.11.1999 – 9 U 8222/99, AfP 2000, 598 = NJW 2000, 2210 – Heimliche Filmaufnahmen in der Bahn; LG Leipzig v. 19.6.2008 – 8 O 1796/08, ZUM-RD 2009, 95 – Heimliche Filmaufnahmen im Kaufhaus. 748 BGH v. 20.1.2006 – V ZR 134/05, MDR 2006, 862 = NJW 2006, 1054 – Verteilung von Flugblättern am Flughafen; OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450 – Hungerlohn am Fließband. 749 OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450 – Hungerlohn an Fließband; OLG Hamm v. 21.7.2004 – 3 U 77/04, ZUM-RD 2004, 579 – Heimliche Aufnahmen von Tierversuchen.
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Rz. 223 Kap. 7
derartiges „Erschleichen“ eines Journalisten und deren nachfolgende Veröffentlichung in die Rechte des betroffenen Unternehmens eingreift750. Die mit dem Mittel der Täuschung bewirkte Überwindung des erklärten oder mutmaßlichen Willens des betroffenen Unternehmens, seine geschäftlichen Angelegenheiten nicht durch die Medien ausforschen und vor der Öffentlichkeit erörtern zu lassen, ist in der Regel als Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren751. Zugleich liegt in der heimlichen Anfertigung und Verbreitung der Bildaufnahmen ein Eingriff in das Recht des Betroffenen in seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb752. Denn ein Mindestbestand an Vertraulichkeitsschutz gehört zu den Grundlagen jeder unternehmerischen Betätigung, so dass ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu bejahen ist, wenn Filmaufnahmen unter Verletzung des Hausrechts eines Unternehmens in den zum Betrieb gehören Räumlichkeiten gefertigt werden753. Allerdings wird auch die Veröffentlichung rechtswidrig beschaffter oder erlangter Informa- 223 tionen vom Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) umfasst. Anderenfalls wäre die Funktion der Presse als „Wachhund der Öffentlichkeit“ beeinträchtigt, zu der es gehört, auf Missstände von öffentlicher Bedeutung hinzuweisen754. Ein gänzlicher Ausschluss der Verbreitung rechtswidrig beschaffter Informationen aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG würde dazu führen, dass der Grundrechtsschutz von vornherein auch in Fällen entfiele, in denen es seiner bedarf755. Um dem rechtswidrigen Einbruch in einen geschützten Bereich ausreichend Rechnung zu tragen, ist bei der Abwägung in solchen Fällen maßgeblich auf den Zweck der beanstandeten Veröffentlichung und auf das Mittel abzustellen, mit dem der Zweck verfolgt wird. Dem Grundrecht der Meinungsfreiheit kommt umso größeres Gewicht zu, je mehr es sich um einen Beitrag zum geistigen Namenskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt. Der Gewährleistung des Art. 5 Abs. 1 GG kommt dagegen umso geringeres Gewicht zu, je mehr sich die Veröffentlichung unmittelbar gegen ein privates Rechtsgut richtet und im privaten Verkehr in Verfolgung eigennütziger Ziele erfolgt756. Unter diesen Abwägungs-Gesichtspunkten war die Veröffentlichung heimlicher Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen zulässig, die wahrheitsgemäß die tatsächlichen Umstände der Tierhaltung und Eierproduktion im fraglichen Betrieb zeigten, ohne dass dadurch eine unzulässige Anprangerung erfolgte. Eine Anprangerung hätte vorgelegen, wenn der Film die gewerbliche Tätigkeit des gezeigten Betriebes ohne jeden sachlichen Anlass in der angesehenen Weise herausgestellt hätte757.
750 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, MDR 1981, 484 = AfP 1981, 270 = NJW 1981, 1089 – Der Aufmacher I. 751 OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450 – Hungerlohn am Fließband; Soehring/ Hoene, § 10 Rz. 26 f. 752 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, MDR 1981, 484 = AfP 1981, 270 = NJW 1981, 1089 – Der Aufmacher I; v. 21.4.1998 – VI ZR 196/97, MDR 1998, 841 = NJW 1998, 2141. 753 BGH v. 14.4.1989 – 3 StR 30/89, MDR 1989, 837 = NJW 1989, 2141 – Filmaufnahmen unzufriedener Kunden einer Apartmentanlage. 754 BGH v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, AfP 2018, 735 – ungenehmigte Filmaufnahmen aus BioHühnerställen m.w.N. 755 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 2072/81, NJW 1984, 1741 – Wallraff. 756 BGH v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16; Rz. 22, AfP 2018, 735 – ungenehmigte Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen. 757 BGH v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, Rz. 33, AfP 2018, 735 – ungenehmigte Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen.
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Sowohl das allgemeine Unternehmenspersönlichkeitsrecht als auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stellen im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB offene Haftungstatbestände dar, so dass die Frage, ob ein Eingriff in das jeweilige Recht rechtswidrig ist, nur aufgrund einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden muss, wobei die besonderen Umstände des Einzelfalls und die betroffenen Grundrechte sowie die Gewährleistungen der EMRK interpretationsbegleitend zu berücksichtigen sind (vgl. Rz. 34). Da für den Eingriff in beide Rechte dieselben Abwägungsgrundsätze gelten, kann in der Regel offenbleiben, ob ein Eingriff in beide Rechte des Unternehmens vorliegt oder nur in eines der beiden und in welchem Verhältnis beide Haftungstatbestände zueinander stehen. Ein Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht und ein Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist in beiden Fällen nur dann rechtswidrig, wenn das Unternehmenspersönlichkeitsrecht oder die Behinderung der Erwerbstätigkeit die schutzwürdigen Belange der anderen Seite – i.d.R. Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK – überwiegt. Diese Abwägung führte im Falle der rechtswidrigen erschlichenen Filmaufnahmen in der Werkshalle des Automobilherstellers zur Bejahung eines überwiegenden überragenden öffentlichen Interesses an der Aufdeckung von Missständen bei der Leiharbeit in Unternehmen758. Dagegen stellten nach dem Ergebnis der Abwägung die Verbreitung der heimlichen Filmaufnahmen von Tierversuchen eine Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrecht insbesondere deshalb dar, weil der Verbreiter die Regeln des geistigen Meinungskampfes nicht eingehalten hatte und das Persönlichkeitsrecht, das Hausrecht und die Berufsfreiheit des Unternehmens durch sensationsheischende und unzutreffende Kommentare verletzte759.
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Wird das Verkehrsgeschehen mittels Dashcam-Videos aufgezeichnet, um bei einem eventuellen Unfall über ein Beweismittel zu verfügen, werden dabei in aller Regel fremde Sachen gefilmt, wie z.B. Gebäude, Grundstücke und insbesondere Fahrzeuge, die im Eigentum oder Besitz der anderen Verkehrsteilnehmer stehen (zur Aufnahme von Personen bei DashcamVideos vgl. Rz. 51). Die Vorschriften des BDSG sind in diesen Fällen zumeist nicht einschlägig, weil die Aufnahmen von Sachen nicht die Erfassung, Speicherung und/oder Übermittlung personenbezogener Daten zum Gegenstand hat. Solche Sachaufnahmen erfolgen von frei zugänglichen Stellen aus und erfassen Sachen, die sich ihrerseits auf frei zugänglichen Orten befinden. Damit scheidet ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Eigentümers oder Besitzers der abgebildeten Sache aus. Der Verwertung solcher Aufnahmen als Beweismittel im Zivil- oder Strafprozess steht nichts entgegen (zu den Beweisverwertungsverboten bei Personenaufnahmen vgl. Rz. 51). Das BDSG und die DSGVO sind jedoch anwendbar, wenn dabei ein Kfz-Kennzeichen abgebildet wird. Denn wenn vom Kfz-Kennzeichen auf die Person des Fahrers oder Halters des Fahrzeugs geschlossen werden kann, handelt es sich um personenbezogene Daten (vgl. Rz. 117). Denn eine Aufnahme enthält personenbezogene Daten, wenn die Abbildung die Identifikation einer bestimmten Person ermöglicht760.
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Urheberrechtlich geschützte Werke – z.B. Plastiken, Denkmäler, Brunnen, Gebäude –, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, dürfen durch Malerei, 758 OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450 – Hungerlohn am Fließband (rkr.; Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH unter dem Az. VI ZR 427/15 durch Beschluss v. 21.9.2016 zurückgewiesen). 759 EGMR v. 16.1.2014 – 45192/09, AfP 2015, 320 = NJW 2015, 763 – Verbot der Veröffentlichung heimlicher Filmaufnahmen von Tierversuchen zu OLG Hamm v. 21.7.2004 – 3 U 116/04, ZUM-RD 2005, 131 – Tierversuche für den Profit. 760 EuGH v. 11.12.2014 – C-212/13, GRUR-Int. 2015, 293.
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VII. Bilder
Rz. 228 Kap. 7
Grafik, Lichtbild, Lichtbildwerk oder Film – also in zweidimensionaler Form – vervielfältigt, verbreitet und öffentlich wiedergegeben werden, auch wenn dies zu gewerblichen Zwecken geschieht761. Die Befugnis zur öffentlichen Wiedergabe schließt die Befugnis zur öffentlichen Zugänglichmachung ein762. Bei Bauwerken erstreckt sich diese Befugnis allerdings nur auf die äußere Ansicht. Eine Vervielfältigung des Werkes in dreidimensionaler Form ist dagegen nicht gestattet, auch wenn das Werk als verkleinertes Modell oder aus anderen Materialien nachgebildet wird763. Wird eine zweidimensionale Fotografie auf eine ebene Fläche eines dreidimensionalen Trägers aufgeklebt, wird i.d.R. dadurch kein dreidimensionales Werk geschaffen764. Nur das Urheberrecht am abgebildeten Werk ist durch § 59 UrhG insoweit beschränkt, nicht das Sacheigentum am Werk nach § 903 BGB. Zwischen beidem ist strikt zu trennen765. Was der Werkschöpfer oder Nutzungsrechtsinhaber nach § 59 UrhG hinnehmen muss, kann der Sacheigentümer ggf. nach §§ 903, 1004 BGB unterbinden. Das bloße Fotografieren eines Gegenstandes von einer öffentlichen Straße aus ist allerdings als Realakt kein Eingriff in die Verfügungsbefugnis des Eigentümers, der ihm Abwehransprüche nach §§ 903, 1004 BGB gäbe. Privilegiert durch die Panoramafreiheit des § 59 UrhG sind nur Werke, die sich an öffent- 227 lichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden. § 59 UrhG betrifft die Freiheit des Straßenbildes als Gemeingut. Das abgebildete Werk muss sich daher nicht nur an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, sondern von dort aus auch wahrnehmbar sein. „Öffentlich“ ist dabei nicht im öffentlich-rechtlichen Sinne zu verstehen, sondern im Sinne von freizugänglich für jedermann ohne Zugangsbeschränkung oder -kontrolle. Im Sinne von § 59 UrhG liegen solche Werke an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen, die von einem der Allgemeinheit frei zugänglichen Ort aus ohne besondere Hilfsmittel (z.B. Fernglas, Leiter etc.) frei sichtbar sind, auch wenn das Werk sich für die Öffentlichkeit unzugänglich auf einem öffentlich nicht zugänglichen oder einem öffentlich-rechtlich nicht dem Gemeingebrauch gewidmetem Grund befindet766. Die bloße Vergrößerung des vom öffentlichen Grund aus mit bloßem Auge wahrnehmbaren Werkes – z.B. durch ein Teleobjektiv – wäre durch § 59 UrhG gedeckt, nicht aber die Aufnahme eines ohne Teleobjektiv vom öffentlichen Platz aus nicht wahrnehmbaren Werkes. Andererseits fordert § 59 UrhG nicht, dass das Werk vom öffentlichen Weg etc. aus aufgenommen wurde. Zulässig sind daher auch Aufnahmen aus anderen Perspektiven als denen der Straße, z.B. aus der Luft oder von gegenüberliegenden Gebäuden oder Dächern. Allerdings darf dann vom Werk selbst – z.B. der Fassade eines Gebäudes – nicht mehr zu sehen sein, als bei einer von einem für das Publikum allgemein zugänglichen Ort aus gefertigten Aufnahmen zu sehen wäre767. Das Werk muss sich an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden. Es genügt daher 228 nicht, dass das Grundstück, auf dem sich das Werk befindet, dieses Kriterium erfüllt. § 59 761 BGH v. 19.1.2017 – I ZR 242/15, MDR 2017, 590 – East Side Gallery; v. 9.3.1989 – I ZR 54/87, MDR 1989, 966 = AfP 1989, 660 = NJW 1989, 2251 – Friesenhaus. 762 BGH v. 19.1.2017 – I ZR 242/15, MDR 2017, 590 = WRP 2017, 573 Rz. 21 – East Side Gallery. 763 BGH v. 19.1.2017 – I ZR 242/15, MDR 2017, 590 = WRP 2017, 573 Rz. 30 – East Side Gallery. 764 BGH v. 19.1.2017 – I ZR 242/15, WRP 2017, 498 – East Side Gallery Rz. 32. 765 BGH v. 13.10.1965 – I b ZR 111/63, NJW 1966, 542, BGHZ 44, 228 – Apfelmadonna. 766 LG Berlin v. 14.12.1995 – 16 O 532/95, NJW 1996, 2380 – Postkarten Christo II m.w.N. 767 OLG München v. 15.6.2000 – 6 U 5629/99, ZUM 2001, 76 – Hundertwasser-Haus; BGH v. 5.6.2003 – I ZR 192/00, AfP 2003, 543 = MDR 2004, 404 = NJW 2004, 594 – Hundertwasserhaus.
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Kap. 7 Rz. 229
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
UrhG ist als Ausnahme von den ausschließlichen Verwertungsrechten des Urhebers eng auszulegen768. Das Werk muss daher vom öffentlichen Grund aus sichtbar sein769. Sonst gehört es nicht zum Straßenbild. Deshalb erstreckt sich nach § 59 Abs. 1 Satz 2 UrhG bei Bauwerken die Befugnis nur auf deren äußere Ansicht, nicht aber auf das Innere des Bauwerkes oder darin befindliche Werke. Was vom öffentlichen Grund aus nicht wahrnehmbar ist – insbesondere das Gebäudeinnere –, ist durch § 59 UrhG nicht gedeckt, selbst wenn der Eigentümer das Betreten des Grundstücks gestattet hat770. Der Eigentümer kann den Blick auf das Werk vom öffentlichen Grund aus und damit die Anwendbarkeit des § 59 UrhG verhindern z.B. durch Bäume und sonstigen Sichtschutz. 229
§ 59 UrhG setzt voraus, dass sich das Werk bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befindet. Weitgehend Einigkeit besteht darüber, dass das Merkmal „bleibend“ jedenfalls dann zu bejahen ist, wenn sich ein Kunstwerk für seine natürliche Lebensdauer an einem öffentlichen Platz befindet. Eine Pflastermalerei ist in diesem Sinne „bleibend“, da sie für ihre natürliche Lebensdauer bestehen bleibt, bis sie nämlich vom Regen weggewaschen wird. Umstritten war demgegenüber in der Literatur, ob das Merkmal „bleibend“ auch dann erfüllt ist, wenn sich das Kunstwerk nicht für seine natürliche Lebensdauer, sondern für die gesamte Dauer seiner Existenz an einem öffentlichen Ort befindet, das Kunstwerk „verhüllter Reichstag“ daher bspw. deshalb „bleibend“ installiert sei, weil mit dem Abbau der Installation das Kunstwerk aufhörte zu existieren771. Nach Auffassung des BGH772 besteht jedoch im Hinblick auf die Rechte des Urhebers nach § 59 UrhG keine sachliche Rechtfertigung danach zu differenzieren, ob ein vorübergehend aufgestelltes Werk nach seinem Abbau weiterhin besteht und ggf. an anderer Stelle neu aufgebaut wird oder ob es mit seinem Abbau endgültig aufhört zu existieren. Für eine sachgerechte Abgrenzung bleibend/nicht bleibend komme es vielmehr auf den Zweck an, zu dem das Werk an dem öffentlichen Ort aufgestellt wurde. Handelt es sich – wie beim Kunstwerk „Verhüllter Reichstag“ – um eine zeitlich befristete Ausstellung oder ähnliche Werkpräsentation, erfolge diese nicht „bleibend“ i.S.v. § 59 UrhG. „Bleibend“ ist aber nicht gleichbedeutend mit „ortsfest“. Auch Werke an mobilen Objekten wie Bussen, Bahnen oder Schiffen sind „bleibend“ i.S.v. § 59 UrhG773.
230
Die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines Werkes ist zulässig, wenn es als „unwesentliches Beiwerk“ neben dem eigentlichen Gegenstand der Abbildung anzusehen ist (§ 57 UrhG). Die Schutzschranke des § 57 UrhG erfasst auch das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung i.S.v. § 19a UrhG774. Ein Werk ist im Verhältnis zum Hauptgegenstand unwesentlich i.S.v. § 57 UrhG, wenn das Werk weggelassen oder ausgetauscht werden kann, ohne dass dies dem durchschnittlichen Betrachter auffällt, oder ohne dass die Gesamtwirkung des Hauptgegenstandes in irgendeiner Weise beeinflusst wird775. Ob ein widergegebenes Werk im konkreten Fall in diesem Sinne unwesentliches Beiwerk ist, entscheidet sich nach objekti768 BGH v. 9.3.1989 – I ZR 54/87, MDR 1989, 966 = AfP 1989, 660 = NJW 1989, 2251 – Museumskatalog; KG v. 31.5.1996 – 5 U 689/96, ZUM 1997, 391 – Verhüllungskunstwerk Reichstag. 769 BGH v. 9.3.1989 – I ZR 54/87, MDR 1989, 966 = AfP 1989, 660 = GRUR 1990, 391 – Friesenhaus; OLG Hamburg v. 27.9.1973 – 3 U 38/73, GRUR 1974, 165 – Gartentor. 770 BGH v. 20.9.1974 – I ZR 99/73, NJW 1975, 778 – Schloss Tegel. 771 So z.B. Weberling, AfP 1996, 34; Löffler/Löffler, Presserecht, 4. Aufl. 1997, BTUrhR Rz. 82 u.a. 772 BGH v. 24.1.2002 – I ZR 102/99, 219, MDR 2002, 771 = AfP 2002, 219 – Verhüllter Reichstag. 773 OLG Köln v. 23.10.2015 – 6 U 34/15, IPRB 2016, 77 = WRP 2016, 274 – AIDA Kussmund (n.rkr., Revision BGH I ZR 247/15). 774 BGH v. 17.11.2014 – 1 ZR 177/13, ZUM 2015, 569 – Möbelkatalog. 775 BGH v. 17.11.2014 – 1 ZR 177/13, ZUM 2015, 569 – Möbelkatalog.
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VII. Bilder
Rz. 231 Kap. 7
vem Maßstab aus der Sicht des Durchschnittsbetrachters und nicht nach der Ansicht des Verwerters der Aufnahme776. 3. Verbreitung von Sachfotografien Die Verbreitung von Bildern, also der Abbildung von Sachen, ist grundsätzlich ebenso zuläs- 231 sig wie die Anfertigung solcher Aufnahmen. Auch öffentlich propagierte Warenzeichen, Vereinswappen usw. dürfen in Bild- und sonstigen Informationsberichten wiedergegeben werden, sofern darin kein Namens- oder zeichenmäßiger Gebrauch liegt777. Im Markenrecht ist allerdings streitig, ob eine Markenverletzung – wie im Warenzeichengesetz – eine markenmäßige Nutzung voraussetzt. Bejahendenfalls müsste die Abbildung der Marke durch § 23 MarkenG gedeckt sein. Unzulässig ist die Verbreitung aber, wenn bereits die Anfertigung der Aufnahme unzulässig gewesen ist778. Auch bei zulässiger Anfertigung kann die Verbreitung persönlichkeitsverletzend sein, und zwar insbesondere unter dem Blickwinkel der Ausbeutung persönlichkeitsrechtlicher Güter (Näheres Kap. 5 Rz. 29 ff.) oder des Schutzes der Intim-, der Privat- oder der Sozialsphäre (Näheres Kap. 5 Rz. 47 ff.). Unzulässig kann eine nach § 59 UrhG gerechtfertigte Aufnahme eines Werkes sein, wenn Personen mit abgebildet sind, die identifizierbar sind und nicht lediglich als Beiwerk i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG anzusehen sind. Unzulässig ist die Verbreitung, wenn dadurch ein falscher Anschein entsteht, z.B. der Eigentümer eines Hauses habe es nicht selbst erbaut, sondern von einer Maklerfirma erworben und er wirke durch Überlassung des Fotos an deren Werbung mit779. Allein in dem Umstand, dass bei einem in zulässiger Weise abgebildeten Haus der Name des Eigentümers genannt wird, liegt kein Eingriff in die Individual- oder Privatsphäre vor780. Handelt es sich um eine Presseveröffentlichung über allgemein interessierende Vorgänge, ist auch das Namensrecht nicht verletzt781. Denn dann gestattet es der Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit, die Berichterstattung durch konkrete Beispiele mit Namensnennung zu verdeutlichen782. Sind keine beeinträchtigenden Umstände feststellbar, darf die Abbildung eines zulässigerweise fotografierten Hauses auch zu Werbezwecken verwendet werden783. Das OLG Düsseldorf hält die werbliche Verwendung durch ein Finanzierungsunternehmen auch für zulässig, wenn die Hauseigentümerin im konkurrierenden Finanzierungsunternehmen ihres Vaters als Angestellte tätig ist und ihr Ehemann ein Maklerbüro betreibt784. Das erscheint als zu weitgehend. Dasselbe gilt für die Auffassung, der Eigentümer einer berühmten Segelyacht, der in Seglerkreisen als Eigner des Bootes bekannt ist, müsse es dulden, dass ein Foto seiner Segelyacht zur Werbung für optische Geräte verwendet wird785.
776 OLG München, ZUM-RD 2008, 534. 777 BGH v. 14.5.1965 – Ib ZR 80/63, GRUR 1965, 547 – Zonenbericht; v. 26.6.1981 – I ZR 73/79, NJW 1981, 2402 – Rennsportgemeinschaft. 778 OLG München v. 30.11.1991 – 21 U 4699/91, AfP 1992, 78; LG Aschaffenburg, ArchPR 1971, 88. 779 BGH v. 27.4.1971 – VI ZR 171/69, NJW 1971, 1359 – Haus auf Teneriffa. 780 LG Oldenburg v. 21.9.1987 – 5 O 2958/87, AfP 1988, 167. 781 LG Oldenburg v. 21.9.1987 – 5 O 2958/87, AfP 1988, 167. 782 LG Oldenburg v. 21.9.1987 – 5 O 2958/87, AfP 1988, 167; BGH v. 25.11.1986 – VI ZR 269/85, GRUR 1987, 187 – Antiseptica. 783 BGH v. 9.3.1989 – I ZR 54/87, MDR 1989, 966 = AfP 1989, 660 = NJW 1989, 2251 – Friesenhaus. 784 OLG Düsseldorf v. 17.12.1987 – 2 U 187/87, AfP 1991, 424. 785 LG Hamburg v. 30.4.1993 – 324 O 77/93, AfP 1994, 161.
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Kap. 7 Rz. 232
Bildberichterstattung – Bildnisse und Bilder
232
Im Nitribitt-Fall hat der BGH es zwar als zulässig bezeichnet786, eine Außenaufnahme des Hauses, in dem die seinerzeit bekannte Prostituierte Rosemarie Nitribitt gelebt hat und ermordet worden ist, mit Adressenangabe in dem Film „Das Mädchen Rosemarie“ zu zeigen. Das ist aber nur geschehen, weil jeder, der dafür Interesse gehabt habe, über den Ort der Handlung ohnehin unterrichtet gewesen sei. Deswegen lässt sich aus dieser Entscheidung nicht ableiten, jedermann müsse es hinnehmen, dass sein Haus zum Gegenstand eines Sensationsberichts gemacht wird. Fraglich erscheint insbesondere, ob es zulässig ist, Haustürschilder unbeteiligter Dritter in Berichten zu zeigen, die sich z.B. mit der Privatwohnung von jemandem befassen, der als Spion verdächtigt wird.
233
Vom öffentlichen Straßenraum aus gefertigte Aufnahmen von Straßen und Gebäudeansichten und deren Vertrieb auf einer CD-ROM als Gebäude-Bilddatenbank verletzt weder die Eigentumsrechte noch § 59 UrhG; auch wenn dabei unter Zuhilfenahme weiterer Dateien (Telefon- oder Adressdateien) auf die Person des Gebäudeeigentümers oder -bewohners geschlossen werden kann, liegt darin keine Verletzung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung, welches seit dem Volkszählungsurteil787 als eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anerkannt ist.
786 BGH v. 21.6.1960 – VI ZR 129/59, NJW 1960, 1614 – Nitribitt. 787 BVerfG v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, 1 BvR 269/83, 1 BvR 362/83, 1 BvR 420/83, 1 BvR 440/83, 1 BvR 484/83, BVerfGE 65, 1, 41 ff.
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8. Kapitel Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG . . . 1. Grundlagen und Rechtsprechung des EGMR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsätze des EGMR zum Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung c) Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abwägung zwischen den Rechten nach Art. 10 und nach Art. 8 EMRK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse . . . . . . . . . . . f) Bekanntheitsgrad der betroffenen Person und Inhalt der Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Vorausgegangenes Verhalten der betroffenen Person. . . . . . . . . . . . . . h) Methode der Informationsbeschaffung und ihre Richtigkeit; bei Fotos die Umstände, unter denen sie aufgenommen wurden . . . . . . . . . . i) Inhalt, Form und Auswirkungen der Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . 2. Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG) . . a) Grundsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begriff der Zeitgeschichte . . . . . . . . c) Ereignis der Zeitgeschichte . . . . . . . aa) Entwicklungslinien: Von der Person der Zeitgeschichte zum Ereignis der Zeitgeschichte . . . bb) Rollenbezogenes Informationsinteresse (früher: Absolute Person der Zeitgeschichte) . . . . . . cc) Ereignis- und aktualitätsbezogenes Informationsinteresse (früher: relative Person der Zeitgeschichte) . . . . . . . . . . . . . d) Verbreitungsbefugnis . . . . . . . . . . . . aa) Eigenschaft des Abgebildeten. . bb) Sonstige Umstände . . . . . . . . . . cc) Informationsinteresse der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . dd) Verbreitung zu Werbezwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 1 4 9 14 16
3. Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG) . . . . . . .
69
4. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben (§ 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
5. Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Zurschaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient (§ 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG) . . . . . . . . . . .
84
18
II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG . . . . . . .
94
20
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
22 24 26 26 27 30 30 31
35 57 58 59 62 64
2. Verletzung der Intimsphäre . . . . . . . .
95
3. Verletzung der Privatsphäre. . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Thematischer Schutz . . . . . . . . . . . . aa) Deutsche Rechtsprechung . . . . bb) Grundsätze des EGMR zur Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) . . . . . . . . . . . . . c) Räumlicher Schutz. . . . . . . . . . . . . . d) Eltern und Kinder . . . . . . . . . . . . . . e) „Outing“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Bildniserschleichung . . . . . . . . . . . .
101 101 104 104 105 111 118 120 122
4. Verletzung des Wahrheitsschutzes. . .
125
5. Verletzung von Ehre und Ruf . . . . . . .
126
6. Öffentlicher Pranger vs. Meinungsfreiheit; Schmähung . . . . . . . . . . . . . .
127
7. Personengefährdung, Gesundheitsgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129
8. Anonymitäts-Verletzung. . . . . . . . . . .
131
9. Kommerzielle Bildnisverwertung . . . a) Grundsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Informationsinteresse der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abwägung mit berechtigten Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135 135 138 145
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Kap. 8 Rz. 1
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
10. Satire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147
c) Vertragliche Vereinbarungen . . . . . .
150
11. Sonstige Umstände . . . . . . . . . . . . . . . a) Begleitender Text . . . . . . . . . . . . . . . b) Interesse an Bildnisauswahl. . . . . . .
148 148 149
III. Ausnahmen im öffentlichen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
Schrifttum: Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, 1991; Seitz, Prinz und Prinzessin, NJW 1996, 2848; Hahn, Das Recht am eigenen Bild – anders betrachtet, NJW 1997, 1348; Seitz, Promischutz vor Pressefreiheit?, NJW 1997, 3116; Engels/Schulz, Das Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte, AfP 1998, 574; Rehm, Persönlichkeitsschutz Prominenter und Pressefreiheit der Unterhaltungsmedien, AfP 1999, 416; Sedelmeier, Persönlichkeitsrecht und Bildberichterstattung, AfP 1999, 450; Seifert, Postmortaler Schutz des Persönlichkeitsrechts und Schadenersatz – Zugleich ein Streifzug durch die Geschichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, NJW 1999, 1889; Seitz, Alles starrt auf Monica – Outing alla americaine und Personenmerchandising, NJW 1999, 1940; Janisch, Art. 5 Abs. 1 GG und die legitime Neugier des Medienpublikums, AfP 2000, 32; Soehring, Caroline und ein Ende?, AfP 2000, 230; Ladeur, Schutz von Prominenz als Eigentum, ZUM 2000, 879; Klärer, Vermögensrechtliche Aspekte des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, ZUM 2002, 205; Bartnik, Der Bildnisschutz im deutschen und französischen Zivilrecht, 2004; Beater, Bildinformationen im Medienrecht, AfP 2005, 133; Neukamm, Bildnisschutz in Europa, 2007; Schnabel, Das Recht am eigenen Bild und der Datenschutz, ZUM 2008, 657; Böhnstedt, Die Konstitutionalisierung des Bildnisschutzes in Deutschland und den USA, 2010; Lettmaier, Prominente in der Werbung für Presseerzeugnisse – Ende des Presseprivilegs?, WRP 2010, 695; Lüder, Der zivilrechtliche Schutz der Persönlichkeit vor der Anfertigung manipulierter Fotografien, 2012; Frassek/Strank, Die Grenzen der Bildberichterstattung über Prominente in den Medien – Eine Zwischenbilanz in europäisch-rechtsvergleichender Perspektive, ZEuP 2012, 587; Dahle/Stegmann, Promis und Pressefreiheit – ein gespanntes Verhältnis, AfP 2013, 480; Dietrich, Caroline und die Medien – Zum Bildnisschutz und was Medien und Rechtsprechung von ihm übrig lassen, AfP 2013, 277; Mann, Zur Rechtswidrigkeit der Herstellung von Lichtbildern, AfP 2013, 16; Gerecke, Der Einsatz von Doppelgängern und Lookalikes zu kommerziellen Zwecken, GRUR 2014, 518; Schiffbauer, Fahndungen per Internet, NJW 2014, 105; Stieper, Bildberichterstattung über Prozessbeteiligte, JZ 2014, 271; Golla/Herbart, Zivilrechtlicher Bildnisschutz im Vorfeld von Weitergabe und Veröffentlichung, GRUR 2015, 648; Bienemann, Die zunehmende Bedeutung des § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG für neue Kunstformen, ZUM 2017, 741; Eglinski, Bildberichterstattung im 21. Jahrhundert. Das Recht am eigenen Bild bei Kriminalberichterstattungen (USA; Deutschland), 2017; Lauber-Rönsberg/Hartlaub, Personenbildnisse im Spannungsfeld zwischen Äußerungs- und Datenschutzrecht, NJW 2017, 1057; Froitzheim, Dash Cams, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Beweisverwertung, NZV 2018, 10.
I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG 1. Grundlagen und Rechtsprechung des EGMR a) Grundlagen 1
§ 23 Abs. 1 KUG fixiert die Schranken, denen das allgemeine Persönlichkeitsrecht und damit auch der Bildnisschutz durch die Sozialgebundenheit des Menschen unterliegen. Die Ausnahmetatbestände, bei deren Eingreifen das Interesse der Allgemeinheit an der Verbreitung oder öffentlichen Zurschaustellung eines Bildnisses das Selbstbestimmungsrecht des Abgebildeten verdrängt, sind dort abschließend geregelt1. Diese Ausnahmetatbestände bleiben auf den Bildnisschutz beschränkt. Sie gestatten also nur die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung bestimmter Bildnisse. Das Urheberrecht des Abbildenden, damit insbesondere auch das Vervielfältigungsrecht, bleiben davon unberührt. Die §§ 22, 23 KUG sehen ein abgestuftes 1 BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballkalender.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 2 Kap. 8
Schutzkonzept2 vor, das mit der Logik des Datenschutzrechtes verwandt ist. Danach ist die Bildnisverbreitung grundsätzlich verboten und nur zulässig, wenn die Einwilligung des Betroffenen vorliegt (§ 22 KUG). Typisierte Rechtfertigungstatbestände enthält § 23 KUG, die teilweise publizistische, teils pragmatische Interessen abdecken. Die Rechtfertigung entfällt, wenn trotz Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes die Interessen des Betroffenen überwiegen (§ 23 Abs. 2 KUG). Seit der Entscheidung des EGMR im Falle „Caroline von Monaco“3 hat das Bundesverfassungsgericht diese Mechanik etwas gelockert. Mit dem abgestuften Schutzkonzept tragen §§ 22, 23 KUG nämlich sowohl dem Schutzbedürfnis der abgebildeten Person als auch den Informationswünschen der Öffentlichkeit und den Interessen der Medien, die diese Wünsche befriedigen, ausreichend Rechnung4. Das Bundesverfassungsgericht geht zu Recht davon aus, dass diese Interessen gleichberechtigt sind, also keines von vornherein überwiegt. Daher wird bereits auf der Ebene des § 23 Abs. 1 KUG (nicht erst im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG) eine Abwägung zwischen den Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 Abs. 1 GG einerseits und Art. 5 Abs. 1 GG andererseits, also eine Interessenabwägung erforderlich. Sofern die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KUG vorliegen, hat das Publizitätsinteresse grundsätzlich Vorrang vor den persönlichkeitsrechtlichen Belangen des Abgebildeten. Nach § 23 Abs. 2 KUG erleidet dieser Grundsatz aber eine Ausnahme, wenn die Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KUG berechtigte Interessen des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt. In diesem Falle verbleibt es beim Bildnisschutz des § 22 KUG. Das Konzept gilt für die Medien auch noch nach Wirksamwerden der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO; s. Kap. 1 Rz. 64 ff.) am 25. Mai 2018. Art. 85 Abs. 2 DSGVO sieht eine Öffnungsklausel für die publizistischen Freiheiten der Medien zur personenidentifizierenden Berichterstattung vor, die letztlich die Wertungen des Grundgesetzes respektiert. Zulässig bleibt auch die allein persönlichen oder familiären Zwecken dienende Verbreitung von Bildnissen, etwa auf privaten Homepages, aber auch grundsätzlich auf den Profilseiten sozialer Medien. Schwieriger wird die Bildnisverbreitung, wenn sie beruflichen oder behördlichen Informationszwecken dient. Eine breite Rechtfertigung für jede Art der personenidentifzierenden Meinungsäußerung fehlt in Art. 85 Abs. 2 DSGVO. Hierfür muss man Art. 85 Abs. 1 DSGVO heranziehen, wonach die Mitgliedstaaten gefordert sind, die Regeln der DSGVO mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit in Einklang zu bringen. Die Zulässigkeit der Personenidentifizierung hängt mithin davon ab, inwiefern die Mitgliedstaaten entsprechend breite Medienprivilegien auch für die individuelle und berufliche Äußerung schaffen5. Bei der Auslegung und Anwendung von §§ 22, 23 KUG ist jedoch nicht nur das allgemeine 2 Persönlichkeitsrecht, sondern auch die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Pressefreiheit zu berücksichtigen. In ihrem Zentrum steht das Recht, Art und Ausrichtung, Inhalt und Form eines Publikationsorgans frei zu bestimmen6. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein
2 Begriff seit BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, BVerfGE 101, 361 = AfP 2000, 230 – Caroline von Monaco. 3 EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00, NJW 2004, 2647, Rz. 74 – Caroline von Hannover/Deutschland. 4 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco; v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 224 f. – Lebach. 5 Vgl. Lauber-Rönsberg/Hartlaub, NJW 2017, 1057, 1060. 6 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco m.w.N.
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Kap. 8 Rz. 3
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
Presseerzeugnis bebildert wird7. Von der Eigenart oder dem Niveau des Presseerzeugnisses oder der Berichterstattung im Einzelnen hängt der Schutz nicht ab. Denn dies liefe auf eine Bewertung und Lenkung durch staatliche Stellen hinaus, die dem Wesen dieses Grundrechts gerade widersprechen würde8. Die Pressefreiheit besteht nicht nur für „wertvolle“ Informationen, sondern grundsätzlich auch zugunsten der Unterhaltungs- und Sensationspresse und damit auch für Berichterstattung, die in erster Linie das Bedürfnis nach oberflächlicher Unterhaltung befriedigt9. Die Pressefreiheit dient der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Diese kann nur gelingen, wenn der freien Berichterstattung bestimmte Gegenstände oder Darbietungsweisen weder vorgegeben noch entzogen sind. Insbesondere ist die Meinungsbildung nicht auf den politischen Bereich beschränkt. Die Presse muss nach publizistischen Kriterien entscheiden dürfen, was sie des öffentlichen Interesses für werthält und was nicht10. Der Grundrechtsschutz der Pressefreiheit umfasst auch Unterhaltung in der Presse11 sowie die Bebilderung von unterhaltenden Publikationen und Beiträgen. Dies gilt auch für die Veröffentlichung von Bildnissen von Personen der Zeitgeschichte. Erst bei der Abwägung mit kollidierenden Persönlichkeitsrechten kann es darauf ankommen, ob Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen, ernsthaft und sachbezogen erörtert oder lediglich private Angelegenheiten ausgebreitet werden, die nur die Neugier befrieden12. Ebenso wie ein Presseerzeugnis selbst genießt auch die Werbung für das Presseerzeugnis den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Das schließt es aus, einer Bildnisveröffentlichung im Rahmen der Eigenwerbung der Medien das Privileg des § 23 Abs. 1 KUG zu entziehen13. Allerdings gilt dies nur, wenn die Bildnisnutzung nicht allein dazu dient, den Werbewert des Prominenten auszunutzen, wenn es für die Nutzung also einen redaktionellen, nämlich die Öffentlichkeit über den Inhalt des Medienproduktes informierenden Anlass gibt14. 3
Die Pressefreiheit umfasst nicht nur das Recht zu entscheiden, worüber berichtet wird, sondern auch die Frage, mit welchen Mitteln dem Informationsbedürfnis Rechnung getragen wird, ob also nur im Wort oder auch im Bild berichtet wird15. Art und Form der Berichterstattung sind dem redaktionellen Ermessen überlassen. Ob der verfolgte Informationszweck auch ohne eine Abbildung hätte erreicht werden können, ist für § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG irrelevant. Denn es wäre mit der normativen Entscheidung, die § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zugunsten einer 7 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco. 8 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco m.w.N. 9 BGH v. 29.6.1999 – VI ZR 264/98, NJW 1999, 2893 – Angehörige des Hochadels; BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 – Soraya. 10 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco. 11 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, BVerfGE 120, 180 = NJW 2008, 1793 Rz. 61. Ebenso im Rundfunk, BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 248/98, 1 BvR 755/98, NJW 2000, 1859 – Verfilmung Fall Lebach. 12 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco; v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 283 – Soraya. 13 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317 – Marlene Dietrich II, vgl. Rz. 63 und Rz. 141; v. 29.10.2009 – I ZR 65/07, AfP 2010, 237 – Der strauchelnde Liebling; v. 18.11.2010 – I ZR 119/08, AfP 2011, 350 – Markt & Leute. 14 BGH v. 11.3.2009 – I ZR 8/07, AfP 2009, 485 – Wer wird Millionär; v. 31.5.2012 – I ZR 234/10, GRUR 2013, 196 – Playboy am Sonntag. 15 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 4 Kap. 8
sachgemäßen und umfassenden Berichterstattung über zeitgeschichtliche Ereignisse getroffen hat, nicht zu vereinbaren, wenn das Erfordernis einer Bildberichterstattung jeweils dargelegt und begründet werden müsste und so das gesetzliche Privileg der Bildberichterstattung über zeitgeschichtliche Ereignisse ausgehöhlt würde16. Jedoch wird man im Einzelfall bei einer Abwägung zwischen dem Informationsinteresse und den berechtigten Interessen des Betroffenen nach § 23 Abs. 2 KUG ein qualifiziertes öffentliches Interesse gerade an einer Bildnisveröffentlichung verlangen können, dass also der Informationszweck nicht gleichermaßen auch ohne eine Bildnisveröffentlichung erfüllt worden wäre. Die Bildberichterstattung ist für den Betroffenen gegenüber der bloßen Wortberichterstattung eine schwerwiegendere Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechtes17. Es ist z.B. für den Betroffenen ein Unterschied, ob nur darüber berichtet wird, dass er betrunken war, oder ob dies im Bild gezeigt wird, auch wenn durch das Bild die Nachricht größere Authentizität erlangt. Zu seinem Schutz gibt es das KUG. In solchen Fällen ist daher für die Zulässigkeit einer Bildnisveröffentlichung zu verlangen, dass gerade das Bildnis zur Informationsvermittlung erforderlich oder angebracht war (vgl. Rz. 94). b) Grundsätze des EGMR zum Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung Die Freiheit der Meinungsäußerung ist eine der wesentlichen Grundlagen einer demokrati- 4 schen Gesellschaft und eine der Grundbedingungen für ihre Entwicklung sowie für die Selbstverwirklichung des Einzelnen. Vorbehaltlich des Art. 10 Abs. 2 EMRK gilt sie nicht nur für „Informationen“ und „Ideen“, die wohlwollend und zustimmend aufgenommen werden oder als harmlos oder belanglos gelten, sondern auch auf solche, die verletzen, Anstoß erregen, schockieren, erschüttern oder beunruhigen. Zur journalistischen Freiheit nach Art. 10 EGMR gehört auch die Möglichkeit einer gewissen Übertreibung und sogar der Provokation18. Dies erfordern Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ohne die es keine „demokratische Gesellschaft“ gibt19. Auch wenn anerkannt ist, dass Bildaufnahmen oft mehr ausdrücken können als Worte und dass eine Bildberichterstattung oft gegenüber dem Wortbericht eine unmittelbarere und intensivere Wirkung haben kann20, gehört zur Freiheit der Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK auch das Recht der Medien, über die journalistische Technik ihrer Berichterstattung zu entscheiden. Daher steht es dem Gerichtshof ebenso wenig wie den nationalen Gerichten zu, bezüglich der Frage, welche journalistische Technik bei der Berichterstattung im konkreten Fall angewendet werden soll – z.B. durch Wort, durch Bild oder audiovisuell – die eigene Sichtweise an die Stelle der Medien zu setzen21. Art. 10 EMRK schützt die Meinungsäußerungsfreiheit „jeder Person“, ohne danach zu unterscheiden, ob mit ihr ein wirtschaftliches oder nicht wirtschaftliches Ziel verfolgt wird. Art. 10 EMRK gilt deshalb auch für die Meinungsäußerung von Unternehmen, somit auch für kommerzielle Meinungsäuße-
16 OLG Frankfurt v. 21.9.1999 – 11 U 28/99, AfP 2000, 185 = NJW 2000, 594 – Katharina Witt; OLG Hamburg v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, AfP 1995, 665 = NJW 1996, 1151 – TV Star oben ohne; v. 30.5.1991 – 3 U 258/90, AfP 1992, 159 – Schauspielerin halbnackt. 17 BVerfG v. 25.2.1993 – 1 BvR 172/93, AfP 1993, 478 = NJW 1993, 1463 – Kriminaldirektor; BGH v. 16.9.1966 – VI ZR 268/64, NJW 1966, 2253 – Vor unserer eigenen Tür. 18 EGMR v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 81 – Axel Springer/Deutschland. 19 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 88 – Individualbeschwerde Paris Match/ Frankreich – zur Zulässigkeit einer Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco; v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2014, 137 Rz. 28 – Hochzeitfotos von Prominenten. 20 EGMR v. 23.9.1994 – 15890/89 – Jersild/Dänemark Rz. 31. 21 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 89 – Albert von Monaco und v. 23.9.1994 – 15890/89 Rz. 31 – Jersild/Dänemark.
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Kap. 8 Rz. 5
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
rungen, insbesondere die Wirtschaftswerbung22. Daher fällt auch die Veröffentlichung von Film- und Fotoaufnahmen zum Zwecke der Wirtschaftswerbung z.B. auch auf einer Webseite im Internet unter den Schutz von Art. 10 EMRK23. 5
Wie sich schon aus Art. 10 EMRK ergibt, unterliegt die Freiheit der Meinungsäußerung Einschränkungen, die jedoch eng ausgelegt werden müssen24 und deren Notwendigkeit überzeugend begründet werden muss (Rz. 9 ff.)25, so dass Art. 10 Abs. 2 EMRK im Bereich der Fragen von allgemeinem Interesse nur wenig Raum für Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung lässt26. Obwohl die Presse gewisse Grenzen nicht überschreiten darf, speziell hinsichtlich des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, kommt ihr dennoch die Aufgabe zu, in einer Weise, die mit ihren Pflichten und Verantwortlichkeiten vereinbar ist, Informationen und Ideen zu allen Themen des öffentlichen Interesses zu verbreiten. Deshalb schließt die Aufgabe, Informationen zu verbreiten, notwendigerweise sowohl Pflichten und Verantwortlichkeiten ein als auch Grenzen, die sich die Presse spontan selbst auferlegen muss27. Mit dieser Aufgabe der Presse korrespondiert das Recht der Öffentlichkeit, diese Informationen und Ideen zu erhalten. Andernfalls wäre die Presse nicht in der Lage ihrer zentralen Rolle als „öffentlicher Wachhund“ nachzukommen. Der Ermessensspielraum der staatlichen Behörden und Gerichte ist durch das Interesse der demokratischen Gesellschaft begrenzt, der Presse zu ermöglichen, ihrer wichtigen Rolle als „öffentlicher Wachhund“ nachzukommen28. Insbesondere die politische Berichterstattung und der investigative Journalismus genießen einen hohen Schutz nach der Konvention29. Zur Aufgabe der Presse gehört auch die Berichterstattung und Kommentierung von Gerichtsverfahren. Die Medien haben nicht nur die Aufgabe, solche Informationen und Ideen zu vermitteln, die Öffentlichkeit hat auch das Recht, sie zu erhalten30.
6
Die Meinungsäußerungsfreiheit umfasst auch die Veröffentlichung von Fotos. Aber dies ist ein Bereich, bei dem der Schutz der Rechte und des guten Rufes anderer von besonderer Bedeutung ist, da Fotografien sehr persönliche vertrauliche oder gar intime Informationen über den Einzelnen oder seine Familie enthalten können31. 22 EGMR v. 19.2.2015 – 53495/09, AfP 2015, 323 Rz. 46 – Bohlen/Deutschland und v. 19.2.2015 – 53649/09, AfP 2015, 327 Rz. 45 – Ernst-August von Hannover. 23 EGMR v. 10.1.2013 – 36769/08, GRUR 2013, 859 Rz. 34 – Ashby/Frankreich. 24 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 88 – Individualbeschwerde Paris Match/ Frankreich zur Zulässigkeit einer Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco; v. 16.1.2014 – 45192/09, NJW 2015, 763 Rz. 51 – Heimliche Filmaufnahmen von Tierversuchen; v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 7f. – Axel Springer/Deutschland. 25 EGMR v. 10.11.2015 – Individualbeschwerde „Paris Match/Frankreich, AfP 2016, 413 – zur Zulässigkeit einer Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco Rz. 88; v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = MR NJW 2014, 3291 Rz. 28 – Hochzeitfotos von Prominenten; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 101 – von Hannover II. 26 EGMR v. 24.2.2015 – 21830/09, AfP 2016, 239 Rz. 59 – Haldimann/Schweiz m.w.N. 27 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413. 28 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 29 – Hochzeitsfotos von Prominenten; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 102 – von Hannover II; v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 79 – Axel Springer/Deutschland. 29 EGMR v. 10.5.2011 – 48009/08, NJW 2012, 747 Rz. 129 – Max Mosley. 30 EGMR v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 80 – Axel Springer/Deutschland. 31 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 89 – Albert von Monaco; v. 16.1.2014 – 13258/09, NJW 2014, 3291 Rz. 30 – Hochzeitsfotos von Prominenten; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 103 – von Hannover II.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 10 Kap. 8
Obwohl die Veröffentlichung von Nachrichten über das Privatleben von Personen des öffent- 7 lichen Lebens eher dem Zweck der Unterhaltung als der Unterrichtung dient, trägt sie letztlich zur Vielfalt der Öffentlichkeit zur Verfügung stehenden Informationen bei und genießt unzweifelhaft den Schutz nach Art. 10 EMRK. Dieser Schutz kann jedoch hinter den Schutz nach Art. 8 EMRK zurücktreten, wenn die fragliche Information von privater oder intimer Natur ist und an ihrer Verbreitung kein öffentliches Interesse besteht32. Das Bild eines Menschen stellt eines der wichtigsten Merkmale seiner Persönlichkeit dar, da es 8 die einzigartigen Merkmale einer Person offenbart und die Person von ihren Mitmenschen unterscheidet. Das Recht am eigenen Bild gehört daher zu den wesentlichen Elementen der Entwicklung einer Person. Das Recht am eigenen Bild beinhaltet hauptsächlich die Befugnis, über die Verwendung des Bildes zu bestimmen, einschließlich des Rechts, die Veröffentlichung abzulehnen33. Auch wenn er allgemein bekannt ist, kann der Einzelne unter bestimmten Umständen eine berechtigte Erwartung auf Schutz und Achtung seines Privatlebens haben34. Außerdem werden Fotos, die in der „Sensationspresse“, in „Romanze“-Zeitschriften oder in „Magazinen für Herz und Gemüt“ erscheinen und gewöhnlich die öffentliche Neugier über Einzelheiten des intimen Privatleben von Personen befriedigen sollen, häufig unter ständiger Belästigung gemacht, was von den Betroffenen als schwerwiegender Eingriff in ihr Privatleben und sogar als Verfolgung angesehen wird35. c) Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit Ein Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung verletzt Art. 10 EMRK, wenn er nicht nach 9 Art. 10 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt ist. Daher ist zu prüfen, ob er „gesetzlich vorgesehen“ war, einen oder mehrere der in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten berechtigten Ziele verfolgte und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war, um das Ziel zu erreichen insbesondere auch zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer. Die Verurteilung, eine Bildberichterstattung zu unterlassen, stellt einen Eingriff in das Recht 10 auf freie Meinungsäußerung dar. Dieser Eingriff beruht auf § 823 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 1004 BGB zum Schutz des Persönlichkeitsrechts und den Vorschriften des KUG, ist somit i.S.v. § 10 Abs. 2 EMRK „gesetzlich vorgesehen“36. Der Eingriff in die Meinungsfreiheit verfolgt ein berechtigtes Ziel i.S.v. Art. 10 Abs. 2 EMRK, wenn er den Schutz des Privatlebens i.S.v. Art. 8 EMRK bezweckt, da das in Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens zu den berechtigten Zielen „Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer“ i.S.v. Art. 10 Abs. 2 EMRK zählt37.
32 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413, 189 – Albert von Monaco; v. 10.5.2011 – 48009/08, NJW 2012, 747 Rz. 131 – Max Mosley. 33 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 26 – Hochzeitsfotos von Prominenten unter Hinweis auf EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 96 – von Hannover II. 34 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 97 – von Hannover II; v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 27 – Hochzeitsfotos von Prominenten. 35 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 103 – von Hannover II; v. 24.6.2004 – 59320/00, AfP 2004, 348 = NJW 2004, 2647 – von Hannover/Deutschland. 36 EGMR v. 16.1.2014 – 45192/09, AfP 2015, 320 = NJW 2015, 763 Rz. 48 – Heimliche Filmaufnahmen von Tierversuchen; v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 77 – Axel Springer/ Deutschland. 37 EGMR v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 77 – Axel Springer/Deutschland.
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Kap. 8 Rz. 11
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
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Als berechtigte Ziele bei der Beschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung nennt Art. 10 Abs. 2 EMRK die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit, die öffentliche Sicherheit, die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Verhütung von Straftaten, den Schutz der Gesundheit oder der Moral, den Schutz des guten Rufs oder der Rechte anderer, die Verhinderung oder Verbreitung von vertraulichen Informationen zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung. Zur Verwirklichung dieser Ziele kann die Freiheit der Meinungsäußerung Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind.
12
Das Adjektiv „notwendig“ i.S.v. Art. 10 Abs. 2 EMRK bedeutet das Vorliegen „eines dringenden sozialen Bedürfnisses“38. Bei der Frage, ob ein solch dringendes soziales Bedürfnis (pressing social need) besteht und ob und in welchem Ausmaß ein Eingriff in die Meinungsfreiheit notwendig ist, haben die Konventionsstaaten einen gewissen Beurteilungsspielraum39. Dieser „gewisse Beurteilungsspielraum“ ist ein „weiter Ermessensspielraum“. Denn die Abwägung von sich widersprechenden Einzelinteressen wie dem öffentlichen Interesse an der Veröffentlichung von Informationen mit der Notwendigkeit, das Privatleben zu schützen, ist schwierig, und die Konventionsstaaten müssen bei dieser Abwägung einen weiten Ermessenspielraum haben; denn die staatlichen Behörden und Gerichte sind grundsätzlich besser als der Gerichtshof in der Lage zu beurteilen, ob es ein „dringendes soziales Bedürfnis“ gibt, das einen Eingriff in eines der von der Konvention garantierten Rechte rechtfertigen kann40. Dieser Ermessenspielraum ist jedoch nicht unbegrenzt, sondern geht einher mit einer europäischen Überwachung sowohl der Gesetze als auch der Rechtsprechung, die sie anwendet. In Ausübung seiner Überwachungsfunktion beurteilt der Gerichtshof dabei im Lichte des Falls als Ganzem, ob der Eingriff innerhalb des von der Konvention eingeräumten Ermessenspielraums ergangen ist und ob die von den nationalen Gerichten zur Rechtfertigung angeführten Gründe „stichhaltig und ausreichend“ sowie „in Bezug auf das berechtigt verfolgte Ziel verhältnismäßig“ sind41. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Freiheit der Meinungsäußerung müssen Art und Schwere der verhängten Sanktionen berücksichtigt werden42. Es ist jedoch nicht die Aufgabe des Gerichtshofs, anstelle der Presse darüber zu urteilen, welche Art und Technik der Berichterstattung Journalisten wählen müssen43.
38 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 31 – Hochzeitfotos von Prominenten. 39 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 31 und Rz. 33 – Hochzeitfotos von Prominenten; v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 85–88 – Axel Springer/ Deutschland; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053, Rz. 104–107 – von Hannover II/Deutschland. 40 EGMR v. 19.6.2012 – 1593/06, NJW 2013, 3501 Rz. 51 – Kurier Zeitungsverlag/Österreich II, Sorgerechtsstreit; v. 18.1.2011 – 39401/04, NJW 2012, 753 LS 8 – Naomi Campbell. 41 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 31 – Hochzeitfotos von Prominenten; v. 19.6.2012 – 1593/06, NJW 2013, 3501 Rz. 49 – Sorgerechtsstreit; v. 4.6.2009 – 21277/05, NJW 2010, 751 Rz. 44 – Standard/Österreich II. 42 EGMR v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 95 m.w.N.; v. 16.1.2014 – 45192/09, AfP 2015, 320 = NJW 2015, 763 Rz. 58 – Veröffentlichung heimlicher Filmaufnahmen von Tierversuchen. 43 EGMR v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 = NJW 2014, 1645 Rz. 45 – Caroline von Hannover III/Deutschland; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 102 – von Hannover/Deutschland II; v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 81 – Axel Springer/Deutschland.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 16 Kap. 8
Zur Überprüfung der Notwendigkeit eines Eingriffs in das Recht auf Meinungsäußerungs- 13 freiheit nach Art. 10 EMRK zugunsten des „guten Rufes oder Rechte anderer“ i.S.v. Art. 10 Abs. 2 EMRK wie z.B. eines Eingriffs in das Recht am eigenen Bild hat der EGMR Kriterien aufgestellt, die bei der Überprüfung der Notwendigkeit angewendet werden müssen. Dabei überprüft der Gerichtshof, ob die nationalen Gerichte angemessen zwischen dem Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 10 EMRK und dem durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Recht auf Privatleben angemessen abgewogen haben. Wurde die Abwägung durch die nationalen Gerichte im Einklang mit den vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien vorgenommen, sind zwingende Gründe erforderlich, um die Sichtweise der nationalen Gerichte durch eine eigene des Gerichtshofs zu ersetzen44. d) Abwägung zwischen den Rechten nach Art. 10 und nach Art. 8 EMRK Der Begriff des Privatlebens in Art. 8 EMRK erfasst alle Aspekte der persönlichen Identität 14 wie beispielsweise Namen, fotografische Abbildungen oder die körperliche und psychische Integrität einer Person. Das Recht auf Schutz des eigenen Bildnisses ist einer der wesentlichen Bestandteile der persönlichen Entwicklung. Es bedingt im Wesentlichen das Recht des Einzelnen, die Verwendung dieses Bildnisses zu kontrollieren, einschließlich des Rechts, die Veröffentlichung abzulehnen (zu Art. 8 EMRK vgl. Rz. 105 ff.). Grundsätzlich sind die Rechte auf Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK und der Schutz 15 der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 10 EMRK gleichwertig45. Für die Abwägung zwischen dem Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 10 EMRK und dem Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) hat der EGMR hat eine Reihe von Kriterien benannt, die für die im konkreten Fall anzustellende Abwägung relevant sind46, nämlich (i)
Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse,
(ii) Bekanntheit der betroffenen Person sowie Inhalt und Thema der Berichterstattung, (iii) Früheres Verhalten der betroffenen Person, (iv) Methode der Informationsbeschaffung und ihre Richtigkeit, bei Fotos die Umstände, unter denen sie aufgenommen wurden, (v) Inhalt, Form und Auswirkungen der Veröffentlichung. e) Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse Der erste wesentliche Gesichtspunkt für die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse 16 an der Veröffentlichung der Information (Art. 10 EMRK) und dem Recht des Betroffenen auf Schutz seines Privatlebens (Art. 8 EMRK) ist, ob das Foto oder der Bericht zu einer Dis44 EGMR v. 19.2.2015 – 53659/09, NJW 2016, 781 Rz. 740 – E. A. von Hannover/Deutschland; v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 33 und Rz. 44 – Hochzeitsfotos von Prominenten; v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 = NJW 2014, 1645 Rz. 45 – Caroline von Hannover III/Deutschland. 45 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 26 m.w.N. – Hochzeitsfotos von Prominenten. 46 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 34 – Hochzeitfotos von Prominenten; v. 19.2.2015 – 53495/09, AfP 2015, 323 Rz. 49 – Bohlen/Deutschland; v. 7.2.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 85–88 – Axel Springer/Deutschland; v. 7.2.2012 – 40660/08 u. 60641/08, NJW 2012, 1053 Rz. 109–113 – von Hannover II/Deutschland.
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Kap. 8 Rz. 17
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
kussion über eine Frage des allgemeinen Interesses beigetragen hat. Wann dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab47. Das Kriterium des allgemeinen Interesses ist verwandt mit dem weiteren Abwägungsgesichtspunkt, wie bekannt die betroffene Person und was Inhalt der Berichterstattung ist (Rz. 18). 17
Der Gerichtshof hat bisher ein solches allgemeines Interesse nicht nur bei der Veröffentlichung von politischen Themen oder Straftaten, sondern auch bei Themen des Sports oder über darstellende Künstler angenommen48. Auch ein bebilderter Bericht über die Vollstreckung einer Sorgerechtsentscheidung an einem Minderjährigen und die Frage, ob und in welchem Maße dabei Gewalt angewendet werden darf, betrifft eine Angelegenheit von allgemeinem Interesse und kann zu einer öffentlichen Diskussion dieser Frage in der Gesellschaft führen49. Auch ein heimlich mit versteckter Kamera aufgenommenes Gespräch mit einem Versicherungsagenten über die schlechte Beratung der Kunden durch Versicherungsmakler beim Abschluss von Lebensversicherungen betraf ein Thema von hohem Allgemeininteresse50, ebenso wie die Veröffentlichung eines heimlich auf dem Betriebsgelände eines Unternehmens aufgenommenen Films über Tierversuche an Affen51. Auch wenn das Interview mit der ehemaligen Geliebten des Fürsten Albert von Monaco zahlreiche Details über sein Privatleben und seine Gefühle enthielt, leistete die Veröffentlichung des Interviews mit der Bildberichterstattung über den bis dahin unbekannten unehelichen Nachwuchs des regierenden Fürsten von Monaco einen Beitrag zu einem Thema von öffentlichem Interesse52. Dagegen hat der Gerichtshof Gerüchte über Eheschwierigkeiten eines Präsidenten der Republik oder finanzielle Probleme eines berühmten Sängers nicht als Fragen allgemeinen Interesses angesehen, bei der die Presse ihre Aufgabe als „öffentlicher Wachhund“ wahrzunehmen hat, sondern nur als Fragen, die dazu dienen, die Neugier eines bestimmten Publikums zu bedienen53. Auch der gesundheitliche Zustand eines Politikers kann unter bestimmten Umständen von öffentlichem Interesse sein54. Bei der Prüfung, ob es ein öffentliches Interesse gibt, das den Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens rechtfertigt, ist darauf abzustellen, ob die Veröffentlichung im Interesse der Öffentlichkeit liegt, und nicht darauf, ob die Öffentlichkeit daran interessiert ist55.
47 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 36 – Hochzeitfotos von Prominenten; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 109 – von Hannover II/Deutschland. 48 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 30 m.w.N. – Hochzeitfotos von Prominenten. 49 EGMR v. 19.6.2012 – 1593/06, NJW 2013, 3501 – Sorgerechtsstreit. 50 EGMR v. 24.2.2015 – 21830/09, AfP 2016, 239 – Haldimann u.a./Schweiz. 51 EGMR v. 16.1.2014 – 45192/09, AfP 2015, 320 = NJW 2015, 763 – Veröffentlichung heimlicher Filmaufnahmen von Tierversuchen. 52 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 = GRUR-Prax. 2016, 42 m. Anm. Schöwerling – Cougerc und Hachette Filipacchi (Paris Match/Frankreich). 53 EGMR v. 4.6.2009 – 21277/05, NJW 2010, 751 Rz. 52 – Standard/Österreich II; v. 23.6.2009 – 12268/03, MR 2009, 298 Rz. 43 – Hachette Filipacchi (ICI PARIS/Frankreich, genannt vom Gerichtshof in EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 109 – von Hannover II/Deutschland). 54 EGMR v. 4.6.2009 – 21277/05, NJW 2010, 751 Rz. 52 – Standard/Österreich II; Slg. 2004 – IV Rz. 53 – Editions Plon/Frankreich. 55 EGMR v. 10.5.2011 – 48009/08, NJW 2012, 747 Rz. 114 – Max Mosley.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 19 Kap. 8
f) Bekanntheitsgrad der betroffenen Person und Inhalt der Berichterstattung Der Bekanntheitsgrad der betroffenen Person, ihre Rolle oder Funktion in der Gesellschaft 18 und der Gegenstand des Berichts oder Fotos stehen im Zusammenhang mit dem Kriterium des allgemeinen Interesses56. Denn hieraus ergeben sich Feststellungen zu der Frage, ob der Bericht oder die Aufnahme zu einer Diskussion über eine Frage von allgemeinem Interesse beigetragen hat57. Dabei muss zwischen Privatpersonen, die in der Öffentlichkeit unbekannt sind und solchen Personen unterschieden werden, die in der Öffentlichkeit als Politiker oder als Personen des öffentlichen Lebens agieren. Eine in der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson kann einen besonderen Schutz ihres Privatlebens beanspruchen; eine Person des öffentlichen Lebens kann dagegen nicht den gleichen Schutz auf Achtung des Privatlebens beanspruchen wie eine der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson58, auch wenn die in der Öffentlichkeit bekannte Person – wie jede andere Person – eine berechtigte Erwartung auf Schutz und Achtung ihres Privatlebens haben kann59. Außerdem muss grundsätzlich unterschieden werden zwischen einem Tatsachenbericht, der – selbst, wenn die Tatsachen umstritten sind – in einer demokratischen Gesellschaft einen Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse leisten kann, die z.B. Politiker bei Wahrnehmung ihrer Amtsgeschäfte betrifft, und der Berichterstattung über Einzelheiten des Privatlebens einer Person, die keine solche Aufgaben hat. Im ersten Fall spielt die Presse ihre wesentliche Rolle als „öffentlicher Wachhund“ in einer Demokratie, indem sie Informationen und Ideen über Fragen allgemeinen Interesses vermittelt; daran fehlt es im zweiten Fall. Zwar kann unter besonderen Umständen das Recht der Öffentlichkeit auf Information Aspekte des Privatlebens von Personen des öffentlichen Lebens einbeziehen, besonders wenn es um Politiker geht. Das gilt aber nicht – selbst dann nicht, wenn es um allgemein bekannte Personen geht –, wenn sich die veröffentlichten Fotos und Berichte dabei auf Einzelheiten des Privatlebens beziehen und nur die öffentliche Neugier befriedigen sollen. Solche Berichte und Aufnahmen sind kein Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse, weder bei Personen des öffentlichen Lebens noch bei Personen, die der Öffentlichkeit nicht bekannt sind60. Für diese Berichterstattung gilt der starke Schutz, den Art. 10 EMRK der Presse gibt, nicht. In solchen Fällen ist die Freiheit der Meinungsäußerung daher enger auszulegen61. Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist auch zu berücksichtigen, welchen Bei- 19 trag die Veröffentlichung des Fotos zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse leistet, und dabei auch der Bildinhalt selbst, also das Bild per se62. Es geht zu Lasten der Meinungs56 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 37 – Hochzeitsfotos von Prominenten. 57 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 12012, 1053 Rz. 110 – von Hannover II/Deutschland. 58 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 110 – von Hannover II/Deutschland; v. 19.2.2015 – Nr. 53659/09, NJW 2016, 781 Rz. 50 – Ernst-August von Hannover/Deutschland. 59 EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00, AfP 2004, 348 = NJW 2004, 2647 Rz. 69 – Caroline von Monaco/ Deutschland; v. 4.6.2009 – 21277/05, NJW 2010, 751 Rz. 48 – Standard/Österreich II. 60 EGMR v. 19.6.2012 – 1593/06, NJW 2013, 3501 Rz. 58 – Sorgerechtsstreit; v. 18.1.2011 – 39401/04, NJW 2012, 753 LS 3 – Naomi Campbell. 61 EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00, AfP 2004, 348 = NJW 2004, 2647 – von Hannover/Deutschland; v. 10.5.2011 – 48009/08, NJW 2012, 747 Rz. 114 – Max Mosley; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 110 – von Hannover II/Deutschland; v. 4.6.2009 – 21277/05, NJW 2010, 751 Rz. 53 – Standard-Verlag/Österreich II; v. 23.6.2009 – 12268/03, MR 2009, 298 Rz. 40 – Hachette Filipachi (ICI PARIS/Frankreich). 62 EGMR v. 10.5.2011 – 48009/08, NJW 2012, 747 Rz. 115 – Max Mosley; v. 26.2.2002 – 34315/96, Rz. 36 – Kroneverlag/Österreich.
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Kap. 8 Rz. 20
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
freiheit, wenn die Aufnahme keinerlei zusätzlichen Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse leistet und nur dazu dient, das Publikum zu erregen und die Unannehmlichkeiten für den Betroffenen zu erhöhen63. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Foto zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse beigetragen hat, ist es jedoch aus der Sicht der Konvention nicht zu beanstanden, wenn der Informationsgehalt des Fotos unter Berücksichtigung des Begleitartikels geprüft wird64. Allerdings darf die Presse dabei nicht irgendein zeitgeschichtliches Ereignis nur als Vorwand nutzen, um die Veröffentlichung eines Fotos zu rechtfertigen. Es ist Aufgabe der staatlichen Gerichte, diese Frage im konkreten Einzelfall zu prüfen. Wenn ein Bezug zwischen dem Foto und der Wortberichterstattung bloß künstlich und rein willkürlich wäre, kann der Gerichtshof im Rahmen seiner europäischen Überwachungsaufgabe seine Auffassung an die Stelle der staatlichen Gerichte setzen65. g) Vorausgegangenes Verhalten der betroffenen Person 20
Als weiteres Kriterium ist bei der Abwägung das Verhalten des Betroffenen vor Veröffentlichung des Berichts zu berücksichtigen66. Der bloße Umstand, dass jemand zu früheren Gelegenheiten mit der Presse kooperiert hat, ist allein kein Argument dafür, ihm jeden Schutz vor der Veröffentlichung von Fotos oder Wortberichten zu versagen67. Das Recht auf Schutz des Privatlebens ist daher für bekannte Persönlichkeiten aus dem Bereich des Kulturlebens nicht schwächer als für andere Personen, trotz der Tatsache, dass Fotografien von ihnen in Bezug auf ihr berufliches Leben in den Medien veröffentlicht wurden68. Jedoch ist die berechtigte Erwartung einer in der Öffentlichkeit bekannten Person, dass ihr Privatleben wirksam geschützt wird, reduziert, wenn der Betroffene selbst in Interviews Einzelheiten über sein Privatleben offenbart hat, also die öffentliche Aufmerksamkeit gesucht hat69. Hat der Betroffene dagegen versucht, sein Privatleben abzuschirmen oder durch die Erhebung von Klagen klargestellt, dass er keine Veröffentlichung von Fotos über sein Privatleben in der Presse wünscht, ist dies bei der Abwägung der widersprechenden Interessen zu berücksichtigen70.
21
Ebenso wie das mediale Vorverhalten des Betroffenen ist für die Abwägung der widerstreitenden Interessen von Bedeutung, ob die Fotoaufnahmen und Informationen dazu schon früher veröffentlicht worden waren71.
63 EGMR v. 10.5.2011 – 48009/08, NJW 2012, 747 Rz. 130 – Max Mosley. 64 EGMR v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 = NJW 2014, 1645 Rz. 48 – von Hannover III/ Deutschland; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 118 – von Hannover II/Deutschland. 65 EGMR v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 = NJW 2014, 1645 Rz. 50 – von Hannover III/ Deutschland. 66 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 111 – von Hannover II/Deutschland. 67 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053, Rz. 111 – von Hannover II/Deutschland; v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291, Rz. 38 – Hochzeitfotos von Prominenten. 68 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291, Rz. 38 – Hochzeit von Prominenten. 69 EGMR v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058, Rz. 101 – Axel Springer/Deutschland. 70 EGMR v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 = NJW 2014, 1645, Rz. 55 – von Hannover III/ Deutschland. 71 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053, Rz. 111 – von Hannover II/Deutschland m.w.N.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 24 Kap. 8
h) Methode der Informationsbeschaffung und ihre Richtigkeit; bei Fotos die Umstände, unter denen sie aufgenommen wurden Im Falle der Wortberichterstattung ist zu berücksichtigen, auf welche Art und Weise die In- 22 formationen erlangt wurden, die Wahrheit der Informationen bzw. welches Vertrauen die Medien in die Richtigkeit der Information haben durften72. Der Schutz von Art. 10 EMRK gegenüber den Medien hinsichtlich Reportagethemen von allgemeinem Interesse steht unter der Bedingung, dass die Medien in gutem Glauben und auf einer genauen Tatsachengrundlage arbeiten und verlässliche und präzise Informationen entsprechend den ethischen Grundlagen des Journalismus vermitteln73. Bei Fotos sind bei der Abwägung die Begleitumstände zu berücksichtigen, unter denen die 23 Aufnahmen entstanden sind. Dabei ist von Bedeutung, ob der Fotografierte in die Aufnahme und ihre Veröffentlichung eingewilligt hat oder ob die Aufnahmen ohne Kenntnis des Betroffenen oder mit List oder anderen illegalen Mitteln aufgenommen worden sind74. Es ist grundsätzlich zu berücksichtigen, wenn Fotografen die Fotos verborgen und mit starken Teleobjektiven aus einer Entfernung von ca. 250 Metern gemacht haben; die Heimlichkeit der Aufnahme und der Einsatz technischer Mittel fällt jedoch nicht ins Gewicht, wenn für die Abgebildeten die Situation auch nicht besser gewesen wäre, wenn die Fotos aus näherer Entfernung aufgenommen worden wären oder von einem Ort, an dem der Fotograf von den Betroffenen hätte gesehen werden können75. Zu berücksichtigen wäre auch ein Bruch der Vertraulichkeit, beispielsweise wenn ein Teilnehmer an einer Hochzeitsfeier von Prominenten während der Hochzeit persönliche Fotos vom Brautpaar macht und veröffentlicht76. Wichtig ist bei der Abwägung auch, ob die Aufnahmen an einem abgeschlossenen Ort gemacht wurden, an dem die Betroffenen annehmen durften, sie seien unbeobachtet77. Zur Heimlichkeit und weiteren zu beachtenden Umständen, unter denen die Aufnahme gemacht wurde, vgl. Kap. 7 Rz. 39 f. i) Inhalt, Form und Auswirkungen der Veröffentlichung Zu berücksichtigen sind ferner die Art und das Gewicht des Eingriffs und die Folgen der 24 Veröffentlichung für den Betroffenen. Dabei kann es auch eine Rolle spielen, wie ein Bericht oder ein Foto veröffentlicht und die betroffene Person dargestellt wird. Darüber hinaus kann auch das Ausmaß der Verbreitung des Berichts und des Fotos von Bedeutung sein, je nachdem ob es sich um eine Zeitung mit nationaler oder lokaler, hoher oder geringer Auf-
72 EGMR v. 7.2.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 93 – Axel Springer/Deutschland; v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 Rz. 39 = NJW 2014, 3291 – Hochzeitfotos von Prominenten. 73 EGMR v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 93 – Axel Springer/Deutschland. 74 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 113 – von Hannover II/Deutschland m.w.N. 75 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 39 – Hochzeitfotos von Prominenten. 76 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 39 – Hochzeitfotos von Prominenten. 77 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 30 – Hochzeitfotos von Prominenten.
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Kap. 8 Rz. 25
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
lage handelt78. Für eine in der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson kann die Veröffentlichung eines Fotos ein schwerwiegenderer Eingriff sein als ein Wortbericht79. 25
Das französische Magazin Paris Match veröffentlichte ein Interview mit der Mutter von Alexandre, demzufolge der regierende Fürst von Monaco, Albert Grimaldi, Vater des Kindes sei. Das Interview war bebildert u.a. mit Fotos, die Albert mit dem Kind zeigten. Der Gerichtshof hat ein berechtigtes allgemeines Interesse bejaht, die Veröffentlichung der Aufnahmen für zulässig gehalten und das Verbot durch die französischen Gerichte für konventionswidrig erklärt. Die Fotos waren nicht heimlich aufgenommen worden, sondern von der Mutter mit Zustimmung des Fürsten. Auch wenn die Aufnahmen einen Eingriff in das von Art. 8 EMRK geschützte Privatleben des Fürsten darstellten, war ihre Veröffentlichung gerechtfertigt, weil sie geeignet waren, den Wahrheitsgehalt einer zulässigen Berichterstattung zu unterstreichen (Rz. 17). Die Mutter des Kindes habe im Zeitpunkt der Veröffentlichung keine anderen Mittel gehabt, um die im Artikel behauptete Vaterschaft des Fürsten zu belegen. Die Fotos seien auch weder für sich betrachtet noch im Zusammenhang mit den Begleittexten verleumderisch, herabsetzend oder abwertend für das Image des Fürsten gewesen80. 2. Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG) a) Grundsatz
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§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG enthält die für die Ausübung von Äußerungsfreiheiten, insbesondere die publizistische Arbeit wahrscheinlich wichtigste Ausnahme vom Bildnisschutz. Danach dürfen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werden, wenn dem keine berechtigten (und das Publikationsinteresse überwiegenden) Interessen des Abgebildeten entgegenstehen. Nach der vom Bundesverfassungsgericht in der Lebach-Entscheidung81 geforderten verfassungskonformen Interpretation bedeutet dies, dass die Verbreitung vorbehaltlich entgegenstehender Interessen des Abgebildeten nur zulässig ist, wenn dadurch Informationsinteressen wahrgenommen werden. Damit die Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zum Zuge kommt, genügt es somit nicht, dass die abgebildete Person eine Person der Zeitgeschichte ist. Die Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung dieser Person muss vielmehr auch zeitgeschichtlichen Nachrichtenwert haben und muss einem Informationszweck dienen82. Andernfalls – wie z.B. bei einer Bildnisnutzung ausschließlich zu Werbezwecken – kommt das Privileg des § 23 Abs. 1 KUG nicht zum Tragen (vgl. Rz. 62). b) Begriff der Zeitgeschichte
27
Der § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zugrunde liegende Begriff der Zeitgeschichte hat mit Begriffen der Geschichtswissenschaft nichts zu tun83. Schon nach der Entwurfsbegründung ist er im 78 EGMR v. 24.2.2015 – 21830/09, AfP 2016, 239 Rz. 63 – Haldimann/Schweiz: verdeckte Fernsehaufnahmen zur Aufdeckung von Missständen. 79 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08 – von Hannover/Deutschland II, NJW 2012, 1053 Rz. 113 m.w.N. 80 EGMR v. 10.11.2011 – 40454/07 Rz. 149, Couderc und Hachette Filipacchi Ass/Frankreich, besprochen von Schöwerling GRUR-Prax. 2016, 42. 81 BverfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202. 82 OLG Hamburg v. 30.5.1991 – 3 U 258/90, AfP 1992, 159; v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, AfP 1995, 665 = NJW 1996, 1151. 83 Franke, NJW 1981, 2033.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 28 Kap. 8
weitesten Sinne zu verstehen. Zutreffender wäre daher – abweichend vom Gesetzeswortlaut – der gelegentlich verwendete Begriff „Bildnis aus dem Bereich des Zeitgeschehens“. Damit wird klargestellt, dass es nicht auf das Interesse an der Person selbst, sondern an ihrer Funktion und Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung ankommt. Diese Fokussierung schließt es nicht aus, die Orientierungsfunktion von Leitbildfiguren, zu denen nicht nur Politiker gehören, zu berücksichtigen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 KUG sind daher unter Berücksichtigung des Informationsinteresses funktional nach dem Maßstab des Informationsinteresses der Allgemeinheit zu bestimmen84. Die Vorschrift nimmt auf das Informationsinteresse der Allgemeinheit und auf die Pressefreiheit Rücksicht. Diese Belange sind daher gerade bei der Auslegung zu beachten. Denn gezielte Abbildungen von Personen, deren Verhalten oder Funktion keine zeitgeschichtliche Bedeutung hat, dürfen grundsätzlich nur mit der Zustimmung der Betroffenen veröffentlicht werden. Das weitere dem Grundrechtseinfluss offenstehende Tatbestandsmerkmal des „berechtigten Interesses“ in § 23 Abs. 2 KUG bezieht sich von vornherein nur auf Personen, deren Auftritt, Funktion oder Verhalten von zeitgeschichtlicher Bedeutung ist. Das Tatbestandsmerkmal kann folglich die Belange der Pressefreiheit nicht mehr als dem Persönlichkeitsschutz gleichwertig berücksichtigen, wenn diese zuvor bei der Abgrenzung des Personenkreises außer Acht gelassen worden sind85. Der Begriff der Zeitgeschichte umfasst nicht nur Vorgänge von historischer oder politischer 28 Bedeutung, sondern alle Gegenstände, die ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit betreffen86. Dazu zählen nicht nur sämtliche Ereignisse, die aus irgendeinem Grunde in das Blickfeld der Öffentlichkeit getreten sind87, sondern alle Angelegenheiten, die für die Meinungsbildung der Allgemeinheit von Bedeutung sind, also auch unterhaltende und deswegen gesellschaftlich orientierende Berichte. Ob ein öffentliches Interesse vorliegt, dürfen Presse und Rundfunkveranstalter im Rahmen ihrer Berichtsautonomie selbst beurteilen88. Denn zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört es, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in welchem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht, und dass sich im Meinungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist. Unterhaltende Beiträge sind davon nicht ausgenommen. Denn Meinungsbildung und Unterhaltung sind keine Gegensätze. Auch in unterhaltenden Beiträgen findet Meinungsbildung statt („Infotainment“). Sie können die Meinungsbildung u.U. sogar nachhaltiger anregen oder beeinflussen als ausschließlich sachbezogene Information89. Es kommt nicht darauf an, ob Vorgänge bereits abgeschlossen sind oder sich noch im Fluss befinden. Damit kann ein Vorgang oder Ereignis als zeitgeschichtlich einzustufen sein, obschon seine Bedeutung eventuell kurzlebig ist. Auch Ereignisse von nur lokalem Interesse können zur 84 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco. 85 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1025 – Caroline von Monaco. 86 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1025 – Caroline von Monaco. 87 Vgl. u.a. RG v. 26.6.1929 – I 97/29, RGZ 12, 80 – Tull Harder; BGH v. 9.6.1965 – Ib ZR 126/63, NJW 1965, 2148 – Spielgefährtin; OLG München v. 15.11.1962 – 6 U 1499/62, GRUR 1964, 42 – Lebensmittelskandal. 88 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco; BGH v. 9.12.2003 – VI ZR 373/02, AfP 2004, 119 = NJW 2004, 762, 764 – Feriendomizil Prominenter. 89 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1025 – Caroline von Monaco.
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Kap. 8 Rz. 29
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
Zeitgeschichte zählen. Zur Zeitgeschichte gehört alles, woran gegenwärtig ein allgemeines, der Meinungsbildung dienendes Interesse besteht. 29
Da die Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG funktional nach dem Maßstab des Informationsinteresses der Allgemeinheit zu bestimmen sind, lag nach früherer Rechtsprechung ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte bei absoluten Personen der Zeitgeschichte auch dann vor, wenn es keinen zeitgeschichtlichen relevanten Vorgang wiedergibt. Denn bei absoluten Personen der Zeitgeschichte resultiere das öffentliche Informationsinteresse allein aus der dargestellten Person, völlig unabhängig von einem bestimmten zeitgeschichtlichen Ereignis (vgl. Rz. 31). Dagegen setzte die einwilligungsfreie Veröffentlichung von Bildnissen einer relativen Person der Zeitgeschichte den Bezug auf ein bestimmtes zeitgeschichtliches Ereignis voraus, welches das öffentliche Informationsinteresse am Bildnis begründe (vgl. Rz. 35). Diese Rechtsprechung ist durch den EGMR in der Caroline-Entscheidung kritisiert worden, weil sie die Privatsphäre zu sehr einschränke und nicht berücksichtige, dass Prominente auch in der Öffentlichkeit einen Rückzugsraum und einen Schutz vor ständiger Beobachtung haben müssen. Dabei hat auch eine Rolle gespielt, dass die Belagerung von Prominenten durch versteckt oder besonders aufdringlich operierende Fotoreporter („Paparazzi“) zu erheblichen Belästigungen im Alltagsleben Prominenter und – wie im Falle der 1997 angesichts einer Verfolgung durch Fotoreporter zu Tode gekommenen Princess of Wales – auch zu Gefährdungen von Leib und Leben führen kann. Die Vorstellung einer absoluten Person der Zeitgeschichte kommt dem US-amerikanischen Recht nahe. Dort genießen „public figures“ nur einen Schutz gegen wissentlich falsche oder rücksichtlos als falsch missachtete Tatsachenbehauptungen90. Bei dieser Betrachtung bleibt das auch gegenüber der Presseberichterstattung beachtliche Interesse an Privatheit unbeachtet. Die deutschen Gerichte haben vor diesem Hintergrund den Begriff der „absoluten Person der Zeitgeschichte“91 aufgegeben und stellen stattdessen – im Einklang mit dem Gesetzestext – nunmehr darauf ab, ob das Bildnis die Person in einem zeitgeschichtlich bedeutsamen Kontext zeigt92. Bei der Gewichtung der zeitgeschichtlichen Bedeutung des abgebildeten Ereignisses kann die Bekanntheit einer Person allerdings nach wie vor eine Rolle spielen. Während die Hochzeit des Normalbürgers nicht von besonderem Berichtsinteresse ist, mag die Hochzeit eines Unterhaltungskünstlers durchaus gesellschaftlich eine die Meinungsbildung orientierende Wirkung haben. c) Ereignis der Zeitgeschichte aa) Entwicklungslinien: Von der Person der Zeitgeschichte zum Ereignis der Zeitgeschichte
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Ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte liegt nach h.M. vor, wenn der Abbildungsgegenstand eine bekannte Person in einem zeitgeschichtlich bedeutsamen Zusammenhang zeigt oder die Bildberichterstattung der Illustration eines solchen Zusammenhangs dient. Den Begriff „Person der Zeitgeschichte“ erwähnen die Motive zum KUG93, allerdings soll danach zur Person der Zeitgeschichte nur werden, wer „bewusst“ in sie eintritt. Ein „unbewusstes“ Eintreten sei nicht ausreichend. Dieser Gedanke spielt auch heute noch eine Rolle, denn wer 90 91 92 93
Hustler Magazine v. Falwell, 485 U.S. 46 (1988). Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114, 115. Götting in Schricker/Loewenheim, § 23 KUG Rz. 73; vgl. auch Stieper, JZ 2014, 271, 274. Stenglein, Strafrechtliche Nebengesetze, 5. Aufl. 1928, § 23 KUG Anm. 1; vgl. auch Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, S. 215 f.
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Rz. 31 Kap. 8
sich bewusst in die Öffentlichkeit oder auf eine öffentliche Veranstaltung begibt und von der Aufnahme von Abbildungen durch Medienvertreter weiß, bringt durch sein Vorverhalten zum Ausdruck, dass er mit der Bildnisnahme einverstanden ist94. Der insbesondere von Neumann-Duesberg entwickelte und lange im deutschen Recht umgesetzte Vorschlag, zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte zu unterscheiden, ist heute terminologisch noch präsent, als Konzept aber aufgegeben95. Als absolute Personen der Zeitgeschichte bezeichnet Neumann-Duesberg Personen, bei denen an allen Vorgängen, die ihre Teilnahme am öffentlichen Leben ausmachen, ein Informationsinteresse besteht; ausgenommen sei aber das Privat- und Familienleben. Als mit der Zeitgeschichte nur relativ verknüpft sieht er Personen an, die lediglich in Bezug auf ein bestimmtes Geschehen in das Blickfeld der Öffentlichkeit treten und allein insoweit ein sachentsprechendes Informationsinteresse erwecken96. Die früheren Begriffe behalten einen gewissen Orientierungscharakter im Rahmen der Interessenund Güterabwägung97. Für diese Güterabwägung hat der EGMR eine Reihe von Kriterien genannt98, darunter die Bekanntheit der Person (Rz. 31 ff.) und das ein mediales Interesse erzeugende Vorverhalten des Betroffenen (Rz. 35 ff.). Im Rahmen der weiteren Abwägung sind Inhalt, Form und Auswirkungen der Veröffentlichung sowie die Umstände der Bildnisanfertigung relevant. Diese Umstände lassen sich im deutschen Recht systematisch bei § 23 Abs. 2 KUG verankern, denn sie betreffen insgesamt die Frage, inwieweit die Informationsbedürfnisse gegenüber dem Persönlichkeitseingriff noch angemessen sind. bb) Rollenbezogenes Informationsinteresse (früher: Absolute Person der Zeitgeschichte) Zur Zeitgeschichte gehören vor allem Bilder von solchen Personen, die auf Grund ihrer Be- 31 kanntheit und Stellung ein zeitgeschichtliches Interesse der Öffentlichkeit berühren. Das Interesse knüpft also an die Person an, betrifft aber mittelbar deren kraft Status oder Amt betroffene Funktion in der Öffentlichkeit, darunter auch die Funktion, gesellschaftliche Orientierung und Vorbildwirkung für das Leben der Allgemeinheit zu vermitteln. Ein solches kraft Bekanntheit und Stellung vermitteltes, auf die Person bezogenes Interesse der Zeitgeschichte muss nicht stets punktuell durch ein bestimmtes zeitgeschichtliches Ereignis erzeugt werden99. Solche allgemeine öffentliche Aufmerksamkeit in dem Maße, dass die öffentliche Meinung Bildnisse über sie um der abgebildeten Person willen der Beachtung wert findet, wird Personen zuteil, die durch ihre Funktion, ihre besonderen Leistungen, ihre Taten oder ihre Herkunft aus dem Kreis der Mitmenschen herausragen und dadurch im Blickfeld mindestens eines Teils der Öffentlichkeit stehen. Das betrifft auch Prominente, die durch publikumswirksame Auftritte das öffentliche Interesse nachhaltig auf sich gelenkt haben. Auch durch Untaten statt Taten
94 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco; vgl. insoweit auch EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, GRUR 2012, 745 Rz. 111 – von Hannover/Deutschland Nr. 2. 95 Kritisch gegenüber einer allzu schematischen Anwendung in der Literatur bereits Sedelmeier, AfP 1999, 450; Steffen, § 6 LPG Rz. 130 f.; Prinz/Peters, Rz. 859. 96 Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114, 115. 97 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco; OLG Braunschweig v. 28.10.2000 – 2 W 241-242/00, NJW 2001, 160. 98 EGMR v. 7.2.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 = GRUR 2012, 741, Rz. 96, 99, 101, 108 – Axel Springer AG/Deutschland; EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053, Rz. 110-113 – von Hannover/Deutschland Nr. 2. 99 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1025 – Caroline von Monaco.
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Kap. 8 Rz. 32
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
und durch negativ zu bewertende Verhaltensweisen kann zeitgeschichtliche Bedeutung erworben werden100. Dagegen sollen spektakuläre körperliche Missbildungen eine Person nicht zur Person der Zeitgeschichte machen, weil an ihren Bildnissen ein schutzwürdiges Informationsbedürfnis der Allgemeinheit fehlt101. Dies wird meistens zutreffen. Es sind aber durchaus Fälle denkbar, bei denen auch bei solchen Bildnissen ein berechtigtes Informationsinteresse der Allgemeinheit nicht verneint werden kann (z.B. Opfer von Giftgas- oder Napalm-Angriffen). Die hiermit angesprochene Problematik ist einer Entwicklung geschuldet, die in den Kulturwissenschaften als „pictorial turn“ bezeichnet wird. Damit ist gemeint, dass Fotos ikonografische Bedeutung für geschichtliche, politische und kulturelle Bedeutung erlangen können102. Ein Beispiel ist das Foto von Addie Adams, das die Erschießung des festgenommenen Nguyen Van Lem durch den Polizeichef von Saigon, General Nguyen Ngoc Loan, festhält und von dem Magazin „Time“ zu einem der 100 wichtigsten Fotos aller Zeiten erklärt wurde103. Einer missbräuchlichen Veröffentlichung solcher Bildnisse steht § 23 Abs. 2 KUG entgegen. 32
Die einwilligungsfreie Veröffentlichung zeitgeschichtlich bedeutsamer Personenbildnisse indiziert das öffentliche Interesse. Das bedeutet allerding noch nicht, dass die Person selbst das Ereignis bereits ausreichend begründet (anders Vorauflage). Die Veröffentlichung muss die bekannte Person bei einem öffentlichen Auftritt oder einer für die Meinungsbildung bedeutsamen Handlung oder in einer diesbezüglich bedeutsamen Situation zeigen. Allerdings muss das Foto die Person nicht unbedingt bei der Funktionsausübung im engeren Sinne zeigen. Vielmehr kann es sich wegen der herausgehobenen Funktion und der damit verbundenen Wirkung auch auf Informationen darüber erstrecken, wie sich diese Personen generell, also außerhalb ihrer jeweiligen Funktion, in der Öffentlichkeit bewegen. Diese hat ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, ob solche Personen, die oft als Idol oder Vorbild gelten, funktionales und persönliches Verhalten überzeugend in Übereinstimmung bringen. Gleichwohl genießen bekannte Personen auch in der Öffentlichkeit einen Schutz ihrer Privatsphäre. Sofern Fotos aus diesem Bereich verbreitet werden, muss der Berichtsanlass daher entweder aus dem Foto selbst ersichtlich sein (Bsp.: Verkehrsminister überschreitet eine rote Ampel) oder durch den Begleittext oder sonstige Umstände der Bildveröffentlichung erläutert werden104. Fehlt es daran, ist die Veröffentlichung nicht allein deswegen zulässig, weil die abgebildete Person prominent ist105. Dies gilt auch für Politiker, die zwar typischerweise Rollenerwartungen in Bezug auf ihr Privatleben wecken, aber eine Privatsphäre auch in der Öffentlichkeit beanspruchen dürfen. Eine Interessenabwägung ist daher stets erforderlich106. Mithin ist es problematisch, Bildberichte über das Einkaufsverhalten eines ehemaligen Bundespräsidenten im Wesentlichen deswegen für zulässig zu halten, weil die besondere Bedeu-
100 OLG Braunschweig v. 18.10.2000 – 2 W 242/00, ZUM-RD 2001, 382. 101 LG Kleve v. 23.4.1952 – S 238/51, MDR 1953, 107 – Siamesische Zwillinge m. Anm. NeumannDuesberg; OLG München v. 3.2.1975 – 21 U 2481/74, NJW 1975, 1129 – Zwerg. 102 Dazu William J.T. Mitchell, Picture Theory. Essays on Verbal and Visual Representation, Chicago/London 1994 und aus juristischer Sicht Röhl, Das Recht der visuellen Zeitenwende, JZ 2003, 339. 103 Vgl. 110photos.time.com. 104 BGH v. 24.6.2008 – VI ZR 156/06, BGHZ 177, 119 = AfP 2008, 499 – Einkaufsbummel nach Abwahl; v. 1.7.2008 – VI ZR 67/08, AfP 2008, 503 = NJW 2008, 3141 (Urlaubsfotos mit Bericht über Sparverhalten von Prominenten). 105 Vgl. BGH v. 1.7.2008 – VI ZR 243/06, AfP 2008, 507, Rz. 27 – Einkaufsbummel im Urlaub. 106 BGH v. 6.3.2007 – VI ZR 51/06, BGHZ 171, 275 = AfP 2007, 208 Rz. 19 f. – Caroline von Hannover; BGH v. 1.7.2008 – VI ZR 243/06, AfP 2005, 507 Rz. 8 – Einkaufsbummel im Urlaub.
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tung des Amtes nachwirke107, ohne dass ein inhaltlicher Bezug zum Amtsverhalten, wie etwa zum privaten Verhalten vor oder nach einer wichtigen politischen Entscheidung, besteht108. Auch der Umstand, dass der Betroffene sein Privatleben selbst in der Vergangenheit zum Gegenstand öffentlicher Berichterstattung gemacht hat, kann dieses Ergebnis nicht tragen109. Ein ähnlicher, jedoch etwas anders gelagerter Fall betraf die ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein Heide Simonis. Die Presse durfte laut BGH ein Foto von ihr veröffentlichen, das sie am Tag ihres Ausscheidens aus dem Amt beim Einkaufsbummel zeigte, da ein öffentliches Interesse bestand, darüber informiert zu werden, wie sie „den Verlust ihrer Stellung als Ministerpräsidentin bewältigte und wie sie ihr Leben nach dem Abschied aus der Politik gestaltete.“110 Dieses Abwägungsergebnis zugunsten der Pressefreiheit erscheint – anders als im Fall des ehemaligen Bundespräsidenten Wulff – wegen des sehr engen zeitlichen Zusammenhangs mit dem zeitgeschichtlich bedeutsamen Ereignisses des Amtsverlustes akzeptabel. Für den BGH war die zeitliche Nähe für sich genommen jedoch nicht maßgeblich. Ein auf die Bekanntheit der Person gestütztes Berichtsinteresse betrifft Persönlichkeiten des 33 religiösen Lebens111, das politische Leben beeinflussende Persönlichkeiten112; ferner Wissenschaftler und Erfinder113, Topmanager114, Künstler115, Schauspieler116, herausragende Sport-
107 BGH v. 6.2.2018 – VI ZR 76/17 Rz. 23 – Christian Wulff im Supermarkt; a.A. Vorinstanz OLG Köln v. 19.1.2017 – 15 U 88/16. 108 So bei BGH v. 27.9.2016 – VI ZR 310/14, NJW 2017, 804 m. Anm. Wanckel – („Vor der Misstrauensabstimmung ging’s in die Paris-Bar“). 109 So aber BGH v. 6.2.2018 – VI ZR 76/17 Rz. 27 – Christian Wulff im Supermarkt. 110 BGH v. 24.6.2008 – VI ZR 156/06, BGHZ 177, 119 = AfP 2008, 499 – Einkaufsbummel nach Abwahl. 111 AG München, JW 1928, 376 – Therese Neumann. 112 KG, JW 1928, 363 – Kaiser Wilhelm II.; OLG München v. 6.12.1962 – 6 U 2160/61, Ufita 41/1964, 322 – Parteispitzenkandidat; DJZ 1920, 596 – Reichspräsident Ebert und Reichsminister Noske; BVerfG v. 11.11.1992 – 1 BvR 1595/92, 1 BvR 1606/92, AfP 1992, 359 = NJW 1992, 3288 – Mitglieder der DDR-Politbüros wie Honecker, Mielke, Stoph u.a.; BGH v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, ZUM 1996, 240 – Bundeskanzler Willy Brandt; OVG Berlin v. 7.7.1997 – 8 B 91.93, NJW 1998, 257 – Ministerpräsident Manfred Stolpe; LG Berlin v. 8.6.1995 – 20 O 67/95, NJW 1996, 1142 – Schalck-Golodkowski. 113 RG v. 28.10.1910 – Rep. II. 688/09, RGZ 74, 308 – Graf Zeppelin. 114 BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124 – Vorstandsvorsitzender der Hoechst AG. 115 BGH v. 18.3.1959 – VI ZR 182/58, NJW 1959, 1269 – Caterina Valente; v. 14.10.1986 – VI ZR 10/86, MDR 1987, 305 = NJW-RR 1987, 231 – Sängerin Nena; OLG Hamburg v. 13.7.1989 – 3 U 30/89, AfP 1991, 437 – Sänger Roy Black; OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJW-RR 1996, 93 – Geigerin Anne-Sophie Mutter; BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Sänger Bob Dylan; OLG Hamburg v. 11.6.1998 – 3 U 284/97, ZUM-RD 1999, 122 – Popgruppe Backstreet Boys; OLG Hamburg v. 9.6.1994 – 3 U 277/93, WRP 1995, 124 – Marius Müller-Westernhagen. 116 BGH v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1554 – Paul Dahlke; v. 28.10.1960 – I ZR 87/59, NJW 1961, 558 – Familie Schölermann; v. 14.4.1992 – VI ZR 285/91, MDR 1992, 647 = CR 1993, 621 = AfP 1992, 149 = NJW 1992, 2084 – Joachim Fuchsberger; NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; OLG Hamburg v. 30.5.1991 – 3 U 258/90, AfP 1992, 159 – Beatrice Richter; v. 13.10.1994 – 3 U 129/94, ZUM 1995, 494 – Michael Degen; LG München v. 10.7.1996 – 21 O 23932/95, AfP 1997, 559 – Gustl Bayrhammer.
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Kap. 8 Rz. 34
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
ler117 wie z.B. Bundesligaspieler118, Boxer119, Tennisstars120 oder Eiskunstläufer121. Die Zugehörigkeit zum Hochadel begründet in Bezug auf den Träger eines entsprechenden Namens (Prinz E. v. H.) für sich betrachtet kein ausreichendes Berichtsinteresse122, das ist anders, wenn es um Angehörige regierender Fürstenfamilien geht, etwa bei der ältesten Tochter des Regenten von Monaco, Caroline123. Auch Kinder und ihr Verhalten in der Öffentlichkeit können von zeitgeschichtlichem Interesse sein. Allerdings ist bei ihnen zu berücksichtigen, dass sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen und dieser Entwicklungsprozess besonders starken Schutz auch gegenüber Äußerungsfreiheiten erhält124. Daraus folgt aber nicht, dass Kinder generell vor der Presse abzuschirmen sind. Insbesondere können sie ihrerseits Prominenz erlangen, etwa als Filmschauspieler. In einem solchen Fall darf über ihren Auftritt in der Öffentlichkeit auch berichtet werden, insbesondere auch sofern dieser Auftritt ihr Rollenbild, das über die Prominenz erworben wurde, beeinflusst125. 34
Zutreffend weist Steffen darauf hin, dass auch das Interesse an Prominenten eine zeitliche Komponente haben kann. Weltstars der Unterhaltungsbranche oder des Sports beispielsweise können auch wieder der Vergessenheit anheimfallen. Ist „ihre Zeit“ vorbei, besteht ein das Persönlichkeitsinteresse überwiegendes Publikationsinteresse nur noch in dem durch ihr Bildnis dokumentierten Bezug zu „ihrer Zeit“, was das Interesse an Bildberichterstattung auf Zeit und Ereignisse ihrer Wirkung begrenzt126. cc) Ereignis- und aktualitätsbezogenes Informationsinteresse (früher: relative Person der Zeitgeschichte)
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Bei Personen, die nicht allgemein auf Grund von Stellung, Funktion oder Tätigkeit von dauerhafter Bekanntheit sind, kann das besondere Informationsinteresse auf Ereignisse zurückzuführen sein, welche der Person eine temporäre, aktuelle Bekanntheit verschaffen. Die frühere Rechtsprechung sprach diesbezüglich von relativen Personen der Zeitgeschichte. Definiert wurden sie als Personen, die lediglich in Bezug auf ein bestimmtes Geschehen in das Blickfeld der Öffentlichkeit treten und bei denen allein aufgrund dieses Geschehens ein öffentliches Interesse an ihrem Bildnis besteht127. Auch nach heutiger Auffassung kann ein Ereignis für sich genommen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch an der mit ihm in Zusammenhang stehenden Person begründen. Dieses Informationsinteresse wird 117 RG v. 26.6.1929 – I 97/29, RGZ 125, 80 – Tull Harder. 118 BGH v. 20.2.1968 – VI ZR 200/66, NJW 1968, 1091; v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203 – Franz Beckenbauer. 119 KG v. 7.4.1941 – 27 U 6924/40, Ufita 14, 196. 120 OLG Frankfurt v. 21.1.1988 – 6 U 153/86, AfP 1988, 62 – Boris Becker. 121 OLG Frankfurt v. 21.9.1999 – 11 U 28/99, AfP 2000, 185 = NJW 2000, 594 – Katharina Witt. 122 OLG Bremen v. 20.5.1992 – 1 U 20/92, CR 1994, 158 = MDR 1992, 1033; LG Hamburg, ZUM 1998, 852. 123 BGH v. 12.12.1995 – VI ZR 223/94, MDR 1996, 365 = AfP 1996, 138 = NJW 1996, 985 – Kumulationsgedanke. 124 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 230 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco; BGH v. 5.10.2004 – VI ZR 255/03, BGHZ 160, 298, 204 f. – Tochter von Caroline von Hannover. 125 So für die identifizierende Wortberichterstattung: BVerfG v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09 u. 1 BvR 2503/09, AfP 2012, 143 Rz. 40 – Fall Ochsenknecht; BGH v. 285.2013 – VI ZR 125/12, AfP 2013, 399 Rz. 19 – Eisprinzessin Alexandra. 126 Steffen, § 6 LPG Rz. 131. 127 Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114, 115.
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von Strobl-Albeg/Peifer
I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 37 Kap. 8
durch die Veröffentlichung des Bildnisses befriedigt128. Es ist unerheblich, warum der Betroffene mit dem zeitgeschichtlichen Ereignis in Verbindung kam, ob dies absichtlich oder zufällig, gewollt oder gegen seinen Willen geschah. Nur im Zusammenhang mit dem betreffenden zeitgeschichtlichen Ereignis ist ein Informationsinteresse anzuerkennen129. Die Abbildungsfreiheit wird bei solchen Personenbildnissen eingeschränkt durch die Vo- 36 raussetzungen „Ereignisbezug“ und „Aktualität“130: Besteht an dem bestimmten Ereignis ein besonderes Informationsinteresse und steht dieses Ereignis mit einer bestimmten Person in Zusammenhang, darf ihr Bildnis auch ohne Einwilligung verbreitet werden (Ereignisbezug). Das Ereignis kann auch allein darin bestehen, dass die Person eine prominente Person in einer Situation von zeitgeschichtlichem Interesse begleitet (sog. „Begleiterrechtsprechung“)131. Da die Abbildungsbefugnis nicht allein auf die Bekanntheit abstellt, gelten allerdings zwei Bedingungen für die Veröffentlichungsfreiheit. Zum einen muss die Person die prominente Person tatsächlich begleiten, zum anderen muss das Ereignis, das abgebildet wird, selbst zeitgeschichtliche Bedeutung besitzen und nicht nur illustrieren, dass die prominente Person begleitet wird132. Daher dürfen nur solche Bildnisse verbreitet werden, die im Zusammenhang mit dem bestimmten Ereignis aufgenommen wurden, welches sie illustrieren (z.B. des Freundes bei der Begleitung einer Prominenten, sog. „Begleiter-Situation“). Eine gesonderte Einwilligung ist erforderlich bei Bildnissen, die in einem anderen Zusammenhang entstanden sind als bei dem Ereignis, welches den Betroffenen zur relativen Person der Zeitgeschichte machte (z.B. Bild des Freundes der Prominenten, aufgenommen bei einem Anlass, bei dem die Prominente gar nicht zugegen war, das Kinderbild einer Straftäterin etc.). Unzulässig ist die Veröffentlichung des Fotos einer Person, die nur zufällig neben einem Prominenten auftaucht, ohne ihn zu begleiten oder für sich genommen von Berichtswert zu sein133. Wird das Bildnis zur Illustration einer Wortberichterstattung über ein zeitgeschichtliches Er- 37 eignis verwendet, dürfen unter den vorgenannten Voraussetzungen die an einem zeitgeschichtlichen Ereignis beteiligten Personen auch durch kontextneutrale Bildnisse der begleitenden Person illustriert werden134. Gestattet wird daher die Illustration durch ein neutrales Passfoto oder eine Aufnahme vergleichbarer Neutralität, die dann auch im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit dem Wortbericht wiedergegeben werden muss135.
128 OLG Frankfurt v. 25.8.1994 – 6 U 296/93, NJW 1995, 878 – Universelles Leben II. 129 Vgl. u.a. BGH v. 16.9.1966 – VI ZR 268/64, NJW 1966, 2353, 2355; OLG Köln v. 15.5.1972 – 1 U 163/72, AfP 1972, 277; v. 30.6.1972 – I ZR 1/71, AfP 1973, 479; OLG Frankfurt v. 26.5.1976 – 13 U 180/75, AfP 1976, 181. 130 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 146. 131 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, NJW 2001, 1921, 1923 – Prinz Ernst August von Hannover; BGH v. 10.3.2009 – VI ZR 261/07, GRUR 2009, 584 Rz. 16 – Enkel von Fürst Rainier. 132 BGH v. 19.6.2007 – VI ZR 12/06, GRUR 2007, 899 – Grönemeyer; OLG Hamburg v. 28.6.2011 – 7 U 39/11, ZUM-RD 2011, 589. 133 BGH v. 21.4.2015 – VI ZR 245/14, GRUR 2015, 816 Rz. 21. 134 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97 u.a., NJW 2001, 1921, 1925 – Prinz Ernst August von Hannover; BGH v. 19.10.2004 – VI ZR 292/03, NJW 2005, 594, 596; v. 9.3.2004 – VI ZR 217/03, NJW 2004, 1795 = GRUR 2004, 592 – Charlotte Casiraghi; v. 13.4.2010 – VI ZR 125/08, AfP 2010, 259 Rz. 18 – Charlotte im Himmel der Liebe; LG Frankfurt/M. v. 17.8.2017 – 2-03 O 424/16, ZUM 2018, 58 (n.rkr.). 135 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97 u.a., NJW 2001, 1921, 1925 – Prinz Ernst August von Hannover; BGH v. 19.10.2004 – VI ZR 292/03, NJW 2005, 594 – Begleiter von Uschi Glas; zur Kritik an dieser Rechtsprechung Sedelmeier, AfP 2000, 450.
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Kap. 8 Rz. 38
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
38
Die Befugnis, auch bei anderem Anlass gefertigte Aufnahmen zu verwenden, ist im Grundsatz anerkannt136. Sie ist sinnvoll, denn andernfalls dürfte der Betrüger nur beim Betrug, der Mörder nur am Tatort oder im Gerichtssaal im Bild vorgestellt werden137. Allerdings darf das Foto, das bei anderem Anlass angefertigt wurde und nicht das zeitgeschichtliche Ereignis abbildet, sondern es lediglich illustriert, nicht seinerseits persönlichkeitsrechtsverletzend sein138.
39
Einigkeit besteht darin, dass ein Bildnis stets veröffentlicht werden darf, wenn die Aufnahme Zeitgeschichte zeigt oder anlässlich eines Ereignisses der Zeitgeschichte aufgenommen wurde. Ob darüber hinaus bei anderer Gelegenheit gefertigte Bildnisse verwendet werden dürfen, welche Art von solchen Bildnissen (z.B. Portraitfoto), in welchem Zusammenhang (z.B. bei einer Wortberichterstattung) und in welcher Form (z.B. in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit dem Wortbericht), muss auch im Rahmen der Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen am eigenen Bild im Hinblick auf die im jeweiligen Einzelfall durch eine Bildnisverbreitung drohende Gefährdung der in Frage kommenden Aspekte seines Persönlichkeitsrechtes (z.B. Recht auf Anonymität, auf Resozialisierung etc.) entschieden werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Betroffene aktiv oder passiv in das Licht der Öffentlichkeit getreten ist. Für Aufnahmen von Begleitern prominenter Personen hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen „Fotoberichterstattung über Personen der Zeitgeschichte“139 den Fachgerichten verfassungsrechtliche Maßstäbe für die jeweils im Einzelfall anzustellende Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Begleiters und der Pressefreiheit an die Hand gegeben. Danach müssen die Aufnahmen nicht stets die konkrete Begleitsituation zeigen. Es dürfen vielmehr auch Bildnisse veröffentlicht werden, die bei dem Begleitereignis gefertigt wurden, aber nur den Begleiter zeigen (kontext-zugehörige Aufnahmen, vgl. Rz. 48). Auch die Veröffentlichung von Aufnahmen, die bei anderer Gelegenheit als dem Begleitereignis aufgenommen wurden, kann zulässig sein. Dies gilt vor allem für kontext-neutrale Aufnahmen wie insbesondere Portraitfotos (vgl. Rz. 49) und kontext-gerechte Aufnahmen (vgl. Rz. 51). Dabei weist das Bundesverfassungsgericht zu Recht darauf hin, dass durch eine solche Zulassung kontext-neutraler oder kontext-gerechter Abbildungen die Anlässe für die Presse verringert werden, über berichtsfähige Ereignisse ständig neue Fotos zu erstellen. Denn die bisherige Rechtsprechung führt angesichts des für die Presse im Medienwettbewerb bestehenden Visualisierungsdrucks dazu, dass Pressefotografen bei potentiell berichtsfähigen Ereignissen mit einer Begleitperson um stets neue Fotos bemüht sein müssen. Die von Prominenten vielfach beklagte erhebliche Belästigung durch Pressefotografen werde zwar nicht gänzlich entfallen, könne aber abgemildert werden, wenn die Presse zur Bebilderung von Berichten auch bei Begleitpersonen auf früher hergestellte Fotos zurückgreifen darf. Dadurch wird dem Anliegen des Persönlich-
136 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, NJW 2000, 1021, 1026; ebenso bereits Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 139; teilweise anders Prinz/Peters, Rz. 850; Engels/Schulz, AfP 1998, 574, 581 f. 137 Frömming/Peters, NJW 1996, 958, 961. 138 BGH v. 5.3.1974 – VI ZR 89/73, AfP 1975, 756 – Todesgift betr. die mangels Ereignisbezug unzulässige Verbreitung des Familienfotos eines im Krankenhaus am dortigen Drogenmissbrauch Verstorbenen; OLG Hamburg v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, AfP 1995, 665 = NJW 1996, 1151 – TV Star oben ohne; LG Berlin v. 1.8.1998 – 27 O 333/98, ZUM-RD 1999, 457 – Nacktfoto eines TV-Serien-Stars; Soehring/Hoene, § 21 Rz. 5 und im Grundsatz ebenso Steffen, § 6 LPG Rz. 115. 139 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, 1857/98, 1918/98, 2109/99, 182/00, NJW 2001, 1921.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 41 Kap. 8
keitsschutzes und der Pressefreiheit gleichermaßen genügt140. Diese Abwägungsgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts gelten nicht nur für die Begleiter-Berichterstattung, sondern stets bei der Abwägung zwischen der Pressefreiheit und dem Recht am eigenen Bild bezüglich der Frage, ob auch ein anderes Foto verwendet werden darf als eines aus demjenigen Ereignis, welches Gegenstand der Berichterstattung ist. Entscheidend ist, ob gerade dadurch, dass ein anderes Bildnis verwendet wurde als dasjenige, dessen Veröffentlichung zulässig gewesen wäre, das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Person zusätzlich beeinträchtigt worden ist. Der BGH hat die Grundsätze demgemäß zur Lösung der Frage angewendet, ob in der Werbung für ein Presseerzeugnis auch ein anderes Bild eingesetzt werden darf als dasjenige Foto, welches in dem beworbenen Presseerzeugnis veröffentlicht ist141. Die Abbildungsfreiheit wird neben der Voraussetzung „Ereignisbezug“ eingeschränkt durch 40 die weitere Voraussetzung „Aktualität“142: Ist durch Zeitablauf das Ereignis, durch welches eine Person zur relativen Person der Zeitgeschichte wurde, nicht mehr aktuell, gewinnt das Persönlichkeitsrecht gegenüber dem Informationsinteresse der Allgemeinheit wieder die Oberhand. In aller Regel wird daher bei allen relativen Personen der Zeitgeschichte die Abbildungsfreiheit zeitlich befristet sein und erlöschen, wenn auch das Interesse der Öffentlichkeit an dem Geschehen erlischt, mit dem sie in Verbindung stehen143. Ob die erforderliche Aktualität noch gegeben ist oder nicht mehr, entscheidet eine Interessen- und Güterabwägung144 zwischen dem Publikationsinteresse einerseits und dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen am eigenen Bild im Hinblick auf die im Einzelfall durch eine Publikation drohende Gefährdung der jeweils in Frage kommenden Aspekte des Persönlichkeitsrechts andererseits (z.B. Recht auf Anonymität, Recht auf Resozialisierung). Eine Fernsehreporterin, die frühmorgens einen auch wegen seines Alkoholismus bekannten Schauspieler vor seinem Haus abpasst, um ihn im betrunkenen Zustand für die Fernsehanstalt aufzunehmen, dabei aber von dem Schauspieler geohrfeigt wird, muss es hinnehmen, dass ein anderes Presseunternehmen drei Jahre später eine Fotografie des Vorfalls veröffentlicht zur Illustration eines Artikels über den Fortbestand der Ehe des Schauspielers trotz seiner zahlreichen Skandale145. Behördliche und gerichtliche Verfahren aller Sparten können wegen ihres Streitgegenstan- 41 des oder der Verfahrensbeteiligten eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse sein und damit ein Vorgang des Zeitgeschehens, der eine Bildberichterstattung über diese Beteiligten erlaubt. Das öffentliche Interesse an solchen Gegenständen der Berichterstattung wird nicht nur durch die Diskussion um die Zulässigkeit des Court-TV auch in Deutschland dokumentiert. Öffentliches Interesse besteht notorisch vor allem an spektakulären Strafprozessen: Dass dabei bei den Rezipienten oft ein gehöriges Maß an Interesse an „spannender Unterhaltung“ ausschlaggebend sein mag, ändert nichts am berechtigten öffentlichen Informationsinteresse (Rz. 28). Dass während Gerichtsverhandlungen nach § 169 GVG Filmaufnahmen verboten sind und Fotoaufnahmen zwar erlaubt, aber durch den Vorsitzenden der Spruchkammer ver-
140 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, NJW 2001, 1921 – Fotoberichterstattung über Personen der Zeitgeschichte. 141 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317 – Marlene Dietrich II, vgl. Rz. 90. 142 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 146. 143 Soehring/Hoene, § 21 Rz. 7. 144 OLG Frankfurt v. 11.9.1986 – 6 U 171/85, AfP 1987, 526 = GRUR 1987, 195 – Foto der Freundin; OLG Hamburg v. 24.10.1974 – 3 U 134/74, NJW 1975, 649 – Aus nichtigem Anlass? 145 OLG Düsseldorf v. 13.3.2001 – 20 U 178/00, NJW-RR 2001, 1623 – geohrfeigte Journalistin.
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Kap. 8 Rz. 42
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
boten werden können, dient nicht nur dem Schutz der Beteiligten vor Veröffentlichung ihres Bildnisses (vgl. Kap. 7 Rz. 90). 42
Auch Zivil- und Verwaltungsverfahren können Rechtsstreitigkeiten von zeitgeschichtlichem Interesse sein und die beteiligten Parteien können temporär Informationsinteressen erzeugen (zur Gerichtsberichterstattung vgl. auch Kap. 10 Rz. 178 ff.). Bejaht wurde dies beispielsweise bezüglich des Klägers in einem Rückforderungsverfahren beim Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen über die Rückgabe eines Kulturdenkmals146. Auch Zeugen können von Interesse sein, etwa Zeugen in einem Prozess von zeitgeschichtlichem Interesse147, oder Zeugen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss148. Einen unwesentlichen Zufallzeugen eines Unfalls im Bild zu zeigen kann jedoch sogar schmerzensgeldwürdig sein149. Ob Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte allein wegen ihrer beruflichen Tätigkeit im Rahmen eines Verfahrens von zeitgeschichtlicher Bedeutung relative Personen der Zeitgeschichte sind, ist umstritten150. Anwälte sind hier bei ihrer Berufsausübung möglicherweise anders zu sehen als Richter und Staatsanwälte. Denn während letztere sich ihre Klienten nicht aussuchen können, sondern sozusagen passiv in die Rolle eines Prozessbeteiligten schlüpfen, sind beim Anwalt Fallgestaltungen denkbar, die es ins öffentliche Interesse rücken, dass gerade er einen bestimmten Klienten in einem bestimmen Verfahren vertritt. So kann beispielsweise in einem gegen mehrere Angeklagte geführten Verfahren wegen politisch motivierter Delikte der zeitgeschichtliche Bezug der Anwaltstätigkeit daraus folgen, dass der Verteidiger die gleiche politische Richtung verfolgt151. Dagegen ist ein Anwalt, der nur die presserechtlichen Belange eines Straftäters vertritt, keine relative Person der Zeitgeschichte im früheren Sinne, sofern zwar Straftat und Strafverfahren ein zeitgeschichtliches Ereignis sind, diese Einstufung aber unabhängig von der Person des Prozessvertreters besteht152. Allerdings sind aus beruflichen oder prozessualen Gründen am Prozess Beteiligte nicht in ihrer Privatsphäre betroffen; der Prozess findet innerhalb der Sozialsphäre statt. Daher ist bei der Abbildung dieser Personen eine Abwägung zwischen medialen und persönlichkeitsbezogenen Interessen vorzunehmen, also letztlich ein medialer Berichtsanlass für die Abbildung der Beteiligten erforderlich. Dieser mediale Berichtsanlass wird aber selten zu verneinen sein, wenn der Prozess selbst ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nach sich zieht. Ausnahmen von der Bildberichterstattung können dann greifen, wenn die Prozessbeteiligten etwa aus persönlichen Sicherheitsbedenken der Bildaufnahme widersprechen.
43
Von zeitgeschichtlichem Interesse können auch Straftäter sein. Denn Straftaten gehören zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Presse ist153. Straftäter sind jedoch nur relativ in Bezug auf die begangene Tat, und zwar auch bei besonderer Scheußlichkeit ihres Verstoßes, von zeitgeschichtlichem Interesse. Die Bedeutung des Straftäters für die Öffentlichkeit ist untrennbar mit seiner Straftat und nicht mit seiner Person verknüpft154. Nach der Lebach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dürfen die Medien mit einer Abbildung des Täters 146 147 148 149 150 151 152 153 154
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OLG Hamburg v. 23.4.1999 – 324 O 605/98, ZUM-RD 2000, 200. BGH v. 9.6.1965 – Ib ZR 126/63, NJW 1965, 2148 – Spielgefährtin I. OLG Celle v. 9.9.1988 – 13 W 135/88, AfP 1989, 575. OLG Karlsruhe v. 18.8.1989 – 14 U 105/88, MDR 1989, 1100 = NJW-RR 1990, 1328. Götting in Schricker/Loewenheim, § 23 KUG Rz. 13; Prinz/Peters, Rz. 855; Soehring/Hoene, § 21 Rz. 6; verneinend OLG Celle v. 8.8.1984 – 13 U 44/84, AfP 1984, 236; Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 163. OLG Hamburg v. 10.12.1981 – 4 U 76/81, AfP 1982, 177. LG Berlin v. 28.1.1999 – 27 O 605/98, NJW-RR 2000, 555. BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 235 – Lebach. OLG Hamburg v. 10.2.1994 – 3 U 238/93, ZUM 1995, 336, 337 – Frauenschlächter.
von Strobl-Albeg/Peifer
I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 45 Kap. 8
berichten, sofern die Tat sich aus der gewöhnlichen Kriminalität heraushebt. Straftäter werden daher als relative Personen der Zeitgeschichte angesehen, wenn die Schwere der Tat, die Person des Täters oder besondere Umstände die Straftat deutlich aus dem Kreis der alltäglichen Kriminalität herausheben155. Auch ein Polizist kann von zeitgeschichtlichem Interesse sein, wenn er bei der Ausübung seines Amtes eine strafbare Handlung begeht, insbesondere durch die Situation nicht gerechtfertigte Gewalt ausübt156. Eine identifizierende Berichterstattung kann sich darauf stützen, dass der Betroffene berufliche Funktionen zu erfüllen hat, die gerade in der Verhinderung von Straftaten bestehen. Insoweit kommt ihm eine besondere Vorbildwirkung zu, die auch einen bekannten Schauspieler trifft, der filmisch die Figur eines Polizisten darstellt157. An der Berichterstattung über „Allerweltstaten“ soll dagegen kein berechtigtes Informationsinteresse bestehen, das eine Bildberichterstattung erlaubt158. Das ist in dieser Allgemeinheit nur als Grundsatz zu verstehen. Es ist ausnahmsweise denkbar, dass auch eine „Allerweltstat“ ein Ereignis der Zeitgeschichte darstellt, z.B. auf großes, wenn auch nur lokales Interesse stößt159 und damit auch ein jedenfalls lokales Berichtsinteresse an einer namentlichen Berichterstattung erzeugt, etwa wenn der Kämmerer einer Kleinstadt einen Ladendiebstahl begeht. Ob auch im Bild berichtet werden darf, hängt – wie bei jeder Bildberichterstattung über einen Straftäter – freilich ab von der anzustellenden Interessen- und Güterabwägung zwischen den persönlichkeitsrechtlichen Belangen des Betroffenen und den berechtigten Informationsinteressen der Öffentlichkeit (vgl. Rz. 132 und Richtlinien 8.1 und 8.3 zum Pressekodex). Auch wenn eine strafrechtlich auffällig gewordene Person nicht geständig, überführt oder ver- 44 urteilt, sondern nur tatverdächtig ist, kann eine personenidentifizierende Berichterstattung nach den Umständen des Falls von zeitgeschichtlichem Interesse sein und – insbesondere in Fällen der Schwer- oder Schwerstkriminalität oder wegen der öffentlichen Stellung des Verdächtigen – eine (identifizierende) Bildberichterstattung zulässig sein160. Die Bildberichterstattung ist jedoch nur dann zulässig, wenn an der Aufklärung und Behandlung des Falls ein das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit besteht (vgl. Rz. 133). Kommt jemand mit hoher Wahrscheinlichkeit als Täter eines Verbrechens in Betracht, kann sein Bildnis zum Zwecke weiterer Verbrechens auf Klärung auch in einer (nicht polizeilichen) Fernsehsendung (Aktenzeichen XY ungelöst) gezeigt werden161. Opfer von Verbrechen und Unfällen können von zeitgeschichtlichem Interesse sein, regel- 45 mäßig überwiegt jedoch der Persönlichkeitsschutz des Opfers das Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung. Das sorgte dafür, dass die h.M. das Opfer nicht als relative Personen der Zeitgeschichte ansah162. Denn das Interesse der Allgemeinheit beziehe sich bei 155 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 159 m.w.N. 156 OVG Saarbrücken v. 11.4.2002 – 9 R 3/01, AfP 2002, 545. 157 EGMR v. 7.2.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 99 – Axel Springer AG/Deutschland; Vorinstanz OLG Hamburg v. 24.7.2007 – 7 U 98/06, ZUM 2008, 63 (Fall Balko). 158 Soehring/Hoene, § 21 Rz. 6. 159 OLG Celle v. 8.8.1984 – 13 U 44/84, AfP 1984, 236. 160 KG v. 15.6.2006 – 10 U 184/05, GRUR-RR 2007, 126; OLG Brandenburg v. 15.2.1995 – 1 U 23/94, NJW 1995, 886; OLG Frankfurt v. 2.7.1990 – 6 W 104/90, AfP 1990, 229; OLG Köln v. 27.6.1989 – 15 U 190/88, AfP 1989, 683; OLG Düsseldorf v. 20.6.1979 – 15 U 199/78, NJW 1980, 599; OLG Braunschweig v. 24.10.1974 – 1 U 55/73, NJW 1975, 652; OLG Frankfurt, NJW 1971, 47. 161 OLG Frankfurt v. 24.9.1970 – 6 U 41/70, NJW 1971, 47. 162 Vorinstanzen im Tatbestand BGH v. 3.4.1984 – VI ZR 80/83, MDR 1985, 43 = NJW 1985, 978 – Vergewaltigung; OLG Karlsruhe v. 18.8.1989 – 14 U 105/88, MDR 1989, 1100 = NJW-RR
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Kap. 8 Rz. 46
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
Unfällen und bei Verbrechen in aller Regel auf den zeitgeschichtlichen Vorgang und nicht auf die Person des Opfers. Nur ausnahmsweise bestehe auch an der Person des Opfers selbst ein zeitgeschichtliches Interesse, z.B. wegen des Verhaltens in der Opferrolle bei einer Geiselnahme oder wegen der Prominenz des Opfers. Mit der genannten Begründung wären in den meisten Fällen allerdings auch Straftäter keine relative Person der Zeitgeschichte. Das Opfer ist Teil des zeitgeschichtlichen Vorgangs des Verbrechens oder des Unfalls in gleicher Weise wie der Täter, allerdings in der Passivrolle. Nach neuerer Dogmatik ist im jeweiligen Einzelfall aufgrund der anzustellenden Güter- und Interessenabwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und der Pressefreiheit zu entscheiden, ob das Opfer eine Bildnisveröffentlichung hinnehmen muss (vgl. Rz. 134 und Richtlinie Ziff. 8.1 zum Pressekodex). Auch Angehörige von Opfern müssen in der Regel eine identifizierende Bildberichterstattung nicht dulden163. Anders kann dies sein, wenn der Angehörige zugleich Tatzeuge ist164. Für Opfer von Straftaten oder Unfällen ist bezeichnend, dass sie ohne ihr Zutun und gegen ihren Willen in den zeitgeschichtlichen Vorgang hineingezogen werden. Kein Opfer, sondern in jedem Fall relative Person der Zeitgeschichte ist daher eine Fernsehjournalistin, die mit ihrem Kamerateam einem auch wegen seines Alkoholismus bekannten Prominenten auflauert, ihn vor seiner Haustüre im vorhersehbar betrunkenen Zustand „stellt“ und von ihm dafür geohrfeigt wird165. Wenn ein Angehöriger der Sensationspresse durch eigenes Zutun selbst zum Objekt dieser Presse wird, fehlt es seinem Protest gegen eine Bildnisveröffentlichung an der notwendigen inneren Berechtigung166. 46
Auch familiäre und Partnerbeziehungen können ein zeitgeschichtliches Interesse erzeugen. Personen aus dem Umfeld einer prominenten Person können wegen ihrer Nähe zu der prominenten Person ein besonderes ereignisbezogenes und vorübergehendes Berichtsinteresse erzeugen167. Diese bildrechtliche Qualifikation ergibt sich jedoch nicht allein aus ihrem Status als Angehöriger oder Vertrauter168. Dies verbietet schon der Rechtsverlust für den Betroffenen, der mit der Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG verbunden ist. Deshalb müssen zum Status als Angehöriger, Lebensgefährte, Vertrauter weitere Umstände hinzutreten, die es rechtfertigen, ihn – vorbehaltlich § 23 Abs. 2 KUG – der Abbildungsfreiheit zu unterwerfen. Angehörige, Lebensgefährten und enge Vertraute einer solcherart relativen Person der Zeitgeschichte sind jedoch grundsätzlich (vgl. Rz. 46) nicht ihrerseits von Informationsinteresse169.
163 164 165 166 167 168 169
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1990, 1328 – Anatomie eines Unfalls; OLG München, Schulze OLGZ 1995; LG Köln v. 5.6.1991 – 28 O 451/90, AfP 1991, 757; LG Stuttgart v. 8.7.1981 – 17 O 275/81, AfP 1983, 294 – Heiratsschwindler; Helle, S. 162; Prinz/Peters, Rz. 854; a.A. OLG Frankfurt v. 26.5.1976 – 13 U 180/75, AfP 1976, 181 – Opfer eines Mordversuches; Gerstenberg/Götting in Schricker, § 60/§ 23 KUG Rz. 13. LG Köln v. 5.6.1991 – 28 O 451/90, AfP 1991, 757. OLG Frankfurt v. 26.5.1976 – 13 U 180/75, AfP 1976, 181. OLG Düsseldorf v. 13.3.2001 – 20 U 178/00, ZUM 2001, 706 – geohrfeigte Journalistin. BGH v. 5.5.1964 – VI ZR 64/63, NJW 1964, 1471 – Sittenrichter; OLG Düsseldorf v. 13.3.2001 – 20 U 178/00, NJW-RR 2001, 1623 – geohrfeigte Journalistin. BGH v. 19.6.2007 – VI ZR 12/06, AfP 2007, 472 Rz. 27 und Vorinstanz KG v. 22.6.2004 – 9 U 53/04, GRUR 2004, 1056 – Fall Grönemeyer. OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJW-RR 1996, 93, 95 – Anne-Sophie Mutter. OLG Hamburg v. 13.7.1989 – 3 U 30/89, AfP 1991, 437 – Bernd Wegener; OLG Frankfurt v. 9.1.1958 – 6 U 77/57, GRUR 1958, 508 – Verbrecherbraut; LG Hamburg v. 2.6.2017 – 324 O 570/16, AfP 2017, 458 (Freund der Tochter eines ehemaligen Sportlers).
von Strobl-Albeg/Peifer
I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 48 Kap. 8
In der früheren Rechtsprechung wurde die identifizierende Berichterstattung über den Pro- 47 minenten nahestehende Personen unter der Voraussetzung für zulässig gehalten, dass sie zusammen mit dem Prominenten in der Öffentlichkeit auftreten170. Über die bewusste gemeinsame Zuwendung zur Öffentlichkeit hinaus kann das Informationsinteresse durchaus auch aus der Nähe des Betroffenen zur prominenten Person im Sinne eines menschlichen Nahestehens resultieren. Bei Angehörigen – Ehepartnern, Kinder, Geschwister, Eltern – ist dieses menschliche Nahestehen durch die familienrechtliche Verbindung gegeben. Bei anderen Vertrauten wird man eine dem – auch noch so kurzfristigen – Lebensgefährten vergleichbare Partnerverbindung zum Prominenten für die Abbildungsfreiheit fordern müssen. Keinesfalls genügt bloßes Zusammensein, eine nur flüchtige Bekanntschaft oder gelegentlicher beruflicher Kontakt. Auch die bloße Spekulation darüber, eine prominente Person habe eine bestimmte Person zum vertrauten Begleiter, rechtfertigt nicht die Bebilderung einer solchen Spekulation mit einem Bildnis des angeblichen Begleiters. Nach neuerer Rechtsprechung genügt die Nähebeziehung allein allerdings nicht, um eine Bildberichterstattung über den Begleiter zu rechtfertigen, wenn die aufgenommene Situation die Privatsphäre betrifft, also nicht schon selbst von Berichtsinteresse ist oder jedenfalls über die Wortberichterstattung ein solches Interesse hergestellt wird171. Prominente können auch selbst eine Nähebeziehung in der Privatsphäre belassen und Bildberichte darüber unterbinden172. Damit wird auch die Begleitperson in ihrer Privatsphäre gegen Bildberichterstattungen geschützt. Ist die Begleitperson ihrerseits wegen Übernahme eines politischen Mandats bekannt, so soll sie allerdings eine Bildberichterstattung über die Beziehung zu einer Schauspielerin dulden müssen173. Das ist zweifelhaft, wenn es in dem Bericht nur um die Offenlegung der Beziehung geht, ohne dass es einen Zusammenhang mit der politischen Aufgabenerfüllung gibt. Der Begleiter erzeugt im Übrigen aber durchaus ein Informationsinteresse bereits deswegen, 48 weil die Allgemeinheit ein anerkennenswertes Interesse daran hat, auch bildmäßig darüber unterrichtet zu werden, wie eine prominente Person sich in der Öffentlichkeit gibt. Dazu kann auch eine Darstellung darüber gehören, mit welchen ihr nahestehenden Personen sie in der Öffentlichkeit auftritt. Es handelt sich dabei um ein abgeleitetes Interesse der Öffentlichkeit, das nicht um der abgebildeten Begleitperson willen, sondern wegen des Interesses an der prominenten Person besteht und das über das Interesse an der abgebildeten Situation auf die begleitende Person ausstrahlt174. Dies rechtfertigt es, die „Begleiter-Situation“ grundsätzlich als einen zeitgeschichtlichen Vorgang anzusehen175, solange die „Begleiter-Situation“ nicht ihrerseits in der Privatsphäre verbleibt176. Dadurch ist das Persönlichkeitsrecht der Begleitper170 OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJW-RR 1996, 93 – Anne-Sophie Mutter; OLG Hamburg v. 13.10.1994 – 3 U 129/94, ZUM 1995, 494 – Michael Degen; LG Köln v. 9.3.1994 – 28 O 11/94, AfP 1994, 166 – Harald Schmidt; OLG Hamburg v. 13.7.1989 – 3 U 30/89, AfP 1991, 437 = NJW-RR 1990, 1000 – Roy Black; v. 31.1.1985 – 3 U 226/84, AfP 1985, 209 = ZUM 1986, 400 – Günther Netzer; LG Hamburg v. 8.5.1998 – 324 O 736/97, ZUM 1998, 852 – E. A. v. Hannover. 171 BGH v. 19.6.2007 – VI ZR 12/06, AfP 2007, 472 Rz. 27 und Vorinstanz KG v. 22.6.2004 – 9 U 53/04, GRUR 2004, 1056 – Fall Grönemeyer. 172 BGH v. 2.5.2017 – VI ZR 262/16, AfP 2017, 310 – Popstar und Dessousmodel. 173 Vgl. BGH v. 22.11.2011 – VI ZR 26/11, AfP 2012, 53. 174 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, NJW 2001, 1921 – Fotoberichterstattung über Personen der Zeitgeschichte. 175 OLG Hamburg v. 13.7.1989 – 3 U 30/89, NJW-RR 1990, 1000; LG Hamburg v. 8.5.1998 – 324 O 736/97, ZUM 1998, 852, 858 – E. A. v. Hannover. 176 BGH v. 19.6.2007 – VI ZR 12/06, AfP 2007, 472; v. 2.5.2017 – VI ZR 262/16, AfP 2017, 310 – Popstar und Dessousmodel.
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Kap. 8 Rz. 49
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
son im öffentlichen Raum entsprechend eingeschränkt. Jedoch wäre die Beschränkung der Presseveröffentlichung auf Fotos, die aus der konkreten Begleitsituationen stammen und auf derselben Aufnahme Begleiter und begleitete Personen abbilden, verfassungsrechtlich nur dann gerechtfertigt, wenn die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Begleitperson nur auf diese Weise auf das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß begrenzt werden könnte, ohne zugleich das berechtigte Anliegen der Pressefreiheit zu verkürzen. Voraussetzung wäre, dass der in der Bildberichterstattung liegende, grundsätzlich zulässige Persönlichkeitseingriff dadurch geringer würde, dass die begleitete Person mit abgebildet würde und das Foto aus dem Begleitereignis selbst stammte177. Dies gilt nicht nur für Aufnahmen von Begleitern, sondern ist stets maßgeblich bei der Abwägung zwischen der Pressefreiheit und dem Recht des Betroffenen am eigenen Bild (vgl. Rz. 39 und 137). Allerdings kann die Abwägung bei der Verwendung einer „externen Aufnahme“ zur Unzulässigkeit von deren Veröffentlichung führen, wenn das verwendete Bild aus dem Zusammenhang gerissen und in einen anderen gestellt wird, so dass sich durch den Wechsel des Kontextes der Sinngehalt der Bildaussage erheblich ändert178, dass die „externe Aufnahme“ den Betroffenen in einer besonders unglücklichen Situation oder besonders unvorteilhaft darstellt179 oder wenn beim werblichen Einsatz eines Bildnisses zur Eigenwerbung der Medien der unzutreffende Eindruck erweckt wird, der Abgebildete empfehle das beworbene Produkt180. Stammt ein Foto aus dem Kontext des Ereignisses, über welches berichtet wird (kontext-zugehörige Aufnahme), zeigt aber alleine den Begleiter, ist dessen Persönlichkeitsrecht i.d.R. nicht mehr beeinträchtigt, als wenn die begleitete Person mit abgebildet wäre. Es ist daher z.B. zulässig, bei einem Bericht über die Flitterwochen eines Paares neben Fotos, die das Paar gemeinsam zeigen, auch Aufnahmen zu veröffentlichen, auf denen nur der Begleiter zu sehen ist, sofern diese Aufnahmen gleichfalls während der Flitterwochen gefertigt wurden. Ausschlaggebend ist, dass die Aufnahme aus dem Kontext des Ereignisses stammt, über welches berichtet wird181. Überdies müssen die Betroffenen ihre Privatsphäre in Bezug auf das dargestellte Ereignis geöffnet haben. 49
Auch bei der Veröffentlichung von Bildern, die in anderem Zusammenhang aufgenommen wurden als bei dem Ereignis, über welches berichtet wird (kontext-fremde Aufnahmen), muss nicht zwangsläufig die im Einzelfall vorzunehmende Abwägung zwischen der Pressefreiheit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zugunsten des letzteren ausgehen. Zwar kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht dadurch beeinträchtigt werden, dass ein Bildnis aus seinem Kontext gerissen und in einen anderen Sachverhalt gestellt wird, wenn sich also durch den Wechsel des Kontextes der Sinngehalt der Bildaussage erheblich ändert182, etwa weil von der Begleitung abgelenkt oder auf eine andere Situation hingeführt wird. Eine solche Änderung der Aussage muss zwar nicht stets, kann aber im konkreten Fall das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen, dessen Schutz nur im Kontext der Begleitsituation eingeschränkt ist. Zudem kann ein den Sinngehalt der Aussage verfälschendes, also den Leser der Zeitung oder Zeitschrift irreführendes Foto nicht den Schutz als Mittel zur Visualisierung eines Gesche177 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, NJW 2001, 1921 – Fotoberichterstattung über Personen der Zeitgeschichte. 178 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317 – Marlene Dietrich II. 179 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317. 180 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317. 181 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, NJW 2001, 1921 – Fotoberichterstattung über Personen der Zeitgeschichte. 182 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 51 Kap. 8
hens für sich in Anspruch nehmen183. Solche Gesichtspunkte spielen aber bei der Interessenabwägung keine Rolle, wenn der ursprüngliche Kontext, aus dem die Abbildung stammt, gar nicht zu erkennen oder wenn er so neutral ist, dass er den Aussagegehalt des Fotos in dem neuen Kontext nicht beeinflusst oder jedenfalls nicht verfälscht. Die Veröffentlichung kontext-neutraler Bildnisse als solche dürfte insoweit keine stärkere Persönlichkeitsbeeinträchtigung bewirken als ein den Begleitkontext wiedergebendes Foto184. Dies gilt vor allem für Portraitfotos, die sozusagen klassisch kontext-neutral sind und bei welchen i.d.R. auch eine Änderung des Sinngehalts der Aufnahme ausscheidet, wenn sie im Rahmen einer anderweitigen Presseberichterstattung verwendet werden. Dabei ist im Hinblick auf die Intensität einer möglichen Persönlichkeitsbeeinträchtigung in der Regel nicht erheblich, ob das Foto sich – wie ein Passbild – auf den Kopf und den Körperoberteil konzentriert oder ob auch andere Körperteile abgebildet werden. Aus verfassungsrechtlichem Blickwinkel unwesentlich ist gleichfalls, aus welchem Anlass das Foto gefertigt wurde. Entscheidend ist vielmehr, ob es in dem Sinne kontext-neutral ist, dass die Verwendung in einem anderen Zusammenhang nicht zusätzliche Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts bewirkt, die durch die Begleitsituation nicht gerechtfertigt sind185. Das Bundesverfassungsgericht sah daher keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts, als die Titelblatt-Schlagzeile „Caroline und ihr Prügelprinz“ bebildert war mit einer Abbildung von Ernst August von Hannover, die diesen nicht bei seinem Angriff auf einen Kameramann zeigte, sondern der Ausschnitt aus einer Aufnahme war, die ursprünglich Ernst August von Hannover und seine Ehefrau auf derjenigen Veranstaltung zeigte, bei welcher es zu den Tätlichkeiten gegenüber dem Kameramann gekommen war und über die im Inneren des Blattes berichtet wurde. Die Veröffentlichung eines Portraitfotos ist auch nicht deshalb unzulässig, weil das Foto nicht 50 einen Artikel bebildert, sondern auf der Titelseite erscheint zur Ankündigung eines Artikels im Inneren des Blattes. Titelseiten haben die Funktion der Aufmerksamkeitsbindung und der Erweckung von Neugier. Sie können naturgemäß den Artikel selbst nicht schon auf der Titelseite bringen. Die Titelankündigung und die Artikel stehen im Zusammenhang miteinander. Jedenfalls dann, wenn auf dem Titelblatt die Hauptperson und die Begleitperson gleichermaßen, wenn auch auf getrennten Bildern, abgebildet werden und, wie bei Titeln üblich, auf einen beide verbindenden Artikel hingewiesen wird und wenn diese Verbindung auch im Text der Schlagzeile zum Ausdruck kommt („Caroline und ihr Prügelprinz“), besteht ein hinreichender Kontext zwischen dem Foto und der Berichterstattung über das Ereignis im Zusammenhang mit der Begleitsituation186. Zulässig ist auch die Verwendung kontext-gerechter Fotos, die in einem anderen Zusam- 51 menhang als dem Ereignis aufgenommen wurden, über welches berichtet wird, wenn diese Aufnahmen einen Aussagegehalt haben, der dem zu berichtenden Ereignis gerecht wird und dadurch keine zusätzliche Persönlichkeitsverletzung z.B. dadurch bewirkt wird, dass das Bild die Aussage verfälscht. Das Grundgesetz schützt vor verfälschenden Darstellungen der Pres183 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, NJW 2001, 1921 – Fotoberichterstattung über Personen der Zeitgeschichte. 184 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, NJW 2001, 1921 – Fotoberichterstattung über Personen der Zeitgeschichte; BGH v. 13.4.2010 – VI ZR 125/08, AfP 2010, 259 Rz. 18; LG Frankfurt/M. v. 17.8.2017 – 2-03 O 424/16, ZUM 2018, 58 (n.rkr.). 185 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, NJW 2001, 1921 – Fotoberichterstattung über Personen der Zeitgeschichte. 186 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, NJW 2001, 1921 – Fotoberichterstattung über Personen der Zeitgeschichte.
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Kap. 8 Rz. 52
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
se, verleiht dem einzelnen aber nicht einen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit in einer bestimmten Weise dargestellt zu werden. Daher war es zur Illustration eines Berichtes über den Angriff auf einen Kameramann verfassungsrechtlich nicht erforderlich, den Angreifer „bei der Tat“ zu zeigen. Vielmehr durfte ein Foto verwendet werden, welches den „Täter“ im Smoking auf einer (anderen) Gala-Veranstaltung zeigte, als derjenigen, auf welcher es zu den berichtenswerten Tätlichkeiten gekommen war, weil durch dieses kontext-neutrale oder kontext-gerechte (d.h. zum Kontext passende) Foto die Aussage nicht verfälscht wurde und das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen durch eine solche Aufnahme weniger tangiert war als durch eine Abbildung, die ihn bei der Ausübung der Tätlichkeiten zeigt187. 52
Von dem Grundsatz, dass Begleiter von relativen Personen der Zeitgeschichte nicht allein wegen dieses Umstandes ein Berichtsinteresse erzeugen (Rz. 46), sind nur Ausnahmen denkbar, wenn bspw. das zeitgeschichtliche Ereignis, durch welches die Begleitperson in das Blickfeld der Öffentlichkeit getreten ist, letztendlich selbst von Berichtswert ist. So kann es sein, wenn ein Politiker von seiner Ehepartnerin wegen eines Mitarbeiters in seinem Stab verlassen wird. Diese Situation kann es auch rechtfertigen, den Mitarbeiter abzulichten, obgleich er strenggenommen nur Begleiter einer „relativen Person der Zeitgeschichte“ ist.
53
Der für die Abbildungsfreiheit neben dem Ereignisbezug erforderlichen Aktualität einer Bildberichterstattung (vgl. Rz. 40) kommt gerade auch bei (ehemaligen) Ehegatten, Lebensgefährten und Partnern eine maßgebliche Bedeutung zu. Schwierig ist freilich die Frage, ab welchem Zeitpunkt seit Beendigung einer Ehe oder Partnerbeziehung die für die Abbildungsfreiheit erforderliche Aktualität der Bildberichterstattung nicht mehr gegeben ist. Ob überhaupt und, wenn ja, wie lange nach Beendigung einer Liaison die Abbildungsfreiheit fortdauert, kann nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt und beantwortet werden anhand einer Güter- und Interessenabwägung zwischen dem Publikumsinteresse und dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen am eigenen Bild. Die ehemalige Freundin eines berühmten Tennisstars braucht es jedenfalls nicht hinzunehmen, fünf Monate nach Ende der Liaison in einem dem „Kult“ des Stars dienenden Film mitvermarktet zu werden188.
54
Kinder von absoluten Personen der Zeitgeschichte sind allein wegen ihrer Eltern nicht von zeitgeschichtlichem Interesse189, auch dann nicht, wenn sie sich mit ihren Eltern in alltäglichen Situationen wie Einkaufen, Spazierengehen etc. in der Öffentlichkeit bewegen190. Von zeitgeschichtlichem Interesse können sie jedoch sein, wenn sie gemeinsam mit ihren Eltern sich der Öffentlichkeit als Angehörige präsentieren oder im Pflichtenkreis der Eltern in öffentlichen Funktionen repräsentieren191. Bei entsprechend herausragender Stellung (minderjähri187 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, NJW 2001, 1921, 1925 – Fotoberichterstattung über Personen der Zeitgeschichte. 188 OLG Hamburg v. 16.7.1992 – 3 U 62/92, AfP 1993, 576. 189 OLG Hamburg v. 25.6.1996 – 7 U 177/95, AfP 1997, 535, 536 – Sohn von Caroline von Monaco; OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJW-RR 1996, 93, 95 – Tochter von Anne-Sophie Mutter; offengelassen BGH v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94, MDR 1996, 366 = AfP 1996, 137 = NJW 1996, 984, 985 – Caroline von Monaco II. 190 OLG Hamburg v. 25.6.1996 – 7 U 177/95, AfP 1997, 535, 536 – Sohn von Caroline von Monaco; Prinz/Peters, Rz. 856. 191 BGH v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94, MDR 1996, 366 = AfP 1996, 137 = NJW 1996, 984, 985 – Caroline von Monaco II; v. 6.10.2009 – VI ZR 314/08, GRUR 2010, 173 Rz. 10 – Kinder eines ehemaligen Fußballprofis; v. 28.5.2013 – VI ZR 125/12, GRUR 2013, 1065 Rz. 20 – Eisprinzessin Alexandra; OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJW-RR 1996, 93, 95 – Tochter von Anne-Sophie Mutter.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 56 Kap. 8
ger Thronfolger, Kinderstar etc.) können Kinder aber absolute Personen der Zeitgeschichte sein. Auch soweit sie jedoch – absolute oder relative – Personen der Zeitgeschichte sind, wird eine Bildberichterstattung über sie häufig an dem für Kinder verschärften Schutz nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auf ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit und – soweit es um die Eltern-Kind-Beziehungen geht – an dem durch Art. 6 Abs. 1 GG verstärkten Schutz des Persönlichkeitsrechtes der Eltern scheitern (vgl. Rz. 119). Da der Begriff der Zeitgeschichte nach dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu be- 55 stimmen ist (vgl. Rz. 28), kann über die genannten Beispielsfälle hinaus bei entsprechendem Informationsinteresse der Allgemeinheit an einem zeitgeschichtlichen Ereignis grundsätzlich jedermann zum Gegenstand berechtigter Informationsinteressen werden, so dass sein Bildnis – vorbehaltlich Ereignisbezug und Aktualität – verbreitet werden darf, wenn dem keine berechtigten Interessen des Betroffenen nach § 23 Abs. 2 KUG entgegenstehen. Wegen des großen Informationsinteresses der Öffentlichkeit an den Wettkämpfen der Fußball-Bundesliga ziehen die Spieler dieser Liga ein solches Interesse auf sich192. Diese Maßstäbe können auch auf Sportler anderer Sparten mit vergleichbarem Publikumsinteresse übertragen werden. In einem Buch über den DDR-Strafvollzug darf eine ehemalige stellvertretende Gefängnisleiterin abgebildet werden193. Die Person eines Steuerberaters erhält nicht allein dadurch Berichtswert, dass ein Journalist in dessen Mülltonne Steuerunterlagen seiner Mandanten zwar zerrissen, aber noch lesbar aufgefunden hat194. Einen bei der Einweihung einer Fußgängerzone zu Zwecken der Beweissicherung in Zivilkleidung im Einsatz befindlichen Kriminalkommissar bezeichnet das VG Karlsruhe nicht als Person der Zeitgeschichte195. Entsprechendes kann für den Einsatz bei Demonstrationen gelten, wenn das Informationsinteresse auf die Demonstration als solche beschränkt bleibt. Nach Auffassung von Rebmann sind die Gesichtszüge von Polizeibeamten in solchen Fällen unkenntlich zu machen, wenn der Informationswert dadurch nicht geschmälert wird. Die Verbreitung von Portraitaufnahmen einzelner Polizeibeamter bezeichnet Rebmann als grundsätzlich unzulässig (vgl. Kap. 7 Rz. 74)196. Die bloße Tatsache, dass über jemanden berichtet worden ist, führt grundsätzlich noch nicht 56 zu einem berechtigten Informationsinteresse197, auch nicht, wenn eine grundsätzliche Frage wie z.B. „Ehen mit Ausländern“ erörtert worden ist198. Ebenso wenig verschafft die anlässlich einer bayerischen Reform des Sexualkundeunterrichts erfolgende Verbreitung und Erörterung eines in einem Biologiebuch enthalten gewesenen Nacktfotos der Abgebildeten zeitgeschichtliche Bedeutung199. Hierzu genügt die bloße Veröffentlichung eines Bildnisses nicht200. Dies kann aber nicht uneingeschränkt gelten. Die Tatsache, dass eine Person sich nackt in einem Herrenmagazin abbilden ließ, kann durchaus berichtenswert sein und ein zeitgeschichtliches 192 BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, GRUR 1979, 425 – Fußballkalender; v. 20.2.1968 – VI ZR 200/66, NJW 1968, 1091 – Ligaspieler. 193 LG Hamburg v. 26.7.1993 – 324 O 394/93, AfP 1994, 321. 194 OLG Frankfurt v. 8.5.1990 – 6 W 62/90, CR 1991, 414 = NJW-RR 1990, 1439 – Steuerberater. 195 VG Karlsruhe v. 11.1.1980 – III 22/79, NJW 1980, 1708. 196 Rebmann, AfP 1982, 189, 193. 197 OLG Stuttgart v. 19.12.1958 – 1 Ss 732/58, JZ 1960, 126; VG Karlsruhe v. 11.1.1980 – III 22/79, NJW 1980, 1708. 198 OLG Köln v. 22.5.1973 15 U 219/72, AfP 1973, 479. 199 BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617 und die Vorentscheidung OLG Stuttgart v. 16.12.1981 – 4 U 88/81, NJW 1982, 652. 200 OLG München v. 30.11.1991 – 21 U 4699/91, AfP 1992, 78, 80 – TV Sendung; OLG Köln, Schulze OLGZ 133 – Pfändung eines Kindes; OLG Frankfurt v. 9.1.1958 – 6 U 77/57, GRUR 1958, 508 – Verbrecherbraut.
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Kap. 8 Rz. 57
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
Ereignis darstellen201. Als Bericht über ein Tagesereignis wäre die Veröffentlichung auch nach § 50 UrhG urheberrechtlich gedeckt202. Die – vom Urheberrecht völlig unabhängige – Veröffentlichungsbefugnis nach dem KUG (Kap. 7 Rz. 139) wird freilich häufig an berechtigten Interessen des Betroffenen scheitern (vgl. Rz. 94 ff.). d) Verbreitungsbefugnis 57
Welche Bedeutung das Merkmal Person der Zeitgeschichte für die Befugnis zur Verbreitung und öffentlichen Zurschaustellung hat, ist in den Einzelheiten umstritten. aa) Eigenschaft des Abgebildeten
58
Die Bekannheit oder Prominenz des Abgebildeten hat auch unabhängig von § 23 Abs. 2 KUG nicht ohne weiteres die Veröffentlichungsbefugnis zur Folge. Insbesondere in der Fußballkalender-Entscheidung betonte der BGH203 bereits früher, dass das durch § 23 Abs. 1 Nr. 1 geschützte Publikationsinteresse in einem Spannungsverhältnis zum Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten steht und auch Personen der Zeitgeschichte Anspruch darauf haben, dass die Allgemeinheit auf ihre Persönlichkeit Rücksicht nimmt. Diese Rücksichtnahme könne sich nicht darauf beschränken, den Abgebildeten vor entstellenden oder seinen Ruf auf andere Weise gefährdenden Bildnisveröffentlichungen zu schützen. Vielmehr sei dem Interesse des Abgebildeten, vor übermäßigem Zugriff der Öffentlichkeit bewahrt zu werden, allgemein Rechnung zu tragen204. Die Vorstellung, dass auch bekannte Personen, deren Wirken und Dasein stets von zeitgeschichtlichem Interesse ist, den Schutz ihrer Privatsphäre in der Öffentlichkeit nicht verlieren, ist vom BGH bereits 1996 jedenfalls in Situationen einer für Dritte erkennbaren räumlichen Zurückgezogenheit anerkannt worden205. Mit der EGMREntscheidung im Fall „Caroline von Hannover“206 ist die Begrenzung auf Situationen der räumlichen Zurückgezogenheit entfallen, so dass auch inhaltlich als privat geltende Umstände (Beziehungsleben207, Urlaubsverhalten, Einkaufsverhalten) zum geschützten Bereich der Privatsphäre auch Prominenter gehören208. Zweifelhaft ist dies allenfalls noch bei Politikern, deren Leben auch nach Ende ihrer Dienstzeit von zeitgeschichtlichem Interesse sein soll209. bb) Sonstige Umstände
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Von erheblicher Bedeutung ist daher, ob sonstige Umstände gleichfalls die Verbreitungsbefugnis verleihen können. Dass die Eigenschaft des Abgebildeten für den Informationswert der Abbildung ein wichtiges Indiz ist, trifft allerdings zu. Ebenso wie trotz zu bejahender 201 OLG Frankfurt v. 21.9.1999 – 11 U 28/99, AfP 2000, 185 = NJW 2000, 594 – Katharina Witt; LG Berlin v. 11.8.1998 – 27 O 333/98, ZUM-RD 1999, 457 – Nacktfoto TV-Serien-Star; OLG Hamburg v. 30.5.1991 – 3 U 258/90, AfP 1992, 159 – Schauspielerin halbnackt; a.A. OLG Hamburg v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, AfP 1995, 665 = NJW 1996, 1151 – TV-Star oben ohne. 202 BGH v. 11.7.2002 – I ZR 285/99, MDR 2003, 284 = AfP 2002, 504 = NJW 2002, 3473 – Zeitungsbericht als Tagesereignis. 203 BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203. 204 BGH v. 10.5.1957 – I ZR 234/55, BGHZ 24, 200, 208 – Spätheimkehrer. 205 BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, BGHZ 131, 332 = AfP 1996, 140. 206 EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00, AfP 2004, 348 – Caroline von Hannover/Deutschland. 207 BGH v. 2.5.2017 – VI ZR 262/16, AfP 2017, 310 – Popstar und Dessousmodel. 208 BGH v. 6.3.2007 – VI ZR 13/06, AfP 2007, 121 – Abgestuftes Schutzkonzept. 209 BGH v. 6.2.2018 – VI ZR 76/17 – Christian Wulff im Supermarkt; a.A. Vorinstanz OLG Köln v. 19.1.2017 – 15 U 88/16.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 61 Kap. 8
zeitgeschichtlicher Bedeutung des Abgebildeten die Verbreitungsbefugnis zu verneinen sein kann, ist aber möglich, dass sie zu bejahen ist, obschon der oder die Abgebildeten keine solche Bedeutung haben. Wie insbesondere das OLG Hamburg bereits früher und vor der erwähnten Rechtsprechungsänderung (Rz. 58) betont hat, ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut, dass es im Ergebnis nicht auf den zeitgeschichtlichen Charakter des Abgebildeten, sondern des Bildnisses ankommt210. Das Recht am eigenen Bild ist deswegen auch eingeschränkt, wenn die bildliche Darstellung nach Inhalt und Charakter objektiv geeignet und bestimmt ist, den damit angesprochenen Verkehrskreisen als zeitgeschichtliche Dokumentation zu dienen211. Die sonstigen Umstände, die dem Bildnis eine zeitgeschichtliche Bedeutung verleihen, kön- 60 nen sich aus der dargestellten Situation selbst, also dem Bildnis, oder der zugehörigen Wortberichterstattung sowie den sonstigen Umständen der Veröffentlichung ergeben. Das eröffnet journalistische Spielräume, allerdings auch Scheinbegründungen für einen angeblichen zeitgeschichtlichen Anlass für die Bildveröffentlichung. Journalistische Spielräume ergeben sich insbesondere daraus, dass prominente Personen auch in ihrem Alltagsverhalten „der Allgemeinheit Möglichkeiten der Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen bieten sowie Leitbild- oder Kontrastfunktionen erfüllen. Auch die Normalität des Alltagslebens kann der Meinungsbildung zu Fragen von allgemeinem Interesse dienen“212. Daher durfte der Bericht über das Urlaubsverhalten von Prominenten mit einem Urlaubsfoto illustriert werden, weil der Bericht sich darüber verhielt, dass die Abgebildeten ihre Privatvilla in Kenia vermieten, also auch Prominente sparen müssen213. Allerdings ist auch in Bezug auf diesen Fall kritisch angemerkt worden, dass die Orientierungsfunktion dazu bemüht werden kann, Fotos mit banalen redaktionellen Texten zu garnieren, um letztlich zu verdecken, dass ein ernsthafter Berichtsanlass fehlt214. Diese Kritik ist ernst zu nehmen, so dass die Gerichte weiterhin prüfen müssen, ob der journalistische Anlass vorgeschoben wirkt und die Abbildung des Privaten tatsächlich nur Unterhaltungszwecken dient. Da es richtiger Auffassung nach jedenfalls bei Bildnissen von nicht bekannten Personen der 61 Zeitgeschichte auf den zeitgeschichtlichen Charakter des Fotos und nicht der abgebildeten Person ankommt, zeigen Beispiele wie Fotos von Müllarbeitern in Aktion. Es kann durchaus geboten sein, durch die Verbreitung solcher Fotos das gesellschaftliche Problem dieser Arbeit zu erläutern, obschon nicht an jedem und vermutlich auch nicht an dem abgebildeten Müllarbeiter ein zeitgeschichtliches Interesse besteht. Eine Parallelproblematik ergibt sich bei der Herausstellung einzelner Personen als stellvertretend für die Branche, z.B. zwecks Erläuterung, welche Bedeutung Nitrit für Metzger hat215. Dieses Phänomen hängt mit der Entwicklung zur Personalisierung, aber auch der Bedeutung von Abbildungen im Diskurs (sog. pictorial turn, Rz. 31) zusammen. Es betrifft gerade die sog. „Bilder, die Geschichte machten“, wie etwa das Foto eines vietnamesischen Mädchens, das mit verbrannter Haut nackt dem Feuer der Na210 OLG Hamburg v. 24.10.1974 – 3 U 134/74, ArchPR 1974, 103 und v. 5.2.1976 – 3 U 169/75, Ufita 78/1977, 224, 250; ebenso OLG München v. 6.12.1962 – 6 U 2160/61, Ufita 41/1964, 322 = Schulze OLGZ 58. 211 von Gamm, Urheberrechtsgesetz, Einf. 115; Dittmar, NJW 1979, 1311. 212 BGH v. 26.10.2010 – VI ZR 190/08, NJW 2011, 746 Rz. 26 – Rosenball in Monaco mit Hinweis auf BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, BVerfGE 101, 361, 390 = AfP 2000, 230 – Caroline von Monaco. 213 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 m. Anm. Frenz; BGH v. 1.7.2008 – VI ZR 67/08, AfP 2008, 503 – Vermietung der Ferienvilla; anders vorher BGH – Villa. 214 Götting in Schricker/Loewenheim, § 23 KUG, Rz. 79b. 215 Vgl. OLG Hamburg v. 5.2.1976 – 3 U 169/75, AfP 1976, 137.
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Kap. 8 Rz. 62
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
palmbomben entflieht. Dieses Bildnis gehört zweifellos der Zeitgeschichte an, nicht aber das allein durch dieses Foto bekanntgewordene Mädchen namens Kim Thuc. Die Gesetzesfassung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG erlaubt es aber durchaus, zu Zwecken der Meinungsbildung solche zeitgeschichtlich bedeutsamen Abbildungen zu verbreiten, solange das Ereignis selbst diese Bedeutung hat, denn das Gesetz stellt gerade nicht auf die Bekanntheit, sondern auf den Informationswert der Bildinformation, also der dargestellten Situation, ab. cc) Informationsinteresse der Allgemeinheit 62
Auf die Ausnahmebestimmung des § 23 Abs. 1 KUG kann sich nur derjenige berufen, der mit der Bildnisveröffentlichung einem schutzwürdigen Informationsinteresse der Allgemeinheit nachkommt216. Bei der Bildniswiedergabe im redaktionellen Teil von Zeitungen und Zeitschriften, ebenso im Fernsehen, ist das i.d.R. der Fall217. Problematisch wäre es, wenn wegen fehlendem Informationszweck bzw. einem ihm korrespondierenden schutzwürdigen Informationsinteresse der Allgemeinheit die Abbildungsfreiheit schon bei den Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 KUG verneint würde, soweit das Interesse an der Berichterstattung allein auf Sensationslust, Neugier oder Interesse an Unterhaltung beruht218. Denn auch durch unterhaltende Beiträge findet wegen der Leitbild- und Kontrastwirkung des Lebens bekannter Personen Meinungsbildung statt (Rz. 60). Erst bei der Abwägung mit den kollidierenden Persönlichkeitsrechten des Betroffenen kann es darauf ankommen, ob Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen, ernsthaft und sachbezogen erörtert werden oder ob lediglich private Angelegenheiten ausgebreitet werden, die nur die Neugier befrieden219. Unanwendbar ist § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG daher nur dann, wenn überhaupt kein Informationsinteresse befriedigt wird wie beispielsweise bei einer Bildnisverbreitung allein zu Zwecken der Werbung220 oder bei rein fiktiven Darstellungen221. Die begleitende Wortberichterstattung darf sich nicht darauf beschränken, irgendeinen Anlass für die Bildnisverbreitung zu liefern222.
63
Für die Privilegierung nach § 23 Abs. 1 KUG genügt aber, dass mit der Veröffentlichung des Bildnisses überhaupt ein – und sei es nur marginales, hinter anderen Beweggründen zurückstehendes – Informationsinteresse der Allgemeinheit verfolgt wird. Daher fällt auch eine 216 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317 – Marlene Dietrich II; v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593 – Abschiedsmedaille. 217 OLG Hamburg v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, AfP 1995, 665 = NJW 1996, 1151, 1152 – TV-Star oben ohne; OLG Frankfurt v. 21.9.1999 – 11 U 28/99, AfP 2000, 185 = NJW 2000, 594 – Katharina Witt. 218 So noch tendenziell BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128, 1130 – Caroline von Monaco III; v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861, 864 – Caroline von Monaco I; v. 9.6.1965 – Ib ZR 126/63, NJW 1965, 2148, 2149 – Spielgefährtin I; v. 10.5.1957 – I ZR 234/55, NJW 1957, 1315 – Spätheimkehrer; OLG Hamburg v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, AfP 1995, 665 = NJW 1996, 1151, 1153 – TV-Star oben ohne; OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJWRR 1996, 93, 95 – Anne-Sophie Mutter. 219 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1024 – Caroline von Monaco; v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 283 – Soraya; BGH v. 26.10.2010 – VI ZR 190/08, NJW 2011, 746 Rz. 20 – Rosenball in Monaco. 220 BGH v. 31.5.2012 – I ZR 234/10, NJW 2013, 793 Rz. 38 – Playboy am Sonntag. 221 LG Hamburg v. 8.5.1998 – 324 O 736/97, ZUM 1998, 852, 860: zeichnerische Darstellung eines imaginären Zusammenseins zweier Personen. 222 Vgl. KG v. 19.6.2008 – 10 U 273/07.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 64 Kap. 8
kommerzielle Bildnisnutzung unter den Schutz von § 23 Abs. 1 KUG, sofern sie auch Informationszwecken dient. Erst im Rahmen der Abwägung mit den berechtigten Interessen des Betroffenen im Rahmen von § 23 Abs. 2 KUG kommt den verfolgten kommerziellen Interessen und ihrem Gewicht im Verhältnis zu einem gleichzeitig verfolgten Publikationsinteresse und dem dabei vermittelten Informationswert der Publikation für die Öffentlichkeit Bedeutung zu (vgl. Rz. 136 ff.). Das Privileg des § 23 Abs. 1 KUG entfällt somit nur dann, wenn überhaupt kein Informationsinteresse befriedigt wird wie bspw. bei einer Bildnisverbreitung ausschließlich zu kommerziellen Zwecken, etwa wenn die Verbreitung des Bildnisses zu Werbezwecken allein den Geschäftsinteressen des Verwerters dient223. Während somit bei einer Bildnisnutzung allein zu Werbezwecken die Privilegierung nach § 23 Abs. 1 KUG ausscheidet (vgl. Rz. 64), gilt dies nicht, wenn es sich dabei um eine Eigenwerbung der Medien für den Absatz ihrer Medien handelt. Da auch die Eigenwerbung der Medien mittelbar Informationszwecken dient, hat eine Abwägung zu erfolgen zwischen der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, an der auch die Eigenwerbung der Medien teilhat, und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 1 und Art. 2 GG (vgl. Rz. 136 f.). dd) Verbreitung zu Werbezwecken Dass die Verbreitung zu Werbezwecken von der Verbreitung zu Informationszwecken zu 64 unterscheiden ist und die Vergünstigung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG nicht auslöst, ist unbestritten. Auf die Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG kann sich nach ständiger Rechtsprechung derjenige nicht berufen, der mit der Veröffentlichung keinen schutzwürdigen Informationsinteressen der Allgemeinheit nachkommt, sondern durch Verwertung des Bildnisses eines anderen zu Werbezwecken allein sein Geschäftsinteresse befriedigen will wie z.B. durch die Nutzung des Bildnisses eines Prominenten zur Werbung für Produkte oder gewerbliche Leistungen224. Daher ist – mit Ausnahme der Eigenwerbung der Medien, Rz. 136 f. – die Verwendung eines Bildnisses – auch des Bildes einer Person der Zeitgeschichte – für Werbezwecke nur dann zulässig, wenn sie von der ausdrücklichen Einwilligung des Abgebildeten gedeckt ist225. Diese Einwilligung ist nur entbehrlich, wenn die Bildnisveröffentlichung schutzwürdigen Informationsinteressen der Allgemeinheit dient und keine berechtigten Interessen 223 BGH v. 31.5.2012 – I ZR 234/10, NJW 2013, 793, Rz. 38 – Playboy am Sonntag; BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317 – Marlene Dietrich II; v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel; v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593 – Abschiedsmedaille. 224 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317 – Marlene Dietrich II; v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel; v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593 – Abschiedsmedaille; v. 14.3.1995 – VI ZR 52/94, MDR 1995, 909 = AfP 1995, 495 = NJW-RR 1995, 789 – Kundenzeitschrift; v. 14.4.1992 – VI ZR 285/91, MDR 1992, 647 = CR 1993, 621 = AfP 1992, 149 = NJW 1992, 2084 – Werbefoto; v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1154 – Paul Dahlke. 225 BGH v. 14.3.1995 – VI ZR 52/94, MDR 1995, 909 = AfP 1995, 495 = NJW-RR 1995, 789 – Kundenzeitschrift; v. 14.4.1992 – VI ZR 285/91, MDR 1992, 647 = CR 1993, 621 = AfP 1992, 149 = NJW 1992, 2084 – Werbefoto; v. 26.6.1981 – I ZR 73/79, NJW 1981, 2402 – Carrera; v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1154 – Paul Dahlke.
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Kap. 8 Rz. 65
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
des Betroffenen entgegenstehen. Diese Voraussetzungen einer Abbildungsfreiheit können auch bei einer gewerblichen (gleichwohl nicht werblichen) Bildnisnutzung gegeben sein (vgl. Rz. 136 ff.). 65
Ob ein Bildnis allein zur Werbung eingesetzt wird, ist aus der Sicht des unbefangenen Durchschnittsbetrachters nach dem Gesamtzusammenhang, in dem das Bildnis verwendet wird, zu würdigen. Dabei sind die Anforderungen, die das Grundgesetz an das Verständnis von Änderungen richtet, sinngemäß auf das Verständnis von Abbildungen zu übertragen226.
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An einem alleinigen Einsatz zu Werbezwecken wird häufig kein Zweifel bestehen, etwa wenn eine Szene aus einer beliebten TV-Serie zur Werbung für Fernsehgeräte verwendet wird227, Bildnisse von Marlene Dietrich in der Anzeigenwerbung für Fotokopiergeräte228 oder zur Anzeigenwerbung für Autos und Kosmetika229 oder bei der Verwendung des Bildnisses von Marlene Dietrich oder Nena auf Merchandising-Produkten wie Telefonkarten, Tassen, T-Shirts, Aufklebern, Tragetaschen etc.230. Eine Nutzung zu Werbezwecken liegt auch vor, wenn ein Double von Ivan Rebroff in einem TV-Werbespot für Milchprodukte wirbt231.
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Die Tatsache, dass das Bildnis eines Prominenten als Blickfang auf der Titelseite einer Kundenzeitschrift verwendet wird, die in erster Linie der Produktwerbung dient232, rechtfertigt noch nicht den Schluss, dass die abgebildete Person als Werbeträger für die im Inneren des Blattes beworbenen Produkte eingesetzt wird, wenn auch im Inneren des Blattes ein – und sei es ein dürftiger – redaktioneller Bericht über den Abgebildeten erfolgt. Denn der unbefangene Durchschnittsbetrachter bringt das Bild zunächst mit dem Textbeitrag im Inneren des Blattes in Verbindung233. Die Grenze des Einsatzes von Bildnissen zur Werbung für einzelne Produkte ist erst dann überschritten, wenn beim Leser durch die Abbildung der Eindruck erweckt wird, dass der Abgebildete zu diesem Produkt steht, es empfiehlt und zur Werbung für diese Ware sein Bild zu Verfügung gestellt hat234.
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Es ist umstritten, ob die anzustellende Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Allgemeinheit und den berechtigten Interessen des Abgebildeten schon im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zu erfolgen hat oder dem § 23 Abs. 2 226 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 1082/95, AfP 2000, 163 = NJW 2000, 1026 – Kundenzeitschrift; BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861, 862 – Caroline von Monaco I; v. 14.3.1995 – VI ZR 52/94, MDR 1995, 909 = AfP 1995, 495 = NJWRR 1995, 789 – Kundenzeitschrift. 227 BGH v. 28.10.1960 – I ZR 87/59, NJW 1961, 558 – Familie Schölermann. 228 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel. 229 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 230 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; v. 14.10.1986 – VI ZR 10/86, MDR 1987, 305 = GRUR 1987, 128 – Nena. 231 OLG Karlsruhe v. 4.11.1994 – 14 U 125/93, AfP 1996, 282. 232 BGH v. 11.3.2009 – I ZR 8/07, AfP 2009, 485 – Wer wird Millionär; v. 18.11.2010 – I ZR 119/08, AfP 2011, 350 – Markt & Leute. 233 BGH v. 14.3.1995 – VI ZR 52/94, MDR 1995, 909 = AfP 1995, 495 = NJW-RR 1995, 789 – Kundenzeitschrift. 234 BGH v. 14.3.1995 – VI ZR 52/94, MDR 1995, 909 = AfP 1995, 495 = NJW-RR 1995, 789 – Kundenzeitschrift; v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 69 Kap. 8
KUG vorbehalten bleibt235. Die Rechtsprechung prüfte früher im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG allein das Informationsinteresse der Allgemeinheit und nahm die Abwägung mit entgegenstehenden Interessen des Betroffenen erst im Rahmen von § 23 Abs. 2 KUG vor236. Neuerdings wird die Interessenabwägung bereits im Rahmen von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorgenommen237. In der Fußballkalender-Entscheidung hatte der BGH offengelassen, ob die Interessenabwägung allein dem Abs. 2 vorbehalten sei oder schon bei den Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG berücksichtig werden müsse238. Zwar ist zunächst ohne Bedeutung, an welcher Stelle die Abwägung erfolgt239; die Systematik der Prüfung hat aber Auswirkung auf die Darlegungs- und Beweislast240. Richtigerweise ist daher mit der neueren Rechtsprechung das Vorliegen des Informationsinteresses der Allgemeinheit bereits als Tatbestandsvoraussetzung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zu prüfen und, falls dieses bejaht wird, die Abwägung mit den berechtigten Interessen des Betroffenen in § 23 Abs. 2 KUG vorzunehmen241. Da der Schutzzweck des § 23 Abs. Nr. 1 KUG ein schutzwürdiges Informationsinteresse der Allgemeinheit fordert242, können bereits im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 KUG diejenigen Sachverhalte ausgeschieden werden, bei denen die Veröffentlichung keinem Informationszweck dient, sondern anderen Zwecken, insbesondere ausschließlich Zwecken der Werbung243. Insbesondere Nutzungen im Rahmen publizistischer Angebote erfordern dagegen eine gleichberechtigte Abwägung mit Persönlichkeitsinteressen, die im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG zu leisten ist. 3. Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG) Auf Bildnisse und Sachaufnahmen, die die Identifizierung einer Person ermöglichen, sind – 69 sofern sie nicht wegen der Verfolgung journalistischer Zwecke durch das Medienprivileg (Kap. 7 Rz. 128) oder im Privatbereich durch das Haushaltsprivileg (Kap. 7 Rz. 126) oder als Bildnis im Kontext einer Beschäftigung gem. § 26 BDSG 2018 (Kap. 7 Rz. 117) vom Anwendungsbereich der DSGVO ausgenommen sind – nach den Bestimmungen der DSGVO nur rechtmäßig, wenn sie auf eine Einwilligung gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO oder einen 235 Im Einzelnen Helle, S. 139 ff. 236 So z.B. BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128 – Caroline von Monaco III; v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; OLG Frankfurt v. 21.9.1999 – 11 U 28/99, AfP 2000, 185 = NJW 2000, 594 – Katharina Witt; OLG Hamburg v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, AfP 1995, 665 = NJW 1996, 1151, 1152 – TV-Star oben ohne. 237 BGH v. 11.3.2009 – I ZR 8/07, AfP 2009, 485 – Wer wird Millionär; v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1554 – Paul Dahlke; OLG Frankfurt v. 21.9.1999 – 11 U 28/99, AfP 2000, 185 = NJW 2000, 594 – Katharina Witt; OLG München v. 2.9.1999 – 6 U 3740/99, ZUM 1999, 848 – Marlene Dietrich. 238 BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203. 239 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 225 – Lebach. 240 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 139; Engels/Schulz, AfP 1998, 574. 241 So auch BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco. 242 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, NJW 1979, 2203 – Fußballkalender. 243 BGH v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1554 – Paul Dahlke; OLG München v. 2.9.1999 – 6 U 3740/99, ZUM 1999, 848 – Marlene Dietrich; OLG Hamburg v. 11.6.1998 – 3 U 284/97, ZUM-RD 1999, 122, 125 – Backstreet Boys; LG Berlin v. 8.6.1995 – 20 O 67/95, NJW 1996, 1142 – Schalck-Golodkowski.
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Kap. 8 Rz. 70
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
anderen Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 DSGVO gestützt werden können (vgl. Kap. 7 Rz. 131). Bei Aufnahmen, bei denen die Abgebildeten nur Beiwerk i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeiten sind, sowie bei Bildern von Teilnehmern von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG ist es in aller Regel unmöglich, vor dem Anfertigen der Aufnahme die nach Art. 4 Abs. 11, 7 und 8 DSGVO für deren Verarbeitung erforderliche Einwilligung der Betroffenen einzuholen. In Betracht kommt in solchen Fällen jedoch eine Rechtfertigung der Aufnahmen nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO: Nach dieser Bestimmung ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn „die Verarbeitung … zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt. Hier ist im Einzelfall eine Abwägung vorzunehmen (vgl. dazu Kap. 7 Rz. 136). Eine Verpflichtung, die als Beiwerk oder als Teilnehmer einer Versammlung Abgebildeten nach Art. 13 DSGVO oder Art. 14 DSVGO zu informieren, besteht in der Regel nicht. Denn nach Art. 11 Abs. 1 DSGVO ist ein Verantwortlicher nicht verpflichtet, zur bloßen Erhaltung der DSGVO zusätzliche Informationen aufzubewahren, einzuholen oder zu verarbeiten, um die betroffene Person zu identifizieren, falls für die Zwecke, für die dieser die Daten verarbeitet, die Identifizierung der betroffenen Person durch den Verantwortlichen nicht oder nicht mehr erforderlich ist. Der Verantwortliche hat in den genannten Fällen weder die Möglichkeit, die Abgebildeten ohne unverhältnismäßigen Aufwand zu identifizieren, noch hat weder er noch der Abgebildete ein Interesse an einer Identifizierung. Hält man Art. 11 Abs. 1 DSGVO nicht für einschlägig, dürfte die Informationspflicht gem. Art. 14 Abs. 5 lit. b DSGVO entfallen, weil sich die Information des Betroffenen durch den Fotografen i.S.v. § 275 BGB als unmöglich erweist oder einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde. Erwägungsgrund 62 der DSGVO nennt als Beispiel für den Ausnahmefall der entfallenden Informationspflicht die Zahl der andernfalls zu informierenden Personen. Wird das Bild im Rahmen des Medienprivilegs für journalistische Zwecke genutzt (dazu Kap. 7 Rz. 127), fällt es unter das Haushaltsprivileg (Kap. 7 Rz. 126) oder steht im Kontext mit einem Beschäftigungsverhältnis gem. § 26 BDSG 2018 (Kap. 7 Rz. 192), findet § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG gemäß den nachstehenden Ausführungen Anwendung: 70
Bilder i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG sind solche, die eine Landschaft oder sonstige Örtlichkeit wiedergeben, wobei aber Personen mit abgebildet sind. Die Vorschrift betrifft den Fall, dass auf einem Bild – also nicht auf einem (Personen-)Bildnis i.S.v. Kap. 7 Rz. 11 ff. – Personen neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen. Die Vorschrift gilt daher nicht für diejenigen Fälle, in welchen bei Personenaufnahmen andere Personen als Beiwerk erscheinen244, und auch nicht bei anderen Sachbildern, die nicht eine Landschaft oder sonstige Örtlichkeit zum Gegenstand haben. Eine analoge Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG auf solche Konstellationen scheidet bereits wegen Fehlens einer Gesetzeslücke aus. Wird beispielsweise eine Yacht abgebildet, ist die dabei mitabgebildete Besatzung kein Beiwerk; anders wäre es, wenn Gegenstand des Bildes der Yachthafen als Örtlichkeit ist. Ist ein Personenbildnis in die Abbildung einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit eigens eingefügt worden, weil es auf die Wiedergabe dieser Personen ankommt, entfällt die Vergünstigung des § 23 Abs. 1 Nr. 2
244 BGH v. 21.4.2015 – VI ZR 245/14, MDR 2015, 829 = AfP 2015, 337 = CR 2015, 528 Rz. 23 – Abbildung einer zufällig in Prominentennähe befindlichen Person.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 72 Kap. 8
KUG schon aus diesem Grunde245. Die Vergünstigung entfällt auch bei Personenfotos, die aus einer Landschaftsaufnahme herauskopiert sind246. § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG ist eine Ausnahmevorschrift zum Einwilligungserfordernis des § 22 71 KUG. Die Anwendbarkeit des § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG setzt daher voraus, dass die als Beiwerk im Bild erscheinende Person erkennbar ist (vgl. Kap. 7 Rz. 16 ff.). Fehlt es an der Erkennbarkeit, ist bereits nach § 22 KUG die Verbreitung gestattet. Die Erkennbarkeit mit abgebildeten Personen ist daher grundsätzlich ohne Bedeutung für die Beurteilung der Frage, ob die abgebildete Person als Beiwerk anzusehen ist oder nicht. § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG stellt stattdessen in erster Linie auf das Verhältnis des Personenbildnisses zu der mit der Darstellung erfolgenden Aussage ab, d.h. auf den Stellenwert entsprechend dem Gesamteindruck247. § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG greift nur ein, wenn die Abbildung einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit den Gehalt des Bildes prägt und nicht selbst Beiwerk ist248. Damit nach dem objektiven Gesamteindruck des Betrachters die Landschaft oder sonstige Örtlichkeit das Bild prägt, muss die Personenabbildung derart untergeordnet sein, dass sie auch entfallen könnte, ohne dass Gegenstand und Charakter des Bildes sich verändern249. Soweit vorgeschlagen wird, die Maßstäbe des § 57 UrhG auch für die Beurteilung des Beiwerk-Charakters im Rahmen von § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG heranzuziehen250, muss allerdings bedacht werden, dass § 57 UrhG nur das „unwesentliche“ Beiwerk betrifft, während die Abbildungsfreiheit des § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG für jegliches Beiwerk gilt, also auch für Personenbildnisse, die in einer Landschaftsaufnahme wesentliches Beiwerk darstellen. Die zu § 57 UrhG ergangene Rechtsprechung, wonach unwesentliches Beiwerk vorliegt, wenn Personen aus der Aufnahme weggelassen werden können, ohne dass dies auffällt oder ohne dass die Gesamtwirkung der Aufnahme in irgendeiner Weise beeinflusst wird251, kann daher nur herangezogen werden, um im Rahmen von § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG unwesentliches Beiwerk festzustellen; wird die Unwesentlichkeit verneint, bleibt zu prüfen, ob zulässiges wesentliches Beiwerk vorliegt, weil die Abbildung einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit das Bild prägt, da die Personenabbildung derart untergeordnet ist, dass sie auch entfallen könnte, ohne dass Gegenstand und Charakter des Bildes sich verändern. Ein Werksangehöriger, der auf einem Foto in einem Werkskalender nur beiläufig in unter- 72 geordneter Position zwischen Containern und Gabelstaplern erscheint, ist Beiwerk252. Nicht von § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG erfasst ist eine Abbildung folglich, wenn ihr Thema statt der Landschaft eine zur Jagd ausreitende Personengruppe ist253. Gleiches gilt für die Abbildung einer Frau auf einer Liege am Strand, die sich zufällig in der Nähe eines Prominenten aufhielt, im 245 BGH v. 17.11.1960 – I ZR 87/59, NJW 1961, 558 – Familie Schölermann; a.A. von Gamm, Urheberrechtsgesetz, Einf. 121. 246 OLG München v. 13.11.1987 – 21 U 2979/87, AfP 1988, 915. 247 BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor. 248 BGH v. 21.4.2015 – VI ZR 245/14, MDR 2015, 829 = AfP 2015, 337 = CR 2015, 528 = NJW 2015, 2500 Rz. 23 – Abbildung einer zufällig in Prominentennähe befindlichen Person. 249 OLG Brandenburg v. 21.5.2012 – 1 U 26/11, NJW-RR 2012, 1250, 1252 – Cannabis-Plantage; LG Hamburg v. 10.1.2012 – 311 O 301/10, MDR 2012, 706; OLG München v. 31.5.1996 – 5 U 889/96, ZUM 1997, 390 – Schwarzer Sheriff; OLG Oldenburg v. 14.11.1988 – 13 U 72/88, NJW 1989, 400; OLG Karlsruhe v. 18.8.1989 – 14 U 105/88, GRUR 1989, 823 – Unfallfoto. 250 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 165; Schricker/Loewenheim/Götting, § 23 KUG Rz. 80. 251 BGH v. 17.11.2014 – I ZR 177/13, CR 2015, 596 = MDR 2015, 719 = AfP 2016, 71 = IPRB 2015, 153 – Möbelkatalog. 252 OLG Frankfurt v. 26.1.1984 – 16 U 180/83, AfP 1984, 115 – Werkskalender. 253 OLG Düsseldorf v. 30.9.1969 – 20 U 80/69, GRUR 1970, 618.
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Kap. 8 Rz. 73
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
Hintergrund einer Aufnahme, die im Vordergrund den Prominenten zeigte, wie dieser eine Mülltonne bestückte254, oder für die Abbildung einer Schalterhalle, die eine im Vordergrund stehende Frau so wiedergibt, dass der Blick sogleich auf sie fällt255, oder eine Wandergruppe im Vordergrund einer Gebirgslandschaft256. Nicht nur Beiwerk sind zwei Radfahrer bei dem Foto einer Straßenszene, das die DKP als Plakat zur Werbung von Tempo 30 verwendet257, ebenso nicht sieben nackte Personen beim Sonnenbad in einem Park, da Thema des Fotos nicht der Park ist, sondern die sich darin aufhaltenden Personen258. Füllt die Person das Bild fast ganz aus, sind die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG auch zu verneinen, wenn sie von rückwärts fotografiert ist259. 73
Die Abbildungsfreiheit nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG entfällt, wenn durch die Verbreitung oder Zurschaustellung der Aufnahme ein berechtigtes Interesse der als Beiwerk abgebildeten Person i.S.v. § 23 Abs. 2 KUG verletzt würde260. Die berechtigten Interessen einer als „Beiwerk“ abgebildeten Person sind dann bei einer Veröffentlichung ggf. durch entsprechende Maßnahmen der Anonymisierung zu wahren261. Die Verletzung berechtigter Interessen kann beispielsweise vorliegen, wenn die Aufnahme ohne Einwilligung des Abgebildeten zu Werbezwecken verwendet wird (vgl. Rz. 136 ff.) oder die Intimsphäre des Abgebildeten verletzt wird (vgl. Rz. 95 ff.) oder seine Privatsphäre (vgl. dazu Rz. 101 ff.). So kann sich beispielsweise auf die Abbildungsfreiheit nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG nicht berufen, wer die Abbildung einer Wandergruppe im Vordergrund mit einer Gebirgslandschaft im Hintergrund zur Illustration des Ferienprospektes einer Hotelkette verwendet262. Wurde ein Luftbild zu dem Zweck gefertigt, nicht bestimmte Personen, sondern ein Hausgrundstück darzustellen, sind dabei abgebildete, erkennbare Personen zwar Beiwerk der abgebildeten Örtlichkeit gem. § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG263. Die Herstellung und Verbreitung solcher Aufnahmen verletzt jedoch ggf. in aller Regel die Privatsphäre der abgebildeten Personen (vgl. Kap. 7 Rz. 216). Die Intimsphäre einer als Beiwerk abgebildeten Urlauberin war verletzt, als sie in einer Illustrierten bei einer Frontalaufnahme „oben ohne“ im Vordergrund einer Strandlandschaft gezeigt wurde264. Wird eine im Bikini am Strand liegende Frau als Beiwerk gezeigt, betrifft diese Abbildung eine erkennbar private Situation, zumal die Frau, die sich rein zufällig in der Nähe des im Vordergrund gezeigten
254 BGH v. 21.4.2015 – VI ZR 245/14, MDR 2015, 829 = AfP 2015, 337 = CR 2015, 528 = NJW 2015, 2500 – Abbildung einer zufällig in Prominentennähe befindlichen Person. 255 LG Köln v. 27.4.1965 – 11 S 6/65, MDR 1965, 658 – Flugscheindiebstahl. 256 OLG Frankfurt v. 28.2.1986 – 6 U 30/85, MDR 1986, 672 = AfP 1986, 140 = NJW-RR 1986, 1118 – Ferienprospekt. 257 LG Oldenburg v. 23.1.1986 – 5 O 3667/85, AfP 1987, 536. 258 OLG München v. 13.11.1987 – 21 U 2979/87, AfP 1988, 915 – Nackt im Park. 259 BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203 – Fußballkalender. 260 BGH v. 21.4.2015 – VI ZR 245/14, MDR 2015, 829 = AfP 2015, 337 = CR 2015, 528 = NJW 2015, 2500 Rz. 26 – Abbildung einer zufällig in Prominentennähe befindlichen Person. 261 OLG Brandenburg v. 21.5.2012 – I U 26/11, ZUM 2013, 219 – Person als Beiwerk auf der Aufnahme eines Grundstücks. 262 OLG Frankfurt v. 28.2.1986 – 6 U 30/85, MDR 1986, 672 = AfP 1986, 140 = NJW-RR 1986, 1118 – Ferienprospekt, Geldentschädigung i.H.v. 2.000 DM wegen schwerer Persönlichkeitsverletzung. 263 OLG Oldenburg v. 12.10.1987 – 13 U 59/87, NJW-RR 1988, 951. 264 OLG Oldenburg v. 14.11.1988 – 13 U 72/88, NJW 1989, 400 – Sonnenbad am Strand, Geldentschädigung i.H.v. 4.000 DM.
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von Strobl-Albeg
I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 75 Kap. 8
Prominenten befindet, im dazugehörenden Text als „pikante Frauenbegleitung“ des Prominenten bezeichnet wird265. 4. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben (§ 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG) Auf Bildnisse und Sachaufnahmen, die die Identifizierung einer Person ermöglichen, sind – 74 sofern sie nicht wegen der Verfolgung journalistischer Zwecke durch das Medienprivileg (Kap. 7 Rz. 128) oder im Privatbereich durch das Haushaltsprivileg (Kap. 7 Rz. 126) oder als Bildnis im Kontext einer Beschäftigung gem. § 26 BDSG 2018 (Kap. 7 Rz. 192) vom Anwendungsbereich der DSGVO ausgenommen sind – nach den Bestimmungen der DSGVO nur rechtmäßig, wenn sie auf eine Einwilligung gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO oder einen anderen Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 DSGVO gestützt werden können (vgl. Kap. 7 Rz. 131). Bei Bildern von Teilnehmern von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG ist es in aller Regel unmöglich, vor dem Anfertigen der Aufnahme die nach Art. 4 Abs. 11, 7 und 8 DSGVO für deren Verarbeitung erforderliche Einwilligung der Betroffenen einzuholen. In Betracht kommt in solchen Fällen jedoch eine Rechtfertigung der Aufnahmen nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO: Nach dieser Bestimmung ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn „die Verarbeitung … zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt. Hier ist im Einzelfall eine Abwägung vorzunehmen (vgl. dazu Kap. 7 Rz. 135). Eine Verpflichtung, die als Teilnehmer einer Versammlung Abgebildeten nach Art. 13 DSGVO oder Art. 14 DSVGO zu informieren, besteht in der Regel nicht (vgl. dazu Rz. 69). Wird das Bild im Rahmen des Medienprivilegs für journalistische Zwecke genutzt (dazu Kap. 7 Rz. 128), fällt es unter das Haushaltsprivileg (Kap. 7 Rz. 126) oder steht im Kontext mit einem Beschäftigungsverhältnis gem. § 26 BDSG 2018 (Kap. 7 Rz. 192), findet § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG gemäß den nachstehenden Ausführungen Anwendung: Nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG dürfen ohne die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung Bil- 75 der von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die erkennbar abgebildeten Personen teilgenommen haben, verbreitet und zur Schau gestellt werden. Es geht um die Bildberichterstattung über Menschenansammlungen verschiedenster Art wie beispielsweise Demonstrationen, Sportveranstaltungen, Fernsehshows, Konzerte, Karnevalsumzüge, Tagungen, Tanzveranstaltungen, Empfänge, Vernissagen, Parteitage, Hochzeiten, Trauerfeiern, usw. Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG stimmen mit denen von § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG insofern überein, als auch hier Abbildungen vorausgesetzt werden, die nicht einzelne Personen zeigen, sondern einen Vorgang: Gegenstand und Zweck des Bildes ist die Darstellung des Geschehens, nicht die Darstellung der Personen, die an dem Geschehen teilgenommen haben266. Auch wenn der Gesetzeswortlaut dies nicht erwähnt, muss es nach wohl herrschender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur ein Vorgang sein, der sich in der Öffentlichkeit abspielt und von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden 265 BGH v. 21.4.2015 – VI ZR 245/14, MDR 2015, 829 = AfP 2015, 337 = CR 2015, 528 Rz. 23 – Abbildung einer zufällig in Prominentennähe befindlichen Person. 266 OLG München v. 31.5.1996 – 5 U 889/96, ZUM 1997, 391 – Schwarzer Sheriff; Soehring/Hoene, § 21 Rz. 13a.
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Kap. 8 Rz. 75
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
kann267. Eine Zugangsmöglichkeit für jedermann wird nicht vorausgesetzt; z.B. kann § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG eingreifen, wenn die Feier einer eingeladenen Hochzeitsgesellschaft unter den Augen der Öffentlichkeit stattfindet268. Diese in Rechtsprechung und Literatur – auch in den Vorauflagen dieses Werkes – vertretene enge Auffassung, der abgebildete Vorgang müsse sich in der Öffentlichkeit abgespielt haben, sollte überdacht werden. Der Gesetzgeber wollte die Abbildungsfreiheit nicht auf Bilder von öffentlichen Ansammlungen beschränken. Zwar wurde bei den Gesetzesberatungen der Antrag gestellt, nur die Abbildung von öffentlich veranstalteten Versammlungen freizugeben, da intime Versammlungen geschützt werden müssten. Der Antrag wurde aber abgelehnt, weil dem Schutz gegen Indiskretionen schon mit Art. 23 Abs. 2 KUG Genüge getan sei269. Die Einengung des Tatbestands der Abbildungsfreiheit in § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG auf öffentliche Vorgänge ist auch im Hinblick auf die Strafbarkeit von Verstößen nach § 33 KUG im Lichte von Art. 103 Abs. 2 GG problematisch. Die wörtliche Auslegung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG lässt eine solche Beschränkung nicht zu. Der Wortsinn des Gesetzes markiert jedoch die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. Jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, ist nach Art. 103 Abs. 2 GG ausgeschlossen270. Durch eine Beschränkung der Abbildungsfreiheit auf öffentliche Vorgänge würde ohne Not in das sich aus § 23 KUG ergebende Recht zur Bildberichterstattung eingegriffen. Abbildungsfrei sind daher nicht nur öffentliche Veranstaltungen, Aufzüge und ähnliche Vorgänge, sondern die Abbildung von jeglichen Personenmehrheiten ohne Rücksicht darauf, ob es sich um öffentliche oder private Veranstaltungen handelt, ob sie sich in der Öffentlichkeit oder in geschlossenen Räumen oder auf Privatgelände befinden und ob jedermann Zutritt zu der Veranstaltung hatte oder es sich um eine „geschlossene Gesellschaft“ verhandelt. Maßgeblich für die Beurteilung könnte dabei sein, ob es sich bei der Veranstaltung von vornherein um eine Menschenansammlung handelt, die unter den Augen der Öffentlichkeit stattfindet wie z.B. Demonstrationen, Aufzüge, Sportveranstaltungen, Fernsehshows, Karnevalsumzüge bzw. um Veranstaltungen, die auch nach dem Willen ihres Veranstalters von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden sollen wie beispielsweise in der Öffentlichkeit inszenierte Hochzeiten oder Belegschaftsaufnahmen zu Repräsentationszwecken (vgl. Rz. 77) oder ob die Veranstaltung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, Öffentlichkeit also unerwünscht ist. Abzustellen ist dabei nicht auf den Willen der Teilnehmer an der Veranstaltung, sondern auf den Willen des Veranstalters. Denn es geht nicht um die Abbildungsfreiheit von Bildnissen der Teilnehmer, sondern von Bildern einer Veranstaltung. So kann beispielsweise die Abbildungsfreiheit einer privaten Hochzeitsveranstaltung bejaht werden, wenn beim Hochzeitspaar auch der Wille vorhanden ist, dass die Hochzeitsgesellschaft von Dritten wahrgenommen wird271. Notwendige Beschränkungen 267 LG Düsseldorf v. 30.7.2014 – 12 O 207/14 – Hochzeitsgesellschaft in der JVA; OLG München v. 14.12.2010 – 18 U 3097/09, AfP 2011, 275 – ehemaliger Stasi-Mitarbeiter; OLG Celle v. 25.8.2010 – 31 Ss 30/10, ZUM 2011, 341 – Videoaufnahme einer polizeilichen WohnungsDurchsuchung; OLG München v. 13.11.1987 – 21 U 2979/87, NJW 1988, 915 – Nackt im Park; LG Köln v. 29.9.1994 – 28 S 3/94, AfP 1994, 246 – Trauerzug; Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 138; Prinz/Peters, Rz. 872; a.A. Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 166 f. 268 KG, Schulze KGZ 14. 269 Stenographische Berichte der Reichstagsverhandlungen 11. Legislaturperiode II. Session, 2. Anlagenband, Aktenstück Nr. 30 S. 4685, wiedergegeben bei Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 166. 270 BVerfG v. 7.12.2011 – 2 BvR 2500/09, NJW 2012, 907 Rz. 165 f.; zu § 23 KUG VerfGH Berlin v. 7.11.2006 – 56/05, AfP 2007, 345, 347; OLG Hamburg v. 14.4.1972 – 1 Ws 84/72, NJW 1972, 1290; OVG NW v. 30.10.2000 – 5 A 291/00, DÖV 2001, 476. 271 LG Düsseldorf v. 30.7.2014 – 12 O 207/14 – Hochzeit in der JVA.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 77 Kap. 8
der Abbildungsfreiheit können entsprechend der gesetzgeberischen Konzeption im Rahmen des abgestuften Schutzkonzepts nach § 23 Abs. 2 KUG bei der anzustellenden Interessenabwägung erfolgen, insbesondere wenn die konkrete Abbildung der Menschenansammlung die Privatsphäre verletzt (zu Beerdigungen vgl. Rz. 80) oder wenn die Abbildung ohne Einwilligung der erkennbar abgebildeten Teilnehmer zu Werbezwecken erfolgt (dazu vgl. Rz. 136 ff.). Die Begriffe Versammlung und Aufzug besagen, dass es sich um eine größere Anzahl von Per- 76 sonen handeln muss, so dass sich der Einzelne nicht mehr aus ihr hervorhebt272. Eine bestimmte Mindestzahl von Personen lässt sich nicht festlegen. Dabei kommt es nicht darauf an, wie groß die Menschenmenge war, die Anlass und Gegenstand des Bildes war; vielmehr muss das Bild der Veranstaltung eine Menge von Personen zeigen, die groß genug ist, dass die teilnehmenden Individuen gegenüber der abgebildeten Menge in den Hintergrund treten. Bei dieser Betrachtung sind zwei Personen – beispielsweise das Hochzeitspaar273 – oder vier Polizeibeamte, die beim Durchsuchen einer Wohnung gefilmt wurden274 keine Versammlung i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG; die Frage, ob acht unabhängig voneinander in einem öffentlichen Park Sonnenbadende eine i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG ausreichende Menge darstellen, wurde nicht entschieden275. Für die Annahmen einer Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes und Art. 8 GG wird überwiegend die Anzahl von zwei Personen als ausreichend erachtet (ebenso § 2 NdsVersammlG). Im Hinblick auf die Strafbarkeit von Verletzungen der §§ 22, 23 KUG und im Sinne der Rechtssicherheit für die Betroffenen und der Rechtsfindung sollte daher die Zusammenkunft von mindestens zwei Personen ausreichend sein, um eine Versammlung, einen Aufzug oder einen diesen ähnlichen Vorgang in § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG zu bejahen. Die abgebildeten Personen müssen an der Versammlung etc. teilgenommen haben. Der Pas- 77 sant, der am Straßenrand wartet, bis er die Straße überqueren kann, ist nicht Teilnehmer der Demonstration. Ob die Personen sich zu dem Vorgang geplant zusammengefunden haben, ist ohne Belang. Deshalb fallen auch zufällige Menschenansammlungen unter die Vorschrift276. Wegen des Tatbestandsmerkmals „Teilnahme an der Versammlung“ wird man jedoch fordern müssen, dass die Mehrzahl von Personen, die an dem Vorgang teilnehmen, den kollektiven Willen haben, etwas gemeinsam zu tun277. Daran soll es fehlen, wenn einige Personen, die sich nicht kennen, unabhängig voneinander, aber gleichzeitig ein textilfreies Sonnenbad in einem öffentlichen Park nehmen, oder wenn die Fahrgäste eines Verkehrsmittels fotografiert würden, die nur durch den gemeinsamen Vorgang des Reisens verbunden sind278. Bei Versammlungen wie Demonstrationen, Kundgebungen, Vereinsveranstaltungen, Parteitagen mögen die Teilnehmer einen kollektiven Willen haben, etwas gemeinsam zu tun. Aber bei vielen anderen Ansammlungen, den „ähnlichen Vorgängen“ nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG, fehlt ein solcher Wille279. Die Teilnehmer am ähnlichen Vorgang wollen nur gleichzeitig, aber nicht gemeinsam, sondern unabhängig voneinander, an der Veranstaltung teilneh272 273 274 275 276 277
Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 167; Prinz/Peters, Rz. 872; Bezzenberger, Rz. 582. Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 167. OLG Celle v. 25.8.2010 – 31 Ss 30/10, ZUM 2011, 341, 344. OLG München v. 13.11.1987 – 21 U 2979/87, NJW 1988, 915 – Nackt im Park. OLG Karlsruhe v. 18.8.1989 – 14 U 105/88, MDR 1989, 1100 = GRUR 1989, 823 – Unfallfoto. OLG München v. 13.11.1987 – 21 U 2979/87, AfP 1988, 915 – Nackt im Park; LG Düsseldorf v. 30.7.2014 – 12 O 207/14 – Hochzeit in der JVA; OLG Celle v. 25.8.2010 – 31 Ss 30/10, ZUM 2011, 341 – Video von polizeilicher Durchsuchung. 278 OLG München v. 13.11.1987 – 21 U 2979/87, AfP 1988, 915 – Nackt im Park. 279 Ebenso Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 165; a.A. OLG Celle v. 25.8.2010 – 31 Ss 30/10, ZUM 2011, 341, 344 und OLG München v. 13.11.1987 – 21 U 2979/87, NJW 1988, 915.
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Kap. 8 Rz. 78
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
men. Der bei Versammlungen meist vorliegende kollektive Wille der Teilnehmer, etwas gemeinsam zu tun, wird in aller Regel fehlen bei Besuchen von Sportveranstaltungen, Bällen, Vernissagen, Empfängen, Karnevalsumzügen, Parteitagen, Kongressen etc. Die fotographische Widergabe einer belebten Einkaufsstraße, der TV-Bericht über den Andrang des Publikums in einem Einkaufscenter zur Weihnachtszeit, ein Bericht über das Oktoberfest, zeigt jeweils „nur“ eine Vielzahl von Menschen, die gleichzeitig, aber nicht mit kollektivem Willen an der Veranstaltung teilnehmen. Ohne die Privilegierung nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG müssten sie unkenntlich gemacht werden. Es ist kein plausibler Grund ersichtlich, warum solche Veranstaltungen nicht von der Abbildungsfreiheit des § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG profitieren sollen angesichts der Tatsache, dass in der Abbildung die Versammlung als solche gezeigt werden muss, da ja grundsätzlich keine Personen herausgestellt werden dürfen, vor allem aber im Hinblick auf die gesetzliche Schranke, wonach berechtigte Interessen erkennbar abgebildeter Teilnehmer nach § 23 Abs. 2 KUG zu berücksichtigen sind. Auch die Abbildung der Teilnehmer am Mieterfest einer Wohnungsgenossenschaft in deren Informationsbroschüre kann die Voraussetzungen der Abbildungsfreiheit nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG erfüllen. Der BGH hat dies dahinstehen lassen, weil er ein zeitgeschichtliches Ereignis i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG bejahte280. Die Vorinstanzen haben jedoch zu Recht das Vorliegen der Abbildungsfreiheit nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG bejaht281. Denn die Teilnehmer hatten sich zu einem gemeinsamen Zweck zusammengefunden, die Klägerinnen waren als Teilnehmer anwesend, das Bild zeigte einen repräsentativen Ausschnitt der Veranstaltung, Gegenstand und Zweck des Bildes war die Darstellung des Geschehens und nicht die Darstellung der Personen, die teilgenommen hatten und das Mieterfest der Wohnbaugenossenschaft war eine öffentlich zugängliche Veranstaltung. Damit waren alle tatbestandlichen Voraussetzungen der Abbildungsfreiheit nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG erfüllt. Das BAG282 hat bei einem Belegschaftsfoto nicht geprüft, ob es sich bei dem Gruppenbild von ca. 30 Mitarbeitern um ein einwilligungsfreies Bild nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG handelt. Dies hätte man ohne weiteres bejahen können. Denn die Abbildungsfreiheit nach der Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG gilt jedenfalls dann, wenn das Bild keine Einzelpersonen herausstellt, sondern die Belegschaft als solche oder Teile davon zeigt und die Abbildung auch dazu gedacht ist, von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, wie dies bei der Homepage eines Unternehmens der Fall ist (vgl. Rz. 74). Der Veröffentlichung der Aufnahme können jedoch berechtigte Interessen des Mitarbeiters i.S.v. § 23 Abs. 2 KUG entgegenstehen. Hier kommen die gleichen Gründe in Betracht, die den Mitarbeiter nach seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen zum Widerruf seiner Einwilligung berechtigen würden. 78
Dass die Versammlung vollständig gezeigt wird, kann nicht gefordert werden, zumal das oft unmöglich wäre. Auch die Wiedergabe eines Ausschnittes ist zulässig, wenn er einen repräsentativen Eindruck des Geschehens vermittelt283. Das ist nicht der Fall, wenn lediglich einzelne Personen gezeigt werden, z.B. Mannequins auf einem Laufsteg, mögen auch noch ei280 BGH v. 8.4.2014 – VI ZR 197/13, AfP 2014, 324 = MDR 2014, 771 = IPRB 2014, 150 = ZUM-RD 2014, 480 – Mieterfest. 281 LG Berlin v. 26.3.2013 – 27 S 18/12 wiedergegeben in den Entscheidungsgründen von BGH v. 8.4.2014 – VI ZR 197/13, AfP 2014, 324 = MDR 2014, 771 = IPRB 2014, 150 = NJW-RR 2014, 1193 – Mieterfest und AG Charlottenburg v. 19.10.2012 – 224 C 184/12. 282 BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/10, NJW 2015, 2114 – Einwilligung des Arbeitnehmers zu Firmenvideo. 283 OLG Hamburg v. 13.7.1989 – 3 U 30/89, AfP 1991, 437 = GRUR 1990, 35; LG Stuttgart v. 12.10.1989 – 17 O 478/89, AfP 1989, 765; Schricker/Loewenheim/Götting, § 23 KUG Rz. 85; Damm/Rehbock, Rz. 205.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 79 Kap. 8
nige andere Personen mit abgebildet sein284. Nicht durch § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG gedeckt ist auch das in einem öffentlichen Gottesdienst aufgenommene Foto des Täuflings, wenn dieser – auf dem Schoß der Mutter sitzend – auf dem Bild als Einzelpersönlichkeit den Mittelpunkt der Aufnahme darstellt285. Ob § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG auf Bilder, die das Typische einer Sportart herausstellen sollen und dabei notwendig Personen zeigen, zumindest sinngemäß anwendbar ist, hat der BGH bislang offengelassen286. Die Abbildung einzelner Personen des Vorgangs ist nach h.M. unzulässig287. Nicht durch § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG gedeckt wäre daher grundsätzlich die häufig zu beobachtende Methode, bei Fernsehübertragungen von Sportereignissen oder Shows einzelne Zuschauer mit der Kamera aus dem Publikum herauszugreifen288 und sie als Beispiel für Freude oder Ärger der Zuschauer oder wegen einer extravaganten Hutcréation etc. bildlich herauszustellen. Diese Auffassung ist zu streng. Solche Einzelbildnisse können die Besonderheiten einer Versammlung wie die Stimmung, Charakteristika des Teilnehmerkreises etc. beispielhaft besser verdeutlichen als eine zulässige Totale. Dasselbe gilt für einen Redner in Aktion, weil er die Versammlung mit repräsentiert289. In der Regel wird das Persönlichkeitsrecht des einzeln Abgebildeten dabei nicht nachhaltiger beeinträchtigt als bei einem Ausschnitt, der neben ihm auch noch andere Teilnehmer zeigt. Oft kann in solchen Fällen jedoch eine stillschweigende Einwilligung des Abgebildeten angenommen werden, wenn er als Teilnehmer einer Veranstaltung weiß, dass üblicherweise solche Aufnahmen gefertigt werden290. Die Veröffentlichung von Aufnahmen, bei denen der Herausgegriffene (z.B. in der Nase bohrend) „vorgeführt“ wird, scheitert an seinen berechtigten Interessen nach § 23 Abs. 2 KUG, bspw. an der Verletzung von Ehre und Ruf (vgl. Kap. 5 Rz. 109 ff.). Seinem Wortlaut nach betrifft § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG nur Bilder von Vorgängen, an denen 79 die dargestellten Personen teilgenommen haben. Daraus leitet Rebmann ab, im Falle von Demonstrationen sei die Abbildung von Polizeibeamten durch diese Vorschrift nicht gedeckt, weil sie nicht Teilnehmer, sondern zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben anwesend seien291. Dem wird nicht gefolgt werden können. Auch die Aufnahme des Polizeieinsatzes ist erlaubt, soweit sie den Vorgang an sich erfasst. Unzulässig sind dagegen Aufnahmen, deren optischer Schwerpunkt nicht dem Vorgang der Demonstration oder des Polizeieinsatzes an sich gilt, sondern der Darstellung einzelner daran beteiligter Polizisten292 (vgl. Rz. 43, 55). Zulässig sind jedoch Aufnahmen von spektakulären Polizeieinsätzen, auf denen einzelne Beamte erkennbar sind, soweit die abgebildeten Beamten für das Geschehen repräsentativ sind und keine berechtigten Interessen i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG der Veröffentlichung entgegenstehen293. Bei Ausschreitungen von Polizisten im Rahmen ihres Einsatzes können die Beamten als relative Person der Zeitgeschichte anzusehen sein, wodurch ihre Abbildung nach § 23 284 LG Aachen, Ufita 30/1960, 113. 285 OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJW-RR 1996, 93 – Tochter der Geigerin Anne-Sophie Mutter. 286 BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203, 2205 – Fußballtor. 287 Soehring/Hoene, § 21 Rz. 13a ff.; Prinz/Peters, Rz. 872; Schricker/Loewenheim/Götting, § 23 KUG Rz. 22. 288 LG Hamburg v. 11.1.2008 – 324 O 126/07, AfP 2008, 100 – Frisch getraut; Soehring/Hoene, § 21 Rz. 13b; LG Köln v. 29.9.1994 – 28 S 3/94, AfP 1994, 246 – Trauerzug. 289 Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 138. 290 Ebenso Damm/Rehbock, Rz. 205. 291 Rebmann, AfP 1982, 189, 193. 292 Soehring/Hoene, § 21 Rz. 13a. 293 Für verbindlich erklärte Verhaltensgrundsätze zwischen Polizei und Presse, erarbeitet von der Innenministerkonferenz und dem Deutschen Presserat, abgedruckt im Jahrbuch Deutscher Presserat 1993, S. 227.
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Kap. 8 Rz. 80
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
Abs. 1 Nr. 1 KUG gedeckt wäre294. Einer bildlichen Wiedergabe von Polizeibeamten können jedoch berechtigte Interessen entgegenstehen (Kap. 7 Rz. 87 f. und Rz. 83). 80
Inwieweit Trauerfeierlichkeiten aufgrund von § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG gezeigt werden dürfen, ist problematisch. Auch wenn sie als geschlossene Gesellschaft stattfinden (z.B. im Familien und Freundeskreis), handelt es sich um einen Vorgang in der Öffentlichkeit im Sinne der Vorschrift295. Den Besonderheiten, die mit der Teilnahme an Trauerfeierlichkeiten verbunden sind, kann über § 23 Abs. 2 KUG Rechnung getragen werden. Denn grundsätzlich sind Trauerfeierlichkeiten als ein der Privatsphäre zugehöriger Vorgang anzusehen. So haben die Angehörigen – insbesondere die eines Verbrechensopfers – einen nach § 23 Abs. 2 KUG zu achtenden Anspruch darauf, dass ihre Trauer respektiert und nicht zum Gegenstand öffentlicher Berichterstattung gemacht wird296. Dieser Teilnehmerschutz gilt auch dann, wenn der Verstorbene im Rampenlicht gestanden hat oder wenn am Beerdigungsvorgang aufgrund besonderer Umstände ein Informationsinteresse besteht. Hier hat im Einzelfall eine Interessenabwägung im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den Interessen des Betroffenen am Schutz seiner Privatsphäre zu erfolgen. In der Regel wird den Angehörigen das Recht eingeräumt werden müssen, die Öffentlichkeit von einer Beerdigung auszuschließen und damit ebenso eine Bildberichterstattung zu verhindern, insbesondere wenn der Verstorbene es gewünscht hat, ebenso im Falle eines tragischen Todes297. In solchen Fällen sind berechtigte Interessen i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG anzuerkennen (Rz. 135). Eventuell muss die Bildberichterstattung dann auf die Wiedergabe der Örtlichkeiten und des Sarges beschränkt bleiben.
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Die Abbildungsfreiheit nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG entfällt, wenn berechtigte Interessen des erkennbar Abgebildeten einer Verbreitung oder öffentlichen Zurschaustellung der Aufnahme gem. § 23 Abs. 2 KUG entgegenstehen. Insbesondere kommt eine Verletzung der Privatsphäre durch solche Aufnahmen in Betracht. Die Privatsphäre könnte beispielsweise verletzt sein durch Aufnahmen von Hochzeitsgesellschaften, Taufgesellschaften oder Trauergemeinden, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit konzipiert sind, insbesondere, wenn die Medien ausdrücklich darum ersucht wurden, Aufnahmen zu unterlassen und die Privatsphäre zu respektieren. Eine Verletzung der Privatsphäre wurde allerdings verneint, als in einem Dokumentarfilm über das Leben in der Stadt ein Trauerzug auf einem Friedhof gezeigt wurde und dabei der Sohn der Verstorbenen als einer der Teilnehmer des Trauerzuges. Bei dieser Aufnahme wurden jedoch die Trauergefühle des erkennbar Abgebildeten nicht unangemessen verletzt, weil er nicht in seiner persönlichen Trauersituation dargestellt wurde, sondern die Aufnahme den Trauerzug als solchen zeigte298. Werden bei einem Mieterfest einer Wohnungsbaugenossenschaft Aufnahmen gemacht, die Teilnehmer einzeln oder in Gruppen zeigen, aber auch ein Foto, auf dem im Hintergrund zahlreiche Personen zu sehen sind, die an Tischen sitzen, im Vordergrund des Bildes aber Großmutter und Mutter, die ein Kleinkind füttern, und man mit den Instanzgerichten darin eine einwilligungsfreie Abbildung nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG sieht (vgl. Rz. 77), würde durch eine Verbreitung des Fotos an den beschränkten Personenkreis der Mieter weder die Privatsphäre der abgebildeten Personen verletzt noch wird durch die Veröffentlichung des Bildes die kindgerechte Entwicklung des Kleinkindes 294 Jarass, JZ 1983, 280; Lenz, BayVBl. 1995, 164. 295 Offengelassen von LG Köln v. 5.6.1991 – 28 O 451/90, AfP 1991, 757 = NJW 1992, 443; bejaht von LG Köln v. 29.9.1994 – 28 S 3/94, AfP 1994, 246. 296 LG Köln v. 5.6.1991 – 28 O 451/90, AfP 1991, 757 = NJW 1992, 443. 297 LG Köln v. 5.6.1991 – 28 O 451/90, AfP 1991, 757 = NJW 1992, 443. 298 LG Köln v. 29.9.1994 – 28 S 3/94, AfP 1994, 246 – Trauerzug.
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I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 84 Kap. 8
beeinträchtigt299. Tanzt ein Teilnehmer einer Loveparade gestikulierend mit freiem Oberkörper in extrovertierter Pose auf der Straße, soll bei der im Rahmen von § 23 Abs. 2 KUG vorzunehmenden Interessenabwägung sein Interesse, nicht im Internet einem Millionenpublikum vorgeführt zu werden, das Veröffentlichungsinteresse an den Filmaufnahmen überwiegen300. Dies ist fragwürdig. Wer sich in Zeiten von Internet und Facebook in der Öffentlichkeit in dieser Weise „privat“ benimmt, begibt sich selbst des Schutzes seiner Privatsphäre (vgl. Rz. 117) und muss zudem davon ausgehen, dass ein objektiver Betrachter von einer konkludenten Einwilligung des Abgebildeten ausgeht und ausgehen darf. Werden bei einer Demonstration Bildaufnahmen von Gegendemonstranten angefertigt, 82 kommen als schutzwürdige berechtigte Interessen der Abgebildeten deren Personengefährdung (vgl. Rz. 130) oder eine Bloßstellung und Anprangerung (vgl. Rz. 128) in Betracht, sofern die konkrete Gefahr besteht, dass die Bildaufnahmen im Internet mit deutlich negativer Tendenz zur Einschüchterung, Bloßstellung und Anprangerung der Gegendemonstranten verbreitet werden, weil dies bei vorangegangenen Veranstaltungen geschehen ist301. Bei der Interessenabwägung im Rahmen von § 23 Abs. 2 KUG ist auch zu berücksichtigen, ob beispielsweise bei Aufnahmen vom Einsatz eines polizeilichen SEK berechtigte Interessen der Abgebildeten entgegenstehen, weil gegen sie oder ihre Familien Repressalien zu befürchten sind302. Zu den berechtigten Interessen nach § 23 Abs. 2 KUG zählt auch der Schutz gegenüber ent- 83 stellenden oder verfälschenden Darstellungen. Deshalb kann der persönlichkeitsrechtliche Wahrheitsschutz (dazu Rz. 126 und Kap. 5 Rz. 74 ff.) verletzt sein, wenn eine Person als Teilnehmer an einer Demonstration gezeigt wird, die Aufnahme aber im Wege der Fotomontage durch Anbringung in Wahrheit nicht vorhandener Wahlparolen bearbeitet wurde und dadurch der Eindruck erweckt wird, der Abgebildete habe an einer Veranstaltung teilgenommen, die sich in dieser Form und diesem politischen Inhalt nicht abgespielt hat303. Der persönlichkeitsrechtliche Wahrheitsschutz kann auch verletzt sein, wenn bei einem Bildbericht über einen tödlichen Verkehrsunfall das zertrümmerte Fahrzeug, einige der Toten, Rettungssanitäter, Unfallhelfer und Feuerwehrleute zu sehen sind, zwischen diesen Personen aber auch ein unbeteiligter Verkehrsteilnehmer und dabei der Eindruck erweckt wird, der abgebildete Verkehrsteilnehmer habe den Unfall verursacht304. 5. Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Zurschaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient (§ 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG) Die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Bildnissen i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG richtet sich 84 seit dem 25.5.2018 nach den Vorschriften der DSGVO (vgl. dazu Kap. 7 Rz. 117 ff.). Der Bundesgesetzgeber hätte über die Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO solche Bildnisse, die einem höheren Interesse der Kunden dienen, von der Geltung der DSGVO ausnehmen müssen. Er hat dies verabsäumt. Er könnte dies jedoch – alternativ und fakultativ – auch über die Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 1 DSGVO nachholen und auf diese Weise § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG zu seiner Fortgeltung verhelfen. Dann würden die untenstehenden Ausführungen (Rz. 85 ff.) zu § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG gelten. Bis dahin – oder wenn eine Regelung im obigen 299 300 301 302 303 304
BGH v. 8.4.2014 – IV ZR 197/13, ZUM-RD 2014, 480 Rz. 12. LG Berlin v. 30.5.2013 – 27 O 632/12, ZUM-RD 2014, 105 n.rkr. Bayerischer VerwGH v. 16.10.2014 – 10 ZB 13.2620. BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12.11, AfP 2012, 411 ZUM 2012, 909 Rz. 34. LG Stuttgart v. 12.10.1989 – 17 O 478/89, AfP 1989, 765 – Radikal für Arbeiterinteressen. OLG Karlsruhe v. 18.8.1989 – 14 U 105/88, MDR 1989, 1100 = GRUR 1989, 823 – Unfallfoto.
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Kap. 8 Rz. 85
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
Sinne durch den Gesetzgeber unterbleibt – richtet sich die Zulässigkeit von Bildnissen i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO. Dazu wird auf Kap. 7 Rz. 130 und Rz. 131 verwiesen. 85
Ohne die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung dürfen nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG Bildnisse verbreitet und zur Schau gestellt werden, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient (§ 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG) und wenn durch die Verbreitungshandlung kein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird (§ 23 Abs. 2 KUG).
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§ 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG führt in Literatur und Rechtsprechung ein Schattendasein305. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass die ohnehin nicht häufigen Fallgestaltungen, auf die die Abbildungsfreiheit nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG anwendbar wäre, von der Rechtsprechung auf dem rechtlichen bekannten Terrain des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG gelöst werden, weil es sich in aller Regel um den Schutz künstlerischer Bildnisse von Personen der Zeitgeschichte handelt. So hat beispielsweise das OLG Karlsruhe die Heranziehung in einem Fall unterlassen, in dem es sich um ein satirisches Poster gehandelt hat, das einen Rüstungsfabrikanten bei der Übergabe einer Feldhaubitze an den Bundesminister der Verteidigung zusammen mit dem Text gezeigt hat „Alle reden vom Frieden. Wir nicht. Zweckverband der Rüstungsindustrie“. Stattdessen hat es die Verbreitungsbefugnis aus § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG abgeleitet306. War der Abgebildete dagegen nicht i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG prominent, sondern ein quivis ex populo, kam § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG zur Anwendung. Anhand von § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG wurden beispielsweise gelöst die künstlerische Abbildung eines Sicherheitsbeamten307, eines Staatsanwalts308, einer beliebigen Straßenpassantin auf einem Plakat309.
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Ob es sich um einen entgeltlichen oder unentgeltlichen Auftrag handelt, ist unerheblich. Denn im Falle einer Bestellung besteht zwischen dem Auftraggeber und dem Künstler eine Art Vertrauensverhältnis, nach welchem der Künstler auf die Interessen des Abgebildeten Rücksicht nehmen muss – Rücksichtnahme- und Interessenwahrungspflichten, die ihm – über die Wahrung der berechtigten Interessen des Abgebildeten nach § 23 Abs. 2 KUG hinaus – nicht obliegen, wenn der Anfertigung des Bildnisses keine Bestellung zugrunde liegt. Ob es sich um einen entgeltlichen oder unentgeltlichen Auftrag handelt, ist unerheblich. Auch beschränkt der Wortlaut der Vorschrift die Abbildungsfreiheit nicht auf Bestellungen durch den Abgebildeten, so dass im Hinblick auf die Strafbarkeit von Verstößen nach § 33 KUG eine Auslegung in diesem Sinne gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen würde310.
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Dem dreistufigen Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG liegt ein einheitlicher Bildnisbegriff zugrunde. Vorausgesetzt wird auch für § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG die Erkennbarkeit des Abgebildeten. Der Abbildungsfreiheit unterliegen sämtliche Abbildungsformen (vgl. Kap. 7 Rz. 20). 305 Vgl. Schertz, Bildnisse, die einem höheren Interesse der Kunst dienen, GRUR 2007, 558 m.w.N. 306 OLG Karlsruhe v. 27.11.1981 – 10 W 72/81, AfP 1982, 48 = NJW 1982, 647. 307 OLG München v. 31.5.1996 – 5 U 889/96, ZUM 1997, 388 – Schwarzer Sheriff. 308 OLG Celle v. 25.8.2010 – 31 Ss 30/10, ZUM 2011, 241 – Bildnisse anlässlich einer Hausdurchsuchung. 309 LG Berlin v. 3.6.2014 – 27 O 56/14, AfP 2015, 177 – Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Straßenfotografie. 310 A.A. Schertz, GRUR 2007, 563: Die Bestellung setzt eine Beauftragung durch den Abgebildeten voraus.
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von Strobl-Albeg
I. Schranken nach § 23 Abs. 1 KUG
Rz. 90 Kap. 8
Zwar sollte nach der Gesetzesbegründung § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG nicht für „fotografische Bildnisse“ gelten. Durch die Vorschrift sollte nach dem Willen des Gesetzgebers zu Beginn des letzten Jahrhunderts namentlich die Veröffentlichung künstlerischer Bildnisstudien ermöglicht werden. Als vorkonstitionelle Norm ist § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG jedoch im Lichte der Kunstfreiheit von Art. 5 Abs. 3 GG und des weiten Kunstbegriffs des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform auszulegen. Entgegen dem ursprünglich engen Bildnisbegriff aus dem Jahr 1905/1906 ist nach dem weiten Bildnisbegriff jedwede Form der Abbildung zu verstehen, durch welche die äußere Erscheinung eines Menschen in einer für Dritte erkennbaren Weise wiedergegeben ist: das Ölgemälde, die Skizze, die Karikatur, die Fotografie, die dreidimensionale Abbildung einer Person, insbesondere die Plastik oder Statue, aber auch das filmische Abbild eines Menschen, insbesondere auch die Darstellung des Lebensbildes im Film, auf der Bühne oder in der Literatur311. Die Privilegierung nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG setzt voraus, dass das Bildnis „einem höheren 89 Interesse der Kunst“ dient. Bei einer verfassungskonformen Auslegung des Begriffs „zu künstlerischen Zwecken“ ist der Kunstbegriff des Bundesverfassungsgerichts heranzuziehen, wonach es genügt, dass bei formaler typologischer Betrachtung die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps (z.B. Malen, Filmen, Bildhauen, Fotografieren, Dichten) erfüllt sind312. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund ist es geboten, jedwede Form von Bildnis, welches einem bestimmten Werktyp unter Anwendung der formalen Betrachtungsweise des Bundesverfassungsgerichts entspricht, als ein Bildnis anzusehen, welches „zu künstlerischen Zwecken“ verbreitet wird und daher in den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG einzubeziehen ist313. Die Abbildungsfreiheit nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG setzt ferner voraus, dass das Bildnis „ei- 90 nem höheren Interesse der Kunst dient“. Die Auslegung des Wortes „höheren“ dahingehend, dass für die Verbreitung und Schaustellung des Bildnisses nicht irgendein künstlerisches Interesse genügt, sondern es sich um ein in kreativer Hinsicht gesteigertes, besonderes starkes Interesse handeln muss, verstößt nicht gegen den Wortlaut und -sinn der Vorschrift. Es ist daher jedenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG als nicht erfüllt angesehen wird, wenn mit der Verbreitung und Schaustellung des Bildnisses nicht überwiegend künstlerische, sondern andere Zwecke verfolgt werden314. Beim Verkauf von Baseball-Mützen mit der Abbildung des Pop-Art-Portraits eines bekannten Sportlers ist der künstlerische Zweck untergeordnet gegenüber den kommerziellen Interessen des Künstlers, zumal bei den Portraits nicht die Verarbeitung bestimmter Einsichten oder Meinungen des abgebildeten Sportlers, sondern der dekorative Charakter des Portraits im Vordergrund stand315. Werden auf dem satirisch gedachten Plakat anlässlich einer antifaschistischen Aktion Bildnisse von Polizisten gezeigt, die bei den Festnahmen einer Solidaritätskundgebung beteiligt waren mit einer farblich auf dem Plakat hervorgehobenen Forderung nach einer „Kennzeichnungspflicht sofort“ für die Namen der Polizisten, ist es nicht willkürlich, die – unterstellt – künstlerischen Ziele von den mit dem Plakat verfolgten politi311 Schertz, Bildnisse, die einem höheren Interesse der Kunst dienen, GRUR 2007, 558 m.w.N. 312 BVerfG v. 17.7.1984 – 1 BvR 816/82, MDR 1985, 201 = NJW 1985, 261 – Anachronistischer Zug. 313 Schertz, GRUR 2007, 558, 563; OLG Celle v. 25.8.2010 – 31 Ss 30/10, ZUM 2011, 341 – Bildnisse anlässlich einer Hausdurchsuchung; OLG Düsseldorf v. 23.7.2013 – I-20 U 190/12, AfP 2014, 454 = ZUM-RD 2013, 589 – Pop-Art-Portrait eines Sportlers. 314 So OLG München v. 31.5.1996 – 5 U 889/96, ZUM 1997, 388, 389 – Schwarzer Sheriff. 315 OLG Düsseldorf v. 23.7.2013 – I-20 U 190/12, AfP 2014, 454 = ZUM-RD 2013, 589.
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Kap. 8 Rz. 91
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
schen Zielen in den Hintergrund gedrängt zu sehen und deshalb den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG für nicht einschlägig zu erachten316. Dass dabei neben den künstlerischen Zielen gleichzeitig – wenn auch nicht überwiegend – wirtschaftliche Zwecke verfolgt werden, schadet nicht317. Denn es würde die zu schützenden Interessen der Kunst und der Künstler allzu sehr einschränken, wenn schon jede gleichzeitige Verfolgung wirtschaftlicher Interessen der Anwendbarkeit des § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG entgegenstünde. Denn ein Künstler ist, um überhaupt (weitere) Kunstwerke erschaffen zu können, maßgeblich auf die Vermarktung seiner Werke angewiesen318. Die Grenzen werden durch § 23 Abs. 2 KUG gezogen319. 91
Außerdem ist anerkannt, dass § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG auf die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung von Bildnissen zu wissenschaftlichen Zwecken analog anzuwenden ist320. Aber auch hier ist Voraussetzung für die Privilegierung nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG, dass die Verbreitung oder Zurschaustellung einem höheren Interesse der Wissenschaft dient. Daran fehlt es, wenn ein für wissenschaftliche Zwecke gedrehter Videofilm über verhaltensgestörte Kinder praktisch von jedem Interessenten bezogen werden kann321. Als Abbildungen zu wissenschaftlichen Zwecken kommen insbesondere Abbildungen von Kranken in medizinischen Lehrbüchern in Betracht. Hierbei sind jedoch die berechtigten Interessen der Abgebildeten zu beachten. In vielen Fällen wird es für den wissenschaftlichen Zweck gar nicht erforderlich sein, dass die Person des abgebildeten Patienten überhaupt erkennbar ist. Die Veröffentlichung von Patientenfotos ohne Einwilligung des Patienten kann gegen § 203 StGB verstoßen322.
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Die Veröffentlichung eines Bildnisses ohne die Einwilligung des Abgebildeten zu Zwecken der Kunst ist nur zulässig, wenn dadurch die berechtigten Interessen des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG).
93
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten muss bei der im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG anzustellenden Abwägung gegenüber dem überragenden Rechtsgut der Freiheit der Kunst, die wie kaum ein anderes Grundrecht die einer staatlichen Kontrolle entzogenen Freiheiten der einzelnen Bürger in einer demokratisch strukturierten Gesellschaft repräsentiert, zurücktreten, soweit dadurch nicht die Menschenwürde des Abgebildeten berührt323 oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht in mehr als geringfügiger Weise betroffen ist324. Dies wäre der Fall, wenn das Bild einen Eingriff in die Geheim-, Intim- oder Privatsphäre darstellen würde, 316 VerfGH Berlin v. 7.11.2006 – 56/05, AfP 2007, 345 – Auslegung des KUG in einem Strafverfahren. 317 OLG München v. 31.5.1996 – 5 U 889/96, ZUM 1997, 388 – Schwarzer Sheriff. 318 OLG Celle v. 25.8.2010 – 31 Ss 30/10, ZUM 2011, 341 – Bildnisse anlässlich einer Hausdurchsuchung. 319 A.A. LG Hannover v. 30.3.2000 – 6 O 941/00, ZUM 2000, 970: Die gleichzeitige Verfolgung eines außerhalb der Wissenschaft dienenden Zwecks schließt die Einwilligungsfreiheit aus, beispielsweise wenn ein für wissenschaftliche Zwecke gedrehter Videofilm praktisch von jedem Interessenten bezogen werden kann. 320 Schricker/Loewenheim/Götting, § 23 KUG Rz. 32; von Gamm, Urheberrechtsgesetz, Einf. 124; Rehbinder, Urheber- und Verlagsrecht, S. 338; LG Hannover v. 30.3.2000 – 6 O 941/00, ZUM 2000, 970. 321 LG Hannover v. 30.3.2000 – 6 O 941/00, ZUM 2000, 970. 322 Schlund, MedR 1990, 323. 323 Vgl. BVerfG v. 3.6.1987 – 1 BvR 313/85, MDR 1987, 992 = AfP 1987, 677 = NJW 1987, 2661 – Strauß-Karikatur. 324 Vgl. BVerfG v. 17.7.1984 – 1 BvR 816/82, MDR 1985, 201 = NJW 1985, 201 – Anachronistischer Zug; auch BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, AfP 2007, 441 = NJW 2008, 39 – Esra.
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II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
Rz. 94 Kap. 8
beleidigenden oder entwürdigenden Inhalt hätte oder – soweit die künstlerische Darstellung den Anspruch auf Realitätsabbildung erhebt325 – eine Wahrheitsverletzung beinhalten würde oder ein besonderes Geheimhaltungsinteresse an der Person des Abgebildeten besteht, der etwa durch die Veröffentlichung seines Bildnisses der Gefahr eines Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit ausgesetzt sein könnte326. Berechtigte Interessen des Abgebildeten werden auch verletzt, wenn das künstlerische Bildnis zu Werbezwecken genutzt wird, z.B. das Bildnis des Torwarts Oliver Kahn bei einem Computerspiel327 oder das Pop-Art-Portrait eines berühmten Sportlers zur Dekoration von Baseball-Mützen328. Sieht man in der Nutzung eines Bildnisses zu Werbezwecken keine Frage der Verletzung berechtigter Interessen i.S.v. § 23 Abs. 2 KUG, sondern das Fehlen des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der Wahrnehmung eines Informationszwecks im Rahmen von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG (vgl. Rz. 65 und Rz. 79), wird man darauf abstellen müssen, dass die Verwertung des Bildnisses entgegen § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG nicht künstlerischen oder wissenschaftlichen Zwecken dient.
II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG 1. Überblick Das durch § 23 Abs. 1 KUG geschützte Publikationsinteresse steht im Spannungsverhältnis 94 zum Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten329. § 23 Abs. 2 KUG stellt klar, dass die Befugnis zu Verbreitung und öffentlicher Zurschaustellung entfällt, wenn dadurch ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird, nach seinem Ableben ein berechtigtes Interesse seiner Angehörigen oder Erben. Die Ausübung der Befugnis nach § 23 Abs. 1 KUG darf also keinen zu missbilligenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht verursachen, insbesondere keine Verletzung der Geheim-, Intim- oder Privatsphäre (Rz. 95 ff. und Rz. 101 ff.). Wird das Bildnis zu Werbezwecken allein zur Befriedigung von Geschäftsinteressen Dritter verwendet und ohne dass die Nutzung einem schutzwürdigen Informationsinteresse der Allgemeinheit nachkommt, greift schon § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG nicht ein, so dass sich die Frage der Verletzung berechtigter Interessen des Betroffenen nach § 23 Abs. 2 KUG nicht stellt (Rz. 65). Sie stellt sich aber in Fällen der gewerblichen Bildnisnutzung, die Informationszwecken dient (Rz. 136 ff.). Bildnisveröffentlichungen dürfen auch keine Verletzung des Rechts auf Wahrheit bzw. der Selbstbestimmung und keine unzulässige Ehr- oder Rufbeeinträchtigung zur Folge haben (Rz. 126, 127, 128 f. und Rz. 132 ff.). Ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG kann sich auch aufgrund einer Gefährdungssituation330, ebenso aus begleitenden Umständen ergeben (Rz. 130 f. und Rz. 149 f.). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen solcher Interessen trifft den Abgebildeten331. Im Einzelfall kann eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Allgemeinheit und den berechtigten Belangen des Betroffenen nach § 23 Abs. 2 KUG ergeben, dass erst bei einem qualifizierten Informationsinteresse der Öffentlichkeit eine Bildnisveröffentlichung zulässig ist, hinter dem die berechtigten Be-
325 Vgl. hierzu BGH v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464 – Esra. 326 OLG Celle v. 25.8.2010 – 31 Ss 30/10, ZUM 2011, 341 – Bildnisse anlässlich einer Hausdurchsuchung. 327 OLG Hamburg v. 13.1.2004 – 7 U 41/03, CR 2004, 459 = AfP 2004, 481 = ZUM 2004, 309. 328 OLG Düsseldorf v. 23.7.2013 – I-20 U 190/12, AfP 2014, 454 = ZUM-RD 2013, 589. 329 BGH v. 2.7.1974 – VI ZR 121/73, NJW 1974, 1947; v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203 – Fußballkalender. 330 OLG München v. 13.7.1989 – 29 U 2063/89, AfP 1990, 35 = NJW-RR 1990, 1364. 331 OLG Karlsruhe v. 27.11.1981 – 10 W 72/81, AfP 1982, 48 = NJW 1982, 647.
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Kap. 8 Rz. 95
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
lange des Betroffenen zurückstehen müssen (vgl. Rz. 3), z.B. bei der Berichterstattung aus der Intimsphäre (Rz. 95) oder bei Berichten über Tatverdächtige (Rz. 132). 2. Verletzung der Intimsphäre 95
Die Veröffentlichung von Bildnissen aus der Intimsphäre (vgl. auch Kap. 5 Rz. 47 ff.) ist ohne Einwilligung des Betroffenen prinzipiell unzulässig. Die Intimsphäre ist ein Bereich des Persönlichkeitsrechts, der zu dessen Menschenwürdekern gehört. Sie genießt überragend bedeutenden Schutz332. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist einer Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zugänglich333. Dazu zählt insbesondere die Veröffentlichung von Nacktaufnahmen334. Denn der nackte Körper zählt zum intimsten Bereich eines Menschen335. Einzelheiten über das Sexualverhalten betreffen gleichermaßen die geschützte Intimsphäre, der Bericht über eine nichteheliche Abstammung von einem Adeligen betrifft jedenfalls die Privatsphäre336. Auch ohne Erkennbarkeit des Abgebildeten ist eine Bildnisverwertung rechtswidrig, zumal die Anonymität gelüftet werden kann337. Nicht zur absolut geschützten Intimsphäre gehören die Umstände der Begehung einer Sexualstraftat338. Eine Bildberichterstattung, etwa die Verbreitung sog. „Sex Tapes“ oder Fotos, die intimes Verhalten darstellen, dürfte kaum einmal erforderlich sein, um über den Vorfall selbst zu berichten.
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Ist für eine Berichterstattung aus der Intimsphäre ausnahmsweise ein öffentliches Informationsinteresse zu bejahen, wird man grundsätzlich im Hinblick auf die berechtigten Interessen des Betroffenen nach § 23 Abs. 2 KUG für eine Bildberichterstattung ein qualifiziertes öffentliches Interesse verlangen müssen (vgl. Rz. 3 und Rz. 94). Ein solches hat das LG Berlin verneint, als in einer Publikumszeitschrift über einen Prozess zwischen Mutter und Tochter berichtet wurde, in welchem die berühmte Tochter der gleichfalls berühmten Mutter verbieten ließ, in deren Biographie u.a. ein Foto zu veröffentlichen, welches die nackte und hochschwangere Tochter zeigte. Denn eine Berichterstattung über den Prozess hätte auch ohne Wiedergabe dieses inkriminierten Fotos dem berechtigten Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit genügt339. 332 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, AfP 2007, 441 = NJW 2008, 39 Rz. 102 – Esra. 333 BVerfG v. 10.6.2009 – 1 BvR 1107/09, ITRB 2010, 26 = AfP 2009, 365 Rz. 25 – Berichterstattung über eine Sexualstraftat; BGH v. 13.10.2015 – 6 ZR 271/14 – Löschung intimer Aufnahmen. 334 BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617 – Nacktaufnahme; NJW 1974, 1974 – Nacktfoto; OLG Hamburg v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, NJW 1996, 1151 – TV-Star oben ohne; v. 30.5.1991 – 3 U 258/90, AfP 1992, 159 – Schauspielerin halbnackt; OLG Oldenburg v. 14.11.1988 – 13 U 72/88, AfP 1989, 556 = NJW 1989, 400 – Oben Ohne; OLG München v. 8.11.1985 – 21 U 2432/85, AfP 1986, 69 – Nackt im Park; OLG Hamburg v. 21.5.1981 – 3 U 22/81, AfP 1982, 41 – Heimliche Nacktaufnahme; LG Saarbrücken v. 19.5.2000 – 13 A S 112/99, NJW-RR 2000, 1571. 335 OLG Frankfurt v. 21.9.1999 – 11 U 28/99, AfP 2000, 185 = NJW 2000, 594, 595 – Katharina Witt. 336 OLG Karlsruhe v. 18.11.2005 – 14 U 169/05, AfP 2006, 170. Vgl. dazu auch EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413, 189 – Albert von Monaco. 337 BGH v. 2.7.1974 – VI ZR 121/73, NJW 1974, 1947 – Nacktaufnahme; OLG Stuttgart v. 30.1.1987 – 2 U 195/86, AfP 1987, 693. 338 BVerfG v. 10.6.2009 – 1 BvR 1107/09, AfP 2009, 365 = ITRB 2010, 26 = NJW 2009, 3357 Rz. 25 – Berichterstattung über eine Sexualstraftat; BGH v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 Rz. 22 – Fall Kachelmann. 339 LG Berlin v. 21.12.2000 – 27 O 533/00, AfP 2001, 246 = ZUM 2002, 153 – Nina Hagen.
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von Strobl-Albeg/Peifer
II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
Rz. 98 Kap. 8
Nach Auffassung des OLG Hamburg kann die Tatsache, dass eine prominente Person sich 97 nackt in einem Herrenmagazin hat ablichten lassen, einen Bericht darüber („B. mal wieder nackt“) unter Wiedergabe einer der veröffentlichten Aufnahmen in einem anderen Medium rechtfertigen340. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Denn die Tatsache einer solchen (Erst-) Veröffentlichung kann im Einzelfall durchaus ein zeitgeschichtliches Ereignis darstellen (vgl. Rz. 56), und in solchen Fällen bezieht sich das öffentliche Interesse nicht nur auf die Tatsache der Erstveröffentlichung, sondern auch auf das „wie“, also die konkrete Abbildung. Ein so qualifiziertes Informationsinteresse am Bildnis rechtfertigt daher ein „Bildzitat“, welches auch urheberrechtlich als Bericht über ein Tagesereignis nach § 50 UrhG gerechtfertigt sein kann341. Allerdings muss die Veröffentlichung des Bildnisses auf den Berichtsanlass beschränkt bleiben, sie darf nicht lediglich der öffentlichen Zurschaustellung des Betroffenen dienen342. Zulässig bleibt eine reine Wortberichterstattung über den Umstand, dass sich der Betroffene hat nackt abbilden lassen. Ebenso darf über eine Tätigkeit als Pornodarsteller identifizierend und mit kontextbezogenen Fotos eines späteren öffentlichen Auftritts des Betroffenen berichtet werden343. Es ist fragwürdig, ob sich der Betroffene einer berechtigten Berufung auf den Schutz seiner In- 98 timsphäre dadurch begibt, dass er die Erstveröffentlichung gestattet hat344. Man wird ihm jedenfalls zugestehen müssen, gleichwohl im Einzelfall gegen solche Zweitveröffentlichungen berechtigte Interessen aus § 23 Abs. 2 KUG geltend zu machen. Zum einen unterliegt es seinem Selbstbestimmungsrecht, dass er eine Aufnahme aus der Intimsphäre im Medium der Erstveröffentlichung gestattet (z.B. in einem Biologiebuch, in einer regionalen Publikation mit kleiner Auflage), aber der Veröffentlichung derselben Abbildung in einem bundesweit in großer Auflage verbreiteten Medium oder gar im Internet zum Schutz seiner Intimsphäre entgegentritt. Zum anderen wird man bei der Erstveröffentlichung von Nacktfotos gegen Honorar berücksichtigen müssen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch vermögenswerte Bestandteile beinhaltet (vgl. Kap. 7 Rz. 4 und Kap. 8 Rz. 118). Wer seine Haut gegen Geld zu Markte trägt, braucht nicht hinzunehmen, dass andere unentgeltlich davon profitieren, dass er auf den Schutz seiner Intimsphäre im Einzelfall gegen entsprechende Vergütung verzichtet hat (vgl. „Outing“, Rz. 121 f.). An einer Einwilligung in die öffentliche Abbildung fehlt es dagegen, wenn innerhalb einer privaten Beziehung intime Fotos gefertigt werden, mag der die Fotos Anfertigende auch Fotograf sein, so dass für die Betroffene Anlass zu vorsichtigem Verhalten bestand. Auch die Einwilligung in die Bildnisaufnahme gilt mit Ende der Beziehung als widerrufen, die Betroffene kann zudem Herausgabe oder Löschung der Bildnisse verlangen345. Dem ist zuzustimmen, obgleich sich das angegriffene Verhalten erst im Vorfeld der §§ 22, 23 KUG bewegt, also den Abwehranspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB
340 OLG Hamburg v. 30.5.1991 – 3 U 258/90, AfP 1992, 159 – Schauspielerin halb nackt. 341 BGH v. 11.7.2002 – I ZR 285/99, MDR 2003, 284 = AfP 2002, 504 = NJW 2002, 3473 – Zeitungsbericht über ein Tagesereignis. 342 OLG Hamburg v. 27.4.1991 – 3 U 292/94, GRUR 1996, 123. 343 BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 332/09, AfP 2012, 47 – Pornodarsteller = NJW 2012, 767 m. Anm. Stender-Vorwachs. 344 So OLG Frankfurt v. 21.9.1999 – 11 U 28/99, AfP 2000, 185 = NJW 2000, 594, 595 – Katharina Witt; OLG Hamburg v. 30.5.1991 – 3 U 258/90, AfP 1992, 159 – Schauspielerin halbnackt; LG Berlin v. 19.11.1996 – 27 O 449/96, NJW 1997, 1155 – Pornodarsteller; Soehring/SeelmannEggebert, NJW 2000, 2466, 2473. 345 BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, BGHZ 2017, 163 = AfP 2016, 243; LG Frankfurt/M. v. 21.12.2017 – 2-03 O 130/17.
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Kap. 8 Rz. 99
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
betrifft. Das eigentliche Gefährdungspotential liegt allerdings nicht in der Bildnisnahme, sondern im Besitz und der dadurch vermittelten Möglichkeit zur öffentlichen Verbreitung. 99
Bei der Interessenabwägung ist ferner zu berücksichtigen, ob es der Zweitveröffentlichung lediglich darum geht, den Betroffenen im unbekleideten Zustand zu zeigen, insbesondere die Abbildung als „Aufmacher“ oder in reißerischer Form zu präsentieren346, und daher die Veröffentlichung des Fotos nur der Befriedigung der Schaulust oder der Schaffung eines Eyecatchers für das Medium dient347 oder die Abbildung über das Ereignis sachlich informiert, etwa zur Illustration eines begleitenden redaktionellen Beitrags verwendet wird, der den Wortbericht veranschaulicht oder belegt348.
100
Das OLG Hamburg geht davon aus349, dass die Abbildung eines Verstorbenen seinem Intimbereich zuzuordnen sei350. Diese postmortale Ausdehnung des Schutzes der Intimsphäre ist nicht ganz unproblematisch, aber rechtspolitisch sinnvoll. Gegen die Verletzung der Intimsphäre können die Angehörigen des Verstorbenen daher im Interesse des postmortalen Schutzes des Verstorbenen vorgehen, eine eigene Persönlichkeitsrechtsverletzung der Angehörigen liegt in der Verbreitung allerdings nicht351. In besonders gelagerten Fällen kann ausnahmsweise das Informationsinteresse der Allgemeinheit bei der anzustellenden Güter- und Interessenabwägung sogar der Intimsphäre vorgehen. Dies war beispielsweise der Fall bezüglich der Abbildung des bei seinem Bombenanschlag selbst ums Leben gekommenen Bombenattentäters352. Begründen lässt sich diese Entscheidung mit der Erwägung, dass der postmortale Schutz der Person etwas schwächer ist als der ihr lebzeitig zu gewährende. 3. Verletzung der Privatsphäre a) Überblick
101
Das Recht auf Achtung der Privatsphäre ist Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. auch Kap. 5 Rz. 54 ff.). Es gesteht jedermann einen autonomen Bereich der eigenen Lebensgestaltung zu, in welchem er seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen kann. Dazu gehört auch das Recht, für sich zu sein, sich selbst zu gehören353. Dementsprechend hat die Rechtsprechung das Recht auf Achtung der Privatsphäre, das auch das Recht am eigenen Bild umfasst, als einem verfassungsmäßig garantierten Grundrecht besondere Bedeutung beigemessen354. 346 OLG Frankfurt v. 21.9.1999 – 11 U 28/99, AfP 2000, 185 = NJW 2000, 594, 595 – Katharina Witt; OLG Hamburg v. 27.4.1991 – 3 U 292/94, GRUR 1996, 123. 347 OLG Hamburg v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, AfP 1995, 665 = NJW 1996, 1151, 1153 – TV-Star oben ohne. 348 OLG Frankfurt v. 21.9.1999 – 11 U 28/99, AfP 2000, 185 = NJW 2000, 594, 595 – Katharina Witt; OLG Köln v. 15.7.1997 – 15 U 215/96, VersR 1997, 1500 – Nackter Jogger. 349 OLG Hamburg v. 7.7.1983 – 3 U 7/83, AfP 1983, 466 – Bombenattentäter. 350 Ebenso Soehring/Hoene, Kap. 21 Rz. 23; Prinz/Peters, Rz. 882; vgl. auch den Fall SchweizBG v. 107.1992 – 6 S. 392/1991, NJW 1994, 504 (Fotos des toten Politikers Barschel in einer Badewanne eines Schweizer Hotels). 351 BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 Rz. 16; LG Berlin v. 18.7.2002 – 27 O 241/02, AfP 2002, 540. 352 OLG Hamburg v. 7.7.1983 – 3 U 7/83, AfP 1983, 466 – Bombenattentäter. 353 BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128, 1129 – Caroline von Monaco III; BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 220 – Lebach. 354 BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128, 1129 – Caroline von Monaco III m.w.N.
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von Strobl-Albeg/Peifer
II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
Rz. 104 Kap. 8
Bei Abbildungen von Personen ergibt sich das Schutzbedürfnis vor allem aus der Möglich- 102 keit, das Erscheinungsbild eines Menschen in einer bestimmten Situation herauszulösen, es datenmäßig zu fixieren und jederzeit vor einem unüberschaubaren Personenkreis zu reproduzieren. Diese Möglichkeit ist durch den Fortschritt der Aufnahmetechnik, der Abbildungen auch aus weiter Entfernung und unter schlechten Lichtverhältnissen erlaubt, noch weitergewachsen. Mit Hilfe der Reproduktionstechnik lassen sich die Formen der Öffentlichkeit ändern, in der der Einzelne erscheint. Insbesondere kann die überschaubare Öffentlichkeit, in der man sich bei normalem Auftreten bewegt, durch die Medienöffentlichkeit ersetzt werden, wenn die Aufnahmen durch die Medien verbreitet werden. Zudem kann sich mit dem Wechsel des Kontextes, in dem eine Abbildung reproduziert wird, auch der Sinngehalt der Bildaussagen ändern oder sogar absichtlich ändern lassen355. Daher ist die Bildberichterstattung grundsätzlich intensiver als die Wortberichterstattung, sie unterliegt insoweit auch engeren Zulässigkeitsvoraussetzungen gegenüber jener356. Das Recht auf Achtung der Privatsphäre steht jedermann zu, auch Personen, an denen ein 103 zeitgeschichtliches Interesse besteht. Wer, ob gewollt oder ungewollt, in den Blickpunkt der Zeitgeschichte geraten ist, verliert damit nicht sein Anrecht auf eine Privatsphäre, die den Blicken der Öffentlichkeit entzogen bleibt. Dies gilt auch für demokratisch gewählte Amtsträger, sofern deren Privatleben die Amtsführung nicht berührt357. Auch diese Personen brauchen es grundsätzlich nicht zu dulden, dass von ihnen im Kernbereich der Privatsphäre ohne ihre Einwilligung Bildaufnahmen zum Zwecke der Veröffentlichung angefertigt werden. Nur ausnahmsweise kann bei ihnen die Verbreitung von Bildnissen aus diesem Bereich statthaft sein, wenn überwiegende öffentliche Interessen einen solchen Eingriff rechtfertigen358. Allerdings soll eine Bildnisveröffentlichung über das private (Einkaufs-)Verhalten bei Spitzenpolitikern auch nach deren Dienstzeit zulässig sein, weil deren Bedeutung Nachwirkungen erzeuge359. Das ist zweifelhaft (Rz. 98). b) Thematischer Schutz aa) Deutsche Rechtsprechung Der Schutz der Privatsphäre ist thematisch und räumlich bestimmt. Für den Schutzbereich 104 kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die Darstellung sich negativ oder positiv auf das Erscheinungsbild des Betroffenen auswirkt360. Thematisch umfasst er zum einen Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhaltes typischerweise als „privat“ eingestuft wer355 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1022 – Caroline von Monaco. 356 BVerfG v. 5.4.2000 – 1 BvR 158/98, NJW 2000, 2194, 2195; BGH v. 26.10.2010 – VI ZR 230/08, NJW 2011, 744 – Party-Prinzessin; OLG Köln v. 9.6.2015 – 15 U 217/14, AfP 2016, 160 unter II. 1. b) bb) (1). 357 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1022 – Caroline von Monaco. 358 BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128, 1129 – Caroline von Monaco III m.w.N.; v. 27.9.2016 – VI ZR 3120/14 m. Anm. Wanckel („Vor der Misstrauensabstimmung ging’s in die Paris-Bar“); v. 24.6.2008 – VI ZR 156/06, BGHZ 177, 119 = AfP 2008, 499 – Einkaufsbummel nach Abwahl. 359 BGH v. 6.2.2018 – VI ZR 76/17 – Christian Wulff im Supermarkt; a.A. Vorinstanz OLG Köln v. 19.1.2017 – 15 U 88/16. 360 BVerfG v. 13.4.2000 – 1 BvR 150/98, AfP 2000, 353 = 1 BvR 151/98, NJW 2000, 2193 – Presseberichterstattung über Vermählung.
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Kap. 8 Rz. 105
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
den, weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst361. Zudem fallen darunter Materien, die nur in einem begrenzten Kreis miteinander verbundener Personen erörtert werden, weil man sie vor den Ohren der Öffentlichkeit abschirmen möchte, dazu gehören das Ehe- und Familienleben362, der Gesundheitszustand363 oder die Freizeitgestaltung364, mitunter auch die Vermögensverhältnisse. Privat sind daher typischerweise Auseinandersetzungen mit sich selbst in Tagebüchern365, die vertrauliche Kommunikation unter Eheleuten366, das Beziehungsleben367, die Schwangerschaft einer bekannten Schauspielerin368 oder von einer sozialen Norm abweichendes Verhalten369. Die Veröffentlichung des Fotos eines tödlich Verunglückten in der konkreten Situation seines Todes verletzt die Privatsphäre seiner Ehefrau370. Denn die Bildnisveröffentlichung verletzt sie in ihrem Recht, mit der Trauer um ihren verstorbenen Mann für sich zu bleiben, insoweit sich selbst zu gehören. Ebenso hat beim Gebet und beim Empfang des Abendmahls in einer – auch der Öffentlichkeit zugänglichen – Kirche jedermann (auch Personen der Zeitgeschichte) Anspruch darauf, dass solche Momente religiösen Bekennens respektiert und nicht zum Gegenstand öffentlicher Bildberichterstattungen gemacht werden. Allein dies entspricht der in Art. 4 GG statuierten Gewährleistung der Unverletzlichkeit des religiösen Bekenntnisses und der Ungestörtheit der Religionsausübung, deren verfassungsrechtlicher Schutz auf das Zivilrecht ausstrahlt371. bb) Grundsätze des EGMR zur Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) 105
Der Begriff Privatleben i.S.v. Art. 8 EMRK ist umfassend und kann nicht abschließend definiert werden. Er schließt u.a. das Recht ein, Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen und zu entwickeln372. Unter den Begriff Privatleben fallen z.B. das Sexualleben373 und das Recht, alleingelassen zu werden und sein Leben abseits der Öffentlichkeit und ohne unerwünschte Aufmerksamkeit zu leben374. Bei dem Versuch, die Reichweite des Privatlebens zu bestimmen, spielen die persönliche Autonomie und die menschliche Würde eine Rolle. Außerdem umfasst das Privatleben alle Aspekte der persönlichen Identität einer Person wie die
361 BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 261/10; NJW 2012, 771 Rz. 16 – Babyklappen. 362 BGH v. 26.1.1965 – VI ZR 204/63, GRUR 1965, 256 = JZ 1965, 411, 413 – Gretna Green. 363 BGH v. 18.9.2012 – VI ZR 291/10, AfP 2012, 551 (Erkrankung einer Kabarettistin); KG v. 12.6.2009 – 9 W 122/09, NJW-RR 2010, 622, 624 (HIV-Infektion einer Prominenten). 364 BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, BVerfGE 120, 180 = NJW 2008, 1793. 365 BVerfG v. 14.9.1989 – 2 BvR 1062/87, BVerfGE 80, 367 = MDR 1990, 307 = CR 1990, 142. 366 BVerfG v. 15.1.1970 – 1 BvR 13/68, BVerfGE 27, 344. 367 BGH v. 2.5.2017 – VI ZR 262/16, AfP 2017, 310 – Popstar und Dessousmodel; v. 19.6.2007 – VI ZR 12/06, AfP 2007, 472 Rz. 27 und Vorinstanz KG v. 22.6.2004 – 9 U 53/04, GRUR 2004, 1056 (Fall Grönemeyer); LG Berlin v. 11.6.2015 – 27 O 120/15, AfP 2015, 569. 368 LG München I v. 29.5.2013 – 9 O 659/13, AfP 2013, 434. 369 BVerfG v. 24.5.1977 – 2 BvR 988/75, BVerfG 44, 353. 370 OLG Düsseldorf v. 21.10.2000 – 15 U 232/97, AfP 2000, 574 – Lebendig begraben. 371 OLG Hamburg v. 10.10.2000 – 7 U 138/99, OLGReport Hamburg 2001, 139. 372 Vgl. EGMR v. 16.12.1992 – 72/1991/324/394, NJW 1993, 718 Rz. 29 – Niemietz/Deutschland. 373 Z.B. EGMR v. 22.10.1981 – o. Az., NJW 1984, 541 – Dudgeon/Vereinigtes Königreich (zur Strafbarkeit der Homosexualität in Nordirland). 374 EGMR v. 17.3.2016 – 16313/10, AfP 2016, 527 Rz. 63 – Kinder von Oliver Kahn; v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 83 – Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco.
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Rz. 107 Kap. 8
geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung375, ihren Namen und Vornamen, das Recht am eigenen Bild oder die körperliche und geistige oder moralische Integrität einer Person376. Der Begriff Privatleben umfasst auch persönliche Informationen, von denen der Betroffene berechtigterweise erwarten kann, dass sie nicht ohne seine Einwilligung veröffentlicht werden377. Darüber hinaus wird das Recht auf Schutz des guten Rufes, soweit er Bestandteil des Schutzes des Privatlebens ist, durch Art. 8 EMRK garantiert378. Damit Art. 8 EMRK zur Anwendung kommt, muss der Angriff auf die persönliche Reputation jedoch ein gewisses Maß an Schwere erreichen379 und in einer Weise ausgeführt worden sein, dass beim Betroffenen ein Schaden in der persönlichen Ausübung seines Rechts auf Schutz des Privatlebens eingetreten ist380. Jedoch kann sich eine Person nicht über eine Verletzung ihres guten Rufes beschweren, wenn die Verletzung vorhersehbare Folge einer eigenen Handlung ist, z.B. des Begehens einer Straftat381. Art. 8 EMRK bezweckt vorrangig die Sicherstellung der Entwicklung der Persönlichkeit jedes 106 Einzelnen in seinen Beziehungen zu anderen Menschen, ohne dass er dabei von außen gestört wird382. Es gibt daher einen Raum zwischenmenschlicher Interaktion, der sogar an öffentlichen Orten in den Bereich des Privatlebens fallen kann383. Hinsichtlich Personenaufnahmen hat der EGMR festgestellt, dass das Bildnis einer Person ei- 107 ne der wichtigsten Eigenschaften ihrer Persönlichkeit darstellt, da es ihre einzigartigen Merkmale zeigt und die Person von ihren Mitmenschen unterscheidet. Der Gerichtshof hat mehrfach betont, dass ein Foto sehr persönliche oder gar intime „Informationen“ über eine Person oder ihre Familie enthalten kann. Er hat deshalb das Recht jedermanns auf Schutz des eige-
375 EGMR v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 83 – Axel Springer/Deutschland; v. 19.2.2015 – 53495/09, AfP 2015, 323 Rz. 45 – Bohlen/Deutschland; v. 9.4.2009 – 28070/06, NJW-RR 2010, 1483 – Mörder A/Norwegen. 376 EGMR v. 17.3.2016 – 16313/10, AfP 2016, 527 Rz. 63 – Kinder von Oliver Kahn; v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 83 – Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco. 377 EGMR v. 17.3.2016 – 16313/10, AfP 2016, 527 Rz. 63 – Kinder von Oliver Kahn; v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 83 – Axel Springer/Deutschland; v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 = NJW 2014, 1645 Rz. 41 – Caroline von Monaco III/Deutschland; v. 19.2.2015 – 53659/09, NJW 2016, 781 = AfP 2015, 327 Rz. 44 – E. A. v. Hannover/Deutschland; v. 19.2.2015 – 53495/09, AfP 2015, 323 Rz. 45 – Bohlen/Deutschland. 378 EGMR v. 15.3.2016 52205/11, AfP 2017, 36 Rz. 22 – Fotomontage Dr. Sommer. 379 EGMR v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 83 – Axel Springer/Deutschland. 380 EGMR v. 24.2.2015 – 21830/09, AfP 2016, 239 = DÖV 2015, 341 Rz. 49 – Haldimann/Schweiz; v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 83 – Axel Springer Deutschland; v. 9.4.2009 – 28070/06, NJW-RR 2010, 1483 Rz. 64 – Mörder A/Norwegen. 381 EGMR v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 83 – Axel Springer/Deutschland. 382 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 83 – Paris Match/Frankreich zur Zulässigkeit einer Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco; v. 16.12.1992 – 72/1991/324/394, NJW 1993, 718 Rz. 29 – Niemietz/Deutschland. 383 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 83 – Paris Match/Frankreich zur Zulässigkeit einer Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 95 – von Hannover II/Deutschland; v. 5.7.2011 – 41588/05, NJW-RR 2012, 1069 Rz. 36 f. – Heimliche Filmaufnahmen in einer Sauna: Fünf miteinander befreundete Personen wurden heimlich bei ihrem Saunabesuch gefilmt und im moldawischen Fernsehen veröffentlicht zum Beleg von angeblichen Korruptionsabsprachen, die sich als haltlos erwiesen.
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Kap. 8 Rz. 108
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
nen Bildnisses anerkannt384. Das Recht auf Schutz des eigenen Bildnisses ist daher einer der wesentlichen Bestandteile der persönlichen Entwicklung. Es begründet in erster Linie das Recht des Einzelnen, die Verwendung seines Bildnisses selbst zu bestimmen, einschließlich des Rechts, eine Veröffentlichung zu untersagen385. Das Anfertigen von Personenaufnahmen386 und von Video-Aufnahmen387 greift daher in das Privatleben einer Person ein, ebenso wie die Veröffentlichung von Aufnahmen einer Person, wenn sie eine Person des öffentlichen Lebens ist (vgl. dazu Kap. 7 Rz. 9)388. Allerdings kann eine Person des öffentlichen Lebens nicht den gleichen besonderen Schutz ihres Rechts auf Achtung des Privatlebens beanspruchen wie eine in der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson389. Unter bestimmten Umständen darf aber auch eine der allgemeinen Öffentlichkeit bekannte Person auf eine „berechtigte Erwartung“ des Schutzes und der Achtung ihres Privatlebens vertrauen390. 108
Bei der Frage, ob die Veröffentlichung eines Bildnisses das Recht einer Person auf Achtung ihres Privatlebens beeinträchtigt, berücksichtigt der EGMR die Umstände, unter denen die Aufnahmen gefertigt wurden (z.B. Heimlichkeit der Aufnahme, Bruch der Vertraulichkeit, berechtigte Erwartung des Abgebildeten er sei unbeobachtet – vgl. Rz. 23), wenn der Fotografierte in die Aufnahme und ihrer Veröffentlichung eingewilligt hat, die Aufnahmen ohne Kenntnis des Betroffenen oder mit List oder mit anderen illegalen Mitteln aufgenommen worden sind (vgl. Rz. 23), ob die Begleitumstände der Aufnahme durch die Aufnahme eine mehr oder weniger starke Belastung des Betroffenen durch das Eindringen in sein Privatleben verursacht wird. Dabei hat der Gerichtshof festgestellt, dass Fotos, die in der „Sensations“-Presse oder in „Romanze“-Zeitschriften erscheinen und die im Allgemeinen die Befriedigung der Neugier der Öffentlichkeit hinsichtlich der Einzelheiten des absoluten Privatlebens einer Person bezwecken, oftmals in einem Klima der dauernden Belästigung aufgenommen werden, welches bei der betroffenen Person ein sehr starkes Gefühl des Eindringens in ihr Privatleben
384 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 85 – Individualbeschwerde Paris Match/ Frankreich zur Zulässigkeit einer Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco. 385 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 85 – Paris Match/Frankreich zur Zulässigkeit einer Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco; v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 Rz. 26 m.w.N. – Hochzeitsfotos von Prominenten. 386 EGMR v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 = NJW 2014, 3291 – Hochzeitsfotos von Prominenten. 387 EGMR v. 27.5.2014 – 10764/09, NJW 2015, 1079 – De la Flor Cabrera/Spanien. 388 EGMR v. 17.3.2016 – 16313/10, AfP 2016, 527 Rz. 63 – Kinder von Oliver Kahn; v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 85 – Paris Match/Frankreich zur Zulässigkeit einer Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco; v. 27.5.2014 – 10764/09, NJW 2015, 1079 Rz. 30 – De la Flor Cabrera/Spanien; v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 = NJW 2014, 1645 Rz. 41 – Caroline von Hannover III/Deutschland; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 – von Hannover II/Deutschland. 389 EGMR v. 19.2.2015 – Nr. 53659/09, NJW 2016, 781 Rz. 50 – E. A. von Hannover/Deutschland; v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 91 – Axel Springer/Deutschland; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 von Hannover II/Deutschland. 390 EGMR v. 17.3.2016 – 16313/10, AfP 2016, 527 Rz. 63 – Kinder von Oliver Kahn v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 84 – Paris Match/Frankreich zur Zulässigkeit einer Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco; v. 16.1.2014 – 13258/09, AfP 2015, 137 Rz. 27 – Hochzeitsfotos von Prominenten; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 97 – von Hannover II/Deutschland.
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II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
Rz. 110 Kap. 8
oder gar der Verfolgung hervorrufen kann391. Ein weiterer Faktor der Beurteilung des Gerichtshofs ist der Zweck, für den das Bildnis benutzt wurde und wie dieses in der Folge benutzt werden könnte392. Diese Beurteilungskriterien sind jedoch nicht abschließend. Auch andere Kriterien können von den besonderen Umständen des jeweiligen Falls berücksichtigt werden393. So können auch die Folgen einer Veröffentlichung des Fotos für die betroffene Person zu berücksichtigen sein (vgl. Rz. 23). Bei der Bildberichterstattung ist zu prüfen, ob der erforderliche angemessene Ausgleich zwi- 109 schen dem nach Art. 8 EMRK garantierten Recht des Betroffenen auf Achtung seines Privatlebens und dem in Art. 10 EMRK garantieren Recht der Medien auf Freiheit der Meinungsäußerung durch die nationalen Gesetze und die dazu ergangene Rechtsprechung hergestellt worden ist. Dabei müssen insbesondere die Schutzpflichten, die der Staat nach Art. 8 EMRK hat, sowie die vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze über die wesentliche Rolle der Presse in einer demokratischen Gesellschaft berücksichtigt werden. Danach darf die Presse zwar gewisse Grenzen insbesondere wegen des Schutzes des guten Rufs und der Rechte anderer nach Art. 10 Abs. 2 EMRK nicht überschreiten; sie ist aber gleichwohl verpflichtet, unter Beachtung ihrer Verpflichtungen und Verantwortlichkeit Informationen und Ideen über alle Fragen von allgemeinem Interesse mitzuteilen und Fotos zu veröffentlichen. Hierzu kommt das Recht der Öffentlichkeit, solche Mitteilungen zu empfangen394. Die Wahl der Mittel, mit denen die Einhaltung von Art. 8 EMRK im Verhältnis zwischen 110 Privatpersonen sichergestellt werden sollen, fällt grundsätzlich in den Ermessensspielraum der Konventionsstaaten, einerlei, ob es sich um positive oder negative Verpflichtungen des Staates handelt. Der den Staaten hierbei zustehende Ermessensspielraum gleicht grundsätzlich demjenigen, der ihnen nach Art. 10 EMRK bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und den Umfang eines Eingriffs in die nach Art. 10 EMRK geschützte Freiheit der Meinungsäußerung zusteht395. Es handelt sich also um einen weiten Ermessensspielraum (vgl. Rz. 12). Er ist jedoch nicht unbegrenzt, sondern unterliegt der konventionsrechtlichen Kontrolle. Dabei ist es Aufgabe des Gerichtshofs zu prüfen, ob die von den Konventionsstaaten im Rahmen ihres Ermessens getroffenen Entscheidungen mit den geltend gemachten Garantien der EMRK vereinbar sind. Aber es ist nicht Aufgabe des EGMR – und auch nicht die Aufgabe der staatlichen Gerichte – anstelle der Medien über die Art und Technik der Berichterstattung in einem gegebenen Fall zu urteilen396.
391 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 86 – zur Zulässigkeit einer Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco; v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 103 – von Hannover II; v. 24.6.2004 – 59320/00, AfP 2004, 348 = NJW 2004, 2647 – von Hannover/Deutschland; v. 14.6.2007 – 7111/01 Rz. 48 – Hachette Filipacchi Ass./Frankreich; v. 23.7.2009 – 12268/03 Rz. 40 – ICI Paris. 392 EGMR v. 23.6.2009 – 12268/03 Rz. 52 – Hacchette Filipacchi Ass./Frankreich – ICI Paris. 393 EGMR v. 10.11.2015 – 40454/07, AfP 2016, 413 Rz. 87 – Zur Zulässigkeit einer Veröffentlichung über ein uneheliches Kind des Fürsten von Monaco. 394 EGMR v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 = NJW 2014, 1645 Rz. 42 m.w.N. – Caroline von Hannover III. 395 EGMR v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 = NJW 2014, 1645 Rz. 43 m.w.N. 396 EGMR v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 = NJW 2014, 1645 Rz. 44 m.w.N. – Caroline von Hannover III; v. 19.6.2012 – 1593/06, NJW 2013, 3501 Rz. 49 – Kurier Zeitungsverlag/Österreich II, Sorgerechtsstreit.
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Kap. 8 Rz. 111
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
In seinen Urteilen Axel Springer/Deutschland397 und von Hannover/Deutschland II398 hat der Gerichtshof die Kriterien zusammengefasst, die für die Abwägung des Rechts auf Achtung des Privatlebens und des Rechts auf freie Meinungsäußerung zu berücksichtigen sind399: Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse, Bekanntheitsgrad der betroffenen Person, Gegenstand der Berichterstattung, vorheriges Verhalten der betroffenen Person sowie Inhalt, Form und Auswirkungen der Veröffentlichung. Es darf daher auf Rz. 14 ff. zu den Ausführungen zur Meinungsfreiheit und der Abwägung zwischen den Rechten nach Art. 10 und Art. 8 EMRK verwiesen werden. c) Räumlicher Schutz 111
Räumlich erstreckt sich der Schutz auf einem Bereich, in dem der Einzelne zu sich kommen kann, sich entspannen oder auch gehenlassen kann, um einen Raum, in welchem er die Möglichkeit hat, frei von öffentlicher Beobachtung und damit der von ihr erzwungenen Selbstkontrolle zu sein, auch ohne dass er sich dort notwendig anders verhielte als in der Öffentlichkeit. Bestünden solche Rückzugsbereiche nicht mehr, müsste der Einzelne unausgesetzt darauf achten, wie er auf andere wirkt und ob er sich richtig verhält. Ihm fehlten die Phasen des Alleinseins und Ausgleichs, die für die Persönlichkeitsentfaltung notwendig sind und ohne die diese nachhaltig beeinträchtigt würde400.
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Der Schutz der Privatsphäre besteht vor allem innerhalb des eigenen Hauses401. Zum häuslichen Bereich wird man indes nicht nur das eigene Haus und die eigene Wohnung zählen müssen, sondern auch das Ferienhaus und die Ferienwohnung, das Hotelzimmer, das Campingzelt, den Wohnwagen, die Yacht – alle Orte, an denen eine Person für sich sein, andere vom Zutritt ausschließen und eine öffentliche Beobachtung verhindern kann.
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Eine schützenwerte Privatsphäre kann es jedoch auch außerhalb des häuslichen Bereichs geben402. Die Grenzen der geschützten Privatsphäre außerhalb des häuslichen Bereichs lassen sich jedoch nicht generell und abstrakt festlegen. Voraussetzung für den Privatsphärenschutz außerhalb der eigenen Häuslichkeit war nach ursprünglicher deutscher Rechtsprechung der Rückzug in eine für Dritte erkennbare örtliche Abgeschiedenheit403. Ob die Voraussetzung einer solchen Abgeschiedenheit erfüllt ist, lässt sich nur situativ beurteilen aufgrund der jeweiligen Beschaffenheit des Ortes, den der Betroffene zum fraglichen Zeitpunkt aufgesucht hat404. Ausschlaggebend ist, ob der Einzelne sich in eine örtliche Abgeschiedenheit zurückgezogen hat, in der er begründeterweise – und somit auch für Dritte erkennbar – davon ausgehen 397 EGMR v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 89 ff. 398 EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08, NJW 2012, 1053 Rz. 108 ff. 399 Ebenso EGMR v. 19.9.2013 – 8772/10, AfP 2013, 500 = NJW 2014, 1645; v. 19.2.2015 – 53659/09, NJW 2016, 781 Rz. 48. 400 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1022. 401 BGH v. 10.5.1957 – I ZR 234/55, NJW 1957, 1315 – Spätheimkehrer; v. 16.9.1966 – VI ZR 268/64, NJW 1966, 2353 – Vor unserer eigenen Tür. 402 BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128, 1129 – Caroline von Monaco III. 403 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1022 – Caroline von Monaco; v. 13.4.2000 – 1 BvR 2080/98, AfP 2000, 348 = NJW 2000, 2192 – Sturz im Strandbad. 404 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco.
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II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
Rz. 116 Kap. 8
darf, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein. In diesem Fall setzt eine Verletzung der Privatsphäre weder voraus, dass der Betroffene im Vertrauen auf die Abgeschiedenheit sich in einer Weise verhalten hat, die er unter den Augen der Öffentlichkeit vermeiden würde (Rz. 117), noch, dass die Aufnahmen heimlich oder in überrumpelnder Weise gemacht wurden (vgl. Rz. 123 f.). Der EGMR hielt diese Kriterien der deutschen Rechtsprechung für wenig rechtssicher und merkte an, dass jedermann, auch bekannte Personen, grundsätzlich auch ein Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre in der Öffentlichkeit haben405. Die räumliche Privatsphäre spielt damit im Rahmen der Abwägung noch eine Rolle, weil bei Handlungen in der Sozialsphäre Beobachtung und Kenntnisnahme der Allgemeinheit eher die berechtigte Erwartung auf Privatheit relativieren als dies bei Handlungen im räumlich privaten Bereich der Fall ist. Eine solche abwägungsrelevante, für Dritte objektive erkennbare Abgeschiedenheit ist mög- 114 lich an Plätzen in der freien, gleichwohl aber abgeschiedenen Natur oder an Örtlichkeiten, die von der breiten Öffentlichkeit deutlich abgeschieden sind406, beispielsweise in abgeschiedenen Räumlichkeiten eines Restaurants oder Hotels, Sportstätten, Telefonzellen, sofern dort der Betroffene nicht mehr als ein Teil der Öffentlichkeit erscheint407. Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, kann zwar nicht begründetermaßen erwarten, un- 115 beobachtet zu sein, wohl aber, nicht zum Gegenstand von Wort- oder Bildberichterstattung gemacht zu werden, ohne dass es dafür einen berechtigten Anlass gibt, der das Interesse am Schutz der Privatsphäre überwiegt. Es verletzt daher nach neuerer Rechtsprechung durchaus die Privatsphäre, wenn Bildnisse gefertigt und verbreitet werden, die eine bekannte Person beim Reiten, Radfahren, Einkaufen auf dem Markt408 oder sonst auf der Straße bei Tätigkeiten des täglichen Lebens zeigen, sofern es hierfür keinen sachlichen Berichtsanlass gibt409. Schwimmbäder und Badestrände begründen durchaus eine Privatsphäre, auch wenn man hier meist spärlicher bekleidet ist als im täglichen Leben410. Bei nicht prominenten Personen gilt dies auch, wenn sie sich auf einer öffentlichen Versammlung, z.B. der „Love-Parade“ freizügig zeigen und dabei fotografiert werden411. Trotz Öffentlichkeit der Örtlichkeit greift der thematische Schutz der Privatsphäre, wenn der Betroffene zum Gebet und der Entgegennahme des Abendmahls die Abgeschiedenheit der Religionsausübung in der Kirche gesucht hat, auch wenn die Kirche allgemein zugänglich und der Gottesdienst öffentlich ist (vgl. Rz. 104). Verhält der Betroffene sich an Orten, die nicht die Voraussetzungen der Abgeschiedenheit 116 erfüllen, „privat“, also so, als stünde er nicht unter Beobachtung, hebt er das Schutzbedürfnis für solche Verhaltensweisen, die an sich die Öffentlichkeit nichts angehen, nicht ohne 405 EGMR v. 24.6.2004 – 5932320/00, AfP 2004, 348 Rz. 75 – von Hannover/Deutschland. 406 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1022 – Caroline von Monaco. 407 BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128, 1129 f. – Caroline von Monaco III. 408 BGH v. 1.7.2008 – VI ZR 243/06, NJW 2008, 3183 – Einkaufsbummel im Urlaub; OLG Frankfurt/M. v. 22.2.2018 – 16 U 87/17 – Abbildungen der Tochter eines Sportlers anlässlich eines Reitturniers ohne redaktionelle Besprechung des dargestellten Ereignisses. 409 BGH v. 2.5.2017 – VI ZR 262/16, AfP 2017, 310 – Popstar und Dessousmodel; v. 19.6.2007 – VI ZR 12/06, AfP 2007, 472 Rz. 27 und Vorinstanz KG v. 22.6.2004 – 9 U 53/04, GRUR 2004, 1056 – Fall Grönemeyer. 410 EGMR v. 24.6.2004 – 59320/00, AfP 2004, 348 – von Hannover/Deutschland (zu Fotos einer Prominenten in einem öffentlich einsehbaren Strandbad). 411 LG Berlin v. 30.5.2013 – 27 O 632/12, ZUM-RD 2014, 105.
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Kap. 8 Rz. 117
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
weiteres selbst auf412. Diese Neuorientierung ist besonders wichtig für den Schutz von Persönlichkeitsinteressen in Internetdiensten, insbesondere sozialen Netzwerken. Hier ist es nicht angebracht, von einer Aufgabe der Privatsphäre allein deswegen auszugehen, weil Mitteilungen auf dem eigenen Profil einem größeren Kreis von Personen zugänglich werden. Sie sind damit bei weitem nicht „veröffentlicht“ oder für eine allgemeine Öffentlichkeit freigegeben. Allerdings kann das Verhalten bei der Abwägung eine Rolle spielen und den Privatsphärenschutz mindern413. 117
Der Schutz von Abbildungen aus der Privatsphäre setzt – entgegen BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, NJW 1996, 1128, 1130 – Caroline von Monaco III – nicht voraus, dass der Betroffene an dem abgeschiedenen Ort ein „privates“ Verhalten an den Tag legt, ein Verhalten also, welches er unter den Augen der Öffentlichkeit vermeiden würde. Denn die örtliche Abgeschiedenheit kann ihre Schutzfunktion für die Entfaltung der Persönlichkeit nur dann erfüllen, wenn sie dem Einzelnen ohne Rücksicht auf sein jeweiliges Verhalten einen Freiraum schafft, an welchem er nicht ständig Aufnahmen durch Fotografen und Kameraleute zu gewärtigen hat414. Ein „privates“ Verhalten kann jedoch Indiz dafür sein, dass der Betroffene davon ausging, sich in einer – für Dritte erkennbaren – Situation der Abgeschiedenheit zu befinden. d) Eltern und Kinder
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Der Schutz der Privatsphäre für den familiären Umgang zwischen Eltern und Kindern geht über den Privatsphärenschutz Erwachsener hinaus. Kinder bedürfen hinsichtlich der Gefahren, die von dem Interesse der Medien und deren Rezipienten an Abbildungen von Kindern ausgehen, eines besonderen Schutzes, gelegentlich auch vor ihren eigenen Angehörigen, wenn etwa nicht sorgeberechtigte Eltern oder Großeltern Fotos ihrer Kinder oder Eltern auf einer Internetseite posten415. Denn sie müssen sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln. Die Persönlichkeitsentfaltung von Kindern kann aber durch die Berichterstattung in Medien empfindlicher gestört werden als diejenige von Erwachsenen. Deshalb muss der Bereich, in dem Kinder sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten dürfen, umfassender geschützt sein als derjenige von Erwachsenen416. Dieser Schutzzweck verwirklicht sich nicht nur über das elterliche Erziehungsrecht des Art. 6 Abs. 1 GG reflexartig zugunsten des Persönlichkeitsrechts der Eltern im Hinblick auf die spezifischen Eltern-KindBeziehungen, sondern folgt auch aus dem eigenen Recht des Kindes auf ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit i.S.v. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG417. Auch Kinder müssen eine identifizierende Berichterstattung allerdings dulden, wenn sie ihrerseits Prominenz genießen und dadurch zum Rollenvorbild werden418 oder wenn sie durch ihr Vorverhalten 412 LG Berlin v. 30.5.2013 – 27 O 632/12, ZUM-RD 2014, 105. 413 LG Frankfurt/M. v. 5.10.2017 – 2-03 O 352/16, GRUR-Prax 2018, 82 (Reinholz) – Veröffentlichung eines Hooligan-Fotos, das der Betroffene selbst auf Facebook gepostet hatte. 414 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1025 – Caroline von Monaco. 415 OLG Karlsruhe v. 2.2.2011 – 1 (7) Ss 371/10-AK 99/10, ZUM-RD 2011, 348; AG Menden v. 3.2.2010 – 4 C 526/09, CR 2010, 539. 416 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco. 417 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco. 418 BVerfG v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09, 1 BvR 2503/09, AfP 2012, 143 (Bericht über potentiell strafrechtlich relevantes Verhalten von „Jungstars“).
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oder das ihrer Eltern in der Vergangenheit bereits mit Informationen an die Öffentlichkeit getreten sind419. Das Recht jedes Kindes auf Entwicklung zur Persönlichkeit – auf „Personwerden“ – umfasst 119 sowohl die Privatsphäre als auch die kindgemäße Entwicklung außerhalb der Privatsphäre in öffentlichen Räumen. Denn zur Entwicklung der Persönlichkeit eines Kindes gehört es, sich in der Öffentlichkeit bewegen zu lernen. Dies gilt auch für Kinder, deren Eltern von zeitgeschichtlicher Bedeutung sind420. Zwar wird es regelmäßig an einem Schutzbedürfnis fehlen, wenn die Kinder sich nicht bei alltäglichen Vorgängen in der Öffentlichkeit bewegen, sondern sich allein oder gemeinsam mit den Eltern bewusst der Öffentlichkeit zuwenden, etwa an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen oder gar im Mittelpunkt solcher Veranstaltungen stehen421. Das Schutzbedürfnis entfällt aber nicht bereits bei einem kindgemäßen Verhalten, das üblicherweise in der Öffentlichkeit geschieht, wie z.B. beim Baden, beim Sport oder in der Schule. Vor allem entfällt es nicht dadurch, dass die Kinder ihre Eltern bei alltäglichen Vorgängen wie Einkaufen oder Spazierengehen begleiten. Auch die Kinder von Personen zeitgeschichtlicher Bedeutung haben das Recht, wie andere Kinder auch von ihren Eltern in öffentlichen Räumen begleitet zu werden, ohne allein durch die Anwesenheit der Eltern zum Objekt der Medienberichterstattung zu werden422. Gegen die Herstellung und Verbreitung solcher Aufnahmen ist das Kind auch dann geschützt, wenn die Herstellung der Aufnahmen nicht in belästigender Weise erfolgt ist oder eine herabsetzende Abbildung vorliegt423. e) „Outing“ Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Kap. 7 Rz. 4) ist das allgemeine Per- 120 sönlichkeitsrecht nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet. Daher entfällt der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme dann, wenn sich der Betroffene damit einverstanden zeigt, dass bestimmte, gewöhnlich als „privat“ geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden, etwa indem er Exklusivverträge über die Berichterstattung aus seiner Privatsphäre abschließt. Zwar sei niemand an einer solchen Öffnung privater Bereiche zu kommerziellen Zwecken gehindert. Er könne sich dann aber nicht gleichzeitig auf den Privatsphärenschutz berufen. Wenn der Betroffene Wert lege auf einen Schutz in einem Bereich mit Rückzugsfunktionen, müsse er dies „situationsübergreifend und konsistent“ zum Ausdruck bringen. Das gelte auch für den Fall, dass der Entschluss, die Berichterstattung über bestimmte Vorgänge der eigenen Privatsphäre zu gestatten oder hinzunehmen, rückgängig gemacht wird424. Auch das OLG Hamburg hat einer Schauspielerin die Berufung auf den Schutz ihrer Privatsphäre versagt gegenüber der Veröffentlichung von Halbnackt-Aufnahmen, die zuvor mit ihrer Zustimmung in einem anderen Medium veröffentlicht
419 BGH v. 29.4.2014 – VI ZR 13/713, NJW 2014, 2276 m. Anm. Elmenhorst. 420 BVerfG v. 31.3.2000 – 1 BvR 1454/97, NJW 2000, 2191 – Kinder Prominenter; OLG Köln v. 10.11.2016 – 15 U 94/16, NJW 2017, 1114 m. Anm. Elmenhorst (Politikertochter auf Ehrentribüne). 421 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco; BGH v. 28.5.2013 – VI ZR 125/12, AfP 2013, 399 – Eisprinzessin Alexandra. 422 BVerfG v. 31.3.2000 – 1 BvR 1454/97, NJW 2000, 2191 – Kinder Prominenter. 423 BVerfG v. 31.3.2000 – 1 BvR 1454/97, NJW 2000, 2191 – Kinder Prominenter. 424 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco m. Anm. Seitz, Einmal nackt – immer frei?, NJW 2000, 2167.
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Kap. 8 Rz. 120
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
worden waren425. Soweit es nicht um die Wortberichterstattung geht, sondern um das Recht am eigenen Bild, begegnet diese Auffassung Zweifeln. Zwar leben viele Prominente, insbesondere die Stars der Unterhaltungsbranche davon, dass über sie – zunächst um überhaupt prominent zu werden, danach um prominent zu bleiben – in den Medien berichtet wird. Die von ihnen angestrebte Bekanntheit erreichen sie oftmals nicht durch die Berichterstattung über ihre fachlichen Leistungen, sondern über ihre Person. Ihre so bewirkte Prominenz ist oft ausschlaggebend, zumindest aber mitbestimmend für ihren Marktwert. Zur Strategie der Selbstvermarktung kann daher auch das Recht am eigenen Bild eingesetzt werden. Denn es hat auch vermögenswerte Bestandteile426. Es muss daher dem Betroffenen überlassen bleiben, ob er seinen Marktwert durch Bildnisse aus seiner Privatsphäre erhöht oder lieber zum Schutz seiner Privatsphäre (und vielleicht zum Nachteil seines Marktwertes) darauf verzichtet oder aber bezüglich Gegenstand des Bildnisses und Auswahl des Mediums selektiv vorgeht. Im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts muss der Betroffene daher in der Lage sein, dem einen die Berichterstattung aus seiner Privatsphäre – auch aus kommerziellen Gründen – zu gewähren und dem anderen zu verwehren, z.B. einen bestimmten Reporter ins Haus zu lassen und einen anderen nicht. Ein im Einzelfall gestatteter Bildbericht aus der Privatsphäre kann diese nicht dadurch zu Öffentlichkeitssphäre machen. Der Schutz der Privatsphäre kann bei Bildnissen nicht von einer praktischen und gedanklichen Lückenlosigkeit der Abwehr oder Gestattung von Eingriffen abhängig sein. Dies gilt nicht nur für die Privatsphäre, sondern auch für die Intimsphäre, beispielsweise für Nacktfotos (vgl. auch Rz. 98). Keineswegs wird, wer sich einmal gegen Bezahlung nackt gezeigt hat, dadurch zum Freiwild, so, als wäre er „in einer Großstadt auf der Straße herumgelaufen, aller Sachen entledigt. Welch eine grausame Strafe. Einmal nackt, immer frei“427. Die vom Bundesverfassungsgericht getroffene Feststellung ist daher dem Zusammenhang dieser Ausführungen in den Urteilsgründen gemäß auf die Anforderungen an eine konkludente Einwilligung zu Bildnissen aus der Privatsphäre und das gegenüber allen Medien erforderliche Kundtun eines Sinneswandels zu beschränken. Dabei ist es ein Unterschied, ob man in der Vergangenheit in die Veröffentlichung sensibler Fotos eingewilligt hat, so dass die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zum Tragen kommen, oder ob man gegen die ungenehmigte Veröffentlichung solcher Aufnahmen nicht eingeschritten ist. Würde man letzteres bei der Bildberichterstattung zur Messlatte erheben, würde man den Betroffenen zwingen, nach dem Motto „wehret den Anfängen“ gegen jede Veröffentlichung vorzugehen und ihm anderenfalls den berechtigten Einwand abzuschneiden „jetzt reicht’s“. Die Tatsache, dass man – entsprechend den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts – nichts unternommen hat, beinhaltet keine konkludente Einwilligung, sondern kann allenfalls als Maßstab dafür herangezogen werden, wieweit der Betroffene den sensiblen Bereich seiner Privat- und Intimsphäre selbst „verwässert“, also eine Frage der Berechtigung einer (Über-)Empfindlichkeit und damit der Höhe des Geldentschädigungsanspruchs (vgl. Rz. 122 und Kap. 9 Rz. 42). Aber auch hier muss der bisher freizügige Betroffene sagen dürfen „jetzt reicht’s“, sei es, weil das Fass übergelaufen ist, sei es aus gewandelter Überzeugung. Dabei sind an die „gewandelte Überzeugung“ keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Der Mensch muss das Recht haben, sich und seine Einstellungen zu ändern. Dies ist Teil seiner Persönlichkeitsentwicklung. Es darf – schon im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 GG – nicht den presserechtlichen Grundsatz geben „einmal ein Luder, immer ein Luder“ (oder wie Seitz428 es formuliert: „Einmal nackt, immer frei“). Wenn eine Schauspielerin in einer TV-Talk-Show 425 OLG Hamburg v. 30.5.1991 – 3 U 258/90, AfP 1992, 159 – Schauspielerin halbnackt. 426 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 427 Seitz, NJW 2000, 2167, 2168. 428 Seitz, NJW 2000, 2167.
