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German Pages 267 Year 2014
Schriften zur Rechtsgeschichte Band 165
Das Preußische Allgemeine Landrecht und seine staatsrechtlichen Normen Über die Funktion der Rechtssätze des Allgemeinen Staatsrechts in AGB und ALR unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie
Von
Wolfgang Stegmaier
Duncker & Humblot · Berlin
WOLFGANG STEGMAIER
Das Preußische Allgemeine Landrecht und seine staatsrechtlichen Normen
Schriften zur Rechtsgeschichte
Band 165
Das Preußische Allgemeine Landrecht und seine staatsrechtlichen Normen Über die Funktion der Rechtssätze des Allgemeinen Staatsrechts in AGB und ALR unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie
Von
Wolfgang Stegmaier
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2012 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D21 Alle Rechte vorbehalten © 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-13904-0 (Print) ISBN 978-3-428-53904-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83904-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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„Der Blinde schickt sich in seine Blindheit, der Taube in seine Taubheit, sobald er weiß, daß sie eine Wirkung unveränderlicher Naturgesetze sind. Aber wenn Menschen dem Sehenden die Augen verbinden, dem Hörenden die Ohren verstopfen: so wird sein Herz widerstreben, wenn er gleich ein ganzes Menschenalter hindurch die Verleugnung ertragen müßte.“ Johann Georg Schlosser
Vorwort Ich habe in der Zeit der Beschäftigung mit diesem Thema so viel tiefe Wahrheiten gelesen, daß der daraus gezogene Gewinn mich gewiß für die ganze verbleibende Dauer meines Lebens bereichern wird. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Gottfried Schiemann, spreche ich meinen verbindlichsten Dank für die Betreuung und für die mit der Korrektur im Zusammenhang stehenden Mühen aus. Desgleichen danke ich meinen Eltern, durch deren großzügige Unterstützung die Verwirklichung dieser Arbeit möglich wurde. Mein Dank gilt ferner Thomas Sönnichsen (Husum/Nordsee), David Benedikt Hein (Düsseldorf) und Markus Spanier (Marienberg/Tirol), denen ich manch wertvolle Anregung verdanke und die sich bei der Endredaktion sehr verdient gemacht haben. Dem Personal des Lesesaals der Universitäts-Bibliothek Tübingen unter Frau Adelheid Iguchi danke ich für das überobligatorische Entgegenkommen bei der Auswertung des Schrifttums. Waiblingen, im Oktober 2013
Wolfgang Stegmaier
Inhaltsverzeichnis Einleitung: Das Allgemeine Landrecht im Lichte seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Erster Teil Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
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A. Das Allgemeine Staatsrecht bis zur Zeit der Entstehung und des Erlasses von AGB und ALR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 I. Einleitung: Wechselbeziehung des Niederganges des Allgemeinen Staatsrechts mit dem Aufkommen des positiven Verfassungsrechts ab 1776/1789 . . . . . . . . . . 20 II. Bestandteile des Allgemeinen Staatsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Naturrecht, Philosophie, Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 III. Das Allgemeine Staatsrecht (Ius publicum universale) als Produkt seiner Bestandteile und dessen Bedeutungsgehalt im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IV. Abgrenzung zum Privatrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Kenntnis von dem Unterschiede des Privatrechts vom Staatsrechte . . . . . . . . . 30 2. Die Grenzen zwischen Staatsrecht und Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Tieftrunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Ansicht der überwiegenden Zahl zeitgenössischer Rechtsgelehrter . . . . . . . 32 aa) Unstrittige Zuordnung einzelner Rechtsmaterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 bb) Schwierigkeit im Grenzbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 c) Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Der Einfluß äußerer Umstände auf die Funktionalität des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . 37 I. Der Einfluß der Sprache auf die möglichen Funktionen des Gesetzes . . . . . . . . . . 37 1. Die rechtswissenschaftliche Bedeutung der Sprache überhaupt . . . . . . . . . . . . . 37 2. Sprachliche Entwickelung bis 1794 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
10
Inhaltsverzeichnis II. Der Einfluß der Tradition auf die möglichen Funktionen des Gesetzes . . . . . . . . . 42 1. Die tradierte Funktion des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Die tradierte Funktion des Gesetzes überhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Mittelalterliche Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 c) Absolutistische Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 d) Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. AGB und ALR als Teil dieser Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
C. Grenzen der reglementierenden Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Positiv-rechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Reichsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Preußen als Teil des Deutschen Reichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Ius territoriale, ius supremi dominii cum summa atque absoluta potestate und privilegium illiminatum de non appellando . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Vorgaben der preußischen Landesverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Der Begriff der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 c) Die Verfassung Preußens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . 55 aa) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 bb) Wesentliche Grundsätze der preußischen Staatsverfassung . . . . . . . . . . 56 (1) Uneingeschränkte Monarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 (2) Der König und die Stände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (3) Der König und die Gesetz-Commission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (4) Selbstbindung des Königs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Überpositive Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Echte Grenzen formell absoluter Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Unechte Grenzen formell absoluter Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . 64 III. Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen im aufgeklärten Absolutismus Preußens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. Der Einleitung erster Teil: Zeit und Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Inhaltsverzeichnis
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II. Der Einleitung zweiter Teil: Gesetzesverständnis und Rechtsreform unter Friedrich dem Großen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 III. Grundlagen und Grundsätze der Gesetzgebungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Positiv-rechtliche Grundlagen der Gesetzgebungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Einzelne dezidiert positivierte Grundsätze der Gesetzgebungsarbeit . . . . . . . . . 72 a) Sammlung des bisherigen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Präzisierung des bisherigen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 c) Neuerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Einzelne Grundsätze der Gesetzgebungsarbeit als Ausfluß des Zeitgeistes . . . . 77 a) Vernunftmäßigkeit im Rechte – Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Vollständigkeit des Gesetzes – Kommentierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Billigkeit im Rechte – Wohlfahrtswert des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 4. Die Reform der Gesetzgebung als Teil einer umfassenden Justizreform . . . . . . 84 5. Aufklärung als Staatsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 IV. Gesetzgebung und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Gesellschaftliche Anschauungen zur Zeit der Justizreformen . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Das Gesetzgebungsverfahren als Spiegel der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Zweck von Publikation und Diskussion im Lichte der zeitgenössischen Anschauungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Zweiter Teil Die Funktion der Rechtssätze im AGB und ALR
100
Dritter Teil Die Funktion der im AGB und ALR enthaltenen staatsrechtlichen Rechtssätze im allgemeinen 103 A. Das Allgemeine Landrecht als konzipiertes Reglementbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 B. Das Verhältnis des Allgemeinen Landrechts zur preußischen Staatsverfassung . . . . . . 104 I. Formal-konstitutionelle Gesetzgebung im staatlichen Absolutismus . . . . . . . . . . . 104 1. Das Allgemeine Landrecht als formales Verfassungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Über die kritische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
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Inhaltsverzeichnis b) Formelle Aspekte der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Kritik formaler Verfassungsgesetzgebung aus zwingenden systeminhärenten Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 d) Empirische Indizien, Zielsetzung der Verfasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 e) Zeitgenössische Kritik an Staatsrecht und Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . 112 f) Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Mittelbarer Konstitutionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Der mittelbare Einfluß der allgemeinen Gesetzgebung auf die Verfassung einer Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Die allgemeine Gesetzgebung und das Staatsrecht im Absolutismus . . . . . . . . 118 a) Der Einfluß der Zeit auf das deklaratorische Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Die Diskrepanz von Anspruch und Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 c) Staatsrechtliche Gesetzgebung als programmatische Entscheidung . . . . . . . 121 3. Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 III. Das Zielpublikum als Maßstab für die Erläuterungstiefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
C. Einzelne Funktionen staatsrechtlicher Rechtssätze unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 I. Staatsrecht zur allgemeinen Aufklärung – Vollständigkeit der Darstellung . . . . . . 126 II. Staatsrecht und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 III. Staatsrecht und bürgerliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Das Verhältnis der Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Einzelne Funktionen, welche dem Staatsrecht in Beziehung auf das Zivilrecht zukommen sollten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Das Staatsrecht als stabilisierende Grundlage des Zivilrechts . . . . . . . . . . . . 132 b) Der Einfluß des Staatsrechts auf die inhaltliche Ausgestaltung des Zivilrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3. Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Inhaltsverzeichnis
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Vierter Teil Die Funktion einiger der im AGB und ALR enthaltenen staatsrechtlichen Rechtssätze im besonderen
138
A. Über die Bestimmung des Staatszweckes und über die Majestätsrechte – Ein Beitrag zur Funktion der §§ 77 – 79 Einl. AGB und der §§ 1 – 16 II 13, § 18 II 17 AGB/ALR 138 I. Über die Bestimmung des Staatszweckes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Die Staatszwecke nach Maßgabe der §§ 77 – 79 Einl. AGB und der entsprechenden Entwurfsfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Entwurfsfassung 1782 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Gedruckter Entwurf 1784 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 c) Entwurfsfassung 1788 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 d) Allgemeines Gesetzbuch 1791 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Von den Rechten und Pflichten des Staats überhaupt – Die Staatszwecke nach Maßgabe der §§ 1 – 4 II 13 AGB/ALR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Staatsbegriff und Staatszweck in der Sicht der preußischen Gesetzesautoren . . 144 a) Äußerungen von Svarez zur Staatszweckfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Äußerungen von Klein zur Staatszweckfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 c) Das gemeine Wohl als legislatorisch bestimmter Staatszweck . . . . . . . . . . . 147 4. Der Zweck des Staates aus empirischer Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Der Staatszweck als Abbild des zeitgenössischen Wertekodex . . . . . . . . . . . 148 b) Die zeitgenössischen Vorstellungen über den Zweck des Staates . . . . . . . . . 148 5. Der Zweck des Staates als Deduktion von Begriff und Anspruch . . . . . . . . . . . 150 a) Der Staatszweck als Deduktion des Staatsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Die Bedeutung der Gegenstände des Allgemeinen Staatsrechts in Beziehung auf die Staatszweckfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 c) Der Staatszweck als Deduktion der Gegenstände des Allgemeinen Staatsrechts nach dessen Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 6. Über die Bestimmung des Inhalts des gemeinen Wohls im Gefüge des absolutistischen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 7. Das Verhältnis von Option, Erwartung und Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 II. Die Majestätsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Die Regalien und ihre Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Die Majestätsrechte als Anspruch an den König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
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Inhaltsverzeichnis III. Staatstheoretische Grundlagen und deren Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Vertragstheorie und Pflichtenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Vertragstheorie und Pflichtenlehre in der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Vertragstheorie und Pflichtenlehre in AGB und ALR . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Andere Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Naturrechtlich-religiöse Staatstheorie (Patriarchalstaatstheorie) . . . . . . . . . . 164 b) Machtstaatstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 c) Scheinbar empirische (vermittelnde) Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Grundlagen der konservativen Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4. Übereinstimmung aller Ansichten in ihren konstitutiven Segmenten . . . . . . . . 172 5. Die Bedeutung des dem Allgemeinen Landrecht zu Grunde gelegten staatsrechtlichen Prinzips in Beziehung auf die Selbstherrscherfrage . . . . . . . . . . . . 174 a) Fehlender verfassungsrechtlicher Einfluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Einfluß auf die Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 c) Kritik an der aus Empirie gewonnenen Staatserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . 180 d) Rechtfertigung der für die Gesetzgebung gewählten Vorgehensweise . . . . . 180 6. Die Funktionen von contrat social und Pflichtenlehre in staatstheoretischer Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 IV. Die Funktion der Pflichtenlehre unter dem Eindrucke der Französischen Revolution und ihre Bedeutung für die Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Der Einfluß der Französischen Revolution auf Preußen und die Suspension des Allgemeinen Gesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Die Angliederung der Ostprovinzen (1793) und die Wende im Kampfe um das AGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Staatstheoretische Kämpfe werden zur Entscheidungsschlacht um Preußens Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Der Ruf nach Beseitigung der staatsrechtlichen Sätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Die Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 V. Die Funktionen der einzelnen staatsrechtlichen Rechtssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Die Funktion der Staatszwecknormen – §§ 77 – 79 Einl. AGB, §§ 1 – 4 II 13 AGB/ALR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Inhalt und Ausgestaltung des gemeinen Wohls im Lichte unüberwindlicher gesetzestechnischer Friktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
Inhaltsverzeichnis
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b) Die Diskussion um die Einschaltung der sich auf den Staatszweck beziehenden Vorschriften in den Codex und deren Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Die Funktion der Majestätsrechte – §§ 5 – 16 II 13, § 18 II 17 AGB/ALR . . . . 203 a) Die Enumeration der Majestätsrechte zur Darstellung einer Scheidelinie zwischen hoheitlichem und privatrechtlichem Handeln des Staates . . . . . . . 203 b) Strafrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3. Die Funktion der die Privatrechte des Landesherrn und seiner Familie betreffenden Vorschriften – §§ 17 – 18 II 13 AGB/ALR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 4. Die Funktion der einzelnen Bestimmungen der §§ 5 – 18 II 13, 18 II 17 AGB/ ALR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 B. Über Stellung und Funktion der Gesetzkommission, über die Pflicht zur Publikation der Gesetze und über das Rückwirkungsverbot – §§ 10 – 15, 18 – 25 Einl. AGB/§§ 7 – 11, 14 – 21 Einl. ALR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 I. Über die Gesetzkommission – §§ 10 – 13 Einl. AGB/§§ 7 – 9 Einl. ALR . . . . . . . 209 II. Über das Publikationsgebot und die Anwendungsvorschriften für die Gesetze – §§ 14, 15 Einl. AGB/§§ 10, 11 Einl. ALR und §§ 18 – 25 Einl. AGB/§§ 14 – 21 Einl. ALR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 III. Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 C. Das Machtspruchwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 I. Das undefinierte Phänomen „Machtspruch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Der Machtspruch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Machtsprüche in den Äußerungen von Svarez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 II. Landesherrliche Machtsprüche im Lichte des Reichsstaatsrechts . . . . . . . . . . . . . 217 III. Die Bewertung des Machtspruchs im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Der Machtspruch in älterer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Der Wandel der Ansichten während des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Friedrichs des Großen Haltung zum Machtspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 4. Gesetzgebung über Machtsprüche unter dem Eindruck des Zeitgeistes . . . . . . 225 IV. Der Machtspruch in AGB und ALR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
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Inhaltsverzeichnis V. Die Funktion der §§ 5 – 7 Einl. AGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 1. Über das vermeintliche Verbot der Machtsprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Kritik des § 6 Einl. AGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Kleins und Svarez’ Bewertung des Machtspruchwesens . . . . . . . . . . . . . . . . 230 c) Justizgewährleistungen in Landesverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 d) Die materiell-rechtliche Funktion der Bestimmungen über Machtsprüche . . 236 e) Kabinetts-Reskripte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2. Der Machtspruch und die Staatsraison . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3. Die prozeßrechtliche Dimension des § 6 Einl. AGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Ausblick: Vom Wandel der Zeit und ihrer Ideale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
Einleitung: Das Allgemeine Landrecht im Lichte seiner Zeit Am 1. Juni 1794 erlangte das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten seine wirkliche Kraft1; es galt in sämtlichen Provinzen der preußischen Monarchie2. „Sehen wir aber auf die innere Entstehung des Landrechts, so wird auch dadurch unsre Ansicht bestätigt, nach welcher in dieser Zeit kein Gesetzbuch unternommen werden sollte.“3
Das Urteil Savignys in seiner vielbeachteten Schrift über den „Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ rückte die legislatorischen Bemühungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts in kein gutes Licht. An geschichtlicher Kenntnis habe es den Autoren genauso gefehlt wie an geschichtlichem Interesse, sich eingehender mit den Pandekten beschäftigen zu wollen.4 Die angestrebte Kasuistik des Allgemeinen Landrechts sowie das anfangs noch bestandene absolute Interpretations- und Kommentierungsverbot verhindere, daß sich unter den Rechtsanwendern ein Judiz ausbilde; zugleich aber würden „die meisten Bestimmungen des Landrechts weder die Höhe allgemeiner, leitender Grundsätze, noch die Anschaulichkeit des individuellen erreichen“5. Der preußische Codex – wie auch die ihm nachfolgenden französischen und österreichischen Kodifikationen – sei vielmehr aus einem Zustande juristischer Bildung hervorgegangen, welchem Savigny die Fähigkeit, gute Gesetzbücher zu erschaffen, versagte.6 – Und diese Ansichten des Berliner Profes1 Gemäß Publikationspatent vom 4. Februar 1794, abgedruckt bei: Klein, Annalen der Preußischen Rechtsgelehrsamkeit, 12. Band, S. 197 – 208. 2 Das Allgemeine Landrecht galt demnach ab dem 1. Juni 1794 in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Brandenburg mit Berlin, Schlesien, den nichtbesetzten Teilen Pommerns, im Regierungsbezirk Aurich mit Ausschluß des Stadtbezirks Wilhelmshaven und im Kreis Duisburg. In den erst später von Preußen erworbenen Provinzen bedurfte das Allgemeine Landrecht zu seiner Anwendbarkeit der besonderen Einführung, vgl. dazu die Nachweise bei: Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 1. Band, S. 18 – 22; Meyers Konversations-Lexikon, 4. Aufl., 4. Band, S. 840, Stichwort „Deutschland“. Personell waren dem Allgemeinen Landrecht zunächst nur Zivilpersonen unterworfen. Erst kraft neuerlichen Patents vom 14. März 1797 wurde der zivilrechtliche Teil des Allgemeinen Landrechts und kraft Kabinettsorder vom 14. September 1820 schließlich auch dessen strafrechtlicher Teil auch auf Militärpersonen für anwendbar erklärt. 3 Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 84. 4 Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 84 – 87. 5 Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 90. 6 Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 54.
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Einleitung
sors sollten, zumindest soweit sie sich auf das Preußische Allgemeine Landrecht bezogen, herrschend für das anbrechende 19. Jahrhundert werden;7 nach dem Inkrafttreten des Gesetzeswerkes fand nahezu ein halbes Jahrhundert lang eine nennenswerte wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm nicht statt.8 Erst zur Mitte des 19. Jahrunderts hin finden sich die ersten, das Allgemeine Landrecht wissenschaftlich durchdringenden Kommentare und Lehrbücher.9 Dabei war zur Zeit der Entstehung und des Erlasses die Begeisterung noch überwältigend gewesen; Europa hallte wider von dem Lobe der Männer, die dabei mitgewirkt hatten. Da ist etwa zu lesen: „Gesegnet sei dieses Volk, gesegnet das Haupt, in dem jene Gestalt sich zuerst erhob, gesegnet die Hände, die erkoren wurden, sie als Geburt zum Tages-Licht zu fördern! Friedrich, Carmer, Suarez! Unsterbliche schon hier!“10
Doch erst späteren Geschlechtern war es beschieden, das Verdienst dieser gesetzgeberischen Pionierarbeit deutscher Sprache in Dimensionen, die über den Genuß der für den Augenblick geschaffenen Vorzüge hinausgehen, zu erkennen und zu würdigen. Als die bedeutendste gesetzgeberische Leistung des preußischen aufgeklärten Absolutismus bezeichnete sie etwa Hattenhauer im Jahre 1970:11 „Auch der gebildete Laie weiß, daß dieses Gesetzbuch wohl die größte Kodifikation der deutschen Gesetzgebungsgeschichte und zugleich eines der wichtigsten Denkmäler der Preußischen Aufklärung ist.“12
Im Jahre 1829 aber sagte Sietze in seinem „Grund-Begriff Preußischer Staats- und Rechts-Geschichte“ noch sehr wahr: „Das Preußische Gesetzbuch ist anfangs gepriesen, nachher getadelt, endlich für überflüssig erklärt.“13
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Eine Ausnahme bildete Thöne, der im Jahre 1833 über das Allgemeine Landrecht sagte: „Es ist das Resultat einer vierzehnjährigen Arbeit, ein Product der gewissenhaftesten Bestrebungen und ein großartiges Denkmal deutschen Fleißes.“ (Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 16.) Das Preußische Allgemeine Landrecht sei es vielmehr gewesen, „das nicht wenig dazu beigetragen hat, Preußens Ruhm in geistiger Beziehung zu begründen.“ (Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 16.) 8 Stölzel, Svarez, S. 451. 9 Beispielsweise ab 1838 Gräffs mehrbändige Ergänzungen und Erläuterungen des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten durch Gesetzgebung und Wissenschaft; ab 1865 Försters Theorie und Praxis des heutigen preußischen Privatrechts, später fortgeführt von Eccius. 10 So gibt Sietze den Überschwang zeitgenössischer Begeisterung wieder in: Preußische Staats- und Rechts-Geschichte, S. 4. 11 Hattenhauer, ALR, S. 11. 12 Hattenhauer, ALR, S. 9. 13 Sietze, Preußische Staats- und Rechts-Geschichte, S. XVII.
Einleitung
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In der folgenden Abhandlung soll nun exemplarisch versucht werden, die verstreuten Vorschriften staatsrechtlicher Art, welche das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 und seine Vorläufer – das Allgemeine Gesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1791 sowie die dazu angefertigten Entwürfe – enthalten, nach ihren Zwecken unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie zu untersuchen; eine solche Untersuchung hat, soweit ersichtlich, bislang noch nicht stattgefunden, mag aber auf die Funktion der Gesetzgebung im absolutistischen Staat ein interessantes Licht werfen.
Erster Teil
Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen A. Das Allgemeine Staatsrecht bis zur Zeit der Entstehung und des Erlasses von AGB und ALR I. Einleitung: Wechselbeziehung des Niederganges des Allgemeinen Staatsrechts mit dem Aufkommen des positiven Verfassungsrechts ab 1776/1789 Als mit der Allerhöchsten Kabinettsorder vom 14. April 1780 der Anstoß zu den Arbeiten an einem Allgemeinen Gesetzbuch gegeben war, begann die „Blüte des Allgemeinen Staatsrechts“1 bereits zu welken; ihre Zeit war vom ausgehenden 17. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts2. Das Ende der Wissenschaft vom Allgemeinen Staatsrecht wurde mit dem aufkommenden Konstitutionalismus, der Einführung geschriebener Verfassungen, vor allem 1776 in Nordamerika und 1789 in Frankreich, eingeleitet; die Staaten Deutschlands und des übrigen Europa folgten. Der namhafte Staatsrechtler Klüber3 etwa sah in der Deutschen Bundesakte vom Jahre 1815 die Grundlage für künftige geschriebene Verfassungen auch in den Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes.4 In Preußen ergingen schon wenige Jahre nach Einführung des Allgemeinen Landrechts die ersten Vorschriften, welche das Allgemeine Staatsrecht zum Gegenstande hatten, so etwa zunächst die „Declaration vom 24. September 1798, betreffend einige Vorschriften des A. L. R. und der A. G. O. welche auf das Staatsrecht und das Verhältniß zu fremden Mächten Bezug haben“5, das Publikandum vom 16. Dezember 18086 und
1 So bezeichnet Schelp, Staatsrecht, S. 13, die Zeit des ausgehenden 17. Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. 2 Zum Staatsrecht im Heiligen Römischen Reich, vgl.: Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 1. Band, S. 126 ff.; Schelp, Staatsrecht, S. 13 ff. 3 Gestorben 1837. 4 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Band, S. 72. 5 Abgedruckt bei: Mannkopff, ALR, 1. Band, S. 105 – 108. 6 Pr. G.-S. 1806 – 1810, S. 361.
A. Allgemeines Staatsrecht vor dem AGB/ALR
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die Verordnung vom 27. Oktober 18107, welche sich auf die Verfassung der obersten Staatsbehörden beziehen, die „Cabinets-Order vom 30. October 1809, betr. die künftige Verfassung der französischen Colonie“8 und – auf kommunaler Ebene – die richtungsweisende Städteordnung vom 19. November 1808; in deren Vorspruch heißt es: „Der besonders in neuern Zeiten sichtbar gewordene Mangel an angemessenen Bestimmungen in Absicht des städtischen Gemeinwesens und der Vertretung der Stadt-Gemeine, das jetzt nach Klassen und Zünften sich theilende Interesse der Bürger und das dringend sich äußernde Bedürfniß einer wirksamern Theilnahme der Bürgerschaft an der Verwaltung des Gemeinwesens, überzeugen Uns von der Nothwendigkeit, den Städten eine selbstständigere und bessere Verfassung zu geben, in der Bürgergemeine einen festen Vereinigungs-Punkt gesetzlich zu bilden, ihnen eine thätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und durch diese Theilnahme Gemeinsinn zu erregen und zu erhalten. Zur Erreichung dieser landesväterlichen Absicht, verleihen Wir, Kraft dieses aus Königlicher Macht und Vollkommenheit, sämmtlichen Städten Unserer Monarchie nachstehende Ordnung, indem Wir […] Folgendes verordnen“.9
Weitere Akte folgten; doch all diese Reskripte, Verordnungen und Kabinettsordern ergingen nach wie vor „kraft königlicher Macht und Vollkommenheit“. Erst die Märzrevolten führten dazu, daß unter dem 5. Dezember 184810 erstmalig eine geschriebene vollständige Staatsverfassung erging, die zwar noch oktroyiert war, die aber im Folgejahr einer „Totalrevision im ordentlichen Wege der Gesetzgebung“ unterworfen wurde und unter dem 31. Januar 185011 schließlich als die „VerfassungsUrkunde für den Preußischen Staat“ gezeichnet und ausgefertigt werden konnte. Preußen war damit zur konstitutionellen Monarchie geworden, und die alte geistige Wissenschaft vom Allgemeinen Staatsrecht war endgültig von der positivistischen verdrängt.
II. Bestandteile des Allgemeinen Staatsrechts 1. Naturrecht, Philosophie, Mathematik Mit dem Niedergang dieser Wissenschaft ging aber nicht nur ein Stück Rechtswissenschaft verloren; das Allgemeine Staatsrecht war, wie etwa Pütter sagte, auch eine philosophische Disziplin. Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, daß aus nichts anderem als dem menschlichen Geist, aus Verstand und Logik, mithin aus der Vernunft12 geschöpft werden mußte, um ein Konstrukt zu schaffen, das viel mehr als andere Bereiche des rechtlichen Lebens dasjenige treffen mußte, was in des Volkes 7
Pr. G.-S. 27. Okt. 1810 – 1811, S. 3. Auszugsweise abgedruckt bei: Mannkopff, ALR, 5. Band, S. 394 – 395. 9 Pr. G.-S. 1806 – 1810, S. 324. 10 Pr. G.-S. 1848, S. 375. 11 Pr. G.-S. 1850, S. 17. 12 Schelp, Staatsrecht, S. 18.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
Seele, sich Gerechtigkeit nennend, dunkel und verschwommen vorhanden ist und seit den frühesten Zeiten immer vorhanden war und einen ungeheuren Sturm der Entrüstung losbrechen zu lassen vermag, wenn seinen Vorgaben nicht genügt wird.13 Der Mensch, der seiner Natur nach ein Gemeinschaftswesen ist, lebt im ständigen Interessenskonflikt mit seinen Mitmenschen, weil seine Bedürfnisse mit den teils gleichlaufenden, teils entgegengesetzten Bedürfnissen der anderen kollidieren. Für ein Gemeinschaftsleben, das Bestand haben soll, ist erforderlich, daß zwischen diesen Interessen ein Ausgleich stattfindet, der nicht zufällig erfolgt, sondern durch eine feste Ordnung gewährleistet wird. Dieser Tendenz aller menschlichen Gesellschaften hin zu einem Zustande der Ordnung folgt unmittelbar die Erkenntnis der Notwendigkeit einer verbindlichen Verfaßtheit. Entsprechend groß ist die Bedeutung dieses Rechtszweiges, der die Grundlage der vielfältigen Ausformungen aller juristischen Disziplinen bildet und maßgebenden Anteil daran hat, daß die Rechtsordnung zu einer Friedensordnung werden kann, indem die Bedürfnisse der Einzelnen untereinander und in Bezug zur Gesamtheit einen geregelten Ausgleich erfahren können.14 Ohne daß bereits bestimmte Vorgaben formuliert sind, klart hinter diesem vitalen Anspruche des Zusammenlebens der erste Schein des Naturrechts auf.
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Der Gesetzesreligion des Judentums, in welcher es heißt: „Gott ist selbst das Recht, und darum liebt er die Gerechtigkeit“ (Deut. 32, 4: Deus fidelis & absque ulla iniquitate iustus & rectus), muß das Kreuz Christi notwendig „ein Ärgernis“ sein, wie die katholische Kirche dies formuliert; denn nach der christlichen Religion soll die Rechtfertigung des Menschen nicht aus der Befolgung der Gebote, sondern aus Barmherzigkeit erfolgen. Unauflösbar ist dieser Konflikt der einander diametral entgegengesetzten Maximen der Gerechtigkeit – einer der Sache angemessenen Entscheidung unter Berücksichtigung einer bisher etwa bestandenen Übung – und der Barmherzigkeit – einer der Sache unangemessenen, weil den allgemeinen Regeln oder bisheriger Übung widersprechenden milden Entscheidung. Revolutionen und Bürgerkriege wurden dagegen nie wegen unangemessener Zivilgesetze geführt; stets waren staatsrechtliche Mißstände der Anlaß. So ist auch in Schlossers zweitem Brief über die Gesetzgebung hinsichtlich der bürgerlichen Gesetze zu lesen: „Aber wann nur das Gesetz selbst zuverlässig, und nicht in seiner Anwendung eben so zufällig ist, als es vielleicht in seiner ersten Festsetzung war, so schadet das wenig. Wenn ich heute in einem Concurs wegen eines unbilligen, aber gesetzmäsigen Vorrechts anderer Gläubiger, verlieren muß; so können eben diese Vorrechte mich oder doch die Meinigen, Morgen wieder gewinnen machen: wenn mich heute ein Erbe ausschließt; so schließe ich Morgen einen andern aus: wenn heute mein Contract, wegen eines zu billigen Gesetzes aufgehoben wird, wo der Contract mir nutzte; so wird morgen einer, der mir schadete, nach eben dem zu billigen Gesetz auch vereitelt. Also ist bei dieser Art von Gesetzen nur Festigkeit und durchgehende Gleichheit, nicht Theorie des s. g. Naturrechts, die Hauptsache.“ (Schlosser, Zweiter Brief, S. 107 – 108.) In diesen von Schlosser geschilderten Fällen wird immerhin dem allgemeinen Gleichheitssatz genügt; so rufen diese in der Praxis auch allenfalls ein Kopfschütteln und Unverständnis, aber keine Straßenkämpfe hervor. 14 Der Ausgleich der Interessen kann – wie dies in den §§ 74, 75 Einl. ALR. niedergelegt ist – immer nur dahin vorgenommen werden, daß den Interessen der Gesamtheit vor den Interessen des Einzelnen der Vorrang eingeräumt wird, weil der Bestand der Gemeinschaft notwendige Daseinsvoraussetzung für den Einzelnen ist, nicht umgekehrt.
A. Allgemeines Staatsrecht vor dem AGB/ALR
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Krause15 sagt, bezogen auf den einzelnen Menschen als moralische Person, sehr schön: „Solange der Mensch die Frage aufrechterhält, ob das, was geschehen ist, was er getan hat oder was er tun will, auch recht ist, das heißt, solange er Naturrecht betreibt, fallen für ihn Sein und Rechtsein nicht zusammen.“16
Der Inhalt des Naturrechts ist die Lehre vom Vorhandensein ewig wahrer, absoluter Gesetzlichkeiten im bunten Gefüge menschlicher Gesellschaften; „Das Naturrecht ist diejenige Rechtslehre, welche auf lauter Principien a priori beruht, mithin die Wissenschaft des a priori durch jedes Menschen Vernunft erkennbaren Rechts, (Iuris scientia.)“17
Diese Gesetzlichkeiten zu finden, wurde als die Aufgabe der Naturrechtswissenschaft angesehen. Nicht nur dem Staatsrecht, sondern jedem Rechtsgebiete wurde dabei ein „natürliches Recht“ gegenübergestellt, das man als aus unabänderlichen Gesetzlichkeiten resultierend erachtete. Nach diesem Verständnis wurde das Naturrecht im 17. und vor allem auch im hier interessierenden späten 18. Jahrhundert von den Zeitgenossen unbestritten als Teil der Philosophie angesehen.18 Sucht man in Meyers Konversations-Lexikon aus den Jahren 1885 bis 1892 das Stichwort „Naturrecht“, so wird man auf „Vernunftrecht“ verwiesen; daselbst ist dann zu lesen: „Vernunftrecht (Naturrecht, philosophisches Recht), der Inbegriff der Rechtsgrundsätze, welche durch Nachdenken als die der Rechtsidee entsprechenden gefunden werden. Im engern Sinn faßt man unter V.[ernunftrecht] oder Naturrecht auch wohl diejenigen Rechte zusammen, welche dem Menschen als solchem und abgesehen von besondern staatlichen und gesellschaftlichen Zuständen zukommen und gewissermaßen angeboren sein sollen (s. Menschenrechte). Den Gegensatz zu diesem V.[ernunftrecht] bildet das positive Recht der einzelnen Staaten.“19
Diese Anhängigkeit des Naturrechts von der Vernunft bestätigt auch Krause, wenn er sagt: „Indem die Definition des Naturrechts Natur mit dem Lichte der Natur und der gesunden Vernunft gleichsetzt, deutet sie das Naturrecht von vornherein als Vernunftrecht und beugt seiner Ableitung aus empirisch ermittelten Bedürfnissen und Machtverhältnissen der natura naturata vor. Natur im Sinne des Naturrechts ist die durch Vernunft erkennbare und bestimmte Natur des Menschen, eines Wesens, das mit Hilfe des Naturrechts einen verbindlichen Maßstab für sein Handeln sucht und darin seine Würde hat.“20 15 16 17
S. 65. 18 19 20
In: Krause, Naturrecht und Kodifikation. Krause, Naturrecht und Kodifikation, S. 16. Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen über das Privat- und öffentliche Recht, 2. Teil, Krause, Naturrecht und Kodifikation, S. 7. Meyers Konversations-Lexikon, 4. Aufl., 16. Band, S. 146, Stichwort „Vernunftrecht“. Krause, Naturrecht und Kodifikation, S. 11.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
Die Gegenstände, welche das Naturrecht ausmachen, waren jedoch auch am Ende des 18. Jahrhunderts noch keineswegs abschließend geklärt, die Grenzen des Naturrechts kontrovers.21 Und selbst der Grund des Naturrechts war unklar: Teils wurde er als Genesis des Naturzustandes erachtet – wobei auch der Begriff des „Naturzustandes“ kein einheitlicher war, sondern sowohl im Sinne „bloßer vernunftloser Thierheit“22 als auch als Inbegriff der ursprünglichen Anlagen der menschlichen Natur ohne den Einfluß kulturbedingter Modifikationen verstanden wurde23 –, teils aber auch im Widerscheine der Ausformungen der bürgerlichen Gesellschaften gesucht. „Der Streit über den Grundbegriff und den ersten Grundsatz des Naturrechts […] hat nicht wenig dazu beygetragen, daß man das Naturrecht nur durch eine Art von Entgegensetzung von dem Positiven zu unterscheiden, und dieses als das Ausgemachte, jenes als das Streitige zu schätzen gewohnt worden ist.“24
Vor allem unter dem Einfluß des Mathematikers und Naturrechtlers Christian Wolff25 setzte sich um die Mitte des Jahrhunderts die bereits durch den Mathematikprofessor Erhard Weigel26 seinen Schülern Leibniz und Pufendorf gelehrte Überzeugung durch, man könne auch in der Jurisprudenz ganz nach der von Euklid beschriebenen Methode aus Axiomen schlechterdings notwendige Folgerungen ableiten und auf diese analytische Weise von wenigen vorgegebenen Grundregeln zu einer großen Zahl weiterer Erkenntnisse gelangen. Hiedurch erwartete man ein bis dato dem menschlichen Verstande verborgen gelegenes, von historischen Vorgaben losgelöstes „Urrecht“ aufzufinden, das „für alle Völker und alle Zeiten gleiche Brauchbarkeit“27 haben sollte; durch das rein schematische Vorgehen erhoffte man ein Höchstmaß an Rechtssicherheit zu gewinnen, glaubte man doch, daß auf diese mathematische Weise bei bestimmten (konkreten) Vorgaben stets nur ein einziges Ergebnis sich erzeigen könne. Nichts Neues, Revolutionäres sollte geschaffen, sondern das seit Urzeiten Vorhandene sollte bloß aufgefunden, an’s Licht gefördert werden. Dieses von Wolff in perfektionistisch betriebener Deduktion entwickelte Naturrecht versuchte Svarez dem Allgemeinen Gesetzbuche als System28 zu Grunde 21
62. 22
Vgl. dazu nur: Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 1. Band, 2. Brief, S. 61 –
Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 1. Band, 2. Brief, S. 62. So etwa bei: Zöpfl, Grundsätze des Staatsrechts, 1. Teil, § 10, S. 16 und besonders § 11, S. 17, wo Zöpfl die aus Blut und Abstammung determinierte völkische Verbundenheit als den „wahren Naturstand“ beschreibt. 24 Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 1. Band, 2. Brief, S. 61 – 62. 25 1679 – 1754. 26 1625 – 1699. 27 Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 5. 28 „Als System“, d. h. der Aufbau des Allgemeinen Gesetzbuchs sollte diesem mathematischen System folgen; es heißt aber nicht, daß Svarez seine Erkenntnisse nicht auch im Wege der Empirie gewonnen hätte (s. bspw. unten, 4. Teil, A., I., 3., a)). Vielmehr sind nicht Wolff und dessen Schüler zu Vorbildern des im Allgemeinen Gesetzbuche repräsentierten Naturrechts 23
A. Allgemeines Staatsrecht vor dem AGB/ALR
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zu legen.29 In dem von Carmer herausgegebenen „Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten“ wird im Vorwort zum dritten Bande des zweiten Teils dieses Verständnis von Naturrecht explizit dargelegt: „Unter Natur-Recht versteht man hier, im weitläufigern Sinne des Worts, die Wissenschaft von den Rechten und Pflichten der Menschen, so weit als solche aus der Natur und Begriffen der Dinge, mit welchen die Rechtsgelehrsamkeit sich zu beschäftigen hat, erkannt werden können. Ein solches Natur-Recht schränkt sich also nicht blos auf die Befugnisse und Obliegenheiten des im Stande der Natur lebenden Menschen ein, sondern es setzt zugleich die mancherley Zustände, Lagen, und Verhältnisse voraus, in welchen der Mensch sich in der bürgerlichen Gesellschaft befindet; es bestimmt aus der Natur und dem allgemeinen Zweck dieser bürgerlichen Gesellschaft, aus der Natur und den besondern Absichten der verschiedenen ihr untergeordneten Verbindungen, aus der Beziehung, in welcher die einzelnen freyen Handlungen der Menschen mit jenen allgemeinen und besondern Zwecken stehen, wie weit sich daraus allein, ohne Hinzutretung des positiven Willens eines Gesetzgebers, Rechte und Pflichten für den Menschen, als Menschen überhaupt, und als Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft insonderheit, herleiten lassen.“30
Hierneben tat sich mit zunehmendem Fortschreiten der zweiten Jahrhunderthälfte eine naturrechtliche Strömung hervor, welche sich nicht mathematischer Methodik zur Ergründung des Naturrechts bediente, sondern als Mittel zur Bewältigung dieser Aufgabe das gleiche wie in der Philosophie bemühte: die Vernunft. Kant etwa bezeichnete den Verstand selbst als den Quell der Naturgesetze: „Die Ordnung und Regelmäßigkeit also an den Erscheinungen, die wir N a t u r nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüths ursprünglich hineingelegt. Denn diese Natureinheit soll eine nothwendige, d. i. a priori gewisse Einheit der Verknüpfung der Erscheinungen sein. Wie sollten wir aber wohl a priori eine synthetische Einheit auf die Bahn bringen können, wären nicht in den ursprünglichen Erkenntnißquellen unseres Gemüths subjective Gründe solcher Einheit a priori enthalten, und wären diese subjectiven Bedingungen nicht zugleich objectiv gültig, indem sie die Gründe der Möglichkeit sind, überhaupt ein Object in der Erfahrung zu erkennen.“31
Und wenige Zeilen später schreibt er prägnant: „Sinnlichkeit giebt uns Formen (der Anschauung), der Verstand aber Regeln. Dieser ist jederzeit geschäftig, die Erscheinungen in der Absicht durchzuspähen, um an ihnen irgend eine Regel aufzufinden. Regeln, so fern sie objectiv sind, heißen Gesetze. Ob wir gleich durch Erfahrung viel Gesetze lernen, so sind diese doch nur besondere Bestimmungen noch geworden, sondern ein philosophisch begründetes Naturrecht, wie es etwa Kant formuliert hatte, denn, wie Krause sagt: „Wissenschaftliche Behandlung des Naturrechts bedeutet keineswegs seine Beschränkung auf analytisch aus Erklärungen und Grundsätzen abgeleitete Rechtssätze, sondern schließt synthetische und kombinatorische Verfahren ein.“ (Krause, Naturrecht und Kodifikation, S. 18.) 29 So auch: Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 226. 30 Carmer, Entwurf II/3, Vorerinnerung, S. VIII–IX. 31 Kant, Critik der reinen Vernunft, S. 726.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen höherer Gesetze, unter denen die höchsten a priori aus dem Verstande selbst herkommen und nicht von der Erfahrung entlehnt sind […]“32
In den konkreten Regelungen des Allgemeinen Gesetzbuchs ist dann auch mehr an Prinzipien dieses naturrechtlichen Verständnisses zum Ausdruck gekommen, als noch bei dessen Planung abstrakt zu Grunde gelegt worden war.33 Je weiter das Jahrhundert fortschritt und ganz besonders dann im 19. Jahrhundert wurde nicht mehr im Wege der Deduktion die Entdeckung eines ordre naturel, eines vollständigen und in sich harmonischen Systems erstrebt, sondern es setzte sich mehr und mehr ein naturrechtliches Denken über einzelne Gegenstände und Probleme auf empirischer Grundlage durch. Hiebei konnte man sich notwendig nur noch der Philosophie, nicht mehr der Mathematik bedienen. So unterschiedlich die Ansichten über das Naturrecht – dessen Ursprung, Ausformungen und Grenzen – im Detail auch waren,34 so waren sich die führenden Naturrechtslehrer doch einig in der dem Zeitalter der Aufklärung ganz typischen Anschauung, daß jede Kraft und ganz besonders die vom menschlichen Verstand gelenkte sich notwendig hin zu einem Zustande der Ordnung entwickeln müsse. Das Naturrecht – wo immer man seine Grundlagen und wie immer man seine Ausgestaltung erkennen mochte – forderte gleichsam den Staat. Der norddeutsche Theologe Basedow, der im 18. Jahrhundert unter anderem durch einige populärphilosophische Schriften auf sich aufmerksam gemacht hat, sagte in seiner „Practischen Philosophie“ im Jahre 1777: „Die Vortheile, die das menschliche Geschlecht, und mit geringer Ausnahme jeder einzelne Mensch, und zwar beständig aus der Gesellschaft und Staatseinrichtung hat, sind offenbar.“35
Sehr eingängig formulierte dies später, um die Mitte des 19. Jahrhunderts, auch Zöpfl in seinem großen zweibändigen Werke über das deutsche Staatsrecht so: „Die Staatsidee der europäischen christlichen Völker ist aber die, daß durch ein weise geordnetes völkerschaftliches Zusammenleben alles Vernünftige zur Entwickelung und Geltung komme, was in einem Volke (im Volksgeiste) Entwickelungsfähiges liegt.“36 „[Die Staatsidee] beruht in dem vernünftigen Bewußtsein von dem Wesen, und somit der sittlichen und natürlichen Nothwendigkeit des Staates“37.
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Kant, Critik der reinen Vernunft, S. 726. Krause, Vernunftrecht und Rechtsreform, S. 3. 34 Etwa nach: Menzel, Diskussion über Naturrecht, S. 168: 1. Naturrecht soviel als Rechtsphilosophie überhaupt; 2. Naturrecht als soziales Naturgesetz; 3. Naturrecht als eine Sollordnung mit verpflichtender Kraft; 4. Naturrecht als ein Maßstab zur Beurteilung des positiven Rechts; 5. Naturrecht als eine Methode zur Lösung sozialer Probleme. 35 Basedow, Practische Philosophie, 2. Teil, S. 147. 36 Zöpfl, Grundsätze des Staatsrechts, 1. Teil, § 3, S. 6. 37 Zöpfl, Grundsätze des Staatsrechts, 1. Teil, § 3, S. 4. 33
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Diese aus dem Naturrecht erkannte Notwendigkeit zum Staatswesen legt die Bedeutung des Naturrechts für das Allgemeine Staatsrecht offen. Es bedurfte einer langen Entwickelung, bis das Allgemeine Staatsrecht überhaupt als eine von der Philosophie losgelöste und eigenständige Disziplin begriffen wurde. Zwar schon etwa zur Mitte des 17. Jahrhunderts kam allmählich die Auffassung in Verbreitung, daß das Allgemeine Staatsrecht durch die auf den Staat bezogenen Erkenntnisse und die auf ihnen beruhenden Grundsätze nicht lediglich aus philosophischen Maximen bestehe, sondern allgemeingültige Rechtsprinzipien und Rechtssätze entwickle und daher an die juristische Fakultät gehöre.38 Im Jahre 1790 aber sagte etwa der Philosoph Carl Leonhard Reinhold39 noch, daß der erste Grund aller positiven Gesetze die Moralität sein müsse; über Gesetze, welche diesen Ansprüchen nicht genügten, schreibt er: „so ist es die heiligste Pflicht des Gesetzkundigen, die Ungültigkeit eines solchen Gesetzes der gesetzgebenden Macht anzuzeigen, und auf die Anerkennung derselben [= der Moral] zu dringen.“40
Die Jurisprudenz unterteilt er noch scharf in zwei Lager: In die Historiker einerseits, welche „auf Herkommen und Besitzstand“ bedacht seien und das überlieferte gemeine Recht zur Anwendung bringen, und die Philosophen andererseits, die „auf das moralische Sollen zu bauen bemüht“ sind; beide bezeichnet er als Gegner.41 Zur philosophischen Jurisprudenz rechnet er insbesondere „die Fürstenrechte überhaupt, die Rechtmäßigkeit der Todesstrafen, der Leibeigenschaft, des Sklavenhandels, u. dergl. m.“, und hierin einen Entscheid zu treffen sei „um so viel schwerer […], da er bey der noch ganz unausgemachten Gränzscheidung des positiven und des natürlichen Rechtes bald auf dem Gebieth des einen, bald des andern geführt wird.“42 Auch am Ende des 18. Jahrhunderts war diesen Problemen eine gänzlich eigenständige Stellung im Gefüge der Wissenschaften offensichtlich noch versagt. 2. Theologie Als eine der Erkenntnisquellen des Naturrechts zur Zeit der Aufklärung galt auch die göttliche Offenbarung. Die Katholische Kirche bezeichnet die Philosophie lediglich als eine „Hilfswissenschaft der Theologie“.43 Es leuchten jedoch dem Menschen die Grundsätze 38
Vgl. dazu die Schilderung bei: Schelp, Staatsrecht, S. 21 – 24. Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 1. Band, 2. Brief, S. 60. 40 Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 1. Band, 2. Brief, S. 60. 41 Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 1. Band, 2. Brief, S. 61. 42 Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 1. Band, 2. Brief, S. 61. 43 Vgl. nur: Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 1. Band, 2. Brief, S. 54 und – später – Const. Dei Filius vom 24. April 1870, Cap. 4. De fide & ratione: „Verum etsi fides sit supra rationem […].“ – „Der Glaube, über der Vernunft stehend, […].“ Ferner Cap. 4. De fide 39
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
der Vernunft, welche die Philosophie formuliert, a priori ein, wohingegen der Glaube als der Gegenstand der Theologie stets ein doktrinaler ist;44 die Theologie bedient sich hiebei zwar der Philosophie, die Philosophie verliert dadurch aber nichts von ihrer Eigenständigkeit. Vielmehr hat die Philosophie einen festen Urgrund – die Vernunft im Rahmen eines gedachten Gefüges, das zu keiner Zeit den Anspruch erhebt, real existent zu sein –, wogegen die Theologie Spekulationen des Daseins mit dem Anspruch, objektive Wahrheit zu formulieren, anstellt.45 Weil die sonach gewonnenen Sätze ihren Anspruch auf Gültigkeit in sich tragen und ihr Wahrheitsgehalt daher der Überprüfung durch die Vernunft entzogen ist, führen sie nicht zu neuen Erkenntnissen in einer säkularen, Vorgaben des Glaubens nicht doktrinal und unreflektiert übernehmenden Staatslehre, sondern sie zwängen das Denken des vernunftbegabten Menschen in das Korsett des Glaubens und berauben dadurch der auf Erkenntnis gerichteten Wissenschaft die Luft zum Atmen. „Philosophie und eitler Trug“ sind eben keineswegs die sämtlichen anderen Erklärungsversuche des Weltganzen, sondern jene wertvollen Früchte der Philosophie, welche die Lebendigkeit dieser Wissenschaft erst ausmachen.46 Damit ist aber die Theologie, anders als von manchen Staatsrechtstheoretikern behauptet, für das säkulare Allgemeine Staatsrecht nicht von Bedeutung. Diejenigen Sätze der Theologie, insbesondere auch der Bibel, welche zum Beweise eines anderen angeführt werden,47 sind nicht originär religiös, sondern der Philosophie oder anderen Wissenschaften entlehnt; sie zu akzeptieren bedarf es lediglich der Vernunft, nicht aber eines Glaubens. Jene anderen Sätze der Theologie aber, die nicht anderen Wissenschaften entnommen sind,48 sind nicht nachweisbar und damit unbrauchbar & ratione. Can. 2: „Si quis dixerit, disciplinas humanas ea cum libertate tractandas esse, ut earum assertiones, etsi doctrinæ revelatæ adversentur, tamquam veræ retineri neque ab Ecclesia proscribi possint: anathema sit.“ – „Wer sagt, die menschlichen Wissenschaften seien mit einer solchen Freiheit auszuüben, daß ihre Behauptungen, auch wenn sie der geoffenbarten Lehre widerstreiten, als wahr festgehalten werden und von der Kirche nicht verworfen werden können: der sei mit dem Anathema belegt.“ Zitiert nach: Denzinger, Enchiridion symbolorum definitionum & declarationum de rebus fidei & morum, Rn. 3000 – 3045. 44 Kant, Critik der reinen Vernunft, S. 682. 45 Von der Vernunft wird niemand jemals sagen, sie sei „absolut existent“, sondern sie setzt stets den denkenden Menschen voraus; die Existenz eines höheren Wesens hingegen behauptet die Kirche als von dieser Vorgabe unabhängig. 46 Const. Dei Filius vom 24. April 1870, Cap. 4. De fide & ratione: „Porro Ecclesia, quæ una cum apostolico munere docendi mandatum accepit fidei depositum custodiendi, ius etiam & officium divinitus habet falsi nominis scientiam proscribendi, ne quis decipiatur per philosophiam & inanem fallaciam.“ – „Weiter hat die Kirche, die zusammen mit dem apostolischen Amte der Lehre den Auftrag empfangen hat, die Hinterlassenschaft des Glaubens zu hüten, von Gott auch das Recht und die Pflicht, Erkenntnis, die fälschlich diesen Namen trägt, zu ächten, damit keiner durch Philosophie und eitlen Trug getäuscht werde.“ Zitiert nach: Denzinger, Enchiridion symbolorum definitionum & declarationum de rebus fidei & morum, Rn. 3000 – 3045. 47 Etwa Mt. 7, 12 bei: Schelp, Staatsrecht, S. 40. 48 Etwa daß ein Gott sei und welches dessen Eigenschaften seien &c.
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für eine Wissenschaft, die ernstgenommen werden will und deren Anspruch deshalb darüber hinausgeht, zu Erkenntnissen zu gelangen, die bloße Spekulation sind.
III. Das Allgemeine Staatsrecht (Ius publicum universale) als Produkt seiner Bestandteile und dessen Bedeutungsgehalt im 18. Jahrhundert Das Konstrukt, welches sich aus dem Zusammenklang der genannten Disziplinen, soweit sie sich auf den Staat – dessen Anspruch und Wesen – bezogen, ergab, war das Allgemeine Staatsrecht. Der Gegenstand seiner Wissenschaft war ein ungeschriebenes, einem wissenschaftlichen Konsens entspringendes Verfassungsrecht; die Hauptbereiche, denen die Allgemeine Staatsrechtswissenschaft sich widmete, waren die Theorie von der Entstehung der Staaten, welche in Überlegungen über die Natur des Menschen und den Zweck der Vereinigung von Personen wurzelten, die abstrakte Beschreibung der denkbaren Strukturen solch verfaßter Gemeinschaften und das Verhältnis eines Oberen zu seinen Untergebenen nebst deren Rechten und Pflichten.49 Das Ergebnis all dieser Forschungsbemühungen konnte jedoch allein schon aus dem Umstand, daß es auf den Lehrstühlen der Universitäten ersonnen, aber nicht vom Gesetzgeber sanktioniert wurde, freilich nicht ein unmittelbar geltendes Recht sein, sondern es handelte sich um ein dem Ideal der Vollkommenheit möglichst nahekommendes Gedankengebilde, wie das Leben der Menschen zu organisieren sei; es trat zudem in so vielerlei Gestalt auf, als es Hirne gab, die darüber sannen: „Indessen ist das Vernunftrecht als Wissenschaft notwendig kontrovers und zur unmittelbaren Anwendung nicht tauglich, es bedarf der Positivierung.“50
Seine Positivierung aber lag allein dem Gesetzgeber ob. „Dies [= das positive Recht] allein als der Ausdruck des staatlichen Gesamtwillens, welchem sich der Einzelwille fügen muß, kann praktische Geltung beanspruchen, welche dem V.[ernunftrecht] um des willen versagt werden muß, weil gerade auf dem rechtsphilosophischen Gebiet die Ansichten sehr weit auseinander gehen.“51
Doch dieses Manko war bereits im rechtspolitischen Wollen der Naturrechtler angelegt: Wolff etwa sagte, die Aufgabe des Naturrechtlers sei erfüllt, wenn er sein System vollständig herausgebracht habe;52 dessen positive Umsetzung und praktische Anwendung interessierten ihn erst in zweiter Linie, da bei solchen Transformationsakten es stets zu in den gesellschaftlichen Strukturen begründeten Reibungen kommen mußte, welche der akademischen Reinheit des aufgestellten 49
Schelp, Staatsrecht, S. 21. Krause, Naturrecht und Kodifikation, S. 13. 51 Meyers Konversations-Lexikon im Jahre 1890, 4. Aufl., 16. Band, S. 146, Stichwort „Vernunftrecht“. 52 Nach: Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 226. 50
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
Systems abträglich waren. Indem es jedoch als etwas aus unabänderlichen Gesetzen der Natur Vorgezeichnetes galt, beanspruchte es auch ohne legislatorische Sanktionierung normativen Charakter;53 das Phänomen „Staat“ war auch am Ende des 18. Jahrhunderts theoretisch noch in keiner Weise als fundiert anzusehen und entsprechend auch praktisch nicht gesichert.54 Dem Allgemeinen Staatsrecht kam es daher zu, durch Beschreibung und Erklärung den Staat zugleich zu definieren und zu formen und ihm durch die Zuteilung von Rechten und Verpflichtungen an die einzelnen Rechtssubjekte eine rechtliche Struktur zu verleihen.55 „Diese Theorien […] haben niemals eine vollständige Anwendung finden können […]. Allein ohne Einfluß auf die Maaßregeln der Regierung sind sie nicht geblieben.“56
Simultan zeigte die Lehre vom Allgemeinen Staatsrecht damit den kommenden Geschlechtern den einzig gangbaren Weg der Kodifikation auf. „Mit dem lezten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts nimmt man wahr, daß Theorieen über die Bedeutung des Staats und des positiven Rechts, auf die Gesetzgebung über alle Gegenstände des öffentlichen und bürgerlichen Rechts allmälig Einfluß gewinnen, die, obwohl längst verbreitet, doch bisher nur als ein Werk der Speculation aber als unanwendbar auf den vorhandenen Zustand betrachtet worden waren.“57
Schelp nennt sie zu Recht „die Nahtstelle zwischen Philosophie und Rechtswissenschaft bzw. Recht“58.
IV. Abgrenzung zum Privatrechte 1. Kenntnis von dem Unterschiede des Privatrechts vom Staatsrechte Die generelle Unterscheidung zwischen den Zivilgesetzen einerseits und andererseits jener „andere[n] Art von Gesetzen, deren Grund, nicht wie bei […/den Zivilgesetzen], blos auf der Entscheidung der verschiedenen Meinungen von Recht und Unrecht ruhen kann, sondern der aus der Erfindung der besten Mittel zu dem gemeinen Endzweck hergenommen ist“59,
war im 18. Jahrhundert bereits hinlänglich bekannt. So sah Schlosser den Unterschied der bürgerlichen Gesetze zu jenen, welche er als „Regierungs-Gesetze“ bezeichnete, darin, daß erstere angeben, „wie ein Burger des Staats sich gegen den 53 54 55 56 57 58 59
Schelp, Staatsrecht, S. 27. Vgl. z. B.: Isensee u. a., in: Staats-Lexikon, 5. Band, Spp. 133 – 170, Stichwort „Staat“. Dilcher: Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, S. 191. Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 25. Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4. Teil, S. 636. Schelp, Staatsrecht, S. 27. Schlosser, Zweiter Brief, S. 114.
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andern verhalten soll“60, wohingegen die letzteren das Verhältnis des Bürgers gegen den Staat selbst betreffen.61 In seinen Vorträgen vor dem preußischen Kronprinzen hob Svarez bereits in seinem „Einleitenden Überblick“ die generelle Unterscheidung zwischen Staats- und Privatrecht hervor: „A. Rechte und Pflichten zwischen dem Regenten und den Unterthanen. allgemeines Staats-Recht B. Rechte und Pflichten der Unterthanen unter sich b ü r g e r l i c h e s R e c h t “.62
Auch etwa bei Tieftrunk wird im Jahre 1797 diese Unterteilung ohne längere Begründung, gleichsam als ein bestehender Konsens in der Wissenschaft, wie selbstverständlich mitgeteilt: „Daher zerfällt die Rechtslehre wiederum in das Privatrecht und das öffentliche Recht.“63
2. Die Grenzen zwischen Staatsrecht und Privatrecht Hinsichtlich der Grenzlinien zwischen den staatsrechtlichen und den privatrechtlichen Normen war dagegen noch vieles unklar und verschwommen. a) Tieftrunk Als außergewöhnlich auch für jene Zeit darf sicherlich der Unterscheidungsansatz Tieftrunks gelten. Er will als Kriterium zur Differenzierung die Notwendigkeit einer Publikation bemühen: „Der Inbegriff der Gesetze also, die einer allgemeinen Bekanntmachung bedürfen, um einen rechtlichen Zustand hervor zu bringen, ist das öffentliche Recht.“64
Unter dem „Privatrecht“ versteht Tieftrunk dagegen einen Teil des Naturrechts, nämlich die „Wissenschaft desjenigen, was Recht an sich ist.“65
60
Schlosser, Dritter Brief, S. 251. Schlosser, Dritter Brief, S. 251. 62 Svarez, KPV, fol. 377v = S. 3. 63 Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen über das Privat- und öffentliche Recht, 1. Teil, S. 159. 64 Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen über das Privat- und öffentliche Recht, 2. Teil, S. 69. 65 Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen über das Privat- und öffentliche Recht, 2. Teil, S. 66. 61
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
Darunter sieht er solche Gebote und Verbote zusammengefaßt, die „a priori oder durch Vernunft“ erkennbar seien, wie etwa die Wahrung des Lebens, von Gesundheit und Eigentum der Mitmenschen.66 Dieser, das Naturrecht ganz zum Mittelpunkt der juristischen Arbeit machende Ansatz war zwar im ausgehenden 18. Jahrhundert, zur Blütezeit vernunft- und naturrechtlicher Forschung, in seiner Grundkonzeption gang und gäbe; er entspricht auch der Tradition des gelehrten Rechts seit der Rezeption. Hierin allerdings das Unterscheidungskriterium zur Abgrenzung des Privatrechts vom öffentlichen Rechte zu suchen, war doch die Ausnahme. b) Ansicht der überwiegenden Zahl zeitgenössischer Rechtsgelehrter Dem ganz überwiegenden Teile der vernehmbaren Stimmen67 ist die alte, schon von Ulpian vorgenommene Unterscheidung zu entnehmen: „Publicum ius est quod ad statum rei Romanæ spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem.“68
aa) Unstrittige Zuordnung einzelner Rechtsmaterien Auf dieser Grundlage war auch im 18. Jahrhundert weitestgehend unbestritten, daß in den Bereich des öffentlichen Rechts zumindest diejenigen Vorschriften zu zählen sind, deren Regelungsgehalt sich ausschließlich mit dem Staate und seinen Einrichtungen befaßt. Ebenso bestand weitestgehende Einigkeit darüber, daß Normen, deren Aufgabe es ist, einen Ausgleich der Interessen einzelner Personen untereinander zu schaffen, unter dem Zivilrecht zu begreifen sind. Schlosser etwa bezeichnete in seinem zweiten Brief über die Gesetzgebung als das „eigentliche Civilrecht“ – im Kontext seiner Schrift allerdings in Abgrenzung zum Strafrecht – all diejenigen Vorschriften, durch die „entschieden werden soll, wer in einem bestimmten Vorfall, der sich etwa ereignen möchte, Recht hat oder Unrecht.“69
Er spricht dabei vom Zivilgesetz, „welches nichts zum Zweck hat, als die Entscheidung der blosen Factorum, und Ansprüche, und Aufhebung derer, gegen welche entschieden worden ist.“70
Und in der nachfolgenden Abhandlung, dem dritten Brief, führt er präzisierend aus,
66
Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen über das Privat- und öffentliche Recht, 2. Teil, S. 64 – 66. 67 Etwa: Schlözer, Allgemeines StatsRecht, S. 1 – 2; siehe auch: Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 24. 68 Zitiert nach: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 45. 69 Schlosser, Zweiter Brief, S. 108. 70 Schlosser, Zweiter Brief, S. 110.
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„daß der Character des Civilrechts blos darin bestehe: daß dasselbe nur die zweifelhaften Fragen von dem Recht der Bürger gegen Bürger des Staats entscheiden soll.“71
bb) Schwierigkeit im Grenzbereiche Sehr viel umstrittener dagegen war die Frage, zu welchem Rechtsgebiete Vorschriften zu zählen sind, in welchen Anweisungen für die Fälle gegeben werden, in denen der Einzelne in Beziehung zu seiner Obrigkeit gesetzt ist. Hier zeichnet sich, v. a. unter Berücksichtigung der Äußerungen von Svarez, zunächst eine klare Linie nicht ab. In den Kronprinzenvorlesungen sprach sich Svarez wiederholt in der Weise aus, daß diese Art der Normen zu den Privatgesetzen zu rechnen seien: „In diesem Sinne sind unter Gesetzen begriffen 1. bürgerliche Gesetze, welchen die PrivatRechte der eintzelnen Unterthanen th. unter sich, th. gegen den Staat bestimmen.“72
Dieser Stelle korrespondiert: „Man theilt die Gesetze ein: 1. in bürgerliche, wodurch die PrivatRechte der eintzelnen Unterthanen des Staats sowohl gegeneinander als gegen den Staat bestimmt werden.“73
Damit scheint es, daß im 18. Jahrhundert – zumindest bei Svarez – auf manchen Gebieten ein anderes Verständnis von Begriff und Inhalt des öffentlichen und insbesondere des Staatsrechts vorlag als heute. Rechnet man Vorschriften, welche die Pflichten des Einzelnen gegen den Staat zum Gegenstande haben oder deren Regelungsmaterie zumindest auf der einen Seite den Einzelnen und auf der anderen Seite den Staat – sowohl als Rechtssubjekt als auch als Inbegriff der Volksgemeinschaft – voraussetzen, zum Privatrecht, so gehören eine Anzahl von Vorschriften, die heute ohne Zweifel dem öffentlichen und insbesondere auch dem Staatsrecht zugeschlagen werden74, nach dieser Auffassung zum Privatrecht. Unter der Prämisse, daß nicht bereits ganz am Beginn des Gesetzeswerkes der unten näher dargestellte Gesetzgebungsauftrag, einen nicht-staatsrechtlichen Codex zu schaffen, korrumpiert werden sollte, scheint diese Ansicht sogar gesetzliche Kraft erlangt zu haben; die Vorschrift des § 1 Einl. AGB/ALR lautet:
71
Schlosser, Dritter Brief, S. 141. Svarez, KPV, fol. 121v = S. 52. 73 Svarez, KPV, fol. 123r = S. 54. 74 So etwa der § 6 Einl. AGB über Machtsprüche, der unten (4. Teil, III.) noch näher untersucht werden wird. 72
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen „Das allgemeine Gesetzbuch enthält die Vorschriften, nach welchen die Rechte und Verbindlichkeiten der Einwohner des Staats, so weit dieselben nicht durch besondre Gesetze bestimmt worden, zu beurtheilen sind.“75
Selbst aber bei einer Zugrundelegung dieser Ansicht wären doch etwa die Bestimmungen des Teils II Titel 13 AGB/ALR76 dennoch nicht als privatrechtlich anzusehen. Indessen fanden die von Svarez hier seiner Mitwelt verkündeten Ansichten zu keiner Zeit Anerkennung in der Wissenschaft. Schlözer etwa rechnete in seinem Lehrbuch über das Staatsrecht aus dem Jahre 1793 jede durch den Staat erfolgende Beeinträchtigung privater Rechte ausnahmslos dem Staatsrechte zu: „Der Mensch behält [bei dem Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft] alle seine vorige Menschen- und GemeindeRechte, vorzüglich volle Freiheit in seinen Handlungen: die kleine Minderung abgerechnet, welche die neuen StatsRechte darinn machen.“77
Und selbst bei Svarez darf bezweifelt werden, ob er seiner oben widergegebenen Auffassung tatsächlich auch mit Überzeugung anhing; die Gründe für sie dürften eher taktischer als rechtlicher Natur gewesen sein, fallen die Kronprinzenvorlesungen, aus welchen diese Zitate stammen, doch in eine Zeit, in der es Not tat, den König – hilfsweise seinen abzusehenden Nachfolger – für den Codex, der bereits suspendiert war, einzunehmen.78 Jedenfalls äußerte Svarez sich in denselben Kronprinzenvorlesungen an anderer Stelle wie folgt: „Allgemeine Vorschriften der Gesetzgebenden Macht im Staat, nach welchen die ZwangsRechte und Pflichten der eintzelnen Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft beurtheilt werden sollen, heißen bürgerliche Gesetze. Der Innbegriff dieser Vorschriften heißt das bürgerliche od. das PrivatRecht.“79
Dies läßt mehrere Lesarten zu. Unter den „Zwangsrechten und Pflichten der einzelnen Mitglieder“ können sowohl solche erblickt werden, welche kraft vertraglichen oder tatsächlichen Kontakts der Einzelnen entstehen. Beschränkt auf das, was nach heutiger, moderner Terminologie unter dem Bürgerlichen Recht verstanden wird, ist diese Definition nur, wenn die „einzelnen Mitglieder der Gesellschaft“ als 75
Allerdings war diesem Wortlaut des ersten Paragraphen der Einleitung schon einiges seiner Brisanz genommen; in dem gedruckten Entwurfe aus dem Jahre 1784 stand an entsprechender Stelle noch zu lesen: „Das allgemeine Gesetzbuch enthält die Vorschriften, durch welche die Rechte und Verbindlichkeiten der Mitglieder des Staats überhaupt, so wohl gegen den Staat, als unter sich selbst bestimmt werden.“ Hiegegen richtete sich der Protest Schlossers (im dritten Briefe über die Gesetzgebung), der auf diese Ankündigung hin ein „wahres corpus iuris universale“ erwartete. 76 Mit Ausnahme der §§ 8, 10, 15 und 16 sowie von Teilen des § 9 das. 77 Schlözer, Allgemeines StatsRecht, S. 107. 78 Vgl. dazu: Stölzel, Svarez, S. 242 ff., 320 ff. 79 Svarez, KPV, fol. 67r = S. 553.
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die Inhaber dieser „Zwangsrechte“ und Begünstigten der „Pflichten“, von denen Svarez hier schreibt, begriffen werden. Sieht man dagegen diese „einzelnen Mitglieder der Gesellschaft“ als die durch die „Zwangsrechte und Pflichten“ Begünstigten an, so könnten unter dem nach dieser Definition bestimmten Begriffe des Bürgerlichen Rechts auch solche Rechte erfaßt sein, deren Begünstigter das Staatswesen ist, weil über den Inhalt des Rechts dann keine Aussage getroffen wäre. Für die erstere Interpretation spricht jedoch, daß es sich bei den Zwangsrechten um den Korrespondenzbegriff der Pflichten handeln dürfte, und nach dieser Auslegung fallen Rechtsbeziehungen, deren einer Teil die Obrigkeit ist, notwendig weg, weil es dem Einzelnen an faktischen Möglichkeiten, vermöge derer er den Staat zwingen könnte, stets gebricht. Gleich in der ersten Vorlesungsstunde, als Svarez damit begann, den Kronprinzen in die Staatsrechtswissenschaft einzuführen, definierte Svarez das Allgemeine Staatsrecht so: „Diese Wißenschaft hat zur Absicht, die Natur und Beschaffenheit der unter einer gemeinschaftlichen Obergewalt vereinigten bürgerlichen Gesellschaften, welche wir Staaten nennen, näher zu erforschen; den Zweck auf zu suchen, zu welchem die Menschen mit Aufopferung ihrer natürlichen Freyheit, sich in Staaten begeben und der Obergewalt eines andern unterworfen haben; endlich aber aus diesem Zweck die Verhältniße zwischen Regenten und Unterthanen nebst ihren gegenseitigen Rechten und Pflichten zu entwickeln.“80
Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Regenten und seinen Untertanen hat Svarez damit ausdrücklich dem Staatsrecht zugeordnet. Und auch bereits eingangs seines zweiten Teils der Kronprinzenvorlesungen, welcher das positive preußische Recht zum Gegenstande hat, postuliert Svarez den Inhalt des Privatrechts in dieser Richtung: „Das Privatrecht enthält die Gesetze, welche zwischen den B.[ürgern] in Anseh. ihrer PrivatAngelegenheiten und Geschäften stattfinden.“81
Von einer Regelung der Verhältnisse zwischen der Obrigkeit und dem einzelnen Untertanen ist hier nicht mehr die Rede. So erklärte auch Svarez dem Kronprinzen während derselben Vorlesungsstunde den Unterschied von Staatsrecht und Privatrecht wie folgt: „Bißher sind erklärt worden: Im allgemeinen StaatsRechte die Rechte und Pflichten zwischen Regenten und Unterthanen aus den Zwecken der bürgerlichen Gesellschaft und des GesellschaftsVertrags; […]; im deutschen StaatsRechte die Rechte und Pflichten der Stände des Reichs in Beziehung auf das Oberhaupt deßelben und unter sich. Jetzt im PrivatRechte sollen die Rechte und Pflichten der Bürger des Staats in ihren Privatangelegenheiten und Geschäften beurtheilt werden.“82
80 81 82
Svarez, KPV, fol. 288r = S. 14. Svarez, KPV, fol. 384 = S. 535. Svarez, KPV, fol. 201r = S. 536.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
Interessant ist auch eine Aktennotiz von Svarez aus dem Jahre 1785. Bereits während der Abfassung des Codex scheinen sich Stimmen gegen die Aufnahme vermeintlich staatsrechtlicher Sätze in das Gesetzbuch erhoben zu haben; die Verteidigung seines Vorgehens erachtete Svarez als geführt, „wenn man nur einen Unterschied macht zwischen den Verhältnissen des Regenten gegen das Corps der Nation im Gantzen genommen; und gegen eintzle physische und moralische Personen. Erstere, und die daraus entstehende wechselseitige Rechte und Pflichten machen eigentlich das Jus publicum internum des Preußischen Staats aus, und dieß gehört allerdings nicht in das gegenwärtige Gesetzbuch. Letztere hingegen, nehmlich die Verhältnisse des Staats gegen eintzle Bürger und moralische Personen können darin um so weniger gantz übergangen werden, als der Staat diese seine Rechte und Pflichten zum Theil an eintzle Mitglieder übertragen hat, welche dadurch mit andern Bürgern in solche Beziehungen kommen, aus denen Privat-Rechte und Verbindlichkeiten unter ihnen entstehn.“83
Als Svarez diese Aktennotiz schrieb, war er gerade mit dem Entwurf der dritten Abteilung des Personenrechts befaßt;84 er mußte sich also der Problematik bereits während der Abfassung des Gesetzbuchs bewußt gewesen sein. Er räumt in diesem Schreiben durch die Bezeichnung „eigentlich“ im Umkehrschluß ein, daß es sich auch bei jenen Sätzen, welche die „Verhältnisse des Regenten“ gegen „eintzle physische und moralische Personen“ zum Gegenstande haben, um Vorschriften des Staatsrechts handelt, er dieselben also ebenfalls nicht zum Privatrecht zählt. Daß in den genannten Verhältnissen, deren Entstehung er als möglich ansieht, unter Umständen private Rechte und Verbindlichkeiten entstehen können, bleibt für ihre Einordnung a priori unschädlich. Angemessen ist es, dieser Aussage, die während der Arbeitsphase am Gesetzbuche getan wurde, mehr Gewicht beizumessen als den – ohnehin nicht einheitlichen – Äußerungen der Jahre 1791/92. Die Gründe für jene in den Kronprinzenvorträgen damit teils nicht vollständig im Einklange stehenden Äußerungen sind nicht mehr mit Sicherheit erschließbar und gehören in’s Feld der Spekulation. Jedenfalls sind jene Stellungnahmen aber Zeugnisse einer Zeit, zu welcher alle argumentativen Reserven bemüht werden mußten, um den Kampf um das Lebenswerk von Svarez, die Einführung des mittlerweile suspendierten Gesetzbuchs, endlich noch zu gewinnen. In Äußerungen unter solchen Umständen müssen notwendig die Ergebnisse die Argumente bestimmen. Ihr wissenschaftlicher Gehalt kann dadurch eingeschränkt sein; er interessiert im Augenblicke der Zeit auch nur sekundär. Carmer fügte in seinem – ebenfalls von Svarez konzipierten – Immediatbericht vom 20. November 1793 hinzu, daß er bemüht gewesen sei, nur solche staatsrechtlichen Sätze in das Gesetzbuch aufzunehmen, welche bei Streitigkeiten mit dem Fiskus zur Urteilsfindung für den Richter in Betracht kämen.85 Ein noch deutlicherer
83 84 85
Zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 383. Stölzel, Svarez, S. 382 – 383. Stölzel, Svarez, S. 382.
B. Der Einfluß äußerer Umstände auf die Funktionalität des Gesetzes
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Beweis, daß auch Svarez den Begriff des Staatsrechts nicht auf Vorschriften beschränkte, denen es am Bezug zum Einzelnen fehlt, kann nicht erbracht werden. c) Schluß Es ergibt sich daher als Schluß, daß auch zur Zeit der Abfassung und Einführung des Allgemeinen Gesetzbuchs und Allgemeinen Landrechts zum Privatrecht lediglich Vorschriften gerechnet wurden, welche ausschließlich die Rechte und Pflichten der Einzelnen untereinander zum Gegenstande hatten. Solche Vorschriften hingegen, welche das Verhältnis der Obrigkeit zu ihren Untertanen betrafen, waren – gleichviel, ob darin einzelne Untertanen oder das „Corps der Nation“ als Ganzes betroffen wurden – einst wie jetzt Teil des Staatsrechts.
B. Der Einfluß äußerer Umstände auf die Funktionalität des Gesetzes Jedes Gesetz erfüllt nur diejenigen Funktionen, welche die Maßstäbe der Umstände seiner Zeit ihm beimessen. Das gilt für alle Arten der Gesetze, in gesteigertem Maße aber für jene Normen staatsrechtlicher Art, die vor allen anderen dem Zeitgeiste untertan sind. Denn in ihnen soll sich die Gesellschaft widerspiegeln, die selbst niemals in Stillstand ist. Dabei sind es vielgestaltige Faktoren, welche auf die Gesetze, ihre Abfassung, Auslegung und Anwendung Einfluß üben; diese Faktoren zu begreifen, muß ein erster Schritt sein bei dem Vorhaben, die Funktionen dieser Normen zu ergründen.
I. Der Einfluß der Sprache auf die möglichen Funktionen des Gesetzes 1. Die rechtswissenschaftliche Bedeutung der Sprache überhaupt In den Fokus der Betrachtung ist zunächst die sprachliche Gestalt zu rücken, denn die Sprache und ihr Entwickelungsstand sind von einem nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Funktionen, die einem Gesetze zukommen können. Die Jurisprudenz unterscheidet sich von den Naturwissenschaften dadurch, daß es ihr an jedem körperlichen Anschauungsmaterial gebricht; die Sprache dient in den Naturwissenschaften lediglich dazu, die gewonnenen Erkenntnisse zu vermitteln. In der modernen Gesetzesjurisprudenz86 der Gegenwart dagegen ist die Sprache weit mehr als 86 Darunter verstehen wir den Teil der Rechtswissenschaft, welcher sich mit den geschriebenen Gesetzen befaßt, und grenzen ihn etwa zu der unten dargestellten präskriptorischen Allgemeinen Staatsrechtswissenschaft ab.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
ein bloßes Hilfsmittel der gedanklichen Mitteilung; sie selbst ist der Gegenstand der Forschung. Stets sind es einzelne Wörter oder Wendungen, die im Mittelpunkte der juristischen Diskussionen stehen, und die Wortlautauslegung ist dabei die erste und wichtigste der klassischen Methoden der Interpretation.87 Jeder Jurist weiß, wie viel von der Wahl der richtigen Worte abhängt. Adolf Stölzel sagte in der rechtssprachlichen Vorstudie zu seinem großen zweibändigen Werk über BrandenburgPreußens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung aus dem Jahre 1888 sehr treffend: „Nicht die unwichtigsten Wegweiser in die von der großen Heerstraße der Ereignisse abzweigenden Seitenpfade, welche wir zu wandeln haben, lassen sich aus sprachlichen Untersuchungen entnehmen. Das hier einschlagende Gebiet ist das der Rechtssprache. Es kommt darauf an, die verblaßten Farben aufzufrischen, welche eine uns jetzt kaum verständliche Redeweise in den alten Urkunden und Verordnungen niedergelegt hat. Ohne strenges Festhalten an dem meist sehr bestimmten Wortausdrucke, mit welchem unsre Vergangenheit die Objecte wie die Subjecte des innern Rechtslebens bezeichnete, und ohne genaues Verfolgen der Wandelungen, welche in dieser Beziehung uns begegnen, ist das wahre Verständniß der hier zu gebenden Entwicklungsgeschichte unmöglich. […] Freilich ist […] die Erkenntniß gewisser Ausdrücke als technischer und das Eindringen in ihre wahre Bedeutung erforderlich.“88
Eine solch zentrale Bedeutung kann die Rechtswissenschaft der Sprache jedoch nur einräumen, wenn dieselbe einen Stand erreicht hat, der diesen Anforderungen genügt, wenn sie gleichsam die ihr zu Grunde liegenden Gedanken mit großer Präzision und dennoch einem hohen Grade an Abstraktheit zu fassen vermag. 2. Sprachliche Entwickelung bis 1794 Zur Zeit der Entstehung des Preußischen Allgemeinen Landrechts stand die deutsche Sprache als Rechtssprache jedoch erst am Anfang ihrer Entwickelung. Zu den ältesten Versuchen rechtlicher Darstellung in deutscher Sprache, die einen gewissen Umfang erreichen, gehören die Rechts- und Laienspiegel aus der Zeit des Hoch- und Spätmittelalters und der frühen Neuzeit; sowohl an Alter als auch an Bedeutung sticht unter ihnen Eike von Repgows „Sachsenspiegel“ besonders hervor.89 Sie waren jedoch keine normativen Sammlungen und noch viel weniger Kodifikationen, sondern es waren bloße Beschreibungen der Rechtspraxis ihrer Zeit; ihnen fehlte es daher – zunächst90 – an rechtlicher Verbindlichkeit. Der Anspruch dieser Rechtsspiegel war daher allein auf Anschaulichkeit und keineswegs auf Systematik und die damit verbundene Suche nach termini technici gerichtet.
87 Vgl. dazu nur: Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, S. 17 ff. 88 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 1. Band, S. 6. 89 Zu nennen sind außerdem der Schwabenspiegel und Ulrich Tenglers Layenspiegel. 90 Dem Sachsenspiegel etwa wurde später gesetzliche Kraft beigelegt.