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II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
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einmal die Stelle ihres Körpers gezeigt hat, wo Frauen sich befriedigen, rechtfertigt dies nicht die Veröffentlichung eines Nacktfotos dieser Schauspielerin 20 Jahre später429. Dass eine Schauspielerin in einem Theaterstück eine Nacktszene spielt, rechtfertigt es nicht, eine davon gefertigte Aufnahme gegen ihren Willen in einer Zeitschrift mit großer Auflage zu verbreiten. Denn die Öffentlichkeit, der sich die Schauspielerin kurz im Theater nackt zeigt, ist nicht zu vergleichen mit dem Millionenpublikum, dem ihr Bildnis in der Zeitschrift – fixiert zur gründlichen Betrachtung – dargeboten wird430. Für die Wortberichterstattung können dagegen andere Maßstäbe gelten, wenn der Betroffene sich anderweitig über seine Privatund Intimsphäre öffentlich – z.B. in detailreichen Memoiren oder durch freizügige Interviews über sein Intim- und Privatleben – „geoutet“ hat431. Aber die Bildberichterstattung stellt in der Regel einen weitaus stärkeren Eingriff in die Privat- und Intimsphäre dar als ein Wortbericht432. „Outing im Bild“ hat daher auch für die Selbstbeschränkung des Privatsphärenschutzes eine andere Qualität als ein bloß „verbales Outing“. Der Tatsache, dass der Betroffene sich im Schutzbereich seiner Privat- oder Intimsphäre im 121 Wort oder gar im Bild „geoutet“ hat, kann jedoch bei der Bemessung eines Geldentschädigungsanspruches Rechnung getragen werden: Seine „Schmerzgrenze“ und damit die Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung ist weit niedriger anzusetzen als bei einer Person, die ihre Intim- und Privatsphäre generell für sich behält (Kap. 9 Rz. 42). Grundsätzlich ist das „Zwangsouting“, bei dem durch Bildinformationen ein Umstand öffentlich wird, der bisher privat war, eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, so bspw. wenn durch ein fokussiertes Bildnis – für den Betroffenen ungewollt – eine homosexuelle Orientierung öffentlich wird. Ein solches Zwangsouting rechtfertigt auch eine immaterielle Geldentschädigung433. Für intimes Bildmaterial, das gegen den Willen des Betroffenen verbreitet wird, gilt dies ebenso434. f) Bildniserschleichung Die Rechtswidrigkeit der Herstellung von Aufnahmen hat nicht zwingend die Rechtswidrig- 122 keit ihrer Veröffentlichung zur Folge. Die Zulässigkeit der Veröffentlichung ist vielmehr gesondert und unabhängig von der Herstellung zu beurteilen. Ob die Herstellung einer Aufnahme die Rechte des Abgebildeten verletzt, berührt nicht nur die Frage, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten verletzt wird (vgl. Kap. 7 Rz. 30); die rechtsverletzende Herstellung der Aufnahme kann auch für die Zulässigkeit der Verbreitung des Bildnisses von Bedeutung sein. Denn bei der Abwägung zwischen öffentlichem Informationsinteresse und Privatsphärenschutz kann auch die Methode der Informationsgewinnung von Bedeutung sein, so etwa die Ausnutzung von Heimlichkeit, beharrlicher Nachstellung, überrumpelndem Vorgehen, dem Einsatz technischer Mittel oder der Bildniserschleichung mit List oder anderen 429 LG Berlin v. 21.12.2000 – 27 O 533/00, AfP 2001, 246 – Nackt und hochschwanger. 430 LG Saarbrücken v. 19.5.2000 – 13 A S 112/99, NJW-RR 2000, 1571. 431 OLG Köln v. 23.3.1982 – 15 U 113/81, AfP 1982, 181 – Rudi Carrell; OLG Stuttgart v. 22.4.1981 – 4 U 12/81, AfP 1981, 362 – Rudi Carrell; LG Hamburg v. 20.7.2001 – 324 O 68/01, ZUM 2002, 68 – Lago Amore. 432 EGMR v. 23.9.1994 – 15890/89 Jersild/Dänemark Rz. 31; BVerfG v. 5.4.2000 – 1 BvR 158/98, NJW 2000, 2194, 2195; v. 25.2.1993 – 1 BvR 172/93, AfP 1993, 478 = NJW 1993, 1463 – Kriminaldirektor; BGH v. 26.10.2010 – VI ZR 230/08, NJW 2011, 744 – Party-Prinzessin; v. 16.9.1966 – VI ZR 268/64, NJW 1966, 2253 – Vor unserer eigenen Tür; OLG Köln v. 9.6.2015 – 15 U 217/14, AfP 2016, 160 unter II. 1. b) bb) (1). 433 LG München v. 21.7.2005 – 7 O 4742/05. 434 LG Frankfurt/M. v. 20.5.2014 – 2-03 O 189/13, CR 2014, 674.
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Kap. 8 Rz. 123
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
illegalen Mitteln. Bei der Gewichtung der Belange im Rahmen der Abwägung sind diese Umstände zu berücksichtigen (vgl. hierzu Kap. 7 Rz. 39)435. Die hartnäckige Verletzung des Rechts am eigenen Bild durch bewusste und andauernde Missachtung des der Anfertigung von Bildnissen entgegenstehenden Willens der Betroffenen und anschließende Bildnisverbreitung kann eine immaterielle Geldentschädigung rechtfertigen436. 123
Das heimliche Anfertigen von Aufnahmen (vgl. Kap. 7 Rz. 40) ist insbesondere im Bereich der Privatsphäre unzulässig. Das gleiche gilt, wenn die Aufnahme zwar offen, aber so überrumpelnd geschieht, dass sich der Betroffene darauf nicht mehr einrichten kann437. Diese Unzulässigkeit der Bildniserschleichung gilt nicht nur für den Privatbereich innerhalb des eigenen Hauses438; vielmehr verletzen heimliche oder überrumpelnde Aufnahmen die Privatsphäre auch außerhalb des häuslichen Bereiches an Orten der Abgeschiedenheit, in die sich der Betroffene zurückgezogen hat (vgl. Rz. 114)439. Denn an solchen Orten ist jedermann der Zutritt möglich, so dass der Betroffene nur durch eine heimliche oder überrumpelnde Aufnahme in seiner Privatsphäre verletzt werden kann440. Handelt es sich um eine heimliche, z.B. aus großer Entfernung mittels Teleobjektiv gefertigte Aufnahme, kann dies ein Indiz dafür sein, dass Betroffene begründeterweise und auch für Dritte erkennbar davon ausgehen durfte, nicht den Blicken der Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein.
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Keine Verletzung der Persönlichkeitssphäre bedeutet es, wenn eine Schauspielerin in einer Fernsehreportage gezeigt wird, während ein Maskenbildner sie pudert; ein solcher Vorgang ist bei Filmaufnahmen üblich und lässt sich nicht als intim bezeichnen441. 4. Verletzung des Wahrheitsschutzes
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Zwar schützt das Recht am eigenen Bild den Betroffenen nicht davor, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder von anderen gesehen werden möchte. Es schützt ihn jedoch gegenüber entstellenden oder verfälschenden Darstellungen sowie gegenüber solchen Darstellungen, die die Persönlichkeitsentfaltung erheblich beeinträchtigen können442. Deshalb kann der persönlichkeitsrechtliche Wahrheitsschutz (dazu Kap. 5 Rz. 74 ff.) verletzt sein, wenn statt des Originalfotos eine Montage verbreitet443 oder
435 BGH v. 28.10.2008 – VI ZR 307/07, MDR 2009, 204 = AfP 2009, 51 Rz. 24 = NJW 2009, 757 Rz. 24 – Karsten Speck; BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 Rz. 69 und Rz. 96 – Caroline von Monaco III; EGMR v. 7.2.2012 – 40660/08 u. 60641/08, NJW 2012, 1053 Rz. 113, 123 – von Hannover II/Deutschland. 436 OLG Hamburg v. 31.1.2017 – 7 U 947/15, AfP 2017, 258 (60.000,- Euro für 9 Bildnisveröffentlichungen; n.rkr.). 437 BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128, 1130 – Caroline von Monaco III. 438 BGH v. 10.5.1957 – I ZR 234/55, NJW 1957, 1315 – Spätheimkehrer; v. 16.9.1966 – VI ZR 268/64, NJW 1966, 2353 – Vor unserer eigenen Tür. 439 BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128, 1130 – Caroline von Monaco III. 440 BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = AfP 1996, 140 = NJW 1996, 1128, 1130 – Caroline von Monaco III. 441 LG Hamburg v. 21.12.1960 – 15 O 46/60, Ufita 34/1961, 363. 442 BVerfG v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358 – Greenpeace. 443 LG München v. 7.5.2003 – 9 O 5693/03, ZUM-RD 2003, 489 – Oliver Kahn.
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II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
Rz. 126 Kap. 8
öffentlich zur Schau gestellt wird, wenn Retuschen erfolgt sind444 oder wenn das Foto sonst entstellend ist445. Gravierende Persönlichkeitsrechtsverletzungen ergeben sich aus der zunehmend auffällig werdenden Praxis, Fotos von Frauen auf Pornoseiten in Internetdiensten einzustellen, seien es Fotos aus sozialen Netzwerken oder – wie häufig – Bilder von nackten Körpern, auf die Kopfbildnisse von Frauen aufgesetzt werden (sog. „Deepfakes“)446. Bei einer Filmaufnahme kann eine Wahrheitsverletzung durch irreführende Vertauschung der Bildfolge, durch Auslassungen und dergleichen bewirkt werden447. Erscheint ein zufällig Anwesender auf einem Unfallfoto in Großaufnahme, verletzt das den Wahrheitsschutz, wenn der Eindruck entsteht, er sei an dem verschuldeten Unfall in irgendeiner Weise beteiligt448. Unzulässig ist auch die Verwendung der Abbildung einer Person auf dem Wahlplakat einer Partei, wenn dadurch der unzutreffende Eindruck erweckt wird, er habe etwas mit dieser Partei zu tun449, oder die Abbildung eines gewerkschaftlichen Demonstranten für ein Plakat, das der Wahlpropaganda einer extremen Partei dient450. Keine Verletzung des Wahrheitsschutzes erfolgt, wenn das Bildnis lediglich eine Meinung zum Ausdruck bringt451. Aber auch eine Meinungsäußerung darf keine grobe Entstellung des Lebensbildes eine Person darstellen. Aus diesem Grunde war es unzulässig, in einem Wahlwerbespot der Republikaner mit einem Bildnis von Konrad Adenauer zu werben mit der Äußerung „auch Konrad Adenauer würde heute die Republikaner wählen“452. Der Wahrheitsschutz ist verletzt, wenn ein Partnervermittlungsinstitut das nur für die Kundenkartei gedachte Portraitfoto der Kundin in einer Kontaktanzeige veröffentlicht mit einem falschen Text, der eine andere, wesentlich jüngere Person mit einem anerkannten Beruf betrifft453. 5. Verletzung von Ehre und Ruf Die öffentliche Benutzung eines Bildnisses kann auch Ehre und Ruf beeinträchtigen (dazu 126 auch Kap. 5 Rz. 94 ff.). Das ist z.B. der Fall, wenn die Abbildung des Kopfes auf einen Körper mit sichtbarem Skelett gesetzt wird, das in der Höhe der Genitalien mit dem Spruchband „Do it yourself“ versehen ist454. Auch die Verbreitung einer Ausschnittvergrößerung einer Torraumszene mit einem Bundesligaspieler, dessen Penis infolge Hochrutschens des linken Hosenbeines teilweise entblößt ist, lässt sich diesem Bereich zuordnen, wenn es dazu heißt „Er überzeugte die 30 000 Zuschauer nicht nur von seinen sportlichen, sondern auch von seinen männlichen Qualitäten“; der Sportler wird dadurch öffentlich bloßgestellt455. Die 444 OLG Hamburg v. 4.12.2012 – 7 U 56/11, ZUM 2013, 581; zweifelhaft LG Hamburg v. 27.10.2006 – 324 O 381/06, AfP 2006, 585 (retuschiertes Kinderbild von Joschka Fischer zur Bewerbung einer Zeitung). 445 BGH v. 10.5.1957 – I ZR 234/55, NJW 1957, 1315 – Spätheimkehrer. 446 So eine Meldung in der Süddeutschen Zeitung v. 3.11.2016; siehe auch Spiegel-Online v. 7.2.2018: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/deepfakes-online-plattformen-wollen-fake-promi-pornosloeschen-a-1192170.html. 447 BGH v. 15.11.1957 – I ZR 83/56, NJW 1958, 459 – Sherlock Holmes. 448 OLG Karlsruhe v. 18.8.1989 – 14 U 105/88, MDR 1989, 1100 = NJW-RR 1990, 1328 – Unfallfoto. 449 LG Oldenburg v. 23.1.1986 – 5 O 3667/85, AfP 1987, 536 = GRUR 1986, 464. 450 LG Stuttgart v. 12.10.1989 – 17 O 478/89, AfP 1989, 765. 451 BVerfG v. 19.11.1985 – 1 BvR 934/82, NJW 1986, 1533, 1535. 452 OLG Köln v. 24.9.1998 – 15 U 122/98, AfP 1998, 647; OLG Koblenz v. 9.3.1999 – 4 U 1641/98, ZUM 1999, 418. 453 AG Nürnberg v. 20.8.1999 – 14 C 8040/98, ZUM-RD 2000, 204. 454 LG Baden-Baden v. 17.5.1968 – 1 O 65/68, ArchPR 1971, 138. 455 OLG Hamburg v. 6.7.1972 – 3 U 64/72, ArchPR 1972, 150.
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Kap. 8 Rz. 127
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
Abbildung eines in einer Badewanne liegenden verstorbenen früheren Ministerpräsidenten auf einem gewerblich vertriebenen T-Shirt mit der Aufschrift wiederzugeben „In meiner Badewanne bin ich Kapitän“ ist menschenwürdeverletzend. Trotzdem kann ein Bericht über diesen Vorgang durch Wahrnehmung von Informationsinteressen gerechtfertigt sein456. Die Abbildung eines Sturzes ist dagegen weder ehrenrührig noch sonst geeignet, den Abgebildeten in der öffentlichen Meinung herabzusetzen457. 6. Öffentlicher Pranger vs. Meinungsfreiheit; Schmähung 127
In den Schutzbereich des Rechts am eigenen Bild fallen Bildnisse einer Person im Zusammenhang mit sie abwertenden Behauptungen, die sie in der Öffentlichkeit an den Pranger stellen. Aber auch hier hat eine Abwägung zu erfolgen zwischen den gegenüberstehenden Grundrechtspositionen sowohl auf der Grundlage einer Betrachtung des Stellenwertes der betroffenen Grundrechtspositionen als auch unter Berücksichtigung der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung im konkreten Fall458. Dabei kommt der Meinungsfreiheit kein genereller Vorrang zu. Zwar spricht bei der Erörterung von Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, eine Vermutung für die „freie Rede“. Jedoch kann diese Vermutung durch hinreichend gewichtige Gründe des Persönlichkeitsschutzes überwunden werden. Dabei kommt es auf die Einbußen an, die einerseits der Meinungsfreiheit durch ein Verbot der Äußerung, anderseits aber dem Persönlichkeitsrecht durch die Pflicht zur Duldung der Äußerung drohen. Hier kann auf Seiten des Persönlichkeitsschutzes auch ins Gewicht fallen, ob von Form oder Inhalt der Meinungsäußerung eine Prangerwirkung ausgeht459. Dabei ist zu beachten, dass im Rahmen des öffentlichen Meinungskampfes zur Erregung der erforderlichen Aufmerksamkeit auch einprägsame, „starke“ Formulierungen vom Betroffenen hinzunehmen sind. Dies gilt auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen, mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden oder ironisch formuliert sind460. Erst bei Schmähungen – auch wenn sie eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage betreffen – hat die Meinungsfreiheit hinter das Persönlichkeitsrecht zurückzutreten461. Unternehmen müssen sich scharfe Kritik in höherem Maße gefallen lassen als natürliche Personen462.
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Die anzustellende Abwägung ging zugunsten der Meinungsfreiheit aus, als Greenpeace im Rahmen einer Informationskampagne gegen den Treibhauseffekt und das Ozonloch ein sati456 Vgl. dazu SchweizBG v. 10.7.1992 – 6 S. 392/1991, NJW 1994, 504. 457 OLG Hamburg v. 13.10.1998 – 7 U 63/98, AfP 1999, 175 – Sturz im Strandbad. 458 BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124, 126 – Greenpeace. 459 BVerfG v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358 – Greenpeace; v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889; v. 27.11.2008 – 1 BvQ 46/08, NJW 2009, 350 – Holzklotz-Fall Rz. 14 (identifizierende Berichterstattung über Straftat); BGH v. 9.1.2016 – VI ZR 305/15, AfP 2016, 248 Rz. 29 – Nerzquäler (bei Boykottaufruf gegenüber Unternehmen) = NJW 2016, 1584 m. Anm. Hager. 460 BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124, 126 – Greenpeace; v. 20.5.1986 – VI ZR 242/85, AfP 1986, 333 = NJW 1987, 1398 – Kriegsrichter; v. 6.11.1968 – I ZR 501/62, NJW 1969, 227. 461 BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124, 126 – Greenpeace; BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439 – Bayer-Beschluss; v. 26.6.1990 – 1 BvR 1165/89, MDR 1991, 125 = AfP 1990, 192 = NJW 1991, 95 – Zwangsdemokrat. 462 Hager, NJW 2016, 1588, 1589.
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II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
Rz. 129 Kap. 8
risch-sarkastisch übersteigertes Plakat einsetzte, auf welchem zusammen mit dem Text „Alle reden vom Klima – wir ruinieren es“ das Portraitfoto des Vorstands der Hoechst AG mit Namensnennung abgebildet war463. Gleichfalls zum Vorrang der Meinungsfreiheit führte die Abwägung, als im öffentlichen Meinungskampf um Alkohol am Steuer das „offizielle“ Plakat mit dem Bildnis einer bekannten TV-Schauspielerin verbreitete wurde mit der Aussage „Wer trinkt, fährt ohne mich. Jahr für Jahr verunglücken junge Frauen, weil der Fahrer getrunken hatte“ satirisch verfremdet wurde mittels der Aussage „Wer trinkt, fährt besser als ich nüchtern. Jahr für Jahr verunglücken junge Frauen, weil sie nicht Auto fahren können“464. 7. Personengefährdung, Gesundheitsgefährdung Ein berechtigtes Interesse, dass die Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung eines Bild- 129 nisses unterbleibt, kann auch zu bejahen sein, wenn sie eine nicht ganz fernliegende Gefährdung von Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum des Abgebildeten zur Folge hat (dazu auch Kap. 5 Rz. 109 ff.). Praktische Bedeutung erlangt das insbesondere bei der öffentlichen Benutzung von Fotografien von Polizeibeamten während des Einsatzes gegen Terroristen oder Demonstranten. Die Polizeibeamten können dann der Gefahr von Racheakten ausgesetzt sein465. Beispielsweise ist der Einsatz eines Spezialeinsatzkommandos der Polizei (SEK) zur Bewachung eines Schwerverbrechers bei dessen Arztbesuch zwar ein zeitgeschichtliches Ereignis von jedenfalls lokaler Bedeutung i.S.v. § 53 Abs. 1 KUG. Einer Veröffentlichung können jedoch nach § 23 Abs. 2 KUG zu berücksichtigende berechtigte Interessen der Abzubildenden entgegenstehen, wie sie etwa mit befürchteten Repressalien gegen die Polizisten selbst oder ihre Familien dargetan wurden466. Eine Gefährdungssituation kann auch bei Privatpersonen entstehen, z.B. wenn sie der Gefahr einer Entführung oder Angriffen auf ihre Person aus Rache oder Vergeltung ausgesetzt sind467. Das Vorliegen berechtigter Interessen wegen Sicherheitsgefährdung setzt allerdings in der Regel voraus, dass die betroffene Person ihr Verhalten entsprechend der Gefährdungssituation einrichtet, also im Allgemeinen bemüht ist, nicht im Bild öffentlich in Erscheinung zu treten468. Hat sich eine Persönlichkeit wegen solcher Gefährdungen erfolgreich bemüht, im Bild öffentlich nicht in Erscheinung zu treten, wird dies grundsätzlich durch Anerkennung berechtigter Interessen i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG zu respektieren sein. Personengefährdend kann es sein, das Porträtfoto des Vorstandsvorsitzenden eines Chemiekonzerns auf einem Plakat steckbriefartig mit dem Slogan wiederzugeben „Alle reden vom Klima – wir ruinieren es“, wenn die Abbildung für die Bedrohungslage kausal ist. Jedenfalls sind mögliche Aggressionen, die durch die Plakataktion provoziert werden können, für die Güter- und Interessenabwägung „durchaus beachtlich“469. 463 BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124 – Greenpeace. 464 OLG Saarbrücken v. 25.9.1998 – 2 U 7/98, AfP 1999, 362. 465 Vgl. OLG Hamburg v. 14.4.1972 – 1 Ws 84/72, JR 1973, 69; OLG Bremen v. 14.9.1976 – Ss 64/76, NJW 1977, 158; OLG Celle v. 25.9.1978 – 2 Ss 157/78, NJW 1979, 57; kritisch dazu Thomas, NJW 1977, 1072; Dittmar, NJW 1979, 1310. 466 BVerwG v. 28.3.2012 – 6 C 12.11 Tz. 34, AfP 2012, 411 – Fotoaufnahmen im Einsatz befindlicher SEK-Beamter; Vorinstanz VG Mannheim v. 19.8.2010 – 1 S 226/09 Rz. 34 ff. 467 OLG München v. 13.7.1989 – 29 U 2063/89, AfP 1991, 435 – Geheimagent; BVerfG v. 31.3.2000 – 1 BvR 2223/96, NJW 2000, 2194 – Flick-Tochter. 468 BVerfG v. 31.3.2000 – 1 BvR 2223/96, NJW 2000, 2194 – Flick-Tochter. 469 BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124, 126 – Greenpeace; BVerfG v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358 – Greenpeace.
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Kap. 8 Rz. 130 130
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
Ist ernsthaft zu befürchten, dass eine Bildnisveröffentlichung den Betroffenen emotional so bewegt, dass eine Gefährdung seiner Gesundheit oder seines Lebens zu befürchten ist, kann dies eine Bildnisveröffentlichung unzulässig machen. Das OLG Frankfurt hat dies in einem Fall erwogen, in welchem über einen Tatverdächtigen im Bild berichtet werden sollte, der sich kurz zuvor einer Herztransplantation hatte unterziehen müssen. Im konkreten Fall kamen aber solche das Berichterstattungsinteresse überwiegenden gesundheitlichen Interessen des Betroffenen nicht zum Tragen, weil er trotz seines Handicaps immerhin in der Lage war, das Haus zu verlassen, um Restaurantbesuche vorzunehmen470. 8. Anonymitäts-Verletzung
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Ob ein berechtigtes Interesse des Straftäters einer Bildnisveröffentlichung entgegensteht, ist aus einer Güter- und Interessenabwägung zwischen der Freiheit der Berichterstattung und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu ermitteln471. Bei der Abwägung der beiderseitigen Grundrechtspositionen fällt auf Seiten des Persönlichkeitsrechts ins Gewicht, ob von Form und Inhalt der Darstellung eine Prangerwirkung ausgeht472, etwa bei der Veröffentlichung von Profilfotos sozialer Netzwerke in anderen Medien473. Allein dieser Gesichtspunkt wird in vielen Fällen die Frage aufwerfen, ob das Informationsinteresse der Allgemeinheit es rechtfertigt, den Täter auch im Bild vorgestellt zu bekommen, um zu sehen, „wie einer aussieht, der so etwas macht“. In die Güter- und Interessenabwägung einzustellen ist auf Seiten des Berichterstattungsinteresses die Bedeutung der Tat für die Öffentlichkeit als zeitgeschichtlicher Vorgang aufgrund der Schwere der Tat, der Person des Täters und sonstiger Umstände (z.B. der Person des Opfers); auf Seiten des Betroffenen zu berücksichtigten ist sein Recht auf Anonymität, welches durchgreift, wenn das Informationsinteresse den Persönlichkeitsschutz nicht überwiegt474. Entscheidend ist, in welchem Maße eine Berichterstattung die Persönlichkeitsentfaltung beeinträchtigen kann475. Deshalb ist in jedem Einzelfall zu berücksichtigten, in welchem Medium mit welcher Reichweite berichtet wird476, zur Befriedigung welchen konkreten Informationsinteresses die Berichterstattung erfolgt (Befriedigung von Sensationslust oder sachliche Information), aus welchem Anlass berichtet wird (Ermittlung, Strafverfahren, Haftentlassung) und in welcher Weise und Intensität die Öffentlichkeit informiert wird477. Erhebliche Bedeutung kommt bei der Abwägung dem Gesichtspunkt der Aktualität zu: Mit der zeitlichen Distanz zur Straftat und zum Strafverfahren gewinnt das Recht des Täters, mit der Tat „allein gelassen zu werden“, auch bei schweren Straftaten zunehmend an Bedeutung478. Vor allem aber ist bei der Abwägung zugunsten des Persönlichkeitsschutzes des Täters zu berücksichtigen, dass durch eine (identifizierende) Bildnisveröffentlichung sei-
470 OLG Frankfurt v. 2.7.1990 – 6 W 104/90, AfP 1990, 229. 471 BVerfG v. 25.2.1993 – 1 BvR 172/93, AfP 1993, 478 = NJW 1993, 1463 – Bericht über getilgte Vorstrafe; v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 221 – Lebach; vgl. auch Richtlinie Ziff. 8.1, 8.2 und 8.3 zum Pressekodex und Kap. 10 Rz. 197. 472 BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889. 473 OLG München v. 17.3.2016 – 29 U 368/16, AfP 2016, 278 – Internetpranger. 474 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202 – Lebach. 475 BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889. 476 OLG Hamburg v. 10.2.1994 – 3 U 238/93, ZUM 1995, 336, 338 – Frauenschlächter. 477 OLG Hamburg v. 10.2.1994 – 3 U 238/93, ZUM 1995, 336, 338 – Frauenschlächter; KG v. 31.3.1992 – 9 U 3070/91, AfP 1993, 302 – Bericht 20 Jahre nach Verurteilung. 478 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202 – Lebach.
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II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
Rz. 132 Kap. 8
ne Resozialisierung wesentlich erschwert werden kann479. Die Resozialisierung eines Straftäters ist ein genuin persönlichkeitsrechtliches Anliegen von hohem Rang, das selbst dann zu beachten ist, wenn ein Täter keine oder nur eine sehr kurze Freiheitsstrafe verbüßt hat480. Gerade eine Bildnisveröffentlichung ist geeignet, einen ehemaligen Täter für seine Umgebung zu identifizieren. Ein Bericht über eine schwere Straftat im engen zeitlichen Zusammenhang mit einer Haftentlassung birgt i.d.R. die Gefahr der Stigmatisierung, sozialen Isolierung und einer darauf beruhenden grundlegenden Verunsicherung des Betroffenen481. Bei besonders schweren Straftaten wie beispielsweise Mord sind diese Gefahren auch dann noch möglich, wenn die Tat bereits lange zurückliegt482. In der Regel kommt daher nach der Haftentlassung mit Rücksicht auf das Resozialisierungsinteresse des Täters keine Bildnisberichterstattung mehr in Betracht, sofern die Gefahr besteht, dass Personen, die ihn noch nicht als Täter kennen, ihn identifizieren. Dagegen führt eine Identifizierbarkeit durch Personen, die den Betroffenen als Täter kennen, nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner Persönlichkeitsbelange483. Aber auch vor der Haftentlassung muss eine Interessen- und Güterabwägung darüber entscheiden, ob eine Bildnisveröffentlichung zulässig ist oder nicht484. Der Auftritt eines prominenten Betroffenen in der Öffentlichkeit darf nach der Rechtsprechung im Bild festgehalten werden485, anders ist es, wenn die Bildnisnahme einen Moment der Zurückgezogenheit dokumentiert, der öffentlich typischerweise nicht einsehbar ist486. Die vorstehend zum überführten oder verurteilten Straftäter genannten Grundsätze sind auch 132 anzuwenden, wenn der Betroffene freigesprochen wurde. Denn der freigesprochene Täter kann nicht schlechter gestellt werden als der verurteilte487. Die genannten Grundsätze gelten ferner dann, wenn es sich um einen bislang nur Tatverdächtigen handelt. Auch wenn ein öffentliches Informationsinteresse besteht, setzt – ebenso wie eine Namensnennung – die Abbildung des Verdächtigen ein qualifiziertes öffentliches Interesse an der Bildberichterstattung voraus, welches es rechtfertigt, dass der Betroffene seinen Schutz vor öffentlicher Anprangerung verliert. Bei der Interessenabwägung muss daher das Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerade an der Identifizierung des Betroffenen durch eine Veröffentlichung seines Bildnisses das Anonymitätsinteresse überwiegen488. Bei Tatverdächtigen ist aber zusätzlich bei der Abwä-
479 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 248/98, 1 BvR 755/98, NJW 2000, 1859 – Verfilmung Fall Lebach; v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889; v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 220 – Lebach. 480 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 248/98, 1 BvR 755/98, NJW 2000, 1859 – Verfilmung Fall Lebach. 481 BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889. 482 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 248/98, 1 BvR 755/98, NJW 2000, 1859 – Verfilmung Fall Lebach. 483 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 248/98, 1 BvR 755/98, NJW 2000, 1859 – Verfilmung Fall Lebach. 484 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202 – Lebach; OLG Hamburg v. 10.2.1994 – 3 U 238/93, ZUM 1995, 336, 338 – Frauenschlächter. 485 BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 967/15, NJW 2017, 1376 – Kachelmann-Gehweg-Foto; Vorinstanz OLG Köln v. 19.12.2013 – 15 U 64/13 m. Anm. Fricke, GRUR-Prax 2017, 170. 486 BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 2897/14, NJW 2017, 1377 – Kachelmann-Innenhof-Foto, Vorinstanz OLG Köln v. 10.12.2013 – 15 U 73/13 m. Anm. Fricke, GRUR-Prax 2017, 170. 487 OLG Dresden v. 13.11.1997 – 4 U 1392/97, ZUM-RD 1998, 568. 488 OLG Celle v. 20.4.2002 – 13 U 160/99, NJW-RR 2001, 334; OLG Hamburg v. 28.3.1991 – 3 U 262/90, NJW-RR 1992, 536; OLG Frankfurt v. 2.7.1990 – 6 W 104, 90, OLG Frankfurt v. 2.7.1990 – 6 W 104/90, AfP 1990, 229.
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Kap. 8 Rz. 133
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
gung der Interessen auch die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK zu beachten489. Bestehen Zweifel an der Täterschaft des Verdächtigten, wird eine Bildnisberichterstattung schon im Hinblick auf Unschuldsvermutung im Rahmen der Interessenabwägung in aller Regel unterbleiben müssen. 133
Bei Opfern von Verbrechen und Unfällen als relativen Personen der Zeitgeschichte (vgl. Rz. 45) wird die anzustellende Abwägung zwischen dem persönlichkeitsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen und dem Berichterstattungsinteresse in aller Regel ergeben, dass die persönlichkeitsrechtlichen Schutzaspekte überwiegen, zumal Opfer passive relative Personen der Zeitgeschichte sind (vgl. Rz. 45). Denn dem Informationsinteresse der Allgemeinheit bezüglich der Tat oder des Unfalls kann auch Rechnung getragen werden, ohne dass das Opfer dem Publikum im Bild vorgestellt wird. Da ohnehin grundsätzlich nur solche Bildnisse erlaubt sind, die das Opfer im Zusammenhang mit der Tat oder dem Unfall zeigen (vgl. Rz. 45), und damit ein Mensch in Angst, Not oder durch Verletzungen entstellt gezeigt wird, wird meistens der persönlichkeitsrechtliche Schutz der Menschenwürde490 der Veröffentlichung solcher Bildnisse entgegenstehen. Bei der Verfilmung einer Straftat gehört zu Tat und Täter auch der Bericht über das Opfer. Ob der den Schutz des Täters überragende Opferschutz die Verfilmung einer Straftat in Form eines Doku-Dramas verhindern kann, wenn das Opfer nicht einwilligt, ist streitig491. Zum Schutz von Tatopfern vgl. auch Kap. 10 Rz. 194.
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Was für die Bildberichterstattung über Opfer zu gelten hat, gilt erst recht über Bildnisse von Angehörigen des Opfers. Unzulässig war daher die Veröffentlichung des Bildnisses des Vaters bei der Beerdigung seines ermordeten Kindes492. Anders kann es sich allerdings verhalten, wenn ein Angehöriger zugleich Tatzeuge ist493. 9. Kommerzielle Bildnisverwertung a) Grundsatz
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Die Abbildungsfreiheit nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG setzt voraus, dass die Bildnisveröffentlichung schutzwürdigen Informationsinteressen der Allgemeinheit dient und keine berechtigten Interessen des Betroffenen i.S.v. § 23 Abs. 2 KUG der Nutzung entgegenstehen494. Eine Bildnisnutzung alleine zu Werbezwecken entzieht dagegen das Privileg des § 23 Abs. 1 KUG (Rz. 63 ff.), so dass sich eine Abwägung nach § 23 Abs. 2 KUG erübrigt. Kommerzielle Nutzung eines Bildnisses und Nutzung alleine zu Werbezwecken sind jedoch nicht dasselbe. Daher hat im Rahmen von § 23 Abs. 2 KUG eine Abwägung (Rz. 146 ff.) dann zu erfolgen, wenn mit der Veröffentlichung des Bildnisses nicht nur kommerzielle Zwecke verfolgt werden, sondern mit dem Bildnis ein gewisser, wenn möglicherweise auch nicht sehr bedeutender Informati-
489 OLG Köln v. 27.6.1989 – 15 U 190/88, AfP 1989, 683; v. 2.6.1987 – 15 U 39/87, NJW 1987, 2682; OLG Braunschweig v. 29.9.1980 – 1 W 44/80, AfP 1980, 292; Helle, S. 160. 490 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 491 Vgl. Eickmeier, ZUM 1998, 1, 5; Schertz, ZUM 1998, 757; OLG Hamburg v. 24.10.1974 – 3 U 134/74, NJW 1975, 649 – Aus nichtigem Anlass. 492 LG Köln v. 5.6.1991 – 28 O 451/90, AfP 1991, 757. 493 OLG Frankfurt v. 26.5.1976 – 13 U 180/75, AfP 1976, 181. 494 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; OLG Hamburg v. 11.6.1998 – 3 U 284/97, ZUM-RD 1999, 122 – Backstreet Boys.
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II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
Rz. 137 Kap. 8
onswert für die Öffentlichkeit verbunden ist495 oder wenn von Medien ein Werbezweck für die eigenen Medien verfolgt wird496, der am Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG teilhat (Rz. 65 und Rz. 142 f.). Die Beschränkung von Presseveröffentlichungen (und damit auch der Werbung für diese) 136 auf bestimmte Bildnisse (z.B. solche einer konkreten Begleitsituation) ist verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt, wenn bei einer Abwägung zwischen dem nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht am eigenen Bild einerseits und dem Grundrecht auf Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG andererseits die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts nur auf diese Weise auf das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß begrenzt werden könnte, ohne zugleich das berechtigte Anliegen der Pressefreiheit zu verkürzen497. Dies hat auch dann zu gelten, wenn in der Werbung für ein Presseerzeugnis, die außerhalb des beworbenen Presseerzeugnisses erfolgt, ein anderes Bildnis als das im beworbenen Medium veröffentlichte verwendet wird. Diese Frage stellte sich, als in einer Sonderbeilage einer Zeitung über Marlene Dietrich berichtet wurde, in einem TV-Werbespot für die fragliche Sonderbeilage aber kein Foto von Marlene Dietrich aus der Sonderbeilage gezeigt wurde, sondern eine Filmaufnahme aus der deutschen Wochenschau von 1959, auf der Marlene Dietrich zu sehen war. In konsequenter Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Abwägungsgrundsätze war für den BGH nicht entscheidend, dass zur Erreichung des Werbezweckes auch das in der Sonderbeilage abgebildete Foto hätte verwendet werden können. Entscheidend war vielmehr, ob gerade dadurch, dass ein anderes Bildnis als dasjenige verwendet wurde, dessen Veröffentlichung zulässig gewesen wäre, das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Person zusätzlich beeinträchtigt worden ist. Dies wurde vom BGH verneint. Das Ergebnis der Abwägung hätte die Veröffentlichung des fraglichen Fotos auch dann verbieten können, wenn dieses Foto den Betroffenen in einer besonders unglücklichen Situation oder besonders unvorteilhaft dargestellt hätte oder wenn das verwendete Bild aus dem Zusammenhang gerissen und in einen anderen gestellt wird, so dass sich durch den Wechsel des Kontextes der Sinngehalt der Bildaussage erheblich änderte. Auch dies war zu verneinen. Schließlich kann auch die Art und Weise, in der das Bildnis für Werbezwecke verwendet wird, eine zusätzliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts begründen. Dies wäre bspw. der Fall, wenn in dem Werbespot Marlene Dietrich unmittelbar als Werbeträger herausgestellt worden wäre, indem der Spot den Eindruck erweckt hätte, Marlene Dietrich identifiziere sich mit dem beworbenen Produkt, sie empfehle es und preise es an, obwohl sie mit dem Produkt an und für sich nichts gemein hat. An dieser Voraussetzung fehlte es aber schon deshalb, weil in dem Werbespot – insoweit vergleichbar einem Titelblatt – lediglich darauf aufmerksam gemacht wurde, dass sich die Sonderbeilage inhaltlich mit Marlene Dietrich befasst498. Trotz einer gewerblichen Nutzung des Bildnisses kann Abbildungsfreiheit gegeben sein, 137 wenn bei einer Abwägung das schutzwürdige Informationsinteresse der Allgemeinheit die berechtigten Belange des Betroffenen überwiegt. 495 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan. 496 BGH v. 31.5.2012 – I ZR 234/10, NJW 2013, 793 – Playboy am Sonntag m. Anm. Stender-Vorwachs. 497 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, NJW 2001, 1921 – Fotoberichterstattung über Personen der Zeitgeschichte. 498 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317 – Marlene Dietrich II.
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Kap. 8 Rz. 138
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b) Informationsinteresse der Allgemeinheit 138
Ein schutzwürdiges Informationsinteresse der Allgemeinheit wird in der Regel dann zu bejahen sein, wenn die Abbildung in einen für den Betrachter deutlichen Zusammenhang mit den Leistungen des Abgebildeten gestellt wird, wegen deren diese Person bekannt ist, beispielsweise durch die Vermittlung von Informationen über das Leben oder das Schaffen des Betroffenen499. Dabei wird der Öffentlichkeitswert des Bildnisses noch erhöht, wenn es den Abgebildeten im Rahmen der Tätigkeit zeigt, durch welche er die Öffentlichkeit besonders auf sich aufmerksam gemacht hat500. Wird die Person „in Aktion“ gezeigt501, ist der Bezug zu den Leistungen des Betroffenen deutlich gemacht, die das öffentliche Interesse an der Person auf sich ziehen und das ohnehin bei Personen der Zeitgeschichte bestehende Interesse, sie im Bild vorgestellt zu bekommen, verstärkt befriedigen.
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Die gewerbliche Nutzung von Bildnissen kann auch dann unter den Schutz des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG fallen, wenn das Bildnis in ein Gesamtwerk eingebunden ist, so dass sich der Informationsgehalt des Bildes in seiner zeitgeschichtlichen Bedeutung bei einer Gesamtschau aller Elemente aus dem Zusammenhang bzw. dem Gesamtwerk ergibt, in welchem sich das Bild befindet502.
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Dass Bildnisse einen Informationsgehalt aufweisen und damit einem schutzwürdigen Informationsinteresse der Allgemeinheit dienen, schließt jedoch nicht aus, dass sie zugleich auch zur Verfolgung von geschäftlichen Interessen verwendet werden503. Ob und in welchem Umfang mit bestimmten Publikationsformen neben geschäftlichen Interessen auch Informationsinteressen verfolgt werden, kann im Einzelfall zweifelhaft sein. Dass mit der Veröffentlichung eines Bildnisses im Rahmen eines Gewerbebetriebes eigenwirtschaftliche Ziele verfolgt werden, steht einem schutzwürdigen Publikationsinteresse nicht entgegen. Auch Unternehmen dürfen – etwa in der Produktwerbung – Bildnisse von bekannten Personen nützen, wenn die Werbung damit gleichzeitig in ironisch-kritischer Weise zum aktuellen Tagesgeschehen Stellung nimmt504. Die Gefahr, dass die der Meinungsbildung dienende Verwendung zum Deck-
499 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152, 1153 – Bob Dylan; v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593, 594 – Abschiedsmedaille. 500 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152, 1153 – Bob Dylan; v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593, 594 – Abschiedsmedaille; v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, NJW 1979, 2203, 2204 – Fußballkalender. 501 Z.B. Boris Becker im Match – OLG Frankfurt v. 21.1.1988 – 6 U 153/86, AfP 1988, 62 = NJW 1989, 402 oder Fußball-Kampfszenen – BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203 oder Bob Dylan mit Gitarre in „Konzerthaltung“ – BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152. 502 BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203 – Fußballkalender; OLG Hamburg v. 11.6.1998 – 3 U 284/97, ZUM-RD 1999, 122 – Backstreet Boys; OLG Frankfurt v. 21.1.1988 – 6 U 153/86, AfP 1988, 62 = NJW 1989, 402 – Boris Becker; LG Berlin v. 8.6.1995 – 20 O 67/95, NJW 1996, 1142, 1143. 503 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152, 1153 – Bob Dylan. 504 BGH v. 26.10.2006 – I ZR 182/04, BGH 169, 340 = AfP 2006, 599 – Rücktritt des Finanzministers (Nutzung des Bildnisses); v. 5.6.2008 – I ZR 96/07, AfP 2008, 596 – Zerknitterte Zigarettenschachtel (Nutzung des Namens), gebilligt durch EGMR v. 19.2.2015 – 53495/09, AfP 2015, 323.
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II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
Rz. 142 Kap. 8
mantel für weitgehende kommerzielle Nutzungen wird505, ist dadurch abgemildert, dass die Nutzung nur zu tagesaktuellen Zwecken zulässig ist. Bildnisveröffentlichungen in Medien aller Art dienen regelmäßig auch gewerblichen Interes- 141 sen, da die Medien durch solche Bildveröffentlichungen eine Absatzförderung anstreben506. Ebenso wie ein Presseerzeugnis selbst genießt auch die Werbung für ein Presseerzeugnis den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Durch solche Werbung wird Art und Gegenstand der Berichterstattung so angekündigt, dass die Öffentlichkeit von der Berichterstattung Kenntnis erlangt und dadurch die Informationsgelegenheit wahrnehmen kann507. Insbesondere Bildnisse auf dem Titelblatt von Illustrierten sind Aufmacher und Blickfang, die den Absatz der Zeitschrift fördern sollen. Dadurch dienen sie zwar auch den gewerblichen Interessen des Verlages, machen die Bildnisnutzung aber nicht zur Werbung im Sinne der alleinigen Befriedigung von Geschäftsinteressen, solange auch im redaktionellen Teil der Zeitschrift über die abgebildete Person berichtet wird. Dies gilt auch für Abbildungen auf der Titelseite von Kundenzeitschriften, selbst wenn das Titelbild nur zu einer marginalen redaktionellen Berichterstattung über den Abgebildeten im Inneren der Kundenzeitschrift Bezug hat508. Allerdings darf der unbefangene Durchschnittsleser nicht den Eindruck gewinnen, der Abgebildete werbe für die in der Kundenzeitschrift beworbenen Produkte. Die Grenze des zulässigen Einsatzes solcher Bildnisse ist nämlich überschritten, wenn der Leser den Eindruck gewinnt, dass der Abgebildete zu diesen Produkten steht, sie empfiehlt und zur Verkaufsförderung der Produkte sein Bildnis zur Verfügung gestellt hat509. Ebenso ist es, wenn die Bildnisnutzung allein dazu dient, den Werbewert des Prominenten auszunutzen, wenn es für die Nutzung also keinen redaktionellen, nämlich die Öffentlichkeit über den Inhalt des Medienproduktes informierenden Anlass gibt510. Wird in einer Zeitschrift über eine Person berichtet, besteht ein Informationsinteresse der 142 Allgemeinheit, über die Darstellung des Betroffenen im Inhalt der Zeitschrift zu erfahren. Daher ist es zulässig, im Inhalt der Zeitschrift oder auf ihrem Titel verwendete Bildnisse auch außerhalb der Zeitschrift in anderen Werbemedien zur Werbung für die Zeitschrift zu verwenden, indem bebilderte Ausschnitte des Inhalts oder das Titelblatt in der Werbung gezeigt werden511. In diesem Fall darf eine vorläufige Abbildung des Presseproduktes in der Werbung vorübergehend auch verwendet werden, wenn das spätere Presseerzeugnis in der gezeigten 505 So kritisch Götting in Schricker/Loewenheim, § 23 KUG Rz. 122. 506 BGH v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593, 595 – Abschiedsmedaille; v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, NJW 1979, 2203, 2204 – Fußballkalender; OLG Hamburg v. 11.6.1998 – 3 U 284/97, ZUM-RD 1999, 122 – Backstreet Boys; v. 27.4.1995 – 3 U 292/94, AfP 1995, 665 = NJW 1996, 1151 – TV-Star oben ohne. 507 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317 – Marlene Dietrich II; OLG Frankfurt v. 18.9.1986 – 6 W 232/86, AfP 1987, 528 = GRUR 1982, 62 – Manager-Magazin. 508 BGH v. 29.10.2009 – I ZR 65/07, AfP 2010, 237 – Der strauchelnde Liebling; v. 18.11.2010 – I ZR 119/08, AfP 2011, 350 – Markt & Leute. 509 BGH v. 14.3.1995 – VI ZR 52/94, MDR 1995, 909 = AfP 1995, 495 = NJW-RR 1995, 789 – Kundenzeitschrift; v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan. 510 BGH v. 11.3.2009 – I ZR 8/07, AfP 2009, 485 – Wer wird Millionär; v. 31.5.2012 – I ZR 234/10, GRUR 2013, 196 – Playboy am Sonntag. 511 BGH v. 29.10.2009 – I ZR 65/07, AfP 2010, 327, Rz. 25, 29 – Der strauchelnde Liebling; OLG München v. 2.9.1999 – 6 U 3740/99, NJW-RR 2000, 29 – Marlene Dietrich; LG Köln v. 22.10.1980 – 78 O 294/80, AfP 1982, 49 – Fernsehansagerin.
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Kap. 8 Rz. 143
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
Form nicht erscheint512. Werbung für ein Presseerzeugnis muss nicht im Presseerzeugnis selbst erfolgen. Denn es genügt für den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, dass die Werbung das Presseerzeugnis der Öffentlichkeit vorstellt und dabei Art und Gegenstand der Berichterstattung so ankündigt, dass die Öffentlichkeit von der Berichterstattung Kenntnis erlangt und dadurch die Informationsgelegenheit wahrnehmen kann513. Dabei kann die Abwägung zwischen der Pressefreiheit und dem Recht am eigenen Bild zu dem Ergebnis führen, dass in der Werbung für das Presseprodukt auch ein anderes Bild verwendet werden darf als dasjenige, welches in dem beworbenen Presseprodukt veröffentlicht wurde (Rz. 137). Unzulässig ist es, für eine Zeitschrift mit einem Ausschnitt zu werben, der ein Bildnis enthält, das den Abgebildeten durch den Begleittext in ein schiefes Licht rückt. Das ist z.B. der Fall, wenn in einem Artikel über das Missmanagement einer Firma ein Manager so abgebildet wird, dass der Anschein entsteht, er sei für das Missmanagement verantwortlich, obwohl er es in Wirklichkeit beseitigen soll514. Zur Werbung für eine Fernsehsendung ist es erlaubt, Szenenaufnahmen aus der Sendung z.B. in Programmzeitschriften zu veröffentlichen515. Auch zur Werbung für einen Film dürfen Bildnisse aus dem Film veröffentlicht werden, da dies auch dem künstlerischen Interesse des Schauspielers dient, nicht aber in der Werbung für einen Tonträger mit der Filmmusik516. Unzulässig ist es dagegen, wenn ein Fernsehsender ohne Einwilligung des Betroffenen ein Bildnis (Screenshot) aus einem von ihm für einen Werbekunden ausgestrahlten Werbespot für die eigene Werbung verwendet517. 143
Bei „Starkalendern“ verlangt die Rechtsprechung für die Bejahung eines überwiegenden Informationswertes zur Befriedigung des Informationsinteresses der Allgemeinheit, dass die Betroffenen nicht durch Portraitfotos vorgestellt werden (seien es Einzelportraits oder Gruppenportraits), sondern „in Aktion“ gezeigt werden, also bei Ausübung derjenigen Tätigkeit, derentwegen sie prominent wurden. Andernfalls werde kein Informationsinteresse befriedigt, sondern es gehe den Erwerbern der Abbildungen vorrangig um den Besitz von Bildnissen der Stars, nicht jedoch um Information über sie518. Gefordert wird ferner, dass keine wahllose Aneinanderreihung von Portraits der Stars erfolgt, sondern eine einheitliche Konzeption in der Darstellung der Einzelbilder verfolgt wird mit einem eigenständigen informativen Gehalt, welches dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit über die bloße Vermittlung des Bildes hinaus Rechnung trägt519. Dieselben Maßstäbe wird man an Sammelbilder oder Bildserien von Stars anlegen können520. Die Verfolgung eines Sammelzweckes schließt einen Informationszweck nicht aus521.
512 BGH v. 29.10.2009 – I ZR 65/07, AfP 2010, 327, Rz. 31 – Der strauchelnde Liebling. 513 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317 – Marlene Dietrich II. 514 OLG Frankfurt v. 18.9.1986 – 6 W 232/86, AfP 1987, 528 = GRUR 1987, 62. 515 BGH v. 28.10.1960 – I ZR 87/59, NJW 1961, 558 – Familie Schölermann. 516 OLG München v. 14.9.1961 – 6 U 984/61, Ufita 38/1962, 186. 517 LG München v. 9.12.1999 – 7 O 20135/99, AfP 2000, 473 – Ich bin schon drin; OLG Köln v. 11.8.2015 – 15 U 26/15 (Werbung mit Standbild aus Medienproduktion). 518 BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203, 2204 – Fußballkalender; v. 20.2.1968 – VI ZR 200/66, NJW 1968, 1091 – Ligaspieler; OLG Hamburg v. 11.6.1998 – 3 U 284/97, ZUM-RD 1999, 122 – Backstreet Boys. 519 BGH v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, AfP 1980, 101 = NJW 1979, 2203 – Fußballkalender; OLG Hamburg v. 11.6.1998 – 3 U 284/97, ZUM-RD 1999, 122 – Backstreet Boys. 520 OLG Hamburg v. 9.6.1994 – 3 U 277/93, WRP 1995, 124 – Marius Müller-Westernhagen. 521 BGH v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593 – Abschiedsmedaille.
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II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
Rz. 145 Kap. 8
Bei Einzelbildnissen – etwa einzelnen Starbildern, Starpostkarten, „Stickern“, Gedenkmün- 144 zen – kann es keine einheitliche Konzeption geben, wenn die Einzelbildnisse nicht Teil einer Serie sind. Zur Annahme des erforderlichen Informationswertes bedarf es jedoch nicht unbedingt eines „Gesamtkonzepts“522. Der Informationswert kann sich vielmehr auch aus zusätzlich zum Bild gegebenen Informationen über das Leben und Wirken des Betroffenen ergeben, z.B. Angaben über seine Lebensdaten und über diejenigen Fakten, die ihn zum Prominenten machten. Dabei kann der Öffentlichkeitswert des Bildnisses dadurch erhöht werden, dass es den Abgebildeten „in Aktion“ zeigt, in Ausübung derjenigen Tätigkeit also, durch welche er Prominenz erlangt hat523. Unter diesen Voraussetzungen wird der Betroffene sich nicht in stärkerem Maße kommerzialisiert fühlen oder als bloßes Objekt wirtschaftlicher Interessen sehen, als wenn ein entsprechendes Bildnis in einer Illustrierten abgedruckt würde. c) Abwägung mit berechtigten Interessen Auch wenn von einem schutzwürdigen Publikationsinteresse i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG 145 auszugehen ist, ist dieses mit den berechtigten Interessen desjenigen abzuwägen, der sich gegen die Bildnisveröffentlichung wehrt524. Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, ob sich die Werbung auf im Verhältnis zum Betroffenen persönlichkeitsfremde („branchenfremde“) Waren oder Leistungen bezieht, wie in den in Rz. 66 genannten Fällen, oder ob es sich um eine persönlichkeitsnahe Nutzung handelt, weil zwischen der abgebildeten Person und dem beworbenen Produkt oder der beworbenen Leistung eine Verbindung besteht, die nicht erst durch den werbemäßigen Einsatz des Bildes herbeigeführt wird, sondern von vornherein besteht525. Bei einer persönlichkeitsnahen Bildnisnutzung kommt dem Werbeeinsatz im Rahmen der Abwägung nach Art. 23 Abs. 2 KUG grundsätzlich keine das Publikationsinteresse übersteigende Bedeutung zu und das Ergebnis der Abwägung geht zugunsten des Publikationsinteresses526. Eine solche persönlichkeitsnahe Nutzung liegt beispielsweise in der Abbildung des Künstlers auf dem Cover eines Tonträgers mit seiner Musik oder bei einer Bildnisnutzung auf dem Bucheinband eines Buches über das Leben des abgebildeten Künstlers527. Dabei ist von Belang, ob der Durchschnittsbetrachter in dem Bildnis nur eine abstrakte Verbindung mit dem Abgebildeten und dem Produkt oder der Leistung sieht, bei welcher das Bildnis verwendet wird, oder ob er in der Abbildung eine Werbung des Betroffenen für die fragliche Ware oder Leistung sieht. Letzteres hat der BGH bejaht und eine unzulässige Bildnisnutzung angenommen, als ein Tonträger auf seinem Cover das Bildnis von Bob Dylan mit Gitarre „in Konzerthaltung“ zeigte, obwohl der Künstler – es handelte sich um Bootlegs – auf die Auswahl, die Zusammenstellung und die technische Qualität der Aufnahmen kei-
522 BGH v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593, 594 – Abschiedsmedaille. 523 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152, 1153 – Bob Dylan. 524 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152, 1153 – Bob Dylan; v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593 – Abschiedsmedaille; v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124 – Greenpeace. 525 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152, 1153 – Bob Dylan. 526 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan. 527 KG v. 30.9.1980 – 5 U 1522/80, Ufita 90/1981, 163 – Udo Lindenberg-Biographie.
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Kap. 8 Rz. 146
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
nerlei Einfluss gehabt hatte528. Damit aber handelte es sich um die Werbung für eine persönlichkeitsfremde Ware. Der Abgebildete hat aber ein i.S.v. § 23 Abs. 2 KUG berechtigtes Interesse daran, nicht in unangemessener Weise zu einem Objekt der wirtschaftlichen Interessen des Bildnisverwerters zu werden529. Dies ist aber dann der Fall, wenn durch das Bildnis bei einer Werbung für persönlichkeitsfremde Waren oder Leistungen beim Publikum der Eindruck erweckt wird, der Abgebildete identifiziere sich mit dem beworbenen Produkt, mit dem er jedoch nichts gemein hat, er empfehle es und preise es an530. Es braucht sich niemand gefallen zu lassen, auf diese Weise zu Werbezwecken eingesetzt zu werden, auch wenn sein Bildnis dabei gleichzeitig ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit befriedigt. Dieses Interesse des Betroffenen überwiegt bei der Abwägung das mit dem Bildnis gleichzeitig verfolgte Publikationsinteresse531. 146
Im Hinblick auf die Wertentscheidung des § 23 Abs. 1 KUG ist keine nach § 23 Abs. 2 KUG rechtlich geschützte Position zu erkennen, die dem Abgebildeten eine finanzielle Beteiligung an der Nutzung seines Bildnisses im Rahmen von § 23 Abs. 1 KUG sichert. Das eigene wirtschaftliche Interesse des Betroffenen, an einer Veröffentlichung seines Bildnisses beteiligt zu sein, schränkt daher die Veröffentlichungsbefugnis nicht ein, da es sich bei diesem wirtschaftlichen Interesse nicht um ein Schutzinteresse i.S.v. § 23 Abs. 2 KUG handelt bei solchen Bildnissen, die einem Informationsbedürfnis der Allgemeinheit i.S.v. § 23 Abs. 1 KUG nachkommen532. Andernfalls würde die Abbildungsfreiheit ausgehöhlt533. Dem entspricht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht verfassungsrechtlich nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet ist534. Nach anderer Auffassung soll bei der Abwägung das Interesse des Betroffenen zu berücksichtigen sein, sein Bildnis im Rahmen des „Starkults“ zur Erzielung eigener Einnahmen zu nutzen535. Letzterem ist nur für Grenzfälle zuzustimmen. Zwar hat das Recht am Bild einen vermögenswerten Bestandteil, dem ein beträchtlicher wirtschaftlicher Wert zukommen kann. Er beruht auf den besonderen Leistungen des Betroffenen, die ihn 528 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan. 529 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593 – Abschiedsmedaille. 530 BGH v. 14.5.2002 – VI ZR 220/01, AfP 2002, 435 = MDR 2002, 1122 = NJW 2002, 2317 – Marlene Dietrich II; v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593 – Abschiedsmedaille. 531 BGH v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, AfP 1997, 475 = MDR 1997, 147 = NJW 1997, 1152 – Bob Dylan. 532 BGH v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, AfP 1996, 66 = MDR 1996, 163 = NJW 1996, 593, 595 – Abschiedsmedaille; v. 6.2.1979 – VI ZR 46/77, NJW 1979, 2203, 2204 – Fußballkalender; v. 20.2.1968 – VI ZR 200/66, NJW 1968, 1091 – Ligaspieler; OLG Frankfurt v. 21.1.1988 – 6 U 153/86, AfP 1988, 62 = NJW 1989, 402 – Boris Becker; RGZ 125, 80 – Tull Harder, kritisch: Poll, ZUM 1988, 454, 458; Krüger, GRUR 1980, 628; Mergel, GRUR 1986, 646; Klippel, GRUR 1986, 687. 533 Neumann-Duesberg, MDR 1953, 109; zweifelnd Helle, S. 186. 534 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco. 535 BGH v. 20.2.1968 – VI ZR 200/66, NJW 1968, 1091 – Ligaspieler; OLG Hamburg v. 11.6.1998 – 3 U 284/97, ZUM-RD 1999, 122 – Backstreet Boys; OLG München v. 28.7.1983 – 6 U 2517/83, ZUM 1985, 448, 451 – Sammelbilder; Soehring/Hoene, § 6 Rz. 37.
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II. Verletzung eines berechtigten Interesses i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG
Rz. 147 Kap. 8
zur Person der Zeitgeschichte gemacht haben. Der Prominente kann diese Popularität und ein damit verbundenes Image dadurch wirtschaftlich verwerten, dass er Dritten gegen Entgelt gestattet, sein Bildnis in der Werbung für Waren oder Dienstleistungen einzusetzen. Durch eine unerlaubte Verwertung seines Bildnisses zu Werbezwecken werden daher kommerzielle Interessen des Betroffenen beeinträchtigt536. Solche kommerziellen Interessen sind jedoch keine berechtigten Interessen i.S.v. § 23 Abs. 2 KUG. Sie greifen durch, wenn bei der Bildnisnutzung – wie bei der persönlichkeitsfremden Werbung (Rz. 146) – kein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit befriedigt wird oder wenn das Bildnis alleine zu Werbezwecken verwendet wird und daher nicht nach § 23 Abs. 1 KUG privilegiert ist. Wird aber mit der Bildnisveröffentlichung ein Informationszweck verfolgt, haben dadurch tangierte kommerzielle Interessen des Betroffenen außer Betracht zu bleiben. Andernfalls wäre die Verwirklichung der Vergünstigung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG in weiten Bereichen überhaupt unmöglich gemacht. Daher kann allenfalls in Grenzfällen bei einem Informationswert des gewerblich genutzten Bildnisses am untersten Rand der denkbaren Skala bei der Abwägung den kommerziellen Interessen des Betroffenen Bedeutung zukommen. Werden beispielsweise Starbilder mit sehr geringem Informationsgehalt in verschlossenen Tüten verkauft ohne Hinweis darauf, wessen Bildnisse sich in der Tüte befinden, geht es beim Vertrieb solcher Bildnisse nicht um Information der Käufer, sondern vorrangig um kommerzielle Interessen durch Ausnutzung der Tausch- und SammelLeidenschaft der Käufer537. Wenn der Betroffene entsprechende Nutzungsrechte entgeltlich anderweitig eingeräumt hat oder an einer solchen konkreten kommerziellen Nutzung durch einen solchen Bildnisvertrieb gehindert ist, können seine kommerziellen Interessen als berechtigt i.S.v. § 23 Abs. 2 KUG angesehen werden und dem schwachen Informationsgehalt vorgehen. 10. Satire Ob eine satirische Darstellung einer Person (vgl. Kap. 3 Rz. 30 ff.) ein berechtigtes Interesse 147 des Abgebildeten i.S.v. § 23 Abs. 2 KUG verletzt, bestimmt sich nach einer Abwägung, in der darüber zu entscheiden ist, ob dem Stellenwert des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Abgebildeten gegenüber der mit der Abbildung in Anspruch genommenen Rechtsposition Vorrang gebührt538 Gegenüberstehende Rechtspositionen sind hierbei das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde des Abgebildeten auf der einen und die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsfreiheit, ggf. auch die Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 GG auf der anderen Seite539. Die Menschenwürde verletzende Karikaturen sind durch die Kunstfreiheit nicht gedeckt. Greift eine Karikatur in den Kernbereich der Würde des Abgebildeten ein, geht die Abwägung zu Lasten der Kunstfreiheit. Dies ist bspw. der Fall, wenn bei einer nicht ausreichenden Verfremdung der Darstellung (nämlich einer nicht auf den ersten Blick erkennbaren Fotomontage) die Intimsphäre des Abgebildeten betroffen ist bei einer als Satire gedachten Fotomontage, bei der auf die Fotografie des Körpers einer Frau mit nackter Brust 536 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; v. 26.6.1981 – I ZR 73/79, BGHZ 81, 75, 80 – Rennsportgemeinschaft; v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1554 – Paul Dahlke. 537 BGH v. 20.2.1968 – VI ZR 200/66, NJW 1968, 1091 – Ligaspieler; OLG München v. 28.7.1983 – 6 U 2517/83, ZUM 1985, 448 – Sammelbilder; LG Düsseldorf v. 3.10.1979 – 12 O 317/79, WRP 1980, 46 – Sammelbilder. 538 BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124 – Greenpeace. 539 BVerfG v. 3.6.1987 – 1 BvR 313/85, MDR 1987, 992 = AfP 1987, 677 = NJW 1987, 2661 – Strauß-Karikaturen.
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Kap. 8 Rz. 148
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
die Fotografie des Kopfes einer bekannten Dame der Gesellschaft gesetzt wurde540. Satirische Nutzungen können auch im Rahmen einer Unternehmenswerbung aus tagesaktuellem Anlass zulässig sein541. Auch satirische Nutzungen als Aufhänger in einem Presseerzeugnis erlauben allerdings keine unwahre Tatsachenbehauptung, etwa die vom Verkehr als ernsthaft verstandene Fotomontage der Gesichtszüge eines abgebildeten Unternehmensleiters542. 11. Sonstige Umstände a) Begleitender Text 148
Ob der Abgebildete die Bildnisverbreitung als beeinträchtigend empfindet, hängt in aller Regel weit weniger vom Bildnis als solchem, sondern vom begleitenden Text ab543. Besonders deutlich wird das, wenn der begleitende Text den Anschein vermittelt, der Abgebildete sei an einer Bluttat beteiligt gewesen544, die Eltern des durch Rauschgift zu Tode gekommenen Sohnes hätten versagt545, oder wenn es heißt „Spielgefährtin EB leugnet … den Freund rettete sie nicht.“546 Die spezifische Persönlichkeitsverletzung kann sich auch dadurch ergeben, dass das Bildnis des Mitgliedes einer mehr links orientierten Partei in der Wahlkampfillustrierten einer mehr rechts orientierten Partei erscheint547. Als ebenso Interessen verletzend hat es das OLG Hamburg bezeichnet, sich mit einer Frau, die ihre Leibesfrucht verloren hat, nicht aus aktuellem Anlass, sondern erst später zwecks Aufdeckung der Hintergründe durch Bilddarstellung zu befassen548. Die Verbreitung von Abbildungen eines bekannten bayerischen Politikers, die an sich zulässig wäre, kann unzulässig sein, wenn sie so angeordnet sind, dass sein zunächst heiterer, dann immer besorgter und bekümmerter werdender Blick auf ein mitveröffentlichtes Frauenbildnis gerichtet ist, so dass angesichts des Textes der Eindruck entsteht, mit dieser Frau habe er Intimbeziehungen unterhalten549. Bei der Prüfung der Frage, ob ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten i.S.v. § 23 Abs. 2 KUG verletzt ist, ist die Bildveröffentlichung in ihrer Gesamtheit und nicht etwa unabhängig vom Begleittext oder redaktionellen Umfeld zu prüfen550. Folgt die Unzulässigkeit der öffentlichen Bildnisbenutzung im Wesentlichen aus dem 540 LG Berlin v. 28.8.2001 – 27 O 375/01, AfP 2002, 249; bestätigt durch KG v. 1.2.2002 – 9 U 299/01. 541 BGH v. 26.10.2006 – I ZR 182/04, BGH 169, 340 = AfP 2006, 599 – Rücktritt des Finanzministers (Nutzung des Bildnisses); v. 5.6.2008 – I ZR 96/07, AfP 2008, 596 – Zerknitterte Zigarettenschachtel (Nutzung des Namens), gebilligt durch EGMR v. 19.2.2015 – 53495/09, AfP 2015, 323. 542 BVerfG v. 14.2.2005 – 1 BvR 240/04, AfP 2005, 171 = NJW 2005, 3271, 3272 – Ron Sommer; BGH v. 8.11.2005 – VI ZR 64/05, AfP 2006, 54; anders noch BGH v. 30.9.2003 – VI ZR 89/02, BGHZ 154, 206 = AfP 2004, 51. 543 Zustimmend BGH v. 9.3.2004 – VI ZR 217/03, BGHZ 158, 218 = AfP 2004, 267 = NJW 2004, 1795, 1796 – Charlotte Casiraghi I; v. 28.9.2004 – VI ZR 305/03, AfP 2004, 534 = GRUR 2005, 74, 76 – Charlotte, Casiraghi II; v. 28.9.2004 – VI ZR 303/03, AfP 2004, 533, 534 – Springturnierfotos I. 544 BGH v. 5.1.1962 – VI ZR 72/61, NJW 1962, 1004 – Doppelmörder. 545 BGH v. 5.3.1974 – VI ZR 89/73, GRUR 1974, 794 – Todesgift. 546 BGH v. 7.1.1969 – VI ZR 202/66, GRUR 1969, 301 – Spielgefährtin II. 547 BGH v. 27.11.1979 – VI ZR 148/78, MDR 1980, 301 = AfP 1980, 35 = NJW 1980, 944 – Wahlkampfillustrierte. 548 OLG Hamburg v. 24.10.1974 – 3 U 134/74, AfP 1975, 916. 549 LG München v. 29.8.1961 – 7 O 59/61, Ufita 37/1962, 123. 550 BGH v. 9.6.1965 – Ib ZR 126/63, NJW 1965, 2148 – Spielgefährtin; v. 15.1.1965 – Ib ZR 44/63, NJW 1965, 1374 – Satter Deutscher; OLG München v. 5.12.1997 – 21 U 3698/97, NJW-RR 1998, 1036.
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III. Ausnahmen im öffentlichen Interesse
Rz. 151 Kap. 8
begleitenden Text, ist zu prüfen, ob die Bildnisverbreitung auch ohne den Text unzulässig ist. Bei der Verbreitung der Abbildung eines Taxifahrers im Rahmen eines Artikels über Missstände im Taxigewerbe („Krumme Wege bringen mehr“) hat das OLG Stuttgart nicht die Bildnisverbreitung, sondern nur den Text beanstandet551. b) Interesse an Bildnisauswahl Das Interesse an der Bildauswahl als berechtigtes Interesse i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG anzuer- 149 kennen ist verfehlt. Auf der Grundlage dieser Ansicht hätten Personen der Zeitgeschichte fast immer die Möglichkeit, die Bildnisverbreitung mit dem Argument zu unterbinden, es hätte ein anderes Foto verwendet werden sollen. Das Recht am eigenen Bild schützt den Betroffenen nicht davor, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder von anderen gesehen werden möchte552. Richtiger Auffassung nach kann das nur zugelassen werden, wenn die Benutzung eines konkreten Fotos einen zu missbilligenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht bedeutet. Bei kontextneutralen Fotos ist das grundsätzlich nicht anzunehmen. c) Vertragliche Vereinbarungen Enthält der Filmvertrag einer Schauspielerin eine Fernsehsperrklausel, kann eine dennoch er- 150 folgende Fernsehausstrahlung eine Vertragsverletzung bedeuten, nicht aber eine Verletzung des § 23 Abs. 2 KUG553.
III. Ausnahmen im öffentlichen Interesse Nach § 24 KUG dürfen Bildnisse für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicher- 151 heit nicht nur ohne Einwilligung des Abgebildeten oder seiner Angehörigen vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zu Schau gestellt werden; für diese Zwecke sollen sie ebenso ohne Einwilligung des Berechtigten auch hergestellt werden dürfen554. Diese Ansicht eines Strafsenats des BGH aus dem Jahr 1975 ist wegen der Strafbarkeit von Verletzungen des § 24 KUG gem. § 33 KUG unter dem Gesichtspunkt des Analogieverbotes aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht verfassungskonform (vgl. zum Analogieverbot auch Rz. 74)555. Die Herstellungsbefugnis von Bildnissen richtet sich nicht nach dem KUG, sondern nach spezialgesetzlichen Vorschriften wie § 100h StPO (Bildaufnahmen außerhalb von Wohnungen, vgl. Kap. 7 Rz. 75), § 81b StPO (Anfertigung von Bildnissen als erkennungsdienstliche Maßnahme – vgl. Kap. 7 Rz. 76), § 12a Versammlungsgesetz (Aufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen mit drohenden erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, vgl. Kap. 7 Rz. 78) und im Übrigen nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (vgl. Kap. 7 Rz. 30). Ob und in welchem Umfang das Anfertigen von Bildnissen trotz des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zulässig oder aber rechtswidrig und vom Betroffe551 552 553 554
OLG Stuttgart v. 4.5.1965 – 6 U 116/64, ArchPR 1965, 83. BVerfG v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358 – Greenpeace. LG Hamburg v. 21.12.1960 – 15 O 46/60, Ufita 34/1961, 363. Vgl. BGH v. 12.8.1975 – 1 StR 42/75, NJW 1975, 2075 – Fotografieren eines Demonstrationszuges durch Polizeibeamte; ebenso Schricker/Loewenheim/Goetting, § 60/§ 24 KUG Rz. 9; Möhring/Nicolini/Engels, § 24 KunstUrhG Rz. 9. 555 OVG NW v. 30.10.2000 – 5 A 291/Ob, Döv 2001, 476; OLG Celle v. 25.9.1978 – 2 Ss 157/78, NJW 1979, 57 m.w.N.; OLG Hamburg v. 14.4.1972 – 1 Ws 84/72, NJW 1972, 1290.
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Kap. 8 Rz. 152
Bildberichterstattung – Schranken des Bildnisschutzes
nen nicht hinzunehmen ist, kann nur unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und durch Vornahme einer Güter- und Interessensabwägung ermittelt werden, die alle rechtlichen, insbesondere auch die verfassungsrechtlich geschützten Positionen der Beteiligten berücksichtigt556 (Kap. 7 Rz. 38 m.w.N.). Eine Parallele zu § 24 KUG findet sich in § 45 UrhG. Danach ist jedermann gestattet, zur Verwendung in Verfahren vor einem Gericht, einem Schiedsgericht oder einer Behörde einzelne Vervielfältigungsstücke herzustellen oder herstellen zu lassen. Gerichte und Behörden dürfen für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit Bildnisse zahlenmäßig unbeschränkt vervielfältigen oder vervielfältigen lassen. Dabei ist die Verbreitung, öffentliche Ausstellung und öffentliche Wiedergabe unter den gleichen Voraussetzungen zulässig wie die Vervielfältigung. 152
§ 24 KUG setzt für das Vervielfältigen, Verbreiten und öffentlich zur Schaustellen eine konkrete Zweckverfolgung voraus. Soweit es sich um die Rechtsverfolgung handelt, muss ein Verfahren bzw. Ermittlungsverfahren bereits anhängig sein557. Die öffentliche Sicherheit kann auch präventive Maßnahmen rechtfertigen. Es bedarf aber stets eines konkreten, z.B. erkennungsdienstlichen Zweckes558. Auch im Rahmen des § 163 StPO kann die öffentliche Benutzung von Bildnissen zulässig sein559.
153
Für den Fall einer solchen Zweckverfolgung enthält § 24 KUG eine Interessenabwägung von Gesetzes wegen. Das Interesse an Aufklärung und Verhinderung von Straftaten ist grundsätzlich höher zu bewerten als das Interesse verdächtiger Personen am Bildnisschutz. Damit erweist § 24 KUG sich als öffentlich-rechtliche Regelung mit polizeilichem Charakter560. Für den urheberrechtlichen Bereich wird diese Abwägung durch § 45 UrhG bestätigt. Entsprechendes gilt nach § 131 StPO für den Steckbrief561. Die gleiche Interessenabwägung gilt, soweit es sich um die Aufnahme von Fotografien in Demonstrationskarteien handelt, gegen die der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist562.
154
Die generelle gesetzliche Interessenabwägung macht die individuelle Abwägung im Einzelfall nicht entbehrlich. Denn die Maßnahmen der Behörden müssen im Einzelfall dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit bestimmt somit nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls über das Ob und das Wie der konkreten behördlichen Maßnahme nach § 24 KUG. Trotz § 24 KUG ist insoweit das öffentliche Interesse an wirksamer Strafverfolgung gegenüber dem schutzwürdigen Interesse des Betroffenen an der Wahrung seiner Privatsphäre abzuwägen. § 24 KUG gestattet die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung eines Bildnisses insbesondere durch eine Fernsehfahndung nur, wenn dringender Tatverdacht wegen einer schwerwiegenden Straftat besteht563. Zulässig ist es, eine rechtmäßig hergestellte Videoaufnahme in der Hauptverhandlung vorzuführen564.
556 BGH v. 16.3.2010 – VI ZR 176/09, CR 2010, 524 = AfP 2010, 257 = MDR 2010, 682 = ITRB 2010, 253 = NJW 2010, 1533 – Installation von Überwachungskameras. 557 von Gamm, Urheberrechtsgesetz, Einf. 127. 558 BVerwG v. 9.2.1967 – I C 57/66, NJW 1967, 1192. 559 BGH v. 12.8.1975 – 1 StR 42/75, JZ 1976, 31; v. 23.8.1977 – 1 StR 159/77, JZ 1978, 762. 560 von Gamm, Urheberrechtsgesetz, Einf. 126. 561 OLG Frankfurt v. 24.9.1970 – 6 U 41/70, NJW 1971, 47; Lampe, NJW 1973, 217. 562 BVerwG v. 25.10.1960 – BVerwG I C 63/59, NJW 1961, 571; v. 9.2.1967 – I C 57/66, NJW 1967, 1192; vgl. auch von Münch, JuS 1965, 404. 563 OLG Hamm v. 12.10.1981 – 7 VAs 24/81, MDR 1982, 248 = NJW 1982, 458 = NStZ 1982, 82. 564 Amelung/Tyrell, NJW 1980, 1560.
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III. Ausnahmen im öffentlichen Interesse
Rz. 155 Kap. 8
§ 24 KUG privilegiert nur die Tätigkeit von Behörden für Zwecke der Rechtspflege und der 155 öffentlichen Sicherheit, also von Trägern hoheitlicher Gewalt wie Gerichten, Verwaltungsbehörden oder der Polizei. Die Norm ist nach Wortlaut und Zweck eindeutig. Entsprechende Bildnisverwertungen durch Private sind daher nicht durch § 24 KUG gedeckt. Dies gilt auch dann, wenn Private Bildnisse zu Zwecken der Rechtspflege angefertigt haben565. Die Vorlage von Personenfotos als Beweismittel bei Gericht durch eine Prozesspartei ist ein Verbreiten i.S.v. § 22 KUG und dient der Wahrnehmung eigener berechtigter Interessen, die Weitergabe dieser Bildnisse durch das Gericht an die Gegenseite ist ein nach § 24 KUG gedecktes Verbreiten566. Grundsätzlich soll es jedoch zulässig sein, dass Bildnisse, die nach § 24 KUG zulässigerweise von Behörden verwendet werden, von den Medien veröffentlicht werden, sei es unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen oder unmittelbar abgeleitet aus § 24 KUG. Damit scheiden eigene „Fahndungsmaßnahmen“ der Medien aus567. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Behörde die Medien ausdrücklich um Fahndungshilfe gebeten hat. Unter diesem Gesichtspunkt wurden sowohl Fahndungsbilder in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“568 als auch in der Fernsehsendung „Akte 04“ gerechtfertigt569.
565 Z.B. private Dashcam-Video mit Personenaufnahmen zum Beweis eines Unfallgeschehens, LG Heilbronn v. 17.2.2015 – I-3 S 19/14, CR 2015, 393, wobei jedoch übersehen wird, dass § 24 KUG nicht die Herstellung von Aufnahmen legitimiert; zur Anfertigung von Bildnissen als Beweismittel im Zivilprozess vgl. Kap. 7 Rz. 27; dazu Froitzheim, NZV 2018, 109. 566 LG Oldenburg v. 22.3.1990 – 5 O 3328/89, AfP 1991, 652. 567 LG Köln v. 21.4.2004 – 28 O 141/04, AfP 2004, 459 – Akte 04. 568 OLG Frankfurt v. 24.9.1970 – 6 U 41/70, NJW 1971, 47. 569 LG Köln v. 21.4.2004 – 28 O 141/04, ZUM 2004, 495.
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9. Kapitel Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung I. Zivilrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . .
1
1. Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . .
5
2. Beseitigungsanspruch . . . . . . . . . . . . .
10
3. Schadens- und Bereicherungsausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgleich materieller Interessen . . . aa) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . .
14 15 18
bb) Bereicherungsanspruch . . . . . . b) Ausgleich immaterieller Interessen . c) Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . .
24 35 61
4. Vollstreckung bei Auslandsberührung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
II. Strafrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Strothmann, Werbung mit bekannten Persönlichkeiten, GRUR 1996, 693; Prinz, Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Medien, NJW 1996, 953; Hahn, Das Recht am eigenen Bild – anders betrachtet, NJW 1997, 1348; Steffen, Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsverletzungen durch Medien, NJW 1997, 10; Gounalakis, Persönlichkeitsschutz und Geldersatz, AfP 1998, 10; Bericht 82. Tagung Studienkreis für Presserecht und Pressefreiheit zum Thema Persönlichkeitsschutz und Geldersatz, AfP 1998, 46; Stürner, Persönlichkeitsschutz und Geldersatz, AfP 1998, 1; Soehring, Caroline und ein Ende?, AfP 2000, 230; Dünnwald, Der Geldentschädigungsanspruch: Ein wirksames Mittel gegen Persönlichkeitsverletzungen durch die Medien?, ZUM 2000, 949; Wandtke, Doppelte Lizenzgebühr im Urheberrecht als Modell für den Vermögensschaden von Persönlichkeitsverletzungen im Internet?, GRUR 2000, 942; Gerda Müller, Möglichkeiten und Grenzen des Persönlichkeitsrechts, VersR 2000, 797; Schertz, Der Schutz der Persönlichkeitsrechte vor heimlichen Bild- und Tonaufnahmen, AfP 2005, 421; Ladeur, Fiktive Lizenzentgelte für Politiker?, ZUM 2007, 111; Hölk, Von Finanzministern, Zigarettenschachteln und Rätselheften, WRP 2009, 1201; Neumeyer, Schmerz, Kommerz, Frau mit Herz AfP 2009, 465, Schertz, Vermögensrechtliche Ansprüche bei unzulässiger publizistischer Verwendung von Bildnissen aus der Privatsphäre, AfP 2010, 1; Helle, Das kommerzielle Persönlichkeitsrecht im Rechtsverkehr, AfP 2013, 288; Ruttig, Der Anspruch auf Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, AfP 2016, 110; Hofmann/Fries, Der äußerungsrechtliche Geldentschädigungsanspruch im digitalen Zeitalter, NJW 2017, 2369.
I. Zivilrechtliche Folgen 1
Zivilrechtlich sind neben den allgemeinen deliktsrechtlichen Bestimmungen und § 812 sowie § 1004 BGB die noch in Kraft befindlichen §§ 37, 38, 42, 48 und 50 KUG zu beachten.
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Bildaufnehmen lebender natürlicher Personen sowie Aufnahmen von Sachen, anhand derer eine bestimmte Person identifizierbar ist, sind personenbezogene Daten im Sinne der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG 2018). Die DSGVO hat einen Anwendungsvorrang gegenüber den nationalen Vorschriften des KUG und den Bestimmungen zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und tritt an deren Stelle. Findet auf einen Sachverhalt nicht das KUG und der Bildnisschutz nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Anwendung, sondern die DSGVO, richten sich die Ansprüche des Betroffenen bei einer Verletzung seiner personenbezogenen Daten nach Abschnitt VIII der DSGVO (Art. 77–84 DSGVO). Die Art. 77 und 78 DSGVO betreffen die Rechte gegenüber den Aufsichtsbehörden; Art. 79 DSGVO gewährleistet einen gerichtlichen Rechtsbehelf, wenn die dem Betroffenen aufgrund der DSGVO zustehenden Rechte infolge einer nicht im Einklang mit dieser Verordnung stehenden Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten verletzt wurden. Nach Art. 82 DSGVO hat eine Person, der wegen eines schuldhaften Verstoßes gegen die Be636
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 6 Kap. 9
stimmungen der DSGVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, einen Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. Einen Unterlassungsanspruch oder einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gewährt die DSGVO nicht. Aber der Betroffene hat nach Art. 17 DSGVO Anspruch auf unverzügliche Löschung, wenn z.B. die personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitet wurden (Art. 17 Abs. 1 lit. d DSGVO). Örtlich zuständig ist nach Art. 79 Abs. 2 DSGVO das Gericht am Sitz oder der Niederlassung des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters, wahlweise am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen. Einen „fliegenden Gerichtsstand“ stellt die DSGVO nicht zur Verfügung. Die DSGVO findet Anwendung bei einer Verarbeitung personenbezogener Daten zu anderen 3 als journalistischen Zwecken (Kap. 7 Rz. 130), z.B. zur Nutzung für kommerzielle Zwecke und für Zwecke der Absatzwerbung sowie für künstlerische, literarische oder wissenschaftliche Zwecke für eine Verarbeitung außerhalb des Haushaltsprivilegs (Kap. 7 Rz. 126) oder im Kontext von Beschäftigungsverhältnissen (Kap. 7 Rz. 195). Keine Anwendung findet die DSGVO, wenn die Verarbeitung der personenbezogenen Da- 4 ten aufgrund des durch Art. 85 Abs. 2 DSGVO geschaffenen Medienprivilegs im Rundfunkstaatsvertrag und den Landespressegesetzen erfolgt (Kap. 7 Rz. 127). Die Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO erlaubt den Nationalstaaten dabei jedoch bei der Umsetzung des Medienprivilegs keine Abweichungen oder Ausnahmen von Abschnitt VIII. Der deutsche Gesetzgeber hat gleichwohl in seinen Medienprivilegien in zutreffender Auslegung von Art. 85 Abs. 2 DSGVO dem verletzten Betroffenen weiterhin die Rechte nach bewährtem deutschen Standard eingeräumt, die auch der Prüfung durch den EGMR anhand der Garantien der EMRK standgehalten haben (vgl. Kap. 7 Rz. 127). Bei der Anfertigung und Veröffentlichung von Bildnissen zu journalistischen Zwecken (Kap. 7 Rz. 128), innerhalb der Exklave des Haushaltsprivilegs (Kap. 7 Rz. 126), beim postmortalen Bildnisschutz Verstorbener (Kap. 7 Rz. 152) oder bei der Verletzung von Daten juristischer Personen (Kap. 7 Rz. 121) gelten daher nicht die Vorschriften der DSGVO, sondern die nachstehenden Ausführungen Rz. 5 ff. zu den Ansprüchen auf Schadenersatz und Bereicherungsausgleich entsprechend der bisherigen Rechtslage weiter. 1. Unterlassungsanspruch Der Anspruch auf Unterlassung einer unzulässigen Herstellung, Verbreitung oder öffent- 5 lichen Zurschaustellung von Bildnissen und Bildern folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 1004 BGB i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach § 823 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB mit dem Schutzgesetz des KUG. Als quasinegatorischer Anspruch setzt der Unterlassungsanspruch kein Verschulden voraus, sondern nur eine objektive Rechtsverletzung1. Da der Unterlassungsanspruch künftige Verletzungen verhindern soll, setzt er ferner eine 6 Erstbegehungs- oder eine Wiederholungsgefahr voraus2. Eine bereits erfolgte rechtswidrige Bildnisverletzung führt zu der Vermutung einer Wiederholungsgefahr3; Gründe, warum 1 BGH v. 7.5.2007 – VI ZR 233/05, AfP 2007, 357 = NJW 2007, 3429 – IM Sekretär. 2 BGH v. 17.11.1960 – I ZR 87/59, NJW 1961, 558 – Familie Schölermann; OLG Karlsruhe v. 18.11.2005 – 14 U 169/05, AfP 2006, 170 = NJW 2006, 617; BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 2622/05. 3 BGH v. 19.10.2004 – VI ZR 292/03, MDR 2005, 334 = AfP 2004, 540 = NJW 2005, 594 – Rivalin von Uschi Glas.
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Kap. 9 Rz. 7
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
gleichwohl keine Wiederholungsgefahr besteht, muss der Verletzer darlegen. Eine Wiederholungsgefahr besteht jedoch dann, wenn der Verletzer eine von ihm begangene Bildnisverletzung bestreitet. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie für Wortberichte4. Es kann deswegen verwiesen werden auf Kap. 12 Rz. 1 ff. Bei einer postmortalen Verletzung ideeller Bestandteile des Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen können die Abwehransprüche von den Angehörigen geltend gemacht werden, bei einer Verletzung vermögenswerter Interessen von den Erben (Kap. 7 Rz. 156). 7
Unterlassungsansprüche wegen Verletzung des Rechts am eigenen Bild sind grundsätzlich nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten, wenn nicht im Einzelfall aus dem Klagevorbringen oder offenkundigen Umständen hervorgeht, dass es dem Kläger in wesentlicher Weise auch um die Wahrung wirtschaftlicher Belange geht. Dabei haben bloße vermögensrechtliche Reflexwirkungen außer Betracht zu bleiben. Eine vermögensrechtliche Streitigkeit ist nur dann anzunehmen, wenn der Kläger gerade nachhaltig auch auf die wirtschaftlichen Nachteile der Bildnisveröffentlichung abstellt. Dabei kann es als Indiz von Bedeutung sein, ob er zugleich einen Anspruch auf Ersatz von Vermögensschaden geltend macht. Es liegt daher eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit vor, wenn der Kläger Unterlassung, „Schmerzensgeld“ sowie – im Wege der Stufenklage – Zahlung von materiellem Schadenersatz und diese vorbereitende Auskunft darüber begehrt, welchen Dritten gegen welche Vergütung Nutzungsrechte an den Fotos eingeräumt worden sind. Denn dann geht es dem Kläger beim Ersatz des materiellen Schadens nur darum, den Verletzergewinn abzuschöpfen, und nicht um die Möglichkeit, die Fotos selbst zu vermarkten. Dieser bloße Reflex macht den Unterlassungsanspruch nicht zu einer vermögensrechtlichen Streitigkeit5.
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Bei der Bildberichterstattung kann weder mit einer „vorbeugenden“ Unterlassungsklage über die konkrete Verletzungsform hinaus eine ähnliche oder „kerngleiche“ Bildberichterstattung in Zukunft noch die erneute Verbreitung eines Bildnisses generell verboten werden, sofern die Verbreitung nicht schon an sich unzulässig ist, etwa weil die Intimsphäre tangiert wird6. Denn die Zulässigkeit einer Bildnisveröffentlichung bedarf in jedem Einzelfall einer Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre. Eine solche Interessensabwägung kann aber weder in Bezug auf Bilder vorgenommen werden, die noch gar nicht bekannt sind und bei denen insbesondere offenbleibt, in welchem Kontext sie veröffentlicht werden, noch in Bezug auf bereits veröffentlichte Bilder, deren Veröffentlichung sich in einem anderen Kontext als der zu beanstandeten Berichterstattung als zulässig erweisen könnte. Für die Zulässigkeit der Verbreitung von Bildnissen kann die Wortberichterstattung, die durch die Bildnisse illustriert wird, eine bedeutende Rolle spielen. Soweit ein Bild nicht schon als solches eine für die öffentliche Meinungsbildung bedeutsame Aussage enthält, ist der Informationswert im
4 BGH v. 15.1.1965 – Ib ZR 44/63, NJW 1965, 1374 – Satter Deutscher. 5 BGH v. 17.10.1995 – VI ZR 352/94, AfP 1997, 521 = NJW 1996, 999. 6 BGH v. 6.10.2009 – VI ZR 314/08, AfP 2010, 60 = MDR 2010, 84 = WRP 2010, 104 Rz. 7 – Kinder von Franz Beckenbauer; v. 9.3.2004 – VI ZR 217/03, NJW 2004, 1795 – Carolines Tochter; v. 24.6.2008 – VI ZR 156/06, AfP 2008, 499 = MDR 2008, 1097 = NJW 2008, 3134 – Einkauf nach Abwahl; v. 13.11.2007 – VI ZR 269/06, MDR 2008, 506 = AfP 2008, 187 = NJW 2008, 1593 – kerngleiche Bildberichterstattung; v. 1.7.2008 – VI ZR 243/06, AfP 2008, 507 = MDR 2008, 1213 = NJW 2008, 3138 – Shopping mit Putzfrau auf Mallorca; v. 17.2.2009 – VI ZR 75/08, AfP 2009, 256 = MDR 2009, 687 = NJW 2009, 1502 – Private Lebensvorgänge; v. 23.6.2009 – VI ZR 232/08, AfP 2009, 406 = NJW 2009, 2823 – Andrea Cashiragi mit Fliege.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 12 Kap. 9
Kontext der dazu gehörenden Wortberichterstattung zu ermitteln7. Auch wenn Kinder eines besonderen Schutzes bedürfen, ist eine Ausnahme nicht in solchen Fällen geboten, in denen es um die Abbildung von Kindern oder Jugendlichen geht und das Presseorgan bereits mehrfach Bildnisse ohne die erforderliche Einwilligung veröffentlicht hat8. Zur Haftung nach dem TMG vgl. Dreier/Schulze/Specht, §§ 33–50 KUG Rz. 8 ff. sowie Lau- 9 ber-Rönsberg, Das Recht am eigenen Bild in sozialen Netzwerken, NJW 2016, 755. 2. Beseitigungsanspruch Ebenso wie der Unterlassungsanspruch setzt auch der Beteiligungsanspruch analog § 1004 10 BGB kein Verschulden voraus, aber ein Fortwirken der objektiv rechtswidrigen Rechtsverletzung. Die widerrechtliche Herstellung, Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung von Bildnis- 11 sen löst nach § 37 KUG den Anspruch auf Vernichtung aus (vgl. dazu § 98 UrhG, nach dem bei Verletzung des Urheberrechts nur Vernichtung der Vervielfältigungsstücke gefordert werden kann, nicht auch des Originals). Der Vernichtungsanspruch setzt keine Wiederholungsgefahr voraus9. Statt der Vernichtung kann der Verletzte nach § 38 UrhG verlangen, ihm die Exemplare gegen eine angemessene, höchstens den Herstellungskosten entsprechende Vergütung zu überlassen. Derjenige, der durch die öffentliche Benutzung eines Bildnisses oder Bildes verletzt ist, kann unabhängig von § 38 KUG die unentgeltliche Herausgabe des Negativs und vorhandener Abzüge fordern, wenn dies zur Sicherung des Unterlassungsanspruches erforderlich ist (Näheres Kap. 15 Rz. 11 ff.)10. Darüber hinaus kommt in allen vorerwähnten Fällen der Anspruch auf Urteilsveröffentlichung unter der Voraussetzung zu Beseitigungszwecken in Betracht, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt11. Ist durch unzulässige Anfertigung eines Bildnisses das allgemeine Persönlichkeitsrecht des 12 Abgebildeten verletzt worden, ist der Besitz der Aufnahme Folge dieses Eingriffstatbestandes. Da durch den Besitz der Aufnahme der durch den Eingriff geschaffene Störungszustand aufrechterhalten wird, kann im Wege der Folgenbeseitigung nach §§ 823, 1004 BGB die Beseitigung dieses Zustandes gefordert werden, und zwar durch Geltendmachung des Anspruches auf Herausgabe des Negativs und vorhandener Abzüge12. Der Anspruch auf Herausgabe
7 BGH v. 6.10.2009 – VI ZR 314/08, AfP 2010, 60 = MDR 2010, 84 = NJW 2010, 1454 – Kinder von Franz Beckenbauer; v. 17.2.2009 – VI ZR 75/08, AfP 2009, 256 = MDR 2009, 687; NJW 2009, 1502 – Private Lebensvorgänge; v. 10.3.2009 – VI ZR 261/07, MDR 2009, 683 = NJW 2009, 1499 – Enkel von Fürst Rainier; ferner BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793 – Bildberichterstattung über das Privat- und Alltagsleben prominenter Personen. 8 BGH v. 6.10.2009 – VI ZR 314/08, AfP 2010, 60 = MDR 2010, 84 = NJW 2010, 1454 Rz. 8 – Kinder von Franz Beckenbauer. 9 BGH v. 17.11.1960 – I ZR 87/59, NJW 1961, 558 – Familie Schölermann. 10 KG, Schulze KGZ 72. 11 von Gamm, Einf. 130; vgl. auch § 103 UrhG. 12 BGH v. 24.6.2008 – VI ZR 156/06, AfP 2008, 499 = MDR 2008, 1097 = NJW 2008, 3134 Rz. 30 – Einkauf nach Abwahl; OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJW-RR 1996, 93, 95; KG v. 5.7.1979 – 12 U 1277/79, MDR 1980, 311 = NJW 1980, 894; OLG Stuttgart v. 30.1.1987 – 2 U 195/86, AfP 1987, 693 = NJW-RR 1987, 1434; LG Oldenburg v. 21.4.1988 – 5 S 1656/87, GRUR 1988, 694; v. 22.3.1990 – 5 O 3328/89, AfP 1991, 652.
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Kap. 9 Rz. 13
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
umfasst auch die nur angefertigten, aber noch nicht verbreiteten Aufnahmen13. Bei geplanter Veröffentlichung rechtsverletzender Aufnahmen kann durch einstweilige Verfügung die Herausgabe der Bilder und Negative an den Gerichtsvollzieher als Sequester angeordnet werden14. Fertigt ein Partner im Rahmen einer Beziehung vom anderen intime Bild- oder Filmaufnahmen, kann dem Abgebildeten gegen den anderen nach dem Ende der Beziehung ein Anspruch auf Löschung wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1, § 1004 BGB zustehen, wenn er seine Einwilligung in die Anfertigung und Verwendung der Aufnahmen zeitlich für die Dauer der Beziehung – konkludent – beschränkt hat15. Ein Anspruch auf Vernichtung der Aufnahmen nach § 37 KUG besteht nicht, da in einem solchen Fall die Aufnahmen mit konkludenter Einwilligung angefertigt wurden, somit nicht widerrechtlich, was von § 37 KUG vorausgesetzt wird. Auch ein Anspruch auf Löschung der Aufnahmen nach der DSGVO oder dem BDSG 2018 scheidet bei solchen rein privaten Aufnahmen aus, die nicht zur Veröffentlichung und Verbreitung bestimmt sind, weil das BDSG bei Daten „ausschließlich für persönliche oder familiäre Tätigkeiten“ nicht einschlägig ist (vgl. zum Haushaltsprivileg Kap. 7 Rz. 126). Zur Einziehung von Aufnahmen und Bildaufnahmegeräten nach § 201a Abs. 5 StGB in Fällen, in denen die Bildaufnahmen den höchstpersönlichen Lebensbereich eines Menschen verletzen, vgl. Kap. 7 Rz. 74. 13
Der Anspruch auf Herausgabe bzw. Vernichtung ist auch unter verfassungsrechtlichem Aspekt unbedenklich, wenn die Verbreitung des Bildmaterials zeitlich unbeschränkt unzulässig ist, wie es z.B. bei Intimfotos der Fall sein kann. Als verfassungswidrig kann sich der Herausgabeanspruch erweisen, wenn er einen Eingriff in das nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Pressearchiv bewirkt16. Das kann der Fall sein, wenn die Verbreitung des Bildnisses nicht zeitlich unbegrenzt unzulässig ist, etwa wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die abgebildete Person zur Person des Zeitgeschehens werden wird17 oder wenn die Unzulässigkeit der Verbreitung erst aus der Verbindung mit einem bestimmten Text folgt, die Verbreitung mit anderem Text also zulässig wäre oder wenn künftige Ereignisse die spätere Verbreitung als zulässig erscheinen lassen könnten. 3. Schadens- und Bereicherungsausgleich
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Bei unzulässiger Verbreitung und öffentlicher Zurschaustellung von Bildnissen und Bildern entsteht regelmäßig die Frage, ob der Verletzte einen Zahlungsanspruch geltend machen kann. Hierbei ist zwischen materiellen und immateriellen Interessen zu unterscheiden. Zu Entschädigungen in den USA, Frankreich und England s. Stürner, AfP 1998, 1 und Democh, Die Entwicklung des Strafschadens als Sanktion, AfP 2002, 375. a) Ausgleich materieller Interessen
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Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine besonderen Ausprägungen wie das Recht am eigenen Bild nach dem KUG schützen über die ideellen Interessen hinaus auch vermögens13 OLG Koblenz v. 20.5.2014 – 3 U 1288/13, ZUM 2015, 58. 14 OLG Celle v. 8.8.1984 – 13 U 44/84, AfP 1984, 236. 15 BGH v. 13.10.2015 – VI ZR 271/14, AfP 2016, 243 = MDR 2016, 84 = NJW 2016, 1094 – Löschung intimer Filmaufnahmen nach Ende einer Beziehung. 16 BGH v. 24.6.2008 – VI ZR 156/06, AfP 2008, 499 = MDR 2008, 1097 = NJW 2008, 3134 Rz. 31 – Einkauf nach Abwahl. 17 OLG Hamburg v. 25.6.1996 – 7 U 177/95, AfP 1997, 535 – minderjähriges Kind einer absoluten Person der Zeitgeschichte.
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Rz. 17 Kap. 9
werte Interessen der Person. Werden diese vermögenswerten Bestandteile des Rechts durch eine unbefugte Verwendung des Bildnisses schuldhaft verletzt, steht dem Träger des Persönlichkeitsrechts – unabhängig von der Schwere des Eingriffs – ein Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 Abs. 2 KUG als Schutzgesetz sowie aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu. Nach diesen Vorschriften ist der materielle Schaden i.S.v. §§ 249 ff. BGB ersatzfähig (vgl. dazu nachstehend Rz. 18 ff.). Die unbefugte kommerzielle Nutzung eines Bildnisses stellt einen Eingriff in den vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalt des Rechts am eigenen Bild wie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar und begründet grundsätzlich – neben dem Verschulden voraussetzenden Schadenersatzanspruch – einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB (Eingriffskondition) auf Zahlung der üblichen Lizenzgebühr (dazu Rz. 24 ff.). Sowohl der Anspruch auf Schadenersatz als auch der Anspruch auf Bereicherungsausgleich gehen auf den Erben des Trägers des Persönlichkeitsrechts über und können von diesem entsprechend dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen ausgeübt werden18; vgl. Rz. 22 und Rz. 33. Ein Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung aus § 812 Abs. 1 BGB – bzw. bei Ver- 16 schulden auf Schadenersatz aus § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 22 KUG als Schutzgesetz – wegen unberechtigter kommerzieller Nutzung eines Bildnisses steht dem Berechtigten nicht nur dann zu, wenn die Nutzung ohne seine Einwilligung geschieht, sondern auch dann, wenn die Reichweite einer von ihm erteilten Einwilligung inhaltlich, zeitlich oder territorial vom Verwerter des Bildnisses überschritten wird, wenn z.B. die Aufnahmen entgegen der Vereinbarung in einem Werbevertrag eines Prominenten19 oder in einem Modelvertrag20 nicht nur wie vereinbart in Printform veröffentlicht werden, sondern auch im Internet, wenn die vereinbarte Dauer der Nutzung des Bildnisses überschritten wird oder wenn die Verbreitung der Aufnahmen vertragswidrig nicht nur im Inland erfolgt. Nicht jede Art von kommerzieller Nutzung führt zu Bereicherungs- und Schadenersatz- 17 ansprüchen. Nur bei einer Bildnisverwertung alleine zu Werbezwecken ist dies der Fall, weil die Bildnisnutzung hier nicht einem schutzwürdigen Informationsinteresse der Allgemeinheit dient und daher von vornherein der Privilegierung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG entzogen ist (vgl. Kap. 8 Rz. 135 ff.). Eine Abwägung mit den Interessen der Betroffenen nach § 23 Abs. 2 KUG hat jedoch dann zu erfolgen, wenn mit der Verwertung des Bildnisses auch schutzwürdige Informationsinteressen der Allgemeinheit verfolgt werden wie z.B. Kritik, zu Zwecken der Satire oder bei einer Verwendung zu redaktionellen Zwecken, solange dabei das Berichterstattungsinteresse im Vordergrund steht21. Die daneben verfolgte Absicht, mit der Veröffentlichung des Bildes die Auflage zu steigern, macht die Nutzung nicht zu einer vergütungspflichtigen kommerziellen Verwertung22. Auch bei einer redaktionellen Nutzung kann aber eine entgeltpflichtige, kommerzielle Nutzung zu bejahen sein, wenn z.B. eine Person des öf18 BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 = MDR 2012, 641 = NJW 2012, 1728 – Foto einer Unfalltoten m.w.N. 19 OLG Köln v. 5.11.2013 – 15 U 44/13, AfP 2014, 151 – die Rache der Wanderhure; OLG Karlsruhe v. 10.9.2010 – 6 U 35/10, AfP 2010, 591 – Königin im Ring; LG Düsseldorf v. 17.6.2009 – 12 O 441/08 – Werbevertrag; LG München I v. 27.6.2005 – 21 O 7562/05, ZUM 2005, 848 – Palazzo. 20 LG München I v. 19.5.2005 – 7 O 22025/04, ZUM 2006, 937 – Funktionsunterwäsche; OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 771 – Gelegenheitsmodel. 21 BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 = MDR 2012, 641 = NJW 2012, 1728 – Foto einer Unfalltoten. 22 BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 = MDR 2012, 641 = NJW 2012, 1728, 1730 – Foto einer Unfalltoten.
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Kap. 9 Rz. 18
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
fentlichen Interesses auf dem Titel einer Zeitschrift abgebildet wird, ohne dass eine das Bildnis begleitende Berichterstattung in der Zeitschrift erfolgt23, oder wenn bei der Nutzung eines Bildnisses im Zusammenhang mit der Eigenwerbung des Mediums bei objektiver Betrachtung der Aspekt der Absatzförderung für das eigene Medium eindeutig im Vordergrund steht, ein Prominenter im Rahmen eines redaktionellen Berichtes werblich für das Medium vereinnahmt wird24. Zu den verschiedenen Arten einer kommerziellen Bildnisverwertung und deren Folgen vgl. Kap. 8 Rz. 135 f., zur Nutzung im Rahmen einer Satire Kap. 8 Rz. 147. aa) Schadensersatz 18
Bei einer schuldhaften Verletzung seiner Bildnisrechte kann der Verletzte gem. § 249 ff. BGB Ersatz des ihm entstandenen (materiellen) Vermögensschadens verlangen. Anders als beim Geldentschädigungsanspruch für immaterielle Schäden ist für den Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens keine schwerwiegende Beeinträchtigung erforderlich. Vielmehr steht dem Verletzten – und nach seinem Tod seinen Erben, vgl. Rz. 22 – bei einer schuldhaften Bildnisverletzung unabhängig von der Schwere des Eingriffs ein Schadensersatzanspruch zu25. Der Schadensersatzanspruch setzt voraus, dass der Verletzte schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Mehrere schuldhaft handelnde Verletzte haften – anders als versicherungsrechtlich – als Gesamtschuldner (§§ 830, 840 BGB). Bei Veröffentlichungen in den Medien handelt fahrlässig, wer die publizistische Sorgfalt missachtet. Dabei unterliegen die Verwerter von Bildnissen einer besonderen Sorgfaltspflicht auch im Hinblick auf die Reichweite einer erteilten Einwilligung. Zur Sorgfaltspflicht bei Bildnisveröffentlichungen vgl. Rz. 61 und Kap. 7 Rz. 180.
19
Seinen Schaden kann der Verletzte analog § 97 UrhG auf dreifache Weise berechnen: in Form des konkreten Schadens einschließlich eines entgangenen Gewinns, nach der Lizenzanalogie oder er kann den Verletzergewinn herausverlangen26. Wegen des schwierigen Kausalitätsbeweises erfolgt in der Praxis in aller Regel die Schadenersatzberechnung nach der Lizenzanalogie (Rz. 20). Der Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens kann neben dem Geldentschädigungsanspruch für immaterielle Schäden geltend gemacht werden27.Um die für ihn günstigste Art der Schadenersatzrechnung zu wählen und um den Schaden berechnen zu können, hat der Verletzte Anspruch auf die Erteilung der hierfür erforderlichen Auskunft28; vgl. Rz. 23.
23 BGH v. 11.3.2009 – I ZR 8/07, AfP 2009, 485 = MDR 2009, 1292 = NJW 2009, 3032 – Wer wird Millionär. 24 OLG Hamburg v. 10.8.2010 – 7 U 130/09, IPRB 2010, 252 = AfP 2010, 589 – Gunter Sachs, bestätigt durch BGH v. 31.5.2012 – I ZR 234/10, MDR 2013, 165 = NJW 2013, 793 – Playboy am Sonntag; öOGH v. 28.3.2017 – 4 06 45/17, GRUR-Int. 2017, 524. 25 BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 = MDR 2012, 641 = NJW 2012, 1728 Rz. 23 – Foto einer Unfalltoten; v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 26 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195, 2201 – Marlene Dietrich; BGH v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1554 – Paul Dahlke. 27 BGH v. 18.3.1959 – IV ZR 182/58, NJW 1959, 1269 – Caterina Valente; OLG München v. 9.3.1995 – 29 U 3903/94, ZUM 1996, 160, 163 – Telefonsex-Foto; OLG Hamburg v. 21.10.2008 – 7 U 11/08, ZUM 2009, 65; Dreier/Schulze/Specht, §§ 33–50 KUG Rz. 28; Schricker/Loewenheim/Götting, §§ 33-50 KUG Rz. 15. 28 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 22 Kap. 9
Einen materiellen Schaden in der Form, dass das Vermögen durch die unzulässige Nutzung 20 eines Bildnisses vermindert worden ist, wird der Verletzte nur ausnahmsweise nachweisen können. In Betracht kann das aber kommen, wenn durch die unzulässige Verbreitung eines Nacktfotos die Versetzung in eine besser bezahlte Position vereitelt wird29 oder wenn bei einem Bericht über illegale Lederimporte die Lederwaren eines bestimmten Herstellers abgebildet werden mit der Folge, dass Abnehmer die Geschäftsbeziehung beenden30. Ihm entgeht aber der Gewinn, den er hätte erzielen können, wenn der Benutzer die erforderliche Einwilligung eingeholt hätte, praktisch also eine Lizenzgebühr. Das erlangt vornehmlich bei der Benutzung eines Bildnisses zu Werbezwecken Bedeutung. Wegen der praktischen Schwierigkeiten, einen konkreten Schaden nachzuweisen und zu errechnen, wird in der Praxis fast ausschließlich vom Schadensersatz durch Lizenzanalogie Gebrauch gemacht. Dabei wird fingiert, Verwerter und Berechtigter hätten eine Nutzungsvereinbarung (Lizenzvertrag) über die Nutzung des Bildnisses gegen dasjenige Entgelt geschlossen, welches vernünftige Vertragspartner als angemessenes Honorar für die betreffende Verwertung des Bildnisses vereinbart hätten31. Seit der Herrenreiter-Entscheidung vertrat der BGH die Auffassung32, die Zuerkennung ei- 21 nes Ersatzanspruches aufgrund der Fiktion eines abgeschlossenen Lizenzvertrages komme nur in Betracht, wenn von einem Schadenseintritt auszugehen sei und lediglich der Schadensnachweis erleichtert werden solle. Eine materielle Ersatzforderung entfalle mithin, wenn der Verletzte sich mit der beanstandeten Bildnisveröffentlichung keinesfalls einverstanden erklärt hätte (fehlende Lizenzbereitschaft). Bestand beim Verletzten aber keine Bereitschaft, sein Bildnis gegen Vergütung nutzen zu lassen, sei ihm durch eine unbefugte Bildnisnutzung auch kein Vermögensschaden entstanden, der ihm zu ersetzen wäre33. Diese „HerrenreiterDoktrin“ hat der BGH in seiner Entscheidung „Rücktritt des Finanzministers“ ausdrücklich aufgegeben: ein Schadens- oder Bereicherungsausgleich auf der Grundlage einer angemessenen fiktiven Lizenz setzt nicht das grundsätzliche Einverständnis des Abgebildeten mit der Vermarktung seines Bildnisses voraus34. Zum Anspruch auf angemessene Lizenzgebühr, der – bis auf das Verschuldenserfordernis – mit dem bereicherungsrechtlichen Anspruch auf eine fiktive Lizenzgebühr deckungsgleich ist, vgl. im Übrigen Rz. 28 ff. Während bei einer postmortalen Verletzung ideeller Interessen die Wahrnehmungsberech- 22 tigten lediglich Abwehransprüche haben, aber keine Ansprüche auf immateriellen Schadenersatz (vgl. Rz. 58)35, steht den Erben des Rechtsträgers bei der postmortalen Verletzung vermögenswerter Bestandteile des Persönlichkeitsrechts gegen den schuldhaft handelnden Verletzter ein Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens zu, ohne dass es darauf ankäme, wie schwerwiegend der Eingriff war36. Auch die Erben können die Ansprüche nach ihrer Wahl 29 30 31 32 33
OLG München v. 13.11.1987 – 21 U 2979/87, AfP 1988, 915 – Nackt im Park. OLG Köln v. 9.4.1991 – 15 U 166/90, ZUM 1993, 34. BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor. BGH v. 14.2.1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827, 829. BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor; NJW 1961, 2059 – GinsengWurzel; v. 14.2.1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827 – Herrenreiter. 34 BGH v. 26.10.2006 – I ZR 182/04, AfP 2006, 559 = MDR 2007, 286 = NJW 2007, 689 Rz. 12 – Rücktritt des Finanzministers. 35 BGH v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04, AfP 2006, 67 = MDR 2006, 930 Rz. 11 = NJW 2006, 605 – Mordkommission Köln m.w.N. 36 BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 = MDR 2012, 641 = NJW 2012, 1728 T7 23 – Foto einer Unfalltoten; v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; BGH v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, ZUM 2000, 589 – Der blaue Engel.
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Kap. 9 Rz. 23
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
konkret oder nach der Lizenzanalogie berechnen oder die Herausgabe des Verletzergewinns verlangen. 23
Um die für ihn günstigste Art der Schadensberechnung zu wählen und um den Schaden berechnen zu können, hat der Verletzte Anspruch auf die Erteilung der hierfür erforderlichen Auskunft37. Entsprechendes gilt für den Anspruch auf Auskunft zur Vorbereitung von Bereicherungsansprüchen. Voraussetzung für den Auskunftsanspruch als Hilfsanspruch ist stets, dass der mit ihm vorzubereitende Schadensersatz oder Bereicherungsanspruch dem Grunde nach besteht, also auch nicht verjährt ist. Für die Bezifferung der Höhe der ersparten, bei vertraglicher Lizenzeinräumung zu zahlenden üblichen Vergütung spielen Art, Zeitdauer und Umfang der unter Verwendung des Bildnisses durchgeführten Werbung eine Rolle. Das gilt auch für die Höhe der mit der Werbung verbundenen Kosten, weil diese neben anderen Faktoren ein den „Wert“ der Nutzung des Bildnisses für die konkrete Werbekampagne indizierender Umstand sein kann38. bb) Bereicherungsanspruch
24
Die Rechtsprechung erkennt nach den Grundsätzen der Eingriffskondition auch einen vom Verschulden unabhängigen Bereicherungsanspruch an. Dementsprechend hat der Benutzer eines Bildnisses an den Abgebildeten dasjenige auszukehren, was er auf seine Kosten erlangt hat. Ein Bereicherungsanspruch besteht unabhängig davon, ob der Abgebildete bereit oder in der Lage ist, gegen Entgelt Lizenzen für die Verbreitung und öffentliche Wiedergabe seiner Abbildung zu gewähren. Die unbefugte kommerzielle Nutzung eines Bildnisses stellt einen Eingriff in den vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalt des Rechts am eigenen Bild wie auch des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar und begründet grundsätzlich – neben dem Verschulden voraussetzenden Schadenersatzanspruch – einen Anspruch aus Eingriffskondiktion auf Zahlung der üblichen Lizenzgebühr39. Gegenstand der Bereicherung ist die Nutzung des Bildnisses. Da diese nicht herausgegeben werden kann, ist nach § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz zu leisten. Wer das Bildnis eines anderen unberechtigt für kommerzielle Zwecke nutzt, zeigt damit, dass er ihm einen wirtschaftlichen Wert beimisst. An der damit geschaffenen vermögensrechtlichen Zuordnung muss sich der Nutzer festhalten lassen und einen der Nutzung entsprechenden Wertersatz leisten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Abgebildete bereit gewesen wäre, die Nutzung des Bildnisses gegen Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr zu gestatten oder ob er wegen anderweitiger vertraglicher Bindung oder wegen eines gesetzlichen Verbots einen solchen Lizenzvertrag gar nicht hätte abschließen dürfen, denn der Zahlungsanspruch fingiert nicht eine Zustimmung des Betroffenen; vielmehr stellt er den Ausgleich für einen rechtswidrigen Eingriff in eine dem Betroffenen ausschließlich zugewiesene Dispositi37 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 38 OLG Köln v. 5.11.2013 – 15 U 44/13, AfP 2014, 151, 154 – die Rache der Wanderhure; zur Auskunft, Benutzung eines Bildnisses in Werbemitteln LG München I v. 19.5.2005 – 7 O 22025/04, ZUM 2006, 937, bestätigt durch OLG München v. 4.5.2006 – 29 U 3499/05, ZUM 2006, 936 – Funktionsunterwäsche. 39 BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 = MDR 2012, 641 = NJW 2012, 1728 N24 – Foto einer Unfalltoten; v. 11.3.2009 – I ZR 8/07, AfP 2009, 485 = MDR 2009, 1292 = GRUR 2009, 1085 Rz. 34 – Wer wird Millionär?; v. 26.10.2006 – I ZR 182/04, NJW 2007, 689 Rz. 12 – Rücktritt des Finanzministers; v. 1.12.1999 – I ZR 226/97, AfP 2000, 354 = MDR 2000, 1146 = GRUR 2000, 715 – Der blaue Engel; BVerfG v. 5.3.2009 – 1 BvR 127/09, CR 2009, 474 = AfP 2009, 249 Rz. 11 – fiktive Lizenz Sarah Wiener; v. 22.8.2006 – 1 BvR 1168/04, NJW 2006, 3409 Rz. 28 und Rz. 31 – Der blaue Engel, Marlene Dietrich; OLG Köln v. 5.11.2013 – 15 U 44/13, AfP 2014, 151.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 25 Kap. 9
onsbefugnis dar40. Die frühere Rechtsprechung, wonach ein Schadens- oder Bereicherungsausgleich in Form einer angemessenen Lizenzgebühr eine „Lizenzbereitschaft“ voraussetzt, also ein grundsätzliches Einverständnis des Abgebildeten mit der Vermarktung seines Rechts am eigenen Bild, und dass er rechtlich in der Lage war, einen Lizenzvertrag über sein Bildnis zu schließen41 hat der BGH in seiner Entscheidung „Rücktritt des Finanzministers“ ausdrücklich aufgegeben42. Anspruchsbegründend ist somit nicht mehr die Kommerzialisierbarkeit eines Bildnisses durch den Rechtsinhaber, sondern die erfolgte Kommerzialisierung, dass das Bildnis also für kommerzielle Zwecke ausgenutzt wurde, womit der Verwerter zeigt, dass er dem Bildnis einen wirtschaftlichen Wert beimisst. Damit wird ein Schutzdefizit zu Lasten nicht prominenter Personen vermieden, deren Bildnis ohne ihre Einwilligung zu Werbezwecken eingesetzt wird. Bei der Nutzung eines Bildnisses im Rahmen redaktioneller Berichterstattung ist dagegen von der Regelvermutung auszugehen, dass nach der Verkehrssitte Honorarzahlungen an den Betroffenen gerade nicht vereinbart werden. Dies gilt auch für rechtswidrige und schuldhafte Persönlichkeitsrechtsverletzungen und selbst für schwere Persönlichkeitsrechtsverletzungen, denn es gibt keine Verkehrssitte, nach der ab einem gewissen „Schweregrad“ eine Persönlichkeitsrechtsverletzung mit dem Betroffenen Lizenzzahlungen ausgehandelt würden43. Ebenso wurde eine Lizenzpflicht verneint, als im Rahmen eines redaktionellen Berichts über ein Theater das Foto eines Besuchers abgebildet wurde, der seinen Mantel auszieht44, und für die Nutzung des Bildnisses eines Börsenmaklers an seinem Arbeitsplatz beim Lesen einer Zeitung zur Illustration eines Berichtes über die Börsenkurzentwicklung durch einen „Ticker-Dienst“45. Die Freiheit der Berichterstattung würde unverhältnismäßig beschnitten, wenn die Medien bei einer – selbst schuldlosen – Bildberichterstattung, die sich als rechtswidrig erweist, nach einer Verkehrssitte zu Lizenzzahlungen verpflichtet wären. Dagegen bleibt es bei einer Vergütungspflicht im Falle solcher redaktioneller Nutzung eines Bildnisses, bei welcher eine Person im Rahmen der redaktionellen Berichterstattung werblich für das Medium vereinnahmt wird46 (vgl. zu diesen Fällen kommerzieller Nutzung Rz. 17). Auch gegenüber dem Bereicherungsanspruch ist der Einwand des Mitverschuldens zulässig, 25 zwar nicht aus § 254 BGB, aber aus § 242 BGB47. Dieser Einwand kann beispielsweise eingreifen, wenn der Verletzte trotz Kenntnis der unautorisierten Bildnisnutzung nichts gegen den Verletzer unternimmt und ihn dann nach langer Zeit wegen wiederholter oder ständiger Nutzung des Bildnisses mit Bereicherungsansprüchen überrascht. 40 BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 = MDR 2012, 641 = NJW 2012, 1728 Rz. 24 – Foto einer Unfalltoten; v. 26.10.2006 – I ZR 182/04, AfP 2006, 559 = MDR 2007, 286 = NJW 2007, 689 Rz. 12 – Rücktritt des Finanzministers. 41 Vgl. BGH v. 14.2.1958 – I ZR 151/56, BGHZ 26, 349, 353 – Herrenreiter; v. 18.3.1959 – IV ZR 182/58, BGHZ 30, 7, 17 f – Caterina Valente; v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor. 42 BGH v. 26.10.2006 – I ZR 182/04, AfP 2006, 559 = MDR 2007, 286 = NJW 2007, 689 Rz. 12. 43 LG Hamburg v. 11.1.2008 – 324 O 126/07, AfP 2008, 100 – keine Lizenzzahlung für die Nutzung eines Bildnisses von Günther Jauch im Rahmen eines redaktionellen Berichts über dessen Hochzeit. 44 AG Hamburg v. 4.9.1990 – 36a C 288/90, AfP 1991, 659. 45 LG Frankfurt v. 24.7.2003 – 2/3 O 95/02, ZUM 2003, 974. 46 OLG Hamburg v. 9.9.2008 – 7 U 13/08, AfP 2010, 589 – Gunter Sachs, bestätigt durch BGH v. 31.5.2012 – I ZR 234/10, MDR 2013, 165 = NJW 2013, 793 – Playboy am Sonntag und BGH v. 11.3.2009 – I ZR 8/07, AfP 2009, 485 = MDR 2009, 1292 = NJW 2009, 3032 – Wer wird Millionär zur Abbildung von Günther Jauch auf dem Titelblatt einer Zeitschrift, ohne dass eine sein Bildnis begleitende Berichterstattung in der Zeitschrift erfolgte. 47 BGH v. 16.10.1971 – VI ZR 87/69, BGHZ 57, 132, 152.
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Kap. 9 Rz. 26
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
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Der Bereicherungsanspruch schließt einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen immaterieller Schäden nicht aus. Beide Ansprüche bestehen nebeneinander48. Denn sie sind die Rechtsfolgen unterschiedlicher Tatbestände – ungerechtfertigte Bereicherung einerseits, unerlaubte Handlung andererseits. Insbesondere wird durch die Bezahlung der fiktiven Lizenz die Verletzung des Persönlichkeitsrechts nicht nachträglich gerechtfertigt. Denn durch die Abschöpfung der Bereicherung wird nicht die eingetretene Persönlichkeitsverletzung beseitigt, weshalb der ohne ihre Einwilligung in einem Artikel über Telefonsex Abgebildeten neben einer fiktiven Lizenz von 4 000 DM auch eine Geldentschädigung von 8 000 DM zugesprochen wurde49.
27
Die gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Schädiger nach § 840 BGB ist auf das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung nicht übertragbar. Schuldner einer Bereicherungsverpflichtung ist deswegen lediglich der Bereicherte, nicht auch ein Dritter, der bei der unzulässigen Bildnisverbreitung mitgewirkt hat, wie z.B. eine Agentur, die die urheberrechtlichen Befugnisse vermittelt hat50.
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Für den Bereicherungsanspruch ist irrelevant, ob der Verletzer bei Kenntnis der Zahlungspflicht auf die Verbreitung verzichtet hätte oder zur Bezahlung einer Vergütung nicht bereit oder nicht in der Lage gewesen wäre. Er muss sich an der von ihm geschaffenen Lage festhalten lassen51. Der vom Nutzer des Bildnisses erzielte Vermögensvorteil ist das ersparte Honorar, von dem der Abgebildete seine Einwilligung hätte abhängig machen können52. Üblicherweise wird die Einwilligung zur werblichen Vereinnahmung einer Person von der Zahlung einer Lizenzgebühr abhängig gemacht53. Bei der Bestimmung der Höhe des Wertersatzes nach § 818 Abs. 2 BGB – oder der Höhe des Schadenersatzes nach § 823 Abs. 2 BGB – im Wege der Lizenzanalogie wird die fiktive Lizenz in Analogie zur Höhe der angemessenen Vergütung bestimmt, die im Falle einer Zustimmung oder eines Vertragsabschlusses zu den üblichen Bedingungen zu zahlen gewesen wäre54. Wesentliche Kriterien für die Bemessung des Lizenzbetrages sind die Bekanntheitsgrad (Weltstar, nationale Bekanntheit, Regional- oder Lokalprominenz) und der Sympathie-/Imagewert des Abgebildeten, der Aufmerksamkeitswert der Nutzung des Bildnisses, der Verbreitungsgrad der Werbung und die Rolle, die dem Abgebildeten in der Werbung zugeschrieben wird55. Die Anwendung dieser Bemessungskriterien steht im 48 49 50 51 52
53 54 55
LG Hamburg v. 15.10.1993 – 324 O 3/93, AfP 1995, 526, 527 – Nena. OLG München v. 9.3.1995 – 29 U 3903/94, ZUM 1996, 160, 163 – Telefonsex-Foto. BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205, 2207 – Fußballtor. BGH v. 14.4.1992 – VI ZR 285/91, MDR 1992, 647 = CR 1993, 621 = AfP 1992, 149 = NJW 1992, 2084, 2085 – Werbefoto; v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205, 2206; v. 14.10.1986 – VI ZR 10/86, MDR 1987, 305 = GRUR 1987, 128. BGH v. 14.4.1992 – VI ZR 285/91, MDR 1992, 647 = CR 1993, 621 = AfP 1992, 149 = NJW 1992, 2084, 2085 – Werbefoto; v. 14.10.1986 – VI ZR 10/86, MDR 1987, 305 = NJW-RR 1987, 231 – Nena; OLG München v. 9.3.1995 – 29 U 3903/94, NJW-RR 1996, 539 – Telefonsex-Foto; LG Düsseldorf v. 29.8.2001 – 12 O 566/00, AfP 2002, 64 – Kaiser Franz; LG Berlin v. 29.6.1995 – 20 O 67/95, AfP 1997, 732; AG Hamburg v. 13.9.1994 – 36a 2572/94, AfP 1995, 528 – Alltagsituation; v. 4.9.1990 – 36a C 299/90, GRUR 1991, 910 – Normalbürger; OLG Hamburg v. 8.4.1982 – 3 U 36/81, AfP 1983, 282. BGH v. 31.5.2012 – I ZR 234/10, MDR 2013, 165 = NJW 2013, 793 Rz. 43 – Playboy am Sonntag. BVerfG v. 5.3.2009 – 1 BvR 127/09, CR 2009, 474 = AfP 2009, 249 Rz. 22 m.w.N. aus der Rechtsprechung – fiktive Lizenz. BVerfG v. 5.3.2009 – 1 BvR 127/09, CR 2009, 474 = AfP 2009, 249 Rz. 23; OLG Hamburg v. 10.8.2010, bestätigt durch BGH v. 31.5.2012 – I ZR 234/10, MDR 2013, 165 = NJW 2013, 793 –
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Rz. 30 Kap. 9
pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters, der den Betrag beim Vorliegen hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte nach § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO schätzen kann56. Aber auch wenn unmittelbare Vergleichswerte für den Wert des Bildnisses fehlen, z.B. weil der Betroffene sich bislang nicht zur Werbung zur Verfügung gestellt hat, kann das Gericht die Höhe der ungerechtfertigten Bereicherung oder des Schadenersatzes nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach freier Überzeugung ermitteln57. Die fiktive Lizenz unterliegt als Form des Schadenersatzes nicht der Umsatzsteuer58. Dies 29 dürfte auch für die fiktive Lizenz als Bereicherungsausgleich gelten, da auch hier die Lizenzzahlung nicht für eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlenden erfolgt, sondern deshalb, weil der Bereicherte nach Gesetz oder Vertrag zur Zahlung verpflichtet ist. Für die Benutzung des Fotos eines telefonierenden Schauspielers für eine Anzeige in einem 30 Sonderheft der Zeitschrift „Theater heute“ hat das OLG Frankfurt 500 DM zuerkannt59. 500 DM sind auch einer Frau zuerkannt worden, deren Foto, das sie mit Rückendekolleté und Bodypainting zeigt, für ein Werbeblatt zur Werbung für Kosmetik (Auflage 500 Stück) verwendet worden ist60. Bei auflagenstarken Zeitschriften kann von einem Mindesthonorar von 3 500 DM ausgegangen werden. Ist das Foto eines Bundesligaspielers, das ihn von hinten zeigt, nicht wegen seiner Person ausgewählt worden, sondern nur, um die Schärfe eines Fernsehbildes zu demonstrieren, kann auch ein geringerer Betrag angemessen sein, z.B. 3 050 DM61. Entsprechend OLG Hamburg erhalten bekannte Fernsehstars für die einmalige Verwendung ihres Namens und Bildes für einen Werbespot in einer regionalen Tageszeitung 1 000 DM, bei einer sich über mehrere Monate hinziehenden Kampagne eventuell auch 10 000 DM62. Das LG Hamburg hat dem bekanntesten Tagesschausprecher für die Verwendung seines Bildnisses in einer Kundenzeitschrift 8 000 DM zuerkannt63, für die Verbreitung etwas verfremdeter Zeichnungen im Rahmen einer in 500 000 Exemplaren verbreiteten Werbeanzeige 4 000 DM64. Dafür, dass ein zur Ankündigung des Films „Der nackte Affe“ angefertigtes Agenturfoto, das ihn unbekleidet von hinten zeigt, zur Plakatwerbung für den Film „Technik der körperlichen Liebe“ verwendet worden ist, hat ein männliches Fotomodell 1 000 DM erhalten65. Einem Bundesligaspieler sind für die Verwendung seines Bildnisses auf einem Trikot 4 000 DM zuerkannt worden66. Die ungenehmigte Zweitverwertung einer Nacktaufnahme der Sängerin Nena auf der Titelseite einer Illustrierten brachten ihr als Bereicherungs-
56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66
Playboy am Sonntag; BGH v. 14.4.1992 – VI ZR 285/91, MDR 1992, 647 = CR 1993, 621 = AfP 1992, 149 = NJW 1992, 2084 – Werbefoto Joachim Fuchsberger; OLG München v. 17.1.2003 – 21 U 2664/01, ITRB 2003, 198 = AfP 2003, 272 – Der blaue Engel; LG Hamburg v. 27.10.2006 – 324 O 381/06, AfP 2006, 585 = GRUR 2007, 143, 145 – Joschka Fischer. BVerfG v. 5.3.2009 – 1 BvR 127/09, CR 2009, 474 = AfP 2009, 249 Rz. 22 – fiktive Lizenz. LG Hamburg v. 27.10.2006 – 324 O 381/06, AfP 2006, 585 = GRUR 2007, 143, 145 – Joschka Fischer. BGH v. 26.3.2009 – I ZR 42/06 Rz. 23 – Flasa Präsentation; Sächsisches FG v. 9.10.2014 – 8 V 1346/13. OLG Frankfurt v. 10.6.1965 – 6 U 1/65, NJW 1966, 254 – Ein Engel in der Leitung. OLG Karlsruhe v. 18.11.1988 – 14 U 285/87, AfP 1989, 558 = NJW 1989, 401. BGH v. 26.6.1979 – VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205 – Fußballtor. OLG Hamburg v. 8.4.1982 – 3 U 36/81, AfP 1983, 282. LG Hamburg – 74 O 190/76, n.v. OLG Hamburg v. 8.4.1982 – 3 U 36/81, AfP 1983, 282, 284. OLG Hamburg, ArchPR 1971, 140. OLG München, AfP 1976, 103.
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Kap. 9 Rz. 31
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
abschöpfung eine fiktive Lizenz von 40 000 DM ein67, das Foto eines früheren Mannequins, nur mit einem Pelz bekleidet telefonierend, bei einer Jahre später erfolgten Zweitverwertung durch eine Illustrierte zur Bebilderung eines Artikels über Telefonsex 4 000 DM68. Die unautorisierte Zweitverwertung eines bei einer Modeschau aufgenommenen Fotos in der Anzeigenwerbung eines Bekleidungsgeschäftes ergaben eine fiktive Lizenz von nur 250 DM, weil das Nebenberufs-Mannequin für die Teilnahme an der Modenschau inklusive Fotoshooting auch nur 300 DM erhalten hatte69. Als bei einer Plakatwerbung für eine Zeitung und deren Serie „Die Wahrheit über Stasi, Schalck und Genossen“ ein Portraitfoto von Schalck-Golodkowski verwendet wurde, sprach ihm das LG Berlin eine fiktive Lizenz i.H.v. 10 000 DM zu, weil die Werbung nur in Berlin erfolgte und unbekannte Models in Berlin für wesentlich längere Aktionen lediglich 1000 DM erhalten70. 31
Kostspielig wird es für den Verletzer in Fällen des unautorisierten Personenmerchandising Prominenter, weil für die autorisierte Nutzung von Bildnissen von Prominenten, vor allem denen des Showbusiness aller Sparten, hohe Beträge bezahlt werden. Für einen TV-Werbespot, in welchem ein Double von Ivan Rebroff für Molkereiprodukte warb, sprach das OLG Karlsruhe dem Sänger eine fiktive Lizenz von 155 000 DM zu71. Informativ ist der Tatbestand des Urteils im Hinblick auf die Gagen im Personenmerchandising. Danach haben für ihren Auftritt in TV-Werbespots erhalten Steffi Graf, werbend für Nudeln, 2,5 Mio. DM, Boris Becker 5 Mio. DM, Günther Strack 250 000 DM und Manfred Krug 250 000 DM, jeweils werbend für ein alkoholisches Getränk, Henri Maske für eine Käsereklame 1,3 Mio. DM und Harald Juhnke für einen TV-Werbespot immerhin noch 125 000 DM. Die amerikanische Schauspielerin Shannon Doherty soll von einem Herrenmagazin für Ablichtungen im Badedress 160 000 DM als Grundpreis angeboten erhalten haben, je Brust kamen 40 000 DM hinzu72. Nacktaufnahmen einer aus einer TV-Serie bekannten Schauspielerin sollten nach dem mit ihr geschlossenen Vertrag in der am 18. Januar erscheinenden Februar-Ausgabe des Playboys veröffentlicht werden. Drei Aufnahmen der Strecke durften von Drittmedien im Wege der Cross-Promotion bereits zwei Tage vor Erscheinen des Playboys veröffentlicht werden. Abredewidrig veröffentlichte eine Zeitung die Aufnahme jedoch bereits am 14. Januar, also zwei Tage vor dem zugelassenen Termin. Die Schauspielerin forderte eine fiktive Lizenz von 20 000 Euro mit der Begründung, dass eine Kollegin aus derselben TV-Serie in einem vergleichbaren Fall 20 000 Euro Lizenz erhalten habe. Das Gericht gestand ihr eine Lizenz von nur 5 000 Euro zu: Es sei nicht zu erwarten gewesen, dass für die nur um zwei Tage vorverlegte Veröffentlichung ein höherer Betrag vereinbart worden wäre73. Im Übrigen wurden zugesprochen: 15 000 Euro je Person für die Nutzung eines Fotos mit Spielern und Trainern der deutschen Fußballnationalmannschaft 1954 in der Werbekampagne eines Autoherstellers mit ganzseitigen Anzeigen in mehreren bundesweit verbreiteten Printmedien sowie auf Plakaten74; 70 000 Euro für die Nutzung der gedoubelten Figur des „Blauen Engels“ in einer Werbung für Kopiergeräte, wobei der erkennbare Einsatz des Doubles die Lizenz reduzierte75. Für die unautorisierte Nutzung des Bildnisses eines bekannten FIFA- und DFB-Fuß67 68 69 70 71 72 73 74 75
LG Hamburg v. 15.10.1993 – 324 O 3/93, AfP 1995, 526. OLG München v. 9.3.1995 – 29 U 3903/94, NJW-RR 1996, 539. OLG Koblenz v. 2.3.1995 – 6 U 1350/93, NJW-RR 1995, 1112. LG Berlin v. 29.6.1995 – 20 O 67/95, AfP 1997, 732. OLG Karlsruhe v. 30.1.1998 – 14 U 210/95, ZUM-RD 1998, 453. Berichtet von Seitz, NJW 1999, 1940. LG Berlin v. 19.9.2002 – 27 O 364/02, AfP 2004, 455. LG München v. 14.8.2002 – 21 O 4059/02, ZUM 2003, 418 – Fußballweltmeister 1954. OLG München v. 17.1.2003 – 21 U 2664/01, NJW-RR 2003, 767 – Der blaue Engel.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 32 Kap. 9
ball-Schiedsrichters zur Werbung für Sportbekleidung in Katalogen und im Internet über mehrere Jahre wurde dem Betroffenen eine fiktive Lizenz von 10 000 Euro zugesprochen. Da es für die übliche Lizenz der Werbung durch Schiedsrichter keine Referenzwerte gab und das Gericht die Anwendung der für die Vergütung von professionellen Models bestehenden Richtlinien der VILMA ablehnte, wurde die angemessene Lizenz nach § 287 Abs. 2 ZPO insbesondere nach Art und Intensität der Werbung (dabei vor allem Zeitdauer und Ausmaß der Verbreitung), der Größe der mit der Werbung angesprochenen Verbraucherkreise und die Werbewirkung des Klägers für diese geschätzt76. 200 000 Euro für Nutzung eines computergenerierten Bildnisses des früheren Bundesaußenministers Joschka Fischer mit den Gesichtszügen eines Kindes bei der Einführungskampagne der Zeitung Welt Kompact77; 5 000 Euro für das Gesicht der Fernsehköchin Sarah Wiener zur Werbung für eine Dosensuppe im Rahmen der Eröffnungswerbung eines lokalen Supermarktes auf Werbeflyern, die in einem regionalen Anzeigenblatt mit einer Auflage von 100 000 Exemplaren verbreitet wurden. Eine solche beschränkte Nutzung war nicht zu vergleichen mit dem Honorar für langfristige Werbeverträge der Sterneköchin mit bekannten und international tätigen Porzellan- und Küchenzubehörherstellern, für die die Köchin Honorare bis zu 100 000 Euro nachweisen konnte, die sie auch eingeklagt hatte78; 30 000 Euro für die Nutzung des Bildnisses eines prominenten Sportlers in der Werbung für ein Fitnessgerät auf Plakaten und Werbebannern, 33x zu sehen in einem lokalen Kaufhaus, in Fitnessstudios, Beautystudios und Praxen für Physiotherapie in einem Zeitraum von fünf Monaten79. 50 000 Euro Lizenz für die Erben von Gunter Sachs für dessen werbliche Vereinnahmung durch eine Wochenzeitung in Anbetracht seines hohen Bekanntheitsgrades als Unternehmer, Fotograf und Kunstsammler sowie als jahrzehntelanger Repräsentant des Lebensstils der damaligen jüngeren Jetset-Generation, wegen des hohen Aufmerksamkeitswertes der großformatigen blickfangmäßigen Veröffentlichung des Bildnisses an exponierter Stelle und unter Berücksichtigung einer Auflage von mehr als 2 Mio. Exemplaren bei weltweiter Verbreitung des Blattes80; 2 500 Euro je Person für die werbliche Nutzung der Aufnahme eines Brautpaares bei einer privaten Hochzeitsfeier in einer Werbeanzeige einer Hochzeitszeitschrift; die Zeitschrift hatte eine Auflage von 10 000 Exemplaren und lag sowohl bei allen Standesämtern in und um Hamburg als auch bei allen in der Zeitschrift werbenden Unternehmen sowie bei zwölf Hochzeitsmessen aus. Lizenzerhöhend wurde berücksichtigt, dass das Foto nicht lediglich das Brautpaar bei der Hochzeit zeigte, sondern im Moment der Trauung, also einem sehr persönlichen, intimen Moment in Leben eines Ehepaares81; eine Lizenz i.H.v. 250 Euro pro Person bei Verwendung von Hochzeitsfotos eines nicht prominenten Paares zum Zwecke der Eigenwerbung eines Fotografen auf dessen Homepage, weil die Bilder nur weniger als zwei Monate online waren und die Besucherzahlen des Internetauftritts gering82. Unabhängig davon, ob eine Doppelgängerwerbung als solche erkennbar ist, macht sie sich 32 den vom Betroffenen geschaffenen Ruf und Werbewert zunutze, verletzt daher die kommer76 LG München v. 9.11.2005 – 21 O 21704/04. 77 LG Hamburg v. 27.10.2006 – 324 O 381/06, AfP 2006, 585 = GRUR 2007, 143 – Joschka Fischer. 78 LG Koblenz v. 7.5.2008 – 16 O 318/07, n.v., bestätigt durch BVerfG v. 5.3.2009 – 1 BvR 127/09, CR 2009, 474 = AfP 2009, 249 – fiktive Lizenz. 79 LG Frankfurt v. 12.3.2009 – 2/3 O 363/08, ZUM-RD 2009, 468. 80 OLG Hamburg v. 10.8.2010 – 7 U 130/09, AfP 2010, 589 = IPRB 2010, 252 = ZUM 2010, 884 bestätigt durch BGH v. 31.5.2012 – I ZR 234/10, MDR 2013, 165 – Playboy am Sonntag. 81 LG Hamburg v. 18.5.2010 – 324 O 690/09, ZUM Rd 2010, 625. 82 LG Hamburg v. 18.10.2013 – 324 O 59/13.
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Kap. 9 Rz. 33
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
zielle Seite des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen und gibt diesem einen Bereicherungsanspruch für den unentgeltlichen Werbeeffekt, der üblicherweise nur gegen eine Vergütung hätte erlangt werden können83. 33
Die unbefugte kommerzielle Nutzung des Bildnisses eines Verstorbenen begründet grundsätzlich neben dem Verschulden voraussetzenden Schadenersatzanspruch – vgl. Rz. 22 – einen Anspruch aus Eingriffskondiktion auf Zahlung der üblichen Lizenzgebühr. Da die vermögensrechtlichen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts vererblich sind, gehen die bereicherungsrechtlichen Ansprüche auf die Erben des Trägers des Persönlichkeitsrechts über und können von diesen entsprechend dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen ausgeübt werden84.
34
Zum Auskunftsanspruch zur Bezifferung der fiktiven Lizenz vgl. Rz. 23. b) Ausgleich immaterieller Interessen
35
Für den Ersatz immaterieller Schäden kann dem Verletzten ein Geldentschädigungsanspruch zustehen. Dagegen führt eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes des Verstorbenen grundsätzlich nicht zu einem Anspruch auf immateriellen Schadenersatz durch Geldentschädigung. Denn der Anspruch seiner hinterbliebenen Angehörigen auf immateriellen Schadenersatz wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht nur dem Rechtsträger und dies nur zu dessen Lebzeiten zu85. Der Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist nicht vererblich, auch wenn er noch zu Lebzeiten des Geschädigten anhängig oder rechtskräftig geworden ist86. Denn – anders als beim Schmerzensgeld – steht bei der Geldentschädigung wegen einer Persönlichkeitsverletzung weniger der Präventionsgedanke im Vordergrund, sondern der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers.
36
Der Anspruch auf Geldentschädigung des Verletzten wegen einer schuldhaften Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts setzt nach der Rechtsprechung des BGH voraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt (Rz. 41) und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (vgl. Rz. 37). Ebenso wie bei Schmerzensgeldansprüchen ist auch bei Ansprüchen auf Geldentschädigung ein unbezifferter Klagantrag zulässig. Die Ausübung des richterlichen Ermessens wird dabei durch die Angabe eines Mindestbetrages nach oben nicht begrenzt; vielmehr ist die Überschreitung des angegebenen Mindestbetrages (auch um ein vielfaches) mit § 308 Abs. 1 ZPO jedenfalls solange vereinbar, wie der Kläger für sein Begehren keine klare Obergrenze angibt87. Haben mehrere bei dersel83 LG Düsseldorf v. 29.8.2001 – 12 O 566/00, AfP 2002, 64 – Kaiser Franz; LG Köln v. 19.9.2000 – 33 O 276/00, ZUM 2001, 180 – Michael Schumacher. 84 BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 = MDR 2012, 641 = NJW 2012, 1728 Rz. 24 – Foto einer Unfalltoten. 85 BGH v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04, AfP 2006, 67 = MDR 2006, 930 = NJW 2006, 605 Rz. 14, bestätigt durch BVerfG Nichtannahmebeschluss v. 19.10.2006 – 1 BvR 402/06 Rz. 22, ZUM 2007, 380. 86 BGH v. 23.5.2017 – VI ZR 261/16, AfP 2017, 421 = MDR 2017, 1005 = NJW 2017, 3004 – keine Vererblichkeit des Anspruchs auf Geldentschädigung; v. 29.4.2014 – VI ZR 246/12, CR 2014, 602 = AfP 2014, 328 = MDR 2014, 715 = NJW 2014, 703 – Berichterstattung über trauernden Entertainer. 87 BGH v. 10.10.2002 – III ZR 205/01, MDR 2003, 26 = NJW 2002, 3769; OLG Hamm v. 20.2.2017 – 3 U 138/15, NJW-RR 2017, 1124 Rz. 59, 60.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 37 Kap. 9
ben Persönlichkeitsrechtsverletzung zusammengewirkt, haften sie als Gesamtschuldner auf die Geldentschädigung88. Dagegen stellen Bildnisveröffentlichungen in unterschiedlichen Medien jeweils eigenständige Rechtsverletzungen dar, auf die weder § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB noch § 840 BGB Anwendung findet. Die Gewährung einer Geldentschädigung hängt nicht nur von der Schwere des Eingriffs ab, 37 sondern setzt nach dem Subsidiaritätsgrundsatz auch voraus, dass nach den gesamten Umständen des Einzelfalls ein anderweitiger befriedigender Ausgleich für die Persönlichkeitsrechtsverletzung fehlt89. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung ist ein erwirkter Unterlassungstitel zu berücksichtigen, weil dieser und die damit zusammenhängenden Ordnungsmittelandrohungen den Geldentschädigungsanspruch beeinflussen und im Zweifel sogar ausschließen können90. Für die Wortberichterstattung trifft dies in der Regel zu91. Die Besonderheit einer Verletzung des Rechts am eigenen Bild besteht jedoch darin, dass dem Verletzten anders als bei einem verletzenden Wortbericht gegen eine solche Rechtsverletzung in der Regel keine anderen wirkungsvollen Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung stehen als ein Anspruch auf eine Geldentschädigung92. Aus diesem Grunde sind an die Zubilligung des Geldentschädigungsanspruchs bei Bildnisverletzungen geringere Anforderungen zu stellen als in anderen Fällen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung93. Im Vordergrund steht bei der Verletzung des Persönlichkeitsrechts nicht die Prävention, der durch einen Unterlassungstitel wirksam Rechnung getragen werden kann, sondern die Genugtuung des Verletzten für den erlittenen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht. Ein Unterlassungstitel, eine Gegendarstellung oder ein Widerruf sind daher in aller Regel nicht geeignet, eine bewirkte Bildnisverletzung vollständig auszugleichen. Dies vermag nur eine Geldentschädigung in einer den Gesamtumständen angemessenen Höhe. Auch die Strafbarkeit der Bildnisverletzung (§ 33 KUG) ist – abgesehen davon, dass nur vorsätzliche Bildnisverletzungen strafbar sind – keine geeignete Abwehrmaßnahme für den Betroffenen, weil beim Ersatz immaterieller Schäden die Genugtuung des Opfers im Vordergrund steht. Gleichwohl sind Sachverhalte denkbar, bei denen sich auch bei Bildnissen die erlittene Beeinträchtigung in anderer Weise ausgleichen lässt, so dass eine Geldentschädigung nicht – oder nur in geringer Höhe – erforderlich scheint. Ein solcher Fall hätte bspw. vorgelegen, als ein US-Herrenmagazin Fotos des russischen Tennisstars Anna Kurnikowa veröffentlichte, die sie angeblich oben ohne am Strand zeigten. In Wirklichkeit handelte es sich dabei jedoch um Aufnahmen der Schwiegertochter 88 OLG Hamburg v. 11.6.1992 – 3 U 14/92, ZUM 1994, 35. 89 BGH v. 21.4.2015 – VI ZR 245/14, MDR 2015, 829 = AfP 2015, 337 = CR 2015, 528 = NJW 2015, 2500 Rz. 33 – Abbildung Unbeteiligter; v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 = MDR 2012, 641 = NJW 2012, 1728 – Foto einer Unfalltoten; v. 30.6.2009 – VI ZR 339/08 Rz. 3 – ZUM-RD 2009, 576 – Tochter des Fußballtorwarts; v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco I. 90 BGH v. 21.4.2015 – VI ZR 245/14, MDR 2015, 829 = AfP 2015, 337 = CR 2015, 528 = NJW 2015, 2500 Rz. 33 – Abbildung Unbeteiligter; v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 = MDR 2012, 641 = NJW 2012, 1728 Rz. 15 – Foto einer Unfalltoten; v. 30.6.2009 – VI ZR 339/08, ZUM-RD 2009, 576 bestätigt durch Nichtannahmebeschluss BVerfG v. 23.9.2009 – 1 BvR 1681/09 – Tochter des Fußballtorwarts. 91 BGH v. 25.5.1971 – VI ZR 26/70, DB 1971, 1660 – Dreckschleuder; v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, NJW 1979, 1041 – Exdirektor. 92 BGH v. 12.12.1995 – VI ZR 223/94, MDR 1996, 365 = AfP 1996, 138 = NJW 1996, 985 – Wiederholungsveröffentlichung/Kumulationsgedanke. 93 BGH v. 5.10.2004 – VI ZR 255/03, MDR 2005, 393 = AfP 2005, 65 = NJW 2005, 215 – Tochter von Caroline; v. 12.12.1995 – VI ZR 223/94, MDR 1996, 365 = AfP 1996, 138 = NJW 1996, 985, 986 – Kumulationsgedanke.
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Kap. 9 Rz. 38
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
des italienischen Textildesigners Benetton, die ohne deren Wissen aufgenommen worden waren. Der Tennisstar forderte 10 Mio. US-$ Schmerzensgeld. Da ihre Beeinträchtigung alleine in dem falschen Anschein bestand, sie habe sich gegen Geld „oben ohne“ ablichten lassen, hätte ihr nach den Grundsätzen deutschen Rechts wohl keine Geldentschädigung zugestanden. Denn der falsche Anschein hätte sich auch durch eine Richtigstellung der Verwechslung in geeigneter Form beseitigen lassen, z.B. durch Berichtigung in Form einer Gegendarstellung (z.B. bei der Wortberichterstattung94). So wurde beispielsweise eine Gegendarstellung in Form einer berichtigenden Bildnisveröffentlichung im Falle einer grob fahrlässigen Bildnisverwechslung zugesprochen, auf Grund welcher das Bildnis eines unbescholtenen katholischen Priesters in einem Artikel über sexuelle Verfehlungen katholischer Pfarrer gegenüber Minderjährigen veröffentlicht wurde95. Gegen den Bericht in einer Zeitschrift über die angebliche Affäre einer bekannten Pokerspielerin mit einem berühmten Tennisstar, der mit einem Belegfoto illustriert war, welches die Rückansicht eines Mädchens im Bikini mit zwei Spielkarten im Tanga zeigte, versuchte die Pokerspielerin die Durchsetzung einer Gegendarstellung durchzusetzen „das ist nicht mein Po“, bebildert mit einem Foto. Die 9. Zivilkammer des LG München gab dem Antrag auf Gegendarstellung statt, allerdings ohne Foto. Ein Widerruf scheint insbesondere in denjenigen Fällen naheliegend, in denen eine Bildveröffentlichung eine tatsächliche, jedoch inhaltlich unwahre Tatsachenbehauptung enthält, wie z.B. bei einer Fotomontage, die entgegen den Tatsachen etwas tatsächlich Geschehenes vorspiegelt (vgl. Kap. 13 Rz. 63). Nach anderer Auffassung kommt in solchen Fällen kein Widerruf in Betracht; vielmehr sind Fotomontagen, die eine Tatsachenbehauptung mit einem unzutreffenden nachteiligen Inhalt aufstellen, gegendarstellungsfähig, sofern nicht offensichtlich ist, dass es sich um eine Fotomontage handelt oder das Foto mit dem Begriff „Fotomontage“ gekennzeichnet ist96. 38
Ob der Betroffene grundsätzlich gehalten ist, sich um einen anderweitigen Ausgleich zu bemühen, durch den die Bildnisverletzung auf andere Weise hinreichend ausgeglichen werden kann, ist fraglich. Bei einer Wortberichterstattung wird diese Verpflichtung bejaht97. Bei der Wortberichterstattung kann es sich anspruchsmindernd oder anspruchsvernichtend auswirken, wenn der Betroffene von anderen Möglichkeiten, wie z.B. einem vorherigen Unterlassungsanspruch bzw. im Fall unwahrer Tatsachenbehauptungen von Gegendarstellungs- und Widerspruchsansprüchen, keinen Gebrauch gemacht hat98. Es ist aber zu bedenken, dass bei der Zubilligung eines Geldentschädigungsanspruchs die Genugtuung des Verletzten im Vordergrund steht. Künftige Unterlassung, eine Gegendarstellung oder ein Widerruf dienen aber nicht der Genugtuung, sondern der Prävention, die zwar auch Ziel des Geldentschädigungsanspruchs ist, aber erst in zweiter Linie hinter der Genugtuung des Opfers. Die einmal bewirkte Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch die Veröffentlichung eines Bildnisses kann nicht rückgängig gemacht werden, auch nicht durch einen gegen den Verletzer erwirkten Unterlassungstitel, der die bewirkte Rechtsverletzung nicht vollständig beseitigen und die Bildnisverletzung daher nicht anderweitig ausgleichen kann99. Die Entscheidungen der deutschen Gerichte und des EGMR, die den Kindern von Oliver Kahn, dem früheren Tor94 BGH v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, NJW 1979, 1041 – Exdirektor. 95 OLG Koblenz v. 20.12.1996 – 10 U 1667/95, NJW 1997, 1375 – Schweigen der Hirten. 96 OLG Karlsruhe v. 11.3.2011 – 14 U 186/10, AfP 2011, 282; LG München v. 7.5.2003 – 9 O 5693/03, AfP 2003, 373. 97 BGH v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, NJW 1979, 1041 – Exdirektor. 98 LG Köln v. 30.9.2015 – 28 O 2/14 – Kachelmann, bestätigt durch OLG Köln v. 12.7.2016 – 15 U 175/15; LG Berlin v. 18.3.2008 – 27 O 884/07, AfP 2008, 320. 99 OLG Köln v. 12.7.2016 – 15 U 175/15 Rz. 71 – Kachelmann.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 40 Kap. 9
wart der Fußballnationalmannschaft, wegen des Grundsatzes der Subsidiarität eine Geldentschädigung versagten (vgl. Rz. 56) mit der Begründung, vor zukünftigen Verletzungen ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts seien die Kinder durch die bei einem Verstoß gegen die pauschale Unterlassungsverpflichtung drohenden Ordnungsmittel ausreichend geschützt, sind obsolet geworden durch die Rechtsprechung, wonach bei der Bildberichterstattung nicht generell verlangt werden kann, die Veröffentlichung jeglicher Fotos künftig zu unterlassen100. Aber auch bei einer Bildnisverletzung soll der Umstand, dass der Betroffene auf eigene Schritte gegen ihn verletzende Veröffentlichungen verzichtet hat, Rückschlüsse auf das Gewicht seines Genugtuungsbedürfnisses zulassen. So kann ein langer Zeitraum zwischen der Kenntnis des Betroffenen von der Berichterstattung und der Geltendmachung eines Geldentschädigungsanspruchs gegebenenfalls zeigen, dass es dem Betroffenen weniger um die zeitnahe Beseitigung der Folgen der verletzenden Berichterstattung und damit um den Schutz seines Persönlichkeitsrechts geht, sondern vorrangig um finanzielle Interessen101. Wiedergutmachungsversuche des Verletzers durch einen eigenen freiwilligen Widerruf oder 39 eine eigene Richtigstellung können jedenfalls bei der Wortberichterstattung die Höhe der Geldentschädigung beschränken oder ihre Erforderlichkeit ausschließen102. Voraussetzung dafür ist freilich, dass solche freiwilligen Maßnahmen des Verletzers im konkreten Fall tatsächlich geeignet sind, die Verletzung auf andere Weise als durch eine Geldentschädigung vollständig auszugleichen. Bei einer Bildnisverletzung werden solche Maßnahmen die Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung selten ersetzen, allenfalls Einfluss auf deren Höhe haben. Gegendarstellung, Widerruf und Berichtigung sind bei Bildnisverletzungen im Internet und vor allem den sozialen Medien in der Regel ein stumpfes Schwert: Während ein Printmedium mit seiner nächsten Ausgabe dieselben Rezipienten wie in der Vorausgabe adressieren kann, ist es im Internet und vor allem in Social Media regelmäßig unmöglich, dieselben Adressaten zu erreichen, die das verletzende Bildnis rezipiert haben, weil die Verbreitung eines Inhalts im Internet und vor allem in sozialen Medien dezentral über die jeweiligen Nutzer stattfindet103. Für den Ersatz immaterieller Schäden hat der BGH früher § 847 BGB analog angewendet. 40 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Soraya-Entscheidung im Jahre 1973 die rechtliche Grundlage für einen solchen Geldentschädigungsanspruch in Art. 1 und 2 Abs. 1 GG erblickt104. Demgemäß geht der BGH davon aus, dass es sich bei dem Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht um ein Schmerzensgeld nach § 847 BGB handelt, sondern um ein Recht, das auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG zurückgeht105. Die Zubilligung einer Geldentschädigung, die i.V.m. Art. 1 und 2 Abs. 1 GG ihre Grundlage in § 823 Abs. 1 BGB findet, beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen 100 BGH v. 6.10.2009 – VI ZR 314/08, AfP 2010, 60 = MDR 2010, 84 = NJW 2010, 1454 – Kinder von Franz Beckenbauer. 101 LG Berlin v. 18.3.2008 – 27 O 884/07, AfP 2008, 320; OLG Köln v. 12.7.2016 – 15 U 175/15 – Kachelmann; v. 1.9.2016 – 15 U 60/16; OLG Hamm v. 7.2.2017 – 7 U 85/16, IPRB 2017, 222. 102 OLG Hamburg v. 24.3.2009 – 7 U 94/08, AfP 2009, 595. 103 Hofmann/Fries, Der äußerungsrechtliche Geldentschädigungsanspruch im digitalen Zeitalter, NJW 2017, 2369. 104 BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221 – Soraya. 105 BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221 – Soraya; v. 26.8.2003 – 1 BvR 1338/00, NJW 2004, 591; BGH v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94, MDR 1996, 366 = AfP 1996, 137 = NJW 1996, 984, 985 – Caroline von Monaco II; v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861, 864 – Caroline von Monaco I; v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617 – Nacktfoto.
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Kap. 9 Rz. 41
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde106. Anders als beim Schmerzensgeldanspruch steht bei dem Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund107. Außerdem soll er auch der Prävention dienen108, wobei allerdings der Präventionsgedanke die Gewährung einer Geldentschädigung nicht alleine zu tragen vermag109. Daran hat sich durch das zweite Schadenersatzrechtsänderungsgesetz vom 21.11.2001110 nichts geändert, weil der an die Stelle von § 847 BGB getretene § 253 Abs. 2 BGB nicht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht Anwendung findet111. 41
Nicht jede Verletzung des Rechts am eigenen Bild löst einen Anspruch des Betroffenen auf eine Geldentschädigung aus. Ein solcher Anspruch kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn es sich nach den Umständen, die dem Fall das Gepräge geben, um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, und die dadurch verursachte nicht vermögensmäßige Einbuße auf andere Weise nicht hinreichend ausgleichbar ist als durch die Zahlung einer Geldentschädigung, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, und hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs ab (Rz. 44), ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden (Rz. 46) sowie von dem Grad des Verschuldens (Rz. 48)112. Auch eine wiederholte und hartnäckige Verletzung des Rechts am eigenen Bild, die um des wirtschaftlichen Vorteils willen erfolgt, kann einen Anspruch auf Geldentschädigung rechtfertigen (vgl. Rz. 47). Dabei kann schon ein einziger dieser Umstände zur Schwere des Eingriffs führen113. Bei der Gesamtwürdigung der Umstände sind neben dem Gewicht der Persönlichkeitsrechtsverletzung auch deren Eindeutigkeit und Erkennbarkeit sowie deren Kontext 106 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 107 BGH v. 23.5.2017 – VI ZR 261/16, AfP 2017, 421 = MDR 2017, 1005; NJW 2017, 3004 Rz. 18 m.w.N. 108 BVerfG v. 2.4.2017 – 1 BvR 2194/15, AfP 2017, 228; NJW 2017, 879 Rz. 10; BGH v. 12.12.1995 – VI ZR 223/94, MDR 1996, 365 = AfP 1996, 138 = NJW 1996, 985, 987 – Kumulationsgedanke; v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94, MDR 1996, 366 = AfP 1996, 137 = NJW 1996, 984, 985 – Caroline von Monaco II; v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861, 864 – Caroline von Monaco I; v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617 – Nacktfoto. 109 BGH v. 29.4.2014 – VI ZR 246/12, CR 2014, 602 = AfP 2014, 328 = MDR 2014, 715 = NJW 2014, 703 – Berichterstattung über trauernden Entertainer. 110 BGBl. I, 3138. 111 Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 14/7752, 25. 112 BGH v. 21.4.2015 – VI ZR 245/14, MDR 2015, 829 = AfP 2015, 337 = CR 2015, 528 = AIP 2015, 357 Rz. 33 – Abbildung Unbeteiligter; v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 = MDR 2012, 641 Rz. 15, NJW 2012, 1728 – Foto einer Unfalltoten; v. 30.6.2009 – VI ZR 339/08, ZUM-RD 2009, 576 Rz. 3;BGH v. 5.10.2004 – VI ZR 255/03, MDR 2005, 393 = AfP 2005, 65 = NJW 2005, 215 – Tochter von Caroline; v. 12.12.1995 – VI ZR 223/94, MDR 1996, 365 = AfP 1996, 138 = NJW 1996, 985, 986 – Kumulationsgedanke; v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861, 864 – Caroline von Monaco I; v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617, 1619 – Nacktfoto; vgl. auch BVerfG v. 26.8.2003 – 1 BvR 1338/00, NJW 2004, 591 und v. 10.7.2002 – 1 BvR 354/98, AfP 2002, 417 = NJW 2002, 3767 – Urbayer. 113 KG v. 23.10.1973 – 9 U 344/73, AfP 1974, 720; LG Berlin v. 11.6.2015 – 27 O 120/15, AfP 2015, 569.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 43 Kap. 9
zu berücksichtigen114. Schließlich ist auch der besonderen Funktion des Anspruchs auf eine Geldentschädigung bei der Verletzung des Persönlichkeitsrechts Rechnung zu tragen, die zwar auch in einer Prävention gegen künftige Verletzungen, vor allem aber in einer Genugtuung des Verletzten für den erlittenen Eingriff besteht als auch ihre sachliche Berechtigung in den Gedanken findet, dass das Persönlichkeitsrecht gegen erhebliche Beeinträchtigungen ohne eine solche Geldentschädigung ohne ausreichenden Schutz bliebe115. Die genannten Kriterien dienen nicht nur der Feststellung einer schweren Persönlichkeits- 42 verletzung dem Grunde nach, sondern sind auch im Rahmen der Genugtuungsfunktion für die Höhe der Geldentschädigung maßgebend116. In Fällen rücksichtsloser Zwangskommerzialisierung ist zusätzlich die Präventivfunktion der Geldentschädigung zu berücksichtigen. Damit der erforderliche Hemmungseffekt117 erzielt wird, sind bei der Höhe der Entschädigung die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verletzers zu berücksichtigen. Eine Abschöpfung des durch die Verletzung erzielten Gewinns findet jedoch nicht statt118. Bei der Höhe der Geldentschädigung sind auch die Folgen einer Ehrverletzung und die Erheblichkeit des Eingriffs in die Sphäre des Betroffenen zu berücksichtigen. Die Geldentschädigung darf aber keine Höhe erreichen, die die Pressefreiheit unverhältnismäßig einschränkt119. Eine unverhältnismäßige Einschränkung der Pressefreiheit findet jedoch nicht statt, wenn die Presse an der rücksichtslosen Zwangskommerzialisierung einer Person durch eine entsprechend spürbare Geldentschädigung gehindert wird120. Die Höhe der im Einzelfall nach der Schwere des Eingriffs zu bestimmenden Geldentschädigung ist nach § 287 ZPO zu schätzen. Bereits 1979 hat der BGH ein Schmerzensgeld von 2 500 DM als „an der Untergrenze dessen, was für einen entschädigungswürdigen Übergriff in das Persönlichkeitsrecht als angemessen angesehen werden kann“ bezeichnet121. Hochgerechnet mit dem Lebenshaltungskosten-Index beliefe sich diese Untergrenze heute auf ca. 2 800 Euro. Ein Geldentschädigungsanspruch kann sich auch aus der Amtshaftung nach §§ 839 Abs. 1 43 Nr. 1 BGB, 253 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG ergeben, z.B. wenn eine Behörde durch Aufnahmen von Polizeieinsätzen an einer schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzung mitwirkt122.
114 BVerfG v. 2.4.2017 – 1 BvR 2194/15, AfP 2017, 228 = NJW 2017, 879 – Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. 115 OLG Köln v. 12.7.2016 – 15 U 175/15 Rz. 34 – Kachelmann. 116 BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = AfP 2014, 135 = ITRB 2014, 102 = NJW 2014, 2029 – Sächsische Korruptionsaffäre; OLG Köln v. 12.7.2016 – 15 U 175/15 Rz. 54. 117 BGH v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94, MDR 1996, 366 = AfP 1996, 137 = NJW 1996, 984, 985 – Caroline von Monaco II. 118 BGH v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94, MDR 1996, 366 = AfP 1996, 137 = NJW 1996, 984, 985 – Caroline von Monaco II; v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861, 864 – Caroline von Monaco I; OLG Hamburg v. 25.7.1996 – 3 U 60/93, AfP 1997, 538, 539; Soehring, AfP 2000, 230, 235; Gounalakis, AfP 1998, 10, 19; Steffen, NJW 1997, 10, 13; a.A. Prinz, NJW 1996, 953. 119 BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221 – Soraya. 120 OLG Hamburg v. 25.7.1996 – 3 U 60/93, AfP 1997, 538, 541. 121 BGH v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, NJW 1979, 1041, 1042 – Exdirektor. 122 KG v. 21.1.2011 – 9 W 76/10, AfP 2011, 371 = NJW 2011, 2446 – Vollstreckung einer Steuerschuld.
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Kap. 9 Rz. 44
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
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Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also das Ausmaß der Verbreitung der Veröffentlichung, die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- oder Rufschädigung des Verletzten123 sind in erster Linie daran zu messen, welche Sphäre des Persönlichkeitsrechtes betroffen ist124. Die Intimsphäre ist naturgemäß am stärksten schutzbedürftig. Zu berücksichtigen ist sodann das Ausmaß und die Art der Verbreitung der Veröffentlichung und die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- und Rufschädigung des Verletzten125, ferner die Persönlichkeit und gesellschaftliche Stellung des Verletzten und die damit verbundene besondere Gefahr, sich lächerlich zu machen126. Zu berücksichtigen sind ferner Art und Intensität einer ehrenrührigen oder sonst abträglichen Bildnisveröffentlichung beispielsweise durch einen grob herabsetzenden Text127, durch das Erwecken eines falschen Eindrucks128 oder den Eindruck, die Abgebildete betreibe Telefonsex129; verletzend ist auch der erweckte falsche Anschein, der Betroffene habe sich gegen Bezahlung zur Bildnisverwertung bereit erklärt130. Beeinträchtigend sind auch Aufnahmen, die den Betroffenen in der Öffentlichkeit lächerlich machen131. Aufnahmen, die die Intimsphäre verletzen, insbesondere Nacktfotos, stellen nach Bedeutung und Tragweite des Eingriffs in aller Regel eine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung dar132. Bei der Prüfung und Gewichtung der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht ist die Bildnisveröffentlichung stets in ihrer Gesamtheit und nicht etwa unabhängig von einem Begleittext oder redaktionellen Umfeld zu würdigen133.
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Im Zusammenhang mit dem Kriterium der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs ist es naheliegend und sachgerecht zu berücksichtigen, ob der Betroffene sich zuvor anderweitig durch eine Wort- oder Bildberichterstattung „geoutet“ hat (Kap. 8 Rz. 120). Hat er nämlich zugestimmt, dass über ihn in den sensiblen Bereichen der Intim- oder Privatsphäre im Wort oder sogar im Bild berichtet wurde, muss dies Einfluss auf die Höhe der Geldentschädigung haben134. Denn in solchen Fällen ist die „Schmerzgrenze“ niedriger anzusetzen, eine (Über-) Empfindlichkeit und damit das Genugtuungsinteresse weniger gerechtfertigt als bei einer Per123 OLG Köln v. 12.7.2016 – 15 U 175/15 Rz. 34. 124 OLG Hamm v. 6.4.2001 – 9 U 130/00, NJW-RR 2001, 1622. 125 BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617, 1619 – Nacktfoto; v. 5.3.1963 – VI ZR 55/62, NJW 1963, 902 – Fernsehansagerin; KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, ZUM-RD 1998, 554 – Schärfere Slips; OLG Hamm v. 3.3.1997 – 3 U 132/96, NJWRR 1997, 1044 – Nacktfoto. 126 BGH v. 14.2.1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827 – Herrenreiter. 127 Sieht aus „wie eine ausgemolkene Ziege“ – BGH v. 5.3.1963 – VI ZR 55/62, NJW 1963, 902 – Fernsehansagerin. 128 Z.B. der abgebildete Priester habe Minderjährige sexuell belästigt – OLG Koblenz v. 20.12.1996 – 10 U 1667/95, NJW 1997, 1375 – Schweigen der Hirten. 129 OLG München v. 9.3.1995 – 29 U 3903/94, ZUM 1996, 160 – Telefonsex-Foto. 130 BGH v. 26.1.1971 – VI ZR 95/70, NJW 1971, 698 – Liebestropfen; v. 14.2.1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827 – Herrenreiter; OLG Oldenburg v. 14.11.1988 – 13 U 72/88, AfP 1989, 556 = NJW 1989, 400 – Strandfoto. 131 OLG München v. 3.2.1975 – 21 U 2481/74, NJW 1975, 1129 – Zwerg. 132 BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617 – Nacktfoto; v. 2.7.1974 – VI ZR 121/73, NJW 1974, 1974 – Nacktaufnahme; OLG Hamburg v. 21.5.1981 – 3 U 22/81, AfP 1982, 41 – Heimliche Nacktfotos; OLG Frankfurt v. 21.9.1999 – 11 U 28/99, AfP 2000, 185 = NJW 2000, 594 – Katharina Witt. 133 BGH v. 15.1.1965 – Ib ZR 44/63, NJW 1965, 1374 – Satter Deutscher; OLG München v. 5.12.1997 – 21 U 3698/97, NJW-RR 1998, 1036 – Bonnbon; LG Berlin v. 12.2.1973 – 16 O 298/71, GRUR 1974, 415 – Saat der Sünde. 134 LG Hamburg v. 20.7.2001 – 324 O 68/01, ZUM 2002, 68 – Lago Amore.
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Rz. 47 Kap. 9
son, die ihre Intim- und Privatsphäre für sich behält und vor allem nicht kommerzialisiert (vgl. Rz. 51). Bei der Bewertung von Anlass und Beweggrund der rechtsverletzenden Bildnisveröffent- 46 lichung fällt ins Gewicht, wenn der Schädiger die Verletzung des Persönlichkeitsrechts zur Verfolgung eigener kommerzieller Interessen eingesetzt hat, beispielsweise zur Auflagensteigerung seiner Zeitschrift135. So hat das LG Hamburg einem Betroffenen 100 000 DM Geldentschädigung für die Veröffentlichung von insgesamt 15 Bildnissen zugesprochen, von denen 12 einen schwerwiegenden Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht darstellten, wegen gleichartiger, wiederholter, besonders hartnäckiger und bewusster unter offenkundiger Missachtung des Willens des Betroffenen begangenen Bildrechtsverletzung um des eigenen wirtschaftlichen Vorteils willen136. Die ungenehmigte Verwendung eines Fotos zu Werbezwecken ist nicht ohne weiteres, sondern nur aufgrund besonderer Umstände eine schwere Persönlichkeitsverletzung137. Nach Auffassung des OLG Frankfurt genügt dafür aber die Gefahr einer Ansehensminderung138, die durch den falschen Anschein entstehen kann, der Abgebildete habe sich während der Urlaubszeit gegen Entgelt zu Werbezwecken zur Verfügung gestellt. Es sprach der Betroffenen eine Geldentschädigung von 2 000 DM zu. Auch eine wiederholte und hartnäckige Verletzung des Rechts am eigenen Bild, die um 47 des wirtschaftlichen Vorteils willen erfolgt, kann eine schwere, einen Anspruch auf Geldentschädigung rechtfertigende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen darstellen, auch wenn die einzelnen Bildnisveröffentlichungen – jeweils für sich betrachtet – nicht als schwerwiegend einzustufen sind139. Dies gilt jedoch nur für die Bildberichterstattung und ist nicht auf die wiederholte und hartnäckige Wortberichterstattung übertragbar140. Denn die Besonderheit einer Verletzung des Rechts am eigenen Bild gegenüber der Wortberichterstattung besteht darin, dass dem Betroffenen keine anderen Abwehrmöglichkeiten gegen die unzulässigen Veröffentlichungen seines Bildnisses zustehen als der Anspruch auf eine Geldentschädigung. An die Zubilligung einer Geldentschädigung sind daher in einem solchen Fall geringere Anforderungen zu stellen als in anderen Fällen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung. Eine Geldentschädigung kann deshalb gerechtfertigt sein, wenn ein Presseorgan eine besondere Hartnäckigkeit erkennen lässt, indem wiederholt Bildnisse veröffentlicht werden, obwohl nach der Veröffentlichung einer Aufnahme zeitnah abgemahnt und eine Unterlassungserklärung abgegeben wird bzw. einstweilige Verfügungen erwirkt werden. Eine solche Hartnäckigkeit ist jedoch nicht anzunehmen, wenn dreimal im Abstand von jeweils einem 135 BGH v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94, MDR 1996, 366 = AfP 1996, 137 = NJW 1996, 984, 985 – Caroline von Monaco II; v. 12.12.1995 – VI ZR 223/94, MDR 1996, 365 = AfP 1996, 138 = NJW 1996, 985, 986 – Kumulationsgedanke; LG Hamburg v. 8.5.1998 – 324 O 736/97, ZUM 1998, 852, 861 – Ernst August von Hannover. 136 LG Hamburg v. 8.5.1998 – 324 O 736/97, ZUM 1998, 852 – Ernst August von Hannover. 137 OLG Karlsruhe v. 18.11.1988 – 14 U 285/87, AfP 1989, 558 = NJW 1989, 401. 138 OLG Frankfurt v. 28.2.1986 – 6 U 30/85, MDR 1986, 672 = AfP 1986, 140. 139 BGH v. 6.10.2009 – VI ZR 314/08, AfP 2010, 60 = MDR 2010, 84 = NJW 2010, 1454 Rz. 13 – Sohn von Franz Beckenbauer und v. 6.10.2009 – VI ZR 315/08, ZUM 2010, 262 Rz. 13 – Tochter von Franz Beckenbauer; v. 5.10.2004 – VI ZR 255/03, MDR 2005, 393 = AfP 2005, 65 NJW 2005, 215 – Tochter von Caroline; v. 12.12.1995 – VI ZR 223/94, MDR 1996, 365 = AfP 1996, 138 = NJW 1996, 985 – Wiederholungsveröffentlichung/Kumulationsgedanke; OLG Köln v. 3.11.2016 – 15 U 66/16, NJW-RR 2017, 748 – Helene Fischer; OLG Hamburg v. 20.5.2008 – 7 U 100/07, ZUM 2009, 234. 140 OLG Hamburg v. 20.5.2008 – 7 U 100/07, ZUM 2009, 234, bestätigt durch BGH v. 24.3.2009 – 6 ZR 161/08.
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Kap. 9 Rz. 48
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
Jahr Bildnisse aus dem Urlaub einer Prominenten veröffentlicht werden, die entweder Fotos vom Restaurantbesuch, Strandleben oder Einkaufstouren zeigen, jeweils verbunden mit Spekulationen über ihr Beziehungsleben, aber ohne eine besondere inhaltliche Intensität dieser Eingriffe141. Dagegen hat der BGH eine hartnäckige Verletzung bejaht bei wiederholten Bildnisveröffentlichungen in einem Zeitraum von zwölf Monaten, die ein minderjähriges Kind zeigten, und der Verlag jeweils zeitnah nach Erscheinen der Aufnahmen abgemahnt worden war und sich – wenn auch erst nach entsprechenden einstweiligen Verfügungen – unterworfen hatte142. 48
Sowohl die Beurteilung, ob es sich um eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts handelt, als auch die Höhe der Geldentschädigung werden vom Grad des Verschuldens des Verletzers beeinflusst. Für den Grad des Verschuldens ist vor allem maßgebend, ob die Rechtswidrigkeit des Eingriffs durch den Verletzer „auf der Hand lag“ oder aber von ihm erst nach einer schwierigen Abwägung im Einzelfall festgestellt werden konnte143. Eine vorsätzliche Verletzung ist für den Anspruch auf Geldentschädigung nicht erforderlich; andererseits soll die Zuerkennung einer Geldentschädigung im Hinblick auf die Präventivfunktion zwar regelmäßig, aber nicht zwingend ausgeschlossen sein, wenn den Verletzer kein schweres Verschulden trifft, sondern nur der Vorwurf der Fahrlässigkeit144. Im Hinblick auf die Genugtuungsfunktion für den erlittenen Eingriff muss aber auch eine nur fahrlässige Verletzung des Rechts am eigenen Bild genügen, um einen Anspruch auf eine Geldentschädigung zu gewähren. Der Grad des Verschuldens hat jedoch Einfluss auf dessen Höhe. Bedingt vorsätzliches Handeln ist in jedem Falle ausreichend. Es liegt z.B. vor, wenn die Rechtswidrigkeit der Bildberichterstattung für den Verletzer nicht nur vorhersehbar ist, sondern derart naheliegt, dass er billigend in Kauf genommen hat, das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu verletzten. Jedenfalls den verantwortlichen Redakteuren eines Mediums ist beispielsweise bewusst, dass die Veröffentlichung heimlicher Aufnahmen aus der Privatsphäre regelmäßig unzulässig ist, so dass die Veröffentlichung solcher Aufnahmen mit bedingtem Vorsatz erfolgt145. Vorsätzlich handelt auch, wem die Veröffentlichung gleichartiger Bildnisse des Betroffenen bereits durch einstweilige Verfügung verboten worden war; solche Wiederholungsverletzungen sind zudem als hartnäckige Verletzung zu berücksichtigen. Eine besondere Schwere der Schuld kann sich auch daraus ergeben, dass sich die Medien über eine ausdrücklich verweigerte Zustimmung des Betroffenen bzw. seinem ausdrücklichen Wunsch von einer Veröffentlichung abzusehen, hinwegsetzen146. Fahrlässiges Handeln ist zu bejahen, wenn beispielsweise die Rechtswidrigkeit der Verletzung zwar vorhersehbar war, aber nicht derart auf der Hand lag, dass vorsätzliches Handeln unterstellt werden kann, z.B. weil eine im Hinblick auf den Umfang der räumlichen Privatsphäre schwierige Abwägung des Verletzers erforderlich war147. Zum Fall einer Geldentschädigung im Fall einer grob fahrlässigen Fotoverwechslung OLG Koblenz in der Entscheidung „Schweigen der Hirten“148.
141 OLG Köln v. 3.11.2016 – 15 U 66/16, NJW-RR 2017, 748 – Helene Fischer. 142 BGH v. 5.10.2004 – VI ZR 255/03, MDR 2005, 393 = AfP 2005, 65 = NJW 2005, 215 – Tochter von Caroline von Hannover. 143 OLG Köln v. 12.7.2016 – 15 U 175/15 Rz. 13 – Kachelmann. 144 OLG Köln v. 12.7.2016 – 15 U 175/15 Rz. 54 – Kachelmann; Soehring/Hoene, § 32 Rz. 28, 28b. 145 OLG Köln v. 12.7.2016 – 15 U 175/15 Rz. 70 – Kachelmann. 146 BGH, VerfR 1974, 756; OLG Dresden v. 12.7.2011 – 4 U 180/11. 147 OLG Köln v. 12.7.2016 – 15 U 175/15 Rz. 92 – Kachelmann. 148 OLG Koblenz v. 10.12.1996 – 10 U 1667/95 NJW 1997, 1375 – Schweigen der Hirten.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 49 Kap. 9
Eine zu immateriellem Schadensersatz verpflichtende schwere Persönlichkeitsverletzung hat 49 das LG Berlin bei der Verwendung des Porträtfotos eines zur schwarzen Bevölkerungsgruppe gehörigen vierjährigen Kindes für die vordere Einbandseite des Romans „Saat der Sünde“ bejaht; beim flüchtigen Betrachter könne der Eindruck entstehen, das Kind sei die „Saat der Sünde“. Dadurch werde es als minderwertig und einer Sphäre der Unsittlichkeit angehörig dargestellt. Da der Vater öffentlich als Musiker auftrete, sei die Veröffentlichung geeignet, das Kind im größeren Kreis Spötteleien und peinlichen Mutmaßungen auszusetzen149. Eine schmerzensgeldwürdige schwere Persönlichkeitsverletzung liegt auch bei der unter Namensnennung erfolgenden Verbreitung des Bildnisses einer Frau vor, die Opfer eines Heiratsschwindlers geworden ist. Mit einem solchen Opfer verbindet die Öffentlichkeit Eigenschaften wie „einsam“ und „grenzenlos naiv“. Selbst wenn dies im konkreten Fall zutrifft, bedeutet es für das Opfer eine besonders schwere Beeinträchtigung, wenn dies einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht wird (Auflage 1 Mio. Exemplare, Schmerzensgeld 5 000 DM150). Eine ausreichend schwere Persönlichkeitsverletzung liegt auch vor, wenn ein Polizeibeamter Hänseleien und dem Spott seiner Kollegen ausgesetzt ist, weil eine Zeitschrift sein Bildnis, das ihn beim Wegschleppen eines Betrunkenen zeigt, mit dem Text veröffentlicht hat „Polizeieinsatz gegen den Betrunkenen: Bargeld in die eigene Tasche“, was den Anschein vermittelt, er sei in die in dem Artikel geschilderten Korruptionsfälle verwickelt151. Auch die Abbildung eines Unfallzeugen kann schmerzensgeldwürdig sein, wenn dadurch der Eindruck erweckt wird, der Abgebildete sei als Verursacher am Unfall beteiligt. Eine Zeitschrift berichtete über einen schweren Verkehrsunfall, bei dem sechs Personen zu Tode kamen. Dabei wurde ein Foto der Unfallstelle gezeigt, auf dem neben einigen der Opfer, Sanitätern und Feuerwehrleuten auch ein sichtbar erschütterter Mann zu sehen war. Es handelte sich bei ihm um einen unwesentlichen Unfallzeugen. Ihm wurde eine Geldentschädigung von 3 000 DM zugesprochen, weil er von Unbekannten nach der Fotoveröffentlichung auf seine Beteiligung an dem Unfall angesprochen wurde und die Abbildung ihn in einen gedanklichen Zusammenhang mit verantwortungslosem und lebensgefährdendem Verhalten gebracht hatte152. Wird ein Jugendlicher auf der Umschlagseite eines Buches (Auflage 10 000 Exemplare) über antiautoritäre Erziehung abgebildet, obwohl er nicht nach diesem Konzept erzogen wurde und eine solche Erziehungsmethode ablehnt, kann er sich durch eine solche Bildnisnutzung in seinem Selbstwert schwer beeinträchtigt fühlen. Denn – so das Buch – antiautoritär erzogene Personen würden in der Öffentlichkeit als „ichschwache Kaputtniks“ und „Terroristen von morgen“ angesehen153. 6 000 DM Entschädigung sprach das OLG Frankfurt zu, als bei der Berichterstattung über eine aktuelle Straftat der Täter in Handschellen gezeigt wurde, die ihm in einem Jahre zurückliegenden Strafverfahren angelegt worden waren154. Dabei war bei der Höhe der Entschädigung zu berücksichtigen, dass der Betroffene für die Fehlentwicklung seiner Persönlichkeit selbst verantwortlich war, es also nicht um die Bildberichterstattung über eine Person ging, die eine untadelige Vergangenheit aufzuweisen hatte. Wird durch eine grob fahrlässige Fotoverwechslung das Bild eines unbeteiligten und unbescholtenen Priesters in einem Zeitschriftenartikel über sexuelle Verfehlungen von Priestern gegenüber Minderjährigen bundesweit in einer Auflage von 1,5 Mio. Exemplaren veröffentlicht, rechtfertigt dies eine Entschädigung 149 150 151 152
LG Berlin v. 12.2.1973 – 16 O 298/71, GRUR 1974, 415 – Saat der Sünde. LG Stuttgart v. 2.3.1982 – 17 O 516/81, n.v. LG Stuttgart v. 8.7.1981 – 17 O 275/81, AfP 1983, 294. OLG Karlsruhe v. 18.8.1989 – 14 U 105/88, MDR 1989, 1100 = NJW-RR 1990, 1328 – Unfallfoto. 153 OLG Frankfurt v. 12.7.1991 – 25 U 87/90, NJW 1992, 441 – Terroristen von morgen: Entschädigung DM 2 000. 154 OLG Frankfurt v. 18.2.1993 – 6 U 12/92, ZUM 1994, 514 – Wundermann.
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Kap. 9 Rz. 50
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
von 20 000 DM155. Ein „Schmerzensgeld“ von 50 000 DM neben dem Ersatz seines materiellen Schadens erhielt ein Unternehmer zugesprochen, der aufgrund einer Namensverwechslung in einer Fernsehreportage über Geldwäsche im Bild gezeigt wurde mit der Behauptung, er habe sein Formel-I-Rennteam mit Drogengeldern finanziert156. Eine Fernsehreportage, in welcher der Betroffene fälschlicherweise als Neonazi mit einschlägiger Vergangenheit vorgeführt wird, stellt eine schwere Persönlichkeitsverletzung dar. Allerdings mindert die Veröffentlichung einer Richtigstellung den erlittenen Schaden und damit die Höhe der Geldentschädigung. Der Präventivgedanke findet keinen Eingang in die Höhe der Geldentschädigung, wenn der Persönlichkeitsrechtsverletzung kein zielgerichteter Angriff auf den Betroffenen zugrunde lag157. Die Abbildung auf dem Titelblatt einer Homosexuellen-Zeitschrift rechtfertigte eine Entschädigung von 5 000 DM, weil dadurch der unzutreffende Eindruck erweckt wurde, der Abgebildete sei selbst homosexuell158. Eine Entschädigung von 15 000 DM erhielt ein Mann zugesprochen, der als „Berlins gierigster Lehrer“ in einer Zeitung abgebildet worden war159. Eine Geldentschädigung von 30 000 DM setzte das LG Berlin fest für die Veröffentlichung von Portraitaufnahmen eines Anwalts, der damit beauftragt war, gegen die Zeitung presserechtliche Ansprüche eines Straftäters durchzusetzen. Dabei hatte die Zeitung, nachdem ihr die Veröffentlichung von Bildnissen des Anwalts gerichtlich untersagt worden war, noch einen Schattenriss des Anwalts veröffentlicht160. Eine entschädigungspflichtige Persönlichkeitsverletzung lag auch in folgendem Fall vor: Ein Partnervermittlungsinstitut erhielt das Foto einer Kundin ausdrücklich nur für die Kundenkartei, nicht aber zur Veröffentlichung. Aufgrund einer Verwechslung wurde das Bild trotzdem in einer Partnerschaftsanzeige in der Tageszeitung veröffentlicht mit dem Text, die Abgebildete sei 28 Jahre alt und OP-Schwester. In Wirklichkeit war die Abgebildete älter und bei einer Versicherung beschäftigt. Da dies bei denjenigen Personen, die die Abgebildete kannten, den Eindruck erwecken konnte, sie habe es nötig, auf Partnersuche zu gehen und dabei noch dazu mit falschen Angaben für sich zu werben, sprach das AG Nürnberg eine Entschädigung von 1 700 DM zu161. Keinen Spaß verstand ein Urlauber, dessen Reaktion auf einen weiblichen Kniff in den Hintern mit versteckter Kamera gefilmt und – wenn auch nur wenige Sekunden – in einer Unterhaltungsshow des Fernsehens vor einem Millionenpublikum ausgestrahlt wurde. Das LG Wiesbaden sprach ihm eine Geldentschädigung von 1 500 DM zu162. 50
Entschädigungswürdig kann auch der erweckte falsche Anschein sein, der Betroffene habe sich gegen Bezahlung zur Veröffentlichung ehrenrühriger Fotos bereit erklärt. Dieser Eindruck entstand, als eine Illustrierte unter der Überschrift „ADAC-Notrufzentrale Barcelona“ über die Tätigkeit des ADAC über in Not geratene Urlauber berichtete und den Bericht illustrierte durch das Foto einer jungen Dame am Strand oben ohne, welches ohne Kenntnis und Einwilligung der Betroffenen aufgenommen und benutzt worden war. Zuhause wurde sie in abfälliger Form auf die Veröffentlichung angesprochen. Ihr Freund trennte sich wegen des Bildes von ihr. Man hatte nämlich geglaubt, sie habe sich gegen Bezahlung zu einer solchen Zurschaustellung bereitgefunden. Ihr wurde daher eine Entschädigung von 4 000 DM
155 156 157 158 159 160 161 162
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OLG Koblenz v. 20.12.1996 – 10 U 1667/95, NJW 1997, 1375 – Schweigen der Hirten. OLG Hamburg v. 1.6.1995 – 3 U 148/94, NJW-RR 1996, 90 – Geldwäsche. LG Berlin v. 9.10.1997 – 27 O 349/97, NJW-RR 1998, 316 – Neonazi. OLG Celle v. 24.3.1999 – 13 U 188/98, OLGReport Celle 1999, 378. LG Berlin v. 26.11.1996 – 27 O 451/96, NJW 1997, 1373. LG Berlin v. 28.1.1999 – 27 O 605/98, NJW-RR 2000, 555. AG Nürnberg v. 20.8.1999 – 14 C 8040/98, NJW-RR 2000, 1293 – Sie sucht Ihn. AG Wiesbaden v. 8.9.1999 – 92 C 2998/99, NJW-RR 2000, 28.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 51 Kap. 9
zugesprochen163. Ähnliche Erwägungen hatten schon früh zu einem Schmerzensgeld des „Herrenreiters“ geführt: Der Gesellschafter einer Kölner Brauerei betätigte sich als „Herrenreiter“ im Turniersport. Er fand sein Bild wieder auf einem Plakat, welches für ein Potenzmittel warb. Der BGH sah eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung darin, dass auf dem weit verbreiteten Plakat der Herrenreiter für ein Potenzmittel ungefragt werben musste und er dadurch in eine weithin demütigende und lächerliche Lage gebracht wurde bis hin zu dem Verdacht, er habe sich gegen Bezahlung für die Werbung bereitgestellt164. Die gleichen Gesichtspunkte führten zu einem Schmerzensgeld im Fall „Liebestropfen“. Dort war in der Werbung für ein Sexualpräparat die Szene aus einem Film abgebildet mit dem Text „Pariser Liebestropfen. Das intime Mittel für Mann und Frau. Ein moderner Lockstoff der Liebe“. Die ohne ihre Einwilligung in der Werbung auf diese Weise abgebildete Schauspielerin machte mit Erfolg geltend, es entstehe der Eindruck, dass sie sich gegen Entgelt für eine derartige Werbung zur Verfügung gestellt habe165. Das – mit ihrer Einwilligung aufgenommene – Hochzeitsfoto einer Prominenten musste ohne ihre Einwilligung dazu herhalten, den Bericht einer Illustrierten (Auflage 320 000 Exemplare) zum Thema „Weihnachtswunsch nach Zweisamkeit“ zu bebildern. Abgedruckt waren Eheanbahnungswünsche von Männern und Frauen. Auch hier lag die falsche Annahme der Leser des Blatts und von Bekannten der Prominenten nahe, sie habe ihr Brautbild gegen Entgelt als Vorspann für eine Eheanbahnungsaktion zur Verfügung gestellt166. Auch ein bösartiger Text im Zusammenhang mit einer Bildnisveröffentlichung kann zu einem Schmerzensgeld führen. Dies war der Fall, als in einer Illustrierten ein kritischer Bericht über eine Fernsehansagerin erschien mit dem Text, sie passe „in ein zweitklassiges Tingeltangel auf der Reeperbahn“ und sie sehe aus wie eine „ausgemolkene Ziege“167. Die Fernsehansagerin erhielt später 9 000 DM Schmerzensgeld zugesprochen. Die Verletzung der Intimsphäre ist eine schwere Persönlichkeitsverletzung. Die ungehinder- 51 te, freie Entfaltung der Persönlichkeit wird durch eine abträgliche Bildnisveröffentlichung regelmäßig erheblich mehr beeinträchtigt als durch einen Wortbericht. Dies gilt besonders für die Veröffentlichung von Bildnissen aus dem Intimbereich168. Die Veröffentlichung von Nacktaufnahmen führt daher regelmäßig zu einem Geldentschädigungsanspruch. Dies gilt nicht nur für Aufnahmen „gänzlich ohne“, sondern auch für solche „oben ohne“ oder „unten ohne“169. Die ohne Einwilligung erfolgte Aufnahme und Verbreitung eines Fotos, welches die Betroffene oben ohne am Strand zeigte, zur Illustration eines Berichts in Not geratener deutscher Urlauber, ist eine schwere Persönlichkeitsverletzung170. Die Abbildung eines männlichen Fotomodells in einem Biologiebuch übernahm eine Illustrierte zur Illustration eines Berichts über die bayerischen Richtlinien zum Sexualkundeunterricht. Die darin liegende schwere Per-
163 164 165 166 167 168 169
OLG Oldenburg v. 14.11.1988 – 13 U 72/88, AfP 1989, 556 = NJW 1989, 400 – Strandfoto. BGH v. 14.2.1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827 – Herrenreiter. BGH v. 26.1.1971 – VI ZR 95/70, NJW 1971, 698 – Liebestropfen. BGH v. 10.11.1961 – I ZR 78/60, GRUR 1962, 211 – Hochzeitsbild. BGH v. 5.3.1963 – VI ZR 55/62, NJW 1963, 902 – Fernsehansagerin. OLG Stuttgart v. 16.12.1981 – 4 U 88/81, NJW 1982, 652, 653 – Dressmen. BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617 – Nacktaufnahme; v. 2.7.1974 – VI ZR 121/73, NJW 1974, 1947 – Nacktfoto; OLG Hamm v. 3.3.1997 – 3 U 132/96, NJW-RR 1997, 1044 – Unten ohne; KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, NJW-RR 1999, 1703 – Schärfere Slips; OLG Karlsruhe v. 23.4.1993 – 15 U 237/92, NJW-RR 1994, 95 – Patientenfoto; OLG Oldenburg v. 14.11.1988 – 13 U 72/88, AfP 1989, 556 = NJW 1989, 400 – Strandfoto; OLG München v. 8.11.1985 – 21 U 2432/85, AfP 1986, 69 – Nackt im Park; OLG Stuttgart v. 16.12.1981 – 4 U 88/81, NJW 1982, 652 – Nacktfoto. 170 OLG Oldenburg v. 14.11.1988 – 13 U 72/88, AfP 1989, 556 = NJW 1989, 400 – Strandfoto.
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Kap. 9 Rz. 51
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
sönlichkeitsverletzung des Fotomodells führte zu einer Geldentschädigung von 5 000 DM171. Eine Geldentschädigung von 5 000 DM löste auch folgender Fall aus: Eine Studentin bot sich einem Fotografen für Werbefotos an. Er machte von ihr einige Probeaufnahmen. Eine davon erschien in einer Illustrierten im Zusammenhang mit einem Beitrag, in welchem unter der Überschrift „Frühling! Da liegen heiße Quickies in der Luft“ angebliche Leser über ihre sexuellen Frühlingserlebnisse berichteten. Neben dem Portrait-Foto der Studentin war unter einem Pseudonym „G (22), Sachbearbeiterin aus M.“ „ihr“ sexueller Erlebnisbericht über einen Frühlingsquickie abgedruckt172. 8 000 DM Entschädigung erhielt die Abgebildete, als ihr Bildnis – telefonierend, nur mit einem Pelz bekleidet – einer Zeitschrift zur Illustration eines Artikels über Telefonsex diente. Das Foto war zu ganz anderen Zwecken gefertigt worden und wurde ohne Einwilligung der Betroffenen verwendet. Über dem Foto stand „Die Traumfrau, Nackte im Pelz“. Entschädigt wurde sie nicht nur für die Nacktaufnahme, sondern auch für den erweckten Anschein, sie betreibe Telefonsex173. „Unten ohne“ musste eine andere Betroffene für eine Bildnisveröffentlichung herhalten. Sie stand in einem Fotostudio gelegentlich Modell für Werbefotos in der Möbelbranche. Dort ließ sie auch Aktfotos aufnehmen, auf denen sie nur mit einer Bluse bekleidet war. Der Fotograf behielt eine Aufnahme und verkaufte sie ohne Einwilligung der Betroffenen an eine Zeitschrift. Dort erschien das Bild auf dem Titelblatt zusammen mit dem Foto eines kopulierenden Paares und dem Schriftzug „Sieben Tipps für den Mega-Orgasmus“. Angesichts der Schwere dieses Eingriffs wurde der Betroffenen ein Schmerzensgeld von 20 000 DM zugesprochen174. Eine im Vergleich dazu großzügig anmutende Entschädigung von 15 000 DM sprach das KG einem Betroffenen zu, dessen Foto – lediglich mit Unterhose bekleidet, Jahre zuvor gegen Honorar aufgenommen für die Werbung für Unterwäsche – zur Illustration einer sexuellen Reportage verwendet wurde mit einem Text, durch den suggeriert wurde, seine Freundin fordere ihn auf, „schärfere Slips“ zu tragen. Allerdings war der so Vorgestellte inzwischen Akademiker, Geschäftsführer eines Verlages und Familienvater, was die Höhe der Entschädigung plausibel macht175. 5 000 DM sprach das LG Saarbrücken einer Schauspielerin zu, da sie gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen bei einer Nacktszene in einem Theaterstück fotografiert wurde und diese Aufnahme in einer Zeitschrift mit 700 000 Exemplaren einem großen Lesepublikum dargeboten wurde176. Zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 30 000 DM wurde ein Wochenmagazin verurteilt, welches Bilder einer bekannten Schauspielerin nackt unter der Dusche und in hochschwangerem Zustand in hoher Auflage verbreitete und dabei bewusst gegen den anderweitig gerichtlich manifestierten Willen der Abgebildeten verstoßen hatte. Denn das Foto entstammte der Autobiographie der Mutter der Abgebildeten, wobei die Tochter ihrer Mutter die Verbreitung auch dieser Abbildung im Buch gerichtlich hatte verbieten lassen177, was dem Magazin bekannt war. 150 000 DM erhielt eine bekannte Fernsehmoderatorin und Schriftstellerin als Geldentschädigung zugesprochen wegen 15 Fotos, mit denen ein Bericht in einer Illustrierten unter dem Titel „Lago Amore“ bebildert war. Die Fotos zeigten Hera Lind alleine oder zusammen mit ihren Kindern und ihrem Lebensgefährten an einem versteckten Strand. Einige der Aufnahmen zeigten die Betroffene mit entblößtem Busen und/ oder entblößtem Gesäß, beim Umkleiden sowie bei der Hinwendung zu ihren Kindern 171 OLG Stuttgart v. 16.12.1981 – 4 U 88/81, NJW 1982, 652 – Dressman. 172 OLG Hamburg v. 22.9.1994 – 3 U 106/94, AfP 1995, 508 = NJW-RR 1995, 220 – Heiße Quickies. 173 OLG München v. 9.3.1995 – 29 U 3903/94, ZUM 1996, 160 – Telefonsex-Foto. 174 OLG Hamm v. 3.3.1997 – 3 U 132/96, NJW-RR 1997, 1044 – Unten ohne. 175 KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, ZUM-RD 1998, 554 – Schärfere Slips. 176 LG Saarbrücken v. 19.5.2000 – 13 A S 112/99, NJW-RR 2000, 1571. 177 LG Berlin v. 21.12.2000 – 27 O 533/00, AfP 2001, 246 – Nackt und hochschwanger.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 52 Kap. 9
(Auftragen von Sonnenschutzcreme, Aufsetzen eines Sonnenhutes, Beaufsichtigung beim Baden und Spielen). Das Gericht sah hierin einen Eingriff in die Privatsphäre, teilweise auch in die Intimsphäre sowie – bei den Hinwendungsmotiven – Eingriffe in die private ElternKind-Situation. Es handelte sich um eine vorsätzliche Rechtsverletzung durch Paparazzi-Fotos. Die Betroffene, die sich nie unbekleidet hatte abbilden lassen, war mit entblößtem Busen auch als „PIN-UP“ Blickfang auf der Titelseite wiedergegeben. Die Verkaufsauflage betrug bundesweit 334 000 Exemplare. An der schwerwiegenden Rechtsverletzung änderte sich nichts dadurch, dass die Betroffene sich regelmäßig und ausführlich über ihre Privatund Intimsphäre in der Wortberichterstattung geäußert hatte. Dieses „Outing“ wurde jedoch mindernd bei der Bemessung der Geldentschädigung berücksichtigt. Denn wenn ein Betroffener in erheblichem Ausmaß Teile seines Privat- und Intimlebens selbst öffentlich gemacht hat, ist das Genugtuungsinteresse niedriger zu bewerten178. Wegen Verletzung der Intimsphäre wurde auch in folgenden Fällen eine Geldentschädigung zuerkannt: Eine Geldentschädigung von 3 000 Euro erhielt ein Mann für sieben Sekunden Filmaufnahmen, die ohne sein Wissen und Zustimmung gefertigt wurden und ihn zeigten, wie er nackt auf einem FKK-Gelände zu seinem Liegeplatz läuft, in einer Wissenschaftssendung im Fernsehen zum Thema „Nacktheit“179. 5 000 Euro wegen Veröffentlichung bereits vor Jahren publizierter Nacktaufnahmen eines damals Minderjährigen für eine Lovestory zur Illustration eines Artikels in einer Zeitschrift auch im Internet180. 25 000 Euro wegen der Veröffentlichung von privaten Nacktfotos der ehemaligen Partnerin nach Beendigung der Beziehung in einer Internet-Tauschbörse unter Angabe von Anschrift und Telefonnummer der Betroffenen181. 40 000 Euro für die Veröffentlichung von Nacktaufnahmen eines bekannten Sängers in einer Zeitschrift, gefertigt in dessen Urlaub am Strand in örtlicher Abgeschiedenheit, sein Genitalbereich verdeckt durch ein Laubblatt182; 7 500 Euro wegen der Veröffentlichung von Paparazzifotos, die ein Fotomodell mit nacktem Oberkörper zusammen mit ihrem Freund am Strand im Urlaub zeigen, auch wenn das Model später Nacktfotos von sich auf dem Cover eines Männermagazins veröffentlichen lässt183; 5 000 Euro weil das Nacktfoto einer Frau, die im Rahmen einer Kunstauktion Modell gestanden hat, in einem Programmheft ohne ihre Einwilligung veröffentlicht wurde, obwohl das Bildnis absprachegemäß zuvor in einem Zeitungsartikel über die Veranstaltung erschienen war184. 1 000 Euro wegen der Weiterleitung von Aktfotos, die der darauf erkennbar abgebildete Minderjährige von sich selbst gefertigt und versehentlich an einen anderen Minderjährigen übermittelt hat, durch diesen an Dritte185; 2 700 Euro wegen der Übermittlung von neun Nackt- oder oben-ohne-Aufnahmen an einen kleinen Empfängerkreis und das damit verbundene Zwangsouting der Abgebildeten als Escort-Girl186; 15 000 Euro wegen der Verbreitung pornografischer Fotomontagen mit dem Gesicht der Betroffenen im Internet187. Eine schwere Persönlichkeitsverletzung liegt auch dann vor, wenn eine Person von zwergen- 52 haftem Wuchs unter einem Briefkasten stehend mit der Sprechblase „Die Briefkästen wer178 179 180 181 182 183 184 185 186 187
LG Hamburg v. 20.7.2001 – 324 O 68/01, ZUM 2002, 68 – Lago Amore. LG München v. 30.7.2003 – 21 O 4369/03, NJW 2004, 617. LG München v. 18.12.2003 – 7 O 15358/03, ZUM 2004, 320. LG Kiel v. 27.5.2006 – 4 O 251/05, NJW 2007, 1002. LG Hamburg v. 29.5.2009 – 324 O 951/08, ZUM-RD 2009, 610. OLG Hamburg v. 29.11.2011 – 7 U 47/11, AfP 2013, 65. OLG Düsseldorf v. 16.11.2011 – 12 O 438/10, ZUM-RD 2012, 407. LG Frankfurt v. 20.5.2014 – 2 – 03 O 189/13, ITRB 2014, 293. LG Frankfurt v. 30.7.2015 – 2 – 3 O 455/14. OLG Oldenburg v. 11.8.2015 – 13 U 25/15, ITRB 2016, 31 = NJW 2016, 816.
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Kap. 9 Rz. 53
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
den auch immer höher“ in einem Witzbuch wiedergegeben wird; auch ohne Namensnennung beeinträchtigt es den durch das persönliche Gebrechen des Zwergwuchses ohnehin Belasteten, als Beispiel einer Zwergensituation benutzt worden zu sein, die Heiterkeit erregen soll188. 10 000 DM Entschädigung sprach das Gericht zu, als in der Stern-Rubrik „Bonnbon“ ein Foto veröffentlicht wurde, welches den Betroffenen in Landestracht am Sommerfest der bayerischen Landesvertretung in Bonn zeigte im Gespräch mit Theo Waigel, und durch den Text der Eindruck erweckt wurde, der Betroffene sei ein dummer, lederbehoster Seppl, der nicht einmal in der Lage ist, sich verständlich zu artikulieren189. 53
Eine schwere Persönlichkeitsverletzung war die Veröffentlichung eines Fotos in einer Illustrierten, das die Eltern am Grab ihres ermordeten Kindes zeigte, mit dem Kommentar „Die Gesichter sind von Schmerz gezeichnet“ und einer vollständigen Nennung von Vor- und Nachnamen der Eltern. Ihnen wurde eine Entschädigung von 8 000 DM zugesprochen190. Für die Veröffentlichung eines Fotos des verunfallten Ehemanns, welches ihn in der konkreten Situation seines Erstickungstodes mit weit aufgerissenem Mund zeigte, wurden der Ehefrau eine (eigene) Geldentschädigung von (nur) 8 000 DM zugesprochen, weil der Verstorbene nur mit einem Kürzel genannt, wegen der Verschmutzung seines Gesichts nur für diejenigen erkennbar war, die ihn zu Lebzeiten kannten und der Bericht zwar mitleiderregend und erschütternd, aber sachlich gehalten und die Abbildung nicht blickfangmäßig veröffentlicht war191. Zuerkannt wurden 200 000 DM wegen 36 Paparazzifotos, die Prinzessin Caroline von Monaco beim Austausch von Zärtlichkeiten an Deck einer vor der Küste ankernden Yacht vor dem Bekanntwerden ihrer Beziehung sowie betend und beim Abendmahl in einer Freiluftkirche zeigten192. Die Veröffentlichung von Filmaufnahmen in einer Fernsehsendung, die eine Person zeigten, die sich nach einem soeben durchgeführten Totschlag in einem für jeden Betrachter erkennbaren verstörten und verwirrten Zustand befand, rechtfertigte eine Geldentschädigung i.H.v. 20 000 DM, auch wenn die Veröffentlichung der Aufnahmen nicht aus reiner Sensationslust erfolgte, sondern im Rahmen des mit der Fernsehserie verfolgten thematischen Schwerpunktes, wobei zu dessen Darstellung allerdings die Ausstrahlung der Filmaufnahmen mit der Betroffenen nicht erforderlich war193.
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10 000 Euro Geldentschädigung wurden zuerkannt wegen der Verwechslung des Bildnisses eines Straftäters mit dem seines Bewährungshelfers194; 5 000 Euro wegen Veröffentlichung eines Fotos des Sohnes eines wissenschaftlichen Beraters der irakischen Regierung in missverständlichem Kontext in einer Tageszeitung unter Berücksichtigung der Auflage, der sensationellen Aufmachung des Artikels und der Brutalität der Sprache195; 150 000 DM Geldentschädigung erhielt die Tochter von Caroline und Ernst August von Hannover zugesprochen, weil in neun Zeitschriften eines Großverlages trotz Abmahnung wiederholt heimlich aufgenommene Fotos des Kleinkindes ohne Zustimmung seiner Eltern veröffentlicht worden waren196; die 16-jährige Schülerin Lisa Loch erhielt 70 000 Euro als Entschädigung, weil sie in einer TV188 189 190 191 192 193 194 195 196
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OLG München v. 3.2.1975 – 21 U 2481/74, NJW 1975, 1129. OLG München v. 5.12.1997 – 21 U 3698/97, NJW-RR 1998, 1036 – Bonnbon. LG Köln v. 5.6.1991 – 28 O 451/90, AfP 1991, 757 = NJW 1992, 443. OLG Düsseldorf v. 21.10.2000 – 15 U 232/97, AfP 2000, 574 – Lebendig begraben. OLG Hamburg v. 10.10.2000 – 7 U 138/99, OLGReport Hamburg 2001, 139. LG Köln v. 9.1.2002 – 28 O 444/01, AfP 2002, 343. OLG München v. 22.10.2003 – 21 U 2540/03, NJW 2004, 959. AG Hamburg v. 2.12.2003 – 36 A C 2189/03, NJW-RR 2004, 158 – Saddams Giftmischer. BGH v. 5.10.2004 – VI ZR 255/03, MDR 2005, 393 = AfP 2005, 65 und BVerfG v. 2.6.2006 – I BvR 2/05.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 54 Kap. 9
Sendung und auf der Homepage des Senders allein wegen ihres Namens lächerlich gemacht und in die Nähe der Pornografie gerückt worden war197; 5 000 Euro wegen der Veröffentlichung des Fotos des überlebenden Opfers eines Amokläufers, das am nachfolgenden Strafverfahren als Nebenklägerin teilnahm, in einem Pressebericht über den Strafprozess gegen den Täter198; 6 000 Euro wegen herabsetzender Bemerkungen des bekannten Moderators einer Livesendung mit 14,5 Mio. Zuschauern über das „alte“ Aussehen einer vor laufender Kamera befragten jungen Zuschauerin; betragsmindernd wurde berücksichtigt, dass die Betroffene durch spätere Auftritte in Fernsehsendungen mit überhöhten Geldentschädigungsansprüchen selbst zu einer weiteren Verbreitung der inkriminierten Äußerungen beigetragen hatte199. 5 000 Euro wegen der Veröffentlichung eines Fotos, das den Betroffenen am „Christopher-Street-Day“ in inniger Umarmung mit einem Partner zeigt, in einer Münchener Tageszeitung und dem damit verbundenen Zwangsouting des Betroffenen als Homosexueller200. 5 500 Euro wegen der Veröffentlichung heimlicher Filmaufnahmen im Fernsehen, die einen vom Gerichtsvollzieher im Schlaf in seiner Wohnung überraschten Schuldner zeigen201; 2 500 Euro für die Ausstrahlung des Interviews eines wegen des Verschwindens ihres 5-jährigen Kindes verzweifelten und beim Auffinden des Kindes überglücklichen Mutter in einer TV-Ulk-Sendung „Skurrilitäten des Alltags“ ohne Zustimmung202; 5 000 Euro wegen der Nutzung des Bildnisses eines Schornsteinfegers auf einem Wahlplakat ohne dessen Einwilligung203; 15 000 Euro wegen der Veröffentlichung des Bildnisses eines Kraftfahrers im Fernsehen, das von einem Kamerateam bei einer Verkehrskontrolle im Rahmen einer Drogenfahndung des Zolls gefertigt worden war204; 25 000 Euro wegen mehrfacher Ausstrahlung des Bildnisses des Opfers eines Raubüberfalls verwirrt, hilflos und unter Schock unmittelbar nach dem Überfall in TV-Nachrichten205; 15 000 Euro wegen der Veröffentlichung eines Fotos, das die Braut eines bekannten Fernsehmoderators dabei zeigt, wie sie in einer Situation völliger Zurückgezogenheit auf die Trauungszeremonie wartet. Die Aufnahme war abgemahnt worden und die Presse war im Vorfeld darüber informiert worden, dass keine Medienberichterstattung über die privaten Abläufe der Hochzeit erfolgen solle206; 2 000 Euro wegen der Veröffentlichung des Bildnisses eines Kellners, wie er einen bekannten Popsänger von einem Restaurant mit der Begründung wegschickt, er dürfe vor dem Restaurant keine Musik machen. Die vorsätzliche Rechtsverletzung durch die Illustration mit dem Bildnis des erkennbaren Kellners diente offenbar allein zur Steigerung des Unterhaltungswertes des Artikels207. 400 000 Euro wegen einer Vielzahl von jeweils bebilderten Artikeln in zwei Zeitschriften eines Verlages innerhalb eines Zeitraums von ca. drei Jahren mit unwahren Behauptungen über bevorstehende Verlobungen, Hochzeiten, Schwangerschaften und Liebesverhältnisse der Prinzessin Viktoria von Schweden208; 15 000 Euro für vier Fotos vom Strandbesuch einer prominenten Fernsehmoderatorin mit ihrem Lebensgefährten beim
197 198 199 200 201 202 203 204 205 206 207 208
OLG Hamm v. 4.2.2004 – 3 U 168/03, AfP 2004, 543. LG Münster v. 24.3.2004 – 10 O 626/03, NJW-RR 2005, 1065. LG Hannover v. 11.1.2006 – 6 O 73/05, AfP 2006, 193. LG München v. 21.7.2005 – 7 O 4742/05, n.v. OLG München v. 13.1.2009 18 U 4520/08, ZUM 2009, 429. OLG Karlsruhe v. 26.5.2006 – 14 U 27/05, AfP 2007, 76 = AfP 2006, 467 = AIP 2006, 467. OLG Saarbrücken v. 13.9.2006 – 1 U 624/05, ZUM-RD 2007, 244. LG Kleve v. 21.1.2009 – 2 O 229/07, ZUM-RD 2009, 555. LG Berlin v. 31.7.2008 – 27 O 360/08, n.v. OLG Köln v. 10.3.2009 – 15 U 163/08, ZUM 2009, 486. OLG Karlsruhe v. 8.4.2009 – 6 U 209/07, IPRB 2010, 31 = NJW-RR 2009, 1273. OLG Hamburg v. 30.7.2009 – 7 U 4/08, AfP 2009, 509.
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Kap. 9 Rz. 55
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
Austausch von Zärtlichkeiten209; 10 000 Euro wegen der Veröffentlichung eines Fotos, das die Schauspielerin Ursula Karven unmittelbar nach dem Unfalltod ihres kleinen Sohnes zeigt, als dieser gerade auf einer Bahre in den Krankenwagen transportiert wird210; 10 000 Euro für eine Fernsehmoderatorin, weil in einem bebilderten Zeitungsartikel der Eindruck einer privaten Beziehung zum Fußball-Bundestrainer erweckt wurde u.a. mit einer Fotomontage, die beide Personen näher aneinanderrückte211; 8 000 Euro für eine ehemalige Landesministerin, als illustriert mit ihrem Bildnis entgegen ihrem ausdrücklichen Wunsch mit dem Titel „Drama um Ex-Ministerin“ über den Suizid ihres Sohnes berichtet wurde212; 12 500 Euro wegen der Veröffentlichung des Bildnisses einer erkennbar schwangeren bekannten Schauspielerin Hand in Hand mit einem vertrauten Begleiter, während eines Spaziergangs in der Öffentlichkeit und einem weiteren Bildnis, auf welchem sie sich mit einem innigen Lächeln einem fremden Baby zuwendet sowie weiterer 7 500 Euro wegen derselben Aufnahmen in der Online-Ausgabe der Zeitung; die Veröffentlichung erfolgte trotz vorhergehender anwaltlicher Abmahnung, die in Aussicht gestellte Veröffentlichung zu unterlassen213; 5 000 Euro für jeden der zwei Prominenten, die bei einem Spaziergang auf offener Straße gezeigt wurden zur Illustration eines Berichts mit der Spekulation über eine Beziehung zwischen den beiden214. 7 500 Euro wegen der einmaligen Veröffentlichung von Belegfotos über die noch kaum erkennbare Schwangerschaft einer Schauspielerin in einer regionalen Tageszeitung (Auflage 120 000 Exemplare) sowie deren Online-Ausgabe (4,8 Mio. Besucher monatlich) und dem damit verbundenen Zwangsouting ihrer geheim gehaltenen Schwangerschaft215. 220 000 Euro wegen mehrfachen Berichten in Publikumszeitschriften mit zusammen mehr als 1,3 Mio. verkauften Exemplaren über die Scheidung, Trennung und angebliche Flirts und Liaisonen des deutschen Fußball-Bundestrainers, illustriert mit 24 heimlich aufgenommenen Paparazzifotos, die ihn nur bekleidet mit einer Badehose – zum Teil in Begleitung einer jungen Frau im Bikini – im Urlaub am Strand zeigen und alleine der Befriedigung der voyeuristischen Interessen der Leserschaft dienten216. Die Übersendung des Fotos des Brautpaares an die Gäste ihrer Hochzeitsfeier zur Danksagung und zur Erinnerung an die Feierlichkeiten führt nur zu einem Eigentumsübergang der Fotografie, rechtfertigt aber nicht deren Vervielfältigung und Verbreitung per E-Mail zur Demonstration abwertender Äußerungen217. 55
Verneint worden ist die Schmerzensgeldforderung eines Hamburger Urologen, die darauf gestützt war, dass eine Zeitschrift zur Illustration der Serie „Sex im Beruf“ innerhalb seiner Praxisräume angefertigte Aufnahmen veröffentlicht hatte, die das Profil seiner Assistentin zusammen mit einem von ihr eingelassenen männlichen Fotomodell zeigten, verbunden mit der zu angeblichen Vorgängen in Osnabrück aufgestellten Behauptung „Arzthelferin Sybille erschien ihr Chef plötzlich viel toller als ihr Mann – da liebten wir uns in der Praxis …“; trotz Er209 210 211 212 213 214 215 216 217
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LG Hamburg v. 10.7.2009 – 321 O 840/07, ZUM-RD 2009, 676. LG Berlin v. 7.10.2009 – 28 O 263/09, AfP 2010, 597. LG Berlin v. 3.11.2009 – 27 O 343/09, ZUM-RD 2011, 31. OLG Dresden v. 12.7.2011 – 4 U 180/11. OLG München v. 25.2.2014 – 18 U 2770/13 Pre, AfP 2014; 347 – Heike Makatsch I; a.A. in einem ähnlichen Fall LG Köln v. 10.10.2012 – 28 O 195/12, ZUM-RD 2013, 157 – Baby des Kinostars. LG Berlin v. 11.6.2015 – 27 O 120/15, AfP 2015, 569, NJW 2016, 1966. OLG Köln v. 10.11.2015 – 15 U 97/15, NJW 2016, 818 – Heike Makatsch II. LG Köln v. 5.7.2017 – 28 O 9/17, AfP 2017, 540. LAG Hamm v. 28.4.2017 – 1 Sa 1296/16; 47 000 Euro wegen drei Artikeln mit Bildnissen einer bekannten Sängerin und ihres Lebensgefährten, in welchen ohne tatsächliche Anhaltspunkte über die Schwangerschaft der Sängerin spekuliert wird (LG Hamburg v. 24.11.2017 – 324 O 802/16).
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 55 Kap. 9
kennbarkeit seiner Praxisräume habe nicht der Anschein entstehen können, der Hamburger Urologe unterhalte ein Liebesverhältnis in Osnabrück218. Ebenso wenig kann der Ehemann der Inhaberin eines Saunaclubs ein Schmerzensgeld fordern, wenn er sich für eine erwogene Illustriertenreportage zusammen mit zwei unbekleideten Damen in einem Schaumbad hat fotografieren lassen und dieses Foto zur Illustration eines Tageszeitungsartikels über staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen des Verdachts strafbarer Förderung der Prostitution benutzt wird: Die Leser vermuten nicht, der Abgebildete habe damit etwas zu tun, sondern glauben, er sei ein harmloser Saunabesucher219. Ebenfalls gab es kein Schmerzensgeld für einen Kaufmann und seine früher als Fotomodell tätig gewesene Ehefrau wegen der Verbreitung ihres anlässlich eines Silvesterballes in St. Moritz hergestellten Bildnisses zur Illustration des Artikels „Sorgen um Sex und Seele“220. Keine schwere Persönlichkeitsverletzung ist darin gesehen worden, dass im Rahmen des Artikels „800 000 DM mit einem Griff“, der einen Flugscheindiebstahl behandelt hat, das Foto der Schalterhalle des Flugbüros verbreitet worden ist, das eine Dame erkennen ließ: Der Verdacht, die Dame sei an dem Diebstahl beteiligt, habe angesichts des Textes gänzlich ferngelegen221. Kein Schmerzensgeld auch wegen der Veröffentlichung eines mit Augenbinde versehenen Fotos der Familie eines im Krankenhaus an Rauschgiftmissbrauch Gestorbenen im Rahmen eines Sensationsberichtes, wenn der Begleittext ergibt, den Eltern sei es trotz aller Liebe nicht gelungen, den Sohn vor seinem Schicksal zu bewahren222. Die zur Illustration eines polizeilichen Einschreitens gegen unzulässiges Nacktbaden erfolgte Veröffentlichung eines Fotos, das den Kläger inmitten sechs unbekleideter Sonnenbader zeigt, begründet keinen Schmerzensgeldanspruch, wenn seine primären Geschlechtsmerkmale unsichtbar bleiben223. Dieses auf einem Nacktfoto fehlende Detail fiel auch mit ins Gewicht, als in einer Sportzeitschrift ein nackt am Strand joggender Mann abgebildet wurde, der sich häufig als Nackt-Jogger der Öffentlichkeit an diesem Strand präsentierte. In einem solchen Fall einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht zu verneinen, ist zweifelshaft, auch ohne den Begleittext „Rhythmisch schwang er seine Beine – und im Takt schwang auch der Kleine“. Es ist ein Unterschied, ob sich eine Person am Strand einer begrenzten Öffentlichkeit teilweise gleichfalls Unbekleideter zeigt oder ob eine solche Aufnahme in einer Zeitschrift einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird224. Erfasst die aus Sicherheitsgründen installierte Videokamera auch den Zugang zum Nachbargrundstück, wodurch der Nachbar ständig gefilmt wird, liegt darin keine schwere Persönlichkeitsverletzung, weil es an einer gezielten Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts fehlt225. Die Veröffentlichung eines Portraitfotos von Schalck-Golodkowski mit schwarzem Augenbalken (trotz welchem er identifizierbar ist) auf Plakaten zur Werbung für die Artikelserie einer Zeitung über das Thema „Die Wahrheit über Stasi, Schalck und Genossen“ ist kein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Zwar wird durch den Augenbalken beim Betrachter die Assoziation einer Strafverfolgung erzeugt. Aber in diesem Zusammenhang ist die frühere Position des Betroffenen im Apparat der DDR ebenso zu berücksichtigen wie der bekannte Umstand, dass gegen ihn Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft anhängig waren226. Ohne Erfolg blieb die Klage eines Enthüllungs-Journalisten auf Geldentschädigung wegen der Bebilderung 218 219 220 221 222 223 224 225 226
OLG Hamburg, Ufita 70/1974, 313. OLG Stuttgart v. 20.10.1982 – 4 U 119/82, NJW 1983, 1204. LG Hamburg, ArchPR 1969, 119. LG Köln, MDR 1965, 658. BGH v. 5.3.1974 – VI ZR 89/73, GRUR 1974, 794 – Todesgift. OLG München v. 8.11.1985 – 21 U 2432/85, AfP 1986, 69. OLG Köln v. 15.7.1997 – 15 U 215/96, VersR 1997, 1 500 – Nackt-Jogger. OLG Karlsruhe v. 12.8.1998 – 6 U 64/97, OLGReport Karlsruhe 1999, 83. LG Berlin v. 8.6.1995 – 20 O 67/95, NJW 1996, 1142 – Schalck-Golodkowski.
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Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
eines Zeitungsartikels, in welchem sich ein Betroffener gegen die Praktiken des EnthüllungsJournalisten zur Wehr setzte. Der Journalist hatte dem Betroffenen angeboten, gegen Bezahlung von 20 000 DM das Ergebnis seiner Recherchen nicht zu veröffentlichen. Dieses Ansinnen veröffentlichte der Betroffene in einem Zeitungsartikel unter der Überschrift „Ich lasse mich nicht erpressen“. Zum einen zeigten die Bilder zu diesem Artikel den Journalisten bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit, und Anlass und Beweggrund ihrer Veröffentlichung war die Reaktion auf sein Verhalten; zum anderen hatte er durch eine Unterlassungsverfügung auf Veröffentlichung der Bildnisse gegen den Betroffenen bereits eine andere Genugtuung erlangt227. 56
Keine Geldentschädigung wurde bei der rechtsverletzenden Veröffentlichung des unverblendeten Portraitfotos eines Tatverdächtigen im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung zuerkannt, gegen den ein Ermittlungsverfahren anhängig war aufgrund der abzuwägenden Umstände des Falles: Zum einen hatte der Betroffene durch die Begehung von Straftaten das Interesse der Öffentlichkeit selbst auf sich gelenkt228, die Zeitung hatte berechtigten Anlass zu Berichterstattung; da die Grenzen zuverlässiger Verdachtsberichterstattung eingehalten wurden, stand die Unschuldsvermutung der Veröffentlichung nicht entgegen229 und der Betroffene wurde letztlich wegen der Tat später auch tatsächlich verurteilt230. Keine Geldentschädigung erhielt ein sog. Hassprediger wegen der Ausstrahlung von heimlich während seiner Predigt gefertigter Bildaufnahmen in einem TV-Magazin231; für die Veröffentlichung von vier Bildern der Betroffenen aus deren Internetanzeige, in der sie sich als Model empfahl zur Illustration eines Titels, der sich kritisch mit derartigen Internetzeitungen befasste, über die Möchte-Gern-Stars abkassiert werden232; wegen der Veröffentlichung einer Aufnahme, die einen bekannten Schlagsänger zusammen mit seinem nichtehelichen Kind und dessen Mutter auf der VIP-Tribüne eines Tennisturniers zeigt zur Bebilderung eines Artikels über die intime Beziehung der Kindesmutter mit dem Prominenten, weil das Foto nicht kompromittierend war, nicht die Privatsphäre verletzte, nicht heimlich aufgenommen worden war und die Kindesmutter „ihre Story“ zuvor gegen Honorar anderen Medien zur Verfügung gestellt hatte233; für die Veröffentlichung einer Aufnahme, die einen Rechtsanwalt bei der Durchsuchung seiner Kanzleiräume zeigt wegen des im Artikel unterbliebenen Hinweises, dass das Ermittlungsverfahren sich nicht gegen den Rechtsanwalt richtete234; wegen der Veröffentlichung des Fotos einer Prominenten, der beim Tanz auf einer Galaveranstaltung das Oberteil des Kleides so weit herabrutschte, dass ihre Brustwarze sichtbar wurde; denn die Betroffene musste wegen dem Schnitt und dem Stoff ihres Kleides mit einem solchen Missgeschick bei schwungvollen Bewegungen rechnen, was während der Veranstaltung auch wiederholt geschah und sie gegen die von ihr bemerkten Fotoaufnahmen zahlreicher anwesender Pressefotografen nicht protestiert hatte235; wegen einer auf Tatsachen beruhenden, wenn auch reißerischen Verdachtsberichtserstattung in einer Zeitung über eine Mordanklage und Kannibalismusvorwürfe, die mit einem großen Bild des später verurteilten Täters illustriert war, bei dem dessen Zunge 227 OLG Hamm v. 22.3.1999 – 3 U 110/97, NJW-RR 2000, 1147 – Enthüllungsjournalist. 228 Zu diesem Kriterium im Rahmen der Abwägung vgl. auch EGMR v. 7.12.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 Rz. 83 – Axel Springer/Deutschland. 229 Vgl. BGH, AfP 2000, 327 – Verdachtsberichtserstattung. 230 OLG Celle v. 20.4.2000 – 13 U 160/99, NJW-RR 2001, 335. 231 OLG Köln v. 17.5.2005 – 15 U 211/04, NJW 2005, 2554. 232 LG Stuttgart v. 28.6.2005 – 17 S 3/05, ZUM-RD. 2005, 412 – worldwideweb. 233 OLG Nürnberg v. 7.3.2006 – 3 U 1969/05, ZUM-RD 2006, 246. 234 OLG Karlsruhe v. 7.4.2006 – 14 U 134/05, AfP 2006, 262. 235 OLG Hamburg v. 2.5.2006 – 7 U 19/06, ZUM 2006, 639.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 56 Kap. 9
zwischen den Lippen zu sehen war; denn – wie die spätere Verurteilung zeigte – enthielt der Bericht im Kern zutreffende Angaben und wirkte sich deshalb für den Betroffenen nicht in erheblichem Umfang aus, weil er seit Jahren in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht war236; kein Geldentschädigungsanspruch mangels der dafür erforderlichen Eingriffsintensität für die Ehefrau eines tödlich verunglückten Mannes, wenn über das Verhalten der Ehefrau nach dem Unfalltod des Ehegatten nicht reißerisch oder herabwürdigend mit einem Bildnis des Verstorbenen berichtete wird237. Die einmalige Verbreitung nicht mehr aktueller, durch Augenbalken anonymisierter Bildnisse von Minderjährigen in einem TV-Bericht über Kinder und Eltern bei Ehescheidungen stellt zwar einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Kinder dar und gibt ihnen einen Unterlassungsanspruch; die Ausstrahlung älterer, nicht mehr aktueller Bildnisse, die zudem mit einem Augenbalken versehen worden waren, wiegen aber nicht so schwer, dass ein unabweisbares Bedürfnis für die Gewährung einer Geldentschädigung besteht238; wegen einer satirischen Fotomontage, mit der eine ehemalige Ministerpräsidentin lächerlich gemacht wurde, ohne dass darin eine unzulässige Schmähung zu sehen war239; keine Geldentschädigung erhielt ein bekannter TV-Moderator wegen Fotos, die ihn beim Sektempfang nach seiner Hochzeit im Hofe der Potsdamer Friedenskirche zeigten, da die Veröffentlichung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zulässig war240. Ein Geldentschädigungsanspruch für das Baby einer Prominenten wurde verneint, dessen Bildnis in einer Zeitschrift veröffentlicht wurde und das nur wenige Wochen alte Kind mit seiner Mutter, einer bekannten Schauspielerin, zeigte, wie es von seiner Mutter auf dem Arm gehalten wird oder auf ihren Schoß sitzt und sein Fläschchen bekommt; denn das Bildnis berührte weder den Kernbereich des Persönlichkeitsrechtes des Bildes noch wurde es in einem irgendwie negativen Kontext veröffentlicht241. Keine Geldentschädigung erhielt eine Schauspielerin, von der heimlich gefertigte Ausnahmen in Zeitschriften veröffentlicht wurden, die sie als Mutter mit ihrem acht Wochen alten Baby bei einem Spaziergang in Berlin zeigten, wobei das Gesicht des Babys zum Teil unkenntlich gemacht worden war. Denn durch die Aufnahmen wurde weder der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts der Mutter verletzt, noch wird sie in einem irgendwie gearteten negativen Kontext gezeigt. Es sei zweifelhaft, ob jede Abbildung einer Mutter mit ihrem Kind eine besonders schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen kann; im Streitfall kam jedoch noch hinzu, dass die Schauspielerin selbst die Geburt ihrer Tochter der Öffentlichkeit bekannt gegeben hat und in mehreren Interviews auch noch nach der streitgegenständlichen Veröffentlichung zu ihren Leben mit dem Baby Stellung nahm. Anders als im Fall BGH NJW 2005, 215242 lag auch keine wiederholte und hartnäckige Verletzung vor noch wurde von außen in den räumlich abgegrenzten Bereich der Privatsphäre eingegriffen243. Wegen des Grundsatzes der Subsidiarität wurde den Kindern von Oliver Kahn, dem früheren Torwart der Fußballnationalmannschaft, eine Geldentschädigung für die Verbreitung von Bildern in Zeitschriften verweigert, die die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern zeigten. Ihre Gesichter waren dabei nicht zu erkennen; sie konnten jedoch anhand ihrer Eltern und dem begleitenden Text identifiziert werden. Das LG Hamburg hatte den Verlag verurteilt, zukünftig jegliche Veröffentlichung von Fotos der Kinder zu unterlassen. Als gleichwohl weitere Bildnis236 OLG Frankfurt v. 21.10.2006 – 11 U 16/06, ZUM 2007, 390. 237 OLG Hamburg v. 13.2.20007 – 7 U 157/06, ZUM-RD 2007, 475. 238 OLG Karlsruhe v. 6.7.2001 – 14 U 71/00, ZUM 2001, 883 – bestätigt durch BVerfG Nichtannahmebeschluss v. 22.3.2007 – 1 BvR 2007/02, ZUM 2007, 463. 239 KG v. 15.5.2007 – 9 U 236/06, AfP 2007, 569 – Jetzt ins Dschungel-TV? 240 LG Hamburg v. 11.1.2008 – 324 O 124/07, ZUM-RD 2008, 486. 241 LG München v. 7.5.2008 – 9 O 22942/07, AfP 2008, 490 – Baby von Heike Makatsch. 242 BGH v. 5.10.2004 – VI ZR 255/03, NJW 2005, 215. 243 LG München v. 7.5.2008 – 9 O 2294/07, AfP 2008, 419.
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Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
veröffentlichungen erfolgten, wurden Ordnungsgelder festgesetzt von zunächst 5 000 Euro, dann 7 500 Euro und schließlich 15 000 Euro. Den vom Gericht zuerkannten Geldentschädigungsanspruch von jeweils 40 000 Euro hat das Berufungsgericht wegen der Subsidiarität des Geldentschädigungsanspruchs abgelehnt: Vor zukünftigen Verletzungen ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts seien die Kinder durch die bei einem Verstoß gegen die pauschale Unterlassungsverpflichtung drohenden Ordnungsmittel ausreichend geschützt244. Der BGH wies die dagegen eingelegte Revision der Kinder zurück245 und hat neben der Subsidiarität seine Entscheidung auch damit begründet, dass keine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung vorliege, weil die Kinder auf den Fotos nicht erkennbar waren. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung an246. Der EGMR hat diese Auffassung zur Subsidiarität bestätigt: Zu einem ausreichenden Schutz des Privat- und Familienlebens sei nicht unbedingt eine Geldentschädigung für den Verletzten erforderlich; der Staat komme seiner Schutzpflicht aus Art. 8 EMRK auch dadurch nach, wenn nicht das Opfer das Geld erhält, sondern der Staat247. Dies dürfte im Hinblick auf die Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung fragwürdig sein. Vor allem aber hat der BGH inzwischen entschieden, dass im Bereich der Bildberichterstattung nicht generell beansprucht werden kann, die Veröffentlichung jeglicher Fotos, die einen bestimmten Minderjährigen zeigen, bis zu dessen Volljährigkeit zu unterlassen248. Daher ist die Verhängung von Ordnungsgeld für eine Erstveröffentlichung eines Fotos künftig nicht mehr möglich, was im Rahmen der Subsidiarität des Geldentschädigungsanspruchs zu bedenken ist. Das bloße Anfertigen von Filmaufnahmen einer Person für ein TV-Magazin begründet jedenfalls dann keinen Anspruch auf Geldentschädigung, wenn die Gefahr einer Ausstrahlung der Bildnisse nicht besteht, weil das für die Aufnahmen durch die Polizeibeamten zuständige Polizeipräsidium vor Ausstrahlung auf die Abmahnung des Betroffenen hin mitteilte, dass „behördlicherseits“ die Vernichtung des Filmmaterials veranlasst worden sei249. Keine Geldentschädigung wurde für einen Zeitungsartikel gewährt, der sich mit einem raffinierten Scheidungsbetrug befasste und mit einem Bildnis der Betrügerin illustriert war, da die Vorinstanz zwar die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien richtig erkannt, aber unzutreffend gewichtet hatte: Der Bericht gab im Kern wahre Tatsachen wieder und vermittelte kein in jeder Hinsicht falsches Bild der Klägerin; es sei verstärkt zu berücksichtigen, dass die Klägerin durch ihre aufsehenerregende Straftat selbst Anlass zu der Berichterstattung gegeben hatte und im Anschluss an die streitgegenständliche Berichterstattung selbst entsprechende Beiträge in anderen Blättern autorisiert hatte250. Es stellte zwar eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung dar, es bestand aber kein unabwendbares Bedürfnis für die Zuerkennung einer Geldentschädigung, als eine Schauspielerin mit ihrem Baby im Arm beim Spaziergang in der Öffentlichkeit in einer Zeitschrift gezeigt wurde und dies trotz schweren Verschuldens der Presse, da anwaltlich im Vorfeld darauf hingewiesen worden war, dass Veröffentlichungen aus dem Privatleben der Prominenten nicht erwünscht seien. Denn die Aufnahme war neutral und wirkte nicht herabsetzend; es handelte sich zwar um heimlich gefertigte Paparazzi-Aufnahmen, die aber nicht aus einer längerfristigen, fortgesetzten Nachstellung und Verfolgung entstanden waren,
244 245 246 247 248
OLG Hamburg v. 4.11.2008 – 7 U 71/08 und 7 U 72/08. BGH v. 9.6.2009 – VI ZR 339/08 und VI ZR 340/08. BVerfG v. 23.9.2009 – 1 BvR 1681/09 und 1 BvR 1742/09. EGMR v. 17.3.2017 – 16313/10, NJW 2017, 2891 – Kahn/Deutschland. BGH v. 6.10.2009 – VI ZR 314/08, AfP 2010, 60 = MDR 2010, 84 = NJW 2010, 1454 – Kinder von Franz Beckenbauer. 249 OLG Hamm v. 19.11.2008 – 11 U 207/07, AfP 2009, 504 = ZUM-RD 2009, 548. 250 OLG Koblenz v. 15.12.2009 – 4 U 1546/08, NJW-RR 2010, 1348.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 56 Kap. 9
die eine ungestörte Eltern-Kind-Beziehung gefährdeten251. Die allgemeine Unbekanntheit einer abgebildeten Person für sich allein kann keine besondere Schwere einer zur Geldentschädigung verpflichtenden Persönlichkeitsrechtsverletzung begründen252, ebenso wie die bloße Tatsache, dass die abgebildete Person minderjährig ist253. Ein unabwendbares Bedürfnis für eine Geldentschädigung liegt in der Regel vor, wenn sich der Angriff gegen die Grundlagen der Persönlichkeit richtet, wenn die Persönlichkeitsverletzung das Schamgefühl berührt, zu Peinlichkeiten führt oder wenn ein Gefühl des Ausgeliefertseins hervorgerufen wird254; an dieser Voraussetzung fehlt es in der Regel, wenn Bildnisse eines Prominenten aus dem alltäglichen, seiner Sozialsphäre zuzuordnenden Lebensbereich veröffentlicht werden. Keine Geldentschädigung erhielt daher eine prominente ehemalige Leistungssportlerin wegen Fotos, die sie bei einer normalen Verabschiedung von ihrem Bodyguard in aller Öffentlichkeit zeigten, obwohl im Artikel über dessen Beziehung mit der Prominenten offensichtlich zum Zwecke der Absatzförderung spekuliert, die Spekulation aber sogleich wieder verworfen wurde255. Keine Geldentschädigung wurde wegen der Veröffentlichung von heimlich gefertigten Bildnissen zugesprochen, die die betroffene Prominente beim Abendessen in einem Restaurant zeigten zur Illustration eines Berichts, der in neutraler Weise über die Beziehungskrise zu ihrem Lebensgefährten spekulierte256. Der Anspruch auf eine Geldentschädigung wurde auch verneint für die Ausstrahlung einer Aufnahme über eine angebliche, in Wirklichkeit aber nicht bestehende intime Beziehung der Klägerin mit dem ehemaligen Bundespräsidenten bei einem nur geringen Verschulden des Senders, weil dieser die entsprechenden Meldungen ungeprüft übernommen hatte, der Verletzer umgehend eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat und die Klägerin nach Kenntnisnahme der Aufnahmen fast ein Jahr zugewartet hat, bevor sie einen Anspruch auf Geldentschädigung geltend machte257. Eine Geldentschädigung in der beantragten Höhe von 2 500 Euro wurde einer 17-jährigen verwehrt, die sich als Teilnehmerin an einem Kunstprojekt für Nacktaufnahmen zur Verfügung gestellt hatte und der Fotograf eine der Aufnahmen auf seiner Homepage präsentierte. Die Minderjährige hatte – wenn auch rechtlich unwirksam – in die Anfertigung und Verbreitung der Aufnahme eingewilligt, war auch hier nicht erkennbar, sie war zusammen mit einer Vielzahl weiterer Personen abgebildet und trat im Bild gegenüber diesen nur deshalb hervor, weil sie – um aufzufallen – als einzige Stiefel trug258. Keine Geldentschädigung erhielt eine Ex-Ehefrau wegen der mehr als 14-tägigen Observation im Auftrag ihres unterhaltspflichtigen Ehemannes zum Zwecke eines Beweises, dass sie in einer „verfestigten Lebensgemeinschaft“ (§ 1579 BGB) mit einem anderen Mann lebt, zumal die Betroffene zu erkennen gab, dass sie die Beeinträchtigung nicht als gewichtig empfang, weil sie beim Bemerken der Observierung keinen Unterlassungsanspruch mittels einer einstweiligen Verfügung geltend machte259.
251 LG Köln v. 10.10.2012 – 28 O 195/12, ZUM-RD 2013, 157 – Baby des Kinostars; a.A. in einem ähnlichen Fall OLG München v. 25.2.2013 – 18 U 2770/13, AfP 2014, 375 – Heike Makatsch I. 252 LG Berlin v. 3.6.2014 – 27 O 56/14, AfP 2015, 177; KG v. 11.6.2015 – ZUM 2016, 383. 253 LG München v. 7.5.2008 – 9 O 22942/07, ZUM 2008, 619 – Baby von Heike Makatsch. 254 OLG Köln v. 3.11.2016 – 15 U 66/16, NJW-RR 2017, 748 Rz. 21; OLG Dresden, ZUM-RD 2012, 775 m.w.N. 255 LG München v. 2.10.2013 – 9 O 13087/13, ZUM-RD 2014, 172. 256 OLG Köln v. 3.11.2016 – 15 U 66/16, NJW-RR 2017, 748. 257 OLG Köln v. 1.9.2016 – 15 U 60/16. 258 LG Duisburg v. 27.3.2017 – 2 O 428/14, ZUM-RD 2018, 13. 259 OLG Hamm v. 7.2.2017 – 7 U 85/16, IPRB 2017, 222.
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Kap. 9 Rz. 57
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
57
Für die Schmerzensgeldwürdigkeit einer abträglichen Bildnisverbreitung kann auch der allgemeine Ruf des Abgebildeten von Bedeutung sein. In der Entscheidung Spielgefährtin II hat der BGH die Verbreitung des Bildnisses einer Frau mit dem Text „Spielgefährtin E. B. leugnete – den Freund rettete sie nicht“ als keinen schwerwiegenden Eingriff bezeichnet, weil das Ansehen der Abgebildeten wegen öffentlich breit erörterter Vorgänge ohnehin gemindert war260. Das OLG Frankfurt hat den Entschädigungsanspruch eines Straftäters geringer bemessen mit der Begründung, dass er für die Fehlentwicklung seiner Persönlichkeit selbst verantwortlich sei und es somit nicht um die Bildberichterstattung einer Person ging, die eine untadelige Vergangenheit aufzuweisen hätte261.
58
Während bei einer postmortalen Verletzung vermögenswerter Bestandteile des Persönlichkeitsrechts den Erben des Rechtsträgers Schadensersatz und Bereicherungsansprüche gegen den Verletzer zustehen (vgl. Rz. 33 – Schadenersatz und Rz. 22 – Bereicherungsanspruch), können die Angehörigen des Verstorbenen wegen der Verletzung seiner ideellen Interessen keinen Anspruch auf Geldentschädigung geltend machen. Der Anspruch auf immateriellen Schadensersatz wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht steht nämlich nur dem Rechtsträger und nur zu dessen Lebzeiten zu262. Dies unterscheidet ihn einerseits von dem Abwehranspruch, den postmortal die Wahrnehmungsberechtigten geltend machen können, und andererseits von dem materiellen Schadensersatzanspruch der Erben wegen einer Verletzung vermögenswerter Bestandteile des Persönlichkeitsrechts und ist zu trennen von etwaigen eigenen Ansprüchen der Angehörigen, wenn diese selbst durch die Berichterstattung über den Verstorbenen in ihrem eigenen allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sind (vgl. Rz. 59). Da der Anspruch auf Geldentschädigung nur dem Rechtsträger und nur zu dessen Lebzeiten zusteht, hat der BGH dem Sohn einer 80-jährigen Frau einen Anspruch auf Geldentschädigung verwehrt, die von ihrer Tochter erschlagen worden war und deren teils entkleideter Leichnam am Tatort und im Obduktionssaal vom Kamerateam eines Fernsehsenders gefilmt und unter dem Titel „Mordkommission Köln“ in einem TV-Bericht gezeigt worden war263. Den Angehörigen von Fiete Schulze wurde ein Anspruch auf Geldentschädigung verweigert, als dieser posthum in einem Presseartikel als „Mörder“ bezeichnet worden war. Dies folge aus der Funktion der Entschädigung, die dem Betroffenen in erster Linie eine Genugtuung für die ihm zugefügte Verletzung seiner Persönlichkeit verschaffen soll. Diese Funktion könne eine von den Angehörigen geltend gemachte Entschädigung wegen eines verletzenden Angriffs auf das Ansehen eines Verstorbenen nicht erfüllen264.
260 BGH v. 7.1.1969 – VI ZR 202/66, GRUR 1969, 301. 261 OLG Frankfurt v. 18.2.1993 – 6 U 12/92, ZUM 1994, 514 – Wundermann. 262 BVerfG v. 19.10.2006 – 1 BvR 402/06 Rz. 22 – postmortales Persönlichkeitsrecht, bestätigend BGH v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04, AfP 2006, 67 = MDR 2006, 930 Rz. 14, NJW 2006, NJW 2006, 605 – Mordkommission Köln; öOGH v. 22.12.2016 – 6 Ob 209/16b, 9 RvR Int. 2017, 469 – Drogentod des Sohnes; OLG Hamburg v. 13.2.2007 – 7 U 157/06, ZUM-RD 2007, 475 – Bild eines mit Plane abgedeckten Unfalltoten; OLG Dresden v. 12.7.2011 – 4 U 188/11, AfP 2012, 168 – Suizid des Kindes einer ehemaligen Ministerin. 263 BGH v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04, AfP 2006, 67 = MDR 2006, 930 = NJW 2006, 605 – Mordkommission Köln. 264 BGH v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04, AfP 2006, 67 = MDR 2006, 930 = NJW 2006, 605 Rz. 13 – Mordkommission Köln, bestätigt durch Nichtannahmebeschluss BVerfG v. 19.10.2006 – 1 BvR 402/06, ZUM 2007, 380; BGH v. 4.4.1976 – VI ZR 68/73, NJW 1974, 1371 – Fiete Schulze; ebenso BGH v. 5.3.1974 – VI ZR 89/73, GRUR 1974, 794 – Todesgift und LG Berlin v. 18.7.2002 – 27 O 241/02, AfP 2002, 540.
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von Strobl-Albeg
I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 59 Kap. 9
Unabhängig vom Vorstehenden können die Angehörigen selbst durch die Berichterstattung 59 über den Verstorbenen in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sein. Dann kann grundsätzlich ein eigener Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts der Angehörigen in Betracht kommen265. Gegen Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann jedoch nur der unmittelbar Verletzte vorgehen, nicht auch derjenige, der von den Fernwirkungen eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht eines anderen nur mittelbar belastet wird, solange diese Auswirkungen nicht auch als Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind. Eine Verletzung des postmortalen Schutzbereichs Verstobener verletzt für sich genommen noch nicht die Würde der Angehörigen. Erforderlich ist vielmehr, dass mit der Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes des Verstorbenen zugleich das eigene Persönlichkeitsrecht des Angehörigen unmittelbar tangiert wird266. Ausstrahlungen auf die Person eines Dritten wie einen Angehörigen, in denen sich nicht der Inhalt der Veröffentlichung, sondern nur noch die persönliche Verbundenheit zu der in die Öffentlichkeit gerückten Person ausdrücken, bleiben als bloße Reflexwirkung schutzlos267. Eine derartige eigene unmittelbare Betroffenheit hat das Gericht verneint, als in dem Filmbericht „Mordkommission Köln“ nur die ermordete Mutter, nicht aber der die Geldentschädigung beanspruchende Sohn gezeigt oder erwähnt wurde. Zwar kann durch eine Presse- oder Filmberichterstattung nicht nur derjenige in seiner Persönlichkeit unmittelbar betroffen sein, der im Mittelpunkt der Veröffentlichung steht oder auf den sie zielt. Ein Bericht über einen Straftäter und dessen Tat kann je nach Art und Inhalt der Darstellung durchaus auch andere Tatbeteiligte oder auch Angehörige des Täters oder Opfers in ihrem Persönlichkeitsrecht unmittelbar verletzen, wenn deren eigene persönliche Verhältnisse in den Bericht einbezogen werden. Doch müsse in solchen Fällen die Persönlichkeitssphäre des Dritten selbst als zum Thema des Berichts zugehörig erscheinen, damit das Erfordernis der Unmittelbarkeit erfüllt ist268. Nicht genügen könne es, wenn der Dritte sich wegen seiner engen Beziehung zum Abgebildeten durch eine Berichterstattung, die ihn selbst weder ausdrücklich noch stillschweigend erwähnt, „persönlich“ betroffen fühlt. Ebenso wenig reicht es aus, dass Leser oder Zuschauer den beanstandenden Bericht über eine Straftat zum Anlass nehmen, Angehörige zu belästigen oder anzufeinden. Solche Ausstrahlungen auf die Person des Dritten, in denen sich nicht der Inhalt der Veröffentlichung, sondern nur noch die persönliche Verbundenheit zu der in die Öffentlichkeit gerückten Person ausdrückt, bleiben als bloße Reflexwirkungen schutzlos269. Eine solche in diesem Sinne unmittelbare Betroffenheit und damit eigene Persönlichkeitsrechtsverletzung der Angehörigen wurde im Falle einer Berichterstattung über den Rauschgifttot eines erwachsenen Kindes bejaht, bei der unter ungenehmigter Beifügung 265 BGH v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04, AfP 2006, 67 = MDR 2006, 930 = NJW 2006, 605 Rz. 18 – Mordkommission Köln. 266 BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, AfP 2012, 260 = MDR 2012, 641 Rz. 16 = NJW 2012, 728 – Foto einer Unfalltoten; v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04, AfP 2006, 67 = MDR 2006, 930 Rt. 24 = NJW 2006, 605 – Mordkommission Köln, bestätigt durch BVerfG Nichtannahmebeschluss v. 19.10.2006 – 1 BvR 402/06 Rz. 29, NJW 2007, 380; OGH v. 22.12.2016 – 6 Ob 209/16b, 9 RvR Int. 2017, 469 – Drogentod des Sohnes. 267 BVerfG v. 19.10.2006 – 1 BvR 402/06, ZUM 2007, 380 Rz. 29 – postmortales Persönlichkeitsrecht. 268 BGH v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04, AfP 2006, 67 = MDR 2006, 930 = NJW 2006, 605 Rz. 24 – Mordkommission Köln, bestätigt durch Nichtannahmebeschluss BVerfG v. 19.10.2006 – 1 BvR 402/06 Rz. 29, ZUM 2006, 380. 269 BGH v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04, AfP 2006, 67 = MDR 2006, 930 Rz. 24 = NJW 2006, 605 – Mordkommission Köln; BVerfG, ZUM 2006, 605 Rz. 29; BGH v. 15.4.1980 – VI ZR 76/79, MDR 1980, 746 = AfP 1980, 154 = NJW 1980, 1790 – Betroffenheit in Folge der Nennung des gleichen Familiennamens.
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Kap. 9 Rz. 60
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
eines Familienfotos suggeriert wurde, für die Tragödie sei elterliches Versagen verantwortlich270. Bejaht wurde die unmittelbare Betroffenheit einer Ministerin, als über den Suizid von deren Sohn berichtet wurde, sie selbst aber im Mittelpunkt des Berichts „Drama um Ex-Ministerin“ stand und der Artikel auch nur mit ihrem Bildnis illustriert wurde271. 60
Mangels unmittelbarer Betroffenheit wurde dagegen der Geldentschädigungsanspruch der Eltern einer bei einem Verkehrsunfall getöteten jungen Frau verneint, als in einem Pressebericht über das Unfallgeschehen, an dem ein Prominenter beteiligt war, berichtet und dabei ein Portraitfoto des Unfallopfers verbreitet wurde, obwohl die Eltern zuvor die Veröffentlichung eines Bildes ihrer Tochter ausdrücklich abgelehnt hatten und die Presse sich das Foto von dritter Seite – möglicherweise sogar in strafbarer Weise – beschafft hatte. Denn in dem Pressebericht waren die Eltern der Getöteten gar nicht erwähnt. Wenn ein Teil der Leser aus der Veröffentlichung des Fotos des Unfallopfers den Schluss zog, die Eltern hätten der Veröffentlichung des Fotos ihrer Tochter zugestimmt und die Leser ein solches Verhalten der Eltern missbilligen würden, läge darin keine Beeinträchtigung des Geltungsanspruchs der Eltern von nennenswertem Gewicht272. Das OLG Hamburg hat Zweifel, ob die Abbildung des Opfers des Gladbecker Geiseldramas kurz vor seiner Ermordung überhaupt geeignet sei, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter zu verletzten. Zwar treffe es zu, dass die Mutter selbst mittelbar Opfer der Straftat an ihrer Tochter wurde, was sich aus der Schwere des Verlustes in Folge ihrer engen persönlichen Beziehung ergebe, in der sie zu der Getöteten stand. Es erscheine aber zumindest zweifelhaft, dass die Mutter von Berichten über die Straftat und die Veröffentlichung von Aufnahmen ihrer Tochter unmittelbar vor der Tat (in denen die Mutter nicht genannt oder gezeigt wird) und bei denen ihr Verhältnis zur Getöteten nicht offengelegt wird, in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht unmittelbar verletzt wird273. Verneint wurde auch ein Geldentschädigungsanspruch des Ehemanns und des 12-jährigen Sohnes einer bei der Verfolgung eines Ladendiebes zu Tode gekommenen Verkäuferin, als Bilder von deren Wiederbelebungsversuchen auf der Titelseite einer Zeitschrift wiedergegeben wurden. Das Bild verletze die Angehörigen nicht in ihrer Intimsphäre, sondern in ihrer Privatsphäre, die darin ihren Ausdruck findet, in ihrer Trauer um die verstorbene Ehefrau und Mutter für sich zu bleiben. Da auf dem Bild die Gesichtszüge der Verstorbenen nicht erkennbar waren, sei die Schamgrenze nicht in einer Weise verletzt worden, die eine Geldentschädigung erforderlich mache274. Da auf dem heimlich gefertigten Foto der durch die Reanimation aufgeblähte nackte Bauch der Verstorbenen gezeigt wurde und ihre Person durch weitere Angaben identifizierbar war, hätte man mit guten Gründen – insbesondere im Hinblick auf die Abwägungskriterien des EGMR zur EMRK – auch anders entscheiden können. Jedenfalls verletzt die Veröffentlichung des Fotos eines Verunglückten in der konkreten Situation seines Todes die Privatsphäre seiner Ehefrau. Denn die Privatsphäre umforme auch den Bereich, zu dem andere einen Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird. Es ist aber das Recht einer Ehefrau, mit der Trauer um ihren tödlich verunglückten Ehemann für sich zu bleiben, insoweit sich selbst zu gehören275. Zutreffend wurde daher ein Unterlassungsanspruch der Eltern wegen eines unmittelbaren Eingriffs in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht bejaht, als in einem Artikel über den Suizid ihres Sohnes berichtet wurde, bebildert mit einem ungeschwärzten großformatigen Fotos, das ihren Sohn zu Lebzeiten zeigte. Ein im Lichte der Art. 1, 2 Abs. 1, 6 Abs. 1 und 2 270 271 272 273 274 275
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BGH v. 5.3.1974 – VI ZR 89/73, DB 1974, 1567 – Todesgift. OLG Dresden v. 12.7.2011 – 4 U 188/11, AfP 2012, 168. BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 143/11, NJW 2012, 1728 – Foto einer Unfalltoten. OLG Hamburg v. 18.9.2004 – 7 U 33/04, AfP 2005 76 – Gladbecker Geiseldrama. LG Berlin v. 18.7.2002 – 27 O 241/02, AfP 2002, 540. OLG Düsseldorf v. 21.10.2000 – 15 U 232/97, AfP 2002, 574 – Lebendig begraben.
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I. Zivilrechtliche Folgen
Rz. 63 Kap. 9
GG zu achtendes und zu schützendes Recht der Eltern, in der Trauer um den Tod ihres Kindes für sich allein zu bleiben, könne nicht ernsthaft angezweifelt werden. Ein solches Recht auf ungestörte Trauer gehöre zu der Privatsphäre der Eltern, die dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag der Art. 1, 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 und 2 GG unterfällt276. c) Sorgfaltspflicht Jeder, der ein Personenbildnis verbreiten oder öffentlich zur Schau stellen will, muss nachprü- 61 fen, ob die Veröffentlichung die Rechte des Abgebildeten verletzt. Andernfalls verletzt er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt und handelt schuldhaft, wenn die Bildnisverbreitung das Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten verletzt. Eine Prüfung ist für den Verwerter auch im eigenen Interesse angezeigt, da er bei schuldhaftem Handeln vom Betroffenen auf die Bezahlung von materiellem Schadensersatz und – bei schwerwiegenden Eingriffen – auch auf Bezahlung einer Geldentschädigung in Anspruch genommen werden kann. Zu prüfen ist nicht nur, ob überhaupt eine (erforderliche) Einwilligung des Abgebildeten vorliegt und sie wirksam erteilt wurde277, sondern auch, ob sie zeitlich, räumlich und inhaltlich die geplante Verbreitung deckt, wieweit also eine vorliegende Einwilligung reicht278. Je schwerwiegender die drohende Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch eine unbefugte 62 Verbreitung ist, desto sorgfältiger muss der Verbreiter prüfen. Insbesondere bei Fotos, die die Intimsphäre des Abgebildeten betreffen (z.B. Nackt- oder Halbnackt-Aufnahmen), besteht daher eine gesteigerte Sorgfaltspflicht, ob eine Veröffentlichungsbefugnis vorliegt und wie weit diese reicht279. Bei der Auswahl von Aufnahmen zur Bebilderung ehrenrühriger oder gar strafbarer Vorgänge ist besondere Sorgfalt anzuwenden, um Verwechslungen zu vermeiden280. Auch bei der Verbreitung von Bildnissen Minderjähriger besteht bezüglich des Vorliegens einer Einwilligung eine besondere Sorgfaltspflicht (vgl. Kap. 7 Rz. 180). Jemand, der das Bildnis einer Person eigennützig, insbesondere für Werbezwecke, veröffent- 63 lichen will, muss nach ständiger Rechtsprechung besonders gründlich prüfen, ob und inwieweit er dazu befugt ist281. Dieser Prüfungspflicht genügt der Verwerter im Regelfall nicht schon dadurch, dass er das Foto von einem Berufsfotografen, einer Presse-, Bild- oder Werbe-
276 OLG Jena v. 31.5.2005 – 8 U 910/04, NJW-RR 2005, 1566 – Trauer um den Suizid eines Kindes; ebenso OLG Dresden v. 12.7.2011 – 4 U 188/11, AfP 2012, 168 zum Bericht über den Suizid des Sohnes einer Ex-Ministerin. 277 Z.B. minderjähriger Abgebildeter – vgl. Kap. 7 Rz. 176 ff., Kap. 7 Rz. 180, Einwilligung der Angehörigen bzw. der Erben eines Verstorbenen vgl. Kap. 7 Rz. 182 ff. 278 KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, ZUM-RD 1998, 554, 556 – Schärfere Slips; OLG München v. 9.3.1995 – 29 U 3903/94, ZUM 1996, 160, 163 – Telefonsex-Foto. 279 BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617, 1619 – Nacktfoto; KG v. 2.11.2010 – 9 U 208/09, AfP 2011, 269 = ZUM-RD 2012, 27; OLG München v. 9.3.1995 – 29 U 3903/94, ZUM 1996, 160, 163 – Telefonsex-Foto. 280 OLG Frankfurt v. 13.11.2007 – 11 U 16/07, ZUM-RD 2008, 230. 281 BGH v. 14.4.1992 – VI ZR 285/91, MDR 1992, 647 = CR 1993, 621 = AfP 1992, 149 = NJW 1992, 2084 – Werbefoto; v. 22.1.1985 – VI ZR 28/83, MDR 1985, 920 = AfP 1985, 110 = NJW 1985, 1617, 1619 – Nacktfoto; v. 26.1.1971 – VI ZR 95/70, NJW 1971, 698, 700 – Pariser Liebestropfen; KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, ZUM-RD 1998, 554, 556 – Schärfere Slips; OLG München v. 31.3.1995 – 21 U 3377/94, AfP 1995, 658 = NJW-RR 1996, 93, 95 – Anne-Sophie Mutter.
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Kap. 9 Rz. 64
Bildberichterstattung – Folgen der Rechtsverletzung
agentur erwirbt282. Allerdings scheint die Auffassung des BGH zu streng, gerade in solchen Fällen – Erwerb der Abbildung von Professionellen für eigennützige Zwecke – könne Anlass zu besonderer Nachfrage bestehen283. Unabhängig von der dem Zulieferer der Aufnahme obliegenden Prüfungs- und Sorgfaltspflicht und seiner Haftung für eine rechtsverletzende Veröffentlichung des von ihm gelieferten Bildnisses wird man in solchen Fällen eine eigene Prüfungspflicht und Haftung des Verwerters nur dann bejahen können, wenn aufgrund irgendwelcher Anhaltspunkte begründeter Anlass zu der Annahme besteht, die erforderliche Einwilligung des Abgebildeten könne fehlen284 oder wenn im Falle einer rechtswidrigen Veröffentlichung eine nicht nur geringfügige Persönlichkeitsverletzung vorläge. 64
Die Weitergabe archivierter Aufnahmen durch ein Bildarchiv an Medien ist kein Vertreiben i.S.v. §§ 22, 33 KUG285 und verpflichtet den Betreiber des Archivs nicht zu einer eigenen presserechtlichen Prüfung der Zulässigkeit einer Veröffentlichung. Diese Prüfung obliegt dem Verwerter. Dagegen trifft einen Fotografen, der externen Redaktionen Bildnisse für eventuelle Veröffentlichung anbietet, im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Veröffentlichung eine eigene Sorgfaltspflicht, weil es sich nicht wie bei einem Archivbild um einen rein presseinternen Vorgang handelt286. 4. Vollstreckung bei Auslandsberührung
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Soll ein inländischer Titel im Ausland vollstreckt werden, muss er im Staat der Vollstreckung anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden. Dies kann bei Beschlussverfügungen nach den einschlägigen bilateralen und multilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen Schwierigkeiten bereiten287. Im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO und des Luganer Abkommens, also im Verhältnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten, Island, Norwegen und der Schweiz (vgl. Kap. 7 Rz. 51), wird auf Antrag eines Berechtigten die Anerkennung einer Entscheidung versagt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte (Art. 45 Brüssel Ia-VO bzw. Art. 34 Nr. 2 LugÜ).
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Soll ein ausländisches Urteil im Inland vollstreckt werden, sind die bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen zu beachten, für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Vorschriften der Brüssel Ia-VO. Nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO (zuvor Art. 34 EuGVVO) ist auf Antrag eines Berechtigten eine Entscheidung die Anerkennung zu 282 BGH v. 14.4.1992 – VI ZR 285/91, MDR 1992, 647 = CR 1993, 621 = AfP 1992, 149 = NJW 1992, 2084 – Werbefoto; v. 27.11.1979 – VI ZR 148/78, MDR 1980, 301 = AfP 1980, 35 = NJW 1980, 994 – Wahlkampfillustrierte; BGH v. 8.5.1956 – I ZR 62/54, NJW 1956, 1554 – Paul Dahlke; KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, ZUM-RD 1998, 554, 556 – Schärfere Slips; OLG Frankfurt v. 12.7.1991 – 25 U 87/90, NJW 1992, 441; OLG Karlsruhe v. 23.4.1993 – 15 U 237/92, NJW-RR 1994, 95; OLG Düsseldorf v. 29.5.1984 – 15 U 174/83, AfP 1984, 229, 230; OLG Frankfurt v. 28.2.1986 – 6 U 30/85, MDR 1986, 672 = AfP 1986, 140, 141. 283 BGH v. 14.4.1992 – VI ZR 285/91, MDR 1992, 647 = CR 1993, 621 = AfP 1992, 149 = NJW 1992, 2084 – Werbefoto. 284 So OLG Frankfurt v. 12.7.1991 – 25 U 87/90, NJW 1992, 441. 285 BGH v. 7.12.2010 – VI ZR 30/09, CR 2011, 256 = MDR 2011, 176 = AfP 2011, 70 = NJW 2011, 755 – Jahrhundert-Mörder. 286 OLG Köln v. 2.6.2017 – III-1 RVs 93/17, ZUM-RD 2017, 551. 287 Lehr, NJW 2012, 705, 709.
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von Strobl-Albeg
II. Strafrechtliche Folgen
Rz. 67 Kap. 9
beklagen, wenn die Anerkennung dem ordre public des ermahnten Mitgliedstaates „offensichtlich widersprechen würde“. Auch solche ausländischen Titel, die einen für inländische Verhältnisse außerordentlich hohen Schmerzensgeldbetrag zusprechen, sind im Inland anerkennungsfähig. Dagegen scheitert die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung US-amerikanischer punitive damages (Strafschadensersatz) von nicht unerheblicher Höhe neben Schadensersatz für materielle und immaterielle Schäden regelmäßig am materiellen deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB) gem. § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und § 723 Abs. 2 Satz 2 ZPO288. Auch nach Art 45 Brüssel Ia-VO ist die Anerkennung einer Entscheidung zu versagen, wenn die Anerkennung dem ordre public des Staates, in welchem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde.
II. Strafrechtliche Folgen Die strafrechtliche Verfolgung von Bildnisverletzungen ist zwar möglich, hat aber in der Pra- 67 xis so gut wie keine Bedeutung, z.B. wurde ein Fotograf zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 80 Euro verurteilt, weil er Fotos eines Ebola-Verdächtigen ohne dessen Einwilligung in der Klinik fertigte und dann einem Presseverlag verkaufte, der das Bildnis ungepixelt veröffentlichte289. Straftatbestand ist § 33 i.V.m. §§ 22, 23 KUG. Nur vorsätzliches Handeln ist strafbar. Nur das Verbreiten der Aufnahmen ist strafbar, nicht deren Anfertigung. Zur Verbreitung eines Bildnisses i.S.d. KUG vgl. Kap. 7 Rz. 139. Die Anfertigung ist als bloße Vorbereitungshandlung in der Regel straflos290. Der Tatbestand des § 33 KUG ist nicht erfüllt, wenn die Identifizierung einer abgebildeten Person aufgrund des Begleittextes möglich ist. Eine solche Auslegung über den Wortlaut der Vorschrift hinaus würde gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen291. Nach § 33 KUG bedarf es zur Strafverfolgung eines Strafantrages. Nach § 374 StPO handelt es sich um ein Privatklagedelikt. Gemäß § 48 KUG verjährt die Tat in drei Jahren gerechnet ab der letzten widerrechtlichen Handlung.
288 BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, MDR 1992, 1181 = CR 1993, 274 = NJW 1992, 3096; a.A. Rosengarten, NJW 1996, 1935. 289 OLG Köln v. 2.6.2017 – III-1 RVs 93/17, ZUM-RD 2017, 551. 290 OLG Celle, NJW 1979, 57. 291 OLG Oldenburg, NJW 1963, 920; VerfGH Berlin v. 7.11.2006 – 56/05, NJW-RR 2007, 1686 – Fahndungsplakat.
von Strobl-Albeg 677
10. Kapitel Sonderfragen I. Regelungen zur Erleichterung der Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Verfassungsrechtliche Grundlagen .
1
2. Auskunftsanspruch der Medienvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
3. Zutritt zu Veranstaltungen . . . . . . .
8
4. Urheberrechtliche Regelungen . . . .
15
II. Verwendung unzulässig beschaffter Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
III. Privilegierte Äußerungen . . . . . . . .
26
1. Äußerungen im engsten Familienund Freundeskreis . . . . . . . . . . . . . .
27
a) Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Objektivität und Richtigkeit. . . . .
85 91 94
3. Testanforderungen im Einzelnen . . a) DIN 66052 und 66054 – Warentest. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitliche Planung des Tests. . . . . . c) Auswahl der Testobjekte . . . . . . . . d) Beschaffung der Prüfmuster . . . . . e) Durchführung des Tests . . . . . . . . f) Bewertung und Darstellung der Testergebnisse . . . . . . . . . . . . . g) Wiederholte Verbreitung . . . . . . .
101 102 106 107 112 113 117 124
4. Besonderheiten des Preistests . . . . .
125
5. Darlegungs- und Beweislast/ Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
28
VIII. Boykott- und sonstige Aufrufe . . . .
132
3. Äußerungen im Prozess und dessen Vorfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
1. Aufrufe zur Verhaltensbeeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
132
4. Äußerungen gegenüber Behörden, Beschwerden, Petitionen . . . . . . . . .
36
IV. Namensgebrauch und Namensnennung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Boykottaufrufe . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff des Boykotts . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Beurteilung . . . . . . . . .
133 133 136
40
1. Namensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
2. Namensgebrauch . . . . . . . . . . . . . . .
44
3. Namensnennung. . . . . . . . . . . . . . . .
51
3. Sonstige Aufrufe . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anlass des Aufrufes . . . . . . . . . . . . c) Zweck des Aufrufes . . . . . . . . . . . . d) Äußere Form und Häufigkeit . . . .
142 143 146 147 151
4. Verwendung erfundener Namen . . .
57
IX. Äußerung eines Verdachts . . . . . . . .
154
V. Verwendung von Marken. . . . . . . . .
60
1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . .
154
VI. Äußerungen im politischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . .
64
2. Beispiele für zulässige Äußerungen
67
3. Beispiele für unzulässige Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Waren-, Leistungs- und Preistests . 1. Grundzüge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklung des Testwesens und seiner Beurteilung . . . . . . . . . b) Auffassung des BGH . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . .
2. Äußerungen gegenüber dem eigenen Anwalt, Arzt, Notar und vergleichbaren Vertrauenspersonen . .
2. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
678
Burkhardt/Peifer
2. Anforderungen im Einzelnen . . . . . 155a 3. Recht auf Nachtrag . . . . . . . . . . . . . . 162a 4. Prozessuale Behandlung . . . . . . . . .
163
70
X. Berichte über Ermittlungsverfahren, Ermittlungs- und Fahndungsaufrufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
166
72
1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . .
166
72
2. Öffentliche Ermittlungs- und Fahndungsaufrufe . . . . . . . . . . . . . .
172
3. Fahndungsaufrufe der Strafverfolgungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . .
176
XI. Gerichtsberichterstattung . . . . . . . .
178
1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . .
178
72 76 80 85
I. Regelungen zur Erleichterung der Berichterstattung
Rz. 1 Kap. 10
181 181 184
XIII. Verantwortlichkeit für Telemediendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228
189
2. Grundsätze der Verantwortlichkeit und NetzDG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
233
3. Verantwortlichkeit für Links und Suchmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . .
248
200
4. Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . .
250
XII. Haftung und Haftungsbegrenzung bei bloßer Verbreitung. . . . . . . . . . .
207
XIV. Haftung für Druck- und sonstige Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255
1. Verbreiterhaftung der Medien . . . . a) Redaktioneller Teil . . . . . . . . . . . . b) Leserbriefteil . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anzeigenteil . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208 208 212 213
1. Anleitungen und Auskünfte . . . . . .
255
2. Haftung nach Kaufvertragsregeln. .
256
3. Haftung infolge Übernahme einer Beratungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . .
261
4. Produzenten- und Produkthaftung
264
XV. Öffentliche Äußerungen und Warnungen der Behörden . . . . . . . .
273
2. Berichte über Gerichtsverfahren . . a) Zutritt zur Verhandlung . . . . . . . . b) Gesetzliche Beschränkungen . . . . c) Persönlichkeitsrechtliche Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . 3. Berichte über Straftäter . . . . . . . . . . a) Aktuelle Berichte . . . . . . . . . . . . . . b) Rückschauende Wertungen und Archivberichterstattung . . . . . . . .
197 198
2. Verbreiterhaftung des Druckers und der Vertriebsunternehmen, einschließlich des Buchhandels . . .
221
3. Verbreiterhaftung des Bibliothekars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
225
I. Regelungen zur Erleichterung der Berichterstattung 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährt jedem das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen 1 ungehindert zu unterrichten (Kap. 1 Rz. 26). Dieses jedermann zustehende Recht reicht für Medienmitarbeiter nicht aus. Sie sollen die allgemein zugänglichen Quellen erst schaffen, aus denen sich andere unterrichten können. Folglich müssen sie früher und umfassender unterrichtet sein. Auskunfts- und Zugangsansprüche sind die wesentlichen Instrumente, die es der Presse ermöglichen, ihrer Berichtspflicht angemessen nachzukommen. Über die Presse erfolgt auf diese Weise auch eine Kontrolle öffentlicher Tätigkeit1. Der medienrechtliche Auskunftsanspruch folgt aus den Landespresse- und Landesmediengesetzen, zunehmend aber auch aus den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder. Das Bundesverwaltungungsgericht hat zudem einen unmittelbar auf Art. 5 Abs. 1 GG basierenden Auskunftsanspruch gewährt2. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob es einen solchen Anspruch gibt, bisher offengelassen3. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht Zugangsbefugnisse als Teil der in Art. 10 EMRK geschützten Wachhund-Funktion der Presse an4. In der Literatur wird nicht zu Unrecht kritisiert, dass die Zulassung eines generellen Leistungsanspruchs auf Grundlage des Verfassungsrechts riskant ist, wenn der Gesetzgeber keine Grenzen hierfür vorsieht5. Weitere spezialgesetzliche Auskunftsansprüche folgen aus dem Umweltinformationsgesetz, dem Verbraucherinformationsgesetz, den Landesarchivge1 „Wachhund“-Funktion, vgl. EGMR v. 6.1.2015 – Nr. 70287/11, NVwZ 2016, 211 Rz. 20 – Weber/ Deutschland. 2 BVerwG v. 20.2.2013 – 6 A 2/12, BVerwGE 146, 56 = AfP 2013, 355 m. Anm. Kloepfer, JZ 2013, 892; vgl. auch Klemm/Schlüter, AfP 2015, 306. 3 BVerfG v. 27.7.2015 – 1 BvR 1452/13, NVwZ 2016, 50 Rz. 12. 4 EGMR v. 14.4.2009 – Nr. 37374/05, OstEuR 2009, 226 – Társág A Szabadságjokokért/Ungarn. 5 Alexander, ZUM 2013, 614, 618; Cornils, AfP 2016, 215.
Burkhardt/Peifer 679
Kap. 10 Rz. 1
Sonderfragen
setzen6 sowie – für Presse, Rundfunk und Film – aus dem Stasi-Unterlagengesetz, das spezielle Zugangsrechte vorsieht (§ 34 mit §§ 32, 33 StUG, unten Rz. 276). Im Unionsrecht besteht ein sekundärrechtlicher Anspruch der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission nach Maßgabe der gleichnamigen Richtlinie (EG) 1049/2001 v. 30.5.2001, ABl. Nr. L 145/437. 2. Auskunftsanspruch der Medienvertreter Schrifttum: Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive und Informationsrecht der Presse, 1971; Schröer-Schallenberg, Informationsansprüche der Presse gegenüber Behörden, 1987; Soehring, Informationsanspruch contra Exklusivität, AfP 1995, 449; Rossi, Informationszugangsfreiheit und Verfassungsrecht, 2004; Püschel, Zur Berechtigung des presserechtlichen Auskunftsanspruchs in Zeiten allgemeiner Informationszugangsfreiheit, AfP 2006, 401; Wegener, Der geheime Staat, 2006; Eichhoff, Investigativer Journalismus aus verfassungsrechtlicher Sicht, 2010; Huff, Informationspflichten und Informationsverhalten der Justiz, AfP 2010, 332; Schoch, Informationszugangsfreiheit des Einzelnen und Informationsverhalten des Staates, AfP 2010, 313; Schoch, Informationsrecht in einem grenzüberschreitenden und europäischen Kontext, EuZW 2011, 388; Partsch, Zum Stand der Informationsfreiheit in Deutschland, AfP 2012, 516; Alexander, Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch der Presse gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, ZUM 2013, 614; Germelmann, Presserechtliche Auskunftsansprüche gegenüber Bundesbehörden, DÖV 2013, 667; Lehr, Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechte – Ein Spannungsverhältnis für die Öffentlichkeitsarbeit der Justiz, NJW 2013, 728; Lüghausen, Einsichtnahme in öffentliche Register durch die Presse und deren Voraussetzungen, AfP 2013, 94; Müller-Neuhof, Von der Presseauskunft zum Informationsverwaltungshandeln, AfP 2013, 304; Partsch, Der Auskunftsanspruch der Presse – Neujustierung durch das BVerwG, NJW 2013, 2858; Partsch, Die Entwicklung eines presserechtlichen Auskunftsanspruchs in der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 EMRK, AfP 2013, 214; Fechner/Krischok/Pelz, Auskunftsanspruch der Medien gegenüber Bundesbehörden – Ein Zwischenruf, AfP 2014, 213; Partsch, Der Auskunftsanspruch der Presse gegen Bundesbehörden, K&R 2014, 145; Benecke/Spiecker gen. Döhmann, Der Schutz öffentlicher Unternehmen im Informationsfreiheitsrecht, insbesondere in mehrpoligen Verhältnissen, JZ 2015, 1018; Bullinger/Stanley, Das Spannungsverhältnis zwischen Informationsfreiheit und Urheberrecht, GRUR-Prax. 2015, 395; Dörr, Informationsansprüche gegenüber dem Staat zuzurechnenden Unternehmen, 2015; Klemm/Schlüter, Existenz und Reichweite des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs der Presse gegen Bundesbehörden, AfP 2015, 306; Lent, Der Auskunftsanspruch der elektronischen Presse gegenüber Behörden, LKV 2015, 145; Putzke/Zenthöfer, Der Anspruch auf Übermittlung von Abschriften strafgerichtlicher Entscheidungen, NJW 2015, 1777; Schoch, Informationszugang im parlamentarischen Bereich, NVwZ 2015, 1; Wegener, Aktuelle Fragen der Umweltinformationsfreiheit, NVwZ 2015, 60; von Coelln, Der Zugang der Medien zu Gerichtsentscheidungen, AfP 2016, 308; Cornils, Richterrecht statt Gesetz – Die Entwicklung des verfassungsunmittelbaren Presseauskunftsanspruchs, AfP 2016, 205; Eisele/Hyckel, Herleitung und Grenzen des Auskunftsrechts der Presse, VR 2016, 217; Schnabel, Die Presse darf alles fragen, aber müssen die Behörden auch alles sagen?, BayVBl. 2016, 114; Schnabel, Die Zukunft des presserechtlichen Auskunftsanspruchs gegen Bundesbehörden, NJW 2016, 1692; Cornils, Der medienrechtliche Auskunftsanspruch in der Kompetenzordnung des Grundgesetzes, DÖV 2017, 657; Koreng, Auskunftsansprüche gegenüber Bundesbehörden nach dem Informationsfreiheitsgesetz – aktuelle Fragestellungen, K&R Beil. 2017, 8; Morlok/Kalb, Informationsansprüche und der Kernbereich politisch-parlamentarischer Willensbildung, JZ 2017, 640; Wilsch, Praxis der Grundbuch- und Grundakteneinsicht, insbesondere durch die Presse, NZM 2017, 244.
6 VG Stuttgart v. 20.6.2016 – 11 K 1508/15, ZD 2017, 47. 7 Dazu EUG v. 15.7.2015 – Rs. T-115/13 – Dennekamp/EPA, ECLI:EU:T:2015:497; EuGH v. 16.7.2015 – C 615/13 – Client Earth/Kommission, ZD 2015, 470.
680
Burkhardt/Peifer
I. Regelungen zur Erleichterung der Berichterstattung
Rz. 2 Kap. 10
Nach § 4 Abs. 1 der meisten Landespressegesetze (in Brandenburg, Saarland und Schleswig- 2 Holstein § 5, Hessen § 3, Rheinland-Pfalz § 6) sind die Behörden verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen. Ähnliche Regelungen enthalten die meisten Landesmediengesetze (z.B. § 6 LMedienG BW) zugunsten der Rundfunkveranstalter oder deren Vertreter. Zum Teil ist der Auskunftsanspruch der Rundfunkanbieter in den Landesmedien- oder Landesrundfunkgesetzen enthalten (z.B. § 6 LMedienG BW, § 24 Hessisches PrivatrundfunkG, § 33 Landesrundfunkgesetz Mecklenburg-Vorpommern, § 53 LMedienG Niedersachsen, § 6 Abs. 1 LMG Rheinland-Pfalz, § 5 Saarländisches Mediengesetz), zum Teil finden sich Regelungen oder Verweisungen in den Landespressegesetzen (§ 25 LPG Bremen, § 4 Hamburgisches PresseG, § 16 LPG SachsenAnhalt, § 17 LPG Brandenburg, § 23 LPG Berlin, § 26 LPG Nordrhein-Westfalen und § 38a LMedienG, § 4 Abs. 1 Sächsisches LPG, § 56 Abs. 1 LMG Sachsen-Anhalt). Wo Auskunftsansprüche für den Rundfunk fehlen (z.B. in Schleswig-Holstein und Thüringen, deren Landesrechte nur die Presse privilegieren), müsste man sie auf § 9a RStV i.V.m. Art. 5 Abs. 1 GG stützen. Unklar ist, ob auch die Anbieter von Telemedien (Blogger, Betreiber von E-Zeitungen oder Informationsportalen) Auskunftsansprüche haben. Für die Anbieter journalistisch-redaktioneller Telemedien verweist § 55 Abs. 3 RStV auf § 9a RStV, begründet also auch für sie einen Informationsanspruch. Ob eine Auskunftsbefugnis besteht, hängt daher von der journalistisch-redaktionellen Arbeitsweise ab. Eine reine Informationssammlung genügt dafür noch nicht8. Erforderlich ist ein gewisses Maß an inhaltlicher Vielfalt, Aktualität, Periodizität und Publizität des Angebots9. Blogs der Presse zu bestimmten Themen genügen für eine journalistisch-redaktionelle Arbeitsweise10, für kommerzielle Informationsdienste, etwa ein Portal, auf dem Ausschreibungsunterlagen zugänglich gemacht werden, ist dies zweifelhaft11. In den Landesgesetzen ist der Auskunftsanspruch für die Vertreter nicht-linearer Mediendienste überall dort nicht klar kodifiziert, wo ausdrücklich nur Vertreter der Presse und des Rundfunks, nicht aber Vertreter der Medien (so etwa § 6 LMedienG Rheinland-Pfalz, § 38a LMedienG NW) genannt sind. Insoweit müsste man die jeweils den Rundfunkveranstaltern zugewiesenen Ansprüche in Anwendung eines weiten verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffs auch auf die Anbieter journalistisch-redaktioneller Telemedien beziehen. Man sieht daran, dass die Regelungen über Auskunftsansprüche der Medien unübersichtlich und zum Teil wenig systematisch sind12. Sinnvoll wäre es, die Regelungen für Presse, Rundfunk und Mediendienste in den Landesmediengesetzen zusammenzufassen und den Auskunftsanspruch allen journalistisch-redaktionellen Medien zu geben. Mit der Anerkennung eines verfassungsunmittelbaren Informationsanspruchs, der sich insbesondere gegen Bundesbehörden richtet, ist auch wieder eine bundesrechtliche Lösung in der Diskussion, zumal das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass Bundesbehörden nicht durch landesrechtliche Regelungen wie das Landespressegesetz auskunftspflichtig werden können13. Allerdings ist mit Inkrafttreten der Informationsfreiheitsgesetze auch diese Regelungstechnik schon fast wieder überholt, denn Informationsfreiheitsgesetze existieren auf Bundes- und Landesebene (Ausnah8 OVG Greifswald v. 8.3.2013 – 2 M 2/13, NordÖR 2013, 258; OVG Mannheim v. 25.3.2014 – 6 B 31/14, ZUM-RD 2015, 353; VG Schwerin v. 25.3.2014 – 6 B 31/14, CR 2015, 55 = ZUM-RD 2015, 353; Lent, LKV 2015, 145. 9 OVG Berlin-Brandenburg v. 13.8.2014 – 11 S 15.14, LKV 2015, 180. 10 VGH Bayern v. 27.1.2017 – 7 CE 16.1994, ZD 2017, 348. 11 VGH Mannheim v. 9.5.2017 – 1 S 1530/16, DVBl. 2017, 1113, Revision anhängig unter 7 C 26.17. 12 Vgl. Löffler/Burkhardt, § 25 LPG Rz. 2 ff. 13 BVerwG v. 20.2.2013 – 6 A 2/12, BVerwGE 146, 56 = AfP 2013, 355 m. Anm. Kloepfer, JZ 2013, 892; Cornils, DÖV 2013, 657; Germelmann, DÖV 2017, 667.
Burkhardt/Peifer 681
Kap. 10 Rz. 3
Sonderfragen
men noch: Niedersachsen, Bayern, Hessen und Sachsen). Hat jeder Bürger, also auch jeder Journalist, einen Informationsanspruch gegen Behörden, so stellt sich nur noch die Frage, ob journalistisch-redaktionelle Medien bei der Bedienung solcher Ansprüche zu bevorzugen sind. Dafür spricht die besondere meinungsbildende Funktion der Medien. Das Bundesverfassungsgericht hat zutreffend klargestellt, dass der medienrechtliche Auskunftsanspruch nicht hinter dem Anspruch nach dem IFG zurückbleiben darf14. 3
Der Auskunftsanspruch ist grundsätzlich im Verwaltungsrechtsweg durchsetzbar, auch soweit über strafrechtliche Ermittlungsverfahren Auskunft begehrt wird15. Wird eine privatrechtlich organisierte, aber von einem Träger der öffentlichen Gewalt beherrschte AG oder GmbH auf Auskunft in Anspruch genommen, so ist nach h.M. der Zivilrechtsweg einzuschlagen16. Das ist auch ständige Praxis17, wenngleich die Frage umstritten ist. Zum Teil wird mit einiger Berechtigung darauf verwiesen, dass der Verwaltungsrechtsweg stets eröffnet ist, wenn der geltend gemachte Anspruch hoheitlicher Natur ist18. Dies ist bei den Auskunftsansprüchen des Presse- und Informationsrechts der Fall, denn sie binden Hoheitsträger und privatrechtlich organisierte GmbHs, wenn und soweit ein Hoheitsträger sie beherrscht und sich ihrer bedient19. Auskunftsberechtigt sind alle Pressevertreter, nicht nur Vertreter der periodischen Presse. Einbezogen sind die Vertreter des Rundfunks, nicht aber durchgängig auch die Anbieter von Mediendiensten (Rz. 2). Auskunftsberechtigt sind auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, wie das ZDF20. Die Zuordnung zu einem Presse- oder entsprechenden Medienunternehmen ist nachzuweisen, z.B. durch Vorlage eines Presseausweises oder Legitimationsschreibens der Redaktion21. Der Anspruch setzt Seriosität oder Zuverlässigkeit des jeweiligen Mediums nicht voraus. Auch Sensationsmedien können ihn geltend machen. Auskunftsverpflichtete sind Behörden. Behörde ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, und zwar im Bund, in einem Land oder in einer Gemeinde22. Der Auskunftsanspruch bezieht sich lediglich auf Vorgänge, für die die betreffende Behörde zuständig oder mit denen sie befasst ist oder war. Dazu gehören nicht nur amtliche Vorgänge im engsten Sinne, sondern auch die Gästeliste und Tischordnung eines Abendessens, zu dem die Bundeskanzlerin eingeladen hat23 oder ihre persönliche Kenntnis der Einschätzung des Auswärtigen Amts zu den politischen Auswirkungen eines Schmähgedichtes auf ein ausländisches Staatsoberhaupt24. Auskunftspflichtig ist die Behörde als solche, nicht der einzelne Beamte. Zu erteilen ist die Auskunft vom Behördenleiter bzw. vom Pressesprecher. Evtl. kann sich der Auskunftsanspruch auch auf die Einsicht in Unterlagen erstrecken25. 14 BVerfG v. 27.7.2015 – 1 BvR 1452/13, NVwZ 2016, 50 Rz. 12 m. Anm. L. Kindler. 15 VG Berlin v. 5.10.2000 – VG 27 A 262/00, AfP 2000, 594; für Steuerermittlungsverfahren: VG Düsseldorf v. 16.11.2011 – 26 L 1431/11, ZD 2012, 188. 16 § 13 GVG; BVerwG v. 6.3.1990 – 7 B 120/89, NVwZ 1990, 754; Sydow/Gebhardt, NVwZ 2006, 986, 990 f. 17 BGH v. 10.5.2005 – III ZR 294/04, NJW 2005, 1720. 18 Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, Kap. 22 Rz. 1. 19 Etwa im Wege der Beleihung; vgl. BVerwG v. 25.3.2015 – 6 C 12.14, BVerwGE 151, 348 = AfP 2015, 362; BGH v. 10.2.2005 – III ZR 294/04, MDR 2005, 819 = AfP 2005, 279 = NJW 2005, 1720; v. 16.3.2017 – I ZR 13/16, MDR 2017, 1136 = IPRB 2017, 244 = IPRB 2017, 270 = ZIP 2017, 1624. 20 VG Berlin v. 27.9.1993 – 27 A 9/93, AfP 1994, 175. 21 VGH Mannheim v. 6.10.1995 – 10 S 1821/95, NJW 1996, 538. 22 VGH Bayern v. 13.8.2004 – 7 CE 04.1601, AfP 2004, 473 = NJW 2004, 3358. 23 OVG Berlin-Brandenburg v. 20.3.2012 – 12 B 27.11, ZD 2012, 581. 24 OVG Berlin-Brandenburg v. 3.8.2017 – 6 S 9.17, AfP 2017, 530. 25 VG Cottbus v. 15.1.2002 – 1 L 783/01, AfP 2002, 360.
682
Burkhardt/Peifer
I. Regelungen zur Erleichterung der Berichterstattung
Rz. 5 Kap. 10
Der Anspruch verpflichtet Behörden. Nach dem Wortlaut vieler Pressegesetze wird nicht un- 4 terschieden zwischen Landes- oder Bundesbehörden, allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht angenommen, dass für Bundesbehörden eine landesrechtliche Kompetenznorm fehlt, also der Bund selbst Auskunftsansprüche hierfür bereitstellen müsste26. Im Bereich des IFG hat der Bund dies getan, so dass Auskunftsansprüche gegen Bundesbehörden jedenfalls hierauf gestützt werden können27. Gegenüber dem Rundfunk besteht kein Auskunftsanspruch, es sei denn, sie üben behördenähnliche Funktionen aus, dann bestehen Auskunftsansprüche jedenfalls nach dem IFG28. Nicht verpflichtet sind Unternehmen, an denen die öffentliche Hand nur als Minderheitsgesellschafter beteiligt ist und die keine öffentlichen Aufgaben haben, wie die Deutsche Telekom AG29. Gegenüber Privaten lässt sich kein entsprechender Auskunftsanspruch begründen, auch nicht gegenüber gesellschaftlich relevanten Kräften wie z.B. Parteien, Gewerkschaften, Verbänden usw. (Ausnahmen: § 826 BGB, § 20 GWB). Besteht gegenüber Privaten kein Informationsanspruch, so führt eine Auskunftsverweigerung nicht zu Rechtsnachteilen30. Das Medium kann sich allenfalls auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen (vgl. Kap. 6 Rz. 27 ff.) berufen, wenn es im Übrigen seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist. Nach § 4 Abs. 2 der meisten Landespressegesetze (zu den Parallelnormen oben Rz. 1) bzw. z.B. 5 § 6 Abs. 3 LMedienG BW können Behörden Auskünfte verweigern, soweit (1) hierdurch die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte oder (2) Vorschriften über die Geheimhaltung entgegenstehen31 oder (3) ein überwiegendes öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde oder (4) ihr Umfang das zumutbare Maß überschreitet. Diese Beschränkungen der Auskunftspflicht sind zwar in den einzelnen Landespressegesetzen unterschiedlich formuliert. Die Praxis hat aber eine weitgehende Angleichung im vorerwähnten Sinne bewirkt32. Auch an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes in presserechtlichen Auskunftsverfahren im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes dürfen, mit Blick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes sowie das von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG mitumfasste Selbstbestimmungsrecht der Presse hinsichtlich der Themenauswahl und der Entscheidung, ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll, keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Erforderlich und zugleich ausreichend ist es, wenn ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen. Ein Verweis auf das Hauptsacheverfahren darf nicht dazu führen, dass eine begehrte Auskunft mit starkem Aktualitätsbezug ihren Nachrichtenwert verliert und allenfalls noch von historischem Interesse ist33.
26 BVerwG v. 20.3.2013 – 6 A 2/12, BVerwGE 146, 56; v. 25.3.2015 – 6 C 12/14, NVwZ 2015, 1388; v. 22.9.2015 – 6 VR 2/15, NVwZ 2016, 945; v. 16.3.2016 – 6 C 65/14, ZD 2016, 542; vgl. oben Rz. 1. 27 Für den Bundesrechnungshof: BVerwG v. 15.11.2012 – 7 C 1.12, ZD 2013, 242; für den Deutschen Bundestag: BVerwG v. 25.6.2015 – 7 C 1/14, GRUR-RR 2016, 137. 28 Z.B. bei der Vergabe von Aufträgen, OLG Münster v. 9.2.2012 – 5 A 166/10, ZUM 2012, 512, oder beim Beitragseinzug oder der Zuteilung von Wahlkampfzeiten. 29 OVG NW v. 28.10.2008 – 5 B 1183/08, AfP 2008, 656. 30 Näheres Löffler/Burkhardt, § 4 LPG Rz. 77 ff. 31 Zur möglichen Verletzung von Privatgeheimnissen vgl. OLG Hamm v. 31.1.2000 – 2 Ws 282/99, AfP 2000, 598 = NJW 2000, 1278. 32 Näheres Löffler/Wenzel, § 4 LPG. 33 BVerwG v. 26.10.2017 – 6 VR 1.17, ZUM 2018, 303 zur Geltendmachung eines presserechtlichen Auskunftsanspruchs im Wege einer einstweiligen Anordnung gegenüber dem BND betreffend journalistische Hintergrundgespräche.
Burkhardt/Peifer 683
Kap. 10 Rz. 6
Sonderfragen
Die Informationsfreiheitsgesetze formulieren ähnliche Ausschlussgründe wie die Landespressegesetze, die etwas präziser gefasst sind (vgl. §§ 3–6 IFG Bund). Die Informationsverweigerung kann hier regelmäßig auf Vorschriften des Datenschutzes (§ 5 IFG), des Urheberund Betriebsgeheimnisschutzes (§ 6 IFG) sowie den Schutz von Sicherheitsbelangen des Staates, besondere Belange der Amtsverschwiegenheit (§ 3 IFG) oder die Befürchtung einer Gefährdung des Verwaltungsverfahrens (§ 4 IFG) gestützt werden. Wichtig ist, dass eine Informationsanfrage nicht begründungslos zurückgewiesen werden kann. Das Prinzip der Verwaltungsverschwiegenheit ist durch die Informationsfreiheitsregeln damit aufgegeben oder umgekehrt worden34. § 7 Abs. 2 IFG ermöglicht es der Behörde aber, sich auf einen unverhältnismäßigen Aufwand zu berufen und Informationsanfragen hierüber zu blockieren. Allerdings ist eine generelle Berufung auf den Arbeitsaufwand, der für die Befragung anfällt, nicht genügend35, ebenso wenig darf eine Anfrage allein deswegen abgewiesen werden, weil der Anfragende zu viele Auskunftsersuchen stellt36. Die Behörde muss jeweils begründen, auf welches Informationsverweigerungsrecht sie sich beruft und sie muss hierzu auch Angaben machen, die dem Anfragenden erläutern, warum die Verweigerung als berechtigt angesehen wird. So konnten Journalisten Auskunft über die Gästeliste sowie Tisch- und Sitzordnung eines Abendessens im Bundeskanzleramt verlangen, weil nicht ersichtlich war, warum die Rednerliste unter Ausschlusstatbestände fällt37. Zu beantworten war auch die Anfrage, wer ein Fest des Regierenden Bürgermeisters von Berlin sponsert und in welcher Höhe dies geschieht38. Macht die Behörde nachteilige Auswirkungen einer Auskunft auf schwebende Verfahren geltend, so kann sie nicht schlicht auf Geheimhaltungsinteressen pochen, sie muss die befürchteten nachteiligen Auswirkungen durch konkrete Fakten untermauern39. 6
Daneben begründet die Pressefreiheit ein grundsätzlich schutzwürdiges Interesse am Zugang zu Datensammlungen und Registern, auch insoweit diese nur in beschränktem Umfang zugänglich sind. Der Presse ist daher z.B. die Einsicht in das Grundbuch zu gestatten, soweit dafür ein Informationsinteresse besteht40. Ein konkretisiertes Rechercheinteresse genügt. So berechtigt eine Recherche zu der Frage, ob ein bekannter Politiker von einem Unternehmen finanzielle Vergünstigungen für den Erwerb eines Grundstücks erhalten hat, zur Grundbucheinsicht41, ist also gleichzeitig „berechtigt“ i.S.d. § 12 Abs. 1 GBO. Ebenso ist es, wenn die Presse recherchiert, ob eine örtliche Sparkasse über ihre Tochtergesellschaften als Unternehmer im Grundstücksgeschäft tätig gewesen und infolge einer Überbewertung der Immobilien sachfremde Risiken eingegangen ist42. Allerdings ist die Angabe eines konkreten Bezuges des Rechercheinteresses zu dem in Rede stehenden Grundstück erforderlich43. Das Grundbuchamt darf nicht von vornherein bestimmte Bereiche (etwa einzelne Abteilungen) von der Ein-
34 Wegener, Der geheime Staat, 2006. 35 Dazu BVerwG v. 17.3.2016 – 7 C 2/15, NVwZ 2016, 1014 – Leuna; Koreng, K&R 2017, Beil 1 zu Heft 7/8, S. 9. 36 OVG Koblenz v. 30.1.2014 – 1 A 10999/13, DVBl. 2014, 730; insoweit bestätigt durch BVerwG v. 28.7.2016 – 7 C 7/14, NVwZ 2016, 1814 Rz. 18. 37 OVG Berlin-Brandenburg v. 20.3.2012 – 12 B 27.11, ZD 2012, 581. 38 VG Berlin v. 22.5.2012 – VG 27 K 6.09, ZUM-RD 2013, 38. 39 OVG Berlin-Brandenburg v. 7.10.2016 – 6 B 59/15, LKV 2017, 38. 40 BVerfG v. 28.8.2000 – 1 BvR 1307/91, NJW 2001, 503 – Grundbucheinsicht durch Pressevertreter I; OLG München v. 20.4.2016 – 34 Wx 12/16, NZM 2017, 55. 41 BGH v. 17.8.2011 – V ZB 47/11, AfP 2012, 43 = NZM 2012, 42. 42 OLG Düsseldorf v. 7.10.2015 – I-3 Wx 179/15, NJW 2016, 89. 43 BVerfG v. 7.10.2000 – 1 BvR 1521/00, AfP 2000, 566, 567 – Grundbucheinsicht durch Pressevertreter II.
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Burkhardt/Peifer
I. Regelungen zur Erleichterung der Berichterstattung
Rz. 8 Kap. 10
sichtnahme ausschließen, insbesondere dann nicht, wenn sich der Journalist Umstände, die für seine Recherche bedeutsam sind, erst selbst „mosaik-steinartig“ zusammensuchen muss44. Das Umweltinformationsgesetz (UIG) vom 23.8.200145 gewährt darüber hinaus in § 3 Abs. 1 7 UIG jedermann einen Anspruch auf verfügbare Umweltinformationen46. Dasselbe gilt für das Verbraucherinformationsgesetz47 in Bezug auf die Zusammensetzung und Kennzeichnung von Lebensmitteln. Sehr viel weitreichender und zu einem echten Konkurrenten des medienrechtlichen Auskunftsanspruchs sind Auskunftsansprüche nach den Informationsfreiheitsrechten des Bundes und der Länder geworden. Einen solchen Informationsanspruch enthält auf Landesebene z.B. § 4 Abs. 1 IFG NW. Danach hat jede natürliche Person, also auch ein Medienvertreter, ein Informationsrecht gegenüber Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen i.S.d. § 2 Abs. 1 IFG NW. Die Passivlegitimation entspricht im Wesentlichen der presserechtlichen Lage, so dass Behörden erfasst sind, aber auch Unternehmer, soweit sie von öffentlichen Trägern beherrscht werden. Der IFG-Anspruch soll gegenüber dem presserechtlichen Anspruch nach einigen Regelungen subsidiär sein48. Das ist zweifelhaft, weil jedenfalls der presserechtliche Anspruch gegenüber dem Jedermann-Anspruch nicht zurückbleiben darf. Dies deutet darauf hin, dass Landespressegesetz und IFG nebeneinander anwendbar sind, und zwar auch mit der Folge, dass die jeweils großzügigere Regelung sich wegen der besonderen Rolle des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG durchsetzt. Für die Presse hat das IFG scheinbar Vorteile, weil es investigatives verdecktes Vorgehen erleichtert49. Zwar ist ein verdecktes Ermitteln presseethisch durch Ziff. 4 des Pressekodex eingeschränkt, doch erlauben die hierzu formulierten Richtlinien verdecktes Vorgehen ausnahmsweise, um Informationen von besonderem öffentlichen Interesse zu erhalten, die auf andere Weise nicht zu beschaffen wären (Richtlinie 4.1 S. 3). 3. Zutritt zu Veranstaltungen Schrifttum: Kübler, Massenmedien und öffentliche Veranstaltungen, 1978; Gounalakis, Rechte und Pflichten privater Konzertveranstalter gegenüber Massenmedien, AfP 1992, 343; Holznagel/Höppner, Exklusivvereinbarungen versus Pressefreiheit, DVBl. 1998, 868; von Coelln, Zur Medienöffentlichkeit der Dritten Gewalt, 2005; Lehr, Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechte – Ein Spannungsverhältnis für die Öffentlichkeitsarbeit der Justiz, NJW 2013, 728.
Lädt eine Behörde zu einer Pressekonferenz ein, ist grundsätzlich jeder Pressevertreter, 8 Rundfunkjournalist und Vertreter von journalistisch-redaktionellen Telediensten (früher: Mediendienste) nach § 54 Abs. 2 RStV zuzulassen, der sich als solcher ausweisen kann, z.B. durch einen anerkannten Presseausweis. Für journalistisch-redaktionelle Mediendienste ist dies nicht in allen Presse- oder Landesmediengesetzen ausdrücklich vorgesehen (Rz. 2). Insgesamt folgt der Zugangsanspruch für jeden Journalisten aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, allerdings sollen Differenzierungen nach Rundfunk und Telemedien zulässig sein, sie
44 BGH v. 17.8.2011 – V ZB 47/11, AfP 2012, 43 = NZM 2012, 41; Wilsch, NZM 2017, 244. 45 BGBl. I 2001, 2218. 46 Vgl. BVerwG v. 6.12.1996 – 7 C 64/95, NJW 1997, 753; v. 28.7.2016 – 7 C-7/14, NVwZ 2016, 1814; OVG Rheinland-Pfalz v. 2.6.2006 – 8 A 10267/06.OVG, LKRZ 2007, 107. 47 VIG v. 17.10.2012, BGBl. I 2166. 48 So § 4 Abs. 1 LPG NW, § 1 Abs. 3 IFG Bund; § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NW; a.A. VG Köln v. 27.1.2011 – 6 K 4165/09, AfP 2011, 312 Rz. 58; Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, Kap. 18, Rz. 5 a. 49 Püschel, AfP 2006, 401, 407; gebilligt von VG Köln v. 27.1.2011 – 6 K 4165/09, AfP 2011, 312 Rz. 60, 62; ebenso VG Köln v. 19.11.2009 – 6 K 2032/08, AfP 2010, 299.
Burkhardt/Peifer 685
Kap. 10 Rz. 9
Sonderfragen
sind aber nach sachlichen Gesichtspunkten zu treffen50, das gilt insbesondere, wenn eine Beschränkung des Teilnehmerkreises an einem Pressegespräch geboten ist51. Zu Besichtigungsfahrten staatlicher Bahnunternehmen brauchen z.B. nur die mit der Materie befassten Pressevertreter eingeladen zu werden52. Auch kann vorgesehen werden, dass ein Zutritt nur in der Reihenfolge des zeitlichen Erscheinens bis zur Grenze der verfügbaren Plätze möglich ist53. Der Vorsitzende eines Gerichtsverfahrens hat einen weiten Ermessensspielraum, wenn es um den Zugang der Presse zu Gerichtsverfahren geht, allerdings darf er diesen Spielraum nicht unsachlich oder willkürlich ausnutzen, das Prioritätsprinzip als Verteilungsmaßstab ist geeignet, solange alle Petenten gleicheffektiven Zugang zu den zu vergebenden Plätzen haben54. Zwar steht auch Behörden das Hausrecht zu. Dies berechtigt sie jedoch nicht, bei einer einmaligen Verletzung des Hausrechts, z.B. des Deutschen Bundestages durch genehmigungslose Fernsehaufnahmen, ein auch nur zeitlich befristetes Hausverbot auszusprechen, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine weitere Verletzungshandlung fehlen55. Zulässig ist es jedoch, den Zugang an Verhaltensregeln, etwa ein Fotografieverbot zu knüpfen56. Zugang zu veröffentlichten Gerichtsentscheidungen hat die Presse auch schon in Bezug auf noch nicht rechtskräftige Entscheidungen, denn es gilt das Prinzip der Offenheit und damit auch eine grundsätzliche Pflicht zur Veröffentlichung von Entscheidungen57, lediglich sind personenbezogene Angaben in der Regel zu anonymisieren. Sofern das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, kann die Überlassung an die Presse zu Zwecken des Schutzes des Betroffenen zwar eingeschränkt werden58, dass jedoch solche Schutzaspekte stets eine Rolle spielen, kann nicht angenommen werden59. 9
Nach § 6 Abs. 2 des Versammlungsgesetzes haben Pressevertreter ein Zutrittsrecht zu allen öffentlichen Versammlungen, auch zu privat veranstalteten. Obgleich § 6 Abs. 2 VersG nur die Pressevertreter nennt, sind auch Rundfunk-Journalisten zutrittsberechtigt. Gleiches muss für Journalisten von Mediendiensten gem. § 10 Abs. 3 MDStV gelten. Sie haben sich gegenüber dem Versammlungsleiter durch ihren Presseausweis auszuweisen. Dieses Recht darf aber nicht im Wege der Selbsthilfe durchgesetzt werden60. Öffentliche Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes sind für jedermann zugängliche Veranstaltungen, die der gemeinschaftlichen Äußerung, Diskussion oder Bildung einer Meinung dienen (z.B. Demonstrationen, Wahlkundgebungen). Problematisch wurde der Zugang zu solchen Veranstaltungen, als die „Alternative für Deutschland“ (AfD) 2016/2017 Pressevertreter systematisch von ihren Parteitagen auszuschließen begann. Dies gelang im Ergebnis, weil Parteitage nicht öffentlich sind, sondern nur den Mitgliedern offenstehen. Bei diesem Beispiel könnte man zwar über eine verfassungskonforme Auslegung nachdenken, weil Parteien an der Meinungsbildung
50 OLG München v. 28.1.2010 – U (K) 3946/09, NJW-RR 2010, 769. 51 VG Bremen v. 27.2.1997 – 2 A 28/96, NJW 1997, 2696. 52 BVerwG v. 3.12.1974 – I C 30/71, BVerwGE 47, 247 = AfP 1975, 762; Näheres Löffler/Burkhardt, § 4 LPG Rz. 148 ff. mit Rz. 158. 53 BVerfG v. 30.10.2002 – 1 BvR 1932/02, NJW 2003, 500 – El Kaida II. 54 BVerfG v. 12.4.2013 – 1 BvR 990/13, AfP 2013, 233 = NJW 2013, 1293. 55 VG Berlin v. 18.6.2001 – 27 A 344/00, AfP 2001, 437. 56 OVG NW v. 13.3.2013 – 5 A 1293/11, AfP 2013, 162 = GRUR-RS 2013, 48676. 57 BVerfG v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15, IPRB 2016, 3 = AfP 2015, 540. 58 OVG Weimar v. 13.2.2015 – 1 EO 128/15, NJW 2015, 1836. 59 BVerfG v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15, IPRB 2016, 3 = AfP 2015, 540 m. Anm. von Coelln, AfP 2016, 308; Eisele/Hyckel, VR 2016, 217. 60 Kübler, Massenmedien, S. 64.
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Burkhardt/Peifer
I. Regelungen zur Erleichterung der Berichterstattung
Rz. 13 Kap. 10
der Öffentlichkeit mitwirken, also auch öffentliche Aufgaben erfüllen (§ 1 Abs. 2 PartG), ohne gesetzliche Regelung dürfte der Zugang allerdings nicht zu erzwingen sein. Daneben kann der Ausschluss eines Journalisten von ansonsten allgemein zugänglichen Ver- 10 anstaltungen eine sittenwidrige Schädigung gem. § 826 BGB darstellen oder gegen das Diskriminierungs- gem. § 19 GWB bzw. Boykottverbot gem. § 21 GWB verstoßen61. Z.B. rechtfertigt allein eine kritische Berichterstattung den Ausschluss eines Journalisten vom Besuch des Spielgeländes und der Pressekonferenzen eines Bundesligavereines nicht, wenn diese Veranstaltungen ansonsten der allgemeinen Presseöffentlichkeit zugänglich sind62. Das Zutrittsrecht nach § 6 Abs. 2 VersG umfasst nicht die Tätigkeit eines Fernsehteams, da 11 insbesondere bei Anwesenheit mehrerer Teams eine Veranstaltung erheblich gestört werden könnte. Im Interesse einer sachgerechten Berichterstattung durch das Fernsehen wurde in § 5 RStV das Recht auf Kurzberichterstattung aufgenommen. Dies gewährt jedem in Europa zugelassenen Fernsehveranstalter das Recht auf unentgeltliche Kurzberichterstattung über Veranstaltungen und Ereignisse, die öffentlich zugänglich und von allgemeinem Informationsinteresse sind. Darunter fallen nicht nur bedeutendere Sportereignisse, sondern auch Musikund Theateraufführungen sowie sonstige öffentliche Veranstaltungen. Das Recht schließt die Befugnis zum Zugang, zur kurzzeitigen Direktübertragung, zur Aufzeichnung, zu deren Auswertung zu einem einzigen Beitrag und zur Weitergabe an andere Fernsehsender ein. Schließt der Veranstalter jegliche Übertragung oder Aufzeichnung aus, entfällt auch das Recht auf Kurzberichterstattung (§ 5 Abs. 5 Satz 4 RStV)63. Regelungen zum Kurzberichterstattungsrecht finden sich auch in anderen rundfunkrecht- 12 lichen Vorschriften, z.B. § 37 LandesmedienG NW und § 5a WDR-Gesetz, die auf den RStV verweisen. Da das Recht in verfassungsrechtlich geschützte Positionen des Veranstalters, z.B. Eigentums- und Hausrecht, eingreift, war seine Verfassungsmäßigkeit lange umstritten. Die Regelungen im früheren WDR-Gesetz und im früheren LRG NW waren insoweit verfassungswidrig, als die Kurzberichterstattung auch bei berufsmäßig durchgeführten Veranstaltungen kostenlos ausgeübt werden kann. Sie waren verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Kurzberichterstattung nicht vor einem vertraglich begründeten Übertragungsrecht ausgeübt werden darf, wenn der Inhaber der vertraglichen Rechte eine Karenzzeit einzuhalten hat64. Eine Ausweitung des Rechts auf Kurzberichterstattung auf Hörfunk, Presse und Medien- 13 dienste durch analoge Anwendung der gesetzlichen Regelungen ist angesichts des eindeutigen Wortlauts nicht möglich65. Dementsprechend hat der BGH einen Anspruch auf Zugang zu einem Sportstadion zum Zweck der Hörfunkberichterstattung verneint66. Die frühere Praxis, Rundfunkvertreter gegen eine Gebühr für die Nutzung von technischen Einrichtungen, im Übrigen aber lizenzfrei zuzulassen, ist damit beendet. Begründet wird dieses Vorgehen damit, dass der Stadionbetreiber in Ausübung seines Hausrechts die Einwilligung zur Hörfunk61 OLG Köln v. 7.3.2000 – 16 W 8/00, NJW-RR 2001, 1051. 62 OLG Köln v. 7.3.2000 – 16 W 8/00, NJW-RR 2001, 1051. 63 Einzelheiten vgl. § 5 RStV, LG Bremen v. 6.4.1994 – 4 O 287/94, AfP 1994, 149 und die durch einen Vergleich obsolet gewordene Entscheidung des LG München I v. 31.7.2001 – 21 O 13220/01, ZUM 2001, 898. 64 BVerfG v. 17.2.1998 – 1 BvF 1/91, NJW 1998, 1627 – Kurzberichterstattung WDR-Gesetz und LRG NW. 65 Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, B5, § 5 Rz. 52; Soehring, § 6 Rz. 40; a.A. Gounalakis, AfP 1993, 343, 344. 66 BGH v. 8.11.2005 – KZR 37/03, BGHZ 165, 62 = AfP 2006, 56 – Hörfunkrechte.
Burkhardt/Peifer 687
Kap. 10 Rz. 14
Sonderfragen
berichterstattung auch an die Zahlung einer gesonderten Hörfunklizenz knüpfen dürfe. Neuerlich relevant wurde die Frage, ob Presseveranstalter einen voraussetzungsfreien Zugang zu Amateursportveranstaltungen haben. Dies wurde mit Blick auf eine fehlende gesetzliche Regelung verneint, überdies wurde die Regelung in den AGB eines Fußballverbandes, wonach der Zugang mit Fotoausrüstung an eine Gebühr geknüpft wird, zudem Ablieferungspflichten für das Aufnahmematerial bestehen, nicht als Verstoß gegen kartellrechtliche Vorschriften gewertet67. 14
Sonstige Medienvertreter privilegierende Zutrittsregelungen existieren nicht. Schon das Reichsgericht hat es aber als Verstoß gegen § 826 BGB bezeichnet68, einen Theaterkritiker vom Besuch des Theaters auszuschließen. Auch der Gesichtspunkt des Diskriminierungsverbotes lässt sich heranziehen, dem marktbeherrschende Unternehmen nach § 19 GWB unterliegen69. 4. Urheberrechtliche Regelungen
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Nach § 48 UrhG ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Reden über Tagesfragen in Zeitungen, Zeitschriften und anderen Informationsblättern zulässig, wenn die Reden bei öffentlichen Versammlungen oder im Rundfunk gehalten worden sind. Die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe ist unabhängig vom Inhalt zulässig, wenn die Reden vor staatlichen, kommunalen oder kirchlichen Organen gehalten worden sind. Damit sind Inhalte ausgenommen, die der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung gestellt werden. Diese Grenze betrifft auch die weiteren Schranken des Urheberrechts, etwa §§ 49, 50 (Rz. 16). Zitiert werden darf nur aus veröffentlichten Werken (§ 51 UrhG). Das erzeugt Friktionen in Bezug auf urheberrechtlich geschützte Leistungen, die durch öffentliche Stellen produziert werden. Handelt es sich um amtliche Werke, wie Gesetze und Gerichtsentscheidungen, so besteht kein Urheberschutz (§ 5 UrhG). Fehlt es daran, so ist Urheberschutz für die Behörde selbst oder deren Mitarbeiter möglich. Probleme gibt es bei Informationsanfragen nach dem IFG. Sie betrafen etwa Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages im Falle von Ausarbeitungen, die in die Dissertation eines wegen Plagiatsverdachtes zurückgetretenen Bundesverteidigungsministers Eingang gefunden haben. Informationsanfragen hierzu wurden unter Berufung auf § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG oder § 6 IFG abgewehrt70. Das Bundesverwaltungsgericht hat es allerdings Behörden verwehrt, sich auf den Schutz des Urheberrechts zu berufen, wenn es um Dienstwerke ihrer Mitarbeiter geht71, weil die Veröffentlichungsbefugnis hier der Behörde zustehe und sie diese Befugnis nicht zur Vorenthaltung von Informationen ausüben dürfe. Ob diese urheberrechtlich zweifelhafte Begründung hält, wird sich im Rahmen eines Vorlageverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zeigen, in dem es um den Zugang zu militärischen Einsatzberichten geht72. Dabei geht es darum zu klären, ob das dem Urheber eingeräumte Ausschließlichkeitsrecht nur den urhebergesetzlichen Schranken unterliegt oder ob auch eine 67 OLG München v. 23.3.2017 – U 3702/16 Kart, GRUR-RR 2017, 121. 68 RG v. 7.11.1931 – V 106/31, RGZ 133, 388. 69 Näheres Löffler/Burkhardt, § 4 LPG Rz. 161 ff.; vgl. auch OLG Stuttgart v. 11.5.1971 – 6 U 99/70, JZ 1972, 490 m. Anm. Kübler betreffend die Verpflichtung einer Journalistenvereinigung zur Aufnahme eines Journalisten. 70 Vgl. Raue, JZ 2013, 280, 285 f. 71 BVerwG v. 25.6.2015 – 7 C 1/14, BVerwGE 152, 241 = AfP 2016, 193 Rz. 39–42 m. Anm. Morlock/ Kalb, JZ 2017, 640. 72 BGH v. 1.6.2017 – I ZR 139/15, AfP 2017, 416 = MDR 2017, 1012 = ITRB 2017, 228 = GRUR 2017, 901.
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Burkhardt/Peifer
I. Regelungen zur Erleichterung der Berichterstattung
Rz. 17 Kap. 10
unmittelbar auf die Informationsfreiheit gestützte Beschränkung wegen eines öffentlichen Interesses an der Kenntnisnahme urheberrechtlich geschützter Informationen in Betracht kommt. Die Frage stellt sich in einem Fall, in dem Journalisten einer Tageszeitung Zugang zu vertraulichen Lageberichten über Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan erhielten und diese öffentlich zugänglich machten („Afghanistan-Papiere“). Die Bundesrepublik klagte auf Unterlassung unter Hinweis auf das Urheberrecht an den Dokumenten. Die Klage war bei den Instanzgerichten erfolgreich73. Mit der in BVerwGE 152, 241 genannten Begründung wäre sie als erfolglos anzusehen. Unberücksichtigt blieb allerdings in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, ob das unionsrechtlich harmonisierte Urheberrecht Lücken für eine Schrankenbestimmung zu Zwecken der Befriedigung eines dringenden Informationsinteresses der Öffentlichkeit zulässt oder aufgrund einer unionsverfassungskonformen Auslegung von Art. 11 EU-GrCh zulassen müsste. Nach § 49 UrhG ist die Vervielfältigung und Verbreitung einzelner Rundfunkkommentare 16 und einzelner Artikel aus Zeitungen sowie anderen lediglich Tagesinteressen dienenden Informationsblättern in anderen Zeitungen und Informationsblättern dieser Art sowie die öffentliche Wiedergabe solcher Kommentare und Artikel zulässig, wenn sie politische, wirtschaftliche oder religiöse Tagesfragen betreffen und nicht mit einem Vorbehalt der Rechte versehen sind. Wenn es sich nicht nur um eine Übersicht handelt, ist dem Urheber aber eine angemessene Vergütung zu zahlen. Diese Regelung gilt auch für elektronische Pressespiegel74. Unbeschränkt zulässig ist die Verbreitung durch Presse oder Funk veröffentlichter vermischter Nachrichten und Tagesneuigkeiten. Eine wichtige Sonderbestimmung enthält § 50 UrhG, der das sog. Wochenschaugesetz v. 17 30.4.193675 abgelöst hat. Danach dürfen bei der aktuellen Berichterstattung Werke, die im Verlauf der erörterten Vorgänge wahrnehmbar werden, in dem durch den Zweck gebotenen Umfang vervielfältigt, verbreitet und öffentlich wiedergegeben werden. Danach ist auch zulässig, bei der Zeitungsberichterstattung Fotografien von Kunstwerken vergütungsfrei abzudrucken, wenn das im Rahmen der aktuellen Berichterstattung, z.B. über eine Ausstellung, geschieht76. Auf Archivbilder darf zu diesem Zweck allerdings nicht zurückgegriffen werden77. In Bezug auf § 50 UrhG stellt sich auch die bereits Rz. 15 angesprochene Frage, ob urheberrechtliche Schrankenbestimmungen greifen, wenn es um Tagesereignisse geht, die bisher nicht veröffentlichte Unterlagen betreffen. § 50 UrhG erlaubt nur die Verwertung „wahrnehmbarer“ Werke, daran fehlt es, wenn Inhalte unveröffentlicht (also auch nicht wahrnehmbar) sind. Das Problem stellt sich in einem Vorlageverfahren des BGH78 an den Gerichtshof der Europäischen Union, in dem es um die Befugnis der Presse geht, ein bisher nur in Auszügen veröffentlichtes Manuskript, in dem ein Bundestagsabgeordneter für eine teilweise Entkriminalisierung gewaltfreier sexueller Handlungen Erwachsener mit Kindern eingetreten ist, auf einem Internetdienst zugänglich zu machen. Seinem Wortlaut nach erlaubt § 50 UrhG die 73 LG Köln v. 2.10.2014 – 14 O 333/13, GRUR-RR 2015, 55; OLG Köln v. 12.6.2015 – 6 U 5/15, AfP 2016, 81 = CR 2016, 600 = GRUR-RR 2016, 59. 74 BGH v. 11.7.2002 – I ZR 255/00, BGHZ 151, 300 = MDR 2003, 283 = AfP 2002, 437 = CR 2002, 827 = ITRB 2002, 282 = NJW 2002, 3393 m. Anm. Czychowski. 75 RGBl. I, S. 404. 76 BGH v. 1.7.1982 – I ZR 118/80, MDR 1983, 112 = AfP 1982, 221 = NJW 1983, 1196; v. 1.7.1982 – I ZR 119/80, MDR 1983, 113 = AfP 1982, 224 = NJW 1983, 1199. 77 BGH v. 5.10.2010 – I ZR 127/09, MDR 2011, 557 = CR 2011, 283 = ITRB 2011, 153 = IPRB 2011, 101 = GRUR 2011, 415 – Kunstausstellung im Online-Archiv. 78 BGH v. 27.7.2017 – I ZR 228/15, AfP 2017, 407 m. Anm. Mann = GRUR 2017, 1027 – Reformistischer Aufbruch.
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Kap. 10 Rz. 18
Sonderfragen
Zurverfügungstellung des Dokumentes nicht, zu rechtfertigen wäre dies also nur über eine Schrankenbestimmung, die unmittelbar auf Art. 11 EU-GrCh zu stützen ist. Eine solch weitgehende Schranke hat das Urheberrecht bisher immer mit der Erwägung abgelehnt, dass die Medienfreiheiten zwar Zugangsrechte verschaffen, allerdings nur in Bezug auf Inhalte, die allgemein zugänglich sind. Daran aber fehlt es bei unveröffentlichten Werken, die zum Schutz des Urhebers erst durch ihn selbst zur Veröffentlichung freigegeben werden können (§ 12 Abs. 1 UrhG). Wichtig ist dies auch für Wissenschaftler, die Forschungsmaterial noch nicht veröffentlicht haben79.
II. Verwendung unzulässig beschaffter Informationen Schrifttum: Schmidt-Osten, Die illegale Informationsbeschaffung und das Berufsgeheimnis der Presse, AfP 1973, 358; Lerche, Die Verbreitung rechtswidrig erlangter Informationen durch Presse und Rundfunk, AfP 1976, 55; Bettermann, Publikationsfreiheit für erschlichene Informationen?, NJW 1981, 1065; Schmidt-Glaeser, Der Fall Günter Wallraff, AfP 1981, 314; Hoppe, Bildaufnahmen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich – der neue § 201a StGB, GRUR 2004, 990; Kühl, Zur Strafbarkeit unbefugter Bildaufnahmen, AfP 2004, 190; Schippan, Der Umgang der Presse mit anonym zugesandtem Material, ZUM 2008, 572; Schröder, Strafrechtliche Risiken für den investigativen Journalismus? – Die Meinungs- und Pressefreiheit und das Wertpapierhandelsgesetz, NJW 2009, 465; Eichhoff, Investigativer Journalismus aus verfassungsrechtlicher Sicht, 2010; Király, Der Beamte als Whistleblower – Die Zulässigkeit von Korruptionsanzeigen nach den jüngsten Gesetzesänderungen, DÖV 2010, 894; Heinrich, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Pressemitarbeitern bei der unbefugten Herstellung und Verbreitung fotografischer Darstellungen von Personen, ZIJ 2011, 416; Király, Der rechtliche Schutz von Whistleblowern – Lehren aus US-amerikanischen Regelungen, ZRP 2011, 146; Greve, Korruptionsbekämpfung und Whistleblowing – Überlegungen zur Auflösung des Konflikts zwischen Transparenz und Datenschutz, ZD 2014, 336; Lehr, Veröffentlichung rechtswidrig erlangter privater E-Mails bei Berichtsinteresse, NJW 2015, 786; Renner/Baumann, Wachhund auf verbotenem Terrain – Rechtswidrig erlangte Informationen in der Presse, AfP 2015, 285.
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Die Zulässigkeit einer Äußerung hängt im Wesentlichen von ihrem Inhalt ab, ferner von der Form und der Art der Verbreitung. Bedeutung kann aber auch die Art der Beschaffung der Information haben, auf der die Darstellung beruht. Zu dieser kontrovers diskutierten Frage haben der BGH wiederholt80 und inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht Stellung genommen81.
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Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass Art. 5 Abs. 1 GG die rechtswidrige Beschaffung von Informationen nicht schützt, wohl aber deren Verbreitung. Informationsbeschaffung und deren Veröffentlichung sind unterschiedliche Bereiche. Rechtswidriges Handeln der Medien in einem Bereich rechtfertigt noch keinen Eingriff in den anderen. Bei beiden
79 VG Braunschweig v. 26.6.2013 – 5 A 33/11, ZD 2014, 318. 80 BGH v. 19.12.1978 – VI ZR 137/77 NJW 1979, 647 – Telefongespräch I; v. 19.12.1978 – VI ZR 138/77, JZ 1979, 351 – Telefongespräch II; v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, MDR 1981, 484 = AfP 1981, 270 = NJW 1981, 1089 – Der Aufmacher I; v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366 – Der Aufmacher II. 81 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741 – Der Aufmacher; v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 u.a., NJW 2002, 3619 – Mitgehörtes Telefonat; NJW 1973, 891 – Tonbandaufnahme betreffend das Recht am gesprochenen Wort: Jeder kann selbst bestimmen, wer sein Wort aufnehmen und wann es wieder abgespielt werden darf, Näheres Kap. 5 Rz. 28a ff., Kap. 10 Rz. 22.
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Burkhardt/Peifer
II. Verwendung unzulässig beschaffter Informationen
Rz. 20 Kap. 10
ist der verfassungsrechtliche Schutz der Pressefreiheit zu berücksichtigen82. Der Verbreitung rechtswidrig beschaffter Informationen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG generell zu versagen hätte zwar nicht zur Folge, dass sie ausnahmslos unzulässig wäre. Unzulässig wäre sie auch dann nur, wenn sich aus einfach-rechtlichen Normen ein Verbreitungsverbot ergibt. Allerdings könnte das Bundesverfassungsgericht dann nicht korrigierend eingreifen. Die Verbreitung unzulässig beschaffter Informationen unterliegt aber nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dem Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG. Trotz der Einbeziehung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG kann die Verbreitung also unzulässig sein. Das ist der Fall, wenn im Lichte der grundrechtlichen Wertordnung interpretierte einfach-rechtliche Normen die Äußerungsfreiheit im konkreten Fall begrenzen. Ob die Rechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG im konkreten Falle zurückzutreten haben, hängt 20 zunächst davon ab, ob die Verbreitung der unzulässig beschafften Informationen ein ziviloder ggf. sogar strafrechtlich geschütztes Rechtsgut verletzt bzw. ob die Handlungsweise als sittenwidrig i.S.d. § 826 BGB einzustufen ist. Als zivilrechtlich geschütztes Rechtsgut kommt, soweit ersichtlich, nur das auch verfassungsrechtlich relevante allgemeine Persönlichkeitsrecht in Betracht. Das Persönlichkeitsrecht umfasst neben dem Schutz der Persönlichkeitssphären nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch das Recht am gesprochenen Wort83. Dieses gewährleiste die Selbstbestimmung über die eigene Darstellung der Person in der Kommunikation mit anderen. Es umfasse damit auch die Befugnis, selbst zu bestimmen, ob der Kommunikationsinhalt einzig dem Gesprächspartner, einem bestimmten Personenkreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Das Selbstbestimmungsrecht erstrecke sich also auch auf die Auswahl der Personen, die unmittelbar Kenntnis von dem Gesprächsinhalt erhalten sollen. Es schütze auch davor, dass ein Kommunikationspartner ohne Kenntnis des anderen eine dritte Person als Zuhörer in das Gespräch mit einbezieht oder die unmittelbare Kommunikationsteilnahme durch den Dritten gestattet. Dies setze allerdings voraus, dass der Sprecher aufgrund der Rahmenbedingungen begründetermaßen erwarten dürfe, nicht von Dritten gehört zu werden84. Dieser Vertrauensschutz wird ergänzt durch den Schutz der Persönlichkeitssphären (vgl. Kap. 5 Rz. 35 ff.). Allerdings unterscheiden sich die Schutzbereiche. So gewährt der Schutz der Privatsphäre dem Einzelnen einen thematischen und räumlichen Bereich, in dem er sich unbemerkt durch Dritte und damit ohne Rücksichtnahme auf sie verhalten darf (Kap. 5 Rz. 54 ff.)85. Äußerungen in diesem Bereich sind unabhängig davon geschützt, wie der Inhalt an einen Dritten gerät, also auch dann, wenn der Gesprächspartner entgegen einer Vertraulichkeitserwartung des Sprechers einem Dritten von dem Gesprächsinhalt berichtet (Näheres Kap. 5 Rz. 54 ff.)86. Ein zivilrechtlicher Anspruch gegen die Verbreitung unzulässig beschaffter Informationen kann sich also ergeben, wenn die Verbreitung gegen diesen dem Betroffenen zustehenden Vertrauensschutz verstößt. Dazu reicht i.d.R. ein schlichter Verstoß gegen das Hausrecht nicht aus87. Dass eine auch im Lichte der grundrechtlichen Wertordnung als sittenwidrig einzustufende Handlungsweise den Grundrechtsschutz beschränkt, 82 BVerfG v. 28.5.1999 – 1 BvR 77/99, NJW 1999, 2880 – Fall Holst; zum Schutz gegen Beschlagnahme vertraulicher Unterlagen vgl. BVerfG v. 22.8.2000 – 1 BvR 77/96, NJW 2001, 507. 83 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 u.a., NJW 2002, 3619, 3621 – Mitgehörtes Telefonat. 84 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 u.a., NJW 2002, 3619, 3621 – Mitgehörtes Telefonat; zur Kritik vgl. Kap. 5 Rz. 28a ff. 85 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, MDR 2000, 211 = AfP 2000, 76 = NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco I. 86 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 u.a., NJW 2002, 3619, 3621 – Mitgehörtes Telefonat. 87 Vgl. BGH v. 21.4.1998 – VI ZR 196/97, MDR 1998, 841 = NJW 1998, 2141 – Appartementanlage; OLG Nürnberg v. 11.6.2002 – 1 U 3939/01, NJW-RR 2002, 1471.
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Kap. 10 Rz. 21
Sonderfragen
ist selbstverständlich. An den guten Sitten findet der Grundrechtsschutz ganz allgemein seine Schranke. 21
Das Zurücktreten der Rechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG hängt weiter von einer Abwägung zwischen dem gegen die Verwertung streitenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf der einen Seite und einem für die Verwertung sprechenden rechtlich geschützten Interesse auf der anderen Seite88 ab. Dabei sind der Zweck der streitigen Äußerung und das angewendete Mittel zu berücksichtigen89. Der Äußerungsfreiheit kommt umso größeres Gewicht zu, je mehr es sich nicht um eine unmittelbar gegen ein privates Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaftlichen Verkehr und in Verfolgung eigennütziger Ziele, sondern um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt90. Es bedeutet also einen Unterschied, ob ein schweres, die Allgemeinheit schädigendes Verbrechen aufgedeckt wird, wie etwa die Verseuchung von Lebensmitteln, oder ob es lediglich um eine reine Privataffäre geht. Auch das angewandte Mittel kann unterschiedlich zu bewerten sein. Es kann sich um ein strafrechtlich relevantes Vergehen zu dem Zweck handeln, dadurch erlangte Informationen zum Nachteil des Betroffenen gegen hohes Entgelt weiterzugeben, andererseits um die bloße Kenntniserlangung von einer rechtswidrig beschafften Information, bei der die Rechtswidrigkeit der Beschaffung möglicherweise selbst bei Beachtung der publizistischen Sorgfaltspflicht nicht zu erkennen war. Von der Gewichtung des verfolgten Zweckes einerseits und des eingesetzten Mittels andererseits und von einer Abwägung dieser beiden Gesichtspunkte hängt ab, ob die Verbreitung der unzulässig beschafften Information durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt ist oder ob dieser Grundrechtsschutz hinter dem Schutz des Persönlichkeitsrechts bzw. vor einer sittenwidrigen Schädigung zurückzutreten hat91.
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Von der Unzulässigkeit wird regelmäßig auszugehen sein, wenn die Information durch heimliches Mitschneiden eines Telefonates und damit unter Einbruch in die durch das Fernmeldegeheimnis verfassungsrechtlich besonders gesicherte Vertraulichkeitssphäre gewonnen worden ist92. Ganz besonders gilt das, wenn ein Telefongespräch unter Verletzung von § 201 StGB mitgeschnitten worden ist. Die Verbreitung ist dann nicht nur demjenigen untersagt, der den Mitschnitt gefertigt hat, sondern ebenso den Empfängern des Mitschnittes93. Der Gegenstand des Telefonates ist richtiger Auffassung nach grundsätzlich ohne Belang. Es kommt also nicht darauf an, welcher Persönlichkeitssphäre der Gesprächsinhalt zuzuordnen ist. Der Respekt vor dem unverzichtbaren persönlichkeitsrechtlichen Vertrauensschutz verlangt, dass auch solche in strafrechtlich relevanter Weise angefertigten Telefonmitschnitte öffentlich unverwertet bleiben, die berufliche und sogar politische Fragen betreffen. Das scheint auch insofern erforderlich, als andernfalls zu solchen Straftaten geradezu ein Anreiz geschaffen würde. Grundsätzlich überwiegt der Öffentlichkeitswert nur, wenn der Inhalt des Telefonates seinerseits eine rechtswidrige Handlung von einiger Tragweite bzw. deren Planung offenbart. Eine ganz andere Frage ist, ob die unzulässige Verbreitung eines illegal abgehörten Telefona-
88 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 u.a., NJW 2002, 3619, 3624 – Mitgehörtes Telefonat. 89 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741, 1743. 90 Std. Rspr.; u.a. BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257; v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415. 91 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741, 1743. 92 Art. 10 Abs. 1 GG. Zum Schutzbereich vgl. BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 u.a., NJW 2002, 3619 – Mitgehörtes Telefonat. 93 BGH v. 19.12.1978 – VI ZR 137/77, NJW 1979, 647.
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II. Verwendung unzulässig beschaffter Informationen
Rz. 22 Kap. 10
tes einen Schmerzensgeldanspruch auslöst, wie der BGH das im Falle Kohl/Biedenkopf angenommen hat94. Das bloße Mithören über eine Mithöreinrichtung bezeichnet der BGH als zulässig. Zunächst hat er das für Telefonate ausgesprochen, die vom Geschäftszimmer eines Kaufmanns aus geführt werden95, dann auch für Gespräche vom Privatanschluss aus96. Angesichts der weiten Verbreitung von Mithörgeräten müsse der Gesprächsteilnehmer mit dem Mithören rechnen97. Dem ist das Bundesverfassungsgericht entgegengetreten. Es weist darauf hin, dass durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht am gesprochenen Wort geschützt sei. Dieses gewährleiste die Selbstbestimmung über die eigene Darstellung der Person in der Kommunikation mit anderen. Das Selbstbestimmungsrecht erstrecke sich also auch auf die Auswahl der Personen, die unmittelbare Kenntnis von dem Gesprächsinhalt erhalten sollen. Damit bestehe der Schutz jedenfalls auch davor, dass ein Kommunikationspartner ohne Kenntnis des anderen eine dritte Person als Zuhörer in das Gespräch mit einbezieht oder die unmittelbare Kommunikationsteilhabe durch den Dritten gestattet. Voraussetzung für den Schutz sei allerdings, dass der Sprecher aufgrund der Rahmenbedingungen begründetermaßen erwarten dürfe, nicht von Dritten gehört zu werden. Der Schutz hänge nicht davon ab, ob das Gespräch einen vertraulichen Charakter oder der Anrufer erkennbar Wert auf Vertraulichkeit gelegt habe. Ein Eingriff in den Schutzbereich läge nur dann nicht vor, wenn der Betroffene ausdrücklich oder konkludent in das Mithören eingewilligt habe. Allerdings folge allein aus dem Umstand, dass jemand von einer Mithörmöglichkeit Kenntnis hat, nicht notwendig, dass er auch mit einem tatsächlichen Mithören rechnet und damit stillschweigend einverstanden ist. Auch die weite Verbreitung von Mithöreinrichtungen allein genüge nicht, um von einer konkludenten Einwilligung auszugehen. Vielmehr bedürfe es hierzu besonderer tatsächlicher Feststellungen, aus denen sich für den konkreten Fall eine Einwilligung ergeben könne98. Ein ohne Einwilligung mitgehörtes Telefonat stelle daher einen Grundrechtseingriff dar. Ob dieser gerechtfertigt sei, müsse aufgrund einer Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf der einen und einem für den Eingriff sprechenden rechtlich geschützten Interesse auf der anderen Seite festgestellt werden. Das rechtlich geschützte Interesse müsse von einigem Gewicht sein. Allein das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reiche nicht aus, vielmehr müsse sich der Beweisführer in einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Situation befinden99. Auch vergleichbare Fälle, wie etwa zur Feststellung der Identität eines anonymen Anrufers, der sich als eine andere Person ausgegeben hatte, um unter dem Deckmantel Verleumdungen gefahrlos aussprechen zu können100 oder zur Feststellung erpresserischer Drohungen101 oder einem auf andere Weise nur schwer, möglicherweise überhaupt nicht abwehrbaren kriminellen Angriff auf die berufliche Existenz, z.B. durch Produktpiraterie102 könnten den Grund-
94 BGH v. 19.12.1978 – VI ZR 138/77, JZ 1979, 351 m. Anm. Deutsch. 95 BGH v. 21.10.1963 – AnwSt (R) 2/63, NJW 1964, 165. 96 BGH v. 17.2.1982 – VIII ZR 29/81, NJW 1982, 1397; vgl. auch BGH v. 27.1.1994 – I ZR 326/91, MDR 1994, 766 = NJW 1994, 2289 – Lauschzeuge II; OLG Düsseldorf v. 21.1.2000 – 22 U 127/99, NJW 2000, 1578; a.A. BAG v. 29.10.1997 – 5 AZR 508/96, MDR 1998, 421 = CR 1998, 219 = NJW 1998, 1331 m. abl. Anm. Helle, JZ 2000, 353. 97 Anders LG Frankfurt v. 2.2.1982 – 2/16 S 225/81, NJW 1982, 1056. 98 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 u.a., NJW 2002, 3619 – Mitgehörtes Telefonat. 99 BGH v. 20.5.1958 – VI ZR 104/57, NJW 1958, 1344. 100 Vgl. BGH v. 24.11.1981 – VI ZR 164/79, NJW 1982, 277. 101 BGH v. 20.5.1958 – VI ZR 104/57, NJW 1958, 1344. 102 BGH v. 27.1.1994 – I ZR 326/91, MDR 1994, 766 = NJW 1994, 2289.
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Kap. 10 Rz. 23
Sonderfragen
rechtseingriff rechtfertigen103. Soweit das Recht anzuerkennen ist, kann sich nach Art. 19 Abs. 3 GG auch eine juristische Person des Privatrechts darauf berufen104. 23
Im Fall Springer/Wallraff hat das Bundesverfassungsgericht entgegen dem BGH darauf abgestellt, dass der Schriftsteller Günter Wallraff in der Maske von Hans Esser als vermeintlich loyaler Redakteur in den durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Vertraulichkeitsbereich der Redaktion von Bild Hannover eingedrungen ist, in Wirklichkeit aber die Redaktion ausspionieren wollte, um im Wege des Einschleichjournalismus über das Erlebte zu berichten. Die Vertraulichkeit einer Redaktion sei notwendige Bedingung der Funktion einer freien Presse. Die Aufgabe einer Redaktion erfordere eine Arbeitsweise, die es nicht vertrage, wenn jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werde, weil es nach außen getragen werden könnte. Im Vergleich dazu habe die streitige Schilderung einer Redaktionskonferenz keine gravierenden Missstände aufgedeckt. Die Schilderung dieser Redaktionskonferenz in wörtlicher Rede mit dem Anspruch auf Authentizität verletzt deswegen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts105 entgegen der Meinung des BGH106 die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Pressefreiheit, womit sich erstmalig die Pressefreiheit gegenüber der Äußerungsfreiheit durchgesetzt hat107.
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Der Fall Der Aufmacher II betrifft die Teile des Buches von Günter Wallraff, die sich mit dem unter einem Pseudonym vorgestellten Leiter der Redaktion von Bild Hannover befassen108. Die Verurteilung durch das LG und das OLG Hamburg hat der BGH nur bestätigt, soweit Wallraff die ihm gewährten Einblicke in die private häusliche Sphäre des Redaktionsleiters vor einem breiten Leserpublikum offengelegt hat. Die seine berufliche Tätigkeit in der Redaktion betreffende Darstellung hat der BGH für zulässig erklärt, weil die berufliche Sphäre unbeschadet des Angewiesenseins auf einen Mindestbestand an Vertrauensschutz nicht schon von vornherein gegen eine Vorstellung in der Öffentlichkeit geschützt sei. Im Ergebnis hat der BGH auch aus der Art der Informationsbeschaffung kein Verbreitungshindernis abzuleiten vermocht, und zwar aus den Erwägungen, die das Bundesverfassungsgericht im Fall Der Aufmacher I als nicht verfassungskonform bezeichnet hat. Zur Frage des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch Filmaufnahmen und eines darauf gestützten vorbeugenden Unterlassungsanspruch vgl. BGH v. 21.4.1998 – VI ZR 196/97, NJW 1998, 2141.
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Zu beachten ist, dass auf die Art der Informationsbeschaffung gestützte Ansprüche nur denjenigen zustehen, in deren Rechte bei der Beschaffung eingegriffen wurde. Unterlassung der Verbreitung eines unzulässig mitgeschnittenen Telefonates können also die Gesprächsteilnehmer fordern, nicht außenstehende Dritte, auch nicht, wenn sie Gegenstand der unzulässig mitgeschnittenen Besprechung waren109. Passivlegitimiert ist demgegenüber grundsätzlich jeder Verbreiter, also auch derjenige, der an der unzulässigen Beschaffung unbeteiligt war. Der Unterlassungsanspruch geht aber unter, wenn das Geheimhaltungsinteresse infolge Veröffentlichung entfallen ist. Eine einmalige Vorveröffentlichung wird hierzu im Allgemei103 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 u.a., NJW 2002, 3619, 3624 – Mitgehörtes Telefonat; zur Kritik an dieser Entscheidung vgl. Kap. 5 Rz. 28a ff. 104 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 u.a., NJW 2002, 3619, 3622 – Mitgehörtes Telefonat. 105 BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, MDR 1984, 729 = AfP 1984, 94 = NJW 1984, 1741. 106 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, MDR 1981, 484 = AfP 1981, 270 = NJW 1981, 1089. 107 Vgl. auch das Ausgangsurteil des LG Hamburg v. 21.12.1977 – 74 O 379/77, AfP 1978, 38 m. Anm. Gehrhardt. 108 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366. 109 OLG Stuttgart v. 26.11.1975 – 4 U 132/75, AfP 1976, 94.
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III. Privilegierte Äußerungen
Rz. 27 Kap. 10
nen nicht ausreichen, besonders wenn sie in nur geringer Auflage oder lediglich regional begrenzt erfolgt ist.
III. Privilegierte Äußerungen Schrifttum: Helle, Die Rechtswidrigkeit der ehrenrührigen Behauptung, NJW 1961, 1896; Schultz, Blick in die Zeit, MDR 1963, 280; Klaka, Ehrverletzende Äußerungen in Zivilprozessen, GRUR 1973, 515; Praml, Beleidigungsdelikte bei anwaltlicher Interessenvertretung, NJW 1976, 1967; Pflieger, Äußerungsfreiheit des Anwalts bei öffentlichkeitswirksamen Mandaten, AnwBl. 1999, 638; Seyfarth, Der Einfluss des Verfassungsrechts auf zivilrechtliche Ehrschutzklagen, NJW 1999, 1287; Hirtz, Verletzungen von Ehre und Persönlichkeitsrecht im Prozess, AnwBl. 2008, 163; Schmitt-Leonardy, Justizkritik durch Anwälte: Zwischen Meinungsfreiheit und Pönalisierung – Die aktuelle Rechtsprechung des EGMR und ihre Ausreißer, AnwBl. 2016, 528; Jahn, Strafrecht und EMRK: Justizkritik durch Rechtsanwälte, JuS 2016, 468.
Wenn das Aufstellen und Verbreiten von Behauptungen unter bestimmten Voraussetzungen 26 für unzulässig erklärt und wenn an ein solches Verhalten Rechtsfolgen geknüpft werden, geschieht das zum Schutz der Ehre und des persönlichen und wirtschaftlichen Rufes der Betroffenen. So berechtigt dieser im Kern persönlichkeitsrechtliche Schutz ist, so unverzichtbar sind für die Persönlichkeitsentfaltung Bereiche, in denen man sich frei aussprechen kann. Deswegen ist unbestritten, dass der Person bestimmte Bereiche zustehen, in denen Äußerungen unbeschränkt zulässig und von jeder Rechtsverfolgung ausgeschlossen sind. Äußerungen innerhalb dieser Bereiche sind per se geschützt. Deswegen ist nicht erforderlich, sie bei der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches bzw. bei einer Verurteilung aus dem Verbotsbereich besonders auszuschließen (Kap. 12 Rz. 98 und 152). Auch wenn eine Verurteilung uneingeschränkt erfolgt, bleiben die erforderlichen Freiräume dennoch erhalten. Ein persönliches Privileg genießen Bundestagsabgeordnete in Bezug auf Äußerungen im Plenum des Bundestages und in seinen Ausschüssen. Entsprechendes gilt für Landtagsabgeordnete (Näheres Kap. 2 Rz. 24 ff.). Äußerungsrechtlich sind diese Grundsätze auf Mitglieder von Kommunalparlamenten zu erstrecken, so dass auch diese bei allen Äußerungen, Anfragen und Diskussionsbeiträgen, die in Ausübung des Mandates im Gemeinderat, seinen Ausschüssen oder anderen vergleichbaren Gremien machen, entsprechend geschützt sind110. 1. Äußerungen im engsten Familien- und Freundeskreis Privilegiert sind Äußerungen jedenfalls im engsten Familienkreis. Das anerkennt auch die 27 Rechtsprechung111. Jeder muss die Möglichkeit haben, sich mit seinen engsten Verwandten, insbesondere mit denen, mit denen er zusammenlebt, ohne jede Rücksichtnahme auf andere frei auszusprechen. Das gilt sowohl für die Sache wie für die Form der Darstellung. Der innere Grund hierfür ist der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährte besondere Schutz von Vertrauensverhältnissen. Bei Äußerungen innerhalb der Familie kann das Grundrecht aus
110 LG Köln v. 11.1.2002 – 18 O 280/01, AfP 2002, 346; LG Düsseldorf, Beschlüsse v. 16.4.2012 und 23.5.2012 – 20 S 3/12. 111 BVerfG v. 26.4.1994 – 1 BvR 1689/88, NJW 1995, 1015; v. 23.11.2006 – 1 BvR 285/06, NJW 2007, 1194; BGH v. 20.12.1983 – VI ZR 94/82, MDR 1984, 390 = AfP 1984, 33 = NJW 1984, 1104 – Kleiner Kreis; OLG Düsseldorf v. 13.2.1974 – 15 U 140/73, NJW 1974, 1250; OLG Koblenz v. 24.4.2008 – 6 U 81/08, NJW-RR 2008, 1316.
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Kap. 10 Rz. 27a
Sonderfragen
Art. 6 Abs. 1 GG diesen Schutz noch verstärken112. Richtiger Auffassung nach muss diese Schutzzone für den engsten Freundeskreis gleichfalls gelten, wenn die Vertraulichkeit gewährleistet ist bzw. ein entsprechendes Vertrauensverhältnis besteht113. Allerdings muss das Vertrauensverhältnis nicht so eng wie bei Familienangehörigen sein114. Echte Freundschaft könnte nicht bestehen, wenn rechtlicher Zwang bestünde, dem Freunde Gedanken zu verbergen oder sie nur in bestimmter Form mitzuteilen. Das Recht, sich auch im engsten Freundeskreis ohne jede rechtliche Fessel frei aussprechen zu können, folgt aus der Menschenwürde und dem Persönlichkeitsschutz i.S.d. Art. 1 und 2 GG115. Nach Auffassung des OLG Koblenz116 greift die Privilegierung von Äußerungen im engsten Familienkreis (Mutter – Tochter) jedoch dann nicht ein, wenn nach der Zielsetzung des Gesprächs und aufgrund des angespannten persönlichen Verhältnisses nicht von der Wahrung der Vertraulichkeit des Gesprächs ausgegangen werden kann. In diesen Fällen komme nur eine Rechtfertigung nach § 193 StGB in Betracht. Im konkreten Fall ging es um den bei den Großeltern gegen den Schwiegersohn entstandenen Verdacht des sexuellen Missbrauchs der Enkelin. Das OLG Koblenz meint, das Gespräch zwischen Großmutter und Mutter des Kindes sei auf Aufklärung der Vorwürfe gerichtet gewesen, weswegen nicht von einer Wahrung der Vertraulichkeit des Gesprächs gegenüber dem betroffenen Ehemann und Vater des Kindes ausgegangen werden könne. Fehle es an dieser berechtigten Vertraulichkeitserwartung, komme eine Privilegierung nicht in Betracht. Die Ansicht verengt den Freiraum für Gespräche gerade innerhalb des engsten Familienkreises ohne Not. Abgesehen von besonderen Fällen, in denen von vornherein davon ausgegangen werden muss, der Gesprächsinhalt werde aus dem engsten Familienbereich hinausgetragen, sollte die Privilegierung von Äußerungen innerhalb des engsten Familienkreises nicht von dem Merkmal einer voraussichtlichen Wahrung der Vertraulichkeit abhängig gemacht werden. Im entschiedenen Fall bedurfte es dessen Prüfung ohnehin nicht, nachdem der betroffene Schwiegersohn ebenso dem engsten Familienkreis zuzurechnen war. 27a
Eine feste Höchstgrenze der Anzahl der Personen, gegenüber der eine Äußerung getätigt werden darf, um noch privilegiert zu sein, besteht nicht. Bei Äußerungen außerhalb des engsten Familienkreises kommt es darauf an, ob ein ähnliches Vertraulichkeitsverhältnis besteht. Dieses muss allerdings nicht so eng sein wie bei Familienangehörigen117. Liegt ein solches nicht vor, entfällt die Privilegierung auch dann, wenn die Äußerung nur in einem kleinen Kreis aufgestellt wurde118. Davon ist der BGH im Falle einer Aktionärsversammlung ausgegangen, an der nur acht, gleiche Interessen verfolgende Aktionäre teilgenommen hatten119. Privilegiert ist demgegenüber die kritische Äußerung eines Arztes gegenüber einem eigenen engen Mitarbeiter120. Hausinterne Mitteilungen eines Unternehmens können nach Auffas112 Vgl. BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, NJW 2000, 1021, 1023 – Caroline von Monaco I; BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 352/91, MDR 1993, 230 = NJW 1993, 525, 526. 113 BVerfG v. 23.11.2006 – 1 BvR 285/06, NJW 2007, 1194. 114 OLG Naumburg v. 20.9.2012 – 9 U 59/12, MMR 2013, 131. 115 BVerfG v. 23.11.2006 – 1 BvR 285/06, NJW 2007, 1194; BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 352/91, MDR 1993, 230 = NJW 1993, 525, 526 – Kettenmafia. 116 OLG Koblenz v. 24.4.2008 – 6 U 81/08, NJW-RR 2008, 1316. 117 OLG Naumburg v. 20.9.2012 – 9 U 59/12, MMR 2013, 131. 118 BGH v. 20.12.1983 – VI ZR 94/82, MDR 1984, 390 = AfP 1984, 33 = NJW 1984, 1104 – kleiner Kreis. 119 BGH v. 20.12.1983 – VI ZR 94/82, MDR 1984, 390 = AfP 1984, 33 = NJW 1984, 1104, 1105 – kleiner Kreis. 120 LG Aachen v. 8.2.1989 – 4 O 109/88, NJW 1990, 1554.
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III. Privilegierte Äußerungen
Rz. 28 Kap. 10
sung des OLG Frankfurt privilegiert sein121. Dem kann nur unter der Voraussetzung zugestimmt werden, dass dafür eine betriebliche Notwendigkeit besteht und die Mitteilung nur die Gesellschafter bzw. Mitarbeiter erhalten, die durch den Vorgang berührt sind. Im Übrigen genügt es nicht, ein enges Freundschaftsverhältnis nur zu behaupten. Es muss notfalls bewiesen werden122. Privilegiert sind außerdem Selbstgespräche, Tagebuchaufzeichnungen und sonstige nicht für Dritte bestimmte Äußerungen123. Die Behauptung eines verheirateten Mannes, sich scheiden lassen zu wollen, löst Ansprüche seiner Geliebten auch dann nicht aus, wenn sie auf die Ehe hofft, der Mann aber in Wirklichkeit bei seiner Frau bleiben will124. 2. Äußerungen gegenüber dem eigenen Anwalt, Arzt, Notar und vergleichbaren Vertrauenspersonen Äußerungen gegenüber dem Anwalt waren häufig Gegenstand gerichtlicher Auseinanderset- 28 zungen. In einem Strafurteil v. 2.2.1962 hat das OLG Stuttgart125 ebenso wie zuvor das LG Aschaffenburg126 gemeint, das Verhältnis zwischen einem Anwalt und seinem Mandanten bewege sich grundsätzlich nicht im Bereich einer sog. Intimsphäre, innerhalb deren strafbare Beleidigungen mangels Kundgebungswillen nicht angenommen werden könnten. Diese Ansicht ist offensichtlich verfehlt127. Der Anwalt hat sein eigenes Wertungsbild. Außerdem weiß er aus vielfacher Erfahrung, dass Mandanten ihm gegenüber ihrem Ärger Luft machen wollen. Der Schutz Dritter ist durch die anwaltliche Schweigepflicht und im Übrigen dadurch gewahrt, dass der Anwalt Mandantenäußerungen erst nach Prüfung weitergibt128. Entgegen der Meinung des OLG Hamm kann es auch weder darauf ankommen129, ob die Äußerung gegenüber dem Anwalt mündlich oder schriftlich erfolgt ist, noch, ob sie erst der Anbahnung eines Mandatsverhältnisses gedient hat, und zwar unabhängig von einer Überwachung nach § 148 Abs. 2 StPO. Die Privilegierung greift aber nur ein, wenn der Behauptende davon ausgehen kann, dass die Vertraulichkeit sichergestellt ist. Hiervon ist grds. dann auszugehen, wenn besondere Verschwiegenheitspflichten, wie etwa § 43a Abs. 2 BRAO, § 18 Abs. 1 BNotO, § 9 BO LÄK BW, § 203 Abs. 1 StGB, gelten130. Das ist z.B. der Fall, wenn sich ein Arzt gegenüber einem engen Mitarbeiter kritisch über einen Kollegen äußert131, nicht aber bei Äußerungen auf dem Gerichtsflur, die eine Staatsanwältin mithören kann132.
121 OLG Frankfurt v. 7.6.1990 – 16 U 82/89, AfP 1990, 220. 122 OLG Koblenz v. 24.2.1989 – 10 U 283/88, NJW-RR 1989, 1195. 123 RGSt 71, 159; LG Aschaffenburg v. 30.6.1961 – Qs 68/61, NJW 1961, 1544 m. Anm. Rutkowsky. 124 LG Saarbrücken v. 15.1.1986 – 12 O 173/85, NJW 1987, 2241 entgegen OLG Hamm v. 30.9.1981 – 8 U 186/79, MDR 1983, 577 = NJW 1983, 1436. 125 OLG Stuttgart v. 2.2.1962 – 1 Ss 893/61, NJW 1963, 119. 126 LG Aschaffenburg v. 30.6.1961 – Qs 68/61, NJW 1961, 1544 m. Anm. Rutkowsky. 127 Rutkowsky, NJW 1961, 1544 und NJW 1963, 119. 128 OLG Oldenburg, GA 1954, 284. 129 OLG Hamm v. 29.1.1971 – 1 Ss 976/70, NJW 1971, 1852. 130 Vgl. BGH v. 20.12.1983 – VI ZR 94/82, MDR 1984, 390 = AfP 1984, 33 = NJW 1984, 1104; OLG Koblenz v. 24.4.2008 – 6 U 81/08, NJW-RR 2008, 1316; OLG Dresden v. 5.8.2011 – 4 W 624/11, AfP 2012, 60; LG Köln v. 11.1.2002 – 18 O 280/01, AfP 2002, 346; v. 29.10.2009 – 8 O 140/09, BeckRS 2009, 29340. 131 LG Aachen v. 8.2.1989 – 4 O 109/88, NJW 1990, 1544. 132 OLG Hamburg v. 23.1.1990 – 2 Ss 103/89, MDR 1990, 458 = NJW 1990, 1246.
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Kap. 10 Rz. 29
Sonderfragen
3. Äußerungen im Prozess und dessen Vorfeld 29
Äußerungen in einem gerichtlichen Verfahren dienen i.d.R. der Ausführung oder Verteidigung von Rechten und damit der Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.d. § 193 StGB. Grundsätzlich können sie nicht zum Gegenstand einer Unterlassungs-, Widerrufs- oder Geldentschädigungsforderung oder gar eines gesonderten Verfahrens gemacht werden133. Nach Auffassung des BGH fehlt dafür das Rechtsschutzbedürfnis134. Es wäre mit dem Recht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz sowie auf rechtliches Gehör unvereinbar, wenn redliche Äußerungen in einem Prozess oder die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten in einem Strafverfahren aus Gründen des Ehrenschutzes zu straf- oder zivilrechtlichen Nachteilen führen würden, weil sich eine Behauptung später im Prozess oder nach behördlicher Prüfung als unrichtig oder unaufklärbar erweist135. Auf den Ablauf eines rechtsstaatlich geordneten Verfahrens soll nicht dadurch Einfluss genommen werden oder seinem Ergebnis dadurch vorgegriffen werden, dass ein am Verfahren Beteiligter durch drohende Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Geldentschädigungsansprüche in seiner Äußerungsfreiheit beschränkt wird. Ob das Vorbringen wahr und erheblich ist, soll allein in dem jeweiligen Verfahren geklärt werden136. Eine Ehrschutzklage scheidet nach dieser Auffassung nur aus, wenn es sich um Äußerungen gegenüber einer Stelle handelt, die zur Überprüfung und ggf. Abhilfe mit einem Anspruch auf rechtsverbindliche Entscheidung berufen ist137 oder in Vorbereitung oder im Vorfeld eines solchen Verfahrens138. Dies ist bei Äußerungen in ge-
133 BVerfG v. 11.4.1991 – 2 BvR 963/90, NJW 1991, 2074; v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00, MDR 2001, 1119 = NJW 2001, 3474; v. 25.9.2006 – 1 BvR 1898/03, NJW-RR 2007, 840; v. 15.12.2008 – 1 BvR 1404/04; BGH v. 14.11.1961 – VI ZR 89/59, NJW 1962, 243; v. 13.7.1965 – VI ZR 70/64, NJW 1965, 1803; v. 24.11.1970 – VI ZR 70/69, NJW 1971, 284; v. 10.6.1986 – VI ZR 154/85, MDR 1987, 45 = NJW 1986, 2502; v. 22.1.1998 – 1 ZR 177/95, NJW 1998, 1399 – Bilanzanalyse ProSieben; v. 27.4.1999 – VI ZR 174/97, NJW-RR 1999, 1251, 1253; v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, AfP 2005, 70; v. 11.12.2007 – VI ZR 14/07, NJW 2008, 996; v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, NJW 2012, 1659; OLG Celle v. 25.10.2012 – 13 U 156/12, NJOZ 2013, 1464; OLG Hamm v. 3.12.2012 – I-13 U 178/11, NJOZ 2013, 939. 134 BGH v. 17.12.1991 – VI ZR 169/91, MDR 1992, 942 = NJW 1992, 1314, 1315; v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, AfP 2005, 70; v. 11.12.2007 – VI ZR 14/07, NJW 2008, 996; v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, NJW 2012, 1659. 135 BVerfG v. 25.9.2006 – 1 BvR 1898/03, NJW-RR 2007, 840; v. 15.12.2008 – 1 BvR 1404/04; BGH v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, MDR 2005, 507 = AfP 2005, 70; v. 11.12.2007 – VI ZR 14/07, MDR 2008, 332 = NJW 2008, 996; v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659. 136 BVerfG v. 25.9.2006 – 1 BvR 1898/03, NJW-RR 2007, 840; v. 15.12.2008 – 1 BvR 1404/04; BGH v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, MDR 2005, 507 = AfP 2005, 70; v. 11.12.2007 – VI ZR 14/07, MDR 2008, 332 = NJW 2008, 996; v. 10.12.2009 – I ZR 46/07, MDR 2010, 583 = IPRB 2010, 149 = GRUR 2010, 253 – Fischdosendeckel; v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659; v. 19.7.2012 – I ZR 105/11, MDR 2013, 668 = GRUR 2013, 305 – Honorarkürzung; OLG Celle v. 25.10.2012 – 13 U 156/12, NJOZ 2013, 1464; OLG Hamm v. 3.12.2012 – I-13 U 178/11, NJOZ 2013, 939. 137 BGH v. 18.10.1994 – VI ZR 74/94, MDR 1995, 593 = NJW 1995, 397 – Konkursverwalter; v. 11.12.2007 – VI ZR 14/07, NJW 2008, 996; v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, NJW 2012, 1659. 138 BGH v. 11.12.2007 – VI ZR 14/07, MDR 2008, 332 = NJW 2008, 996; v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659; v. 19.7.2012 – I ZR 105/11, MDR 2013, 668 = GRUR 2013, 305 – Honorarkürzung; OLG Düsseldorf v. 28.5.2014 – I-15 U 45/14, GRUR 2014, 1219, n.rk., Nichtzulassungsbeschwerde BGH Az. I ZR 141/14; fehlerhaft daher LG Hildesheim v. 4.6.2004 – 7 S 72/04, NJW-RR 2004, 1418.
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III. Privilegierte Äußerungen
Rz. 30 Kap. 10
richtlichen Verfahren stets der Fall139. Zum Bereich des gerichtlichen Verfahrens gehört auch noch das Kostenfestsetzungsverfahren und eine etwaige Dienstaufsichtsbeschwerde mit Verfahrensbezug140. Bei Äußerungen gegenüber anderen Stellen, z.B. Äußerungen eines Konkursverwalters bei Vorlage des Erstberichts gegenüber der Gläubigerversammlung, ist eine Ehrenschutzklage zwar nicht ausgeschlossen, die beanstandeten Äußerungen können jedoch durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.v. § 193 StGB gerechtfertigt sein141. Folgt man der Auffassung des BGH, wäre in diesen Fällen ein gesondertes Verfahren zwar zulässig, der geltend gemachte Anspruch möglicherweise aber wegen § 193 StGB unbegründet. Da für Ehrschutzklagen gegen Äußerungen, die der Rechtsverteidigung in einem Gerichtsverfahren oder dessen Vorbereitung dienen, regelmäßig kein Rechtschutzinteresse besteht, ist es Sache des Anspruchstellers, darzulegen und zu beweisen, dass ein solcher Ausnahmefall vorliegt142. Die Ehrenschutzfreiheit gilt auch für eidesstattliche Versicherungen143 und Äußerungen, die 30 der Vorbereitung eines Gerichtsverfahrens dienen oder in dessen Vorfeld geäußert werden144. Vor welchem Gericht die Auseinandersetzung schwebt, ist ohne Belang145. Auch in einem schiedsgerichtlichen Verfahren besteht Redefreiheit, ebenso vor einem von einer politischen Partei eingerichteten Parteigericht146. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der durch die Äußerung Betroffene am Verfahren beteiligt ist147. Erfasst werden jedenfalls auch Äußerungen über das Verhalten der Prozessbevollmächtigten148. Ebenso Äußerungen über sonstige Dritte, die zwar an dem Prozess formal nicht beteiligt sind, deren Verhalten aber aus Sicht des Äußernden für die Darstellung und Bewertung des Streitstoffes von Bedeutung sein kann149. Allerdings ist in diesen Fällen besonders sorgfältig zu prüfen, ob der Dritte die Äußerung
139 OLG Celle v. 25.10.2012 – 13 U 156/12, NJOZ 2013, 1464; OLG Hamm v. 3.12.2012 – I-13 U 178/11, NJOZ 2013, 939. 140 BVerfG v. 6.6.2017 – 1 BvR 180/17, NJW 2017, 2606 – Musikantenstadl. 141 BGH v. 18.10.1994 – VI ZR 74/94, MDR 1995, 593 = NJW 1995, 397 – Konkursverwalter. 142 OLG München v. 2.8.2002 – 21 U 2188/02, NJW-RR 2002, 1473; OLG Celle v. 25.10.2012 – 13 U 156/12, NJOZ 2013, 1464. 143 OLG Düsseldorf v. 4.2.1987 – 15 U 104/86, NJW 1987, 3268. 144 BGH v. 11.12.2007 – VI ZR 14/07, MDR 2008, 332 = NJW 2008, 996; v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659; BGH v. 19.7.2012 – I ZR 105/11, MDR 2013, 668 = GRUR 2013, 305 – Honorarkürzung; OLG Düsseldorf v. 28.5.2014 – I-15 U 45/14, GRUR 2014, 1219, n.rk. Nichtzulassungsbeschwerde BGH Az. I ZR 141/14; OLG Celle v. 19.4.2012 – 13 U 235/11, NJW-RR 2012, 1189; zu eng OLG Köln v. 16.1.2013 – 12 U 117/02, AnwBl. 2003, 370. 145 OLG Hamm v. 3.12.2012 – I-13 U 178/11, NJOZ 2013, 939; LG Saarbrücken v. 29.6.2012 – 4 O 180/12, NJW 2013, 179: staatsanwaltschaftlicher Sitzungsvertreter; OVG Saarlouis v. 29.3.2007 – 1 Q 46/06, NVwZ-RR 2007, 544: alle Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. 146 LG Trier v. 15.2.1974 – 4 Q 25/73, NJW 1974, 1774. 147 BGH v. 14.11.1972 – VI ZR 102/71, GRUR 1973, 550 – halbseiden; v. 10.12.2009 – I ZR 46/07, MDR 2010, 583 = IPRB 2010, 149 = GRUR 2010, 253 – Fischdosendeckel; OLG Koblenz v. 19.9.1989 – 6 U 188/89, GRUR 1990, 67; vgl. auch Klaka, GRUR 1973, 515; a.A. Seyfarth, NJW 1999, 1287. 148 BVerfG v. 25.9.2006 – 1 BvR 1898/03, NJW-RR 2007, 840; OLG Stuttgart v. 9.7.2003 – 4 U 36/03, n.v.; OLG Hamm v. 3.12.2012 – I-13 U 178/11, NJOZ 2013, 939. 149 BGH v. 11.12.2007 – VI ZR 14/07, MDR 2008, 332 = NJW 2008, 996; v. 10.12.2009 – I ZR 46/07, MDR 2010, 583 = IPRB 2010, 149 = GRUR 2010, 253 – Fischdosendeckel; a.A. OLG Frankfurt v. 27.3.2014 – 6 U 75/12, AnwBl. 2014, 1056.
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Sonderfragen
hinnehmen muss150. Die Privilegierung besteht für die bis zum Abschluss des Verfahrens gemachten Äußerungen151. 31
Die rechtliche Unangreifbarkeit des Prozessvorbringens gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Dazu weist der BGH in ständiger Rechtsprechung darauf hin, dass der Ausschluss der Ehrenschutzklage gegenüber dem Prozessgegner als einschneidende Beschränkung des Ehrenschutzes nur mit der besonderen Interessenlage anlässlich eines oder im Hinblick auf ein bevorstehendes gerichtliches oder behördliches Verfahren gerechtfertigt werden kann152. Gleichwohl dürfen sich die Prozessbeteiligten starker, eindringlicher Ausdrücke und sinnfälliger Schlagworte bedienen. Nicht entscheidend ist, ob die Kritik auch anders hätte formuliert werden können153. Missbräuchliche Äußerungen ohne Sachbezug zu dem Verfahren, insbesondere Schmähungen, oder wissentlich unwahre Behauptungen oder solche, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt, sind dem gegenüber von der Privilegierung nicht umfasst154. Ebenso wenig sind Äußerungen in Rundschreiben oder anderen außergerichtlichen Maßnahmen privilegiert, auch wenn diese den Prozesserfolg unterstützen sollen155. Dies gilt auch, wenn eine der Parteien eine Medienkampagne gestartet hat und die andere Partei sich daher in einer Abwehrsituation befindet. Eine Privilegierung scheidet dann für beide Teile aus. Möglicherweise kann sich die andere Partei jedoch auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen.
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Da die Gerichte durchaus unterschiedlicher Auffassung sein können, ob die verletzende Behauptung Bezug zum Streitgegenstand hat156, und in diesem Fall dem Ausgangsverfahren grundsätzlich nicht vorgegriffen werden darf, kann der ausnahmsweise mögliche Rechtsschutz gegenüber Prozessbehauptungen nur bei deutlicher Fallgestaltung zugelassen werden157. Dies ist der Fall, wenn die Unhaltbarkeit der Äußerung auf der Hand liegt oder sich ihre Mitteilung
150 BGH v. 19.7.2012 – I ZR 105/11, MDR 2013, 668 = GRUR 2013, 305 – Honorarkürzung; OLG Düsseldorf v. 28.5.2014 – I-15 U 45/14, GRUR 2014, 1219. 151 BGH v. 10.6.1986 – VI ZR 154/85, MDR 1987, 45 = AfP 1987, 490 = NJW 1986, 2502; OLG Hamm v. 15.5.1995 – 13 U 16/95, NJW-RR 1995, 1399. 152 BGH v. 17.12.1991 – VI ZR 169/91, MDR 1992, 942 = AfP 1992, 75 = NJW 1992, 1314; v. 18.10.1994 – VI ZR 74/94, MDR 1995, 593 = NJW 1995, 397; v. 27.4.1999 – VI ZR 174/97, NJW-RR 1999, 1251, 1253. 153 BVerfG v. 15.4.2008 – 1 BvR 1793/07, NJW 2008, 2424; v. 6.6.2017 – 1 BvR 180/17, NJW 2017, 2606 – Musikantenstadl; EGMR v. 16.1.2018 – 40975/08, AnwBl. 2018, 166 – Ceferin/Slowenien. 154 BVerfG v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00, MDR 2001, 1119 = NJW 2001, 3474; v. 28.8.2003 – 1 BvR 2194/02, NJW 2004, 354; v. 25.9.2006 – 1 BvR 1898/03, NJW-RR 2007, 840; v. 15.12.2008 – 1 BvR 1404/04, NJW 2013, 3021, 3022 – Winkeladvokatur; BGH v. 27.4.1999 – VI ZR 174/97, NJW-RR 1999, 1251, 1253; v. 6.4.2000 – 1 StR 502/99, NJW 2000, 2217; v. 11.12.2007 – VI ZR 14/07, MDR 2008, 332 = NJW 2008, 996; OLG München v. 19.12.2000 – 21 W 3174/00, NJWRR 2001, 765; OLG Stuttgart v. 9.7.2003 – 4 U 36/03; letzteres offen gelassen in BGH v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659; vgl. EGMR v. 23.4.2015 – 29369/10, NJW 2016, 1563 – Morice/Frankreich. 155 BGH v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, MDR 2005, 507 = AfP 2005, 70 = NJW 2005, 279; v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, NJW 2012, 1659. 156 Vgl. BVerfG v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, AfP 2013, 388 = MDR 2013, 1070 = NJW 2013, 3021 – Winkeladvokatur und dazu Vorinstanz OLG Köln v. 18.7.2012 – 16 U 184/11, MDR 2012, 1440 = NJW-RR 2012, 1187. 157 Vgl. dazu auch RGZ 140, 392, 398; BGH v. 14.11.1961 – VI ZR 89/59, NJW 1962, 243; OLG Düsseldorf, NJW 1974, 1250; MünchKomm/Rixecker, § 12 BGB Anh Rz. 194.
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III. Privilegierte Äußerungen
Rz. 33 Kap. 10
als missbräuchlich darstellt158. Ist der durch die Unwahrheit Betroffene am Verfahren beteiligt, bietet ihm dieses Verfahren in aller Regel auch dann genügend Möglichkeiten zur Klarstellung, wenn die Behauptung keinen Zusammenhang mit dem Prozessgegenstand hat159. Wenn die beeinträchtigende Behauptung einen Prozessbeteiligten betrifft, sollte von den erwogenen Ausnahmemöglichkeiten nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände Gebrauch gemacht werden160. Dies ist dann der Fall, wenn der verletzenden Äußerung jeglicher Bezug zum Verfahren fehlt161. Mit Recht folgert das OLG Düsseldorf aus der geänderten Fassung des § 164 StGB162, nach der nicht mehr die leichtfertige, sondern nur noch die vorsätzliche falsche Verdächtigung strafbar ist, dass prozessuale Rechte grundsätzlich ohne Sorge vor Folgeprozessen sollen ausgeübt werden können, was auf die Möglichkeit von Ehrenschutzprozessen nicht ohne Folge bleibe163. Werden in einem Verfahren Behauptungen leichtfertig aufgestellt, so führt dies allein nicht 33 zu deren Unzulässigkeit. Wenn der Begriff der Leichtfertigkeit bereits bei Äußerungen gegenüber der Allgemeinheit nicht über Gebühr ausgedehnt werden darf164, so gilt dies in besonderem Maße im Hinblick auf Äußerungen in einem Verfahren. Auch leichtfertig aufgestellte Behauptungen sind zulässig, jedenfalls soweit die Unhaltbarkeit der Äußerung weder auf der Hand liegt noch sich ihre Mitteilung als missbräuchlich darstellt165. Zwar verwendet das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss v. 15.12.2008 – 1 BvR 1404/04, den Begriff „leichtfertig unhaltbare Behauptungen“. Es meint jedoch in der Sache die auf der Hand liegende Unhaltbarkeit einer Behauptung, wie aus der späteren Winkeladvokatur-Entscheidung166 entnommen werden kann. Allein das leichtfertige Aufstellen einer Behauptung führt mithin nicht zum Verlust der Privilegierung167. Privilegiert ist nicht nur die Äußerung einer rechtlichen Mindermeinung sondern auch eine rechtlich unvertretbare Rechtsauffassung168. 158 BVerfG v. 28.3.2000 – 2 BvR 1392/96, NJW 2000, 3196, 3198; v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, NJW 2013, 3021, 3022 – Winkeladvokatur; OLG Celle v. 25.10.2012 – 13 U 156/12, NJOZ 2013, 1464. 159 BGH v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659; OLG Celle v. 2.4.1998 – 13 W 29/98, NJW-RR 1999, 385. 160 Den Ausnahmecharakter der Unzulässigkeit von Äußerungen im gerichtlichen Verfahren betont BVerfG v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, AfP 2013, 388 = MDR 2013, 1070 = NJW 2013, 3021; i. Erg. nun wohl auch BGH v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659; a.A. BGH v. 27.4.1999 – VI ZR 174/97, NJW-RR 1999, 1251, 1253; OLG München v. 19.12.2000 – 21 W 3174/00, NJW-RR 2001, 765. 161 BGH v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, NJW 2012, 1659; OLG Saarbrücken v. 16.2.2011 – 5 U 384/10-61, BeckRS 2011, 18056; MünchKomm/Rixecker, § 12 BGB Anh Rz. 227 f. 162 OLG Düsseldorf v. 1.7.1987 – 15 U 49/87, AfP 1987, 626. 163 Vgl. auch OLG Celle v. 2.4.1998 – 13 W 29/98, NJW-RR 1999, 385; kritisch gegenüber BGH v. 10.6.1986 – VI ZR 154/85, MDR 1987, 45 = AfP 1987, 490 = NJW 1986, 2502 auch Helle, NJW 1987, 233. 164 BVerfG v. 16.3.1999 – 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199, 200. 165 BVerfG v. 28.3.2000 – 2 BvR 1392/96, NJW 2000, 3196, 3198; v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, AfP 2013, 388 = MDR 2013, 1070 = NJW 2013, 3021 – Winkeladvokatur; BGH v. 22.1.1998 – I ZR 177/95, MDR 1998, 791 = NJW 1998, 1399 – Bilanzanalyse ProSieben; v. 10.12.2009 – I ZR 46/07, GRUR 2010, 253 – Fischdosendeckel; v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, NJW 2012, 1659; offengelassen in OLG Hamm v. 3.12.2012 – I-13 U 178/11, NJOZ 2013, 939. 166 BVerfG v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, AfP 2013, 388 = MDR 2013, 1070 = NJW 2013, 3021 – Winkeladvokatur. 167 A.A. OLG Karlsruhe v. 9.6.2006 – 14 U 9/06, AfP 2006, 469 = NJW-RR 2006, 1640. 168 OLG Düsseldorf v. 28.5.2014 – I-15 U 45/14, GRUR 2014, 1219, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen BGH v. 16.4.2015 – I ZR 141/14.
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Kap. 10 Rz. 34
Sonderfragen
Von einem Missbrauch kann etwa auszugehen sein, wenn in publizitätsträchtigen Verfahren die Anwesenheit von Journalisten dazu benutzt wird, alles das in der Hoffnung auf ein Medienecho breitzutreten, was dem Prozessgegner, Zeugen und sonstigen Personen vermeintlich anzulasten sei. Fehlte in solchen Fällen jegliches rechtliche Risiko, ließe sich die mündliche Verhandlung als Forum für Generalabrechnungen missbrauchen. Ob bewusst unwahre Behauptungen in gerichtlichen Verfahren äußerungsrechtlich nicht angegriffen werden können, hat der VI. Zivilsenat des BGH bislang im Ergebnis jeweils offen gelassen169. Auch wenn in einem solchen Verfahren die Wahrheit oder Unwahrheit zumindest theoretisch festgestellt werden kann, ist eine Privilegierung nicht anzuerkennen. Bewusst unwahres Vorbringen in Verfahren verdient keinen Schutz170. Davon geht auch der BGH bei Verwaltungsverfahren aus171. 34
Eine Unterlassungsklage wegen der Prozessbehauptung, der Gegner sei „geisteskrank“, hat das OLG Köln als begründet angesehen172, anders OLG Hamm bei der Behauptung „Sie sind eine Lügnerin. Sie sind nicht normal“173. Als nicht nach § 193 StGB gerechtfertigte Beleidigung wurde auch die Bezeichnung eines als Zeugen vernommenen Polizeibeamten als „bedenkenlosen Berufslügner“ angesehen174. Das OLG Frankfurt175 nimmt bereits bei der Aussage, der gegnerische Rechtsanwalt begehe „Prozessbetrug gewerblich“ und sei ein „Meisterbetrüger“ eine Schmähung an, obschon die Vorwürfe unter Hinweis auf in anderen Prozessen erfolgte Beweisaufnahmen in parallelen Streitigkeiten begründet wurden. Die Annahme einer Schmähung bei der Bezeichnung der Erhebung von Untätigkeitsklagen durch einen Rechtsanwalt als „Beutelschneiderei“ und dass die Klagen „ohne materielle Interessen der Kl.“ erfolgt sind, „um Anwaltsgebühren zu generieren“, durch das VG Göttingen176 erscheint zu weitgehend und zu sehr die Äußerungsfreiheit im Prozess einzuengen. Als Beleidigung hat das Anwaltsgericht Köln es angesehen, dass ein Rechtsanwalt auf den Schriftsatz eines gegnerischen Kollegen handschriftlich die Bemerkung „Haben Sie eigentlich einen Knall?“ anbrachte und diesen an den Kollegen zurückgab177. Ebenso als unzulässig wurde die Formulierung in einem Schriftsatz angesehen, mit dem ein Anwalt für seinen Mandaten Maklerlohn geltend gemacht hat „Man fragt sich allen Ernstes, ob es dreiste kriminelle Energie oder bloß Einfältigkeit war“178. Zu Recht weist das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung darauf hin, dass der Begriff der Schmähkritik eng auszulegen ist179. Für zulässig erachtet wurden Äußerungen wie „dem Vorsitzenden hörige Beisitzer“180 und die Bezeich169 BGH v. 22.1.1998 – I ZR 177/95, MDR 1998, 791 = NJW 1998, 1399, 1401 – Bilanzanalyse ProSieben; v. 11.12.2007 – VI ZR 14/07, NJW 2008, 996; v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, NJW 2012, 1659. 170 Vgl. BVerfG v. 28.3.2000 – 2 BvR 1392/96, NJW 2000, 3196, 3198; Kammerbeschluss v. 15.12.2008 – 1 BvR 1404/04; v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, AfP 2013, 388 = MDR 2013, 1070 = NJW 2013, 3021; Helle, GRUR 1982, 207, 218. 171 BGH v. 22.1.1998 – I ZR 177/95, MDR 1998, 791 = NJW 1998, 1399, 1402 – Bilanzanalyse ProSieben. 172 OLG Köln v. 3.4.1992 – 19 U 182/91, NJW-RR 1992, 1247. 173 OLG Hamm v. 1.2.1990 – 6 U 212/89, MDR 1990, 630 = NJW-RR 1990, 1405. 174 OLG Hamburg v. 12.11.1996 – 2 Ss 42/96, NStZ-RR 1997, 103. 175 OLG Frankfurt v. 27.3.2014 – 6 U 75/12, AnwBl. 2014, 1056. 176 VG Göttingen v. 9.2.2011 – 1 A 213/10, NJOZ 2011, 1486. 177 AnwG Köln v. 24.3.2011 – 10 EV 2/11, BRAK-Mitt 2011, 213. 178 AnwG Köln v. 17.2.2014 – 10 EV 245/13, BeckRS 2014, 11220. 179 BVerfG v. 15.4.2008 – 1 BvR 1793/07, NJW 2008, 2424; v. 28.7.2014 – 1 BvR 482/13, AfP 2015, 331. 180 KG v. 3.7.1997 – (4) 1 Ss 290/96, NStZ-RR 1998, 12.
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III. Privilegierte Äußerungen
Rz. 34a Kap. 10
nung einer Verfahrensentscheidung der Staatsanwaltschaft als „willkürlich“, die den Verdacht einer „rassistisch gelenkten Fehlbeurteilung“ begründe, jedenfalls für den Fall, dass die geäußerte Kritik nicht völlig von der Hand zu weisen ist181. Dasselbe gilt, wenn der Vorwurf gegenüber einem Richter erhoben wird182. Auch der spontane, im Zustand erheblicher Erregung in einem Scheidungsverfahren gemachte Ausruf „Diese Verhandlung ist eine Farce!“ wurde als noch zulässig angesehen183. Auch stellt der Vergleich einer Strafverhandlung mit einem „Musikantenstadl“ in einer Dienstaufsichtsbeschwerde wegen verzögerter Kostenfestsetzung noch eine zulässige Meinungsäußerung dar184. Ebenso die Bewertung eines Anspruchsschreibens als „intellektuelle Leistung einer Sekretärin“ mit der Begründung, das Schreiben werde stets verwendet und der Anwalt tausche nur die Variablen aus185. Auch der Vorwurf, der Rechtsanwalt „phantasiere“ hinsichtlich geltend gemachter Schäden und „erfinde Haftungsgründe“, ist als Meinungsäußerung zulässig186. Noch privilegiert sind auch die Äußerungen „Verlogenheit und Durchtriebenheit der für die B-GmbH handelnden Personen“ und „Machenschaften der B-GmbH“ als zusammenfassende Bewertung in einem vorgerichtlichen Forderungsschreiben, in dem Schadensersatzansprüche i.H.v. ca. 1,7 Mio Euro substantiiert geltend gemacht werden187. Keine Schmähkritik sah das Bundesverfassungsgericht188 auch in der Äußerung in einer Dienstaufsichtsbeschwerde „gegen das schäbige, rechtswidrige und eines Richters unwürdige Verhalten“ einer Richterin, welche „effizient bestraft werden (müsse) um zu verhindern, dass diese Richterin nicht auf eine schiefe Bahn gerät“. Als privilegiert sah das OLG München189 auch die Äußerung eines Rechtsanwalts in einer Anhörungsrüge in einem Beschwerdeverfahren vor dem OLG an: „Der Unterschied zwischen Ihnen und Roland F. liegt in Folgendem: Während Roland F. im Gerichtssaal schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte „Rechtsstaat“ und „Legitimität“ aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die Sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie – zumindest in diesem vorliegenden Justizskandal – genauso schlicht Unrecht, wie es auch Roland F. getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein Roland F. begangen hat: Bei Roland F. kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem aber – zumindest in dem vorliegenden Justizskandal – zuwider.“ Das OLG München verwies darauf, dass gerade Richter schon von Berufs wegen in der Lage und auch gehalten sind, überpointierte Kritik auszuhalten. Dabei komme es nicht entscheidend darauf an, ob die Äußerung in spontaner Erregung gefallen sei. Bedenklich ist insoweit die Verurteilung eines Rechtsanwalts, der in seinem Schlussvortrag 34a geäußert hatte „Wenn ein Staatsanwalt zu DDR-Zeiten für diesen Sachverhalt dies beantragt
181 182 183 184 185 186 187 188 189
BVerfG v. 14.7.1991 – 1 BvR 126/91, StrafV 1994, 489. OLG Düsseldorf v. 4.3.1998 – 5 Ss 47/98-25/98 II, NJW 1998, 3214. BVerfG v. 13.4.2007 – 1 BvR 3174/06, NJW 2007, 2839. BVerfG v. 6.6.2017 – 1 BvR 180/17 – Musikantenstadl. OLG Hamm v. 3.12.2012 – I-13 U 178/11, NJOZ 2013, 939. OLG Hamm v. 3.12.2012 – I-13 U 178/11, NJOZ 2013, 939. OLG Celle v. 19.4.2012 – 13 U 235/11, NJW-RR 2012, 1189. BVerfG v. 28.7.2014 – 1 BvR 482/13, AfP 2015, 331. OLG München v. 31.5.2017 – 13 Ss 81/17, AnwBl. 2017, 783.
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Kap. 10 Rz. 34b
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hätte, wäre er zu Recht der Rechtsbeugung angeklagt worden.“ durch das OLG Jena190 wegen Beleidigung (§ 185 Alt. 1 StGB). Das OLG Jena meint, dass der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen bei einer solchen Äußerung dem Äußernden nur dann zugebilligt werden könne, wenn der Beleidigte selbst durch seine Verhaltensweise nachvollziehbaren Anlass zu einer solchen Aussage geboten habe. Dies beschränkt indessen die Möglichkeiten der Verfahrensbeteiligten, im Kampf um das Recht auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte zu benutzen, um polarisierend die eigene Meinung zu Gehör zu bringen191, allzu sehr. Dies jedenfalls dann, wenn die Äußerung nicht notwendig als zielgerichteter Angriff gerade auf eine bestimmte Person einzuordnen ist. Die bloße Unangemessenheit oder Unnötigkeit einer Äußerung reichen nicht aus, dieser die Privilegierung zu versagen192. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob die Kritik hätte anders formuliert werden können193. 34b
Nicht einheitlich erscheint die Rechtsprechung des EGMR zu Äußerungen von Rechtsanwälten im Zusammenhang mit von diesen geführten Verfahren. Zwar hat der EGMR in Sachen Morice/Frankreich194 noch zugunsten der Äußerungsfreiheit des betroffenen Anwalts entschieden und festgehalten, dass die Freiheit der Meinungsäußerung der Rechtsanwälte eng mit der Unabhängigkeit des Anwaltsberufs verbunden ist, die für eine wirksame und faire Justiz unabdingbar ist. Auch hat er hinsichtlich Äußerungen im und außerhalb des Gerichtssaals differenziert. Zugleich hat er jedoch auf die Grenzen der Kritik an der Justiz und an Staatsanwälten, etwa wenn diese sich auf die beruflichen und sonstigen Fähigkeiten im Allgemeinen beziehen, hingewiesen. In seiner Entscheidung Peruzzi/Italien195 betonte er, dass anwaltliche Kritik die gewissenhafte Aufgabenerfüllung der Richter nicht übermäßig stören dürfe und wies die Beschwerde gegen eine strafrechtliche Verurteilung eines Anwalts zurück. Dieser hatte nicht nur in einer Beschwerde an den italienischen Obersten Rat der Gerichtsbarkeit einem Richter Parteilichkeit vorgeworfen, sondern diesen Vorwurf auch in einem Schreiben an ausgewählte Richterkollegen des betroffenen Richters ergänzt mit Auszügen aus entsprechenden Urteilen dieses Richters erhoben. Die VI. Sektion des EGMR hat mit einer Mehrheit von 5 zu 2 Stimmen die Verurteilung gebilligt, um den guten Ruf des Richters, aber auch die Autorität und Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu schützen. Dabei hat das Gericht es als erschwerend bezeichnet, dass die Vorwürfe auch in dem Schreiben an die Richterkollegen enthalten waren, da hierdurch die berufliche Reputation besonders schwer betroffen werde196. In Sachen Bono/Frankreich197 sah der EGMR in der Verurteilung eines französischen Strafverteidigers, der ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich einiger Aussagen seines Mandanten mit der Begründung beantragt hatte, diese seien unter Folter des syrischen Geheimdienstes und unter Billigung des bei der Vernehmung anwesenden französischen Untersuchungsrichters erlangt worden, eine Verletzung der Meinungsfreiheit. Der Anwalt hatte sich nur zur Vertei190 OLG Jena v. 4.7.2001 – 1 Ss 157/01, NJW 2002, 1890. 191 Vgl. BVerfG v. 28.3.2000 – 2 BvR 1392/96, NJW 2000, 3196; v. 6.6.2017 – 1 BvR 180/17, NJW 2017, 2606 – Musikantenstadl; OLG München v. 31.5.2017 – 13 Ss 81/17, AnwBl. 2017, 783. 192 BVerfG v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, AfP 2013, 388 = MDR 2013, 1070 = NJW 2013, 3021; a.A. OLG Köln v. 18.7.2012 – 16 U 184/11, MDR 2012, 1440 = NJW-RR 2012, 1187. 193 BVerfG v. 13.4.2007 – 1 BvR 3174/06, NJW 2007, 2839. 194 EGMR v. 23.4.2015 – 29369/10, NJW 2016, 1563 – Morice/Frankreich. 195 EGMR v. 30.6.2015 – 39294/09, AnwBl. 2015, 710 – Peruzzi/Italien; Jahn, JuS 2016, 468. 196 Sehr kritisch hierzu die abweichenden Voten der Richter Wojtyczek und Grozev, BeckRS 2015, 81139. 197 EGMR v. 15.12.2015 – 29024/11, AnwBl. 2016, 353 – Bono/Frankreich (einstimmige Entscheidung).
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III. Privilegierte Äußerungen
Rz. 35 Kap. 10
digung seines Mandanten und nichtöffentlich geäußert. In einer neuen Entscheidung Ceferin/Slowenien198 weist der EGMR darauf hin, dass das auch Anwälten im Prozess zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung nicht nur harmlose, sondern auch drastisch-plakative Äußerungen erlaubt. Die Entscheidung ist jedoch wegen Äußerungen über einen gerichtlich bestellten Sachverständigen ergangen, dem der Verteidiger eines Strafverfahrens narzisstische Züge und eine an Quacksalberei grenzende Handschriftenanalyse vorgeworfen hatte. Anders als das nationale Gericht hat der EGMR darin keine Missachtung des Gerichts gesehen. Auch diese Entscheidung ist nicht einstimmig ergangen. Es bleibt daher abzuwarten, ob der EGMR in weiteren Entscheidungen zu einer ähnlichen Rechtsprechung wie das Bundesverfassungsgericht199 findet. Geht es nicht um Prozessbehauptungen, sondern um Äußerungen, die außerhalb eines Ver- 35 fahrens verbreitet werden, scheitert ein Unterlassungsanspruch grundsätzlich nicht schon an einem inhaltlichen Zusammenhang der Äußerungen mit anhängigen oder beabsichtigten Verfahren. Insbesondere sind Behauptungen in Rundschreiben usw. rechtlich angreifbar, wenn sie der Durchsetzung von Interessen außerhalb der prozessualen Rechtsverfolgung dienen200. Die Privilegierung entfällt, wenn z.B. ein Schriftsatz aus einem gerichtlichen Verfahren im Internet veröffentlicht wird201. Allerdings kann es erforderlich sein, den Unterlassungsanspruch auf die Verbreitung der Behauptung außerhalb von Verfahren zu beschränken202. Die Wiederholung einer Prozessbehauptung gegenüber den Prozessbeteiligten vor dem Gerichtsgebäude begründet noch kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Ehrenschutzklage203. Insoweit ist der Adressatenkreis der Äußerung zu berücksichtigen. Handelt es sich um einen kleinen Kreis Betroffener, kann die Äußerung auch diesen gegenüber privilegiert, insbesondere in Wahrnehmung berechtigter Interessen geäußert worden sein204. Abwehransprüche bestehen jedenfalls, wenn ein Zeuge die Behauptung auch außerhalb eines inzwischen nach § 153a StPO eingestellten Verfahrens aufgestellt hat205 oder sonst außerhalb des Verfahrens verbreitet206. Auch die Ankündigung, solche Vorwürfe außerhalb des Verfahrens gegenüber der Öffentlichkeit zu erheben, begründet einen Unterlassungsanspruch207. Dem gegenüber sind Äußerungen im Vorfeld einer etwaigen gerichtlichen Auseinandersetzung grundsätzlich privilegiert. Lehnt z.B. ein Versicherer die Regulierung einer Forderung in voller Höhe mit der Begründung gegenüber dem Versicherungsnehmer ab, die Rechnung des Sachverständigen überschreite die Empfehlungen eines Berufsverbandes208 oder bei dem von einem Zahnarzt berechneten 8,0 fache Gebührensatz könne man „unseres Erachtens Wucher annehmen“209, ist eine hier198 EGMR v. 16.1.2018 – 40975/08, AnwBl. 2018, 166 – Ceferin/Slowenien. 199 Vgl. BVerfG v. 15.4.2008 – 1 BvR 1793/07, NJW 2008, 2424; v. 6.6.2017 – 1 BvR 180/17; NJW 2017, 2606 – Musikantenstadl. 200 BGH v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, MDR 2005, 507 = AfP 2005, 70 = NJW 2005, 279; vgl. EGMR v. 23.4.2015 – 29369/10, NJW 2016, 1563 – Morice/Frankreich; Schmitt-Leonardy, AnwBl. 2016, 528. 201 AA LG Köln v. 19.12.2001 – 28 T 8/01, NJW-RR 2002, 688. 202 BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = AfP 1992, 140 = NJW 1992, 1312, 1316 – Korruptionsprozess; v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, NJW 2005, 279. 203 OLG Hamm v. 30.9.1991 – 6 U 134/91, NJW 1992, 1329. 204 Dies verkennt EGMR v. 30.6.2015 – 39294/09, AnwBl. 2015, 710 – Peruzzi/Italien. 205 OLG Koblenz v. 12.12.1989 – 3 U 289/88, NJW 1990, 1243. 206 OLG München v. 2.8.2002 – 21 U 2188/02, MDR 2003, 52 = NJW-RR 2002, 1473. 207 OLG Celle v. 1.11.2001 – 13 U 70/01, AfP 2002, 508. 208 BGH v. 19.7.2012 – I ZR 105/11, MDR 2013, 668 = GRUR 2013, 305 – Honorarkürzung. 209 OLG Düsseldorf v. 28.5.2014 – I-15 U 45/14, GRUR 2014, 1219, n.rk., Nichtzulassungsbeschwerde BGH Az. I ZR 141/14.
Burkhardt
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Kap. 10 Rz. 36
Sonderfragen
gegen gerichtete Unterlassungsklage unzulässig. Zum Äußerungsrecht von Rechtsanwälten s. Kap. 2 Rz. 41 ff. 4. Äußerungen gegenüber Behörden, Beschwerden, Petitionen 36
Die für Äußerungen im Prozess entwickelten Richtlinien gelten grundsätzlich auch für Äußerungen gegenüber Behörden, insbesondere für Äußerungen in einem Verwaltungsverfahren210 und gegenüber Strafverfolgungsbehörden211. Privilegiert sind auch Äußerungen im amerikanischen sog. Bid-Protest-Verfahren, das gegenüber der Vergabepraxis amerikanischer Behörden in Anspruch genommen werden kann212; ebenso Äußerungen gegenüber Verbänden hinsichtlich deren satzungsgemäßen Aufgaben213 oder Äußerungen in Programmbeschwerden gegen Rundfunksendungen214. Auch der Anwalt hat grundsätzlich keinen zivilrechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Unterlassung ihn beleidigender Eingaben bei der Anwaltskammer215, soweit ein Sachbezug vorliegt216. Andererseits sollte bei der Zulassung von Ausnahmen großzügiger verfahren werden, wenn die unwahre oder beleidigende Behauptung einen Dritten betrifft, der an dem behördlichen Vorgang nicht beteiligt ist. Sich bei einer Behörde zu Unrecht in ein schiefes Licht rücken zu lassen, braucht man keineswegs ohne weiteres hinzunehmen217. Hat ein Rechtsanwalt durch pointierte und direkte, persönliche Äußerungen in einem Schriftsatz die Reaktion veranlasst, muss er scharfe Meinungsäußerungen hinnehmen, wenn diese ausschließlich gegenüber Stellen erfolgen, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen218. Mit Recht hat der BGH es als unzulässig bezeichnet, Beamten in einer Dienstaufsichtsbeschwerde den aus der Luft gegriffenen Vorwurf zu machen, sie hätten auf der Basis von Günstlings- und Vetternwirtschaft in Reinkultur nachweislich unbefugt öffentliche Gelder verschwendet219. Unzulässig ist es auch, einen Beamten wegen familiärer Auseinandersetzungen bei dessen Dienststelle anzuschwärzen, er habe unzulässigerweise Daten ausgeplaudert220. Das OLG Karlsruhe221 hat die Äußerungen „veröffentlicht Artikel, um Aktienkurse zu manipulieren und um sich persönlich zu bereichern“ sowie die Veröffentlichung der Artikel seien „ein fester Bestandteil einer Seilschaft aus kriminellen Daytradern und Händlern“ und deren Autor sei „bei jeder Schweinerei der letzten Zeit dabei“ als nicht mehr privilegiert angesehen, obschon die Beschwerde durch Artikel des Autors mit den Überschriften „Lea210 BVerfG v. 28.8.2003 – 1 BvR 2194/02, NJW 2004, 354; v. 15.12.2008 – 1 BvR 1404/04; BGH v. 13.7.1965 – VI ZR 70/64, NJW 1965, 1803; v. 17.12.1991 – VI ZR 169/91, MDR 1992, 942 = AfP 1992, 75 = NJW 1992, 1314; v. 22.1.1998 – I ZR 177/95, MDR 1998, 791 = NJW 1998, 1399 – Bilanzanalyse ProSieben; v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, NJW 2005, 279; OLG Hamm v. 15.5.1995 – 13 U 16/95, NJW-RR 1995, 1399; OLG Köln v. 21.1.1997 – Ss 10/97, NJW 1997, 1247; OLG Bamberg v. 22.7.1997 – 7 U 11/97, NJW-RR 1999, 322. 211 BVerfG v. 11.4.1991 – 2 BvR 963/90, NJW 1991, 2074; v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00, MDR 2001, 1119 = NJW 2001, 3474; v. 25.9.2006 – 1 BvR 1898/03, NJW-RR 2007, 840; v. 15.12.2008 – 1 BvR 1404/04; BGH v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659. 212 OLG Frankfurt v. 27.9.1984 – 6 U 103/83, WRP 1985, 162. 213 OLG Celle v. 24.4.1996 – 13 U 182/95, WRP 1996, 760. 214 OLG Karlsruhe v. 9.6.2006 – 14 U 9/06, AfP 2006, 469 = NJW-RR 2006, 1640. 215 OLG Hamburg v. 6.9.1971 – 6 W 41/71, MDR 1971, 1009. 216 BGH v. 27.4.1999 – VI ZR 174/97, NJW-RR 1999, 1251, 1253; OLG Bamberg v. 22.7.1997 – 7 U 11/97, NJW-RR 1999, 322, 323. 217 OLG Düsseldorf v. 13.3.1970 – 2 U 112/69, GRUR 1972, 480. 218 OLG Hamm v. 15.5.1995 – 13 U 16/95, NJW-RR 1995, 1399. 219 BGH v. 16.11.1982 – IV ZR 122/80, NJW 1983, 1183 – Vetternwirtschaft. 220 OLG München v. 9.10.1990 – 13 U 3738/90, NJW 1991, 499. 221 OLG Karlsruhe v. 9.6.2006 – 14 U 9/06, AfP 2006, 469 = NJW-RR 2006, 1640.
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III. Privilegierte Äußerungen
Rz. 38 Kap. 10
sing99 oder wie die Lüge laufen lernte“ und „Wie der Vorstand der Lüge überführt wurde“ veranlasst war. Zulässig ist jedoch der Vorwurf in einer Dienstaufsichtsbeschwerde an das Landratsamt über einen Bürgermeister, dieser schikaniere den Beschwerdeführer seit Jahren, ein Bauantrag sei nicht in dem zuständigen Gemeinderat behandelt worden und auch im Übrigen sei es zu Unregelmäßigkeiten in der Gemeindeverwaltung gekommen. In einer solchen Dienstaufsichtsbeschwerde kann auch die Behauptung einer Fälschung von Protokollen über Sitzungen des Gemeinderats zulässig sein222. Zulässig ist es auch, wenn ein Kreisrat im Rahmen von Personalentscheidungen in einer nichtöffentlichen Sitzung des Kreistages sich negativ über einen Angestellten äußert223. Für Mandatsträger kann auch der Rechtsgedanke der Indemnität herangezogen werden, soweit die Äußerungen in Ausübung des Mandats getätigt werden224. Die grundsätzliche Privilegierung gilt auch für Beschwerden in Vereinsangelegenheiten 37 beim Vereinsvorstand bzw. bei entsprechenden Stellen. Niemand kann daran gehindert werden, angebliche Missstände den Stellen aufzuzeigen, die zur Beseitigung berufen sind. Mit dieser Begründung hat der BGH die die Ehre des Vereins berührende Verdachtsäußerung eines Vereinsmitgliedes gegenüber Universitätseinrichtungen als zulässig bezeichnet, weil die Adressaten die Möglichkeit hatten, die behaupteten Missstände abzustellen225. Das LG Karlsruhe226 hat dies auch bei ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen in einem Schiedsrichterbericht angenommen. Gleiches gilt für Schreiben an Gemeinden in deren Eigenschaft als Gesellschafter einer GmbH, wenn darin Missstände innerhalb der Gesellschaft aufgezeigt werden, zu deren Beseitigung die Gesellschafter berufen sind227. Auch die Anrufung einer Redakteursvertretung gemäß einem bestehenden Redakteursstatut ist privilegiert228. Im konkreten Fall hat das LG Köln es auch noch als von der Privilegierung umfasst angesehen, dass das Beschwerdeschreiben der Studioleitung und der Interessenvertretung der „Freien“ zugeleitet wurde, da die Studioleitung ebenfalls in den Programmkonflikt involviert war. Nicht mehr privilegiert war dem gegenüber die Weitergabe der Stellungnahme des Schlichtungsausschusses im Kollegenkreis, wodurch die unwahre Tatsachenbehauptung wiederholt und verbreitet wurde. Das Recht zu solchen Beschwerden rechtfertigt es auch nicht, die Presse zu verständigen. Die Information auch der Presse ist nur zulässig, wenn der geäußerte Verdacht hinreichend begründet ist oder wenn die für die Abhilfe zuständigen Stellen nicht tätig werden (zu Verdachtsäußerungen vgl. Kap. 10 Rz. 154 ff.)229. Handelt es sich um Äußerungen gegenüber einer Stelle, die zur Überprüfung und ggf. Ab- 38 hilfe mit einem Anspruch auf rechtsverbindliche Entscheidung nicht berufen ist, kommt nach Meinung des BGH eine Ehrschutzklage in Betracht. Dies gilt z.B. für Äußerungen eines Konkursverwalters bei Vorlage des Erstberichts gegenüber der Gläubigerversammlung230. Dies ist im Hinblick auf die Rechtsmeinung des BGH, eine Ehrschutzklage scheide aus, weil das dafür erforderliche Rechtschutzbedürfnis fehle231, konsequent. Auch für Äußerungen außerhalb 222 OLG Stuttgart v. 28.2.2002 – 7 U 238/01, n.v. 223 OLG Dresden v. 24.4.1997 – 7 U 289/97, NVwZ 1998, 102. 224 OLG München v. 12.12.1986 – 21 U 5918/85, AfP 1987, 440; LG Köln v. 11.1.2002 – 18 O 280/01, AfP 2002, 346; s. Rz. 26. 225 BGH v. 3.11.1977 – VI ZR 256/74, WPM 1978, 62. 226 LG Karlsruhe v. 10.10.2002 – 5 S 7/02, NJW-RR 2003, 39. 227 OLG Celle v. 19.4.2012 – 13 U 235/11, NJW-RR 2012, 1189. 228 LG Köln v. 10.10.2012 – 28 O 551/11, ZUM-RD 2013, 20. 229 BGH v. 3.11.1977 – VI ZR 256/74, WPM 1978, 62. 230 BGH v. 18.10.1994 – VI ZR 74/94, MDR 1995, 593 = NJW 1995, 397 – Konkursverwalter. 231 BGH v. 17.12.1991 – VI ZR 169/91, MDR 1992, 942 = AfP 1992, 75 = NJW 1992, 1314, 1315.
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Kap. 10 Rz. 39
Sonderfragen
von Verfahren entfällt die Privilegierung232. Dann ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob die beanstandeten Äußerungen durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.v. § 193 StGB gerechtfertigt sind (Näheres dazu Kap. 6 Rz. 27 ff.). 39
Besondere Bedeutung hat das durch Art. 17 GG gewährleistete Petitionsrecht. Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, das Petitionsrecht enthalte einen selbständigen Rechtfertigungsgrund233. Dieser Auffassung kann nur mit Einschränkungen gefolgt werden. Richtig ist, dass eine Eingabe trotz darin enthaltener Beleidigungen unter den Begriff einer zulässigen Petition einzuordnen sein kann234. Das Petitionsrecht eröffnet dem Bürger, vornehmlich demjenigen, der sich in seinen Rechten geschmälert fühlt, die legale Möglichkeit, sein Herz auszuschütten235. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit kann auch zu berücksichtigen sein, dass der Petent den Petitionsweg und nicht die Flucht in die Öffentlichkeit angetreten hat. Selbst so massive Anwürfe wie z.B. der Vorwurf der „Rechtsbeugung“ und der „ostzonalen Willkürjustiz“ können jedenfalls dann noch als gerechtfertigt erscheinen, wenn die Schimpfereien nicht ohne jeden Bezug zum Petitum, sondern mit dem Begehren verknüpft sind236. Nach Auffassung des OLG Celle ist bei Petitionen usw. der Persönlichkeitsschutz der Betroffenen bereits tatbestandlich grundsätzlich ausgeschlossen237. Richtiger Auffassung nach erfährt eine Eingabe i.S.d. Art. 17 GG eine besondere verfassungsrechtliche Rechtfertigung238. Andererseits folgt aus der Petitionsmöglichkeit nicht, es sei zulässig, Ehrabschneidungen, Verleumdungen und böswillige Verdrehungen der Wahrheit, die mit dem behaupteten Begehren nichts zu tun haben, im äußeren Gewand einer Petition vorzubringen, um sie so mit dem Schein des Rechts zu umgeben. Das äußere Gewand einer Petition rechtfertigt nicht jede Schmähung, vor allem nicht, wenn sie in Schädigungsabsicht erfolgt239. Ein einzelner Abgeordneter ist i.d.R. kein geeigneter Petitionsadressat i.S.d. Art. 17 GG. Von Petitionen sollen lediglich die zuständigen Personen Kenntnis erhalten, die im Außenverhältnis zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Bei einer an einen Abgeordneten gerichteten Beschwerde ist das weder gewährleistet noch auch nur zu erwarten240.
IV. Namensgebrauch und Namensnennung § 12 BGB Wird das Recht zum Gebrauch eines Namens dem Berechtigten von einem anderen bestritten oder wird das Interesse des Berechtigten dadurch verletzt, dass ein anderer unbefugt den gleichen Namen gebraucht, so kann der Berechtigte von dem anderen Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann er auf Unterlassung klagen. Schrifttum: Koebel, Namensnennung in Massenmedien, JZ 1966, 389; Jauernig, Dürfen Prozessbeteiligte in veröffentlichten Zivilentscheidungen namentlich genannt werden?, FS Bötticher, 1969, S. 219; HolIerbach/Maier/Mikat, Der zivilrechtliche Schutz des Namens, 1986; Schönberger, Der Schutz des 232 233 234 235 236 237 238 239
OLG München v. 2.8.2002 – 21 U 2188/02, MDR 2003, 52 = NJW-RR 2002, 1473. von Mangoldt/Klein, Art. 17 GG Anm. III 3; Arndt, NJW 1957, 1073; Helle, NJW 1961, 1898. BVerfG v. 22.4.1953 – 1 BvR 162/51, BVerfGE 2, 225, 229 = NJW 1953, 817. Maunz/Dürig, Art. 17 GG Rz. 1. OLG Düsseldorf v. 19.8.1971 – 1 Ss 187/71, NJW 1972, 650. OLG Celle v. 2.3.1983 – 13 U 191/82, NdsRpfl. 1983, 116. BVerfG v. 10.1.1991 – 2 BvR 550/90, NJW 1991, 1475, 1477. BVerfG v. 10.1.1991 – 2 BvR 550/90, NJW 1991, 1475; OLG Düsseldorf v. 19.8.1971 – 1 Ss 187/71, NJW 1972, 650; OLG Celle v. 2.3.1983 – 13 U 191/82, NVwZ 1985, 69. 240 OLG Köln v. 9.7.1982 – 6 U 30/82, WRP 1983, 226, 229.
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IV. Namensgebrauch und Namensnennung
Rz. 40 Kap. 10
Namens von Gerichten gegen die Verwendung als oder in Domain-Namen, GRUR 2002, 478; Beier, Recht der Domainnamen – Kennzeichen- und wettbewerbsrechtliche Aspekte des deutschen, internationalen und ausländischen Rechts, 2004; Koos, Die Domain als Vermögensgegenstand zwischen Sache und Immaterialgut – Begründung und Konsequenzen einer Absolutheit des Rechts an der Domain, GRUR 2004, 359; Koos, Der Name als Immaterialgut, GRUR 2004, 808; Renck, Die Katholische Kirche und ihr Namensrecht, NJW 2005, 1470; Beier, Der Zugriff des Rechteinhabers auf den Domainnamen – Ein Trauerspiel?, FS Pagenberg 2006, S. 99; Hackbarth, „Branchenübergreifende Gleichnamigkeit“ bei Domainstreitigkeiten vor dem Hintergrund der „mho.de“-Entscheidung des BGH, WRP 2006, 519; Heyers, Namensrechtlicher Schutz von Pseudonymen im Internet – zugleich Anmerkung zu BGH, Urt. v. 26.6.2003 – maxem.de, JR 2006, 94; Tillmanns, Im Namen der Kirche – Zum Schutz der Bezeichnung „katholisch“ nach § 12 BGB, NJW 2006, 3180; Vollmer, Der Name und das Wappen der Gemeinde im Internet – Eine Übersicht zu Umfang und Durchsetzung des gemeindlichen Namensschutzes, BWGZ 2009, 234; Hotz, Kennzeichenkollisionen mit Domain-Namen, 2011; Wittneben, Die Vermarktung von Stadion-Namensrechten, WRP 2011, 1093; Schmitt-Gaedke/Arz, Der Namensschutz politischer Parteien, NJW 2013, 2729; Bannasch, Der Gemeingebrauch des Namens, 2014; Johannisbauer, Verletzung der Namensrechte von Gebietskörperschaften – Praxisbericht zur Registrierung von zusammengesetzten Domains, MMR 2015, 154; Brau, Alles Gruber oder was? – Zum Schutz des Haus- und Hofnamens nach § 12 BGB, IPRB 2016, 285; Büscher, Der Schutz von Unternehmenskennzeichen bei Unternehmensverbindungen – Entstehung, Priorität und Erlöschen der Unternehmenskennzeichen, FS Fezer, 2016, S. 701; Eck/Stief, Die „Tippfehler-Domain“ – ein neuer wettbewerbsrechtlicher Tatbestand?, FS Ahrens, 2016, S. 65.
1. Namensrecht Der durch § 12 BGB geschützte Name ist ein Mittel zur Kennzeichnung einer Person und 40 ihrer Unterscheidung von anderen Personen241. Er wird als Ausdruck der Identität und Individualität angesehen242. Für natürliche und juristische Personen gibt es eine Pflicht zur Namensführung, die Zuordnungs- und Identifizierungsfunktion hat. Das betrifft den bürgerlichen Namen, für den wenig Wahlfreiheit besteht (Zwangsname), sowie bestimmte, haftungsbezogene Firmenzusätze (z.B. § 19 HGB, §§ 4, 5a GmbHG, §§ 4, 279 AktG) und den Umstand, dass für Unternehmen ein Name, unter dem dem im kaufmännischen Verkehr gehandelt wird, zu führen ist. Über den Namen selbst besteht dagegen vielfach Wahlfreiheit (Unternehmensbezeichnung), diese Freiheit erfasst das Ob und Wie bei natürlichen Personen, wenn es um Pseudonyme oder Künstlernamen geht. Im Ausgangspunkt schützt § 12 BGB den kraft Gesetzes erworbenen bürgerlichen Namen natürlicher Personen, also den Vor- und Familiennamen. Adelsprädikate sind Teil des bürgerlichen Namens (Art. 109 Abs. 3 Satz 2 WRV), akademische Titel sind dagegen weder Namens- noch Berufsbezeichnungen. Sie können wegen ständiger Übung in öffentliche Register eingetragen werden243, eine Eintragungspflicht der Behörden besteht hingegen seit dem 1.1.2009 nicht mehr244. Der Namensschutz 241 RG v. 3.12.1917 – VI ZR 370/17, RGZ 91, 350; BGH v. 5.12.1958 – IV ZR 95/58, NJW 1959, 525; v. 22.11.2001 – I ZR 138/99, AfP 2002, 364 = MDR 2002, 835 = CR 2002, 525 = ITRB 2002, 177 = NJW 2002, 2031 – shell.de; zur Unterscheidungskraft BGH v. 16.12.2004 – I ZR 69/02, MDR 2005, 884 = CR 2005, 510 = AfP 2005, 277 = ITRB 2005, 248 = GRUR 2005, 517 – Literaturhaus. 242 BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889; v. 21.8.2006 – 1 BvR 2047/03, AfP 2006, 600 = AfP 2007, 176 = CR 2006, 770 m. Anm. Kitz = NJW 2007, 671 – maxem.de; EGMR v. 19.2.2015 – 53649/09, NJW 2016, 781 – War das Ernst? Oder August? 243 BGH v. 4.4.2017 – II ZB 10/16, MDR 2017, 711 = NZG 2017, 734 Rz. 22. 244 BGH v. 4.9.2013 – XII ZB 526/12, MDR 2013, 1350 = NJW 2014, 387 Rz. 23; VG München v. 13.11.2006 – M – 25 K 05.534 Rz. 32, überholt insoweit BGH v. 19.12.1962 – IV ZB 282/62, BGHZ 38, 380 = NJW 1963, 581, 582.
Burkhardt/Peifer 709
Kap. 10 Rz. 41
Sonderfragen
des § 12 BGB erfasst alle sonstigen Personennamen, gleichgültig ob sie kraft Eheschlusses, Adoption, auf sonstigem gesetzlichen Wege erlangt oder kraft eigenen Entschlusses angenommen sind. Auch Pseudonyme, wie Spitznamen245, Haus- und Hofnamen im ländlichen Bereich246, Ordensnamen oder Künstlernamen genießen Schutz, vorausgesetzt, dass die Bezeichnung Verkehrsgeltung erworben hat, die Person also unter dem Pseudonym in den (ggf. regional begrenzten) Verkehrskreisen bekannt ist247. Ein Pseudonym setzt sich gegen einen identischen bürgerlichen Namen nicht bereits mit erstmaligem Gebrauch durch. Insbesondere kann die Registrierung eines Pseudonyms als Domain daher durch einen Namensträger abgewehrt werden248. Im Übrigen ist das Pseudonym gegenüber dem konkurrierenden bürgerlichen Namen aber kein Recht minderen Rangs249. In Alleinstellung verwendete Vornamen oder Namensteile haben Namensfunktion jedenfalls, wenn sie sich als individualisierender Hinweis durchgesetzt haben250, während bei ungewöhnlichen Vornamen die Anforderungen an die Verkehrsbekanntheit geringer sind251, kann bei gebräuchlichen Vornamen der Namensschutz gegen eine Domain auch vollständig versagen252. Schutz nach § 12 BGB genießen im übrigen auch individualisierende Zeichen, wie z.B. Stadtwappen, Siegel etc.253. 41
Die Rechtsprechung hat den Namensschutz des § 12 BGB in Erweiterung seines ursprünglichen Anwendungsbereiches zunächst auf rechtsfähige Idealvereine und auf Kapitalgesellschaften254, alsdann auch auf nichtrechtsfähige Vereine, Personengesellschaften und Einzelkaufleute ausgedehnt255. Mit Inkrafttreten des Markengesetzes am 1.1.1995 wurde nunmehr eine speziellere kennzeichenrechtliche Regelung geschaffen, die im Allgemeinen den anderen Gesetzen entnommenen Schutz verdrängt. Das Unternehmenskennzeichen ist nunmehr in §§ 5, 15 MarkenG geschützt. Dieser zeichenrechtliche Schutz geht in seinem Anwendungsbereich grundsätzlich dem Namensschutz des § 12 BGB vor. Soweit ein Unternehmenskennzeichen im geschäftlichen Verkehr verwendet wird, kommt ein Schutz nach § 12 BGB daher
245 OLG Hamburg v. 1.11.2001 – 3 U 127/01, GRUR 2002, 450; LG München I v. 8.3.2007 – 4 HK O 12806/06, GRUR-RR 2007, 214 – Schweini. 246 Brau, ITRB 2016, 285, vgl. auch BGH v. 28.9.2011 – I ZR 188/09, GRUR 2012, 534 – Landgut Borsig. 247 RG v. 21.2.1925 – I 231/24, RGZ 110, 226; BGH v. 18.3.1959 – IV ZR 182/58, NJW 1959, 1269. 248 BGH v. 26.6.2003 – I ZR 296/00, CR 2003, 845 = MDR 2004, 347 = ITRB 2004, 3 = AfP 2003, 579 – maxem.de; bestätigt durch BVerfG v. 21.8.2016 – 1 BvR 2047/03, NJW 2007, 671 m. Anm. Bergmann, juris-PR-WettbR 7/2007 Anm. 1. 249 OLG Düsseldorf v. 21.5.2013 – I-20 U 67/12, WRP 2013, 1077 – Der Wendler. 250 BGH v. 27.1.1983 – I ZR 60/80, NJW 1983, 1184 – Uwe Seeler; OLG München v. 23.7.1959 – 6 U 870/59, NJW 1960, 869 – Romy; OLG Frankfurt v. 18.11.2002 – 20 W 319/02, NJW 2003, 364; OLG München v. 4.7.2013 – 29 U 5038/12, K&R 2013, 678. 251 Vgl. BGH v. 23.10.2008 – I ZR 11/06, CR 2009, 679 = MDR 2009, 882 = NJW 2009, 1756 – raule.de. 252 OLG München v. 4.7.2013 – 29 U 5038/12, K&R 2013, 678 – Mauricius; ebenso bei wenig kennzeichnungskräftigen Nachnamen: OLG Nürnberg v. 12.4.2006 – 4 U 1790/05, CR 2006, 485 m. Anm. Schirmbacher = ITRB 2006, 174 = NJW-RR 2006, 906 – suess.de für ein Erotikportal verletzt keine Namensrechte am Familiennamen Süß. 253 RG v. 27.5.1909 – IV 557/08, RGZ 71, 262 – Aachener Stadtwappen; BGH v. 28.3.2002 – I ZR 235/99, AfP 2002, 433 = MDR 2002, 1328 = NJW-RR 2002, 1401 – Düsseldorfer Stadtwappen. 254 RG v. 7.7.1910 – IV 532/09 – RGZ 74, 114 – Gervais; v. 11.1.1927 – II 166/26, RGZ 115, 401 – Salamander. 255 RG v. 13.12.1911 – V 257/11, RGZ 78, 101; v. 11.6.1926 – II 327/25, RGZ 114, 90, 93.
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IV. Namensgebrauch und Namensnennung
Rz. 41 Kap. 10
nicht mehr in Betracht256. Allerdings bleibt § 12 BGB darüber hinaus neben §§ 5, 15 MarkenG anwendbar, wenn es um Handlungen außerhalb des geschäftlichen Bereichs oder außerhalb von Branchennähe geht257. Natürliche Personen können die Registrierung ihres bürgerlichen Namens durch Unternehmen oder sonstige Organisationen auf Basis des § 12 BGB abwehren258. Ein namensrechtlicher Schutz von Unternehmenskennzeichen aus § 12 BGB kann andererseits gegenüber einem Handeln im privaten Verkehr in Betracht kommen, was aber nur möglich ist, wenn durch privates Handeln geschäftliche Interessen verletzt werden können. Dazu genügt noch nicht, dass sich eine Privatperson mit veränderter Markenware kleidet259, wohl aber, dass eine geschäftlich wertvolle Ressource, wie eine Domain, blockiert wird260. Der Schutz der §§ 5, 15 MarkenG ist dagegen grundsätzlich auf den Funktionsbereich des betreffenden Unternehmens beschränkt und er reicht nur so weit, wie geschäftliche Beeinträchtigungen, insbesondere Verwechslungsgefahren aufgrund Branchennähe, zu befürchten sind261, doch kann der berechtigte Namensträger sich über § 12 BGB auch gegen die Registrierung einer Domain durch einen nichtberechtigten Unternehmer wenden, selbst wenn es an der Branchennähe fehlt262. Doch ist zu beachten, dass ein geschäftlicher Name zwar erst durch Benutzung entsteht, aber bereits unmittelbar vorher als Domain angemeldet werden kann. Geschieht dies, so ist die Anmeldung der Domain kein unbefugter Namensgebrauch, es gelten vielmehr wieder die Regeln der Anmeldepriorität, die dann auch durch § 12 BGB nicht in Frage gestellt werden263. Um die Übertragung einer bestimmten Domain an einen Dritten zu verhindern, ist der vermeintlich Namensberechtigte gehalten, bei der DENIC eG (Deutsches Network Information Center, das die Top-Level-Domain „.de“ verwaltet), einen sog. Dispute-Eintrag zu veranlassen. Durch einen Dispute-Eintrag wird auch die Weitergabe der Domain durch den aktuellen Inhaber an Dritte verhindert und die Übernahme der Domain vom bisherigen Inhaber im Falle der Löschung oder Freigabe bewirkt264. Nach § 12 BGB ist auch die Firma oder ein unterscheidungskräftiger Firmenbestandteil einer Gesellschaft oder eines einzelkaufmännischen Unternehmens geschützt, ebenso der Name eines eingetragenen Vereins265. Den Namensschutz nach § 12 BGB genießen auch ju-
256 BGH v. 26.6.2003 – I ZR 296/00, BGHZ 155, 273 = AfP 2003, 579 = CR 2003, 845 = MDR 2004, 347 = ITRB 2004, 3 = GRUR 2003, 897 – maxem.de; v. 22.11.2001 – I ZR 138/99, AfP 2002, 364 = MDR 2002, 835 = CR 2002, 525 = ITRB 2002, 177 = NJW 2002, 2031 – shell.de. 257 BGH v. 9.11.2011 – I ZR 150/09, CR 2012, 179 = MDR 2012, 296 = ITRB 2012, 51 = IPRB 2012, 76 = GRUR 2012, 304 – Basler Haar-Kosmetik m. Anm. Spindler und Anm. R. Schmidt, jurisPRWettbR 3/2012 Anm. 3. 258 BGH v. 19.2.2004 – I ZR 82/01, AfP 2004, 302 = CR 2004, 531 = MDR 2004, 1131 = ITRB 2004, 195 = GRUR 2004, 619 – kurt-biedenkopf.de; ebenso bei Verwendung eines ungewöhnlichen Vornamens als Domain: BGH v. 23.10.2008 – I ZR 11/06, CR 2009, 679 = MDR 2009, 882 = GRUR 2009, 608 – raule.de. 259 BGH v. 12.2.1998 – I ZR 241/95, NJW 1998, 2045 – Rolex-Uhr mit Diamanten. 260 BGH v. 22.11.2001 – I ZR 138/99, AfP 2002, 364 = MDR 2002, 835 = CR 2002, 525 = ITRB 2002, 177 = NJW 2002, 2031 – Shell.de; vgl. aber auch OLG Hamm v. 18.2.2003 – 9 U 136/02, AfP 2003, 477 = CR 2003, 937 = NJW-RR 2003, 759 – castor.de. 261 Beier, Recht der Domainnamen, Rz. 454. 262 BGH v. 9.9.2004 – I ZR 65/02, MDR 2005, 765 = CR 2005, 362 m. Anm. Eckhardt = GRUR 2005, 430 – mho.de; Hackbarth, WRP 2005, 519, 522. 263 BGH v. 9.9.2004 – I ZR 65/02, MDR 2005, 765 = CR 2005, 362 m. Anm. Eckhardt = GRUR 2005, 430 – mho.de. 264 LG Köln v. 19.12.2017 – 33 O 39/17, K&R 2018, 207. 265 BGH v. 16.12.2004 – I ZR 69/02, MDR 2005, 884 = CR 2005, 510 = AfP 2005, 277 = ITRB 2005, 248 = GRUR 2005, 517 – Literaturhaus; v. 31.7.2008 – I ZR 158/05, GRUR 2008, 1102 Rz. 12 –
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Kap. 10 Rz. 41
Sonderfragen
ristische Personen des öffentlichen Rechts266 sowie Religionsgemeinschaften267 und ausländischen Staaten268. Auch Behörden steht ein Namensschutz zu269 mit der Folge, dass sich Gerichte gegen die unberechtigte Registrierung ihrer Gerichtsbezeichnung als Domain durch Dritte zur Wehr setzen können270. Allerdings ist auch hier zu verlangen, dass Unterscheidungskraft und Verkehrsgeltung vorliegen, so dass die Bezeichnung „Mahngericht“ mangels Kennzeichenfunktion noch keinen Schutz genießt271, ebenso wenig Namensschutz genießt die Bezeichnung einer geografischen Region, solange sie nicht auf einen Rechtsträger bezogen ist272. Der Namensschutz von Parteien folgt mittelbar aus § 4 des Gesetzes über die politischen Parteien (ParteienG), er beginnt im Hinblick auf den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz aus Art. 21 GG bereits mit der erstmaligen Benutzung einer Parteibezeichnung273. Erfasst ist der volle Name der Partei, ebenso die Abkürzung, die sich bei neuen Parteien deutlich von den existierenden Kurzbezeichnungen abzuheben hat274. Der Schutz von Parteinamen geht allerdings nicht so weit, dass die Verwendung allgemeinüblicher Bezeichnungen, wie etwa „grün“, im Namen einer Wählergemeinschaft durch eine etablierte Partei untersagt werden kann275. Auf Wählergemeinschaften selbst ist das ParteienG nicht anwendbar, für sie gilt allein § 12 BGB mit der Folge, dass ihr Name unterscheidungskraftig sein und Verkehrsgeltung erlangt haben muss276. Das gilt auch für Bürgergemeinschaften, die grundsätzlich namensfähig sind277.
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Haus & Grund I; v. 31.3.2010 – I ZR 36/08, MDR 2010, 1208 = IPRB 2010, 248 = GRUR 2010, 1020 Rz. 13 – Verbraucherzentrale. BGH v. 15.3.1963 – Ib ZR 98/61, NJW 1963, 2267 – Dortmund grüßt; v. 23.6.1975 – III ZR 76/73, NJW 1975, 2015 – Deutsche Bahn; v. 28.3.2002 – I ZR 235/99, AfP 2002, 433 = MDR 2002, 1328 = NJW-RR 2002, 1401 – Düsseldorfer Stadtwappen; v. 14.6.2006 – I ZR 249/03, AfP 2006, 602 = AfP 2007, 119 = MDR 2007, 287 = CR 2006, 678 = GRUR 2006, 957 – Stadt Geldern; v. 21.9.2006 – I ZR 201/03, AfP 2007, 41 = MDR 2007, 286 = CR 2007, 36 = NJW 2007, 682 – solingen.info. BVerfG v. 31.3.1994 – 1 BvR 29/94, 573/92, NJW 1994, 2346; BGH v. 2.12.2004 – I ZR 92/02, AfP 2005, 300 = NJW 2005, 978; v. 24.11.1993 – XII ZR 51/92, BGHZ 124, 173 = MDR 1994, 1155 = NJW 1994, 245; LG Frankfurt/M. v. 27.2.2003 – 2/3 O 536/02, MMR 2004, 113 – mormonen.de. KG v. 7.6.2013 – 5 U 110/12, CR 2013, 607 = ITRB 2013, 226 = GRUR-RR 2013, 490 – aserbaidschan.de; LG Berlin v. 26.9.2006 – 9 O 355/06, CR 2007, 270 = MMR 2007, 60 – tschechischerepublik.at/.ch/.com m. Anm. Roggenkamp, juris-PR-TR 2/2007 Anm. 4. BGH v. 27.10.2011 – I ZR 131/10, AfP 2012, 257 = MDR 2012, 792 = ITRB 2012, 123 = GRUR 2012, 651 – regierung-oberfranken.de m. Anm. St. Welzel, MMR 2012, 532; OLG Hamm v. 20.5.2016 – 12 U 126/15, MMR 2016, 691 – Polizei. Schönberger, GRUR 2002, 478, 481. OLG Köln v. 30.9.2005 – 20 U 45/05, AfP 2006, 208 = CR 2006, 493 = GRUR-RR 2006, 67; differenzierend OLG Düsseldorf v. 10.12.2002 – 20 U 141/02, GRUR-RR 2003, 381 – Straßenverkehrsamt. OLG Brandenburg v. 12.6.2007 – 6 U 123/06, GRUR-RR 2008, 105 – schlaubetal.de; ebenso OLG Frankfurt v. 3.2.2011 – 6 U 21/10, GRUR-RR 2011, 216 – Flugplatz Speyer. BGH v. 28.1.1981 – IVb ZR 581/80, BGHZ 79, 265, 270 = MDR 1981, 478 = NJW 1981, 914; Schmitt-Gaedke/Arz, NJW 2013, 2729. LG Köln v. 4.4.2017 – 31 O 44/17 – ADD/AfD. OLG Hamm v. 23.10.2013 – 14 U 177/13, GRUR-RS 2013, 21344; OLG Karlsruhe v. 18.12.2013 – 13 U 162/12, MDR 2014, 788 = NJW 2014, 706 m. Anm. Schmitt-Gaedke/Arz. BGH v. 28.9.2011 – I ZR 191/10, MDR 2012, 727 = GRUR 2012, 539 – Freie Wähler. Offengelassen durch BGH v. 25.3.2010 – I ZR 197/08, MDR 2010, 1275 = ITRB 2010, 251 = GRUR 2010, 944 – braunkohle-nein.de.
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IV. Namensgebrauch und Namensnennung
Rz. 43 Kap. 10
Gattungsbezeichnungen, Tätigkeits- und bloße Ortsangaben genießen keinen Schutz278, an- 42 ders ist es bei Hotel- und sonstigen Namen, die in einem Ort i.d.R. nur einmal benutzt werden279. Bezeichnungen, denen keine originäre Kennzeichenfunktion zukommt, dürfen nach Prioritätsregeln als Domain registriert werden280, eine sittenwidrige Behinderung Dritter liegt darin nicht, selbst wenn es naheliegt, dass ein Unternehmen Interesse an einer eigenen Domainregistrierung haben könne281. Kein Schutz besteht dagegen, dass Worte aus dem allgemeinen Sprachgebrauch (z.B. Gattungsbezeichnungen) als Domain registriert werden, wenn sie lediglich beschreibend oder inhaltlich hinweisend benutzt werden (z.B. „pro fide Catholica“ für eine Domain, unter der Verlagsprodukte angeboten werden), mögen damit auch diejenigen Organisationen, die auf den Begriffshof des Wortes angewiesen sind (z.B. die katholische Kirche) eine unpassende Bezugnahme auf diese Organisation befürchten, ohne jedoch eine konkrete Zuordnungsverwirrung darlegen zu können282. Buchstabenkombinationen und Zahlen genießen – wenn sie als Marke eingetragen sind – aber auch bei Verkehrsdurchsetzung Namensschutz283. Auf die Aussprechbarkeit der Buchstabenkombination kommt es dabei – anders als in der früheren Rechtsprechung gefordert284 – nicht mehr entscheidend an285. Problematisch war, ob die (aussprechbare) Abkürzung „FC“ („effzee“) für einen Fußballbundesligaverein, der (jedenfalls regional) mit dieser Abkürzung identifiziert wird, Namensschutz begründet mit der Folge, dass die Registrierung einer domain „fc.de“ Namensrechtsverletzung darstellt. Richtigerweise ist dies zu verneinen286. Der Namensschutz nach § 12 BGB hat persönlichkeitsrechtlichen Charakter287. Namensver- 43 letzungen sind damit zugleich Persönlichkeitsverletzungen und können entsprechende Ansprüche auslösen. Soweit Unternehmensbezeichnungen durch §§ 5, 15 MarkenG geschützt werden, ist das Namensrecht als Immaterialgüterrecht aufzufassen. Insgesamt spricht der BGH mittlerweile von einem Mischrecht aus Persönlichkeits- und Immaterialgüterrecht288. Das trägt auch dem Umstand Rechnung, dass der kommerzielle, auf das Persönlichkeitsrecht gestützte Schutz des Namensträgers oftmals immaterialgüterrechtlichen Regeln folgt, 278 BGH v. 31.10.1975 – I ZR 89/74, GRUR 1976, 254 – Management-Seminare; v. 12.10.1976 – X ZB 18/74, GRUR 1977, 508 – Datenzentrale. 279 BGH v. 21.9.1976 – II ZB 4/74, BB 1976, 2056 – Parkhotel; OLG Düsseldorf v. 23.3.1973 – 2 U 128/72, WRP 1974, 156 – Citybank. 280 BGH v. 25.11.2002 – AnwZ (B) 41/02, BGHZ 153, 61 = AfP 20013, 157. 281 BGH v. 2.12.2004 – I ZR 207/01, MDR 2005, 1182 = CR 2005, 593 = AfP 2005, 364 = ITRB 2005, 198 = NJW 2005, 2315 – weltonline.de. 282 BGH v. 2.12.2004 – I ZR 92/02, BGHZ 161, 216 = AfP 2005, 300 = GRUR 2005, 357 – Pro fide catholica, m. zust. Anm. Busche, JR 2006, 151 und Renck, NJW 2005, 1470. 283 BGH v. 6.11.2013 – I ZR 153/12, AfP 2014, 261 = GRUR 2014, 506 – sr.de; LG Köln v. 26.8.2014 – 33 O 56/14, ITRB 2014, 252 = MMR 2014, 770 – BAG m. Anm. Tiedemann sowie Anm. Laoutoumai/Orcun, K&R 2014, 746. 284 BGH v. 8.12.1953 – I ZR 199/52, BGHZ 11, 214 – KfA; v. 24.2.1965 – IV ZR 81/64, BGHZ 43, 245 – GdP. 285 OLG Düsseldorf v. 20.12.2011 – I-20 U 180/11, MMR 2012, 563; OLG Frankfurt v. 10.3.2016 – 6 U 12/15, IPRB 2016, 271 = MMR 2016, 756 m. Anm. Jochheim/Vorländer. 286 A.A. LG Köln v. 9.8.2016 – 33 O 250/15, K&R 2016, 684 m. Anm. Terhaag/Schwarz, sowie Anm. Fröhlich/Wehler, CaS 2016, 354 und Luckhaus, IPRB 2016, 273. 287 Std. Rspr.: BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889; BGH v. 26.2.1960 – I ZR 159/58, NJW 1960, 1008 – Vogeler; v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 288 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2196 – Marlene Dietrich; Heyers, Schutz und Verkehrsfähigkeit von Namensmarken, 2006, S. 21 ff.
Burkhardt/Peifer 713
Kap. 10 Rz. 44
Sonderfragen
bei Verletzungen insbesondere eine fiktive Lizenzgebühr als Schadensersatz verlangt werden kann (Kap. 5 Rz. 30). Ist der Namensgebrauch dagegen Teil einer durch die Meinungs- und Kritikfreiheit geschützten Werbekampagne mit Bezug zu aktuellen Tagesereignissen289, übernimmt wieder der Abwägungen stärker zugängliche Persönlichkeitsschutz gegenüber dem eigentumsrechtlichen Denken eines kommerziellen Immaterialgüterrechts. 2. Namensgebrauch 44
§ 12 BGB erwähnt das Recht zum Gebrauch eines Namens. Damit ist in erster Linie die Namensführung gemeint. Zur Führung eines Namens ist nur der Inhaber des Namensrechts befugt. Verwendet ein Nichtberechtigter einen fremden Namen, liegt darin eine Namensanmaßung, wenn dadurch eine Zuordnungsverwirrung ausgelöst wird und schutzwürdige Interessen des Namensträgers verletzt werden290. Das geschieht nur, wenn der Verkehr die Namensverwendung als Hinweis auf die Person dessen ansieht, für die der Name geschützt ist291, also nicht im Falle einer Parodie292. Die Anmeldung einer Domain mit einem existierenden Namen durch einen Nichtberechtigten ist Namensgebrauch in der Form der Namensanmaßung293, nicht dagegen Namensleugnung, weil durch die bloße Registrierung noch nicht die Befugnis zur Führung des Namens durch den Berechtigten angegriffen wird294. Die Verwendung eines Kennzeichens zur Weiterleitung eines Nutzers in Form einer Verlinkung ist Namensanmaßung in Form des Kennzeichengebrauchs295, ebenso ist es, wenn das Kennzeichen lediglich im verborgenen Teil einer Internetseite als Metatag benutzt wird296. Unzulässig ist es, einem Dritten einen Namen beizulegen, der einem anderen zusteht, allerdings gilt dies nur, wenn eine Zuordnungsverwirrung entsteht. Untersagt worden ist die Unterzeichnung eines Aufrufes mit dem Namen eines anderen297, ebenso die Verwendung des Signums einer politischen Partei auf einem zur Propaganda gegen sie bestimmten Plakat in der Weise, dass das Plakat dem ersten Anschein nach als eines dieser Partei erscheint298. 289 So bei BGH v. 5.6.2008 – I ZR 96/07, AfP 2008, 596 = MDR 2008, 1408 = GRUR 2008, 1124 – Zerknitterte Zigarettenschachtel. 290 BGH v. 23.9.1992 – I ZR 251/90, MDR 1993, 132 = NJW 1993, 918 – Universitätsemblem; v. 22.11.2001 – I ZR 138/99, AfP 2002, 364 = MDR 2002, 835 = CR 2002, 525 = ITRB 2002, 177 = NJW 2002, 2031, 2033 – shell.de; v. 28.3.2002 – I ZR 235/99, AfP 2002, 433 = MDR 2002, 1328 = NJW-RR 2002, 1401 – Düsseldorfer Stadtwappen. 291 BGH v. 27.1.1983 – I ZR 160/80, MDR 1983, 643 = GRUR 1983, 262 – Uwe. 292 BGH v. 5.6.2008 – I ZR 96/07, AfP 2008, 596 = MDR 2008, 1408 = GRUR 2008, 1124 – Zerknitterte Zigarettenschachtel, bestätigt durch EGMR v. 19.2.2015 – 53649/09, NJW 2016, 781; LG Düsseldorf v. 18.3.1986 – 4 O 300/85, NJW 1987, 1413 – Heino. 293 BGH v. 9.9.2004 – I ZR 65/02, MDR 2005, 765 = GRUR 2005, 430 – mho.de m. Anm. Eckhardt, CR 2005, 364; v. 26.6.2003 – I ZR 296/00, BGHZ 155, 273 = AfP 2003, 579 = CR 2003, 845 = MDR 2004, 347 = ITRB 2004, 3 = GRUR 2003, 897 m. Anm. Heyers, JR 2006, 94; v. 16.12.2004 – I ZR 69/02, MDR 2005, 884 = CR 2005, 510 = AfP 2005, 277 = ITRB 2005, 248 = GRUR 2005, 517 – Literaturhaus. 294 BGH v. 26.6.2003 – I ZR 296/00, BGHZ 155, 273 = AfP 2003, 579 = CR 2003, 845 = MDR 2004, 347 = ITRB 2004, 3 = NJW 2003, 2978, 2979 – maxem-de. 295 BGH v. 22.7.2004 – I ZR 135/01, CR 2005, 284 = AfP 2005, 208 = MDR 2005, 586 = ITRB 2005, 110 = NJW 2005, 1198; OLG Hamm v. 25.7.2013 – 4 W 33/12, CR 2014, 617 = MMR 2013, 791 m. Anm. Albrecht, beide zu §§ 5, 15 MarkenG. 296 BGH v. 18.5.2006 – I ZR 183/03, AfP 2006, 553 = CR 2007, 103 = MDR 2007, 418 = ITRB 2007, 156 = NJW 2007, 153. 297 RG v. 3.12.1917 – VI 370/17, RGZ 91, 350. 298 OLG Karlsruhe v. 1.9.1972 – 10 U 137/72, NJW 1972, 1810.
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IV. Namensgebrauch und Namensnennung
Rz. 46 Kap. 10
Unzulässig ist es, Namen, Marken oder Unternehmenskennzeichen einer Firma im Titel, Ti- 45 telkopf oder in sonstiger Weise derart in einer Druckschrift erscheinen zu lassen, dass der Anschein entsteht, die Druckschrift sei von der Firma herausgegeben oder von ihr autorisiert. Das gilt auch bei ohne Einwilligung erfolgter Verwendung des Namens einer Kommune in einem Branchenauskunftsdienst299. Mitarbeitern eines Unternehmens, speziell dem Betriebsrat, kann zwar nicht ohne weiteres verwehrt werden, durch die Gestaltung von Titel oder Titelkopf zu verdeutlichen, dass die Druckschrift von Mitarbeitern des Unternehmens stammt und für die Kollegen bestimmt ist. Mangels Einverständnisses des Unternehmens muss das aber so geschehen, dass Zweifel an der Urheberschaft bzw. Autorisation ausgeschlossen sind. Wird auf die Innenseite einer Zeitschrift das Titelemblem eines anderen Presseorgans als Kopfzeile bzw. als Rubrikbezeichnung für einen redaktionellen Artikel verwendet, der sich mit dem anderen Presseorgan kritisch auseinandersetzt, liegt darin kein unbefugter Namensgebrauch i.S.d. § 12 BGB300. Anders ist es, wenn der als Marke geschützte Titel „die tagesschau“ in einer Druckschrift zur Anzeige satirischer tagespolitischer Kommentare verwendet wird301. Die Verwendung der Domain-Adresse eines Arbeitgebers ist jedenfalls keine Namensrechtsverletzung des Unternehmens, wenn durch Zusätze Verwechslungsgefahren ausgeschlossen werden302. Den für eine satirische „Festschrift eines ungebetenen Festredners“ verwendeten Titel „Unsere Siemens-Welt“ hat das OLG Stuttgart als tatbestandsmäßige Namensverletzung bezeichnet. Da dieser Titel aber zur Satire gehöre, sei die Namensverletzung durch Art. 5 Abs. 3 GG gerechtfertigt303. Die Zeitschrift, die die gefälschten Hitler-Tagebücher publizieren wollte, in dem Film Schtonk als „Expressmagazin“ zu bezeichnen, ist als Verletzung des sozialen Geltungsanspruches des Verlegers des Kölner Express angesehen worden, weil der Film zwar eine Satire darstelle, es aber nicht erforderlich sei, den wirklichen Zeitschriftentitel „STERN“ durch „Expressmagazin“ zu ersetzen304. Das ist aus heutiger Sicht zweifelhaft (anders Vorauflage). Die Ausbeutung des Namens zu Geschäfts- und Werbezwecken bedeutet eine Verletzung 46 speziell des Namensrechtes jedenfalls, wenn dadurch eine Zuordnungsverwirrung ausgelöst und schutzwürdige Interessen des Namensträgers verletzt werden305. Sie ist gegeben, wenn der Name dazu benutzt wird, eine andere Person, deren Einrichtungen oder Produkte namensmäßig zu bezeichnen. Das ist auch der Fall, wenn der unrichtige Eindruck hervorgerufen wird, der Namensträger habe dem Gebrauch seines Namens zugestimmt306, jedoch nicht schon dann, wenn nur eine Namensassoziation geweckt wird und der Eindruck eher fernliegend ist, der Namensträger habe dem Werbenden die Verwendung des Namens gestattet307. Eine solche Ausbeutung kann aber persönlichkeitsverletzend sein, weil zu den aus einem Na299 BGH v. 14.6.2006 – I ZR 249/03, AfP 2006, 602 = AfP 2007, 119 = MDR 2007, 287 = CR 2006, 678 = GRUR 2006, 957 – Stadt Geldern. 300 BGH v. 23.3.1979 – I ZR 50/77, NJW 1980, 280 – BILD-Zeitung. 301 LG Hamburg v. 29.10.2000 – 315 O 385/00, ZUM-RD 2001, 146. 302 BAG v. 9.9.2015 – 7 AZR 668/13, ITRB 2016, 124 = NZA 2016, 435 m. Anm. Mauer, jurisPRArbR 13/2016 Anm. 4. 303 OLG Stuttgart v. 11.6.1975 – 4 U 142/74, NJW 1976, 628, 631 – Dokumentarsatire. 304 OLG Köln v. 24.1.1992 – 6 U 202/91, MDR 1992, 359 = AfP 1992, 371 = NJW 1992, 2641. 305 BGH v. 23.9.1992 – I ZR 251/90, MDR 1993, 132 = NJW 1993, 918 – Universitätsemblem; v. 22.11.2001 – I ZR 138/99, AfP 2002, 364 = MDR 2002, 835 = CR 2002, 525 = ITRB 2002, 177 = NJW 2002, 2031, 2033 – shell.de; v. 28.3.2002 – I ZR 235/99, AfP 2002, 433 = MDR 2002, 1328 = NJW-RR 2002, 1401 – Düsseldorfer Stadtwappen. 306 BGH v. 10.12.2015 – I ZR 177/14, MDR 2016, 1035 = GRUR 2015, 749 – Landgut A. Borsig; v. 9.6.1994 – I ZR 272/91, MDR 1995, 170 = NJW-RR 1994, 1323. 307 RG v. 27.9.1923 – IV 91/23, RGZ 108, 230; BGH v. 19.6.1952 – III ZR 147/50, BGHZ 30, 7, 9 – Caterina Valente; v. 9.6.1994 – I ZR 272/91, MDR 1995, 170 = NJW-RR 1994, 1323; v. 28.3.2002
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Kap. 10 Rz. 46a
Sonderfragen
men fließenden Befugnissen auch das Recht gehört, selbst über Art und Umfang des Gebrauchs des Namens oder Firmenbestandteils durch Dritte Bestimmungen zu treffen. Deswegen braucht niemand zu dulden, ungefragt in einer Werbeanzeige für bestimmte Gegenstände erwähnt zu werden, und zwar unabhängig davon, ob das ansehensmindernd ist308. Unzulässig ist die Schallplattenwerbung eines Heino-Imitators mit dem Namen Heino309. Näheres Kap. 5 Rz. 30. Der Verleger eines Satiremagazins verletzt das Namensrecht eines Autors, wenn er ihm einen Beitrag zuschreibt, der von einem anderen Verfasser stammt310. In einer sog. WhoisAbfrage liegt noch kein unzulässiger Namensgebrauch311, wohl aber in der Verwendung eines fremden Namens als verstecktes Suchwort im Metatag einer Internetseite312. Im ersten Fall sucht der Nutzer nach Information, im zweiten Fall nutzt der Diensteanbieter die Hinleitungsfunktion des Namens, um auf die Herkunft einer Information hinzuweisen. 46a
Im Falle der Gleichnamigkeit fehlt es an der ersten Voraussetzung eines unzulässigen Namensgebrauchs, nämlich der fehlenden Befugnis des den Namen Benutzenden. Bei Gleichnamigkeit ist jeder Namensträger berechtigt, seinen Namen zu führen und sich in redlicher Weise im Geschäftsleben unter diesem zu betätigen313. Die Gleichgewichtslage zunächst kollisionsfrei koexistierender Bezeichnungen wird gestört, wenn die Gefahr der Verwechslung mit dem Gleichnamigen entsteht. Das kann dadurch geschehen, dass eines von zwei an regional verschiedenen Standorten tätigen Unternehmen eine Internetdomain anmeldet, ohne sich von dem Namensgleichen abzugrenzen314. Wird die Gleichgewichtslage gestört, so kann die Pflicht bestehen, den Namen nur in einer Art und Weise zu verwenden, dass eine Verwechlsungsgefahr nach Möglichkeit ausgeschlossen ist. Diese Pflicht trifft regelmäßig den Prioritätsjüngeren. Er hat alles Erforderliche und Zumutbare zu tun, um Verwechslungsgefahren auszuschließen oder auf ein hinnehmbares Maß zu vermindern. Was im Einzelfall erforderlich und zumutbar ist, ist auf Grund einer umfassenden Interessenabwägung zu bestimmen315. Hat der Prioritätsjüngere das Erforderliche und Zumutbare getan, ist eine verbleibende Verwechslungsgefahr durch den Prioritätsälteren hinzunehmen. Das Gebot zur Rücksichtnahme trifft den Namensträger jedoch nur, wenn sein Interesse an der uneingeschränkten Verwendung seines Namens gegenüber dem Interesse des gleichnamigen, eine Verwechslung der beiden Namensträger zu vermeiden, klar zurücktritt. Im Falle der Verwendung des Namens als Domain durch Gleichnamige gilt für die Registrierung grundsätz-
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– I ZR 235/99, AfP 2002, 433 = MDR 2002, 1328 = NJW-RR 2002, 1401 – Düsseldorfer Stadtwappen. BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; OLG Hamburg v. 24.9.1992 – 3 U 72/92, AfP 1993, 582 – Huschke von Hanstein/Huschke von Busch; LG München I v. 21.6.2001 – 7 O 24325/00, AfP 2001, 420. LG Düsseldorf v. 18.3.1986 – 4 O 300/85, NJW 1987, 1413. OLG Düsseldorf v. 27.9.1988 – 20 U 158/87, AfP 1989, 549. OLG Köln v. 27.11.2001 – 15 U 108/01 u.a., JurPC Web-Dok. 87/2002 – guenter-jauch.de. BGH v. 18.5.2006 – I ZR 183/03, AfP 2006, 553 = CR 2007, 103 = MDR 2007, 418 = ITRB 2007, 156 = NJW 2007, 153 – Impuls; OLG Celle v. 20.7.2006 – 13 U 65/06, AfP 2007, 177 = CR 2006, 679 = ITRB 2006, 252 = MMR 2006, 817 m. Anm. Kazemi. BGH v. 22.11.1984 – I ZR 101/82, MDR 1985, 465 = NJW 1986, 57 – Familienname; v. 30.1.2008 – I ZR 134/05, MDR 2008, 1175 = GRUR 2008, 801 Rz. 25 – Hansen-Bau. BGH v. 31.3.2010 – I ZR 174/07, CR 2010, 519 = MDR 2010, 884 = IPRB 2010, 201 = ITRB 2010, 199 = GRUR 2010, 738 – Peek & Cloppenburg I; vgl. auch BGH v. 14.4.2011 – I ZR 41/08, MDR 2011, 804 = GRUR 2011, 623 – Peek & Cloppenburg II; z.T. abweichend BGH v. 23.6.2005 – I ZR 288/02, CR 2006, 193 = MDR 2006, 528 = ITRB 2006, 76 = GRUR 2006, 159 – hufeland.de. BGH v. 30.1.2008 – I ZR 134/05, MDR 2008, 1175 = GRUR 2008, 81 Rz. 25 – Hansen-Bau.
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IV. Namensgebrauch und Namensnennung
Rz. 46a Kap. 10
lich das Prioritätsprinzip316, und zwar auch für den Inhaber eines relativ starken Rechts. Daraus folgt, dass der zum Namensgebrauch Befugte, der eine Domain erstmalig anmeldet, auch dann nicht mehr weichen muss, wenn ein Gleichnamiger über das ältere Namensrecht verfügt. Befugt ist auch, wer die Domain durch einen Treuhänder (z.B. eine Domain-Agentur) registrieren lässt, sofern er die Benutzung „alsbald“ vornimmt317, wobei eine Benutzung noch nicht darin liegt, dass lediglich eine „Baustellenseite“ („hier entsteht demnächst …“) geschaltet wird318. Befugt kann ein Familienmitglied sein, das nicht den Domainnamen selbst führt319. Befugt kann überdies sein, wer Namens- und Kennzeichenrechte im Ausland erworben hat und ein besonderes Interesse zur Nutzung einer „de-top-level-Domain“-Adresse vorweisen kann320. Umgekehrt muss ein Namensträger, der eine ausländische top-level-domain angreift, nachweisen, dass er berechtigte Interessen auch an der ausländischen Domainbezeichnung hat321. Das Prioritätsprinzip gilt auch gegenüber Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts, selbst wenn diese eine historische Bedeutung haben322. Eine Ausnahme vom Prioritätsprinzip kommt nur bei einer überragenden Bekanntheit eines Namens oder Zeichens für eine bestimmte Person in Betracht. Der BGH323 hat daher Herrn Andreas Shell die weitere Nutzung der Domain shell.de für private Zwecke im Hinblick auf die Berühmtheit des gleichnamigen Mineralölkonzerns untersagt. In diesem Fall sei es Andreas Shell zuzumuten, eine Domain mit einem unterscheidenden Hinweis, wie etwa der Beifügung des Vornamens, zu verwenden. Ist der Bekanntheitsgrad der Beteiligten weniger unterschiedlich, ein Namensgleicher jedoch verpflichtet, einen unterscheidenden Namenszusatz zu verwenden324, folgt daraus nicht notwendig das Verbot, den Namen ohne Zusatz als Domain zu verwenden. In solchen Fällen kann es ausreichend sein, auf der ersten sich öffnenden Internetseite darüber aufzuklären, dass es sich nicht um die Homepage des anderen Namensträgers handelt325.
316 BGH v. 17.5.2001 – I ZR 216/99, MDR 2002, 45 = CR 2001, 777 m. Anm. Jaeger-Lenz = ITRB 2002, 3 = NJW 2001, 3262 – Mitwohnzentrale. 317 BGH v. 8.2.2007 – I ZR 59/94, BGH v. 8.2.2007 – I ZR 59/04, AfP 2008, 236 = MDR 2007, 1442 = CR 2007, 590 m. Anm. Klees = ITRB 2007, 224 = NJW 2007, 2633 – grundke.de. 318 BGH v. 24.3.2016 – I ZR 185/14, CR 2017, 127 = GRUR 2016, 1093 – grit-lehmann.de; Hoeren, MMR 2007, 596. 319 OLG Stuttgart v. 4.7.2005 – 5 U 33/05, AfP 2006, 208 = AfP 2006, 502 = CR 2006, 269 = ITRB 2005, 247 = MMR 2006, 41. 320 BGH v. 13.12.2012 – I ZR 150/11, CR 2013, 177 m. Anm. Müller = MDR 2013, 237 = GRUR 2013, 294 – dlg.de. 321 BGH v. 28.4.2016 – I ZR 82/14, CR 2016, 605 = MDR 2016, 1032 = GRUR 2016, 810 – profitbricks.es. 322 OLG München v. 11.7.2001 – 27 U 922/00, AfP 2001, 540 = CR 2002, 56 = ZUM-RD 2002, 246. 323 BGH v. 22.11.2001 – I ZR 138/99, AfP 2002, 364 = MDR 2002, 835 = CR 2002, 525 = ITRB 2002, 177 = NJW 2002, 2031 – shell.de. 324 Vgl. BGH v. 28.2.2002 – I ZR 195/99, MDR 2002, 970 = NJW 2002, 2093 – Vossius & Partner. 325 BGH v. 11.4.2002 – 1 ZR 317/99, BGH v. 11.4.2002 – I ZR 317/99, AfP 2002, 460 = MDR 2002, 1138 = CR 2002, 674 m. Anm. Koschorreck = NJW 2002, 2096 – vossius.de; vgl. auch OLG Oldenburg v. 30.9.2003 – 13 U 73/03, AfP 2004, 301 = CR 2004, 781 = ITRB 2004, 100 = MMR 2004, 34 – schulenberg.de m. Anm. Mietzel; OLG Stuttgart v. 26.7.2007 – 7 U 55/07, CR 2008, 120 = MMR 2008, 178.
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Kap. 10 Rz. 47
Sonderfragen
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Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH endet das Namensrecht des § 12 BGB grundsätzlich mit dem Tode326. Allerdings kann ein enger Angehöriger des Namensträgers unter Umständen aus eigenem Recht gegen den Missbrauch des Familiennamens vorgehen327. In der Emil-Nolde-Entscheidung328 ließ der BGH noch offen, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist oder ob das Namensrecht als Ausschnitt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht mit seinen persönlichkeitsrechtlichen Schutzwirkungen über den Tod des Namensträgers hinaus fortwirken kann329. Jedoch stelle es einen Eingriff in den postmortalen Persönlichkeitsschutz dar, wenn auf einem Werk die Signatur eines berühmten Künstlers angebracht wird und dadurch das künstlerische Ansehen und die künstlerische Wertschätzung beeinträchtigt werden können. Das OLG Hamm geht generell davon aus, dass der gute Name eines Verstorbenen über den Tod hinaus nicht nur gegen Herabwürdigung und Erniedrigung, sondern auch gegen Missbrauch geschützt werden müsse. Dies unabhängig von einer etwaigen kommerziellen Ausbeutung. Ob der postmortale Abwehranspruch nur auf Fälle schwerwiegender Verletzungen des Wert- und Achtungsanspruchs beschränkt ist330, lässt das Gericht offen331.
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In seiner Marlene-Dietrich-Entscheidung geht der BGH332 davon aus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowohl die ideellen als auch die vermögenswerten Interessen einer Person schützt. Der Schutz der ideellen Interessen sei unauflöslich mit der Person verbunden und als höchstpersönliches Recht weder übertragbar noch vererblich. Demgegenüber seien die vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wozu auch z.B. das Recht zählt, Dritten gegen Vergütung die Nutzung des Namens zu gestatten, vererblich. Die vermögenswerten Bestandteile bestünden daher fort, jedenfalls solange die ideellen Interessen des Verstorbenen durch das postmortale Persönlichkeitsrecht geschützt werden. Ob eine über die zehnjährige Frist des § 22 Satz 3 KUG hinausgehende Schutzdauer besteht, konnte der BGH aufgrund des Sachverhalts noch offenlassen.
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In der Emil-Nolde-Entscheidung333 meint der BGH, die Dauer des postmortalen Persönlichkeitsschutzes lasse sich nicht generell festlegen. Sie hänge von den Umständen des Einzelfalles ab. Dabei komme es neben der Intensität der Beeinträchtigung vor allem auf die Bekanntheit und die Bedeutung des durch das künstlerische Schaffen geprägten Persönlichkeitsbildes an. Das Schutzbedürfnis schwinde in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasst und das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt334. Anders als bei einem ausübenden Künstler, der z.B. als Theaterschauspieler in der Regel nur seinen Zeitgenossen in Erinnerung bleiben werde, könne das künstlerische Ansehen und die künstlerische Wertschätzung bei einem bildenden Künstler, der seiner 326 BGH v. 15.1.1953 – IV ZR 76/52, BGHZ 8, 318, 324 – Pazifist; v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, BGHZ 169, 193 = AfP 2007, 42 = CR 2007, 101 = MDR 2007, 417 = ITRB 2007, 57 = NJW 2007, 684 m. Anm. Götting, GRUR 2007, 170 und Anm. Faust, JuS 2007, 776. 327 BGH v. 15.1.1953 – IV ZR 76/52, BGHZ 8, 318, 324 – Pazifist; v. 10.12.2015 – I ZR 177/14, MDR 2016, 1035 = GRUR 2016, 749 – Landgut A. Borsig. 328 BGH v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, MDR 1989, 1076 = AfP 1989, 728 = NJW 1990, 1986. 329 Vgl. dazu Schack, JZ 1987, 776. 330 So BVerfG v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, AfP 2001, 295 = ZUM 2001, 584, 586 – Kaisen; OLG Düsseldorf v. 16.6.1999 – 15 U 171/98, AfP 2000, 468. 331 OLG Hamm v. 5.10.2001 – 9 U 149/01, NJW 2002, 609. 332 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195. 333 BGH v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, MDR 1989, 1076 = AfP 1989, 728 = NJW 1990, 1986. 334 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 196 – Mephisto; BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, BGHZ 50, 133, 140 – Mephisto.
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IV. Namensgebrauch und Namensnennung
Rz. 52 Kap. 10
Nachwelt ein bleibendes Werk hinterlässt, noch Jahrzehnte nach dem Tode fortbestehen, ohne dass der erforderliche Bezug zur Person des Verstorbenen verlorengeht. Bei einem Maler, der – wie Emil Nolde – zu den namhaften Vertretern des deutschen Expressionismus zählt, sei auch rund drei Jahrzehnte nach dem Tode noch ein fortwirkendes Schutzbedürfnis anzuerkennen. Diese Auffassung berücksichtigt nicht genügend das Erfordernis der Rechtssicherheit. Für 50 die Beteiligten darf es nicht unkalkulierbar sein, von welcher Schutzdauer im Einzelfall auszugehen ist. Für die vermögenswerten Aspekte der Persönlichkeit, also die Abwehr aufgedrängter kommerzieller Nutzungen, hat der BGH in der Entscheidung „kinski-klaus.de“ eine analoge Anwendung der zehnjährigen Schutzfrist des § 22 S. 3 KUG vorgenommen335. Für die nicht-vermögenswerten Bestandteile ist in der Vorauflage eine feste Schutzdauer von 30 Jahren vorgeschlagen worden336. Das hat den Vorteil der Rechtssicherheit, wenngleich jede Setzung Elemente der Willkür hat. Auf das Verblassen einer Erinnerung an die Person kommt es jedenfalls nicht mehr an. Sonst könnten etwaige Nachfahren Goethes auch heute noch Persönlichkeitsrechte ihres berühmten Vorfahren geltend machen337. Allerdings bedeutet diese Frist auch, dass Angehörige des 1929 verstorbenen Gustav Stresemann nicht unter Hinweis auf die politischen Überzeugungen ihres Ahnen verhindern können, dass eine politische Partei mit rechtspopulistischen Tendenzen eine Stiftung nach Stresemann benennt338. 3. Namensnennung Den eigenen Namen zu gebrauchen ist grds. jedermann ebenso gestattet wie den Namen ei- 51 nes Dritten zu nennen. Das eine folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das andere ist für sich genommen noch keine Verletzung persönlicher Interessen. Wird der eigene Name im Zusammenhang mit einer Äußerung verwendet, nimmt er ferner am Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit teil339. Die Namensnennung ist für die Authentizität und Glaubhaftigkeit von besonderer Bedeutung. Problematisch kann die Nennung des eigenen Namens sein, wenn dadurch zugleich andere in deren allgemeinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt werden. Behauptet etwa in einer Fernseh-Talkshow eine ledige 41-jährige, von ihrem Vater im Kindesalter über viele Jahre hinweg missbraucht worden zu sein, führt die Nennung des eigenen Namens zugleich zur Identifizierung des Vaters. Sein Recht auf Anonymität könnte dadurch verletzt sein. Allerdings begründet dies trotz der Schwere des Vorwurfes allein noch keinen Anspruch darauf, die Tochter dürfe ihren Namen in diesem Zusammenhang nicht mehr öffentlich nennen. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist vielmehr aufgrund einer umfassenden Güterabwägung zu entscheiden340. Zumeist wird dem Recht, den eigenen Namen nennen zu dürfen, der Vorzug einzuräumen sein. Einen fremden Namen zu nennen, um die betreffende Person zu bezeichnen, ist ebenso 52 grds. jedermann gestattet. Der Namensgebrauch allein ist keine Namensrechtsverletzung. 335 BGH v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, BGHZ 169, 193 = AfP 2007, 42 = CR 2007, 101 = MDR 2007, 417 = ITRB 2007, 57 = NJW 2007, 684 – kinski-klaus.de. 336 Ebenso LG Hamburg v. 4.12.1992 – 324 O 404/92, AfP 1993, 595; Näheres vgl. Kap. 5 Rz. 114 ff. 337 Vgl. hierzu auch Schack, GRUR 1985, 352. 338 Dazu Zastrow, AfP, FDP – und die zwei Seiten des Gustav Stresemann, FAZ v. 25.12.2017. 339 BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889. 340 BVerfG v. 24.3.1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889; OLG Karlsruhe v. 6.7.2001 – 14 U 71/00, AfP 2002, 42.
Burkhardt/Peifer 719
Kap. 10 Rz. 53
Sonderfragen
Hinzutreten muss eine Verletzung schutzwürdiger, überwiegender Interessen des Namensträgers341. Der Gebrauch eines fremden Namens begründet zwar ein Indiz für eine Interessenverletzung342. Das lässt die Interessenabwägung aber nicht entfallen, sondern legt nur die Beweislast für die Interessengemäßheit demjenigen auf, der den Namen nutzt. Der Name muss korrekt genannt werden, sonst kann eine Falschdarstellung oder Herabsetzung vorliegen. Eine Person mit einem ihr nicht zustehenden bzw. von ihr nicht benutzten Adelsprädikat anzusprechen kann ebenso persönlichkeitsverletzend sein wie die Vorenthaltung von Namensbestandteilen, wenn dies in der Absicht der Herabsetzung geschieht. Entsprechendes gilt für akademische oder sonstige Titel. Es braucht sich auch niemand gefallen zu lassen, mit einem früher geführten Namen angesprochen zu werden, erst recht nicht mit einer Abwandlung des jetzt oder früher geführten Namens. Die Verwendung nur der Initialen kann unzulässig sein, wenn sie einen beeinträchtigenden Sinn ergeben. Z.B. ist es unzulässig, jemanden mit „SAU“ zu benennen, sofern das nicht nur scherzhaft geschieht. Speziell bei Politikern ist die Bezeichnung SA oder SS jedenfalls unzulässig, wenn das regelmäßig und mit erkennbarer Absicht der Herabsetzung erfolgt. In sonstigen Fällen ist von Unzulässigkeit nur auszugehen, wenn der Betroffene sich die Verwendung der Abkürzung verbeten hat, zumal manche mit einem Namenskürzel durchaus einverstanden sind. Auch Personenvereinigungen, Handelsgesellschaften und juristische Personen haben grundsätzlich Anspruch auf korrekte Benennung343. Allerdings ist insoweit ein großzügigerer Maßstab anzulegen, speziell bei satirischen Darstellungen344. In einem Boulevardblatt kann es zulässig sein, einen Kriminellen nur mit dem Vornamen zu nennen345. 53
Das Recht zur Namensnennung findet seine Grenze am Recht auf Anonymität als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Grenze der Namensanonymität lässt sich analog §§ 22, 23 KUG bestimmen346. Dies gilt insbesondere für Personen, die sich öffentlich äußern oder am politischen Meinungskampf teilnehmen. Eine den Informationsinteressen der Öffentlichkeit gerecht werdende Berichterstattung wird in solchen Fällen nur unter Angabe des Namens möglich sein. Dies gilt auch, soweit der Betroffene seine Tätigkeit an herausgehobener Stelle in einer z.B. rechtsradikalen Splittergruppe vor der allgemeinen Öffentlichkeit verbergen will347; ebenso bei einer von Satire und Sarkasmus geprägten Unternehmenskritik, die in Person des Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens angeprangert wird. Der BGH348 hat daher auch ein Plakat mit Portraitfotos eines Vorstandsvorsitzenden mit Namensnennung für zulässig erachtet, dessen Überschrift lautete „Alle reden vom Klima – wir ruinieren es“. Auch ein Zeuge, der durch ein rechtswidriges Verhalten die Ursache für das gegen einen Dritten geführte Strafverfahren gesetzt hat, wird gegen seine namentliche Erwähnung in der Berichterstattung im Allgemeinen nichts einwenden werden können. Parkt z.B. ein prominenter Unternehmer seinen Wagen trotz Parkverbots vor einem Radargerät der Polizei, um die 341 BGH v. 10.12.2015 – I ZR 177/14, MDR 2016, 1035 = GRUR 2016, 749 Rz. 15 – Landgut A. Borsig; v. 28.9.2011 – I ZR 188/09, GRUR 2012, 534 Rz. 8 – Landgut Borsig. 342 Zuletzt BGH v. 10.12.2015 – I ZR 177/14, MDR 2016, 1035 = GRUR 2016, 749 Rz. 33. 343 BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882 – Geist von Oberzell; v. 26.6.1981 – I ZR 73/79, NJW 1981, 2402 – Rennsportgemeinschaft. 344 OLG Frankfurt v. 17.12.1981 – 6 U 49/81, MDR 1982, 577 = NJW 1982, 648 – Lusthansa. 345 OLG Frankfurt v. 2.7.1990 – 6 W 104/90, AfP 1990, 229. 346 OLG Brandenburg v. 2.9.1998 – 1 U 4/98, NJW 1999, 3339, 3342 f. – Wessi-Kuckuck; OLG Braunschweig v. 18.10.2000 – 2 W 241-242/00, NJW 2001, 160. 347 OLG Braunschweig v. 18.10.2000 – 2 W 241-242/00, NJW 2001, 160. 348 BGH v. 12.10.1993 – VI ZR 23/93, MDR 1994, 558 = AfP 1993, 736 = NJW 1994, 124 – Greenpeace; bestätigt durch BVerfG v. 8.4.1999 – 1 BvR 2126/93, NJW 1999, 2358.
720
Burkhardt/Peifer
IV. Namensgebrauch und Namensnennung
Rz. 54 Kap. 10
Messung zu behindern, muss er seine Namensnennung in einem Verfahren gegen den Polizisten wegen Begünstigung hinnehmen, weil dieser das Bußgeldverfahren verschleppt habe. Eine Namensnennung kommt auch in Fällen schwerer Kriminalität oder bei Straftaten in Betracht, die die Öffentlichkeit besonders berühren349. Eine Namensnennung kann insbesondere bei einer Verbindung von staatlichem Handeln mit strafbarem Verhalten von Amtsträgern und im Hinblick auf die Stellung der beteiligten Personen auch unterhalb der Schwelle der Schwerkriminalität zulässig sein350. Bei Veröffentlichung von Strafurteilen in Fachzeitschriften ist der Name des Verurteilten und auch der Zeugen stets zu anonymisieren. Bei Zivilentscheidungen bedarf es bei nicht-öffentlichen Verfahren der Anonymisierung, ferner wenn die Urteilsgründe Fragen berühren, die Gegenstand des Persönlichkeitsschutzes sind351. Auch bei der Berichterstattung über nachteilige, unglückliche oder tragische Ereignisse ist auf den Persönlichkeitsschutz Rücksicht zu nehmen352. Das gilt z.B. für Verbrechensopfer353. Als unzulässig hat das OLG Düsseldorf die Nennung des Namens einer Ministerialdirigentin in einem Bericht bezeichnet, in dem ihre Suspendierung wegen einer Jahre zuvor erfolgten, bei der Einstellung verschwiegenen Verurteilung wegen eines Ladendiebstahls erörtert wurde354. Unzulässig kann es auch sein, ein eingestelltes Ermittlungsverfahren wegen Bestechung ohne aktuelle Veranlassung öffentlich zu erwähnen, zumal dadurch ein falscher Anschein entstehen kann355. Das Recht auf Anonymität kann ebenso verletzt sein, wenn eine namentliche Berichterstattung über einen ehemals Straftatverdächtigen im Online-Archiv einer Zeitung bereitgehalten wird356.Zulässig ist die namentliche Erwähnung aber bei der aktuellen Berichterstattung, wenn es um eine im Verbreitungsgebiet bekannte Persönlichkeit des Wirtschaftslebens geht, deren Verwicklung in die Vorgänge ohnehin nicht verborgen geblieben ist357. Die Erwähnung der beruflichen Tätigkeit als Verfassungsschutzbeamter muss ein von einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss vernommener, in der Presse namentlich erwähnter Zeuge auch hinnehmen, wenn ihm das infolge kritischer Einstellung von Bekannten unangenehm ist358. Die Nennung eines Namens kann auch Rechte eines Dritten verletzen, wenn der Dritte mit 54 dem Genannten zu verwechseln ist. Diese Gefahr besteht insbesondere bei Gleichnamigkeit. Spezielle Risiken sind vorhanden, wenn lediglich die Initialen genannt werden, z.B. „Urologe Dr. W. aus Bonn hat einen schweren Kunstfehler begangen“. Dazu vertritt das OLG Köln die Auffassung359, die Zeitung sei verpflichtet, sich vor der Veröffentlichung zu vergewissern, ob in Bonn ein weiterer Urologe mit Doktortitel und dem Anfangsbuchstaben W. tätig ist. Eindeutig persönlichkeitsverletzend ist es, bei einer Kritik die Initialen richtig, die Berufsbe349 BGH v. 17.3.1994 – III ZR 15/93, MDR 1994, 773 = NJW 1994, 1950, 1952; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167, 170; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = GRUR 2016, 532 Rz. 28. 350 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167, 170. 351 Jauernig, FS Bötticher, S. 219; Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, S. 194. 352 BGH v. 15.4.1980 – VI ZR 76/79, MDR 1980, 746 = AfP 1980, 154 = NJW 1980, 1790 – Familienname. 353 LG Köln v. 5.6.1991 – 28 O 451/90, AfP 1991, 757. 354 OLG Düsseldorf v. 12.12.1979 – 15 U 87/79, AfP 1980, 108. 355 KG v. 28.4.1987 – 9 U 1052/87, AfP 1988, 137. 356 BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = GRUR 2016, 532. 357 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036; OLG Oldenburg v. 19.5.1987 – 13 U 89/86, AfP 1988, 138. 358 OLG Celle v. 9.9.1988 – 13 W 135/88, AfP 1989, 575. 359 OLG Köln v. 1.7.1975 – 15 U 60/74, AfP 1975, 920.
Burkhardt/Peifer 721
Kap. 10 Rz. 55
Sonderfragen
zeichnung aber falsch anzugeben und dadurch einen Unbelasteten in Verdacht zu bringen, z.B. durch die Behauptung „Frauenarzt Dr. L. in Süchteln missbraucht Patientinnen sexuell“, wenn in Süchteln ein Frauenarzt Dr. L. existiert, aber ein praktischer Arzt Dr. L. in Verdacht geraten ist360. Die mit Personenfoto versehene Kfz-Werbeanzeige „Heute Ihr Verkaufsberater Herr Heller zum Thema Ein Feuerwerk …“ verletzt nicht das Namensrecht von Andre Heller, der zur gleichen Zeit ein „Feuertheater“ veranstaltet hat361. Zu Namensproblemen bei der Schlagzeile vgl. OLG Hamburg v. 19.1.1986 – 3 U 86/85, AfP 1986, 137. Druckt eine Zeitschrift ein durch Nacktfotos in unterschiedlichen Haltungen illustriertes Interview einer als „kesse Frankfurterin“ bezeichneten, mit ihrem wirklichen Namen vorgestellten Frau („Am liebsten reite ich“) in deren Einverständnis, stehen einer gleichnamigen Frankfurterin auch dann keine Ansprüche zu, wenn sie daraufhin telefonisch belästigt wurde362. 55
In Fällen dieser Art kann sich ein echtes Dilemma ergeben. Vor- und Zunamen auszuschreiben kann gegen das Anonymitätsgebot verstoßen. Lediglich die Initialen zu nennen, birgt das Risiko von Verwechslungen. Überhaupt keine Namen zu nennen, ist riskant, wenn sich jeder betroffen fühlen kann, der zu dem angesprochenen Kreis gehört363, z.B. jeder bayerische Minister, wenn es heißt: „Ein bayerischer Minister war Mitglied eines Callgirlringes“364. Am einfachsten lassen sich diese Schwierigkeiten durch Anführung eines fingierten Namens mit dem Hinweis beseitigen, dass der echte Name der Redaktion bekannt ist. Der Hinweis ist bei der erstmaligen Verwendung des fingierten Namens anzubringen365.
56
Welchen Schranken die Verwendung von Namen zu Rätsel-, Spiel- und ähnlichen Zwecken unterliegt, ist problematisch. Soll z.B. der Name eines bekannten Künstlers oder Sportlers geraten werden oder wird unter Nennung seines Namens nach Lebensdaten gefragt, ist das grundsätzlich zulässig. Anders kann es sich verhalten, wenn unglückliche Umstände zum Gegenstand eines dem Zeitvertreib dienenden Spieles gemacht werden. Persönlichkeitsverletzend ist die Verwendung des Namens, wenn damit Wettbewerbs- bzw. Werbezwecke verbunden sind. Die unbefugte Benutzung eines fremden Namens zu Wettbewerbszwecken ist stets persönlichkeitsverletzend. Das gilt auch für Firmennamen366; dagegen ist die Verwendung von Firmennamen zu Zwecken der Unternehmenskritik auch zulässig, wenn sie mit distanzierenden Zusätzen erfolgt, wie etwa die Anmeldung einer Domain „awd-aussteiger.de“ zum Austausch von negativen Erfahrungen über einen Finanzdienstleister367. Ob Werbezwecke tatsächlich mit der Verwendung des Namens verfolgt werden oder es sich um Äußerungen handelt, die von der Meinungsäußerungsfreiheit umfasst sind, ist unter Beachtung des Kontextes im Einzelfall zu prüfen368. Ein Berichterstattungsinteresse kann daher auch bei der Verwendung eines Namens oder Bildes auf einer Kundenzeitschrift angenommen werden,
360 361 362 363 364 365 366 367
OLG Düsseldorf v. 24.9.1980 – 15 U 25/80, AfP 1981, 292. LG Berlin v. 7.2.1985 – 27 O 313/84, ZUM 1985, 515. AG Frankfurt v. 27.2.1990 – 30 C 8245/89-79, NJW 1990, 2002. OLG Düsseldorf v. 19.5.1994 – 2 U 101/93, AfP 1995, 500. BGH v. 18.2.1964 – 1 StR 572/63, BGHSt 19, 235. LG Bonn v. 4.6.1992 – 15 O 440/91, AfP 1992, 386. BGH v. 26.6.1981 – I ZR 73/79, NJW 1981, 2402 – Rennsportgemeinschaft. OLG Hamburg v. 18.12.2003 – 3 U 117/03, AfP 2004, 365 = CR 2004, 861 = ITRB 2004, 202 = MMR 2004, 415. 368 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 1082/95, AfP 2000, 163 = NJW 2000, 1026 – Kundenzeitschrift; BGH v. 14.3.1995 – VI ZR 52/94, MDR 1995, 909 = AfP 1995, 495 = NJW-RR 1995, 789 – Kundenzeitschrift.
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Burkhardt/Peifer
IV. Namensgebrauch und Namensnennung
Rz. 58 Kap. 10
die neben Produktwerbung und Artikeln über Kosmetik, Hautpflegemittel usw. einen redaktionellen Beitrag enthält, der sich mit der Fernsehserie sowie dem Namensträger befasst369. 4. Verwendung erfundener Namen Die Verwendung erfundener Namen kann eine Namensverletzung bedeuten, wenn der erfun- 57 dene Name mit einem tatsächlichen übereinstimmt und dadurch eine Identitätstäuschung erfolgt. Das ist der Fall, wenn behauptet wird, „verheirateter Architekt K. H. aus Frankfurt mit Bungalow und Porsche treibt Mädchen in den Tod“, sofern in Frankfurt ein Architekt dieses Namens existiert, der über Bungalow und Porsche verfügt. Auch erfundene Namen von Roman- oder Filmhelden können eine Identitätstäuschung bewirken. Das Reichsgericht hat es als unzulässig bezeichnet, einem Romanhelden den Namen eines westfälischen Industriellen zu geben370. Im Übrigen ist die Verwendung erfundener oder pseudonymer Bezeichnungen für sich genommen noch keine Namensleugnung. Sie liegt nur vor, wenn der Gebrauch des bürgerlichen oder eines erworbenen Namens konkret streitig gemacht wird, dem Betroffenen also das Recht, diesen Namen zu gebrauchen, aberkannt wird371. Die Registrierung einer Domain, die dem Namen des Betroffenen entspricht, beinhaltet keine solche Leugnung, allenfalls einen rechtswidrigen Namensgebrauch. Die Verwendung eines Pseudonyms „Neger-Kalle“ kann zwar gegenüber einem Farbigen Herabwürdigung sein, die Verweigerung der Ansprache mit dem bürgerlichen Namen ist aber keine Namensleugnung gegenüber einem Betroffnen372. Eine allzu weite Ausdehnung des Namensschutzes sollte vermieden werden, um nicht mögli- 58 chen Versuchen Vorschub zu leisten, aus einer zufälligen Namensübereinstimmung Kapital zu schlagen. Z.B. hat das Reichsgericht die Klage von Professor Dr. Rudolf Biedermann aus Berlin-Steglitz zurückgewiesen373, die dagegen gerichtet war, dass die Berliner Illustrierte über längere Zeit hinweg in jeder Nummer die humoristische Figur eines angeblichen, komisch-zerstreuten Abonnenten mit dem Namen Professor Biedermann gebracht hat. Selbst bei weitestgehender Auslegung des § 12 BGB sei die Benutzung eines Namens zur Bezeichnung einer typischen Figur ohne jede Beziehung zu einem bestimmten Menschen. Es sei ein bloßer Scherz, der mit der Person des Klägers nicht in Verbindung gebracht werden könne. Keine Verletzung des Namensrechts aller Träger des Namens „Arsch“ erfolgt durch die Bezeichnung der Hauptfigur des Films „08/15“ als „Schütze Arsch“ bzw. der Träger des Namens „Cox“ wegen des Films „Gestatten, mein Name ist Cox“374. Einen zu einem „Kindergarten der Tiere“ gehörenden Plüschhund „Hasso von Wedel“ zu nennen, hat das OLG Hamburg nicht als Verletzung der Rechte eines gleichnamigen Anwaltes angesehen375. Ebenso ist der Träger des Namens „Frankenberg“ nicht durch die Verwendung des Namens als Titel einer Fernsehserie mit fiktivem Inhalt in seinen Rechten verletzt376. Die Träger des nicht ungebräuchli-
369 BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 1082/95, AfP 2000, 163 = NJW 2000, 1026; BGH v. 14.3.1995 – VI ZR 52/94, MDR 1995, 909 = AfP 1995, 495 = NJW-RR 1995, 789 – Kundenzeitschrift; OLG München v. 19.9.1997 – 21 U 3202/97, AfP 1998, 409 – Uschi Glas. 370 RG v. 29.9.1938 – IV 70/38, HRR 1938, Nr. 1583 – Großschieberfall. 371 MünchKomm/Säcker, § 12 BGB Rz. 125. 372 AG Hamburg v. 4.9.2007 – 36 A C 69/07, AfP 2007, 587. 373 RG v. 26.3.1906 – IV 538/05, DJZ 1906, 543. 374 OLG München v. 10.3.1955 – U 616/55, n.v. 375 OLG Hamburg v. 1.11.1990 – 3 U 168/90, AfP 1992, 267. 376 OLG München v. 29.3.1996 – 21 U 4100/95, MDR 1996, 1033.
Burkhardt/Peifer 723
Kap. 10 Rz. 59
Sonderfragen
chen Familiennamens „Süß“ waren nicht durch die Anmeldung einer Domain für ein Erotikportal „suess.de“ verletzt377. 59
Persönlichkeitsverletzend kann es sein, den Namen einer bekannten Persönlichkeit für eine Figur ganz anderen Zuschnitts zu verwenden, um die Persönlichkeit zu karikieren oder abzuwerten. Gleichermaßen persönlichkeitsverletzend kann es sein, eine Person der Zeitgeschichte zu einer „Figur“ zu machen und sie in einen willkürlich gewählten Zusammenhang zu stellen, z.B. einen Sportler als Berater eines negativ eingestuften Politikers auftreten zu lassen, damit dieser die Politik „sportlicher“ betreibe. Den Mephisto-Roman von Klaus Mann, dessen Hauptfigur Höfgen dem verstorbenen Schauspieler Gustav Gründgens nachempfunden ist, haben der BGH und im Ergebnis auch das Bundesverfassungsgericht insgesamt für unzulässig erklärt. Die in dem Roman vorgenommenen Wirklichkeitsveränderungen seien nicht geeignet, die Identifizierung von Höfgen mit Gründgens auszuschließen, sondern führten im Gegenteil zu einem falschen Bild von Gründgens378. Den Namen einer bekannten Persönlichkeit (Huschke von Hanstein) in verfremdeter Form (Huschke vom Busch) zu Werbezwecken zu verwenden, ist dagegen persönlichkeitsverletzend379.
V. Verwendung von Marken Schrifttum: Hotz, Die rechtsverletzende Markenbenutzung in der neueren Rechtsprechung von EuGH und BGH, GRUR 2003, 993; Hauck/Fischoeder, Gattungsmäßige Benutzung von Kennzeichen in den Medien – Rechte des Kennzeicheninhabers, GRUR 2004, 185; Rohnke, Marke, Meinung, Kunst, FS Schricker, 2005, S. 869; Teplitzky, BGH: Keine unlautere Ausnutzung der Wertschätzung einer Marke bei künstlerischer Aussage – Lila-Postkarte, LMK 2005, 149923; Born, Zur Zulässigkeit einer humorvollen Markenparodie, GRUR 2006, 192; Büttner, Über allen Wipfeln ist Ruh … – Satire und Parodie im Markenrecht, FS Ullmann, 2006, S. 157; Mahr, Die Zulässigkeit von Markenparodien, WRP 2006, 1083; Schmidt, Markenparodie: Grenzziehung zwischen Eigentumsgarantie und Kunstfreiheit – „Springender Pudel“, GRUR-Prax. 2010, 51; Sosnitza, Fake-Werbung, GRUR 2010, 106; Kefferpütz/Wrage, Parodie und Marke: Ein ewiger Konflikt, GRUR-Prax. 2015, 451.
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Marken dienen hauptsächlich der Unterscheidung von Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen eines anderen Unternehmens (§ 3 MarkenG)380, darüber hinaus kommunizieren sie Qualitätsversprechen und sie suggerieren Image und Reputation. Der EuGH spricht insoweit von einer Qualitäts-, Kommunikations, Investitions- und Werbefunktion381. Der Inhaber einer Marke hat grds. das Recht, diese allein zu nutzen und andere von deren Benutzung auszuschließen. Der Markenschutz greift außerhalb einer identischen Nutzung für identische Waren nach herkömmlichem Verständnis in Deutschland nur bei einer markenmäßigen Verwendung des Zeichens ein382. Allerdings ist der Begriff der markenmäßigen Benutzung nach Art. 5 Abs. 1 MarkenRL weiter zu verstehen als unter dem bis 377 OLG Nürnberg v. 12.4.2006 – 4 U 1790/05, CR 2006, 485 m. Anm. Schirmbacher = ITRB 2006, 174 = NJW-RR 2006, 906. 378 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1773; BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645. 379 OLG Hamburg v. 24.9.1992 – 3 U 72/92, AfP 1993, 582. 380 EuGH v. 23.2.1999 – Rs. C-63/97, GRUR-Int. 1999, 438, 441 – BMW/Deenik. 381 EuGH v. 18.6.2009 – Rs. C-487/07, GRUR-Int. 2009, 1010 Rz. 58 – L’Oréal; v. 3.3.2016 – Rs. C-179/15, GRUR-Int. 2016, 352 Rz. 26 – Daimler AG/Együd Garage. 382 BGH v. 6.12.2001 – I ZR 136/99, MDR 2002, 1264 = GRUR 2002, 814 – Festspielhaus; v. 23.9.2015 – I ZR 78/14, MDR 2015, 1377 = GRUR 2015, 1201 Rz. 71 – Sparkassen-Rot/Santander-Rot.
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Burkhardt/Peifer
V. Verwendung von Marken
Rz. 61 Kap. 10
1994 geltenden Warenzeichengesetz383. In der Hauptsache wird durch den EuGH heute gefordert, dass durch eine Nutzung im geschäftlichen Verkehr eine der vorgenannten Funktionen verletzt wird, wobei die Herkunftsfunktion immer noch als Grundfunktion der Marke angesehen wird384, deren Verletzung aber nicht erforderlich ist, wenn eine der anderen Markenfunktionen beeinträchtigt wurde385. Diese Neuausrichtung des Markenrechts hat in der Praxis kaum Auswirkungen. Nach der früheren Ansicht würde es bereits an einer markenmäßigen Benutzung fehlen, wenn die Nutzung zu redaktionellen Zwecken erfolgt, also nur hinweisenden Charakter hat386. Nach der Deutung durch die Rechtsprechung des EuGH kann ein kritisch-satirischer Gebrauch zwar eine relevante Markenbenutzung darstellen, doch wäre auf Tatbestandsebene das Abwehrinteresse des Markeninhabers mit dem Äußerungsinteresse des Nutzenden abzuwägen. Dabei ist das Gewicht der Kritik oder künstlerischen Äußerung oft geeignet, die Verletzung schon auf Tatbestandsebene auszuschließen387. Dies gilt insbesondere für die – auch kritische – Berichterstattung. Die Verwendung von Marken ist besonders geeignet, dem Leser den Gegenstand des Berichts leicht erkennbar zu machen388. Einprägsam ist auch Kritik mittels einer Karikatur der kritisierten Marke389. Ein solcher Gebrauch fremder Marken ist regelmäßig von der Meinungsäußerungsfreiheit umfasst. Dies gilt auch, soweit es sich um eine bekannte Marke handelt, selbst wenn die Kritik aggressiv, polemisch und in verächtlich machender Form geschieht390. Allerdings gilt auch in diesem Zusammenhang das Verbot von Schmähkritik, das pauschale, nur herabsetzende Markenkritik unter Verwendung der Marke unterbinden soll391. Die Grenze des Zulässigen wird erst überschritten, wenn die Marke z.B. zum Zwecke der Be- 61 werbung oder Vermarktung von eigenen Waren oder Dienstleistungen verwendet wird. Geschieht das nicht nur zu kommerziellen Zwecken, sondern wird dabei zugleich auch eine Meinung ausgedrückt, bedarf es einer Interessenabwägung. Es ist der Eingriff in das Markenrecht der Äußerungsfreiheit und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüberzustellen392. Das OLG Hamburg393 untersagte den Vertrieb eines T-Shirts mit der zu einem Totenkopf verfremdeten Shell-Muschel geraume Zeit nach Abflauen der „Brent-Spar-Affaire“ mit der Begründung, es stünden primär die wirtschaftlichen Ziele des Vertreibers im Vordergrund. Demgegenüber sei der Vertrieb einer sog. „Eck-Weg-Karte“ (Postkarte mit einer rechts oben abgeschnittenen Ecke des Künstlers Kuno Klaboschke) mit der Aufschrift „Bild Dir keine Meinung“ keine markenmäßige Benutzung. Hier stünde die kritische Auseinanderset-
383 Ströbele/Hacker, Markengesetz, § 14 Rz. 84 mit Rz. 91. 384 EuGH v. 12.11.2002 – Rs. C-206/01, GRUR 2003, 55 Rz. 51, 54 – Arsenal/Reed in Bezug auf den Gebrauch einer Vereinsfarbe zu Merchandisingzwecken. 385 EuGH v. 18.6.2009 – Rs. C-487/07, GRUR 2009, 756 Rz. 58 – L’Oréal/Bellure für das Angebot von Duftimitaten unter Nennung des Markennamens. 386 BGH v. 23.3.1979 – I ZR 50/77, NJW 1980, 280; OLG Frankfurt v. 9.12.1999 – 6 U 206/98, AfP 2000, 189; Soehring/Hoehne, § 20 Rz. 50 f. 387 OLG Jena v. 8.4.2009 – 2 U 901/08, GRUR-RR 2010, 211. 388 OLG Hamburg v. 18.12.2003 – 3 U 117/03, AfP 2004, 365 = CR 2004, 861 = ITRB 2004, 202 = MMR 2004, 415. 389 LG Berlin v. 7.7.2006 – 96 O 42/06, GRUR-RR 2007, 40 – Stiftung Gentest; LG Nürnberg-Fürth v. 11.8.2010 – 3 O 5617/09 – Storch Heinar. 390 Ein Männchen, das seine Hose heruntergelassen hat, bewegt sich auf das Emblem zu und uriniert darauf; OLG Köln v. 31.3.2000 – 6 U 152/99, AfP 2000, 581. 391 LG Köln v. 29.5.2012 – 33 O 719/11, GRUR-RR 2013, 106 – scheiß RTL. 392 Vgl. OLG Köln v. 31.3.2000 – 6 U 152/99, AfP 2000, 581. 393 OLG Hamburg v. 6.11.1997 – 3 U 222/96, ZUM-RD 1998, 121.
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Kap. 10 Rz. 62
Sonderfragen
zung mit dem genannten Zeitungsprodukt im Vordergrund394. Ebenso ist die Verwendung der Farbe und Schriftart der Marke „.T …“ für eine Postkarte mit der Aufschrift „Toll! Alles wird. T.e.u.r.e.r“ als keine markenmäßige Verwendung angesehen worden, da die Auseinandersetzung mit der Tarifpolitik der Telekom im Vordergrund stünde395. Die Frage, ob eine unlautere Aufmerksamkeitsausbeutung vorliegt, ist stets mit den Äußerungsfreiheiten des Art. 5 GG abzuwägen. Dazu gehört auch die Kunstfreiheit, die bei offensichtlich satirischparodistischer Verwendung des TÜV-Zeichens als Buchtitel in einer Titelschutzanzeige zwar nicht die markenmäßige Verwendung des Zeichens ausschließt, allerdings bei Abwägung mit Art. 5 Abs. 3 GG zu einer zulässige Benutzung führt396. 62
Einen Unterfall der Verwendung fremder Marken stellt die sog. Markenverunglimpfung dar, d.h. die Kennzeichnung eigener Produkte mit einer fremdem Marke in der Absicht, sich satirisch mit dem Originalprodukt oder den Werbemethoden dafür auseinanderzusetzen. Dies kann zulässig sein, soweit die Auseinandersetzung mit der fremden Marke, der Werbemethoden für jenes Produkt oder ähnliches im Vordergrund steht397. Soll durch die Verwendung des verunglimpften Zeichens vorwiegend erreicht werden, dass ein sonst möglicherweise nicht verkäufliches eigenes Produkt auf dem Markt abgesetzt wird, führt dies zu Unzulässigkeit398. Unzulässig ist z.B. der Vertrieb von Präservativen, auf deren Umverpackung der Schokoriegel „Mars“ mit dem verfremdeten Slogan „Macht mobil bei Sex-Sport und Spiel“399 oder der Farb- und Schriftgestaltung von Nivea nachempfunden „Es tut NIVEA als das erste Mal“ aufgedruckt ist400. Demgegenüber nahm der VI. Zivilsenat keine Verletzung der Rechte der Bayerischen Motorenwerke AG bei dem Vertrieb eines Aufklebers mit dem BMW-Emblem und dem Text „Bumms mal wieder“ an401. Ebenso hatte das OLG Frankfurt den Verkauf von Autoaufklebern mit einem Paarungshaltung einnehmenden stilisierten Kranichpaar und dem Schriftzug „Lusthansa“ weder als markenverletzend noch als Eingriff in das Recht am Unternehmen angesehen402. Rechtfertigen lässt sich diese Nutzung allerdings nur, wenn die Handlung tatsächlich den Markenführer kritisiert oder sein Verhalten parodiert, im Übrigen wenn die Nutzung der Marke zu einer künstlerischen Gestaltung führt, die ihrerseits Schutz nach Art. 5 Abs. 3 GG erhält403. Verunglimpft werden kann eine Marke ferner durch zielgerichtete Herabwürdigung, auch soweit ein markenmäßiger Gebrauch nicht vorliegt. Dies ist z.B. bei einer von einem Wettbewerber finanzierten zielgerichteten Kampagne der Fall. Ausnahmsweise werden diese Fälle durch §§ 3, 14, 15 UWG und § 826 BGB erfasst. 394 395 396 397
398 399 400 401 402 403
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OLG Hamburg v. 4.6.1998 – 3 U 246/97, NJW-RR 1999, 1060. KG v. 20.8.1996 – 5 U 4311/96, AfP 1997, 923 = WRP 1997, 85. LG Berlin v. 8.1.2008 – 15 O 484/07, ZUM-RD 2008, 413 – Der Moslem TÜV. BGH v. 3.2.2005 – I ZR 159/02, AfP 2005, 489 = NJW 2005, 2856 – Lila Postkarte m. Anm. Born, GRUR 2006, 192 und Anm. Teplitzky, LMK 2005, 149923; ferner BGH v. 2.4.2015 – I ZR 59/13, MDR 2015, 1252 = GRUR 2015, 1114 – Springender Pudel m. Anm. M. Schmidt, GRURPrax. 2010, 51; dazu auch Büttner, FS für Ullmann, 2006, S. 157; Mahr, WRP 2006, 1083. BVerfG v. 27.5.1994 – 1 BvR 916/94, NJW 1994, 3342 – Mars-Kondom; BGH v. 10.2.1994 – I ZR 79/92, MDR 1995, 65 = NJW 1994, 1954 – Mars-Kondom; v. 19.10.1994 – I ZR 130/92, MDR 1995, 598 = NJW 1995, 871 – Markenverunglimpfung II. BVerfG v. 27.5.1994 – 1 BvR 916/94, NJW 1994, 3342 – Mars-Kondom; BGH v. 10.2.1994 – I ZR 79/92, MDR 1995, 65 = NJW 1994, 1954 – Mars-Kondom. BGH v. 19.10.1994 – I ZR 130/92, MDR 1995, 598 = NJW 1995, 871 – Markenverunglimpfung II. BGH v. 3.6.1986 – VI ZR 102/85, MDR 1986, 925 = NJW 1986, 2951. OLG Frankfurt v. 17.12.1981 – 6 U 49/81, MDR 1982, 577 = NJW 1982, 648. OLG Hamburg v. 15.1.2006 – 5 W 1/06, GRUR-RR 2006, 231 – grafische Einbindung der AOLMarke auf einem Abi-T-Shirt.
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VI. Äußerungen im politischen Bereich
Rz. 64 Kap. 10
Soweit kein markenmäßiger Gebrauch vorliegt, ist die Verwendung von Marken in Wörter- 63 büchern, Lexika oder sonstigen Nachschlagewerken als Sach- oder Gattungsangaben gem. § 16 MarkenG unzulässig, wenn nicht gleichzeitig darauf hingewiesen wird, dass es sich um eine geschützte Marke handelt. Das Verbot soll bestehende Marken vor der Gefahr eines Verlusts ihrer Unterscheidungskraft schützen. Da der Verkehr in derartigen Nachschlagewerken eine abgesicherte Erklärung von Begriffen des allgemeinen oder fachspezifischen Sprachgebrauchs erwartet, besteht die Gefahr, dass die genannte Marke künftig gattungsmäßig verwendet wird und dadurch ihre Unterscheidungskraft verliert. Diese Gefahr besteht bei der täglichen Berichterstattung durch die Presse jedoch nicht. Der Verkehr ist an eine allzu oft Wörter und Begriffe wenig präzis verwendende Berichterstattung gewöhnt. Dann braucht auch nicht auf den bestehenden Markenschutz besonders hingewiesen zu werden404.
VI. Äußerungen im politischen Bereich Schrifttum: Heinemann, Die Rechtsordnung des politischen Kampfes, NJW 1962, 889; Hoffmann, Beweislast und Rechtfertigung bei ehrverletzenden Behauptungen im politischen Bereich, NJW 1966, 1200; Uhlitz, Politischer Kampf und Ehrenschutz, NJW 1967, 129; Schmitt-Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, 1968; Walter Schmidt, Der verfassungsgerichtliche Grundrechtsschutz im öffentlichen Meinungskampf, NJW 1980, 2066; Teubel, Deutung einer Äußerung – willkürliche Rechtsanwendung?, NJW 2005, 3245; Oebbecke, Amtliche Äußerungen im Bürgermeisterwahlkampf, NVwZ 2007, 30; Beutel, Parlamentarische Missfallensäußerung bezüglich privat geäußerter Meinungen, NJ 2014, 282; Weitemeyer/Kamp, Zulässigkeit politischer Betätigungen durch gemeinnützige Organisationen, DStR 2016, 2623; Gusy, Verfassungswidrig, aber nicht Verboten!, NJW 2017, 601; Milker, „Social-Bots“ im Meinungskampf – Wie Maschinen die öffentliche Meinung beeinflussen und was wir dagegen unternehmen können, ZUM 2017, 216; Renner, Persönlichkeitsschutz im Wahlkampf, GRUR 2017, 772.
1. Allgemeine Grundsätze Äußerungen im politischen Bereich liegen im Zweifel auf der Meinungsebene und sind da- 64 mit grundsätzlich zulässig. Wie der BGH mit Recht betont, ist es mit der Stellung eines Politikers in einem demokratischen Staat naturgemäß verbunden, dass sich sein Wirken in ständiger Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen vollzieht und er sich daher auch scharfen Angriffen stellen muss. Ein Politiker muss sich die Aufzeigung der negativen Seiten seines Charakters gefallen lassen. Bei Personen, die politische Beachtung beanspruchen und verdienen, ist der Zulässigkeitsrahmen besonders weit zu ziehen405. Gleiches gilt, wenn der Kritisierte sich seinerseits in beleidigend-abwertender Form über die Bundesrepublik geäußert hat406. Dass die Grenzen der zulässigen Kritik bei Politikern weiter gezogen sind als im privaten Bereich, betont auch der EGMR407. Politiker setzen sich wissentlich der unvermeidlichen Kontrolle aller ihrer Worte und Taten durch die Öffentlichkeit und insbesondere durch die Presse aus. Sie müssen also mehr Toleranz zeigen als andere. Bei Beschränkung einer gegen sie gerich-
404 OLG Frankfurt v. 9.12.1999 – 6 U 206/98, AfP 2000, 189, 190 – ACC. 405 BVerfG v. 26.6.1990 – 1 BvR 1165/89, MDR 1991, 125 = AfP 1990, 192 – Zwangsdemokrat; BGH v. 11.5.1965 – VI ZR 16/64, NJW 1965, 1476; v. 1.10.1974 – VI ZR 51/73, Ufita 76 (1976), 324, 333. 406 KG v. 24.1.1975 – 9 W 1546/74, ArchPR 1975, 53. 407 EGMR v. 8.7.1986 – 12/1984/84/131, NJW 1987, 2143, 2144 – Kreisky; v. 1.7.1997 – 47/1996/666/852, NJW 1999, 1321 – Fall Haider.
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Kap. 10 Rz. 65
Sonderfragen
teten Kritik muss der Zweck dieses Schutzes mit dem Interesse an freier Diskussion politischer Fragen abgewogen werden. 65
Bei der Würdigung politischer Äußerungen, auch solcher der Gewerkschaften, ist zudem zu berücksichtigen, dass die Streitenden sich häufig wechselseitig die Zerstörung, Vereitelung oder Behinderung von Einrichtungen und Zielen vorwerfen, für welche beide Seiten öffentlich eintreten. Polemische Äußerungen wie z.B. der Vorwurf der „Sabotage“ enthalten deswegen nicht notwendig eine Beschuldigung der Unlauterkeit, insb. wenn der Streit sich nur auf die Wahl der Mittel bezieht. Nichts anderes gilt im Regelfall auch bei objektiver Verschiedenheit der Ziele, wenn die Parteien mit demselben Wort (Berufsbeamtentum) verschiedene oder sogar gegensätzliche Vorstellungen verbinden408. Auch in sonstigen Fällen kann der Zusammenhang ergeben, dass ein Vorwurf nicht wörtlich zu verstehen, z.B. mit dem Wort „Verleumder“ kein Verhalten i.S.d. § 187 StGB gemeint ist409. Bei Kritik an Politikern müssen auch die Umstände berücksichtigt werden, unter denen sie erfolgt. Dann kann sich herausstellen, dass die gewählten Bezeichnungen angesichts der Situation noch im Rahmen des Üblichen liegen410.
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Nochmals gesteigerte Bedeutung erlangt die grundsätzliche Redefreiheit bei Wahlkampfäußerungen, also bei Äußerungen in einer Situation, in der der politische Meinungskampf auf das Höchste intensiviert ist (Kap. 2 Rz. 27). Die Vorbereitung einer Wahl durch Vertreter einer Partei verträgt prinzipiell keine inhaltliche Reglementierung. Insoweit verstärkt Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede mit der Folge, dass gegen das Äußern einer Meinung nur in äußersten Fällen eingeschritten werden darf. Zumal Parteien die Möglichkeit haben, sich politisch zur Wehr zu setzen, wird i.d.R. auch der Gesichtspunkt der Schmähkritik versagen. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht es für noch zulässig erklärt411, die CSU in Wahlveranstaltungen als „NDP von Europa“ zu bezeichnen. Auch der BGH hat darauf hingewiesen, dass bei Wahlkampfäußerungen schon der Feststellung des Inhaltes der Aussage in besonderem Maße Grenzen gesetzt sind. Auch wenn es um die Zuweisung von Schuld oder politischer Verantwortung für Missstände geht, darf der Wahlkämpfer seinen Vorwurf in vergröbernder Vereinfachung plastisch formulieren. Vor allem Besucher von Wahlkampfgroßkundgebungen erwarten vom Redner nicht, er werde zugunsten einer differenzierten Sachaussage auf wirkungsvolle Formulierungen verzichten, weswegen sie seine Behauptungen mit entsprechenden Vorbehalten aufzunehmen pflegen. Hieraus folgt allerdings nicht das Recht zu unwahren Behauptungen über den politischen Gegner. Ist der Sachverhalt im Kern falsch dargestellt, kann der Kritiker sich auf bloßes polemisches Überziehen nicht mehr berufen. Es kommt dann nicht nur ein Unterlassungs-, sondern auch ein Widerrufsanspruch in Betracht412. Äußerungen auf Versammlungen genießen trotz Art. 8 Abs. 1 GG keinen über Art. 5 Abs. 1 GG hinausgehenden Schutz413. Der Straßenwahlkampf mit Plakatwerbung, Informationsständen und Flugblattverteilung unterfällt dem Schutzbereich der Parteifreiheit gem. Art. 21 Abs. 1 GG. Die Äußerungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 408 BGH v. 18.5.1971 – VI ZR 220/69, GRUR 1971, 591, 593. 409 BGH v. 25.5.1971 – VI ZR 26/70, GRUR 1971, 529, 531 – Dreckschleuder. 410 EGMR v. 8.7.1986 – 12/1984/84/131, NJW 1987, 2143, 2144 – Kreisky; v. 1.7.1997 – 47/1996/666/852, NJW 1999, 1321 – Fall Haider. 411 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, AfP 1982, 215 = NJW 1983, 1415. 412 BGH v. 15.11.1983 – VI ZR 251/82, MDR 1984, 391 = AfP 1984, 28 = NJW 1984, 1102 – Wahlkampfrede. 413 BVerfG v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, MDR 1994, 738 = AfP 1994, 126 = NJW 1994, 1779, 1780 – Auschwitz-Lüge.
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Burkhardt/Peifer
VI. Äußerungen im politischen Bereich
Rz. 68 Kap. 10
GG führt zu keinem weitergehenden Schutz als die vorbehaltslos gewährleistete Parteifreiheit414. Politische Funktionsträger, wie der Bundespräsident, Regierungsmitglieder und Bürgermeister haben im Wahlkampf besondere Neutralitätspflichten zu beachten (Näheres Kap. 2 Rz. 28 ff.). 2. Beispiele für zulässige Äußerungen Die in einem politischen Magazin (Monitor) erfolgende Bezeichnung eines Politikers als 67 „hemmungslos ehrgeizig, unübertrefflich arrogant und unverträglich“ kann nach Auffassung des BGH jedenfalls dann noch zulässig sein, wenn der Betroffene sich auch seinerseits mit ungewöhnlicher Schärfe ausgedrückt hat415. Auch die Bezeichnung eines Pressedienstes als „äußerst dubioses pseudo-demokratisches Hetzblättchen“ ist unter dem Gesichtspunkt des Gegenschlages als noch zulässig angesehen worden416. Die Äußerung „Eine ganz unverschämte Lüge des CDU-Vorsitzenden ist es, die SPD als eine Partei hinzustellen, die von streng organisierten kleinen Gruppen beherrscht wird“ hat das LG Frankfurt als zulässig bezeichnet, nachdem der Kritisierte zuvor einen Leserbrief mit unhaltbaren Behauptungen veröffentlicht hatte; deswegen sei auch das Wort „unverschämt“ noch durch § 193 StGB gedeckt417. Die Formulierung eines Abgeordneten, der Kläger gehöre „zu denjenigen, die in unserem Land die Saat der Gewalt gepflegt und kultiviert haben, die jetzt ihre erschreckenden Blüten treibt“, hat das KG als zulässig bezeichnet418. Als zulässig ist auch die Bezeichnung einer Menschenrechtsvereinigung als „rechte bis rechtsradikale frauenfeindliche Lebensschützerorganisation“ seitens des politischen Gegners angesehen worden419. Im Zusammenhang mit einer bereits erfolgten Vorverurteilung und weiteren strafrechtlichen Vorwürfen ist es als zulässig angesehen worden, ein Interview abzudrucken, in dem der Ehemann einer Landtagsabgeordneten namentlich erwähnt und als „Krimineller“ bezeichnet wird420. Die Äußerung „Dies sind wirklich schon fast Stasi-Methoden, der ehemaligen, totalitären DDR-Machthaber!“ gegenüber einem Bürgermeister ist im Zusammenhang mit inhaltlicher Kritik an dessen Verhalten bei der Verwirklichung eines kommunalen Bauvorhabens noch zulässige Meinungsäußerung421. Die Bezeichnung eines Politikers als „Borderliner“ und die Äußerung, er habe „einen an der Waffel“ wurde in einer Fernsehtalkshow als zulässig angesehen, weil sich der Betroffene selbst in einer die Öffentlichkeit berührenden Frage (Sexismus-Vorwürfe) im Fernsehen angreifbar geäußert hat422. Die Behauptung, jemand sei ein Neofaschist, wird entsprechend OLG München423 in unter- 68 schiedlichem Sinne gebraucht, zumal es üblich geworden sei, für sich selbst möglichst die politische Liberalität in Anspruch zu nehmen, dem politischen Gegner aber die äußerste Linke oder die äußerste Rechte zuzuweisen, ihn also als links- bzw. rechtsradikal oder auch als faschistisch zu bezeichnen; darin liegt noch nicht ohne weiteres eine Verunglimpfung. 414 415 416 417 418 419 420 421 422 423
BVerfG v. 10.12.2001 – 2 BvR 408/01, NVwZ 2002, 467 – Plakatwerbung der Parteien. BGH v. 1.10.1974 – VI ZR 51/73, Ufita 76/1976, 324, 331. OLG München v. 19.3.1973 – 21 U 3237/72, ArchPR 1973, 114, 115. LG Frankfurt v. 5.8.1974 – 5/9 Qs 607/74, NJW 1974, 2244; vgl. auch OLG Stuttgart v. 30.5.1968 – 2 Ss 614/67, JZ 1969, 77. KG v. 24.1.1975 – 9 W 1546/74, ArchPR 1975, 21. OLG Karlsruhe v. 22.8.1990 – 13 U 40/90, AfP 1992, 263. KG v. 25.2.2010 – 10 W 16/10, AfP 2010, 498. LG Memmingen v. 1.4.2003 – 2 O 1272/02, ZUM-RD 2004, 196. OLG Köln v. 9.12.2014 – 15 U 148/14, AfP 2015, 63. OLG München v. 30.5.1975 – 21 U 1902/75, ArchPR 1975, 54.
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Kap. 10 Rz. 69
Sonderfragen
Gleichwohl ist der Vorwurf faschistischer Grundhaltungen gegenüber einer Person, die weder durch ihre Biografie noch durch Äußerungen zu dieser Einordnung Anlass gegeben hat, grundsätzlich als Schmähkritik anzusehen424. Allerdings darf nicht bereits aus der Formulierung „Wäre die Erde eine Scheibe, würde S über den Rand fallen, so weit rechts außen steht er schon“ der Vorwurf abgeleitet werden, der Betroffene werde als Nazi oder Faschist bezeichnet425. Einen politischen Blogger als „Neonazi“ zu bezeichnen ist grundsätzlich persönlichkeitsrechtsverletzend, nicht allerdings, wenn sich der Betroffene öffentlich äußert und dabei typisches rechtsradikales Gedankengut verbreitet426. Auch wenn ein Ministerpräsident eine Partei als „radikal und verfassungswidrig“ bezeichnet, ist das grundsätzlich eine zulässige politische Meinungsäußerung427. Gleiches gilt für die im Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern enthaltene Behauptung, die NPD sei „eine Partei mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung und Betätigung“, sie sei „rechtsradikal, rechtsextrem“ usw. Das Bundesverfassungsgericht weist darauf hin, dass dies nicht bedeute, der Befugnis der Staatsorgane zu negativen Werturteilen über Ziele und Betätigung nicht verbotener politischer Parteien seien keinerlei Schranken gesetzt. Unzulässig wäre es, wenn eine Regierung eine nicht verbotene politische Partei aus unsachlichen Erwägungen in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung verdächtigte428. 69
Während Kritik von Politikern regelmäßig hinzunehmen ist, ist eine verfälschende und entstellende Darstellung der Persönlichkeit nicht zu dulden. Problematisch ist die Entscheidung des OLG Stuttgart429, nach der einem Politiker ein Unterlassungsanspruch gegen eine nicht ehrverletzende, aber unrichtige Tatsachenbehauptung nur zustehen soll, wenn sie sein Persönlichkeitsbild verletzt, was nicht der Fall sei, wenn er die ihm zugeschriebene Äußerung zwar nicht getan habe, er sie jedoch entsprechend seiner sonstigen Haltung getan haben könnte. Gegenüber Falschbehauptungen kann sich auch ein Politiker auf das Recht der Wahrheit berufen. Verfehlt deswegen LG München I v. 2.3.1971 – 4 O 769/70, AfP 1971, 135 m. Anm. Wenzel (vgl. im Übrigen Kap. 5 Rz. 74 ff.). Dementsprechend ist auch bei politischen Äußerungen zu prüfen, ob sie tatsächlichen Gehalt haben und ob er zutrifft430. Wird die deutsche Schuld am Ausbruch des zweiten Weltkriegs bestritten, handelt es sich um komplexe Beurteilungen historischer Ereignisse, also um Meinungsäußerungen431. Dem gegenüber ist die Leugnung der Judenverfolgung im Dritten Reich angesichts der ungezählten gegenteiligen Beweise eine unzulässige, unwahre Tatsachenbehauptung432. Vgl. im Übrigen die Beispiele in Kap. 4 Rz. 43 ff., Kap. 5 Rz. 74 ff.
424 425 426 427 428 429 430 431 432
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OLG Frankfurt v. 20.12.1995 – 17 U 202/94, NJW-RR 1996, 1050. LG Karlsruhe v. 31.5.2007 – 8 O 279/07, NJW-RR 2008, 63. OLG Stuttgart v. 23.9.2015 – 4 U 101/15, AfP 2016, 268 = NJW-RR 2016, 932. OVG Lüneburg v. 28.5.1974 – V OVG B 80/73, NJW 1975, 76. BVerfG v. 29.10.1975 – 2 BvE 1/75, BVerfGE 40, 287 = DVBl. 1976, 334; vgl. auch Kap. 2 Rz. 28 ff. OLG Stuttgart v. 25.8.1976 – 4 U 69/75, AfP 1976, 183 m. Anm. Limbacher. Vgl. BGH v. 9.7.1974 – VI ZR 112/73, GRUR 1975, 36 – Arbeits-Realitäten. BVerfG v. 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, MDR 1994, 844 = AfP 1994, 118 = NJW 1994, 1781, 1782; v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, MDR 1994, 738 = AfP 1994, 126 = NJW 1994, 1779, 1780 – Auschwitz-Lüge. BVerfG v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, MDR 1994, 738 = AfP 1994, 126 = NJW 1994, 1779, 1780 – Auschwitz-Lüge.
Burkhardt/Peifer
VI. Äußerungen im politischen Bereich
Rz. 71 Kap. 10
3. Beispiele für unzulässige Äußerungen Das LG Bonn433 vertritt die Auffassung, der weite Zulässigkeitsrahmen für politische Äuße- 70 rungen gelte vor allem für Wahlkampfäußerungen oder bei Erwiderung auf einen vorausgegangenen Angriff; ohne diese Voraussetzungen bestehe kein Anlass zu extensiver Anwendung des § 193 StGB. Die Äußerung eines MdB über einen anderen MdB „Wir sind doch keine Betrüger, wir gaunern doch nicht Sachen vor, die in Wirklichkeit nicht zu machen sind“ sei deswegen als beleidigend anzusehen434. Der Ausgangspunkt der Entscheidung ist allerdings zu eng. Die kritische politische Auseinandersetzung findet auch außerhalb des eigentlichen Wahlkampfes statt, eine entsprechende Beschränkung von inhaltlichen Debatten ist daher nicht angebracht. Beachtlich bleibt stets die Grenze der Schmähkritik, auch durch pauschale Herabsetzung. Zu prüfen ist daher, ob es für eine Herabsetzung einen sachbezogenen Anlass oder ob eine voraufgegangene Kritik einen Gegenschlag erlaubt. Die Behauptung, ein Politiker habe „sein gestörtes Verhältnis zum freiheitlichen Rechtsstaat schon wiederholt erkennen lassen“, hat das OLG München als unzulässig bezeichnet435. Die Bezeichnung eines ehrenamtlichen Stadtratsmitglieds als „Oberhetzer“ wurde als Schmähung angesehen436. Die Unzulässigkeit einer Äußerung kann sich aus der Unrichtigkeit einer Behauptung ergeben. So kann sich ein Politiker erfolgreich dagegen wehren, dass er ohne tatsächliche Anhaltspunkte durch eine Titelschlagzeile („Ehebruch und Unfalldrama – Was hat er damit zu tun?“) und den Eindruck von Rätselhaftigkeit erzeugende Äußerungen im weiteren Text eines Zeitungsartikels in den Verdacht gerückt wird, mit dem Unfalltod eines Universitätspräsidenten in Zusammenhang zu stehen437. Presseberichte über den Hauskauf eines nicht mehr im Amt befindlichen Politikers mit Angaben über den Kaufpreis eines benachbarten Grundstücks verletzen die Privatsphäre des Betroffenen438. Auch der Hinweis auf eine politische Haltung kann nachprüfbar sein, wenn der tatsächliche 71 Gehalt der Äußerung hinreichend substantiiert ist439. Bei Äußerungen in einer Fernseh-Satiresendung muss besonders berücksichtigt werden, dass ein Tatsachenzusammenhang durch Verzerrung und Überfremdung infolge einer Vielzahl von Eindrücken hergestellt wird. Die Anforderungen an die Tatsachentreue einer satirischen Botschaft sind daher auch daran zu messen, „welche Botschaft bei dem verständigen und unvoreingenommenen Publikum ankommt“440. Die Äußerung, dass „alles Kommunale der Bürgermeisterin laut Chefredakteur vorher zur Zensur vorgelegt werden muss und dass schon über Jahre hinweg, auch schon gegenüber deren Vorgänger“ wurde als unwahre Tatsachenbehauptung für unzulässig angesehen441. Unzulässig ist die Leugnung der Judenverfolgung im Dritten Reich angesichts der ungezählten gegenteiligen Beweise442.
433 434 435 436 437 438 439 440
LG Bonn v. 8.1.1971 – 3 O 208/70, ArchPR 1971, 102. Vgl. die Urteilsbesprechung Heimeyer, ZRP 1971, 174. OLG München v. 19.3.1973 – 21 U 3237/72, ArchPR 1973, 114, 115. LG Magdeburg v. 28.4.2009 – 9 O 727/09. LG München I v. 18.12.2013 – 9 O 16915/13, AfP 2014, 173. BGH v. 19.5.2009 – VI ZR 160/08, AfP 2009, 392 = MDR 2009, 1041 = NJW 2009, 3030. BGH v. 18.6.1974 – VI ZR 16/73, AfP 1974, 702 – Deutschland-Stiftung. BGH v. 10.1.2017 – VI ZR 562/15, AfP 2017, 157 = MDR 2017, 396 = NJW 2017, 1617 Rz. 16 m. Anm. Grau/Brose. 441 LG Coburg v. 14.5.2015 – 12 O 181/14, AfP 2015, 465, juris-Rz. 28. 442 BVerfG v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, MDR 1994, 738 = AfP 1994, 126 = NJW 1994, 1779, 1780 – Auschwitz-Lüge; vgl. nun auch den qualifizierten Straftatbestand des § 130 Abs. 3 und Abs. 4 StGB; vgl. dazu BVerfG v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300; oben Kap. 1 Rz. 15.
Burkhardt/Peifer 731
Kap. 10 Rz. 72
Sonderfragen
VII. Waren-, Leistungs- und Preistests Schrifttum: Borck, Bestehen rechtliche Bedenken gegen die Veröffentlichung sog. „QuerschnittTests“ durch Verbraucherorganisationen?, WRP 1959, 344; Hefermehl, Der Warentest in rechtlicher Sicht, GRUR 1962, 611; Helle, Über öffentliche vergleichende Warentests und die Grenzen ihrer Zulässigkeit, NJW 1962, 1177; Callmann, Der Warentest in den USA, GRUR 1963, 193; Rinck, Organisation und Auswertung von Warentests, BB 1963, 1027; Völp, Vergleichende Warentests, WRP 1963, 109; Graßmann, Der Warenvergleich durch Verbraucherverbände, Diss. München 1964; Bofinger, Der vergleichende Warentest als Meinungsäußerung i.S.d. Art. 5 GG, NJW 1965, 1833; Kübler, Öffentliche Kritik an gewerblichen Erzeugnissen und beruflichen Leistungen, AcP 172 (1972), 177; Schricker, Öffentliche Kritik an gewerblichen Erzeugnissen und beruflichen Leistungen, AcP 172 (1972), 203; Finkensiep, Die Publikation vergleichender Warentests durch Wettbewerber, Diss. Münster 1976; Silberer, Warentest, Informationsmarketing, Verbraucherverhalten, Diss. Mannheim 1977; Brinkmann, Rechtliche Grenzen neutraler Preisvergleiche, WRP 1979, 265; Scherhorn, Preisvergleiche rechtswidrig?, WRP 1980, 677; Schönleber, Die rechtliche Bewertung neutraler Warentests in der Werbung der Hersteller und Händler, Diss. Bremen 1982; Ahrens, Vergleichende Bewertung von Universitätsdienstleistungen – Neue Anwendungsbereiche der Warentestrechtsprechung, FS Ullmann, 2006, S. 565; Schwerdtfeger, Die rechtliche Behandlung von Versicherungsvergleichen – Rechtsfragen bei der Veröffentlichung von Versicherungsvergleichen durch Finanz- und Wirtschaftsmagazine sowie die Verwendung als Entscheidungshilfe für den Verbraucher, 2006; Dörre/Kochmann, Zivilrechtlicher Schutz gegen negative eBay-Bewertungen, ZUM 2007, 30; Degenhart, Testberichte und Werbebeschränkungen im Recht der Arzneimittel: Äußerungsfreiheit, Recht am Unternehmen und Gesundheitsschutz, PharmR 2010, 261; Heckmann, Vertrauen in virtuellen Räumen?, K&R 2010, 1; Gundermann, Zur datenschutzrechtlichen Zulässigkeit von Bewertungsportalen, VuR 2010, 329; Kamp, Personenbewertungsportale, 2011; Arntz, Die Haftung von Ratingagenturen gegenüber fehlerhaft bewerteten Staaten und Unternehmen, BKR 2012, 89; Beyer, Die rechtliche Bewertung von Warentests im Wandel des Rechts, 2013; Görisch, Negative Produktinformationen der Stiftung Warentest aus öffentlich-rechtlicher Sicht, JURA 2013, 883; Günther, Rechtlicher Spielraum bei Gastronomiebewertungen – zwischen Meinungsfreiheit und Schmähkritik, NJW 2013, 3275; Herrmann, Vergleichende Warentests durch Medien – eine rechtliche Neueinordnung aus dem Blickwinkel des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, 2013; Franz, 50 Jahre Stiftung Warentest, GRUR 2014, 1051; Lindacher, „Testsieger“-Werbung, WRP 2014, 140; Boddenberg, Negative Produktinformation – Die Rechtmäßigkeit von staatlichen, staatlich finanzierten und privaten negativen Produktinformationen, 2015; Mann, „Natürlich künstlich“?, AfP 2015, 126; Schultes, Regulierung und Haftung von Ratingagenturen – die Neuregulierung nach der 2. Änderungsverordnung zur Ratingverordnung, prozessuale Durchsetzbarkeit einer Haftung und ein Vergleich zum australischen Recht, 2015; Franz, Die rechtliche Beurteilung von Bewertungsportalen, WRP 2016, 1195; Heyers, Meinungsfreiheit bei Warnungen vor Produkten oder Leistungen durch staatliche und staatsnahe Institutionen?, AfP 2017, 118.
1. Grundzüge a) Entwicklung des Testwesens und seiner Beurteilung 72
Waren, Leistungen und Preise werden seit langem geprüft, also getestet, und darüber wird auch seit langem berichtet (zur historischen Entwicklung Ulmer, FIW Schriftenreihe Heft 20, 1964, S. 11 ff.). Die Bedeutung solcher Testberichte ist erheblich und sie hat im Zeitalter der vernetzten Kommunikation und des Online-Handels erheblich zugenommen. Im Blickfeld der Rechtsprechung stehen bis heute vergleichende Warentests, dies seit Gründung der Zeitschrift DM im Jahre 1961. Sie ist 1966 – auch als Folge zahlreicher Prozesse, die Unternehmen gegen Produkttests geführt haben, in Konkurs gegangen und anschließend neu gegründet worden. Hinzu trat die am 4.12.1964 von der Bundesrepublik errichtete Stiftung
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Burkhardt/Peifer
VII. Waren-, Leistungs- und Preistests
Rz. 73 Kap. 10
Warentest und ihre Zeitschrift test443. Seit den 1990er Jahren sind zahlreiche Internetdienste hinzugetreten, die auch zu Zwecken der Bewertung von Unternehmen, Dienstleistern, Freiberuflern, Universitäten, Professoren und Lehrern betrieben werden444. Neben Waren werden daher auch Leistungen getestet, z.B. solche von Unterrichtseinrichtungen, von Hotels, Restaurants445, Arztpraxen446 und Krankenhäusern447. Breiten Diskussionsraum nehmen auch Preistests, Preisvergleiche sowie Preisvergleichsportale ein, insb. solche der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände448. Behörden bedürfen zur Durchführung und Veröffentlichung von Warentests einer besonderen gesetzlichen Grundlage449. Die Bedeutung von Tests, speziell von vergleichenden Tests, wird durch die weite Verbreitung 73 gefördert und unterstrichen, welche die Testergebnisse finden. Die Stiftung Warentest gibt regelmäßig einen Testkompass mit einer zusammenfassenden Ergebnisübersicht zum freien Nachdruck heraus. Dadurch gelangen die Testergebnisse in eine Vielzahl von Blättern. Z.B. hat ein Autoreifentest eine Gesamtauflage von 26 Mio. erreicht450. Auch das Fernsehen widmet sich dem Thema. Abgesehen davon sind günstige Ergebnisse der Stiftung, aber auch anderer Testveranstalter ein beliebtes Werbeargument451. Wegen dieser großen Bedeutung der Tests sind Kaufhausketten und Versandhäuser mehr und mehr dazu übergegangen, die Aufnahme eines Erzeugnisses in ihr Sortiment von einem positiven Testergebnis abhängig zu machen. Ein Hersteller, der hierauf nicht verweisen kann, verliert oft die Chance, in wesentlichen Vertriebskanälen überhaupt vertreten zu sein452. Noch wichtiger geworden sind in der jüngeren Vergangenheit Bewertungsportale in Internetdiensten. Diese Portale schaffen oftmals erst die für die Inanspruchnahme zum Teil unbekannter Netzdienstleistungen erforderliche Transparenz. Sie ermöglichen es, Informationen über Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit und 443 Grundlegend Borck, WRP 1959, 344; WRP 1963, 149; Hefermehl, GRUR 1962, 611; zur Basis der Stiftung vgl. Rinck, BB 1963, 1027. 444 Vgl. BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 = AfP 2009, 401 = CR 2009, 593 = MDR 2009, 1038 = ITRB 2009, 195 – spickmich.de; Kamp, Personenbewertungsportale, 2011, S. 3; Heckmann, K&R 2010, 1, 3; Gundermann, VuR 2010, 329, jeweils mit Nachweisen zu den diversen Portalen. 445 Zur Gastronomiekritik vgl. insb. BGH v. 12.6.1997 – I ZR 36/95, MDR 1998, 300 = AfP 1997, 909 – Restaurantführer; v. 20.3.1986 – I ZR 13/84, MDR 1987, 27 = NJW 1987, 1082; OLG Düsseldorf v. 15.12.1983 – 2 U 118/82, AfP 1984, 52; OLG Frankfurt v. 25.4.2002 – 16 U 136/01, NJW-RR 2002, 1697 – FINANZtest; OLG Düsseldorf v. 16.6.1982 – 12 O 653/81, AfP 1982, 184; Mathy/Wendt, AfP 1982, 144. 446 BGH v. 1.7.2014 – VI ZR 345/13, BGHZ 201, 380 = AfP 2014, 451 = CR 2014, 597 = MDR 2014, 959 = ITRB 2015, 3 – Ärztebewertungsportal I; v. 23.9.2014 – VI ZR 358/13, BGHZ 202, 242 = AfP 2014, 529 = CR 2015, 116 = MDR 2014, 1388 = IPRB 2015, 28 – Ärztebewertungsportal II. 447 BGH v. 4.4.2017 – VI ZR 123/16, MDR 2017, 880 = CR 2018, 49 = ITRB 2017, 179 = AfP 2017, 316 – klinikbewertungen.de. 448 BGH v. 20.3.1981 – I ZR 10/79, MDR 1981, 992 = NJW 1981, 2304 – Preisvergleich; Brinkmann, WRP 1979, 265; WRP 1981, 445; Weyhenmeyer, WRP 1979, 766; WRP 1981, 499. 449 BVerwG v. 7.12.1995 – 3 C 23/94, NJW 1996, 3161; OLG Brandenburg v. 28.5.2014 – OVG – 5 S 21.14, NVwZ-RR 2014, 843, anders bei schlichtem Informationshandeln vgl. BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91, NJW 2002, 2621 – Glykol; Näheres Kap. 2 Rz. 29, Kap. 10 Rz. 273 ff. 450 Silberer, Diss. Mannheim 1977, S. 177. 451 Zur Werbung mit Testergebnissen vgl. u.a. Brinkmann, BB 1978, 1285; Kessler, DB 1983, 269; Hart/Silberer, GRUR 1983, 691; Schönleber, Die rechtliche Beurteilung neutraler Warentests in der Werbung der Hersteller und Händler, Diss. Bremen 1982. 452 Möhring, MA 1962, 967.
Burkhardt/Peifer 733
Kap. 10 Rz. 74
Sonderfragen
Bonität von künftigen Vertrags- und Leistungspartnern zu vermitteln. Sie begründen und erhöhen dadurch das Vertrauen in Netzgeschäfte und -kontakte. Ohne dieses Vertrauen funktioniert die oft anonyme Netzökonomie nicht453. Auch Dienstleistungen, die Erfahrung bei der Nutzung voraussetzen (Schulen, Universitäten, ärztliche Behandlungen und anwaltliche Beratungen) profitieren davon, dass die Einschätzungen Dritter zugänglich sind. Daraus folgt zugleich die Problematik von Warentests, aber auch Bewertungsportalen. Gelegentlich sehen Hersteller sich gezwungen, nach den Anforderungen der Tester zu produzieren statt nach denen der Verbraucher454, die Reputation und das Vertrauen in Dienstleistungen kann durch Bewertungen oft anonymer Natur in kürzester Zeit sinken. Über Internetdienste viral verbreitete Behauptungen können geschäftliche Werte erheblich schädigen, zum Teil auch vernichten. Gleichwohl werden diese Bewertungen nicht den strengen Regeln unterworfen, die für vergleichende Testberichte gelten. Im Wesentlichen gelten hier die allgemeinen Regeln über die Verbreitung von Äußerungen in den Medien, wonach unwahre Tatsachenbehauptungen und Schmähkritik die Zulässigkeitsgrenzen bestimmen455. 74
Die publizistische Verbreitung von Testberichten und Unternehmensbewertungen dient der Markttransparenz und damit der Verbraucheraufklärung. Mit solchen Berichten werden nicht notwendigerweise Wettbewerbsabsichten verfolgt, sondern Informationsinteressen wahrgenommen456, das ändert sich erst, wenn der Testende nicht mehr neutral ist und gezielt den Wettbewerb des Getesteten fördern möchte457. Gleichwohl war kaum je umstritten, dass die Verbreitung von Testberichten nicht etwa schon von vornherein an wettbewerbsrechtlichen Schranken scheitert458, sondern nach allgemeinen deliktsrechtlichen Regeln der §§ 823, 824 BGB zu beurteilen ist459. Die anfängliche Diskussion um die Zulässigkeit von Testberichten war durch ein anderes Problem beeinflusst, nämlich durch die Grundsätze der Constanze-Entscheidung460. Danach wurden gewerbestörende Werturteile als grundsätzlich unzulässiger Eingriff in das Recht am Unternehmen betrachtet (Näheres Kap. 5 Rz. 128 ff.). Nach den Constanze-Grundsätzen war nicht zu fragen, unter welchen Voraussetzungen jemandem wegen der Verbreitung kritischer Testbehauptungen ein deliktischer Anspruch zusteht, sondern umgekehrt, welche Voraussetzungen zu erfüllen seien, um die Verbreitung des kritischen Berichts zu rechtfertigen. Die Leuchtskalenwaagen-Entscheidung des OLG Stuttgart war insofern bahnbrechend461, als sie die prinzipielle Möglichkeit der Rechtfertigung anerkannt hat462. Die noch von den Constanze-Grundsätzen geprägte Betrachtungsweise kommt deutlich auch in dem grundlegenden Referat von Hefermehl aus dem Jahre 1962 zum Ausdruck463, in dem er zu dem Ergebnis gelangt, dass der öffentliche Warentest das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht verletze, wenn er dem Informationsinteresse der Verbraucherschaft diene, was aber nur der Fall sei, wenn er von 453 454 455 456 457 458 459 460 461 462 463
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Vgl. Dörre/Kochmann, ZUM 2007, 30. Vgl. Jahresbericht der Stiftung 1979, S. 33; Czerwonka/Schöppe, WuW 1981, 165, 175. BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 = NJW 2008, 2110 – Gen-Milch. BGH v. 18.10.1966 – VI ZR 29/65, GRUR 1967, 113 – Warentest I. OLG Frankfurt v. 29.6.2006 – 6 U 103/05, AfP 2007, 49. LG Düsseldorf v. 1.3.1962 – 4 Q 31/62, WRP 1962, 176; LG Köln v. 5.5.1963 – 24 O 98/62, BB 1963, 832; Hefermehl, GRUR 1962, 611. Beyer, Die rechtliche Bewertung von Warentests, 2013; krit. Herrmann, Vergleichende Warentests durch Medien, 2013. BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51, NJW 1952, 660. OLG Stuttgart v. 23.11.1960 – 1 U 99/60, JZ 1961, 380. Anders noch Völp, WuW 1956, 31, 42. Hefermehl, GRUR 1962, 611.
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VII. Waren-, Leistungs- und Preistests
Rz. 76 Kap. 10
neutraler und sachkundiger Stelle durchgeführt und inhaltlich richtig ist und wenn er außerdem den Rahmen sachlicher Kritik nicht überschreitet. Einen wesentlichen Teil der Constanze-Grundsätze hat der BGH mit der Höllenfeuer-Ent- 75 scheidung aufgegeben464. Nach der Höllenfeuer-Entscheidung bedeuten gewerbestörende Werturteile zwar weiter einen Eingriff in das Recht am Unternehmen. Der Eingriff indiziert aber nicht mehr die Rechtswidrigkeit. Nach den inzwischen einmütig anerkannten, vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Höllenfeuer-Grundsätzen lässt sich die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in das Recht am Unternehmen erst aufgrund einer Güter- und Pflichtenabwägung feststellen. Dadurch ist die Voraussetzung dafür geschaffen worden, auch die Zulässigkeit von Testberichten neu zu überdenken465. b) Auffassung des BGH Nach dem Leberwurst-Fall466 hat der BGH im Fall Marken-Skibindungen Gelegenheit erhal- 76 ten, sich mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen des Warentests auseinanderzusetzen467. In dieser Entscheidung geht der BGH davon aus, dass ein Testbericht auch Tatsachenbehauptungen enthalten könne468. In der Regel bewegten sich Testberichte aber im Bereich der Meinungsäußerung469. Das gelte insb. für zusammenfassende Noten wie „noch zufriedenstellend“, „nicht zufriedenstellend“ usw. Damit seien Testbehauptungen i.d.R. nicht unter dem Blickwinkel des § 824 BGB zu beurteilen, sondern unter dem des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB, was eine Güter- und Pflichtenabwägung erforderlich mache470. Ausnahmsweise kann § 824 BGB anzuwenden sein, wenn in Warentests tatsächliche Feststellungen erfolgten, denen im Rahmen des Tests eigenständige Bedeutung zukommt, so dass sie dem Werturteil nicht lediglich als unselbstständige Wertungselemente untergeordnet sind, sondern von dem Durchschnittsleser als Aussage über nachweisbare Fakten und Grundlage für sein eigenes Qualitätsurteil über das getestete Produkt aufgefasst werden471. Das ist insbesondere der Fall, wenn ein Werturteil „mangelhaft“ allein darauf gegründet wird, dass nach den Behauptungen der Tester in einer Schokolade ein chemischer Aromastoff nachgewiesen wurde und daher die Werbung mit natürlichen Aromastoffen als täuschend bezeichnet wird472. Diese Differenzierung ist sinnvoll, denn sie 464 465 466 467 468 469
BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617. Mathy/Wendt, AfP 1982, 144, 146. BGH v. 18.10.1966 – VI ZR 29/65, GRUR 1967, 113 – Warentest I. BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620 – Warentest II. OLG Celle v. 23.7.1964 – 3 U 131/64, NJW 1964, 1804. BGH v. 21.2.1989 – VI ZR 18/88, MDR 1989, 624 = AfP 1989, 538 = GRUR 1989, 539 Rz. 12 – Warentest V; OLG München v. 18.2.2015 – 18 U 2340/14, GRUR-RR 2015, 395, 396; Bofinger, NJW 1965, 1834. 470 Siehe auch BGH v. 10.3.1987 – VI ZR 144/86, MDR 1987, 832 = NJW 1987, 2222, 2223; v. 21.2.1989 – VI ZR 18/88, MDR 1989, 624 = NJW 1989, 1923; v. 12.6.1997 – I ZR 36/95, MDR 1998, 300 = AfP 1997, 909 – Restaurantführer; v. 17.6.1997 – VI ZR 114/96, AfP 1997, 909 – Drucker mit Anschlusskabel; OLG Köln v. 10.5.1994 – 15 U 86/92, AfP 1995, 498 = NJW-RR 1995, 1489; OLG Frankfurt v. 11.1.1996 – 6 W 126/95, NJW 1996, 1146; v. 25.4.2002 – 16 U 136/01, NJW-RR 2002, 1697 – FINANZtest; OLG Karlsruhe v. 25.10.2002 – 14 U 36/02, AfP 2003, 346 = NJW-RR 2003, 177 – ÖKO-Test. 471 BGH v. 21.2.1989 – VI ZR 18/88, MDR 1989, 624 = AfP 1989, 538 = GRUR 1989, 539 – Warentest V, dem folgend OLG Karlsruhe v. 25.3.2009 – 6 U 151/08, NJOZ 2010, 213, 216; LG Frankfurt/M. v. 19.6.2009 – 2/3 O 149/09, GRUR-RR 2010, 83. 472 OLG München v. 9.9.2014 – 18 U 516/14, AfP 2015, 47 m. Anm. Mann.
Burkhardt/Peifer 735
Kap. 10 Rz. 77
Sonderfragen
ermöglicht es, Äußerungen tatsächlichen Charakters, die allzu unbedarft erfolgen, zu kontrollieren. Vor diesem Hintergrund ist die Bewertung einer ärztlichen Leistung rechtsverletzend, wenn dieser Bewertung keine Behandlung zugrunde liegt473. 77
Bei der Güter- und Pflichtenabwägung sei davon auszugehen, dass die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede streitet, wenn es um einen Beitrag zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geht474, was auch auf Testberichte der Stiftung Warentest zutreffe. Der Stiftung Warentest müsse deswegen ein angemessener Spielraum eingeräumt werden. Dies ist grds. auch tragbar, weil sie durch ihre Satzung und die mit vielen Sicherungen versehene Handhabung eine weitgehende Gewähr dafür biete, dass sie auf ordnungsmäßigem Wege zu jedenfalls vertretbaren Wertungen gelange. Im Einzelfall schließt dies eine andere rechtliche Beurteilung nicht aus.
78
Ihre Grenze finde die Äußerungsfreiheit jedenfalls im Bereich der Schmähkritik (dazu Kap. 5 Rz. 97). Im Übrigen sei derjenige, der sich auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung beruft, zu sorgfältiger Prüfung gehalten, ob er mit seiner Äußerung den Boden sachlich nicht gerechtfertigter Kritik verlässt475. Wegen des ihr entgegengebrachten besonderen Vertrauens gelte das für die Stiftung Warentest in besonderem Maße. Somit seien an Testberichte der Stiftung Warentest bestimmte Anforderungen zu stellen, und zwar im Wesentlichen die bis dahin erörterten, nämlich Neutralität, Objektivität und Sachkunde. Allerdings meint der BGH zum Objektivitätserfordernis im Anschluss an Bofinger476, es bedürfe keiner objektiven Richtigkeit, sondern nur des Bemühens darum. Bei Erfüllung dieser Anforderungen stehe nichts entgegen, den der Stiftung Warentest zuzubilligenden angemessenen Spielraum bezüglich der Auswahl der Testobjekte, der Prüfungsmethoden und der Darstellung der Untersuchungsergebnisse in erheblichem Umfang zu bemessen. Die Grenzziehung sei im Wesentlichen eine Frage des Einzelfalles. Abgesehen von bewusst unrichtigen Angaben, Fehlurteilen und Verzerrungen, bei denen die Voraussetzungen für die Anwendung des § 826 BGB erfüllt sein könnten, sei die Grenze der Zulässigkeit erst überschritten, wenn die Art des Vorgehens bei der Prüfung und die aus den Untersuchungen gezogenen Schlüsse nicht mehr vertretbar, d.h. nicht mehr diskutabel seien.
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Der Hinweis des BGH auf die Sondersituation der Stiftung Warentest eröffnet zwei Fragenkreise. Zum einen ist zu klären, ob die Stiftung Warentest ihrerseits Trägerin des Grundrechts aus Art. 5 GG ist. Das ist mit Hinweis auf die Gründung durch die Bundesrepublik Deutschland als Stifter sowie die jährliche Zufinanzierung aus dem Bundeshaushalt bezweifelt worden477. Diese Meinung überzeugt allerdings nicht. Zum einen sind Situationen denkbar, in denen juristische Personen des öffentlichen Rechts einem durch wesenstypische Grundrechte geschützten Lebensbereich zuzuordnen sind, wie dies bei Universitäten als Träger der Wissenschaftsfreiheit oder Rundfunkanstalten als Träger der Rundfunkfreiheit478 der Fall ist. Zum zweiten sind Situationen denkbar, in denen ein Rechtsträger öffentliche Aufgaben er473 BGH v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 = AfP 2016, 253 = MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 Rz. 36 – Ärztebewertungsportal III. 474 BGH v. 21.6.1966 – VI ZR 261/64, NJW 1966, 1617. 475 BGH v. 10.10.1969 – V ZR 155/66, NJW 1970, 187; v. 10.3.1987 – VI ZR 144/86, MDR 1987, 832 = NJW 1987, 2222; v. 21.2.1989 – VI ZR 18/88, MDR 1989, 624 = NJW 1989, 1923; v. 12.6.1997 – I ZR 36/95, MDR 1998, 300 = AfP 1997, 909, 910 – Restaurantführer; v. 17.6.1997 – VI ZR 114/96, AfP 1997, 911 – Drucker mit Anschlussleitung. 476 Bofinger, NJW 1965, 1834. 477 Görisch, JURA 2013, 883, 885; Heyers, AfP 2017, 118. 478 BVerfG v. 2.5.1967 – 1 BvR 578/63, NJW 1967, 1411.
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Burkhardt/Peifer
VII. Waren-, Leistungs- und Preistests
Rz. 79 Kap. 10
füllen soll, die nicht hoheitlicher Natur sind, wie dies bei der Verbraucheraufklärung im Grundsatz anzunehmen ist479. Dieser Gesichtspunkt trägt nicht nur die Annahme einer Grundrechtsträgerschaft von Rundfunkanstalten im Bereich des Art. 5 GG, sondern auch den grundrechtlichen Schutz für die Tätigkeit der Stiftung Warentest innerhalb ihres Funktionsbereichs. Allerdings obliegt die Stiftung wie auch juristische Personen des öffentlichen Rechts im Übrigen besonderen Bindungen an Sachlichkeit, Ausgewogenheit und Neutralität innerhalb dieses Funktionsbereichs480. Auch hier trägt die Parallele zu den Rundfunkanstalten. Die Test-Rechtsprechung hat auch zu der Frage geführt, ob der der Stiftung zugebilligte erhebliche Beurteilungsspielraum anderen Testern in gleicher Weise zuzubilligen ist oder ob private Tester strenger481 oder aber weniger streng zu beurteilen sind482. Die Übernahme der Bindungen der Stiftung Warentest wurde in jüngerer Zeit von der Instanzrechtsprechung insbesondere für die Qualitätsbewertungen von sog. Rating-Agenturen befürwortet, wenn die dort vorgenommene Bewertung auch mit „Detailanalysen“ zu einzelnen Finanzdaten oder Dienstleistungsausstattungen versehen sind483. Auch im Schrifttum ist eine Übernahme der Warentest-Rechtsprechung auf Finanzrating befürwortet worden484. Auch für die Bewertung von Tests im Bereich von Arzneimitteln ist die Übernahme jedenfalls der Transparenzregeln für Warentests empfohlen worden485. Grundsätzlich trägt dies dem Gefahrenpotential solcher Bewertungen Rechnungen, allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Regeln für die Stiftung Warentest aus einem besonderen, staatlich veranlassten Auftrag formuliert wurden. Dieser Auftrag ist bei unaufgeforderten Bewertungen von Unternehmensleistungen nicht in dieser Form vorzufinden oder gesetzlich formuliert. Daher ist eine vollständige Übernahme der Warentest-Rechtsprechung nur mit Vorsicht und Augenmaß vorzunehmen486. Sofern zusammenfassende Testurteile zu Werbezwecken verwendet werden487, liegt darin nicht für sich genommen ein Eingriff in das Recht am Unternehmen durch Kommerzialisierung fremder Leistungen, und zwar auch dann nicht, wenn die Testurteile blickfangartig in die Unternehmenswerbung eingebunden werden488. Allerdings muss die Einbindung in die Werbung die Regeln über Irreführung beachten (§ 5 UWG). Fremdinteressen müssen kenntlich gemacht werden (§ 5a Abs. 6 UWG). Besonders liberale Maßstäbe gelten seit je her für Gourmet-Kritiker489: Da Restaurant-Kritiken einer objektiven Beurteilung weitgehend entzogen sind, gelten die strengen Testgrundsätze für sie nicht490. Gleichwohl sind Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Diese machen es i.d.R. erforderlich, vor der Veröffentlichung einer besonders abwertenden 479 OVG Brandenburg v. 28.5.2014 – OVG – 5 S 21/14, NVwZ-RR 2014, 843. 480 OLG Hamm v. 27.10.2016 – 4 U 22/16, GRUR-RR 2017, 234 Rz. 52; SG Bayreuth v. 11.1.2010 – S 1 P 147/09 ER, SRa 2010, 64 für den medizinischen Dienst der Krankenversicherung MDK. 481 So Schricker, GRUR 1976, 274, 276; Deutsch, JZ 1976, 451, 452; Lachmann, BB 1982, 65, 68. 482 So Assmann/Kübler, Staatliche Verbraucherinformation im Ordnungsgefüge des Privatrechts, 1981, S. 57; Mathy/Wendt, AfP 1982, 144, 148. 483 KG v. 12.5.2006 – 9 U 127/05, VuR 2006, 484. 484 Schultes, Regulierung und Haftung von Ratingagenturen, S. 145 ff.; Däubler, BB 2003, 429, 432; Arntz, BKR 2012, 89, 94. 485 Degenhart, PharmR 2010, 261, 270. 486 Ahrens, FS Ullmann, S. 565, 568. 487 BGH v. 11.3.1982 – I ZR 71/80, MDR 1982, 727 = AfP 1982, 171 = NJW 1982, 1596 – Test gut; v. 10.7.1997 – I ZR 51/95, NJW 1998, 818; Brinkmann, BB 1980, 1008. 488 KG v. 12.11.2015 – 5 W 252/15, WRP 2016, 126 m. Anm. Nieschal, NJW 2016, 385 und Schönewald, WRP 2016, 319. 489 Günther, NJW 2013, 3275, 3276. 490 BGH v. 20.3.1986 – I ZR 13/84, MDR 1987, 27 = AfP 1986, 219 = NJW 1987, 1082 – Gastrokritiker.
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Kap. 10 Rz. 80
Sonderfragen
Kritik mehrere Testbesuche durchzuführen491, also eine Kritik nicht auf ein einzelnen Besuch zu stützen492 und die Kritik nicht ohne ersichtliche Tatsachengrundlage zur formulieren493. c) Stellungnahme 80
Die Diskussion um die Zulässigkeitsvoraussetzungen des vergleichenden Warentests hat maßgeblich das in GRUR 1962, 611 veröffentlichte Referat von Hefermehl geprägt. Im Vergleich dazu hat zwar der BGH die Zulässigkeitsvoraussetzungen erheblich liberalisiert. Erhalten geblieben ist aber eine Betrachtungsweise, nach der Berichte über Waren- und auch Leistungstests im Vergleich zur sonstigen kritisierenden Wirtschaftsberichterstattung einer Sonderbeurteilung bedürfen.
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Diese Betrachtungsweise ist grundsätzlich zu billigen. Die Besonderheit von Testberichten besteht darin, dass ihnen i.d.R. eine Fülle von Erwägungen zumeist recht komplexer Natur zugrunde liegt. Zunächst bedarf es eines Prüfprogramms und der Auswahl der zu prüfenden Marken. Das Prüfprogramm bedarf der Durchführung. Die gefundenen Ergebnisse werden i.d.R. anhand bestimmter Kriterien benotet und gewichtet. Schließlich bedarf der Gesamtvorgang der Umsetzung in einen zwar sachkundigen, aber für den Leser verständlichen Bericht. Damit sind Testberichte mit Stellungnahmen von Gutachtern vergleichbar. Geht man von den Grundsätzen des Schriftsachverständigen-Urteils aus494, liegen Testbehauptungen folglich generell auf der Meinungsebene, wenn man von darin enthaltenen Angaben zu Einzelmerkmalen wie z.B. „Kleine Klemmen, dünne Kabel“ absieht495. Meinungsäußerungen sind, abgesehen vom seltenen Fall der Schmähkritik und sonstigen hier nicht in Betracht kommenden Beschränkungen, grundsätzlich zulässig. Würden für den Waren- und Leistungstest keine Sonderregeln anerkannt, wäre gegenüber Testbehauptungen praktisch überhaupt kein Rechtsschutz möglich. Angesichts der u.U. erheblichen wirtschaftlichen Folgen von Testberichten kann das vor allem insofern nicht richtig sein, als private Testveranstalter dann der Versuchung erliegen könnten, Tests im Vertrauen darauf zu manipulieren, die Manipulation werde nicht nachgewiesen werden können. Es bedarf also einschränkender Grundsätze, bei deren Nichtbeachtung die Verbreitung eines Testberichts unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in das Recht am Unternehmen unzulässig ist, wenn Auswüchse vermieden werden sollen.
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Die Anwendbarkeit der einschränkenden Grundsätze hängt allerdings davon ab, mit welchem Anspruch der Testbericht verbreitet wird. Nicht angängig wäre es, strengere Zulässigkeitserfordernisse nur deswegen Platz greifen zu lassen, weil kritisierende Äußerungen nicht im Fließtext, sondern in Form einer Tabelle gebracht werden. Die bloße Tabellenform besagt noch nicht, das publizierende Blatt habe eingehende Prüfungen angestellt, die belegt werden müssten. Verfehlt wäre ebenso, die vom BGH geforderten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Sachkunde und der Objektivität im Sinne des Bemühens um Richtigkeit dahin zu verkehren, kritische Äußerungen seien, weil es um Testäußerungen geht, obschon richtig oder zu-
491 BGH v. 12.6.1997 – I ZR 36/95, MDR 1998, 300 = AfP 1997, 909, 911 – Restaurantführer; OLG Frankfurt v. 11.1.1996 – 6 W 126/95, NJW 1996, 1146 – „Adel verzichtet“. 492 OLG Köln v. 3.5.2011 – 15 U 194/10, AfP 2011, 489 = IPRB 2011, 247 = ZUM 2012, 493 m. Anm. Grohmann, GRUR-Prax. 2011, 330. 493 AG Hamburg v. 18.8.2011 – 35a C 148/11, BeckRS 2011, 23870 = MMR-Aktuell 2012, 334342. 494 BGH v. 18.10.1977 – VI ZR 171/76, NJW 1978, 751. 495 BGH v. 21.2.1989 – VI ZR 18/88, MDR 1989, 624 = AfP 1989, 538 = NJW 1989, 1923.
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Burkhardt/Peifer
VII. Waren-, Leistungs- und Preistests
Rz. 84 Kap. 10
mindest vertretbar, dennoch unzulässig, weil dem Tester vermeintlich erforderliche persönliche Eigenschaften fehlten. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Testberichte als Sonderform der kritisierenden 83 Wirtschaftsberichterstattung aufzufassen sind, die spezieller Beurteilung bedarf. Der Leitgedanke dieser Beurteilung kann nur sein, dass auch insoweit von der grundsätzlichen Äußerungsfreiheit auszugehen ist. Auch wenn mit dem Test keine Wettbewerbsabsichten verfolgt werden, muss aber den Unternehmen, deren Erzeugnisse am Test beteiligt, eventuell auch denen, deren Erzeugnisse zu Unrecht nicht beteiligt sind, Rechtsschutz gewährt werden, wenn der Testbericht jenseits des Beurteilungsspielraums liegt, der dem Tester unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Äußerungsfreiheit angesichts der konkreten Situation zuzubilligen ist. Sofern Konkurrenten einander bewerten, gelten die besonderen Regeln des § 6 UWG, wonach insb. nur Produkte für denselben Bedarf und für den Abnehmer relevante Eigenschaften miteinander verglichen werden dürfen. Für herabsetzende Werturteile gegenüber Konkurrenten ist danach nur eingeschränkt Raum, allerdings sind die Gerichte hier mehr als in der Vergangenheit bereit, auch solche Werturteile unter die Äußerungsfreiheit von Unternehmen zu fassen, wenn die tatsächlichen Grundlagen einer Bewertung für den Nutzer in einfacher Weise überprüfbar sind496 oder wenn sie in humorvoller Weise erfolgt und der Rezipient die darin enthaltenen Spitzen in dem humorvollen Sinne auch versteht497. Die vom BGH entwickelten Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Warentests, genauer 84 für die Veröffentlichung von Berichten über Warentests, haben zu der Frage geführt, was in diesem Zusammenhang als „Test“ anzusehen ist. Allgemein wird man darunter einen evtl. in eine Benotung einmündenden Bericht zu verstehen haben, dem ein geordnetes Prüfverfahren zugrunde liegt, bzw. einen Bericht, der einen solchen Anschein vermittelt. Nach Auffassung des OLG München sind die für den Warentest entwickelten Grundsätze auf andere Produktbeurteilungen entsprechend anzuwenden, z.B. auf ein „Handbuch zur kritischen Auswahl von Baumaterialien“498. Insbesondere ist Neutralität und Objektivität zu fordern499. Das sollte auch für Ranglisten über Ärzte, Steuerberater oder Rechtsanwälte gelten, die jedenfalls unabhängig sein und Interessenkollisionen offenlegen müssen500, im Übrigen aber zulässige Meinungsäußerungen sind501. Ähnliches gilt für einfache Bewertungen, wie sie auf Internetportalen stattfinden. Auch für sie gelten nur die Regeln, die für Einzeläußerungen auch sonst Anwendung finden502. Das eigentliche Problemfeld stellen dabei allerdings oft nicht die Nutzeräußerungen dar, sondern die Verbreitungsmacht, welche diese Äußerungen über große gebündelte Portale erreichen können. Auf die Betreiber dieser Portale wird man zwar nicht die Regeln über die Stiftung Warentest anwenden können, wohl aber müssen Management- und Organisationspflichten greifen, die auch sonst für Intermediäre in Internetdiensten (sog. Provider) gelten (dazu Rz. 207 ff.). 496 OLG München v. 15.11.2005 – 18 U 4393/05, NJW-RR 2006, 1131. 497 BGH v. 1.10.2009 – I ZR 134/07, MDR 2010, 337 = IPRB 2010, 52 = AfP 2010, 56 – Gib’ mal Zeitung. 498 OLG München v. 15.5.1987 – 21 U 1588/87, AfP 1988, 243. 499 OLG Koblenz v. 18.4.1988 – 6 U 177/88, AfP 1988, 356; OLG Frankfurt v. 25.4.2002 – 16 U 136/01, NJW-RR 2002, 1697 – FINANZtest. 500 BGH v. 30.4.1997 – I ZR 154/95, MDR 1997, 1144 = CR 1997, 691 = AfP 1997, 797 – Die 500 besten Anwälte; v. 30.4.1997 – I ZR 196/94, MDR 1997, 1143 = AfP 1997, 795 – Die 500 besten Ärzte; LG München I v. 24.10.2007 – 1 HK O 17240/07, MMR 2008, 491; KG v. 22.11.2015 – 5 W 252/15, MDR 2016, 158 = WRP 2016, 126. 501 BVerfG v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02, AfP 2002, 419 = WRP 2003, 69 – JUVE-Handbuch. 502 BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 = NJW 2008, 2110 – Gen-Milch.
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Kap. 10 Rz. 85
Sonderfragen
2. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen a) Neutralität 85
Kritische Darstellungen über wirtschaftliche Leistungen sind als Folge der Äußerungsfreiheit grundsätzlich zulässig. Wer sich am Wirtschaftsleben beteiligt, muss sich der Kritik stellen503. Auch vergleichende Darstellungen sind grundsätzlich zulässig504. Unzulässig kann eine solche Darstellung aber unter dem Blickwinkel des Wettbewerbsrechts und des Eingriffs in das Recht am Unternehmen sein, wenn sie einen falschen Anschein vermittelt. Das ist der Fall, wenn eine vergleichende Gegenüberstellung von Testergebnissen den Anschein vermittelt, der Test sei neutral durchgeführt worden, also unbeeinflusst von wirtschaftlichen oder sonstigen Interessen, die außerhalb der Testobjekte selbst liegen, wenn das aber in Wirklichkeit nicht zutrifft. Dann wird der Leser getäuscht, so dass die Verbreitung auch unzulässig ist, wenn sie inhaltlich zutreffen sollte, und zwar sowohl nach § 5 UWG wie auch nach § 823 Abs. 1 BGB505.
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Sind Bindungen irgendwelcher Art vorhanden und werden sie offengelegt, so dass ein falscher Anschein vermieden wird, stehen sie der Verbreitung nicht schon für sich betrachtet entgegen506. Z.B. ist es zulässig, Zeitschriften, Filme usw. unter konfessionellen Gesichtspunkten zu beurteilen, Lebensmittel daraufhin zu prüfen, ob sie für Diabetiker geeignet sind, usw. Auch die Verbreitung eines Tests, der im Auftrag eines Wettbewerbers durchgeführt worden ist, kann zulässig sein, wenn das Auftragsverhältnis genügend deutlich wird. Es gelten dann die Grundsätze der Gutachtenwerbung507. Sogar reine Werbevergleiche sind zulässig, wenn der Werbende hinreichenden Anlass zu kritischer Befassung mit der Ware oder Leistung des Mitbewerbers hatte und seine Kritik sich nach Art und Maß im Rahmen des Erforderlichen hält, sei es unter dem Gesichtspunkt der Notwehr, der wettbewerblichen Abwehr oder der Wahrnehmung eines berechtigten Interesses508.
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Ob Bindungen vorhanden sind, die die Verbreitung mangels Offenlegung unzulässig machen, ist weitgehend eine Frage des Einzelfalles. Aus der bloßen Unrichtigkeit von Testbehauptungen lässt sich noch nicht auf Wettbewerbsabsichten schließen509. Die fehlerhafte Anlage eines Tests kann aber als Indiz für die Feststellung der Wettbewerbsabsicht herangezogen werden510. Die Tatsache, dass eine Testzeitschrift Inserate testbeteiligter Firmen veröffentlicht, begründet ebenfalls noch keine Vermutung für fehlende Neutralität511. Aus dem Verkauf der Testzeitschrift in großen Stückzahlen an solche Unternehmen, die in Tests güns-
503 BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, NJW 1970, 187 – Hormoncreme. 504 BGH v. 18.10.1966 – VI ZR 29/65, GRUR 1967, 113 – Warentest I. 505 BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620 – Warentest II; OLG München v. 23.5.1996 – 29 U 5889/95, NJW-RR 1997, 1330; OLG Karlsruhe v. 25.10.2002 – 14 U 36/02, AfP 2003, 346 = NJW-RR 2003, 177 – ÖKOTest; Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 6 UWG Rz. 198. 506 OLG Hamburg v. 6.5.1959 – 3 U 219/58, NJW 1959, 1784; offengelassen in OLG München v. 23.5.1996 – 29 U 5889/95, NJW-RR 1997, 1330; Fezer, GRUR 1976, 472, 476. 507 BGH v. 17.11.1960 – I ZR 78/59, GRUR 1961, 189 – Rippenstreckmetall; v. 7.6.1967 – Ib ZR 34/65, GRUR 1968, 382 – Favorit II; Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 5 UWG Rz. 1.162. 508 BGH v. 14.7.1961 – I ZR 40/60, NJW 1961, 1916 – Betonzusatzmittel. 509 OLG Frankfurt v. 29.6.2006 – 6 U 103/05, AfP 2007, 49; Brinkmann, WRP 1979, 265; a.A. OLG Hamburg v. 30.11.1978 – 3 U 109/78, WRP 1979, 68. 510 BGH v. 20.3.1981 – I ZR 10/79, MDR 1981, 992 = NJW 1981, 2304 – Preisvergleich; KG v. 24.11.1978 – 5 W 1442/78, WRP 1979, 202, 204. 511 Rinck, BB 1963, 1027, 1029; zur Anzeigenfrei-Werbung der Stiftung Warentest vgl. OLG Düsseldorf v. 17.8.1976 – 2 U 130/75, GRUR 1977, 164.
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Burkhardt/Peifer
VII. Waren-, Leistungs- und Preistests
Rz. 89 Kap. 10
tig beurteilt worden sind, ergibt sich ebenso noch keine Wettbewerbsabsicht512. Hat ein Hersteller 30 000 Exemplare der Ausgabe einer Testzeitschrift erworben, in der einer seiner Wettbewerber kritisiert wird, reicht das nach Auffassung des OLG Stuttgart zur Annahme einer Wettbewerbsabsicht der Zeitschrift auch dann nicht aus513, wenn in der Redaktionskonferenz über den kritisierten Wettbewerber gesagt worden ist „Den machen wir so fertig, dass ihn kein Hund mehr anpisst.“ Anders kann es sich verhalten, wenn die Hefte schon vor dem Test bestellt waren. Übt der Tester mehrere Funktionen aus, z.B. nicht nur als Gastrokritiker, sondern auch als 88 Weinhändler, ist das zwar ein Beweisanzeichen. Für sich allein reicht es aber nicht für die Annahme der Absicht aus, mit der journalistischen Kritikertätigkeit habe er den Weinabsatz fördern wollen. I.d.R. bedarf es der Feststellung, dass die Veröffentlichung gezielt zur Förderung des eigenen Absatzes erfolgt ist. Dafür kann z.B. die Schärfe der Kritik sprechen, wenn sie unüblich ist514. Die Veröffentlichung eines Getreidemühlentestes ohne weiteres als unzulässig zu erklären, weil der Zeitschriftenverleger auch selbst eine Getreidemühle vertreibt515, ist bedenklich516. Von Bedeutung kann auch sein, welches Gewicht die wirtschaftlichen Aspekte haben, die den Testveranstalter mit dem Test verbinden517. Bei Verbänden kommt es auch auf die satzungsmäßige Aufgabenstellung an. Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände ist als neutral anzusehen518. Würde der ADAC einen Test von Kfz-Zubehörteilen durchführen, obschon er solche Artikel in seinen Geschäftsstellen vertreibt, wäre das wahrscheinlich ebenfalls unbedenklich519. Soweit für die Durchführung des Tests Lizenzvereinbarungen getroffen wurden, folgt daraus zwar noch nicht zwangsläufig eine Beeinträchtigung der Neutralität des Testers520, gleichwohl besteht die Gefahr, dass der Tester geschäftliche Anreize hat, die sich auf die Unabhängigkeit seiner Prüfung auswirken521. Personelle oder wirtschaftliche Verflechtungen mit einem für die Erstellung einer Rangliste verantwortlichenden Testinstitut deuten auf fehlende Neutralität hin522. Um diesen Anschein zu neutralisieren, sollte jedenfalls auf die Neutralität beeinflussende Umstände hingewiesen werden (arg. ex § 5a Abs. 6 UWG). Auch wenn ein Testveranstalter Prüfeinrichtungen eines am Test beteiligten Herstellers in 89 Anspruch nimmt, hängt es von den Umständen ab, ob das die Neutralität des Tests beeinträchtigt. Z.B. dürfte kaum etwas dagegen einzuwenden sein, dass ein Autotester die Teststrecke von DaimlerChrysler in Anspruch nimmt, wenn ihm eine vergleichbare Strecke nicht zur Verfügung steht. Anders kann es sich verhalten, wenn ein Testveranstalter für einen vergleichenden Test Prüfinstrumente eines testbeteiligten Herstellers benutzt, speziell wenn dessen Erzeugnisse auf diese Prüfinstrumente ausgerichtet sind, die anderen nicht523. 512 LG Düsseldorf v. 9.9.1964 – 4b Q 159/64, WRP 1965, 144. 513 OLG Stuttgart v. 26.6.1963 – 4 U 45/63, Ufita 40 (1963), 209 – Uhren Weiß. 514 BGH v. 20.3.1986 – I ZR 13/84, MDR 1987, 27 = AfP 1986, 219 = NJW 1987, 1082 – GastroKritiker; vgl. die Vorentscheidungen LG Düsseldorf v. 16.6.1982 – 12 O 653/81, AfP 1982, 184 und OLG Düsseldorf v. 15.12.1983 – 2 U 118/82, AfP 1984, 52. 515 So OLG Hamm v. 13.12.1979 – 4 U 236/79, WRP 1980, 281. 516 Vgl. Tagungsbericht Wenzel, AfP 1984, 211. 517 Ähnlich LG Köln v. 15.5.1963 – 24 O 98/62, BB 1963, 832. 518 LG Köln v. 15.5.1963 – 24 O 98/62, BB 1963, 832. 519 Vgl. OLG Düsseldorf v. 25.6.1981 – 2 U 23/81, BB 1982, 62. 520 KG v. 22.11.2015 – 5 W 252/15, MDR 2016, 158 = WRP 2016, 126. 521 Nieschalk, NJ 2016, 383, 386. 522 LG München I v. 24.10.2007 – 1 HK O 17240/07, MMR 2008, 491. 523 Ebenso OLG München v. 23.5.1996 – 29 U 5889/95, NJW-RR 1997, 1330.
Burkhardt/Peifer 741
Kap. 10 Rz. 90 90
Sonderfragen
Bei der Neutralitätsprüfung geht es richtiger Auffassung nach nicht darum, ob die Neutralität des Testers tatsächlich beeinträchtigt ist. Ebenso wie bei der Befangenheitsprüfung eines Richters muss es ausreichen, dass ein unbefangener Dritter die Neutralität aufgrund bestimmter Umstände bei deren vernünftiger Betrachtung als beeinträchtigt ansehen kann. Deswegen ist die Neutralität auch zu verneinen, wenn solche Umstände wie z.B. Sponsorzahlungen oder die Inanspruchnahme von Testeinrichtungen vorliegen, der Tester diese aber verheimlicht, auch wenn der Test davon tatsächlich unbeeinflusst geblieben ist524. b) Sachkunde
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Die Zulässigkeit eines vergleichenden Tests setzt weiter eine sachkundige Durchführung voraus. Das bedeutet nicht, die Veranstaltung und Verbreitung vergleichender Tests erfordere eine bestimmte Ausbildung. Insbesondere lässt sich aus dem Sachkundeerfordernis nicht etwa ableiten, trotz zutreffenden Ergebnisses sei die Veröffentlichung eines Testberichts schon deswegen unzulässig, weil der Tester angesichts persönlicher Eigenschaften nicht ausreichend qualifiziert sei. Andererseits lassen sich aber Fehlschlüsse nicht mit dem Argument rechtfertigen, dem Tester hätten Kenntnisse und Erfahrungen gefehlt. Werden technisch komplizierte Geräte getestet, wird der Einsatz von Fachleuten i.d.R. unverzichtbar sein. Nicht sachkundig ist ein unter der Schlagzeile „Zähne putzen genügt – Führerschein futsch“ gebrachter Bericht über einen Test, der sich darin erschöpft hat, dass ein Reporter sich die Zähne mit einer Alkoholzahncreme geputzt und unmittelbar danach in ein Alkoholteströhrchen geblasen hat, obschon der entstellende Einfluss des Mundalkohols bereits nach etwa 15 Minuten geschwunden ist525.
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Sachgerecht ist ein Test nur, wenn den aufgestellten Behauptungen und Wertungen die dazu erforderlichen Tatsachenfeststellungen zugrunde liegen526. I.d.R. wird es der Entwicklung und Durchführung eines Prüfungsprogramms bedürfen. Welche Grundsätze hierfür maßgeblich sein sollten, ergibt sich aus der DIN 66054 (vgl. Rz. 102 ff.). Dieses Programm mit der Herstellerseite oder mit einem geeigneten Fachkollegium abzustimmen, wie das seitens der Stiftung Warentest geschieht, ist zumindest zweckmäßig. Dadurch lassen sich Fehler bei der Anlage des Tests vermeiden. Jedenfalls wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, der Test werde nicht sachgerecht durchgeführt werden, z.B. weil vorangegangene Tests nicht sachgerecht waren, sollte Herstellern ein Anspruch gegen den Testveranstalter zuerkannt werden, es zu unterlassen, ihre Erzeugnisse in den Tests einzubeziehen, wenn die Bekanntgabe des Testprogramms vor der Durchführung des Tests verweigert wird.
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Auch die Durchführung des Tests muss sachkundig erfolgen. Verfügt der Testveranstalter nicht über ausreichende eigene Prüfeinrichtungen, muss er geeignete Institute beauftragen, z.B. die BAM, den TÜV oder dgl.527. Eine an sich erforderliche Dauerprüfung durch eine Umfrage zu ersetzen, z.B. Kfz-Besitzer schriftlich zu befragen, ob von ihnen benutzte Schlauchlosreifen Risse aufweisen, ist wegen der damit verbundenen Unsicherheiten problematisch. Das OLG Düsseldorf hat diese Prüfmethode zwar als noch zulässig bezeichnet528, aber darauf 524 OLG München v. 23.5.1996 – 29 U 5889/95, NJW-RR 1997, 1330. 525 BGH v. 15.11.1977 – VI ZR 101/76, NJW 1978, 210. 526 BGH v. 17.6.1997 – VI ZR 114/96, AfP 1997, 911, 913 – Drucker mit Anschlussleitung; OLG Stuttgart v. 30.1.1964 – 2 U 175/63, NJW 1964, 595; OLG Düsseldorf v. 25.6.1981 – 2 U 23/81, BB 1982, 62. 527 Vgl. OLG München v. 23.5.1996 – 29 U 5889/95, NJW-RR 1997, 1330, 1331. 528 OLG Düsseldorf v. 25.6.1981 – 2 U 23/81, BB 1982, 62.
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Burkhardt/Peifer
VII. Waren-, Leistungs- und Preistests
Rz. 95 Kap. 10
hingewiesen, dass zwischen der Angemessenheit und Zuverlässigkeit der Prüfmethode einerseits und den daraus gezogenen Folgerungen andererseits eine Wechselwirkung besteht, weswegen die abschließende Bewertung um so zurückhaltender zu sein habe, je unsicherer die Prüfmethode ist. Als unzulässig hat es das OLG Düsseldorf bezeichnet, eine bestimmte Schlauchlosmarke aufgrund einer bloßen Umfrage als „Sicherheitsrisiko“ zu bezeichnen. c) Objektivität und Richtigkeit Auch wenn ein Test von sachfremden Interessen unbeeinflusst geblieben und sachkundig 94 durchgeführt worden ist, nutzt er dem Verbraucher nichts, wenn seine Ergebnisse trotzdem falsch sind. Deswegen fordert der BGH als dritte Voraussetzung für die Zulässigkeit der Verbreitung Objektivität. Allerdings stehe nicht die objektive Richtigkeit eines gewonnenen Testergebnisses im Vordergrund, sondern das Bemühen darum. Der BGH versteht also das Merkmal der Objektivität im Sinne des Bemühens um Richtigkeit529. Er räumt dem Tester einen erheblichen Ermessenfreiraum bei der Darstellung seiner Ergebnisse ein530. Obschon die h.M. dieser Auffassung gefolgt ist, lassen sich dennoch Bedenken anmelden. 95 Das Bemühen um Richtigkeit wird zwar im Zweifel die Verneinung der Verschuldensvoraussetzungen zur Folge haben, so dass der Ersatzanspruch entfällt. Zutreffend hat der BGH beim Ersatzanspruch Messfehler unbeachtet gelassen, weil sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben hatten, dass der Tester sie bei der gebotenen Sorgfalt entdecken konnte531. Trotz objektiver Fehler dieser Art oder einer fehlerhaften Anlage des Tests auch den Anspruch auf Unterlassung und Berichtigung nur deswegen zu versagen, weil der Tester sich (erfolglos) um Richtigkeit bemüht hat, erscheint nicht gerechtfertigt. Warentests sollen der Markttransparenz und der Verbraucheraufklärung dienen. Falsche Testergebnisse sind dazu ungeeignet. Sie stiften im Gegenteil Verwirrung. Inwiefern es notwendig sein soll, den dadurch betroffenen Herstellern jeden Rechtsschutz zu verweigern, ist nicht zu erkennen532. Mit Recht geht auch der BGH davon aus533, dass eine ordnungsgemäße Recherche die Erstveröffentlichung rechtfertigen kann, einem Verbot der Weiterverbreitung aber nicht entgegensteht. Soweit der BGH meint, die konkret nachzuweisende Erstbegehungsgefahr sei schon dann nicht festzustellen, wenn in einer nachfolgenden Ausgabe der Test-Zeitschrift eine Korrektur enthalten war534, kann dem nur eingeschränkt gefolgt werden. Im Gegensatz zu anderen Publikationen werden Test-Zeitschriften auch noch einige Zeit nach ihrem Erscheinen von Verbrauchern gezielt bestellt. Dies gilt insbesondere für die Zeitschriften der Stiftung Warentest. Ob insoweit tatsächlich sichergestellt ist, dass einem Besteller eines Testberichts auch die in einem nachfolgenden Heft veröffentlichte Korrektur übersandt wird, erscheint eher zweifelhaft. In diesen Fällen ist daher i.d.R. vom Vorliegen einer Erstbegehungsgefahr, die ein entsprechendes Verbot rechtfertigt, auszugehen. Evtl. genügt ein eingeschränktes Verbot, wodurch der Tester verpflichtet wird,
529 BGH v. 9.2.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620, 622; v. 10.3.1987 – VI ZR 144/86, MDR 1987, 832 = AfP 1987, 504 = NJW 1987, 2222 – Komposthäcksler. 530 BGH v. 10.3.1987 – VI ZR 144/86, MDR 1987, 832 = NJW 1987, 2222; v. 17.6.1997 – VI ZR 114/96, AfP 1997, 911, 912 – Drucker mit Anschlussleitung; ebenso OLG Frankfurt v. 25.4.2002 – 16 U 136/01, NJW-RR 2002, 1697 – FINANZtest; OLG Karlsruhe v. 25.10.2002 – 14 U 36/02, AfP 2003, 346 = NJW-RR 2003, 177 – ÖKO-Test. 531 BGH v. 9.2.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620, 624. 532 Deutsch, JZ 1976, 452. 533 BGH v. 21.2.1989 – VI ZR 18/88, MDR 1989, 624 = AfP 1989, 538 = NJW 1989, 1923, 1924. 534 BGH v. 17.6.1997 – VI ZR 114/96, AfP 1997, 911, 913 – Drucker mit Anschlussleitung.
Burkhardt/Peifer 743
Kap. 10 Rz. 96
Sonderfragen
das Testheft mit dem unzulässigen Bericht nicht ohne eine ausdrückliche Richtigstellung zu verbreiten. 96
Richtig ist allerdings, dass zu der Frage, wie ein Test angelegt und durchgeführt werden sollte, i.d.R. sehr unterschiedliche Auffassungen möglich sind. Das ist schon insofern der Fall, als nicht immer eindeutig ist, welche Verbraucherwünsche die getesteten Produkte erfüllen sollen. Z.B. stellt ein Rennläufer an eine Skibindung andere Anforderungen als ein Anfänger. Die eine Sicherheitsbindung hat Vorteile bei vereister Piste, die andere bei Tiefschnee. Eine dritte mag alle denkbaren Vorteile in sich vereinigen, eventuell ist sie aber störanfällig. Das alles ist die Folge der Regel, dass sich ein Vorteil auf der einen im Zweifel nur durch einen Nachteil auf der anderen Seite erkaufen lässt. Deswegen sind Hersteller zu Kompromissen gezwungen. Der gleichen Notwendigkeit ist ein Tester bei der Anlage des Tests ausgesetzt, wenn er eine Mehrzahl von Produkten nach gleichem Schema beurteilen will. Der Tester geht von einer bestimmten Verbrauchererwartung aus, etwa was die Leistungsfähigkeit in dieser oder jener Hinsicht, die Handlichkeit, die Lebensdauer usw. und was die Bedeutung betrifft, die diese Kriterien im Verhältnis zueinander haben. Am besten wird der Hersteller abschneiden, dessen Erzeugnis den Vorstellungen des Testers am meisten entspricht. Darüber ob diese Vorstellungen und damit auch die daraus resultierende Benotung „richtig“ sind, lässt sich i.d.R. streiten. Entsprechendes gilt für die Durchführung des Tests, z.B. ob einem Praxistest trotz der damit notwendig verbundenen subjektiven Einflüsse der Vorzug zu geben ist oder einer Laboruntersuchung, die den Nachteil hat, der wirklichen Nutzung nur angenähert zu sein.
97
Weil jeder Tester zwangsläufig vor Problemen dieser Art steht, muss ihm ein ausreichender Beurteilungsspielraum eingeräumt werden, und zwar sowohl hinsichtlich der Anlage wie auch bezüglich der Durchführung des Tests535. Das Gericht darf weder die Meinung des Herstellers noch die des Testers verabsolutieren. Es hat, ggf. unter Heranziehung von Sachverständigen, eine Richtigkeitskontrolle in der Weise durchzuführen, dass es feststellt, ob Anlage und Durchführung des Tests noch innerhalb des dem Tester zuzubilligenden Beurteilungsspielraumes liegen oder ob Anlage und/oder Durchführung bei objektiver Betrachtung nicht mehr vertretbar bzw., wie der BGH formuliert, nicht mehr diskutabel sind536.
98
Eine gerichtliche Richtigkeitskontrolle in absoluter Hinsicht ist möglich und erforderlich. Die absolute Richtigkeitskontrolle bezieht sich auf die Notwendigkeit, geeignete Prüfkriterien festzulegen und die Prüfungen in vertretbarer Weise durchzuführen. Verfehlt wäre es z.B., beim Test von Abschleppseilen allein auf die Reißfestigkeit abzustellen und ohne Zusatzerwägungen dem Seil mit der höchsten Reißfestigkeit die beste Testnote zu geben, obschon bei einem Seil, dessen Reißfestigkeit die des Pkw übersteigt, im Notfall statt des Seils Teile des Pkw reißen, so dass es mehr schadet als nutzt. Beim Test von Zigaretten kann, was die Schädlichkeit anlangt, nicht allein auf den Nikotingehalt abgestellt werden, weil schädlich vor allem der Teer ist und der Teergehalt zum Nikotingehalt nicht in fester Relation steht. In Zweifelsfällen kann die Sorgfaltspflicht dem Tester gebieten, sich mit dem Hersteller bzw. dem zuständigen Verband in Verbindung zu setzen (vgl. Rz. 92). Sind mehrere Testmethoden möglich, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, kann ein Hinweis darauf erforderlich sein. Die Ar-
535 So auch OLG Frankfurt v. 24.1.1974 – 6 U 51/73, WRP 1974, 212, 214 – Varta-Führer; v. 25.4.2002 – 16 U 136/01, NJW-RR 2002, 1697 – FINANZtest; OLG Karlsruhe v. 25.10.2002 – 14 U 36/02, AfP 2003, 346 = NJW-RR 2003, 177 – ÖKO-Test. 536 BGH v. 10.3.1987 – VI ZR 144/86, MDR 1987, 832 = AfP 1987, 504 = NJW 1987, 2222, 2223; vgl. Brinkmann, WRP 1979, 265.
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Burkhardt/Peifer
VII. Waren-, Leistungs- und Preistests
Rz. 101 Kap. 10
rondissements Rechtbank te’s Gravenhage hat einen Zigarettentest für unzulässig erklärt537, weil der Veranstalter die Möglichkeit einer anderen Testmethode verschwiegen hatte. Die Notwendigkeit einer Richtigkeitskontrolle erkennt auch der BGH an. Allerdings habe sie das Wertungsermessen des Testers grundsätzlich zu respektieren. Nur offensichtlich unrichtige Ergebnisse ließen sich mit rechtlichen Mitteln korrigieren538. Darüber hinaus muss eine Richtigkeitskontrolle in relativer Hinsicht als zulässig anerkannt 99 werden. Sie bezieht sich auf die Frage, ob und in welcher Weise bestimmte Marken vergleichend einander gegenübergestellt werden dürfen. Z.B. hat der BGH es als unzulässig bezeichnet539, einen preiswerten Konfektionsmantel unter Nennung des Herstellers im Vergleich mit französischen Mantelmodellen negativ zu kritisieren, den Preisunterschied aber unerwähnt zu lassen540. Außerdem bezieht sich die relative Richtigkeitskontrolle auf die Frage, ob die am Test beteiligten Marken im Verhältnis zueinander in vertretbarer Weise platziert sind. Der BGH vertritt entgegen dem Vorstehenden die Auffassung541, die zu günstige Bewertung 100 von Konkurrenzprodukten beeinträchtige zwar die Absatzchancen; das sei aber lediglich eine Reflexwirkung, die nicht ausreiche, eine solche Bewertung außerhalb eines Wettbewerbsverhältnisses zu verbieten. Die positive Herausstellung von Konkurrenzerzeugnissen sei nicht in dem Sinne betriebsbezogen, wie das in notwendiger Eingrenzung des Rechts am Gewerbebetrieb zu fordern sei542. Dem ist beizupflichten, sofern die zu günstige Platzierung von Wettbewerbern noch vertretbar ist. Unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in das Recht am Unternehmen ist eine Fehlplatzierung aber auch außerhalb eines Wettbewerbsverhältnisses angreifbar, wenn sie unvertretbar ist, z.B. wenn sie auf einer falschen Addition der für die Einzelprüfungen vergebenen Punkte beruht oder darauf, dass einem Hersteller die Möglichkeit gegeben worden ist, ein verbessertes Erzeugnis nachzuschieben, den anderen nicht. Mit Recht hat das LG Stuttgart die Verbreitung eines Tests untersagt543, weil die Platzierung dadurch beeinflusst war, dass der Testveranstalter die von ihm selbst aufgestellten Bedingungen nicht eingehalten hatte. 3. Testanforderungen im Einzelnen Äußerungsrechtlich ist nicht der Test als solcher erheblich, sondern nur, was dazu behauptet 101 wird, d.h. der Testbericht. Unzulässig wäre, zu der tatsächlichen Testdurchführung falsche Vorstellungen zu vermitteln. Daher muss auch über gesetzliche Vorgaben, die das getestete Produkt erläutern, aufgeklärt werden, etwa darüber, dass natürliches Erdbeeraroma nach den gesetzlichen Vorgaben auch zu einem bestimmten Anteil aus nicht natürlichen Zutaten bestehen dürfen544. Die getesteten Waren dürfen nicht für die Durchführung des Tests ver-
537 GRUR Ausl 1962, 511. 538 BGH v. 10.3.1987 – VI ZR 144/86, MDR 1987, 832 = AfP 1987, 504 = NJW 1987, 2222 – Komposthäcksler. 539 BGH v. 18.12.1962 – VI ZR 220/61, NJW 1963, 484 – Maris. 540 Ähnlich LG Düsseldorf v. 1.3.1962 – 4 Q 31-32/62, GRUR 1962, 364 – Anzugtest; vgl. Völp, WRP 1963, 115; Bollack, NJW 1963, 986; Schultz, NJW 1963, 1801; ferner BGH v. 10.3.1987 – VI ZR 144/86, MDR 1987, 832 = AfP 1987, 504 = NJW 1987, 2222 – Komposthäcksler. 541 BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620, 624; ebenso OLG Frankfurt v. 25.4.2002 – 16 U 136/01, NJW-RR 2002, 1697, 1698 – FINANZtest. 542 Vgl. BGH v. 9.12.1958 – VI ZR 199/57, NJW 1959, 479 und Kap. 5 Rz. 142 ff. 543 LG Stuttgart v. 2.11.1984 – 17 O 368/84, n.v. 544 OLG Düsseldorf v. 21.3.2012 – I-15 U 173/11, GRUR-RR 2012, 297.
Burkhardt/Peifer 745
Kap. 10 Rz. 102
Sonderfragen
ändert werden545. Der Bericht darf weder ausdrücklich noch stillschweigend einen Vollständigkeits- oder Richtigkeitsanspruch erheben, der der Wirklichkeit nicht entspricht. Unzulässig ist die Erweckung des Eindrucks, in Lebensmitteln einen chemischen Stoff nachgewiesen zu haben, wenn dies nicht erhärtet werden kann, den Tester trifft für die Durchführung einer solchen Untersuchung eine sekundäre Darlegungslast jedenfalls dann, wenn das Gesamturteil auf diesen Nachweis gestützt und darauf hin eine mangelhafte Bewertung vergeben wird546. Unzulässig ist z.B., im Bericht über einen Test willkürlich ausgewählter Restaurants zu behaupten, für die meisten nicht getesteten gelte, dass man dort zwangsläufig enttäuscht werde547. Auch herabsetzende Tatsachenbehauptungen über ein Weingut, deren aktuelle Weine nicht Gegenstand eines Tests waren, sind unzulässig548. Üblicherweise vermitteln Testberichte die Vorstellung, dem vergleichenden Test seien alle erwähnenswerten Marken und Typen neutral, sachkundig und objektiv unterzogen worden. Das ist insbesondere bei Tests der Stiftung der Fall. Da diese Vorstellung üblicherweise vermittelt wird, sind die Voraussetzungen von Bedeutung, die erfüllt sein müssen, um eine solche Darstellung zu rechtfertigen. Hierzu geben die nachfolgend unter Rz. 102 ff. erwähnten DIN 66052 und 66054 wertvolle Hinweise. Unabhängig davon sind sonstige Grundsätze entwickelt worden. a) DIN 66052 und 66054 – Warentest 102
Nach der Definition der DIN 66052 ist der Warentest die Prüfung und Bewertung der für die Gebrauchstauglichkeit maßgebenden Eigenschaften von Waren, die ihrer Herkunft nach bestimmbar sind. Zu den Voraussetzungen für die Verlässlichkeit eines Warentests hat der Normenausschuss Gebrauchstauglichkeit im Deutschen Institut für Normung e.V. mit der DIN 66054 Grundsätze entwickelt. Aus urheberrechtlichen Gründen ist keine vollständige Wiedergabe, sondern nur eine Inhaltsbeschreibung möglich (Alleinverkauf der Normblätter durch Beuth-Verlag GmbH, 10787 Berlin, Burggrafenstraße 6).