B. Der Einfluß äußerer Umstände auf die Funktionalität des Gesetzes
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Neben diesen privaten Rechtssammlungen gewannen mit dem allmählichen Erstarken der Städte ab dem 12. Jahrhundert91 die städtischen Rechtsbücher zunehmend an Bedeutung. In diesen Büchern, die teils formelle Gesetze, teils amtlich oder privat veranlaßte Sammlungen des bestehenden geschriebenen und Gewohnheitsrechts waren, wurde im fortschreitenden 13. Jahrhundert die lateinische Sprache von der deutschen mehr und mehr verdrängt, bis letztere sodann ab dem 14. Jahrhundert durchweg vorherrschte.92 Diese, zum Teil noch in spätem Mittelhochdeutsch abgefaßten Texte, hatten jedoch das Niveau neuzeitlicher Gesetzessprache, wie es sich ab dem 18. und vor allem sodann im 19. Jahrhundert herausbildete, noch bei weitem nicht erreicht. Auch die späteren Stadt-93 und Landrechte94 dieser Epoche sowie die Reichsgesetze95, die in frühem Neuhochdeutsch verfaßt waren, hatten mit größten sprachlichen Schwierigkeiten zu kämpfen;96 soweit in ihnen das römische Recht rezipiert wurde, waren sie überdies noch reich an Latinismen, denen korrespondierende deutsche Begriffe fehlten. Aus dem 18. Jahrhundert stammen die ersten Versuche einer systematischen und vollständigen Übertragung des römischen Privatrechts in ein in deutscher Sprache 91
Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, 1. Band, S. 355. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, 1. Band, S. 355; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 54. 93 Z.B. das Freiburger Stadtrecht von 1520. 94 Z.B. das Württembergische Landrecht von 1555. 95 Z.B. die Reichskammergerichtsordnung von 1495; aus dem Strafrecht beispielsweise die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, die sich auf die Bambergische Halsgerichtsordnung von 1507 gründet. 96 Vgl. nur die unbeholfene Umschreibung der Fahrlässigkeit in Art. 146 der Carolina: „Von vngeuerlicher entleibung die wider eynes thätters willen geschicht ausserhalb eyner notweer. 146. Item so eyner eyn zimlich vnuerbotten werck an eynem end oder ort da solch werck zu üben, zimlich ist thut, vnd dardurch von vngeschichten gantz vngeuerlicher weiß, wider des thätters willen jemandt entleibt, der selbig würd inn vil weg, die nit müglich zu benennen sein entschuldigt, Vnnd damit diser fall dester leichter verstanden, setzen wir dise gleichnuß. Eyn balbirer schiert eynem den bart inn seiner stuben, als gewonlich zu schern ist, vnd würd durch eynen also gestossen oder geworffen, daß er dem so er schiert, die gurgel wider seinen willen abschneidet, Eyn ander gleichnuß, so eyn schütz inn eyner gewonlichen zilstatt steht, oder sitzt, vnd zu dem gewonlichen blatt scheust, vnd es laufft im eyner vnder den schuß, oder jm lest vngeuerlicher weiß vnnd wider sein willen sein büchs oder armbrust, ehe vnd er recht anschlecht vnd abkompt, vnnd scheust also jemandt zu todt, dise beyde seind entschuldigt. Vnderstünd sich aber der balbirer an der gassen oder sunst an eyner vngewonlichen statt jemandts zu schern, oder der schütz an eyner dergleichen vngewonlichen statt, da man sich versehen mocht daß leut wanderten, zu schiessen, oder hielt sich der schütz inn der zilstatt vnfürsichtiger weiß, vnnd würde also von dem balbirer, oder dem schützen, als obsteht, jemandt entleibt, der thätter keyner würd gnug entschuldigt, Aber dannocht ist mer barmherzigkeit bei solchen entleibungen, die vngeuerlich auß geylheyt oder vnfürsichtigkeyt, doch wider des thätters willen geschehen, zuhaben, dann was arglistig und mit Willen geschicht, Vnd wo solche entleibung geschehen, sollen die urtheiler bei den verstendigen so es vor jn zu schulden kompt, der straff halb radts pflegen. Auß disen obangezeygten gleichnussen, mag inn andern vnbenanten fellen eyn verstendiger wol mercken vnnd erkennen, was eyn vngeuerliche entleibung ist, vnd wie die entschuldigung auff jr tregt. […]“ 92
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
abgefaßtes Gesetzbuch. Samuel von Coccejis erstes preußisches Landrechtsprojekt von der Jahrhundertmitte und ebenso der wenige Jahre später – 1756 – in Bayern in Kraft getretene Codex Kreittmayrs, die den Anfang in dieser Bewegung machten, lesen sich jedoch kaum als deutsche Texte: Lediglich ihr sprachlicher Rahmen ist deutsch; zentrale Begriffe aber sind fast ausschließlich Latinismen und damit Fremdwörter, die ohne Kenntnis ihrer Bedeutung in der Sprache, der sie entlehnt worden sind, ohne Inhalt sind. Zudem begnügen sich diese Gesetzbücher noch mit teilweise so allgemein gefaßten Sätzen, daß sich jeder Rechtsanwender bei ihrer Umsetzung auf konkrete Fälle vor nahezu unlösbare Schwierigkeiten gestellt sehen muß. Wo aber an Stelle von dezidierten Regelungen nur die Grundsätze zu finden sind, da waren die Kenntnisse der römischen Quellen selbst zur Rechtsanwendung noch immer unentbehrlich. Stölzel sagte etwa über Coccejis Entwurf: „Dasselbe hat zunächst äußerlich in seiner Sprache etwas für uns heute so Ungelenkes, ja geradezu Abstoßendes, daß wir uns eher mit dem französischen als mit dem deutschen Texte befreunden können. Daneben ist aber doch der Inhalt so mager, daß es gegenüber den Anforderungen, welche wir gegenwärtig an ein Gesetzbuch stellen, unbegreiflich scheint, wie man zu irgend welcher Zeit glauben konnte, mit solchem dürren, öden Machwerk, mit solchen an der Oberfläche haftenden Rechtssätzen, überhaupt praktisch auskommen zu können.“97
Das schwierigste gesetzgebungstechnische Problem bei der Abfassung des Preußischen Allgemeinen Landrechts und seiner Entwürfe war daher das Sprachproblem.98 Die Schwierigkeiten, welche sich durch die Forderung nach „deutlich und bestimmt abgefaßten Gesetzen“99 in deutscher Sprache, nach „möglichster Precision und Deutlichkeit“100 für die Gesetzesautoren ergaben, können zu einer Zeit, als es noch keine deutsche Rechtssprache, keine juristischen Fachtermini gab, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sämtliche bis dahin übliche Latinismen sollten vermieden und durch neu zu schaffende deutsche Begriffe ersetzt, sämtliche bis dahin oft nur in lateinischer Sprache gefaßten Gedanken mußten in einer Sprache wiedergegeben werden, der es an korrespondierenden Begriffen bislang gebrach. Bei der Abfassung des Codex wurde das Äußerste getan, was zu tun bei dem damaligen Stande der deutschen Sprache möglich war; die von Svarez dabei vollbrachten Leistungen waren so gewaltig, daß allein unter Hinweis auf dessen Verdienste um die deutsche Sprache seine Aufnahme in die Königliche Akademie der Wissenschaften beantragt wurde. Und dennoch: So viel im 18. Jahrhundert für die Entwickelung der deutschen Sprache hin zu einer Rechtssprache unternommen wurde, 1794 war dieser Prozeß längst noch nicht abgeschlossen. Savigny spricht dies im Zusammenhang mit den Problemen, die bei der Abfassung des Allgemeinen Landrechts zu überwinden waren, an: 97
Stölzel, Resultate der Reformen Cocceji’s, S. 147 – 148. So auch: Hattenhauer, ALR, S. 35. 99 So das Publikationspatent vom 20. März 1791, abgedruckt bei: Pauli, AGB, 1. Teil, S. I. 100 So die Kabinettsorder vom 14. April 1780, abgedruckt in: Geschichte der Staatsverfassung, S. 301. 98
B. Der Einfluß äußerer Umstände auf die Funktionalität des Gesetzes
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„Es darf aber auch nicht übersehen werden, daß eine große, vielleicht unübersteigliche Schwierigkeit in der gegenwärtigen Stufe der deutschen Sprache lag, welche überhaupt nicht juristisch, und am wenigsten für Gesetzgebung, ausgebildet ist […].“101
Und Schlosser sagte in seinem ersten Brief über die Gesetzgebung schon in den 80er Jahren, während die Arbeiten an dem Gesetzbuche noch in vollem Gange waren: „Die unbegränzte Phantasie der Menschen hat unzählige Arten von Verträgen, und zu jedem, wieder unzählige Clauseln erfunden. Die Sprache langt nicht mehr hin, alle mit Bestimmtheit auszudrücken.“102
Ein ganzes Jahrhundert sollte es noch dauern, bis jene sprachlichen Mängel behoben waren, um ein Werk von so bestechender Präzision der Begriffsbildung, Genauigkeit des sprachlichen Ausdrucks und schlüssiger Harmonie der Wortwahl zu schaffen wie das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich vom 18. August 1896103; von keinem anderen deutschen Gesetze ist diese Höhe legislatorischer Qualität je wieder erreicht worden. Mit ihm aber ist jene moderne abstrakt-generelle und streng systematische Denkungsart ausgebildet worden, die seitdem zum gedanklichen Rüstzeug jedes Juristen gehört und ohne die auch heute die juristische Arbeit nicht auskommt. Im 18. Jahrhundert wurden hingegen lediglich die ersten mühsamen Versuche gemacht, auf dieses damals noch sehr ferne Ziel zuzusteuern. Hattenhauer stellt in der Einführung seiner 1970 erschienenen Textausgabe des Preußischen Allgemeinen Landrechts beispielhaft die Vorschriften über die Form von Schenkungen im ALR und BGB gegenüber.104 Wo das Bürgerliche Gesetzbuch mit einem, zwei Absätze mit insgesamt drei Sätzen umfassenden Paragraphen auskommt, benötigte das Allgemeine Landrecht noch sieben Paragraphen (die freilich jeweils nur aus einem einzigen Satze bestanden). Um das auszudrücken, was später das Bürgerliche Gesetzbuch mit dem einen Worte „bewirken [einer Schenkung]“ bezeichnet hat, brauchte das Allgemeine Landrecht noch einen ganzen Satz. Auch in der Konsequenz seiner Terminologie sind die zwischen Allgemeinem Landrecht und Bürgerlichem Gesetzbuch liegenden hundert Jahre juristischen und rechtssprachlichen Fortschrittes nicht zu übersehen. So wurde beispielsweise im Allgemeinen Landrecht die gleiche Person ohne sachlichen Grund für eine Differenzierung teils als „Geschenknehmer“105, teils als „Beschenkter“106, einmal schlicht als „der Andere“107 und ein andermal als „Empfänger“108 bezeichnet; ein Phänomen, 101
Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 91. Schlosser, Erster Brief, S. 45. 103 Reichs-Gesetzblatt 1896, S. 195. 104 Hattenhauer, ALR, S. 34 – 36. 105 §§ 1038, 1053, 1065, 1084, 1104, 1105, 1106, 1114, 1118, 1119, 1121, 1126, 1127, 1128, 1134, 1135, 1153, 1158, 1167, 1171 I 11 ALR. 106 §§ 1055, 1056, 1057, 1060, 1062, 1066, 1068, 1083, 1086, 1087, 1088, 1100, 1105, 1123, 1124, 1125, 1151, 1154, 1164, 1165, 1166, 1175 I 11 ALR. 107 § 1157 I 11 ALR. 102
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
das im Bürgerlichen Gesetzbuch des Jahres 1896 kaum mehr auftritt.109 Wo das Bürgerliche Gesetzbuch exakte Definitionen liefert, sind im Allgemeinen Landrecht häufiger Umschreibungen und Beispiele anzutreffen; Wiederholungen finden sich anstelle von Verweisen, und teils werden auch Banalitäten ausgesprochen. Die Worte des Gesetzgebers sollten in den Mittelpunkt der juristischen Arbeit rücken, ihr Wortlaut jedoch erst ein Jahrhundert später. Am Ende des 18. Jahrhunderts war damit jedoch das Äußerste getan, was sprachlich machbar war.110
II. Der Einfluß der Tradition auf die möglichen Funktionen des Gesetzes 1. Die tradierte Funktion des Gesetzes a) Die tradierte Funktion des Gesetzes überhaupt Die eingeschränkten sprachlichen Möglichkeiten der Zeit sind jedoch nur einer der Gründe für die stilistische Form des Preußischen Allgemeinen Landrechts; weitere, mehrgestaltige Ursachen liegen in der Funktion des zeitgenössischen Gesetzes selbst begründet. Es fällt auf, daß die alten Rechtssammlungen, die Reskripte und Kabinettsordern noch am Anfang des 19. Jahrhunderts und eben auch die Publikationspatente zum Allgemeinen Gesetzbuch und Allgemeinen Landrecht nicht lediglich Regelungen enthielten; sondern Regelung und deren Begründung standen meist nebeneinander. b) Mittelalterliche Rechtslehre Die Ursachen für diesen erläuternden Stil in der Gesetzgebung sind zweierlei, deren Grund ist letztlich der gleiche. Bei den oben bereits erwähnten Rechts- und Laienspiegeln des Mittelalters handelte es sich in ihrem Ursprung nicht um Gesetze, sondern es waren Lehrbücher, welche das zeitgenössische Recht nicht konstituieren, sondern lediglich wiedergeben – spiegeln – sollten; der Anspruch an solche Werke muß selbstredend allein auf Verständlichkeit gerichtet sein, und Erklärungen der wiedergegebenen Rechtsregeln sind schlechterdings notwendig, um dem Recht in allen seinen Erscheinungen möglichst nahezukommen. Daß einzelnen dieser Sammlungen, wie etwa Eike von Repgows Sachsenspiegel aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in späteren Zeiten Gesetzeskraft beigelegt wurde, vermag an der ursprünglichen Zielsetzung seiner Verfasser und dem entsprechend gewählten Stile nichts zu ändern.
108
§ 1152 I 11 ALR. Im Fünften Buche des BGB wird jedoch ohne Unterschied in der Bedeutung bald von „Erbschaft“, bald von „Nachlaß“ gesprochen. 110 So auch: Hattenhauer, ALR, S. 36. 109
B. Der Einfluß äußerer Umstände auf die Funktionalität des Gesetzes
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c) Absolutistische Rechtslehre Der Grund für den teils befehlenden, teils erläuternden Stil, welcher in den Reskripten, Kabinettsordern &c. folgender Zeiten vorherrscht, war ein ähnlicher; seine Wurzel hatte er indes in dem staatsrechtlichen System dieser Zeit. Die Umstände, welche heute dazu zwingen, das Gesetz als einen formellen Akt zu begreifen und den möglichen Sinn seines Wortlautes zur Grenze der Auslegung zu machen111, existierten in der Ära der absoluten Monarchie nicht. Es gab keine Zuständigkeiten und Kompetenzen eines formalisierten Gesetzgebungsverfahrens, die hätten eingehalten werden müssen, so daß Gesetz nicht nur das sein konnte, was ein solches Verfahren ordnungsmäßig durchlaufen hatte; über die in Preußen vorgesehene Zuziehung der Stände sowie der Gesetzkommission sagte Svarez in den Kronprinzenvorlesungen sehr wahr: „Diese Formen benehmen dem Monarchen nichts von seinem Rechte, weil die GesetzCommißion und Stände nur Gutachten, Erinnerungen und Remonstrationes machen können, die letzte Beurtheilung aber stets dem LandesHerrn zukommt.“112
Bedeutsamer ist, daß es zu jener Zeit in Preußen einen Rechtsstaat, wonach es den Gesetzen zugekommen wäre, Freiräume gegen die Obrigkeit einzuräumen, noch nicht gab.113 Montesquieus „Esprit des lois“ war bei der Thronbesteigung Friedrichs des Großen noch nicht geschrieben und nach seiner Abfassung114 war die Gewaltenteilung noch lange nicht eingeführt, so daß die Gesetze auch nicht dazu dienen konnten, obrigkeitliches Handeln dem Untertanen gegenüber einzuschränken.115 Ihnen kam im absolutistischen Staate eine ganz andere Funktion zu. Sie waren nicht konstitutiv, sondern sie waren Medium. Ihrer bediente sich der Landesherr, um seinen Willen kundzutun; immer aber war es sein Wille, der galt, und nicht das Pergament, auf welchem dieser niedergeschrieben war. Daher kam es bei neuer Rechtsschöpfung auch nicht darauf an, die bestimmten Worte selbst, in welche der König sein Anliegen gefaßt hatte, zu verkünden, sondern der König wies an,
111
Denn alles, was darüber hinausgeht, gehört in den Bereich der Analogie. Svarez, KPV, fol. 124v = S. 60. 113 Mit den von Krause (Krause, Einführung zur Geschichte der Gesetzgebung, S. LXXXI) erwähnten Freiheiten können nur solche im Verhältnis des Bürgers zum Mitbürger sowie – unter der Bedingung, daß der König auf die Anwendung der Gesetze in der öffentlichen Verwaltung pocht – zu subordinierten obrigkeitlichen Stellen gemeint sein. Im Verhältnis zur obersten Gewalt im Staate kommt den Gesetzen im Absolutismus diese Funktion nicht zu, auch wenn es der König sich versagt, sich über seine eigenen Gesetze hinwegzusetzen, weil diese selbstgewählte Einschränkung allein von dem fortdauernden Willen des Königs abhängt und von ihm jederzeit in Fortfall gebracht werden kann. 114 Die Erstveröffentlichung erfolgte im Jahre 1748 anonym in Genf. 115 Reine kompetenzzuweisende Vorschriften wie etwa der § 10 II 17 ALR entfalten diese Wirkung nicht, weil denselben nur intraobrigkeitliche Wirkung zukommen kann, auf welche sich der Untertan daher nicht berufen kann. 112
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen „diese Unsere Willensmeinung bekannt zu machen, und die Verfügung zu treffen, daß selbiger auf das Genaueste nachgelebet [werde].“116
Mangels eines formalisierten Verfahrens der Willensäußerung war die Fortgeltung des Inhaltes solcher Reskripte und Kabinettsordern stets allein von dem aktuellen Willen des Herrschers abhängig. Allein auf Grund der Vermutung, daß der Wille des Herrschers, wie er in seinen Reskripten, Kabinettsordern und anderen Erklärungen wiedergegeben wurde, solange fortbesteht, bis der Herrscher Gegenteiliges verlautbart, rechtfertigte überhaupt dessen Niederschrift.117 Den in solchen Schriften enthaltenen Erklärungen, Überlegungen, Beweggründen und teils sogar Mutmaßungen118 kam es also zu, den Willen des Königs vermöge der Offenlegung des Prozesses der Willensbildung möglichst authentisch wiederzugeben. Aus der Wortgewalt dieser Erklärungen, der Äußerung von Mutmaßungen &c. spricht die Sorge des Königs, daß seine Anweisung korrumpiert und er hintergangen werde; durch die in vielen Worten möglichst umfassende Darlegung seiner Absichten konnte bei dennoch erfolgter Insubordination der Ungehorsam zumindest nicht mit Unkenntnis der wahren Absichten des Königs zu rechtfertigen versucht werden. d) Schluß Damit hatten diese Schriften mit den Spiegeln des Mittelalters gemein, daß sie nicht selbst Rechtsquelle waren, sondern nur der Wiedergabe des Rechts dienten. Nicht auf das einzelne niedergeschriebene Wort kam es an, sondern es zählte der aus den Worten sprechende Gedanke. Das Gesetz im 18. Jahrhundert war daher nicht notwendig bestimmend und vorschreibend, sondern es konnte auch bloß beobachtend und die Zustände beschreibend sein, wo dies der Sinnvermittelung dienlich erschien. So unterteilte Tieftrunk die Gesetzgebung in eine „innere“, auf welche sich „Tugendpflichten“, und in eine äußere, auf welche sich „Rechtspflichten“ gründen sollten;119 ersterer maß er keine unmittelbare eigenständige Wirkung in dem Sinne bei, daß sie durchsetzbare Gebote und Verbote hervorzubringen geeignet wäre. Und auch Svarez rechnete zur Gesetzgebung entsprechend nicht lediglich die Befugnis 116
So etwa in der Verordnung an sämtliche Konsistoria wegen Einstellung des Läutens bei den Gewittern vom 11. September 1783, abgedruckt bei: Gedike/Biester, Berlinische Monatsschrift, 2. Band, S. 480. 117 Die Gründe für den Bestand einer solchen Vermutung waren dreierlei: 1. Allein aus Erwägungen der Praktikabilität bedurfte man einer solchen Vermutung, weil ein Staatsbetrieb ohne sie nicht möglich wäre. 2. Positivrechtlich konnte diese Vermutung des Bestandes von Rechtssätzen aus der wiederholten Erklärung Friedrichs II. gezogen werden, sich niemals ein Dementi geben zu wollen. Und 3. hat diese Vermutung noch eine Stütze im Naturrechte, weil alles Geschaffene Bestand hat, bis es durch einen seinem Bestande konträren Akt beseitigt wird. 118 Wie etwa in der Kabinettsorder Friedrichs des Großen vom 14. April 1780 über den Anwaltszwang in früheren Zeiten, abgedruckt in: Geschichte der Staatsverfassung, S. 301 – 310. 119 Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen über das Privat- und öffentliche Recht, 1. Teil, S. 159.
B. Der Einfluß äußerer Umstände auf die Funktionalität des Gesetzes
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des Souveräns, neue Gesetze zu geben und vorhandene abzuschaffen, sondern auch „dunkle Gesetze“ so zu erklären, daß die Erklärung selbst gesetzliche Kraft habe;120 eine solche Erläuterung steht systematisch auf der Grenzlinie zwischen Gesetzgebung und der den Gerichten und der Administration zukommenden Gesetzesauslegung. Auch durch das Supplikenwesen wird das bestätigt. Die als erschlichen anzusehenden landesherrlichen Reskripte sollten „ungültig“ sein, weil sie nicht den wahren Willen des Königs kundgeben, wie Stölzel sagt.121 „Ungültig“ ist dabei etwas unpräzise formuliert, denn sie selbst konnten ihrer Art nach aus sich heraus ohnehin niemals Gültigkeit im Sinne rechtsgenerierender Kraft der modernen Gesetze haben; sie waren vielmehr unbrauchbar, weil ihr Inhalt nicht authentisch war, und damit waren sie in der Rechtspraxis wirkungslos; „entsprechen die Rescripte aber dem wahren Willen, dann sind sie nicht erschlichen, und sie sind darum gültig, mögen sie gegen das bestehende Recht verstoßen, oder mögen sie in schwebende Processe eingreifen, ja mögen sie selbst die rechtskräftigen Entscheidungen abändern.“122
2. AGB und ALR als Teil dieser Tradition In dieser Tradition stand die gesamte Gesetzgebung am Ende des 18. Jahrhunderts. Von dem Preußischen Allgemeinen Landrecht – zur Hochzeit des Absolutismus verfaßt – konnte man ein anderes nicht erwarten. Auch die Beispiele mit Bezug zum Allgemeinen Gesetzbuch und Allgemeinen Landrecht sind zahlreich: Gleichbleibend ist in ihnen die „Willensmeinung“ des Königs zentral. In der Kabinettsorder Friedrichs des Großen vom 14. April 1780, mit welcher die Arbeiten an dem Gesetzbuche ihren Auftakt fanden, ist etwa zu lesen: „Es ist also Eure Sache, darauf zu sehen, daß Unsere Willensmeynung hierinn aller Orten aufs genaueste befolgt werde […].“123
Nicht anders verhielt es sich unter Friedrichs des Großen Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., der seine unter dem 27. August 1786 verfaßte Kabinettsorder, welche die Weiterführung des Landrechtsprojekts anordnete, mit folgenden Worten begann: „Ich habe Euch bereits mündlich zu erkennen gegeben, wie es meine ernste Willensmeinung sey, daß die Justiz in Meinen sämmtlichen Staaten fernerhin auf den bisherigen Fuß, regelmäßig, promt und unparteyisch verwaltet, und über der genauen Beobachtung der mit guten Successe eingeführten Proceßordnung mit allem Nachdrucke gehalten werden soll. 120 Svarez, KPV, fol. 5r = S. 56. Allerdings ist in den Kronprinzenvorlesungen der Jahre 1791/92 schon ein Wandel erkennbar, denn Svarez spricht bei dem möglichen Inhalte von Gesetzen sämtlich von „Regelungen“. 121 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 211. 122 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 211. 123 Kabinettsorder vom 14. April 1780, abgedruckt in: Geschichte der Staatsverfassung, S. 302.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen Diese Meine Intention habt Ihr also den sämtlichen Justizcollegiis bekannt zu machen […].“124
Sie endigt mit den Worten: „Ihr habt Euch also nach dieser Meiner Euch hierdurch nochmahls eröffneten Willensmeinung nicht nur selbst pflichtmäßig zu achten, sondern auch solche den Regierungen und Ständen in den Provinzen zu ihrer Nachricht gehörig bekannt zu machen.“125
Nie sind es Formulierungen, an denen gehaftet wird, nie Worte und Redewendungen, sondern maßgeblich ist stets die Intention, die zu vermitteln der König sich anschickte. Gleichermaßen schloß das Publikationspatent zum Allgemeinen Gesetzbuche vom 20. März 1791 mit den Worten: „Nach dieser Unserer solchergestalt erklärten Allerhöchsten Willensmeinung hat sich also ein jeder, den es angeht, insonderheit aber sämmtliche Landescollegia und übrige Gerichte, genau und pflichtmäßig zu achten; und soll das gegenwärtige Publications-Patent allgemein bekannt gemacht, auch des Endes den Zeitungen und Intelligenzblättern einer jeden Provinz, seinem wesentlichen Inhalte nach, eingerückt werden.“126
Auch hier kam es nicht auf bestimmte Formulierungen an, sondern auf das Wesentliche des Inhalts, das in den Zeitungen bekannt gemacht werden sollte. Der Sprache kam es dabei, wie bereits dargelegt, lediglich zu, die Ratio des Autors deutlich zu machen; eine Arbeit am einzelnen Begriffe – eine Wortlautauslegung – war dagegen zunächst nicht vorgesehen und auch gar nicht gewollt: Die Rechtsgelehrten sollten ja nach der ausdrücklichen Anweisung Friedrichs vom 14. April 1780 „um ihren ganzen Subtilitätenkram gebracht“ werden. Der erzkonservative Haller gibt in seiner „Restauration der Staatswissenschaften“ sehr treffend dieses Verständnis des Gesetzes in alter Zeit wieder: „Haltet Euch nicht mit einzelnen Worten und Redensarten auf, […] zanket nicht über Ausdrüke, jene unvollkommenen Zeichen der Gedanken, sondern durchdringet Euch mit dem Geist der über das Ganze schwebt, aus dem alles geflossen ist, mit dem reinen Willen, der allein die Wahrheit leitet.“127
Ein grundlegender Wandel trat erst ein, als das Gesetzgebungsverfahren mit der Einführung amtlicher Verkündigungsblätter formalisiert wurde. Als im Jahre 1806 die „Gesetz-Sammlung für die Preußischen Staaten“ zum ersten Male erschien, war in Preußen der letzte Tag der alten Gesetzgebung heraufgedämmert. Von nun an galten nach dem Willen des Königs allein die Worte als verbindlich, die in dieser Zeitung geschrieben standen, mochten sie den Willen seines Verfassers deutlich oder unklar, präzise oder gar konträr zum Ausdruck bringen.
124 125 126 127
Zitiert nach: Klein, Kurze Geschichte der Gesetzgebung, S. XLIX. Zitiert nach: Klein, Kurze Geschichte der Gesetzgebung, S. LI. Publikationspatent vom 20. März 1791, abgedruckt bei: Pauli, AGB, 1. Teil, S. XIX. Haller, Restauration der Staats-Wissenschaft, 1. Band, S. LXXI.
B. Der Einfluß äußerer Umstände auf die Funktionalität des Gesetzes
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Zur Zeit der Abfassung des Allgemeinen Landrechts war das Verständnis von der Funktion des Gesetzes allerdings schon im Umbruch begriffen; erste Anzeichen deuteten auf die bevorstehende Wende hin. Indem es nämlich den Richtern zur Vorschrift gemacht wurde, Kommentare und Schulmeinungen unbeachtet zu lassen und ihre Entscheidungen einzig auf die Vorschriften des Allgemeinen Landrechts selbst zu gründen, wurde an die Gesetzessprache der Anspruch gestellt, nunmehr die Absichten seines Verfassers so deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck zu bringen, daß auf den Willen des Gesetzgebers erläuternde Sekundärliteratur verzichtet werden kann. Da Friedrich es zunächst sogar dem Richter selbst zu untersagen beabsichtigte, das Gesetz auszulegen, um die etwa hinter den Worten verborgene Ratio zu ergründen, mußte notwendig auch deshalb ein stärkeres Gewicht auf die Wortwahl gelegt werden. Eine solch enge Bindung des Richters an das Gesetz intendiert mithin eine Bindung an den Wortlaut des Gesetzes. So kam der Gemeinspruch auf: „Kein Mensch muß müssen, wenn es nicht im Allgemeinen Landrecht steht.“128
Daraus erklären sich die zwar oftmals zu lesenden, aber dennoch unzutreffenden Äußerungen im Schrifttum, die dem Preußischen Allgemeinen Landrecht Wesensmerkmale einer Verfassung beigegeben sehen wollen.129 3. Schluß Zur Zeit der Abfassung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten herrschte also noch ein anderes Verständnis von dem, was ein Gesetz ist, als heute. Der Anspruch, der an ein Gesetz gestellt wurde, war damit auch ein anderer, als es heute der Fall ist. Aufgabe des damaligen Gesetzes war es, den Willen des absoluten Herrschers wiederzugeben. Dadurch war das Gesetz nicht darauf beschränkt, bloß zu regeln, sondern es konnte außer durch den nackten Befehl auch auf andere Weise den Willen und das Anliegen des Regenten kundtun. Da das Gesetz nicht rechtskonstitutiv, sondern bloßes Medium des Herrscherwillens war, bestand keine Notwendigkeit, es auf den Ordnungszweck, dem die reinen Regelungsgesetze dienen, zu beschränken, sondern mit ihm konnten auch andere Zwecke verfolgt werden.130 Staatsrechtlichen Vorschriften der Zeit mußte folglich nicht notwendig regelnder Gehalt zukommen. Für das Preußische Allgemeine Landrecht besteht daher eine Vermutung des ersten Anscheins, daß es sich ebenso verhält.
128 Das „alte Preußenwort“ (Reuß, Das Bild des Anwalts, S. 121) ist die Abwandlung eines Lessing-Zitates („Nathan der Weise“, 1. Aufzug, 3. Auftritt) und wird zitiert von: Drews, Vom Ausbau der preußischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 586; Merten, Landesgesetzgebungspflichten kraft Bundesrahmenrechts? S. 442. 129 Dazu näher unten, 3. Teil, B. 130 Dazu näher unten, 3. Teil, C.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
C. Grenzen der reglementierenden Gesetzgebung Noch bevor die Betrachtung einzelner, das Allgemeine Staatsrecht zum Gegenstande habender Vorschriften erfolgen kann, ist zunächst erforderlich, über die schlechterdings notwendigen Grenzen einer Gesetzgebung, die Imperative formulieren will, sich Gewißheit zu verschaffen. Solche Grenzen ergeben sich aus positivrechtlichen sowie aus überpositiven Vorgaben.
I. Positiv-rechtliche Grenzen 1. Reichsrechtliche Vorgaben a) Preußen als Teil des Deutschen Reichs Preußen lag lediglich mit einem Teil seines Staatsgebietes im Deutschen Reiche. Die dem späteren Gesamtstaat seinen Namen gebenden nordöstlichen Provinzen, die eigentlichen preußischen Lande, lagen jenseits der Reichsgrenzen. Mit den polnischen Teilungen kamen weitere riesige, außerhalb des Reichsgebiets gelegene Gebiete hinzu, die fortan bis zum Untergang des Reichs den Schwerpunkt der Monarchie in Deutschlands Fremde rückten. Das Kurfürstentum Brandenburg mit Berlin, der Hauptstadt des Gesamtstaates, und die im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts hinzugewonnenen Provinzen Schlesien, Hinterpommern, die aus der schwedischen Besatzung zurückgewonnenen Teile Vorpommerns sowie kleinere verstreute Besitzungen zwischen Maas und Aller waren dagegen Teil des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Für diese Provinzen mußte sich daher die Frage stellen, in wieweit reichsrechtliche Vorgaben auf die Gesetzgebung und Verwaltung von Einfluß sein konnten. Und auch in personeller Hinsicht bestanden Verbindungen der preußischen Staaten zum Deutschen Reiche, die etwa in der Titulatur des Herrschers ersichtlich waren. Obschon Preußen im Jahre 1701 zum Königreich und dessen Monarch damit zum König geworden war,131 behielt er den Titel eines Markgrafen von Brandenburg und demzufolge die an diesen Titel angeschlossenen Ämter des Erzkämmerers und eines Kurfürsten des Heiligen Römischen Reichs bei. Die große Bedeutung, welche diesen Ämtern am preußischen Hofe nach wie vor beigemessen wurde, spiegelt sich in der Titulaturfolge wider, wo dieselben dem Königstitel unmittelbar nachgeordnet rangierten.132 Der Königstitel selbst wurde bis 1772 als „König in Preußen“ und nicht etwa als „König von Preußen“ geführt, um dadurch dessen räumlich begrenzte 131
Über die Entwickelung hin zur Königswürde in Preußen sehr instruktiv: Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4. Teil, S. 560 – 563. 132 Vgl. etwa die Konstitution vom 31. Dezember 1746, abgedruckt bei: Kamptz, Preußische Justiz-Reform, S. 118.
C. Grenzen der reglementierenden Gesetzgebung
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Bedeutung auf das nicht zum Reichsgebiet gehörige eigentliche (Ost-)Preußen zu verdeutlichen. Doch wie sehr auch durch Formalien versucht wurde, das Band zu festigen, mit dem die brandenburgischen Lande einstmals dem Deutschen Reiche so eng verbunden waren; mit der Königsberger Krönung von 1701 waren die Fundamente eines neuen preußischen Nationalgefühls irreversibel gelegt. Bald war in betreff der kurbrandenburgischen Territorien nur noch die Rede als von den „königlich preußischen“, und eine Generation später war der Name „Preußen“ für den ganzen Umfang der Monarchie allgemein geworden. Dieser einheitliche Name aber stand stellvertretend für das erwachende Nationalempfinden einer aufstrebenden Nation. b) Ius territoriale, ius supremi dominii cum summa atque absoluta potestate und privilegium illiminatum de non appellando Dieser tatsächlichen Entwickelung entsprach die rechtliche. Seit Anbeginn des Reiches beruhte das Reichsstaatswesen auf den einander entgegengesetzten Prinzipien der Reichseinheit zum einen und der Staatentrennung und partikularer Selbständigkeit seiner Mitgliedstaaten zum anderen. Der strukturimmanente Konflikt dieses im Reichsherkommen wurzelnden Spannungsfeldes tat sich bereits in früher Zeit hervor; er sollte das Reich in seiner fast tausendjährigen Geschichte nicht mehr loslassen. Denn einerseits war nach altem Reichsherkommen der römischdeutsche Kaiser allein Souverän im Deutschen Reiche, sämtliche Reichsfürsten und -stände – der Theorie nach – seine Untertanen133.134 In Folge einer unklaren Ansicht über die Verbindung der alten römischen Kaiserkrone mit dem deutschen Königtume sprach man im Mittelalter auch von einer „kaiserlichen Machtvollkommenheit“ (plenitudo potestatis), kraft derer sich die Kaiser das unbeschränkte Recht beilegten, alle Arten von Privilegien zu erteilen und die Anwendung der Reichsgesetze und des Reichsrechts im ganzen in einzelnen Fällen auszuschließen. Andererseits aber ging bereits früh das Streben der geistlichen und weltlichen Reichsstände dahin, sich ihre Landeshoheit – den Besitz und die Ausübung ihrer landesherrlichen Rechte – zu sichern und die Einmischung des Kaisers in ihre innere Landesregierung möglichst zu verhindern. Ihren rechtlichen Kern hatte diese Landeshoheit (ius territoriale) in der Gerichtsbarkeit (iurisdictio), die nach ihrem rechtsgeschichtlichen Ursprunge stets als eine Bewilligung der Reichsregierungsgewalt betrachtet wurde.135 Da die Gerichtsbarkeit nach dem Geiste des alten deutschen Rechts an sich nicht auf den Begriff der bloßen Rechtsprechung beschränkt war, sondern auch das Recht der 133
Wenngleich auch der Begriff „Unterthan“ für die Reichsfürsten, je weiter die Zeiten voranschritten, mehr und mehr vermieden wurde; gewöhnlich wurde lediglich von ihrer „Subordination“ gesprochen. 134 Zöpfl, Grundsätze des Staatsrechts, 1. Teil, § 77, S. 142 f. 135 Zöpfl, Grundsätze des Staatsrechts, 1. Teil, § 84, S. 159, 163, § 103, S. 223 f., 226.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
Vollziehung und somit auch das Recht, Verordnungen zu erlassen, enthielt, und ohnehin der Unterschied von Gesetzen und landesherrlichen Verordnungen, namentlich in den Ländern, wo keine Landstände bestanden, wenig Beachtung fand, trug man kein Bedenken, auch das Recht der Landesgesetzgebung als in der Landeshoheit inbegriffen anzuerkennen. Die Reichsgesetze selbst beanspruchten daher häufig nur eine ergänzende und aushilfsweise Bedeutung, sofern dem Geiste ihrer Bestimmungen nicht bereits durch die Gesetzgebung oder Praxis der einzelnen Länder entsprochen wurde.136 Mit dem Westfälischen Frieden von 1648137, der den dreißigjährigen Krieg beendete, daneben aber auch bedeutende reichsstaatsrechtliche Klauseln enthielt, wurde den Reichsständen insgesamt und der in Brandenburg-Preußen herrschenden fränkischen Linie des Hauses Hohenzollern im besonderen138 die Landeshoheit als ein ihnen von alters her zustehendes, selbständiges Recht bestätigt und als eigentliches Regierungsrecht (ius territoriale, superioritas) in ihren Ländern von anderen zufälligen nutzbaren Regalien oder singulären Privilegien, die sie in Folge besonderer kaiserlicher Verleihung noch innehaben mochten, scharf unterschieden. „Für die Landesherren war durch den westphälischen Frieden zwar eigentlich kein neues Recht erworben worden, aber der Sinn, in welchem man das Hergebrachte anerkennen ließ […], bezeichnete desto deutlicher die Entwicklungsstufe, auf welcher sich die Landeshoheit befand, von der sie nun in den größeren Ländern allmälig zur vollständigen Unabhängigkeit übergieng.“139
Mit dem zwischen dem brandenburgischen Kurfürsten und dem polnischen König geschlossenen Wehlauer Frieden vom 19. September 1657 verzichtete Polen auf seine Oberhoheit über Preußen, und es wurde Preußen zudem ausdrücklich das ius supremi dominii cum summa atque absoluta potestate (die „Souveränität“) verliehen.140 Bis zu dieser Zeit hatte sich überdies die Maxime der Staatentrennung dahingehend gefestigt, daß es dem Kaiser „reichsconstitutionsmäßig“ untersagt war, in die Landeshoheit der Reichsglieder einzugreifen, so lange der Landesherr verfassungsmäßig regierte.141 Die Bedeutung des deutschen Reichsrechts in Preußen mußte demnach bereits im 17. Jahrhundert schon de iure eine sehr geringe geworden sein.
136
Vgl. etwa die Vorrede der Peinlichen Halsgerichtsordnung von 1532, welche mit den Worten schließt: „Doch wollen wir durch diese gnedige erinnerung Churfürsten Fürsten und Stenden, an jren alten wohlherbrachten rechtmessigen vnnd billichen gebreuchen nichts benommen haben.“ 137 In Münster wurde der Friedensschluß mit Frankreich, in Osnabrück der Friedensschluß mit Schweden ausgehandelt. Die Zitate im folgenden sind nach der Osnabrücker Fassung wiedergegeben. 138 Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4. Teil, S. 505. 139 Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4. Teil, S. 549. 140 Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4. Teil, S. 505. 141 So: Zöpfl, Grundsätze des Staatsrechts, 1. Teil, § 77, S. 144.
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In den letzten einhundert Jahren des Reichs wurde sodann die Landeshoheit allgemein als eine eigentliche Staatsgewalt betrachtet, die zwar – je nach Land – mehr oder weniger starken Beschränkungen durch die Reichsverfassung und teils auch durch die Landstände unterworfen war.142 Die tatsächlichen Machtverhältnisse zur Zeit des Absolutismus machten solche Beschränkungen, insbesondere in den innerstaatlichen Verhältnissen der Einzelstaaten, in praxi aber zur Farce. „Die Kraft der Reichsverbindung zeigte sich für die mächtigeren Landesherren ganz verschwunden, Landfriede und Reichsgesetze kein Hinderniß für sie […].“143
Als Friedrich II. schließlich unter dem 31. Mai 1746 von Kaiser Franz I. für alle dem Reichsverbande angehörigen Landesteile Preußens vollkommene Freiheit für die Gesetzgebung durch das privilegium illiminatum de non appellando erhalten hatte,144 konnten etwaige reichsrechtliche Vorgaben für die nach diesem Tage erlassenen preußischen Rechtsnormen auch de iure nicht mehr bestehen. De facto ist festzustellen, daß der deutsche Kaiser auf die Rechtspflege und das gesamte Justizwesen in Preußen zumindest seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges keinen Einfluß mehr hatte. Preußen war Großmacht geworden, und eine Einmischung in seine inneren Angelegenheiten durch den Habsburgerkaiser – den ehemaligen Kriegsgegner – hätte es sicherlich nicht geduldet. 2. Vorgaben der preußischen Landesverfassung a) Einleitung Neben etwaigen reichsrechtlichen Vorgaben, die, wie gezeigt, in concreto einschränkend nicht bestanden, mußten die Gesetzesautoren bei der kreativen Ausgestaltung des Codex das bestehende Verfassungsrecht in den preußischen Staaten berücksichtigen. b) Der Begriff der Verfassung Zu diesem Behufe ist zunächst über den Begriff der „Verfassung“ Klarheit zu schaffen.145 Im staatsrechtlichen Sprachgebrauch wurde der Begriff im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts synonym mit dem zu dieser Zeit in nahezu allen großen Staaten der Erde146 bestehenden geschriebenen Gesetzen verwendet, welche die Grundsätze des staatlichen Lebens, insbesondere die Verteilung der Macht und die Gewährung gewisser Grundfreiheiten, bestimmen sollten und sich von den übrigen Gesetzen durch qualifizierte Anforderungen an Entstehung, Abänderung und 142
Kamptz, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, S. 22. Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4. Teil, S. 569. 144 Daniels, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 13 – 14. 145 Zur Entwickelung des Verfassungsbegriffs sei verwiesen auf: Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, S. 165. 146 Die Ausnahme bildet das britische Inselreich. 143
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
Aufhebung abhoben. So hießen diese, die grundsätzlichen Machtverhältnisse regelnden Gesetze im Norddeutschen Bunde (1867) sowie im Deutschen Reiche (1871) schlicht „Verfassung“. Auch die Frankfurter Nationalversammlung gab ihrem dahingehenden Gesetzentwurf vom Jahre 1849 den modernistischen Namen „Reichsverfassung“. Bis auf den heutigen Tag hat sich an diesem Sprachgebrauch nichts verändert. Im Preußen der Jahre 1848 und 1850 bestand dagegen noch ein konservatives Verständnis von dem, was Staatsverfassung ist, was mit dem Namen der unter dem 5. Dezember und 31. Januar jener Jahre publizierten niedergeschriebenen staatsrechtlichen Grundsätze als „Verfassungsurkunde“ zum Ausdruck kommt. Der Begriff der „Verfassung“, ebenso wie sein fremdsprachliches Äquivalent „Konstitution“, beschreibt seinem Wortlaut nach einen Zustand, in welchem sich ein organisches Gebilde befindet. Im dritten Bande des „Allgemeinen deutschen Conversations-Lexicons“ des Jahres 1834 ist unter „Constitution“ zu lesen: „Constitution, lat. constitutio […], hat in der medicinischen Sprache eine verschiedenartige Bedeutung: 1) wird damit die allgemeine Beschaffenheit des Organismus jedes Individuums bezeichnet, an welcher der Grad seiner physischen Kraft, die mehr oder minder vollkommene Regelmäßigkeit, mit der die Functionen des Körpers von statten gehen, so wie der Grad von Widerstand, welche derselbe den auf ihn einströmenden Krankheitsursachen entgegenzusetzen vermag und die Wahrscheinlickeit einer kürzern oder längern Lebensdauer abhängen. […] Man sagt […] von einem Menschen, er habe eine gute, schlechte, starke, schwache, zarte &c. C.; […] Eine gute oder schlechte C. erkennt man nur an ihren Wirkungen.“147
„Verfassung“ ist folglich ein der Naturbeschreibung dienender empirischer Begriff. In entsprechender Bedeutung bildete sich diese Verwendung des Begriffes für die tatsächlichen Zustände und Verhältnisse in Staaten und überhaupt in Personenvereinigungen heraus. „Die rechtliche Form des Beisammenseyns einer Menge von Menschen heißt Verfassung (Constitutio.)“148 „Das Wesen einer rechtlichen Verfassung besteht also darin, daß ein alle Einzelne vereinigender Wille zur Obhut des Rechts Statt habe, daß Jeder unter dem selben stehe, und durch denselben das Verhältniß aller Einzelnen zu einander und zum Ganzen bestimmt sey.“149
Der Begriff gibt selbst jedoch keinerlei Auskunft über die Ursache dieses Zustandes. Einfluß auf die Gestaltung der Verfassungen von Staaten in diesem Sinne 147 Allgemeines deutsches Conversations-Lexicon, 3. Band, S. 142 – 143, Stichwort „Constitution“. 148 Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen über das Privat- und öffentliche Recht, 1. Teil, S. 72. 149 Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen über das Privat- und öffentliche Recht, 1. Teil, S. 72.
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hatten verschiedene Faktoren. So waren es auf kurze Frist oft tatsächliche Ereignisse – Kriege, Hungersnöte, Pandemien –, welche die Verhältnisse in den Staaten Europas beeinflußten. Hinzu kam die im Laufe der Jahrhunderte allmählich sich abzeichnende Verteilung der Macht; für das Deutsche Reich ist diese Entwickelung bereits oben dargetan.150 Niedergeschriebene Urkunden waren in diesen Prozessen nur eines von vielen Elementen und stellten zumeist den Abschluß einer langen Genese dar. Von Einfluß auf die Staatsverfassung waren sie, so lange ihnen tatsächliche Beachtung gezollt wurde. Dann allerdings waren sie, anders als die Rechtsspiegel des Mittelalters, echte Rechtsquellen, auf die sich die darin Begünstigten unmittelbar berufen konnten. Erstmals mit dem Westfälischen Frieden von 1648 wurden sodann große Teile des Reichsstaatsrechts niedergeschrieben. Das Deutsche Reich besaß damit eine geschriebene Verfassungsurkunde für weite Felder des deutschen Staatsrechts und zeichnete sich damit vor allen anderen Staaten der Erde aus.151 „Verfassung oder Constitution […]; früher […] verstand man darunter die theils im Mittelalter ausgebildeten und zunächst auf dem Herkommen beruhenden Versammlungen der Reichs- und Landstände in einer großen Mehrzahl der europäischen Reiche germanischer Abstammung, theils gewisse schriftliche Reichsgrundgesetze, welche zwar gewisse allgemeine, aber nicht unter sich organisch zusammenhängende Grundbestimmungen des innern Rechtszustandes dieser Reiche und Staaten enthielt.“152
Was heute schlicht als „Verfassung“ bezeichnet wird, nannte man im 17. und 18. Jahrhundert teils „Grundverfassung“153, meist jedoch die „innere Staatsverfassung“, wie aus den verschiedensten Quellen hervorgeht. „Die solchergestalt [= „nach den, bey Errichtung der Gemeinen, geschlossenen Verträgen oder ergangenen Stiftungsbriefen, nach den vom Staate ertheilten Privilegien und Concessionen, und nach den auch in der Folge unter Genehmigung des Staats abgefaßten Schlüssen zu beurtheilen[den]“, Eggers, ebenda, S. 112] bestimmten Rechte und Pflichten der Gesellschaft und ihrer Mitglieder, so wie die wegen des Betriebes der gemeinschaftlichen Angelegenheiten getroffenen Einrichtungen machen die Verfassung der Corporation aus, und zwar insonderheit die Grundverfassung, so weit sie den Zweck und diejenigen Mittel angehen, ohne welche der Zweck nicht erreicht werden kann.“154
150 Vgl. auch: Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, S. 171 – 172. 151 Die von Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, S. 165, erwähnten Fundamental Orders of Connecticut aus dem Jahre 1639 waren keine „[Staats-] Verfassung modernen Stils“, sondern von calvinistischem Denken beeinflußte Grundsätze für eine religiöse Gemeinschaft. Die erste Staatsverfassung Connecticuts ist die erst 1665 von König Karl II. erteilte Kolonialverfassung, die bis 1818 galt. 152 Diese Erklärung gibt das Allgemeine deutsche Conversations-Lexicon im Jahre 1837, 10. Band, S. 496 – 497, Stichwort „Verfassung“. 153 So: Eggers, Lehrbuch des Rechts, 2. Teil, 2. Band, S. 113. 154 Eggers, Lehrbuch des Rechts, 2. Teil, 2. Band, S. 113.
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Vermutlich im Jahre 1785 bezeichnete Svarez das Verhältnis des Regenten gegen die Nation als Teil des ius publicum internum155, im Jahre 1792 schrieb von Massow in seiner „Anleitung zum praktischen Dienst der Königl. Preußischen Regierungen“: „Verhältnisse des Landesherrn gegen die Stände der Provinz machen […] den Inbegriff aller mit Zuziehung der Stände vorzunehmenden, nicht zum Cameralressort gehörigen, Geschäfte aus, und diese beruhen auf der innern Staatsverfassung der Provinz […].“156
Eine allmähliche Verengung des Verfassungsbegriffs ist festzustellen, nachdem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die ersten vollständigen Verfassungsurkunden aufgekommen waren: 1776 in der nordamerikanischen Union und 1789 in Frankreich. Diese waren ein Novum in der weltweiten Verfassungsgeschichte, denn ihr Regelungsanspruch beschränkte sich erstmals nicht auf einzelne Materien des Staatsrechts, sondern sie sollten für sämtliche Aspekte des staatlichen Lebens die Grundlage liefern. „Verfassung oder Constitution im neuern Sinne ist eine schriftliche Urkunde, welche alle die rechtlichen Bedingungen enthält, auf welchen das innere Leben eines bestehenden Staates nach dem nothwendigen Zusammenhange der einzelnen Theile dieses Lebens beruht.“157
Diese Entwickelung kam auch nach Deutschland, als mit dem Artikel 13 der Deutschen Bundesakte vom Jahre 1815 die Einrichtung einer landständischen Verfassung für alle Bundesmitglieder vorgesehen wurde: „Art. 13. In allen Bundesstaaten wird eine Landständige Verfassung stattfinden.“
Die deutsche staatsrechtliche Literatur blieb von dieser Entwickelung zunächst weitgehend unbeeindruckt und ließ die begriffliche Unterscheidung zwischen den rechtlichen Verfassungsurkunden und der tatsächlichen Verfassung eines Landes zunächst bestehen. Eichhorn etwa schrieb noch im Jahre 1844: „Ein Bedürfniß, Verfassungsgesetze aufzustellen, welche alle öffentliche Verhältnisse umfaßten, war in den meisten Staaten ohne Zweifel auch vorhanden; es mußte unbedingt da anerkannt werden, wo über die vorliegenden rechtlichen Verhältnisse keine Gesetze vorhanden waren, oder deren fernere Anwendbarkeit zweifelhaft seyn konnte; […].“158
Eine gewisse Verrechtlichung des Verfassungsbegriffs und damit eine behutsame Angleichung des tatsächlichen Zustandes mit dem in der Verfassungsurkunde vorgesehenen läßt sich aus Brockhaus’ Conversations-Lexicon des Jahres 1826 entnehmen:
155 Vgl. die von Svarez niedergeschriebene Aktennotiz, abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 383. 156 Massow, Anleitung zum praktischen Dienst der Königl. Preußischen Regierungen, 1. Teil, S. 390. 157 Allgemeines deutsches Conversations-Lexicon, 10. Band, S. 496 – 497, Stichwort „Verfassung“. 158 Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4. Teil, S. 672.
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„Verfassungsvertrag (pactum fundamentale constitutionis civilis), die dritte vertragsmäßige Grundlage des öffentlichen Rechts (s. Vereinigungsvertrag und Unterwerfungsvertrag), wodurch bestimmt wird, in welchen Formen und Organen die öffentliche Gewalt ausgeübt werden, und welche Schranken dieselbe beobachten soll. […] der praktische Nutzen dieser Unterscheidung [liegt] erstlich darin […], jede dieser verschiedenen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft nach richtigen Rechtsprincipien zu behandeln, und zweitens die Veränderungen, welche sich im Laufe der Zeiten ereignen, in ihren rechtlichen Folgen genau auf ihre gehörigen Punkte zu beschränken […].“159
Dem Verfassungsvertrag wurde also in beiden genannten Hinsichten Rechtsqualität zugebilligt. Im 19. Jahrhundert setzte sich dieser Veränderungsprozeß fort, in dessen Verlaufe die nichtnormativen Elemente sukzessive abgestoßen wurden, bis man unter dem Begriff „Verfassung“ schließlich nur noch den vom Staatsrecht bestimmten Zustand verstand. In Preußen trat dieser Wandel mit Einführung der oben bereits erwähnten Verfassungsurkunde von 1848 ein. Dem Begriff nach noch auf die mittelalterlichen Urkunden weisend, durch welche die Reichs- und Staatsverfassungen lediglich mitgestaltet worden waren, war sie in ihrem globalen Regelungsanspruch und der Limitierung der landesherrlichen Machtfülle gleichwohl zukunftsweisend. Nur zwei Jahrzehnte sollte es noch dauern, bis mit den Verfassungen für den Norddeutschen Bund und das Deutsche Reich auch im preußischen Kanzleistil die Verfassung des Staates und das darüber erlassene Staatsgrundgesetz als einander gleichbedeutende Begriffe gebraucht wurden. Der Übergang der Bedeutung des Verfassungsbegriffs vom Seins- zum Sollenszustand war damit vollzogen.160 Zur Entstehungszeit des Allgemeinen Gesetzbuchs und Allgemeinen Landrechts aber war in Preußen noch ganz der Sprachgebrauch alter Zeit üblich.161 c) Die Verfassung Preußens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aa) Einleitung Aus der beschriebenen Entwickelung des Verfassungsbegriffes und überhaupt der Geschichte des Verfassungsrechts klärt sich ein Irrtum auf, der nicht selten zu beobachten ist. In neuerem und neuestem Schrifttum klingt mitunter die Auffassung an, Staatsverfassung sei notwendig etwas Geschriebenes, und es wird gefolgert, in 159 Brockhaus, Conversations-Lexicon, 12. Band, 2. Hälfte von 1826, S. 460 – 461, Stichwort „Verfassungsvertrag“. 160 Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, S. 191 – 192. 161 Vgl. dazu nur die Ausführungen über das Staatsrecht in den von Svarez in den Jahren 1791 – 1792 gehaltenen Kronprinzenvorlesungen, insbes. über die Arten der Staatsverfassungen, bspw.: Svarez, KPV, fol. 293r = S. 36 ff., ferner über die preußische Staatsverfassung: Svarez, KPV, fol. 156v = S. 202.
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Preußen habe eine Verfassung erst mit seinen Verfassungsurkunden ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bestanden.162 Zöpfl sagt dagegen prägnant und trefflich: „Es gibt keinen Staat ohne Verfassung, d. h. ohne Organisation aber nicht überall gibt es eine geschriebene Verfassungsurkunde.“163
Und noch im Jahre 1826 läßt sich das von Brockhaus herausgegebene große Conversations-Lexicon mit den Worten vernehmen: „Selten wird auch dieser Theil des Staatsgrundvertrags [= der Verfassungsvertrag] ausdrücklich abgeschlossen, doch fehlt es nicht leicht einem Volke ganz an urkundlichen Anerkennungen und Befestigungen wenigstens einzelner wichtiger Punkte desselben. Daher beruht derselbe niemals auf einer bloßen rechtlichen Fiction, sondern er ist wirklich in jedem Staate, vermöge der vorhandenen Erklärungen und deren factische Annahme von der andern Seite immer vorhanden, wenn auch etwa nicht in der wünschenswerthen Vollständigkeit und Zweckmäßigkeit.“164
Preußen war also auch im 18. Jahrhundert, zur Hochzeit des Absolutismus, mitnichten ein Staat ohne Verfassung. Über den Inhalt dieser preußischen Staatsverfassung sagte Svarez in den Kronprinzenvorlesungen folgendes: „Die regelmäßigste Ordnung in der gantzen Staatsverwaltung, die strengste Aufsicht auf eine prompte und unpartheyische Rechtspflege, die stets wachsame Vorsorge, daß nicht ein Stand, eine Claße der Nation die Rechte der andern schmälere, daß der ärmere und niedrigere von seinem reichen und mächtigeren Mitbürger nicht unterdrückt werde, die unermüdete Sorgfalt für Gründung und Unterstützung gemeinnütziger Anstalten, wodurch der Wohlstand der Particuliers befördert, wodurch der Landbau, Manufacturen und Fabriquen in Aufnahme gebracht werden können, die Achtung für die bürgerliche Freyheit, für die Rechte und das Eigenthum der Unterthanen, endlich die vollkommenste Religions- und GewißensFreyheit – dieß sind die Grundsäulen des Systems der preußischen StaatsVerfaßung.“165
bb) Wesentliche Grundsätze der preußischen Staatsverfassung (1) Uneingeschränkte Monarchie Wesentlichster und wichtigster Grundsatz der Verfassung Preußens unter Friedrich dem Großen, Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III. war die uneingeschränkte Monarchie. Friedrich der Große selbst sagte über sie: „Ein Herrscher bedeutet für sein Volk dasselbe wie das Herz für den Mechanismus des Körpers. Es empfängt das Blut aus allen Gliedern und treibt es wieder in sie zurück. Der Herrscher empfängt Treue und Gehorsam von seinen Untertanen und gibt ihnen Überfluß, 162
Dies klingt zum Beispiel an bei: Birtsch, Zum konstitutionellen Charakter des ALR, S. 97 ff.; Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, S. 174. 163 Zöpfl, Grundsätze des Staatsrechts, 1. Teil, § 15, S. 24. 164 Brockhaus, Conversations-Lexicon, 12. Band, 2. Hälfte von 1826, S. 460 – 461, Stichwort „Verfassungsvertrag“. 165 Svarez, KPV, fol. 156v = S. 202.
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Wohlstand, Ruhe und alles zurück, was zur Wohlfahrt und zum Gedeihen der Gesellschaft beiträgt.“166
Die Kehrseite der uneingeschränkten Monarchie zeigte Erhard in seiner „Critik des AGB“ auf: „Denn, wenn der Fürst die Gesetze der Vernunft, Pflicht und Gottheit verachtet, so wird ihn das geschriebene Gesetz nicht abhalten, Böses zu thun, und wenn es mit unvertilgbarer Schrift von der Hand des Allmächtigen selbst auf der Ewigkeit trotzende Felsen geschrieben wäre.“167
Svarez beschrieb diese Machtfülle des Landesherrn in seinen Kronprinzenvorlesungen so: „Auf seinen Winck muß sich alles in Bewegung setzen, seinen Befehlen ein Gnüge zu leisten. Ihm ist niemand an die Seite gesetzt, der ein Recht hätte, ihn bey den Maaßregeln, die er zur Erreichung der Zwecke des Staats nöthig findet, bey dem Gebrauch, den er von den vereinigten Kräften des Staats machen will, einzuschräncken od. zu controlliren. In ihm vereinigen sich also alle Rechte der bürgerlichen Gesellschaft, und dieß ist es, was seine Souverainetaet ausmacht, vermöge deren er alle Handlungen der Bürger des Staats zu den Zwecken der bürgerlichen Gesellschaft nach seinem Gutfinden dirigiren kan.“168
Und Klein sagte schließlich prägnant: „Es giebt in dem Preußischen Staate keine Gewalt, welche sich der obersten Gewalt widersetzen könnte.“169
Dem ist nichts hinzuzusetzen. (2) Der König und die Stände Als allgemein anerkannte Grundlage der Legitimation dieser uneingeschränkten Machtfülle des Fürsten diente die Vorstellung vom Gottesgnadentum.170 „Der gemeinsame Ausgangspunkt der staatsrechtlichen Auffassung des Großen Kurfürsten wie seiner Stände war die prinzipielle Vorstellung, daß der göttliche Wille selbst unmittelbar über die Berufung in das die Statthalterschaft Gottes auf Erden verwaltende Fürstentum entscheide.“171
Wurde die weltliche obrigkeitliche Macht als ein Analogon zu einer göttlichen maiestas aufgefaßt, die gewisse unveräußerliche Rechte in sich einschloß, war eine 166
Zitiert nach: Perfahl, Wer die Wahrheit liebt, S. 7. Erhard, Critik des AGB, S. 135. 168 Svarez, KPV, fol. 204v = S. 576. 169 Klein, Was muß zur Erhaltung der Ruhe geschehn? S. 119. 170 In mittelalterlicher Zeit entstand das Gottesgnadentum als eine auf den Herrscher introvertierte Vorstellung, mit dessen er sich seine herausgehobene Stellung zu erklären versuchte. Erst spät wandelte sich diese Auffassung, und das Gottesgnadentum sollte zur Begründung einer sozialen Überlegenheit dienen. 171 Hubrich, Grundlagen des preußischen Staatsrechts, S. 414. 167
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Beteiligung der Stände hieran bereits notwendig und zwingend und nicht lediglich auf Grund der bestehenden monarchischen Staatsform ausgeschlossen; vielmehr begünstigte erst dieses Verständnis die uneingeschränkte Monarchie. Danach mußte eine Mitträgerschaft der landesherrlichen Gewalt durch Untertanen – zu denen auch die Stände zählten – der von Gott selbst gestifteten Ordnung schlechterdings widerstreiten. Diese Auffassung war allgemein. Unter dem Großen Kurfürsten etwa erklärten die Stände in einer Bittschrift vom 19. Dezember 1662, nachdem ihnen von verschiedener Seite öffentlich vorgeworfen worden war, die Grenzen ihrer Untertänigkeit zu überschreiten, auf „eine gleichmäßige Anteilhaberschaft an den jura majestatica majora neben dem Fürsten nicht Anspruch erheben zu können.“172
Und bereits der cleve-märkische Landtagsabschied vom 9. Mai 1649 bemerkte: „Dagegen haben die Stände kraft der Reversalen von 1609 und derzeit darauf erfolgten, auch aufen Landtag 1632 anderweit renovirten Handstreichs den Kurfürsten vor ihrem Erb- und Landesherrn anjetzo abermahlen acceptiret, auch sich gegen ihn und seine Nachkommen zu allerunterthänigsten gehorsamsten Erweisungen unterthänigst verpflichtet.“173
Schon früh haben jedoch die brandenburgischen Herrscher ihren Landständen gewisse Freiheiten und Privilegien eingeräumt oder solche bestätigt. Grund hiefür mag gewesen sein, daß sich der absolute Herrscher der Unzulänglichkeiten seiner eigenen, notwendig begrenzten Einsichten sowie seiner ebenso notwendig limitierten Schaffenskraft und dem daraus resultierenden Unvermögen zur alleinigen hinreichenden Regentschaft in sämtlichen Teilen der Staatsverwaltung, mithin der Begrenztheit seiner Menschennatur sehr wohl bewußt war. Er bedurfte Vertrauensleute, und auf diese Weise mag er versucht haben, die Stände an sich zu binden. Jedenfalls vermitteln nicht wenige Landtagsrezesse diesen Eindruck, wie etwa jener vom 25. Juni 1534, in welchem es heißt: „[…] Nachdem uns die Gestände, als Prälaten, Herren, und aus der Ritterschaft Unsers Churfurstenthumbs der Marck zu Brandenburg, und der gemeinen Landtschafft eintregtiglich angezeiget und berichtet, daß Ihnen in Unsern ezlichen Embtern, Gerichten und Zöllen mannigfaltige Beschwerung kegen ihre Privilegien und Freiheiten und lang hero gebrachten löbliger Gewohnheiten, durch Unsere Ambts Leute und Diener geschehen, und mit Fleiß gebethen, ein gnediges Einsehen zu thuen, und solche Beschwerung abzuschaffen. Und Wir aber ihnen in Ansehung ihrer getreuen und gutwilligen Hülffe, Beistandt vnd Gehorsambs; so Wir in alle Wege bey ihnen gespuret und gefunden, in gnedigen Willen geneiget, haben Wir mit guten wohlbedacht und gehaltenen Rath Vnserer Räthe entschlossen, und ihnen zugesagt, das hinfürder dermaassen wie in nachfolgenden Articuln ausgedruckt, durch Uns oder Unsern Ambtleuten und Diener kegen ihnen soll gehalten werden. […]“174
172
Hubrich, Grundlagen des preußischen Staatsrechts, S. 415. Zitiert nach: Hubrich, Grundlagen des preußischen Staatsrechts, S. 414. 174 Aus dem Landtags-Receß wegen Justitien Sachen, Successions Fällen nach Kayserlichem Recht, Abschaffung des Heergewettes, Gerade &c. item wegen Zoll Freyheit, und ver173
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Diese Zugeständnisse an die Landstände gingen mitunter sehr weit. Sie gipfelten in dem Landtagsrezeß vom 26. Juli 1653, der sich gleichsam wie eine Verfassungsurkunde liest; er leitet ein mit den Worten: „Wier Friederich Wilhelm von Gottes Gnaden […] Bekennen hiermit und thuen kundt, für Unß, Unsere Erben undt Nachkommen, Marggraffen und Churfürsten zue Brandenburg. Nachdem Unsere getrewe, gehorsame Landtständte, von Prælaten, Herren, Ritterschafft und Städten, Unsere Chur- undt Marck Brandenbl. dießeits undt ienseits der Oder vndt Elbe, bey dem itzt ausgeschriebenen undt gehalltenen Landtage sich gegen Unß getrewlichst undt gehorsambst […] erbothen, Und dagegen bey Uns in Unterthänigkeit gesuchet, ihnen nicht alleine die Articull, so Ihnen hiebevorn von Unsern Hochgeehrten Churfl. Herren Vorfahren, Hochlöblichster Gedächtnüs, in Reversen undt Landtages Recessen gndst. vollenzogen undt versiegelt, hinwiederumb von newen, zu confirmiren, sondern auch ihnen gravaminibus in Gnaden zue remediren. Daß Wir derowegen in betrachtung und fleisiger erwegung Ihrer Guthwilligkeit, und unterthänigsten trewen, so Unß undt Unserm Churfl. Hauße sie iederzeit erwiesen, auch bey diesem itzo gehalltenen Landtage in der that und Warheit, bezeiget, Ihrem Unterthänigsten suchen gnädigst raumb und statt gegeben. Und demnach sie dabenebenst unterthänigst gebethen, Unsere gndste resolutiones, über Ihre petita und gravamina in einem Revers zuziehen, und dieselbe aus Churfl. macht zu confirmiren und zubestetigen; So haben Wir auch solcher Bitte gndst. geruhet, und thun Uns, gegen Unsere getrewe und gehorsame, Stände folgendt in Gnaden erklähren. […]“175
In praxi waren in der Folge dann insbesondere bei der Coccejischen Justizreform 1748/49 die Stände zu Rate gezogen worden, und neuerlich beriefen dieselben sich bei den Arbeiten zum Allgemeinen Gesetzbuche auf die von Friedrich II. unter dem 8. Juni 1748 erteilte Zusicherung, bei Abänderung der Justizverfassung Deputierte der Stände hinzuziehen zu wollen, sowie auf eben den Landtagsrezeß vom 26. Juli 1653176, dessen Fortgeltung sie behaupteten und worin es heißt: „Zum Vierzehendem, wollen Wir in wichtigen Sachen, dorann des Landes gedeyen oder Verderb gelegen, ohne Unser getrewen Landes Stände Vorwißen und Rath nichts schließen noch vornehmen […]“177.
Über diesen hier beschriebenen, teils aus uralter Zeit rührenden landesherrlichen Zugeständnissen darf jedoch nicht vergessen werden, daß im Zeitalter der uneingeschränkten Monarchie eine jegliche Entscheidung des Fürsten in Staatssachen auch allein aus der Stellung seiner Person heraus legitimiert war und einer Erörterung mit den Ständen, wie diese etwa bei den Beratungen des Allgemeinen Gesetzbuchs erfolgte, keine konstitutive Wirkung beizumessen war. Schon unter dem Großen Kurfürsten hatte die Mitwirkung der Stände in Staatssachen keinerlei bindende bothener Schiffarth auf der Elden &c. de dato Cölln an der Spree, am Sonnabend Johannis Baptistæ. 1534. Zitiert nach: Mylius, Corp. Const. March., 6. Teil, 1. Abt., Nr. 16, Sp. 25. 175 Zitiert nach: Mylius, Corp. Const. March., 6. Teil, 1. Abt., Nr. 118, Spp. 425 – 427. 176 Mylius, Corp. Const. March., 6. Teil, 1. Abt., Nr. 118, Spp. 425 – 464. 177 Mylius, Corp. Const. March., 6. Teil, 1. Abt., Nr. 118, Sp. 434.
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Wirkung für den Regenten, weder in der Abänderung unter Zustimmung der Stände erlassener Gesetze noch im „einseitige[n] Abgehen von den eigentlich dem Vertragsbegriffe subsumierten leges fundamentales“.178 „Aber derartige Abmachungen, mochten sie von ihm selbst [= dem regierenden Fürsten] oder auch von seinen Vorfahren am Regimente getroffen sein, galten nach seiner Auffassung nur für reguläre Zeitläufe; sie waren mit der selbstverständlichen Klausel behaftet, daß in casu extremæ necessitatis der Fürst kraft reiferer landesväterlicher Einsicht durchaus einseitig darüber zu befinden habe, was die salus publica, das oberste Gesetz staatlichen Gemeinlebens, erfordere.“179
Da der Fürst selbst auch über diese „reifere Einsicht“ befand, konnte ein Probestein, an dem die Kündigung einer Gewährung oder Zusicherung hätte gemessen werden können, praktisch nicht bestehen. Es waren also die staatsrechtlichen Grundüberzeugungen des Zeitalters – das Gottesgnadentum insonderheit –, zu denen die zeitgenössischen Besonderheiten, insbesondere die von Frankreich eingeflossene uneingeschränkte Monarchie, hinzustießen, welche das politische Gewicht der Stände, das diese im 17. Jahrhundert zwischenzeitlich errungen hatten, nun immer mehr schwinden ließ. Ihre innere Uneinigkeit tat das übrige, ihren verbliebenen Einfluß zu mindern.180 „Nur enge Verbindung der unter den verschiedenen Classen, aus welchen jene [= die Landstände] zusammengesetzt waren, und eine verstärkte Theilnahme des dritten Standes, besonders aber eine freiere Ansicht der politischen Verhältnisse, die nicht blos das Interesse jeder Classe, sondern die des Ganzen ins Auge faßte, hätte den Ständen den Einfluß auf die Geschäfte sichern können, der ihnen gebührte; einer solchen Umgestaltung war aber die Politik der eximirten Stände, die nur auf Erhaltung schlecht begründeter angeblicher Privilegien gieng, eben so sehr entgegen, als das Bestreben der obersten Räthe des Landesherrn, welche die Stände lediglich als eine Behörde betrachteten, die zur Vertheilung und Erhebung der Steuern gebraucht werde. In manchen Territorien sanken die Stände auch wirklich so weit herab, namentlich in den brandenburgischen Ländern […].“181
Nach der von Svarez verfaßten, den beabsichtigten Gang des Gesetzgebungsverfahrens enthaltenden Kabinettsorder vom 27. Juli 1780182 war denn auch die Zuziehung der Stände lediglich beratend und nur in Angelegenheiten, welche sich ausschließlich auf einzelne Provinzen beschränkten, vorgesehen.183 Erst mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. im Jahre 1786 änderten sich die Verhält178
Hubrich, Grundlagen des preußischen Staatsrechts, S. 418. Hubrich, Grundlagen des preußischen Staatsrechts, S. 415 – 416. 180 Der letzte Landtag in der Mark Brandenburg, auf welchem die Stände noch in ihrer bisherigen Bedeutung erschienen, war der oben bereits erwähnte aus dem Jahre 1653. 181 Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4. Teil, S. 555 – 556. 182 Acta, betreffend die Etablirung der Gesetz-Commission, 1. Band, fol. 3, abgedruckt bei: Daniels, Preußisches Privatrecht, 1. Band, Anl. 1. 183 So nach: Acta, betreffend die Etablirung der Gesetz-Commission, 1. Band, fol. 3, abgedruckt bei: Daniels, Preußisches Privatrecht, 1. Band, Anl. 1, S. 7 – 8. 179
C. Grenzen der reglementierenden Gesetzgebung
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nisse: Per Kabinettsorder befahl dieser unter dem 21. August j. J. die sofortige Zuziehung der Stände in sämtlichen, den neuen Codex betreffenden Angelegenheiten; auch der bereits am Folgetage von Carmer – welcher befürchtete, die Stände hätten weniger an der Verbesserung der Entwürfe als vielmehr daran Interesse, das Gesetzesvorhaben gänzlich zum Scheitern zu bringen – verfaßte Antrag, die ständische Beteiligung mit Rücksicht auf das laufende Redaktionsverfahren doch zumindest bis zum Abschlusse der Entwurfsfassung aufzuschieben, blieb ohne Erfolg: Durch neuerliche Kabinettsorder vom 27. August ward dieser Antrag verworfen184. Aus allem ist jedoch ersichtlich, daß dieser Beteiligungsanspruch der Stände nicht aus tausendfach zerlöcherten Urkunden, nicht aus unumstößlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben, sondern allein aus dem aktuellen Willen des Monarchen sproßt; wäre er nicht durch einen Federstrich des Königs wieder zu beseitigen, die darauf gerichteten Bemühungen von Seiten Carmers wären sinnlos gewesen. Deutlich wird diese Rechtsstellung der Stände auch, als dieselben die Suspension erst des Allgemeinen Gesetzbuchs und später des Allgemeinen Landrechts185 zu erwirken suchten; als die märkischen Stände den König baten, das bereits inkraftgetretene Allgemeine Landrecht wegen Abweichungen vom gemeinen Recht für die Marken wieder außer Wirksamkeit zu setzen, reagierte Svarez voll Zorn: Die Stände beanspruchten zu Unrecht ihre Hinzuziehung bei Erlaß allgemeiner Landesgesetze; die ihnen vermöge der Kabinettsorder vom 27. August 1786 gestattete Beteiligung durch Einreichung von Bemerkungen sei bloß freiwillige Gnade gewesen.186 Und in seinen Kronprinzenvorträgen sagte Svarez über die Zuziehung der Stände bei der Beratung neuer Gesetze: „Diese Formen benehmen dem Monarchen nichts von seinem Rechte, weil die GesetzCommißion und Stände nur Gutachten, Erinnerungen und Remonstrationes machen können, die letzte Beurtheilung aber stets dem LandesHerrn zukommt.“187
Eine Einschränkung des Gesetzgebungsrechts des Königs durch die Stände ist also nicht festzustellen.
184 Darin hieß es in Abs. 2: „Da es aber auch nothwendig ist, der Ungewißheit, Dunkelheit und Verwirrung, welche in den Gesetzen selbst aus dem in einer fremden Sprache geschriebnen, unsern gegenwärtigen Sitten und Verfassung nicht mehr angemessenen, römischen Rechte entstanden sind, durch Einführung eines verbesserten, vollständigen und allgemein verständlichen Gesetzbuches abzuhelfen; so habe ich Euch hierdurch aufgeben wollen, mit der bereits angefangenen Ausarbeitung des Projects zu einem solchen Gesetzbuche ferner zu continuiren, darüber die Meinungen und Einwendungen sowohl in- als ausländischer Gelehrten, als besonders der Landescollegiorum, zu vernehmen; zugleich aber auch aus jeder Provinz einige mit gehöriger Sachkenntniß versehene Männer von den Ständen bey der Revision und Beurtheilung dieses Projects zu Rathe zu ziehn, damit, bey Anwendung der gehörigen Vorsicht, nachherigen Abänderungen und Erklärungen möglichst vorgebeugt werde.“ Zitiert nach: Klein, Kurze Geschichte der Gesetzgebung, S. XLIX–L. 185 Bzw. jeweils von Teilen derselben. 186 Akten über das ALR, 5. Band, fol. 157, abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 399. 187 Svarez, KPV, fol. 124v = S. 60.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
(3) Der König und die Gesetz-Commission Noch mehr als von den Ständen muß das dazu Gesagte von der Gesetzkommission gelten, bestand dieselbe doch lediglich aus vom König bestellten und entlaßbaren Beamten. Svarez läßt sich in den Kronprinzenvorträgen denn auch wie folgt vernehmen: „Wenn neue Gesetze über die PrivatRechte und Pflichten der Unterthanen gegeben od. alte Gesetze erklärt, abgeändert od. aufgehoben werden sollen, so muß die Gesetz-Commißion mit ihrem Gutachten darüber vernommen werden. Die Minister und Chefs der Departements sind verantwortlich dafür, daß dem LandesHerrn kein Gesetz vorgelegt werde, welches nicht vorher auf diese Art bey der GesetzCommißion geprüft worden. Durch diese Verordnung wird die gesetzgebende Macht des Monarchen nicht eingeschränckt. Die GesetzCommißion kan keine neuen Gesetze machen, sie kan nicht einmal welche vorschlagen, sie hat bey der Gesetzgebung keine entscheidende Stimme. Sie soll blos ihr Gutachten abgeben, d. h. sie soll prüfen, ob das neue Gesetz mit dem gantzen System der Preußischen Legislation harmonire, ob es der natürlichen Billigkeit und den Zwecken des Staats gemäß, ob davon für das Wohl der bürgerlichen Gesellschaft Nutzen zu hoffen od. Schaden zu fürchten sey. Sie soll hierüber ihre Meynung freymüthig eröffnen, sie soll dieselbe mit Gründen unterstützen, und ihr Gutachten soll dem König mit vorgelegt werden[188]. Diesem bleibt es alsdann lediglich überlaßen, in wie fern er das Gutachten der Gesetzcommißion und ihre Gründe erheblich finde, ob das neue Gesetz gegeben, wie es abgefaßt und in wie fern dabey auf die Anträge der Gesetzcommißion Rücksicht genommen werden soll.“189
Die über die Entlaßbarkeit von Beamten geführte und bei Stölzel190 mitgeteilte Diskussion hatte für die Frage nach der konkreten personellen Besetzung einer bestimmten Behörde – insbesondere, wenn dort bestimmte Kenntnisse oder Fertigkeiten vorausgesetzt wurden – und damit auch für die Besetzung der Gesetzkommission keinerlei Bedeutung. (4) Selbstbindung des Königs Nun kann als Einschränkung der legislatorischen Freiheit des Königs nur noch eine Selbstbindung in Betracht kommen, und es gewinnt diese Überlegung für die 46jährige Regentschaft Friedrichs des Großen besonders an Gewicht, dessen Maxime es war, sich niemals ein Dementi zu geben. In der uneingeschränkten Monarchie ist eine solche Selbstbindung indes bereits systematisch ausgeschlossen, da der Monarch in ihr immer, zu jedem Zeitpunkte, in seinen Entscheidungen immer wieder auf’s neue frei war. Der preußische König besaß die Fülle staatlicher Macht zu jedem Augenblicke; das einzige, was er daher nicht konnte, war, sich verbindlich festlegen. 188 Nach Krause, in: Svarez, KPV, S. 580, Fn. 1, ist dies kaum erfolgt, jedenfalls bei AGB und ALR nicht. 189 Svarez, KPV, fol. 205v = S. 579 – 580. 190 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 301 – 305, 311, 316.
C. Grenzen der reglementierenden Gesetzgebung
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Ein mit Witz geschriebener, Svarez als Verfasser zugeordneter Aufsatz findet sich hiezu in der Berlinischen Monatsschrift.191 Ein Fürst, wolle er sich nicht bloß in den staubigen Annalen der Geschichte den zahllosen anderen Namen Unbekannter einreihen, sondern im Andenken seines Volkes lebendig bleiben und täglich genannt werden, „solange die Nation Nation ist“, müsse etwas vollbringen, das alles, was seine Vorgänger bisher getan, in den Schatten stelle. Der Regent könne sich zwar vermittelst einer guten und weisen Gesetzgebung der Anerkennung seiner Untertanen versichert sein, doch um einem solchen Werke auch über seinen Tod hinaus Bestand zu verleihen und auf diese Weise seine Macht „über die Gränzen des Lebens“ hinaus auszudehnen, bedürfe es der Veränderung der Regierungsform, von der uneingeschränkten Monarchie zur Republik192, in welcher der König den bloßen Vorsitz im Staate habe und es seinen Nachfolgern daher unmöglich sein werde, die von ihm eingeführten Gesetze willkürlich abzuändern. Darin zeigt sich auf anschauliche Weise, daß auch die uneingeschränkteste Regierungsform gerade wegen ihrer Machtvollkommenheit ein ihr strukturell innewohnendes potentielles Manko hat, das nur durch eine Reduktion ihrer selbst beseitigt werden kann.
II. Überpositive Grenzen Erhard sprach in seinem „Versuch einer Critik des allgemeinen Gesetzbuchs für die preußischen Staaten“ aus, daß das Allgemeine Gesetzbuch voll sei von allgemeinen Grundsätzen, welche insbesondere „die Obliegenheiten des Gesetzgebers und die Gränzen seiner Gewalt bestimmen.“193
Aus den oben entwickelten Prinzipien der preußischen Staatsverfassung im 18. Jahrhundert kommen als solche Grenzen der legislativen Gewalt keine gewillkürten in Betracht, sondern lediglich solche, die a priori aus zwingenden Sätzen den reglementierenden Gesetzen vorgegeben sind. Nicht von Ungefähr mag es da kommen, daß gerade im Zeitalter des Absolutismus just auch die naturrechtliche Forschung und Rechtslehre, die derartige Grenzen formulierte, ihre größte Blüte hatte. Durchforscht man das zeitgenössische Schrifttum, so lassen sich die in ihm aus vernunftrechtlichen Überlegungen aufgestellten Erfordernisse an die Gesetzgebungskunst in zwei Kategorien unterteilen, welche hier als „echte“ und „unechte“ Grenzen des absoluten Gesetzgebers bezeichnet werden sollen.