103
Nach der DIN 66054 soll i.d.R. eine repräsentative Auswahl der für denselben Verwendungszweck angebotenen Waren geprüft werden. Kriterien für die Auswahl sind Merkmale der Gebrauchstauglichkeit, die Marktbedeutung, der Preis und ggf. die Bedarfsgruppen. Bei der Beschaffung der Prüfmuster ist die Zufälligkeit der Probennahme sicherzustellen. Die Muster sind zu kennzeichnen. Das Prüflaboratorium muss nach seinen personellen, finanziellen und sachlichen Voraussetzungen Gewähr für eine neutrale, exakte und objektive Prüftätigkeit bieten. Vor der Prüfung muss ein Prüfprogramm aufgestellt werden, welches das Verfahren und möglichst auch die Bewertungsmaßstäbe unter Berücksichtigung der Erfahrungen der Fachkreise enthält. Es muss die gesetzlichen Anforderungen, die Regeln der Technik und die einschlägigen Normen berücksichtigen. Die Ergebnisse müssen reproduzierbar sein. Dieses Programm ist den beteiligten Firmen spätestens bei Testbeginn zu übersenden. Die wesentlichen Messergebnisse sind ihnen zwecks eventueller Stellungnahme, die angemessen berücksichtigt werden soll, rechtzeitig vor der Veröffentlichung mitzuteilen.
104
Bei der vergleichenden Beurteilung sind Bewertungsstufen für jede einzelne Eigenschaft zu bilden. Bei zusammenfassenden Beurteilungen können die einzelnen Eigenschaften unterschiedlich gewichtet werden. Wenn ein Erzeugnis bei einer unbedingt notwendigen Eigenschaft besonders schlechte Ergebnisse aufweist, muss das in der zusammenfassenden Beur545 546 547 548
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OLG Koblenz v. 27.3.2013 – 9 U 1097/12, WRP 2013, 922 Rz. 9. OLG München v. 9.9.2014 – 18 U 516/14, AfP 2015, 47 m. Anm. Mann, AfP 2015, 126. OLG Koblenz v. 17.11.1983 – 6 U 1330/83, WRP 1984, 105. OLG Frankfurt v. 11.1.1996 – 6 W 126/95, NJW 1996, 1146 – „Adel verzichtet“.
Burkhardt/Peifer
VII. Waren-, Leistungs- und Preistests
Rz. 107 Kap. 10
teilung zum Ausdruck kommen. Die Darstellung der Ergebnisse soll eine Beschreibung der getesteten Warengruppe enthalten, ferner eine Beschreibung des Prüfverfahrens sowie Angaben zur Anzahl der Prüfmuster je Erzeugnis, zu den Prüfergebnissen und zu ihrer Gewichtung, schließlich eine zusammenfassende Beurteilung sowie Preisinformationen. DIN-Normen sind im Rechtssinne nicht verbindlich. Die Beachtung der DIN 66054 empfiehlt 105 sich dennoch, weil sie die Anforderungen nennen, die auch unabhängig von der DIN zu stellen sind. Auch an sonstige DIN-Normen ist der Tester nicht gebunden. Insbesondere kann er, speziell was die Sicherheit betrifft, schärfere Anforderungen stellen, als nach DIN vorgesehen549. b) Zeitliche Planung des Tests Tests sollen aktuell sein. Deswegen neigen Testveranstalter dazu, Tests zu Beginn einer Saison 106 zu publizieren, speziell wenn neue Modelle auf den Markt kommen. Das kann zur Folge haben, dass der Test zu einer Zeit durchgeführt werden muss, während der die neuen Modelle noch nicht bzw. noch nicht vollständig auf dem Markt sind. Der Tester kann dann nur entweder auf diese Modelle verzichten oder sie beim Hersteller unmittelbar beschaffen, der möglicherweise einen Prototyp zur Verfügung stellt, der nie in Serie geht. Solche zeitlichen Planungen können auch das Bestreben des Herstellers zur Folge haben, ein von ihm geliefertes Modell nachträglich auszuwechseln, wenn inzwischen Verbesserungen erfolgt sind. Es ist vorgekommen, dass ein Tester diesem Bestreben eines Herstellers nachgegeben und die bei dem ursprünglichen Modell ermittelten Werte mit denen des ausgewechselten vermengt hat, was bedeutet, ein Produkt zu beschreiben, das in dieser Form weder je existiert hat noch auch nur existieren sollte. Die Verbreitung eines Testberichts, bei dem gerade dieses Phantom-Modell als Sieger abschneidet, ist im Zweifel unzulässig550. Mängel, die voraussehbarerweise auf der zeitlichen oder sonstigen Planung des Tests beruhen, gehen zu Lasten von dessen Veranstalter. Auf veraltete Tests ist hinzuweisen; zulässig ist ihre spätere Veröffentlichung nur, wenn das getestete Produkt noch den aktuellen Standards entspricht551. c) Auswahl der Testobjekte Behauptet ein Testveranstalter, sämtliche marktmäßig bedeutsamen Marken in seinen Test 107 einzubeziehen, wird man einem Hersteller, der zu dieser Gruppe gehört, dessen Erzeugnis aber dennoch nicht am Test beteiligt werden soll, den Anspruch zuerkennen müssen, das sein Erzeugnis in den Test aufgenommen wird. Durchsetzbar erscheint ein solcher Anspruch in der Weise, dass der Testveranstalter verpflichtet wird, die Verbreitung des Testberichts zu unterlassen, sofern nicht das betreffende Gerät am Test beteiligt ist. Der Ausschluss kann einen Eingriff in das Recht am Unternehmen bedeuten, weil er zur Folge haben kann, dass das Gerät aus den Einkauflisten von Kaufhäusern, Versandgeschäften usw. gestrichen wird. Gegenüber dem Tester kann sich ein solcher Anspruch auch unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes ergeben, den auch der BGH erwähnt552.
549 BGH v. 10.3.1987 – VI ZR 144/86, MDR 1987, 832 = AfP 1987, 504 = NJW 1987, 2222 – Komposthäcksler. 550 LG Stuttgart v. 2.11.1984 – 17 O 368/84, n.v. 551 BGH v. 15.8.2013 – I ZR 197/12, WRP 2014, 67. 552 BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620, 623.
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Kap. 10 Rz. 108
Sonderfragen
108
Um Anbietern die Möglichkeit zur Geltendmachung dieses Anspruches zu geben, ist vorgeschlagen worden, die Tests der Stiftung Warentest mit der Möglichkeit der Anmeldung öffentlich auszuschreiben553. Für den Fall, dass ein Anbieter in einem Test zu Unrecht unberücksichtigt geblieben ist, hat der Vorsitzende der Stiftung entsprechend einer Meldung in Impulse 4/81 die Möglichkeit angedeutet, einen Nachholtest durchführen zu lassen, allerdings auf eigene Kosten.
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In der Komposthäcksler-Entscheidung meint der BGH554, auch gegen die Weglassung von 17 noch schlechteren Erzeugnissen könne ein Hersteller sich nicht wenden. Er müsse es also hinnehmen, dass sein Erzeugnis als eines der schlechtesten erscheint, obschon es auf der Bewertungsbasis des Testers im Mittelfeld liegt. Wenn der BGH dieses Resultat als bloße „Reflexwirkung“ bezeichnet und anführt, es fehle „an der notwendigen engen Beziehung des Angriffs zum Betrieb des Betroffenen“, ist das ein weiteres Beispiel dafür, dass sich mit dem Merkmal der Betriebsbezogenheit in indiskutabler Weise jonglieren lässt. Der BGH lässt unbeachtet, dass die mangelnde Erwähnung der Weglassung von 17 noch schlechteren Erzeugnissen eine Irreführung der Verbraucher ist.
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Kündigt ein Testveranstalter an, eine bestimmte Warengruppe zu testen, z.B. (normale) 45-Ah-Batterien, ist es im Zweifel unzulässig, in den Test auch (teurere) Hochstrombatterien einzubeziehen, wenn diese erwartungsgemäß besser abschneiden. Unzulässig ist es jedenfalls, Hochstrombatterien nur einiger, dann mit mehreren Batterien vertretener Hersteller teilnehmen zu lassen. Dadurch kann der falsche Anschein entstehen, nur sie hätten auch solche Batterien zu bieten, weswegen ihr Angebot reichhaltiger und besser sei.
111
Anspruch auf Nichtaufnahme besteht, wenn der Testveranstalter Wettbewerber ist555. Ein Nichtaufnahmeanspruch kann auch bei einem Auslaufmodell in Betracht kommen, insbesondere wenn es durch ein neues ersetzt ist. d) Beschaffung der Prüfmuster
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Wie das auch die DIN 66054 fordert, ist bei der Beschaffung der Prüfmuster die Zufälligkeit der Probenahme sicherzustellen. Das kann durch Erwerb im Handel geschehen. Dann muss der Testveranstalter sich aber vergewissern, ob das erworbene Modell unverändert weiter hergestellt wird. Erkannte Mängel wie z.B. „dünne Kabel, kleine Klemmen“ werden meist auch ohne Modellwechsel sogleich beseitigt556. Daraus folgende rechtliche Risiken des Testers werden vermieden, wenn er die Prüfmuster aus dem Lager des Herstellers zieht. Lässt er sich die Muster vom Hersteller zusenden, muss er sich etwaige Manipulationen unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Neutralität als eigenen Fehler zurechnen lassen. e) Durchführung des Tests
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Bei der Gestaltung des Testprogramms genießt der Testveranstalter ebenso grundsätzliche Freiheit wie bei der Auswahl der Testobjekte. Er kann den Test auf einzelne oder auch auf ein Merkmal beschränken, wie z.B. auf den Preis (zum Preistest vgl. Rz. 125). Das muss aber
553 554 555 556
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Schönleber, Diss. Bremen 1982, S. 13. BGH v. 10.3.1987 – VI ZR 144/86, MDR 1987, 832 = AfP 1987, 504 = NJW 1987, 2222. OLG Hamm v. 13.12.1979 – 4 U 236/79, WRP 1980, 281. Vgl. BGH v. 21.2.1989 – VI ZR 18/88, MDR 1989, 624 = AfP 1989, 538 = NJW 1989, 1923.
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VII. Waren-, Leistungs- und Preistests
Rz. 117 Kap. 10
im Testbericht mit hinlänglicher Deutlichkeit zum Ausdruck kommen557. Abgesehen davon kann auch die Auswahl der Testkriterien so verfehlt sein, dass sie nicht mehr diskutabel ist. Entsprechendes gilt für ihre Gewichtung. Insgesamt muss der Test so durchgeführt werden, dass er die nachprüfbaren Fakten liefert, auf die das Testergebnis gestützt werden muss. Mit Recht hat das OLG Stuttgart die Verbreitung von Testbehauptungen in einem Fall untersagt, in dem solche Fakten fehlten558. Hat der Tester ein Prüfprogramm entwickelt, bewirkt das grundsätzlich eine Selbstbindung. 114 Das gilt jedenfalls, wenn der Tester es den beteiligten Firmen zugänglich gemacht hat, so dass sie sich darauf eingestellt haben. Hat ein Tester auf eine DIN Bezug genommen, kann er deren Anforderungen nicht nachträglich als unzulänglich bezeichnen und Produkte abwerten, die „nur“ deren Werte erreichen. Hieran vermag auch ein im Prüfprogramm enthaltener Hinweis „Änderungen vorbehalten“ nicht ohne weiteres etwas zu ändern. Bei der Ermittlung der Fakten hat der Tester die erforderliche Sorgfalt zu beachten. Hat ein 115 Mitarbeiter des Herstellers mitgeteilt, das Gerät sei überarbeitet worden und Einzelheiten könne nur der in Urlaub befindliche Entwicklungsingenieur mitteilen, ist es die Angelegenheit des Testers, sich dessen Stellungnahme zu beschaffen. Er darf nicht darauf vertrauen, die Teile, die er für beanstandenswert hält, seien unverändert geblieben. Negative Angaben zu solchen Teilen wie z.B. „dünne Kabel, kleine Klemmen“ können unwahre Tatsachenbehauptungen sein, deren Verbreitung nach § 824 BGB unzulässig ist559. In der Marker-Entscheidung bezeichnet es der BGH als grundsätzlich zulässig, nur ein Mus- 116 ter zu testen560. Als vertretbar kann das nur anerkannt werden, wenn die Ordnungsmäßigkeit des Prüfmusters sichergestellt und auch nicht mit Schwankungen und signifikanten Toleranzen zu rechnen ist, wie z.B. bei Naturprodukten. Andernfalls ist die Prüfung eines oder mehrerer weiterer Muster unverzichtbar. Insbesondere dürfen dem Test keine sog. Ausreißer zugrunde gelegt werden, weil der Test kein Zufallsergebnis bringen, sondern repräsentativ für die Serie sein soll. Zeigen sich deutliche Abweichungen von den Herstellerangaben, muss der Tester der Ursache nachgehen. f) Bewertung und Darstellung der Testergebnisse Das stärkste Interesse pflegt die zusammenfassende Schlussbewertung zu finden. Sie enthält 117 absolute Elemente, also eine Aussage über die generellen Eigenschaften des Prüflings, ferner ein relatives Moment, nämlich das Verhältnis seiner Eigenschaften im Vergleich zu den übrigen. Solche Schlussbewertungen sind Meinungsäußerungen561. Nach Auffassung des BGH können sie unzulässig sein, wenn sie nicht mehr diskutabel sind. Das kann der Fall sein, wenn sie nicht auf nachprüfbaren Fakten aufbauen und ein ordnungsgemäß durchgeführter Test zu einem anderen Ergebnis geführt hätte562. Die Bewertung der Testergebnisse kann auch gegen557 BGH v. 21.7.2016 – I ZR 26/15, MDR 2016, 1398 = IPRB 2017, 7 = MMR 2017, 243 Rz. 40 – LGA tested. 558 OLG Stuttgart v. 30.1.1964 – 2 U 175/63, NJW 1964, 595 – Fiat Europa; vgl. BGH v. 17.6.1997 – VI ZR 114/96, AfP 1997, 911 – Drucker mit Anschlusskabel. 559 BGH v. 21.2.1989 – VI ZR 18/88, MDR 1989, 624 = AfP 1989, 538 = NJW 1989, 1923. 560 BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620, 623. 561 BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620; v. 17.6.1997 – VI ZR 114/96, AfP 1997, 911 – Drucker mit Anschlusskabel. 562 Vgl. BGH v. 17.6.1997 – VI ZR 114/96, AfP 1997, 911 – Drucker mit Anschlusskabel; OLG Stuttgart v. 30.1.1964 – 2 U 175/63, NJW 1964, 595, 597.
Burkhardt/Peifer 749
Kap. 10 Rz. 118
Sonderfragen
über enthaltenen Tatsachenbehauptungen in den Hintergrund treten. Werden z.B. Scan-Ergebnisse abgebildet, geht der Leser davon aus, dass diese bei ordnungsgemäßer Durchführung des Tests das optimal zu erzielende Ergebnis des jeweiligen Geräts darstellen. Handelt es sich hierbei nicht um die Ergebnisse eines Scan-Vorgangs oder wurde der Test nicht ordnungsgemäß durchgeführt, ist die Darstellung als kreditgefährdende unwahre Tatsachenbehauptung unzulässig563. 118
Die bloße Möglichkeit einer anderen Beurteilung lässt die des Testers noch nicht als unzulässig erscheinen. Der Tester hat für die Darstellung seiner Ergebnisse einen erheblichen Ermessensfreiraum. Nicht mehr hinzunehmen ist die Veröffentlichung eines Testberichts erst dann, wenn in ihm unwahre Tatsachen behauptet werden oder wenn die Methode der Untersuchung und die daraus gezogenen Schlüsse nicht mehr diskutabel erscheinen564. Nach Ansicht des BGH soll z.B. ein Bewertungssystem zulässig sein, bei dem die Gesamtnote nicht besser sein kann als die für ein bestimmtes Kriterium vergebene Note, z.B. nicht besser als die Note der Sicherheitsprüfung. Meint der Tester, die Sicherheit sei mangelhaft, könne also auch die Gesamtnote nur mangelhaft oder schlechter sein565. In der Konsequenz ermöglicht diese Ansicht es dem Tester, sonst von niemandem vertretene Privatideologien zur Norm zu erheben. Z.B. geht der BDI zutreffend davon aus, dass eine Abwertung wegen der Sicherheitsprüfung auf mangelhaft ungerechtfertigt ist, wenn die Sicherheit zwar nicht den Vorstellungen des Testers, wohl aber dem Stand der Technik entspricht.
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Die Bewertung kann auch unzulässig sein, wenn sie als allgemeingültig dargestellt wird, obschon sie in Wirklichkeit unter einem einseitigen Aspekt bzw. unter Zugrundelegung von Verbrauchererwartungen erfolgt ist, die auch ganz andere sein können. Z.B. stellt ein Laie an einen Taschenrechner andere Anforderungen als ein Mathematiker. Deswegen wäre es verfehlt, einen für die Allgemeinheit entwickelten preisgünstigen Taschenrechner nur deswegen abzuqualifizieren, weil sich mit ihm bestimmte, nur den Fachmann interessierende Rechenoperationen nicht durchführen lassen. Das ist ebenso wenig zulässig wie die Abwertung eines preiswerten Konfektionsmantels, nur weil er nicht den Anforderungen entspricht, die an französische Modelle gestellt werden566. Unzulässig ist es auch, die Reinigungswirkung einer elektrischen Zahnbürste bei bestimmter Einstellung als „mangelhaft“ zu bezeichnen, wenn diese Einstellung allein für Massagezwecke vorgesehen ist567.
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In die Bewertung auch den Preis einzubeziehen, ist problematisch. U.U. rangiert dann ein besseres Gerät nicht vor, sondern hinter einem weniger guten, obschon der Preis für manche Verbraucher uninteressant ist. Existieren Preisklassen, z.B. aufgrund kostenaufwendiger Besonderheiten, an denen nicht alle Verbraucher interessiert sind, kann es erforderlich sein, Gruppen zu bilden, so dass jeder die Chance hat, innerhalb seiner Gruppe Testsieger zu werden.
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Ist das Gesamtergebnis das Resultat nach bestimmten Grundsätzen gewichteter Einzelergebnisse, kann es erforderlich sein, ein negatives Gesamtergebnis nicht ohne Anführung vorhandener positiver Merkmale zu nennen. Erforderlich sein kann das insbesondere, wenn das ne563 OLG Köln v. 10.5.1994 – 15 U 86/92, AfP 1995, 498 = NJW-RR 1995, 1489. 564 BGH v. 21.2.1989 – VI ZR 18/88, MDR 1989, 624 = NJW 1989, 1923; v. 17.6.1997 – VI ZR 114/96, AfP 1997, 911, 912 – Drucker mit Anschlusskabel. 565 BGH v. 10.3.1987 – VI ZR 144/86, MDR 1987, 832 = AfP 1987, 504 = NJW 1987, 2222 – Komposthäcksler. 566 BGH v. 18.12.1962 – VI ZR 220/61, NJW 1963, 484 – Maris. 567 OLG München v. 20.12.1985 – 21 U 5690/85, AfP 1986, 75.
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VII. Waren-, Leistungs- und Preistests
Rz. 124 Kap. 10
gative Gesamtergebnis nur darauf beruht, dass das Gerät ein bestimmtes Merkmal nicht erfüllt, das der Tester für wesentlich hält, das aber nicht für alle Verbraucher von Bedeutung ist. Die Anforderungen an eine günstige Beurteilung im Laufe der Jahre zu steigern, ist zulässig. 122 Angesichts des technischen Fortschrittes kann ein Produkt, das den Anforderungen früher entsprochen hat, inzwischen überholt sein. Das beeinflusst die Zulässigkeit der Testveröffentlichung auch in Fällen, in denen darauf hingewiesen wird, dass der Test in der Vergangenheit stattgefunden hat568. Ein Tester ist auch nicht an die einschlägigen DIN-Normen gebunden. Insbesondere kann er strengere Anforderungen stellen569. Haben die bedeutenden Hersteller praktisch den gleichen Stand erreicht, wäre es problematisch, beim Gesamturteil nur mit Rücksicht darauf zu differenzieren, dass der Leser es weniger attraktiv finden könnte, dass der Test nichts Sensationelles ergeben, sondern erwartungsgemäß bestätigt hat, dass praktisch alle Angebote ungefähr gleich gut sind und etwaige Vorteile auf der einen durch Nachteile auf der anderen Seite ausgeglichen werden. Die sonstige Testdarstellung hat jedenfalls die Grenzen der Schmähkritik zu beachten570. 123 Wo diese Grenzen liegen, hängt auch von der Art des Mediums ab, d.h. davon, wie ernst es zu nehmen ist, zudem von dem Gesamtzusammenhang, in dem die Bewertung steht571. Die von einem Anzeigenblatt im Rahmen eines Benzintests Boulevardblatt-artig verwendeten Formulierungen „Der Stoff, in dem der Killer steckt“, „Autofahrer tanken Motorschäden“, „Profitgier-billiges Methanol“ hat das OLG Düsseldorf noch nicht als Schmähkritik gewertet572. Erheblich strengere Maßstäbe sind bei einem auf Seriosität bedachten Blatt anzulegen, speziell, wenn es um Kritik an einer Person geht. Befinden sich mangelbehaftete Geräte noch im Handel, sind die Mängel aber inzwischen abgestellt, muss das vermerkt werden. Unterbleibt ein solcher Hinweis, kann der Hersteller Unterlassung fordern, soweit es um die verbesserten Geräte geht573. Unzulässig ist ein Testbericht in jedem Falle, wenn er den Verbraucher irreführt, z.B. durch eine falsche Darstellung des Prüfverfahrens574 oder vermeintliche Testergebnisse575 bzw. sonstiger Umstände576. g) Wiederholte Verbreitung Soll eine Testveröffentlichung später erneut erscheinen, z.B. in einem Jahrbuch, muss be- 124 rücksichtigt werden, dass Änderungen eingetreten sein können. Bedeutsam ist das vor allem, wenn ein Bestandteil des Produktes, z.B. eine als schädlich bezeichnete Chemikalie, die zur Abstufung geführt hat, jetzt nicht mehr verwendet wird. Zu den Sorgfaltsanforderungen ge568 BGH v. 15.8.2013 – I ZR 197/12, WRP 2014, 67 Rz. 8 – Testergebnis-Werbung für KaffeePads. 569 BGH v. 10.3.1987 – VI ZR 144/86, MDR 1987, 832 = AfP 1987, 504 = NJW 1987, 2222 – Komposthäcksler. 570 BGH v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620. 571 BGH v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, MDR 2015, 150 = CR 2015, 251 = AfP 2015, 41 = IPRB 2015, 78 = GRUR 2015, 289 Rz. 19 – Hochleistungsmagneten. 572 OLG Düsseldorf v. 11.1.1983 – 3 U 82/82, AfP 1985, 38, 40. 573 BGH v. 21.2.1989 – VI ZR 18/88, MDR 1989, 624 = AfP 1989, 538 = NJW 1989, 1923. 574 OLG München v. 20.12.1985 – 21 U 5546/85, AfP 1986, 74; OLG Frankfurt v. 29.6.2006 – 6 U 103/05, AfP 2007, 49 = NJW-RR 2007, 38. 575 OLG Köln v. 10.5.1994 – 15 U 86/92, AfP 1995, 498 = NJW-RR 1995, 1489; OLG Frankfurt v. 11.1.1996 – 6 W 126/95, NJW 1996, 1146. 576 OLG München v. 23.5.1996 – 29 U 5889/95, NJW-RR 1997, 1330.
Burkhardt/Peifer 751
Kap. 10 Rz. 125
Sonderfragen
hört es deswegen, den testbeteiligten Firmen die Wiederholungsabsicht anzuzeigen. Teilt eine Firma die Veränderung daraufhin mit, ist das zumindest durch eine Fußnote kenntlich zu machen (z.B.: „Laut Anbieter inzwischen ohne Formaldehyd“). In eindeutigen Fällen kann es erforderlich sein, die Abstufung rückgängig zu machen. 4. Besonderheiten des Preistests 125
Im Vergleich zu Waren- und Leistungstests weisen Preisvergleiche bzw. Preistests die Besonderheit auf, allein oder zumindest fast allein auf den Preis als Wettbewerbsparameter abzustellen. Wie namentlich Weyhenmeyer herausgearbeitet hat577, ist das nicht unproblematisch578. Bei einem bloßen Preisvergleich bleibt das Leistungsbündel unberücksichtigt, das insbesondere der Fachhandel zu bieten pflegt, z.B. die Fachberatung, die eventuelle Lieferung frei Haus, die Umtauschmöglichkeit, der Kundendienst usw. Besonders problematisch ist, Preise von Handelsunternehmen auch dann einschränkungslos miteinander zu vergleichen, wenn die Ware im einen Fall vorrätig gehalten wird, während sie im anderen im Wege des sog. Streckengeschäftes erst beschafft werden muss. Hinzu kommt das Risiko, dass Handelsunternehmen bei offener Anfrage der Versuchung erliegen können, zu niedrige Preise anzugeben. Preisvergleiche spielen mittlerweile insbesondere bei Preisvergleichsportalen in Internetdiensten eine Rolle. Bei ihnen erwartet der Verbraucher jedenfalls, dass die angegebenen Preise aktuell sind. Ein Preisvergleich ist daher irreführend, wenn der tatsächlich verlangte Preis nach einer Preiserhöhung auch nur für einige Stunden über dem im Preisvergleichsportal angegebenen Preis liegt579.
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Trotz dieser Mängel und Risiken wäre es verfehlt, Preistests, wie sie z.B. die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände durchführt, generell für unzulässig zu erklären, falls keine Differenzierung nach dem Leistungsbündel des Anbieters erfolgt580. Eine Differenzierung mag für wünschenswert gehalten werden. Sie lässt sich aber mit Rechtsmitteln nicht durchsetzen. Eine vergleichende Gegenüberstellung von Endverkaufspreisen lässt sich also nicht allein deswegen als unzulässig bezeichnen, weil unerwähnt bleibt, unter welchen Bedingungen der Vertrieb erfolgt. Die Forderung, bei einem Preisvergleich die tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen des Vertriebs zu nennen, ist schon insofern mit Rechtsmitteln nicht durchsetzbar, als die Vertriebsbedingungen infolge ihrer Vielgestaltigkeit und der Möglichkeit des raschen Wechsels einer Schablonisierung entzogen sind. Für den einen Kunden mag wichtig sein, ob der Kaufgegenstand frei Haus geliefert wird, für den anderen, ob man vor dem Geschäft parken kann. Für den einen hat Vorrang, sofort bedient zu werden, für den anderen, sich in einem nahegelegenen angenehm ausgestatteten Geschäftslokal aufzuhalten. Der eine legt mehr Wert auf die Fachkunde, der andere auf den Charme der Verkäuferin oder des Verkäufers. Noch dazu können sich die Verhältnisse in nicht vorausberechenbarer Weise verändern. Selbst einem gewöhnlich gut ausgestatteten Facheinzelhändler kann ein bestimmtes Erzeugnis ausgehen, so dass er den Kunden ähnlich wie ein Strecken- oder Schreibtischhändler darauf vertrösten muss, es werde „in Kürze“ geliefert werden. Rechtlichen Zwang zu begründen,
577 Weyhenmeyer, WRP 1979, 766. 578 Vgl. BGH v. 27.2.1986 – I ZR 7/84, MDR 1986, 908 = GRUR 1986, 548, 549; v. 3.2.1988 – I ZR 183/85, MDR 1988, 645 = GRUR 1988, 764, 767; v. 2.5.1996 – I ZR 152/94, MDR 1997, 58 = WRP 1996, 1097, 1098. 579 BGH v. 11.3.2010 – I ZR 123/08, CR 2010, 680 = MDR 2010, 1276 = GRUR 2010, 936 – Espressomaschine. 580 So aber Weyhenmeyer, WRP 1979, 766.
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VII. Waren-, Leistungs- und Preistests
Rz. 130 Kap. 10
Preisvergleiche nur anzustellen, wenn zugleich bestimmte Merkmale der Vertriebsbedingungen genannt werden, ist unter diesen Umständen ausgeschlossen581. Die Forderung, bei einem Preisvergleich müssten differenzierende Vertriebsmerkmale an- 127 gegeben werden, ist um so weniger berechtigt, als davon ausgegangen werden kann, dass der Mehrzahl der Rezipienten zumindest die wesentlichen Anbieter und ihre Vertriebsmethoden bekannt sind, so dass sie ohnehin wissen, in welcher Weise der Vertrieb erfolgt582. Auch der BGH betrachtet einen Preistest nicht etwa schon für sich betrachtet als unzulässig583. Allerdings setzt die Zulässigkeit eines Preistests voraus, dass die an einen Warentest zu stellenden Anforderungen erfüllt sind. Auch ein Preistest muss also neutral, fachkundig und objektiv durchgeführt werden584. Führt ein Verbraucherverband einen Preisvergleich durch, wird das zwar das Wettbewerbsverhältnis der Anbieter regelmäßig in objektiver Hinsicht beeinflussen; das bedeutet aber nicht notwendig, dass eine Wettbewerbsförderungsabsicht i.S.d. §§ 1, 3 UWG zu bejahen und das Neutralitätserfordernis also zu verneinen wäre585. Etwas anderes kann gelten, wenn Anzeichen darauf hindeuten, dass der Verbraucherverband versucht, mit unsachlichen Mitteln Einfluss auf den Wettbewerb, insbesondere auf die Preispolitik zu nehmen. Die Einbeziehung eines sog. Streckenhändlers in den Vergleich der Preise von Direktanbietern zwingt auch dann nicht zur Bejahung einer Wettbewerbsförderungsabsicht, wenn sie methodisch fehlerhaft sein sollte586. Welche Preise der Tester in den Vergleich einbeziehen sollte, ist Wertungsfrage587. Unzuläs- 128 sig könnte die Einbeziehung bestimmter Preise nur sein, wenn sie außerhalb eines möglichen Beurteilungsspielraums liegen und daher nicht mehr diskutabel sein sollte. Ob die Preisermittlung anonym oder trotz der damit verbundenen Gefahr einer Händlerma- 129 nipulation offen erfolgt, muss im Prinzip dem Tester überlassen bleiben588. Allerdings würde es gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen, sich auch dann auf die offen abgefragten Händlerangaben zu verlassen, wenn konkrete Verdachtsmomente für Händlermanipulationen vorhanden sind. Unzulässig sind kreditgefährdende unwahre Tatsachenbehauptungen. Handelsunterneh- 130 men stehen gegen den Tester Ansprüche nach § 824 BGB zu, wenn unwahre Angaben über seine eigenen Preise erfolgen. Verschiedentlich wird angenommen, um unwahre Behauptungen i.S.d. § 824 BGB gehe es auch, wenn unvollständige Angaben erfolgen oder nicht vergleichbare Angebote in den Test einbezogen werden589. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Denn es geht grundsätzlich um Wertungen, die außerhalb des Wettbewerbsrechts nur 581 Im Ergebnis ebenso KG v. 20.6.1978 – 5 U 1643/78, WRP 1978, 822; v. 24.11.1978 – 5 W 1442/78, WRP 1979, 202; OLG Hamburg v. 30.11.1978 – 3 U 109/78, WRP 1979, 68; OLG Köln v. 10.1.1979 – 6 U 137/78, WRP 1979, 230; Brinkmann, WRP 1979, 265. 582 Ähnlich BGH v. 28.4.1978 – I ZR 157/76, NJW 1978, 2598, 2601 – Tierbuch. 583 BGH v. 3.12.1985 – VI ZR 160/84, MDR 1986, 394 = AfP 1986, 47 = NJW 1986, 981 – Preisvergleich. 584 So insbesondere OLG Köln v. 10.1.1979 – 6 U 137/78, WRP 1979, 230. 585 BGH v. 20.3.1981 – I ZR 10/79, MDR 1981, 992 = NJW 1981, 2304; a.A. Weyhenmeyer, WRP 1979, 766, 773; Näheres Rz. 85 ff. 586 BGH v. 20.3.1981 – I ZR 10/79, MDR 1981, 992 = NJW 1981, 2304, 2305. 587 OLG Köln v. 10.1.1979 – 6 U 137/78, WRP 1979, 230; Brinkmann, WRP 1979, 265, 267; a.A. KG v. 24.11.1978 – 5 W 1442/78, WRP 1979, 204; Weyhenmeyer, WRP 1979, 766, 771. 588 Brinkmann, WRP 1979, 265, 267. 589 KG v. 24.11.1978 – 5 W 1442/78, WRP 1979, 202; Weyhenmeyer, WRP 1979, 766, 771.
Burkhardt/Peifer 753
Kap. 10 Rz. 131
Sonderfragen
unter dem Blickpunkt des Eingriffs in das Recht am Unternehmen unzulässig sein können. Gibt der Tester die Preise Dritter zu niedrig an, ist das zwar eine unwahre Tatsachenbehauptung. Der dadurch benachteiligte Wettbewerber ist aber zur Geltendmachung eines Anspruches nach § 824 BGB nicht aktiv legitimiert. Gegenüber dem Tester kann er einen Anspruch nur geltend machen, wenn dieser in Wettbewerbsabsicht gehandelt haben sollte oder wenn die Verbreitung des Preistests insgesamt nach § 823 Abs. 1 BGB unzulässig ist, weil er nicht die an einen Warentest zu stellenden Anforderungen der Neutralität, Sachkunde und Objektivität erfüllt (vgl. Rz. 85 ff.). Das ist z.B. der Fall, wenn der Tester allen Supermärkten mit dem Firmenbestandteil Globus bestimmte Preise zuschreibt, weil ihm entgangen ist, dass die Globus-Firmen selbständig sind und unterschiedlich kalkulieren590. 5. Darlegungs- und Beweislast/Prozessuales 131
Der Anspruchsgegner braucht grundsätzlich keine Umstände zu offenbaren, welche die Durchsetzung eines gegen ihn gerichteten Anspruches erst ermöglichen. Der Kläger muss also Umstände darlegen, aus denen sich ergibt, dass Objektivität, Neutralität und Sachkunde verletzt wurden591. Im wettbewerbsrechtlichen Bereich sind bestimmte Beweiserleichterungen entwickelt worden. Nach Treu und Glauben trägt der Beklagte die Beweislast, wenn dem Kläger die Sachverhaltsermittlung nicht möglich ist, wenn aber der Beklagte die erforderlichen Kenntnisse hat oder wenn er sie sich leicht beschaffen kann und ihm die Sachaufklärung zuzumuten ist592. Diese Grundsätze sind auch beim Streit um die Zulässigkeit von Testbehauptungen anzuwenden. Einem Tester kann es nicht gestattet sein, sich auf den Standpunkt zu stellen, er verbreite nur Meinungsäußerungen im Rahmen der ihm gewährten Freiräume, auf welcher tatsächlichen Grundlage das geschieht, könne er aber für sich behalten. Vielmehr ist er erforderlichenfalls gehalten, die Umstände offenzulegen, die für die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit des Tests wesentlich sind. Die Berufung darauf, nicht eingehaltene Prüfbedingungen hätten keine praktische Bedeutung, wird jedenfalls dann nicht als durchgreifend angesehen werden können, wenn der Tester sich diesen Bedingungen unterworfen hat. Stützt ein Warentest seine negative Gesamtbeurteilung auf den Umstand, dass entgegen der Behauptung, eine Schokolade enthalte nur natürliche Zusätze, ein chemisches Mittel beim Test nachgewiesen worden sei, so trifft den Tester eine sekundäre Darlegungslast, wie dieses Mittel nachgewiesen worden sei. Wird diese Darlegung nicht erbracht, darf auf die dann prozessual als unwahr geltende Tatsachenbehauptung kein mangelhaftes Gesamturteil gestützt werden593. Ein Anordnungsgrund für eine vorbeugende Unterlassungserklärung (wegen Erstbegehungsgefahr) besteht nicht, wenn der Betroffene vorab nur vom möglichen Inhalt eines Testberichts Kenntnis erlangt; denn im Zustand der Recherche steht gerade nicht fest, welchen Inhalt die beabsichtigte Berichterstattung haben wird594.
VIII. Boykott- und sonstige Aufrufe Schrifttum: Nipperdey, Boykott und freie Meinungsäußerung, DVBl. 1958, 445; Helle, Boykott und Meinungskampf, NJW 1964, 1497; Biedenkopf, Zum politischen Boykott, JZ 1965, 553; Kübler/Si590 BGH v. 3.12.1985 – VI ZR 160/84, MDR 1986, 394 = AfP 1986, 47 = NJW 1986, 981. 591 LG München I v. 14.4.2005 – 27 O 922/04, GRUR-RR 2005, 290. 592 BGH v. 13.7.1962 – I ZR 43/61, GRUR 1963, 270 – Bärenfang; v. 28.6.1974 – I ZR 62/72 NJW 1974, 1822 – Preisgegenüberstellung. 593 OLG München v. 9.9.2014 – 18 U 516/14, AfP 2015, 47 m. Anm. Mann, AfP 2015, 126. 594 LG München I v. 11.9.2017 – 9 O 11793, AfP 2018, 89.
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VIII. Boykott- und sonstige Aufrufe
Rz. 134 Kap. 10
mitis, Presse und Wettbewerb, JZ 1969, 445; Kübler, Öffentliche Kritik, AcP 72 (1972), 177; Löhr, Boykottaufruf und Recht auf freie Meinungsäußerung, WRP 1975, 581; Kreuzpointner, Boykottaufrufe durch Verbraucherorganisationen, 1980; Möllers, Zur Zulässigkeit des Verbraucherboykotts – Brent Spar und Mururoa, NJW 1996, 1374; Werner, Wettbewerbsrecht und Boykott, 2008; Nordemann/Waiblinger, Kartelle und Boykotte gegen Schutzrechtsverletzer? – Kartellrechtliche Grenzen der Selbstregulierung, GRUR 2015, 1070; Ast/Klocke, Jenseits der Verbandsklage: Aufforderungen durch Verbraucherverbände an Dritte zur Bekämpfung widerrechtlichen Verhaltens, VuR 2016, 410; Beater, Die Anwendbarkeit des UWG auf Medien und Journalisten, WRP 2016, 787 und 929; Sakowski, Unternehmen in der Kritik – Die Grenzen der Meinungsfreiheit im wirtschaftlichen Kontext, WRP 2017, 138.
1. Aufrufe zur Verhaltensbeeinflussung Andere zu einem bestimmten Verhalten aufzurufen ist nicht per se ein problematischer Vor- 132 gang. Solche Aufrufe können sich aber unmittelbar oder mittelbar gegen eine bestimmte Person, ein Unternehmen oder eine Partei richten und deren Interessen beeinträchtigen, so dass eine Konfliktsituation entsteht. Die rechtliche Beurteilung dieser Konfliktsituation bereitet oftmals Schwierigkeiten (vgl. bereits Kap. 5 Rz. 155). 2. Boykottaufrufe a) Begriff des Boykotts Es existiert kein feststehender Boykott-Tatbestand595. Von einem Boykott kann aber nur bei 133 einem Aufruf gesprochen werden, der die Adressaten zu einem bestimmten Verhalten gegenüber einem Dritten veranlassen soll. Der Boykott setzt also drei Beteiligte voraus. Zunächst den Aufrufenden, also den Verrufer als Boykottveranstalter, alsdann den oder die Adressaten des Aufrufes, die Boykottierer, d.h. diejenigen, die boykottieren sollen und schließlich den Betroffenen, den Boykottierten, gegen den die Sperre sich richtet596. Ein Boykott kann auch vorliegen, wenn der Adressat des Aufrufes nicht mit dem identisch 134 ist, der die Liefer- bzw. Bezugssperre verhängen soll. Es genügt, dass der Adressat zum Einwirken auf eine vierte Gruppe veranlasst wird, z.B. auf die Lieferanten oder Kunden des Boykottierten597. Ein Boykottaufruf liegt deswegen vor, wenn ein Brancheninformationsdienst Uhrenfachgeschäfte auffordert, bei Uhren, die der Kunde in einem Kaffeegeschäft gekauft hat, die Batterie nicht mehr zu wechseln, damit die Kunden davon abgehalten werden, erneut eine Uhr in einem Kaffeegeschäft zu kaufen598. Zusätzlich zu dem Dreier- bzw. Viererverhältnis setzt der Boykott eine Aufforderung und damit eine Willensbeeinflussung voraus. Eine auf die Entschließungsfreiheit keinen Einfluss nehmende bloße Anregung ist noch kein Boykottaufruf599. Boykottaufrufe sind nicht stets unzulässig. Ihre Zulässigkeit hängt einerseits 595 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, BVerfGE 7, 198, 214 – Lüth; ebenso RG v. 1.6.1937 – III 289/35, RGZ 155, 257, 276. 596 BGH v. 17.11.1955 – II ZR 222/54, BGHZ 19, 72, 77; ähnlich BGH v. 27.4.1999 – KZR 54/97, GRUR 1999, 1031, 1032. 597 BGH v. 13.11.1979 – KZR 1/79, MDR 1980, 284 = GRUR 1980, 242, 243 – Denkzettelaktion; OLG München v. 30.11.2001 – 21 U 4137/01, AfP 2002, 235 = ZUM-RD 2002, 370 – Scientology-Verlag. 598 BGH v. 2.2.1984 – I ZR 4/82, MDR 1984, 815 = AfP 1984, 99 = NJW 1985, 60 – Kundenboykott. 599 BGH v. 21.11.1953 – VI ZR 91/52, NJW 1954, 147 – Innungsboykott; OLG Hamburg v. 4.12.1951 – 2 U 223/51, MDR 1952, 295.
Burkhardt/Peifer 755
Kap. 10 Rz. 135
Sonderfragen
von den Motiven, andererseits der Stellung des Aufrufenden ab. Sofern der Aufrufende lediglich eigene Interessen, insbesondere wirtschaftlicher Art, verfolgt, ist der Boykott unzulässig. So ist es unzulässig, wenn ein wirtschaftliche Interessengruppen vertretendes Publikationsorgan Werbepartnern einer als „Schmuddelkind“ der Bankenbranche bezeichneten Bank empfiehlt, die Zusammenarbeit mit dieser Bank zu beenden600. Ist der zum Boykott Aufrufende Teil der öffentlichen Gewalt, so muss er sich mäßigen, was Boykottaufrufe regelmäßig unzulässig macht. So darf ein Bürgermeister nicht auf eine rechtmäßig angemeldete Versammlung in den Abenstunden dadurch einwirken, dass er die Ausschaltung der Beleuchtung städtischer Gebäude anordnet und öffentliche Äußerungen verbreitet, die dazu geeignet sind, die Teilnehmer einer angemeldeten rechtmäßigen Versammlung verächtlich machen601. 135
Bei publizistischen Darstellungen ist das für einen Boykottaufruf typische Dreierverhältnis praktisch stets vorhanden. Der Publizist kommt als Verrufer in Betracht, die Leser oder Hörer als Adressaten und der Betroffene als Boykottierter. Auch ein Viererverhältnis ist möglich, wie die Fälle „Denkzettelaktion“ und „Kundenboykott“ zeigen602. Das Merkmal der Aufforderung und der Willensbeeinflussung kann gleichfalls zu bejahen sein. Eine bloße Blitzumfrage eines Brancheninformationsdienstes enthält noch nicht ohne weiteres einen Boykottaufruf603. Der Versuch einer Willensbeeinflussung ist besonders deutlich, wenn der Boykottveranstalter für den Fall der Nichtbeachtung des Aufrufes wirtschaftlichen Druck ankündigt. Typisch hierfür ist der Blinkfüer-Fall. Er betrifft das an Zeitschrifteneinzelhändler gerichtete Rundschreiben eines Großverlages mit der Aufforderung, Zeitschriften mit dem Rundfunkprogramm der DDR nicht länger zu beziehen und zu vertreiben, und der Ankündigung, andernfalls werde geprüft werden, ob die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung mit dem Großverlag noch verantwortet werden könne604. Neben wirtschaftlichem kommt sonstiger Druck in Betracht, z.B. politischer. Auch ein Appell an das Gewissen kann eine für die Annahme eines Boykottaufrufes ausreichende Zwangssituation der Adressaten bewirken. Das OLG München hat daher die Ankündigung der Jungen Union, sie werde Werbefirmen künftig öffentlich nennen, die für die Scientology-Sekte Werbung machen, z.B. für das Buch von Hubbard, „Scientology – Grundlagen des Denkens“, als Boykottaufruf gegen den das Buch vertreibenden Verleger betrachtet605. Diese Einschätzung ist vom Bundesverfassungsgericht allerdings nicht geteilt worden. Das Gericht verweist zu Recht darauf, dass Boykottaufrufe, die nicht eigennützigen Motiven, sondern Zwecken der Meinungsbildung der Öffentlichkeit dienen, grundsätzlichen Schutz nach Art. 5 GG genießen606. b) Rechtliche Beurteilung
136
Boykottaufrufe können zulässig sein, aber auch einen Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG und § 21 und evtl. § 19 Abs. 1 GWB bedeuten bzw. einen Eingriff in das Recht am Unternehmen oder eine Verletzung des § 826 BGB. Nach der Rechtsprechung, insbesondere des Bundes600 OLG Frankfurt v. 18.6.2015 – 6 U 46/14, GRUR-RR 2016, 14 – Schmuddelkind. 601 OVG NW v. 4.11.2016 – 15 A 2293/15, KommJur 2017, 52. 602 BGH v. 13.11.1979 – KZR 1/79, MDR 1980, 284 = GRUR 1980, 242, 243; v. 2.2.1984 – I ZR 4/82, MDR 1984, 815 = AfP 1984, 99 = NJW 1985, 60. 603 OLG Düsseldorf v. 10.11.1983 – 2 U 134/83, AfP 1984, 46 = WRP 1984, 22. 604 OLG Hamburg v. 15.2.1961 – 3 U 213/61, NJW 1962, 917; BGH v. 10.7.1963 – Ib ZR 214/62, NJW 1964, 29; BVerfG v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63, NJW 1969, 1161. 605 OLG München v. 30.11.2001 – 21 U 4137/01, AfP 2002, 235 = ZUM-RD 2002, 370 – Scientology-Verlag. 606 BVerfG v. 8.10.2007 – 1 BvR 292/02, NJW-RR 2008, 200 und nachfolgend Rz. 137.
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Burkhardt/Peifer
VIII. Boykott- und sonstige Aufrufe
Rz. 137 Kap. 10
verfassungsgericht, hängt das vom Motiv des Verrufers, vom Ziel und Zweck des Aufrufes ab, ferner vom eingesetzten Mittel. Abgesehen davon darf die Verfolgung der Ziele des Verrufers das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder des Betroffenen nicht überschreiten607. Findet die Aufforderung ihren Grund nicht in eigenen Interessen wirtschaftlicher Art, son- 137 dern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit und dient sie der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, spricht das dafür, dass sie durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt ist, auch wenn dadurch private und namentlich wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden608. Zutreffend hat der BGH die mit der Darstellung der Haltungsbedingungen von Tieren verbundene, an eine Bank gerichtete Aufforderung auf der Internetseite eines Tierschutzvereins, das Konto eines Interessenverbands der Tierzüchter zu kündigen, als zulässigen Boykottaufruf angesehen609. Ebenso zutreffend hat das OLG Hamburg610 die Berichterstattung einer Arztwochenzeitung unter der Überschrift „Können Psychosekten in der Praxis-EDV spionieren“ über einen als Softwareanbieter tätigen sog. Christusbetrieb einer Glaubensgemeinschaft trotz der tatsächlichen Folgen für das Unternehmen nicht als unzulässigen Boykottaufruf gewertet. Als zulässig hat das Bundesverfassungsgericht den Aufruf des Hamburger Senatsdirektors Lüth bezeichnet, man solle keine Veit-Harlan-Filme mehr besuchen611. Eine die Allgemeinheit wesentlich berührende Frage kann auch die Verdrängung des Einzelhandels durch Supermärkte sein. Soweit Missstände auftreten, gehört es zu den Aufgaben der Presse, darauf aufmerksam zu machen und zur Beseitigung aufzufordern612. Z.B. ist es zulässig, in einem Fernsehmagazin kritisch über Geschäftsverbindungen zwischen Banken und einer rechtsgerichteten Partei zu berichten und die Kündigung der Geschäftsbeziehung durch eine Bank positiv hervorzuheben, um auch andere Geldinstitute zu weiteren Kündigungen zu veranlassen613. Zulässig war ein entsprechender Aufruf, der sich gegen die Betreiber von Abofallen bei Internetdiensten richtet614. Auch ein von einem Verbraucherverband ausgerufener Milchstreik ist für zulässig erklärt worden615. Das OLG Köln hat den Aufruf eines Kaufmannes rechtlich gebilligt616, einer Illustrierten, die durch auffällige Veröffentlichung von Abbildungen unvollständig bekleideter Mädchen hervorgetreten war, keine Inseratenaufträge mehr zu erteilen. Zur grundsätzlichen Zulässigkeit des aus ideellen Gründen erfolgten Aufrufes „Keine Seehundmäntel mehr kaufen“ vgl. OLG Frankfurt v. 7.3.1969 – 16 U 80/68, NJW 1969, 2095. Die Absicht der Wahrnehmung gemeinschaftswichtiger Belange kann sogar vorhanden sein, wenn der Boykottveranstalter 607 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257 – Lüth; v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/80, 1 BvR 438/80, 1 BvR 437/80, AfP 1983, 267 = NJW 1983, 1181, 1182 – Denkzettelaktion; v. 4.10.1988 – 1 BvR 1611/87, NJW 1992, 1153, 1154; BGH v. 27.4.1999 – KZR 54/97, GRUR 1999, 1031, 1033. 608 BVerfG v. 4.10.1988 – 1 BvR 1611/87, NJW 1992, 1153, 1154 – Chefredakteur; v. 8.10.2007 – 1 BvR 292/02, NJW-RR 2008, 200. 609 BGH v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, CR 2016, 407 = MDR 2016, 391 = AfP 2016, 248 – Nerzquäler. 610 OLG Hamburg v. 21.4.1998 – 7 U 237/97, VersR 1999, 1252. 611 BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, BVerfGE 7, 198, 212, 215 = NJW 1958, 257. 612 BVerfG v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/80, 1 BvR 438/80, 1 BvR 437/80, AfP 1983, 267 = NJW 1983, 1181 – Denkzettelaktion. 613 LG Frankfurt v. 9.11.2000 – 1 O 386/00, AfP 2001, 157 = NJW 2001, 761. 614 OLG München v. 15.11.2012 – 29 U 1481/12, MDR 2013, 165 = IPRB 2013, 130 = ITRB 2013, 53 = NJW 2013, 398. 615 LG Stuttgart v. 5.10.1955 – 11 Q 24/54, NJW 1956, 1073. 616 OLG Köln v. 29.3.1965 – 12 U 30/65, NJW 1965, 2345.
Burkhardt/Peifer 757
Kap. 10 Rz. 138
Sonderfragen
zum Boykottierten in einem beruflichen, gewerblichen oder sonstigen Konkurrenzverhältnis steht. Diese Situation schließt eine geistige Auseinandersetzung nicht schon für sich betrachtet aus617. Selbst eine gewisse wirtschaftliche Machtstellung ändert dies nicht zwingend. Auch dem wirtschaftlich Stärkeren ist die Führung eines geistigen Meinungskampfes verfassungsgemäß nicht verwehrt618. 138
Wird ein Boykott-Aufruf wegen eines Katastrophenfalles auf einen in Wirklichkeit nicht vorhandenen Umstand gestützt (z.B. auf die vermeintlich absichtliche Einleitung von Chemikalien in einen Fluss unter Ausnutzung seiner von dieser Firma verursachten Verseuchung), ist der Aufruf im Zweifel unzulässig, es sei denn, der Verrufer könnte sich auf zusätzliche Fakten stützen, die den Aufruf auch ohne den zu Unrecht behaupteten Umstand rechtfertigen.
139
Handelt der Boykottveranstalter nicht in der Sorge um gemeinschaftswichtige Belange, sondern geht es ihm um eigene wirtschaftliche Interessen, ist der Aufruf durch Art. 5 Abs. 1 GG im Zweifel nicht gedeckt. Das gilt vornehmlich, wenn der Boykottveranstalter eigene wirtschaftliche Interessen zu Wettbewerbszwecken verfolgt619. Ein Boykottaufruf zu Wettbewerbszwecken verstößt grundsätzlich gegen § 4 Nr. 4 UWG. Es widerspricht dem Grundsatz des Leistungswettbewerbs, einen Konkurrenten in organisierter Form an einer erlaubten wirtschaftlichen Betätigung zu hindern. Unter diesem Aspekt hat das Bundesverfassungsgericht auch das Verbot eines Rundschreibens als verfassungskonform bezeichnet, mit dem ein gekündigter Chefredakteur sich gegen seinen früheren Arbeitgeber gewandt hatte620. Auch der Aufruf einer gesetzlichen Krankenkasse an Ärzte, Krankentransporte innerhalb des Pflichtfahrgebiets nur mit bestimmten Taxiunternehmen durchzuführen, ist unzulässig621. Ein Boykottaufruf kann darüber hinaus gegen § 19 Abs. 1 GWB verstoßen, wenn er in der Absicht erfolgt, bestimmte Wettbewerber unbillig zu behindern. Dies ist z.B. bei einem Rundschreiben eines Herstellerverbandes der Fall, in dem nicht nur die Prüfpraxis zweier Überwachungsorganisationen im Zusammenhang mit der Verwendung des GS-Prüfzeichens kritisiert wird, sondern darüber hinaus die Mitgliedsunternehmen aufgefordert werden, bei Prüfaufträgen künftig vorrangig Wettbewerber zu berücksichtigen622. Wenn eine Publikation der bloße Versuch ist, in einer partikularen Auseinandersetzung auf wirtschaftlichem Gebiet die Interessen einer Gruppe von Unternehmen gegenüber einer anderen durchzusetzen, kann das auch bei fehlendem Wettbewerbsverhältnis unzulässig sein, und zwar unter dem Blickwinkel des Persönlichkeits- bzw. Unternehmensschutzes oder nach § 826 BGB. Einen Hinweis hierauf kann der Kreis der Adressaten geben, z.B. die Tatsache, dass die Veröffentlichung nur Mitglieder der beteiligten Fachkreise im Abonnement beziehen, speziell wenn diese keiner Aufklärung über die behaupteten Missstände bedürfen623. Von der Möglichkeit einer nur partikularen Auseinandersetzung auf wirtschaftlichem Gebiet ist auch bei der Boykottandrohung gegenüber Firmen ausgegangen worden, die Sportübertragungen im Fernsehen faktisch verhindert ha617 BVerfG v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63, NJW 1969, 1161 – Blinkfüer; v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/80, 1 BvR 438/80, 1 BvR 437/80, AfP 1983, 267 = NJW 1983, 1181 – Denkzettelaktion; BGH v. 10.1.1968 – I b ZR 43/66, NJW 1968, 1419 – Pelzversand; Wenzel, GRUR 1968, 626. 618 BVerfG v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63, NJW 1969, 1161 – Blinkfüer. 619 OLG Frankfurt v. 18.6.2015 – 6 U 46/14, GRUR-RR 2016, 14 – Schmuddelkind. 620 BVerfG v. 4.10.1988 – 1 BvR 1611/87, NJW 1992, 1153. 621 BGH v. 27.4.1999 – KZR 54/97, GRUR 1999, 1031. 622 OLG Frankfurt v. 23.9.1997 – 11 U (Kart.) 18/97, n.v. – GS-Zeichen; vgl. Bechthold/Uhlig, NJW 1999, 3526, 3532. 623 BVerfG v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/80, 1 BvR 438/80, 1 BvR 437/80, AfP 1983, 267 = NJW 1983, 1181, 1182 – Denkzettelaktion.
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Burkhardt/Peifer
VIII. Boykott- und sonstige Aufrufe
Rz. 141 Kap. 10
ben, und zwar durch die Anbringung aufdringlicher Werbehinweise, die bei der Übertragung zwangsläufig ins Bild kommen, wie insbesondere sog. Reiter624. Wesentlich ist weiter das vom Boykottveranstalter eingesetzte Mittel. Das Mittel muss ver- 140 fassungsrechtlich zu billigen sein. Das ist der Fall, wenn der Verrufer sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung, also auf Mittel beschränkt, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten. Die Ausübung wirtschaftlichen Druckes, der für die Adressaten schwere Nachteile bewirkt und ihnen die Möglichkeit nimmt, ihre Entscheidung in voller innerer Freiheit zu treffen, ist durch Art. 5 Abs. 1 GG nicht geschützt. Unzulässig ist ein Boykottaufruf, wenn angekündigt wird, im Falle der Nichtbefolgung des Aufrufes werde geprüft werden, ob die Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen mit dem Boykottveranstalter noch verantwortet werden könne, speziell wenn die Adressaten auf die Fortsetzung dieser Geschäftsbeziehungen angewiesen sind625. Ob der Boykottveranstalter den wirtschaftlichen Druck selbst ausüben will oder ob er die Adressaten des Aufrufes, insoweit mit dem Mittel freier Überzeugung, dazu zu veranlassen sucht, ihrerseits mit Hilfe wirtschaftlicher Mittel Druck auszuüben, ist jedenfalls im Rahmen eines Wettbewerbsverhältnisses ohne Belang. Unzulässig ist deswegen der Aufruf eines Brancheninformationsdienstes, Fachhändler sollten die Hersteller benennen, die Verbrauchermärkte beliefern, damit die Fachhändler von ihnen nichts mehr beziehen626. Ebenso ist unter dem Blickwinkel des Eingriffs in das Recht am Unternehmen unzulässig, die Mieter eines mehr als 30.000 Wohnungen verwaltenden Großvermieters dazu aufzufordern, Wohnungen für einen Monat für besetzt zu erklären und die Miete nicht zu zahlen, auch wenn dadurch ein Protest gegen die Wohnungspolitik des Großvermieters zum Ausdruck gebracht werden soll. Die Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 GG decken nur den Einsatz von Mitteln, die der Durchsetzung des eigenen Standpunktes in der geistigen Auseinandersetzung adäquat sind. Der Rechtsbruch, sei es auch in der Form des Vertragsbruchs, ist kein durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützter Weg, die eigene Überzeugung durchzusetzen627. Diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis bestätigt628, allerdings unter Hinweis darauf, dass die Aufforderung zum Vertragsbruch ein Problem des Art. 5 Abs. 2 GG ist629. Schließlich darf die Verfolgung der Ziele des Verrufers das Maß der nach den Umständen not- 141 wendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder des Betroffenen nicht überschreiten630. Anders als bei sonstigen Äußerungen kommt es also bei Boykottaufrufen auf die Notwendigkeit der Angemessenheit des Mittels an (vgl. Kap. 6 Rz. 81). Das ist insofern der Fall, als ein Boykottaufruf nicht lediglich eine Meinungskundgabe, sondern eine Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten gegenüber dem Verrufenen ist. An die Zulässigkeit können und müssen deswegen strengere Anforderungen gestellt werden. Den in einer Tageszeitung in Form einer Anzeige an mehr als 30.000 Mieter eines Großvermieters gerichteten 624 OLG Stuttgart v. 4.6.1975 – 4 U 40/75, GRUR 1975, 505 = AfP 1976, 90 m. Anm. Hörle; vgl. auch die Vorentscheidung des LG Stuttgart v. 26.11.1974 – 17 O 368/74, DB 1975, 199. 625 BVerfG v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63, NJW 1969, 1161 – Blinkfüer. 626 BVerfG v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/80, 1 BvR 438/80, 1 BvR 437/80, AfP 1983, 267 = NJW 1983, 1181 – Denkzettelaktion. 627 BGH v. 29.1.1985 – VI ZR 130/83, MDR 1985, 1011 = AfP 1985, 114 = NJW 1985, 1620, 1621 – Mietboykott. 628 BVerfG v. 27.10.1987 – 1 BvR 385/85, NJW 1989, 381. 629 Vgl. BVerfG v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/80, 1 BvR 438/80, 1 BvR 437/80, BVerfGE 62, 230, 244 = AfP 1983, 267 – Boykottaufruf. 630 BVerfG v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/80, 1 BvR 438/80, 1 BvR 437/80, AfP 1983, 267 = NJW 1983, 1181, 1182 – Denkzettelaktion.
Burkhardt/Peifer 759
Kap. 10 Rz. 142
Sonderfragen
Aufruf zu einem Mietboykott hat der BGH mit Recht als empfindliche, das Recht am Unternehmen verletzende Maßnahme bezeichnet631. Wäre dieser Aufruf in weitgehendem Maße befolgt worden, hätte er die Abläufe im Betrieb des Boykottierten in empfindlicher Weise gestört, weswegen er eine ernstzunehmende Bedrohung dargestellt hat. 3. Sonstige Aufrufe 142
Die rechtliche Beurteilung sonstiger Aufrufe, z.B. in Form von Zeitungsinseraten, Handzetteln, Plakaten, bereitet vor allem Schwierigkeiten, wenn der Aufruf sich gegen Einzelpersönlichkeiten, private Vereinigungen usw. richtet. Das Recht zu einem solchen Aufruf kann niemandem schon von vornherein und unter allen Umständen abgesprochen werden. Andererseits ist die für den Betroffenen u.U. existenzbedrohende Wirkung zu beachten, z.B. wenn in plakativer Form zur Mitteilung negativer Erfahrungen mit den Leistungen eines Freiberuflers aufgefordert wird, wenn die bei einer gemeinnützigen Vereinigung angeblich vorhandenen Missstände und dergleichen einer „Meldestelle“ angezeigt werden sollen. Aufrufe dieser Art können eine Prangerwirkung haben, die es den Angesprochenen als unmöglich erscheinen lässt, mit dem Angegriffenen überhaupt noch in Kontakt zu treten. In Fällen dieser Art ist zunächst der Aussagegehalt des Aufrufs zu ermitteln (vgl. dazu die allgemeinen Interpretationsgrundsätze in Kap. 4 Rz. 1 ff.) und anhand des wirklichen Sachverhaltes auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Enthält der Aufruf eine unwahre oder unrichtige Aussage, ist er schon deswegen zu untersagen. Im Übrigen hängt die Zulässigkeit von Anlass und Zweck ab, überdies von äußerer Form und Häufigkeit, die ins Verhältnis zur Beeinträchtigung des Betroffenen zu setzen sind. a) Aussagegehalt
143
Der Aussagegehalt eines Aufrufes geht, namentlich wenn er ungewöhnlich ist, über den bloßen Wortlaut oftmals weit hinaus. Wegen der relativen Seltenheit derartiger Aufrufe wird der Anschein erweckt, es existiere ein Sachverhalt, der eine so ungewöhnliche Maßnahme erforderlich mache. Kündigt z.B. ein Ehemann an, er könne künftig für die Schulden seiner Ehefrau nicht mehr aufkommen, besagt dies, die Ehefrau habe (auch in jüngster Zeit noch) Rechnungen offengelassen, die der Ehemann habe begleichen müssen. Überdies wird man einem solchen Aufruf entnehmen können, dies sei nicht nur vereinzelt bzw. bei nicht ganz unerheblichen Beträgen der Fall gewesen. Zu ermitteln ist deswegen, wie es sich mit den Schulden der Ehefrau und dem Eintreten des Mannes tatsächlich verhält. Hat die Ehefrau überhaupt keine oder jedenfalls nicht ohne Billigung des Mannes Schulden gemacht oder liegen die Vorgänge lange Zeit zurück bzw. waren sie unerheblich, vermittelt der Aufruf eine mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmende Vorstellung. Die durch den Aufruf erfolgte Aussage ist also falsch.
144
Entsprechendes gilt, wenn es etwa heißt, „Eltern, die von der Hausaufgabenbetreuung des Institutes enttäuscht sind, bitte melden bei …“. Der Leser eines solchen Aufrufes kann nur glauben, der Verrufer habe Missstände festgestellt, weswegen Anlass bestehe, zusätzliche enttäuschte Eltern zu ermitteln, um sie zusammenzuschließen, ihnen zu helfen oder ähnliches. Die Zulässigkeit eines solchen Aufrufes setzt voraus, dass der Verrufer bereits über „Material“ verfügt. Er kann sich nicht darauf berufen, den streitigen Aufruf in der Erwartung geplant zu haben, im Falle der Veröffentlichung bzw. bei Wiederholung werde er die Auskünfte erhalten,
631 BGH v. 29.1.1985 – VI ZR 130/83, MDR 1985, 1011 = AfP 1985, 114 = NJW 1985, 1620.
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Burkhardt/Peifer
VIII. Boykott- und sonstige Aufrufe
Rz. 147 Kap. 10
die zur Begründung der aufgestellten Behauptung und des geäußerten Verdachtes erforderlich sind632. Inwieweit und in welchem Umfang der Aufrufer in der Lage sein muss, den von ihm aus- 145 drücklich oder implizit behaupteten Missstand bzw. den Verdacht schon vor Veröffentlichung oder vor Wiederholung des Aufrufes zu belegen, wenn die Publikation die Beweismittel erst erbringen soll, hängt von den Umständen ab. Maßgebend ist die Bedeutsamkeit des Vorganges für den Aufrufer oder die Allgemeinheit, ferner der Schwierigkeitsgrad der Beweisführung. Zulässig ist es z.B., Telekom-Kunden aufzurufen, Fernmelderechnungen nach einer Tarifänderung nur unter Vorbehalt zu zahlen, da andernfalls sechs Wochen nach Zugang der Rechnung Einwendungen gegen diese gem. § 17 Abs. 1 Telekommunikations-KundenschutzVO 1995 nicht mehr geltend gemacht werden können633. b) Anlass des Aufrufes Insbesondere wenn der Aufruf für den Betroffenen eine nachhaltig beeinträchtigende Wir- 146 kung hat, setzt die Zulässigkeit einen konkreten und aktuellen Anlass voraus. Ein solcher Anlass kann sich z.B. aus der Beweisnot ergeben, in die ein von einem Lieferanten verklagter Abnehmer gerät, der durch einen Vertreter arglistig getäuscht worden ist. Wenn der vom Lieferanten als Zeuge benannte Vertreter zu dem Sachverhalt, aus dem die arglistige Täuschung folgt, falsch aussagt und dem Abnehmer kein Gegenzeuge zur Verfügung steht, bleibt dem Abnehmer praktisch nur die Möglichkeit, nach anderen Abnehmern zu fahnden, die evtl. nach gleichem Muster hereingelegt worden sind. Eine solche Fahndung kann z.B. durch ein Inserat erfolgen, durch das der Abnehmer ebenfalls Getäuschte um Nachricht bittet. Wenn sich auf diese Weise herausstellt, dass der betreffende Vertreter andere ebenso getäuscht hat, wie der Abnehmer dies behauptet, kann es gelingen, die gegenteilige Aussage des Vertreters als Falschaussage zu entlarven. Einen ganz ähnlichen Fall hat das LG Oldenburg behandelt634, nämlich ein Inserat, mit dem ein Anwalt nach weiteren Grundstücksgeschädigten gefahndet hat. Als zulässig ist auch der Inseratenaufruf eines Bauherrn angesehen worden, mit dem er Leidensgenossen gesucht hat, die gleichfalls auf eine Bauträgergesellschaft hereingefallen waren635. Der aktuelle und ausreichende Anlass für einen Aufruf ist zu verneinen, wenn ein halbes Jahr, nachdem sich z.B. in Karlsruhe einige Eltern über die Hausaufgabenbetreuung einer Institution beschwert haben, ein Aufruf in der Stuttgarter Zeitung erfolgt und auch sonst nicht ersichtlich ist, welcher als berechtigt anzuerkennende Anlass oder Zweck vorhanden ist, „enttäuschte Eltern“ zur Meldung zu veranlassen636. Die Aufforderung an Telekom-Kunden, nach der Tarifreform 1996 Fernmelderechnungen nur unter Vorbehalt zu zahlen, wurde als zulässig angesehen637. c) Zweck des Aufrufes Neben dem Anlass kommt vor allem dem mit dem Aufruf verfolgten Zweck Bedeutung zu. 147 Bei normalen publizistischen Äußerungen geht die Rspr. mangels entgegenstehender Umstände praktisch ungeprüft davon aus, sie dienten dem Informationsinteresse. Bei Aufrufen 632 633 634 635 636 637
OLG Stuttgart v. 22.12.1977 – 4 W 19/77, AfP 1978, 32. OLG Düsseldorf v. 19.11.1996 – U (Kart.) 14/96, NJW-RR 1997, 1045. LG Oldenburg v. 18.11.1982 – 5 O 68/82, AfP 1983, 418. OLG München v. 12.7.1991 – 21 U 6709/90, AfP 1992, 275. OLG Stuttgart v. 22.12.1977 – 4 W 19/77, AfP 1978, 32. OLG Düsseldorf v. 19.11.1996 – U (Kart.) 14/96, NJW-RR 1997, 1045.
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der hier erörterten Art ist das nicht möglich. Diese Aufrufe erschöpfen sich nicht in der Information. Sie sollen eine Reaktion bewirken, die gezielt gegen eine bestimmte Person oder Vereinigung gerichtet ist, wobei es sich zumeist darum handelt, „Belastungsmaterial“ beizubringen. Solche Aufrufe sind in besonderem Maße geeignet, für egoistische Motive, Neid, Rachsucht und dergleichen missbraucht zu werden. 148
Unter diesen Umständen erscheint es bedenklich, wenn das OLG Stuttgart es als ausreichenden Zweck für derartige Aufrufe bezeichnet, „Erfahrungsmaterial“ zu sammeln, „um sich ein Urteil über die Hausaufgabenbetreuung des Klägers zu bilden und je nach Befund zu kritisieren“638. Wäre dies zutreffend, könnte jeder faktisch jeden durch den Aufruf, man möge seine „Erfahrungen“ mitteilen, ins Zwielicht bringen und sich hernach dadurch herausreden, dies sei geschehen, um ggf. „Kritik“ zu üben. Allerdings hat das OLG Stuttgart den von ihm erörterten Aufruf im Ergebnis für unzulässig bezeichnet, weil nicht nach Erfahrungen schlechthin, sondern ausschließlich nach negativen Erfahrungen gefragt worden war, woraus entnommen werden konnte, dass der Aufrufer an positiven Stimmen nicht interessiert war, dass er also nicht Material über den Betroffenen, sondern nur solches gegen ihn sammeln und demzufolge nicht objektiv informieren, sondern den Betroffenen mangels anderer Zwecke ersichtlich i.S.d. § 826 BGB sittenwidrig schädigen wollte639.
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Als keinen die Persönlichkeitsbeeinträchtigung rechtfertigenden Zweck bezeichnet das LG Stuttgart640 die Absicht, die eigene Ehe durch den Aufruf zu retten, „Erfahrungen mit einer Gruppen-Psychotherapie bei Dr. A. mitzuteilen“, um auf diese Weise Fehler dieser Therapie aufzudecken, die für das eheliche Zerwürfnis ursächlich seien. Soweit es sich zusätzlich darum handle, gegen den Psychotherapeuten Ersatzansprüche geltend zu machen, genüge im Zweifel das Zeugnis der übrigen Mitglieder der Therapiegruppe, der der Aufrufer und seine Ehefrau selbst angehört haben; die Kontaktaufnahme mit Mitgliedern anderer Therapiegruppen des betreffenden Psychotherapeuten sei von nur begrenztem Wert. Wenn der Aufrufer beabsichtige, eine von seinem eigenen Fall unabhängige gemeinnützige Vereinigung gegen psychotherapeutische Fehlbehandlungen ins Leben zu rufen, rechtfertige dies nicht die Nennung eines bestimmten Therapeuten. Unzulässig ist auch eine Zahlungsaufforderung per Inserat („Nach mehrfachen erfolglosen Mahnungen fordere ich Frau M auf, mir das seit langem fällige Geld zurückzuzahlen“). Zur Durchsetzung von Ansprüchen steht der Rechtsweg zur Verfügung641.
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Auch eine öffentliche Wahl ist kein hinreichender Anlass, eine Privatperson, z.B. einen Unternehmer, einen Gewerkschaftler, Wissenschaftler oder Künstler zum Gegenstand eines Aufrufes der hier erörterten Art zu machen, wenn der Betreffende weder Kandidat ist noch sich in sonstiger Weise für den Wahlausgang engagiert, sondern eine bestimmte Gruppe lediglich versucht, ihn als „abschreckendes Beispiel“ oder in sonstiger einseitig verzerrter Weise hochzustilisieren.
638 OLG Stuttgart v. 22.12.1977 – 4 W 19/77, AfP 1978, 32. 639 Vgl. RG v. 9.1.1905 – VI 104/04, RGZ 60, 12, 16; OLG Frankfurt v. 11.6.1979 – 6 W 55/79, WRP 1979, 724; LG Oldenburg v. 18.11.1982 – 5 O 68/82, AfP 1983, 418. 640 LG Stuttgart v. 1.12.1977 – 17 O 340/77, n.v. 641 LG Oldenburg v. 5.12.1985 – 5 O 3178/85, AfP 1986, 83.
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IX. Äußerung eines Verdachts
Rz. 154 Kap. 10
d) Äußere Form und Häufigkeit Für die Zulässigkeit sind weiterhin die äußere Form des Aufrufes und seine Häufigkeit und 151 damit die Intensität des Eingriffes bestimmende Faktoren. Allerdings lassen sich auch insoweit keine exakten Daten angeben. Es ist eine einzelfallabhängige Wertungsfrage. Als unzulässig wird man einen Aufruf schon allein der Form wegen zu betrachten haben, 152 wenn seine Aufmachung durch das erstrebte Ziel nicht gedeckt ist, sondern die Darstellung auf eine bloße Diffamierung hinausläuft. Das kann z.B. der Fall sein, wenn ein ganzseitiges Inserat in einer Angelegenheit erscheint, die ihrer Bedeutung nach allenfalls eine Kleinanzeige gerechtfertigt hätte; ferner wenn eine knallige Headline und eine Sprache gewählt werden, wie dies in der Sensationspresse üblich ist, nicht aber bei der Verfolgung sachlicher Anliegen. Besonders kritisch sind Veröffentlichungen zu betrachten, die eine Abbildung des Betroffenen enthalten. Zu denken ist z.B. an Plakatanschläge, die den Betroffenen ähnlich einem steckbrieflich Gesuchten erscheinen lassen. Auch bei Persönlichkeiten der Zeitgeschichte wird in solchen Fällen davon auszugehen sein, dass der Verwendung des Bildnisses berechtigte Interessen des Abgebildeten i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG entgegenstehen; ohne spezifischen Anlass gegeben zu haben, braucht niemand hinzunehmen, in solcher Weise an den Pranger gestellt zu werden. Auch wenn der Aufruf an sich zulässig war, kann die Wiederholung trotzdem unzulässig sein. 153 Wenn es sich z.B. darum handelt, Zeugen zu gewinnen, Auskünfte zu erhalten oder dergleichen, wird i.d.R. die einmalige Veröffentlichung des Aufrufes ausreichend sein. Eine Wiederholung oder gar mehrfache Wiederholung würde im Zweifel nichts grundsätzlich Neues zutage fördern, sondern im Wesentlichen nur die Beeinträchtigung und evtl. Diffamierung des Betroffenen unnötig verstärken. Wiederholungen können deswegen nur bei besonderer Fallgestaltung zugelassen werden.
IX. Äußerung eines Verdachts Schrifttum: Soehring, Vorverurteilung durch die Presse – Der publizistische Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, 1999; Schlüter, Verdachtsberichterstattung, 2011; Rinsche, Verdachtsberichterstattung, AfP 2013, 1; Lehr, Der Verdacht – eine besondere Herausforderung an den Ausgleich zwischen Persönlichkeitsschutz und freier Berichterstattung, AfP 2013, 7; Brinkmann, Verdachtsberichterstattung und Umkehr der Beweislast, AfP 2015, 290; Gounalakis, Geldentschädigung bei vorverurteilenden Äußerungen durch Medien oder Justiz, NJOZ 2016, 361.
1. Allgemeine Grundsätze Verfehlungen und Missstände aufzuzeigen gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien. Sie 154 brauchen damit nicht zu warten, bis der volle Nachweis erbracht oder gar amtlich bestätigt ist. Sie können ganz im Gegenteil Vorgänge von sich aus aufgreifen, auch in einem Stadium, in dem zunächst lediglich ein Verdacht besteht642. Über diesen darf auch identifizierend berich-
642 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381; BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 – Abgeordnetenbestechung; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98, 103 – Organentnahme.
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tet werden643. Es ist aber die journalistische Sorgfaltspflicht zu beachten. Dabei sind die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht umso höher anzusetzen, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird644. Jedoch dürfen die Sorgfaltspflichten nicht überspannt werden645. Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, der Betroffene sei der Handlung bereits überführt. Ob es sich um den Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer z.B. nur moralisch verwerflichen Tat handelt, ist ohne Belang646. Eine Vorverurteilung durch die Medien ist auszuschließen647. Es ist daher auch über Tatsachen und Argumente zu berichten, die den Betroffenen entlasten. Es sollte ferner, jedenfalls bei schwerwiegenden Vorwürfen, dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden648. Werden die Grundsätze für eine zulässige Verdachtsberichtserstattung eingehalten, scheiden Ansprüche gegen den Äußernden aus, auch wenn sich später die Unwahrheit herausstellt. Die Legitimität solcher Verdachtsäußerungen ergibt sich bereits daraus, dass diese in die Öffentlichkeit berührenden Angelegenheiten notwendig sein können, um weitere Ermittlungen in Gang zu bringen. Der Watergate-Fall ist hierfür das klassische Beispiel. 155
Bei solchen Berichten sind aber Rechte und Interessen der Betroffenen zu beachten. Wer in Verdacht geraten ist, bleibt oft auch bei vollem Unschuldsbeweis mit einem Makel behaftet649, zumal über die Ausräumung des Verdachts meist weit weniger auffällig oder überhaupt nicht berichtet wird (zum Recht auf Nachtrag s. Rz. 162a). Aus dieser Spannungslage folgt, dass über einen Verdacht öffentlich nur berichtet werden darf, wenn dafür ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorhanden ist. In jedem Fall müssen die Medien, ehe sie sich zur Veröffentlichung entschließen, durch die ihnen möglichen Ermittlungen die Gefahr, dass sie über die Betroffenen etwas Falsches verbreiten, nach Kräften auszuschalten suchen650. Dabei ist aller643 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; OLG Saarbrücken v. 5.10.2016 – 5 U 3/16, AfP 2017, 65 Rz. 35. 644 BVerfG v. 26.8.2003 – 1 BvR 2243/02, AfP 2003, 539 – Haarfarbe des Bundeskanzlers; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 – Abgeordnetenbestechung; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, AfP 2014, 135 – Sächs. Korruptionsaffäre; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 13 – Online-Archiv II; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98, 103 – Organentnahme; OLG Brandenburg v. 15.2.1995 – 1 U 23/94, NJW 1995, 886, 888; OLG München v. 29.6.2001 – 21 U 2877/01, AfP 2001, 404 = NJW-RR 2002, 186. 645 BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480; v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 – Doping in der DDR; BGH v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, AfP 2015, 36 Rz. 15 – Chefjustiziar. 646 KG v. 2.7.2007 – 10 U 141/60, AfP 2007, 567; OLG Hamburg v. 8.4.2008 – 7 U 21/07, AfP 2008, 404; Rinsche, AfP 2013, 1; Schlüter, S.103. 647 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98, 103 – Organentnahme; OLG Brandenburg v. 15.2.1995 – 1 U 23/94, AfP 1995, 520 = NJW 1995, 886; OLG München v. 17.11.1995 – 21 U 3032/95, NJW-RR 1996, 1487, 1488. 648 Teilweise strenger: BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung; OLG Celle v. 20.4.2000 – 13 U 160/99, NJW-RR 2001, 335. 649 Vgl. Francis Bacon, frei nach Plutarch: audacter calumniare semper aliquid haeret – verleumde nur dreist, es bleibt immer etas hängen. 650 BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288, 1289 – Abgeordnetenbestechung; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; v. 16.2.2016 – VI ZR
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IX. Äußerung eines Verdachts
Rz. 155b Kap. 10
dings zu berücksichtigen, dass Medien nur über begrenzte Mittel zur Ermittlung der Wahrheit verfügen und dem Zwang zu aktueller Berichterstattung unterliegen651. 2. Anforderungen im Einzelnen Als Verdachtsäußerung kommen nur Äußerungen mit Tatsachencharakter in Betracht. Nur 155a bei solchen kann im Zeitpunkt der Äußerung der Wahrheitsgehalt ungeklärt sein652. Deutung und Einordnung der Äußerung sind mithin weichenstellend. Liegt eine reine Meinungsäußerung vor und werden gleichwohl die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung angewendet, verletzt dies die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG653. Auch durch Fragen kann ein Verdacht geäußert werden654. Da offene Fragen rechtlich wie Meinungsäußerungen zu behandeln sind (vgl. Kap. 4 Rz. 31), muss sich die Verdachtsäußerung aus dem Kontext eindeutig ergeben. Stellt der Äußernde lediglich mögliche Schlussfolgerungen auf der Grundlage unstreitiger Tatsachen in den Raum, handelt es sich um eine im Regelfall nicht angreifbare Meinungsäußerung655. Dies gilt auch für rechtliche Bewertungen feststehender Tatsachen656. Heißt es z.B. „Hält man an ihm fest, weil er mehr über die Affäre weiß, als bislang bekannt ist?“, wird damit die Möglichkeit in den Raum gestellt, man lasse den Betroffenen nur deswegen nicht fallen, weil er eventuell Mitwisser geheimer Vorgänge sei, die er ggf. ausplaudern würde. Liegen dafür Anhaltspunkte vor, kann eine solche Frage zulässig sein. Für den Mindestbestand an Beweistatsachen reicht der bloße Umstand, dass Strafanzeige 155b oder Strafantrag gestellt wurde, ebenso wenig wie die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens657. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren bei Vorliegen eines Anfangsverdachts einzuleiten. Dafür genügt, dass aufgrund zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte nach kriminalistischer Erfahrung die bloße Möglichkeit einer Straftat gegeben ist. Es genügen bereits entferntere Verdachtsgründe. Dies ist für (nicht privilegierte, vgl. Rz. 26 ff.) Verdachtsäußerungen gegenüber Dritten als Mindestbestand an Beweistatsachen nicht ausreichend. Bei Fortschreiten eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens und der dadurch erlangten Erkenntnisse kann sich dies ändern658. Etwa wenn Haftbefehl oder Durchsuchungsanordnung erlassen werden659, spricht dies für einen hinreichenden Bestand an Beweistatsachen. Welche Anforderungen im Einzelfall zu stellen sind, hängt von der Schwere des geäußerten Verdachts ab. Je schwerer und nachhaltiger das Ansehen beeinträchtigt wird, desto höhere
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367/15, NJW-RR 2017, 31 – Online-Archiv II; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017; 98, 103 – Organentnahme. BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288, 1289 – Abgeordnetenbestechung. Vgl. BVerfG v. 16.3.2017 – 1 BvR 3085/15, NJW-RR 2017, 1003; BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, AfP 2014, 135 Rz. 26 – Sächs. Korruptionsaffäre; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rz. 22 – Online-Archiv II; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98, 103 – Organentnahme; OLG Köln v. 16.3.2017 – 15 U 134/16, BeckRS 2017, 133470. BVerfG v. 16.3.2017 – 1 BvR 3085/15, NJW-RR 2017, 1003. OLG Hamburg v. 9.12.2008 – 7 U 12/08, AfP 2009, 149; v. 8.4.2008 – 7 U 21/07, AfP 2008, 404; OLG München v. 29.6.2001 – 21 U 2877/01, AfP 2001, 404. BGH v. 27.9.2016 – VI ZR 250/13, AfP 2017, 48 Rz. 11 – „Mal PR-Agent, mal Reporter“; OLG Köln v. 7.3.2017 – 15 U 7/17, AfP 2017, 159. OLG Köln v. 7.3.2017 – 15 U 7/17, AfP 2017, 159. BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rz. 23 und 26 – Online-Archiv II; Näheres zur Berichterstattung über Ermittlungsverfahren s. Rz. 166 ff. OLG Dresden v. 27.11.2003 – 4 U 991/03, NJW 2004, 1181. OLG Karlsruhe v. 2.2.2015 – 6 U 130/14, AfP 2015, 173, 175; aber: LG Frankfurt a.M. v. 22.6.2017 – 2-03 O 355/16, AfP 2017, 453 Rz. 48.
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Kap. 10 Rz. 156
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Anforderungen sind an die Beweistatsachen zu stellen660. So genügen eigene Schlussfolgerungen einer psychisch labilen Zeugin für eine Berichterstattung über gegen ihren früheren Vorgesetzten erhobene Vorwürfe, er sei pädophil und habe ein sexuelles Verhältnis mit einem minderjährigen Mädchen, nicht661. Wurde ein Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt oder der Betroffene freigesprochen, kann zwar der Verdacht noch fortbestehen, jedoch dürfte das Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinter das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen regelmäßig zurücktreten662, so dass eine erneute Veröffentlichung des Verdachts ohne zusätzliche Erkenntnisse unzulässig wäre. Nicht ausreichend ist regelmäßig auch die schlichte Bezugnahme auf andere Presseberichte663. Dadurch mag zwar das Informationsinteresse an der Angelegenheit, nicht jedoch der Mindestbestand an Beweistatsachen belegt werden. 156
Über einen Verdacht trotz vorhandener Zweifel an der Zuverlässigkeit des Informanten zu berichten, ohne weitere Recherchen vorzunehmen, insbesondere dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen, oder weitere Aufklärung abzuwarten, kann nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die Veröffentlichung wegen bevorstehender Ereignisse keinen Aufschub duldet. Das bloße Interesse, die Meldung als erster zu bringen, bedeutet keine Rechtfertigung der Publikation eines zweifelhaften Verdachts. Kennt ein Informant den Vorwurf nur vom Hörensagen, sind jedenfalls bei schwerwiegenden Vorwürfen, wie etwa der Bestechlichkeit eines Behördenleiters, zusätzliche Recherchen erforderlich664. Fehlt selbst ein Mindestbestand an Beweistatsachen, der der Meldung überhaupt erst Öffentlichkeitswert verleiht, hat die Presse auf die Veröffentlichung überhaupt zu verzichten665, selbst in einer die Ordnung des Staates berührenden Angelegenheit666. Ist das Informationsinteresse besonders hoch und besteht auch eine Eilbedürftigkeit für eine Veröffentlichung des Verdachts, kann eine Berichterstattung auch dann zulässig sein, wenn nur ein minimaler Bestand an Beweistatsachen vorliegt. In diesem Fall ist jedoch auf die Ausgewogenheit des Berichts, insbesondere dass es sich lediglich um einen unbestätigten Verdacht handelt, besonderer Wert zu legen667. Auch ein Bankunternehmen darf eine Warnung nur aussprechen, wenn es sich auf einen Mindestbestand an Beweisen stützen kann668.
660 BVerfG v. 28.6.2016 – 1 BvR 3388/14, AfP 2016, 530 Rz. 21 – Doping in der DDR; BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288, 1289 – Abgeordnetenbestechung; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 13 – Online-Archiv II; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 Rz. 38 – Organentnahme; OLG Brandenburg v. 15.2.1995 – 1 U 23/94, NJW 1995, 886, 888; OLG München v. 29.6.2001 – 21 U 2877/01, AfP 2001, 404 = NJW-RR 2002, 186; vgl. EGMR v. 30.10.2012 – 6068/10 Rz. 78 – Karpetas. 661 BGH v. 17.12.2013 – IV ZR 211/12, AfP 2014, 135 Rz. 29 – Sächs. Korruptionsaffäre. 662 BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 13 – Online-Archiv II; OLG Dresden v. 13.11.1997 – 4 U 1392/97, AfP 1998, 410; OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 149 f. – Panama Papers. 663 OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 149 f. – Panama Papers; OLG Köln v. 16.3.2017 – 15 U 134/16, BeckRS 2017, 133470. 664 OLG München v. 29.6.2001 – 21 U 2877/01, AfP 2001, 404 = NJW-RR 2002, 186. 665 BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148. 666 BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 – Abgeordnetenbestechung; OLG Brandenburg v. 12.6.2002 – 1 U 6/02, NJW-RR 2002, 1269; zweifelhaft, vgl. dazu Sedelmeier, AfP 1977, 377. 667 Vgl. Sedelmeier, AfP 1977, 377; Rinsche, AfP 2013, 1, 2. 668 BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 352/91, MDR 1993, 230 = NJW 1993, 525, 527 – Ketten-Mafia.
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IX. Äußerung eines Verdachts
Rz. 157 Kap. 10
Erforderlich ist ferner ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Dies liegt jedenfalls 156a dann vor, wenn es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handelt669. Ein Informationsinteresse kommt bei Straftaten nicht nur in Fällen schwerer Kriminalität, sondern auch in Fällen kleiner oder mittlerer Kriminalität in Betracht, soweit z.B. wegen der Person des Täters ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht. So kann ein Informationsinteresse schon bei einem schwerwiegenden Verkehrsverstoß im Hinblick auf die Person des Täters vorliegen670. Hat der Täter eine prominente Stellung inne, so kann bereits dies ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an seinem Alltagsleben begründen671. Zu berücksichtigen ist auch der eigene Umgang des Betroffenen mit der Öffentlichkeit, insbesondere sein Verhalten gegenüber Medien672. Wurde auch in anderen, insbesondere überregionalen Medien berichtet, spricht dies für das Bestehen eines erheblichen Informationsinteresses der Öffentlichkeit673. Ein öffentliches Interesse wurde beispielsweise bei Vorwürfen sexuellen Missbrauchs gegen einen Polizeibeamten674, beim Verdacht strafbarer Handlungen eines Zahnarztes im Rahmen seiner Berufsausübung675, beim Vorwurf der illegalen Organtransplantation676, beim Verdacht einer gefährlichen Körperverletzung durch ungeschützten Geschlechtsverkehr bei HIV-Infektion677 und beim Vorwurf, ein Landtagsabgeordneter sei lange Jahre Stasi-Mitarbeiter gewesen und habe seine damalige Freundin und heutige Ehefrau bespitzelt678, angenommen. Inwieweit es zulässig ist, bei solchen Veröffentlichungen Personen- und Firmennamen zu 157 nennen, hängt von den Umständen ab. Dabei ist grundsätzlich besondere Zurückhaltung zu wahren679. Eine namentliche Erwähnung des Betroffenen kommt nur in Betracht, wenn das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen überwiegt. Es kommt darauf an, ob an der Person des Betroffenen ein besonderes Interesse besteht, sei es im Zusammenhang mit dem entstandenen Verdacht, sei es wegen seiner allgemeinen Stellung. Eine Namensnennung kommt nicht nur in Fällen schwerer Kriminalität, sondern bei allen Straftaten in Betracht, die die Öffentlichkeit besonders berühren680. So 669 BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12; AfP 2014, 135 Rz. 26 – Sächs. Korruptionsaffäre; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rz. 24 – Online-Archiv II. 670 BGH v. 15.11.2005 – VI ZR 286/04, AfP 2006, 62 Rz. 16, 18 – Verkehrsverstoß. 671 BGH v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 Rz. 26 – Wettermoderator; v. 2.5.2017 – VI ZR 262/16, AfP 2017, 310 Rz. 24 ff. – presserechtliches Hinweisschreiben; vgl. EGMR v. 7.2.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 – Axel Springer/Deutschland; Gounalakis, NJW 2012, 1473, 1477. 672 BVerfG v. 9.3.2010 – 1 BvR 1891/05, AfP 2010, 365 Rz. 31 – Hanfpflanze in Wohnzimmer; EGMR v. 7.2.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 – Axel Springer/Deutschland. 673 Vgl. BVerfG v. 9.3.2010 – 1 BvR 1891/05, AfP 2010, 365 Rz. 33 – Hanfpflanze im Wohnzimmer; BGH v. 30.10.2012 – VI ZR 4/12, AfP 2013, 50 Rz. 21 – Gazprom-Manager. 674 LG Halle v. 10.1.2003 – 2 S 65/03, AfP 2005, 188. 675 LG Karlsruhe v. 2.2.2015 – 6 U 130/14, AfP 2015, 173 Rz. 28 ff. 676 OLG Köln v. 12.11.2013 – 15 U 55/13, AfP 2014, 155. 677 KG v. 12.6.2009 – 9 W 122/09, NJW-RR 2010, 622. 678 BGH v. 11.12.2012 – VI ZR 314/10, AfP 2013, 57 – IM „Christoph“. 679 BVerfG v. 19.10.2006 – 1 BvR 152/01 und 1 BvR 160/04, BeckRS 2012, 56239; v. 10.6.2009 – 1 BvR 1107/09, AfP 2009, 365; OLG Freiburg v. 17.5.2002 – 14 U 48/01, NJW-RR 2003, 688, 691; OLG Saarbrücken v. 5.10.2016 – 5 U 3/16, AfP 2017, 65 Rz. 35 ff.; OLG Köln v. 16.3.2017 – 15 U 134/16, BeckRS 2017, 133470; EGMR v. 7.2.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 – Axel Springer/Deutschland. 680 BVerfG v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09 und 1 BvR 2503/09, AfP 2012, 143 Rz. 35 – Ochsenknecht Söhne; BGH v. 17.3.1994 – III ZR 15/93, MDR 1994, 773 = AfP 1994, 142 = NJW 1994, 1950, 1952; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1038 – Verdachtsbericht-
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Kap. 10 Rz. 158
Sonderfragen
können spektakuläre Begleitumstände, ein besonderer örtlicher Bezug oder gesellschaftliche Befindlichkeiten eine Namensnennung zulassen681. Ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist i.d.R. bei einer Verbindung von staatlichem Handeln mit strafbarem Verhalten von Amtsträgern682 oder anderen der Öffentlichkeit zugewandten Organisationen, z.B. Kirchen, Religionsgemeinschaften, gemeinnützigen Vereinen, auch unterhalb der Schwelle der Schwerkriminalität vorhanden683. Ob auch die Veröffentlichung eines unverblendeten Fotos zulässig ist, kann nur aufgrund einer gesonderten Abwägung entschieden werden, da die Veröffentlichung eines Bildnisses grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt. Dies ist bei Wortberichten nicht ohne weiteres der Fall684. Der BGH hat eine Berichterstattung im Lokalteil einer Zeitung unter namentlicher Nennung des Betroffenen für zulässig erachtet, dem Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung vorgeworfen wurden685. Unzulässig ist z.B. die Ausstrahlung eines Beitrages mit dem Vorwurf zahlreicher Kunstfehler gegenüber einem Arzt, wenn er lediglich auf eine Beschwerdeliste von Assistenz- und Oberärzten gestützt werden kann, sofern eine maßgebliche Persönlichkeit wie z.B. der ärztliche Direktor des betreffenden Krankenhauses die Vorwürfe als unbegründet bezeichnet686. Auch in grds. zulässigen Anfragen bei zuständigen Stellen darf nicht der falsche Eindruck erweckt werden, der Verdacht beruhe auf mehr als nur ungesicherten Informationen687. 158
Dem Grundsatz nach gilt das Vorstehende auch, wenn der Verdacht einen lange zurückliegenden Vorgang betrifft. Bei einem historischen Vorgang besteht oftmals nicht nur an der Thematik als solcher Interesse, sondern ebenso an der Person eines möglichen Beteiligten, so dass die Nennung seines Namens eher gerechtfertigt sein kann. Insbesondere wird es i.d.R. zulässig sein, in Veröffentlichungen über das Ergebnis angestellter Ermittlungen und Forschungsarbeiten die dabei aufgetretenen Verdachtsmomente darzustellen und zu würdigen. Es besteht auch ein legitimes Interesse, über charakteristische, für die Beurteilung früherer Zeiträume wesentliche Tatsachen konkret zu berichten, auch über solche, die Erinnerungen an Untaten aus der Zeit der Nazi-Gewaltherrschaft wachhalten und geeignet sind, zur Distanzierung von den Tätern beizutragen. Bei nicht endgültig nachgewiesenen Vorwürfen ist zwar das Interesse des Betroffenen zu berücksichtigen, am Lebensabend nicht mit Jahrzehnte zurückliegenden Verbrechen konfrontiert zu werden, an denen er beteiligt gewesen sein soll. Sprechen aber wichtige Anzeichen gegen den Betroffenen, überwiegt das Interesse der Öffentlichkeit, über diese Vorgänge auch unter Namensnennung unterrichtet zu werden688. Nicht zulässig
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erstattung; v. 15.11.2005 – VI ZR 286/04, AfP 2006, 62 Rz. 16, 18 – Verkehrsverstoß; v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 Rz. 26 – Wettermoderator; OLG Saarbrücken v. 5.10.2016 – 5 U 3/16, AfP 2017, 65 Rz. 37; vgl. EGMR v. 10.2.2009 – 351/02 Rz. 63 – Eerikainen; v. 7.2.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 – Axel Springer/Deutschland. Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 207; vgl. EGMR v. 7.2.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 – Axel Springer/Deutschland. BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1038 – Verdachtsberichterstattung. Vgl. auch Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 209. BVerfG v. 27.11.2008 – 1 BvQ 46/08, AfP 2009, 46 – „Holzklotz-Fall“; v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09 und 1 BvR 2503/09, AfP 2012, 143 Rz. 35 – Ochsenknecht Söhne; BGH v. 13.1.2015 – IV ZR 386/13, NJW 2015, 776; Näheres zum Bildnisschutz vgl. Kap. 8 Rz. 14 ff. BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1038 – Verdachtsberichterstattung. BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV. OLG München v. 29.6.2001 – 21 U 2877/01, AfP 2001, 404 = NJW-RR 2002, 186. OLG Frankfurt v. 6.9.1979 – 16 U 75/79, NJW 1980, 597.
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IX. Äußerung eines Verdachts
Rz. 159b Kap. 10
ist, den Verdächtigen massiv zu beschimpfen („Räuberhauptmann“, „Prototyp eines erfolgreichen SA-Heros“, „einer der Hauptbrandstifter“), wenn nur wenige höchst zweifelhafte Anhaltspunkte vorhanden sind, die für einen einsichtigen Beurteiler keinen hinreichenden Grund abgeben, den Verdächtigen öffentlich der Täterschaft bzw. Mittäterschaft zu bezichtigen689. Vor einer Verdachtsäußerung sind hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheits- 159 gehalt des Verdachts anzustellen. Welche Recherchen erforderlich sind, richtet sich nach den Aufklärungsmöglichkeiten im Einzelfall. Dabei sind die Anforderungen bei Medien grundsätzlich strenger als bei Privatpersonen. Jedoch dürfen an die Aufklärungspflichten keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts der Meinungsfreiheit herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt690. Jedoch ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung über Verdachtsfälle zu berücksichtigen691. Medien sind daher nicht verpflichtet, alle in Betracht kommenden Personen vor einer Berichterstattung zu befragen692. Nicht ausreichend ist es regelmäßig aber, sich auf Zeugen vom Hörensagen zu verlassen, ohne weitere Recherchen durchgeführt zu haben693. Es kann aber eine Nachfrage bei anderen Medien, die zuvor berichtet hatten, genügen694. Mitteilungen amtlicher Stellen, insbesondere von Staatsanwaltschaften, darf ein gesteiger- 159a tes Vertrauen entgegengebracht werden695. Dies gilt sowohl bezüglich der mitgeteilten Tatsachen als auch einer Erwähnung von Namen. Es darf grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass eine an die Grundrechte gebundene, auf Objektivität verpflichtete Behörde sich erst dann unter Namensnennung über einen Tatverdacht äußert, wenn sich dieser einigermaßen erhärtet hat. Allerdings enthebt dies die Medien nicht von der Verpflichtung, unter Abwägung der entgegenstehenden Interessen selbst darüber zu entscheiden, ob eine Berichterstattung unter Namensnennung gerechtfertigt ist696. Zu den Sorgfaltspflichten kann es auch gehören, dem Betroffenen Gelegenheit zur Stel- 159b lungnahme einzuräumen. Jedenfalls bei schwerwiegenden Vorwürfen kann davon nur ausnahmsweise abgesehen werden697. Dies kann der Fall sein, wenn der Betroffene bekannterma689 BGH v. 11.1.1966 – VI ZR 221/63, NJW 1966, 647 – Reichstagsbrand. 690 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; v. 11.12.2012 – VI ZR 314/10, AfP 2013, 57 Rz. 28 – IM „Christoph“; v. 17.12.2013 – IV ZR 211/12, AfP 2014, 135 Rz. 26 – Sächs. Korruptionsaffäre; 18.11.2014 – VI ZR 76/14, AfP 2015, 36 Rz. 15 – Chefjustiziar; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rz. 22 – Online-Archiv II; OLG Saarbrücken v. 5.10.2016 – 5 U 3/16, AfP 2017, 65 Rz. 32. 691 BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480 Rz. 62; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung; v. 11.12.2012 – VI ZR 314/10, AfP 2013, 57 Rz. 28 – IM „Christoph“; vgl. auch EGMR v. 7.2.2012 – 39954/08, NJW 2012, 1058 – Axel Springer/Deutschland. 692 BGH v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, AfP 2015, 36 Rz. 26 – Chefjustiziar. 693 OLG München v. 29.6.2001 – 21 U 2877/01, AfP 2001, 404. 694 OLG Karlsruhe v. 13.5.2005 – 14 U 209/04, AfP 2006, 162. 695 BVerfG v. 9.3.2010 – 1 BvR 1891/05, AfP 2010, 365 Rz. 35; BGH v. 11.12.2012 – VI ZR 314/10, AfP 2013, 57 Rz. 30 – IM „Christoph“; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rz. 28 – Online-Archiv II; s. Kap. 6 Rz. 136. 696 BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rz. 28 – Online-Archiv II; Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 208. 697 BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, NJW 1996, 1131; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung.
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Kap. 10 Rz. 159c
Sonderfragen
ßen eine Stellungnahme zu dem Vorwurf ablehnt698. Davon ist auch auszugehen, wenn der Betroffene nach einer Veröffentlichung, z.B. auch im zivilgerichtlichen Verfahren, sich zu den Vorwürfen selbst nicht äußern will699. Von einer Anfrage kann auch abgesehen werden, wenn eine hinreichend aktuelle Stellungnahme erfolgt ist und diese sich verlässlich aus anderen Veröffentlichungen oder Einlassungen ergibt700. Ist von einer Stellungnahme keine spezielle Aufklärung zu erwarten, kann deren Einholung ebenso entbehrlich sein701. So ist etwa bei der Aufdeckung politischer Skandale regelmäßig nur mit einem Dementi zu rechnen702. Jedenfalls gilt der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht für die Medien. Insbesondere darf ein durch Einzeltatsachen belegter Verdacht geäußert werden, wenn dadurch eine Aufklärung herbeigeführt werden soll, von der der Journalist annehmen darf, dass sie ihm mit bloßen pressemäßigen Mitteln nicht gelingen werde, z.B. die Aufklärung des Verdachts, ein Staatssekretär habe die Beförderung eines Richters veranlasst, um eine für ein Bundesland günstige Entscheidung zu erreichen703. Das gilt auch, wenn es sich um die Aufdeckung von Hintergründen handelt, z.B. um die Hintergründe der Entlassung eines international anerkannten Fachmannes als Leiter einer Datenzentrale. Es sind dann aber die schutzwürdigen Belange des Betroffenen in besonderer Weise zu beachten704. Da über die Erforderlichkeit einer Gelegenheit zur Stellungnahme schlussendlich durch angerufene Gerichte entschieden wird und hiervon die Zulässigkeit der erfolgten Berichterstattung abhängen kann, sind den Medien entsprechende Anfragen allerdings stets zu empfehlen705. 159c
Vage Fragen706 oder die Angabe eines groben Kontextes oder Ziels der Berichterstattung genügen nicht707. Der Betroffene ist vielmehr mit den konkreten Fakten zu konfrontieren, die den Verdacht begründen708. Ein Angebot, mit dem Betroffenen ein Interview zu führen, in dessen Rahmen er zu einzelnen Fragen Stellung nehmen könne, genügt ebenso nicht. Der Betroffene muss die Möglichkeit haben, in der ihm genehmen Weise Stellung nehmen zu können709. Die Konfrontation mit den Fakten und die Möglichkeit, sich zu äußern, müssen also zusätzlich zu dem Interviewangebot erfolgen. Auf welche Art und Weise im Übrigen der Betroffene zur Stellungnahme aufgefordert wird, ist grundsätzlich ohne Belang. Aus Beweisgründen, insbesondere hinsichtlich des Inhalts des zur Diskussion gestellten Sachverhalts, ist Textform zu empfehlen. Problematisch ist häufig die dem Betroffenen für die Stellungnahme zu gewährende Frist. Einerseits ist das Bedenken einer unangemessen kurzen Frist auszuräu-
698 OLG Köln v. 15.11.2011 – 15 U 61/11, AfP 2011, 601 Rz. 54. 699 LG Berlin v. 12.7.2007 – 27 O 569/07, AfP 2008, 216, 218. 700 Vgl. EGMR v. 19.10.2017 – 35030/13 Rz. 49 – Verlagsgruppe Droemer Knaur/Deutschland; BeckOK Informations- und Medienrecht/Söder, § 823 BGB Rz. 249. 701 OLG Saarbrücken v. 5.10.2016 – 5 U 3/16, AfP 2017, 65 Rz. 42; Schlüter, S. 101. 702 Rinsche, AfP 2013, 1, 3; Schlüter, S. 101. 703 OLG Köln v. 7.6.1963 – Ss 85/63, NJW 1963, 1634 = Ufita 42 (1964), 343. 704 BGH v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, NJW 1979, 1041 – Exdirektor. 705 BeckOK Informations- und Medienrecht/Söder, § 823 BGB Rz. 249. 706 LG Frankfurt v. 22.6.2017 – 2-03 O 355/16, AfP 2017, 453, 455. 707 BGH v. 17.12.2013 – IV ZR 211/12, AfP 2014, 135 Rz. 35 – Sächs. Korruptionsaffäre. 708 BGH v. 17.12.2013 – IV ZR 211/12, AfP 2014, 135 Rz. 35 – Sächs. Korruptionsaffäre; Lehr, in Widmaier, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, § 20 Rz. 28; Lehr, NJW 2013, 728, 731; Lehr, AfP 2013, 7, 10; zu dem Bedenken, dass dadurch auch eine beabsichtigte Berichterstattung offengelegt wird und der Betroffene hierauf durch geschickte Reaktion Einfluss nehmen kann, Rinsche, AfP 2013, 1, 3. 709 BGH v. 17.12.2013 – IV ZR 211/12, AfP 2014, 135 Rz. 35 – Sächs. Korruptionsaffäre; OLG Hamburg v. 23.3.2010 – 7 U 95/09, ZUM 2010, 606, 608.
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IX. Äußerung eines Verdachts
Rz. 161 Kap. 10
men und andererseits sind Medien auf aktuelle Berichte angewiesen710. Werden zu kurze Fristen gesetzt, genügt dies dem Erfordernis, dem Betroffenen ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen, nicht. Zwar mag der Betroffene über eigene Handlungen und aktuelles Geschehen sich auch kurzfristig äußern können, gleichwohl ist ihm eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob und ggf. wie er sich äußern möchte. Zu berücksichtigen sein kann auch ein etwaiger Beratungsbedarf mit einem Anwalt, Verteidiger, etc. oder Aufklärungs- und Abstimmungsbedarf innerhalb von Unternehmen und deren Organen. Da Medien im Verfahren die ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme nachweisen müssen, sollte von (zu) kurz bemessenen Fristen abgesehen werden. Schließlich ist Voraussetzung einer zulässigen Verdachtsberichterstattung, dass die Art der 160 Darstellung sachlich und nicht vorverurteilend ist711. Die Verpflichtung, bei bloßem Verdacht Zurückhaltung zu üben, besteht gegenüber jedermann. Auch wenn jemand wegen Raubes (Brillanten für 70.000 DM) zu langjähriger Freiheitsstrafe verurteilt ist, darf nicht ins Blaue hinein behauptet werden, er habe sich als „Brillanten-Edi“ einen Namen gemacht und bei der Erschießung eines Zeugen seine Hand im Spiel gehabt, um sich für eine belastende Aussage zu rächen712. Die wahllose Verbreitung von Verdächtigungen, um einen Bericht auf Kosten der Ehre anderer zugkräftiger zu machen, bedeutet eine Verkennung der Pressefreiheit713. Anders kann es sich verhalten, wenn ein Verdacht bereits anderweitig publiziert ist und darüber im Nachhinein lediglich berichtet wird714. Formulierungen wie „so grauenvoll“, „schwerer Verdacht“ oder „prekär an der Sache“ stellen als solche noch keine Vorverurteilung dar, wenn der Bericht im Übrigen auch Entlastendes enthält715. Haben sich Gerüchte zwischenzeitlich als unwahr erwiesen, darf auch dann nicht in reißerischer Form detailliert über deren Inhalt berichtet werden, wenn sich aus dem Bericht ergibt, dass die Gerüchte unwahr sind und der Betroffene Opfer böswilliger Verleumdungen ist716. Darüber, dass es sich nicht um eine feststehende Tatsache, sondern um einen bloßen Verdacht 161 handelt, müssen die Mitteilungsempfänger ausreichend unterrichtet werden. Es genügt nicht, lediglich die Quelle anzugeben, z.B. ein anonymes Fernschreiben. Insbesondere kann der Behauptende sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen, insofern lediglich Wahres berichtet zu haben, als er die Quelle für sich betrachtet zutreffend zitiert habe717. Die Verpflichtung, auf das Vorhandensein eines bloßen Verdachtes hinzuweisen, besteht auch, wenn der Mitteilende von der Richtigkeit subjektiv überzeugt ist, die objektiven Zweifel aber fortbestehen718. Ob es
710 Vgl. EGMR v. 10.5.2011 – 48009/08, NJW 2012, 747 Rz. 117 – Mosley/Vereinigtes Königreich: „… denn Neuigkeiten sind ein verderbliches Gut, und ihre Veröffentlichung auch nur für kurze Zeit zu verzögern, kann ihnen jeden Wert und jedes Interesse zu nehmen …“. 711 Vgl. BVerfG v. 9.3.2010 – 1 BvR 1891/05, AfP 2010, 365 Rz. 35 – Hanfpflanze im Wohnzimmer; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung; v. 30.10.2012 – VI ZR 4/12, AfP 2013, 50 Rz. 21 – Gazprom-Manager; v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 Rz. 19 – Wettermoderator. 712 OLG Frankfurt v. 10.7.1972 – 16 W 23/72, ArchPR 1972, 83. 713 Vgl. BGH v. 5.3.1963 – VI ZR 55/62, NJW 1963, 902. 714 BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 – Abgeordnetenbestechung. 715 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung; OLG Saarbrücken v. 5.10.2016 – 5 U 3/16, AfP 2017, 65. 716 OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 Rz. 149 – Panama Papers; LG München I v. 13.10.1997 – 9 O 11777/97, ZUM 1998, 576. 717 BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 – Abgeordnetenbestechung. 718 LG Stuttgart v. 23.12.1968 – 17 O 328/68, Ufita 54 (1969), 330 – Rosa Luxemburg.
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Kap. 10 Rz. 162
Sonderfragen
ausreicht, die objektiven Zweifel durch Formulierung der Behauptung als Gegenstand subjektiver Überzeugung anzudeuten, hängt von den Umständen ab. Das OLG München719 hat die Erklärung „Für mich war es mein Nachbar, der mich mit Benzin übergossen hat“ als noch zulässig bezeichnet, weil die vorhandene subjektive Überzeugung durch objektive Verdachtsmerkmale gestützt war. Eine für den Leser als mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit zutreffend erscheinende Darstellung lediglich mit formalen Vorbehalten zu versehen, genügt nicht720. 162
Einen Verdacht als Gewissheit hinzustellen ist selbst bei einem dringenden Verdacht unzulässig721. Ebenso wenig dürfen bekannt gewordene entlastende Umstände verschwiegen oder nur an versteckter Stelle mitgeteilt werden722. Allerdings bezieht sich diese Pflicht nur auf das, was dem jeweiligen Medium bekannt ist723. Bleibt eine dem Medium unbekannte entlastende Tatsache im Bericht unerwähnt, führt dies nicht zwangsläufig zu dessen Unzulässigkeit724. Zu prüfen ist jedoch, ob die Sorgfaltspflichten im Rahmen der Recherche erfüllt wurden. Grundsätzlich ist die Stellungnahme des Betroffenen in der Berichterstattung zu berücksichtigen. Ein Anspruch auf wörtliche oder vollständige Wiedergabe der Stellungnahme besteht indessen nicht. Insbesondere bei umfangreichen Stellungnahmen kann sich das Medium darauf beschränken, die für die Verdachtsäußerung wesentlichen Aspekte auch in geraffter Form wiederzugeben725. Hat der Betroffene konkrete entlastende Fakten benannt, darf nicht nur ein pauschales Dementi publiziert werden726. Ausnahmsweise entbehrlich kann dies sein, wenn diese den Rezipienten bereits aus vorangegangenen Veröffentlichungen bekannt sind727. 3. Recht auf Nachtrag
162a
Stellt sich später heraus, dass der Verdacht unberechtigt war, so ist die Verdachtsäußerung gleichwohl als im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig anzusehen, wenn die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsäußerung eingehalten wurden. Die Berichterstattung kann aber den Betroffenen in der Zukunft beinträchtigen, wenn über die Ausräumung des Verdachts nicht ebenso berichtet wird. Zwar sind Medien nicht verpflichtet, über ein Thema fortgesetzt zu berichten. Auch müssen sie nicht nachforschen, ob der berichtete Verdacht sich bestätigt hat oder nicht728. Gleichwohl geht der BGH729 nach Ausräumung des Verdachts davon aus, dass dann aufgrund der ursprünglichen Berichterstattung ein rechtswidriger Störungszustand ent-
719 OLG München v. 19.3.1973 – 21 U 1031/73, ArchPR 1973, 115. 720 LG Hamburg v. 20.7.1993 – 324 O 401/93, AfP 1993, 678 – Fall Lopez. 721 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung; OLG Brandenburg v. 15.2.1995 – 1 U 23/94, AfP 1995, 520 = NJW 1995, 886; OLG München v. 17.11.1995 – 21 U 3032/95, NJW-RR 1996, 1487. 722 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung; OLG Düsseldorf v. 20.6.1979 – 15 U 199/78, NJW 1980, 599; KG v. 19.10.2010 – 9 U 210/09, ZUM-RD 2011, 468; vgl. EGMR v. 2.5.2000 – 26132/95 Rz. 57 f. – Bergens Tidende. 723 Schlüter, S. 99; Rinsche, AfP 2013, 1, 5. 724 Rinsche, AfP 2013, 1, 5. 725 Vgl. Rinsche, AfP 2013, 1, 3 f. 726 OLG Köln v. 16.3.2017 – 15 U 134/16, BeckRS 2017, 133470. 727 OLG Köln v. 7.3.2017 – 15 U 7/17, AfP 2017, 159. 728 BVerfG v. 2.5.2018 – 1 BvR 666/17, BeckRS 2018, 10461 Rz. 20. 729 BGH v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, AfP 2015, 36 – Chefjustiziar; OLG Hamburg v. 10.2.2015 – 7 U 44/12, AfP 2015, 253 – Chefjustiziar/Nachtrag, Verfassungsbeschwerde anhängig, vgl. einstweilige Anordnung des BVerfG v. 22.6.2017 – 1 BvR 666/17, NJW 2017, 2671.
772
Burkhardt
IX. Äußerung eines Verdachts
Rz. 163 Kap. 10
stehe. Dies berechtige den Betroffenen, von dem Äußernden einen Nachtrag zu verlangen, wonach der berichtete Verdacht nach Klärung des Sachverhalts nicht aufrechterhalten werde. Das OLG Hamburg730 hat hierzu angenommen, dass in dem Nachtrag zunächst der berichtete Verdacht im Wortlaut der ursprünglichen Berichterstattung wiederholt werden könne, verbunden mit der Erklärung, dass dieser aus heutiger Sicht nicht aufrecht erhalten werde. Der Nachtrag habe dann in gleicher Aufmachung wie die ursprüngliche Verdachtsäußerung publiziert zu werden. Dies begründet das OLG Hamburg mit dem aus dem Gegendarstellungsrecht entlehnten Grundsatz der „Waffengleichheit“. Das Bundesverfassungsgericht731 hat zwar die Rechtsansicht des BGH732 unbeanstandet ge- 162b lassen, dass in solchen Fällen dem Betroffenen das Recht zuzubilligen ist, eine nachträgliche Mitteilung über den für ihn günstigen Ausgang eines Verfahrens zu verlangen. Da die ursprüngliche Berichterstattung rechtmäßig war, müsse ein solcher Anspruch als Beschränkung der Pressefreiheit aber auf Ausnahmefälle begrenzt bleiben. Von einem solchen Ausnahmefall könne ausgegangen werden, wenn in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren die Tatvorwürfe durch Einstellungsbeschluss fallen gelassen wurden oder ein Freispruch ergangen ist. Das Bundesverfassungsgericht verlangt weiter, dass diese Voraussetzungen der Presse nachprüfbar bekannt gemacht sein müssen. Dann könne eine Erklärung verlangt werden, die eine distanzierte Mitteilung der geänderten Umstände enthalte. Jedoch dürfe die Presse nicht zu einer eigenen Bewertung der geänderten Umstände verpflichtet werden733. Das Bundesverfassungsgericht erteilt damit sowohl einer Heranziehung von Grundgedanken 162c einer Berichtigung als auch des Gegendarstellungsrechts eine klare Absage. Weder kann verlangt werden, die ursprüngliche Verdachtsberichterstattung zu wiederholen, noch sich hiervon zu distanzieren. Auch Form und Umfang eines Nachtrags können diesen Ansprüchen entgegen der Rechtsauffassung des OLG Hamburg nicht nachgebildet werden. Gefordert werden kann nur eine von einer kurzen Zusammenfassung der angegriffenen Berichterstattung eingeleitete Mitteilung, dass das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden bzw. ein Freispruch erfolgt sei. Andere Darstellungen, die möglicherweise den Eindruck erwecken, das Medium habe zuvor unzulässig berichtet, können nicht verlangt werden734. Ausgeschlossen sind daher auch Anordnungen des Gerichts, der Nachtrag habe in einer bestimmten Schriftgröße oder Platzierung zu erscheinen. 4. Prozessuale Behandlung Im Ergebnis ist die Äußerung eines Verdachtes nur unzulässig, wenn er sich als unbegründet 163 erweist. Steht die Unwahrheit der Verdachtsäußerung im Zeitpunkt der Behauptung nicht fest, muss das Gericht dem Kläger die Möglichkeit geben, die Unwahrheit nachzuweisen; geeigneten Beweisantritten hat es nachzugehen735. Auf diese Weise kann der Kläger einen behaupteten bzw. vorhandenen Verdacht ausräumen, z.B. den Verdacht, Memoiren seien nicht
730 731 732 733 734 735
OLG Hamburg v. 10.2.2015 – 7 U 44/12, AfP 2015, 253 – Chefjustiziar/Nachtrag. BVerfG v. 2.5.2018 – 1 BvR 666/17, BeckRS 10461 Rz. 19. BGH v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, AfP 2015, 26 – Chefjustitiar. BVerfG v. 2.5.2018 – 1 BvR 666/17, BeckRS 10461 Rz. 20 f. BVerfG v. 2.5.2018 – 1 BvR 666/17, BeckRS 10461 Rz. 24. BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 – Helnwein; LG Hamburg v. 20.7.1993 – 324 O 401/93, AfP 1993, 678 – Fall Lopez.
Burkhardt
773
Kap. 10 Rz. 164
Sonderfragen
authentisch736. Um dem Kläger diese Beweisführung zu ermöglichen, kann es erforderlich sein, dass der Beklagte zunächst darlegt, worauf er den Verdacht stützt. Da es sich um einen Fall der Wahrnehmung berechtigter Interessen handelt, trägt der Äußernde aber keine Darlegungs- und Beweislast für den Verdacht selbst. Er muss nur den Mindestbestand an Beweistatsachen sowie seine Recherchen zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten dartun und ggf. beweisen737. Wird z.B. behauptet, der Betroffene lasse sich seinen Kunden gegenüber von betrügerischen Absichten leiten, hat der Beklagte konkrete Vorfälle vorzutragen, die den Verdacht belegen sollen738. Entspricht der Beklagte dieser Darlegungslast nicht, kann sich eine Beweiserhebung über den dann nur angeblichen Verdacht erübrigen739. 164
Führt die gerichtliche Überprüfung zu keinem eindeutigen Ergebnis, verbleibt es also beim non liquet, kann die Wiederholung der Verdachtsäußerung grundsätzlich nicht untersagt werden. Dem Behauptenden kann aber zur Auflage gemacht werden, gleichzeitig deutlich darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Behauptung nicht um eine unbestrittene, objektiv gesicherte Erkenntnis handelt740, sondern der Betroffene den Verdacht ausdrücklich bestreitet. Ggf. sind im Verfahren vorgetragene entlastende Fakten zu nennen. Wird der Betroffene in einem Strafverfahren aus Mangel an Beweisen freigesprochen, bleibt der Verdacht aber bestehen, kann ebenso ein Folgenbeseitigungsanspruch in Betracht kommen741. Dieser beschränkt sich richtiger Auffassung nach allein auf die ergänzende Mitteilung des Freispruches, sofern die Persönlichkeitsbeeinträchtigung fortbesteht und der Betroffene dies geltend macht742. Da die Unwahrheit nicht erwiesen ist, kann Weiteres nicht verlangt werden.
165
Stellt sich später die Unwahrheit der Verdachtsäußerung heraus, so ist diese als im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig anzusehen, wenn der Äußernde seine Sorgfaltsanforderungen eingehalten hat. In diesem Fall scheiden Ansprüche auf Widerruf, Richtigstellung743 oder Schadensersatz aus. Für die Bejahung eines Unterlassungsanspruches bedarf es der konkreten Feststellung einer Erstbegehungsgefahr744. Erweist sich der Verdacht als unbegründet und wurden die Sorgfaltspflichten verletzt, kommt neben dem Unterlassungs- und Widerrufsauch ein Geldentschädigungsanspruch in Betracht745. Das gilt besonders, wenn ein schwerwiegender Verdacht ohne zureichende Grundlage publiziert wurde. Hat der Betroffene noch
736 BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, AfP 1975, 804 – Brüning I. 737 KG v. 2.7.2007 – 10 U 141/06, AfP 2007, 576 – Rütli-Schule; OLG Köln v. 16.3.2017 – 15 U 134/16, BeckRS 2017, 133470; krit. Brinkmann, AfP 2015, 290 ff. 738 OLG Düsseldorf v. 23.6.1972 – 2 U 24/72, ArchPR 1972, 106 = BB 1972, 1030; OLG Brandenburg v. 12.6.2002 – 1 U 6/02, AfP 2003, 343 = NJW-RR 2002, 1269. 739 BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, AfP 1975, 804 – Brüning I. 740 LG Stuttgart v. 23.12.1968 – 17 O 328/68, Ufita 54 (1969), 330 – Rosa Luxemburg. 741 BVerfG v. 28.4.1997 – 1 BvR 765/97, AfP 1997, 619 = NJW 1997, 2589; BGH v. 30.11.1971 – VI ZR 115/70, NJW 1972, 431. 742 BGH v. 30.11.1971 – VI ZR 115/70, NJW 1972, 431; OLG Hamburg v. 18.2.1997 – 7 U 136/96, n.v. 743 BVerfG v. 2.5.2018 – 1 BvR 666/17, BeckRS 10461; BGH v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, AfP 2015, 36 – Chefjustiziar; OLG Hamburg v. 10.2.2015 – 7 U 44/12, AfP 2015, 253 – Chefjustiziar/Nachtrag; zum Recht auf Nachtrag s. Rz. 162a ff. 744 BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, AfP 2000, 272 = NJW-RR 2000, 1209, 1210; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98, 104 – Organentnahme. 745 Vgl. OLG Köln v. 16.3.2017 – 15 U 134/16, BeckRS 2017, 133470.
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Burkhardt
X. Berichte über Ermittlungsverfahren, Ermittlungs- und Fahndungsaufrufe
Rz. 165 Kap. 10
vor der Veröffentlichung dementiert, dem Dementi aber keine Beweisunterlagen beigefügt, kann ihm das ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht als den Entschädigungsanspruch minderndes Mitverschulden entgegengehalten werden746.
X. Berichte über Ermittlungsverfahren, Ermittlungs- und Fahndungsaufrufe Schrifttum: Maul, Bild- und Rundfunkberichterstattung im Strafverfahren, MDR 1970, 286; Lorenz, Fernsehfahndung und öffentliche Gewalt, BayVBl. 1971, 52; Neumann-Duesberg, Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ und Persönlichkeitsrecht, JZ 1971, 305; Deutsch, Fernsehfahndung und öffentliche Tatbeschreibung, GRUR-Int. 1973, 463; Lampe, Der Straftäter als Person der Zeitgeschichte, NJW 1973, 219; Franke, Die Bildberichterstattung über den Angeklagten und der Öffentlichkeitsgrundsatz im Strafverfahren, 1978; von Becker, Straftäter und Tatverdächtige in den Massenmedien: Die Frage der Rechtmäßigkeit identifizierender Kriminalberichte, 1979; Kerscher, Gerichtsberichterstattung und Persönlichkeitsschutz, Diss. Hamburg 1982; Bornkamm, Die Berichterstattung über schwebende Strafverfahren und Persönlichkeitsrecht, NStZ 1983, 102; Hassemer, Fahndung und Ermittlung mit Hilfe der Medien?, AfP 1989, 418; Stümper, Fahndung und Ermittlung mit Hilfe von Presse und Rundfunk, AfP 1989, 409; Schoreit, Fahndung und Ermittlung mit Hilfe der Medien, AfP 1989, 413; Berg, Fahndung und Ermittlung mit Hilfe von Presse und Rundfunk, AfP 1989, 416; Engau, Straftäter und Tatverdächtige als Personen der Zeitgeschichte, 1993; Dalbkermayer, Der Schutz des Beschuldigten vor identifizierenden und tendenziösen Pressemitteilungen der Ermittlungsbehörden, 1994; Kramer, Presseauskünftbe im Ermittlungsverfahren – Staatsanwaltschaft oder Polizei?, AfP 1997, 429; Arbeitskreis deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (Hrsg.), Alternativ-Entwurf Strafjustiz und Medien (AE-STuM), 2004; Becker-Toussaint, Schmerzensgeldansprüche Beschuldigter bei Medieninformationen der Staatsanwaltschaften, NJW 2004, 414; Lochen, Allgemeines Persönlichkeitsrecht – Öffentliche Berichterstattung über eine Straftat unter Namensnennung, JA 2006, 326; Boehme-Neßler, Die Öffentlichkeit als Richter? – Litigation-PR als Herausforderung für das Recht, ZRP 2009, 228; Danziger, Die Medialisierung des Strafprozesses: Eine Untersuchung zum Verhältnis von Medien und Strafprozess, 2009; Hohmann, Verdachtsberichterstattung und Strafverteidigung – Anwaltsstrategien im Umgang mit den Medien, NJW 2009, 881; Lehr, Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden, NStZ 2009, 409; Ernst, Medien, Justiz und Rechtswirklichkeit, NJW 2010, 744; Freuding, Die Verlagerung von Strafverfahren in Massenmedien – Ein pessimistischer Ausblick, ZRP 2010, 159; Raschke, Die Staatsanwaltschaft und der Gang an die Öffentlichkeit, ZJS 2011, 38; Schlüter, Verdachtsberichterstattung: Zwischen Unschuldsvermutung und Informationsinteresse, 2011; Trüg, Medienarbeit der Strafjustiz – Möglichkeiten und Grenzen, NJW 2011, 1040; Gounalakis, Verdachtsberichterstattung durch den Staatsanwalt, NJW 2012, 1473; Reike, Die Rolle der Staatsanwaltschaft in der Mediengesellschaft, 2012; Lehr, Der Verdacht – eine besondere Herausforderung an den Ausgleich zwischen Persönlichkeitsschutz und freier Berichterstattung, AfP 2013, 7; Rau, Rechtlich und ethisch verantwortungsvolle Kriminalberichterstattung: eine Analyse anhand der Spruchpraxis des Deutschen Presserats, 2013; Hartmann, Der Nachtragsanspruch – Störerhaftung der Presse infolge zulässiger Verdachtsberichterstattung, AfP 2015, 106; Altenhain, Öffentlichkeit im Vorverfahren, Gutachten zum 71. Deutschen Juristenstag, 2016, Band I, Gutachten C; Bente, Zulässigkeit und Grenzen von Litigation-PR durch die Staatsanwaltschaft, 2016; Gounalakis, Geldentschädigung bei vorverurteilenden Äußerungen durch Medien oder Justiz, NJOZ 2016, 361; Britz, TV-Berichterstattung und Unschuldsvermutung, jM 2017, 257; Brost/Rodenbeck, Verdachtsberichterstattung durch Tatsachenbehauptungen, K&R 2017, 460; Höcker/Rodenbeck, Rechtsschutz gegen die Verbreitung von Ermittlungsakteninhalten in der Presse, IPRB 2017, 45.
746 BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 – Abgeordnetenbestechung.
Burkhardt/Peifer 775
Kap. 10 Rz. 166
Sonderfragen
1. Allgemeine Grundsätze 166
Die Grundsätze über die Verdachtsberichterstattung gelten für die Presse- und Medienvertreter auch während des Ermittlungsverfahrens. Für Behörden, insbesondere die Strafverfolgungsbehörden, gelten im Ermittlungsverfahren aber besondere Bindungen, die sowohl ein faires und unbeeinflusstes Verfahren garantieren als auch die Beteiligten des Verfahrens vor einer öffentlichen Anprangerung schützen sollen. Dies ergibt sich formal bereits daraus, dass nach der StPO nur die Hauptverhandlung in der Öffentlichkeit stattfindet (§ 169 Satz 1 GVG). Für eine Ermittlungsöffentlichkeit fehlt mithin die Ermächtigungsgrundlage. Auskunftsansprüche der Presse und der Öffentlichkeit nach den Landespresse- und Informationsfreiheitsgesetzen ermächtigen erst auf konkrete Nachfragen zur Auskunft747. Daher sind Behörden nicht befugt, ungefragt personenbezogene Informationen über den Stand des Verfahrens zu verbreiten. Auf dem 71. Deutschen Juristentag 2016 wurde auf Vorschlag des Hauptgutachters hierzu die Einfügung einer Ermächtigungsgrundlage in die StPO empfohlen748. Der Gesetzgeber ist dem bisher nicht nachgekommen. Das Ermittlungsverfahren beginnt noch nicht mit der Strafanzeige. Strafanzeige kann theoretisch jeder gegen jeden erstatten. Eine Strafanzeige besagt folglich für sich betrachtet noch nichts. Deswegen ist die öffentliche Erwähnung einer solchen Anzeige zwar zulässige Tatsachenbehauptung, gleichwohl aber wegen des potentiell stigmatisierenden Eingriffs in die Privatsphäre des Betroffenen vorbehaltlich besonderer Informationsinteressen unzulässig.
167
Die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens bedeutet nur, dass die Staatsanwaltschaft vom Verdacht einer strafbaren Handlung Kenntnis erlangt hat und ihrer Verpflichtung zur Sachverhaltserforschung nachkommt (§§ 152 Abs. 2; 160 Abs. 1, Abs. 2 StPO). Die Eröffnung ergibt deswegen für sich betrachtet ebenfalls noch keinen zureichenden Grund für öffentliche Erörterungen, genügt insbesondere nicht für die Annahme, dass ein Mindestbestand an Beweistatsachen, der eine öffentliche Erörterung rechtfertigt, schon vorliegt749. Wird das Ermittlungsverfahren aber durchgeführt, ist dies jedenfalls ein Indiz für einen nicht völlig grundlosen Verdacht. In solchen Fällen kann Anlass zu öffentlicher Erwähnung durch die Medien bestehen. Ermittlungsbehörden dürfen im Rahmen ihrer allgemeinen, durch Art. 20 Abs. 2 GG gerechtfertigten Öffentlichkeitsarbeit informieren750, allerdings ermächtigt das nicht zur Preisgabe personenbezogener Informationen751. Diesbezüglich ist zu beachten, dass Berichte über polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen für den Beschuldigten die Gefahr einer Prangerwirkung und sonstiger u.U. schwerer Nachteile mit sich bringen. An die Zulässigkeit namentlicher öffentlicher Erwähnung werden deswegen mit Recht strenge Anforderungen gestellt752. Selbst ein eingestelltes Ermittlungsverfahren darf in einem Buch nicht ohne besonderen Anlass erwähnt werden753.
747 VGH Mannheim v. 7.7.2015 – 1 S 802/15, AfP 2017, 471, 475. 748 Altenhain, 71. DJT, Band I, Gutachten C S. C-57; Beschlussfassung, Band II/2, S. M-166, Nr. 5. 749 BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = NJWRR 2017, 31 Rz. 26; Soehring/Hoene, § 19 Rz. 36; Lehr, NJW 2013, 728, 730. 750 Vgl. dazu BVerwG v. 26.2.1997 – 6 C 3/96, BVerwGE 104, 105, 109. 751 Altenhain, Gutachten 71. DJT, S. C-46. 752 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1038 – Verdachtsberichterstattung. 753 KG v. 28.4.1987 – 9 U 1052/87, AfP 1988, 137 = NJW 1989, 397; OLG München v. 7.4.2009 – 18 U 1704/09, ZUM 2009, 777 m. Anm. von Becker, ZUM 2009, 780.
776
Burkhardt/Peifer
X. Berichte über Ermittlungsverfahren, Ermittlungs- und Fahndungsaufrufe
Rz. 169 Kap. 10
Die entsprechend Art. 6 Abs. 2 EMRK bis zur Verurteilung bestehende Unschuldsvermu- 168 tung bindet Polizei und Ermittlungsbehörden754, allerdings formal nicht die Presse. Doch ist dieser Grundsatz Teil der Selbstverpflichtungen, die im Pressekodex festgehalten sind. Nach dessen Ziff. 13 gilt der Grundsatz der Unschuldsvermutung „auch für die Presse“. Auch die Rechtsprechung des EGMR entnimmt daraus eine Pflicht zur Zurückhaltung, wonach bei der Abwägung zwischen der Äußerungsfreiheit und dem Recht auf Schutz des Privatlebens die in Art. 6 Abs. 2 EMRK erfasste Unschuldsvermutung zu berücksichtigen ist755. Entgegen früheren Zweifeln in der deutschen Judikatur756 entspricht dies mittlerweile auch der deutschen Rechtsprechung zur Verdachtsberichterstattung757. Die Schranken, welche die Unschuldsvermutung setzt, ergeben sich unabhängig davon aber auch bereits aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das auch den Schutz vor Äußerungen umfasst, die geeignet sind, sich abträglich auf das Bild einer Person in der Öffentlichkeit auszuwirken758, mit der Folge, dass vorverurteilende Formulierung unzulässig sind759. Eine Verletzung des Grundsatzes liegt vor, wenn geäußert wird, eine Person sei einer Straftat schuldig, bevor der Beweis dafür erbracht und eine Verurteilung rechtskräftig erfolgt ist760. Bei der Berichterstattung über Ermittlungsverfahren sind im Wesentlichen dieselben Grundsätze wie in Fällen der Verdachtsberichterstattung heranzuziehen. Dies gilt zunächst für die Frage, ob überhaupt über das Ermittlungsverfahren berichtet werden darf. Amtliche Auskünfte oder Verlautbarungen der Ermittlungsbehörden entheben die Medien einer eigenen Überprüfung eines etwa bestehenden Informationsinteresses an der Berichterstattung nicht761. Insoweit können sich Medien auch nicht darauf zurückziehen, sie hätten nur amtliche Auskünfte der Ermittlungsbehörden weitergegeben. Unzulässig ist es insbesondere, den unzutreffenden Eindruck zu erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen strafbaren Handlung bereits überführt762. Allerdings darf die Presse auf Grund unstreitiger Tatsachenbehauptungen Wertungen ziehen, die auch den Verdacht der Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit zum Ausdruck bringen763. Die Nennung von Namen bedarf besonderer Zurückhaltung. Die namentliche Erwähnung 169 eines Beschuldigten ist nur zulässig, soweit die allgemeinen Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung erfüllt sind und darüber hinaus bei der Interessensabwägung das 754 BGH v. 7.9.2016 – 1 StR 154/16, NJW 2016, 3670 Rz. 19. 755 EGMR v. 29.3.2016 – 56925/08, AfP 2017, 219 Rz. 53 – Bedát/Schweiz m. Anm. Meyer-Ladewig/ Petzold, NJW 2017, 3506. 756 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung. 757 BVerfG v. 27.11.2008 – 1 BvQ 46/08, AfP 2009, 46 = NJW 2009, 350; BGH v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 = CR 2013, 462 = MDR 2013, 652 = IPRB 2013, 150 = NJW 2013, 1681; ebenso bereits OLG Köln v. 10.9.1985 – 15 U 177/85, AfP 1985, 293, 295; Lampe, NJW 1973, 217; Boehme-Neßler, ZRP 2009, 228, 229. 758 BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322, 1323 – Helnwein. 759 LG Köln v. 25.2.2015 – 28 O 402/14, AfP 2016, 177. 760 Vgl. BVerfG v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, BVerfGE 133, 168 Rz. 61; EGMR v. 12.11.2015 – 2130/10, NJW 2016, 3645 – El Kaada/Deutschland. 761 BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 36/15, NJR-RR 2017, 31 Rz. 26. 762 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung; OLG Brandenburg v. 15.2.1995 – 1 U 23/94, NJW 1995, 886; OLG Köln v. 2.6.1987 – 15 U 39/87, AfP 1987, 705; OLG München v. 17.11.1995 – 21 U 3032/95, NJW-RR 1996, 1487, 1488. 763 OLG Dresden v. 27.11.2003 – 4 U 991/03, NJW 2004, 1181, 1183; OLG Köln v. 14.2.2017 – 15 U 7/17, AfP 2017, 159.
Burkhardt/Peifer 777
Kap. 10 Rz. 169
Sonderfragen
Informationsinteresse der Öffentlichkeit das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen überwiegt. Eine Namensnennung kommt daher grds. nur in Fällen schwerer Kriminalität oder bei Straftaten in Betracht, die die Öffentlichkeit besonders berühren. Dabei kann das besondere Interesse nach der Rechtsprechung auch aus dem besonderen Interesse an der Person des Beschuldigten resultieren764. Dies ist insbesondere der Fall, wenn staatliche oder sonstige öffentliche Stellen und deren Bedienstete strafbarer Handlungen verdächtig sind765 und der Vorwurf einen besonderen Bezug zu einem Fehlverhalten im Amt hat. So ist es z.B. bei dem Vorwurf der Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung766. Im Übrigen ist die Rechtsprechung geneigt, bei prominenten Personen das Informationsinteresse auch an einer identifizierenden Berichterstattung zu bejahen, so etwa beim Bericht über die erhebliche Geschwindigkeitsübertretung eines Angehörigen des europäischen Hochadels, über dessen Verhalten die Presse bereits mehrfach berichtet hatte767. Ansonsten ist eine namentliche Berichterstattung allenfalls zulässig, wenn nur so das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung beruhigt werden kann, so bei dem Vorwurf des Menschenhandels768, wenn gegen einen Beschuldigten Haftbefehl wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, illegalen Glücksspiels und Steuerhinterziehung ergangen ist769 oder wenn es um mögliche Gesundheitsgefahren in Klinikeinrichtungen geht770. Ggf. mag auch die Bedrohung des Gefühls wirtschaftlicher Sicherheit genügen, so bei Berichten über behauptete Missstände in einer Bank771. Die namentliche Erwähnung kann auch bei einem Angeklagten zulässig sein, der sich der Hauptverhandlung durch Flucht entzogen hat. Dann geht es auch um Warnung und Fahndungshilfe der Öffentlichkeit772. Die Anführung individualisierender Umstände kann der namentlichen Erwähnung gleichzusetzen sein. Das ist nicht notwendig der Fall, wenn anlässlich eines Fernseh-Interviews nur allgemein über Straftaten gesprochen wird, mögen dabei auch verpixelte Fotos von Personen zu sehen sein, die mit den Straftaten im Zusammenhang stehen773; wohl aber, wenn statt des Familiennamens Name und Anschrift der Gaststätte genannt werden, die der Betroffene betreibt774. Besondere Gefahren eröffnet die Möglichkeit, über wenige Informationen und eine gezielte Internetrecherche den Betroffenen namentlich zu ermitteln775. Ist die namentliche Erwähnung zulässig, bedeutet das noch nicht, dass auch ein Bildnis veröffentlicht werden darf776. Außer bei Personen der Zeitgeschichte ist das im All764 BGH v. 15.11.2005 – VI ZR 286/04, AfP 2006, 62 = MDR 2006, 631 = NJW 2006, 599 Rz. 22 m. Anm. Lochen, JA 2006, 326. 765 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1038 – Verdachtsberichterstattung. 766 BGH v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, AfP 2000, 88 = MDR 2000, 273 = NJW 2000, 656; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1038 – Verdachtsberichterstattung. 767 BGH v. 15.11.2005 – VI ZR 286/04, AfP 2006, 62 = MDR 2006, 631 = NJW 2006, 599. 768 OLG Celle v. 20.4.2000 – 13 U 160/99, NJW-RR 2001, 335. 769 OLG Frankfurt v. 2.7.1990 – 6 W 104/90, AfP 1990, 229. 770 OLG Hamm v. 14.11.2014 – 11 U 129/13, NJW-RR 2015, 936; OLG Karlsruhe v. 2.2.2015 – 6 U 130/14, AfP 2015, 173. 771 BGH v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, BGHZ 203, 239 = MDR 2015, 24 = IPRB 2015, 54 = AfP 2015, 36 – Chefjustiziar. 772 OLG München v. 12.6.1978 – 21 U 1088/78, AfP 1978, 206; OLG Celle v. 22.7.2003 – 16 U 25/03, NJW 2004, 1461: Namensnennung zwecks Fahndung in einer Pressekonferenz der Polizei. 773 BGH v. 7.9.2016 – 1 StR 154/16, NJW 2016, 370 Rz. 32 m. Anm. Britz, jM 2017, 257. 774 OLG Braunschweig v. 24.10.1974 – 1 U 55/73, NJW 1975, 651. 775 OLG Karlsruhe v. 2.2.2015 – 6 U 130/14, AfP 2015, 173. 776 OLG München v. 27.5.1974 – 21 U 3960/73, ArchPR 1974, 93.
778
Burkhardt/Peifer
X. Berichte über Ermittlungsverfahren, Ermittlungs- und Fahndungsaufrufe
Rz. 171 Kap. 10
gemeinen nur zulässig, wenn es der Tataufklärung dient oder aus sonstigen Gründen an der Identität ein Informationsinteresse besteht777. Auch die näheren Lebensverhältnisse des Betroffenen dürfen nicht ohne weiteres geschildert und ein Foto seines Wohnhauses veröffentlicht werden778. Zulässig ist das aber, wenn es um schwerwiegende, folgenreiche Straftaten geht, die das Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung entstehen lassen, speziell wenn die Darstellung der Lebensverhältnisse die Aufklärung der Tatmotive fördern kann779. Im Übrigen ist der jeweilige Stand der Ermittlungen zu beachten. Sofern keine verlässlichen 170 Zusatzinformationen vorliegen, darf das Maß der Verdächtigung über das Ermittlungsergebnis nicht hinausgehen. Teilt die Polizei Indizien mit, darf die Presse i.d.R. darauf vertrauen, dass sie auf hinreichend sicheren Erkenntnissen beruhen780. Ist die Polizei erst einige Stunden tätig und verfolgt sie zahlreiche Spuren, dürfen solche Indizien nicht zur Vermittlung des Anscheins feststehender Täterschaft verwendet werden781. Entsprechend Ziff. 13 der publizistischen Grundsätze des Deutschen Presserates782 darf der Verdächtige vor gerichtlicher Verurteilung generell nicht als Schuldiger hingestellt werden783. Dieser Grundsatz wird sich zwar nicht ausnahmslos durchführen lassen, vor allem nicht, wenn ein Geständnis vorliegt oder die Beweise erdrückend sind784. Der Presseratsgrundsatz enthält aber eine wesentliche Richtschnur. Dementsprechend kann ein Beschuldigter bei noch ausstehender Verurteilung u.U. Unterlassung seiner Bezeichnung als Täter fordern, ohne im Zivilverfahren dafür den Beweis führen zu müssen. Das erscheint auch mit Rücksicht auf eine mögliche Beeinflussung noch zu hörender Zeugen und ggf. auch der Schöffen berechtigt. Wird ein Ermittlungsverfahren nachträglich mangels Tatverdachts eingestellt, ändert das 171 nichts an der Zulässigkeit einer Berichterstattung während der Zeit, als der Verdacht noch vorhanden war. Deswegen besteht kein Anspruch auf Schadensersatz oder Geldentschädigung785. Richtiger Auffassung nach kann aber ein Anspruch auf nachträgliche Mitteilung (Nachtrag) anzuerkennen sein786. Eine vollständige Richtigstellung ist den Medien nicht zumutbar, wenn der Bericht im Zeitpunkt der Verbreitung rechtmäßig war787. Die Zumutbarkeitsbetrachtung stellt also nicht auf Kosten und Aufwand einer Richtigstellung ab, die drucktechnisch keine größeren Mühen verursacht als ein Nachtrag788, sondern auf die normative Zumutbarkeit einer Erklärung, die den Eindruck fehlerhafter Recherche vermitteln kann.
777 OLG Hamburg v. 28.3.1991 – 3 U 262/90, v. 28.3.1991 – NJW-RR 1992, 536; OLG Celle v. 20.4.2000 – 13 U 160/99, NJW-RR 2001, 335. 778 KG v. 23.1.1968 – 9 U 2001/67, ArchPR 1968, 56; LG Stuttgart v. 16.10.2001 – 17 O 513/01, n.v. 779 KG v. 11.7.1975 – 9 W 622/75, ArchPR 1975, 30. 780 OLG Braunschweig v. 3.10.1974 – 1 U 75/73, AfP 1975, 913. 781 OLG Hamburg v. 19.10.1972 – 3 U 63/72, ArchPR 1972, 86. 782 Abrufbar unter http://www.presserat.de/pressekodex. 783 Vgl. auch KG v. 14.5.1968 – 9 U 74/68, NJW 1968, 1969. 784 Vgl. OLG Köln v. 7.3.2017 – 15 U 7/17, AfP 2017, 159. 785 OLG Köln v. 27.6.1989 – 15 U 190/88, AfP 1989, 683. 786 BGH v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, BGHZ 203, 239 = MDR 2015, 24 = IPRB 2015, 54 = AfP 2015, 36 Rz. 14 – Chefjustiziar. Näheres Kap. 13 Rz. 113. 787 BGH v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, BGHZ 203, 239 = MDR 2015, 24 = IPRB 2015, 54 = AfP 2015, 36 Rz. 14 – Chefjustiziar m. zust. Anm. Hartmann, AfP 2015, 106 und Walter, K&R 2015, 116, 118. 788 Daher krit. Beater, JZ 2015, 422.
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Kap. 10 Rz. 172
Sonderfragen
2. Öffentliche Ermittlungs- und Fahndungsaufrufe 172
Ermittlungs- und Fahndungsaufrufe unterscheiden sich von sonstigen Ermittlungsberichten dadurch, dass die Öffentlichkeit nicht nur unterrichtet, sondern aufgefordert wird, bei der Tataufklärung mitzuwirken. Angesichts des spezifischen Interesses an der Aufklärung begangener und der Verhinderung künftiger Straftaten können solche Aufforderungen berechtigt und notwendig sein789. Sie haben aber für die Betroffenen und nicht zuletzt für deren Familien eine besonders nachhaltige Negativwirkung. Solche Aufrufe sollten die Medien deswegen grundsätzlich nur auf Grund eines Ersuchens der Staatsanwaltschaft bzw. der Polizei verbreiten. Daher ist eine klare Ermächtigungsgrundlage erforderlich. Sie fehlt vollständig, wenn die Polizeibehörde kurz nach einer Gewalttat ein Diskussionsforum im Internet eröffnet, in dem nicht nur zu sachdienlichen Hinweisen, sondern auch zu „Meinungsäußerungen zu dem Verbrechen“ aufgefordert wird. Ein derartiges Forum wird erwartbar zum virtuellen Pranger, in dem nicht nur Schmähungen, sondern auch unbegründete Verdachtsäußerungen platziert werden können. Die Eröffnung eines solchen Forums kann daher schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung sein und zu einer immateriellen Entschädigung des Landes gegenüber dem Betroffenen führen790.
173
Die Strafverfolgungsbehörden unterliegen auch im Rahmen der vorhandenen Ermächtigungsgrundlagen den Schranken der Gesetze, weswegen sie den staatlichen Strafanspruch nicht unter Wahl beliebiger Mittel durchsetzen dürfen. Sie haben jede Strafverfolgungsmaßnahme darauf zu überprüfen, ob sie nach dem allgemein geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt werden kann. Die Staatsanwaltschaften dürfen die Medien über strafrechtliche Verfahren unter Nennung des Namens des Beschuldigten grundsätzlich nur in Fällen schwerer Kriminalität oder bei Straftaten informieren, die die Öffentlichkeit besonders berühren791. Unzulässig ist die Preisgabe intimer Informationen durch die Staatsanwaltschaft, wenn die Mitteilung an die Öffentlichkeit während des Ermittlungsverfahrens nicht erforderlich ist, um über die Ermittlung zu berichten. Das betrifft Vorwürfe wegen Vergewaltigung, anlässlich derer Details über das Sexualleben des Angeschuldigten mitgeteilt werden, wie auch Vorwürfe wegen gefährlicher Körperverletzung, die mit der Preisgabe einer HIV-Infektion der Angeschuldigen verbunden sind, in denen die Gefahr irreparabler Schäden im Falle einer Nichtverurteilung droht792. Das gilt auch für öffentliche Ermittlungs- und Fahndungsaufrufe (§§ 131 bis 131c StPO). Dabei ist das Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung des Strafanspruches ins Verhältnis zum verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht des einzelnen zu setzen. Für den einer Straftat lediglich Verdächtigen gilt die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK). Sie gebietet in besonderem Maße eine Rücksichtnahme auf die Stellung des Beschuldigten in der Öffentlichkeit und in seinen sozialen Bezügen, die durch eine öffentliche Fahndung außerordentlich stark berührt wird793. Wenn indes eine Befugnis der Staatsanwaltschaft zur Information der Medien unter Namensnennung besteht, soll dies – wenn nicht Umstände des Einzelfalls anderes gebieten – sogar die Pflicht der Staatsanwaltschaft indizieren, den Medien auf Anfrage zur Person des Beschuldigten Auskunft zu geben794. 789 OLG Frankfurt v. 24.9.1970 – 6 U 41/70, NJW 1971, 47. 790 OLG Celle v. 19.6.2007 – 16 U 2/07, CR 2008, 123 = ITRB 2008, 100 = MMR 2008, 180: 7.500 Euro bei geforderten 20.000 Euro; Gounalakis, NJOZ 2016, 361. 791 VGH Mannheim v. 4.8.2017 – 1 S 1307/17, NJW 2018, 90. 792 Hierzu Gounalakis, NJW 2012, 1473, 1478. 793 OLG München v. 14.5.1970 – 1 U 721/70, NJW 1970, 1745; OLG Frankfurt v. 24.9.1970 – 6 U 41/70, NJW 1971, 47; OLG Hamburg v. 2.11.1978 – 3 U 120/78, NJW 1980, 842; OLG Hamm v. 12.10.1981 – 7 VAs 24/81, MDR 1982, 248 = NJW 1982, 458. 794 VGH Mannheim v. 4.8.2017 – 1 S 1307/17, NJW 2018, 90.
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Burkhardt/Peifer
X. Berichte über Ermittlungsverfahren, Ermittlungs- und Fahndungsaufrufe
Rz. 176 Kap. 10
Fehlerhaftes Informationsverhalten kann aber zu Schadensersatzansprüchen wegen Amtspflichtverletzung führen795. Für die öffentliche Fahndung mit Hilfe der Massenmedien bedarf es einer besonders sorgfältigen Prüfung der Gründe, die diese Maßnahme rechtfertigen sollen. Voraussetzung ist zunächst, dass es sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handelt 174 (§ 131 Abs. 3 StPO). Ferner muss die öffentliche Fahndung geeignet erscheinen, die Ermittlungen im Einzelfall entscheidend zu fördern. Dabei gebietet der Grundsatz der Subsidiarität, dass sie als einschneidende, den Ruf des Betroffenen für lange Zeit gefährdende Maßnahme erst angewandt wird, wenn andere weniger einschneidende Maßnahmen ausgeschöpft sind. Schließlich kann eine öffentliche Fahndung von vornherein nur in Betracht kommen, wenn die bereits erfolgten Ermittlungen den Tatverdächtigen erheblich belastet haben, mag auch ein dringender Tatverdacht i.S.d. § 112 Abs. 1 StPO noch nicht vorliegen. Unzulässig ist ein öffentlicher Fahndungsaufruf, wenn lediglich ein Indiz geklärt werden soll, das für sich allein die Überführung nicht ermöglicht, sondern nur eine Aussage des Verdächtigen erschüttern, den Verdacht also verstärken könnte796. Das Vorstehende gilt speziell für eingehende Darstellungen und nachhaltige Aufforderungen 175 wie z.B. im Rahmen der Fernsehserie „Aktenzeichen XY … ungelöst“797. Bei solchen Sendungen ist besonders sorgfältig zu überprüfen, ob die Prangerwirkung für den Beschuldigten und seine Angehörigen gerechtfertigt ist. Das gilt auch für nachträgliche Erfolgsmeldungen. Sofern Erstbericht und Erfolgsmeldung im zeitlichen Zusammenhang stehen, ist dagegen nichts einzuwenden. Nach Ablauf längerer Zeit wäre unzulässig, ohne zusätzlichen Anlass unter namentlicher Erwähnung auf den früheren Bericht zurückzukommen. Zur Tataufklärung mittels Verbreitung eines Lichtbildes798. Noch problematischer können Fahndungsaufrufe in Internetdiensten sein799. Ermächtigungsgrundlage für Bildfahndungen ist grundsätzlich § 131b StPO, der einerseits auf die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung beschränkt (§ 131b Abs. 2 StPO), andererseits aber nicht auf Internetdienste zugeschnitten ist. Da die in solchen Diensten verbreiteten Informationen potentiell von jedermann kopiert und weiterverbreitet werden können, muss dieses Fahndungsmittel – so effektiv es sein mag – besonders gerechtfertigt werden. Eine Anordnung sollte stets der richterlichen Anordnung bedürfen, die notfalls innerhalb kurzer Frist einzuholen ist, sinnvoll wäre insoweit auch die gesetzliche Anordnung eines konkreten Straftatenkatalogs800. 3. Fahndungsaufrufe der Strafverfolgungsbehörden Der Bundesministerium der Justiz und die Landesjustizminister haben Richtlinien für das 176 Strafverfahren und das Bußgeldverfahren erlassen (RiStBV). Sie gelten bundeseinheitlich801. Nach Nr. 23 RiStBV haben die Strafverfolgungsbehörden bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit mit Presse, Hörfunk und Fernsehen zusammenzuarbeiten. Es soll im Einzel795 LG Düsseldorf v. 30.4.2003 – 26 O 182/02, NJW 2013, 2536 – Fall Mannesmann/Vodafone m. Bspr. Becker-Toussaint, NJW 2004, 424; bestätigt durch OLG Düsseldorf v. 27.4.2005 – 15 U 98/03, AfP 2005, 275; OLG Hamm v. 14.11.2014 – 11 U 129/13, NJW-RR 2015, 936. 796 OLG Hamburg v. 2.11.1978 – 3 U 120/78, NJW 1980, 842. 797 OLG Frankfurt v. 24.9.1970 – 6 U 41/70, NJW 1971, 47. 798 Vgl. OLG Hamm v. 12.10.1981 – 7 VAs 24/81, MDR 1982, 248 = NJW 1982, 458. 799 Vgl. OLG Celle v. 19.6.2007 – 16 U 2/07, CR 2008, 123 = ITRB 2008, 100 = MMR 2008, 180; Huff, AfP 2010, 332, Baur/Burkhardt/Kinzig, JZ 2011, 131. 800 Baumhöfener, DSRITB 2015, S. 933, 938. 801 Abgedruckt u.a. bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO.
Burkhardt/Peifer 781
Kap. 10 Rz. 177
Sonderfragen
nen geprüft werden, ob das Interesse der Öffentlichkeit an einer vollständigen Berichterstattung gegenüber den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten oder anderer Beteiligter überwiegt. Eine unnötige Bloßstellung dieser Personen ist zu vermeiden. Dem allgemeinen Informationsinteresse der Öffentlichkeit werde i.d.R. ohne Namensnennung entsprochen werden können. Trotz dieser Mahnung wird die Informationspolitik speziell der Staatsanwaltschaft nicht selten als zu großzügig bezeichnet802. Dagegen wird angeführt, dass die Staatsanwaltschaft ihrerseits oftmals in eine defensive Position gerate, wenn Strafverteidiger gezielt an die Öffentlichkeit geht, um in publikumsträchtigen Prozessen das Erscheinungsbild ihrer Mandanten zu pflegen. Das ursprünglich in den USA praktizierte, und auch auf Verhältnisse in Jury-Verhandlungen abzielende, Verhalten wird als Litigation-PR (Public Relations vor und während gerichtlicher Verfahren) bezeichnet803. Dieses Phänomen kann einerseits den öffentlichen Druck auf die Ermittlungsbehörden verstärken, weil zum Teil der Prozess nicht mehr vor Gericht, sondern in den Medien geführt wird804, andererseits als Gegenreaktion zu einer Ermittlungstätigkeit mit Hilfe der Presse provozieren. Während für die so operierende Anwaltschaft allenfalls Verbotsgrenzen über §§ 203, 353b, 353d StGB greifen, fehlt für eine Lititation-PR der Staatsanwaltschaft die Ermächtigungsgrundlage. Die Behörden sind zwar – unter Beachtung der Grundsätze der Verdachtsberichterstattung -bei konkreten Fragen auskunftspflichtig, nicht aber generell berechtigt, aus eigenem Antrieb Informationen über Ermittlungen zu verbreiten. Daher ist ihnen eine eigenständige Litigation-PR regelmäßig verwehrt805. Allerdings ist die Ermittlung dadurch erschwert, dass jedenfalls Medien, die von Amts- oder Geheimnisträgern verbotswidrig Informationen erhalten haben, bezüglich einer Durchsuchung der Redaktionsräume weder auskunftspflichtig noch duldungspflichtig sind806. 177
Spezielle Hinweise für Fahndungsersuchen enthält Anlage B der RiStBV. Danach dürfen Publikationsorgane in die Fahndung regelmäßig nur dann eingeschaltet werden, wenn andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Fahndungshinweise nicht genügend erfolgversprechend erscheinen und die Maßnahme zur Bedeutung der Sache nicht außer Verhältnis steht. Außerdem soll die Breitenwirkung des in Anspruch genommenen Mediums berücksichtigt werden. Die Verantwortung trägt die Staatsanwaltschaft. Bei Gefahr im Verzug kann die Polizei die publizistische Fahndungshilfe auch ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft in Anspruch nehmen.
XI. Gerichtsberichterstattung Schrifttum: Heidelberg, Justizreportage, Journalistische Ziele und Juristische Schranken, 1932; Bockelmann, Öffentlichkeit und Strafrechtspflege, NJW 1960, 217; Helle, Der Ehrenschutz des Freigesprochenen, GA 1961, 166; Schorn, Der Schutz der Menschenwürde im Strafverfahren, 1963; Lampe, Der Straftäter als Person der Zeitgeschichte, NJW 1973, 217; Kühle, Der Straftäter, insbesondere der Verurteilte, als relative Person der Zeitgeschichte, AfP 1973, 356; Franke, Die Bildberichterstattung über den Angeklagten und der Öffentlichkeitsgrundsatz im Strafverfahren, 1978; von Becker, Straftäter und Strafverdächtige in den Massenmedien: Die Frage der Rechtmäßigkeit identifizierender Kriminalberichte, 1979; Scherer, Gerichtsöffentlichkeit als Medienöffentlichkeit: Zur Transparenz der Ent802 U.a. Bornkamm, Pressefreiheit und Fairness des Strafverfahrens, 1981, S. 241. 803 Boehme-Neßler, ZRP 2009, 228 mit Hinweis auf Reber/Gower/Robinson, Journal of Public Relations Research 2006, S. 23, 26; Hohmann, NJW 2009, 881; Ernst, NJW 2010, 744, 745. 804 Bsp. bei Freuding, ZRP 2010, 159. 805 Krit. Weigend in Alternativ-Entwurf Strafjustiz und Medien [AE-STuM], 2004, S. 33, 51; vgl. auch Bente, Zulässigkeit und Grenzen von Litigation-PR durch die Staatsanwaltschaft, 2016. 806 BVerfG v. 27.2.2007 – 1 BvR 538/06, 1 BvR 2045/06, BVerfGE 117, 244 = AfP 2007, 110 – Cicero.
782
Burkhardt/Peifer
XI. Gerichtsberichterstattung
Rz. 179 Kap. 10
scheidungsfindung im straf- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren, 1979; Stürner, Fair Trial und öffentliche Meinung, JZ 1980, 1; von Bar, Schmerzensgeld und gesellschaftliche Stellung des Opfers bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, NJW 1980, 1724; Bornkamm, Pressefreiheit und Fairness des Strafverfahrens: Die Grenzen der Berichterstattung über schwebende Strafverfahren im englischen, amerikanischen und deutschen Recht, 1981; Krüger, Das Recht am eigenen Bild und Belange der öffentlichen Sicherheit im Spannungsfeld zwischen Polizei und Medien, AfP 1981, 331; Grave, Der von der Presse als „Täter“ bezeichnete Tatverdächtige, NJW 1981, 209; Franke, Zur Rechtmäßigkeit der Bildberichterstattung über Polizeieinsätze, NJW 1981, 2033; Krüger, Das Recht am eigenen Bild bei Polizeieinsätzen, NJW 1982, 89; Ulrich Müller, Zur Rechtmäßigkeit der Bildberichterstattung über Polizeieinsätze, NJW 1982, 863; Bornkamm, Die Berichterstattung über schwebende Strafverfahren und das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten, NStZ 1983, 102; Schuppert, Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonformen Auslegung und Anwendung von § 353d Nr. 3 StGB, AfP 1984, 67; Schomburg, Presse-, Polizei-, Justiz-Bildberichterstattung, AfP 1984, 80; Nothelle, Freie Presse und faires Strafverfahren – Ein Fall für den Gesetzgeber?, AfP 1985, 18; Hassemer, Vorverurteilung durch die Medien?, NJW 1985, 1921; Höbermann, Der Gerichtsbericht in der Lokalzeitung: Theorie und Alltag, 1989; Wolf, Die Gesetzwidrigkeit von Fernsehübertragungen aus Gerichtsverhandlungen, NJW 1994, 681; Eberle, Gesetzwidrige Medienöffentlichkeit beim BVerfG?, NJW 1994, 1637; Gündisch-Dany, Rundfunkberichterstattung aus Gerichtsverhandlungen, NJW 1999, 256; von Coelln, Lebach einmal anders – die Rundfunkfreiheit fordert ihr Recht, ZUM 2001, 478; Huff, Saalöffentlichkeit auch in Zukunft ausreichend – Keine Änderung des § 169 Satz 2 GVG, NJW 2001, 1622; Zuck, Mainstream-Denken contra Medienöffentlichkeit – Zur Politik der n-tv-Entscheidung des BVerfG, NJW 2001, 1623; Becker-Toussaint, Schmerzensgeldansprüche Beschuldigter bei Medieninformationen der Staatsanwaltschaften, NJW 2004, 414; von Coelln, Zur Medienöffentlichkeit der Dritten Gewalt, 2005; Lorz, Neue Vorgaben für die Öffentlichkeitsarbeit der Justiz?, NJW 2005, 2657; Hunecke, Cui bono? Gerichtsberichterstattung und ihre Auswirkungen. Litigation PR und Schlagzeilenjournalismus als Gefahr für den Rechtsstaat?, NK 2011, 85; Trüg, Medienarbeit der Strafjustiz – Möglichkeiten und Grenzen, NJW 2011, 1040; Gounalakis, Verdachtsberichterstattung durch den Staatsanwalt, NJW 2012, 1473; Milker, „Die Pflicht zu erinnern“ als notwendiger Gegenpol eines „Rechts auf Vergessenwerden“, K&R 2017, 23; Mafi-Gudarzi, #MeToo: Wieivel Wahrheit ist erlaubt?, NJOZ 2018, 521. Vgl. auch die Schrifttumshinweise vor Rz. 166.
1. Allgemeine Grundsätze Die mittelalterlichen Geheimprozesse sind als Folge der französischen Revolution von 1789 178 zunächst in Frankreich abgeschafft und durch die Öffentlichkeit der Justiz abgelöst worden. In die deutsche Literatur hat die Publizität als Verfahrensmaxime Anselm Feuerbach eingebracht807. Nach 1848 ist sie positivrechtlich geregelt worden. In der modernen Judikatur wird die Prozessöffentlichkeit als rechtsstaatliches Prinzip begriffen, das mit der Kontrollierbarkeit von Gerichtshandlungen Unabhängigkeit und Objektivität sowie Wahrheitsfindung und Vertrauen der Rechtssubjekte in die Rechtsprechung sichern soll808. Die Medienöffentlichkeit von Gerichtsverfahren wird in diesem Zusammenhang nicht als Bedrohung, sondern als Schutz der Beteiligten vor einer geheimen Justizmaschine kafkaesker Prägung angesehen. Die unmittelbare Gerichtsöffentlichkeit ist, da unbestritten, kein aktuelles Problem mehr. 179 Wie schon die Reichhaltigkeit der vorhandenen Literatur erweist, wird umsomehr über die 807 Anselm Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, Gießen 1821. 808 BVerfG v. 21.10.1954 – 1 BvL 9/51 u.a., BVerfGE 4, 74, 94; v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, AfP 2001, 48 = NJW 2001, 1633, 1635 – Gerichtsfernsehen; BGH v. 20.1.1953 – 1 StR 626/52, BGHSt 3, 386, 390; v. 15.11.1955 – StB 44/55, BGHSt 8, 194, 199; v. 18.12.1968 – 3 StR 297/68, BGHSt 22, 297, 301.
Burkhardt/Peifer 783
Kap. 10 Rz. 180
Sonderfragen
mittelbare Gerichtsöffentlichkeit diskutiert, d.h. über die Gerichtsberichterstattung der Medien, vornehmlich im Fernsehen. Dass hierin ein Problem liegt, zeigt nicht zuletzt das britische Rechtsinstitut des „contempt of court“, nach dem zum Schutz schwebender Verfahren eine Beschränkung von Veröffentlichungen für erforderlich gehalten wird, die das Urteil über streitentscheidende Rechtsfragen vorwegnehmen oder Beweismittel behandeln, die sich auf solche Rechtsfragen beziehen. Das Ziel dieser Beschränkungen ist, die Autorität und Unparteilichkeit der Justizorgane und den Anspruch streitender Parteien zu schützen, dass die Streitsache frei von jeder Einflussnahme Dritter entschieden wird und dass sich kein anderer die Aufgabe des Gerichts anmaßt. Mit dieser Begründung hat das House of Lords z.B. eine Entscheidung des Divisional Court wiederhergestellt, durch die der Sunday Times im September 1972 die Veröffentlichung eines Berichtes untersagt worden ist, der sich mit 266 Schadensersatzklagen wegen Contergan-Schäden befasst hatte809. Diese Entscheidung hat Kritik ausgelöst und später zu Entschuldigungen der britischen Regierung geführt810. Das USamerikanische Recht, welches das Instrument des „contempt of court“ gleichermaßen kennt, ist mit seiner Anwendung erheblich vorsichtiger. Hier überwiegt die Vorstellung, dass die Medien ein Recht zur Berichterstattung über Ermittlungen und Gerichtsprozesse haben, das durch die staatliche oder Bundesgesetzgebung nicht beschränkt werden dürfe. Das führt zu Gerichtsprozessen, die als eine Art Nachmittagsunterhaltung im privaten Fernsehen übertragen wurden, wie der sog. O.J.Simpson-Prozess811 und einem starken „trial by media“, das sich in Form erheblicher medialer Vorverurteilungen im sog: „Duke Lacrosse-Fall“ zeigte, in dem eine Sportmannschaft der Duke University fälschlich der Vergewaltigung bezichtigt wurde812. 180
In der Bundesrepublik wird die Gerichtsberichterstattung kaum durch prozessuale Veröffentlichungsregeln begleitet (vgl. aber Rz. 187), wegen des grundsätzlich auch hier geltenden Persönlichkeitsschutzes allerdings grundsätzlich positiv eingestuft. Sachgerechte Darstellungen fördern das Verständnis für aktuelle Rechtsprobleme. Berichte über Strafverfahren, die im Vordergrund des Interesses stehen, tragen zur Schärfung des Unrechtsbewusstseins bei. Eine ausführliche Gerichtsberichterstattung wird deswegen in der Bundesrepublik für unverzichtbar gehalten813. Allerdings wird das Problem der Vorverurteilung auch hier gesehen. Um einer solchen wirklichen oder vermeintlichen Gefahr vorzubeugen, haben die Landespressegesetze früher einen § 5 enthalten, nach dem die Presse Anklageschriften und andere amtliche Schriftstücke eines Straf- oder Bußgeldverfahrens vor ihrer Erörterung in öffentlicher Verhandlung oder vor Abschluss des Verfahrens nur mit Genehmigung der zuständigen Behörde veröffentlichen durfte. Seit 1974 ist diese Regelung durch § 353d Nr. 3 StGB ersetzt814. Diese Regelung ist zwar ebenso untauglich wie die frühere. Sie lässt aber die Richtung der Bedenken erkennen, die durch öffentliche Diskussionen der Frage der Strafbarkeit des Verhaltens prominentester Persönlichkeiten im Zusammenhang mit der Parteispendenaffäre 1984815 und der Vorwürfe gegen den Bundespräsidenten Wulff und den Moderator Kachelmann 2010 eine Aktualisierung erfahren haben. So hat der Bundestag durch Beschluss vom 24.5.1984 eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet816, ob der Grundgedanke des angelsächsischen Prozess809 Vgl. Attorney General v. Times Newspapers (1974) AC 273 – „Thalidomide“, vgl. auch die Stellungnahme der Europäischen Menschenrechtskommission v. 18.5.1977, AfP 1978, 41. 810 Dazu Sarah Boseley, Guardian v. 15.1.2010. 811 State v. Simpson, No. BA-097211 8Cal. Super. Ct., filed July 22, 19949. 812 Dazu Phillipson, Trial by Media, 31 Law & Cont. Prob’s 15 (2008). 813 von Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 23; Hassemer, ZRP 2013, 149. 814 Vgl. MünchKomm/Graf, § 353d StGB Rz. 8. 815 Graf Lambsdorff, Friedrichs, von Brauchitsch. 816 BT-Drucks. 10/1496.
784
Burkhardt/Peifer
XI. Gerichtsberichterstattung
Rz. 181 Kap. 10
rechts, dass öffentliche Vorverurteilungen ein faires Verfahren nicht erschweren dürfen, in das deutsche Strafprozessrecht übernommen werden könne. Der Strafgesetzentwurf 1962 hatte sogar einen Straftatbestand „Störung der Strafrechtspflege“ vorgesehen (§ 452), der unangemessene Veröffentlichungen über schwebende Verfahren sanktionieren sollte. Unbeschadet der grundsätzlich positiven Haltung zur Gerichtsberichterstattung ist also die „unangemessene Öffentlichkeit ein Dauerbrenner in den rechtspolitischen Diskussionen deutscher Zunge“817. 2. Berichte über Gerichtsverfahren a) Zutritt zur Verhandlung Nach § 169 Satz 1 GVG sind Gerichtsverhandlungen einschließlich der Verkündung der Ur- 181 teile und Beschlüsse öffentlich (anders im Jugendgerichtsverfahren § 48 Abs. 1 JGG). Dieser Grundsatz gebietet, dass sich jedermann ohne besondere Schwierigkeiten davon Kenntnis verschaffen kann, wann und wo eine Verhandlung stattfindet und der Zutritt im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten eröffnet ist818. Die Gerichtsöffentlichkeit ist gesetzlich nur als Saalöffentlichkeit vorgesehen. Diese stellt eine beschränkte Eröffnung einer Informationsquelle i.S.v. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten dar. Journalisten haben ebenso Zutritt wie jeder andere. Weitergehende Rechte als andere genießen Journalisten nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichst nicht819. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat keinen absoluten Zugangsanspruch für Journalisten, sondern nur einen Anspruch auf diskriminierungsfreie Zulassung angenommen820. Auch die Rundfunkfreiheit gewährt keine zusätzlichen Befugnisse, z.B. zur Fernsehübertragung einer Verhandlung821. Bei Platzmangel im Gerichtssaal sollte Journalisten aber bevorzugt Einlass gewährt werden. Übersteigt die Nachfrage das tatsächliche Raumangebot, kann vorgesehen werden, dass ein Zutritt nur in der Reihenfolge des zeitlichen Erscheinens bis zur Grenze der verfügbaren Plätze möglich ist822. Sofern allerdings ausländische Medien mit besonderem Bezug zu dem Verfahren voraussichtlich Zugang erstreben, ist ein chancengleicher Zutritt auch durch Quotenregelungen zugunsten einzelner Interessengruppen zu gewähren823. Auch bei Inaugenscheinnahmen außerhalb des Gerichtssaals sollten Pressevertreter gegenüber der sonstigen Öffentlichkeit Vorrang genießen824. Poolregelungen durch gerichtliche Anordnung sind zulässig, doch ist dafür zu sorgen, dass die nicht zum Pool gehörigen Medienvertreter kostenfreien oder allenfalls die Ausgaben deckenden Zugang zu dem gewonnenen Bildmaterial erhalten825. Ist die Verhandlung nicht öffentlich, haben auch Journalisten keinen Anspruch auf Zutritt. Nicht öffentlich verhandelt wird in Familiensachen (§ 170 817 Hassemer, NJW 1985, 1921; Hunecke, NK 2011, 85. 818 BVerfG v. 10.10.2001 – 2 BvR 1620/01, NJW 2002, 814. 819 BVerfG v. 6.2.1979 – 2 BvR 154/78, NJW 1979, 1400, 1401; v. 16.4.1999 – 1 BvR 622/99, NJW 1999, 1951; v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, AfP 2001, 48 = NJW 2001, 1633, 1634. 820 EGMR v. 13.3.2012 – 44585/10, NJW 2013, 521 – Axel Springer/Deutschland. 821 BVerfG v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, AfP 2001, 48 = NJW 2001, 1633 – Gerichtsfernsehen mit abweichender Meinung der Richter Kühling, Hohmann-Dennhardt und Hoffmann-Riem, dazu unten Rz. 184 f. 822 BVerfG v. 30.10.2002 – 1 BvR 1932/02, NJW 2003, 500 – El Kaida II. 823 BVerfG v. 12.4.2013 – 1 BvR 990/13, AfP 2013, 233 m. krit. Anm. Zuck, NJW 2013, 1293 sowie Bspr. durch Kujath, AfP 2013, 269; Bock, jM 2014, 123; vgl. auch Alwart, JZ 2014, 1091. 824 Probl. insoweit BGH v. 10.1.2006 – 1 StR 527/05, AfP 2006, 238 = NJW 2006, 1220 – Schmales Treppenhaus. 825 BVerfG v. 18.3.2008 – 1 BvR 282/01, AfP 2008, 497 = NJW-RR 2008, 1069.
Burkhardt/Peifer 785
Kap. 10 Rz. 182
Sonderfragen
GVG) und in der Jugendgerichtsbarkeit (§ 48 Abs. 1 JGG). In Unterbringungssachen (§ 171a GVG), zum Schutz von Persönlichkeitsrechten (§ 171b GVG) und bei Gefährdung der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Sittlichkeit oder aus Gründen des privaten oder geschäftlichen Geheimnisschutzes (§ 172 GVG) kann das Gericht die Öffentlichkeit ausschließen. Die Öffentlichkeit und mit ihr auch Journalisten wegen der bloßen, durch Tatsachen nicht belegten Möglichkeit auszuschließen, die Wahrheitsfindung könne beeinträchtigt werden, z.B. wegen erwarteter Presseberichte, wäre unzulässig826. 182
Nach § 175 Abs. 1 GVG kann einzelnen Personen der Zutritt zu öffentlichen Verhandlungen versagt werden. Nach § 177 GVG können sie notfalls aus dem Sitzungszimmer abgeführt werden. Einen Journalisten nur wegen einer publizierten Kritik am Vorsitzenden von späteren Verhandlungen auszuschließen, bedeutet nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG827. Andererseits hat der BGH den Ausschluss eines Journalisten aus einer nichtöffentlichen Verhandlung, der negativ über einen Verteidiger berichtet hatte, mit Rücksicht auf Art. 6 EMRK gebilligt, weil das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren und auf ungehinderte Verteidigung dem Anspruch der Öffentlichkeit vorgehe, über Gerichtsverhandlungen unterrichtet zu werden828. Einen Konflikt des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG mit Art. 6 EMRK hat das Bundesverfassungsgericht in seine bisherigen Erwägungen nicht einbezogen.
183
Möglich ist es, einen Journalisten aus dem Sitzungszimmer zu entfernen, wenn er in einer die Würde des Gerichts nicht entsprechenden Weise erscheint (§ 175 GVG) oder wenn er einer vom Vorsitzenden zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnung (§ 176 GVG) nicht Folge leistet. Z.B. kann ein Journalist des Saales verwiesen werden, wenn er ein vom Vorsitzenden verhängtes Fotografierverbot missachtet, insbesondere wenn dadurch der Verhandlungsablauf gestört wird829. Das Anfertigen von Notizen, auch von Skizzen, stört den Verhandlungsablauf normalerweise nicht, so dass es nur unter besonderen Umständen untersagt und das Verbot bei Nichteinhaltung durch Entfernung des Journalisten durchgesetzt werden könnte830. Zum Schutz von Persönlichkeitsrechten können Aufnahmeverbote durch sitzungspolizeiliche Anordnung ergeben. Wenn die Angeklagten ihre Einwilligung in Bildaufnahmen verweigern, geschieht dies typischerweise in Form von Verpixelungsgeboten; §§ 22, 23 KUG helfen in solchen Fällen allerdings ebenso wenig wie § 176 GVG, wenn es um ein zeitgeschichtliches Ereignis geht831. Präventive Verbote von Fernsehaufnahmen außerhalb der Verhandlung können die Rundfunkfreiheit unangemessen einschränken. Das ist z.B. der Fall, wenn in einem die Öffentlichkeit besonders interessierenden Verfahren (Honecker-Prozess) verschiedene Rundfunkveranstalter sich dahin absprechen, dass jeweils nur ein Fernsehteam vor Ort ist und die gemachten Aufnahmen allen anderen Sendern kostenlos zur Verfügung gestellt werden832; anders bei einem Fotografierverbot zum vorsorgenden Schutz des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrheit der am Prozess beteiligten Personen833. Im Übrigen können durch sitzungspolizeiliche Anordnungen des Vorsitzenden gem. § 176 826 827 828 829 830 831
BGH v. 28.2.1973 – 2 StR 645/72, Ufita 70/1974, 279. BVerfG v. 6.2.1979 – 2 BvR 154/78, NJW 1979, 1400. BGH v. 16.6.1964 – 5 StR 183/64, NJW 1964, 1485. Vgl. VGH Baden-Württemberg v. 17.5.2017 – 1 S 893/17, NJW 2017, 3543. BGH v. 15.1.1963 – 5 StR 528/62, BGHSt 18, 179. BGH v. 7.6.2011 – VI ZR 108/10, BGHZ 190, 52 = MDR 2011, 847 = AfP 2015, 356 m. Anm. Gostomczyk, NJW 2011, 3156. 832 BVerfG v. 14.7.1994 – 1 BvR 1595/92, 1 BvR 1606/92, AfP 1994, 213 = NJW 1995, 184. 833 BVerfG v. 11.5.1994 – 1 BvR 733/94, NJW 1996, 310.
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Burkhardt/Peifer
XI. Gerichtsberichterstattung
Rz. 184 Kap. 10
GVG Beschränkungen für Fernsehaufnahmen im Sitzungssaal außerhalb der Hauptverhandlung nach dem Ermessen des Vorsitzenden vorgenommen werden834. Die Bedeutung der Rundfunkfreiheit ist dabei stets zu gewichten mit der Folge, dass der Presse jedenfalls eine realisierbare Gelegenheit zur Anfertigung von Lichtbildaufnahmen und Fernsehaufzeichnungen gegeben werden muss835. Die Verweigeurng einer solchen Gestattung ist so zu begründen, dass erkennbar bleibt, wie die Medienfreiheiten gegen das Verbot abgewogen wurden836. Auch Verpixelungsverbote durch sitzungspolizeiliche Anordnung sind zu begründen837. Die bloße Lästigkeit der Anwesenheit von Presse und Runfunk rechtfertigt eine Verbotsanordnung nicht838. b) Gesetzliche Beschränkungen Nach § 169 Satz 2 GVG sind Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Film- 184 aufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhaltes unzulässig. Die sog. mittelbare Öffentlichkeit ist dadurch von der Verhandlung als solcher ausgeschlossen. Die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Verbots839 hat das Bundesverfassungsgericht verworfen840. Das Verbot erfasst nur Filmaufnahmen, nicht einfache Bildaufnahmen841. Einfache Bildaufnahmen sind also während der Verhandlung und der Urteilsverkündung zulässig. Richter, Anwälte und Schöffen haben die darin liegende Beeinträchtigung hinzunehmen842. Der Vorsitzende kann aber die Anfertigung nach § 176 GVG aus sitzungspolizeilichen Gründen untersagen843. Im Übrigen gilt das Verbot des § 169 Satz 2 GVG nur für den eigentlichen Gang der Hauptverhandlung, also nur für die Zeit, in der tatsächlich verhandelt wird und Urteile und Beschlüsse verkündet werden. Die Zeiten vor Beginn und nach Schluss der Verhandlung bleiben von dem Verbot ebenso unberührt wie Verhandlungspausen844. Ob auch während dieser Zeiten Aufnahmen verboten werden, bestimmt der Vorsitzende als Sitzungspolizei gem. § 176 GVG845. Dabei hat er die Rundfunkfreiheit angemessen zu berücksichtigen. Mit Rücksicht hierauf hat das Bundesverfassungsgericht die Herstellung von Filmaufnahmen im Gerichtssaal vor und nach der Verhandlung im Honecker-Prozess
834 835 836 837 838 839 840 841 842 843 844 845
BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 = NJW 2008, 977. BVerfG v. 3.4.2009 – 1 BvR 654/09, AfP 2009, 244 = NJW 2009, 2117. BVerfG v. 31.7.2014 – 1 BvR 1858/14, AfP 2014, 438 = NJW 2014, 3013 m. Anm. Palzer. BVerfG v. 8.7.2016 – 1 BvR 1534/16, AfP 2016, 532; v. 17.4.2015 – 1 BvR 3276/08, AfP 2015, 238. BVerfG v. 9.9.2016 – 1 BvR 2022/16, NJW 2017, 798 m. Anm. Bernzen. Eberle, NJW 1994, 1637; Gündisch/Dany, NJW 1999, 256. BVerfG v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, AfP 2001, 48 = NJW 2001, 1633 – Gerichtsfernsehen; dazu Huff, NJW 2001, 1622; Zuck, NJW 2001, 1623. BGH v. 27.10.1969 – 2 StR 636/68, NJW 1970, 63; v. 4.12.1970 – 1 StR 34/70, ArchPR 1970, 67; Maul, MDR 1970, 286 mit Nachweisen aus den Gesetzesmaterialien. BVerfG v. 15.3.2007 – 1 BvR 620/07, AfP 2008, 156 = NJW-RR 2007, 986 m. Anm. von Coelln. Vgl. BVerfG v. 11.5.1994 – 1 BvR 733/94, NJW 1996, 310. BVerfG v. 14.7.1994 – 1 BvR 1595/92, 1 BvR 1606/92, AfP 1994, 213 = NJW 1995, 184, 185; BTDrucks. IV/178, 45. BVerfG v. 14.7.1994 – 1 BvR 1595/92, 1 BvR 1606/92, AfP 1994, 213 = NJW 1995, 184; v. 11.5.1994 – 1 BvR 733/94, NJW 1996, 310; BGH v. 13.11.1979 – 5 StR 166/79, BGHSt 29, 129 = MDR 1980, 157; v. 27.10.1969 – 2 StR 636/68, AfP 1971, 39; v. 11.2.1998 – 3 StB 3/98, AfP 1998, 220 = NJW 1998, 1420.
Burkhardt/Peifer 787
Kap. 10 Rz. 185
Sonderfragen
durch einstweilige Anordnung gestattet846. Die Begründung einer sitzungspolizeilichen Anordnung ist nur entbehrlich, wenn die tatsächlichen Umstände, welche die Beschränkungen der Pressefreiheit erforderlich machen, auf der Hand liegen und sich für einen verständigen Prozessbeteiligten von selbst verstehen847. Hat der Vorsitzende vom Hausrecht und seinen sitzungspolizeilichen Befugnissen keinen Gebrauch gemacht, ist die Anfertigung von Ton- und Fernsehaufnahmen zulässig, wenn keine persönlichkeitsrechtlichen Gesichtspunkte entgegenstehen848. 185
Die ursprünglich nur in den „Rahmenbedingungen für Pressevertreter sowie Rundfunkund Fernsehanstalten“ enthaltene Sonderregelung des Bundesverfassungsgericht, Ton- und Filmaufnahmen zu Beginn einer mündlichen Verhandlung und bei der Urteilsverkündung zuzulassen, wurde durch § 17a BVerfGG849 gesetzlich geregelt. Seit Oktober 2017 können überdies gem. § 169 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 4 GVG n.F. Tonübertragungen in Presseräumen, Tonaufzeichnungen für wissenschaftliche sowie historische Zwecke und in besonderen Fällen auch Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen der Verkündigung von Entscheidungen des BGH zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung zugelassen werden850. Diese Erweiterungen sind auch in § 17a BVerfGG übernommen worden (Art. 2 EMöGG).
186
Nach § 174 Abs. 2 GVG dürfen Presse, Rundfunk und Fernsehen keine Berichte über die Verhandlung und den Inhalt eines die Sache betreffenden amtlichen Schriftstückes veröffentlichen, wenn die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen ist. Ein Verstoß dagegen wird nach § 353d Nr. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet. Diese Strafandrohung richtet sich nur gegen die in § 174 Abs. 2 GVG genannte Presse sowie gegen Rundfunk und Fernsehen. Der Verfasser eines Leserbriefes oder ein Interviewpartner gehört nicht dazu. Ob unter Presse nur die periodische Presse zu verstehen ist oder die Hersteller auch anderer Druckerzeugnisse im Sinne des Presserechts, ist umstritten851. Da § 353d Nr. 1 StGB ein höchst problematisches Sonderdelikt ist, empfiehlt sich eine möglichst restriktive Interpretation852. Für Mitteilungen im Internet gilt die Vorschrift nach ihrem Wortlaut nicht, so dass hier eine Strafbarkeitslücke auftreten kann853. Täter kann nur sein, wer in den erfassten Medien tätig ist.
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Ist die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit oder aus den in § 172 Nr. 2 und 3 GVG bezeichneten Gründen ausgeschlossen (privater und geschäftlicher Geheimnisschutz), kann das Gericht den anwesenden Personen, auch Journalisten, die Geheimhaltung von Tatsachen, die durch die Verhandlung oder durch ein die Sache betreffendes amtliches Schriftstück zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht machen. Ein Verstoß gegen die vom Ge846 BVerfG v. 11.11.1992 – 1 BvR 1595/92, 1 BvR 1606/92, AfP 1992, 359; der Verfassungsbeschwerde gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung wurde stattgegeben: BVerfG v. 14.7.1994 – 1 BvR 1595/92, 1 BvR 1606/92, AfP 1994, 213 = NJW 1995, 184. 847 OLG Hamm v. 26.9.2017 – III-2 Ws 127/17, AfP 2018, 62. 848 Vgl. Seibert, NJW 1970, 1535. 849 BGBl. I 1998, 1823. 850 Art. 1 des Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG – v. 8.10.2017, BGBl. I 3546; dazu von Coelln, AfP 2016, 491; Loubal/Hofmann, MMR 2016, 669; krit. Huff, ZAP 2016, 763. 851 Dafür Schönke/Schröder/Perron, § 353d StGB Rz. 8; LK/Vormbaum, § 353d StGB Rz. 10; für die Einbeziehung von Massenmedien wie Büchern MünchKomm/Graf, § 353d StGB Rz. 13. 852 Gegen eine Ausdehnung über die Presse hinaus: Fischer, § 353d StGB Rz. 2; SK/Hoyer, § 353d StGB Rz. 8. 853 MünchKomm/Graf, § 353d StGB Rz. 13.
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Burkhardt/Peifer
XI. Gerichtsberichterstattung
Rz. 189 Kap. 10
richt auferlegte Schweigepflicht wird nach § 353d Nr. 2 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet. Solche Strafen verstoßen nicht per se gegen Art. 10 EMRK854. Strafbar macht sich nur, wer durch den Schweigebefehl persönlich verpflichtet ist. Das können lediglich die in der nichtöffentlichen Verhandlung Anwesenden sein, also Zuhörer, Zeugen und auch die Richter, die den Beschluss erlassen haben855. Ein Beschluss, der auch Abwesende bindet, wäre unwirksam856. Keine Strafbarkeit ist also gegeben, wenn ein Journalist über Vorgänge aus einer nichtöffentlichen Sitzung berichtet, die er von dritter Seite erfahren hat. Zu beachten ist weiterhin § 353d Nr. 3 StGB, nach dem in gleicher Weise bestraft wird, wer 188 die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert sind oder das Verfahren abgeschlossen ist. Diese Strafbestimmung soll die Unbefangenheit der an den genannten Verfahren Beteiligten schützen, namentlich der Laienrichter und Zeugen. Die Bestimmung soll verhindern, dass die bezeichneten Schriftstücke durch öffentliche Bekanntmachung vorzeitig zum Gegenstand öffentlicher Diskussion oder zum Anlass gezielter Beeinflussung werden. Dass die Vorschrift hierzu ungeeignet ist, entspricht der h.M.857. Strafbar ist nämlich nur, das amtliche Schriftstück ganz oder in wesentlichen Teilen „im Wortlaut“ öffentlich mitzuteilen858. Die sinngemäße Wiedergabe erfasst der Tatbestand nicht, ebenso wenig eine veränderte Veröffentlichung. Strafbar ist also nur, wer richtig, insbesondere wer vollständig informiert. Wer verfälscht, bleibt straffrei. Angesichts dieser Sinnwidrigkeit ist restriktive Interpretation geboten. Z.B. kann es nicht als Verstoß gegen § 353d Nr. 3 StGB betrachtet werden, wenn ein Schriftstück veröffentlicht wird, von dem mehrere Exemplare existieren, von denen eines zu den Gerichtsakten gelangt ist. Amtliches Schriftstück ist nur das zu den Akten gelangte Exemplar, die anderen sind es nicht. Erhält ein Verleger von einem Zeugen die Abschrift einer Aussage, kann er sie auch veröffentlichen, wenn das Original zu den Gerichtsakten gegeben ist859. c) Persönlichkeitsrechtliche Beschränkungen Angesichts der gemeinschaftswichtigen Bedeutung der Gerichtsberichterstattung ist unbe- 189 stritten, dass die Medien berechtigt sind, über alle Gerichtsverfahren zu berichten, sofern dem nicht eine der vorstehend erwähnten gesetzlichen Beschränkungen entgegensteht. Die Medien haben aber die Grenzen zu beachten, die der Pressefreiheit aus dem mit gleichem Rang verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit und auf Wahrung seiner Ehre erwachsen860. Stehen in einem Prozess Fähigkeiten und Charakter des
854 EGMR v. 29.3.2016 – 56925/08, AfP 2017, 219 Rz. 56 – Bedát/Schweiz m. krit. Anm. Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2017, 3506. 855 Schönke/Schröder/Perron, § 353d StGB Rz. 27. 856 Schönke/Schröder/Perron, § 353d StGB Rz. 26. 857 Vgl. Weigend in Alternativ-Entwurf Strafjustiz und Medien – AE-StuM, 2004, S. 33, 51; vgl. auch Fischer, § 353d StGB Rz. 6 mit Hinweis auf BVerfG v. 3.12.1985 – 1 BvL 15/84, MDR 1986, 462 = AfP 1986, 35 = NJW 1986, 1239. 858 Fischer, § 353d StGB Rz. 4; Schönke/Schröder/Perron, § 353d StGB Rz. 45. 859 Str., wie hier RG v. 30.4.1894 – 833/94, RGSt 25, 330; a.A. Schönke/Schröder/Perron, § 353d StGB Rz. 43. 860 BGH v. 30.11.1971 – VI ZR 115/70, BGHZ 57, 325, 330.
Burkhardt/Peifer 789
Kap. 10 Rz. 190
Sonderfragen
Betroffenen zur Erörterung, gewinnt diese Pflicht besondere Bedeutung861. Die speziell bei der Gerichtsberichterstattung zu beachtenden Rücksichtnahmen hat der Deutsche Presserat in seinen Richtlinien für die publizistische Arbeit besonders hervorgehoben862. 190
Das Recht, über das Verfahren als solches zu berichten, schließt das Recht, den Angeklagten, Zeugen und sonstige Verfahrensbeteiligte mit Namen zu nennen oder in sonstiger Weise identifizierbar zu machen, nicht notwendig ein863. Abgesehen von Ausnahmen ist es stets beeinträchtigend, als Angeklagter genannt zu werden. Auch als Zeuge oder als sonstiger Verfahrensbeteiligter Erwähnung zu finden, kann nachteilig sein, speziell wenn dadurch eine belastende Beziehung zum Verfahrensgegenstand hergestellt wird. Es besteht auch keineswegs immer ein allgemeines Interesse, über die Person des Angeklagten und sonstige Verfahrensbeteiligte unterrichtet zu werden. Ob die Erwähnung mit vollem Namen oder die Mitteilung sonstiger, die Identifizierung ermöglichender Merkmale gerechtfertigt ist (Initialen, Beruf, Wohngegend usw.), bedarf deswegen in jedem Einzelfall gesonderter Überprüfung. Bei dieser Prüfung ist darauf abzustellen, ob für solche Mitteilungen ein die verletzten Interessen überwiegendes Informationsbedürfnis anzuerkennen ist (Näheres Kap. 6 Rz. 62 ff.). Hierbei kann auch an die zu §§ 22, 23 KUG entwickelten Grundsätze angeknüpft werden864. Entsprechendes gilt für sonstige Verfahren, die einen beeinträchtigenden Vorgang zum Gegenstand haben, z.B. für ein auf Grund einer Entlassung geführtes Verwaltungsstreitverfahren865. Als unzulässig hat es der BGH auch bezeichnet, in einem mit „Büro-Sex am Telefon: Entlassen“ überschriebenen Bericht den Kläger eines Arbeitsgerichtsprozesses (Geschäftsführer einer IHK) identifizierbar zu machen866.
191
Das für die namentliche Erwähnung eines Angeklagten erforderliche überwiegende Informationsinteresse kann sich insbesondere aus der Schwere der Tat ergeben. In Fällen der Kleinkriminalität hat der Angeklagte grundsätzlich ungenannt zu bleiben867. Eine absolute Grenze lässt sich allerdings nicht ziehen. Als Anhaltspunkt kann aber die in § 12 StGB getroffene Unterscheidung zwischen Verbrechen und bloßem Vergehen herangezogen werden. Von einer die namentliche Erwähnung rechtfertigenden Schwere des Vorwurfes wird im Allgemeinen nur bei dem Vorwurf eines Verbrechens auszugehen sein868. Eine sog. Vorverurteilung, d.h. die Vorwegnahme eines Schuldspruches, ist generell zu vermeiden, besonders aber wenn der Angeklagte namentlich erwähnt wird869. Im Allgemeinen geschieht das auch. Selbst Terroristen werden vor der Verurteilung zumeist als „mutmaßliche Terroristen“ bezeichnet. Hat der Betreffende anlässlich seiner Verhaftung mit einer Maschinenpistole um sich geschossen und dabei Menschen getötet oder verletzt, kann eine solche Rücksichtnahme übertrieben
861 BGH v. 5.3.1963 – VI ZR 61/62, NJW 1963, 904 – Gerichtsberichterstattung; v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, NJW 1979, 1041 – Exdirektor. 862 Vgl. RL 12.1, 13.1 f.; www.presserat.de/pressekodex. 863 H.M., vgl. u.a. Lampe, NJW 1973, 217. 864 von Becker, Straftäter und Tatverdächtige in den Massenmedien, S. 144. 865 BGH v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, NJW 1979, 1041 – Exdirektor. 866 BGH v. 24.11.1987 – VI ZR 42/87, MDR 1988, 400 = AfP 1988, 30 – Büro-Sex. 867 OLG Nürnberg v. 31.10.1995 – 3 U 2008/95, NJW 1996, 530. 868 Vgl. OLG Frankfurt v. 6.9.1979 – 16 U 75/79, AfP 1980, 50 = NJW 1980, 597; OLG München v. 7.10.2002 – 21 W 2385/02, AfP 2003, 438 = NJW-RR 2003, 111. 869 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 f. – Verdachtsberichterstattung; OLG Brandenburg v. 15.2.1995 – 1 U 23/94, AfP 1995, 520 = NJW 1995, 886; OLG München v. 17.11.1995 – 21 U 3032/95, NJW-RR 1996, 1487, 1488; OLG Frankfurt v. 2.2.1989 – 16 U 228/87, NJW-RR 1990, 989, 990; Grave, NJW 1981, 209; Hassemer, NJW 1985, 1921.
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XI. Gerichtsberichterstattung
Rz. 193 Kap. 10
sein. Grundsätzlich ist auch zu unterscheiden, ob der Betreffende als Täter oder lediglich als Gehilfe angeklagt ist, mag auch diese Unterscheidung nicht immer ganz klar sein870. Für die Beurteilung des Informationsinteresses ist auch die Person des Angeklagten von Be- 192 deutung. Das OLG Stuttgart vertritt zutreffend die Auffassung, dass bei kritischen Meldungen über Ereignisse, an deren Bekanntwerden die Öffentlichkeit ein Interesse haben könnte, die Namensnennung i.d.R. nur bei Personen gerechtfertigt ist, die derart im öffentlichen Leben stehen, dass die Information nur und gerade im Zusammenhang mit dem Namen des Beschuldigten ihren Informationswert erhäl871. Hat eine im öffentlichen Leben stehende Persönlichkeit eine gravierende Tat begangen, wird man der Öffentlichkeit praktisch stets das Recht zubilligen müssen, den Namen zu erfahren872. Auch wer Verleger ständig öffentlich eine besonders strenge Moral gepredigt hat, verdient keinen Anonymitätsschutz, wenn sich herausstellt, dass er selbst das tut, was er bei anderen rügt873. Wird einem Rechtsanwalt vorgeworfen, als Organ der Rechtspflege Strafvereitelung begangen zu haben, ist wegen des Informationsinteresses insbesondere (potentieller) Mandanten eine identifizierende Berichterstattung möglich874. Selbst bei einer Verkehrsübertretung kann die namentliche Erwähnung zulässig sein, wenn sie der für die Verkehrsregelung verantwortliche Beamte begangen hat. Andererseits kann sich aus persönlichen Eigenschaften und Verhältnissen eine besondere Schutzwürdigkeit ergeben. Davon ist grundsätzlich bei Jugendlichen und Heranwachsenden auszugehen. Sie sollen vor der Gefahr bewahrt bleiben, infolge einer Negativdarstellung im Kreis der Berufstätigen erst gar nicht Fuß fassen zu können875. Das gilt allerdings nicht, wenn Heranwachsende selbst einen Prominentenstatus erlangt haben. Dann darf über eine Verfehlung in der Öffentlichkeit auch identifizierend berichtet werden876. Unzulässig ist eine Berichterstattung, die über das zur Erläuterung der Tat Erforderliche in die Intimsphäre des Angeklagten eingreift. Das gilt selbst in Vergewaltungsprozessen, wenn über sexuelle Neigungen und Vorlieben in anderen Beziehungen berichtet wird, ohne dass diese Berichte zur Aufklärung der Tat beitragen877. Der Bildnisverbreitung werden häufig berechtigte Interessen i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG ent- 193 gegenstehen, weil die Verbreitung eines Angeklagten im Bild eine besonders nachhaltige Prangerwirkung hat878. I.d.R. wird die Bildnisverbreitung nur in Fällen der Schwerkriminalität als zulässig angesehen werden können879 bzw. bei Persönlichkeiten, deren Bildnis ohnehin laufend verbreitet wird. Bei einem u.a. wegen 22 schwerer Diebstähle zu sechseinhalb Jahren verurteilten Straftäter ist die Veröffentlichung eines Fotos zulässig880. Es dürfen nur Aufnah870 OLG Karlsruhe v. 17.10.1973 – 1 U 28/73, Justiz 1974, 223; OLG Frankfurt v. 6.9.1979 – 16 U 75/79, AfP 1980, 50 = NJW 1980, 597, 598. 871 OLG Stuttgart v. 16.8.1972 – 1 Ss 278/78, AfP 1972, 332. 872 BGH v. 24.10.1961 – VI ZR 204/60, NJW 1962, 32 – Waffenhandel; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung. 873 BGH v. 5.5.1964 – VI ZR 64/63, NJW 1964, 1471 – Sittenrichter. 874 OLG München v. 7.10.2002 – 21 W 2385/02, AfP 2003, 438 = NJW-RR 2003, 111. 875 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226 – Lebach; v. 25.11.1999 – 1 BvR 348/98 u.a., NJW 2000, 1859 – Lebach II. 876 BVerfG v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09, 1 BvR 2503/09, NJW 2012, 1500 – Wilde Kerle, m. Anm. Hufen, JuS 2013, 280. 877 BGH v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 = CR 2013, 462 = MDR 2013, 652 = IPRB 2013, 150 = NJW 2013, 1681 – Fall Kachelmann. 878 BGH v. 16.9.1966 – VI ZR 268/64, NJW 1966, 2353, 2355 – Vor unserer eigenen Tür. 879 LG Berlin v. 29.7.1999 – 27 O 302/99, ZUM-RD 2000, 194 – Sexkeller-Monster. 880 LG Oldenburg v. 22.1.1987 – 5 O – 3128/86, AfP 1987, 720.
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Kap. 10 Rz. 194
Sonderfragen
men verwendet werden, die zeitgeschichtlichen Zusammenhang mit der Tat bzw. dem Verfahren haben, nicht Bildnisse aus dem früheren oder späteren Leben881. Gegen eine solche Veröffentlichung hilft auch nicht eine zuvor ergangene Verpixelungsanordnung im gerichtlichen Verfahren nach § 176 GVG882. Zulässig wäre das nur, wenn die Bildveröffentlichung dazu beiträgt, den sozialen oder sonstigen Hintergrund der Tat aufzuhellen. Daneben sind kontextneutrale Bildnisse zulässig883. Sofern die Abbildung eine Situation der Zurückgezogenheit zeigt, etwa weil sich die Person in einem vom öffentlichen Raum nur eingeschränkt einsehbaren Innenhof befindet, darf die Abbildung nicht verbreitet werden884. Näheres Kap. 8 Rz. 18 ff. 194
Anders als der Straftäter, der durch seine Tat das Interesse der Öffentlichkeit selbst auf sich gelenkt hat und deswegen eine Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts hinnehmen muss, ist das Tatopfer meist ohne eigenes Zutun in den Vorgang verwickelt worden. Seine persönlichkeitsrechtlichen Belange bedürfen deswegen in erheblich höherem Maße des Schutzes. Die namentliche Erwähnung hat insbesondere zu unterbleiben, wenn sie für das Tatopfer nachteilige Folgen haben könnte. Ein Tatopfer kann sich auch gegen eine verzerrende Darstellung der Tathintergründe wehren885. Entsprechendes gilt für Zeugen. Nicht unproblematisch ist ein Beschluss des OLG München886, mit dem die namentliche Erwähnung eines zu Gefängniskontakten mit einem fünffachen Mörder vernommenen Zeugen für zulässig erklärt wird. Vor allem kann es unzulässig sein, einen Zeugen auch noch längere Zeit nach Verfahrensende namentlich zu nennen. Der BGH geht davon aus, die zeitgeschichtliche Bedeutung könne bereits ein halbes Jahr nach Abschluss des Strafverfahrens entfallen sein887.
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An die Objektivität und Sachlichkeit der Gerichtsberichterstattung sind strenge Anforderungen zu stellen. Trotzdem kann die Wiedergabe der Äußerungen von Prozessbeteiligten zulässig sein, auch wenn sie scharfe Angriffe gegen die Person enthalten. Das ist jedenfalls dann zulässig, wenn sie das Prozessklima charakterisieren. Auf die Person des Betroffenen ist aber Rücksicht zu nehmen. Die Bezeichnung eines Klägers als „Person mit hypertrophen Neigungen“ kann auch persönlichkeitsverletzend sein, wenn der Beklagtenvertreter diese Formulierung in seinem Plädoyer verwendet hat888. Jemanden als Chef einer Verbrecherbande erscheinen zu lassen, wenn der Stand des Verfahrens dafür keine ausreichenden Anhaltspunkte bietet, stellt eine rechtswidrige, u.U. zur Zahlung einer Geldentschädigung verpflichtende Persönlichkeitsverletzung dar889. Auch Übertreibungen sind unzulässig890. Ebenso wenig dürfen legitime Prozesshandlungen lächerlich gemacht werden. Als unzulässig ist es bezeichnet worden, einem Angeklagten nachzusagen, wenn er in das Gefängnis zurückkehre, werde er sicher 881 BGH v. 16.9.1966 – VI ZR 268/64, NJW 1966, 2353, 2355 – Vor unserer eigenen Tür; Lampe, NJW 1973, 217; vgl. auch BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 967/15, AfP 2017, 147 = NJW 2017, 1376 Rz. 16. 882 BGH v. 7.6.2011 – VI ZR 108/10, BGHZ 190, 52 = MDR 2011, 847 = AfP 2011, 356 m. Anm. Gostomczyk, NJW 2011, 3156. 883 BVerfG v. 26.4.2001 – 1 BvR 758/97, NJW 2001, 1921 – Person der Zeitgeschichte. 884 BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 2897/14 und 1 BvR 790/15, NJW 2017, 1377; zur Abgrenzung BVerfG v. 9.2.2017 – 1 BvR 967/15, AfP 2017, 147 = NJW 2017, 1376: Gehwegfoto. 885 OLG Hamburg v. 24.10.1974 – 3 U 134/74, NJW 1975, 649. 886 OLG München v. 18.9.1978 – 21 W 1844/78, AfP 1979, 247. 887 BGH v. 9.6.1965 – I b ZR 126/63, NJW 1965, 2148, 2149; vgl. auch OLG Hamburg v. 18.6.1970 – 3 W 17/70 – 3 W 38/70 (74 O 408/69), AfP 1971, 41; Lampe, NJW 1973, 217. 888 BGH v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, AfP 1979, 307, 310 – Exdirektor. 889 BGH v. 5.3.1963 – VI ZR 61/62, NJW 1963, 904 – Gerichtsberichterstattung. 890 BGH v. 22.12.1959 – VI ZR 175/58, BGHZ 31, 308, 313 – Alte Herren.
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XI. Gerichtsberichterstattung
Rz. 198 Kap. 10
in die Reihe der „Doctoranden für Knastologie“ eingestuft werden891. Lässt sich eine genaue und objektive Darstellung nicht erreichen, muss notfalls von der Berichterstattung ganz abgesehen werden892. Wird über eine Verurteilung berichtet, darf ein eingelegtes oder angekündigtes Rechtsmittel 196 nicht unerwähnt bleiben. Ist über eine strafrechtliche Verurteilung unter Namensnennung berichtet worden, muss ein späterer Freispruch gleichfalls gemeldet werden. Auf Verlangen des Betroffenen ist mindestens dessen Erklärung zu publizieren893. 3. Berichte über Straftäter Nach einer strafrechtlichen Verurteilung kann davon ausgegangen werden, dass eine Straftat 197 vorliegt und der Verurteilte sich schuldig gemacht hat. Das gilt auch, wenn er ein Rechtsmittel angekündigt oder eingelegt hat. Vom Gegenteil ist nur auszugehen, wenn offenkundig sein sollte, dass die Verurteilung zu Unrecht erfolgt ist. Als Täter, Attentäter oder Bombenleger darf auch bezeichnet werden, wer zwar infolge Ablebens nicht mehr belangt werden kann, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Täter feststeht894. a) Aktuelle Berichte Ist jemand strafrechtlich verurteilt, hat er seine namentliche Erwähnung in weiter gehendem 198 Maße hinzunehmen denn als bloßer Angeklagter895. Wer den Rechtsfrieden bricht, durch seine Tat Mitmenschen oder Rechtsgüter anderer oder der Gemeinschaft angreift oder verletzt, muss es neben den strafrechtlichen Sanktionen grundsätzlich ebenso dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse in einer nach dem Prinzip freier Kommunikation lebenden Gemeinschaft auf dem dafür üblichen Weg befriedigt wird896. Das ist umso mehr der Fall, je mehr die Straftat sich durch die Besonderheit des Angriffsobjektes, die Art der Begehung oder die Schwere der Folgen aus der üblichen Kriminalität heraushebt. Insbesondere soweit staatliche oder sonstige öffentliche Stellen, Amtsträger und dergleichen in eine solche Tat verwickelt sind, ist ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch dann anzunehmen, wenn es sich nicht um Verbrechen, sondern lediglich um Vergehen handelt897. Dies gilt nicht nur für die „personnage politique“, sondern auch für die „Person des öffentlichen Interesses“898 im Übrigen, etwa einen Angehörigen des (nicht regierenden) europäischen Hoch-
891 892 893 894 895
LG Nürnberg-Fürth v. 7.6.1971 – 13 T 155/70, ArchPR 1971, 82. BGH v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, AfP 1979, 307 – Exdirektor. BGH v. 30.11.1971 – VI ZR 115/70, NJW 1972, 431 – Freispruch. OLG Hamburg v. 7.7.1983 – 3 U 7/83, AfP 1983, 466. BGH v. 30.10.2012 – VI ZR 4/12, AfP 2013, 50 = CR 2013, 40 = MDR 2013, 27 = IPRB 2013, 81 = GRUR 2013, 94 – Gazprom-Manager. 896 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226, 1230 – Lebach I: für erfolgte Verurteilung; BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung, v. 15.11.2005 – VI ZR 286/04, AfP 2006, 62 = MDR 2006, 631 = NJW 2006, 599 Rz. 14: für Bericht über Führerscheinentzug nach Geschwindigkeitsüberschreitung durch Prominenten; vgl. Mafi-Gudarzi, NJOZ 2018, 521. 897 BGH v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung. 898 „Public figure“.
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Kap. 10 Rz. 199
Sonderfragen
adels899 oder einen bekannten Fernsehschauspieler900. Gleichwohl sind Ausnahmen zu beachten, und zwar insbesondere mit Rücksicht auf das Resozialisierungserfordernis. Bei Straftätern, denen Bewährung eingeräumt ist, ist auf eine Namensnennung zu verzichten, wenn es um Normalbürger geht. Das gilt besonders, wenn sie wegen des Vorganges ihre Arbeitsstelle verloren haben und versuchen müssen, einen Neuanfang zu starten901. Gleiches gilt in Fällen der Kleinkriminalität. Ausnahmen werden insbesondere bei Wirtschaftsdelikten anzuerkennen sein902. Bei Jugendlichen ist die Identifizierbarmachung generell unzulässig, zumal bei ihnen, mit Ausnahme der Kinder von Prominenten, der Name ohne Interesse ist903. Ausnahmen gelten aber, wenn Jugendliche selbst einen Prominenzstatus erlangt haben und über Verfehlungen in der Öffentlichkeit berichtet wird, denn eine Regelvermutung, dass über Jugendliche niemals namentlich berichtet werden darf, ist nicht anzuerkennen904. Geht es bei aktuellen Berichten auch um frühere Straftaten eines Anderen, kann der Andere, wenn seine Taten längere Zeit zurückliegen, Schonung verdienen905. 199
In jedem Fall sind Unrichtigkeiten und Übertreibungen zu vermeiden906, denn für jede Berichterstattung gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip dahingehend, dass eine übermäßige Anprangerung und Stigmatisierung, aber auch ein Eingriff in die Intimsphäre anlässlich der Berichterstattung unzulässig ist907. Bei Unrichtigkeiten steht dem Straftäter Anspruch auf Unterlassung und Widerruf auch zu, wenn es lediglich um Einzelheiten geht908. Die bloße Weglassung des Hinweises auf die noch nicht eingetretene Rechtskraft bedeutet keine Unrichtigkeit, wenn die noch vorhandene Möglichkeit eines Rechtsmittels sich aus den Umständen ergibt909. Wird behauptet, jemand habe einen Meineid geleistet, und entsteht dadurch der Anschein, er sei auch subjektiv schuldig, obwohl er aus subjektiven Gründen freigesprochen wurde, kann er Unterlassung fordern. Hat sich jemand vor der Verurteilung selbst als Mörder bezeichnet, muss er hinnehmen, dass die Presse ihn ebenso nennt910. Gleichermaßen darf als Mörder, auch als Massenmörder bezeichnet werden, wer wegen Mordes verurteilt ist und drei weitere Tötungen gestanden hat. Er darf aber nicht als Lustmörder bezeichnet werden, wenn keine Sexualbezogenheit festgestellt wurde911. Jedoch können auch schlagwortartige, überspitzte Formulierungen zulässig sein, soweit die Tat dazu Veranlassung gibt912. Bei seinem 899 BGH v. 15.11.2005 – VI ZR 286/04, AfP 2006, 62 = MDR 2006, 631 = NJW 2006, 599 – Ernst August von Hannover. 900 BGH v. 28.10.2008 – VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 = MDR 2009, 204 = AfP 2009, 51 Rz. 7 – Karsten Speck. 901 von Becker, Straftäter und Tatverdächtige in den Massenmedien, S. 245. 902 BVerfG v. 12.3.2007 – 1 BvR 1252/02, NJW-RR 2007, 1340. 903 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226, 1230 – Lebach I. 904 BVerfG v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09 und 1 BvR 2503/09, NJW 2012, 1500 Rz. 36 – Die Wilden Kerle m. zust. Anm. Hufen, JuS 2013, 280. 905 OLG Hamm v. 10.2.1988 – 3 U 243/87, AfP 1988, 258. 906 BGH v. 22.12.1959 – VI ZR 175/58, BGHZ 31, 308, 313 – Alte Herren; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036, 1037 – Verdachtsberichterstattung. 907 BGH v. 28.10.2008 – VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 = MDR 2009, 204 = AfP 2009, 51 Rz. OLG Celle v. 19.6.2007 – 16 U 2/07, CR 2008, 123 = ITRB 2008, 100 = MMR 2008, 180 – Internetpranger; LG Köln v. 12.5.2010 – 28 O 175/10, AfP 2010, 603 = GRUR-RR 2010, 491 Rz. 14. 908 OLG München v. 16.12.1974 – 21 U 2331/74, ArchPR 1974, 95, 96. 909 Zum Ergänzungsanspruch bei späterem Freispruch vgl. BGH v. 30.11.1971 – VI ZR 115/70, NJW 1972, 431. 910 OLG Karlsruhe v. 24.8.1972 – 1 U 69/72, ArchPR 1972, 82. 911 OLG Karlsruhe v. 17.10.1973 – 1 U 28/73, Justiz 1974, 223 = ArchPR 1973, 92. 912 LG Berlin v. 29.7.1999 – 27 O 302/99, ZUM-RD 2000, 194, 195 – Sexkeller-Monster.
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Burkhardt/Peifer
XI. Gerichtsberichterstattung
Rz. 201 Kap. 10
Spitznamen darf ein Verbrecher genannt werden, wenn dieser in einschlägigen Kreisen bekannt ist913. Bereits getilgte Vorstrafen haben im Allgemeinen unerwähnt zu bleiben. Ein Hinweis darauf kann aber gerechtfertigt sein, wenn sich daraus Schlussfolgerungen auf die Glaubwürdigkeit ergeben und das wegen der Bedeutung des Vorganges (HS-30-Affäre) von erheblichem Gewicht ist914. b) Rückschauende Wertungen und Archivberichterstattung Straftäter sind in Bezug auf die begangene Tat von zeitgeschtlichem Interesse. Sie bleiben es 200 aber nur für die Zeit, innerhalb der die Straftat aktuell ist915. Danach hat auch der Straftäter grundsätzlich wieder das Recht des Fürsichseins, „allein gelassen zu werden“, das „right of privacy and to be left alone“916. Dies bedeutet jedoch nicht, der Täter habe einen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden917. Ob eine den Täter identifizierende Berichterstattung zulässig ist, hängt wesentlich vom Sachbezug und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit ab918. Auch wenn ein in eine Psychiatrie eingewiesener Straftäter eine Frau ermordet, drei weitere getötet und die Leichen anschließend zerstückelt und versteckt hat, steht ihm Jahre nach der Verurteilung der Anspruch zu, als Täter nicht mehr namentlich erwähnt zu werden. Jedenfalls ist das nach 13 Jahren der Fall919. Andererseits ist eine Berichterstattung, die den Täter nicht unmittelbar identifiziert, zulässig. Auch die Gefahr einer Identifizierbarkeit des Täters im Falle weiterer Recherchen durch Rezipienten vermag daran nichts zu ändern. Dokumentarische Sendereihen, wie z.B. „Verbrechen, die Geschichte machten“, sind daher nicht von vornherein unzulässig920, zumal bei ihnen auch das Gewicht der Kunst- und Filmfreiheit mit der Möglichkeit zu gewissen Fiktionalisierungen in Betracht zu ziehen sind. Die Grundsätze der Lebach-Entscheidung, wonach das Resozialsierungsinteresse in der Re- 201 gel die Interessen an einer wiederaufnehmenden Berichterstattung überwiegt, sind angesichts der Möglichkeiten der leicht zugänglichen Archivierung von Berichten in Internetdiensten, unter Druck geraten. Der BGH hat sich mehrfach zur Zulässigkeit von Online-Archiven der Rundfunkanstalten und Pressehäuser geäußert. Im Wesentlichen ist die Zugänglichhaltung von Berichten, die zum Zeitpunkt einer strafrechtlichen Verurteilung rechtmäßig waren, auch 913 KG v. 17.10.1972 – 5 W 1368/72, ArchPR 1972, 88; OLG Hamburg v. 5.2.1976 – 3 U 169/75, AfP 1976, 137, 138. 914 BVerfG v. 12.3.2007 – 1 BvR 1252/02, NJW-RR 2007, 1340; OLG Köln v. 29.4.1971 – 14 U 183/70, AfP 1971, 170. 915 BGH v. 13.11.2012 – VI ZR 330/11, CR 2013, 110 = AfP 2013, 54 = MDR 2013, 151 = GRUR 2013, 200 – Apollonia; OLG München v. 9.3.1981 – 21 U 3649, AfP 1981, 360; OLG Hamburg v. 22.11.1991 – 3 U 170/90, AfP 1991, 537; v. 10.2.1994 – 3 U 238/93, AfP 1994, 232. 916 BVerfG v. 10.6.2009 – 1 BvR 1107/09, AfP 2009, 365 = ITRB 2010, 26 = ZUM 2010, 243 Rz. 21; OLG München v. 15.11.1962 – 6 U 1499/62, NJW 1963, 658; Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114, 118; Siegert, NJW 1963, 1953, 1957. 917 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 348/98 ua., NJW 2000, 1859 – Lebach II; BGH v. 30.12.2012 – VI ZR 4/12, AfP 2013, 50 Rz. 13-15 – Gazprom-Manager; dies gilt erst recht, sofern noch keine Strafverfolgung erfolgt ist, s. Mafi-Gudarzi, NJOZ 2018, 521. 918 BGH v. 15.12.2009 – VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 = MDR 2010, 321 = CR 2010, 184 m. Anm. Kaufmann = ITRB 2010, 125 = AfP 2010, 77 Rz. 20 – Online-Archiv. 919 OLG Hamburg v. 22.11.1991 – 3 U 170/90, AfP 1991, 537. 920 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 348/98 ua., NJW 2000, 1859 – Lebach II; OLG Saarbrücken v. 14.1.1998 – 1 U 785/97 – 155, NJW-RR 1998, 745; a.A. OLG Koblenz v. 24.3.1998 – 4 U 1922/97, AfP 1998, 328.
Burkhardt/Peifer 795
Kap. 10 Rz. 201
Sonderfragen
später, und zwar auch zum Zeitpunkt der Haftentlassung, zulässig. Das hat der BGH in einer Kette von Entscheidungen zum Mordverfahren an dem bayerischen Schauspieler Sedlmayr klargestellt921. Die Zulässigkeit folgt einerseits dem Grundsatz, dass bei bedeutsamen Verbrechen eine vollständige Immunisierung des Straftäters von der Konfrontation mit der Tat nicht verlangt werden kann. Der Entzug einer Meldung aus einem öffentlich zugänglichen Archiv „würde dazu führen, dass Geschichte getilgt und der Straftäter vollständig immunisiert würde“922. Das würde nicht nur die Informationsfreiheit der Öffentlichkeit beeinträchtigen, sondern auch einen abschreckenden Effekt auf die Meinungs- und Informationsfreiheit insgesamt ausüben923. Gleichwohl gilt das Archivprivileg nur für journalistisch-redaktionelle Dienste; Suchmaschinendienstbetreiber hingegen, die durch Selbstergänzungstools („Autocomplete“) oder den bloßen Suchalgorithmus dafür sorgen, dass personenbezogene Informationen über Straftäter bei der Suche angezeigt werden, also diese Informationen besonders einfach zu finden sind, unterliegen Lösch- und Sperrpflichten924. Stets gilt auch bei Altmeldungen in redaktionellen Archiven der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die weitere Zugänglichhaltung erfordert es daher zum einen, dass der Bericht selbst ursprünglich zulässig war925, dass er nicht unter den aktuellen Meldungen des Medienanbieters geführt und klar als Altmeldung gekennzeichnet ist926. Das Gewicht des Eingriffs ist gegenüber der Lebach-Konstellation (Fernsehdokumentation, unten Rz. 206) dadurch gemildert, dass der Verbreitungsgrad durch das Erfordernis einer aktiven Suche des Nutzers und die Darstellungsform als passives Abrufangebot abgemildert ist927. Eine geringere Verbreitung kann auch daraus folgen, dass das Online-Archiv nur über eine Bezahlfunktion zugänglich ist928, doch folgt daraus nicht, dass ein Archiv zulässigerweise nur hinter einer solchen Bezahlschranke geführt werden darf929. Als Frist für die Zulässigkeit einer identifizierenden nachprozessualen Kriminalbericht-
921 BGH v. 15.12.2009 – VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 = MDR 2010, 321 = CR 2010, 184 m. Anm. Kaufmann = ITRB 2010, 125 = AfP 2010, 77 – DRadio; nahezu gleichlautend BGH v. 9.2.2010 – VI ZR 243/08, MDR 2010, 570 = CR 2010, 480 = AfP 2010, 162 – Spiegel.de; v. 20.4.2010 – VI ZR 245/08, CR 2010, 540 = NJW 2010, 2728 – Mannheimer Morgen; v. 1.2.2011 – VI ZR 345/09, MDR 2011, 423 = AfP 2011, 172 – ksta.de; v. 22.2.2011 – VI ZR 346/09, IPRB 2011, 226 = AfP 2011, 180 – FAZ-Online-Archiv; v. 22.2.2011 – VI ZR 114/09, AfP 2011, 176 – sz-online.de; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = NJWRR 2017, 31 – Fußballprofi. 922 BGH v. 15.12.2009 – VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 = MDR 2010, 321 = CR 2010, 184 m. Anm. Kaufmann = ITRB 2010, 125 = AfP 2010, 77 Rz. 20 – DRadio, dort mit Hinweis auf Hoecht, AfP 2009, 342, 345 f. und Dreier in FS Loewenheim, 2009, S. 67, 68, 76. 923 BGH v. 15.12.2009 – VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 = MDR 2010, 321 = CR 2010, 184 m. Anm. Kaufmann = ITRB 2010, 125 = AfP 2010, 77 Rz. 21; Milker, K&R 2017, 23. 924 EuGH v. 13.5.2014 – Rs. C-131/12, CR 2014, 460 = ITRB 2014, 150 = IPRB 2014, 171 = AfP 2014, 245 Rz. 81, 85 – Google Spain/AEPD; BGH v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 = CR 2013, 459 = MDR 2013, 710 = ITRB 2013, 150 = AfP 2013, 216 – Autocomplete. 925 BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = NJWRR 2017, 31 Rz. 28 – Fußballprofi. 926 BGH v. 15.12.2009 – VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 = MDR 2010, 321 = CR 2010, 184 m. Anm. Kaufmann = ITRB 2010, 125 = AfP 2010, 77 Rz. 19. 927 BGH v. 15.12.2009 – VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 = MDR 2010, 321 = CR 2010, 184 m. Anm. Kaufmann = ITRB 2010, 125 = AfP 2010, 77 Rz. 19; zusammenfassend Trentmann, MMR 2016, 731, 733. 928 BGH v. 9.2.2010 – VI ZR 243/08, MDR 2010, 570 = CR 2010, 480 = AfP 2010, 162 – Spiegel.de. 929 BGH v. 13.11.2012 – VI ZR 330/11, CR 2013, 110 = AfP 2013, 54 = MDR 2013, 151 = GRUR 2013, 200 Rz. 20 – Apollonia.
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Burkhardt/Peifer
XI. Gerichtsberichterstattung
Rz. 204 Kap. 10
erstattung schlägt Lampe sechs Monate ab Rechtskraft des Urteils vor930. Wegen des Resozialisierungsbedürfnisses will von Becker bei minderschweren Verurteilungen nur eine Frist von sieben Tagen anerkennen bzw. bis zur nächsten, dem Urteil nachfolgenden Ausgabe oder Sendung931. Solche Fristen können allenfalls als Anhaltspunkt dienen. Starre Zeitgrenzen lassen sich nicht ziehen. Als unzulässig und schmerzensgeldwürdig hat es das OLG Köln erachtet932, die Leiden einer 202 Frau während ihrer Vergewaltigung und der mit ihr getriebenen „perversen Sexspiele“ bei namentlicher Erwähnung des Täters sieben Monate nach seiner Verurteilung in einer Illustrierten ohne Aktualitätsbezug zu schildern. Auch noch zweieinhalb Jahre nach der Tat kann ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an der Berichterstattung und der Nennung des (mutmaßlichen) Täters bestehen, jedenfalls wenn die Tat unter grauenhaften Umständen begangen wurde und die Frage nach ihrem Anlass unbeantwortet geblieben ist933. Auch das Foto der Leiche des (mutmaßlichen) Täters darf dann noch gebracht werden. Der Zeitpunkt der Haftentlassung markiert eine besondere Grenze, weil das Interesse an Re- 203 sozialisierung dann vermehrt Bedeutung gewinnt934. Die Tilgung einer Vorstrafe aus dem Bundeszentralregister und das Verwertungsverbot des § 51 BZRG bilden gleichfalls ein Kriterium935. Die öffentliche Erwähnung einer getilgten Vorstrafe wegen eines Ladendiebstahls ist auch unzulässig, wenn der Betroffene sich um die Stelle eines stellvertretenen Leiters einer Kriminalpolizei bewirbt936. Der Umstand, dass ein Strafverfahren gegen Zahlung einer Geldstrafe nach § 153a StPO eingestellt wurde, bedeutet keine vollständige Rehabilitation. Der Beschuldigte wird durch eine solche Einstellung des Verfahrens zwar nicht für schuldig befunden, allerdings auch nicht in einer dem Freispruch vergleichbaren Weise rehabilitiert937. Wer wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt ist, 204 muss es hinnehmen, auch noch drei Jahre nach der Straftat unter seinem bekannten Spitznamen (König der Pelzdiebe) in einem Artikel erwähnt zu werden, der sich mit der Flucht seines Mittäters aus der Strafhaft befasst938. Ebenso kann es zulässig sein, in einer Artikelserie über herausragende Straftaten von Frauen („Frau und Gewalt“) auch einige Jahre zurückliegende Taten unter Namensnennung zu bringen939. Bei einer besonders spektakulären Tat, die viel Aufsehen erregt hat (junge Frau erschießt den Mörder ihrer Tochter während seines Strafverfahrens im Gerichtssaal), ist die namentliche Erwähnung auch noch viele Jahre später zulässig. Fotos dürfen aber nach Auffassung des OLG Hamburg nur gezeigt werden940, soweit sie 930 Lampe, NJW 1973, 217, 222. 931 von Becker, Straftäter und Tatverdächtige in den Massenmedien, S. 246. 932 OLG Köln v. 16.9.1986 – 15 U 38/36, OLG Köln v. 16.9.1986 – 15 U 38/86, AfP 1986, 347 = NJW 1987, 1418. 933 OLG Hamburg v. 7.7.1983 – 3 U 7/83, AfP 1983, 466. 934 BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 235 – Lebach I; v. 25.2.1993 – 1 BvR 172/93, AfP 1993, 478. 935 OLG Köln v. 28.1.1975 – 15 U 230/74, AfP 1975, 866; OLG Frankfurt v. 11.3.1976 – 16 U 255/75, NJW 1976, 1410. 936 BVerfG v. 25.2.1993 – 1 BvR 172/93, AfP 1993, 478; OLG Köln v. 21.7.1992 – 15 U 38/92, NJWRR 1993, 31. 937 BGH v. 30.10.2012 – VI ZR 4/12, CR 2013, 40 = MDR 2013, 27 = IPRB 2013, 81 = AfP 2013, 50 Rz. 25 – Gazprom-Manager. 938 KG v. 17.10.1972 – 5 W 1368/72, ArchPR 1972, 88. 939 OLG München v. 16.12.1974 – 21 U 2331/74, ArchPR 1974, 95, 96. 940 OLG Hamburg v. 6.3.1986 – 3 U 187/85, AfP 1987, 518.
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Kap. 10 Rz. 205
Sonderfragen
aus der Zeit bis zur rechtskräftigen Verurteilung stammen, und dies auch nur, weil sie für die Öffentlichkeit mit der Tat untrennbar verbunden sind. 205
Liegen keine besonderen Umstände vor, wird es im Allgemeinen eines Anlasses bedürfen, wenn ein Bericht über eine Jahre zurückliegende Straftat unter namentlicher Erwähnung des Täters zulässig sein soll. Ein solcher Anlass ergibt sich nicht schon ohne weiteres daraus, dass der Täter erneut straffällig wird. Deswegen ist es unzulässig, eine Straftat unter namentlicher Erwähnung in dem Buch „Bayerische Spitzbuben“ zu schildern, wenn die Strafverbüßung längst abgeschlossen ist, der Täter aber wegen einer anderen Tat erneut einsitzt941. Das OLG Hamburg hat aber zugelassen942, einen früher genannten Spitznamen („Bank-Lady“) in einem rückschauenden Bericht zu wiederholen. Auf Anforderung können Zeitungsexemplare aus der vergangenen Zeit auch später herausgegeben werden. Unzulässig ist es aber, Berichte über frühere Strafverfahren zusammengestellt herauszugeben943. Geht es um einen ehemaligen Gangsterboss, der erneut straffällig wird („Für Tips ließ Ex-Bandenchef S. den Kommissar umsonst ins Bordell“), ist die namentliche Erwähnung trotz Verbüßung und Tilgung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe zulässig944.
206
Grundsätze für die Darstellung von Straftaten im Fernsehen, speziell in Dokumentarspielen, hat das Bundesverfassungsgericht in der Lebach I-Entscheidung entwickelt945. Dort weist es darauf hin, dass die Fernsehberichterstattung i.d.R. einen weitaus stärkeren Eingriff in die private Sphäre bedeutet als eine Wort- oder Schriftberichterstattung in Hörfunk oder Presse. Für Dokumentarspiele, die notwendig dramaturgisch gestaltet sind und dadurch regelmäßig gewisse Verzerrungen enthalten, dennoch aber die Illusion des Authentischen vermitteln, gilt das in verstärktem Maße. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht die Ausstrahlung des Dokumentarspiels zum Soldatenmord von Lebach unter namentlicher Erwähnung und Abbildung der Täter, die zu der Zeit erfolgen sollte, als die Entlassung eines der Beteiligten bevorstand, vor allem unter Resozialisierungsgesichtspunkten für unzulässig erklärt946. Erfolgt eine reflektierende Betrachtungsweise, bei der der Zuschauer sich in kritischer Distanz zum Dargestellten befindet, erscheint ein weiterer Zulässigkeitsrahmen angebracht. Von Bedeutung ist auch, ob der Täter noch eine längere Strafverbüßungszeit vor sich hat947. Wird zwar im Rahmen eines Dokumentarspiels ein Verbrechen nachgezeichnet, der Täter jedoch namentlich nicht erwähnt oder abgebildet, steht der Ausstrahlung der Resozialisierungsgedanke nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat daher die Ausstrahlung eines Fernsehfilms 30 Jahre nach dem Lebach-Soldatenmord als zulässig erachtet, da durch die Sendung die Täter nicht ohne weiteres identifiziert werden konnten948.
XII. Haftung und Haftungsbegrenzung bei bloßer Verbreitung Schrifttum: Henning-Bodewig, Das „Presseprivileg“ in § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG, GRUR 1985, 258; Lindacher, Zur wettbewerbsrechtlichen Unterlassungshaftung der Presse im Anzeigengeschäft, WRP 1987, 585; Ahrens Beteiligung der Presse an Wettbewerbsverstößen von Anzeigenkunden, FS Traub, 941 942 943 944 945 946 947 948
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OLG München v. 9.3.1981 – 21 U 3649, AfP 1981, 360. OLG Hamburg v. 5.2.1976 – 3 U 169/75, AfP 1976, 137, 138. LG Berlin v. 14.11.1973 – 16 O 319/73, ArchPR 1973, 93. KG v. 31.3.1992 – 9 U 3070/91, AfP 1992, 302. BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226. Näheres Wenzel, AfP 1973, 432. LG Hamburg v. 14.12.1973 – 74 0 384/73, Ufita 74/1975, 325 – Mordfall Hanzlicek. BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 348/98 ua., NJW 2000, 1859 – Lebach II.
Burkhardt/Peifer
XII. Haftung und Haftungsbegrenzung bei bloßer Verbreitung
Rz. 207 Kap. 10
1994, S. 11; Piper, Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von Werbeanzeigen, FS Vieregge, 1995, S. 715; Seiler, Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit in der neueren Rechtsprechung des EGMR, des Bundesverfassungsgerichts und des BGH, WRP 2005, 545; Seelmann-Eggebert, Die Entwicklung des Presse- und Äußerungsrechts in den Jahren 2005 bis 2007, NJW 2008, 2551; Mensching/Waschatz, Grenzen der Verbreiterhaftung, AfP 2009, 441; Schippan, Prüfungspflichten einer Bildagentur bei der Weitergabe von Fotos, ZUM 2011, 795; Hollenders, Mittelbare Verantwortlichkeit von Intermediären im Netz, 2012; Seitz, Anmerkung zu OLG Köln, Urt. v. 10.5.2012 – 15 U 199/11, ZUM 2012, 994; Gruneberg, Die Verantwortlichkeit des Presseunternehmens für die Veröffentlichung von Äußerungen Dritter – Eine vergleichende Betrachtung des bundesdeutschen und englischen Rechts, 2013; Peifer, Konvergenz in der Störer- und Verbreiterhaftung – Vom Störer zum Verbreiter?, AfP 2014, 18; Ohly, Die Verantwortlichkeit von Intermediären, ZUM 2015, 308; Wimmers, Der Intermediär als Ermittler, Moderator und Entscheider in äußerungsrechtlichen Auseinandersetzungen?, AfP 2015, 202; Kastl, Filter – Fluch oder Segen? Möglichkeiten und Grenzen von Filtertechnologien zur Verhinderung von Rechtsverletzungen, GRUR 2016, 671; Peifer, Beseitigungsansprüche im digitalen Äußerungsrecht – Ausweitung der Pflichten des Erstverbreiters, NJW 2016, 23; Beckendorf, LG Köln: Umfang der Prüfund Recherchepflicht kleiner Lokalportale, MMR-Aktuell 2017, 392272.
Ebenso wie § 186 StGB stellt auch § 824 BGB das Verbreiten dem Behaupten gleich. Dement- 207 sprechend ist der bloße Verbreiter einer Äußerung grundsätzlich ebenso verantwortlich wie der Behauptende949. Terminologisch hat man früher den reinen Verbreiter als Störer, den Behauptenden dagegen als Täter einstufen können. Im Hinblick auf die Verbreitung durch Intermediäre in Internetdiensten hat der BGH seine Terminologie neuerdings angepasst. Er spricht einerseits vom unmittelbaren Störer (Verbreiter i.e.S.) und meint damit eine intellektuelle Verbreitertätigkeit, z.B. durch redaktionell arbeitende Medien950, andererseits vom mittelbaren Störer bei rein technischen Verbreitern, aber auch bei Intermediären, die keine direkte redaktionelle Kontrolltätigkeit über die von ihnen bereitgestellten Inhalte ausüben951. Das sind vor allem die sog. Hostprovider952. Die Terminologie erklärt sich einerseits aus den Haftungsprivilegien des Telemediengesetzes, die zum Teil eine Schadensersatzhaftung ersparen, aber eine negatorische Haftung zulassen (unten Rz. 228), andererseits daraus, dass der VI. Zivilsenat bei Immaterialgüterrechtsverletzungen zwischen Täter und Störer unterscheidet, ohne über eine Rechtsfigur wie die der Verbreiterhaftung zu verfügen, die Senate also untereinander zu einer Abstimmung der Terminologie kommen müssen953. Etwas vereinfacht wird das Verständnis des Haftunssystems im Äußerungsrecht, wenn man Behauptung als täterschaftlich, Zueigenmachen als Behauptung und bloße Verbreitung als Störerbeitrag ansieht. Dann gibt es nur Täter und Verbreiter, wobei der Verbreiter Störer im Sinne des Zivil- und Immaterialgüterrechts wäre. Bei der Verbreitung selbst spielt die unterschiedliche grundrechtliche Bedeutung redaktioneller Arbeit einerseits und bloßer technischer Dienstleistungen (wie etwa Post und Internetzugangsdienstleister sie verrichten) andererseits eine wichtige Rolle. Man wird daher nicht alle Verbreitertätigkeiten mit identischen Pflichten belegen oder gar in identischer Weise von Pflichten befreien können. Daher gibt es abgestufte Regeln für Interviews, Pressespiegel und Presseschauen, Zitate, aber auch Drucker und Buchhandel. Für 949 BGH v. 3.2.1976 – VI ZR 23/72, NJW 1976, 799 – Alleinimporteur; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148, 1149 – Stern-TV; zur Haftung für Mitarbeiter BGH v. 12.6.1997 – I ZR 36/95, MDR 1998, 300 = AfP 1997, 909 – Restaurantführer. 950 BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/15, BGHZ 3, 270 = GRUR 1952, 410, 412 – Constanze. 951 BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494 Tz. 13 = GRUR 2009, 103 – Domainverpachtung. 952 Vgl. bereits BGH v. 27.3.2007 – VI ZR 101/06, AfP 2007, 350 = CR 2007, 586 m. Anm. Schuppert = MDR 2007, 1018 = ITRB 2007, 174 = NJW 2007, 2558 Rz. 13 – Meinungsforum. 953 Peifer, AfP 2014, 18.
Burkhardt/Peifer 799
Kap. 10 Rz. 208
Sonderfragen
die bloße Verbreitungstätigkeit gibt es kein generelles Haftungsprivileg. Lediglich Internetdienste unterliegen hier bewusst vom Gesetzgeber eingeführten Haftungsverschonungen (Rz. 228 ff.). Unbestritten ist, dass auch die Verbreitung eines bloßen Verdachts durch Medienanbieter Haftungsfolgen auslösen kann954. Es entspricht ebenso der einhelligen Meinung, dass Einschränkungen für die Haftung des Verbreiters (Störers) aus Gründen der Zumutbarkeit erforderlich sind. Z.B. kann weder die Deutsche Post noch die Deutsche Bahn für den Inhalt von Schriften verantwortlich gemacht werden, die sie befördern, auch nicht derjenige, der Zeitungen lediglich austrägt, wenngleich auch diese Tätigkeit die Begehung von kommunikativen Verletzungen objektiv ermöglicht955. Um zu einer sinnvollen Abgrenzung zu gelangen, wird zwischen intellektuellen und nur technischen Verbreitern unterschieden. Intellektueller Verbreiter ist, wer zu der streitigen Äußerung eine intellektuelle Beziehung hat, insbesondere wer ein Zitat oder eine Meinungszusammenstellung etwa in Form einer Presseschau verbreitet. Technischer Verbreiter ist, wer mit dem Verbreitungsvorgang nur technisch befasst ist (Näheres Kap. 4 Rz. 99 ff.). Einer Haftungsbegrenzung bedarf es bei allen Verbreitungsformen, allerdings in abgestuftem Umfang, einerseits um die tatsächliche Einflussmöglichkeit zu gewichten, andererseits, um wichtige Funktionen der Kommunikationsordnung nicht zu beeinträchtigen. 1. Verbreiterhaftung der Medien a) Redaktioneller Teil 208
Im redaktionellen Teil geht es um die intellektuelle Äußerung und Verbreitung. Medien haben wegen ihres inhaltlichen Einflusses auf die publizierten Inhalte zunächst die Pflicht, eigene Behauptungen von bloßen Verbreitungen zu unterscheiden, das geschieht durch das Instrument der Distanzierung. Die Notwendigkeit der Beschränkung der Verbreiterhaftung wird besonders deutlich bei Live-Diskussionen in Hörfunk und Fernsehen. Hier wird das Medium lediglich als „Markt der Meinungen“ tätig. Es widerspräche dem Wesen des Mediums und seiner Funktion, wenn es unter solchen Umständen die Haftung für Diskussionsbeiträge neben oder gar anstelle des Urhebers zu tragen hätte956. Wird nicht eine Live-Sendung, sondern eine Aufzeichnung ausgestrahlt, was oftmals eine rein technische Frage ist, kann grundsätzlich nichts Anderes gelten. Davon geht im Ergebnis auch das Bundesverfassungsgericht richtigerweise aus, wenn es die Bereitstellung einer Presseschau nach den für Live-Diskussionen geltenden Regeln behandelt957. Der Markt der Meinungen wird auch in einem solchen Fall präsentiert. Für die Befriedigung von Informationsinteressen erfüllt dies eine wesentliche Funktion, die Schutz nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG genießt. Werden allerdings kritische Äußerungen derart in eine eigene Stellungnahme eingebaut, dass die Sendung insgesamt als Darstellung des Rundfunks oder eine Pressezusammenstellung als Darstellung des Presseunternehmens erscheint, so macht der Medienanbieter die Fremdbeiträge dadurch zu eigen, behauptet sie also letztlich selbst und verlässt dadurch die Rolle des Verbreiters. In diesem
954 BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 352/91, MDR 1993, 230 = NJW 1993, 525, 526 – Ketten-Mafia; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148 – Stern-TV; v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99, AfP 2000, 167 = NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung. 955 Vgl. Ohly, ZUM 2015, 308. 956 BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, NJW 1970, 187 – Hormoncreme; v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 – Panorama; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, BGHZ 132, 1, 18 f. = NJW 1996, 1131, 1132 – Lohnkiller. 957 BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480 = ZUM-RD 2009, 565 Rz. 66.
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XII. Haftung und Haftungsbegrenzung bei bloßer Verbreitung
Rz. 209 Kap. 10
Falle haftet er daher wie für eigene originäre Behauptungen958. Ebenso ist es, wenn im Rahmen eines Pressespiegels oder einer Presseschau Meinungen aus anderen Medien verändert, verkürzt und dadurch inhaltlich verfälscht werden. Auch dann liegt eine eigene Behauptung des Anbieters der Presseschau vor959. Zu differenzieren ist beim Zitieren. Macht das Medium sich den Inhalt des Zitates zu eigen 209 (dazu Kap. 4 Rz. 103), so haftet es wie ein Behauptender960. Allerdings kann an der Verbreitung von Zitaten ein Informationsinteresse unabhängig davon bestehen, ob die ursprüngliche Äußerung Interessen des Betroffenen beeinträchtigt. Ausgeschlossen ist die (täterschaftliche) Haftung für die Verbreitung solcher Zitate, wenn das Medium sich vom Inhalt klar distanziert961. Ein solches Distanzieren liegt auch vor, wenn das Verbreiten erkennbar Teil einer Dokumentation des Meinungsstandes ist, in welcher Äußerungen und Stellungnahmen verschiedener Seiten zusammen- und gegenübergestellt werden962. Ein Informationsinteresse kann sich z.B. daraus ergeben, dass es eine bestimmte Persönlichkeit gewesen ist, die sich in der fraglichen Weise geäußert hat, etwa im Falle der Äußerung eines Staatssekretärs963. Auch an Beschuldigungen in einem Verfahren, das der Aufklärung eines Vorganges dient, kann ein Informationsinteresse bestehen964. Das gilt vornehmlich für aktuelle Informationen. Bei wertenden bzw. zusammenfassenden Gegenüberstellungen müssen die Streitteile annähernd gleichwertig zu Wort kommen, wenn die Haftung unabhängig vom Wahrheitsgehalt schon von vornherein ausgeschlossen sein soll. Mit Recht hat das OLG Zweibrücken den Bericht einer Boulevardzeitung als zulässig bezeichnet965, in dem der Behauptung dreier Fußballspieler, ihre Bildnisse seien ungenehmigt für eine Wahlkampfbroschüre verwendet worden, die Darstellung der betreffenden Partei gegenübergestellt worden war, ihr lägen Quittungen über die für die Veröffentlichung gezahlten Beträge vor. Ein Zitat kann auch zulässig sein, wenn es erforderlich ist, um den Sinn der Äußerung des Anderen (einschränkend) zu interpretieren. Kein Informationsinteresse besteht an Gerüchten, die eine zweifelhafte Quelle in die Welt gesetzt hat966. Unzulässig ist z.B. das Zitieren unstreitig unwahrer Anwürfe aus einem Geheimdienstkreisen des Ostblocks entstammenden Buch967. Wird der Vorwurf der Bestechlichkeit allein auf eine Aussage einer im Rotlichtmilieu tätigen Person gestützt, bedarf es einer eindeutigen Distanzierung968.
958 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 – Panorama; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148, 1149 – Stern-TV; s. auch Kap. 4 Rz. 102 ff. 959 BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480 = ZUM-RD 2009, 565 Rz. 70. 960 Vgl. OLG Frankfurt v. 13.10.2016 – 16 W 57/16, CR 2017, 408 = ITRB 2017, 32 = ZUM 2017, 245, 246. 961 OLG Hamburg v. 6.2.2007 – 7 U 151/06, ZUM-RD 2007, 476, 477; Prinz, Medienrecht, Rz. 36. 962 BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, NJW 1970, 187 – Hormoncreme; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1132 – Lohnkiller; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148, 1149 – Stern-TV. 963 LG Frankfurt v. 31.7.2008 – 2-03 O 221/08, juris Rz. 24. 964 OLG München v. 26.1.1976 – 21 U 5657/75, AfP 1976, 130 – Lockheed. 965 OLG Zweibrücken v. 19.10.1979 – 5 W 66/79, AfP 1980, 209. 966 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 – Panorama; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1132 – Lohnkiller. 967 A.A. OLG Köln v. 9.6.1976 – 15 U 228/75, AfP 1976, 185, das meint, für die Zulässigkeit reiche aus, dass das Zitat als solches zutrifft. 968 BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1132 f. – Lohnkiller.
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Kap. 10 Rz. 210
Sonderfragen
210
Auch bei der reinen Verbreitung bestehen begrenzte Prüfpflichten, wenn es um gravierend rechtsverletzende Behauptungen geht. Das Zitieren beleidigender Äußerungen kann unzulässig sein. Allerdings kann auch die Verbreitung solcher Äußerungen zulässig sein, wenn das Zitat durch Informationsinteressen gerechtfertigt ist. Das ist z.B. der Fall, wenn Zitate beleidigender Äußerungen die Stimmung charakterisieren sollen, die während einer im öffentlichen Blickfeld stehenden Versammlung geherrscht hat. Z.B. ist es zulässig, durch solche Zitate die Stimmung einzufangen, die eine Wahlkampf- oder ähnliche Veranstaltung geprägt hat. Wird z.B. berichtet, im Anschluss an eine CSU-Klausurtagung habe im Verlauf eines „Kamingesprächs“ ein bekannter Liedermacher über einen Politiker behauptet „der Mann ist solche Bundesscheiße, da möchte man überhaupt nicht reintreten!“ ist dies zulässig969. Unbeschadet davon ist es in solchen Fällen erforderlich, sich von den zitierten beleidigenden Äußerungen der Disputanten zu distanzieren, um einer eigenen täterschaftlichen Haftung zu entgehen. Wer einer Beleidigung zustimmt, ohne sie zu wiederholen, verbreitet nicht die Beleidigung und stellt sie auch nicht selbst auf970.
211
Wie deutlich der Verbreiter sich von der zitierten Behauptung distanzieren muss, um eine Verbreiterhaftung und insbesondere auch ein Sich-zu-eigen-Machen zu vermeiden, hängt von den Umständen ab. Zum Teil fordern die Gerichte stets eine deutliche Distanzierung unabhängig von dem Gewicht des Informationsinteresses971. Zudem sollen an die Distanzierung hohe Anforderungen zu stellen sein972. Das ist verfassungsrechtlich so nicht haltbar. Distanzierung hat u.a. die Funktion, die Täter- von der Verbreiterhaftung abzugrenzen und damit auch Schadensersatzansprüche von negatorischen Ansprüchen zu sondern. Das so abgestufte System der Verantwortlichkeiten schützt die Medien als reine Verbreiter, die oft auch an der Neutralisierung von Gerüchten oder Aufklärung von Missständen mitwirken. Würde eine reine Verbreitung zu leicht in die Rolle der Täterschaft führen, so wäre die Kontrollfunktion durch abschreckende Haftungsrisiken beeinträchtigt973. Zudem würde die Verantwortlichkeit für den Ursprung einer Äußerung verwässert. Daher muss die Distanzierung nicht ausdrücklich erfolgen. Sie kann sich auch aus der Form der Berichterstattung ergeben974. Häufig wird sie sich schon daraus ergeben, dass die Quelle genannt wird bzw. dass unterschiedliche Stimmen einander gegenübergestellt werden. Eine einzelne Aussage allein in Anführungszeichen zu setzen, reicht regelmäßig für die erforderliche Distanzierung nicht aus975. Maßgebend ist stets der Gesamteindruck, der durch die Berichterstattung vermittelt wird976. Daher ist auch das Gutheißen einer in Satire gekleideten Herabsetzung nicht ohne weiteres täterschaftliches Behaupten, sondern zulässige Verbreitung ohne eigenen Äußerungsgehalt977. Der eventuelle Haftungsausschluss bezieht sich nur auf Schadensersatzansprüche. Der Gegendarstellungsanspruch bleibt unberührt. 969 KG v. 29.2.2000 – 9 U 5861/98, AfP 2001, 65. 970 OLG Köln v. 3.2.2012 – 6 U 76/11, IPRB 2012, 176 = NJOZ 2012, 971. 971 So OLG Hamburg v. 25.5.2005 – 7 U 68/05, AfP 2006, 564; LG Hamburg v. 26.4.2013 – 324 O O 616/11, juris Rz. 24. 972 OLG Hamburg v. 6.2.2007 – 7 U 151/06, ZUM-RD 2007, 476, 477. 973 Vgl. BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480 = ZUM-RD 2009, 565 Rz. 67. 974 BGH v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72 Rz. 12; KG v. 29.2.2000 – 9 U 5861/98, AfP 2001, 65. 975 BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131, 1132 – Lohnkiller; v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, AfP 1997, 700 = NJW 1997, 1148, 1149 – Stern-TV; v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, AfP 2000, 88 = MDR 2000, 273 = NJW 2000, 656, 658 – Korruptionsvorwurf. 976 KG v. 29.2.2000 – 9 U 5861/98, AfP 2001, 65. 977 OLG Köln v. 21.6.2016 – 15 W 32/16, AfP 2016, 358 = GRUR-RR 2017, 39.
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Burkhardt/Peifer
XII. Haftung und Haftungsbegrenzung bei bloßer Verbreitung
Rz. 214 Kap. 10
b) Leserbriefteil Für den Inhalt des Leserbriefteils haften Zeitungen und Zeitschriften ebenso wie für die Ver- 212 breitung sonstiger Äußerungen Dritter. Deswegen ist der allgemein gehaltene Hinweis üblich, dass der Inhalt der Leserbriefe die Ansicht der Einsender wiedergibt, die mit der Auffassung der Redaktion nicht unbedingt übereinstimmt. Im Regelfall reicht das für eine Distanzierung aus. Üblich ist zudem die deutliche Kennzeichnung als Leserbriefrubrik. Sofern diese Kategorie klar vom sonstigen redaktionellen Teil getrennt ist, ist das als hinreichende Distanzierung anzusehen. Eine solche Distanzierung führt aus der täterschaftlichen in die Verbreiterhaftung. Auch dafür bestehen Prüfpflichten978. Das gilt insbesondere für Äußerungen, die überaus schwere Beeinträchtigungen von Interessen Dritter, z.B. schwere Beleidigungen, enthalten. Werden solche nicht eliminiert, haften Verlag und Redaktion trotz allgemeiner Distanzierung. Entsprechendes gilt für Leserbriefbehauptungen, die erkennbar persönlichkeitsverletzend oder kreditgefährdend sind. In solchen Fällen trifft die Presse eine Überprüfungspflicht979. Eventuell kann das Überprüfungsergebnis im Anschluss an den Leserbrief mitgeteilt werden, ggf. muss die Veröffentlichung unterbleiben. Trotz einer etwaigen Störerhaftung des Verlegers kann ein Unterlassungsanspruch ausscheiden, da bei Leserbriefen die Wiederholungsgefahr nicht vermutet werden kann980. Das gilt nicht, sofern Zeitungen fingierte Leserbriefe an konkurrierende Blätter versenden. Hier gilt nicht nur die Vermutung der Wiederholung, die Handelnden verstoßen auch gegen den Pressekodex981. c) Anzeigenteil Grundsätzlich haftet die Presse für den gesamten Inhalt der Druckschrift, also auch für den 213 Anzeigenteil982. Die Haftung für den Inhalt von Inseraten, ebenso von Beilagen, Prospekten usw. besteht aber nur in begrenztem Umfang. Die Haftungsbeschränkung bezieht sich nicht nur auf die entgeltliche Veröffentlichung von Mitteilungen mit wettbewerbswidrigem Inhalt, sondern auch auf urheberrechts-, persönlichkeitsverletzende oder kreditschädigende Anzeigenveröffentlichungen983. Die Notwendigkeit der Haftungsbeschränkung ergibt sich aus unvermeidlichen Sachzwän- 214 gen. Speziell bei Zeitungsverlagen gehen täglich Hunderte von Aufträgen zur Veröffentlichung von Inseraten ein, insbesondere von Kleinanzeigen. In jedem Einzelfall zu überprüfen, ob der Inhalt Rechte Dritter verletzen könnte, ist nahezu unmöglich. Besonders deutlich wird das am 978 Vgl. BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480 = ZUM-RD 2009, 565 Rz. 68. 979 BGH v. 27.5.1986 – VI ZR 169/85, MDR 1987, 44 = AfP 1986, 241 = NJW 1986, 2503 – Ostkontakte. 980 BGH v. 27.5.1986 – VI ZR 169/85, MDR 1987, 44 = AfP 1986, 241 = NJW 1986, 2503 – Ostkontakte; Näheres Kap. 12 Rz. 16. 981 OLG Koblenz v. 23.7.2013 – 4 U 95/13, AfP 2013, 509 = ZUM-RD 2014, 207. 982 BGH v. 5.11.1963 – VI ZR 216/62, BB 1964, 150; v. 20.6.1972 – VI ZR 26/71, NJW 1972, 1658 – Geschäftsaufgabe; v. 30.6.1972 – I ZR 1/71, NJW 1972, 2302 – Badische Rundschau; v. 26.4.1990 – I ZR 127/88, MDR 1991, 29 = AfP 1990, 202 = GRUR 1990, 1012 – Pressehaftung; OLG Oldenburg v. 25.1.1975 – 1 U 137/74, WRP 1976, 398; OLG Saarbrücken v. 10.1.1978 – 2 U 156/76, NJW 1978, 2395; Löhr, WRP 1974, 524. 983 Grundlegend BGH v. 20.6.1972 – VI ZR 26/71, NJW 1972, 1658 – Geschäftsaufgabe = AfP 1972, 319 mit eingehender Anm. Hörte; v. 26.4.1990 – I ZR 127/88, MDR 1991, 29 = GRUR 1990, 1012; v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, MDR 1999, 884 = CR 1999, 326 = NJW 1999, 1960 – Möbelklassiker; BVerfG v. 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95, AfP 2001, 44 u.a. NJW 2001, 591 – Benetton.
Burkhardt/Peifer 803
Kap. 10 Rz. 215
Sonderfragen
Beispiel von Familien- und ähnlichen Anzeigen. Weder die oftmals weit verstreuten Anzeigenannahmestellen noch der für Anzeigen verantwortliche Redakteur oder der Verlag als solcher können in jedem Einzelfall prüfen, ob die angezeigte Geburt, Verlobung, Eheschließung oder der Tod, die Geschäftsgründung, -verlegung oder -aufgabe, ob die Vermietung oder der Verkauf tatsächlich so stattgefunden haben bzw. beabsichtigt sind, wie dem Inserateninhalt zu entnehmen. Wollte man einer Zeitung ansinnen, einen Anzeigenauftrag erst nach Sachverhaltsprüfung anzunehmen und auszuführen, wäre das Inseratenwesen lahmgelegt. Diese Realitäten fordern unabweislich, die für den Inhalt veröffentlichter Inserate bestehende Haftung nur in Sonderfällen eingreifen zu lassen. Ein solcher Sonderfall liegt vor, wenn den Umständen nach besonderer Anlass bestanden hat, die Zulässigkeit des Inserateninhalts aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen zu bezweifeln. 215
Anlass zu tatsächlichen Zweifeln kann sich ergeben, wenn der Inserateninhalt im Gegensatz zu allgemein bekannten Tatsachen steht, z.B. wenn es im Inserat heißt, nicht einmal der Gesangsverein sei zum Begräbnis des Bürgermeisters erschienen, obschon dessen Gesundheit notorisch sei, oder wenn nach tags zuvor veröffentlichter Meldung über neue Absatzerfolge annonciert wird, das Renommierunternehmen des Ortes bereite Massenentlassungen vor. Im Geschäftsaufgabe-Urteil betreffend ein Inserat mit der fingierten Behauptung „Verkaufe wegen Geschäftsaufgabe sämtliche Baumaschinen und Baugeräte. Firma K. Sch.“ sieht der BGH Anlass zu tatsächlichen Zweifeln und entsprechender Überprüfung auch, wenn eine Anzeige erkennbar einen besonders einschneidenden, für den Betroffenen weitreichenden Umstand kundtut und außerdem die Möglichkeit nicht von der Hand gewiesen werden kann, dass das Inserat von einem Dritten, z.B. einem Konkurrenten, in Schädigungsabsicht aufgegeben ist984. Das ist bei einem Vorgang zutreffend, der, wie z.B. eine Geschäftsaufgabe oder auch eine Entlobung, Ehescheidung oder dgl., nur höchst selten per Inserat mitgeteilt wird. Besonders wenn sich aufgrund zusätzlicher Umstände, z.B. Art der Auftragserteilung per Telefon oder E-Mail, der Verdacht eines Scherzes oder negativer Absichten aufdrängt, ist das Publikationsorgan gehalten, die Authentizität des Inserateninhaltes zu überprüfen, z.B. durch Rückfrage bei dem, der im Inserat genannt ist. Enthält das Inserat Angaben, die üblicherweise in dieser Form bekannt gemacht werden, z.B. Geburts-, Hochzeits- oder Todesanzeigen, kann eine Pflicht zur Überprüfung nur anerkannt werden, wenn besondere Umstände des Einzelfalles Anlass dazu geben, bspw. wenn in einer Verlobungsanzeige mitgeteilt wird, die angebliche Verlobte eines Anwalts sei Kaufhausangestellte985.
216
Anlass zu rechtlichen Zweifeln kann bestehen, wenn der Inseratentext möglicherweise beleidigend ist oder gegen andere strafrechtliche Bestimmungen verstoßen kann, z.B. gegen den Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs i.S.d. §§ 201 ff. StGB. Auch insoweit können die Prüfungsanforderungen nicht überspannt werden. Ein Minimum an Sorgfalt ist aber unverzichtbar. Inserate, vornehmlich wenn sie ungewöhnlichen Inhalt haben, z.B. politische oder sonstige Aufrufe („Wer sich ebenfalls geschädigt fühlt, bitte melden“), ungelesen und unbesehen zu veröffentlichen, wäre fahrlässig, u.U. grob fahrlässig. Auch die Einholung von Rechtsrat kann geboten sein. Das gilt insbesondere bei Werbeinseraten. Da Presseorgane mit dem Abdruck solcher Inserate bewusst fremden Wettbewerb fördern, haften sie nach wett-
984 BGH v. 20.6.1972 – VI ZR 26/71, NJW 1972, 1658, 1659. 985 OLG Saarbrücken v. 10.1.1978 – 2 U 156/76, NJW 1978, 2395; ebenso LG Trier v. 16.5.1963 – 3 O 233/62, BB 1964, 193.
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Burkhardt/Peifer
XII. Haftung und Haftungsbegrenzung bei bloßer Verbreitung
Rz. 217 Kap. 10
bewerbsrechtlichen Grundsätzen986. Allerdings bleibt die Haftung auf grobe, offensichtliche Verstöße beschränkt987. Auch bei Heilmittelwerbung greift keine höhere Prüfungspflicht ein. Zwar ist von solchen Anzeigen die Volksgesundheit betroffen. Daher besteht ein besonders hohes Interesse der Allgemeinheit, wettbewerbsrechtlich unzulässige Anzeigen in diesem Bereich zu unterbinden. Die Prüfungspflicht der Presse ist jedoch mit Blick auf deren Funktionsfähigkeit eingeschränkt, da eine Überprüfung sämtlicher Anzeigen auf Gesetzesverstöße deren Arbeit unzumutbar erschweren würde988. Die Einschränkung der Prüfungspflicht umfasst auch die Kenntnis der anzuwendenden Vorschriften. Es kann nicht verlangt werden, dass Presseorgane sämtliche einzuhaltenden Rechtsvorschriften kennen. Dies gilt u.a. für wettbewerbsrechtliche Nebenvorschriften, z.B. die Regelung über Schlussverkäufe in § 7 UWG989. Ein erhöhter Prüfungsmaßstab ist auch dann nicht anzuwenden, wenn das Presseunternehmen ein großes Verlagshaus mit eigener Rechtsabteilung ist990. Hat das Publikationsorgan ein Inserat mit rechtswidrigem Inhalt schuldhaft veröffentlicht, 217 haftet es dem dadurch Betroffenen auf Unterlassung und auf Ersatz des verursachten Schadens991, eventuell auch auf Geldentschädigung992. Die Haftung entfällt, wenn die zu stellenden Sorgfaltsanforderungen erfüllt sind. War die Inseratenverbreitung auf Grund der Verkehrsrichtigkeit des Verhaltens rechtmäßig (dazu Kap. 6 Rz. 34), entfällt grundsätzlich auch der Unterlassungsanspruch. Unterlassung kann aber gefordert werden, wenn die Besorgnis besteht, dass das Publikationsorgan das Inserat trotz inzwischen erlangter Kenntnis des wirklichen Sachverhaltes erneut veröffentlicht. Dafür genügen allgemeine Hinweise auf eine etwaige Rechtswidrigkeit des Anzeigeninhalts nicht. Um die Prüfungspflicht entscheidend zu erhöhen bzw. die Kenntnis von einem Wettbewerbsverstoß zu begründen, bedarf es vielmehr substantiierter Darlegung, woraus sich die Rechtswidrigkeit der Anzeige ergibt993. Das ist z.B. der Fall, wenn der Wettbewerbsverstoß bis zur letzten mündlichen Verhandlung geleugnet und damit eine Erstbegehungsgefahr begründet wird994. Die Möglichkeit einer Erstbege986 BGH v. 26.4.1990 – I ZR 127/88, MDR 1991, 29 = AfP 1990, 202 = NJW-RR 1990, 1184 – Pressehaftung I; v. 23.10.1997 – I ZR 123/95, AfP 1997, 913 = MDR 1998, 487 = NJW-RR 1998, 833 – Auto 94; OLG Frankfurt v. 30.8.1984 – 6 U 17/84, AfP 1984, 241 = WRP 1985, 81. 987 BVerfG v. 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95, AfP 2001, 44 = NJW 2001, 591, 592 – Benetton; BGH v. 30.6.1972 – I ZR 1/71, GRUR 1973, 203, 204 – Badische Rundschau; v. 26.4.1990 – I ZR 127/88, MDR 1991, 29 = GRUR 1990, 1012 – Pressehaftung; v. 10.2.1994 – I ZR 316/91, MDR 1994, 1200 = AfP 1994, 140 – Schlankheitswerbung; v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, MDR 1999, 884 = CR 1999, 326 = AfP 1998, 624 – Möbelklassiker; v. 26.1.2006 – I ZR 121/03, MDR 2006, 943 = AfP 2006, 242; OLG Düsseldorf v. 13.7.1982 – 2 U 14/82, GRUR 1982, 622, 626; OLG Hamm v. 4.10.1983 – 4 U 234/83, GRUR 1984, 538; OLG Köln v. 3.2.2012 – 6 U 76/12, NJOZ 2012, 971. 988 BGH v. 10.2.1994 – I ZR 316/91, MDR 1994, 1200 = AfP 1994, 140 – Schlankheitswerbung; a.A. noch OLG Düsseldorf v. 13.7.1982 – 2 U 14/82, GRUR 1982, 622, 626. 989 BGH v. 10.11.1994 – I ZR 147/92, MDR 1995, 492 = AfP 1995, 409 = NJW 1995, 870, 871 – Schlussverkaufswerbung II. 990 OLG München v. 22.2.2001 – 29 U 3333/00, AfP 2001, 510 = ZUM 2001, 529. 991 BGH v. 20.6.1972 – VI ZR 26/71, NJW 1972, 1658 – Geschäftsaufgabe. 992 OLG Saarbrücken v. 10.1.1978 – 2 U 156/76, NJW 1978, 2395. 993 BGH v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, MDR 1999, 884 = CR 1999, 326 = AfP 1998, 624, 625 – Möbelklassiker. 994 BVerfG v. 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95, AfP 2001, 44 u.a., NJW 2001, 591, 592 – Benetton I; BGH v. 19.3.1992 – I ZR 166/90, MDR 1993, 136 = GRUR 1993, 53, 55 – Ausländischer Inserent; v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, MDR 1999, 884 = CR 1999, 326 = AfP 1998, 624, 626 – Möbelklassiker; OLG Frankfurt v. 30.8.1984 – 6 U 17/84, AfP 1984, 241 = WRP 1985, 81, 83.
Burkhardt/Peifer 805
Kap. 10 Rz. 218
Sonderfragen
hungsgefahr wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass der Inserent ein gegen ihn ergangenes Urteil als rechtsverbindlich anerkannt hat, weil das Inserat auch durch einen Dritten geschaltet werden kann995. Zum Gegendarstellungsanspruch gegenüber Inseratentexten vgl. Kap. 11 Rz. 47 ff., zum Anspruch auf Richtigstellung Kap. 13 Rz. 100 ff. 218
Die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Presseorgans wegen eines unzulässigen Inserateninhaltes hängt auch davon ab, ob gegen den Inserenten vorgegangen werden kann. Ist das ohne weiteres möglich, kann rechtsmissbräuchlich sein, nicht ihn, sondern das Publikationsorgan mit einer prozessualen Auseinandersetzung um die rechtliche Bewertung zu belasten. Etwas anderes gilt, wenn der Werbungtreibende eine Auslandsfirma ist, speziell wenn er lediglich eine Postfachadresse angegeben hat996. Allerdings beschränkt sich auch bei ausländischen Anzeigenkunden die Prüfungspflicht nur auf grobe und eindeutige Verstöße997. Wird das Presseorgan in Anspruch genommen, hat es die Möglichkeit, eine Unterlassungserklärung unter der auflösenden Bedingung abzugeben, dass der Inserent ein für sich positives Urteil erstreitet.
219
Eine Sonderregelung greift im Falle von Lauterkeitsverstößen nach §§ 3, 7 UWG ein. Nach § 9 Satz 2 UWG kann ein auf §§ 3, 7 UWG gestützter Anspruch auf Schadensersatz gegen Redakteure, Verleger, Drucker und Verbreiter von periodischen Druckschriften nur geltend gemacht werden, wenn sie wussten, dass die von ihnen gemachten Angaben Vorschriften des UWG verletzten. Zwar beschränkt das Gesetz das Privileg auf „periodische Druckschriften“, doch ist eindeutig, dass auch journalistisch-redaktionell arbeitende elektronische Medien, insbesondere Rundfunk und Telemedien davon profitieren müssen998. Für Telemedien, die fremde Inhalte zugänglich machen oder nur den Zugang zu Inhalten eröffnen bzw. erleichtern, greifen die Spezialregelungen in §§ 7–10 TMG (Rz. 228). Ursächlich für dieses sog. Presseprivileg, das richtigerweise als Medienprivileg zu bezeichnen wäre, ist die Tatsache, dass die Überprüfung der Anzeigeninhalte für Mediengestalter oft schwierig ist. An der Möglichkeit, u.U. einen Unterlassungsanspruch geltend zu machen, ändert das zwar nichts. Die Medien darüber hinaus trotz bloßer Fahrlässigkeit auch auf Schadensersatz haften zu lassen, wäre aber nicht zu rechtfertigen. Der Haftungsausschluss greift nach der Modernisierung des UWG im Jahr 2004 nicht mehr lediglich im Falle der Verbreitung irreführender Werbung ein, sondern bezieht sich insgesamt auf Wettbewerbsverstöße999. Das Privileg greift auch in Fällen konkurrierender Ansprüche aus §§ 823, 824, 826 BGB1000. Das Presseprivileg entfällt jedoch bei Angaben, die außerhalb der geschäftlichen Werbung erfolgen und nicht unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fallen, z.B. bei privaten Kleinanzeigen1001. Ebenso entfällt der Haftungsausschluss bei redaktioneller Schleichwerbung. Dementsprechend hat der BGH
995 OLG Frankfurt v. 30.8.1984 – 6 U 17/84, AfP 1984, 241 = WRP 1985, 81, 83. 996 OLG Düsseldorf v. 13.7.1982 – 2 U 14/82, GRUR 1982, 622, 626. 997 BGH v. 19.3.1992 – I ZR 166/90, MDR 1993, 136 = AfP 1992, 249 = NJW 1992, 3093, 3094 – Ausländischer Inserent. 998 Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 9 UWG Rz. 2.13; Fezer/Koos, § 9 UWG Rz. 38; Ohly/Sosnitza, § 9 UWG Rz. 29; Henning-Bodewig, GRUR 1985, 258, 264 zum inhaltlich weitgehend identischen § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG 1909; etwas zweifelnd, aber i.E. zust. Fritzsche in MünchKomm/ UWG, § 9 UWG Rz. 118. 999 Anders für das frühere Recht BGH v. 26.4.1990 – I ZR 127/88, MDR 1991, 29 = AfP 1990, 202 = GRUR 1990, 1012, 1014 – Pressehaftung I. 1000 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 9 UWG Rz. 58, der nur § 824 BGB nennt. 1001 BGH v. 20.6.1972 – VI ZR 26/71, NJW 1972, 1658 – Geschäftsaufgabe.
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Burkhardt/Peifer
XII. Haftung und Haftungsbegrenzung bei bloßer Verbreitung
Rz. 221 Kap. 10
§ 13 Abs. 6 Nr. 1 UWG 1909 (= § 9 Satz 2 UWG 2015) in der Entscheidung Denkzettel-Aktion1002 noch nicht einmal erwähnt. Bei der Veröffentlichung von Anzeigen handelt das Presseunternehmen als Erfüllungsgehilfe 220 gem. § 278 BGB bzw. Beauftragter des Werbetreibenden i.S.v. § 8 Abs. 2 UWG. Ein Werbetreibender muss daher grundsätzlich für ein schuldhaftes Verhalten des Presseorgans einstehen. Veröffentlicht ein Presseorgan nach vom Werbenden abgegebener Unterlassungserklärung eine Anzeige nochmals, besteht ein Vertragsstrafeanspruch des Gläubigers gegen den Unterlassungsschuldner auch dann, wenn das Presseorgan die Unterlassungspflicht nicht kannte1003. Kannte das beauftragte Presseunternehmen die Unterlassungspflicht, so können sich aus dem Insertionsvertrag Schadensersatzansprüche des Werbetreibenden gegenüber dem Presseunternehmen ergeben, die auch den Ersatz von Vertragsstrafen oder gerichtlich verhängten Ordnungsgeldern umfassen können. Da Presseunternehmen i.d.R. grob fahrlässig handeln, wenn sie keine Maßnahmen zur verlässlichen Bearbeitung von Änderungsaufträgen treffen, dürfte dieses Risiko wegen § 309 Nr. 7 lit. b BGB durch AGB kaum ausgeschlossen werden können1004. 2. Verbreiterhaftung des Druckers und der Vertriebsunternehmen, einschließlich des Buchhandels Nachdem als Störer unabhängig vom Verschulden jeder anzusehen ist, der die Störung her- 221 beigeführt hat oder dessen Verhalten eine Beeinträchtigung befürchten lässt1005, haften der Drucker und die in den Vertrieb einer Druckschrift eingeschalteten Unternehmen als Verbreiter grundsätzlich ebenso wie der Behauptende1006. IdR. kann das allerdings nur in Bezug auf den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch praktisch werden. In Bezug auf den Ersatzanspruch wird es wohl ausnahmslos am Verschulden fehlen. Berichtigungsansprüche scheiden normalerweise aus, weil ihre Erfüllung nicht in der Verfügungsgewalt des Druckers allein liegt und eine Berichtigung dem Drucker daher schon nicht zumutbar wäre. Hinsichtlich einer solchen Unterlassung ist die Verpflichtung des Druckers und der Vertriebsunternehmen unvermeidlich, weil die Durchsetzbarkeit eines Unterlassungsanspruches bezüglich einer in Druck befindlichen oder bereits hergestellten Druckschrift sonst von dem Zufall abhinge, ob die Druckerei im Verhältnis zum Verlag rechtlich selbständig organisiert ist, ob der Verlag die Druckerzeugnisse selbst auf Lager nimmt oder zu Auslieferungszwecken Dritten überlässt, z.B. einem Grossisten. Es wäre auch nicht einzusehen, aus welchem Grunde es rechtlich unmöglich sein sollte, Druckereien, Importeure, Grossisten, Buchhandlungen, Kioske usw. an der Fortsetzung des Vertriebes einer Druckschrift zu hindern, wenn deren Inhalt für unzulässig erklärt worden ist1007. Der Betroffene muss die Möglichkeit haben, auch solche Exemplare anzuhalten, bei denen Autor und Verleger sich darauf berufen können, sie seien ihrer Einflussnahme entzogen. Die im Strafrecht mitunter erörterte Auffassung, derjenige, der eine allgemein erhältliche Druckschrift lediglich weitergebe, verbreite nicht, weil die Verbreitung 1002 1003 1004 1005
BGH v. 13.11.1979 – KZR 1/79, MDR 1980, 284 = GRUR 1980, 242. BGH v. 22.1.1998 – I ZR 18/96, MDR 1998, 1427 = AfP 1998, 389, 390 – Verlagsverschulden II. Soehring/Hoehne, § 16 Rz. 39a. BGH v. 15.1.1957 – I ZR 56/55, GRUR 1957, 352; v. 10.10.1996 – I ZR 129/94, MDR 1997, 677 = NJW 1997, 2180 – Architektenhonorar; v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, MDR 1999, 884 = CR 1999, 326 = AfP 1998, 624 – Möbelklassiker. 1006 OLG München v. 29.6.2001 – 21 U 2877/01, AfP 2001, 404 = NJW-RR 2002, 186. 1007 OLG München v. 15.12.2000 – 21 U 4720/00, AfP 2001, 139, 140; LG Hamburg v. 27.7.2007 – 324 O 992/06, ZUM-RD 2007, 586.
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Kap. 10 Rz. 222
Sonderfragen
bereits durch die „Ausgabe“ der Druckschrift erfolgt sei1008, ist nicht überzeugend und kann jedenfalls im Zivilrecht keine Gültigkeit beanspruchen1009. 222
Der gegen den Drucker oder ein Vertriebsunternehmen gerichtete Unterlassungsanspruch wird sich allerdings i.d.R. nicht auf die unzulässige Behauptung als solche beziehen können, sondern nur auf die konkrete Wiedergabe der Behauptung in einer bestimmten Ausgabe der Druckschrift. Andernfalls müssten Drucker und Vertriebsunternehmen bei periodischen Druckschriften praktisch sämtliche Folgenummern darauf prüfen, ob sie etwa eine Wiederholung der unzulässigen Darstellung enthalten. Das wäre unzumutbar1010. Angesichts der Bedeutung der Presse- und Informationsfreiheit erscheint es zweifelhaft, ob strengere Anforderungen dann anzunehmen sind, wenn die unzulässige Äußerung in einem ausländischen Organ enthalten ist, gegen das auf Grund der dortigen Verhältnisse kaum mit Aussicht auf Erfolg vorgegangen werden kann1011. Dies wird erst anzunehmen sein, wenn hinreichend Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass das Verbot ansonsten unterlaufen würde. Gegenüber dem Ersatzanspruch kann das aus § 9 Satz 2 UWG folgende sog. Presseprivileg eingreifen (Rz. 219).
223
Ein besonderes Problem hat sich bei der Verbreitung von Büchern ergeben. Auch in Büchern können unzulässige Äußerungen enthalten sein, die entsprechende Ansprüche des Betroffenen auslösen1012. Damit scheinen die Voraussetzungen gegeben zu sein, auch Sortimenter und Buchhändler auf Unterlassung in Anspruch nehmen zu können. Dies setzt aber voraus, dass der Verbreiter tatsächlich Störer ist, also willentlich und adäquat kausal zu der Verletzungshandlung beigetragen hat1013. Eine eigene Pflicht zur Untersuchung von Druckwerken auf Rechtsverletzungen trifft den Buchhandel nicht1014. Dabei ist zu berücksichtigen, dass derzeit (2018) etwa 2,5 Mio. Bücher aus rund 21.000 Verlagen im Verzeichnis lieferbarer Bücher1015 enthalten sind. Buchhändlern und Sortimentern ist daher eine eigenständige Überprüfung von Buchinhalten kaum möglich1016; dies gilt auch nach Einführung elektronischer Rechercheinstrumente. Buchhändler müssen sich daher zunächst auf das Prüfergebnis des Verlegers verlassen können. Die Prüfpflicht kann frühestens einsetzen, wenn der Buchhändler auf eine konkrete und eindeutige Rechtsverletzung in einem Druckwerk, das er in seinem Sortiment unterhält, hingewiesen wird1017. Mit der Kenntnisgabe ist es dem Buchhandel zumutbar, das Werk zu prüfen und den Vertrieb zu stoppen, auch das Werk auszusondern. Al1008 So KG v. 31.10.1932 – 4 V 298/29, JW 1930, 1239 m. krit. Anm. Radbruch; BayObLG v. 23.10.1929 – RevReg. I A Nr. 172/29, JW 1930, 2147 m. Anm. Häntzschel; E. Helle, S. 187. 1009 So auch BGH v. 3.2.1976 – VI ZR 23/72, GRUR 1977, 114 – Alleinimporteur. 1010 Vgl. BVerfG v. 13.1.1988 – 1 BvR 1548/82, MDR 1988, 549 = AfP 1988, 15 = NJW 1988, 1833. 1011 Vgl. BGH v. 3.2.1976 – VI ZR 23/72, GRUR 1977, 114 – Alleinimporteur. 1012 Vgl. BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, MDR 1996, 586 = AfP 1996, 144 = NJW 1996, 1131 – Lohnkiller. 1013 Vgl. zum Unterlassungsanspruch gegen einen Störer im Wettbewerbsrecht BGH v. 10.10.1996 – I ZR 129/94, MDR 1997, 677 = NJW 1997, 2180 – Architektenhonorar; zur Störerhaftung der Presse wegen Anzeigeninhalten BGH v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, MDR 1999, 884 = CR 1999, 326 = AfP 1998, 624 – Möbelklassiker. 1014 LG Berlin v. 14.11.2008 – 15 O 120/08, AfP 2009, 75 = ITRB 2009, 199 = NJW 2009, 787. 1015 VLB (www.vlb.de). 1016 Vgl. BGH v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, MDR 1999, 884 = CR 1999, 326 = AfP 1998, 624, 625 – Möbelklassiker. 1017 Entsprechend BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = GRUR 2012, 311; v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 = MDR
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XII. Haftung und Haftungsbegrenzung bei bloßer Verbreitung
Rz. 226 Kap. 10
lerdings sollte der Buchhandel nur subsidiär haften: Solange der Verleger an der Verbreitung nicht gehindert wird, muss ein Anspruch gegen Buchhändler und ggf. auch Sortimenter ausscheiden. Dies gilt auch aus tatsächlichen Gründen: Würde ein solcher Anspruch gegenüber Buchhändlern zuerkannt, könnte ein Betroffener gefahrlos Serienabmahnungen gegenüber möglicherweise auch wahllos herausgegriffenen Buchhändlern vornehmen. Eine wesentliche Einschränkung der Verbreitung des inkriminierten Buches ist damit nicht verbunden, solange der Verleger dieses weiter ausliefern kann. Es spielt dann keine Rolle, ob dieser eine Buchhändler den Vertrieb unterlässt oder fortsetzt. Anders könnte es sich nur dann verhalten, wenn der betreffende Buchhändler am Wohnsitz des Betroffenen tätig ist oder wenn er die Negativbehauptungen werblich besonders herausstellt und hierdurch einen über die alleinige Verbreitung hinausgehenden Tatbeitrag leistet1018. Beliebigen Dritten kann die Weitergabe einzelner Ausgaben älterer Publikationen mangels 224 hinreichenden Tatbeitrags nicht verboten werden. Verfügt z.B. eine Verbraucherzentrale noch über einige Ausgaben einer Testzeitschrift, die auch dem Verleger oder Autor rechtskräftig untersagte Behauptungen enthält, muss diese gleichwohl berechtigt sein, ein solches Heft weiterzugeben, ohne deswegen Unterlassungsansprüchen ausgesetzt zu sein. Für eigene Publikationen gilt dies nicht; ebenso wenig, wenn gerade der betreffende Beitrag zu Beratungszwecken kopiert und weitergegeben wird. 3. Verbreiterhaftung des Bibliothekars Auch Bibliotheken unterliegen der Verbreiterhaftung. Bücher mit unzulässigem Inhalt dürfen 225 grundsätzlich nicht ausgeliehen werden. Dieser Unterlassungspflicht kommt besondere Bedeutung zu. Bibliotheken leihen ihre Bücher auch noch nach Jahren und Jahrzehnten aus. Darin enthaltene, ansonsten im Zweifel in Vergessenheit geratene Unwahrheiten werden auf diese Weise aktualisiert. Die Ausleihe von Büchern mit unwahrem oder aus sonstigem Grunde unzulässigem Inhalt kann vor allem gravierende Beeinträchtigungen zur Folge haben, wenn der Entleiher das Buch für publizistische Zwecke benutzt. Zumal der Wahrheitsgehalt nach Ablauf längerer Zeit oft kaum noch zu ermitteln ist, besteht die Gefahr, dass die unwahren Behauptungen in andere Darstellungen übernommen und dann umso sicherer für richtig gehalten werden. Eine Pflicht zu selbständiger Überprüfung seines Bestandes und der Neuzugänge kann dem 226 Bibliothekar allerdings nicht zugemutet werden. Der Anspruch auf Unterlassung der Ausleihe setzt eine Abmahnung und den konkreten Nachweis der Unzulässigkeit voraus (vgl. Rz. 223), was z.B. durch Übersendung eines Unterlassungsurteils oder einer Unterlassungserklärung des Autors oder des Verlegers geschehen kann. Damit die Einhaltung der Unterlassungspflicht gewährleistet ist, kann vom Bibliothekar gefordert werden, Bücher mit unzulässigem Inhalt auszusondern. Um solchen zivil-, zumeist allerdings strafrechtlichen Anforderungen nachkommen zu können, unterhalten Bibliotheken üblicherweise einen sog. „Giftschrank“. Sind nur Teile des Werkes unzulässig, kommt in Betracht, sie herauszutrennen oder zu schwärzen1019. 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 518 – Ärztebewertungsportal III. 1018 Vgl. Wenzel, Börsenblatt 1997, 21 ff. 1019 Näheres in der Stellungnahme der Kommission für Rechtsfragen des Vereins Deutscher Bibliothekare, Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, XXI, 1974, S. 157; ferner Schwinge in FS für Rudolf Reinhardt, 1972, S. 475; Hans Burkhard Meyer, Die strafrechtliche Verantwort-
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Kap. 10 Rz. 227 227
Sonderfragen
Wird die Herausgabe des Werkes nachweislich zu Forschungs- oder sonstigen wissenschaftlichen Zwecken begehrt, ist die Ausleihe auch bei bestehendem Unterlassungsanspruch zulässig, allerdings nur zusammen mit dem der Bibliothek übermittelten Unterlassungsurteil oder der Unterlassungserklärung. Auf diese Weise wird eine Behinderung der Forschung vermieden, andererseits sichergestellt, dass der Wissenschaftler von der Unzulässigkeit der Darstellung, ggf. auch von den Gründen Kenntnis erlangt1020.
XIII. Verantwortlichkeit für Telemediendienste Schrifttum: Kuch, Der Staatsvertrag über Mediendienste, ZUM 1997, 225; Spindler, Haftungsrechtliche Grundprobleme der neuen Medien, NJW 1997, 3193; Waldenberger, Teledienste, Mediendienste und die Verantwortlichkeit ihrer Anbieter, MMR 1998, 124; Spindler, Dogmatische Strukturen der Verantwortlichkeit der Diensteanbieter nach TDG und MDStV, MMR 1998, 639; Burkhardt, Medienfreiheit quo vadis – Das Somm-Urteil aus presserechtlicher Sicht, CR 1999, 38; Sieber, Verantwortlichkeit im Internet, 1999; Gounalakis/Rhode, Haftung des Host-Providers: ein neues Fehlurteil aus München?, NJW 2000, 2168; Haft/Eisele, Einführung in die Rechtsfragen des Datenverkehrs im Internet, JuS 2001, 112; Satzger, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Zugangsvermittlern, CR 2001, 109; Spindler, Urheberrecht und Haftung der Provider – ein Drama ohne Ende?, CR 2001, 324; Tettenborn/Bender/Lübben/Karenfort, Rechtsrahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr, BB 2001, Beilage 10 zu Heft 50; Spindler, Das Gesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr – Verantwortlichkeit der Diensteanbieter und Herkunftslandprinzip, NJW 2002, 921; Vec, Internet, Internationalisierung und nationaler Rechtsgüterschutz, NJW 2002, 1535; Dippelhofer, Verkehrssicherungspflicht für Hyperlinks?, JurPC Web-Dok. 304/2002; Spindler, Das Gesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr – Verantwortlichkeit der Diensteanbieter und Herkunftslandprinzip, NJW 2002, 921; Stadler, Haftung für Informationen im Internet – E-Commerce und Recht, 2002; Vec, Internet, Internationalisierung und nationaler Rechtsgüterschutz, NJW 2002, 1535; Spindler, Die Verantwortlichkeit der Provider für „Sich-zu-Eigen-gemachte“ Inhalte und für beaufsichtigte Nutzer, MMR 2004, 440; Volkmann, Der Störer im Internet – zur Verantwortlichkeit der Internet-Provider im allgemeinen Zivil-, Wettbewerbs-, Marken- und öffentlichen Recht, 2005; Heß, Die Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für Informationen im Internet nach der Novellierung des Teledienstegesetzes, 2005; Dix, Testberichte über Hochschullehrer, DuD 2006, 330; Dörre/Kochmann, Zivilrechtlicher Schutz gegen negative eBayBewertungen, ZUM 2007, 30; Ladeur, eBay-Bewertungssystem und staatlicher Rechtsschutz von Persönlichkeitsrechten – Recht und selbstorganisierte Regeln im Internet, K&R 2007, 85; Roßnagel, Das Telemediengesetz – Neuordnung für Informations- und Kommunikationsdienste, NVwZ 2007, 743; Wegner/Odefey, Grundsätze der zivilrechtlichen Unterlassungshaftung bei Veröffentlichung und Online-Angeboten von fremden Inhalten, K&R 2008, 641; Beck, Internetbeleidigung de lege lata und de lege ferenda – Strafrechtliche Aspekte des „spickmich“-Urteils, MMR 2009, 736; Breyer, Verkehrssicherungspflichten von Internetdiensten im Lichte der Grundrechte, MMR 2009, 14; Dreier, Erinnern Sie sich, als – sein Opfer S. erschlug? – Löschung von Berichten aus Online-Archiven aus Gründen des Persönlichkeitsrechts?, in FS Loewenheim, 2009, S. 67; Hartmann, Unterlassungsansprüche im Internet – Störerhaftung für nutzergenerierte Inhalte, 2009; Elixmann, Datenschutz und Suchmaschinen – neue Impulse für einen Datenschutz im Internet, 2011; Schapiro, Unterlassungsansprüche gegen die Betreiber von Internet-Auktionshäusern und Internet-Meinungsforen, 2011; Diesterhöft, Das Recht auf medialen Neubeginn, 2012; Spindler, Kollisionsrecht und internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet – die eDate-Entscheidung des EuGH, AfP 2012, 114; Wilkat, Bewertungsportale im Internet, 2012; Gounalakis, Rechtliche Grenzen der Autocomplete-Funktion von Google, NJW 2013, 2321; Gruneberg, Verantwortlichkeit des Presseunternehmens für die Verlichkeit des Bibliothekars, Heft 39 der Arbeiten aus dem Bibliothekar-Lehrinstitut des Landes NRW, 1972; Wenzel, NJW 1973, 603. 1020 So auch Stellungnahme des Vereins Deutscher Bibliothekare, Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, XXI, 1974, S. 157.
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XIII. Verantwortlichkeit für Telemediendienste
Rz. 228 Kap. 10
öffentlichung von Äußerungen Dritter, 2013; Kutscha/Thomé, Grundrechtsschutz im Internet?, 2013; Boehme-Neßler, Das Recht auf Vergessenwerden – Ein neues Internet-Grundrecht im Europäischen Recht, NVwZ 2014, 825; Czychowski/Nordemann, Grenzenloses Internet – entgrenzte Haftung?, Leitlinien für ein Haftungsmodell der Vermittler, GRUR-Beil. 2014, 3; Diesterhöft, Datenschutzrechtlicher Direktanspruch gegen Suchmaschinenbetreiber – Königsweg zum medialen Neubeginn?, VBlBW 2014, 370; Dörr/Stephan, The Google Autocomplete Function and the German General Right of Personality, 2014; Leistner, Die Haftung von Kauf- und Buchungsportalen, FS Köhler 2014, S. 415; Nolte/Wimmers, Wer stört? Gedanken zur Haftung von Intermediären im Internet – von praktischer Konkordanz, richtigen Anreizen und offenen Fragen, GRUR 2014, 16; Peifer, Konvergenz in der Störer- und Verbreiterhaftung – Vom Störer zum Verbreiter?, AfP 2014, 18; Peifer, Auskunftsansprüche bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen – Zwischen effektiver Rechtsdurchsetzung und anonymer Meinungsäußerung, NJW 2014, 3067; Schaub, Haftung der Betreiber von Bewertungsportalen für unternehmensbezogene Äußerungen, FS Köhler, 2014, S. 593; Spindler, Die Störerhaftung im Internet – (k)ein Ende in Sicht? Geklärte und ungeklärte Fragen, FS Köhler, 2014, S. 695; Buchholtz, Das „Recht auf Vergessen“ im Internet – eine Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat, AöR 2015, 121; Jahn/Palzer, Der Intermediär im Spannungsfeld zwischen digitaler Dynamik und Rechtsgüterschutz, K&R 2015, 767; Kastl, Algorithmen – Fluch oder Segen? Eine Analyse der Autocomplete-Funktion der Google-Suchmaschine, GRUR 2015, 136; Peifer, Die zivilrechtliche Verteidigung gegen Äußerungen im Internet, AfP 2015, 193; Schmidt, Äußerungsrechtlicher Schutz gegenüber Bewertungsportalen im Internet, 2015; Krüger, Der Störerbegriff, ZUM 2016, 335; Ohly, Die lauterkeitsrechtliche Haftung für Hyperlinks, NJW 2016, 1417; Peifer, Beseitigungsansprüche im digitalen Äußerungsrecht – Ausweitung der Pflichten des Erstverbreiters, NJW 2016, 23; Spindler, Das Ende der Links: Framing und Hyperlinks auf rechtswidrige Inhalte als eigenständige Veröffentlichung?, GRUR 2016, 157; Eifert, Rechenschaftspflichten für soziale Netzwerke und Suchmaschinen – Zur Veränderung des Umgangs von Recht und Politik mit dem Internet, NJW 2017, 1450; Fricke/Gerecke, Haftung für Links: Neue Risiken für Inhalteanbieter, AfP 2017, 25; Hofmann, Prozeduralisierung der Haftungsvoraussetzungen im Medienrecht – Vorbild für die Intermediärshaftung im Allgemeinen?, ZUM 2017, 102; Jaeschke, Haftung gewerbliche WLAN-Hotspot-Betreiber – Status quo und Ausblick, MMR 2017, 221; Jaworski/Nordemann, Gehilfenhaftung von Intermediären bei Rechtsverletzungen im Internet, GRUR 2017, 567; Obergfell, Gesetzliches Fundament für offene WLAN-Netze – Alle guten Dinge sind drei?, K&R 2017, 361; Specht, Ausgestaltung der Verantwortlichkeit von Plattformbetreibern zwischen Vollharmonisierung und nationalem Recht, ZUM 2017, 114; Spindler, Persönlichkeitsreche und Bewertungsportale im Internet – eine kritische Bestandsaufnahme, FS Bamberger, 2017, S. 313; Spindler, Das neue Telemediengesetz – WLAN-Störerhaftung endgültig adé?, NJW 2017, 2305; Spindler, Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, K&R 2017, 533; Srocke, Haftung für internettypische Weiterverbreitung, ITRB 2017, 61; Peifer, Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Selbstbehauptung des Rechts oder erster Schritt in die selbstregulierte Vorzensur? – Zivilrechtliche Aspekte, AfP 2018, 14.
1. Allgemeines Online-Medien sind aus der heutigen Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken. Ihre Be- 228 deutung steigt ständig. Insbesondere als Kommunikations- und Informationsmittel haben sie erheblichen Anteil erlangt. Trotz dieser Bedeutung fehlte lange Zeit eine spezialgesetzliche Regelung. Äußerungen in Online-Medien wurden dementsprechend unter Heranziehung der im Äußerungsrecht entwickelten Grundsätze beurteilt. Soweit Online-Medien sich spezifisch an die Allgemeinheit richteten, wurden auf die sog. elektronische Presse die presserechtlichen Vorschriften analog angewendet. Die bestehenden Lücken und die dadurch entstehende Rechtsunsicherheit ließen gleichwohl spezialgesetzliche Regelungen erforderlich erscheinen. Diese wurden zunächst durch einen längeren Kompetenzkonflikt zwischen Bund und Ländern verhindert1021. Durch den Bund-Länder-Kompromiss vom 1.7.1996 wurde der 1021 Vgl. dazu Kuch, ZUM 1997, 225; Gounalakis, NJW 1997, 2993, 2995.
Burkhardt/Peifer 811
Kap. 10 Rz. 229
Sonderfragen
Streit beigelegt. Es wurde vereinbart, dass die Länder grundsätzlich die Kompetenz für Dienste haben sollten, „die an die Allgemeinheit gerichtet sind“. Demgegenüber habe der Bund die Gesetzgebungskompetenz für solche Dienste, die „nicht an die Allgemeinheit gerichtet“ sind. Für beide Bereiche sollten möglichst übereinstimmende Regelungen geschaffen werden. Dies ist zunächst mit dem Mediendienste-Staatsvertrag (MDStV) vom 20.1.1997 bis 12.2.19971022, einerseits und dem Teledienstegesetz (TDG) vom 22.7.19971023 andererseits geschehen. Die 2002 nochmals reformierten und an das Unionsrecht im Wortlaut angepassten Regelungen in TDG und MDStV wurden zum 1.3.2007 aufgehoben und durch das TMG einerseits1024 und Regelungen über journalistisch-redaktionelle Telemedien in den §§ 54–61 RStV andererseits ersetzt1025. Die neuen Regelungswerke sind zeitgleich in Kraft getreten. 229
Das TMG des Bundes gilt für alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste (also auch inhaltsbezogene Regeln), soweit sie nicht Telekommunikation i.S.d. § 3 Nr. 24 TKG oder Rundfunk nach § 2 RStV sind. Das TMG dient der Umsetzung der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr zur Harmonisierung der geltenden innerstaatlichen Regeln für Dienste der Informationsgesellschaft und Sicherstellung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie der Umsetzung der bisherigen Erfahrungen mit dem Teledienste- und Teledienstedatenschutzgesetz. Es enthält Informationspflichten über den Diensteanbieter (§§ 5, 6) und besondere Regelungen über die Verantwortlichkeit sowie den Datenschutz bei Telemedien (§§ 7–10 bzw. §§ 11–15a TMG). Ferner wird in § 3 TMG das sog. Herkunftslandprinzip vorgesehen. Die datenschutzrechtlichen Regeln des TMG werden durch die sog. E-Privacy-Verordnung auf Ebene des Unionsrechts beeinflusst, die inhaltebezogenen Regeln auch durch die bis zum 25.5.2018 umzusetzende Datenschutzgrundverordnung (vgl. Kap. 1 Rz. 69 ff.).
230
Die Unterscheidung zwischen Teledienst und Mediendienst gilt inhaltlich fort, doch wurde der Rechtsbegriff des Mediendienstes aufgegeben, damit erledigen sich Abgrenzungsfragen zwischen Medien- und Wirtschaftsrecht allerdings nur äußerlich. Die Aufteilung des deutschen Rechts entspricht dem Unionsrecht, das gleichfalls Regeln für den elektronischen Handel in der sog E-Commerce-Richtlinie1026 von den Regeln für audiovisuelle (redaktionelle) Medien in der sog. AVMD-Richtlinie1027 trennt. Die genaue Abgrenzung auch dieser Regeln zueinander ist bis heute umstritten. Klar sollte sein, dass inhaltsbezogene Regeln mit meinungsbildender Wirkung anders behandelt werden als Regeln, die technische Kommunikationswege, die Individualkommunikation und den elektronischen Waren- und Dienstleistungshandel betreffen. Mit der Konvergenz der Medien wird auch diese Abgrenzung gelegentlich subtil, gleichwohl geht es nicht nur um die Abgrenzung der Mediengrundrechte von den Wirtschaftsgrundrechten, sondern auch um Kompetenzgrenzen zwischen Mitgliedstaaten und der Europäischen Union. Dies betrifft die massenmedientypischen Regelungen, die allein im RStV enthalten sind, wie z.B. das Gegendarstellungsrecht nach § 56 RStV, das Auskunftsrecht gegenüber Behörden nach § 55 RStV, die Sorgfaltspflicht nach § 54 Abs. 2 RStV, das spezi1022 GBl. BW S. 181. 1023 BGBl. I, 1870. 1024 Gesetz zur Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informationsund Kommunikationsdienste (Elektronischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz – ElGVG), BGBl. I, 179. 1025 Vgl. 9. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, zu beiden Regelungen Roßnagel, NVwZ 2007, 743; Spindler, CR 2007, 239. 1026 2000/31/EG, ABl. EG Nr. L 178/1. 1027 2010/13/EG, ABl. EG Nr. L 95/1.
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Burkhardt/Peifer
XIII. Verantwortlichkeit für Telemediendienste
Rz. 231 Kap. 10
fische Trennungsgebot von Werbung und redaktionellem Teil nach § 58 RStV sowie die Nennung eines Verantwortlichen für den redaktionellen Teil nach § 55 Abs. 2 RStV. Trotz erheblicher Gesetzesänderungen enthalten die Neuregelungen von 1997 und 2007 keine Übergangsvorschriften. Für Äußerungen, die erstmals oder noch nach dem Inkrafttreten der jeweiligen Neuregelungen öffentlich wiedergegeben wurden, sind diese anzuwenden. Bei Altfällen, in denen die Äußerung bereits vor Inkrafttreten der jeweiligen Neuregelung gelöscht wurde, ist die bisherige Fassung anzuwenden1028. Für das zivile Haftungsrecht dürften sich die Altfälle wegen der begrenzten Verjährungsfristen erledigt haben. Sofern Altinhalte vor 2007 oder 1997 eingestellt wurden, aber heute noch abrufbar sind, sind diese Inhalte wie Neuinhalte zu behandeln. Ein journalistisch-redaktioneller Telemediendienst (früher: Mediendienst) ist ein an die 231 Allgemeinheit gerichteter Informations- und Kommunikationsdienst in Text, Ton oder Bild unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 RStV). Darunter fallen Verteildienste in Form von Fernseheinkauf (Teleshopping), Fernsehtext, Radiotext und vergleichbaren Textdiensten, vor allem aber Abrufdienste, bei denen die redaktionelle Gestaltung zur Meinungsbildung für die Allgemeinheit im Vordergrund steht. Dies sind insbesondere Online-Zeitungen und Zeitschriften, ferner Abrufangebote der Rundfunkunternehmen und -anstalten. Redaktionelle Gestaltung erfordert traditionell eine Organisationsform, bei der Nachrichten und sonstige Inhalte gesichtet, geordnet und aufbereitet werden. Journalistisch ist insbesondere die Einhaltung berufsmäßiger Sorgfaltsmaßstäbe bei Recherche und Darstellung, etwa die Untersuchung von Nachrichten auf Wahrheitsgehalt, die Einholung mehrerer Darstellungen, um Ausgewogenheit und sachliche Richtigkeit zu erhöhen1029. Nicht in Berufsredaktionen arbeiten gelegentlich freiberufliche Journalisten und Blogger, insbesondere solche, die nur gelegentlich bloggen. Deren Dienste haben meinungsbildende Funktion, ohne dass sie bereits wie berufsmäßige Dienste reguliert werden. Das gilt auch für private Angebote, soweit sie nicht ausschließlich persönlichen und familiären Zwecken dienen (Familienwebsite mit Urlaubsfotos), soweit sie meinungsbildende Funktion haben und redaktionell gestaltet sind (§ 54 Abs. 2 RStV). Alle genannten Telemediendienste sind zulassungs- und anmeldefrei (§ 54 Abs. 1 Satz 1 RStV). Diensteanbieter haben rudimentäre Angaben zu machen, die sie identifizieren (§ 55 Abs. 1 RStV). Für geschäftsmäßige Angebote gelten zusätzlich die Informationspflichten des § 6 TMG (vgl. Rz. 232). Diensteanbieter, deren Angebote Druckerzeugnissen der Presse entsprechen, unterliegen einer Impressumspflicht (§ 55 Abs. 2 RStV) sowie einer § 6 LPG vergleichbaren Sorgfaltspflicht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 RStV). Sie sind zur Gegendarstellung verpflichtet (§ 56 RStV, vgl. Kap. 11 Rz. 337 ff.). Sie haben gegenüber Behörden einen Auskunftsanspruch (§ 55 RStV, vgl. Rz. 2 ff.), unterliegen besonderen Bestimmungen zum Datenschutz (§ 57 RStV) und einer medienrechtlichen Aufsicht (§ 59 RStV). Im Ergebnis ist vor allem die elektronische Presse damit ähnlich reguliert, wie dies in den Pressegesetzen der Länder der Fall ist. Der Rundfunk unterliegt einer schärferen Regulierung, insbesondere auch einer Zulassungspflicht. Unklar ist zum Teil die Regulierung von Diensten, die mit Liveangeboten eine Suggestivkraft haben, die dem Rundfunk nahekommt. Der RStV möchte solche Angebote jedenfalls ab einer Schwelle von 500 potentiell gleichzeitig rezipierenden Nutzern bei journalistisch-redaktioneller Gestaltung der Rundfunkregulierung unterwerfen. Unklar bleibt, ob für Gelegenheitsblogger und reine Telemedien mit journalistisch-redak-
1028 Vgl. OLG München v. 17.5.2002 – 21 U 5569/01, CR 2003, 141 = ITRB 2003, 142 = AfP 2002, 522. 1029 Vgl. u.a. Spindler/Schuster/Waldenberger, Recht der Elektronischen Medien, Abschnitt Presserecht Rz. 18.
Burkhardt/Peifer 813
Kap. 10 Rz. 232
Sonderfragen
tioneller Gestaltung zumindest die für die Presse geltenden Vorschriften (aber auch Privilegien) greifen. Das wäre jedenfalls bei berufsmäßigem Handeln sinnvoll1030. 232
Demgegenüber betrifft das TMG nicht-journalistisch-redaktionelle Telemedien (früher: Teledienste). Dazu gehören insbesondere Telebanking, Verkehrs-, Wetter-, Umwelt- und Börsendatendienste, Telespiele und sog. elektronische Marktplätze und Kaufhäuser sowie die Zugangsvermittler zum Internet. Auch Teledienste sind zulassungs- und anmeldefrei (§ 4 TMG). Geschäftsmäßige Telediensteanbieter haben ferner gem. § 5 TMG ihren Namen und Anschrift, bei juristischen Personen zusätzlich den Vertretungsberechtigten, (Handels-)Registereintragung, Angaben, die eine schnelle elektronische Kontaktaufnahme ermöglichen, einschließlich der E-Mail-Adresse, sowie eine etwaige gesetzliche Berufsbezeichnung, eine Kammerzugehörigkeit bzw. die zuständige Aufsichtsbehörde und die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer anzugeben. Handelt es sich um kommerzielle Kommunikationsangebote, sind diese besonders zu kennzeichnen (§ 6 TMG). Besondere Bestimmungen zum Datenschutz enthalten die §§ 11 ff. TMG. 2. Grundsätze der Verantwortlichkeit und NetzDG
233
Vorschriften über die Verantwortlichkeit der Diensteanbieter betreffen das Bürgerliche Recht. Sie finden sich daher in dem der Bundeskompetenz unterliegenden TMG, dort insbesondere in den §§ 7–10 TMG. Die Regelungen vereinheitlichen die früher in §§ 8–11 TDG 2002 und §§ 6–9 MDStV 2002 (Vorgängerregelung §§ 5 TDG 1997 bzw. § 5 MDStV 1997) geregelten (im Wesentlichen inhaltsgleichen) Vorschriften. Ohne solche Vorschriften würde man auf Internetdienste ohne weiteres die äußerungsrechtlichen Regeln über die Verbreiterhaftung anwenden1031. Vorbild der TMG-Vorschriften sind die Art. 12–15 E-Commerce-RL 2000/31/EG (ECRL). Diese Bestimmungen sind von der Absicht getragen, Dienste der Informationsgesellschaft zu privilegieren, also auch vor Haftungsrisiken zu bewahren, um das Potential dieser Dienste innerhalb der EU zur vollen Entfaltung bringen zu können (vgl. Erwägungsgrund 2 ECRL). Technische Dienstleister sollen hierdurch weitgehend von Haftungsrisiken befreit werden, weil die Informationsgesellschaft auf eine reibungslose technische Infrastruktur angewiesen ist. Die Funktion dieser Akteure entspricht in der digitalen Welt dem Drucker, Briefträger oder sonstigen Transportdienstleistern, die als technische Verbreiter regelmäßig keine Prüfpflichten für die von ihnen übermittelten Inhalte haben, insbesondere nicht für rechtsverletzende Äußerungen haften (vgl. Rz. 221). Daher trifft Internetdienstleister – insoweit entspricht die Regelung der Verbreiterhaftung für technische Verbreiter im Äußerungsrecht – keine allgemeine Netzüberwachungspflicht (vgl. Art. 15 Abs. 1 ECRL, § 7 Abs. 2 TMG). Wohl aber können anlassbezogene Unterlassungspflichten greifen (Rz. 237).
234
Die zunehmende Konvergenz der Medienordnung hat dazu geführt, dass zu den „alten“ Medienanbietern (Presse, Rundfunk), nicht nur neue Inhalteanbieter (journalistisch-redaktionelle Telemedien), sondern auch sog. Intermediäre hinzugetreten sind, deren Tätigkeit sich zunächst darauf beschränkt, Räume für die Kommunikation und Diskussion aller am Meinungsbildungsprozess Beteiligten zur Verfügung zu stellen, diese Beteiligten aber auch durch neue und einfache Kommunikationswege miteinander zu vernetzen. Das führt dazu, dass 1030 Anders zum sog. „Laienprivileg“ bislang BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, BVerfGE 85, 1 = MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 = NJW 1992, 1439, 1442 – kritische Bayer-Aktionär; vorsichtiger OLG Köln v. 22.11.2011 – 15 U 91/11, CR 2012, 116 = ITRB 2012, 79 = MMR 2012, 197, 199; für schärfere Pflichten Schierbaum, Sorgfaltspflichten, 2016; vgl. auch Kap. 1 Rz. 32. 1031 Engel-Flechsig/Maennel/Tettenborn, NJW 1997, 2981, 2984; oben Rz. 207 ff.
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XIII. Verantwortlichkeit für Telemediendienste
Rz. 235 Kap. 10
neben die hierarchische mediale Versorgung durch Veranstalter von Massenmedien zunehmend Anbieter sozialer Medien hinzutreten. Der Diskurs über diese Portale ist anonym, einfach, schnell und entfaltet virale Verbreitungswirkung. Finanziert werden die Anbieter zumeist indirekt über Werbung. Ihr Geschäftsmodell besteht darin, sich von der Bereitstellung eigener Angebote weitgehend zu distanzieren, dafür aber fremde Äußerungen zu strukturieren, zu kommunizieren und durch autormatisierte Instrumente zu verstärken. Die Tätigkeit der Intermediäre führt auch und zunehmend dazu, dass Rechtsverletzungen anonymer Teilnehmer erleichtert sind, die Urheber solcher Rechtsverletzungen allerdings nicht ermittelbar sind. Der Unionsgesetzgeber und der deutsche Gesetzgeber gehen dazu über, solchen Intermediären Organisations- und Managementpflichten aufzuerlegen, die einerseits Betroffenen und Behörden erlauben, Rechtsverstöße auf einfache Weise dem Diensteanbieter gegenüber anzuzeigen, andererseits dafür zu sorgen, dass Rechtsverletzungen nach Prüfung zügig gelöscht werden1032. Am 5.4.2017 wurde durch die Bundesregierung der Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung 235 der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) vorgelegt1033. Das Gesetz vom 1.9.20171034 ist am 1.10.2017 in Kraft getreten. Es verpflichtet seit dem 1.1.2018 zur Einführung eines Beschwerdemanagements (§§ 3, 6 Abs. 2 NetzDG) und zu Berichten über die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen in Halbjahresberichten, erstmals zum 31.7.2018 (§ 6 Abs. 1 NetzDG). Es richtet sich an Betreiber sozialer Netzwerke mit mindestens 2 Mio. registrierten Nutzern im Inland. Definiert sind sie als mit Gewinnerzielungsabsicht betriebene Dienste, die sich an die Allgemeinheit richten und auf Kommunikation von Mitgliedern der Allgemeinheit untereinander angelegt sind (§ 1 Abs. 1 NetzDG). Keine sozialen Netzwerke sind Plattformen mit journalistisch gestalteten redaktionellen eigenen Angeboten des Anbieters, also insbesondere Rundfunk- und Presseportale. Das Gesetz erlegt den Betreibern sozialer Netzwerke Berichts- und Beschwerdemanagementpflichten auf (§§ 2, 3 NetzDG). Hinzu kommt die Pflicht, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten und eine inländische Auskunftsperson für Zwecke der strafrechtlichen Ermittlung zu benennen (§ 5 NetzDG) sowie einer in seinen Persönlichkeitsrechten verletzten Person Auskunft über die Identität eines Nutzers nach richterlicher Anordnung zu erteilen (§ 14 Abs. 3–5 TMG n.F.). Mit Ausnahme der letztgenannten Pflicht ist die Verletzung der Organisationspflichten bußgeldbewehrt (§ 4 NetzDG). Der Bußgeldtatbestand knüpft an die Nicht- oder die unzureichende Erfüllung der Berichts- und Organisationspflichten (§ 4 Abs. 1 Nr. 1–8 NetzDG), nicht allerdings an die unterlassene Löschung von Äußerungen im Einzelfall an; allenfalls kann die unterlassene Löschung als Teil eines Organisationsversagens im Beschwerdemanagement angesehen werden. § 2 NetzDG erzwingt Transparenz über das Beschwerdemanagement in mehreren Punkten (§ 2 Abs. 2 Nr. 1–9 NetzDG). § 3 NetzDG verpflichtet in Abs. 1 dazu, ein Beschwerdemanagementsystem zu errichten, § 3 Abs. 2 NetzDG enthält nähere Pflichten zu dessen Ausgestaltung. Das System muss die unverzügliche Kenntnisnahme von Beschwerden durch Nutzer gewährleisten, ferner sicherstellen, dass offensichtlich rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden, sonstige rechtswidrige Inhalte nach maximal sieben Tagen gelöscht oder einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle überantwortet werden (§ 3 Abs. 2 Nr. 2, 3 NetzDG). Als rechtswidrig sieht das NetzDG gem. § 1 Abs. 3 Inhalte an, die den Tatbestand eines der dort genannten Strafgesetze erfüllen und rechtswidrig sind. Netzwerkbetreiber, die nicht rechtzeitig über ihr System berichten (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 NetzDG), keinen Zustellungsbevollmächtigten bereitstellen (§ 4 Abs. 1 Nr. 5 NetzDG) oder kein bzw. kein 1032 Brings-Wiesen, AfP 2016, 323, 326; Hofmann, ZUM 2017, 102; Specht, ZUM 2017, 114. 1033 Dazu Spindler, ZUM 2017, 473. 1034 BGBl. I, 3352.
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Kap. 10 Rz. 236
Sonderfragen
wirksames Beschwerdemanagement betreiben (§ 4 Abs. 1 Nr. 2–6 NetzDG), begehen eine Ordnungswidrigkeit (§ 4 NetzDG). Die Geldbuße dafür kann bis zu 5 Mio., bei Unternehmen bis zu 50 Mio. Euro betragen. Das NetzDG kodifiziert keine Löschansprüche, sondern es dient der Durchsetzung von Organisationspflichten zur Vermeidung der Perpetuierung strafrechtlich relevanter Äußerungen im Verantwortungsbereich des Netzwerkbetreibers. Es verlangt eine Organisation von Unternehmensabläufen mit dem Ziel der Einhaltung der Strafrechtsordnung. Dabei geht es vor allem um die Einhaltung objektiver Rechtsgebote. Allerdings spielt das Gesetz auch eine Rolle beim Schutz von Persönlichkeitsinteressen und flankiert dabei persönlichkeitsrechtliche Abwehransprüche der Betroffenen auf Basis des § 1004 Abs. 1 analog i.V.m. § 823 Abs. 1 oder § 823 Abs. 2 BGB (auch in Verbindung mit Strafrechtsnormen). In vielerlei Hinsicht knüpft das Gesetz in diesem letzten Punkt an die Haftungsnormen des TMG an. Es verstärkt deren Durchsetzung durch eine kontrollierte Selbstregulierung mit behördlichen Durchsetzungsmechanismen. Die Funktionsweise in der Praxis ist noch unklar. Die Kritik am Gesetz war erheblich. Ihm wurde vorgeworfen, eine Zensurinfrastruktur über die Betreiber sozialer Netzwerke zu legen1035. 236
Das NetzDG verlangt ein Beschwerde- und Löschmanagement, das auf die Vorschriften des TMG aufsetzt. §§ 7–10 TMG sind auf die konkret ausgeübte Funktion des Diensteanbieters ausgerichtet. Diese entspricht dem Konzept der Art. 12–15 ECRL. Die Betreiber sozialer Netzwerke gelten als Anbieter fremder Inhalte (§ 10 TMG, Art. 14 ECRL). Die Verantwortlichkeitsregeln begründen oder erweitern keine zivil- oder strafrechtliche Haftung. Diese muss sich aus den allgemeinen Vorschriften ergeben. Primär ist zu prüfen, ob auf Grund der Verantwortlichkeitsregeln der §§ 7 ff. TMG eine Inanspruchnahme des Diensteanbieters von vorneherein ausgeschlossen ist. Dogmatisch werden die §§ 7–10 TMG als „(Vor-)Filter“ oder negative Tatbestandsmerkmale angesehen1036. Die Regelungen sind danach der strafund zivilrechtlichen Prüfung vorgelagert, d.h. zunächst müsste die Privilegierungs-, dann erst die Haftungsnorm geprüft werden1037. Im Hinblick auf die Haftung von Organmitgliedern und Verrichtungsgehilfen wie auch Teilnahme und Irrtum schließt der „Filter“ nicht nur die persönliche Vorwerfbarkeit, sondern objektiv die Verantwortlichkeit für die Gefahrenquelle aus1038. Dabei ist es unerheblich, ob die Inhalte bzw. Informationen geschäftsmäßig oder nur privat und gelegentlich übermittelt oder gespeichert werden1039. Unter Informationen sind alle Angaben, die im Rahmen des jeweiligen Dienstes übermittelt oder gespeichert werden, zu verstehen. Es werden nicht nur kommunikative Inhalte erfasst. Ob die Daten unmittelbar vom Nutzer gelesen oder erst mittels einer Software lesbar bzw. hörbar gemacht werden müssen, macht keinen Unterschied. Eine Änderung gegenüber dem bislang verwendeten Be-
1035 Vgl. die kontroversen Sichtweisen anlässlich der 122. Tagung des Studienkreises Presserecht und Pressefreiheit e.V. in Leipzig 2017 in den Beiträgen von Müller-Franken und Peifer, AfP 2018, Heft 1; ferner die Beiträge von Drexl, ZUM 2017, 529; Eifert, NJW 2017, 1450; Spindler, K&R 2017, 533. 1036 So die Begründung zum TDG, BT-Drucks. 13/7385, 20, zu § 5 Abs. 2 TDG; Engel-Flechsig/ Maennel/Tettenborn, NJW 1997, 2981, 2984. 1037 Vgl. BT-Drucks. 13/7385, 51; vgl. OLG Köln v. 28.5.2002 – 15 U 221/01, CR 2002, 678 m. Anm. Eckhardt = ITRB 2002, 257 = NJW-RR 2002, 1700; krit. zur Dogmatik Spindler (MMR 1998, 639, 643. 1038 Haft/Eisele, JuS 2001, 112, 117 f.; Satzger, CR 2001, 109, 111; Sieber, Rz. 246; Spindler, NJW 2002, 921, 922. 1039 Amtl. Begründung BT-Drucks. 14/6098, 23.
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Burkhardt/Peifer
XIII. Verantwortlichkeit für Telemediendienste
Rz. 238 Kap. 10
griff Inhalte ist mit der Neuregelung nicht verbunden1040. Technische Dienstleister wie Zugangsdienstleister (Access-Provider, § 8 TMG, Art. 12 ECRL) und Routingdienste (§ 9 TMG, Art. 13 ECRL) sollen weitgehend von Haftungsrisiken befreit werden, weil die Informationsgesellschaft auf eine reibungslose technische Infrastruktur angewiesen ist. Die Funktion dieser Intermediäre entspricht den Funktionen des Druckers, Briefträgers oder sonstiger analoger Transportdienstleister, die als technische Verbreiter regelmäßig keine Prüfpflichten bzw. allgemeine Netzüberwachungspflicht (vgl. Art. 15 Abs. 1 ECRL, § 7 Abs. 2 TMG) für die von ihnen übermittelten Inhalte haben, insbesondere nicht für rechtsverletzende Äußerungen haften (vgl. Rz. 221, 233). Das gilt auch für Hostprovider. Der Haftungsfilter wirkt nicht vollständig, insbesondere nicht gegen Unterlassungsanord- 237 nungen durch Gerichte oder Behörden. Für Anbieter, die fremde Inhalte lediglich speichern (Host-Provider), sehen sowohl Art. 14 Abs. 3 ECRL als auch § 7 Abs. 2 Satz 2 TMG vor, dass Möglichkeiten „unberührt bleiben“, „vom Diensteanbieter zu verlangen, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern, dass die Mitgliedstaaten Verfahren für die Entfernung einer Information oder die Sperung des Zugangs zu ihnen festlegen“ (Art. 14 Abs. 3 ECRL). Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TMG gilt dies auch für Anbieter, deren Tätigkeit sich darauf beschränkt, den Zugang zum Internet zu eröffnen (Access-Provider, § 8 TMG) oder Daten an den Knotenpunkten des Netzes weiterzuleiten (Routingdienste, Cache-Provider, § 9 TMG). Art. 12 Abs. 3 und 13 Abs. 3 ECRL sehen dies ebenso vor. Dementsprechend hat der EuGH Zugangssperranordnungen durch Gerichte oder Behörden jedenfalls zum Schutz urheberrechtlicher Inhalte für möglich gehalten1041. Soweit ein Diensteanbieter für Informationen nicht verantwortlich ist, kann er ebenfalls nach § 7 Abs. 2 TMG zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen verpflichtet sein. Der Unterlassungsanspruch kann sich sowohl aus dem Zivilrecht, dem Strafrecht als auch dem öffentlichen Recht ergeben. Der Anbieter muss nur Kenntnis von dem unzulässigen Inhalt erlangen. Die Kenntnis kann ihm durch eine Behörde oder durch jeden Dritten z.B. durch entsprechendes Hinweis- und Aufforderungsschreiben verschafft werden (vgl. auch § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TMG). Zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ist der Diensteanbieter erst verpflichtet, wenn eine etwaige Privilegierung nach §§ 7–10 TMG entfallen ist (vgl. Rz. 240 a.E.). Für eigene Informationen ist der Diensteanbieter (z.B. Content-Provider) nach den all- 238 gemeinen Gesetzen voll verantwortlich, ohne dass sich aus § 7 Abs. 1 TMG eine Einschränkung seiner Verantwortlichkeit ergibt1042. Die eigenmächtige Änderung von Bewertungen auf einem Internetportal durch den Portalbetreiber ohne Rücksprache mit dem Betroffenen oder Äußernden führt dazu, dass dieser nunmehr eigene Inhalte vorhält, für die er einzustehen hat1043. Dies gilt auch für Informationen, die er sich zu Eigen gemacht hat1044. Insofern gelten für Online-Dienste die allgemeinen Grundsätze der Verbreiterhaftung (vgl. Kap. 4 1040 H.M., vgl. Spindler, NJW 2002, 921, 922; a.A. zur bisherigen Regelung Waldenberger, MMR 1998, 124, 127; OLG München v. 8.3.2001 – 29 U 3282/00, AfP 2001, 345 = CR 2001, 333 = ITRB 2001, 124 = NJW 2001, 3553. 1041 EuGH v. 15.9.2016 – Rs. C-484/14, CR 2016, 678 m. Anm. Franz/Sakowski = ITRB 2016, 219 = NJW 2016, 3503 Rz. 72, 80 – McFadden/Sony Music. 1042 Vgl. BGH v. 27.6.2001 – 1 StR 66/01, CR 2002, 45 = AfP 2001, 396. 1043 BGH v. 4.4.2017 – VI ZR 123/16, AfP 2017, 316 m. Anm. Franz = MDR 2017, 880 = CR 2018, 49 = ITRB 2017, 179 = WRP 2017, 806. 1044 OLG Köln v. 28.5.2002 – 15 U 221/01, CR 2002, 678 m. Anm. Eckhardt = ITRB 2002, 257 = NJW-RR 2002, 1700.
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Kap. 10 Rz. 239
Sonderfragen
Rz. 95 ff., Kap. 10 Rz. 207 ff.). Jedoch können medienspezifische Modifikationen im Hinblick auf die Art der Datenübernahme, ihren Zweck und die konkrete Präsentation erforderlich sein1045. Allein die Bezeichnung des Inhalts als fremd führt nicht zu einer Privilegierung, da ansonsten jeder, der sich auch gröbster Zitate bedient, für das Gesagte nicht zur Rechenschaft gezogen werden könnte (Näheres Kap. 4 Rz. 95 ff.). Ein Disclaimer kann die Haftung nach Deliktsrecht ebenso wenig ausschließen. Evtl. liegt darin aber eine ausreichende Distanzierung1046. 239
Bei der Speicherung von fremden Informationen (sog. Hosting) sind Diensteanbieter nach § 10 TMG in zwei Fällen nicht verantwortlich: zum einen, wenn sie keine Kenntnis von der Information haben, die als solche bereits zu beanstanden ist. In diesem Fall soll die positive Kenntnis von der Information bzw. von diesbezüglichen Tatsachen oder Umständen die Haftungsprivilegierung bereits entfallen lassen. Ist die Information als solche nicht zu beanstanden, jedoch eine im Hinblick auf diese entfaltete Tätigkeit, ist der Anbieter zum anderen nicht verantwortlich, wenn er die rechtswidrige Handlung nicht kennt. Diese Privilegierung soll erst entfallen, wenn die rechtswidrige Handlung bekannt ist. Darüber hinaus soll die Privilegierung, bezogen auf zivilrechtliche Schadensersatzansprüche, bereits dann entfallen, wenn Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird1047. Die Privilegierung ist ausgeschlossen, wenn der Nutzer dem Diensteanbieter untersteht oder von ihm beaufsichtigt wird. Nach § 3 NetzDG (Rz. 235) haben die Betreiber sozialer Netzwerke Infrastrukturen zu schaffen, die eine Kenntnisgabe gegenüber dem Dienstebetreiber auf einfache Weise ermöglichen.
240
Die Regelung zum Hosting stellt die Gerichte im Äußerungsrecht vor erheblich größere Probleme, als dies im Immaterialgüterrecht der Fall ist1048. Sowohl ehrverletzende Werturteile als auch persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigende Tatsachenbehauptungen lassen sich oftmals erst aus dem Kontext der Äußerung erschließen. Eine einfachere Prüfung ist möglich bei Bildmaterial von Privatpersonen, das ohne Einwilligung des die Löschung Begehrenden aufgenommen wurde1049. Ebenso ist es bei intimem Bildmaterial, das in sozialen Netzwerken verbreitet wird und oft auch als heikel erkennbar ist1050. Bei Beleidigungen ist jedenfalls eine grundlose Schmähung mit üblen Verbalinjurien als rechtsverletzend erkennbar1051. Die Gerichte haben als haftungsauslösendes Moment richtigerweise zunächst den kausalen Tatbeitrag angesehen, der darin liegt, dass Speicherplatz oder technische Verbreitungsmöglichkeiten
1045 OLG Köln v. 28.5.2002 – 15 U 221/01, CR 2002, 678 m. Anm. Eckhardt = ITRB 2002, 257 = NJW-RR 2002, 1700; Spindler, NJW 1997, 3193, 3196. 1046 OLG München v. 17.5.2002 – 21 U 5569/01, CR 2003, 141 = ITRB 2003, 142 = AfP 2002, 522. 1047 Amtl. Begründung, BT-Drucks. 14/6098, 25. 1048 Vgl. BGH v. 30.4.2008 – I ZR 73/05, CR 2008, 579 = MDR 2008, 1228 = ITRB 2008, 218 = GRUR 2008, 702 – Internet-Versteigerung III: Benutzung der Marke als Rechtsverletzung; BGH v. 12.11.2009 – I ZR 166/07, AfP 2010, 369 = MDR 2010, 884 = CR 2010, 468 m. Anm. Hoeren/Plattner = ITRB 2010, 174 = GRUR 2010, 616 – marions-kochbuch.de: Nutzung von Lichtbildern als Urheberrechtsverletzung. 1049 LG Frankfurt/M. v. 9.2.2017 – 2-03 S 16/16, ZD 2017, 391 m. Anm. Heinzke, GRUR-Prax. 2017, 215. 1050 LG Duisburg v. 27.3.2017 – 2 O 438/14, ZUM-RD 2018, 13. 1051 Vgl. EGMR v. 16.6.2015 – Nr. 64569/09 m. Anm. Haug, AfP 2014, 27.
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Burkhardt/Peifer
XIII. Verantwortlichkeit für Telemediendienste
Rz. 241 Kap. 10
zur Verfügung gestellt werden1052. Der Tatbeitrag liegt in der Verbreitung, die allerdings als bloß technisches Hosting für sich genommen noch keine Verletzung von Sorgfaltspflichten darstellt1053. Haftungs- und sorgfaltspflichtauslösend ist die Kenntnisgabe von einer konkreten Rechtsverletzung1054. Ein eigener Tatbeitrag liegt danach in der Verletzung von Sorgfaltspflichten. Als Maßstab dafür kann auf die Grundsätze über die Haftung für Anzeigeninhalte der Presse1055 zurückgegriffen werden. Eine Prüfungspflicht besteht insoweit, als sich aus der zur Kenntnis genommenen Information selbst bereits unmittelbar ein grober, unschwer zu erkennender Verstoß ergeben kann. Genau dies ist auch nach Kenntnisgabe zu prüfen. Dafür müssen die Betreiber sozialer Medien nach § 3 NetzDG Beschwerdemanagementsysteme schaffen. Bleiben begründete Zweifel an der Rechtswidrigkeit, liegt eine Kenntnis i.S.d. § 10 Abs. 1 TMG noch nicht vor. Die Privilegierung entfällt nämlich erst, wenn der Anbieter nicht nur positive Kenntnis von der Information, sondern darüber hinaus von deren Rechtswidrigkeit hat oder er diese bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfaltspflicht hätte kennen müssen. Dieser Verantwortung steht § 7 Abs. 2 TMG nicht entgegen. Durch diese Regelung soll nur die laufende Überwachung und Prüfung sämtlicher Informationen bzw. Tätigkeiten, also eine Kenntnisverschaffungspflicht ausgeschlossen werden. Auch aus dem Wortlaut der Richtlinie ist nichts Entgegenstehendes zu entnehmen. Zwar bezieht sich der Begriff „rechtswidrige“ in der deutschen Fassung des Art. 14 Abs. 1 ECRL nur auf die Tätigkeit, nicht aber auf die Information. Es ergibt sich jedoch schon aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen, dass Ansprüche gegen einen Verbreiter nur geltend gemacht werden können, wenn er in der Lage ist, die Rechtswidrigkeit zu erkennen. Auch nach der französischen Fassung des Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 ECRL muss sich die Kenntnis sowohl auf die rechtswidrige Handlung als auch auf die rechtswidrige Information erstrecken („le prestataire n’ait pas effectivement connaissance de l’activité ou de l’information illicites“). Dies hat Auswirkungen auf einen Unterlassungsanspruch und die Kostenerstattungspflicht bei Abmahnungen. Kennt der Diensteanbieter zwar die Information, hat er aber seine Sorgfaltspflicht nicht verletzt, kann nur die unverzügliche tatsächliche Beseitigung des Zugangs zu der Information verlangt werden. Eine Kostenerstattungspflicht im Hinblick auf ein Aufforderungs- oder Abmahnschreiben scheidet aus. Bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen entfällt die Haftungsprivilegierung erst, 241 wenn der Diensteanbieter die eine rechtswidrige Handlung oder rechtswidrige Information begründenden Tatsachen oder Umstände kennt, aus denen sich diese offensichtlich ergeben. Offensichtlich ist die rechtswidrige Handlung oder rechtswidrige Information nur bei groben und eindeutigen Verstößen. Dem Diensteanbieter muss sich die Verletzungshandlung bei Kenntnis der Tatsachen und Umstände geradezu aufdrängen. Der Diensteanbieter ist dann verpflichtet, tätig zu werden; bleibt er untätig, kommt eine Haftung in Betracht. Auch insoweit können die zur Haftung bei Anzeigenveröffentlichungen entwickelten Grundsätze (vgl. Rz. 213 ff.) herangezogen werden.
1052 BGH v. 27.3.2007 – VI ZR 101/06, AfP 2007, 350 = CR 2007, 586 m. Anm. Schuppert = MDR 2007, 1018 = ITRB 2007, 174 = NJW 2007, 2558 Rz. 13 – Meinungsforum: Provider als „Herr des Angebots“. 1053 Vgl. BGH v. 27.3.2012 – VI ZR 144/11, AfP 2012, 264 = MDR 2012, 767 = CR 2012, 464 = ITRB 2012, 174 = GRUR 2012, 751 – RSS-Feed; v. 22.7.2010 – I ZR 139/08, CR 2011, 259 = MDR 2011, 246 = ITRB 2011, 26 = GRUR 2011, 152 – Kinderhochstühle im Internet I. 1054 BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, AfP 2012, 50 = CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = GRUR 2012, 311 m. Anm. Spindler – Blog-Eintrag. 1055 Vgl. BGH v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, MDR 1999, 884 = CR 1999, 326 = AfP 1998, 624 – Möbelklassiker.
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Kap. 10 Rz. 242
Sonderfragen
242
Zur Kenntniserlangung genügen allgemeine, unspezifizierte Hinweise nicht. Insbesondere darf sich der Betroffene nicht darauf beschränken, beanstandete Informationen oder gar Links nur zu nennen und zu behaupten, er werde durch Inhalte auf durch Links nachgewiesenen Seiten in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt1056. Erforderlich ist vielmehr die konkrete Bezeichnung der jeweiligen Information. Dies setzt voraus, dass die Beanstandung des Betroffenen so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptungen des Betroffenen unschwer bejaht werden kann1057. Für den Verbreiter des Angebots muss die Rechtsverletzung auf Grund der Darlegung offensichtlich erkennbar sein, die Inkenntnissetzung muss so detailliert über den Sachverhalt informieren, dass die Rechtsverletzung tatsächlich eindeutig und die Einbuße rechtlich auf der Hand liegend erscheint1058. Bei Tatsachenbehauptungen sind ergänzende Recherchen erforderlich, für die der BGH eine Art Moderationsverfahren zwischen Äußerndem und Betroffenen entwickelt hat, das vom Provider durchzuführen ist1059. Sofern Tatsachenbehauptungen gehostet werden, die vom Betroffenen als unwahr gerügt werden, sind diese nicht bereits auf die Beschwerde hin zu löschen1060. Der Provider hat die substantiierte Rüge des Betroffenen zu erbitten und – sofern sie erfolgt – die Darlegung dem Äußernden (soweit möglich) zuzuleiten und dessen Stellungnahme einholen. Schweigt der Äußernde, darf gelöscht werden. Verteidigt er seinen Beitrag, muss der Provider entscheiden, ob er die Verletzung für erwiesen erachtet (dann Löschung) oder nicht (dann bleibt es bei dem Beitrag). Gegen die Nichtlöschung kann der Betroffene gerichtlich vorgehen, die erfolgte Löschung kann allerdings nach derzeitiger Rechtslage – unbeschadet denkbarer vertraglicher Ansprüche des Äußernden gegen den Provider aus § 280 Abs. 1 BGB – nicht angegriffen werden. Ist der Information ein grober und eindeutiger Verstoß nicht zu entnehmen, bedarf es daher einer substantiierten Darlegung, woraus sich die Rechtswidrigkeit der Information ergibt1061. Die Kenntnis seiner Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen ist dem Host-Provider nach allgemeinen Grundsätzen zuzurechnen1062.
243
Hat der Diensteanbieter Kenntnis erlangt, ist er nach § 10 Satz 1 Nr. 2 TMG verpflichtet, unverzüglich tätig zu werden, um die Information zu entfernen oder zu sperren. Das betrifft zunächst die Verpflichtung zur Unterlassung künftiger Verletzungen1063, allerdings auch 1056 OLG Köln v. 13.10.2016 – 15 U 173/15, NJOZ 2016, 1814 Rz. 70. 1057 BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, AfP 2012, 50 = CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = GRUR 2012, 311 – Blog-Eintrag. 1058 LG Frankfurt/M. v. 9.2.2017 – 2-03 S 16/16, ZD 2017, 391 Rz. 30. 1059 BGH v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 = MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 518 – Ärztebewertung III; LG Hamburg v. 24.3.2017 – 324 O 148/16. 1060 BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 = AfP 2012, 50 = CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 Rz. 25 – Blog-Eintrag; BGH v. 23.9.2014 – VI ZR 358/13, BGHZ 202, 242 = AfP 2014, 529 = CR 2015, 116 = MDR 2014, 1388 = IPRB 2015, 28 Rz. 28 f. – Ärztebewertung II; BGH v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 = MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 518 Rz. 24 – Ärztebewertungsportal III; hierzu Paal, NJW 2016, 2081; Peifer, AfP 2015, 193. 1061 Vgl. BGH v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, MDR 1999, 884 = CR 1999, 326 = AfP 1998, 624, 625 – Möbelklassiker. 1062 Zum Wissensvertreter: BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 35 = MDR 1996, 1003: Gemeinde; BGH v. 15.4.1997 – XI ZR 105/96, BGHZ 135, 202, 205 = MDR 1997, 766: Bank; MünchKomm/Schubert, 7. Aufl. 2015, § 166 BGB Rz. 27; zweifelnd für Provider Spindler, K&R 2017, 533, 538. 1063 BGH v. 27.3.2012 – VI ZR 144/11, AfP 2012, 264 = MDR 2012, 767 = CR 2012, 464 = ITRB 2012, 174 = GRUR 2012, 751.
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Burkhardt/Peifer
XIII. Verantwortlichkeit für Telemediendienste
Rz. 244 Kap. 10
auch zur Beseitigung einer fortwirkenden Störung, i.d.R. also zur Löschung oder Sperrung der verletzenden Information1064.Verlangt wird nur ein Tätigwerden, ein subjektives Bemühen, die Löschung oder Sperrung zu erreichen. Ob auch der Erfolg dieser Bemühungen verlangt werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Insoweit gilt auch hier der allgemeine Grundsatz, dass die Entfernung oder Sperrung technisch möglich und zumutbar sein muss. Da an der weiteren Verbreitung derartiger Informationen i.d.R. keine anerkennenswerten Interessen bestehen, können von dem Host-Provider auch erhebliche Anstrengungen verlangt werden. Dies gilt jedenfalls, soweit die Informationen Rechte Dritter schwerwiegend beeinträchtigen. Können die unzulässigen Informationen auch weiterhin über andere Netzverbindungen oder Anbieter abgerufen werden, ist dies bei der Bestimmung des Zumutbaren zu berücksichtigen1065. Wer in einem Internet-Blog eine falsche Tatsachenbehauptung aufstellt, hat sie nicht nur auf der Ursprungsseite zu berichtigen oder zu löschen, sondern er hat sie auch auf anderen Internetdiensten zu löschen oder auf die Löschung dort hinzuwirken1066. Der Verletzer muss also die virale Verbreitung verhindern. Tendenziell fällt darunter auch die Löschung von Suchmaschineneinträgen oder Links, die auf die Verletzung hinweisen. Doch kann das Herausfiltern einer Datei aus mehr als 40.000 Software-Paketen als unzumutbar angesehen werden, wenn die Datei auch weiterhin von dem gespiegelten QuellServer des Ursprungsanbieters abgerufen werden kann1067. Die Sperrung ganzer Dienste dürfte allenfalls in Ausnahmefällen als ultima ratio in Betracht kommen, da nach dem Erwägungsgrund Nr. 46 ECRL auch insoweit die Äußerungsfreiheit zu beachten ist1068. In einem urheberrechtlichen Fall hat der BGH die Sperre einer Angebotsseite für möglich erachtet, aber konkret aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit verneint1069. Nach § 8 TMG sind Diensteanbieter für fremde Informationen, die sie in einem Kommuni- 244 kationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich. Dies gilt – wie auch sonst bei den Haftungsprivilegien – nur, wenn sich der Anbieter auf die vorgenannte Tätigkeit beschränkt, also passiv bleibt. Hat der Diensteanbieter die Übermittlung der Informationen veranlasst, den Adressaten oder die übermittelten Informationen ausgewählt oder diese verändert, entfällt die Privilegierung. Der Diensteanbieter kann dann wie für eigene Informationen als Täter haften. Dies gilt jedoch nur bei einer bewussten individuellen Handlung (vgl. Erwägungsgrund Nr. 43 ECRL). Grund der Privilegierung ist die Annahme, dass es sich bei der Tätigkeit des Diensteanbieters um einen rein technischen und passiven Vorgang handelt, der i.d.R. automatisiert erfolgt. In diesem Fall hat der Anbieter weder Kenntnis noch eine Einwirkungsmöglichkeit auf Art und Inhalt der
1064 BGH v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 = CR 2013, 459 = MDR 2013, 710 = ITRB 2013, 150 = AfP 2013, 260 – Autocomplete; v. 19.3.2015 – I ZR 94/13, CR 2016, 817 = MDR 2015, 1253 = ITRB 2015, 279 = IPRB 2015, 276 = ZUM 2015, 893 – Hotelbewertungsportal m. Anm. Szalai. 1065 BGH v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, CR 2015, 671 = AfP 2015, 425 = MDR 2015, 1065 = NJW 2016, 56; Peifer, NJW 2016, 23. 1066 BGH v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, BGHZ 206, 289 = CR 2015, 671 = AfP 2015, 425 = MDR 2015, 1065 = NJW 2016, 56 – Aktienrückkauf m. Anm. Peifer, NJW 2016, 23. 1067 OLG München v. 3.2.2000 – 6 U 5475/99, AfP 2000, 598 = CR 2000, 541. 1068 Vgl. EuGH v. 15.9.2016 – Rs. C-484/14, CR 2016, 678 m. Anm. Franz/Sakowski = ITRB 2016, 219 = NJW 2016, 3503 Rz. 72, 80 – McFadden/Sony Music. 1069 BGH v. 26.11.2015 – I ZR 174/14, BGHZ 208, 82 = CR 2016, 198 m. Anm. Kremer/Telle = CR 2016, 408 m. Anm. Neidinger = MDR 2016, 338 = ITRB 2016, 74 = NJW 2016, 794 – Goldesel.
Burkhardt/Peifer 821
Kap. 10 Rz. 245
Sonderfragen
Informationen. Seine Tätigkeit entspricht jener eines Postboten, der anerkanntermaßen ebenso wenig für den Inhalt beförderter Post haftet. Richtigerweise hat daher das LG München I1070 das Urteil des AG München1071 gegen den Geschäftsführer der Compuserve Deutschland GmbH aufgehoben, die damals reiner Access-Provider war. Die automatische kurzzeitige Zwischenspeicherung zum Zwecke der Übermittlung oder Zugangsvermittlung ist von der Privilegierung mit umfasst, soweit die Informationen nicht länger gespeichert werden als für die Übermittlung üblicherweise erforderlich (§ 8 Abs. 2 TMG). Um ein kollusives Zusammenwirken zwischen Diensteanbieter und Nutzer zu verhindern, entfällt die Privilegierung, wenn diese absichtlich zusammenarbeiten, um rechtswidrige Handlungen zu begehen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 TMG). Allerdings kommt ein Unterlassungsanspruch des AccessProviders nach Kenntnisgabe einer konkreten Rechtsverletzung in Betracht1072. 245
§ 9 TMG privilegiert das sog. Caching, d.h. die nicht nur kurzzeitige, jedoch zeitlich begrenzte, von der individuellen Informationsvermittlung unabhängige Zwischenspeicherung. Die Verantwortlichkeit ist nur ausgeschlossen, wenn die Katalogvoraussetzungen der Nr. 1–3 erfüllt sind. Auch hier gelten im Wesentlichen die auf technische und passive Tätigkeiten zielenden Voraussetzungen, die auch für Access-Provider Anwendung finden (Rz. 244).
245a
Passivilegitimiert ist inbesondere derjenige, der die beanstandete Information öffentlich zugänglich macht. Dies ist i.d.R. der Inhaber der Domain1073. Zum Nachweis der Passivlegitimation genügt die Auskunft der domainverwaltenden Organisation (z.B. DENIC) oder des jeweiligen (technischen) Internet-Providers1074. Ferner kommen alle weiteren Behauptenden und Verbreiter in Betracht (vgl. Kap. 4 Rz. 95 ff., Kap. 10 Rz. 207 ff., Kap. 12 Rz. 42 ff.).
246
Will sich ein Diensteanbieter auf die Verantwortlichkeitsprivilegierung nach §§ 8–10 TMG berufen, trägt er für deren tatsächliche Voraussetzungen die Beweislast. Da die fehlende Kenntnis als negative innere Tatsache schwer zu beweisen ist, wird in der Praxis häufig auf Indizien, wie etwa Ablaufpläne und Logfiles, abzustellen sein. Um Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen nicht ad absurdum zu führen, sollten insoweit an die Beweisführung keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden.
247
Für deliktische Ansprüche kommt innerhalb der Europäischen Union der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gem. Art. 7 Nr. 2 der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, auch Brüssel-Ia-Verordnung) vom
1070 LG München I v. 17.11.1999 – 20 Ns 465 Js 173158/95, CR 2000, 117 m. Anm. Moritz = NJW 2000, 1051. 1071 AG München v. 28.5.1998 – 8340 Ds 465 Js 173158/95, CR 1998, 500 m. Anm. Moritz = CR 1998, 624 m. Anm. Frhr. von Gravenreuth = NJW 1998, 2836. 1072 So für den Betreiber eines W-LAN-Netzes: EuGH v. 15.9.2016 – Rs. C-484/14, CR 2016, 678 m. Anm. Franz/Sakowski = ITRB 2016, 219 = NJW 2016, 3503 Rz. 72, 80 – McFadden/Sony Music; BGH v. 26.11.2015 – I ZR 174/14, BGHZ 208, 82 = CR 2016, 198 m. Anm. Kremer/Telle = CR 2016, 408 m. Anm. Neidinger = MDR 2016, 338 = ITRB 2016, 74 = NJW 2016, 794 – Goldesel. 1073 OLG Jena v. 16.8.2000 – 3 W 486/00, ITRB 2001, 54 = AfP 2001, 78; OLG Köln v. 28.5.2002 – 15 U 221/01, CR 2002, 678 m. Anm. Eckhardt = ITRB 2002, 257 = NJW-RR 2002, 1700. 1074 OLG Jena v. 16.8.2000 – 3 W 486/00, ITRB 2001, 54 = AfP 2001, 78.
822
Burkhardt/Peifer
XIII. Verantwortlichkeit für Telemediendienste
Rz. 247 Kap. 10
12.12.20121075 in Betracht1076. Sie regelt die internationale Gerichtszuständigkeit in Fällen, in denen der Beklagte seinen Wohn- oder Geschäftssitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat. Liegt dieser Sitz in der Schweiz, Island oder Norwegen, gilt Art. 5 Nr. 3 des inhaltlich gleichlautenden Lugano-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen1077. Im Übrigen gelten die doppelfunktional anwendbaren Vorschriften der deutschen ZPO auch für die internationale Zuständigkeit, mithin ist die Gerichtszuständigkeit nach §§ 12, 32 ZPO zu bestimmen1078. In allen Fällen kann am Sitz der Beklagten, aber auch am Ort der unerlaubten Handlung (Tatort) geklagt werden. Darunter fallen Persönlichkeitsrechtsverletzungen1079, und zwar sowohl im Rahmen der negatorischen als auch der Geldersatzhaftung, einschließlich der vorbeugenden Unterlassungshaftung1080. Ort der unerlaubten Handlung ist überall dort, wo die Information bestimmungsgemäß abrufbar ist oder war, sofern der Kläger dort auch den Mittelpunkt seiner Interessen hat1081. Das muss nicht der Staat des ständigen Aufenthalts sein, auch ein ausländischer Geschäftssitz des Klägers kommt in Betracht1082. Die Regel gilt unabhängig davon, wo sich der Server befindet, von dem die Informationen abgerufen werden können1083. Sie führt allerdings nicht mehr zu einer weltweiten Gerichtszuständigkeit an jedem Abrufort1084. Auch Informationen in einer fremden Sprache können sich bestimmungsgemäß an deutsche Internetnutzer richten, wenn dafür inhaltliche Anknüpfungspunkte vorhanden sind. Davon ging z.B. der BGH1085 bei einem englischsprachigen Artikel aus, der auf einem australischen Server zum Abruf bereitgehalten wurde. Daher kann der Anbieter der Information das Verbreitungsgebiet auch etwa durch die Auswahl der Sprache einschränken1086. Für die Schadensersatzhaftung kann das nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO grundsätzlich zuständige Gericht Schadensersatz nur zuerkennen, wenn der Kläger den Mittelpunkt seiner Interessen
1075 ABl. EU Nr. L 351, S. 1/ABl. EU 2016 Nr. L 264, S. 43; bis 10.1.2015: Art. 5 Nr. 3 VO 44/2001, sog. Brüssel-I-VO, Fälle bis 1.3.2002: Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ. 1076 EuGH v. 25.10.2011 – Rs. C-509/09, IPRB 2011, 269 u. C-161/10, NJW 2012, 137 – eDate Advertising/rainbow.at; BGH v. 8.5.2012 – VI ZR 217/08, CR 2012, 525 = MDR 2012, 764 = AfP 2012, 372 Rz. 12 – rainbow.at II. 1077 LugÜ v. 2007, ABl. EU Nr. L 339, S. 3; BGH v. 25.10.2016 – VI ZR 678/15, BGHZ 212, 318 = AfP 2017, 45 Rz. 16 – www.srf.ch. 1078 BGH v. 2.3.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = MDR 2010, 744 = CR 2010, 383 = ITRB 2010, 152 = AfP 2010, 167, Rz. 7 – New York Times. 1079 EuGH v. 25.10.2011 – Rs. C-509/09, C-161/10, AfP 2011, 565 Rz. 42 – eDate Advertising; v. 7.3.1995 – Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881 Rz. 23 – Shevill. 1080 BGH v. 25.10.2016 – VI ZR 678/15, BGHZ 212, 318 = AfP 2017, 45 Rz. 17 – www.srf.ch. 1081 BGH v. 25.10.2016 – VI ZR 678/15, BGHZ 212, 318 = AfP 2017, 45 Rz. 18 – www.srf.ch; LG Berlin v. 24.5.2012 – 27 O 864/11, CR 2012, 752 = AfP 2012, 486; LG Frankfurt/M. v. 9.2.2017 – 2-03 S 16/16, ZD 2017, 391 Rz. 27. 1082 EuGH v. 25.10.2011 – Rs. C-509/09, C-161/10, AfP 2011, 565 Rz. 48 f. – eDate-Advertising. 1083 BGH v. 12.12.2000 – 1 StR 184/00, CR 2001, 260 m. Anm. Vassilaki = ITRB 2001, 79 = NJW 2001, 624 – Auschwitzlüge im Internet; LG Düsseldorf v. 4.4.1997 – 34 O 191/96, CR 1998, 165; krit. Vec, NJW 2002, 1535. 1084 So noch die frühere Instanzrechtsprechung, vgl. KG v. 25.3.1997 – 5 U 659/97, NJW 1997, 3321. 1085 BGH v. 12.12.2000 – 1 StR 184/00, CR 2001, 260 m. Anm. Vassilaki = ITRB 2001, 79 = NJW 2001, 624, 626 f. – Auschwitzlüge im Internet. 1086 Vgl. BGH v. 13.10.2004 – I ZR 163/02, MDR 2005, 1005 = AfP 2005, 300 = CR 2005, 359 m. Anm. Junker = ITRB 2005, 134 = NJW 2005, 1435 – Hotel Maritime; v. 30.3.2006 – I ZR 24/03, AfP 2007, 177 = CR 2006, 539 = MDR 2006, 941 = ITRB 2006, 202 = NJW 2006, 2630 Rz. 22.
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Kap. 10 Rz. 248
Sonderfragen
im Gerichtsstaat hat1087. Sofern deutsche Gerichte zuständig sind, ist auf den Fall nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB deutsches Recht anzuwenden1088. Auch danach kommt es auf den Ort der unerlaubten Handlung im Sinne des Erfolgsorts, also den Ort an, an dem in das geschützte Interesse eingegriffen wurde1089. Diese Grundsätze gelten auch für die Klagen juristischer Personen, wenn in deren Reputationsinteressen eingegriffen wird1090. 3. Verantwortlichkeit für Links und Suchmaschinen 248
Durch (Hyper-)Links können Inhalte im Internet miteinander verbunden werden. Soweit die Inhalte innerhalb eines Angebots erfolgen, wirken sie wie Verweisungen innerhalb eines Dokuments; sofern sie auf externe Seiten führen, stellt sich die Frage, ob in der Bereithaltung einer Verlinkung bereits eine Verbreitung liegt. Diese Frage stellt sich auch, wenn die Verlinkung für den Internetdienstenutzer nicht erkennbar ist, weil der fremde Inhalt in das eigene Angebot eingebettet ist (Framing) oder bei Anklicken der Inhalt so wiedergegeben wird, dass er als eigenes Angebot wahrgenommen wird (Hotlink). Keine Verbreitung liegt allerdings vor, wenn jemand in verbaler Form einer Äußerung durch ein „Liking“ in sozialen Netzwerken gutheißt. Das entspricht der Situation, dass jemand einer Äußerung bloß zustimmt, ohne sie zu wiederholen1091. Keine Verbreitung hat das OLG Frankfurt annehmen wollen, wenn ein Beitrag durch die technische Funktion des „Teilens“ in sozialen Medien verlinkt wird1092. In der E-Commerce-Richtlinie ist die Verantwortlichkeit für das Bereithalten von Hyperlinks ebenso wenig geregelt wie die Verantwortung von Suchmaschinenbetreibern, die Ergebnisse von Suchanfragen typischerweise durch Textausschnitte mit Verlinkungsmöglichkeiten anzeigen. Art. 21 Abs. 2 ECRL verlangt insoweit einen Bericht der EU-Kommission gegenüber dem Europäischen Parlament1093, der bisher zu keinen Rechtsänderungen geführt hat. Ursprünglich wurde versucht, die Haftung für Links in das Verantwortlichkeitsschema des Telemedienrechts einzuordnen. Hierzu wurde die Auffassung vertreten, bei Hyperlinks handele es sich grundsätzlich um Zugangsvermittlung. Daher sei grundsätzlich § 5 Abs. 3 TDG a.F./ MDStV a.F. anwendbar1094 oder jedenfalls analog anzuwenden1095. Beide Auffassungen haben sich zu Recht nicht durchzusetzen vermocht. Das TMG enthält nämlich keine eigenen Haftungsnormen, sondern allenfalls Filter, die eine nach anderen Vorschriften bestehende Haftung begrenzen. Suchmaschinenbetreiber sind daher auch keine Accessprovider1096.
1087 BGH v. 25.10.2016 – VI ZR 678/15, BGHZ 212, 318 = AfP 2017, 45 Rz. 16 – www.srf.ch; EuGH v. 7.3.1995 – Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881 – Shevill. 1088 BGH v. 8.5.2012 – VI ZR 217/08, CR 2012, 525 = MDR 2012, 764 = AfP 2012, 372 Rz. 23 – rainbow.at II. 1089 BGH v. 8.5.2012 – VI ZR 217/08, CR 2012, 525 = MDR 2012, 764 = AfP 2012, 372 Rz. 31g – rainbow.at II. 1090 EuGH v. 17.10.2017 – Rs. C-194/16, AfP 2017, 491 m. Anm. Mann = NJW 2017, 3433 – Bolagsupplysningen OÜ ua/Svensk Handel AB. 1091 OLG Köln v. 21.6.2016 – 15 W 32/16, AfP 2016, 358 = GRUR-RR 2017, 39; LG Köln v. 10.5.2016 – 28 = 126/16, LG Köln v. 10.5.2016 – 28 O 126/16, AfP 2016, 280 m. Anm. Schoene, GRUR-Prax. 2016, 286. 1092 OLG Frankfurt v. 26.11.2015 – 16 U 64/15, CR 2016, 326 = ITRB 2016, 102 = MMR 2016, 489; vgl. auch OLG Dresden v. 7.2.2017 – 4 U 1419/16, CR 2017, 323 = ITRB 2017, 102 = AfP 2017, 257. 1093 Vgl. Erster Bericht, KOM [2003] 702 endg.; Koch, CR 2004, 213. 1094 Vgl. Koch, CR 1997, 193, 200 ff. 1095 Vgl. Waldenberger, MMR 1998, 124, 128; a.A. Spindler, NJW 2002, 921. 1096 LG Frankfurt/M. v. 9.2.2017 – 2-03 S 16/16, ZD 2017, 391 Rz. 55.
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XIII. Verantwortlichkeit für Telemediendienste
Rz. 249 Kap. 10
Für Suchmaschinen und Links gelten daher die allgemeinen Regeln der Verbreiterhaftung. 249 (vgl. Kap. 4 Rz. 95 ff., Kap. 10 Rz. 207 ff.). Macht sich der Linksetzer die angezeigte Information zu Eigen, so haftet er wie für eigene Informationen1097. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aus der Sicht des objektiven Durchschnittsnutzers1098. Eine fremde Information liegt vor, wenn ein Zueigenmachen nicht festgestellt werden kann. Dazu sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen1099. Die Auffassung des LG Hamburg1100, wonach, wer einen Link setzt, sich den verlinkten Inhalt stets zu Eigen macht, ist als überholt abzulehnen. Unzutreffend ist auch die Annahme einer Internet-Verkehrssicherungspflicht1101, denn sie würde übersehen, dass die Tätigkeit von Suchmaschinenbetreibern und das Linking viele Informationen für den Nutzer erst zugänglich macht, also jedenfalls die Informationsfreiheit stärkt1102. Das OLG Karlsruhe hat dementsprechend die Vollsperrung einer Domain im Suchindex eines Suchmaschinenbetreibers, nachdem unter dieser Domain schon mehrere Persönlichkeitsrechtsverletzungen aufgetreten waren, abgelehnt1103. Das Internet ist nicht grundsätzlich eine besondere Gefahrenquelle, die eine Verkehrssicherungspflicht für jedes Bereithalten rechtfertigt1104. Nach Auffassung des OLG Köln setzt bei Suchmaschinenbetreibern eine reaktive Prüf- und Sperrpflicht bei Kenntnis von einem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung ein, da Suchmaschinenbetreiber sonst ihr von der Rechtsordnung grundsätzlich gebilligtes und für die Nutzung des Internets wesentliches Geschäftsmodell nicht ohne weiteres betreiben könnten1105. Richtigerweise kommt es auf die Gesamtaussage an, in die der Link eingebettet ist, ihren Zweck und die konkrete Präsentation1106. Wird ein Link bewusst gesetzt, um auf konkrete fremde Informationen zu verweisen, die das eigene Angebot z.B. ergänzen, macht sich der Verlinkende diese zu Eigen, soweit keine ernsthafte Distanzierung erfolgt1107. Eine solche eigene Verbreitung kann auch in dem Einsatz einer Suchergänzungsfunktion liegen, denn hierdurch verlässt der Suchmaschinenbetreiber die passive technische Rolle, indem er – sei es auch durch selbstlernende Algorithmen – in die Aufbereitung von Inhalten gestaltend eingreift1108. Das Verlinken auf rechtmäßige Inhalte kann daher ausnahmsweise rechtswidrig sein, wenn durch die Suchanzeige nicht offensichtlich wird, dass ein Archivinhalt seine Aktualität verloren hat und dadurch den Eindruck einer aktuellen, rechtsverlet-
1097 BGH v. 18.10.2007 – I ZR 102/05, AfP 2008, 182 = MDR 2008, 699 = CR 2008, 386 = GRUR 2008, 534 Rz. 20 – ueber18.de. 1098 BGH v. 18.6.2015 – I ZR 74/14, BGHZ 206, 103 = MDR 2016, 223 = CR 2016, 170 = ITRB 2016, 51 = AfP 2016, 45 Rz. 13 – Haftung für Hyperlink. 1099 OLG Schleswig v. 19.12.2000 – 6 U 51/00, AfP 2001, 256 = CR 2001, 465 = MMR 2001, 399. 1100 LG Hamburg v. 12.5.1998 – 312 O 85–98, NJW 1998, 3650. 1101 So aber OLG München v. 15.3.2002 – 21 U 1914/02, AfP 2003, 70 = CR 2002, 847 = NJW-RR 2002, 1048. 1102 Vgl. Breyer, MMR 2009, 14. 1103 OLG Karlsruhe v. 14.12.2016 – 6 U 2/15, CR 2017, 261 = ITRB 2017, 54 = MMR 2017, 487. 1104 AG Berlin-Tiergarten v. 30.6.1997 – 260 DS 857/96, CR 1998, 111; Dippelhofer, JurPC WebDok. 304/2002, Abs. 19. 1105 OLG Köln v. 13.10.2016 – I-15 U 189/15. 1106 LG Hamburg v. 13.8.2010 – 324 O 145/08. 1107 BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 218 = AfP 2012, 50 = CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = GRUR 2012, 311 Rz. 20 – Blog-Eintrag. 1108 BGH v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 = AfP 2013, 260 = CR 2013, 459 = MDR 2013, 710 = ITRB 2013, 150 = NJW 2013, 2348 – Autocomplete; OLG Hamburg v. 7.11.2014 – 324 O 660/12, NJW 2015, 796, 800; i.E. auch EuGH v. 13.5.2014 – Rs. C-131/12, AfP 2014, 245 = CR 2014, 460 = ITRB 2014, 150 = IPRB 2014, 171 = NJW 2014, 2257 – Google Spain u. Google.
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Kap. 10 Rz. 249
Sonderfragen
zenden Äußerung erweckt1109. Auch das Verlinken auf rechtswidrige Inhalte ist nicht per se rechtsverletzend, jedenfalls in Fällen, in denen die Tätigkeit des Linksetzers journalistischredaktioneller Natur ist1110. Im Urheberrecht hat der EuGH allerdings im erwiesenermaßen bewussten Verlinken auf rechtsverletzende Inhalte eine täterschaftliche Wiedergabehandlung gesehen1111. Zu Unklarheiten hat die vom EuGH gleichfalls geäußerte Sichtweise geführt, dass, wer Hyperlinks mit Gewinnerzielungsabsicht setzt, „Nachprüfungen vornehmen muss, um sich zu vergewissern, dass das betroffene Werk auf der Website, zu der die Hyperlinks führen, nicht unbefugt veröffentlicht wurde, so dass zu vermuten ist, dass ein solches Setzen von Hyperlinks in voller Kenntnis der Geschütztheit des Werkes und der etwaig fehlenden Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber“ vorgenommen wurde1112. Das LG Hamburg hat die danach relevante Gewinnerzielungsabsicht sogar bejaht, wenn die Internetseite selbst, nicht aber der Link, der Gewinnerzielung dient, etwa weil dort Werbung geschaltet ist1113. Daraus wird zum Teil geschlossen, die kommerzielle Verlinkung führe zu allgemeine Prüfpflichten1114. Das würde allerdings meist zu unzumutbaren Prüfpflichten bereits beim Setzen des Links führen1115. Sinnvoller erscheint es dagegen, Prüfpflichten frühestens dann anzunehmen, wenn es einen konkreten Hinweis darauf gibt, dass die Seite, auf die verlinkt wird, rechtsverletzende Inhalte enthält1116. Für das Äußerungsrecht ist die EuGH-Entscheidung ohnehin nicht ohne weiteres maßgeblich, denn nicht jede Verbreitung ist täterschaftliche Handlung; zudem ist nach der Entscheidung des BGH im Fall „AnyDVD“ jedenfalls die Verlinkung im Rahmen der journalistischen Berichtstätigkeit privilegiert1117. Prüfpflichten können also auch dazu führen, dass das Berichtsinteresse selbst bei der Verweisung auf rechtswidrige Inhalte überwiegt. Die durch Kenntnisgabe einer konkreten Rechtsverletzung ausgelösten Prüfpflichten erfordern eine summarische Abwägung zwischen Berichtsinteresse und möglicher Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung; je schwerer die drohende Einbuße ist, desto größer muss das Berichtsinteresse sein1118. Auch dann ist eine Distanzierung noch möglich, allerdings nicht
1109 EuGH v. 13.5.2014 – Rs. C-131/12, AfP 2014, 245 = CR 2014, 460 = ITRB 2014, 150 = IPRB 2014, 171 = NJW 2014, 2257 – Google Spain u. Google. 1110 BGH v. 14.10.2010 – I ZR 191/08, BGHZ 187, 240 = CR 2011, 467 m. Anm. Arlt = CR 2011, 401 = MDR 2011, 618 = ITRB 2011, 124 = AfP 2011, 249 Rz. 24 – AnyDVD m. Anm. Hoeren, GRUR 2011, 503; a.A. die Vorinstanz OLG München v. 23.10.2008 – 29 U 5696/07, CR 2009, 33 = CR 2009, 105 m. Anm. Feldmann = GRUR-RR 2009, 85. 1111 EuGH v. 8.9.2016 – Rs. C-160/15, CR 2017, 43 = IPRB 2016, 267 = ITRB 2017, 28 = AfP 2017, 38 Rz. 49 – FS Media BV/Sanoma Media. 1112 EuGH v. 8.9.2016 – Rs. C-160/15, CR 2017, 43 = IPRB 2016, 267 = ITRB 2017, 28 = AfP 2017, 38 Rz. 51 – FS Media BV/Sanoma Media. 1113 LG Hamburg v. 18.11.2016 – 310 O 402/16, CR 2017, 46 = ITRB 2017, 38 = IPRB 2017, 57 = MMR 2017, 355 m. Anm. Fricke/Gerecke, AfP 2017, 25. 1114 Vgl. krit. auch zum Framing in diesem Zusammenhang Spindler, GRUR 2016, 157. 1115 Dagegen zu Recht OLG Hamburg v. 13.11.2009 – 7 W 125/09, MDR 2010, 85 = IPRB 2010, 104 = ITRB 2010, 78 = MMR 2010, 141. 1116 So im UWG BGH v. 18.6.2015 – I ZR 74/14, AfP 2016, 45 = MDR 2016, 223 = CR 2016, 170 = ITRB 2016, 51 = GRUR 2016, 209; OLG Karlsruhe v. 14.12.2016 – 6 U 2/15, CR 2017, 261 = ITRB 2017, 54 = MMR 2017, 487; LG Hamburg v. 18.5.2012 – 324 O 596/11, MMR 2012, 554. 1117 BGH v. 14.10.2010 – I ZR 191/08, BGHZ 187, 240 = CR 2011, 467 m. Anm. Arlt = CR 2011, 401 = MDR 2011, 618 = ITRB 2011, 124 = AfP 2011, 249 Rz. 24 – AnyDVD. 1118 OLG Hamburg v. 7.11.2014 – 324 O 660/12, NJW 2015, 796, 800.
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XIII. Verantwortlichkeit für Telemediendienste
Rz. 252 Kap. 10
in allgemeiner Form1119. Doch es kann genügen, wenn die verlinkten Informationen als Markt der Meinungen aufgefasst werden können1120. 4. Herkunftslandprinzip Das TMG setzt die Richtlinie 2000/31/EG (E-Commerce-Richtlinie) um1121. Deren Zweck 250 liegt darin, Leistungen grenzüberschreitend frei fließen zu lassen. Dazu gehören die (auch) als Dienstleistungen anzusehenden Mediendienste1122. Grundsätzlich sollen die solche Dienste betreffenden Vorschriften nur den Regelungen in ihrem Ursprungs- bzw. Herkunftsstaat unterliegen. Dies kann allerdings nicht zu einer vollständigen Immunisierung gegenüber Regelungsinteressen der Mitgliedstaaten führen, insbesondere wenn deren Kompetenzordnung betroffen und der Grundrechtsschutz ihrer Bürger zu wahren ist. Die E-Commerce-Richtlinie betrifft – wie ihr Titel schon zum Ausdruck bringt – den freien grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, aber nicht die Gestaltung der Medienordnung. In diesem Bereich ist die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (2010/13/EU) vorrangig. Ausgenommen sind Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten (Art. 1 Abs. 5 lit. b ECRL). Damit besteht jedenfalls Raum, die deliktischen und strafrechtlichen Vorschriften über den Persönlichkeitsschutz dem Schutzniveau des jeweils anwendbaren mitgliedstaatlichen Rechts zu unterstellen. Nur so wird auch vermieden, dass über massenhafte Verbreitungen Schutzpflichten, die aus der Verfassung folgen, vernachlässigt werden. Nach dem Herkunftslandprinzip unterliegen Diensteanbieter allein dem nationalen Recht des 251 EU-Mitgliedstaates, in dem sie niedergelassen sind. In Deutschland niedergelassene Diensteanbieter und deren Tele- bzw. Mediendienste unterliegen insoweit den Anforderungen des deutschen Rechts auch dann, wenn die Dienste in einem anderen EU-Mitgliedstaat angeboten oder erbracht werden. Der Maßstab des deutschen Rechts ist auch anzulegen, wenn das Recht des anderen Mitgliedsstaates für den Diensteanbieter günstigere Regelungen enthält. Dies gilt für den gesamten rechtlichen Rahmen der Tätigkeit vom Zivilrecht über das Strafrecht bis zum öffentlichen Recht. Äußerungsrechtliche Ansprüche sind insoweit allein nach deutschem Recht zu beurteilen. Für Anbieter, die in einem anderen EU-Staat niedergelassen sind, kommt es zunächst darauf 252 an, ob Deutschland als Empfängerstaat höhere Anforderungen an die Tätigkeit stellt als das Herkunftsland des Diensteanbieters. Insoweit gilt der Günstigkeitsgrundsatz. Das könnte dazu führen, dass Verbreitungshandlungen über elektronische Diensteanbieter in Deutschland äußerungsrechtlich nicht verfolgt werden könnten, wenn sie über einen ausländischen Dienst angeboten würden. Soweit die Verbreitung datenschutzrechtliche Vorschriften betrifft, setzt sich das Günstigkeitsprinzip allerdings nicht durch (Art. 1 Abs. 5 lit. b ECRL, vgl. Rz. 250). Da das Datenschutzrecht aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts den Persönlichkeitsrechtsschutz konkretisiert, es andererseits eine EU-Kompetenz im Bereich des Persönlich-
1119 „Wir haften nicht für Inhalte, auf die verlinkt wird“. 1120 Vgl. BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198, 1200 – Panorama; vgl. auch LG Berlin v. 17.3.1998 – 27 O 686/97, NJW-RR 1998, 1634. 1121 Vgl. Begr. zum RegE des TDG 1997, BT-Drucks. 14/6098, 11. 1122 EuGH v. 30.4.1974 – Rs. 155/73, EuGHE 1974, 409 Rz. 6 – Sacchi; v. 18.3.1980 – Rs. 52/79, EuGHE 1980, 833 Rz. 8 – Debauve; v. 29.11.2001 – Rs. C-17/00, EuGHE 2001, I-9445 Rz. 28 – De Coster.
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Kap. 10 Rz. 253
Sonderfragen
keitsschutzes nicht gibt, fehlt eine Rechtfertigung für das Günstigkeitsprinzip in diesem Bereich. Das Herkunftslandprinzip greift daher nicht1123. 253
Das Herkunftslandprinzip nach § 3 Abs. 1 TMG gilt nur für geschäftsmäßige Angebote. Eine Gewinnerzielungsabsicht ist jedoch nicht erforderlich1124. Von dem Herkunftslandprinzip ausgenommen sind die explizit in Abs. 3–5 genannten Bereiche, z.B. die Tätigkeit von Notaren.
254
Mittlerweile geklärt ist das Verhältnis des Herkunftslandprinzips zum Internationalen Privatrecht1125. § 3 TMG enthält keine Kollisionsnorm, sondern ein sachrechtliches Beschränkungsverbot1126. Das auf ausländische Anbieter anzuwendende materielle Recht wird also nach den international-privatrechtlichen Regeln ermittelt1127, das Anwendungsergebnis muss sich allerdings dem Günstigkeitsvergleich stellen. Sofern der ausländische, in der EU niedergelassene Anbieter danach schärferen Regelen als in seinem Niederlassungsstaat unterworfen wird, ist die Anwendung des auf Grund Kollisionsrechts gefundenden Ergebnissen anzupassen.
XIV. Haftung für Druck- und sonstige Fehler Schrifttum: Bund, Das Äußerungsrisiko des Wissenschaftlers, FS von Caemmerer, 1978, S. 313; Röhl, Fehler in Druckwerken, JZ 1979, 369; Elisabeth Lang, Die Haftung für Fehler in Druckwerken, 1982; von Hertzberg, Die Haftung von Börseninformationsdiensten, 1987; Ricker/Müller-Malm, Auswirkungen des zukünftigen Produkthaftungsgesetzes für Presseverlage, AfP 1989, 505; Foerste, Die Produkthaftung für Druckwerke, NJW 1991, 1433; Cahn, Produkthaftung für verkörperte geistige Leistungen, NJW 1996, 2899; A. Meyer, Die Haftung für fehlerhafte Aussagen in wissenschaftlichen Werken, ZUM 1997, 26; Gruber, Montagefehler und fehlerhafte Montageanleitung im neuen Kaufrecht, VuR 2002, 120; Westermann, Das neue Kaufrecht, NJW 2002, 241; Zimmermann, Sachverständigenhaftung für Mangelfolgeschäden einer falsch durchgeführten Begutachtung- Teil I: Vertragliche Haftung gegenüber dem Auftraggeber, DS 2007, 286; Martin, Technische Regelwerke und Haftung des Herausgebers – Haftet der Herausgeber für die inhaltlichen Aussagen eines tecnischen Regelwerks?, DS 2008, 176; Ingendaay, Zur Verbreiterhaftung des Buchhandels – Unterlassungspflicht des Buchhändlers bei der Verbreitung urheberrechtsverletzender Inhalte – Täter oder Störer?, AfP 2011, 126; Amort, Haftung und Regulierung von Ratingagenturen – Ansätze einer Krisenprävention, EuR 2013, 272; Laumen, Beweisführungs- und Beweislastprobleme bei der zivilrechtlichen Haftung von Steuerberatern, DStR 2015, 2514; Spindler, Verträge über digitale Inhalte – Haftung, Gewährleistung und Portabilität, MMR 2016, 219.
1. Anleitungen und Auskünfte 255
Haftungsprobleme können sich nicht nur dadurch ergeben, dass Äußerungen in die geschützte Sphäre eines Dritten eingreifen, sondern auch dadurch, dass der Rezipient sich auf eine fehlerhafte Darstellung verlässt, wie das insbesondere bei Anleitungen, aber auch bei Auskünften vorkommt. Ist die Anleitung falsch, kann das ein Fehlverhalten verursachen, das
1123 Peifer, AfP 2018, Heft 1, unter IV. 7.; a.A. KG v. 24.3.2006 – 9 U 126/05, AfP 2006, 259. 1124 Spindler, NJW 2002, 921, 925. 1125 Vgl. zum früheren Streit Spindler, NJW 2002, 921, 925 m.w.N.; Tettenborn/Bender/Lübben/Karenfort, BB 2002, Beilage 10 zu Heft 50. 1126 BGH v. 8.5.2012 – VI ZR 217/08, CR 2012, 525 = MDR 2012, 764 = AfP 2012, 372 – rainbow.at II; OLG Hamburg v. 24.7.2007 – 7 U 98/06, ZUM 2008, 63. 1127 Ungenau KG v. 24.3.2006 – 9 U 126/05, AfP 2006, 259.
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Burkhardt/Peifer
XIV. Haftung für Druck- und sonstige Fehler
Rz. 258 Kap. 10
einen Schaden zur Folge hat1128. Wie solche Fälle zu behandeln sind, ist in den Einzelheiten umstritten. 2. Haftung nach Kaufvertragsregeln Die Vertragshaftung nicht für den körperlichen Zustand von Druckwerken, sondern für ihren 256 Inhalt wird spätestens seit der Entscheidung RG v. 20.6.1935 – VI 591/34, RGZ 148, 154 diskutiert. Darin hat das Reichsgericht die Frage behandelt, ob dem Abonnenten einer Zeitung (bzw. dessen Erbin) ein vertraglicher Ersatzanspruch wegen einer ihn betreffenden Falschbehauptung zustehen kann, die zumindest möglicherweise (mit)ursächlich für eine Gallenblasen- und Bauchfellentzündung mit anschließendem Ableben gewesen ist. Das Reichsgericht hat die Auffassung vertreten, ein Abonnementvertrag sei kein Dienst-, sondern ein Kaufvertrag. Die Vertragspflichten des Verlegers erschöpften sich in der regelmäßigen Lieferung der Zeitung von bestimmter Eigenart. Nicht aber sichere der Verleger dem Bezieher stillschweigend zu, die künftig erscheinenden Nummern würden nur zutreffende Nachrichten enthalten. Ebenso wenig übernehme der Verleger die Gewähr, dass die ihm über seine Bezieher zugehenden Meldungen in ganz besonderer Weise auf ihre Richtigkeit überprüft würden1129. Nach altem Kaufrecht konnte man zum gegenteiligen Ergebnis, abgesehen von einer selbstän- 257 digen Garantieabrede, nur gelangen, wenn der Verkäufer Fehlerfreiheit i.S.d. § 459 Abs. 2 BGB a.F. zugesichert hat. Davon ist der BGH im Fall „Nottestamentenmappe“ ausgegangen1130. Diese Mappe war dazu bestimmt, die meist rechtsunkundigen Bürgermeister speziell ländlicher Gemeinden über die bei der Beurkundung von Nottestamenten zu beachtenden Formvorschriften zu unterrichten. Der Herausgeber hatte in Anzeigen für den Direktbezug mit Angaben geworben, wonach die Nottestamentenmappe dem Bürgermeister „jede Sorge von Irrtümern und unabsehbaren Haftungskosten“ nehme und „vor der Gefahr empfindlicher Schadensersatzansprüche“ sichere. Trotz dieser Ankündigung hatte die Mappe eine fehlerhafte Angabe über die Zeugen enthalten, die bei der Errichtung eines Nottestamentes zugegen sein dürfen. Dieser Fehler war für die Nichtigkeit eines vor einem Bürgermeister errichteten Testamentes ursächlich, was die Ersatzansprüche ausgelöst hat, die durch die Benutzung der Mappe vermieden werden sollten. Angesichts dieses Sachverhaltes hat der BGH die Fehlerfreiheit als zugesicherte Eigenschaft betrachtet. Da diese Eigenschaft gefehlt hatte, sei der Herausgeber als Verkäufer nach § 463 BGB a.F. zum Ersatz des Mängelfolgeschadens verpflichtet. Entscheidend für die Beurteilung war, dass der wesentliche Inhalt der Druckschrift in der dort beschriebenen Anleitung für Bürgermeister bestand. Daraus kann man entnehmen, dass Druckschriften, die auch beschreibend, erläuternd und illustrierend sind, ohne gewissermaßen eine spezifische Gebrauchsanweisung zu enthalten, jedenfalls keine (konkludenten) Zusicherungen enthalten. Im Zuge der Neugestaltung des Kaufrechts durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz v. 258 26.11.20011131 wurde der Begriff des Sachmangels geändert. Der Sachmangelbegriff des § 434 BGB stellt seitdem nicht mehr auf Fehler (§ 459 Abs. 1 BGB a.F.) und das Fehlen zu1128 BGH v. 7.7.1970 – VI ZR 223/68, NJW 1970, 1963 – Carter-Robbins-Test; v. 14.3.1973 – VIII ZR 137/71, NJW 1973, 843 – Nottestamentenmappe; v. 8.2.1978 – VIII ZR 20/77, NJW 1978, 997 – Börseninformationsdienst; AG Buxtehude v. 31.5.2005 – 32 C 136/05, AfP 2005, 407. 1129 Vgl. BGH v. 13.10.1964 – VI ZR 130/63, NJW 1965, 36, 37. 1130 BGH v. 14.3.1973 – VIII ZR 137/71, NJW 1973, 843. 1131 BGBl. I 2001, 3138.
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Kap. 10 Rz. 258a
Sonderfragen
gesicherter Eigenschaften (§ 459 Abs. 2 BGB a.F.) ab, sondern auf die Beschaffenheit der Sache. Maßgeblich kommt es auf die vereinbarte, subjektive Beschaffenheit an. Nur soweit eine solche fehlt, kommt es auf die objektiven Umstände der Eignung zum vorausgesetzten Gebrauch und ansonsten der Eignung zur gewöhnlichen Verwendung an. Der Gesetzgeber hat bewusst auf eine Definition des Beschaffenheitsbegriffs verzichtet1132. Im Hinblick auf den Wegfall des § 463 Satz 1 BGB a.F. ist davon auszugehen, dass der Beschaffenheitsbegriff im Wesentlichen dem bisherigen Begriff der zusicherungsfähigen Eigenschaft entspricht1133. Geändert wurden auch die Rechtsfolgen bei Vorliegen eines Sachmangels. Neben den Nachbesserungsansprüchen gewährt das Kaufrecht nun ferner unabhängig von einer etwaigen Garantiezusage auch Schadensersatzansprüche. Kaufrechtliche Ansprüche können daher künftig auch bei Druckwerken eine wesentlich größere Rolle spielen als bislang. Maßgeblich wird es dabei auf den Zweck der Publikation ankommen. Zudem wird zwischen schlichten Druckfehlern, die als solche leicht erkennbar sind, und sonstigen Fehlern, die sich auf die Nutzbarkeit des Druckwerks auswirken, verstärkt zu unterscheiden sein. 258a
Ob Mängelansprüche bestehen, richtet sich zunächst nach den Vereinbarungen zwischen den Parteien über die Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB). Diese können auch konkludent und stillschweigend erfolgen sowie sich aus der Verkehrsübung und Handelsbräuchen ergeben, wie dies bereits für die Zusicherung nach altem Recht angenommen wurde1134. Während eine Eigenschaftszusicherung alter Art jedoch nur mit Zurückhaltung anzunehmen war, weil Angaben auch der schlichten Sachbeschreibung dienen konnten1135, sind an die Beschaffenheitsvereinbarung weniger strenge Anforderungen zu stellen. Im Bereich des Presse- und Verlagswesens will der Verleger, Herausgeber und Autor grundsätzlich nicht für die Freiheit von Druckfehlern einstehen1136. Gleiches gilt für Händler, z.B. Buchhändler, deren Beratung nur unter bibliographischen Gesichtspunkten erfolgt1137. Anzunehmen ist vielmehr, dass ein Verlagserzeugnis i.d.R. nur mit der Beschaffenheitsvereinbarung verkauft werden soll, dass darin auch Druckfehler enthalten sein können. Dies gilt jedenfalls für übliche Fehler, die in fast allen Schriften kaum zu vermeiden sind. Übliche Druckfehler beeinträchtigen die Beschaffenheit von Romanen, Gedichtbänden etc. nicht. Soll die Schrift einem besonderen Zweck dienen, wie etwa Formularbücher, Handlungsanweisungen etc., deren Inhalt auch ohne weitere Überprüfung in der Praxis übernommen zu werden pflegt, gehört die Eignung zu diesem Zweck zur Beschaffenheit (vgl. Rz. 257). Einen Spezialfall dieser Art regelt § 434 Abs. 2 Satz 2 BGB, der eine Haftung für fehlerhafte Montageanleitungen betrifft und daher auch zu Schadensersatzansprüchen, einschließlich Nacherfüllung durch Neumontage führen kann (§§ 437, 440, 280 BGB)1138. Dies gilt allgemein auch ohne eine besondere werbliche Herausstellung der Geeignetheit oder Fehlerfreiheit. Ist in einer solchen Schrift ein Fehler enthalten, so kann dies kaufrechtliche Haftungsansprüche auslösen (§§ 437–441 BGB). Zu fordern ist eine Beschaf1132 1133 1134 1135
BT-Drucks. 14/6040, 213. Palandt/Weidenkaff, § 434 BGB Rz. 12. BGH v. 13.12.1995 – VIII ZR 328/94, MDR 1996, 675 = NJW 1996, 836. BGH v. 28.11.1994 – VIII ZR 53/94, MDR 1995, 258 = NJW 1995, 518; v. 14.2.1996 – VIII ZR 89/95. NJW 1996, 1465. 1136 BGH v. 19.3.1957 – VI ZR 263/55, NJW 1957, 1149 m. Anm. Löffler; v. 13.10.1964 – VI ZR 130/63, NJW 1965, 36; v. 14.3.1973 – VIII ZR 137/71, NJW 1973, 843 – Nottestamentenmappe; Reichel, Börsenblatt 1961, 738; Ricker/Weberling, Kap. 45 Rz. 7 f. 1137 Röhl, JZ 1979, 369, 373. 1138 OLG München v. 9.3.2006 – 6 U 4082/05, CR 2006, 582 = MDR 2006, 1338 = einschränkend für den Fall, dass bereits montiert wurde: Palandt/Weidenkaff, § 434 BGB Rz. 51; a.A. Gruber, VuR 2002, 120.
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Burkhardt/Peifer
XIV. Haftung für Druck- und sonstige Fehler
Rz. 258d Kap. 10
fenheitsabweichung in einem Punkt, für den das Druckwerk nach seiner Beschaffenheitsvereinbarung gerade Handlungsanleitung sein will. Dies kann z.B. bei fehlerhafter Angabe einer Kündigungsfrist in einer Mietfibel der Fall sein. Versäumt der Käufer dadurch die richtige Frist, können Schadensersatzansprüche in Betracht kommen. Allerdings hat der Käufer gem. § 254 BGB alles in seiner Macht Stehende zur Schadensminderung beizutragen, etwa durch Suchen eines Nachmieters. Dagegen haftet die Verlegerin einer Reisezeitschrift nicht für eine fehlerhafte Auskunft über Visumspflichten, die Folgekosten beim Reisenden erzeugten, der eine Reise im Vertrauen auf die (fehlerhafte) Auskunft nicht antreten konnte, weil die Reisefibel keine „Gebrauchsanweisung“ für die Beantragung von Visa ist, sondern die betreffende Information nur Teil verschiedener Beschreibungen und Erläuterungen darstellt1139. Um Haftungsfolgen zu vermeiden, mag der Verkäufer eines Verlagserzeugnisses bestrebt 258b sein, eine Sachmängelhaftung durch möglichst geringe bzw. negative Beschaffenheitsangaben auszuschließen. Für eine solche Beschaffenheitsvereinbarung besteht grundsätzlich keine Grenze. Sie kann auch ohne Rücksicht auf allgemeine Qualitätsstandards und auch für Fälle, in denen eine Eignung nach § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht mehr gegeben ist, getroffen werden1140. Für eine stillschweigende oder konkludente Vereinbarung wird man aber annehmen müssen, dass der Wille des Verkäufers vor Vertragsschluss deutlich zum Ausdruck gekommen ist. Wegen des damit verbundenen negativen werblichen Effekts wird dies schon aus tatsächlichen Gründen nur in engen Grenzen möglich sein. Ein Sachmangel liegt nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB vor, wenn das Druckwerk sich für 258c die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung nicht eignet. Erforderlich ist dafür, dass bei Abschluss des Kaufvertrags dem Verkäufer erkennbar ist, dass der Käufer das Druckwerk für eine bestimmte Verwendung erwerben will. Eine solche konkludente oder stillschweigende Zweckvereinbarung wird wiederum nur bei Werken anzunehmen sein, deren Inhalt in der Praxis auch ohne weitere Überprüfung übernommen zu werden pflegt. Dies gilt für Werke, die besondere Eigenschaften für sich in Anspruch nehmen, wegen derer sie gekauft werden sollen, z.B. Formularbücher. Ferner kann in dieser Fallgruppe der Beratung durch den Händler besondere Bedeutung zukommen. Bestätigt dieser, dass etwa ein Werk für einen bestimmten Zweck besonders geeignet sei, ist dies eine Verwendungsvereinbarung. Solche Fälle dürften in der Praxis jedoch die Ausnahme sein, da jedenfalls Buchhändler zumeist mehrere Werke, die für einen bestimmten Zweck in Betracht kommen, dem Käufer zur Auswahl vorlegen. Die Auswahl trifft der Käufer. Sind sämtliche Werke dem Grunde nach für den Zweck geeignet, das eine oder andere jedoch für eine spezifische Verwendung jedoch weniger, begründet allein der Vorschlag des Händlers keine Haftung, wenn der Käufer das weniger geeignete Werk ausgewählt hat. Besteht weder eine Beschaffenheitsvereinbarung noch eine nach dem Vertrag vorausgesetzte 258d Verwendung, muss das Druckwerk sich für die gewöhnliche Verwendung eignen und eine Beschaffenheit aufweisen, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB). Damit wird auf die übliche Beschaffenheit bei Druckwerken gleicher Art und demselben Qualitätsstandard abgehoben. Da Druckfehler wie auch sonstige Fehler nie ganz auszuschließen sind, kommt ohne zusätzliche Umstände eine Sachmängelhaftung auch hiernach nicht in Betracht. Anders kann dies nur sein, wenn durch öffentliche Äußerungen des Autors, Herausgebers oder Verlegers ein anderer Eindruck erzeugt wurde (§ 434 Abs. 1 Satz 3 BGB). 1139 AG Buxtehude v. 31.5.2005 – 32 C 136/05, AfP 2005, 407. 1140 Westermann, NJW 2002, 241, 243; Palandt/Weidenkaff, § 434 BGB Rz. 13.
Burkhardt/Peifer 831
Kap. 10 Rz. 258e
Sonderfragen
258e
Damit ergeben sich auf Grund der Schuldrechtsreform im Bereich der Haftung für Druckfehler keine grundsätzlichen Änderungen der Rechtslage. Anders ist dies bei Fehlern in Handlungsanleitungen etc., deren Inhalt regelmäßig ohne weitere Überprüfung übernommen zu werden pflegt. Dies gilt auch für den Verbrauchsgüterkauf, bei dem zu Ungunsten des Verbrauchers grundsätzlich nicht von den gesetzlichen Vorschriften des Kaufrechts abgewichen werden darf (§ 475 BGB). Im Hinblick auf eine etwa in Betracht kommende Haftung kann daher der Sonderregelung des § 475 Abs. 3 BGB Bedeutung zukommen. Danach kann auch beim Verbrauchsgüterkauf im Rahmen der Bestimmungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen nach §§ 307–309 BGB die Schadensersatzhaftung beschränkt werden kann. Für den Verkauf von Druckwerken ist daher eine Haftungsbeschränkung zu empfehlen.
259
Nach neuem Kaufrecht kommt vermehrt eine Sachmängelhaftung des Händlers in Betracht, obwohl die buchhändlerische Beratung nur unter bibliographischen Gesichtspunkten erfolgt, wie Röhl zutreffend bemerkt1141. Soweit der Händler keine eigenständigen Beschaffenheitsangaben gemacht hat, treffen ihn die Folgen einer etwaigen Haftung allerdings gem. § 478 BGB für den Fall des Verbrauchsgüterkaufs nicht selbst.
260
Bedenklich ist die Annahme des BGH zum alten Kaufrecht, dass die Verjährungsfrist für derartige Ansprüche erst beginne, wenn der Käufer den Eintritt des Schadens erkennen kann und er damit in der Lage ist, seinen Anspruch in einer zur Verjährungsunterbrechung geeigneten Weise geltend zu machen1142. Nach der Schuldrechtsreform verjähren die Ansprüche, einschließlich derer für Mangelfolgeschäden, nicht mehr nach den allgemeinen (§ 195 BGB), sondern nur noch nach den speziellen Verjährungsvorschriften, also nach§ 438 BGB. 3. Haftung infolge Übernahme einer Beratungspflicht
261
In der Entscheidung „Börseninformationsdienst“ ist der BGH davon ausgegangen1143, dass eine rein kaufvertragliche Betrachtungsweise dem Fall nicht gerecht werde. Die Besonderheit lag darin, dass der Herausgeber des Börsendienstes seinen Beziehern die „Beratung“ für eine möglichst gewinnbringende Kapitalanlage und Empfehlungen für den Ankauf bestimmter ausgesuchter Wertpapiere versprochen hatte. Ob die übernommene Verpflichtung zur Anlageempfehlung dienstvertraglicher Natur sei, hat der BGH wegen des Fehlens persönlicher Beziehungen bezweifelt. Der Herausgeber habe aber im Rahmen der Vertragsfreiheit gegen Entgelt eine Beratungspflicht übernommen, weswegen der abgeschlossene Abonnementvertrag als gemischter Vertrag zu werten sei. Die Verletzung der Beratungspflicht könne unter dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung einen Schadensersatzanspruch begründen1144.
262
Der BGH weist mit Recht darauf hin, dass die Sorgfaltspflicht des Herausgebers von Ratgebern nicht überspannt werden darf. Im Kapitalanlage- und Bankrecht hat der Gesetzgeber Spezialvorschriften geschaffen, die eine Haftung des Herausgebers für die Vollständigkeit und Richtigkeit von Angaben in Emissionsprospekten vorsieht (vgl. § 21 ff. WertpapierprospektG)1145. Dabei handelt es sich entweder um Spezialregelungen zur früheren Culpa in 1141 Röhl, JZ 1979, 369, 373. 1142 BGH v. 14.3.1973 – VIII ZR 137/71, NJW 1973, 843, 845 – Nottestamentenmappe; ablehnend Röhl, JZ 1979, 369, 373. 1143 BGH v. 8.2.1978 – VIII ZR 20/77, NJW 1978, 997. 1144 Zum nunmehr einheitlichen Begriff der Pflichtverletzung vgl. Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 275 BGB Rz. 6, § 280 BGB Rz. 2 ff. 1145 Näher dazu MünchKomm/Heermann, § 675 BGB Rz. 125.
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Burkhardt/Peifer
XIV. Haftung für Druck- und sonstige Fehler
Rz. 264 Kap. 10
Contrahendo, die heute über §§ 241 Abs. 2, 311 BGB auch allgemein weitergelten, vertragliche Pflichten nach § 311 Abs. 3 BGB oder einen besonderen Fall der Prospekthaftung auf deliktischer Grundlage1146. Hinzu kommt eine Auskunftshaftung nach §§ 675, 611 BGB, wenn Beratung oder Instruktion als entgeltliche Geschäftsbesorgung den Hauptinhalt des Vertrages bestimmen1147. Die Beratungspflicht kann danach entweder im Bereich vorvertraglicher Verhandlungen entstehen oder als besonderer Vertragsgegenstand vereinbart werden. Jeweils kann sie dann über § 280 Abs. 1 BGB auch zu Schadensersatzfolgen führen kann. Allerdings muss im Vertrag vereinbart werden, dass eine bestimmte Qualität der Information geschuldet und als Vertragspflicht vorausgesetzt wird1148. Die Beweislast für Pflichtverletzung und Schaden liegt beim Auskunftsberechtigten1149. Die Kausalität der fehlerhaften Information für einen konkreten Schaden wird bei Anlagevermittlungsverträgen und Steuerberaterverträgen vermutet1150, im Übrigen muss jedoch der von der Auskunft Geschädigte die Kausalität darlegen und beweisen. Im Vergleich zur Haftung nach Kaufvertragsregeln bestand bislang der Unterschied der 263 Rechtsfolge im Wesentlichen darin, dass der Ersatzanspruch wegen pVV (positive Vertragsverletzung) erst nach 30 Jahren verjährte. Nach der Schuldrechtsreform beträgt die Regelverjährung nunmehr drei Jahre (§ 195 BGB), die kaufrechtliche zwei Jahre (§§ 438, 475 Abs. 2 BGB). Die praktische Bedeutung der unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen hat sich damit zwar verringert, weggefallen ist sie nicht. Folglich gewinnt die Frage an Bedeutung, ob die Haftung vertraglich ausgeschlossen werden kann. Dazu hat der BGH in der Börsendienst-Entscheidung einerseits erwogen, ob ein im Impressum enthaltener Hinweis „Inhalt ohne Gewähr“ Vertragsinhalt wird, und andererseits, ob sich ein stillschweigender Ausschluss für die Haftung aus leicht fahrlässigem Verhalten jedenfalls für Druckwerke der fraglichen Art von selbst versteht. Einen Ausschluss der Haftung für grob fahrlässiges Verhalten bezeichnet der BGH als unwirksam. Dies ergibt sich bereits aus § 309 Nr. 7 lit. b BGB, soweit der Ausschluss in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten oder als solche aufzufassen ist. Ansonsten ist ein Haftungsausschluss bis zur Grenze des § 276 Abs. 3 BGB möglich1151. 4. Produzenten- und Produkthaftung Da eine Drittschadensliquidation in den hier erörterten Fällen im Allgemeinen nicht in Be- 264 tracht kommen wird, setzt die Vertragshaftung voraus, dass es der Vertragspartner ist, der den Schaden erleidet. Da dies vom bloßen Zufall abhängt, geht die entscheidende Frage dahin, ob Druckwerke Waren sind, die der Produzentenhaftung unterliegen. Das ist sicher der Fall, soweit es sich um ihre stoffliche Beschaffenheit handelt1152. Umstritten ist die Frage, ob 1146 1147 1148 1149
KG v. 27.8.2015 – 2 U 57/09: § 826 BGB. BGH v. 4.3.1987 – IVa ZR 122/85, BGHZ 100, 117 = MDR 1987, 563 = NJW 1987, 1815. Vgl. Amort, EuR 2013, 272, 277: für Verträge mit Ratingagenturen. BGH v. 16.10.1984, BGH v. 16.10.1984 – VI ZR 304/82, MDR 1985, 395 = NJW 1985, 264; v. 11.5.2006 – III ZR 205/05, MDR 2006, 1358 = NJW-RR 2006, 1345; v. 19.10.2017 – III ZR 565/16, NJW-RR 2017, 1520 Rz. 21. 1150 BGH v. 9.2.2006 – III ZR 20/05, MDR 2006, 1098 = NJW-RR 2006, 685, 688 Rz. 24, 28; v. 15.7.2016 – V ZR 168/15, BGHZ 211, 216 = MDR 2017, 23 = NZG 2017, 542 Rz. 11; v. 22.1.1986 – IVa ZR 105/84, MDR 1986, 652 – VI ZR 304/82, NJW 1986, 2570; Laumen, DStR 2015, 2514, 2518. 1151 BGH v. 11.3.1999 – III ZR 292/97, MDR 1999, 665 = NJW 1999, 1540. 1152 Soergel/Krause, 2005, § 2 ProdHaftG Rz. 4; Staudinger/Oechsler, 2014, § 2 ProdHaftG Rz. 74. So könnte die Produzentenhaftung eingreifen, wenn ein Kinderbuch mit giftiger Farbe gedruckt ist (Röhl, JZ 1979, 369, 375; Mayer, VersR 1990, 691, 697).
Burkhardt/Peifer 833
Kap. 10 Rz. 265
Sonderfragen
der Verleger auch für fehlerhafte Informationen, also einen Mangel des geistigen Inhalts einzustehen hat. Dagegen spricht zunächst, dass Schäden der hier erörterten Art darauf beruhen, dass das Druckwerk Ratschläge enthält, deren Befolgung nachteilige Folgen haben kann, die Erteilung eines Rates aber nach § 675 Abs. 2 BGB gerade keine Verpflichtung auslöst, den aus der Befolgung entstehenden Schaden zu ersetzen. Grundsätzlich muss das auch für einen mit Hilfe einer Druckschrift erteilten Rat gelten. 265
Folgt man dieser Ausgangserwägung, ergibt sich, dass ganz unabhängig vom Umfang der Produzentenhaftung eine Haftung für den Inhalt von Druckschriften nur in Betracht kommt, wenn eine der in § 675 Abs. 2 BGB vorgesehenen Ausnahmen von der Haftungsbefreiung eingreift. Im Allgemeinen haftet also weder der Verleger noch ein sonstiger an der Herstellung einer Druckschrift Beteiligter für nutzlose Aufwendungen, versäumte Zeit usw., wenn z.B. eine Zeitung ein falsches Veranstaltungsdatum nennt.
266
Eine Ausnahme von der Haftungsbefreiung sieht § 675 Abs. 2 BGB, abgesehen von einem bestehenden Vertragsverhältnis, im Falle der unerlaubten Handlung vor. Hier geht es zwar nicht darum, dass der Verleger einer Druckschrift oder ein an der Herstellung sonst Beteiligter eine unerlaubte Handlung unmittelbar begeht. Er kann aber die unerlaubte Handlung eines Benutzers der Druckschrift verursachen. Praktisch geworden ist das im Falle Carter-Robbins-Test1153. Dieser Test besteht in der Infusion einer 2,5 %igen Kochsalzlösung, während der die Entwicklung der Urinwerte beobachtet wird. Eine Beschreibung war in einem medizinischen Handbuch enthalten, wobei infolge eines Druckfehlers statt „NaCl i.V. 2,5 %“ angegeben war „NaCl i.V. 25 %“. Ein Assistenzarzt richtete sich nach dieser fehlerhaften Angabe, was bei dem Patienten erhebliche Körperschäden zur Folge gehabt hat. Wegen des Schadensausgleichs hat der Haftpflichtversicherer den Verleger regresspflichtig zu machen versucht.
267
In diesem Falle ist es um die Frage gegangen, ob der Buchverleger der Produzentenhaftung ebenso unterliegt wie der Hersteller von Industrieerzeugnissen1154. Diese Frage hat der BGH verneint oder jedenfalls nicht uneingeschränkt bejaht1155. In Betracht zu ziehen sei, dass einzelne Druckfehler sich nicht mit Sicherheit vermeiden ließen. Deswegen könne der Verkehr auf die Abwesenheit eines einzelnen Druckfehlers nicht vertrauen, und er vertraue auch nicht darauf. Im Übrigen sei die Verkehrssitte nicht zu beanstanden, dass der Verlag Korrekturen dem Verfasser des Werkes überantworte, so dass den Verleger selbst keine umfassende Prüfpflicht für den Inhalt des Werkes treffe. Deswegen habe der Verleger keine Verkehrssicherungspflicht verletzt, so dass eine deliktische Haftung entfalle. Angesichts seiner gegenüber dem Verlag selbständigen Stellung könne der zur Korrektur nicht nur üblicherweise verpflichtete, sondern auch berechtigte Autor überdies nicht als Verrichtungsgehilfe i.S.d. § 831 BGB betrachtet werden.
268
Diese vom BGH gegebene Begründung vermag nicht in jeder Hinsicht zu überzeugen. Insbesondere ist nicht einsichtig, aus welchem Grunde die Haftung für einen Druckfehler davon abhängen soll, welche Anzahl sonstiger, für den konkreten Fall unerheblicher Fehler die Schrift enthält. Richtiger Auffassung nach ist entscheidend, ob die Darstellung ihrer Art oder Ankündigung nach dazu bestimmt und geeignet ist, ungeprüft in die Praxis umgesetzt zu werden. Nur unter dieser Voraussetzung kann davon ausgegangen werden, dass den Verleger eine Ver1153 BGH v. 7.7.1970 – VI ZR 223/68, NJW 1970, 1963. 1154 Zur Produzentenhaftung vgl. klassisch BGH v. 26.11.1968 – VI ZR 212/66, BGHZ 51, 91 = NJW 1969, 269 – Hühnerpest. 1155 BGH v. 7.7.1970 – VI ZR 223/68, NJW 1970, 1963, 1964.
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Burkhardt/Peifer
XIV. Haftung für Druck- und sonstige Fehler
Rz. 269 Kap. 10
kehrssicherungspflicht trifft, für die Abwesenheit von Fehlern mit äußerster Sorgfalt Sorge zu tragen, weswegen er nach den Grundsätzen der Produzentenhaftung in Anspruch genommen werden kann, wenn infolge eines verbliebenen Fehlers, dessen Unvermeidbarkeit er nicht nachweisen kann, ein Rechtsgut i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB verletzt wird1156. Auch die Einführung des Produkthaftungsgesetzes hat an dieser Sichtweise nichts geändert. Zwar kann nach § 2 ProdHG ohnehin nur der Verleger haften, und zwar nur für die Beschaffenheit beweglicher Sachen1157; das BGB enthält eine solche Beschränkung allerdings nicht, so dass eine deliktische Haftung des Verlegers nach § 823 Abs. 1 BGB konzeptionell durchaus in Betracht kommt1158. Zum Teil wird eine Haftung auch nach dem ProdHG für möglich gehalten, sofern ein verkörperter Informationsträger vorliegt, mag dies eine CD oder DVD1159 oder das Manukript des Autors sein, was zur Folge hätte, dass auch der Autor produkthaftpflichtig sein kann1160. Letzteres ist nicht überzeugend, denn der Autor bringt das Manuskript nicht dadurch in den Wirtschaftsverkehr, dass er es dem Verleger übergibt1161. Im Übrigen sollte die Deliktshaftung des Verlegers nicht strenger sein als die Vertragshaftung. Eine Deliktshaftung muss daher zur Voraussetzung haben, dass das Werk seiner Art und seinem Inhalt nach die Erwartung einer zuverlässigen Anleitung erweckt. Allgemeine Fach- und Beratungsliteratur wird diese noch nicht wecken. Bei Anleitungsliteratur, die sich an ein Fachpublikum wendet, wird man überdies die Voraussetzungen eines Mitverschuldens (§ 254 BGB) in Betracht ziehen müssen, wenn es um offensichtliche Unrichtigkeiten geht. Daher haftet der Hersteller eines für Kinder empfohlenen Chemiebaukastens für Schäden, die dadurch entstehen, dass infolge eines Fehlers in der Gebrauchsanweisung eine Explosion erfolgt. Auch der BGH erwähnt, dass Druckwerke existieren, deren Inhalt und Zweckbestimmung es nötig machen kann, Druckfehler durch besondere, u.U. aufwendige Maßnahmen mit Sicherheit zu vermeiden. Dazu rechnet er mathematische und technische Tabellen, baustatische Arbeitsanleitungen u.Ä. und im medizinischen Bereich Anweisungen für die Dosierung gefährlicher Medikamente sowie für neue gefährliche Eingriffe1162. Demgegenüber entfällt die Haftung, wenn die Druckschrift nicht „Anweisungen“, sondern bloße Anregungen des menschlichen Geistes enthält. Die hier vertretene Auffassung stimmt im Ergebnis mit den zu § 675 Abs. 2 BGB entwickel- 269 ten Grundsätzen überein. § 675 Abs. 2 BGB stellt zunächst klar, dass Rat, Empfehlung und Auskunft für sich genommen weder eine (quasi-)vertragliche noch eine deliktische Haftung auslösen, andererseits vertragliche und deliktische Ansprüche aber auch nicht hindern. Nach h.M. haftet der Auskunftgeber daher trotz § 675 Abs. 2 BGB, wenn die Auskunft für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung ist und er sie zur Grundlage wesentlicher Entscheidungen machen will, namentlich wenn der Auskunftgeber für den Rat besonders sachkundig oder an dem Vorgang wirtschaftlich interessiert ist. In solchen Fällen geht der BGH von einem konkludenten Vertragsschluss aus1163. Im Allgemeinen gilt das zwar nur, wenn die
1156 Ähnlich Röhl, JZ 1979, 369, 375; Lang, Haftung für Fehler, S. 90 ff. 1157 Bamberger/Roth/Foerster, BGB, § 2 ProdHaftG Rz. 20 f. 1158 MünchKomm/Wagner, BGB, § 2 ProdHaftG Rz. 12; Spindler, Beck-Großkommentar, § 823 BGB Rz. 726; Höckelmann, Die Produkthaftung für Verlagserzeugnisse, 1994, 68 f.; Foerste, NJW 1991, 1433, 1437; Cahn, NJW 1996, 2899, 2903. 1159 MünchKomm/Wagner, BGB, § 2 ProdHaftG Rz. 15 f. 1160 MünchKomm/Wagner, BGB, § 2 ProdHaftG Rz. 21. 1161 A.A. MünchKomm/Wagner, BGB, § 2 ProdHaftG Rz. 21. 1162 BGH v. 7.7.1970 – VI ZR 223/68, NJW 1970, 1963, 1964. 1163 BGH v. 14.11.1968 – VII ZR 51/67, WM 1969, 36; v. 27.11.1998 – V ZR 344/97, BGHZ 140, 111 = MDR 1999, 349.
Burkhardt/Peifer 835
Kap. 10 Rz. 270
Sonderfragen
Auskunft einem bestimmten Dritten gegeben wird1164. Bei entgeltlich vertriebenen Druckschriften muss davon aber auch ausgegangen werden, wenn die darin enthaltenen Ratschläge sich an alle wenden, die es angeht. An eine Haftung wäre z.B. zu denken, wenn ein Warentester in nicht entschuldbarer Weise behauptet, geäußerte Bedenken gegen die Lenkung einer bestimmten Automobilserie seien unbegründet, und der Halter eines solchen Wagens es daraufhin unterlässt, ihn überprüfen zu lassen, was einen Unfall zur Folge hat. 270
Bei Schriften, die dazu bestimmt und geeignet sind, ungeprüft in die Praxis umgesetzt zu werden, bei Schriften also, für die eine Inhaltshaftung überhaupt nur in Betracht kommt, ist ein Haftungsausschluss nur für leichte Fahrlässigkeit möglich1165. Er setzt voraus, dass der Hinweis auf die fehlende Haftungsbereitschaft in so deutlicher Weise angebracht ist, dass jeder Benutzer der Anleitung erkennen muss, dass die ungeprüfte Verwertung der in der Druckschrift enthaltenen Angaben ein erhebliches Risiko bedeutet. Dabei sind ferner die §§ 305 ff., 309 Nr. 7 BGB zu berücksichtigen. In Betracht kommt ein solcher Haftungsausschluss z.B. bei der Angabe von Routen in einem Seglerhandbuch, zumal der Standort von Leuchtfeuern usw. verändert worden sein kann. Üblich ist eine Freizeichnungsklausel auch bei der im Fernsehen erfolgenden Bekanntgabe der Gewinnzahlen von Lotterien.
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Die Frage, ob unter dem Gesichtspunkt der Produzentenhaftung neben dem Verleger auch Andere in Anspruch genommen werden können, ist zu verneinen. Zu denken sein könnte zwar insbesondere an eine Haftung des Autors. Im Ergebnis ist das aber abzulehnen1166. Die Grundsätze der Produzentenhaftung sind unter dem Gesichtspunkt einer möglichst gerechten Risikoverteilung entwickelt worden. Der Produzent hat die Möglichkeit, sich mit Hilfe der Kalkulation seiner Preise eine hinlängliche Sicherung zu schaffen. Ein Autor hat diese Möglichkeit nicht. Für ihn wäre ein Haftungsfall im Zweifel ebenso ruinös wie ein Schadensfall für den Betroffenen. Eine Haftung des Autors würde damit rein faktisch auch die Äußerungsfreiheit beschneiden1167.
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Gleiches gilt für eine Haftung des Verlegers gem. § 1 ProdHaftG. Auch insoweit kommt eine Schadensersatzverpflichtung allenfalls bei Handlungsanweisungen enthaltenden Publikationen und einer Verletzung der Sorgfaltspflichten in Betracht1168. Eine Haftung des Druckers, die nur für Druckfehler in Betracht kommen könnte, ist schon insofern abzulehnen, als die Korrektur grundsätzlich Aufgabe des Verlegers ist (§ 20 Abs. 1 Satz 1 VerlG), mag sie auch routinemäßig auf den Autor abgewälzt werden. Vorbehaltlich ganz besonderer Umstände kann auch der Handel für den Inhalt der von ihm vertriebenen Druckschriften nicht verantwortlich gemacht werden. Eine Ausnahme könnte allenfalls für einen Alleinimporteur in Betracht zu ziehen sein1169. Eine Verkehrspflichtverletzung durch die Beteiligten der Verlagsproduktion kann allerdings darin liegen, dass sie nach Kenntnis von Mängeln den Verkehr nicht darüber warnen, dass ein Fehler vorliegt, der geeignet ist, Verletzungen an Rechts-
1164 BGH v. 7.1.1965 – VII ZR 28/63, WM 1965, 287; v. 12.7.1966 – VI ZR 1/65, WM 1966, 1148. 1165 BGH v. 8.2.1978 – VIII ZR 20/77, NJW 1978, 997, 999. 1166 Meyer, ZUM 1997, 27, 30; a.A. in MünchKomm/Wagner, BGB, § 2 ProdHaftG Rz. 16; DaunerLieb/Langen/Katzenmeier, BGB, 2016, § 2 ProdHaftG Rz. 3. 1167 Im Ergebnis ebenso Bund, Das Äußerungsrisiko des Wissenschaftlers in FS für E. v. Caemmerer, 1978, S. 313 ff.; Röhl, JZ 1979, 369, 376; Lang, Haftung für Fehler, S. 117. 1168 Vgl. Ricker/Müller-Malm, AfP 1989, 505 ff. 1169 Vgl. BGH v. 3.2.1976 – VI ZR 23/72, NJW 1976, 799; OLG München v. 15.12.2000 – 21 U 4720/00, AfP 2001, 139.
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Burkhardt/Peifer
XV. Öffentliche Äußerungen und Warnungen der Behörden
Rz. 272 Kap. 10
gütern zu verursachen1170. Der OGH Wien hat eine Herausgeberhaftung für die fehlerhafte Fristenangabe in einem österreichischen Juristenkalender dem Grunde nach für möglich gehalten, in casu allerdings verneint, wenn der Herausgeber die korrigierte Information rechtzeitig an den Verlag weitergibt; wobei die Herausgeber damit rechnen dürften, dass auch der Verlag die Information an die Kunden weitergibt1171.
XV. Öffentliche Äußerungen und Warnungen der Behörden Schrifttum: Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive und Informationsrecht der Presse, 1971; Assmann/Kübler, Staatliche Verbraucherinformationen im Ordnungsgefüge des Privatrechts, 1981; Ossenbühl, Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, 1986; Dolde, Behördliche Warnungen vor nicht verkehrsfähigen Lebensmitteln, 1987; Philipp, Staatliche Verbraucherinformationen im Umwelt- und Gesundheitsrecht, 1988; Heidel, Keine Bundeskompetenz zur Warnung vor Lebensmitteln, ZRR 1989, 447; Gramm, Rechtsfragen der staatlichen Aids-Aufklärung, NJW 1989, 2920; Robbers, Behördliche Auskünfte und Warnungen gegenüber der Öffentlichkeit, AfP 1990, 84; Paschke, Behördliche Auskünfte und Warnungen gegenüber der Öffentlichkeit, AfP 1990, 89; Heintzen, Hoheitliche Warnungen und Empfehlungen im Bundesstaat, NJW 1990, 1448; Paschke, Rechtliche Grenzen der Publikationstätigkeit der Stiftung Warentest, AfP 1991, 683; Schürmann, Staatliche Mediennutzung – Staatspresse, Amtliche Verlautbarungen, Staatsrundfunk, Rundfunksponsoring, AfP 1993, 435; Kutscha, Staatliche Öffentlichkeitsarbeit und Demokratieprinzip, NJW 1993, 1233; di Fabio, Information als hoheitliches Gestaltungsmittel, JuS 1997, 1; Murswiek, Staatliche Warnungen, Wertungen, Kritik als Grundrechtseingriffe, DVBl. 1997, 1022; Haussühl, Die Staatliche Warnung im System des öffentlichen Rechts, VBlBW 1998, 90; Gusy, Verwaltung durch Information, NJW 2000, 977; Gusy, Verwaltung durch Information, NJW 2000, 977; Wisuschil, Der Fall „Junge Freiheit“ – Neuorientierung im Verfassungsschutzrecht?, ZUM 2006, 294; Oebbecke, Amtliche Äußerungen im Bürgermeisterwahlkampf, NVwZ 2007, 30; Schieble, Öffentliche Warnungen vor unsicheren Verbraucherprodukten: Behördliche Befugnisse und Haftungsrecht, VuR 2007, 401; Weiß, Gemeinschaftsrecht als Determinante staatlicher Informationstätigkeit, EuZW 2008, 74; Klindt, Verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmtheitserfordernisse behördlicher Rückrufanordnungen, NVwZ 2009, 891; Degenhart, Der Staat im freiheitlichen Kommunikationsprozess: Funktionsträgerschaft, Funktionsschutz und Funktionsbegrenzung, AfP 2010, 324; Mandelartz, Grenzen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit, LKRZ 2010, 371; Schoch, Neuere Entwicklungen im Verbraucherinformationsrecht, NJW 2010, 2241; Grube, Dioxin-Krise und öffentliche Warnung vor Lebensmitteln – wann ist die Warnung vor dem nicht verkehrsfähigen, aber „sicheren“ Lebensmittel zulässig?, LMuR 2011, 21; Schoch, Die Schwierigkeiten des BVerfG mit der Bewältigung staatlichen Informationshandelns, NVwZ 2011, 193; Schoch, Amtliche Publikumsinformation zwischen staatlichem Schutzauftrag und Staatshaftung – Das Verbraucherinformationsrecht als Modell der amtlichen Publikumsinformation, NJW 2012, 2844; Elsing/Rosenow, Mehr Transparenz bei Lebensmittelverstößen des neuen § 40 Abs. 1a LFGB durch die Verwaltungsgerichte, VuR 2013, 77; Gundel, Verfassungs- und europarechtlich Fragen der aktiven Behördeninformation im Lebensmittelsektor – eine Zwischenbilanz insbesondere zu § 40 Abs. 1a LFGB, ZLR 2013, 662; Gurlit, Europäisches Plazet für behördliche Verbraucherinformation, NVwZ 2013, 1267; Tremmel/Luber, Amtshaftungsansprüche wegen rechtswidriger Produktwarnungen, NJW 2013, 262; Barczak, Die parteipolitische Äußerungsbefugnis von Amtsträgern – Eine Gratwanderung zwischen Neutralitätsgebot und politischem Wettbewerb, NVwZ 2015, 1014; Gärditz, Unbedingte Neutralität? Zur Zulässigkeit amtlicher Aufrufe zu Gegendemonstrationen durch kommunale Wahlbeamte, NWVBl. 2015, 165; Gusy, Neutralität staatlicher Öffentlichkeitsarbeit – Voraussetzungen und Grenzen, NVwZ 2015, 700; Mandelartz, Informationsund Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, DÖV 2015, 326; Paal/Kumkar, Zur Öffentlichkeitsarbeit des Bundeskartellamts, NZKart 2015, 366; Putzer, Verfassungsrechtliche Grenzen der Äuße-
1170 Vgl. Staudinger/Hager, 2009, Rz. F 27. 1171 OGH Wien v. 19.1.2010 – 4 Ob 63/09g, MuR 2011, 145 m. Anm. M. Walter.
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Kap. 10 Rz. 273
Sonderfragen
rungsbefugnisse staatlicher Organe und Amtsträger, DÖV 2015, 417; Bender, Würde ohne Meinung? Das Amt des kommunalen Wahlbeamten im politischen Meinungskampf vor dem Hintergrund einer funktionalen Neutralitätspflicht, NWVBl. 2016, 143; Degenhart, Rechtsfragen gemeindlicher Teilhabe an öffentlicher Kommunikation – Kommunale Amtsblätter und Stadtzeitungen zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Pressetätigkeit, K&R Beil. 1/2016, 1; Gersdorf, Staatliche Kommunikationstätigkeit – Voraussetzungen und Grenzen der Teilnahme des Staates an öffentlicher Kommunikation, AfP 2016, 293; Hohenlohe, „Lichter aus als Zeichen gegen Intoleranz“ – Zu den Grenzen der politischen Äußerungsbefugnis von (Ober-)Bürgermeistern, VerwArch 2016, 62; Müller-Franken, Unzulässige Staatsmedien oder zulässige Informationstätigkeit?, AfP 2016, 301; Payandeh, Die Neutralitätspflicht staatlicher Amtsträger im öffentlichen Meinungskampf, Der Staat 2016, 519; Wahnschaffe, Zur Neutralitätspflicht staatlicher Hoheitsträger gegenüber Organisationen ohne Parteienstatus, NVwZ 2016, 1767; Schucht, Meldungen im Internet-Schnellwarnsystem RAPEX und hoheitliche Warnungen bei gefährlichen Produkten, BB 2017, 455.
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In einem medialen Zeitalter gelangen zwangsläufig auch Äußerungen der Behörden in die Medien. Zum einen sind Behörden nach den Landespressegesetzen, den Landesmediengesetzen und §§ 9a, 55 Abs. 3 RStV gegenüber Medienvertretern auskunftsverpflichtet (Näheres Rz. 2 ff.). Zum anderen suchen sie die Öffentlichkeit häufig auch selbst. Solche Äußerungen unterscheiden sich von privaten Mitteilungen durch ihr i.d.R. größeres Gewicht, das auf der behördlichen Autorität beruht. Von Behörden wird Neutralität und Sachkunde erwartet und angenommen, zu ihren öffentlichen Äußerungen bestehe ein berechtigter Anlass. Damit sind öffentliche Behördenäußerungen, die sich, wie es nicht nur bei behördlichen Warnungen regelmäßig der Fall ist, auf private Verhältnisse auswirken, in besonderer Weise geeignet, Nachteile für diejenigen zu verursachen, auf deren Verhältnisse sie ungünstig einwirken. Z.B. wirkt sich die Meldung einer Verschmutzung des Wassers und der Strände, evtl. schon ein bloßer Schlechtwetter-Bericht, negativ auf das Fremdenverkehrsgewerbe der betroffenen Region aus. Haftungsfragen können sich bei Eingriffen in Grundrechte, z.B. auf Schutz des guten Rufs einer Person, der beruflichen Ehre (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) ergeben, insbesondere wenn Firmennamen genannt werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn seitens eines Regierungspräsidiums fälschlich behauptet wird, eine Firma produziere und vertreibe mikrobiell verdorbene Nudeln1172. Entsprechendes gilt bei behördlichen Warnungen vor Organisationen, etwa vor Scientology1173 oder vor Jugendsekten1174.
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Weitgehende Einigkeit besteht, dass sich Behörden bei ihren Äußerungen ebenso wenig wie die Regierung auf die individualrechtliche Äußerungsfreiheit i.S.d. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG berufen können. Kübler hat die Auffassung vertreten, dass staatliche Äußerungen durch die objektivrechtliche Gewährleistung freier Kommunikation legitimierbar sind1175. Soweit keine Eingriffe in grundrechtlich geschützte Positionen vorliegen, mag dies angehen. Bei staatlichen Eingriffen in die Rechte der Bürger bedarf dies einer Ermächtigung durch den Gesetzgeber, die den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernissen genügt. Dazu geht 1172 LG Stuttgart v. 23.5.1989 – 17 O 411/88, AfP 1989, 768 = NJW 1989, 2257 und OLG Stuttgart v. 21.3.1990 – 1 U 132/89, AfP 1990, 145 = NJW 1990, 2690 – Fall Birkel; vgl. auch LG Wiesbaden v. 22.6.2001 – 9 O 18/01, LMRR 2001, 77. 1173 BGH v. 25.9.1980 – III ZR 74/78, MDR 1981, 388 = NJW 1981, 675. 1174 BVerfG v. 15.8.1989 – 1 BvR 881/89, NJW 1989, 3269; v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91, AfP 2002, 410 = NJW 2002, 2626 – Osho; EGMR v. 6.11.2008 – 58911/00, NVwZ 2010, 177; BVerwG v. 23.5.1989 – 7 C 2/87, AfP 1989, 789 = NJW 1989, 2272 und v. 13.3.1991 – 7 B 99/90, NJW 1991, 1770 – Jugendsekten I und II. 1175 Vgl. Wenzel, Tagungsbericht 67. Studienkreistagung, NJW 1990, 2672.
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Burkhardt/Peifer
XV. Öffentliche Äußerungen und Warnungen der Behörden
Rz. 275 Kap. 10
das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Bestimmtheitsanforderungen an die Eingriffsermächtigung umso geringer ausfallen können, je vielgestaltiger die zu regelnden Sachverhalte sind1176. Es ist daher die Meinung vertreten worden, dass die verfassungsrechtlichen Befugnisse der Regierung das Recht zu öffentlicher Information und auch zu Warnungen einschließe, auch soweit davon Grundrechte Einzelner betroffen sind1177. Diesen Streit hat das Bundesverfassungsgericht durch die Entscheidungen „Glykol“1178 und 275 „Osho“1179 entschieden. Es geht davon aus, dass sachliche Informationstätigkeit staatlicher Stellen grundsätzlich keinen Grundrechtseingriff darstellt und daher keiner speziellen Ermächtigungsgrundlage bedarf. In seiner Glykol-Entscheidung weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG nicht vor der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt, die für das wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer von Bedeutung sein können, schützt. Auch wenn die Inhalte sich auf einzelne Wettbewerbspositionen nachteilig auswirken, bestehe ein solcher Schutz nicht. Ebenso wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht begründe Art. 12 Abs. 1 GG kein Recht des Unternehmens, nur so von anderen dargestellt zu werden, wie es gesehen werden möchte oder wie es sich und seine Produkte selber sieht. Demgegenüber sei es für die Marktteilnehmer von wesentlicher Bedeutung, über entscheidungserhebliche Informationen zu verfügen, um eine informierte Entscheidung über das Marktangebot treffen zu können. Defizite in der Verfügbarkeit solcher Informationen würden mithin die Selbststeuerungskraft des Marktes bedrohen. Es fördere daher die Funktionsweise des Marktes, wenn durch zusätzliche, auch staatliche Informationen zu der evtl. selektiven Informationsweise von Unternehmen Gegengewichte gesetzt werden. Gegebenenfalls müsse dadurch auch die überlegene Informationsmacht einzelner Marktteilnehmer ausgeglichen werden. Derartige marktbezogene Informationen des Staates würden den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich der betroffenen Wettbewerber nicht beeinträchtigen, sofern der Einfluss auf wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse erfolgt. In der Osho-Entscheidung1180 weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass auch der neutrale Staat nicht gehindert ist, das tatsächliche Verhalten einer religiösen oder weltanschaulichen Gruppierung oder das ihrer Mitglieder nach weltlichen Kriterien zu beurteilen, selbst wenn dieses Verhalten letztlich religiös motiviert ist. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG schütze nicht dagegen, dass sich staatliche Organe mit den Trägern des Grundrechts öffentlich – auch kritisch – auseinandersetzen. Gleichwohl habe der Staat im Hinblick auf seine Neutralitätspflicht sich im Umgang mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften besondere Zurückhaltung aufzuerlegen. Eine sachlich geführte Informationstätigkeit ohne diffamierende oder verfälschende Darstellungen sei dem Staat nicht verwehrt und greife nicht in die Religionsfreiheit der Grundrechtsträger ein1181. In solchen Fällen bedürfe staatliches Informationshandeln dann auch keiner spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Die großzügige Linie ist vorübergehend mit dem Hinweis relativiert worden, dass auch Informationshandeln Eingriffscharakter haben 1176 BVerfG v. 20.10.1981 – 1 BvR 640/80, NJW 1982, 921. 1177 BVerfG v. 29.10.1975 – 2 BvE 1/75, NJW 1976, 38; v. 25.3.1981 – 2 BvE 1/79, NJW 1981, 1359; v. 15.8.1989 – 1 BvR 881/89, NJW 1989, 3269; BVerwG v. 18.10.1990 – 3 C 2/88, MDR 1991, 910 = NJW 1991, 1766 – Glykolweinliste; v. 4.5.1993 – 7 B 149/92, NVwZ 1994, 162; OVG NW v. 15.5.1996 – 5 B 168/94, NJW 1996, 3355; a.A. Gusy, NJW 2000, 977, 984 f.; di Fabio, JuS 1997, 1 ff.; Murswiek, DVBl. 1997, 1021 ff. 1178 BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91 u.a., NJW 2002, 2621 – Glykol. 1179 BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91, AfP 2002, 410 = NJW 2002, 2626 – Osho. 1180 BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91, AfP 2002, 410 = NJW 2002, 2626 – Osho. 1181 BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91, AfP 2002, 410 = NJW 2002, 2626, 2627 – Osho.
Burkhardt/Peifer 839
Kap. 10 Rz. 276
Sonderfragen
könne, wenn es die „Rahmenbedingungen der Berufsausübung“ verändere1182, im Fall „Löw“ allerdings im Grundsatz bestätigt worden1183. Demgegenüber meinte allerdings das Bundesverwaltungungsgericht, die öffentliche Warnung vor E-Zigaretten bedürfe einer Ermächtigungsgrundlage1184. Die Verbreitung staatlicher Informationen durch Regierung oder Verwaltung setze zum einen eine Aufgabe der handelnden Stelle und darüber hinaus die Einhaltung der Zuständigkeitsgrenzen voraus1185. Bei der Informationstätigkeit ist die Kompetenzordnung im Staate zu beachten1186. Dies gilt auch für den föderalen Kompetenzaufbau zwischen Bund und Ländern. 276
Die Beurteilung unterstellt, dass öffentliche staatliche Äußerungen keine Rechtsakte gebietenden oder verbietenden (imperativen) Charakters sind1187, weil zu ihrer Beachtung niemand verpflichtet und ihre Wirkung rein tatsächlicher Natur sei (so die Vorauflage). Das ist schon deswegen zweifelhaft, weil staatlichen Informationen eine besondere Autorität und Verbreitungskraft zukommt. Für sie sollte es daher unabhängig davon, ob sie konkrete Grundrechtseingriffe vornehmen, Ermächtigungsgrundlagen geben, in denen jedenfalls Anlass, Umfang und Form der Information geregelt sind. Diese Voraussetzungen gelten naturgemäß ohne weiteres für staatliches Informationshandeln, das als Grundrechtseingriff zu qualifizieren ist. Dafür bedarf es einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage1188. Vollzieht sich staatliches Informationshandeln auf einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, erscheint es fraglich, ob vor einem Tätigwerden der Behörde, basierend auf dem Recht auf rechtliches Gehör, stets eine Anhörung des Betroffenen erforderlich ist1189. Wichtige Ermächtigungsgrundlagen für staatliches Informationshandeln finden sich in § 40 LFGB und (weniger weitreichend) Art. 10 der Lebensmittel-Basisverordnung (EG) Nr. 178/2002 für die öffentliche Warnung vor „unsicheren“ Lebensmitteln1190 sowie in § 6 Abs. 1 Satz 3 des Verbraucherinformationsgesetzes1191. Warnungen über unsichere Produkte können auf § 31 ProdSG1192 gestützt werden1193. Eine weitere Ermächtigung enthält § 2 Abs. 1 Nr. 2 des Ge1182 BVerfG v. 31.8.2009 – 1 BvR 3275/07, NVwz 2009, 1486 Rz. 10. 1183 BVerfG v. 17.8.2010 – 1 BvR 2585/06, NJW 2011, 511 Rz. 23 m. abl. Bspr. Schoch, NVwZ 2011, 193. 1184 BVerwG v. 20.11.2014 – 3 C 27/13, NVwZ-RR 2015, 415; vgl. auch Kap. 2 Rz. 29. 1185 BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91, NJW 2002, 2621, 2622 ff. – Glykol; v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91, AfP 2002, 410 = NJW 2002, 2626, 2629 ff. – Osho. 1186 BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91 ua., NJW 2002, 2621, 2623 f. – Glykol; v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91, AfP 2002, 410 = NJW 2002, 2626, 2630 f. – Osho. 1187 Krit. Schoch, NVwZ 2011, 193: „Erosionsprozess im demokratischen Rechtsstaat“; Gusy, NVwZ 2015, 700. 1188 BVerwG v. 20.11.2014 – 3 C 27/13, NVwZ-RR 2015, 425; Zuck, MDR 1988, 1020; Gröschner, DVBl. 1990, 619; Gröschner, JZ 1991, 630; Hummel-Liljegren, ZLR 1991, 126; Schatzschneider, NJW 1991, 3202; di Fabio, JUS 1997, 1; Murswiek, DVBl. 1997, 1021; Gusy, NJW 2000, 977. 1189 Ablehnend: VG Köln v. 11.3.1999 – 20 L 3757/98, AfP 2000, 114 = CR 1999, 557 m. Anm. Ehmann = ZUM-RD 2000, 255, 256; wohl ablehnend BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91, NJW 2002, 2621, 2624 – Glykol, das die Anhörung Betroffener lediglich als Möglichkeit für die staatliche Stelle, nicht aber als Pflicht, wertet, um vor Verbreitung die Richtigkeit der Information zu überprüfen. 1190 EuGH v. 11.4.2013 – Rs. C-636/11, NVwZ 2013, 1002 – Berger/Freistaat Bayern; Schieble, VuR 2007, 401; Grube, LMuR 2011, 21; Gundel, ZLR 2013, 662. 1191 VIG, dazu VGH München v. 16.2.2017 – 20 BV 15.2208, Revision zugelassen: BVerwG v. 29.9.2017 – 7 B 6.17 (7 C 29.17); Schoch, NJW 2010, 2241; Schoch, NJW 2012, 2844; Gurlit, NVwZ 2013, 1267. 1192 BGBl. I 2011, 2178, ber. BGBl. 2012 I, 131. 1193 Ddazu Tremmel/Luber, NJW 2013, 262; Schucht, BB 2017, 455.
840
Burkhardt/Peifer
XV. Öffentliche Äußerungen und Warnungen der Behörden
Rz. 278 Kap. 10
setzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes (UBAG), der es dem Amt zur Aufgabe macht, die Öffentlichkeit über Umweltfragen aufzuklären. Auch § 9 Abs. 1 Strahlenschutzvorsorgegesetz sowie § 51 Abs. 2 Strahlenschutzverordnung ermächtigen zur Information. Das Bundeskartellamt hat nach §§ 43, 53 und 62 GWB beschränkte Informationspflichten, informiert allerdings auch im Übrigen über die bei ihm anhängigen Verfahren, ohne dass diese Informationstätigkeit klare Ermächtigungsgrundlagen hat1194. Eine Ermächtigung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen zu öffentlichen Äußerungen ergibt sich aus § 37 Abs. 1 Nr. 5 StUG. Danach obliegt ihm die Aufarbeitung der Tätigkeit des Stasi durch Unterrichtung der Öffentlichkeit über dessen Struktur, Methoden und Wirkungsweisen des Staatssicherheitsdienstes. Dieser Auftrag dient der politischen und historischen Arbeitung des Staatssicherheitesdiensts1195. Beschränkungen dieser Tätigkeit dienen insbesondere dem Schutz personenbezogener Daten, die nach § 32 Abs. 3 StUG ohne Einwilligung nur veröffentlicht werden dürfen, soweit sie offenkundig sind, Personen der Zeitgeschichte betreffen, ferner Mitarbeiter und Begünstigte des Stasi, und dies auch nur, wenn dadurch nicht deren überwiegende schutzwürdigende Interessen verletzt werden (§ 32 Abs. 3 Satz 2 StUG). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Informationserhebung erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung beruht (§ 32 Abs. 3 Satz 3 StUG)1196. Dementsprechend kann dem Bundesbeauftragten nicht jegliche wertende Äußerung über einen amtierenden Ministerpräsidenten untersagt werden, der zu DDR-Zeiten ein bedeutendes Kirchenamt innehatte und von der Stasi als IM (Informeller Mitarbeiter) geführt worden ist. Unzulässig sind aber Behauptungen wie bspw., in einem anderen Bundesland würden die Unterlagen zur Amtsenthebung ausreichen1197. Eine weitere, häufig in Anspruch genommene Ermächtigungsgrundlage bildet das Polizei- 277 recht unter dem Blickwinkel der Gefahrenabwehr. Einer solchen Norm bedarf es jedenfalls, wenn eine Behörde „final- und grundrechtsspezifisch“ auf die Wettbewerbssituation einwirkt, z.B. durch die Herausgabe von Transparenzlisten mit einem Preis-/Wirksamkeitsvergleich von Arzneimitteln1198. Ohne spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage kann die Veröffentlichung einer Presseerklärung einer Behörde in das Grundrecht der Berufsfreiheit eingreifen und daher zu untersagen sein1199. Fehlt eine Ermächtigungsgrundlage, hilft der gegen die Behörden gerichtete Auskunftsanspruch nach dem Landespressegesetz, den Landesmediengesetzen oder §§ 9a, 55 Abs. 3 RStV in diesem Zusammenhang nicht weiter, sofern es an einer konkreten Frage durch Medienvertreter mangelt. Ein Handeln unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr kommt allerdings in Betracht, wenn staatliche Schutzpflichten gebieten, die Abwehr von schweren Gefahren für die Rechtsgüter von Bürgern zu bewirken, wenn also vor unsicheren Produkten oder Genussmitteln gewarnt werden muss. Richtig ist allerdings, dass öffentliche behördliche Äußerungen, insbesondere behördliche 278 Warnungen, grundrechtlich geschützte Bereiche der Bürger tangieren können, im Falle der 1194 Krit. Paal/Kumkar, NZKart 2015, 366; verteidigend Mundt, NZKart 2016, 145. 1195 Stoltenberg/Bossack, StUG, 2012, § 37 Rz. 10. 1196 BVerwG v. 8.3.2002 – 3 C 46/01, NJW 2002, 1815 – Helmut Kohl; BVerwG v. 23.6.2004 – 3 C 41.93, BVerwG v. 23.6.2004 – 3 C 41/03, NJW 2004, 2462 – Helmut Kohl II m. Anm. Arndt, NJW 2004, 3157; Heintschel von Heinegg, AfP 2004, 305; VG Berlin v. 3.5.2004 – VG 1 A 173.05. 1197 VG Berlin v. 3.6.1993 – 1 A 449/92, AfP 1993, 692 – Stolpe; OVG Berlin v. 7.7.1997 – OVG 8B 91/93, NJW 1998, 257 – Stolpe. 1198 BVerwG v. 18.4.1985 – 3 C 34/84, BVerwGE 71, 183 = NJW 1985, 2774. 1199 VGH Bayern v. 18.6.2002 – 22 CE 02.815, AfP 2002, 452 – PMG.
Burkhardt/Peifer 841
Kap. 10 Rz. 279
Sonderfragen
Jugendsekten die Religionsfreiheit (Art. 4 GG), ferner die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG) und die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG). Als zulässig wird man solche Äußerungen deswegen nur ansehen können, wenn sie am Gemeinwohl orientiert sind bzw. an den Grundrechten desjenigen, in dessen Interesse sie liegen. Z.B. kann eine Staatsanwaltschaft oder auch ein Gericht gehalten sein, einer Fehlinterpretation einer justiziellen Maßnahme im Interesse des Betroffenen entgegenzuwirken, mag das auch zu Lasten eines anderen gehen. Behörden steht das Recht auf Gegendarstellung gegenüber der Presse im Grundsatz zu, doch ist es wegen des darin liegenden Eingriffs in die Grundrechte Privater nur zulässig gegenüber Tatsachenbehauptungen, die in gravierender Weise in ihre Funktionsabläufe eingreifen, insbesondere das unerlässliche Vertrauen in die Integrität staatlicher Stellen in Frage stellen1200. 279
Staatliche Information muss inhaltlich zutreffend1201 sein. Die Gebundenheit der Behörden an die grundrechtliche Wertordnung erfordert nicht nur eine ausreichende Wahrheitsprüfung, sondern, soweit es um Wertungen geht, eine sachliche Darstellung1202. Auf die Richtigkeit wissenschaftlicher Untersuchungen und anerkannter Testverfahren wird sich die Behörde i.d.R. verlassen können1203. Geht es um einen bloßen Verdacht, muss das deutlich gemacht werden1204. Das Willkürverbot haben die Behörden ebenso zu beachten wie das Gebot der Verhältnismäßigkeit1205. Die Begründungslast liegt bei den Behörden1206. Zu diesen allgemeinen Anforderungen kommt die Verpflichtung hinzu, die Wirkung zu berücksichtigen, die die Erklärung in der konkreten Situation haben kann, speziell angesichts bereits erschienener Pressemeldungen. Hierauf hat insbesondere das OLG Stuttgart im Birkel-Fall abgestellt1207. Deutliche Formulierungen können noch verhältnismäßig sein, wenn der Betroffene das Thema durch scharfe Angriffe gegen die Behörde selbst angeheizt hat1208. Allerdings sind abfällige Äußerungen, bspw., dass eine bestimmte Lehre ein „Wahnsystem“ bilde oder die Weltanschauungsgemeinschaft „Rassenhygiene“betreibe, nicht geboten1209. Auch die Bezeichnung einer Jugendsekte als „destruktiv“, „pseudoreligiös“ sowie der Vorwurf der Manipulation von Mitgliedern dieser Gemeinschaft überschreiten das Sachlichkeitsgebot und sind daher unzulässig1210. Die an die Abonnenenten einer durch die Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Publikum gerichte Presseerklärung, mit dem Inhalt, der Artikel eines Autors werde makuliert, die Bundeszentrale distanziere sich „aufs Schärfste“, sehe „durch eine derartige Veröffentlichung ihre Arbeit desavouiert“, bedauere „diesen Vorgang außerordentlich“, dieser „einmalige Vorgang werde sich nicht wiederholen“, ist eine unverhältnismäßige Kritik, die den Betroffenen stigmatisiert1211. Hat die Behörde ihrer Sorgfaltspflicht bei der Ermittlung des Sachverhalts und dem Gebot der Verhältnismäßigkeit genügt, kann eine öffent1200 BerlVGH v. 20.8.2008 – VerfGH 22/08, NJW 2008, 3491. 1201 BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91 u.a., NJW 2002, 2621, 2624 – Glykol; v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91, AfP 2002, 410 = NJW 2002, 2626, 2627 f. – Osho. 1202 BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91 ua., NJW 2002, 2621, 2624 – Glykol; v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91, AfP 2002, 410 = NJW 2002, 2626, 2629 – Osho; v. 27.10.1988 – 1 BvR 1340/88, NJW 1989, 3271; BVerwG v. 13.3.1991 – 7 B 99/90, NJW 1991, 1770. 1203 LG Wiesbaden v. 22.6.2001 – 9 O 18/01, NJW 2001, 2977, 2978. 1204 Robbers, AfP 1990, 84, 88. 1205 BVerwG v. 17.8.2010 – 1 BvR 2585/06, NJW 2011, 511 Rz. 24; OVG Schleswig v. 1.7.1992 – 3 M 26/92, NJW 1993, 807; OVG Hamburg v. 24.8.1994 – Bs III 326/93, NVwZ 1995, 498. 1206 Wenzel, Tagungsbericht 67. Studienkreistagung NJW 1990, 2672. 1207 OLG Stuttgart v. 21.3.1990 – 1 U 132/89, AfP 1990, 145 = NJW 1990, 2690. 1208 Vgl. OVG Schleswig v. 1.7.1992 – 3 M 26/92, NJW 1993, 807. 1209 OVG Hamburg v. 24.8.1994 – Bs III 326/93, NVwZ 1995, 498. 1210 BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91, AfP 2002, 410 = NJW 2002, 2626 – Osho. 1211 BVerfG v. 17.8.2010 – 1 BvR 2585/06, NJW 2011, 511 Rz. 25 – Fall Löw.
842
Burkhardt/Peifer
XV. Öffentliche Äußerungen und Warnungen der Behörden
Rz. 280 Kap. 10
liche Warnung durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt sein1212. Großzügige Äußerungsbefugnisse werden dem Bundespräsidenten und Regierungsmitgliedern allerdings zugestanden, wenn sie im politischen Meinungskampf auftreten. Der Bundespräsident durfte in einer Diskussion mit Schülern Unterstützer rechtsextremer Parteien als „Spinner“ bezeichnen, weil die besondere Funktion des Bundespräsidenten im Staatsgefüge auch ohne gesetzliche Ermächtigung solche Freiheiten rechtfertige. Verboten bleiben Schmähkritik oder die ausgrenzende oder begünstige Äußerung in Bezug auf Parteien1213. Auch Regierungsmitgliedern wurden solche Befugnisse zugestanden, jedenfalls wenn ihre Äußerungen nicht mit klarem Bezug auf eine Amtstätigkeit erfolgten1214. Überschritten ist die Grenze, wenn durch staatliche Informationen Grundrechte, wie etwa die Versammlungsfreiheit, eingeschränkt werden1215. Eine amtliche Warnung ist eine Informationstätigkeit, die auch in Gestaltungsabsicht erfol- 280 gen und damit in den grundrechtlich geschützten Bereich des Betroffenen eingreifen kann. Eine solche Absicht wird nicht verfolgt, wenn ein Ministerium dem Landtag auf eine entsprechende Anfrage lediglich mitteilt, welche Praxis bei der Prüfung von Anträgen auf Bezuschussung von Musikveranstaltungen, an denen Scientologen usw. teilnehmen, zukünftig beabsichtigt sei1216. Das Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg hatte ausgeführt, dass das Prinzip der Liberalität, an dem die finanzielle Förderung von Kulturveranstaltungen und Künstlern durch die Landesregierung ausgerichtet sei, an die Grenzen des Hinnehmbaren stoße, „wenn letztlich mit Mitteln des Landes geförderte Künstler ihren Auftritt nachweislich in der Absicht absolvieren, für die Interessen von Gruppierungen … oder Ideen zu werben, die von der Landesregierung für bekämpfenswert erachtet werden“. Künftig müsse eine „Förderung von Veranstaltungen in Frage gestellt werden, bei denen aktiv und offen bekennende Scientologen … auftreten“. Durch eine solche Antwort wird lediglich der Stand der Überlegungen zu dem Konflikt mitgeteilt, der sich zwischen der staatlichen Förderung von kulturellen Veranstaltungen und Künstlern einerseits und der Landespolitik gegenüber Scientology ergeben kann. Eine Verletzung der aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 4 GG folgenden Schutzbereiche des betroffenen Künstlers erfolgt hierdurch nicht1217. Die Subventionierung privatrechtlich organisierter Einrichtungen mit Marktregulierungsfunktion durch Gewerbekritik wie z.B. der Stiftung Warentest oder der Verbraucher-
1212 Vgl. OLG Stuttgart v. 21.3.1990 – 1 U 132/89, AfP 1990, 145 = NJW 1990, 2690; LG Wiesbaden v. 22.6.2001 – 9 O 18/01, NJW 2001, 2977; ähnlich BVerfG v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91 u.a., NJW 2002, 2621, 2624 – Glykol. 1213 BVerfG v. 10.6.2014 – 2 BvE 4/13, BVerfGE 136, 323 – Fall Gauck. 1214 BVerfG v. 16.12.2014 – 2 BvE 2/14, NVwZ 2015, 209; ThürVerfGH v. 8.6.2016 – VerfGH 25/15, NVwZ 2016, 1408 – Fall Ramelow m. Anm. Mast, K&R 2016, 542; v. 3.12.2014 – VerfGH 2/14, ThürVBl. 2015, 295 – Fall Taubert; RhPfVerfGH v. 2711.2007 – VGH A 22/07, VGH O 27/07, NVwZ 2008, 897; Wahnschaffe, NVwZ 2016, 1767; vgl. Kap. 2 Rz. 30, 32. 1215 BVerfG v. 7.11.2015 – 2 BvQ 39/15, NVwZ-RR 2016, 241 – Anti-Pegida-Presseerklärung; OVG NW v. 4.11.2016 – 15 A 2293/15, DVBl. 2017, 131 – Licht-aus-Aktion; VG Düsseldorf v. 28.8.2015 – 1 K 1369/15, NWVBl. 2016, 174 – Dügida. 1216 VGH Mannheim v. 15.10.1996 – 10 S 176/96, NJW 1997, 754 – Chick Corea. 1217 VGH Mannheim v. 15.10.1996 – 10 S 176/96, NJW 1997, 754 – Chick Corea; Revision wurde nicht zugelassen: BVerwG v. 15.5.1997 – 3 B 19/97, NJW 1998, 2919; die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG v. 16.8.2002 – 1 BvR 1241/97, NJW 2002, 3458 – Chick Corea.
Burkhardt/Peifer 843
Kap. 10 Rz. 281
Sonderfragen
zentralen durch die Regierung wird man ebenso als legitim ansehen müssen1218, wobei allerdings die Bund-/Länderkompetenz zu beachten ist1219. 281
Verletzt die Behörde diese Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer öffentlichen Äußerung, kann das eine Amtspflichtverletzung i.S.d. § 839 BGB sein, die einen Unterlassungsund einen Beseitigungsanspruch in Form des Widerrufes auslöst1220. Im Verschuldensfall kann die Verpflichtung zum Schadensersatz begründet sein1221, evtl. auch zur Zahlung einer Geldentschädigung wie etwa bei unzulässiger Öffentlichkeitsfahndung1222.
282
Auch Kirchen bedürfen für kritische Äußerung gegenüber Grundrechtsträgern keiner Ermächtigungsgrundlage. Auch wenn eine Kirche den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts hat, handelt sie bei Kritik gegenüber anderen Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen in Wahrnehmung ihrer kirchlichen Aufgaben, zu denen auch der Meinungsstreit mit anderen Religionsgemeinschaften gehört1223. Das Recht zu solcher Kritik folgt aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Das der kritisierten Religionsgemeinschaft zustehende Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung ergibt keinen Anspruch, dass öffentliche Kritik unterbleibt1224. Äußert sich ein Sektenbeauftragter einer öffentlich-rechtlich korporierten Religionsgemeinschaft in der Öffentlichkeit über andere Personen und Unternehmen, unterliegt er im Hinblick auf deren Grundrechte nach Meinung des BGH1225 gesteigerten Sorgfaltspflichten. Äußert sich der Sektenbeauftragte in Wahrnehmung seiner kirchlichen Aufgaben, handelt er in Ausübung eines öffentlichen Amtes i.S.v. Art. 34 GG. Eine unzulässige Äußerung kann daher Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG auslösen1226.
1218 Paschke, AfP 1990, 89. 1219 Schatzschneider, NJW 1991, 2102; dazu ferner Gusy, NJW 2000, 977. 1220 BVerwG v. 16.2.1991 – 3 B 85/90, NJW 1992, 62, 63; OVG Koblenz v. 20.3.1990 – 7 A 101/89, NJW 1991, 2659; oben Kap. 5 Rz. 291. 1221 LG Stuttgart v. 23.5.1989 – 17 O 411/88, AfP 1989, 768 = NJW 1989, 2257; OLG Stuttgart v. 21.3.1990 – 1 U 132/89, AfP 1990, 145 = NJW 1990, 2690. 1222 OLG Hamm v. 15.7.1992 – 11 U 88/92, NJW 1993, 1209; vgl. Kap. 5 Rz. 291 und Kap. 10 Rz. 172 ff. 1223 BVerfG v. 13.7.1993 – 1 BvR 960/93, DVBl. 1993, 1204 = NVwZ 1994, 159; VGH Mannheim v. 26.8.1993 – 9 S 2023/93, NVwZ 1994, 598. 1224 BVerfG v. 9.6.1994 – 1 BvR 502/94, NVwZ 1995, 471; VGH Bayern v. 28.3.1994 – 7 CE 93.2403, NVwZ 1994, 787; VG München v. 29.9.2005 – 7 B 03.1369, NVwZ-RR 2006, 587 – „Universelles Leben“. 1225 BGH v. 20.2.2003 – III ZR 224/01, AfP 2003, 326 = MDR 2003, 809 = NJW 2003, 1308. 1226 BGH v. 20.2.2003 – III ZR 224/01, AfP 2003, 326 = MDR 2003, 809 = NJW 2003, 1308; dazu Wilms, NJW 2003, 2070; Wißmann, NJW 2003, 3455; Ehlers, JZ 2004, 196; Thiel, JR 2004, 148.
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Burkhardt/Peifer
Dritter Teil Ansprüche 11. Kapitel Gegendarstellungsanspruch I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
5. Bildgegendarstellung . . . . . . . . . . . .
102 103 103
1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . .
1
2. Rechtsnatur und Zweck der Gegendarstellung . . . . . . . . . . . . . . .
2
3. Anzuwendendes Recht . . . . . . . . . . .
6
II. Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruches . . . . . . . . . . . . .
10
1. Periodisches Druckwerk . . . . . . . . .
11
6. Sonstige Inhaltsbeschränkungen . . a) Kein strafbarer Inhalt . . . . . . . . . . b) Kein zivilrechtlich unzulässiger Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein werbender Inhalt . . . . . . . . . d) Kein offensichtlich unwahrer Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kein offensichtlich irreführender Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Aufgestellte Tatsachenbehauptung .
16
7. Überschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Mehrere Tatsachenbehauptungen. .
27
VII. Umfang der Gegendarstellung . . . .
122
III. Ausschluss des Entgegnungsrechts .
30
VIII. Form der Gegendarstellung. . . . . . .
127
1. Fehlendes berechtigtes Interesse. . .
31
1. Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
2. Parlaments- und Gerichtsberichte .
42
2. Schriftform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
3. Behauptungen in Anzeigen und Werbeeinschaltungen . . . . . . . . . . . .
47
4. Behauptungen in Gegendarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
130 131 136
50
3. Unterzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eigenhändige Unterzeichnung . . . b) Unterzeichnung durch Vertreter . c) Unterzeichnung durch Stellen und nicht rechtsfähige Personengemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Anspruchsberechtigte . . . . . . . . . . .
52
1. Person oder Stelle . . . . . . . . . . . . . . .
53
2. Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
V. Anspruchsverpflichtete . . . . . . . . . .
67
1. Verantwortlicher Redakteur . . . . . .
68
2. Verleger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
VI. Inhalt der Gegendarstellung . . . . . .
108 109 110 112 120
140
IX. Zuleitung und Abdruckverlangen. .
141
1. Form. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141
2. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unverzüglichkeit . . . . . . . . . . . . . . b) Drei-Monats-Frist . . . . . . . . . . . . .
148 149 158
74
1. Anknüpfung und Wiedergabe der Erstmitteilung . . . . . . . . . . . . . .
3. Zusatzforderungen und Fristsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
160
78
X. Abdruck der Gegendarstellung . . . .
165
2. Entgegnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
1. Prüfungsrecht und Prüfungspflicht
166
3. Sonstiger zulässiger Inhalt . . . . . . . a) Ergänzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beseitigung von Unklarheiten . . . c) Belegtatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . d) Belegschlussfolgerungen . . . . . . . . e) Zweifelfall-Entscheidung . . . . . . .
90 90 93 94 95 96
2. Nächstfolgende Nummer . . . . . . . . .
168
4. Beschränkung auf Tatsachenbehauptungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
3. Gleicher Teil des Druckwerks . . . . .
170
4. Gleiche Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . .
173
5. Keine Einschaltungen oder Weglassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
178
6. Weglassung der Unterschrift . . . . . .
182
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Kap. 11
Gegendarstellungsanspruch
7. Redaktionsschwanz . . . . . . . . . . . . .
183
8. Hinweis im Inhaltsverzeichnis . . . .
192
9. Umfang der Verbreitung . . . . . . . . .
193
10. Kosten des Abdrucks . . . . . . . . . . . .
195
11. Erstattung von Anwaltskosten . . . .
196
12. Datenschutzrechtliche Aufbewahrungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 197a XI. Zurückweisung des Abdruckverlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198
1. Keine Pflicht zur Formulierungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198
2. Frage der Darlegungslast . . . . . . . . .
199
3. Keine Ersatzpflicht bei unbegründeter Zurückweisung . . . . . . . . . . . .
202
XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches . . . . . . . . . . . . .
203
1. Anzuwendendes Prozessrecht . . . . .
204
2. Verfügungs- oder Hauptklageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208
3. Frist für Verfahrenseinleitung und Prozesshandlungen . . . . . . . . . . . . .
212
4. Notwendigkeit vergeblichen Abdruckverlangens. . . . . . . . . . . . . .
215
5. Wichtige Verfahrensgrundsätze . . . a) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Örtliche und sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . d) Objektive und subjektive Klagehäufung, Parteiwechsel . . . . . . . . . e) Verfügungsgrund, Dringlichkeit. . f) Glaubhaftmachung . . . . . . . . . . . . g) Mündliche Verhandlung . . . . . . . . h) Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Möglichkeit der Revision . . . . . . . j) Verfassungsbeschwerde und einstweilige Anordnung . . . . . . . . k) Erledigung der Hauptsache . . . . .
217 217 218 226 227 229 230 231 237 238 239 242
6. Änderung der Gegendarstellung im Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
243
7. Anordnungsbefugnis des Gerichts .
254
8. Kostentragungspflicht . . . . . . . . . . .
260
9. Vollziehung von Gegendarstellungsverfügungen . . . . . . . . . . . . . . .
263
10. Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
266
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11. Schadensersatz wegen Vollziehung unrichtigen Gegendarstellungsurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
271
XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen . . . . . . . . . . . . . . . . .
272
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlegende Regelungen . . . . . . b) Besonderheiten der RundfunkGegendarstellung . . . . . . . . . . . . . c) Auskunftspflicht . . . . . . . . . . . . . . d) Anspruchsverpflichtete . . . . . . . . . e) Datenschutzrechtliche Aufbewahrungspflicht . . . . . . . . . . . . . .
272 272
2. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk . . a) ARD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) ZDF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Deutschlandradio . . . . . . . . . . . . .
299 301 316 317
3. Privater Rundfunk . . . . . . . . . . . . . . a) Baden-Württemberg . . . . . . . . . . b) Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bremen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Mecklenburg-Vorpommern . . . . i) Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . j) Nordrhein-Westfalen. . . . . . . . . . k) Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . l) Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . m) Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . n) Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . o) Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . p) Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
318 319 320 321 322 323 324 325 326 327 328 329 330 331 332 333 334
XIV. Gegendarstellungen in Telemedien
335
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
335
2. Besonderheiten der Gegendarstellung in Telemedien . . . . . . . . . . . a) Anspruchsverpflichteter . . . . . . . . b) Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruchs. . . . . . . . . . c) Ausschluss des Entgegnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Aufnahme der Gegendarstellung in das Angebot . . . . . . . . . . . . . . . f) Redaktionsschwanz . . . . . . . . . . . . g) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Vertraglich vereinbartes Gegendarstellungsrecht . . . . . . . . . . . . . . .
281 288 291 298
341 341 353 354 355 356 360 362 363
Gegendarstellungsanspruch
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Schrifttum: Mathy, Das Unverzüglichkeits- und Aktualitätsgebot im Gegendarstellungsrecht, AfP 1971, 158; Wenzel, Nochmals: Grenzen des Gegendarstellungsanspruches, AfP 1971, 161; Löffler/Golsong/Frank, Das Gegendarstellungsrecht in Europa, Möglichkeiten der Harmonisierung, 1974; Wenzel, Gegendarstellungsverfahrensrecht und prozessualer Schadensersatz, AfP 1974, 682; Kühle, Gegendarstellung im Fernsehen, AfP 1975, 791; Thümmel/Schütze, Zum Gegendarstellungsanspruch bei ausländischen Presseveröffentlichungen, JZ 1977, 786; Neuschild, Der presserechtliche Gegendarstellungsanspruch, Diss. Hamburg 1977; Pärn, Das Honorar des Rechtsanwaltes des Betroffenen in Gegendarstellungssachen, AfP 1978, 80; Soehring, Gegendarstellungsrecht: Deliktsrecht?, AfP 1978, 81; Seitz/Schmidt/Schoener, Die Gegendarstellung im Wahlkampf, NJW 1980, 1553; Wenzel, Kürzung und Änderung von Gegendarstellungen während des Verfahrens, AfP 1982, 1989; Hertin, Die Gegendarstellung im Rundfunk unter Berücksichtigung der Vorstellungen der EG-Kommission, ZUM 1985, 39; Hesse, Die Gegendarstellung in Presse und Rundfunk, ZUM 1985, 413; Bethge, Die Passivlegitimation für Gegendarstellungsbegehren im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, 1986; Seitz, Richterliches Plädoyer für mündliche Verhandlung in Gegendarstellungssachen, AfP 1991, 581; Schmidt, Die mündliche Verhandlung in Gegendarstellungssachen, AfP 1992, 31; Schmidt/Seitz, Nochmals: Zur Reform des Gegendarstellungsrechts, NJW 1992, 2400; Rehbock, Gegendarstellung auf dem Titelblatt einer Zeitschrift, NJW 1993, 1448; Pöppelmann, Gesetz zur Änderung des Saarländischen Pressegesetzes und des Rundfunkgesetzes für das Saarland, AfP 1994, 100; Groß, Zu den Voraussetzungen des Rechts auf Gegendarstellung und dessen Durchsetzung, AfP 1994, 264; Damm, Gegendarstellung als Schlagzeile?, AfP 1994, 270; Seitz, Saarländisches Gegendarstellungsrecht, NJW 1994, 2922; Stadler, Die internationale Durchsetzung von Gegendarstellungsansprüchen, JZ 1994, 642; Walter, Das neue Saarländische Gegendarstellungsrecht, AfP 1995, 367; Kübler, Gegendarstellung und Grundgesetz, AfP 1995, 629; Bruns, Zur Frage der Aktualitätsgrenze im Gegendarstellungsrecht, AfP 1996, 246; Eggert, Noch einmal: Gegendarstellung auf der Titelseite, AfP 1998, 169; Hochrathner, Die gerichtliche Durchsetzung von Gegendarstellungsansprüchen, ZUM 2000, 916; Korte, Das Recht auf Gegendarstellung im Wandel der Medien, 2002; Groß, Die Gegendarstellung im Spiegel von Literatur und Rechtsprechung. AfP 2003, 497; Gounalakis, Gegendarstellung bei gemischten Äußerungen?, FS für Apostolos Georgiades, 2005, S. 187; Flechsig/Karg, Inhalt und Umfagn der Nachbesserungsmöglichkeiten im Gegendarstellungsrecht, ZUM 2006, 177; Nink, Zu den Gegendarstellungsansprüchen Verstorbener, AfP 2007, 97; Sedelmeier, Die Sprache der Gegendarstellung, AfP 2005, 524; Sedelmeier, Zur Änderung der Gegendarstellung im Verfahren und der Wahrung der Unverzüglichkeit/Aktualitätsgrenze durch unzulässige Erstfassung, AfP 2006, 24; Sedelmeier, Zum rechtlichen Charakter des Abdruckverlangens, AfP 2007, 19; Sedelmeier, Zur Pflicht eines Verlages zur Beantwortung eines Gegendarstellungsverlangens, AfP 2007, 324; Grau, Das Recht der Gegendarstellung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, 2010; Sedelmeier, Wann und wodurch entsteht der konkrete Leistungsanspruch auf Abdruck einer Gegendarstellung?, AfP 2012, 345; Sedelmeier, Rechtsschutz gegen verdeckte oder mehrdeutige Aussagen und Eindrücke, AfP 2012, 451; Korte, Praxis des Presserechts, 2014; Lent, Aktuelle Rechtsfragen der Gegendarstellung in elektronischen Presseangeboten, ZUM 2016, 954; Seitz, Der Gegendarstellungsanspruch – Presse, Film, Funk, Fernsehen und Internet, 5. Aufl. 2017. 1. Reichspreßgesetz v. 7.5.1874 (RGBl. S. 65): § 11 Der verantwortliche Redakteur einer periodischen Druckschrift ist verpflichtet, eine Berichtigung der in letzterer mitgeteilten Tatsachen auf Verlangen einer beteiligten öffentlichen Behörde oder Privatperson ohne Einschaltungen oder Weglassungen aufzunehmen, sofern die Berichtigung von dem Einsender unterzeichnet ist, keinen strafbaren Inhalt hat und sich auf tatsächliche Angaben beschränkt. Der Abdruck muss in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden, für den Druck nicht bereits abgeschlossenen Nummer, und zwar in demselben Teile der Druckschrift und mit derselben Schrift wie der Abdruck des zu berichtigenden Artikels geschehen. Die Aufnahme erfolgt kostenfrei, soweit nicht die Entgegnung den Raum der zu berichtigenden Mitteilung überschreitet; für die über dieses Maß hinausgehenden Zeilen sind die üblichen Einrückungsgebühren zu entrichten.
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2. Baden-Württemberg, Gesetz v. 14.1.1964 (GesBl. S. 11), zuletzt geändert durch Gesetz v. 24.4.2018 (GBl. S. 129, 131): § 11 (1) Der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerks sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Verpflichtung erstreckt sich auf alle Nebenausgaben des Druckwerks, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung hat, wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist oder bei Anzeigen, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dienen. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Textes, so gilt sie als angemessen. Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Der Betroffene oder sein Vertreter kann den Abdruck nur verlangen, wenn die Gegendarstellung dem verantwortlichen Redakteur oder dem Verleger unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung, zugeht. (3) Die Gegendarstellung muss in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abgedruckt werden; sie darf nicht in der Form eines Leserbriefes erscheinen. Der Abdruck ist kostenfrei. Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (4) Für die Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der verantwortliche Redakteur und der Verleger in der Form des Absatzes 3 eine Gegendarstellung veröffentlichen. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Hauptverfahren findet nicht statt. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden (Gemeindeverbände) sowie der Gerichte. 3. Bayern, Gesetz v. 3.10.1949 i.d.F. v. 19.4.2000 (GVBl. S. 340), zuletzt geändert durch Gesetz v. 15.5.2018 (GVBl. S. 230): Art. 10 BayPrG (1) Der verantwortliche Redakteur und der Verleger einer Zeitung oder Zeitschrift sind verpflichtet, zu Tatsachen, die darin mitgeteilt wurden, auf Verlangen einer unmittelbar betroffenen Person oder Behörde deren Gegendarstellung abzudrucken. Sie muss die beanstandeten Stellen bezeichnen, sich auf tatsächliche Angaben beschränken und vom Einsender unterzeichnet sein. Ergeben sich begründete Zweifel an der Echtheit der Unterschrift einer Gegendarstellung, so kann die Beglaubigung der Unterschrift verlangt werden. (2) Der Abdruck muss unverzüglich, und zwar in demselben Teil des Druckwerks und mit derselben Schrift wie der Abdruck des beanstandeten Textes ohne Einschaltungen und Weglassungen erfolgen. Der Abdruck darf nur mit der Begründung verweigert werden, dass die Gegendarstellung einen strafbaren Inhalt habe. Die Gegendarstellung soll den Umfang des beanstandeten Textes nicht wesentlich überschreiten. Die Aufnahme erfolgt insoweit kostenfrei. (3) Der Anspruch auf Aufnahme der Gegendarstellung kann auch im Zivilrechtsweg verfolgt werden. 4. Berlin, Gesetz v. 15.6.1965 (GVBl. S. 744), zuletzt geändert durch Gesetz v. 4.4.2016 (GVBl. S. 150): § 10 (1) Die verantwortlichen Redakteure und die Verleger eines periodischen Druckwerks sind verpflichtet, eine Gegendarstellung von Personen oder Stellen zum Ausdruck zu bringen, die durch eine in
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Kap. 11
dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen sind. Die Verpflichtung erstreckt sich auf alle Nebenausgaben des Druckwerks, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung hat, wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist oder bei Anzeigen, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dienen. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Textes, so gilt sie als angemessen. Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Der Abdruck der Gegendarstellung kann von den betroffenen Personen oder Stellen oder ihren Vertretern nur verlangt werden, wenn die Gegendarstellung den verantwortlichen Redakteuren oder den Verlegern unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung, zugeht. Die Gegendarstellung bedarf der Schriftform. (3) Die Gegendarstellung muss in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abgedruckt werden; die Gegendarstellung darf nicht in Form eines Leserbriefes erscheinen. Der Abdruck ist kostenfrei; dies gilt nicht für Anzeigen. Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (4) Für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag der betroffenen Personen oder Stellen kann das Gericht anordnen, dass die verantwortlichen Redakteure und die Verleger in der Form des Absatzes 3 eine Gegendarstellung veröffentlichen. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden (Gemeindeverbände), der Bezirke sowie der Gerichte. (6) Auf den Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) finden die Absätze 1 bis 5 entsprechend Anwendung. Der Gegendarstellungsanspruch richtet sich gegen die Rundfunkanstalt, die für die redaktionelle Gestaltung der Sendung verantwortlich ist. Die Gegendarstellung muss unverzüglich für den gleichen Bereich sowie zu einer gleichwertigen Sendezeit wie die beanstandete Sendung verbreitet werden. 5. Brandenburg, Gesetz v. 13.5.1993 (GVBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz v. 21.6.2012 (GVBl. I S. 12): § 12 (1) Der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerks sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Verpflichtung erstreckt sich auf alle Nebenausgaben des Druckwerks, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nicht, 1. wenn die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung hat, 2. wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist oder 3. bei Anzeigen, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dienen. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Textes, so gilt sie als angemessen. Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Der Betroffene kann den Abdruck nur verlangen, wenn die Gegendarstellung dem verantwortlichen Redakteur oder dem Verleger unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung, zugeht.
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(3) Die Gegendarstellung muss in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltung, Weglassungen oder Zusätze abgedruckt werden; sie darf nicht in der Form eines Leserbriefs erscheinen. Der Abdruck ist kostenfrei. Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (4) Ist der Gegendarstellungsanspruch vergeblich geltend gemacht worden, so ist für seine Durchsetzung der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der verantwortliche Redakteur und der Verleger eine Gegendarstellung in der Form des Abs. 3 veröffentlichen. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Hauptverfahren findet nicht statt. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden und beschließenden Organe der Europäischen Gemeinschaft, des Bundes, der Länder und der Gemeinden (Gemeindeverbände) sowie der Gerichte. 6. Bremen, Gesetz v. 16.3.1965 (GBl. S. 63), zuletzt geändert durch Gesetz v. 8.5.2018 (GBl. S. 149, 151): § 11 (1) Der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerkes sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Verpflichtung erstreckt sich auf alle Nebenausgaben des Druckwerkes, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung hat oder 2. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist oder 3. es sich um eine Anzeige handelt, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dient. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Textes, so gilt sie als angemessen. Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform. Der Betroffene kann den Abdruck nur verlangen, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens 3 Monate nach der Veröffentlichung, dem verantwortlichen Redakteur oder dem Verleger zugeht. (3) Die Gegendarstellung muss in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer, in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleichwertiger Platzierung, gleicher Schriftgröße und Auszeichnung wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abgedruckt werden. Die Gegendarstellung darf nicht in Form eines Leserbriefes erscheinen. Der Abdruck ist kostenfrei, es sei denn, dass es sich um eine Gegendarstellung zu einer im Anzeigenteil verbreiteten Tatsachenbehauptung handelt. Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. Druckt ein Unternehmen der in § 7 Abs. 2 genannten Art, eine Zeitung oder Zeitschrift, eine Gegendarstellung ab, so hat die Gegendarstellung gleichfalls unverzüglich zu veröffentlichen, wer die behaupteten Tatsachen übernommen hatte. (4) Für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der verantwortliche Redakteur und der Verleger eine Gegendarstellung in der Form des Absatzes 3 veröffentlichen. Auf diese Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Hauptverfahren findet nicht statt. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden (Gemeindeverbände) sowie der Gerichte.
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7. Hamburg, Gesetz v. 29.1.1965 (GVBl. S. 15), zuletzt geändert durch Gesetz v. 18.5.2018 (GVBl. I S. 184): § 11 (1) Der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerks sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Verpflichtung erstreckt sich auf alle Nebenausgaben des Druckwerks, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Textes, so gilt sie als angemessen. Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Der Betroffene oder sein Vertreter kann den Abdruck nur verlangen, wenn die Gegendarstellung dem verantwortlichen Redakteur oder dem Verleger unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung, zugeht. (3) Die Gegendarstellung muss in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abgedruckt werden. Sie darf nicht in Form eines Leserbriefes erscheinen. Der Abdruck ist kostenfrei, es sei denn, der beanstandete Text ist als Anzeige abgedruckt worden. Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (4) Für die Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der verantwortliche Redakteur und der Verleger in der Form des Absatzes 3 eine Gegendarstellung veröffentlichen. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden (Gemeindeverbände) sowie der Gerichte. 8. Hessen, Gesetz v. 20.11.1958 (GVBl. S. 183), i.d.F.v. 12.12.2003 (GVBl. I 2004, S. 2), zuletzt geändert durch Gesetz v. 3.5.2018 (GVBl. S. 82): § 9 (1) Der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerks sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Verpflichtung erstreckt sich auf alle Nebenausgaben des Druckwerks, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nur, wenn und soweit die betroffene Person oder Stelle ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung hat und wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach angemessen ist. Der Abdruck der Gegendarstellung muss von dem Betroffenen oder seinem Vertreter ohne schuldhaftes Zögern verlangt werden. Die Gegendarstellung bedarf der Schriftform und muss von dem Betroffenen unterzeichnet sein. Sie muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. (3) Der Abdruck muss in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer, in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen erfolgen. Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. Der Abdruck ist kostenfrei, soweit nicht der Umfang des beanstandeten Textes überschritten wird; im letzteren Fall sind die üblichen Einrückungsgebühren zu entrichten. (4) Auf Erfüllung kann geklagt werden. Das Gericht kann im Wege der einstweiligen Verfügung, auch wenn die Gefahr der Wiederholung nicht begründet ist, anordnen, dass der verantwortliche Redakteur und der Verleger in der Form des Abs. 3 eine bestimmte Gegendarstellung veröffentlichen.
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(5) Diese Bestimmung gilt nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes, der Länder, der Gemeinden (Gemeindeverbände) und der Gerichte. 9. Mecklenburg-Vorpommern, Gesetz v. 6.6.1993 (GVOBl. M-V S. 541), zuletzt geändert durch Gesetz v. 22.5.2018 (GVOBl. M-V S. 193, 204): § 10 (1) Der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerkes sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Verpflichtung erstreckt sich auf alle Nebenausgaben des Druckwerks, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Textes, so gilt sie als angemessen. Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Der Betroffene oder sein Vertreter kann den Abdruck nur verlangen, wenn er die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung dem verantwortlichen Redakteur oder dem Verleger zuleitet. (3) Die Gegendarstellung muss in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abgedruckt werden. Der Abdruck ist kostenfrei. Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. Die Gegendarstellung darf nicht in Form eines Leserbriefes erscheinen. (4) Für die Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der verantwortliche Redakteur und der Verleger in der Form des Absatzes 3 eine Gegendarstellung veröffentlichen. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden (Gemeindeverbände) und der Gerichte. 10. Niedersachsen, Gesetz v. 22.3.1965 (GVBl. S. 9), zuletzt geändert durch Gesetz v. 16.5.2018 (GVBl. S. 66): § 11 (1) Der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerks sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Verpflichtung erstreckt sich auf alle Nebenausgaben des Druckwerks, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist oder 2. es sich um eine Anzeige handelt, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dient. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Textes, so gilt sie als angemessen. Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform. Der Betroffene kann den Abdruck nur verlangen, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens drei Monate nach der Veröffentlichung, dem verantwortlichen Redakteur oder dem Verleger zugeht. (3) Die Gegendarstellung muss in der dem Zugang der Einsendung folgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der bean-
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standete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abgedruckt werden; sie darf nicht gegen den Willen des Betroffenen in der Form eines Leserbriefes erscheinen. Der Abdruck ist kostenfrei, es sei denn, dass der beanstandete Text als Anzeige abgedruckt worden ist. Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (4) Ist der Gegendarstellungsanspruch vergeblich geltend gemacht worden, so ist für seine Durchsetzung der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der verantwortliche Redakteur und der Verleger in der Form des Absatzes 3 eine Gegendarstellung veröffentlichen. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. § 926 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes und der Länder, der Vertretungen der Gebietskörperschaften sowie der Gerichte. 11. Nordrhein-Westfalen, Gesetz v. 24.5.1966 (GVBl. S. 340), zuletzt geändert durch Gesetz v. 8.5.2018 (GV NRW S. 214): § 11 (1) Der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerks sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Verpflichtung erstreckt sich auf alle Nebenoder Unterausgaben des Druckwerks, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn a) die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung hat oder b) die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist oder c) es sich um eine Anzeige handelt, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dient. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Textes, so gilt sie als angemessen. Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Der Betroffene oder sein Vertreter kann den Abdruck nur verlangen, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung, dem verantwortlichen Redakteur oder Verleger zugeht. (3) Die Gegendarstellung muss in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abgedruckt werden; sie darf nicht in der Form eines Leserbriefes erscheinen. Der Abdruck ist kostenfrei. Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (4) Für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der verantwortliche Redakteur und der Verleger in der Form des Absatzes 3 eine Gegendarstellung veröffentlichen. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden Organe des Bundes und der Länder und der Vertretungen der Gemeinden (Gemeindeverbände) sowie der Gerichte.
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12. Rheinland-Pfalz, Landesmediengesetz v. 4.2.2005 (GVBl. S. 23), zuletzt geändert durch Gesetz v. 8.5.2018 (GVBl. S. 75): § 11 LMG (1) Die redaktionell verantwortliche Person und die Person, die ein periodisches Druckwerk verlegt, sowie Rundfunkveranstalter sind verpflichtet, unverzüglich eine Gegendarstellung der Person oder Stelle, die durch eine in dem Druckwerk oder der Rundfunksendung aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist, ohne Kosten für die Betroffenen zum Abdruck zu bringen, zu verbreiten oder in das Angebot ohne Abrufentgelt aufzunehmen. Für die Wiedergabe einer Gegendarstellung zu einer im Anzeigen- oder Werbeteil verbreiteten Tatsachenbehauptung sind die üblichen Entgelte zu entrichten. (2) Die Gegendarstellung hat ohne Einschaltungen und Weglassungen in gleicher Aufmachung wie die Tatsachenbehauptung zu erfolgen. Bei Druckwerken muss sie in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text abgedruckt werden; sie darf nicht in der Form eines Leserbriefs erscheinen. Eine Erwiderung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken; dies gilt bei periodischen Druckwerken nur, sofern die Erwiderung in derselben Folge oder Nummer erfolgt. Verbreitet ein Unternehmen der in § 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b oder c genannten Art eine Gegendarstellung, so ist die Gegendarstellung gleichfalls unverzüglich so weit zu veröffentlichen, wie die behauptete Tatsache übernommen wurde. Im Rundfunk muss die Gegendarstellung unverzüglich innerhalb des gleichen Programms und der gleichen Programmsparte wie die beanstandete Tatsachenbehauptung sowie zur gleichen Tageszeit oder, wenn dies nicht möglich ist, zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. (3) Eine Verpflichtung zur Aufnahme der Gegendarstellung gemäß Absatz 1 besteht nicht, wenn 1. die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung hat, 2. der Umfang der Gegendarstellung unangemessen über den der beanstandeten Tatsachenbehauptung hinausgeht, 3. die Gegendarstellung sich nicht auf tatsächliche Angaben beschränkt oder einen strafbaren Inhalt hat, 4. die Gegendarstellung nicht unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Aufstellung der Tatsachenbehauptung, der nach Absatz 1 Satz 1 verpflichteten Person schriftlich und von der betroffenen Person oder ihrer gesetzlichen Vertreterin oder ihrem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet zugeht oder 5. es sich um eine Anzeige in einem periodischen Druckwerk handelt, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dient. (4) Für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (5) Eine Verpflichtung zur Gegendarstellung besteht nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der übernationalen parlamentarischen Organe, der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes, der Länder und der kommunalen Gebietskörperschaften sowie der Gerichte. 13. Saarland, Gesetz v. 27.2.2002 (AmtsBl. S. 498, ber. S. 754), zuletzt geändert durch Gesetz v. 1.12.2015 (ABl. I S. 913): § 10 SMG (1) Die verantwortliche Redakteurin oder der verantwortliche Redakteur und die Verlegerin oder der Verleger eines periodischen Druckwerks und die Rundfunkveranstalterin oder der Rundfunkveranstalter sind verpflichtet, unverzüglich eine Gegendarstellung der Person oder Stelle, die durch eine in dem Druckwerk, der Rundfunksendung oder dem Angebot aufgestellte Tatsachenbehauptung be-
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troffen ist, ohne Kosten für die oder den Betroffenen zum Abdruck zu bringen, zu verbreiten oder in ihr oder sein Angebot ohne Abrufentgelt aufzunehmen. (2) Die Gegendarstellung ist ohne Einschaltungen und Weglassungen in gleicher Aufmachung wie die Tatsachenbehauptung anzubieten, sie darf nicht in der Form eines Leserbriefs erscheinen. Eine Erwiderung auf die Gegendarstellung darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. Satz 3 gilt bei periodischen Druckwerken nur, sofern die Erwiderung in derselben Nummer erfolgt. (3) Eine Verpflichtung zur Aufnahme der Gegendarstellung gem. Abs. 1 besteht nicht, wenn 1. die oder der Betroffene kein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung hat, 2. der Umfang der Gegendarstellung unangemessen über den der beanstandeten Tatsachenbehauptung hinausgeht, 3. die Gegendarstellung sich nicht auf tatsächliche Angaben beschränkt oder einen strafbaren Inhalt hat, 4. die Gegendarstellung nicht unverzüglich, bei periodischen Druckwerken spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Aufstellung der Tatsachenbehauptung, beim Rundfunk spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der Aufstellung der Tatsachenbehauptung der oder dem in Anspruch Genommenen schriftlich und von der oder dem Betroffenen oder ihrer oder seiner gesetzlichen Vertreterin oder ihrem oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet, zugeht, oder 5. es sich um eine Anzeige in einem periodischen Druckwerk handelt, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dient. (4) Für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (5) Eine Verpflichtung zur Gegendarstellung besteht nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der übernationalen parlamentarischen Organe, der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes und der Länder, der Gemeinden, der sonstigen kommunalen Körperschaften sowie die Gerichte. (6) Für die Gegendarstellung bei Telemedien gilt § 56 des Rundfunkstaatsvertrages in der jeweils geltenden Fassung. 14. Sachsen, Gesetz v. 3.4.1992 (GVBl. S. 125), zuletzt geändert durch Gesetz v. 26.4.2018 (GVBl. S. 198): § 10 (1) 1Der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerks sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. 2Die Verpflichtung erstreckt sich auf die Nebenausgaben des Druckwerks, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. die Gegendarstellung einen strafbaren Inhalt hat, 2. ihr Inhalt sich nicht auf tatsächliche Angaben beschränkt, 3. der beanstandete Teil zu einer Anzeige gehört, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dient, 4. die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung hat oder 5. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist; sie gilt als angemessen, sofern ihr Umfang den Umfang der beanstandeten Erstermittlung nicht überschreitet. (3) 1Die Gegendarstellung bedarf der Schriftform und muss von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. 2Der Betroffene kann den Abdruck nur verlangen, wenn die
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Gegendarstellung unverzüglich nach Kenntniserlangung, spätestens drei Monate nach der Veröffentlichung der beanstandeten Erstermittlung dem verantwortlichen Redakteur oder dem Verleger zugeht. (4) 1Die Gegendarstellung muss in der dem Zugang der Einsendung folgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen kostenfrei abgedruckt werden. 2Sie darf nicht gegen den Willen des Betroffenen in der Form eines Leserbriefes erscheinen. 3Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. 4Dieselbe Verpflichtung trifft den Verleger oder den verantwortlichen Redakteur eines anderen Unternehmens, das den beanstandeten Text übernommen hat. (5) 1Der Anspruch auf Abdruck der Gegendarstellung kann vor den ordentlichen Gerichten auch im Verfahren der einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden. 2Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. (6) Die Absätze 1 bis 5 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe der Europäischen Gemeinschaft, des Bundes und der Länder, der Vertretungen der Gebietskörperschaften sowie der Gerichte. 15. Sachsen-Anhalt, Gesetz i.d.F. der Bekanntmachung v. 2.5.2013 (GVBl. S. 198, 199), zuletzt geändert durch Gesetz v. 29.3.2018 (GVBl. 22, 23): § 10 (1) Der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerks sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Verpflichtung erstreckt sich auf alle Nebenausgaben des Druckwerks, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist oder 2. es sich um eine Anzeige handelt, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dient. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Textes, so gilt sie als angemessen. Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform. Der Betroffene kann den Abdruck nur verlangen, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens drei Monate nach der Veröffentlichung, dem verantwortlichen Redakteur oder dem Verleger zugeht. (3) Die Gegendarstellung muss in der dem Zugang der Einsendung folgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abgedruckt werden; sie darf nicht gegen den Willen des Betroffenen in der Form eines Leserbriefes erscheinen. Der Abdruck ist kostenfrei, es sei denn, dass der beanstandete Text als Anzeige abgedruckt worden ist. Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (4) Ist der Gegendarstellungsanspruch vergeblich geltend gemacht worden, so ist für seine Durchsetzung der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der verantwortliche Redakteur und der Verleger in der Form des Absatzes 3 eine Gegendarstellung veröffentlichen. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. § 926 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes und der Länder, der Vertretungen der Gebietskörperschaften sowie der Gerichte.
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16. Schleswig-Holstein, Gesetz i.d.F.v. 31.1.2005 (GVOBl. S. 105), zuletzt geändert durch Gesetz v. 2.5.2018 (GVOBl. S. 162): § 11 (1) Die verantwortliche Redakteurin oder der verantwortliche Redakteur und die Verlegerin oder der Verleger eines periodischen Druckwerks sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Verpflichtung erstreckt sich auf alle Nebenausgaben des Druckwerks, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung hat oder wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Textes, so gilt sie als angemessen. Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von der oder dem Betroffenen oder ihrer oder seiner gesetzlichen Vertreterin oder ihrem oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Diese können den Abdruck nur verlangen, wenn die Gegendarstellung der verantwortlichen Redakteurin, dem verantwortlichen Redakteur, der Verlegerin oder dem Verleger unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung, zugeht. (3) Die Gegendarstellung muss in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abgedruckt werden. Der Abdruck ist kostenfrei; es sei denn, der beanstandete Text ist als Anzeige abgedruckt worden. Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. Die Gegendarstellung darf nicht in Form eines Leserbriefes erscheinen. (4) Wird der frist- und formgerechte Abdruck der Gegendarstellung verweigert, so entscheiden auf Antrag der oder des Betroffenen die ordentlichen Gerichte. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass in diesem Verfahren über den Gegendarstellungsanspruch endgültig entschieden wird. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ist der Anspruch auf Abdruck der beanstandeten Gegendarstellung begründet, so ordnet das Gericht an, dass die verantwortliche Redakteurin oder der verantwortliche Redakteur und die Verlegerin oder der Verleger diese in der in Abs. 3 genannten Form und Frist veröffentlichen. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden (Gemeindeverbände) sowie der Gerichte. 17. Thüringen, Gesetz v. 31.7.1991 (GVBl. S. 271), zuletzt geändert durch Gesetz v. 16.7.2008 (GVBl. S. 243, 244): § 11 (1) Der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerks sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Ausdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Verpflichtung erstreckt sich auch auf alle Nebenausgaben des Druckwerks, in denen die Tatsachenbehauptung erschienen ist. (2) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn und soweit: 1. die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an ihrer Verbreitung hat; 2. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist oder 3. es sich um eine Anzeige handelt, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dient. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Textes, so gilt sie als angemessen. Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss vom Betroffenen unterschrieben sein. Der Betroffene kann den Abdruck nur verlangen, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens drei Monate nach der Veröffentlichung, dem verantwortlichen Redakteur oder dem Verleger zugeht.
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Gegendarstellungsanspruch
(3) Die Gegendarstellung muss in der dem Zugang der Einsendung folgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abgedruckt werden; sie darf nicht gegen den Willen des Betroffenen in der Form eines Leserbriefes erscheinen. Der Abdruck einer Gegendarstellung ist kostenfrei. Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (4) Für den Gegendarstellungsanspruch ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der verantwortliche Redakteur und der Verleger in der Form des Absatzes 3 eine Gegendarstellung veröffentlichen. Auf diese Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. § 926 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe der Europäischen Gemeinschaft, des Bundes und der Länder, der Vertretungen der Gebietskörperschaften sowie der Gerichte.
I. Allgemeines 1. Entstehungsgeschichte 1
Ihren historischen Ausgangspunkt hat die Pflicht der Presse zum Abdruck einer Entgegnung des Betroffenen in der als Folge der französischen Revolution 1789 in Frankreich proklamierten Pressefreiheit. Da sie missbraucht wurde, entwickelte der Abgeordnete Dulaure 1799 den Vorschlag, einen gesetzlichen Berichtigungsanspruch „jedermann zu gewähren, dessen Ehre durch eine Pressemitteilung berührt“ werde. Wie Kitzinger schreibt, gebührt ihm der Ruhm der „Erfindung“ des Rechtes zur Berichtigung, d.h. des heutigen Gegendarstellungsanspruches. Gesetz wurde sein Vorschlag im Zusammenhang mit dem französischen Pressegesetz von 1822. Das badische Pressegesetz von 1831 hat die Regelung übernommen und diesen Anspruch zusätzlich zu der bereits zuvor geltenden Pflicht eingeführt, Berichtigungen aufgrund behördlicher Anweisung kostenfrei abzudrucken. Die Pflicht zu solchen amtlichen Berichtigungen ist in das Reichspreßgesetz von 1874 nicht aufgenommen worden. Durch seinen § 11 hat es den verantwortlichen Redakteur einer periodischen Druckschrift aber verpflichtet, auf Verlangen einer beteiligten öffentlichen Behörde oder Privatperson eine vom Einsender unterzeichnete Berichtigung mitgeteilter Tatsachen aufzunehmen, sofern sie keinen strafbaren Inhalt hat und sich auf tatsächliche Angaben beschränkt. Die Bezeichnung dieser „Berichtigung“ als Gegendarstellung ist erstmalig in den nach 1945 eingeführten Landespressegesetzen verwendet worden. 2. Rechtsnatur und Zweck der Gegendarstellung
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Die Rechtsnatur des Gegendarstellungsanspruches war bis in die Mitte der 1960er Jahre vor allem insofern umstritten, als in § 11 des Reichspreßgesetzes, das bis dahin, ausgenommen nur Bayern und Hessen, in den Ländern als Landesrecht fortgegolten hat, für den Fall des Nichtabdruckes strafrechtliche Sanktionen vorgesehen waren. Das Verweigern des Abdruckes einer Gegendarstellung ist heute nur noch nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 des Bayerischen PrG eine Ordnungswidrigkeit und mit Geldbuße bedroht, was das BayObLG als verfassungskonform bezeichnet hat1. Im Übrigen stellt ein Verstoß gegen das Glossierungsverbot nach einigen LPG
1 BayObLG v. 1.10.1985 – 3 ObOWi 97/85, MDR 1986, 168 = AfP 1986, 127.
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I. Allgemeines
Rz. 3 Kap. 11
noch eine Ordnungswidrigkeit dar (z.B. § 22 Abs. 1 Nr. 3 LPG BW; § 21 Abs. 1 Nr. 4 BlnPrG). Neben anderen Problemen war die Frage, ob der Gegendarstellungsanspruch gleichwohl im Zivilrechtswege durchgesetzt werden könne. Hierzu ist die sog. öffentlich-rechtliche Auffassung vertreten worden, nach der als geschütztes Rechtsgut die öffentliche Ordnung anzusehen sei2. Neben der privatrechtlichen Auffassung, nach der der Gegendarstellungsanspruch Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, wurde außerdem die gemischtrechtliche Theorie vertreten, nach der § 11 einen Kontrahierungszwang auslöse, wodurch der Anspruch einen öffentlich-rechtlichen Einschlag erhalte3. Nachdem die zivilrechtliche Durchsetzbarkeit inzwischen in sämtlichen Bundesländern gesetzlich geregelt, die Strafbewehrung des Nichtabdruckes hingegen (mit Ausnahme von Bayern) entfallen ist, hat dieser Streit seine Basis verloren4. Nach der heute wohl unbestrittenen Auffassung hat der Gegendarstellungsanspruch seine 3 Wurzel im allgemeinen Persönlichkeitsrecht5. Er ist ein spezifisch presserechtlicher Anspruch sui generis6, der nach Auffassung des BGH7 nichtvermögensrechtlicher Natur ist8. Insbesondere im Panorama-Urteil hat es auch der BGH als Aufgabe der Gegendarstellung bezeichnet9, „vorrangig das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu schützen, dem Betroffenen Selbstverteidigung gegen Einwirkungen der Medien auf diese auch rechtlich geschützte Individualsphäre durch die Befugnis zu gewähren, an gleicher Stelle und mit entsprechendem Publizitätsgrad die ihn betreffende Darstellung durch seine Wortmeldung, seine Sicht des mitgeteilten Sachverhaltes zu vervollständigen.“ In seinem Beschluss vom 8.2.1983 zum Gegendarstellungsrecht nach dem NDR-Staatsvertrag hat das Bundesverfassungsgericht sich dieser Auffassung angeschlossen10. Auch der EGMR sieht das Gegendarstellungsrecht als einen wichtigen Bestandteil des Rechts auf freie Meinungsäußerung an, welches zum Anwendungsbereich von Art. 10 EMRK gehört11. Danach ist das Gegendarstellungsrecht ein den Gegebenheiten der modernen Massenkommunikationsmittel angepasstes, für das Sondergebiet des Medienrechts näher ausgestaltetes Mittel zum Schutz des Einzelnen gegen Einwirkungen der Medien auf seine Individualsphäre, mit dem er sich wirksam zu einer Zeit verteidigen kann, in der, anders als es bei den sonstigen Rechtsschutzmöglichkeiten oft zutrifft, der zugrunde liegende Vorgang der Öffentlichkeit noch in Erinnerung ist (audiatur et altera pars). Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist der Gegendarstellungsanspruch zwar nicht unmittelbar verfassungsrechtlich gewährleistet. Er diene aber dem Schutz der Selbstbestimmung des Einzelnen über die Darstellung seiner Person, die von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst werde.
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Häntzschel, Reichspressegesetz, S. 78. Näheres Uhlitz, NJW 1962, 526; Löffler, NJW 1962, 904; Groß, NJW 1963, 479. Ebenso Seitz, Kap. 1 Rz. 16. BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 40 ff.; Seitz, Kap. 1 Rz. 17; Koebel, NJW 1963, 790. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 43. BGH, NJW 1963, 151 – Staatskarosse; v. 31.3.1965 – VI ZR 56/65, NJW 1965, 1231 – Bamfolin. Ebenso BayVerfGH v. 8.7.2009 – Vf. 20-VI-08, BayVBl 2010, 369; vgl. dazu unten Rz. 223 und 3. Aufl. Rz. 11.174. BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198, 1201. BVerfG v. 8.2.1983 – 1 BvL 20/81, MDR 1983, 551 = AfP 1983, 334 = NJW 1983, 1179. EGMR v. 3.4.2012 – 43206/07, NJW-RR 2013, 1132 – Kaperzynski/Polen.
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Kap. 11 Rz. 4 4
Gegendarstellungsanspruch
Auf der anderen Seite ist der Schutz der Pressefreiheit zu beachten. Die Pressefreiheit schützt die Pressetätigkeit in sämtlichen Aspekten, sowohl hinsichtlich der Gründung als auch der Gestaltung von Presseerzeugnissen. Zur inhaltlich Gestaltungsfreiheit gehört es auch, zu bestimmen, welche Themen behandelt und welche Beiträge in eine Ausgabe aufgenommen werden12. Dies gilt auch für die Gestaltung des Titelblattes13. Werden im Internet Artikel der Druckausgabe im Wesentlichen inhaltsgleich publiziert und stehen zu dieser in einem Ergänzungsverhältnis, so fallen auch diese in den Schutzbereich der Pressefreiheit, da ihnen die Wahl eines alternativen Verbreitungswegs nicht den Charakter als Presseerezugnis nimmt14. Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung greift in den Schutzbereich des Grundrechts ein15. Insbesondere die Verpflichtung, eine Gegendarstellung auf dem Titelblatt zu veröffentlichen, stellt regelmäßig eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Grundrechts dar16. In seiner MOZ-Entscheidung17 weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass ein solcher Eingriff in das Grundrecht der Pressefreiheit einer gesetzlichen Ausgestaltung bedürfe. Art. 2 Abs. 1 GG stelle keine unmittelbare Eingriffsgrundlage dar. Fehle jedoch eine gesetzliche Gegendarstellungsregelung, verstoße der Gesetzgeber gegen seine grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Der gebotene Schutz komme zugleich der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung zugute, weil dem Leser neben der Information durch die Medien auch die Sicht des Betroffenen vermittelt werde. Das Bundesverfassungsgericht hat folgerichtig § 11 HambPresseG18, insbesondere dessen Regelungen über Ort und Umfang der Abdruckpflicht, als mit der Pressefreiheit noch zu vereinbarende Schrankenbestimmung erklärt. Der Gegendarstellungsanspruch sei auch nicht angesichts der bestehenden zivil- und strafrechtlichen Möglichkeiten des Persönlichkeitsrechtsschutzes überflüssig, da diese nicht zu einem Entgegnungsrecht des Betroffenen führten19. Jedoch ist bei der Auslegung und Anwendung der einfachgesetzlichen Normen des Landespresserechts die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts der Pressefreiheit einerseits und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts andererseits ausreichend zu berücksichtigen20. Verfassungsrechtlich ist daher auch ein Gegendarstellungsrecht gegen lediglich weiterverbreitete Sendungen erforderlich21. Das Fehlen eines gesetzlichen Gegendarstellungsanspruchs gegen Sendungen von „arte – Der europäische Kulturkanal“ und „3sat“ verletzt den verfassungsrechtlich gebotenen Schutzanspruch und verstößt zugleich gegen gegen Art. 28 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste22 sowie Art. 8 des Europäischen Übereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen23. Auch für die Sender „PHOENIX – Der Ereignis- und Dokumentationskanal“ und „KI.KA – Der Kinderkanal“ fehlen spezielle Gegendarstellungsregelungen, weshalb auch insofern eine ver12 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381; v. 19.12.2007, 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58. 13 BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433. 14 BVerfG v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229. 15 BVerfG v. 19.2.1993 – 1 BvR 1424/92, AfP 1993, 474; v. 19.12.2007, 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229; BayVerfGH v. 8.7.2009 – Vf. 20-VI-08, BayVBl 2010, 369. 16 BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, NJW 2018, 1596. 17 BVerfG v. 19.2.1993 – 1 BvR 1424/92, AfP 1993, 474. 18 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381. 19 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381. 20 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58 = NJW 2008, 1654; BayVerfGH v. 8.7.2009 – Vf. 20-VI-08, BayVBl 2010, 369. 21 BVerfG v. 4.11.1986 – 1 BvF 1/84, AfP 1986, 314 = NJW 1987, 239, 250 – Niedersachsen. 22 RL 2010/13/EU v. 10.3.2010, ABl. Nr. L 95/1. 23 I.d.F. des Änderungsprotokolls, BGBl. II 2000, 1090; s. Rz. 277.
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I. Allgemeines
Rz. 7 Kap. 11
fassungswidrige Schutzlücke besteht. Seitz24 nimmt insoweit jedoch keine Schutzlücke an, sondern will auf den jeweiligen (deutschen) Federführer abstellen und sieht daher bei 3sat das ZDF als Verpflichtete an (Näheres s. Rz. 294). Zweck der Gegendarstellung ist es, einem von einer Äußerung in einem Massenmedium Be- 5 troffenen die Möglichkeit zu einer Gegenäußerung zu geben. Der Betroffene soll die Medienberichterstattung durch seine eigene Wortmeldung um seine Sicht des mitgeteilten Sachverhalts ergänzen können25. Es bedarf weder einer Persönlichkeitsverletzung noch steht dem Anspruch die Wahrheit oder Rechtmäßigkeit der Erstberichterstattung entgegen. 3. Anzuwendendes Recht Im Entwurf eines Ehrenschutzgesetzes von 1959 war ein allgemeiner Gegendarstellungs- 6 anspruch vorgesehen, der im Verhältnis von jedermann zu jedermann wirken sollte. Dieser Entwurf ist gescheitert. Die Möglichkeiten des Internets haben diese Diskussion erneut angefacht. So setzte sich beispielsweise der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière in seiner Grundsatzrede zur Netzpolitik am 22.6.2010 im Deutschen Technikmuseum in Berlin für ein „privates Darstellungsrecht“ ein. Auch Betreiber von Suchmaschinen sollten die Darstellung des Betroffenen übernehmen und auf Platz 1 der Trefferliste setzen. Solche Vorstellungen sind bislang nicht umgesetzt worden (zur Diskussion des Vorschlags s. www.e-konsul tation.de/netzpolitik). Der Gegendarstellungsanspruch kann deswegen weiterhin lediglich aufgrund der LPG gefordert werden, ferner nach den für Rundfunk und Fernsehen sowie Telemedien geltenden Sonderbestimmungen (Rz. 272 ff.). Aus anderen Anspruchsgrundlagen lässt ein Gegendarstellungsanspruch sich nicht herleiten, weder aus § 242 BGB noch aus dem Deliktsrecht26. Möglich ist aber, die Gegendarstellungspflicht vertraglich zu vereinbaren (Näheres Rz. 363). Die Gesetzgebungskompetenz für das Gegendarstellungsrecht steht den Ländern zu. Trotz 7 der Diskussion über die Konvergenz der Medien und verschiedentlicher Vereinheitlichungsbemühungen, verfügen alle 16 Bundesländer über eigene Gegendarstellungsregelungen. Zumeist hat jedes Bundesland sein eigenes LPG und ein eigenes Landesrundfunk- oder Landesmediengesetz mit darin enthaltenem Gegendarstellungsrecht. Eine gemeinsame Regelung für den (privaten) Rundfunkbereich haben nur Berlin und Brandenburg27 sowie Hamburg und Schleswig-Holstein28. Im Saarland gilt für alle Medien eine einheitliche Regelung gem. § 10 SMG. In Rheinland-Pfalz wurden die presserechtlichen und die rundfunkrechtlichen Regelungen in einem Landesmediengesetz zusammengefasst und das Gegendarstellungsrecht in § 11 LMG für diese gemeinsam geregelt. Das ergibt 28 Gegendarstellungsregelungen. Hinzu kommen 12 Regelungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und das Gegendarstellungsrecht nach § 56 Rundfunkstaatsvertrag für Telemedien. Seit der Einführung des Privaten Rundfunks und der Wiedervereinigung gelten also mehr als 40 Regelungen. Trotz Übereinstimmung im Kern unterscheiden sie sich in vielerlei Hinsicht, z.B. bezüglich des Entgeg24 Seitz, Kap. 1 Rz. 9. 25 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; BerlVerfGH v. 20.8.2008 – 22/08, NJW 2008, 3491; BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198. 26 BVerfG v. 19.2.1993 – 1 BvR 1424/92, AfP 1993, 474; v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381. 27 Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg über die Zusammenarbeit im Bereich des Rundfunks vom 29.2.1992. 28 Staatsvertrag über das Medienrecht in Hamburg und Schleswig-Holstein vom 13.6.2006.
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Kap. 11 Rz. 8
Gegendarstellungsanspruch
nungsrechtes auf Anzeigen, des Unterzeichnungserfordernisses, der Fristen, der Möglichkeit eines Redaktionsschwanzes, des Gegendarstellungsverfahrensrechts usw. Diese Rechtszersplitterung wird allgemein bedauert. Auch die medienrechtliche Abteilung des 58. Deutschen Juristentages von 1990 hat sich mit großer Mehrheit für eine Vereinheitlichung ausgesprochen29. Die Diskussion wurde insbesondere durch die Änderung des SaarlPG und SaarlRfG im Jahr 1994 wieder entfacht. Zwar wurde das saarländische Gegendarstellungsrecht durch das Gesetz Nr. 1446 v. 1.3.200030 wieder auf seinen Stand vor der Änderung 1994 zurückgeführt. Die Gefahr weiterer Rechtszersplitterungen ist dadurch aber nicht ausgeräumt. Insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts31 zeigt, dass die Ländergesetzgeber über einen nicht unerheblichen Gestaltungsspielraum verfügen. 8
Die Rechtszersplitterung wäre weit weniger spürbar, wenn es eine um Wahrung der Rechtseinheit bemühte zentrale Revisionsinstanz gäbe, die zumindest bewirkt, dass die Rechtsprechung die Unterschiede nicht zusätzlich vermehrt, wie es seit Jahrzehnten der traurigen Wirklichkeit entspricht. Da die Landesgesetzgeber ein verfassungsrechtlich äußerst problematisches Gegendarstellungsverfahrensrecht geschaffen haben, gibt es diese Revisionsinstanz nicht32. Nach diesem in den meisten Fällen geltenden, die ZPO entgegen § 3 Abs. 1 EGZPO abwandelnden landesrechtlichen Verfahrensrecht können Gegendarstellungsforderungen nur in einem Verfahren geltend gemacht werden, auf das die Vorschriften über die einstweilige Verfügung entsprechend anwendbar sind (Näheres Rz. 208 ff.). Trotzdem wäre die Möglichkeit der Revision zum BGH nicht vollständig verbaut, wenn § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO dahin interpretiert würde, dass Gegendarstellungsurteile, mit denen über die Sache selbst endgültig entschieden wird, keine Verfügungsurteile im dort gemeinten Sinne sind. Leider hat der BGH diese Interpretation in seiner Bamfolin-Entscheidung33 mit der unverständlichen Begründung verworfen, für eine revisionsrechtliche Überprüfung lasse sich kein „ausreichendes Bedürfnis feststellen“. Eine diese Problematik betreffende Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht erst gar nicht zur Entscheidung angenommen34. Im Übrigen hätten die Landesgesetzgeber auf der Basis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts35 die Möglichkeit, die Anwendbarkeit des § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO auszuschließen.
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Nachdem die Rechtszersplitterung eine beklagenswerte Realität ist, kommt es in besonderer Weise darauf an, welches Recht im konkreten Fall anwendbar ist. Nach ganz herrschender Auffassung findet in entsprechender Anwendung des Art. 40 EGBGB das am Erscheinungsort des betreffenden Blattes geltende Recht Anwendung36. Erscheinungsort ist der Ort, an dem die öffentliche Verbreitung des Druckwerks beginnt. Das ist i.d.R. der Verlagsort. Dieser ist auch dann Erscheinungsort, wenn die gesamte Auflage eines Druckwerks an einen anderen Ort transportiert wird, um dort an die Öffentlichkeit verteilt zu werden37. Werden aber z.B. 29 58. DJT 1990, Sitzungsbericht K, S. 219. 30 AmtsBl. S. 834. 31 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381 – HbgPrG; v. 14.1.1998 – 1 BvR 1995/94, NJW 1998, 1385 – SaarlPG. 32 Vgl. Wenzel, AfP 1974, 682 und AfP 1975, 800. 33 BGH, NJW 1965, 1230. 34 BVerfG, AfP 1975, 800 m. abl. Anm. Wenzel. 35 BVerfG, AfP 1975, 800. 36 Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 192 f.; Seitz, Kap. 3 Rz. 1 ff.; a.A. Binder/Vesting/Schulz, § 56 RStV Rz. 12, der für die kollisionsrechtliche Anknüpfung den Gegendarstellungsanspruch als quasi-deliktisch einstuft und wegen der Eigenart des Mediums von einem sog. Distanzdelikt ausgeht, weshalb er die allgemeinen Zuständigkeitsregeln des Deliktsrechts anwenden will. 37 Löffler/Lehr, § 8 Rz. 20; Seitz, Kap. 3 Rz. 3.
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II. Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 10 Kap. 11
regional selbständige Ausgaben herausgegeben, können Erscheinungsort und Verlagssitz auseinanderfallen. Auch dann ist das Recht des Erscheinungsortes anzuwenden38. Soehring/Hoene39 kritisieren, dass dann für ein und dasselbe Periodikum mehrere unterschiedliche Rechtsordnungen anwendbar seien, in Abhängigkeit davon, ob ein Bericht von einer Lokalredaktion oder der Zentralredaktion stamme. Diesem Bedenken kann indes dadurch Rechnung getragen werden, dass an die Selbständigkeit der Regionalausgabe strenge Anforderungen gestellt werden. Das Unterhalten einer Lokalredaktion allein genügt dafür nicht. Zu fordern ist eine eigenständige Publikation. Bei einer Regionalausgabe mit besonderem Erscheinungsort gilt das dortige Recht auch dann, wenn zur Durchsetzung des Anspruchs das Gericht am Sitz des Verlagsortes angerufen werden muss; zum Gerichtsstand s. Rz. 218 ff. Das Gegendarstellungsrecht der einzelnen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist in den jeweiligen Gesetzen bzw. Staatsverträgen über die jeweilige Anstalt gesondert geregelt (s. Rz. 299 ff.). Maßgebend ist bei diesen nicht der Ausstrahlungsort, sondern welche Anstalt die Sendung ausgestrahlt hat. Übernimmt eine Rundfunkanstalt eine Sendung von einer anderen, wird auch die übernehmende Anstalt zum Ausstrahler. Auch von ihr kann daher grundsätzlich eine Gegendarstellung entsprechend der für sie geltenden gesetzlichen Regelung verlangt werden. Ist sie nicht zugleich die produzierende Anstalt, ist sie nach Ansicht des OLG München40 zur Ausstrahlung nur in ihrem Sendegebiet verpflichtet (Näheres Rz. 301). Bei Gegendarstellungen zu Sendungen in Fernseh-Gemeinschaftsprogrammen, die allein von den in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten gestaltet werden, sieht § 8 ARD-StV vor, dass der Anspruch allein gegen die einbringende Anstalt und nach dem für diese geltenden Recht zu richten ist (Näheres Rz. 303 ff.). Private Rundfunkveranstalter unterliegen dem Recht der Medienanstalt, welche die Zulassung erteilt hat und zwar unabhängig davon, wo sie ihren Sitz haben41. Nur für Telemedien besteht eine bundeseinheitliche Regelung in § 56 RStV. Auf im Ausland erscheinende Blätter, Internetangebote und dort ausgestrahlte Sendungen ist das ausländische Recht anzuwenden. Sieht das ausländische Recht keinen Gegendarstellungsanspruch vor, entfällt das Entgegnungsrecht.
II. Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruches Der Gegendarstellungsanspruch setzt eine in einem periodischen Druckwerk (Rundfunk s. 10 Rz. 272 ff.; Telemedien s. Rz. 335 ff.) aufgestellte Tatsachenbehauptung voraus. Auch eine Bildveröffentlichung kann als Tatsachenbehauptung aufzufassen sein. Maßgebend für den Sinn ist das Verständnis des unvoreingenommenen und verständigen Publikums bei Würdigung des Kontextes und der erkennbaren Begleitumstände42. Es genügt, dass der durchschnittliche Leser die Darstellung im Sinne einer Tatsachenbehauptung verstehen kann43. Auch das Erwecken eines Anscheins bzw. eines Eindrucks kann einen Gegendarstellungs-
38 OLG Hamburg, ArchPR 1976, 29; Koebel, NJW 1964, 1108; Seitz, Kap. 3 Rz. 4 mit Hinweis auf die Rspr. des LG München I. 39 Soehring/Hoene, § 29 Rz. 5. 40 OLG München v. 18.9.1996 – 21 U 4164/96, AfP 1997, 823. 41 OLG München v. 14.11.1997 – 21 U 5574/97, AfP 1998, 89 – PRO7; v. 12.5.2000 – 21 U 2966/00, AfP 2001, 70. 42 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58 – Gegendarstellung. 43 OLG Frankfurt v. 21.6.1985 – 10 U 131/85, AfP 1985, 289, 290; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 96; Gounalakis, S. 203; a.A. BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, NJW 2018, 1596.
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Kap. 11 Rz. 11
Gegendarstellungsanspruch
anspruch auslösen44. Behauptungen in Anzeigen, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dienen, sind in Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vom Entgegnungsrecht ausgenommen; in den übrigen Bundesländern kann auch auf solche Anzeigen entgegnet werden. Bei Gegendarstellungen auf Behauptungen in Anzeigen braucht allerdings der Abdruck überwiegend nicht kostenfrei zu erfolgen (Näheres Rz. 49). 1. Periodisches Druckwerk 11
Nach dem anzuwendenden § 7 LPG sind Druckwerke alle mittels der Buchdruckerpresse oder eines sonstigen zur Massenherstellung geeigneten Vervielfältigungsverfahrens hergestellten Schriften, besprochenen Tonträger, bildlichen Darstellungen mit und ohne Schrift sowie Musikalien mit Text oder Erläuterungen45. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 LPG gehören zu den Druckwerken auch die vervielfältigten Mitteilungen, mit denen Nachrichtenagenturen, Pressekorrespondenzen, Materndienste und ähnliche Unternehmen die Presse mit Beiträgen in Wort, Bild oder ähnlicher Weise versorgen46. In § 7 Abs. 2 Satz 2 LPG ist weiter vorgesehen, dass als Druckwerke auch die von einem presseredaktionellen Hilfsunternehmen gelieferten Mitteilungen gelten, und zwar ohne Rücksicht auf die technische Form, in der sie geliefert werden47. Den Bestimmungen der LPG über Druckwerke unterliegen nach § 7 Abs. 3 LPG48 nicht49 1. amtliche Druckwerke, soweit sie ausschließlich amtliche Mitteilungen enthalten, 2. die nur Zwecken des Gewerbes und Verkehrs, des häuslichen und geselligen Lebens dienenden Druckwerke, wie Formulare, Preislisten, Werbedrucksachen, Familienanzeigen, Geschäfts-, Jahres- und Verwaltungsberichte und dergleichen, sowie Stimmzettel für Wahlen.
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Amtliche Druckwerke i.S.v. Nr. 1 sind Druckwerke, die von einer öffentlichen Behörde oder in deren Auftrag für amtliche Zwecke hergestellt werden50. Lässt die Behörde das Druckwerk in einem Verlag erscheinen, greift das Privileg nur ein, wenn die Herausgabe in ihrem Namen erfolgt. Hat das Druckwerk neben dem amtlichen einen sonstigen Inhalt, entfällt das Privileg; insoweit kommt es auf die jeweilige Ausgabe an. Ebenso wenig privilegiert sind amtliche Informationen, die in nicht amtlichen Blättern erscheinen51. § 7 Abs. 3 Nr. 2 LPG betrifft sog. „harmlose Druckwerke“.
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Periodische Druckwerke sind nach § 7 Abs. 4 LPG Zeitungen und Zeitschriften sowie andere in ständiger, wenn auch unregelmäßiger Folge und im Abstand von nicht mehr als
44 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; krit. zu den neuerdings strengen Anforderungen Sedelmeier, AfP 2012, 451; OLG Hamburg v. 19.2.2008 – 7 U 94/07, AfP 2008, 314; OLG Düsseldorf v. 21.11.2007 – I-15 U 176/07, AfP 2008, 83; OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340; s. Rz. 41. 45 Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen § 6, Hessen § 4, Rheinland-Pfalz § 3 Abs. 2 Nr. 1 lit. a LMG; Saarland § 2 Abs. 2 SMG. 46 Berlin § 6 Abs. 2 Satz 1, Rheinland-Pfalz § 3 Abs. 2 Nr. 1 lit. b LMG; Saarland § 2 Abs. 2 SMG; Ausnahme: Bayern und Hessen. 47 Berlin § 6 Abs. 2 Satz 2, Rheinland-Pfalz § 3 Abs. 2 Nr. 1 lit. a LMG; Saarland § 2 Abs. 2 SMG; Ausnahme: Bayern und Hessen; a.A. OLG Frankfurt, ZV 1983 Heft 30 S. 6 für Agenturen. 48 Saarland § 2 Abs. 2 SMG. 49 Ausnahme: Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen. 50 Zum Begriff der Behörde vgl. § 1 Abs. 4 VwVfG. 51 BGH, NJW 1967, 562.
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II. Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 15 Kap. 11
sechs Monaten erscheinende Druckwerke52. Erscheinen bedeutet öffentliches Zugänglichmachen. Das Druckwerk muss also mit einer Auflage verbreitet werden, die nicht ganz geringfügig ist. In Bayern ist als Minimum eine 500 Stück übersteigende Auflage vorgesehen. Ein Blatt mit geringerer Auflage gilt in Bayern nur als Zeitung oder Zeitschrift, wenn ihr Bezug nicht an einen bestimmten Personenkreis gebunden ist. Diese Konkretisierung der Voraussetzung des Erscheinens eines Druckwerkes kann auch in den anderen Bundesländern als Richtmaß gelten. Erschienen ist eine Druckschrift folglich nicht, wenn sie in geringer Auflage lediglich an untereinander bekannte Mitglieder eines Vereins verteilt wird. Die Häufigkeit des Erscheinens ist ohne Bedeutung. Richtiger Auffassung nach kann deswegen auch auf Tatsachenbehauptungen in Wahlkampfzeitschriften entgegnet werden, sofern diese innerhalb einer Wahlkampfzeit mehrfach erscheinen, z.B. an vier Wochenenden53. Sedelmeier54 wendet dagegen ein, dies sei mit dem Tatbestandsmerkmal „ständig“ in § 7 Abs. 4 LPG nur schwer in Einklang zu bringen. Als Abgrenzungsmerkmal zu nichtperiodischen Druckwerken bedeutet „ständig“ jedoch nicht allein „auf Dauer“, sondern auch „auf bestimmte Dauer“55. Die praktischen Schwierigkeiten, dass nach Erscheinen der letzten Ausgabe eine Gegendarstellung nicht mehr veröffentlicht werden kann, entsprechen jenen bei anderen periodischen Druckwerken, deren Erscheinen z.B. wegen Insolvenz eingestellt wurde: Der rechtlich bestehende Anspruch ist tatsächlich nicht mehr durchsetzbar56. Die äußere Aufmachung des Druckwerks ist ohne Belang. Selbst im Abstand von nicht mehr als sechs Monaten erscheinende Plakate, z.B. zur Werbung für die soziale Marktwirtschaft, kommen als periodische Druckschriften in Betracht; ebenso die sog. Händlerschürze57. Auch regelmäßige Verbandsund Vereinsrundschreiben können als periodische Druckschriften anzusehen sein, sofern die Voraussetzungen des Erscheinens erfüllt sind, wie das bei großen Verbänden und Vereinen, z.B. Gewerkschaften, Versicherungsvereinen usw., regelmäßig der Fall sein wird. Ohne Bedeutung ist auch der inhaltliche Charakter. Dementsprechend sind Behauptungen in wissenschaftlichen Zeitschriften ebenfalls gegendarstellungsfähig58; ebenso Tatsachenbehauptungen, die nur in einem Teil der Ausgabe oder in Neben- oder Unterausgaben (sog. Kopfblätter, Lokal- und Bezirksausgaben, Tochterzeitungen) enthalten sind. Schriften, denen die wesensmäßige Gleichartigkeit oder die inhaltliche Abgeschlossenheit 14 fehlt, sind keine periodischen Druckschriften. Das trifft z.B. auf die einzelnen Titel einer Taschenbuchreihe zu bzw. auf die einzelnen Teile eines periodisch erscheinenden Lieferwerkes. Beilagen können als Bestandteil einer Druckschrift zu behandeln sein; dann richtet sich die Periodizität nach dem Charakter des Hauptwerkes. Ist eine Beilage als selbständige Druckschrift zu werten, folgt ihre Periodizität nicht schon daraus, dass sie einer periodischen Druckschrift beigefügt war. Diese ist vielmehr eigenständig zu prüfen. Probleme ergeben sich bei der sog. elektronischen Presse. Mangels Körperlichkeit der Ver- 15 vielfältigungsstücke erfüllen diese nicht den Begriff des Druckwerks59. Auch soll die elek52 Berlin § 6 Abs. 4, Hessen § 4 Abs. 3, Rheinland-Pfalz § 3 Abs. 2 Nr. 2 LMG, Saarland § 2 Abs. 2 SMG, in Bayern sind nach § 6 Abs. 2 nur Zeitungen und Zeitschriften als periodische Druckschriften anzusehen. 53 OLG Köln, OLGZ 1977, 103; so auch Damm, FS für Löffler, S. 26; Seitz, Kap. 5 Rz. 74. 54 Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 81. 55 OLG Köln, OLGZ 1977, 103. 56 Zur Veröffentlichungspflicht in einer anderen Ausgabe derselben Zeitung vgl. OLG München v. 21.5.2003 – 21 W 1372/03, AfP 2003, 458. 57 LG Berlin v. 13.4.1999 – 27 O 190/99, AfP 2000, 98. 58 BGH v. 9.4.1963 – VI ZR 54/62, NJW 1963, 1155 – Geisterreigen. 59 Vgl. Löffler/Lehr, § 7 Rz. 18, 36.
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Kap. 11 Rz. 16
Gegendarstellungsanspruch
tronische Presse nach der amtlichen Begründung des 9. RÄndStV zu den §§ 54 bis 56 RStV den dortigen Regelungen über Telemedien (s. Rz. 335 ff.) unterfallen. Diese schematische Einteilung berücksichtigt jedoch zu wenig die möglichen Formen der elektronischen Presse. Neben klassischen Browser-basierten Angeboten, in denen dynamisch Beiträge veröffentlicht, geändert und gelöscht werden, stellen Presseunternehmen u.a. E-Paper zur Verfügung. Diese enthalten zumeist eine digitale Kopie der jeweiligen Printausgabe des Presseerzeugnisses und werden an den Abonnenten per E-Mail übermittelt und können von diesem zumeist nur über eine begrenzte Zeitdauer hinweg per Download abgerufen werden. Solche elektronischen Presseerzeugnisse können die gesetzlichen Vorgaben nach § 56 Abs. 1 S. 3 RStV für Gegendarstellungen in Telemedien in zumutbarer Weise nicht erfüllen (Näheres Rz. 356). Funktional unterscheiden sich solche elektronischen Presseerzeugnisse nicht von der Printform. Es wäre daher sachnäher auf diese Form der elektronischen Presse das Gegendarstellungsrecht der Presse anzuwenden. Dies würde auch der verfassungsrechtlichen Sicht entsprechen. Danach fallen sogar redaktionell abweichend gestaltete, im Wesentlichen jedoch mit der Druckausgabe inhaltsgleiche Beiträge, die zu dieser in einem Ergänzungsverhältnis stehen, in den Schutzbereich der Pressefreiheit. Die Wahl eines alternativen Verbreitungsweges nimmt ihnen nicht den Charakter als Presseerzeugnis60. Dies rechtfertigt dann auch die Anwendung entsprechenden einfachen Rechts. In der Regel dürfte allerdings das berechtigte Interesse an einer zusätzlichen Gegendarstellung fehlen, wenn für das Printerzeugnis eine Gegendarstellung erwirkt wird, welche dann auch in der entsprechenden elektronischen Ausgabe enthalten ist. 2. Aufgestellte Tatsachenbehauptung 16
Tatsachenbehauptungen sind Behauptungen, die zumindest theoretisch dem Beweis zugänglich sind und sich damit als wahr oder unwahr feststellen lassen. Tatsachencharakter hat die Mitteilung eines Sachverhaltes. Den Gegensatz bilden Meinungsäußerungen, d.h. Äußerungen, über die sich auch bei Kenntnis des zugrunde liegenden Sachverhaltes streiten lässt, weil sie nicht einen Sachverhalt mitteilen, sondern einen als bekannt vorausgesetzten Sachverhalt bewerten (Näheres Kap. 4 Rz. 48 ff.). Ein Gegendarstellungsanspruch besteht nur gegenüber Tatsachenbehauptungen. Diese Beschränkung auf Tatsachenbehauptungen ist verfassungsgemäß61. Dem Begriff der Tatsachenbehauptung und seiner Abgrenzung zur Meinungsäußerung kommt daher erhebliche Bedeutung zu. Eine unzutreffende Einstufung der Erstmitteilung als Meinungsäußerung kann jedenfalls bei schwerwiegenden Vorwürfen, wie z.B. der Lüge und der Fälschung, den verfassungsrechtlich gebotenen Grundrechtsschutz des Betroffenen abschneiden und ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzen62. Handelt es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um eine Meinungsäußerung, stellt die Verpflichtung, eine Gegendarstellung abzudrucken, einen Verstoß gegen die Pressefreiheit dar63. Die Deutung der Erstmitteilung muss daher den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 GG64 aber 60 BVerfG v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229 Rz. 16. 61 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, NJW 2018, 1596. 62 BVerfG v. 25.8.1998 – 1 BvR 1435/98, NJW 1999, 483. 63 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381, 1382 f. v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, NJW 2018, 1596. 64 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381; v. 19.6.2002 – 1 BvR 792/02, NJW 2002, 3388; v. 17.9.2003 – 1 BvR 825/99, AfP 2004, 48; AfP 2008, 58; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, NJW 2018, 1596.
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II. Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 17 Kap. 11
auch von Art. 1 und 2 GG gerecht werden. Die Einordnung der Erstmitteilung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung ist durch das Bundesverfassungsgericht nachprüfbar65. Für die Auslegung und Deutung der Äußerung gelten dieselben Anforderungen, die im Zusammenhang mit der Meinungsäußerungsfreiheit entwickelt wurden66. Zu berücksichtigen ist insbesondere der Kontext, z.B. ob die Äußerung im Rahmens eines Kommentars getätigt wurde67. Auch kann das Titelblatt eine gegendarstellungsfähige Tatsachenbehauptung enthalten68. Entgegen einer vielfach geäußerten Meinung unterscheidet sich der Begriff der Tatsachenbehauptung in § 11 LPG vom Tatsachenbegriff in den §§ 824 BGB und 186 StGB nicht69. Allerdings mag ein solcher Anschein entstehen. Jede Behauptung, die einen Rechtsträger individuell betrifft, hat eine tatsächliche Grundlage, so dass praktisch auf jede einen Rechtsträger individuell betreffende Behauptung entgegnet werden kann, sofern der Betroffene meint, der behaupteten tatsächlichen Grundlage eine andere gegenüberstellen zu können. Insofern ergibt sich durchaus ein Unterschied, aber ein praktischer, kein theoretischer. Bei der tatsächlichen Grundlage der Erstmitteilung ist zwischen dem Grund- und dem De- 17 tailsachverhalt zu unterscheiden (Kap. 4 Rz. 74 ff.). Wird z.B. behauptet, ein Hotel habe einem Tester kalten Kaffee serviert, schließt das die Behauptung ein, dem Tester sei überhaupt Kaffee serviert worden. Dass das betroffene Hotel zur Entgegnung berechtigt ist, wenn in Wirklichkeit schon der behauptete Test nicht stattgefunden hat und damit bereits der Grundsachverhalt fehlt, kann nicht zweifelhaft sein. Die Behauptung, der Kaffee sei „kalt“ gewesen, betrifft den Detailsachverhalt. Auch die „Bewertung“ des Kaffees als „kalt“ enthält also die Mitteilung eines Sachverhaltes, nämlich eine Angabe zur Temperatur. Richtiger Auffassung nach ist der Betroffene berechtigt, auch hierauf zu entgegnen, allerdings nur, wenn er dem mitgeteilten Sachverhalt einen anderen gegenüberstellen kann, z.B. indem er mitteilt, die Temperatur des Kaffees habe kurz unter dem Siedepunkt gelegen. Ein solcher Kaffee ist auch und gerade bei objektiver Betrachtung nicht kalt, sondern warm bzw. „heiß“. Es handelt sich also nicht um eine unterschiedliche Wertung, sondern um einen anderen Sachverhalt. Hierzu weist Sedelmeier zutreffend darauf hin70, dass der Verfasser der Erstmitteilung es in der Hand hat, ob er einen Sachverhalt in Form einer exakten Darstellung mitteilen oder ob er ihn in wertende Formulierungen einkleiden will. Deswegen kann das Recht auf Gegendarstellung nicht von Formulierungsfragen abhängig gemacht werden71. Andernfalls könnte sich jedes Presseorgan 65 St. Rspr.; BVerfG v. 25.8.1998 – 1 BvR 1435/98, NJW 1999, 483, 484; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, NJW 2018, 1596; a.A. BayVerfGH v. 14.6.1994 – Vf.33-VI/94, NJW 1994, 2944. 66 BVerfG v. 25.8.1998 – 1 BvR 1435/98, NJW 1999, 483, 484; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229; OLG Karlsruhe v. 12.5.1999 – 6 U 22/99, NJW-RR 2000, 323, 324; OLG Düsseldorf v. 20.2.2008 – I-15 U 176/07, AfP 2008, 208; v. 26.6.2015 – I-16 U 85/15, AfP 2016, 163; OLG Hamburg v. 19.2.2008 – 7 U 94/07, AfP 2008, 314; Näheres Kap. 4. 67 BVerfG v. 17.9.2003 – 1 BvR 825/99, AfP 2004, 48; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229. 68 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381; BGH v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, MDR 1995, 804 = AfP 1995, 411 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco I; OLG Zweibrücken v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169 = NJW-RR 2015, 561 Rz. 29; dazu BVerfG v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, NJW 2018, 1596, OLG Zweibrücken v. 5.9.2012 – 4 U 72/12, BeckRS 2014, 03080 und BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; OLG Karlsruhe v. 6.11.1992 – 15 U 249/92, AfP 1992, 385 = NJW 1993, 1476; v. 30.11.2007 – 14 U 148/07, AfP 2008, 89. 69 So aber Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 98. 70 Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 99. 71 OLG Frankfurt v. 21.6.1985 – 10 U 131/85, AfP 1985, 289, 290; OLG Dresden v. 14.11.1996 – 4 U 2271/96, NJW 1997, 1379.
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Kap. 11 Rz. 18
Gegendarstellungsanspruch
der Abdruckpflicht ohne weiteres dadurch entziehen, dass es speziell die kritischen Behauptungen in Wertungsbegriffe kleidet. Würde der Entgegnungsanspruch wegen der Verwendung solcher Formulierungen versagt, wäre das Gegendarstellungsrecht lahmgelegt72. Gounalakis73 regt daher an, in Hinblick auf Gegendarstellungsansprüche im Zweifel von einer Tatsachenbehauptung auszugehen74. 18
Entgegnet werden kann nicht nur auf die Behauptung äußerer Tatsachen. Gleiches gilt für innere Tatsachen75. Z.B. sind Behauptungen zur inneren Einstellung der Mitglieder einer politischen Gruppe zur parlamentarischen Arbeit76, die Motive, ein Wiederaufnahmeverfahren in Gang zu setzen77 oder die Darstellung einer Absicht eines Unternehmens, eine Umstrukturierung des Personals vorzunehmen78, gegendarstellungsfähig. Enthält eine Vermutung zu inneren Tatsachen einen Tatsachenkern („Angesichts des Wutgeheuls konnte die Studentin gar nicht nachgeben, auch wenn sie das Theater mittlerweile leid sein mag“), kann darauf durch Mitteilung der wirklichen Motive entgegnet werden79. Das LG München I80 nimmt hinsichtlich der konkreten Verwendung Begriffs „Freundin“ ebenso eine innere Tatsache an, da es sich hierbei um Vorgänge auf dem Empfingungsebene bei der Abgrenzung zu einem schlichten Sichkennen handele. Ähnlich das OLG Karlsruhe zur Abgrenzung zur rein beruflichen Bekanntschaft81. Anders wenn der Meinungscharakter der Äußerung überwiegt, z.B. zwei Personen seien „dicke“ und „ziemlich beste Freunde“ gewesen82.
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Kann eine Behauptung in unterschiedlichem Sinne aufgefasst werden, war h.M.83, dass der Behauptende sich grundsätzlich jede nicht fernliegende Interpretationsmöglichkeit entgegenhalten lassen muss. Dies ergibt sich aus dem Zweck der Gegendarstellung, der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung wie auch dem Persönlichkeitsschutz des Betroffenen zu dienen84. Eine Übertragung der sog. Variantenlehre85 in das Recht der Gegendarstellung wurde daher ganz überwiegend abgelehnt86. Erstmals im Beschluss vom 19.12.200787 hat das Bundesverfassungsgericht die Auffassung vertreten, das Grundrecht der Pressefreiheit gebiete es, dass eine Verurteilung zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung nur möglich sei, wenn
72 Instruktiv die unterschiedlichen Rechtsauffassungen des BVerfG und des OLG Zweibrücken zu der Titelblattäußerung „J. – Sterbedrama um seinen besten Freund – Hätte er ihn retten können?“, s. Rz. 19. 73 Gounalakis, S. 203. 74 Dem zustimmend Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 96. 75 OLG Karlsruhe v. 29.2.2008 – 14 U 199/07, AfP 2008, 315. 76 OLG Hamburg v. 11.11.1982 – 3 U 150/82, AfP 1983, 289. 77 OLG Hamburg, NJW-RR 1994, 1189. 78 OLG Düsseldorf v. 26.6.2015 – I-16 U 85/15, AfP 2016, 163. 79 OLG Frankfurt v. 2.3.1983 – 8 U 177/81, AfP 1983, 279, 281. 80 LG München v. 23.7.2014 – 9 O 10522/14, AfP 2015, 180. 81 OLG Karlsruhe v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267. 82 BVerfG v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229; a.A. Vorinstanz KG v. 27.4.2015 – 10 U 61/15, BeckRS 2015, 117769. 83 Vgl. OLG Hamburg v. 19.2.2008 – 7 U 94/07, AfP 2008, 314. 84 Vgl. BVerfG v. 19.2.1993 – 1 BvR 1424/92, AfP 1993, 474. 85 Vgl. BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, MDR 1992, 526 = AfP 1992, 53 – Bayer; v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2006, 41 – Stolpe/IM-Sekretär; v. 24.5.2006 – 1 BvR 49/00, 1 BvR 55/00, 1 BvR 2031/00, AfP 2006, 349 – Babycaust. 86 Vgl. Sedelmeier, AfP 2012, 451. 87 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58.
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II. Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 20 Kap. 11
sich eine verdeckte Äußerung dem Leser als unabweisbare Schlussfolgerung aufdränge88. Eine Verurteilung sei nicht schon bei „nicht fernliegenden“ Deutungen möglich. Gleiches gelte auch für mehrdeutige Äußerungen. Das Gericht geht davon aus, dass von der Verpflichtung zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung ein ähnlich einschüchternder Effekt wie von Verurteilungen zum Schadensersatz, Entschädigung oder zur Berichtigung ausgehe. Obschon die Instanzgerichte89 der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts weitgehend gefolgt sind, vermag diese nicht zu überzeugen. Der Gegendarstellungsanpruch ist geprägt von dem Gedanken des audiatur et altera pars. Das Gegendarstellungsrecht will den Betroffenen zu Wort kommen lassen. Dabei ist anerkannt, dass ein Gegendarstellungsanspruch wegen Fehlen des berechtigten Interesses nicht besteht, wenn der Betroffene im Rahmen der Erstberichterstattung hinreichend zu Wort gekommen ist. Ist dies nicht der Fall, erhält der Leser durch die Gegendarstellung die Möglichkeit, die Sicht des Betroffenen zu erfahren und sich seine Meinung zu dem Vorgang zu bilden. Dies dient zugleich dem Schutz der Persönlichkeit. Dies gebietet es, wie Sedelmeier90 überzeugend nachgewiesen hat, den Gegendarstellungsanspruch gerade in Fällen mehrdeutiger oder verdeckter Behauptungen zuzulassen, auch wenn sich die der Erstmitteilung entnommene Aussage nicht unabweislich aufdrängt. Andernfalls würde der bezweckte Persönlichkeitsschutz unangemessen verkürzt. Im Übrigen wäre es sonst auch dem Medium überlassen, durch möglichst offene Formulierungen den Gegendarstellungsanspruch ins Leere laufen zu lassen. Diese Gefahr erkennt im Ergebnis auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es in seiner erneuten Entscheidung zu dem Aufmacher „J. – Sterbedrama um seinen besten Freund – Hätte er ihn retten können?“91 darauf hinweist, dass auch gegenüber Aufmacherfragen ein Schutzbedürfnis bestehen kann. Der Verweis auf andere presserechtliche Institute berücksichtigt allerdings nicht, dass auch der Leser ein Interesse an der Sicht des Betroffenen hat. Die vom Bundesverfassungsgericht erwähnte Geldentschädigung vermag zwar, dem Betroffenen Genugtuung zu geben, nicht aber die erforderliche Information der Öffentlichkeit zu bewirken. Abhilfe könnte dann nur der Anspruch auf Veröffentlichung der Unterlassungsverpflichtung bieten (dazu Kap. 13 Rz. 154 ff.). Richtigerweise ist daher an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten92. Heißt es z.B. „Als 20 einige Beamte versuchten, ihn zu kontrollieren, verlagerte er sein Aktionsfeld“, kann die Präposition „als“ nicht nur zeitlich, sondern auch kausal aufgefasst werden. Dementsprechend ist die Entgegnung zulässig „In Wirklichkeit hatten Verlagerungen meiner Einsätze mit der Kontrolle nichts zu tun“. Heißt es, jemand sei „zumindest als Mitwisser an einem Mordanschlag beteiligt“, kann das in dem Sinne verstanden werden, der Betroffene habe von dem 88 Zwischenzeitlich st. Rspr., vgl. BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433 = NJW 2014, 766; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229; v. 7.2.2018 – 1 BvR 422/15. 89 Vgl. nur OLG Hamburg v. 19.2.2008 – 7 U 94/07, AfP 2008, 314; OLG Düsseldorf v. 20.2.2008 – I-15 U 176/07, AfP 2008, 208; 9.2.2012 – I-15 W 45/08, ZUM-RD 2012, 391; OLG Dresden v. 12.7.2017 – 4 W 558/17, NJW-RR 2017, 1258 m.w.N. 90 Sedelmeier, AfP 2012, 451 und Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 94 ff. 91 BVerfG v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, NJW 2018, 1596; vorausgegangen: OLG Zweibrücken v. 5.9.2012 – 4 U 72/12, BeckRS 2014, 03080; 6.11.2008 – 3 W 152/12, BeckRS 2014, 03081; v. 6.3.2013 – 3 W 42/13, BeckRS 2014, 03079; BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; OLG Zweibrücken v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169. 92 OLG Zweibrücken v. 6.11.2008 – 4 U 48/08, NJOZ 2009, 4188; ebenso BeckOK InfoMedienR/ Brose/Grau, § 1004 BGB Rz. 20; a.A. BVerfG 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433 = NJW 2014, 766; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229; v. 7.2.2018 – 1 BvR 422/15; OLG Hamburg v. 19.2.2008 – 7 U 94/07, AfP 2008, 314; OLG Dresden v. 12.7.2017 – 4 W 558/17, NJW-RR 2017, 1258 m.w.N.
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Kap. 11 Rz. 21
Gegendarstellungsanspruch
Plan des Mordanschlages nicht lediglich beiläufig oder gar nur aus den Medien erfahren, sondern er habe dazu eine spezifische Beziehung. Fehlt sie, kann entgegnet werden: „Ich war an dem Mordanschlag nicht beteiligt.“ Allerdings muss der Eindruck, dem entgegengetreten werden soll, sich aus bestimmten Bezugspunkten entnehmen lassen und tatsächlicher Natur sein93. Fehlen solche, kann der Eindruck objektiv nicht entstehen. Ähnliches gilt für Fragen. Rhetorische Fragen können Meinungsäußerungen wie auch Tatsachenbehauptungen enthalten94. Nur wenn Tatsächliches behauptet wird, sind rhetorische Fragen gegendarstellungsfähig95. Echte Fragen stellen eine eigenständige semantische Kategorie dar. Sie stehen Meinungsäußerungen gleich, da auch sie nicht an den Kriterien von Wahrheit und Unwahrheit einer dem Beweis zugänglichen Aussage gemessen werden können96. Gegen diese scheidet ein Gegendarstellungsanspruch aus97. Im Zweifel geht das Bundesverfassungsgericht von einem weiten Fragebegriff aus und verneint eine Tatsachenbehauptung98. Auch Vermutungen kann der tatsächliche Charakter fehlen99. 21
Bei satirischen Darstellungen ist zwischen dem tatsächlichen Gehalt und der satirischen Einkleidung zu unterscheiden. In Zweifelsfällen ist zu fragen, ob es um reine Unterhaltung geht oder um eine Darstellung mit belehrendem oder sozialkritischem Charakter. Dann ist ein Tatsachenkern im Zweifel zu bejahen100. Wird z.B. satirisch bemerkt, ein Projekt habe die „kommunale Jury“ passiert, kann darauf nicht entgegnet werden, das Projekt sei vom Stadthallen-Bauausschuss genehmigt worden, weil der Sachverhalt damit nur in andere Worte gekleidet, d.h. unterschiedlich bewertet wird101.
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Eine Tatsachenbehauptung kann auch durch Verschweigen aufgestellt werden102. Das kann z.B. dadurch geschehen, dass bestimmte Personen oder Parteien in der Weise genannt werden, dass der Anschein entsteht, allein sie seien an dem Vorgang beteiligt gewesen, andere nicht. Waren andere beteiligt, z.B. Abgeordnete der Grünen, können sie den Abdruck einer Gegen-
93 OLG Naumburg v. 5.3.1999 – 6 U 203/98, NJW-RR 2000, 475; OLG Hamburg v. 26.9.2000 – 7 U 73/00, NJW-RR 2001, 186, 187; v. 19.2.2008 – 7 U 94/07, AfP 2008, 314; OLG Stuttgart v. 8.6.2000 – 4 W 26/2000, ZUM 2000, 773, 774; OLG Karlsruhe v. 30.11.2007 – 14 U 148/07, AfP 2008, 89; Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 81; vgl. Rz. 98; zur Auslegung einer Äußerung und der Frage, ob ein unabweisliches Aufdrängen vorliegt, vgl. OLG Zweibrücken v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169 zu BVerfG 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433 = NJW 2014, 766, erneut aufgehoben durch BVerfG v. 7.2.2018 – 1 BvR 422/15, NJW 2018, 1596. 94 BVerfG v. 12.11.2002 – 1 BvR 232/97, NJW 2003, 660; v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; OLG Hamburg v. 10.11.1994 – 3 U 194/94, AfP 1995, 517; OLG Zweibrücken v. 6.11.2008 – 4 U 48/08, NJOZ 2009, 4188; v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169, erneut aufgehoben durch BVerfG v. 7.2.2018 – 1 BvR 422/15, NJW 2018, 1596. 95 BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; v. 7.2.2018 – 1 BvR 422/15, NJW 2018, 1596; OLG Zweibrücken v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169. 96 BVerfG v. 12.11.2002 – 1 BvR 232/97, AfP 2003, 41 = NJW 2003, 660. 97 BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; LG Offenburg v. 21.12.2000 – 3 O 469/00, NJW-RR 2001, 1052 – „Prinzessin Caroline von Monaco wieder schwanger?“; zum Streit um die Aufmacherfrage „J. – Sterbedrama um seinen besten Freund – Hätte er ihn retten können?“ s. Fn. 91. 98 BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433. 99 OLG Karlsruhe v. 25.10.2002 – 14 U 67/02, AfP 2003, 439 = NJW-RR 2003, 109. 100 Vgl. OLG Frankfurt v. 16.7.1992 – 16 U 26/92, NJW-RR 1993, 852. 101 OLG Frankfurt v. 25.2.1982 – 16 U 164/81, AfP 1982, 179. 102 BGH v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65; vgl. Kap. 4 Rz. 15a.
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II. Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 24 Kap. 11
darstellung fordern, durch die ihre Beteiligung klargestellt wird103. War neben der Ehefrau eines Politikers auch deren Mann anwesend, kann hierauf hingewiesen werden, wenn durch die Erstmitteilung ansonsten der Eindruck eines möglicherweise moralisch anstößigen Zusammenseins erweckt wird104. Dass sich die Behauptung durch Sinninterpretation aus dem Zusammenhang ergibt, reicht aus105. Das Bundesverfassungsgericht106 fordert insoweit allerdings, die verdeckte Behauptung müsse sich unabweislich aufdrängen (s. Rz. 19). Dem ist, wie Sedelmeier107 überzeugend nachgewiesen hat, allerdings nicht zu folgen, da andernfalls das Gegendarstellungsrecht in weiten Teilen lahmgelegt wäre. Wird anstelle eines Zitates eine Reaktion geschildert (z.B.: „Bei Lektüre der Bilanz wurden die 23 Prüfer stutzig“), kann das im Sinne kritischer Bemerkungen zu verstehen sein. Dann kann z.B. entgegnet werden: „Keiner der Prüfer hat etwas Kritisches bemerkt.“ Gelegentlich wird an einen weitgehenden Vorwurf eine weniger gewichtige konkrete Behauptung angefügt (z.B.: „Gegen das Projekt gab es nachhaltige innerbetriebliche Widerstände. Ein Mitarbeiter verweigerte die Teilnahme“). In solchen Fällen ist im Zweifel davon auszugehen, dass mit dem weiter gehenden Vorwurf nicht lediglich der eine konkret behauptete Fall gemeint ist. Demzufolge kann auch entgegnet werden, wenn die konkrete Behauptung zutrifft. Ggf. kann das in Form einer „Klarstellung“ geschehen: „Zu der Behauptung … ist klarzustellen, dass es andere Fälle als den konkret behaupteten nicht gibt.“ Ebenso kann die Verbreitung eines Bildes oder Bildnisses eine Tatsachenbehauptung ent- 24 halten. Zu denken ist z.B. an Trickaufnahmen, Fotomontagen, Retuschen usw.108. Werden Behauptungen über eine Frau durch ein Busenfoto von ihr illustriert, wird darin im allgemeinen keine selbständige Tatsachenbehauptung zu erblicken sein, so dass nicht ohne weiteres der Abdruck eines Fotos gefordert werden kann, das sie bekleidet zeigt109. Eine Tatsachenbehauptung kann sich aber aus der Kombination von Bild und Text ergeben. Wird z.B. die Abbildung einer unter einer markenmäßig erkennbaren Besonnungsanlage liegenden Sängerin verbreitet und dazu behauptet, sie habe sich an Gesicht und Oberkörper Verbrennungen zugezogen, entsteht der Anschein, das sei mit dem abgebildeten Solarium geschehen. Deswegen kann entgegnet werden, sie habe sich die Verbrennungen bei Benutzung eines anderen Gerätes zugezogen110. Wird ein Foto mit nur zwei Personen und der Bildunterschrift „G … Erwischt! Nachts in Potsdam …“ veröffentlicht, erweckt dies den Eindruck, dass nur die beiden Abgebildeten nachts „erwischt“ worden seien. War auch der Ehemann der abgebildeten Frau zugegen, wurde aber im Bild nicht gezeigt, kann hierauf erwidert werden „Das Foto zeigt mich beim Verlassen einer Museumseröffnung zwischen 18 Uhr und 19 Uhr neben einer Ehefrau eines Politikers, der mit uns die Veranstaltung verließ, aber nicht abgebildet wurde“111. 103 OLG Karlsruhe v. 3.2.1984 – 13 W 20/84, AfP 1984, 114. 104 OLG München v. 22.8.2017 – 18 U 1632/17 Pre, AfP 2017, 499. 105 OLG Frankfurt v. 13.12.1979 – 16 U 131/79, AfP 1980, 38; OLG Köln v. 11.1.1985 – 15 U 270/84, AfP 1985, 65; OLG Hamburg v. 13.8.1987 – 3 U 78/87, AfP 1988, 143; OLG München v. 22.8.2017 – 18 U 1632/17 Pre, AfP 2017, 499; LG Darmstadt v. 29.11.1990 – 3 O 689/90, AfP 1992, 311. 106 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; v. 7.2.2018 – 1 BvR 422/15. 107 Sedelmeier, AfP 2012, 451. 108 OLG München v. 26.2.1973 – 21 U 2300/72, AfP 1973, 483; v. 31.7.1979 – 21 U 2407/79, AfP 1979, 364; OLG Karlsruhe v. 11.3.2011 – 14 U 186/10, AfP 2011, 282; LG München I v. 7.5.2003 – 9 O 5693/03, AfP 2003, 373. 109 OLG Hamburg v. 2.3.1984 – 3 W 47/84, AfP 1984, 115. 110 OLG München v. 31.7.1979 – 21 U 2407/79, AfP 1979, 364. 111 OLG München v. 22.8.2017 – 18 U 1632/17 Pre, AfP 2017, 499.
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Kap. 11 Rz. 25
Gegendarstellungsanspruch
25
Die Tatsachenbehauptung muss aufgestellt sein. Ob der Sachverhalt als feststehend mitgeteilt oder nur als Möglichkeit angedeutet wird, ist unerheblich, falls es sich nicht um eine Schlussfolgerung aus einem mitgeteilten Sachverhalt112 oder eine wissenschaftliche Bewertung113 handelt. Auch „verdeckt“ aufgestellte Tatsachenbehauptungen sind gegendarstellungsfähig114. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss sich die Äußerung dem Leser allerdings unabweisbar als Tatsachenbehauptung darstellen115. Keine verdeckte Äußerung enthält der Titel „Günter Jauch Schock-Geständnis – Steckt seine Ehe in der Krise“ hinsichtlich der Behauptung, Günter Jauch habe im Zusammenhang mit seiner Ehe etwas gestanden. Insoweit handelt es sich um eine unmittelbar aufgestellte Tatsachenbehauptung116. Ebenso wenig befreien salvatorische Klauseln vor der Gegendarstellungspflicht wie z.B. „Ohne Gewähr“, „Wir nehmen an …“, „Es wird berichtet …“. Ggf. ist die Gegendarstellung dann aber auf die Ausräumung der behaupteten Verdachtsmomente zu beschränken. Das Erfordernis des Aufstellens bedeutet nicht, dass die Behauptung als eigene aufgestellt sein muss. Es genügt bloßes Verbreiten. Auch auf Zitate, also auf mitgeteilte Äußerungen Dritter, kann entgegnet werden117. Gleiches gilt, wenn die Mitteilung des Dritten Zweifel offenlässt und z.B. gesagt wird, „Gerüchteweise verlautet …“, „Nach Ansicht des italienischen Geheimdienstes …“. Ist das Zitat nicht als Mitteilung, sondern lediglich um des Zitates Willen gebracht worden, weil es dem Blatt wissenswert erschienen ist, wie der Zitierte sich geäußert hat, kann allenfalls entgegnet werden, der Zitierte habe sich in Wahrheit anders geäußert. Nicht kann entgegnet werden, der Zitierte habe seinerseits Falsches behauptet, weil der Inhalt der Äußerung des Dritten nicht als Tatsachenbehauptung „aufgestellt“ worden ist118. Von seiner früheren Meinung119, auf die lediglich verbreitete Behauptung eines Dritten könne überhaupt nicht entgegnet werden, ist das OLG Hamburg abgerückt. Es lässt nunmehr auch die Entgegnung zu, der Dritte habe eine solche Äußerung nicht gemacht120. Eine mögliche Betroffenheit des Dritten durch eine solche Gegendarstellung steht dem Anspruch nicht entgegen. Stets bedarf es jedoch der Klarstellung, dass die Gegendarstellung sich gegen ein Zitat wendet121. Zur Problematik einer Entgegnung auf Interviewäußerungen usw. im Rundfunk vgl. Rz. 282.
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In welchem Zusammenhang die Tatsachenbehauptung aufgestellt wurde, ist grundsätzlich ohne Bedeutung. Das Entgegnungsrecht besteht auch, wenn die Tatsachenbehauptung in einem veröffentlichten Leserbrief enthalten war. Auch in Kommentaren oder Beiträgen auf „Meinungsseiten“ können Tatsachenbehauptungen enthalten sein122. Insoweit kann auch 112 OLG Hamburg v. 26.5.1994 – 3 U 10/94, NJW-RR 1994, 1178; LG Düsseldorf, AfP 1992, 135. 113 OLG Karlsruhe v. 13.5.1998 – 6 U 13/98, NJW-RR 1999, 387. 114 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58, dazu Rz. 19; BayVerfGH v. 14.6.1994 – Vf.33-VI/94, NJW 1994, 2944. 115 BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433 = NJW 2014, 766; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, NJW 2018, 1596; Vorinstanz: OLG Zweibrücken v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169. 116 OLG Karlsruhe v. 9.9.2015 – 6 U 110/15, AfP 2016, 164. 117 OLG München, ArchPR 1974, 108; OLG Karlsruhe v. 12.5.1999 – 6 U 22/99, NJW-RR 2000, 323. 118 Ebenso Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 108; zweifelnd OLG München, AfP 1972, 278, 280; a.A. Seitz, Kap. 5 Rz. 162. 119 OLG Hamburg v. 25.11.1982 – 3 U 180/82, AfP 1983, 345. 120 OLG Hamburg v. 14.4.1994 – 3 U 30/94, NJW-RR 1994, 1179. 121 OLG Karlsruhe v. 12.5.1999 – 6 U 22/99, NJW-RR 2000, 323; v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267; OLG Brandenburg v. 13.10.1999 – 1 U 17/99, NJW-RR 2000, 326, 327; LG Dresden v. 19.5.2009 – 3 O 1081/09 EV, AfP 2010, 595. 122 BVerfG v. 17.9.2003 – 1 BvR 825/99, AfP 2004, 48.
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II. Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 29 Kap. 11
keine Tendenz oder Vermutung angenommen werden, Äußerungen in Kommentaren seien eher dem Meinungsbereich zuzuordnen123. Ansonsten hätte es die Presse in der Hand, durch entsprechende Platzierung des Beitrags sich seiner Abdruckpflicht zu entziehen. Auch von Dritten, z.B. Nachrichtenagenturen übernommene Tatsachenbehauptungen werden von dem Übernehmer aufgestellt. Behauptungen in einem einer Gegendarstellung angehängten Redaktionsschwanz sind gegendarstellungsfähig, wenn sie neu sind und sich nicht im Bestreiten des Inhaltes der Gegendarstellung erschöpfen124. Der Redaktionsschwanz muss aber bereits erschienen sein. Gleichzeitiger Abdruck von Redaktionsschwanz und Entgegnung darauf kann nicht gefordert werden125. Behauptungen innerhalb einer Gegendarstellung sind nicht gegendarstellungsfähig (Rz. 50). Zu Behauptungen in Anzeigen vgl. Rz. 47. Ist streitig, wie eine Darstellung von den Rezipienten aufgefasst wird, muss das Gericht eine privat veranlasste Meinungsumfrage in seine Erwägungen einbeziehen126. 3. Mehrere Tatsachenbehauptungen Der Gegendarstellungsanspruch besteht, wenn ein Periodikum eine entgegnungsfähige Be- 27 hauptung aufgestellt hat. Hat das Periodikum mehrere Behauptungen aufgestellt, bestehen mehrere Gegendarstellungsansprüche. Waren die Behauptungen in ein und demselben Artikel enthalten, ist der Betroffene grund- 28 sätzlich gehalten, seine Entgegnung zu einem Gegendarstellungsbündel zusammenzufassen. Es gibt keine „Gegendarstellung auf Raten“127. Die Verpflichtung zur Bündelung besteht grundsätzlich auch, wenn dasselbe Thema in einer Ausgabe an mehreren Stellen behandelt wird, z.B. im Editorial und im Rahmen sonstiger Beiträge. Etwas anderes gilt nur, wenn für eine Trennung ein berechtigtes Interesse vorhanden ist. Das kann der Fall sein, wenn der Betroffene auf eine Behauptung sogleich entgegnen kann, auf eine andere erst nach Durchführung von Recherchen. Werden innerhalb einer Ausgabe an verschiedenen Stellen gegendarstellungsfähige Behauptungen aufgestellt, kann aus Platzierungsgründen ein Recht zu mehreren Gegendarstellungen folgen. Bei Fortsetzungsberichten hat der Betroffene das Recht, entweder auf jeden Einzelbericht zu entgegnen oder auf mehrere gemeinsam. Der Verspätungseinwand versagt in diesem Sonderfall. Die grundsätzliche Notwendigkeit der Zusammenfassung der Entgegnungen auf mehrere Be- 29 hauptungen zu einem Gegendarstellungsbündel entspricht der einhelligen Meinung. Umstritten ist hingegen, ob der Betroffene berechtigt ist, das Bündel aufzulösen, wenn einzelne Entgegnungen beanstandet werden und er den Abdruck nur der unbeanstandeten Punkte einem risikovollen Streit vorzieht. Richtiger Auffassung nach ist das zu bejahen. Da dem Betroffenen die Auswahl der Entgegnungspunkte grundsätzlich freisteht, muss ihm ein nachträglicher Verzicht auf einzelne Entgegnungen ebenso gestattet sein, falls der Verpflichtete zum Abdruck aller Punkte nicht bereit ist. Das gilt um so mehr, als die gegenteilige Meinung zu dem unbefriedigenden Ergebnis führt, dass der Betroffene die gekürzte Fassung erneut unterzeichnen und einsenden muss, was bloßer, dem Grundgedanken des Gegendarstellungsrechts widerstreitender Formalismus ist. Insbesondere vermag die Ansicht nicht zu überzeugen, der Gesetzestext, nach dem „eine“ Gegendarstellung gefordert werden kann, wenn „eine“ Tatsachen123 124 125 126 127
A.A. KG v. 14.6.1996 – 9 U 2979/96, AfP 1997, 721. LG Hamburg, ArchPR 1970, 83. OLG Celle v. 17.3.1988 – 13 U 238/87, NJW-RR 1989, 182. BVerfG v. 13.11.1992 – 1 BvR 708/92, NJW 1993, 1461. LG Oldenburg v. 5.11.1985 – 5 O 3335/85, AfP 1986, 80.
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Kap. 11 Rz. 30
Gegendarstellungsanspruch
behauptung gebracht worden ist, könne nicht iS eines Zahlwortes verstanden werden, zumal niemand die verschiedenen in der Erstmitteilung enthaltenen Behauptungen als getrennte, eigene und unabhängige Behauptungen verstehe, sondern als „zentral zusammengefasstes Gewebe“128. So wie ein Gewebe aus Fäden besteht, die sich einzeln herausziehen lassen, geht es in Presseberichten zumeist um mehrere Behauptungen, auf die je gesondert entgegnet werden kann. So erklärt sich auch, dass die in der Praxis üblichen Gegendarstellungsbündel in einzelne numerierte Absätze gegliedert sind, in denen jeweils erwähnt ist, auf welche Behauptung sie sich beziehen. Der Gesetzestext ist also sehr wohl in dem Sinne zu verstehen, dass mehrere Tatsachenbehauptungen das Recht zu mehreren zu einem Bündel zusammenzufassenden Entgegnungen entstehen lassen, aus dem der Betroffene nachträglich einzelne Entgegnungen herauszulösen berechtigt ist129.
III. Ausschluss des Entgegnungsrechts 30
Kein Entgegnungsrecht besteht gegenüber Behauptungen in amtlichen und sog. „harmlosen“ Druckwerken i.S.v. § 7 Abs. 3 LPG (zum amtlichen Druckwerk vgl. § 5 UrhG). Das Entgegnungsrecht entfällt, wenn dem Anspruchsteller kein berechtigtes Interesse zur Seite steht. Ferner gelten Besonderheiten für Parlaments- und Gerichtsberichte sowie für Behauptungen innerhalb von Anzeigen. Zur Beschränkung des Umfanges einer Gegendarstellung s. Rz. 122. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Ausschlussgrundes trifft den Abdruckverpflichteten130. In Hessen trifft die Beweislast nach § 10 Abs. 2 Satz 1 HessLPG ausnahmsweise den Anspruchsteller131. 1. Fehlendes berechtigtes Interesse
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Fehlendes berechtigtes Interesse schließt den Gegendarstellungsanspruch aus. Das entspricht einem allgemeinen Rechtsprinzip. Es gilt unabhängig davon, ob dieser Ausschlussgrund in der anzuwendenden Regelung ausdrücklich erwähnt oder ob das unterblieben ist wie in Bayern, Hamburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt132. Das berechtigte Interesse ist z.B. zu verneinen, wenn der Betroffene den Kreis derjenigen, für die er nur erkennbar ist, mühelos selbst unterrichten kann133.
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Das berechtigte Interesse fehlt bei einer bloßen Belanglosigkeit. Zwar setzt der Gegendarstellungsanspruch keine Verletzung z.B. der Ehre oder des wirtschaftlichen Rufs voraus. Doch muss die beanstandete Tatsachenbehauptung ebenso wie die Entgegnung für den unbefangenen Leser von einigem Gewicht sein und darf im Hinblick auf den Kern der Mittei-
128 Seitz, Kap. 12 Rz. 13; im Ergebnis ebenso Hertin, ZUM 1985, 391, 399. 129 Ähnlich OLG München v. 26.6.1998 – 21 U 3494/98, NJW-RR 1998, 1632; v. 6.11.1998 – 21 U 5847/98, ZUM-RD 1999, 8. 130 OLG Karlsruhe, AfP 1977, 356; OLG München v. 13.3.1998 – 21 U 2208/98, NJW-RR 1999, 386; v. 20.1.1999 – 21 U 6679/98, NJW-RR 2000, 319; Koebel, NJW 1964, 1109; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 60. 131 Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 60. 132 BGH v. 31.3.1965 – VI ZR 56/65, NJW 1965, 1230 – Bamfolin; OLG Hamburg, ArchPR 1972, 100; OLG München v. 13.3.1998 – 21 U 2208/98, NJW-RR 1999, 386; v. 20.1.1999 – 21 U 6679/98, NJW-RR 2000, 319; OLG Naumburg v. 25.1.2006 – 6 U 149/05, AfP 2006, 464. 133 LG Oldenburg v. 26.9.1985 – 5 O 2883/85, AfP 1985, 299, 300.
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III. Ausschluss des Entgegnungsrechts
Rz. 33 Kap. 11
lung nicht eine völlig untergeordnete Rolle spielen134. Ob ein berechtigtes Interesse besteht, kann nur unter Berücksichtigung des Kontextes der Erstmitteilung und der verlangten Entgegnung entschieden werden135. Z.B. kann der Eigentümer eines Hauses, in dem ein Brand gelöscht wurde, nicht entgegnen, das Haus habe eine Höhe von 25 statt nur von 20 Metern136. Ist behauptet worden, die Staatsanwaltschaft habe etwas beschlagnahmt, fehlt das berechtigte Interesse für die Entgegnung, die Beschlagnahme habe nicht die Staatsanwaltschaft, sondern das Amtsgericht angeordnet. Die Unterscheidung zwischen dem Antragsrecht der Staatsanwaltschaft und dem Entscheidungsrecht des Amtsgerichts ist rechtsstaatlich von Bedeutung, für umgangssprachliche Darstellungen aber belanglos137. Als zulässig hat das OLG Karlsruhe aber die Entgegnung angesehen, in einem angeblich für nur rund 20 Teilnehmer angekündigten Garnierkurs hätten „nicht rund 50 Hausfrauen teilgenommen, sondern lediglich 39“; zwischen „rund 50“ und 39 besteht ein Unterschied von einem Fünftel, was hinreichend bedeutsam sein könne138. Wird das Schussverhalten eines bestimmten Gewehrs (G36) kritisiert, im Bild aber ein Beschuss mit einem anderen Gewehr des selben Herstellers (SL8) gezeigt, fehlt für die Erwiderung das berechtigte Interesse, es handele sich bei dem gezeigten Gewehr nicht um das G36, sondern um das SL8, wenn nicht zugleich zu dem Beschuss selbst oder dem Schussverhalten der Waffen erwidert wird139. Geht es in der Erstberichterstattung um Kontakte des Betroffenen zu DSDS-Kandidaten, sowie von Dritten veröffentlichte Videos, in denen die DSDS-Kandidaten verunglimpft werden, und ein hierzu mit dem Betroffenen durchgeführtes Interview, ist die fehlerhafte Angabe, der Betroffene sei Berufsschüler, obgleich der Abiturient ist, von untergeordneter Rolle und belanglos140. Ebenso wenn ein Vorsitzender eines Kirchenvorstandes zunächst gegen die Entfernung eines Altarkreuzes stimmt, dann aber den Beschluss umsetzt und dies als er habe „das Entfernen des Altarkreuzes mitgetragen“ bezeichnet wird141. Bei politischen Erklärungen kann das berechtigte Interesse schon wegen einer Nuance anzuerkennen sein142. Ein berechtigtes Interesse ist auch für die Gegendarstellung anzuerkennen, dass es sich bei einer in der Erstmitteilung verwendeten Bezeichnung nicht um einen Gattungsbegriff, sondern um eine Marke handelt143. Die Meinung von Seitz144, das berechtigte Interesse sei zu verneinen, wenn der Betroffene sich mit der Gegendarstellung der Lächerlichkeit aussetze, erscheint problematisch. Ebenso wenig scheiden Gegendarstellungen gegen sog. wertneutrale Falschdarstellungen145 von vornherein aus146. Deren Berechtigung hängt vom Inhalt der geforderten Entgegnung ab. Zu verneinen ist das berechtigte Interesse, wenn die Gegendarstellung der Sache nach eine 33 bloße Bestätigung der Erstmitteilung enthält. Gleiches gilt, wenn die Stellungnahme des 134 OLG Düsseldorf v. 21.11.2007 – I-15 U 176/07, AfP 2008, 83; KG v. 5.4.2006 – 9 U 36/06, KGReport 2006, 957; v. 28.11.2006 – 9 U 210/06, BeckRS 2008, 19869; OLG Stuttgart v. 17.12.2013 – 4 U 214/13 n.v.; OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. 135 OLG Stuttgart v. 17.12.2013 – 4 U 214/13, n.v.; OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. 136 Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 62. 137 OLG Köln v. 10.1.1989 – 15 U 198/88, NJW-RR 1990, 1119. 138 OLG Karlsruhe v. 12.3.1976 – 15 U 64/75, n.v. 139 OLG Stuttgart v. 17.12.2013 – 4 U 214/13. 140 OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. 141 OLG Koblenz v. 27.2.2018 – 4 W 13/18, AfP 2018, 144. 142 OLG Hamburg, AfP 1978, 25. 143 Löffler, BB 1962, 82. 144 Seitz, Kap. 5 Rz. 190. 145 Vgl. dazu BGH v. 15.11.2005 – VI ZR 274/04, MDR 2006, 632 = AfP 2006, 60. 146 OLG Köln v. 28.4.2005 – 15 U 9/05, AfP 2006, 287; a.A. Seitz, Kap. 5 Rz. 190.
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Kap. 11 Rz. 33
Gegendarstellungsanspruch
Betroffenen bereits in der Erstmitteilung enthalten bzw. ausreichend berücksichtigt ist. Davon ist auszugehen, wenn die Entgegnung zu jedem Punkt neutral angeführt ist. Der Betroffene muss mit seiner Sicht der Dinge zu Wort kommen147. Die Stellungnahme eines Vertreters oder des Anwalts ist dem Betroffenen zuzurechnen148. Entsprechendes kann zutreffen, wenn die negierende Stellungnahme eines Dritten zitiert wird. Hat die Erstmitteilung die Entgegnung zwar enthalten, aber in ganz untergeordneter Art und Weise, lediglich pauschal oder so, dass sie dem Leser als von vornherein unglaubwürdig erscheinen musste, bleibt das Entgegnungsrecht erhalten. Je bedeutender die Angelegenheit für die Betroffenen sein kann, desto mehr ist seine Stellungnahme hervorzuheben149. Das berechtigte Interesse kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, vor der Verbreitung der Erstmitteilung habe der Betroffene eine Stellungnahme versäumt, eine Rückfrage habe er unbeantwortet gelassen150 oder zwar Stellung genommen, aber die gleichzeitig untersagt, diese zu veröffentlichen151. Könnte der Abdruck mit dieser Begründung verweigert werden, bedeutete dies einen mittelbaren Zwang zur Beantwortung von Presseanfragen, der vorbehaltlich eines Auskunftsanspruches nach § 4 LPG oder anderen Auskunftsansprüche gewährenden Gesetzen, z.B. Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und einzelner Länder, in der Rechtsordnung keine Stütze findet152. Darüber hinaus bestehen zwischen einer vorherigen Stellungnahme und einer Erwiderung auf Tatsachenbehauptungen wesentliche Unterschiede. Nimmt der Betroffene vor einer Berichterstattung Stellung, kann er nicht sicher sein, dass seine Stellungnahme in dem Bericht auch so berücksichtigt wird, insbesondere die mitgeteilten Fakten neutral wiedergegeben werden. Vielmehr kann die Gefahr bestehen, dass die Stellungnahme beispielsweise dazu benutzt wird, den Eindruck zu erwecken, auch andere Behauptungen stammten von dem Betroffenen selbst, oder dazu, ihn lächerlich zu machen oder in ein schlechtes Licht zu rücken. Dem gegenüber ist eine Gegendarstellung ohne Einschaltungen, Weglassungen (s. Rz. 178 ff.) oder Glossierungen (s. Rz. 183 ff.) im gleichen Teil des Druckwerks (s. Rz. 170 ff.) und in gleicher Aufmachung wie die Erstmitteilung (s. Rz. 173 ff.) zu veröffentlichen. Es ist daher weder widersprüchlich, zunächst auf eine Presseanfrage nicht zu antworten, nach erfolgter Berichterstattung jedoch durch eine Gegendarstellung eine Korrektur mitgeteilter Tatsachen bewirken zu wollen, noch fehlt das Rechtschutzbedürfnis für die Durchsetzung eines Gegendarstellungsanpruchs153. Auch muss der Betroffene erwidern dürfen, wenn in einer Stellungnahme ein Aspekt nicht genannt wird, dieser jedoch aufgrund der Berichterstattung Bedeutung gewinnt154.
147 KG v. 22.6.2007 – 9 U 80/07, KG-Report 2008, 301. 148 LG Berlin v. 14.2.2006 – 27 O 92/06, AfP 2006, 381. 149 Seitz, Kap. 5 Rz. 188 unter Hinweis auf OLG München v. 17.7.2007 – 18 U 3369/07, n.v.; entgegen Seitz muss ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen jedoch nicht vorliegen. 150 BVerfG v. 9.4.2018 – 1 BvR 840/15, BeckRS 2018, 9259; OLG Hamburg, Ufita 76/1976, 354; v. 5.7.2011 – 7 U 41/11, AfP 2012, 57; v. 3.2.2015 – 7 U 29/13, n.v.; KG v. 28.11.2006 – 9 U 210/06, BeckRS 2008, 19869. 151 BVerfG v. 9.4.2018 – 1 BvR 840/15, BeckRS 2018, 9259; OLG Hamburg v. 3.2.2015 – 7 U 29/13 n.v.; LG Hamburg v. 8.4.2013 – 324 O 116/13, AfP 2014, 94. 152 BVerfG v. 9.4.2018 – 1 BvR 840/15, BeckRS 2018, 9259; OLG Hamburg v. 5.7.2011 – 7 U 41/11, AfP 2012, 57; Löffler, BB 1980, 1127. 153 BVerfG v. 9.4.2018 – 1 BvR 840/15, BeckRS 2018, 9259; OLG Hamburg v. 5.7.2011 – 7 U 41/11, AfP 2012, 57; v. 3.2.2015 – 7 U 29/13, n.v.; LG Hamburg v. 8.4.2013 – 324 O 116/13, AfP 2014, 94. 154 A.A. LG Berlin v. 14.2.2006 – 27 O 92/06, AfP 2006, 381.
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III. Ausschluss des Entgegnungsrechts
Rz. 34 Kap. 11
Eine Widerrufsforderung schließt die zusätzliche Forderung einer Gegendarstellung im All- 34 gemeinen nicht aus155, anders aber, wenn die Gegendarstellung mit einem bereits veröffentlichten Widerruf inhaltlich praktisch übereinstimmt156. Eine Richtigstellung der Redaktion lässt das berechtigte Interesse an einer Gegendarstellung entfallen. Dies gilt jedoch nur, wenn sie der Funktion der konkret geforderten Gegendarstellung voll entspricht. Es müssen entstandene Fehlvorstellungen hinreichend sicher ausgeräumt werden157. Das ist bei einer mit „Entschuldigung“ überschriebenen redaktionellen Mitteilung nicht der Fall, wenn sie weitschweifig ist und allenfalls dem aufmerksamen Leser deutlich macht, worum es geht158. Ebenso wenig reicht ein Hinweis aus, wie z.B. „Wir haben berichtet, A sei an dem Vorgang beteiligt gewesen. Das bestreitet A.“ Dies gilt jedenfalls dann, wenn die geforderte Gegendarstellung nicht auf eine bloße Negation beschränkt bleibt, sondern Gegentatsachen enthält, wie z.B. „Zur Zeit des behaupteten Vorganges war ich in den USA. Ich habe von der Sache lediglich aus den Medien erfahren.“ Eine eigene Berichtigung schließt die Gegendarstellungsforderung also nur aus, wenn entstandene Fehlvorstellungen dadurch hinreichend sicher gegenüber dem gleichen Leserkreis und mit gleichem Aufmerksamkeitswert ausgeräumt werden159. Daran fehlt es, wenn die eigene Berichtigung lediglich im Heftinneren erschienen ist, die Gegendarstellung aber auf der Titelseite platziert werden muss160. Wird die Korrektur nicht im gleichen Teil des Druckwerks veröffentlicht, sondern zwischen Leserbriefen, erreicht sie ebenso nicht die gleichen Leserkreise wie die Erstmitteilung und lässt das berechtigte Interesse nicht entfallen161. Hat das Blatt lediglich einzelne Punkte richtiggestellt, kann der Betroffene in seiner Gegendarstellung dennoch den Gesamtvorgang aufgreifen, wenn das zur Vermeidung von Fehlvorstellungen erforderlich ist. Nicht ausreichend ist die freiwillige Richtigstellung insbesondere, wenn sie lediglich beiläufig und verklausuliert erfolgt. Das gilt vornehmlich, wenn sie für den durchschnittlich flüchtigen Leser nicht als Richtigstellung erkennbar ist, sondern wenn sie als Darstellung eines neuen Sachverhaltes erscheint. Werden Berichte in Telemedienangeboten aktualisiert und hierbei die Sicht des Betroffenen erstmals bzw hinreichend aufgenommen, entfällt das berechtigte Interesse dadurch nur dann, wenn der Leser gerade auf die neu aufgenommene Darstellung der Sicht des Betroffenen hingewiesen wird. Eine schlichte Aktualisierung, insbesondere ohne dass erkennbar ist, inwieweit eine Änderung erfolgt ist, genügt nicht162. Für die Beurteilung kann auch von Bedeutung sein, ob das Blatt die eigene Richtigstellung erst nach der Einsendung der Gegendarstellung bzw. erst nach Stellung des Verfügungsantrages gebracht hat. Durch nachträgliche Berichtigung kann sich ein Blatt der Abdruckpflicht im Allgemeinen nicht entziehen. Fordert aber der Betroffene nach erfolgter Berichtigung eine inhaltlich unzulässige Gegendarstellung, braucht das Blatt sich auf später geänderte Fassungen nicht einzulassen, wenn der Vorgang durch die eigene Berichtigung als erledigt angesehen werden kann.
155 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381, 1385; BGH v. 10.3.1964 – VI ZR 83/63, NJW 1964, 1132; OLG Nürnberg, MDR 1956, 165. 156 OLG München, ArchPR 1968, 65. 157 KG v. 28.11.2006 – 9 U 210/06, BeckRS 2008, 19869; OLG Schleswig v. 17.1.2003 – 1 U 198/02, AfP 2004, 125; LG Berlin v. 7.10.2003 – 27 O 526/03, AfP 2004, 148. 158 OLG Dresden v. 14.11.1996 – 4 U 2271/96, NJW 1997, 1379. 159 OLG Köln v. 4.4.2000 – 15 U 172/99, NJW-RR 2001, 337; OLG Hamburg v. 27.10.2009 – 7 U 39/09, AfP 2010, 580; OLG Düsseldorf v. 26.6.2015 – 16 U 85/15, ZUM 2015, 1007; LG München, AfP 1978, 219. 160 LG Oldenburg v. 25.11.1985 – 5 O 3418/85, AfP 1986, 84. 161 OLG Hamburg v. 27.10.2009 – 7 U 39/09, AfP 2010, 580. 162 OLG Düsseldorf v. 26.6.2015 – I-16 U 85/15, AfP 2016, 163.
Burkhardt
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Kap. 11 Rz. 35
Gegendarstellungsanspruch
35
Das OLG Karlsruhe geht davon aus163, die die Titelblattbehauptung „Prinzessin C: Aufregung um ihr 4. Baby“ richtigstellende spätere redaktionelle Titelblatterklärung „Prinzessin C erwartet kein Baby. Gegendarstellung Seite 6“ lasse den Anspruch auf Abdruck der geforderten Titelblattgegendarstellung nicht entfallen. Für diese Beurteilung mag mitursächlich gewesen sein, dass das Blatt die Gegendarstellung zwar auf Seite 6 in Kleinstdruck gebracht hatte, darüber aber die mit Personenfoto versehene Schlagzeile „Jetzt haben wir es schriftlich: Prinzessin C von Monaco hat uns mitgeteilt, dass sie kein 4. Baby erwartet …“. Dadurch habe das Blatt die Prinzessin gegen ihren Willen als unbezahlte freie Mitarbeiterin vereinnahmt.
36
Eine Besonderheit besteht in Rheinland-Pfalz. Dort muss wer eine durch eine Nachrichtenagentur oder ähnlichen Dienst (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b und c LMG) verbreitete Tatsachenbehauptung übernommen hat, auch eine hierzu von diesem Dienst veröffentlichte Gegendarstellung übernehmen (§ 11 Abs. 2 Satz 4 LMG). Hat der Übernehmer diese Verpflichtung zur Weiterverbreitung erfüllt, fehlt für eine gesonderte Gegendarstellung das berechtigte Interesse.
37
Das fehlende berechtigte Interesse kann auch aus dem Inhalt der Gegendarstellung folgen. Kein Abdruckanspruch besteht, wenn der Inhalt offensichtlich unwahr ist (allg. Meinung, Näheres Rz. 110). Gleiches gilt bei irreführendem Inhalt (Näheres Rz. 112). Auch unverständliche Gegendarstellungen brauchen grundsätzlich nicht abgedruckt zu werden (Näheres Rz. 96). Eine Gegendarstellung ist ebenso wenig der Ort für Werbung (Rz. 109).
38
Werden verschiedene Gegendarstellungen zugeleitet, deren Veröffentlichung alternativ verlangt wird, überlässt der Berechtigte im Ergebnis die Bestimmung der zu veröffentlichenden Erklärung dem Verpflichteten. Dies ist mit dem höchstpersönlichen Charakter der Gegendarstellung grundsätzlich nicht zu vereinbaren. Jedenfalls bei inhaltlich abweichenden Fassungen fehlt i.d.R. das berechtigte Interesse164. Das OLG Hamburg165 meint, dass der Betroffene deutlich machen müsse, mit der Veröffentlichung welcher dieser Fassungen er sein Gegendarstellungsverlangen jedenfalls als erfüllt betracht. Richtigerweise muss sich der Betroffene für eine Fassung entscheiden und kann nur hilfsweise, für den Fall, dass die zunächst begehrte Gegendarstellung Bedenken begegnet, eine andere Fassung verlangen. Dem Verpflichteten die Auswahlmöglichkeit zu eröffnen, ist mit den Grundgedanken des Gegendarstellungsrechts nicht vereinbar. Auch in einem anschließenden gerichtlichen Verfahren muss der Betroffene durch Haupt- und Hilfsantrag deutlich machen, welchen konkreten Anspruch er verfolgt.
39
Ebenso entfällt die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung, wenn ihr Umfang nicht angemessen ist. Dieser Unterfall des fehlenden berechtigten Interesses ist in sämtlichen LPG besonders geregelt (Näheres Rz. 122).
40
Bei einer Mehrzahl Betroffener ist grundsätzlich jeder berechtigt, mit einer eigenen Darstellung zu Wort zu kommen166. Im Prinzip gilt das sogar, wenn die Anspruchsteller in ihren Gegendarstellungen die gleiche Schilderung geben, und zwar insbesondere, wenn sonst der Eindruck entstehen kann, hinsichtlich der weiteren Betroffenen treffe die Erstmitteilung zu. Würde aber der Abdruck mehrerer übereinstimmender Gegendarstellungen zu einer unbilligen Belastung der Presse führen, ohne dass dies einen sinnvollen zusätzlichen Rechtsschutz der Betroffenen bedeutet, kann es nicht Sinn des Gegendarstellungsrechtes sein, die Presse 163 164 165 166
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OLG Karlsruhe v. 6.11.1992 – 15 U 249/92, AfP 1992, 385 = NJW 1993, 1476. Vgl. OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. OLG Hamburg v. 3.7.2012 – 7 W 53/12, AfP 2012, 400. LG Hamburg, AfP 1971, 86; OLG Brandenburg v. 11.8.1999 – 1 U 7/99, NJW-RR 2000, 325; OLG Karlsruhe v. 7.7.2006 – 14 U 86/06, AfP 2006, 372.
Burkhardt
III. Ausschluss des Entgegnungsrechts
Rz. 41 Kap. 11
zum Abdruck einer Vielzahl inhaltsgleicher Gegendarstellungen zu zwingen167. Dies zumal die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung in das Grundrecht der Pressefreiheit eingreift168. Das berechtigte Interesse ist daher zu verneinen, wenn wortgleiche Gegendarstellungen mehrerer Betroffener getrennt verlangt werden169. Ist eine wortgleiche Erwiderung nicht möglich, weil die Anspruchsberechtigten in unterschiedlicher Weise betroffen sind, können identische Hinweise z.B. auf die Erstmitteilung zusammenzufassen sein170. Damit kann einerseits erreicht werden, dass jeder Betroffene namentlich erscheint und selbst zu Wort kommt, andererseits wird die Presse nicht unzumutbar durch die Abdruckpflicht einer Vielzahl im Kern identischer Gegendarstellungen belastet. Das kommt z.B. in Betracht, wenn Leistungen verschiedener Versicherungsgesellschaften tabellarisch einander gegenübergestellt worden sind, aber auf der Grundlage einer unzutreffenden Berechnungsart. Dann können die betroffenen Versicherungsgesellschaften in einer gemeinsamen Gegendarstellung die Berechnungsart richtigstellen und anführen, zu welchem Ergebnis die richtige Berechnung bei jeder Gesellschaft führt. Richtiger Auffassung nach muss dann auch eine für die Mitglieder geforderte Gegendarstellung des zuständigen Verbandes zugelassen werden. Unterbleibt ein solcher Zusammenschluss, erlässt das LG Hamburg beantragte einstweilige Verfügungen zwar je gesondert, gestattet aber dem betreffenden Presseorgan, die Gegendarstellungen zusammenfassend nur einmal statt in der Ich-Form in der Wir-Form abzudrucken. Obwohl diese rechtsschöpferische Handhabung nicht unproblematisch ist, hat sie das OLG Hamburg nicht beanstandet171. Nach Ansicht des BerlVerfGH172 und des KG173 ist bei der erforderlichen Abwägung zur Be- 41 stimmung des berechtigten Interesses zu berücksichtigen, ob die Gegendarstellung von einer Behörde oder anderen staatlichen Stelle verlangt wird. Anders als Privatpersonen sind Träger öffentlicher Gewalt nicht grundrechtsfähig. Da der Gegendarstellungsanspruch seine Wurzel im verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht hat, dessen Schutz Trägern öffentlicher Gewalt nicht zukommt, komme ein Gegendarstellungsanspruch nur gegenüber Tatsachenbehauptungen in Betracht, die in ähnlich gravierender Weise wie bei Einzelpersonen in die Rechtsstellung der Behörde eingreifen und sich jenseits deren konkreten Einwirkungsmöglichkeiten auf das Erscheidungsbild in der Öffentlichkeit erheblich auswirken können. Dies sei namentlich dann der Fall, wenn die Behauptungen das unerlässliche Vertrauen in die Integrität staatlicher Stellen in Frage stellen oder ihre Funktionsfähigkeit gefährden. Insoweit nimmt der BerlVerfGH Bezug auf die Rechtsprechung des BGH174 zum zivilrechtlichen Ehrenschutz der juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Der BerlVerfGH weist zwar auf die weitere Funktion des Gegendarstellungsrechts hin, dass dies zugleich der grundrechtlich garantierten freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung dient175. Weil staatliche Stellen aber nicht annähernd in gleicher Weise wie Privatpersonen mehr oder 167 OLG Hamburg v. 7.6.1973 – 3 U 21/73, MDR 1973, 1028; AfP 1974, 576; OLG Frankfurt v. 5.11.2013 – 16 W 60/13, AfP 2014, 73; OLG Karlsruhe v. 7.7.2006 – 14 U 86/06, AfP 2006, 372; KG v. 21.3.2006 – 9 W 27/06, BeckRS 2006, 10819; Damm, FS Löffler, 1980, S. 28. 168 BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433. 169 OLG Frankfurt v. 5.11.2013 – 16 W 60/13, AfP 2014, 73. 170 OLG Karlsruhe v. 7.7.2006 – 14 U 86/06, AfP 2006, 372. 171 Näheres Damm, FS Löffler, 1980, S. 28. 172 VerfGH Berlin v. 20.8.2008 – VerfGH 22/08, AfP 2008, 593. 173 KG v. 17.3.2009 – 9 W 48/09. 174 BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, MDR 2008, 916 = AfP 2008, 381. 175 BVerfG v. 19.2.1993 – 1 BvR 1424/92, AfP 1993, 474; v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381.
Burkhardt
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Kap. 11 Rz. 42
Gegendarstellungsanspruch
weniger wehrlos Presseveröffentlichungen ausgesetzt seien und in einem grundsätzlich anderen Spannungsverhältnis zur Institution der Presse in einem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat stünden, müsste dem bei der Prüfung, ob ein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung besteht, Rechnung getragen werden. Zwar ist es richtig, dass staatliche Stellen sich nicht auf einen Grundrechtsschutz berufen können. Dem gegenüber hat die Presse ein öffentliches Wächteramt auszuüben. Dieses setzt jedoch voraus, dass zutreffende Fakten oder jedenfalls die unterschiedlichen Faktenlagen mitgeteilt werden, damit diese Grundlage der öffentlichen Meinungsbildung werden und so das Wächteramt der Presse ihre Wirkung entfalten kann. Die Beschränkung des Rechts zur Gegendarstellung führt jedoch gerade bei Tatsachenbehauptungen über staatliche Stellen zu einer erheblichen Verkürzung der Möglichkeit öffentlicher Meinungsbildung. Der Öffentlichkeit wird die Tatsachensicht der betroffenen Behörde in „weniger gravierenden Fällen“ vorenthalten. Jedoch können gerade weniger gravierend erscheinende Punkte erhebliche Bedeutung für den Einzelnen und dessen Meinungsbildung gewinnen. Anders als bei dem vom BerlVerfGH in Bezug genommenen Richtigstellungsanspruch aus Ehrschutzgründen176, ist daher staatlichen Stellen das Recht zur Gegendarstellung in gleicher Weise wie Privatpersonen zu gewähren. 2. Parlaments- und Gerichtsberichte 42
Nach Art. 42 Abs. 3 GG bleiben wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse von jeder Verantwortlichkeit frei. Diese grundgesetzliche Regelung wird durch das StGB erweitert. Nach § 36 StGB dürfen Mitglieder des Bundestages, der Bundesversammlung oder eines Gesetzgebungsorganes eines Landes zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie in der Körperschaft oder in einem ihrer Ausschüsse getan haben, außerhalb der Körperschaft zur Verantwortung gezogen werden; ausgenommen sind nur verleumderische Beleidigungen. Nach § 37 StGB bleiben wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen der in § 36 StGB bezeichneten Körperschaften oder ihrer Ausschüsse ebenfalls von jeder Verantwortlichkeit frei. Diese Freistellung von jeder Verantwortlichkeit und mithin auch von der Verpflichtung zum Abdruck von Gegendarstellungen haben die Landesgesetzgeber durch die Regelung in § 11 Abs. 5 LPG übernommen177 und auf wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe der Gemeinden, Gemeindeverbände und der Gerichte erstreckt. In Rheinland-Pfalz gilt die Freistellung auch in Bezug auf übernationale parlamentarische Organe. Da das LPG Bayern keine Entsprechung enthält, verbleibt es dort bei der Regelung des Art. 42 Abs. 3 GG, §§ 36, 37 StGB.
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Geht es um diese Freistellung, ist zunächst zu prüfen, ob tatsächlich ein Parlaments- oder Gerichtsbericht vorliegt. Das kann fraglich sein, wenn die Darstellung auch oder sogar im Wesentlichen andere Vorgänge erörtert. Da die Privilegierung eine erweiterte Öffentlichkeit und eine verbesserte Information bewirken soll, ist das Privileg grundsätzlich weit auszulegen. Deswegen kann es auch eingreifen, wenn der Bericht über eine öffentliche Sitzung eines Parlamentes oder Gerichts in Ausführungen eingebettet ist, mit denen ein übergeordnetes Gesamtthema behandelt wird, das auch die Artikelüberschrift bestimmt. Ebenso wenig entfällt die Privilegierung schon dadurch, dass der Bericht nicht vollständig ist, sondern sich auf einen oder einige Punkte beschränkt, zumal absolute Vollständigkeit ohnehin kaum erreichbar ist178. Selbst bloße Zitate aus Parlamentsberichten können dem Privileg unterfal176 BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, MDR 2008, 916 = AfP 2008, 381. 177 Berlin und Hessen, § 10 Abs. 5; Ausnahme: Bayern. 178 OLG Hamburg v. 11.11.1976 – 3 U 125/76 u. 3 O 126/75, AfP 1977, 240.