191
Svarez, Neuer Weg zur Unsterblichkeit für Fürsten. Der Begriff der „Republik“ ist nicht identisch mit „Demokratie“; er rührt von „res publica“ und hat zum Inhalte die Trennung der Privatangelegenheiten des Landesherrn von den ihn vermöge seiner Stellung als Staatsoberhaupt betreffenden Staatsangelegenheiten, aber nicht die Machtfrage. 193 Erhard, Critik des AGB, S. 39 – 40. 192
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
1. Echte Grenzen formell absoluter Gesetzgebungskompetenz Grenzen, die auch dem uneingeschränktesten Gesetzgeber zu überschreiten unmöglich sind, sollen vorliegend als „echte“ Grenzen der Gesetzgebung bezeichnet werden. Es handelt sich dabei um Materien, welche einer Reglementierung schlechterdings entzogen sind. Darunter fallen erstlich alle tatsächlichen Begebenheiten und Verhältnisse, wie etwa durch Gesetz nicht bestimmt werden kann, daß der Mond aus Käse sei &c.194 Ferner können dem Menschen nur Handlungen vorgeschrieben und verboten werden; seine Neigungen, Bedürfnisse und Absichten sind einer gesetzlichen Regelung hingegen entzogen. So sagte auch Svarez in den Kronprinzenvorlesungen bei den „inneren Einschränkungen des Gesetzgebungsrechts“ kurz und prägnant: „Nur Handlungen, nicht Meynungen werden durch Gesetz bestimmt.“195
In der schriftlichen Zusammenfassung zu dieser Vorlesungsstunde führte er für den Kronprinzen aus: „Durch Gesetze können nur äußere Handlungen der Bürger des Staats bestimmt werden. Der Staat kan und darf den innern Gesinnungen und bloßen Meynungen seiner Bürger keine Gesetze vorschreiben.“196
2. Unechte Grenzen formell absoluter Gesetzgebungskompetenz Dagegen werden im vernunftrechtlich beeinflußten Schrifttum der Zeit dem absoluten Gesetzgeber ungezählte Male auch solche Grenzen aufgezeigt, deren jenseitige Materien zwar einer Reglementierung nicht schlechterdings entzogen sind, hinsichtlich derer aber der Gesetzgeber entweder aus Überlegungen der Klugheit oder auch auf Grund des Zweckes seines Amtes auf eine Regelung entweder ganz oder zumindest in einem bestimmten Sinne verzichten sollte. Kant etwa sagte 1784 in seinem Aufsatz über die Aufklärung: „Was aber nicht einmal ein Volk über sich selbst beschließen darf, das darf noch weniger ein Monarch über das Volk beschließen; denn sein gesetzgebendes Ansehen beruht eben darauf, daß er den gesamten Volkswillen in dem seinigen vereinigt.“197
Mit solchen Erwägungen beschäftigt sich auch Erhard198, der als Folge der Mißachtung vernunftrechtlicher Grenzziehungen bei der Gesetzgebung nicht die Unanwendbarkeit des Gesetzes eintreten lassen will, sondern bloß dessen Verwerflichkeit: 194 195 196 197 198
In solchen Fällen behilft sich das Gesetz gemeinhin mit einer Fiktion. Svarez, KPV, fol. 122r = S. 53. Svarez, KPV, fol. 5v = S. 58. Kant, Was ist Aufklärung? S. 490. Erhard, Critik des AGB.
C. Grenzen der reglementierenden Gesetzgebung
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„Sind aber der gesetzgebenden Gewalt nach ihrer Natur und ihrem Zwecke gewisse Gränzen zu setzen, so wird jedes Gesetz unbedingt verwerflich seyn, das diese Gränzen überschreitet.“199
Die Gründe, derartige Überlegungen anzustellen, liegen auf der Hand: Sie rühren aus der Sorge des Mißbrauchs uneingeschränkter Macht. „Dehnen wir freylich die Rechte des Gesetzgebers auf Alles aus, was nur irgend einer Anordnung fähig ist, gestehen wir ihm die Gewalt zu, durch sein Zauberwort Recht in Unrecht, Unrecht in Recht, Freyheit in Zwang zu verwandeln, dann wird freylich bey keinem Gesetze die Frage seyn können: ists auch gerecht? sondern höchstens die: ists auch klug? bringt es was ein? u. s. w.“200
Beispielhaft für viele entwickelt nun Erhard in seinem „Versuch einer Critik des Allgemeinen Gesetzbuchs“ aus Folgerungen der Vernunft ein Korsett von materiellrechtlichen Vorgaben, in welchen er den Gesetzgeber zwängen will. Weil jede menschliche Gesellschaft den „Gesetzen der Vernunft“ unterworfen sei und der Charakter jeder Gesellschaft in der Verfolgung eines gemeinschaftlichen Zweckes bestehe, könne eine Gesellschaft keine von der Vernunft mißbilligten oder verbotenen Zwecke wählen. Gleiches gelte für den Staat. Der von der Natur dem Menschen vorgeschriebene Zweck seiner Existenz sei es, seine moralische Freiheit nach Vernunftgesetzen zu gebrauchen und sich als Vernunftwesen zu behaupten, was sich darin äußere, daß er seine Freiheit und Sicherheit behauptet und diejenige anderer nicht stört. Erhard folgert nun daraus, daß nur zu diesem Zwecke der Gebrauch von Gewalt stattfinden dürfe, weil dieselbe zur Erhöhung der Vernunfttätigkeit in Erkenntnissen und Handlungen unmöglich dienen könne, und er will damit aus dem Naturgesetze heraus den Gesetzgeber hierauf limitieren.201 Dies alles sind jedoch nur unechte, scheinbare Grenzen für einen absoluten Gesetzgeber; ihre Überschreitung hat nicht, wie bei den oben dargestellten echten Grenzen, die Irrelevanz des gegen diese Grundsätze widerstreitenden Gesetzes zur zwingenden Folge, sondern ein solches Gesetz beansprucht ebenso wie die diese Grenzen beobachtenden Gesetze absoluten Gehorsam, mag der Geist, der daraus spricht, auch laut von Mißbrauch der Macht und Selbstsucht seines Verfassers Kunde tun. Nur von wenigen Autoren war bis zu dieser Zeit diese für das Gros der Gelehrten und überhaupt der Untertanen unangenehme Wahrheit offen ausgesprochen worden.202 Damit ist jedoch nicht gesagt, daß nicht der Herrscher selbst solche Grenzen zu beobachten sich zur Aufgabe erwählen kann; allein, daß er auf dieselben nicht verbunden werden kann, ist bereits dargelegt. In Friedrichs des Großen „Regie-
199 200 201 202
Erhard, Critik des AGB, S. 40. Erhard, Critik des AGB, S. 40. Erhard, Critik des AGB, S. 42 – 58. Etwa von Machiavell und Hobbes.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
rungsformen und Herrscherpflichten“203 aus dem Jahre 1777 liegt das beste Zeugnis, daß solche Überlegungen im Rechtssetzungsprozeß ihr reales Korrelat erhielten.
III. Schluß Damit ist gezeigt, daß einzig die echten Grenzen einer formell absoluten Gesetzgebungskompetenz die Freiheit der Gesetzgebung im Zeitalter der absoluten Monarchie wirksam einzuschränken im Stande waren. Des weiteren ergibt sich, daß eine den Herrscher bindende Verfassung zu erschaffen nur unter der Voraussetzung möglich war, daß der Herrscher selbst seine Machtvollkommenheit einzuschränken bereit wäre und damit das Prinzip der uneingeschränkten Monarchie aufgäbe; der tiefgreifenden Bedeutung eines solchen Schrittes eingedenk, wird man für ihn eine ausdrückliche und feierliche Erklärung des Herrschers fordern müssen – von den preußischen Königen des 18. Jahrhunderts ist sie nicht erfolgt.
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen im aufgeklärten Absolutismus Preußens I. Der Einleitung erster Teil: Zeit und Geist Jede Zeit hat Wertvorstellungen, welche das Denken und Handeln beeinflussen. Teils werden sie offen ausgesprochen, teils nur stillschweigend zu Grunde gelegt; es gibt aber keine Periode, die ihrer völlig bar wäre. Dabei handelt es sich um Postulate, die auch für das Rechtsdenken einer bestimmten Epoche an erster Stelle stehen, die sich im Kollisionsfalle am ehesten durchsetzen und bei jeder gesetzgeberischen, wissenschaftlichen und rechtspraktischen Tätigkeit, bewußt oder unbewußt, als Grundlage dienen. Bei der Behandelung jeder Periode der Rechtswissenschaft muß daher vergegenwärtigt werden, daß in den Gesetzen und auch in den großen, zeitlos anmutenden Kodifikationen sich stets die zeitgenössischen Wertvorstellungen mehr oder minder stark widerspiegeln. „Nichts lehrt uns deutlicher als dieses Buch“, sagt Stölzel über Coccejis Projekt eines Landrechts aus dem Jahre 1749, „daß Gesetze und Gesetzgebungskunst keineswegs etwas Stabiles sind, daß sie vielmehr dem Wandel der Zeit unterliegen, wie alles Andere.“204
203
Briefe. 204
Enthalten in: Volz, Historische, militärische und philosophische Schriften, Gedichte und Stölzel, Resultate der Reformen Cocceji’s, S. 148.
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
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Und Thöne sagte über das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 selbst: „nirgends hat sich die alte Erfahrung: ,Nicht der Mensch, sondern die Zeit macht das Gesetz‘ wohl so sehr bestätigt, als grade hier.“205
II. Der Einleitung zweiter Teil: Gesetzesverständnis und Rechtsreform unter Friedrich dem Großen Schon bald nach seiner Thronbesteigung, im Jahre 1741 bereits, regten sich bei König Friedrich dem Großen in Verbindung mit der Frage, wie der Behördenapparat im neu gewonnenen Schlesien zu organisieren sei, die ersten Gedanken an eine allgemeine Verbesserung des Justizwesens überhaupt. Er selbst entwarf einen Plan, wie in Zivilsachen binnen Jahresfrist Erledigung zu erreichen sei, beauftragte seinen „Ministre chef de justice“ Samuel von Cocceji mit dessen Ausführung und gab dem Justizdepartement den Befehl, alljährliche Tabellen der Gerichte über die anhängigen Prozesse und deren Dauer vorzulegen.206 Ein Jahr später, per Reskript vom 29. Oktober 1742, bemerkte der König nochmals, es habe das Ansehen, daß fast keiner im Lande zu seinem Recht gelangen könne, und beauftragte erneut Cocceji, die Ursachen für die gehäuft eingehenden Klagen über die schlechte und langwierige Justiz „im Grunde und prompt zu heben“. Dieser, nach eingehender Ursachenforschung mit den Mängeln der Rechtspflege vertraut geworden, trug dem König denn auch vor, „daß die Gesetze in allen königlichen Landen, besonders in Magdeburg in großer Confusion ständen und einer gänzlichen Reformation bedürften“207: „Die vornehmste Ursach der vielen und langwürigen Prozesse ist diese, daß kein gewisses Recht in Ew. Königl. Majestät Landen eingeführt ist. Die Justitz-Collegia müssen sich nach dem alten Römischen Lateinischen Recht richten, welches in lauter ohne Ordnung zusammengeflickten Stücken bestehet, und wovon die Hälffte auf diese Lande nicht applicable ist, ja worin kein Gesetz ist, welches nicht pour et contre ausgelegt werden kann. Dieses confuse Recht wird durch das Sachsen- und kanonische Recht und durch die unzehlige Edicta noch in größere Confussion gesetzt. Dahero vor allen Dingen nöthig ist, ein allgemeines Landrecht in teutscher Sprache zu entwerffen, welches blos nach der Vernunfft und hiesiger Landes-Verfassung einzurichten, alle andern Gesetze und Edicta aufzuheben“208. „Die Vernunft und Erfahrung lehren uns, daß die vielen Processe hauptsächlich daher entspringen, wann kein gewisses Recht vorhanden ist, woraus alle vorfallende Casus aus gewissen festgesetzten Principiis decidiret werden können und müssen“209,
sollte es später im § 1 der Vorrede zu Coccejis Landrechtsprojekt heißen. 205
Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 24. Kabinettsorder vom 21. Oktober 1741. 207 Nach: Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 157. 208 Mit diesen Worten erläuterte Cocceji seine umfassenden Reformforderungen aus dem Jahre 1746; zitiert nach: Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 170 – 171. 209 Cocceji, Land-Recht, Vorrede, § 1, S. 3. 206
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
Geldmangel210 und der weitere Kampf um Schlesien211 gaben jedoch Anlaß, das Reformvorhaben zunächst auf Eis zu legen. – An der Jahreswende 1746/47 aber erließ der König eine Konstitution, deren wichtigster Satz lautete: „Und weil die gröste Verzögerung der Justitz aus dem ungewissen Lateinischen Römischen Recht herrühret, welches nicht allein ohne Ordnung compilirt worden, sondern worinn singulæ leges pro et contra disputiret, oder nach eines jeden Caprice limitiret, oder extendiret werden; so befehlen Wir gedachtem Unserm Etats-Ministre v. Cocceji, ein Teutsches Allgemeines Landrecht, welches sich blos auf die Vernunft und Landesverfassungen gründet, zu verfertigen, und zu Unserer Approbation vorzulegen, worüber Wir hiernechst aller Unserer Stände und Collegiorum, auch Universitäten monita einhohlen, und die besondern Statuta einer jeden Provintz besonders beydrucken lassen wollen, damit einmahl ein gewisses Recht im Lande etabliret, und die unzählige Edicte aufgehoben werden mögen.“212
Dies war nichts anderes als der erstmals von Leibniz im Jahre 1700 ausgesprochene, von Svarez und Carmer fast ein Jahrhundert später – 1794 – zum Abschlusse gebrachte Plan, ein preußisches allgemeines Landrecht zu schaffen. Welchen Begriff Friedrich der Große selbst mit einem guten Gesetzbuche verband, sprach er ebenfalls bereits viele Jahre vor Beginn der Arbeiten Carmers und Svarez’ – im Jahre 1750 – in seiner „Dissertation sur les raisons d’établir ou d’abroger les lois“ deutlich aus: „Ein Codex vollkommener Gesetze würde für die Regierungspolitik ein Meisterwerk sein; man würde darin eine Einheit von Zweck und exakten, wohl proportionirten Regeln finden, so daß ein nach diesen Gesetzen geleiteter Staat einer Uhr gleichen würde, deren Federn sämmtlich einem Zwecke dienen; man würde darin eine tiefe Kenntniß des menschlichen Herzens und des Geistes der Nation finden; die Strafen würden gemildert sein wie jetzt die Sitten, sie würden nicht zu gelinde und nicht zu streng sein; klare und bestimmte Verordnungen würden für Streitigkeiten keinen Raum geben; sie würden in einer vorzüglichen Auswahl dessen bestehen, was die bürgerlichen Gesetze nur Gutes bieten, und in einer sinnreichen einfachen Anwendung dieser Gesetze auf die Gebräuche des Volkes; Alles würde vorhergesehen, Alles erwogen und nichts Anlaß zu Ungelegenheiten sein: aber solche vollkommene Dinge kennt die Menschheit nicht.“213 210
Vgl.: Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 158. Im zweiten schlesischen Kriege. 212 Zitiert nach: Kamptz, Preußische Justiz-Reform, S. 133. 213 „Un corps de lois parfaites serait le chef d’œuvre de l’esprit humain dans ce qui regarde la politique du gouvernement: on y remarquerait une unité de dessein et des règles si exactes et si proportionnées, qu’un État conduit par ces lois ressemblerait à une montre, dont tous les ressorts ont été faits pour un même but; on y trouverait une connaissance profonde du cœur humain et du génie de la nation; les châtiments seraient tempérés, de sorte qu’en maintenant les bonnes mœurs, ils ne seraient ni légers ni rigoureux; des ordonnances claires et précises ne donneraient jamais lieu au litige; elles consisteraient dans un choix exquis de tout ce que les lois civiles ont eu de meilleur, et dans une application ingénieuse et simple de ces lois aux usages de la nation; tout serait prévu, tout serait combiné, et rien ne serait sujet à des inconvénients: mais les choses parfaites ne sont pas du ressort de l’humanité.“ Friedrich II. König von Preußen, Dissertation sur les raisons d’établir ou d’abroger les lois, zitiert nach: Stölzel, Brandenburg211
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
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Immerhin aber war der König mit Coccejis „besonderem Fleiß“ und „höchst rühmlichem Eifer“ bei der Verbesserung des Justizwesens und dem „gewünschten Succeß“, der sich alsbald in Pommern einstellte, so zufrieden, daß er ihn am 8. März 1747 zum Großkanzler und Ritter des Schwarzen Adlerordens ernannte.214 Doch diese Arbeiten Coccejis hatten sich fast ausschließlich auf dem Gebiete des formellen Rechts bewegt; das mit dem 6. Juli desselben Jahres fertiggestellte „Project des Codicis Fridericiani Pomeranici“ war nichts anderes als die umgearbeiteten prozeßrechtlichen Teile der Konstitution vom 31. Dezember 1746, und auch das unter dem 3. April 1748 veröffentlichte „Project eines Codicis Fridericiani Marchici“, das künftig allen Provinzen zum Modell dienen sollte, war lediglich eine Weiterentwickelung des Codex Pomeranicus unter Ergänzung dessen, was bei dieser „in Eil verfertigten“215 Prozeßordnung vergessen worden war.216 Erst nachdem die Prozesse hinlänglich geregelt schienen, wandte sich Cocceji dem materiellen Recht zu. Am 23. November 1748 konnte der Großkanzler dem König melden, daß er nach sechsmonatiger Arbeit einen ersten Teil des Corpus iuris Fridericiani zum Druck fertiggestellt habe; der König stimmte der erbetenen Druckerlaubnis ohne weitere Bemerkungen zu.217, 218 Der Publikation des ersten Teils folgte jedoch die Fortsetzung keineswegs in der Geschwindigkeit, die Cocceji anfangs noch in Aussicht gestellt hatte, und bevor dieses Projekt Gesetzeskraft erhalten sollte, sollten auch zunächst noch die Stimmen von sämtlichen Justizkollegien, Fakultäten und Landständen gehört werden; binnen kurzer Zeit war all dies nicht zu erledigen. So kam es, daß lediglich die ersten Abschnitte des Reformvorhabens, nämlich der Codex Fridericianus in Kleve im Jahre 1749 und, in Aurich, anläßlich der Errichtung eines Pupillenkollegs, das Ehe- und Vormundschaftsrecht des Corpus iuris Fridericianum (Zweites und Drittes Buch) Gesetzeskraft erhielten; in anderen Provinzen Preußens ging man später ähnlich vor.219 Damit hatte sich dann aber auch die Bedeutung des Kodifikationsprojekts von Cocceji für die Praxis erschöpft. Der Abschnitt über das Sachenrecht wurde zwar im Jahre 1751 noch veröffentlicht, blieb aber Entwurf; die Manuskripte, die Cocceji über die fehlenden Teile darüber hinaus noch erarbeitete, gingen verloren. „Die so nahe am Ziele geglaubte Reform wurde zu einem Torso.“220 Die Arbeiten Coccejis sollten, als er am 4. Oktober 1755221 für Preußens Recht, 2. Band, S. 201 – 202. Übersetzung: Stölzel, Resultate der Reformen Cocceji’s, S. 148. 214 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 183. 215 Cocceji, Cod. Frid. March., Vorrede, S. VI. 216 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 197. 217 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 205. 218 Der Druck aber verzögerte sich bis ins Jahr 1749. (Nach: Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 207.) 219 Vgl. dazu: Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 217. 220 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 217. 221 In: Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 233, ist der 24. Oktober 1755 als der Todestag Coccejis mitgeteilt.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
immer die Augen schloß, Stückwerk bleiben, wie die Arbeiten seiner Vorgänger auch.222 Das ganze Landrechtsprojekt verfiel mit dem Tode Coccejis in einen Dornröschenschlaf. Jariges wurde zu Coccejis Nachfolger im Großkanzleramte berufen; an dem fast fertiggestellten Landrecht wurde unter ihm nicht weitergearbeitet. Die Gesetzgebungstätigkeit während seiner Amtszeit beschränkte sich fast ausschließlich auf das formelle Recht, nämlich die Gerichtsverfassung, den Prozeß und das Sportelwesen.223 Die Folgen des Siebenjährigen Krieges ließen die Zahl der Prozesse dennoch rapide ansteigen. Auf einen unmittelbar nach dem Frieden von Hubertusburg vom 15. Februar 1763 entstandenen Geldüberfluß folgte unvermittelt eine starke Geldverknappung, die eine nie dagewesene Zahl von Konkursen mit sich brachte.224 Die zur Behebung der Verwüstungen des Krieges bereitgestellten öffentlichen Mittel kamen oft erst nach jahrelangen Prozessen zwischen den Geschädigten und den die Schadensuntersuchung obliegenden Bürgermeistern zur Auszahlung.225 Die Verärgerung des Königs folgte auf dem Fuße, die Mängel konnten aber nicht behoben werden. Jariges’ Nachfolger war Fürst. Dieser leistete im Großkanzleramte noch weniger das, was der König von ihm verlangte. Zwar hatte er die von Jariges eingeleitete Revision der Prozeßordnung „eifrig fortgesetzt“226, doch bei genauem Hinsehen zeigt sich, daß er nichts weiter als den Gedanken seines Vorgängers, die Prozesse schriftlich zu machen, zur Ausführung brachte; zur erhofften Verminderung der Zahl der Prozesse gereichte dies freilich nicht.227 Erst gegen Ende seiner Amtszeit, als er sich schon sehr in der Defensive gegenüber dem reformeifrigen Carmer befand, versuchte er, die Gunst des Königs noch einmal zu gewinnen, indem er diesem „Allerunterthänigste Vorschläge, wie am besten vorzubeugen, daß überhaupt weniger Prozesse im ganzen Staat entstehen“228 unterbreitete; gleich im ersten Punkte postulierte er darin, daß die meisten Prozesse aus der Unwissenheit über die Rechte entstünden, und zog daraus den Schluß:
222
Der Cod. Frid. blieb immerhin bis 1794 in Anwendung. Mit der Einführung des ALR verlor er seine wirkliche Kraft mit Vorbehalt der im § 7 des Publikationspatents vom 5. Februar 1794 bestimmten Einschränkungen. Vgl. Reskript vom 21. Dezember 1795, betr. die Gesetzeskraft des Projekts zum A. L. R. vom Jahre 1749, abgedruckt bei: Mannkopff, ALR, 1. Band, S. 3. 223 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 237. 224 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 251. 225 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 251 – 252. 226 Kamptz, Verhandlungen über die Justizreform, S. 4. 227 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 259 – 260. 228 Vom 3. Januar 1776, abgedruckt bei: Kamptz, Verhandlungen über die Justiz-Reform in Preußen, S. 17.
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
71
„Ein allgemeines vollständiges deutsches klares Gesetzbuch fehlt noch in den hiesigen Staaten.“229
Ein solches vermaß er sich „mit Hülfe von 6 bis 8 Räthen […] in 9 bis 10 Monaten […] zu Stande zu bringen“230. Den König überzeugte dies und nahm ihn noch einmal für Fürst ein. Begonnen wurde mit diesem Werke jedoch nie, und als im Juni 1776 anläßlich einer Truppeninspektion in Pommern dem König neuerlich Klagen zu Ohren kamen, reagierte er heftig, unter der Androhung, „Unfreunde“ zu werden.231 Der Unmut des Königs stieg in der Folgezeit noch, und die bekannte Affäre um den Prozeß des Müllers Arnold brachte Fürst schließlich gegen Ende des Jahres 1779 zu Fall. Nun war Carmer neuer Großkanzler. Am Weihnachtstage des Jahres 1779 schrieb des Königs Kabinettsrat die ausführlichen Instruktionen Friedrichs über die erwartete Amtsführung Carmers nach Diktat nieder.232 Von einem neuen Anlauf des Landrechtsprojekts enthielt diese Order zwar noch nichts, doch mit der Übersiedelung Carmers und bald auch Svarez’ nach Berlin war der Stein in’s Rollen gebracht. Am 4. April 1780 reichte Carmer dem König ein Promemoria ein, in welchem er als einen von drei Punkten für eine umfassende Reform der Justiz die Schaffung eines Landrechts nannte; am 6. April bereits ging die Antwort des Königs ein, der Carmers Vorschläge als „admirable“ lobte und dessen Einschätzung über die Unzulänglichkeit der Edikte „groß Recht“ gab233, und unter dem 14. April ist jene denkwürdige Kabinettsorder gezeichnet, welche zur Grundlage der neuen, anderthalb Jahrzehnte währenden Gesetzgebungsarbeit werden sollte.234 Die Arbeiten am Preußischen Allgemeinen Landrecht waren damit eröffnet.
III. Grundlagen und Grundsätze der Gesetzgebungsarbeit 1. Positiv-rechtliche Grundlagen der Gesetzgebungsarbeit „Die Allerhöchste Ordre vom 14. April 1780 ist das gesetzliche Fundament, auf welchen sich die Hauptschöpfungen Carmer’s und damit auch die Svarez’ aufbauten.“235
Nach dem Tode Friedrichs des Großen trat noch die die Fortführung der Arbeiten anordnende, unter dem 27. August 1786 gezeichnete Kabinettsorder Friedrich 229 Allerunterthänigste Vorschläge des Großkanzlers Freiherrn von Fürst, wie am besten vorzubeugen, daß überhaupt weniger Prozesse im ganzen Staat entstehen, abgedruckt bei: Kamptz, Verhandlungen über die Justiz-Reform in Preußen, S. 17. 230 Ebenda. 231 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 270. 232 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 284. 233 Abgedruckt bei: Kamptz, Jahrbücher, 46. Band, S. 225. 234 Abgedruckt in: Geschichte der Staatsverfassung, S. 301 – 310. 235 Stölzel, Svarez, S. 156.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
Wilhelms II. hinzu.236 Für die Umarbeitung des Gesetzbuchs nach dessen Suspension in das Preußische Allgemeine Landrecht gab die Kabinettsorder vom 17. November 1793 die detaillierten Anweisungen.237 Schließlich berichten die unter 20. März 1791238 und 5. Februar 1794239 datierten Publikationspatente zum Allgemeinen Gesetzbuch und Allgemeinen Landrecht über die Erwartungen, die der König mit dem Codex verband. Diese Quellen enthalten die positiv-rechtlichen Grundlagen für die Gesetzgebungsarbeit an dem preußischen Codex und geben wichtige Auskunft über dessen Zielsetzung und die ihm zugedachten Funktionen; ihre Inhalte werden im folgenden dargestellt.
2. Einzelne dezidiert positivierte Grundsätze der Gesetzgebungsarbeit a) Sammlung des bisherigen Rechts Wie bereits bei den früheren Versuchen, ein deutschsprachiges Gesetzbuch in Preußen zu schaffen, sollte auch bei den 1780 begonnenen Arbeiten nicht ein neues Recht kreiert werden, sondern Carmer und seinen Mitarbeitern Svarez und Klein wurde es zur Aufgabe gemacht, das bereits bisher in den preußischen Provinzen in Übung gewesene, auf Myriaden von Quellen verstreute, teils aber auch nur mündlich überlieferte Recht zu kodifizieren. So wurde ihnen unter dem 14. April 1780 aufgetragen, daß „die bisher noch zu zerstreute[n], unbestimmte[n] und zweydeutige[n] Gesetze mit möglichster Precision und Deutlichkeit bestimmt und gesammlet werden sollen.“240
Dieser Arbeitsauftrag umfaßte also zunächst die Ermittelung dessen, was Gesetz war, und sodann die Verarbeitung des Vorgefundenen zu einem Codex, nicht aber die Einschaltung von Neuerungen in das Gesetzbuch. In der zur Grundlage der Umarbeitung des Gesetzbuchs in das Allgemeine Landrecht dienenden Kabinettsorder vom 17. November 1793 sprach sich auch Friedrich Wilhelm II. sehr deutlich dahin aus, daß er zum Inhalte des Codex nichts wünsche, was nicht bereits hinlänglich Gesetzeskraft genoß: „auch müssen keine Verordnungen darin enthalten sein, die specialiter die landesherrliche Sanktion, mithin die Gesetzeskraft noch nicht erhalten haben.“241 236
Abgedruckt bei: Klein, Kurze Geschichte der Gesetzgebung, S. XLIX–LI. Abgedruckt bei: Kamptz, Jahrbücher, 52. Band, S. 141 – 144. 238 Abgedruckt bei: Pauli, AGB, 1. Teil, S. I–XX. 239 Abgedruckt bei: Klein, Annalen der Preußischen Rechtsgelehrsamkeit, 12. Band, S. 197 – 208. 240 Kabinettsorder vom 14. April 1780, abgedruckt in: Geschichte der Staatsverfassung, S. 301. 241 Kabinettsorder vom 17. November 1793, abgedruckt bei: Kamptz, Jahrbücher, 52. Band, S. 141. 237
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
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Vielmehr wurde Carmer ermahnt, „daß die Gesetze […] bestimmt, deutlich und im Zusammenhange bekannt gemacht werden.“242
Es erhellt aus dieser Wortwahl, daß darunter nur bereits bestehende Gesetze verstanden worden sein können, an deren hinreichend deutlicher und geordneter Publikation es dem König gelegen war. In Fällen, in denen ein Streit innerhalb des Staatsministeriums über die Frage entbrennen sollte, ob die eine oder andere als in das Landrecht aufzunehmen vorgesehene Vorschrift bereits hinlänglich Bestand gehabt habe, behielt sich Friedrich Wilhelm nun sogar, aufgeschreckt durch den Wurm des Mißtrauens, der ihm in’s Ohr gesetzt worden war,243 das letzte Wort vor.244 Die Publikationspatente sprechen die gleiche Sprache. Schon in dem Publikationspatent vom 20. März 1791 wurde durch Friedrich Wilhelm II. der Codex als ein Gesetzbuch angepriesen, „in welchem […] die bisher in Unsern Landen aufgenommen gewesenen ältern Rechte, auf denen die meisten der jetzt vorhandenen Verfassungen, bürgerlichen und häuslichen Einrichtungen beruhen, zum Grunde gelegt [sind].“245
Noch deutlicher läßt sich das Publikationspatent zum Allgemeinen Landrecht vom 5. Februar 1794 vernehmen, welches den Codex schlicht eine „GesetzSammlung“ nennt und damit schon in der Bezeichnung jeden Gedanken an eine Neuerung zunichte macht. Das Motiv für diese zutiefst konservative Haltung war indes mitnichten ein historisches Verständnis. Für die Verwendung des römischen Rechts als der Grundlage bei der Schaffung der neuen Rechtsordnung stritt das zeitgenössische Erfordernis, daß eine allzu veränderte Rechtsordnung für den Verkehr mit den anderen Staaten Europas, in welchen zum größten Teil das alte römische Recht fortgalt, sich möglicherweise als ein Hemmnis erweisen würde. Und auch für die innerstaatlichen Verhältnisse erkannte man die der Rechtssicherheit dienende Maxime der Beständigkeit, nach welcher es untunlich ist, „ein zahlreiches gebildetes Volk mit ganz neuen Begriffen, Maximen und Regeln seines Verhaltens auf einmahl zu überraschen“246.
242 Kabinettsorder vom 17. November 1793, abgedruckt bei: Kamptz, Jahrbücher, 52. Band, S. 141. 243 Vgl. Stölzel, Svarez, S. 243 ff. 244 So bereits in der Kabinettsorder vom 27. August 1786, abgedruckt bei: Klein, Kurze Geschichte der Gesetzgebung, S. XLIX–LI; bestätigt durch die Kabinettsorder vom 17. November 1793, abgedruckt bei: Kamptz, Jahrbücher, 52. Band, S. 141. 245 Publikationspatent vom 20. März 1791, abgedruckt bei: Pauli, AGB, 1. Teil, S. I. 246 Svarez, Kurze Nachricht von dem neuen Preußischen Gesetzbuche, S. XXV.
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
Eine – zumindest lesbare – Begründung liefert auch der König selbst, wiederum in der unter dem Eindruck angeblich überhasteter Reformen entstandenen Kabinettsorder vom November 1793. Hinsichtlich von Neuerungen – so gab der König darin zu verstehen – „ist es wohl sehr bedenklich, in den Rechten, wobei der Staat bisher blühend und glücklich gewesen, Veränderungen oder neue Verordnungen zu machen, die durch keine Erfahrungen geprüft, noch durch dingende Veranlassung nothwendig gemacht worden sind.“247
Diese, zumindest in ihrer Deutlichkeit plötzliche, höchst zögerliche Haltung scheint indes weniger Ausdruck einer grundsätzlich reformfeindlichen Gesinnung als vielmehr ein bedauerliches Zeugnis seines Wankelmutes zu sein, der im Laufe seiner Regierungszeit nur zu oft an die Stelle einer programmatisch-konsequenten Politik seines Vorgängers trat. Sie ändert jedoch nichts an der eindeutigen Zielsetzung seiner Legislatur. b) Präzisierung des bisherigen Rechts Mit dieser reinen Sammlung und Ordnung des bisherigen gemeinen und Landesrechts ging die Aufgabe der Präzisierung einher. Bereits in der Kabinettsorder vom 14. April 1780 wurde es zur Aufgabe der Gesetzesautoren gemacht, bei der Feststellung des Rechts mit solcher Präzision zu arbeiten, daß künftighin Kontroversen über den Inhalt des Rechts oder dessen Auslegung vermieden würden. „[…] ungereimt ist es, wenn man in einem Staat, der doch seinen unstreitigen Gesetzgeber hat, Gesetze duldet, die durch ihre Dunkelheit und Zweydeutigkeit zu weitläufigen Disputen der Rechtsgelehrten Anlaß geben, oder wohl gar darüber: ob dergleichen Gesetz oder Gewohnheit jemals existirt oder eine Rechtskraft erlangt habe? weitläufige Processe veranlaßt werden müssen. Ihr müßt also vorzüglich dahin sehen, daß alle Gesetze für Unsere Staaten und Unterthanen […] genau bestimmt […] werden.“248
In diesem Anspruch spiegelt sich zugleich eines der zentralen Anliegen der Aufklärung wider, nämlich einer „volkstümlichen“ Verständlichkeit249 des Weltganzen und damit auch des Rechts. Jeder Einwohner, der sich wenigstens bloß mäßigen Verstandes erfreute, sollte die Gesetze selbst lesen, verstehen und sich danach ausrichten können. Die Zeit schien gekommen, nach der vielhundertjährigen Geltung der zahllosen Edikte und Gesetze des römischen und kanonischen Rechts ein den Ansprüchen der Zeit angemessenes Recht zu schaffen; die Aufklärung wollte, daß dieses Recht jene Deutlichkeit erhielt, welche auch dem juristischen Laien ermöglichen sollte, es zu verstehen und sich danach zu richten. 247
Kabinettsorder vom 17. November 1793, abgedruckt bei: Kamptz, Jahrbücher, 52. Band, S. 141. 248 Kabinettsorder vom 14. April 1780, abgedruckt in: Geschichte der Staatsverfassung, S. 306 – 307. 249 Diesen Begriff verwendet: Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 242, 245.
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
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„Endlich mußte auch das neue Gesetzbuch, wenn es seinen wohlthätigen Zwecken entsprechen sollte, nicht nur in der Sprache der Nation, sondern auch in einem Style abgefaßt sey, der jedem Einwohner, dessen Geist durch eine gewöhnliche Erziehung nur einigermaßen gebildet ist, verständlich wäre“250.
Im Gefolge dieses Anspruches an Volkstümlichkeit stand ein ganzes Konglomerat an weiteren Forderungen, die sämtlich darauf ausgerichtet waren, diesem Ziele zum Durchbruch zu verhelfen. Dabei überwogen die formellen Aspekte der Rechtsreform bei weitem; deren augenfälligster war der sprachliche. Die Sprache des Gesetzes sollte nicht länger Latein, sondern die Muttersprache seiner Anwender und Unterworfenen, Deutsch, sein und in möglichst bestimmter, präziser und unzweideutiger Wortwahl das Recht wiedergeben. „Hauptsächlich muß das Römische Lateinische Recht abgeschafft, und auf den Preußischen Fuß ein Teutsches Landrecht verfertiget werden“251,
forderte schon Cocceji als dreizehnten und wichtigsten Punkt seines bereits am 9. Mai 1746 dem König vorgelegten Planes zur Reform der Justiz. Nach der Umsetzung dieser Reformvorhaben sollten die Vorschriften ausweislich der Vorrede des von Cocceji in Angriff genommenen Landrechtsprojekts ganz in deutscher Sprache verfaßt werden, „damit ein Jeder, der einen Proceß habe, selbst nachsehen und, ob er Recht oder Unrecht hat, daraus erlernen könne“.
In der Vorrede des 1784 erschienenen und von Carmer herausgegebenen ersten Teils des gedruckten Entwurfs zu einem Allgemeinen Gesetzbuch, wo das „sachverständige Publikum“ Monita einzugeben aufgefordert wurde, war als einer der vier Kriterien für diese Monita zu lesen: „Deutlichkeit und Bestimmtheit des Vortrags ist das äußre Haupterforderniß eines guten Gesetzbuchs. Es ist also viel daran gelegen, zu erfahren: ob und wo es etwa dem gegenwärtigen Entwurfe an diesen Eigenschaften ermangle; und in welchen Stellen desselben Dunkelheit, Zweydeutigkeit im wörtlichen Ausdruck, oder gar Widersprüche zu entdecken seyn möchten.“252
Dieses Anliegen konnte sich auch unter Friedrich Wilhelm II. der Kontinuität erfreuen. Schon wenige Tage nach seiner Thronbesteigung gab er per Kabinettsorder seinem Wunsche nach Fortführung der Gesetzgebungsarbeit unter den bisherigen Vorgaben Ausdruck. Darin heißt es unter anderem: „Da es aber auch nothwendig ist, der Ungewißheit, Dunkelheit und Verwirrung, welche in den Gesetzen selbst aus dem in einer fremden Sprache geschriebnen, unsern gegenwärtigen Sitten und Verfassung nicht mehr angemessenen, römischen Rechte entstanden sind, durch 250
Svarez, Kurze Nachricht von dem neuen Preußischen Gesetzbuche, S. XXXVI. „Unvorgreifflicher Plan wegen Verbesserung der Justitz“ vom 9. Mai 1746, Punkt 13, zitiert nach: Kamptz, Preußische Justiz-Reform, S. 77. 252 Carmer, Entwurf I/1, Vorerinnerung, S. 9. 251
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen Einführung eines verbesserten, vollständigen und allgemein verständlichen Gesetzbuches abzuhelfen; so habe ich Euch hierdurch aufgeben wollen, mit der bereits angefangenen Ausarbeitung des Projects zu einem solchen Gesetzbuche ferner zu continuiren“253.
So vernahm dann fünf Jahre später die Öffentlichkeit in dem Publikationspatente zum Allgemeinen Gesetzbuche, daß nunmehr „die Zweifel und Streitigkeiten, welche bisher über den Sinn so vieler in den ältern Gesetzen dunkel oder widersprechend vorgetragner Rechtslehren, zwischen den Rechtsgelehrten und in den Gerichtshöfen statt gefunden haben, aufgelöst und entschieden“254
worden seien. c) Neuerungen Nach diesen engen, auf conservare gerichteten Vorgaben, blieb nur wenig Raum für echte Neuerungen. Solche wurden dort mit der Sanktion des Königs eingeschaltet, wo das vorgefundene gemeine Recht zu adaptieren schlichtweg ausgeschlossen schien. Hier zeigt sich auch, wie eng die Reform des formellen Rechts mit der des materiellen Rechts zusammenhing.255 Es war die allgegenwärtige Forderung nach einer Vereinfachung des Rechts, mit welcher von Seiten des Königs die meisten der Abänderungen des römischen Rechts angeregt oder befohlen wurden. Zumeist handelte es sich dabei um dunkle Formeln und rituell anmutende Handlungen, die aus dem gerichtlichen Prozeß verbannt werden sollten, weil in ihnen im Lichte vernunftrechtlicher Betrachtung kein Sinn und kein Nutzen mehr erkannt werden konnte. Die Bedeutung des Rufs nach Vereinfachung des Rechts für die Anfertigung des Allgemeinen Gesetzbuchs lag darin, daß auch der aus dem römischen Recht abgeleitete materielle Teil auf seine Verträglichkeit mit den zeitgenössischen gesellschaftlichen Gegebenheiten256 und Vorstellungen257 hin geprüft und erforderlichenfalls angeglichen werden sollte. „Es muß also nur das Wesentliche mit dem Naturgesetz und der heutigen Verfassung übereinstimmende aus demselben abstrahirt; das Unnütze weggelassen; Unsere eigene Landesgesetze am gehörigen Orte eingeschaltet, und solchergestalt ein […] Gesetzbuch […] angefertiget werden.“258
So hieß es in dem Publikationspatent des Jahres 1791 also, daß in dem neuen Gesetzbuche 253 Kabinettsorder vom 27. August 1786, abgedruckt bei: Klein, Kurze Geschichte der Gesetzgebung, S. XLIX. 254 Publikationspatent vom 20. März 1791, abgedruckt bei: Pauli, AGB, 1. Teil, S. II. 255 Unten, unter D., III., 4., wird darauf noch näher eingegangen werden; das hier Ausgeführte mag sich auf das materielle Recht und die Arbeit am Allgemeinen Gesetzbuch beschränken. 256 Mit der „Verfassung“ des Landes. 257 Mit dem „Vernunft-“ oder „Naturrecht“. 258 Kabinettsorder vom 14. April 1780, abgedruckt in: Geschichte der Staatsverfassung, S. 307 – 308.
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
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„diejenigen Vorschriften aber, welche zu den gegenwärtigen Zeiten und Sitten, oder auf die Beschaffenheit und Verhältnisse Unserer Staaten nicht passen, abgeschafft, oder nach den Umständen abgeändert“259
worden seien. Im übrigen aber war der von Friedrich dem Großen und Friedrich Wilhelm II. angestrebte Inhalt des Codex eine Beibehaltung dessen, was bereits Gesetz war und seinen Urgrund entweder in dem gemeinen Recht oder in landesrechtlichen Vorschriften hatte. Die inhaltlichen Neuerungen waren demgegenüber quantitativ marginal und sollten sich sämtlich auf Materien beziehen, die nach römischem Recht bereits eine Regelung erfuhren, welche jedoch im Preußen des 18. Jahrhunderts als unzureichend empfunden wurde. Doch selbstverständlich lag das Augenmerk der Zeit auf diesen Abweichungen und Ergänzungen zum römischen Recht und den dafür in’s Feld geführten Gründen; gemäß Carmers Aufruf an die gelehrte Welt sollten dieselben von den Monenten auf ihre Vernunftmäßigkeit und die dafür angegebenen Gründe auf ihre Zulänglichkeit untersucht werden. „Man wünscht und erwartet vornehmlich Monita über diese Abweichungen“.260
Diese projektierten Veränderungen waren damit Diskussionsgegenstand in einer breiten Öffentlichkeit.261 Dies mag der Grund für die im Schrifttum mitunter anklingende These des Allgemeinen Gesetzbuchs als eines großen Reform-Codex sein. Wie wenig in inhaltlicher Hinsicht davon wahr ist, zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die Kürze der unter dem 17. November 1793 gezeichneten Kabinettsorder, in welcher die wenigen materiell-rechtlichen Änderungen zu streichen befohlen wurde.262 3. Einzelne Grundsätze der Gesetzgebungsarbeit als Ausfluß des Zeitgeistes a) Vernunftmäßigkeit im Rechte – Naturrecht So wenig sich materielle Rechtsänderungen in dem Allgemeinen Landrechte behaupten konnten, so sprechen doch die in den 80er und anbrechenden 90er Jahren diskutierten und projektierten Abänderungen an Inhalt und vor allem an der Form des Gesetzes laut die Sprache der Aufklärung. Es sollten nicht länger Förmlichkeiten und überkommene Gewohnheiten in den Rechtshandlungen dominieren, sondern das Recht sollte den Bedürfnissen der Zeit und ihres Charakters angepaßt und – der Ära des Naturrechts entsprechend – „vernatürlicht“ werden. Vernunft und Naturrecht 259
Publikationspatent vom 20. März 1791, abgedruckt bei: Pauli, AGB, 1. Teil, S. I–II. Carmer, Entwurf I/1, Vorerinnerung, S. 7. 261 Über die öffentlich geführte Diskussion berichtet: Krause, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs, I A/1, S. LXXII–LXXXIV. 262 Außer der Ehe zur linken Hand enthielt das Allgemeine Gesetzbuch keine bürgerlichrechtlichen Neuerungen von Gewicht. 260
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
sollten in einem neu zu schaffenden Codex auf einfache Grundsätze reduziert und für jedermann verständlich und nachvollziehbar sich wiederfinden. Schon in Coccejis Landrecht war besonders das Eherecht von den Leitgedanken der Aufklärung geprägt. Den Konsistorien wurde verboten, wegen der Eingehung der Ehe zu dispensieren, den katholischen Geistlichen wurde gar die Vornahme der Trauung von einer jedesmal einzuholenden Allerhöchsten Erlaubnis abhängig gemacht263. Bei der Bestimmung der Ehescheidungsgründe wurde ebenfalls nicht der kirchlichen Lehre gefolgt, welche nur Ehebruch und bösliche Verlassung zuließ, sondern man erhob die Lehre der Naturrechtler, namentlich Pufendorfs, Thomasii und Strycks zum Gesetz, indem man jenen biblischen Ehescheidungsgründen noch Bürgerlichen Tod, Raserei, Blödsinn, gegenseitige Einwilligung und tödliche Feindschaft hinzufügte.264 Diese der Aufklärung entstammenden Grundsätze der Vernunftmäßigkeit waren aber keineswegs auf Coccejis Landrechtsprojekt beschränkt, sondern beherrschten auch die weitere Regierungstätigkeit Friedrichs des Großen und finden sich bei den im Jahre 1780 begonnenen Gesetzgebungsarbeiten wieder. Svarez selbst etwa sagte, daß er bei der Abfassung des Allgemeinen Gesetzbuchs von dem, „was nach den Begriffen eines richtigen gesunden Menschenverstandes, aus der Natur einer gewissen Art von Geschäften oder Verhältnissen folgt, nicht ohne die äußerste Noth, durch positive Bestimmungen verändert“265
habe. Nach dem in der Vorerinnerung zum letzten Bande des gedruckten Entwurfs des preußischen Gesetzbuchs im Jahre 1788 mitgeteilten Plane der künftigen Juristenausbildung sollte das Naturrecht „die Einleitung zu der Theorie der positiven vaterländischen Rechtsgelehrsamkeit ausmachen“266, um dem Studierenden hiedurch den Geist der Gesetze und deren Wert richtig beurteilen und schätzen zu lehren. Die Lehrbücher, zu deren Abfassung Carmer aufforderte, sollten entsprechend „aus zwey Haupt-Theilen bestehen“267, wovon der erste das Naturrecht, der zweite sodann das positive Recht enthalten sollte. Unter dem Naturrecht selbst verstand er „die Wissenschaft von den Rechten und Pflichten der Menschen, so weit als solche aus der Natur und Begriffen der Dinge, mit welchen die Rechtsgelehrsamkeit sich zu beschäftigen hat, erkannt werden können. Ein solches Natur-Recht schränkt sich also nicht blos auf die 263
Cod. Frid. March., 1. Teil, 2. Buch, 3. Tit., § 29: „Es soll kein Catholischer Priester sich unterstehen, ohne Unsere Permission iemanden Unserer Unterthanen, von welcher Religion er sey, zu copuliren; allermassen dergleichen Copulation und Ehe, wann auch schon die fleischliche Vermischung erfolget, null und nichtig seyn, die Kinder vor unehlich gehalten, und die Priester so fort zur gefänglichen Haft gebracht, die Unterthanen aber nachdrücklich bestraft werden sollen.“ 264 Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 207 – 208. 265 Svarez, In wie fern können und müssen Gesetze kurz sein? S. 103. 266 Carmer, Entwurf II/3, Vorerinnerung, S. VII. 267 Carmer, Entwurf II/3, Vorerinnerung, S. VIII.
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
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Befugnisse und Obliegenheiten des im Stande der Natur lebenden Menschen ein, sondern es setzt zugleich die mancherley Zustände, Lagen, und Verhältnisse voraus, in welchen der Mensch sich in der bürgerlichen Gesellschaft befindet; es bestimmt aus der Natur und dem allgemeinen Zweck dieser bürgerlichen Gesellschaft, aus der Natur und den besondern Absichten der verschiedenen ihr untergeordneten Verbindungen, aus der Beziehung, in welcher die einzelnen freyen Handlungen der Menschen mit jenen allgemeinen und besondern Zwecken stehen, wie weit sich daraus allein, ohne Hinzutretung des positiven Willens eines Gesetzgebers, Rechte und Pflichten für den Menschen, als Menschen überhaupt, und als Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft insonderheit, herleiten lassen.“268
Das Naturrecht, wie es dem Allgemeinen Gesetzbuche zu Grunde lag, war damit nichts anderes als die Anwendung des Verstandes, mit welchem unter vorgegebenen Zuständen Differenzen zu einer Lösung unter größtmöglicher Wahrung der Interessen der Beteiligten gebracht werden sollten. Damit war für die Gesetzgebungsarbeit eine Entscheidung in der während des ganzen 18. Jahrhunderts offen gebliebenen Frage nach den Inhalten des Naturrechts getroffen worden. b) Vollständigkeit des Gesetzes – Kommentierungsverbot Dem Preußischen Allgemeinen Landrecht wurde und wird es immer wieder zum Vorwurf gemacht, es wolle dabei alle denkbaren Fälle des menschlichen Zusammenlebens aufzählen und regeln, und die zeitgenössischen Quellen scheinen dies auf erstes Hinsehen auch zu belegen. Nach der Intention Friedrichs des Großen sollten „alle Gesetze […] vollständig gesammlet werden.“269
Ebenso äußerte sich auch Friedrich Wilhelm II., welcher die Hebung der Justiz unter anderem in der „Einführung eines […] vollständigen […] Gesetzbuches“270
erblickte, dessen Schaffung er fortzusetzen anordnete. Wahr ist an diesen Vorwürfen nur, daß es ein in der Aufklärung begründetes Anliegen der Zeit war, die gesetzlichen Vorschriften möglichst auch dem fachlich unvorgebildeten Laien verständlich zu machen. „Vielmehr müssen wir die ratio dieser materiellen Vollständigkeit unsers Gesetzbuchs darin suchen, daß man durch das gewissermaaßen exemplificirte Detail desselben einestheils den Processen als unstreitigen Uebeln im Staate vorbeugen und anderntheils dem richterlichen Arbitrium und gesetzloser Anmaßung Schranken setzen wollte.“271
268
Carmer, Entwurf II/3, Vorerinnerung, S. VIII–IX. Kabinettsorder vom 14. April 1780, abgedruckt in: Geschichte der Staatsverfassung, S. 307. 270 Kabinettsorder vom 27. August 1786, abgedruckt bei: Klein, Kurze Geschichte der Gesetzgebung, S. XLIX. 271 Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 18. 269
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
Der einfachste und in solchen Fällen am leichtesten gangbare Weg zu diesem Ziele ist es, ein Höchstmaß an Anschaulichkeit zu erreichen, „Denn auf den großen Haufen wirke die bloße Lehre immer weniger als das Beyspiel“272.
Diese Kasuistik des Allgemeinen Landrechts erschöpft sich jedoch keineswegs darin, unsystematisch all „die denkbaren Fälle einzeln aufzuzählen“273, wie dies etwa in den Entscheidungssammlungen des anglo-amerikanischen Rechtskreises mit ebenso bemerkenswertem Fleiß wie lähmender Fülle geschieht; sondern die Darlegung einer großen Zahl fein ausdifferenzierter Fallösungen ist eingebettet in ein allgemeines und nach den zeitgenössischen Erkenntnissen der Rechtswissenschaft vollständiges System, welches der Frucht dieser gesetzgeberischen Arbeiten erst die Weihe eines Codex gibt. Svarez sagte, er habe sich bemüht, „die für eine Menge von einzelnen Fällen gegebenen Vorschriften auf gewisse allgemeine Grundsätze zurük zu führen“, die er „so bestimmt, fruchtbar und reichhaltig“ zu bilden suchte, „daß daraus, mit Hülfe einer bloßen natürlichen Logik, sichre und zuverlässige Folgerungen für die einzelnen Fälle hergeleitet werden können“, und ferner auch die Ausnahmen von diesen allgemeinen Grundsätzen „nach den verschiedenen Gründen und Rüksichten, welche sie nöthig machten, zu klassifiziren und unter gewisse allgemeine Gesichtspunkte zu stellen“ versucht.274 Daß ihm dies gelang, spiegelt sich in der Kritik der Wissenschaft wider: „Es zeigte sich also, daß im Landrechte nicht nur […] das ganze System wie eine Kette aneinanderhängt, sondern auch ein Rechtsgebäude in deutlichen, festen Umrissen aufsteigt.“275
In dem 1784 erschienenen ersten Bande des gedruckten Entwurfs wurde in der Vorerinnerung die Blickrichtung der erbetenen Monita in vier Punkten erläutert; deren dritter forderte die Monenten auf, das Gesetzbuch in beiderlei Hinsicht auf Vollständigkeit zu prüfen, nämlich: „ob alle Materien, die in ein solches allgemeines Gesetzbuch gehören, in dem gegenwärtigen Entwurfe vorkommen und abgehandelt sind“276,
und: 272
Klein, De Ignorantia Populi circa poenas, S. 327. Dies behauptet aber: Köhler, Bürgerliches Gesetzbuch, S. XII. Und auch Savigny warf dem ALR in seiner Schrift über den „Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ auf S. 90 vor, es erreiche nicht die Höhe allgemeiner, leitender Grundsätze. Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 27, sagte: „Bei der ersten Ansicht des Allgem. Landrechts könnte man glauben und hat auch wohl geglaubt, die Anordnung und Aufeinanderfolge der Materien beruhe auf einer ziemlich willkührlichen und bloß tabellarischem Rubricirung. Dem ist aber nicht so. Vielmehr liegt überall ein gewisser innerer Zusammenhang der Institute nach ihrer vorherrschenden juristischen Natur zum Grunde.“ 274 Svarez, In wie fern können und müssen Gesetze kurz sein? S. 103. 275 Löher, System des Preußischen Landrechts, S. 287. 276 Carmer, Entwurf I/1, Vorerinnerung, S. 8. 273
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„ob die einzlen Materien durch die darüber gegebnen Vorschriften dergestalt erschöpft worden, daß der Einwohner des Staats, welcher in Verhältnisse kommt, die auf eine solche Materie sich beziehn, und der Richter, welcher die dahin einschlagenden Streitigkeiten entscheiden soll, in den darüber ertheilten allgemeinen oder speciellen Vorschriften jedesmal hinlängliche Bestimmungsgründe für sein Verhalten, oder für seine Entscheidung antreffe“277.
In den Publikationspatenten kommt der Anspruch des Gesetzeswerkes auf Universalität darin zum Ausdruck, daß es, mit wenigen Ausnahmen, an die Stelle des gesamten bisher gültigen Rechts treten sollte. Mit diesem Vorhaben einher ging die Einsetzung einer Gesetzkommission für die Auslegung des Gesetzes in zweifelhaften Fällen; schon Coccejis Landrechtsprojekt begleitete ein striktes Kommentierungsverbot: „Und damit die Privati, insonderheit aber die Professores, keine Gelegenheit haben mögen, dieses Land-Recht durch eigenmächtige Interpretation zu corrumpiren“278,
sollte bei schwerer Strafe verboten werden, irgendeinen Kommentar zu schreiben; keine Autorität der Doktoren, sondern einzig und allein das Landrecht selbst dürfe zur Rechtsverteidigung herangezogen werden. Der Richter sollte nicht selbst Rechtswissenschaft betreiben oder die Gesetze auch bloß auslegen, sondern mechanisch, gleichsam als eine Art Subsumtionsautomat, das geschriebene Recht allein seinem Wortlaut gemäß anwenden.279 Wenn sich bei der so gestalteten Anwendung des Landrechts Lücken ergäben, sollte darüber eine vom Justizdepartement zu bestellende „perpetuirliche Landrechtscommission“ entscheiden. Dieses Verbot, die gesetzlichen Vorschriften eigenmächtig auszulegen und zu kommentieren, blieb auch für das Allgemeine Gesetzbuch aufrechterhalten. In der Kabinettsorder vom 14. April 1780 hieß es: „Dergleichen Gesetzcommission muß auch künftig beybehalten werden, damit bey etwa sich ereignenden Mängeln, Undeutlichkeit, oder Fehlern der Gesetze, solche auf eine gründliche Art verbessert, supplirt und oder interpretirt werden können. Dagegen aber werden Wir nicht gestatten, daß irgend ein Richter, Collegium oder Etatsministre Unsere Gesetze zu interpretiren, auszudehnen oder einzuschränken, vielweniger neue Gesetze zu geben, sich einfallen lasse; sondern es muß, wenn sich in der Folge Zweifel oder Mängel an den Gesetzen oder in der Prozeßordnung finden, der Gesetzcommission davon Nachricht gegeben; von dieser die Sache, mit Rücksicht auf den Sinn und Absicht der übrigen Gesetze, unter Eurem Vorsitz, genau in Erwegung gezogen, und wenn eine wirk-
277
Carmer, Entwurf I/1, Vorerinnerung, S. 8. Cocceji, Land-Recht, Vorrede, § 28 IX, S. 12. 279 Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 87; Sietze, Preußische Staats- und Rechts-Geschichte, S. 15 – 16. 278
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen liche Veränderung oder Zusatz nöthig wäre, Uns gutachterlicher Bericht darüber erstattet werden.“280
Die Publikationspatente wußten sodann zwar nichts mehr von einem ausdrücklichen Verbot jeglicher Kommentierung; aber auch nach ihnen sollte die alte nebulöse, ungewisse und in ihren Ergebnissen unvorhersehbare Rechtsgelehrsamkeit aufhören: „es soll von dem bestimmten Zeitpunkte an, kein Collegium, Gericht, oder Justizbedienter sich unterfangen, die ältern Gesetze und Verordnungen auf die vorkommenden Rechtsangelegenheiten, außer den im gegenwärtigen Patente bestimmten Fällen, anzuwenden; oder auch nur das neue Gesetzbuch nach besagten aufgehobenen Rechten und Vorschriften zu erklären oder auszudeuten.“281
1794 wurde dem noch hinzugesetzt: „[…] am allerwenigsten aber von klaren und deutlichen Vorschriften der Gesetze, auf den Grund eines vermeinten philosophischen Raisonnements, oder unter dem Vorwande einer aus dem Zwecke und der Absicht des Gesetzes abzuleitenden Auslegung, die geringste eigenmächtige Abweichung, bey Vermeidung Unserer höch[st]en Ungnade und schwerer Ahndung, sich zu erlauben; […]“282
Sowohl mit Coccejis als auch mit Carmers Landrecht sollte die Jurisprudenz als Wissenschaft abgeschafft und zu einem von jedermann beherrschbaren Handwerk gemacht werden; Rechtsmeinungen sollten weder gebildet, noch erlernt und erst recht nicht angewendet werden. In heutiger Terminologie würde man von einer angestrebten „Transparenz“ des Rechts sprechen. c) Billigkeit im Rechte – Wohlfahrtswert des Gesetzes Dieses Anliegen, die Vielfalt der Normen mit all ihren feinen Unterscheidungen aus einer systematischen Struktur zu entwickeln, gleichsam wie das Laub aus den Zweigen, die Zweige aus den Ästen, die Äste aber aus einem mächtigen Stamme sprossen, ebnete die Bahn für die Durchsetzung einer weiteren Wertvorstellung der Zeit, die sich in den Gesetzen widerspiegeln sollte und im Allgemeinen Landrechte, dem Allgemeinen Gesetzbuche und dessen Entwurfsfassungen ihren Niederschlag findet: die Billigkeit im Recht. Das Ziel, welches der Gesetzgeber dabei verfolgte, war, die Gesetze so präzise zu fassen, daß sie eine verläßliche Richtschnur für die Handlungen aller sind, und zugleich so offen zu gestalten, daß auch die ungewöhnlichsten Konstellationen der 280 Kabinettsorder vom 14. April 1780, abgedruckt in: Geschichte der Staatsverfassung, S. 309. 281 Publikationspatent vom 20. März 1791, abgedruckt bei: Pauli, AGB, 1. Teil, S. XVIII–XIX. 282 Publikationspatent vom 4. Februar 1794, abgedruckt bei: Klein, Annalen der Preußischen Rechtsgelehrsamkeit, 12. Band, S. 207.
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mannigfachen Ausformungen des menschlichen Zusammenlebens unter ihnen subsumiert und zu einem tragbaren Ergebnisse gebracht werden können. Der preußische Gesetzgeber des späten 18. Jahrhunderts wollte diesen Spagat wagen. „Gute und billige, deutlich und bestimmt abgefaßte Gesetze“283
seien die Grundlage allgemeiner wie privater Wohlfahrt, hieß es im Publikationspatent zum Allgemeinen Gesetzbuche. Und diese Gesetze sollten nicht nur dem Volke verständlich sein, sie sollten auch seinen Bedürfnissen, Wünschen und Neigungen entsprechen, indem das Gesetzbuch ausweislich des Publikationspatents „[…] den Gesinnungen und Wünschen Unserer getreuen Unterthanen so viel als möglich gemäß abgefaßt sey.“284
Dabei handelt es sich um Gerechtigkeitsideale, Erkenntnisse der naturrechtlichen Forschung, die bei den formellen und wenigen materiellen Neuerungen in der preußischen Gesetzgebung umgesetzt werden sollten, um damit dem neuen, nicht mehr bloß ordnungsstiftenden Anspruch des Gesetzes, sondern dessen Wohlfahrtsanspruch gerecht zu werden.285 Diese „Gerechtigkeitsidee“286 war für das Zeitalter des Naturrechts typisch: Carmer sollte dem König „der Billigkeit gemäße Vorschläge“ zur neuen Gesetzgebung unterbreiten, damit niemand mehr den anderen „unbillig vervortheile[n]“ könne287. Niemand sollte sich beklagen müssen, „daß ihm Vorschriften aufgedrungen werden, die seiner Lage, seinen Verhältnissen, der Lage und den Verhältnissen seiner Provinz, und deren ursprünglichen Verfassungen nicht angemessen sind“288.
Die im Entwurf des Allgemeinen Gesetzbuchs enthaltenen Abweichungen vom römischen Recht und die dafür angeführten Gründe sollten von den Monenten auf ihre Billigkeit und Nutzbarkeit überprüft werden289. Und schließlich spricht das Publikationspatent vom 20. März 1791 selbst davon, daß „billige […] Gesetze zum allgemeinen Wohl eben so sehr, als zur Sicherung und Beförderung der Privatglückseeligkeit eines jeden Einwohners im Staate nothwendig sind“290.
283
Publikationspatent vom 20. März 1791, abgedruckt bei: Pauli, AGB, 1. Teil, S. I. Publikationspatent vom 20. März 1791, abgedruckt bei: Pauli, AGB, 1. Teil, S. III. 285 Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 207. Unten, 4. Teil, I., 1.3.3., wird darauf noch näher eingegangen werden. 286 So: Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 207. 287 Kabinettsorder vom 14. April 1780, abgedruckt in: Geschichte der Staatsverfassung, S. 308. 288 Carmer, Entwurf II/1, Vorerinnerung, S. V. 289 Carmer, Entwurf I/1, Vorerinnerung, S. 6 – 7. 290 Publikationspatent vom 20. März 1791, abgedruckt bei: Pauli, AGB, 1. Teil, S. I. 284
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
In der Vorerinnerung zum letzten Teilband des gedruckten Entwurfs schärfte Carmer noch einmal sehr deutlich ein: „Für allen Dingen muß das Studium einer gründlichen Philosophie den jungen Rechtsgelehrten zu seiner künftigen Bestimmung vorbereiten. Die Vernunftlehre muß ihm die Regeln des menschlichen Denkens bekannt machen, und durch den praktischen Theil derselben muß er zu einer richtigen Anwendung dieser Regeln angeführt werden. Die philosophische Moral muß ihn den Umfang der menschlichen Pflichten kennen lehren, das moralische Gefühl von Recht und Billigkeit in ihm erwecken, berichtigen, und auf deutliche und sichere Grundsätze zurückführen.“291
Die Umsetzung dieses Ideals, in einem jeden sich ereignenden Fall ein materiell zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen, war nun a priori der strengen Wortlautbindung in der Rechtsanwendung entgegengesetzt; mit der tunlichsten Berücksichtigung auch der ungewöhnlichsten Fallkonstellationen im Gesetz wurde jedoch die möglichste Annäherung von Rechtssicherheit und individueller Gerechtigkeit erreicht. Das Gesetz sollte also verständlich und sonderfallorientiert292 sein, und es mußte dennoch allgemeine Gerechtigkeitsideale zum Tragen bringen. So vernahm man von Svarez im Jahre 1796 in dem gemeinsam mit Goßler verfaßten preußischen Rechtslehrbuche: „Die jetzige Gerichtsverfassung in den Preußischen Staaten beruht auf einem sichern Fundament, auf deutlichen, vollständigen nach Vernunft und Billigkeit abgefaßten Gesetzen.“293
4. Die Reform der Gesetzgebung als Teil einer umfassenden Justizreform Unifizierung und Simplifizierung waren also die Leitbegriffe, welche verheißend und mahnend über dem ganzen juristischen 18. Jahrhundert standen.294 In diesen an das Gesetz gestellten Ansprüchen der Aufklärung erschöpft sich jedoch nicht das Anliegen der Reformer; Vereinheitlichung und Vereinfachung waren nicht Selbstzweck der Reformbemühungen, sie waren vielmehr darauf angelegt, die Schwierigkeiten zu beheben, welche die Durchsetzung des Rechts bislang hemmten. Die Aufklärung wollte, daß das ganze gesellschaftliche System besser funktioniere, indem es durchschaubar wird, die seine Zwecke fördernden Momente gepflegt und die störenden Momente zurückgedrängt und beseitigt werden; einem Uhrwerk sollte es gleichen, sagte Friedrich der Große in seiner Dissertation,295 und traf dabei 291
Carmer, Entwurf II/3, Vorerinnerung, S. VI–VII. „Sonderfallorientiert“ in dem Sinne, daß auch ungewöhnliche Fallkonstellationen erfaßt und berücksichtigt sind, aber nicht „einzelfallorientiert“, weil nicht für jeden sich ereignenden Fall ein bestimmtes Gesetz erlassen wird. 293 Svarez/Goßler, Verhalten bei Prozessen, S. 4. 294 Vgl. Conrad, in: Conrad/Kleinheyer, Vorträge über Recht und Staat, S. XI. 295 Friedrich II. König von Preußen, Dissertation sur les raisons d’établir ou d’abroger les lois, zitiert nach: Stölzel, Resultate der Reformen Cocceji’s, S. 148. 292
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
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trefflich den Geist der Zeit. Beeindruckt durch die unzähligen neuen Erkenntnisse auf allen Gebieten der Naturwissenschaften, glaubte man, auch die Geisteswissenschaften und besonders die Rechtswissenschaft nach bestimmten, von der Natur vorgegeben „Naturgesetzen“ einrichten zu können.296 Das überkommene Recht mit all seinen Ungewißheiten und den als übertrieben erachteten Förmlichkeiten einer längst versunkenen Epoche sollte dabei nicht ferner mit seiner retardierenden Wirkung diese Entwickelung stören. Eine neue populäre Verständlichkeit des Gesetzes sollte Prozesse vielmehr tunlichst vermeiden, deren Länge und Kosten so viele abschreckten, ihr materielles Recht auch formell durchzusetzen. An das neue Recht wurde daher zuvörderst der Anspruch gestellt, Streitigkeiten erst gar nicht aufkommen zu lassen, Prozesse nicht notwendig zu machen. „Klare und bestimmte Verordnungen würden für Streitigkeiten keinen Raum geben“297,
formulierte Friedrich im Jahre 1750 in seiner Dissertation als Ziel der Gesetzgebung. Die Parteien trotzdem stattfindender Prozesse sollten, selbst postulationsfähig298 und vom Gesetz wie vom Richter aufgeklärt über die Rechtslage, ihre Angelegenheiten vor Gericht selbst vertreten; es war erhofft, daß viele Streitigkeiten damit, nach erlangter Einsicht der Betroffenen, im Wege des Vergleichs gelöst werden könnten. Die von Friedrich verachteten Advokaten299 waren dagegen auf die Rolle von „Assistenten“ zurückgedrängt, die nur noch beobachtend an den Verfahren teilnehmen sollten. Auch dazu mußte aber zunächst die ungeheuere Rechtszersplitterung jener Tage zu Gunsten eines möglichst einheitlichen Rechts für den ganzen Umfang der Monarchie beendet und auch für den Laien durchschaubar und verständlich werden. „Wenn Wir, wie nicht zu zweifeln ist, Unsern Endzweck in Verbesserung der Gesetze und der Prozeßordnung erlangen, so werden freylich viele Rechtsgelehrten bey der Simplification dieser Sache ihr geheimnißvolles Ansehen verlieren, um ihren ganzen Subtilitä296
Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 223. Friedrich II. König von Preußen, Dissertation sur les raisons d’établir ou d’abroger les lois, zitiert nach: Stölzel, Resultate der Reformen Cocceji’s, S. 148. 298 So Friedrich der Große in der abgedruckten Kabinettsorder vom 14. April 1780, in welcher er den Anwaltszwang als eine „Mißgeburt“ bezeichnete. Der von Carmer am 18. August 1774 dem König eingereichte Entwurf einer Prozeßordnung deckte sich damit jedoch nur teilweise, denn Carmer gestand den Parteien nach diesem Entwurfe kein unmittelbares Gehör zu, sondern wollte die Prozesse lediglich von den retardierenden Einflüssen der Advokatur befreien. Nach: Daniels, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 15. 299 Vgl etwa nur: Daniels, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 12 – 13. Von Friedrich dem Großen sind die kennzeichnenden Worte überliefert: „Ich kenne alle Advocaten-Streiche und lasse mich nicht verblenden.“ (Zitiert nach: Borchardt, Die Randbemerkungen Friedrichs des Großen, S. 97.) „Er hat das Wort Jus verdreht […]. Ein Justitiarius, der chicaniren thut, muß härter als ein Straßenräuber bestraft werden, denn man vertraut sich dem ersteren an, und vor letzterem kann man sich hüten.“ (Zitiert nach: Borchardt, Die Randbemerkungen Friedrichs des Großen, S. 97.) 297
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen tenkram gebracht, und das ganze Corps der bisherigen Advokaten unnütze werden. Allein Wir werden dagegen Unsere getreue Unterthanen von einer nicht geringen Last befreyen, und desto mehr geschickte Kaufleute, Fabricanten und Künstler gewärtigen können, von welchen sich der Staat mehr Nutzen zu versprechen hat.“300
Mit der Beseitigung der als übertrieben erachteten Formalitäten sollten neben der zu gewinnenden Transparenz die Prozesse schließlich auch beschleunigt werden. Es sei eine schlechte Frucht verbesserter Justiz, sagte Friedrich bereits im Jahre 1743, wenn arme Untertanen nach 24jährigen Prozessen und wenn sie sich zu Tode geblutet, endlich gezwungen würden, die Prozesse liegen zu lassen.301 In dem oben bereits erwähnten, dreizehn Punkte umfassenden Reformplan Coccejis vom 9. Mai 1746 wurden denn auch unter den Punkten 6 – 12 eine Reihe von Maßnahmen zur Verkürzung der Prozesse vorgestellt, deren bedeutsamste die Abkürzung der Fristen und das, zum damaligen Zeitpunkt allerdings bereits verfügte Verbot der Aktenversendung außer Landes302 sind; das Verbot der Aktenversendung auch an inländische Fakultäten und Schöppenstühle folgte wenige Wochen später, per Kabinettsorder vom 20. Juni 1746303, weil diese „die Processe sehr weitläufig und kostbar gemachet, der davon intendirte und gerühmte Zweck aber mehrentheils nicht erhalten worden“.
Auch in der Kabinettsorder vom 14. April 1780 befaßten sich zwei der drei darin genannten Punkte nicht mit dem materiellen Recht, sondern mit der Verbesserung der Gerichtsverfassung und des Prozeßrechts. Nicht also nur das Gesetz, sondern der ganze Justizapparat war nach der Absicht des Königs und seiner Mitarbeiter auf Volksnähe, auf Aufklärung ausgelegt. Wie ernst es Friedrich mit seinem Reformanliegen war, zeigt sich in der aus seiner eigenen Feder geflossenen, markigen Androhung: „Damit aber Se. Königl. Maj. den hierdurch landesväterlich intendirten Endzweck erhalten, und nicht hergegen gottloß interessierte und corrumpirte Richter in denen Justitz-Collegiis, Consistoriis und Gerichten Gelegenheit nehmen, ihre ohnerlaubte Räncke und Verkaufung der Justitz um so frecher und ungescheuter zu exerciren; Als erinnern und befehlen HöchstDieselbe Dero Ministres vom Justitz-Departement, auch geistlichen Departements insonderheit, hierdurch so gnädigst als ernstlich, und so lieb denenselben die Beobachtung ihrer Pflicht und Ehre, auch Sr. Königl. Majestät Ungnade ist, daß selbige auf die ihnen subordinirte gesamte Justitz-Collegia, Consistoria und Gerichte wohl invigiliren sollen, damit dieselbe geradedurch, und sonder einige Neben-Absichten rechtschaffene, prompte und gantz unpartheyische Justitz administriren müssen; in Entstehung dessen aber, die, so aus Ignorantz darwider handeln, zu cassiren; diejenigen aber, so dergleichen aus unredlichen
300
Kabinettsorder vom 14. April 1780, abgedruckt in: Geschichte der Staatsverfassung, S. 308 – 309. 301 Nachgewiesen bei: Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 157. 302 Kabinettsorder vom 2. April 1746, abgedruckt bei: Kamptz, Preußische Justiz-Reform, S. 84 – 85. 303 Abgedruckt bei: Kamptz, Preußische Justiz-Reform, S. 85 – 86.
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
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und pflichtvergessenen Absichten begehen, zur rigoureusen und exemplarischen Bestrafung zu ziehen.“304
5. Aufklärung als Staatsgrundsatz Die ganze Zeit des Kampfes um das Recht, den Friedrich durchfocht, ist getragen von dem philosophischen Wollen und Schaffen des großen Königs. Sein Umgang mit großen Gelehrten der Zeit305, sein aufgeweckter Geist, der für alle Strömungen offen schien, sie prüfte, für gut befand oder verwarf306, lassen wie einen roten Faden immer ein Ideal erkennen: das der Aufklärung. Seit dem Regierungsantritt Friedrichs des Großen war in Preußen zusehends zu beobachten, daß auch das Gesetz zu einem der Instrumente der Aufklärung wurde, und so hat sich dieses Ideal in der zeitgenössischen preußischen Gesetzgebungsarbeit in mannigfacher Weise niedergeschlagen.307 Wie sehr sich dieses aufgeklärte Staatsverständnis in den 46 Jahren seiner Regierung in der Staatspraxis durchgesetzt hatte, zeigt beispielhaft ein Vorfall, der sich im Jahre 1786 kurz nach dem Tode Friedrichs zugetragen hatte. Ein 22jähriges Mädchen hatte, nachdem die Mutter ihr die Einwilligung zur Heirat mit einem Soldaten verweigert hatte, aus Rachsucht ihren väterlichen Hof in Brand gesteckt; der Tat folgte die Todesstrafe, deren Vollstreckung der neu gekrönte König Friedrich Wilhelm II. abwendete, indem er die verhängte Strafe in zehnjährige Zuchthausstrafe milderte. Um derartige Verbrechen künftig zu verhindern, erging unter dem 1. September 1786 eine vom König eigenhändig verfaßte Kabinettsorder, nach welcher die Jugend mit den Strafgesetzen besser als bisher bekanntgemacht werden solle: „Nachdem ich aber wahrgenommen, daß manche besonders junge und gemeine Leute nicht so sehr aus Boßheit des Herzens, als aus Leichtsinn und Mangel an Kenntniß von ihren Pflichten und der auf deren Uebertretung geordneten Strafen sich zu Verbrechen hinreißen lassen, so ist vor allen Dingen nothwendig, daß diesem Mangel durch den der Jugend in den Schulen zu ertheilenden Unterricht abgeholfen werde […]. Ihr[308] müsset daher nicht nur schon jezt […] dafür sorgen, daß der Jugend in den Schulen, besonders auf dem Lande, der wesentliche Inhalt der vorhandenen Strafgesetze […] fleißig bekannt gemacht, und dieselbe dafür ernstlich gewarnet werde; sondern Ihr habt auch nach vollendeter Ausarbeitung des Criminalgesetzbuches einen kurzen und für das Volk allgemein verständlichen Auszug desselben zu veranstalten und mir vorzulegen; damit nach dessen Anleitung die Jugend, bey der Belehrung von ihren Pflichten gegen Gott, gegen den Staat und gegen ihren Neben-
304
S. 86. 305
Kabinettsorder vom 20. Juni 1746, zitiert nach: Kamptz, Preußische Justiz-Reform,
V. a. Voltaire. Vgl. etwa den Antimachiavell. 307 Außer dem Allgemeinen Landrecht vgl. nur etwa die oben zitierte Kabinettsorder vom 1. September 1786, abgedruckt auch bei: Klein, Kurze Geschichte der Gesetzgebung, S. LII–LIII. 308 Die Anrede richtet sich an Carmer. 306
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen menschen zugleich einen hinlänglichen Unterricht von den zeitlichen Strafen, welche auf grobe und muthwillige Verletzungen dieser Pflichten folgen, erhalten möge.“309, 310
IV. Gesetzgebung und Gesellschaft 1. Gesellschaftliche Anschauungen zur Zeit der Justizreformen Der Geist der Aufklärung, der sich in den Grundsätzen der Gesetzgebungsarbeit zeigte, entsprach dabei ganz und gar den zeitgenössischen gesellschaftlichen Anschauungen und Erwartungen. In der seit 1783 erschienenen „Berlinischen Monatsschrift“, die sich „Eifer für die Wahrheit, Liebe zur Verbreitung nützlicher Aufklärung und zur Verbannung verderblicher Irthümer“311 auf die Fahnen geschrieben hatte, sind die Beweise aufklärerischen Denkens der Zeit zahlreich. Kant, der hier seinen Aufsatz über die Frage, was Aufklärung sei, veröffentlichte, sprach von seiner Zeit als dem „Zeitalter der Aufklärung“312 und setzte diese Aussage insbesondere auch zur Gesetzgebung Friedrichs des Großen in bezug. Gottfried Christian Voigt, der Stadtsyndikus von Quedlinburg war und eine gewisse Bekanntheit durch Schriften zu juristischen und besonders auch zu historischen Themen erlangt hat,313 kleidet das Selbstverständnis des 18. Jahrhunderts in die sehr treffenden Worte: „Unser jetziges Zeitalter wird mit Recht das aufgeklärte genannt. Alle Wissenschaften und Künste sind zu einem solchen Grad der Vollkommenheit gestiegen, daß man in der Geschichte kein Volk aus den ältern Zeiten wird aufstellen können, welches in allen Wissenschaften es so weit gebracht hätte, als wir.“314
Die Wertvorstellungen, zu deren Umsetzung man sich anschickte, sind gegenwartsbezogen, allgemeinverständlich und dienen der diesseitigen Wirklichkeit, dem gesellschaftlichen Leben; im Denken des Volkes fand die darauf gegründete Rechtstheorie daher Aufnahme und Rückhalt. „Insonderheit ist die Rechtsgelehrsamkeit jetzt auf dem Wege, sich ihrer höchstmöglichen Vollkommenheit zu nähern. Gleich mit dem Anfange des jetzigen Jahrhunderts standen Männer auf, welche alle Fächer dieser weitläufigen Wissenschaft mit philosophischem Scharfsinn bearbeiteten, sie von den Schlakken des Aberglaubens und der Vorurtheile reinigten, die Gerichtshöfe von unnützem Zwang und Formalitäten säuberten, und die
309 310 311 312 313 314
Abgedruckt bei: Klein, Kurze Geschichte der Gesetzgebung, S. LII–LIII. Vgl. zum Ganzen auch: Klein, Kurze Geschichte der Gesetzgebung. Gedike/Biester, Berlinische Monatsschrift, 1. Band, Vorrede, S. 1. Vgl. nur: Kant, Was ist Aufklärung? S. 491. www.historicum.net am 21. Januar 2010, 17.00 Uhr. Voigt, Etwas über die Hexenprozesse in Deutschland, S. 297.
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Rechtspflege einfacher, und zwekmäßiger zu machen suchten. Und wie weit ist man nicht schon hierinn gekommen!“315
Die Gesetzgebung und das, was man als die Grundlagen des Rechts ansah, hatten im Laufe des 18. Jahrhunderts dadurch eine Popularität erreicht wie niemals zuvor und danach niemals wieder.316 Angestoßen wohl durch die Reformversuche Coccejis, brachte die zweite Jahrhunderthälfte eine immer stärker werdende Bewegung zu Gunsten der Abfassung neuer, volksnaher Gesetzbücher mit sich. Dabei nahmen sich in ganz Deutschland und über die Grenzen des Reiches hinaus – überall, wo Deutsche wohnten – breite Kreise, die bei weitem nicht lediglich aus Juristen bestanden, der Rechtserneuerung an; Flugschriften juristischer Couleur sowie vollständige Entwürfe neuer Gesetzbücher aus dieser Zeit sind zahlreicher denn je.317 Conrad spricht „vom Geiste der stürmisch vorwärtsdrängenden Aufklärungsbewegung“318, die eine neue Gesetzgebung gefordert habe: eine Kodifizierung, mit deren Hilfe das vielfach zersplitterte und im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende unübersichtlich gewordene Recht vereinheitlicht und vereinfacht werden sollte. Eggers sagte im Jahre 1797, daß „der ganze Geist der Gesetzgebung Popularität athmet.“319
Voltaire etwa begleitete die legislatorischen Fortschritte während der Coccejischen Justizreformen unter seinem Gönner Friedrich mit lebhaftem Interesse und schrieb im März 1750, wenige Monate, nachdem der erste Teil des friderizianischen Landrechts-Projektes erschienen war: „Il va donc goûter le bonheur De voir ce brillant phénomène Ce conquérant legislateur“320.