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III. Ausschluss des Entgegnungsrechts
Rz. 46 Kap. 11
len179. Kein Parlamentsbericht i.S.v. § 11 Abs. 5 LPG liegt vor, wenn über den Inhalt von Akten berichtet wird, die einem Ausschuss zugegangen sind. Allerdings kann im Einzelfall eine Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen 44 erforderlich werden. Das gilt insbesondere, wenn die Presse mit eigenen Worten über die Sitzung berichtet, so dass zu fragen ist, ob sie sich bestimmte Negativbehauptungen zu eigen macht, also nicht mehr nur über Sitzungsvorgänge berichtet. Vornehmlich bei Gerichtsberichten kann das praktisch werden, wenn es z.B. unter der Überschrift „Zehn Jahre für den Millionendieb“ heißt: „Als Einbruchsspezialisten erbeuteten sie Bargeld, Schmuck und Pelze. Die Quittung der Strafkammer war hart: Zehn Jahre Haft“, hängt es auch von einer Interessenabwägung ab, ob dem Betroffenen das Recht der Gegenerklärung zuerkannt wird, er sei an dem Diebstahl nicht beteiligt gewesen. Das OLG Düsseldorf hat die Gegendarstellungsbefugnis verneint180. Die Freistellung gilt nur für wahrheitsgetreue Berichte181. Obschon eine Entgegnung un- 45 zulässig ist, die richtig zitierte Angabe eines Parlamentariers, Zeugen usw. sei inhaltlich falsch, ist also die Entgegnung zulässig, der Parlamentarier, der Zeuge usw. habe etwas anderes erklärt, als in der Erstmitteilung behauptet. Die Unwahrheit kann auch daraus folgen, dass der Parlamentsbericht zu Unrecht den Anschein der Vollständigkeit vermittelt. Z.B. hat das OLG Karlsruhe einem Stadtrat einen Gegendarstellungsanspruch zuerkannt182, weil allein er unerwähnt geblieben war, so dass man meinen konnte, er habe gefehlt. Ebenso zulässig ist der Hinweis, der zitierten Äußerung sei von anderer Seite widersprochen worden, wenn dies zu einem anderen Gesamtbild führt. Das verkennt das OLG Hamburg183, wenn es eine Gegendarstellungsforderung wegen § 11 Abs. 5 LPG Hamburg zurückweist, deren Inhalt in der Ergänzung eines aus einem bloßen Zitat bestehenden „Parlamentsberichts“ bestanden hat. Insbesondere wenn Wesentliches weggelassen wird, handelt es sich nicht mehr um einen wahrheitsgetreuen Bericht184. Bei Gerichtsberichten ist die Freistellung auch zu verneinen, wenn der verantwortliche Redakteur an dem Strafverfahren selbst beteiligt war und sich mit dem Bericht nur reinwaschen will. Das OLG Hamburg185 und ihm folgend das OLG Jena186 meinen, die Freistellung von der 46 Abdruckpflicht entfalle nur, wenn Glaubhaftmachung erfolge, der Parlaments- oder Gerichtsbericht sei nicht wahrheitsgetreu. Da die Wahrheitsfrage im Gegendarstellungsverfahren ungeprüft bleibt und nur die offensichtliche Unwahrheit erheblich ist, erscheint diese Ansicht systemwidrig, zumal die materielle Wahrheit mit den Mitteln der Glaubhaftmachung nicht ermittelt werden kann187. Dass der Gesetzgeber, wie Seitz188 meint, insoweit eine bewusste Entscheidung zugunsten der Durchbrechung des ansonsten geltenden Prinzips getroffen habe, ist nicht erkennbar. Richtiger Auffassung nach genügt die Behauptung, der
179 180 181 182 183 184 185 186 187 188
OLG Hamburg, AfP 1977, 397. OLG Düsseldorf v. 21.9.1979 – 15 W 45/79, AfP 1980, 50. Näheres LG Berlin v. 14.11.1991 – 27 O 714/91, AfP 1992, 177. OLG Karlsruhe v. 3.2.1984 – 13 W 20/84, AfP 1984, 114 = NJW 1984, 1127. OLG Hamburg, AfP 1977, 397 m. abl. Anm. Schmidt-Osten. Zum Aufstellen unwahrer Tatsachenbehauptungen durch unvollständige Berichterstattung s. Kap. 4 Rz. 15a. OLG Hamburg, AfP 1979, 361. OLG Jena v. 21.12.2006 – 1 U 576/06, AfP 2007, 559. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 76. Seitz, Kap. 5 Rz. 226.
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Kap. 11 Rz. 47
Gegendarstellungsanspruch
Parlaments- oder Gerichtsbericht sei nicht wahrheitsgetreu189. Seitz190 weist insoweit zutreffend darauf hin, dass die Regelung eine Einwendung enthält. Die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast trägt mithin der Anspruchsverpflichtete191. 3. Behauptungen in Anzeigen und Werbeeinschaltungen 47
Nach den LPG der meisten Bundesländer besteht kein Gegendarstellungsanspruch bei Behauptungen in Anzeigen, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dienen. Die LPG der Länder Bayern, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein enthalten keine solche Regelung. Das hat zu der Frage geführt, ob der Wegfall des Gegendarstellungsrechts gleichwohl auch in diesen Ländern gelte, weil er einem allgemeinen Rechtsprinzip entspreche192. Hierzu wird angeführt, der Ausschluss des Entgegnungsrechts bei Geschäftsanzeigen sei schon vor der Inkraftsetzung der auf dem Modellentwurf beruhenden LPG nachdrücklich gefordert worden193. Die anschließend in Kraft gesetzten LPG hätten diese ohnehin vorhandene Auffassung lediglich bestätigend mit Gesetzeskraft ausgestattet. Dies ergebe sich auch aus den Gesetzen für die Presse in den neuen Bundesländern, die dieses Prinzip mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern übernommen hätten194.
48
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Wie Ricker nachgewiesen hat195, ist der Ausschluss verfassungsrechtlich nicht unbedenklich. Seitz196 weist darauf hin, es sei nicht einzusehen, weshalb einem Prominenten, der zu Unrecht in einer Werbeanzeige genannt wird, das Entgegnungsrecht fehlen solle. Den Ausschluss des Entgegnungsrechtes bei Geschäftsanzeigen als allgemeines, auch ohne gesetzliche Regelung geltendes Prinzip zu betrachten ist um so weniger möglich, als bis in die jüngste Zeit hinein höchst unterschiedliche Regelungen getroffen worden sind. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dies sei aufgrund der Vorstellung geschehen, es erfolge eine bloße Bestätigung eines ohnehin geltenden Rechtszustandes bzw. eine solche Bestätigung erübrige sich. Das ist schon insofern nicht möglich, als verschiedentlich, z.B. in § 19 Abs. 5 Bremisches LMG, § 18 Abs. 5 LRG NW und § 9 Abs. 5 WDR-Gesetz, Gegendarstellungen gegenüber Werbesendungen als nicht unentgeltlich bezeichnet werden. Sieht die anzuwendende Regelung keinen Ausschluss des Entgegnungsrechts vor, besteht es also auch bei Geschäftsanzeigen. Im Pressebereich besteht dieses Recht in den Ländern Bayern, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Es besteht ebenso nach den Regelungen, die für den öffentlich-rechtlichen und den privaten Rundfunk gelten. Lediglich nach § 56 Abs. 2 Rf-StV Berlin/Brandenburg besteht kein Gegendarstellungsrecht „bei Beiträgen, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dienen“.
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Bei Behauptungen in sonstigen Anzeigen ist das Gegendarstellungsrecht unbestritten. Allerdings sind Entgegnungen auf Anzeigenbehauptungen nach den LPG von Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein nicht kostenfrei. Im Rundfunkbereich besteht Kostenpflicht nach den §§ 9 Abs. 5 LMedienG BW, 189 Ebenso Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 76; a.A. Soehring/Hoene, § 29 Rz. 16. 190 Seitz, Kap. 5 Rz. 227. 191 Seitz, Kap. 5 Rz. 227; a.A. OLG Jena v. 21.12.2006 – 1 U 576/06, AfP 2007, 559; Soehring/Hoene, § 29 Rz. 16. 192 So Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 71; E. Helle, S. 192; Scheer, S. 265. 193 Insbesondere von Löffler, 1. Aufl., § 11 Rz. 42. 194 Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 71. 195 Löffler/Ricker, 5. Aufl., Kap. 25 Rz. 7, S. 176 f. 196 Seitz, Kap. 5 Rz. 230.
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III. Ausschluss des Entgegnungsrechts
Rz. 51 Kap. 11
19 Abs. 5 BremLMG, 28 Abs. 2 HPRG, 44 Abs. 5 LMG NRW, 11 Abs. 1 S. 2 LMG RhPf, 27 Abs. 2 ThürLMG sowie 12 Abs. 4 NDR-StV, 24 Abs. 6 Radio-Bremen-Gesetz, 10 Abs. 5 SWR-StV, 9 Abs. 5 WDR-Gesetz und 9 Abs. 5 ZDF-StV. Zur Höhe des Entgeltes enthält lediglich § 11 Abs. 1 LMG Rheinland-Pfalz die Regelung, dass die üblichen Entgelte zu entrichten sind. Davon kann auch in den anderen Fällen ausgegangen werden. Es sind die Gebühren zu zahlen, die für die betreffende Rubrik bzw. Sendezeit üblicherweise anfallen. 4. Behauptungen in Gegendarstellungen Auch wenn dies in den LPG nicht ausdrücklich geregelt ist, geht die h.M. zutreffend davon 50 aus, dass keine Abdruckverpflichtung besteht, wenn auf eine Behauptung entgegnet wird, die in einer zuvor veröffentlichten Gegendarstellung enthalten war197. Die neueren rundfunkrechtlichen Regelungen bestimmen dies ausdrücklich198. Das Fehlen dieses Entgegnungsrechtes folgt daraus, dass die Presse beim Abdruck von Gegendarstellungen einer gesetzlichen Verpflichtung folgt. Deswegen handelt es sich beim Inhalt einer abgedruckten Gegendarstellung richtiger Auffassung nach nicht um Behauptungen, die im Sinne des Gegendarstellungsrechts „in dem Druckwerk aufgestellt“ worden sind. Die von Löffler/Sedelmeier gegebene Begründung, „Schuldner“ des Gegendarstellungsanspruches sei die Presse, beim Wortkampf unter Lesern handle es sich um andere Beteiligte, vermag nicht zu überzeugen: Auch auf Leserbriefe dürfte dann nicht entgegnet werden. Insoweit ist das Entgegnungsrecht aber unbestritten, da Leserbriefe freiwillig abgedruckt werden. Für den Ausschluss des Entgegnungsrechts kommt es nicht entscheidend auf die „Beteiligten“ an, sondern darauf, ob eine Behauptung im Sinne des Gegendarstellungsrechts aufgestellt wurde199. Davon kann bei Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht nicht ausgegangen werden. Seitz/Schmidt/Schoener200 meinen davon jedenfalls dann eine Ausnahme machen zu müssen, 51 wenn ein Dritter durch die Gegendarstellung erstmals in seinem Persönlichkeitsrecht schwerwiegend beeinträchtigt wird. Dem kann nicht gefolgt werden. Richtig ist, dass Gegendarstellungen mit Behauptungen über Dritte abgelehnt werden können, wenn durch den Abdruck deren Persönlichkeitsrechte verletzt würden. Will die Presse dies tun, muss sie die Verletzung im gerichtlichen Verfahren darlegen und glaubhaft machen. Dies kann sie nur, wenn sie die in der Gegendarstellung enthaltenen Tatsachenbehauptungen nachrecherchiert und auf ihre Richtigkeit überprüft. Obgleich es auf die inhaltliche Richtigkeit einer Gegendarstellung grundsätzlich nicht ankommt, wäre die Presse zu einer eingehenden Überprüfung gezwungen, will sie der Gefahr weiterer Gegendarstellungsforderungen begegnen. Im Zweifel würde auch eine gerichtliche Entscheidung weitere Gegendarstellungen nicht mit Sicherheit ausschließen können. Dies wäre mit dem grundrechtlichen Schutz der Pressefreiheit nicht mehr zu vereinbaren. Das Bundesverfassungsgericht201 hat das Gegendarstellungsrecht als noch verfassungsgemäße Einschränkung der Pressefreiheit angesehen, weil es stets eine Erstmitteilung der Presse voraussetze. Eine Gegendarstellung ist aber gerade keine (Erst-)Mitteilung der Presse, sondern die in Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung ver197 So bereits Häntzschel, S. 68; Regensburger, S. 52; ferner Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 77; Seitz, Kap. 5 Rz. 232 f.; a.A. noch Seitz/Schmidt/Schoener, 2. Aufl. 1990, Rz. 282; Groß, Rz. 477; Prinz/ Peters, Rz. 503. 198 § 24 Abs. 7 RBremenG; § 10 Abs. 7 SWR-StV; § 17 Abs. 8 DWG; § 9 Abs. 7 ZDF-StV; § 9 Abs. 7 Deutschlandradio-StV; § 19 Abs. 7 BremLMG; § 24 Abs. 7 LRfG Rh-Pf. 199 So ergänzend jetzt auch Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 77. 200 3. Aufl. 1998, Rz. 289; aufgegeben in Seitz/Schmidt, Kap. 5 Rz. 233. 201 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381, 1382.
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Kap. 11 Rz. 52
Gegendarstellungsanspruch
breitete Erklärung eines anderen. Dem vom Inhalt einer Gegendarstellung betroffenen Dritten stehen Ansprüche daher nur gegen den Äußernden selbst zu202.
IV. Anspruchsberechtigte 52
Der Gegendarstellungsanspruch steht der Person oder Stelle zu, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Nach dem LPG Bayern ist anspruchsberechtigt die unmittelbar betroffene Person oder Behörde. 1. Person oder Stelle
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Die Formulierung „Person oder Stelle“ lässt erkennen, dass der Gesetzgeber den Kreis der Anspruchsberechtigten weit ziehen und das Entgegnungsrecht nicht schon an bestimmten Eigenschaften des Betroffenen scheitern lassen will. Dementsprechend ist unter einer Person nicht nur eine natürliche Person zu verstehen, sondern ebenso eine juristische des privaten und des öffentlichen Rechtes, ferner eine Handelsgesellschaft des HGB. Nach h.M. fallen auch nicht rechtsfähige Vereine unter diesen Personenbegriff203, ferner Einzelgewerkschaften204, Bürgerinitiativen205 usw. Auch der Aufsichtsrat einer AG, ebenso der Vorstand, ein Verwaltungsrat, ferner der Betriebsrat206 sind Personen im Sinne des Gegendarstellungsrechts. Nach Auffassung des LG München I207 sind auch Ortsvereine politischer Parteien Personen i.S.d. Gegendarstellungsrechts. Löffler/Sedelmeier betrachten nichtrechtsfähige Personenvereinigungen als Stellen208. Für das Ergebnis ist das ohne Belang.
54
Verstorbenen steht ein Gegendarstellungsanspruch nicht zu209. Er ist ein höchstpersönliches Recht (vgl. Rz. 3). Dieses Recht ist nicht vererblich (Näheres Kap. 5 Rz. 113 ff.) und erlischt mit dem Tod. Dies gilt auch dann, wenn der Gegendarstellunganspruch im Zeitpunkt des Todes bereits tituliert, aber noch nicht erfüllt war. Die Abdruckanordnung ist wegen veränderter Umstände nach § 927 ZPO aufzuheben210. Wird durch eine Berichterstattung, die vornehmlich den Verstorbenen betrifft, auch die eigene Sphäre der Erben berührt, steht diesen ein eigener Gegendarstellungsanspruch zu. Ebenso gehen die einem Unternehmen zustehenden Gegendarstellungsansprüche unter, wenn dieses im Zuge einer Verschmelzung durch Übertragung des Vermögens als Ganzes ohne Abwicklung aufgelöst wird211
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Nach § 12 Abs. 1 NDR-StV ist auch eine Gruppe gegendarstellungsberechtigt. Beim NDR kann deswegen z.B. auch ein Verband wie der Sparkassenverband die Ausstrahlung einer Gegendarstellung fordern212. Nach den sonstigen Regelungen steht einem Verband bzw. ei-
202 203 204 205 206 207 208 209
Vgl. dazu OLG Karlsruhe v. 11.3.2011 – 14 U 129/09, AfP 2011, 376. OLG Köln, AfP 1971, 173; Rebmann, § 11 Rz. l; Seitz, Kap. 4 Rz. 3. BayObLGSt 1963, 34. LG Aachen, NJW 1977, 255. OLG Hamburg v. 10.2.1982 – 3 W 12/82, AfP 1982, 232. LG München I v. 12.4.2006 – 9 O 4751/06, AfP 2006, 279. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 48. OLG Hamburg v. 23.6.1994 – 3 U 108/94, AfP 1994, 322; OLG Stuttgart v. 15.2.1995 – 4 U 216/94, NJW-RR 1996, 599; KG v. 26.1.2007 – 9 U 251/06, AfP 2007, 137. 210 KG v. 26.1.2007 – 9 U 251/06, AfP 2007, 137; a.A. Nink, AfP 2007, 97. 211 LG Hamburg v. 30.10.2001 – 324 O 623/01, AfP 2002, 70. 212 LG Hamburg v. 16.5.1986 – 74 O 177/86, NJW 1987, 658.
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IV. Anspruchsberechtigte
Rz. 58 Kap. 11
ner sonstigen Gruppe dieses Recht nur zu, wenn sie entweder unmittelbar oder über ihre Mitglieder betroffen ist (vgl. Rz. 59, 63). Mit dem Begriff Stelle sind insbesondere Behörden gemeint. Die Bundesregierung213, das 56 Bundeskanzleramt und Ministerien214 fallen ebenso darunter wie ihr gesamter Unterbau. Gleiches gilt für kirchliche Behörden215, z.B. erzbischöfliches Ordinariat216. Auch Gesetzgebungsorgane wie der Bundestag, der Bundesrat und alle anderen Parlamente fallen darunter, ebenso einzelne Fraktionen. Entsprechendes gilt für Gerichte217. Mit der Zuerkennung des Gegendarstellungsrechts für eine Stelle ist bezweckt, der Behörde bzw. dem Amt als solchem die Möglichkeit der Entgegnung zu geben, z.B. einem Kreiswehrersatzamt. Fehlte dieses Recht, könnte statt des Kreiswehrersatzamtes nur die Bundesrepublik, vertreten durch den Bundesverteidigungsminister, den Abdruck einer Gegendarstellung fordern. Das Recht nicht rechtsfähiger Personengemeinschaften und von Stellen, den Abdruck einer 57 Gegendarstellung zu fordern, wirft die Frage der Unterzeichnung auf. Nach den meisten LPG sind Gegendarstellungen vom Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter zu unterzeichnen (Ausnahme: Berlin, Bremen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt). Nicht rechtsfähige Personenvereinigungen haben meistens nur einen gewillkürten Vertreter (vgl. §§ 54, 709, 710 BGB). Anders verhält es sich allerdings beim Betriebsrat218. Auch Stellen haben keinen gesetzlichen Vertreter. Da ihnen dennoch der Anspruch auf Abdruck einer vom gesetzliehen Vertreter unterzeichneten Gegendarstellung zuerkannt ist, liegt ersichtlich ein gesetzgeberischer Fehler vor. Wie Löffler/Sedelmeier zutreffend ausführt219, ist er dahin zu korrigieren, dass derjenige die Gegendarstellung zu unterzeichnen berechtigt ist, der die Personenvereinigung bzw. Stelle „leitet“, d.h. derjenige, der ihr gesetzlicher Vertreter wäre, wenn nicht die Rechtspersönlichkeit fehlte. So ist z.B. die Gegendarstellung eines erzbischöflichen Ordinariats durch den Generalvikar in seiner Eigenschaft als Behördenleiter zu unterzeichnen. Ist der Leiter abwesend und besteht eine verbindliche Vertretungsregelung, so kann der amtliche Vertreter die Gegendarstellung für die Stelle unterzeichnen220. Das Recht des Leiters einer nicht rechtsfähigen Personenvereinigung bzw. einer Stelle zur Unterzeichnung der Gegendarstellung sowie zur Geltendmachung des Abdruckverlangens bedeutet nicht, die Personenvereinigung bzw. Stelle sei partiell parteifähig und damit bezüglich der Gegendarstellungsforderung klagebefugt221. Die Unterscheidung zwischen dem Recht zur Unterzeichnung des Leiters der nicht rechts- 58 fähigen Personenvereinigung bzw. Stelle auf der einen und der dennoch fehlenden Klagebefugnis auf der anderen Seite hat sich in der Rechtsprechung noch nicht durchgesetzt. Weil die Klagebefugnis nur den dahinterstehenden rechts- bzw. parteifähigen natürlichen oder juristischen Personen zusteht, wird teilweise angenommen, auch das Unterzeichnungsrecht 213 214 215 216 217 218
OLG München, AfP 1976, 288. LG Hamburg, NJW 1967, 734. KG, ArchPR 1977, 446. OLG Karlsruhe v. 19.6.1996 – 14 U 242/95, AfP 1998, 65. Seitz, Kap. 4 Rz. 4. Deswegen neigt das OLG Hamburg dazu, den Betriebsratsvorsitzenden als Unterzeichnungsberechtigten anzusehen, OLG Hamburg v. 10.2.1982 – 3 W 12/82, AfP 1982, 232, 233. 219 Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 52. 220 OLG Karlsruhe v. 19.6.1996 – 14 U 242/95, AfP 1998, 65. 221 H.M.; vgl. u.a. KG, ArchPR 1971, 92; OLG Köln, AfP 1971, 173; LG München I v. 12.4.2006 – 9 O 4751/06, AfP 2006, 279; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 52; Seitz, Kap. 9 Rz. 33 ff.; a.A. LG Aachen, ArchPR 1976, 46.
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Kap. 11 Rz. 59
Gegendarstellungsanspruch
stehe nur ihnen bzw. ihren gesetzlichen Vertretern zu222. Dazu vertritt das KG die Auffassung223, die Formulierung „Person oder Stelle“ enthalte lediglich die Klarstellung, dass die dahinterstehende Rechtspersönlichkeit den Abdruck einer Gegendarstellung auch fordern könne, wenn nicht sie selbst, sondern eine ihrer Stellen betroffen sei. Damit wird die Bedeutung des Merkmals „Stelle“ auf eine bloße Klarstellung reduziert. Dem kann nicht gefolgt werden. Wortlaut und Sinn der Regelung ergeben, dass die Stelle ein eigenes Entgegnungsrecht haben soll, was auch der Zweckmäßigkeit entspricht. Dann aber kann nicht zweifelhaft sein, dass die Gegendarstellung einer Stelle von deren Leiter zu unterzeichnen ist. Die entgegenstehende Forderung, die Gegendarstellung z.B. eines Kreiswehrersatzamtes sei statt von seinem Leiter vom Bundesverteidigungsminister als Vertreter der Bundesrepublik zu unterzeichnen, wäre in hohem Maße sinn- und zweckwidrig. Die Tatsache, dass im Falle der Notwendigkeit eines Verfügungsverfahrens statt des nicht parteifähigen Kreiswehrersatzamtes nur die Bundesrepublik antragsbefugt ist, ändert hieran nichts224. 2. Betroffenheit 59
a) Der Person oder Stelle steht der Anspruch nur zu, wenn sie von der im periodischen Druckwerk aufgestellten Tatsachenbehauptung betroffen ist. Betroffen bedeutet nicht verletzt225. Es genügt, dass die Behauptung sich in individueller, seine Interessensphäre berührender Weise auf den Anspruchssteller bezieht226. § 10 Abs. 1 LPG Bayern fordert eine unmittelbare Betroffenheit. Das hat zu der Streitfrage geführt, ob eine unmittelbare Betroffenheit auch in den anderen Bundesländern zu fordern ist227 oder ob mittelbare Betroffenheit dort genügt228. Wie auch Löffler/Sedelmeier annimmt229, ist dieser Streit wenig ergiebig. Unmittelbare und mittelbare Betroffenheit sind in der Praxis oft nicht zu unterscheiden. Richtiger Auffassung nach kommt es darauf an, ob der Anspruchsteller selbst und individuell betroffen ist. Dass gute Bekannte betroffen sind, genügt nicht. Eigene Betroffenheit kann aber auch vorliegen, wenn die Darstellung der Verhältnisse anderer auf die eigenen ausstrahlt. So gesehen ist richtig, eine nur mittelbare Betroffenheit ausreichen zu lassen.
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b) Ob die im vorstehenden Sinne aufzufassende Betroffenheit im konkreten Fall zu bejahen ist, richtet sich nach der Auffassung des unbefangenen Lesers230. Z.B. sind die Eltern betroffen, wenn über die Kinder berichtet wird, jedenfalls wenn sie minderjährig sind bzw. im elterlichen Haushalt leben231. Gleiches kann für Ehegatten oder Partner232 gelten. Werden sehr schwerwiegende Vorwürfe gegen einen Verstorbenen erhoben, die nicht nur ganz entfernte Auswirkungen auf Kinder und Erben haben, können diese ausnahmsweise selbst betroffen sein233. Auch der Arbeitgeber bzw. der Leiter eines Unternehmens oder einer Behörde kann 222 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233
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LG Hamburg, NJW 1967, 734. KG, ArchPR 1971, 93. Ebenso Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 52. BayObLG, NJW 1958, 1825; OLG München, NJW 1954, 927. OLG Hamburg, ArchPR 1977, 46; OLG Stuttgart v. 17.12.2013 – 4 U 214/13. So z.B. OLG Köln, AfP 1971, 173. So OLG Hamburg v. 10.2.1982 – 3 W 12/82, AfP 1982, 232, 233; Löffler, 2. Aufl., § 11 Rz. 47. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 55. BayObLG, NJW 1961, 275. Rebmann, § 11 Rz. 2. Vgl. LG Hamburg v. 18.4.2008 – 324 O 1095/07, AfP 2008, 532. Vgl. OLG Hamburg v. 23.6.1994 – 3 U 108/94, AfP 1994, 322; OLG Stuttgart v. 15.2.1995 – 4 U 216/94, NJW-RR 1996, 599.
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IV. Anspruchsberechtigte
Rz. 62 Kap. 11
betroffen sein, wenn über die Arbeitsleistung oder die berufliche Fähigkeit von Mitarbeitern berichtet wird. Z.B. ist eine GmbH bei Kritik an betriebsbezogenen Verhältnissen betroffen234, der Intendant bei Darstellung der Zustände in seinem Theater, der Polizeipräsident bei Vorwürfen gegen Polizeibeamte seiner Behörde235. Nicht betroffen ist der Arbeitgeber bei einer schlichten Personenverwechslung im Bild dargestellter Arbeitnehmer, wenn dadurch nicht zugleich eine Fehlvorstellung über die Verhältnisse des Unternehmens erzeugt wird236. Wird einem Mitarbeiter eine nicht oder so nicht gemachte Äußerung unwahren Inhalts unterstellt, kann auch seinem Arbeitgeber ein Anspruch zustehen, sofern durch die Unwahrheit Unternehmensinteressen berührt werden. Wird z.B. einem Ruhrkumpel unterstellt, er habe seinen Durchschnittslohn mit netto 4 000 DM angegeben, obschon er diesen Betrag zutreffend als seinen Bruttolohn bezeichnet hat, berührt das auch Interessen der Zeche. Es werden falsche Vorstellungen zu Lohn- und Gehaltsfragen geweckt, die auch innerbetrieblich zu Reibungen führen können. Gleichermaßen betroffen ist der Chefredakteur bei Kritik an der Zeitung, und zwar auch, wenn er namentlich nicht erwähnt ist237. Ein einzelner Redakteur ist betroffen, wenn er das kritisierte Verhalten seines Blattes nach außen zu vertreten hat, z.B. aufgrund des Impressums238. Auch sonstige Arbeitnehmer können durch Kritik am Unternehmen betroffen sein, z.B. der Empfangschef eines St.-Pauli-Hotels, wenn es heißt: „Der Gast kann sein Zimmer gleich mit Mädchen mieten“239. Ist ein Produkt Gegenstand der Berichterstattung, ist dessen Hersteller Betroffener240. Betroffen sein kann weiter die Bundesregierung, wenn eine Mittelverschwendung der Regie- 61 rungsparteien behauptet wird241, ebenso ein Bundesland bei unberechtigten Behauptungen über gesetzgebende Körperschaften242. Wird über Äußerungen des Bürgermeisters in einer Sitzung eines Gemeindeausschusses berichtet, ist die Gemeinde betroffen243. Die Betroffenheit eines Politikers folgt aber nicht schon daraus, dass die streitige Darstellung Politikfelder berührt, die für ihn von Interesse sind. Z.B. steht dem Bundesminister der Verteidigung kein Entgegnungsrecht gegen Behauptungen über die amerikanische Raketenstationierung zur Seite244. Ist eine Stelle betroffen, z.B. eine Behörde, etwa ein Finanz- oder sonstiges Amt, ist die vorgesetzte Behörde regelmäßig mitbetroffen, ggf. auch die rechtsfähige Körperschaft, zu der die Stelle gehört. Deswegen kann der Leiter der vorgesetzten Behörde, z.B. der OFD, ggf. auch der Landesfinanzminister bzw. dessen gesetzlicher Vertreter, den Abdruck einer Gegendarstellung fordern245. Klagbefugt ist allerdings immer nur die parteifähige Gebiets- oder sonstige Körperschaft bzw. Anstalt246. Kritik an einem Mitgliedsunternehmen eines Wirtschaftsverbandes begründet im Allgemei- 62 nen keine Betroffenheit des Verbandes. Werden aber mehrere Mitgliedsunternehmen ange234 235 236 237 238 239 240 241 242 243 244 245 246
OLG München v. 26.2.1973 – 21 U 2300/72, AfP 1973, 483. Seitz, Kap. 4 Rz. 13 f. KG v. 9.11.2004 – 9 U 215/04, ZUM-RD 2005, 53. OLG Hamburg, MDR 1972, 956; ArchPR 1977, 47; v. 19.2.2008 – 7 U 94/07, AfP 2008, 314; OLG München, AfP 1973, 485; KG v. 9.1.2007 – 9 U 248/06, AfP 2007, 231. LG Hamburg, AfP 1971, 86. OLG Hamburg v. 7.6.1973 – 3 U 21/73, MDR 1973, 1028. OLG Stuttgart v. 17.12.2013 – 4 U 214/13, n.v. OLG München, AfP 1976, 188. Seitz, Kap. 4 Rz. 15. OLG Jena v. 21.12.2006 – 1 U 576/06, AfP 2007, 559. OLG Köln v. 2.7.1985 – 15 U 127/85, AfP 1985, 227. Str., a.A. LG Hamburg, NJW 1967, 734; ArchPR 1968, 67. KG, NJW 1971, 947.
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Kap. 11 Rz. 63
Gegendarstellungsanspruch
griffen, kann es zweckmässig sein, statt einer Mehrzahl von Gegendarstellungen der einzelnen Unternehmen eine einheitliche Gegendarstellung des Verbandes zuzulassen (vgl. Rz. 40. Aussagen über Wettbewerber der Verbandsmitglieder begründen ohne Vorliegen besonderer Umstände keine Betroffenheit des Verbandes (vgl. Rz. 55). 63
c) Die Betroffenheit muss individuell sein. Das Betroffensein von Gruppenangehörigen, z.B. als Europäer, Raucher usw., genügt nicht (einhellige Meinung). Zu allgemeinen Fragen darf also in einer Gegendarstellung nicht Stellung genommen werden. Entsprechend OLG München ist die individuelle Betroffenheit des einzelnen Mitgliedes einer Gruppe schon zu verneinen247, wenn über eine „Aktion“ berichtet wird, die aus lediglich 20-30 Personen besteht248. Richtig ist jedenfalls, dass nicht jedes einzelne Mitglied individuell betroffen ist, wenn über eine politische Partei berichtet wird249. Werden Behauptungen über Waren aufgestellt, ist im Allgemeinen nur der Hersteller250 bzw. Warenzeicheninhaber oder der Alleinimporteur gegendarstellungsberechtigt, nicht jedes Vertriebsunternehmen; zum Unterlassungsanspruch vgl. Kap. 12 Rz. 52.
64
d) Namentliche Erwähnung setzt das Merkmal der Betroffenheit nicht voraus251. Erforderlich ist aber die Erkennbarkeit. Es genügt, dass die Identität des Anspruchstellers mit der angegriffenen Person sich für die sachlich interessierte Leserschaft ohne weiteres ergibt oder mühelos ermitteln lässt252. Die Erkennbarkeit muss für einen Personenkreis vorhanden sein, den der Betroffene nicht mehr ohne weiteres selbst unterrichten kann wie z.B. die engere Familie253. Ausreichend ist aber die Erkennbarkeit innerhalb des Bekanntenkreises254. Heißt es „die Stadtverwaltung hat den Auftrag an zwei Stuttgarter Architekten vergeben“, können diese eine Gegendarstellung fordern, wenn ihre Namen einem nicht unbeträchtlichen Leserkreis bekannt sind255. Wird über bestimmte Erzeugnisse (Pflanzenschutzmittel) berichtet, ist jedenfalls der Hersteller unmittelbar betroffen, auf den die Leser die Kritik infolge seines überragenden Marktanteiles vornehmlich beziehen256. Die Erkennbarkeit kann sich auch aus einer die Herkunft einer Ware kennzeichnenden Marke ergeben. Betroffen ist auch der leicht feststellbare Eigentümer eines in einem kleinen Ort befindlichen Misthaufens257. Kommen mehrere als Betroffene in Betracht, steht der Gegendarstellungsanspruch grundsätzlich jedem zu. Dementsprechend kann jede der fünf in der Bundesrepublik tätigen Organisationen, die die von Maharish Mahash Yogi begründete Lehre der transzendentalen Meditation verbreiten, eine Gegendarstellung fordern, wenn der Rundfunk sich mit dieser Lehre kritisch befasst, ohne eine einzelne Organisation namentlich zu nennen258.
247 248 249 250 251 252 253 254 255 256 257 258
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OLG München, ArchPR 1974, 112. Vgl. dazu OLG Köln, AfP 1971, 173. OLG Hamburg, ArchPR 1977, 47. OLG Stuttgart v. 17.12.2013 – 4 U 214/13 n.v. OLG Hamburg v. 19.2.2008 – 7 U 94/07, AfP 2008, 314; KG v. 9.1.2007 – 9 U 248/06, AfP 2007, 231; LG Oldenburg v. 25.11.1985 – 5 O 3418/85, AfP 1986, 84; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 59. BGH, NJW 1963, 1155. LG Oldenburg v. 26.9.1985 – 5 O 2883/85, AfP 1985, 299, 300. BVerfG v. 14.7.2004 – 1 BvR 263/03, NJW 2004, 3619. OLG Hamburg, ArchPR 1970, 79. LG Offenburg, ArchPR 1970, 80. OLG München, ArchPR 1977, 47. LG Köln, Ufita 78/1977, 274.
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V. Anspruchsverpflichtete
Rz. 67 Kap. 11
War der Anspruchsteller nicht gemeint, kann die Betroffenheit dennoch zu bejahen sein, 65 wenn die nicht ganz entfernte objektive Möglichkeit besteht, dass die Behauptung auf ihn bezogen wird259. Andererseits kann die Betroffenheit trotz namentlicher Erwähnung zu verneinen sein, wenn die Behauptung sich zwar rein grammatikalisch auf den Genannten beziehen lässt, wenn das aber für die Durchschnittsleser nicht ernsthaft in Betracht kommt, weil ohne weiteres erkennbar ist, dass es sich um einen anderen handelt260. Ob die Betroffenheit zu bejahen ist, wenn sie sich lediglich aus einem Wettbewerbsverhältnis ergibt, kann fraglich sein. Zu denken ist an Behauptungen wie, den Preis habe A gewonnen (obschon es in Wahrheit B ist) oder eine Zeitung erreiche in einem bestimmten Gebiet eine Verkaufsauflage von 10 000 Exemplaren (obschon es weniger sind), wobei die zu hohe Zahl falsche Vorstellungen über die Wettbewerbsposition einer in dem betreffenden Gebiet verbreiteten Konkurrenzzeitung vermittelt. Richtiger Auffassung nach ist die Betroffenheit zu bejahen, wenn der durchschnittliche Leser die Behauptung zwangsläufig nicht nur auf den genannten, sondern ebenso auf den unerwähnt gebliebenen Wettbewerber bezieht261. e) Bei einer Mehrzahl Betroffener ist grundsätzlich jeder berechtigt, mit seiner Darstellung 66 zu Wort zu kommen262. Allerdings sind Ausnahmen zu beachten, vgl. Rz. 40.
V. Anspruchsverpflichtete Nach § 11 RPG war allein der verantwortliche Redakteur zur Aufnahme von Gegendarstel- 67 lungen verpflichtet. Das hängt damit zusammen, dass der Nichtabdruck nach § 19 Abs. 1 Nr. 3 RPG strafbar war. Die nach 1945 in Kraft getretenen LPG haben diese Regelung reformiert. Jetzt ist neben dem verantwortlichen Redakteur auch der Verleger gesamtschuldnerisch263 zum Abdruck verpflichtet. Verleger in diesem presserechtlichen Sinne ist das Verlagsunternehmen, das das Erscheinen des Druckwerkes bewirkt, also nicht ein Gesellschafter, mag er auch nach § 128 HGB haften264. Andererseits ist die Strafbarkeit des Nichtabdrucks entfallen (Ausnahme: Bayern). Damit ergibt sich die Frage, ob die Aufrechterhaltung der Passivlegitimation des verantwortlichen Redakteurs noch gerechtfertigt ist. Einen sachlichen Vorteil kann sie dem Betroffenen allenfalls bieten, wenn die Redaktion ihren Sitz nicht am Verlagsort hat. Dann kann der Betroffene auch den ihm möglicherweise angenehmeren Gerichtsstand der Redaktion in Anspruch nehmen. Das ist aber eine seltene Ausnahme. Sie rechtfertigt die Aufrechterhaltung der Passivlegitimation des verantwortlichen Redakteurs nicht. Im Falle einer Novellierung der LPG wäre daran zu denken, sie entfallen zu lassen, wie es die neueren rundfunkrechtlichen Vorschriften bereits vorsehen. De lege lata besteht aber die Doppelhaftung im Pressebereich fort. Der Anspruchsberechtigte kann die Gegendarstellungsforderung also sowohl gegenüber dem einen wie dem anderen oder auch gegenüber beiden geltend machen. Hat einer der Verpflichteten die Forderung anerkannt oder steht sie ihm gegenüber rechtskräftig fest, muss der andere sie gegen sich gelten lassen. Deswegen fehlt für ein weiteres, nachträglich gegenüber dem anderen anhängig gemachtes Verfügungsverfahren regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis. Sucht aber der Verleger die Erfüllung einer vom verantwortlichen Redakteur anerkannten oder ihm gegenüber rechtskräftig 259 260 261 262 263 264
BayObLG, NJW 1961, 2075; OLG München, ArchPR 1974, 112. OLG Hamburg, ArchPR 1975, 45. Ebenso BayObLG, NJW 1961, 2075; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 59. LG Hamburg, AfP 1971, 86. LG Hamburg, ArchPR 1968, 62. OLG Düsseldorf v. 13.1.1988 – 15 U 262/87, AfP 1988, 160.
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Kap. 11 Rz. 68
Gegendarstellungsanspruch
feststehenden Gegendarstellungsforderung zu verhindern, kann der Anspruchsberechtigte die Verpflichtung ihm gegenüber gleichfalls gerichtlich geltend machen. In einem solchen Fall prüft das Gericht nicht mehr die presserechtliche Zulässigkeit, sondern nur noch die Wirksamkeit der vom verantwortlichen Redakteur übernommenen Verpflichtung bzw. seiner Verurteilung265. 1. Verantwortlicher Redakteur 68
Verantwortlicher Redakteur ist nach der herrschenden sog. Stellungstheorie, wer diese Stellung mit Willen des Verlegers tatsächlich bekleidet und kraft dieser Stellung darüber entscheiden kann, ob der Abdruck eines Beitrages wegen strafbaren Inhaltes zu unterbleiben hat266. Dieses Entscheidungsrecht hat der Verantwortliche mit allen zu Gebote stehenden Mitteln durchzusetzen. Bleibt das erfolglos, muss er seine presserechtliche Verantwortung niederlegen. Unterbleibt das, kann er nach § 888 ZPO zur Erfüllung eines gegen ihn ergangenen Urteils angehalten werden267. Ein verantwortlicher Redakteur ist auch passivlegitimiert, wenn die Entscheidung über den Abdruck von Gegendarstellungen vom Chefredakteur getroffen wird. Eine solche Regelung hat lediglich innerbetriebliche Bedeutung268.
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Die Verantwortlichkeit braucht nicht notwendig für den gesamten Inhalt der Druckschrift zu bestehen. Besteht eine geteilte Verantwortlichkeit, z.B. für Politik, Wirtschaft, Kultur usw., ist der Abdruck von dem Verantwortlichen zu fordern, der zuständig für den Teil ist, in dem die beanstandete Behauptung enthalten war. Ist neben den Verantwortlichen für bestimmte Sachgebiete ein Verantwortlicher für Reportagen genannt, trifft die Verantwortlichkeit für einen als Reportage gekennzeichneten Bericht ihn, nicht den für das betreffende Sachgebiet zuständigen Redakteur269.
70
Wer konkret der Verantwortliche ist, ergibt sich i.d.R. aus dem Impressum. Im Bestreitensfall sollte die die Erstmitteilung enthaltende Ausgabe mit dem darin enthaltenen Impressum vorgelegt werden270. Die Erwähnung im Impressum hat die Wirkung eines widerleglichen außergerichtlichen Geständnisses271. Der Chefredakteur darf mit dem Verantwortlichen nicht verwechselt werden. Er ist auch bei einem unklaren oder unvollständigen Impressum nicht passivlegitimiert272. Nennt aber das Impressum allein ihn, kann er als Verantwortlicher behandelt werden.
71
Der Verantwortliche schuldet den Abdruck nicht als Person, sondern als Institution. Beim Wechsel ist der Anspruch nicht gegen den früheren, sondern gegen den gegenwärtigen zu richten, zumal der frühere den Abdruck nicht mehr veranlassen kann273. Bei einem Wechsel 265 OLG Hamburg, ArchPR 1968, 63. 266 BGH, NJW 1963, 665; BayObLG, NJW 1976, 435; KG v. 26.11.1997 – 51 Ss 218/93 (41/93), NJW 1998, 1420; Löffler/Lehr, § 9 Rz. 24, Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 84. 267 OLG Köln, NJW 1969, 755. 268 OLG Celle v. 5.8.1987 – 13 U 140/87, AfP 1987, 715. 269 Vgl. OLG München, AfP 1972, 278, wonach die Entscheidung, wohl zu Unrecht, davon abhängen soll, welcher der Verantwortlichen bei der Reportage mitgewirkt hat. 270 OLG Hamburg, ArchPR 1969, 73. 271 OLG München, AfP 1972, 278; KG v. 26.11.1997 – (5) 1 Ss 218/93 (41/93), NJW 1998, 1420; dies verkennt LG Dresden v. 2.9.2016 – 3 O 1542/16 EV, BeckRS 2016, 115378, aufgehoben wegen Vollziehungsmängeln, s. OLG Dresden v. 7.2.2017 – 4 U 1422/16, AfP 2017, 183. 272 OLG Celle v. 30.8.1995 – 13 U 189/95, AfP 1996, 274 = NJW 1996, 1149. 273 OLG Celle, GA 1963, 155.
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VI. Inhalt der Gegendarstellung
Rz. 74 Kap. 11
während eines Verfügungsverfahrens greifen die §§ 265, 325 ZPO ein. Es bedarf also keiner Antragsänderung. Der bisherige Verantwortliche führt den Rechtsstreit in gesetzlicher Prozessstandschaft für seinen Nachfolger fort. Beim Wechsel nach Verfahrensbeendigung kann der Titel umgeschrieben werden274. 2. Verleger Verleger ist der Unternehmer, der die Vervielfältigung und Verbreitung des Druckwerkes im 72 eigenen Namen durchführt, gleichgültig ob auf eigene oder auf fremde Rechnung275. Die vertragliche Verpflichtung des Verlegers einer Verbandszeitschrift gegenüber dem die Zeitschrift herausgebenden Verband, die Gestaltung des redaktionellen Teils allein ihm zu überlassen, ändert an der Passivlegitimation des Verlegers nichts. Gesetzliche Verpflichtungen lassen sich durch vertragliche Vereinbarungen nicht außer Kraft setzen. Eine besondere Situation kann sich ergeben, wenn ein nur für die Anzeigenakquisition und die Verbreitung zuständiges Verlagsunternehmen aufgrund von Vereinbarungen des Verbandes mit der Druckerei keine Möglichkeit hat, den Abdruck von Gegendarstellungen zu bewirken. Dann ist das Verlagsunternehmen nicht Verleger des Blattes, sondern bloßer Werkunternehmer. Verleger kann eine natürliche Person, eine Handelsgesellschaft oder eine öffentlich-rechtliche Institution sein. Die Forderung ist gegen sie, nicht gegen den Inhaber des Verlages zu richten. Wird im Impressum neben einer Verlags-GmbH als „Herausgeber und Verleger“ eine natürliche Person genannt, ist gleichwohl nur die mit der Verlegertätigkeit befasste GmbH und nicht auch die mit ihrer Berufsbezeichnung benannte natürliche Person passivlegitimiert276. Bei einem Verkauf des Zeitungs-/Zeitschriftenunternehmens oder einem sonstigen Wechsel des Verlegers nach dem Erscheinen der beanstandeten Erstmitteilung ist der neue Verleger zum Abdruck der Gegendarstellung verpflichtet. Beim Wechsel des Verlegers während eines anhängigen Verfahrens gelten die §§ 265, 325 ZPO. Der Verleger handelt rechtswidrig, wenn er den verantwortlichen Redakteur am Abdruck einer Gegendarstellung hindert, insbesondere wenn der Verantwortliche dazu verurteilt ist277. Eine Besonderheit besteht in Rheinland-Pfalz. Dort muss wer eine durch eine Nachrichten- 73 agentur oder ähnlichen Dienst (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b und c LMG) verbreitete Tatsachenbehauptung übernommen hat, auch eine hierzu von diesem Dienst veröffentlichte Gegendarstellung übernehmen (§ 11 Abs. 2 Satz 4 LMG). Insoweit handelt es sich um einen anderen, inhaltlich lediglich auf Weiterverbreitung gerichteten Anspruch. Verpflichtet ist derjenige, der die von der Nachrichtenagentur oder dem ähnlichen Dienst verbreitete Tatsachenbehauptung übernommen hat.
VI. Inhalt der Gegendarstellung Das Gegendarstellungsrecht ist die persönlichkeitsrechtliche Möglichkeit des Betroffenen, 74 Sachverhaltsangaben in einem Periodikum im Wege der Selbstverteidigung an gleicher Stelle und mit gleicher Publizität durch seine abweichende Sachverhaltsvorstellung zu vervollständigen278. 274 275 276 277 278
BayObLG, BayObLGZ 70, 151 = ArchPR 1970, 74; Schultz, Die Justiz 1964, 319. Rebmann, § 23 Rz. 8. A.A. OLG Karlsruhe v. 10.3.1992 – 3 U 65/91, AfP 1992, 373 = NJW-RR 1992, 1305. OLG Hamburg, ArchPR 1968, 63; OLG Frankfurt v. 21.6.1985 – 10 U 131/85, AfP 1985, 289. Vgl. BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198, 1201 – Panorama Rz. 1.
Burkhardt
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Kap. 11 Rz. 75
Gegendarstellungsanspruch
75
So wie eine Gegendarstellung nur gegenüber Tatsachenbehauptungen zulässig ist, hat sie sich auch ihrerseits auf Tatsachenbehauptungen zu beschränken, und zwar neben der Anknüpfung an die Erstmitteilung auf solche, die eine Entgegnung oder notwendige Ergänzung enthalten. Diese Behauptungen dürfen weder offensichtlich unrichtig noch irreführend und nicht strafbar sein. Entspricht auch nur ein Teil der Gegendarstellung diesen Voraussetzungen nicht, können die Abdruckverpflichteten die Forderung insgesamt zurückweisen (Alles-oder-Nichts-Prinzip)279.
76
Bei dieser Grundlage des Gegendarstellungsrechts bleibt es grundsätzlich dem Ermessen des Betroffenen überlassen, ob und ggf. in welcher Weise er von diesem Recht Gebrauch machen, wie er also seine Gegendarstellung formulieren will. Eine Gegendarstellung kann unterschiedlich aufgebaut werden. Häufig wird das Schema angewandt, zunächst die Erstmitteilung zu zitieren, zu erklären, sie sei falsch bzw. unwahr, und anschließend die Darstellung des Einsenders zu bringen, z.B. wie folgt: „Die Zeitung behauptet … Dies ist unzutreffend. In Wirklichkeit habe ich …“ Knapper und i.d.R. empfehlenswerter ist folgende Darstellungsform: „Gegenüber der Behauptung der Zeitung, ich hätte …, stelle ich fest, dass ich in Wirklichkeit …“ Ggf. kann auch die Anknüpfung an die Erstmitteilung mit der Negation verbunden und daran eine Erläuterung angeschlossen werden: „Entgegen der Behauptung der Zeitung hat A nicht erklärt, die schlimmen Vermutungen zu meinem Verhalten hätten sich bestätigt. A hat nicht mich, sondern andere gemeint.“
77
Rechtlich zu prüfen ist nur, ob die inhaltlichen Grunderfordernisse erfüllt sind, also nicht, ob die Gegendarstellung auch anders hätte formuliert werden können. Das gilt besonders für Fälle, in denen es nicht lediglich um die vollständige Negation einer klaren Aussage, sondern um kompliziertere Fragen geht, wie sie sich bei Halbwahrheiten, Verdrehungen und Verfälschungen regelmäßig ergeben. Speziell in solchen Fällen kommen stets unterschiedliche Formulierungsmöglichkeiten in Betracht. Dann hängt die Begründetheit der Gegendarstellungsforderung nicht davon ab, ob der Einsender von den mehreren Möglichkeiten die gewählt hat, die nach Ansicht des Abdruckverpflichteten bzw. des Gerichts „die beste“ sei, sondern nur von der Frage, ob der Einsender den Rahmen seines Ermessens eingehalten oder überschritten hat. Von diesem auch vom BGH für richtig gehaltenen großzügigen Prüfungsmaßstab ist um so mehr auszugehen280, als ein Zwangskorsett für sprachliche Darstellungen generell abzulehnen ist. 1. Anknüpfung und Wiedergabe der Erstmitteilung
78
Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 LPG Bayern muss die Gegendarstellung die beanstandeten Stellen bezeichnen. Daraus leitet das OLG München ab281, das Abdruckverlangen könne zurückgewiesen werden, wenn diese Bezeichnung auch nur hinsichtlich eines Gegendarstellungspunktes unterblieben ist. Das erscheint zu formalistisch. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf die beanstandete Stelle ist jedenfalls entbehrlich, wenn der Gegendarstellungstext schon als solcher ausreichend ergibt, auf welche Behauptung die Entgegnung sich bezieht282. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Verlag die Möglichkeit hat, den Bezug selbst herzustellen, allerdings ohne Veränderung des Gegendarstellungstextes283. 279 280 281 282 283
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Allg. Meinung, vgl. u.a. OLG Hamburg, AfP 1977, 247. BGH v. 9.4.1963 – VI ZR 54/62, NJW 1963, 1155 – Geisterreigen. OLG München, ArchPR 1974, 112. So auch OLG München, ArchPR 1960, 30. OLG Hamburg, ArchPR 1970, 77.
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VI. Inhalt der Gegendarstellung
Rz. 80 Kap. 11
Die LPG der übrigen Bundesländer enthalten ein solches Bezeichnungserfordernis nicht. 79 Trotzdem ist eine den Zusammenhang herstellende Anknüpfung zulässig und i.d.R. zweckmäßig. Es sollte also angeführt werden, in welcher Ausgabe, ggf. in welchem Teil bzw. auf welcher Seite der beanstandete Beitrag enthalten war, evtl. mit welcher Überschrift. Wendet der Betroffene sich lediglich gegen einen oder einzelne Punkte der Erstmitteilung, hat er das in der Gegendarstellung deutlich zu machen. Es braucht aber nicht angegeben zu werden, dass und an welcher Stelle die Gegendarstellung im Verhältnis zur Erstmitteilung eine Lücke aufweist284. Überschrift und Einzelpunkte brauchen nicht notwendigerweise wörtlich wiedergegeben zu werden, sinngemäße Zusammenfassung genügt285. Die Erstmitteilung darf aber nicht verfälschend oder irreführend wiedergegeben werden. Das ist der Fall, wenn der Leser zu unzutreffenden Schlussfolgerungen gelangen kann286. Es darf auch nicht erklärt werden, die Erstmitteilung enthalte eine bestimmte Behauptung, wenn lediglich ein entsprechender Anschein erweckt worden ist287. An die Korrektheit der Wiedergabe der beanstandeten Punkte der Erstmitteilung werden 80 strenge Anforderungen gestellt. Hat es geheißen, eine Bewegung wolle Meditationstechniken mit scheinwissenschaftlichen Argumenten „monopolisieren“, darf in der Gegendarstellung nicht formuliert werden, das Blatt habe behauptet, dass die Organisation mit scheinwissenschaftlichen Argumenten „vorgehe“288. Hat die Redaktion sich von einer Bezeichnung (Ostagent) durch Anführungszeichen distanziert, sind sie in der Anknüpfung ebenfalls zu setzen289. Hat das Blatt lediglich einen anderen zitiert, darf die Äußerung nicht als Behauptung der Zeitung wiedergegeben werden290. Es ist vielmehr deutlich zu machen, dass es sich um die Äußerung eines Dritten handelt291. Dies gilt auch, soweit der Anspruchsverpflichtete sich von der Aussage des Dritten nicht distanziert hat292. Will der Betroffene zum Ausdruck bringen, dass der Verpflichtete sich die Drittäußerung zu eigen gemacht hat, wäre dies wie bei erzeugten Eindrücken anhand der Erstmitteilung darzustellen. Allerdings dürfte für eine derartige Gegendarstellung häufig das berechtigte Interesse (Rz. 31 ff.) fehlen. Ist der Betroffene in der Erstmitteilung nicht mit Namen genannt worden, kann es erforderlich sein, das in der Anknüpfung deutlich werden zu lassen, um den Anschein zu vermeiden, das Blatt habe ihn besonders an den Pranger gestellt. Gleichermaßen unzulässig ist, die Erstmitteilung in anderem als im ursprünglichen Zusammenhang wiederzugeben oder in anderer Kausalverknüpfung293. Kommt es nach dem Erstbericht auf einen bestimmten zeitlichen Bezug an, muss dieser auch in der Anknüpfung wiedergegeben werden. Ebenso wenig darf in einer Anknüpfung eine Entgegnung so eingeflochten werden, dass sie als Darstellung der Redaktion erscheint. Werden innerhalb eines Satzes mehrere Behauptungen aufgestellt, soll aber nur auf eine entgegnet werden, kann es dennoch zulässig sein, den Satz insgesamt zu zitieren. Das gilt jeden284 OLG Hamburg v. 11.11.1982 – 3 U 150/82, AfP 1983, 289. 285 OLG Köln, AfP 1972, 231; v. 14.2.1980 – 3 U 130/79, AfP 1980, 106; v. 11.11.1982 – 3 U 150/82, AfP 1983, 289. 286 OLG Düsseldorf, AfP 1976, 194. 287 OLG Hamburg v. 10.8.1987 – 3 W 88/87, AfP 1988, 345. 288 LG Köln, Ufita 78/1977, 274. 289 OLG Hamburg, ArchPR 1974, 111. 290 OLG Düsseldorf, AfP 1976, 194; OLG Hamburg v. 25.11.1982 – 3 U 180/82, AfP 1983, 345; OLG Karlsruhe v. 12.5.1999 – 6 U 22/99, ZUM-RD 2000, 139, 141; LG Dresden v. 19.5.2009 – 3 O 1081/09 EV, AfP 2010, 595. 291 OLG Dresden v. 26.10.2006 – 4 U 1541/06, ZUM-RD 2007, 117; OLG Karlsruhe v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267; OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. 292 OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. 293 OLG Hamburg, ArchPR 1973, 110.
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Kap. 11 Rz. 81
Gegendarstellungsanspruch
falls, wenn sich sonst das Bedenken einstellen könnte, die Erstmitteilung werde in der Gegendarstellung nicht korrekt zitiert. 81
Angesichts dieser strengen Anforderungen empfiehlt es sich, so nahe wie möglich am beanstandeten Erstmitteilungstext zu bleiben. Die wörtliche Wiedergabe der Erstmitteilung hilft, Risiken zu vermeiden, die sich insbesondere daraus ergeben, dass sich in die eigene Formulierung oder die Zusammenfassung Interpretationen einschleichen können, die am objektiven Sinn vorbeigehen. Auch bei größerem Umfang der Erstmitteilung kann dem Betroffenen das wörtliche Zitat nicht verwehrt werden. Ein vollständiger Interpretationsverzicht ist allerdings nicht immer möglich. Eine Interpretation kann notwendig sein, wenn der Sinn der Erstmitteilung sich erst aus einem Text ergibt, der für ein vollständiges Zitat zu umfangreich ist. Ist der beanstandete Text zu lang oder ergibt sich die Beanstandung aus dem Zusammenspiel mehrerer Textstellen, kann auch eine Zusammenfassung zulässig sein. Unzulässig ist es aber, in der Anknüpfung sowohl eine umfängliche Erstmitteilung als auch eine Zusammenfassung dazu zu bringen294. Bei objektiv vorhandener Mehrdeutigkeit der Erstmitteilung lässt sich das durch einen Hinweis deutlich machen wie z.B. „… Diese Darstellung kann/könnte dahin verstanden werden, dass …“295, z.B. „Wird durch die Behauptungen … der Eindruck erweckt, …“. Häufig lässt sich durch die Entgegnung verdeutlichen, in welchem Sinne die Erstmitteilung zu verstehen ist. Z.B. kann formuliert werden, „Zu der Behauptung, ich sei ein „umtriebiges Mädchen“, stelle ich fest, dass ich zu den erwähnten Männern keine geschlechtlichen Beziehungen unterhalten habe“296. Eine Interpretation der Erstmitteilung kann insbesondere erforderlich sein, wenn auf eine Kombination von Bild und Text entgegnet wird, ebenso bei einer Entgegnung auf Rundfunksendungen. Jedoch ist in der Gegendarstellung stets konkret anzugeben, aus welchen Äußerungen bzw. welcher Wort/Bildkombination der Erstmitteilung sich diese Aussage ergeben soll. Soll einem entstandenen Eindruck entgegengetreten werden, sind die einzelnen Behauptungen der Erstmitteilung, aus denen sich der Eindruck ergeben soll, konkret anzugeben297. Ebenso ist der erzeugte Eindruck selbst anzugeben. Voraussetzung für eine solche Gegendarstellung ist nach der neueren Rechtsprechung298, dass sich die Aussage bzw. der Eindruck unabweislich aufdrängt (s. Rz. 19).
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Die in der Anknüpfung angeführten Behauptungen dürfen als „falsch“, „unrichtig“, „unwahr“ o.Ä. bezeichnet werden. Ebenso sind schlichtere Formulierungen zulässig wie z.B. „Gegenüber der Meldung … ist festzustellen“, „In der gestrigen Ausgabe wurde behauptet, … dazu ist zu sagen …“. Unzulässig sind Wertungen wie z.B., die angegriffene Behauptung sei für den Betroffenen „herabsetzend“, für das Blatt „typisch“ oder dgl.299.
294 OLG Dresden v. 14.11.1996 – 4 U 2271/96, NJW 1997, 1379. 295 Zur Gegendarstellungpflicht bei mehrdeutigen Äußerungen beachte BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58, s. Rz. 19. 296 OLG Hamburg v. 20.11.1986 – 3 U 160/86, AfP 1987, 434, 436. 297 OLG Stuttgart v. 8.6.2000 – 4 W 26/2000, ZUM 2000, 773, 774; OLG Düsseldorf v. 21.11.2007 – I-15 U 176/07, AfP 2008, 83; OLG Hamburg v. 19.2.2008 – 7 U 94/07, AfP 2008, 314; OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340; OLG Dresden 12.7.2017 – 4 W 558/17, NJW-RR 2017, 1258; v. 28.8.2017 – 4 U 1191/17, ZUM-RD 2018, 286; v. 30.1.2018 – 4 U 1110/17, AfP 2018, 149. 298 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; OLG Düsseldorf v. 20.2.2008 – I-15 U 176/07, AfP 2008, 208; OLG Hamburg v. 19.2.2008 – 7 U 94/07, AfP 2008, 314; krit. Sedelmeier AfP 2012, 451. 299 OLG Hamburg, ArchPR 1974, 111.
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Burkhardt
VI. Inhalt der Gegendarstellung
Rz. 84 Kap. 11
2. Entgegnung Maßgeblich für die Zulässigkeit des Inhalts einer Gegendarstellung sind die in der Erstmit- 83 teilung enthaltenen Tatsachenbehauptungen. Die Gegendarstellung soll die Leser mit der davon abweichenden Darstellung des Betroffenen bekannt machen. Daraus folgt, dass der Inhalt der Gegendarstellung mit den Behauptungen der beanstandeten Erstmitteilung in gedanklichem Zusammenhang stehen und auf sie Bezug nehmen muss300. Die Gegendarstellung muss sich von anderem Standpunkt her mit dem gleichen Thema befassen301. Dieses Entgegnungserfordernis ist zwar im Gesetz nicht erwähnt. Es ergibt sich aber aus dem Sinn des Gegendarstellungsrechts, nach dem die Presse nur zum Abdruck von Fremdbeiträgen verpflichtet ist, wenn sie zu vorangegangenen Äußerungen kritisch Stellung nehmen302. Andernfalls läge ein Verstoß gegen die Pressefreiheit vor303. Das Entgegnungserfordernis ist streng zu beachten. Nur so lässt sich vermeiden, dass parallel laufende Polemiken mit geringem Informationswert geführt werden304. Hat es geheißen, dass sich die verschiedenen Miss-Wahl-Veranstalter noch darum streiten, wer von ihnen „seine“ Miss zu Miss World entsenden darf, ist die Behauptung „aufgrund von Ausschließlichkeitsverträgen besitzen allein wir das Recht zur Entsendung“ keine zulässige Entgegnung, weil die Möglichkeit eines dennoch vorhandenen Streites nicht ausgeschlossen wird305. Auf die Behauptung „Die den Redaktionen versprochene Mitbestimmung blieb aus, stattdessen wurde um Posten geschachert“ kann nicht mit dem Hinweis entgegnet werden: „Das Mitbestimmungsbegehren wird vom Intendanten ernst genommen; dies ist den Redaktionen bekannt. Der sehr komplexe Fragenkreis befindet sich noch im Stadium der Beratung“306, weil dies ein markantes Beispiel für eine bloße Parallelargumentation ist. Jedoch darf die Gegendarstellung nicht den Eindruck einer redaktionellen Richtigstellung vermitteln307. a) Auf eine in der Erstmitteilung enthaltene Behauptung zu entgegnen entspricht dem ur- 84 sprünglichen Zweck des Gegendarstellungsrechts. Das OLG Hamburg vertritt dazu die Auffassung, es sei zulässig, dass die Entgegnung auf ein bloßes Dementi beschränkt bleibt, sich also in einer Negation erschöpft. Ein Zwang zum Differenzieren und zu Erläuterungen bestehe nicht308. Dementsprechend hat es eine Gegendarstellung zugelassen, bei der neun von insgesamt 14 Punkten sich wiederholend nach folgendem Schema formuliert waren: „Es wird behauptet: ‚Privatbesitz der Mitglieder wird eingezogen.‘ Diese Behauptung ist unrichtig. Richtig ist, dass Privatbesitz der Mitglieder nicht eingezogen wird.“309. Ebenso zugelassen hat es die auf die Behauptung, der Betroffene sei „ein enger Mitarbeiter des Schriftstellers W.“, erfolgte bloße Entgegnung: „Ich bin kein enger Mitarbeiter des Schriftstellers W.“310. 300 LG Köln, Ufita 78/1977, 274. 301 OLG München, AfP 1972, 278; OLG Köln v. 4.4.2000 – 15 U 172/99, NJW-RR 2001, 337, 338. 302 BGH v. 10.3.1964 – VI ZR 83/63, NJW 1964, 1132; OLG Celle, BB 1969, 561; OLG Hamburg, AfP 1978, 25; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 126. 303 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381; vgl. auch BVerfG v. 2.5.2018 – 1 BvR 666/17. 304 OLG München, AfP 1972, 278. 305 LG Köln v. 22.3.1989 – 28 O 93/89, AfP 1992, 310. 306 LG Hamburg, ArchPR 1970, 78. 307 OLG Oldenburg v. 23.8.2010 – 13 U 23/10, AfP 2011, 74. 308 So insbesondere OLG Hamburg v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 403; v. 14.2.1980 – 3 U 130/79, AfP 1980, 106. 309 OLG Hamburg v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 403. 310 OLG Hamburg v. 14.2.1980 – 3 U 130/79, AfP 1980, 106.
Burkhardt
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Kap. 11 Rz. 85
Gegendarstellungsanspruch
85
Diese Auffassung des OLG Hamburg ist bedenklich. Es trifft zwar zu, dass das Vollständigein-Abrede-Stellen des in der Erstmitteilung behaupteten Sachverhaltes ausreichend verdeutlichen kann, welchen anderen Sachverhalt der Betroffene ihm gegenüberstellen will. Das kann zutreffen, wenn nur zwei Möglichkeiten bestehen und keine Schattierungen in Betracht zu ziehen sind. Heißt es z.B., der kränkelnde K. sei schon jetzt verstorben, mag eine Entgegnung ausreichen, er sei nicht schon jetzt verstorben. Das aber sind seltene Ausnahmen. Wie die Erfahrung lehrt, basieren Pressebehauptungen i.d.R. zumindest auf irgendeinem sachverhaltsmäßigen Anknüpfungspunkt. Erschöpft sich die Gegendarstellung in der bloßen Negation, kann einerseits der Anschein entstehen, als sei die angegriffene Behauptung völlig aus der Luft gegriffen, und andererseits offenbleiben, ob über den Sachverhalt gestritten oder ob er nur anders bewertet wird.
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Besonders deutlich wird diese Problematik am Beispiel der Entgegnung: „Ich bin kein enger Mitarbeiter des Schriftstellers W.“311. Eine solche Entgegnung kann dahin aufgefasst werden, der Betroffene stehe zu W. in keinerlei Mitarbeiterverhältnis. Ebenso lässt sie sich in dem Sinne verstehen, er sei zwar ein Mitarbeiter, aber kein enger. Versteht man die Entgegnung in diesem letzterwähnten Sinne, bleibt offen, was die Wirklichkeit sein soll. Der Leser erfährt im Grunde nicht mehr, als dass Streit über etwas besteht, was ihm vorenthalten wird. In dem erwähnten Fall war es die Tatsache, dass der Betroffene in einem Rechtsstreit zugunsten von W. eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte. Die Erwähnung dieses Umstandes hätte sogleich Klarheit geschaffen. Indem er weggelassen wurde, ist die Unklarheit nur vergrößert und der Sinn einer Gegendarstellung verfehlt worden. Richtiger Auffassung nach ist davon auszugehen, dass dem Entgegnungserfordernis in aller Regel nur genügt ist, wenn dem in Abrede gestellten Sachverhalt ein anderer gegenübergestellt wird. Vor Gegendarstellungen, die auf die Feststellung der Unrichtigkeit der Erstmitteilung beschränkt bleiben, warnt mit Recht auch das OLG Frankfurt312. Entgegen der Ansicht des OLG Hamburg ist ein bloßes Dementi nur ausnahmsweise ausreichend, z.B. wenn bereits aus der Negation als solcher hinreichend deutlich folgt, welchen anderen Sachverhalt der Betroffene der Erstmitteilung entgegenstellen will. Eine weitere Ausnahme wird man zulassen müssen, wenn der wirkliche Sachverhalt ein Geschäftsgeheimnis ist. Das berechtigte Interesse für eine bloße Negation fehlt, wenn sich schon aus der Erstmitteilung ergibt, dass der Betroffene die Behauptung bestreitet313.
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b) Da es der eigentliche Zweck der Gegendarstellung ist, den Leser mit dem Sachverhalt bekanntzumachen, den der Betroffene dem in der Erstmitteilung behaupteten gegenüberstellen will, sind Erläuterungen zulässig, wenn sie zur Klarstellung dieses Sachverhaltes notwendig sind. Heißt es z.B., ein RAF-Anwalt sei in Paris zeitweilig untergetaucht, kann er in der Gegendarstellung die Fakten anführen, aus denen sich entnehmen lässt, dies sei unzutreffend, z.B. dass er beim französischen Staatspräsidenten um politisches Asyl nachgesucht und dazu eine Pressekonferenz gegeben habe. Entgegen der Ansicht des OLG Hamburg314 ist darin keine ergänzende Mitteilung zu sehen, die die „Kernaussage“ erweitere. Es ist das eine reine Sachverhaltsdarstellung. Wie der BGH zutreffend festgestellt hat315, kann in einer Gegendarstellung auch zu komplizierten Sachverhaltsfragen Stellung genommen werden, z.B. zu Behauptungen, die über das Verhältnis des Betroffenen zu Einsteins Relativitätstheorie aufgestellt worden sind. Wird behauptet, eine bestimmte Autowaschanlage sei nicht rentabel, woraus folge, 311 312 313 314 315
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OLG Hamburg v. 14.2.1980 – 3 U 130/79, AfP 1980, 106. OLG Frankfurt v. 2.3.1983 – 8 U 177/81, AfP 1983, 279, 281. LG Düsseldorf v. 10.8.1988 – 12 O 306/88, AfP 1988, 386. OLG Hamburg, AfP 1970, 400. BGH v. 9.4.1963 – VI ZR 54/62, NJW 1963, 1155 – Geisterreigen.
Burkhardt
VI. Inhalt der Gegendarstellung
Rz. 89 Kap. 11
dass angesichts der tätigen Handwascher für vom Betreiber geplante weitere Anlagen kein ausreichendes Interesse vorhanden sei, kann erläutert werden, aus welchem Grunde die Erfahrungen mit den bereits vorhandenen Waschanlagen nicht repräsentativ seien, dass mit einer Fließbandanlage andere Kundeninteressen angesprochen würden, es entscheidend nur auf die Lage ankomme usw.316. Ebenso handelt es sich um eine zulässige Entgegnung, wenn ein falscher Anschein ausgeräumt wird. Auf die auf die Geschäftsbedingungen gestützte Behauptung, die Kunden eines Kreditvermittlers müssten teilweise 35 % Zinsen zahlen, kann entgegnet werden, ein solcher Zins sei zwar theoretisch errechenbar, praktisch aber noch nie vorgekommen. Die zusätzlich mitgeteilten Tatsachen müssen zur Klarstellung notwendig sein. Das kann etwa der Fall sein, wenn die Behauptung einer bestehenden Freundschaft zu einer nur beruflich bedingten Bekanntschaft abgegrenzt werden soll317. Nicht gefordert werden kann hingegen nach Ansicht des OLG Frankfurt318, auf die Behauptung, der Betroffene sei neben seiner Tätigkeit als Manager von C auch Arbeitnehmer von B, zu erwidern, er sei Geschäftsführer einer anderen Firma. Im Übrigen folgt aus dem Entgegnungserfordernis, dass in einer Gegendarstellung grundsätz- 88 lich nur Tatsachen angeführt werden dürfen, die im Zeitpunkt der Verbreitung der Erstmitteilung bereits vorhanden waren319. Nachträgliche Vorgänge dürfen allenfalls als Belegtatsachen angeführt werden320. c) Soll auf ein in der Erstmitteilung enthaltenes Zitat entgegnet werden, kann das entweder 89 in der Weise geschehen, dass die mündliche oder schriftliche Stellungnahme des Dritten geleugnet oder dass ihr Wahrheitsgehalt negiert wird321. Ebenso ist möglich, das Zitat als nicht vollständig zu bezeichnen. Auch auf Behauptungen eines Interviewpartners kann entgegnet werden322. Unzulässig, zumindest problematisch ist, sich in einer Gegendarstellung mit dem Sinn einer zitierten Äußerung zu befassen, weil dies im Zweifel auf der Meinungsebene liegt323. Hat die Presse den Einsender zutreffend zitiert, steht ihm kein Recht zur Seite, seine eigene frühere Äußerung mit dem Mittel der Gegendarstellung zu korrigieren. Die Gegendarstellung soll ein Gegengewicht gegen unwahre Pressebehauptungen schaffen, nicht aber gegen die Verbreitung eigener Unwahrheiten324. Wird aber im Anschluss an das Zitat eine Darstellung gebracht, durch die die zitierte Behauptung als inhaltlich falsch erscheinen soll, kann auf diese Darstellung entgegnet werden325. Die Notwendigkeit zu Erläuterungen kann sich auch ergeben, wenn die den Einsender betreffende Darstellung für sich betrachtet zutrifft, infolge des Kontextes aber ein falscher Anschein entsteht. Z.B. kann eine Äußerung des Betroffenen richtig zitiert werden, etwa eine von ihm gegebene Antwort. Wird aber die Antwort als Reaktion auf eine andere als die tatsächlich gestellte Frage zitiert, kann das eine grobe Verfälschung bewirken.
316 317 318 319 320 321 322 323 324 325
A.A. OLG Stuttgart – 5 U 46/65. OLG Karlsruhe v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267. OLG Frankfurt v. 16.7.2009 – 16 U 45/09, AfP 2010, 478. Ähnlich OLG Düsseldorf v. 13.1.1988 – 15 U 262/87, AfP 1988, 160. Vgl. BVerfG v. 2.5.2018 – 1 BvR 666/17. OLG München, AfP 1972, 278, 280; OLG Hamburg, Ufita 95/1983, 327; v. 14.4.1994 – 3 U 30/94, NJW-RR 1994, 1179. OLG Frankfurt v. 21.6.1985 – 10 U 131/85, AfP 1985, 289, 290. OLG Stuttgart, ArchPR 1968, 67. LG Hamburg v. 12.12.1980 – 70 O 413/80, n.v. OLG Köln v. 2.7.1985 – 15 U 127/85, AfP 1985, 227 = NJW-RR 1986, 418.
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Kap. 11 Rz. 90
Gegendarstellungsanspruch
3. Sonstiger zulässiger Inhalt a) Ergänzung 90
Anspruch, eine detailliertere Schilderung abgedruckt zu erhalten, besteht grundsätzlich nicht326. Z.B. ist der Hinweis unzulässig, ein Zitat aus einer Rede des betroffenen Politikers stamme aus nicht autorisierter Quelle. Der Betroffene kann die Authentizität bestreiten; dies zu unterlassen und stattdessen die Quelle in Zweifel zu ziehen ist mit dem Sinn des Gegendarstellungsrechts unvereinbar327. Unzulässig ist es auch, auf die behaupteten Fakten statt einer Entgegnung Tatsachen zu einem anderen Thema anzuführen328. Die Anführung ergänzender Fakten kann aber zulässig sein, wenn durch Unvollständigkeit ein falscher Anschein entsteht329. Die zu ergänzenden Tatsachen müssen in einem inneren Zusammenhang zur Erstmitteilung stehen330. Das ist z.B. der Fall, wenn berichtet wird, eine Hilfsorganisation habe einem Fernsehteam die Tickets für einen Flug nach Uganda bezahlt, ohne zu erwähnen, dass die Rundfunkanstalt die Flugkosten absprachegemäß vollständig erstattet hat. Ein falscher Anschein entsteht auch, wenn ein Kanzlerkandidat mit den Worten zitiert wird: „Und wenn wir drankommen, räumen wir so auf, dass bis zum Rest dieses Jahrhunderts von diesen Banditen keiner es mehr wagt, in Deutschland das Maul aufzumachen“, sofern unerwähnt bleibt, dass allein die Baader-Meinhof-Bande gemeint war331. Wenn das für das Verständnis des Arbeitsergebnisses von Bedeutung ist, kann ergänzend z.B. auch darauf hingewiesen werden, die Zeitung habe unerwähnt gelassen, dass an der Arbeit Mitglieder der marxistischen Roten Zellen mitgewirkt haben332. Ist behauptet worden, jemand sei vorbestraft, kann ergänzt werden, das amtliche Führungszeugnis weise keine Vorstrafen aus; der Kundige kann daraus auf die Löschung schließen333. Kommt es darauf an, ob weitere Personen anwesend waren, kann eine diesbezügliche Ergänzung zulässig sein334. Dass es um eine bloße Ergänzung geht, ist durch eine geeignete Einleitung deutlich zu machen wie z.B. „Hierzu ist anzumerken …“335 oder „Ergänzend stelle ich fest …“.
91
Ob die Unvollständigkeit durch mangelnde Wahrnehmungsmöglichkeit des Journalisten verursacht ist, hat keine Bedeutung. Mit Recht hat das OLG Karlsruhe deswegen eine Entgegnung auf die Kritik an einem angeblich besonders teuren Garnierkurs zugelassen, in der es geheißen hat: „In dem Artikel werden einige Lebensmittel aufgezählt, die lediglich zur Verfügung gestanden hätten. Tatsächlich waren weitere vorhanden. Sie konnten aber nicht aufgestellt werden, weil der Kurs schon zu Beginn gestört wurde“336.
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Bestreitet der Betroffene in seiner Gegendarstellung, die ihm zugeschriebene Äußerung getan zu haben337, ist die Ergänzung, die Reporterin sei es, die sich so geäußert habe, nach 326 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337
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OLG Hamburg, AfP 1976, 50; OLG Frankfurt v. 5.11.2013 – 16 W 60/13, AfP 2014, 73. OLG Frankfurt v. 13.12.1979 – 16 U 131/79, AfP 1980, 38. LG Düsseldorf v. 16.12.1992 – 12 O 641/92, AfP 1993, 498. OLG Hamburg v. 14.5.1987 – 3 U 22/87, AfP 1987, 625; OLG Düsseldorf v. 13.1.1988 – 15 U 262/87, AfP 1988, 160; OLG Frankfurt v. 5.11.2013 – 16 W 60/13, AfP 2014, 73. BayVerfGH v. 8.7.2009 – Vf. 20-VI-08, BayVBl 2010, 369; OLG Bamberg v. 12.12.2007 – 8 U 72/07. OLG Frankfurt v. 13.12.1979 – 16 U 131/79, AfP 1980, 38. OLG Hamburg, AfP 1973, 387. OLG Hamburg, ArchPR 1972, 100. OLG München v. 22.8.2017 – 18 U 1632/17 Pre, AfP 2017, 499. OLG Hamburg v. 14.5.1987 – 3 U 22/87, AfP 1987, 625. OLG Karlsruhe v. 12.3.1976 – 15 U 64/75, n.v. „Ein eigenes Krematorium wäre das Beste“.
Burkhardt
VI. Inhalt der Gegendarstellung
Rz. 95 Kap. 11
Auffassung des OLG Hamburg überflüssig. Jedenfalls dürfe eine Gegendarstellung nicht zu einem solchen „Gegenschlag“ benutzt werden338. b) Beseitigung von Unklarheiten Das Gegendarstellungsrecht schließt auch die Möglichkeit der Beseitigung von Unklarheiten 93 ein. Diese Möglichkeit kommt insbesondere bei Widersprüchen in Betracht. Wird z.B. in einem Artikel an einer Stelle von einem Blutalkoholgehalt von einem Promille gesprochen, an einer anderen von zwei Promille, kann der Hinweis berechtigt sein, der Betroffene habe nur einen Wert von einem Promille gehabt. Der Einwand, der richtige Wert sei genannt worden, ist dem Abdruckverpflichteten verwehrt, wenn für den Durchschnittsleser nicht klar erkennbar ist, welche Angabe zutrifft. c) Belegtatsachen In einer Gegendarstellung dürfen auch neue Tatsachen als Belege bzw. Beweise für die Rich- 94 tigkeit der Entgegnung angeführt werden, insbesondere wenn die Glaubwürdigkeit bezweifelt werden könnte339. Zulässig ist deswegen der Hinweis, die vom Einsender geforderten Mieten seien durch zwei unabhängige Sachverständige überprüft und nicht als überhöht bezeichnet worden340. Auf die Behauptung, Bild und andere hätten die Verfolgungsmaßnahmen durch vorzeitige Mitteilungen behindert, kann entgegnet werden, eine Behinderung durch Bild scheide schon insofern aus, als andere Blätter die betreffende Meldung bereits früher veröffentlicht hätten341. Allerdings dürfen nur schlüssige Belege angeführt werden. Die Anführung unschlüssiger Belege ist irreführend. Deswegen kann auf die Behauptung, ein Haus sei eine Gefahrenquelle, nicht mit dem Hinweis auf die Unbedenklichkeitsbescheinigung eines Statikers entgegnet werden, wenn der Vorwurf auch auf andere als Statikmängel gestützt war. d) Belegschlussfolgerungen Bei Gegendarstellungen besteht häufig das Bedürfnis, dem Leser das Resultat einzelner Ent- 95 gegnungen mitzuteilen (wie z.B. „… also ist die aufgestellte Behauptung … falsch“). Bei strenger Auffassung kann das als wertende Schlussfolgerung angesehen werden. Das LG Hamburg meint, das Wort „also“ kündige stets eine Schlussfolgerung an und sei deswegen unzulässig. Richtiger Auffassung nach können Schlussfolgerungen durchaus auch auf der Tatsachenebene liegen (weil A und B mit C identisch sind, sind A und B gleichfalls identisch). Abgesehen davon sollte bei der Prüfung des Gegendarstellungsinhalts nicht allzu kleinlich verfahren und eine Schlussfolgerung (also) zugelassen werden, wenn die Bedeutung der einzelnen Entgegnungen andernfalls unverständlich bliebe oder soweit es letztlich um Stilfragen geht, die nicht justitiabel sind. Heißt es in der Gegendarstellung z.B. „Dass ich mich an der behaupteten Abhöraktion nicht beteiligt habe, folgt schon daraus, dass ich zur fraglichen Zeit im Ausland war“, könnte stattdessen unbezweifelbar zulässig entgegnet werden „An der behaupteten Abhöraktion war ich entgegen der dazu aufgestellten Behauptung nicht beteiligt. Zur fraglichen Zeit war ich im Ausland“. Wenn die zweite Möglichkeit unbezweifelbar zulässig ist, kann dem Gegendarstellungsberechtigten die wirkungsvollere erste Darstellungsmög338 OLG Hamburg v. 24.3.1988 – 3 U 19/88, AfP 1989, 465. 339 OLG München, NJW 1965, 2163; OLG Hamburg v. 8.2.1979 – 3 U 170/78, AfP 1979, 400; OLG Frankfurt v. 21.6.1985 – 10 U 131/85, AfP 1985, 289, 290. 340 OLG Hamburg, ArchPR 1974, 109. 341 OLG München, AfP 1972, 278, 280.
Burkhardt
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Kap. 11 Rz. 96
Gegendarstellungsanspruch
lichkeit nicht abgeschnitten werden. Unzulässig sind Belegschlussfolgerungen aber, wenn sie auf der Meinungsebene liegen (vgl. Rz. 99 f. und Kap. 4 Rz. 58). e) Zweifelfall-Entscheidung 96
Betroffene sind häufig bemüht, in einer Gegendarstellung möglichst viel unterzubringen, also die Möglichkeit zu Ergänzungen, zur Beseitigung von Unklarheiten und zur Anführung von Belegtatsachen voll auszuschöpfen. Dann entstehen häufig Zweifel, ob eine so ausführliche Darstellung noch durch das Gegendarstellungsrecht gedeckt ist. Soweit es eine Frage des Ermessens ist, ob die Anführung bestimmter Vorgänge zur Klarstellung erforderlich und welche sprachliche Form zu wählen ist, hat das Gericht ähnlich wie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren lediglich die Möglichkeit der Kontrolle auf einen etwaigen Ermessensmissbrauch. Dem Betroffenen muss ein bestimmter Spielraum offengelassen werden. Insbesondere ist ein Gegendarstellungsverlangen nicht deswegen unbegründet, weil das gleiche auch anders und vielleicht sogar besser hätte zum Ausdruck gebracht werden können, zumal sich über die Qualität einer Darstellung häufig streiten lässt. Das Gegendarstellungsrecht ist kein Recht, das im praktischen Ergebnis lediglich die besonders Sprachgewandten auszuüben in der Lage sind. Im Zweifel wird die Darstellung deswegen als zulässig anzuerkennen sein, sofern Art und Umfang der Gegendarstellung in ihrer Gesamtheit sich innerhalb eines vertretbaren Rahmens halten. Mit Recht geht auch das OLG Hamburg davon aus, dass der Vorwurf unzulässiger Weitschweifigkeit sich nur begründen lässt, wenn der Betroffene für eine von ihm gewählte Form der Gegendarstellung keine sinnvollen Gründe anführen kann. Solche Gründe sind vorhanden, wenn ohne übermäßige Ausweitung des Gegendarstellungstextes eine bessere und einprägsamere Informationsvermittlung erreicht werden kann342. 4. Beschränkung auf Tatsachenbehauptungen
97
So wie das Entgegnungsrecht nur gegenüber Tatsachenbehauptungen besteht, die in einem periodischen Druckwerk aufgestellt worden sind, müssen auch die zur Entgegnung, zur Ergänzung oder zum Beleg angeführten Angaben auf Behauptungen tatsächlicher Art beschränkt bleiben. Enthält die Gegendarstellung auch nur eine Formulierung, die nicht als Tatsachenbehauptung anzuerkennen ist, steht dem Abdruckverpflichteten das Recht zu, die Gegendarstellung insgesamt zurückzuweisen. Er ist nicht gehalten oder auch nur berechtigt, aus einem Gemisch von Tatsachenbehauptungen und Wertungen die Tatsachenbehauptungen herauszuschälen und abzudrucken343.
98
Die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen ist bei Gegendarstellungsforderungen ebenso zu vollziehen wie sonst. Die Auffassung, eine Tatsachenbehauptung i.S.d. § 11 LPG sei anders abzugrenzen als eine Tatsachenbehauptung im Sinne anderer Vorschriften, kann nicht geteilt werden. Insbesondere sind die Begriffe Sachurteil und Werturteil im Gegendarstellungsrecht ebenso verzichtbar wie in anderen Bereichen (vgl. Kap. 4 Rz. 49). Auch die Ansicht, bei Prüfung des Gegendarstellungsinhaltes sei ein großzügigerer Maßstab anzulegen als sonst344, trifft nur bedingt zu. Eine besondere Situation besteht nur insofern, als der Einsender den von ihm behaupteten Sachverhalt nicht zu beweisen braucht. Deswegen kann er der Erstmitteilung jedenfalls theoretisch nahezu ausnahmslos einen anderen Grund- oder Detailsachverhalt gegenüberstellen und damit Tatsachenbehaup342 OLG Hamburg v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, n.v.; Schulze, OLGZ 214. 343 Allg. Meinung; u.a. OLG Hamburg, AfP 1977, 247. 344 U.a. LG Hamburg, AfP 1971, 87, 88.
900
Burkhardt
VI. Inhalt der Gegendarstellung
Rz. 100 Kap. 11
tungen anführen. Wird z.B. behauptet, die Mitgliederzahl einer Gewerkschaft sei erheblich größer als die einer anderen, kann die andere Gewerkschaft entgegnen, das sei unwahr. In Wirklichkeit sei sie es, die über die größere Mitgliederzahl verfüge. Problematisch kann die theoretisch vorhandene Entgegnungsmöglichkeit allenfalls sein, wenn die Erstmitteilung offenlässt, an welche tatsächlichen Vorgänge eine darin enthaltene Wertung anknüpft. Wird z.B. behauptet, eine Verkaufsveranstaltung sei unseriös, ohne dass angegeben wird, auf welchen Fakten diese zusammenfassende Beurteilung basiert, besteht keine Entgegnungsmöglichkeit. Solche Fälle bilden aber eher die Ausnahme. Zumeist wird deutlich, welcher Sachverhalt mit der Negativbewertung umschrieben wird. Ist das der Fall, hat der Betroffene die Möglichkeit, dem damit behaupteten Sachverhalt den gegenüberzustellen, den er für richtig hält. Ob der Einsender dem in der Erstmitteilung behaupteten Sachverhalt einen anderen gegen- 99 überstellt oder ob er den gleichen Sachverhalt nur anders bewertet, muss sich grundsätzlich dem bloßen Text der Gegendarstellung entnehmen lassen. Kein anderer Sachverhalt wird mitgeteilt, wenn auf die Behauptung, eine in Deutschland erscheinende türkische Zeitung sei „liberal-konservativ“, entgegnet wird, das Blatt sei ein „Rechts-Organ“. Das ist eine bloße Nuancierung und damit eine Wertung345. Allerdings muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass exakte Sachverhaltsdarstellungen unvergleichlich schwieriger und umfangreicher zu sein pflegen als pauschale Wertungen. Z.B. ist die Darstellung schwierig und im Zweifel umfangreich, welche Phonzahlen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nicht überschritten worden seien. Viel einfacher ist die knappe Feststellung, während der ganzen Nacht sei es ruhig gewesen. Vornehmlich bei komplizierten Zusammenhängen, deren Erläuterung allzuviel Raum beanspruchen würde, muss deswegen als ausreichend erachtet werden, einer Schlussfolgerung oder zusammenfassenden Wertung eine Gegenschlussfolgerung gegenüberzustellen bzw. eine Entgegnung, die dem äußeren Anschein nach als Wertung erscheinen könnte346. Insoweit ist richtig, dass von einem großzügigen Prüfungsmaßstab ausgegangen werden muss347. Z.B. muss möglich sein, auf Formulierungen wie „zu wenig qualifiziertes Personal, unterentwickelte technische Anlagen, sinkendes Ansehen“ mit entgegengesetzten Schlussfolgerungen zu entgegnen348. Die wirkliche Qualifikation jedes einzelnen Mitarbeiters, den wirklichen Standard der technischen Anlagen und das effektive Ansehen durch Detailangaben konkret zu belegen wäre viel zu umständlich. Dementsprechend kann auf die Behauptung „Dem für die Sicherheit verantwortlichen Geschäftsführer ist gekündigt worden“ mit der Behauptung entgegnet werden „Der Geschäftsführer hat seiner Aufsichtspflicht gegenüber dem Bremser genügt“349. Allerdings wird zum Ausdruck gebracht werden müssen, ob die behauptete Kündigung erfolgt oder unterblieben ist. Ob und inwieweit auf die Schilderung des der Schlussfolgerung zugrunde liegenden Sach- 100 verhaltes verzichtet werden kann, hängt auch davon ab, wie allgemein bzw. konkret die Erstmitteilung ist. Enthält die Erstmitteilung zusätzlich zur Schlussfolgerung auch Beispielsfälle, kann der Betroffene sich auf bloße Gegenschlussfolgerungen nicht beschränken. Er muss
345 OLG Hamburg, AfP 1978, 155. 346 OLG Hamburg v. 10.12.1965 – 4 W 78/65, MDR 1966, 594; a.A. OLG München v. 26.2.1973 – 21 U 2300/72, AfP 1973, 483; zum möglichen Tatsachencharakter einer Schlussfolgerung vgl. BGH, NJW 1970, 558. 347 LG Hamburg, AfP 1971, 87, 88. 348 OLG Hamburg v. 10.12.1965 – 4 W 78/65, MDR 1966, 594. 349 OLG Bremen v. 23.1.1978 – 1 W 91/77, AfP 1978, 157.
Burkhardt
901
Kap. 11 Rz. 101
Gegendarstellungsanspruch
sich auch mit den konkreten Angaben befassen350. In einer Auseinandersetzung um die Zulässigkeit der Gegendarstellung, insbesondere im gerichtlichen Verfahren, hat der Anspruchsteller in jedem Fall die Einzelheiten darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass die Gegendarstellung einen anderen Sachverhalt schildert, also nicht lediglich den gleichen Sachverhalt unterschiedlich wertet. 101
Auch im Übrigen hängt die Zulässigkeit des Gegendarstellungsinhaltes auch von der Formulierung der Erstmitteilung und der dort gewählten Sprache ab. Mit Recht weist das OLG Stuttgart darauf hin351, dass es dem Betroffenen möglich sein muss, auf den Ton der Erstmitteilung einzugehen. Hat es sich um einen schonungslosen, in Sprache, Form und Inhalt polemischen Angriff gehandelt, kann der Betroffene in einigermaßen entsprechender Weise entgegnen. Auch Formulierungen wie „kaputtmachen, narrensicher, hochgetrieben, gegen jede Vernunft gefahren“ sind deswegen als zulässige Entgegnung angesehen worden. Ist die Erstmitteilung zurückhaltender, muss auch die Gegendarstellung vorsichtiger formuliert sein. 5. Bildgegendarstellung
102
Hat das Presseorgan durch die Verbreitung eines Bildes oder Bildnisses eine Tatsachenbehauptung aufgestellt oder ergibt sich die Tatsachenbehauptung aus der Kombination von Bild und Text, darf in der Gegendarstellung dennoch grundsätzlich nur verbal entgegnet werden. Der Abdruck eines Fotos kann aber gefordert werden, wenn die Abbildung für das Verständnis der Gegendarstellung unabweisbar erforderlich ist, weil die Erstmitteilung sich mit dem Bilddokument befasst und die Gegendarstellung sich gerade hierauf bezieht352. Ggf. kann dann auch der erneute Abdruck des gleichen Fotos gefordert werden353. Wird z.B. zur Beschreibung eines aktuellen Zustandes ein Foto einer Bauruine verwendet, obgleich das Gebäude längst mangelfrei fertiggestellt oder abgerissen ist, gebietet es das Prinzip der Waffengleichheit, den alten und den aktuellen Zustand bildlich einander gegenüberzustellen. Es kann jedoch ausreichend sein, die in der Gegendarstellung enthaltenen Bilder kleiner als in dem Erstbericht abzudrucken, um eine übermäßige Beeinträchtigung des Blattes zu vermeiden354. Hat das Foto nur dazu gedient, den Aufmerksamkeitswert der Wortberichterstattung zu steigern, wie es bei einem weiblichen Halbakt der Fall sein kann, besteht kein Anspruch auf Abdruck eines Gegenfotos, das die Abgebildete bekleidet zeigt, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit355. Nach der Regelung in § 11 Abs. 3 SaarlPG a.F. soll bei Verwendung grafischer oder fotografischer Mittel, die in einem Zusammenhang mit dem beanstandeten Text stehen, bei einem berechtigten Interesse des Betroffenen die Gegendarstellung mit gleichwertigen Bestandteilen erfolgen. Das berechtigte Interesse wird nur anzuerkennen sein, wenn dem Bild ein eigener Aussagegehalt zu entnehmen ist, dem ein anderer gegenübergestellt wird. Die bis 18.5.2000 geltende Regelung hatte damit die Voraussetzungen für eine Bildgegendarstellung allenfalls graduell vermindert356.
350 351 352 353 354
OLG Hamburg v. 10.12.1965 – 4 W 78/65, MDR 1966, 594. OLG Stuttgart v. 14.7.1964 – 6 U 28/64, n.v. OLG Hamburg, AfP 1976, 55; v. 2.3.1984 – 3 W 47/84, AfP 1984, 115. OLG München v. 26.2.1973 – 21 U 2300/72, AfP 1973, 483. Paschke/Berlit/Meyer, 39. Abschnitt Rz. 31 unter Hinweis auf OLG Hamburg v. 8.5.2014 – 7 W 52/14, n.v. 355 OLG Hamburg v. 2.3.1984 – 3 W 47/84, AfP 1984, 115. 356 Offengelassen in BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1995/94, NJW 1998, 1385.
902
Burkhardt
VI. Inhalt der Gegendarstellung
Rz. 106 Kap. 11
6. Sonstige Inhaltsbeschränkungen a) Kein strafbarer Inhalt Die Gegendarstellung darf keinen strafbaren Inhalt haben. Die Abdruckverpflichteten zur Ver- 103 öffentlichung einer strafbaren Äußerung zu zwingen ist ausgeschlossen. Die Strafbarkeit ist unabhängig von etwaigen Straf- bzw. Schuldausschließungsgründen in der Person des Einsenders (Exterritorialität, Immunität, Unzurechnungsfähigkeit) zu beurteilen. Bei Eingreifen eines objektiven Rechtfertigungsgrundes ist der Inhalt nicht strafbar. Da die Wahrheit der Gegendarstellungsbehauptungen ungeprüft bleibt, können sich prakti- 104 sche Probleme ergeben, wenn die Gegendarstellung sich auf Dritte bezieht und die Strafbarkeit bei Unwahrheit zu bejahen wäre (nicht ich bin der Schuldige, sondern mein Nachbar). Unbeteiligte Dritte sollten deswegen in einer Gegendarstellung grundsätzlich unerwähnt bleiben357. Die Erwähnung des früheren Bundeskanzlers Erhard in einer von der NPD geforderten Gegendarstellung hat das OLG Hamburg als unzulässig bezeichnet358. Die Erwähnung unbeteiligter Dritter sollte nur bei deren ggf. glaubhaft zu machendem Einverständnis oder bei fehlendem rechtlichem Risiko zugelassen werden. Kein unbeteiligter Dritter ist der Informant eines diskriminierenden Artikels; er muss sich eine Gegendarstellung u.U. auch gefallen lassen, wenn sie den Eindruck vermittelt, er habe eine strafbare Handlung begangen359. Ist die Erwähnung eines Dritten oder die Darlegung sonstiger Umstände, die eine Beleidigung 105 oder üble Nachrede bedeuten können, unvermeidlich und hängt die Frage, ob der Einsender damit berechtigte Interessen wahrnimmt, von einer Interessenabwägung ab, ergibt sich die Frage, ob der Abdruckverpflichtete die Abwägung des Betroffenen übernehmen darf. Bei einer das Andenken an den früheren Bundespräsidenten Lübke betreffenden Gegendarstellung hat das OLG Hamburg angenommen360, bei Gleichwertigkeit der Interessen des Beleidigers mit denen des Beleidigten sei die Darstellung gerechtfertigt, sofern bei der Formulierung in Sache und Form das schonendste Mittel gewählt worden ist (vgl. dazu Kap. 6 Rz. 77 ff.). Zumal Lübke sich zu Lebzeiten zu dem fraglichen Vorwurf selbst geäußert habe (KZ-Baumeister), hat das OLG Hamburg die Rechtfertigung und damit auch die Abdruckpflicht bejaht. Dem ist zuzustimmen. Wenn Gegendarstellungsforderungen an der Gefahr einer Ehrbeeinträchtigung auch in Fällen scheitern würden, die öffentlich breit diskutierte Vorgänge betreffen, würde derjenige, der zu einem solchen Vorgang eine bestimmte Haltung einnimmt, zwangsläufig ins Hintertreffen geraten, wenn er seine Version nicht verteidigen könnte. Das Risiko der Interessenabwägung kann aber für den Abdruckverpflichteten unzumutbar sein, wenn es ihm anders als im vorerwähnten Fall noch nicht einmal andeutungsweise möglich ist, den Sachverhalt zu überblicken, und er mithin auf bloße Spekulationen angewiesen ist. Unter dieser Voraussetzung kann er den Abdruck verweigern361. Bei Gegendarstellungen mit geschäftlichem Inhalt ergibt sich die Frage, ob eine Prüfung 106 auch unter dem Gesichtspunkt einer nach § 16 UWG strafbaren Werbebehauptung erforderlich ist. Eine solche Prüfung bezeichnet der BGH als entbehrlich362, wenn die Gegendar-
357 358 359 360 361 362
Schultz, Justiz 1964, 319. OLG Hamburg, NJW 1967, 159. OLG Hamburg, ArchPR 1970, 77. OLG Hamburg v. 11.11.1976 – 3 U 125/76 u. 3 O 126/75, AfP 1977, 240. Romatka, AfP 1977, 242. BGH v. 10.3.1964 – VI ZR 83/63, NJW 1964, 1132 – Uhren-Weiß.
Burkhardt
903
Kap. 11 Rz. 107
Gegendarstellungsanspruch
stellung sich auf die Verteidigung gegen erhobene Vorwürfe beschränkt und damit nicht als Werbung zu betrachten ist. 107
Keine strafbare Beleidigung bedeutet die Bezeichnung der Erstmitteilung als „falsch“, „unrichtig“, „unwahr“363. Unzulässig ist aber, sie als „lügnerisch“, „verleumderisch“ usw. zu bezeichnen. Die Formulierung, eine Behauptung beruhe „auf freier Erfindung“, hat das OLG Celle364 als beleidigend gewertet. Angesichts der schärfer gewordenen Sprache muss eine solche Formulierung heute zugelassen werden, jedenfalls wenn offenbleibt, von wem diese „freie Erfindung“ stammt365. b) Kein zivilrechtlich unzulässiger Inhalt
108
Eine etwaige nur zivilrechtliche Unzulässigkeit bleibt zwar grundsätzlich an sich außer Betracht, z.B. ein Verstoß gegen gesellschaftsrechtliche Bindungen366, gegen das UWG usw. Allerdings kann im Falle zivilrechtlicher Unzulässigkeit das berechtigte Interesse am Abdruck zu verneinen sein, insbesondere bei persönlichkeitsverletzendem Inhalt der Gegendarstellung367. Der früheren Regelung in § 11 Abs. 3 SaarlPG a.F., wonach eine Gegendarstellung abgelehnt werden konnte, wenn sie in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch verletzt, dass sie Personen wegen ihrer Rasse oder ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe diskriminierend angreift, sollte insoweit nur beispielhafter Charakter beigemessen werden368. Besteht die Gefahr einer solchen Rechtsverletzung, kommt sowohl die Möglichkeit der Streitverkündung wie auch der Nebenintervention des dadurch Betroffenen in Betracht. c) Kein werbender Inhalt
109
Unzulässig ist eine Gegendarstellung, deren Inhalt werbenden Charakter hat. An der Verbreitung von Werbung fehlt das berechtigte Interesse369. Der Abdruck könnte auch gegen das grundsätzliche Verbot der redaktionellen Reklame verstoßen370. Der Werbeeinwand greift allerdings nicht schon durch, wenn die Gegendarstellung sich auf die Verteidigung gegen erhobene Vorwürfe beschränkt371, wohl aber, wenn die werbende Angabe keine wirkliche Entgegnung enthält372. d) Kein offensichtlich unwahrer Inhalt
110
Weder die Erstmitteilung noch die Gegendarstellung werden auf Wahrheit überprüft (Ausnahme: HR). Dies gilt aber nur wegen des formellen Charakters des Gegendarstellungsrechts und ist Folge des aus der staatlichen Schutzpflicht für das Persönlichkeitsrecht folgenden
363 364 365 366 367 368 369 370 371 372
904
OLG Celle, NJW 1953, 1767. OLG Celle, GA 1941, 72. LG Berlin, ArchPR 1975, 46. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 118. LG Oldenburg, AfP 1986, 299; Seitz, Kap. 5 Rz. 178. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 118. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 65. OLG Celle, BB 1958, 788. BGH v. 10.3.1964 – VI ZR 83/63, NJW 1964, 1132 – Uhren-Weiß. OLG Hamburg v. 10.8.1987 – 3 W 88/87, AfP 1988, 345.
Burkhardt
VI. Inhalt der Gegendarstellung
Rz. 111 Kap. 11
Gebots der Sicherstellung gleicher publizistischer Wirkung373. Evtl. zeitaufwendige Beweiserhebungen sollen vermieden, dem Betroffenen soll aber kein „Recht auf Lüge“ gewährt werden374. Deswegen entfällt der Anspruch, wenn die Gegendarstellung offensichtlich unwahr ist375. Die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast trägt der Anspruchsverpflichtete. Als einziges Land sieht Bayern darüber hinaus vor, dass ordnungswidrig handelt, wer wider besseres Wissen den Abdruck einer in wesentlichen Punkten unwahren Darstellung oder Gegendarstellung erwirkt (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPrG). An das Merkmal der offensichtlichen Unwahrheit sind strenge Anforderungen zu stellen376. 111 Die Offensichtlichkeit setzt im Allgemeinen voraus, dass die Unwahrheit für den unbefangenen Leser ohne weiteres auf der Hand liegt, den „Stempel der Lüge trägt“377 oder dass sie jedenfalls vom interessierten und informierten Staatsbürger erkannt wird378, z.B. weil die Gegendarstellungsbehauptung im Gegensatz zu allgemeinen Erfahrungstatsachen oder zu sonstigen bekannten Vorgängen steht379. Für das Gericht sind in einer Gegendarstellung aufgestellte Behauptungen offensichtlich unwahr, wenn es von der offenbaren Unwahrheit unzweifelhaft ausgehen kann, ohne in eine Abwägung und Wertung von Glaubhaftmachungsmitteln eintreten zu müssen. Diese Voraussetzung liegt nur vor, wenn die Behauptungen offenkundig oder gerichtsbekannt unwahr sind (§ 291 ZPO) oder deshalb keines Beweises bedürfen, weil sie dem eigenen Sachvortrag des Antragstellers widersprechen380 oder unstreitig sind381. Bestreitet der Anstragsteller, dass ein Dritter eine Äußerung gemacht habe, ist die Gegendarstellung auch dann nicht offenkundig unrichtig, wenn die Zeitung die schriftliche Äußerung des Dritten vorlegen kann382. Allein der Umstand, dass Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen, z.B. Wikipedia, entnommen werden, genügt für die Annahme deren Offenkundigkeit nicht. Dies schon, weil auch in solchen Quellen fehlerhafte Informationen 373 BVerfG v. 24.8.2001 – 1 BvQ 35/01, NJW 2002, 356. 374 Seitz, Kap. 5 Rz. 192 ff.; Soehring/Hoene, § 29 Rz. 20c. 375 Allg. Meinung; BVerfG v. 24.8.2001 – 1 BvQ 35/01, NJW 2002, 356; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; BGH v. 6.12.1966 – VI ZR 66/65, NJW 1967, 562; BayObLG, NJW 1970, 1927; OLG München v. 13.3.1998 – 21 U 2208/98, AfP 1998, 515; v. 17.11.2000 – 21 U 4788/00, AfP 2001, 132; OLG Hamburg, AfP 1974, 573; OLG Karlsruhe v. 19.6.1996 – 14 U 242/95, AfP 1998, 65; v. 11.11.2005 – 14 U 173/05, AfP 2006, 168; v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267; v. 9.9.2015 – 6 U 110/15, AfP 2016, 164; v. 13.4.2016 – 6 U 224/15, AfP 2017, 75; OLG Dresden v. 8.11.2001 – 4 U 2533/01, AfP 2002, 55; OLG Schleswig v. 17.1.2003 – 1 U 198/02, AfP 2004, 125; OLG Düsseldorf v. 29.9.2004 – 15 U 118/04, AfP 2005, 368; OLG Stuttgart v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252; OLG Naumburg v. 25.1.2006 – 6 U 149/05, AfP 2006, 464; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 63; Seitz, Kap. 5 Rz. 192; Soehring/Hoene, § 29 Rz. 20c. 376 OLG München v. 5.7.2002 – 21 U 2390/02, ZUM-RD 2002, 471; OLG Karlsruhe v. 11.11.2005 – 14 U 173/05, AfP 2006, 168. 377 KG, ArchPR 1974, 109; OLG München v. 13.3.1998 – 21 U 2208/98, AfP 1998, 515; OLG Naumburg v. 25.1.2006 – 6 U 149/05, AfP 2006, 464; OLG Karlsruhe v. 9.9.2015 – 6 U 110/15, AfP 2016, 164. 378 OLG Köln, AfP 1971, 174; v. 14.2.1980 – 3 U 130/79, AfP 1980, 106; OLG München v. 5.7.2002 – 21 U 2390/02, ZUM-RD 2002, 471. 379 Schultz, Justiz 1974, 319. 380 OLG Hamburg v. 14.2.1980 – 3 U 124/79, AfP 1980, 104; OLG München v. 17.11.2000 – 21 U 4788/00, AfP 2001, 132. 381 OLG Stuttgart v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252. 382 OLG Hamburg v. 14.4.1994 – 3 U 30/94, NJW-RR 1994, 1179; LG München I v. 31.7.2016 – 9 U 15894/13, ZUM-RD 2014, 117, aufgehoben wegen Überschreiten der Aktualitätsfrist durch OLG München v. 24.9.2013 – 18 U 3075/13, ZUM-RD 2014, 104; krit. Schippan, ZUM 2014, 959.
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Kap. 11 Rz. 112
Gegendarstellungsanspruch
enthalten sind, jedenfalls sein können. Mit Hilfe eines Indizienbeweises lässt die offensichtliche Unwahrheit sich ebenso wenig dartun383. Eine Überprüfung der Wahrheit im Sinne einer Beweiserhebung oder Abwägung vorgelegter Glaubhaftmachungsmittel kommt nicht in Betracht384. Der Anspruch entfällt ebenso, wenn der Betroffene ursprünglich dem gleichen Irrtum erlegen ist wie die Zeitung385. e) Kein offensichtlich irreführender Inhalt 112
Ein Missbrauch liegt auch vor, wenn die Gegendarstellung den Leser irreführen würde. Das ist der Fall, wenn Behauptungen aufgestellt werden, die zwar nicht unwahr sind, dem Leser aber Schlussfolgerungen aufzwingen, die mit der Wahrheit nicht in Einklang stehen386. Dies hängt vom Verständnis des Durchschnittslesers ab, an den die Gegendarstellung sich wendet387. Der Einwand der Irreführung ist nach dem OLG München auf eindeutige, offensichtliche Fälle beschränkt388. Die Irreführung kann sich aus dem Wortlaut der Anknüpfung, der Wiedergabe der Erstmitteilung und der Entgegnung ergeben. Ob das Gericht oder andere besonders Sachkundige der Irreführung entgehen können, ist ohne Belang.
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Wird durch Darstellung und Wortlaut z.B. „… stellen wir richtig …“ der Eindruck einer redaktionellen Richtigstellung erzeugt, ist dies irreführend389. Die Gefahr der Irreführung besteht z.B. auch, wenn eine Behauptung, die lediglich der Ergänzung oder Einschränkung bedarf, vollständig negiert wird. Irreführend ist, auf die Behauptung, der Betroffene sei wegen Erpressung bestraft, lediglich zu entgegnen, diese Behauptung sei unwahr, wenn eine Verurteilung sehr wohl erfolgt ist, aber wegen Nötigung. Eine Irreführung durch Weglassen wesentlicher Details liegt auch vor, wenn auf die Behauptung „Bundestagsausschuss erhärtet Stasi-Vorwurf“ lediglich erwidert wird, es gebe keinen neuen Entwurf des Berichts des Ausschusses, obgleich entsprechende Entwürfe einzelner Ausschussmitglieder vorliegen390. Behauptet die Anspruchstellerin, ihr Vorstandsvorsitzender habe mit einer Kündigung nichts zu tun gehabt, wurde die Entscheidung über die Kündigung aber unstreitig zumindest mit ihm besprochen und abgestimmt, ist die begehrte Gegendarstellung irreführend391. Ebenso, wenn apodiktisch nur behauptet wird, eine Abrechnung zahnärztlicher Notfalldienstleistungen erfolge mit dem Betroffenen, obgleich der Abrechnende das Gegenteil behauptet392. Wendet sich ein Ltd. Polizeidirektor, der privat Wohnungen vermietet, gegen die Behauptung, ihm sei vorgeworfen worden, durch Einblick in speziell geschützte Kriminalakten fremde Personen ausspioniert zu haben, mit der Entgegnung, richtig sei, dass dieser Vorwurf in der gegen ihn gerichteten Strafanzeige nicht erhoben wurden sei, ist dies offensichtlich irreführend, wenn ihm in Wahrheit die Nutzung des elektronischen polizeilichen Informationssystem vorgeworfen wurde393. Um eine Irreführung auszuschließen, kann auch eine etwas längere Gegendarstel383 384 385 386 387 388 389 390 391 392 393
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OLG Hamburg v. 14.2.1980 – 3 U 130/79, AfP 1980, 106. Allg. Meinung; vgl. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 63; Seitz, Kap. 5 Rz. 195 f. OLG Hamburg, AfP 1974, 573, 575. OLG Dresden v. 8.11.2001 – 4 U 2533/01, AfP 2002, 55; OLG Karlsruhe v. 11.11.2005 – 14 U 173/05, AfP 2006, 168; OLG Stuttgart v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252. OLG München v. 29.1.1992 – 21 U 5955/91, AfP 1992, 171. OLG München v. 13.3.1998 – 21 U 2208/98, NJW-RR 1999, 386. OLG Oldenburg v. 23.8.2010 – 13 U 23/10, AfP 2011, 74. OLG München v. 13.3.1998 – 21 U 2208/98, NJW-RR 1999, 386. OLG Stuttgart v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252. LG Berlin v. 17.4.2008 – 27 O 290/08, AfP 2008, 532. OLG Düsseldorf v. 29.9.2004 – 15 U 118/04, AfP 2005, 368.
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VI. Inhalt der Gegendarstellung
Rz. 115 Kap. 11
lung in Betracht kommen, um dem Leser etwaige zusätzlich erforderliche Informationen mitzuteilen. In Hessen und Bayern können hierfür ggf. Annoncengebühren erhoben werden (Rz. 126)394. Ob der Anspruchsteller das Ziel der Irreführung bewusst verfolgt hat, ist unbeachtlich395. Die Frage der Irreführung durch eine Gegendarstellung kann erhebliche Probleme aufwer- 114 fen. Heißt es z.B. in der Erstmitteilung „Die Presse hat berichtet, A habe den geistesgestörten Sohn B“. Tatsächlich hat die Presse aber berichtet, A habe den geistesgestörten Sohn C. Dieser ist in Wirklichkeit ebenso wenig wie B geistesgestört. Dann kommen folgende Gegendarstellungsmöglichkeiten in Betracht: (1) „Die Presse hat nicht berichtet, mein Sohn B sei geistesgestört.“ Gegen diese Gegendarstellung könnte eingewandt werden, sie sei insofern irreführend, als sie den Anschein erwecke, die Presse habe über einen geistesgestörten Sohn von A überhaupt nicht berichtet. Die angegriffene Darstellung sei somit aus der Luft gegriffen. (2) „Die Presse hat nicht berichtet, mein Sohn B sei geistesgestört, sondern das träfe auf meinen Sohn C zu.“ Diese Gegendarstellung wäre presserechtlich nicht angreifbar, aber für den betroffenen A unzumutbar. (3) „Die Presse hat nicht berichtet, mein Sohn B sei geistesgestört. Stattdessen wurde berichtet, geistesgestört sei mein Sohn C. In Wirklichkeit ist er ebenso wenig geistesgestört wie B.“ Gegen diese Formulierung könnte eingewandt werden, mit C habe sich die Erstmitteilung nicht befasst, weswegen kein berechtigter Anlass bestehe, sich in der Gegendarstellung mit der Frage von dessen eventueller Geistesgestörtheit zu befassen. Richtiger Auffassung nach wird neben der unzumutbaren Fassung (2) auch die Fassung (3) zugelassen werden müssen. Allenfalls Fassung (1) könnte presserechtlich problematisch sein. Ein offensichtlich irreführender Inhalt liegt nicht schon dann vor, wenn die Gegendarstel- 115 lung anders hätte formuliert werden können. Insbesondere ist eine verkürzende Darstellung in Fällen hinzunehmen, in denen eine Erörterung des wirklichen Sachverhaltes längere Ausführungen erfordern würden, die aus diesem Grunde beanstandet werden könnten. Z.B. kommen in einer Fernsehsendung Auskunftspersonen mit Negativdarstellungen zu Wort, von denen behauptet wird, sie beträfen die kritisierte Einrichtung einer bestimmten Organisation, in der die Auskunftspersonen gelebt und dabei Erfahrungen gesammelt hätten. In Wirklichkeit haben die Auskunftspersonen in dieser Einrichtung weder gelebt noch dort Erfahrungen gesammelt. Demnach könnte eine Gegendarstellung lauten: „Entgegen der Behauptung des Fernsehen haben die Auskunftspersonen in der Einrichtung weder gelebt noch dort Erfahrungen gesammelt.“ Dagegen wendet das Fernsehen ein: Die Auskunftspersonen hätten zwar nicht direkt in der erwähnten Einrichtung gelebt oder Erfahrungen gesammelt. Das sei aber zumindest beim überwiegenden Teil der Auskunftspersonen in benachbarten Einrichtungen der Organisation der Fall gewesen, welche man kurzerhand zusammengefasst habe. Die Gegendarstellung erwecke mithin zu Unrecht den Eindruck, als habe das Fernsehen Auskunftspersonen mit einer Kritik zu Wort kommen lassen, die mit den Einrichtungen der Organisation überhaupt nichts zu tun hätten. In einem solchen Fall hängt die Notwendigkeit der Erwähnung der Beziehungen der Auskunftspersonen zu anderen Einrichtungen der Organisation von den Einzelheiten des Sachverhaltes ab. In Zweifelsfällen wird man die Gegendarstellung richtiger Auffassung nach insbesondere zulassen müssen, wenn die Darlegung der wirklichen Beziehungen unterschiedlich ist und es deswegen umfänglicher Ausführungen bedürfte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es die Falschdarstellung des Fernsehens ist, die den Anlass zur Gegendarstellung gegeben hat. Abgesehen davon hat der Gegendar394 Vgl. OLG München v. 20.1.1999 – 21 U 6679/98, NJW-RR 2000, 319. 395 OLG Hamburg, ArchPR 1974, 110.
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Kap. 11 Rz. 116
Gegendarstellungsanspruch
stellungsverpflichtete die Möglichkeit eines aufklärenden Redaktionsschwanzes. Jedenfalls wäre es kaum gerechtfertigt, einen Verfügungsantrag wegen Streitfragen dieser Art durch Urteil mit entsprechender Kostenfolge abzuweisen. Dadurch würde der Sinn der Gegendarstellung, dem Betroffenen auf einfache Art die Möglichkeit des Gehörs zu verschaffen, pervertiert. 116
Auf sämtliche Punkte der Erstmitteilung einzugehen, ist der Einsender nicht verpflichtet396. Durch die Auswahl einzelner Punkte darf aber kein irreführender Anschein entstehen. Ebenso wenig darf eine Irreführung durch Ausnutzung mangelnder Klarheit der Erstmitteilung bewirkt oder auf Halbwahrheiten mit eben solchen erwidert werden397. Insbesondere geht es nicht an, der Erstmitteilung einen spezifisch philologischen Sinn zu unterlegen und auf die so interpretierte Aussage in einer Weise zu entgegnen, als habe der Betroffene mit dem erörterten Vorgang überhaupt nichts zu tun. Z.B. hat das OLG Hamburg es als irreführend bezeichnet398, dass ein Sänger in Abrede stellt, „auf Kaffeefahrt“ gewesen zu sein und das Lied „Kalinka“ mit „Wundersalbe und Massagekissen werbeträchtig verbunden“ zu haben, wenn er zwar mit den Kaffeefahrt-Teilnehmern nicht zusammen im Bus gesessen, wohl aber an der Veranstaltung aufgrund entsprechenden Vertrages als „Zugnummer“ durch Gesangsdarbietungen mitgewirkt hat. Ist über verschiedene Untersuchungskommissionen berichtet, dann aber lediglich mitgeteilt worden, „die“ Kommission habe einen sehr ungünstigen Bericht abgegeben, ist die Entgegnung irreführend, die erste Kommission habe keinen Bericht erstattet, wenn unerwähnt bleibt, dass der ungünstige Bericht von der zweiten stammt.
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Keine Irreführung hat das OLG Hamburg bei der Entgegnung des Vorstandsmitgliedes einer Vereinigung angenommen399, er sei nicht der Schatzmeister, wozu es darauf hinweist, dem Anschein, der Einsender habe mit der Vereinigung überhaupt nichts zu tun, könne durch redaktionellen Zusatz begegnet werden. Auch wenn die Gegendarstellung den Zusammenhang verschweigt, in dem der angegriffene Punkt der Erstmitteilung gestanden hat, bedeutet das im Zweifel noch keine Irreführung400.
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Ob eine Gegendarstellung eine Irreführung bewirkt, ist anhand der im Veröffentlichungszeitpunkt vorhandenen Situation zu beurteilen. Wird z.B. im Berufungsverfahren über die Berechtigung einer bereits abgedruckten Gegendarstellung gestritten, kommt es auf die damalige und nicht auf die Situation an, die sich ergeben würde, wenn die Gegendarstellung erst im Anschluss an das Berufungsurteil abzudrucken wäre. Deswegen kann außer Betracht bleiben, ob im Nachhinein eingetretene Veränderungen der Gegendarstellung einen unzutreffenden Sinn geben könnten. Heißt es z.B. in einer bereits abgedruckten Gegendarstellung, eine Behauptung sei nicht als falsch erwiesen, bleibt die Gegendarstellungsforderung begründet, auch wenn die Behauptung inzwischen freiwillig widerrufen ist und eine erst im Anschluss hieran erfolgende Veröffentlichung den Eindruck vermitteln kann, der Widerruf sei seinerseits falsch bzw. überholt. Die theoretische Frage, welchen Eindruck die Veröffentlichung einer Gegendarstellung zu einem Zeitpunkt vermitteln würde, der nicht praktisch werden kann, ist belanglos401.
396 397 398 399 400 401
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OLG Hamburg, ArchPR 1974, 109. OLG München v. 6.11.1998 – 21 U 5847/98, ZUM-RD 1999, 8. OLG Hamburg, AfP 1972, 245. OLG Hamburg, ArchPR 1968, 69. OLG Hamburg v. 11.11.1982 – 3 U 150/82, AfP 1983, 289. OLG Hamburg, AfP 1977, 395.
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VI. Inhalt der Gegendarstellung
Rz. 121 Kap. 11
Unzulässig ist auch, mit einer ins Blaue hinein aufgestellten, der Sache nach also erfundenen 119 Behauptung zu entgegnen. Auch das bedeutet eine Irreführung der Leser, weil sie nur annehmen können, der Betroffene schildere einen ihm bekannten Sachverhalt. Damit, dass stattdessen Erfindungen gebracht werden, rechnet der Leser nicht. 7. Überschrift Das Recht, den Abdruck einer Überschrift zu fordern, sehen die LPG (Ausnahmen: § 11 120 Abs. 3 PrGBremen – gleiche Auszeichnung; § 11 Abs. 2 SMG – gleiche Aufmachung) nicht ausdrücklich vor. Es ergibt sich aber aus dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit: Wenn die Presse ihre Berichte mit herausgehobenen Überschriften versieht, muss dem Einsender die gleiche Möglichkeit zuerkannt werden402. Richtiger Auffassung nach kann der Betroffene die Überschrift „Gegendarstellung“ in jedem Fall fordern403. Dies gilt nach Auffassung des Kammergerichts404 unabhängig davon, ob die Überschrift „Gegendarstellung“ in dem Gegendarstellungstext selbst bereits enthalten ist oder mit dem Abdruckverlangen gefordert wird. Nach Auffassung des OLG Hamburg muss eine Gegendarstellung mit „Gegendarstellung“ überschrieben sein405. Auch Zusätze können verwendet werden wie z.B. „Gegendarstellung zum …-Bericht“. Nicht zulässig soll die Überschrift „Ergänzende Darstellung“ sein406. War die beanstandete Behauptung in der Überschrift der Erstmitteilung enthalten, ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit, dass der Betroffene dann eine „Gegenüberschrift“ formulieren kann407. Kein Anspruch hierauf besteht, wenn die Erstüberschrift lediglich eine aus den Einzeltatsachen gezogene Schlussfolgerung enthält408. Eine Überschrift ohne den Hinweis auf den Gegendarstellungscharakter kann nicht gefordert werden. Jedenfalls darf die Überschrift nicht den Anschein eines regulären redaktionellen Beitrages erwecken. Beschränkt sich die vom Einsender formulierte Überschrift auf das Wort „Gegendarstellung“, 121 können Verantwortlicher bzw. Verleger nicht als befugt angesehen werden, von sich aus Änderungen oder Zusätze anzubringen409. Hat der Betroffene einen anderen Wortlaut gewählt, wird man die Änderungsbefugnis anerkennen müssen, weil eine solche Überschrift nicht Bestandteil der Gegendarstellung im eigentlichen Sinne ist und drucktechnische Gegebenheiten eine Änderung erfordern können. Hat der Betroffene keine Überschrift angebracht, können die Abdruckverpflichteten von sich aus eine Formulierung wählen. Sie muss neutral gehalten sein, darf also den Gegendarstellungsinhalt nicht beeinträchtigen. Keine zulässige Anknüpfung, sondern eine Beeinträchtigung ist es auch, wenn der Abdruckverpflichtete die Überschrift der Erstmitteilung verwendet („Fidele Ignoranten“), sofern diese eine Entwertung oder Abschwächung der Gegendarstellung zur Folge hat410. Das OLG Hamburg spricht von einem Verstoß gegen das Glossierungsverbot. Im Fall der Beeinträchtigung ist der Abdruck 402 403 404 405 406 407
OLG Frankfurt v. 8.6.1977 – 16 W 25/77, AfP 1977, 358. Gehrhardt, AfP 1977, 359; a.A. OLG Frankfurt v. 8.6.1977 – 16 W 25/77, AfP 1977, 358. KG v. 18.12.2008 – 9 U 188/08, NJW-RR 2009, 767. OLG Hamburg v. 10.8.1987 – 3 W 88/87, AfP 1988, 345. OLG Hamburg v. 10.8.1987 – 3 W 88/87, AfP 1988, 345. OLG Hamburg, ArchPR 1975, 43; OLG München v. 29.7.1977 – 21 U 2082/77, AfP 1978, 27; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 132. 408 OLG München v. 26.2.1973 – 21 U 2300/72, AfP 1973, 483; Seitz, Kap. 7 Rz. 24. 409 Ebenso Gehrhardt, AfP 1977, 359; Seitz, Kap. 7 Rz. 29; OLG München v. 19.12.2000 – 21 W 3285/00, AfP 2001, 308; a.A. OLG Frankfurt v. 8.6.1977 – 16 W 25/77, AfP 1977, 358; LG Köln, AfP 1992, 383: „Dementi“ statt Gegendarstellung. 410 OLG Hamburg v. 10.10.1983 – 3 W 122/83, AfP 1984, 39.
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Kap. 11 Rz. 122
Gegendarstellungsanspruch
nicht ordnungsgemäß erfolgt, so dass er zu wiederholen ist. Um solche Probleme zu vermeiden, empfiehlt sich für die Abdruckverpflichteten, als Überschrift lediglich das Wort „Gegendarstellung“ hinzuzufügen. Dagegen sind keine Einwendungen möglich.
VII. Umfang der Gegendarstellung 122
Das Gegendarstellungsrecht ist quantitativ begrenzt. Die LPG sehen vor, dass die Abdruckverpflichtung entfällt, wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist (Ausnahme: Bayern). Diese Begrenzung konkretisieren die LPG dahin, dass der Umfang als angemessen gilt, wenn er den des beanstandeten Textes nicht überschreitet. Im LPG Hessen fehlt diese Konkretisierung. § 10 Abs. 2 LPG Bayern enthält eine bloße Soll-Vorschrift. Die Gegendarstellung soll den Umfang des beanstandeten Textes nicht wesentlich überschreiten.
123
Dieser umfangmäßigen Begrenzung wird teilweise sehr weitgehende Bedeutung beigemessen. Schwerdtner meint sogar411, bei dem von ihm für erforderlich gehaltenen Ausbau des Gegendarstellungsrechts solle die Beschränkung auf Tatsachen entfallen und durch eine quantitative Begrenzung ersetzt werden; Maßstab solle die Zeilenzahl des angegriffenen Artikels sein412. Dies bedeutet eine Überbewertung des quantitativen Momentes. Davon abgesehen kann die Gesamtzeilenzahl der Erstmitteilung sicher nicht den Maßstab bilden, sondern allenfalls der Umfang des Teils, der zu beanstanden ist413. Da es einer Anknüpfung bedarf und damit auf eine Wiederholung der beanstandeten Stellen i.d.R. nicht verzichtet werden kann, muss die Gegendarstellung zwangsläufig umfangreicher sein als die Erstmitteilung, wenn sie nicht lediglich negiert, sondern einen anderen Sachverhalt schildert (vgl. Rz. 84 f.). Somit kann es sich schon von vornherein nur um die Frage handeln, um welches Maß die Gegendarstellung den beanstandeten Textteil überschreiten darf. Beurteilungsmaßstab kann nur die Entgegnung als solches ohne Berücksichtigung der Anknüpfung und Angabe von Datum und Namen sein414. Problematisch ist das quantitative Merkmal auch insofern, als dem Betroffenen billigerweise die Möglichkeit eröffnet werden müsste, für die Erörterung eines Punktes den doppelten Raum in Anspruch zu nehmen, wenn er auf die Erörterung eines anderen verzichtet. Vor allem entspricht es ganz prinzipiell nicht dem Sinn des Gegendarstellungsrechts, auf jeweils eine Zeile Text mit einer bestimmten Zahl von Gegendarstellungszeilen zu reagieren. Nicht um die Zeilen, sondern um die Argumente bzw. um die Fakten geht es415. Können keine wissenswerten Gegentatsachen angeführt werden, ist selbst eine Zeile zuviel. Sind Gegentatsachen vorhanden, müssen sie dargelegt werden dürfen, auch wenn der Umfang ein Mehrfaches ausmacht.
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Richtiger Auffassung nach ist davon auszugehen, dass der Betroffene das Recht hat, der Erstmitteilung umfassend entgegenzutreten und dabei alle Punkte anzusprechen, die ihn berühren416. Hierfür kann er den Raum in Anspruch nehmen, der erforderlich ist, um sich den
411 Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht in der deutschen Zivilrechtsordnung, 1977, S. 341. 412 Ebenso Kreuzer, FS Geiger, 1974, S. 107. 413 H.M.; vgl. u.a. OLG Hamburg v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 403; OLG Düsseldorf v. 13.1.1988 – 15 U 262/87, AfP 1988, 160; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 134; Seitz, Kap. 5 Rz. 167. 414 OLG Karlsruhe v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267; OLG München v. 22.8.2017 – 18 U 1632/17, AfP 2017, 499. 415 OLG München v. 22.8.2017 – 18 U 1632/17, AfP 2017, 499. 416 OLG Hamburg, Ufita 95/1983, 327.
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VII. Umfang der Gegendarstellung
Rz. 126 Kap. 11
Lesern mit einer konzentrierten Stellungnahme hinreichend verständlich zu machen417. Bei der nach diesen Grundsätzen erforderlichen Prüfung darf kein kleinlicher Maßstab angelegt werden418. Weitschweifige Fassungen können zwar zurückgewiesen werden419. Der Vorwurf unzulässiger Weitschweifigkeit ist aber nur begründet, wenn der Betroffene für die von ihm gewählte Fassung keine sinnvollen Gründe anzuführen vermag420. Wird die Erstmitteilung schlicht negiert, ist deren Wiederholung in negativ formulierter Form zu geschwätzig421. Jedoch ist es nicht Aufgabe des Gerichts, eine Gegendarstellung darauf zu überprüfen, ob bei Anwendung anderer Stilmittel bei einigen Punkten eine etwas knappere Ausdrucksweise möglich gewesen wäre422. Der quantitative Gesichtspunkt hat hiernach nur relative Bedeutung. Sicher wäre unangemes- 125 sen, z.B. auf eine Vier-Zeilen-Meldung mit einer Vier-Seiten-Gegendarstellung zu reagieren. Infolge des anzulegenden großzügigen Prüfungsmaßstabes ist aber nach Auffassung des OLG Hamburg eine Gegendarstellung u.U. auch hinzunehmen423, wenn sie die Erstmitteilung zweimal wiedergibt, zunächst als Zitat, dann in negativer Form („Es wird behauptet: ‚Privatbesitz der Mitglieder wird eingezogen‘.“ Diese Behauptung ist unrichtig. Richtig ist, dass Privatbesitz der Mitglieder nicht eingezogen wird.“). Jedenfalls kann vom Einsender nicht verlangt werden, sämtliche Punkte, denen er ohne Anführung von Gegentatsachen widersprechen will, zwecks bloßer Kürzung zu einem Punkt zusammenzufassen. Schon gar nicht können Gründe des Sprachstils Anlass zur Zurückweisung geben424. Letztlich entscheidend ist, ob die Gegendarstellung in allen ihren Teilen auf die Anführung echter Gegentatsachen sowie auf zulässige Ergänzungen bzw. die Anführung schlüssiger Beweistatsachen beschränkt bleibt. Erfolgt insoweit eine kritische Prüfung, reduziert sich der Umfang von Gegendarstellungen gleichsam von selbst auf ein vertretbares Maß. Richtig ist allerdings, dass die Einhaltung der inhaltlichen Voraussetzungen einer Gegendarstellung um so strenger zu prüfen sein wird, je umfänglicher die Gegendarstellung ist. Ist der Umfang der Gegendarstellung unangemessen lang, kann sie insgesamt zurückgewiesen 126 werden. In Bayern und Hessen führt eine Überlänge nicht zur Unzulässigkeit der Gegendarstellung, sondern löst Annoncengebühren aus425. Eine wesentliche Überschreitung liegt i.d.R. vor, wenn der Text der Gegendarstellung den beanstandeten Text um mehr als das Doppelte übersteigt426. Kürzungen darf der Verpflichtete keinesfalls vornehmen (vgl. Rz. 178 ff.). 417 OLG Hamburg v. 25.10.1984 – 3 U 149/84, AfP 1985, 53; OLG München v. 5.7.2002 – 21 U 2390/02, ZUM-RD 2002, 473; v. 22.8.2017 – 18 U 1632/17, AfP 2017, 499; OLG Koblenz v. 13.12.2005 – 4 U 1492/05, ZUM-RD 2006, 173; OLG Karlsruhe v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267. 418 OLG Hamburg, MDR 1967, 680; AfP 1979, 504; OLG Frankfurt v. 2.3.1983 – 8 U 177/81, AfP 1983, 279, 281; OLG München 22.8.2017 – 18 U 1632/17, AfP 2017, 499. 419 OLG Hamburg, NJW 1968, 1337 m. Anm. Sellheim, NJW 1968, 2382; OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – I-15 U 458/06, AfP 2006, 473. 420 OLG Hamburg v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 403. 421 OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – I-15 U 458/06, AfP 2006, 473. 422 OLG Hamburg v. 25.10.1984 – 3 U 149/84, AfP 1985, 53. 423 OLG Hamburg v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 403; a.A. OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – I-15 U 458/06, AfP 2006, 473. 424 OLG Hamburg, AfP 1970, 403. 425 OLG München v. 10.12.1997 – 21 U 5795/97, AfP 1999, 72 – Birgenair; v. 22.8.2017 – 18 U 1632/17, AfP 2017, 499. 426 OLG München v. 10.12.1997 – 21 U 5795/97, AfP 1999, 72 – Birgenair; v. 22.8.2017 – 18 U 1632/17, AfP 2017, 499.
Burkhardt
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Kap. 11 Rz. 127
Gegendarstellungsanspruch
VIII. Form der Gegendarstellung 1. Sprache 127
In welcher Sprache eine Gegendarstellung abzufassen ist, lassen die LPG offen. Nach völlig herrschender Meinung in der Literatur dürfen Gegendarstellungen, deren Abdruck in der Bundesrepublik gefordert wird, auf jeden Fall in deutscher Sprache abgefasst sein427; dem gegenüber meint das LG Darmstadt428, dass eine Gegendarstellung, die sich gegen eine fremdsprachige Erstmitteilung wendet, auch in dieser Fremdsprache verfasst sein müsse429. Dem kann nicht gefolgt werden. Es kann gute Gründe geben, in einem fremdsprachigen Blatt eine in deutscher Sprache verfasste Gegendarstellung zu veröffentlichen. Zutreffend nennt Sedelmeier430 Beispiele, wie etwa dass gerade deutsche Behörden Adressat oder Betroffener der Äußerungen sein können. Es mag dann zwar sein, dass eine solche Gegendarstellung weniger Leser erreicht. Dies lässt aber das berechtigte Interesse an der Gegendarstellung als solches nicht entfallen. Erscheint das Blatt in einer Fremdsprache, hat der Betroffene richtigerweise die Wahl. Er kann die Gegendarstellung in dieser Sprache oder aber auf jeden Fall in deutscher Sprache verfassen. Richtet sich die Gegendarstellung gegen eine Erstmitteilung in deutscher Sprache, muss auch die Gegendarstellung in Deutsch abgefasst sein. Eine Verpflichtung der Medien, fremdsprachige Gegendarstellungen zu übersetzen, besteht nicht431. 2. Schriftform
128
Gegendarstellungen sind schriftlich abzufassen. Mit Ausnahme des bayerischen ist das in sämtlichen LPG vorgesehen. In Bayern ergibt sich die Notwendigkeit der schriftlichen Abfassung aus dem Unterzeichnungserfordernis. Welche Art der schriftlichen Fixierung gewählt wird, ist gleichgültig. Die Schrift muss aber ohne weiteres lesbar sein. Übermittlung eines auf Tonband, Kassette usw. gesprochenen Textes genügt nicht.
129
Die Gegendarstellung auf gesondertem Bogen niederzulegen ist nicht zwingend vorgeschrieben, aber zweckmäßig. Befindet der Text sich innerhalb eines Anschreibens oder Briefes, genügt das unter der Voraussetzung, dass Brief- und Gegendarstellungstext klar trennbar sind432. Besteht die Gegendarstellung in einer Abbildung, soll deren Unterzeichnung ausreichen433. 3. Unterzeichnung
130
Die Gegendarstellung muss unterzeichnet sein. Die Regelung in den LPG Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, die „Schriftform“ vorschreiben, sind gleichfalls im Sinne des Unterzeichnungserfordernisses zu interpretieren434. Das gilt auch für die in rundfunk-rechtlichen Regelungen enthaltene Forderung der „Schriftform“. Im Einzelnen bestehen allerdings Unterschiede. Einige Regelungen sehen vor, dass der Betroffene zu unter427 Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 140; Rebmann/Ott/Storz, § 11 LPG Rz. 33; Seitz, Kap. 5 Rz. 91; Sedelmeier, AfP 2005, 524; a.A. Karaahmetoglu, AfP 2005, 433; Beater, Medienrecht, Rz. 1843. 428 LG Darmstadt v. 20.8.2004 – 17 O 217/04, AfP 2005, 484. 429 Zustimmend Karaahmetoglu, AfP 2005, 433; a.A. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 140; Rebmann/ Ott/Storz, § 11 LPG Rz. 33; Seitz, Kap. 5 Rz. 92; Sedelmeier, AfP 2005, 524. 430 Sedelmeier, AfP 2005, 524. 431 Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 140; Rebmann/Ott/Storz, § 11 LPG Rz. 33; Seitz, Kap. 5 Rz. 91. 432 BayObLGZ 23, 71; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 141. 433 Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 138; Rebmann, § 11 Rz. 27. 434 A.A. KG v. 9.11.2004 – 9 U 215/04, ZUM-RD 2005, 53.
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Burkhardt
VIII. Form der Gegendarstellung
Rz. 133 Kap. 11
zeichnen hat. Nach § 10 Abs. 1 LPG Bayern muss der Einsender unterzeichnen. Nach anderen Regelungen muss der Betroffene oder sein gesetzlicher Vertreter unterzeichnen. Schließlich gibt es Regelungen, nach denen Unterzeichnung durch den Vertreter genügt. Zu der Frage, ob die unterzeichnete Gegendarstellung im Original zugeleitet werden muss oder ob die Zuleitung einer Kopie bzw. Fernkopie (Fax) genügt, vgl. Rz. 142. a) Eigenhändige Unterzeichnung Unterzeichnen muss der Betroffene, der den Gegendarstellungsanspruch geltend macht. Mit 131 dem Einsender ist gleichfalls der Betroffene gemeint. Die Form der Unterzeichnung richtet sich nach dem entsprechend anwendbaren § 126 BGB. Die Unterzeichnung hat also handschriftlich zu erfolgen435. Maschinelle Unterzeichnung genügt nicht436. Seitz437 meint, unter Verweis auf die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichthöfe438 bei Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts sowie bei Behörden genüge, wenn der in Maschinenschrift wiedergegebene Name des Zeichners einen ordnungsgemäßen Beglaubigungsvermerk trage. Dem kann angesichts des engen Anwendungsbereichs dieser Entscheidung für bestimmende Schriftsätze außerhalb des Anwaltsprozesses, die zudem ausdrücklich (Nr. V. 1 der Gründe) § 126 BGB nicht einbezieht, nicht gefolgt werden. Auch bei öffentlichrechtlichen Stellen bedarf es der eigenhändigen Unterzeichnung durch den gesetzlichen Vertreter bzw. Behördenleiter. Die Unterzeichnung hat i.d.R. mit dem Familiennamen zu erfolgen. Der Vorname muss hin- 132 zugefügt werden, wenn der Einsender sonst nicht zu identifizieren ist. Ein Pseudonym kann verwendet werden, wenn der Einsender weiten Kreisen unter diesem Namen bekannt ist, insbesondere wenn ihn auch die Erstmitteilung mit dem Pseudonym angesprochen hat. Ein Kaufmann kann mit seiner Firma zeichnen, wenn die beanstandete Äußerung sich auf ein Handelsunternehmen bezogen hat. Ist Einsender eine Handelsgesellschaft bzw. eine juristische Person, muss deutlich werden, dass die Unterzeichnung nicht im eigenen, sondern in deren Namen erfolgt, also nicht nur „Max Müller“, sondern z.B. „Presse GmbH, Max Müller, Geschäftsführer“. Zu verwenden ist der korrekte Firmennamen. Bei im Handelsregister eingetragenen Unternehmen gemäß der Registerlage439. Bestehen Zweifel an der Echtheit der Unterschrift, ist der Abdruckverpflichtete zur Überprüfung befugt (Näheres Rz. 166). Ob von ausreichender handschriftlicher Unterzeichnung auszugehen ist, wenn ein Bevoll- 133 mächtigter den Gegendarstellungstext über eine Blankounterschrift gesetzt hat, hängt von den Umständen ab. Keine Bedenken gegen dieses nicht unübliche Verfahren bestehen, wenn der Betroffene seinem Anwalt eine Blankounterschrift übersandt hat, damit dieser einen überarbeiteten Text nach Abstimmung mit dem Mandanten darübersetzen kann. Dieses abgekürzte Verfahren muss als ausreichend anerkannt werden, weil sonst u.U. unnötig viel Zeit verloren geht. Anders verhält es sich, wenn der Betroffene einem Bevollmächtigten Stapelunterschriften zur Verfügung gestellt hat, damit dieser sie bei Bedarf ohne Abstimmung mit dem Betroffenen verwenden möge. In einem solchen Fall ist der über die Blankounterschrift gesetzte Text keine persönliche Erklärung des Betroffenen, sondern die Darstellung des Bevollmächtigten. 435 OLG Frankfurt v. 3.7.2003 – 16 U 40/03, AfP 2003, 459; LG Frankfurt/M. v. 25.9.2008 – 2/03 O 343/08, AfP 2009, 73; KG v. 30.11.2007 – 9 W 160/07, AfP 2008, 394. 436 OLG Hamburg, ArchPR 1970, 82; OLG Köln v. 18.4.1985 – 15 U 29/85, AfP 1985, 151. 437 Seitz, Kap. 5 Rz. 101. 438 GmS-OGB v. 30.4.1979 – GmS-OGB 1/78, NJW 1980, 172. 439 KG v. 30.11.2007 – 9 W 160/07, AfP 2008, 394.
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Kap. 11 Rz. 134
Gegendarstellungsanspruch
134
Die Unterschrift muss die Entgegnung insgesamt abdecken. Sie ist an den Schluss der Gegendarstellung zu setzen. Ist der Text in einem Anschreiben enthalten (vgl. Rz. 141), genügt Unterzeichnung des Schreibens, wenn deutlich wird, dass sie die Gegendarstellung deckt440. Ein Namenszug auf dem Umschlag oder auf dem Briefkopf genügt nicht441, auch nicht die Unterzeichnung des Aufforderungsschreibens, sofern die Gegendarstellung sich auf einem gesonderten Blatt befindet442. Ebenso wenig genügt die einmalige Unterzeichnung, wenn der Unterzeichner in Ausübung unterschiedlicher Funktionen tätig wird. Verlangt z.B. ein Rechtsanwalt auf dem Briefbogen seiner Sozietät eine Gegendarstellung in seiner Eigenschaft als Konkursverwalter einer juristischen Person, ist die Gegendarstellung gesondert zu unterzeichnen, auch wenn sie im Aufforderungsschreiben enthalten ist.
135
Ort und Datum der Unterzeichnung anzugeben ist üblich, aber nicht erforderlich. Das Fehlen des Ausstellungsortes ist insbesondere unschädlich, wenn der Aufenthaltsort des Unterzeichners geheim ist. b) Unterzeichnung durch Vertreter
136
Da es nicht um eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, sondern um eine persönliche Wissenserklärung geht, kann auch eine nicht geschäftsfähige Person selbst unterzeichnen. Ausgeschlossen ist das aber bei Handelsgesellschaften und juristischen Personen. Insoweit ist die Unterzeichnung nur durch einen Vertreter möglich. Da das selbstverständlich ist, muss in diesen Fällen die Unterzeichnung durch einen Vertreter auch nach den Regelungen zugelassen werden, die allein von einer Unterzeichnung durch den Einsender bzw. den Betroffenen sprechen, wie § 10 Abs. 1 LPG Bayern und § 11 Abs. 2 LPG Thüringen. Die Frage ist aber, ob es der Unterzeichnung durch den gesetzlichen Vertreter bedarf oder ob Unterzeichnung durch einen rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter genügt. Diese Frage ergibt sich ebenso, wenn die anzuwendende Regelung lediglich „Schriftform“ fordert.
137
Unterzeichnung durch den gesetzlichen Vertreter fordern die LPG von Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein. Auch die rundfunkrechtlichen Gegendarstellungsregelungen lassen überwiegend nur Unterzeichnung durch den gesetzlichen Vertreter zu. Die Beschränkung der Unterzeichnungsbefugnis auf den gesetzlichen Vertreter ist sachlich richtig. Da jeder Geschäftsfähige zum rechtsgeschäftlichen Vertreter bestellt werden kann, ist es bei Zulassung von dessen Unterzeichnung möglich, einen „Gegendarstellungsbevollmächtigten“ zu beauftragen, der jeweils das erklärt, was er anstelle des Betroffenen meint, in einer Gegendarstellung bringen zu sollen. Dass das ein Missbrauch des Gegendarstellungsrechtes wäre, bestätigen mittelbar auch die in einzelnen Regelungen enthaltenen Bestimmungen, nach denen bei Zweifeln an der Echtheit der Unterschrift deren Beglaubigung verlangt werden kann443. Wird rechtsgeschäftliche Vertretung zugelassen, hat die Wirksamkeit der Vollmacht erheblich größere praktische Bedeutung. Alles das erweist, dass es dem Wesen des Gegendarstellungsrechts widerspricht, es für ausreichend zu halten, dass die Gegendarstellung als persönliche Wissenserklärung von einem rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter unterzeichnet wird444.
440 441 442 443 444
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OLG Dresden v. 14.3.2017 – 4 U 142/17, BeckRS 2017, 107905. RGZ 110, 168. OLG Hamburg v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 405. Seitz, Kap. 5 Rz. 117. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 147.
Burkhardt
VIII. Form der Gegendarstellung
Rz. 139 Kap. 11
Das BayObLG445 und das OLG Frankfurt446 halten eine durch einen rechtsgeschäftlichen 138 Vertreter unterzeichnete Gegendarstellung zutreffend für formunwirksam. Das Kammergericht447, das OLG Bremen448, das OLG Celle449 und das OLG Naumburg450 leiten demgegenüber aus dem in Berlin, Bremen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt geltenden bloßen Schriftformerfordernis ab, rechtsgeschäftliche Vertretung sei ausreichend. Die Person des Betroffenen muss jedoch stets eindeutig aus der Gegendarstellung zu entnehmen sein451. Da eine die Rechtseinheit sichernde Revisionsinstanz fehlt, müssen die Abdruckverpflichteten innerhalb der Gerichtsbezirke dieser Obergerichte Gegendarstellungen hinnehmen, die von einem rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter stammen. Gleichwohl ist Einsendern allgemein zu empfehlen, Gegendarstellungen selbst oder durch den gesetzlichen Vertreter zu unterzeichnen. Es besteht keine Gewähr, dass die Rechtsprechung des KG und der OLGe Bremen, Celle und Naumburg unverändert bleibt. Allerdings kann der Meinung des OLG Hamburg452, eine Gegendarstellung sei schon unwirksam, wenn ein rechtsgeschäftlicher Vertreter zusätzlich unterzeichnet hat, nicht gefolgt werden453. Wer gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person ist, bestimmt sich nach den jeweiligen ge- 139 setzlichen Regelungen. Soweit diese es erlauben, dass durch Satzung abweichende oder ergänzende Vertretungsregelungen geschaffen werden können (vgl. § 78 Abs. 1 AktG), bestehen Bedenken, die so ermächtigten Vertreter als gesetzliche Vertreter i.S.d. Gegendarstellungsrechts anzuerkennen. Dies zeigt sich insbesondere bei der gemischten Gesamtvertretung. Der gesellschaftsrechtlich zur Mitunterzeichnung berechtigte Prokurist ist per se typischer rechtsgeschäftlicher Vertreter. Er ist nicht Organ der Gesellschaft oder deren Mitglied. Wegen der streng formalen Ausgestaltung des Gegendarstellungsrechts ist eine Unterzeichnung allein durch den gesetzlichen Vertreter also durch Organmitglieder zu fordern454. Nicht genügend ist es auch, wenn die Gegendarstellung trotz vorgesehener Gesamtvertretung nur von einem Vorstandsmitglied unterzeichnet wird, auch wenn dieses von dem anderen Vorstandsmitglied zur Unterzeichnung ermächtigt war455. Unterzeichnet ein gesetzlicher oder soweit zulässig ein rechtsgeschäftlicher Vertreter, muss sich aus der Gegendarstellung ergeben, dass er als Vertreter und nicht in eigenem Namen unterzeichnet. Grundsätzlich ist deswegen zu fordern, dass der Vertretene und das Vertretungsverhältnis genannt werden, z.B. Max Meier GmbH, Hans Meier, Geschäftsführer. Die bloße Namensunterschrift wird man aber als ausreichend anerkennen müssen, wenn sich aus der Einleitung der Gegendarstellung oder eventuell aus dem sonstigen Text ergibt, in wessen Vertretung und von wem die Unterschrift geleistet worden ist. Handelt eine Person in eigenem Namen und als gesetzlicher Vertreter für Dritte, muss die Gegendarstellung dies erkennen lassen. Ob sie deshalb mehrfach zu unterzeichnen ist, erscheint eher zweifelhaft.
445 446 447 448 449 450 451 452 453 454 455
BayObLGZ 7, 86. OLG Frankfurt, NJW 1953, 1068; v. 3.7.2003 – 16 U 40/03, AfP 2003, 459. KG, NJW 1970, 2029; v. 30.11.2007 – 9 W 160/07, AfP 2008, 394. OLG Bremen v. 23.1.1978 – 1 W 91/77, AfP 1978, 157. OLG Celle v. 5.8.1987 – 13 U 80/87, AfP 1987, 714 = NJW-RR 1988, 956. OLG Naumburg v. 5.3.1999 – 6 U 203/98, NJW-RR 2000, 475. KG v. 30.11.2007 – 9 W 160/07, AfP 2008, 394. OLG Hamburg v. 2.4.1981 – 3 U 143/80, AfP 1981, 410. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 146. A.A. Soehring/Hoene, § 29 Rz. 32a. Seitz, Kap. 5 Rz. 111; Soehring/Hoene, § 29 Rz. 32a; a.A. OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – I-15 U 458/06, AfP 2006, 473.
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Kap. 11 Rz. 140
Gegendarstellungsanspruch
c) Unterzeichnung durch Stellen und nicht rechtsfähige Personengemeinschaften 140
Nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung sind „Stellen“ gegendarstellungsberechtigt, obschon sie nicht rechtsfähig sind und keinen gesetzlichen Vertreter haben. Damit der Anspruch nicht leerläuft, ist unvermeidlich, den „Leiter“ als unterzeichnungsberechtigt anzusehen, z.B. den Leiter eines Amtes oder einer Schule (Näheres Rz. 57). Bei nicht rechtsfähigen Personengruppen verlangen OLG Hamburg456 und OLG Köln457 Unterzeichnung durch alle Mitglieder der Gruppe458. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Streng genommen müssten dann auch Gegendarstellungen politischer Parteien und von Gewerkschaften von sämtlichen Mitgliedern unterzeichnet werden. Richtiger Auffassung nach genügt auch insoweit die Unterzeichnung durch den „Leiter“, z.B. durch den Vorsitzenden. Auch den Betriebsratsvorsitzenden wird man als zeichnungsberechtigt ansehen müssen459. Dieses gegendarstellungsrechtliche Unterzeichnungsrecht bedeutet allerdings nicht, dass die Stelle oder Personenvereinigung klagbefugt sei. Z.B. ist bei einer öffentlichen Schule nur das Land bzw. die Gemeinde klagbefugt. Die Unterzeichnungs- und die Klagbefugnis können auseinanderfallen460.
IX. Zuleitung und Abdruckverlangen 1. Form 141
Nach § 11 RPG war der verantwortliche Redakteur unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, auf Verlangen einer beteiligten öffentlichen Behörde oder Privatperson eine Berichtigung aufzunehmen. Hieran anknüpfend sehen § 10 Abs. 1 LPG Bayern und § 10 Abs. 2 LPG Hessen vor, dass der Abdruck der Gegendarstellung verlangt werden muss. Nach den übrigen, auf dem Modellentwurf beruhenden LPG, die zwischen 1964 und 1966 in Kraft getreten sind, kann der Abdruck nur verlangt werden, wenn die Gegendarstellung dem verantwortlichen Redakteur oder dem Verleger fristgerecht zugegangen ist. Dadurch kommt zum Ausdruck, dass zwischen dem Zugang der Gegendarstellung und dem Abdruckverlangen zu unterscheiden ist461. Der Zugang der Gegendarstellung wird durch die Zuleitung bewirkt; sie ist eine Realhandlung. Der Zugang ist Voraussetzung dafür, dass der Abdruck verlangt werden kann. Das Abdruckverlangen ist keine rechtsgeschäftliche, wohl aber eine geschäftsähnliche Handlung. Zuleitung und Abdruckverlangen fallen i.d.R. zusammen. U.U. kann schon in der bloßen Zuleitung die schlüssige Erklärung zu erblicken sein, die Gegendarstellung solle abgedruckt werden462. Es kann sich aber auch anders verhalten. Z.B. kann die Zuleitung postalisch erfolgen, das nicht formgebundene Abdruckverlangen telefonisch463. Ebenso ist möglich, die Gegendarstellung nur zur Fristwahrung zuzuleiten und das Abdruckverlangen zurückzustellen, etwa wegen schwebender Vergleichsverhandlungen464. Wird während eines laufenden Verfügungsverfahrens hilfsweise der Abdruck einer geänderten Fassung begehrt, ergibt sich 456 457 458 459 460 461 462 463 464
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OLG Hamburg, ArchPR 1977, 46. OLG Köln, AfP 1971, 173. Ebenso Seitz, Kap. 5 Rz. 121. OLG Hamburg v. 10.2.1982 – 3 W 12/82, AfP 1982, 232. OLG Köln, AfP 1971, 173; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 52; Seitz, Kap. 5 Rz. 121 f.; a.A. LG Aachen, ArchPR 1976, 46. Vgl. OLG Hamburg, AfP 1978, 155; v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 405; v. 2.4.1981 – 3 U 143/80, AfP 1981, 410. OLG Schleswig v. 1.9.1981 – 3 U 141/81, AfP 1982, 45; Heidenreich, AfP 1977, 287. OLG Hamburg v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 405. Näheres Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 155.
Burkhardt
IX. Zuleitung und Abdruckverlangen
Rz. 142 Kap. 11
das Abdruckverlangen, das mit der Zuleitung nicht gleichzusetzen ist, aus der prozessualen Handlung465. Ob die handschriftlich unterzeichnete Gegendarstellung im Original zugeleitet werden muss, 142 ist umstritten. Erforderlich halten das u.a. OLG Köln466, OLG Hamburg467, LG Düsseldorf468, ebenso Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 145, Sedelmeier, AfP 2012, 345, Korte, § 5 Rz. 206 und Groß, Rz. 496, im Wesentlichen aus praktischen Gründen auch Seitz, Kap. 5 Rz. 98. Übermittlung mittels Fernkopie lassen genügen das KG469, das OLG Saarbrücken470, OLG Bremen471, LG Köln472, ferner OLG München, das seine einschränkende Rechtsprechung473 aufgegeben hat, wonach nur die Benutzung des eigenen Fax-Gerätes des Berechtigten genügend sein sollte474, ebenso das OLG Dresden475 für Gegendarstellungen nach § 15 MDR-StV. Folgt man der Auffassung Sedelmeiers476, dass der Gegendarstellungsanspruch als solcher erst mit Zuleitung der eigenhändig unterzeichneten, schriftlichen Gegendarstellung entsteht, bedarf es der Zuleitung des Originals. Die Notwendigkeit, das Original zuzuleiten, ergibt sich schon aus dem Schriftformgebot, das auf § 126 BGB verweist. Dass § 126 BGB nach seinem systematischen Standort zunächst für rechtsgeschäftliche Willenserklärungen gilt, steht dessen Anwendung auch auf Gegendarstellungen nicht entgegen. Zwar ist umstritten, ob § 126 BGB auch für rechtsgeschäftsähnliche Handlungen gilt. Jedoch zeigt der ausdrückliche Ausschluss der elektronischen Form in § 630 Satz 3 BGB, dass das BGB unter einem schriftlichen Zeugnis i.S.d. § 630 Satz 1 BGB die Schriftform des § 126 BGB versteht477, obgleich es sich hierbei nicht um eine Willens-, sondern um eine Wissenserklärung handelt. Die systematische Stellung von § 126 BGB steht also dessen Anwendung im Recht der Gegendarstellung nicht entgegen478. Entscheidend abzustellen ist aber auf den mit der jeweiligen Gegendarstellungsregelung verbundenen Formzweck. Insbesondere die Klarstellungs- und Beweisfunktion sowie die Kontrollfunktion lassen es im Hinblick auf den höchstpersönlichen Charakter einer Gegendarstellung für erforderlich erscheinen, dass das Original der Gegendarstellung dem Verpflichteten zuzuleiten ist (anders noch die Vorauflage). Eine Übermittlung per Telefax ist mithin nicht ausreichend. Wegen der abweichenden ausdrücklichen Regelung in § 130 Nr. 6 ZPO können die prozessrechtlichen Schriftformvorschriften479 auf die materiell-rechtliche Regelung des
465 466 467 468 469 470 471 472 473 474 475 476 477 478 479
OLG Hamburg v. 3.9.1982 – 3 U 73/82, AfP 1984, 155. OLG Köln v. 18.4.1985 – 15 U 29/85, AfP 1985, 151. OLG Hamburg v. 13.6.1989 – 13 W 75/89, NJW 1990, 1613; AfP 2011, 72. LG Düsseldorf v. 16.12.1992 – 12 O 641/92, AfP 1993, 498. KG v. 30.10.1992 – 9 U 5550/92, AfP 1993, 748. OLG Saarbrücken v. 21.8.1991 – 1 U 80/91, NJW-RR 1992, 730 noch zum zwischenzeitlich aufgehobenen saarl. Pressegesetz. OLG Bremen v. 14.1.2011 – 2 U 115/10, MDR 2011, 1370 = ITRB 2011, 101 = NJW 2011, 1611. LG Köln v. 14.6.1995 – 28 O 178/95, AfP 1995, 684. OLG München v. 25.5.1990 – 21 U 3387/90, AfP 1991, 531 = NJW 1990, 2895. OLG München v. 10.12.1997 – 21 U 5795/97, AfP 1999, 72. OLG Dreden v. 26.10.2006 – 4 U 1541/06, ZUM-RD 2007, 117. Sedelmeier, AfP 2012, 345. MünchKomm/Einsele, § 126 BGB Rz. 4. A.A. zur Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 3 BetrVG als rechtsgeschäftsähnliche Handlung: BAG v. 11.6.2002 – 1 ABR 43/01, NJW 2003, 843. Vgl. dazu BGH v. 15.7.2008 – X ZB 8/08, MDR 2008, 1176 = CR 2008, 741 = NJW 2008, 2649.
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Kap. 11 Rz. 143
Gegendarstellungsanspruch
§ 11 LPG nicht herangezogen werden480. Zwar ist das Bedenken zutreffend, dass Gegendarstellungen naturgemäß eilbedürftig sind und daher auch die fortschreitende Übermittlungstechnik nicht unberücksichtigt bleiben sollte. Zutreffend ist auch, dass ein zeitraubender Aufwand entsteht, wenn z.B. nur Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer unterzeichnungsberechtigt sind, von denen sich der eine auf Geschäftsreise in den USA, der andere in Japan befindet. Diese tatsächlichen Schwierigkeiten in der Rechtsausübung sind jedoch keine Frage der vorgeschriebenen Form, sondern der Unverzüglichkeit des Handelns. Die besondere Formstrenge wirkt sich bei der Bestimmung der Unverzüglichkeitsfrist in solchen besonderen Fällen aus. Für den Regelfall bedarf es angesichts kostengünstiger Over-Night-Zustellmöglichkeiten einer Verlängerung der Zwei-Wochen-Frist nicht. Soweit die eigenhändige Unterzeichnung des Betroffenen bzw. Einsenders nicht ausdrücklich verlangt ist, kann die schriftliche Form auch durch die elektronische Form gem. § 126 Abs. 3 BGB ersetzt werden. Die Gegendarstellung selbst ist dann mit einer qualifizierten digitalen Signatur zu versehen. Nicht ausreichend wäre eine sog. Container-Signatur oder Signierung allein der Übermittlungs-E-Mail. Abzulehnen ist auch die Ansicht, eine Übermittlung per Telefax sei zur Wahrung der Unverzüglichkeitsfrist ausreichend, wenn das Original unverzüglich nachgereicht werde. Dies würde dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung widersprechen, welche die Abdruckpflicht gerade vom Zugang der formgerechten Gegendarstellung abhängig macht481. 143
Die Unterscheidung zwischen Zuleitung und Abdruckverlangen macht deutlich, dass der Gegendarstellungsanspruch ein verhaltener Anspruch ist, d.h. ein Anspruch, der der Konkretisierung durch ein Tätigwerden des Betroffenen bedarf482. Einerseits ist die Gegendarstellung zu formulieren, d.h. die eigene Erklärung des Betroffenen zu erstellen, und andererseits ist diese sodann dem Verpflichteten zuzuleiten. Sedelmeier483 weist zutreffend darauf hin, dass die Zuleitung der Gegendarstellung den Anspruch auf Abdruck erst begründet. Solange der Abdruckverpflichtete keine Gegendarstellung erhalten hat, ist der Anspruch noch nicht existent484. Erst die Zuleitung der Gegendarstellung lässt den Anspruch auf Abdruck entstehen, nicht schon die Veröffentlichung der Erstmitteilung485. Fällig wird der Anspruch durch das Abdruckverlangen. Außerdem ergibt sich aus der Unterscheidung, dass die Frage nach einer gesetzlichen oder gewillkürten Stellvertretung sich bei der Zuleitung nicht stellt, auch nicht angesichts der Gesetzesfassung in Schleswig-Holstein. Die Zuleitung kann jeder für den Berechtigten bewirken. Das Abdruckverlangen kann neben dem Betroffenen geltend machen, wer von ihm dazu beauftragt ist486. Allerdings sollte der Beauftragte mit dem Abdruckverlangen zugleich eine Originalvollmacht vorlegen, da ansonsten das Verlangen gem. § 174 BGB sofort zurückgewiesen werden kann487.
480 Vgl. BGH v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, MDR 1993, 532 = CR 1994, 29 = NJW 1993, 1126; zur ähnlichen Frage des Beidrückens eines Behördensiegels in Grundbuchsachen BGH v. 14.12.2016 – V ZB 88/16, MDR 2017, 450 = NJW 2017, 1951. 481 OLG Hamburg v. 18.5.2010 – 7 U 121/09, IPRB 2010, 250 = AfP 2011, 72. 482 Seitz, Kap. 5 Rz. 11. 483 Sedelmeier, AfP 2012, 345. 484 Löffler, JZ 1956, 344; Neumann-Duesberg, NJW 1960, 2032; Heidenreich, AfP 1977, 287; LG Frankfurt/M. v. 25.9.2008 – 2/03 O 343/08, AfP 2009, 73. 485 Sedelmeier, AfP 2012, 345. 486 Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 156; im Ergebnis ebenso OLG Schleswig v. 1.9.1981 – 3 U 141/81, AfP 1982, 45. 487 OLG Hamburg, ArchPR 1977, 49; LG München I v. 13.10.2004 – 9 O 17631/04, AfP 2006, 573; a.A. Sedelmeier AfP 2007, 19.
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IX. Zuleitung und Abdruckverlangen
Rz. 146 Kap. 11
Auf das Zugangserfordernis kann § 130 BGB entsprechend angewendet werden488. Der für 144 das Entstehen des Anspruches erforderliche Zugang ist folglich bewirkt, wenn die Gegendarstellung in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist489. Erhalt seitens Redaktion bzw. Verlag genügt. Es ist auch nicht erforderlich, Gegendarstellung und/oder Abdruckverlangen an die hausintern zuständige Person zu adressieren. „An den verantwortlichen Redakteur“, „An die Redaktion“, „An den Verlag“ reicht als Adresse aus490. Die hausinterne Weiterleitung an die zuständige Person ist Aufgabe der Redaktion bzw. des Verlages. Ob diese Weiterleitung ordnungsgemäß bewirkt wird, ist für den Zugang ebenso bedeutungslos wie die tatsächliche Kenntnisnahme491. Allerdings meint Seitz492 unter Berufung auf eine offenbar unveröffentlichte Entscheidung 145 des OLG München, die Zuleitung an den Chefredakteur genüge nicht, falls er nicht zugleich Verantwortlicher ist oder der Zugang an den Abdruckverpflichteten glaubhaft gemacht werden könne (zweifelhaft). Die von Löffler/Sedelmeier vertretene Auffassung493, nach der die Zuleitung an den Verantwortlichen oder den Verleger ausreicht, um den Anspruch gegenüber beiden zu konkretisieren, trifft für die 1964 bis 1966 in Kraft getretenen LPG zu, ebenso für die LPG der neuen Bundesländer. Nach ihnen sind der verantwortliche Redakteur und der Verleger zum Abdruck verpflichtet, wenn die Gegendarstellung dem Verantwortlichen oder dem Verleger zugegangen ist. Ob diese Auffassung auch für Bayern und Hessen Geltung beanspruchen kann, erscheint zweifelhaft. Abgesehen davon dürfte sich eine Klarstellung im Abdruckverlangen in jedem Fall empfehlen, wenn der Anspruch gegen beide geltend gemacht werden soll. Hat sich aufgrund eines Abdruckverlangens die Rechtsabteilung oder ein Anwalt des Verlages gemeldet, kann die weitere Korrespondenz mit ihr oder ihm geführt und diesen ggf. auch eine neu gefasste Gegendarstellung zugeleitet werden494, sofern sich aus dem Legitimierungsschreiben nichts anderes ergibt. Wird auf eine nur beschränkt erteilte Bevollmächtigung zur Abwehr der verlangten Gegendarstellung hingewiesen, dürfte es an der erforderlichen Empfangsvollmacht für die Zuleitung einer zweiten Gegendarstellung fehlen. Wegen des Unverzüglichkeitserfordernisses empfiehlt es sich dann, das Original der neuen Gegendarstellung unmittelbar dem Verpflichteten zuzuleiten und den Bevollmächtigten mittels einer Kopie hiervon zu unterrichten. Durch die Zuleitung der Gegendarstellung entsteht der konkretisierte Gegendarstellungs- 146 anspruch. Prinzipiell wird das Gegendarstellungsrecht dadurch ausgeschöpft. Grundsätzlich kann also der Gegendarstellungsberechtigte nicht nachträglich den Abdruck einer anderen Fassung fordern. Das ist insbesondere dann nicht möglich, wenn der Abdruckverpflichtete den Text bereits in Satz gegeben hat. Ebenso wenig wäre es zulässig, eine geänderte Fassung im Verfügungswege ohne mündliche Verhandlung zuzuerkennen. Das Recht zur nachträglichen Forderung des Abdrucks einer geänderten Fassung wird man aber nicht verweigern können, wenn der Betroffene inzwischen zu besseren Einsichten gelangt ist und der Abdruckverpflichtete die Ursprungsfassung noch nicht in Satz gegeben hat oder die Veröffentlichung der Erst488 Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 156. 489 RGZ 50, 104. 490 Einhellige Meinung, vgl. u.a. OLG Köln, NJW 1962, 48; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 156; Seitz, Kap. 5 Rz. 25; Scheer, Deutsches Presserecht, S. 268. 491 OLG Hamburg, ArchPR 1970, 78. 492 Seitz, Kap. 5 Rz. 25. 493 Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 156. 494 Vgl. OLG Hamburg v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 405; OLG Köln v. 18.4.1985 – 15 U 29/85, AfP 1985, 151.
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Kap. 11 Rz. 147
Gegendarstellungsanspruch
fassung abgelehnt hat. Der Berechtigte muss aber deutlich machen, durch die Veröffentlichung welchen Textes er seinen Anspruch als erfüllt betrachtet495. Das Gegendarstellungsrecht berechtigt nicht dazu, eine Vielzahl unterschiedlicher Gegendarstellungen zuzuleiten und deren Veröffentlichung alternativ zu verlangen. Bereits aus dem höchstpersönlichen Charakter der Gegendarstellung ergibt sich, dass der Berechtigte sich festlegen muss, welche Erklärung er abgeben will. Eine Auswahlentscheidung dem Verpflichteten zu überlassen, sieht das Gegendarstellungsrecht nicht vor. Auch Schwierigkeiten bei der Formulierung einer Gegendarstellung oder das Alles-oder-Nichts-Prinzip berechtigen nicht dazu, eine eigene Festlegung zu vermeiden und dies auf den Verpflichteten abzuwälzen496. In besonderem Maße gilt dies bei inhaltlichen Abweichungen der verschiedenen Fassungen. Erfährt der Betroffene erst nachträglich, dass zusätzliche Behauptungen der Erstmitteilung angreifbar sind, kann er trotz der grundsätzlichen Verpflichtung zur Bündelung der Gegendarstellungsbehauptungen (Rz. 28 f.) den Abdruck einer weiteren Gegendarstellung mit den zusätzlichen Entgegnungen fordern. Dieses Recht besteht aber nur ausnahmsweise, d.h. nur, wenn es gravierende Behauptungen sind, deren Unwahrheit sich gerade für den Betroffenen erst nachträglich herausgestellt hat. 147
Nach Auffassung des OLG Hamburg497 und des OLG Celle498 muss auch eine Zweitfassung zunächst dem Verantwortlichen oder dem Verleger zugeleitet werden. Führt aber die Korrespondenz die Rechtsabteilung eines Verlages, kann eine geänderte Fassung ihr zugeleitet werden. Ob entsprechendes gilt, wenn der Verantwortliche bzw. der Verlag einen freiberuflichen Anwalt mit der Klärung der Abdruckpflicht beauftragt hat, hängt maßgeblich von dem diesem erteilten Auftrag und Vollmacht ab. Da jede Gegendarstellung einen neuen Streitgegenstand darstellt, kann aus dem Auftrag, eine bestimmte Gegendarstellung zu prüfen und ggf. abzulehnen, nicht auch auf eine Empfangsvollmacht für eine weitere Gegendarstellung geschlossen werden. Es empfiehlt sich daher, dem Anwalt eine Kopie und dem Verpflichteten das Original der neuen Gegendarstellung zuzuleiten, insbesondere soweit die Unverzüglichkeitsfrist möglicherweise ansonsten überschritten würde. Damit ist dem Verpflichteten auch die eigene, insbesondere redaktionelle Prüfung möglich. Etwas anderes mag nur nur bei geringfügigen Änderungen gelten, die für die Aussage unerheblich sind499. 2. Frist
148
Nach der ausdrücklichen Regelung der meisten LPG muss die Gegendarstellung dem Abdruckverpflichteten unverzüglich, spätestens nach drei Monaten seit der Veröffentlichung zugegangen sein. Zumeist sind daher zwei Fristen nebeneinander zu beachten. Ausnahmen: Das LPG Hessen enthält das bloße Gebot, den Abdruck ohne schuldhaftes Zögern zu fordern, das LPG Bayern enthält keine Frist (Näheres Rz. 155). a) Unverzüglichkeit
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Das Unverzüglichkeitsgebot dient dem Ziel, die Publikation einer Gegendarstellung zu einer Zeit zu vermeiden, in der der Vorgang nicht mehr aktuell ist500. Dieses Ziel ist berechtigt. Eine 495 OLG Hamburg v. 3.7.2012 – 7 W 53/12, AfP 2013, 66; vgl. KG v. 9.1.2007 – 9 U 248/06, AfP 2007, 23. 496 Vgl. OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. 497 OLG Hamburg, ArchPR 1971, 95. 498 OLG Celle, ArchPR 1969, 74. 499 OLG Hamburg v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 405, 406. 500 Mathy, AfP 1971, 158.
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IX. Zuleitung und Abdruckverlangen
Rz. 151 Kap. 11
Gegendarstellung kann ihre Funktion nur erfüllen, wenn der Sachverhalt, zu dem Stellung genommen wird, dem Bewusstsein des Lesers noch nicht entschwunden ist. Dennoch ist die getroffene Regelung missglückt. Nach § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB ist ein Handeln unverzüglich, wenn es ohne schuldhaftes Zögern erfolgt. Unverzüglich kann somit nicht der Zugang erfolgen, sondern lediglich die Zuleitung der Gegendarstellung, ebenso das Abdruckverlangen. Sprachlich richtiger ist deswegen die Formulierung in § 10 Abs. 2 Satz 2 LPG Hessen. Diese setzt aber das Bestehen des Anspruchs voraus, da nur dann ein Abdruckverlangen berechtigt ist. Zweck der Unverzüglichkeitsregelung ist mithin, dass der Betroffene verpflichtet ist, unverzüglich zu handeln, um seine eigene Erklärung zu der Erstberichterstattung, die Gegendarstellung, zu erstellen und dem Verpflichteten zuzuleiten. Auch wenn das Unverzüglichkeitsgebot entsprechend der hessischen Formulierung interpre- 150 tiert wird, vermag es sachlich nicht zu überzeugen. Es kann den Betroffenen zu überstürztem Handeln veranlassen. Ließe die gesetzliche Regelung ihm mehr Zeit, würde er den Sachverhalt, zu dem er Stellung nehmen will, u.U. gründlicher ermitteln und die Gegendarstellung besser formulieren, eventuell zunächst die Leserreaktion abwarten und daraufhin oftmals von einem Gegendarstellungsverlangen absehen. Unverständlich ist das Unverzüglichkeitsgebot bei einer Viertel- oder Halbjahreszeitschrift. Inkonsequent ist die Regelung insofern, als sie lediglich die Zuleitung der Gegendarstellung bzw. das Abdruckverlangen betrifft, nicht aber die gerichtliche Geltendmachung. Diese Mängel der gesetzlichen Regelung lassen sich nur durch eine großzügige Interpretation ausgleichen501. Die Hamburger Rechtsprechung ist längere Zeit davon ausgegangen, die Unverzüglichkeit 151 sei im Regelfall nur bei Einhaltung einer Frist von zwei Wochen gewahrt502. Die Zwei-Wochen-Frist ist sinnvoll, wenn sie dahin verstanden wird, dass eine innerhalb dieser Frist erfolgende Zuleitung auf jeden Fall rechtzeitig ist503. Das Unverzüglichkeitserfordernis lässt sich sehr unterschiedlich interpretieren. Deswegen erscheint es geboten, dem Betroffenen einen Maßstab an die Hand zu geben, der ihm die Aufstellung eines Zeitplanes ermöglicht. Als generelle Zeitbeschränkung ist die Zwei-Wochen-Frist ungeeignet504. Davon ist um so mehr auszugehen, nachdem das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 20.8.1980 zum NDR-Staatsvertrag klargestellt hat505, dass das Gegendarstellungsrecht einer den sachlichen Erfordernissen entsprechenden Ausgestaltung des Verfahrensrechts bedarf und eine ausnahmslose Beschränkung der Geltendmachungsfrist auf zwei Wochen diesen Erfordernissen nicht entspricht. Es ist daher auf die Umstände des Einzelfalles und die jeweilige Situation ohne Bindung an eine starre Frist abzustellen506. Zur Bestimmung der angemessenen Frist ist die Wahrung der Aktualität der Medien einerseits und die für den Betroffenen erforderliche Über-
501 502 503 504
Ebenso OLG Köln, AfP 1972, 282. OLG Hamburg, NJW 1967, 159, 160; LG Hamburg, AfP 1971, 87. LG Berlin v. 29.6.2010 – 27 O 454/10, BeckRS 2010, 16340: 10 Tage stets ausreichend. Ebenso OLG Hamburg, ArchPR 1970, 82; AfP 1971, 93; v. 7.10.1993 – 3 U 201/93, AfP 1994, 225; v. 26.9.2000 – 7 U 73/00, NJW-RR 2001, 186; OLG Köln, AfP 1972, 282. 505 BVerfG v. 8.2.1983 – 1 BvL 20/81, MDR 1983, 551 = AfP 1983, 334 = NJW 1983, 1179. 506 OLG Stuttgart v. 8.6.2000 – 4 W 26/2000, ZUM 2000, 773; v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252; OLG Koblenz v. 6.5.1997 – 4 U 118/97, NJW-RR 1998, 23; OLG Hamburg v. 26.9.2000 – 7 U 73/00, NJW-RR 2001, 186; v. 18.5.2010 – 7 U 121/09, IPRB 2010, 250 = AfP 2011, 72; OLG Dresden v. 26.10.2006 – 4 U 1541/06, ZUM-RD 2007, 117; v. 3.4.2018 – 4 W 282/18, BeckRS 2018, 5129; OLG Düsseldorf v. 4.6.2008 – I-15 W 45/08, AfP 2008, 523; v. 9.2.2012 – I-15 W 45/08, ZUM-RD 2012, 391; OLG Celle v. 22.1.2009 – 13 W 135/08, AfP 2010, 475; OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340.
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Kap. 11 Rz. 151
Gegendarstellungsanspruch
legungsfrist andererseits zu berücksichtigen507. Ob weitere Umstände zu berücksichtigen sind, hängt vom Einzelfall ab. Besondere Umstände, die eine verzögerte Zuleitung der Gegendarstellung nach als unverzüglich erscheinen lassen, hat der Betroffene darzulegen und glaubhaft zu machen. Nach Auffassung des KG508 kann sich aus den Umständen des Einzelfalls auch eine Verkürzung der Zwei-Wochen-Frist ergeben, wenn der Betroffene sonstige presserechtliche Ansprüche sofort geltend macht, jedoch mit der Zuleitung der Gegendarstellung zuwartet. Ähnlich geht das LG Dresden509 davon aus, dass der Betroffene eine Verzögerung zu vertreten hat, wenn er die Gegendarstellung zwar (formunwirksam) per Telefax schon fünf Tage nach der Veröffentlichung übermittelt, diese aber erst weitere elf Tage später dem Verpflichteten im Original zugeht. Nicht unverzüglich ist die Zuleitung auch, wenn ein von der Erstmitteilung persönlich nicht betroffener Chefredakteur zunächst die Gegendarstellung begehrt, das in Wahrheit allein betroffene Unternehmen eine wortgleiche Gegendarstellung jedoch erst nach einem Hinweis des Gerichts dem Verpflichteten zuleitet510. Wird die Gegendarstellung zunächst nicht dem richtigen Verleger und erst über eine Woche nach entsprechendem Hinweis sowie mehr als zwei Wochen nach Kenntnis von der Erstmitteilung dem richtigen Verpflichteten zugeleitet, ist dies nicht unverzüglich511. In derartigen besonders gelagerten Ausnahmefällen mag das Handeln des Betroffenen als nicht mehr unverzüglich angesehen werden. Um die Wahrnehmung des Rechts auf Gegendarstellung nicht weiter zu erschweren, sollte eine Zwei-Wochen-Frist gleichwohl als Mindestfrist angesehen werden. Dies gilt auch bei Berichten mit einem hohen Aktualitätsgrad, etwa in Tageszeitungen oder täglich ausgestrahlten Sendungen512. Das Kammergericht hat es bislang dahin gestellt sein lassen, ob eine bestimmte Frist stets ausreichend sei und stellt auf die Umstände des Einzelfalls ab513. Es hat daher wiederholt eine Zuleitung innerhalb von zwei Wochen nicht als ausreichend betrachtet. Bei einem Zeitraum von drei bis vier Wochen kann die Unverzüglichkeit noch gewahrt sein, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Erstmitteilung den Lesern noch in Erinnerung ist514. Auf den Aktualitätsbezug stellt auch das OLG München ab; verlangt jemand den Abdruck einer Neufassung erst vier Monate später, ist dieser Bezug nicht mehr vorhanden515. Eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalles verlangt auch das OLG Koblenz516. Es berücksichtigt dabei auch, ob dem Verpflichteten eine angemessene Zeit zur Überprüfung des Verlangens vor der nächsten Sendung (Ausgabe) bleibt. Dem kann nicht gefolgt werden. Das OLG Koblenz vermengt unzulässig die Frage nach der Unverzüglichkeit der Zuleitung mit jener nach dem Zeitpunkt, wann der Gegendarstellungsanspruch zu erfüllen ist. Umstände, die allein im Verantwortungsbereich des Verpflichteten liegen, können dem Be507 OLG Stuttgart v. 8.6.2000 – 4 W 26/2000, ZUM 2000, 773; v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252; OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. 508 KG v. 20.6.2008 – 9 W 72/08, AfP 2009, 61. 509 LG Dresden v. 19.5.2009 – 3 O 1081/09 EV, AfP 2010, 595. 510 KG v. 1.2.2010 – 10 W 11/10, AfP 2011, 187. 511 OLG Düsseldorf v. 9.2.2012 – I-15 W 45/08, ZUM-RD 2012, 391. 512 Vgl. OLG Stuttgart v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252; OLG Düsseldorf v. 4.6.2008 – I-15 W 45/08, AfP 2008, 523; OLG Dresden v. 26.10.2006 – 4 U 1541/06, ZUM-RD 2007, 117; OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340; OLG Celle v. 22.1.2009 – 13 W 135/08, AfP 2010, 475; LG Frankfurt/O. v. 14.4.2004 – 12 O 155/04; AfP 2004, 457. 513 KG v. 20.6.2008 – 9 W 72/08, AfP 2009, 61; LG Berlin v. 29.6.2010 – 27 O 454/10, BeckRS 2010, 16340. 514 OLG Hamburg, ArchPR 1970, 82; ArchPR 1971, 93; OLG Hamburg v. 7.10.1993 – 3 U 201/93, AfP 1994, 225. 515 OLG München, ArchPR 1974, 108; Näheres zur abweichenden Regelung in Art. 10 BayPrG s. Rz. 155. 516 OLG Koblenz v. 19.8.1996 – 4 W 392/96, NJW-RR 1998, 25.
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IX. Zuleitung und Abdruckverlangen
Rz. 154 Kap. 11
troffenen nicht zu dessen Nachteil entgegengehalten werden. Im Übrigen sind insbesondere bei Tageszeitungen und Rundfunksendern strenge Anforderungen an die Fähigkeit, Entscheidungen innerhalb kurzer Frist zu treffen, zu stellen517. Bedeutung hat in diesem Zusammenhang auch, in welchen Intervallen das betreffende Blatt 152 erscheint, ebenso an welchen Leserkreis es sich wendet. Behauptungen in einem monatlichen Fachblatt bleiben länger aktuell als Alltagsmeldungen in einer Tageszeitung518. Insbesondere bei einer Vierteljahres-Zeitschrift wäre es sinnwidrig, eine Zuleitung bzw. ein Abdruckverlangen am Unverzüglichkeitsgebot scheitern zu lassen, wenn der Abdruck ohnehin nicht früher hätte erfolgen können. Gleiches muss für Rundfunksendungen gelten. Zu weitgehend hat das LG Köln bei einer wöchentlich ausgestrahlten Fernsehsendung eine Zuleitung noch nach gut fünf Wochen als unverzüglich betrachtet519. Abgesehen davon kann ein längerer Zeitraum als zwei Wochen in Anspruch genommen wer- 153 den, wenn der Zeitbedarf im konkreten Fall begründet wird520, z.B. mit Wohnsitz in Übersee, mit der Notwendigkeit der Textüberarbeitung521, mit dem Bemühen um gütliche Einigung522 usw. Zu eng erscheint die Ansicht des OLG Hamburg523, wonach eine Zuleitung nach 19 Tagen nicht mehr unverzüglich sein soll, wenn der Betroffene zugewartet hatte, um eine bessere Beweislage für die Richtigkeit seiner Entgegnung zu schaffen. Das OLG Köln meint524, für Einigungsversuche aufgewendete Zeit könne der Unverzüglichkeit entgegenstehen. Dem kann dadurch Rechnung getragen werden, dass die Gegendarstellung unverzüglich zugeleitet wird, zugleich aber das Abdruckverlangen vom Ergebnis der Einigungsbemühungen abhängig gemacht wird. Der Betroffene muss auch die Möglichkeit haben, sich fachkundigen Rates zu bedienen. Dem Anwalt muss gleichfalls ausreichende Bearbeitungszeit zugebilligt werden, anderweitige Inanspruchnahme ist grundsätzlich zu berücksichtigen525. Übersendet der Betroffene statt einer Gegendarstellung einen Leserbrief in der Annahme, er werde abgedruckt werden, ist eine nachträgliche Gegendarstellungsforderung nicht schon aus diesem Grunde verspätet, wenn der Abdruck des Leserbriefes überraschend verweigert worden ist. Der Fristenlauf beginnt, sobald der Betroffene von der Veröffentlichung Kenntnis erlangt526. 154 Ob der Betroffene hätte Kenntnis nehmen können, ist ohne Belang. Es kommt auf die tatsächliche Kenntnisnahme an527. Bei einem Fortsetzungsbericht, z.B. vier Folgen über einen Mordfall, sind die Folgen als Einheit zu betrachten. Der Fristenlauf beginnt also erst mit Kenntnisnahme der letzten Folge528. Der Betroffene kann weitere Folgen auch abwarten, wenn er mit erneuter Erwähnung rechnen muss, unabhängig davon, ob die Erwartung sich bestätigt529. 517 518 519 520 521 522 523 524 525 526 527
OLG Hamburg, ArchPR 1973, 108; Seitz, Kap. 5 Rz. 71. LG Frankfurt v. 30.4.1980 – 2/30 Q 5/80, AfP 1981, 414. LG Köln v. 14.6.1995 – 28 O 178/95, AfP 1995, 684. LG Frankfurt v. 30.4.1980 – 2/30 Q 5/80, AfP 1981, 414, 415. OLG Hamburg, ArchPR 1968, 68, 69. LG Hamburg, AfP 1971, 87. OLG Hamburg v. 7.10.1993 – 3 U 201/93, AfP 1994, 225. OLG Köln v. 10.1.1989 – 15 U 198/88, NJW-RR 1990, 1119. Ebenso nun OLG Koblenz v. 19.8.1996 – 4 W 392/96, NJW-RR 1998, 25. So ausdrücklich § 10 Abs. 3 Satz 2 LPG Sachsen. OLG Hamburg, ArchPR 1971, 95; LG Frankfurt v. 30.4.1980 – 2/30 Q 5/80, AfP 1981, 414; vgl. auch § 121 BGB. 528 BayObLG, NJW 1970, 1927. 529 Seitz, Kap. 5 Rz. 37; ähnlich Soehring/Hoene, § 29 Rz. 35, der konkrete Anhaltspunkte für eine erneute Befassung mit dem Betroffenen verlangt; a.A. OLG Hamburg, AfP 1971, 172: Frist-
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Kap. 11 Rz. 155
Gegendarstellungsanspruch
Dies gilt auch, wenn der Abschluss der Serie nicht absehbar ist530. Ist mit einer weiteren Erwähnung jedoch nicht zu rechnen oder liegt der Abschluss der Serie ersichtlich in weiter Zukunft, beginnt die Frist mit Kenntnis von derjenigen bzw. denjenigen Folge(n), gegen die sich der Betroffene wenden will. 155
Enthält die anzuwendende Regelung überhaupt kein Fristerfordernis (wie das LPG Bayern) oder lediglich das Unverzüglichkeitsgebot ohne Ausschlussfrist (wie das LPG Hessen und mehrere Landesmediengesetze), ist nach h.M. die Aktualitätsgrenze zu beachten531. Hierbei handelt es sich um eine absolute Grenze, die von einem Verschulden nicht abhängt532. Danach entfällt der Anspruch wegen Fehlens des berechtigten Interesses, wenn die Aktualität des Vorganges erloschen ist533. Wann die Aktualitätsgrenze überschritten wird, hängt von den Umständen ab534. Nur gesendete Darstellungen werden im Allgemeinen schneller inaktuell als gedruckte535. Im Übrigen kommt es auf die Bedeutung des Vorganges, auf die Art seiner Aufmachung und darauf an, ob andere Medien das Thema aufgegriffen haben. Maßgebend ist das Erinnerungsvermögen des durchschnittlichen Leserkreises, nicht etwa das Gedächtnis von Verwandten, Freunden usw.536. Bei einer gravierenden Behauptung in einer Wochenillustrierten ist die Aktualität nach sieben Wochen i.d.R. noch vorhanden, zumal Illustrierte auch durch Lesezirkel Verbreitung finden537. Die Aktualität kann bei wöchentlich erscheinenden kostenlosen Beilagen zu Tageszeitungen deutlich schneller abklingen als bei Kaufzeitungen und -zeitschriften538. Bei Behauptungen in Artikeln mit durchschnittlicher Bedeutung in einer Tageszeitung liegt die Aktualitätsgrenze bei etwa vier Wochen539; in einer wöchentlich erscheinenden Zeitschrift bei etwa vier bis sechs Wochen540. Allein die Platzierung eines Artikels auf Seite 1 führt nicht notwendig zu einer längeren Aktualitätsfrist541. Die nach den meisten Regelungen geltende Ausschlussfrist von drei Monaten kann einen Anhaltspunkt liefern. Die Aktualität kann ausnahmsweise auch nach vier Monaten noch vorhanden sein542. Die Frist beginnt mit Erscheinen des Druckwerks. Auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Betroffenen kommt es anders als bei der Unverzüglichkeitsfrist nicht an. Hat der Betroffene das gerichtliche Verfahren zügig durchgeführt, kann ihm dessen Dauer richtiger Auffassung
530 531 532 533 534 535 536 537 538 539 540 541 542
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beginn mit Abschluss der Berichterstattung über den Betroffenen, auch wenn Serie über andere Personen fortgesetzt wird. Strenger Soehring/Hoene, § 29 Rz. 35. BayObLG, NJW 1970, 1927; OLG München v. 25.7.1990 – 21 U 3895/90, AfP 1990, 311; v. 25.1.2011 – 18 U 5310/10 Pre, AfP 2012, 161; v. 24.9.2013 – 18 U 3075/13, ZUM-RD 2014, 104; Seitz, Kap. 5 Rz. 58 ff. m.w.N. zur Rspr. des OLG München. OLG München v. 18.6.2002 – 21 W 1627/02, NJW-RR 2002, 1271. OLG München v. 18.6.2002 – 21 W 1627/02, NJW-RR 2002, 1271; v. 25.1.2011 – 18 U 5310/10 Pre, AfP 2012, 161. OLG München v. 24.9.2013 – 18 U 3075/13, ZUM-RD 2014, 104. OLG Stuttgart v. 8.6.2000 – 4 W 26/2000, ZUM 2000, 773, 774; OLG München v. 25.1.2011 – 18 U 5310/10 Pre, AfP 2012, 161. OLG München v. 8.6.1988 – 21 U 3059/88, AfP 1988, 269; v. 28.7.2000 – 21 W 2063/00, AfP 2001, 126. OLG München v. 25.7.1990 – 21 U 3895/90, AfP 1990, 311. OLG München v. 28.7.2000 – 21 W 2063/00, AfP 2001, 126. OLG München v. 18.6.2002 – 21 W 1627/02, AfP 2003, 165 = NJW-RR 2002, 1271; NJW 2004, 859; v. 20.9.2013 – 18 U 3075/13 Pre, ZUM-RD 2014, 104. OLG München v. 1.12.2000 – 21 U 5142/00, AfP 2001, 137 v. 29.11.2011 – 18 U 3582/11 PreBeckRS 2014, 16264. OLG München v. 25.1.2011 – 18 U 5310/10 Pre, AfP 2012, 161. OLG München, ArchPR 1974, 108.
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IX. Zuleitung und Abdruckverlangen
Rz. 156 Kap. 11
nach nicht entgegengehalten werden543. Jedoch hat nach Meinung des OLG München der Betroffene die Gegendarstellung so rechtzeitig dem Medienunternehmen zuzuleiten und das gerichtliche Verfahren einzuleiten, dass eine erste Entscheidung des Gerichts im Eilverfahren noch innerhalb der Aktualitätsfrist möglich ist544. Für die Einhaltung der Aktualitätsfrist kommt es mithin nicht nur darauf an, dass die Gegendarstellung rechtzeitig beim Verpflichteten eingeht, sondern auch auf den Eingang des Antrags beim Gericht545. Abdruckverpflichtete weisen eine Gegendarstellung häufig als nicht gesetzeskonform zurück. 156 Angesichts der bei der Abfassung vorhandenen Schwierigkeiten und der Möglichkeit von Auffassungsunterschieden muss der Betroffene in einem solchen Fall grundsätzlich Gelegenheit zur inhaltlichen Überarbeitung und Zuleitung einer neuen Fassung haben (allg. Meinung). Dies setzt jedoch das wirksame Entstehen eines Gegendarstellungsanspruchs durch fristgerechtes Zuleiten einer formal ordnungsgemäßen Gegendarstellung voraus546. Erforderlichenfalls kann auch eine mehrfache Überarbeitung erfolgen547. Die mit der Notwendigkeit der Überarbeitung verbundene Verzögerung kann grundsätzlich nicht als schuldhaftes Zögern angesehen werden548. Dies gilt auch, wenn die Gegendarstellung in ihrer ursprünglichen Fassung zunächst durch Urteil zurückgewiesen worden ist. Für die Frage des unverzüglichen Handelns kommte es allein auf den Zeitraum zwischen Ablehnung der Gegendarstellung und Zuleitung der neuen Gegendarstellung an. Nicht maßgeblich ist, ob und wann der Berechtigte von den einzelnen Gründen, die zu der Ablehnung geführt haben, Kenntnis erlangt. Die mit der notwendigen inhaltlichen Änderung und Zuleitung einer Zweitfassung verbundene Zeitverzögerung ist aber jedenfalls dann nicht mehr unverschuldet, wenn die Erstfassung an groben, ohne weiteres erkennbaren Mängeln leidet549. Ein grober Mangel liegt insbesondere bei einer offensichtlich unwahren oder offensichtlich irreführenden Gegendarstellung vor550. Ebenso bei sinnentstellender Wiedergabe der Erstmitteilung. Wird die Erstäußerung so wiedergegeben, als handele es sich um Behauptungen der Redaktion, obschon es sich um eine Äußerung eines Dritten handelt, liegt ein grober Mangel vor551. Zu weitgehend erscheint die Ansicht des OLG Zweibrücken, die Änderung der Aussage, ein Interview habe „im Dezember“ stattgefunden, könnte in der vierten Version in „30. Juli 2007“ abgeändert werden552. Hierbei handelt es sich richtigerweise um einen groben Mangel. Ist eine Überarbeitung hiernach zulässig, muss aber jede Fassung für sich betrachtet unverzüglich zugeleitet werden, d.h. unverzüg-
543 Ebenso BVerfG v. 25.8.1998 – 1 BvR 1435/98, NJW 1999, 483; OLG München v. 25.7.1997 – 21 U 4051/97, NJW-RR 1998, 26. 544 OLG München v. 25.7.1997 – 21 U 4051/97, NJW-RR 1998, 26; v. 28.7.2000 – 21 W 2063/00, AfP 2001, 126. 545 OLG München v. 24.9.2013 – 18 U 3075/13, ZUM-RD 2014, 104. 546 OLG Celle v. 22.1.2009 – 13 W 135/08, AfP 2010, 475; OLG Hamburg v. 18.5.2010 – 7 U 121/09, IPRB 2010, 250 = AfP 2011, 72; OLG Dresden v. 3.4.2018 – 4 W 282/18, BeckRS 2018, 5129; LG Frankfurt/M. v. 25.9.2008 – 2-03 O 343/08, AfP 2009, 73; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 219. 547 KG, NJW 1970, 2029; OLG Hamburg v. 12.3.1981 – 3 U 150/80, AfP 1981, 408, 409; v. 26.9.2000 – 7 U 73/00, NJW-RR 2001, 186. 548 OLG Hamburg, ArchPR 1968, 68, 69. 549 OLG München v. 30.6.1988 – 21 U 2533/88, AfP 1988, 373; OLG Koblenz v. 6.5.1997 – 4 U 118/97, NJW-RR 1998, 23; OLG Stuttgart v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252; OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. 550 OLG Stuttgart v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252. 551 OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. 552 OLG Zweibrücken v. 6.11.2008 – 4 U 48/08, NJOZ 2009, 4188.
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Kap. 11 Rz. 157
Gegendarstellungsanspruch
lich nach der Zurückweisung der vorangegangenen553. Eine erst vier bzw. fünf Wochen nach der Zurückweisung zugeleitete Neufassung ist nicht mehr rechtzeitig554. In Bayern kann eine Nachbesserung grds. nur innerhalb der Aktualitätsfrist (Rz. 155) gefordert werden. Nach Ablauf der Aktualitätsgrenze kann eine geänderte Fassung nur noch verlangt werden, wenn dies so rechtzeitig geschieht, dass darüber noch im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung mit entschieden werden kann. Für später zugeleitete Gegendarstellungen entfällt der Anspruch555. 157
Die Forderung einer geänderten Fassung kann auch noch unverzüglich sein, wenn sie erst geltend gemacht wird, nachdem die Berufungsinstanz eine erstinstanzliche Verurteilung aufgehoben hat. Insbesondere braucht die Forderung nicht daran zu scheitern, dass der Berechtigte keinen Hilfsantrag gestellt hat556. Nach der nun wieder aufgehobenen Vorschrift in § 11 Abs. 4 Satz 6 SaarlPG a.F. durfte der Betroffene im gerichtlichen Verfahren „das Abdruckverlangen“ (gemeint ist die Gegendarstellung) fristunabhängig ändern. Das Unterlassen der Zuleitung einer nachgebesserten Fassung kann aber schuldhaft sein, wenn das LG die Vollstreckung aufgrund berechtigter Rügen im Widerspruchsschriftsatz einstweilen einstellt557. Ist der Einstellungsbeschluss jedoch nicht mit Gründen versehen, besteht keine Veranlassung, eine neue Gegendarstellung zuzuleiten558. Liegen zwischen Einstellung und Zuleitung einer nachgebesserten Fassung etwa zwei Wochen, ist dies unverzüglich559. Im Übrigen bedeutet die Einhaltung prozessualer Fristen nicht, damit sei auch dem Unverzüglichkeitsgebot Rechnung getragen560. Schuldhafte Säumnis des Anwaltes muss der Mandant sich als eigene entgegenhalten lassen561. b) Drei-Monats-Frist
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Neben dem Unverzüglichkeitsgebot fordern die LPG, dass die Gegendarstellung dem Abdruckverpflichteten innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung zugeht (Ausnahme: Bayern und Hessen). Wird diese Frist nicht eingehalten, erlischt der Gegendarstellungsanspruch endgültig. Es ist eine echte Ausschlussfrist. War die Gegendarstellung nicht oder nicht ordnungsgemäß unterzeichnet, ist das Gegendarstellungsverlangen nicht in wirksamer Form geltend gemacht worden. Die Drei-Monats-Frist ist dann also fruchtlos verstrichen. Eine Nachholung der Unterzeichnung ist nicht möglich. Die Frist ist auch zu beachten, wenn in einem gerichtlichen Verfahren eine so stark abgeänderte Formulierung gefordert wird, dass es 553 OLG Hamburg v. 12.3.1981 – 3 U 150/80, AfP 1981, 408, 410; v. 14.4.1994 – 3 U 30/94, NJWRR 1994, 1179; v. 26.9.2000 – 7 U 73/00, NJW-RR 2001, 186; OLG München v. 13.9.1989 – 21 U 3567/89, AfP 1990, 53 – aufgegeben in OLG München v. 18.6.2002 – 21 W 1627/02, AfP 2003, 165 = NJW-RR 2002, 1271; OLG Düsseldorf v. 21.3.2001 – 15 U 285/00, AfP 2001, 327; OLG Koblenz v. 6.5.1997 – 4 U 118/97, NJW-RR 1998, 23; OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340; OLG Dresden v. 3.4.2018 – 4 W 282/18, BeckRS 2018, 5129. 554 OLG Hamburg, ArchPR 1971, 93; LG Frankfurt/M. v. 25.9.2008 – 2-03 O 343/08, AfP 2009, 73. 555 OLG München v. 18.6.2002 – 21 W 1627/02, AfP 2003, 165 = NJW-RR 2002, 1271. 556 OLG Hamburg v. 17.2.1977 – 3 U 148/76, AfP 1978, 158; v. 12.3.1981 – 3 U 150/80, AfP 1981, 408, 410. 557 OLG Hamburg v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 405, 406. 558 OLG Koblenz v. 6.5.1997 – 4 U 118/97, NJW-RR 1998, 23; a.A. OLG Düsseldorf v. 21.3.2001 – 15 U 285/00, AfP 2001, 327. 559 OLG Dresden v. 14.11.1996 – 4 U 2271/96, NJW 1997, 1379. 560 OLG Hamburg v. 12.3.1981 – 3 U 150/80, AfP 1981, 408. 561 OLG Hamburg, ArchPR 1977, 50.
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IX. Zuleitung und Abdruckverlangen
Rz. 162 Kap. 11
sich sachlich um eine neue Gegendarstellung handelt562. Selbständige Kürzungen sind auch noch nach der Drei-Monats-Frist möglich, weil es dann um ein bloßes Minus geht. Die Frist beginnt mit dem Erscheinen, d.h. mit der Verbreitung des Druckwerkes. Ist auf der 159 Druckschrift ein späterer als der tatsächliche Erstverkaufstag genannt, gilt das aufgedruckte Datum563. Der Betroffene muss auf dieses Datum vertrauen können, zumal im Nachhinein u.U. schwer feststellbar ist, zu welcher Zeit mit der Verbreitung tatsächlich begonnen wurde. Nennt aber die Druckschrift einen früheren als den tatsächlichen Erscheinungstermin, gilt der tatsächliche. Die Beweislast für ein behauptetes späteres Erscheinen trägt derjenige, der den Abdruck der Gegendarstellung fordert. 3. Zusatzforderungen und Fristsetzung Mit dem Abdruckverlangen kann die Forderung verbunden werden, die Gegendarstellung 160 nicht nur überhaupt, sondern in pressegemäßer Form abzudrucken, d.h. in der nach Empfang der Gegendarstellung nächstfolgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerkes und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text, und zwar ohne Einschaltungen oder Weglassungen. Enthält das Verlangen den Abdruck betreffende weiter gehende Forderungen, ist es unwirksam. Das gilt insbesondere für die Forderung, die Gegendarstellung solle kommentarlos abgedruckt werden. Da eine solche Forderung in den LPG keine Stütze findet, können die Abdruckverpflichteten den Abdruck im Falle einer solchen Forderung insgesamt verweigern. Ausnahmsweise wird man allerdings das Verlangen anerkennen müssen, die Unterschrift bei der Veröffentlichung wegzulassen (Näheres Rz. 182). Zulässig und insbesondere bei Zeitschriften mit langen Erscheinungsintervallen zweckmäßig 161 ist eine Fristsetzung, d.h. die Aufforderung, der Abdruckverpflichtete solle sich zur Abdruckbereitschaft erklären. An sich sind die Abdruckverpflichteten zwar nur zum Abdruck und nicht auch zur Abgabe von Erklärungen verpflichtet564. Es entspricht aber einer sich aus Treu und Glauben ergebenden Obliegenheit und im übrigen der Verkehrssitte, dass die Abdruckverpflichteten einer solchen Aufforderung entsprechen. Unterlassen sie die rechtzeitige Erklärung, geben sie Anlass zur Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe, so dass § 93 ZPO trotz sofortigen Anerkenntnisses nicht eingreift und die Verfahrenskosten zu Lasten der Abdruckverpflichteten gehen. Die Einhaltung einer gesetzten Frist ist allerdings nur erforderlich, wenn sie angemessen ist. 162 Die Angemessenheit hängt von den Umständen ab565. Wird der Abdruck von einer Tageszeitung gefordert, die auf rasche Maßnahmen eingerichtet sein muss, ist davon auszugehen, dass auch noch am Nachmittag (nach 16:00 Uhr) eine Entscheidung getroffen werden kann, ob der Abdruck in der für den Druck noch nicht abgeschlossenen Ausgabe des Folgetages erfolgen soll. Dementsprechend kann die Zeitung sich jedenfalls dann nicht auf die Kürze einer nach Stunden bemessenen Frist berufen, wenn die Veröffentlichung zum frühestmöglichen Zeitpunkt für den Betroffenen von besonderem Interesse ist. Sollte die Entscheidung ausnahmsweise am gleichen Tage nicht mehr getroffen werden können, muss der Abdruckverpflichtete dies im Einzelnen begründen566. Auch bei einer gegen Mittag angekündigten Gegendarstel562 OLG Celle, BB 1969, 591. 563 LG Hamburg, MDR 1966, 58. 564 KG v. 27.3.2007 – 9 W 45/07, AfP 2007, 245; anders noch KG v. 27.7.2006 – 9 W 65/06, AfP 2006, 476, dazu Himmelsbach AfP 2006, 430 und zutreffend Sedelmeier AfP 2007, 324. 565 LG Hamburg, AfP 1972, 232. 566 OLG Hamburg, AfP 1974, 573.
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Kap. 11 Rz. 163
Gegendarstellungsanspruch
lung ist die einer aktuellen Tageszeitung um 18:00 Uhr bis zum folgenden Tage 10:00 Uhr gesetzte Frist als noch angemessen bezeichnet worden567. Ob die Redaktionskonferenz erst später stattfindet, ist gleichgültig, weil sie für Gegendarstellungsfragen nicht zuständig ist. 163
Unangemessen ist eine nach Stunden bemessene Frist, wenn der Betroffene seinerseits mehrere Tage benötigt hat, um dem Abdruckverpflichteten eine inhaltlich zulässige Gegendarstellung zuzuleiten. Zu berücksichtigen sein kann auch, ob der Betroffene die Zeitung bereits vorab, z.B. per Telefax, von der Gegendarstellungsforderung in einer Weise unterrichtet hat, dass sie sich damit bereits befassen konnte568, oder ob andererseits der Betroffene mehrere Fassungen übersendet, so dass der Abdruckverpflichtete prüfen muss, welche für den Abdruck in Betracht kommt569 oder es sich um eine umfangreiche, insbesondere mehrere Erstäußerungen betreffende Gegendarstellung handelt.
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Nach den Umständen richtet sich auch, ob der Betroffene das Erscheinen der nächsten, für den Abdruck in Betracht kommenden Ausgabe abzuwarten hat, wenn der Abdruckverpflichtete das Abdruckverlangen unbeantwortet lässt. Davon ist i.d.R. bei Tageszeitungen auszugehen570, oder wenn der Betroffene versäumt hat, für die Erklärung eine Frist zu setzen. Hat der Betroffene die Gegendarstellung schon am Vormittag angekündigt, sie alsbald übersandt und eine Erklärungsfrist gesetzt, ohne Antwort zu erhalten, braucht er das Erscheinen der nächstfolgenden Ausgabe nicht abzuwarten, wenn es sich um eine besonders beeinträchtigende Behauptung handelt. Hat die Zeitung die Gegendarstellung in Satz gegeben, die Verständigung des Betroffenen aber verabsäumt, hat sie die Verfahrenskosten zu tragen, wenn der Betroffene ein Verfahren einleitet und anschließend in der Hauptsache für erledigt erklärt571. Voraussetzung ist, dass die Gegendarstellung formal und inhaltlich vollständig ordnungsgemäß ist. Schadensersatz wegen Verzug nach §§ 286 ff. BGB braucht der Abdruckverpflichtete nicht zu leisten, weil es nur eine Obliegenheit, nicht aber eine Pflicht ist, den Einsender zu verbescheiden572.
X. Abdruck der Gegendarstellung 165
Nach § 11 Abs. 3 der LPG muss die Gegendarstellung in der nach dem Empfang der Einsendung nächstfolgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerkes mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen oder Weglassungen abgedruckt werden573. Die Abdruckpflicht erfasst auch die Nebenausgaben, in denen die Erstmitteilung enthalten war. Die Gegendarstellung darf nicht in Form eines Leserbriefes erscheinen (Rz. 172). Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken (Rz. 183). Zu dieser Abdruckpflicht tritt die im Gesetz nicht besonders erwähnte Verbreitungspflicht hinzu574. Die Gegendarstellung ist 567 568 569 570 571 572
OLG Hamburg, ArchPR 1973, 108. OLG Hamburg, AfP 1974, 573, 575. LG Hamburg, AfP 1972, 232. Sedelmeier AfP 2007, 324. LG Hamburg, AfP 1972, 232. AG Berlin-Schöneberg v. 13.1.1987 – 3 C 654/86, AfP 1988, 94; Ausnahmen: Art. 17 Abs. 4 BayRG und Art. 18 Abs. 1 BayMG sehen eine Verbescheidungspflicht vor. 573 Bayern mit Abweichung § 10 Abs. 2; Berlin, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern § 10 Abs. 3, Sachsen § 10 Abs. 4, Brandenburg und Sachsen-Anhalt § 12 Abs. 3, Saarland § 10 Abs. 1 und 2: „unverzüglich … in gleicher Aufmachung anzubieten“. 574 BGH v. 10.3.1964 – VI ZR 83/63, NJW 1964, 1132.
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X. Abdruck der Gegendarstellung
Rz. 168 Kap. 11
also zu veröffentlichen. Bleiben die daran zu stellenden Anforderungen auch nur teilweise unbeachtet, gilt der Anspruch als nicht erfüllt. Es kann erneut Abdruck und Verbreitung gefordert werden575. Das gilt auch, wenn die Gegendarstellung unzulässig glossiert ist576. Die Gegendarstellung muss sogar erneut abgedruckt werden, wenn der Erstabdruck einer zugestellten Beschlussverfügung entspricht, zuvor aber ein abänderndes Urteil ergangen war577. 1. Prüfungsrecht und Prüfungspflicht Die Abdruckpflicht besteht nur, wenn sämtliche formellen und materiellen Anforderungen 166 erfüllt sind. Das Recht des Abdruckverpflichteten, dies zu überprüfen, ist selbstverständlich. Praktische Probleme können sich bezüglich der Unterschrift ergeben. Dazu enthält Art. 10 Abs. 1 Satz 3 BayPrG und nur dieser eine besondere Regelung. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 3 BayPrG kann der Abdruckverpflichtete die Beglaubigung der Unterschrift verlangen, wenn sich begründete Zweifel an der Echtheit ergeben. Diese Regelung ist sachgerecht. Insbesondere ist richtig, die Beglaubigungsforderung nur im Falle begründeter Zweifel anzuerkennen. Anderenfalls könnte der Abdruckverpflichtete stets „Zweifel“ anmelden. Das würde darauf hinauslaufen, dem Betroffenen anraten zu müssen, die Unterschrift stets beglaubigen zu lassen, um der Äußerung von „Zweifeln“ zuvorzukommen. Zu einem solchen Formalismus besteht erfahrungsgemäß keine Veranlassung. Beanstandet der Abdruckverpflichtete die Echtheit der Unterschrift ohne begründeten Anlass, fallen ihm die Verfahrenskosten zur Last, wenn der Betroffene den Gegendarstellungsanspruch rechtshängig macht und der Abdruckverpflichtete ihn infolge zwischenzeitlichen Nachweises der Echtheit sofort anerkennt578. Entsprechend dieser bayerischen Regelung sollte auch in den übrigen Bundesländern verfahren werden. Aus Gründen des Deliktsrechts, insbesondere des Persönlichkeitsschutzes Dritter, ist nicht 167 nur von einem Prüfungsrecht, sondern darüber hinaus von einer im Sinne der Obliegenheit zu verstehenden Pflicht des Abdruckverpflichteten auszugehen, die Ordnungsmäßigkeit einer geforderten Gegendarstellung zu prüfen. Der Verleger und der verantwortliche Redakteur haften grundsätzlich für den gesamten Inhalt der Druckschrift und damit auch für den Inhalt von Gegendarstellungen. Die journalistische Sorgfaltspflicht bezieht sich deswegen auch darauf. Z.B. wäre es im Zweifel persönlichkeitsverletzend, eine Gegendarstellung abzudrucken, die nicht vom Betroffenen, sondern von einem anderen stammt, der nur vorgibt, der Betroffene zu sein. Ebenso unzulässig ist der Abdruck einer Gegendarstellung, die inhaltlich in Rechte Dritter eingreift (Näheres Rz. 103). 2. Nächstfolgende Nummer Das BayPrG und das SMG verlangen unverzüglichen Abdruck. Die übrigen LPG fordern, dass 168 der Abdruck in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer erfolgt. Abdruck an einem bestimmten Tage, z.B. in der Samstagsausgabe, kann nicht verlangt werden579. War aber die Erstmitteilung in einer Wochenendausgabe enthalten, kann Abdruck auch der Gegendarstellung am nächsterreichbaren Wochenende gefordert werden. Dies gilt auch, wenn die betreffende Rubrik nicht dann, sondern während der 575 BGH v. 10.3.1964 – VI ZR 83/63, NJW 1964, 1132 – Uhren-Weiß; OLG Karlsruhe, NJW 1965, 979; OLG Frankfurt, NJW 1965, 2163; OLG München, AfP 1973, 485. 576 OLG Frankfurt, NJW 1965, 2163. 577 OLG Hamburg v. 22.7.1991 – 3 W 73/91, ZUM 1992, 430. 578 Argumentum e contrario aus § 93 ZPO. 579 LG Oldenburg v. 25.11.1985 – 5 O 3418/85, AfP 1986, 84, 85.
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Kap. 11 Rz. 169
Gegendarstellungsanspruch
Woche erscheint580. Ob unter der nächsterreichbaren Ausgabe auch eine (z.B. wegen Streiks erscheinende) Notausgabe anzusehen ist, hängt von ihrem Umfang ab, ferner von der Dringlichkeit der Gegendarstellung. 169
Für den Druck abgeschlossen ist eine Nummer noch nicht mit Redaktionsschluss, sondern erst, wenn der Umbruch bzw. das Layout fertiggestellt ist. Geht die Gegendarstellung während des Umbruchs ein, ist sie noch zu bringen, wenn dies ohne wesentliche technische Schwierigkeiten möglich ist und nicht zu Verzögerungen führt581. Besteht das Druckwerk aus mehreren Teilen, kommt es auf den Abschluss des Teils an, in dem die Gegendarstellung zu erscheinen hat582. Ist dieser Teil bereits für die übernächste Nummer umbrochen, kann Aufnahme erst in die darauffolgende Nummer gefordert werden. Der Betroffene kann aber verlangen, dass die Gegendarstellung in einem anderen, noch nicht fertiggestellten Teil des Druckwerks gebracht wird. Das gilt jedenfalls, wenn das betreffende Publikationsorgan eine Erscheinungsfrequenz von einer Woche oder mehr aufweist583. In der nächsterreichbaren Ausgabe ist die Gegendarstellung auch zu bringen, wenn die Erstmitteilung nur in einer Teilauflage enthalten war, z.B. für das Gebiet Nielsen I, die nächsterreichbare Ausgabe aber keinen solchen Sonderteil enthält, so dass die Gegendarstellung weitere Verbreitung findet als die Erstmitteilung; etwas anderes könnte nur anzunehmen sein, wenn das Erscheinen einer Teilauflage in Kürze bevorsteht, spätestens innerhalb eines Monats584. Beabsichtigt die Redaktion, die Gegendarstellung mit einem längeren Redaktionsschwanz zu versehen, der sich in der nächsterreichbaren Ausgabe nicht mehr unterbringen lässt, ist das kein Grund für eine erst spätere Veröffentlichung585. 3. Gleicher Teil des Druckwerks
170
Die Gegendarstellung ist im gleichen Teil des Druckwerks wie der beanstandete Text abzudrucken. Das LPG Bremen fordert zusätzlich gleichwertige Platzierung. Das SMG enthält eine solche Verpflichtung nicht mehr, sondern fordert nur eine gleiche Aufmachung. Dass auch im Saarland die Gegendarstellung im gleichen Teil enthalten sein muss, ergibt sich aus deren Zweck. Der Zweck der Gegendarstellung wird nur erreicht, wenn sie dort gebracht wird, wo die Leser sie finden. Der Begriff des gleichen Teils ist deswegen grundsätzlich eng zu fassen586. Da die einzelnen Leser i.d.R. an ganz bestimmten Teilen Interesse haben, sind auch Rubriken innerhalb des Nachrichtenteils wie z.B. „Theater“ oder „Die Seite Drei“, als „Teile“ anzusehen, so dass eine Entgegnung darauf ebenfalls unter „Theater“ oder „Die Seite Drei“ zu bringen ist587. Ist eine solche Rubrik in der nächsterreichbaren Ausgabe nicht vorgesehen, muss sie nicht stets eigens für die Gegendarstellung geschaffen und ggf. im Inhaltsverzeichnis oder in sonst üblicher Weise angekündigt werden588. Ausreichend kann auch der Abdruck in dem Teil sein, der nach seinen Inhalt und Charakter am ehesten dem Teil entspricht, in dem
580 581 582 583 584 585 586 587 588
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OLG München v. 19.4.1991 – 21 W 945/91, AfP 1992, 158. OLG München, Ufita 72/1975, 337; Rebmann, § 11 Rz. 31. Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 174. OLG Hamburg, ArchPR 1974, 113; a.A. Soehring/Hoene, § 29 Rz. 52. OLG Hamburg, NJW-RR 1993, 97; ebenso OLG Hamburg v. 21.6.1990 – 3 U 49/90, AfP 1990, 307 betreffend Gegendarstellung gegen Rubrik in Teilausgabe. OLG München, Ufita 72/1975, 337. OLG Hamburg, AfP 1975, 861. OLG Hamburg, AfP 1973, 338; OLG München v. 15.2.2000 – 21 W 637/00, ZUM 2000, 969; Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 174. So noch OLG Hamburg, AfP 1973, 388.
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X. Abdruck der Gegendarstellung
Rz. 171 Kap. 11
die Erstmitteilung abgedruckt war589. Dies gilt auch, wenn eine Rubrik eingestellt wird und künftig vollständig entfällt590. So hielt das OLG Hamburg den Abdruck unter der Rubrik „Politik“ für zulässig, wenn die Erstmitteilung unter „Meinung“ erschienen ist591. Sind keine feststehenden Rubriken vorhanden, ist die Gegendarstellung an sonst gleicher oder gleichwertiger Stelle zu bringen. Mit dem Zuständigkeitsbereich verschiedener verantwortlicher Redakteure kann der Begriff 171 des gleichen Teils nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden592. Ebenso wenig kommt es auf die Seitenzahl an. Die Gegendarstellung darf aber nicht auf Seite 310 einer Ilustrierten erscheinen, wenn die Erstmitteilung auf Seite 3 gebracht worden ist593. Die Titelseite bildet wegen ihres erhöhten Aufmerksamkeitswertes einen besonderen Teil. Entgegnungen auf Titelblatt-Mitteilungen sind deswegen grundsätzlich dort zu bringen. Dadurch wird die Pressefreiheit nicht verletzt. Allerdings darf die Titelseite ihre Funktion nicht verlieren, eine Identifizierung des Blattes zu ermöglichen, die als besonders wichtig erachteten Mitteilungen aufzunehmen und das Interesse des Publikums zu erregen594. Daher kann eine gewisse Reduzierung der Schriftgröße hinzunehmen sein595. Das OLG Karlsruhe596 hat deswegen angeordnet, dass zwei Gegendarstellungen hinsichtlich der identischen Anknüpfungen zusammenzufassen sind und beide Gegendarstellungen zusammen nicht weniger als 150 % der Fläche des angegriffenen Textteils der Erstmitteilung umfassen darf. Die Gegendarstellung darf dadurch aber nicht entwertet werden. Das gilt besonders, wenn der beanstandete Text in der Hauptschlagzeile enthalten war597, speziell wenn er den Hauptvorwurf enthält598. Bei Zeitungen, die üblicherweise gefaltet ausgestellt werden, kann sogar der Anspruch bestehen, die Gegendarstellung in der oberen Hälfte der Titelseite, also „über dem Bruch“, zu bringen. Das hat das LG Hamburg bei der mit 4,5-cm-Buchstaben gebrachten Titelblattschlagzeile „Aids!“ anerkannt599. Durch Behauptungen wie „A’s Freund tot“, „Schrecklich: Noch ein Freund A’s hat Aids“ hatte das Boulevardblatt wahrheitswidrig den Anschein erweckt, A sei homosexuell, er leide an Aids und infiziere seine Freunde. Bei einem solchen Frontalangriff besteht Waffengleichheit nur, wenn die Gegendarstellung so ausgezeichnet wird, dass sie auch bloßen Kioskbetrachtern ins Auge fällt. War die Erstmitteilung oberhalb des Titellogos abgedruckt, ist auch die Gegendarstellung oberhalb des Logos zu bringen600. Bei einem auf eine nachfolgende Seite umlaufenden Artikel ist entscheidend, an welcher Stelle der beanstandete Text bzw. dessen wesentlicher Teil sich befindet601. Eventuell kann es erforderlich sein, auf die im Heftinneren folgende Gegendarstel-
589 590 591 592 593 594 595 596 597 598 599 600 601
OLG Hamburg v. 21.6.1990 – 3 U 49/90, AfP 1990, 308. LG Hamburg v. 14.4.2000 – 324 O 177/00, ZUM-RD 2000, 490, 493. OLG Hamburg v. 2.3.1970 – 6 W 14/70, n.v. OLG München, AfP 1973, 485. LG Hamburg v. 22.10.1975 – 74 O 483/75, n.v. BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381; OLG Karlsruhe v. 11.11.2005 – 14 U 173/05, AfP 2006, 168. OLG Karlsruhe v. 11.11.2005 – 14 U 173/05, AfP 2006, 168; v. 7.7.2006 – 14 U 86/06, AfP 2006, 372; v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267; KG v. 18.12.2008 – 9 U 188/08, NJW-RR 2009, 767; Seitz, Kap. 7 Rz. 19. OLG Karlsruhe v. 7.7.2006 – 14 U 86/06, AfP 2006, 372. OLG Hamburg, AfP 1977, 243. OLG München v. 25.5.1990 – 21 U 3387/90, AfP 1991, 531 – „Staranwalt verletzt Schweigepflicht“. LG Hamburg v. 20.9.1985 – 74 O 337/85, AfP 1987, 631. LG Hamburg v. 13.8.1993 – 24 O 506/93, AfP 1993, 778. LG Hamburg, ArchPR 1973, 106.
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Kap. 11 Rz. 172
Gegendarstellungsanspruch
lung auf der Titelseite hinzuweisen602. Insbesondere wenn ein Beitrag auf der Titelseite schlagwortartig angekündigt wird, kann auch eine Gegenschlagzeile auf der Titelseite in Betracht kommen. Hat der sog. Anreisser keinen Bezug zum Inhalt der verlangten Gegendarstellung, scheidet eine Ankündigung auf dem Titelblatt aus603. Ist die erste Seite eines Zeitungsteils, z.B. des Lokalteils, besonders herausgehoben, sind die für die Titelseite entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden604. In Zweifelsfällen ist es eine Frage der Abwägung, welche Platzierung unter dem Blickwinkel der Waffengleichheit gefordert werden kann. Wurde die Erstmitteilung auch auf einer „Händlerschürze“ aufgestellt, mit der an den Verkaufsstellen für das Druckwerk regelmäßig geworben wird, kann sich der Gegendarstellungsanspruch auch auf diese erstrecken605. 172
Der Abdruck in der Leserbriefspalte ist unzulässig606. Das Verbot gilt auch in Ländern, in denen eine entsprechende ausdrückliche Regelung fehlt (Bayern, Hessen). Es ergibt sich dort aus dem Grundsatz der Waffengleichheit. Unzulässig ist ein dortiger Abdruck auch, wenn der Leserbriefteil mit einer attraktiveren Bezeichnung versehen ist, z.B. mit „Forum“. Ebenso unzulässig wäre die Einrichtung einer besonderen Gegendarstellungsrubik, in der sämtliche Gegendarstellungen unabhängig davon zusammengefasst werden, in welchen Teil sie an sich gehören. Etwas anderes gilt nur, wenn der Betroffene sich mit dem Abdruck in der Leserbriefspalte einverstanden erklärt, was in den LPG Niedersachen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen besonders erwähnt ist. 4. Gleiche Schrift
173
Der Abdruck hat mit gleicher Schrift (§ 10 Abs. 2 SMG: gleiche Aufmachung) wie der beanstandete Text zu erfolgen. Hierunter ist insbesondere Größe und Klarheit zu verstehen. Wegen des allgemeinen Gebotes der Waffengleichheit soll verhindert werden, dass der Zweck der Gegendarstellung durch unscheinbare oder schwer lesbare Wiedergabe vereitelt wird607. Die Forderung ist also nicht schematisch aufzufassen. Entscheidend ist, dass die Gegendarstellung die gleiche Aufmerksamkeit finden kann wie die Erstmitteilung. Danach richtet sich auch die Gestaltung, die bei unterschiedlicher Schriftgröße der Erstmitteilung zu wählen ist. Aus dem Gebot der Waffengleichheit folgt weiter, dass es unzulässig ist, die Forderung gleicher Schriftgröße zwar formal zu erfüllen, die Gegendarstellung aber derart in den Redaktionstext einzuschieben, z.B. in ein Editorial, dass sie darin untergeht. Auch für den flüchtigen Leser muss die Gegendarstellung sich vom redaktionellen Teil hinreichend abheben608. Keine ordnungsgemäße Erfüllung liegt vor, wenn die Erstmitteilung durch Schriftbild, Raum und Fettdruck gegenüber der Erwiderung deutlich hervorgehoben dargestellt wird609.
174
Enthält die Gegendarstellung eine Abbildung, ist diese grundsätzlich gleichfalls in der Technik, Farbe und Größe zu bringen wie die in der Erstmitteilung enthaltene Abbildung610. Ein kleineres Format kann allerdings gerechtfertigt sein, wenn es zu Entgegnungszwecken aus602 603 604 605 606 607 608 609 610
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OLG München v. 25.5.1990 – 21 U 3387/90, AfP 1991, 531. KG v. 9.1.2007 – 9 U 248/06, AfP 2007, 231. OLG München, ArchPR 1972, 102. LG Berlin v. 13.4.1999 – 27 O 190/99, AfP 2000, 98. BGH v. 25.5.1954 – I ZR 211/53, BGHZ 13, 337. OLG Hamburg, AfP 1975, 861. LG Stuttgart, AfP 1975, 921. KG v. 9.1.2007 – 9 U 248/06, AfP 2007, 231. OLG Hamburg v. 2.3.1984 – 3 W 47/84, AfP 1984, 115; Seitz, Kap. 7 Rz. 31.
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X. Abdruck der Gegendarstellung
Rz. 176 Kap. 11
reicht. Werden das Erstmitteilungs- und das Gegenfoto in der Gegendarstellung einander gegenübergestellt, ist das Format grundsätzlich zu halbieren, soweit dadurch die Erkennbarkeit nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Beide Fotos müssen aber im gleichen Format abgedruckt werden611. Bei der Wiedergabe der Überschrift ist zwischen dem bloßen, ggf. mit Zusatz versehenen 175 Wort „Gegendarstellung“ und einer Textüberschrift zu unterscheiden (vgl. Rz. 120 f.). Der Auffassung des OLG Frankfurt612, die Überschrift „Gegendarstellung“ sei kein Bestandteil der Gegendarstellung und dürfe deswegen praktisch beliebig geändert werden, kann nicht gefolgt werden613. Im übrigen anerkennt auch das OLG Hamburg, dass überhaupt eine als Blickfang ausgestaltete Überschrift zu bringen und dass die Verwendung des Wortes „Gegendarstellung“ zweckmäßig ist. Wird lediglich das Wort „Gegendarstellung“ als Überschrift verwendet, kann nicht unbedingt die gleiche Größe der Erstmitteilungsüberschrift gefordert werden614. Das gilt auch, wenn es sich zwar um eine Textüberschrift handelt, aber um eine solche, auf die kein Anspruch besteht (vgl. Rz. 120 f.)615. Hat die Erstmitteilungsüberschrift die entscheidende gegendarstellungsfähige Behauptung enthalten (Minister V. in Millionenskandal verwickelt), kann für die Gegendarstellungsüberschrift grundsätzlich gleiche Größe gefordert werden, allerdings keine Ausgestaltung, bei der die gesamte Titelseite des Blattes praktisch für jeden redaktionellen Text gesperrt ist. Verlangt werden kann aber eine Ausgestaltung, bei der die Gegendarstellungsüberschrift von den redaktionellen Überschriften auf Seite 1 nicht weiter übertroffen, gewissermaßen „erschlagen“ werden. Um Verwechslungen zu vermeiden, kann die Gegendarstellung in einem solchen Falle durch einen Kasten oder in sonstiger Weise vom redaktionellen Text unterscheidbar gemacht werden616. Um eine unzumutbare Beeinträchtigung der Presse zu vermeiden, kann im Einzelfall eine 176 Interessenabwägung erforderlich sein617. Sie kann ergeben, dass die Überschrift „Gegendarstellung“ bei Entgegnung auf einen Leserbrief ausnahmsweise verzichtbar ist618. Bei einem Magazin oder einer Illustrierten ist zu berücksichtigen, dass Titelblatt-Formulierungen häufig weniger als Aussage denn als Ankündigung des Inhaltes verstanden werden619. Deswegen kann der Titelblatthinweis „Caroline dementiert: keine Heiratsabsichten. Siehe Seite 3“ auch ohne die Überschrift „Gegendarstellung“ ausreichen620. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Gegendarstellung die Anknüpfung und die Erstäußerung wiederzugeben hat und insoweit einen größeren Raumbedarf besteht, als für die Eräußerung. Daher ist eine Größenanordnung von „nicht weniger als 120 % der Größe der Erstäußerung“ auch bei Titelblattgegendarstellungen jedenfalls dann möglich, wenn hierdurch höchsten zirka ein Dirttel des Titelblatts be-
611 Seitz, Kap. 7 Rz. 31. 612 OLG Frankfurt v. 8.6.1977 – 16 W 25/77, AfP 1977, 358; ähnlich OLG München, AfP 1973, 485. 613 OLG Düsseldorf v. 16.1.1985 – 15 U 220/84, NJW 1986, 1270; kritisch auch Gehrhardt, AfP 1977, 359. 614 OLG Hamburg, AfP 1975, 861. 615 Ebenso Damm, FS Löffler, 1980, S. 38. 616 OLG Hamburg, AfP 1975, 861 m. Anm. Mathy und Pärn. 617 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW 1998, 1381; OLG Hamburg, AfP 1977, 243; OLG München v. 29.7.1977 – 21 U 2082/77, AfP 1978, 27, 28; OLG Karlsruhe v. 9.9.2015 – 6 U 110/15, AfP 2016, 164. 618 OLG Düsseldorf v. 16.1.1985 – 15 U 220/84, AfP 1985, 68 = NJW 1986, 1270. 619 OLG Hamburg, ArchPR 1977, 52. 620 LG Köln v. 22.7.1992 – 28 O 269/92, AfP 1992, 389.
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Kap. 11 Rz. 177
Gegendarstellungsanspruch
legt wird621. Außerdem kommt es darauf an, ob der betreffende Artikel sich insgesamt oder nur in einem Absatz mit dem Betroffenen befasst hat622. 177
Eine Abweichung von der gerichtlichen Abdruckanordnung hat zur Folge, dass der Anspruch nicht erfüllt wird und die Gegendarstellung erneut abzudrucken ist. Nur geringfügige und technisch unvermeidliche Abweichungen haben aber i.d.R. außer Betracht zu bleiben. Dennoch erneuten Abdruck zu fordern kann rechtsmissbräuchlich sein623. Das gilt insbesondere im Falle einer technisch notwendigen Umgestaltung der Überschrift. 5. Keine Einschaltungen oder Weglassungen
178
Das Gebot der Waffengleichheit fordert, dass der Abdruck ohne Einschaltungen und Weglassungen erfolgt. Der Leser soll die Möglichkeit haben, die Gegendarstellung in der Fassung zu lesen, die der Betroffene ihr gegeben hat. Das Verbot von Einschaltungen und Weglassungen ist streng auszulegen. Auch wenn die Entgegnung auf mehrere Behauptungen zu einem Bündel zusammengefasst ist, hat der Abdruck insgesamt zu erfolgen. Das Bündel aufzulösen, ist die Redaktion ohne Einverständnis des Einsenders nicht berechtigt624. Ebenso unzulässig ist, einzelnen Gegendarstellungspunkten einzelne Erwiderungen synoptisch gegenüberzustellen, wenn dadurch die durchgängige Lektüre der Gegendarstellung beeinträchtigt wird625. Die Geschlossenheit der Gegendarstellung wird auch beeinträchtigt, wenn zwischen die Überschrift „Gegendarstellung“ und den Text die Formulierung eingeschoben wird: „Die Veröffentlichung einer Gegendarstellung muss auch erfolgen, wenn darin unwahre Behauptungen aufgestellt werden. Zu der Glosse … erklärt …“626. Derartige Einschübe sind unzulässig; ebenso eine Umformatierung z.B. Weglassen von Absätzen und Druck in Fließtext, wenn durch die geforderte Gestaltung die Gegensätze zwischen Erstmitteilung und Entgegnung besser zum Ausdruck kommen627. Wird der Name des Einsenders oder die Firma weggelassen und lediglich der Name des Geschäftsführers genannt, so dass der Eindruck entsteht, er habe die Gegendarstellung in eigenem Namen eingesandt, kann das gleichfalls eine zu wiederholtem Abdruck verpflichtende Unzulässigkeit sein, wenn sich nicht aus den Umständen etwas Gegenteiliges ergibt. Zulässig, wenngleich nicht erforderlich, ist es hingegen, Orthographie und Interpunktion zu korrigieren628.
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Ist ein Teil des Textes presserechtlich unzulässig, kann das Blatt die Gegendarstellung insgesamt zurückweisen; den zulässigen Teil herausschälen und gesondert veröffentlichen darf der Abdruckverpflichtete nicht629. Der zulässige Teil darf auch nicht in Form von Zitaten gebracht werden. Wenn das Blatt immerhin einen Teil der Gegendarstellung für so wesent621 OLG Karlsruhe v. 9.9.2015 – 6 U 110/15, AfP 2016, 164. 622 LG Hamburg, ArchPR 1973, 106; zur Rechtslage in Bayern vgl. die Entscheidungen des OLG München, ArchPR 1972, 102; AfP 1972, 483. 623 OLG Hamburg, AfP 1977, 243. 624 OLG Frankfurt, NJW 1965, 2163. 625 OLG Karlsruhe, NJW 1965, 979; BGH v. 31.3.1965 – VI ZR 56/65, NJW 1965, 1230 – Bamfolin. 626 OLG Hamburg, ArchPR 1968, 66; OLG München v. 19.12.2000 – 21 W 3285/00, AfP 2001, 141. 627 OLG München v. 19.12.2000 – 21 W 3285/00, AfP 2001, 141. 628 Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 170. 629 BGH v. 10.3.1964 – VI ZR 83/63, NJW 1964, 1132 – Uhren-Weiß; OLG München v. 26.2.1973 – 21 U 2300/72, AfP 1973, 483; OLG Karlsruhe v. 25.10.2002 – 14 U 67/02, AfP 2003, 439 = NJW-RR 2003, 109.
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X. Abdruck der Gegendarstellung
Rz. 182 Kap. 11
lich hält, dass der Leser ihn erfahren soll, hat es die Möglichkeit, die Gegendarstellung insgesamt abzudrucken, auch wenn es dazu nicht verpflichtet ist. Jedenfalls beseitigt die Veröffentlichung von Zitaten nicht das berechtigte Interesse am Abdruck einer vollständigen Gegendarstellung. Die strengen Anforderungen gelten allerdings nur insoweit, als es sich um die Gegendarstel- 180 lung selbst handelt. Die Überschrift unterliegt anderen Regeln. Insbesondere wenn die Überschrift drucktechnisch nicht verwendbar ist, kann sie abgeändert, eine fehlende kann ergänzt werden. Die Interessen des Einsenders dürfen dadurch nicht berührt werden. Wird die Überschrift „Gegendarstellung“ weggelassen, ist das grundsätzlich der Fall. Nach Meinung des OLG Düsseldorf ist die Weglassung dieser Überschrift aber unerheblich, wenn die Gegendarstellung sich gegen einen Leserbrief wendet630. Nach § 11 Abs. 2 Satz 4 LMG Rh-Pf. muss wer eine durch eine Nachrichtenagentur oder ähn- 181 lichen Dienst (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b und c LMG) verbreitete Tatsachenbehauptung übernommen hat, auch eine hierzu von diesem Dienst veröffentlichte Gegendarstellung übernehmen. Diese Weiterverbreitungsverpflichtung lässt sich nur sinnvoll erfüllen, wenn durch eine Änderung der Anknüpfung ein Bezug zu der eigenen Meldung hergestellt wird. Eine solche Änderung bzw. Einfügung muss also zulässig sein. Dies folgt auch aus dem Umstand, dass es sich bei diesem Anspruch nicht um einen Gegendarstellungsanspruch i.e.S., sondern um die Pflicht zur Weiterverbreitung handelt. 6. Weglassung der Unterschrift Da die Gegendarstellung vom Einsender oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet 182 sein muss (Näheres Rz. 130 ff.), ist die Unterschrift notwendiger Bestandteil der Gegendarstellung. Folglich ist sie mit abzudrucken. Daraus ergibt sich für den Betroffenen ein besonderes Problem, wenn er der mit der Erstmitteilung erkennbar Gemeinte, er aber namentlich nicht erwähnt ist. Sind erhebliche Vorwürfe gegen ihn erhoben, kann der Abdruck einer namentlich gezeichneten Gegendarstellung seine Situation verschlechtern, weil dann auch diejenigen, die die Erstmitteilung nicht auf ihn bezogen haben, Kenntnis von der Personenidentität erlangen. Für einen solchen Fall geht das OLG Bremen davon aus631, der Name des Betroffenen brauche sich aus dem abgedruckten Text nicht notwendigerweise zu ergeben, allerdings bei der Annahme, nach dem LPG Bremen sei Unterzeichnung durch den rechtsgeschäftlichen Vertreter ausreichend. Richtiger Auffassung nach wird das Recht des Betroffenen, den Abdruck unter Weglassung der Unterschrift zu fordern, ganz allgemein unter der Voraussetzung eines berechtigten Interesses anerkannt werden müssen632. Ein solches Interesse wird anzuerkennen sein, wenn der einschließlich Unterschrift erfolgende Abdruck die Beeinträchtigung der Erstmitteilung verstärken kann. Entfällt die Unterschrift beim Abdruck, ist in der Einleitung entsprechend den Angaben in der Erstmitteilung zu umschreiben, von wem die Gegendarstellung stammt633.
630 631 632 633
OLG Düsseldorf v. 16.1.1985 – 15 U 220/84, AfP 1985, 68. OLG Bremen v. 23.1.1978 – 1 W 91/77, AfP 1978, 157. LG Oldenburg, AfP 1985, 289 – Anonymisierung; Seitz, Kap. 7 Rz. 34. OLG München, AfP 1973, 485.
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Kap. 11 Rz. 183
Gegendarstellungsanspruch
7. Redaktionsschwanz 183
Trotz des Verbots von Einschaltungen ist die Redaktion nicht gehindert, sich zur Gegendarstellung zu äußern, z.B. in Form eines sog. Redaktionsschwanzes. Dieses Recht zur Kommentierung ist aber eingeschränkt. Die größte und verfassungsrechtlich nicht unbedenkliche Einschränkung634 enthielt § 11 Abs. 3 SaarlPG a.F. (gültig bis 18.5.2000). Danach waren Zusätze zur Gegendarstellung nicht statthaft. Sofern eine Entgegnung in derselben Nummer oder am selben Tag erschien, musste sie sich auf tatsächliche Angaben beschränken. Nach § 11 Abs. 3 Satz 5 SaarlPG a.F. durfte eine Erwiderung ferner nicht auf derselben Seite erfolgen. Das Bundesverfassungsgericht hat die gegen das saarländische Pressegesetz gerichteten Verfassungsbeschwerden wegen Verstoßes gegen den Subsidiaritätsgrundsatz als unzulässig verworfen635. Diese von 1994 bis 2000 geltenden Restriktionen wurden durch Gesetz v. 1.3.2000 wieder aufgehoben. Auch das neue SMG folgt materiell dem Musterentwurf, der von der überwiegenden Anzahl der Länder übernommen wurde (vgl. Rz. 186).
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Obgleich auch nach § 12 Abs. 3 BgbPG eine Gegendarstellung ohne Zusätze abgedruckt werden muss, ist ein Redaktionsschwanz zulässig636. Dieser ist nach Meinung des OLG Brandenburg kein Zusatz zur Gegendarstellung, wenn er von dem Text der Gegendarstellung deutlich getrennt als redaktionelle Anmerkung gekennzeichnet ist.
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Das BayPG und § 9 RBB-StV enthalten kein Glossierungsverbot. Das OLG München637 entnimmt daher die Grenzen redaktioneller Anmerkungen den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, insbesondere durch Anwendung von §§ 226, 242, 826 BGB. Bezüglich des RBB geht das Kammergericht638 davon aus, dass mangels gesetzlicher Beschränkung Wertungen in einer redaktionellen Anmerkung zu einer Gegendarstellung erlaubt sind. Danach könne allenfalls ausnahmsweise von einer unzulässigen Glossierung ausgegangen werden. Dies sei der Fall, wenn eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles, einschließlich der beteiligten Interessen und Grundrechte, ergebe, dass der Zweck der Gegendarstellung, dem Betroffenen Gehör zu geben und die Öffentlichkeit zu informieren, wegen der Glosse nicht erreicht worden sei. Es meint, aus dem allgemeinen Grundsatz der Waffengleichheit könnten keine weiteren rechtlichen Folgerungen gezogen werden. Dieser Grundsatz folge nämlich seinerseits aus den allgemeinen Regelungen. Dem kann nur hinsichtlich des konkreten Ergebnisses gefolgt werden. Die Herleitung der Grenzen des Glossierungsverbots aus allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen begegnet Bedenken. Zwar hat der Gegendarstellungsanspruch zivilrechtlichen Charakter. Es handelt sich jedoch um einen spezifisch presserechtlichen, gesetzlichen Anspruch sui generis (Rz. 3)639. Die Grenzen des Glossierungsverbotes sind richtigerweise aus den Wurzeln des Gegendarstellungsrechts, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung herzuleiten. Diese finden im Grundsatz der Waffengleichheit ihre spezifische Ausprägung. Der Redaktionsschwanz darf die
634 Soehring/Hoene, § 29 Rz. 59b; Pöppelmann, AfP 1994, 100; Seitz, NJW 1994, 2922; Damm, AfP 1995, 371. 635 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1995/94, NJW 1998, 1385. 636 OLG Brandenburg v. 15.12.1999 – 8 W 577/99, NJW-RR 2000, 832, 833. 637 OLG München v. 20.1.1999 – 21 W 3389/98, NJW-RR 1999, 965. 638 KG v. 27.7.2007 – 9 U 12/07, AfP 2007, 492. 639 Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 44.
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X. Abdruck der Gegendarstellung
Rz. 187 Kap. 11
Gegendarstellung daher nicht entwerten640. Allenfalls ergänzend können allgemeine zivilrechtliche Grundsätze herangezogen werden. Wer sich in den anderen Bundesländern in derselben Nummer zu der Gegendarstellung 186 äußert, muss sich nach § 11 Abs. 3 LPG641 auf tatsächliche Angaben beschränken. Die Beschränkung trifft nicht nur den verantwortlichen Redakteur und den Verleger, sondern jeden, der sich in der gleichen Nummer zu der Gegendarstellung äußert642. Ein Verstoß gegen das Glossierungsverbot kann auch in der Voranstellung der Überschrift der Erstmitteilung liegen, wenn diese als herabsetzendes Werturteil erscheint643. Ist eine Behauptung gerichtlich als unwahr untersagt, darf sie auch in einem Redaktionsschwanz nicht wiederholt werden, auch nicht durch die Bemerkung, die Redaktion bleibe bei ihrer Darstellung644. Wird gegen die Beschränkung des Glossierungsverbots verstoßen, bedeutet der Abdruck 187 keine ordungsgemäße Erfüllung des Gegendarstellungsanspruches; der Abdruck muss wiederholt werden645. Außerdem behandeln die LPG von Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und des Saarlandes einen solchen Verstoß als Ordnungswidrigkeit, die mit Geldbuße geahndet werden kann. Die regelmäßige, etwas abgegriffene Formulierung, die Gegendarstellung müsse ohne Rücksicht auf Wahrheit oder Unwahrheit abgedruckt werden, enthält die Mitteilung einer Rechtstatsache und ist unbedenklich646. Unzulässig ist aber die Behauptung, das Gericht habe die Rundfunkanstalt verurteilt, „folgende Gegendarstellung ohne Rücksicht auf ihren Wahrheitsgehalt zu verlesen“, weil der Tenor der Entscheidung eine solche Bemerkung natürlich nicht enthält647. Wird behauptet, die Gegendarstellung führe die Öffentlichkeit irre, bedeutet dies einen subjektiven Vorwurf, der gleichfalls unzulässig ist und zu erneuter Veröffentlichung verpflichtet648. Erschöpft die Kommentierung sich darin, die Gegendarstellung sei unabhängig von ihrer Wahrheit abzudrucken, löst das keinen erneuten Gegendarstellungsanspruch aus649. Als zulässig wird auch der Hinweis angesehen „Nach dem Sächsischen Pressegesetz sind wir verpflichtet, nicht nur wahre, sondern auch unwahre Gegendarstellungen abzudrucken“650. Keine ordnungsgemäße Erfüllung liegt vor, wenn behauptet wird, der Inhalt sei frei erfunden651 oder ähnliches. Im Übrigen dürfen solche Anmerkungen die Gegendarstellung nicht entwerten652.
640 VerfGH Berlin v. 25.4.2006 – VerfGH 59/06, AfP 2006, 356; KG v. 27.7.2007 – 9 U 12/07, AfP 2007, 492 jeweils zu § 9 RBB-StV; OLG Koblenz v. 13.12.2005 – 4 U 149/05, NJW-RR 2006, 484. 641 Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland § 10 Abs. 2, Sachsen-Anhalt § 10 Abs. 3; Sachsen § 10 Abs. 4; Brandenburg § 12 Abs. 3. 642 Rebmann/Ott/Storz, § 11 LPG Rz. 39; vgl. OLG Brandenburg v. 15.12.1999 – 8 W 577/99, NJWRR 2000, 832; OLG Dresden v. 6.8.2001 – 4 W 1054/01, ZUM 2002, 295. 643 OLG Hamburg v. 10.10.1983 – 3 W 122/83, AfP 1984, 39 – Fidele Ignoranten. 644 OLG Hamburg v. 24.3.1988 – 3 W 31/88, AfP 1989, 464. 645 OLG Frankfurt, NJW 1965, 2163; OLG Hamburg, ArchPR 1971, 91; OLG Brandenburg v. 15.12.1999 – 8 W 577/99, NJW-RR 2000, 832, 833. 646 OLG Dresden v. 6.8.2001 – 4 W 1054/01, AfP 2001, 523 = ZUM 2002, 295. 647 LG Frankfurt v. 21.5.1987 – 2/3 O 72/87, AfP 1987, 723. 648 OLG Hamburg, ArchPR 1971, 91. 649 OLG Stuttgart v. 23.7.1986 – 4 U 124/86, AfP 1987, 420. 650 OLG Dresden, AfP 2001, 532; v. 27.3.2013 – 4 W 295/13, MDR 2013, 714 = AfP 2014, 334, nicht unbedenklich; krit. Seitz, Kap. 7 Rz. 38. 651 OLG Stuttgart v. 23.7.1986 – 4 U 124/86, AfP 1987, 420. 652 OLG Koblenz v. 13.12.2005 – 4 U 149/05, NJW-RR 2006, 484.
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Kap. 11 Rz. 188
Gegendarstellungsanspruch
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Macht der Betroffene neben dem Gegendarstellungs- auch einen Widerrufsanspruch geltend, kann es sich aus der Sicht des Blattes empfehlen, die Gegendarstellung mit einem zustimmenden Redaktionsschwanz zu versehen. Diese Zustimmung kann das berechtigte Interesse an einem zusätzlichen Widerruf wie auch die Wiederholungsgefahr für einen Unterlassungsanspruch entfallen lassen. Jedenfalls empfiehlt sich kein die Richtigkeit der Gegendarstellung in Zweifel ziehender Redaktionsschwanz, der den Betroffenen zur Durchsetzung seiner zusätzlichen Widerrufsforderung besonders animiert.
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Werden im Redaktionsschwanz neue Behauptungen aufgestellt, sind diese grundsätzlich wiederum gegendarstellungsfähig653. Heißt es im Redaktionsschwanz, die in der Gegendarstellung als nicht aufgestellt bezeichnete Behauptung hätten auch andere verbreitet, kann der Betroffene entgegnen, das sei falsch. Er kann aber nicht die in der Gegendarstellung geleugnete Behauptung nunmehr zugeben, sie aber jetzt als unwahr bezeichnen und damit ein neues Thema anschneiden654. Wird in einem Redaktionsschwanz zu Belegtatsachen Stellung genommen, z.B. zu in der Gegendarstellung angeführten wissenschaftlichen Äußerungen, betrifft diese Stellungnahme den Einsender im Zweifel nicht unmittelbar. Die unmittelbare Betroffenheit des Einsenders fehlt jedenfalls, wenn der Redaktionsschwanz sich darauf beschränkt, den in der Gegendarstellung enthaltenen wissenschaftlichen Äußerungen wissenschaftliche Gegenmeinungen gegenüberzustellen. In diesem Fall kann der Einsender auf den Redaktionsschwanz nicht erneut entgegnen, insbesondere nicht durch Heranziehung zusätzlicher wissenschaftlicher Äußerungen, zumal das auf ein akademisches Streitgespräch hinausliefe, zu dem das Gegendarstellungsrecht keine Möglichkeit bietet. Die Kommentierung der Gegendarstellung durch Anführung wissenschaftlicher Gegenmeinungen kann aber als unzulässige meinungsmäßige Kommentierung mit der Folge anzusehen sein, dass der ursprüngliche Gegendarstellungsanspruch nicht ordnungsgemäß erfüllt worden ist, so dass die Ursprungsgegendarstellung erneut gebracht werden muss.
190
Im Fernsehen während der Verlesung eines Redaktionsschwanzes die Stellungnahme eines wissenschaftlichen Institutes einzublenden vermittelt den Eindruck, die Erstmitteilung und ihre Verteidigung durch den Redaktionsschwanz seien „wissenschaftlich erwiesen“. Der Gegendarstellungs-Standpunkt sei also verfehlt und nicht ernstzunehmen. Eine solche Gestaltung des Redaktionsschwanzes verstößt gegen den Grundsatz der Waffengleichheit. Das ist unabhängig davon der Fall, ob der Zuschauer die Stellungnahme bzw. markierte Stellen zu lesen vermag. Der Anspruch ist nicht ordnungsgemäß erfüllt. Die Gegendarstellung muss erneut ausgestrahlt werden655. Die redaktionelle Ergänzung darf die Gegendarstellung nicht entwerten. Dies z.B. der Fall, wenn nach dem Verlesen einer Gegendarstellung der Moderator eine nahezu doppelt so lange Erklärung der Redaktion vorträgt, wodurch der Eindruck erzeugt wird, die Gegendarstellung sei unwahr, obgleich hierzu konkrete Fakten nicht genannt werden656.
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Im Rahmen von Treu und Glauben und der sich aus dem Grundsatz der Waffengleichheit ergebenden Anforderungen ist dem Abdruckverpflichteten die drucktechnische Gestaltung eines Redaktionsschwanzes freigestellt. Nach Auffassung des OLG Hamburg657 ist der Gegendarstellungsanspruch auch als erfüllt anzusehen, wenn Gegendarstellung und Redaktions653 654 655 656 657
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Löffler/Sedelmeier § 11 Rz. 172. LG Oldenburg v. 5.11.1985 – 5 O 3335/85, AfP 1986, 80. LG Frankfurt v. 21.5.1987 – 2/3 O 72/87, AfP 1987, 723. OLG Koblenz v. 13.12.2005 – 4 U 149/05, NJW-RR 2006, 484. OLG Hamburg, ArchPR 1976, 56.
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X. Abdruck der Gegendarstellung
Rz. 193 Kap. 11
schwanz sich in einem gemeinsamen Kasten mit der drucktechnisch stark hervorgehobenen Überschrift befinden „Eine Gegendarstellung – und was davon zu halten ist“ und innerhalb des Kastens zunächst darauf hingewiesen wird, das Blatt sei zum Abdruck der Gegendarstellung ohne Rücksicht auf deren Wahrheitsgehalt verpflichtet. Anders verhält es sich, wenn der Text der Gegendarstellung mit drucktechnischen Mitteln derart „erschlagen“ wird, dass die Aufmerksamkeit des Lesers vom Gegendarstellungstext gänzlich abgelenkt ist oder er ihn übersieht bzw. nicht als Gegendarstellung wahrnimmt. 8. Hinweis im Inhaltsverzeichnis Entsprechend OLG Hamburg658 erfordert der Grundsatz der Waffengleichheit auch, dass das 192 betreffende Blatt die Gegendarstellung auf Verlangen des Betroffenen in das Inhaltsverzeichnis aufnimmt, wenn der beanstandete Artikel ebenfalls mit Überschrift oder Themenangabe enthalten war. Bei entsprechendem Verlangen ist auf die Gegendarstellung unter Angabe des thematischen Bezuges und in gleicher Schriftgröße und Auszeichnung in der Rubrik hinzuweisen, in der die Erstmitteilung enthalten war, auch wenn der Abdruck in einem anderen Teil erfolgt. Eine solche Anordnung kann das Gericht auch ohne ausdrücklichen Antrag treffen659. Nach OLG München660 besteht keine Verpflichtung zu einem solchen Hinweis, wenn das Inhaltsverzeichnis ohnehin unvollständig ist und die Leser ihre Auswahl danach nicht zu treffen pflegen, insbesondere wenn die Gegendarstellung sich lediglich gegen einen kurzen Abschnitt eines sehr ausführlichen Berichtes wendet. Das OLG München nimmt ferner an, dass eine Ankündigung im Inhaltsverzeichnis nur geboten ist, wenn die beanstandete Äußerung selbst dort aufgeführt war661. Dem kann nicht gefolgt werden. Diese Auffassung würde bedeuten, dass eine Ankündigung im Inhaltsverzeichnis im Ergebnis nur gefordert werden könnte, wenn die Erstankündigung ihrerseits gegendarstellungsfähig ist. Ein solches Erfordernis ist aus dem Grundsatz der Waffengleichheit jedoch nicht herzuleiten. Das Inhaltsverzeichnis soll es dem Leser erleichtern, Artikel, die ihn besonders interessieren, leicht aufzufinden. Diese Funktion kann es insbesondere bei umfangreichen Druckwerken nur erfüllen, wenn nach Ankündigung der Erstäußerung auch die Entgegnung entsprechend angekündigt wird662. Unterbleibt ein vom Gericht angeordneter Hinweis im Inhaltsverzeichnis, muss die Gegendarstellung erneut abgedruckt werden663. 9. Umfang der Verbreitung Die Gegendarstellung ist nicht nur abzudrucken, sondern auch zu verbreiten. Der Umfang 193 der Abdruck- und Verbreitungspflicht richtet sich nach dem Verbreitungsumfang der angegriffenen Behauptung. War sie auch in einer Nebenausgabe enthalten, muss die Gegendarstellung ebenfalls in den Nebenausgaben verbreitet werden (§ 11 Abs. 1 Satz 2 LPG). Dies gilt auch für Bayern, wo eine ausdrückliche Regelung fehlt664. Extrablätter sind Ausgaben des jeweiligen Druckwerks. Die Gegendarstellung ist in der nächstfolgenden Ausgabe des Druckwerks abzudrucken, auch wenn es sich hierbei wie zumeist nicht um ein Extrablatt handelt. Ein Anspruch auf Herstellung eines weiteren Extrablatts besteht nicht. Jedoch ist im Rah658 659 660 661 662 663 664
OLG Hamburg, ArchPR 1974, 113, 114; v. 27.10.2009 – 7 U 39/09, AfP 2010, 580. OLG Hamburg, ArchPR 1975, 44. OLG München, ArchPR 1974, 112. OLG München v. 10.5.1995 – 21 U 1930/95, AfP 1995, 667 = NJW 1995, 2297. OLG Hamburg v. 27.10.2009 – 7 U 39/09, AfP 2010, 580. OLG Hamburg v. 22.7.1991 – 3 W 73/91, AfP 1992, 278. Vgl. OLG München v. 21.5.2003 – 21 W 1372/03, AfP 2003, 458.
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Kap. 11 Rz. 194
Gegendarstellungsanspruch
men der Abdruckanordnung zu berücksichtigen, dass die Erstmitteilung in einem Extrablatt veröffentlicht wurde. Entsprechendes muss gelten, wenn die Erstäußerung in einer einmaligen, aber dem Hauptdruckwerk zuzurechnenden Beilage enthalten war. Wurde eine Ausgabe einer bundesweit verbreiteten Zeitung eingestellt, kann ein Anspruch auf Abdruck in einer anderen Ausgabe der Zeitung bestehen, auch wenn hierdurch ein teilweise anderer, weiterer Empfängerkeis angesprochen wird665. Eine gestiegene Auflage ändert nichts daran, dass die Gegendarstellung in sämtlichen Exemplaren zu erscheinen hat. Andererseits kann bei gesunkener Auflage regelmäßig nicht verlangt werden, dass zusätzliche Exemplare gedruckt und in den Handel gebracht werden. Ist aber ein Teil der die Gegendarstellung enthaltenden Auflage beschlagnahmt worden, kann erneute Veröffentlichung in der nächstfolgenden Nummer gefordert werden666. Hat der Verlag die Ausgabe mit den beanstandeten Behauptungen einem besonderen Empfängerkreis zugeleitet, hängt von den Umständen ab, ob der Betroffene verlangen kann, dass die Gegendarstellungsausgabe diesem Empfängerkreis ebenfalls zugestellt wird. Hierbei handelt es sich der Sache nach um einen Beseitigungsanspruch, der zumindest anzuerkennen ist, wenn die Erstmitteilung eine unerlaubte Handlung war. 194
Eine Besonderheit besteht in Rheinland-Pfalz. Dort muss jedes Unternehmen, das eine durch eine Nachrichtenagentur oder ähnlichen Dienst (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b und c LMG) verbreitete Tatsachenbehauptung übernommen hat, auch eine hierzu von diesem Dienst veröffentlichte Gegendarstellung übernehmen (§ 11 Abs. 2 Satz 4 LMG). 10. Kosten des Abdrucks
195
Abdruck und Verbreitung der Gegendarstellung sind in allen Bundesländern grundsätzlich kostenfrei. Einschränkungen sind lediglich in Bayern (Einrückungsgebühren, wenn Gegendarstellung den beanstandeten Text wesentlich überschreitet)667 und in Hessen vorgesehen (wenn Gegendarstellung beanstandeten Text überschreitet). Kostenpflichtig ist nur der darüber hinausgehende Teil. In Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, MecklenburgVorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen gilt die jeweilige Kostenfreiheitsregelung auch, wenn auf eine Behauptung entgegnet wird, die in einer Anzeige enthalten war. In Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, SchleswigHolstein und Thüringen sind in diesem Fall die üblichen Einrückungsgebühren zu zahlen. Hat das Blatt keinen Annoncenteil, so gilt der ihrer Auflagenhöhe entsprechende ortsübliche Tarif668. Besteht Kostenpflicht, ist davon auszugehen, dass der Einsender vorleistungspflichtig ist. 11. Erstattung von Anwaltskosten
196
Da der Gegendarstellungsanspruch keine Rechtsverletzung voraussetzt, braucht der Abdruckverpflichtete Anwaltskosten des Betroffenen grundsätzlich nicht zu erstatten. Eine Kostenerstattung sehen die Gegendarstellungsregelungen nicht vor. Ist aber die Darstellung, auf die entgegnet wird, im konkreten Fall eine schuldhafte unerlaubte Handlung, kann der Betroffene
665 OLG München v. 21.5.2003 – 21 W 1372/03, AfP 2003, 458. 666 BGH v. 10.3.1964 – VI ZR 83/63, NJW 1964, 1132, 1134 – Uhren-Weiß. 667 OLG München v. 10.12.1997 – 21 U 5795/97, AfP 1999, 72 – Birgenair; v. 22.8.2017 – 18 U 1632/17, AfP 2017, 499. 668 Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 136.
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X. Abdruck der Gegendarstellung
Rz. 196 Kap. 11
die Erstattung notwendiger Anwaltskosten als Schadensersatz verlangen669. Nicht erstattungsfähig sind Anwaltskosten, wenn die verlangte Gegendarstellung nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht670. Zwar ist die Erstveröffentlichung die zum Schadenersatz verpflichtende Handlung. Formuliert und verlangt ein Anwalt jedoch schuldhaft eine nicht veröffentlichungsfähige Gegendarstellung, erfüllt er seine Leistungsverpflichtung nicht. Sein Honoraranspruch entfällt. Damit ist auch kein ersatzfähiger Schaden beim Betroffenen entstanden671. Dies verkennt das LG Berlin672, das darauf abstellt, dass eine abdruckfähige Gegendarstellung noch hätte nachgereicht werden können. Ist die Gegendarstellung nicht veröffentlichungsfähig, weil der Betroffene seinen Anwalt nicht hinreichend informiert hat oder eine über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus gehende Gegendarstellung verlangt, sind die Anwaltskosten nicht zur Beseitigung des Schadens erforderlich. Jedenfalls verletzt der Betroffene seine Schadensminderungspflicht. Gleiches gilt, wenn der Betroffene einzuhaltende Fristen überschreitet und daher ein Anspruch ausscheidet673. Wegen des streng formalen Charakters, der auch in dem Alles-oder-Nichts-Prinzip seinen Ausdruck findet, entfällt die Erstattungspflicht674. Als grundsätzlich erstattungsfähig kommen die Kosten wegen der Formulierung der Gegendarstellung in Betracht. Infolge der Schwierigkeit der Materie675 kann der Anwalt i.d.R. eine 1,5 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG676 aus einem Streitwert fordern, der der Bedeutung der Sache entspricht677. Der Gegenstandswert einer Gegendarstellung gegen eine Printveröffentlichung und gegen eine inhaltsgleiche Online-Veröffentlichung ist grds. der selbe678. Bedarf es einer Neufassung der Gegendarstellung aufgrund von Umständen, die der Anwalt nicht zu vertreten hat, steht ihm ein weiteres Honorar zu, das aber nicht erstattungsfähig ist. Außerdem sind die Kosten des Abdruckverlangens zu erstatten (i.d.R. 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG). Insoweit handelt es sich jedoch um eine Angelegenheit, so dass die Gegenstandswerte zu addieren und hieraus die Gebühr zu berechnen ist. Gerät der Abdruckverpflichtete in Verzug, kann der Betroffene die Erstattung der Kosten eines erneuten Abdruckverlangens als Verzugsschaden auch fordern, auch wenn die Erstmitteilung rechtmäßig war679. Lässt der Abdruckverpflichtete ein berechtigtes Abdruckverlangen mit angemessener Fristsetzung unbeantwortet, wird er gleichwohl nicht schadensersatzpflichtig680. Er gibt dann lediglich Anlass zur Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe, so dass § 93 ZPO auch bei sofortigem Anerkenntnis nicht eingreift. Umgekehrt besteht auch kein Kostenerstattungsanspruch für die Abwehr einer unberechtigten Gegendarstellungsforderung. Dies gilt auch, wenn der Verpflichtete sich anwaltlicher Hilfe bedient und ihm hierfür Kosten entstehen. Mangels Vergleichbarkeit sind auch die durch die Rechtsprechung entwickelten 669 BGH v. 27.5.2014 – VI ZR 153/13, MDR 2014, 1026 = IPRB 2015, 29 = AfP 2014, 449; v. 17.11.2015 – VI ZR 492/14, MDR 2016, 110 = IPRB 2016, 51; OLG Saarbrücken v. 12.2.1997 – 1 U 515/96-87, NJW 1997, 1376, 1379; LG Hamburg v. 28.9.1990 – 324 O 351/90, AfP 1990, 332. 670 OLG München v. 22.10.2003 – 21 U 2540/03, ZUM 2004, 230; KG v. 21.11.2013 – 10 U 69/13; LG Berlin v. 4.11.2014 – 27 S 8/14. 671 OLG München v. 22.10.2003 – 21 U 2540/03, ZUM 2004, 230. 672 LG Berlin v. 9.10.1997 – 27 O 349/97, NJW-RR 1998, 316. 673 OLG München v. 22.10.2003 – 21 U 2540/03, ZUM 2004, 230. 674 A.A. Prinz/Peters, Rz. 935. 675 Vgl. BGH v. 8.5.2012 – VI ZR 273/11, MDR 2012, 810 = NJW-RR 2012, 887. 676 BGH v. 17.11.2015 – VI ZR 492/14, AfP 2016, 75 = MDR 2016, 110 = IPRB 2016, 51. 677 Im Regelfall zwischen 10 000 Euro und 40 000 Euro. 678 KG v. 8.11.2012 – 10 W 81/12, AfP 2013, 65. 679 So auch Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 228; Seitz, Kap. 8 Rz. 42. 680 AG Berlin-Schöneberg v. 13.1.1987 – 3 C 654/86, AfP 1988, 94; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 180, 228; a.A. AG Hamburg v. 2.3.1993 – 36a C 485/92, AfP 1994, 169; Seitz, Kap. 8 Rz. 42.
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Kap. 11 Rz. 197
Gegendarstellungsanspruch
Grundsätze zur Ersatzpflicht bei unberechtigter Schutzrechtsverwarnung nicht heranzuziehen681. Die rechtliche Prüfung einer Gegendarstellung lässt jedenfalls eine 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG entstehen. Ob die Prüfung und Zurückweisung einer Gegendarstellung stets von gleicher rechtlicher Schwierigkeit ist, wie deren Formulierung, ist fraglich und hängt vom Einzelfall ab. 197
Werden mehrere äußerungsrechtliche Ansprüche geltend gemacht, sind in der Regel Unterlassungs-, Richtigstellungs- und Gegendarstellungsansprüche unterschiedliche Angelegenheiten i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG682. Je nach den Umständen des Einzelfalls können jedoch für und gegen mehrere Personen geltend gemachte Gegendarstellungsansprüche eine Angelegenheit darstellen683. Wird zunächst eine mehrgliedrige Gegendarstellung verlangt, von der nur einzelne Punkte veröffentlicht werden und verfolgt der Anspruchsberechtigte die noch offenen Punkte unverändert weiter, handelt es sich um eine Angelegenheit und noch den selben (Teil)Gegenstand684. 12. Datenschutzrechtliche Aufbewahrungspflicht
197a
Neuere datenschutzrechtliche Vorschriften sehen auch für die Presse685 vor, dass Gegendarstellungen des Betroffenen aufzubewahren sind. Voraussetzung ist, dass die jounalistisch-redaktionelle Verarbeitung personenbezogener Daten zu der Gegendarstellung geführt hat. Die Gegendarstellung ist dann solange aufzubewahren wie die gespeicherten Daten und bei einer Übermittlung der Daten gemeinsam mit diesen zu übermitteln.
XI. Zurückweisung des Abdruckverlangens 1. Keine Pflicht zur Formulierungshilfe 198
Der Gegendarstellungsanspruch setzt voraus, dass dem Abdruckverpflichteten fristgerecht eine ordnungsgemäße Gegendarstellung zugeleitet worden ist. Die Gegendarstellung muss den presserechtlichen Anforderungen in jeder Hinsicht genügen. Sie darf also nur auf tatsächliche Angaben entgegnen und hat sich auch ihrerseits auf Tatsachenbehauptungen zu beschränken (Rz. 97). Sie darf keinen strafbaren Inhalt haben (Rz. 103) und den zulässigen Umfang nicht überschreiten (Rz. 122). Sie muss schriftlich abgefasst und vom Betroffenen oder dessen gesetzlichem Vertreter unterzeichnet sein (Rz. 130 ff.). Fehlt auch nur eines dieser Erfordernisse, kann die Gegendarstellung insgesamt zurückgewiesen werden. Es gilt das „Alles-oder-NichtsPrinzip“. Das gilt auch, wenn die Gegendarstellung aus einem Gemisch zulässiger Angaben und unzulässiger Formulierung besteht. Verantwortlicher Redakteur und Verleger sind weder verpflichtet noch auch nur berechtigt, den zulässigen Teil herauszuschälen und abzudrucken. Das Verlangen, die Gegendarstellung abzudrucken, kann vielmehr insgesamt zurück-
681 Vgl. BGH v. 20.1.2011 – I ZR 31/10, BeckRS 2011, 03867. 682 BGH v. 3.8.2010 – VI ZR 113/09, CR 2010, 668 = MDR 2010, 1155 = NJW 2010, 3037; v. 17.11.2015 – VI ZR 492/14, MDR 2016, 110 = IPRB 2016, 51 = AfP 2016, 75; Frauenschuh, AfP 2014, 410; Soehring/Hoene, § 29 Rz. 49; krit. Schlüter/Soehring AfP 2011, 317. 683 BGH v. 1.3.2011 – VI ZR 127/10, AfP 2011, 184 = CR 2011, 396 = ITRB 2011, 123 = NJW 2011, 2591; v. 21.6.2011 – VI ZR 73/10, AfP 2011, 360 = MDR 2011, 949 = NJW 2011, 3167. 684 BGH v. 22.3.2011 – VI ZR 63/10, AfP 2011, 262 = NJW 2011, 2509. 685 Z.B. § 12 Abs. 3 PresseG Baden-Württemberg.
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XI. Zurückweisung des Abdruckverlangens
Rz. 199 Kap. 11
gewiesen werden686. Greift der Betroffene mehrere Artikel mit verschiedenen Aussagen an indem er zwei mögliche Gegendarstellungen zu einer mit getrennten Abschnitten für jeden der Ausgangsartikel zusammenfasst, ist das Alles-oder-Nichts-Prinzip nur für den jeweiligen Abschnitt anwendbar. Da es sich in Wahrheit um zwei Gegendarstellungen handelt, führt ein Fehler in einem Abschnitt nicht zur Unzulässigkeit der Gegendarstellung im anderen Abschnitt687. Die in den früheren Entscheidungen des OLG Frankfurt688sowie von Greif689 vertretene Auffassung, der Publizist sei verpflichtet, bei der Abfassung einer ordnungsmäßigen Gegendarstellung aktiv mitzuwirken, hat sich nicht durchgesetzt. Das OLG Frankfurt ist davon auch selbst abgegangen690. Kein Recht zur Zurückweisung besteht aber, wenn der Einsender den Abdruckverpflichteten auffordert, von den insgesamt 15 Gegendarstellungspunkten sollten zunächst die 12 „unstreitigen“ gebracht werden, damit deren Abdruck wegen des Streites über die drei restlichen Punkte nicht verzögert werde691. Zu diesem Ergebnis gelangt man allerdings nur auf der Grundlage der Bündelungstheorie (Näheres s. Rz. 28). Zur Änderung im gerichtlichen Verfahren vgl. Rz. 243. 2. Frage der Darlegungslast Bestritten ist, ob die Abdruckverpflichteten zwar keine Mitwirkungspflicht trifft, wohl aber 199 im Fall der Zurückweisung eine Darlegungslast bezüglich der Gründe für die Anspruchsverweigerung. Eine solche aus Treu und Glauben abgeleitete Darlegungslast wird insbesonderein älterer Rechtsprechung und Literatur bejaht. Danach sind die Abdruckverpflichteten zwar nicht gehalten, die Ablehnung im Einzelnen zu erläutern, wohl aber dem Einsender den oder die Gesichtspunkte mitzuteilen, auf die die Verweigerung gestützt wird692. Das OLG München693 und das OLG Düsseldorf694 gingen davon aus, dass die Abdruckverpflichteten im Verfahren mit formellen und inhaltlichen Rügen ausgeschlossen sind, wenn sie diese nicht schon vorprozessual geltend gemacht haben. Das OLG Stuttgart hat die Abdruckverpflichteten als kostentragungspflichtig betrachtet695, wenn sie den Abdruck ohne Angabe von Gründen verweigern, der Betroffene daraufhin einen Verfügungsantrag stellt, den vorhandenen Mangel während des Verfahrens beseitigt und die Abdruckverpflichteten daraufhin anerkennen. Das
686 Allg. Meinung; vgl. BayVerfGH v. 8.7.2009 – Vf. 20-VI-08, BayVBl 2010, 369; OLG München v. 13.2.1987 – 21 U 5627/86, AfP 1987, 604 = NJW 1988, 349, 350; OLG Celle, NJW 1963, 1767; OLG Düsseldorf, AfP 1972, 281; v. 21.3.2001 – 15 U 285/00, AfP 2001, 327; v. 20.2.2008 – I-15 U 176/07, AfP 2008, 208; v. 4.6.2008 – I-15 W 45/08, AfP 2008, 523; OLG Hamburg v. 2.4.1981 – 3 U 143/80, AfP 1981, 410; v. 24.3.1988 – 3 U 19/88, AfP 1989, 465, 466; OLG Köln v. 4.4.2000 – 15 U 172/99, NJW-RR 2001, 337, 338; OLG Stuttgart v. 8.6.2000 – 4 W 26/2000, ZUM 2000, 773, 774; OLG Karlsruhe v. 25.10.2002 – 14 U 67/0, AfP 2003, 4392, NJW-RR 2003, 109; OLG Celle v. 22.1.2009 – 13 W 135/08, AfP 2010, 475; OLG Jena v. 4.11.1993 – 1 U 372/93, OLG-NL 1994, 58; LG Berlin v. 17.4.2008 – 27 O 290/08, AfP 2008, 532; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 180. 687 OLG München v. 5.7.2002 – 21 U 2390/02, ZUM-RD 2002, 471. 688 OLG Frankfurt NJW 1950, 270; NJW 1953, 1068. 689 Greif, NJW 1956, 384 und NJW 1962, 905. 690 OLG Frankfurt, ArchPR 1977, 45. 691 OLG Stuttgart v. 23.7.1986 – 4 U 124/86, AfP 1987, 420. 692 Sarstedt, entsprechend Bericht Studienkreis, NJW 1962, 905; Koebel, NJW 1963, 790; Mathy, AfP 1971, 158; Seitz/Schmidt/Schoener, 3. Aufl., Rz. 463 f. 693 OLG München, ArchPR 1969, 76. 694 OLG Düsseldorf, NJW 1970, 760. 695 OLG Stuttgart, AfP 1979, 363.
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Kap. 11 Rz. 200
Gegendarstellungsanspruch
AG Hamburg696 leitet aus einer Analogie zum Wettbewerbsrecht697 Aufklärungs- und Antwortpflichten ab. Danach muss der Verpflichtete jedenfalls mitteilen, ob er den geltend gemachten Anspruch anerkennt698. Sonderregelungen bestehen für den Rundfunk in Bayern. Nach Art. 17 Abs. 4 BayRG und Art. 18 Abs. 1 BayMG ist eine ablehnende Entscheidung dem Antragsteller unter Angabe der Gründe schriftlich zuzustellen. 200
Gegen diese Auffassung wendet sich insbesondere Sedelmeier699. Er lehnt jedwede Darlegungslast des Verpflichteten aus der Erwägung ab, dass ohne Zugang einer abdruckfähigen Gegendarstellung kein Anspruch besteht und es nicht Aufgabe der Presse sein könne, durch Rechtsberatung des Gegners einen Rechtsanspruch gegen sich selbst erst zu erzeugen. Soehring700 weist darauf hin, dass unserem Recht es auch ansonsten fremd sei, einen leistungsunwilligen Schuldner zu verpflichten, seine Leistungsunwilligkeit außerhalb gerichtlicher Verfahren zu begründen. Insbesondere soweit bereits Formerfordernisse wie z.B. ordnungsgemäße Unterzeichnung der Gegendarstellung nicht erfüllt sind oder die Gegendarstellung an sonstigen groben, ohne weiteres erkennbaren Mängeln leidet, braucht der Verpflichtete den Betroffenen auf Fehler nicht hinzuweisen701. Schon dem Grunde nach trifft den Verpflichteten keine Erklärungspflicht (Rz. 160 ff.)702. Soweit ausnahmsweise eine Obliegenheit zur Antwort anzunehmen ist, kommt diese nur bei Vorliegen einer vollständig formal und inhaltlich ordnungsgemäßen Gegendarstellung in Betracht703. Hinzu kommt, dass die Abdruckverpflichteten bzw. ihre Rechtsvertreter durchgreifende Ablehnungsgründe u.U. auch selbst erst nachträglich entdecken704. Keinerlei Antwortpflicht nimmt auch das AG Berlin-Schöneberg an705. Eine mittlere Linie verfolgt das OLG Hamburg706. Dem Grundsatz nach lehnt es zwar Rechtsfolgen einer unterlassenen Aufklärung ab; die Möglichkeit von Ausnahmen lässt es aber offen, wobei es insbesondere an die Nichtbeachtung von Formalien seitens rechtsungewandter Einsender denkt.
201
Für den konsequenten Standpunkt Sedelmeiers spricht die Klarheit. Auch haben es die Gesetzgeber in der Hand, eine den Art. 17 Abs. 4 BayRG und Art. 18 Abs. 1 BayMG entsprechende gesetzliche Verbescheidungspflicht vorzusehen707. Fehlt eine solche sind zwar Abdruckverpflichtete mit keinerlei Risiko belastet, wenn sie einen zu Änderungen und Konzessionen bereiten Betroffenen im Dunkeln darüber lassen, was sie in der im Zweifel dann unvermeidlichen gerichtlichen Auseinandersetzung vorzubringen gedenken. Im Einzelfall kann das dazu führen, dass das Gegendarstellungsrecht sich immer weiter von dem entfernt, was damit ursprünglich beabsichtigt war, nämlich dem durch eine Tatsachenbehauptung Betroffenen im 696 AG Hamburg v. 2.3.1993 – 36a C 485/92, AfP 1994, 169. 697 Vgl. BGH v. 19.6.1986 – I ZR 65/84, MDR 1987, 24 = NJW-RR 1987, 225; v. 19.10.1989 – I ZR 63/88, MDR 1990, 508 = CR 1990, 403 = NJW 1990, 1905. 698 Gegen diese Analogie zutreffend Soehring/Hoene, § 29 Rz. 34d. 699 Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 180 ff.; ebenso nun Seitz, Kap. 8 Rz. 3 ff. unter Hinweis auf die neuere Rspr. des OLG München; LG Frankfurt/M. v. 25.9.2008 – 2/03 O 343/08, AfP 2009, 73. 700 Soehring/Hoene, § 29 Rz. 34d. 701 LG Frankfurt/M. v. 25.9.2008 – 2/03 O 343/08, AfP 2009, 73. 702 KG v. 27.3.2007 – 9 W 45/07, AfP 2007, 245; anders noch KG v. 27.7.2006 – 9 W 65/06, AfP 2006, 430. 703 Sedelmeier, AfP 2007, 324. 704 Kritisch gegenüber einer Darlegungslast auch Mathy im Zusammenhang mit der Besprechung von Seitz/Schmidt/Schoener, 2. Aufl., AfP 1981, 375. 705 AG Berlin-Schöneberg v. 13.1.1987 – 3 C 654/86, AfP 1988, 94. 706 OLG Hamburg v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 405, 407. 707 Vgl. EGMR v. 3.4.2012 – 43206/07, NJW-RR 2013, 1132 – Kaperzynski/Polen.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 203 Kap. 11
Interesse des audiatur et altera pars und damit auch im allgemeinen Interesse die unkomplizierte Möglichkeit zu geben, seinen gegenteiligen Standpunkt zu Gehör zu bringen. Unter Berücksichtigung dieser Situation erscheint es gerechtfertigt, eine Darlegungslast der Abdruckverpflichteten für Fälle anzuerkennen, in denen die Weigerung, die Ablehnungsgründe mitzuteilen, als rechtsmissbräuchlich erscheinen muss. Von einer Rechtsmissbräuchlichkeit wird z.B. auszugehen sein, wenn der Betroffene zu erkennen gibt, sich rechtlichen oder sonstigen Bedenken nicht verschließen zu wollen. Jedenfalls kann dem Berechtigten nicht mangelnde Unverzüglichkeit der geänderten Fassung entgegengehalten werden, wenn der Abdruckverpflichtete eine Konkretisierung seiner Bedenken verweigert hat und der Berechtigte die Ursprungsfassung daraufhin erst im Laufe des Verfahrens korrigiert (Rz. 151). 3. Keine Ersatzpflicht bei unbegründeter Zurückweisung Nach § 19 RPG war der Nichtabdruck einer Gegendarstellung mit Geldstrafe bis zu 150 Mark 202 oder mit Haft bedroht. Mit Ausnahme von Bayern ist eine solche strafrechtliche Sanktion in sämtlichen Bundesländern entfallen. Damit ergibt sich die Frage, ob das Unterlassen des Abdruckes bzw. die Verspätung stattdessen einen zivilrechtlichen Ersatzanspruch auslöst. Einen solchen Anspruch haben Seitz/Schmidt/Schoener aus § 823 Abs. 2 BGB abgeleitet708, weil § 11 bzw. § 10 LPG ein Schutzgesetz sei709. Die Schutzgesetz-Theorie ist im Zusammenhang mit der Frage des Gerichtsstandes nach § 32 ZPO entwickelt und insbesondere vom BayObLG710 sowie vom OLG München vertreten worden711. Wie insbesondere Soehring überzeugend nachgewiesen hat712, ist die Schutzgesetz-Theorie nicht haltbar713. Ein auf § 823 Abs. 2 BGB gestützter Ersatzanspruch kommt folglich nicht in Betracht. Dass sich im Falle des Verzuges aus den von Seitz weiter herangezogenen §§ 280, 286 ff. BGB eine Ersatzpflicht ergeben kann, ist richtig. Allerdings erscheint kaum vorstellbar, es könne jemals möglich sein, einen bezifferten Schaden nachzuweisen, der durch verspäteten Abdruck einer Gegendarstellung verursacht sein soll (zur Erstattung von Anwaltskosten vgl. Rz. 196). Etwas anderes könnte nur gelten, wenn anerkannt würde, der Betroffene sei ggf. berechtigt, auf Kosten säumiger Abdruckverpflichteter eine Anzeige erscheinen zu lassen. Entgegen der Auffassung von Seitz/Schmidt/ Schoener wird das aber schon insofern nicht möglich sein, als es sich nur um eine Anzeige in dem Blatt handeln könnte, in dem die Gegendarstellung abzudrucken ist. Ein solches Inserat aufzunehmen, ist aber das betreffende Blatt trotz § 20 GWB im Zweifel nicht verpflichtet.
XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches Die zivilrechtliche Durchsetzbarkeit des Gegendarstellungsanspruches wird von sämtlichen 203 LPG ausdrücklich anerkannt. Mit Ausnahme von Bayern ist darüber hinaus geregelt, dass das Verfahren der einstweiligen Verfügung in Anspruch genommen werden kann (Hessen, Sachsen) bzw. ein Verfahren, auf das die Vorschriften über das Verfügungsverfahren entsprechend anzuwenden sind (alle übrigen LPG). Die bayerische Rechtsprechung lässt das Ver-
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Seitz/Schmidt/Schoener, 3. Aufl., Rz. 473 und NJW 1980, 1553, 1556. Aufgegeben Seitz/Schmidt, 4. Aufl., Kap. 8 Rz. 5; ebenso Seitz, Kap. 8 Rz. 21. BayObLG, NJW 1958, 1825. OLG München v. 29.7.1977 – 21 U 2082/77, AfP 1978, 27; Wenzel, JZ 1962, 112; NeumannDuesberg, Studienkreisbericht, NJW 1962, 904. 712 Soehring, AfP 1978, 81. 713 Ebenso Löffler/Sedelmeier, Rz. 192.
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Kap. 11 Rz. 204
Gegendarstellungsanspruch
fügungsverfahren auch dort zu714. Da es sich um ein Verfahren zur Durchsetzung eines Leistungsanspruches handelt und dieser Anspruch eine Fülle von Besonderheiten aufweist, ist das Gegendarstellungsverfahren auch seinerseits mit vielen Besonderheiten behaftet, wobei in den Einzelheiten vieles umstritten ist. Nachfolgend werden nur die für die Praxis wichtigsten Punkte erörtert. Zur verfassungsrechtlichen Problematik eines von der ZPO abweichenden landesrechtlichen Gegendarstellungsverfahrensrechts vgl. Wenzel, AfP 1974, 682. In Bayern handelt darüber hinaus ordnungswidrig (Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 und 5 BayPrG), wer als verantwortlicher Redakteur oder Verleger einer Zeitung oder Zeitschrift den Abdruck einer Gegendarstellung verweigert oder einer entsprechenden gerichtlichen Anordnung nicht unverzüglich nachkommt. 1. Anzuwendendes Prozessrecht 204
Mit Ausnahme von Bayern haben die Landesgesetzgeber das Verfahren zur Durchsetzung des Abdruckverlangens besonders geregelt, und zwar im Kern dahin, dass der Abdruck der Gegendarstellung in einem besonderen Verfahren, auf das die Vorschriften über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend angewendet werden, durchgesetzt werden kann bzw. muss. In den Einzelheiten sind Unterschiede vorhanden.
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Diese Regelungen sind insoweit missglückt, als es heißt, das Gericht „kann“ die Veröffentlichung einer Gegendarstellung anordnen. Es ist keine Ermessensentscheidung zu treffen, sondern über den vom Betroffenen geltend gemachten Anspruch zu entscheiden. Korrekt ist die Fassung im LPG SchlHolst „… so ordnet das Gericht an“715. Nach § 10 Abs. 4 LPG Hessen kann das Gericht die Veröffentlichung der Gegendarstellung im Verfügungswege anordnen, auch wenn die Gefahr der Wiederholung nicht begründet ist. Dies ist insofern fehlerhaft, als es sich nicht um eine Unterlassungs-, sondern um eine Leistungsverfügung handelt. Gemeint ist offenbar, die Dringlichkeit brauche nicht glaubhaft gemacht zu werden716. Zu bemerken ist außerdem, dass es mit Ausnahme von Bayern und Hessen in allen LPG heißt: „Eine Gefährdung des Anspruches braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden.“ Andererseits wird in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland das Hauptverfahren ausgeschlossen. In Schleswig-Holstein wird die Entscheidung im Verfügungsverfahren für endgültig und in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen § 926 ZPO für unanwendbar erklärt. Ist das Hauptverfahren ausgeschlossen und die Durchsetzung des Anspruches also allein im Verfügungswege möglich, folgt bereits aus der Natur der Sache, dass es einer Gefährdung des Anspruches nicht bedarf.
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Es sind nicht nur diese Formulierungsmängel, aus denen sich gegen das landesgesetzliche Prozessrecht Bedenken ergeben. Vielmehr ist die Ausgangsfrage, woraus sich die Zuständigkeit der Landesgesetzgeber für prozessrechtliche Vorschriften ergeben soll, nachdem der Bundesgesetzgeber seine konkurrierende Zuständigkeit entsprechend § 3 EGZPO für das Zivilprozessrecht ausgeschöpft hat. Dazu vertritt der BGH die Auffassung717, da es sich beim Gegendarstellungsanspruch um ein eigenständiges Institut des Presserechts handle718, habe eine Regelung über die Verwirklichung dieses zivilrechtlichen Anspruches getroffen werden müssen, die seiner Eigenart gerecht werde. Damit habe die Regelung presserechtlichen Cha714 715 716 717 718
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OLG München, NJW 1965, 2161; v. 26.2.1973 – 21 U 2300/72, AfP 1973, 483, st. Rspr. Löffler/Sedelmeier, Rz. 186. Löffler/Sedelmeier, Rz. 188. BGH v. 3.11.1967 – VI ZR 65/66, GRUR 1968, 214 – Südkurier. So BGH v. 31.3.1965 – VI ZR 56/65, NJW 1965, 1230 – Bamfolin.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 209 Kap. 11
rakter, weswegen der Landesgesetzgeber zulässigerweise tätig geworden sei. Wenn das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung billigt719, setzt es sich nach der hier vertretenen Auffassung in Gegensatz zu seiner Entscheidung BVerfGE 36, 193, 202, nach der Fragen des Strafprozessrechts, z.B. das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten, anders als Fragen des materiellen Strafrechts, z.B. die kurze presserechtliche Verjährung720, nicht zur Materie Presserecht gehören. Sind strafprozessuale Fragen keine solchen des Presserechts, ist nicht zu ersehen, inwiefern bezüglich des Zivilprozessrechts ein Unterschied bestehen soll. Richtiger Auffassung nach wäre also davon auszugehen gewesen, dass das Gegendarstellungsrecht zur Materie Prozessrecht gehört, für die der Bund seine konkurrierende Kompetenz nach Art. 74 Nr. 1 GG ausgeschöpft hat, so dass die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers nach Art. 72 GG ausgeschlossen ist721. Das Bundesverfassungsgericht722 hat aber eine entsprechende Verfassungsbeschwerde gar nicht erst zur Entscheidung angenommen. Trotz der vorstehenden Bedenken bleibt es also bei den in den LPG getroffenen prozessualen Regelungen. Im Gegendarstellungsverfahren können andere Ansprüche nicht verfolgt werden. Es handelt 207 sich um ein besonderes landesrechtlich geregeltes, spezifisch presserechtliches Verfahren723. Dies schließt es aus, dass z.B. in einem Verfahren Gegendarstellungs- und zugleich Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden724. Gleiches muss für Gegendarstellungsansprüche gelten, die aufgrund verschiedener gesetzlicher Ansprüche, z.B. § 11 LPG und § 56 RStV, geltend gemacht werden, da es sich auch insofern um unterschiedliche Verfahrensarten handelt, auf die lediglich die Vorschriften auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend angewandt werden725. 2. Verfügungs- oder Hauptklageverfahren Dass in sämtlichen Bundesländern, auch in Bayern, zur Durchsetzung des Gegendarstellungs- 208 anspruches das Verfügungsverfahren in Anspruch genommen werden kann, ist unbestritten. Die Frage ist aber, ob und ggf. welche Möglichkeiten für ein Hauptklageverfahren in den Bundesländern bestehen, in denen die Regelung „ein Hauptverfahren findet nicht statt“ nicht getroffen ist. Für Bayern ist die alternative Möglichkeit der Hauptklage unbestritten726. Bei fehlender 209 Dringlichkeit ist das sogar die einzige in Betracht kommende Verfahrensart727. Für Hamburg lässt die dortige Rechtsprechung mit Recht allein das Verfügungsverfahren zu. Daraus, dass § 11 Abs. 4 Satz 3 LPG Hamburg die Anwendung der Vorschriften der ZPO über den Erlass einer einstweiligen Verfügung vorschreibt, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die
719 720 721 722 723 724
BVerfG, AfP 1975, 800. BVerfG v. 4.6.1957 – 2 BvL 17/56, BVerfGE 7, 29, 38. Wenzel, AfP 1974, 682 und Anm. zu BVerfG, AfP 1975, 88; ebenso Löffler/Sedelmeier, Rz. 190. BVerfG, AfP 1975, 800. BGH v. 17.11.2015 – VI ZR 492/14, MDR 2016, 110 = IPRB 2016, 51 = AfP 2016, 75. BGH, AfP 2010, 478; v. 17.11.2015 – VI ZR 492/14, MDR 2016, 110 = IPRB 2016, 51 = AfP 2016, 75; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 189; Paschke/Berlit/Meyer, 39. Abschnitt Rz. 68; a.A. OLG Bremen v. 14.1.2011 – 2 U 115/10, ZUM 2011, 416. 725 Dies verkennt LG Stuttgart v. 8.11.2013 – 11 O 258/13, n.v., aus anderen materiell-rechtlichen Gründen aufgehoben OLG Stuttgart v. 12.2.2014 – 4 U 214/13, n.v. 726 BayVerfGH v. 8.7.2009 – Vf. 20-VI-08, BayVBl 2010, 369. 727 Seitz, Kap. 9 Rz. 85 unter Hinweis auf BayVerfGH v. 8.7.2009 – Vf. 20-VI-08, BayVBl 2010, 369 – Schmierfink und OLG München v. 19.3.1979 – 21 U 4221/78, n.v.
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Kap. 11 Rz. 210
Gegendarstellungsanspruch
Durchsetzungsmöglichkeit auf diese Verfahrensart beschränken wollte728. Von diesem Ergebnis ist nach der dortigen Gesetzeslage auch in Mecklenburg-Vorpommern auszugehen. Für Hessen ging das OLG Frankfurt aufgrund der dort anderen Gesetzeslage davon aus, der Antragsgegner sei berechtigt, einen Antrag nach § 926 ZPO zu stellen und so auf die Einleitung eines zusätzlichen Klageverfahrens hinzuwirken, wenn er im Hauptverfahren bessere Beweismöglichkeiten habe729. Diese Entscheidung vermag nicht zu überzeugen. Davon geht nun auch das OLG Frankfurt aus. Unter Hinweis auf die Erfüllungsfunktion der einstweiligen Verfügung gem. § 10 Abs. 4 LPG Hessen und dem Umstand, dass ein Hauptsacheverfahren zur Klärung der Rechtslage nichts Weiteres beizutragen vermöge, sei ein Antrag nach § 926 ZPO mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig730. Richtiger Auffassung nach ist die Möglichkeit eines Hauptklageverfahrens auch für Hessen zu verneinen731. In Niedersachsen kommt der Ausschluss des Hauptklageverfahrens dadurch zum Ausdruck, dass § 11 Abs. 4 Satz 5 LPG Nds die Anwendbarkeit des § 926 ZPO ausschließt732. Das gleiche gilt für Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In Schleswig-Holstein bringt der dortige § 11 Abs. 4 LPG SchlHolst gleichfalls hinlänglich klar zum Ausdruck, dass das Hauptklageverfahren ausgeschlossen ist. Nach § 10 Abs. 5 LPG Sachsen kann der Anspruch auf Abdruck der Gegendarstellung vor den ordentlichen Gerichten „auch“ im Verfahren der einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden. Demnach ist das Hauptklageverfahren zulässig733. 210
Im Pressebereich kommt ein Hauptklageverfahren nach allem allein in Bayern und in Sachsen in Betracht. Im Rundfunkbereich ist gleichfalls davon auszugehen, dass das Hauptklageverfahren ausgeschlossen ist. Ausgenommen hiervon sind nur Gegendarstellungsforderungen gegen die Rundfunkanstalt der Länder Berlin und Brandenburg (§ 9 Abs. 5 RBB-StV). Auch bei Gegendarstellungsansprüchen gegen Telemedienanbieter findet ein Hauptsacheverfahren nicht statt (§ 56 Abs. 3 Satz 4 RStV).