In weiteren Schriften dieser Tage redete er den König als den „grand juge et grand faiseur de vers“321 an, und er besang die „neue Legislation“. Es war just jene Zeit, in welcher auch Montesquieus „Esprit des lois“ erschien, Wolffs neue Ausgabe des Leibniz’schen „Methodus discendæ docendæque iurisprudentiæ“ und in welcher Friedrich seine an „Geistesreichthum […] überragende[…]“322 „Dissertation sur les 315
Voigt, Etwas über die Hexenprozesse in Deutschland, S. 298. Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 208; ders., Die preußische Kodifikation, S. 359 ff. 317 Thieme, Die preußische Kodifikation, S. 359. 318 Conrad, in: Conrad/Kleinheyer, Vorträge über Recht und Staat, S. XI. 319 Eggers, Lehrbuch des Rechts, 1. Teil, S. XI. 320 Zitiert nach: Stölzel, Resultate der Reformen Cocceji’s, S. 146. „Man wird fortan von der Wonne dieses brillanten Phänomens eines bahnbrechenden Gesetzgebers kosten.“ 321 Als den „großen Richter und großen Versesetzer“ („Verse-Setzer“ im Sinne der klassischen Gesetzgebungsarbeit in Reimform). 322 So: Stölzel, Resultate der Reformen Cocceji’s, S. 147. Ebenso ders., in: BrandenburgPreußens Recht, 2. Band, S. 200. 316
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
raisons d’établir ou d’abroger les lois“323 Voltaire zusandte.324 Stölzel hebt in seinem Vortrage über die Resultate der Reformen Coccejis denn auch den Einfluß besonders Voltaires nicht lediglich auf das Denken Friedrichs, sondern insbesondere auch auf dessen juristisches Wollen und Schaffen hervor: „Hiermit wird zur Genüge der Beweis geliefert sein, wie eng der Name Voltaire’s mit den ersten Gedanken Friedrich’s des Großen an eine Justizreform zusammenhängt, und wie sehr wir berechtigt sind, dem französischen Dichter einen ersten Platz unter den Miturhebern der Reform einzuräumen.“325, 326
Der „Versuch eines Kommentars über das Allgemeine Gesetzbuch in Briefen“ enthält von Jenisch diese klangvollen Worte einer Ode auf das neue Gesetzbuch: „Germania, Europa sehn Und prüfen jeden Spruch: Und alle Völker hören Und lauschen und verstehn.“327
Ein in der sich der Aufklärung – und nicht etwa der Rechtswissenschaft – verschriebenen Berlinischen Monatsschrift des Jahres 1784 abgedruckter Beitrag einer anonymen Hand erläuterte dem Publikum die rechtstheoretischen Zielsetzungen der Zeit wie folgt: „Das Formelwesen, dessen Reste die Mysterien unsrer Gerichtshöfe ausmachten, hat, wie bekannt, seinen Ursprung von den Römern genommen. Bei diesen waren in den ersten Zeiten der Republik Adel und Priesterschaft im ausschließlichen Besitz dieser Formeln, ohne deren Hülfe kein Bürger gegen den andern Recht finden konnte. Vergebens ward dieses Geheimniß dem Volke näher offenbart.“328
323
Abhandlung über die Gründe, Gesetze einzuführen oder aufzuheben. Über die bislang kaum wahrgenommene Verarbeitung des Allgemeinen Landrechts und die Debatte um seine Entstehung in den Werken Kants, vgl.: Krause, Kant und das Allgemeine Landrecht. 325 Stölzel, Resultate der Reformen Cocceji’s, S. 147. 326 Der Einfluß der Aufklärung auf das gesellschaftliche Leben beschränkte sich aber keineswegs auf die Gesetzgebungskunst, sondern berührte alle Schichten der gebildeten Welt des 18. Jahrhunderts. Ihre Hinterlassenschaft ist ein Reigen von Klassikern, den Klopstock eröffnet, als er in seinen Oden Freundschaft und Liebe, Gott und Natur, Freiheit und Vaterland besang, und sich damit als großer lyrischer Dichter unsterblich machte. Nach ihm machte sich Wieland um die deutsche Sprache und Dichtung verdient. Winckelmann, der durch seine Forschung und seine Schriften in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Begründer wissenschaftlicher Archäologie und Kunstgeschichte gilt, „war der erste, der ganz unabhängig und mit wissenschaftlich gebildetem Auge die klassischen Kunstschöpfungen betrachtete“ (Meyers Konversations-Lexikon, 4. Aufl., 16. Band, S. 661, Stichwort „Winckelmann“). Und im Jahre 1755 nahm Kant, einer der schärfsten Denker aller Zeiten, seine Lehrtätigkeit – zunächst als Privatdozent und ab 1770 sodann als Ordinarius – im ostpreußischen Königsberg auf. 327 Zitiert nach: Thieme, Die preußische Kodifikation, S. 373. 328 Über die neue preußische Justizverfassung, S. 245 – 246. 324
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„Um die Rechte der Nation sicher zu stellen, bedarf es keiner pedantischer Formeln, sondern deutlich und bestimmt abgefaßter Gesetze.“329 „Meines Erachtens müssen sie [= die Prozeßformalitäten] zwo Haupteigenschaften haben: Erstlich müssen sie den Richter nöthigen und in den Stand setzen, die Wahrheit auf eine gründliche Weise zu erforschen. Zweitens müssen sie ihn hindern, die Rechte der Parteien willkürlich zu bestimmen.“330
Ein solch bemerkenswerter Gleichlauf gesetzgeberischer Absichten und gesellschaftlicher Forderungen ist in keiner anderen Epoche festzustellen. „Bestimmend war die Zeitanschauung, daß Volk und Gesetzgebung zusammengehörten.“331
Gesetzgebungskunst einerseits und andererseits ein Verständnis für die Gesetze und die dafür bemühten Gründe durch das gebildete oder auch bloß verständige Publikum – „Volkstümlichkeit“ nennt dies Thieme332 – dachte man sich in der preußischen Öffentlichkeit nach den über vierzig Jahren der Regierung Friedrichs daher keineswegs als etwas Conträres; der ideale Gesetzgeber war kein gelehrter Fachmann, sondern als seine wichtigsten Eigenschaften galten „gesunder Menschenverstand und Persönlichkeitswert“333. 334 Bedeutsame Gegenstimmen hörte man zu dieser Zeit noch kaum. Erst durch Besorgnisse, welche die französische Revolution wachrief, faßte die Restauration in Deutschland allmählich Fuß, und unter Friedrich Wilhelm II. trat auch in Preußen 329
Über die neue preußische Justizverfassung, S. 246. Über die neue preußische Justizverfassung, S. 246. 331 Thieme, Die preußische Kodifikation, S. 372 – 373. 332 Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 242. 333 Thieme, Die preußische Kodifikation, S. 360. 334 Die aufklärerischen Bestrebungen in der Gesellschaft und auf dem Throne schienen dabei aber nur in einem wechselseitigen Verhältnis zu stehen, welches der gegenseitigen Beförderung zu gereichen schien. Friedrich der Große war unumstritten ein Vorkämpfer der Aufklärung „durch Willenskraft und Geistesüberlegenheit, welche ihn hoch über sein Zeitalter stellte[n]“ (Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4. Teil, S. 634); die bemerkenswerte Entwickelung, welche das deutsche Geistesleben seit seinem Regierungsantritt nahm, hatte er dennoch kaum zur Kenntnis genommen. Nur wenigen Stimmen, wie etwa Voltaire, billigte er zu, Einfluß auf sein Denken zu üben. Der Geringschätzung für die „littérature allemande“ entsprach es, daß Friedrich einen bewußten Einfluß des deutschen Geisteslebens auf sein Denken nicht zuließ. Die Wirkrichtung der gedanklichen Neuerungen war vielmehr eine einseitige, die allein vom Throne ausging und die gebildete Welt erreichte. So sagte Kant im Jahre 1784 in seiner Abhandlung über die Aufklärung: „Aber die Denkungsart eines Staatsoberhaupts, der die erstere [= die Religionsfreiheit] begünstigt, geht noch weiter und sieht ein: daß selbst in Ansehung seiner Gesetzgebung es ohne Gefahr sei, seinen Unterthanen zu erlauben, von ihrer eigenen Vernunft öffentlich Gebrauch zu machen und ihre Gedanken über eine bessere Abfassung derselben sogar mit einer freimüthigen Kritik der schon gegebenen der Welt öffentlich vorzulegen; davon wir ein glänzendes Beispiel haben, wodurch noch kein Monarch demjenigen vorging, welchen wir verehren.“ (Kant, Was ist Aufklärung? S. 492 – 493) 330
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
„mit wachsender Schärfe eine rückläufige Bewegung ein“335.336 Der erzkonservative Haller sagte zwar noch im Jahre 1816 in der Vorrede des ersten Bandes seiner „Restauration der Staats-Wissenschaft“, daß er sein Werk „ohne Unterstützung von anderen Gelehrten“ habe verfassen müssen.337 Mit der eingangs erwähnten Programmschrift Savignys begannen sich jedoch die Ansichten der Juristen zu verändern. In den folgenden Jahrzehnten schienen die Tage der Kodifikationen gezählt zu sein, und das römische Recht erlebte in der aufkommenden Pandektenwissenschaft eine Renaissance; das Interesse am römischen Recht und seine wissenschaftliche Durchdringung waren größer und intensiver als jemals zuvor. Aber dieser Kampf bedeutete nur das in der Geschichte immer wiederkehrende retardierende Moment im Siegeslaufe großer Ideen; das Allgemeine Landrecht blieb, wenn auch mit einer wachsenden Zahl von Abänderungen, in Geltung, und am Ende des Jahrhunderts sollte das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch stehen. 2. Das Gesetzgebungsverfahren als Spiegel der Aufklärung „Es ist wahrlich einer der größten Vorzüge der preussischen Länder […], daß daselbst wichtige Materien, auch solche die in Regierungsgeschäfte einschlagen, ziemlich frei dürfen behandelt werden, selbst von einer Seite, die den angenommenen Grundsätzen des Staats gerade zu widersprechen scheint.“338
So beginnt der Aufsatz eines Anonymus in der Berlinischen Monatsschrift des Jahres 1784, in welchem die in der Tat bemerkenswerten Passagen der Vorrede des im selben Jahre im Druck erschienen ersten Bandes des „Entwurfs eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten“ folgen; diese lauten: „Allein die Sache, wovon die Rede ist, betrift eine der wichtigsten Angelegenheiten des ganzen Publikums; es ist also billig, daß man die Stimmen desselben darüber vernehme. Ueberdieß giebt es in- und außerhalb des Landes noch Männer von bekannten Verdiensten um das Fach der Gesetzgebung, an die ich mich unmittelbar nicht wenden konnte, und deren Einsichten ich gleichwohl zu benutzen wünsche. Als ich daher Sr. Königl. Majestät im vorigen Winter den ersten Theil meiner Arbeit vorgelegt, so habe ich zugleich angetragen: daß mir erlaubt werden möchte, das ganze Werk zuförderst in der Gestalt eines bloßen Entwurfs dem Publiko mitzutheilen, und dessen Meynungen und Erinnerungen darüber einzusammeln. Se. Majestät haben diesen Antrag Höchstdero Weisheit und väterlichen Sorgfalt für das Wohl Ihrer Unterthanen gemäß befunden. Es geschieht also mit ausdrücklicher Genehmigung des Königs, meines gnädigsten Herrn, daß ich diesen Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten, und zwar vorjetzt dessen Ersten Theil, welcher die Rechte des Hausstands enthält, dem Publiko übergebe, und dessen sachverständige Mit335 336 337 338
Stölzel, Svarez, S. 322. Stölzel, Svarez, S. 322 ff. Haller, Restauration der Staats-Wissenschaft, 1. Band, S. III. Klein, Über die neue preußische Justizverfassung, S. 521 – 522.
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
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glieder, inn- und außerhalb des Landes, zur gründlichen, redlichen und freymüthigen Prüfung desselben feyerlich auffordere.“339
Mit diesen Worten wurde diese in der Geschichte noch nie dagewesene Volkstümlichkeit der Jurisprudenz für das preußische Gesetzgebungsverfahren340 aufgegriffen, und es entwickelte sich ein Entstehungsprozeß unter bemerkenswerter Beteiligung aller gebildeten Stände341. Der durch den Großkanzler verlautbarte Aufruf des Königs zu öffentlicher Stellungnahme war nicht lediglich der Auftakt zu einem gelehrten Diskurs; vielmehr richtete er sich außer an die Akademiker des In- und Auslandes auch an das Publikum im allgemeinen. „Philosophische Rechtsgelehrte sind es eigentlich, von denen ich Urtheile und Bemerkungen über dieses Werk zu erhalten wünsche […]. Aber auch von Männern, die ohne eigentlich Rechtsgelehrte zu seyn, sich dem Studio einer wahren praktischen Weltweisheit gewiedmet haben; ja selbst von solchen, die sich eigentlich gar nicht zum sogenannten gelehrten Stande rechnen, dennoch aber durch Lektüre und Nachdenken ihren Verstand geschärft, und in den mancherley Geschäften des bürgerlichen Lebens reife Kenntnisse und Erfahrungen gesammelt haben, werden mir Anmerkungen und Beyträge sehr willkommen und schätzbar seyn.“342
Zur Prüfung des mit der Aufklärung verquickten Gedankens einer allgemeinen Gelehrtenrepublik343 schien sich am vorzüglichsten die neue Gesetzgebung zu eignen. Ein eigens dafür geschaffenes Organ, die „Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preußischen Staaten“, sorgte für Publizität. Rechtsgelehrte und Praktiker, Behörden und Gerichte äußerten sich zu dem Kodifikationsprojekt im ganzen sowie zu einzelnen Fragen desselben genau so wie Geschäftsleute, Verbände und landständische Interessenvertreter, und selbst von jenseits der Grenzen der Monarchie gingen nicht wenige Gutachten ein: „Die Hülfe seines Volks, des ganzen deutschen Vaterlandes, ja entfernterer Stämme rief er [= Friedrich II.] auf, um zu sondern, zu tilgen, zu fördern.“344
So wurde Abschnitt für Abschnitt des Entwurfs der Öffentlichkeit übergeben und zur Diskussion gestellt. Um diesen Diskurs über die bloße Aufforderung dazu noch weitergehend zu beleben, wurden parallel zu den Veröffentlichungen der einzelnen Abschnitte sogar Goldmedaillen für die besten Einsendungen ausgelobt. „Und nicht bloß Aufforderung, auch Bestimmung von ansehnlichen Prämien begleitet diese öffentliche Ausstellung. Mitzeit und Nachwelt muß dies schätzen, dies ofne freie edle 339
Carmer, Entwurf I/1, Vorerinnerung, S. 4 – 5. So: Klein, Über die neue preußische Justizverfassung, S. 522; ferner: Thieme, Die preußische Kodifikation, S. 359 f. 341 Wie zahlreich und umfänglich die eingegangenen Monita waren, wird mitgeteilt bei: Svarez, Kurze Nachricht von dem neuen Preußischen Gesetzbuche, S. XIV–XIX. 342 Carmer, Entwurf I/1, Vorerinnerung, S. 9. 343 Siehe dazu: Krause, Die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Gesetzgebung, S. 2. 344 Sietze, Preußische Staats- und Rechts-Geschichte, S. 8. 340
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen Betragen, wodurch das Volk auf sein Interesse aufmerksam gemacht wird, die Rechte der Menschheit und der Bürger geehrt werden, und sich die erleuchtete Denkungsart unsers Großkanzlers auf der schönsten Seite zeigt!“345
Möglich war diese öffentliche Diskussion, weil entgegen landläufiger, aber dennoch falscher Meinung das preußische Publikum im 18. Jahrhundert – auch schon vor 1789 – keineswegs weniger politisch gebildet und motiviert gewesen war als etwa die aufbegehrenden Massen Frankreichs.346 Am Ende dieses Prozesses standen schließlich jene oft zitierten, denkwürdigen Worte: „Und so werden sich Preußens Unterthanen mit Grunde rühmen können, daß sie unter Gesetzen leben, die von ihnen selbst geprüft und genehmigt worden.“347
3. Zweck von Publikation und Diskussion im Lichte der zeitgenössischen Anschauungen348 Daß es unter der Regierung Friedrichs des Großen zu diesem breit geführten öffentlichen Diskurs kam, war keineswegs selbstverständlich. Im Lichte der Staatsorganisation stand Friedrich der Große Publikation und Diskussion der Gesetzentwürfe ursprünglich durchweg abgeneigt gegenüber. Seine Geringschätzung des deutschen Geisteslebens ist oben bereits mitgeteilt; von dieser Seite erwartete er also bedeutsame Hinweise kaum. Unter dem 23. Dezember 1784 und damit wenige Wochen, nachdem der erste Teil des Entwurfs im Druck erschienen war, machte er per Kabinettsorder nochmals deutlich, wie sehr er jede Beteiligung der Öffentlichkeit an Angelegenheiten des Staates darüber hinaus auch als illegitim erachtete und verabscheute. „Eine Privatperson ist nicht berechtigt, über die Handlungen, das Verfahren, die Gesetze, Maßregeln und Anordnungen der Souveräne und Höfe, ihrer Staatsbedienten, Kollegien und Gerichtshöfe öffentliche, ja sogar tadelnde Urteile zu fällen oder davon Nachrichten, die ihr zukommen, bekannt zu machen oder durch den Druck zu verbreiten. Eine Privatperson ist auch zu deren Beurteilung gar nicht fähig, da es ihr an der vollständigen Kenntnis der Umstände und Motive fehlt.“349
Die Gründe dafür, daß Friedrich bei der Entstehung des Allgemeinen Gesetzbuchs dennoch die von Carmer erbetene Druckerlaubnis gewährte sowie seine Zustimmung für eine öffentliche Diskussion und sogar für ein Preisausschreiben gab, liegen in der tiefen Skepsis des Königs gegen die Menschen in seiner Umgebung.
345
Klein, Über die neue preußische Justizverfassung, S. 523 – 524. Krause, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs, I A/1, S. LXXVIII; ders., Die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Gesetzgebung, S. 1. 347 Carmer, Entwurf II/1, Vorerinnerung, S. V. 348 Vgl. dazu auch: Gose, Gesetzgebung im öffentlichen Diskurs, S. 64 – 78. 349 Abgedruckt bei: Krause, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs, I A/1, S. LXXIII. 346
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
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„Er [= Friedrich II.] hatte im Allgemeinen keine gar zu hohe Vorstellung von der Intelligenz und dem guten Willen seiner Richter, Collegien und Minister.“350
Dies ist noch milde ausgedrückt. Friedrich fühlte sich, wie aus zahlreichen Aktenstücken der Zeit hervorgeht, oft und oft von seinen Richtern und Beamten hintergangen.351 Krause352 führt daher die Einwilligung Friedrichs in die Veröffentlichung des Entwurfs und zu dem Aufruf zu öffentlicher Stellungnahme denn auch auf dieses Mißtrauen zurück. Denn nachdem Carmer über Jahre hinweg, entgegen den in der Kabinettsorder vom 14. April 1780 und dem Patent vom 28. Mai 1781 gegebenen Anweisungen, den Gesetzentwurf in alleiniger Verantwortung ausgearbeitet und Friedrich dieser Durchbrechung des von ihm vorgesehenen Verfahrens stets auch rügelos zugesehen und teils sogar selbst aktiv daran mitgewirkt hatte, konnte er nun allein unter Beiziehung des Publikums es noch erreichen, sich nicht ausschließlich auf Carmer verlassen zu müssen, ohne sich wegen des zuvor seinem Großkanzler entgegengebrachten Vertrauens ein Dementi geben zu müssen. Wie wenig sich Friedrich dennoch mit diesem Verfahren anfreunden konnte, zeigt sich darin, daß er Carmer die Publikation lediglich als „bloßes Privatwerk“353 ohne jede Bezugnahme auf staatliche Autorität zugestand354 ; erst Friedrich Wilhelm II. „schuf es zu einer öffentlichen Anstalt um“355. Indem die Gesichtspunkte, zu denen Monita erbeten wurden, entsprechend den Vorgaben der Kabinettsorder vom 14. April 1780 formuliert waren, wurde mit der Begutachtung des Entwurfs neben inhaltlichen Fragen simultan die Übereinstimmung desselben mit dem Gesetzgebungsauftrage überprüft. Sollten Unredlichkeit und falsche Absichten bei der Abfassung des Gesetzes den Griffel geführt haben, hätte das gelehrte Publikum dies bemerkt und moniert. Vorausgesetzt, daß dem König es gelingt, sich einen Überblick über diese öffentliche Diskussion zu verschaffen, schützt er durch dieses Verfahren seine Entscheidungsfreiheit als Gesetzgeber, die er den Autoren des Gesetzes notgedrungen zunächst ausliefern mußte. Mit dieser Vorgehensweise hatte jedoch die Aufklärung eines ihrer Ziele erreicht: Dem Bürger wurde nicht mehr nur ein beschränkter Untertanenverstand zugesprochen, sondern er wurde als Träger der allgemeinen Menschenvernunft wahrge350
Sietze, Preußische Staats- und Rechts-Geschichte, S. 9. Selbst bei den kleinen, alltäglichen Dingen des Lebens witterte der König stets Verrat. So waren etwa auf einer Küchenrechnung des Jahres 1784 als „Extra-Konsumtion“ 25 Thlr. 10 g. Gr. 1 12 Pf. angesetzt; auf den Rand setzte Friedrich: „Gestohlen, denn ungefähr 100 Austern sind auf dem Tisch gewesen, kosten 4 Thaler; die Kuchen 2 Thaler; Quappenleber 1 Thaler; der Fisch 2 Thaler; die Kuchen auf Russisch 2 Thaler, macht 11 Thaler, das Übrige gestohlen. Da ein Essen mehr heute ist gewesen, Hering und Erbsen kann 1 Thaler kosten, also was über 12 Thaler ist impertinent gestohlen.“ (Nach: Borchardt, Die Randbemerkungen Friedrichs des Großen, S. 120.) 352 Krause, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs, I A/1, S. LXXIV. 353 Klein, Kurze Geschichte der Gesetzgebung, S. XLIV. 354 Vgl. dazu besonders: Krause, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs, I A/1, S. LXXIV. 355 Klein, Kurze Geschichte der Gesetzgebung, S. XLIV. 351
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
nommen.356 Die oben zitierten Worte Carmers, daß Preußens Untertanen sich nunmehr rühmen könnten, unter Gesetzen zu leben, die sie selbst geprüft und genehmigt haben, bekommen damit eine viel weitreichendere Dimension. Werden nämlich diese Untertanen als denkende Personen erachtet, die prüfen und genehmigen, so folgt daraus die Notwendigkeit einer durch den Gesetzgeber zu leistenden Überzeugungsarbeit für sein Gesetz, weil der an den Staat gestellte Anspruch, dem gesellschaftlichen Leben einer Vielzahl von Menschen dauerhaft eine organisierte Form zu geben, nicht allein durch äußere Macht verwirklicht werden kann, sondern die Anerkennung einer Oberherrschaft durch die Unterworfenen voraussetzt. Er darf sich nicht ferner darauf beschränken, zu regeln und im übrigen auf seine Machtmittel zur Durchsetzung des Gesetzes zu vertrauen. Bewirkt kann diese Anerkennung aber nur werden, wenn politischer Kritik ein Forum durch den Staat nicht verwehrt wird; Kant faßte das 1781 in der Vorrede zur 1. Auflage seiner „Kritik der reinen Vernunft“ in folgende Worte: „Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Critik, der sich alles unterwerfen muß. Religion, durch ihre Heiligkeit, und Gesetzgebung durch ihre Majestät, wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdenn erregen sie gerechten Verdacht wider sich, und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demienigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können.“357
An den Gesetzgeber tritt indes noch weiterreichend der Anspruch heran, im Rahmen dieses öffentlichen Forums das Recht zu etablieren und zu schützen, indem er sich der Kritik nicht entzieht. „Die politische Kritik […] fordert ein Echo beim Machthaber. Mißachtet er sie schlechthin, destruiert er die Anerkennung als Grundlage seiner Herrschergewalt.“358
Bedient sich ein Staat zur Ausübung von Staatsgewalt hingegen ausschließlich seiner Machtmittel, so deutete Kant im Jahre 1795 in seiner kleinen Schrift „Zum ewigen Frieden“ an, wird seine mangelnde Akzeptanz im Volke einen dauerhaften Bestand dieses Staates unmöglich machen. Die öffentliche Kritik muß jedoch ihre Grenze notwendig da finden, wo die Loyalität und der Gehorsam gegen die Staatsmacht in Frage gestellt werden.359
356
Krause, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs, I A/1, S. LXXX–LXXXI. Kant, Critik der reinen Vernunft, S. XI. 358 Krause, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs, I A/1, S. LXXIX. 359 Vgl. dazu: Krause, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs, I A/1, S. LXXIX: „Spinoza hatte bereits die triviale und dennoch schwer verständliche Wahrheit bewußt gemacht, daß eine Staatsmacht Freiheit nur zu einer Kritik eröffnen kann, die die Loyalität prinzipiell nicht berührt, wohingegen sie alle Berechtigung hat, eine ihre Souveränität in Frage stellende Kritik zu unterdrücken. […] Die politische Kritik bleibt daher auch nicht folgenlos, obschon sie nicht unmittelbar zur Delegitimierung der kritisierten Maßnahmen, Gesetze und Institutionen führen darf, denn sie fordert ein Echo beim Machthaber.“ Ebenso: ders., Die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Gesetzgebung, S. 2. 357
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
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„Preußens glückliche Verfassung erlaubt ja freymüthiges Urtheilen, selbst über Gesetze, sobald es nur nicht in frechen unehrerbietigen Spott, oder in Aufforderungen zum Ungehorsam gegen die Vorschriften derselben ausartet.“360
Das Ergebnis, das damit durch die öffentliche Diskussion – neben der Überprüfung der Gesetzesautoren auf ihre Loyalität – zugleich erzielt wurde und hier von besonderem Interesse ist, hat Kant im Jahre 1784 gerade im Hinblick auf die Publikation des Entwurfs361 in seinem oben bereits erwähnten Aufsatz über die Aufklärung ausgesprochen: „Sein [= des Monarchen] gesetzgebendes Ansehen beruht eben darauf, daß er den gesammten Volkswillen mit dem seinigen vereinigt.“362
Die Akzeptanz eines Gesetzes als Gesetz durch die ihm Unterworfenen bedingt folglich erst dessen Legitimität und seinen Anspruch auf Geltung.363 Auch von Seiten der Rechtswissenschaft wurde dies erkannt: „Er [= der Verfasser Eggers] hält sich überzeugt, daß nicht nur der Richter, sondern auch jeder Bürger im Staate, eine desto größere Vorliebe für die Gesetze faßt, welche er befolgen soll, je deutlicher ihm die Beziehung einleuchtet, die sie auf das Wohl des Staats und jedes einzelnen haben, den sie angehen.“364
Freilich hat sich Kant im Zeitalter der absoluten Monarchie nicht zu der Forderung verstiegen, das Volk müsse jedem Gesetz zu dessen Wirksamkeit seine ausdrückliche Zustimmung geben, aber er macht die moralische Rechtmäßigkeit eines Gesetzes immerhin von der Frage abhängig, ob das Volk es im Sinne des kategorischen Imperativs wollen könne. Der preußische Gesetzgeber nahm diese philosophische Herausforderung an. Die Mittel, deren er sich bediente, waren die öffentlich geführte Diskussion, die mit Preisausschreiben und mit einer eigens dafür gegründeten Zeitschrift systematisch lebendig gehalten wurde. Volkstümliche Lehrbücher zur Verbreitung der Rechtskenntnisse, die Forderung nach Rechtskundeunterricht in den Schulen und die Verpflichtung, sogar in den Kirchen gewisse Bürgerpflichten an bestimmten Tagen einzuschärfen und auf bestimmte Freiheiten besonders hinzuweisen365, traten hinzu. 360
Svarez, Kurze Nachricht von dem neuen Preußischen Gesetzbuche, S. XXIII. So: Krause, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs, I A/1, S. LXXIX. 362 Kant, Was ist Aufklärung? S. 490. 363 Als Beispiele für die Notwendigkeit einer Gesetzesänderung wegen fehlender Akzeptanz mögen aus dem 20. Jahrhundert der § 218 StGB und die Vorschriften über Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit genügen. 364 Eggers, Lehrbuch des Rechts, 1. Teil, S. XI. 365 Eine solche Pflicht bestand etwa gemäß dem „Patent, Daß alle ausländische Künstlers, Ouvriers, Fabriqvanten und Manufacturier; welche sich in Sr. Königl. Majest. von Preussen Schlesischen Landen niederlassen, Zehn-jährige Freyheit von Bürgerlichen Oneribus, freyes Bürger- und Meister-Recht […] zu geniessen haben […].“ vom 6. November 1742, um die Wirtschaft Schlesiens nach dem Ersten Schlesischen Kriege wieder zu heben. 361
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1. Teil: Der Codex im Gefüge seiner zeitgenössischen Prämissen
Eines dieser preußischen Rechtslehrbücher stammt von Svarez.366 In ihm führte er die Justizreformen und die daraus entstandenen Gesetzeswerke des vergangenen halben Jahrhunderts als Argument dafür an, diese selbst und den Staat, dessen Werke sie sind, im Ganzen als hinlänglichen Grund für eine patriotische Gesinnung zu erachten. „So hat jeder Patriot alle Ursach, seinen wohlwollenden Beherrscher auch darum zu ehren, weil er die von Friedrich dem Großen angefangene Justiz-Reform vollendet, und damit zugleich für andre Nazionen ein Muster aufgestellt hat. So kann jeder Einwohner der Preußischen Staaten sich auch in der Hinsicht glücklich schätzen, weil in seinem Vaterlande Recht und Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person nach unwandelbaren Gesetzen verwaltet, und dabei die strengste Ordnung beobachtet wird.“367
Der hier verwendete Begriff „Patriotismus“ soll, nach dem Zusammenhang zu urteilen, in welchem er hier verwendet wird, offenbar eine staats- und regierungstreue Haltung ausdrücken, die sich personell in Treue zum König äußert. Indem Svarez, um diesen Patriotismus zu wecken, beteuert, daß in Preußen „Recht und Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person“ geübt werde, griff er nicht lediglich eine Mahnung Friedrichs des Großen wieder auf368, sondern bemühte überdies auch eines der Schlagworte der französischen Revolution: Egalité. Die staatsstürzenden Revolten in Frankreich hatten auch in Preußen wie in allen anderen Staaten Europas Eindruck gemacht, und die blutigen Häupter Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes hatten die regierenden Häuser in Besorgnis versetzt. Nun wurde die oben herausgearbeitete Notwendigkeit des Staates, seinen Gesetzen, Maßnahmen und Einrichtungen Anerkennung zu verschaffen, besonders aktuell. Es mußte sich zeigen, daß Aufklärung und Humanismus in Preußen keine leeren Phrasen waren, sondern daß die preußischen Herrscher, an ihrer Spitze Friedrich der Große, den preußischen Staat zu einem der lebenswertesten der Welt geformt hatten. „Wer damit die Gerichtsverfassung in den andern Staaten vergleicht, wird sich von den Vorzügen der Preußischen leicht überzeugen.“369 „Durch ihre [= des Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Großen] ruhmwürdigen Bemühungen ist die Preußische Nazion auf den Grad der Bildung und des Wohlstandes gekommen, daß sie unter den Völkern der Erde einen der ersten Plätze einnimmt, und daß die feste Staatsmaschine von den jetzigen Revolutions-Stürmen nicht erschüttert werden kann.“370
So kam es nicht von Ungefähr, daß das Allgemeine Landrecht sich bereitwilliger Aufnahme im Volk erfreuen konnte. Es ist überliefert, daß in verschiedenen Landkreisen der Mark, Pommerns, Ostpreußens und Schlesiens sich die Einwohner „zu 366
Zusammen mit Goßler. Svarez/Goßler, Verhalten bei Prozessen, S. 6. 368 Vgl. etwa die Kabinettsorder vom 20. Juni 1746, abgedruckt bei: Kamptz, Preußische Justiz-Reform, S. 85 – 86. 369 Svarez/Goßler, Verhalten bei Prozessen, S. 5. 370 Svarez/Goßler, Verhalten bei Prozessen, S. 1. 367
D. Gesetzgeberische Ansprüche und gesellschaftliche Erwartungen
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Zusammenkünften und Berathschlagungen über das neue Gesetzbuch“ versammelten und nicht genug Exemplare desselben kaufen konnten.371 „Schließlich, um die Jahrhundertwende, handelte es sich um eine eigentliche Volksbewegung, längst vor dem Einbruch des Code civil und vor den Befreiungskriegen […].“372
Sietze als ein Kind der Zeit schilderte diese Veränderung in der Anschauung so: „Die Nation hatte selbst Antheil bekommen an der neuen Schöpfung, sie selbst mußte ein stolzes Bewußtsein darüber haben, was ihr geworden sei.“373
371 372 373
Stölzel, Svarez, S. 356 – 357. Thieme, Die preußische Kodifikation, S. 359 – 360. Sietze, Preußische Staats- und Rechts-Geschichte, S. 8.
Zweiter Teil
Die Funktion der Rechtssätze1 im AGB und ALR Unter Berücksichtigung der im ersten Teil dieser Arbeit dargestellten zeitgenössischen Prämissen für die juristische Arbeit erhellen sich die Funktionen, welche die Autoren dem Preußischen Gesetzbuche zudenken konnten. Nach den aus der obigen Untersuchung der Grenzen der reglementierenden Gesetzgebung gezogenen Schlüssen konnte im Preußischen Allgemeinen Landrechte a priori schlechterdings alles geregelt sein, was nur einer Regelung zugänglich ist. Darüber hinaus war das Gesetz jedoch nicht auf den Ordnungszweck beschränkt, denn es mußte einem Gesetz im 18. Jahrhundert nicht notwendig regelnder Gehalt zukommen, wie dies bei der Untersuchung des Einflusses äußerer Umstände auf die Funktionalität des Gesetzes festgestellt worden ist. Als die Aufgabe des Gesetzes im Preußen des ausgehenden 18. Jahrhunderts wurde die Beförderung des gemeinen Wohls sowie der privaten Glückseligkeit angesehen; für das Preußische Allgemeine Gesetzbuch ist dies gleich im Eingang des Publikationspatents vom 20. März 1791 belegt.2 Dem Gesetz selbst kam es zur Erreichung dieses Zieles, wie ebenfalls bei der Untersuchung des Einflusses äußerer Umstände auf die Funktionalität des Gesetzes gezeigt, zu, die Intentionen seines Verfassers tunlichst genau wiederzugeben. Dabei mußte nicht jeder einzelne Begriff, wie in der modernen Begriffsjurisprudenz seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich geworden, eine feststehende Bedeutung haben, sondern die Worte des Gesetzes dienten dazu, die Willensmeinung seines Verfassers möglichst präzise wiederzugeben, ohne daß es aber auf den gewählten Ausdruck seiner selbst wegen ankam. In erster Linie hatte der Codex reglementierende Funktion. Bei den Grundsätzen der Gesetzgebungsarbeit hat sich gezeigt, daß das Gesetzbuch sich an den Richter wendet, der ausschließlich mit dessen Vorschriften die ihm übertragenen Sachen entscheiden sollte. In dem Publikationspatent vom 20. März 1791 hatte der König angeordnet, daß
1
Unter den „Rechtssätzen“ im Sinne dieser Arbeit sind alle Äußerungen des Gesetzgebers zu verstehen, denen formell gesetzliche Kraft beigegeben ist, und zwar ohne Unterschied, ob sie Imperative formulieren oder nicht. 2 Abgedruckt etwa bei: Pauli, AGB, 1. Brief, S. I–XX.
2. Teil: Die Funktion der Rechtssätze im AGB und ALR
101
„nur nach den Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzbuchs in allen Unsern unmittelbaren und mittelbaren Gerichtshöfen erkannt werden soll.“3
Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit kannte die Zeit noch nicht, so daß das Landrecht an den Richter gerichtete verwaltungsrechtliche Vorschriften nicht enthalten brauchte, weil in reinen Verwaltungssachen nicht judiziert wurde; es mußte mithin Regelungen enthalten, mit deren Anwendung eine Entscheidung in vorkommenden Zivilsachen zu erreichen sein konnte und die ferner bestimmten, was Verbrechen sind und wie deren Bestrafung zu erfolgen habe. Über den von Friedrich dem Großen in der Kabinettsorder vom 14. April 1780 niedergelegten Gesetzgebungsauftrag sagte etwa Thöne: „Darnach sollte das Gesetzbuch nur eine Instruction für die bestellten Gerichte in Civil- und Criminalsachen seyn.“4
Insbesondere die Kabinettsorder vom 17. November 1793 nannte die Zivil- und Kriminalsachen als die zur Beurteilung und Entscheidung des Richters gehörigen.5 Das Gesetzbuch sollte, außer für den Richter, auch für die übrigen Zweige der preußischen Staatsverwaltung bestimmend werden, auch wenn diese Zielrichtung in den zeitgenössischen Quellen nur wenig erwähnt wird. Es war schon rein organisatorisch nicht möglich, daß jeder Staatsbedienstete in allen sich ereignenden Fällen jedesmal die Entscheidung des Königs einholte, und auch wenigstens bei den Angelegenheiten von einigem Gewicht konnte nicht stets der König befragt werden. Lediglich in der Kabinettsorder vom 14. April 1780 ist gesagt, daß die Gesetze außer für die Untertanen insonderheit auch „für Unsere Staaten“ bestimmt seien, und ganz am Schlusse des Publikationspatents vom 20. März 1791 verpflichtet der König neben den Gerichten auch „sämmtliche Landescollegia“, sich „genau und pflichtmäßig“ an die Bestimmungen des Publikationspatentes und damit des Gesetzbuches zu halten. Schließlich richtete sich das Preußische Allgemeine Landrecht an das Volk, das erstmals aufgeklärt und nicht lediglich bevormundet werden sollte, wie schon in den obigen Darstellungen von Rechtsqualität und Rechtsreform unter Friedrich dem Großen und der Grundlagen der Gesetzgebungsarbeit dargelegt worden ist. Die Gesetze sollten „dergestalt allgemein verständlich vorgetragen werde[n], daß ein jeder Einwohner des Staats, dessen natürliche Fähigkeiten durch Erziehung nur einigermaßen ausgebildet sind, die Gesetze, nach welchen er seine Handlungen einrichten und beurtheilen lassen soll, selbst lesen, verstehen, und in vorkommenden Fällen sich nach den Vorschriften derselben gehörig achten könne.“6 3
Publikationspatent vom 20. März 1791, abgedruckt bei: Pauli, AGB, 1. Brief, S. V. Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 23. 5 Kabinettsorder vom 17. November 1793, abgedruckt bei: Kamptz, Jahrbücher, 52. Band, S. 141 – 144. 6 Publikationspatent vom 20. März 1791, abgedruckt bei: Pauli, AGB, 1. Brief, S. II. 4
102
2. Teil: Die Funktion der Rechtssätze im AGB und ALR
Die Kabinettsorder vom 17. November 1793 sprach davon, daß die Gesetze den Untertanen „zur möglichsten Verhütung und Beschleunigung der Civil- und Kriminal-Prozesse […] bekannt gemacht werden“7
sollen. In diesem Kontext war das Gesetzbuch also nicht lediglich dazu bestimmt, zu regeln, sondern es sollte auch über die bestehende Rechtsordnung und ihre einzelnen Vorschriften aufklären, was nicht notwendig auf dem Wege der Regelung zu erfolgen hat, wie dies oben bei den gesetzgeberischen Ansprüchen und gesellschaftlichen Erwartungen im aufgeklärten Absolutismus Preußens, und zwar insbesondere bei den Grundsätzen der Gesetzgebungsarbeit dargetan wurde. In dem Kapitel über das Verhältnis von Gesetzgebung und Gesellschaft wurde sodann dargelegt, wie groß im Volke die Anteilnahme an der Rechtsgestaltung war; auch dies blieb nicht ohne Echo während der Gesetzgebungsarbeiten und beeinflußte die Autoren, weitergehende Aufklärung durch das Gesetz zu leisten. Hinzu trat der Anspruch des Gesetzbuches, in einer Zeit politischen und gesellschaftlichen Umsturzes über die reine Rechtsaufklärung auch Überzeugungsarbeit für das Staatswesen im ganzen und insbesondere auch für das Gesetzbuch selbst zu leisten, wie schließlich bei den obigen Ausführungen zum Gesetzgebungsverfahren und zu dem Zwecke der Publikation und öffentlich geführten Diskussion im Lichte der zeitgenössischen Anschauungen dargestellt wurde. Es ergibt sich daraus der Schluß, daß ein nicht zu überschätzender Faktor bei der Verbesserung des Staatswesens selbst sowie bei der zu leistenden Überzeugungsarbeit für den Staat die Reformarbeiten auf dem Gebiete der Justiz und insbesondere die hierüber geführte öffentliche Gesetzdiskussion waren. Svarez sagte, nicht ohne einen berechtigten Stolz ganz verbergen zu können: „So viel bleibt gewiß, daß erst die neue Preußische Gesetzgebung es möglich gemacht hat, die nothwendigen Rechtskenntnisse zu verbreiten, dadurch die Bildung der Staatsbürger zu erhöhen, und so allgemeine Ordnung und Sicherheit, Treue und Glauben in den Geschäften und Gehorsam gegen die Obrigkeit zu befördern.“8
Diese Worte aus der Feder dessen, der auch die allermeisten der nahezu zwei Myriaden Paragraphen des Allgemeinen Landrechts9 zu Papier brachte, enthalten eine zentrale Aussage über die Zwecke, welche das Gesetz im späten Absolutismus und insbesondere das Preußische Allgemeine Landrecht verfolgte. Als Aufgabe des Gesetzes wurde es nicht lediglich angesehen, zu regeln, sondern „Rechtskenntnisse zu verbreiten“ und werbend für den Staat zu dienen. Damit sind die Funktionen der im Preußischen Allgemeinen Landrechte enthaltenen Rechtssätze dargelegt. 7 Kabinettsorder vom 17. November 1793, abgedruckt bei: Kamptz, Jahrbücher, 52. Band, S. 141 – 144. 8 Svarez/Goßler, Verhalten bei Prozessen, S. IV. 9 Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten hat 19.199 Paragraphen.
Dritter Teil
Die Funktion der im AGB und ALR enthaltenen staatsrechtlichen Rechtssätze im allgemeinen A. Das Allgemeine Landrecht als konzipiertes Reglementbuch Die Vielgestaltigkeit der Funktionen des zeitgenössischen Gesetzes und damit auch der Rechtssätze im Allgemeinen Gesetzbuch und Allgemeinen Landrecht ist bereits in den ersten beiden Teilen dieser Arbeit aufgezeigt worden. Was für das Gesetz im allgemeinen gesagt wurde, gilt gleichfalls für die staatsrechtlichen Normen. Auch diese waren nicht notwendig von regelndem Gehalt; sie mußten vielmehr überhaupt nicht – auch nicht mittelbar – notwendig von Einfluß auf die Staatsverfassung im modernen Sinne dieses Wortes sein, sondern konnten auch ganz verfassungsfremden Zielen dienen. Diese a priori mannigfaltigen Funktions- und Wirkungsmöglichkeiten des zeitgenössischen Gesetzes dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß nach den Vorgaben, wie sie die Kabinettsordern von 1780 und 1786 formulierten, das zu entwerfende Gesetzbuch hauptsächlich aus Regelungsgesetzen bestehen mußte, da nur von diesen eindeutige und verläßliche Bestimmungen für die Entscheidung der vielfältigen, in der Rechtspraxis vorkommenden Fälle zu erwarten waren. Bei diesem Anspruch, den der König an die Autoren des Codex richtete, lag sein Wille weniger auf der Entscheidung bestimmter materiell-rechtlicher Problemkonstellationen, als darin, Zuverlässigkeit im bürgerlichen Recht zu erzielen; solche Gleichmäßigkeit in der Entscheidung gleichgelagerter, vor die Gerichte gelangender oder außerhalb derselben zur Lösung gebrachter Rechtsfragen gewährleisten allein Gesetze, die Regelungsgesetze mit präzise formulierten Anwendungsvoraussetzungen (Tatbeständen) und eindeutigen Befehlen (Rechtsfolgen) sind. Angesichts des Ausmaßes der zu bewältigenden Materien trat des weiteren noch hinzu, daß, um dem Gesetzbuch einen einigermaßen überblickbaren und auch lesbaren Umfang zu belassen, die Gegenstände darin möglichst knapp und ohne Umschweife vorgetragen werden mußten. Insbesondere von Friedrich dem Großen ist bekanntlich überliefert, wie sehr er auf Kürze der Gesetze drängte; man denke nur an seine legendäre Randbemerkung auf Carmers Bericht vom 28. März 1785, welchem die zweite Abteilung des Personenrechts beilag:
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3. Teil: Funktion der im AGB/ALR enthaltenen Rechtssätze im allgemeinen
„es ist aber Sehr Dicke und gesetze müssen kurtz und nicht Weitläuftig seindt“1.
Auch deshalb vertrat Svarez selbst in einem Promemoria2, das wohl aus der Frühphase der Arbeiten am Allgemeinen Gesetzbuche stammt, noch die Auffassung, daß in den Codex nur reglementierende Sätze aufzunehmen seien: „Kürtze wird bei der Abfaßung des Gesetzbuches vorzüglich auch dadurch erreicht werden, wenn man keinen Satz darin aufnimmt, der nicht eine würkliche Vorschrift enthält. Sätze daher, welche bloß da stehn, um andre daraus herzuleiten, gehören nicht in das Gesetzbuch, sondern in die Theorie.“3
Und Klein entgegnete den Angriffen Schlossers, welche dieser in seinen Briefen gegen die zeitgenössischen preußischen Gesetzgebungsbemühungen im allgemeinen und im besonderen gegen das Projekt des Allgemeinen Gesetzbuchs und dessen Verfasser erhob, immerhin noch mit den Worten: „Herr Schlosser macht, wie ich glaube, dem Entwurfe einen Lobspruch, indem er sagt, daß dessen erster Paragraph nur den Begriff der positiven Gesetze gebe. Denn es sind ja nur die positiven Gesetze, welche geliefert werden sollen, und der erhabene Verfasser des Entwurfs maßte sich nicht, wie Herr Schlosser, das Recht an, der gelehrten Welt Gesetze zu geben, und irgend einer philosophischen Grille das Siegel des obrigkeitlichen Ansehens aufzudrücken.“4
B. Das Verhältnis des Allgemeinen Landrechts zur preußischen Staatsverfassung I. Formal-konstitutionelle Gesetzgebung im staatlichen Absolutismus 1. Das Allgemeine Landrecht als formales Verfassungsgesetz Sowohl die Form als auch die inhaltliche Ausgestaltung der preußischen Staatsverfassung zur Zeit der Abfassung des Allgemeinen Gesetzbuchs sind bereits im ersten Teil dieser Arbeit dargestellt worden. Dem Schrifttum, und zwar insonderheit der neueren und neuesten Literatur, sind jedoch – vielleicht durch diesen Anspruch an den Codex, Reglementbuch zu sein, vielleicht durch die diesbezüglichen Äußerungen beeinflußt, jedenfalls aber von moderner Gesetzesrhetorik und Gesetzesfunktion bestimmt – Äußerungen zu entnehmen, welche mit der wirksamen Einführung des Preußischen Allgemeinen Landrechts, teils sogar mit der Publikation des vor seinem Inkrafttreten bereits wieder suspendierten Allgemeinen Gesetzbuchs 1 2 3 4
Akten über das ALR, 2. Band, fol. 41, abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 239. Der Wortlaut der gesamten Denkschrift ist abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 224 – 226. Akten über das ALR, 8. Band, fol. 95, abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 225 – 226. Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 372 – 373.
B. Verhältnis des Allgemeinen Landrechts zur preußischen Staatsverfassung
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einer Veränderung dieser verfassungsrechtlichen Situation in Preußen oder zumindest eines darauf gerichteten Versuchs gewahr werden wollen. Vor allen Stimmen in dieser Hinsicht ragt Floßmanns Monographie aus dem Jahre 1976 heraus, die bereits im Titel ihres Werkes „Landrechte als Verfassung“ eine solche Behauptung nahelegt. Sie beschäftigt sich in ihrem Werk auch mit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht und bezeichnet es – unter Bezugnahme auf Conrad – als „eine Art von Verfassung“5. Der Codex wird als ein politischer bezeichnet, der auf der Grundlage der geltenden Landesverfassung eine „allgemeinverbindliche Ordnung“ herstellen sollte; nicht nur die Untertanen, auch den König stellte sich Floßmann dadurch als gebunden vor. Und in der Tat sah Conrad selbst „kein[en] Zweifel, daß […] Svarez seinem Gesetzeswerke den Charakter eines Grundgesetzes für die preußischen Staaten zulegen wollte.“6
Eberhard Schmidt, der in das gleiche Horn stößt, behauptet, Svarez’ Anliegen sei es gewesen, „den Rechtssetzungswillen des Monarchen seiner Absolutheit entkleiden“7 zu wollen.8 „In der umfassenden Kodifikation hat also, im Grunde genommen, eine auch den König bindende ,Verfassung‘ für das ganze Gebiet des öffentlichen und privaten Rechtes gegeben werden sollen.“9
Auch Birtsch10 beginnt seinen Vortrag über den „konstitutionellen Charakter des Preußischen Allgemeinen Landrechts“ mit der wissenschaftlichen Konsens vortäuschenden Behauptung: „Bewunderer und Kritiker des preußischen Gesetzeswerkes von 1794 haben sich immer wieder in dem Hinweis auf dessen konstitutionelle Züge getroffen“11,
und er pflichtet Koselleck12 bei, dem er in den Mund legt, von einer „Ersatzverfassung“ zu sprechen13. Letzterer14 verwendete zwar nicht expliziert diese Formu5
Floßmann, Landrechte als Verfassung, S. 38. Conrad, Die geistigen Grundlagen des ALR, S. 35. 7 Eberhard Schmidt, Beiträge zur Geschichte des preußischen Rechtsstaates, S. 291. Zu Recht rundweg ablehnend: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 137. 8 In welcher Weise Svarez auf den Rechtsetzungswillen des Monarchen Einfluß zu üben sich durch Gesetze versprach, ist schleierhaft und muß dies bleiben, zumal Svarez selbst in seinen Kronprinzenvorträgen es immer wieder bekräftigt hat, daß die Absichten des Menschen einer gesetzlichen Regelung schlechterdings entzogen sind: „Nur Handlungen, nicht Meynungen werden durch Gesetz bestimmt.“ (Svarez, KPV, fol. 122r = S. 53.) 9 Eberhard Schmidt, Beiträge zur Geschichte des preußischen Rechtsstaates, S. 291. 10 Birtsch, Zum konstitutionellen Charakter des ALR. 11 Birtsch, Zum konstitutionellen Charakter des ALR, S. 97. 12 Koselleck, Staat und Gesellschaft in Preußen. 13 Birtsch, Zum konstitutionellen Charakter des ALR, S. 97. 6
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3. Teil: Funktion der im AGB/ALR enthaltenen Rechtssätze im allgemeinen
lierung, ging inhaltlich indes noch darüber hinaus. Er nannte das Gesetzeswerk eine „posthume Verfassungsstiftung“15 Friedrichs des Großen und machte sich dabei schon gar nicht die Mühe, den Codex richtig zu benennen16 ; meistenteils spricht er ohnehin nur von der „preußischen Verfassung von 1791/94“17. In einem Atemzuge mit dem Landrecht nennt er wie selbstverständlich den „Grundrechtskatalog der ersten französischen Revolutionsverfassung“18, und die absolute Monarchie sah er durch das Gesetzbuch als abgeschafft an.19 „Der König verwandelte sich mit dem Landrecht aus einem souveränen Monarchen in ein Staatsoberhaupt.“20
Sofern überhaupt eine Begründung für diese Mutmaßungen und Behauptungen zu lesen ist, wird gewöhnlich der § 1 Einl. AGB/ALR und der daraus sprechende Anspruch, sämtliche Rechte und Verbindlichkeiten festlegen zu wollen, herangezogen. Es lasse sich aus dieser Norm der Wille des Gesetzgebers folgern, eine umfassende, alles ergreifende Landeskodifikation schaffen zu wollen, welche dann notwendig auch das Staatsrecht nicht ausklammern dürfe.21 Gestützt sehen sich die Vertreter dieser Argumentation hierin wiederum durch einen Blick besonders in das Allgemeine Gesetzbuch, welches in der Tat, mehr noch als das Allgemeine Landrecht, neben den zivilrechtlichen Vorschriften auch Normen des Allgemeinen Staatsrechts enthielt. Auf dem Boden der oben dargestellten modernen Gesetzesjurisprudenz, nach welcher Rechtssätzen notwendig regelnder Gehalt zukommen muß, wird daher zwangsläufig auf eine entsprechende Funktion auch der staatsrechtlichen Sätze geschlossen und mithin dem Codex auch insofern ein konstitutiver Charakter22 oder „konstitutioneller Charakter“23 unterstellt. Kleinheyer etwa spricht von der „Errichtung eines modernen quasi-konstitutionellen Rechtsstaates“24, zu dem die nach der Suspendierung des Codex in Fortfall geratenen Vorschriften hätten hinführen können und nennt in diesem Zusammenhange insonderheit einen „Grundrechtskatalog“25.26 Svarez habe mit der Ausgestaltung des Gesetzbuchs das Ziel verfolgt, „die Sicherheit der Bürger gegenüber staatlicher Allmacht und Willkür“27 zu erwirken.28 14
Koselleck, Staat und Gesellschaft in Preußen. Koselleck, Staat und Gesellschaft in Preußen, S. 80, ebenso S. 84. 16 Auf S. 80 schreibt er vom „Allgemeinen Preußischen Landrecht“, als ob es noch ein Besonderes Landrecht in Preußen gegeben hätte. 17 Etwa auf den S. 80, 81. 18 Koselleck, Staat und Gesellschaft in Preußen, S. 80. 19 Koselleck, Staat und Gesellschaft in Preußen, S. 81. 20 Koselleck, Staat und Gesellschaft in Preußen, S. 81. 21 Floßmann, Landrechte als Verfassung, S. 38. 22 Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht, S. 143 – 151. 23 Birtsch, Zum konstitutionellen Charakter des ALR, Titel. 24 Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht, S. 150. 25 Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht, S. 151. 15
B. Verhältnis des Allgemeinen Landrechts zur preußischen Staatsverfassung
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2. Kritik a) Über die kritische Perspektive Kleinheyer warnt zu recht davor, den Arbeiten an AGB und ALR „mit einer Art ,demokratischen Hochmutes‘ zu begegnen“.29 In der Tat scheint in der soeben mitgeteilten Kritik teilweise an die Untersuchung der staatsrechtlichen Stellen des Codex der Maßstab des modernen Verfassungsrechts und der heutigen staatsrechtlichen Leitbilder angelegt worden zu sein. Eine Untersuchung, die darauf gerichtet ist, inwieweit den Verfassern des Gesetzbuchs es „geglückt“ ist, grundrechtsartige Rechtspositionen in dem Codex zu verankern,30 kann zwar für die Beantwortung der Frage interessant sein, ob und inwieweit das Allgemeine Landrecht auch heutigen staatsrechtlichen Anforderungen genügen würde. Für eine historische Untersuchung muß jedoch ein anderer Ansatz gewählt werden, denn die Verdienste der anderen Zeitalter können nur mit den Maßstäben ihrer eigenen Zeit gemessen werden, und die Erfolge sind an dieser Zielsetzung zu beurteilen. b) Formelle Aspekte der Kritik Schon in formeller Hinsicht zeigt sich die Unhaltbarkeit jener Thesen, wonach dem Allgemeinen Landrecht unmittelbar konstitutionelle Wirkung zukommen soll. Es ist einer Staatsverfassung bereits ihrem Namen nach immanent, daß ihr, um dem Staate die Grundfesten seines Bestandes vermitteln zu können, eine gewisse Verläßlichkeit und daher Beharrlichkeit zukommen muß. So waren seit ältester Zeit die Grundsätze, nach denen Menschen im Vereine sich zu richten haben, von großer Beständigkeit und vermittelten dadurch den Betroffenen existentielle Sicherheit, und noch heute bestehen qualifizierte Voraussetzungen, um die Verfassungen von Staaten oder anderen Vereinigungen von Menschen31 abzuändern. Weder der Erlaß des Allgemeinen Landrechts noch – wie die Folgejahre zeigen sollten – dessen Abänderung und Aufhebung waren jedoch vom gewöhnlichen Gesetzgebungsverfahren formell verschieden; zwar erregte das Allgemeine Gesetzbuch in der Zeit seiner Entstehung das Interesse der gebildeten Welt in noch nie gekanntem Ausmaße32, allein die Voraussetzungen für seine wirksame Kraft waren in keiner Weise qualifiziert. Die Vorschriften des Landrechts mußten damit formell in gleicher Weise dem 26
Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht, S. 150 – 151. Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht, S. 150. 28 Von diesen daselbst gegeißelten Willkürmaßnahmen gebricht es in den Ausführungen Kleinheyers allerdings an jedem Beispiel, was damit zusammenhängen dürfte, daß es solche zumindest nicht in der behaupteten Fülle gab. 29 Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht, S. 150. 30 So: Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht, S. 150. 31 Man denke etwa an die Änderung der Satzung eines eingetragenen Vereins. 32 Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 208; ders., Die preußische Kodifikation, S. 359 ff. 27
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3. Teil: Funktion der im AGB/ALR enthaltenen Rechtssätze im allgemeinen
Wandel unterworfen sein wie jedes andere Gesetz; im Zeitalter der uneingeschränkten Monarchie bedeutete dies, daß ihre Fortgeltung allein von dem Willen des Königs als absolutem Gesetzgeber abhing, der sich an jedem Tag und zu jeder Stunde ändern konnte. Eine formelle Konstitution aber kann nicht von Voraussetzungen abhängen, die durch sie erst determiniert werden sollen. Damit fehlte dem Allgemeinen Landrecht jene Beständigkeit, welche durch qualifizierte Abänderungsvoraussetzungen einem Verfassungsgesetz seine Persistenz verleiht und es dadurch erst zu einer tauglichen Konstitution macht. Die Wirkungen einer Staatsverfassung konnte das Allgemeine Landrecht folglich unmittelbar nicht entfalten. Der König erlangte nicht durch das Gesetzbuch seine Macht als Gesetzgeber oder sonst irgend eine staatsrechtliche Stellung, sondern der Codex setzte diese absolut monarchische Position des Königs gerade voraus, ohne die bereits das Publikationspatent ohne Wirkung gewesen wäre. c) Kritik formaler Verfassungsgesetzgebung aus zwingenden systeminhärenten Gründen Nicht nur mit Blick auf den limitierten Gesetzgebungsauftrag sowie auf die obigen formellen Überlegungen gestützt, sondern auf Grund der Staatsform der absoluten Monarchie schlechthin können staatsrechtliche Gesetze lediglich deklaratorisch, nicht aber konstitutiv sein. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Staatsform hätte geändert werden sollen; dem staatlichen Absolutismus aber steht jede Form der konstitutiven Positivierung seines Staatsrechts a priori entgegen, weil selbst mit einer Verfassungsurkunde, durch welche dem Herrscher die weitestgehende, absolute Macht eingeräumt werden würde, dieser Herrscher seiner Absolutheit in sofern entkleidet wäre, als er seine Macht nicht kraft seiner selbst – aus seiner Person33 oder Stellung34 heraus – besäße, sondern sie wäre nur noch eine Deduktion fremder Machtvollkommenheit. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein wurde die Ansicht vertreten, Quelle der Herrschermacht – die dann notwendig keine Allmacht mehr sein könnte – wären dann jene, die Stifter seines Grundgesetzes sind; dann aber würde diese Macht auch von ihnen abhängen, und der König stünde nicht mehr an der Spitze der Machtpyramide – die uneingeschränkte, absolute Monarchie hätte damit geendigt.35, 36 Gäbe sich der König eine Verfassungsurkunde dieses In33
So etwa nach der Patriarchalstaatstheorie. So etwa nach der Lehre vom Gesellschaftsvertrag, aber auch nach der Machtstaatstheorie. 35 Vgl. dazu: Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, 2. Band, S. 102 ff. 36 Diese Frage nach der rechtlichen Herkunft (dem Woher) staatlicher Macht ist scharf von der im ausgehenden 18. Jahrhundert kontrovers diskutierten Frage nach der Legitimation (dem Warum) staatlicher Macht und den dazu aufgestellten Hypothesen zu scheiden; auf letzteres wird im vierten Teile dieser Arbeit eingegangen werden. Die systemwidrige Vermengung dieser beiden Fragen führte zu dem von Vertretern der Patriarchalstaatstheorie fälschlicherweise befürchteten Verlust der absoluten Macht des Königs bei Heranziehung der Lehre vom Gesellschaftsvertrag, denn ob auch die Macht des Königs aus seinen Pflichten resultierend an34
B. Verhältnis des Allgemeinen Landrechts zur preußischen Staatsverfassung
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haltes hingegen selbst und ohne Mitwirkung anderer, so könnte sie bereits aus den oben dargelegten funktionalen Gründen keine taugliche Konstitution sein.37 Die Grenze des durch die Kabinettsordern vom 17. April 1780 und vom 27. August 1786 gezogenen Wirkungskreises für die Gesetzesautoren und insonderheit der Ausschluß des Staatsrechtes aus ihrem Arbeitsfelde war daher auf Grund des Staatssystems notwendig und zwingend; Erhard sagte zutreffend: „Die Gesetzcommission hatte den Auftrag, das bürgerliche Recht in ein System zu bringen; allein im Staatsrechte und in der Landesverfassung Aenderungen zu treffen, das hätte sie nicht gekonnt, wenn sie auch gewollt hätte, weil es außer den Gränzen ihres Auftrages lag.“38
Er teilte die in dem Gesetzbuch besprochenen Gegenstände entsprechend in solche ein, welche die Verfasser „aus eigenem freyen Antriebe“39 festzusetzen vermochten, und denjenigen, die sie „durch Staatsrecht und Landesverfassung, vestzusetzen, genöthigt wurden; weil sie von dieser Seite die Hindernisse einer ganz zweckmäßigen Gesetzgebung nicht aus dem Wege räumen konnten“40.
d) Empirische Indizien, Zielsetzung der Verfasser Eine auf formal-konstitutionelle Wirkung ausgerichtete Zielsetzung wird von Svarez und überhaupt den sämtlichen Mitgliedern des Justizdepartements denn auch mit keiner Silbe erwähnt. Vor allem während der Suspensionsphase des Codex, als die Diskussion sich auf das Staatsrecht im Allgemeinen Gesetzbuche fokussiert hatte41 und seine Gegner darin jenen Schwachpunkt zu erkennen glaubten, mit dem sie das gesamte Gebäude zu Fall zu bringen gedachten, distanzierte sich insbesondere Svarez vielmehr gegenüber jedem Verdacht konstitutioneller Bestrebungen. War es ihm bei der Anfertigung des Gesetzbuchs geboten, insgesamt von Neuerungen weitgehend Abstand zu halten, so mußte er bei den staatsrechtlichen Stellen des Codex diese Vorgabe um so präziser beobachten und jedwede Abweichung vom bestehenden preußischen Staatsrechte tunlichst vermeiden, als dasselbe vom Gesetzgebungsauftrage nicht umfaßt war.42 Er hätte sich sonst unweigerlich dem Verdacht der Insubordination ausgesetzt; möglicherweise wären sogar revogenommen wird (Wolff’sche Pflichtenlehre), handelt es sich dabei um bloße Hypothesen und sind solche Pflichten nicht notwendig von Menschen abgeleitet. 37 Vgl. dazu: Svarez, Neuer Weg zur Unsterblichkeit für Fürsten. 38 Erhard, Critik des AGB, S. 61. 39 Erhard, Critik des AGB, S. 67. 40 Erhard, Critik des AGB, S. 67. 41 Darauf wird unten (4. Teil, A., I., 4.) bei der Untersuchung der den Staatszweck zum Gegenstande habenden Rechtssätze näher eingegangen werden. 42 Die Gründe, die Svarez dafür in’s Felde führte, daß dennoch Rechtssätze staatsrechtlichen Inhaltes in den Codex überhaupt eingegangen sind, sollen unten (II., 2.; III.) erörtert werden; sie sind gegenwärtig noch irrelevant.
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3. Teil: Funktion der im AGB/ALR enthaltenen Rechtssätze im allgemeinen
lutionäre Absichten darin vermutet worden43. Wo Svarez sich zu den von ihm abgefaßten staatsrechtlichen Teilen des Codex äußert, wird er denn auch nicht müde, deren vollständige Harmonie mit den herrschenden staatsrechtlichen Zuständen und insonderheit mit den Äußerungen Friedrichs des Großen zu versichern, der als König allein die Macht hatte, über staatsrechtliche Fragen kompetent zu sprechen.44 Glaubt man den Beteuerungen von Svarez, so erfuhr das Staatsrecht, wie es im Allgemeinen Gesetzbuch niedergelegt war, demnach bei seiner Abfassung keine bewußten Neuerungen oder Abweichungen vom bestehenden Staatsrecht. Und immerhin lassen sich in dieser Richtung zahlreiche Stimmen der Zeit vernehmen. Eggers etwa fand im Jahre 1797 im Preußischen Allgemeinen Landrecht „fast immer die vollkommenste Uebereinstimmung mit den Forderungen des allgemeinen Staatsrechts […].“45
Und auch Bielitz46 stimmte der Verteidigung des Codex durch Buchholz47 bei, der die staatsrechtlichen Bestimmungen desselben ebenfalls gegen den Vorwurf, Neuerungen zu sein, in Schutz nahm. Es war nicht das Anliegen von Svarez, bestehende verfassungsmäßige Strukturen abzuändern, sondern Svarez wollte sich vielmehr an dem vorhandenen Verfassungsrecht orientieren und es materiell – seinem Inhalte nach – unangetastet lassen. Allen Stellen des neuen Codex, deren Ausgestaltung verfassungsmäßig determiniert war, hatte er nach seinen Worten die bisherige Staatspraxis zu Grunde gelegt.48 Hierin unterscheiden sich nun die Arbeiten Svarez’ von denen der meisten Verfassungsgesetzgeber in materieller Hinsicht. Die überwiegende Zahl der Verfassungen, die gegeben werden, sollen – teils tiefgreifende – Veränderungen der staatsrechtlichen Gegebenheiten und Verhältnisse bewirken. Ihr Initial sind die großen staatsrechtlichen Umwälzungen und staatlichen Neugründungen, die im Gefolge von Revolutionen und verlorenen Kriegen stehen und die den Volksmassen eine Neuordnung des staatlichen Lebens angezeigt sein lassen. Diese Veränderungen herbeizuführen und zu perpetuieren, ist gewöhnlich der wesentliche Antrieb, eine Verfassungsurkunde zu geben. In Preußen war es 1791 anders.
43 Diese Gefahr bestand gegen Ende des 18. Jahrhunderts stets, wenn das Staatsrecht thematisiert wurde, vgl. etwa: Schlözer, Allgemeines StatsRecht, S. VI. 44 Vgl. hiezu etwa die Ausführungen in den Kronprinzenvorlesungen: Svarez, KPV, foll. 204v–213v = S. 576 – 602. 45 Eggers, Lehrbuch des Rechts, 1. Teil, S. XI–XII. 46 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 625. 47 Buchholz, Vertheidigung der Urheber des preußischen Landrechts. 48 Daß Kritiker eine authentische Wiedergabe des bestehenden Staatsrechts im Allgemeinen Gesetzbuche teils vehement bestritten, mag möglicherweise Zweifel an der Umsetzung dieser Beteuerungen Svarezens aufkommen lassen, nicht aber an der von Svarez geäußerten Intention selbst, solange man ihm nur nicht bewußte Täuschung unterstellen will, wofür es aber an Beweisen mangelt.
B. Verhältnis des Allgemeinen Landrechts zur preußischen Staatsverfassung
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So sagte Klein, daß man – in der hier nicht näher interessierenden Frage, wie weit Zwangsrechte des Einzelnen reichen, – Grundsätze des Naturrechts in das Gesetzbuch übernommen habe, „so weit es die Staatsverfassung erlaubt“49,
und räumte damit ein, daß das Staatsrecht nicht der Gegenstand reglementierender Gesetzgebung, sondern ihre Voraussetzung ist. Auch Svarez selbst hat oft genug den staatsrechtlichen Stellen des Codex jede konstitutive Wirkung auf das Staatsrecht Preußens abgesprochen: „Es ist natürlich, daß ein bürgerliches Gesetzbuch keine Constitution enthalten kann; und mit dem allgemeinen so wenig, als mit dem besondern Staatsrechte der Preußischen Monarchie etwas zu thun habe.“50
Vielmehr beruft sich Svarez, wenn er über die preußische Staatsverfassung spricht, nie auf das Allgemeine Gesetzbuch. Insbesondere seine diesbezügliche Darstellung in den Kronprinzenvorlesungen der Jahre 1791/9251 enthält nirgends auch nur den geringsten Verweis auf den Codex oder einen Hinweis darauf, daß derselbe und seine Bestimmungen mit ihr in einem funktionalen Zusammenhange stehen könnten. Svarez lehrte vielmehr zunächst das Allgemeine Staatsrecht und in einer streng davon geschiedenen Unterrichtsabteilung das positive preußische Recht; in letzterem sah er nur eine Deklaration und speziell-landestypische Interpretation des Staatsrechts: „Alle diese Sätze sind bereits im Allgemeinen StaatsRechte vorgekommen und erwiesen worden. Hier werden sie nur als der bestimmt erklärte Wille des Gesetzgebers, mithin als positives Gesetz vorgetragen und auf den preußischen Staat näher angewendet.“52
Selbst also, wenn Svarez von dem bestehenden Staatsrechte abgewichen wäre, wie bisweilen behauptet wurde,53 hätte er hiedurch keine unmittelbare Veränderung der Staatsverfassung Preußens erwartet. Kleinheyer54 versucht zwar, aus dem vor der Mittwochsgesellschaft gehaltenen Vortrage Svarez’ vom 1. April 1789 „Über den Einfluß der Gesetzgebung in die Aufklärung“ Gegenteiliges abzuleiten. Es ist bei diesem Versuch jedoch zunächst zu 49
Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 373. Svarez, Kurze Nachricht von dem neuen Preußischen Gesetzbuche, S. XXXI. Zur Urheberschaft dieses Aufsatzes: Klein erklärt in: Critik des AGB durch Erhard, S. 323, daß er nicht der Verfasser sei. Das Manuskript von Schreiberhand mit Korrekturen von Svarez ist im Nachlaß von Svarez vorhanden (Stölzel, Svarez, S. 320). 51 Vgl. etwa die Darstellung der Grundsätze des Staatsrechts bei: Svarez, KPV, foll. 291r–292v = S. 28 – 34; ferner die schon oben erwähnte Darstellung im Rahmen der Erklärung des positiven preußischen Rechts: Svarez, KPV, foll. 204v–213v = S. 576 – 602. 52 Svarez, KPV, fol. 372r = S. 607. 53 Vgl. beispielsweise das Promemoria Goldbecks vom November 1793, teilweise abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 381. 54 Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht, S. 151. 50
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konstatieren, daß Kleinheyer, wohl um seiner Argumentation mehr Wirkung zu verleihen, ein sehr wichtiges Wort unterschlägt: Svarez sprach davon, daß in einem Staate ohne eigentliche Grundverfassung die allgemeine Gesetzgebung diese gewissermaßen ersetzen solle. Kleinheyer setzte damit das Fehlen einer „eigentlichen Grundverfassung“ – also einer feste Regeln über die staatliche Machtverteilung enthaltenden Verfassungsurkunde, mangels derer die Fülle der Macht beim Herrscher lag – mit dem Fehlen jedweder Verfassung gleich. Unter Zugrundelegung des zeitgenössischen Verfassungsbegriffs war letzteres jedoch, wie oben bereits gezeigt, schlechterdings unmöglich, denn in irgend einer Verfassung muß sich ein Staat notwendig befinden. Allein aber auf Grund dieser von ihm vorgenommenen Reduktion jeglicher Staatsverfassung auf das positivierte Verfassungsgesetz konnte Kleinheyer zu dem Schlusse kommen, daß dieses vorgebliche konstitutionelle Vakuum von dem neuen Codex hätte ausgefüllt werden müssen. e) Zeitgenössische Kritik an Staatsrecht und Gesetzgebung Staatsrechtliche Gesetzgebung, wie sie im Allgemeinen Gesetzbuche und seinen Entwürfen angelegt war, sah sich durch die Zeitgenossen denn auch unter vielfältigen Aspekten der Kritik ausgesetzt. „Denn, wozu der Staat oder Landesherr verpflichtet, oder berechtigt ist, kan in diesem Gesetzbuch nicht festgesetzt werden.“55
Insbesondere als im August 1786 Friedrich der Große, unter dessen besonderer Protektion die Autoren und ihr Werk standen, verstorben war, wurden bereits nach kurzer Zeit Angriffe gegen das Gesetzbuch und besonders gegen seine staatsrechtlichen Stellen geführt, welche unter den hier interessierenden Gesichtspunkten von Belang sind und die obigen Feststellungen bestätigen. Aus den ersten Januartagen des Jahres 1787, als der sich erst wenige Monate im Amt befindliche König Friedrich Wilhelm II. sich mit einer Umorganisation des Justizministeriums trug56 und persönliche Profilierung daher mehr als zu anderen Zeiten dem beruflichen Aufstieg nützlich sein konnte, stammt eine vermutlich seitens Danckelmanns und Wöllners57 verfaßte Denkschrift mit Erinnerungen gegen den Entwurf des Gesetzbuchs. Aus der Entgegnung zu dieser leider verloren gegangenen Schrift läßt sich schließen, daß in ihr gewisse, als anstößig empfundene Stellen konkret benannt waren, deren Streichung angeregt wurde; Stölzel vermutet, daß es sich dabei um dieselben staatsrechtlichen Stellen handele, deren Beseitigung Danckelmann während der Suspensionsphase des Gesetzbuchs im Jahre 1793 erneut betrieb.58 Diese Vermutung
55 Grolmann, GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 72. Band, fol. 55v, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 309. 56 Stölzel, Svarez, S. 248. 57 So mutmaßt: Stölzel, Svarez, S. 249. 58 Stölzel, Svarez, S. 249.
B. Verhältnis des Allgemeinen Landrechts zur preußischen Staatsverfassung
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liegt in der Tat nahe, denn in dem – nicht unterzeichneten – Begleitschreiben heißt es, es müsse aus dem Gesetzbuche das, was „wirklich zu einem Gesetze sich qualificire, von dem, was als bloße speculative Rechtssätze und Meinungen anzusehen sei, abgesondert werden, damit nicht bloße Rechtsmeinungen als Gesetze vorgeschrieben würden.“59
Unter diesen „Rechtsmeinungen“ konnte nichts anderes verstanden werden als die nichtreglementarischen Normen des Gesetzbuchs und damit diejenigen Sätze, welche sich nicht mit der Entscheidung konkreter Fallgestaltungen befaßten. Just um solche Sätze handelte es sich aber bei den staatsrechtlichen Normen des Allgemeinen Gesetzbuchs, welche über die Grundlagen des Staatswesens und dessen Bestimmung sprechen. Ebenso sprach sich der zweite anonyme Monent – Wöllner, wie Stölzel60 vermutet – bei ansonsten noch wohlwollender Aufnahme des Entwurfs für die Einschaltung der Gesetzkommission aus, „damit der Großkanzler sich nach deren Gutachten richte und die Sätze, die man anzunehmen nicht für gut befinde, weglassen müsse“61.
Bei diesen Sätzen, deren Aufnahme in das Gesetzbuch von der Gesetzkommission womöglich als nicht gut befunden würde, bezog sich der Anonymus auf eben die Stellen, welche in dem verlorenen Promemoria als wegzulassende kritisiert wurden. Später betonte Erhard in seinem „Versuch einer Critik des Allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten“ vom Jahre 1792, daß es sich bei den staatsrechtlichen Teilen des Gesetzbuches nicht um konstitutive Bestimmungen, sondern um die bloße Wiedergabe unumstößlicher Wahrheiten handele: „Der Gesetzgeber bestimmt ja bey solchen Sätzen nicht, was Rechtens sey, sondern er wiederholt nur unleugbare Wahrheiten der Vernunft, die über alle Abänderungen von Seiten des Gesetzgebers erhaben sind, weil, sie leugnen, Unvernunft, ihnen entgegen handeln, Tyranney und ehrlose Pflichtvergessenheit seyn würde.“62
So ist bei Erhard weiter zu lesen, daß die im Allgemeinen Gesetzbuche enthaltenen staatsrechtlichen Grundsätze zwar redlicherweise von niemandem geleugnet werden können, dieselben aber dennoch bei der Staatsverwaltung bisweilen unbeobachtet bleiben: „Es gehört unter die großen Vorzüge des neuen Preusischen Gesetzbuchs, daß darinn eine Menge gerechte und weise Grundsätze ausdrücklich anerkannt sind, deren Wahrheit zwar nur der Tyrann und der Bösewicht leugnen kann, die aber dennoch sehr oft bey der Staatsverwaltung aus den Augen gesetzt werden.“63 59 60 61 62 63
Materialien zur AGO, 10. Band, abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 249. Stölzel, Svarez, S. 250. Zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 250. Erhard, Critik des AGB, S. 111. Erhard, Critik des AGB, S. 110.
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3. Teil: Funktion der im AGB/ALR enthaltenen Rechtssätze im allgemeinen
Den staatsrechtlichen Sätzen des Allgemeinen Gesetzbuchs sollte es offenbar zukommen, den Beamten in zweifelhaften Fällen als Richtschnur dessen zu dienen, was jeder rechtschaffene Monarch in diesen konkreten Fällen anordnen würde. Insofern vertraten sie den direkten Befehl des Königs in Fällen, wo seine höchstpersönliche Willensmeinung nicht unmittelbar eingeholt werden konnte.64 Nichtreglementarisch bleiben diese Sätze dennoch, denn sie geben auch der Verwaltung nicht unmittelbar Bestimmungen für ein bestimmtes Vorgehen, sondern sie zeigen allein die allgemeinen Grundsätze auf, nach welchen recht zu entscheiden und zu handeln ist. Weder die Systematik der zeitgenössischen Rechtsordnung ließ es zu, noch war es von den Autoren des Gesetzes beabsichtigt, noch vom kritischen Publikum erwartet, daß von dem Allgemeinen Gesetzbuche oder Allgemeinen Landrechte eine verfassungsrechtliche Wirkung ausgehe. So schrieb Achim von Arnim – zwar kein Jurist, doch hatte auch er Zivil-, Lehn- und Prozeßrecht gehört – an Savigny als Antwort auf dessen vielbeachteten „Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“: „An Verfassung fehlts und ehe diese nicht vorhanden, ists etwas ganz Unbedeutendes, ob wir Code oder Landrecht oder römisches Recht haben […]“65
f) Schluß Der Tag und selbst das Jahr des eingangs dieses Teils zitierten Promemoria von Svarez66 sind ungewiß. Gewiß ist nunmehr aber, daß Svarez die darin aufgestellten Thesen nicht ausnahmslos beobachtete, denn nach ihnen wäre für staatsrechtliche Normen unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie kein Platz gewesen; doch schon in den ersten von ihm selbst gefertigten Entwürfen, die im März 1783 der Gesetzkommission zur Prüfung vorgelegt wurden67, finden sich auch staatsrechtliche Sätze.
II. Mittelbarer Konstitutionalismus 1. Der mittelbare Einfluß der allgemeinen Gesetzgebung auf die Verfassung einer Nation Dem oben erwähntem Vortrage von Svarez vor der Mittwochsgesellschaft sind indes andere, aufschlußreiche Erkenntnisse zu entnehmen. Er nimmt darin die sehr wichtige Unterscheidung zwischen der allgemeinen Gesetzgebung einerseits vor, 64
Vgl. oben den zweiten Teil dieser Arbeit. Arnim, Brief an Savigny, S. 229. 66 Oben, I. 67 Vgl. die chronologische Zusammenstellung bei: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 385. 65
B. Verhältnis des Allgemeinen Landrechts zur preußischen Staatsverfassung
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deren Aufgabe es ist, „feste, sichere und fortdauernde Grundsätze über Recht und Unrecht festzustellen“68, und andererseits den bloßen Zeitgesetzen, die aus einem bestimmten zeitbedingten Anlaß gegeben werden und von denen erwartet wird, daß sie entweder überhaupt oder in der gegebenen Fassung nur vorübergehend – für eine gewisse Zeit – wirksam bleiben sollen.69 Materiell ist also die allgemeine Gesetzgebung allein schon aus der rechtspraktischen Erwägung heraus, daß die einmal aufgestellten Grundsätze gewöhnlich einer Abänderung nicht bedürfen und daß zudem ihr dauernder Bestand der Rechtssicherheit und damit Handel und Verkehr förderlicher ist als häufige Veränderung, von größerer Beständigkeit als die Zeitgesetze es sind. Dadurch aber beeinflußt sie auch nachhaltiger das Bewußtsein und das Verhalten der Menschen, die ihr unterworfen sind, und es fügt sich, daß nach dem weiten, oben bereits dargestellten Verständnisse vom Begriff der Konstitution im 18. Jahrhundert, dieser Einfluß der allgemeinen Gesetzgebung auf die Verfassung einer Nation von einiger Bedeutung ist. Dieser Aspekt ist jedoch allein für die gesellschaftliche, nicht aber für die staatsrechtliche Ausgestaltung Preußens von Bedeutung. Neben dieser sich allein im bürgerlichen Leben zeigenden Wirkung des allgemeinen Gesetzes als Impulsgeber für seine verfassungsmäßige Ausgestaltung kann aber auch ein Einfluß der allgemeinen Gesetzgebung auf dem Gebiete der Staatsregierung festgestellt werden. Allein schon, um sich nicht in einen Widerspruch zu setzen und die Rechtsordnung als ein harmonisches, in sich geschlossenes und widerspruchsfreies System zu gestalten, wird der Gesetzgeber sich bei der Abfassung der Zeitgesetze an denselben Kriterien orientieren, welche auch den allgemeinen Gesetzen zu Grunde liegen. Die notwendige Folge wird daher sein, daß diese allgemeine Gesetzgebung zur Richtschnur für die künftige Zeitgesetzgebung dienen wird. An nichts anderem war Svarez offenbar gelegen als dies auszudrücken, wenn er die Aufgabe der allgemeinen Gesetzgebung in Beziehung auf die Staatsregierung darin erblickte, daß diese allgemeine Gesetzgebung, „besonders in einem Staat, welcher keine eigentliche Grundverfassung hat, die Stelle derselben gewissermaßen ersetzen soll, die also für den Gesetzgeber selbst Regeln enthalten muß, denen er auch in bloßen Zeitgesetzen nicht zuwiderhandeln darf […].“70
Dies hat selbst den scharfsinnigen Stölzel dazu bewogen, in dem Allgemeinen Landrechte die „ersten Anfänge des constitutionellen Staatsrechts“ zu erblicken.71 Dieses „Verbot einer Zuwiderhandlung“, von dem Svarez sprach, konnte jedoch nach der staatsrechtlichen Ausgestaltung Preußens im ausgehenden 18. Jahrhundert 68
Svarez, Über den Einfluß der Gesetzgebung in die Aufklärung, S. 635. Ein Beispiel dazu ist das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich (RGBl. 1896, S. 195) als allgemeines Gesetz und die dazu erlassene Viehmängelverordnung des Kaisers (RGBl. 1899, S. 219), von der erwartet wurde, daß sie in Folge des veterinärmedizinischen Fortschrittes häufigen Wandelungen unterworfen sein würde. 70 Svarez, Über den Einfluß der Gesetzgebung in die Aufklärung, S. 635 – 636. 71 Stölzel, Svarez, S. 311. 69
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3. Teil: Funktion der im AGB/ALR enthaltenen Rechtssätze im allgemeinen
zwingend nur zu den oben näher beschriebenen unechten Grenzen formell absoluter Gesetzgebungskompetenz gerechnet werden, so daß das Allgemeine Landrecht in dieser staatsrechtlichen Hinsicht nur mittelbar von Einfluß auf die Staatsverfassung Preußens sein konnte; keineswegs ging Svarez dabei jedoch von einer unmittelbar verfassungsrechtlichen Wirkung des Codex und insbesondere seiner staatsrechtlichen Stellen aus. Klein beschrieb vielmehr die erhofften Wirkungen der allgemeinen Gesetzgebung in Verteidigung gegen die Angriffe Schlossers wie folgt: „Das ist nun wohl zu erwarten, daß die Existenz eines zusammenhängenden Gesetzbuchs der gar zu großen Thätigkeit der Gesetzgeber vorbeugen, und sie abhalten werde, bey jeder einzelnen Veranlassung sogleich mit einem neuen Gesetze hervorzutreten. Hoffentlich wird man gegen ein mit Rath der Sachverständigen sorgfältig ausgearbeitetes und von dem Publico geprüftes Gesetzbuch zu große Achtung haben, als daß man sich mit Veränderungen desselben übereilen sollte.“72
Ein Verfassungsgesetz im modernen Sinne war es mithin nicht. Zwar oftmals verborgen und selten mit der wünschenswerten Eindeutigkeit, aber nicht unentdeckbar wird dieser Standpunkt von dem nur mittelbaren Einfluß des Codex auf die preußische Verfassung auch in der neueren Literatur gestützt. Finkenauer etwa verweist in seinem Aufsatz über die Umgestaltung des Codex in den Jahren 1791 bis 179473 in der Richtung auf Krause, den er mit den Worten zitiert, er sehe die „These vom konstitutionellen Charakter des ALR“74 als gestützt an. Krause geht in seiner Abhandlung über das Lebenswerk von Svarez vom Jahre 198675, auf die sich Finkenauer hier bezieht, jedoch nicht von einer unmittelbar bindenden Funktion der staatsrechtlichen Stellen des Codex und damit von einer formal-konstitutionellen Wirkung des Landrechts selbst aus. Bei Krause ist vielmehr zu lesen, das Werk Svarez’ stütze die „These von dem konstitutionellen Charakter der Arbeiten“76, und der Zusammenhang ergibt zunächst, daß hier außer den Arbeiten an dem Codex selbst auch sowohl die dazu verfaßten erläuternden justizinternen, für König und Justizministerium bestimmten Schriften sowie die dem Publikum gewidmeten Lehrbücher verstanden werden als auch seine vielgestaltigen anderen Tätigkeiten auf dem Gebiete der Justiz, mithin Svarez’ ganzes Lebenswerk. Dessen umfassende Mitarbeit an der Umgestaltung des preußischen Justizwesens und insbesondere auch seine Kronprinzenvorlesungen, die nicht ohne Einfluß auf das Denken Friedrich Wilhelms III. geblieben sind, haben den Staat über ein Jahrhundert geprägt und sind auf diese Weise – nicht formaljuristisch – konstitutionell für ihn geworden.