211
Ist das Hauptklageverfahren ausgeschlossen, entfällt auch die Möglichkeit einer negativen Feststellungsklage734. Das ist insofern bedauerlich, als damit zugleich die Möglichkeit der Revision zum BGH entfällt, die sonst eingelegt werden könnte, wenn das OLG sie zulässt. Zwar könnte die Hauptsacheklagemöglichkeit in Bayern und Sachsen den Weg zum BGH theoretisch eröffnen. Da Gegendarstellungssachen nur bei Aktualitätsbezug sinnhaft sind, scheidet jedoch ein zeitraubendes Hauptsacheverfahren regelmäßig von vornherein aus. 3. Frist für Verfahrenseinleitung und Prozesshandlungen
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Anders als für die Zuleitung der Gegendarstellung sehen die LPG für die Verfahrenseinleitung keine Frist vor. Das Unverzüglichkeitsgebot gilt deswegen nicht735. Aus dem Zweck der Gegendarstellung, sich bei den Lesern der Erstmitteilung Gehör zu verschaffen, so lange der 728 729 730 731 732 733 734 735
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OLG Hamburg, NJW 1968, 2383; MDR 1972, 333. OLG Frankfurt, NJW 1957, 714. OLG Frankfurt v. 20.3.2002 – 24 W 13/02, NJW-RR 2002, 1474. Ebenso Löffler, NJW 1957, 715; Seitz, Kap. 9 Rz. 86; nun auch Ricker/Weberling, Kap. 28 Rz. 2, anders noch Löffler/Ricker, 5. Aufl., Kap. 28 Rz. 3. A.A. Bischoff, DVBl. 1965, 305. Seitz, Kap. 9 Rz. 88. BGH v. 3.11.1967 – VI ZR 65/66, NJW 1968, 792 – Südkurier; zustimmend Runge, GRUR 1968, 214; Seitz/Schmidt/Schoener, 3. Aufl., Rz. 606; ablehnend Beyer, NJW 1968, 1138; Löffler/Sedelmeier, Rz. 188. Allg. Meinung; vgl. OLG Hamburg, ArchPR 1977, 50; OLG Karlsruhe v. 9.9.2015 – 6 U 110/15, AfP 2016, 164.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 213 Kap. 11
Vorgang aktuell ist, lässt sich aber folgern, dass ein trotz rechtzeitiger Zuleitung wirksam entstandener Anspruch der Verwirkung unterliegt, wenn der Berechtigte ihn nicht im Anschluss an das erfolglose Abdruckverlangen weiterverfolgt. Seitz736 und ihm folgend das LG Berlin737 meinen, dass bei längerem Zuwarten das berechtigte Interesse an der Gegendarstellung entfalle. Auch das OLG Hamburg geht von einem Anspruchsverlust aus738, legt aber das Gewicht auf die Annahme, eine verspätete Rechtsverfolgung bedeute einen Rechtsmissbrauch739. Will der Berechtigte seinen Anspruch nicht verlieren, muss er ihn nach ganz überwiegender Meinung innerhalb angemessener Zeit nach der endgültigen Zurückweisung durch die Abdruckverpflichteten gerichtlich geltend machen740. In Bayern kann eine verspätete Verfahrenseinleitung auch zum Wegfall des Verfügungsgrundes führen. Der Ansicht des LG Mannheim741 und des LG Berlin742, dies sei auch in den anderen Bundesländern möglich, obschon das Hauptverfahren dort ausgeschlossen ist, kann nicht gefolgt werden743. Abzulehnen ist die Auffassung des OLG Köln744, die Verfahrensdurchführung unterliege praktisch keinen zeitlichen Schranken, weswegen eine Abdruckverurteilung auch noch neun Monate nach der Erstveröffentlichung möglich sei. Allgemeine Regeln für die Dauer der Frist lassen sich kaum entwickeln. Allerdings dürfte die 213 Einhaltung einer Zwei-Wochen-Frist nicht gefordert werden können745. Entscheidend ist die Wahrung des Aktualitätsbezuges746. Das LG Hamburg neigt daher zu einer sehr kurzen Frist, die ggf. auch nur zwei Wochen nach Ablehnung durch den Verpflichteten betragen könne; musste dies allerdings bislang nicht entscheiden. Die bei Unterlassungsansprüchen im Regelfall als Grenze für die Eilbedürftigkeit herangezogene Frist von fünf Wochen ab Kenntnis von dem Erstbericht747 kann im Hinblick auf eventuelle Nachbesserungen zugeleiteter Gegendarstellungen nicht unmittelbar herangezogen werden. Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Hauptsacheverfahren bei Gegendarstellungen ausgeschlossen ist und diese nur im Eilverfahren geltend gemacht werden können. Gerichtliche Schritte sind aber umso beschleunigter einzuleiten, je mehr Zeit seit der Erstveröffentlichung bereits vergangen ist. Nach Ablauf von drei Monaten seit der Erstveröffentlichung wird im Allgemeinen von einer Verwirkung bzw. vom Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses748 auszugehen sein, i.d.R. bereits nach erheblich kürzerer Zeit. Das LG Berlin749 geht von der auch für äußerungsrechtliche Unterlassungsansprüche
736 737 738 739 740 741 742 743 744 745 746 747 748 749
Seitz, Kap. 5 Rz. 65b. LG Berlin v. 23.7.2015 – 27 O 351/15. OLG Hamburg, ArchPR 1977, 52. OLG Hamburg v. 8.10.1979 – 3 W 118/79, AfP 1980, 210; vgl. auch OLG Hamburg v. 20.11.1986 – 3 U 160/86, AfP 1987, 434. OLG Karlsruhe v. 13.5.1998 – 6 U 13/98, NJW-RR 1999, 387; v. 9.9.2015 – 6 U 110/15, AfP 2016, 164; OLG Frankfurt v. 2.9.1999 – 16 W 37/99; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 199; Seitz, Kap. 9 Rz. 98, 103. LG Mannheim, ArchPR 1976, 53. LG Berlin v. 23.7.2015 – 27 O 351/15. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 199. OLG Köln, AfP 1977, 400. OLG Hamburg, ArchPR 1970, 82. OLG München v. 8.6.1988 – 21 U 3059/88, AfP 1988, 269 = NJW-RR 1989, 180; OLG Karlsruhe v. 13.5.1998 – 6 U 13/98, NJW-RR 1999, 387. LG Hamburg v. 7.12.2015 – 324 O 355/15; v. 16.9.2015 – 7 W 112/15; v. 15.12.2014 – 7 W 141/14. OLG München v. 8.6.1988 – 21 U 3059/88, AfP 1988, 269 = NJW-RR 1989, 180. LG Berlin v. 23.7.2015 – 27 O 351/15.
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Kap. 11 Rz. 214
Gegendarstellungsanspruch
geltenden Regelfrist von vier Wochen, das KG750 von einem Monat aus. Das OLG Koblenz751 geht bei Unterlassungsansprüchen von einer Regelfrist von vier Wochen ab Kenntnis von der Erstberichterstattung aus, ohne dass die erforderliche Dringlichkeit entfällt. Zu großzügig erscheint eine Frist von acht Wochen bzw. zwei Monaten, die das OLG Stuttgart auch bei äußerungsrechtlichen Unterlassungsansprüchen anwendet752. Die Aktualitätsgrenze liegt bei Artikeln von durchschnittlicher Bedeutung bei Tageszeitungen nach Meinung des OLG München753 bei vier Wochen, bei wöchentlich erscheinenden Zeitschriften bei vier bis sechs Wochen. Grundsätzlich ist der Antrag so rechtzeitig einzureichen, dass das Erstgericht auch aufgrund mündlicher Verhandlung bei der gebotenen zügigen Behandlung von Eilverfahren noch innerhalb der Aktualitätsgrenze entscheiden kann754. Der Aktualitätsbezug ist jedenfalls noch gewahrt, wenn eine nachgebesserte, neue Fassung der Gegendarstellung als hilfweises Verlangen so rechtzeitig zugeleitet wird, dass darüber noch in dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung über den Hauptantrag entschieden werden kann755. Das OLG Karlsruhe meint756, bei Monatszeitschriften könne auch eine gerichtliche Geltendmachung nach vier Monaten noch rechtzeitig sein. In einer neueren Entscheidung757 betont es den erforderlichen Aktualitätsbezug und hält den Anspruch für verwirkt, weil sich der Betroffene nach der Zuleitung an eine vierteljährlich erscheinende wissenschaftskritische Zeitschrift noch zwei Monate bis zur gerichtlichen Geltendmachung Zeit gelassen hatte. Die Aktualitätsgrenze ist auch bei einer monatlich erscheinenden Zeitschrift, jedenfalls nach fünf Monaten überschritten758. Keine Verwirkung tritt ein, solange der Berechtigte mit den Verpflichteten ernsthaft verhandelt. 214
Wird das Verfahren nicht zügig durchgeführt, kann auch Verwirkung während des Verfahrens eintreten. Die Ausschöpfung gesetzlich bestimmter Fristen, insbesondere der Berufungs-, Berufungsbegründungs- und der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO, bringt den Gegendarstellungsanspruch richtiger Auffassung nach nicht zu Fall759. Anders kann dies bei einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sein760. 4. Notwendigkeit vergeblichen Abdruckverlangens
215
Nach den meisten Regelungen ist der Rechtsweg für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruches eröffnet. In Schleswig-Holstein muss der Abdruck verweigert worden sein. Daraus leitet die früher h.M. ab, die vergebliche Geltendmachung sei
750 751 752 753 754 755 756 757 758 759 760
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KG v. 14.12.2015 – 10 W 183/15, n.v. OLG Koblenz v. 10.1.2013 – 4 W 680/12. OLG Stuttgart v. 23.9.2015 – 4 U 101/15, AfP 2016, 268. OLG München v. 1.12.2000 – 21 U 5142/00, AfP 2001, 137; v. 22.10.2003 – 21 U 2540/03, ZUM 2004, 230. OLG München v. 25.7.1997 – 21 U 4051/97, NJW-RR 1998, 26; v. 28.7.2000 – 21 W 2063/00, AfP 2001, 126; v. 22.10.2003 – 21 U 2540/03, ZUM 2004, 230. OLG München v. 17.11.2000 – 21 U 4788/00, AfP 2001, 132; 137; v. 18.6.2002 – 21 W 1627/02, AfP 2003, 165. OLG Karlsruhe v. 10.3.1992 – 3 U 65/91, AfP 1992, 373 = NJW-RR 1992, 1305. OLG Karlsruhe v. 13.5.1998 – 6 U 13/98, NJW-RR 1999, 387. OLG Frankfurt v. 2.9.1999 – 16 W 37/99, n.v. OLG Hamburg v. 20.11.1986 – 3 U 160/86, AfP 1987, 434. OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 387.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 216 Kap. 11
Prozessvoraussetzung, und zwar in allen Bundesländern761. Zweck dieser Beurteilung war, eine gerichtliche Rechtsverfolgung ohne vorherige außergerichtliche Inanspruchnahme zu vermeiden762. Zur Erreichung dieses Zieles ist die Prozessvoraussetzungs-Theorie aber ungeeignet: Es genügt, dass die Prozessvoraussetzungen bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen. Der sofortigen Verfahrenseinleitung steht diese Theorie also nicht im Wege763. Entscheidend ist aber, dass der Betroffene den Abdruck nur verlangen kann, wenn die Gegendarstellung dem Verantwortlichen oder dem Verleger fristgerecht zugegangen ist. Erst durch den Zugang wird der Gegendarstellungsanspruch konkretisiert. Ohne diese Konkretisierung fehlt es am Anspruch. Ohne Abdruckverlangen ist er nicht fällig (Rz. 141). Die Zuleitung und das Abdruckverlangen sind also Voraussetzungen für die Begründetheit des materiellen Anspruches und keineswegs für die Zulässigkeit des Verfahrens764. Auch Seitz weist zutreffend daraufhin765, dass die fehlende Begründetheit eines Anspruches, wie sie bei Unterlassen der Zuleitung und des Abdruckverlangens anzunehmen ist, an der Zulässigkeit des Verfahrens nichts ändert. Richtig ist lediglich, dass erst eine ausdrücklich oder stillschweigend bzw. durch Unterlassen 216 des Abdrucks erfolgende Anspruchsverweigerung Anlass zu gerichtlichen Maßnahmen gibt. Hat der Abdruckverpflichtete keinen solchen Anlass gegeben und anerkennt er den Anspruch sofort, fallen die Verfahrenskosten nach § 93 ZPO dem betroffenen Antragsteller zur Last766. Ohne vergebliches Abdruckverlangen ist es auch nicht zulässig, über einen Gegendarstellungsanspruch ohne vorherige mündliche Verhandlung zu entscheiden767. Da das Abdruckverlangen keiner Form bedarf, erfüllt auch eine durch das Gericht zugestellte Antragsschrift dessen Funktion. Eine Abweisung des Antrags allein mit der Begründung, es fehle an einem wirksamen vorgerichtlichen Abdruckverlangen, ist nicht möglich768. Um bezüglich der Abdruckbereitschaft Klarheit zu schaffen, ist es zweckmäßig, den Abdruckverpflichteten eine Erklärungsfrist zu setzen (Rz. 161). Ist das unterblieben, muss der Betroffene das Erscheinen der nächsten Ausgabe abwarten, wenn er die Gefahr von Rechtsnachteilen vermeiden will. Hat der Betroffene die Gegendarstellung am Vormittag angekündigt, sie alsbald übersandt und eine Erklärungsfrist gesetzt, ohne Antwort zu erhalten, braucht er das Erscheinen nicht abzuwarten. Hat die Zeitung die Gegendarstellung in Satz gegeben, die Verständigung des Betroffenen aber verabsäumt, hat sie die Verfahrenskosten zu tragen, wenn der Betroffene die Verfügung beantragt und anschließend in der Hauptsache für erledigt erklärt769.
761 OLG Frankfurt, NJW 1950, 270; OLG Düsseldorf, AfP 1972, 281; OLG München, ArchPR 1974, 107; OLG Hamburg, AfP 1974, 573; Greiff, NJW 1950, 243; von Gamm, S. 61; ähnlich LG München I v. 13.10.2004 – 9 O 17631/04, AfP 2006, 573, dazu a.A. Sedelmeier AfP 2007, 19. 762 OLG Hamburg, AfP 1974, 573. 763 So auch OLG Hamburg v. 12.3.1981 – 3 U 150/80, AfP 1981, 408, 409. 764 Ebenso OLG Hamburg, ArchPR 1977, 49; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 194; Rebmann, Rz. 44; Schultz, Die Justiz 1946, 319. 765 Seitz, Kap. 9 Rz. 110. 766 OLG Brandenburg v. 17.2.1994 – 1 U 1/93, MDR 1994, 404 = NJW-RR 1994, 1022; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 195; Sedelmeier, AfP 2007, 19. 767 Löffler/Sedelmeier, Rz. 195; Seitz, Kap. 9 Rz. 110. 768 Sedelmeier, AfP 2007, 19; a.A. LG München I v. 13.10.2004 – 9 O 17631/04, AfP 2006, 573. 769 LG Hamburg, AfP 1972, 232.
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Kap. 11 Rz. 217
Gegendarstellungsanspruch
5. Wichtige Verfahrensgrundsätze a) Zulässigkeit 217
Die durch Landesgesetze teilweise eingeführten obligatorischen Güteverfahren gem. § 15a EGZPO finden auf das Gegendarstellungsverfahren keine Anwendung, da nach § 15a Abs. 1 Nr. 3 EGZPO Güteverfahren nur wegen Verletzung der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind, vorgesehen werden können. Telemedien sind nach dem Wortlaut der Regelung nicht ausgenommen. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift ist jedoch darauf abzustellen, ob eine Äußerung eine breitere Öffentlichkeit erreichen kann. Dies ist auch bei Telemedien der Fall. Ein Schlichtungsverfahren ist daher nicht erforderlich. b) Örtliche und sachliche Zuständigkeit
218
Gegendarstellungsforderungen können nur im Zivilrechtsweg durchgesetzt werden, nicht beim Wehrdienstgericht770. Nach § 12 ZPO ist örtlich zuständig das Gericht, bei dem der Abdruckverpflichtete seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Die in der 3. Aufl. vertretene Auffassung, beim verantwortlichen Redakteur komme es nicht auf dessen persönlichen, sondern auf seinen Geschäftssitz an, weil er nicht als Person, sondern als Institution verklagt wird, hat sich bisher nicht durchzusetzen vermocht771. Das ist schon insofern bedauerlich, als sich der persönliche Wohnsitz nicht aus dem Impressum ergibt, so dass die Ermittlung Schwierigkeiten bereiten kann. Noch dazu kann er innerhalb eines anderen Gerichtsbezirkes liegen als der Sitz des Verlegers. Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO durch das OLG einen gemeinsamen Gerichtsstand bestimmen zu lassen ist zwar theoretisch möglich772, aber viel zu umständlich. Wegen des damit verbundenen Zeitbedarfs ist ein solches Verfahren auch nicht zu empfehlen. Will man sich nicht auf den Anspruch gegen den Verleger beschränken, dürfte die Durchführung zweier Verfahren an verschiedenen Orten sinnvoller sein. Wohnt der verantwortliche Redakteur nicht im Bundesland des Verlagssitzes, ist gleichwohl das für den Verlag geltende Recht anzuwenden773. Abzudrucken ist die Gegendarstellung jedoch nur einmal, auch wenn mehrere Titel erwirkt wurden774.
219
Schwierige Fragen ergeben sich bei divergierenden Entscheidungen der Gerichte. Lehnt ein Gericht den Anspruch insgesamt ab, während das andere ihn zuerkennt, ist die Gegendarstellung aufgrund des stattgebenden Urteils abzudrucken. Wird von einem Gericht lediglich ein Minus zuerkannt, so hat der Antragsteller es zwar in der Hand, welche gerichtliche Entscheidung er gem. §§ 936, 929 ZPO vollzieht. Um Kostennachteile durch Aufhebung einer der Entscheidungen wegen Versäumung der Vollziehungsfrist zu vermeiden, wird es sich empfehlen, beide Verfügungen zu vollziehen. Gleichwohl ist nur eine Gegendarstellung abzudrucken. Um dem Einwand nicht gehöriger Erfüllung zu begegnen, ist dies die weiter gehende Fassung. Ist zweifelhaft welche dies ist, etwa weil sich die Fassungen nur sprachlich unterscheiden, muss dem Betroffenen ein Bestimmungsrecht eingeräumt werden. Übt er es bei der Vollziehung nicht aus, dürften die Verpflichteten zur Entscheidung berechtigt sein. Was aber, wenn diese sich nicht einigen können? Was jedenfalls theoretisch denkbar ist. Dies alles zeigt, dass 770 BVerwG v. 15.6.1983 – 1 WB 78/82, NJW 1984, 1134. 771 Ablehnend OLG Frankfurt v. 21.6.1985 – 10 U 131/85, AfP 1985, 288 = NJW-RR 1986, 606; OLG München v. 7.7.1989 – 21 U 3382/89, n.v.; Seitz, Kap. 9 Rz. 12. 772 Seitz, Kap. 9 Rz. 21. 773 Seitz, Kap. 3 Rz. 2. 774 Vgl. OLG Hamburg v. 22.1.1993 – 3 W 14/93, AfP 1993, 591.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 222 Kap. 11
die Möglichkeit, den verantwortlichen Redakteur als Institution verklagen zu können, vorzugswürdig ist. Angesichts der neueren Rechtsprechung muss gleichwohl damit gerechnet werden, dass sich das Gericht des Geschäftssitzes als örtlich unzuständig bezeichnet, wenn es für den persönlichen Wohnsitz des Verantwortlichen nicht gleichfalls zuständig ist. Ist der Verleger eine natürliche Person, müsste streng genommen auch er an seinem dem 220 Impressum gleichfalls nicht zu entnehmenden persönlichen Wohnsitz verklagt werden. Der Gerichtsstand der Niederlassung i.S.d. § 21 ZPO soll nur zur Durchsetzung vermögensrechtlicher Ansprüche in Anspruch genommen werden können775. Die Gegendarstellungsforderung wird als immaterieller Anspruch angesehen, so dass § 21 ZPO an sich ausscheidet776. Richtig ist allerdings, dass sich die Einschränkung auf vermögensrechtliche Streitigkeiten aus dem Wortlaut des § 21 ZPO nicht ergibt. Seitz777 hält § 21 ZPO deswegen zu Recht für anwendbar. Die Inanspruchnahme des privaten Gerichtsstandes wird dadurch aber nicht ausgeschlossen778. Ist der Verleger eine Handelsgesellschaft, bereitet die Anwendbarkeit des § 21 ZPO und damit die Inanspruchnahme des Gerichtsstandes der gewerblichen Niederlassung keine Probleme. Die Inanspruchnahme des Gerichtsstandes der Niederlassung ist auch möglich, wenn der 221 Verlag oder der Rundfunkveranstalter an dem betreffenden Ort eine tatsächliche Niederlassung unterhält. Umstritten ist, ob die Unterhaltung einer Teilredaktion bzw. eines Landesstudios genügt. Geht es um eine Gegendarstellung, die nur in der betreffenden Teilausgabe bzw. Regionalsendung verbreitet werden soll, scheint die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Gerichtsstandes der Niederlassung praktisch unumstritten zu sein779. Müßte z.B. ein Verfahren wegen einer Entgegnung auf einen Bericht in BILD München, die nur in der dortigen Ausgabe abgedruckt werden soll, am Sitz des Axel Springer Verlages in Berlin durchgeführt werden, wäre das wenig sinnvoll780. Ob der Bericht identisch oder verändert auch überregional erschienen ist, ändert richtiger Auffassung nach am Ergebnis nichts781. Soweit das LG Stuttgart782 dem entgegenhält, dies würde im Ergebnis auf eine Wahlmöglichkeit bei der Herbeiführung des Gerichtsstandes hinauslaufen, ist dies zwar zutreffend. Da die ZPO jedoch gerade diese Wahlmöglichkeiten in §§ 12 ff. ZPO eröffnet, darf ein Betroffener auch davon Gebrauch machen. Ein sog. fliegender Gerichtsstand wird dadurch nicht eröffnet. Soll aber die Gegendarstellung in der Gesamtausgabe bzw. im gesamten Sendegebiet erscheinen, ist das Gericht am Ort der Regionalausgabe unzuständig783. Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO kann nicht in Anspruch genommen 222 werden, weil er nur für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis eröffnet ist. Hier geht es um einen gesetzlichen Anspruch. Die früher verschiedentlich vertretene Auffassung, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung des § 32 ZPO in Anspruch genommen werden könne, weil § 11 LPG ein Schutzgesetz i.S.d. 823 Abs. 2 BGB sei, bei dessen Verletzung nach
775 776 777 778 779 780 781 782 783
So u.a. Zöller/Schultzky, § 21 ZPO Rz. 10. So offenbar BayObLG, NJW 1958, 1825; OLG Frankfurt, NJW 1960, 2059. Seitz, Kap. 9 Rz. 15. OLG Frankfurt v. 21.6.1985 – 10 U 131/85, AfP 1985, 289. Vgl. OLG Naumburg v. 5.3.1999 – 6 U 203/98, NJW-RR 2000, 475. Seitz, Kap. 9 Rz. 15 m.w.N. Seitz, Kap. 9 Rz. 15. LG Stuttgart v. 29.8.2001 – Az 17 O 413/01, AfP 2002, 340. OLG München, ArchPR 1969, 76; LG Düsseldorf v. 10.8.1983 – 12 O 355/83, AfP 1984, 58; LG Stuttgart v. 29.8.2001 – 17 O 413/01, AfP 2002, 340.
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Kap. 11 Rz. 223
Gegendarstellungsanspruch
§ 249 BGB auch Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gefordert werden könne784, hat sich nicht durchzusetzen vermocht. Die Anwendbarkeit des § 32 ZPO wird heute allgemein abgelehnt785. Ist der Gegendarstellungsanspruch ausnahmslos immaterieller Natur, lässt sich die örtliche Zuständigkeit wegen § 40 Abs. 2 ZPO weder durch Vereinbarung noch durch rügeloses Einlassen begründen. Haben der Verantwortliche und der Verleger einen unterschiedlichen Gerichtsstand, kann das zuständige Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO einen gemeinsamen Gerichtsstand bestimmen, weil sie gesamtschuldnerisch haften786. 223
Die sachliche Zuständigkeit des Amts- bzw. Landgerichts hängt davon ab, ob der Streitwert der Gegendarstellungsforderung 5 000 Euro übersteigt. Ursächlich dafür ist, dass die Amtsgerichte bis zu dieser Grenze auch bei immateriellen Streitigkeiten zuständig sind787. Damit hat der frühere Streit, ob Gegendarstellungsforderungen stets immaterieller Natur sind788 oder ob sie bei Auseinandersetzungen über Wirtschaftsfragen ebenso wie Unterlassungsforderungen materiellen Charakter haben, seine Bedeutung weitgehend verloren789.
224
Der Streitwert einer Gegendarstellungsforderung wird i.d.R. höher als 5 000 Euro anzusetzen sein, so dass die Zuständigkeit des Landgerichts regelmäßig gegeben ist. Üblich sind Streitwerte zwischen 10 000 und 50 000 Euro. Bei größeren Auseinandersetzungen über wirtschaftliche Fragen kann der Wert auch höher liegen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Stellung des Verfügungsklägers, die Erheblichkeit des Eingriffes und die Auflagenhöhe bzw. Reichweite und/oder übliche Einschaltquote der Sendung. Handelt es sich um ein Gegendarstellungsbündel, sind die Werte für die einzelnen Gegendarstellungen zusammen zu rechnen. Rechtsprechungsbeispiele, die bis zu einem Streitwert von 100 000 DM = 51 129,19 Euro gehen790, finden sich bei Seitz791.
225
Setzt ein Amtsgericht den Streitwert auf 5 000 Euro oder niedriger fest und gelangt die Sache in der Berufungsinstanz zu einem Landgericht, das von einem höheren Streitwert ausgeht, könnte das Amtsgericht nur durch Prorogation zuständig geworden sein. Dies ist bei nichtvermögensrechtlichen Ansprüchen aber nach § 40 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausgeschlossen. Ggf. kann der (Hilfs-)Antrag in Betracht kommen, den Rechtsstreit an das zuständige Landgericht zu verweisen. Im Zweifel ist dann die gleiche Kammer zuständig, aber nicht als Berufungs-, sondern als erstinstanzliches Gericht. c) Parteifähigkeit
226
Hinsichtlich der Parteifähigkeit gelten die allgemeinen Grundsätze des § 50 ZPO. Antragsberechtigt ist nur, wer parteifähig ist. Obschon auch nichtrechtsfähige Personengemeinschaften und Stellen kraft der speziellen gesetzlichen Regelung Inhaber eines Gegendarstellungsanspruches sein und sie dementsprechend eine Gegendarstellung formwirksam unterzeichnen 784 OLG Frankfurt, NJW 1962, 1348; OLG München v. 29.7.1977 – 21 U 2082/77, AfP 1978, 27; Wenzel, JZ 1962, 112. 785 Seitz, Kap. 9 Rz. 19 m.w.N.; Soehring/Hoene, § 29 Rz. 44a; a.A. insbesondere bei internationalen Bezügen Stadler, JZ 1994, 642; Binder/Vesting/Schulz, § 56 RStV Rz. 11. 786 Löffler/Sedelmeier, Rz. 193. 787 Neufassung des § 23 Nr. 1 GVG aufgrund des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege v. 11.1.1993, BGBl. I, 50. 788 BayVerfGH v. 8.7.2009 – Vf. 20-VI-08, BayVBl 2010, 369. 789 Zu diesem Streit vgl. die 3. Aufl. Rz. 11.174. 790 In Sachen F. J. Strauß ./. Gruner + Jahr im Jahr 1976. 791 Seitz, Kap. 10 Rz. 17.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 228 Kap. 11
können, sind sie nicht, auch nicht partiell parteifähig (Näheres Rz. 57 f.)792. Antragsberechtigt ist lediglich, wer nach allgemeinen Regeln parteifähig ist793. Nichtrechtsfähige Vereine sind zwar passiv, nicht aber aktiv parteifähig. Entgegen der abzulehnenden Entscheidung des LG Aachen794 gilt das auch für Bürgerinitiativen, ebenso für nichtrechtsfähige Verbände795 und Burschenschaften796. Bei politischen Parteien ist § 3 Parteiengesetz zu beachten, nach dem die Parteien selbst parteifähig sind, ebenso ihre Gebietsverbände der jeweils höchsten Stufe797. Auch Landtagsfraktionen sind teils aufgrund besonderer gesetzlicher Grundlage798, teils aufgrund der Rechtsprechung799 parteifähig. Die aktive Parteifähigkeit der Gewerkschaften ist durch die Rechtsprechung anerkannt800. Bei Kritik an Gewerkschaften können auch die Funktionäre betroffen sein801. d) Objektive und subjektive Klagehäufung, Parteiwechsel Im Wege der objektiven Klagehäufung mehrere Gegendarstellungsansprüche in einem Ver- 227 fahren geltend zu machen, ist möglich. In Betracht kommen kann das, wenn von mehreren Blättern der Abdruck der gleichen Gegendarstellung gefordert wird und derselbe Gerichtsstand gegeben ist. Zulässig sind auch Hilfsanträge, d.h. die hilfsweise Forderung, eine andere, gleichfalls zugeleitete Fassung der Gegendarstellung zuzusprechen802. Da es sich beim Gegendarstellungsverfahren um ein besonderes Verfahren handelt, dürfen andere als Gegendarstellungsansprüche nicht darin verfolgt werden803. Ausnahmen bilden nur die in Bayern und Sachsen zugelassenen Hauptsacheverfahren. Eine subjektive Klagehäufung kommt in Betracht, wenn sowohl der Verantwortliche wie 228 auch der Verleger in Anspruch genommen werden. Da Gesamtschuldnerschaft besteht, sind sie ggf. notwendige Streitgenossen. Die Frage des Parteiwechsels stellt sich insbesondere bei Ausscheiden des Verantwortlichen während des Verfahrens. Dies macht einen Parteiwechsel nicht erforderlich. Der bisherige Verantwortliche kann den Rechtsstreit nach § 265 ZPO in gesetzlicher Prozessstandschaft fortführen804. Bei Wechsel nach Verfahrensbeendigung kann der Titel umgeschrieben werden805. Ist ein Falscher verklagt worden, kann das Passivrubrum nur mit Zustimmung des Antragsgegners geändert werden806.
792 793 794 795 796 797 798 799 800 801 802 803 804 805 806
OLG Hamburg v. 10.2.1982 – 3 W 12/82, AfP 1982, 232. KG, NJW 1971, 947; OLG Koblenz v. 3.3.1993 – 9 W 69/93, AfP 1993, 592. LG Aachen, NJW 1977, 255. BGH v. 6.10.1989 – V ZR 152/88, MDR 1990, 141 = NJW 1990, 186. OLG Koblenz v. 3.3.1993 – 9 W 69/93, AfP 1993, 592 = NJW-RR 1993, 697. Vgl. dazu OLG Köln, AfP 1977, 408; LG München I v. 12.4.2006 – 9 O 4751/06, AfP 2006, 279. Z.B. § 1 Abs. 4 FraktionsG BW; fehlerhaft daher OLG Stuttgart v. 22.7.2003 – 4 W 32/03, AfP 2003, 365 = NJW-RR 2004, 619. OLG Dresden v. 9.5.2017 – 4 U 102/17, AfP 2017, 448; LG Bremen v. 19.2.1991 – 1 O 2809/90, NJW-RR 1992, 447; a.A. LG Kehl, AfP 1979, 366; vgl. auch Kap. 12 Rz. 74. BGH v. 11.7.1968 – VII ZR 63/66, BGHZ 50, 325. BayObLGSt 1963, 34. OLG Hamburg, AfP 1978, 155; v. 12.3.1981 – 3 U 150/80, AfP 1981, 408. KG, NJW 1967, 2215; Löffler/Sedelmeier, Rz. 189. OLG München v. 31.7.1979 – 21 U 2407/79, AfP 1979, 364. BayObLGZ 1970, 151 = ArchPR 1970, 74. OLG Hamburg, ArchPR 1969, 73.
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Kap. 11 Rz. 229
Gegendarstellungsanspruch
e) Verfügungsgrund, Dringlichkeit 229
Mit Ausnahme von Bayern und Hessen sehen alle Landespressegesetze vor, dass eine Gefährdung des Anspruches nicht glaubhaft gemacht zu werden braucht. Seitz geht davon aus807, dies bedeute nur, Glaubhaftmachungsmittel brauchen nicht vorgelegt zu werden; daran, dass die Dringlichkeit der beantragten Entscheidung und damit der Verfügungsgrund fehlen könne, ändere die Regelung nichts808. Dass in Bayern und Sachsen angesichts der dortigen Gesetzeslage die Möglichkeit eines fehlenden Verfügungsgrundes besteht, ist richtig. In den übrigen Bundesländern, in denen ein Hauptverfahren nicht stattfindet (Rz. 208), entfällt die Notwendigkeit des Verfügungsgrundes und damit auch der Dringlichkeit zwangsläufig, weil das Verfügungsverfahren dort das einzige ist, das dem Betroffenen zur Verfügung steht809. f) Glaubhaftmachung
230
Voraussetzung für den Gegendarstellungsanspruch ist die Betroffenheit durch eine Tatsachenbehauptung in der Erstmitteilung, die rechtzeitige Zuleitung einer abdruckfähigen Gegendarstellung und die Aufforderung des Verpflichteten zum Abdruck. Diese Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen. Zweckdienlicherweise sollte deswegen die Erstmitteilung samt Impressum, ferner Kopie der zugeleiteten Gegendarstellung und des Abdruckverlangens vorgelegt werden, ggf. zusätzliche als Beleg für das gesetzliche Vertretungsverhältnis. Einer Glaubhaftmachung der Unwahrheit der Erstmitteilung und der Wahrheit der Gegendarstellung bedarf es nicht. Nach der hier vertretenen Auffassung braucht auch die Unwahrheit von Parlamentsund Gerichtsberichten nicht glaubhaft gemacht zu werden810. Bezüglich der Offensichtlichkeit der Unwahrheit besteht gleichfalls keine Glaubhaftmachungslast811. g) Mündliche Verhandlung
231
Die ZPO sieht die mündliche Verhandlung auch in Verfügungssachen als Regel vor. Ohne mündliche Verhandlung darf an sich nur bei besonderer Dringlichkeit i.S.d. § 937 Abs. 2 ZPO entschieden werden. Durch die Neufassung des § 937 Abs. 2 ZPO, nach dem ohne mündliche Verhandlung auch entschieden werden kann, wenn der Antrag zurückzuweisen ist, hat sich das Dringlichkeitsprinzip gelockert. Damit ist es speziell in Gegendarstellungssachen weitgehend eine Ermessensfrage, ob grundsätzlich mit oder grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.
232
In der Literatur haben sich neben Löffler/Sedelmeier812 insbesondere Seite813 und Schmid814 nachdrücklich für die mündliche Verhandlung ausgesprochen. Abgesehen von theoretischen Gesichtspunkten beruht das im Wesentlichen auf der Erwägung, der unterlegene Teil werde eine Beschlussverfügung ohnehin angreifen, weswegen der Verzicht auf die mündliche Verhandlung nichts bringe. Bei diesen Überlegungen wird zu wenig berücksichtigt, dass die praktische 807 Seitz, Kap. 9 Rz. 94 ff. 808 Ähnlich LG Berlin v. 23.7.2015 – 27 O 351/15. 809 Ebenso Löffler/Sedelmeier, Rz. 199; die gegenteilige Meinung des LG Mannheim, ArchPR 1976, 53 und LG Berlin v. 23.7.2015 – 27 O 351/15, ist abzulehnen. 810 Rz. 46; a.A. OLG Hamburg v. 21.6.1979 – 3 U 39/79, AfP 1979, 361. 811 OLG Hamburg v. 8.2.1979 – 3 U 170/78, AfP 1979, 400; v. 14.2.1980 – 3 U 124/79, AfP 1980, 104. 812 Löffler/Sedelmeier, Rz. 205. 813 Seite, AfP 1991, 581. 814 Schmid, AfP 1992, 31.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 234 Kap. 11
Besonderheit des Gegendarstellungsverfahrens vor allem darin besteht, dass der Gegendarstellungsanspruch im Falle der Betroffenheit und bei Wahrung von Frist und Form fast immer durchsetzbar ist, so dass es im Regelfall nur um die ordnungsgemäße Formulierung geht. Darüber lässt sich anhand eines bloßen Vergleiches der Gegendarstellung mit der Erstmitteilung entscheiden. Hält das Gericht den Antrag aufgrund dieses Vergleiches für begründet, macht die Terminsanberaumung nur Sinn, wenn es der Meinung ist, der Antragsgegner werde im Termin womöglich Einwendungen vorbringen, die sich weder aus der Vorkorrespondenz noch aus den vom Gericht angestellten Erwägungen ergeben. Hält das Gericht den Antrag für unbegründet, ist die Terminsanberaumung unverzichtbar, falls es davon ausgeht, die Formulierungsmängel ließen sich im Termin beheben, etwa durch eine Kürzung auf der Grundlage der Bündelungstheorie. Meint das Gericht, wie z.B. das LG und das OLG Hamburg, Formulierungsmängel seien im Termin nicht behebbar, könnte es dem Antragsteller in der mündlichen Verhandlung nur eröffnen, sein Antrag sei unbegründet. Das lässt sich auch kostengünstiger mitteilen. Diese pragmatische Betrachtung erweist, dass entgegen den zitierten Literaturstimmen eine Terminsanberaumung nur bedingt empfehlenswert ist. Auch das Argument, im Falle der Einreichung einer Schutzschrift sei die Anberaumung ei- 233 nes Verhandlungstermins praktisch stets angezeigt, weil mit Widerspruch und Einstellungsantrag zu rechnen sei und es einer mündlichen Verhandlung ohnehin bedürfe, überzeugt nicht: Erlässt das Gericht die einstweilige Verfügung trotz der Schutzschrift, weiß der Antragsgegner, dass die darin enthaltenen Argumente nicht für überzeugend gehalten werden. In diesen Fällen sollte insbesondere bei auswärtigem Antragsteller bzw. Verfahrensbevollmächtigtem der besondere Aufwand einer mündlichen Verhandlung vermieden werden. Sonst sollte der Antragstellervertreter über die Auffassung des Gerichts telefonisch unterrichtet werden, damit er eine sachgerechte Konsequenz ziehen kann. Dies dient auch der Beschleunigung des Verfahrens. Hat etwa ein Verpflichteter ein Gegendarstellungsverlangen ohne Begründung zurückgewiesen und reicht eine Schutzschrift mit bislang unerörtert gebliebenen Sachverhaltsdarstellung ein, empfiehlt sich zunächst eine telefonische Rückfrage beim Antragsteller, ob er die neue Sachverhaltsdarstellung, aus der sich ein irreführender Charakter der Gegendarstellung ergeben könnte, zugesteht. Heißt es in der Gegendarstellung z.B., entgegen der Erstmitteilung hätten die zitierten Auskunftspersonen nicht in dem kritisierten Heim gelebt und dort keine Erfahrungen sammeln können. Und wird demgegenüber in der Schutzschrift behauptet, die Auskunftspersonen hätten in einem einheitlich verwalteten Nachbargebäude gewohnt, das ebenso wie das Hauptgebäude gemeint gewesen sei, stehen sich zwei Sachverhalte gegenüber. Ob die verlangte Gegendarstellung zulässig ist, hängt vom zugrunde zu legenden Sachverhalt ab. Ist der neue Sachverhalt richtig, muss der Betroffene dies durch eine neue Formulierung berücksichtigen. Eine mündliche Verhandlung ist nur angezeigt, wenn eine solche Änderung im Verfahren ohne erneute Unterzeichnung und Zuleitung möglich ist oder der Antragsteller auf seiner Variante beharrt. Ein spezielles Verfahren hat das LG Hamburg entwickelt, das wegen der in Hamburg ansässi- 234 gen Verlage in Gegendarstellungssachen wahrscheinlich häufiger als andere in Anspruch genommen wird. Da es angesichts seines strengen, oft wohl zu strengen Prüfungsmaßstabes dort nur unter besonders glücklichen Umständen gelingt, bereits beim ersten Versuch durchzudringen, und LG und OLG Hamburg andererseits meinen, eine Änderung oder Kürzung des Textes sei ohne erneute Unterzeichnung und Zuleitung nicht möglich, würde der weit überwiegende Teil der Anträge abgewiesen werden, wenn es keinen Ausweg gäbe. Diesen Ausweg hat das LG Hamburg auf der Basis des auch außerhalb der mündlichen Verhandlung geltenden § § 139 Abs. 2 ZPO dadurch entwickelt, dass es den Antragstellervertreter telefonisch
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Kap. 11 Rz. 235
Gegendarstellungsanspruch
über seine Bedenken unterrichtet und es ihm überlässt, den Antrag zurückzunehmen, eine geänderte Fassung erneut in unterzeichneter Form zuzuleiten und einen weiteren Verfügungsantrag zu stellen. Diesem 2., evtl. erst einem 3. oder 4. Antrag entspricht das LG Hamburg dann ggf. im Beschlusswege. Da die Gegendarstellung bis dahin so geschrumpft ist, dass sie sich im Zweifel unter keinem rechtlichen Aspekt mehr angreifen lässt, haben Widerspruch und Berufung des Antragsgegners kaum Chancen. Diese Verfahrensweise ist im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs verfassungsrechtlich bedenklich. Auch wenn jede Gegendarstellung einen anderen Streitgegenstand bildet, verletzt die Vergehensweise das Verfahrensgrundrecht auf prozessuale Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG)815. Jedenfalls soweit der Antragsteller seinen Antrag nicht unmittelbar nach entsprechendem Hinweis zurück nimmt, ist dieser dem Antragsgegner zuzustellen und ihm ggf. auch ohne mündliche Verhandlung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dies gilt insbesondere, wenn an Stelle einer sofortigen Rücknahme Hilfsanträge in das Verfahren eingeführt werden. 235
Es soll hier für keines der denkbaren Prinzipien votiert werden, sondern für ein sinnvolles Verfahren. Was sinnvoll ist, hängt von den Umständen ab. Wesentlich ist, ob das Gericht in Gegendarstellungssachen so viel Erfahrung hat, dass es mögliche Einwendungen auch selbst hinreichend sicher zu erkennen vermag und durch eine mündliche Verhandlung mutmaßlich nicht viel Neues erfährt. Dann kann ggf. im Beschlusswege zuerkannt werden. Zudem ist entscheidend, ob Formulierungsmängel auch ohne erneute Unterzeichnung und Zuleitung behebbar sind. Dann empfiehlt sich bei vorhandenen Mängeln Terminierung. Meint das Gericht, Formulierungsmängel seien im Termin nicht behebbar, ist Terminsanberaumung wenig sinnvoll.
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Gegen eine Zurückweisung eines Verfügungsantrages ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist fristgebunden. Überdies empfiehlt sich infolge des Aktualitätserfordernisses eine möglichst rasche Einlegung (vgl. Rz. 212 ff.). Abgesehen davon ist die Forderung einer geänderten Gegendarstellung nach Ablauf der Ausschlussfrist nicht mehr möglich. Die Beschwerde ist beim Prozessgericht einzureichen. Nach h.M. besteht Anwaltszwang. h) Berufung
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Nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip genügt die Fehlerhaftigkeit einer Gegendarstellung auch nur in einem Punkt für die Zurückweisung des Antrages. Stützt das Gericht die Zurückweisung auf mehrere selbständige Gründe, muss sich die Berufungsbegründung mit allen Erwägungen des Ersturteils befassen. Andernfalls ist die Berufung gem. § 520 ZPO unzulässig816. Zur Änderung im Verfahren vgl. Rz. 243 ff. i) Möglichkeit der Revision
238
Nach gegenwärtigem Rechtszustand kommt eine Revision nur in Bayern (nach Auflösung des BayObLG zum BGH) und Sachsen in Betracht, ferner bei Verfahren gegen den RBB (s. Rz. 311). Die Revision setzt die Zulassung durch das Berufungsgericht oder auf Beschwerde 815 BVerfG v. 6.6.2017 – 1 BvQ 16/17, 1 BvQ 17/17, 1 BvR 764/17, 1 BvR 770/17, NJW 2017, 2985. 816 BGH v. 27.11.2003 – IX ZR 250/00, MDR 2004, 405 = NJW-RR 2004, 641; OLG München v. 17.11.2000 – 21 U 4788/00, AfP 2001, 132.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 240 Kap. 11
gegen die Nichtzulassung durch das Revisionsgericht voraus (§ 543 Abs. 1 ZPO). Geht man zusammen mit dem BGH817 und dem Bundesverfassungsgericht818 davon aus, dass der Landesgesetzgeber befugt ist, nicht nur das materielle, sondern auch das Gegendarstellungsverfahrensrecht zu regeln, sollte erwogen werden, die Möglichkeit der Zulassung der Revision landesrechtlich zu regeln. Würde von dieser Möglichkeit sparsamer Gebrauch gemacht, nämlich nur in Fällen, in denen es um die Rechtsvereinheitlichung geht, wäre das die bestmögliche Regelung des Gegendarstellungsverfahrensrechts. j) Verfassungsbeschwerde und einstweilige Anordnung Von der Möglichkeit, nach Ausschöpfung des Rechtswegs Verfassungsbeschwerde einzulegen, 239 wird in jüngerer Zeit vermehrt Gebrauch gemacht. Angesichts grundsätzlich fehlender Revisionsmöglichkeiten sind die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Gegendarstellungsrecht zu begrüßen819. Sie vermögen eine Revisionsinstanz jedoch nicht zu ersetzen. Zudem führt die chronische Überlastung des Gerichts zu überlangen Verfahren. Damit entfernt sich das Gegendarstellungsrecht immer mehr von seinem Zweck, den Betroffenen in dem Medium zu Wort kommen zu lassen, solange die Erstäußerung noch im Gedächtnis der Rezipienten ist. Wurde die Gegendarstellung bereits abgedruckt, macht dies die Verfassungsbeschwerde nicht 240 unzulässig820. Auch soweit die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache festgestellt wurde, steht dies der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde nicht entgegen821, da ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse an der Klärung der Rechtmäßigkeit der bereits abgedruckten Gegendarstellung regelmäßig anzunehmen ist. Allerdings ist der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 17.9.2003 auf den Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) und die Unzumutbarkeit eines Hauptsacheverfahren verfehlt, da nach dem im entschiedenen Fall anzuwendenden § 11 Abs. 4 S. 4 LPG Baden-Württemberg ein Hauptsacheverfahren ausgeschlossen ist822. Auch soweit einzelne Gegendarstellungsregelungen ein Hauptsacheverfahren zulassen, erscheint ein Verweisen auf das Ausschöpfen der Rechtsschutzmöglichkeiten durch ein Hauptsacheverfahren in Gegendarstellungssachen nicht zumutbar. In den jüngeren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht auf diesen Hinweis verzichtet823. Zur wirksamen Prozessvertretung vor dem Bundesverfassungsgericht ist eine auf das konkrete Verfahren bezogene Vollmacht erforderlich (§ 22 Abs. 2 817 BGH v. 31.3.1965 – VI ZR 56/65, NJW 1965, 1230 – Bamfolin. 818 BVerfG, AfP 1975, 800. 819 Vgl. BVerfG v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 – Panorama; v. 8.2.1983 – 1 BvL 20/81, MDR 1983, 551 = NJW 1983, 1179; v. 13.11.1992 – 1 BvR 708/92, NJW 1993, 1461; v. 19.2.1993 – 1 BvR 1424/92, AfP 1993, 474; v. 14.1.1998 – 1 BvR 1995/94, NJW 1998, 1385; v. 25.8.1998 – 1 BvR 1435/98, NJW 1999, 483; v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, NJW 2018, 1596; v. 9.4.2018 – 1 BvR 840/15. 820 BVerfG v. 17.9.2003 – 1 BvR 825/99, AfP 2004, 48; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229. 821 BVerfG v. 17.9.2003 – 1 BvR 825/99, AfP 2004, 48; v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, NJW 2018, 1596 Rz. 13. 822 Vorinstanz: OLG Karlsruhe v. 16.4.1999 – 14 U 189/98, Die Justiz 1999, 339; zutreffend zum LPG Hamburg: BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58. 823 BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229.
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Kap. 11 Rz. 241
Gegendarstellungsanspruch
BVerfGG)824. Zur Folgeentscheidung nach teilweiser Aufhebung vgl. OLG München, AfP 1999, 84 und die Entscheidungen des OLG Zweibrücken825. 241
Wegen der langen Verfahrensdauer hat der einstweilige Rechtsschutz an Bedeutung gewonnen. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet aufgrund einer Folgenbeurteilung und -abwägung, wenn sich die Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist826. Es wägt dann die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen ab, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, aber der Verfassungsbeschwerde der Erfolg zu versagen wäre. Die Folgenabwägung hat soweit ersichtlich bislang zumeist zu einem Unterliegen des Medienunternehmens geführt. Zur Begründung führt das Bundesverfassungsgericht aus, eine Gegendarstellung sei auf Zeitnähe zur Erstmitteilung angewiesen und könnte ihre Aufgabe bei einem Abdruck erst nach einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde nicht mehr erfüllen bzw. ihre Funktion würde sogar konterkariert. Demgegenüber habe das Medium die unmittelbare Möglichkeit zu publizistischer Äußerung und könne einen etwaigen Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde zum gegebenen Zeitpunkt öffentlich wirksam herausstellen. Die stereotype Begründung, mit der das Bundesverfassungsgericht von einer einstweiligen Anordnung zugunsten der Medien bislang abgesehen hat, ist nicht bedenkenfrei. Das Gericht scheint davon auszugehen, dass die Medien nach einem Obsiegen im Verfassungsbeschwerdeverfahren Jahre später nochmals den Inhalt der Erstberichterstattung aufgreifen, um den Inhalt der – zu unrecht – abgedruckten Gegendarstellung zurechtzurücken. Es vernachlässigt, dass nach so langer Zeit es im Hinblick auf das Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch für die Medien i.d.R. völlig uninteressant ist, über die Sache selbst nochmals zu berichten. Inhalt einer Berichterstattung nach Sieg oder Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht ist zumeist ein anderer. Es steht die Frage nach einer Fortentwicklung des Medienrechts oder einer Bestätigung bestehender Grundsätze im Mittelpunkt des Interesses. Insoweit ist die Situation des Mediums nicht eine wesentlich andere als die des Betroffenen. Die inhaltliche Korrektur tritt in den Hintergrund und wird von der Öffentlichkeit zumeist kaum wahrgenommen. Dann aber ist angesichts des verfassungsrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit wie auch der Pressefreiheit das Abstellen auf die theoretischen Möglichkeiten der Medien ein bloßes Scheinargument. k) Erledigung der Hauptsache
242
Die Hauptsache erledigt sich, wenn der Anspruch ursprünglich begründet war, aber im Verlaufe des Verfahrens entfällt. Das kann infolge Erfüllung des Gegendarstellungsanspruches, d.h. durch Abdruck erfolgen. Wird die Leistung aufgrund eines nur vorläufig vollstreckbaren Titels und lediglich unter dem Druck der Zwangsvollstreckung erbracht, bedeutet dies im allgemeinen keine Erfüllung und führt deswegen auch nicht zur Erledigung827. Dies hat 824 BVerfG v. 14.11.2001 – 2 BvR 1898/01, NJW 2002, 428. 825 OLG Zweibrücken v. 5.9.2012 – 4 U 72/12, BeckRS 2014, 03080; v. 6.11.2008 – 3 W 152/12, BeckRS 2014, 03081; v. 6.3.2013 – 3 W 42/13, BeckRS 2014, 03079; aufgehoben durch BVerfG v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433; Folgeentscheidung: OLG Zweibrücken v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169, erneut aufgehoben durch BVerfG v. 7.2.2018 – 1 BvR 442/15, NJW 2018, 1596. 826 Vgl. BVerfG v. 19.11.1993 – 1 BvR 1861/93, NJW 1994, 1948; v. 7.5.1996 – 1 BvQ 4/96, NJW-RR 1996, 980; v. 11.8.2000 – 1 BvQ 22/00, NJW-RR 2000, 1713; v. 24.8.2001 – 1 BvQ 35/01, NJW 2002, 356 – Gysi I; v. 30.8.2001 – 1 BvQ 36/01, NJW 2002, 357 – Gysi II. 827 BGH v. 19.1.1983 – VIII ZR 315/81, BGHZ 86, 267 = MDR 1983, 397 = NJW 1983, 1111.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 242 Kap. 11
der BGH828 auch für den Fall der Erteilung einer Auskunft angenommen. Auch wenn der Anspruchsteller in nicht rückgängig zu machender Weise das erhalte, was er erstrebe, fehle dem Leistenden der Erfüllungswille. Für die Frage der Erfüllung komme es aber nicht auf die faktische, sondern auf die rechtliche Erfüllungswirkung an. Nach verbreiteter Auffassung gilt das auch für Gegendarstellungsverfügungen829. Diese Ansicht träfe nur zu, wenn es zulässig und sinnvoll wäre, die Gegendarstellung „unter Vorbehalt“ abzudrucken, was im Falle rechtskräftiger Verurteilung den erneuten „endgültigen“ Abdruck erforderlich machen würde. Derartige Konstruktionen sind abzulehnen. Ein Abdruck „unter Vorbehalt“ ist für den Betroffenen diskriminierend und damit unzulässig. Erfolgt der Abdruck aber ohne Vorbehalt und ohne Erfüllungswillen „endgültig“, schafft er ein nicht rückgängig zu machendes Faktum und hat damit die Erledigung der Hauptsache zur Folge830. Die Gegenmeinung vernachlässigt die bleibenden Wirkungen des Abdrucks. Zahlungsansprüche können rückabgewickelt werden. Bei erteilter Auskunft könnte über § 945 ZPO angeordnet werden, von der erteilten Information keinen Gebrauch zu machen und diese auch nicht an Dritte weiterzuleiten. Auch bei einer zwangsweisen Räumung einer Wohnung831 kann durch erneute Einräumung des Gebrauchs die Wirkung jedenfalls für die Zukunft „rückgängig“ gemacht werden. Vergleichbares ist nach erfolgtem Abdruck einer Gegendarstellung nicht möglich. Die Leserschaft hat die Gegendarstellung wahrgenommen und in ihren Meinungsbildungsprozess aufgenommen. Auch eine Erklärung des Mediums, die Gegendarstellungsverpflichtung sei nunmehr rechtskräftig entfallen, kann die Folgen nicht umkehren. Der Anspruch ist objektiv erfüllt. Eine andere Frage ist, ob ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung in der Sache selbst besteht, wenn der Beklagte davon ausgeht, das Gegendarstellungsverlangen sei von Anfang an unbegründet gewesen, weswegen der Abdruck ohne rechtliche Verpflichtung erfolgt sei. Das ist bereits nach allgemeinem Prozessrecht zu bejahen, wenn sich der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht anschließt. Das Gericht hat entweder festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, oder den Antrag abzuweisen832.
828 BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 138/83, BGHZ 94, 268, 274 = MDR 1985, 825. 829 OLG Düsseldorf, AfP 1976, 194; OLG Hamburg v. 11.11.1976 – 3 U 125/76 u. 3 O 126/75, AfP 1977, 240; v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 403; BGH v. 27.11.1979 – VI ZR 148/78, MDR 1980, 301 = AfP 1980, 35; OLG Hamburg v. 19.3.1981 – 3 U 181/80, AfP 1982, 35; OLG München v. 13.2.1987 – 21 U 5627/86, NJW 1988, 349; v. 13.9.1989 – 21 U 3567/89, AfP 1990, 53; v. 22.8.2017 – 18 U 1632/17 Pre, AfP 2017, 499; OLG Karlsruhe v. 19.6.1996 – 14 U 242/95, AfP 1998, 65; v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267; v. 13.4.2016 – 6 U 224/15, AfP 2017, 75; OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 325 – ohne Begründung; Seitz/Schmidt/Schoener, 3. Aufl., Rz. 666 f.; Kühle, AfP 1984, 238. 830 Im Ergebnis ähnlich OLG Frankfurt v. 2.3.1983 – 8 U 177/81, AfP 1983, 279 m.w.N.; ebenso OLG Hamburg v. 7.6.1973 – 3 U 21/73, MDR 1973, 1028; OLG Karlsruhe v. 16.4.1999 – 14 U 189/98, Die Justiz 1999, 339; OLG Koblenz v. 13.12.2005 – 4 U 1491/05, NJW-RR 2006, 484; OLG Zweibrücken v. 29.1.2015 – 4 U 81/14, AfP 2015, 169; LG Freiburg v. 6.8.1998 – 1 O 333/98, AfP 1998, 528; Götting/Schertz/Seitz-Spangler, § 55 Rz. 58; ebenso nun Seitz, Kap. 10 Rz. 65. 831 Vgl. BGH v. 9.2.2011 – VIII ZR 155/10, NJW 2011, 1135; OLG München v. 22.8.2017 – 18 U 1632/17 Pre, AfP 2017, 499. 832 OLG Frankfurt v. 2.3.1983 – 8 U 177/81, AfP 1983, 279, 281; OLG Koblenz v. 13.12.2005 – 4 U 1491/05, NJW-RR 2006, 484; ähnlich auch OLG Karlsruhe, OLGZ 1979, 351; v. 16.8.1984 – 9 U 225/83, AfP 1984, 237; v. 16.4.1999 – 14 U 189/98, Die Justiz 1999, 339; KG, AfP 1977, 286; OLG Nürnberg, NJW 1952, 1418.
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Kap. 11 Rz. 243
Gegendarstellungsanspruch
6. Änderung der Gegendarstellung im Verfahren 243
Geht man davon aus, dass der Gegendarstellungsanspruch erst durch Zuleitung einer abdruckfähigen Gegendarstellung konkretisiert wird833, d.h. in Wahrheit erst entsteht (Rz. 141)834, hat eine Änderung der Gegendarstellung, die Gegenstand eines Verfügungsverfahrens ist, zur Voraussetzung, dass die Neufassung auch ihrerseits zugeleitet wird; sonst ist der Anspruch, der die Neufassung zum Gegenstand hat, noch nicht entstanden. Enthält die Antragserwiderung der Abdruckverpflichteten Einwendungen, die sich als begründet erweisen könnten, ist folglich in besonderer Weise empfehlenswert, eine nachgebesserte Fassung der Gegendarstellung zuzuleiten und diese Fassung als Hilfsantrag in das Verfahren einzuführen, was auch nach Auffassung des OLG Hamburg zulässig ist835.
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Erhebliche Schwierigkeiten können sich ergeben, wenn die Zuleitung einer nachgebesserten Fassung unterlassen wird bzw. wenn Einwendungen erst im Termin zur Erörterung gestellt werden. Dann ergibt sich die Frage, ob eine Unterzeichnung und Zuleitung der Neufassung erforderlich ist. Das OLG Frankfurt hält das nicht für erforderlich836. Hält man die Unterzeichnung der Neufassung für unverzichtbar, wird man die Verwendung einer bereitgehaltenen Blankounterschrift als ausreichend ansehen müssen (vgl. Rz. 133). Durch die Zurverfügungstellung einer Blankounterschrift gibt der Antragsteller, dessen Identität feststeht, zu erkennen, dass er mit rechtlich notwendigen Änderungen des Textes durch den Prozessbevollmächtigten einverstanden ist.
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Wesentlich ist vor allem, ob die erforderliche Zuleitung der Neufassung durch Übergabe an den Prozessbevollmächtigten bewirkt werden kann oder ob sie dem Verantwortlichen bzw. dem Verleger zugänglich gemacht werden muss, was während des Termins u.U. technischen Schwierigkeiten begegnet. Das OLG Hamburg geht davon aus, die rechtliche Situation könne nicht anders beurteilt werden als bei der erstmaligen Zuleitung. Eine geänderte Fassung müsse also ebenfalls den Abdruckverpflichteten zugeleitet werden, damit die Presse die Möglichkeit habe, aufgrund dieses neuen Sachverhaltes zu entscheiden, ob der Abdruck erfolgen soll837. Das OLG Frankfurt bezeichnet diese Auffassung als „unvertretbaren Formalismus“ und lässt in gleichfalls ständiger Rechtsprechung ausreichen, dass der Prozessbevollmächtigte von der geänderten Fassung Kenntnis erlangt838. Dies hat zur Folge, dass eine Gegendarstellungsforderung innerhalb des OLG-Bezirks Frankfurt an Formulierungsfragen praktisch nicht scheitern kann. Vorhandene Mängel lassen sich noch während des Termins beseitigen. Ist das unterblieben, kann das Gericht nach Frankfurter Auffassung auch seinerseits Änderungen vornehmen839. In ganz ähnlichem Sinne geht auch das Kammergericht davon aus840, eine erneute Zuleitung erübrige sich, wenn die später geforderte Fassung den gleichen Aussagegehalt habe 833 OLG Hamburg v. 2.4.1981 – 3 U 143/80, AfP 1981, 410. 834 Sedelmeier AfP 2012, 345. 835 OLG Hamburg v. 3.9.1982 – 3 U 73/82, AfP 1984, 155; v. 24.3.1988 – 3 U 19/88, AfP 1989, 465, 466. 836 St. Rspr.; vgl. OLG Frankfurt v. 19.6.1980 – 16 U 88/80, AfP 1980, 225. 837 St. Rspr., vgl. OLG Hamburg v. 17.2.1977 – 3 U 148/76, AfP 1978, 158; v. 22.2.1979 – 3 U 193/78, AfP 1979, 405, 406; ebenso Mathy, AfP 1971, 159; Heidenreich, AfP 1977, 288; Damm, FS Löffler, S. 33; Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 216; Sedelmeier, AfP 2007, 324. 838 So u.a. OLG Frankfurt v. 19.6.1980 – 16 U 88/80, AfP 1980, 225. 839 OLG Frankfurt, NJW 1971, 471; v. 5.7.1979 – 16 U 48/79, AfP 1979, 359; v. 25.2.1982 – 16 U 164/81, AfP 1982, 179; v. 2.3.1983 – 8 U 177/81, AfP 1983, 279, 281. 840 KG, NJW 1970, 229; AfP 1977, 286; v. 9.11.2004 – 9 U 215/04, ZUM-RD 2005, 53; v. 21.3.2006 – 9 U 40/06, AfP 2006, 255.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 247 Kap. 11
wie die ursprüngliche. Dies sei bei bloßen Korrekturen oder Kürzungen selbständiger Punkte der Fall841. Gleiches gelte bei Ergänzungen der ursprünglichen Fassung, wenn diese lediglich nicht zwingend gebotene Klarstellungen enthielten oder auf einer Rüge des Verpflichteten beruhten. Dann wäre es ein reiner Formalismus, eine erneute Zuleitung der geänderten Gegendarstellung zu verlangen842. Dazu weist das Kammergericht darauf hin843, die Belange der Presse gewahrt seien, wenn ihr vor dem Verfahren eine Fassung zugeht, aus der sich die Aussage des Betroffenen ihrem Inhalt nach ergibt. Sie könne dann Stellung nehmen. Mit der Gestattung von Änderungen während des Verfahrens, die in bestimmtem Umfang auch das Gericht vornehmen könne, werde dem Einsender nur die Möglichkeit gegeben, die Gegendarstellung abdruckfähig zu machen. Durch ein sofortiges Anerkenntnis könne der Verpflichtete vermeiden (§ 93 ZPO), dass ihm Kosten auferlegt werden844. Ähnlich meint auch das OLG Brandenburg845, dass es auf die Erfüllung der medienrecht- 246 lichen Voraussetzungen, wie Zuleitung einer Gegendarstellung an den Verpflichteten selbst, dann nicht ankomme, wenn diese dem Prozessbevollmächtigten im Termin übergeben werde und dieser mit oder ohne Rücksprache mit dem Verpflichteten die Veröffentlichung ablehne. Dies stelle eine endgültige Erfüllungsverweigerung dar. Dann wäre es ein reiner Formalismus, eine erneute Zuleitung der geänderten Gegendarstellung zu verlangen. Der Prozessbevollmächtigte sei vielmehr verpflichtet, will er diese Folge vermeiden, eine Vertagung zu beantragen, da er keine Erklärung zu der geänderten Gegendarstellung abgeben könne. Die Auffassung des OLG Hamburg ist formal sicher zutreffend. Mit Ausnahme von Bayern 247 und Hessen ist in § 11 Abs. 2 sämtlicher LPG vorgesehen846, dass die Gegendarstellung dem verantwortlichen Redakteur oder dem Verleger zugehen muss. Erst mit Zugang entsteht der Anspruch auf Abdruck. Geht sie lediglich dem Prozessbevollmächtigten zu, ist das gesetzliche Konkretisierungserfordernis bei strenger Interpretation nicht erfüllt. Dies übersieht die Gegenmeinung. Bezüglich eines Punktes kann der Hamburger Auffassung nicht gefolgt werden. Da das OLG Hamburg keinerlei Änderungen zulässt, geht es davon aus, auch eine gekürzte Gegendarstellung sei erneut zu unterzeichnen und zuzuleiten. Das ist zumindest unzutreffend, wenn mit der Gegendarstellung durch inhaltlich selbständige Angaben auf mehrere Behauptungen entgegnet wird. Dann wird nicht nur eine, sondern es werden mehrere Gegendarstellungen gefordert, die allerdings zu einem Bündel zusammengefasst sind. Dieses Bündel aufzuschnüren, sind zwar nicht die Anspruchsverpflichteten berechtigt, wohl aber ist es der betroffene Anspruchsteller. Er kann deswegen als bloßes Minus in erster Linie oder auch hilfsweise die Zuerkennung lediglich des oder der Gegendarstellungspunkte fordern, die inhaltlich unbedenklich sind847. Es muss sich aber um Punkte handeln, die aus sich heraus verständlich sind, so dass das Streichen des einen Punkts das Verständnis der verbleibenden 841 842 843 844 845 846
KG v. 31.10.2013 – 10 U 117/13. KG v. 21.3.2006 – 9 U 40/06, AfP 2006, 255. KG v. 18.5.1984 – 9 U 565/84, ZUM 1985, 103, 104. KG v. 31.10.2013 – 10 U 117/13, n.v. OLG Brandenburg v. 13.10.1999 – 1 U 17/99, NJW-RR 2000, 326, 327. Berlin § 10 Abs. 2, Brandenburg § 12 Abs. 2, Mecklenburg-Vorpommern § 10 Abs. 2, Saarland § 10 Abs. 3 Nr. 4 SMG, Sachsen § 10 Abs. 3, Sachsen-Anhalt § 10 Abs. 2. 847 Näheres Wenzel, AfP 1982, 89; so auch Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 221; OLG Düsseldorf v. 21.3.2001 – 15 U 285/00, AfP 2001, 327, 328; OLG München v. 15.3.2002 – 21 U 1914/02, CR 2002, 847 = AfP 2003, 70; KG v. 9.11.2004 – 9 U 215/04, ZUM-RD 2005, 53; v. 21.3.2006 – 9 U 40/06, AfP 2006, 255; v. 31.10.2013 – 10 U 117/13; OLG Stuttgart v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252; OLG Karlsruhe v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267; krit. OLG Celle v. 22.1.2009 – 13 W 135/08, AfP 2010, 475.
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Kap. 11 Rz. 248
Gegendarstellungsanspruch
nicht ändert848. Da die Gegendarstellung eine höchstpersönliche Erklärung des Betroffenen ist, scheidet nach Ansicht des OLG Karlsruhe849 eine Kürzung durch den Prozessbevollmächtigten auch dann aus, wenn dieser umfassend bevollmächtigt ist850. Daher kann auch das Stellen entsprechender Hilfsanträge die persönliche Ermächtigung nicht ersetzen851. Erteilt der Betroffene dem Prozessbevollmächtigten konkrete Weisungen, bestimmte Punkte im Zweifel fallen zu lassen, oder eine persönliche Ermächtigung zur Kürzung, ist dies ausreichend852. Kann der Betroffene am Termin zur mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen, bedarf es der Vorlage einer entsprechenden schriftlichen und eigenhändig unterzeichneten Erklärung853. Das OLG Celle854 folgt ebenso der Bündelungstheorie. Es lässt nicht nur die Herauslösung und (hilfsweise) Geltendmachung einzelner, abtrennbarer Gegendarstellungspunkte zu. Es hält den Antragsgegner darüber hinaus für verpflichtet, die Gegendarstellung hinsichtlich der nicht zu beanstandenden Punkte abzudrucken, jedenfalls hierzu die Bereitschaft zu erklären. Lehne der Verpflichtete den Abdruck insgesamt ab, obgleich einzelne Teile abdruckfähig sind, könne er sich, auch wenn später nur die abdruckfähigen Punkte gerichtlich geltend gemacht würden, nicht auf § 93 ZPO berufen855. Auch das OLG Köln geht im Ergebnis von der Bündelungstheorie aus856. Unter Berufung auf das OLG Frankfurt857 vertritt es die Auffassung, dass das Gericht einzelne selbständige Gegendarstellungspunkte abweisen und andere zusprechen kann, wenn der Kläger einen auf die begründeten Punkte beschränkten (Hilfs-)Antrag gestellt und der Beklagte Gelegenheit zum sofortigen Anerkenntnis gehabt hat858. In einer weiteren Entscheidung meint das OLG Köln aber859, die gekürzte Fassung könne ohne Zuleitung nicht zuerkannt werden. 248
Die Bedenken des OLG Hamburg gegen die Bündelungstheorie beruhen auf einem offenbaren Missverständnis. Das OLG Hamburg meint860, die Bündelungstheorie ermögliche „letztlich“ eine Teilabweisung einzelner Gegendarstellungspunkte mit der Folge, dass der Betroffene eine gekürzte Fassung „gegen seinen Antrag und Willen“ hinzunehmen habe. Die Ansicht, das Gericht könne von sich aus Kürzungen vornehmen, wird von niemandem vertreten. Es bedarf stets eines entsprechenden (Hilfs-)Antrages oder einer Ermächtigung des Gerichts861. Demzufolge erklärt sich der Betroffene mit einer gekürzten Fassung zumindest hilfsweise einverstanden. Die Sorge des OLG Hamburg ist also unbegründet.
848 OLG Stuttgart v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252; OLG Frankfurt v. 28.8.2008 – 16 U 223/08, AfP 2008, 628; OLG Karlsruhe v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267. 849 OLG Karlsruhe v. 12.5.1999 – 6 U 22/99, NJW-RR 2000, 323, 325. 850 A.A. KG v. 9.11.2004 – 9 U 215/04, ZUM-RD 2005, 53. 851 OLG Frankfurt v. 28.8.2008 – 16 U 223/08, AfP 2008, 628. 852 OLG Karlsruhe v. 25.10.2002 – 14 U 67/02, AfP 2003, 439 = NJW-RR 2003, 109. 853 OLG Karlsruhe v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267. 854 OLG Celle v. 13.7.1994 – 13 W 45/94, NJW-RR 1995, 794. 855 Ähnlich OLG Stuttgart v. 23.7.1976 – 4 U 124/86, NJW-RR 1987, 373; OLG Brandenburg v. 13.10.1999 – 1 U 17/99, NJW-RR 2000, 326, 328. 856 OLG Köln v. 2.7.1985 – 15 U 127/85, AfP 1985, 227, 228 m. abl. Anm. Damm. 857 OLG Frankfurt v. 5.7.1979 – 16 U 48/79, AfP 1979, 359. 858 Ebenso OLG Frankfurt v. 21.6.1985 – 10 U 131/85, AfP 1985, 289, 291. 859 OLG Köln v. 10.1.1989 – 15 U 198/88, NJW-RR 1990, 1119. 860 OLG Hamburg, AfP 1993, 592. 861 OLG München v. 26.6.1998 – 21 U 3494/98, NJW-RR 1998, 1632; v. 6.11.1998 – 21 U 5847/98, ZUM-RD 1999, 8; OLG Karlsruhe v. 12.5.1999 – 6 U 22/99, NJW-RR 2000, 323.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 251 Kap. 11
Geht man zusammen mit dem BGH862 von der hier vertretenen Auffassung aus, scheitert 249 ein Gegendarstellungsverfahren jedenfalls nicht schon daran, dass die Gegendarstellung einen oder einige Punkte oder Formulierungen enthält, die den presserechtlichen Anforderungen nicht genügen. Vielmehr kommt die Zuerkennung einer gekürzten Fassung selbst im Beschlusswege in Betracht, wenn der Berechtigte erklärt hat, mit einer gekürzten Fassung einverstanden zu sein, und der Verpflichtete, eine solche ebenfalls ablehnt863. Dieser Auffassung folgt nun grundsätzlich auch das OLG München864. Unter Hinweis auf das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes hält es das Gericht für befugt, Streichungen selbständiger Punkte vorzunehmen, wenn es dazu ausdrücklich und durch persönliche Erklärung des Betroffenen ermächtigt wurde865. Da nur ein Minus zuerkannt werde, bedürfe es auch keiner weiteren Zuleitung der gekürzten Fassung. Eine Ermächtigung des Prozessbevollmächtigten, nach dessen eigener Entscheidung Änderungen vorzunehmen, genüge allerdings nicht, da dies eine unzulässige rechtsgeschäftliche Vertretung darstelle866. Geht es nicht lediglich um Kürzungen selbständiger Punkte, sondern um Änderungen im eigentlichen Sinne, wird es bei dem Grundsatz des OLG Hamburg verbleiben müssen, dass dem Verantwortlichen oder dem Verleger Gelegenheit zu geben ist, zu der Neufassung auch selbst Stellung zu nehmen867. Diese Gelegenheit lässt sich aber relativ einfach dadurch schaffen, dass zum Termin beim Wohnsitzgericht das persönliche Erscheinen der Antragsgegner angeordnet wird. Ist die Redaktion bzw. der Verlag im Termin vertreten, löst sich das Zuleitungsproblem von selbst. Eine andere Frage ist, ob der Verpflichtete sich auf eine im Termin zugeleitete neue Gegendarstellung einlassen muss, da ihm jedenfalls ausreichend Gelegenheit zur Prüfung der Neufassung zu geben ist, was vor Ort im Gerichtssaal zumeist nicht in gleicher Weise, wie in der Redaktion geschehen kann, und der hierfür einzuräumende Zeitbedarf nicht nur vom Umfang der begehrten Gegendarstellung, sondern auch von der nächstfolgenden Veröffentlichungsmöglichkeit abhängt. Korrekturen von reinen Schreibfehlern sind auch ohne Zuleitung einer Neufassung möglich. 250 Fehler in der Grammatik nur, wenn sich dadurch der Sinngehalt nicht verändert. Eine Änderung liegt vor, wenn durch eine solche Korrektur eine ursprünglich mehrdeutige Äußerung einen eindeutigen Sinngehalt erhält868. Ein Zusatzproblem bedeutet der Streitgegenstand. Sieht man in der Veränderung der Fas- 251 sung einer Gegendarstellung keine Veränderung des Streitgegenstandes, macht die Zurückweisung der einen Fassung den Vorgang zu einer res iudicata, so dass ein erneuter Versuch mit einer anderen Fassung prozessual nicht möglich ist. Um diese Konsequenz zu vermeiden, geht die ständige Rechtsprechung in Hamburg davon aus, dass grundsätzlich jede neue Fassung
862 BGH v. 9.4.1963 – VI ZR 54/62, NJW 1963, 1155 – Geisterreigen. 863 So OLG Frankfurt v. 2.3.1983 – 8 U 177/81, AfP 1983, 279, 281; v. 21.6.1985 – 10 U 131/85, AfP 1985, 289. 864 OLG München v. 26.6.1998 – 21 U 3494/98, NJW-RR 1998, 1632; v. 6.11.1998 – 21 U 5847/98, ZUM-RD 1999, 8. 865 Ebenso OLG Karlsruhe v. 25.10.2002 – 14 U 67/02, AfP 2003, 439 = NJW-RR 2003, 109; a.A. OLG Düsseldorf v. 21.3.2001 – 15 U 285/00, AfP 2001, 327, 328; OLG Jena v. 4.11.1993 – 1 U 372/93, OLG-NL 1994, 58. 866 Ebenso OLG Karlsruhe v. 12.5.1999 – 6 U 22/99, NJW-RR 2000, 323, 325. 867 So auch OLG Düsseldorf v. 28.11.1984 – 15 U 199/84, AfP 1985, 60; die LPG Bayern und Hessen fordern nicht, dass die Gegendarstellung dem Verantwortlichen oder dem Verleger zugeht. 868 Vgl. OLG Oldenburg v. 23.8.2010 – 13 U 23/10, AfP 2011, 74.
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Kap. 11 Rz. 252
Gegendarstellungsanspruch
einen neuen Streitgegenstand bildet869. Diese Auffassung ist zu billigen. Sie macht es allerdings erforderlich, Antragsänderungen großzügig zuzulassen. Seitz870 meint, dass kaum Fälle denkbar seien, in welchen die Sachdienlichkeit der Klageänderung nicht zu bejahen wäre. Demgegenüber lässt das LG Hamburg die Änderung des Gegendarstellungstextes im laufenden Verfahren nicht zu, sondern fordert Rücknahme des Ursprungsantrages. Dem lässt sich durch Aufrechterhaltung des Ursprungsantrages und nur hilfsweiser Forderung der Neufassung begegnen. Mehrere Gegendarstellungsfassungen im Wege eines Haupt- und eines oder mehrerer Hilfsanträge in das Verfahren einzuführen, ist nach zutreffender Auffassung ohne weiteres möglich871. Das Kammergericht meint872, die Institution der Klageänderung sei dem Verfügungsverfahren fremd. Eine Klageänderung erfolge aber auch nicht, wenn zwar der Text der Gegendarstellung geändert werde, nicht aber der Aussagegehalt. 252
Der wenig fruchtbare Streit, ob einem hilfsweisen Antrag auf Zuerkennung einer gekürzten Gegendarstellung erst nach Zuleitung der gekürzten Fassung entsprochen werden kann und ob die gekürzte Fassung einen anderen Streitgegenstand bildet, kann der Gegendarstellungsberechtigte relativ einfach dadurch begegnen, dass er dem Verleger und/oder dem Verantwortlichen neben einer normal gebündelten Gegendarstellung jede einzelne Ziffer in Form einer separat unterzeichneten Gegendarstellung zuleitet. Dann kann nicht mehr argumentiert werden, die Zuständigen hätten keine Veranlassung zur Prüfung jeder einzelnen Ziffer gehabt, weswegen ihnen durch Zuleitung der neuen Konfiguration Gelegenheit gegeben werden müsse, diese Prüfung nachzuholen.
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Sollten gegen diese Lösungsmöglichkeit neue Bedenken entwickelt werden, wäre Einsendern zu empfehlen, den Abdruckverpflichteten alle in Betracht kommenden Kombinationen der einzelnen Gegendarstellungspunkte in jeweils unterzeichneter Form zuzuleiten und sie allesamt als gestaffelte Hilfsanträge in das Verfahren einzuführen. Da die ZPO keine zahlenmäßige Beschränkung von Hilfsanträgen kennt, lässt sich die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens nicht in Zweifel ziehen. Diese äußerste Möglichkeit erweist, dass die auf falschem Ausgangspunkt basierende Formaltheorie, eine gekürzte Gegendarstellungsfassung könne ohne erneute Zuleitung nicht zuerkannt werden, nicht aufrechtzuerhalten ist. Der falsche Ausgangspunkt besteht in der Vorstellung, eine Entgegnung auf mehrere Behauptungen sei eine einheitliche Gegendarstellung, obschon es um mehrere Gegendarstellungen geht, die zu einem Bündel zusammengefasst sind. Da es der Entscheidung des Einsenders überlassen bleibt, welche Behauptungen er in das Bündel aufnehmen will, steht es ihm ebenso frei, einzelne Entgegnungen, gegen die presserechtliche Bedenken erhoben werden, fallenzulassen. Diese Möglichkeit kann der Betroffene durch Einsendung entsprechender Alternativen und ggf. durch entsprechende Hilfsanträge bzw. der von verschiedenen Gerichten für möglich erachteten persönlichen Ermächtigung des Gerichts vorbereiten.
869 So u.a. OLG Hamburg v. 17.2.1977 – 3 U 148/76, AfP 1978, 158; v. 12.3.1981 – 3 U 150/80, AfP 1981, 408; v. 3.9.1982 – 3 U 73/82, AfP 1984, 155; OLG Koblenz v. 6.5.1997 – 4 U 118/97, NJW-RR 1998, 23; OLG Stuttgart v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252; OLG Zweibrücken v. 6.11.2008 – 4 U 48/08, NJOZ 2009, 4188; ebenso Heidenreich, AfP 1977, 287; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 221; Seitz, Kap. 10 Rz. 5 ff.; a.A. OLG Celle v. 13.7.1994 – 13 W 45/94, NJW-RR 1995, 794. 870 Seitz, Kap. 12 Rz. 34. 871 OLG Hamburg v. 12.3.1981 – 3 U 150/80, AfP 1981, 408, 409; OLG Koblenz v. 6.5.1997 – 4 U 118/97, NJW-RR 1998, 23; OLG Düsseldorf v. 21.3.2001 – 15 U 285/00, AfP 2001, 327, 328. 872 KG v. 18.5.1984 – 9 U 565/84, AfP 1984, 228.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 255 Kap. 11
7. Anordnungsbefugnis des Gerichts Nach § 938 ZPO bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Er- 254 reichung des Zweckes erforderlich sind. Selbst wenn diese Vorschrift auf Gegendarstellungsund damit Leistungsverfügungen überhaupt anwendbar sein sollte, ergibt sich daraus nicht, das Gericht sei zur Änderung des Gegendarstellungstextes873 oder einer Kürzung874 befugt, jedenfalls nicht ohne eine persönliche Ermächtigung des Berechtigten875. Abgesehen vom Zugangserfordernis (vgl. Rz. 141), folgt das schon daraus, dass die Gegendarstellung eine persönliche Erklärung des Betroffenen ist. Die gegenteilige Auffassung des OLG Frankfurt876 und des Kammergerichts877, nach der das Gericht zwar die Substanz nicht berühren, aber einzelne Formulierungen streichen oder auch ändern darf, ist bedenklich: Kommt eine zulässige Gegendarstellung erst durch die Veränderung zustande, hätte dem Antragsgegner unabhängig von allen sonstigen Formalfragen Gelegenheit zur Stellungnahme und zum Anerkenntnis gegeben werden müssen. Wäre die Gegendarstellung auch ohne den Eingriff zulässig gewesen, können dafür im Wesentlichen nur Stilfragen ursächlich sein. Diese aber sind nicht justitiabel. In Betracht kommt eine Änderungsbefugnis allenfalls in Bezug auf die Beseitigung grammatikalischer oder orthographischer Fehler878. Auch insoweit sollte größte Zurückhaltung geübt werden879. Bedenklich ist die Auffassung des LG Oldenburg880, das Gericht dürfe einen Namen durch eine Umschreibung (31-jähriger Schlachter) ersetzen. Zu einer solchen im Anonymitätsinteresse gebotenen Änderung ist allein der Betroffene berechtigt. Das Gericht kann die Änderung nur anregen. Nicht zugestimmt werden kann auch der Meinung des OLG München881, wonach das Gericht die gem. § 52 Abs. 1 Satz 3 MStV Berlin-Brandenburg erforderliche Angabe des beanstandeten Programms selbst hinzusetzen darf. Entgegen der Auffassung des OLG München ist die gesetzliche Regelung insoweit eindeutig. Danach hat die Gegendarstellung „das beanstandete Programm und die Sendung“ zu bezeichnen. Fehlt diese Angabe, erfüllt die verlangte Gegendarstellung die gesetzlichen Anforderungen nicht. Das Gericht ist nicht berechtigt, die verlangte Gegendarstellung so zu ändern, dass sie den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Befugt ist das Gericht zur Anordnung der Modalitäten des Abdrucks wie insbesondere Plat- 255 zierung, Schriftgröße, Überschrift und Erwähnung der Überschrift im Inhaltsverzeichnis882 oder auch eine Ankündigung auf dem Titelblatt883. Der Abdruck hat so zu erfolgen, dass der 873 OLG Hamburg v. 12.3.1981 – 3 U 150/80, AfP 1981, 408; OLG Jena v. 4.11.1993 – 1 U 372/93, OLG-NL 1994, 58, 59. 874 OLG Karlsruhe v. 25.5.1994 – 6 U 40/94, AfP 1994, 317; v. 25.5.1994 – 6 U 57/94, AfP 1994, 318; v. 17.12.1997 – 6 U 213/97, AfP 1999, 74; v. 25.10.2002 – 14 U 67/02, AfP 2003, 439; OLG Stuttgart v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252. 875 OLG München v. 26.6.1998 – 21 U 3494/98, AfP 1998, 523; v. 15.3.2002 – 21 U 1914/02, CR 2002, 847 = AfP 2003, 70; OLG Frankfurt v. 28.8.2008 – 16 U 223/08, AfP 2008, 628; OLG Karlsruhe v. 13.2.2009 – 14 U 156/08, AfP 2009, 267. 876 U.a. OLG Frankfurt v. 25.2.1982 – 16 U 164/81, AfP 1982, 179; offengelassen in Urt. v. 16.7.2009 – 16 U 45/09, AfP 2010, 478; ebenso Helle, S. 197; Greiff, NJW 1950, 241. 877 KG v. 18.5.1984 – 9 U 565/84, AfP 1984, 228, 229. 878 So auch BGH v. 9.4.1963 – VI ZR 54/62, NJW 1963, 1155 – Geisterreigen; OLG München, AfP 1973, 483, 484; v. 13.2.1987 – 21 U 5627/86, NJW 1988, 349, 350; OLG Hamburg v. 20.10.1994 – 3 U 162/94, NJW-RR 1995, 1053. 879 Im Ergebnis ebenso Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 207. 880 LG Oldenburg v. 26.9.1985 – 5 O 2883/85, AfP 1985, 299 = NJW 1986, 1268. 881 OLG München v. 12.5.2000 – 21 U 2966/00, AfP 2001, 70. 882 OLG Hamburg, AfP 1977, 245. 883 KG v. 9.1.2007 – 9 U 248/06, AfP 2007, 231.
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Kap. 11 Rz. 256
Gegendarstellungsanspruch
Anschein eines redaktionellen Beitrages vermieden und erkennbar wird, wer der Einsender ist884. Auf entsprechende Anträge sollte das Gericht hinwirken. Diese müssen hinreichend bestimmt sein885. Notfalls kann das Gericht solche Anordnungen auch treffen, wenn der Antragsteller entsprechende Anträge oder Anregungen unterlassen hat886. Der Grundsatz der Waffengleichheit gebietet Anordnungen, bei denen die Gegendarstellung ein gleiches Maß an Aufmerksamkeit erringen kann wie die Erstmitteilung887. Gleichwohl darf die redaktionelle Gestaltungsfreiheit nicht über Gebühr beschränkt werden, da die Verpflichtung zum Abdruck einen erheblichen Eingriff in die Pressefreiheit darstellt888. Dies gilt insbesondere für die Titelseite889. Richtet sich die Gegendarstellung gegen eine in einer Überschrift mit sehr großen Buchstaben enthaltene Behauptung, so kann der Abdruck der Gegendarstellung durchgängig in dieser Schriftgröße zumeist nicht verlangt werden. Die Gegendarstellung würde andernfalls einen unangemessen großen Raum einnehmen, wodurch der Verpflichtete unangemessen in seiner Gestaltungsfreiheit beschränkt würde890. Wird dem gegenüber angeordnet, dass eine Gegendarstellung auf der Titelseite in einer Größe von nicht weniger als 120 % der Größe der Erstmitteilung zu veröffentlichen ist, und entspricht dies zirka einem Drittel des Titelblatts, wird dadurch die Funktion des Titelblatts, eine Identifizierung des Druckwerks zu ermöglichen und wesentliche Inhalte anzukündigen, nicht über Gebühr beeinträchtigt891. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Gegendarstellung schon wegen der Anknüpfung und der Wiederholung der Erstäußerung einen zusätzlichen Raumbedarf hat. 256
Anordnungen des Gerichts hat der Abdruckverpflichtete zu beachten, wenn er den Gegendarstellungsanspruch erfüllen und die Verpflichtung zu erneutem Abdruck vermeiden will. Bei Beachtung der Anordnungen einer rechtskräftigen Entscheidung ist das grundsätzlich der Fall, und zwar auch, wenn dem Betroffenen an sich mehr hätte zugebilligt werden müssen. Ein solcher Mangel lässt sich nicht etwa durch entsprechende Interpretation des Titels im Vollstreckungsverfahren ausgleichen. Die Konkretisierung der Abdruckpflicht in einem rechtskräftigen Urteil ist für das Vollstreckungsgericht bindend. Hat das Gericht keine Anordnungen getroffen, steht es vorbehaltlich des Treu-und-Glauben-Grundsatzes im Belieben des Verpflichteten, wie er den Abdruck vornimmt. Er erfüllt den zuerkannten Anspruch also auch, wenn er eine weniger geeignete Stelle wählt und kleinere Druckbuchstaben verwendet892. Ist der Abdruckverpflichtete von einer gerichtlichen Anordnung nur geringfügig abgewichen, kann die Forderung des erneuten Abdrucks rechtsmissbräuchlich sein. Das ist z.B. der Fall, wenn der Abdruckverpflichtete für die Überschrift nur deswegen geringfügig kleinere Drucktypen verwendet hat, weil die vom Gericht vorgeschriebenen aus technischen Gründen nicht verwendbar waren893.
257
Entspricht das Landgericht der mit dem Hauptantrag geltend gemachten Gegendarstellungsforderung und legt der Verpflichtete dagegen Berufung ein, hat sich das Berufungs884 OLG Oldenburg v. 23.8.2010 – 13 U 23/10, AfP 2011, 74; zur namentlichen Erwähnung vgl. Rz. 182. 885 OLG Hamburg v. 7.4.2015 – 7 W 49/15, MDR 2015, 1265 = AfP 2016, 157 = NJW 2015, 2273. 886 OLG Hamburg, ArchPR 1975, 44. 887 OLG Hamburg, AfP 1977, 245. 888 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58. 889 BVerfG v. 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, 1 BvR 1864/96, 1 BvR 2073/97, AfP 1998, 184. 890 KG v. 28.11.2006 – 9 U 210/06, BeckRS 2008, 19869. 891 OLG Karlsruhe v. 9.9.2015 – 6 U 110/15, AfP 2016, 164. 892 OLG Frankfurt v. 11.9.1987 – 22 W 36/87, AfP 1987, 717. 893 OLG Hamburg, AfP 1977, 243.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 261 Kap. 11
gericht auch mit in erster Instanz gestellten Hilfsanträgen zu befassen. Dies gilt auch, wenn der Antragsteller und Berufungsbeklagte lediglich Zurückweisung der Berufung beantragt. Wurde der Verpflichtete nach einem Hilfsantrag verurteilt und legt er Berufung ein, so ist über den Hauptantrag nur zu entscheiden, wenn der Antragsteller zugleich (Anschluss-)Berufung einlegt894. Im Berufungsverfahren können Hilfsanträge auch erstmalig gestellt werden. Hat der Verpflichtete die in erster Instanz zuerkannte Gegendarstellung unter dem Druck der 258 Zwangsvollstreckung bereits abgedruckt, kann er gegenüber einem hilfsweisen Antrag auf Verurteilung zum Abdruck einer anderen Fassung den Erfüllungseinwand geltend machen. Mit diesem Einwand dringt er nicht durch, wenn er die Gegendarstellung zwar abgedruckt hat, aber mit unzulässiger Kommentierung. Hat das Landgericht nur die mit einem Hilfsantrag geforderte Gegendarstellung zuerkannt 259 und legt der Anspruchsteller dagegen Berufung mit dem Ziel ein, es solle dem Hauptantrag entsprochen werden, kann sich der Abdruckverpflichtete auf den erfolgten Abdruck der vom Landgericht zuerkannten Fassung grundsätzlich nicht berufen, sofern er ihn ohne Aufforderung des Anspruchstellers und damit auf eigenes Risiko vorgenommen hat. Anders kann zu entscheiden sein, wenn die abgedruckte Gegendarstellung einen in sich abgeschlossen Tatsachenkomplex enthält, der mit den zusätzlichen Teilen nichts zu tun hat. In diesem Fall wäre es formalistisch, den Verpflichteten zum erneuten Abdruck auch dieses bereits gebrachten Teils der Gegendarstellung zu zwingen. 8. Kostentragungspflicht Über die Verfahrenskosten ist nach §§ 91 ff. ZPO zu entscheiden. Da Verantwortlicher und 260 Verleger Gesamtschuldner sind, gilt für sie im Unterliegensfall § 100 Abs. 4 ZPO. § 5 ZPO gilt nicht895. Im Falle sofortigen Anerkenntnisses hängt die Kostentragungspflicht nach § 93 ZPO davon ab, ob die Antragsgegner zur Klagerhebung Anlass gegeben haben. Unter welchen Voraussetzungen das zutrifft, ist in den Einzelheiten umstritten. Streitig ist insbesondere, ob die Abdruckverpflichteten kostentragungspflichtig sind, wenn sie es unterlassen haben, den oder die Gründe für die Abdruckverweigerung zu nennen896. Anerkennen die Antragsgegner die Verpflichtung zum Abdruck einer unzulässigen Gegendarstellung, trägt der Antragsteller die Kosten, weil mangels begründeten Anspruches kein Anlass zur Klagerhebung bestanden hat. Für die Kostentragungspflicht nach Rücknahme des Antrags gelten ebenso die allgemeinen Grundsätze897. Von den Verfahrenskosten sind die Kosten der Anfertigung und Zuleitung der Gegendar- 261 stellung sowie des Abdruckverlangens zu unterscheiden. Auf die Verfahrenskosten sind diese Gebühren nicht anzurechnen. Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 RVG-VV greift nicht ein, weil die Abfassung und die Zuleitung der Gegendarstellung Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruches sind. Die Schaffung der Voraussetzungen und die Durchsetzung eines Anspruches liegen auf unterschiedlichen Ebenen898. War die Erstmitteilung eine schuldhafte unerlaubte Handlung, kommt als Schadensersatz gem. § 823 BGB die Erstattung notwendiger
894 895 896 897 898
BGH, NJW 1964, 722. OLG München v. 18.6.2001 – 21 W 1705/01. So OLG Stuttgart, AfP 1979, 363; vgl. im Übrigen Rz. 199 ff. Vgl. KG v. 30.11.2007 – 9 W 160/07, AfP 2008, 394. Pärn, AfP 1978, 80.
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Kap. 11 Rz. 262
Gegendarstellungsanspruch
Anwaltskosten in Betracht899. Keine Schadensersatzpflicht besteht, wenn durch das Verhalten des Berechtigten der Gegendarstellungsanspruch nicht (mehr) besteht. Dies ist z.B. bei Überschreiten der Aktualitätsgrenze der Fall900. Wegen des Alles-oder-Nichts-Prinzips und des Zeitdrucks ist die Tätigkeit als schwierig einzuordnen, so dass eine 1,5 Geschäftsgebühr angemessen ist901. 262
Über die Kosten des Abdrucks, die unter bestimmten Voraussetzungen zu zahlen sind (dazu Rz. 195), ist im Zusammenhang mit der Abdruckpflicht zu entscheiden („Der Antragsgegner wird verurteilt, die nachfolgende Gegendarstellung gegen Zahlung von … Euro abzudrucken …“). 9. Vollziehung von Gegendarstellungsverfügungen
263
Nach §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO ist die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem sie verkündet wurde oder der Partei, auf deren Gesuch sie erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Die Anwendung des § 929 Abs. 2 ZPO auch auf Gegendarstellungsverfügungen ist insofern problematisch, als der Abdruck einen endgültigen, nicht rückgängig zu machenden Zustand verursacht, weswegen es auch angesichts der bei unbegründetem Abdruckverlangen vom BGH902 angenommenen Ersatzpflicht sinnvoll sein kann, den Eintritt der Rechtskraft abzuwarten. Davon abgesehen ist ein Abdruck innerhalb eines Monats in den Fällen undurchführbar, in denen innerhalb der Frist keine Ausgabe erscheint, in die die Gegendarstellung aufzunehmen ist.
264
Allerdings geht die h.M. davon aus, nicht nur Verfügungen, die ein Verbot, sondern auch solche, die ein Gebot zum Gegenstand haben, würden durch Zustellung vollzogen. Die Zustellung im Parteibetrieb bzw. von Anwalt zu Anwalt sei deswegen innerhalb der Frist des anzuwendenden § 929 Abs. 2 ZPO erforderlich, und zwar auch bei Urteilen, die nach §§ 317, 270 ZPO von Amts wegen zugestellt werden903. Bei Leistungs-, speziell bei Gegendarstellungsverfügungen ist zwar nicht ohne weiteres einsichtig, inwiefern die Zustellung als Vollziehung anzusehen sein soll, erst recht nicht, wenn Amtszustellung erfolgt ist. Andererseits ist aber schon das Reichsgericht davon ausgegangen904, der Vollzug erfordere eine eigene Tätigkeit des Gläubigers. Nimmt man zusammen mit der h.M. an, dass § 929 Abs. 2 ZPO auf Gegendarstellungsverfügungen überhaupt anwendbar ist, so dass die zur Vollziehung erforderliche eigene Tätigkeit des Gläubigers innerhalb Monatsfrist vorgenommen werden muss, ist die Auffassung, die Zustellung im Parteibetrieb sei als Vollziehung, jedenfalls als deren Beginn anzusehen, die vergleichsweise sachgerechteste. Bei Anwendung des § 929 Abs. 2 ZPO bliebe andernfalls als Alternative nur die Forderung, der Gläubiger habe innerhalb der Monatsfrist Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten. Den Gläubiger zu Vollstreckungsmaßnahmen praktisch zu zwingen wäre unvertretbar, weil gute Gründe vorhanden sein können, vor Eintritt 899 BGH v. 17.11.2015 – VI ZR 492/14, MDR 2016, 110 = IPRB 2016, 51 = AfP 2016, 75; OLG Saarbrücken v. 12.2.1997 – 1 U 515/96-87, NJW 1997, 1376; LG Hamburg v. 28.9.1990 – 324 O 351/90, AfP 1990, 332. 900 OLG München v. 22.10.2003 – 21 U 2540/03, ZUM 2004, 230. 901 Vgl. BGH v. 17.11.2015 – VI ZR 492/14, MDR 2016, 110 = IPRB 2016, 51 = AfP 2016, 75. 902 BGH v. 4.12.1973 – VI ZR 213/71, NJW 1974, 642. 903 Vgl. u.a. OLG Hamm, GRUR 1978, 611; OLG München, WRP 1979, 817; v. 8.6.1988 – 21 U 3059/88, AfP 1988, 269; OLG Stuttgart v. 21.8.2008 – 2 U 13/08, WRP 2009, 337; v. 6.3.2012 – 4 U 30/12; anders offenbar nur OLG Bremen, WRP 1979, 791; OLG Celle v. 29.5.1990 – 4 U 14/90, NJW-RR 1990, 1088. 904 RGZ 51, 129, 131.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 264 Kap. 11
der Rechtskraft von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen. Zusammen mit der h.M. ist deswegen davon auszugehen, dass die Zustellung von Gegendarstellungsverfügungen im Parteibetrieb innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO zur rechtzeitigen Vollziehung erforderlich, aber auch ausreichend ist905. Für Unterlassungsverfügungen hat das auch der BGH bestätigt906. Entgegen der Ansicht des OLG Rostock907 und des OLG Koblenz908 bedarf es zusätzlich zur Parteizustellung keines Antrags nach § 888 ZPO909. Die bloße formlose Aufforderung zum Abdruck genügt allerdings nicht910. Eine wirksame Zustellung liegt nur vor, wenn die zugestellte Entscheidung einen Ausfertigungsvermerk i.S.d. §§ 317 Abs. 3, 329 Abs. 1 Satz 2 ZPO aufweist911. Zuzustellen ist die Ausfertigung selbst oder eine beglaubigte Abschrift derselben. Zu großzügig geht das OLG Hamburg912 davon aus, dass die maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens der Urkundsbeamtin und die Angabe „LS“ für das dem Original der Ausfertigung beigedrückte Gerichtssiegel in der zugestellten Abschrift für eine wirksame Vollziehung ausreichend sei913. Es bedarf einer erneuten Vollziehung, wenn die einstweilige Verfügung im Widerspruchs- oder Berufungsverfahren erweitert oder inhaltlich geändert wird914. Unterbleibt die rechtzeitige Zustellung im Parteibetrieb, ist die Verfügung trotz etwa erfolgter Amtszustellung auf entsprechenden Antrag aufzuheben. Dieser Aufhebungsantrag kann auch im Berufungsverfahren gestellt werden. Für den Kläger empfiehlt sich dann eine Anschlussberufung mit Antrag auf Neuerlass915, soweit die Aktualitätsgrenze nicht überschritten ist916. Vor Einleitung des Aufhebungsverfahrens nach § 927 ZPO wegen Versäumung der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO hat der Antragsgegner den Antragsteller abzumahnen, wenn er die Kostenaufbürdung nach § 93 ZPO vermeiden will917. Im Rahmen des Aufhebungsver905 Ebenso u.a. OLG Frankfurt, AfP 1989, 225; OLG Hamburg v. 20.11.1986 – 3 U 160/86, AfP 1987, 435; NJW-RR 1995, 103; v. 7.4.2015 – 7 W 49/15, MDR 2015, 1265 = NJW 2015, 2273; OLG München v. 31.5.2002 – 21 W 1548/02, MDR 2003, 53 = AfP 2002, 528; v. 6.10.2006 – 18 W 2365/06, AfP 2007, 53; OLG Hamm v. 30.3.2011 – I-3 U 49/11, AfP 2011, 377; Seitz, Kap. 13 Rz. 21. 906 BGH, AfP 1993, 308, vgl. auch OLG Brandenburg v. 27.5.2013 – 1 U 23/12, AfP 2014, 453. 907 OLG Rostock v. 20.2.2002 – 2 U 5/02, n.v. 908 OLG Koblenz v. 2.5.2008 – 4 U 452/08, AfP 2009, 59. 909 Zutreffend OLG München v. 31.5.2002 – 21 W 1548/02, MDR 2003, 53 = AfP 2002, 528; v. 6.10.2006 – 18 W 2365/06, AfP 2007, 53; OLG Hamm v. 30.3.2011 – I-3 U 49/11, AfP 2011, 377. 910 OLG Frankfurt v. 28.5.1986 – 17 U 17/86, MDR 1986, 768 = AfP 1986, 248. 911 OLG Celle v. 29.10.1992 – 13 U 158/92, WRP 1993, 181; OLG Düsseldorf v. 19.1.1989 – 2 U 186/88, MDR 1989, 829 = GRUR 1989, 542; OLG Hamburg v. 24.10.1996 – 3 U 106/96, WRP 1997, 53; WRP 2001, 720; OLG Hamm v. 8.8.2000 – 4 U 55/00, WRP 2001, 299; OLG Karlsruhe v. 22.1.2003 – 6 U 153/02, n.v.; OLG Koblenz v. 3.7.1980 – 6 U 216/80, GRUR 1980, 943; OLG Köln v. 19.12.1986 – 6 U 141/86, NJW-RR 1987, 575; OLG München v. 26.2.1998 – 6 U 6085/97, MDR 1998, 1243; v. 6.10.2006 – 18 W 2365/06, AfP 2007, 53; OLG Frankfurt v. 28.8.2008 – 16 U 223/08, AfP 2008, 628; LG Stuttgart v. 29.8.2002 – 17 O 370/02, n.v. 912 OLG Hamburg v. 25.6.2002 – 7 W 29/02, BeckRS 2002, 17478. 913 Vgl. BGH v. 14.12.2016 – V ZB 88/16, MDR 2017, 450 = NJW 2017, 1951. 914 OLG Köln v. 18.12.1985 – 6 U 144/85, WRP 1986, 353; OLG Hamburg v. 20.10.1994 – 3 U 162/94, NJW-RR 1995, 1053, 1055; OLG Karlsruhe v. 20.6.2008 – 14 W 31/08, AfP 2008, 524; Wedemeyer, NJW 1979, 294; nur bei wesentlicher Änderung: KG v. 31.5.1996 – 5 U 889/96, AfP 1996, 395 = NJW 1997, 1160; OLG Hamburg v. 7.4.2015 – 7 W 49/15, MDR 2015, 1265 = AfP 2016, 157 = NJW 2015, 2273. 915 OLG München v. 8.6.1988 – 21 U 3059/88, AfP 1988, 269, 270. 916 OLG Stuttgart v. 8.6.2000 – 4 W 26/2000, ZUM 2000, 773; OLG München v. 28.7.2000 – 21 W 2063/00, AfP 2001, 126. 917 OLG Frankfurt v. 23.8.1990 – 6 W 171/90, AfP 1991, 627.
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Kap. 11 Rz. 265
Gegendarstellungsanspruch
fahrens gem. § 927 ZPO wegen mangelnder Vollziehung kann auch über die Kosten des Anordnungsverfahrens entschieden werden, da der Mangel auf den Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung zurückwirkt918. 265
Ein Vollstreckungsantrag nach § 888 ZPO ist richtiger Auffassung nach ebenfalls als Vollziehungsmaßnahme anzusehen. Er kann die Parteizustellung deswegen ersetzen. Allerdings ist ein solcher Antrag nur bei Einhaltung der Zustellungsfrist des § 929 Abs. 3 ZPO wirksam. Erfolgt innerhalb dieser Frist keine, auch keine Amtszustellung, unterliegt die Verfügung trotz des Vollstreckungsantrages der Aufhebung919. Ist die vorläufige Vollstreckung nach § 709 ZPO von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht worden, braucht die Sicherheit nicht innerhalb der Monatsfrist geleistet zu werden, weil zwischen Vollziehung und Vollstreckung nach h.M. zu unterscheiden und fristgebunden nur die Vollziehung ist920. 10. Vollstreckung
266
Einstweilige Verfügungen sind nach § 929 Abs. 1 ZPO ohne Vollstreckungsklausel und ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar. Verfügungsurteile können nach § 709 ZPO auch gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt werden. Von dieser Möglichkeit sollte nur ausnahmsweise Gebrauch gemacht werden, wenn in Betracht kommen könnte, dass der Schuldner durch den Abdruck eine Einbuße erleidet, für die ihm im Falle nachträglicher Aufhebung der Verfügung ein Schadensausgleich zusteht. Ist das, wie regelmäßig, nicht zu erwarten (vgl. Rz. 271), hat das Abhängigmachen der vorläufigen Vollstreckbarkeit von einer Sicherheitsleistung einen Aufwand zur Folge, der überflüssig ist.
267
Der Abdruck einer Gegendarstellung wird nach einhelliger Meinung als unvertretbare Handlung angesehen. Die Vollstreckung erfolgt deswegen nach § 888 ZPO921. Der Antrag, den Schuldner nach § 888 ZPO durch ein Zwangsgeld, hilfsweise durch Zwangshaft zur Vornahme der Handlung anzuhalten, wird als Beginn der Zwangsvollstreckung angesehen. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass der Schuldner dazu Anlass gegeben haben muss922. Das darf nicht dahin missverstanden werden, der Betroffene müsse abwarten, evtl. sogar bei einer Vierteljahreszeitschrift, ob die Gegendarstellung in der nächst erreichbaren Ausgabe enthalten ist; einen Vollstreckungsantrag könne er erst nachträglich stellen. Richtiger Auffassung nach ist der Antrag schon zulässig, wenn zweifelhaft ist, ob der Schuldner aufgrund der Verurteilung abdrucken wird. Dafür bedarf es konkreter Anhaltspunkte. Wenn an der Abdruckbereitschaft trotz Verurteilung Zweifel bestehen, empfiehlt es sich, den Antrag nach § 888 ZPO bereits mit dem Verfügungsantrag zu stellen, ggf. in der mündlichen Verhandlung. Die unzutreffende Bezeichnung des Antrags als „Bestrafungsantrag gem. § 890 ZPO“ ist unschädlich, sofern sich aus ihm ergibt, was wirklich gewollt ist923. Nach § 891 Satz 2 ZPO ist der Schuldner vor der Entscheidung zu hören.
918 OLG Frankfurt v. 20.12.2001 – 6 U 79/01, WRP 2002, 334; OLG Karlsruhe v. 22.1.2003 – 6 U 153/02, n.v. 919 OLG Hamburg v. 19.3.1981 – 3 U 181/80, AfP 1982, 35. 920 Vgl. Bischof, NJW 1980, 2235, 2236. 921 OLG München, NJW 1965, 2121; OLG Frankfurt v. 11.9.1987 – 22 W 36/87, AfP 1987, 717; OLG Hamburg v. 7.4.2015 – 7 W 49/15, AfP 2016, 157; LG Hamburg v. 11.2.2015 – 324 O 798/14, BeckRS 2015, 11521. 922 OLG Köln v. 5.8.2016 – 28 W 4/16, MDR 2016, 1229. 923 OLG München v. 31.5.2002 – 21 W 1548/02, MDR 2003, 53 = AfP 2002, 528.
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XII. Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruches
Rz. 269 Kap. 11
Im Falle des Widerspruches gegen eine Beschlussverfügung kann das Gericht nach §§ 936, 268 924 Abs. 3 Satz 2, 907 Abs. 1 ZPO anordnen, dass die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt wird, nur gegen Sicherheitsleistung zulässig ist oder dass eine bereits erfolgte Vollstreckungsmaßnahme gegen Sicherheitsleistung aufzuheben ist. In Gegendarstellungssachen kommt praktisch nur die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in Betracht. Zuständig ist das Gericht, das die Abdruckanordnung erlassen hat. Seine Entscheidung ist nach § 936, § 924 Abs. 3, § 707 Abs. 2 ZPO unanfechtbar924. Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung kommt auch in Betracht, wenn ge- 269 gen ein zum Abdruck einer Gegendarstellung verpflichtendes Urteil Berufung eingelegt ist (§§ 719, 707, 922 ZPO). Dem steht nach wohl allgemeiner Meinung925 nicht entgegen, dass die Entscheidung im Wege der einstweiligen Verfügung erlassen wurde. Allerdings geht die wohl überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung von strengen Anforderungen aus. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung soll nur in besonderen Ausnahmefällen möglich sein. Ein solcher sei anzunehmen, wenn bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag ohne weiteres926 bzw. sicher927 feststeht, dass das angefochtene Urteil keinen Bestand haben kann. Diese strengen Voraussetzungen mögen für den Regelfall des einstweiligen Rechtsschutzes zutreffend sein, in dem eine nur vorläufige Regelung geschaffen wird und der Charakter dieser vorläufigen Regelung unterlaufen würde, wenn bloße Zweifel dazu führen könnten, diese außer Kraft zu setzen928. Dieser Gedanke trägt jedoch hinsichtlich des Gegendarstellungsverfahrens nicht, da ein Hauptsacheverfahren (Ausnahme Bayern und Hessen) ausgeschlossen ist929. Nach Ansicht des OLG Stuttgart930 ist die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung daher jedenfalls dann anzuordnen, wenn nach dem Sachund Streitstand zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag die Berufung Erfolg haben wird. Dabei sind rechtliche Fragen möglichst erschöpfend und genauso zu prüfen, wie vor Erlass des Berufungsurteils931, soweit dies zeitlich möglich ist932. Soweit das OLG Brandenburg933 meint, dass im Hinblick auf die Funktion der Gegendarstellung, dem Schutz der Persönlichkeit sowie der Meinungsbildung zu dienen, eine einstweilige Einstellung im wesentlichen nur bei offensichtlicher Erfolgsaussicht des Rechtsmittels in Betracht kommt, berücksichtigt es nicht hinreichend den verfassungsrechtlichen Schutz der Pressefreiheit934. Richtigerweise ist kommt eine Einstellung bereits dann in Betracht, wenn die Be-
924 OLG München v. 22.10.2007 – 18 W 2506/07, AfP 2008, 309. 925 OLG Karlsruhe, AfP 1999, 506; OLG Brandenburg v. 20.6.2001 – 1 U 14/01, MDR 2002, 53 = NJW-RR 2002, 190; KG v. 21.3.2006 – 9 U 40/06, AfP 2006, 255; OLG Koblenz, AfP 2008, 59; OLG Düsseldorf v. 21.11.2007 – I-15 U 176/07, AfP 2008, 83; OLG Stuttgart v. 17.12.2013 – 4 U 214/13; Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 223; Seitz, Kap. 14 Rz. 22 f.; Soehring/Hoene § 29 Rz. 41a. 926 OLG Karlsruhe, AfP 1999, 506. 927 OLG Düsseldorf v. 21.11.2007 – I-15 U 176/07, AfP 2008, 83; OLG Koblenz v. 2.5.2008 – 4 U 452/08, AfP 2009, 59. 928 Vgl. OLG Frankfurt v. 12.9.1991 – 6 U 140/91, WRP 1992, 120. 929 OLG Stuttgart v. 17.12.2013 – 4 U 214/13, n.v. 930 OLG Stuttgart v. 17.12.2013 – 4 U 214/13, n.v. 931 Seitz, Kap. 14 Rz. 22. 932 OLG Stuttgart v. 17.12.2013 – 4 U 214/13 n.v. 933 OLG Brandenburg v. 20.6.2001 – 1 U 14/01, MDR 2002, 53 = NJW-RR 2002, 190. 934 Vgl. BVerfG v. 19.2.1993 – 1 BvR 1424/92, AfP 1993, 474; v. 4.11.2013 – 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13, AfP 2014, 433.
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Kap. 11 Rz. 270
Gegendarstellungsanspruch
rufung nicht völlig aussichtslos ist935. Einer zusätzlichen Folgenabwägung936 bedarf es nach Auffassung des OLG Stuttgart937 nicht. 270
Die Einstellung der Zwangsvollstreckung lässt den zugrunde liegenden Titel unberührt. Sie bewirkt nur dass die Vollstreckbarkeit für die Zukunft und nur bis zur Erledigung des Einstellungsbeschlusses entfällt938. Wird vor Einstellung der Zwangsvollstreckung ein Zwangsgeld beantragt und entfällt später die Einstellungswirkung z.B. aufgrund Rücknahme der Berufung, ist sodann dem Zwangsgeldsantrag stattzugeben939. Wird die Gegendarstellung nach Rechtskraft eines Zwangsgeldbeschlusses abgedruckt, darf aus dem Zwangsgeldbeschluss nicht mehr vollstreckt werden, er wird gegenstandslos. Dies ist jedoch nicht durch Antrag auf Aufhebung des Zwangsgeldbeschlusses geltend zu machen, sondern durch den spezielleren Rechtsbehelf der Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO. Für eine nachträgliche Aufhebung des Beschlusses fehlt das Rechtsschutzbedürfnis940. 11. Schadensersatz wegen Vollziehung unrichtigen Gegendarstellungsurteils
271
Erweist sich eine einstweilige Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt, ist die Partei, die sie erwirkt hat, nach § 945 ZPO zum Ersatz des durch die Vollziehung entstandenen Schadens verpflichtet. Diese Ersatzpflicht greift auch bei Gegendarstellungsverfügungen ein941. Die Befürchtung, der Betroffene sei bei Vollziehung einer nicht rechtskräftigen Gegendarstellungsverfügung mit einem erheblichen finanziellen Risiko belastet (so Kreuzer942), erscheint unbegründet. Der BGH hat mit Recht darauf hingeweisen, dass die Forderung von Inseratengebühren nur gerechtfertigt ist, wenn das betreffende Blatt die Aufnahme eines Inserates wegen der Gegendarstellung mit der Folge hat ablehnen müssen, dass ihm ein entsprechender Gewinn entgangen ist. Dass dies je praktisch werden könnte, erscheint nahezu ausgeschlossen943. Sonstige Einbußen wie z.B. Satzkosten können gleichfalls vernachlässigt werden. Der Platz wäre sonst im Zweifel mit einem redaktionellen Beitrag gefüllt worden, der die gleichen Satz- und zusätzlich evtl. Honorarkosten verursacht hätte. Ein darüber hinausgehender Schadensersatzanspruch für den Fall einer durch Betrug erlangten Gegendarstellung ergibt sich aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB; § 826 BGB944. Unter Heranziehung bereicherungsrechtlicher Überlegungen will Löffler/Sedelmeier945 den Betroffenen ferner zu einem Ausgleich in Höhe der Anzeigengebühren verpflichten. Richtig ist zwar, dass der Raum für die abgedruckte Gegendarstellung sich theoretisch nach den Anzeigenpreisen bewerten lässt. Der Anspruch des Betroffenen richtet sich aber nicht auf den vermögensmäßig bewertbaren Raum. Er will nicht etwas Beliebiges mitteilen. Verlangt wird vielmehr die Ver935 Vgl. VerfGH Berlin v. 20.8.2008 – 22/08, NJW 2008, 3491; LG Stuttgart v. 22.10.2008 – 17 O 539/08; Götting/Schertz/Seitz-Spangler, § 55 Rz. 87; ähnlich Seitz, Kap. 14 Rz. 23: hinreichende Aussicht auf Erfolg; Soehring/Hoene, § 29 Rz. 41a: ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit. 936 So Seitz, Kap. 13 Rz. 2; Soehring/Hoene, § 29 Rz. 41a. 937 OLG Stuttgart v. 17.12.2013 – 4 U 214/13. 938 OLG Karlsruhe v. 5.3.2007 – 14 W 84/06, AfP 2007, 368; KG v. 8.1.2008 – 9 W 164/07, AfP 2009, 140. 939 OLG Karlsruhe v. 5.3.2007 – 14 W 84/06, AfP 2007, 368. 940 KG v. 27.7.2007 – 9 U 12/07, AfP 2007, 492; v. 8.1.2008 – 9 W 164/07, AfP 2009, 140. 941 BGH v. 4.12.1973 – VI ZR 213/71, NJW 1974, 642 = JZ 1974, 504 m. Anm. Kreuzer; vgl. auch OLG Hamburg, MDR 1972, 333. 942 Kreuzer, JZ 1974, 505. 943 Näheres Wenzel, AfP 1974, 682. 944 Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 226; Seitz, Kap. 14 Rz. 32. 945 Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 226.
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Burkhardt
XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 273 Kap. 11
breitung einer entgegnenden Äußerung. Der Anspruch ist nicht vermögensrechtlicher Art. Bereichungsansprüche setzen jedoch eine Vermögensverschiebung voraus. Diese quasi durch die Hintertür zu schaffen, indem Anzeigenpreise angesetzt werden, vernachlässigt auch, dass die Erstäußerung von der Presse stammt. Zudem werden Gegendarstellungsverfügungen häufig wegen Formulierungsfragen aufgehoben und nicht etwa, weil die Erstmitteilung zutreffend gewesen wäre. Ebenso wenig kann dem Betroffenen zugemutet werden, stets eine rechtskräftige Entscheidung abzuwarten. Jedenfalls für den Bereich des Fernsehens müsste ein solcher Anspruch scheitern, da er gegen Art. 28 Abs. 1 Satz 2 AVMD-Richtlinie verstößt. Danach haben die Mitgliedsstaaten dafür zu sorgen, dass die tatsächliche Ausübung des Rechts auf Gegendarstellung nicht durch Auferlegung unbilliger Bestimmungen oder Bedingungen behindert wird. Die vermögensmäßige Bewertung einer ausgestrahlten Gegendarstellung und die Verpflichtung zu einem Bereicherungsausgleich wären wohl als unbillig anzusehen.
XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen Schrifttum: Löffler/Golsong/Frank, Das Gegendarstellungsrecht in Europa, 1974; Kühle, Gegendarstellung im Fernsehen, AfP 1975, 791; Puttfarcken, ARD-Grundsätze zur Gegendarstellung im FernsehGemeinschaftsprogramm, AfP 1983, 384; Kommission der EG, Fernsehen ohne Grenzen, Grünbuch 1984, S. 294 ff.; Ossenbühl, Rundfunk zwischen nationalem Verfassungsrecht und europäischem Gemeinschaftsrecht, Rechtsgutachten für die Landesregierung NRW, 1985; Hertin, Die Gegendarstellung im Rundfunk unter Berücksichtigung der Vorstellungen der EG-Kommission, ZUM 1985, 391; Romatka, Gegendarstellung in Presse und Rundfunk unter Berücksichtigung der Vorstellungen der EG-Kommission, ZUM 1985, 400; Puttfarcken, Die Gegendarstellung im Rundfunk unter Berücksichtigung der Vorstellungen der EG-Kommission, ZUM 1985, 409; Hesse, Die Gegendarstellung in Presse und Rundfunk, ZUM 1985, 413; Herrmann, Rundfunkrecht, 1994, § 24; Hassert, Das Recht der Rundfunkgegendarstellung, 1997; Flechsig (Hrsg.), SWR-Staatsvertrag, 1997; Ladeur, Zur Durchsetzung von Gegendarstellungsansprüchen in der ARD, AfP 2000, 217; Dürr, Der Gegendarstellungsanspruch im Internet, 2000; Korte, Das Recht auf Gegendarstellung im Wandel der Medien, 2002; Weiner/Schmelz, Die elektronische Presse und andere neue Kommunikationsformen im neuen rechtlichen Regulierungsrahmen, K&R 2006, 453; Grau, Das Recht der Gegendarstellung im öffentlichrechtlichen Rundfunk: Unter besonderer Berücksichtigung öffentlich-rechtlicher Gemeinschaftsprogramme, 2010.
1. Allgemeines a) Grundlegende Regelungen Die grundlegenden Regelungen für den öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk sind 272 im Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland v. 31.8.1991 zusammengefasst. Er gilt derzeit i.d.F. des Einundzwanzigsten Rundfunkänderungsstaatsvertrages v. 17.11.2017946, in Kraft getreten am 25.5.2018. Der Staatsvertrag ist ein Artikelstaatsvertrag. Art. 1 RStV enthält den Rundfunkstaatsver- 273 trag, der die allgemeinen Regelungen für den öffentlich-rechtlichen und den privaten Rundfunk in einem dualen Rundfunksystem der Länder des vereinten Deutschland enthält. Art. 2 RStV enthält den ARD-Staatsvertrag. Danach sind die in der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten verpflichtet, gemeinsam ein Femsehvollprogramm zu gestalten. Das Recht jeder Rundfunkanstalt zu weiteren Fernsehprogrammen lässt der 946 Z.B. Baden-Württemberg: Gesetz v. 24.4.2018, GBl. S. 129, 132.
Burkhardt
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Kap. 11 Rz. 274
Gegendarstellungsanspruch
ARD-Staatsvertrag unberührt. Art. 3 RStV enthält den ZDF-Staatsvertrag. Danach sind die Länder Träger der gemeinnützigen Anstalt des öffentlichen Rechts mit dem Namen „Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF)“. Die weiteren Artikel betreffen die Rundfunkbeiträge und die Rundfunkfinanzierung. Seit dem 9. RÄndStV enthält der RStV Vorschriften über Telemedien. Diese traten wie auch das TMG des Bundes ab 1.3.2007 an die Stelle des MDStV und des TDG. Zur Gegendarstellung in Telemedien s. Rz. 335 ff. 274
Am 17.6.1993 haben die Länder einen weiteren Staatsvertrag zur Gründung des Deutschlandradios geschlossen947. Deutschlandradio veranstaltet Hörfunkprogramme.
275
Die Deutsche Welle ist eine gemeinnützige Rundfunkanstalt des Bundesrechts948 und hat die Aufgabe, Hör- und Fernsehfunk für das Ausland zu veranstalten (§ 3 DWG).
276
Die für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Länder und des Bundes geltenden Gegendarstellungsregelungen hat der Rundfunk-Staatsvertrag im Wesentlichen unberührt gelassen. Erstmals wurde durch den 5. RÄndStV ein neuer § 8 Gegendarstellung in den ARDStaatsvertrag aufgenommen. Dieser regelt jedoch nur die Zuständigkeit bei Gegendarstellungsansprüchen zu Sendungen im Fernseh-Gemeinschaftsprogramm. Er enthält keine Vereinheitlichung der teilweise unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen der einzelnen Landesrundfunkanstalten. Eine allgemeine Gegendarstellungsregelung im RStV fehlt noch immer. An der Fortgeltung der für Gegendarstellungen im Privatfunk maßgeblichen Landesmedienbzw. Landesrundfunkgesetze der Länder ändert er nichts.
277
Zur Ausstrahlung von Gegendarstellungen sind alle öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkveranstalter verpflichtet. Diese Verpflichtung wird heute als selbstverständlich empfunden. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für Europa. Das Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen des Europarates von 1989 i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 9.9.1998949 regelt das Gegendarstellungsrecht wie folgt: Art. 8 – Recht auf Gegendarstellung (1) Jede sendende Vertragspartei stellt sicher, dass jede natürliche oder juristische Person ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Wohnorts beziehungsweise Sitzes die Möglichkeit hat, im Hinblick auf Sendungen, die durch einen ihrer Rechtshoheit im Sinne des Artikels 5 unterliegenden Rundfunkveranstalter verbreitet werden, ein Recht auf Gegendarstellung auszuüben oder andere vergleichbare gerichtliche oder verwaltungsrechtliche Mittel in Anspruch zu nehmen. Sie sorgt insbesondere dafür, dass die für die Ausübung des Rechts auf Gegendarstellung vorgesehenen Fristen und sonstigen Modalitäten so gestaltet sind, dass dieses Recht wirksam ausgeübt werden kann. Die wirksame Inanspruchnahme dieses Rechts oder anderer vergleichbarer gerichtlicher oder verwaltungsrechtlicher Mittel wird sowohl hinsichtlich der Fristen als auch hinsichtlich der Anwendungsmodalitäten gewährleistet. (2) Zu diesem Zweck wird der Name des Programms oder der Name des Rundfunkveranstalters, der für das Programm verantwortlich ist, darin in regelmäßigen Abständen in geeigneter Weise angegeben.
278
Die „Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10.3.2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über
947 Zuletzt geändert durch 21. RÄndStV v. 17.11.2017, z.B. Baden-Württemberg: Gesetz v. 24.4.2018 GBl. BW 2018, S. 129, 132. 948 BGBl. I 2005, 90, zuletzt geändert durch Gesetz v. 29.3.2017, BGBl. I, 626. 949 BGBl. II 2000, 1090.
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XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 280 Kap. 11
die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste“ (AVMD-Richtlinie) enthält in ihrem Art. 28 ebenso ein Recht auf Gegendarstellung. Die Mitgliedstaaten haben dies in nationales Recht umzusetzen. Art. 28 (1) Unbeschadet der übrigen von den Mitgliedstaaten erlassenen zivil-, verwaltungs- oder strafrechtlichen Bestimmungen muss jede natürliche oder juristische Person, deren berechtigte Interessen – insbesondere Ehre und Ansehen – aufgrund der Behauptung falscher Tatsachen in einem Fernsehprogramm beeinträchtigt worden sind, unabhängig von ihrer Nationalität ein Recht auf Gegendarstellung oder gleichwertige Maßnahmen beanspruchen können. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die tatsächliche Ausübung des Rechts auf Gegendarstellung oder gleichwertige Maßnahmen nicht durch Auferlegung unbilliger Bestimmungen oder Bedingungen behindert wird. Die Gegendarstellung muss innerhalb einer angemessenen Frist nach Eingang des begründeten Antrags zu einer Zeit und in einer Weise gesendet werden, die der Sendung, auf die sich der Antrag bezieht, angemessen sind. (2) Das Recht auf Gegendarstellung oder gleichwertige Maßnahmen gelten in Bezug auf alle Fernsehveranstalter, die der Rechtshoheit eines Mitgliedstaats unterworfen sind. (3) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen zur Ausgestaltung dieses Rechts oder dieser Maßnahmen und legen das Verfahren zu deren Wahrnehmung fest. Sie sorgen insbesondere dafür, dass die Frist für die Wahrnehmung des Rechts auf Gegendarstellung oder gleichwertiger Maßnahmen ausreicht und dass die Vorschriften so festgelegt werden, dass dieses Recht oder diese Maßnahmen von den natürlichen oder juristischen Personen, deren Wohnsitz oder Niederlassung sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet, in angemessener Weise wahrgenommen werden können. (4) Der Antrag auf Gegendarstellung oder gleichwertige Maßnahmen kann abgelehnt werden, wenn die in Abs. 1 genannten Voraussetzungen für eine solche Gegendarstellung nicht vorliegen, die Gegendarstellung eine strafbare Handlung beinhaltet, ihre Sendung den Fernsehveranstalter zivilrechtlich haftbar machen würde oder wenn sie gegen die guten Sitten verstößt. (5) Bei Streitigkeiten über die Wahrnehmung des Rechts auf Gegendarstellung oder gleichwertiger Maßnahmen ist eine gerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen.
Trotz dieser europarechtlichen Verpflichtungen fehlen bislang spezielle Gegendarstellungs- 279 regelungen für Sendungen von „arte – Der europäische Kulturkanal“ und „3sat“ sowie für die Sender „PHOENIX – Der Ereignis- und Dokumentationskanal“ und „KI.KA – Der Kinderkanal“. Dies verletzt zugleich den verfassungsrechtlichen Schutzanspruch (s. Rz. 4)950. Das heute eigentlich selbstverständliche Recht, auf Rundfunksendungen zu entgegnen, war 280 lange umstritten. Im Vergleich zu Printmedien besteht in der Tat ein wesentlicher Unterschied. Die Zahl bedruckter Seiten lässt sich vermehren, die für das Ausstrahlen einer Gegendarstellung benötigte Zeit nicht. Hinzu kommt, dass eine gedruckte Gegendarstellung eine andere Wirkung hat als eine verlesene. Eine verlesene Gegendarstellung lässt sich nicht in Ruhe „studieren“. Wird die Forderung Tatsache gegen Tatsache mit der daraus folgenden oft hohen Abstraktion auch bei Rundfunkgegendarstellungen strikt durchgehalten, ist, wie Puttfarcken feststellt951, regelmäßig der praktische Erfolg, dass die Gegendarstellung nur für den Anspruchsberechtigten und die Redaktion sowie für deren juristische Berater verständlich
950 Ebenso Seitz, Kap. 1 Rz. 9, der für 3sat, PHOENIX und KI.KA jedoch keine Schutzlücke annimmt, sondern das ZDF als Verpflichtete ansieht; Näheres Rz. 294 ff. 951 Puttfarcken, ZUM 1985, 400, 413.
Burkhardt
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Kap. 11 Rz. 281
Gegendarstellungsanspruch
ist. Die Zuschauer verstehen, wie Peter Merseburger formuliert hat, „nur Bahnhof“952. Die Rundfunkgegendarstellung ist also zweifellos ein Problem eigenständiger Art. b) Besonderheiten der Rundfunk-Gegendarstellung 281
aa) Die Grundvoraussetzung eines Gegendarstellungsanspruches ist nach den im Printbereich geltenden LPG „eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung“ (in Bayern: mitgeteilte Tatsache). Das hat zur Frage des Entgegnungsrechts auf Zitate geführt (Rz. 25, 89). Der Rundfunk, insbesondere das Fernsehen, gibt häufig Persönlichkeiten Gelegenheit zur eigenen Stellungnahme. Zu solchen Äußerungen vertritt Bethge die Auffassung953, der Rundfunk sei ein Markt der Meinungen. Für solche Äußerungen entfalle nicht nur, wie vom BGH in der Panorama-Entscheidung angenommen954, die deliktische Haftung, sondern auch die Gegendarstellungspflicht.
282
Der Ansicht Bethges kann nicht gefolgt werden. Die für den Rundfunk geltenden gesetzlichen Regelungen unterscheiden sich zum großen Teil schon dem Wortlaut nach von den LPG. So setzt das für den MDR, RB, RBB, SWR, WDR und Deutsche Welle sowie für das ZDF und für Deutschlandradio geltende Gegendarstellungsrecht keine aufgestellte Tatsachenbehauptung voraus, sondern nur eine durch den Rundfunk verbreitete. Für den Privatfunk gilt gleiches in NRW und in Sachsen. Nach den sonstigen Regelungen hängt zwar das Gegendarstellungsrecht ebenso wie nach den Landespressegesetzen von einer aufgestellten Tatsachenbehauptung ab. Es genügt aber, dass die Tatsachenbehauptung „in einer Sendung“ aufgestellt worden ist. Dass der Programmveranstalter die Behauptung aufgestellt hat, wird nicht gefordert. Demzufolge besteht das Entgegnungsrecht auch, wenn Behauptender ein Interviewpartner oder ein sonstiger Dritter war und der Rundfunkveranstalter bloßer Verbreiter955.
283
bb) Die Besonderheiten des Mediums Rundfunk führen zu der weiteren Frage, ob die inhaltliche Beschränkung sachgerecht ist, nach der auf eine aufgestellte oder verbreitete Tatsachenbehauptung nur mit einer Gegentatsache entgegnet werden darf. Ein theoretisch denkbarer anderer Ansatz wäre es, dem Betroffenen zwecks Entgegnung eine bestimmte Sendezeit zur Verfügung zu stellen. Daran könnte insofern zu denken sein, als der Hörfunk, besonders aber das Fernsehen Möglichkeiten bietet, einen Betroffenen ohne konkrete Behauptungen nur durch die einen Negativanschein verursachende szenische Gestaltung, durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Vorgänge und Aussagen, evtl. durch die bloße Betonung und Mimik in ungünstigem Licht erscheinen zu lassen. Das liegt u.a. daran, dass dem Rezipienten die Darstellung in der vom Redakteur gewollten Weise dargeboten wird, ohne dass er sie überprüfen und ihre eventuelle Unlogik, Verworrenheit und Widersprüchlichkeit feststellen kann. Gleichwohl lässt sich die Zurverfügungstellung von Sendezeit, so wünschenswert sie dem Betroffenen erscheinen mag, praktisch nicht verwirklichen. Es fehlt schon an vernünftigen Kriterien zur Bemessung der Zeit, noch vielmehr zum möglichen Inhalt, wenn das Erfordernis Tatsache gegen Tatsache aufgegeben würde (zur Beurteilung des Aussagegehalts von Fernsehbeiträgen vgl. Kap. 4 Rz. 21). Unbeschadet aller Mängel wird es deswegen zumindest im Prinzip
952 Zitiert nach Eschenlohr, NJW 1976, 1202. 953 Bethge, Die Passivlegitimation für Gegendarstellungsbegehren im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, 1987, S. 77; ferner DöV 1987, 309. 954 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198. 955 So auch OLG Frankfurt v. 21.6.1985 – 10 U 131/85, AfP 1985, 288 betr. ZDF.
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XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 285 Kap. 11
bei den für die Printmedien geltenden Inhaltsgrundsätzen verbleiben müssen956. Allerdings sollte dem Betroffenen die Möglichkeit einer verständlichen Darstellung gegeben werden. Das kann es erforderlich machen, Sachverhalte auf Kurzformeln zu bringen, mag das auch den Anschein einer Wertung haben. Beim Fernsehen ist dem Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, seine Darstellung durch 284 visuelles Berichtigungsmaterial zu komplettieren. Bei Bildverwechslungen, irreführenden Montagen oder Schnitten ist dieses Recht nicht zu bezweifeln957. Problematisch ist allein die Frage eines Gegenfilms. Hertin958 erwähnt das Beispiel eines Fußballspielers, dem ein Foul vorgeworfen wird. Sollte die Szene gefilmt worden sein und das Material seine Unschuld erweisen, ist nicht zu ersehen, aus welchem Grunde die Ausstrahlung zu verweigern wäre959. Von solchen Ausnahmen abgesehen, ist ein solches Recht mit der h.M. aber abzulehnen960. Insbesondere erscheint kaum denkbar, einen Film mit nachgestellten Szenen als Beleg anzuerkennen. Zumal filmische Darstellungen nicht ohne subjektiv-wertende Elemente auskommen. Schon die Kameraführung und die Vertonung (Voice-over) verfügen über eine Suggestivkraft, die mit dem Grundsatz Tatsache gegen Tatsache nicht zu vereinbaren ist. Soweit die Rundfunkgesetze vorsehen, dass die Gegendarstellung zu verlesen ist, scheidet ein Gegenfilm schon kraft Gesetz aus. Ebenso, wenn die Gegendarstellung schriftlich und vom Betroffenen unterzeichnet sein muss. cc) Auch Rundfunkgegendarstellungen müssen unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb 285 der jeweiligen gesetzlichen Ausschlussfrist zugeleitet werden (vgl. Rz. 148 ff.). Nach Auffassung des OLG Koblenz961 ist dabei auch zu berücksichtigen, ob dem Verpflichteten eine angemessene Zeit zur Überprüfung des Verlangens vor der nächsten Sendung bleibt. Eine Gegendarstellungsforderung sei nicht mehr unverzüglich, wenn diese nach einem Monat nach der beanstandeten Sendung und nur vier Tage vor dem nächsten Sendetermin geltend gemacht werde. Zwar kann für ein Gegendarstellungsverlangen einen Monat nach der Sendung die Aktualitätsfrist verstrichen sein. Soweit das OLG Koblenz dabei eine „angemessene Frist zur Überprüfung der Berechtigung des Gegendarstellungsverlangens“ berücksichtigt, ist dem nicht zu folgen. Es vermengt die Frage nach der Unverzüglichkeit mit jener nach dem Zeitpunkt, wann das Verlangen zu erfüllen ist. Ist das Verlangen zu kurzfristig vor der nächsten Sendung eingegangen, kann der Verpflichtete berechtigt sein, die Gegendarstellung erst in der übernächsten Sendung zu verbreiten. An die Fähigkeit von Rundfunkveranstaltern, Entscheidungen auch innerhalb kurzer Frist zu treffen, sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen962. Insoweit war ein Zeitraum von vier Arbeitstagen im Zweifel ohnehin ausreichend. Umstände, die allein im Verantwortungsbereich des Verpflichteten liegen, dürfen demgegenüber dem Betroffenen nicht zu dessen Nachteil entgegengehalten werden. Die erforderliche Zeit zur Prüfung des Verlangens ist bei der Frage seiner Unverzüglichkeit nicht zu berücksichtigen. Auch bei Gegendarstellungen zu Fernsehsendungen ist davon auszugehen, dass diese regelmäßig innerhalb einer Zwei-Wochen-Frist dem Veranstalter zuzuleiten sind. Zwar handelt es sich hierbei nicht um eine starre Frist. Vielmehr sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, wozu auch gehört, in welchen Intervallen die betreffende 956 957 958 959 960 961 962
Vgl. BayVerfGH v. 14.6.1994 – Vf.33-VI/94, NJW 1994, 2944. Löffler/Sedelmeier, § 11 Rz. 248. Hertin, ZUM 1985, 391, 395 Fn. 12. Vgl. Kühle, AfP 1975, 791. Seitz, Kap. 7 Rz. 65; Puttfarcken, ZUM 1985, 490, 410. OLG Koblenz v. 19.8.1996 – 4 W 392/96, NJW-RR 1998, 25. OLG Hamburg, ArchPR 1973, 108; Seitz, Kap. 5 Rz. 71.
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Kap. 11 Rz. 286
Gegendarstellungsanspruch
Sendung ausgestrahlt wird963. In Hinblick auf das Interesse gerade der Fernsehmedien an der Aktualtität ihres Inhalts, ist eine zweiwöchige Frist jedoch regelmäßig als ausreichend anzusehen. Dies gilt insbesondere bei täglich ausgestrahlten Sendungen mit hoher Aktualität964. Das OLG Stuttgart965 hat bei einer im dreiwöchigen Turnus ausgestrahlten Sendung das Überschreiten einer Zwei-Wochen-Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles als nicht mehr unverzüglich betrachtet. Der Betroffene hatte bereits nach 10 Tagen den Entwurf der dann erst nach weiteren 17 Tagen zugeleiteten Gegendarstellung fertiggestellt. Dadurch wäre eine Veröffentlichung der Gegendarstellung erst in der nächstfolgenden Sendung möglich gewesen, wodurch die Aktualitätsgrenze überschritten worden wäre. 286
Die Unverzüglichkeitsfrist beginnt mit Kenntnis des Beitrags. Wurde dem Betroffenen auf sein Auskunftsersuchen (s. Rz. 28 ff.) lediglich eine unvollständige Fassung, z.B. ohne sog. Bauchbinden, zur Verfügung gestellt, beginnt die Unverzüglichkeitsfrist erst mit Kenntnis des vollständigen tatsächlichen Sendebeitrags einschließlich aller Einblendungen zu laufen966. Richtet sich die Gegendarstellung gegen Sendungen, die im ARD-Gemeinschaftsprogramm ausgestrahlt wurden, kann die Gegendarstellung nur gegen die einbringende Landesrundfunkanstalt gerichtet werden. Dies muss zu einer Verlängerung der Unverzüglichkeitsfrist führen, wenn der Betroffene zunächst die passivlegitimierte Landesrundfunkanstalt ermitteln muss (vgl. Rz. 305).
287
dd) Dass die Ausstrahlung der Gegendarstellung zur gleichen Sendezeit bzw. innerhalb des gleichen Programms oder der gleichen Programmsparte zu erfolgen hat wie die Erstmitteilung, ist selbstverständlich. Ist die Erstmitteilung mehrfach und zu unterschiedlichen Sendezeiten ausgestrahlt worden, kann bezüglich der Gegendarstellung Entsprechendes gefordert werden. Nur so lässt sich im Sinne der Waffengleichheit der in etwa gleiche Hörer-/Zuschauerkreis erreichen. Auch die Frage eines Redaktionsschwanzes ist ein besonderes Problem. Einige Landesrundfunk-/Landesmediengesetze sehen vor, dass eine Erwiderung auf die Entgegnung nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser gesendet werden darf967 bzw. nicht am gleichen Tage968. Eine Erwiderung hat sich ferner auf tatsächliche Angaben zu beschränken (z.B. § 9 Abs. 4 LMedienG Bad-Württ). Das besondere Problem ist die daraus folgende Beschränkung der Äußerungsfreiheit. Es ist zwar richtig, dass das Gegendarstellungsrecht durch das letzte Wort der Redaktion nicht illusorisch gemacht werden darf. Ebenso wenig darf aber das Gegendarstellungsrecht die Möglichkeit des Berichtens hindern. Das Kommentierungsverbot darf nicht dazu führen, der Redaktion notwendige Meldungen abzuschneiden. Nicht als Entgegnung sondern als Hinweis auf die geltende Rechtslage ist der übliche Hinweis anzusehen, dass der Sender verpflichtet ist, die Gegendarstellung unabhängig von deren Wahrheitsgehalt zu veröffentlichen. Dieser Hinweis ist stets zulässig. Ist ein Redaktionsschwanz zulässig, darf die redaktionelle Entgegnung aber die Gegendarstellung nicht entwerten969. Sonst liegt keine ordnungsgemäße Erfüllung vor. Dies hat das OLG Koblenz970 z.B. bei einer 963 OLG Stuttgart v. 8.6.2000 – 4 W 26/2000, ZUM 2000, 773; v. 8.2.2006 – 4 U 221/05, AfP 2006, 252; OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. 964 OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. 965 OLG Stuttgart v. 8.6.2000 – 4 W 26/2000, ZUM 2000, 773. 966 Vgl. OLG Köln v. 25.7.2013 – 15 U 87/13, AfP 2014, 340. 967 § 10 Abs. 3 MedienStV HSH, § 28 Abs. 4 HPRG, § 24 Abs. 4 MedienG LSA, § 27 Abs. 4 ThürLMG. 968 § 19 Abs. 4 Sächs PRG; § 15 Abs. 4 Satz 3 MDR-StV. 969 VerfGH Berlin v. 25.4.2006 – VerfGH 59/06, AfP 2006, 356; KG v. 27.7.2007 – 9 U 12/07, AfP 2007, 492, jeweils zu § 9 RBB-StV. 970 OLG Koblenz v. 13.12.2005 – 4 U 149/05, NJW-RR 2006, 484.
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XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 292 Kap. 11
nach Verlesen der Gegendarstellung vom Moderator vorgetragenen, nahezu doppelt so langen redaktionellen Erklärung angenommen, durch die der Eindruck erzeugt wurde, die Gegendarstellung sei inhaltlich unwahr, obschon hierfür keine eindeutigen gegenteiligen Fakten genannt wurden. c) Auskunftspflicht Falls der Betroffene die Sendung nicht aufzeichnen konnte, leidet das Gegendarstellungs- 288 recht unter der praktischen Schwierigkeit, den Text bzw. die filmische Darstellung zu erhalten. Deswegen verpflichten die meisten Rundfunkgesetze den Veranstalter, alle Sendungen in Ton und Bild vollständig aufzuzeichnen. Die Aufbewahrungspflicht besteht in den meisten Fällen für die Dauer von sechs Wochen bzw drei Monaten seit dem Tag der Ausstrahlung (im Saarland vier Wochen, in einigen Fällen zwei). Außerdem sind die Veranstalter verpflichtet, demjenigen, der schriftlich glaubhaft macht, durch eine Sendung in seinen Rechten betroffen zu sein, Einsicht in die aufgezeichnete Sendung oder den Film zu gewähren. Auf Verlangen sind dem Antragsteller auf seine Kosten Mehrfertigungen, Abzüge oder Abschriften der Aufzeichnung oder des Films zur Verfügung zu stellen. Dieser Anspruch kann nur während der Dauer der Aufbewahrungspflicht geltend gemacht werden. Diese Regelungen finden sich in § 8 LMedienG Baden-Württemberg, Art. 29 BayMG, § 51 MStV Berlin/Brandenburg, § 18 BremenLMG, § 9 MStV HSH, § 27 HessPRG, § 28 RundfG Mecklenburg-Vorpommern, § 19 Niedersächsisches MedienG, § 43 LMG NRW, § 21 LMG Rheinland-Pfalz, § 18 SMG, § 17 Abs. 3 SächsPRG, § 25 MedienG Sachsen-Anhalt, § 26 ThürLMG. Die den vorstehenden Regelungen entsprechende Aufzeichnungspflicht des ZDF und der 289 Auskunftsanspruch Betroffener ergeben sich aus § 14 ZDF-Staatsvertrag. Soweit die Regelungen betreffend die anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten keinen Auskunftsanspruch des Betroffenen vorsehen, wie z.B. beim Hessischen Rundfunk, kann er auf § 242 BGB gestützt werden. Im Sinne der Auskunftsregelung „in seinen Rechten betroffen“ ist richtiger Auffassung nach 290 jeder, dem möglicherweise ein Anspruch wie z.B. ein Gegendarstellungsanspruch zusteht. Da der Betroffene den Inhalt der Sendung durch sein Auskunftsbegehren erst in Erfahrung bringen will, dürfen an die Glaubhaftmachung keine hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügt, dass der Betroffene durch Dritte von der Möglichkeit der Betroffenheit erfahren hat. Der Rundfunkveranstalter hat eine vollständige Aufzeichnung zur Verfügung zu stellen. Bei Beiträgen in Magazinsendungen umfasst dies auf Verlangen auch die Anmoderation. d) Anspruchsverpflichtete Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist bei Gegendarstellungsforderungen die ausstrah- 291 lende Rundfunkanstalt anspruchsverpflichtet. Das sind die einzelnen Landesrundfunkanstalten sowie die Deutsche Welle, welche Mitglied der ARD sind, ferner das ZDF und das Deutschlandradio. Für Fernsehsendungen ist jede Anstalt unabhängig davon verantwortlich, wer sie produziert 292 hat. Wird eine Sendung ggf. zeitlich versetzt von verschiedenen Anstalten ausgestrahlt, ist jede Anspruchsverpflichtete. Etwas anderes gilt für die Fernseh-Gemeinschaftsprogramme, die allein von den in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten ausgestrahlt werden. Für Ansprüche zu Sendungen in diesen Fernseh-Gemeinschaftsprogrammen ist nach § 8 ARD-StV nur die einbringende Anstalt Verpflichtete (s. Rz. 303 ff.). Für andere GeBurkhardt
981
Kap. 11 Rz. 293
Gegendarstellungsanspruch
meinschaftsprogramme fehlen entsprechende Regelungen. Gegen die ARD selbst können Gegendarstellungsansprüche nicht geltend gemacht werden, da ihr nach Ansicht des BGH als öffentlich-rechtliche Gemeinschaftseinrichtung eine eigene Rechtspersönlichkeit fehlt und sie daher nicht parteifähig ist971. 293
Für den europäischen Kulturkanal „arte“ fehlt eine spezifische Gegendarstellungsregelung. Insbesondere fehlen Vorschriften, wonach von einer in deutscher Sprache ausgestrahlten arte-Sendung Betroffene vor einem deutschen Gericht einen Gegendarstellungsanspruch nach deutschem Recht geltend machen könnten. Veranstalter des europäischen Kulturkanals „arte“ sind zwar weder die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten noch das ZDF, sondern die arte G.E.I.E. mit Sitz in Straßburg972. Nach Art. 1 des der Gründung von „arte“ zugrunde liegenden völkerrechtlichen Vertrags vom 2.10.1990 steht dieser unter ausschließlicher Aufsicht und Kontrolle der Gesellschafter und ist damit unabhängig von staatlichen Eingriffen einschließlich unabhängiger Instanzen für die Gestaltung des Rundfunkswesens des Sitzlandes, d.h. der für die Aufsicht über die französischen Rundfunkveranstalter zuständige Conseil Superieur de l’Audiovisuel973. Da die Verpflichtung zur Ausstrahlung einer Gegendarstellung in die allein „arte“ zustehende Programmplanung und -realisierung eingreift, bedarf es einer expliziten rechtlichen Grundlage für arte. Eine Gegendarstellungsregelung fehlt jedoch bislang in den die Tätigkeit von „arte“ regelnden Statuten. Nachdem die Gründung von „arte“ auf einen völkerrechtlichen Vertrag der Bundesländer mit der französischen Republik zurückgeht, verletzen die Bundesländer die durch das Bundesverfassungsgericht statuierte grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 GG, eine gesetzliche Gegendarstellungsregelung auch für die durch Sendungen von „arte“ jedenfalls auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und durch deutschsprachige Sendungen Betroffene sicherzustellen974. Das Fehlen einer spezifischen Gegendarstellungsregelung für arte-Sendungen verletzt darüber hinaus die europarechtlichen Verpflichtungen aus Art. 28 AVMD-Richtlinie und Art. 8 des Europäischen Übereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen (s. Rz. 277 f.).
294
Das Vollprogramm „3sat“ wird von den in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten gemeinsam mit dem ZDF und unter Beteiligung öffentlich-rechtlicher europäischer Veranstalter veranstaltet (§ 11b Abs. 4 Nr. 1, 2 RStV). Anders als bei arte existiert eine juristische Person als Veranstalter von 3sat nicht. Die beteiligten Anstalten haben lediglich das ZDF zum Federführer bestimmt. Veranstalter des Fernsehprogramms dürfte daher eine nicht rechtsfähige öffentlich-rechtliche Gemeinschaftseinrichtung sein, bestehend aus allen beteiligten Anstalten, auch der ausländischen975. Weder der Rundfunkstaatsvertrag noch andere Vorschriften für dieses Programm sehen explizit einen Gegendarstellungsanspruch und die Möglichkeit, vor deutschen Gerichten einen solchen Anspruch geltend zu machen, vor. Da das Gegendarstellungsrecht wegen des mit ihm verbunden Eingriffs in die Rundfunkfreiheit einer gesetzlichen Grundlage bedarf976 und eine solche fehlt, besteht derzeit ein Gegendarstel971 BGH v. 30.4.2015 – I ZR 13/14, AfP 2015, 553 Rz. 21 – Tagesschau-App. 972 Zum insofern fehlerhaften Wortlaut der Regelung in § 11b Abs. 4 Nr. 2 RStV vgl. Binder/Vesting/Binder, § 11b RStV Rz. 114. 973 Binder/Vesting/Binder, § 11b RStV Rz. 114. 974 Vgl. BVerfG v. 19.2.1993 – 1 BvR 1424/92, AfP 1993, 474 – MOZ; Näheres s. Rz. 4. 975 Binder/Vesting/Binder, § 11b RStV Rz. 100, gehen demgegenüber davon aus, dass Veranstalter nur die Landesrundfunkanstalten und das ZDF gemeinsam seien. 976 Vgl. BVerfG v. 19.2.1993 – 1 BvR 1424/92, AfP 1993, 474; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58.
982
Burkhardt
XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 297 Kap. 11
lungsanspruch auch gegen dieses Programm nicht. Soweit Seitz977 meint, bei 3sat könnte der Anspruch gegen das federführende ZDF geltend gemacht werden, verkennen sie, dass weder das ZDF „Veranstalter“ ist noch § 9 ZDF-StV für Gemeinschaftsprogramme gilt. Auch die zum 1.1.2016 in Kraft getretene Neufassung der Gegendarstellungsregelung erfasst sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach der Begründung zum 17. RÄndStV nur „Angebote des ZDF“, also solche, die allein durch das ZDF veranstaltet werden. Das Fehlen eines gesetzlichen Gegendarstellunganspruchs verletzt ebenso wie im Fall des Europäischen Kulturkanals arte den verfassungsrechtlichen Schutzanspruch978 und widerspricht den europarechtlichen Vorgaben. Entsprechendes gilt für die von den in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunk- 295 anstalten und dem ZDF veranstalteten nationalen Spartenprogramme „PHOENIX – Der Ereignis und Dokumentationskanal“ und „KI.KA – Der Kinderkanal“. Auch für diese Gemeinschaftsprogramme findet § 8 ARD-StV keine Anwendung. Eigenständige Regelungen fehlen entgegen der Verpflichtung aus § 11e RStVebenso. Daher kann auch nicht davon ausgegangen werden, die jeweilige einbringende Anstalt sei für Gegendarstellungsansprüche passivlegitimiert979. „Veranstalter“ ist auch bei diesen Programmen der Zusammenschluss der in § 11b Abs. 4 RStV genannten Rundfunkanstalten. Für diesen „Veranstalter“ fehlt die erforderliche gesetzliche Regelung. Auch scheidet eine entsprechende Heranziehung der früher zum ARDGemeinschaftsprogramm „Das Erste“ entwickelten Grundsätze aus980. Zum einen ist nach Ziff. 5 des Fernsehvertrags nur noch vorgesehen, auf die terrestrische Ausstrahlung verzichten zu können, zum anderen gilt diese Regelung nicht für das ZDF. Darüber hinaus handelt es sich um einheitliche Programme, welche nicht gebietsmäßig aufspaltbar sind. Praktisch relevant scheint das Fehlen erforderlicher Gegendarstellungen noch nicht geworden zu sein, da soweit ersichtlich und nach Auskunft des Justitiars des ZDF bislang keine Verfahren wegen Sendungen in diesen Programmen durchgeführt wurden. Die verfassungs- und europarechtswidrige Schutzlücke sollte gleichwohl rasch geschlossen werden. Beim Privatrundfunk wird in den dafür geltenden Regelungen teilweise der Veranstalter als 296 anspruchsverpflichtet bezeichnet, teilweise der Anbieter. Veranstalter ist derjenige, der die Sendung unter eigener inhaltlicher Verantwortung anbietet (§ 2 Abs. 2 Nr. 14 RStV; § 2 Nr. 9 LMedienG BaWü), also der Inhaber der von der Landesmedienanstalt erteilten Sendelizenz (vgl. § 20a RStV; § 12 LMedienG BaWü). Ein Sponsor ist auch dann kein Veranstalter, wenn er eine regelmäßig gesendete Reihe sponsert. Unter einem Anbieter ist ebenfalls der Veranstalter zu verstehen (vgl. Art. 18 BayMG). Rundfunkveranstalter ist nicht nur der Veranstalter eines Vollprogramms, sondern auch der Veranstalter eines Fensterprogramms (§§ 2 Abs. 2 Nr. 14, 31 RStV)981. Der Veranstalter des Vollprogramms ist für Gegendarstellungen zum Fensterprogramm nicht Anspruchsverpflichteter. In Bayern ist die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien gemeinsam mit dem betroffe- 297 nen Anbieter passivlegitimiert (Art. 18 Abs. 4 BayMG). Ursächlich dafür ist, dass die bayerische Verfassung keinen Privatrundfunk zulässt. Deswegen wird der in den anderen Bundesländern privat veranstaltete Rundfunk in Bayern unter der öffentlich-rechtlichen Trägerschaft
977 978 979 980 981
Seitz, Kap. 1 Rz. 9. BVerfG v. 19.2.1993 – 1 BvR 1424/92, AfP 1993, 474. A.A. Seitz, Kap. 1 Rz. 9. Vgl. OLG München v. 10.4.1992 – 21 U 1849/92, AfP 1992, 304. Paschke/Berlit/Meyer-Meyer, 41. Abschnitt Rz. 14.
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983
Kap. 11 Rz. 298
Gegendarstellungsanspruch
der Landeszentrale betrieben (Art. 2 Abs. 1 BayMG). Landeszentrale und Anbieter bilden eine notwendige Streitgenossenschaft nach § 62 ZPO. e) Datenschutzrechtliche Aufbewahrungspflicht 298
Neuere datenschutzrechtliche Vorschriften sehen auch für den Rundfunk vor, dass Gegendarstellungen des Betroffenen aufzubewahren sind (z.B. § 57 Abs. 3 RStV, § 37 Abs. 2 MedienStV HSH, § 1 Abs. 2 NDR-DatenschutzStV, § 49 Abs. 3 LMedienG Baden-Württemberg). Voraussetzung ist, dass die jounalistisch-redaktionelle Verarbeitung personenbezogener Daten zu der Gegendarstellung geführt hat. Die Gegendarstellung ist dann solange aufzubewahren, wie die gespeicherten Daten und bei einer Übermittlung der Daten gemeinsam mit diesen zu übermitteln. 2. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
299
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird durch die Rundfunkanstalten der Länder und des Bundes realisiert, die sich in der ARD zusammengeschlossen haben, ferner durch das ZDF und Deutschlandradio.
300
Die Deutsche Welle ist nur für den Auslandsrundfunk zuständig, auch wenn sie z.B. via Satellit und Internet im Inland empfangbar ist. a) ARD
301
Die ARD ist nach § 1 ihrer Satzung v. 9./10.6.1950 (in der Fassung v. 8.4.2014) eine nicht rechtsfähige Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Länder und des Bundes. Die aus § 1 des ARD-Staatsvertrages folgende Verpflichtung zur Gestaltung eines gemeinsamen Fernsehvollprogramms ist ursprünglich durch das Länderabkommen v. 17.4.1959 begründet worden. Dieses Programm wird nach dem Fernsehvertrag v. 26./27.11.1991 i.d.F. v. 12.9.2006 und den Grundsätzen für die Zusammenarbeit im ARDGemeinschaftsprogramm v. 1.12.1982 i.d.F. v. 17.9.2013 gestaltet. Nach Ziff. 5 des Fernsehvertrages ist jede Anstalt berechtigt, auf die terrestrische Ausstrahlung von Teilen des Gemeinschaftsprogramms zu verzichten und diese durch eigene Beiträge zu ersetzen. Die Anstalten sind also in ihrer Programmgestaltung offen982. Entschließt sich eine Anstalt zur Ausstrahlung, war sie bislang folgerichtig Adressat eines Gegendarstellungsverlangens. War sie nicht zugleich die produzierende Anstalt, war sie nach Ansicht des OLG München983 zur Ausstrahlung nur in ihrem Sendegebiet verpflichtet984. Das folge aus dem räumlich beschränkten Geltungsbereich der jeweiligen Landesrundfunkgesetze985. Diese Regelung ist bei übernommenen, zeitversetzt ausgestrahlten Sendungen im Dritten Programm oder den Regionalfenstern im Ersten sinnvoll. Problematisch ist dies bei bundesweit ausgestrahlten Sendungen im ARD-Gemeinschaftsprogramm. Zwar kann eine Gegendarstellung terrestrisch und über Kabel begrenzt auf das jeweilige Sendegebiet vorgenommen werden. Dies gilt jedoch nicht für die Ausstrahlung über Satellit, die gemeinschaftlich über eine beim Hessi982 BVerwG v. 19.11.1991 – 7 B 124/91, AfP 1992, 205; VGH Bayern v. 18.7.1991 – 25 B 88.792, BayVerwBl. 1991, 689, 691; OLG Saarbrücken v. 6.1.2000 – 5 W 410/99-122-, AfP 2000, 289; LG Leipzig v. 5.1.2000 – 10 O 8484/99, AfP 2000, 308. 983 OLG München v. 18.9.1996 – 21 U 4164/96, AfP 1997, 823. 984 Ebenso Seitz/Schmidt/Schoener, 3. Aufl., Rz. 47. 985 Flechsig, § 10 SWR-StV Rz. 62.
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XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 304 Kap. 11
schen Rundfunk eingerichtete Verbindung (uplink) über Astra-Satelliten erfolgt. Macht ein Betroffener Gegendarstellungsansprüche gegenüber mehreren ARD-Anstalten parallel geltend, müsste jede einzelne eine Ausstrahlung auch via Satellit bewirken. Dies würde nicht nur zu mehreren Verfahren mit der Möglichkeit divergierender Entscheidungen führen, sondern grundsätzlich auch zu mehreren gleichlautenden Gegendarstellungen, die bei Austrahlung via Satellit jeweils denselben Rezipientenkreis erreichen würden. Ein solcher Fall war Anlass, den ARD-Staatsvertrag zu ergänzen. Der NDR war in zwei Fällen zur Verbreitung von Gegendarstellungen zu Sendungen verurteilt 302 worden, die im Rahmen des Gemeinschaftsprogramms (Panorama, Fliege) ausgestrahlt wurden. Er selbst war nicht produzierende oder einbringende Anstalt. Aufgrund der Urteile986 strahlte der NDR die Gegendarstellungen in seinem Sendegebiet terrestrisch und per Kabel aus. Die Ausstrahlung via Satellit wurde ihm jedoch durch die anderen Landesrundfunkanstalten verweigert, u.a. weil in einem der Verfahren der Betroffene mit der gleichen Gegendarstellungsforderung vor dem OLG Saarbrücken voll, vor dem LG Berlin teilweise unterlegen war. Da der Betroffene im Hinblick auf die Satellitenaustrahlung die Zwangsvollstreckung betrieb und eine Vollstreckungsabwehrklage des NDR erfolglos blieb, verklagte der NDR die anderen Anstalten mit unterschiedlichem Erfolg auf Zustimmung zur Ausstrahlung über Satellit987. Die Rechtsstreite des NDR gegen andere Landesrundfunkanstalten haben die Länder ver- 303 anlasst, eine Zuständigkeitsregelung in den ARD-Staatsvertrag aufzunehmen. Durch den 5. RÄndStV (in Kraft getreten am 1.1.2001) wurde die Zuständigkeit für Gegendarstellungsansprüche zu Sendungen im Fernseh-Gemeinschaftsprogramm neu geregelt. § 8 ARD-Staatsvertrag (1) Soweit Gegendarstellungsansprüche zu Sendungen in Fernseh-Gemeinschaftsprogrammen, die allein von den in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten gestaltet werden, geltend gemacht werden, ist die Sendung ausschließlich von derjenigen Landesrundfunkanstalt zu verantworten, die die Sendung in das Gemeinschaftsprogramm eingebracht hat. Maßgeblich ist das für diese Landesrundfunkanstalt geltende Gegendarstellungsrecht. (2) Eine gegen eine einbringende Landesrundfunkanstalt erwirkte Gegendarstellung ist von allen beteiligten Landesrundfunkanstalten in dem jeweiligen Fernseh-Gemeinschaftsprogramm zu verbreiten. (3) Wer eine Gegendarstellung gegen eine Sendung eines Fernseh-Gemeinschaftsprogramms der in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten geltend machen will, kann von jeder Landesrundfunkanstalt Auskunft verlangen, welche Landesrundfunkanstalt die Sendung in das Fernseh-Gemeinschaftsprogramm eingebracht hat. Die Auskunft ist unverzüglich zu erteilen.
Auch wenn die Neuregelung ähnliche Streitigkeiten künftig ausschließen dürfte, vermag sie 304 nicht zu überzeugen988. Sie verdrängt bzw. ändert materiell-rechtlich insoweit die bislang bestehenden Regelungen in den Rundfunkgesetzen. Der Betroffene wird verpflichtet, seinen Anspruch stets bei der einbringenden Landesrundfunkanstalt geltend zu machen. Allein diese ist passivlegitimiert. Ansprüche, die gegen andere Anstalten geltend gemacht werden, 986 LG Hamburg v. 29.3.1999 – 324 O 59/99, n.v.; v. 30.7.1999 – 324 O 305/99, n.v. 987 Stattgebend: z.B. LG Leipzig v. 5.1.2000 – 10 O 8484/99, AfP 2000, 308, Berufung durch OLG Dresden zurückgewiesen; abweisend z.B. OLG München v. 28.7.2000 – 21 U 3346/00, NJW 2001, 613; zum Ganzen Seitz, NJW 2001, 579. 988 Eine dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG v. 17.1.2005 – 1 BvR 2812/04, NJW 2005, 1343.
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985
Kap. 11 Rz. 305
Gegendarstellungsanspruch
sind daher stets zurückzuweisen. Die einbringende Anstalt hat für eine bundesweite Ausstrahlung zu sorgen. Dies gilt, obgleich der Betroffene möglicherweise nur eine regionale Ausstrahlung der Gegendarstellung wünscht, etwa weil er nur in seinem persönlichen, räumlich beschränkten Umfeld seine eigene Sicht der Dinge darstellen will. Zwar ist einzuräumen, dass durch die Neuregelung divergierende Entscheidungen, wie sie den NDR-Streitigkeiten zugrunde lagen, vermieden werden. Ob dies eine Einschränkung des allgemeinen Prinzips der Verbreiterhaftung rechtfertigt, ist eher zweifelhaft. Divergierende Entscheidungen sind angesichts der Rechtszersplitterung und fehlender Revisionsinstanz bei verbreiteten Äußerungen kein neues Problem. Sie werden auch im Bereich des Rundfunks bei übernommenen, zeitversetzt ausgestrahlten Beiträgen durch die Neuregelung nicht vermieden. Dem Betroffenen wird jedoch zugemutet, zunächst die einbringende Anstalt zu ermitteln. Dazu hat er zwar einen Anspruch auf unverzügliche Auskunft. Es verzögert sich aber die Geltendmachung des Anspruchs. Dies muss zu einer Verlängerung der Aktualitätsfrist (vgl. Rz. 25) führen. Dem Betroffenen wird zuzumuten sein, innerhalb von etwa fünf Tagen, nachdem er von dem Bericht Kenntnis erlangt hat, den Auskunftsanspruch geltend zu machen. Erst wenn er auch Kenntnis vom Anspruchsverpflichteten hat, beginnt die Unverzüglichkeitsfrist zu laufen. 305
Die „Grundsätze für die Zusammenarbeit im ARD-Gemeinschaftsprogramm „Erstes Deutsches Fernsehen“ und anderen Gemeinschaftsprogrammen und -angeboten“ (i.d.F. v. 17.9.2013) sind nunmehr Richtlinien gem. § 11e RStV. Sie enthalten für Gegendarstellungsansprüche keine eigenen Regelungen mehr, sondern verweisen auf § 8 ARD-StV. Ziffer V. lautet: V. Gegendarstellungen und sonstige äußerungsrechtliche Ansprüche (1) Für Gegendarstellungsansprüche gilt § 8 ARD-Staatsvertrag. (2) Für sonstige äußerungsrechtliche Ansprüche gelten die nachfolgenden Regelungen, die eine einheitliche Handhabung ermöglichen sollen. (3) Die redaktionelle Verantwortung für Beiträge in Gemeinschaftsprogrammen und -angeboten trägt die jeweils einbringende Rundfunkanstalt. Unberührt hiervon bleibt die Verantwortung aller an Gemeinschaftsprogrammen und -angeboten beteiligten Rundfunkanstalten für die Verbreitung dieser Beiträge innerhalb ihres jeweiligen gesetzlichen Sendegebiets. (4) Zuständig für die Bearbeitung ist die den Beitrag einbringende Rundfunkanstalt. Sofern Ansprüche bei einer anderen als der einbringenden Rundfunkanstalt geltend gemacht werden, leitet diese das Begehren an die zuständige Rundfunkanstalt weiter. Die abgebende Rundfunkanstalt verbindet dies mit der rechtsverbindlichen Zusage gegenüber dem Antragsteller, dass sie eine von der zuständigen Rundfunkanstalt abgegebene Erklärung oder eine gegen diese erwirkte gerichtliche Entscheidung als auch für sich verbindlich anerkennen wird. Die einbringende Anstalt ist bevollmächtigt, verbindliche Erklärungen für die anderen beteiligten Rundfunkanstalten abzugeben.
Da § 8 ARD-StV keine Regelung für Telemedien enthält, verbleibt es für diese bei der allgemeinen Regelung nach § 56 RStV (s. Rz. 341). Nach dem klaren Wortlaut der Ziffer V. Abs. 1 und 2 der Grundsätze sind die eine ähnliche Vereinheitlichung bewirkenden Regelungen der Abs. 3 bis 5 auf Gegendarstellungsansprüche nicht anwendbar. Insofern besteht also keine vereinheitlichende Regelung, so dass allein der jeweilige Telemedienanbieter Verpflichteter ist. Dies gilt z.B. für von anderen Rundfunkanstalten in die ARD-Mediathek eingestellte Beiträge, deren Anbieter der Bayerische Rundfunk ist.
986
Burkhardt
XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 306 Kap. 11
Für die zur ARD gehörenden öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gelten folgende Regelungen: (l) BR – Bayerischer Rundfunk
306
Gesetz über die Errichtung und die Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts „Der Bayerische Rundfunk“ (BayRG) v. 10.8.1948 (GVBl. S. 135) i.d.F. der Bekanntmachung v. 22.10.2003 (GVBl. S. 792), zuletzt geändert durch Gesetz v. 15.5.2018 (GVBl. S. 252). Art. 16 Aufzeichnungspflicht (1) Der Bayerische Rundfunk hat die Rundfunksendungen in Ton und Bild vollständig aufzuzeichnen und aufzubewahren. (2) Die Aufzeichnungen können nach Ablauf von zwei Monaten seit dem Tag der letzten Verbreitung gelöscht werden, wenn gegen den Beitrag keine Beanstandung oder Beschwerde vorliegt. Geht innerhalb dieser Frist eine Beanstandung oder Beschwerde ein, so ist die Aufzeichnung aufzubewahren, bis die Beanstandung oder Beschwerde durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, durch gerichtlichen Vergleich oder auf andere Weise erledigt ist. Der Rundfunkrat kann Abweichungen vorsehen. (3) Wer schriftlich glaubhaft macht, in seinem Recht berührt zu sein, kann Einsicht in die Aufzeichnungen verlangen und auf eigene Kosten Mehrfertigungen herstellen. (4) Soweit der Bayerische Rundfunk Fernsehtext veranstaltet, stellt er in geeigneter Weise sicher, dass berechtigten Interessen Dritter auf Beweissicherung angemessen Rechnung getragen wird. Art. 17 Gegendarstellung (1) Der Bayerische Rundfunk ist verpflichtet, die Gegendarstellung einer Person oder Stelle, die durch eine in einer Rundfunksendung aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist, zu verbreiten. Die Gegendarstellung muss die beanstandete Sendung bezeichnen, sich auf tatsächliche Angaben beschränken, vom Betroffenen unterzeichnet sein und dem Bayerischen Rundfunk unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei Monaten nach der letzten Verbreitung zugehen. (2) Die Gegendarstellung muss unverzüglich zu einer gleichwertigen Sendezeit und innerhalb des gleichen Programms und der gleichen Programmsparte wie die beanstandete Tatsachenbehauptung ohne Einschaltungen und Weglassungen verbreitet werden. Die Verbreitung erfolgt kostenfrei. Eine Erwiderung auf die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (3) Eine Verpflichtung zur Verbreitung der Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. Betroffene kein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung haben, 2. ihr Umfang unangemessen über den der beanstandeten Sendung hinausgeht oder 3. die Gegendarstellung einen strafbaren Inhalt hat. (4) Eine ablehnende Entscheidung des Bayerischen Rundfunks ist unter Angabe der Gründe unverzüglich schriftlich zu verbescheiden und dem Betroffenen zuzustellen. Ein zweites Verlangen ist zulässig, wenn es den Gründen der Ablehnung Rechnung trägt und dem Bayerischen Rundfunk spätestens innerhalb eines Monats nach Zustellung der ablehnenden Entscheidung zugeht. Wird das zweite Verlangen abgelehnt, hat der Intendant über den Vorgang dem zuständigen Ausschuss binnen einer Woche zu berichten. (5) Der Anspruch auf Verbreitung der Gegendarstellung kann auch im Zivilrechtsweg verfolgt werden. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Hauptsacheverfahren findet nicht statt.
Eine Besonderheit enthält die Regelung über die Ablehnung einer Gegendarstellung. Der BR (ebenso die Bayerische Landeszentrale für neue Medien, vgl. Rz. 320) ist verpflichtet, eine ablehnende Entscheidung unter Angabe der Gründe dem Betroffenen unverzüglich schriftBurkhardt
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Kap. 11 Rz. 307
Gegendarstellungsanspruch
lich zu verbescheiden und zuzustellen. Ferner enthält Abs. 4 Satz 2 eine gesonderte Ausschlussfrist für das zweite Gegendarstellungsverlangen. 307
(2) HR – Hessischer Rundfunk Gesetz über den Hessischen Rundfunk (HessRfG) v. 2.10.1948 (GVBl. S. 123), zuletzt geändert durch Gesetz v. 13.10.2016 (GVBl. S. 178). § 3 Programmgrundsätze Die folgenden Grundsätze sind für die Darbietungen verbindlich: … 8. Im Rundfunk angegriffene Dienststellen oder Persönlichkeiten der öffentlichen Verwaltung oder des öffentlichen Lebens ist zur Abwehr gleichwertige Sendezeit zu gewähren. 9. Eine unwahre Behauptung ist auf Verlangen einer beteiligten Behörde oder Privatperson zu berichtigen. § 9 des Hessischen Pressegesetzes in der Fassung vom 12 Dezember 2003 (GVBl. 2004 I S. 2), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.12.2012 (GVBl. S. 622838), ist sinngemäß anzuwenden.
Das aktuelle LPG Hessen ist abgedruckt in Nr. 8 vor Rz. 1. Eine Aufzeichnungspflicht sowie ein Recht auf Einsichtnahme und Zurverfügungstellung von Mehrfertigungen sind im HRGesetz nicht vorgesehen. Diese Ansprüche können nur aus § 242 BGB hergeleitet werden. 308
(3) MDR – Mitteldeutscher Rundfunk Der MDR beruht auf dem Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk v. 30.5.1991 des Freistaates Sachsen, des Landes Sachsen-Anhalt und des Freistaates Thüringen. Die Landtage dieser Länder haben diesem Staatsvertrag im Juni 1991 zugestimmt (vgl. Sachsen: Gesetz v. 27.6.1991, GVBl. S. 169; Sachsen-Anhalt: Gesetz v. 25.6.1991, GVBl. LSA S. 111; Thüringen: Gesetz v. 25.6.1991, GVBl. S. 118), zuletzt geändert durch Art. 1 MDR-DatenschutzStV v. 1.2.2018 (Sachsen: Gesetz v. 26.4.2018, GVBl. S. 167; Sachsen-Anhalt: Gesetz v. 15.5.2018, GVBl. S. 52; Thüringen: Gesetz v. 10.4.2018, GVBl. S. 81). § 15 Gegendarstellung (1) Der MDR ist verpflichtet, zu Tatsachen, die durch den Rundfunk verbreitet wurden, die Gegendarstellung einer unmittelbar betroffenen Person oder Stelle zu verbreiten. (2) Die Pflicht zur Verbreitung der Gegendarstellung besteht nicht, wenn a) die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder b) die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist, insbesondere den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung erheblich überschreitet oder c) die Gegendarstellung einen strafbaren Inhalt hat. (3) Die Gegendarstellung muss die beanstandeten Stellen bezeichnen, sich auf tatsächliche Angaben beschränken und vom Betroffenen oder dem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Der Betroffene muss die Gegendarstellung unverzüglich nach Kenntnis von der Sendung, spätestens innerhalb von zwei Monaten seit der Verbreitung einreichen. (4) Die Verbreitung muss unverzüglich und zu einer gleichwertigen Sendezeit wie die Verbreitung der beanstandeten Sendezeit ohne Einschaltungen und Weglassungen erfolgen. Die Verbreitung der Gegendarstellung erfolgt unentgeltlich. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung darf nicht am gleichen Tage gesendet werden. (5) Der Anspruch auf Verbreitung kann auch im Zivilrechtsweg im Verfahren der einstweiligen Verfügung verfolgt werden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden.
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Burkhardt
XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 309 Kap. 11
(6) Die vorstehenden Bestimmungen gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe der Europäischen Gemeinschaften, des Bundes, der Länder, der Gemeinden, Gemeindeverbände und der Gerichte.
Nach § 17 des Staatsvertrages hat der MDR sämtliche Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen für mindestens zwei Monate aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, in seinen Rechten berührt zu sein, kann Einsicht und Herstellung von Mehrfertigungen auf eigene Kosten verlangen. Für das Gegendarstellungsverfahren ergeben sich infolge der mehrdeutigen Regelung des § 15 Abs. 5 Sonderprobleme. Nach dieser Regelung kann der Anspruch „auch im Zivilrechtsweg im Verfahren der einstweiligen Verfügung verfolgt werden“. Da ein anderer als der Zivilrechtsweg nicht zur Verfügung steht, könnte sich das „auch“ auf das Verfügungsverfahren beziehen und im Ergebnis bedeuten, dass daneben das Hauptklageverfahren in Anspruch genommen werden kann. Richtigerweise ist von einem Redaktionsversehen auszugehen, durch das das Wort „auch“ in den Gesetzeswortlaut aufgenommen wurde. Wird es gedanklich weggelassen, entfällt die Möglichkeit eines Hauptsacheverfahrens. (4) NDR – Norddeutscher Rundfunk
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Der NDR beruht auf dem Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk, den die Länder Freie und Hansestadt Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein am 17./18.12.1991 geschlossen haben (Hamburg: GVBl. 1992, S. 40; Mecklenburg-Vorpommern: GVBl. 1992, 77; Niedersachsen: GVBl. 1992, 41; Schleswig-Holstein: GVOBl. 1992, 120), zuletzt geändert durch Änderungsstaatsvertrag v. 7.12.2017 (Hamburg: GVBl. 2018, 133; Mecklenburg-Vorpommern: GVOBl. 2018, 158; Niedersachsen: GVBl. 2018, 51; Schleswig-Holstein: GVOBl. 2018, 216). § 12 Gegendarstellung (1) Der NDR ist verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person, Gruppe oder Stelle zu verbreiten, die durch eine in einer Sendung aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Pflicht zur Verbreitung einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn die betroffene Person, Gruppe oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Sendeteils, gilt sie als angemessen. (2) Die Gegendarstellung muss unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei Monaten nach der beanstandeten Sendung, schriftlich verlangt werden und von dem oder der Betroffenen oder seinem oder ihrem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Die Gegendarstellung muss die beanstandete Sendung und Tatsachenbehauptung bezeichnen, sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. (3) Die Gegendarstellung muss unverzüglich innerhalb der gleichen Programmsparte zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. Sie muss ohne Einschaltungen und Weglassungen verbreitet werden. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (4) Die Gegendarstellung wird unentgeltlich verbreitet. Dies gilt nicht, wenn sich die Gegendarstellung gegen eine Tatsachenbehauptung richtet, die in einer Werbesendung verbreitet worden ist. (5) Verweigert der NDR die Verbreitung einer Gegendarstellung, entscheiden auf Antrag des oder der Betroffenen die ordentlichen Gerichte. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gelten entsprechend. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren in der Hauptsache findet nicht statt.
Burkhardt
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Kap. 11 Rz. 310
Gegendarstellungsanspruch
(6) Die vorstehenden Bestimmungen gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden und beschließenden Organe der Europäischen Gemeinschaften, des Europarats, des Bundes, der Länder, der Gemeinden, der sonstigen kommunalen Körperschaften sowie der Gerichte.
Nach § 14 des Staatsvertrages hat der NDR alle Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen für mindestens drei Monate aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, durch eine Sendung in seinen rechten berührt zu sein, hat Anspruch auf Einsichtnahme in die Aufzeichnungen und Filme und auf Übersendung von Mehrfertigungen auf eigene Kosten. 310
(5) RB – Radio Bremen Der RB beruht auf dem Radio-Bremen-Gesetz (RBG) v. 22.3.2016 (GBl. S. 158). § 27 Gegendarstellungsrecht (1) Die Anstalt ist verpflichtet, die Gegendarstellung der Person, Gruppe oder Stelle zu verbreiten, die durch eine von der Anstalt in einer Sendung verbreitete Tatsachenbehauptung betroffen ist. (2) Die Pflicht zur Verbreitung der Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. die Person, Gruppe oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat, oder 2. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung, gilt sie als angemessen. (3) Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von der Person, Gruppe oder Stelle oder ihrem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Die Verbreitung kann nur verlangt werden, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten, der Anstalt zugeht. Die Gegendarstellung muss die beanstandete Sendung und Tatsachenbehauptung bezeichnen. (4) Die Gegendarstellung muss unverzüglich innerhalb des gleichen Programms wie die beanstandete Tatsachenbehauptung sowie zur gleichen Tageszeit verbreitet werden. Wenn dies nicht möglich ist, muss die Gegendarstellung innerhalb der gleichen Programmsparte und zu einer gleichwertigen Sendezeit verbreitet werden. Die Verbreitung erfolgt ohne Einschaltungen und Weglassungen. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (5) Wird eine Sendung zum beliebigen zeitlichen Empfang bereitgestellt, so ist die Gegendarstellung für die Dauer der Bereitstellung mit der Sendung zu verbinden. Wird die Sendung nicht mehr bereitgestellt oder endet die Bereitstellung vor Ablauf eines Monats nach Aufnahme der Gegendarstellung, so ist die Gegendarstellung an vergleichbarer Stelle so lange bereitzustellen, wie der Betroffene es verlangt, höchstens jedoch einen Monat. (6) Die Verbreitung der Gegendarstellung erfolgt unentgeltlich. Dies gilt nicht, wenn sich die Gegendarstellung gegen eine Tatsachenbehauptung richtet, die in einer Werbesendung verbreitet worden ist. (7) Für die Durchsetzung des Anspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf das Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (8) Die Absätze 1 bis 7 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden Organe des Bundes, der Länder und der Vertretungen der Gemeinden und Gemeindeverbände, der Gerichte sowie für Sendungen nach § 28. Zu einer Gegendarstellung kann eine Gegendarstellung nicht verlangt werden.
Nach § 6 RBG hat RB sämtliche Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen mindestens zwei Monate aufzubewahren. Wer schriftlich oder elektronisch glaubhaft macht,
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Burkhardt
XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 311 Kap. 11
durch eine Sendung in seinen Rechten berührt zu sein, kann nach § 6 Abs. 6 RBG innerhalb von zwei Monaten Einsicht und Herstellung von Mehrfertigungen auf eigene Kosten fordern. Die Neuregelung hat die bisherigen Unklarheiten hinsichtlich der Verfahrensart beseitigt. (6) RBB – Rundfunk Berlin-Brandenburg
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Der RBB beruht auf Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Rundfunkanstalt der Länder Berlin und Brandenburg v. 26.6.2002 (vgl. Berliner Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Rundfunkanstalt der Länder Berlin und Brandenburg v. 7.11.2002, GVBl. S. 331), zuletzt geändert durch Erster RBB-ÄnderungsStV v. 30.8.2013 (Berlin: Gesetz v. 29.11.2013, GVBl. S. 634). Neben der Gegendarstellungsregelung in § 9 RBB-StV besteht die bisherige Regelung in § 10 Abs. 6 BlnPrG fort, wonach die presserechtliche Gegendarstellungsregelung für den Rundfunk entsprechend gilt. § 9 RBB-StV geht als lex specialis der Regelung in § 10 BlnPrG vor. § 9 Gegendarstellung (1) Der Rundfunk Berlin-Brandenburg ist verpflichtet, die Gegendarstellung der Person oder Stelle zu verbreiten, die durch eine vom Rundfunk Berlin-Brandenburg verbreitete Tatsachenbehauptung betroffen ist. (2) Die Gegendarstellung bedarf der Schriftform und muss von dem oder der Betroffenen oder seinem oder ihrem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Sie muss die beanstandete Sendung und Tatsachenbehauptung bezeichnen. (3) Die Pflicht zur Verbreitung der Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat, 2. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist, insbesondere den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung erheblich überschreitet, 3. die Gegendarstellung sich nicht auf tatsächliche Angaben beschränkt oder einen strafbaren Inhalt hat, 4. die Gegendarstellung nicht unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats nach Ausstrahlung, dem Rundfunk Berlin-Brandenburg zugeht. (4) Die Gegendarstellung muss unverzüglich innerhalb des gleichen Rundfunkprogramms und der gleichen Programmsparte wie die beanstandete Tatsachenbehauptung sowie zur gleichen Tageszeit oder, wenn dies nicht möglich ist, zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. Die Verbreitung erfolgt ohne Einschaltungen und Weglassungen. (5) Für den Gegendarstellungsanspruch ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. (6) Die Absätze 1 bis 5 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden Organe des Bundes, der Länder, der Vertretungen der Gemeinden und Gemeindeverbände, der Bezirksverordnetenversammlungen sowie der Gerichte. (7) Die gesetzlichen Bestimmungen über die Gegendarstellung zu Tatsachen in Druckwerken und Telemedien bleiben unberührt.
Nach § 9 Abs. 5 RBB-StV dürfte sowohl das Verfügungsverfahren als auch das Hauptsacheverfahren zur Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruchs zulässig sein, s. Rz. 238. Nach § 11 RBB-StV ist der Rundfunk verpflichtet, alle Sendungen vollständig aufzuzeichnen und für drei Monate aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, in seinen Rechten be-
Burkhardt
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Kap. 11 Rz. 312
Gegendarstellungsanspruch
troffen zu sein, hat Anspruch auf Einsicht und Herstellung von Mehrfertigungen auf eigene Kosten. 312
(7) SR – Saarländischer Rundfunk Der SR beruht nunmehr auf dem Saarländischen Mediengesetz (SMG) v. 27.2.2002 (AmtsBl. S. 498, ber. S. 754), zuletzt geändert durch G. v. 1.12.2015 (ABl. S. 913). Das Mediengesetz enthält auch die Vorschriften für die Presse und den privaten Rundfunk. Das Gegendarstellungsrecht ist in den Allgemeinen Vorschriften geregelt. § 10 Gegendarstellung (1) Die verantwortliche Redakteurin oder der verantwortliche Redakteur und die Verlegerin oder der Verleger eines periodischen Druckwerks und die Rundfunkveranstalterin oder der Rundfunkveranstalter sind verpflichtet, unverzüglich eine Gegendarstellung der Person oder Stelle, die durch eine in dem Druckwerk, der Rundfunksendung oder dem Angebot aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist, ohne Kosten für die oder den Betroffenen zum Abdruck zu bringen, zu verbreiten oder in ihr oder sein Angebot ohne Abrufentgelt aufzunehmen. (2) Die Gegendarstellung ist ohne Einschaltungen und Weglassungen in gleicher Aufmachung wie die Tatsachenbehauptung anzubieten; sie darf nicht in der Form eines Leserbriefs erscheinen. Eine Erwiderung auf die Gegendarstellung darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. Satz 3 gilt bei periodischen Druckwerken nur, sofern die Erwiderung in derselben Nummer erfolgt. (3) Eine Verpflichtung zur Aufnahme der Gegendarstellung gemäß Absatz 1 besteht nicht, wenn 1. die oder der Betroffene kein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung hat, 2. der Umfang der Gegendarstellung unangemessen über den der beanstandeten Tatsachenbehauptung hinausgeht, 3. die Gegendarstellung sich nicht auf tatsächliche Angaben beschränkt oder einen strafbaren Inhalt hat, 4. die Gegendarstellung nicht unverzüglich, bei periodischen Druckwerken spätestens innerhalb von 3 Monaten nach der Aufstellung der Tatsachenbehauptung, beim Rundfunk spätestens innerhalb von 6 Wochen nach der Aufstellung der Tatsachenbehauptung der oder dem in Anspruch Genommenen schriftlich und von der oder dem Betroffenen oder ihrer oder seiner gesetzlichen Vertreterin oder ihrem oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet, zugeht, oder 5. es sich um eine Anzeige in einem periodischen Druckwerk handelt, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dient. (4) Für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (5) Eine Verpflichtung zur Gegendarstellung besteht nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der übernationalen parlamentarischen Organe, der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes und der Länder, der Gemeinden, der sonstigen kommunalen Körperschaften sowie der Gerichte. (6) Für die Gegendarstellung bei Telemedien gilt § 56 des Rundfunkstaatsvertrages in der jeweils geltenden Fassung.
Nach § 18 SMG sind Veranstalter verpflichtet, alle Sendungen aufzuzeichnen, sofern sie nicht unmittelbar von einem Veranstalter in der Bundesrepublik Deutschland übernommen worden sind, und für mindestens vier Wochen aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, 992
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XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 313 Kap. 11
in seinen Rechten berührt zu sein, kann Einsichtnahme und auf Übersendung von Mehrfertigungen auf eigene Kosten verlangen. (8) SWR – Südwestrundfunk
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Für den SWR gilt der Staatsvertrag über die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt „Südwestrundfunk“ (SWR) mit je einem Landessender für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz v. 3.7.2013 (GBl. BW 2013, S. 314; GVBl. Rh.-Pf. 2013, S. 557), zuletzt geändert durch SWRÄndStV v. 12.5.2015 (GBl. BW S. 332; GVBl. Rh-Pf 2015, S. 108). § 10 Gegendarstellung (1) Der SWR ist verpflichtet, durch Rundfunk die Gegendarstellung der Person oder Stelle zu verbreiten, die durch eine vom SWR verbreitete Tatsachenbehauptung betroffen ist. (2) Die Pflicht zur Verbreitung der Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder 2. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist, insbesondere den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung erheblich überschreitet. (3) Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von der betroffenen Person oder deren gesetzlicher Vertretung unterzeichnet sein. Die betroffene Person oder deren Vertretung kann die Verbreitung der Gegendarstellung nur verlangen, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei Monaten, dem SWR zugeht. Die Gegendarstellung muss die beanstandete Sendung und Tatsachenbehauptung bezeichnen. (4) Die Gegendarstellung muss unverzüglich innerhalb des gleichen Programms und der gleichen Programmsparte wie die beanstandete Tatsachenbehauptung sowie zur gleichen Tageszeit oder, soweit dies nicht möglich ist, zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. Die Verbreitung erfolgt ohne Einschaltungen und Weglassungen. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (5) Die Verbreitung der Gegendarstellung erfolgt unentgeltlich. Dies gilt nicht, wenn sich die Gegendarstellung gegen eine Tatsachenbehauptung richtet, die in einer Werbesendung verbreitet worden ist. (6) Für die Durchsetzung des Anspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag der betroffenen Person kann das Gericht anordnen, dass der SWR in der Form des Abs. 4 eine Gegendarstellung verbreitet. Auf das Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (7) Die Abs. 1 bis 6 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden Organe des Bundes, der Länder und der Vertretungen der Gemeinden und Gemeindeverbände, der Gerichte sowie für Sendungen nach § 9 Abs. 1 und 2 dieses Staatsvertrages. Zu einer Gegendarstellung kann eine Gegendarstellung nicht verlangt werden. (8) Für die Gegendarstellung bei Telemedien gilt § 56 des Rundfunkstaatsvertrags in seiner jeweils gültigen Fassung.
Nach § 12 des Staatsvertrages hat der SWR alle Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnung für mindestens drei Monate aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, in seinen Rechten betroffen zu sein, hat Anspruch auf Einsichtnahme und auf Übersendung von Mehrfertigungen auf eigene Kosten.
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Kap. 11 Rz. 314 314
Gegendarstellungsanspruch
(9) WDR – Westdeutscher Rundfunk Der WDR beruht auf dem Gesetz über den Westdeutschen Rundfunk Köln (WDR-Gesetz) i.d.F. v. 25.4.1998 (GV NRW S. 625), zuletzt geändert durch Gesetz v. 23.1.2018 (GV NRW S. 90). § 9 Gegendarstellung (1) Der WDR ist verpflichtet, durch Rundfunk die Gegendarstellung der Person oder Stelle zu verbreiten, die durch eine vom WDR in einer Sendung verbreitete Tatsachenbehauptung betroffen ist. (2) Die Pflicht zur Verbreitung der Gegendarstellung besteht nicht, wenn a) die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder b) die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist, insbesondere den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung wesentlich überschreitet. (3) Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von der betroffenen Person, Stelle oder ihrem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Die betroffene Person, Stelle oder ihr gesetzlicher Vertreter kann die Verbreitung nur verlangen, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Ausstrahlung der Sendung, dem WDR zugeht. Die Gegendarstellung muss die beanstandete Sendung und Tatsachenbehauptung bezeichnen. (4) Die Gegendarstellung muss unverzüglich innerhalb des gleichen Programms und der gleichen Programmsparte wie die beanstandete Tatsachenbehauptung sowie zur gleichen Tageszeit oder, wenn dies nicht möglich ist, zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. Die Verbreitung erfolgt ohne Einschaltungen und Weglassungen. (5) Die Verbreitung der Gegendarstellung erfolgt unentgeltlich. Dies gilt nicht, wenn sich die Gegendarstellung gegen eine Tatsachenbehauptung richtet, die in einer Werbesendung vorbereitet worden ist. (6) Für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag der betroffenen Person, Stelle oder des Vertreters kann das Gericht anordnen, dass der WDR in der Form des Abs. 4 eine Gegendarstellung verbreitet. Auf das Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (7) Abs. 1 bis 6 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden Organe des Bundes, der Länder und der Vertretungen der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der Gerichte. (8) Die gesetzlichen Bestimmungen über die Gegendarstellung zu Tatsachenbehauptungen in Druckwerken und Telemedien bleiben unberührt.
Nach § 12 WDRG hat der WDR sämtliche Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen mindestens drei Monate aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, in seinen Rechten betroffen zu sein, kann Einsicht und Herstellung von Mehrfertigungen auf eigene Kosten verlangen. 315
(10) DW – Deutsche Welle Die Deutsche Welle ist eine Bundesrundfunkanstalt. Sie beruht auf dem Gesetz über die Rundfunkanstalt des Bundesrechts „Deutsche Welle“ v. 16.12.1997 (BGBl. I 1997, 3094), i.d.F.v. 11.1.2005 (BGBl. I, 90), zuletzt geändert durch Gesetz v. 29.3.2017 (BGBl. I, 626). Die Aufgabe der DW besteht in der Veranstaltung von Rundfunksendungen für das Ausland. Die DW ist Mitglied der ARD, ohne am Ersten Fernsehprogramm beteiligt zu sein.
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Burkhardt
XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 316 Kap. 11
§ 18 Gegendarstellung (1) Die Deutsche Welle ist verpflichtet, durch Rundfunk die Gegendarstellung der Person oder Stelle zu verbreiten, die durch eine von der Deutschen Welle in einer Sendung verbreitete Tatsachenbehauptung betroffen ist. (2) Die Pflicht zur Verbreitung der Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder 2. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist, insbesondere den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung deutlich überschreitet. (3) Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und ist vom Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter zu unterzeichnen. Der Betroffene oder sein Vertreter kann die Verbreitung nur verlangen, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Verbreitung der beanstandeten Tatsachenbehauptung, der Deutschen Welle zugeht. Die Gegendarstellung muss die beanstandete Sendung und die Tatsachenbehauptung bezeichnen. (4) Die Gegendarstellung muss unverzüglich innerhalb des gleichen Programms wie die beanstandete Tatsachenbehauptung sowie zur gleichen Tageszeit oder, wenn dies nicht möglich ist, zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. Die Verbreitung erfolgt ohne Einschaltungen, Kommentierungen oder Weglassungen. Eine Erwiderung auf die Gegendarstellung ist nur zulässig, wenn sie sich auf Tatsachen beschränkt. (5) Die Verbreitung der Gegendarstellung erfolgt unentgeltlich. (6) Lehnt die Deutsche Welle die Verbreitung der Gegendarstellung ab oder bleibt sie untätig, so steht der betroffenen Person oder Stelle der ordentliche Rechtsweg offen. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass die Deutsche Welle in der Form des Abs. 4 eine Gegendarstellung verbreitet. Auf das Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (7) Die Abs. 1 bis 6 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden Organe des Bundes, der Länder, der Vertretungen der Gemeinden und Gemeindeverbände, der Gerichte sowie für Sendungen nach den §§ 15 und 16. (8) Zu einer Gegendarstellung kann eine Gegendarstellung nicht verlangt werden.
Nach § 21 DWG hat die DW von allen verbreiteten Sendungen originalgetreue und vollständige Aufzeichnungen herzustellen und für mindestens drei Monate aufzubewahren. Wer schriftlich oder elektronisch glaubhaft macht, durch eine Sendung der DW in seinen Rechten betroffen zu sein, kann Einsicht nehmen und auf eigene Kosten durch die DW Mehrfertigungen herstellen lassen. b) ZDF Das ZDF beruht ursprünglich auf dem Staatsvertrag über die Errichtung der Anstalt des öf- 316 fentlichen Rechts Zweites Deutsches Fernsehen v. 6.6.1961. Nun ist der ZDF-Staatsvertrag in Art. 3 des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinten Deutschland enthalten. Er gilt derzeit in der Fassung des Einundzwanzigsten Rundfunkänderungsstaatsvertrags v. 17.11.2017 (vgl. Baden-Württemberg Gesetz v. 24.4.2018, GBl. S. 129). § 9 Gegendarstellung (1) Das ZDF ist verpflichtet, die Gegendarstellung der Person oder Stelle zu verbreiten, die durch eine im Angebot des ZDF verbreitete Tatsachenbehauptung betroffen ist.
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Kap. 11 Rz. 317
Gegendarstellungsanspruch
(2) Die Pflicht zur Verbreitung der Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. der Betroffene kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder 2. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist, insbesondere den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung wesentlich überschreitet. (3) Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Der Betroffene oder sein Vertreter kann die Verbreitung nur verlangen, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei Monaten, dem ZDF zugeht. Die Gegendarstellung muss das beanstandete Angebot und Tatsachenbehauptung bezeichnen. (4) Die Gegendarstellung muss unverzüglich innerhalb des gleichen Angebots verbreitet werden, in welchem die beanstandete Tatsachenbehauptung erfolgt ist. Die Verbreitung erfolgt ohne Einschaltungen und Weglassungen. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. Im Fernsehen muss die Gegendarstellung innerhalb des gleichen Programms und der gleichen Programmsparte wie die beanstandete Tatsachenbehauptung sowie zur gleichen Tageszeit oder, wenn dies nicht möglich ist, zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. (5) Die Verbreitung der Gegendarstellung erfolgt unentgeltlich. Dies gilt nicht, wenn sich die Gegendarstellung gegen eine Tatsachenbehauptung richtet, die in einer Werbesendung verbreitet worden ist. (6) Für die Durchsetzung des Anspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass das ZDF in der Form des Abs. 4 eine Gegendarstellung verbreitet. Auf das Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (7) Die Abs. 1 bis 6 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden Organe des Bundes, der Länder und der Vertretungen der Gemeinden und Gemeindeverbände, der Gerichte sowie für Sendungen nach den §§ 10 und 11 dieses Staatsvertrages. Zu einer Gegendarstellung kann eine Gegendarstellung nicht verlangt werden.
Nach § 14 ZDF-StV hat das ZDF sämtliche Sendungen vollständig aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen mindestens drei Monate aufzubewahren. Wer glaubhaft macht, in seinen Rechten betroffen zu sein, kann Einsicht in die Aufzeichnungen und Herstellung von Mehrfertigungen auf eigene Kosten verlangen. c) Deutschlandradio 317
Die sechzehn Bundesländer haben am 17.6.1993 einen Staatsvertrag zur Gründung der gemeinnützigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft „Deutschlandradio“ geschlossen, zuletzt geändert durch 21. RfÄndStV v. 17.11.2017 (Baden-Württemberg Gesetz v. 24.4.2018, GBl. 129), deren Mitglieder die Rundfunkanstalten der ARD und das ZDF sind. Deutschlandradio mit Sitz in Köln und Berlin veranstaltet werbefreie Hörfunkprogramme mit den Schwerpunkten Information und Kultur. Seit dem 25.5.2018 gelten folgende Regelungen: § 9 Gegendarstellung (1) Die Körperschaft ist verpflichtet, die Gegendarstellung der Person oder Stelle zu verbreiten, die durch eine im Angebot der Körperschaft in einer Sendung verbreitete Tatsachenbehauptung betroffen ist.
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Burkhardt
XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 319 Kap. 11
(2) Die Pflicht zur Verbreitung der Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. der Betroffene kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder 2. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist, insbesondere den Umfang des beanstandeten Teils des Angebots wesentlich überschreitet. (3) Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Der Betroffene oder sein Vertreter kann die Verbreitung nur verlangen, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei Monaten, der Körperschaft zugeht. Die Gegendarstellung muss das beanstandete Angebot und die Tatsachenbehauptung bezeichnen. (4) Die Gegendarstellung muss unverzüglich innerhalb des gleichen Angebots verbreitet werden, in welchem die beanstandete Tatsachenbehauptung erfolgt ist. Die Verbreitung erfolgt ohne Einschaltungen und Weglassungen. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. Im Hörfunk muss die Gegendarstellung innerhalb des gleichen Programms und der gleichen Programmsparte wie die beanstandete Tatsachenbehauptung sowie zur gleichen Tageszeit oder, wenn dies nicht möglich ist, zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. (5) Die Verbreitung der Gegendarstellung erfolgt unentgeltlich. (6) Für die Durchsetzung des Anspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass die Körperschaft in der Form des Absatzes 4 eine Gegendarstellung verbreitet. Auf das Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (7) Die Absätze 1 bis 6 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden Organe des Bundes, der Länder und der Vertretungen der Gemeinden und Gemeindeverbände, der Gerichte sowie für Sendungen nach den §§ 10 und 11 dieses Staatsvertrages. Zu einer Gegendarstellung kann eine Gegendarstellung nicht verlangt werden.
Nach § 14 DLR-StV hat Deutschlandradio sämtliche Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen mindestens drei Monate aufzubewahren. Ferner hat das Deutschlandradio den berechtigten Interessen Dritter auf Beweissicherung auch bezüglich angebotener Telemedien oder von Radiotext Rechnung zu tragen. Wer schriftlich glaubhaft macht, in seinen Rechten betroffen zu sein, kann Einsicht in die Aufzeichnungen nehmen und hiervon eine Mehrfertigung auf eigene Kosten vom Deutschlandradio herstellen lassen. 3. Privater Rundfunk Das den Privatfunk betreffende Gegendarstellungsrecht ist in den Landesmedien- bzw. Lan- 318 desrundfunkgesetzen geregelt. a) Baden-Württemberg Landesmediengesetz Baden-Württemberg (LMedienG) v. 19.7.1999 (GBl. S. 273, ber. S. 387), 319 zuletzt geändert durch Gesetz v. 24.4.2018 (GBl. S. 129). § 9 Gegendarstellung (1) Der Veranstalter ist verpflichtet, durch Rundfunk die Gegendarstellung der Person oder Stelle zu verbreiten, die durch eine vom Veranstalter verbreitete Tatsachenbehauptung betroffen ist.
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Kap. 11 Rz. 320
Gegendarstellungsanspruch
(2) Die Pflicht zur Verbreitung der Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder 2. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist, insbesondere den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung erheblich überschreitet. (3) Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Der Betroffene oder sein Vertreter kann die Verbreitung der Gegendarstellung nur verlangen, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei Monaten, dem Veranstalter zugeht. Die Gegendarstellung muss die beanstandete Sendung und Tatsachenbehauptung bezeichnen. (4) Die Gegendarstellung muss unverzüglich innerhalb des gleichen Programms und der gleichen Programmsparte wie die beanstandete Tatsachenbehauptung sowie zur gleichen Tageszeit oder, soweit dies nicht möglich ist, zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. Die Verbreitung erfolgt ohne Einschaltungen und Weglassungen. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (5) Die Verbreitung der Gegendarstellung erfolgt unentgeltlich. Dies gilt nicht, wenn sich die Gegendarstellung gegen eine Tatsachenbehauptung richtet, die in einer Werbesendung verbreitet worden ist. (6) Für die Durchsetzung des Anspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der Veranstalter in der Form des Absatzes 4 eine Gegendarstellung verbreitet. Auf das Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (7) Die Abs. 1 bis 6 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden Organe des Bundes, der deutschen Länder und der Vertretungen der Gemeinden und Gemeindeverbände, der Gerichte sowie für Sendungen nach § 5 Abs. 1 bis 3. Zu einer Gegendarstellung kann eine Gegendarstellung nicht verlangt werden.
Bei den Sendungen nach § 5 Abs. 1 bis 3 handelt es sich um Verlautbarungen z.B. der Bundesoder Landesregierung oder von Behörden in Katastrophenfällen und Sendezeit für Dritte z.B. der Übertragung von Gottesdiensten oder Wahlwerbesendungen. Nach § 8 LMedienG hat der Veranstalter sämtliche Sendungen vollständig aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen mindestens sechs Wochen aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, in seinen Rechten betroffen zu sein, kann Einsicht und Zurverfügungstellung einer Mehrfertigung auf eigene Kosten fordern. b) Bayern 320
In Bayern wird nach Art. 111a Abs. 2 BayVerf Rundfunk ausschließlich in öffentlicher Verantwortung und in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betrieben. Insoweit gibt es eigentlich keinen „privaten Rundfunk“. Dem trägt die Gegendarstellungsregelung im Gesetz über die Entwicklung, Förderung und Veranstaltung privater Rundfunkangebote und anderer Telemedien in Bayern (Bayerisches Mediengesetz – BayMG) v. 24.11.1992 (GVBl. S. 584) i.d.F. der Bekanntmachung v. 22.10.2003 (GVBl. S. 799), zuletzt geändert durch Gesetz v. 15.5.2018 (GVBl. S. 230) Rechnung. Über die Gegendarstellungsforderung entscheidet die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM). Die Gegendarstellung kann jedoch auch dem jeweiligen Anbieter zugeleitet werden, der sie an die Landeszentrale weiterleiten muss. Eine ablehnende Entscheidung ist zu begründen und dem Antragsteller und dem Anbieter unver998
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XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 321 Kap. 11
züglich zuzustellen. Im gerichtlichen Verfahren bilden die BLM und der Anbieter eine notwendige Streitgenossenschaft nach § 62 ZPO. Art. 18 Gegendarstellung (1) Die Gegendarstellung einer Person oder Stelle, die durch eine in einer Rundfunksendung aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist, ist vom Anbieter dieser Sendung auf seine Kosten zu verbreiten. Die Gegendarstellung muss die beanstandete Sendung bezeichnen, sich auf tatsächliche Angaben beschränken, vom Betroffenen unterzeichnet sein und dem Anbieter oder der Landeszentrale unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei Monaten zugehen. Der Anbieter muss die Gegendarstellung unverzüglich mit einer Stellungnahme an die Landeszentrale weiterleiten, die über die Verbreitung umgehend entscheidet. Wurde die Gegendarstellung unmittelbar der Landeszentrale zugeleitet, holt diese vor der Entscheidung über die Verbreitung eine Stellungnahme des Anbieters ein. Eine anlehnende Entscheidung der Landeszentrale ist unter Angabe der Gründe unverzüglich schriftlich zu verbescheiden und dem Anbieter und dem Antragsteller zuzustellen. Ein zweites Verlangen ist zulässig, wenn es den Gründen der Ablehnung Rechnung trägt und dem Anbieter oder der Landeszentrale spätestens innerhalb eines Monats nach Zustellung der ablehnenden Entscheidung zugeht. (2) Die Gegendarstellung muss unverzüglich zu einer gleichwertigen Sendezeit und in der gleichen Angebotsform wie die beanstandete Sendung, auch bei jeder Wiederholung der Sendung, ohne Einschaltungen und Weglassungen verbreitet werden. Eine Erwiderung auf die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (3) Eine Verpflichtung zur Verbreitung der Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. Betroffene kein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung haben, 2. ihr Umfang unangemessen über den der beanstandeten Sendung hinausgeht oder 3. die Gegendarstellung einen strafbaren Inhalt hat. (4) Der Anspruch auf Verbreitung der Gegendarstellung kann auch im Zivilrechtsweg, jedoch nur gegenüber der Landeszentrale und dem betroffenen Anbieter gemeinsam verfolgt werden. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Hauptsacheverfahren findet nicht statt. (5) Art. 29 Abs. 2 gilt für die Gegendarstellung entsprechend. Führt die journalistisch-redaktionelle Verwendung personenbezogener Daten durch einen Anbieter zur Veröffentlichung von Gegendarstellungen des Betroffenen, so sind diese Gegendarstellungen zu den gespeicherten Daten zu nehmen und für dieselbe Zeitdauer aufzubewahren wie die Daten selbst.
Nach Art. 29 Abs. 2 und Abs. 3 BayMG hat der Veranstalter sämtliche Beiträge vollständig aufzuzeichnen und mindestens zwei Monate aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, in seinem Recht berührt zu sein, kann gem. Art. 29 Abs. 4 BayMG Einsicht und Herstellung einer Mehrfertigung auf eigene Kosten fordern. c) Berlin In Berlin und Brandenburg gilt der Staatsvertrag über die Zusammenarbeit zwischen Berlin 321 und Brandenburg im Bereich des Rundfunks (BlnBraRZStV) v. 29.2.1992, dem die gesetzgebenden Körperschaften dieser Länder zugestimmt haben (Berlin: Gesetz v. 22.4.1992, GVBl. S. 150; Brandenburg: Gesetz v. 29.4.1992, GVBl. I S. 142), in der Fassung des Fünften Änderungsstaatsvertrages vom 30.8./11.9.2013 (Berlin: GVBl. S. 638; Brandenburg: GVBl. Nr. 41 S. 1); kritisch zum Wortlaut der Regelung OLG München v. 12.5.2000 – 21 U 2966/00, AfP 2001, 70 – Programmangabe.
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Gegendarstellungsanspruch
§ 52 Gegendarstellung (1) Ist in dem Rundfunkprogramm eines Veranstalters eine Tatsachenbehauptung aufgestellt worden, so kann eine hiervon betroffene Person oder Stelle von dem Veranstalter die Verbreitung einer Gegendarstellung zu dieser Behauptung verlangen. Die Gegendarstellung muss unverzüglich, spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der beanstandeten Sendung verlangt werden. Sie bedarf der Schriftform, muss das beanstandete Rundfunkprogramm und die Sendung bezeichnen und sich auf tatsächliche Angaben beschränken; sie darf keinen strafbaren Inhalt haben und muss von der betroffenen Person oder Stelle unterzeichnet sein. Bestehen begründete Zweifel an der Echtheit der Unterschrift, so kann deren Beglaubigung verlangt werden. Die Gegendarstellung darf den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung nicht wesentlich übersteigen. (2) Eine Pflicht zur Gegendarstellung besteht nicht, wenn und soweit die betreffende Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung der Gegendarstellung hat oder bei Beiträgen, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dienen. (3) Die Verbreitung der Gegendarstellung hat unentgeltlich, unverzüglich, ohne Zusätze oder Weglassungen in der gleichen Programmsparte und zu einer gleichwertigen Sendezeit wie die Verbreitung der beanstandeten Sendung zu erfolgen. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung darf nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser gesendet werden und hat sich auf tatsächliche Angaben zu beschränken. (4) Ist die Tatsachenbehauptung in einem Abrufdienst enthalten, so ist die Gegendarstellung in unmittelbarer Verknüpfung mit dem Abrufdienst anzubieten. Wird die Sendung nicht mehr bereitgestellt oder endet die Bereitstellung vor Ablauf von vier Wochen nach Aufnahme der Gegendarstellung, so ist die Gegendarstellung an vergleichbarer Stelle solange bereitzustellen, wie der Betroffene es verlangt, höchstens jedoch insgesamt vier Wochen. (5) Für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf diese Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (6) Die Absätze 1 bis 5 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden, der Berliner Bezirke sowie der Gerichte.
Nach § 51 des Staatsvertrages hat der Veranstalter sämtliche Sendungen vollständig aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen mindestens sechs Wochen aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, durch eine Sendung in seinen Rechten betroffen zu sein, kann binnen sechs Wochen Einsicht und Zurverfügungstellung von Mehrfertigungen auf eigene Kosten fordern. d) Brandenburg 322
In Brandenburg gilt ebenso wie in Berlin der Staatsvertrag über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks v. 29.2.1992, s. Berlin (Rz. 321). e) Bremen
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In Bremen gilt seit dem 25.5.2018 das Bremische Landesmediengesetz (BremLMG) v. 8.5.2018 (GBl. S. 177). § 19 Gegendarstellungsrecht (1) Der Veranstalter ist verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person, Gruppe oder Stelle zu verbreiten, die durch eine in einer Sendung aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die-
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se Pflicht besteht nicht, wenn die betroffene Person, Gruppe oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung, gilt sie als angemessen. (2) Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von der Person, Gruppe oder Stelle oder ihrer gesetzlichen Vertreterin oder ihrem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Die Person, Gruppe oder Stelle oder ihre Vertreterin oder ihr Vertreter kann die Verbreitung nur verlangen, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten, dem Veranstalter zugeht. Die Gegendarstellung muss die beanstandete Sendung und Tatsachenbehauptung bezeichnen. (3) Die Gegendarstellung muss unverzüglich in dem gleichen Programmbereich zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. Sie muss ohne Einschaltungen und Weglassungen verbreitet werden. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (4) Wird eine Sendung zum beliebigen zeitlichen Empfang bereitgestellt, so ist die Gegendarstellung für die Dauer der Bereitstellung mit der Sendung zu verbinden. Wird die Sendung nicht mehr bereitgestellt oder endet die Bereitstellung vor Ablauf eines Monats nach Aufnahme der Gegendarstellung, so ist die Gegendarstellung an vergleichbarer Stelle so lange bereitzuhalten, wie die oder der Betroffene es verlangt, höchstens jedoch einen Monat. (5) Die Verbreitung der Gegendarstellung erfolgt unentgeltlich. Dies gilt nicht, wenn sich die Gegendarstellung gegen eine Tatsachenbehauptung richtet, die in einer Werbesendung verbreitet worden ist. (6) Für die Durchsetzung des Anspruches ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf das Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (7) Die Absätze 1 bis 6 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden Organe des Bundes, der Länder und Vertretungen der Gemeinden und der Gemeindeverbände und der Gerichte sowie für Sendungen nach § 20 Abs. 1. Zu einer Gegendarstellung kann eine Gegendarstellung nicht verlangt werden.
Die bisherigen Bedenken gegen die Regelung in Abs. 6 wurden durch die Neufassung beseitigt. Nach § 18 BremLMG hat der Veranstalter sämtliche Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen mindestens zwei Monate aufzubewahren. Wer schriftlich oder elektronisch geltend macht, durch eine Sendung in seinen Rechten berührt zu sein, kann innerhalb von zwei Monaten nach der Verbreitung der Sendung Einsicht und Übersendung von Mehrfertigungen auf eigene Kosten verlangen. f) Hamburg In Hamburg gilt der Staatsvertrag über das Medienrecht in Hamburg und Schleswig-Holstein 324 (Medienstaatsvertrag HSH) v. 13.6.2006 (Hamburg: G. v. 6.2.2007, GVBl. S. 47; SchleswigHolstein: G. v. 21.2.2007; GVOBl. S. 108), zuletzt geändert durch den Siebten Medienänderungsstaatsvertrag HSH v. 7.12.2017 (Hamburg: G. v. 18.5.2018, GVBl. S. 133; Schleswig-Holstein: G. v. 26.3.2018, GVOBl. S. 218).
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Kap. 11 Rz. 325
Gegendarstellungsanspruch
§ 10 Gegendarstellung (1) Der Rundfunkveranstalter ist verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person, Gruppe oder Stelle zu verbreiten, die durch eine in seiner Sendung aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Diese Pflicht besteht nicht, wenn die betroffene Person, Gruppe oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung, gilt sie als angemessen. (2) Die Gegendarstellung muss unverzüglich schriftlich verlangt werden und von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Sie muss die beanstandete Sendung und Tatsachenbehauptung bezeichnen, sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. (3) Die Gegendarstellung muss unverzüglich in dem gleichen Bereich zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der Sendung gleichwertig ist. Die Verbreitung hat in einer der beanstandeten Sendung entsprechenden audiovisuellen Gestaltung zu erfolgen. Die Gegendarstellung muss ohne Einschaltungen und Weglassungen verbreitet werden. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung darf nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser gesendet werden und muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (4) Die Gegendarstellung wird kostenlos verbreitet. (5) Wird die Verbreitung einer Gegendarstellung verweigert, entscheiden auf Antrag des Betroffenen die ordentlichen Gerichte. Für die Geltendmachung des Anspruchs finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechende Anwendung. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren in der Hauptsache findet nicht statt. (6) Die vorstehenden Bestimmungen gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden und beschließenden Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden (Gemeindeverbände) sowie der Gerichte. (7) Für Anbieter von Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten gilt hinsichtlich der Gegendarstellung § 56 des Rundfunkstaatsvertrages entsprechend.
Nach § 9 MStV HSH haben die Veranstalter sämtliche Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen für mindestens sechs Wochen aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, in seinen Rechten berührt zu sein, kann Einsichtnahme und Übersendung von Mehrfertigungen gegen Kostenerstattung fordern. g) Hessen 325
In Hessen gilt das Gesetz über den privaten Rundfunk in Hessen (Hessisches Privatrundfunkgesetz – HPRG) v. 25.1.1995 (GVBl. I S. 87), zuletzt geändert durch Gesetz v. 5.10.2017 (GVBl. S. 294). Das Gesetz tritt mit Ablauf des 31.12.2022 außer Kraft, es sei denn der Gesetzgeber beschließt es neu oder eine Verlängerung (§ 68 HPRG). § 28 Gegendarstellung (1) Ist in einer Sendung eine Tatsachenbehauptung aufgestellt worden, so kann die betroffene Person oder Stelle die Verbreitung einer Gegendarstellung zu dieser Behauptung verlangen. Die Gegendarstellung muss unverzüglich, spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der beanstandeteten Sendung, verlangt werden. Sie bedarf der Schriftform, muss die beanstandete Sendung bezeichnen, sich auf tatsächliche Angaben beschränken, darf keinen strafbaren Inhalt haben und muss von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Die Gegendarstellung darf den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung nicht wesentlich überschreiten. (2) Der Anspruch auf Gegendarstellung richtet sich gegen den Veranstalter der beanstandeten Sendung. Die Gegendarstellung ist unentgeltlich zu verbreiten. Satz 2 gilt nicht, wenn sich die Ge-
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XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 326 Kap. 11
gendarstellung gegen eine Tatsachenbehauptung richtet, die in einer Werbesendung verbreitet worden ist. (3) Eine Pflicht zur Verbreitung einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn und soweit die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung der Gegendarstellung hat. (4) Die Verbreitung der Gegendarstellung hat unverzüglich, ohne Zusätze oder Weglassungen, in der gleichen Programmsparte zu einer gleichwertigen Sendezeit wie die Verbreitung der beanstandeten Sendung zu erfolgen. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung darf nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser gesendet werden und hat sich auf tatsächliche Angaben zu beschränken. (5) Wird eine Sendung zu beliebigem zeitlichen Empfang bereitgestellt, ist die Gegendarstellung für die Dauer der Bereitstellung mit der Sendung zu verbinden; beim Angebot der Sendung ist gleichzeitig auf die Gegendarstellung hinzuweisen. Wird die Sendung nicht mehr bereitgestellt oder endet die Bereitstellung vor Ablauf von vier Wochen nach Aufnahme der Gegendarstellung, ist die Gegendarstellung an vergleichbarer Stelle so lange bereitzustellen, wie der Betroffene es verlangt, höchstens jedoch insgesamt vier Wochen. (6) Für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der Veranstalter in der Form des Abs. 4 eine Gegendarstellung verbreitet. Auf das Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (7) Die Abs. 1 bis 6 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden Organe des Bundes und der Länder, der Vertretungen der Gemeinden (Gemeindeverbände) und der Gerichte.
Nach § 27 HPRG sind die Veranstalter verpflichtet, sämtliche Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen für mindestens sechs Wochen aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, durch eine Sendung in seinen rechten betroffen zu sein, kann Einsichtnahme und Zurverfügungstellung einer Mehrfertigung auf eigene Kosten fordern. h) Mecklenburg-Vorpommern In Mecklenburg-Vorpommern gilt das Rundfunkgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpom- 326 mern (RundfG M-V) v. 20.11.2003 (GVOBl. M-V S. 510), zuletzt geändert durch Gesetz v. 9.4.2015 (GVOBl. M-V S. 110). § 30 Gegendarstellungspflicht (1) Der Rundfunkveranstalter ist verpflichtet, in angemessenem Umfang eine Gegendarstellung der Person, Gruppe oder Stelle zu verbreiten, die durch eine in einer Sendung aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist und ein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung darlegen kann. (2) Die Gegendarstellung muss unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten nach der beanstandeten Sendung schriftlich verlangt werden und von der betroffenen Person oder ihrer gesetzlichen Vertretung unterzeichnet sein. Sie muss die beanstandete Sendung sowie Tatsachenbehauptung bezeichnen und sich auf tatsächliche Angaben beschränken. Die Gegendarstellung darf keinen strafbaren Inhalt aufweisen. (3) Die Verbreitung der Gegendarstellung muss unverzüglich in der gleichen Form wie die beanstandete Sendung, für den gleichen Bereich sowie zu einer gleichwertigen Sendezeit ohne Einschaltungen oder Weglassungen erfolgen. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung
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Kap. 11 Rz. 327
Gegendarstellungsanspruch
muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. Die Kosten der Gegendarstellung trägt der Veranstalter. (4) Verweigert der Rundfunkveranstalter die Verbreitung einer Gegendarstellung, ist der Anspruch vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen. Dabei finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechende Anwendung. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. § 926 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. (5) Die Abs. 1 bis 4 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden Organe des Bundes sowie der Länder, der Vertretungen der Kreise sowie der Gemeinden und der Gerichte.
Nach § 28 RundfG M-V sind die Veranstalter verpflichtet, sämtliche Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen für mindestens drei Monate aufzubewahren. Ein Einsichtsrecht ist trotz Nennung in der Überschrift nicht ausdrücklich geregelt. Wie in den Rundfunkgesetzen der anderen Länder vorgesehen, ist auch für Mecklenburg-Vorpommern davon auszugehen, dass ein Betroffener Einsicht und Kopien auf seine Kosten verlangen kann. Dies ergibt sich jedenfalls aus § 242 BGB. i) Niedersachsen 327
In Niedersachsen gilt das Niedersächsische Mediengesetz (NMedienG) v. 11.10.2010 (GVBl. S. 480), zuletzt geändert durch Gesetz v. 16.5.2018 (GVBl. S. 66). § 20 Gegendarstellung (1) Der Veranstalter ist verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zu verbreiten, die durch eine in der Sendung aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Pflicht zur Verbreitung einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn die oder der Betroffene kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung, so gilt sie als angemessen. (2) Die Gegendarstellung der betroffenen Person oder Stelle muss von dieser oder ihrem gesetzlichen Vertreter unverzüglich schriftlich verlangt werden und unterzeichnet sein. Sie muss die beanstandete Sendung und die Tatsachenbehauptung bezeichnen, sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. (3) Die Gegendarstellung muss unverzüglich innerhalb der gleichen Programmsparte zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. Wird eine Sendung zum beliebigen zeitlichen Empfang bereitgestellt, so ist die Gegendarstellung für die Dauer der Bereitstellung mit der Sendung zu verbinden. Wird die Sendung nicht mehr bereitgestellt oder endet die Bereitstellung vor Ablauf eines Monats nach Aufnahme der Gegendarstellung, so ist die Gegendarstellung an vergleichbarer Stelle so lange bereitzustellen, wie der Betroffene es verlangt, höchstens jedoch für einen Monat. (4) Die Gegendarstellung muss unentgeltlich sowie ohne Einschaltungen und Weglassungen verbreitet werden. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (5) Für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (6) Die Abs. 1 bis 5 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden und beschließenden Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden, der sonstigen kommunalen Körperschaften sowie der Gerichte.
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XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 328 Kap. 11
Nach § 19 NMedienG haben die Veranstalter sämtliche Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnung für mindestens sechs Wochen verfügbar zu halten. Wer schriftlich glaubhaft macht, in eigenen Rechten berührt zu sein, kann Einsichtnahme und Übersendung einer Mehrfertigung auf eigene Kosten fordern. Nach § 18 NMedienG ist auf Verlangen ferner Name und Anschrift des Veranstalters sowie des für den Inhalt des Programms Verantwortlichen sowie des für den Inhalt einer Sendung oder eines Beitrags verantwortlichen Redakteurs mitzuteilen. j) Nordrhein-Westfalen In Nordrhein-Westfalen gilt das Landesmediengesetz Nordrhein-Westfalen (LMG NRW) v. 328 2.7.2002 (GVBl. S. 334), zuletzt geändert durch Gesetz v. 8.5.2018 (GVBl. S. 214). § 44 Gegendarstellung (1) Der Veranstalter ist verpflichtet, durch Rundfunk die Gegendarstellung der Person oder Stelle zu verbreiten, die durch eine vom Veranstalter in einer Sendung verbreitete Tatsachenbehauptung betroffen ist. (2) Die Pflicht zur Verbreitung einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist, insbesondere den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung wesentlich überschreitet. (3) Die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. Sie bedarf der Schriftform und muss von der betroffenen Person, Stelle oder ihrem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Die Verbreitung kann nur verlangt werden, wenn die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Ausstrahlung der Sendung, dem Veranstalter zugeht. Die Gegendarstellung muss die beanstandete Sendung und Tatsachenbehauptung bezeichnen. (4) Die Gegendarstellung muss unverzüglich innerhalb des gleichen Programms und der gleichen Programmsparte wie die beanstandete Tatsachenbehauptung sowie zur gleichen Tageszeit oder, wenn dies nicht möglich ist, zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. Die Verbreitung erfolgt ohne Einschaltungen und Weglassungen. (5) Die Verbreitung der Gegendarstellung erfolgt unentgeltlich. Dies gilt nicht, wenn sich die Gegendarstellung gegen eine Tatsachenbehauptung richtet, die in einer Werbesendung verbreitet worden ist. (6) Die vorstehenden Bestimmungen gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Europäischen Parlaments, der gesetzgebenden Organe des Bundes, der Länder und der Vertretungen der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der Gerichte. § 45 Rechtsweg (1) Für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruchs ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten gegeben. Auf das Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (2) Auf Antrag kann das Gericht anordnen, dass der Veranstalter in der Form des § 44 Abs. 4 eine Gegendarstellung verbreitet.
Nach § 43 LMG NW hat der Veranstalter sämtliche Sendungen vollständig aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen mindestens drei Monate aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, in seinen Rechten berührt zu sein, kann Einsicht und Übersendung von Mehrfertigungen auf eigene Kosten verlangen. Burkhardt 1005
Kap. 11 Rz. 329
Gegendarstellungsanspruch
k) Rheinland-Pfalz 329
In Rheinland-Pfalz gilt das Landesmediengesetz v. 4.2.2005 (GVBl. S. 23) i.d.F. v. 20.12.2013 (GVBl. S. 556), zuletzt geändert durch Gesetz v. 8.5.2018 (GVBl. S. 75). § 11 Gegendarstellung (1) Die redaktionell verantwortliche Person und die Person, die ein periodisches Druckwerk verlegt, sowie Rundfunkveranstalter sind verpflichtet, unverzüglich eine Gegendarstellung der Person oder Stelle, die durch eine in dem Druckwerk oder der Rundfunksendung aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist, ohne Kosten für die Betroffenen zum Abdruck zu bringen, zu verbreiten oder in das Angebot ohne Abrufentgelt aufzunehmen. Für die Wiedergabe einer Gegendarstellung zu einer im Anzeigen- oder Werbeteil verbreiteten Tatsachenbehauptung sind die üblichen Entgelte zu entrichten. (2) Die Gegendarstellung hat ohne Einschaltungen und Weglassungen in gleicher Aufmachung wie die Tatsachenbehauptung zu erfolgen. Bei Druckwerken muss sie in der nach Empfang der Einsendung nächstfolgenden für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text abgedruckt werden; sie darf nicht in der Form eines Leserbriefs erscheinen. Eine Erwiderung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken; dies gilt bei periodischen Druckwerken nur, sofern die Erwiderung in derselben Folge oder Nummer erfolgt. Verbreitet ein Unternehmen der in § 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b oder c genannten Art eine Gegendarstellung, so ist die Gegendarstellung gleichfalls unverzüglich so weit zu veröffentlichen, wie die behauptete Tatsache übernommen wurde. Im Rundfunk muss die Gegendarstellung unverzüglich innerhalb des gleichen Programms und der gleichen Programmsparte wie die beanstandete Tatsachenbehauptung sowie zur gleichen Tageszeit oder, wenn dies nicht möglich ist, zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. (3) Eine Verpflichtung zur Aufnahme der Gegendarstellung gemäß Absatz 1 besteht nicht, wenn 1. die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung hat, 2. der Umfang der Gegendarstellung unangemessen über den der beanstandeten Tatsachenbehauptung hinausgeht, 3. die Gegendarstellung sich nicht auf tatsächliche Angaben beschränkt oder einen strafbaren Inhalt hat, 4. die Gegendarstellung nicht unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Aufstellung der Tatsachenbehauptung, der nach Absatz 1 Satz 1 verpflichteten Person schriftlich und von der betroffenen Person oder ihrer gesetzlichen Vertreterin oder ihrem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet zugeht oder 5. es sich um eine Anzeige in einem periodischen Druckwerk handelt, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dient. (4) Für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (5) Eine Verpflichtung zur Gegendarstellung besteht nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der übernationalen parlamentarischen Organe, der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes, der Länder und der kommunalen Gebietskörperschaften sowie der Gerichte.
Nach § 21 LMG hat der Veranstalter sämtliche Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen mindestens zwei Monate aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, in eige-
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XIII. Gegendarstellungen in Hörfunk und Fernsehen
Rz. 331 Kap. 11
nen Rechten berührt zu sein, kann Einsicht und auf Übersendung von Mehrfertigungen gegen Erstattung der Selbstkosten verlangen. l) Saarland Im Saarland gilt das Saarländische Mediengesetz (SMG) v. 27.2.2002 (AmtsBl. S. 498, ber. 330 S. 754), zuletzt geändert durch G. v. 1.12.2015 (ABl. S. 913). Das Gesetz enthält sämtliche Vorschriften für die Presse, den privaten Rundfunk, den Saarländischen Rundfunk und Telemedien (vgl. Rz. 312). Nach § 18 SMG sind die Veranstalter ebenso zur Aufzeichnung sämtlicher Sendungen und deren Aufbewahrung für die Dauer von vier Wochen verpflichtet. Betroffene können Einsicht und Herstellung von Kopien auf eigene Kosten verlangen. m) Sachsen In Sachsen gilt das Gesetz über den privaten Rundfunk und neue Medien in Sachsen (Säch- 331 sisches Privatrundfunkgesetz – SächsPRG) i.d.F. v. 9.1.2001 (GVBl. S. 69, ber. S. 684), zuletzt geändert durch Gesetz v. 29.4.2015 (GVBl. S. 349). § 19 Gegendarstellung (1) Jeder Veranstalter ist verpflichtet, zu Tatsachen, die in seinen Sendungen verbreitet wurden, die Gegendarstellung einer unmittelbar betroffenen Person oder Stelle zu verbreiten. (2) Die Pflicht zur Verbreitung der Gegendarstellung besteht nicht, wenn 1. die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder 2. die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist; überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung, so gilt sie als angemessen; 3. die Gegendarstellung einen strafbaren Inhalt hat. (3) Die Gegendarstellung muss die beanstandeten Stellen der Sendung bezeichnen, sich auf tatsächliche Angaben beschränken und vom Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Der Betroffene muss die Gegendarstellung unverzüglich nach Kenntnis von der Sendung, spätestens innerhalb von zwei Monaten seit der Verbreitung von dem Veranstalter verlangen. (4) Die Verbreitung muss unverzüglich innerhalb der gleichen Programmsparte und zu einer gleichwertigen Sendezeit wie die Verbreitung der beanstandeten Sendung ohne Einschaltungen oder Weglassungen erfolgen. Die Verbreitung der Gegendarstellung erfolgt unentgeltlich. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung darf nicht am selben Tag gesendet werden. (5) Der Anspruch auf Verbreitung kann gegen den Veranstalter im Zivilrechtsweg im Verfahren der Einstweiligen Verfügung verfolgt werden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. (6) Die vorstehenden Bestimmungen gelten nicht für wahrheitsgerechte Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe der Europäischen Gemeinschaften, des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände und der Gerichte.
Nach § 17 SächsPRG sind die Veranstalter verpflichtet, alle Sendungen aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen für mindestens sechs Wochen aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, in seinen Rechten berührt zu sein, kann Einsichtnahme und Übersendung von Mehrfertigungen auf eigene Kosten fordern. Das in § 19 Abs. 5 SächsPRG geregelte Gegendarstellungsverfahrensrecht dürfte dahin zu verstehen sein, dass das Hauptklageverfahren ausgeschlossen ist.
Burkhardt 1007
Kap. 11 Rz. 332
Gegendarstellungsanspruch
n) Sachsen-Anhalt 332
In Sachsen-Anhalt gilt das Mediengesetz des Landes Sachsen-Anhalt i.d.F. v. 2.1.2013 (GVBl. S. 2), zuletzt geändert durch Gesetz v. 29.3.2018 (GVBl. S. 22). § 26 Gegendarstellung (1) Jeder Rundfunkveranstalter ist verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person, Gruppe oder Stelle zu verbreiten, die durch eine in der Sendung aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Pflicht zur Verbreitung einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn die betroffene Person, Gruppe oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat oder wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist. Überschreitet die Gegendarstellung nicht den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung, so gilt sie als angemessen. (2) Die Gegendarstellung muss unverzüglich schriftlich verlangt werden und von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Die Gegendarstellung muss die beanstandete Sendung und die Tatsachenbehauptung bezeichnen, sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben. (3) Die Gegendarstellung muss unverzüglich innerhalb der gleichen Programmsparte zu einer Sendezeit verbreitet werden, die der Zeit der beanstandeten Sendung gleichwertig ist. Wird eine Sendung zum beliebigen zeitlichen Empfang bereitgestellt, so ist die Gegendarstellung für die Dauer der Bereitstellung mit der Sendung zu verbinden. Wird die Sendung nicht mehr bereitgestellt oder endet die Bereitstellung vor Ablauf eines Monats nach Aufnahme der Gegendarstellung, so ist die Gegendarstellung an vergleichbarer Stelle so lange bereitzustellen, wie der Betroffene es verlangt, höchstens jedoch insgesamt einen Monat. (4) Die Gegendarstellung muss ohne Einschaltungen und Weglassungen verbreitet werden. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung darf nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser stehen und muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken. (5) Die Gegendarstellung wird kostenlos verbreitet. (6) Für die Geltendmachung des Anspruchs finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechende Anwendung. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. (7) Die Absätze 1 bis 6 gelten nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden und beschließenden Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden, der sonstigen kommunalen Körperschaften sowie der Gerichte. (8) Für den Inhalt der Gegendarstellung ist verantwortlich, wer ihre Verbreitung beantragt hat.
Nach § 25 sind Veranstalter verpflichtet, alle Sendungen aufzuzeichnen und für mindestens sechs Wochen aufzubewahren. Wer schriftlich glaubhaft macht, in seinen Rechten berührt zu sein, hat Anspruch auf Einsichtnahme und auf Übersendung von Mehrfertigungen gegen Erstattung der Selbstkosten. Das in § 24 Abs. 6 geregelte Gegendarstellungsverfahrensrecht dürfte dahin zu verstehen sein, dass das Hauptklageverfahren ausgeschlossen ist. o) Schleswig-Holstein 333
In Schleswig-Holstein gilt der Staatsvertrag über das Medienrecht in Hamburg und Schleswig-Holstein (MedienStV HSH) v. 13.6.2006, s. Rz. 324.
1008
Burkhardt
XIV. Gegendarstellungen in Telemedien
Rz. 334 Kap. 11
p) Thüringen In Thüringen gilt das Thüringer Landesmediengesetz (ThürLMG) v. 15.7.2014 (GVBl. S. 385), 334 zuletzt geändert durch Gesetz v. 23.9.2015 (GVBl. S. 134). § 27 Gegendarstellung (1) Ist in einer Sendung eine Tatsachenbehauptung aufgestellt worden, so kann die betroffene Person oder Stelle die Verbreitung einer Gegendarstellung zu dieser Behauptung verlangen. Die Gegendarstellung muss unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei Monaten nach der beanstandeten Sendung, verlangt werden. Sie bedarf der Schriftform, muss die beanstandete Sendung bezeichnen und sich auf tatsächliche Angaben beschränken, darf keinen strafbaren Inhalt haben und muss von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Die Gegendarstellung darf den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung nicht wesentlich überschreiten. (2) Der Anspruch auf Gegendarstellung richtet sich gegen den Veranstalter der beanstandeten Sendung. Die Gegendarstellung ist unentgeltlich zu verbreiten. Satz 2 gilt nicht, wenn sich die Gegendarstellung gegen eine Tatsachenbehauptung richtet, die in einer Werbesendung verbreitet worden ist. (3) Eine Pflicht zur Verbreitung einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn und soweit die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung der Gegendarstellung hat. (4) Die Verbreitung der Gegendarstellung hat unverzüglich ohne Zusätze oder Weglassungen, in der gleichen Programmsparte und zu einer gleichwertigen Sendezeit wie die Verbreitung der beanstandeten Sendung zu erfolgen. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung darf nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser gesendet werden und hat sich auf tatsächliche Angaben zu beschränken. (5) Für die Durchsetzung des Gegendarstellungsanpruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der Veranstalter in Form des Absatzes 4 eine Gegendarstellung verbreitet. Auf das Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (6) Eine Verpflichtung zur Gegendarstellung besteht nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der übernationalen parlamentarischen Organe, der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes und der Länder, der Gemeinden (Gemeindeverbände) und der Gerichte.
Nach § 26 ThürLMG haben Veranstalter jede Sendung aufzuzeichnen und die Aufzeichnung für mindestens zwei Monate aufzubewahren. Wer schriftlich geltend macht, durch eine Sendung in seinen Rechten betroffen zu sein, hat Anspruch auf Einsichtnahme und auf Zurverfügungstellung einer Mehrfertigung auf eigene Kosten.
XIV. Gegendarstellungen in Telemedien Schrifttum: Engel-Flechsig/Maennel/Tettenborn, Neue gesetzliche Rahmenbedingungen für Multimedia, 1997; Theis, Die Multimediagesetze, 1997; Gounalakis, Der Mediendienstestaatsvertrag der Länder, NJW 1997, 2993; Lerch, Der Gegendarstellungsanspruch im Internet, CR 1997, 261; Ory, Impressum und Gegendarstellung bei Mediendiensten, AfP 1998, 465; Helle, Begrenzung der Gegendarstellung im MDStV, CR 1998, 672, Vesting in Roßnagel, Recht der Multimedia-Dienste, Loseblatt; Dürr, Der Gegendarstellungsanspruch im Internet, 2000; Korte, Das Recht auf Gegendarstellung im Wandel der Medien, 2002; Weiner/Schmelz, Die elektronische Presse und andere neue Kommunikationsformen im neuen rechtlichen Regulierungsrahmen, K&R 2006, 453; Zoebisch, Der Gegendarstellungsanspruch im Internet, ZUM 2011, 390; Ernst, Gegendarstellungsrechte auf Beraterwebsites,
Burkhardt 1009
Kap. 11 Rz. 335
Gegendarstellungsanspruch
MDR 2011, 1332; Lent, Aktuelle Rechtsfragen der Gegendarstellung in elektronischen Presseangeboten, ZUM 2016, 954.
1. Allgemeines 335
Online-Dienste sind in unserer Informations- und Kommunikationsgesellschaft nicht mehr wegzudenken. Nach längerem Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern haben der Bund das Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (IuKDG) v. 22.7.1997989 und die Länder den Mediendienste-Staatsvertrag v. 20.1.1997 bis 12.2.1997990 verabschiedet. Bis dahin war umstritten, welche Rechtsregeln auf den OnlineBereich anzuwenden sind. Überwiegend wurde eine entsprechende Anwendung des Presserechts der Länder vertreten. Durch die gesetzliche Regelung wurde dieser Streit beendet. Der MDStV wurde im Zuge der systematischen Neukonzeption des Medienrechts durch die Regelungen über Telemedien im Rundfunkstaatsvertrag991 ab 1.3.2007 gemäß 9. RÄndStV abgelöst. Die in § 56 RStV enthaltene Gegendarstellungsregelung ist, wie schon deren Vorgängerregelung in § 14 MDStV, in weiten Teilen den herkömmlichen presse- und rundfunkrechtlichen Vorschriften nachgebildet.
336
Telemedien sind nach § 2 Abs. 1 Satz 3 RStV alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 TKG sind, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen oder telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 TKG oder Rundfunk nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 RStV sind. Die explizite Zuordnung von Fernseh- und Radiotext sowie Teleshoppingkanälen ist aufgrund der Änderung durch den 12. RÄndStV entfallen. Zu den Telemedien gehören nach der Amtlichen Begründung zum 9. RÄndStV beispielsweise Online-Angebote von Waren/Dienstleistungen mit unmittelbarer Bestellmöglichkeit (z.B. Angebot von Verkehrs-, Wetter-, Umwelt- oder Börsendaten, News-Groups, Chat-Rooms, elektronische Presse), und Video auf Abruf, soweit es sich nicht nach Form und Inhalt um ein Fernsehprogramm i.S.v. Art. 1 AVMD-Richtlinie handelt992, sowie Online-Dienste, die Instrumente zur Datensuche, zum Zugang zu Daten oder zur Datenabfrage bereitstellen und die kommerzielle Verbreitung von Informationen über Waren-/Dienstleistungsangebote mit elektronischer Post (z.B. Werbe-Mails). Die gesetzliche Definition grenzt Telemedien von Rundfunk und Telekommunikation ab. Keine Telemedien sind demnach der herkömmliche Rundfunk, Live-Streaming (zusätzliche parallele/zeitgleiche Übertragung herkömmlicher Rundfunkporgramme über das Internet) und Web-Casting (ausschließliche Übertragung von Rundfunkprogrammen über das Internet). Auf die eingesetzten technischen Geräte kommt es nicht an. Apps können sowohl für Rundfunk als auch Telemedienangebote geeignet sein. Ob ein Telemedium vorliegt, kann nicht anhand der Bezeichnung beurteilt werden. Entscheidend ist, welche Art von Angeboten über diese genutzt werden.
337
Das TMG enthält keine Regelung über einen Gegendarstellungsanspruch. § 2 Abs. 4 TMG ist keine Verweisungsnorm, sondern hat lediglich klarstellenden Charakter. Rechtsgrundlage für Gegendarstellungsansprüche ist grundsätzlich § 56 RStV. Ferner ist § 9 ZDF-StV in der seit 1.1.2016 geltenden Neufassung (s. Rz. 316) dahin auszulegen, dass er Telemedienangebote des ZDF erfasst. Insoweit ist § 9 ZDF-StV lex specialis zu § 56 RStV. Bei Telemedien989 990 991 992
BGBl. I 1997, 1870. Z.B. BW GBl. 1997, S. 181. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Satz 2, Abschnitte IV bis VI und § 20 Abs. 2 RStV. Vgl. dazu die Abgrenzung EuGH v. 21.10.2015 – Rs. C-347/14, AfP 2015, 537.
1010
Burkhardt
XIV. Gegendarstellungen in Telemedien
Rz. 339 Kap. 11
angeboten des ZDF bedarf es keiner Prüfung, ob es sich um ein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot handelt. Diese Qualität des Telemedienangebots folgt schon aus den rundfunkrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für derartige Angebote (Drei-Stufen-Test). Die rundfunkrechtlichen Gegendarstellungsvorschriften sind bereits nach der gesetzlichen Definition der Telemedien nach § 2 Abs. 1 Satz 3 RStV auf diese nicht anwendbar. Einige rundfunkrechtliche Regelungen verweisen ausdrücklich auf § 56 RStV für die Telemedienangebote der Rundfunkveranstalter (z.B. § 10 Abs. 8 SWR-StV, § 10 Abs. 7 MStV HSH). Im Übrigen ergibt sich dies auch aus den die Anwendbarkeit der rundfunkrechtlichen Normen beschränkenden Formulierungen, wonach Anspruchsverpflichteter der Rundfunkveranstalter ist, oder dass die Tatsachenbehauptung „durch Rundfunk“ oder „in einer Sendung“ aufgestellt worden sein muss. 338
§ 56 RStV – Gegendarstellung (1) Anbieter von Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, in denen insbesondere vollständig oder teilweise Inhalte periodischer Druckerzeugnisse in Text oder Bild wiedergegeben werden, sind verpflichtet, unverzüglich eine Gegendarstellung der Person oder Stelle, die durch eine in ihrem Angebot aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist, ohne Kosten für den Betroffenen in ihr Angebot ohne zusätzliches Abrufentgelt aufzunehmen. Die Gegendarstellung ist ohne Einschaltungen und Weglassungen in gleicher Aufmachung wie die Tatsachenbehauptung anzubieten. Die Gegendarstellung ist so lange wie die Tatsachenbehauptung in unmittelbarer Verknüpfung mit ihr anzubieten. Wird die Tatsachenbehauptung nicht mehr angeboten oder endet das Angebot vor Aufnahme der Gegendarstellung, so ist die Gegendarstellung an vergleichbarer Stelle so lange anzubieten, wie die ursprünglich angebotene Tatsachenbehauptung. Eine Erwiderung auf die Gegendarstellung muss sich auf tatsächliche Angaben beschränken und darf nicht unmittelbar mit der Gegendarstellung verknüpft werden. (2) Eine Verpflichtung zur Aufnahme der Gegendarstellung gemäß Abssatz 1 besteht nicht, wenn 1. der Betroffene kein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung hat, 2. der Umfang der Gegendarstellung unangemessen über den der beanstandeten Tatsachenbehauptung hinausgeht, 3. die Gegendarstellung sich nicht auf tatsächliche Angaben beschränkt oder einen strafbaren Inhalt hat oder 4. die Gegendarstellung nicht unverzüglich, spätestens sechs Wochen nach dem letzten Tage des Angebots des beanstandeten Textes, jedenfalls jedoch drei Monate nach der erstmaligen Einstellung des Angebots, dem in Anspruch genommenen Anbieter schriftlich und von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet, zugeht. (3) Für die Durchsetzung des vergeblich geltend gemachten Gegendarstellungsanspruchs ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein Verfahren zur Hauptsache findet nicht statt. (4) Eine Verpflichtung zur Gegendarstellung besteht nicht für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der übernationalen parlamentarischen Organe, der gesetzgebenden Organe des Bundes und der Länder sowie derjenigen Organe und Stellen, bei denen das jeweilige Landespressegesetz eine presserechtliche Gegendarstellung ausschließt.
§ 56 RStV stellt eine eigenständige gesetzliche Anspruchsgrundlage dar, die ein gesondertes 339 Gegendarstellungsrecht für Telemedien vorsieht. Soll von diesem Recht Gebrauch gemacht werden, muss eine eigenständige Gegendarstellung dem verpflichteten Anbieter zugeleitet werden. Bei Presseunternehmen, die ihre Inhalte auch durch Telemedien verbreiten, ist daher für die Printausgabe und für das Telemedium jeweils eine eigenständige GegendarstelBurkhardt 1011
Kap. 11 Rz. 340
Gegendarstellungsanspruch
lung zuzuleiten, die alle jeweiligen gesetzlichen Anforderungen erfüllt. Dies auch, wenn es sich um identische Inhalte handelt, denen durch die Gegendarstellungen entgegen getreten werden soll (vgl. Rz. 207). 340
Nach § 56 RStV besteht ein Gegendarstellungsanspruch nur gegen Anbieter von Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten. Ob ein Gegendarstellungsanspruch geltend gemacht werden kann, hängt somit von der Einordnung des Online-Angebots ab. 2. Besonderheiten der Gegendarstellung in Telemedien a) Anspruchsverpflichteter
341
Gegendarstellungspflichtig ist der Anbieter von Telemedien. Eine eigene Legaldefinition des Anbieters von Telemedien findet sich im RStV nicht. Aufgrund der Zusammenlegung von Vorschriften der früheren Tele- und Mediendienste in das Telemediengesetz (vgl. Amtliche Begründung zum 9. RÄndStV) sind dessen Regelungen heranzuziehen. § 2 Nr. 1 TMG definiert den Diensteanbieter als jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt; bei audiovisuellen Mediendiensten auf Abruf ist Diensteanbieter jede natürliche oder juristische Person, die die Auswahl und Gestaltung der angebotenen Inhalte wirksam kontrolliert. Es handelt sich im Prinzip um drei Anbieterarten: den Anbieter eigener Telemedien, denjenigen, der fremde Telemedien zur Nutzung bereithält und jenen, der nur den Zugang zur Nutzung vermittelt.
342
Ob alle drei Arten von Anbietern gegendarstellungspflichtig sind, ist umstritten993. Ebenso, ob die Verantwortlichkeitsregelungen der §§ 7 bis 10 TMG auf Gegendarstellungsansprüche anwendbar sind. Richtigerweise ist Erstes zu verneinen und Zweites zu bejahen. Die vorgelagerte Filterfunktion der Verantwortlichkeitsprüfung ist auch gegenüber Gegendarstellungsansprüchen gegeben. Zwar ist es richtig, dass der BGH seit seinem Urteil Internet-Versteigerung I994 in ständiger Rechtsprechung den Unterlassungsanspruch aus der Haftungsprivilegierung ausnimmt. Er begründet dies mit den in § 7 Abs. 3 Satz 1 TMG (7 Abs. 2 Satz 2 TMG a.F.) enthaltenen Regelungen zur Entfernung oder Sperrung und weist darauf hin, dass aus Art. 14 Abs. 3 ECRL i.V.m. Erwägungsgrund 46 nicht folge, dass Unterlassungsansprüche von der Privilegierung umfasst sein müssten. Wegen der völligen Andersartigkeit des Gegendarstellungsanspruchs gegenüber einem Unterlassungsanspruch können diese Erwägungen nicht auf das Gegendarstellungsrecht übertragen werden. Die Verpflichtung zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung stellt einen erheblichen Eingriff die Medienfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG dar. Der mit der Verantwortlichkeitsprüfung verfolgte Schutzzweck gebietet es daher, die Privilegierung auch auf diesen zivilrechtlichen Anspruch zu erstrecken. Dem steht der Wortlaut der Verantwortlichkeitsregelungen nicht entgegen. Diese setzen keine schuldhafte oder rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung voraus. Aus der zweifachen Verwendung des Artikels „der“ in § 10 Nr. 1 TMG („keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information“) folgt, dass die Information als solche nicht rechtswidrig oder unwahr zu sein
993 Binder/Vesting/Schulz, § 56 RStV Rz. 14 ff.; Spindler/Schuster/Mann, § 56 RStV Rz. 14; Seitz, Kap. 4 Rz. 54 f. 994 BGH v. 11.3.2004 – I ZR 304/01, MDR 2004, 1369 = CR 2004, 763 m. Anm. Volkmann = AfP 2004, 584 = ITRB 2005, 127 = NJW 2004, 3102; ferner z.B. BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, AfP 2012, 50 Rz. 19 – Blog-Eintrag.
1012
Burkhardt
XIV. Gegendarstellungen in Telemedien
Rz. 346 Kap. 11
braucht. Damit sind die Verantwortlichkeitsregelungen auch auf Gegendarstellungsansprüche anwendbar995. Wer nur den Zugang vermittelt (Access-Provider), nimmt bei den Online-Medien im 343 Grunde die Funktion des Grossos oder des Einzelhandels bei Printmedien wahr996. Ihn zum Abdruck einer Gegendarstellung zu verpflichten wäre nicht nur unangemessen, sondern ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich997. Er hat i.d.R. keine Kenntnis von den Inhalten. Dass der Anbieter Kenntnis haben muss, ergibt sich aber aus dem Tatbestandsmerkmal des Aufstellens einer Tatsachenbehauptung (vgl. Rz. 25). Da der Zugangsprovider keine Tatsachenbehauptung aufstellt, ist er auch nicht Anspruchsverpflichteter. Auf die Frage der Veranwortlichkeit kommt es insoweit nicht mehr an. Der Zugangsvermittler wird aber überdies i.d.R. auch nicht verantwortlich i.S.d. § 8 TMG sein. Anbieter, die fremde Inhalte speichern (reine Host-Provider), sind nach § 10 TMG ver- 344 antwortlich, wenn sie von dem konkreten Inhalt Kenntnis haben oder sie nicht unverzüglich tätig geworden sind, um diese Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben. Dies ist im Verfahren darzulegen und glaubhaft zu machen. Hinsichtlich der technisch zumutbaren Möglichkeit zur Nutzungsverhinderung wird es i.d.R. genügen, auf die grds stets vorhandene Sperrungsmöglichkeit des konkreten Inhalts hinzuweisen. Nur auf substantiierte Erwiderung des Anbieters hat der Betroffene Näheres vorzutragen. Dass der Anbieter Kenntnis haben muss, ergibt sich ferner aus dem Tatbestandsmerkmal des Aufstellens einer Tatsachenbehauptung (vgl. Rz. 25). Öffentlich mitteilen kann man nur, was man zuvor ausgewählt hat und kennt. Im Ergebnis entspricht dies der allg. Meinung zu Leserbriefen in Printmedien. Eines ausdrücklichen zu eigen machen bedarf es nicht (allg. Meinung; vgl. Rz. 25 f.). Spindler/Schuster/Mann998 weist darauf hin, dass sich aus der dem Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 RStV („in ihrem Angebot aufgestellten Tatsachenbehauptungen“) bereits ergebe, dass der Gesetzgeber von vornherein nur die Anbieter eigener Inhalte erfassen wollte999 und schon deshalb Access- und Host-Provider als Anspruchsverpflichtete ausscheiden. Anbieter eigener Inhalte sind nach § 7 Abs. 1 TMG voll verantwortlich. Dies entspricht der 345 Stellung des Verlegers bei Printmedien oder Rundfunkveranstalters. Sie sind Anspruchsverpflichtete. Wer dies ist, ergibt sich aus dem Impressum (§ 55 RStV; § 5 TMG). Nur Anbieter von Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten sind 346 gegendarstellungspflichtig. Nur diese verfügen nach Auffassung des Gesetzgebers über den notwendigen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung1000, der ein ausgleichendes Ge995 A.A. Barton, MMR 1998, 294; Binder/Vesting/Schulz, § 56 RStV Rz. 16; offengelassen von Spindler/Schuster/Mann, § 56 RStV Rz. 14 der zutreffend darauf hinweist, dass auch nach den anderen Meinungen weitgehend Einigkeit darin besteht, dass im Ergebnis nur der Anbieter eigener Inhalte gegendarstellungspflichtig sein soll; dieser auch eingehend zu den Verantwortlichkeitsregeln in Schindler/Schuster/Mann, Siebter Teil; s. auch Kap. 10 Rz. 228 ff. 996 Vgl. Burkhardt, CR 1999, 38. 997 So auch Binder/Vesting/Schulz, § 56 RStV Rz. 17. 998 Spindler/Schuster/Mann, § 56 RStV Rz. 14. 999 A.A. Ory, AfP 1998, 465. 1000 Begründung zu § 10 MDStV a.F., zitiert nach Theis, Die Multimediagesetze – Textsammlung und Erläuterungen, 1997, S. 276; durch die Neuregelung im RStV sollten die materiellen Regelungen im Wesentlichen beibehalten und nur eine Anpassung in einigen Punkten erfolgen, vgl. Amtliche Begründung zu §§ 54 Abs. 2, 55 Abs. 2 und 3 und 56 des 9. RÄndStV.
Burkhardt 1013
Kap. 11 Rz. 347
Gegendarstellungsanspruch
gengewicht benötigt. Gemeint sind massenkommunikative Telemedien also die „elektronische Presse“ (so ausdrücklich Amtliche Begründung zu §§ 54 Abs. 2, 55 Abs. 2 und 3 und 56 des 9. RÄndStV). Eine Definition, was unter einem journalistisch-redaktionellen Angebot zu verstehen ist, enthält der RStV nicht, obgleich der Begriff in verschiedenen Normen des RStV verwendet wird. Dem Angebot muss eine im Vergleich zu den traditionellen Massenmedien entsprechende journalistische Tätigkeit zugrunde liegen. Zu fordern ist mithin, dass Inhalte als ein Resultat journalistisch-redaktioneller Arbeit anzusehen sind1001. Ob ein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot vorliegt, ist aufgrund wertender Betrachtung festzustellen, wobei kein zu strenger Maßstab anzulegen ist. Die in Teilen der Literatur1002 und der ihr folgenden Rechtsprechung1003 aufgezeigten Einzelmerkmale und hieran gestellten hohen Anforderungen grenzen den Anwendungsbereich zu sehr ein, was sich gerade im Hinblick auf Zweck und Wesen einer Gegendarstellung zeigt. Den presserechtlichen Vorschriften über harmlose Druckwerke1004 folgend, scheiden vergleichbare Angebote aus1005. Ebenso werden i.d.R. Online-Dienste, die Instrumente zur Datensuche, zum Zugang zu Daten oder zur Datenabfrage bereitstellen, ausscheiden. All diesen fehlt regelmäßig die journalistisch-redaktionelle Gestaltung. 347
Umstritten ist, wie die Regelung hinsichtlich des zweiten Halbsatzes in § 56 Abs. 1 Satz 1 RStV auszulegen ist. Die Diskussion entzündet sich an dem „insbesondere“. Seitz1006 meint, dies könne bedeuten, dass es sich wesenmäßig um ähnlich gestaltete Inhalte handeln müsse, oder aber könne auch auf den Schwerpunkt der Inhalte abgestellt sein. Entscheidend sei, dass vor allem schwerpunktmäßig Inhalte periodischer Druckwerke wiedergegeben würden. Das insbesondere stelle klar, dass auch Angebote erfasst würden, in denen Inhalte periodischer Druckwerke zum einen nur teilweise, und zum anderen nicht ausschließlich wiedergegeben würden. Mann1007 meint, dass die Formulierung keinen Spielraum im Hinblick auf nicht periodische Inhalte eröffnet habe. Unter Hinweis auf die Begründung zum 9. RÄndStV geht er davon aus, dass ohnehin nur einem periodischen Druckwerk wesenmäßig ähnlich geartete Inhalte diese Anforderungen erfüllen würden. Sedelmeier1008 sieht Anbieter von Telemedien nur dann als anspruchsverpflichtet an, wenn in dem Telemedium jedenfalls auch („insbesondere (aber nicht ausschließlich)“) periodische Druckerzeugnisse in Text oder Bild wiedergegeben werden.
348
Richtigerweise ist davon auszugehen, dass durch das „insbesondere“ lediglich ein Beispielsfall bezeichnet wird, bei dessen Vorliegen die Gegendarstellungspflicht jedenfalls besteht1009. Dies ergibt sich aus einem Vergleich des Wortlauts der bisherigen Regelung in § 10 Abs. 3 Satz 1 MDStV mit der Neufassung. Es sind die Worte „oder in periodischer Folge Texte verbreitet werden“ entfallen und das Wort „insbesondere“ nach „in denen“ eingefügt worden. Dadurch ist die frühere inhaltliche zusätzliche Beschränkung zugunsten einer Beispielsregelung entfallen. Die frühere Beschränkung war auch entbehrlich, weil sich aus dem Kriterium 1001 Korte, S. 101; Binder/Vesting/Held, § 54 RStV Rz. 38 ff.; ähnlich Dürr, S. 136 f.; s. auch Kap. 10 Rz. 231. 1002 Vgl. Korte, S. 101 ff.; Binder/Vesting/Held, § 54 RStV Rz. 38 ff.; Dürr, S. 114 ff. 1003 Vgl. VGH Baden-Württemberg v. 25.3.2014 – 1 S 169/14, NJW 2014, 2667; zwar die Kriterien nennend, jedoch weniger streng: KG v. 28.11.2016 – 10 W 173/16, BeckRS 2016, 21278. 1004 § 7 Abs. 3 LPG, vgl. Löffler/Lehr, § 7 LPG Rz. 59. 1005 Helle, CR 1998, 672. 1006 Seitz, Kap. 5 Rz. 83. 1007 Spindler/Schuster/Mann, § 56 RStV Rz. 13. 1008 Löffler/Sedelmeier, § 11 LPG Rz. 287a. 1009 Ebenso KG v. 28.11.2016 – 10 W 173/16, BeckRS 2016, 21278.
1014
Burkhardt
XIV. Gegendarstellungen in Telemedien
Rz. 351 Kap. 11
der journalistisch-redaktionellen Gestaltung die erforderlichen inhaltlichen Vorgaben für das Telemedienangebot ohnehin ergeben. Damit sind auch, wie es die Amtliche Begründung zu Abschnitt VI. RStV des 9. RÄndStV formuliert, „im Wesentlichen die materiellen Regelungen im bisherigen Mediendienste-Staatsvertrag beibehalten und nur in einigen Punkten an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst“ worden. Wäre die Forderung zutreffend, dass Inhalte periodischer Druckwerke jedenfalls auch, wenngleich ggf. auch nur teilweise, wiederzugeben sind, damit der Telemedienanbieter gegendarstellungspflichtig ist, wären z.B. die Telemedienangebote der Rundfunkanstalten regelmäßig nicht vom Anwendungsbereich umfasst, obschon diese unbezweifelbar erheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung haben. Dass solche Telemedien der Gegendarstellungspflicht unterliegen müssen, ist auch unstreitig. Ob eine Gegendarstellungspflicht besteht, richtet sich mithin maßgeblich danach, ob ein journalistisch-redaktionelles Angebot vorliegt. Nach Auffassung des VGH Baden-Württemberg1010 sind journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote sind nur solche, die sowohl journalistisch als auch redaktionell gestaltet sind. Auch auf kleine Zielgruppen zugeschnittene Angebote könnten journalistisch sein, wenn sie eine erkennbare publizistische Zielsetzung haben, d.h. von der Intention her auf Teilhabe am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung – jedenfalls innerhalb der Zielgruppe – angelegt sind. Die kommerzielle Verbreitung von Informationen über Waren-/Dienstleistungsangebote mit 349 elektronischer Post wie auch sonstige geschäftliche Annoncen und Werbung sind gegendarstellungspflichtig, wenn diese Teil eines journalistisch-redaktionell gestalteten Telemediums sind oder ihrerseits diese Anforderungen erfüllen1011, da insoweit eine gesetzliche Ausnahmeregelung (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 a.E. LPG BW) fehlt. Nicht als verpflichtet anzusehen sind Angebote, die maßgeblich der Eigenwerbung oder 350 Public Relations-Zwecken dienen. Zwar vermögen solche öffentliche Mitteilungen auf die öffentliche Meinungsbildung einwirken und bezwecken dies auch. Sie erfüllen jedoch auch aus Sicht des durchschnittlichen Empfängers nicht die Funktion einer elektronischen Presse. Gegenüber derartigen Angeboten stehen Betroffenen allein die bei Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten sonstigen Ansprüche auf Unterlassung, Widerruf etc. zur Verfügung. Überschreitet die Darstellung die typische Eigenwerbung, kann ein journalistisch-redaktionelles Angebot vorliegen. Dies ist nach Ansicht des OLG Bremen1012 bei einer Rechtsanwaltskanzlei der Fall, die, regelmäßig bearbeitete Neuigkeiten sowie laufend Pressemitteilungen herausgibt und ins Internet eingestellt und ihre umfangreiche Medienarbeit als wichtigen Bestandteil ihrer Tätigkeit rühmt. Sind mehrere Anbieter passivlegitimiert, kann der Betroffene die Gegendarstellung von je- 351 dem verlangen. Da die Voraussetzungen der Passivlegitimation darzulegen und glaubhaft zu machen sind, ist dem Betroffenen zu empfehlen, sich an den Anbieter eigener Inhalte zu halten.
1010 VGH BW v. 25.3.2014 – 1 S 169/14, NJW 2014, 2667; VGH BW v. 9.5.2017 – 1 S 1530/16, Revision anhängig BVerwG Az. 7 C 26.17. 1011 Barton, MMR 1998, 294; Ory, AfP 1998, 465; Binder/Vesting/Held, § 54 RStV Rz. 59; Spindler/ Schuster/Mann, § 56 RStV Rz. 36. 1012 OLG Bremen v. 14.1.2011 – 2 U 115/10, MDR 2011, 1370 = ITRB 2011, 101 = NJW 2011, 1611.
Burkhardt 1015
Kap. 11 Rz. 352 352
Gegendarstellungsanspruch
Der Verantwortliche ist entsprechend den neueren rundfunkrechtlichen Vorschriften nicht passivlegitimiert. Die teilweise vorhandene gegenteilige Meinung zum früheren MDStV1013 ist aufgrund der Neuregelung im RStV überholt. b) Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruchs
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Der Gegendarstellungsanspruch setzt eine aufgestellte Tatsachenbehauptung voraus. Insoweit ergeben sich keine Besonderheiten. Die Tatsachenbehauptung muss im Angebot des Verpflichteten aufgestellt worden sein. Gleichgültig ist, ob es sich hierbei um eigene oder fremde Inhalte handelt. An welcher Stelle und ob nur über eine Recherchedatenbank abrufbar1014, ob durch Text, Bild oder in einer audiovisuellen Darstellung/Video oder Kombinationen hiervon die beanstandete Tatsachenbehauptung innerhalb des Angebots aufgestellt wird, ist gleichgültig. Insoweit dürfte es sich bei der Formulierung in § 56 Abs. 2 Nr. 4 RStV „beanstandeten Textes“ um ein Redaktionsversehen handeln. Zu verstehen ist dies als „beanstandeten Tatsachenbehauptung“. Diese kann auch in einem Teaser aufgestellt sein, also der Wiedergabe einer Schlagzeile auf der Eingangsseite eines Internetangebots oder einer App, die erst auf den zugrunde liegenden Bericht verlinken1015. Auch Anzeigen sind gegendarstellungsfähig. Begrenzt wird der Anspruch nur durch die Ausschlussfristen nach § 56 Abs. 2 Nr. 4 RStV. c) Ausschluss des Entgegnungsrechts
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Fehlendes berechtigtes Interesse schließt den Gegendarstellungsanspruch aus. Hat ein Anbieter die Gegendarstellung richtig in sein Angebot aufgenommen, entfällt regelmäßig das berechtigte Interesse für eine weitere Gegendarstellungsforderung. Dies gilt jedoch nur, wenn derselbe Nutzerkreis erreicht wird. Das ist bei Aufnahme der Gegendarstellung in die eigenen Inhalte des Anbieters der Fall. Der Anbieter fremder Inhalte ist daneben zur Aufnahme der Gegendarstellung in eigene Inhalte nicht verpflichtet, wenn in dem fremden Inhalt die Gegendarstellung ordnungsgemäß angeboten wird. Hat der Anbieter fremder Inhalte die Gegendarstellung aufgenommen und ist er nicht exklusiver Anbieter der fremden Inhalte, bleibt der Gegendarstellungsanspruch gegenüber dem Anbieter eigener Inhalte bestehen. d) Frist
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Neben dem Unverzüglichkeitsgebot (Rz. 148 ff.) nennt § 56 Abs. 2 Nr. 4 RStV zwei Ausschlussfristen. Ist die Gegendarstellung nicht spätestens sechs Wochen nach dem letzten Tage an dem das Angebot der beanstandeten Tatsachenbehauptung angeboten wurde, ordnungsgemäß zugeleitet, entfällt der Anspruch. Er entfällt spätestens jedoch drei Monate nach erstmaliger Einstellung der beanstandeten Tatsachenbehauptung. Die Sechs-Wochen-Frist ist mit der Ausschlussfrist bei Presse und Rundfunk vergleichbar. Beide knüpfen an die Veröffentlichung der Äußerung an. Eine Besonderheit stellt die Regelung dar, wonach der Gegendarstellungsanspruch drei Monate nach der erstmaligen Einstellung der Tatsachenbehauptung entfällt, obgleich diese weiterhin angeboten wird. In der Begründung dazu wird ausgeführt, dies geschehe in enger Anlehnung an die Landespressegesetze. Das erscheint unrichtig. Die Ausschlussfristen der Landespressegesetze knüpfen an die Veröffentlichung der beanstandeten Tatsachenbehauptung an. Liegt diese 1013 Roßnagel/Vesting § 10 MDStV Rz. 13. 1014 LG Potsdam v. 4.7.2007 – 2 O 167/07, AfP 2009, 165. 1015 LG München I v. 24.11.2014 – 9 O 19238/14, AfP 2015, 71.
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Burkhardt
XIV. Gegendarstellungen in Telemedien
Rz. 356a Kap. 11
mehr als drei Monate zurück, scheidet der Gegendarstellungsanspruch aus. Hat die Presse die beanstandete Äußerung in der Zwischenzeit wiederholt, liegt eine erneute Veröffentlichung vor, der gegenüber ein neuer Gegendarstellungsanspruch geltend gemacht werden kann. Im Gegensatz zu Printmedien, die archiviert werden, und damit eine weitere bestimmungsgemäße Verbreitung i.e.S. entfällt, werden Inhalte von Telemedien bestimmungsgemäß weiterhin angeboten, d.h. stets erneut veröffentlicht, soweit die Beiträge nicht in ein Archiv verschoben werden. Vergleichbar ist die dauerhafte Aufnahme einer Äußerung in einem Telemedium mit der Wiederholung der Behauptung in jeder Ausgabe eines Printmediums. Wäre die Gesetzesbegründung richtig, müsste auch der Gegendarstellungsanspruch gegenüber Telemedienangeboten bestehen, solange die beanstandete Äußerung außerhalb von Archiven abgerufen werden kann. Dass dies das Gesetz gerade nicht vorsieht, ist verfassungsrechtlich nicht unbedenklich1016 (vgl. Rz. 2 ff.). Will der Betroffene nicht den Rechtsweg bis zum Bundesverfassungsgericht beschreiten, wird ihm zu empfehlen sein, nach Fristablauf von der Möglichkeit einer datenschutzrechtlichen Gegendarstellung Gebrauch zu machen. Für den Ausschlussgrund trägt der Anbieter die Darlegungslast. Im Verfahren hat er die erstmalige Einstellung und den letzten Tag des Anbietens der beanstandeten Tatsachenbehauptung glaubhaft zu machen1017. e) Aufnahme der Gegendarstellung in das Angebot Die Gegendarstellung ist kostenlos und ohne Abrufentgelt und ohne Einschaltungen und 356 Weglassungen in gleicher Aufmachung (vgl. Rz. 173 ff.) anzubieten. Wird die Erstäußerung noch angeboten, ist die Gegendarstellung in unmittelbarer Verknüpfung mit ihr anzubieten. Dies ist der Fall, wenn die beanstandete Tatsachenbehauptung und die Gegendarstellung zugleich auf dem Bildschirm erscheinen. Dabei genügt es nach Ansicht des LG Potsdam1018, wenn nicht der ganze Text, sondern jeweils nur die Ankündigung des Ausgangsartikels und der Gegendarstellung auf einer Bildschirmseite sichtbar sind und der Nutzer den Hinweis auf die Gegendarstellung vor dem Aufrufen des Ausgangsartikels oder gleichzeitig zwingend überfliegen muss. Unmittelbar verknüpft sind diese auch, wenn der Erstäußerung ein deutlicher Hinweis auf die Gegendarstellung beigefügt wird, der einen direkten Link zur Gegendarstellung enthält. Die Gegendarstellung muss mit einem Klick erreichbar sein1019. Sind mehrere Klicks oder Schritte erforderlich, liegt keine unmittelbare Verknüpfung vor. Zwei Links, wie dies der BGH hinsichtlich der Erreichbarkeit von Anbieterangaben ausreichen lässt1020, genügen angesichts des insoweit unterschiedlichen Wortlauts in § 56 Abs. 1 Satz 3 RStV nicht. Da die beanstandete Tatsachenbehauptung mit der Gegendarstellung unmittelbar verknüpft sein muss, genügt es nicht, den gesamten Text, den Inhalt oder gar das gesamte Angebot mit der Gegendarstellung zu verknüpfen. Insbesondere bei umfangreichen Inhalten, die auf einem Bildschirm nicht vollständig angezeigt werden können, ist darauf zu achten, dass die beanstandete Tatsachenbehauptung und die Gegendarstellung oder der Hinweis auf sie stets zugleich auf dem Bildschirm erscheinen. Problematisch ist die Verpflichtung zur Verknüpfung bei E-Paper-Ausgaben, die für eine 356a bestimmte Zeitdauer auch zum Download angeboten werden. In diese lassen sich im Nach1016 1017 1018 1019 1020
Helle, CR 1998, 672. Ory, AfP 1998, 465. LG Potsdam v. 4.7.2007 – 2 O 167/07, AfP 2009, 165. Ory, AfP 1998, 465. BGH v. 20.7.2006 – I ZR 228/03, AfP 2006, 557 = MDR 2007, 230 = CR 2006, 850 m. Anm. Zimmerlich = ITRB 2006, 270 = NJW 2006, 3633.
Burkhardt 1017
Kap. 11 Rz. 357
Gegendarstellungsanspruch
hinein keine Gegendarstellungen aufnehmen oder verknüpfen. Vielmehr müsste es hier um die Aufnahme in die nächste Ausgabe gehen, wie bei der gedruckten Presse. Dies sieht das Gesetz aber nicht vor. Nach dem Wortlaut des Gesetzes hätte der Telemedienanbieter der im Zeitpunkt der Zuleitung einer alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllenden Gegendarstellung zumeist längst nicht mehr aktuellen Ausgabe des E-Papers eine Art Overlay mit der Gegendarstellung hinzuzufügen. Dass eine so verknüpfte Gegendarstellung die Empfänger der Erstmitteilung, die regelmäßig bei Erscheinen der Ausgabe den Abruf vornehmen, nicht erreicht ist leicht erkennbar. Das Problem löst sich, soweit der Betroffene wie meist die Veröffentlichung der Gegendarstellung sowohl in der Printausgabe als auch im Telemedium verlangt. Dann ist mit der Veröffentlichung der Gegendarstellung in der Printausgabe, die in der E-Paper-Ausgabe identisch übernommen wird, der Zweck des Rechts auf Gegendarstellung erreicht. Für eine weitere Gegendarstellung in unmittelbarer Verknüpfung mit der E-Paper-Ausgabe, in der die Erstmitteilung enthalten war, fehlt dann das erforderliche berechtigte Interesse. 357
Wird die Erstmitteilung nicht mehr angeboten oder endet das Angebot vor Aufnahme der Gegendarstellung, ist diese an vergleichbarer Stelle anzubieten. Bei Telemedien, die überwiegend Inhalte periodischer Druckerzeugnisse anbieten, ist die Gegendarstellung in der gleichen Rubrik anzubieten. Es sind die medienspezifischen Nutzungsgewohnheiten zu beachten. Vergleichbar ist die Stelle nur, wenn sie ebenso schnell und leicht vom Nutzer aufgefunden wird wie die Erstmitteilung. War diese z.B. von der Homepage aus in zwei Schritten erreichbar – Auswahl Rubrik und Auswahl der Nachricht –, ist die Gegendarstellung entsprechend zu platzieren1021. Andernfalls ist der Gegendarstellungsanspruch nicht erfüllt. Eine Grenze ergibt sich aus dem für das jeweilige Medium technisch Möglichen. Entgegen dem LG München1022 kann grundsätzlich nicht verlangt werden, dass eine Eingangsseite einer App mit festen Designelementen, die auch von der Redaktion nicht abgeändert werden können, umprogrammiert wird, nur um eine Gegendarstellung dort zu platzieren. Der Grundsatz der Waffengleichheit kann nicht dazu führen, vom Medium technische Umprogrammierungen zu verlangen. Dies würde die Gestaltungsfreiheit als wesentlichen Bestand der Medienfreiheit verletzen1023.
358
Die Gegendarstellung ist so lange anzubieten, wie die Erstmitteilung angeboten wurde.
359
Die Gegendarstellung ist in gleicher Aufmachung wie die beanstandete Tatsachenbehauptung anzubieten1024. Daraus könnte abgeleitet werden, dass bei einer Erstäußerung in einem Video oder einer ähnlichen audiovisuellen Darstellung auch die Gegendarstellung als Video etc. angeboten werden muss. Wie beim Rundfunk ist ein Recht auf einen „Gegenfilm“ abzulehnen (s. Rz. 284). Dies ergibt sich auch aus § 56 Abs. 2 Nr. 4 RStV. Danach muss die Gegendarstellung schriftlich und vom Betroffenen unterzeichnet sein. Dies ist bei einem Gegenfilm oder -video nicht möglich. Ebenso wenig besteht eine Verpflichtung des Telemedienanbieters, einen Gegendarstellungstext von einem Sprecher verlesen zu lassen und die entsprechende Aufzeichnung als Video in das Angebot einzustellen. Mit dem Merkmal der gleichen Aufmachung verfolgte der Gesetzgeber vielmehr das Ziel, den Aufmerksamkeitswert der Gegendarstellung in gleicher Weise wie bei der Erstberichterstattung sicher zu stellen. Es geht hier also um Größe, Farbe etc. der Darstellung. Anders dürfte es zu beurteilen sein, wenn zu einer Fernsehsendung 1021 1022 1023 1024
1018
Ory, AfP 1998, 465. LG München I v. 24.11.2014 – 9 O 19238/14, AfP 2015, 71. Lent, ZUM 2016, 954. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die insoweit wortgleiche Regelung in § 11 Abs. 3 Saarl.PrG a.F. Seitz, NJW 1994, 2922; Pöppelmann, AfP 1994, 100.
Burkhardt
XIV. Gegendarstellungen in Telemedien
Rz. 361 Kap. 11
eine Gegendarstellung veröffentlicht wird und die Fernsehsendung auch über ein Telemedienangebot abrufbar war. Dann kann die Gegendarstellungsverpflichtung im Telemedium auch durch das Angebot eines Videos der im Fernsehen verlesenen Gegendarstellung erfüllt werden. Wird in einer Mediathek nicht nur die Fernsehsendung sondern auch deren Transskript angeboten, handelt es sich um eine Erstäußerung, zu der auch nur eine Gegendarstellung zu veröffentlichen ist. Diese hat dann in Textform zu erfolgen und muss sowohl mit dem Sendungsvideo als auch dem Transskript verknüft werden. Auch der Grundsatz der Waffengleichheit gebietet nicht, zur Fernsehsendung ein Video und zum Transskript die Gegendarstellung in Textform anzubieten. Wegen des mit der Gegendarstellungsverpflichtung einhergehenden erheblichen Eingriffs in die grundrechtliche Freiheit des Telemedienanbieters kann nur gefordert werden, dass der Betroffene mit seiner Darstellung zu Wort kommt. Dazu bedarf es einer doppelten Darstellung in unterschiedlichen Medienformen nicht. f) Redaktionsschwanz Ähnlich verschiedenen rundfunkrechtlichen Regelungen (z.B. § 28 Abs. 4 HPRG) darf eine 360 Erwiderung nicht unmittelbar mit der Gegendarstellung verknüpft werden. Unzulässig ist sowohl die Erwiderung als auch ein Hinweis (Link oder sonstige Verweisung) darauf. Wegen des damit verbundenen Eingriffs in den grundrechtlichen Schutzbereich bestehen gegen die Regelung verfassungsrechtliche Bedenken1025. Die Anmerkung der Redaktion, die Gegendarstellung müsse nach § 56 RStV ohne Rücksicht auf ihre Richtigkeit veröffentlich werden, gibt lediglich die Rechtslage wider. Sie ist keine unzulässige Erwiderung (Rz. 183). Eine Erwiderung muss sich ferner auf tatsächliche Angaben beschränken. Schwierigkeiten er- 361 geben sich insoweit, als die Gegendarstellung eine gewisse Zeit im Angebot enthalten sein muss. Ory1026 weist zu Recht darauf hin, dass dies nicht bedeuten dürfe, der Anbieter sei während dieser Zeit gehindert, zu dem betreffenden Themenkomplex seine Meinung zu äußern. Zwar fehlt in § 56 RStV eine Beschränkung des Glossierungsverbots auf „dieselbe Nummer“, wie dies die LPG vorsehen. Für den Rundfunk sehen einzelne Regelungen (z.B. § 19 Abs. 4 Satz 3 SächsPRG; § 15 Abs. 4 Satz 3 MDR-StV) vor, dass eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung nicht am selben Tag gesendet werden darf. Im Übrigen ist unbestritten, dass über den Themenkomplex nach Ausstrahlung der Gegendarstellung weiter berichtet werden darf. Verboten ist nur die unmittelbare Glossierung der Gegendarstellung. Dies ergibt sich aus dem Begriff der Erwiderung. Er setzt eine unmittelbare Bezugnahme zu der Gegendarstellung voraus. Fehlt diese, liegt begrifflich keine Erwiderung vor. Es handelt sich dann um eine weitere Berichterstattung zu demselben Themenkomplex. Diese ist dem Anbieter nicht verwehrt1027. Daher kann er auch über denselben Sachverhalt nochmals umfangreich berichten. Soweit das Kammergericht1028 fordert, dies müsse in einer gewissen „Distanz“ erfolgen, kann dem nur in dem Sinne gefolgt werden, dass die neue Berichterstattung mit der Gegendarstellung nicht verknüpft werden darf. Eine inhaltliche Bezugnahme wird dadurch richtiger Auffassung nach nicht ausgeschlossen. Zu der neuen Berichterstattung kann ggf. wiederum eine Gegendarstellung verlangt werden.
1025 Vgl. hierzu Korte, S. 204 ff., 209 f.; Soehring/Hoene, § 29 Rz. 61; Binder/Vesting/Schulz, § 56 RStV Rz. 47; Spindler/Schuster/Mann, § 56 RStV Rz. 27; Gersdorf/Paal/Fiedler, § 56 RStV Rz. 46; a.A. KG v. 30.1.2012 – 10 U 85/11, AfP 2012, 474. 1026 Ory, AfP 1998, 465. 1027 So auch KG v. 30.1.2012 – 10 U 85/11, AfP 2012, 474. 1028 KG v. 30.1.2012 – 10 U 85/11, AfP 2012, 474.
Burkhardt 1019
Kap. 11 Rz. 362
Gegendarstellungsanspruch
g) Verfahren 362
§ 56 Abs. 3 RStV sieht wie auch die meisten anderen Gegendarstellungsregelungen vor, dass der Anspruch vor den ordentlichen Gerichten in einem Verfahren, auf das die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend anzuwenden sind, durchgesetzt werden kann. Es handelt sich um eine eigenständige Verfahrensart. In diesem Verfahren können daher nicht auch andere Ansprüche durchgesetzt werden (vgl. Rz. 207).
XV. Vertraglich vereinbartes Gegendarstellungsrecht 363
Haben die Parteien zum Abdruck der Gegendarstellung eine Vereinbarung getroffen, wird i.d.R. davon auszugehen sein, dass der Abdruckverpflichtete damit lediglich auf etwaige Einwendungen verzichtet hat, evtl. verbunden mit einer Absprache über Art und Weise des Abdrucks. In diesem Fall liegt keine Novation in dem Sinne vor, der gesetzliche Anspruch sei mit der Folge zu einem vertraglichen geworden, dass er (auch außerhalb Bayerns) im Hauptklageverfahren durchsetzbar wäre. Die gegenteilige Meinung des OLG Karlsruhe1029, in Fällen dieser Art liege ein potentiell konstitutives Schuldanerkenntnis vor, das nicht den Regeln des Gegendarstellungsverfahrensrechts unterliege, ist abzulehnen. Sie hat die vom OLG Karlsruhe auch tatsächlich gezogene, nicht hinnehmbare Konsequenz, der Kläger brauche lediglich die Erklärung der Abdruckbereitschaft des Beklagten zu behaupten, um im Hauptklagewege vorgehen zu können1030.
364
Fehlen die Vergleichsvoraussetzungen i.S.d. § 779 BGB, kann ein Anerkenntnis kondiziert werden. Das ist z.B. der Fall, wenn der verantwortliche Redakteur bzw. der Verleger bei Erklärung des Anerkenntnisses der Meinung war, die Abdruckpflicht stehe für sich betrachtet fest und es gehe allein um die Beachtung bestimmter formeller oder materiell-rechtlicher Fragen, wenn sich aber nachträglich z.B. herausstellt, dass die Abdruckpflicht bereits infolge fehlender Periodizität entfällt. Ist der verantwortliche Redakteur oder der Verleger durch arglistige Täuschung oder Drohung zu dem Anerkenntnis bestimmt worden, kommt außerdem eine Anfechtung nach § 123 BGB in Betracht.
365
Unanwendbar ist das Gegendarstellungsverfahrensrecht, wenn die Parteien sich über den Abdruck einer Erklärung verständigt haben, die nicht mehr den Charakter einer Gegendarstellung, sondern z.B. den eines Leserbriefes hat. In einem solchen Fall gilt das normale Verfahrensrecht. Da der Anspruch auf Erfüllung gerichtet ist, kann allein im Hauptklageweg vorgegangen werden. Ist vereinbart, dass der Gegendarstellungsanspruch nach Veröffentlichung des vereinbarten Textes nicht mehr soll geltend gemacht werden können, kann der Betroffene gleichwohl auf diesen Anspruch zurückkommen, wenn der Verpflichtete den vereinbarten Veröffentlichungszeitpunkt verstreichen lässt. Dem Betroffenen kann dann auch keine Fristversäumung entgegengehalten werden1031.
1029 OLG Karlsruhe v. 9.10.1985 – 13 U 245/83, AfP 1986, 67. 1030 Zutreffend: OLG Köln v. 17.3.1987 – 15 U 166/86, AfP 1987, 699. 1031 OLG Hamburg, ArchPR 1975, 47.
1020
Burkhardt
12. Kapitel Unterlassungsanspruch I. Charakter des Unterlassungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Quasi-negatorischer Charakter . . . . .
1
2. Höchstpersönlicher Charakter. . . . . .
2
3. Immaterieller und materieller Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
II. Voraussetzungen des Unterlassungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
1. Bereits erfolgte Beeinträchtigung . . .
6
2. Wiederholungsgefahr . . . . . . . . . . . . . a) Begründung der Wiederholungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fortdauer und Wegfall der Wiederholungsgefahr . . . . . . . . . . . c) Unterlassungserklärung . . . . . . . . . . d) Abschlusserklärung in Verfügungssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
32
8 17 20
5. Gesamtverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unwahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Privat- und Intimsphäre . . . . . . . . .
91 92 94
6. Schranken des Unterlassungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Güterabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Privilegierte Äußerungen . . . . . . . . 98 c) Bereits gedruckte Darstellungen . . . 99 d) Äußerungen zu Wettbewerbszwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 e) Neuer Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . 105 f) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105b VI. Durchsetzung des Unterlassungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
1. Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
2. Rechtsweg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Zivilrechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Arbeitsrechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Verwaltungsrechtsweg . . . . . . . . . . . 115 d) Finanzrechtsweg. . . . . . . . . . . . . . . . 118 e) Sozialrechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . 118a f) Europäischer Gerichtshof . . . . . . . . 119
3. Begehungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
III. Anspruchsberechtigte . . . . . . . . . . . . .
42
1. Individuelle Betroffenheit . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Betroffenheit öffentlicher Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Betroffenheit Gruppenangehöriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43 43
51
5. Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . .
126
2. Erkennbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
6. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . .
127
3. Mehrheit von Anspruchsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
7. Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . .
130
IV. Anspruchsverpflichtete. . . . . . . . . . . .
58
131
1. Haftung des Behauptenden und der Verbreiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
2. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
3. Mehrheit von Anspruchsverpflichteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . a) Darlegungs- und Beweislast für das Aufstellen oder Verbreiten . . . . b) Darlegungslast hinsichtlich der Unwahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beweislast hinsichtlich der Unwahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
V. Umfang und Schranken des Unterlassungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . .
76
1. Konkrete Verletzungsform . . . . . . . . .
79
2. Mehrdeutige Äußerungen . . . . . . . . .
84a
3. Versteckte Behauptungen . . . . . . . . . .
85
4. Sinngemäße Behauptungen . . . . . . . .
88
49
3. Internationale Zuständigkeit, anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . 119a 4. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . .
120
132 133 138
9. Besonderheiten bei einstweiligen Verfügungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Besonderheiten der Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 c) Glaubhaftmachungsmittel . . . . . . . . 146 d) Bereits gedruckte Darstellungen . . . 147 e) Vollziehung, Abschlussschreiben . . 148a
Burkhardt 1021
Kap. 12 Rz. 1
Unterlassungsanspruch
10. Formulierung und Wirkung von Antrag und Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . a) Antrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149 149
b) Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
152
11. Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Bauer/Günther, Kündigung wegen beleidigender Äußerungen auf Facebook, NZA 2013, 67; Dölling, Der fliegende Gerichtsstand im Presserecht – Spielball der Interessen?, NJW 2015, 124; Eichelberger, Die Drittunterwerfung im Wettbewerbsrecht, WRP 2009, 270; Engels/Stulz-Herrnstadt/Sievers, Aktuelle Fragen des Presseprozessrechts, AfP 2009, 313; Gas, Die Variantenlehre des BVerfG bei mehrdeutigen Äußerungen – Vereinheitlichung ja, Aufgabe nein!, AfP 2006, 428; Gostomzyk, Äußerungsrechtliche Grenzen des Unternehmenspersönlichkeitsrechts – Die Gen-Milch-Entscheidung des BGH, NJW 2008, 2082; Helle, „Variantenlehre“ und Mehrdeutigkeit der verletzenden Äußerung, AfP 2006, 110; Hofmann, Unterlassungsanspruch und Verhältnismäßigkeit – Beseitigung, Löschung und Rückruf, NJW 2018, 1290; Jürgens, Abgestürzte Gerichtsstände – Der fliegende Gerichtsstand im Presserecht, NJW 2014, 3061; Köhler, Die notarielle Unterwerfungserklärung – eine Alternative zur strafbewehrten Unterlassungserklärung?, GRUR 2010, 6; Köhler, Wegfall der Erstbegehungsgefahr durch „entgegengesetztes Verhalten“?, GRUR 2011, 879; Mann, Die Klarstellung nach der Stolpe-Rechtsprechung, AfP 2011, 326; Nees, Die angemessene Vertragsstrafe, WRP 1983, 200; Pustovalov, Notarielle Unterwerfungserklärung – Rechtlicher Rahmen und Handhabung in der Praxis, ZUM 2016, 426; Sajuntz, Die Entwicklung des Presse- und Äußerungsrechts im Jahr 2015, NJW 2016, 1921; Schippan, Keine überhöhten Anforderungen an eine Klarstellung nach der „Stolpe“-Rechtsprechung, ZUM 2015, 974; Schlüter, Zum „fliegenden Gerichtsstand“ bei Persönlichkeitsverletzungen durch Medienveröffentlichungen, AfP 2010, 340; Seelmann-Eggebert, Im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit?, AfP 2007, 86; Senfft, Begehungsgefahr bei Recherchen der Presse, NJW 1980, 367; Specht/Müller-Riemenschneider, Der Unterlassungsanspruch bei mehrdeutigen Äußerungen, NJW 2015, 727; Srocke, Haftung der Medien für geklauten Content, AfP 2017, 1; Teplitzky, Probleme der notariell beurkundeten und für vollstreckbar erklärten Unterlassungsverpflichtungserklärung (§ 794 I Nr. 5 ZPO), WRP 2015, 527.
I. Charakter des Unterlassungsanspruches 1. Quasi-negatorischer Charakter 1
Das BGB sieht Unterlassungsansprüche nur vereinzelt vor. Am bedeutsamsten ist der aus § 1004 BGB folgende Unterlassungsanspruch, die schon dem römischen Recht bekannte actio negatoria. Um den Schutz gegen rechtswidrige Angriffe zu komplettieren, hat die Rechtsprechung in Analogie zu §§ 12, 862 BGB und insbesondere zu § 1004 BGB einen allgemeinen, als quasi-negatorisch bezeichneten Unterlassungsanspruch entwickelt, der eingreift, wenn die Verletzung einer geschützten Rechtsposition zu befürchten ist1. Ein Verschulden ist nicht erforderlich. Seine ursprüngliche Auffassung, wenn der Unterlassungsanspruch eine Behauptung betrifft, die, z.B. nach §§ 185, 186 StGB, ohnehin mit öffentlicher Strafe bedroht ist, fehle für die Durchsetzung das Rechtsschutzbedürfnis, hat das RG später aufgegeben2.
1 RGZ 60, 6; BGH v. 25.5.1954 – I ZR 211/53, NJW 1954, 1404; v. 22.5.1984 – VI ZR 105/82, MDR 1984, 747 = NJW 1984, 1886; st. Rspr. 2 Näheres RGZ 115, 74, 84.
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I. Charakter des Unterlassungsanspruches
Rz. 3 Kap. 12
2. Höchstpersönlicher Charakter Unterlassungsansprüche sind höchstpersönliche Ansprüche und deswegen nicht übertrag- 2 bar3. Das gilt unabhängig davon, ob der Anspruch auf persönlichkeitsrechtliche Tatbestände gestützt ist oder auf wirtschaftliche, z.B. auf § 824 BGB. Daher kann z.B. der Träger des Namens einer rechtlich nicht verfassten Glaubensgemeinschaft keine Ansprüche der Glaubensgemeinschaft oder deren Glieder geltend machen4. Das schließt aber nicht aus, dass der Unterlassungsanspruch auf die Erben übergeht. Insbesondere kann das der Fall sein, wenn es auch um wirtschaftliche Belange geht, wie es zwangsläufig der Fall ist, wenn die Authentizität eines Buches mit Welterfolg bestritten wird5. Anerkannt ist die Vererblichkeit der vermögenswerten Bestandteile des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts6. Dadurch soll aber den Erben nicht ermöglicht werden, die öffentliche Auseinandersetzung mit Leben und Werk des Verstorbenen zu kontrollieren oder gar zu steuern7. Im Übrigen kommt ein Unterlassungsanspruch bei einer Verletzung des postmortalen Achtungsanspruchs, insbesondere der den Tod überdauernden Menschenwürde, in Betracht (Näheres Kap. 5 Rz. 114 ff.). Ob ein Unterlassungsanspruch in gewillkürter Prozessstandschaft geltend gemacht werden 3 kann, ist problematisch (s. auch Rz. 130). Das OLG München bejaht diese Möglichkeit bei dafür vorhandenem Bedürfnis8. Z.B. könne eine Stadt, vertreten durch den Bürgermeister, Unterlassung der Beleidigung des Gemeinderates bzw. seiner Mitglieder fordern, wenn der Gemeinderat den Bürgermeister mit der Einleitung gerichtlicher Schritte namens der Stadt beauftragt hat. An der Geltendmachung des Anspruches der Gemeinderatsmitglieder habe die Stadt auch ein eigenes Rechtsschutzinteresse, weil es ihr als Gebietskörperschaft nicht gleichgültig sein könne, ob ihr maßgebliches Organ zu Recht oder zu Unrecht angegriffen werde. Auch Gewerbeverbände sind zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen ihrer Mitglieder befugt, wenn die Rechtsverfolgung sich im Rahmen der satzungsgemäßen Zwecke hält und die Rechtsverfolgung über die Wahrung rein individueller Belange hinaus allgemein der Förderung der geschäftlichen Interessen der Verbandsmitglieder dient9. Bejahend auch OLG München im Falle eines Verlages, der Unterlassungsansprüche von Bundesligaspielern wegen Bildnisverletzung geltend macht10. Bei Verletzung der persönlichen Eigensphäre entfällt die Möglichkeit der Geltendmachung des Unterlassungsanspruches in gewillkürter Prozessstandschaft, weil in diesem Falle ein Verbot in der Hand eines anderen den Leistungsinhalt verändern würde11. Nach Auffassung des BGH ist sie aber zulässig, wenn der Rechtsträger die kommerzielle Auswertung von Namens- oder Bildnisrechten gestatten kann12, und für Ansprüche aus Beeinträchtigung des postmortalen Persönlichkeitsrechts13. 3 BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51, BGHZ 3, 270, 285; v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, MDR 1981, 484 = AfP 1981, 270 = NJW 1981, 1089, 1094; v. 16.12.1980 – VI ZR 308/79, MDR 1981, 486 = NJW 1981, 2062, 2063. 4 OLG Frankfurt v. 3.3.1994 – 16 U 245/93, NJW 1995, 876, 877. 5 BGH v. 16.12.1980 – VI ZR 308/79, MDR 1981, 486 = NJW 1981, 2062 – Anne Frank. 6 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, MDR 2000, 1147 = AfP 2000, 356 – Marlene Dietrich; vom BVerfG nicht beanstandet, BVerfG v. 22.8.2006 – 1 BvR 1168/04, AfP 2006, 452 – Blauer Engel. 7 BGH v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, CR 2007, 101 = MDR 2007, 417 = ITRB 2007, 57 = AfP 2007, 42. 8 OLG München, ArchPR 1973, 164. 9 BGH v. 17.2.1983 – I ZR 194/80, MDR 1983, 819 = NJW 1983, 1559 – Geldmafiosi. 10 OLG München v. 28.7.1983 – 6 U 2517/83, ZUM 1985, 448. 11 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, MDR 1981, 484 = AfP 1981, 270 = NJW 1981, 1089, 1094 – Der Aufmacher I; ähnlich OVG Saarlouis v. 17.10.2013 – 2 A 303/12, NJOZ 2015, 274. 12 BGH v. 23.9.1992 – I ZR 251/90, NJW 1993, 919. 13 BGH v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, NJW 1990, 1987; v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich.