72 73 74 75 76
Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 336. Finkenauer, Vom AGB zum ALR. Finkenauer, Vom AGB zum ALR, S. 127. Krause, Carl Gottlieb Svarez. Krause, Carl Gottlieb Svarez, S. 292.
B. Verhältnis des Allgemeinen Landrechts zur preußischen Staatsverfassung
117
Ebenso ist Floßmanns Bezugnahme auf Conrad77 verfehlt. Conrad äußerte zwar in seiner 1965 erschienen Betrachtung über „Das Allgemeine Landrecht von 1794 als Grundgesetz des friderizianischen Staates“78, daß das Gesetzbuch nach dem Willen seiner Verfasser eine „Art von Verfassung“ bilden sollte79, und auch er spricht, wie später Kleinheyer, vom „Charakter eines Grundrechtskatalogs“80, den die staatsrechtlichen Sätze im Allgemeinen Gesetzbuche darstellen sollten. Ebenso meint Conrad, ein „rechtsstaatliches Programm“ der preußischen Rechtsreformer erkennen zu können, in dessen Folge er die Ausübung der Staatsgewalt grundgesetzlich gebunden sieht.81 „Grundgesetz im Sinne von Svarez aber bedeutete die Grundlegung des Staates und seiner Zwecke sowie die sich daraus ergebende Einschränkung der Macht der Regierung.“82 „Der Herrscher war vielmehr an das Grundgesetz des Staates gebunden, nach dem die Wohlfahrt der Gemeinschaft und der Einzelnen Zweck des Staates war.“83
Conrad räumt jedoch ein im Wandel begriffenes Verständnis der Zeitgenossen vom Begriff des Grundgesetzes ein,84 und er schweigt zunächst zu der sich aufdrängenden Frage, ob er diese Bindung als eine rechtlich durchsetzbare und sanktionsbewehrte oder eine bloß moralische oder opportune erachte, deren Mißachtung für den König rechtlich folgenlos bliebe. In seiner Schlußbetrachtung führt Conrad sodann jedoch mit überraschender Deutlichkeit aus, daß die bestehende Staatsverfassung – die absolute Monarchie – durch die preußische Kodifikation in keiner Weise beeinträchtigt wurde, und er bezeichnet gegenteilige Ansichten, insbesondere Kosellecks Vergleich mit den Grundrechten der ersten französischen Revolutionsverfassung85, als „völlig verfehlt und ohne wirkliche Kenntnis der verfassungsrechtlichen Grundlagen“.86 Conrad hat mithin in dem Titel seiner Schrift das Wort „Grundgesetz“ mit weit größerem Bedacht gewählt, als es noch bei der Lektüre der ersten Seiten den Eindruck macht. Ein „Grundgesetz“ im Sinne der Zeit ist ein grundlegendes, die weitere Gesetzgebung beeinflussendes Gesetz, das jedoch nicht notwendig auch juristisch bindende Vorgaben für die weitere Gesetzgebung enthält. Diese, nicht formaljuristische, jedoch rechtspraktische Leitbildfunktion kam dem Allgemeinen Landrecht unwidersprochen zu, wie schon ein flüchtiger Blick in die Preußische Gesetz77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
Oben, B., I., 1. Conrad, Das ALR als Grundgesetz. Conrad, Das ALR als Grundgesetz, S. 6 – 7. Conrad, Das ALR als Grundgesetz, S. 14. Conrad, Das ALR als Grundgesetz, S. 10. Conrad, Das ALR als Grundgesetz, S. 11. Conrad, Das ALR als Grundgesetz, S. 12. Conrad, Das ALR als Grundgesetz, S. 11. Koselleck, Staat und Gesellschaft in Preußen, S. 80. Conrad, Das ALR als Grundgesetz, S. 26.
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Sammlung der ersten Jahre beweist: Die Bezugnahmen auf das Landrecht sind zahlreich. In diesem Sinne verstanden war das Landrecht „Grundgesetz“. Daß Svarez auf diese Weise – mittelbar und unter den besagten Einschränkungen – die Verfassung Preußens beeinflussen wollte, ist so wenig ausgeschlossen wie bei jeder anderen Gesetzgebung auch. 2. Die allgemeine Gesetzgebung und das Staatsrecht im Absolutismus a) Der Einfluß der Zeit auf das deklaratorische Gesetz Gerade weil aber staatsrechtliche Rechtssätze unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie keine konstitutive Wirkung entfalten können, sondern das bestehende Staatsrecht lediglich wiedergeben, tat sich für die staatsrechtliche Gesetzgebung ein Problem auf, dessen Erörterung in der Wissenschaft bislang noch nicht hinreichend stattfand. Gesetzte Normen sind gewöhnlich traditionell. Sie bedürfen zu ihrer Fortgeltung nicht laufender oder auch bloß regelmäßiger Bestätigung, sondern sie gelten fort, so lange nur die bürgerliche Gesellschaft besteht,87 und die staatliche Ordnung jedes Gemeinwesens verlangt es, daß ihnen so lange Beachtung gezollt, daß ihrem Regiment so lange gefolgt wird, wie sie bestehen. Der Bestand positiver Gesetze und damit die Fortdauer ihrer Anwendung können nur durch einen ihrer Setzung conträren Akt beseitigt werden. Anders verhält es sich mit den nichtreglementarischen Normen, welche tatsächliche oder rechtliche Zustände lediglich wiedergeben. Hier sind nicht die Gesetze maßgebend, sondern derartige Gesetze müssen, um wahrheitsgemäß zu bleiben, sich denjenigen Gegenständen assimilieren, auf welche sie bezogen sind. Eine gegenwärtig beobachtete Übung gesetzlich festzuschreiben, kann die Brauchbarkeit des Gesetzes auf eine harte Probe stellen, wenn der juristische Anspruch des Gesetzes über die reine Beschreibung nicht hinausgeht oder darauf aufbaut und diese Übung jederzeit außerhalb des Gesetzgebungsganges in Abänderung gebracht werden kann oder zumindest der Übende die bloß von seinem Willen abhängende Möglichkeit zu solcher Veränderung hat. „Aber gesetzt, dieses Gesetzbuch enthielte wirklich Staats- und Regierun[g]sgesetze: folgt denn daraus, weil es dem Landesherrn einmahl gefallen hat, die Gesetzcommission bey dergleichen Angelegenheit um Rath zu fragen, daß es deshalb immer geschehen müsse?“88
Diese Frage mit Klein zu stellen, heißt, sie zu verneinen. Auf Grund dieser Besonderheit darf die Bedeutung derartiger, lediglich deklaratorischer Rechtssätze für das Rechtsleben nicht überbewertet werden; schon kurze 87 88
Zum Grundsatz der Beständigkeit, vgl. oben, 1. Teil, B., II., 1., c). Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 381.
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Zeit nach ihrem Erlaß können sie auf Grund einer tatsächlichen Entwickelung unbrauchbar geworden sein. Da jede Gesellschaft in unablässiger Wandelung begriffen ist, so lange sie überhaupt besteht, ist jedenfalls diese Folge zwangsläufig: Das Recht in seiner gesetzten Form und die Rechtswirklichkeit streben auseinander, je mehr Zeit verstreicht – nicht zufällig, sondern notwendig.89 Dieser Mangel an fortdauerndem Bestand des den deklaratorischen Gesetzen zu Grunde liegenden Sach- oder Rechtsgegenstandes90 kann jedoch den Umgang mit diesen Normen nicht unbeeinflußt lassen. Wird dies erkannt, so kann der Zweck solcher Normen nur auf einen in der nahen Zukunft zu bewirkenden Erfolg intendiert sein; damit sind derartige Rechtssätze in ihrer Wirkung den Zeitgesetzen ähnlich, mögen sie formell, nach Formulierung und Verortung innerhalb der Rechtsordnung, auch den Anschein eines allgemeinen Gesetzes erwecken. Allein dieser Anschein ist es aber, der es gestattet, ihnen in eingeschränktem Umfange die Funktionen zuzubilligen, die Svarez für die allgemeinen Gesetze beschrieben hat. Werden sie von denjenigen, welche die sie beschreibenden Vorgänge und Zustände vorgeben, als Leitbilder tatsächlich91 akzeptiert, so ist das Äußerste, was sie in dieser Hinsicht sein können, ein retardierendes Moment im Laufe der stetigen gesellschaftlichen und damit auch staatlichen Veränderungen. Denn wenn der Gesetzgeber diese Rechtssätze zur Richtschnur nimmt und sich an ihnen bei der zukünftigen Gesetzgebung ausrichtet, kann dies eine dauerhafte Einheitlichkeit in den den künftigen Gesetzen zu Grunde liegenden Prinzipien bewirken. b) Die Diskrepanz von Anspruch und Realität Noch unter einem weiteren Gesichtspunkt war die staatsrechtliche Gesetzgebung Schwierigkeiten unterworfen. Das Staatsrecht der uneingeschränkten Monarchie und damit auch dessen Grundlagen und Herleitung ergeben sich aus dem Seinszustande, nicht aus dem Sollenszustande, mag letzterer auch von demjenigen formuliert sein, der dafür allein kompetent sein kann. Der vierte Teil dieser Arbeit wird jedoch an Beispielen aufzeigen, daß vor allem Svarez, aber auch Klein zur Legitimation der staatsrechtlichen Teile des Gesetzbuchs sich in erster Linie auf die Äußerungen, nur selten auch auf das Beispiel Friedrichs des Großen stützten. Damit aber tun sich weitere Probleme staatsrechtlicher Gesetzgebung unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie auf. Das entscheidende Manko bei dieser Art staatsrechtlicher Rechtsfindung ist, daß die Autoren des Gesetzbuches ihre Erkenntnisse nicht aus eigener Beobachtung des preußischen Staatsapparats gewannen, sondern aus 89 Auf die Besonderheiten, welche mit der Kodifizierung der Lehre vom Gesellschaftsvertrag und der Pflichtenlehre zusammenhängen, deren Wahrheitsgehalt nicht von äußeren Phänomenen, sondern allein von den Vorstellungen des Herrschers abhing, wird sogleich unter B., II., 2., b) eingegangen werden. 90 Denn es können auch rechtliche Zustände oder Vorgänge in Gesetzen deklariert werden. 91 Eine rechtliche Akzeptanz ist hingegen wegen ihrer deklaratorischen Natur a priori ausgeschlossen.
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Absichtserklärungen, die stets weiter reichen als die Taten, die ihnen folgen. Wenn Svarez diese Absichtserklärungen insbesondere bei seinen Kronprinzenvorträgen an die Stelle interpretatorischer Erfassung des geltenden Rechts treten ließ, ging er über die zeitgenössischen Verhältnisse hinaus. Friedrich der Große war ein Vordenker, und Svarez wandelte auf dessen Spuren; das rechtspolitische Wollen des großen Preußenkönigs seit der Mitte des 18. Jahrhunderts war jedoch noch keineswegs uneingeschränkt in positives Recht92 oder auch bloß praktische Übung umgesetzt. Eine Besonderheit unter den rein deklaratorischen Gesetzen stellen solche Normen dar, deren Gegenstand nicht äußere, objektive Zustände oder Vorgänge sind, sondern die sich ausschließlich auf das forum internum einer Person beziehen. Auch auf die Legitimation derartiger staatsrechtlicher Gesetzgebung bleibt dieser Unterschied im Gegenstande nicht unbeachtlich. Da es sich zwar bei der Erklärung der Ursachen, welche ein Herrscher von der uneingeschränkten Monarchie in seinem Staate gibt, bloß um Gegenstände seines forum internum handelt, schlägt sich dieselbe im staatlichen Leben auch nur mittelbar, gleichsam als ihr Schatten, in den Staatshandlungen nieder. Der Gegenstand der Gesetzgebung ist in diesen Fällen aber ausschließlich das forum internum. Im ersten Teile ist bereits nachgewiesen, daß sich in der uneingeschränkten Monarchie ein Herrscher in seinen Handlungen notwendig nicht verbindlich festlegen kann. Darüber hinaus steht es einem jeden Menschen selbstverständlich frei und kann durch Regeln nicht beschränkt werden, die Maximen seines Tuns zu jeder Zeit in Frage zu stellen und auf den Grund vermeintlich besserer Einsichten umzustürzen und neue an deren Stelle zu setzen. Wenngleich also Friedrich der Große auch dem Prinzip lebte, sich niemals ein Dementi zu geben, so hätte zwar ein Wandel in seinen Anschauungen dieser Maxime der Kontinuität widersprochen, aber auch diese ist nicht unumstößlich, sondern vermag bei Reflexionen über und Veränderungen in den Anschauungen allenfalls als retardierendes Moment zu fungieren. Da nun aber das Bezugsobjekt ausschließlich das forum internum des Herrschers ist, würde bereits mit einer solchen Veränderung in den Anschauungen ein Gesetz, dem dieselben zu Grunde liegen, sachlich unwahr und damit unbrauchbar werden, ohne daß es dafür noch auf eine äußere Veränderung, etwa in der Staatspraxis, ankäme. Neben dieser systeminhärenten Ungewißheit des Bestandes und der Fortdauer der Geltung der landesherrlichen Maximen bereits während der Zeit der Regentschaft ein und desselben Herrschers tritt im Falle des Allgemeinen Landrechts hinzu, daß bei dessen Einführung im Jahre 1794 der König, mit dessen Staatsvorstellungen das dem Codex zu Grunde gelegte Staatsrecht im wesentlichen begründet wurde, bereits acht Jahre tot war. Noch viel mehr aber als zu Lebzeiten eines Herrschers der Bestand seiner subjektiven Grundsätze ungewiß ist, sinken Maximen mit ihrem Träger in’s Grab, und die Frage, ob sein Nachfolger – zufälligerweise – gleiche oder ähnliche Maximen verfolgt, ist so unsicher wie der Ausgang eines Hasardspieles. Auch Svarez
92
Also per Reskript, Edikt oder Verordnung den Behörden zur Beobachtung angewiesen.
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war sich dessen wohl bewußt, wie er in den Kronprinzenvorlesungen deutlich machte: „Bey der abwechselnden Folge der Regenten in einem souverainen Staat hegt der Nachfolger andre Principia, setzt sich andre Zwecke vor, betrachtet die Dinge aus einem andern Gesichtspunckte als sein Vorfahr.“93
Aber selbst wenn völlige Übereinstimmung in den subjektiven Grundsätzen des alten wie des neuen Königs vorhanden sein sollte, läge darin nicht eine Tradition, denn mit jeder neuen Person, die das Steuerruder eines Staates ergreift, kommen neue, aber eben nicht notwendigerweise anderslautende Maximen zum tragen. Es können die gleichen Maximen sein, es sind aber niemals die selben. Denn die uneingeschränkte Macht des Königs und dessen damit verbundene Freiheit, seine Prinzipien frei und ohne Bindung an die Vorstellungen seiner Vorgänger wählen zu können, bringt es mit sich, daß eine Kontinuität über den Tod des Königs hinaus notwendig nicht bestehen kann; vielmehr bildet jeder Herrscher seinen Willen selbst und originär. Und selbst wenn einzelne Prinzipien inhaltlich identisch mit Prinzipien des Vorgängers sind, gelten diese Prinzipien dennoch allein kraft neuen Willensentschlusses als Prinzipien eines neuen Herrschers. c) Staatsrechtliche Gesetzgebung als programmatische Entscheidung Und doch war die Zeit auch am Ende des 18. Jahrhunderts noch geprägt von Friedrich dem Großen, seinen Gedanken und seinen Schriften. Begreift man mit Svarez darüber hinaus die allgemeine Gesetzgebung nicht lediglich in ihren konstitutiven Teilen als programmatisch,94 so ist eine auch in deklaratorischen Bereichen nicht ausschließlich den status quo wiedergebende Gesetzgebung nicht a priori illegitim und unbrauchbar, sofern sie nur von dem Willen des Herrschers gedeckt bleibt und ein Bezug zu den tatsächlichen Verhältnissen noch soweit hergestellt werden kann, daß sie als brauchbares Bindeglied zwischen den realen Zuständen einerseits und andererseits den vom Gesetzgeber als ideal vorgegebenen Zielen fungieren kann, indem sie eine darauf gerichtete Veränderung des Bewußtseins bewirkt.95 Allein also durch die von Svarez gewählte Art der Legitimation der staatsrechtlichen Rechtssätze mit programmatischen Äußerungen des Königs und nicht mit Beobachtungen der realen Verhältnisse ist bewiesen, daß ihm an einer hiedurch bewirkten mittelbaren Einflußnahme auf die preußische Staatsverfassung in der oben näher erläuterten Weise gelegen war.
93
Svarez, KPV, fol. 206r = S. 581. So auch: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 137. 95 Die Leitbildfunktion, die Svarez der allgemeinen Gesetzgebung für die Zeitgesetze zumaß (vgl. etwa den Vortrag vor der Mittwochsgesellschaft vom 19. Januar 1791), ist ein Fingerzeit hiefür; vgl. oben, B., II., 1. 94
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3. Schluß Diese Überlegungen zeigen, daß eine Beeinflussung der preußischen uneingeschränkt monarchischen Staatsverfassung durch staatsrechtliche Gesetzgebung einer Fülle von Hemmnissen unterworfen sein mußte. Allein, ein dahingehender Versuch ist weder ausgeschlossen noch a priori zum Scheitern verurteilt.96
III. Das Zielpublikum als Maßstab für die Erläuterungstiefe Die Erläuterungstiefe jedes Gesetzes – also die Ausführlichkeit und Detailfülle, mit welcher die Gegenstände dargelegt werden – mißt sich an den Funktionen, welche dem Gesetz zukommen sollen. Soll das Gesetz eine unmittelbar reglementarische Funktion erfüllen, so muß der anzustrebende Erläuterungsumfang die vollinhaltliche Abhandelung einer bestimmten Regelungsmaterie sein, um auf alle mit dieser Regelungsmaterie im Zusammenhange stehenden Rechtsfragen dem Anwender des Gesetzes die Lösung zu vermitteln. Der modernen Gesetzgebung, die sich seit der Entwickelung, welche die Gesetzgebungskunst im 19. Jahrhundert erfahren hat, weitgehend auf Reglementgesetze beschränkt, muß dies stets das Ziel sein,97 will sie einen Regelungsgegenstand nicht den Zufälligkeiten überlassen, mit denen in Rechtsprechung und Wissenschaft sogenannte „herrschende Meinungen“ herausgebildet oder auch bloß proklamiert werden. Nachdem aber festgestellt ist, daß den staatsrechtlichen Sätzen des Gesetzbuchs eine solche unmittelbar reglementarische Funktion nicht zukommen konnte, mußte sich die anzustrebende Erläuterungstiefe nach anderen Gesichtspunkten bemessen. Wie gezeigt, war das Gesetz in seinen staatsrechtlichen Teilen deklaratorisch und dazu bestimmt, seine Adressaten aufzuklären und teils auch ihr Bewußtsein in gewisser Hinsicht zu beeinflussen. Sollten diese intendierten Zwecke des staatsrechtlichen Gesetzes aber erreicht werden, mußte sich die Erklärungstiefe in der staatsrechtlichen Materie an den Kenntnissen und geistigen Fähigkeiten dieses Zielpublikums orientieren. Der König selbst konnte als ein solcher Adressat des Gesetzbuchs nicht in Betracht kommen. Zum einen mußte aus den beschriebenen und unten noch näher darzustellenden zeitbedingten Gründen mit Rücksicht auf die Staatsraison eine allzu 96 Die Ursachen, welche für den Eingang der Staatstheorien des letzten Viertels des 18. Jahrhunderts in die Staatspraxis verantwortlich gewesen sein sollen, schrieb Thöne im Jahre 1833 schließlich nicht der Gesetzgebung zu: „Dafür kann man aber das Landrecht nicht verantwortlich machen wollen. Denn in denjenigen einzelnen Fällen, wo sie als Staatsmaximen sich etwa factisch zu erkennen gegeben haben, lag der Grund dazu in den Ereignissen der neueren Zeit und in den mancherlei Revolutionen, welche der gesellschaftliche Zustand erfuhr.“ (Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 25.) 97 Wiewohl auch so manches neuere Gesetz von diesem Ziele – bewußt oder unbewußt – entfernt ist.
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deutliche Bezugnahme auf seine Person als Adressat des Gesetzes vermieden werden. Darüber hinaus lag es in der Tradition des preußischen Herrscherhauses, seine Thronfolger durch eine umfassende und gewissenhafte Ausbildung auf ihr künftiges Amt vorzubereiten; über diejenigen Kenntnisse und Einsichten, welche auf dem Gebiete des Staatsrechts von ihm erwartet wurden, hatte er bei der Thronbesteigung bereits hinlänglich Unterricht genossen. Sein Kenntnisstand konnte daher nicht in erster Linie den Maßstab für die Erklärungstiefe des Gesetzes vorgeben. Entsprechend fehlt in den Quellen der Gesetzesautoren denn auch jede Bezugnahme auf den König als Adressat; Zweifel daran, daß etwa die Wirkung des allgemeinen Gesetzes auf die vom König künftig zu erlassenden Zeitgesetze mangels Kenntnis nicht erreicht werden sollte, sind nicht anzutreffen. Durch das Allgemeine Landrecht sollten die Richter angesprochen werden: „Das Gesetzbuch selbst ist hauptsächlich für den Richter bestimmt. Ihm mußte eine zusammenhängende und vollständige Theorie vorgelegt, die Begriffe und Grundsätze mußten bestimmt angegeben, und die in den bisherigen Rechten controvers gewesenen Materien mußten entschieden werden, wenn man die neue Legislation dem Schicksale der ältern, welche durch Compendien-Schreiber und Commentatoren so sehr verdunkelt, verunstaltet und schwankend gemacht worden, nicht aussetzen, und die Einwohner des Staats gegen richterliche despotische Willkühr soviel als möglich sichern wollte.“98
Nach dieser, nach Stölzels Vermutung aus der Hand von Svarez stammenden Quelle sollte die Belehrung des juristisch nicht vorgebildeten Publikums hingegen nicht unmittelbar durch das Gesetzbuch selbst, sondern durch das Gesetzbuch erläuternde Lehrbücher erfolgen. „Der Auszug hingegen, von welchem Ew. Excellenz in Dero Schreiben sprechen, ist vor den gebildeten Mittelstand bestimmt, den man einer Belehrung über die im bürgerlichen Leben am gewöhnlichsten vorkommenden rechtlichen Geschäfte wohl nicht ganz für unfähig halten kann […].99
Nicht auszuschließen ist allerdings, daß Svarez diesen Standpunkt lediglich in politischer Rücksicht auf die Anregung Danckelmanns einnahm, auf die er sich ausdrücklich bezog; letzterer äußerte diesen Gedanken in einem kurz zuvor, unter dem 22. Juli 1793 verfaßten Schreiben an Carmer100 und damit in einer Phase des Kampfes um das Gesetzbuch, als nach der zweiten polnischen Teilung Svarez wieder Hoffnung geschöpft hatte und er es in erster Linie von dem offenbar wachsenden Wohlwollen Danckelmanns abhängig sah, den König von dem Nutzen der Einführung des Codex zu überzeugen. Zu diesem Zeitpunkt mußte es Svarez für angezeigt halten, so weit wie nur möglich auf die Argumente Danckelmanns einzugehen und zu 98
Svarez in einem unter dem 3. August 1793 in Carmers Namen verfaßten Schreiben an Danckelmann, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 374. 99 Svarez in dem unter dem 3. August 1793 in Carmers Namen verfaßten Schreiben an Danckelmann, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 374. 100 Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 8/5, 8/6, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 373.
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Zugeständnissen bereit zu sein, sollte sich schließlich diese neuerliche und vermutlich letzte Chance auf eine wirksame Einführung des Codex realisieren. Den Gedanken allerdings, die neue preußische Gesetzgebung durch Lehrbücher noch populärer zu machen, begann Svarez bereits am Beginn der Suspensionsphase umzusetzen. Allerdings sollte weder mit der Gesetzgebung selbst noch mit dem zu dessen Erläuterung verfaßten Schrifttume die aufklärerische Utopie einer allgemeinen Gelehrtenrepublik verwirklicht werden, denn „die ganz ungebildete Klasse“ sollte nicht selbst aufgeklärt werden. „Was die Preußischen Gesetze und besonders das Allgemeine Gesetzbuch betrifft, so haben Ew. Excellenz[101] vollkommen Recht, daß für den ganz gemeinen Mann […] ein eigentlicher Unterricht, und eine Belehrung über die Gesetze sich fast gar nicht gedenken läßt.“102
Wie er sodann in dem mit Goßler im Jahre 1796 herausgegebenen Lehrbuche über das Verhalten bei Prozessen nochmals präzisierte, gehörten zum anvisierten Leserkreis vielmehr diejenigen, „welche die gewöhnlichen Rathgeber dieser Klasse sind“ – gemeint sind etwa „Prediger, Verwalter, Dorfschulzen, Küster“.103 Von diesen hielten Svarez und Goßler zwar offenbar nicht viel: „Hier so wenig, als in der Arzeneiwissenschaft wird es jemals möglich seyn, die Pfuscher ganz zu vertilgen, aber sie können weniger schädlich gemacht werden, indem sie Gelegenheit erhalten, sich selbst besser zu unterrichten.“104
Doch hier wie in dem eben zitierten, drei Jahre zuvor verfaßten Schreiben an Danckelmann, war es „der gebildete Mittelstand“105, welcher Svarez als Publikum vorschwebte. Aus einer viel früheren Zeit als der an Danckelmann gerichtete Brief stammt das folgende Promemoria; nach den Forschungen Stölzels106 legte es Svarez gleich zu Beginn der Arbeiten an dem Gesetzbuche zu den Akten: „Für bloße Philosophen, für Männer von sehr scharfem, durch Uebung und Gewohnheit gestärktem Nachdencken ist unser Gesetzbuch so wenig bestimmt, als für Leute aus dem niedrigsten Pöbel, deren Begriffe sich niemals über die gröbsten Eindrücke der Sinne erheben. Die Absicht ist, wie ich mir vorstelle, daß Leute von mittelmäßigen, durch eine gantz gewöhnliche Erziehung und Uebung gebildeten Fähigkeiten, insonderheit aber alle diejenigen,
101
Angesprochen war hier Danckelmann. Svarez in dem unter dem 3. August 1793 in Carmers Namen verfaßten Schreiben an Danckelmann, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 374. 103 Svarez/Goßler, Verhalten bei Prozessen, S. V. 104 Svarez/Goßler, Verhalten bei Prozessen, S. V. 105 Svarez in dem unter dem 3. August 1793 in Carmers Namen verfaßten Schreiben an Danckelmann, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 374. 106 Stölzel, Svarez, S. 224. 102
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welche irgend ein richterliches Amt bekleiden, das neue Gesetzbuch sollen verstehn und anwenden können.“107
Dieses Dokument mag über die Intention der Gesetzesautoren ungleich zuverlässigere Auskunft geben. Es stammt aus einer Zeit, als Carmer, Svarez und Klein sich der Gunst des Königs noch gewiß sein und daher viel freier sprechen konnten, und darüber hinaus gibt es diejenigen Gedanken wieder, welche Svarez just während der Zeit der Abfassung des Gesetzbuchs bewegten und diesen Arbeiten damit, als Leitlinien, unweigerlich ihr Siegel aufprägen mußten. Hienach war der Adressatenkreis des Gesetzbuchs weiter gefaßt. Anders als ein Jahrhundert später das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich war das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten nicht vornehmlich für Juristen bestimmt;108 es richtete sich vielmehr auch an das gelehrte Bürgertum.109 Die Verständlichkeit des Gesetzeswerkes selbst mußte sich daher nicht am Verständnis eines Rechtsgelehrten, sondern an den Fähigkeiten eines Mannes von gewisser Bildung, aber ohne spezielle juristische Kenntnisse messen lassen; zum Verständnis des Codex sollten nicht ein vorzüglicher, über das gewöhnliche Maß weit hinausreichender Verstand oder anderweit bereits erworbene juristische Kenntnisse erforderlich sein, sondern auch bei gewöhnlicher Bildung sollte dem Leser das Gesetzbuch verständlich werden. „Sobald daher ein Satz dergestalt unmittelbar aus dem andern folgt, daß jeder Mensch von gemeinen Fähigkeiten solchen daraus von selbst herleiten wird, sobald ist es nicht nöthig, diesen Satz ausdrücklich beyzufügen. Sobald aber, um einen solchen Folge-Satz heraus zu bringen, eine Reihe von Schlüßen erforderlich ist, sobald erheischt es die Deutlichkeit, den Folge-Satz als eine besondre Position würklich zu exprimiren.“110
An anderer Stelle, als Svarez sich über die Anordnung der einzelnen Materien ausließ, äußerte er ähnliches: „Man mußte also einen Faden wählen, den ein jeder in ordentlichem Denken nur mittelmäßig geübte Geist ohne große Mühe auffassen, und dem er durch alle Theile des Ganzen füglich folgen könne.“111
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Materialien zum ALR, 8. Band, fol. 95, abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 225. Köhler, Bürgerliches Gesetzbuch, S. XI, behauptet gar, das Bürgerliche Gesetzbuch sei „von Juristen für Juristen gemacht“. 109 Die Verwaltungsbeamten ohne juristische Ausbildung sind in diesen Quellen zwar nicht ausdrücklich genannt, doch müssen auch sie zum Zielpublikum des Gesetzbuchs gerechnet und den juristischen Laien gleichgeachtet werden, denn immerhin in der Sekundärliteratur wird die Bedeutung des kodifizierten Staatsrechts für dieselben nicht unerwähnt gelassen, vgl. etwa: Erhard, Critik des AGB, S. 110. 110 Materialien zum ALR, 8. Band, fol. 95, abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 225. 111 Svarez, Kurze Nachricht von dem neuen Preußischen Gesetzbuche, S. XXXIV. 108
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Damit stand die Erklärungstiefe des Gesetzbuchs fest. Es konnte Rechtssätze enthalten, deren einzige Funktion es war, auf andere Rechtssätze hinzuleiten und diese zu erläutern.
C. Einzelne Funktionen staatsrechtlicher Rechtssätze unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie I. Staatsrecht zur allgemeinen Aufklärung – Vollständigkeit der Darstellung Ein Aspekt der Aufklärung trat den Verfechtern der staatsrechtlichen Teile des Codex besonders zur Seite. In einer Zeit, zu welcher, wie die Aufklärung es forderte, die Vollständigkeit in allen Wissenschaften mit Eifer angestrebt wurde, war es auch mehr als in anderen Zeitaltern das Ziel der allgemeinen Gesetzgebung, das Recht so umfassend wie möglich festzustellen und zu bestimmen. Der Aufklärung diametral entgegengesetzt ist der Fragmentarismus, denn die Aufklärung ist nur mit einem auf Universalität gerichteten Anspruch echte Aufklärung. Sollte also das Gesetz, das zur Regelung privater und gesellschaftlicher Vorgänge bestimmt war, der Aufklärung in brauchbarer Weise dienen, so mußte es alle Aspekte des privaten wie gesellschaftlichen Lebens möglichst vollständig erfassen. In einem Promemoria, in welchem Svarez seine „Gedanken von den Erfordernissen und Eigenschaften des neuen Gesetzbuchs“112 vortrug, führte er zu den „inneren Eigenschaften“ des Codex aus, daß er neben der Vollständigkeit der einzelnen, in dem Gesetzbuche behandelten Materien als eines der wesentlichen Ziele es ansah, daß das Gesetzbuch als solches ein in sich geschlossenes und abgeschlossenes Werk bilde: „die Gesetze [sollen/…] unter einander harmoniren, und ein zusammenhängendes Gantzes ausmachen“113.
Auch aus einem aus der Zeit des Drucks der sechs Abteilungen des Entwurfs114 stammenden Briefwechsel zwischen Svarez und Baumgarten erhellt der Anspruch, den die Redaktoren an das Gesetz selbst stellten: „Alles, warum es dem Gesetzgeber zu thun seyn muß, schränkte sich darauf ein, daß die Materien nach einer natürlichen, ungezwungenen und von dem gemeinen Menschen-Verstande leicht zu übersehenden Ordnung unter gewisse Hauptfächer gebracht; daß jede Materie in ihrem Fache so vollständig als möglich abgehandelt; und daß in diesen einzelnen
112 113 114
Materialien zum ALR, 8. Band, fol. 95, abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 224. Materialien zum ALR, 8. Band, fol. 95, abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 224. Das sind die Jahre 1784 bis 1788.
C. Einzelne Funktionen staatsrechtlicher Rechtssätze
127
Abhandlungen vom Allgemeinen auf das Besondere, von der Regel zu den Ausnahmen übergegangen werde.“115
Man habe dabei, wie aus dem Briefwechsel weiter hervorgeht, sowohl in der Einleitung zu Allgemeinem Gesetzbuch und Allgemeinem Landrecht als auch „bei jeder einzelnen Materie die durchgängig herrschenden Grundsätze vorangeschickt, aus denen die nachfolgenden Einzelregelungen dann ableitbar“ sein sollten.116 In dieser Vollständigkeit fand auch das Staatsrecht seine Stelle: „Wenn nun unser Landrecht […] die ,ächte reine Lehre des allgemeinen natürlichen Staatsrechts‘ in sich aufgenommen haben soll, so ist der Grund dazu (und das durfte nicht unbemerkt bleiben) keineswegs in einer gewissen ,herben demokratischen Tendenz‘ zu suchen; vielmehr läßt sich Alles dieses durchaus natürlich aus den Zeitumständen, unter welchen und dem Zwecke, zu welchem es zu Stande kam, erklären. Man ging von dem Gesichtspunkte aus, es müsse und könne ein nach den Grundsätzen der Vernunft und Billigkeit und unter allen Umständen wahres und gültiges Recht geschaffen werden. Nächste Folge dieser Idee war das Streben nach Abstractionen, was sich durch das ganze Gesetzbuch hindurchzieht und grade in den staatsrechtlichen Materien so sehr hervortritt. Man glaubte, dadurch dem Werk diejenige schöpferische Allseitigkeit zu geben, die man ihm durch materielle Vollständigkeit zu geben nicht im Stande war, so sehr man hierauf auch hinarbeitete.“117
Durch eine solche Konzeption des Codex wird nunmehr stillschweigend vorausgesetzt, daß das Gesetz in einzelnen Teilen nicht Regelwerk, sondern bloßer Bericht sein muß. Eggers sprach es offen aus: „Wenn gleich die nähern Bestimmungen über die Vertheilung der Angelegenheiten nicht in das allgemeine Gesetzbuch gehören, so ist es doch auf der andern Seite allen Unterthanen ohne Ausnahme sehr wichtig, zu wissen, welche Art von Geschäften vor dieses oder jenes Departement gehören […].Es wäre daher zu wünschen, daß in dem Gesetzbuch die allgemeinen Grundsäze von Vertheilung der verschiedenen Geschäfte unter die Collegia vorgetragen würden […].“118
Mit § 10 II 17 AGB/ALR ist das mit Hinblick auf die Geschäftsverteilung zwischen ordentlicher und Polizeigerichtsbarkeit geschehen, wie Krause119 bereits nachgewiesen hat. Bereits damals war Svarez also von seinem ursprünglichen Plane, nur Regelungssätze in den Codex aufzunehmen,120 abgerückt.
115
S. 35. 116 117 118
257. 119 120
Svarez in einem Brief an Baumgarten, zitiert nach: Boeck, Die Schlußrevision des ALR, Boeck, Die Schlußrevision des ALR, S. 35. Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 26. Eggers, Bemerkungen zur Verbesserung der Deutschen Gesetzgebung, 1. Teil, S. 256 – Krause, Das Allgemeine Landrecht als Naturrechtssurrogat, S. 233 – 258. Vgl. oben, A.
128
3. Teil: Funktion der im AGB/ALR enthaltenen Rechtssätze im allgemeinen
Blickt man nun auf die Verortung der staatsrechtlichen Sätze innerhalb des Codex, so ergibt sich folgendes Bild: Gehäuft treten solche in der Einleitung sowie in Teil II Titel 13 AGB/ALR auf. Jene Normen der Einleitung sprechen über den Zweck der bürgerlichen Verbindung, über die Gesetzgebung und wen dieselbe verbindet. Damit sind die Grundlagen der preußischen Gesellschaftsordnung dargetan, auf welchen die sämtlichen darauf folgenden Bestimmungen des Gesetzbuchs fußen, und es ist die Frage nach der Verbindlichkeit dieser in dem Codex folgenden Bestimmungen geklärt. In Teil II Titel 13 AGB/ALR ergibt sich ein vergleichbares Bild. Hier werden zunächst die Rechte und Pflichten des Staats überhaupt dargestellt, ehe die Verhältnisse der Untertanen zu ihrer Obrigkeit im einzelnen behandelt werden. Und auch hier spiegeln die rein staatsrechtlichen Rechtssätze die Grundzüge der Gesellschaftsordnung als Rahmen für die in Teil II Titel 14 erfolgte Regelung des Finanzund Abgabenwesens wider, dessen gesetzliche Regelungsbedürftigkeit von keiner Stimme bezweifelt wurde. In gleicher Weise ist Teil II Titel 17 konzipiert. In den §§ 1 – 2 II 17 AGB/ALR werden die Grundsätze der Materie des ganzen Titels dargelegt, in den §§ 3 – 17 wird die grundsätzliche Unterscheidung der Gerichtsarten und deren Zuständigkeiten geregelt. § 18 weist die höchste Gerichtsbarkeit als ein Hoheitsrecht aus und ordnet sie damit dem Staatsoberhaupte zu; von ihr leitet sich sodann in den §§ 19 ff. jede subordinierte Gerichtsbarkeit ab. Nur also, indem auch staatsrechtliche Rechtssätze aufgenommen wurden, konnte ein Gesetzbuch erreicht werden, das dem aufklärerischen Anspruch an Vollständigkeit gerecht werden konnte. Die Rechtssätze selbst mußten keine unmittelbar verbindliche Regelung enthalten, sondern ihre Funktion konnte sich in der Erhellung der systematischen oder gesellschaftlichen Hintergründe anderer Vorschriften erschöpfen.
II. Staatsrecht und Rechtssicherheit Svarez war die Rechtssicherheit in allen Gebieten des Rechts ein großes Anliegen; die Rechtsordnung sollte ein Bollwerk der Sicherheit und Verläßlichkeit sein. Der Belege, nicht nur in den Kronprinzenvorlesungen, sondern etwa auch in den mit Klein geführten Gesprächen über „Freyheit und Eigenthum“121 und in den Vorträgen, die er in der Mittwochsgesellschaft gehalten hat, sind so viele, daß wir statt deren Beibringung lieber Eulen nach Athen trügen. Für viele Äußerungen sei als eine der augenfälligsten aus den Kronprinzenvorlesungen folgende wiedergegeben: „Gleichwohl ist in der Gesetzgebung nichts schädlicher als die Veränderlichkeit in den Prinzipien […]. Es bedarf keines Beweises, wie ungewiß und schwankend bey solchen häufigen Abwechslungen die Rechte der Staatsbürger seyn und welchen schädlichen Ein121
Klein, Freyheit und Eigenthum.
C. Einzelne Funktionen staatsrechtlicher Rechtssätze
129
fluß eine solche Ungewißheit und Verwirrung auf den inneren Wohlstand des Landes und der Unterthanen haben müße.“122
Zu den bemerkenswertesten unter ihnen gehört auch, daß Svarez, als er vor dem Kronprinzen über Privilegien dozierte, mit Eifer dazu ermahnte, nicht weniger als bei der Aufhebung von Gesetzen strenge Kriterien anzulegen und hier wie da einmal eingeräumte Rechtspositionen nicht entschädigungslos zu entziehen.123 Gleich in der ersten Stunde seiner juristischen Vorlesungen nannte er ferner als Grund für das Entstehen der Staaten dieses Streben nach Sicherheit der Person und des Eigentums sowie den ungestörten Genuß der Freiheit jedes Einzelnen.124 Für eine solche Verläßlichkeit auf das Recht sind die Berechenbarkeit des Gesetzgebers und damit feste Grundsätze in der Gesetzgebung unabdingbar. Daher ermahnten die Autoren des Gesetzbuchs den Kronprinzen für die Zeit seiner bevorstehenden Regentschaft, so oft sich ihnen die Gelegenheit bot, den allgemeinen Grundsätzen, welche im preußischen Recht galten, nicht aus Launen des Augenblicks oder vermeintlichem Gerechtigkeitseifer entgegenzuhandeln. Denn nichts sei in der Gesetzgebung ja schädlicher als Veränderlichkeit in den Prinzipien, wie Svarez sagte.125 Als der Kronprinz im März 1792 an mehreren Tagen das Berliner Kammergericht visitierte, endigte Kircheisen, der Direktor dieses Gerichtshofes, seine – thematisch mit Svarez abgestimmte126 – Ansprache an den späteren König Friedrich Wilhelm III. mit den Worten: „Wo ist Ehre, Leben, Freiheit, Vermögen des Unterthanen sicherer als bey uns, unter dem Schutze des gerechtesten Königs? und, wo werden diese Güter in der Folge sicherer seyn, als bey uns? wenn es erlaubt ist, der Zukunft aus untrüglichen Merkmahlen zu weissagen.“127
Diese „untrüglichen Merkmahle“ sind doppeldeutig. Erstlich lassen sie die – wohl augenfälligere – Deutung auf das Verständnis des Kronprinzen, welches sich entweder bereits damals abzeichnete oder zumindest durch entsprechende Lobreden geweckt werden sollte, sowie auf dessen Gerechtigkeitsliebe zu, deren Fortsetzung man sich in der Zeit seiner Regentschaft erwartete. Des weiteren können darunter aber ebenso die Gesetze selbst verstanden werden, deren fortdauernde Geltung unter einem weisen Fürsten zu erwarten sei und welche die bestehenden Rechte unangetastet lassen. Nichts in der Zeit des friderizianischen und nachfriderizianischen Preußen konnte im zivilrechtlichen Bereich mehr dem Ziele der Verläßlichkeit des Rechts und der Rechtssicherheit dienen, als die allgemeine Gesetzgebung, als das Allgemeine 122
Svarez, KPV, fol. 206r = S. 581. Svarez, KPV, fol. 124r = S. 56. 124 Svarez, KPV, fol. 377v = S. 3. In den Ausführungen über die Staatszwecke (unten, 4. Teil, A., I., 3.) wird darauf noch näher eingegangen werden. 125 Svarez, KPV, fol. 206r = S. 581 (s. o.). 126 Siehe dazu Krause in: Svarez, KPV, S. 893, Fn. 1. 127 Zitiert nach: Klein, Nachricht von den Besuchen des Kronprinzen, S. 312. 123
130
3. Teil: Funktion der im AGB/ALR enthaltenen Rechtssätze im allgemeinen
Gesetzbuch selbst. Denn die Staatsverfassung war uneingeschränkt monarchisch; alles hing von dem aktuellen Willen des Königs ab. Von dem Gesetzbuche, dessen Bestand nach dem königlichen Willen auf Dauer konzipiert war, konnte am ehesten ein dauerhafter Bestand erwartet werden, solange nur der Wille zu allgemeiner und gleicher Gesetzgebung – von dem zu entziehen sich ein Herrscher, ohne sich des Vorwurfes des Despotismus auszusetzen, schwertun dürfte – bei ihm und seinen Nachfolgern fortbestand. Es liegt mithin also nicht fern, daß die Autoren das Gesetzbuch als Instrument nutzen wollten, um auch die Grundlagen für den Bestand dieser Sicherheit zu festigen. Das gemeine Wohl, welches der Konzeption des Allgemeinen Gesetzbuchs als Staatszweck zu Grunde lag128, erfüllt sich jedenfalls zu wesentlichen Teilen in der Sicherheit individueller Rechtspositionen.129 Und immerhin räumte Svarez in seinem Bericht von dem Verfahren bei der Ausarbeitung des Gesetzbuchs130, den er in Kleins „Annalen“ hat abdrucken lassen, ein, wie sehr er die Monita schätzte, die bürgerliche Freiheiten zum Gegenstande hatten: „[…] Haß und Abneigung gegen alle bloße Willkühr; sorgfältiges Bestreben, die bürgerliche Freyheit mit dem Gehorsam gegen den Staat und seine Gesetze in jene glückliche Harmonie zu bringen, ohne welche wahrer Wohlstand in der bürgerlichen Gesellschaft nie Statt finden kann; […] – das ist der vorherrschende Character der meisten dieser schätzbaren Beyträge.“131
Da eine solche Persistenz des Rechts und der tatsächliche Schutz rechtlich gesicherter Positionen vom Gesetzgeber und der obrigkeitlichen Macht schlechthin und im Zeitalter der uneingeschränkten Monarchie damit allein vom Willen des Königs abhängen132, hatte ein daraufhin gerichtetes Anliegen an den König notwendig konstitutionellen Bezug. So sprach Svarez, als er dem Kronprinzen jene im Gesetzbuche niedergelegten Grundsätze des Allgemeinen Staatsrechts vortrug, welche diese Prinzipien wiedergaben und die wegen ihrer die Vollmachten des Königs vermeintlich einschränkenden Wirkung in der Kritik standen, von ihnen gar als der „Schutzwehr der bürgerlichen Freyheiten eines preußischen Unterthanen“133.134 128 Unten (4. Teil, I.) werden die dem Gesetzbuche zu Grunde gelegten Staatsziele nähere Erörterung erfahren. 129 Vgl. dazu § 2 II 13 AGB/ALR. 130 Zum Nachweis der Urheberschaft des Berichts, vgl. oben, B., I., 2., d). 131 Svarez, Kurze Nachricht von dem neuen Preußischen Gesetzbuche, S. XVIII. 132 Vgl. die oben (1. Teil, C., I., 2.) dargelegten wesentlichen Grundsätze der preußischen Staatsverfassung. 133 Svarez, KPV, fol. 206v = S. 583. 134 Was nach heutiger Terminologie an moderne Abwehrrechte gemahnt, muß in dem Kontext der Aussage gedeutet werden: Svarez begann die Darstellung der allgemeinen Grundsätze des Rechts mit den Grundsätzen der uneingeschränkten Monarchie und ging sodann zu den „inneren Einschränkungen der Souverainetaet und ihr[em] Unterschied vom Despotismus“ über (Svarez, KPV, foll. 204v – 213v = S. 576 – 602); unter diesen „inneren Einschränkungen“ verstand Svarez die im ersten Teile dieser Arbeit (1. Teil, C., II., 2.) als nicht zwangsweise durchsetzbar bezeichneten Schranken formell uneingeschränkter Macht. Die Schutzwehr kann also von vielerlei Gestalt sein – eine rechtliche ist sie jedenfalls nicht.
C. Einzelne Funktionen staatsrechtlicher Rechtssätze
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Gewisse Tendenzen, mittels des Allgemeinen Gesetzbuchs eine freiheitliche Gesellschaftsordnung stützen zu wollen, sind also nicht verkennbar. Dieses Unternehmen konnte jedoch über leise Versuche im Wege nicht formal-konstitutioneller, mittelbarer Einflußnahme nicht hinausgehen. Insoweit aber hatte das Allgemeine Gesetzbuch und mehr noch das schließlich inkraftgetretene Allgemeine Landrecht in der Tat Einfluß auf die preußische Staatsverfassung, allerdings zumindest zu Anfang – während der größeren oder geringeren Zeitspanne, die jedes neue Gesetz benötigt, um seine Grundgedanken in der Rechtspraxis zu konsolidieren135 – in weit geringerem Maße als von manchen Autoren der jüngeren Zeit behauptet wird.
III. Staatsrecht und bürgerliches Recht 1. Das Verhältnis der Rechtsgebiete Der Grundsatz der Einheit der gesamten Rechtsordnung bringt es mit sich, daß die einzelnen Disziplinen des Rechts nicht isoliert im Gefüge der Rechtsordnung stehen, sondern ihren Einfluß in vielfältigen Bereichen über die Grenzen des eigenen Rechtsgebietes erstrecken und andere Rechtsgebiete teils bedingen, teils von ihnen bedingt werden oder in wechselseitigem Einflusse zu ihnen stehen: „Das Recht ist nicht bloß in dem Sinne von Privat-Recht zu verstehn, sondern eben so wohl als Staats-, wie als Criminal- und Civil-Recht. Denn es ist die vollkommene Ueberzeugung des Verfassers, daß nur aus der Erkenntniß der Totalität die Erkenntniß des einzelnen Gliedes hervorgehn kann […].“136
Die Autoren des Gesetzbuchs und teilweise auch seine Gegner erkannten eine solche Beziehung zwischen den einzelnen Rechtsgebieten. Klein etwa sprach in Verteidigung gegen die Schlosser’schen Angriffe von dem „wechselseitigen Einfluß dieser verschiednen Arten von Gesetzen aufeinander“137
und meinte damit Staats-, Regierungs-, Zivil- und Kriminalgesetze. Übereinstimmend mit Schlosser sprach er von der Abhängigkeit der einzelnen Rechtsgebiete voneinander und davon, „daß die Gränzlinien der verschiedenen Gesetze oft in einander fließen“138.
135 Bemerkenswerterweise erhoffte man sich nach der Suspension des Gesetzbuchs von demselben im ganzen, daß es, wenn schon nicht durch formelle obrigkeitliche Sanktion, so doch im Wege des Gerichtsgebrauchs, wie einstmals das Corpus iuris, zur praktischen Anwendung gelange, vgl.: Stölzel, Svarez, S. 365. 136 Sietze, Preußische Staats- und Rechts-Geschichte, S. VI. 137 Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 347. 138 Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 347.
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3. Teil: Funktion der im AGB/ALR enthaltenen Rechtssätze im allgemeinen
Eine getrennte Darstellung dieser Gesetze bezeichnete er gar als „unausführbar“.139 Auch Staatsrecht und bürgerliches Recht standen niemals beziehungslos zueinander; auch heute formuliert das Staatsrecht Vorgaben für das Zivilgesetz und ist auf dessen Auslegung von Einfluß.140 Die staatsrechtlichen Rechtssätze des Allgemeinen Gesetzbuchs hatten mithin auch eine zivilistische Dimension. Einen solchen inneren, thematischen Zusammenhang zwischen staatsrechtlichen und zivilrechtlichen Vorschriften erfaßten auch die Verfasser des Gesetzbuchs. Die in den Codex aufgenommenen staatsrechtlichen Vorschriften wurden etwa von Klein in Beziehung auf das Zivilrecht gesetzt und interpretiert; er sagte, als er die Aufnahme der staatsrechtlichen Sätze gegen Schlossers Kritik verteidigte, in den „Annalen der Preußischen Rechtsgelehrsamkeit“: „Alle Materien des Gesetzbuchs stehen freylich mit einander in einer wechselseitigen Beziehung“.141
So sehr also etwa die unmittelbar sich auf das gemeine Wohl beziehenden Normen von den Zivilgesetzen verschieden sind, stehen sie doch nicht beziehungslos zu denselben. „Aus allen diesem ergiebt sich, daß das Ineinandergreifen der Rechtsmaterien im Landrechte ein wahrhaft organisches Ganze bildet.“142
Festzuhalten bleibt damit, daß dem Staatsrecht Einfluß auf das Zivilrecht beigemessen wurde. 2. Einzelne Funktionen, welche dem Staatsrecht in Beziehung auf das Zivilrecht zukommen sollten a) Das Staatsrecht als stabilisierende Grundlage des Zivilrechts Besonders von den Zivilrechtstheoretikern der Zeit wurde die Bedeutung der staatsrechtlichen Sätze darin gesehen, die privatrechtlichen Vorschriften des Codex gesellschaftlich einzuordnen. Auch in dieser Hinsicht kam staatsrechtlicher Gesetzgebung also nicht unmittelbare Bedeutung zu, sondern sie diente dazu, privatrechtliche Verhältnisse in einen bestimmten Kontext zu setzen. In dieser Erkenntnis maßen die Autoren, aber auch Gegner der zeitgenössischen preußischen Gesetzgebung, dem Staatsrecht Bedeutung für die Stabilität des Zi-
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Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 347. Siehe dazu auch: Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 347, mit Verweisen auf Schlosser. 141 Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 356. 142 Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 32. 140
C. Einzelne Funktionen staatsrechtlicher Rechtssätze
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vilrechts bei.143 Schlosser, einer der wohl prominentesten Gegner des Gesetzgebungsvorhabens, sprach in seinen gegen die preußische Gesetzgebung und insbesondere gegen den Entwurf des Allgemeinen Gesetzbuchs gerichteten Briefen die Abhängigkeit des bürgerlichen Rechts von dem Staatsrechte wie folgt an: „Aus dem, was ich über ihn [= Filangieri] sagte, werden Sie schon gesehen haben, daß wenigstens nach meiner Meinung, ehe man an eine gute Gesetzgebung denken kann, wäre es auch nur in Rücksicht der Verhältnisse der Bürger unter sich; erst die Rechte des Regenten im Staat, gegen diesen und gegen dessen Glieder, so festgesetzt und bestimmt werden müssen, daß sie nicht wieder alles willkührlich machen können, was die Gesetze dem Willkühr entzogen haben.“144
Offenbar war ihm daran gelegen, die Unbeständigkeit des positiven Rechts während des Regimes einer Staatsverfassung aufzuzeigen, die der Willkür des Regenten keine echten Schranken wies. Das Staatsrecht sah er als die Grundlage zwar nicht der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung des bürgerlichen Rechts an, wohl aber erkannte er in ihm die Voraussetzungen für eine allgemeine bürgerliche Gesetzgebung überhaupt und für deren Bestand. Auch als er sich in seinem zweiten Brief über die Gesetzgebung Gedanken über das Verhältnis zivilrechtlicher und staatsrechtlicher Normen zueinander machte, sagte er: Indem die staatsrechtlichen Normen gebraucht und auch mißbraucht werden können, das zivile Recht – seine Festigkeit und Verläßlichkeit – zu beeinflussen, übten sie einen nicht überschätzbaren Einfluß auf das Privatrecht aus.145 Aus einem Staatsgesetzbuche, das er abzufassen riet, sollten daher die Grundsätze für die Zivilgesetzgebung und des Zivilrechts schlechthin gezogen werden;146 sein Inhalt solle Antwort auf folgende Fragen geben: „1.) Wer kann Gesetze geben? 2.) Wie kann er sie geben? […] 3.) […] wen binden die Gesetze? […] 4.) Wer kann ausnehmen von dem Gesetz, und was hat die Ausnahme für Wirkung? 5.) Wer kann [Gesetze] erklären? […] 6.) Würde ich entscheiden wie ein Gesetz publizirt werden soll, und wann die Publication für allgemein geschehen erachtet wird. 7.) Daß schlechterdings kein Gesetz auf Facta gezogen werden sollte, die schon vor dem Gesetz geschehen sind. 8.) würde ich über die Abrogation und Derogation der Gesetze entscheiden. […]“147
Dabei handelt es sich sämtlich um Materien des Staatsrechts. Wegen des Fehlens eines derart kodifizierten Staatsrechts und insbesondere wegen eines Mangels an verbindlichen Vorschriften über den Erlaß, die Abänderung und Aufhebung der 143 Die allgemeine Gesetzgebung sollte – wie Svarez sagte – auf die Zeitgesetze inhaltlich bestimmend wirken. Hier ist es anders: Das Staatsrecht übt – in der hier zu untersuchenden Problematik – zwar keinen Einfluß auf den Inhalt des Zivilrechts, aber auf dessen formellen Bestand, auf dessen Verläßlichkeit. 144 Schlosser, Erster Brief, S. 70. 145 Schlosser, Zweiter Brief, S. 115. 146 Schlosser, Dritter Brief, S. 253. 147 Schlosser, Dritter Brief, S. 253 – 255.
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3. Teil: Funktion der im AGB/ALR enthaltenen Rechtssätze im allgemeinen
Gesetze wollte er die bürgerliche Gesetzgebung während der uneingeschränkten Monarchie überhaupt in Frage stellen. Seine Kritik an der staatsrechtlichen Gesetzgebung innerhalb des Allgemeinen Gesetzbuchs bezog sich also allein auf die Form, jedoch nicht auf den Umstand, daß dieselbe überhaupt stattfand. Eine staatsrechtliche Kodifikation erachtete er vielmehr als notwendige Voraussetzung für eine seriöse bürgerlich-rechtliche Gesetzgebungsarbeit. In den Entgegnungen, die Klein auf die Angriffe Schlossers folgen ließ,148 interpretierte er ihn geschickt für seine Zwecke. Er pflichtete ihm darin bei, daß die verschiedenen Arten der Gesetze – unterteilt, wie auch bei Schlosser,149 in Staats-, Regierungs-, Zivil- und Kriminalgesetze – nicht beziehungslos nebeneinander stünden, sondern sich gegenseitig bedingten.150 Anders als Schlosser folgerte er jedoch, daß sie aus diesem Grunde nicht notwendig auf verschiedene Gesetzbücher aufgeteilt werden müßten, sondern es könnten – wie zu schließen ist – vielmehr auch Sätze des Staatsrechts in einem bürgerlichen Codex enthalten sein, ohne daß der bürgerlich-rechtliche Gesetzgebungsauftrag dadurch Schaden nähme. „Denn daraus, daß diese Gesetze in sich verschieden sind, folgt noch nicht, daß jede Art derselben in einem besondern Buche vorgetragen werden müsse; vielmehr hat Herr Schlosser selbst den wechselseitigen Einfluß dieser verschiednen Arten von Gesetzen auf einander erkannt.“151
Klein spricht weiter – die Terminologie Schlossers aufgreifend – etwas unscharf von den „Grundsätzen“152, die den Gesetzen zu Grunde liegen, und meint, wie es sich aus dem Zusammenhang ergibt, staatsrechtliche. Er war bemüht, diese staatsrechtlichen Grundsätze in den Kontext der bürgerlichen Rechtsordnung einzuordnen und dabei als deren Grundlagen aufzuzeigen, von denen das gesamte Zivilrecht – soweit es sich in der Form des Gesetzes niederschlägt – bedingt und – soweit es bereits Bestand hat – beeinflußt werde. Die Funktion staatsrechtlicher Vorschriften wurde also von Klein und Schlosser übereinstimmend in ihrer konsolidierenden Wirkung auf die bürgerliche Gesetzgebung gesehen – die bürgerliche Rechtsordnung sollte die staatsrechtliche zum Fundament haben. Es darf dabei jedoch nicht die bereits gewonnene Erkenntnis aus den Augen verloren werden, daß positiviertes Staatsrecht zur Zeit der uneingeschränkten Monarchie in staatskonstitutioneller Hinsicht nichts als eine deklaratorische Spiegelung des sich außerhalb der formellen Gesetzgebung konstituierenden Verfas148 Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen; ders., Von dem fünften Briefe Schlossers. 149 Schlosser, Dritter Brief, S. 253. 150 Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 347. 151 Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 347. 152 Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 350.
C. Einzelne Funktionen staatsrechtlicher Rechtssätze
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sungsrechts sein konnte. Dies aber mußte sich auch auf das Verhältnis des positivierten Staatsrechts zu den zivilrechtlichen Vorschriften auswirken. Sollten die zivilen Rechtsnormen des Gesetzbuchs dauerhaft anwendbar bleiben, durften sie nicht von den positivierten staatsrechtlichen Sätzen abhängen, die durch eine Veränderung des wirklichen Staatsrechts jederzeit unbrauchbar zu werden drohten. Die Bedeutung also, welche den positivierten staatsrechtlichen Sätzen – nicht das davon zu unterscheidende wirkliche Staatsrecht – für die Grundlegung des bürgerlichen Rechts zukommen konnte, reichte daher nicht weiter, als daß lediglich der Bestand des Staatsrechts deklaratorisch vermittelt wurde. Den Bestand des Zivilrechts selbst aber konnten sie vermöge ihrer eigenen Unverbindlichkeit nicht begründen. Wäre dies der Anspruch an das positivierte Staatsrecht gewesen: Sobald es mit dem wirklichen Staatsrechte nicht mehr im Einklange stünde und auf Grund dessen unbrauchbar geworden wäre, bräche auch die ganze bürgerliche Rechtsordnung in sich zusammen. Es konnte sich bei den staatsrechtlichen Sätzen mithin nur um eine systeminterpretatorische, die staatsrechtliche Einbettung aufzeigende Grundlage, nicht aber um eine Anwendungsvoraussetzung für das Zivilrecht handeln. b) Der Einfluß des Staatsrechts auf die inhaltliche Ausgestaltung des Zivilrechts Wäre allerdings das Staatsrecht nur Grundlage für das Zivilrecht gewesen, seine Kodifizierung hätte in der Tat, wie von Schlosser gefordert, außerhalb des zivilrechtlichen Allgemeinen Gesetzbuchs erfolgen können. Selbst wenn sie gänzlich unterlassen worden wäre, würde dies dem Anspruch des Gesetzbuchs, Antworten auf zivilrechtliche Fragen zu geben, nicht unmittelbar Abbruch getan haben, wie der Cocceji’sche Entwurf und der fertiggestellte Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis Kreittmayrs beweisen. Nicht nur der Bestand des Zivilrechts wurde jedoch von dem Staatsrecht abgeleitet, sondern auch auf die Interpretation verschiedener zivilrechtlicher Vorschriften wurde dem Staatsrechte Einfluß beigemessen. So sagte etwa Klein: „Dieser [= der Plan des Entwurfs] handelt erstlich von den Gesetzen überhaupt, legt dann die allgemeinen Grundsätze vor, welche auf alle Theile des gemeinen Gesetzbuchs Einfluß haben […].“153
Und einem Einwurfe Schlossers erwiderte er, daß „in dem Entwurfe des Gesetzbuchs in der That keine andern Sätze aufgenommen worden, als solche, deren der Richter bedarf, um die Civilrechte, welche auch zwischen dem Landesher[r]n und seinen Unterthanen in Streit gerathen können, darnach zu entscheiden.“154 153 154
Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 357. Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 381.
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3. Teil: Funktion der im AGB/ALR enthaltenen Rechtssätze im allgemeinen
In einem in Carmers Namen verfaßten Schreiben an Danckelmann äußerte sich Svarez im Sommer 1793 zur Funktion der staatsrechtlichen Teile des Allgemeinen Gesetzbuchs wie folgt: „Was hiernächst die Sätze des Allgemeinen Staatsrechts betrifft, so kommen dergleichen im Gesetzbuche nur solche vor, welche nöthig waren, um den Richter auf den Grund der vorhandenen positiven, die Iura privatorum bestimmenden Gesetze zu führen, und ihn dadurch bey der Erklärung und Anwendung dieser Gesetze richtig zu leiten.155
Ähnliches sagte Svarez auch in den Klein’schen „Annalen“: „Es ist natürlich, daß ein bürgerliches Gesetzbuch keine Constitution enthalten kann; und mit dem allgemeinen so wenig, als mit dem besondern Staatsrechte der Preußischen Monarchie etwas zu thun habe. Es giebt aber doch, und muß in jedem Staate, dessen Regent nicht Despot ist, noch seyn will, mancherley Angelegenheiten und Geschäfte geben, wo Rechte und Pflichten zwischen dem Staate und den Unterthanen ein Gegenstand richterlicher Beurtheilung und Entscheidung sind.“156
Nun führte Svarez aus, daß dies um so mehr in Preußen gelte, wo Friedrich der Große und Friedrich Wilhelm II. stets beteuert hätten, daß der Fiskus in seinen Streitigkeiten mit den Untertanen allein nach den Vorschriften der Gesetze behandelt werden solle, und schloß daraus: „Es war also nothwendig aus dem innern Preußischen Staatsrechte diejenigen Grundsätze und Regeln, die der Richter bey der Entscheidung solcher streitigen Angelegenheiten befolgen soll, in das Gesetzbuch mit aufzunehmen.“157
Nahezu inhaltsgleich findet sich auch eine Notiz Svarez’ in den Akten zum Allgemeinen Gesetzbuche: „Die Bestimmungen der Verhältnisse zwischen dem Oberhaupte des Staats und seinen Unterthanen machen eigentlich das innere Staatsrecht der preußischen Monarchie aus, und gehören als solche nicht in das gegenwärtige Gesetzbuch. Es giebt aber unter diesen Verhältnissen Einige, die auf den Privatzustand einzelner Bürger unmittelbaren Einfluß haben, und wornach die Folgen ihrer Handlungen in vorkommenden Fällen vom Richter bestimmt werden müssen. Es giebt Andere, bey denen der Staat sich nur der Rechte der Privatpersonen bedient, und seine daraus entspringenden Befugnisse und Obliegenheiten gegen seine Bürger der Erörterung und Entscheidung der von ihm geordneten Richterstühle unterworfen hat. Es giebt endlich Rechte, welche der Staat Einigen seiner Bürger zu übertragen pflegt, und woraus also zwischen Diesen und andern Privatpersonen Rechte und Pflichten entstehen können. Dergleichen Verhältnisse machen unstreitig einen Gegenstand der bürgerlichen Gesetzgebung aus, und haben daher in das Gesetzbuch aufgenommen werden müssen.“158
155
Svarez in Carmers Namen an Danckelmann, Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 11, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 378. 156 Svarez, Kurze Nachricht von dem neuen Preußischen Gesetzbuche, S. XXXI. 157 Svarez, Kurze Nachricht von dem neuen Preußischen Gesetzbuche, S. XXXII. 158 Materialien zum Entwurfe des Allgemeinen Gesetzbuchs, I. Teil, 2. Abt., S. 5, zitiert nach: Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 624.
C. Einzelne Funktionen staatsrechtlicher Rechtssätze
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Erhard sprach sich in seinem „Versuch einer Critik des Allgemeinen Gesetzbuchs für die Preussischen Staaten“ ebenfalls für die Aufnahme staatsrechtlicher Bestimmungen in den Zivilcodex aus. Es sei „unumgänglich erforderlich“, diejenigen Sätze des Allgemeinen Staatsrechts, welche auf die Bestimmung der bürgerlichen Rechte Einfluß haben, nicht bloß stillschweigend anzunehmen und vorauszusetzen, sondern im Gesetzbuche mit der Klarheit vorzutragen, die erforderlich ist, um die privaten Rechte und Verbindlichkeiten angemessen beurteilen zu können.159 Um zu verhindern, daß die Rechtsetzung der Krone entgleite und erneut teils bei den Kommentatoren die Antworten auf die in Wissenschaft und Praxis auftauchenden Rechtsfragen gesucht würden, teils die Richter ohne jeden Maßstab entschieden, sollten im Gesetzbuch selbst die Grundsätze aufgezeigt werden, nach welchen in zweifelhaften Fällen vorgegangen werden sollte. In der an Danckelmann gerichteten Korrespondenz schrieb Svarez, von Carmer unterzeichnet, wie folgt: „Ihm [= dem Richter] mußte eine zusammenhängende und vollständige Theorie vorgelegt, die Begriffe und Grundsätze mußten bestimmt angegeben, und die in den bisherigen Rechten controvers gewesenen Materien mußten entschieden werden, wenn man die neue Legislation dem Schicksale der ältern, welche durch Compendien-Schreiber und Commentatoren so sehr verdunkelt, verunstaltet und schwankend gemacht worden, nicht aussetzen, und die Einwohner des Staats gegen richterliche despotische Willkühr soviel als möglich sichern wollte.“160
3. Schluß Nach dieser Vorstellung war es ein Tribut an die nach den Maßstäben der Aufklärung überaus weitgehende Vollständigkeit in der Darstellung des Zivilrechts, daß das Staatsrecht als dessen Voraussetzung sowie als Interpretationsmaßstab in der Legislation nicht unerwähnt bleiben konnte.
159
Erhard, Critik des AGB, S. 111. Svarez in Carmers Namen an Danckelmann am 3. August 1793, Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 8/7v, 8/8, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 374. 160
Vierter Teil
Die Funktion einiger der im AGB und ALR enthaltenen staatsrechtlichen Rechtssätze im besonderen A. Über die Bestimmung des Staatszweckes und über die Majestätsrechte – Ein Beitrag zur Funktion der §§ 77 – 79 Einl. AGB und der §§ 1 – 16 II 13, § 18 II 17 AGB/ALR Im Zentrum der Debatten um die staatsrechtlichen Vorschriften standen und stehen die Staatszweckbestimmungen und die damit in unmittelbarem Zusammenhange stehenden Normen über die Rechte und Pflichten des Staatsoberhaupts.
I. Über die Bestimmung des Staatszweckes 1. Die Staatszwecke nach Maßgabe der §§ 77 – 79 Einl. AGB und der entsprechenden Entwurfsfassungen a) Entwurfsfassung 1782 Bereits in dem ersten, von Svarez vermutlich gegen Ende des Jahres 17821 angefertigten Entwurf eines Allgemeinen Gesetzbuchs finden sich in der Einleitung zwei Sätze über den Staatszweck: „§. Der Staat ist berechtigt, die äußeren Handlungen seiner Bürger dem Endzweck des gemeinen Wohls gemäß anzuordnen. §. Jeder Bürger ist schuldig, das Seinige zur Erreichung dieses Endzwecks beyzutragen.“2
Aus diesen Sätzen geht bereits hervor, daß der Staat einen Endzweck habe, der im gemeinen Wohl bestehe, und daß ihm aus diesem Grunde das Recht zukomme, „die äußeren Handlungen […] anzuordnen“, dem Einzelnen also Vorschriften in Form 1
Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, Anh. I, S. 385. GStA, Rep. 84 Abth. XVI Nr. 7, 8. Band, fol. 103r, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 300. 2
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von Geboten und Verboten zu geben. Der Inhalt des gemeinen Wohls ist offengelassen. b) Gedruckter Entwurf 1784 In dem zwei Jahre später – 1784 – erschienen gedruckten Entwurf waren die Normen über den Staatszweck wesentlich zahlreicher und inhaltlich ausführlicher. In der Einleitung hieß es: „§. 50. Das allgemeine Wohl ist der Grund der Gesetze. §. 51. Der Staat ist verpflichtet, für die innere und äußere Ruhe und Sicherheit seiner Mitglieder zu sorgen. §. 52. Er ist berechtigt, die äußeren Handlungen aller, welche seinen Schutz geniessen, diesem Endzweck gemäß anzuordnen. §. 53. Jeder Bürger des Staats ist schuldig, das Seinige zu Erreichung dieses Endzwecks beyzutragen. §. 54. Alle einzle Rechte der Bürger des Staats müssen dem Endzweck der allgemeinen Ruhe und Sicherheit untergeordnet werden. §. 56. Der Staat kann die natürliche Freyheit seiner Bürger nur in so fern einschränken, als das Wohl der gesellschaftlichen Verbindung solches erfordert. §. 57. Sowohl dem Staat als seinen Bürgern, müssen die wechselseitigen Zusagen und Verträge heilig seyn.“
Der Staatszweck ist in dieser Fassung des Gesetzesprojekts wesentlich konkreter beschrieben; Aussagen über ihn stehen jedoch auch hier nicht isoliert, sondern die Zwecke des Staates werden zur Rechtfertigung für die Gesetzgebung herangezogen. Zunächst wird in § 50 das allgemeine Wohl als „der Grund der Gesetze“ schlechthin bezeichnet; die Berechtigung der Gesetzgebung ergibt sich also daraus, daß sie dem gemeinen Wohle dient. Dieser Satz wird in den §§ 51 und 52 konkretisiert: In § 51 wird die Pflicht des Staates zu umfassendem Schutz seiner Staatsangehörigen postuliert, und in § 52 wird daraus die Berechtigung des Staates zur Gesetzgebung für seine Untertanen abgeleitet. Dabei verstand Svarez unter dem Begriff der Gesetzgebung nicht lediglich an eine bestimmte Form oder einen bestimmten Inhalt gebundene Regeln, sondern sämtliche obrigkeitlichen Befehle, die nicht ausschließlich für den Einzelfall gegeben sind:
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„Gesetze sind nichts andres als allgemeine Vorschriften, nach welchen die Unterthanen ihre Handlungen einrichten sollen.“3
In § 56 wird schließlich die Grenze des Gesetzgebungsrechts mitgeteilt, wonach die „natürliche Freyheit“ nicht weiter als für „das Wohl der gesellschaftlichen Verbindung“ erforderlich eingeschränkt werden dürfe. Die „natürliche Freyheit“ bedeutet dabei jegliche Handlungsfreiheit: „Alle Gesetze schräncken die natürliche Freyheit der äußeren Handlungen ein. Der Mensch kan nicht mehr so wie im Stande der Natur seine eigne Einsicht und Überzeugung pp.“4
Maßstab der Gesetzgebung ist also nicht das Wohl einzelner Personen, sondern das Wohl der gesellschaftlichen Verbindung insgesamt. Offen bleibt, ob damit der Staat als Institution gemeint ist oder die Bewohner des Landes in ihrer Gesamtheit. In § 51 wird zwar der durch den Staat zu schützende Personenkreis mit der Bezeichnung „Mitglieder“ individualisierbarer als in § 56 benannt, aber auch hier bleibt zweifelhaft, ob dadurch der einzelne Staatsangehörige als Person oder doch eher die „Mitglieder“ als Gesamtheit der Staatsangehörigen, als das „Corps der Nation“ zu verstehen ist. Blickt man nach § 53, also nur zwei Normen weiter, so sprechen für die letztere Lesart die besseren Argumente, denn ausschließlich in diesem Paragraphen, in welchem von Pflichten der Untertanen die Rede ist, wird ausdrücklich „jeder [einzelne] Bürger des Staats“ angesprochen. Dieser Fassung des Entwurfs läßt sich somit jedenfalls entnehmen, daß das allgemeine Wohl identisch mit dem Wohl der gesellschaftlichen Verbindung ist, und daß es in der „inneren und äußeren Ruhe und Sicherheit seiner Mitglieder“ besteht. c) Entwurfsfassung 1788 Diese Sätze blieben in der von Svarez im Jahre 1788 angefertigten ersten Umarbeitung des gedruckten Entwurfs – bis auf geringfügige, rein sprachliche Abweichungen und eine andere Paragraphenzählung – bestehen.5 Erst in der zweiten, in der Handschrift von Klein am Ende desselben Jahres niedergeschriebenen und mit Anmerkungen in der Handschrift von Svarez versehenen weiteren Umarbeitung erhielten sie folgende Fassung: „§. 77. Das Wohl des Staats und seiner Einwohner ist der Zweck der bürgerlichen Vereinigung, und das allgemeine Ziel der Gesetze. §. 78. Das Oberhaupt des Staats, in welchem alle Rechte und Pflichten zu Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls sich vereinigen, ist die äußere Handlungen seiner Mitbürger 3 4 5
Svarez, KPV, fol. 205r = S. 577 – 578. Svarez, KPV, fol. 205r = S. 579. Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 310.
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[Anm. Svarez: aller Einwohner] diesem Zweck gemäß zu leiten und zu bestimmen, berechtigt. §. 79. Die Gesetze und Verordnungen des Staats sollen [Anm. Svarez: dürfen] die natürliche Freyheit und Rechte der Bürger nicht weiter einschränken, als solches der gemeinschaftliche Endzweck erfordert. §. 80. Ein jedes Mitglied des Staats ist das Wohl und die Sicherheit des gemeinen Wesens, nach dem Verhältnis seines Standes und Vermögens, zu unterstützen verpflichtet.“6
Diese Fassung bringt bereits in § 77 mehrere Neuerungen mit sich. Der Zweck der „bürgerlichen Vereinigung“ wird erstmals nicht mehr ausschließlich im Kontext des staatlichen Gesetzgebungsrechts genannt, sondern es wird als eigenständige Aussage „das Wohl des Staats und seiner Einwohner“ als Selbstzweck der bürgerlichen Vereinigung postuliert, und das darauf gerichtete „Ziel der Gesetze“ erscheint als bloße Folge dieses Gesellschaftszwecks. Neu ist zudem, daß anstelle des Begriffs des allgemeinen Wohls konkreter vom Wohl des Staates zum einen und außerdem vom Wohl seiner Einwohner gesprochen wird. Das „gemeinschaftliche Wohl“ erscheint als der gemeinsame Oberbegriff in § 78, das „Wohl und die Sicherheit des gemeinen Wesens“ in § 80. Zum ersten mal wird in dieser Fassung des Entwurfs auch nicht nur abstrakt vom Staate gesprochen, sondern nach § 78 ist es das „Oberhaupt des Staats“, dem die Rechte zukommen und den die Pflichten treffen, die ansonsten als Rechte und Pflichten des Staats bezeichnet sind. Wie bereits in dem gedruckten Entwurf von 1784, erscheint auch in dieser Fassung, in den §§ 78 und 79, als Grund und zugleich als Grenze der Befugnisse des Gesetzgebers das „gemeinschaftliche Wohl“. Svarez unterstrich durch seine Anmerkung in § 79, wo er anstelle des Wortes „sollen“ das Wort „dürfen“ einschaltet, die Begrenzungsfunktion, welche dem gemeinschaftlichen Wohl als Rechtfertigung für die Gesetzgebung zukommen soll. Bemerkenswert ist bei dieser Fassung jedoch, daß sich aus ihr der Inhalt des gemeinen Wohls wieder sehr viel undeutlicher als aus der Druckfassung von 1784 ermitteln läßt: Lediglich § 80, in welchem abstrakt das Recht des Staates ausgesprochen wird, Dienste und Abgaben von seinen Untertanen zu fordern, enthält noch die Wendung von dem „Wohl und der Sicherheit des gemeinen Wesens“. d) Allgemeines Gesetzbuch 1791 In der Einleitung des Allgemeinen Gesetzbuches von 1791 waren schließlich noch folgende Rechtssätze über die Staatszwecke enthalten:
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Zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 310.
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Das Wohl des Staats überhaupt, und seiner Einwohner insbesondere, ist der Zweck der bürgerlichen Vereinigung, und das allgemeine Ziel der Gesetze. §. 78. Das Oberhaupt des Staats, welchem die Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls obliegen, ist, die äußern Handlungen aller Einwohner, diesem Zweck gemäß, zu leiten, und zu bestimmen, berechtigt. §. 79. Die Gesetze und Verordnungen des Staats dürfen die natürliche Freyheit und Rechte der Bürger nicht weiter einschränken, als es der gemeinschaftliche Endzweck erfordert.“
Insgesamt ist diese Fassung etwas knapper als der gedruckte Entwurf aus dem Jahre 1784 und der umgearbeitete Entwurf des Jahres 1788; inhaltlich bringt sie jedoch kaum Neuerungen. § 77 dieser Fassung entspricht weitgehend dem § 77 des Vorgängerentwurfs. Das Wohl der Einwohner des Staats steht hier jedoch nicht mehr beziehungslos neben dem Wohl des Staates wie noch in der Fassung von 1788; vielmehr wird in dieser Fassung mit den Wörtern „insbesondere“ und „überhaupt“ klargestellt, daß das Wohl der Einwohner des Staates als Teil des Staatswohls angesehen wird. Auf diese Weise wird deutlich, daß Staatswohl und das Wohl der Einwohner nicht unterschiedliche, einander etwa widerstreitende Ziele sind, und es wird zudem die Bedeutung unterstrichen, welche dem Wohl der Einwohner zukommen soll, indem es, obwohl im Begriff des Staatswohls enthalten, eigens genannt wird. Hervorgehoben wird auch in diesem Entwurfe wiederum die Gesetzgebung: sie insbesondere habe den in § 77 ausgesprochenen Endzweck zum Ziel. § 79 konkretisiert dies noch dadurch, daß die Rechte des Einzelnen durch die Gesetze nicht weiter eingeschränkt werden dürfen, als dies zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; Svarez hatte sich in der Fassung, die er dieser Norm im Entwurf von 1788 geben wollte, offenbar durchgesetzt. Schließlich wird die Entwickelung fortgesetzt, welche sich schon an dem gedruckten Entwurf zur Fassung von 1788 beobachten läßt: Es wurde nunmehr jeder Anhaltspunkt getilgt, aus dem der Inhalt des gemeinen Wohls erschlossen werden könnte. 2. Von den Rechten und Pflichten des Staats überhaupt – Die Staatszwecke nach Maßgabe der §§ 1 – 4 II 13 AGB/ALR Auch die Bestimmungen der §§ 1 – 4 II 13 AGB/ALR beziehen sich auf die Staatszweckfrage. Sie haben folgenden Wortlaut: „§. 1. Th. II. Tit. 13. AGB/ALR. Alle Rechte und Pflichten des Staats gegen seine Bürger und Schutzverwandten vereinigen sich in dem Oberhaupte desselben.
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§. 2. Th. II. Tit. 13. AGB/ALR. Die vorzüglichste Pflicht des Oberhaupts im Staate ist, sowohl die äußere als innere Ruhe und Sicherheit zu erhalten, und einen jeden bey dem Seinigen gegen Gewalt und Störungen zu schützen. §. 3. Th. II. Tit. 13. AGB/ALR. Ihm kommt es zu, für Anstalten zu sorgen, wodurch den Einwohnern Mittel und Gelegenheiten verschafft werden, ihre Fähigkeiten und Kräfte auszubilden, und dieselben zur Beförderung ihres Wohlstandes anzuwenden. §. 4. Th. II. Tit. 13. AGB/ALR. Dem Oberhaupte im Staate gebühren daher alle Vorzüge und Rechte, welche zur Erreichung dieser Endzwecke erforderlich sind.“
Die §§ 1, 2, 4 II 13 AGB/ALR hatten bereits im gedruckten Entwurf des Jahres 1786 die folgenden, nahezu gleichlautenden Entsprechungen: „§. 1. Alle Rechte und Pflichten des Staats, gegen seine Bürger und Schutzverwandten, vereinigen sich in dem Oberhaupt desselben. §. 2. Die vorzüglichste Pflicht des Oberhaupts im Staat, ist die Handhabung der äußern und innern Sicherheit, für die Person und das Vermögen seiner Bürger und Schutzgenossen. §. 3. Dem Oberhaupt im Staat gebühren daher alle Vorzüge und Rechte, welche zu Erreichung dieses Endzwecks erforderlich sind.“
Sind in der endgültigen Fassung der Einleitung des Allgemeinen Gesetzbuchs und des Allgemeinen Landrechts sämtliche Normen weggefallen, welche einen Rückschluß auf den Inhalt des als das Staatsziel bezeichneten allgemeinen Wohls zulassen würden, so finden sich in den §§ 2 – 4 II 13 AGB/ALR hingegen deutliche Hinweise. In § 2 II 13 AGB/ALR ist als die vorzüglichste Pflicht des Staatsoberhaupts normiert, Ruhe und Sicherheit zu erhalten und den Einzelnen „bey dem Seinigen“ zu schützen; im gedruckten Entwurf von 1786 war das „Seinige“ konkreter als „die Person und das Vermögen der Bürger und Schutzverwandten“ gefaßt, freilich ohne daß damit ein inhaltlicher Unterschied verbunden ist. Dem allgemeinen Wohl unterfällt also sowohl der Schutz individueller Rechtsgüter („das Seinige“ des Einzelnen) als auch der Schutz der eher als kollektiv anzusehenden Rechtsgüter „Ruhe und Sicherheit“. Neben diesen in § 2 II 13 AGB/ALR als die „vorzüglichste Pflicht“ bezeichneten rein konservativen Aufgaben kamen in § 3 II 13 AGB/ALR konstruktive Staatsaufgaben hinzu, nämlich Vorkehrungen zur Daseinsvorsorge und zur Inwertsetzung der Schaffenskraft – Mittel und Gelegenheit, die Fähigkeiten und Kräfte auszubilden – für die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft zu treffen. Diese Pflichten der §§ 2 und 3 II 13 AGB/ALR sind es, welche in § 4 II 13 AGB/ALR sodann als die „Endzwecke“ bezeichnet werden. Wie in den Normen der Einleitung werden auch hier die Staatspflichten zur Rechtfertigung dafür herangezogen, daß dem Staat Macht in der
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Form von „Rechten und Vorzügen“ zukommt, und zwar – ebenfalls wie in der Einleitung – nur in soweit, als die Rechte und Vorzüge zur Erreichung dieser Endzwecke erforderlich sind. § 1 II 13 AGB/ALR ändert im Vergleich zu den Rechtssätzen der Einleitung lediglich den Blickwinkel, indem er bestimmt, daß an allen Stellen, an denen von den Rechten und Pflichten des Staates gesprochen wird, diese Rechte und Pflichten innerhalb des Staatsapparats dem Staatsoberhaupte zukommen. Die Norm selbst hat auf die Bestimmung des Staatszweckes und die Inhalte der §§ 2 und 3 II 13 AGB/ ALR keinen Einfluß, denn es handelt sich hiebei nicht um eine nach außen wirkende Vorschrift, sondern diese Norm stellt die Kompetenzverteilung bei der Wahrnehmung der Staatsaufgaben klar; es werden solche Staatsaufgaben von § 1 II 13 AGB/ ALR also vorausgesetzt und nicht selbst interpretiert. 3. Staatsbegriff und Staatszweck in der Sicht der preußischen Gesetzesautoren a) Äußerungen von Svarez zur Staatszweckfrage Noch ehe das Allgemeine Gesetzbuch vom König sanktioniert und im Druck erschienen war, begann Svarez im Januar 1791 damit, den Kronprinzen im preußischen Recht zu unterrichten.7 Im zweiten Teil dieser Kronprinzenvorträge, die das positive preußische Recht zum Gegenstande hatten, erläuterte Svarez auch die in der Einleitung und im Teil II Titel 13 AGB/ALR vorkommenden, den Staatszweck betreffenden Normen und sagte dazu gleich zu Beginn seiner Ausführungen über die „allgemeinen Grundsätze des Rechts“ folgendes: „Der Zweck des Staats ist, die äußere und innere Ruhe und Sicherheit zu erhalten, einen jeden bey dem Seinigen gegen Gewalt und Stöhrung zu schützen und für Anstalten zu sorgen, wodurch den Einwohnern Mittel und Gelegenheiten verschafft werden, ihre Kräfte und Fähigkeiten aus zu bilden und dieselben zur Beförderung ihres PrivatWohlstands anzuwenden. […] Er [= der preußische Monarch] ist das Oberhaupt der bürgerlichen Gesellschaft, die sich unter ihm vereinigt hat, um an den Zwecken ihrer Verbindung, d. h. an ihrer Ruhe und Sicherheit, an der Beförderung ihres PrivatWohlstands mit vereinigten Kräften zu arbeiten.“8
Die hier genannten Staatszwecke stimmen teilweise mit den in der Einleitung des gedruckten Entwurfs von 1784 formulierten Staatszwecken überein. Darüber hinaus sind diese Ausführungen nahezu identisch mit dem Wortlaut der Staatszweckbestimmungen, wie sie in den §§ 2 und 3 II 13 AGB/ALR wiedergegeben sind.
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Krause, in: Svarez, KPV, S. XVIII. Svarez, KPV, fol. 204v = S. 576.
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Diese Erörterung des positiven preußischen Rechts deckt sich in großen Teilen mit den Vorstellungen, die Svarez von der Funktion des Staates a priori hatte. Im ersten Teil der Kronprinzenvorlesungen, in welchem Svarez über das allgemeine Staatsrecht dozierte, beschäftigte er sich umfassend mit den Staatszielen. Dabei formulierte er den Grundsatz des Strebens nach allgemeinem Glück: „Im allgemeinen genommen kan dieser Zweck kein andrer seyn als die Beförderung der gemeinschaftlichen Glückseligkeit.“9
Um dieses allgemein gehaltene Prinzip zu konkretisieren, führte Svarez in der Folge die einzelnen Aspekte aus, die er dem Ziel, gemeinschaftliche Wohlfahrt zu erreichen, als notwendige Begleitung erachtete. Als die wichtigste, grundlegendste Aufgabe des Staates nannte er den Schutz individueller Rechtsgüter und führte stellvertretend dafür Person und Vermögen an: „daß der erste und höchste Zweck der StaatsVerbindung sey, 1. daß jedes Mitglied derselben für seine Person und sein Vermögen der möglichsten Sicherheit gegen alle gewaltsamen Angriffe und Stöhrungen andrer genießen solle. Dieß ist der unmittelbare und höchste Zweck aller StaatsVerbindungen, auf deßen Erreichung alle Anstalten und Einrichtungen darinn abzielen und dem alle andern etwaigen Nebenzwecke untergeordnet werden müßen.“10
Von diesen besagten „Nebenzwecken“ erachtete Svarez als die bedeutendsten zunächst die Bestimmung des Eigentums als notwendige Voraussetzung für dessen Schutz11, ferner bedürfe es „Regeln für die unter den Menschen so häufig vorkommenden Kollisionsfälle“12 ; „Es ist also ein sehr erheblicher Lebenszweck der StaatsVerbindung, 2. allgemein anerkannte Regeln für die Entscheidung der unter den Mitgliedern des Staats vorkommenden Streitigkeiten und Kollisionsfälle zu bestimmen und der Obergewalt im Staat die Anwendung dieser Regeln auf die würcklich eintretenden Fälle zu übertragen.“13
Diese allein auf den Schutz des Bestehenden gerichteten Zwecke sind in § 2 II 13 AGB/ALR am deutlichsten positiviert worden. Ihnen in der Bedeutung nachgeordnet, formulierte Svarez einen weiteren Aspekt des gemeinen Wohls, der typisch ist für eine Epoche, zu welcher die Nationalstaaten sich herausbildeten, und sagte: „3. daß die Kräfte und Fähigkeiten aller zur gegenseitigen Beförderung der Glückseligkeit eines jeden Eintzelnen in dem Maaße verwendet werden sollen, als geschehn kan, ohne einen jeden an dem freyen Gebrauch dieser seiner Fähigkeiten und Kräfte zur Beförderung seiner eignen Glückseligkeit zu hindern; daß Anstalten getroffen werden sollen, wodurch 9
Svarez, KPV, fol. 291v = S. 29 – 30. Svarez, KPV, fol. 291v = S. 30. 11 Svarez, KPV, fol. 291v = S. 30 – 31. 12 Svarez, KPV, fol. 291v = S. 31. 13 Svarez, KPV, fol. 292r = S. 31.
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einem jeden die möglichste Ausbildung seiner Fähigkeiten und Kräfte nach seiner Lage und Umständen erleichtert werde; daß einem jeden Gelegenheit verschafft werden soll, diese seine eignen Kräfte und Fähigkeiten zu seinem Vortheil ohne Beeinträchtigung andrer anzuwenden.“14
Svarez betonte die Zusammengehörigkeit der Nation und forderte auf Grund dieser Zusammengehörigkeit eine allgemeine nationale Solidarität („die Kräfte und Fähigkeiten aller zur gegenseitigen Beförderung der Glückseligkeit eines jeden Eintzelnen“) und sah zudem den Staat in der Pflicht, jedem Einzelnen bei der Gestaltung seines Lebens die weitreichendste Unterstützung zukommen zu lassen. Vergleichbare Forderungen an den Staat finden sich zwar in § 3 II 13 AGB/ALR, doch sind sie in dieser Gesetz gewordenen Formulierung weit weniger radikal gefaßt, als es Svarez’ Ansicht offenbar entsprach, wie die vorliegenden Ausführungen in den Kronprinzenvorlesungen nahelegen. Als Svarez dem Kronprinzen einen Überblick über die inneren Staatshoheitsrechte gab, bezog er sich erneut auf die Zwecke der Staatsverbindung, welche er zur Legitimation der Herrschermacht heranzog, und sagte, den obigen Äußerungen vergleichbar: „Sicherheit des Eigenthums und der Rechte für jeden Eintzelnen durch die vereinigten Kräfte Aller, ungestöhrter Gebrauch der natürlichen Freyheit eines jeden, so weit damit die Sicherheit und Freyheit der übrigen bestehn kan; Erleichterung der Mittel und Gelegenheiten zur Beförderung des PrivatWohlstandes durch Veranstaltungen zur Ausbildung des Verstandes und Hertzens, wodurch allein Neigung und Bereitwilligkeit zur Erfüllung der Pflichten des Wohlwollens erreicht werden kan, – das sind die großen und wichtigen Zwecke der bürgerlichen Gesellschaft […].“15
Über den Zweck des Staates hielt Svarez auch vor der Mittwochsgesellschaft am 19. Januar 1791 einen Vortrag.16 In dieser Gesellschaft selbst herrschte überwiegend die Ansicht, daß der Staatszweck in der Sicherung von Person und Eigentum gegen Beeinträchtigungen von außen bestehe und sich darin auch erschöpfe.17 Svarez dagegen postulierte aus reiner Empirie, daß ein darüber hinausgehender Zweck des Staates vorhanden sein müsse, indem er die „in einem jeden wohleingerichteten Staate“18 vorhandenen mannigfaltigen obrigkeitlichen Vorschriften und Anordnungen anführte, die nicht zum Wohle des Ganzen, sondern die lediglich auf die Beförderung des Wohles einzelner Mitglieder abzielten, welche aus bloß moralischen Ansprüchen – etwa der Erziehung und Ausbildung der Kinder – mit Zwang durchsetzbare Pflichten – etwa die Unterhaltspflichten – machten. Weil es nun aber auch nicht der Zweck des Staates als eines Gesamtwesens sein könne, das Wohl
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Svarez, KPV, fol. 292r = S. 32. Svarez, KPV, fol. 146r = S. 180 – 181. Svarez, Über den Zweck des Staats. Svarez, Über den Zweck des Staats, S. 640. Svarez, Über den Zweck des Staats, S. 641.
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lediglich einzelner Mitglieder zu fördern, müsse ein gerechter Mittelweg gefunden werden, inwieweit Tugenden zu Gesetzen werden sollten. b) Äußerungen von Klein zur Staatszweckfrage Auch Klein sah den Staatszweck in der Förderung allgemeiner Glückseligkeit, wie er es nannte; die Pflicht des Fürsten, der den Staat verkörpere, sei es, darauf hinzuwirken. „Pflicht ist, was dem höchsten Gesetze des Wohlverhaltens, dem Verhältnisse zur Glükseligkeit, gemäß ist.“19
Dabei unterschied er zwischen Staatszielen, welche notfalls mittels Zwang erreicht werden sollten und solchen Zielen, die nur in Absichten bestehen und für die kein Zwang angewendet werden dürfe.20 Die Scheidelinie sah er aber bei weitem nicht schon da erreicht, wo die Sicherheit von Person und Eigentum staatlichen Zwang erforderlich macht; unter den Zwecken, welche der Staat notfalls auch mit Zwang durchsetzen dürfe, fanden sich auch bei ihm eindeutig sozialstaatliche.21 c) Das gemeine Wohl als legislatorisch bestimmter Staatszweck Die in diesen Schriften und Vorträgen von Svarez und Klein an den Staat gerichteten Ansprüche decken sich weitgehend mit den Aufgaben, welche Svarez in den Entwürfen und in der Endfassung von Allgemeinem Gesetzbuch und Allgemeinem Landrecht dem Staate beimaß. Freilich spricht daraus der Geist der Aufklärung, wenn Svarez den in seinem Vortrag vor der Mittwochsgesellschaft gesuchten „Mittelweg“ darin zu erkennen glaubt, daß der Staat befugt sein solle, „überhaupt alles, was zur Beförderung wahrer Aufklärung gereicht“22, anzuordnen. Deutlich wird dabei die Tendenz, die Staatsziele weit zu fassen. Nicht lediglich der Schutz der Rechte und Rechtsgüter sollte dem Staat obliegen, sondern die umfassende Sorge für das Wohlergehen der Staatsangehörigen. Mit diesen Gedanken war der Sozialstaat konzipiert. So sehr das Allgemeine Gesetzbuch in seiner Struktur also der alten mathematisch-naturwissenschaftlichen Methode folgte, so war seine inhaltliche Konzeption durchaus zeitgemäß. Aus diesen Äußerungen von Svarez vor dem Kronprinzen und in der Mittwochsgesellschaft, die aus der Endphase der Entstehung des Allgemeinen Gesetzbuchs stammen, läßt sich daher entnehmen, daß Svarez die im Gesetzbuche unter den §§ 77 bis 79 der Einleitung und in den §§ 2 und 3 II 13 AGB/ALR enthaltenen Staatszielbestimmungen eher als zu eng denn als zu weit gefaßt angesehen haben 19 20 21 22
Klein, Ist es Schuldigkeit oder Gnade, wenn ein Fürst sein Land wohl regiert? S. 308. Kleensang, Das Konzept der bürgerlichen Gesellschaft bei Ernst Ferdinand Klein, S. 384. Kleensang, Das Konzept der bürgerlichen Gesellschaft bei Ernst Ferdinand Klein, S. 384. Svarez, Über den Zweck des Staats, S. 643.
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muß. Sowohl seine Ausführungen über das Allgemeine Staatsrecht in den Kronprinzenvorlesungen als auch der vor der Mittwochsgesellschaft gehaltene Vortrag erhellen den von Svarez an den Staat gerichteten Anspruch zu umfassender Sorge für das Wohl der Untertanen. Seine Intention mußte es demnach sein, die Rechtssätze über den Staatszweck in AGB und ALR, die dies nicht in dieser Universalität, sondern nur für gewisse Bereiche des Lebens ausdrücken, möglichst weit auszulegen. Es zeigt sich jedenfalls, daß nach den Äußerungen der Gesetzesautoren sowie nach den einschlägigen Rechtssätzen selbst dem preußischen Codex – und zwar sowohl dem Allgemeinen Gesetzbuche von 1791 als auch dem sodann im Jahre 1794 in Kraft getretenen Allgemeinen Landrechte – als Ziel des Staates das gemeine Wohl zu Grunde lag. Offen bleibt lediglich das Maß, in welchem der Staat zur Verwirklichung des gemeinen Wohls berufen sein sollte. 4. Der Zweck des Staates aus empirischer Erkenntnis a) Der Staatszweck als Abbild des zeitgenössischen Wertekodex Im ersten Teile dieser Arbeit wurde bereits bei der Darstellung der gesetzgeberischen Ansprüche und gesellschaftlichen Erwartungen im aufgeklärten Absolutismus Preußens der Einfluß von Zeit und Geist auf Denken und Handeln der Menschen und damit auch auf die Gesetzgebung erläutert.23 Aber mehr noch als für die allgemeine Gesetzgebung erlangen die zeitgenössischen Wertvorstellungen und Maximen für die inhaltliche Ausformung des Phänomens „Staat“ an Bedeutung, das feste Konturen noch nicht besaß.24 Die Frage, was als der Zweck des Staates in der Zeit der Entstehung des Allgemeinen Gesetzbuches angesehen wurde, kann folglich auch nur unter der Erkenntnis der zu dieser Zeit bestehenden Vorstellungen, was überpositives Recht ist und wie es – positiviert – beschaffen sein solle, erfolgen. b) Die zeitgenössischen Vorstellungen über den Zweck des Staates So sehr das Naturrecht auch den Einzelnen und dessen Glückseligkeitsstreben in den Vordergrund der Betrachtung rückte25, der „Wohlfahrtswert“ der Gesetze und 23
1. Teil, V., 1. Siehe sogleich unter I. 4. b). 25 Vgl. nur etwa bei: Schlettwein, Grundwahrheiten der gesellschafftlichen Ordnung, S. 5: „Erste sonnenklare Grundwahrheit. Die physische und wirthschafftliche Glückseeligkeit des Menschen auf dieser Erde ist der Zustand, darinne der Mensch die zur Nothwendigkeit, zur Bequemlichkeit, und zu den Freuden des Lebens erforderlichen, oder dienlichen Materien, so wie er ihrer bedarf, oder sie wünscht, und verlangt, ungestört genießen kann.“ In der Folge aber wird deutlich, daß auch in dieser Schrift – so individualistisch sie eingangs auch wirken mag – in jeder These und jeder Forderung die Überzeugung durchscheint, daß nur 24
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überhaupt der staatlichen Handlungen war eine Maxime, deren man im zeitgenössischen Staatsleben Preußens – sowohl im Schrifttume der Zeit als auch in der Staatspraxis unter Friedrich dem Großen – allerorten gewahr werden konnte.26 Das Publikationspatent zum Allgemeinen Gesetzbuche selbst sprach gleich zuoberst von der Notwendigkeit guter Gesetze „zum allgemeinen Wohl eben so sehr, als zur Sicherung und Beförderung der Privatglückseeligkeit eines jeden Einwohners im Staate“, und es zeichnete dabei das „allgemeine Wohl“ durch Voranstellung gegenüber der „Privatglückseligkeit“ besonders aus; und auch im Publikationspatente zum Allgemeinen Landrechte wurde auf diese „landesväterliche Intention“ nochmals ausdrücklich Bezug genommen.27 „Der unnachgiebigen, überall sich durchsetzenden Lehre von der gemeinen Wohlfahrt als ausschließlichem Staatszweck vermochte sich auf die Länge kein Staatswesen zu entziehen.“28
Basedow stellte im Jahre 1777 fest: „Man braucht in der That keinen andern Grundsatz des gesellschaftlichen Lebens, als das Grundgesetz des Naturrechts: Suche das allgemeine Beste der Menschen zu befördern.“29
Unter dem „gesellschaftlichen Leben“ verstand Basedow insbesondere das staatliche Leben.30 Schlettwein verstand in seinem Werk über „die Rechte der Menschheit“ aus dem Jahre 1784 – und unverändert in der 2. Auflage aus dem Jahre 1787 – unter dem Phänomen „Staat“ eine „vereinigte Krafft, und vereinigten Willen mehrerer Familien unter den Menschen“, um „die vollkommenstmögliche Garantie aller seiner [= des Menschen] GeniessungsRechte, und die günstigste Lage zum besten Gebrauch derselbigen zu erhalten“31.
Die umfassende Macht des Staates stehe diesem zu umfassender Sorge für seine Staatsangehörigen zu: „Der Staat fasset alle GeniessungsRechte in sich, die bey einzelnen Menschen, bey einzelnen Gesellschaften, bey Familien, bey Vereinigungen mehrerer Menschen und Familien seyn können. Alles, mit einem Worte, was die Menschen in diesem Leben gutes für sich wünschen können, ist unter dem HauptAugenmerke eines Staats mitbegriffen. Daher besteht das wahre gemeine Beste eines Staats in der vollkommensten Versicherung des ganzen Personal- und RealEigenthums eines jeden Gliedes, und des beglückendsten Genusses die gesellschaftliche Wohlfahrt auch das materielle Glück des Einzelnen zu begründen vermag und ihre Voraussetzung ist. 26 Vgl. nur die Beschreibung bei: Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 206 – 208. 27 Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 206 – 208. 28 Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 207. 29 Basedow, Practische Philosophie, 2. Teil, S. 153. 30 Vgl.: Basedow, Practische Philosophie, 2. Teil, S. 146, 154. 31 Schlettwein, Die Rechte der Menschheit, S. 447.
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desselben, oder in der vollkommensten Versicherung des PrivatBesten eines jeden, und aller.“32
Schlözer in seiner „StatsGelartheit“ vom Jahre 1793 sagte im Kapitel „Wesen und Zweck des Stats“, es sei „der einzige Zweck dieses Vereins, Salus publica: d. i. Glück Aller […].“33
5. Der Zweck des Staates als Deduktion von Begriff und Anspruch Daß der Staat am Ende des 18. Jahrhunderts von weiten Kreisen vor allem als Wohlfahrtseinrichtung angesehen wurde, war keine Selbstverständlichkeit. Blickt man auf die Geschichte, welche das Phänomen „Staat“ bis zu dieser Zeit durchlaufen hatte, so zeigt sich, daß die immer stärkere Betonung der sozialstaatlichen, fürsorgenden Komponente im Staatszweck nicht das zwingende Ergebnis der Entwickelung war, die der Staat nach Begriff und Anspruch a priori nehmen mußte. a) Der Staatszweck als Deduktion des Staatsbegriffs Eine mögliche Erkenntnisquelle kann eine etymologische Untersuchung des Begriffs sein, auf welchen sich die gesuchte Erkenntnis bezieht. Gelingt es also, eine verbindliche Definition des Staatsbegriffes in seiner natürlichen, ursprünglichen Bedeutung zu gewinnen, so können daraus eventuelle, dem Begriff innewohnende Zweckbestimmungen des Staates abgeleitet werden. In dem von der Duden-Redaktion herausgegebenen etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache34 findet sich unter dem Begriffe „Staat“ das seit dem frühen 15. Jahrhundert bezeugte, aus dem spätmittelhochdeutschen „stat“ hervorgegangene Substantiv, dessen ursprüngliche Bedeutung „Stand“ im Sinne von „Zustand“, aber auch „Lebensweise“ oder „Würde“ war. Dem korrespondierte die mittelniederdeutsche Verwendung des Wortes „stât“ in der Bedeutung von „Stand“, aber auch „Ordnung“. Wurzel dieser Begriffe war das lateinisch-mittellateinische „status“, welches das „Stehen“, aber auch einen Stand oder eine Stellung bezeichnet. Ein Zweck des als „Staat“ bezeichneten gesellschaftlichen Phänomens oder ein Anspruch an dieses ergibt sich hieraus jedenfalls nicht. Paul-Ludwig Weinacht35 hat das Wort „Staat“ nach seiner etymologischen Genesis sorgfältig untersucht. In Betracht kommen sonach vier Ursprünge dieses Begriffes, namentlich „Stand“36, „statten“37, „Status“38 und „Stadt“39. Am Ende des 32 33 34 35 36 37
Schlettwein, Die Rechte der Menschheit, S. 449. Schlözer, Allgemeines StatsRecht, S. 94. Duden, 7. Band. Weinacht, Staat, S. 229 – 231. Von „Beständigkeit“ – lat. consistere. „Erstatten“, „erstellen“ – lat. res constituta.
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18. Jahrhunderts stand lateinisch „status“ als Ableitungswort für „Staat“ philologisch außer Zweifel Eine gute Analyse des Staatsbegriffes gibt auch Josef Isensee im Staats-Lexikon.40 Demnach handele es sich bei dem Begriffe „Staat“ um ein vom lateinischen Ursprungswort „status“ abgeleitetes Wort der Neuzeit, das der italienischen Renaissance entsprang und sich in der Folgezeit über Europa verbreitete41 und das in seinem lateinischen Ursprung „status“ soviel wie „Zustand“ oder, bezogen auf das Mittelalter, schlicht „Stand“ bedeutet habe. Die Entwickelung, welche der Begriff aber in den Jahrzehnten und Jahrhunderten der wissenschaftlichen Untersuchung und des praktischen Gebrauchs genommen hatte, ließ ihm einen darüber hinausgehenden Bedeutungsgehalt zukommen; vor allem ab dem 17. Jahrhundert wandelte sich die politische Bedeutung des Begriffs und assimilierte sich damit an die Bedeutung des französischen Wortes „état“.42 Mit Bezug auf Machiavelli nennt Isensee als ersten Anhaltspunkt für diese neuzeitliche Deutung des Begriffes „Staat“ eine Machtbündelung in der Person des Herrschers, zunächst bewirkt und determiniert über Zahl und Ausstattung von dessen Gefolge. Später verselbständigte sich der nichtpersonale Aspekt zum Inbegriff der Macht – zur „Macht als Sache“43. Aus der „Komplexität und der raum-zeitlichen Mutabilität der staatlichen Erscheinungen“44 ergaben sich bereits am Ende des 18. Jahrhunderts unabsehbar viele Aspekte, unter denen das Phänomen „Staat“ gesehen werden konnte.45 Das Phänomen „Staat“ hatte sich zwar seit dem Anfang der Renaissance aus seinem etymologischen Korsett zu lösen begonnen und durchlief seitdem eine Entwickelung, die am Ende des 18. Jahrhunderts noch längst nicht dergestalt abgeschlossen war, daß eine schulmäßige Definition von ihm gegeben werden konnte, aus der die Zwecke des Staates hätten abgeleitet werden können. Die Worte Klewitz’ vom Jahre 1828 treffen daher genauso auf die Entstehungszeit des Allgemeinen Gesetzbuchs zu: „Bekanntlich sind die Definitionen, welche die Staatsrechtslehrer von diesem in frühern Jahrhunderten unbekannten, jetzt aber allgemein gewordenen Worte, S t a a t geben, so verschieden und mannigfach […].“46
38 39 40 41 42 43 44 45 46
S. 9.
Von „Zustand“ – lat. conditio. Auf geistiger Grundlage der Stadtgemeinschaften des Altertums – lat. civitas. Isensee u. a., in: Staats-Lexikon, 5. Band, Spp. 133 – 170, Stichwort „Staat“. Isensee, in: Staats-Lexikon, 5. Band, Sp. 133, Stichwort „Staat“. Weinacht, Staat, S. 230 – 231. Isensee, in: Staats-Lexikon, 5. Band, Sp. 134, Stichwort „Staat“. Isensee, in: Staats-Lexikon, 5. Band, Sp. 134, Stichwort „Staat“. Isensee, in: Staats-Lexikon, 5. Band, Sp. 134, Stichwort „Staat“. Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze,
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
Die Versuche solcher Definitionen sind freilich zahlreich; sie erfassen jedoch stets nur Segmente des Staatsganzen. Als Beispiel diene der Versuch von Basedow vom Jahre 1777, der in seiner Definition des Staates die machtsoziologische Komponente herausstreicht: „Ein Staat ist eine große eigenmächtige oder souveraine (das ist, keinem Auswärtigen unterworfne) Gesellschaft, welcher, als ihrem Oberherrn, ein jedes Mitglied, und eine jede kleine Gesellschaft derselben Mitglieder, in mancherley Thun und Lassen unterworfen ist.“47
Im gleichen Blickwinkel erkannte hingegen Haller den Staat – mit deutlicher Akzentuierung hinsichtlich der Stellung seines Oberhaupts – als „ein natürliches geselliges Verhältniß zwischen Freyen und Dienstbaren, was sich von andern ähnlichen Verhältnissen einzig und allein durch die Unabhängigkeit seines Oberhaupts unterscheidet.“48
Es wäre zwar nichts als eine petitio principii, wollte man den Staatsbegriff des Allgemeinen Landrechts zur Beantwortung der Frage heranziehen, welcher Staatsbegriff dem Allgemeinen Landrecht zu Grunde liegt. Interessant für die vorliegende Untersuchung können indes die Versuche sein, auf der Grundlage des Landrechts oder zumindest unter besonderer Berücksichtigung der zeitgenössischen preußischen Gesetzgebung eine Erklärung oder gar Definition des Staates zu geben. Svarez selbst definierte ihn um das Jahr 1785 wie folgt: „Die Verbindung aller Einwohner des Landes und der darinn bestehenden Gesellschaften zur Beförderung ihrer gemeinschaftlichen Wohlfarth“.49
Hubrich behauptete, Svarez verstehe unter dem Begriff des Staates eine bürgerliche Gesellschaft, deren Mitglieder einer gemeinschaftlichen Obergewalt unterworfen sind.50 Klewitz folgerte aus der Betrachtung des § 1 II 13 AGB/ALR, „daß der Staat in dem Sinne des Preußischen Landrechts eine Gemeinde ausmacht.“51
Bielitz definiert in seinem Kommentar zum Allgemeinen Landrecht den Staat als „eine, durch Gesetze und Herkommen geordnete, zur Begründung der Herrschaft des Rechtsgesetzes, mittelst Anerkennung einer gemeinschaftlichen Obergewalt, verbundene Gesellschaft“.52 47
Basedow, Practische Philosophie, 2. Teil, S. 154. Haller, Über die Nothwendigkeit einer andern obersten Begründung des allgemeinen Staats-Rechts, S. 48. 49 Stölzel, Svarez, S. 384. 50 Hubrich, Grundlagen des preußischen Staatsrechts, S. 446. 51 Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, S. 10. 52 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 626. 48
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Weinacht sagt über die Entwicklung, welche der Staatsbegriff durch die Jahrhunderte durchlaufen hat, in seiner Abhandlung über die Bedeutungsgeschichte des Wortes: „Nicht mehr allein die Sprache, die Geschichte selbst wird beim Wort genommen“53.
Die Vielgestaltigkeit der Definitionen macht es indes unmöglich, aus dem Staatsbegriff ein Staatsziel verläßlich abzuleiten. b) Die Bedeutung der Gegenstände des Allgemeinen Staatsrechts in Beziehung auf die Staatszweckfrage Aus den Gegenständen, welche das Allgemeine Staatsrecht ausmachen, kann ebenfalls ein Rückschluß auf die Zwecke versucht werden, die einem Staate beigemessen, und – mehr noch – auf die Erwartungen, die an einen Staat gestellt werden; dadurch können zugleich die Funktionen der Rechtssätze des preußischen Gesetzbuchs über den Zweck des Staates erkennbar werden. c) Der Staatszweck als Deduktion der Gegenstände des Allgemeinen Staatsrechts nach dessen Anspruch Einer der Hauptbereiche, denen die Allgemeine Staatsrechtswissenschaft sich widmete, war – wie gezeigt – das Verhältnis eines Oberen zu seinen Untergebenen, des Befehlenden zu den Gehorchenden – des Souveräns zu seinen Untertanen.54 Damit korrespondiert nun ein Wille zur Ordnung, welcher sich in der Schaffung einer auf festen Regeln fußenden Gemeinschaft gründet und die Organisation dieser Gesellschaft zur Friedensordnung werden läßt. Indem das Allgemeine Staatsrecht derartige Ansprüche formuliert, zeigt sich bereits eine erste Aussage über den Zweck des Staates in den Augen der zeitgenössischen Staatsrechtswissenschaft: Dieser kann kein Selbstzweck sein, sondern er muß zur Umsetzung der an ihn gestellten Ansprüche dienen. Das Phänomen „Staat“ kann mithin nach den aus dem Allgemeinen Staatsrecht an den Staat gestellten Ansprüchen kein statisches, sondern nur ein dynamisches sein. 6. Über die Bestimmung des Inhalts des gemeinen Wohls im Gefüge des absolutistischen Staates Im weitaus größten Teil des öffentlich-rechtlichen und naturrechtlichen Schrifttums herrschte ein Konsens, daß allein der Herrscher über den Inhalt des gemeinen Wohls zu entscheiden habe. Geradezu typisch für das Zeitalter der uneingeschränkten Monarchie ist die Definition, die Reinhold im Jahre 1797 gab: 53 54
Weinacht, Staat, S. 231. Vgl. oben, 1. Teil, II., 3.
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
„Das Recht und die Macht der Stellvertretung des allgemeinen Willens heißt die h ö c h s t e G e w a l t, und dieser Gewalt kömmt, in wieferne sie weder im Staat noch ausser demselben eine höhere über sich hat, das Prädikat der S o u v e r a i n i t ä t, in wieferne sie das Recht hat Gesetze zu geben und keine anzunehmen – zu zwingen und nicht gezwungen zu werden – das Prädikat der M a j e s t ä t zu.“55
Svarez betonte in den Kronprinzenvorlesungen, wenn er über die Zwecke des Staates referierte, stets, daß „zu deren Erreichung sie [= die bürgerliche Gesellschaft] dem Regenten die Macht, ihr zu befehlen, übertragen, und die Disposition über ihre vereinigten Kräfte seinen Händen anvertraut hat.“56
Und auch Schlosser, sonst ein erbitterter Gegner der preußischen Gesetzgebung und seiner Urheber, sagte: „Die Festsetzung der zu Erreichung dieses Zwecks [= des gemeinen Wohls] nöthigen Mittel, wurde dann auch dem Oberhaupt oder dem Regenten des Staats übertragen“.57
Je nach den Staatsverfassungen der einzelnen Länder war daneben die Konsultation der Stände vorgesehen, und dies zumindest de iure häufiger, als manche Autoren glauben machen wollten, wie etwa Moser mitteilt: „Es wird auch kein ehrlicher Mann und Patriot mißkennen, daß in der That das gemeine Beste allem anderem vorgehe: Aber, aber die Frage ist davon: Wer den Ausschlag geben könne, was würcklich das gemeine Beste seye und erfordere? Antw. Wer sonst, als der Regent? So spricht wohl ein Machiavel, ein Hobbes, ein Ickstatt, und wer sonst denen Höfen zu Gefallen redet. Hingegen […] [paßt] dises orientalische Staats-Recht nicht auf unsere Europäische und am allerwenigsten auf unsere mit Land-Ständen versehene Teutsche Lande […], als worinn es ein zwischen dem Regenten und dessen angebohrenen Räthen, denen Land-Ständen, gemeinsames Geschäffte ist, zu überlegen und zu prüfen, was nur den Namen oder Schein oder das Wesen des gemeinen Bestens habe […].“58
Das Verhältnis zwischen dem Landesherrn und den Landständen wurde im ersten Teile dieser Arbeit bereits erörtert.59 Es wurde dabei insbesondere die im Laufe der Zeit gewachsene Macht der Landstände durch die diesen eingeräumten Privilegien und Freiheiten aufgezeigt, was Moser zu der hier mitgeteilten Ansicht bewogen haben mag, den Landständen stehe ein Mitwirkungsrecht bei der Ausgestaltung des gemeinen Wohls auf gleicher Hierarchie wie dem Landesherrn selbst zu. Die im 17. Jahrhundert zunächst in Frankreich und am beginnenden 18. Jahrhundert sodann in den Staaten Deutschlands sich etablierende uneingeschränkte Monarchie ließ solche ständischen Mitwirkungsrechte indes immer mehr verblassen, bis von den 55
Reinhold, Vermischte Schriften, 2. Teil, S. 415 – 416. Svarez, KPV, fol. 146r = S. 181. 57 Schlosser, Dritter Brief, S. 251. 58 Moser, Von der Teutschen Reichs-Stände Landen (N. T. St.-R. 13/2), 4. Buch, 12. Cap., § 9, S. 1188. 59 Siehe oben, 1. Teil, C., I., 2., c), bb), (2). 56
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uralten Reversen und Landtagsrezessen nicht mehr als die vergilbten Urkunden übrig blieben, auf denen sie geschrieben und gesiegelt waren. Eine Mitwirkung der Stände bei Regierungsgeschäften wurde vielmehr von dem jedesmaligen Entgegenkommen des Königs abhängig.60 Entsprechend war der König auch frei in der Ausfüllung und Ausgestaltung jener Prinzipien, die als die innere Begründung dieses uneingeschränkten Rechtes dienten.61 7. Das Verhältnis von Option, Erwartung und Anspruch Unter „Staat“ verstand man am Ende des 18. Jahrhunderts folglich kein statisches Phänomen, sondern der Staat hatte eine Zielbestimmung und war, insofern dieses Ziel erreicht werden sollte, etwas Dynamisches. Als dieses Ziel galt im ausgehenden 18. Jahrhundert die Realisierung des gemeinen Wohls. Die Bestimmung des Inhalts und die Ausgestaltung dieses Staatszieles kam in der uneingeschränkten Monarchie notwendig dem Landesherrn zu, und der Zweck des Staates diente zugleich als Begründung dafür, daß dem Landesherrn die umfangreichsten Machtmittel zugesprochen wurden. Die Ermittelung und Formulierung eines Staatszieles kann sich jedoch nicht in der Postulierung eines Programmes erschöpfen, denn wenn der bürgerlichen Gesellschaft ein Zweck beigemessen wird, der erreicht werden soll, so intendiert dies einen entsprechenden Auftrag zur Erreichung dieses Zweckes. Dieser Auftrag richtet sich in der uneingeschränkten Monarchie notwendig an den Landesherrn, weil er allein „alle Handlungen der Bürger des Staats zu den Zwecken der bürgerlichen Gesellschaft nach seinem Gutfinden dirigiren kan“62, wie Svarez es ausdrückte. Aus der Bestimmung eines Staatszieles resultierte also ein Anspruch an den Landesherrn zu aktiver Tätigkeit zu der Umsetzung dieses Staatszieles.
II. Die Majestätsrechte Die Majestätsrechte weisen in ihrer Konzeption gewisse Parallelen zu den Staatszielbestimmungen auf; sie sollen daher nun erörtert werden. 1. Die Regalien und ihre Einteilung Svarez selbst verstand unter den Regalien „alle Rechte des Staats und seines Oberhaupts über die bürgerliche Gesellschaft und deren eintzle Mitglieder“63. 60
Vgl. oben, 1. Teil, C., I., 2., c), bb), (2). Dieselben sind – wie gezeigt – die Beförderung des gemeinen Wohls. 62 Svarez, KPV, fol. 204v = S. 577. 63 GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 19. Band, fol. 38r, abgedruckt bei: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, Anh. III, S. 392. 61
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Entsprechend ihrer Bestimmung finde eine Unterscheidung statt zwischen den sich aus dem Staatszweck unmittelbar und notwendig ergebenden Rechten und Befugnissen eines Regenten und solchen, die lediglich dazu bestimmt sind, deren Umsetzung zu gewährleisten. Svarez sprach bei der ersteren Art der Regalien von den „Majestätsrechten“, bei der letzteren von den „nutzbaren Rechten“. Diese Terminologie wurde jedoch nicht einheitlich gebraucht. Eggers etwa unterschied zwischen den „höheren Regalien“ und den „niederen Regalien“,64 ohne damit allerdings inhaltlich von Svarez zu differieren; ebenso ist in Kleins Lehrbuch vom Jahre 1801 über die Einteilung der Majestätsrechte zu lesen: „Sie sind es [= Majestätsrechte] im engern Verstande, in so fern sie unzertrennlich mit der obersten Staatsgewalt verbunden, und keiner andern Gewalt untergeordnet sind; so weit sie aber eine Einschränkung durch Privatrechte leiden, oder ein Gegenstand des Eigenthums oder der bürgerlichen Geschäffte sind, werden sie unter dem Namen der niedern Regalien, und der fiscalischen Rechte, der richterlichen Beurtheilung unterworfen.“65
Desgleichen unterschied Bielitz: „Man nennt die, in den gegenwärtigen §§. beschriebenen Majestätsrechte, wozu aber auch noch die höchste Gerichtsbarkeit gehört(66), mit einem andern Namen d i e h o h e n R e g a l i e n, zum Unterschiede von den niedern, welche dem Regenten zwar ebenfalls, jedoch nur als nutzbare, ihm Einkünfte gewährende Rechte, zukommen(67), und von denen erst in den folgenden Titeln die Rede seyn wird.“66
In seinen Vorträgen vor dem preußischen Kronprinzen betrachtete Svarez die im Folgenden aufgeführten Rechtsbereiche und Befugnisse als Majestätsrechte; sie fanden im Allgemeinen Gesetzbuch und Allgemeinen Landrecht in den nebenstehenden Bestimmungen ihren normativen Niederschlag: 1. Das Recht der bürgerlichen Gesetzgebung.67 §§ 3, 6 II 13 AGB/ALR; über die Gesetze selbst: §§ 1 – 79 Einl. AGB/§§ 1 – 72 Einl. ALR. Außerdem war das Recht, Münzen, Maß und Gewicht zu bestimmen, als ein Majestätsrecht in § 12 II 13 AGB/ALR geregelt, das Svarez jedoch bereits in seinen Kronprinzenvorträgen bloß als eine besondere Ausformung des allgemeinen Rechts zur Gesetzgebung betrachtete. 2. Das Strafrecht.68 §§ 8 – 11 II 13 AGB/ALR (betrifft nur die Vollstreckung und Begnadigung). 3. Die höchste Gerichtsbarkeit.69 § 18 II 17 AGB/ALR. 64
Eggers, Lehrbuch des Rechts, 2. Teil, 1. Band, S. 365. Klein, System des Preussischen Civilrechts, S. 544 – 545. „(66) A. L. R. II. 17. §. 18.“ „(67) A. L. R. II. 14. §. 24.“ 66 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 626 – 627. 67 Svarez, KPV, fol. 146v = S. 181. 68 Svarez, KPV, fol. 147r = S. 182. 69 Svarez, KPV, fol. 147r = S. 182. 65
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4. Das Recht zur Polizei.70 § 6 II 13 AGB/ALR. 5. Das Recht zur Oberaufsicht über alle Gesellschaften, daß diese dem Zweck der bürgerlichen Gesellschaft nicht entgegenlaufen.71 § 13 II 13 AGB/ALR. 6. Das Recht, Staatsämter zu errichten und Würden zu verteilen, weil der Regent nicht alles Notwendige selbst tun könne.72 § 7 II 13 AGB/ALR. 7. Das Recht, Krieg zu führen, Frieden zu schließen und Bündnisse einzugehen.73 § 5 II 13 AGB/ALR. 8. Das Finanz- oder Kameralrecht.74 §§ 14, 15 II 13 AGB/ALR. Alle diese Gegenstände gehören zur Regierung, nicht zur Verwaltung. 2. Die Majestätsrechte als Anspruch an den König Svarez ließ die Erörterung der Majestätsrechte unmittelbar auf sein vor dem Kronprinzen gehaltenes Referat über die Staatszwecke folgen; diese Majestätsrechte sah er in unmittelbarer Akzessorietät zu den Staatszielbestimmungen: „Aus dieser Entwickelung der Zwecke des Staats fließen die verschiednen Rechte des Regenten, die gewöhnlich unter dem Nahmen der Majestaets- od. HoheitsRechte begriffen werden.“75
Insoweit weisen die in den §§ 5 – 13, 15 II 13; 18 II 17 AGB/ALR niedergelegten Majestätsrechte gewisse Parallelen zu den oben untersuchten Staatszielbestimmungen auf. Da die dem Staatsoberhaupt beigelegten Rechte sich unmittelbar aus den Staatszwecken ergeben, korrespondiert ihnen auch eine Pflicht, sie wahrzunehmen; denn insbesondere ohne den Verkehr mit auswärtigen Mächten zu pflegen (§ 5 II 13 AGB/ALR), Gesetze zu erlassen (§ 6 II 13 AGB/ALR) und sonst die vielfältigen in den §§ 7 – 15 II 13 AGB/ALR beschriebenen Rechte wahrzunehmen, ist ein funktionierendes Staatswesen nicht denkbar. Etwa über das Gesetzgebungsrecht sagte Svarez in seinen Kronprinzenvorlesungen folgendes: „Sollen Eigenthum und Rechte der Bürger des Staats gesichert werden, so müßen Gesetze vorhanden seyn, welche bestimmen, was zu dem Eigenthum und dem Rechte eines jeden gehöre.“76
70 71 72 73 74 75 76
Svarez, KPV, fol. 147r = S. 182. Svarez, KPV, fol. 147r = S. 182. Svarez, KPV, fol. 147r = S. 182. Svarez, KPV, fol. 147v = S. 182 – 183. Svarez, KPV, fol. 147v = S. 183. Svarez, KPV, fol. 146v = S. 181. Svarez, KPV, fol. 146v = S. 181.
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Er setzte sich sodann zwar mit dem Naturrecht und der Frage auseinander, ob dasselbe eine bürgerliche Gesetzgebung nicht obsolet mache, verneinte dies jedoch, weil das Naturrecht „nicht immer deutlich und in die Augen fallend genug“77 sei und er insonderheit auch besondere Unwägbarkeiten in Fällen der Rechtskollision zu erkennen meinte: „[…] besonders in CollisionsFällen, wo zweyerley Rechte nicht zu gleicher Zeit ausgeübt werden können, folgl. eins dem andern nachstehn muß, sind die Entscheidungen des NaturRechts oft schwankend und ungewiß.“78, 79
Unmittelbar aus dem Auftrage zur Verwirklichung der verfassungsmäßigen Staatsziele leitet Svarez sodann das Recht zur bürgerlichen Gesetzgebung her: „Zur Sicherheit des Eigenthums und der Rechte ist es also nothwendig, daß der Regent als der Vorsteher und das Organ der bürgerlichen Gesellschaft, die Kennzeichen und Merkmale des Eigenthums durch allgemeine Vorschriften bestimme, und Regeln festsetze, nach welchen ein jedes Mitglied der Gesellschaft sein Verhalten gegen andre bey den Geschäften und Verhandlungen des bürgerlichen Lebens einrichten soll. Hieraus entspringt das Recht der bürgerlichen Gesetzgebung.“80
Aus der dargelegten Notwendigkeit einer bürgerlichen Gesetzgebung läßt sich leicht erkennen, daß dieses von Svarez benannte Recht die Pflicht in sich trägt, ausgeübt zu werden. Basedow hegte noch im Jahre 1777 Zweifel, ob eine solche aus dem Staatszweck erfolgende Herleitung für alle notwendigen Komponenten eines funktionierenden Staatswesens glücken sollte: „Mich dünkt zweytens, der Grundsatz: suche deiner Gesellschaft Bestes; könne deswegen nicht das einzige Grundgesetz des gesellschaftlichen Lebens seyn, weil er zu undeutlich ist, und man nicht alle gesellschaftlichen Pflichten ohne Zwang daraus herleiten kann.“81
Auch die übrigen Majestätsrechte rechtfertigte Svarez mit aus den Staatszielen abgeleiteten Herrscherpflichten wie folgt. Das Recht zur Strafgesetzgebung begründete er mit der Notwendigkeit, die Rechtsgüter der Untertanen vor unrecht77
Svarez, KPV, fol. 146v = S. 181. Svarez, KPV, fol. 146v = S. 181. 79 Noch viel schroffer verneinend ist übrigens Klein auf einen Vorschlag Schlossers: „Bei dem §. 87. [der Einleitung des gedruckten Entwurfs von 1784] tadelt Herr Schlosser, daß alle Rechte, wodurch andere in ihrer Freyheit eingeschränkt und zu handeln genöthiget werden, durch Gesetze gegründet werden sollen, und meint, die Gesetze der Vernunft würden hier auch wohl als Supplement-Gesetze gelten müssen. Gott behüte uns vor den Supplementen, womit uns die Vernunft der Despoten heimsuchen würde (die Scharfköpfe nicht zu vergessen, welche, um nicht für Alltagsköpfe zu gelten, uns so viele wunderbare Vernunftgesetze aufdringen würden, daß uns zuletzt kein sicherer Gebrauch der Vernunft mehr übrig bliebe.) Die positiven Gesetze dienen ja eben zu Bestimmung der Fälle, in welchen einer den andern zu zwingen berechtigt seyn soll.“ (Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 385.) 80 Svarez, KPV, fol. 146v = S. 181. 81 Basedow, Practische Philosophie, 2. Teil, S. 153. 78
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mäßigen Übergriffen zu schützen.82 Um die ihrem Zweck gemäße und dazu auch erforderliche praktische Umsetzung sowohl der bürgerlichen als auch der Strafgesetze sodann sicherzustellen, bestehe die oberste Gerichtsbarkeit.83 Das dem Regenten zustehende Recht zur Polizei stützte Svarez auf die Gefahren und „Hindernisse“ in der „Ausbildung des gemeinen Wohlstandes“, die, teils als Naturereignisse, teils von Menschen ausgehend, der Gesellschaft oder ihren Mitgliedern drohen und zu deren Abwendung die Kräfte der Einzelnen nicht ausreichend sind. Um dem Staatsziele der Beförderung des gemeinen Wohls durch die Abwehr der der Gesellschaft und ihren Mitgliedern drohenden Gefahren gerecht zu werden, seien daher Vorkehrungen zu treffen, die Svarez nur dann als zweckmäßig erachtete, wenn diese planmäßig und nach einheitlichen Grundsätzen errichtet würden.84 Gleichwie es dem Regenten mit Hilfe des Strafrechts und des Rechts zur Polizei obliege, den aus dem Inneren des Staatsverbandes kommenden Beeinträchtigungen durch die entsprechenden Abwehrmaßnahmen zu begegnen, so stünden ihm gegen auswärtige Feinde die Rechte zum Kriege, Frieden und Bündnisschlusse zu.85 Die innerhalb der Nation bestehenden vielfältigen bürgerlichen Vereinigungen und insbesondere die Religionsgesellschaften sah Svarez deshalb der Oberaufsicht des Regenten unterworfen, weil diese – in Abhängigkeit der Zwecke, zu denen sie sich verbanden – einen bedeutenden Einfluß auf Beförderung oder Hinderung des gemeinen Wohls hätten.86 Staatsämter und Würden zu verleihen sei erforderlich, da der König selbst nicht in der Lage sei, alle an ihn gerichteten Aufgaben und Pflichten persönlich wahrzunehmen und zu erfüllen und er daher bestimmte Angelegenheiten auf Personen übertragen müsse, die in seinem Namen auftreten und daher auch mit dem entsprechenden Ansehen ausgestattet sein müßten.87 Das Kameralrecht rechtfertigte er schließlich mit der notwendigen Finanzierung der Ausübung dieser Majestätsrechte.88 Im Codex selbst wird dieses Wechselspiel von Recht und Verpflichtung deutlich ausgesprochen in der Vorschrift des § 14 II 13 AGB/ALR, welche von den dem Oberhaupte des Staats „obliegenden Pflichten“ spricht; fehlt es darin zwar an einer ausdrücklichen Bezugnahme auf die Majestätsrechte, so ist doch aus ihrer Stellung im dreizehnten Titel unter der Marginalnote „Majestätsrechte“ sowie mangels Nennung anderer Pflichten des Staatsoberhaupts in dem gesamten Codex89 der Zusammenhang hinreichend erkennbar. 82
Svarez, KPV, fol. 147r = S. 182. Svarez, KPV, fol. 147r = S. 182. 84 Svarez, KPV, fol. 147r = S. 182. 85 Svarez, KPV, foll. 147r–147v = S. 182 – 183. 86 Svarez, KPV, fol. 147r = S. 182. 87 Svarez, KPV, fol. 147r = S. 182. 88 Svarez, KPV, fol. 147v = S. 183. 89 Mit Ausnahme des § 2 II 13 AGB/ALR, welcher aber ebenfalls eine Staatszielbestimmung enthält. 83
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III. Staatstheoretische Grundlagen und deren Kritik Im ersten Teile dieser Arbeit wurde aufgezeigt, daß der Regent Preußens von Verfassungs wegen die Fülle der staatlichen Macht hatte; auf seinen Wink hin mußte sich alles in Bewegung setzen, seinen Befehlen Genüge zu leisten, wie Svarez dies in den Kronprinzenvorlesungen anschaulich formulierte.90 Aus diesen Grundsätzen der Staatsverfassung Preußens, über die ein breiter Konsens herrschte, ließ sich jedoch weder eine Begründung für die uneingeschränkte Herrschermacht entnehmen, noch waren daraus die Zwecke abzuleiten, zu denen der König seine Macht einzusetzen hatte. Ebenso war infolge dessen die wichtige und auch vorliegend entscheidende Frage ungeklärt, wie einem formell uneingeschränkten Herrscher Pflichten obliegen konnten. Diese Unbestimmtheit öffnete den Raum für die verschiedenen Spekulationen der Staatsrechtswissenschaft, die zunächst göttliche Einsetzung oder schlichte Machtergreifung, im Verlaufe des 18. Jahrhunderts dann aber zunehmend einen – teils real angenommenen, überwiegend aber offen fingierten – Gesellschaftsvertrag als den Quell der vom König beanspruchten staatlichen Autorität sehen wollten. Die Herleitung der Herrscherpflichten erfolgte entsprechend aus unterschiedlicher Quelle und mit unterschiedlicher Intensität. Am Ende des 18. Jahrhunderts standen sich die Ansichten kontrovers gegenüber, und Svarez konnte sagen: „Die so wichtige Frage: Wie sind StaatsVerbindungen entstanden, und worauf gründet sich das Verhältnis zwischen Regenten und Unterthanen? ist zu verschiednen Zeiten sehr verschieden beantwortet worden.“91
1. Vertragstheorie und Pflichtenlehre a) Vertragstheorie und Pflichtenlehre in der Wissenschaft Den im Allgemeinen Landrecht enthaltenen staatsrechtlichen Vorschriften lag, wie es sich teilweise aus den obigen Ausführungen ergibt und sogleich näher erläutert werden wird, die Lehre vom Gesellschaftsvertrag zu Grunde. Diese ging auf Vorläufer in der griechischen Antike, vor allem auf die Werke Epikurs und Aristoteles’ zurück, die sich allerdings noch nicht auf das oben dargelegte Phänomen „Staat“, wie es seit der Renaissance sich herausbildete, bezogen, sondern sich, unter Ausblendung anderer Faktoren, rein auf den Personalverband – die Polis – konzentrierten. Erst in der Neuzeit, vor allem im 17. und 18. Jahrhundert, wurde die Lehre vom Gesellschaftsvertrag sodann zur Rechtfertigung des modernen Staates92 dogmatisch weiterentwickelt; nach ihr wird die Entstehung des Staates auf eine 90
Vgl. oben, 1. Teil, C., I., 2., c), bb), (1). Svarez, KPV, fol. 291r = S. 28. 92 Unter dem „modernen Staat“ wird hier auch das Ancien Régime begriffen, soweit ihm der seit der Renaissance gewandelte und entwickelte Staatsbegriff zu Grunde lag. 91
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vertragsmäßige Unterwerfung der Einzelnen unter die Staatsgewalt zurückgeführt. Ausgehend von einem Naturzustande, welcher als rechtsfreier Raum begriffen wird und der mal optimistischer, mal pessimistischer gezeichnet wird, führe eine unter den einzelnen Personen geschlossene Übereinkunft schließlich zu einem gesellschaftlich verfaßten Zustand. Hobbes, der 1651 im Leviathan erstmals in der Neuzeit die Vertragstheorie ausführlich entwickelte, sprach dabei von einem genuinen Krieg aller gegen alle (Bellum omnium contra omnes), der seine Ursache in dem Umstande trage, daß nach dem Naturrecht alle Güter von jedem beansprucht werden könnten; die unweigerliche Folge sei ein Verteilungskampf um diese Güter. „[Die Menschen] gebrauchen Gewalt, um sich zum Herrn über anderer Menschen Personen, Frauen, Kinder und Vieh zu machen; […] um sie [= die geraubten Güter] zu verteidigen; […] wegen Bagatellen wie ein Wort, ein Lächeln, eine unterschiedliche Meinung und jedes andere Zeichen von Unterschätzung, die entweder ihre eigene Person betreffen oder ein schlechtes Bild auf ihre Verwandten, ihre Freunde, ihre Nation, ihren Beruf oder ihren Namen werfen“.93
Gemein war allen Vertretern der Vertragstheorie, daß sie in der rechtlichen Verbundenheit der Menschen durch die Konzentration der Macht und die dadurch erfolgende Einräumung (bei Hobbes) oder Sicherung (bei Locke) von Freiräumen mancherlei Vorteile erkannten, die in erster Linie im Schutz der Einzelnen gegen Übergriffe auf ihre Freiheits- und Eigentumsrechte bestanden. In der Erkenntnis dieser Vorteile, die eine verfaßte Gesellschaftsordnung biete, hätten nun die Menschen danach gestrebt, in einen gesellschaftlichen Zustand mit fester Ordnung – den Staat – einzutreten, welcher durch freiwillige Übereinkunft – den Gesellschaftsvertrag – erreicht worden sei. Bei Kant trat zur bloßen Sicherung und Befriedung des Lebens als Motiv des Gesellschaftsvertrages idealisierend die von der Vernunft bestimmte Sittlichkeit hinzu, die eine Unterscheidung zwischen „gut“ und „böse“ ermögliche und zu dessen Umsetzung das Staatswesen den Rahmen biete. Modern war dieses Gesellschaftsverständnis insofern, als darin die vertragschließenden Menschen als selbstverantwortlich handelnde Individuen betrachtet werden; ein Menschenbild, das in Preußen vor allem durch Kant geprägt wurde: „Der Act, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat constituirt, eigentlich aber nur die Idee desselben, nach der die Rechtmäßigkeit desselben allein gedacht werden kann, ist der ursprüngliche Contract, nach welchem alle (omnes et singuli) im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, um sie als Glieder eines gemeinen Wesens, d. i. des Volkes als Staat betrachtet (universi) sofort wieder aufzunehmen, und man kann nicht sagen: der Staat, der Mensch im Staate habe einen Theil seiner angebornen äußeren Freiheit einem Zwecke aufgeopfert, sondern er hat die wilde, gesetzlose Freiheit gänzlich verlassen, um seine Freiheit überhaupt in einer gesetzlichen Abhängigkeit, d. i. in einem rechtlichen Zustande, unvermindert
93
Hobbes, Leviathan, S. 104.
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wieder zu finden, weil diese Abhängigkeit aus seinem eigenen gesetzgebenden Willen entspringt.“94
Aus dieser vertraglichen Begründung der staatlichen Gemeinschaft und deren Fixierung auf bestimmte, den Vertragsschluß motivierende Zwecke leiten ihre Vertreter sodann für alle am Staatswesen beteiligten Glieder und damit insbesondere auch für den Herrscher gewisse Pflichten ab. Die a priori unumschränkte Gewalt des Staatsoberhaupts wurde durch die ihm kraft des Gesellschaftsvertrages auferlegten Pflichten, zum besten des Staatswesens zu handeln, legitimiert und abgeleitet. Diese, nicht originär dem Herrscher kraft seines Standes beigelegten, sondern derivativ aus dessen Pflichten gewonnenen und durch diese erst begründeten Rechte sind – im Schrifttum meist als Pflichtenlehre bezeichnet95 – die Konsequenz der Vertragstheorie. b) Vertragstheorie und Pflichtenlehre in AGB und ALR Im ersten Teile dieser Arbeit96 wurde bereits aufgezeigt, wie eng sich die Konzeption des Allgemeinen Landrechts an das vor allem von Christian Wolff perfektionierte deduktive mathematisch-naturrechtliche System anlehnte. Auch die oben hinsichtlich des Staatszwecks und der Majestätsrechte beschriebene Vorgehensweise der Ableitung der Rechte aus den Pflichten ist Ausdruck dieser systematischen Arbeitsmethode von Svarez. Ihr zu Grunde liegen können a priori zwei unterschiedliche Hypothesen: Zum einen die göttliche Einsetzung des Herrschers, der damit alle Gewalt unmittelbar von Gott erhalten hat und entsprechend auch nur diesem in der Pflicht steht; zum anderen die Lehre vom Gesellschaftsvertrag, wonach der Herrscher seine Macht vertraglich von seinen Untergebenen erhielt97 und daher mit diesen in einem synallagmatischen Verhältnisse steht, kraft dessen er den Untertanen die Erfüllung seiner Herrscherpflichten schuldet. Svarez entschied sich für letzteres. In den Kronprinzenvorlesungen äußerte sich Svarez zu seinem Staatsverständnis wie folgt: „Das Oberhaupt des Staats hat vermöge des bürgerlichen Vertrages, auf welchem die gantze StaatsVerbindung beruhet, die Pflicht, folgl. auch das Recht, die äußeren Handlungen aller Einwohner des Staats nach dem Zwecke deßelben zu leiten und zu bestimmen.“98
94
Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, S. 315 – 316. Vgl. etwa: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 316 ff., insbes. S. 318. 96 Siehe oben, 1. Teil, A., II., 1. 97 Es gehen allerdings die Ansichten auseinander, ob ein zwischen den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft einerseits und andererseits dem Herrscher geschlossener Vertrag oder ein lediglich unter diesen Mitgliedern der Gesellschaft geschlossener Vertrag, aus dem der Herrscher zwar seine Pflichten und Rechte erhält, an dessen Abschlusse er aber nicht beteiligt sein soll, angenommen wird. 98 Svarez, KPV, fol. 370v = S. 603. 95
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An anderer Stelle in den Kronprinzenvorlesungen sagte er dem künftigen Herrscher Preußens ohne Umschweife, daß der König seine Vollmachten lediglich derivativ und zweckgebunden habe: „Die Rechte dieses Oberhaupts in einem Staat od. des Regenten, können nicht aus einer unmittelbaren göttlichen Einsetzung, nicht aus dem Rechte des Stärckern, sondern sie müßen aus einem Vertrage hergeleitet werden, durch welchen sich die Bürger des Staats den Befehlen des Regenten zur Beförderung ihrer eignen gemeinschaftlichen Glückseligkeit unterworfen haben.“99
Auch in der Darstellung der allgemeinen Grundsätze des positiven preußischen Rechts begann Svarez mit der Rekapitulation der Staatszwecke und entwickelte daraus die Herrscherrechte. „Diese Sätze [über die Staatszwecke] enthalten den Grund und Umfang der SouverainetaetsRechte eines Preußischen Monarchen.“100
Dieses Verständnis von dem Urgrunde der Macht als Korrelat der Herrscherpflichten lag der preußischen Gesetzgebung als Konzeption zu Grunde.101 Im Codex selbst kommt diese Vorstellung, dem Regenten kämen seine Befugnisse und Vollmachten aus der einem synallagmatischen Rechtsverhältnisse mit seinen Untertanen entspringenden Notwendigkeit zu, gewisse Aufgaben zu erfüllen, am deutlichsten im § 1 II 13 AGB/ALR zum Ausdrucke, wonach sich die Rechte und Pflichten des Staates in dem Oberhaupte desselben vereinigen. Die nachfolgenden §§ 2, 3 II 13 AGB/ALR sprechen folglich auch von der „vorzüglichsten Pflicht des Oberhaupts“, die im Schutze seiner Untertanen und deren Vermögen und in der Ermöglichung der Inwertsetzung ihrer Schaffenskraft bestehe.102, 103 2. Andere Begründungsansätze Der Vertragslehre standen ältere naturrechtliche und theologische Auffassungen gegenüber. Um die von ihren Vertretern geübte Kritik an den staatsrechtlichen Grundlagen des Preußischen Allgemeinen Gesetzbuchs und Landrechts würdigen zu können, sollen sie im folgenden kurz angerissen werden.
99
Svarez, KPV, fol. 145v = S. 180. Svarez, KPV, fol. 204v = S. 576. 101 Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 1; Löher, System des Preußischen Landrechts, S. 244. 102 So auch: Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, S. 12. 103 Daß es sich bei der Lehre vom contrat social um eine sophistische Idee und damit um eine in erster Linie bequeme als wahrheitsgemäße Hypothese handelt, war Svarez dabei wohl bewußt; bei der Darstellung der Machtstaatstheorie (unten, A., III., 2., b)) wird darauf noch eingegangen werden. 100
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a) Naturrechtlich-religiöse Staatstheorie (Patriarchalstaatstheorie) Nach der älteren, vor allem im staatsrechtlichen Schrifttume des 17. Jahrhunderts104 vertretenen, aber auch noch unter Friedrich Wilhelm I.105 weit verbreiteten Lehre wurde die Existenz der Staaten und die Herrschaft der Fürsten als ein unmittelbar von Gott gegebener, ewig unumstößlicher Zustand aufgefaßt. Svarez sagte dazu mit erkennbarer Herablassung: „Vormals, da es Mode war, daß der Theologe alles Wißenswürdige aus der Bibel und der RechtsGelehrte aus seinen Pandekten erklärte, nahm man an, die Gewalt der Regenten komme unmittelbar von Gott und die Unterthanen müßten ihm um Gottes willen gehorchen.“106
Namhafte Vertreter fand diese Ansicht aber auch noch an der Wende zum 19. Jahrhundert; unter ihnen tat sich vor allem Haller hervor: „So sagten auch die Alten […] aus einem dunkeln Gefühle der Wahrheit, daß alle Gewalt von oben herkomme und daß die Staaten vom Finger Gottes selbst gestiftet seyen.“107 „Ja! der Stand der Natur hat niemals aufgehört; er ist die ewige unveränderliche Ordnung Gottes selbst; in ihm leben, weben und sind wir[108] , und die Menschen würden sich vergebens bemühen, je aus demselben herauszutreten.“109
Die Quelle all der unumschränkten Vollmachten des Herrschers war in diesem System allein seine ihm von Gott gegebene Stellung. Es wurde, wie Bielitz mitteilt, „jede von Menschen über Menschen ausgeübte Herrschaft von dem göttlichen Willen abgeleitet, und die Gelangung zur Herrschaft, so wie die Rechtmäßigkeit derselben an eine natürliche Ueberlegenheit der Macht geknüpft“110.
Denn wie Macht und Herrschaft selbst von Gott stammten, so rührten auch die aus ihrer Verteilung resultierenden Ungleichheiten aus dem von Gott eingerichteten Naturzustande. Haller, einer der letzten prominenten Vertreter dieser Ansicht, schilderte dies plastisch: „dieser Stand der Natur ist nicht der der Freiheit und der Gleichheit, sondern er enthält bereits durch das frühere Daseyn der Einen, durch Ungleichheit der Kräfte und wechselseitige Bedürfnisse mannigfaltige Verhältnisse von Herrschaft auf der einen und Abhän104 Siehe hiezu die Nachweise bei: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 317. 105 Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 317. 106 Svarez, KPV, fol. 291r = S. 28. 107 Haller, Über die Nothwendigkeit einer andern obersten Begründung des allgemeinen Staats-Rechts, S. 9; ders., Restauration der Staatswissenschaft, 1. Band, S. 19. 108 Hier spielt Haller auf die Apostelgeschichte 17, 28 an; künstlerisch verarbeitet und dadurch zu einer gewissen Bekanntheit gelangt ist dieses Zitat durch Johann Sebastian Bachs Kantate BWV Nr. 106. 109 Haller, Restauration der Staats-Wissenschaft, 1. Band, S. 340. 110 So dargestellt bei: Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 625.
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gigkeit auf der andern Seite. So herrschet der Vater über sein Weib und seine Kinder, das erwachsene Alter über die zärtere Jugend, der Herr über seine Diener, der Anführer über seine von ihm angeworbenen Begleiter, der Lehrer über seine Schüler und Jünger, der Hausherr über seine Haussaßen, der Landeigenthümer über seine Knechte und Tagelöhner […]. Keiner von jenen Herrschenden hat seine Gewalt von den Untergebenen erhalten, keiner von diesen hinwieder seine Freyheit oder irgend ein früheres Recht aufgeopfert, hier ist alles natürlich und ungezwungen; durch Glück und Umstände kann der Dienstbare frey und der Freye dienstbar werden, aber nie ist es allen Menschen gegeben, gleich frey zu seyn. Herrschaft und Abhängigkeit, Freyheit und Dienstbarkeit sind zwey durch die Natur geschaffene Correlata; kein Freyer kann ohne Dienstbare, kein Dienstbarer ohne einen oder mehrere Freye bestehen.“111
Hier wird der Staat auf den gleichen Ausgangspunkt wie die väterliche Gewalt zurückgeführt und – als eine Erweiterung der Familie – als Phänomen des von Gott geschaffenen Naturzustandes dargestellt. Alle landesherrlichen Rechte sind danach wie die des pater familias nur Ausfluß der eigenen, persönlichen Vorrechte des Herrschers, welche dieser wiederum nicht von Menschen abgeleitet, sondern allein kraft seiner Person und seines Standes habe.112 Haller spricht von der „Ordnung Gottes und der Natur, der wir unterthan seyn müssen, wir mögen es wollen oder nicht.“113
Und er sagt ferner: „Gleichwie die Natur in allen ihren Produkten einfachen und unveränderlichen Gesezen folgt: so ist es auch ein einziges Gesez, nach welchem sie gesellige Verhältnisse unter den Menschen und in denselben Herrschaft und Dienstbarkeit bildet.“114
Vor allem zu ihrer späten Zeit, im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, als diese Staatsauffassung von einer Einsetzung, nicht einer Erwählung des Herrschers zunehmend gegen neuere Ansichten behauptet werden mußte, war eine immer direktere und unmittelbarere Bezugnahme auf Gott bei sämtlichen Vertretern dieser Lehre festzustellen. Der Konsens in der Begründung der Staatsmacht war jedoch nicht zufällig; dieses Verständnis von dem Ursprunge der Staaten kraft göttlicher Einsetzung zum Besten der Untertanen115 und damit auch der Stiftung, nicht Erwählung der Herrschermacht und der Person des Herrschers selbst findet vielmehr seinen Ursprung in der katholischen Staatstheorie. Mangels eines einheitlichen Staatsbildes im Neuen Testament berief sich die Kirche zur Legitimation der Monarchie seit ältester Zeit auf das Königtum Davids. Als im Jahre 410 sodann Rom, das seit der Christianisierung als Verkörperung des Gottesstaates auf Erden 111
Haller, Über die Nothwendigkeit einer andern obersten Begründung des allgemeinen Staats-Rechts, S. 45 – 46. 112 Haller, Restauration der Staats-Wissenschaft, 1. Band, S. 355 – 387. 113 Haller, Restauration der Staats-Wissenschaft, 1. Band, S. 19. 114 Haller, Restauration der Staats-Wissenschaft, 1. Band, S. 355. 115 Vgl. nur: Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, S. 12.
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angesehen worden war, von den Westgoten unter der Führung Alarichs zum ersten Male erobert und geplündert wurde116, kam das christlich-antike Staatsverständnis ins Wanken; Augustinus nahm dies zum Anlaß, erstmals innerhalb des Christentums eine in sich abgeschlossene Betrachtung der Fundamentallehren des Staates durchzuführen. In seinem zweiundzwanzig Bücher umfassenden Werke „De civitate Dei“117 entwickelte Augustinus ein ambivalentes Verhältnis des Gottesstaates zum irdischen Staate. In letzterem wurde zwar eine gottgewollte Ordnungsmacht erkannt; indem er den Staat jedoch aus der Macht der Sünde herleitete, begründete er die Forderung nach dessen Unterwerfung unter die Kirche. Diese Lehren aus dem 5. Jahrhundert sollten bestimmend werden für das künftige Verständnis der Kirche vom Staate. Im 13. Jahrhundert befaßte sich sodann der berühmte Scholastiker Thomas von Aquin mit der Einrichtung des weltlichen Staates. In einem seiner Hauptwerke, der „Summa fidei catholicæ contra gentiles“, entwickelte er in einem streng theologischen Kontext den Staat als Analogon zur notwendig streng monarchisch verfaßten Kirche und forderte, im wesentlichen um der Einheit in den Prinzipien willen, einen einzigen Herrscher mit uneingeschränkter Macht an der Spitze des idealen Staates. Hier wie auch in seiner „Summa theologiæ“ spricht sich Thomas aus theologischen, rein philosophischen und empirischen Gründen für die uneingeschränkte Monarchie als beste Regierungsform aus.118, 119 Seiner Sakramentenlehre ist zu entnehmen, daß er dabei von einer von Gott inspirierten Einsetzung des Monarchen ausging, auch wenn weltliche Kräfte, etwa in Form einer Wahl, daran mitwirken sollten. Diese, am Zusammenwirken von Glaube, naturrechtlich begründeter Vernunft und Tradition sich orientierende Staatstheorie blieb bis weit in die Moderne bestimmend für das Staatsverständnis der katholischen Kirche: Noch heute wird einmal im Kirchenjahr, in dem Ambrosius zugeschriebenen Exsultet der Osternacht, dieses auf göttliche Einsetzung als alleinige Herrschaftslegitimation sich gründende Staatsverständnis lebendig, indem für diejenigen Fürsprache eingelegt wird, „die uns regieren kraft ihres Amtes“.120, 121, 122 116 Weitere Eroberungen und Plünderungen folgten: 455 unter Geiserich, 546 unter Totila. Zeitweilig hatte die Stadt weniger als 1.000 Einwohner. 117 „Vom Gottesstaate.“ 118 Dazu auch: Mikat, Gesetz und Staat nach Thomas von Aquin, S. 455 – 457. 119 Thomas von Aquin verweist jedoch auch auf die Gefahr des Mißbauchs der uneingeschränkten Machtfülle eines Herrschers, die stets Gefahr laufe, zur Tyrannei zu degenerieren, wenn nicht die Tugend ihres Trägers von gleicher Vollkommenheit sei. Thomas bezieht sich hier in alttestamentarischem Kontext vor allen Dingen auf die aus dem Judenvolke – welches in besonderem Maße zu Grausamkeit und Geiz neige – hervorgegangenen Könige, denen Gott auf Grund ihres schlechten Volkscharakters anfangs keinen allmächtigen König zugestand. 120 „Respice etiam ad eos, qui nos in potestate regunt, et ineffabili pietatis et misericordiæ tuæ munere, dirige cogitationes eorum ad iustitiam et pacem […].“ – „Blicke herab auch auf jene, die uns regieren kraft ihres Amtes; durch den Beistand deiner unaussprechlichen Huld und Barmherzigkeit lenke ihren Sinn zu Frieden und Recht […].“
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Luther, auf dessen Denken von den Kirchenlehrern noch am ehesten Augustinus Einfluß hatte, verwarf dessen Lehren nicht explizit. Einerseits erachtete auch er die regierenden Könige und Fürsten als von Gott eingesetzt und damit gegenüber Gott in der Pflicht stehend; seine Schrift „Von weltlicher Oberkeit wie weit man jr gehorsam schuldig sey“ aus dem Jahre 1523 beginnt er etwa mit den Worten: „Ich hab vorhin ein büchlin an den deütschen Adel geschriben/vnd angezeygt wz sein Christlich ampt vnd werck sey.“123
Er gründete jedoch seine unter dem Eindrucke der Bauernkriege über Staat und Herrschaft geäußerten Ansichten124 – einseitig, wie es seine Gewohnheit war – vor allem auf eine Stelle aus dem Briefe Pauli an die Römer, wo es heißt: „Jedweder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jedwede ist von Gott eingesetzt.“125
Hierauf und auf Jesu Mahnung, den Steuerpflichten gerecht zu werden,126 fußte sodann hauptsächlich das religiöse Staatsverständnis im protestantisch beherrschten Preußen.127
121 Zwar wird hier der Ursprung der Legitimation des Amtes nicht ausdrücklich genannt, allein durch seine Nennung aber jedenfalls als gottwohlgefällig gebilligt. Es ist deshalb zu schließen, daß im Kontexte des kirchlichen Staatsverständnisses der Entstehung des Amtes und seiner Besetzung kirchlicherseits göttliche Einwirkung beigelegt wird. 122 Bemerkenswert ist allerdings, daß diese Passage erst sehr spät, im Jahre 1955, als Ersatz für eine ältere Formulierung eingeschaltet wurde. Davor hieß es: „Respice etiam ad devotissimum Imperatorem nostrum N. N., cuius tu, Deus, desiderii vota prænoscens ineffabili pietatis et misericordiæ tuæ munere, tranquillum perpetuæ pacis accommoda: et cælestem victoriam cum omni populo suo.“ – „Schau auch in Gnaden herab auf unseren Kaiser N. N. Du, oh Gott, kennst seines Herzens Verlangen; schenke ihm mit seinem ganze Volke nach deiner unaussprechlichen Huld und Barmherzigkeit dauernden Frieden und himmlischen Sieg.“ In der Fassung, welche das Exsultet seit der in Folge des II. Vatikanischen Konzils durchgeführten Liturgiereformen angenommen hat, ist diese Passage nicht mehr enthalten. Es gibt jedoch innerhalb der katholischen Kirche namhafte Kreise, welche auch heute noch im liturgischen Gebrauch auf die Fassung von 1955 zurückgreifen und die mit dem Motu Proprio „Summorum pontificum“ vom 7. Juli 2007 neuen Aufwind erfahren haben. 123 Luther, Von weltlicher Oberkeit wie weit man jr gehorsam schuldig sey, S. 4. 124 Ansichten, die immer nur einzelne, durch den Anlaß seiner Publikationstätigkeit determinierte Segmente betrafen und daher bei weitem nicht als eine in sich geschlossene Staatstheorie bezeichnet werden können. 125 Röm. 13, 1: „Omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit non est enim potestas nisi a Deo quæ autem sunt a Deo ordinatæ sunt.“ Luther übersetzte: „Iederman sey vnterthan der Oberkeit, die gewalt vber jn hat, denn es ist keine Oberkeit, on von Gott. Wo aber Oberkeit ist, die ist von Got verordnet.“ 126 Mk. 12, 14 – 17: „Qui venientes dicunt ei: Magister, scimus quia verax es et non curas quemquam, nec enim vides in faciem hominis sed in veritate viam Dei doces. Licet dare tributum Cæsari an non dabimus? Qui sciens versutiam eorum ait illis: Quid me temtatis adferte mihi denarium ut videam. At illi adtulerunt. Et ait illis: Cuius est imago hæc et inscriptio? Dicunt illi
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b) Machtstaatstheorie Andere wollen die Entstehung des Staates aus einem vermeintlichen „Recht des Stärkeren“ abgeleitet sehen und gründen ihre Staatsidee auf der ungleichen, zur Übermacht führenden Potenzverteilung, welche auch in dem Ausdruck „Staatsgewalt“ angedeutet werde. Unter ihnen hat vor allem Niccolò Machiavelli mit seinem Werk „Il Principe“128 Berühmtheit erlangt. Darin postulierte er ein aus reiner Empirie gewonnenes Naturgesetz, welches aus dem dem Naturzustande inhärenten Kampfe aller gegen alle unweigerlich die Starken als Sieger und damit Beherrscher der Unterlegenen hervorgehen lasse. Wesentlich von der oben dargestellten Theorie der von der Vernunft inspirierten und geleiteten Gründung der Staaten geschieden, war hienach die Überlegenheit im Machtkampf ausschlaggebend. Dem Sieger, so glaubte Machiavelli, werde das Volk, vom Triumph geblendet, willig folgen: „Ein Fürst braucht nur zu siegen und seine Herrschaft zu behaupten, so werden die Mittel dazu stets für ehrenvoll gelten und von jedem gepriesen werden. Denn der Pöbel läßt sich durch den Augenschein und den Erfolg bestechen, und in der Welt gibt es nur Pöbel […].“129
Besondere Erwähnung verdient diese Ansicht deshalb, weil auch Svarez ihr mit Blick auf die Geschichte eine gewisse Schlüssigkeit zugestand. In den Kronprinzenvorlesungen wird dies deutlich: „Mehrere Wahrscheinlichkeit hat die Meynung dererjenigen vor sich, welche den ersten Ursprung der Königl. od. überhaupt der Obergewalt im Staat aus dem sogenannten Rechte des Stärckeren herleiten. Diese Meynung scheint würcklich die Geschichte zu begünstigen, indem wir finden, daß die Stifter der meisten älteren Staaten, von deren erstem Entstehn wir Nachricht haben, Helden und Eroberer gewesen sind, die ursprünglich nur Chefs einer Horde od. einer Familie waren, diese aber zu Kriegern ausbildeten, mit ihrem Beystand sich zuerst die zunächst wohnenden und dann immer weiter hiernach entferntere Horden unterwarfen, biß endlich ihre Eroberungen einen solchen Umfang erreichten, daß sie in würckliche Königreiche und Staaten übergingen.“130
Mehr aus einem Raisonnement über die Folgen dieser Theorie als aus dogmatischer Überlegung lehnte Svarez diese Ansicht als Grundlage des Staatsgedankens jedoch ab: „In der That ist die Meynung, als ob das Recht der Regenten sich blos auf das Recht des Stärkeren gründe, eben so falsch als gefährlich. Stärcke kan niemals ein würckliches Recht geben; sonst würden die Löwen befugt sein, über die Menschen zu herrschen, weil sie unter Cæsaris. Respondens autem Iesus dixit illis reddite igitur quæ sunt Cæsaris Cæsari et quæ sunt Dei Deo et mirabantur super eo.“ 127 Es fand im ersten Teil dieser Arbeit (C., I., 2., c), bb), (2)) bereits Erwähnung, daß diese Ansicht weitreichende Unterschiede zur Lehre vom Königtum „von Gottes Gnaden“ aufweist, mit der man erstere im 19. Jahrhundert zu modernisieren versuchte, wie dies z. B. von Friedrich Julius Stahl geschehen ist. 128 „Der Fürst.“ 129 Machiavelli, Der Fürst, 18. Kap., S. 101. 130 Svarez, KPV, fol. 291r = S. 28.