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Kap. 12 Rz. 4
Unterlassungsanspruch
3. Immaterieller und materieller Charakter 4
Unterlassungsansprüche, die den sozialen Geltungsanspruch bzw. die persönliche Ehre des Betroffenen schützen sollen, sind grundsätzlich nicht vermögensrechtlicher Natur14. Ausnahmsweise ist der Unterlassungsanspruch aber vermögensrechtlich, wenn sich aus dem Klagvorbringen oder offenkundigen Umständen ergibt, dass das Rechtsschutzbegehren des Klägers in wesentlicher Weise auch der Wahrung wirtschaftlicher Belange dienen soll15. Das ist nicht der Fall, wenn die bekämpften Vorwürfe nicht auf die wirtschaftliche Seite des Klägers zielen, sondern sich mit geistigen Einflüssen auseinandersetzen16. Vermögensrechtliche Reflexwirkungen, die sich an die Ehr- und Persönlichkeitsverletzung knüpfen, sind ohne Belang, solange der Klageanspruch nicht in wesentlicher Weise der Verfolgung dieser vermögensrechtlichen Interessen dienen soll. Entscheidend ist also nicht, ob der Kläger einen Vermögensschaden erlitten hat oder ob ihm ein solcher droht, sondern ob der Rechtsstreit zur Wahrung vermögensrechtlicher Interessen geführt wird17. Das kann insbesondere bei der Klage eines auf Gewinn ausgerichteten Unternehmens der Fall sein, auch wenn es sich um eine Personengesellschaft handelt18. Entscheidend ist allein das Rechtsschutzinteresse des Klägers. Ob ein Verbot Vermögensinteressen des Beklagten berührt, ist für die Einordnung unerheblich19.
II. Voraussetzungen des Unterlassungsanspruches 5
Der Unterlassungsanspruch setzt eine bereits erfolgte Beeinträchtigung und die Gefahr der Wiederholung voraus oder das Drohen einer Beeinträchtigung. Der Anspruch kann sowohl gegen Tatsachenbehauptungen wie auch gegen Meinungsäußerungen gerichtet werden20. Meinungsäußerungen kann mit einem Unterlassungsanspruch begegnet werden, wenn sie ehrverletzend sind, sofern der Äußernde sich nicht auf ein berechtigtes Interesse zur Wiederholung seiner Kritik berufen kann21. Dementsprechend ist eine Interessenabwägung erforderlich, die an den Wertvorstellungen des Art. 5 Abs. 1 GG auszurichten ist22. 1. Bereits erfolgte Beeinträchtigung
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Bei einer bereits erfolgten Äußerung kann Unterlassung grundsätzlich nur gefordert werden, wenn sie rechtswidrig war. Es sind aber Ausnahmen zu beachten. Eine unwahre Tatsachenbehauptung, deren Unwahrheit dem Behauptenden schuldlos unbekannt war, ist bei berechtigter Interessenwahrnehmung nicht nur entschuldigt, sondern gerechtfertigt (Kap. 6 Rz. 27 ff.). Das ändert aber nichts daran, dass an der Wiederholung niemand ein berechtigtes Interesse haben kann. Für die Zukunft entfällt damit der Schutz der berechtigten Interessenwahrneh14 BGH, GRUR 1969, 623; v. 19.4.1983 – VI ZR 239/82, AfP 1983, 343; v. 29.5.1990 – VI ZR 298/89, NJW-RR 1990, 1276. 15 BGH, NJW 1961, 1811; v. 30.5.1974 – VI ZR 199/72, NJW 1974, 1470 – Brüning II. 16 BGH v. 1.2.1983 – VI ZR 116/82, AfP 1983, 341 – Mun. 17 Std. Rspr., vgl. BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 199/72, NJW 1974, 1470 – Brüning II; v. 17.10.1995 – VI ZR 352/94, AfP 1997, 521 = NJW 1996, 999, 1000. 18 BGH v. 24.6.1980 – KVR 6/79, MDR 1981, 25 = GRUR 1980, 1080, 1092 – Medizin-Syndikat I. 19 BGH v. 19.4.1983 – VI ZR 239/82, AfP 1983, 343. 20 BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, GRUR 1975, 89 – Brüning I. 21 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 – Panorama. 22 BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 251/80, MDR 1983, 43 = AfP 1982, 217 = GRUR 1982, 631 – Klinikdirektoren.
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II. Voraussetzungen des Unterlassungsanspruches
Rz. 8 Kap. 12
mung23. Bei vorhandener Begehungsgefahr kann also Unterlassung gefordert werden, obschon die bereits erfolgte Beeinträchtigung rechtmäßig gewesen ist24. Die Wiederholung einer rechtmäßigen Äußerung ist auch unzulässig, wenn die einmalige Verbreitung gerechtfertigt war, eine mehrfache Verbreitung aber nicht hingenommen zu werden braucht, wie das bei Aufrufen der Fall sein kann (Kap. 10 Rz. 153). 2. Wiederholungsgefahr Der Unterlassungsanspruch, mit dessen Hilfe erneute Beeinträchtigungen verhindert werden 7 sollen, setzt die Wiederholungsgefahr begriffsnotwendig voraus. Die Wiederholungsgefahr ist deswegen eine vom Anspruchsteller darzulegende materielle Anspruchsvoraussetzung25 und nicht eine bloße Prozessvoraussetzung26. Entfällt die Wiederholungsgefahr, erlischt der zukunftsgerichtete Unterlassungsanspruch27. a) Begründung der Wiederholungsgefahr Hat ein rechtswidriger Eingriff bereits stattgefunden, liegt die Gefahr der Wiederholung na- 8 he28. Dass ein einmal erhobener rechtswidriger Vorwurf wiederholt wird, ist deswegen grundsätzlich zu vermuten29. Die Rechtsprechung hat diesen Grundsatz zunächst für das Wettbewerbsrecht entwickelt. Er kann im Bereich des Äußerungsrechts nicht mit gleicher Strenge angewandt werden30. Während im Bereich des Wettbewerbsrechts Verletzungshandlungen in der Regel dadurch geprägt sind, dass der Verletzer starke wirtschaftliche Interessen verfolgt, ist die Motivation des Verletzers im deliktischen Bereich vielfältiger Art. Dem ist sowohl bei der Bemessung der Anforderungen an die Vermutung der Wiederholungsgefahr wie auch hinsichtlich ihrer Entkräftung Rechnung zu tragen31. Auch wenn an die Widerlegung dieser 23 BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, GRUR 1975, 89 – Brüning I; v. 14.6.1977 – VI ZR 111/75, NJW 1977, 1681 – Wohnstättengemeinschaft. 24 Vgl. BVerfG v. 6.11.1968 – 1 BvR 501/62, NJW 1969, 227, 228. 25 Std. Rspr.; vgl. BVerfG v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95, AfP 2000, 272 = NJW 2000, 1209, 1211 – Sorgfaltspflicht; BGH v. 6.7.1957 – I ZR 38/53, BGHZ 14, 163; GRUR 1973, 209; v. 14.10.1994 – V ZR 76/93, MDR 1995, 355 = NJW 1995, 132; v. 19.10.2004 – VI ZR 292/03, MDR 2005, 334 = AfP 2004, 540; v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494; v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, CR 2013, 462 = MDR 2013, 652 = IPRB 2013, 150 = AfP 2013, 250. 26 So aber noch BGH v. 7.10.1958 – I ZR 69/57, BGHZ 28, 203; OLG München, ArchPR 1968, 71; ArchPR1972, 91. 27 BGH v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 Rz. 31 – Der Kachelmann-Krimi. 28 BGH, GRUR 1972, 435, 437. 29 Std. Rspr., BGH v. 27.5.1986 – VI ZR 169/85, MDR 1987, 44 = NJW 1986, 2503; v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = NJW 1987, 2225, 2227; v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, MDR 1994, 991 = CR 1994, 396 = NJW 1994, 1281; v. 27.1.1998 – VI ZR 72/97, NJW 1998, 1391, 1392; v. 19.10.2004 – VI ZR 292/03, AfP 2004, 540; v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, AfP 2009, 494; v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250; v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, AfP 2015, 564; v. 15.12.2015 – VI ZR 134/15, AfP 2016, 149; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 Rz. 44 – Organentnahme. 30 BVerfG v. 9.3.2010 – 1 BvR 1891/05, AfP 2010, 365 – Hanfpflanze im Wohnzimmer; BGH v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281, 1283 – Jahresabschluss; OLG Frankfurt v. 12.12.2001 – 23 U 140/01, NJW 2002, 1277, 1278; OLG München v. 7.10.2002 – 21 W 2385/02, AfP 2003, 438 = NJW-RR 2003, 111; Soehring/Hoene, § 30 Rz. 8. 31 BGH v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281, 1283 – Jahresabschluss; OLG Frankfurt v. 12.12.2001 – 23 U 140/01, NJW 2002, 1777, 1778.
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Kap. 12 Rz. 9
Unterlassungsanspruch
tatsächlichen Vermutung grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen sind, müssen im Bereich des Deliktsrechts auch die Schwere des Eingriffs, die Umstände der Verletzungshandlung, der fallbezogene Grad der Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung und vor allem die Motivation des Verletzers bei der Entkräftung der Vermutung berücksichtigt werden32. Allerdings wird im Regelfall selbst die Feststellung, der Angreifer sei an der Wiederholung in der bisherigen Form gehindert, nicht ohne weiteres ausreichen, um die Gefahr einer Wiederholung in anderer Einkleidung auszuschließen33. Allein das Löschen unzulässiger Äußerungen im Internet berührt ebenso wenig die Wiederholungsgefahr34. 9
Die früher gelegentlich vertretene gegenteilige Meinung, die Gefahr der Wiederholung einer rechtswidrigen Äußerung müsse besonders dargelegt werden35, kann als überwunden gelten36. Problematisch ist die Wiederholungsgefahr nur, wenn die Behauptung ursprünglich durch Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt war und damit rechtmäßig aufgestellt oder verbreitet worden ist, wenn sich aber zwischenzeitlich die Unzulässigkeit herausgestellt hat, so dass es im Rechtssinne nicht um die Wiederholungs-, sondern um die Begehungsgefahr geht. Verletzungsunterlassungsanspruch wegen Wiederholungsgefahr und vorbeugender Unterlassungsanspruch wegen Erstbegehungsgefahr sind jedoch unterschiedliche Streitgegenstände und damit verschiedene prozessuale Ansprüche37. Das Vorliegen der Begehungsgefahr muss konkret festgestellt werden38. Bei der Begehungsgefahr geht es ebenso wie bei der Wiederholungsgefahr um zukünftiges Verhalten. Da die Zukunft stets ungewiss ist, lässt sich das zukünftige Verhalten des Behauptenden kaum jemals mit Sicherheit vorhersagen. Das ist noch nicht einmal bei einem Buchverleger möglich, der noch Exemplare eines Buches vorrätig hält, das trotz darin enthaltener Unwahrheiten zunächst rechtmäßig verbreitet worden ist. In einem solchen Fall liegt die Begehungsgefahr zwar nahe. Andererseits könnte der Buchverleger den Vertrieb aber auch einstellen bzw. die unwahren Behauptungen schwärzen. Was tatsächlich geschehen wird, ist letztlich Spekulation. Sofern es um periodisch erscheinende Medien geht, ist das umso mehr der Fall. Da rechtliche Auseinandersetzungen im Interesse beider Seiten nicht zum Würfelspiel gemacht werden sollten, bedarf es auch zur Frage der Begehungsgefahr möglichst klarer Grundsätze, aus denen sich die Entscheidung ablesen lässt. Geht man hiervon aus, wird man sagen müssen, dass die Begehungsgefahr vorbehaltlich ganz besonderer Umstände zu bejahen ist, wenn der Behauptende die Abgabe auch einer einfachen, d.h. nicht strafbewehrten Unterlassungserklärung verweigert. Fordert der Betroffene eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, obschon bei ursprünglich rechtmäßiger Behauptung eine einfache ausreichend wäre, obliegt dem Behauptenden zumindest die Abgabe einer solchen. Das folgt aus dem insbesondere im Bereich des Wettbewerbsrechts anerkannten Grundsatz, dass eine zu weitgehende Abmahnung nicht von der 32 BVerfG v. 9.3.2010 – 1 BvR 1891/05, AfP 2010, 365 – Hanfpflanze im Wohnzimmer; BGH v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, MDR 1994, 991 = CR 1994, 396 = AfP 1994, 138 = NJW 1994, 1281, 1283 – Jahresabschluss; OLG Frankfurt v. 12.12.2001 – 23 U 140/01, NJW 2002, 1277. 33 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = GRUR 1980, 1090, 1095 – Medizin-Syndikat I. 34 OLG München v. 17.5.2002 – 21 U 5569/01, AfP 2002, 522 = AfP 2003, 93 = CR 2003, 141 = ITRB 2003, 142 = NJW 2002, 2398; KG AfP 2005, 71. 35 So OLG Celle, AfP 1977, 345. 36 Vgl. dazu auch Mathy/Wendt, AfP 1982, 144, 154. 37 BGH v. 26.1.2006 – I ZR 121/03, MDR 2006, 943 = AfP 2006, 242; OLG Hamburg v. 5.10.2006 – 3 U 264/05, AfP 2007, 583. 38 BGH v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = AfP 1987, 597 = NJW 1987, 2225, 2227 – Chemiegift; v. 31.5.2001 – I ZR 106/99, MDR 2002, 106 = NJW-RR 2001, 1483 – Berühmungsaufgabe; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 Rz. 44 – Organentnahme; s. Rz. 33 ff.
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II. Voraussetzungen des Unterlassungsanspruches
Rz. 13 Kap. 12
Notwendigkeit der Abgabe einer eingeschränkten Erklärung entbindet, wenn Rechtsnachteile vermieden werden sollen. Legt der Behauptende gegen eine Beschlussverfügung Widerspruch ein, aber nicht mit dem Argument einer fehlenden Wiederholungs- bzw. Begehungsgefahr, sondern aus anderen Gründen, kann daraus evtl. der Schluss gezogen werden, er berühme sich, die Behauptung weiterhin äußern zu dürfen (Näheres Rz. 39)39. Verbreitet jemand eine Druckschrift mit unzulässigem Inhalt, handelt er nur rechtswidrig, 10 wenn er die Unzulässigkeit des Inhaltes kannte oder kennen musste und wenn er einen Tatbeitrag geleistet oder Prüfpflichten verletzt hat, weshalb er als „Störer“ anzusehen ist. Der Kioskverkauf einer Zeitschrift, die Auslegung der Zeitschrift in einem Wartezimmer usw. begründet im Allgemeinen keine Störerhaftung. Eine Prüfung des Inhalts der Zeitschrift ist weder dem Kioskverkäufer noch dem Arzt zumutbar (Näheres Rz. 58 f.). Eine andere Beurteilung kann erforderlich sein, wenn eine Institution wie z.B. eine Verbraucherzentrale einen Zeitschriftenartikel mit unzulässigem Inhalt kopiert und die Kopie einem Anfragenden als „Auskunft“ zur Verfügung stellt. Damit macht sich die Institution den (unzulässigen) Inhalt im Zweifel zu eigen. Abgesehen davon wird man davon ausgehen müssen, dass die Beratungsinstitution zu einer eigenen Recherche verpflichtet ist. Das gilt insbesondere, wenn der anstelle einer selbständigen Beratung weitergegebene Beitrag höchst unwahrscheinliche Behauptungen enthält (der Präsident einer Vereinigung sei geistesgestört, weswegen er strafrechtlich nicht belangt werden könne). Vgl. hierzu die Rechtsprechung zur Haftung für die Richtigkeit des Druckschrifteninhaltes, bei der darauf abgestellt wird, ob die Druckschrift, z.B. ein Anlegerberatungsdienst, die Qualität einer individuellen Beratung hat40. Gibt der Behauptende nachträglich, eventuell aufgrund einer Belehrung durch das Gericht, ei- 11 ne Unterlassungserklärung ab, führt das im Zweifel zur Erledigung des Rechtsstreites, wenn die sonstigen Einwendungen gegen den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht durchgreifen. Aus Angaben aufgrund behördlicher Aufforderung oder zeugenschaftlicher Vernehmung 12 kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, der Mitteilende werde die Behauptung unabhängig von diesem konkreten Anlass gegenüber Dritten wiederholen41. Ebenso kann bei einer Äußerung über die Wahl des Gerichtsstands durch einen Prozessbeteiligten nach Abschluss des Verfahrens aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls eine Wiederholungsgefahr zu verneinen sein42. Grundsätzlich besteht die Wiederholungsgefahr unabhängig davon, ob damit zu rechnen ist, 13 dass die Gesamtdarstellung erneut verbreitet wird. Es genügt die Gefahr, dass die streitige Behauptung für sich allein wiederholt wird. Deswegen lässt die Wiederholungsgefahr sich nicht mit der Erwägung verneinen, die Ausstrahlung des gesamten Fernsehbeitrages sei nicht geplant43. Mit Recht hat auch das OLG München44 die Gefahr der Wiederholung beleidigender Äußerungen bejaht, obschon die Plakate mit diesen Äußerungen ausgeliefert waren und die Polizei die beschädigten Druckplatten beschlagnahmt hatte; es ließ sich nicht 39 Vgl. BGH v. 16.1.1992 – I ZR 20/90, MDR 1992, 464 = NJW-RR 1992, 618; v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, AfP 1998, 624, 626 – Möbelklassiker; v. 31.5.2001 – I ZR 106/99, MDR 2002, 106 = NJWRR 2001, 1483. 40 BGH v. 8.2.1978 – VIII ZR 20/77, NJW 1978, 979 – Börseninformationsdienst. 41 BGH v. 3.12.1968 – VI ZR 140/67, GRUR 1969, 236 – Ostflüchtlinge. 42 LG Köln v. 19.2.2001 – 28 T 8/01, NJW-RR 2002, 688. 43 OLG Hamburg, Ufita 76/1976, 354, 360. 44 OLG München, NJW 1971, 844, 846.
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Kap. 12 Rz. 14
Unterlassungsanspruch
ausschließen, dass die Beleidigungen anderweitig wiederholt werden. Wird die Unterlassung einer identifizierbaren Berichterstattung begehrt, genügt eine Unterlassungserklärung nicht, in der sich der Abgemahnte nur verpflichtet, den Betroffenen nicht mehr mit seinem vollen oder abgekürzten Namen zu nennen45. Zur Wiederholungsgefahr bei beeinträchtigenden Rundschreiben vgl. BGH, GRUR 1972, 437. 14
Besondere Probleme wirft die Frage der Wiederholungsgefahr auf, wenn Gegenstand der Unterlassungsforderung nicht offene, sondern verdeckte Behauptungen sind (vgl. Kap. 4 Rz. 15). Die Vermutung für die Wiederholungsgefahr kann sich nur auf eine Äußerung beziehen, die den gleichen ehrverletzenden Inhalt hat wie der erfolgte Angriff. Folgt der Inhalt des verdeckten Vorwurfes erst aufgrund einer Sinninterpretation einer ganz bestimmten Zusammenstellung offener Einzelaussagen, muss bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr berücksichtigt werden, ob dem Verletzer bestimmte Einzelaussagen untersagt sind. In diesem Falle kann die textliche Gestaltung, die überhaupt erst den inkriminierten Inhalt ergibt, ohnehin nicht erneut in der ursprünglichen Form gebracht werden, so dass die Gefahr der Wiederholung der verdeckten Behauptung u.U. entfällt46.
14a
Umstritten ist, ob eine mehrdeutige Äußerung (vgl. Kap. 4 Rz. 18a) für jede der möglichen Deutungsvarianten, also auch jene, die zu einer Verurteilung führt, die Wiederholungsgefahr begründet47. Nach der sog. Stolpe-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts48 geht von dem Unterlassungsanspruch keine einschüchternde Wirkung aus, weil der Äußernde die Möglichkeit hat, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welchen Inhalt er seiner Äußerung beilegt. Dieser Inhalt ist dann der rechtlichen Prüfung zugrunde zu legen. Unterlässt der Äußernde eine solche Klarstellung, sind der weiteren Prüfung, ob eine Persönlichkeitsverletzung vorliegt, alle nicht entfernt liegenden Deutungsvarianten zugrunde zu legen. Zu beurteilen ist dann auch die das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen am meisten beeinträchtigende Deutung. Demnach steht der Inhalt der Äußerung, der der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist, erst fest, nachdem der Äußernde trotz erkannter Mehrdeutigkeit eine Klarstellung unterlässt. Zutreffend gehen daher das LG Stuttgart49 und das OLG Stuttgart50 unter Hinweis auf Soehring/Hoene51 und Mann52 davon aus, dass die Äußerung erst rechtswidrig wird, wenn der Äußernde nach entsprechender Aufforderung die mögliche Klarstellung verweigert und auf seiner mehrdeutigen Äußerung besteht. Von diesem Zeitpunkt an kann die Wiederholungsgefahr auch hinsichtlich der den Betroffenen am meisten beeinträchtigenden Deutung der Äußerung vermutet werden.
14b
Nach Auffassung des LG Hamburg53 entfällt durch eine Klarstellung die Wiederholungsgefahr für all jene Deutungsvarianten, die der Äußernde durch seine Klarstellung seiner Äußerung nicht beigelegt wissen will. Wegfall der Wiederholungsgefahr setzt denklogisch zu45 BGH v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564. 46 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = GRUR 1980, 1090, 1095 – Medizin-Syndikat I. 47 Zum Streitstand Schippan, ZUM 2015, 974; Specht/Müller-Riemenschneider, NJW 2015, 727. 48 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2005, 544; Fortführung in BVerfG v. 24.5.2006 – 1 BvR 49/00, 1 BvR 55/00, 1 BvR 2031/00, AfP 2006, 349 – Babycaust und v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58 – Gegendarstellung. 49 LG Stuttgart v. 13.1.2015 – 11 O 224/14, ZUM 2015, 1016; v. 2.12.2015 – 11 O 213/15. 50 OLG Stuttgart v. 11.5.2015 – 4 W 14/15, ZUM 2015, 1009. 51 Soehring/Hoene, § 30 Rz. 11a. 52 Mann, AfP 2011, 326, 329. 53 LG Hamburg v. 28.12.2010 – 324 O 140/10; v. 11.3.2013 – 324 O 607/12.
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II. Voraussetzungen des Unterlassungsanspruches
Rz. 16 Kap. 12
nächst deren Entstehen voraus, mithin auch das Vorliegen einer rechtswidrigen Äußerung. Gerade hiervon kann bei mehrdeutigen Äußerungen zunächst aber nicht ausgegangen werden54. Eine andere Frage ist, ob nach erfolgloser Abmahnung noch im Verfahren durch eine Klarstellung ein Verbot vermieden werden kann. Dies hängt richtigerweise vom Inhalt der Einlassung des Äußernden auf die Abmahnung bzw. Klage- oder Antragsschrift ab. Will der Äußernde seine Äußerung gerade im beeinträchtigenden Sinne verstanden wissen, ist der Weg, durch schlichte Klarstellung der Äußerung unter dem Eindruck des gerichtlichen Verfahrens nachträglich einen anderen Sinn beizulegen, versperrt. Bei einer Rechtsverteidigung ohne Festlegung auf einen bestimmten Sinngehalt muss es dem Äußernden auch im Verfahren noch möglich sein, den Gehalt der Äußerung klarzustellen. Zur dann erforderlichen Erledigungserklärung s. LG Hamburg ZUM-RD 2011, 560. Die Klarstellung bedarf keiner besonderen Form. Es genügt eine schlichte Erklärung gegen- 14c über dem Betroffenen. Diese muss allerdings ernsthaft und inhaltlich ausreichend sein. Sie muss jedoch nicht wie eine Richtigstellung an denselben Adressatenkreis wie die mehrdeutige Erstäußerung gerichtet werden55. Ist die unzulässige Behauptung lediglich in einem Publikationsorgan von mehreren in ei- 15 nem Verlag erscheinenden verbreitet worden, besteht nach Ansicht des OLG Hamburg im Allgemeinen nur die Gefahr, dass dieses Organ die Behauptung wiederholen wird. Das gelte jedenfalls, wenn die Redaktionen der einzelnen Blätter weitgehende Freiheit genießen. In einem solchen Fall bedürfe es der glaubhaften Darlegung, dass die ernsthaft zu besorgende Gefahr besteht, dass die anderen Druckwerke das Thema ebenfalls behandeln und der Verlag seiner Verpflichtung, den Vertrieb von Druckerzeugnissen mit zulässigem Inhalt zu verhindern, nicht nachkommen werde56. Da nicht einzelne Publikationsorgane, sondern das Verlagsunternehmen Unterlassung schuldet und die Unterlassungspflicht sich nicht nach einzelnen Publikationsorganen aufspalten lässt, ist diese Ansicht abzulehnen57. Dies gilt auch für Bildveröffentlichungen, soweit eine identische Berichterstattung erfolgt, da dann die im Einzelfall erforderliche Abwägung zu demselben Ergebnis gelangen muss58. Grundsätzlich anders ist dies bei Leserbriefen. Hier sind an den Nachweis der Wieder- 16 holungsgefahr gegenüber dem Medium besondere Anforderungen zu stellen. Da Leserbriefe zumeist nur einmal veröffentlicht werden, kann die Wiederholungsgefahr nicht vermutet werden, sondern ist konkret festzustellen59. Gleiches gilt nach Ansicht des OLG München60 auch für Interviews zu einem aktuellen Thema. Auch diese werden regelmäßig nur einmal veröffentlicht. Strengere Anforderungen sind demgegenüber bei dem Leserbriefschreiber bzw. Interviewten zu stellen. Bei diesen ist die Wiederholungsgefahr zu vermuten. 54 Vgl. Seelmann-Eggebert, AfP 2007, 86; Mann, AfP 2011, 326; Soehring/Hoene, § 30 Rz. 11a. 55 OLG Stuttgart v. 11.5.2015 – 4 W 14/15, ZUM 2015, 1009; LG Stuttgart v. 13.1.2015 – 11 O 224/14, ZUM 2015, 1016; v. 2.12.2015 – 11 O 213/15; LG Hamburg v. 22.10.2010 – 324 O 100/10, AfP 2010, 613; a.A. KG v. 18.8.2008 – 10 U 47/08; oben Peifer, Einleitung Rz. 17. 56 OLG Hamburg, ArchPR 1975, 111, 112; ebenso OLG München v. 21.12.1981 – 21 U 3951/81, AfP 1983, 276, 278. 57 OLG Köln, OLGZ 1973, 330; vgl. auch LG München I v. 13.8.1998 – 7 O 22251/97, CR 1999, 259 = NJW 1999, 2127. 58 Zum Bildnisschutz s. Kap. 9; zur Einzelfallbeurteilung BGH v. 13.11.2007 – VI ZR 269/06, MDR 2008, 506 = AfP 2008, 187. 59 BGH v. 27.5.1986 – VI ZR 169/85, MDR 1987, 44 = AfP 1986, 241 = NJW 1986, 2503; Löffler/ Steffen, § 6 Rz. 266; Soehring/Hoene, § 30 Rz. 9a. 60 OLG München v. 12.12.2006 – 18 U 4341/06, AfP 2007, 229 m. zust. Anm. Rehbock.
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Kap. 12 Rz. 17
Unterlassungsanspruch
b) Fortdauer und Wegfall der Wiederholungsgefahr 17
War die Wiederholungsgefahr einmal vorhanden, sind an den Nachweis des Wegfalls strenge Anforderungen zu stellen61. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Wiederholungsgefahr solange fortbesteht, bis der Behauptende bzw. der Verbreiter eine strafbewehrte oder notarielle (s. Rz. 31b) Unterlassungserklärung abgegeben hat. Insoweit besteht auch im Äußerungsrecht eine tatsächliche Vermutung62. Verweigert der Verletzer die Abgabe einer solchen Erklärung, bedeutet dies i.d.R. einen ausreichenden Nachweis für den Fortbestand der Wiederholungsgefahr63. Die Wiederholungsgefahr kann entfallen, wenn nach der Art der Störung oder aufgrund der Umstände eine Wiederholung vernünftigerweise nicht befürchtet werden muss64. Davon ist der BGH im Fall einer E-Mail ausgegangen, in der ein Partner einer Anwaltskanzlei einem ausgeschiedenen Partner mitteilte: „Erlauben Sie mir die Feststellung, dass Sie einfach ein bedauernswertes dummes Arschloch sind.“ Der ausgeschiedene Partner hatte zuvor in einer E-Mail an den Seniorpartner der Kanzlei am Abend des 24.12.2008 seine besondere Freude über dessen schwere Krebserkrankung zum Ausdruck gebracht und die Erkrankung als gerechte Strafe Gottes bezeichnet65. Hat der Behauptende seine Angabe widerrufen oder eine Richtigstellung veröffentlicht, ist i.d.R. vom Wegfall der Wiederholungsgefahr auszugehen66. Allerdings muss die Korrektur in hinreichend deutlicher Form erfolgen. Es muss eine endgültige Abstandnahme von der angegriffenen Äußerung erkennbar sein67. Bei einer Behörde kann schon eine im gerichtlichen Verfahren abgegebene Absichtserklärung ausreichen68. Ob der Korrektur eine Aufforderung des Betroffenen vorausging, ist insoweit unerheblich69. Eine schlichte Änderung der Berichterstattung „klammheimlich“, ohne dass den Empfängern die Korrektur deutlich wird, genügt nicht70. Ebenso wenig die schlichte Löschung71. Hat allerdings ein Verlag den Buchhandel aufgefordert, das Buch mit dem beanstandeten Text zu remittieren, und enthält die Neuauflage diesen nicht mehr, muss dies zum
61 BVerfG v. 26.8.2003 – 1 BvR 2243/02, AfP 2003, 539; BGH v. 30.5.1974 – VI ZR 174/72, GRUR 1975, 89 – Brüning I; v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, MDR 1994, 991 = CR 1994, 396 = AfP 1994, 138 = NJW 1994, 1281 – Jahresabschluss. 62 BGH v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, MDR 1994, 991 = CR 1994, 396 = NJW 1994, 1281; v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, CR 2013, 462 = MDR 2013, 652 = IPRB 2013, 150 = AfP 2013, 250; v. 14.11.2017 – VI ZR 534/15, NJOZ 2018, 194; OLG München v. 23.7.2003 – 21 U 2918/03, AfP 2004, 60. 63 BGH v. 11.1.1966 – VI ZR 221/63, NJW 1966, 647 – Reichstagsbrand; v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, MDR 1994, 991 = CR 1994, 396 = AfP 1994, 138 = NJW 1994, 1281 – Jahresabschluss. 64 BGH v. 14.11.2017 – VI ZR 534/15, NJOZ 2018, 194; OLG Frankfurt v. 12.12.2001 – 23 U 140/01, NJW 2002, 1277; KG v. 12.1.2010 – 9 W 259/09, AfP 2010, 85; OVG NW v. 26.1.2004 – 12 B 2197/03, NJW 2004, 1611. 65 BGH v. 14.11.2017 – VI ZR 534/15, NJOZ 2018, 194 = AnwBl. 2018, 168. 66 OLG Karlsruhe v. 11.2.1988 – 9 U 290/87, AfP 1989, 542; OLG Köln v. 9.7.1982 – 6 U 30/82, WRP 1983, 226, 229; v. 7.11.1989 – 15 U 120/89, AfP 1989, 764; v. 15.6.1992 – 15 U 47/92, AfP 1993, 744; KG v. 12.1.2010 – 9 W 259/09, AfP 2010, 85; OLG Dresden v. 22.12.2010 – 23 U 1260/10, AfP 2011, 189. 67 BVerfG v. 26.8.2003 – 1 BvR 2243/02, AfP 2003, 539; OLG Hamburg v. 5.11.2002 – 7 U 40/02 – Schröders Haare, n.v. 68 OVG Münster v. 26.1.2004 – 12 B 2197/03, NJW 2004, 1611. 69 KG v. 22.12.2008 – 10 U 69/08, n.v.; OLG Dresden v. 22.12.2010 – 23 U 1260/10, AfP 2011, 189. 70 KG v. 15.11.2004 – 9 W 154/04, AfP 2005, 78; OLG Frankfurt v. 8.5.2007 – 11 U 63/06, MMR 2007, 604. 71 OLG Köln v. 22.11.2011 – 15 U 91/11, CR 2012, 116 = ITRB 2012, 79 = MMR 2012, 197.
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Rz. 19 Kap. 12
Wegfall der Wiederholungsgefahr führen. Die gegenteilige Ansicht des OLG München72 verkennt, dass der Verlag freiwillig und für Dritte erkennbar die Störung beseitigt hat. Dann kann dem Verlag aber nicht mehr unterstellt werden, er werde die als unzulässig erkannte Handlung wiederholen. Eine Besonderheit gilt auch bei mehrdeutigen Äußerungen. Wird dem Unterlassungsanspruch die für den Äußernden ungünstige Deutungsvariante zugrunde gelegt, kann die Wiederholungsgefahr bereits durch eine schlichte Klarstellung gegenüber dem Betroffenen beseitigt werden73 (Näheres s. Rz. 14a ff.). Die Wiederholungsgefahr kann auch bei einer Veränderung der tatsächlichen Umstände 18 entfallen. Führt die Veränderung dazu, dass ein ursprünglich rechtswidriges Verhalten nun sich als rechtmäßig darstellt, entfällt die Wiederholungsgefahr. Auch wer in der Vergangenheit verletzt wurde, hat keinen Anspruch darauf, dass ein Verhalten künftig unterlassen wird, das sich inzwischen als nicht mehr rechtswidrig darstellt74. Dies hat der BGH bei einer Berichterstattung über den Inhalt eines richterlichen Vernehmungsprotokolls angenommen, nachdem dieses später in der öffentlichen Hauptverhandlung verlesen worden war75. In Betracht kommt dies auch bei einer Berichterstattung über geschützte Sphären, z.B. die Privatsphäre. Hat der Betroffene seine Privatsphäre nach der unzulässigen Berichterstattung geöffnet, so kann nicht vom Fortbestehen einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden76. Dadurch wird jedoch nicht jede Berichterstattung über diesen nunmehr geöffneten Bereich zulässig. Schutzwürdig bleiben grundsätzlich Informationen aus der Zeit vor Öffnung der Sphäre, soweit diese nicht gerade Gegenstand der eigenen Preisgabe sind77. Der BGH78 hat daher die weitere Veröffentlichung von Bildmaterial, das Bernd Tewaag mit seiner neuen Freundin an einem Weiher zeigt und aus einer Zeit vor der eigenen Preisgabe der Beziehung stammt, auch nach deren eigenen öffentlichen Bekanntgabe ihrer Beziehung für unzulässig erachtet. Über den insoweit geöffneten Bereich könne auch unter Verwendung neueren Bildmaterials ausreichend berichtet werden. In der zweiten Constanze-Entscheidung hat der BGH die Wiederholungsgefahr als fortbestehend angesehen79, obschon das betreffende Blatt inzwischen in andere Hände übergegangen war und der Verlag sich seit Jahren in Liquidation befand. Dazu heißt es, die Beklagte habe den Rechtsstreit mit aller Schärfe weitergeführt und auf ihrem Standpunkt beharrt, der beanstandete Artikel sei nach Form und Inhalt zulässig, was die Annahme einer fortbestehenden Wiederholungsgefahr schon für sich betrachtet rechtfertige. Zur Begehungsgefahr wegen Berühmung im Prozess Rz. 39. War die unzulässige Darstellung in einer Romanserie enthalten, für die ein Illustriertenverlag 19 lediglich das Urabdruckrecht erworben hatte, entfällt die Wiederholungsgefahr nach Ausschöpfung dieses Rechts80. Dasselbe kann für einen Verleger bei Abdruck eines Leserbriefes 72 OLG München v. 26.7.1996 – 21 U 6350/95, NJW-RR 1996, 1365. 73 OLG Stuttgart v. 11.5.2015 – 4 W 14/15, ZUM 2015, 1009; LG Stuttgart v. 13.1.2015 – 11 O 224/14, ZUM 2015, 1016; v. 2.12.2015 – 11 O 213/15; LG Hamburg v. 22.10.2010 – 324 O 100/10, AfP 2010, 613; v. 28.12.2010 – 324 O 140/10, BeckRS 2011, 560; v. 11.3.2013 – 324 O 607/12, n.v.; a.A. KG v. 18.8.2008 – 10 U 47/08, BeckRS 2012, 24646. 74 BGH v. 19.10.2004 – VI ZR 292/03, MDR 2005, 334 = AfP 2004, 540; v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, CR 2013, 462 = MDR 2013, 652 = IPRB 2013, 150 = AfP 2013, 250 – Der Kachelmann-Krimi. 75 BGH v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, CR 2013, 462 = MDR 2013, 652 = IPRB 2013, 150 = AfP 2013, 250. 76 BGH v. 19.10.2004 – VI ZR 292/03, MDR 2005, 334 = AfP 2004, 540. 77 BGH v. 19.10.2004 – VI ZR 292/03, MDR 2005, 334 = AfP 2004, 540. 78 BGH v. 19.10.2004 – VI ZR 292/03, MDR 2005, 334 = AfP 2004, 540. 79 BGH v. 6.7.1957 – I ZR 38/53, BGHZ 14, 163, 167. 80 LG Köln v. 10.8.1982 – 28 O 250/82, AfP 1983, 414.
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Kap. 12 Rz. 20
Unterlassungsanspruch
oder für beiläufige Interviewäußerungen gelten81. Sollen diese nur eigene ähnliche Darstellungen ersetzen oder unterstützen, ändert die Form der Mitteilung am Bestehen der Wiederholungsgefahr nichts. Diese kann ferner infolge Veränderung der Umstände entfallen. Z.B. lässt sich nicht ohne weiteres vermuten, ein im Wesentlichen auf ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gestützter Vorwurf strafbaren Verhaltens werde trotz zwischenzeitlicher Einstellung des Ermittlungsverfahrens wiederholt werden82. Dasselbe gilt für die Berichterstattung während eines laufenden Strafprozesses vor der Urteilsverkündung. Nach Erlass des Urteils kann nicht ohne weiteres angenommen werden, die Verdachtsbehauptungen würden wiederholt werden83. Problematisch ist die Annahme, die Gefahr der Wiederholung der unzulässigen Behauptung, der Vater enthalte der Mutter das Kind vor, sei durch die Rückkehr des Kindes zu seiner Mutter ausgeräumt84. Die Rückkehr des Kindes mag eine Wiederholung weniger wahrscheinlich machen, schließt aber nicht aus, dass erneut von einer in der Vergangenheit liegenden Kindesvorenthaltung gesprochen wird. Werden aus Seminarunterlagen die beanstandeten Teile entfernt, entfällt die Wiederholungsgefahr trotz der Erklärung des Störers nicht, es habe sich ohnehin nur um eine einmalige und abgeschlossene Seminarreihe gehandelt85. Beruht die Meldung einer Tageszeitung auf einer Information des Bundespresseamtes und hat dieses die Information anschließend korrigiert, ist ohne Hinzutreten besonderer Umstände mit der Wiederholung durch die Zeitung nicht zu rechnen86. Ebenso kann die Wiederholungsgefahr durch Zeitablauf bei einer streng anlassbezogenen Äußerung ausgeräumt sein. Dies hat das LG Köln87 bei einem Flyer für die Papstmesse auf dem „Marienfeld“ in Köln 2005 angenommen. c) Unterlassungserklärung 20
Vorbehaltlich besonderer Umstände ist eine einmal begründete Wiederholungsgefahr nicht ohne eine strafbewehrte Unterlassungserklärung des Behauptenden auszuräumen. Sie muss grds. uneingeschränkt, bedingungslos und unwiderruflich abgegeben werden88. Verlangt werden kann die Unterwerfung bezüglich der konkreten Äußerung, wie auch kerngleicher Äußerungen89. Zulässig ist der Vorbehalt, eine Äußerung zu wiederholen, wenn dafür ein gerechtfertigter Anlass besteht. Dieser muss aber vorstellbar sein90. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit, räumt eine mit Vorbehalt versehene Unterlassungserklärung die Wiederholungsgefahr nicht aus. Ein Vorbehalt scheidet daher z.B. bei Formalbeleidigungen aus. Jedoch ist die Bedingung zulässig, wonach das Versprechen nur für die Dauer eines allgemein verbindlichen Verbots gilt, das auf Gesetz oder höchstrichterlicher Rechtsprechung oder einer be81 82 83 84 85 86 87 88 89 90
Soehring/Hoene, § 30 Rz. 9a. BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 251/80, AfP 1982, 217 = GRUR 1982, 631, 632 – Klinikdirektoren. OLG München v. 7.10.2002 – 21 W 2385/02, AfP 2003, 438 = NJW-RR 2003, 111. BGH v. 25.5.1965 – VI ZR 19/64, GRUR 1966, 157 – Wo ist mein Kind? BGH v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, MDR 1994, 991 = CR 1994, 396 = AfP 1994, 138 = NJW 1994, 1281 – Jahresabschluss. LG Oldenburg v. 10.7.1986 – 5 O 3250/85, AfP 1988, 79. LG Köln v. 26.10.2005 – 28 O 456/05, NJW-RR 2006, 908. BGH v. 9.11.1995 – I ZR 212/93, MDR 1996, 489 = NJW 1996, 723; v. 31.5.2001 – I ZR 82/99, MDR 2002, 285 = NJW-RR 2002, 608, 609 – Weit-Vor-Winter-Schlussverkauf. Anders bei Bildberichterstattung: BGH v. 24.6.2008 – VI ZR 156/06, MDR 2008, 1097 = AfP 2008, 499; v. 23.6.2009 – VI ZR 232/08, AfP 2009, 406; BGH v. 6.10.2009 – VI ZR 314/08, MDR 2010, 84 = AfP 2010, 60; s. Kap. 9 Rz. 5. OLG Stuttgart v. 29.11.1996 – 2 U 182/96, WRP 1997, 350; vgl. zum Bildnisschutz BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 232/08, AfP 2009, 406.
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Rz. 22 Kap. 12
stimmten Verbotsrechtsprechung eines OLG beruhen kann91. Die Wiederholungsgefahr kann auch durch Abgabe einer notariellen Unterwerfungserklärung gem. §§ 794 Abs. 1 Nr. 5, 890 ZPO entfallen (Näheres s. Rz. 31a). Durch eine ernsthafte und inhaltlich ausreichende Unterlassungserklärung wird die Wieder- 21 holungsgefahr beseitigt. Damit erlischt der materiell-rechtliche Anspruch. Die Unterlassungserklärung ist daher als abstraktes Schuldanerkenntnis anzusehen, das die erloschene gesetzliche Unterlassungsschuld durch eine vertragliche Unterlassungsverpflichtung ersetzt92. Damit bedarf die Unterlassungserklärung der gesetzlichen Schriftform nach § 780 BGB93. Die Erteilung des Versprechens in elektronischer Form ist ausgeschlossen. Nur wenn die Erklärung durch einen Kaufmann abgegeben wird, ist sie nach § 350 HGB auch formfrei möglich. Allerdings können in diesem Fall Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Erklärung bestehen. Um diese auszuräumen, muss der Unterlassungsschuldner jedenfalls zu einer nachträglichen schriftlichen Erklärung bereit sein und diese nach Aufforderung unverzüglich erteilen94. Eine solche Unterlassungserklärung bringt die Wiederholungsgefahr eindeutig zum Wegfall, 22 wenn der Anspruchsteller sie annimmt und dadurch ein Vertrag i.S.d. § 311 BGB zustande kommt. Die Parteien sind in der inhaltlichen Ausgestaltung des Unterlassungsvertrages grundsätzlich frei95. Die vertragliche Verpflichtung kann über den gesetzlichen Anspruch hinausgehen oder dahinter zurück bleiben96. Auf den Zugang der Annahmeerklärung wird i.d.R. nur verzichtet, wenn die Unterwerfungserklärung nicht oder zumindest nicht in einem wesentlichen Punkt von der verlangten abweicht97. Der Inhalt ist nach den allgemeinen Regeln auslegungsfähig98. Die Rücksendung einer geänderten Unterlassungserklärung ist als Ablehnung, verbunden mit einem neuen Antrag, aufzufassen99. Die Annahme einer Teilunterwerfungserklärung lässt einen weiterreichenden Unterlassungsanspruch grundsätzlich unberührt100. Zu den Schranken einer Unterlassungserklärung vgl. Rz. 97 ff. Der I. Senat des BGH geht davon aus, die Wiederholungsgefahr entfalle bereits bei einseitiger Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, wenn sie sich als Ausdruck eines ernstlichen Unterlassungswillens darstellt101. Obschon der VI. BGH-Senat lange Zeit an der wohl richtigen Auffassung
91 BGH v. 1.4.1993 – I ZR 136/91, MDR 1993, 746 = NJW-RR 1993, 1000 – Bedingte Unterwerfung; v. 26.9.1996 – I ZR 194/95, MDR 1997, 570 = NJW 1997, 1706 – Altunterwerfung II; v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, NJW 2009, 3303 – Mescher weis; v. 9.3.2010 – VI ZR 52/09, MDR 2010, 609 = IPRB 2010, 174 = NJW 2010, 1874 – Presserechtlicher Unterwerfungsvertrag; s. Rz. 31. 92 BGH v. 5.3.1998 – I ZR 202/95, MDR 1998, 1048 = NJW 1998, 2439, 2440 – Altunterwerfung III. 93 Köhler/Bornkamm/Bornkamm, § 12 UWG Rz. 1.103; a.A. Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 267. 94 BGH v. 8.3.1990 – I ZR 116/88, MDR 1990, 1093 = CR 1990, 654 = NJW 1990, 3147. 95 BGH v. 11.11.2014 – VI ZR 18/14, CR 2015, 254 = MDR 2015, 25 = AfP 2015, 33. 96 OLG Hamburg v. 5.6.2003 – U 171/02, NJOZ 2004, 1637. 97 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 296/99, AfP 2002, 460 = NJW-RR 2002, 1613 – Teilunterwerfung. 98 BGH v. 8.7.1991 – II ZR 164/90, NJW-RR 1991, 1381; v. 9.11.1995 – I ZR 212/93, MDR 1996, 489 = NJW 1996, 723; v. 26.9.1996 – I ZR 194/95, MDR 1997, 570 = NJW 1997, 1706; v. 18.5.2006 – I ZR 32/03, MDR 2007, 42 = CR 2006, 753 = GRUR 2006, 878; v. 11.11.2014 – VI ZR 18/14, CR 2015, 254 = MDR 2015, 25 = AfP 2015, 33. 99 OLG Celle v. 9.2.1989 – 13 U 129/88, GRUR 1990, 481. 100 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 296/99, AfP 2002, 460 = NJW-RR 2002, 1613 – Teilunterwerfung. 101 U.a. BGH v. 13.5.1982 – I ZR 205/80, MDR 1983, 29 = NJW 1983, 167, 169 – Seniorenpass; v. 12.7.1984 – I ZR 123/82, MDR 1985, 116 = NJW 1985, 191 – Vertragsstrafe bis zu …; dem folgend Löffler/Steffen, § 6 Rz. 267.
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Kap. 12 Rz. 23
Unterlassungsanspruch
festzuhalten schien, dass eine vom Anspruchsteller nicht angenommene Unterlassungserklärung lediglich das Rechtsschutzbedürfnis für eine Unterlassungsklage entfallen lässt102, geht er nun ebenso von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr aus103. 23
Ob die Wiederholungsgefahr bzw. das Rechtsschutzbedürfnis für eine Unterlassungsklage trotz Verweigerung der Annahme der Unterlassungserklärung entfällt, hängt zunächst davon ab, ob bzw. inwieweit das angebotene Unterlassungsversprechen mit der gerügten Rechtsverletzung übereinstimmt104. Wird die geforderte Verpflichtungserklärung abgegeben, entfällt die Wiederholungsgefahr unabhängig von der Annahme der Erklärung105. Dies gilt auch, wenn bei Abgabe der Erklärung ergänzend ausgeführt wird, dass der Unterlassungsanspruch nur bezüglich einem Teil der Aussagen begründet sei, die Erklärung aber auch diese Aussagen mit umfasst106. Modifiziert der Behauptende die streitige Behauptung in seinem Angebot derart, dass der Betroffene dadurch keine ausreichende Sicherheit vor erneuter Rechtsverletzung erlangt, kann er das Angebot ohne Rechtsfolge ablehnen. Bietet der Behauptende Unterlassung lediglich bezüglich eines Teils der streitigen Darstellung an, ist grundsätzlich von einer Annahmeobliegenheit auszugehen, sofern es sich um selbständige Teile, also nicht lediglich um Bruchstücke von Sätzen oder dgl. handelt, die für den beeinträchtigenden Sinn unerheblich sind. Etwas anderes kann aber gelten, wenn der Behauptende die nur teilweise Unterwerfung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht anbietet und der Betroffene ein spezifisches Interesse daran hat, die Verpflichtung zur Unterlassung und damit zugleich die Unwahrheit der angegriffenen Darstellung insgesamt klären zu lassen. Wird die endgültige Wirksamkeit der Unterlassungserklärung vom Ausgang eines Parallelverfahren abhängig gemacht, beseitigt das das Rechtsschutzbedürfnis im Zweifel nicht107.
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Ob die Wiederholungsgefahr bzw. das Rechtsschutzbedürfnis für eine Unterlassungsklage trotz Nichtannahme der Unterwerfungserklärung entfällt, hängt grundsätzlich weiter davon ab, dass der Behauptende für den Fall der Zuwiderhandlung eine angemessene Konventionalstrafe angeboten hat. Angemessen ist das Versprechen nur, wenn es geeignet erscheint, den Verletzer ernsthaft von Wiederholungen abzuhalten, was anhand der Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist108. In äußerungsrechtlichen Angelegenheiten kommen Beträge zwischen 1 000 und 50 000 Euro in Betracht, i.d.R. zwischen 5 000 und 10 000 Euro. Das hängt auch davon ab, ob Unterlassungsschuldner ein Privatmann oder ein Unternehmen ist. Seit der Anhebung der Streitwertgrenze für die Zuständigkeit des Amtsgerichts auf 5 000 Euro wird nicht selten ein diese übersteigender Betrag gefordert. Einen Ausweg bietet die Möglichkeit, den Verletzten die Höhe der Vertragsstrafe bestimmen zu lassen, was nach § 315 BGB im Zweifel
102 BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607, 1610 – Bundesbahnplanungsvorhaben. 103 BGH v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464 – Esra I; v. 23.6.2009 – VI ZR 232/08, AfP 2009, 406. 104 OLG München v. 23.7.2003 – 21 U 2918/03, AfP 2004, 60; vgl. zum Bildnisschutz BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 232/08, AfP 2009, 406. 105 BGH v. 18.5.2006 – I ZR 32/03, MDR 2007, 42 = GRUR 2006, 878; v. 11.11.2014 – VI ZR 18/14, CR 2015, 254 = MDR 2015, 25 = AfP 2015, 33; OLG Hamburg v. 5.10.2006 – 3 U 264/05, AfP 2007, 583; OLG München v. 23.7.2003 – 21 U 2918/03, AfP 2004, 60. 106 OLG Hamburg v. 5.10.2006 – 3 U 264/05, AfP 2007, 583. 107 BGH v. 5.7.1990 – I ZR 148/88, MDR 1991, 220 = NJW-RR 1991, 297. 108 BGH v. 12.7.1984 – I ZR 123/82, MDR 1985, 116 = NJW 1985, 191.
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II. Voraussetzungen des Unterlassungsanspruches
Rz. 26 Kap. 12
nach billigem Ermessen zu geschehen hat. Im Streitfall entscheidet dann das Gericht109. Bietet der Verletzte eine Vertragsstrafe in unbestimmter Höhe, aber mit festgesetztem Höchstbetrag an, muss die Obergrenze dem Gläubiger einen angemessenen Spielraum auch für den Fall einer schweren Verletzung bieten. Der Höchstbetrag darf also nicht an der Untergrenze des Betrages liegen, der bei einem leichten Verstoß in Betracht kommt110. Wird die Unterlassungserklärung von einem Kaufmann im Betrieb seines Handelsgeschäfts abgegeben, so kann gem. § 348 HGB die versprochene Vertragsstrafe nicht nach § 343 BGB herabgesetzt werden. § 348 HGB ist jedoch abdingbar. Eine Abbedingung von § 348 HGB lässt die Ernsthaftigkeit der Unterwerfung nicht entfallen111. Da die Vertragsstrafe zugleich dem Zweck dient, dem Betroffenen einen pauschalierten Schadensausgleich für eventuell verursachte Beeinträchtigungen zu geben, braucht er sich auf das Angebot der Zahlung der Vertragsstrafe an einen Dritten, z.B. an eine gemeinnützige Vereinigung, i.d.R. nicht einzulassen112. Enthält eine Unterlassungserklärung mehrere selbständige Punkte, sollte klargestellt werden, 25 ob die Konventionalstrafe mehrfach oder nur einmal fällig wird, wenn gegen mehrere der in der Unterlassungserklärung enthaltenen Punkte verstoßen wird. Dies kann z.B. durch die Formulierung geschehen „Für den Fall des Verstoßes gegen jeden einzelnen Punkt der Unterlassungserklärung verpflichtet sich der Schuldner zur Zahlung einer Konventionalstrafe i.H.v. Euro …“. Im Übrigen sollte klargestellt werden, ob die Verpflichtung zur Zahlung einer Konventionalstrafe nur unter den Voraussetzungen des § 890 ZPO bestehen soll, ob also nur für eigenes schuldhaftes Verhalten gehaftet wird. Ohne eine solche Klarstellung kann die Auffassung vertreten werden, der Schuldner hafte auch für das Verhalten eines Vertreters oder Beauftragten. Ausnahmsweise kann die Wiederholungsgefahr aufgrund einer Unterlassungserklärung ent- 26 fallen, die nicht durch Konventionalstrafeversprechen gesichert ist113. Das kann der Fall sein, wenn eine Würdigung des Verhaltens des Verletzers ergibt, dass seine Unterlassungserklärung als ernsthaft angesehen werden muss, so dass trotz fehlenden Strafversprechens mit einer Wiederholung nicht zu rechnen ist114. Zutreffen kann das z.B., wenn ein exponierter Politiker die Erklärung nicht nur für sich persönlich, sondern zugleich als Repräsentant der von ihm vertretenen politischen Richtung vor einem Gericht öffentlich zu Protokoll gegeben hat115. Gleiches kann für Erklärungen von Behörden gelten116. Davon ist auch auszugehen, wenn ein Medienunternehmen eine Richtigstellung verbreitet hat, aber unter Hinweis auf die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht ein Vertragsstrafeversprechen ablehnt. Dass ein Medienunternehmen nach freiwilliger und inhaltlich hinreichender Richtigstellung Unzutreffendes wiederholt, kann nicht angenommen werden. Gleiches kann bei Angaben anzunehmen sein, die üblicherweise entsprechend dem jeweils neuesten Stande erfolgen, z.B. Angaben zu Preisen. Insbesondere wird kaum zu befürchten sein, eine zu niedrige Preisangabe werde wiederholt werden, wenn der Behauptende erklärt, die ihm inzwischen bekanntgewordene 109 BGH v. 14.10.1977 – I ZR 119/76, GRUR 1978, 192 – Hamburger Brauch; v. 13.5.1982 – I ZR 205/80, MDR 1983, 29 = NJW 1983, 167 – Seniorenpass. 110 BGH v. 12.7.1984 – I ZR 123/82, MDR 1985, 116 = NJW 1985, 191 – Vertragsstrafe bis zu …; v. 14.2.1985 – I ZR 20/83, NJW 1985, 2021 – Vertragsstrafe bis zu … II. 111 H.M.; Teplitzky, Kap. 8 Rz. 30b m.w.N.; a.A. Aigner, GRUR 2007, 950. 112 OLG München, WRP 1977, 510; KG, WRP 1977; 716; OLG Hamm v. 22.9.1981 – 4 U 201/81, MDR 1982, 234; OLG Oldenburg v. 25.11.1982 – 1 U 145/82, GRUR 1983, 195. 113 OLG München, NJW 1956, 1075; LG Kiel v. 6.3.1979 – 15 O 63/79, AfP 1979, 366. 114 BGH, LM § 823 BGB Nr. l. 115 LG Kiel v. 6.3.1979 – 15 O 63/79, AfP 1979, 366. 116 OVG Münster v. 26.1.2004 – 12 B 2197/03, NJW 2004, 1611.
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Kap. 12 Rz. 27
Unterlassungsanspruch
Preiserhöhung werde er künftig berücksichtigen. Im Übrigen kann der Behauptende auf ein Vertragsstrafeangebot verzichten, wenn ihm seine Äußerung nicht als rechtswidrig anzulasten ist, weil die Falschangabe auf einem entschuldbaren Irrtum beruht. Es fehlt dann an einem unzulässigen Verhalten als Indiz für fehlende Hemmungen, sich in Zukunft rechtswidrig zu verhalten117. 27
Die Ernstlichkeit des Unterwerfungswillens kann auch davon abhängen, ob das Angebot unwiderruflich ist oder ob der Verletzer sich jedenfalls über die Annahmefrist des § 147 BGB hinaus bindet118. Richtiger Auffassung nach ist aber jedenfalls in äußerungsrechtlichen Angelegenheiten eine längere Bindungsfrist keine unbedingte Voraussetzung für die Annahme der Ernstlichkeit. Grundsätzlich ist dem Verletzten zuzumuten, sich sogleich bzw. alsbald zu entscheiden, ob er das Angebot annehmen will. Unterlässt er das, entfällt für eine Unterlassungsklage i.d.R. zumindest das Rechtsschutzbedürfnis.
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Bei einer Unterlassungserklärung auch hinsichtlich der Verbreitung kann es ratsam sein, sie lediglich für Folgeausgaben bzw. -auflagen abzugeben. Andernfalls kann sich z.B. die Gefahr ergeben, dass wegen einer versehentlichen Verbreitung eines Restexemplars über eine vereinbarte Konventionalstrafe gestritten werden muss. Auch stellt sich dann die Frage nach einer Rückrufverpflichtung119. Eine so eingeschränkte Erklärung lässt richtiger Auffassung nach die Ernstlichkeit des Unterwerfungswillens jedenfalls bei bereits vollständig ausgelieferter Auflage unberührt. Dies gilt vornehmlich für die Tagespresse, nicht jedoch z.B. für Testzeitschriften und Zeitschriften im Wechselversand.
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Ein Verstoß gegen eine übernommene Unterlassungsverpflichtung begründet i.d.R. die Gefahr weiterer Verstöße. Es entsteht eine erneute Wiederholungsgefahr120. Dementsprechend kann der Betroffene entweder die Übernahme der Verpflichtung zur Zahlung einer (erheblich) höheren Vertragsstrafe fordern oder den Unterlassungsanspruch gerichtlich durchsetzen (vgl. aber Rz. 129). Eine Zahlungsklage wegen einer verwirkten Konventionalstrafe hindert eine gleichzeitige Unterlassungsklage nicht121. Im Falle eines einzelnen Verstoßes, insbesondere gegen ein Verbreitungsverbot, kann Treu und Glauben eine erhebliche Herabsetzung einer vereinbarten Konventionalstrafe erfordern. Das gilt speziell bei der Verbreitung eines einzelnen Archiv- oder Remissionsexemplars nach Ablauf einer vereinbarten Aufbrauchfrist. Fraglich ist, ob bei einer erneuten Unterlassungsverpflichtungserklärung nach sog. Hamburger Brauch eine im Hinblick auf den erneuten Verstoß angemessene Mindestsumme der bei künftigen weiteren Zuwiderhandlungen zu zahlenden Vertragsstrafe aufzunehmen ist. Richtigerweise ist dies zu verneinen. Die Ernsthaftigkeit der weiteren Unterlassungserklärung hängt nicht von der Vereinbarung einer Mindestsumme ab, da die Höhe der geforderten Vertragsstrafe vom Gläubiger festgelegt wird. Allein die Möglichkeit einer Überprüfung der Höhe der geforderten Vertragsstrafe durch das zuständige Gericht vermag an der Ernstlichkeit der Unterwerfungserklärung nichts zu ändern. Es ist dann Sache des Gläubigers, dem Gericht darzulegen und nachzuweisen, dass eine höhere Vertragsstrafe wegen des wiederholten Verstoßes gerechtfertigt ist. Wurde ein gerichtlicher, strafbewehrter Unterlassungsvergleich geschlossen, kann 117 BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607, 1610 – Bundesbahnplanungsvorhaben. 118 BGH v. 15.3.1984 – I ZR 74/82, MDR 1984, 911. 119 Zu den einer Unterlassungsverpflichtung immanenten Handlungspflichten s. Rz. 78 ff. 120 BGH v. 15.12.2011 – I ZR 174/10, CR 2012, 469 m. Anm. Kaufmann = MDR 2012, 985 = GRUR 2012, 730 – Bauheizgerät. 121 OLG Köln v. 9.12.1986 – 15 U 130/86, AfP 1987, 436.
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Burkhardt
II. Voraussetzungen des Unterlassungsanspruches
Rz. 31 Kap. 12
bei einem erneuten Verstoß der Gläubiger nebeneinander Vertragsstrafe und Ordnungsmittel nach § 890 ZPO geltend machen. Allerdings ist dabei die jeweils früher verhängte Sanktion bei der Höhe der späteren Sanktion mit zu berücksichtigen122. In Wettbewerbssachen geht der BGH davon aus, dass die Wiederholungsgefahr im Verhältnis 30 zu mehreren Verletzten nicht unterschiedlich, sondern einheitlich zu beurteilen ist. Durch eine gegenüber einem Unterlassungsgläubiger abgegebene Unterlassungserklärung, die inhaltlich den zu stellenden Anforderungen genügt, wird die Wiederholungsgefahr im Allgemeinen auch im Verhältnis zu anderen Gläubigern beseitigt, soweit sie über die erforderliche Ernstlichkeit verfügt. Das ist aber eine Frage des Einzelfalles123. Dieser Grundsatz hat auch für das Äußerungsrecht Bedeutung, z.B. bei einer Kollektivbeleidigung. Solche Fälle sind aber die Ausnahme. Nicht wettbewerbliche Äußerungen betreffen regelmäßig nur Einzelne, und zwar in unterschiedlicher Weise. Unter dieser Voraussetzung lässt sich die Beseitigung der Wiederholungsgefahr zumeist nicht einheitlich beurteilen. Zutreffend lehnt das OLG Hamburg124 daher den Wegfall der Wiederholungsgefahr wegen einer rechtsverletzenden Berichterstattung „Heimliche Treffen zwischen A und C?“ ab, obschon das Medienunternehmen gegenüber dem Fußballer C eine Unterwerfungserklärung abgegeben hatte. Wegen des höchstpersönlichen Charakters stehe der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erwachsende Unterlassungsanspruch nur dem jeweiligen Betroffenen zu. Daher könne auch der im Wettbewerbsrecht entwickelte Gedanke einer Drittunterwerfung nicht auf das Äußerungsrecht übertragen werden. Entfällt aufgrund einer nachträglichen Gesetzesänderung der gesetzliche Unterlassungs- 31 anspruch, besteht der vertragliche fort. Allerdings wäre es für den Unterlassungsschuldner unzumutbar, an der vertraglichen Pflicht festgehalten zu werden, obschon er im Falle eines Unterlassungstitels die Zwangsvollstreckung im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO für unzulässig erklären lassen könnte125. Dem Unterlassungsschuldner steht daher ein außerordentliches Kündigungsrecht aus wichtigem Grund gem. § 314 BGB zu. Ob dies auch für den Fall gilt, dass ein Verhalten aufgrund einer höchstrichterlichen Leitentscheidung nunmehr eindeutig als rechtmäßig zu beurteilen ist, hat der BGH in Bezug auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen126 bislang offen gelassen127. Trotz der Besonderheit, dass die Rechtswidrigkeit einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nur aufgrund einer Abwägung der kollidierenden Grundrechtspositionen festgestellt werden kann, ist dies zu bejahen128. Zu denken ist etwa an eine Änderung der Rechtsprechung zu grundlegenden Anforderungen an die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung, an Beweislastregeln oder ähnlichem. Solche Änderungen lassen die Einzelfallabwägung unberührt. Anders ist dies, wenn nach der getroffenen Vereinbarung ein Kündigungsgrund im Risikobereich des Schuldners entsteht. Der Schuldner ist 122 BGH v. 5.2.1998 – III ZR 103/97, MDR 1998, 489 = NJW 1998, 1138. 123 BGH v. 2.12.1982 – I ZR 121/80, MDR 1983, 558 = GRUR 1983, 186 – Wiederholte Unterwerfung I; v. 13.5.1987 – I ZR 79/85, GRUR 1987, 640 – Wiederholte Unterwerfung II; OLG Frankfurt v. 17.7.2003 – 1 U 190/02, NJW-RR 2003, 1430; OLG Jena v. 27.7.2011 – 2 U 303/11, Magazindienst 2011, 915; OLG Köln v. 21.10.2011 – 6 U 64/11, WRP 2012, 221. 124 OLG Hamburg v. 20.3.2018 – 7 U 175/16, ZUM 2018, 543, Revision zugelassen. 125 BGH v. 26.9.1996 – I ZR 194/95, MDR 1997, 570 = NJW 1997, 1706 – Altunterwerfung II; v. 9.3.2010 – VI ZR 52/09, MDR 2010, 609 = IPRB 2010, 174 = NJW 2010, 1874 – Presserechtlicher Unterwerfungsvertrag. 126 Anders im Wettbewerbsrecht, vgl. BGH v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, MDR 2009, 1361 – Mescher weis. 127 BGH v. 9.3.2010 – VI ZR 52/09, MDR 2010, 609 = IPRB 2010, 174 = NJW 2010, 1874 – Presserechtlicher Unterwerfungsvertrag. 128 Soehring/Hoene, § 30 Rz. 15a.
Burkhardt 1037
Kap. 12 Rz. 31a
Unterlassungsanspruch
dann nicht berechtigt, den Unterlassungsvertrag außerordentlich zu kündigen. Hat der Schuldner eine Unterwerfungserklärung im Hinblick auf eine Beschlussverfügung in einer Parallelsache abgegeben, ohne diese vom Bestand der Beschlussverfügung abhängig zu machen, kann dies als endgültige vertragliche Bindung angesehen werden. Eine spätere Aufhebung der Beschlussverfügung begründet dann keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Unterwerfungsvertrags. Ebenso wenig kann sich der Schuldner auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen129. 31a
Eine berechtigte Kündigung wirkt nur für die Zukunft. Bis zur Beendigung des Unterwerfungsvertrags durch Kündigung besteht die vertragliche Unterlassungspflicht einschließlich des Vertragsstrafeanspruchs fort130. Unter Berücksichtigung der konkreten Fallgestaltung ist die Kündigungsfrist großzügig zu bemessen. § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB findet keine Anwendung131. Eine condictio ob causam finitam nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB steht dem Schuldner nicht zu, da rechtlicher Grund für die Abgabe der Unterwerfungserklärung der von den Parteien verfolgte Zweck ist, einen gesetzlichen Unterlassungsanspruch durch einen vereinfacht durchsetzbaren und strafbewehrten vertraglichen Anspruch zu ersetzen132.
31b
Als Alternative zu einer strafbewehrten Unterlassungserklärung kann die Wiederholungsgefahr auch durch eine notarielle Unterwerfungserklärung ausgeräumt werden. Erforderlich ist eine Urkunde, in der sich der Schuldner hinsichtlich der zu unterlassenden Äußerungen der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Da die Errichtung einer solchen Urkunde mit Kosten verbunden ist, kann an der Ernsthaftigkeit des Unterlassungswillens kein Zweifel bestehen. Sanktioniert werden kann ein Verstoß jedoch erst, nachdem das für den Sitz des Notars, der die Urkunde errichtet hat, zuständige Gericht durch Beschluss Ordnungsmittel für den Fall eines Verstoßes angedroht hat und dieser Androhungsbeschluss dem Schuldner zugestellt wurde (§ 890 ZPO). Daher ist umstritten, ob die Wiederholungsgefahr bereits mit Abgabe der Erklärung gegenüber dem Notar, dem Zugang der Urkunde beim Gläubiger oder erst nach Zustellung des Androhungsbeschlusses entfällt. Zu fordern ist jedenfalls, dass dem Gläubiger eine vollstreckbare Ausfertigung der notariellen Urkunde zugegangen sein muss133. Erst dann hat der Gläubiger die Möglichkeit, für die weiteren Voraussetzungen für eine Sanktionierung etwaiger Verstöße zu sorgen. Dies bedarf allerdings eines Tätigwerdens des Gläubigers und führt zu einer zeitlichen Lücke, bis dieser über eine einem Hauptsacheurteil gleichwertige Vollstreckungsmöglichkeit besitzt. Für den Bereich des Wettbewerbsrechts und des gewerblichen Rechtsschutzes nimmt die h.M. daher an, dass die Wiederholungsgefahr erst mit Zustellung des Beschlusses über die Androhung von Ordnungsmitteln gem. § 890 Abs. 2 ZPO entfällt134, da erst ab diesem Zeitpunkt eine Sanktionierung etwaiger Verstöße erfolgen kann. Für den Bereich des Äußerungsrechts ist diese strenge Ansicht abzulehnen. Durch die Zuleitung einer vollstreckbaren Ausfertigung der notariellen Urkunde drückt der Schuldner seinen erkennbaren Unterlassungswillen aus, an dessen Ernst129 BGH v. 9.3.2010 – VI ZR 52/09, MDR 2010, 609 = IPRB 2010, 174 = NJW 2010, 1874 – Presserechtlicher Unterwerfungsvertrag. 130 BGH v. 26.9.1996 – I ZR 265/95, MDR 1997, 569 = NJW 1997, 1702 – Altunterwerfung I. 131 BGH v. 26.9.1996 – I ZR 194/95, MDR 1997, 570 = NJW 1997, 1706 – Altunterwerfung II. 132 BGH v. 5.3.1998 – I ZR 202/95, MDR 1998, 1048 = NJW 1998, 2439 – Altunterwerfung III; a.A. Koblitz, WRP 1997, 382. 133 Köhler, GRUR 2010, 6. 134 BGH v. 21.4.2016 – I ZR 100/15, MDR 2016, 1346 = GRUR 2016, 1316; OLG Köln v. 10.4.2015 – 6 U 149/14, IPRB 2016, 177 = IPRB 2016, 198 = GRUR-RR 2015, 405; OLG Düsseldorf v. 4.5.2016 – I-15 W 13/16, GRUR-RR 2016, 430; Köhler/Bornkamm/Bornkamm, § 12 UWG Rz. 1.112d; Teplitzky, WRP 2015, 527.
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Burkhardt
II. Voraussetzungen des Unterlassungsanspruches
Rz. 33 Kap. 12
lichkeit angesichts der damit verbunden Kosten regelmäßig kein Zweifel bestehen dürfte. Zwar mag es eine gewisse Zeit dauern, bis der Gläubiger einen Androhungsbeschluss erwirkt hat. Dem Schuldner kann aber nicht ohne weiteres unterstellt werden, er werde diese Zeit zu Missbräuchen nutzen. Dies schon, weil das abgegebene Schuldanerkenntnis eine eigenständige Grundlage für etwaige Schadensersatzansprüche ist. d) Abschlusserklärung in Verfügungssachen Erkennt ein Unterlassungsschuldner eine einstweilige Verfügung durch eine Abschlusserklä- 32 rung als endgültig an, beseitigt das die Wiederholungsgefahr grundsätzlich ebenso wie eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung. Erforderlich ist aber, dass durch die Abschlusserklärung die erwirkte einstweilige Verfügung ebenso effektiv und dauerhaft wirkt wie ein in einem Hauptsacheverfahren erlangter Titel135. Die Abschlusserklärung darf daher grundsätzlich nicht an Bedingungen geknüpft werden. Gleichwohl ist es zulässig, die Abschlusserklärung an die auflösende Bedingung einer auf Gesetz oder höchstrichterlicher Rechtsprechung beruhenden eindeutigen Klärung des zu unterlassenden Verhaltens als rechtmäßig zu knüpfen136. Im Umfang der abgegebenen Abschlusserklärung besteht für eine weitere Unterlassungsklage kein Rechtschutzbedürfnis137. Dieses fehlt z.B., wenn in einem ersten Schreiben enthaltene Äußerungen untersagt wurden, und in einem zweiten Schreiben neben kerngleichen, bereits verbotenen Äußerungen weitere Äußerungen beanstandet werden, diese aber nicht isoliert untersagt werden sollen, sondern das zweite Schreiben nur insgesamt angegriffen wird. Verlangt der Verletzte erst etwa zwei Jahre, nachdem er eine einstweilige Verfügung erwirkt hat, eine Abschlusserklärung, kann die Wiederholungsgefahr entfallen sein, wenn zwischenzeitlich keine weiteren Zuwiderhandlungen erfolgt sind. Jedenfalls besteht hinsichtlich des Abschlussschreibens kein Kostenerstattungsanspruch mehr138. 3. Begehungsgefahr Ein Unterlassungsanspruch kann auch begründet sein, wenn zwar ein Rechtsverstoß noch 33 nicht begangen ist, er aber in nicht allzu ferner Zukunft greifbar bevorsteht139 bzw. ernstlich droht140. Es müssen ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, der Anspruchsgegner werde sich in naher Zukunft in der näher bezeichneten Weise rechtswidrig verhalten141. Dabei muss sich die drohende Verletzungshandlung in tatsächlicher Hinsicht so greifbar abzeichnen, dass eine zuverlässige Beurteilung unter rechtlichen Gesichts-
135 BGH v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, MDR 2009, 1361 = NJW 2009, 3303 – Mescher weis; v. 19.5.2010 – I ZR 177/07, MDR 2010, 1071 = GRUR 2010, 855 – Folienrollos. 136 BGH v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, MDR 2009, 1361 = NJW 2009, 3303 – Mescher weis; offen gelassen in BGH v. 9.3.2010 – VI ZR 52/09, MDR 2010, 609 = IPRB 2010, 174 = NJW 2010, 1874 – Presserechtlicher Unterwerfungsvertrag. 137 BGH v. 19.5.2010 – I ZR 177/07, MDR 2010, 1071 = GRUR 2010, 855 – Folienrollos. 138 AG Hamburg v. 21.9.1995 – 36a C 2597/95, AfP 1996, 189. 139 BGH, NJW 1951, 843. 140 BGH v. 19.6.1951 – I ZR 77/50, BGHZ 2, 394; v. 15.12.1953 – I ZR 168/53, BGHZ 11, 260, 271; GRUR 1962, 35. 141 BGH v. 9.10.1986 – I ZR 158/84, MDR 1987, 291 = GRUR 1987, 125 – Berühmung; v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = AfP 1987, 597 = NJW 1987, 2225; v. 31.5.2001 – I ZR 106/99, MDR 2002, 106 = NJW-RR 2001, 1483 – Berühmungsaufgabe; OLG Nürnberg v. 11.6.2002 – 1 U 3939/01, NJW-RR 2002, 1471.
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Kap. 12 Rz. 34
Unterlassungsanspruch
punkten möglich ist142. Der Betroffene braucht dann nicht abzuwarten, bis die seinen Ruf beeinträchtigende Darstellung verbreitet und der Schaden damit eingetreten ist. In einem solchen Fall kann eine vorbeugende Unterlassungsklage erhoben werden. Für die Erstbegehungsgefahr streitet aber keine Vermutung. Sie muss anhand der Umstände des Einzelfalls positiv zu Lasten des Mediums festgestellt werden143. Die Darlegungs- und Beweislast trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Anspruchsteller144. Im Bereich des Äußerungsrechts besteht die Schwierigkeit einer solchen Klage darin, dass dem Betroffenen i.d.R. unbekannt ist, ob und ggf. welche konkreten Behauptungen verbreitet werden sollen (Rz. 35). Dass ein vorbeugender Unterlassungsanspruch durchgesetzt werden kann, ist daher eher der Ausnahmefall. Insbesondere im Bereich der Bildberichterstattung scheidet regelmäßig ein vorbeugender Unterlassungsanspruch aus, weil die Rechtmäßigkeit der Publikation nur anhand einer auf den konkreten Einzelfall bezogenen Abwägung beurteilt werden kann145. 34
Prozessbehauptungen, die grundsätzlich privilegierte Äußerungen sind (Kap. 10 Rz. 29), begründen i.d.R. keine Begehungsgefahr146. Etwas anderes kann bei Vorliegen von Umständen gelten, aus denen sich ergibt, die Behauptung werde auch außerhalb des Prozesses verbreitet werden, insbesondere im Falle der Berühmung, eine bestimmte (rechtswidrige) Äußerung tätigen zu dürfen147. Etwas anderes kann ebenso gelten, wenn sich aus dem Prozessvortrag ergibt, der Beklagte wolle zwar nicht seine Prozessbehauptungen publizieren, er suche aber zu Publikationszwecken nach Material, das dem Geheimnisschutz unterliegt (vgl. Kap. 5 Rz. 40), bzw. nach Material, dessen Bekanntgabe eine persönliche Gefährdung bewirken würde (vgl. Kap. 5 Rz. 109). In Fällen dieser Art kann es dem Betroffenen, speziell wenn es um die Gefährdung seines Lebens geht, nicht zugemutet werden, dem möglichen Geschehen tatenlos zuzusehen. Ihm muss ein Anspruch auf Unterlassung einer möglicherweise lebensgefährdenden Publikation zugebilligt, die Begehungsgefahr muss also aufgrund des prozessualen Vorbringens bejaht werden148.
35
Eine Recherche begründet für sich betrachtet noch keine Begehungsgefahr149. Sie ist i.d.R. auch ihrerseits wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Rechte des Betroffenen, etwa bei 142 BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494; v. 19.3.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 – Der Kachelmann-Krimi; v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 Rz. 45 – Organentnahme; OLG Brandenburg v. 9.7.2012 – 1 U 19/11, NJW-RR 2013, 415. 143 BVerfG v. 15.12.2008 – 1 BvR 1404/04, BeckRS 2009, 30487; BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494; OLG Hamm v. 6.6.1995 – 15 W 80/95, NJW-RR 1995, 1339; OLG Koblenz v. 25.3.2008 – 4 U 1292/07, AfP 2008, 213. 144 Vgl. BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494. 145 BGH v. 13.11.2007 – VI ZR 269/06, MDR 2008, 506 = AfP 2008, 187; v. 23.6.2009 – VI ZR 232/08, AfP 2009, 406; v. 6.10.2009 – VI ZR 314/08, MDR 2010, 84 = AfP 2010, 60. 146 BGH v. 14.11.1972 – VI ZR 102/71, MDR 1973, 304; OLG Hamburg v. 6.1.1972 – 3 W 104/71, MDR 1972, 1033; OLG Düsseldorf, NJW 1987, 252. 147 BGH v. 9.4.1987 – I ZR 44/85, MDR 1987, 999 = NJW 1987, 3138; v. 19.3.1992 – I ZR 166/90, MDR 1993, 136 = AfP 1992, 249 = NJW 1992, 3093; NJW-RR 2001, 1483, – Berühmungsaufgabe. 148 Vgl. LG Hamburg v. 19.10.1977, zit. bei Damm/Rehbock, Rz. 573 Fn. 1554. 149 OLG Hamburg v. 15.8.1991 – 3 U 99/91, AfP 1992, 279; v. 12.10.1999 – 7 W 73/99, AfP 2000, 188; OLG Frankfurt v. 20.2.2002 – 23 U 212/01, AfP 2003, 63; OLG Koblenz v. 25.3.2008 – 4 U 1292/07, AfP 2008, 213; v. 27.5.2010 – 4 W 170/10, NJW-RR 2010, 1711; LG Frankfurt/M. v. 20.11.1990 – 2/3 O 356/90, AfP 1991, 545; LG Stuttgart v. 10.4.2003 – 17 O 165/03, AfP 2003, 471; LG Essen v. 12.1.2006 – 4 O 480/05, ZUM-RD 2006, 183; LG Wiesbaden v. 16.9.2009 – 9 O 229/09, AfP 2010, 282; LG München I v. 9.9.2015 – 9 O 15601/14; v. 11.9.2017 – 9 O 11793/17, AfP 2018, 89.
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II. Voraussetzungen des Unterlassungsanspruches
Rz. 36 Kap. 12
Nachfragen bei Vorgesetzten, nicht rechtswidrig150. Die Recherchetätigkeit gehört zum Kernbereich der Presse- und Rundfunkfreiheit151. Erst durch eine möglichst unbehinderte Recherche ist es den Medien möglich, ihrer Berichterstattungsaufgabe nachzukommen. Es würde daher eine für die Medien unerträgliche Belastung und Einschüchterung bedeuten, wenn sie befürchten müssten, bereits aufgrund von Recherchemaßnahmen Unterlassungsansprüchen ausgesetzt zu sein152. Ist aber in einer Redaktion ein fertig formulierter Artikel ausgearbeitet worden, wird die Begehungsgefahr im allgemeinen zu bejahen sein, weil die Ausarbeitung im Zweifel zu Veröffentlichungszwecken erfolgt ist, mag auch die endgültige Entscheidung noch ausstehen. Die Begehungsgefahr besteht hinsichtlich aller Behauptungen, die in dem Manuskript enthalten sind. Zu weitgehend gilt dies nach OLG Hamburg153 auch bereits für ein Rohmanuskript. Im Vorbereitungsstadium ist unübersehbar, welche redaktionellen Veränderungen noch vorgenommen werden könnten. Dass Unrichtigkeiten auf jeden Fall beseitigt werden, ist allerdings ohne vorbeugende Maßnahme keineswegs sicher154. Kann ein vorhandenes Manuskript nicht vorgelegt werden, lässt sich sein Inhalt durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft machen. Aus der Versicherung muss sich aber ergeben, welche Angaben es tatsächlich enthält. Die Versicherung, das Manuskript „vermittelt den Eindruck, ich unterhielte Beziehungen zu östlichen Nachrichtendiensten“, ist eine zur Glaubhaftmachung ungeeignete Wertung155. Zu weitgehend bejahte das LG München I156 die Erstbegehungsgefahr im Falle einer behauptet drohenden Gerichtsberichterstattung schon deswegen, weil über ein vorangehendes Parallelverfahren gegen einen anderen Tatverdächtigen berichtet worden war. Dies obschon der Presseverlag darauf hingewiesen hatte, dass er bis dato von dem anstehenden zweiten Verfahren keine Kenntnis hatte, und der Verlag sich auch nicht berühmte, über den Fall identifizierend berichten zu dürfen. Allein der Umstand, dass der Verlag in einem anderen ähnlichen Fall identifizierend berichtet hat, vermag die konkret darzulegende Gefahr drohender Rechtsverletzung entgegen der Meinung des LG München nicht zu begründen. Anders kann dies zu bewerten sein, wenn aufgrund konkreter Rechercheanfragen zu befürchten ist, dass eine unzulässige identifizierende Berichterstattung droht und der Redakteur trotz mehrfacher Aufforderung auf die Frage, ob eine solche Berichterstattung erfolgen werde, sich hierzu nicht äußert157. Nach Meinung des OLG München158 liegt eine Begehungsgefahr schon vor, wenn ein Film- 36 team gegen den ausdrücklichen Willen eines Rechtsanwaltes in dessen Kanzleiräume eindringt und den Anwalt dabei filmt, wie er sich bemüht, das Filmteam hinauszudrängen. Ebenso wollen Prinz/Peters159 eine Begehungsgefahr immer annehmen, wenn Foto- oder Filmaufnahmen in Privat- oder Geschäftsräumen ohne Einwilligung des Berechtigten gemacht werden. Beiden Meinungen kann nicht gefolgt werden. Sie stehen auch in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH, wonach Filmaufnahmen von Fernsehjournalisten i.d.R. noch keine Be150 OLG Karlsruhe v. 4.8.2006 – 14 U 90/06, AfP 2006, 482. 151 OLG Karlsruhe v. 4.8.2006 – 14 U 90/06, AfP 2006, 482; OLG Koblenz v. 25.3.2008 – 4 U 1292/07, AfP 2008, 213; LG Stuttgart v. 10.4.2003 – 17 O 165/03, AfP 2003, 471. 152 OLG Koblenz v. 25.3.2008 – 4 U 1292/07, AfP 2008, 213; v. 27.5.2010 – 4 W 170/10, NJW-RR 2010, 1711; OLG Frankfurt v. 20.2.2002 – 23 U 212/01, AfP 2003, 63. 153 OLG Hamburg v. 12.10.1999 – 7 W 73/99, AfP 2000, 188. 154 OLG Hamburg, ArchPR 1975, 56. 155 OLG Hamburg v. 5.10.1989 – 3 U 183/89, AfP 1990, 128. 156 LG München v. 30.8.2011 – 9 O 13876/11, ZUM-RD 2011, 705. 157 OLG Koblenz v. 27.5.2010 – 4 W 170/10, NJW-RR 2010, 1711. 158 OLG München v. 30.11.1991 – 21 U 4699/91, AfP 1992, 78, 80. 159 Prinz/Peters, Rz. 331.
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Kap. 12 Rz. 37
Unterlassungsanspruch
gehungsgefahr begründen. Dies gilt grds. auch für unzulässig beschaffte Aufnahmen, da das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem konkreten Beitrag noch nicht bewertet werden kann160. Vor der journalistischen Ausarbeitung und dem Schnitt der Sendung ist der Inhalt nicht zu erkennen161. Bis zu diesem Zeitpunkt ist offen, ob sich der Beitrag kritisch oder positiv zu einzelnen Aspekten äußert, welche Aufnahmen er zeigt und welche Aspekte unerwähnt bleiben. Jedenfalls soweit erklärt wird, eine Berichterstattung erfolge nur in nicht erkennbarer Form, ist die Begehungsgefahr zu verneinen162. Enthält das fertige Sendemanuskript Unzulässiges, liegt Begehungsgefahr vor. Anders, wenn die beanstandeten Passagen nur in einem Drehbuch enthalten sind. Dieses ist weder zur unmittelbaren Veröffentlichung bestimmt, noch kann wie bei einem redaktionsinternen Textentwurf davon ausgegangen werden, dass dessen Inhalt unverändert publiziert wird. Mithin besteht i.d.R. keine konkrete Gefahr der Veröffentlichung der darin enthaltenen Inhalte163. Entsprechendes muss auch für einen von einem Auftragsproduzenten hergestellten Film gelten, der von dem ausstrahlenden Medienunternehmen noch nicht abgenommen wurde164. War der ausstrahlende Sender jedoch in die Produktion einschließlich der Diskussion über die Zulässigkeit bestimmter Passagen eingebunden und hat er sich insofern nicht distanziert, kann dies die Annahme einer Erstbegehungsgefahr rechtfertigen165. Um diese zu verneinen, müsste der Sender jedenfalls Bedenken anbringen und sich eine abschließende Prüfung und Entscheidung bezüglich dieser Passagen vorbehalten. 37
Eine vorbeugende Unterlassungsklage kann auch in Betracht kommen, wenn zwar kein Manuskript vorliegt, aufgrund darzulegender Umstände aber mit einer Berichterstattung zu rechnen ist, die eine Gefährdung von Leben, Gesundheit oder Freiheit bedeutet166. Z.B. hat das LG Hamburg am 19.10.1977 einstweilige Verfügungen erlassen, durch die mehreren Hamburger Presseverlagen für die Dauer einer polizeilichen Nachrichtensperre längstens bis zum 24.10.1977 untersagt worden ist, über die Entführung eines vierjährigen Kindes zu berichten, weil die Kidnapper, die eine Million DM Lösegeld forderten, bei Bekanntwerden des Vorganges mit der Tötung des Jungen gedroht hatten. Am 24.10.1977 sollte über die weiter gehenden Anträge entschieden werden, was sich aber erübrigt hat, weil der Junge bis dahin freigelassen worden war. Ein Anspruch, die Verbreitung persönlicher Daten zu unterlassen, kommt ebenso in Betracht, wenn die Besorgnis besteht, dass die Verbreitung einen von Straftaten bislang verschont gebliebenen Menschen gefährdet. Die Anführung von Verdachtsgründen muss für einen solchen Anspruch ausreichen. Würde ein konkreter Nachweis gefordert, bedeutete dies ein Leerlaufen des Rechtsschutzes. Könnte konkret nachgewiesen werden, welche Verbrechen geplant sind, wären die Täter mutmaßlich längst gefasst. Jedenfalls genügen polizeiliche Erkenntnisse über eine mögliche Personengefährdung167. Erforderlich ist aber, dass eine entsprechende Berichterstattung tatsächlich bevorsteht. Kein Anspruch auf Unterlassung der namentlichen Erwähnung im Zusammenhang mit einer Affäre besteht, wenn nicht gegen den Betroffenen selbst, sondern gegen das Restaurant seines in Paris lebenden Bruders aus ganz anderem Anlass Gewaltakte verübt worden sind und der Betroffene außerdem ei160 BGH v. 21.4.1998 – VI ZR 196/97, MDR 1998, 841 = NJW 1998, 2141; Näheres Kap. 10 Rz. 18. 161 OLG Hamburg v. 12.10.1999 – 7 W 73/99, ZUM 2000, 163. 162 OLG Düsseldorf v. 24.5.2011 – 20 U 39/11, BeckRS 2011, 21498. 163 OLG Hamburg v. 10.4.2007 – 7 U 142/06, AfP 2007, 143 und 146. 164 Vgl. LG Stuttgart v. 10.4.2003 – 17 O 165/03, AfP 2003, 471. 165 OLG Hamburg v. 10.4.2007 – 7 U 143/06, AfP 2007, 146. 166 Vgl. Senfft, NJW 1980, 367. 167 LG München v. 30.8.2011 – 9 O 13876/11, ZUM-RD 2011, 705.
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II. Voraussetzungen des Unterlassungsanspruches
Rz. 39 Kap. 12
nem Massenblatt zu seiner Rolle in der betreffenden Affäre freiwillig ein Interview gegeben hat168. Eine vorbeugende Unterlassungsklage kann ebenso in Betracht kommen, wenn Berichte aus 38 dem Privat-, insbesondere aus dem Intimbereich zu befürchten sind. Z.B. hat das OLG Hamburg einem Illustrierten-Verlag untersagt, die von einem Prinzen anlässlich eines Familientreffens angeblich geäußerten Auffassungen über seine Ehe und etwaige Scheidungsabsichten sowie die dabei aufgetretenen Auseinandersetzungen zum Gegenstand von Presseveröffentlichungen zu machen169. Das LG Hamburg hat dem Unterlassungsantrag einer reichen Erbin entsprochen, darüber zu berichten, dass sie sich alsbald nach der Hochzeit mit einem gelernten Schlachter von ihm scheiden lassen wollte170. Ob die Begehungsgefahr in solchen Fällen aus der bloßen Recherchetätigkeit abgeleitet werden kann, erscheint zweifelhaft. Hinzukommen muss wohl, dass das Blatt sich mit der betreffenden Person bereits befasst hat bzw. dass die Redaktion die Veröffentlichungsabsicht nicht in Abrede stellt. Die bloße Äußerung der Rechtsmeinung, gegen ein etwaiges künftiges Verhalten bestünden keine rechtlichen Bedenken, begründet keine Begehungsgefahr, wenn das eine rein theoretische Erörterung ist171. Eine Begehungsgefahr kann auch vorhanden sein, wenn eine Behauptung, die sich nachträg- 39 lich als unwahr herausstellt, in Wahrnehmung berechtigter Interessen und damit rechtmäßig verbreitet worden ist. In diesem Fall scheidet eine Wiederholungsgefahr mangels erfolgter rechtswidriger Verletzung aus (vgl. Rz. 9). Dass die Behauptung trotz Nachweises der Unwahrheit erneut aufgestellt und/oder verbreitet wird, darf aber nicht ohne weiteres unterstellt werden. Begehungsgefahr besteht nur, wenn dafür Anhaltspunkte vorhanden sind172. Hat ein Telemedium nach Hinweis oder Abmahnung die angegriffene Äußerung gelöscht, fehlen solche auch dann, wenn die Abgabe einer Unterlassungserklärung abgelehnt wird173. Anhaltspunkte können sich aus dem prozessualen Verhalten ergeben. Berühmt sich der Behauptende im Rahmen der Rechtsverteidigung, bestimmte Äußerungen seien wahr, kann daraus die Absicht entnommen werden, er wolle sich auch in Zukunft so äußern. Besteht diese Absicht nicht und soll die Verteidigung nur dem Obsiegen im Prozess dienen, muss der Behauptende dies zweifelsfrei deutlich machen174. Allerdings ist die Tatsache allein, dass sich ein Beklagter gegen die Klage verteidigt und dabei die Auffassung äußert, zu dem beanstandeten Verhalten früher berechtigt gewesen zu sein, nicht als Berühmung zu werten. Wer sich gegen einen Anspruch verteidigt, den er für unbegründet hält, dem kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, er werde selbst eine gerichtliche Entscheidung in der Zukunft nicht beachten175. Ist aus den Erklärungen bei Würdigung der Einzelumstände jedoch die Bereitschaft 168 169 170 171 172
LG München I v. 13.9.1982 – 9 O 16383/82, AfP 1983, 296. OLG Hamburg, ArchPR 1975, 56. Zitiert nach Senfft, NJW 1980, 367. BGH v. 9.4.1987 – I ZR 44/85, MDR 1987, 999 = NJW 1987, 3138, 3139 m.w.N. BVerfG v. 15.12.2008 – 1 BvR 1404/04, BeckRS 2009, 30487; BGH v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = AfP 1987, 597 = NJW 1987, 2225; v. 31.5.2001 – I ZR 106/99, MDR 2002, 106 = NJW-RR 2001, 1483; OLG Hamm v. 15.5.1995 – 13 U 16/95, NJW-RR 1995, 1399; OLG Nürnberg v. 11.6.2002 – 1 U 3939/01, NJW-RR 2002, 1471; OLG Saarbrücken v. 12.2.1997 – 1 U 515/96-87, NJW 1997, 1376, 1377; OLG München v. 12.12.2006 – 18 U 4341/06, AfP 2007, 229; KG v. 7.6.2007 – 10 U 247/06, AfP 2007, 571. 173 OLG Köln v. 23.2.2015 – 15 U 219/14; LG Köln v. 26.11.2014 – 28 O 347/14, AfP 2015, 464. 174 BGH v. 16.1.1992 – I ZR 20/90, MDR 1992, 464 = NJW-RR 1992, 618; v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, AfP 1998, 624, 626 – Möbelklassiker; v. 31.5.2001 – I ZR 106/99, NJW-RR 2001, 1483 – Berühmungsaufgabe; OLG Celle v. 24.4.1996 – 13 U 182/95, WRP 1996, 760. 175 BGH v. 31.5.2001 – I ZR 106/99, MDR 2002, 106 = NJW-RR 2001, 1483, 1484.
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Kap. 12 Rz. 40
Unterlassungsanspruch
zu entnehmen, dass der Betreffende sich unmittelbar oder in naher Zukunft in gleicher Weise verhält, besteht Erstbegehungsgefahr. Ob eine solche tatsächlich vorliegt, richtet sich nach dem Stand der letzten mündlichen Verhandlung. An die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr sind weniger strenge Anforderungen zu stellen. Sie entfällt grundsätzlich mit der Aufgabe der Berühmung. Eine solche liegt jedenfalls in der Abgabe einer einfachen, nicht strafbewehrten Unterlassungserklärung176. Diese genügt auch, wenn eine Behauptung im Zeitpunkt der Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe zwar nicht zu beanstanden ist, jedoch gegen ein im Laufe des Verfahrens in Kraft getretenes Verbot verstößt177. 40
Die Begehungsgefahr ist zu verneinen, wenn zwar in einem vertraulichen Schreiben angedeutet worden ist, auch gegenüber der Presse könnten Angaben gemacht werden, wenn der Beklagte aber darauf nie zurückgekommen ist, sondern im Verfahren frühzeitig erklärt hat, davon Abstand zu nehmen. Eine solche Erklärung muss als ausreichend erachtet werden. Der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bedarf es zwar zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr, nicht aber zur Beseitigung einer bloßen Begehungsgefahr178.
41
Ist die Begehungsgefahr zweifelhaft, weil ungewiss ist, ob und ggf. welche beeinträchtigenden Behauptungen aufgestellt werden sollen, ergibt sich die Frage, ob die Vorlage des Manuskriptes verlangt werden kann. Einen Ansatzpunkt hierfür könnte § 809 BGB bieten, nach dem derjenige, der in Ansehung einer Sache gegen deren Besitzer einen Anspruch hat oder sich Gewissheit verschaffen will, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht, bei vorhandenem Interesse Vorlage der Sache zwecks Besichtigung verlangen kann179. Im Ergebnis ist ein so konstruierter Vorlageanspruch abzulehnen, weil er auf eine Vorzensur hinauslaufen und damit gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG verstoßen würde. Näheres Kap. 15 Rz. 3 ff.
III. Anspruchsberechtigte 42
Der Unterlassungsanspruch steht demjenigen zu, dessen rechtlich geschützte Sphäre durch eine Äußerung bereits verletzt wurde, ebenso demjenigen, der eine Verletzung zu befürchten hat. Die Anspruchsberechtigung hängt von der individuellen Betroffenheit ab. Diese setzt die Erkennbarkeit des Betroffenen voraus. Ist der Betroffene verstorben, ist zu unterscheiden: Werden Ansprüche aufgrund der ideellen Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend gemacht, sind in erster Linie die vom Verstorbenen zu dessen Lebzeiten Berufene und daneben dessen nächste Angehörige legitimiert, den über den Tod hinausreichenden Persönlichkeitsschutz geltend zu machen180. Als Angehörige sind in entsprechender Anwendung des § 22 Satz 3 KUG der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner und die Kinder des Verstorbenen und, wenn solche nicht vorhanden sind, die Eltern anzusehen181. Hat lediglich ein El176 BGH v. 31.5.2001 – I ZR 106/99, MDR 2002, 106 = NJW-RR 2001, 1483, 1485; a.A. Köhler, GRUR 2011, 879 insb. zum Wettbewerbsrecht. 177 BGH v. 30.10.1997 – I ZR 185/95, MDR 1998, 792 = NJW-RR 1998, 693 – Monopräparate. 178 BGH v. 17.12.1969 – I ZR 152/67, GRUR 1970, 465, 467 – Prämixe; vgl. BGH v. 31.5.2001 – I ZR 106/99, MDR 2002, 106 = NJW-RR 2001, 1483. 179 Vgl. RGZ 69, 401, 406. 180 BGH v. 4.6.1974 – VI ZR 68/73, NJW 1974, 1371 – Fiete Schulze; v. 6.10.1989 – V ZR 152/88, MDR 1990, 141 = NJW 1990, 186 – Emil Nolde; v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; OLG Hamburg v. 7.7.1983 – 3 U 7/83, AfP 1983, 466, 468. 181 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1773 – Mephisto; OLG München v. 28.7.1989 – 21 U 2754/88, AfP 1989. 747; OLG Köln v. 24.9.1998 – 15 U 122/98, AfP 1998, 647.
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Burkhardt
III. Anspruchsberechtigte
Rz. 42a Kap. 12
ternteil einer beabsichtigten Berichterstattung nicht zugestimmt, ist dieser anspruchsberechtigt. Einer gemeinschaftlichen Geltendmachung durch beide Elternteile bedarf es in diesem Falle nicht182. Schließlich dürften, wenn auch Eltern nicht mehr vorhanden sind, insoweit auch Geschwister anspruchsberechtigt sein (Näheres Kap. 5 Rz. 113 ff.). Werden Ansprüche wegen Verletzung der vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Verstorbenen geltend gemacht, handelt es sich um einen eigenen Anspruch des Erben183. Dieser ermöglicht jedoch dem Erben nicht, die öffentliche Auseinandersetzung mit Leben und Werk des Verstorbenen zu kontrollieren oder zu steuern184. Auch juristische Personen sind anspruchsberechtigt. Auch diese genießen Ehrschutz185. Sie können sich auch z.B. auf eine Verletzung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen, soweit dieses nicht an Eigenschaften, Äußerungsformen oder Beziehungen anknüpft, die nur natürlichen Personen wesenseigen sind186. Geht es um das Handeln einer natürlichen Person, z.B. des Geschäftsführers einer GmbH, ist grundsätzlich auch er betroffen und anspruchsberechtigt, auch wenn nur die GmbH erwähnt worden ist187. Ebenso kann ein einzelner Gesellschafter von der Kritik an einer GbR selbst betroffen sein188. Die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches im Wege der gewillkürten Prozess- 42a standschaft kommt in Betracht, wenn der Anspruchsteller zur Prozessführung wirksam ermächtigt worden ist189. Bei reinen Persönlichkeitsverletzungen lässt der VI. Senat des BGH keine gewillkürte Prozessstandschaft zu. Dem stehe schon die Unabtretbarkeit des Unterlassungsanspruchs entgegen190. Der I. Senat anerkennt die Möglichkeit der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft, z.B. seitens eines Verbandes zur Förderung gewerblicher Interessen, wenn die geschützte Rechtsposition, z.B. der Gewerbebetrieb, übertragbar ist und mit ihr auch ein aus §§ 823 Abs. 1, 824 BGB folgender Unterlassungsanspruch191. Gleiches gilt, wenn der Rechtsträger die kommerzielle Auswer182 OLG Düsseldorf v. 24.5.2011 – 20 U 39/11, BeckRS 2011, 21498. 183 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 184 BGH v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, CR 2007, 101 = MDR 2007, 417 = ITRB 2007, 57 = AfP 2007, 42 – kinski-klaus.de. 185 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, AfP 2004, 72 = NJW 2002, 3619; BGH v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65 – Erzbistum; v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, CR 2009, 457 = AfP 2009, 137; v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 Rz. 27 – Organentnahme. 186 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 u.a., NJW 2002, 3619, 3622 – Mitgehörtes Telefonat; v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Gen-Milch; BGH v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, MDR 1994, 991 = CR 1994, 396 = NJW 1994, 1281 – Jahresabschluss; v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 – Gen-Milch; v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, CR 2015, 671 = MDR 2015, 1065 = AfP 2015, 425 – recht§billig; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 = GRUR 2015, 289 – Hochleistungsmagneten; v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, CR 2016, 407 = MDR 2016, 391 = AfP 2016, 248 – Nerzquäler; OLG München v. 15.5.1996 – 21 U 2607/96, NJW-RR 1997, 724; KG v. 30.11.1999 – 9 U 8222/99, AfP 2000, 598 = NJW 2000, 2210; OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450; OVG Saarlouis v. 16.12.2010 – 1 A 168/10, BeckRS 2010, 56969; OVG Münster v. 11.12.2012 – 8 A 1024/11, NWVBl 2013, 191. 187 BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 344/91, MDR 1993, 122 = NJW 1993, 930, 931 – Illegaler Fellhandel. 188 OLG Dresden v. 5.5.2015 – 4 U 1676/14, ITRB 2016, 33 = AfP 2016, 157. 189 BGH v. 20.3.1981 – I ZR 10/79, MDR 1981, 992 = WRP 1981, 457, 459 – Preisvergleich; OLG Köln v. 2.8.1983 – 15 U 91/83, AfP 1983, 470. 190 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, MDR 1981, 484 = AfP 1981, 270 = NJW 1981, 1089, 1094 – Der Aufmacher I; ebenso OVG Saarlouis v. 17.10.2013 – 2 A 303/12, NJOZ 2015, 274. 191 BGH v. 17.2.1983 – I ZR 194/80, MDR 1983, 819 = NJW 1983, 1559 – Geldmafiosi.
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Kap. 12 Rz. 43
Unterlassungsanspruch
tung von Namens- oder Bildnisrechten gestatten kann192 und für Ansprüche aus Beeinträchtigung kommerzieller Interessen des postmortalen Persönlichkeitsrechts193. 1. Individuelle Betroffenheit a) Allgemeines 43
Die individuelle Betroffenheit setzt voraus, dass die Darstellung sich mit dem Anspruchsteller als Individuum befasst. Die dafür vorausgesetzte Erkennbarkeit ist im Zweifel nicht nur bei namentlicher Erwähnung, sondern auch bei Erwähnung eines früheren, insbesondere des Geburtsnamens zu bejahen, ebenso bei Nennung eines Pseudonyms, sofern der betreffende Namensträger tatsächlich gemeint ist oder zumindest ein entsprechender Anschein erweckt wird. Die Erkennbarkeit kann auch aus der Anführung individualisierender Merkmale folgen, z.B. Schilderung von Einzelheiten des Lebenslaufes, Nennung von Wohnort, Berufstätigkeit usw.194. Die Erkennbarkeit kann insbesondere zu bejahen sein, wenn zusätzlich zu solchen Umständen der Vorname und der Anfangsbuchstabe des Zunamens genannt wird195. Der Betroffene muss durch die Publikation selbst erkennbar sein196. Zu weitgehend lässt der BGH197 genügen, dass sich der Betroffene „mühelos ermitteln lässt“. Angesichts der Recherchemöglichkeiten des Internets, insbesondere der Präsenz Betroffener in Social Media, sind solche „Ermittlungen“ heute sehr einfach durchzuführen. Würde beispielsweise eine einfache Internetrecherche als „müheloses Ermitteln“ angesehen, wäre allzu häufig von einer Erkennbarkeit auszugehen. Dies obschon der Betroffene erst durch außerhalb der Publikation liegende weitere Informationen bzw. Recherchen erkennbar wird. Dies darf für eine Bejahung der erforderlichen Erkennbarkeit nicht genügen. Im Falle der Illustration reicht es aus, dass der Abgebildete für seine nähere Umgebung erkennbar ist198. Bei Fernsehsendungen kann auch die Ähnlichkeit des Schauspielers von Bedeutung sein. Das OLG Hamburg hat die frühere Ehefrau eines Mörders als Betroffene eines Fernsehfilms angesehen, in dem ihre versuchte Ermordung unter Schilderung der wesentlichen Tatumstände durch eine ihr ähnelnde Schauspielerin verkörpert war199.
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Gegen rechtsverletzende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht kann nur der unmittelbar Verletzte vorgehen, nicht auch derjenige, der lediglich mittelbar belastet ist. Allerdings kann die Betroffenheit auch zu bejahen sein, wenn die Darstellung sich zwar mit den Verhältnissen anderer befasst, wenn sie aber auf die Verhältnisse des Anspruchstellers ausstrahlt. Z.B. kann in der Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Ehefrau eine Beeinträchtigung der Ehre auch des Mannes liegen. Dazu genügt aber nicht jede Beleidigung der Ehefrau. Vielmehr ist erforder192 BGH v. 23.9.1992 – I ZR 251/90, NJW 1993, 919. 193 BGH v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, NJW 1990, 1987; v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 194 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173 – Mephisto; v. 25.11.1999 – 1 BvR 248/98, 1 BvR 755/98, NJW 2000, 1859 – Lebach II; v. 14.7.2004 – 1 BvR 263/03, NJW 2004, 3619; BGH v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564; OLG Dresden v. 5.9.2017 – 4 U 682/17, NJW-RR 2018, 44. 195 BGH v. 5.3.1963 – VI ZR 61/62, NJW 1963, 904 – Drahtzieher; v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564. 196 BVerfG v. 25.11.1999 – 1 BvR 248/98, 1 BvR 755/98, NJW 2000, 1859 – Lebach II; OLG Saarbrücken v. 29.4.2009 – 5 U 465/08-63, AfP 2010, 81. 197 BGH v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564. 198 BGH v. 5.1.1962 – VI ZR 72/61, NJW 1962, 1004 – Doppelmörder. 199 OLG Hamburg, Ufita 74/75, 334, 339 – Mordfall Hanzlicek.
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III. Anspruchsberechtigte
Rz. 44a Kap. 12
lich, dass die Ehrverletzung die eheliche Gemeinschaft in ihrem Wesensgehalt antastet und damit zugleich das Persönlichkeitsbild des Ehemannes mit einem Minderwert belastet, wie dies insbesondere bei Angriffen auf die Geschlechtsehre der Ehefrau angenommen wird. Ebenso hängt es bei der Beleidigung von Kindern vom Vorliegen besonderer Umstände ab, ob darin eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Eltern zu erblicken ist. Abgesehen davon, dass das Kind minderjährig ist und in der Familie lebt oder wenigstens unter dem besonderen Schutz der Eltern steht, wird hierfür gefordert, dass die Äußerung zugleich eine Missachtung der Erziehung durch die Eltern zum Ausdruck bringt oder den Vorwurf der Vernachlässigung der Erziehungspflicht enthält200. Ein Bericht über einen Straftäter kann auch andere Tatbeteiligte oder Angehörige des Täters in ihrem Persönlichkeitsrecht unmittelbar verletzen, wenn ihre eigenen persönlichen Verhältnisse in den Bericht einbezogen werden. Dass ein Dritter sich lediglich betroffen fühlt, z.B. dadurch, dass sein Bruder unter Namensnennung als Straftäter erwähnt wird, reicht nicht aus201. Auch das Persönlichkeitsrecht des Bruders eines Verstorbenen wird im Allgemeinen nicht berührt, wenn jemand behauptet, der Sohn dieses Verstorbenen zu sein202. Auch juristische Personen genießen Ehrenschutz und können sich auf die Verletzung des 44a allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen, soweit dieses nicht an Eigenschaften, Äußerungsformen oder Beziehungen anknüpft, die nur natürlichen Personen wesenseigen sind203. Der Schutz ist mithin gegenüber dem Schutz natürlicher Personen eingeschränkt und nur insoweit gegeben, als die juristische Person aus ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und in ihrer Funktion dieses Schutzes bedürfen204. Das Bundesverfassungsgericht hat bislang offengelassen, ob ein als juristische Person oder Personenhandelsgesellschaft verfasstes Wirtschaftsunternehmen sich auf ein grundrechtlich geschütztes Persönlichkeitsrecht berufen kann, den zivilrechtlichen Schutzanspruch jedoch unbeanstandet gelassen205. Überdies kann sich ein Anspruch aus der Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ergeben206. Neben juristischen Personen können sich auch nicht rechtsfähige Handelsgesellschaften207, nicht rechtsfähige Vereine208 und politische Parteien209 auf den zivilrechtlichen Schutz berufen. 200 201 202 203
204
205 206 207 208 209
BGH, GRUR 1969, 426, 428 – Detektei; BayObLG, MDR 1958, 264. BGH v. 5.4.1980 – VI ZR 76/79, NJW 1980, 1790. LG Bückeburg v. 19.10.1976 – 2 O 221/76, NJW 1977, 1065. BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, AfP 2004, 72 = NJW 2002, 3619, 3622; BGH v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, MDR 2006, 940 = NJW 2006, 830, 841; v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 – Gen-Milch; v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, CR 2016, 407 = MDR 2016, 391 = AfP 2016, 248 – Nerzquäler; v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16 – BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen; OLG München v. 12.12.2006 – 18 U 4341/06, AfP 2007, 229; OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450. BGH v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, MDR 1994, 991 = CR 1994, 396 = AfP 1994, 138 = NJW 1994, 1281; v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, MDR 2005, 507 = AfP 2005, 70 = NJW 2005, 279; v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, NJW 2006, 842; v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, NJW 2009, 1872; OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450. BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Gen-Milch. BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rz. 9; v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 Rz. 13; v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen; OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 4 U 182/14, AfP 2015, 450; Näheres Kap. 5 Rz. 242. BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, NJW 1980, 2807, 2808 – Medizin-Syndikat I. BGH v. 18.5.1971 – VI ZR 220/69, GRUR 1971, 591 – Sabotage. OLG München v. 26.4.1996 – 21 U 5435/95, NJW 1996, 2515; OLG Stuttgart v. 9.5.2013 – 4 U 163/12, NJW-RR 2014, 487.
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Kap. 12 Rz. 45
Unterlassungsanspruch
45
Ehrenrührige Aussagen über Betriebsangehörige können auch das Unternehmen negativ kennzeichnen, insbesondere Negativbehauptungen über Führungskräfte, die die betrieblichen Verhältnisse maßgeblich mitgestalten. In dem Fall steht dem Unternehmen ein eigener Anspruch zu210. Das setzt aber voraus, dass die Äußerung als Kritik an dem Unternehmen aufzufassen und die Gesellschaft selbst betroffen ist. Ob das zutrifft, lässt sich nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles anhand der Verkehrsanschauung feststellen. Entscheidend kann sein, ob der Gesellschafter oder Betriebsangehörige in dieser Eigenschaft oder wegen Tätigkeiten angegriffen werden, mit denen auch die Gesellschaft identifiziert wird211. Durch die Behauptung, die Dressurausbildung eines bei einem Reitverein tätigen Reitlehrers sei Tierquälerei, ist auch der Verein betroffen, wenn der Eindruck entsteht, er habe unterlassen, solche unreiterlichen Methoden zu unterbinden212. Wird ein Geschäftsführer als „krimineller Kopf“ einer Unternehmensgruppe zugeordnet, ist auch das Unternehmen betroffen213.
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Einen umfassenden Ehrenschutz für Mitarbeiter, Gesellschafter oder Mitglieder kann eine Handelsgesellschaft bzw. ein Verein nicht für sich in Anspruch nehmen214. Jedoch kann umgekehrt ein einzelner Gesellschafter von der Kritik an einer GbR selbst betroffen sein215. Wird über das Verhalten von Teilnehmern einer Veranstaltung berichtet, ist der Veranstalter selbst hiervon nicht ohne Weiteres betroffen. Davon kann i.d.R. nur ausgegangen werden, wenn Gegenstand der Äußerung das Verhalten von Führungspersönlichkeiten oder des Veranstalters selbst sind. Das OLG Stuttgart hat daher die Betroffenheit einer politischen Partei hinsichtlich einer Berichterstattung über Ausschreitungen anlässlich einer Kundgebung verneint. Die Verwendung der Bezeichnung „NPD-Chaoten“ führt nicht notwendig zu einer Betroffenheit der Partei selbst216. Auch einem Wirtschaftsverband steht kein eigener Unterlassungsanspruch wegen Behauptungen zu, die seine Mitglieder betreffen217, falls der Verband nicht auch selbst betroffen ist218. Die Betroffenheit eines Unternehmens kann zu bejahen sein, wenn Vorwürfe gegen ausgeschiedene Mitarbeiter erhoben werden, wenn der verstorbene Firmengründer beschimpft wird usw. Voraussetzung dafür ist, dass es sich nicht lediglich um historische Betrachtungen handelt, sondern das Unternehmen durch solche Kritik aktuell beeinträchtigt wird, z.B. im Auslandsgeschäft, etwa mit Israel, wenn dem Firmengründer fälschlich unterstellt wird, Antisemit gewesen zu sein. Ob der Persönlichkeitsschutz des Verstorbenen bereits untergegangen ist, bleibt in diesem Fall grundsätzlich außer Betracht. Beschäftigt sich ein Beitrag mit einem allgemeinen Thema, ohne einen Verband oder dessen eigene Tätigkeit zu nennen, ist der Verband auch dann nicht betroffen, wenn er auf diesem Gebiet, z.B. Verhinderung von Doping im Spitzensport, tätig ist219. 210 BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, GRUR 1976, 210 – Geist von Oberzell; vgl. auch BGH, GRUR 1975, 208 – Deutschlandstiftung. 211 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = GRUR 1980, 1090, 1092 – Medizin-Syndikat I. 212 BGH, Ufita 40/1963, 186, 188 – Tierfabel. 213 OLG Koblenz v. 19.1.2017 – 6 U 135/16, BeckRS 2017, 105693. 214 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = GRUR 1980, 1090, 1092 – Medizin-Syndikat I; für Mitglieder des Gemeinderats, OVG Saarlouis v. 17.10.2013 – 2 A 303/12, BeckRS 2013, 57400. 215 OLG Dresden v. 5.5.2015 – 4 U 1676/14, ITRB 2016, 33 = AfP 2016, 157. 216 OLG Stuttgart v. 9.5.2013 – 4 U 163/12, NJW-RR 2014, 487. 217 BGH v. 17.2.1983 – I ZR 194/80, MDR 1983, 819 = NJW 1983, 1559; OLG Köln v. 2.8.1983 – 15 U 91/83, AfP 1983, 470. 218 Vgl. dazu BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie. 219 OLG Hamburg v. 21.10.2008 – 7 U 51/08, AfP 2008, 632.
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III. Anspruchsberechtigte
Rz. 49 Kap. 12
Betrifft die Äußerung einen Verstorbenen, ist zu berücksichtigen, dass zwar das Persönlich- 47 keitsrecht mit dem Tode endet, nicht aber der Schutz der Menschenwürde220. Zur Wahrnehmung der ideellen Interessen des Verstorbenen ist in erster Linie der vom Verstorbenen zu Lebzeiten dazu Ermächtigte berufen, sodann die Angehörigen221 nach dem Grad ihrer Verbindung. Dazu kann einerseits auf die Regelung des § 22 Satz 4 KUG (s. Rz. 42) und andererseits auf das Strafantragsrecht in § 77 Abs. 2 StGB zurückgegriffen werden, das nach § 194 StGB auch bei Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener eingreift. Das Strafantragsrechtgeht nach dem Tod des Verletzten auf den Ehepartner(in) und die Kinder über, sonst auf die Eltern und, wenn diese verstorben sind, auf Geschwister und Enkel. Diese Rangordnung kann für die zivilrechtliche Anspruchs- und Klagebefugnis einen Anhaltspunkt liefern222. Allerdings wird vorrangig ein etwa zum Ausdruck gekommener Wille des Verstorbenen zu beachten sein, insbesondere eine Ermächtigung223. Hat der Verstorbene niemanden ermächtigt, schließt die Existenz eines vorrangigen Angehörigen die Anspruchsund Klagebefugnis eines nachrangigen i.d.R. aus. Unabhängig von der Rangfolge setzt die Anspruchs- und Klagebefugnis ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis des Wahrnehmungsberechtigten voraus224. Zur Geltendmachung der vermögenswerten Befugnisse des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind allein die Erben berufen. Diese müssen mit den zur Wahrnehmung der ideellen Interessen Berufenen nicht identisch sein. Soweit durch eine Handlung beide Interessensphären tangiert sind, ist jeder Wahrnehmungsberechtigte zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs berechtigt225. Aus der Betroffenheit hinsichtlich einzelner Behauptungen folgt nicht zwingend, dass die 48 Gesamtdarstellung sich auf den Anspruchsteller bezieht. Wird z.B. im Rahmen einer kritischen Sendung über wirtschaftliche Vorgänge der Firmenname des Klägers nur bei einem Beispiel erwähnt, besagt das nicht ohne weiteres, dass die weiteren Beispiele ebenfalls dessen Unternehmen betreffen. Eine sachliche Berichterstattung macht deswegen nicht unbedingt die Erläuterung erforderlich, dass mit den weiteren Beispielen andere gemeint sind226. b) Betroffenheit öffentlicher Institutionen Individuell betroffen und anspruchsberechtigt können nicht nur natürliche und juristische 49 Personen des Privatrechts sein227, sondern auch juristische Personen des öffentlichen Rechts. Diese sind indes nicht Träger von Grundrechten und können sich daher grundsätzlich nicht auf ein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen. Allerdings sind auch sie beleidigungs-
220 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645, 1647 – Mephisto; v. 25.8.2000 – 1 BvR 2707/95, NJW 2001, 594 – Willy-Brandt-Gedächtnismünze; v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, NJW 2001, 2957 – Kaisen; BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1773 – Mephisto; v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 221 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195, 2199 – Marlene Dietrich. 222 LG Bückeburg v. 19.10.1976 – 2 O 221/76, NJW 1977, 1065; Hubmann, S. 247; a.A. May, NJW 1958, 2102; Westermann, FamRZ 1969, 569. 223 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195, 2199 – Marlene Dietrich; vgl. § 77 Abs. 2 Satz 4 StGB. 224 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1773. 225 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, AfP 2000, 356 = MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; Näheres s. Kap. 5 Rz. 113 ff. 226 BGH v. 14.1.1969 – VI ZR 196/67, GRUR 1969, 304, 306 – Kredithaie. 227 Vgl. BGH v. 26.10.1953 – I ZR 156/52, NJW 1954, 72; s. Rz. 44a.
Burkhardt 1049
Kap. 12 Rz. 49
Unterlassungsanspruch
fähig228, auch wenn sie sich nicht auf einen persönlichen Ehrschutz berufen können. Es steht ihnen aber ein zivilrechtlicher Ehrenschutz zu, der grds. einen Unterlassungsanspruch nach §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB, 185 ff. StGB begründen kann229. Richtiger Auffassung nach sind allerdings die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesländer auf den strafrechtlichen Ehrschutz nach § 90a StBG beschränkt (oben Peifer, Kap. 5 Rz. 126)230. Dem gegenüber gewährt eine verbreitete Ansicht der Rechtsprechung auch diesen einen zivilrechtlichen Ehrenschutz231. Erforderlich ist aber, dass die Äußerung geeignet ist, die Behörde schwerwiegend in ihrer Funktion zu beeinträchtigen232. Dies war nach Ansicht des BGH bei einem Bericht über behauptete Fahndungsmaßnahmen nach einem Leck beim Bundeskriminalamt durch gezieltes Lancieren manipulierter streng geheimer Dossiers ohne Rücksicht auf ausländische Dienste der Fall, da dadurch insbesondere die ordnungsgemäße Zusammenarbeit mit anderen ausländischen Diensten bei der internationalen Verbrechensbekämpfung gefährdet worden sei233. Werden in einem Beitrag Äußerungen nicht angegriffen, obschon diese im Grunde denselben Vorwurf enthalten, wie die angegriffenen Äußerungen, fehlt es an einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit und Integrität234. Allerdings dürfte ein zivilrechtlicher Anspruch wegen der gesteigerten Bedeutung des § 193 StGB bei sachbezogener öffentlicher Kritik gegenüber staatlichen Einrichtungen zumeist ohnehin ausscheiden235. Handelt es sich um ein auf die Erzielung von Einnahmen angewiesenes, mehrheitlich staatseigenes Wirtschaftsunternehmen, z.B. Bundesbahn236, sind die allgemeinen Grundsätze anzuwenden, soweit es nicht speziell um staatliche oder politische Einflussnahme geht. Eine nicht rechtsfähige Behörde wie z.B. ein Arbeitsamt kann keinen Anspruch geltend machen. Anspruchsberechtigt ist nur die übergeordnete juristische Person237. Die Kritik an der Amtsführung eines Beamten, insbesondere Behördenleiters, betrifft i.d.R. daneben die Behörde selbst238 und kann auch die vorgesetzte bzw. aufsichtführende Dienststelle betreffen, wenn die Stoßrichtung
228 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = AfP 1996, 50 = NJW 1995, 3303, 3304; BGH v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65 – Erzbistum. 229 BGH v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65 – Erzbistum; v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, MDR 2008, 916 = AfP 2008, 381; v. 2.12.2008 – VI ZR 219/06, ITRB 2009, 128 = AfP 2009, 55; KG v. 12.1.2010 – 9 W 259/09, AfP 2010, 85; OLG Köln v. 31.7.2012 – 15 U 13/12, BeckRS 2012, 23546; LG Hamburg v. 21.1.2011 – 324 O 274/10, ZUM-RD 2011, 511; v. 8.3.2013 – 324 S 6/12, ZUM 2013, 972. 230 Soehring/Hoene, § 13 Rz. 19; Prinz/Peters, Rz. 141. 231 BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, MDR 2008, 916 = AfP 2008, 381; v. 2.12.2008 – VI ZR 219/06, ITRB 2009, 128 = AfP 2009, 55; KG v. 12.1.2010 – 9 W 259/09, AfP 2010, 85; OLG Köln v. 31.7.2012 – 15 U 13/12, BeckRS 2012, 23546. 232 BerlVerfGH v. 20.8.2008 – 22/08, NJW 2008, 3491; BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, MDR 2008, 916 = AfP 2008, 381; KG v. 12.1.2010 – 9 W 259/09, AfP 2010, 85; OLG Köln v. 31.7.2012 – 15 U 13/12, BeckRS 2012, 23546; KG v. 23.3.2017 – 10 U 167/15; LG Hamburg v. 21.1.2011 – 324 O 274/10, ZUM-RD 2011, 511; v. 8.3.2013 – 324 S 6/12, ZUM 2013, 972. 233 BGH v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, MDR 2008, 916 = AfP 2008, 381. 234 KG, Hinweisbeschluss v. 23.3.2017 – 10 U 167/15, n.v. 235 Vgl. LG Hamburg v. 8.3.2013 – 324 S 6/12, ZUM 2013, 972; Kap. 5 Rz. 126. 236 Bereits vor der Privatisierung: BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, MDR 1984, 566 = AfP 1984, 101 = NJW 1984, 1607 – Bundesbahnplanungsvorhaben. 237 BGH v. 16.11.1982 – IV ZR 122/80, NJW 1983, 1183 – Vetternwirtschaft; v. 22.4.2008 – VI ZR 83/07, AfP 2008, 381. 238 OLG München v. 29.6.2001 – 21 U 2877/01, AfP 2001, 404, 405.
1050
Burkhardt
III. Anspruchsberechtigte
Rz. 52 Kap. 12
gegen die Ämterführung im Allgemeinen gerichtet ist239. Trifft der Vorwurf allein einen Beamten, kann nur dieser Unterlassung fordern240. Eine nur reflexartige Auswirkung auf die Behörde reicht für deren Betroffenheit nicht aus241. Das dem Dienstvorgesetzten durch § 194 Abs. 3 Satz 1 StGB eingeräumte Strafantragsrecht begründet für Unterlassungsansprüche keine Aktivlegitimation242. Nach Ansicht des KG243 gelten diese Grundsätze auch für öffentlich-rechtlich verfasste Religionsgemeinschaften. Die Beschränkungen gelten jedoch nicht für politische Parteien244. Ein Ausscheiden deliktischer Ansprüche schließt einen Gegendarstellungsanspruch nicht aus. 50 Auch die Bundesrepublik, die Länder und ihre staatlichen Einrichtungen sind ebenso wie kommunale Behörden „Person“ bzw. „Stelle“ i.S.d. Gegendarstellungsrechts (Näheres Kap. 11 Rz. 53 ff.). c) Betroffenheit Gruppenangehöriger Wird eine Gruppe angesprochen, z.B. die Gruppe der Autofahrer, Raucher usw., sind die An- 51 gehörigen im Allgemeinen nicht als betroffen anzusehen. Die Strafrechtsprechung, nach der jeder einzelne Gruppenangehörige als beleidigt gilt, wenn eine deutlich abgegrenzte Gruppe unter einer Kollektivbezeichnung angesprochen wird245, kann auf das Zivilrecht nicht unmittelbar übertragen werden. Betroffen kann nur sein, wer tatsächlich persönlich gemeint ist. Er muss Ziel der Äußerung sein246. Je größer die Gruppe, desto eher ist der Einzelne nicht betroffen. Kritisiert die Bundesgesundheitsministerin einen bundesweiten Protesttag niedergelassener Ärzte, an dem ca. 40 000 Ärzte teilgenommen hatten, mit den Worten „Mich ärgert vielleicht, wenn Patienten oder kranke Menschen in Geiselhaft genommen werden für Forderungen nach mehr Geld“, ist ein an der Aktion teilnehmender Arzt von der Äußerung nicht betroffen247. Allerdings hat der BGH anerkannt248, dass es eine Beleidigung jedes einzelnen Menschen jüdischer Abstammung ist, das Verfolgungsschicksal der Juden während der Nazizeit zu leugnen. Betroffen sind auch erst nach 1945 geborene Personen, wenn sie im „Dritten Reich“ als Juden verfolgt worden wären. Problematisch ist die Behandlung einer Kritik an Waren. Bezieht die Darstellung sich auf 52 eine Warengattung, sind die Hersteller im Allgemeinen nicht als betroffen anzusehen. Es fehlt die vom BGH geforderte „enge Beziehung“ der Äußerung zu den Verhältnissen des Be239 „Leiter des Arbeitsamtes verschleudert öffentliche Gelder durch Günstlings- und Vetternwirtschaft“. 240 OLG Köln v. 31.7.2012 – 15 U 13/12, BeckRS 2012, 23546. 241 OLG Köln v. 31.7.2012 – 15 U 13/12, BeckRS 2012, 23546. 242 BGH v. 16.11.1982 – IV ZR 122/80, NJW 1983, 1183; OVG Saarlouis v. 17.10.2013 – 2 A 303/12, NJOZ 2015, 274. 243 KG, Hinweisbeschluss v. 23.3.2017 – 10 U 167/15, n.v.; offengelassen in BGH v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65 – Erzbistum. 244 OLG Stuttgart v. 9.5.2013 – 4 U 163/12, NJW-RR 2014, 487. 245 BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, MDR 1996, 82 = NJW 1995, 3303; v. 26.2.2015 – 1 BvR 1036/14, IPRB 2015, 175 = NJW 2015, 2022; v. 17.5.2016 – 1 BvR 2150/14, NJW 2016, 2643 Rz. 12 – „all cops are bastards“ II; v. 17.5.2016 – 1 BvR 257/14, AfP 2017, 44 Rz. 12 – „all cops are bastards“ I; BGHSt 2, 38; BGHSt 11, 207; BGHSt 16, 57; v. 25.7.1963 – 3 StR 4/63, NJW 1963, 2034. 246 MünchKomm/Rixecker, Anh. § 12 BGB Rz. 20. 247 OLG Karlsruhe v. 13.4.2007 – 14 U 11/07, AfP 2007, 246. 248 BGH v. 18.9.1979 – VI ZR 140/78, MDR 1980, 134 = NJW 1980, 45.
Burkhardt 1051
Kap. 12 Rz. 53
Unterlassungsanspruch
troffenen. Z.B. hat der BGH die Klage eines Herstellers elektronischer Orgeln abgewiesen, die gegen einen Bericht gerichtet war, der systemvergleichend kritische Anmerkungen über die Eignung solcher Orgeln für den Kirchengebrauch enthalten hat249. Auch eine kritisierende Berichterstattung über Gesundheitsgefahren von Wasserspendern begründet keine individuelle Betroffenheit der in einem Branchenverband zusammengeschlossenen Hersteller250. Etwas anderes kann gelten, wenn der Hersteller über einen sehr hohen Marktanteil verfügt, so dass die Darstellung als Kritik hauptsächlich an seiner Leistung aufzufassen ist251. Händler sind im Allgemeinen nicht als betroffen anzusehen, wenn Produkte ihres Sortimentes kritisiert werden. Auch die Klage eines Gebrauchtwagenhändlers ist abgewiesen worden, der sich durch unrichtige Angaben über die Preise für gebrauchte Goggo-mobile beschwert fühlte252. Ebenso ist die unmittelbare Betroffenheit bei einem Branchenverband zu verneinen, der sich gegen negative Kritik über die von ihm repräsentierte Branche wendet253. Diese wäre nur zu bejahen, wenn die beanstandeten Äußerungen ihn selbst in seinem Ruf oder in seinem Funktionsbereich beeinträchtigen254. Ebenso ist die unmittelbare Betroffenheit bei einem Branchenverband zu verneinen, der sich gegen negative Kritik über die von ihm repräsentierte Branche wendet255. Diese wäre nur zu bejahen, wenn die beanstandeten Äußerungen ihn selbst in seinem Ruf oder in seinem Funktionsbereich beeinträchtigen256. Wird ein Produkt eines bestimmten Herstellers kritisiert, wie z.B. „Gen-Milch, … oder was?“, „Echt lecker – geht nur ohne Gen-Milch, Herr Müller“ ist das Unternehmen unmittelbar betroffen257. 53
Eine andere Beurteilung kann gerechtfertigt sein, wenn die Kritik nicht Waren, sondern Leistungen betrifft, z.B. Versicherungsleistungen. Der Unterschied besteht darin, dass es sich dabei um die Tätigkeit von Unternehmen handelt. Wird z.B. behauptet, bei den Bausparkassen hätten die Zuteilungszeiten sich erheblich verlängert, dadurch seien sie zu Bremsklötzen der Baukonjunktur geworden, ist nicht einzusehen, aus welchem Grunde Bausparkassen, auf die das nicht zutrifft, kein Rechtsschutz zur Seite stehen sollte (Näheres Rz. 44). 2. Erkennbarkeit
54
Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche individuelle Betroffenheit setzt voraus, dass die streitige Darstellung den Betroffenen erkennen lässt. Bei Namensnennung ist die Erkennbarkeit im Zweifel auch zu bejahen, wenn der Name in verballhornter Form erscheint258. Wird kein oder ein anderer Name genannt, hängt die Erkennbarkeit davon ab, ob die gemeinte
249 BGH v. 2.7.1963 – VI ZR 251/62, NJW 1963, 1871. 250 LG Frankfurt/M. v. 8.5.2014 – 2-03 O 500/13, AfP 2014, 365. 251 OLG Köln v. 6.11.2012 – I-15 U 221/11, GesR 2013, 532; zweifelnd OLG Stuttgart, JZ 1961, 380, betreffend einen Hersteller von Leuchtskalenwaagen mit einem Marktanteil von 80 %. 252 BGH v. 13.10.1964 – VI ZR 130/63, NJW 1965, 36 – Marktbericht. 253 LG Frankfurt/M. v. 8.5.2014 – 2-03 O 500/13, AfP 2014, 365. 254 Vgl. BGH v. 5.2.1980 – VI ZR 174/78, MDR 1980, 481 = NJW 1980, 1685; LG Frankfurt/M. v. 8.5.2014 – 2-03 O 500/13, AfP 2014, 365. 255 LG Frankfurt/M. v. 8.5.2014 – 2-03 O 500/13, AfP 2014, 365. 256 Vgl. BGH v. 5.2.1980 – VI ZR 174/78, MDR 1980, 481 = NJW 1980, 1685; LG Frankfurt/M. v. 8.5.2014 – 2-03 O 500/13, AfP 2014, 365. 257 BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Gen-Milch; BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 – Gen-Milch. 258 BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, GRUR 1976, 210 – Geist von Oberzell.
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Burkhardt
III. Anspruchsberechtigte
Rz. 56 Kap. 12
Person aufgrund sonstiger Umstände identifizierbar ist259. Ausreichend ist, dass der Betroffene zumindest für interessierte Kreise, z.B. auch den weiteren Bekanntenkreis, erkennbar ist260. Das kann der Fall sein, wenn die Position des Betreffenden genannt wird, z.B. der Leiter einer ganz bestimmten Redaktion261, oder eine bestimmte Tätigkeit, z.B. der Architekt eines bestimmten Gebäudes262 oder ein Facharzt unter Angabe des Praxissitzes263. Bei einer verschlüsselten Darstellung, z.B. bei der Schilderung angeblicher Missstände bei der Dressur von Pferden im Rahmen einer Tierfabel, kommt es darauf an, ob zumindest ein Teil der Leser zur Entschlüsselung in der Lage ist, z.B. aufgrund von Anspielungen, die konkrete Hinweise enthalten264. Dies ist bei der Bezeichnung „Würzburger Anwalt“ der Fall, wenn zugleich weitere individualisierende Angaben mitgeteilt werden, wie dass der erwähnte Anwalt nach einer Karriere als Staatsanwalt gegen seinen Willen aus dem bayerischen Staatsdienst entlassen worden ist und seine Wiedereinstellung seit einigen Jahren betreibt265. Wird ein Mitglied einer Gruppe ohne Namensnennung angesprochen, hängt die Erkenn- 55 barkeit u.a. von der Größe des Kreises der möglicherweise Betroffenen ab, ferner von der namentlichen Bekanntheit oder leichten Feststellbarkeit der Gruppenmitglieder. Heißt es z.B., ein bayerischer Minister sei Kunde eines Callgirl-Ringes gewesen, kann sich jeder bayerische Minister als betroffen fühlen, falls sich nicht aus sonstigen Umständen ergibt, auf wen der Angriff zielt266. Entsprechendes gilt bei der Behauptung, zwei Mitglieder der FDPFraktion seien der Unterstützung einer geplanten kommunistischen Wochenzeitschrift beschuldigt worden267. Bezieht die Darstellung sich zwar auf eine bestimmte Person, lässt sie sich aber nicht iden- 56 tifizieren, ist die Betroffenheit zu verneinen. Wird z.B. behauptet, ein 25-jähriger Hilfsarbeiter sei wegen eines Autodiebstahls festgenommen worden, ist niemand erkennbar und folglich keiner betroffen268. Auch bei einem Bericht über einen aus Berlin stammenden Seemann, der sich zur Zeit der in Bremen erschienenen Berichterstattung auf See befunden hat, ist angenommen worden, er sei in Bremen nicht bekannt, weswegen der Artikel nicht auf ihn bezogen werde269. Heißt es, nach Auskunft einer Privatschule seien z.B. sieben Schüler von insgesamt 800 entlassen worden, davon sechs, weil sich ihre Eltern offen zu Scientology bekannt hätten, einer, weil sich der Vater nicht klar ausgesprochen habe, fehlt es grundsätzlich an der Erkennbarkeit. Dies jedenfalls, wenn die Schule die Nennung von Namen oder sonstiger individualisierender Merkmale verweigert. Die Schülerzahl ist zu groß, um jeden Schüler bzw. sämtliche Eltern und damit auch die fraglichen sieben bzw. sechs plus eins als betroffen zu bezeichnen. Das gilt jedenfalls, wenn die Entlassung zu Ende des Schuljahres erfolgt. Der Neuanfang in einer anderen Schule kann die unterschiedlichsten Gründe haben. 259 BVerfG v. 14.7.2004 – 1 BvR 263/03, NJW 2004, 3619; BGH v. 8.12.1959 – 2 StR 486/59, BGHSt 14, 48; v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, NJW 1992, 1312. 260 BVerfG v. 14.7.2004 – 1 BvR 263/03, NJW 2004, 3619; BGH v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464 – Esra; OLG Karlsruhe v. 14.10.2011 – 14 U 56/11, ZUM 2012, 490; OLG Celle v. 13.5.2015 – 13 U 177/14, AfP 2015, 438. 261 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366 – Wallraff II. 262 OLG Hamburg, ArchPR 1970, 79. 263 OLG Celle v. 13.5.2015 – 13 U 177/14, AfP 2015, 438. 264 BGH, Ufita 49/1963, 186, 188 – Tierfabel. 265 BVerfG v. 14.7.2004 – 1 BvR 263/03, NJW 2004, 3619. 266 BGH v. 18.2.1964 – 1 StR 572/63, BGHSt 19, 235 – Callgirl. 267 BGH v. 8.12.1959 – 2 StR 486/59, BGHSt 14, 48. 268 Vgl. Geier, Anm. zu BGH, LM § 186 StGB Nr. 12. 269 LG Bremen, ArchPR 1975, 46.
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Kap. 12 Rz. 57
Unterlassungsanspruch
Gleichwohl könnte z.B. ein Vater ein natürliches Interesse daran haben, den aus seiner Sicht möglicherweise ganz anderen Sachverhalt innerhalb seines Kreises und evtl. auch in einer namentlich gezeichneten Gegendarstellung bzw. in einem Leserbrief darzustellen. Damit ergibt sich die Frage, ob eine solche selbstverursachte nachträgliche Aufhebung der Anonymität eine Betroffenheit und damit einen evtl. Anspruch begründet. Richtiger Auffassung nach ist das jedenfalls zu bejahen, wenn der erkennbar Gewordene einer verbreiteten Unwahrheit entgegentreten will, z.B. er habe sich nicht zu Scientology bekannt bzw. er habe sich nicht unklar ausgedrückt. 3. Mehrheit von Anspruchsberechtigten 57
Sind durch ein und dieselbe Behauptung mehrere betroffen, steht jedem Betroffenen ein selbständig einklagbarer Anspruch zu. Für mehrere Klagen kann auch ein Rechtsschutzbedürfnis vorhanden sein, insbesondere wenn für den einen Kläger ungewiss ist, ob dem anderen die etwa erforderlichen Beweismittel zur Verfügung stehen, ob er das Verfahren überhaupt weiter betreiben wird usw.270 Für eine Vielzahl von Klagen fehlt i.d.R. das Rechtsschutzbedürfnis271. Im Übrigen beseitigt ein endgültiger Titel richtiger Auffassung nach im Zweifel die Wiederholungsgefahr272.
IV. Anspruchsverpflichtete 1. Haftung des Behauptenden und der Verbreiter 58
Auf Unterlassung kann grundsätzlich jeder Störer in Anspruch genommen werden. Störer ist ohne Rücksicht auf Verschulden jeder, der die Störung herbeigeführt hat oder dessen Verhalten eine Beeinträchtigung befürchten lässt. Sind an der Störung mehrere beteiligt, kommt es auf Art und Umfang des Tatbeitrages und auf das Interesse des einzelnen Beteiligten an der Verwirklichung der Störung grundsätzlich nicht an, auch nicht darauf, ob er Täter oder bloßer Gehilfe ist273. Notwendig ist jedoch eine willentlich und adäquat kausale Mitwirkung an der rechtswidrigen Beeinträchtigung274. Der VI. Zivilsenat des BGH hält an der Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Störer fest275. Unmittelbarer Störer ist der Äu-
270 Zur vergleichbaren wettbewerbsrechtlichen Situation vgl. BGH v. 17.1.2002 – I ZR 241/99, NJW 2002, 1494 – Mehrfachabmahnung; v. 5.10.2000 – I ZR 237/98, NJW 2001, 371 – Vielfachabmahner. 271 A.A. OLG Düsseldorf v. 26.1.1972 – 10 W 159/71, MDR 1972, 522, betreffend die Mehrkosten von 26 Parallelverfahren. 272 A.A. KG v. 13.5.1983 – 5 U 2155/82, WRP 1984, 68, das die vom BGH in der Entscheidung v. 2.12.1982 – I ZR 121/80, MDR 1983, 558 = GRUR 1983, 186 zur wiederholten Unterwerfung entwickelten Grundsätze auf den Fall der Verurteilung nicht übertragen will. 273 BGH, GRUR 1957, 352; v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494. 274 BGH v. 10.10.1996 – I ZR 129/94, MDR 1997, 677 = NJW 1997, 2180; v. 10.4.1997 – I ZR 3/95, NJW-RR 1997, 1468, 1469; v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, AfP 1998, 624 – Möbelklassiker; v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = AfP 2009, 494; v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = AfP 2012, 50. 275 Zu den unterschiedlichen Störerbegriffen des I. Zivilsenats (vgl. v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, NJW-RR 2014, 1382) und des VI. Zivilsenats des BGH s. v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, AfP 2013, 260 – „Autocomplete“-Funktion; v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, AfP 2015, 36 – Chefjustiziar; v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, CR 2015, 671 = MDR 2015, 1065 = AfP 2015, 425 – recht§billig; v.
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IV. Anspruchsverpflichtete
Rz. 58 Kap. 12
ßernde selbst. Ebenso derjenige, der sich Äußerungen Dritter zu eigen macht276. Für eine mittelbare Störereigenschaft genügt als Mitwirkung schon die Unterstützung oder die Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten, sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte277. Nicht erforderlich ist die Kenntnis der die Tatbestandmäßigkeit und Rechtswidrigkeit begründenden Umstände278. Allerdings darf die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte ausgedehnt werden, die nicht selbst den Eingriff vorgenommen haben. Sie setzt daher eine Verletzung von Verhaltenspflichten, insbesondere bestehender Prüfungspflichten voraus. Art und Umfang der Prüfungspflichten bestimmen sich danach, ob und inwieweit dem Störer nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist279. Dies bedarf einer Abwägung. Eine Störerhaftung scheidet z.B. bei einem Hostprovider aus, wenn der Hinweis auf die Rechtsverletzung nicht hinreichend konkret ist, so dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptungen des Betroffenen unschwer beurteilt werden kann280. Demgegenüber löst ein konkreter Hinweis weitere Prüfungspflichten aus, die vom Provider zu erfüllen sind, will er eine eigene Störerhaftung vermeiden281. Dies gilt grundsätzlich auch für Suchmaschinen. An deren Prüfpflichten sind jedoch geringere Anforderungen zu stellen, da die Suchmaschinenbetreiber in keine rechtlichen Verhältnis zu den Verfassern der in der Ergebnisliste nachgewiesenen Inhalte stehen282. Einen Verleger trifft beim Abdruck von Interviewäußerungen ebenso nur eine ein-
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27.2.2018 – VI ZR 489/16, GRUR 2018, 642 Rz. 27 – Internet-Suchmaschine; von Pentz, AfP 2014, 8, 16; AfP 2016, 101, 108. BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135; v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, CR 2015, 671 = MDR 2015, 1065 = AfP 2015, 425 – recht§billig; v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 253; v. 27.2.2018 – VI ZR 489/16, GRUR 2018, 642 Rz. 28 f. – Internet-Suchmaschine. BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494; v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, CR 2015, 671 = MDR 2015, 1065 = AfP 2015, 425 – recht§billig; v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 253; v. 27.2.2018 – VI ZR 489/16, GRUR 2018, 642 Rz. 31. – Internet-Suchmaschine. BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494; v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, CR 2013, 459 = MDR 2013, 710 = ITRB 2013, 150 = AfP 2013, 260 – GoogleAutocomplete. BGH v. 11.3.2004 – I ZR 304/01, MDR 2004, 1369 = CR 2004, 763 m. Anm. Volkmann = ITRB 2005, 127 = NJW 2004, 3102 – Internet-Versteigerung; v. 19.4.2007 – I ZR 35/04, CR 2007, 523 m. Anm. Rössel = MDR 2007, 1442 = ITRB 2007, 246 = NJW 2007, 2636 – Internet-Versteigerung II; v. 30.4.2008 – I ZR 73/05, CR 2008, 579 = MDR 2008, 1228 = ITRB 2008, 218 = NJW-RR 2008, 1136 Internet-Versteigerung III; v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494; v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = AfP 2012, 50; v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, CR 2013, 459 = MDR 2013, 710 = ITRB 2013, 150 = AfP 2013, 260 – Google-Autocomplete; v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 253; v. 27.2.2018 – VI ZR 489/16, GRUR 2018, 642 Rz. 31 – Internet-Suchmaschine; vgl. EGMR v. 2.2.2016 – 22947/13, AfP 2014, 46 – Delfi I; zum Laienprivileg s. Rz. 136 f. BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = AfP 2012, 50. BGH v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 253. BGH v. 27.2.2018 – VI ZR 489/16, GRUR 2018, 592 Rz. 31 – Internet-Suchmaschine.
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Kap. 12 Rz. 59
Unterlassungsanspruch
geschränkte Prüfungspflicht, ähnlich der bei Leserbriefen283. Er muss den Wahrheitsgehalt des Interviewinhalts nur selbst prüfen, wenn darin besonders schwere Persönlichkeitsbeeinträchtigungen, d.h. beleidigende, ehrverletzende Äußerungen, enthalten sind. Eine eigene Haftung wird im Übrigen durch ein Zu-Eigen-Machen der fremden Äußerung begründet284. Dies kann auch durch Setzen eines Hyperlinks erfolgen. Erforderlich ist, dass der durchschnittliche Betrachter die verlinkten Inhalte dem in Anspruch Genommenen zurechnet. Anhaltpunkte hierfür können z.B. sein, dass die eigene Darstellung unvollständig ist und durch die verlinkten Inhalte sinnhaft ergänzt wird, oder die verlinkten Inhalte für das weitergehende Verständnis eines Beitrags erkennbar von Bedeutung und dadurch Bestandteil der eigenen Inhalte werden285. Ändert der Betreiber eines Bewertungsprotals auf Rüge eines Betroffenen ohne Rücksprache mit demjenigen, der die Bewertung vorgenommen hat, diese nur teilweise ab, behält jedoch andere ebenso angegriffene Aussagen bei, macht er sich diese zu eigen286. Hat ein Mitarbeiter eines Unternehmens die Behauptung aufgestellt oder verbreitet, haftet nach § 831 BGB der Geschäftsherr, also das Unternehmen287. An den nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB möglichen Entlastungsbeweis sollten nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden. Bei Wettbewerbsäußerungen folgt die Einstandspflicht aus § 8 Abs. 2 UWG. Eine andere rechtliche Situation besteht nur, wenn die angegriffene Äußerung und deren Verbreitung mit dem Arbeitgeber bzw. mit dem Auftraggeber (vgl. § 831 Abs. 2 BGB) nichts zu tun hat. Ist das Unternehmen zumindest für die Verbreitung verantwortlich, wie z.B. ein Verleger für seine Verlagserzeugnisse oder ein Rundfunkveranstalter für seine Sendungen, ist es Unterlassungsschuldner288. 59
Der Unterlassungsanspruch kann nicht nur gegen den Behauptenden gerichtet werden, sondern grundsätzlich ebenso gegen den Verbreiter289. In den §§ 824 BGB und 186 StGB ist die Verbreiterhaftung ausdrücklich erwähnt. Der Grundsatz der Verbreiterhaftung bedarf allerdings erheblicher Einschränkungen, wenn unzuträgliche Ergebnisse vermieden werden sollen. Art und Umfang der einzuhaltenden Prüfungspflichten dürfen nicht überspannt werden. Bei deren Bestimmung sind Funktion und Aufgabenstellung des Störers wie auch die Eigenverantwortung des unmittelbar Handelnden zu berücksichtigen290. Insoweit ist zwischen der Haf283 OLG München v. 12.12.2006 – 18 U 4341/06, AfP 2007, 229, mit zust. Anm. Rehbock; zu Prüfpflicht bei Leserbriefen BGH v. 27.5.1986 – VI ZR 169/85, MDR 1987, 44 = AfP 1986, 241 = NJW 1986, 2503. 284 BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135; v. 4.4.2017 – VI ZR 123/16, MDR 2017, 880 = ITRB 2017, 179 = NJW 2017, 2029; OLG Köln v. 22.11.2011 – 15 U 91/11, CR 2012, 116 = ITRB 2012, 79 = MMR 2012, 197; Näheres s. Kap. 4 Rz. 102 ff. 285 BGH v. 19.5.2011 – I ZR 147/09, CR 2012, 51 = MDR 2012, 177 = GRUR 2012, 74 – CoachingNewsletter; v. 18.6.2015 – I ZR 74/14, MDR 2016, 223 = CR 2016, 170 = ITRB 2016, 51 = AfP 2016, 45 – Haftung für Hyperlink. 286 BGH v. 4.4.2017 – VI ZR 123/16, AfP 2017, 316 m. Anm. Franz = MDR 2017, 880 = ITRB 2017, 179 = NJW 2017, 2029 m. Anm. Lampmann. 287 Zur Haftung des Geschäftsführers s. BGH v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, NJW-RR 2014, 1382. 288 BGH v. 12.6.1997 – I ZR 36/95, MDR 1998, 300 = AfP 1997, 909 – Restaurantführer. 289 BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, GRUR 1969, 624, 627 – Hormoncreme; v. 3.2.1976 – VI ZR 23/72, NJW 1976, 799; v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494; v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72; v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = AfP 2012, 50; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135. 290 BGH v. 17.5.2001 – I ZR 251/99, MDR 2002, 286 = CR 2001, 850 m. Anm. Freytag = ITRB 2001, 280 = NJW 2001, 3265 – ambiente.de; v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB
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IV. Anspruchsverpflichtete
Rz. 60 Kap. 12
tung des intellektuellen und des nur technischen Verbreiters zu unterscheiden (Näheres Kap. 4 Rz. 99 ff., Kap. 10 Rz. 207 ff.). Zu den intellektuellen Verbreitern gehört insbesondere, wer die streitige Behauptung zi- 60 tiert, z.B. im Rahmen eines Aufsatzes. Weiter gehören dazu der Verleger291, der Herausgeber, der Chefredakteur, der verantwortliche Redakteur und sonstige Redakteure, die auf die inhaltliche Gestaltung der Darstellung Einfluss nehmen können292. Der Verbreiter macht sich eine fremde Äußerung regelmäßig dann zu eigen, wenn er sich mit ihr identifiziert und sie so in den eigenen Gedankengang einfügt, dass sie als seine eigene erscheint. Ob dies der Fall ist, ist mit der im Interesse der Meinungsfreiheit und zum Schutz der Presse gebotenen Zurückhaltung zu prüfen293. Es genügt nicht, dass die Presse die ehrenrührige Äußerung eines Dritten in einem Interview verbreitet, ohne sich ausdrücklich von ihr zu distanzieren294. Auch kann sich schon aus der äußeren Form der Veröffentlichung ergeben, dass lediglich eine fremde Äußerung ohne eigene Wertung oder Stellungnahme mitgeteilt wird. Dies ist beispielsweise bei dem Abdruck einer Presseschau der Fall295. Wird die fremde Äußerung jedoch bewertet, indem diese als armselig oder das Verhalten als Mobbing bezeichnet wird, ergreift der Verbreiter Partei und macht sich die fremde Äußerung zu eigen. Die Verwendung der Funktion „Gefällt mir“ in sozialen Netzwerken ist daher ebenso als ein Zu-eigenmachen anzusehen296. Auch eine Verlinkung kann als Zu-eigen-machen einzuordnen sein. Dies hängt von der Art des Einfügens des Links in die eigene Website und einer etwaigen Kommentierung der verlinkten Inhalte ab297. Ist die Darstellung unzulässig, haften intellektuelle Verbreiter grundsätzlich auf Unterlassung. Das gilt insbesondere, wenn ein aus zweifelhafter Quelle stammendes Gerücht verbreitet wird298. Die Verbreitung ist aber zulässig, wenn an der Äußerung des Dritten, mag sie auch unzulässig sein, ein Informationsinteresse besteht und der Verbreiter sich von ihr distanziert299. Dies kann z.B. bei einer referierenden Berichterstattung über ein Unterlassungsurteil der Fall sein300. Zulässig ist die Verbreitung fremder
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2010, 52 = AfP 2009, 494; v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = AfP 2012, 50. OLG Frankfurt v. 14.5.1981 – 16 U 207/80, NJW 1981, 2707, 2709. LG Oldenburg v. 14.7.1986 – 5 O 1824/86, AfP 1987, 537. BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494; v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72; v. 27.3.2012 – VI ZR 144/11, MDR 2012, 767 = CR 2012, 464 = ITRB 2012, 174 = AfP 2012, 264; v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, CR 2014, 312 = MDR 2014, 216 = ITRB 2014, 102 = AfP 2014, 135. BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480; BGH v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72 m.w.N.; EGMR v. 29.3.2001 – 38432/97 Rz. 64 – Thoma/Luxemburg; v. 30.3.2004 – 53984/00 Rz. 37 ff. – Radio France/Frankreich; v. 14.12.2006 – 76918/01 Rz. 33 ff. – Verlagsgruppe News GmbH/Österreich; v. 16.3.2017 – 58493/13, AfP 2017, 402, 404 – Olafsson/Island. Vgl. BVerfG v. 30.9.2003 – 1 BvR 865/00, AfP 2004, 49; v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, AfP 2009, 480; BGH v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72. Vgl. OLG Frankfurt v. 26.11.2015 – 16 U 64/15, CR 2016, 326 = ITRB 2016, 102 = GRUR-RR 2016, 307; OLG Dresden v. 7.2.2017 – 4 U 1419/16, CR 2017, 323 = ITRB 2017, 102 = AfP 2017, 257. Vgl. OLG Koblenz v. 19.1.2017 – 6 U 135/16, BeckRS 2017, 105693. BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 – Abgeordnetenbestechung; OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 = NJOZ 2017, 1424 Rz. 142 – Panama-Papers; vgl. Sedelmeier, AfP 1977, 377. BGH v. 20.6.1969 – VI ZR 234/67, NJW 1970, 187 – Hormoncreme; OLG Stuttgart v. 8.2.2017 – 4 U 166/16, BeckRS 2017, 103495 = NJOZ 2017, 1424 Rz. 142 – Panama-Papers. OLG München v. 1.3.2001 – 21 W 3313/00, CR 2001, 863 = ITRB 2002, 54 = AfP 2001, 322.
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Kap. 12 Rz. 61
Unterlassungsanspruch
Behauptungen auch, wenn das Medium kontroverse Stimmen zu einem interessierenden umstrittenen Thema zitiert bzw. Vertretern unterschiedlicher Richtung Gelegenheit zur Erläuterung ihrer abweichenden Standpunkte gibt, wenn das Medium also als Markt der Meinungen tätig wird301. Voraussetzung für die Zulässigkeit ist allerdings, dass die Streitteile annähernd gleichwertig zu Wort kommen302. Entsteht durch die Darstellung der Anschein, als entspreche eine den Betroffenen belastende Behauptung möglicherweise der Wahrheit, ist sie aber in Wirklichkeit unwahr, kommt ein Unterlassungsanspruch in Betracht. Allein durch die Verbreitung eines Interviews macht sich ein Presseorgan eine Interviewäußerung nicht zu eigen, auch wenn es sich nicht ausdrücklich distanziert303. Da die Verbreitung von Interviewäußerungen zu dem nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Kommunikationsprozess gehört, dürfen der Presse nicht die selben Sorgfaltspflichten auferlegt werden, wie dies bei eigenen Äußerungen der Fall ist304. Welche Überprüfungspflichten bei der Verbreitung von fremden Äußerungen bestehen, hat der BGH bislang offen gelassen. Nach zutreffender Auffassung des OLG München305 besteht die Prüfungspflicht beim Abdruck von Interviewäußerungen nur in einem ähnlichen Umfang wie bei Leserbriefen306. Der Verbreiter muss den Wahrheitsgehalt des Interviewinhalts nur dann selbst prüfen, wenn darin besonders schwere Persönlichkeitsbeeinträchtigungen, d.h. beleidigende, ehrverletzende Äußerungen, enthalten sind. Im Übrigen haftet er für den Interviewinhalt als Verbreiter nicht. 61
Zu den technischen Verbreitern gehören alle, die mit der Herstellung oder dem Vertrieb einer Druckschrift befasst sind, z.B. Setzer, Drucker, Grossist, Sortimentsbuchhändler, Bucheinzelhändler307. Sie können grds. als Störer Unterlassungsschuldner sein, so z.B. ein Vertreiber einer im Ausland verlegten Zeitschrift308. Nach Auffassung des KG kann auch vom Setzer Unterlassung des Setzens unzulässiger Behauptungen gefordert werden309. Dem ist nicht uneingeschränkt zu folgen. Bei Zeitungen und Zeitschriften können Setzer und Drucker nur auf Unterlassung in Bezug auf eine bestimmte Ausgabe in Anspruch genommen werden, nicht auf Unterlassung künftiger Ausgaben, die die Äußerung erneut enthalten könnten. Das Verlangen, Setzer und Drucker haben jede Ausgabe auf darin etwa enthaltene Wiederholungen unzulässiger Behauptungen zu überprüfen, wäre unzumutbar310. Auch Vertriebsunternehmen wie Buch- und Zeitschriftenhändler sind bezüglich konkreter Ausgaben i.d.R. als Störer und damit als Unterlassungsschuldner anzusehen. Das setzt aber voraus, dass der Betroffene den Unterlassungsanspruch auch gegen den Autor und/oder Verleger geltend gemacht hat. Demgegenüber wird ein Unterlassungsanspruch grundsätzlich zu versagen sein, wenn der Be-
301 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 – Panorama. 302 OLG Zweibrücken v. 19.10.1979 – 5 W 66/79, AfP 1980, 209. 303 BGH v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72; EGMR v. 16.3.2017 – 58493/13, AfP 2017, 402, 404 – Olafsson/Island. 304 BGH v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, IPRB 2010, 78 = AfP 2010, 72; EGMR v. 16.3.2017 – 58493/13, AfP 2017, 402, 404 – Olafsson/Island. 305 OLG München v. 12.12.2006 – 18 U 4341/06, AfP 2007, 229 mit zust. Anm. Rehbock. 306 Dazu BGH v. 27.5.1986 – VI ZR 169/85, MDR 1987, 44 = AfP 1986, 241 = NJW 1986, 2503. 307 BGH v. 3.2.1976 – VI ZR 23/72, NJW 1976, 799 – Alleinimporteur; Näheres s. Kap. 10 Rz. 221 ff. 308 BGH v. 3.2.1976 – VI ZR 23/72, NJW 1976, 799 – Alleinimporteur; OLG München v. 15.12.2000 – 21 U 4720/00, AfP 2001, 140; v. 29.6.2001 – 21 U 2877/01, AfP 2001, 404, 405. 309 KG v. 26.9.1986 – 9 U 1849/86, AfP 1987, 427. 310 Vgl. BVerfG v. 13.1.1988 – 1 BvR 1548/82, MDR 1988, 549 = AfP 1988, 15 = NJW 1988, 1833.
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IV. Anspruchsverpflichtete
Rz. 62 Kap. 12
troffene ihn lediglich gegen einen oder einige willkürlich ausgewählte Buchhändler geltend macht, weil deren Störungshandlungen unerheblich sind, sofern weder der Verleger an der Fortsetzung der Auslieferung noch die übrigen Buchhändler an der Fortsetzung des Vertriebs der betreffenden Schrift gehindert werden. Nicht als Störer sind reine Transporteure anzusehen wie z.B. Bahn, Post und Briefträger. Ein Endabnehmer ist grundsätzlich auch dann kein Störer, wenn er die betreffende Ausgabe an einen Dritten weitergibt oder wenn er sie wie z.B. ein Arzt im Wartezimmer auslegt. Anders kann es sich verhalten, wenn ein Abnehmer die Schrift in größerer Stückzahl zwecks Weiterverbreitung bezieht oder wenn er den betreffenden Beitrag, wie es z.B. bei einem Verbraucherschutzverein der Fall sein kann, zielgerichtet zu Beratungszwecken kopiert und verbreitet. Eine bewusste Verbreitungshandlung liegt auch in der Nutzung der Funktion „Teilen“ in sozialen Netzwerken. Damit ist jedoch, anders als bei der Funktion „Gefällt mir“311, noch kein Zu-eigen-machen verbunden312. Auf das verwendete Medium kommt es nicht an. Ob die unzulässige Äußerung in Druck- 62 werken enthalten ist oder durch Rundfunk oder Online-Medien verbreitet wird, ist grds. ohne Belang313. Nach der ständigen Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH finden die Haftungsprivilegierungen der §§ 7 ff. TMG auf den Unterlassungsanspruch keine Anwendung314. Als Störer kommen z.B. Filmverleiher, beim Rundfunk und Online-Diensten z.B. Host-Provider315, Domain-Verpächter316, Netzbetreiber, Plattformanbieter, Anbieter von Blogs und Mikrobloggingdiensten317, Suchmaschinenbetreiber318, auch soweit keine eigenen Inhalte in Rede stehen in Betracht (s. Rz. 69a). Rundfunksprecher, Kameraleute usw. sind zwar gleichfalls technische Verbreiter. Sie leisten aber i.d.R. keinen für eine Haftung ausreichenden Tatbeitrag. Moderatoren sprechen zumeist eigene Texte, für die sie nicht als Verbreiter, sondern als Behauptende haften. Ebenso haftet der Anbieter einer Homepage im Internet regelmäßig für deren Inhalte als Behauptender.
311 Vgl. dazu z.B. Bauer/Günther, NZA 2013, 67. 312 OLG Frankfurt v. 26.11.2015 – 16 U 64/15, CR 2016, 326 = ITRB 2016, 102 = GRUR-RR 2016, 307; OLG Dresden v. 7.2.2017 – 4 U 1419/16, CR 2017, 323 = ITRB 2017, 102 = AfP 2017, 257. 313 Vgl. BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494; v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = AfP 2012, 50; OLG Dresden v. 1.4.2015 – 4 U 1296/14, CR 2015, 531 = ITRB 2015, 180 = AfP 2015, 261. 314 BGH v. 27.3.2007 – VI ZR 101/06, CR 2007, 586 m. Anm. Schuppert = MDR 2007, 1018 = ITRB 2007, 174 = AfP 2007, 350; v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = AfP 2012, 50; v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 253; Näheres s. Kap. 10 Rz. 228 ff. 315 BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = AfP 2012, 50; v. 27.2.2018 – VI ZR 489/16, GRUR 2018, 642 Rz. 32. – Internet-Suchmaschine. 316 BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494. 317 OLG Dresden v. 1.4.2015 – 4 U 1296/14, CR 2015, 531 = ITRB 2015, 180 = AfP 2015, 261. 318 BGH v. 27.2.2018 – VI ZR 489/16, MDR 2018, 592; LG Frankfurt v. 9.2.2017 – 2-03 S 16/16, BeckRS 2017, 107396, Revision zugelassen; zur Frage, ob sich Suchmaschinenbetreiber auf die Haftungsprivilegierung der §§ 7 ff. TMG stützen können, s. auch OLG Köln v. 13.10.2016 – 15 U 189/15, BeckRS 2016, 18916; KG v. 3.11.2009 – 9 W 196/09, ZUM-RD 2010, 224; Spindler/ Schuster/Mann/Smid, Kap. PresseR Rz. 79 m.w.N.; Spindler/Schuster/Hoffmann, § 8 TMG Rz. 24; Näheres Kap. 10 Rz. 248 f.
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Kap. 12 Rz. 63
Unterlassungsanspruch
2. Einzelfälle 63
Der Autor ist in jedem Fall passivlegitimiert. Dies gilt auch, wenn er sich im Namen eines anderen äußert, z.B. als Geschäftsführer einer GmbH319. Ob daneben auch der Vertretene in Anspruch genommen werden kann, ist für die Haftung des Autors ohne Bedeutung320; keine Haftung aber, wenn der Autor den Text nicht freigegeben hat321. Autor und Verleger bzw. Rundfunkveranstalter oder Telemedienanbieter können grundsätzlich nebeneinander in Anspruch genommen werden.
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Der Verleger (Verlag, Medienunternehmen) ist für Unzulässigkeiten in von ihm verlegten Schriften stets passiv legitimiert322. Unterlassungsanspruch und Klage können auch gegen den Verlag als solchen gerichtet werden, wenn von der Mehrzahl seiner Blätter nur eines die verletzende Behauptung enthalten hat323. In älteren Entscheidungen gehen OLG Hamburg324 und OLG München325 davon aus, jedenfalls bei Verlagen, die mit Hilfe sachlich und personell unabhängiger Redaktionen mehrere Publikationsorgane herausgeben, sei die Wiederholungsgefahr und dementsprechend auch der Unterlassungsanspruch nur bezüglich des Blattes begründet, das die unzulässige Behauptung verbreitet hat. Da es der Verleger ist, der Unterlassung schuldet, und seine Unterlassungsverpflichtung richtiger Auffassung nach nicht nach einzelnen Redaktionen aufspaltbar ist, kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden (vgl. Rz. 15). Bei Fotos trifft die Unterlassungsverpflichtung jedenfalls dann den Verlag insgesamt, wenn er ein gemeinschaftliches Bild-Archiv unterhält, wie es wohl die Regel ist.
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Der Herausgeber haftet ebenso wie der Verleger, wenn er der „maßgebliche Mann“, insbesondere wenn er der „Herr des Unternehmens“ ist. Dementsprechend ist z.B. der Landesverband einer Partei als Herausgeber einer Wahlkampfillustrierten für deren Inhalt verantwortlich, auch wenn die Gestaltung einer Werbeagentur oblegen hat326. Der Herausgeber haftet auch, wenn er an dem Beitrag in irgendeiner Weise mitgewirkt hat. Fehlen solche Voraussetzungen, haftet er nicht327.
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Der verantwortliche Redakteur haftet in dieser Eigenschaft nur für strafrechtliche Verstöße. Zivilrechtlich haftet er, abgesehen von seinen Verpflichtungen in Gegendarstellungssachen, nur nach den allgemeinen, insbesondere nach deliktsrechtlichen Grundsätzen328. Das ent319 BGH v. 27.5.1986 – VI ZR 169/85, MDR 1987, 44 = AfP 1986, 241 = NJW 1986, 2503; OLG Koblenz v. 25.4.1991 – 5 U 1209/90, MDR 1992, 239 = AfP 1992, 365 = NJW 1992, 1330. 320 OLG Köln v. 17.12.1985 – 15 U 263/85, AfP 1986, 7 = NJW 1987, 1415. 321 BGH v. 25.11.1986 – VI ZR 57/86, MDR 1987, 395 = AfP 1987, 412 = NJW 1987, 1400 – Oberfaschist. 322 BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51, BGHZ 3, 270, 275; v. 6.7.1957 – I ZR 38/53, BGHZ 14, 163, 174; v. 5.3.1963 – VI ZR 55/62, BGHZ 39, 124, 129; v. 4.6.1974 – VI ZR 68/73, NJW 1974, 1371; v. 8.7.1980 – VI ZR 158/78, MDR 1981, 40 = NJW 1980, 2810 – Medizin Syndikat II; v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, CR 2009, 593 = MDR 2009, 1038 = ITRB 2009, 195 = AfP 2009, 401; v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494 – focus.de; OLG München NJW-RR 2002, 1339; OLG Saarbrücken v. 5.10.2016 – 5 U 3/16, AfP 2017, 65. Zur persönlichen Haftung eines Geschäftsführers als Organmitglied bei Wettbewerbsverstößen s. BGH v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, NJW-RR 2014, 1382. 323 OLG Köln v. 22.5.1973 – 15 U 219/72, AfP 1973, 479, 481. 324 OLG Hamburg, ArchPR 1975, 111, 112. 325 OLG München v. 21.12.1981 – 21 U 3951/81, AfP 1983, 276, 278. 326 BGH v. 27.11.1979 – VI ZR 148/78, MDR 1980, 301 = AfP 1980, 35 = NJW 1980, 994. 327 OLG Celle v. 16.1.1992 – 3 U 220/91, AfP 1992, 295. 328 KG v. 23.11.1990 – 9 U 4803/89, AfP 1991, 639 = NJW 1991, 1490.
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IV. Anspruchsverpflichtete
Rz. 68 Kap. 12
spricht auch der Auffassung des BGH, mag auch sein konkret-Urteil in dieser Hinsicht missverständlich sein329. Dort spricht der BGH nur aus, dass ein Redakteur im Rahmen der ihm eingeräumten Befugnis für seinen Sachbereich die Sorge dafür übernimmt, dass unzulässige Übergriffe in den geschützten Persönlichkeitsbereich Dritter unterbleiben. Diese zivilrechtliche Deliktshaftung besteht auch, wenn er zugleich als Verantwortlicher im presserechtlichen Sinne bestellt ist. Diese Bestellung begründet aber die zivilrechtliche Haftung nicht für sich allein. Die redaktionelle Aufgabenzuweisung muss hinzukommen330. Allein aus der Benennung als „V.i.S.d.P.“ folgt mithin keine zivilrechtliche Haftung. Daraus kann nicht geschlossen werden, der Verantwortliche mache sich die Inhalte des Presseerzeugnisses zu eigen oder er sei dessen Verbreiter331. Der Chefredakteur ist Unterlassungsschuldner, wenn er an dem Beitrag selbst mitgewirkt hat. 67 Ausreichend ist insoweit die explizite Freigabe des Beitrags zur Veröffentlichung, da dies regelmäßig jedenfalls eine gewisse inhaltliche Prüfung voraussetzt. Wird nur generell Thema und Umfang des Berichts bestimmt und freigegeben, genügt dies für eine Haftung nicht. Eine solche kommt im Übrigen nur noch bei Verletzung anderer Pflichten, die für die unzulässige Berichterstattung mitursächlich waren, in Betracht, so etwa fehlende, aber notwendige Überwachung des Redaktionsmitarbeiters332. Entsprechendes gilt für Ressortleiter innerhalb ihres Bereiches333. Agenturen haften für ihre Meldungen, die sie zur Weiterverbreitung Medien zur Verfügung 67a stellen334. Soweit es sich allerdings um medieninterne typische Hilfsfunktionen handelt, wie dies bei einem Bildarchiv der Fall ist, kann eine Störereigenschaft zu verneinen sein. Wird von der Agentur lediglich ein Bild bezogen, kennt diese Zweck und Kontext der beabsichtigten Berichterstattung nicht. Die Agentur ist auch nicht verpflichtet, diesen vor einer Überlassung des Bildes aufzuklären. Eine Störerhaftung der Bildagentur scheidet dann aus335. Das publizierende Medium trägt in diesem Fall die Prüf- und Sorgfaltspflicht und haftet für seine Berichterstattung336. Die Rundfunkanstalt, die die Ausstrahlung einer Sendung ermöglicht, ist „Herr der Sen- 68 dung“ und damit für Unterlassungs- und sonstige Ansprüche passiv legitimiert. Bei Rundfunksendungen ist neben dem Autor des Beitrages auch der redaktionell verantwortliche
329 BGH v. 7.12.1976 – VI ZR 272/75, NJW 1977, 626. 330 U.a. OLG Köln v. 16.9.1986 – 15 U 38/86, AfP 1986, 347; Löffler/Lehr, § 9 LPG Rz. 39 ff.; Löffler/ Steffen, § 6 LPG Rz. 226; Ricker/Weberling, 13. Kap. Rz. 24a; Soehring/Hoene, § 28 Rz. 11 ff. 331 BGH v. 7.12.1976 – VI ZR 272/75, NJW 1977, 626; KG v. 23.11.1990 – 9 U 4803/89, AfP 1991, 639 = NJW 1991, 1490; OLG Saarbrücken v. 16.6.1999 – 1 U 787/98-143, OLGReport Saarbrücken 2000, 96; a.A. OLG Frankfurt v. 7.1.2016 – 16 W 63/15, AfP 2016, 167. 332 BGH v. 30.1.1979 – VI ZR 163/77, NJW 1979, 1041 – Exdirektor; OLG Celle v. 16.1.1992 – 3 U 220/91, AfP 1992, 295; Löffler/Steffen, § 6 LPG Rz. 227; Soehring/Hoene, § 28 Rz. 8; a.A. noch die Vorauflage und OLG Köln v. 10.9.1985 – 15 U 177/85, AfP 1985, 293, 295. 333 A.A. OLG Düsseldorf v. 30.12.1987 – 20 U 30/87, AfP 1988, 154, 158. 334 BVerfG v. 26.8.2003 – 1 BvR 2243/02, AfP 2003, 539. 335 BGH v. 7.12.2010 – VI ZR 30/09, AfP 2011, 70 – Jahrhundert-Mörder; KG v. 28.4.2011 – 10 U 196/10, IPRB 2012, 10 = ITRB 2012, 32 = AfP 2011, 383; LG Frankfurt, AfP 2008, 417; LG Hamburg v. 20.4.2007 – 324 O 859/06, AfP 2007, 385. 336 BGH, GRUR 1962, 211; KG v. 28.8.1998 – 25 U 7198/97, NJW-RR 1999, 1703; v. 28.4.2011 – 10 U 196/10, IPRB 2012, 10 = ITRB 2012, 32 = AfP 2011, 383.
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Kap. 12 Rz. 68a
Unterlassungsanspruch
Moderator Unterlassungsschuldner337. Die Passivlegitimation ist auch zu bejahen, wenn die Äußerung von einem Interviewten oder von einer sonstigen dritten Person stammt, sofern der Autor bzw. Moderator für solche Äußerungen überhaupt einzustehen hat338. Der Programmdirektor kann nur wie der Chefredakteur in Anspruch genommen werden, wenn er selbst an dem Beitrag mitgewirkt hat. Äußerungen der ARD können nicht per se allen Landesrundfunkanstalten zugerechnet werden, da die ARD über eine eigene Verfasstheit ähnlich einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts verfügt339. Für diese ist anerkannt, dass diese rechtsfähig ist und grundsätzlich am Rechtsverkehr teilnehmen kann340. Für die Rundfunkberichterstattung gelten die Grundsätze für die Zusammenarbeit im ARD-Gemeinschaftsprogramm „Erstes Deutsches Fernsehen“ und anderen Gemeinschaftsprogrammen und -angeboten vom 17.9.2013, welche Richtlinien gem. § 11e RStV sind. 68a
Der Intendant ist zwar gesetzlicher Vertreter der Rundfunkanstalt. Er haftet persönlich jedoch nur, sofern ihm selbst eine deliktische Handlung zur Last fällt341.
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Private Rundfunkveranstalter haften ebenso wie Rundfunkanstalten342. Sie haften auch für Inhalte sog. Fensterprogramme, soweit der Veranstalter des Fensterprogramms nicht für den durchschnittlichen Zuschauer klar erkennbar ist343. Eine Haftung der öffentlich-rechtlichen Landesmedienanstalten, die für die Zulassung zum Privatfunk verantwortlich sind, kann allenfalls in besonderen Ausnahmesituationen in Betracht kommen, zumal sie regelmäßig keinen Einfluss auf die konkrete inhaltliche Programmgestaltung haben und keine Zensur ausüben dürfen. Besonderheiten gelten in Bayern aufgrund der öffentlich-rechtlichen Trägerschaft des Rundfunks gemäß Art. 2 BayMG.
69a
Betreiber eines Internetforums ist ebenso wie ein Verleger Herr des Angebots und daher grundsätzlich für dadurch gegebene Beeinträchtigungen verantwortlich344. Jedoch haften Anbieter von Blog-, Mikroblogging- und ähnlichen Diensten und ähnliche Hostprovider für Beiträge anonymer Nutzer nur, wenn sie nach Kenntnis von dem rechtswidrigen Inhalt untätig geblieben sind345. Die Haftungsprivilegierungen der §§ 7 ff. TMG finden nach der ständigen Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH auf den Unterlassungsanspruch keine Anwendung346. Als mittelbare Störer unterliegen Provider nur eingeschränkten Prüfungs337 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 – Panorama; OLG Hamburg, Ufita 76/1976, 354, 365; OLG Hamm v. 4.2.2004 – 3 U 168/03, AfP 2004, 543. 338 BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74, NJW 1976, 1198 – Panorama; Zum Zu-Eigen-machen s. Rz. 60 und Kap. 4 Rz. 102 ff. 339 A.A. OLG Saarbrücken, ZUM-RD 2001, 689. 340 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, MDR 2001, 459 = NJW 2001, 1056; v. 19.11.2013 – II ZR 150/12, MDR 2014, 550 = NJW 2014, 1107. 341 OLG Köln v. 17.5.2005 – 15 U 211/04, NJW 2005, 2554. 342 OLG Hamm v. 4.2.2004 – 3 U 168/03, AfP 2004, 543. 343 OLG Hamburg v. 28.1.2003 – 7 U 94/02, ZUM 2004, 75. 344 BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, CR 2009, 593 = MDR 2009, 1038 = ITRB 2009, 195 = AfP 2009, 401 – spickmich.de. 345 BGH v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08, CR 2009, 730 = ITRB 2010, 52 = AfP 2009, 494 – focus.de; v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = AfP 2012, 50; v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 253 – Ärztebewertung III; OLG Dresden v. 1.4.2015 – 4 U 1296/14, CR 2015, 531 = ITRB 2015, 180 = AfP 2015, 261; vgl. EGMR v. 2.2.2016 – 22947/13; AfP 2014, 46 – Delfi I. 346 Vgl. BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = AfP 2012, 50; v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm.
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IV. Anspruchsverpflichtete
Rz. 69a Kap. 12
pflichten. Ein Hostprovider muss nur tätig werden, wenn der Hinweis auf den Verstoß so konkret ist, dass dieser auf der Grundlage der Behauptungen des Betroffenen ohne eingehende rechtliche und tatsächliche Prüfung bejaht werden kann347. Erfolgt ein solcher Hinweis, löst dies weitere Prüfungspflichten aus. Insbesondere sind im Rahmen des datenschutzrechtlich Zulässigen Informationen über den sich Äußernden ggf. dem Betroffenen zur weiteren Prüfung zu übermitteln. Der Anbieter darf sich nicht auf eine rein formale Prüfung beschränken. Welcher Prüfungsaufwand im Einzelfall zu verlangen ist, hängt von einer umfassenden Interessensabwägung unter Berücksichtigung der widerstreitenden Grundrechte ab. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls können an die Prüfungspflichten auch strenge Anforderungen zu stellen sein348. In solchen Fällen treffen den Anbieter nicht unerhebliche Ermittlungs- und Prüfungspflichten, die der Provider im Rahmen seiner sekundären Darlegungsund Beweislast im Prozess darstellen muss349. Diese Verlagerung der Bewertung, ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, mithin der Abwägung der widerstreitenden Grundrechte Dritter auf private Anbieter, ist nicht unbedenklich, worauf Paal350 zutreffend hinweist. Dabei darf der Provider keine bei ihm gespeicherten personenbezogenen Daten über den Äußernden ohne dessen Einwilligung dem Betroffenen mitteilen351. Bei der Übermittlung von Informationen an die Beteiligten ist sorgfältig auf datenschutzrechtliche Restriktionen zu achten, was die Überprüfung erschwert. Die Haftungsprivilegierung greift nicht für solche Äußerungen ein, die sich der Anbieter zu eigen macht352. Ein Zu-Eigen-Machen liegt jedoch nicht vor, wenn der Portalbetreiber lediglich automatische Wortfilter einsetzt sowie ggf. anschließend die Einträge manuell durchsieht, um gegen Nutzungsbedingungen verstoßende Einträge zu entfernen, nicht jedoch die Äußerungen inhaltlich-redaktionell aufbereitet oder auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft353. Deutlich strenger geht der EGMR354 davon aus, dass eine Haftung eines Forenbetreibers für anonyme Nutzerkommentare schon dann mit Art. 10 EMRK vereinbar sei, wenn die Rechtsverletzungen vorhersehbar waren, die Rechtsverfolgung auf Grund der Anonymität der Nutzer des Forums erschwert ist und der Forenbetreiber wirtschaftliche Interessen verfolgt. Geringere Prüfpflichten hat der Betreiber einer Suchmaschine zu erfüllen355. Ihn treffen erst dann spezifische Verhaltenspflichten, wenn er durch einen konkreten Hinweis Kenntnis von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick erkennbaren Rechtsverletzung erlangt hat. Ein solcher Rechtsverstoß kann beispielsweise vorliegen bei Kinderpornographie, Aufruf zur Gewalt gegen Personen, Hassreden oder eindeutiger Schmähkri-
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Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 253 – Ärztebewertung III; Näheres s. Kap. 10 Rz. 228 ff. BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = IPRB 2012, 77 = ITRB 2012, 28 = AfP 2012, 50; vgl. EGMR v. 2.2.2016 – 22947/13; AfP 2014, 46 – Delfi I. BGH v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 253 – Ärztebewertung III. BGH v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 253 – Ärztebewertung III. Paal, AfP 2016, 418. BGH v. 1.7.2014 – VI ZR 345/13, CR 2014, 597 = MDR 2014, 959 = ITRB 2015, 3 = AfP 2014, 451 – Ärztebewertung I. BGH v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, MDR 2016, 518 = CR 2016, 390 m. Anm. Kriegesmann = ITRB 2016, 123 = AfP 2016, 253 – Ärztebewertung III; OLG Köln v. 22.11.2011 – 15 U 91/11, CR 2012, 116 = ITRB 2012, 79 = MMR 2012, 197. BGH v. 19.3.2015 – I ZR 94/13, CR 2016, 817 = MDR 2015, 1253 = ITRB 2015, 279 = IPRB 2015, 276 = AfP 2015, 543. EGMR v. 10.10.2013 – 64569/09, AfP 2014, 46. BGH v. 27.2.2018 – VI ZR 489/16, GRUR 2018, 642 Rz. 33 – Internetsuchmaschine.
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Kap. 12 Rz. 70
Unterlassungsanspruch
tik356. Eine solche liegt nicht schon bei überzogenen oder ausfälligen, polemischen Zuspitzungen vor, auch wenn derbe Begriffe wie „Arschkriecher“, „krimineller Schuft“ oder „Schwerstkriminelle“ verwendet werden. Wegen des Maßstabs der offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung lösen nach Ansicht des BGH nur besonders grobe Schmähungen ohne jeglichen erkennbaren Sachbezug eine Löschverpflichtung aus357. 70
Interviewte haften für ihre eigenen Äußerungen voll, nicht aber für einen Sinngehalt, der sich aus dem Zusammenhang ergibt, in den die Redaktion den Interviewtext stellt358. Soweit sich der Verleger die Interviewäußerung nicht zu eigen macht und diese keine schwere Persönlichkeitsbeeinträchtigung, z.B. Ehrverletzung, enthält, haftet dieser nach Auffassung des OLG München359 nicht.
71
Informanten können als Veranlasser einer Berichterstattung in Presse oder Rundfunk haften, d.h. als mittelbare Täter oder Anstifter360. Sie sind dann Störer. Ob die Initiative zur Informationserteilung vom Informanten, vom Journalisten oder von einem Dritten ausgeht, ist grundsätzlich ohne Belang361. Die Haftung bleibt auf eine adäquate Verursachung beschränkt, d.h. für Bedingungen, die nach den bei der Informationserteilung bekannten Umständen die objektive Möglichkeit des eingetretenen Erfolges nicht unerheblich erhöht haben. Da die Informations- und Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch für Werbungstreibende362 und sonstige Informanten gilt, begründet die gezielte, aber sachlich richtige Information der Presse für sich noch keine (Mit-)Haftung für eine unzulässige Berichterstattung einer eigenverantwortlich handelnden Presse363. Auch wenn ein Unternehmen zwar werbend, aber sachlich zutreffend über seine Waren und Leistungen informiert, ist es für eine unzulässige Berichterstattung grds. nicht verantwortlich. In diesen Fällen muss sich das Unternehmen auch kein Recht zur Prüfung der Berichterstattung vorbehalten. Ein sog. „Prüfungsvorbehalt“ ist nur erforderlich, wenn dem Informanten konkrete Umstände bekannt sind, die es naheliegend erscheinen lassen, dass die Information Grundlage einer unzulässigen Berichterstattung des Presseunternehmens sein werde364. Für erteilte unzutreffende Informationen haftet der Informant jedoch stets365.
356 BGH v. 27.2.2018 – VI ZR 489/16, GRUR 2018, 642 Rz. 36 – Internetsuchmaschine. 357 BGH v. 27.2.2018 – VI ZR 489/16, GRUR 2018, 642 Rz. 37 – Internetsuchmaschine. 358 OLG München v. 3.5.1996 – 21 W 1384/96, NJW 1997, 804; v. 12.12.2006 – 18 U 4341/06, AfP 2007, 229. 359 OLG München v. 12.12.2006 – 18 U 4341/06, AfP 2007, 229. 360 BGH v. 21.2.1964 – Ib ZR 108/62, NJW 1964, 1181 – Weizenkeimöl; v. 14.12.1966 – Ib ZR 125/64, NJW 1967, 675 – Spezialsalz; v. 11.5.1973 – I ZR 123/71, NJW 1973, 1460 – Kollo-Schlager. 361 BGH v. 10.1.1968 – Ib ZR 43/66, NJW 1968, 1419 – Pelzversand. 362 Vgl. EGMR v. 23.6.1994 – 7/1993/402/480, NJW 1995, 857 – Jacubowsky; BVerfG v. 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95, AfP 2001, 44 u.a., NJW 2001, 591 – Benetton; BGH v. 6.7.1995 – I ZR 110/93, MDR 1995, 1028 = AfP 1995, 600 = NJW 1995, 2490 – Kinderarbeit; v. 19.9.1996 – I ZR 130/94, AfP 1997, 524 = MDR 1997, 254 = NJW-RR 1997, 235 – Orangenhaut. 363 BGH v. 18.2.1993 – I ZR 14/91, MDR 1993, 632 = AfP 1993, 566 = NJW-RR 1993, 868, 869; v. 10.3.1994 – I ZR 51/92, MDR 1994, 901 = AfP 1994, 141 = NJW 1994, 1536, 1537. 364 BGH v. 18.2.1993 – I ZR 14/91, MDR 1993, 632 = AfP 1993, 566 = NJW-RR 1993, 868, 869; v. 18.10.1995 – I ZR 227/93, AfP 1996, 64 = MDR 1996, 707 = NJW-RR 1996, 162. 365 BGH v. 19.9.1996 – I ZR 130/94, AfP 1997, 524 = MDR 1997, 254 = NJW-RR 1997, 235 – Orangenhaut.
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Burkhardt
IV. Anspruchsverpflichtete
Rz. 74 Kap. 12
Beamte haften für dienstliche Äußerungen nicht selbst. Nach Art. 34 GG ist an ihrer Stelle 72 der Staat bzw. die sonstige Anstellungskörperschaft passiv legitimiert366. Anders kann es sich verhalten, wenn die Äußerung so stark persönliche Züge des Beamten trägt, dass sie mit seiner Dienststellung nicht mehr in Zusammenhang zu bringen ist. Die vom Leiter einer Bundesbehörde an einem Sonntag telefonisch gegenüber einer Presseagentur abgegebene Erklärung, eine Zeitung montiere Daten und klebe sie in infamer Weise zusammen, ist trotz der kräftigen Sprache dem Dienstbereich zuzurechnen, weil es zu den Aufgaben eines Behördenleiters gehört, den Versuch einer Ehrenrettung seiner Behörde zu unternehmen. Deswegen kann dagegen nur im Verwaltungsrechtswege vorgegangen werden367. Rechtsanwälte sind für Äußerungen, die sie in Wahrnehmung der Interessen ihrer Mandan- 72a ten abgeben, grundsätzlich nicht selbst haftbar368. Der Anspruch auf Unterlassung ist gegen den vertretenen Mandanten zu richten. Zur Besonderheit bei unberechtigter Schutzrechtsverwarnung s. BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12 – unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II. Bei politischen Parteien ist § 3 des Parteiengesetzes v. 24.7.1967369 zu beachten, nach dem 73 die Parteien als solche370 und ihre Gebietsverbände der jeweils höchsten Stufe, also die Landesverbände, klagen und verklagt werden können. Die Aktivlegitimation der Landesverbände kann allerdings durch Satzung ausgeschlossen werden. Hinsichtlich der Unterorganisation, also der Bezirks-, Kreis- und Ortsverbände, verbleibt es bei der Regelung des § 50 Abs. 2 ZPO, nach dem nicht rechtsfähige Vereine passiv parteifähig sind. Eine Unterorganisation kann also verklagt werden, wenn sie einen Gesamtnamen und eine körperschaftliche Verfassung hat, vom Wechsel der Mitglieder unabhängig ist und eigene Aufgaben selbständig wahrnimmt371. Diese Grundsätze gelten auch für Vereinigungen innerhalb einer Partei wie z.B. für die Junge Union372. Die rechtliche Einordnung von Landtagsfraktionen ist umstritten. Nach einer älteren Ent- 74 scheidung des LG Kehl sind sie keine rechtsfähigen Vereine und also nicht passiv parteifähig373. Auch das OLG München374, OLG Schleswig375 und das OLG Stuttgart376 vertreten die Auffassung, bei einer Landtagsfraktion handele es sich um einen bürgerlich-rechtlichen nicht rechtsfähigen Verein. Demgegenüber nimmt das LG Bremen377 an, dass es sich um Körperschaften öffentlichen Rechts handelt und diese somit unmittelbar partei- und prozessfähig 366 BVerfG v. 27.12.1967 – VI B 35.67, DÖV 1968, 429; BGH v. 19.12.1960 – GSZ 1/60, BGHZ 34, 99. 367 OLG Hamburg, AfP 1976, 142; zur Rechtswegproblematik vgl. Rz. 115. 368 BVerfG v. 27.6.1996 – 1 BvR 1398/94, MDR 1996, 1070 = NJW 1996, 3267; KG v. 27.5.1997 – 9 U 901/97, MDR 1998, 504 = NJW 1997, 2390; OLG Köln v. 16.1.2003 – 12 U 117/02, AnwBl. 2003, 370; OLG Dresden v. 5.8.2011 – 4 W 624/11, AfP 2012, 60; zur Privilegierung von Prozessäußerungen s. Kap. 10 Rz. 29 ff. 369 BGBl. I, 773, i.d.F. der Bekanntmachung v. 31.1.1994 (BGBl. I S. 149), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes v. 18.7.2017 (BGBl. I S. 2730). 370 OLG Stuttgart v. 29.5.2013 – 4 U 163/12, NJW-RR 2014, 487. 371 BGH v. 19.3.1984 – II ZR 168/83, MDR 1984, 737 = NJW 1984, 2223. 372 LG Arnsberg v. 8.1.1987 – 4 O 587/86, NJW 1987, 1412. 373 LG Kiel v. 6.3.1979 – 15 O 63/79, AfP 1979, 366. 374 OLG München v. 22.6.1988 – 21 U 2954/88, NJW 1989, 910. 375 OLG Schleswig v. 3.5.1995 – 15 U 16/94, NVwZ-RR 1996, 103, 104. 376 OLG Stuttgart v. 22.7.2003 – 4 W 32/03, NJW-RR 2004, 619, 620. 377 LG Bremen v. 19.2.1991 – 1 O 2809/90, NJW-RR 1992, 447.
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Kap. 12 Rz. 75
Unterlassungsanspruch
sind. Nach Ansicht des OLG Dresden können sich auch Fraktionen auf ein ihnen ähnlich juristischen Personen des Privatrechts zustehende allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen378. Darüber hinaus sehen einzelne Landesgesetze ausdrücklich die Aktiv- und Passivlegitimation der Fraktionen vor, z.B. § 1 Abs. 4 Gesetz über die Rechtsstellung und Finanzierung der Fraktionen im Landtag von Baden-Württemberg v. 12.12.1994379. 3. Mehrheit von Anspruchsverpflichteten 75
Dem Betroffenen steht gegen jeden Störer grundsätzlich ein selbständiger Anspruch zu. Demzufolge kann der Betroffene den Behauptenden und den oder die Verbreiter je gesondert auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Zu einer Häufung von Ansprüchen und ggf. auch zu einer Mehrzahl von Unterlassungsklagen kann es insbesondere kommen, wenn der Betroffene sich gegen die weitere Verbreitung einer bereits in Vertrieb befindlichen Druckschrift wendet und er deshalb gegen Grossisten, Buchhandlungen usw. vorgehen muss. Allerdings wird es in solchen Fällen zumeist ausreichen, gegen den Autor oder den Verleger einen Titel zu erstreiten und diesen den verschiedenen Vertriebsstellen mit der Aufforderung zuzuleiten, die weitere Verbreitung zu unterlassen. Vertriebsunternehmen werden einer solchen Unterlassungsforderung i.d.R. freiwillig entsprechen. Für sie wäre die Führung eines weiteren Rechtsstreites wenig lohnend. Zur Haftung der Verbreiter vgl. Kap. 10 Rz. 207 ff.
V. Umfang und Schranken des Unterlassungsanspruches 76
Im Bereich des Äußerungsrechts ist der Unterlassungsanspruch i.d.R. darauf gerichtet, etwas zu behaupten bzw. Behauptungen oder Bildnisse zu verbreiten. Angesichts der Vielfalt der Darstellungsweisen und der Unterschiedlichkeit der Interpretationsmöglichkeiten kann der Umfang dieses Unterlassungsanspruches außerordentlich problematisch sein. Er kann über das wörtlich Gesagte hinausgreifen, andererseits bestimmten Schranken unterliegen. Der Interpretation der streitigen Darstellung kommt deswegen große Bedeutung zu. Davon hängt ab, wie der Streitgegenstand zu verstehen ist. Eine Befristung der Unterlassungsforderung ist im Allgemeinen entbehrlich, und zwar auch bei persönlichkeitsrechtlichen Ansprüchen, die einige Zeit nach dem Ableben des Betroffenen untergehen. Es bleibt dem Behauptenden überlassen, den Wegfall der Unterlassungspflicht geltend zu machen380.
77
Der BGH meint, der Unterlassungsanspruch könne auch darauf gerichtet sein, die Verbreitung bestimmter Darstellungen zu dulden381. Ein solcher Anspruch komme in Betracht, wenn der Anspruchsgegner wie z.B. ein Arzt einem berufsrechtlichen Werbeverbot unterliegt, nach dem er bestimmte Werbemaßnahmen nicht dulden darf. Sich über ein solches Verbot hinwegzusetzen könne wettbewerbswidrig sein, das verbotene Dulden der Werbemaßnahmen sei also zu unterlassen. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht zutreffend festgestellt382, dass ein Dulden nur durch ein positives Tun unterlassen werden kann. Entgegen der Ansicht des BGH und des Bundesverfassungsgerichts folgt daraus, dass der Anspruch, 378 379 380 381
OLG Dresden v. 9.5.2017 – 4 U 102/17, AfP 2017, 448. GBl. S. 639; zuletzt geändert durch G v. 29.7.2010, GBl. S. 576. BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1173 – Mephisto. BGH v. 20.11.1986 – I ZR 156/84, MDR 1987, 468 = AfP 1987, 592 = NJW 1987, 2297 – Hackethal-Interview; im Ergebnis wohl ebenso BVerfG v. 11.2.1992 – 1 BvR 1531/90, MDR 1992, 719 = AfP 1992, 128 = NJW 1992, 2341 – Hackethal. 382 BVerfG v. 11.2.1992 – 1 BvR 1531/90, MDR 1992, 719 = AfP 1992, 128 = NJW 1992, 2341.
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V. Umfang und Schranken des Unterlassungsanspruches
Rz. 78 Kap. 12
das Dulden bestimmter Darstellungen zu unterlassen, richtiger Auffassung nach zivilrechtlich nicht gefordert werden kann. Diese Forderung bedeutet nämlich eine bloße Verschleierung des tatsächlich Geforderten, das in einem positiven Tun besteht. Steht dem Anspruchsteller hierauf ein Anspruch zu, kann er die Vornahme der begehrten Handlungen fordern. Fehlt ein solcher Anspruch, ist sein Begehren unbegründet. Dies gilt auch, wenn das tatsächliche Begehren durch das Verlangen verschleiert wird, es solle ein Dulden unterlassen werden383. Daher ist auch die Meinung des LG Köln384 unzutreffend, der Anspruch auf Veröffentlichung eines Widerrufes bzw. einer Richtigstellung lasse sich in einen Unterlassungsanspruch umformulieren. Der Anspruch richte sich darauf, es zu unterlassen, eine weitere Ausgabe der Zeitung/Zeitschrift erscheinen zu lassen, sofern darin nicht der Widerruf abgedruckt ist. Wurde durch die künftig zu unterlassende Handlung ein fortdauernder Störungszustand ge- 78 schaffen, geht der BGH in zwischenzeitlich ständiger Rechtsprechung385 davon aus, dass die Unterlassungsverpflichtung mangels abweichender Anhaltpunkte auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung der Störungsquelle umfasse, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot Folge geleistet werden könne. Diese Handlungspflicht umfasse auch, erforderlichenfalls auf Dritte einzuwirken, wenn und soweit der Unterlassungsschuldner auf diese – rechtlich oder tatsächlich – Einfluss nehmen könne. Dabei kann es entscheidend auf den Inhalt der abgegebenen Unterlassungserklärung386 bzw. des Unterlassungstenors ankommen. Ist von dem Verbot nur ein „erneutes“ Verbreiten umfasst, kann nicht gefordert werden, dass der Verpflichtete auf RSS-Feed-Abonnenten einwirkt, die ein vor Abschluss des Unterlassungsvertrags bezogenes Bild weiter veröffentlichen387. Soweit das Verbot grundsätzlich auch eine Handlungspflicht beinhaltet, ist deren Zumutbarkeit im Einzelfall im Bereich des Äußerungsrechts besonders zu prüfen, da eine solche Verpflichtung eine auf den Gebrauch des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit einschüchternde Wirkung haben kann388. Ist z.B. ein Buch bereits an den Buchhandel ausgeliefert, kommt eine Verpflichtung des Verlegers, alle Abnehmer über ein Verbot zu unterrichten und anzuhalten, das Buch nicht weiter zu verkaufen, faktisch einer Verpflichtung zum Remissionsaufruf gleich389. Dass der Schuldner zu eben einem solchen Rückruf verpflichtet sei, hat der I. Zivilsenat des BGH im Falle eines wettbewerbsrechtlichen Verbots gesundheitsbezogener Angaben für als Spirituosen gekennzeichnete, über Apotheken vertriebene „RESCUE TROP383 Vgl. hierzu auch OLG Stuttgart v. 8.7.1987 – 4 U 26/87, AfP 1987, 628. 384 LG Köln v. 25.2.1997 – 31 O 20/97, n.v. 385 BGH v. 25.1.2007 – I ZB 58/06, MDR 2007, 859 = NJW-RR 2007, 863; v. 18.9.2014 – I ZR 76/13, MDR 2015, 291 = CR 2015, 257 = IPRB 2015, 101 = GRUR 2015, 258; v. 11.11.2014 – VI ZR 18/14, CR 2015, 254 = MDR 2015, 25 = ITRB 2015, 86 = AfP 2015, 33 – RSS-Feed II; v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, CR 2015, 671 = MDR 2015, 1065 = AfP 2015, 425 – recht§billig; v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564; v. 19.11.2015 – I ZR 109/14, GRUR 2016, 720 – Hot Sox; v. 29.9.2016 – I ZB 34/15, MDR 2017, 351 = GRUR 2017, 208 – Rückruf von Rescue-Produkten; v. 8.12.2016 – I ZB 118/15, NJW-RR 2017, 382 – Dügida; v. 04.05.2017 – I ZR 208/15, NJW 2018, 155 – Luftentfeuchter; v. 11.10.2017 – I ZB 96/16, NJW 2018, 1317 – Produkte zur Wundversorgung; s. auch Rz. 103. 386 BGH v. 11.11.2014 – VI ZR 18/14, CR 2015, 254 = MDR 2015, 25 = ITRB 2015, 86 = AfP 2015, 33. 387 BGH v. 11.11.2014 – VI ZR 18/14, CR 2015, 254 = MDR 2015, 25 = ITRB 2015, 86 = AfP 2015, 33. 388 Sajuntz, NJW 2016, 1921. 389 So im Ergebnis OLG Frankfurt v. 29.12.1997 – 15 W 74/97, n.v.; ebenso Meyer-Bohl, NJW 2000, 2135, 2137 und Paschke/Busch, NJW 2004, 2620; Problem offengelassen, BGH v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564.
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Kap. 12 Rz. 78a
Unterlassungsanspruch
FEN“ und RESCUE NIGHT SPRAY“ angenommen390. Diese Rechtsprechung auf äußerungsrechtliche Ansprüche zu übertragen, begegnet erheblichen Bedenken. Im Printbereich umfasst eine Rückrufverpflichtung stets das gesamte Presseerzeugnis, nicht allein die als unzulässig erkannte Äußerung. Eine Verpflichtung zum Rückruf würde einen erheblichen Eingriff in die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit darstellen, der abgesehen von möglichen extremen Ausnahmefällen, etwa einem Gesamtverbot391, unverhältnismäßig und damit auch i.S.d. Rechtsprechung des I. Zivilsenats als unzumutbar anzusehen ist. Dies insbesondere als Presseerzeugnisse eine schnell verderbliche Ware sind und daher eine auch nur kurzfristig wirkende Aufforderung, das Presseerzeugnis nicht weiterzuverbreiten, dieses wertlos werden lässt. Jedenfalls kann einem im einstweiligen Rechtsschutz erstrittenen Titel im Regelfall eine solche Rückrufverpflichtung nicht entnommen werden. Dies kann bei äußerungsrechtlichen Ansprüchen allenfalls im Falle ganz besonderer Umstände angenommen werden. Andernfalls würde auch das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache unterlaufen392. Richtigerweise hat das OLG Hamburg daher entschieden, dass zwar ein Autor, der einen Beitrag einem Dritten zur Veröffentlichung überlassen, verpflichtet sein kann, auf den Dritten einzuwirken. Dies gilt indessen nicht für einen angestellten Autor bezüglich eines Vertragspartners seines Arbeitgebers393. 78a
Dies kann entsprechend auch für Äußerungen gelten, die nur im Internet verbreitet wurden394. Zwar sind dort Anpassungen leichter möglich. Wird jedoch eine Äußerung z.B. wegen des besonderen Informationsinteresses an dem Thema vielfach weiterverbreitet, kann es angesichts des damit verbundenen Aufwandes dem Verpflichteten unzumutbar sein, auf alle Weiterverbreiter einzuwirken. Er hat auch nicht anlassunabhängig nach Weiterverbreitungen zu suchen, wenn das Handeln Dritter ihm nicht wirtschaftlich zugutekommt395.
78b
In seiner Entscheidung Rückruf von Rescue-Produkten396 weist der I. Zivilsenat des BGH darauf hin, dass eine Prüfung der Zumutbarkeit von Beseitigungshandlungen durch das Gericht im Erkenntnisverfahren dann nicht erforderlich ist, wenn der Unterlassungsschuldner die Unzumutbarkeit nicht geltend macht397. Dies lässt den Schluss zu, dass ein ausdrücklicher Ausschluss solcher Beseitigungspflichten schon im Erkenntnisverfahren möglich ist398. Um Unsicherheiten und das Risiko von Ordnungsmittelverfahren zu vermeiden, empfiehlt es sich, bereits im Erkenntnisverfahren zur Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit derartiger
390 BGH v. 29.9.2016 – I ZB 34/15, MDR 2017, 351 = GRUR 2017, 208. 391 Vgl. OLG München v. 6.4.2004 – 18 U 4890/03, NJOZ 2005, 4343 – Esra; BGH v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464 – Esra; BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, AfP 2007, 441. 392 Vgl. nun auch BGH v. 11.10.2017 – I ZB 96/16, NJW 2018, 1317 – Produkte zur Wundversorgung; zur Verfahrensart beim Beseitigungsanspruch s. Kap. 13 Rz. 143. 393 OLG Hamburg v. 18.2.2015 – 7 W 24/15, AfP 2015, 260, wenngleich mit knapper Begründung. 394 S. aber BGH v. 11.11.2014 – VI ZR 18/14, CR 2015, 254 = MDR 2015, 25 = ITRB 2015, 86 = AfP 2015, 33 – RSS-Feed; v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, CR 2015, 671 = MDR 2015, 1065 = AfP 2015, 425 – recht§billig; v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564; OLG Celle v. 21.8.2017 – 13 W 45/17, AfP 2017, 502; s. auch Rz. 103. 395 OLG Celle v. 21.8.2017 – 13 W 45/17, AfP 2017, 502. 396 BGH v. 29.9.2016 – I ZB 34/15, MDR 2017, 351 = GRUR 2017, 208, Rz. 29 – Rückruf von Rescue-Produkten. 397 Ähnlich auf fehlenden Sachvortrag in den Tatsacheninstanzen hinweisend, BGH v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564 Rz. 31. 398 Hofmann, NJW 2018, 1290, 1291.
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Burkhardt
V. Umfang und Schranken des Unterlassungsanspruches
Rz. 81 Kap. 12
Beseitigungshandlungen konkret vorzutragen399. Zur Aufbrauchfrist bei bereits gedruckten Darstellungen s. Rz. 103. 1. Konkrete Verletzungsform Ausgangspunkt des Unterlassungsanspruches ist die konkrete Verletzungshandlung bzw. der 79 konkret bevorstehende Eingriff. Grundsätzlich bleibt der Unterlassungsanspruch auf die unzulässigen Behauptungen beschränkt, die der Anspruchsgegner aufgestellt oder verbreitet hat400. Hat jemand eine unzulässige Behauptung nur aufgestellt, kann ihm im Allgemeinen lediglich das Behaupten untersagt werden, im Falle des bloßen Verbreitens allein dieses. Zwischenzeitlich durchgesetzt hat sich die vom OLG Koblenz getroffene weitere Unterscheidung zwischen dem Verbreiten und dem Verbreitenlassen, z.B. im Kommissionswege401. Der Grundsatz, dass der Unterlassungsantrag auf die konkrete Verletzungshandlung bezogen sein muss402, gebietet nicht, danach zu unterscheiden, ob die beanstandete Erklärung eine eigene Wahrnehmung oder lediglich die Wahrnehmung eines Dritten wiedergibt. Das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der Mitteilende sich die Behauptung zu eigen gemacht hat. Zumindest in einem solchen Fall braucht der Unterlassungsantrag den in der angegriffenen Behauptung enthaltenen Hinweis auf die Informationsquelle nicht zu umfassen403. Werden mehrere Verbote begehrt und hängen diese von unterschiedlichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen ab, erfordert das Gebot, einen bestimmten Klageantrag zu stellen, dass die einzelnen Handlungen in gesonderten Anträgen als konkrete Verletzungsform umschrieben werden404. Dies ist z.B. der Fall, wenn hinsichtlich eines Berichts sowohl Ansprüche wegen der Wortberichterstattung als auch wegen der Bildberichterstattung geltend gemacht werden405. Unterschiedliche Streitgegenstände liegen auch vor, wenn Abonnenten eines Internetangebots einen vollständigen Artikel erhalten, während Nichtabonnenten nur eine Vorschau des Artikels abrufen können406. Ist die streitige Behauptung unter Verwendung einer Fremdsprache aufgestellt bzw. verbreitet 80 worden, ist grundsätzlich auch die Unterlassungsforderung gegen die fremdsprachliche Formulierung zu richten. Die Verwendung der deutschen Sprache empfiehlt sich aber, wenn es sich um eine hier nur wenig bekannte Fremdsprache handelt, z.B. um Finnisch, Chinesisch oder Urdu. Den Anspruch dahin zu verallgemeinern, der Behauptende habe Äußerungen zu unterlassen, 81 die den wirtschaftlichen Ruf des Betroffenen zu gefährden geeignet sind, ist nicht zulässig407. Ebenso wenig kann gegen einen Informationsdienst ein generelles Verbot verhängt werden, 399 Vgl. Bornkamm, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 8 Rz. 1.84a; Hofmann, NJW 2018, 1290, 1291. 400 BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882 – Geist von Oberzell; v. 21.11.2006 – VI ZR 259/05, AfP 2007, 44 – Klinik-Geschäftsführer. 401 OLG Koblenz v. 17.11.1983 – 6 U 1330/83, WRP 1984, 105, 107. 402 BGH v. 15.3.1984 – I ZR 74/82, MDR 1984, 911 = GRUR 1984, 593, 594 – adidas-Sportartikel. 403 BGH v. 20.2.1986 – I ZR 202/83, MDR 1986, 997 = WRP 1986, 465, 467 – Vorsatz-Fensterflügel; OLG München v. 17.9.2003 – 21 U 1790/03, ZUM-RD 2003, 577. 404 BGH v. 17.7.2003 – I ZR 259/00, CR 2003, 920 = MDR 2004, 346 = ITRB 2004, 26 = AfP 2003, 545. 405 Vgl. BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 232/08, AfP 2009, 406. 406 LG Köln v. 25.2.2015 – 28 O 402/14, AfP 2016, 177. 407 BGH, ArchPR 1968, 55.
Burkhardt 1069
Kap. 12 Rz. 82
Unterlassungsanspruch
auf Hersteller oder Händler „einzuwirken“, einen Großmarkt nicht mehr zu beliefern408. Es kann auch kein Verbot gegen Äußerungen verhängt werden, die durch bestimmte „Merkmale“ gekennzeichnet sind. Möglich ist aber, den Anspruch und dementsprechend den Klageantrag insoweit über die konkrete Verletzungshandlung hinausgreifen zu lassen, als es um das Charakteristische der Verletzungshandlung geht409. Das kann z.B. bei der Gefahr in Betracht kommen, dass in einem Film enthaltene unzulässige Behauptungen anderweitig und damit ohne den Zusammenhang der filmischen Darstellung wiederholt werden, aus der sich erst der Sinn der unzulässigen Behauptung ergibt410. Ist eine Berichterstattung nur deswegen unzulässig, weil der Betroffene namentlich genannt wird, kann verlangt werden, künftig nicht „in identifizierender Weise“ zu berichten. Nach Auffassung des BGH handelt es sich beim Begriff der identifizierenden Berichterstattung um einen allgemeinen Rechtsbegriff, der als Verallgemeinerung der konkreten Verletzungsform unbedenklich ist411. 82
Die grundsätzliche Notwendigkeit, bei der Formulierung des Unterlassungsanspruches von der konkreten Verletzungshandlung, also von der konkret erfolgten Äußerung, auszugehen, führt zu Problemen, wenn der Sinn des Gemeinten sich erst aus dem Zusammenhang ergibt, einzelne Teile aber für sich betrachtet rechtlich unangreifbar sind, wie das z.B. bei Schachtelsätzen oder verschachtelten Gedankengängen der Fall sein kann. Wird die Äußerung insgesamt zum Gegenstand des Unterlassungsanspruches gemacht, kann eingewandt werden, es seien allenfalls Teile unzulässig. Werden einzelne Teile herausgeschält, kann sich das Bedenken ergeben, eine so formulierte Äußerung sei nicht erfolgt. Richtiger Auffassung nach ist in solchen Fällen darauf abzustellen, ob die einzelnen Teile gedanklich verklammert sind, so dass ein Herausschälen eine Sinnveränderung zur Folge haben kann. In diesem Fall kann der Gedankengang insgesamt zum Gegenstand des Unterlassungsanspruches gemacht und in der Begründung erläutert werden, welches Verständnis dem Anspruch zugrunde liegt. Fehlt die gedankliche Verklammerung, bezieht der Anspruch sich nur auf die unzulässigen Teile412.
83
Ist eine beanstandete Textstelle nicht schlechthin, sondern nur in einem bestimmten Teilaspekt unwahr, der den Lesern durch den Kontext vermittelt wird, in dem sie steht, ist das Unterlassungsbegehren auf die betreffende Teilaussage zu beschränken. Ist z.B. Kritik an der Tätigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung geübt worden, kann nicht die Kritik insgesamt untersagt werden, wenn unwahr nur die Teilaussage ist, Klinikdirektoren an den Universitätskliniken würden hinsichtlich ihrer Verpflichtung zur persönlichen Erbringung ihrer kassenärztlichen Leistungen von der Kassenärztlichen Vereinigung gegenüber den niedergelassenen Kassenärzten bevorzugt behandelt413. In solchen Fällen ist der Antrag auf die konkret zu beanstandenden Äußerungsteile zu beschränken414. Ist eine Äußerung innerhalb eines konkreten Zusammenhanges unzulässig, könnte sie aber in anderem Zusammenhang zulässig sein, kann nur verlangt werden, die Wiederholung innerhalb des konkreten Zusammenhanges zu unter-
408 409 410 411 412
OLG Düsseldorf, GRUR 1978, 609. BGH, GRUR 1957, 406; NJW 1962, 461. OLG Karlsruhe v. 13.3.1987 – 14 U 197/85, AfP 1987, 614, 619. BGH v. 21.11.2006 – VI ZR 259/05, MDR 2007, 588 = AfP 2007, 44 – Klinik-Geschäftsführer. So zutreffend Romatka, AfP 1978, 216; zu stark zergliedernd LG Stuttgart, AfP 1978, 211; vgl. zu dieser Problematik auch die problematische Cellulitis-Entscheidung BGH, GRUR 1969, 555, 557 m. abl. Anm. Micheli. 413 BGH v. 22.6.1982 – VI ZR 251/80, MDR 1983, 43 = AfP 1982, 217 = NJW 1982, 2246, 2248 – Klinikdirektoren. 414 LG Köln v. 26.10.2005 – 28 O 456/05, NJW-RR 2006, 908.
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V. Umfang und Schranken des Unterlassungsanspruches
Rz. 84b Kap. 12
lassen415. Sind derartige andere Fallkonstellationen jedoch von vornherein nicht denkbar, besteht ein einschränkungsloser Unterlassungsanspruch416. Praktische Bedeutung kann das z.B. erlangen, wenn es um Behauptungen innerhalb eines Buches geht. Allerdings ist dem Betroffenen nicht zuzumuten, den Kern einer angegriffenen Aussage aus einem Text herauszuschälen und sinngemäß selbst zu formulieren. Er kann vielmehr die konkreten Formulierungen im Kontext zu Gegenstand seines Antrags machen, wobei sinngemäße, kerngleiche Äußerungen mit umfasst werden417. Ausnahmsweise kann der Unterlassungsanspruch unter dem Vorbehalt einer auflösenden 84 Bedingung stehen. Z.B. hat das OLG Hamburg den Anspruch zuerkannt, innerhalb der Rubrik „Die intime Sprechstunde“ den erfundenen Namen Dr. Harald Groß nicht zu verwenden, solange keine Klarstellung veröffentlicht ist, dass das Blatt den mit Dr. Harald Groß gekennzeichneten Beiträgen ein nicht dazugehöriges Porträtfoto hinzugefügt hatte und der Abgebildete Wert auf die Feststellung lege, dass er nicht der Autor der Beiträge gewesen ist418. 2. Mehrdeutige Äußerungen Erhebliche Unsicherheiten bestanden lange Zeit, in welchen Fällen eine Verurteilung zur Un- 84a terlassung wegen Mehrdeutigkeit einer Äußerung in Betracht kommt. Dass jedenfalls eine nach dem Verständnis des unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums überhaupt mehrdeutige Äußerung vorliegen muss, ergibt sich bereits aus der sog. Stolpe-Entscheidung419. Allerdings gingen in der Folgezeit die Instanzgerichte häufig vorschnell von der Mehrdeutigkeit einer Äußerung aus, obschon durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Interpretationsgrundsätze von Äußerungen nicht geändert wurden. Das Bundesverfassungsgericht sah sich daher veranlasst, in seiner Gen-Milch-Entscheidung festzustellen, dass die sog. Stolpe-Rechtsprechung keinen Anlass gibt, in größerem Umfang als zuvor zu der Annahme eines mehrdeutigen Aussagegehalts zu gelangen420. Erforderlich ist eine eigenständige Behauptung eines bestimmten Sachverhalts. Eine solche liegt nicht vor, wenn die Äußerung ohne weiteres als eine in tatsächlicher Hinsicht unvollständige und ergänzungsbedürftige schlagwortartige Äußerung verstanden wird. Erforderlich ist eine in sich geschlossene, aus sich heraus aussagekräftige Aussage. Dies ist z.B. bei einem Schlagwort wie „GenMilch“ nicht der Fall421. Liegt eine in sich geschlossene, aus sich heraus aussagekräftige Aussage vor und wird diese in 84b unterschiedlichem Sinne verstanden, ist von einer Mehrdeutigkeit der Äußerung auszugehen. Welche Deutungsvariante der weiteren Prüfung zugrunde zu legen ist, hängt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sodann vom Äußernden ab. Dieser habe die Möglichkeit, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der weiteren rechtlichen Prüfung zugrunde zu legen ist. Sei der Äußernde nicht bereit, seiner Aussage einen eindeutigen Inhalt zu geben, könne einer Verurteilung zum Unterlassen 415 BGH v. 11.12.2012 – VI ZR 314/10, AfP 2013, 57 – IM „Christoph“; OLG München v. 28.7.1989 – 21 U 2754/88, ZUM 1990, 195, 198. 416 OLG Stuttgart v. 29.11.1996 – 2 U 182/96, WRP 1997, 350, 353. 417 OLG München v. 17.9.2003 – 21 U 1790/03, ZUM-RD 2003, 577. 418 OLG Hamburg v. 6.11.1980 – 3 U 80, AfP 1981, 356. 419 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2005, 544. 420 BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Gen-Milch; s. Kap. 4 Rz. 18a f. 421 BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Gen-Milch; BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297.
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Unterlassungsanspruch
auch die den Betroffenen am meisten beeinträchtigende Deutungsvariante zugrunde gelegt werden422. In welcher Form die Klarstellung erfolgen muss, ließ das Bundesverfassungsgericht offen. Dem LG Hamburg423 folgend424 genügt für die Klarstellung eine schlichte Erklärung gegenüber dem Betroffenen425. Diese muss allerdings ernsthaft und ausreichend sein. Ausreichend ist, dass das tatsächlich Gewollte zum Ausdruck kommt. Um Unklarheiten zu vermeiden, sollte ergänzt werden, dass die rechtsverletzende Deutungsvariante nicht zum Ausdruck gebracht werden sollte. Gegebenenfalls ist, um der Gefahr einer Berühmung (vgl. Rz. 34) zu entgehen, noch anzufügen, dass für den Fall der Wiederholung der beanstandeten Äußerung, diese um einen klarstellenden Hinweis ergänzt werde426. Die Klarstellung kann auch im Verfahren zu Protokoll erklärt werden427. Erfolgt eine derartige Klarstellung und ist der dann zugrunde zu legende Deutungsgehalt der Äußerung nicht persönlichkeitsverletzend, liegt von vornherein keine rechtswidrige Äußerung vor428. Ein Unterlassungsanspruch scheidet dann aus. 3. Versteckte Behauptungen 85
Besondere Probleme entstehen, wenn der Unterlassungsanspruch gegen verdeckte bzw. versteckte Behauptungen gerichtet wird, die nicht offen ausgesprochen worden sind, die aber hinreichend deutlich zwischen den Zeilen stehen. Das Problem versteckter Behauptungen kann sich bei ausführlichen Darstellungen ergeben, wenn durch Heraushebung unbedeutender Vorgänge, Übertreibung, Unterstellung von Absichten, Heranziehung vermeintlicher Parallelen einerseits und Auslassungen andererseits ein Bild gezeichnet wird, das mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Der BGH hat mit Recht betont429, dass der Betroffene gegenüber solchen versteckten Behauptungen u.U. besonders schutzbedürftig ist, weil er eine weniger feste Grundlage hat, von der aus er sich wehren kann. Zudem kann er in solchen Fällen zu Offenbarungen aus seiner Persönlichkeitssphäre gezwungen sein, deren fehlende Kenntnis den Angreifer von einer offenen Beschuldigung abgehalten haben mag430.
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Die besondere Problematik entsteht dadurch, dass ein gegen eine versteckte Behauptung gerichteter Unterlassungsanspruch eine Behauptung betrifft, die nicht vom Wortlaut, sondern nur dem Sinne nach aufgestellt worden ist, die also eine Interpretation des Gesagten voraussetzt. Die Untersagung einer erst durch Interpretation ermittelten Behauptung kann nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Möglich ist das nur, wenn die angegriffene versteckte Behauptung durch das Zusammenspiel von Einzelaussagen im Text selbst hinreichend deut422 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2005, 544 – Stolpe; v. 24.5.2006 – 1 BvR 49/00, 1 BvR 55/00, 1 BvR 2031/00, AfP 2006, 349 – Babycaust; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58 – Gegendarstellung. 423 LG Hamburg v. 28.12.2010 – 324 O 140/10; v. 11.3.2013 – 324 O 607/12. 424 OLG Stuttgart v. 11.5.2015 – 4 W 14/15, ZUM 2015, 1009; LG Stuttgart v. 13.1.2015 – 11 O 224/14, ZUM 2015, 1016; v. 2.12.2015 – 11 O 213/15; LG Hamburg v. 22.10.2010 – 324 O 100/10, AfP 2010, 613. 425 A.A. KG v. 18.8.2008 – 10 U 47/08, BeckRS 2012, 24646; oben Peifer, Einleitung Rz. 17. 426 OLG Stuttgart v. 11.5.2015 – 4 W 14/15, ZUM 2015, 1009. 427 LG Stuttgart v. 2.12.2015 – 11 O 213/15, n.v. 428 OLG Stuttgart v. 11.5.2015 – 4 W 14/15, ZUM 2015, 1009; LG Stuttgart v. 13.1.2015 – 11 O 224/14, ZUM 2015, 1016; v. 2.12.2015 – 11 O 213/15; zur Wiederholungsgefahr s. Rz. 14a ff. 429 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 159/78, MDR 1981, 40 = NJW 1980, 2801, 2803 – Medizin-Syndikat III. 430 Ebenso BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, MDR 1981, 41 = NJW 1980, 2807 – Medizin-Syndikat I; Näheres Kap. 4 Rz. 15 ff.
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V. Umfang und Schranken des Unterlassungsanspruches
Rz. 86 Kap. 12
lich angelegt ist. Es muss sich um eine Schlussfolgerung handeln, die der Autor dem Leser unterbreitet oder unabweislich aufdrängt431. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar bislang nur bei einer Verurteilung zu einer Sanktion gefordert, dass die verdeckte Aussage sich als unabweisbare Schlussfolgerung dem angesprochenen Publikum aufdrängen muss432. Im Übrigen nimmt es bei offen mehrdeutigen Äußerungen an, dass der Äußernde den Inhalt seiner Äußerung für die Zukunft klarstellen könne. Unterlässt er dies, sei eine Verurteilung zur Unterlassung möglich. Wegen der Klarstellungsmöglichkeit sei kein Einschüchterungseffekt zu erwarten, der dem Grundrecht der Kommunikationsfreiheit zuwiderliefe433. Wenn ein erheblicher Teil des unvoreingenommenen und verständigen Publikums der Äußerung neben den offenen auch verdeckte, von den offenen Aussagen abweichende Behauptungen entnimmt, sei bei der weiteren Prüfung auch von diesen Deutungen auszugehen. Dies könnte dahin verstanden werden, dass die sog. Stolpe-Rechtsprechung auch auf den Unterlassungsanspruch verdeckter Äußerungen anwendbar sein soll. Dies ist indes nicht der Fall434. Mit überzeugender Begründung lehnt auch die zwischenzeitlich h.M. der Zivilgerichte dies ab435. Die Anwendung der Stolpe-Rechtsprechung ist nur bei solchen Äußerungen verfassungsrechtlich geboten, die von dem maßgeblichen Publikum überhaupt als eine geschlossene, aus sich heraus aussagekräftige Tatsachenbehauptung wahrgenommen werden und insoweit dann mehrdeutig sind436. Da eine verdeckte Äußerungen erst vorliegt, wenn sich die Schlussfolgerung dem angesprochenen Publikum unabweislich aufdrängt, kann es nach diesem Verständnis keine mehrdeutige verdeckte Tatsachenbehauptungen geben437. Da es dem Einflussbereich des Äußernden im Übrigen entzogen ist, welche Schlussfolgerungen der Leser zieht438, wäre die Zugrundelegung jeder nicht fernliegenden Deutungsvariante bei verdeckten Äußerungen mit einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit verbunden439. Hierbei handelt es sich dann auch nicht um eine Verdachtsäußerung440. Keine Möglichkeit des rechtlichen Angriffes besteht daher, wenn es lediglich der Leser ist, der zum Weiterdenken in Richtung auf einen Negativ-Sachverhalt angeregt wird. Im letzteren Fall 431 BGH v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, MDR 2000, 273 = NJW 2000, 656 – Korruptionsvorwurf; v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65; v. 27.9.2016 – VI ZR 250/13, MDR 2017, 209 = IPRB 2017, 126 = AfP 2017, 48; OLG Karlsruhe v. 29.9.2008 – 6 U 72/08; OLG Köln v. 27.5.2014 – 15 U 3/14, AfP 2014, 463; 2015, 440; OLG Düsseldorf v. 16.10.2013 – I-15 U 130/13, AfP 2014, 70; OLG Stuttgart v. 9.5.2013 – 4 U 163/12, NJW-RR 2014, 487. 432 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58; v. 4.2.2010 – 1 BvR 369/04, NJW 2010, 2193 – Ausländerrückführung. 433 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2005, 544 – Stolpe; v. 24.5.2006 – 1 BvR 49/00, 1 BvR 55/00, 1 BvR 2031/00, AfP 2006, 349 – Babycaust; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58 – Gegendarstellung. 434 BVerfG v. 19.2.2004 – 1 BvR 417/98, NJW 2004, 1942; v. 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, AfP 2017, 229 – Ziemlich beste Freunde. 435 LG Hamburg v. 1.10.2010 – 324 O 3/10, AfP 2011, 394; LG Köln v. 30.11.2011 – 28 O 654/11, AfP 2012, 185; v. 13.2.2013 – 28 O 773/11, ZUM-RD 2013, 402, dazu OLG Köln v. 19.5.2015 – 15 U 38/13, BeckRS 2015, 116856; OLG Düsseldorf v. 16.10.2013 – I-15 U 130/13, AfP 2014, 70; OLG Köln v. 27.5.2014 – 15 U 3/14, AfP 2014, 463; v. 19.5.2015 – 15 U 208/14 AfP 2015, 440; OLG Karlsruhe v. 25.10.2013 – 14 U 5/12, AfP 2014, 76. 436 BVerfG v. 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 – Gen-Milch. 437 OLG Köln v. 19.5.2015 – 15 U 38/13, BeckRS 2015, 116856 Rz. 21. 438 BGH v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65. 439 LG Hamburg v. 1.10.2010 – 324 O 3/10, AfP 2011, 394; LG Köln v. 30.11.2011 – 28 O 654/11, AfP 2012, 185; ZUM-RD 2013, 402; OLG Düsseldorf v. 16.10.2013 – I-15 U 130/13, AfP 2014, 70; OLG Köln v. 27.5.2014 – 15 U 3/14, AfP 2014, 463; 2015, 440. 440 BGH v. 27.9.2016 – VI ZR 250/13, MDR 2017, 209 = IPRB 2017, 126 = AfP 2017, 48.
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kann nach Auffassung des BGH auch nicht etwa mit Rechtsmitteln gefordert werden, der Autor habe einem solchen Weiterdenken durch entsprechende Hinweise entgegenzuwirken441. Vielfach wird in solchen Fällen eine Meinungsäußerung anzunehmen sein442. Die Berichterstattung darf jedoch nicht bewusst unvollständig sein. Dem Leser dürfen keine wesentlichen Tatsachen verschwiegen werden, die dem Vorgang ein anderes Gewicht geben könnten und deren Kenntnis für den Leser unerlässlich ist, will er sich im Kernpunkt ein zutreffendes Urteil bilden443. Eine bewusst unvollständige Berichterstattung ist rechtlich wie eine unwahre Tatsachenbehauptung aufzufassen444. 87
Auch wenn der BGH dem Anspruch auf einen klarstellenden Zusatz kritisch gegenübersteht, kann eine solche Regelung die für die Praxis beste Lösung sein. Dem Kritiker wird zwar i.d.R. keine positive Stellungnahme abverlangt werden können, wohl aber ein Hinweis darauf, dass eine bestimmte Negativ-Behauptung nicht aufgestellt werden solle oder könne bzw. nicht gerechtfertigt sei (Näheres Kap. 13 Rz. 103). 4. Sinngemäße Behauptungen
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Ein Äußerungsverbot, das lediglich die wörtliche Wiederholung erfasst, läuft praktisch leer. Deswegen ist naheliegend, Unterlassung auch sinngemäßer Wiederholungen zu fordern. Insoweit bedarf es aber einer Differenzierung.
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Bei herabsetzenden Meinungsäußerungen, die lediglich aufgrund der Ausdrucksform zu beanstanden sind, wäre das Verbot auch der sinngemäßen Wiederholung eine durch Art. 5 GG nicht gedeckte inhaltliche Beschränkung der Äußerungsfreiheit445. Wird lediglich die wörtliche Wiederholung untersagt, behindert das nicht die Kritik als solche. Mit dieser Begründung hat die Mehrheit des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts das Verbot der Bezeichnung eines Informationsdienstes als „rechtsradikales Hetzblatt“, d.h. verfassungskonform bestätigt446. Allerdings hat sich dagegen die Richterin Rupp-von Brünneck in einer Dissenting vote aufgrund des Bedenkens gewandt, der Glaube, die „Zensur“ der Form werde den geistigen Inhalt unberührt lassen, könne sich als „gefährlicher Trugschluss“ erweisen447. Trotz dieses Bedenkens ist die Mehrheitsmeinung jedenfalls bei Formalbeleidigungen zu billigen448.
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Da ein Äußerungsverbot, das lediglich die wörtliche Wiederholung erfasst, praktisch leerläuft und die Beschränkung des Verbotes auf die wörtliche Wiederholung außer im Falle der Formalbeleidigung ohnehin nicht unproblematisch ist, muss die Möglichkeit der Untersagung auch sinngemäßer Behauptungen in Fällen anerkannt werden, in denen es nicht um die Art der sprachlichen Darstellung, sondern um das Fehlen des behaupteten Sachverhal-
441 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 159/78, MDR 1981, 40 = NJW 1980, 2801, 2803 – Medizin-Syndikat III. 442 BGH v. 27.9.2016 – VI ZR 250/13, MDR 2017, 209 = IPRB 2017, 126 = AfP 2017, 48. 443 BGH v. 26.10.1999 – VI ZR 322/98, MDR 2000, 273 = NJW 2000, 656, 657 – Korruptionsvorwurf; v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65. 444 BGH v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65; s. auch Kap. 4 Rz. 15a und Kap. 5 Rz. 81. 445 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 163/72, NJW 1976, 1680, 1681 – Deutschland-Stiftung. 446 BVerfG v. 11.5.1976 – 1 BvR 671/70, NJW 1976, 1677 – DGB. 447 Rupp-von Brünneck, NJW 1976, 1678, 1679. 448 Vgl. dazu BVerfG v. 20.4.1982 – 1 BvR 426/80, MDR 1982, 820 = AfP 1982, 163 = NJW 1982, 2655 – Kredithaie.
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V. Umfang und Schranken des Unterlassungsanspruches
Rz. 92 Kap. 12
tes geht449. Mit Recht hat es deswegen der BGH schon früher450 für zulässig erklärt, auch die andeutungsweise Aufstellung der im Urteilsausspruch genannten Behauptungen zu verbieten. Nicht erst in den Gründen, sondern bereits bei der Formulierung des Anspruches, des Antrages und des Tenors zum Ausdruck zu bringen, welche Reichweite Anspruch und Urteil haben sollen, erscheint auch insofern unverzichtbar, als die beiden unterschiedlichen Fälle in der Praxis nicht nur in reiner, sondern häufig auch in vermischter Form vorkommen. Oftmals fehlt der behauptete Sachverhalt nicht vollständig, sondern er stellt sich lediglich in Einzelheiten, evtl. aber gerade bezüglich wesentlicher Details anders dar, als es nach der streitigen Behauptung den Anschein hat. Dann wird meist sowohl über den Sachverhalt wie auch über die Form seiner Wiedergabe gestritten, so dass durchaus zweifelhaft sein kann, ob nur die wörtliche oder auch die sinngemäße Wiederholung der streitigen Äußerung unzulässig ist. Damit bedarf es einer bereits im Antrag bzw. im Urteilstenor erfolgenden Klarstellung. Dies kann durch die Wendung „wörtlich oder sinngemäß“ ausgedrückt werden451. 5. Gesamtverbote Der Unterlassungsanspruch bleibt zwar grundsätzlich auf die konkrete Verletzungsform be- 91 schränkt. Eine Ausnahme gilt aber, wenn für sich betrachtet zulässige mit unzulässigen Teilen der Darstellung so miteinander verbunden sind, dass sie ohne Veränderung des Sinnzusammenhanges nicht voneinander getrennt werden können. In solchen Fällen kann ein Gesamtverbot in Betracht kommen. Das Problem des Gesamtverbotes kann sich insbesondere bei ausführlicheren Darstellungen ergeben, z.B. bei einem Roman452, einem Theaterstück453, einem Film454 oder auch ausnahmsweise bei einem Zeitschriftenartikel455. a) Unwahrheit Ob infolge darin verstreuter persönlichkeitsverletzender Unwahrheiten gerechtfertigt ist, die 92 Verbreitung eines Werkes insgesamt zu unterbinden, hängt davon ab, ob die inkriminierten Passagen für die Gesamtkonzeption des Werkes und für das Verständnis des verfolgten Anliegens von Bedeutung sind. Können die Passagen ohne Einbuße für Gesamtkonzeption und Verständnis entfallen, bleibt das Verbot auf die einzelnen Textstellen beschränkt. Sind nicht nur beiwerkartige Passagen unzulässig, sondern zeichnet das Werk entsprechend seiner Gesamtanlage ein negativ entstellendes Bild des Betroffenen, dem durch das Verbot einzelner Textstellen nicht zu begegnen ist, kann ein Gesamtverbot gerechtfertigt sein, wenn nur dieses den schutzwürdigen Belangen des Betroffenen, der seinen Ruf auch durch die Gesamtkonzeption beeinträchtigt sieht und dessen Sache es nicht ist, dem Kritiker vorzuschreiben, in welcher Weise er das Werk ändern könnte, ausreichend Rechnung trägt. Dabei ist auch zu 449 BGH v. 3.2.1976 – VI ZR 23/72, NJW 1976, 799 – Alleinimporteur; v. 21.11.2006 – VI ZR 259/05, MDR 2007, 588 = AfP 2007, 44 – Klinik-Geschäftsführer; OLG Saarbrücken v. 29.4.2009 – 5 U 465/08-63, AfP 2010, 81. 450 BGH v. 5.10.1968 – VI ZR 126/67, ArchPR 1968, 55. 451 BGH v. 21.11.2006 – VI ZR 259/05, MDR 2007, 588 = AfP 2007, 44 – Klinik-Geschäftsführer. 452 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, AfP 2007, 441 – Esra; BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1773 – Mephisto; v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464 – Esra I; v. 10.6.2008 – VI ZR 252/07, AfP 2008, 385 – Esra II; OLG München v. 6.4.2004 – 18 U 4890/03, NJOZ 2005, 4343 – Esra; OLG Karlsruhe v. 14.10.2011 – 14 U 56/11, ZUM 2012, 490. 453 BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882 – Geist von Oberzell. 454 OLG Hamburg, AfP 1975, 916 – Aus nichtigem Anlass. 455 OLG Düsseldorf v. 5.12.1983 – 2 U 118/82, WRP 1984, 272, 276.
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Kap. 12 Rz. 93
Unterlassungsanspruch
berücksichtigen, dass ein auf das Gesamtwerk bezogenes Verbot einen den Autor u.U. geringer belastenden Eingriff bedeutet. Das Verbot betrifft das Werk nur in seiner vorliegenden Gestalt456. Es hindert den Autor nicht, das Werk zu verwerten, und lässt ihm bei der Umgestaltung freiere Hand als eine Beschränkung, die nach Art einer Zensur von der Gesamtkonzeption absieht457. 93
Steht das Gesamtverbot eines Werkes in Frage, wird zunächst zu prüfen sein, ob die Rechtsverletzung auf einfachere Art durch ein einleitendes Vorwort oder durch sonstige erläuternde Vorbemerkungen zu vermeiden oder zumindest wesentlich abzuschwächen ist458. In diesem Fall kommt ein eingeschränktes Verbot in Betracht, das dahin geht, die Verbreitung oder Aufführung des Werkes zu unterlassen, sofern es nicht mit dem betreffenden Vorwort versehen ist. Ein solches eingeschränktes Verbot muss den Belangen des Verletzten ausreichend Genüge leisten. Insbesondere darf nicht dem etwaigen Versuch Vorschub geleistet werden, schwerwiegende Vorwürfe gegen eine Persönlichkeit in der Form eines Kunstwerkes zu erheben und dann in einem Vorspann zu beteuern, die Vorwürfe stimmten nicht459. Im Übrigen kann von Bedeutung sein, ob der Anspruchsgegner eigene Vorschläge für ein solches Verbot und/oder für eine Umgestaltung des Werkes unterbreitet oder ob er sich auf bloßes Bestreiten und die Aufrechterhaltung seines Rechtsstandpunktes beschränkt hat460. b) Privat- und Intimsphäre
94
Ein Gesamtverbot kommt auch in Betracht, wenn es nicht oder nicht nur um persönlichkeitsverletzende Unwahrheiten, sondern um eine Verletzung der Privat- oder Intimsphäre geht461. Äußerungen, die die Privat- oder Intimsphäre verletzen, brauchen im Unterlassungsantrag nicht notwendigerweise einzeln aufgeführt zu werden. Gegebenenfalls kann z.B. pauschal verlangt werden, die Verbreitung von Behauptungen einer Romanfigur aus diesem Bereich zu unterlassen462. Im gleichen Sinne hat der BGH die Verurteilung des OLG Hamburg bestätigt, ein beanstandetes Buch anzubieten oder auszuliefern, solange darin Behauptungen enthalten sind, die Einzelheiten über das Privatleben eines bestimmten Redaktionsleiters beinhalten, nämlich eine bestimmte Schilderung anlässlich eines Besuches in seiner Privatwohnung463. Ebenso hat das OLG Karlsruhe464 einen 67 Seiten umfassenden Text verboten, da dieser nahezu durchgehend von einer Fülle unzulässiger Darstellungen und Anspielungen auf den geschlechtlichen Intimbereich und von Schmähungen durchzogen war.
456 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1773, 1778 – Mephisto. 457 BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882 – Geist von Oberzell. 458 Vgl. die wettbewerbsrechtliche Rspr. zu aufklärenden Zusätzen, z.B. BGH v. 21.6.1967 – Ib ZR 159/64, GRUR 1968, 200, 203 – Acryl-Glas. 459 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, NJW 1968, 1773, 1778 – Mephisto. 460 BGH v. 3.6.1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882 – Geist von Oberzell. 461 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, AfP 2007, 441 – Esra; BGH v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464 – Esra I; v. 10.6.2008 – VI ZR 252/07, AfP 2008, 385 – Esra II; OLG München v. 6.4.2004 – 18 U 4890/03, NJOZ 2005, 4343 – Esra; OLG Karlsruhe v. 14.10.2011 – 14 U 56/11, ZUM 2012, 490. 462 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, AfP 2007, 441 – Esra; BGH v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464 – Esra I; v. 10.6.2008 – VI ZR 252/07, AfP 2008, 385 – Esra II; OLG München v. 6.4.2004 – 18 U 4890/03, NJOZ 2005, 4343 – Esra; LG Köln v. 10.8.1982 – 28 O 250/82, AfP 1983, 414; OLG Karlsruhe v. 14.10.2011 – 14 U 56/11, ZUM 2012, 490. 463 BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, MDR 1981, 485 = NJW 1981, 1366 – Wallraff II. 464 OLG Karlsruhe v. 14.10.2011 – 14 U 56/11, ZUM 2012, 490.
1076
Burkhardt
V. Umfang und Schranken des Unterlassungsanspruches
Rz. 98 Kap. 12
Bei Berichten über die Privat- oder Intimsphäre kommt ein Gesamtverbot auch bei bloßer 95 Begehungsgefahr in Betracht (vgl. Rz. 33). Z.B. hat das OLG Hamburg einem Zeitschriftenverlag auf Antrag einer bekannten Schauspielerin untersagt465, über ihre gynäkologischen Probleme zu berichten, ferner über ihre intimen Beziehungen zu ihrem Ehemann und zu anderen Männern, sofern es um Behauptungen geht, die nicht der Wahrheit entsprechen, oder um Tatsachen, an deren Geheimhaltung sie ein berechtigtes Interesse hat. Dazu führt das OLG Hamburg aus, dass gynäkologische Untersuchungen, Eingriffe und Operationen grundsätzlich dem absolut geschützten Intimbereich der Frau angehören. Die Berichterstattung über Liebesverhältnisse können aber der Presse bei einer bekannten Schauspielerin nicht schon von vornherein untersagt werden. Ursächlich für diese Entscheidung war ein Fortsetzungsbericht, in dem über die Betroffene immer wieder Neues berichtet wurde. Nach erfolgter Publikation hat das Blatt jeweils bereitwillig Unterlassungserklärungen abgegeben. Für die künftige Berichterstattung wollte es sich aber alles offenhalten. Zu weit geht es, bei einer aktuellen Liebesbeziehung eines verheirateten Showstars die na- 96 mentliche Erwähnung der Geliebten einschränkungslos zu untersagen, wenn die künftige Entwicklung der Partnerschaft offen ist. Es ist dann ebenso offen, ob Ereignisse stattfinden werden, über die zu berichten als zulässig anerkannt werden muss. Ein genereller Anspruch der Geliebten, namentlich unerwähnt zu bleiben, kann deswegen allenfalls unter Einschränkungen anerkannt werden. Ein solcher Anspruch kann insbesondere entfallen, wenn die Geliebte sich öffentlich zu der Partnerschaft bekennt. 6. Schranken des Unterlassungsanspruches a) Güterabwägung Die Zuerkennung eines Unterlassungsanspruches kann eine Güterabwägung auf der Grund- 97 lage des Art. 5 Abs. 1 GG und des § 193 StGB erforderlich machen. Jedenfalls bei Äußerungen zu die Öffentlichkeit berührenden Angelegenheiten kann diese Güterabwägung ergeben, dass die Wiederholung einer nicht als unwahr erwiesenen Behauptung nicht untersagt werden kann, wenn der Behauptende sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf466. Das kann z.B. der Fall sein, wenn der Behauptende sich lediglich die Äußerungen eines Ministeriums zu eigen gemacht hat467. b) Privilegierte Äußerungen Gegenüber privilegierten Äußerungen bestehen keine negatorischen Ansprüche468. Nach 98 herrschender Rechtsprechung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für ein gesondertes Verfahren469. Richtigerweise dienen solche Äußerungen der Ausführung oder Verteidigung von Rechten und daher der Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.d. § 193 StGB (vgl. Kap. 10 Rz. 26 ff.). Dementsprechend ist die Wiederholung innerhalb des engsten Kreises kein Ver465 OLG Hamburg, Ufita 81/1978, 278, 283. 466 BGH v. 12.2.1985 – VI ZR 225/83, MDR 1986, 43 = AfP 1985, 117 = NJW 1985, 1621; v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = AfP 1987, 597 = NJW 1987, 2225. 467 BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 344/91, MDR 1993, 122 = NJW 1993, 930, 932 – Illegaler Fellhandel. 468 BGH v. 13.7.1965 – VI ZR 70/64, NJW 1965, 1803; 1969, 463 – Ostflüchtlinge. 469 BGH v. 17.12.1991 – VI ZR 169/91, MDR 1992, 942 = NJW 1992, 1314; v. 16.11.2004 – VI ZR 298/03, MDR 2005, 507 = AfP 2005, 70; v. 11.12.2007 – VI ZR 14/07, MDR 2008, 332 = NJW 2008, 996; v. 28.2.2012 – VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 = NJW 2012, 1659.
Burkhardt 1077
Kap. 12 Rz. 99
Unterlassungsanspruch
stoß gegen eine übernommene Unterlassungsverpflichtung, durch den eine Vertragsstrafe verwirkt wird470. Gleiches gilt für Angaben, die als Partei oder Zeuge gegenüber einem Gericht oder einer Behörde zu machen waren oder sind. Insoweit unterliegt der Unterlassungsanspruch einer immanenten Schranke. Sie bedarf keiner besonderen Erwähnung. Wird sie dennoch angeführt, bedeutet das nur eine Klarstellung, keine teilweise Klagerücknahme oder Abweisung471. Ob ein anerkannter oder gerichtlich zuerkannter Unterlassungsanspruch das Verbot einschließt, über die Unterlassungsklage bzw. das anerkannte oder zuerkannte Verbot referierend zu berichten, kann im Einzelfall problematisch sein. Solche Berichte sind nicht schon von vornherein unzulässig472, ebenso wenig Zitate von Verdachtsmomenten, die Dritte geäußert haben. Allerdings dürfen solche Berichte nicht zur Umgehung einer Unterlassungsverpflichtung benutzt werden. Ob das der Fall ist, hängt von den Umständen ab. Insbesondere kommt es darauf an, ob an dem Vorgang und an dem ergangenen Urteil ein gesteigertes Informationsinteresse oder ein aktueller Anlass zur Berichterstattung besteht473. Außerdem muss der lediglich referierende Charakter genügend deutlich zum Ausdruck kommen474. c) Bereits gedruckte Darstellungen 99
Ist eine unzulässige Darstellung bereits gedruckt, kann eine sofortige Wirksamkeit der Unterlassungsverpflichtung einem Verbreitungsstopp für die gesamte noch in der Verfügungsgewalt des Unterlassungsschuldners befindliche Auflage gleichkommen. Das kann als unerträglich erscheinen, wenn die Unzulässigkeit nur geringes Gewicht hat oder einen nur unverhältnismäßig kleinen Teil der Druckschrift ausmacht. In diesem Fall wäre die sofortige Wirksamkeit mit Art. 5 Abs. 1 GG unvereinbar, speziell wenn es sich um ein periodisches Druckwerk handelt. Die Pressefreiheit umfasst auch die grundsätzliche Möglichkeit des ungestörten regelmäßigen Erscheinenlassens. Eine freie, regelmäßig erscheinende Presse ist für eine moderne Demokratie unentbehrlich475. Abgesehen davon entspricht es einem aus Treu und Glauben folgenden allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass die Erfüllung einer Verpflichtung nur im Rahmen des Zumutbaren gefordert werden kann. In entsprechender Anwendung der §§ 13 Abs. 3 LPG BW, 111q Abs. 1 StPO ist ein Auslieferungsverbot nur zulässig aufgrund einer besonderen Abwägung der Interessen beider Beteiligten im Hinblick gerade auf diese Rechtsfolge476. Häufig wird sich die Beeinträchtigung durch die unzulässige Darstellung durch alsbaldige Berichtigung beseitigen lassen, evtl. auch durch Ersatz eines verursachten Schadens, der im Zweifel geringer ist als das nicht rechtzeitige Erscheinen der gesamten Auflage. Bei den Folgen sind auch die Besonderheiten des Pressevertriebs und mögliche Ersatzansprüche von Inserenten zu berücksichtigen.
100
Bei überobligationsmäßigen Belastungen entfällt die Leistungspflicht, oder sie ist der besonderen Situation anzupassen. Die Praxis hat deswegen das Rechtsinstitut der Aufbrauchsfrist 470 OLG Frankfurt v. 7.6.1990 – 16 U 82/89, AfP 1990, 220; OLG Koblenz v. 24.4.2008 – 6 U 81/08, NJW-RR 2008, 1316. 471 OLG Hamburg, ArchPR 1974, 93. 472 OLG Frankfurt, NJW-RR 1999, 187; OLG München v. 1.3.2001 – 21 W 3313/00, CR 2001, 863 = ITRB 2002, 54 = AfP 2001, 322; LG Hamburg, ArchPR 1972, 173. 473 OLG Frankfurt, NJW-RR 1999, 187. 474 OLG München v. 1.3.2001 – 21 W 3313/00, CR 2001, 863 = ITRB 2002, 54 = AfP 2001, 322. 475 BVerfG v. 5.8.1966 – 1 BvR 586/62, 1 BvR 610/63, 1 BvR 512/64, NJW 1966, 1603 – Spiegel. 476 OLG Düsseldorf v. 3.10.1984 – 15 U 116/84, AfP 1985, 51; LG Köln v. 4.8.2010 – 28 O 636/09, ZUM-RD 2011, 253.
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Burkhardt
V. Umfang und Schranken des Unterlassungsanspruches
Rz. 101 Kap. 12
entwickelt. Obschon der Unterlassungsschuldner an sich ab sofort Unterlassung schuldet, ist ihm durch Einräumung einer Aufbrauchsfrist dennoch gestattet, noch vorhandenes Material mit unzulässigem Inhalt innerhalb bestimmter Frist aufzubrauchen477. Richtiger Auffassung nach folgt die Notwendigkeit der Gewährung einer Aufbrauchsfrist bereits aus materiellen Gründen, so dass es der Heranziehung des § 765a ZPO nicht bedarf. Dass die Gewährung einer Aufbrauchsfrist auch in äußerungsrechtlichen Angelegenheiten in Betracht kommt, ist für sich betrachtet unstreitig478. Die Frage kann nur sein, unter welchen Voraussetzungen der Unterlassungsanspruch einer solchen Beschränkung unterliegt. Im Wettbewerbsrecht wird grundsätzlich guter Glaube gefordert479. Jedenfalls schließen Täuschungshandlungen die Zubilligung einer Aufbrauchsfrist aus480. Auch im äußerungsrechtlichen Bereich kann die subjektive Seite nicht unberücksichtigt bleiben. Bei bewusster, womöglich bewusst wiederholter Rechtsverletzung wäre besondere Schonung fehl am Platze481. Wirbt der Verleger nach ergangenem erstinstanzlichen Verbot in der Öffentlichkeit damit, dass die aufgebundenen Exemplare weiter verkauft werden dürfen, kann die erforderliche Abwägung im Berufungsverfahren ergeben, dass eine weitere Aufbrauchfrist nicht mehr zu gewähren ist482. Abgesehen davon können die in § 111q StPO für die strafrechtliche Beschlagnahme vorgesehenen Beschränkungen herangezogen werden. Nach § 111q Abs. 1 StPO ist die Beschlagnahme unzulässig, wenn ihre nachteiligen Folgen, insbesondere die Gefährdung des öffentlichen Interesses an unverzögerter Verbreitung, offenbar außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache stehen. Bei periodischen Druckwerken, speziell bei der Tagespresse wird die Festsetzung einer 101 Aufbrauchsfrist allenfalls in Betracht kommen, wenn die Unterlassungsverfügung vor der Auslieferung ergeht, sonst kaum. Bei Erscheinen der nächsten Ausgabe wird die vorherige ohnehin unverkäuflich. Zum Ausgleich für eine nicht gewährte Aufbrauchsfrist sollte dem Betroffenen ein großzügig bemessener Gegendarstellungs- und/oder Widerrufsanspruch eingeräumt werden. Bei der Buchpresse kann zwischen aufgebundenen und nicht aufgebundenen Exemplaren zu unterscheiden sein. Aufgebundene Exemplare sind nach Auffassung des LG Hamburg483 jedenfalls im einstweiligen Verfügungsverfahren von dem sofortigen Verbot auszunehmen und insoweit eine Aufbrauchfrist zu gewähren. Jedoch kommt es auch insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Im dem Fall, dass der Verleger damit wirbt, die Erstauflage dürfe trotz ergangenem Verbot noch verkauft werden, hat das OLG Hamburg aufgebundene und ausgedruckte Buchexemplare nicht mehr von dem Verbot ausgenommen484. Das LG Köln485 nimmt auch insoweit richtigerweise eine Interessensabwägung vor. Bei nicht aufgebundenen Exemplaren kann es dem Verleger eher zumutbar sein, die unzulässigen Teile zu schwärzen oder die betreffenden Bogen neu zu drucken. 477 Std. Rspr., vgl. u.a. BGH v. 31.5.1960 – I ZR 16/59, NJW 1960, 1856 – Alterswerbung. 478 OLG Stuttgart, BB 1963, 831; OLG Hamburg, ArchPR 1969, 58; OLG München v. 20.12.1973 – 6 U 3019/73, AfP 1974, 631; OLG Frankfurt v. 6.9.1984 – 6 U 49/84, GRUR 1985, 395; LG Köln v. 21.10.2009 – 28 O 635/09, NJOZ 2010, 445; Koebel, NJW 1967, 325. 479 Std. Rspr., u.a. BGH, GRUR 1960, 363, 567. 480 Heydt, GRUR 1961, 284. 481 OLG Hamburg v. 24.1.2018 – 7 W 3/18, AfP 2018, 150; zum Urheberrecht: LG Hamburg v. 28.10.2011 – 308 O 23/11, ZUM 2012, 345. 482 OLG Hamburg v. 24.1.2018 – 7 W 3/18, AfP 2018, 150. 483 LG Hamburg v. 29.12.1997 – 324 O 947/97, n.v.; v. 6.6.1997 – 324 O 385/97, n.v.; a.A. LG Berlin v. 12.11.1998 – 27 O 520/98, n.v.; LG Kassel v. 13.1.1997 – 15 W 74/97, n.v., bei 17 unwahren Behauptungen innerhalb eines Buches. 484 OLG Hamburg v. 24.1.2018 – 7 W 3/18, AfP 2018, 150. 485 LG Köln v. 21.10.2009 – 28 O 635/09, NJOZ 2010, 445.
Burkhardt 1079
Kap. 12 Rz. 102
Unterlassungsanspruch
102
Auch die Möglichkeit eines Einlegeblattes mit einem Errata-Hinweis oder einer sonstigen Richtigstellung kommt in Betracht. Es kann auch die Verpflichtung vorgesehen werden, den Buchhandel mit Einlegeblättern zu versorgen. Sind die Exemplare eingeschweißt, wird bei weniger gravierenden Eingriffen ein Aufkleber auf der Umhüllung genügen. Bei schweren Eingriffen kann es erforderlich sein, den Text zu schwärzen oder mit einem korrigierten Text zu überkleben.
103
Eine Aufbrauchfrist ist im Tenor der Entscheidung zum Ausdruck zu bringen. Soehring/Hoene486 gehen demgegenüber davon aus, dass das Aufbrauchsrecht auch dann gelten muss, wenn dies in der gerichtlichen Entscheidung nicht zum Ausdruck kommt. Sind die Voraussetzungen für eine solche Begrenzung nicht gegeben, ist von der sofortigen Wirksamkeit des Verbots auszugehen (zur notwendigen Vollziehung bei einstweiligen Verfügungen s. Rz. 148a). Der Verpflichtete hat unverzüglich alle Maßnahmen zu ergreifen, die zur Einhaltung der Unterlassungsverpflichtung erforderlich sind (vgl. Rz. 157). Weitergehend geht der BGH in zwischenzeitlich ständiger Rechtsprechung487 davon aus, dass bei einer Handlung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, die Unterlassungsverpflichtung auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung der Störungsquelle umfasse, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot Folge geleistet werden könne. Der BGH hat dies ursprünglich mit der besonderen Situation im Internet begründet, wo Beiträge typischerweise von Dritten verlinkt werden. Auch soweit Dritte durch deren selbständiges Dazwischentreten die Verbreitung bewirken, realisiere sich lediglich die durch die Ursprungsveröffentlichung geschaffene internettypische Gefahr488. Daher umfasse die Handlungspflicht auch, erforderlichenfalls auf Dritte einzuwirken, wenn und soweit der Unterlassungsschuldner auf diese – rechtlich oder tatsächlich – Einfluss nehmen könne. Weitergehend meint der BGH489, dass diese Verpflichtung zur Einwirkung auf Dritte auch bei an den Buchhandel ausgelieferten Buchexemplaren bestehe. Dies hatte schon zuvor das OLG Frankfurt490 angenommen. In seinem Beschluss vom 29.9.2016491 hat der I. Zivilsenat des BGH im Falle eines wettbewerbsrechtlichen Verbots gesundheitsbezogener Angaben für als Spirituosen gekennzeichnete, über Apotheken vertriebene „RESCUE TROPFEN“ und „RESCUE NIGHT SPRAY“ angenommen, der ausgeurteilte Unterlassungsanspruch umfasse auch die Pflicht zum Rückruf der Produkte. Die abgeleitete Handlungspflicht begegnet im Bereich des Äußerungsrechts Bedenken. Im Printbereich erfasst die Rückrufverpflichtung stets das gesamte Presseerzeugnis, nicht allein die als unzulässig erkannte Äußerung. Schon dies führt zu einem erheblichen Eingriff in die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit, der abgesehen von
486 Soehring/Hoene, § 30 Rz. 32. 487 BGH v. 25.1.2007 – I ZB 58/06, MDR 2007, 859 = NJW-RR 2007, 863; v. 18.9.2014 – I ZR 76/13, MDR 2015, 291 = CR 2015, 257 = IPRB 2015, 101 = GRUR 2015, 258; v. 11.11.2014 – VI ZR 18/14, CR 2015, 254 = MDR 2015, 25 = ITRB 2015, 86 = AfP 2015, 33; v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, CR 2015, 671 = MDR 2015, 1065 = AfP 2015, 425 – recht§billig; v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564; v. 29.9.2016 – I ZB 34/15, MDR 2017, 351 = GRUR 2017, 208, s. auch Rz. 78 ff. 488 BGH v. 11.11.2014 – VI ZR 18/14, CR 2015, 254 = MDR 2015, 25 = ITRB 2015, 86 = AfP 2015, 33. 489 BGH v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564. 490 OLG Frankfurt v. 29.12.1997 – 15 W 74/97, n.v.; ebenso Meyer-Bohl, NJW 2000, 2135, 2137 und Paschke/Busch, NJW 2004, 2620. 491 BGH v. 29.9.2016 – I ZB 34/15, MDR 2017, 351 = GRUR 2017, 208; fortgeführt in BGH v. 4.5.2017 – I ZR 208/15, MDR 2017, 961 = GRUR 2017, 823 – Luftentfeuchter.
1080
Burkhardt
V. Umfang und Schranken des Unterlassungsanspruches
Rz. 104 Kap. 12
möglichen Ausnahmefällen, etwa einem Gesamtverbot492, i.d.R. als unverhältnismäßig anzusehen wäre. Überdies enthalten Presseerzeugnisse üblicherweise Beiträge verschiedener Autoren. Jeder einzelne übt dabei das ihm zustehende Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit aus. In umgekehrter Weise gilt dies auch für die Leser, welche an der konkreten Ausgabe des Presseerzeugnisses interessiert sind. Eine Rückrufverpflichtung greift daher nicht nur in die Rechte des betroffenen Verlags und des betroffenen Autors ein, sondern auch in die Rechte Dritter. Dies bedarf besonderer Rechtfertigung und kann daher nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Auch soweit es sich um eine Publikation nur eines Autors handelt, ist eine dem Unterlassungsanspruch immanente Rückrufpflicht nicht bedenkenfrei. Der Leser nimmt den Rückruf eines Buches oder sonstigen Presseerzeugnisses in seiner Bedeutung ähnlich einem Widerruf war. Die rechtlichen Voraussetzungen wie auch die prozedurale Durchsetzung beider Ansprüche weisen jedoch erhebliche Unterschiede auf. Hinzu kommt, muss ein Äußernder befürchten, wegen seiner Äußerung, die evtl. wegen des besonderen Informationsinteresses an dem Thema vielfach weiterverbreitet wird, erheblichen Aufwand betreiben zu müssen, um nach einem Verbot auf Dritte einzuwirken, die Äußerung zu löschen oder gar das Presseerzeugnis schon im Falle der Zuerkennung eines Unterlassungsanspruchs im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zurückzurufen, kann und wird dies erfahrungsgemäß negative Auswirkungen auf die generelle Ausübung des Grundrechts und damit auf den Prozess der Meinungsbildung haben493. Eine solche Handlungspflicht sollte daher nur in Fällen erwiesen unwahrer Tatsachenbehauptungen494 und schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen angenommen werden. Die verlangte Handlungspflicht muss ferner geeignet und erforderlich zur Beseitigung des Störungszustandes sein. Sie muss überdies zumutbar sein495. Gerade die Zumutbarkeit bedarf in jedem Einzelfall besonderer Prüfung, insbesondere soweit eine solche Handlungspflicht zu nicht unerheblichen materiellen Einbußen beim Verpflichteten führt, etwa bei bereits hergestellten und ausgelieferten Presseerzeugnissen. Dabei ist auch die auf den künftigen Gebrauch der Äußerungsfreiheit einschnürende Wirkung zu berücksichtigen. Die Verpflichtung zum Rückruf im Bereich des Äußerungsrechts sollte sich weiterhin nach den für Beseitigungsansprüche entwickelten Grundsätzen richten496, nicht aber über die „Hintertür“ des Unterlassungsanspruchs eröffnet werden. Dies gilt im Besonderen für im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zuerkannte Unterlassungsansprüche. d) Äußerungen zu Wettbewerbszwecken Ist eine Äußerung nur aus wettbewerbsrechtlichen Gründen unzulässig, kann Unterlassung 104 nur in diesem beschränkten Umfang gefordert werden. Ist die Äußerung auch unabhängig davon unzulässig, z.B. aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen, bedarf es dieser Beschränkung auch dann nicht, wenn die Verbreitung ursprünglich zu Wettbewerbszwecken erfolgt ist. Im Falle einer Persönlichkeitsverletzung ist dem Betroffenen das Risiko nicht zuzumuten, dass der Behauptende die Äußerung wiederholt, einen Verstoß gegen die beschränkte Verurteilung aber mit der Begründung leugnet, diesmal habe er sich nicht zu Wettbewerbszwecken geäußert. 492 Vgl. OLG München v. 6.4.2004 – 18 U 4890/03, NJOZ 2005, 4343 – Esra; BGH v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464 – Esra; BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05, AfP 2007, 441. 493 Sajuntz, NJW 2016, 1921; vgl. BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58. 494 BGH v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, CR 2015, 671 = MDR 2015, 1065 = AfP 2015, 425 – recht§billig. 495 BGH v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14, CR 2015, 671 = MDR 2015, 1065 = AfP 2015, 425 – recht§billig. 496 Vgl. bspw. LG Köln v. 4.8.2010 – 28 O 636/09, ZUM-RD 2011, 253.
Burkhardt 1081
Kap. 12 Rz. 105
Unterlassungsanspruch
e) Neuer Sachverhalt 105
Grundsätzlich betrifft der Unterlassungsanspruch eine Behauptung, die zu einem bestimmten Sachverhalt aufgestellt worden ist. Behauptungen zu künftigen Sachverhalten erfasst der Unterlassungsanspruch nicht. Daraus folgt die Möglichkeit, dass eine Behauptung, gegen die ein Unterlassungsanspruch bestanden hat, erneut aufgestellt werden darf, wenn ein neuer Sachverhalt sie rechtfertigt. Entsprechendes gilt, wenn zwar der Sachverhalt der gleiche bleibt, dazu aber neue Erkenntnisse gewonnen bzw. bessere Beweismittel beschafft werden. Ein solches Recht kann trotz einer abgegebenen Unterlassungserklärung bestehen. Selbst bei fehlender ausdrücklicher Einschränkung bezieht eine Unterlassungserklärung sich grundsätzlich nur auf die zu dem bestimmten Sachverhalt aufgestellte Behauptung und also nicht auf eine Behauptung zu einem erst nachträglich entstehenden oder entdeckten Sachverhalt. Das bedeutet zwar eine Relativierung der Unterlassungserklärung. Sie ist aber unvermeidlich. Es wäre geradezu unerträglich, wenn z.B. ein Publikationsorgan aufgrund einer Unterlassungserklärung an der Information der Rezipienten gehindert wäre, obschon das behauptete Ereignis inzwischen stattgefunden hat oder mittlerweile erwiesen ist. Allerdings trägt der Behauptende das Risiko, dass tatsächlich ein neuer Sachverhalt vorliegt bzw. zum bisherigen neue Erkenntnisse gewonnen worden sind, die einen Wegfall der Geschäftsgrundlage der abgegebenen Erklärung bewirken. Zu den Schranken eines Unterlassungsurteils vgl. Rz. 155.
105a
Kein neuer Sachverhalt in diesem Sinne liegt vor, wenn in einem Parallelverfahren wegen inhaltsgleicher Äußerungen eine zunächst erlassene Beschlussverfügung auf Widerspruch aufgehoben wurde. Dies betrifft die Frage, ob eine abgegebene Unterlassungserklärung angefochten oder gekündigt werden kann bzw. infolge Eintritts einer auflösenden Bedingung gem. § 158 Abs. 2 BGB endet (s. Rz. 31). f) Verjährung
105b Deliktische Ansprüche unterliegen der Regelverjährung gem. § 199 BGB. Nach § 199 Abs. 5
BGB tritt bei Unterlassungsansprüchen die Zuwiderhandlung an die Stelle der Entstehung des Anspruchs. Danach beginnt mit jeder Zuwiderhandlung eine neue Verjährungsfrist zu laufen. Bei Äußerungen in klassischen Medien ist der Verjährungsbeginn damit eindeutig zu bestimmen. Die kenntnisunabhängige zehnjährige Verjährungsfrist beginnt mit dem Tag der Publikation zu laufen. Wird eine Berichterstattung in Online-Medien über einen längeren Zeitraum oder dauerhaft zum Abruf bereitgehalten, ist zwischen Behaupten und Verbreiten zu unterscheiden (Näheres Kap. 4 Rz. 99 ff., Kap. 10 Rz. 207 ff.). Während hinsichtlich des Verbreitens von einer Dauerhandlung auszugehen ist, durch welche das Persönlichkeitsrecht ggf. fortwährend ununterbrochen verletzt wird497, hängt die Einordnung für das Behaupten von den Umständen des Einzelfalls ab. Liegt eine einmalige Berichterstattung vor, ist nur auf den Zeitpunkt deren erstmaliger Publikation abzustellen, auch wenn diese über ein Archiv weiterhin abrufbar ist. Entscheidend ist, ob für den verständigen durchschnittlichen Nutzer erkennbar ist, dass es sich um eine zu einem bestimmten Zeitpunkt getätigte Äußerung handelt und 497 Zur erforderlichen Interessenabwägung vgl. BGH v. 15.12.2009 – VI ZR 227/08, MDR 2010, 321 = CR 2010, 184 m. Anm. Kaufmann = ITRB 2010, 125 = AfP 2010, 77 – Online-Archiv; v. 9.2.2010 – VI ZR 243/08, MDR 2010, 570 = CR 2010, 480 = AfP 2010, 162 – Spiegel-Dossier; v. 30.10.2012 – VI ZR 4/12, CR 2013, 40 = MDR 2013, 27 = IPRB 2013, 81 = AfP 2013, 50 – Gazprom-Manager; v. 13.11.2012 – VI ZR 330/11, CR 2013, 110 = MDR 2013, 151 = AfP 2013, 54 – Apollonia; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520 = CR 2016, 406 = IPRB 2016, 124 = GRUR 2016, 532.
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VI. Durchsetzung des Unterlassungsanspruches
Rz. 106 Kap. 12
durch die Art der Darstellung nicht der Eindruck erweckt wird, die Äußerung würde dauerhaft in dieser Weise aufgestellt. Dann ist von einer einmaligen Zuwiderhandlung auszugehen, so dass die Verjährung jedenfalls nach Ablauf der kenntnisunabhängigen zehnjährigen Frist des § 199 Abs. 3 BGB eintritt. Davon kann bei allen mit einem Veröffentlichungsdatum versehenen Publikationen ausgegangen werden, auch wenn diese über ein Archiv weiterhin abrufbar sind498. Der Fall entspricht der Publikation in einer Zeitung oder Zeitschrift, die anschließend im Pressearchiv ebenso noch eingesehen werden kann. Die leichtere Recherche in Online-Archiven vermag insoweit eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen499. Demgegenüber liegt eine Dauerhandlung in Form des Behauptens bei einer Berichterstattung vor, die als aktuelle Meldung dauerhaft publiziert bleibt, wie dies etwa bei enzyklopädischen Beiträgen, Eigendarstellungen über Unternehmen, Buchpublikationen der Fall sein kann. Von einer Dauerhandlung hinsichtlich des Behauptens kann auch auszugehen sein, wenn die Publikation zwar ein Veröffentlichungsdatum trägt, aber nach der Art der Abrufbarkeit der Eindruck einer Dauerpublikation hervorgerufen wird. Solange der Eingriff dauert, vermag dann die Verjährungsfrist nicht zu laufen beginnen.
VI. Durchsetzung des Unterlassungsanspruches 1. Abmahnung In Wettbewerbssachen hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass der Angreifer den Verletzer 106 grundsätzlich zunächst außergerichtlich abmahnen muss, wenn er vermeiden will, im Falle eines sofortigen Anerkenntnisses nach § 93 ZPO mit den Verfahrenskosten belastet zu werden. Das ist zum Gewohnheitsrecht geworden. Äußerungsrechtliche Streitigkeiten unterscheiden sich zwar von wettbewerbsrechtlichen u.a. dadurch, dass es allein um den Individualschutz des unmittelbar Betroffenen geht. Gleichwohl ist es h.M., dass es auch in diesem Bereich grundsätzlich einer vorherigen Abmahnung bedarf500. Seine gegenteilige Ansicht501 hat das OLG München aufgegeben502 und geht nun ebenso davon aus, dass auch eine besondere Eilbedürftigkeit einer vorgerichtlichen Abmahnung grundsätzlich nicht entgegensteht. Medienunternehmen sind durch Fax und E-Mail erreichbar und auf zügige Bearbeitung von Mitteilungen eingerichtet. Bei unmittelbar bevorstehender Veröffentlichung kann deswegen eine nach Stunden bemessene Erklärungsfrist ausreichen. Ist die gesetzte Frist zu kurz bemessen, setzt die Abmahnung eine angemessene Frist in Lauf503. Ist diese bis zum gerichtlichen Vorgehen verstrichen, besteht Anlass zur Klageerhebung. Das Abmahnschreiben muss zugehen. Das Risiko des Verlustes des Abmahnschreibens trägt anders als im Wettbewerbsrecht der 498 LG München v. 2.10.2013 – 9 O 3611/13, Berufungsurteil OLG München – 18 U 4283/13 obiter dictum, letztlich offengelassen; LG Hamburg v. 30.1.2015 – 324 O 62/14; vgl. BGH v. 12.12.2003 – V ZR 98/03, MDR 2004, 503 = NJW 2004, 1035; v. 28.1.2011 – V ZR 141/10, MDR 2011, 477 = NJW 2011, 1068; MünchKomm/Grothe, § 199 BGB Rz. 15, 56 f. 499 Vgl. BGH v. 13.11.2012 – VI ZR 330/11, CR 2013, 110 = MDR 2013, 151 = AfP 2013, 54 – Online-Archiv. 500 U.a. OLG Düsseldorf, AfP 1982, 4; OLG Köln v. 30.11.1984 – 15 W 73/84, AfP 1985, 61; v. 19.7.1989 – 15 W 85/89, AfP 1990, 51; OLG Hamburg v. 17.7.1995 – 3 W 64/95, WRP 1995, 1037; OLG Nürnberg v. 5.12.1986 – 9 W 3492/86, NJW-RR 1987, 695; LG Oldenburg v. 25.9.1987 – 5 O 2828/86, AfP 1987, 725; LG Köln v. 8.11.2017 – 28 O 263/17, AfP 2018, 87; LG Hamburg v. 10.11.2017 – 324 O 449/17, AfP 2018, 86. 501 OLG München v. 23.10.1991 – 21 W 2048/91, AfP 1992, 285 = NJW-RR 1992, 731. 502 OLG München v. 2.5.2000 – 21 W 988/00, NJW-RR 2001, 42. 503 LG Hamburg v. 10.11.2017 – 324 O 449/17, AfP 2018, 86.
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Kap. 12 Rz. 106a
Unterlassungsanspruch
Abmahnende504. Auf die Abmahnung sind die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht anzuwenden505. 106a
Umstritten ist, ob § 174 Satz 1 BGB auf Abmahnungen anwendbar ist. Der I. Zivilsenat des BGH geht für wettbewerbsrechtliche Abmahnungen davon aus506, dass § 174 Satz 2 BGB auf die mit einer Unterwerfungserklärung verbundene Abmahnung nicht anwendbar ist. Er begründet dies insbesondere mit der Funktion, durch das mit der Abmahnung verbundene Vertragsangebot werde dem Schuldner eine Möglichkeit eingeräumt, den Gläubiger ohne Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe klaglos zu stellen. Bestehen Zweifel an der Vertretungsmacht, kann der Schuldner die Unterwerfungserklärung von der Vorlage einer Vollmachtsurkunde abhängig machen507. Ein Schuldner, der auf eine anwaltliche Abmahnung erklärt, er sei zur Abgabe der verlangten strafbewehrten Unterlassungserklärung bereit, wenn eine Vollmacht vorgelegt werde, gibt daher keinen Anlass zur Stellung eines Verfügungsantrags, wenn es dem Gläubiger zumutbar war, diesem Verlangen vor Anrufung des Gerichts zu entsprechen508. Wird lediglich der fehlende Vollmachtnachweis gerügt, ohne dass zugleich die Abgabe der begehrten Unterlassungserklärung angekündigt wird, besteht Anlass zur Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe.
107
Eine ordnungsgemäße Abmahnung setzt neben der bestimmten Unterlassungsaufforderung die eindeutige Kennzeichnung des Streitgegenstandes, die Setzung einer ausreichenden Äußerungsfrist und auch die Androhung gerichtlicher Schritte für den Fall ihrer Fruchtlosigkeit voraus509. Das Fehlen der Androhung gerichtlicher Schritte ist aber unschädlich, wenn der Abgemahnte erkannt hat, dass gerichtliche Schritte der Gegenseite drohen510. Entbehrlich ist eine solche Abmahnung, wenn die Abgabe einer Unterwerfungserklärung angesichts der Haltung des Anspruchsgegners ausgeschlossen werden kann, ferner bei Gefahr im Verzug infolge unmittelbar bevorstehender schwerer Persönlichkeitsverletzung511. Ebenso kann die kurzfristige Veröffentlichung von Sonderausgaben oder -meldungen eine besondere Eilbedürftigkeit begründen, jedenfalls wenn die darin enthaltenen Persönlichkeitsverletzungen schwerwiegend und daher sofort und wirksam zu unterbinden sind512. Auch bei einem besonders groben Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht, z.B. einem erfundenen Interview, ist eine Abmahnung nicht erforderlich513. Entbehrlich ist die Abmahnung insbesondere, wenn sie den Schuldner mutmaßlich veranlasst, schnell noch möglichst viele Exemplare mit unzulässigem Inhalt zu verbreiten.
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Bei mehrdeutigen Äußerungen bedarf es stets einer vorherigen Aufforderung zur Klarstellung. Dies folgt aus dem Umstand, dass dem Äußernden ein einfacher und kostengünstiger 504 OLG Bamberg v. 28.11.2008 – 4 W 41/08, AfP 2009, 595; a.A. OLG Köln v. 12.12.1992 – 15 U 164/92, AfP 1993, 590. 505 LG Hamburg v. 27.4.2007 – 324 O 718/06; Korte, § 5 Rz. 220; a.A. AG Köln v. 06.02.2012 – 113 C 151/11, AfP 2012, 203. 506 BGH v. 19.5.2010 – I ZR 140/08, MDR 2011, 247 = IPRB 2010, 267 = GRUR 2010, 1120. 507 BGH v. 19.5.2010 – I ZR 140/08, MDR 2011, 247 = IPRB 2010, 267 = GRUR 2010, 1120; OLG Stuttgart, NJWE-WettbR 2000, 125. 508 OLG Stuttgart, NJWE-WettbR 2000, 125; KG v. 1.3.2012 – 10 W 121/11. 509 OLG Hamburg, WRP 1981, 420. 510 OLG Hamburg v. 19.12.1985 – 3 W 135/85, WRP 1986, 292. 511 LG Oldenburg v. 25.9.1987 – 5 O 2828/86, AfP 1987, 725. 512 LG Stuttgart v. 24.1.2002 – 17 O 477/01, n.v. 513 OLG Köln v. 30.11.1984 – 15 W 73/84, AfP 1985, 61; OLG München v. 2.5.2000 – 21 W 988/00, NJW-RR 2001, 42, 43.
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VI. Durchsetzung des Unterlassungsanspruches
Rz. 108b Kap. 12
Weg eröffnet sein muss, klarzustellen, wie er seine Äußerung verstanden wissen will514. Hierzu genügt eine Klarstellung gegenüber dem Betroffenen515. Erfolgt eine Klarstellung, nach der der Äußerung ein Inhalt beizulegen ist, der keine Persönlichkeitsverletzung darstellt, liegt bereits keine rechtswidrige Äußerung vor516. Daher besteht auch für die Abmahnung bzw. Aufforderung zur Klarstellung kein Anspruch auf Kostenerstattung517. Lässt der Abgemahnte eine wirksam gesetzte Frist fruchtlos verstreichen, löst ein Anerkennt- 108a nis erst im Prozess die Kostenfolge des § 93 ZPO nicht mehr aus. Anders kann es sich verhalten, wenn ein abgemahntes Medienunternehmen die fristgerechte Abgabe der Unterlassungserklärung mit der Begründung verweigert hat, wegen notwendiger Recherchen zur sofortigen Unterwerfung nicht in der Lage zu sein. Dieser Einwand ist erheblich, wenn die Recherche sachlich geboten ist518. Erfolgt bei mehrdeutigen Äußerungen eine Klarstellung erst im Prozess, hat der Betroffene den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, will er ein Kostenrisiko vermeiden519. Ob im Äußerungsrecht der Anspruch auf Erstattung von Abmahngebühren auf die Grund- 108b sätze über die Geschäftsführung ohne Auftrag gestützt werden kann, ist umstritten. Das LG Hamburg520 verneint einen solchen Anspruch mit guten Gründen. Anders als im Wettbewerbsrecht ist die Abmahnung im Äußerungsrecht im Regelfall kein „auch-fremdes-Geschäft“, also eine Handlung, die auch im Interesse des Abgemahnten liegt, weil dieser vor einer weiteren Inanspruchnahme durch Dritte bewahrt werden kann. Von persönlichkeitsrechtsverletzenden Äußerungen ist regelmäßig allein der Abmahnende berührt521. Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich dann nur aus einer Verpflichtung zum Schadensersatz522. Jedenfalls sind Aufwendungen für ein presserechtliches Hinweisschreiben, mit dem einer Weiterverbreitung unzulässiger Berichterstattung durch andere Medien vorgebeugt werden soll, regelmäßig nicht erstattungsfähig523. 514 BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, AfP 2005, 544 – Stolpe; v. 24.5.2006 – 1 BvR 49/00, 1 BvR 55/00, 1 BvR 2031/00, AfP 2006, 349 – Babycaust; v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, AfP 2008, 58 – Gegendarstellung. 515 OLG Stuttgart v. 11.5.2015 – 4 W 14/15, ZUM 2015, 1009; LG Stuttgart v. 13.1.2015 – 11 O 224/14, ZUM 2015, 1016; v. 2.12.2015 – 11 O 213/15; LG Hamburg v. 22.10.2010 – 324 O 100/10, AfP 2010, 613; a.A. KG v. 18.8.2008 – 10 U 47/08, BeckRS 2012, 24646. 516 OLG Stuttgart v. 11.5.2015 – 4 W 14/15, ZUM 2015, 1009; LG Stuttgart v. 13.1.2015 – 11 O 224/14, ZUM 2015, 1016; v. 2.12.2015 – 11 O 213/15; Mann, AfP 2011, 326; Soehring/Hoene, § 30 Rz. 11a; Schippan, ZUM 2015, 974; a.A. Specht/Müller-Riemenschneider, NJW 2015, 727. 517 OLG Stuttgart v. 11.5.2015 – 4 W 14/15, ZUM 2015, 1009; LG Stuttgart v. 13.1.2015 – 11 O 224/14, ZUM 2015, 1016; v. 2.12.2015 – 11 O 213/15; LG Hamburg v. 22.10.2010 – 324 O 100/10, AfP 2010, 613; Mann, AfP 2011, 326; Sajuntz, NJW 2012, 3761, 3765 f.; Schippan, ZUM 2015, 974, 978; Soehring/Hoene, § 30 Rz. 11a; Korte, § 2 Rz. 162 und § 5 Rz. 220; a.A. AG Köln v. 6.2.2012 – 113 C 151/11, AfP 2012, 203; Specht/Müller-Riemenschneider, NJW 2015, 727. 518 Vgl. KG v. 4.1.1983 – 5 W 5541/82, GRUR 1983, 673. 519 LG Hamburg v. 28.12.2010 – 324 O 140/10, ZUM-RD 2011, 560. 520 LG Hamburg v. 27.4.2007 – 324 O 718/06. 521 Korte, § 5 Rz. 220. 522 A.A. AG Köln v. 6.2.2012 – 113 C 151/11, AfP 2012, 203; zum Kostenersatz als Teil des zu ersetzenden Schadens allgemein BGH v. 23.11.2006 – I ZR 276/03, CR 2007, 542 = MDR 2007, 965 = ITRB 2007, 207 = WRP 2007, 783 – Abmahnaktion; v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564; v. 17.11.2015 – VI ZR 492/14, MDR 2016, 110 = IPRB 2016, 51 = AfP 2016, 75. 523 BGH v. 2.5.2017 – VI ZR 262/16, AfP 2017, 310 Rz. 33 ff.
Burkhardt 1085
Kap. 12 Rz. 108c
Unterlassungsanspruch
108c
Beim Vorgehen gegen Text- und Bildberichterstattung in einem Beitrag handelt es sich um eine einheitliche Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG524. Die Gegenstandswerte sind daher zusammenzurechnen. Gleiches kann gelten, wenn mehrere Betroffene gegen eine Berichterstattung525 oder ein Betroffener gegen mehrere Verletzer526 vorgehen oder eine gleichlautende Berichterstattung im Printmedium und im Online-Medium angegriffen wird527. Bei inhaltsgleichen gegen mehrere Verletzer geltend gemachten Unterlassungsansprüchen handelt es sich nicht um denselben Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit, so dass Erhöhungsgebühren ausscheiden. Für die einzelnen Gegenstände sind vielmehr einzelne Streitwerte anzusetzen, die zusammenzurechnen sind528. Werden mehrere äußerungsrechtliche Ansprüche geltend gemacht, sind Unterlassungs-, Richtigstellungs- und Gegendarstellungsansprüche regelmäßig unterschiedliche Angelegenheiten i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG529. Eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war530.
108d
War die Abmahnung unberechtigt, hat der Abgemahnte gleichwohl grundsätzlich keinen Anspruch auf Ersatz seiner Kosten der Rechtsverteidigung. Eine unberechtigte Inanspruchnahme gehört zum allgemeinen Lebensrisiko. Ein Erstattungsanspruch kommt nur bei einer rechtlichen Sonderverbindung in Betracht, innerhalb derer Pflichten verletzt wurden531. Anerkannt ist die Ersatzpflicht bei einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung532. 2. Rechtsweg a) Zivilrechtsweg
109
Äußerungsrechtliche Streitigkeiten sind grundsätzlich bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten i.S.d. § 13 GVG, für die der Zivilrechtsweg eröffnet ist. Der Zivilrechtsweg ist auch bei Äußerungen gegeben, die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten verbreiten533. Dies gilt auch für ausländische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten534. Die insbesondere von Buri535 und
524 BGH v. 12.7.2011 – VI ZR 214/10, AfP 2011, 362; v. 20.11.2012 – VI ZB 1/12, NJW 2013, 1369; zur Kostentragungspflicht in Pressesachen und den Gebühren s. Frauenschuh, AfP 2014, 410 ff. 525 BGH v. 21.6.2011 – VI ZR 73/10, AfP 2011, 360. 526 BGH v. 1.3.2011 – VI ZR 127/10, AfP 2011, 184; 11.9.2012 – VI ZB 59/11, NJW 2013, 66. 527 BGH v. 19.10.2010 – VI ZR 237/09, NJW 2011, 155; v. 2.10.2012 – VI ZB 68/11, ZUM 2013, 211. 528 BGH v. 15.4.2008 – X ZB 12/06, GRUR-RR 2008, 460. 529 BGH v. 3.8.2010 – VI ZR 113/09, CR 2010, 668 = MDR 2010, 1155 = NJW 2010, 3037; v. 17.11.2015 – VI ZR 492/14, MDR 2016, 110 = IPRB 2016, 51 = AfP 2016, 75; Frauenschuh, AfP 2014, 410; Soehring/Hoene, § 29 Rz. 49; krit. Schlüter/Soehring AfP 2011, 317. 530 BGH v. 5.2.2013 – VI ZR 195/12, NJW-RR 2013, 1020; v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, MDR 2015, 1298 = AfP 2015, 564; v. 17.11.2015 – VI ZR 492/14, MDR 2016, 110 = IPRB 2016, 51 = AfP 2016, 75. 531 LG Köln v. 10.10.2012 – 28 O 551/11, ZUM-RD 2013, 20. 532 BGH v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, MDR 2006, 280 = GRUR 2005, 882 – unberechtigte Schutzrechtsverwarnung. 533 Std. Rspr., u.a. BGH v. 23.5.1975 – I ZR 22/74, NJW 1975, 2064; v. 25.10.2016 – VI ZR 678/15, AfP 2017, 45; BVerwG v. 7.6.1994 – 7 B 48/94, AfP 1994, 332 = NJW 1994, 2500. 534 BGH v. 25.10.2016 – VI ZR 678/15, AfP 2017, 45 zum Schweizer Radio und Fernsehen SRF. 535 Buri, NJW 1972, 705.
1086
Burkhardt
VI. Durchsetzung des Unterlassungsanspruches
Rz. 112 Kap. 12
von Bettermann536 vertretene gegenteilige Meinung kann als überwunden gelten537. Auch bei ehrverletzenden Äußerungen eines Gemeinderatsmitgliedes in einem Parteigremium ist der Zivilrechtsweg eröffnet, selbst wenn es sich um beamtenrechtliche Personalangelegenheiten handelt, die mit der Ausübung des Mandates in engem Zusammenhang stehen. Gleiches gilt für politische Reden sonstiger Mandatsträger538. Nicht im Zivilrechtswege verfolgbar sind Äußerungen von Beamten im Rahmen ihrer ho- 110 heitlichen Tätigkeit. Insoweit ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Dies gilt auch für Äußerungen des Sektenbeauftragten einer Kirche539. Allerdings kann auch gegen behördliche Presseinformationen im Zivilrechtswege vorgegangen werden, wenn der betroffene Lebensbereich der Beteiligten in ihrem Verhältnis zueinander durch bürgerlich-rechtliche Gleichordnung geprägt ist. Entscheidend ist, ob das Klagebegehren, so wie es dem Gericht unterbreitet wurde, sich als Folge eines Sachverhaltes darstellt, der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist540. Eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit liegt auch vor, wenn eine sich eine Kassenärztliche Vereinigung gegen ehrverletzende Äußerungen einer Krankenkasse wendet, da das Schwergewicht des Rechtsstreits dann nicht sozialversicherungsrechtlicher Natur ist541. Dementsprechend hat auch das OLG Düsseldorf den Zivilrechtsweg in einem Fall bejaht542, in dem ein Staatssekretär in einem Fernsehinterview zur Geeignetheit von Vorsorgeuntersuchungen zur Krebsbekämpfung Stellung genommen hatte, ebenso das OLG Karlsruhe543 bei einer Interviewäußerung zu einem bundesweiten Protesttag niedergelassener Ärzte544. In welchem Rechtsweg Streitigkeiten wegen gerichtlicher und staatsanwaltschaftlicher 111 Presseerklärungen zu verfolgen sind, war umstritten. Zwischenzeitlich kann es jedoch als geklärt gelten, dass die Sonderzuweisung des § 23 EGGVG nicht anwendbar ist545, soweit sie dazu dient, die Öffentlichkeit über den Fortgang des Verfahrens zu unterrichten. Derartige Pressemitteilungen stellen sich als schlicht hoheitliche Tätigkeit dar, soweit sie innerhalb des Aufgabenbereichs der Behörde veröffentlicht werden. Hierfür ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben546. In Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre, die nicht in Pres- 112 se oder Rundfunk begangen worden sind, können gem. § 15a EGZPO die Länder bestimmen, dass die Erhebung der Klage erst zulässig ist, nachdem ein obligatorisches Güteverfahren vorausgegangen ist547. Auf den Gegenstandswert kommt es nicht an, es sei denn, das jeweilige Landesgesetz beschränkt den Anwendungsbereich auf das Verfahren vor den Amts536 537 538 539 540 541 542 543 544 545 546 547
Bettermann, NJW 1977, 513. Im Ergebnis ebenso BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226 – Lebach. BGH v. 20.6.1961 – VI ZR 210/60, NJW 1961, 1625. BGH v. 24.7.2001 – VI ZB 12/01, NJW 2001, 3537. BGH v. 28.2.1978 – VI ZR 246/76, NJW 1978, 1860; v. 26.11.2002 – VI ZB 41/02, MDR 2003, 407 = AfP 2003, 55 = NJW 2003, 1192. BGH v. 26.11.2002 – VI ZB 41/02, MDR 2003, 407 = AfP 2003, 55 = NJW 2003, 1192. OLG Düsseldorf v. 24.10.1979 – 15 U 73/79, AfP 1980, 46. OLG Karlsruhe v. 13.4.2007 – 14 U 11/07, AfP 2007, 246. A.A. bei einer Stellungnahme des Bundesgesundheitsministers im „Gesundheitsmagazin Praxis“ des ZDF zur Verschreibungspraxis eines Arztes, OVG NW v. 20.4.1994 – 5 B 1821/93, NJW 1995, 1629. OLG Rostock v. 29.8.2003 – VAs 5/03, BeckRS 2005, 9628. BVerwG v. 14.4.1988 – 3 C 65/85, NJW 1989, 412; VG Berlin v. 31.1.2014 – 1 L 17.14, ZUM-RD 2014, 256; vgl. auch Wasmuth, NStZ 1990, 138. Zu dessen Nützlichkeit: Knodel/Winkler, ZRP 2008, 183.
Burkhardt 1087
Kap. 12 Rz. 113
Unterlassungsanspruch
gerichten. Allerdings sind Verfahren, die sich gegen die Presse oder den Rundfunk548 richten, von dem obligatorischen Güteverfahren ausgenommen. Nach Sinn und Zweck der Regelung soll ein Schiedsverfahren dann nicht erforderlich sein, wenn die Äußerung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Daher scheidet ein Schiedsverfahren auch bei Ehrverletzungen aus, die in Presse und Rundfunk nur verbreitet oder durch das Internet begangen oder verbreitet wurden549. Ein obligatorisches Güteverfahren ist in den Ländern Bayern550, Brandenburg551, Hessen552, Mecklenburg-Vorpommern553, Niedersachsen554, NordrheinWestfalen555, Rheinland-Pfalz556, Saarland557, Sachsen-Anhalt558 und Schleswig-Holstein559 erforderlich. Das Schlichtungsverfahren kann nach Klageerhebung nicht nachgeholt werden. Die Nichtdurchführung des Schlichtungsverfahrens ist ein nicht heilbares Prozesshindernis560. Eine gleichwohl erhobene Klage ist unzulässig. Die Klage kann erneut erhoben werden, sobald das Schlichtungsverfahren nachgeholt ist. Ein Anerkenntnisurteil ist auch ohne vorausgehende Schlichtung möglich561. b) Arbeitsrechtsweg 113
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG sind die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus unerlaubten Handlungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehen. Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist deswegen zuständig, wenn es sich um Presseerklärungen oder sonstige Verlautbarungen von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern handelt, die das Arbeitsverhältnis betreffen. Dies gilt auch für Äußerungen, die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemacht werden. Allerdings ist dann besonders sorgfältig zu prüfen, ob sie noch mit dem Arbeitsverhältnis