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übrigens gleichen Umständen unstreitig die Stärkeren sind. Auch würde, besonders in gegenwärtigen Zeiten, es den Rechten der Könige und Völckerbeherrscher sehr nachtheilig sein, wenn man sie blos auf Gewalt und Stärcke gründen wollte. Denn es dürfte sodann nur der Fall eintreten, den wir in unsern Tagen würcklich gesehn haben, daß das Volck od. der Pöbel sich stärcker fühlte als sein König; so würden wir nach jenem Grundsatz einräumen müßen, daß das Volck berechtigt sey, den König nach eigenem Belieben zu entsetzen od. zu verjagen und sich eine neue RegierungsForm nach eigenem Gutdünken zu wählen.“131
Regelrecht als „falsch“ bezeichnete Svarez die Vertragstheorie in einer Aktennotiz, die er bereits im Jahre 1785 niederschrieb; besonders hier gab er aber auch die wahren Gründe an, weswegen er dieser Theorie als Grundlage staatsrechtlicher Überlegungen dennoch den Vorzug einräumte, unterstrich darin aber zugleich, daß er der Machtstaatstheorie mehr Wahrheitsgehalt zumaß: „Diesen Grund-Satz [= die Lehre vom Gesellschaftsvertrag] halte ich zwar nicht für historisch richtig, weil die Geschichte, wenigstens der allermeisten ältern und neuern Staaten beweißt, daß physische und moralische Unterjochung ihr Ursprung gewesen sey. Er ist aber doch philosophisch wahr, und wenigstens eine sehr bequeme Hypothese, um daraus die Rechte und Pflichten zwischen Regenten und Unterthanen zu erklären.“132
c) Scheinbar empirische (vermittelnde) Ansicht Der Wahrheit am nächsten mag Basedow gekommen sein, der im Jahre 1777 weitgehend frei von doktrinaler Vorgabe die mannigfachen Gründe für das Entstehen der Staaten scheinbar empirisch wiedergab: „Die Gesellschaften und die Staaten werden wirklich gestiftet, einige durch bloße Gewohnheit und natürliche Neigung, wie die ungleiche Gesellschaft eines Vaters und seines Sohnes, oder die Gesellschaft der Grönländer, oder eines Reisenden und eines gebohrnen Unterthanen, mit dem Staate, wo er sich aufhält. Einige werden gestiftet durch freywillige Verabredung der künftigen Mitglieder, wie der Staat der Niederlande und der Schweiz; einige durch einen angepriesenen Befehl Gottes, in solche Gesellschaft zu treten; einige durch Zwang, wodurch viele oder mächtige Personen wenige oder ohnmächtige nöthigen, ihnen, woferne sie nicht noch unglücklicher werden wollen, gewisse Versprechungen zu thun, und gesellschaftliche Dienste zu leisten. Diesem Zwange gehorchen die Schwächern anfangs aus Furcht. Hernach fahren sie entweder fort, mit fortgesetzter Furcht die erzwungenen Verträge zu erfüllen, oder werden durch Gewohnheit ihres Zustandes, und durch die Gelindigkeit der vornehmen und stärkern Parthey damit zufrieden.“133, 134 131
Svarez, KPV, fol. 291r = S. 29. Zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 384. 133 Basedow, Practische Philosophie, 2. Teil, S. 155 – 156. 134 Doch auch diesen vermeintlichen Beobachtungen wohnt das Manko inne, daß die Entstehung eines Staates unmittelbar aus dem Naturzustande heraus von keinem Menschen je beobachtet worden ist, wie Haller zutreffend feststellt: „Vergeblich ist es den allerersten Ursprung der Staaten in der Zeit aufsuchen zu wollen. So weit man in der Geschichte vordringt, finden sich immer dergleichen, und obschon sie uns viele tausend Beispiele von der Entstehung und dem Untergang einzelner Staaten liefert: so gieng 132
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3. Grundlagen der konservativen Kritik Im Spannungsfelde dieser Theorien entwickelte sich ein lebhafter Diskurs, denn die Lehre vom Gesellschaftsvertrage war, im Vergleich zur Patriarchalstaatstheorie, noch relativ jung und etablierte sich erst allmählich im Laufe des 17. und vor allem des 18. Jahrhunderts. Noch bis weit in die frühe Neuzeit wurden auf Grundlage des mediävalen Staatsverständnisses Verträge mit Argwohn betrachtet; sie trugen den Verdacht der Konspiration gegen die göttliche Ordnung in sich, wie es sich in der hoch- und spätmittelalterlichen Vorstellung vom „Teufelspakt“ besonders augenfällig niederschlug. Autorität war vielmehr persönlich und beruhte auf göttlicher Einsetzung. In dogmatischer Hinsicht darf die Tragweite der Vertragslehre daher nicht unterschätzt werden, brachte sie doch eine grundsätzliche Wandelung in der Anschauung dessen, was die Staatsidee gründet: „Namentlich war in der Behandlung des Staatsrechts in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eine ungeheure Umwälzung vor sich gegangen. Zuerst durch Montesquieu, dann durch Rousseau angeregt, waren neue Ideen über die fürstliche Macht entstanden, und durch eine Menge von Schriftstellern in allen Ländern verbreitet. Wirkliche und eingebildete Mißbräuche der Regierungen und Mängel der Staatsverfassungen liehen ihnen die Hand, und in den Köpfen der Gelehrten, wie der Staatsmänner, herrschte die Ueberzeugung, daß eine gründliche Besserung, und ein glücklicher Zustand nur dadurch zu erlangen sei, daß man an die Stelle der alten Formen und der frühern Verhältnisse, die neueren Theorien treten ließe.“135
Die Kritik der Vertreter der alten Ansicht am contrat social entzündete sich an der zunächst postulierten und sodann kodifizierten Zweckbindung der Herrscherrechte. Es war die in dem Codex ausgesprochene, den Untertanen gegenüber bestehende Verpflichtung eines verfassungsmäßig uneingeschränkten Monarchen, welche, wie Bielitz mitteilt, ihre Kritiker auf den Plan rief, „weil hierbey ein, dem Staate zum Grunde liegender Sozialkontrakt vorausgesetzt, der König nur für das Oberhaupt des Staats erklärt, und daß der König die ihm zukommenden Rechte nicht als sein eigen, sondern blos zur Erreichung der Staatszwecke besitze, angenommen werde.“136
Gegen die Niederlegung staatsrechtlicher Sätze im Allgemeinen Landrechte wandte Klewitz in seiner eigens darüber verfaßten Schrift vom Jahre 1828 ein, daß dieselben teils „allgemeiner Natur, d. h. auf dem göttlichen Gesetze beruhen[d]“137 seien, so daß ihre Kodifizierung sich ohnehin erübrige; teils seien sie „specieller doch jedem neuen ein älterer vorher, und auf jeden der zerstört worden, folgten wieder andere ohne allen Zwischenraum.“ (Haller, Restauration der Staats-Wissenschaft, 1. Band, S. 2.) 135 Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, S. 5. 136 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 624. 137 Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, S. 8.
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Natur […], d. h. sie können auf Verträgen und Versprechungen beruhen“138, deren Anerkennung nicht im Wege der Kodifizierung zu erfolgen habe, weil sodann eine über dem Fürsten stehende menschliche Macht impliziert werde.139 Der schlesische Justizminister Adolf Freiherr von Danckelmann, der sich als einer der erbittertsten Gegner des Allgemeinen Gesetzbuchs erwies, betonte denn auch in seiner an den König gerichteten Eingabe vom 21. Dezember 1793, daß es sicherlich nie in der Absicht Friedrichs des Großen als dem Initiator des Codex gelegen habe, „in dem Gesetzbuche die Pflichten des Königs den Unterthanen gegenüber festzustellen oder die Rechte des Königs zu beschränken.“140
Klewitz etwa behauptete kühn, im Allgemeinen Landrechte sei dadurch ein „neues Staatsrecht aufgestellt“ worden, welches „von der Vergangenheit losgerissen, nur auf philosophischen Speculationen beruht“.141 Haller sprach sich bei seiner Inaugurationsrede im November 1806 in Bern ähnlich aus: „Werden diese Grundsätze (welche die Summe des ganzen bisherigen Staats-Rechts in sich fassen) als wahr angenommen: so gewinnt alles, was wir bisher von den Rechten und Verbindlichkeiten zwischen den Fürsten und ihren Untergebenen wußten, oder in der Geschichte lasen, eine durchaus umgekehrte Ansicht […].“142
In der Folge dieser Lehre fürchtete Haller eine vollständige Entrechtung des Herrschers. Das Volk habe bei Anwendung des Gesellschaftsvertrages die höchste Gewalt inne, und die Fürsten seien restlos zu den Dienern des Volkes herabgesunken, deren Macht allein von diesem abhänge.143 Ein Ausdruck dieser antimonarchischen Gesinnung der Verfasser des Landrechts wurde nicht nur in der Systematik, sondern etwa auch in der Bezeichnung der Beteiligten als „Oberhaupt“ und „Bürger“ statt „König“ und „Untertan“ gesehen. So warnte Klewitz wie folgt: „Die Rechte und Pflichten dieses Gemeinwesens [= des Staates] concentriren sich in dem Oberhaupte desselben; dies Oberhaupt ist nicht einmal bezeichnet, ja nicht einmal gesagt, ob es aus einem Einzelnen, oder aus Mehreren besteht, und statt daß hier der K ö n i g als derjenige hätte genannt werden sollen, dem die Ausübung der höchsten Gewalt zusteht, so 138
S. 8.
Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze,
139 Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, S. 8 – 9. 140 Stölzel, Svarez, S. 311. 141 Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, S. 3. 142 Haller, Über die Nothwendigkeit einer andern obersten Begründung des allgemeinen Staats-Rechts, S. 10; ebenso: ders., Restauration der Staats-Wissenschaft, 1. Band, S. 23. 143 Haller, Über die Nothwendigkeit einer andern obersten Begründung des allgemeinen Staats-Rechts, S. 10 – 12; ders., Restauration der Staats-Wissenschaft, 1. Band, S. 23 – 27.
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ist durch das zweideutige Wort, O b e r h a u p t , ein weiter und gefährlicher Spielraum für alle Arten von politischen Theorien offen gelassen.“144
Bei den ungenannten „politischen Theorien“, denen hiedurch Raum geschaffen worden sei, hatte Klewitz wiederum den contrat social im Auge, wie er sogleich ausführte: „Somit ist denn die alte Lehre, daß die Fürsten, die von Gott zum Besten der Unterthanen eingesetzte Obrigkeit seien, verlassen, und an deren Stelle die neuere Theorie, nach der die Fürsten die durch einen ursprünglich geschlossenen oder fingirten Socialcontract an die Spitze einer Volksgemeinde, Staat genannt, gestellten Beamten sind, gesetzt.“145
Das zutiefst Skandalöse an dieser neuen Lehre fand seine Wurzel in der Abkehr von der bestehenden religiösen Ordnung und allen religiösen Vorstellungen von der Ordnung und Einrichtung der Staaten: „Sie wollten weiser seyn als der Schöpfer aller Dinge selbst, und dichteten ein System nach welchem, ihrer Meinung nach, die Staaten gestiftet worden sind, oder doch hätten gestiftet werden sollen.“146
4. Übereinstimmung aller Ansichten in ihren konstitutiven Segmenten Die Frage nach dem Urgrunde der Macht war für die Ausgestaltung des Gesetzbuchs bei all den Kontroversen indes nur von untergeordneter Bedeutung. Konstitutionell war lediglich der Umstand determiniert, daß dem Herrscher die uneingeschränkte Macht im Staate zustand; für deren Herkunft gab es hingegen keine festen verfassungsrechtlichen Vorgaben, und darüber aufgestellte Theorien brauchten die Könige nicht zu fürchten, solange nur nicht die uneingeschränkte Monarchie in Frage gestellt wurde, was insbesondere auch durch die Pflichtenlehre nicht der Fall war. Das Ende der freien Monarchen, das manche Demagogen in feurigen Worten prophezeiten, ist eine Übertreibung, die aus einem Gefühle der Ohnmacht vor der sich immer stärker etablierenden neuen Staatstheorie entstanden sein mag; bei wahrer Kenntnis der Lehre vom Gesellschaftsvertrag löst sie sich jedenfalls in Wohlgefallen auf, denn auch etwa Svarez zweifelte nicht daran, daß es sich bei den Herrscherpflichten um unechte Grenzen formell uneingeschränkter Macht handele, deren Wirkung im ersten Teile dieser Arbeit bereits erläutert wurde. Er ermahne den Kronprinzen für die Zeit seiner bevorstehenden Regentschaft zwar, die Zwecke der Staatsverbindung stets zur Richtschnur seiner Handlungen zu machen, die allein seine Herrschaft legitimierten:
144
S. 11. 145
S. 12. 146
Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, Haller, Restauration der Staats-Wissenschaft, 1. Band, S. 20.
A. Über die Bestimmung des Staatszweckes und über die Majestätsrechte
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„Überschreitet der Regent diese Gräntzen, so bricht er den bürgerlichen Vertrag und untergräbt den Grund, auf welchem sein Recht zu gebieten und die Pflicht seiner Unterthanen, ihm zu gehorchen, wesentlich beruhet.“147
Doch die Folgen, welche eine Mißachtung dieser Vorgaben nach sich zog, sah auch er nicht etwa in einer juristischen Unwirksamkeit solcher Maßnahmen, sondern allein in ihrer moralischen Verwerflichkeit. „Noch wichtiger aber ist diese Betrachtung [= die Betrachtung der Zwecke des Staats] für den Regenten, und besonders für einen solchen, der eine uneingeschränckte Macht besitzt, weil sie das eintzige Mittel ist, ihn von dem Mißbrauche dieser seiner Macht zurück zu halten, und ihn zu überzeugen, daß ihm dieselbe nicht um seiner selbst willen, nicht zur Befriedigung seines Ehrgeitzes, seines Stoltzes, seiner Wollust, seines Eigensinns od. andrer PrivatLeidenschaften, sondern zum Besten seiner Unterthanen, zum Schutz derselben bey ihrem Eigenthum, und Rechten, und zur Beförderung ihrer Glückseligkeit anvertraut worden.“148
Die uneingeschränkte und keinem Richter unterworfene Macht war die logische Voraussetzung für diese Ermahnung. Hierin waren sich, so unterschiedlich die Begründungsansätze für das Entstehen der Staaten und die Legitimation staatlicher Macht auch waren, erstaunlicherweise wieder alle einig: „Schon die Idee in einem unter dem Namen des Königs publicirten Gesetzbuche, von dessen Pflichten zu handeln, ist auffallend, denn in ein Rechtsbuch gehören nur solche Pflichten, die erzwungen werden können, der König von Preußen hat aber keinen menschlichen Richter über sich, und es fällt auch niemandem ein, zu glauben, daß Derselbe zur Erfüllung von dergleichen Pflichten durch menschliche Macht angehalten werden könnte.“149
Korrespondierend dazu erkannten auch alle Vertreter der älteren Lehre Pflichten an, welchen der Herrscher nachzukommen habe. So gestand Klewitz unumwunden zu, daß der Herrscher, so uneingeschränkt seine Macht den Menschen gegenüber auch sein möge, mehr und größere Pflichten als jeder andere habe;150 in Kommentierung zu § 2 II 13 AGB/ALR äußerte er sich wie folgt: „Diese Pflicht haben die Könige und Fürsten allerdings, aber als ein von Gott ihnen anvertrautes schweres Amt, über das sie keinem irdischen, sondern nur dereinst dem höchsten Richter Rechenschaft ablegen müssen. Sie haben diese Pflicht gegen ihre Unterthanen, sie ist ihnen aber nicht von diesen auferlegt, gerade wie z. B. Eltern die Pflicht haben, für ihre Kinder zu sorgen, ohne daß ihnen diese Pflicht, was Niemand behaupten wird, auferlegt worden.“151 147 148 149
S. 7. 150
S. 8. 151
S. 13.
Svarez, KPV, fol. 292v = S. 33. Svarez, KPV, fol. 146v = S. 181. Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze,
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
Auch Haller erkannte Fürstenpflichten an, welche den Regenten auf Grund ihrer von Gott gegebenen Stellung oblägen und von Menschen nicht erzwungen werden könnten: „Selbst die Fürsten […] haben mithin die Rechte zu fordern und die Pflichten zu erfüllen, die aus der Natur dieses Verhältnisses fließen; und der Umstand, daß sie zu lezteren nicht so leicht gezwungen werden können, ändert an dieser Verbindlichkeit gar nichts.“152
Gleichviel, welcher Ansicht vom Ursprunge der staatlichen Macht also der Vorzug gegeben werden sollte, die uneingeschränkte Monarchie bliebe unangetastet und keinem der Majestätsrechte würde dadurch etwas hinzugewonnen oder ein Abbruch getan. Mangels einer konstitutiv verbindlichen Festsetzung waren die Autoren des Codex daher von Verfassungs wegen frei in der Wahl, welchen Urgrund der Staatsmacht sie dessen staatsrechtlichen Stellen zu Grunde legen wollten; das Allgemeine Landrecht konnte, gleich welche Grundlage der staatlichen Macht in ihm vorausgesetzt wurde, der preußischen Staatsverfassung insofern nicht widerstreiten. Daß es sodann die Lehre vom Gesellschaftsvertrage war, welche dem Allgemeinen Landrechte zu Grunde gelegt wurde, war verfassungsrechtlich mithin irrelevant. Dies hatte zur Folge, daß das Landrecht in dieser Hinsicht zu der wahren Rechtslage nicht in einem Widerspruche stehen konnte und – entsprechend der im ersten Teile dieser Arbeit erfolgten Ausführungen über die Funktion des zeitgenössischen Gesetzes – insofern nicht unbrauchbar sein konnte. Es war wohl auch der Grund dafür, daß in den zum Entwurf des Allgemeinen Gesetzbuches eingegangenen Monita Kritik an der den staatsrechtlichen Bestimmungen zu Grunde liegenden Pflichtenlehre selbst nur wenig und indirekt geäußert wurde.153 Damit sind verfassungsrechtliche Bedenken, die Lehre vom Gesellschaftsvertrag dem Allgemeinen Landrecht zu Grunde zu legen, ausgeräumt. Ihre positive Brauchbarkeit muß indes noch festgestellt werden; diese hängt, wie sich sogleich zeigen wird, außer von der Verfassungskonformität auch von dem aktuellen Willen des Königs ab. 5. Die Bedeutung des dem Allgemeinen Landrecht zu Grunde gelegten staatsrechtlichen Prinzips in Beziehung auf die Selbstherrscherfrage a) Fehlender verfassungsrechtlicher Einfluß Obschon also von den Verfassern des Gesetzbuchs ein contrat social angenommen und seinen staatsrechtlichen Stellen zu Grunde gelegt worden war, ließ dies den Verfassungsgrundsatz der uneingeschränkten Monarchie genauso unberührt, als wenn von einer von Gott erfolgten Inthronisation des Herrschers ausgegangen worden wäre. 152 153
Haller, Restauration der Staats-Wissenschaften, 1. Band, S. 343. Diese Kritik teilt mit: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 318.
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b) Einfluß auf die Regierung Indessen wird das Verständnis von der Monarchie und ihres Souveräns von der Sicht des Staates und seiner Machtlegitimation beeinflußt; maßgebend dafür konnte nur der Souverän selbst sein. Der von Gott eingesetzte und nur diesem Rechenschaft schuldige Selbstherrscher tritt durch den contrat social in ein Rechtsverhältnis zu seinen Untertanen und wird dadurch, je nach persönlicher Ausprägung seines Pflichtbewußtseins, zum ersten Diener des Staates, wie Friedrich der Große sich selbst bezeichnete. Es wäre zwar auch dieser erste Diener seines Staats nie dem Gedanken verfallen, sich vor einzelnen Untertanen oder der Nation im ganzen wegen seiner Amtsführung zu rechtfertigen; vgl. dazu nur das von Svarez vor dem Kronprinzen wiedergegebene Zitat des großen Königs, wo dieser den niemals auf Realisierung gerichteten Konjunktiv gebraucht: „,Der Regent muß sich oft erinnern, daß er nur der erste Diener des Staats ist, dem die Pflicht obliegt, weise, rechtschaffen und durchaus uneigennützig zu handeln, d. h. als wenn er in jedem Augenblick seinen Bürgern Rechenschaft von seiner Verwaltung ablegen müßte‘.[1]“154
Sietze sagte dazu in seinem „Grund-Begriff Preußischer Staats- und RechtsGeschichte“ vom Jahre 1829 sehr treffend: „Vor dem Zweck des Staats mußte […] jedes Privat-Interesse zurücktreten. Friedrich war der erste Fürst, ja der erste Mensch der Welt, der dies durch Wort und That anerkannte. In diesem Sinne durfte er sich einen Diener des Staats nennen. Aber nie vergaß er, daß er Souverain, daß er, in seiner Sprache zu reden, als solcher das Haupt des Staates sei.“155
Und dennoch spricht aus dieser Auffassung Friedrichs des Großen ein anderes Selbstverständnis der Amtsführung als bei einem – mehr oder weniger religiös interessierten – Herrscher, welcher den Ursprung seiner Machtfülle nicht von Menschen abgeleitet wähnt und sich in keinem Verhältnisse zu seinen Untertanen sieht. Über das Verständnis von der Monarchie und ihres Monarchen spricht daher derjenige, welcher die eine oder andere Lehre von dem Grunde der Staatsgewalt bemüht. Wird in dem im Namen des Königs sanktionierten Gesetzbuche eine derartige Aussage getroffen, so nimmt sein Verfasser für sich darüber hinaus in Anspruch, über das Selbstverständnis des preußischen Monarchen von dessen Stande eine offizielle Mitteilung zu machen. Wenn auch das wahre Selbstverständnis des Königs von seinem Stand und dessen Legitimation nicht Teil der Staatsverfassung ist, so liegt es doch seiner Regentschaft in allen ihren Facetten zu Grunde; wird darüber also mit staatlicher Autorität, wie im Allgemeinen Landrechte geschehen, eine Aussage getroffen, so kommt dies einer formellen und inhaltlich grundsätzlichen, an sein Volk gerichteten Regierungserklärung des Königs gleich. „1 Essai sur les formes de gouvernement et sur les devoirs des souverains, Oeuvres posthumes, s. o.; vgl. a. Oeuvres de Frederic le Grand, tom. IX, p. 225, 238.“ 154 Svarez, KPV, fol. 292v = S. 33 – 34. 155 Sietze, Preußische Staats- und Rechts-Geschichte, S. 43.
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
Materiell ist in der uneingeschränkten Monarchie der König eine solche Erklärung abzugeben ausschließlich berufen, denn er allein bestimmt das Selbstverständnis seines Staates. Die Absichten, die mit einer solchen legislatorischen Fixierung des monarchischen Selbstverständnisses verfolgt werden können, sind teils bereits im dritten Teil erörtert,156 werden teils später beleuchtet werden.157 Gegenwärtig bleibt jedenfalls festzuhalten, daß derartige in einem Staatsgesetz vorkommende Aussagen die Auffassung des Herrschers widerspiegeln sollen und daher – wie für die staatsrechtlichen Sätze des Allgemeinen Landrechts im allgemeinen bereits festgestellt – ebenfalls nicht konstitutiv, sondern lediglich deklaratorischer Natur sein können und daß ferner, wie nach der Funktion des zeitgenössischen Gesetzes üblich, eine gesetzliche Äußerung hierüber, soll sie brauchbar sein, vom Herrscherwillen notwendig gedeckt sein muß. Die Besonderheit besteht allein darin, daß ein solches Gesetz weder unmittelbare Gebote oder Verbote noch die Beschreibung äußerer Zustände oder Verhältnisse zum Gegenstande hat, sondern die Vorstellungen und Überzeugungen des Herrschers ausschließlich betrifft. Svarez war diese Übereinstimmung der wahren Anschauungen seines Königs über Ursprung und Begründung der Staatsgewalt mit den im Codex zu Grunde gelegten denn auch mit entsprechendem Eifer nachzuweisen bemüht. Auf’s vollständigste seien die im Allgemeinen Landrecht als Grundlage genommenen staatsrechtlichen Ansichten von den Äußerungen Friedrichs des Großen belegt, wie er immer wieder beteuerte. „Man hat bisher noch keinen eintzigen [staatsrechtlichen Satz des Allgemeinen Gesetzbuchs] nahmhaft machen können, der mit den Grundsätzen einer Souverainen monarchischen Verfassung nicht völlig compatible wäre, der in unserer gegenwärtigen Staatsverfassung nicht schon würklich gegolten hätte, und der nicht erforderlichen Falls mit ausdrücklichen Verordnungen, Erklärungen und Aeußerungen sowohl des Höchstseeligen als des jetzt regierenden Königs Mayestät belegt werden könnte. Insonderheit ist über den 13ten biß 17ten Titel des Zweyten Theils, in welchen eigentlich die zwischen dem Staat und seinen Unterthanen geltenden Rechte enthalten sind, mit dem General-Directorio besonders umständlich conferirt, und nicht ein eintziger Paragraph, welchem dieser seinen Beyfall versagt hätte, ist in das Gesetzbuch aufgenommen worden.“158
Und als Svarez am 8. Dezember 1793 in einem neuerlichen Schreiben an Danckelmann nochmals um Unterstützung für die unveränderte Einführung des Codex warb, hob er erneut hervor, daß derselbe in staatsrechtlicher Hinsicht völlig unverfänglich sei, da er nichts enthalte, als was „Preußens Monarchen von Despoten unterscheide, die sie nie hätten sein wollen“.159
156
Oben, 3. Teil, C. Unten, V. 158 Svarez in einem in Carmers Namen verfaßten Schreiben an Danckelmann nach dem 3. August 1793, Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 11, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 378. 159 Zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 388. 157
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Die Vorschriften des Gesetzbuchs enthielten „eigentlich gar nichts Neues“160, wie daher auch Carmer betonte. In seinen Kronprinzenvorlesungen zitierte Svarez den großen König sogar im Wortlaute, um dessen Ansicht vom Gesellschaftsvertrage als der Grundlage der staatlichen Macht mit möglichster Eindringlichkeit wiederzugeben: „Ich kan diese allgemeine Übersicht der Rechte und Pflichten eines Regenten nicht beßer schließen als mit Anführung einer Stelle aus den unsterblichen Wercken Friedrichs des Einzigen. In seiner Abhandlung über die verschiednen RegierungsFormen bedient er sich dieser merkwürdigen Ausdrücke: ,Man behalte es ja wohl und drücke es sich fest ein, daß die Aufrechthaltung der Gesetze die eintzige Ursach war, welche die Menschen vermögen konnte, sich einem Oberherrn zu unterwerfen. Denn das ist der wahre Ursprung aller SouverainetaetsRechte. Der Beherrscher war der erste Diener des Staats.‘ […] Möchte es Ew. Königl. Hoheit gefallen, dieser soeben angeführten ganz unübertrefflichen Abhandlung, die sich im 6ten Theile der Oeuvres posthumes befindet, eine nähere Aufmerksamkeit zu widmen.“161
Und als Svarez über Preßfreiheit und Zensur dozierte, brachte er Friedrichs staatsrechtliche Ansichten erneut zur Sprache: „Es gab endlich, um nur noch ein Exempel anzuführen, eine Zeit, da die Regenten und ihre Ministres es für äußerst gefährlich hielten, wenn die Pflichten der Obergewalt im Staat und die Rechte der Unterthanen zum Gegenstande öffentlicher Verhandlungen in Büchern j und Schriften gemacht wurden, wenn ein Schriftsteller sich einfallen ließ, zu behaupten und wohl gar zu beweisen, […] daß die Rechte des Regenten sich nicht auf eine unmittelbare göttliche Einsetzung, sondern auf seine Pflicht, sein Volck glücklich zu machen, gründen und daß der Regent, sobald er Tyrann werde, sich des Rechts, Gehorsam von seinen Unterthanen zu fordern, selbst verlustig mache. Und gleichwohl können wir von dem Zeitpunct an, wo diese Meynungen, besonders unter dem Schutze und nach dem Beyspiele Friedrichs des Großen lauter und freymüthiger haben vorgetragen werden dürfen, die Periode datiren, da unsre Fürsten angefangen haben, sich mehr um die Glückseligkeit ihres Volcks zu bekümmern […].“162
Bemerkenswert ist diese Stelle, weil Svarez sich in ihr nicht nur auf Worte, sondern auch auf das Beispiel Friedrichs bezog. 160 Carmer in einem Schreiben an Danckelmann vom 25. Mai 1793, Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 8/3, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 373. Gegen Ende des Jahres 1793, als Svarez noch zäh für die unveränderte Einführung des Codex stritt, hatte Carmers Widerstand allerdings bereits nachgelassen: „Nur wenn er, Selbstleugnung übend, die Oberleitung beizubehalten versuchte, blieb die Hoffnung, das Werk, wenigstens soviel als möglich, in dem Geiste zu Ende geführt zu sehen, in welchem es begonnen war. Dann gebot aber die Klugheit, von der Strömung Nutzen zu ziehen, welche den Gedanken an Aufhebung der Suspension überhaupt auf die Oberfläche gebracht hatte, mit den treibenden Kräften sich zu vereinen und die ,neuen Gesetzgeber‘ an der Weiterarbeit zu betheiligen.“ (Stölzel, Svarez, S. 387 – 388.) 161 Svarez, KPV, fol. 292v = S. 33 – 34. 162 Svarez, KPV, foll. 306r–306v = S. 127.
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Ferner beruft er sich auf Friedrichs „Antimachiavell“, wenn er hingegen der Meinung, Herrschaften würden sich auf bloße Unterdrückung gründen, eine Absage erteilt: „In der That ist die Meynung, als ob das Recht der Regenten sich blos auf das Recht des Stärkeren gründe, eben so falsch als gefährlich.“163
Neben Svarez selbst hat vor allem auch Buchholz in seiner gegen Klewitz gerichteten Schrift „Vertheidigung der Urheber des preußischen Landrechts gegen die Anschuldigungen eines Ungenannten“ vom Jahre 1828 unter anderem nachgewiesen, daß insbesondere die Lehre vom Gesellschaftsvertrag und die Pflichtenlehre gänzlich mit den Ansichten Friedrichs des Großen über den Staat und über seine, ihm als Regenten zukommenden Rechte und Pflichten übereinstimmten. „Was endlich den dreizehnten Titel des Landrechts betrifft, in welchen von den Rechten und Pflichten des Staats überhaupt die Rede ist, so will ich offen gestehen, daß er aus den Werken Friedrichs des Großen geschöpft ist, und daß er in meinem Urtheil nichts enthält, als – eine gerechte Huldigung der großen Tugend dieses unvergleichlichen Fürsten.“164
Und in der Tat äußerte sich Friedrich der Große ja selbst oftmals in dieser Weise. Wohl am markantesten ist das Zitat Friedrichs des Großen aus dem Jahre 1777, das auch Svarez in seinen Kronprinzenvorlesungen heranzog:165 „Die Erhaltung der Gesetze war die einzige Ursache, welche die Menschen veranlaßte, sich Oberherren zu geben; denn dies ist der wahre Ursprung der Souveränität.“166
Hierin ist die Lehre vom Gesellschaftsvertrag auf’s deutlichste ausgesprochen. In der unmittelbar nachfolgenden Äußerung: „Ein solches Oberhaupt war der erste Diener des Staats.“167
ist überdies das sich aus diesem Staatsverständnis ergebende Selbstverständnis des Herrschers dokumentiert. Auch die aus der Anschauung vom contrat social als der Legitimation der Staatsmacht sich als Konsequenz ergebende Pflichtenlehre läßt sich aus dem Munde Friedrichs des Großen belegen, denn ebenfalls im Jahre 1777 sagte er: „Wenn er der erste Richter, der erste Feldherr, der erste Finanzbeamte, der erste Minister der Gemeinschaft ist, so soll er das nicht sein, um zu repräsentieren, sondern um seine Pflichten zu erfüllen. Er ist nur der erste Diener des Staates, ist verpflichtet, mit Redlichkeit, mit überlegener Einsicht und vollkommener Uneigennützigkeit zu handeln, als sollte er jeden Augenblick seinen Mitbürgern über seine Verwaltung Rechenschaft ablegen.“168 163 164 165 166 167 168
Svarez, KPV, fol. 291r = S. 29. Buchholz, Vertheidigung der Urheber des preußischen Landrechts, S. 18 – 19. Vgl. soeben: Svarez, KPV, fol. 292v = S. 33. Zitiert nach: Perfahl, Wer die Wahrheit liebt, S. 5. Zitiert nach: Perfahl, Wer die Wahrheit liebt, S. 5. Zitiert nach: Perfahl, Wer die Wahrheit liebt, S. 25.
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Und im selben Jahre führte er über die Herrscherpflichten ferner aus: „Mögen sie [= die Fürsten] fühlen, daß der wahre Ruhm der Fürsten nicht darin besteht, ihre Nachbarn zu unterdrücken, die Zahl der Knechte zu vermehren, sondern in der Erfüllung aller ihrer Berufspflichten und in dem festen Vorsatz, das Vertrauen derer zu rechtfertigen, von welchen sie ihre Macht und ihre Hoheit empfangen haben.“169
Bemerkenswert ist hier, daß Friedrich nicht nur den Stand, sondern auch die Pflichten des Regenten ausdrücklich als von den Untertanen abgeleitet nennt. Der älteren Lehre, welche eine höhere Macht für die Verteilung irdischer Ämter und Autoritäten verantwortlich sehen wollte, erteilte Friedrich hingegen, ebenfalls im Jahre 1777, eine deutliche Absage: „Die Fürsten sollen erfahren, daß ihre falschen Grundsätze die Giftquelle aller Leiden Europens sind. Die meisten Fürsten glauben, daß der liebe Gott nur aus einer ganz besondern Rücksicht auf ihre eigene Größe, Glückseligkeit und Eitelkeit jene Menschenmassen geschaffen habe, deren Heil ihnen anvertraut ist, und daß ihre Untertanen nur dazu bestimmt seien, die Werkzeuge und Diener ihrer zügellosen Leidenschaften zu werden. Daraus entspringt jene Sucht nach falschem Ruhm, die Gier, alles zu verschlingen, die Härte der Auflagen, womit sie das Volk bedrücken, ihre Trägheit, ihr Hochmut, ihre Ungerechtigkeit, ihre Unmenschlichkeit, ihre Tyrannei und all jene Laster, welche die menschliche Natur so entwürdigen! Wollten sich unsere Fürsten doch von diesem Irrtume befreien und bis auf den ersten Zweck ihrer Einsetzung zurückgehen: Alsdann würden sie erkennen, daß ihr Rang, auf welchen sie so eifersüchtig sind, und ihre Erhebung nur das Werk der Völker ist, daß jene Tausende von Menschen, die ihnen anvertraut sind, sich keineswegs zum Sklaven eines einzelnen gemacht haben, damit dieser nur um so furchtbarer und mächtiger werde – daß sie sich nicht einem ihrer Mitbürger unterworfen haben, um das Opfer seiner Launen und das Spielwerk seiner Willkür zu sein; sondern daß sie denjenigen aus ihrer Mitte erwählt haben, den sie für den Tüchtigsten zum Regieren, für den Besten, um ihnen allen ein Vater zu sein, für den Menschenfreundlichsten zu Trost und Hilfe in der Not, für den Tapfersten zum Schutze gegen den Feind, für den Weisesten zu Vermeidung zerstörender Kriege; kurz, für den Fähigsten zur erfolgreichen Behauptung und Vertretung der Staatsgewalt hielten.“170
Auch schon bei anderer Gelegenheit, in einem Brief an Voltaire vom 2. Januar 1739, betonte Friedrich das zwischen dem König und seinen Untertanen bestehende Verhältnis, von welchem ein Herrscher, der sich ausschließlich einer göttlichen Macht in der Pflicht sähe, nie gesprochen hätte: „Ein Herrscher bedeutet für sein Volk dasselbe wie das Herz für den Mechanismus des Körpers. Es empfängt das Blut aus allen Gliedern und treibt es wieder in sie zurück. Der Herrscher empfängt Treue und Gehorsam von seinen Untertanen und gibt ihnen Überfluß, Wohlstand, Ruhe und alles zurück, was zur Wohlfahrt und zum Gedeihen der Gesellschaft beiträgt.“171
169 170 171
Zitiert nach: Perfahl, Wer die Wahrheit liebt, S. 28 – 29. Zitiert nach: Perfahl, Wer die Wahrheit liebt, S. 27 – 28. Zitiert nach: Perfahl, Wer die Wahrheit liebt, S. 7.
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
Friedrich der Große erachtete sich selbst vielmehr als Teil der Gesellschaft und sah sich nicht als über die Gesellschaft gesetzt an, wie sich aus seinem politischen Testamente von 1752 ergibt: „Die erste Bürgerpflicht ist, seinem Vaterlande zu dienen. Ich habe sie in allen verschiedenen Lagen meines Lebens zu erfüllen gesucht.“172
Damit schien nachgewiesen, daß die dem Allgemeinen Landrecht zu Grunde gelegte Lehre vom Gesellschaftsvertrage und die daraus resultierende Pflichtenlehre vollständig mit den Ansichten Friedrichs des Großen harmoniert haben. c) Kritik an der aus Empirie gewonnenen Staatserkenntnis Wie angreifbar dieser vermeintliche Nachweis indes war, wurde im dritten Teile dieser Arbeit bereits erläutert.173 Entscheidend sind immer auf’s Neue die aktuellen Ansichten des Herrschers, nicht darüber verfaßte Schriften, mögen sie auch die königliche Sanktion erhalten haben. d) Rechtfertigung der für die Gesetzgebung gewählten Vorgehensweise Die Fortdauer der den staatsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Landrechts zur Legitimation dienenden weltanschaulichen Grundlage und damit insoweit die Brauchbarkeit des Codex selbst waren also höchst vergänglich. Sollte aber – aus Gründen, die unten174 näherer Beleuchtung bedürfen – in dem Codex überhaupt über den Grund der Staatsmacht gesprochen werden, so mußte – bei allen Unzulänglichkeiten und Ungewißheiten, die damit im Zusammenhange standen – notwendig eine der dafür in Frage kommenden Theorien bemüht werden. Die Rechtfertigung des gesetzgeberischen Vorgehens gegen die beschriebenen Einwände trägt die im ersten Teile dieser Arbeit bereits auf ihre Tauglichkeit untersuchte und als formell wahr erkannte Vermutung, der Wille des Herrschers bestehe solange fort, bis dieser Gegenteiliges verlautbart.175 Daß sich also Svarez für die Lehre vom Gesellschaftsvertrag entschied, mag außer der von ihm offen bekannten Praktikabilität derselben zur Herleitung der Staats- und Herrscherpflichten noch am ehesten von den ihm bekannten Ansichten des Königs als gedeckt gelten, denn die Zeit war unbestritten geprägt von Friedrich dem Großen, seinen Gedanken und seinen Schriften. Aus allem, was die Zeitgenossen über den preußischen Staat und über die Ansichten seiner Herrscher über denselben im ausgehenden 18. Jahrhundert wußten, sprach somit weitgehend die Lehre vom Gesellschaftsvertrag und die daraus resultierende Pflichtenlehre. 172 173 174 175
Zitiert nach: Perfahl, Wer die Wahrheit liebt, S. 13. Oben, 3. Teil, B., II., 2., b). Siehe sogleich unter IV., 3. b). Vgl. oben, 1. Teil, B., II., 1., c).
A. Über die Bestimmung des Staatszweckes und über die Majestätsrechte
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Dieser Eindruck mußte sich verfestigen, nachdem im Jahre 1791 das Allgemeine Gesetzbuch noch vor seinem Inkrafttreten wegen seiner staatsrechtlichen Stellen176 suspendiert worden war. Denn für die Folgezeit kann angenommen werden, daß Friedrich Wilhelm II. insbesondere den dreizehnten Titel des zweiten Teils einer genauen Prüfung unterzog, und er hätte die 1794 erfolgte Sanktion des Codex sicherlich verweigert, hätte er Anstoß daran genommen. So wunderte sich etwa Klewitz darüber, daß der ganze Titel die königliche Genehmigung erhalten konnte, und führte dies auf eine noch nicht hinreichende Sensibilisierung des Herrschers für die damit etwa verbundenen Revolutionsgefahren, aber eben nicht auf mangelnde Kenntnis des Königs von dessen Inhalt zurück.177 Angesichts aller Unzulänglichkeiten bei einer Positivierung der Grundlagen des Staates unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie trägt mithin die von den Verfassern des Codex gewählte Methode der Prinzipienermittelung und -kodifizierung am ehesten die Vermutung limitiert-temporärer Brauchbarkeit. Sollte also überhaupt eine Positivierung des Staatsrechts in der uneingeschränkten Monarchie erfolgen, so läßt sich auf diese von den Autoren des Gesetzbuchs gewählte Vorgehensweise die Vermutung stützen, daß das Ergebnis zumindest für eine gewisse Zeit brauchbar bleiben wird. 6. Die Funktionen von contrat social und Pflichtenlehre in staatstheoretischer Hinsicht Die Lehre vom Gesellschaftsvertrag und die Pflichtenlehre spiegelten also das Staatsverständnis des preußischen Monarchen mit den genannten Einschränkungen authentisch wider. Damit konnten diese Theorien, trotz aller Anfeindungen aus konservativen Kreisen, legitimer Weise dem Allgemeinen Landrecht zu Grunde gelegt werden, ohne daß letzteres dadurch – vermöge eines Widerspruches zur wahren Rechtslage – unbrauchbar geworden wäre, und alles, was sich darauf stützte, war dadurch ebenfalls authentisch und damit für das Gesetz tauglich. Aufgabe der Lehre vom Gesellschaftsvertrag war es, in der gezeigten Weise die Pflichtenlehre zu begründen; hierin erschöpfte sich ihre Funktion. Die Pflichtenlehre selbst nun diente, wie ebenfalls soeben nachgewiesen, dazu, die Rechte des Herrschers als aus seinen Pflichten resultierend darzustellen. Eine reglementierende oder auch bloß konstituierende Wirkung kam ihr dabei freilich nicht zu, denn der Zweck des Staates hätte – wie oben gezeigt – frei von jeder solchen Vorgabe formuliert werden können, und ebenso bedurften Herrscherpflichten und Majestätsrechte nicht einer auf einander abgestimmten Verbindung, sondern bestanden nach den Grund-
176
Wie unten, unter IV., 1. gezeigt werden wird. Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, S. 12 – 13. 177
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
sätzen der Staatsverfassung Preußens frei und unabhängig nebeneinander178 und hätten im Gesetzbuch auch in dieser nicht-akzessorischen Weise dargestellt werden können. Da die absolute Monarchie, nach der dem Herrscher uneingeschränkte Macht zukam, feststand, konnte der Pflichtenlehre eine die Rechte des Herrschers legitimierende Funktion mithin nicht zukommen; sie war vielmehr auf eine darstellende, deklaratorische Funktion verwiesen und mußte sich darauf auch beschränken.
IV. Die Funktion der Pflichtenlehre unter dem Eindrucke der Französischen Revolution und ihre Bedeutung für die Aufklärung 1. Der Einfluß der Französischen Revolution auf Preußen und die Suspension des Allgemeinen Gesetzbuchs Der dem Zeitalter der Aufklärung immanente Drang zur Popularität wurde durch ein gesellschaftliches Großereignis in besonderer Weise begünstigt, zugleich aber in eine zwanghafte Form gepreßt: die Französische Revolution.179 Ihr Einfluß war, wie überall in Europa, auch auf die Gesellschaftsordnung in Preußen gewaltig. Eggers sprach es deutlich aus: „Denn, wir können es uns nicht verbergen; wir sehen, am Ende des achtzehnten Jahrhunderts, trüben, trüben Zeiten entgegen. Der Geist der Empörung und der Anarchie – denn es wird Zeit der Revolution die Larve abzuziehen – dieser Geist, der die Republiken des Alterthums, der das mächtige Rom stürzte, und die kultivirte Welt zur traurigen Einöde machte; der verbreitet seinen verzehrenden Hauch immer mehr auch in Deutschland […].“180 178
Um einem scheinbaren Widerspruche zu begegnen, der sich daraus ergeben könnte, daß vorliegend Rechte und Pflichten des Herrschers als von einander unabhängig, oben dagegen – der Pflichtenlehre folgend – als einander bedingend dargestellt wurden: Der preußischen Staatsverfassung des 18. Jahrhunderts läßt sich allein der Satz entnehmen, daß den Vollmachten des Königs keine Schranken gesetzt sind. Nicht Teil dieser Verfassung war der Ursprung dieser Vollmachten; über denselben gingen vielmehr die oben dargestellten Spekulationen der Staatsrechtswissenschaft, für die allein mangels verfassungsmäßiger Fixierung dieser Frage Raum bestand. Einigkeit, zumindest in Vertragslehre und Patriarchalstaatstheorie, bestand darin, daß dem Herrscher gewisse Pflichten auferlegt sind. Diese Pflichten waren – als ein Postulat der Wissenschaft – damit aber nicht Teil der Staatsverfassung, so daß von Verfassungs wegen eine Verknüpfung von Recht und Pflicht schlechterdings nicht vorgenommen werden konnte, da die Verfassung selbst ja eine Pflicht des Königs nicht kannte und damit bar eines Anknüpfungspunktes für eine solche Verbindung war. Allein in den Staatsrechtstheorien, um die Erkenntnis dieser Pflichten reicher, konnte eine derartige Verknüpfung dagegen formuliert werden. Da Pflichten des Herrschers von Verfassungs wegen jedoch auch nicht notwendig ausgeschlossen waren, ist der Satz, daß ihr – nach gewissen Theorien angenommener – Bestand und derjenige der Rechte des Herrschers von Verfassungs wegen ein unabhängiger und freier war, korrekt. 179 Krause, Entwurf, Gesetzbuch, Landrecht, S. 8 – 9. 180 Eggers, Lehrbuch des Rechts, 1. Teil, S. XI.
A. Über die Bestimmung des Staatszweckes und über die Majestätsrechte
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Diese Ereignisse, die offenbar dem Bereiche der Politik und der Zeitgeschichte und nicht der Jurisprudenz zugehörig scheinen, sind für die vorliegende Untersuchung gleichwohl von Bedeutung, denn dieser Geist des Aufruhrs und der Revolution berührte auch die preußische Gesetzgebungsarbeit. Nur die Akzeptanz der Regierung und des ganzen Staatssystems bewirkt auch die Akzeptanz der gesellschaftlichen Ordnung überhaupt und damit die nicht bloß erzwungene, sondern aus Überzeugung rührende Befolgung der in diesem Staate geltenden Gesetze. Auf diese Weise allein läßt sich ein Staat in Zeiten der Not erhalten, indem die von der richtigen gemeinschaftlichen Sache überzeugten Mitglieder des Staates sich anschicken werden, gemeinsam die Not zu wenden. Klein etwa gießt dies in folgende Worte: „Nichts aber könnte schädlicher werden, als eine zu stolze Verachtung der Volkskräfte; wenn man nämlich vergäße, daß die fürchterlichste Macht doch zuletzt auf dem guten Willen der Gehorchenden beruht, welche die Mißvergnügten in Ordnung halten.“181
Der Erhalt des Staates aber ist nichts anderes als die Erhaltung einer bestimmten Ordnung, einer bestehenden Rechtsordnung. Damit wird das Anliegen der Reformgegner zum konservativ-juristischen. In Preußen verschärfte sich die Situation fühlbar bereits mit dem Regierungswechsel von 1786; Stölzel schrieb dazu in seiner großen Svarez-Biographie: „In Preußen hatten die Ideen, welche Frankreich während der Vorperiode seiner Revolution großzog, zur Zeit Friedrich’s II, soweit ihnen ein gesunder Kern innewohnte, willkommene Aufnahme und Nahrung gefunden. Unter Friedrich Wilhelm II änderte sich das. Mit wachsender Schärfe trat eine rückläufige Bewegung ein. An die Stelle des Strebens, durch Gesetze, welche der vorwärtstreibenden Zeitströmung Rechnung trügen, allen revolutionären Gelüsten im Innern vorzubeugen, trat das Streben durch Festhalten am Hergebrachten jenen Gelüsten entgegenzutreten. Je mehr im Westen das Königthum zu Wanken anfing, desto fester mußten demselben im Osten seine bisherigen Formen erhalten werden; je eifriger man dort nach Neuerungen jagte, desto mehr war es hier geboten, behutsamst alle Neuerungen zu vermeiden.“182
Deutlich war nun eine Sensibilisierung gegenüber allen Äußerungen zu spüren, die möglicherweise den Vorwand für eine staatliche Neugestaltung auch in Preußen liefern konnten. „Was lag näher, als gerade nach diesen beiden Gesichtspunkten hin das seiner Vollendung entgegengehende allgemeine Gesetzbuch zu prüfen? Ließ sich in der That sagen, daß es die festen Stützen, auf welchen bis dahin der Thron geruht hatte, überall unberührt ließ, daß es am Bestehenden nichts Wesentliches ändern wollte, und daß Alles davon fern geblieben war, was die Bewegung der Geister im Westen bis zur tobenden Anarchie gesteigert hatte?“183,
fragte denn auch Stölzel.
181 182 183
Klein, Was muß zur Erhaltung der Ruhe geschehn? S. 111. Stölzel, Svarez, S. 322. Stölzel, Svarez, S. 322.
184
4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
So war es nahezu unausweichlich, daß insbesondere in Kreisen, welche dem Ancien Régime geneigt gegenüber standen, die im Allgemeinen Gesetzbuche positiviert niedergelegten staatsrechtlichen Sätze nur mit größtem Mißtrauen aufgenommen werden konnten; ihnen wurde eine regelrechte „Staatsgefährlichkeit“184 unterstellt. „Daß man dem neuen Gesetzbuch vorwarf, es stehe auf dem Boden dieser Revolution, war kein Geheimniß,3 und daß Carmer ,mit tiefster Bekümmerniß wahrnehmen mußte, wie man dem Könige nachtheilige Ideen von dem Inhalte des Gesetzbuchs beibrachte‘, sprach er durch Svarez’ Feder4 in seinem Immediatberichte vom 3. Mai, über dessen äußern Anlaß die Materialien nichts ergeben, deutlich aus.“185
Daher nennt auch Gose die „schwelende ,Verfassungskrise‘, vielleicht aber auch die Entwicklung in Frankreich“ als die Ursachen, die den Gegnern des Gesetzbuchs und insbesondere seiner verfassungsrechtlichen Implikate die Überhand gegeben hatten.186 Kleinheyer etwa sieht in der Französischen Revolution den Vorwand für sämtliche reaktionäre Bestrebungen im Preußen des ausgehenden 18. Jahrhunderts.187 Bereits 1785 sah sich Svarez genötigt, in die Akten eine Rechtfertigung für die Aufnahme staatsrechtlicher Sätze in den Codex niederzuschreiben. Dies, so vermutet Stölzel, kann seinen Grund nur darin haben, daß bereits damals kritische Stimmen gegen jegliche positiv-gesetzliche Niederlegung staatsrechtlicher Materien laut wurden.188 Am 7. April 1791 wandte sich der Küstriner Regierungspräsident von Poser voller Sorge an Carmer und berichtete von den am Ende des ersten Teils dieser Arbeit bereits mitgeteilten Zusammenkünften der Bürger und Bauern, die die neue Gesetzgebung besprachen und begierig waren, von ihren vermeintlich größeren Freiheiten in dem Codex zu lesen, von welchem bald nicht mehr genügend Exemplare zu erlangen waren. Die Bauern argwöhnten, ihnen würde das Gesetzbuch mit Absicht vorenthalten, und Poser fürchtete Tumulte.189 Innerhalb des preußischen Staatsapparats tat sich von allen Kritikern der neuen Gesetzgebung insbesondere der oben bereits erwähnte Danckelmann hervor. Mit Carmer, der ihm zum Posten eines schlesischen Justizministers verholfen hatte, war
184 So beurteilt Stölzel, Svarez, S. 376, die Kritik Danckelmanns an den staatsrechtlichen Sätzen des Codex. „3 s. Schreiben Carmer’s an Danckelmann vom 8. Dezember 1793 (unten).“ „4 Materialien Bd. 88 fol. 5. 6.“ 185 Stölzel, Svarez, S. 362. 186 Gose, in: Gose/Krause, Entwurf, Gesetzbuch, Landrecht, S. 5. 187 Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht, S. 151. 188 Stölzel, Svarez, S. 383. 189 Stölzel, Svarez, S. 356.
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er schon seit dem Jahre 1782 verfeindet;190 1786 zeigte er sich erstmals als Gegner auch der Justizreformen.191 Als der Tag des projektierten Inkrafttretens für das Allgemeine Gesetzbuch, der 1. Juni 1792, allmählich näher rückte, versuchte Danckelmann nochmals, mit einer zum Teil kurios anmutenden Begründung das Wirksamwerden des Codex noch abzuwenden. In seinem Immediatbericht an den König vom 9. April 1792192 äußerte er, daß das – immerhin bereits im März 1791 publizierte – Gesetzbuch wegen der kurzen Zeit, die den Amtsträgern und allen Untertanen für die Kenntniserlangung und das Studium des Gesetzbuchs bis zu seinem Inkrafttreten verbleibe, und wegen der Schwierigkeiten, die das Studium des Codex wegen seines Umfanges, des Fehlens eines Registers und des hohen Buchpreises bereite, einstweilen suspendiert werden müsse. Noch binnen Wochenfrist gingen weitere Erinnerungen beim König ein. Am 25. April wollten die kurmärkischen Stände die Einführung des Gesetzbuchs bis zur erfolgten Abfassung ihres Provinzialgesetzbuchs aufgeschoben wissen; ähnlich äußerte sich eine ständische Deputation mündlich beim Großkanzler. Das zu Insterburg residierende ostpreußische Hofgericht endlich fürchtete „Gährungen“ wegen des bis zu Vollendung des 24. Lebensjahres hinausgeschobenen Eintrittes der Großjährigkeit.193 „So war der Kampf von den verschiedensten Seiten gleichzeitig eröffnet.“194
Das Mißtrauen des als wankelmütig und schwach geltenden Königs Friedrich Wilhelm II. zu wecken, waren schon allein die Danckelmann’schen Monita hinreichend, denn mit Kabinettsorder vom 18. April 1792 gab er der Kritik nach und setzte die Einführung des Allgemeinen Gesetzbuchs auf unbestimmte Zeit aus. Die wahren Gründe für die heftige Ablehnung des Codex waren indes andere als die im April 1792 von Danckelmann vorgeschobenen gewesen, wie sich später zeigen sollte. Schon in einer unter dem 19. April datierten Gegenvorstellung an den König sprach es Svarez in Carmers Namen offen aus: „Ich bin völlig überzeugt, daß alle Jnsinuationes, welche Ewr. Kgl. May: gegen das Gesetzbuch gemacht worden, von einigen wenigen mit einer aristocratischen Regierungs-Form schwanger gehenden Köpfen herrühren, denen daran gelegen ist, die Sache erst zu verschieben, dann nach und nach zu untergraben, und solchergestalt ihre eigenen Plane und Anmaaßung der gesetzgebenden Macht zur Reife zu bringen; nebenher aber meine wenigen Verdienste bey dieser Angelegenheit in Ewr. Kgln. May: Augen zu vernichten.“195
190
Zu den Hintergründen siehe: Stölzel, Svarez, S. 354 – 355. Vgl. dazu, auch zu den Hintergründen, die Ausführungen zur zeitgenössischen Kritik über Staatsrecht und Gesetzgebung (oben, 3. Teil, B., I., 2., e)). 192 Abgedruckt bei: Kamptz, Jahrbücher, 52. Band, S. 138 – 140. 193 Stölzel, Svarez, S. 356 – 357. 194 Stölzel, Svarez, S. 357. 195 Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 3, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 359 – 360. 191
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
Die Motive für die der Gesetzgebung gegenläufigen Strömungen waren damit zu einer Zeit auf den Punkt gebracht worden, als dies noch selten war. Svarez gebrach es nicht an Mut, dies vor dem König selbst auszusprechen. 2. Die Angliederung der Ostprovinzen (1793) und die Wende im Kampfe um das AGB Die im Jahre 1793 bei der zweiten polnischen Teilung erfolgte Annexion der Provinzen Südpreußen und Neuostpreußen sollte sodann die Wende bringen. In diesen Gebieten sah sich die neue preußische Obrigkeit in Folge der jahrhundertelangen Paralyse der polnischen Staatsführung vor ein Rechtsvakuum gestellt, dem beizukommen nur durch die umfassendsten Reformen möglich zu sein schien. Wie Friedrich der Große nach dem Erwerbe Schlesiens dem raschen Aufbau dieser neugewonnenen Provinz größte Aufmerksamkeit gewidmet hatte, so sollten auch in Süd- und Neuostpreußen die darniederliegende Wirtschaft, Handel und Verkehr einen möglichst schnellen und wirkungsvollen Aufschwung erfahren. Ein jahre- oder gar jahrzehntelang währender Gesetzgebungsprozeß zur Gestaltung der neuen Rechtsordnung für diese Provinzen als der Grundlage des Aufbaus war daher ausgeschlossen. Selbst die einstens so vehementen Kritiker des Allgemeinen Gesetzbuchs konnten sich nunmehr nicht länger der Erkenntnis verschließen, in dem bereits anwendungsreif vorliegenden Codex das billigste und schnellste Mittel zu besitzen, dem rechtlichen Manko in den neuen Provinzen zu begegnen. „Eine ,Schlußrevision‘ überhaupt und der Gedanke, den in Wahrheit schon begrabenen Landrechtsentwurf nochmals aufleben zu lassen, ist lediglich unter dem Einflusse der äußern Politik entstanden. Das maaßgebende Ereigniß bildete die zweite Theilung Polens. Sie führte dahin, das zurückgelegte Gesetzbuch zunächst im Interesse der neugewonnenen Landestheile wieder an das Tageslicht zu ziehen.“196
Wie sehr die Zeit drängte, beweist die die Umarbeitung des Gesetzbuchs betreffende Kabinettsorder vom 17. November 1793, in welcher es heißt: „Wenn das Gesetzbuch solchergestalt wird umgearbeitet sein, alsdann kann es in Südpreußen, wie in Meinen übrigen Provinzen eingeführt werden. Vorläufig werden in Südpreußen sowohl in Ansehung, solcher Angelegenheiten und Geschäfte, welche vor der Okkupation vorgefallen, als auch in Ansehung der laufenden und künftigen, die bisherigen polnischen Constitutiones und Gewohnheitsrechte, insofern sie gehörig bescheinigt werden, und nichts enthalten, was der dermaligen Regierungsform, oder den allgemeinen Verbothgesetzen in Meinen übrigen Landen zuwider ist, auch die Form der gerichtlichen Prozedur nicht betreffen, beizubehalten sein. In dieser Absicht müssen die Regierungen angewiesen werden, die Konstitutionen und Gesetze zu sammeln und in Ordnung zu bringen, damit sie sodann revidiret und als ein statutarisches Recht zu Meiner Bestätigung vorgelegt werden können. Dafern jedoch die Einführung des subsidiarischen allgemeinen Rechts, zu Entscheidung der in dem südpreußischen statutarischen Recht nicht enthaltenen 196
Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 320.
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Fälle, so lange nicht füglich anstehen könne, bis das umzuarbeitende Gesetzbuch publizirt werden kann; so müssen die schicklichsten Wege und Mittel ergriffen werden, denen Gerichten und Einwohnern einstweilen das allgemeine Recht, wie es in Meinen übrigen Staaten beobachtet wird, bekannt zu machen. Ueber diesen zur Organisation von Südpreußen gehörigen Gegenstand müsset Ihr Euch mit dem Etatsministre Frh. v. Danckelmann besonders vereinigen und gemeinschaftlich mit demselben die nöthigen Verfügungen machen.“197
Damit aber war dem Gesetzbuche, das man schon als in die Annalen der Geschichte versunken wähnte, für den ganzen Umfang der Monarchie die Chance seiner formellen Einführung zurückgekehrt. „Wie an den großen Polenprozeß des Jahres 1846 die Einführung des öffentlich-mündlichen Verfahrens, so knüpft sich an den Anfall der polnischen Landestheile im Jahre 1793 die Einführung des Landrechts in das gesammte Königreich.“198
So konnte schicksalsschwer gesagt werden: „Hatte sodann die plötzliche Wendung der Dinge im Westen sich dem Abschlusse des Werkes entgegengestellt, so zogen bald danach ebenso plötzlich die Ereignisse im Osten das zu den Acten gelegte Gesetzbuch wieder hervor.“199
Interessanterweise war es gerade Danckelmann, welcher unter dem 17. Mai 1793 vorschlug, zumindest hinsichtlich des Vormundschaftsrechts sowie des Strafrechts die entsprechenden Passagen des Allgemeinen Gesetzbuchs in Kraft zu setzen.200 Und auch gegen Carmers Vorschlag vom 25. Mai 1793, aus dem ersten Teile des Werkes noch einige weitere Abschnitte hinzuzufügen, erhob er keine Einwände. 3. Staatstheoretische Kämpfe werden zur Entscheidungsschlacht um Preußens Recht a) Der Ruf nach Beseitigung der staatsrechtlichen Sätze. Nun bekannten die Gegner aber auch die wahren Gründe für die einstmals betriebene Suspension des Codex.201 In einem Briefwechsel mit Carmer, in welchem Svarez in Carmers Namen, wohl durch die bereits gemachten Zugeständnisse Danckelmanns ermutigt, um die ungekürzte Einführung des Gesetzbuchs in Südpreußen nachsuchte, erwiderte Danckelmann im August 1793, daß
197
Zitiert nach: Kamptz, Jahrbücher, 52. Band, S. 143. Stölzel, Svarez, S. 372. 199 Stölzel, Svarez, S. 370. 200 Stölzel, Svarez, S. 373. 201 Die Svarez freilich schon in der oben (unter IV., 1.) zitierten Gegenvorstellung vom 19. April 1792 dem König offen vortrug. 198
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„die darin [= in dem Allgemeinen Gesetzbuch] enthaltenen Passus, welche mehr auf das Staats- als Privat-Recht gehen, […] wie ich vermuthe, hauptsächlich den Anlaß zur Suspension gegeben haben“202.
Dieses Bekenntnis war symptomatisch für die weitere Diskussion: Während dieser Phase des Kampfes um die Einführung des Gesetzbuchs verdichteten sich die Argumente zusehends auf die staatsrechtlichen Stellen; Stölzel bezeichnete sie als das „Hauptärgerniß“ dieser Zeit.203 Plötzlich schien die über die Wirksamkeit des Gesetzbuchs entscheidende Frage nur noch zu sein, ob seine staatsrechtlichen Stellen, ohne dessen Brauchbarkeit im Ganzen zu gefährden, „füglich ausdrücklich eximirt werden könnten“.204
Danckelmann schien dies bezweifeln zu wollen. Ob diese Zweifel echt waren oder nur dazu dienen sollten, Svarez einzuschüchtern, mag dahingestellt bleiben; an anderer Stelle sprach er sich jedenfalls sehr viel zuversichtlicher aus. Bei Stölzel wird berichtet, Danckelmann habe in einem „offenherzigen Bekenntniß seiner von jeher über das Gesetzbuch gehegten Meinung“205 sich den größten Vorteil davon versprochen, das Gesetzbuch als „Allgemeines Königlich Preußisches Landrecht“ zu publizieren und dabei die noch nicht promulgierten Bestimmungen entweder wegzulassen oder nachträglich zu promulgieren.206 „Es wäre ein Leichtes, dem Werke diese Gestalt zu geben, und es so in Südpreußen […] sogleich einzuführen.“207
Auch Heinrich Julius von Goldbeck, der preußische Justizminister, äußerte sich nun verhalten optimistisch. In einer Denkschrift vom 6. Dezember 1793 formulierte er die Bedingungen, unter denen er eine Einführung des Gesetzeswerkes, ohne gesellschaftlichen Schaden befürchten zu müssen, für möglich erachtete. Darin forderte er die Beseitigung einer Anzahl ausdrücklich genannter staatsrechtlicher Stellen, unter ihnen insbesondere der §§ 77 – 79 Einl. AGB. Indem durch sie der Zweck des Staates und das Ziel der Gesetze auf das gemeine Wohl fixiert wurden, befürchtete er, daß daraus der Schluß gezogen werden könnte, königlichen Gesetzen bräuchte keine Folge geleistet zu werden, wenn durch sie die Rechte und Freiheiten der Untertanen weitergehender als zum gemeinen Wohl erforderlich eingeschränkt werden würden.208 202
Danckelmann, in: Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 9v, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 376. 203 Stölzel, Svarez, S. 384. 204 Danckelmann, in: Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 9v, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 376. 205 Abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 378 – 379. 206 Stölzel, Svarez, S. 379. 207 Danckelmann, in: Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 14, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 379. 208 Nach: Stölzel, Svarez, S. 386.
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Vielleicht von dem unter der Bedingung der Aufklärung herrschenden Anspruch inspiriert, möglichste Vollständigkeit in dem Gesetzbuche zu erreichen, erachtete er auch die Folgerung als naheliegend, man könne – der wirklichen Staatsverfassung widerstreitend – die Rechte und Vollmachten des Königs auf die normierten limitiert begreifen. Sollte also die gesetzliche Regelung der Herrscherrechte im Gesetzbuche vollständig sein, ließe sich daraus eine Beschränkung des uneingeschränkten Monarchen auf diese kodifizierten Rechte folgern. Damit wäre durch das Gesetzbuch das Ende der uneingeschränkten Monarchie proklamiert. Schlosser, einer der bekanntesten Gegner des Gesetzbuchs, der schon während der Entwurfsphase des Codex mit teils sachlichen, teils aber auch mehr polemischen Publikationen an die Öffentlichkeit trat, erblickte in der Fixierung des Staatszweckes auf das gemeine Wohl noch eine weitere fundamentale Gefahr. Den Gedanken, das allgemeine Wohl der Einwohner des Staates zur Richtschnur des staatlichen Handelns zu machen, hielt er mit der überlieferten ständischen Gliederung der Gesellschaft für unvereinbar.209 Hattenhauer äußerte sich im Vorwort seiner im Jahre 1970 editierten Ausgabe des Preußischen Allgemeinen Landrechts ähnlich. Das „gemeine Wohl“ setze die gleichberechtigte Partnerschaft aller am Gemeinwesen beteiligten Personen voraus und habe damit das Ende des Ständestaates vorbereitet.210 Dabei war es wohl weniger unmittelbar die Sorge um den Fortbestand der Landstände, die auch in dem neuen Gesetzbuche berücksichtigt waren, sondern die mit einer nachdrücklichen Hervorhebung des gemeinen Wohls allmählich aus den Augen geratende ständische Gliederung der Gesellschaft, also ein Wandel in der Wahrnehmung der gesellschaftlichen Ordnung, der in seiner Folge die gesellschaftliche Ordnung selbst auf Dauer nicht unberührt lassen kann. Die Struktur des Codex war, wie auch Krause betont, mehr als nur äußerlich. Svarez habe durch sie die Einzelperson ohne Rücksicht auf ihre familiären und ständischen Einbindungen programmatisch an den Anfang gestellt; zugleich habe er die allgemeine Rechtsfähigkeit und bürgerliche Egalität aller Menschen betont. Die Privatautonomie als Grundzug des Zivilrechts werde durch den besonderen Titel über Willenserklärungen herausgestellt.211 Der Nachteil, den Schlosser durch eine solche Veränderung in der Anschauung der Zielsetzung in den öffentlichen Angelegenheiten befürchtete, war der Mißbrauch dieses gesetzlich nicht näher konkretisierbaren Rechtsbegriffs. Bei einer Fokussierung auf das gemeine Wohl sah er daher die Gefahr einer diffusen, konturlosen Entwickelung in den staatlichen Angelegenheiten. Klein pointierte in der Rezension der Schlosser’schen Briefe dessen Auffassung wie folgt:
209 210 211
Schlosser, Zweiter Brief, S. 119 ff. Hattenhauer, ALR, S. 34. Krause, in: Gose/Krause, Entwurf, Gesetzbuch, Landrecht, S. 8.
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„Wenn man alles, was Herr Schlosser in seiner Schrift gesagt hat, zusammenfaßt, so läßt es sich auf folgende Hauptsätze zurückbringen. Das Lehnssysthem sey eine herrliche Sache, so lange dieß herrsche, habe man Ruhe vor dem gemeinen Wohl, hinter welches sich nur das landesherrliche Interesse verstecke.“212
Alle diese Gründe trugen dazu bei, daß in der offen ausgesprochenen Zweckbindung der Herrscherrechte die Gefahr innerer Unruhe und Empörung gewittert wurde, indem dem Volke eine Richtschnur zur Prüfung des Regierungshandelns an die Hand gegeben werde. Der Regent werde durch sie in den Fokus des allgemeinen Interesses gesetzt; werde er aber den hochgesteckten, idealisierten Ansprüchen, welche das Gesetz formuliert, vermeintlich oder tatsächlich nicht gerecht, berge dies ein unabsehbares Risiko der Revolution. So sprach Klewitz davon, daß ein Staatsrecht postuliert worden sei, „dessen Prinzipien der fürstlichen Macht eben so gefährlich, als den Rechten der Unterthanen sind, und das eine wichtige Rolle in den Umwälzungen gespielt hat, durch die die Geschichte unserer Tage sich auszeichnet.“213
Bei Erhard wird zumindest mitgeteilt, daß daher auch die Ansicht vertreten wurde, über den Zweck der Staatsverbindung und über Regentenpflichten solle mit dem Volke überhaupt nicht gesprochen werden.214 Waren also vor der Suspension des Codex noch die mannigfaltigsten Gründe, dessen Wirksamkeit zu verhindern, in’s Feld geführt worden, so hatte sich in der Folge die zeitgenössische Kritik doch sehr schnell auf staatsrechtliche Argumente und damit im Zusammenhange stehende Besorgnisse konzentriert. In Klewitz’ Schrift aus dem Jahre 1828 etwa wird die vor 1791 geäußerte nichtstaatsrechtliche Kritik schließlich überhaupt nicht mehr erwähnt. „Selbst aber schon damals erkannte man die Gefährlichkeit der in dem Landrecht ausgesprochenen politischen Theorien an, denn es wurde der ersten unter dem Titel: Gesetzbuch für die Preuß. Staaten, im Jahr 1791 herausgekommenen Redaction die Königliche Genehmigung eben dieser Theorien wegen versagt; leider aber keine völlige Umarbeitung verfügt, so daß mit Ausnahme einzelner zu unverhüllt ausgesprochener Folgerungen jenes gefährliche Staatsrecht ganz und gar in die neue Redaction des unter dem Titel: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, vom Jahr 1794 an eingeführten Gesetzbuchs übergegangen ist.“215
Ein solches Phänomen ist immer ein Indiz für den Glauben, man habe das für seine Sache zugkräftigste Argument gefunden, und die vormals vorgetragenen Gründe 212
Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 387. Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, S. 3 – 4. 214 Erhard, Critik des AGB, S. 113. 215 Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, S. 6. 213
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würden wegen ihrer Seichtigkeit und Durchschaubarkeit eher schaden als nützen, indem letztere bloßstellen, daß es den Kritikern weniger auf die Gründe, sondern mehr auf das Ergebnis ankomme. Stehen jedoch nicht die Gründe, die lediglich im Vernunftschluß ein bestimmtes Ergebnis formulieren, im Fokus der Betrachtung, sondern werden, ausgehend von dem gewünschten Ergebnis, die Argumente abgeleitet, nährt sich der Verdacht einer unsachlichen und nicht vernunftgeleiteten Beschäftigung mit der Sache. Man mag die durch den Bastillesturm ausgelöste Hysterie der Zeit ermessen, wirft man einen Blick auf die Kritik, die ferner noch geäußert wurde. Bereits die Bezeichnung des Codex als „Gesetzbuch“, der in den aufgeklärten Staaten Europas neu sich etablierenden Form der Gesetzgebung, wurde mit Mißtrauen aufgenommen. Es waren vor allem ständische Monita, welche der an mittelalterliche Rechtsbücher gemahnenden Bezeichnung des Gesetzeswerkes als „Landrecht“ den Vorzug geben wollten.216 Goldbeck monierte, daß die Bezeichnung der Untertanen als „Bürger (citoyen) wegen der damit verbundenen Nebengriffe nicht geduldet werden könne“.217
In diesen Formulierungen wurden als gefährlich angesehene Adaptionen an Termini der Französischen Revolution gewittert.218 Diese sich nur an der Oberfläche der Formulierungen aufhaltende und in Kleinigkeiten sich verlierende Kritik ist symptomatisch für die Hysterie einer Epoche, die sich ihrer Agonie bewußt ist; hätte sich das Ancien Régime fest im Sattel gefühlt, wäre an derlei Beiläufigkeiten sicherlich kein Anstoß genommen worden. Die Verhältnisse in Frankreich bewirkten jedoch, daß auch in Preußen der Argwohn einzog und die Vertreter der modernen Gesetzgebungskunst in Bedrängnis brachte und vor immer neue argumentative Herausforderungen stellte. Selbst 35 Jahre später war die Kritik noch nicht verstummt. Wie oben bereits in anderem Zusammenhang erwähnt, störte sich Klewitz in seiner schon mehrfach zitierten Schrift an den Bezeichnungen „Staatsoberhaupt“ und „Bürger“, wie sie vor allem in Teil II Titel 13 AGB/ALR verwendet wurden. Umständlich wird von ihm die Bedeutung der Wörter, allerdings mehr empirisch und ohne etymologische Untersuchung, dargestellt,219 bis sodann die wahre Kritik der Wortwahl auf ihren Kern konzentriert wird: Durch das Wort „Staatsoberhaupt“ sei
216
Stölzel, Svarez, S. 395 – 396. Zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 386. 218 Vgl.: Stölzel, Svarez, S. 386. 219 Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze, S. 10 ff. 217
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„ein weiter und gefährlicher Spielraum für alle Arten von politischen Theorien offen gelassen.“220
b) Die Verteidigung Diese Herausforderungen wurden angenommen. Auf die unmittelbar die Suspension bewirkenden Einwände Danckelmanns erwiderte Svarez in Carmers Namen tags nach Zeichnung der schicksalsträchtigen Kabinettsorder Friedrich Wilhelms an den Großkanzler, daß mit der Einführung des Gesetzbuchs kaum eine materielle Rechtsänderung verbunden sein werde, wegen der wenigen, vom Könige selbst approbierten Neuerungen aber bis dato noch aus keiner Provinz der Ruf nach Aufschub habe vernommen werden können und insbesondere auch wegen des Ansehens, welche die preußische Gesetzgebung genieße, „zuverlässig inn- und außerhalb Landes die größte Sensation erregen“221 würde.222 „Das Register zum Gesetzbuche ist bereits im Druck, und wird zuverläßig noch vor dem 1ten Junius ans Licht treten. Zweckmäßige Auszüge für das Volk, welches die bisherigen Gesetze gar nicht hat lesen können, werden erst alsdann zu machen seyn, wenn die ProvincialGesetzbücher fertig und von Ewr. Kgln. May: approbirt sind.“223
Und Carmer zeichnete auch das Svarez in seinem Namen kurz darauf an Wöllner in Auftrag gegebene Schreiben, in welchem es mit entwaffnender Offenheit heißt: „Die Besorgniß, als ob das Publicum nicht Zeit gehabt habe, sich von dem Inhalte des Gesetzbuchs zu informiren, ist ja, wie in dem Berichte näher auseinander gesetzt worden ist, ein bloßer Praetext, hinter welchem sich gantz andre Absichten verstecken. Eine solche genaue Kenntniß der Gesetze, als der &c. v. Dankelmann dem Volke beygebracht wißen will, hat daßelbe nie gehabt, kan und wird sie auch, nach der Natur der Sache, niemals erlangen.“224
Und weiter ist darin zu lesen: „Der Ehre der Regierung und der Justiz ist daran gelegen, daß man dergleichen vor den Augen des gesammten Publici gemache, und sowohl im Inn- als Auslande mit so vielem Beyfall aufgenommenen wichtige Schritte, nicht so ohne alle erhebliche und nothwendige Ursachen wieder zurückthue; und unsere Staatsverwaltung nicht eben dem Vorwurf aussetze, welcher der Josephinischen Administration wegen allaugenblicklicher Abänderung
220
S. 11.
Klewitz, Einige Worte über die im ALR ausgesprochenen staatsrechtlichen Grundsätze,
221 Svarez in Carmers Namen, Gegenvorstellung vom 19. April 1792, Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 3, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 359. 222 Svarez in Carmers Namen, Gegenvorstellung vom 19. April 1792, Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 3, abgedruckt bei: Stölzel, Svarez, S. 358 – 360. 223 Svarez in Carmers Namen, Gegenvorstellung vom 19. April 1792, Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 3, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 359. 224 Svarez in Carmers Namen an Wöllner, Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 4, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 360 – 361.
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und Zurücknehmung ergangener Gesetze und getroffener Veranstaltungen vor gantz Europa gemacht worden ist.“225
Selbst die eher nebensächlich anmutende Kritik blieb dabei nicht unerwidert. Bei Bielitz ist beispielsweise zur Rechtfertigung der Gesetzesautoren zu lesen: „Wenn aber Hr. W. v. K. auch die in den vorliegenden §§. gebrauchten Ausdrücke ,Staatsbürger und Staatsoberhaupt‘ rügt, und dafür Unterthanen und König gesetzt wissen will, so hat er aus der Acht gelassen: daß in dem angegebenen Verhältnisse der Bürger des Staats gegen das Oberhaupt desselben sehr deutlich alle die Verpflichtungen liegen, welche sie haben würden, wenn man sie Unterthanen und das Staatsoberhaupt König nennte, mithin auf die Benennung nichts ankommt, – daß das Wort ,Unterthan‘ ebenfalls, seinem Ursprunge nach, nur einen Untersassen andeutet(64), – daß der Ausdruck ,Staatsoberhaupt‘ nur die deutsche Uebersetzung des Wortes Souverain ist, – und daß die Belegung des Regenten mit dem Namen Staatsoberhaupt sein Verhältniß zu den Regirten weit richtiger bezeichnet, als der Name König, da es Könige gegeben hat, und noch giebt, welche das eigentliche Oberhaupt des Staates nicht waren oder sind, sondern eine höhere Gewalt über sich anerkennen mußten oder müssen(65).“226
Eine Schilderung der weiteren Ereignisse findet sich bei Stölzel:227 „Es müssen Tage größter Aufregung und Spannung gewesen sein, welche diesen Vorgängen folgten.“228
Die gegen den Kern der Angriffe zur Verteidigung vorgebrachten Argumente geben die besten Anhaltspunkte, welche Funktionen den Rechtssätzen über den Staatszweck und über die Majestätsrechte zugedacht waren. Über die Motive, in dem Gesetzbuche die Rechte des Herrschers auszusprechen und sie aus seinen Pflichten abzuleiten, äußerte sich Svarez in den Kronprinzenvorlesungen. In diesen führte er aus, in der Pflichtenlehre das beste Mittel zur Erhaltung des inneren Friedens zu sehen, denn wenn das Volk den Grund der Herrscherrechte erfasse und erkenne, daß dieselben nicht zur bloßen Eigensucht des Monarchen dienten, sondern daß derselbe sich ihrer vielmehr ausschließlich zur Wahrnehmung seiner Pflichten bediene, dann erwartete Svarez sich davon eine fundamentale Konsolidierung des Staates und dessen monarchischer Regierungsform in der Masse seiner Einwohner. Diese würden nicht nur nicht, wie es eben gerade zu Zeiten seiner Kronprinzenvorlesungen in Frankreich der Fall war, mit blutiger Gewalt gegen ihre Regenten vorgehen wollen, sondern vielmehr in der Erkenntnis der ausschließlich zum Wohle der Gesellschaft bestehenden und aus225 Svarez in Carmers Namen an Wöllner, Materialien zum ALR, 88. Band, fol. 4, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 361. „(64) F r i e d r i c h B u c h o l z angeführte Schrift, S. 31.“ „(65) Ebend. §. 29.“ 226 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 626. 227 Stölzel, Svarez, S. 362 ff. 228 Stölzel, Svarez, S. 362.
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geübten Hoheitsrechte den obrigkeitlichen Anordnungen um so williger gehorchen, als sie von deren Nutzen überzeugt seien.229 Die Ausübung staatlicher Macht, die sich ausschließlich als von diesen Pflichten inspiriert darstellt, schien Svarez folglich der sicherste Garant innerstaatlicher Stabilität zu sein.230 Allein dadurch sah er jede Revolutionsgefahr für gebändigt an; den Bedenken seiner Kritiker hielt er entgegen, daß niemals bloße Ideen oder Theorien zur Revolution führten, sondern es stets nur wahre Mißstände seien, durch welche die Masse des Volkes bewegt werde, gegen seine Obrigkeit aufzustehen. In den Kronprinzenvorlesungen führte er dies anschaulich aus: „So lange der Regent für gute Gesetze sorgt, über deren unpartheyischer Ausübung hält, nicht Despot wird, nicht seine Unterthanen mit übertriebnen Auflagen drückt, den Schweiß derselben weder verschwendet noch durch seine Maitressen und Günstlinge verschwenden läßt, für hinlängliche und wohlfeile Lebensmittel und für Gelegenheiten zum Erwerb sorgt, solange hat er von allen philosophischen Meynungen und Speculationen nichts zu fürchten. Läßt er es aber an jenen Erfordernißen fehlen, so werden alle CensurGesetze und Bücherverbote zu nichts helfen; das Volck wird sich doch empören, ohne ein Wort von Hobbes, Milton, Rousseau od. Mounier zu wißen. Es ist falsch, daß die jetzige Revolution in Fr. ein Werck der Schriftsteller sey. Unordnungen in der Finanz, Druck der Auflagen, Verschwendung des Hofes und der Favoriten, MinisterDespotismus sind die wahren und eintzigen Quellen der Revolution.“231
Diese Betrachtung der Dinge findet sich im zeitgenössischen Schrifttume durchaus häufig wieder. Erhard etwa sagte in seiner ebenfalls 1792 erschienenen Kritik der preußischen Gesetzgebung: „Auch muß natürlich die Kenntniß der Pflichten des Regenten und der Gränzen seiner Gewalt die wohlthätigsten und vortreflichsten Wirkungen haben. Der Staatsbürger wird dann, wann er es weis, daß Alles um des gemeinen Besten willen angeordnet werde, daß Pflichtliebe die Triebfeder aller öffentlichen Anstalten und Verordnungen sey, kurz daß am Ende Alles auf sein und seiner Mitbürger eignes Wohl abzwecke, williger gehorchen, williger geben, und williger sich in die Regeln der öffentlichen Ordnung schicken lernen. Dies ist der Natur des Menschen gemäß und die Erfahrung hat es bestätigt. Aus eben diesem Grunde ist es höchst thörigt und abgeschmackt, wenn man wähnt, öffentliche Anerkennung der Regentenpflichten könne leicht Unruhen im Staate veranlassen. Gerade das Gegentheil!“232
Auch Eggers sprach sich in seinem preisgekrönten Lehrbuche vom Jahre 1797 entsprechend aus: „Es giebt nur ein Mittel, das grundlose Uebel abzuwenden. […] Nur im ersten Keim läßt sich eine so genannte Revolution ersticken; geht der Saame auf, so denkt nicht mehr daran, sie zu unterdrücken. Aber, eben damit der Saame, dessen Ausstreuung wir bey uns nicht ver229 230 231 232
Vgl. dazu: Svarez, KPV, foll. 4r–4v = S. 50 – 51. Dazu: Svarez, KPV, foll. 307v–308r = S. 130. Svarez, KPV, fol. 136v = S. 121. Erhard, Critik des AGB, S. 114 – 115.
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hindern können, keinen empfänglichen Boden finde, eben damit jedem Unterthanen im Lande, den man bearbeitet, seine gesunde Vernunft sogleich unwiderstehlich zurufe: hier ist gut seyn – eben darum müssen die Regierungen jezt eine doppelt geschärfte Aufmerksamkeit auf alles richten, was die innere Verwaltung vervollkommnen kann.“233
Hier wie oben bereits ist eine Übereinstimmung mit den Ansichten Friedrichs des Großen festzustellen; dieser äußerte sich im Jahre 1777 ähnlich: „Soll die monarchische Regierung sich der republikanischen überlegen zeigen, so ist die Richtschnur für den Herrscher gegeben; er muß tätig und rein von Charakter sein und alle seine Kräfte zusammennehmen, um die Aufgabe zu erfüllen, die ihm vorgezeichnet wird.“234
Auch er sah den Bestand des Staates in der Erfüllung seiner Pflichten gegründet. Wenig mag es da verwundern, daß Svarez den Kronprinzen als künftigen Herrscher in dessen eigenem Interesse mit größtem Nachdruck ermahnte, seinen Pflichten stets gewissenhaft nachzukommen. Etwa über den Grund, das Gesetzgebungsrecht seinen Pflichten gemäß auszuüben, sagte Svarez: „Sein eignes [= des Regenten] Intreße fordert ihn dazu auf, da er auf den Gehorsam der Unterthanen gegen Gesetze, die den Zwecken der bürgerlichen Gesellschaft zuwieder sind, nicht rechnen darf, und hauptsächlich durch den Mißbrauch des Rechts der Gesetzgebung der Gefahr von Empörungen und Revolutionen sich aussetzt.“235
Nichts also als die zum Zwecke der Staatsverbindung sich aus Vernunft und Staatsklugheit ergebenden Pflichten sollten den Regenten in seinen sämtlichen obrigkeitlichen Handlungen leiten. Von diesen Pflichten aber mußte das Volk notwendig Kenntnis erhalten, sollte es den Nutzen der daraus resultierenden staatlichen Zwänge ermessen können. „Sich von diesen Zwecken des Staats einen richtigen und stets gegenwärtigen Begriff zu bilden, ist eine Sache von der äußersten Wichtigkeit, beydes für Regenten und Unterthanen. Für die Unterthanen, weil sie nur dadurch zu einem vernünftigen und willigen Gehorsam gegen ihren Oberherrn bewogen und nur durch Erwägungen der wichtigen Vortheile, welche die StaatsVerbindung durch Erreichung dieser Zwecke ihnen selbst und ihren übrigen Mitbürgern gewährt, mit der mannigfaltigen Einschränckung, der sie dadurch unterworfen sind, mit den vielfachen Aufopferungen, die sie dieser Verbindung tägl. machen müßen, ausgesöhnt werden können.“236
So erstaunt es nicht, daß Svarez kein Mittel unversucht, kein Medium unbenutzt lassen wollte, um die allgemeine Kenntnis von den Herrscherpflichten als der Grundlage aller Staatsgewalt zu fördern und auf diese Weise ein Verständnis für die monarchische Regierungsform zu wecken, welches Revolutionen, wie sie in Frankreich tobten, von Preußen fernhielt. 233 234 235 236
Eggers, Lehrbuch des Rechts, 1. Teil, S. XI–XII. Zitiert nach: Perfahl, Wer die Wahrheit liebt, S. 24 – 25. Svarez, KPV, fol. 67v = S. 554. Svarez, KPV, fol. 146v = S. 181.
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Daß das Gesetz des ausgehenden 18. Jahrhunderts nicht auf Reglementierungen beschränkt war, ist bereits dargelegt.237 Svarez konnte es also als Mittel der Aufklärung einsetzen und tat es auf die hier beschriebene Weise. Die Gesetzgebung selbst aber mußte dem Volke nahegebracht werden, damit es von den darin enthaltenen Grundsätzen Kenntnis nahm. Hier realisiert sich nun der eingangs dieses Titels postulierte, durch die Französische Revolution katalysierte Drang zur Popularität; in Carmers Namen schrieb Svarez am 8. Juni 1792, nachdem er die Last der Kronprinzenvorlesungen hinter sich gelassen hatte, an Eggers nach Kopenhagen: „Man hat die Principien des Gesetzbuchs in Rücksicht auf bürgerliche und Religionsfreiheit verdächtig zu machen gewußt, und da man mit erheblichen Ausstellungen von dieser Seite gar nicht aufkommen können, so hat man, um für seine Neben-Absicht Zeit zu gewinnen, Sr. Kngl. May: insinuirt: daß das Gesetz-Buch noch nicht allgemein genug bekannt gemacht sey, und noch erst nähere Maasregeln genommen werden müßten, um die Kenntniß und den Gebrauch deßelben auch den größeren VolksKlassen zu erleichtern. Mit Ausführung dieser Maasregeln, die in einem Register und in einem Auszuge für das Volk bestehen sollen, bin ich dermalen beschäftigt; und hoffe, daß, wenn ich damit zu Stande seyn werde, alsdann die gesetzliche Kraft des Werkes wieder eintreten wird. Selbst in Dingen dieser Art kommt außerordentlich viel auf zufällige Umstände und Conjuncturen an; schiefe Vergleichungen einiger Stellen des Gesetzbuchs mit der neuen Französischen Constitution haben der Sache vielen Schaden gethan.“238
Im Jahre 1796 erachtete er dies als geglückt: „So viel bleibt gewiß, daß erst die neue Preußische Gesetzgebung es möglich gemacht hat, die nothwendigen Rechtskenntnisse zu verbreiten, dadurch die Bildung der Staatsbürger zu erhöhen, und so allgemeine Ordnung und Sicherheit, Treue und Glauben in den Geschäften und Gehorsam gegen die Obrigkeit zu befördern.“239
In der Art des Umganges mit der Besorgnis des Aufruhrs offenbart sich, daß Svarez ersichtlich ein viel optimistischeres Bild vom preußischen Staatswesen hatte als seine Gegner. Er scheute nicht den offenen Vergleich mit anderen Regierungssystemen, er schickte sich nicht an, alle Grübeleien über die beste Organisation der Gesellschaft möglichst zu unterbinden, er argwöhnte nicht hinter jedem Satze Verrat; vielmehr schien er überzeugt zu sein, daß sein Staat und sein König eine Konfrontation mit anderen Staatssystemen nicht zu scheuen haben. Und auch Klein glaubte bereits 1793, nur vier Jahre nach dem Beginne der Französischen Revolution, daß Deutschlands Fürsten „so wenig […] bey der gegenwärtigen Lage der Umstände von ihren Unterthanen zu besorgen haben“240. 237
Oben, 1. Teil, C. Svarez in einem in Carmers Namen verfaßten Schreiben an Eggers am 8. Juni 1792, Akten über das ALR, 7. Band, fol. 67, zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 366. 239 Svarez/Goßler, Verhalten bei Prozessen, S. IV. 240 Klein, Was muß zur Erhaltung der Ruhe geschehn? S. 111. 238
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Wie gering müssen dagegen Goldbeck, Danckelmann und all die anderen Skeptiker des Gesetzbuchs jenen Staat geschätzt haben, den sie selbst in entscheidenden Positionen mitgestalteten? Aber Svarez blieb nicht allein. Erhard etwa argumentierte in die gleiche Richtung und ging in seinen Forderungen nach staatsrechtlicher Aufklärung sogar noch weiter. Nicht durch die Verbreitung staatsrechtlicher Kenntnisse fürchtete er gesellschaftliches Ungemach, sondern er sah gerade darin eine Gefahr des Aufruhrs, daß die Untertanen über ihre Rechte und die staatsrechtlichen Verhältnisse im Unklaren gelassen würden. Er sagte ja, es sei „thörigt und abgeschmackt, wenn man wähnt, öffentliche Anerkennung der Regentenpflichten könne leicht Unruhen im Staate veranlassen. Gerade das Gegentheil!“241
Im Zusammenhange mit diesen Fürstenpflichten schreibt Erhard weiter, „daß Recht und Unrecht, Vernunft und Unvernunft ewig auf gleichen Grundsätzen beruhen bleiben, und daß gehörig verbreitete Kenntniß des Guten und Wahren ewig nützlich sey, wenn gleich mißverstandene und täglich entweihte Vernunftsätze zum Vorwande und zur Veranlassung gräulicher Unruhen gedient haben sollten.*) Dagegen ist nichts mehr im Stande, selbst beym vernünftigsten und ruhigsten Bürger Unwillen zu erregen, als wenn er sieht, daß man ihm weiß für schwarz geben, und ihn geflissentlich hindern will, von seinen bürgerlichen Rechten und Verhältnissen richtige Kenntniß zu erlangen […].“242
In einer Fußnote am Ende dieses Zitats führt er die überaus schönen Worte Schlossers an: „Schlosser sagt sehr wahr: ,Der Blinde schickt sich in seine Blindheit, der Taube in seine Taubheit, sobald er weis, daß sie eine Wirkung unveränderlicher Naturgesetze sind. Aber wenn Menschen dem Sehenden die Augen verbinden, dem Hörenden die Ohren verstopfen, so wird sein Herz widerstreben, wenn er gleich ein ganzes Menschenalter hindurch die Verleugnung ertragen müßte.‘“243
Dabei bezog auch Erhard sich auf das Beispiel großer Fürsten und Könige. Friedrich der Große, Maria Theresia, der letzteren Sohn Leopold, welchem der Beiname „der Weise“ gegeben wurde, sie alle erkannten „die Obliegenheiten des Staats und der Regierung und die Gränzen […/ihrer] Macht und […/ihrer] Rechte in öffentlichen Gesetzen an“244 –
Fürsten und Könige,
241
Erhard, Critik des AGB, S. 114 – 115. „*) Wiewohl das letztere nicht einmal der Fall ist. Hunger, Druck und Aufhetzung, nicht Theorien sind es, die Volksunruhen veranlassen.“ 242 Erhard, Critik des AGB, S. 115 – 116. 243 Erhard, Critik des AGB, S. 116. 244 Erhard, Critik des AGB, S. 113.
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„die von ihren Völkern und ihren Zeitgenossen geehrt waren und die in den Iharbüchern der Menschheit unvergeßlich bleiben werden.“245
Ungleich größer sah er nun die Notwendigkeit solcher Gesetzgebung und überhaupt derartiger staatspolitischer Aufklärung als in jenen gesellschaftlich ruhigen Zeiten, die seit 1789 unwiederbringlich der Vergangenheit angehörten. „Nie ist das Bedürfniß, daß Fürsten und Staatsbeamten eine reine Pflichtliebe zeigen, dringender, als in solchen Zeiten, wo falschverstandne Freyheitsgrundsätze und fremde Bosheit Unruhen befürchten lassen! Was vermag das Schreyen democratischer Enthusiasten wider Fürstengewalt besser zu widerlegen, als wenn die Fürsten zeigen, daß sie ihre Gewalt auf die heiligen und unerschütterlichen Pfeiler der Pflicht gründen, und wenn sie ihre Gewalt mit allen den wohlthätigen Wirkungen begleiten, welche zum Herzen und zu den Gesinnungen des Volks lauter sprechen, als das stärkste Geschrey freyheitstrunkner Menschen! –“246
V. Die Funktionen der einzelnen staatsrechtlichen Rechtssätze Nicht nur die den sämtlichen staatsrechtlichen Rechtssätzen zu Grunde liegende Lehre vom Gesellschaftsvertrag und die daraus sich ergebende Pflichtenlehre stießen auf Kritik, sondern auch die einzelnen Normen selbst. 1. Die Funktion der Staatszwecknormen – §§ 77 – 79 Einl. AGB, §§ 1 – 4 II 13 AGB/ALR a) Inhalt und Ausgestaltung des gemeinen Wohls im Lichte unüberwindlicher gesetzestechnischer Friktion Der Begriff des gemeinen Wohls ist vom preußischen Gesetzgeber nicht mit Inhalten ausgestaltet worden. Das mag auf den ersten Anschein hin verwundern, war es doch einer der charakteristischsten Wesenszüge des Zeitalters der Aufklärung, sich durch die möglichste Klarheit und Deutlichkeit von der alten, dunklen Pandektenjurisprudenz abzusetzen und nicht bloß dem Rechtsgelehrten, sondern jedermann von Bildung die Möglichkeit einzuräumen, sich durch einen Blick in die Gesetzbücher über seine Rechte vollumfassend zu unterrichten. Das Zeitalter war auf Volkstümlichkeit angelegt, das erste seiner Ideale war die weitestgehende Aufklärung des verständigen Bürgertums;247 diesem Anliegen aber sind die offenen Rechtsbegriffe – die Generalklauseln – diametral entgegengesetzt, denn deren Anwendung kann nicht ohne weiteres, nicht ohne Vorbildung und bloß verstandesmäßig
245 246 247
Erhard, Critik des AGB, S. 114. Erhard, Critik des AGB, S. 115. Vgl. hiezu nur: Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 207.
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aus dem dürren Wortlaute des Gesetzes erschlossen werden, sondern setzt eine gewisse juristische Schulung voraus. Der vage Begriff ist somit Feind der Aufklärung. Im zeitgenössischen Schrifttume entzündete sich entsprechend nicht wenig Kritik an der Unbestimmtheit des „gemeinen Wohls“ als Rechtsbegriff. So fand etwa Schlettwein deutliche Worte gegen den § 50 des gedruckten Entwurfs von 1785: „Das allgemeine Wohl, das der Grund der Gesetze sein soll, muß doch völlig bestimmt sein. Sonst ist das gemeine Wohl der Deckmantel der Leidenschaften, worunter das größte Uebel in einem Staat bewirkt werden kann. Das wahre von einem jeden Menschen anerkannte gemeine Beste bestehet nur in der durch die öffentliche Gewalt garantirten Sicherheit der Menschenrechte eines jeden einzelnen.“248
Die Vielgestaltigkeit des Lebens läßt hier jedoch selbst die mutigsten Aufklärer jener Zeit an die Grenzen dessen stoßen, was durch Gesetze geleistet werden kann. Für die mannigfachen Einzelfälle, welche das Leben einer auch vor zweieinviertel Jahrhunderten schon komplexen Gesellschaft hervorbringt, ist mehr als ein generellabstrakter Anhaltspunkt zu denken und zu formulieren nicht möglich. Die Ereignisse des Lebens sind zu vielgestaltig, als daß sie sich in der Enge weniger Worte konkret fassen ließen; das „gemeine Wohl“ wird vielmehr von den tatsächlichen Umständen determiniert und durch diese erst aktuell. Mehr noch muß diese Schwierigkeit aber in einer Zeit fühlbar und zur unüberwindlichen Hürde werden, in welcher die deutsche Sprache als Rechtssprache erst entdeckt wurde und welcher es daher notwendig noch an jeder griffigen juristischen Terminologie gebrach.249 Schlosser äußerste sich in seinen „Briefen über die Gesetzgebung“250 entsprechend: So sehr bei den Zivilgesetzen, welche bloß auf den verschiedenen Meinungen von Recht und Unrecht ruhen, Festigkeit und Zuverlässigkeit die Basis der Gerechtigkeit sei251, so müßten bei jenen Gesetzen, welche aus 248 Schlettwein, GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 72. Band, fol. 55r, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 309. 249 Es ist auf dieses rein sprachliche Problem bereits oben 1. Teil, B., I., 2. näher eingegangen worden. 250 Schlosser, Zweiter Brief, S. 114. 251 Desgleichen äußerte sich auch Svarez in den Kronprinzenvorträgen: „Gleichwohl ist in der Gesetzgebung nichts schädlicher als die Veränderlichkeit in den Prinzipien und die Anhäufung von Gesetzen, deren immer eines das andre aufhebt. […] Es bedarf keines Beweises, wie ungewiß und schwankend bey solchen häufigen Abwechslungen die Rechte der Staatsbürger seyn und welchen schädlichen Einfluß eine solche Ungewißheit und Verwirrung auf den inneren Wohlstand des Landes und der Unterthanen haben müße.“ (Svarez, KPV, fol. 206r = S. 581.) Sietze dagegen will selbst in diesem Rechtsgebiete keine Beständigkeit anerkennen: „Denn Gesetzgebung eines Volks ist nicht das Werk eines einzigen Moments seiner Geschichte, sie kann nicht mit einem Schlage vollendet sein. Welches Volk man betrachte, und nach welcher Weise man seine Epochen zähle, immer zeigt sich, daß ein Akt der Legislation schon einen nächsten im Keime in sich trägt, ihn nothwendig bedingt, […].“ (Sietze, Preußische Staats- und Rechts-Geschichte, S. 8.)
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der „Erfindung der besten Mittel zu dem gemeinen Endzweck“252 genommen sind, die aus den Umständen und dem Lauf der Zeit resultierenden stetigen Veränderungen berücksichtigt werden. Daher seien solche auf das gemeine Wohl gerichteten Handlungen durch kein Gesetz zu bestimmen, „weil sie blos von Umständen abhangen, deren Ereigniß sich nicht vorhersehen läßt“253.
Die zeitgenössischen Versuche, das gemeine Wohl zu benennen, waren entsprechend diffus. Schlettwein sagte etwa: „Alles, […] was die Menschen in diesem Leben gutes für sich wünschen können, ist unter dem HauptAugenmerke eines Staats mitbegriffen.“254
Und auch seine Versuche, dies näher zu konkretisieren, erweisen sich nur vordergründig als erfolgreich: „Daher besteht das wahre gemeine Beste eines Staats in der vollkommensten Versicherung des ganzen Personal- und RealEigenthums eines jeden Gliedes, und des beglückendsten Genusses desselben, oder in der vollkommensten Versicherung des PrivatBesten eines jeden, und aller.“255
Doch auch diese Definition ist so universell und allgemein gehalten, daß sich ihr für die juristische Arbeit brauchbare Kriterien zur Entscheidung bestimmter, konkreter Fälle nicht entnehmen lassen. Nur vereinzelt wurde versucht, den Begriff des „gemeinen Wohls“ justitiabel zu machen; so etwa in dem von Pütter256 mitgeteilten Fall aus dem Jahre 1770, welcher die Frage zum Gegenstande hat, inwieweit der Landesherr berechtigt sein solle, die Anlage von Kalk- und Ziegelöfen zu verbieten. Doch hier waren es hauptsächlich polizeiliche Gründe, welche die Göttingische Juristen-Fakultät ins Feld führt: „Folglich 11.) so fern keine von obigen Umständen eintreten, und also weder Holzmangel, noch Feuers-Gefahr, noch ein anderer Nachtheil dem gemeinen Wesen daraus bevorstehet, es unbillig und unrecht seyn würde, jemandem die Concession einer Kalk- und Ziegelhütte abzuschlagen […]“257
Allein die Forderung, die Anlage solcher Öfen auch dann zu verbieten, wenn die Versorgung mit gebranntem Kalke bereits hinlänglich gesichert sei und weitere Öfen den Fortbestand dieses ganzen Gewerbezweiges gefährdeten, gehört nicht in den Kernbereich polizeilicher Tätigkeit, steht aber gleichwohl auch nicht beziehungslos zu ihr, wenn unter den Gefahren, zu deren Abwehr die Polizei berufen ist, auch drohende Güterverknappungen verstanden werden, die bei dem Zusammenbruche 252 253 254 255 256 257
Schlosser, Zweiter Brief, S. 114. Schlosser, Zweiter Brief, S. 116. Schlettwein, Die Rechte der Menschheit, § 261, S. 449. Schlettwein, Die Rechte der Menschheit, § 261, S. 449. Pütter, Rechts-Fälle, 2. Band, 4. Teil, 234. Responsum, S. 991 – 995. Pütter, Rechts-Fälle, 2. Band, 4. Teil, 234. Responsum, Rnr. 33.
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eines ganzen Gewerbezweiges unweigerlich drohen; dann finden polizeiliche Tätigkeit und politisches Kalkül hier ihre gemeinsame Grenze: „Solchemnach halten wir dafür: Daß ein Besitzer eines Stück Feldes, worinn sich Kalksteine finden, an einem Orte, wo bereits eine mit Landesherrlicher Concession errichtete Kalk- und Ziegelhütte im Gange ist, ohne gleichmässige Concession einen Kalkofen anzulegen und mit dem gebranden Kalke zu handeln nicht berechtiget; […]“258
Aus diesem exemplarisch wiedergegebenen Falle ist das „gemeine Wohl“ lediglich partiell und im Kerne auch bloß polizeirechtlich, aber bei weitem nicht in seiner ganzen gesellschaftlichen Tiefe darzulegen und juristisch zu verarbeiten versucht worden. Es ist daraus jedoch die in dieser Materie angelegte große Diffusion zu erahnen, die eine erschöpfende gesetzliche Erfassung des „gemeinen Wohls“ unmöglich macht; dies dürfte auch den angesehenen Göttingischen Juristen – wie Länge der Ausführungen und die offensichtlichen Schwierigkeiten in der Argumentation beweisen – nicht entgangen sein. Damit ist jedenfalls aber mit Sicherheit zu sagen, daß die in den Gesetzentwürfen zum Allgemeinen Gesetzbuche und Allgemeinen Landrechte enthaltenen Versuche, das „gemeine Wohl“ seinen Inhalten nach zu ergründen, fragmentarisch sein müssen und dieser Rechtsbegriff daher nicht unmittelbar, ohne Auslegung und Interpretation angewendet werden kann. b) Die Diskussion um die Einschaltung der sich auf den Staatszweck beziehenden Vorschriften in den Codex und deren Funktion Höchst umstritten war daher die Frage, ob und in welchem Umfange Vorschriften, welche sich mit dem Endzweck des Staates befaßten und insbesondere dabei so vage, in Gesetzen nicht näher konkretisierbare Begriffe wie das „gemeine Wohl“ bemühten, überhaupt in den Codex, der ein Zivilcodex werden sollte und mußte, einfließen sollten und welches die Funktion solcher Vorschriften sein konnte. Bereits in den zu den entsprechenden Vorschriften des gedruckten Entwurfs von 1785 eingegangenen Monita wurde kritisiert, es handele sich um „Sätze des allgemeinen Staatsrechts, die keinem Gesetzbuch einzuverleiben sein würden“259.
Wie dieser anonyme Monent sprach sich auch Grolmann in diesem Sinne aus: „Ich würde den §. 51. 52. 53. folgendergestalt in einem zusammen faßen: Da der […] Zweck der Errichtung der Staaten in der Erhaltung der inneren und äußeren Ruhe; und der Si258
Pütter, Rechts-Fälle, 2. Band, 4. Teil, 234. Responsum, Rnr. 34 (erster Absatz der Conclusio). 259 Anonyme Preisschrift No. 57, GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 72. Band, fol. 55v, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 309.
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cherheit seiner Mitglieder bestehet, so ist jeder Bürger des Staats schuldig das seinige zur Erreichung dieses Endzwecks beizutragen. Denn, wozu der Staat oder Landesherr verpflichtet, oder berechtigt ist, kan in diesem Gesetzbuch nicht festgesetzt werden. Der §. 50. kan aber so stehen bleiben.“260
Vom Standpunkte des Zivilrechtlers plädierte Schlosser dafür, um die „innere Form des Civilcodex einigermassen rein zu erhalten, man wenigstens verhindere, daß keins von den Gesetzen, die unmittelbar auf das gemeine Wohl gehen, […] in das Civilgesetzbuch sich einschleichen.“261
Aus den Vorschriften der §§ 50 ff. der Einleitung des gedruckten Entwurfs von 1784 sei nicht zu ermitteln, worin das gemeine Wohl bestehe; nach den §§ 51 und 54 das. ergebe sich vordergründig zwar eine auf Ruhe und Sicherheit gerichtete Reduktion des gemeinen Wohls, doch müsse diese Erklärung „an sich unvollständig“ sein.262 Wie Recht er damit hatte, ist oben mit den der Äußerungen von Svarez und Klein bereits dargetan.263 Schwennicke264 interpretiert diese Aussage dergestalt, daß die Unvollständigkeit in der Ermangelung der Darstellung einer präzisen Grenze der staatlichen Gewalt bestehe; er verkennt jedoch, daß hierin nicht der Anspruch dieser Passage des Gesetzes besteht, denn nicht die Grenze staatlicher Gewalt sollte aufgezeigt werden, sondern der Zusammenhang und insonderheit die Überschrift des Abschnittes – „Allgemeine Grundsätze des Rechts“ – lassen bestenfalls auf Richtlinien schließen, nach welchen die Gesetze ausgerichtet sein sollen. Diese können dem Gesetzgeber bei seiner Tätigkeit ein leitender Stern sein, aber auch dem Anwender des Gesetzes zur Erhellung dunkler Gründe dienstbar sein und erfüllen damit ihre mittelbar konstitutive Funktion, die Svarez der allgemeinen Gesetzgebung schlechthin beimaß. Daß aber insbesondere den §§ 51 und 54 eine Begrenzung staatlicher Eingriffsbefugnisse zu entnehmen sei, würde auch bei einem darauf gerichteten Anspruche des Gesetzes nur bei einer sehr weitgehenden Auslegung als möglicher Regelungsgehalt erscheinen können. Hiefür wäre der § 56, wonach der Staat die natürliche Freiheit seiner Bürger nur soweit einschränken könne, als das Wohl der „gesellschaftlichen Verbindung“ dies erfordere, viel eher geeignet; doch auch seine Ratio ist es nicht, staatliche Eingriffsbefugnisse zu reglementieren, und kann dies aus all den oben dargelegten Gründen, die eine Einschränkung der Vollmachten des absoluten Monarchen ausschließen,265 auch nicht sein. Erhard spricht es, mit Bezug auf die Staatszwecknormen, offen aus, was oben bereits für die staatsrechtliche Gesetzgebung insgesamt festgestellt wurde:266 Indem 260 Grolmann, GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 72. Band, fol. 55v, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 309. 261 Schlosser, Zweiter Brief, S. 116. 262 Schlosser, Dritter Brief, S. 213. 263 Siehe oben, A., I., 3. 264 Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 310. 265 Vgl. oben, 1. Teil, C., I., 2., c) und 3. Teil, B., I., 2., c). 266 Vgl. oben, A., III., 5., b).
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diesen Sätzen gesetzliche Kraft beigelegt wurde, wurden sie zum formell erklärten Willen des Königs; Friedrich Wilhelm II. habe durch das Gesetzbuch diese Grundsätze bestätigt.267 Wie vergänglich eine solche Bestätigung ist, ist bereits dargelegt.268 Erfolgt die Bestätigung solcher Grundsätze jedoch im Rahmen der allgemeinen, auf Dauer angelegten Gesetze, so wird der Landesherr sich von ihnen gewiß nicht ohne weiteres, nicht ohne Mißtrauen und Unverständnis zu provozieren, lösen können. Hierin sollte es mit der Funktion dieser Rechtssätze bewenden. 2. Die Funktion der Majestätsrechte – §§ 5 – 16 II 13, § 18 II 17 AGB/ALR a) Die Enumeration der Majestätsrechte zur Darstellung einer Scheidelinie zwischen hoheitlichem und privatrechtlichem Handeln des Staates Wurde oben bereits die grundsätzliche Beziehung zwischen staatsrechtlichen und privatrechtlichen Normen angesprochen,269 so aktualisiert und konkretisiert sich diese bei der Betrachtung der Majestätsrechte. Das Verständnis von der Erforderlichkeit zumindest einer Nennung der Majestätsrechte durch das Gesetz erwächst unmittelbar aus der Kenntnis ihrer von den niederen Regalien geschiedenen Funktionen. Die Majestätsrechte oder höheren Regalien, so sagte Bielitz, dienten zur „Erhaltung der gesetzmäßigen Ordnung im Staate“.270 Sie waren unlöslich mit der Person des Herrschers verbunden, konnten also weder vollständig übertragen noch auch nur zur Nutzung an Privatpersonen überwiesen werden.271 Auch durch Verjährung, Ersitzung und andere Arten des Rechtsscheinserwerbs war ein Übergang dieser Rechte ausgeschlossen.272 Lediglich der Herrscher selbst oder die in seinem Auftrage dazu bestellten Behörden waren zu ihrer Ausübung berufen und befugt.273 Sie gehörten zum Ius publicum internum und waren damit ex commercio, wie Svarez es nannte.274
267
Erhard, Critik des AGB, S. 110. Siehe oben, 1. Teil, C., I., 2., c), bb), (4). 269 Siehe oben, 3. Teil, C., III. 270 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 627. 271 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 627. 272 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 627. 273 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 627. 274 Svarez, GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 19. Band, fol. 38v, abgedruckt bei: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, Anh. III, S. 393. 268
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Die Folge mußte sein, daß diese Rechte damit auch niemals zum Gegenstand eines Rechtsstreits werden konnten. Svarez sprach es in seinen Kronprinzenvorlesungen aus: „Allerdings können die eigentlichen HoheitsRechte, z. E. das Recht der Gesetzgebung, des Krieges und Friedens, der Bündniße, das BesteuerungsRecht an sich in einem souverainen Staat ihrer Natur nach unmöglich ein Gegenstand von Prozeßen seyn od. richterlichen Entscheidungen unterworfen werden.“275
Gleiches ist bei Bielitz zu lesen: „Nicht minder ist gegen die Verordnungen des Regenten und der dazu beauftragten Behörden, welche die Ausübung der hohen Regalien betreffen, und zur Erhaltung der gesetzmäßigen Ordnung im Staate dienen, nie die Berufung auf rechtliches Gehör zulässig.“276
Auch den Gerichten war es untersagt, über Majestätsrechte zu sprechen und in Sachen Gericht zu sitzen, welche auf die Ausübung der Majestätsrechte Einfluß hatten. In der Kommentierung zu § 5 II 13 AGB/ALR etwa führte Bielitz aus: „[…] es darf sich auch kein Gerichtshof einen Ausspruch über die Auslegung und Anwendung solcher Verträge, wenn Privatpersonen dabei interessirt sind, anmaßen(75), vielmehr muß jedes Gericht den zweifelhaften Punkt seiner vorgesetzten Behörde anzeigen, worauf dieselbe Bericht an den Justizminister zu erstatten, Dieser aber die Entscheidung des auswärtigen Departements einzuholen hat(76).“277
Wurde bei der Ausübung der Majestätsrechte in private Rechte oder Rechtsgüter eingegriffen, so blieb dem betroffenen Untertan, der gerichtliche Genugtuung erlangen wollte, lediglich die Möglichkeit, nach erfolgtem Eingriff im Wege eines Entschädigungsprozesses etwaige Ansprüche gegen den Fiskus geltend zu machen; hieraus entwickelten sich die Restitutionskammern. „[…] so bleibt es ihm unverwehrt, hinterher seine dießfallsigen Ansprüche auf Entschädigung, mittelst eines gegen den Fiskus anzustellenden Prozesses, geltend zu machen.“278
Den durch Ausübung der Majestätsrechte erfolgenden Eingriff selbst abzuwenden, hatte der Betroffene hingegen keine gerichtliche Möglichkeit. Die oft gebrauchte Phrase „Dulde, aber liquidiere“279 ist indessen dennoch falsch; denn derartige Eingriffe mußten nicht in frommem Opfergeiste still ertragen werden,280 sondern gegen sie konnte auf dem Verwaltungswege, im Wege der Vorstellung und
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Svarez, KPV, fol. 212r = S. 598. Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 627. „(75) Verordn. v. 25. Januar 1823. Gesetzsamml. S. 19.“ „(76) Min. Verordn. v. 20. Juny 1823. Merseb. Amtsbl. S. 213.“ 277 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 628. 278 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 627. 279 So z. B. bei: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 14. 280 So aber beispielsweise wohl: Erwin, Machtsprüche, S. 126.
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A. Über die Bestimmung des Staatszweckes und über die Majestätsrechte
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des Rekurses, vorgegangen werden,281 und es ist nichts ersichtlich, was den aufgeklärten preußischen Bürger von der Wahrnehmung dieser ihm obrigkeitlich eingeräumten Möglichkeit, sich einer bevorstehenden vermeintlichen oder echten Ungerechtigkeit zu erwehren, zurückgehalten haben sollte. „[…] hierbey steht blos der Weg der Vorstellung und des Rekurses offen.“282,
sagte denn auch Bielitz.283 Die niederen Regalien dagegen waren nutzbare Rechte. Ihre Aufgabe war es, den Staat mit den Gütern und Einkünften zu versorgen,284 welche ihn zur Wahrnehmung seiner obrigkeitlichen Aufgaben befähigen sollten. Anders als die Majestätsrechte konnten die niederen Regalien auf Privatpersonen im Wege des derivativen Erwerbs sowie vermöge diverser Formen der Præsumptio und insbesondere der Verjährung – das Allgemeine Landrecht bestimmte hier eine 44jährige Frist, vgl. §§ 35 II 14, 629 ff. I 9 AGB/ALR – übergehen285 oder ihnen zu befristeter oder unbefristeter Ausübung überlassen werden. In Rechtssachen, welche die niederen Regalien zum Gegenstande hatten oder sich auf solche bezogen, wurde rechtliches Gehör gewährt und waren die Gerichte ohne 281
Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 627. Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 627. 283 In der Verordnung vom 26. Dezember 1808 (Pr. G.-S. 1817, S. 282) wurde sodann positiviert, was auch bislang schon praktische Übung war: „§. 35. Ueber Gegenstände und Angelegenheiten indessen, welche nach den Gesetzen und allgemeinen Grundsätzen Unserer Staats- und Landesverfassung zur richterlichen Erörterung bisher schon nicht geeignet gewesen, kann auch fernerhin kein Prozeß zugelassen werden. §. 36. Es findet derselbe daher weder über wirkliche Majestäts- und Hoheitsrechte, noch gegen allgemeine in Gegenständen der Regierungsverwaltung ergangene Verordnungen, allgemeines Landrecht Einleitung §. 70. Th. 1. Tit. 11. §. 4. bis 10., Th. 2. Tit. 13. § 5. bis 16. noch über die Verbindlichkeit zur Entrichtung allgemeiner Anlagen und Abgaben, denen sämmtliche Einwohner des Staats oder alle Einwohner einer gewissen Klasse derselben nach der bestehenden Landesverfassung unterworfen sind, allgemeines Landrecht Th. 2. Tit. 14. § 78. statt, und eben so wenig in den besondern Fällen, wo die Gesetze ihn ausdrücklich ausgeschlossen haben, wie z. B. erster Anhang zum allgemeinen Landrecht §. 61., allgemeine Gerichtsordnung Th. 1. Tit. 43. §. 6. §. 37. Jedoch versteht sich dieses nur unter den im allgemeinen Landrechte Einleitung §. 71. Th. 1. Tit. 11. §. 11. und Th. 2. Tit. 14. §. 79. festgesetzten Modifikationen; und in den dahin gehörigen Fällen soll der Weg Rechtens Niemandem versagt werden.“ Bei den in § 37 dieser Verordnung angeführten Stellen des Allgemeinen Landrechts handelt es sich um die den Rechtsweg für Entschädigungen wegen der durch die Ausübung der Majestätsrechte erlittenen Einbußen bestimmenden Vorschriften. 284 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 627. 285 Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 627. 282
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
jeden Unterschied in Ansehung der Parteien allein nach den Landesgesetzen zu urteilen gehalten. Svarez äußerte sich dazu in den Kronprinzenvorträgen wie folgt: „Gar wohl aber kan dieß [= Gegenstand eines Prozesses oder einem Richterspruch unterworfen zu sein] ohne den geringsten Nachtheil der Souverainetaet geschehn, wenn nur eintzelne Theile des StaatsEigenthums, eintzelne Domainen od. Regalien den Gegenstand des Streits ausmachen. Hier gewinnt der Souverain weit mehr, wenn er die Entscheidung solcher Streitigkeiten den Erkenntnißen der Gerichte überläßt und dadurch seine Unterthanen gegen alle Besorgniße despotischer Willkühr von seiten seiner Minister und Finanzbedienten sichert, als er jemals durch den nachtheiligen Ausschlag eines solchen Prozeßes verlieren kann. Daher hat es auch Friedrich der Große schon i. J. 1748 als ein Grundgesetz des Staats aufgestellt, daß, wenn der Fiscus, d. h. die Cammern und alle andern Finanzbehörden mit Particuliers wegen der Regalien und DomainenGüter, ingleichen wegen der Gräntzen und andrer die Königl. Ämter angehnden Gerechtigkeiten in Streit verwickelt werden sollten, dergl. Prozeße sowie alle übrigen bey den JustizCollegiis geführt und nach den LandesGesetzen entschieden werden sollten.“286
Hier bezog sich Svarez auf das „Reglement, was für Justitz-Sachen denen Kriegsund Domainen-Cammern verbleiben, und welche vor die Justitz-Collegia oder Regierungen gehören“ vom 19. Juni 1749287, in welchem es bereits hieß: „Diesemnach wird zuförderst hierdurch festgesetzet, daß regulatiter alle Proces-Sachen, welche das Interesse privatum, vel jura Partium quar. interest betreffen, bey denen jedes Orts bestelleten ordentlichen Justitz-Collegiis erörtert und decidiret werden müssen: da hingegen zum Ressort derer Kriegs- und Domainen-Cammern hauptsächlich nur Königl. Intracen und Domainen, ferner die den totum Oeconomieum & Politicum angehende, und überhaupt in das Interesse Publicum einschlagende Sachen gerechnet werden können: mithin muß in denen bey diesen Fällen sich ereignenden Contradictionen und Streitigkeiten die Cognition und Decision lediglich denen Cammern und respective General Directorio verbleiben, indem selbige eines Theils von dergleichen Sachen am besten informieret seyn, und andern Theils ohne Administrirung der Justitz dabey wohl nicht wohl bestehen, noch ihrem Officio ein Gnügen leisten können.“288
In der zwischen den höheren und niederen Regalien vorgenommenen Unterscheidung offenbart sich damit nichts weniger als eine differenzierte Behandelung des hoheitlich tätigen Staates, der in Erfüllung öffentlicher Aufgaben begriffen ist, einerseits und andererseits des Staates, der als juristische Person am Privatrechtsverkehr teilnimmt und als solcher Fiskus genannt wird. Der Grund für die enumerative Nennung der Majestätsrechte ist damit angegeben; sowohl in Ansehung der Regalien als auch der Domänen mußten die rechtlichen Privatverhältnisse des einzelnen Bürgers gegen den Staat durch die Zivilgesetze bestimmt werden.289 286 287 288 289
Svarez, KPV, foll. 212r–212v = S. 598 – 599. Abgedruckt bei: Mylius, Corp. Const. March., Cont. IV, Spp. 163 – 174. Zitiert nach: Mylius, Corp. Const. March., Cont. IV, Sp. 163. Erhard, Critik des AGB, S. 112.
A. Über die Bestimmung des Staatszweckes und über die Majestätsrechte
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„Es ist also doch nöthig, daß der Bürger des Staats wisse, welche Rechte und Verbindlichkeiten der Staat als Staat, und welche er als Eigenthümer gewisser Güter und Privatbefugnisse u. s. w. gegen den einzelnen Bürger habe.“290
b) Strafrechtliche Bedeutung Ist oben bereits der Einfluß des Staatsrechts überhaupt auf das Zivilrecht bemerkt worden, so sind zumindest die Rechtssätze, welche die höheren Regalien zum Gegenstande haben, auch von Bedeutung für das Strafrecht. Sie konturieren in Fällen des Hoch- und Landesverrats das geschützte Rechtsgut, dessen Verletzung nach den Bestimmungen des Zwanzigsten Titels des Zweiten Teils mit Strafe bedroht wird. Die Strafe, welche durch ihre Verletzung verwirkt wurde, war nach Art und Maß weit schärfer als die auf widerrechtliche Eingriffe in die niederen Regalien angedrohte Strafe.291 3. Die Funktion der die Privatrechte des Landesherrn und seiner Familie betreffenden Vorschriften – §§ 17 – 18 II 13 AGB/ALR Auch im Zeitalter der uneingeschränkten Monarchie bestand in Preußen eine Trennung zwischen denjenigen Angelegenheiten, welche dem König und den Angehörigen seiner Familie vermöge ihres Standes zukamen (den res publica) und solchen Sachen, in welchen sie lediglich in privatrechtlicher Beziehung auftraten (den res privata). Svarez selbst sprach bei seiner oben bereits erwähnten Erklärung über das Allgemeine Gesetzbuch, die er über Kleins „Annalen“ zur allgemeinen Kenntnis hat bringen lassen, offen aus: „Es giebt aber doch, und muß in jedem Staate, dessen Regent nicht Despot ist, noch seyn will, mancherley Angelegenheiten und Geschäfte geben, wo Rechte und Pflichten zwischen dem Staate und den Unterthanen ein Gegenstand richterlicher Beurtheilung und Entscheidung sind. Dies kann im Preußischen Staate um so weniger zweifelhaft seyn, da Friedrich der Zweyte und Friedrich Wilhelm der Zweyte mehr als einmahl öffentlich erklärt haben, daß der Fiscus in seinen Streitigkeiten mit den Unterthanen lediglich nach den Gesetzen des Landes beurtheilt, und über solche Streitigkeiten, wie unter Privatpersonen, erkannt werden solle.“292
Auch in Erhards Versuch einer Kritik des Allgemeinen Gesetzbuchs ist gleiches zu vernehmen: „Eben so hat der Landesherr, als Privatperson andre Rechte, als die sind, die er als Regent hat.“293 290
Erhard, Critik des AGB, S. 112. Vgl. dazu näher: Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band, S. 627. 292 Svarez, Kurze Nachricht von dem neuen Preußischen Gesetzbuche, S. XXXI–XXXII. Zum Nachweis der Urheberschaft des Berichts, vgl. oben, 3. Teil, B., I., 2., d). 293 Erhard, Critik des AGB, S. 112. 291
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
Und Klein sagte im Jahre 1801 in seinem „System des Preussischen Civilrechts“: „Das Oberhaupt des Staats ist der Landesherr; die Rechte, welche ihm zukommen, sind entweder Privat- oder Majestätsrechte im weitern Sinne des Worts. Die erstern beziehen sich entweder auf seine Familie, und bestimmen sich nach den Hausverfassungen und Verträgen, oder sie betreffen andere Privathandlungen und Geschäffte, und sind nach den Landesgesetzen zu beurtheilen. Majestätsrechte sind solche, welche aus dem Zwecke des Staats folgen, und sich darauf beziehen.“294
Mit dieser Trennung der rechtlichen Angelegenheiten des Königs in hoheitliche und private war Preußen Republik im eigentliche Sinne des Wortes. Insbesondere bei Rechtsverhältnissen der Untertanen mit ihrem König konnte es also bedeutsam werden, inwieweit der Landesherr als solcher oder als privatrechtliches Rechtssubjekt in Erscheinung trat. Die daraus sich ergebende Notwendigkeit der Bestimmung einer Scheidelinie zwischen diesen beiden sich in der Person des Regenten vereinigenden rechtlichen Positionen erheischt auch eine inhaltliche Wiedergabe dieser beiden Bereiche. Erhard fuhr dementsprechend fort: „Die ihm [= dem Landesherrn] in dieser Rücksicht zukommenden Verbindlichkeiten und deren Bestimmungen gehören ins Privatrecht. Allein, wie kann dieses deutlich und bestimmt von den hierher gehörigen Sätzen sprechen, wenn es nicht zugleich die Sätze des allgemeinen Staatsrechts mittheilt, aus denen sich die Gränzlinien der verschiedenen Rechte des Fürsten einzig und allein vestsetzen lassen?“295
4. Die Funktion der einzelnen Bestimmungen der §§ 5 – 18 II 13, 18 II 17 AGB/ALR Wirft man einen Blick in das Schrifttum zu den §§ 5 – 18 II 13 und 18 II 17 AGB/ ALR, sieht man im übrigen, daß weniger diese Normen selbst dort eine Erörterung erfahren als vielmehr die dazu ergangenen ergänzenden Bestimmungen über das Verfahren und das Verfahren selbst, welches etwa für die Gesetzgebung, in Gnadensachen oder bei der Bestätigung von Todes- und langjährigen Zuchthausstrafen zu beobachten ist.296 Wird der Wortlaut der genannten Paragraphen einer Prüfung unterzogen, so nur, um ihn für zweifelhafte Fälle fester zu konturieren; bei dem Münzregal wird etwa bemerkt, daß zu ihm nicht nur das Prägen der Münzen zu rechnen sei, sondern auch die Bestimmungen über die Anerkennung fremder Währungen und die Wertgeltung in- und anerkannter ausländischer Münzen, ferner, daß ihm auch das Papiergeld und die Kassenanweisungen unterliegen, und schließlich das Recht, Verletzungen dieses Majestätsrechts unter Strafe zu stellen.
294 295 296
Klein, System des Preussischen Civilrechts, S. 544. Erhard, Critik des AGB, S. 112 – 113. Vgl. dazu etwa die Erläuterungswerke von Bielitz und von Mannkopff.
B. Gesetzkommission, Publikation der Gesetze und Rückwirkungsverbot
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Forscht man aber nach einer unmittelbar materiell-rechtlichen Funktion, welche jeder einzelnen dieser Normen im Gefüge der Rechtsordnung zukommen mag, so findet man stets das gleiche: nichts.
B. Über Stellung und Funktion der Gesetzkommission, über die Pflicht zur Publikation der Gesetze und über das Rückwirkungsverbot – §§ 10 – 15, 18 – 25 Einl. AGB/§§ 7 – 11, 14 – 21 Einl. ALR I. Über die Gesetzkommission – §§ 10 – 13 Einl. AGB/§§ 7 – 9 Einl. ALR In § 6 II 13 AGB/ALR ist mit unmißverständlicher Deutlichkeit ausgesprochen, daß es sich bei dem Rechte zur Gesetzgebung um ein Majestätsrecht handelt. Gemäß den obigen Ausführungen zu den Eigenschaften der Majestätsrechte macht es in der Sache keinen Unterschied, daß bei dieser Norm, ebenso wie in den §§ 12, 15 II 13 AGB/ALR, lediglich abstrakt von einem „Majestätsrecht“ gesprochen wird, wohingegen die §§ 5, 7 – 9, 14 II 13 AGB/ALR die darin benannten Rechte persönlicher dem „Oberhaupte im Staat“ zusprechen und in den §§ 13, 16 II 13 AGB/ALR darüber hinaus dieses Oberhaupt als der „Landesherr“ namhaft gemacht wird. Wird also in § 6 II 13 AGB/ALR über das Gesetzgebungsrecht selbst gesprochen und es dem Staatsoberhaupte ausschließlich beigelegt, so geben die §§ 10 – 13 Einl. AGB/§§ 7 – 9 Einl. ALR die Grundsätze über das Verfahren wieder, welches bei der Ausübung dieses Rechts zu beobachten ist. Wie zu den staatsrechtlichen Sätzen im allgemeinen bereits oben mitgeteilt,297 so werden insbesondere auch unter Bezugnahme auf diese Vorschriften im neueren Schrifttume bisweilen konstitutive Absichten der Gesetzesautoren vermutet. Die Einrichtung der Gesetzkommission und insbesondere auch durch die für die Ausarbeitung des Gesetzbuchs von Friedrich Wilhelm II. befohlene Mitwirkung der Stände seien, so Conrad, Anzeichen für eine Überleitung zum Konstitutionalismus. Mit den einleitenden Vorschriften des Gesetzbuchs sei versucht worden, die Staatsgewalt aufzuteilen, „um dadurch eine gesetzesmäßige Regierung und Rechtsprechung sicherzustellen“298,
wobei insbesondere eine „Bindung der Gesetzgebung an die beratende Mitwirkung einer Gesetzkommission“299
festgesetzt worden sei. 297 298 299
Siehe oben, 3. Teil, B., I., 1. Conrad, Die geistigen Grundlagen des ALR, S. 36. Conrad, Die geistigen Grundlagen des ALR, S. 36.
210
4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
Zumindest was die hier allein interessierende Frage nach der Funktion derartiger Sätze innerhalb des Allgemeinen Gesetzbuchs und Allgemeinen Landrechts anbetrifft, ist die Einschaltung wenigstens der §§ 10, 11, 13 Einl. AGB/§§ 7 – 9 Einl. ALR von der Allerhöchsten Kabinettsorder vom 14. April 1780 insoweit gedeckt, als darin die Aufnahme des bestehenden Landesrechts angeordnet wurde. Darin heißt es: „Ihr müßt also vorzüglich dahin sehen, daß alle Gesetze für Unsere Staaten und Unterthanen […] vollständig gesammlet werden.“
Ob nun auch die das bei der Gesetzgebung angewendete Verfahren zu den nach dieser Kabinettsorder gerade „für die Unterthanen“ zu gebenden Gesetzen zu rechnen sind, mag bezweifelt werden. Immerhin wird mit ihnen dem Publikum mitgeteilt, daß nicht allein die unbedarfte Willkür des Königs über neue Gesetze entscheidet, sondern daß dem König sachkundige Berater zur Seite stehen, die jedes Gesetzesprojekt einer Prüfung unterziehen, ehe es vom König sanktioniert wird. Jedenfalls aber handelte es sich bei diesen Normen unzweifelhaft nicht um Neuerungen, und nicht einmal ihre Positivierung war neu, denn die Einrichtung der Gesetzkommission und ihre Beibehaltung auch über die Dauer der Abfassung des Allgemeinen Gesetzbuchs hinaus wurde bereits mit der Kabinettsorder vom 14. April 1780 befohlen. Ihre Aufgaben, welche sie im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens erfüllen sollte, standen bei Abfassung des Gesetzbuchs ebenfalls bereits gesetzlich fest, denn gleichfalls noch unter Friedrichs des Großen Regentschaft erging unter dem 29. Mai 1781 das „Patent, wodurch eine Gesetz-Commißion errichtet, und mit der nöthigen Instruction wegen der ihr obliegenden Geschäfte versehen wird“300. Hinsichtlich ihrer Beteiligung bei der Ausarbeitung der Gesetze war darin verordnet: „§. 9. Die Geschäfte dieser Commißion sind: I)
[…];
II) […]; III) der gutachterliche Vorschlag neuer Gesetze, wo ihr dergleichen erforderlich zu seyn scheinen, und der etwa nöthigen Verbesserungen und Abänderungen älterer bereits vorhandenen Gesetze. §. 10. Bey der Prüfung und Entscheidung der an sie gelangenden streitigen Rechts-Fragen, muß die Gesetz-Commißion, sobald das neue Gesetzbuch völlig zu Stande gebracht und publicirt seyn wird, sich lediglich nach diesem […] achten. […] §. 12. Sobald es hingegen darauf ankommt: 300
Abgedruckt bei: Mylius, Nov. Const. March., VII. Band, Nr. XXVI, Spp. 337 ff.
B. Gesetzkommission, Publikation der Gesetze und Rückwirkungsverbot
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daß entweder über eine Materie, oder in einem Falle, wo es noch an hinlänglichen und bestimmten Vorschriften mangelt, ein neues Gesetz gegeben; oder, ein bisher subsistirtes älteres Gesetz, als der natürlichen Billigkeit, der Analogie des Rechts, oder dem gemeinen Besten zuwider laufend, aufgehoben oder geändert werden soll; so kann die Gesetz-Commißion sich keiner Entscheidung darüber anmaassen, sondern sie muß bloß ihr pflichtmäßiges Gutachten, zum weitern Vortrage bey Unserer Allerhöchsten Person, abgeben. §. 13. Bey Abfassung und Erstattung solcher Gutachten, muß die Gesetz-Commißion mit größter Vorsicht und reiflicher Ueberlegung zu Werke gehen, und dabey auf den ganzen Inbegriff und Zusammenhang des Systems der Rechte; auf die Anleitung einer wahren und richtigen, nicht bloß scheinbaren natürlichen Billigkeit; auf das allgemeine Beste; auf die Landes und Staats-Verfassung; auf die Denkungs-Art, Sitten und Gewohnheiten des Jahrhunderts; und auf die speciellen Verhältnisse der verschiedenen Gegenden, Oerter, Stände, Alter und Nahrungs-Geschäfte, die erforderliche Rücksicht nehmen. §. 14. Es soll daher, wenn auch irgend jemand von Unsern Ministern, oder eines von Unsern Dicasteriis, wegen Ertheilung neuer, oder Abschaffung alter gesetzlicher Verordnungen, welche nicht etwa bloß die Staats-Wirthschaft und Finanz-Verwaltung betreffen, Unserer Allerhöchsten Person Vortrag zu machen hat, die Gesetz-Commißion niemals übergangen, sondern jedesmal zuvor mit ihrem Gutachten darüber vernommen, und keinem Edikt oder Rescript, welches nicht, nach vorheriger Einforderung dieses Gutachtens, zu Unserer Allerhöchsten Vollziehung gebracht worden, irgend eine gesetzliche Kraft beygelegt werden.“
Damit ist in § 10 Einl. AGB/§ 7 Einl. ALR lediglich eine materielle Rezeption der Vorschriften des eben zitierten § 9 Nr. III. GesComPat. festzustellen, ebenso in § 11 Einl. AGB/§ 8 Einl. ALR der §§ 10, 13 GesComPat. und in § 13 Einl. AGB/§ 9 Einl. ALR des § 14 GesComPat., soweit letztere Normen des Gesetzbuchs und Landrechts sich nicht auf die persönliche Einstandspflicht der Staatsminister beziehen. Bei der insoweit erfolgten Fixierung des Gesetzgebungsverfahrens handelte es sich also ausschließlich um die Wiedergabe älterer, das Gesetzgebungsverfahren regelnder Vorschriften, welche sich die Könige selbst auferlegt hatten und deren Fortgeltung nach den im ersten Teile dieser Arbeit aufgestellten Grundsätzen301 vermutet werden mußte – von denen zu lösen dem aktuellen Herrscher jedoch formell ohne weiteres frei gestanden hätte und die insbesondere auch als Teil des Allgemeinen Gesetzbuchs und Allgemeinen Landrechts nicht hätten sanktioniert werden müssen. Die Absichten, welche Friedrich der Große mit Erlaß besagter Kabinettsorder und besagten Patents sowie Friedrich Wilhelm II. mit der die Mitwirkung der Stände beim Gesetzgebungsverfahren anordnenden Kabinettsorder vom 27. August 1786 verfolgt haben mögen, können dahingestellt bleiben. Um Svarez heimliche konstitutionelle Bestrebungen zu unterstellen, kann allenfalls der nicht in das Allgemeine Landrecht übernommene § 12 Einl. AGB herangezogen werden. Daß auch mit dieser Norm das 301
Siehe oben, 1. Teil, B., II., 1., c).
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
Gesetzgebungsrecht des Monarchen keine Einschränkung erfahren sollte, erhellt indes aus den nur kurze Zeit nach der Publikation des Gesetzbuchs vor dem Kronprinzen gehaltenen Vorträgen. Svarez führte im Rahmen seiner Ausführungen über etwaige Einschränkungen der gesetzgebenden Gewalt lediglich die oben erwähnte Kabinettsorder von 1780 und das Patent von 1781 wegen beratender Hinzuziehung der Gesetzkommission bei der Gesetzgebung sowie die Kabinettsorder von 1786 wegen beratender Hinzuziehung der Stände bei Gesetzgebungsvorhaben, von welchen sie selbst betroffen werden, an. „Diese Formen benehmen dem Monarchen nichts von seinem Rechte, weil die GesetzCommißion und Stände nur Gutachten, Erinnerungen und Remonstrationes machen können, die letzte Beurtheilung aber stets dem LandesHerrn zukommt.“302
Auch Klein äußerte sich in Bezug auf die Ausarbeitung des Gesetzbuchs selbst in den „Annalen der Preußischen Rechtsgelehrsamkeit“ entsprechend: „Der Landesherr hat ja die gesetzgebende Gewalt, so weit sie ihm zusteht, weder an die Gesetzcommission noch an deren Erhabenen Chef veräußert. […] Dieser Entwurf wird nach seiner Umarbeitung dem Landesherrn zur Genehmigung vorgelegt werden, und erst dadurch wird er die Genehmigung erhalten. Was also auch das Gesetzbuch enthalten mag, so wird es immer der Wille des Landesherrn seyn.“303
Offenbar ist hingegen, daß Svarez sich mit Beiziehung der Gesetzkommission zum Gesetzgebungsverfahren sehr zufrieden zeigte, und wenn durch sie auch eine Gewaltenteilung weder bewirkt noch auch nur erstrebt werden konnte, ohne die beim Landesherrn liegende Fülle der Staatsgewalt anzutasten, so wurde doch ein System geschaffen, in welchem durch wechselseitige Prüfung der Absichten in der höheren Staatsverwaltung ein Mißbrauch der diesen Verwaltungsebenen übertragenen Vollmachten und insbesondere des ihnen vom Regenten entgegengebrachten Vertrauens vermieden werden sollte. „Sie setzen den Regenten in den Stand, die Rechtmäßigkeit und Nützlichkeit eines vorgeschlagnen Gesetzes von allen Seiten und vollständig zu prüfen. Die GesetzCommißion sieht aufs Allgemeine, die Stände auf die besondern Verhältniße der verschiednen Provinzen. […] Sie sichern ihn gegen falsche Schritte, zu welchen er von seinen unmittelbaren Staatsdienern verleitet werden könnte, für der Gefahr, wohlerworbene Rechte seiner Unterthanen durch seine Gesetze zu kränken und dadurch eine seiner heyligsten Pflichten zu verletzen. Die Minister neigen von Natur zum Despotismus, weil dadurch ihr eigenes Ansehn und Einfluß erweitert wird. Kommt unbegräntzte Ehrsucht und ein schlechtes Hertz hinzu, so ist die Gefahr um so größer.“304
Die Gründe, welche Svarez bewogen haben mögen, nun gerade in dem Gesetzbuche die Art und Weise des Gesetzgebungsverfahrens vor dem Publikum auszu302 303 304
Svarez, KPV, fol. 124v = S. 60. Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen, S. 381. Svarez, KPV, fol. 124v = S. 60 – 61.
B. Gesetzkommission, Publikation der Gesetze und Rückwirkungsverbot
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breiten, lassen sich nur indirekt ermitteln. Als Negativbeispiel einer uneingeschränkten Monarchie, der es an vergleichbaren Einrichtungen wie der Gesetzkommission ermangelte, nannte er das vorrevolutionäre Frankreich;305 davon hob sich das preußische Gesetzgebungsverfahren zum Guten ab: „Durch die GesetzCommißion und die Stände gelangt die Stimme der Wahrheit vor den Thron, und sie sind das Gegengewicht wieder den MinisterDespotismus.“306
Es liegt also nahe, daß durch die öffentliche Kundgabe dieses Verfahrens ein weiteres Mal mittels Demonstration der Vorzüge eines wohlgeordneten Staatsapparats der Gefahr von Unruhen und Revolutionen begegnet werden sollte.
II. Über das Publikationsgebot und die Anwendungsvorschriften für die Gesetze – §§ 14, 15 Einl. AGB/§§ 10, 11 Einl. ALR und §§ 18 – 25 Einl. AGB/§§ 14 – 21 Einl. ALR Das Publikationsgebot, das Rückwirkungsverbot und überhaupt die über die Anwendung der Gesetze ergangenen Vorschriften der identischen §§ 14, 15 Einl. AGB und §§ 10, 11 Einl. ALR sowie der §§ 18 – 25 Einl. AGB und §§ 14 – 21 Einl. ALR blieben in ihrer staatsrechtlichen Tragweite vom Schrifttum der Zeit nahezu unkommentiert. Lediglich Fragen der Wirkung von Rechtsunkenntnis scheinen während der Arbeiten an dem Gesetzbuche diskutiert worden zu sein.307 War noch in älterer Zeit der Versand der einzelnen Edikte, Patente und Kabinettsordern an die von ihnen betroffenen Stellen die übliche Art der Bekanntmachung, so wandelte sich diese Praxis ab den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts zusehends zu Gunsten einer allgemeinen Publikation der Gesetze und landesherrlichen Verordnungen,308 womit die mittels der §§ 14, 15 Einl. AGB/§§ 10, 11 Einl. ALR vorgeschriebene Form der Verkündigung der zeitgenössischen Rechtspraxis entsprach und also keine Neuerungen mit sich brachte. Die mangelnde Bedeutung, welche insbesondere den über die Anwendung der Gesetze ergangenen Vorschriften in staatsrechtlicher Hinsicht beigelegt wurde, erklärt sich aus dem Umstande, daß sie dem uneingeschränkten Gesetzgebungsrechte des Landesherrn keinen Schaden tun konnten, denn in staatsrechtlicher Hinsicht sind sie denkbar unverfänglich. Als einfachgesetzliche Regelung hatten sie keinerlei rechtliche Bindungswirkung für die weitere Gesetzgebung, und es konnte daher jederzeit für ein neuerlich erlassenes Gesetz ein von diesen Vorgaben abweichender 305
Svarez, KPV, fol. 124v = S. 61. Svarez, KPV, fol. 124v = S. 61. 307 Vgl. dazu den Bericht über die Entstehung dieser Vorschriften bei: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 189 – 199. 308 Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 190 – 191, 198. 306
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt werden; sollte der König von dieser ihm unbeschränkt gelassenen Gestaltungsfreiheit Gebrauch machen, so wären wohl dennoch dadurch bewirkte Unruhen kaum zu befürchten gewesen, denn jedenfalls sind in der Geschichte wegen rückwirkender Gesetzgebung allein noch nie Revolutionen ausgebrochen. Die oben dargestellte faktische Bindungswirkung der allgemeinen Gesetzgebung war damit für diese Fälle weitgehend ausgeschlossen.
III. Schluß Die Vorschriften über Stellung und Funktion der Gesetzkommission, über die Pflicht zur Publikation der Gesetze und über das Rückwirkungsverbot enthalten weder Neuerungen noch Einschränkungen der königlichen Vollmachten. Aus Svarez’ Äußerungen über die Gesetzkommission ist zu schließen, daß zumindest die öffentliche Bekanntmachung ihrer Aufgaben dazu dienen sollte, eine wohlgeordnete preußische Staatsverfassung zu zeigen, in der Ungerechtigkeiten nicht leicht sich einschleichen konnten. Diese Sätze mußten überdies in der oben beschriebenen Weise auf eine faktische Verfestigung der wiedergegebenen Staatspraxis gerichtet sein; hier sollten die Fahrfurchen der Gewohnheit nur noch tiefer in die – noch nicht durch den Asphalt formeller Verfassungsgesetzgebung verhärteten – Chausseen der Staatspraxis eingegraben werden.
C. Das Machtspruchwesen I. Das undefinierte Phänomen „Machtspruch“ 1. Der Machtspruch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Wirft man einen Blick in die Digestenlehrbücher vom Ende des 17. Jahrhunderts, so stellt man fest, daß darin eine saubere Trennung zwischen Gesetzen und Einzelfallentscheidungen noch nicht vollzogen war. Erst im Laufe der aufgeklärten Rechtsentwickelung des 18. Jahrhunderts bildeten sich Kriterien zu einer Unterscheidung heran. Im Jahre 1797 schließlich definierte Klein in seinen „Grundsätzen der natürlichen Rechtswissenschaft“ die Gesetze als „allgemeine Regeln, welche gemeingültige Gründe der Nothwendigkeit für ganze Gattungen von Subjekten zur Bestimmung ganzer Gattungen von Entschlüssen enthalten.“309
Diese Allgemeingültigkeit der Gesetze machte den wesentlichen Unterschied zu den Machtsprüchen aus.
309
Klein, Grundsätze der Rechtswissenschaft, S. 1.
C. Das Machtspruchwesen
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Die Positivdefinitionen des Machtspruches aber sind so vielschichtig wie die Zahl der Autoren groß ist, die sich darin versuchten.310 Die ausdrückliche Bezeichnung einer Einzelfallentscheidung als ein „Machtspruch“ findet sich erstmals in den vom Beginne des 18. Jahrhunderts stammenden Auflagen des „Jus publicum“ von Heinrich von Cocceji, dem Vater des späteren Großkanzlers Samuel von Cocceji.311 Ein Fürst, so Cocceji, könne durch einen Machtspruch seinen Untertanen ein wohlerworbenes Recht nicht nehmen. Amtlich wurde in den preußischen Staaten der Begriff „Machtspruch“ zum ersten Male in der Verordnung Friedrichs I. vom 18. September 1708 gebraucht, wonach für gewisse Erlasse zu ihrer Rechtskraft die Unterschrift teils des Königs, teils des Kronprinzen oder eines Ministers vorgeschrieben wurde; ausdrücklich dem König oder – in dessen Abwesenheit – dem Kronprinzen vorbehalten blieben Angelegenheiten, wenn „unter streitenden Partheyen in Justiz-Sachen eine endliche Decision durch einen MachtSpruch oder sonsten auf Sr. Königlichen Majestät specialen Befehl allergnädigst gegeben werden soll.“312
Der „königliche Spezialbefehl“ war im zeitgenössischen Kanzleistil stets Ausdruck einer Einzelfallentscheidung; Justizsachen waren Zivilsachen, und Parteien kannte nur der Zivilprozeß. Diese Vorschrift weist damit, wie bereits die Terminologie Heinrich von Coccejis, den Machtspruch dem Zivilrecht zu. Aus der größeren Zahl der folgenden, den Machtspruch zum Gegenstande habenden Schriften und Schriftstücke kristallisieren sich die weiteren wesentlichen Merkmale des Machtspruches heraus. Es handelte sich um eine ohne Beobachtung formellen und materiellen Rechts gefaßte Entscheidung in einer bestimmten Sache; seine besondere Benennung, im Unterschiede zum „Rechtsspruch“ der Gerichte,313 ist eine Folge der immer hervorgehobeneren Stellung des Souveräns und des darin begründeten Bedürfnisses, die von ihm herrührenden Entscheidungen auffallend deutlich zu machen.314 Der wesentliche Unterschied zum Rechtsspruche bestand in formeller Hinsicht allein darin, daß nicht das nach der Gerichtsverfassung berufene Gericht in der Sache entschied, in materieller Hinsicht allein darin, daß, wenn das gesetzte Recht der Gerechtigkeit im konkreten Falle unangemessen erschien, dieses übergangen werden konnte.315, 316 Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war der Begriff 310 Einen Überblick liefert: Erwin, Machtsprüche, S. 9 ff.; vgl. auch den Definitions-Versuch daselbst, S. 23. 311 Dies und folgend nach: Stölzel, Machtsprüche, S. 157 ff.; vgl. dazu auch: Erwin, Machtsprüche, S. 23 ff. 312 Zitiert nach: Stölzel, Machtsprüche, S. 158, und nach: Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 3 – 4. 313 Erwin, Machtsprüche, S. 27. 314 Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 6. 315 Nach: Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 5.
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
des „Machtspruchs“ ausschließlich im Zivilrecht gebräuchlich und floß erst in der Folgezeit allmählich auch in die Terminologie des Strafrechts ein.317, 318 2. Machtsprüche in den Äußerungen von Svarez Svarez, der Verfasser des § 6 in der Fassung der Einleitung zum Allgemeinen Gesetzbuche von 1791, definierte denn auch den Machtspruch in seinen Vorträgen vor dem preußischen Kronprinzen entsprechend als „eine Entscheidung, die in streitigen Fällen ohne gehörige Untersuchung und rechtliches Erkenntniß gegeben wird“319.
Seine Folge seien „weder Rechte noch Verbindlichkeiten.“320 Machtsprüche im Sinne der Vorschriften des Allgemeinen Gesetzbuchs und seiner Entwürfe sind damit die vom Landesherrn selbst unter Berufung auf die von ihm beanspruchte oberste Gerichtsbarkeit in streitigen Zivilsachen getroffenen Entscheidungen. Der Machtspruch unterschied sich von der ordentlichen Rechtsprechung mithin dadurch, daß weder ein bestimmtes Verfahren eingehalten noch das materielle Recht notwendig beobachtet werden mußte, von den Gesetzen dadurch, daß er nur inter partes wirkte.321 Damit war die dem Codex zu Grunde 316
Wenn Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 5, sagt, es gäbe insofern keinen Unterschied zwischen dem Machtspruche und dem Rechtsspruche, weil beide dem Recht im materiellen Sinne dienten, so stimmt das nicht gänzlich, weil der Rechtsspruch zunächst das positive Recht zur Anwendung zu bringen berufen ist und materielles – überpositives – Recht nur insofern verwirklicht, als das gesetzte Recht der Gerechtigkeit entspricht. Der Machtspruch dagegen ist in seinem Streben nach wirklicher Gerechtigkeit freier, weil derselbe nicht dem positiven Rechte verpflichtet ist. Eine Adaption des Rechtsspruches an die Gerechtigkeit findet aber insofern statt, als sich das positive Recht dem Inbilde der Gerechtigkeit nähert; es wird sich daran messen lassen müssen, inwieweit auch atypische Fälle nach den gegebenen allgemeinen Regeln sich in befriedigender Weise lösen lassen werden. 317 Eberhard Schmidt, Beiträge zur Geschichte des preußischen Rechtsstaates, S. 286; nach: dems., Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 21, soll dies ab dem Jahre 1752 der Fall gewesen sein. 318 Nur vereinzelt werden andere Definitionsansätze bemüht. Der Definitionsversuch von Bussi, ein Machtspruch sei „die Entscheidung eines Rechtshandels unmittelbar durch die oberste Staatsgewalt unter Abweichung vom regelmäßigen gesetzlichen Verfahren“ (Bussi, Zur Geschichte der Machtsprüche, S. 52), ist verkürzt, weil sie sich zu sehr auf das formelle Recht beschränkt. Ganz anders war der Machtspruch von Beck genannt, der ihn als den feierlichen Ausspruch des Gesetzgebers bezeichnete, durch welchen dieser die wahre Deutung des Gesetzes in einem Falle bestimme, in dem alle Regeln der Auslegung der Unklarheit des Gesetzes nicht abhelfen könnten (Beck, Natur und Völkerrecht, 3. Band, 6. Kap., § 18, zitiert nach: Bussi, Zur Geschichte der Machtsprüche, S. 52); in Deutschland wurden etwa die Reichsgesetze vom Kaiser und den Reichsständen authentisch ausgelegt. 319 Svarez, KPV, fol. 206v = S. 583. 320 Svarez, KPV, fol. 206v = S. 583. 321 So: Finkenauer, Vom AGB zum ALR, S. 106.
C. Das Machtspruchwesen
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gelegte Definition des Machtspruchs weitgehend synonym mit der gemeinrechtlichen.
II. Landesherrliche Machtsprüche im Lichte des Reichsstaatsrechts322 Für die zum alten Reich gehörenden preußischen Provinzen mußte sich die Frage stellen, inwieweit dem preußischen Regenten das Recht zukam, Machtsprüche zu fällen.323 In der staatsrechtlichen Literatur, insbesondere bei den kaiserlich gesinnten Autoren, und in nicht wenigen reichsoffiziellen Schriften und Urkunden findet sich der Satz, der Kaiser sei fons omnis Jurisdictionis im ganzen Deutschen Reiche.324 Johann Jacob Moser schrieb dazu erläuternd über die Stellung des deutschen Kaisers in Rechtssachen: „Der Kayser hat, wie alle seine Rechte, so auch die in Justiz-Sachen, unstreitig von dem Reich, welches Ihne freywillig zu seinem Oberhaupt erwählet hat: So bald Er aber zu einem solchen Oberhaupt erwählet ist, bringen auch seine dadurch erhaltene Rechte mit sich, 1. daß die oberste und lezte Gerichtsbarkeit, so wohl über die Reichsstände und andere Unmittelbare selbst, als auch über ihre Unterthanen, unter des Kaysers Namen und Autorität ausgeübet wird; 2. daß alle Reichs-Lehenleute (und dergleichen seynd alle grosse und die meiste übrige Reichsstände,) nebst ihren Landen, mit allen hohen und nideren Gerichten von Ihme belehnet werden; 3. daß die, so keine Reichs-Vasallen seynd, dennoch auch in JustizSachen mit unter ihme stehen.“325
Dieser Stellung des Kaisers korrespondierte sein Recht der Oberaufsicht über das gesamte deutsche Justizwesen, das zwar hauptsächlich die Aufsicht über die Reichsgerichte beinhaltete, sich aber zugleich auch auf das Justizwesen in den Landen und Gebieten der Reichsstände erstreckte; hier allerdings war diese Aufsicht auf die Umsetzung von Reichsrecht, insbesondere der sogenannten Reichsschlüsse, beschränkt.326 Die Rechtsprechung wurde von der deutschen Justizverfassung hingegen den Gerichten zugewiesen. „Zu denen Rechts-Sachen seynd die Gerichte angeordnet […].“327
322 Ausführlich zur Herleitung der Lehre von Machtsprüchen aus der plenitudo potestatis: Erwin, Machtsprüche, S. 36 ff. 323 Moser, Von der Teutschen Justiz-Verfassung (N. T. St.-R. 8/1), 1. Buch, 1. Cap., § 5, S. 3. 324 Vgl. nur: Moser, Von der Teutschen Justiz-Verfassung (N. T. St.-R. 8/1), 1. Buch, 1. Cap., § 6, S. 3. 325 Moser, Von der Teutschen Justiz-Verfassung (N. T. St.-R. 8/1), 1. Buch, 1. Cap., § 6, S. 4. 326 Moser, Von der Teutschen Justiz-Verfassung (N. T. St.-R. 8/1), 1. Buch, 1. Cap., § 7, S. 5. 327 Moser, Von der Teutschen Justiz-Verfassung (N. T. St.-R. 8/1), 1. Buch, 1. Cap., § 8, S. 6.
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
Eingriffe hierin wollte die Staatsrechtslehre dem Kaiser nicht zugestehen: „Hingegen wären es Mißbräuche und zu weit gegangen, wann man […] 4. dem Kayser die Befügniß zuschreiben wollte, in Justiz-Sachen Machtsprüche ergehen zu lassen, u. s. w.“328
So sehr der Kaiser also auch als die Quelle der Jurisdiktion angesehen wurde, konnte er doch nach Reichsrecht mangels eigener Kompetenz ein Recht zum Machtspruche nicht auf die Reichssassen übertragen.329 Strenger noch verwies sodann das Reichsstaatsrecht die Landesfürsten wegen etwaiger Rechtsstreitigkeiten auf den gerichtlichen Rechtsweg und versagte ihnen eigenmächtige Eingriffe in den Gang der Justiz. „Die teutsche Reichsstände müssen allen und jeden, welche sie gerichtlich beklagen wollen, zu Recht stehen, sie seyen, wer sie wollen, hohen oder nidrigen Standes, Teutschen und Fremden, auch ihren eigenen Unterthanen.“330
Diese, dem Reichsstaatsrecht entspringenden Grundsätze bestanden formell bis zum Untergang des alten Reichs fort. Im 18. Jahrhundert war der Einfluß des Reichs jedoch bereits derart geschwunden, daß es dem Reiche weitgehend an Macht gebrach, eine Verletzung des Reichsstaatsrechts zu ahnden. Außer einigen schweren Verfehlungen gegen die Reichsgrundgesetze, bei Mißbrauch der Münz-Gerechtigkeit, Abstreitung des Standes oder bei ausstehenden Abgaben eines Reichsstandes an das Reich, wofür unter anderem Reichsacht, Verlust von Sitz und Stimme im Reichstage oder zwangsweise Beitreibung vorgesehen war, bestanden kaum noch Zwangsmittel gegen die schon weitgehend souverän gewordenen Fürsten.331 „Weiter aber kan der Kayser für Sich allein nicht gehen, noch Sich der Person eines grossen Reichsstandes versicheren; wie etwa in vorigen Zeiten bey innerlichen Unruhen geschehen ist.“332 328
S. 4. 329
Moser, Von der Teutschen Justiz-Verfassung (N. T. St.-R. 8/1), 1. Buch, 1. Cap., § 6,
Ein etwa verliehenes Privilegium de non appellando war hierauf nicht von Einfluß. Schon der Sache nach ist eine Appellation nur gegen einen Rechtsspruch möglich. So wurden solche Privilegien auch immer nur für spezifische Arten von Rechtssachen erteilt oder unbeschränkt gegen alle vorkommenden Urteile. In dem bei Pütter, Rechts-Fälle, 4. Band, 1. Teil, 336. Responsum, mitgeteilten Rechtsfalle wegen einer Klage auf Entschädigung gegen Kurköln etwa konnte die Frage, in wieweit das Kurköln verliehene Privileg vom 29. April 1653, „daß von nun an von gar keinem Churcöllnischen Urtheile ,nach Dato dieses Briefes gesprochen‘ appellirt werden solle“ (Pütter, Rechts-Fälle, 4. Band, 1. Teil, 336. Responsum, Rnr. 16) zu berücksichtigen sei, nur deshalb in Betracht kommen, weil sich der kurkölnische Hof hier seiner eigenen Gerichtsbarkeit fügte (vgl. Pütter, Rechts-Fälle, 4. Band, 1. Teil, 336. Responsum, Rnr. 24). 330 Moser, Von der Teutschen Justiz-Verfassung (N. T. St.-R. 8/1), 1. Buch, 2. Cap., § 3, S. 10. 331 Vgl. oben, 1. Teil, C., I., 1., b). 332 Moser, Von der Teutschen Justiz-Verfassung (N. T. St.-R. 8/1), 1. Buch, 2. Cap., § 4, S. 14.
C. Das Machtspruchwesen
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Wie weit sich diese Souveränität der Landesfürsten eben auch in Rechtsangelegenheiten bereits etabliert hatte, zeigt sich in mancher staatsrechtlichen Schrift. Olenschlager etwa berichtet in seiner im Jahre 1766 verlegten Kommentierung der Goldenen Bulle von der im Spätmittelalter aufgekommenen Meinung, daß in sämtlichen Privatrechtssachen sowie in Lehenssachen die Fürsten und Kurfürsten nicht anders als der Kaiser selbst zu behandeln seien. Im Zuge der zunehmenden Separierung der Reichsterritorien begannen die mächtigen Fürsten damit, die reichsstaatsrechtliche Ordnung zu substituieren. „Demnächst fiengen schon verschiedene vornehmere Fürsten an, auf ganz neue Arten von Richtern und Gerichtstülen sich zu besinnen, und deßhalb auf ein eigenes Fürstenrecht sich zu beruffen.“333
Dem Kaiser blieb auf Dauer kein Ausweg, sich der gewachsenen Macht der Reichsfürsten um des Reiches Friedens Willen zu beugen. „Aber Friedrich der III blieb bey dem allem noch lange unerbittlich […]. Was aber von Ihme nicht zu erhalten gestanden; hat Sein großmüthiger Sohn und Thronfolger, Kayser Maximilian der I, den Ständen gleich in den erstern Jaren Seiner Regierung nachgegeben“334.
Wie rasch diese Entwickelung voranschritt, wurde zwar schon in der Reichsstaatsrechtslehre des 18. Jahrhunderts unterschiedlich beurteilt;335 die Tendenz gestiegenen Selbstvertrauens und zunehmender Unabhängigkeit der Landesherren von der kaiserlichen Gewalt auch in Justizsachen ist indes unverkennbar. Über die letzten Regierungsjahre des Großen Kurfürsten wird etwa berichtet: „Im Betreff der gesetzgebenden Gewalt erweiterte der Fürst seine Rechte, und behauptete bey Streitigkeiten der Stände, wenn sie Bezug auf den Staat hätten, der einzige Richter zu seyn.“336
Aus diesen Gründen kam eine reichsrechtliche Eindämmung von landesherrlichen Machtsprüchen zumindest in Preußen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht in Betracht. Preußen hatte unter der Regierung Friedrichs des Großen bereits in einem Maße an Macht gewonnen, daß ein Einfluß des Reichs auf seine inneren Angelegenheiten praktisch ausgeschlossen war.337, 338 Auch eine durch das Reichsstaatsrecht gebotene Unterscheidung zwischen erlaubten und verbotenen Eingriffen des Landesherrn in die Justiz gibt es zumindest für das Preußen des 18. Jahrhunderts nicht.339 333
Olenschlager, Goldene Bulle, § LXVIII, S. 267 – 268. Olenschlager, Goldene Bulle, § LXVIII, S. 268. 335 Moser, Von der Teutschen Justiz-Verfassung (N. T. St.-R. 8/1), 1. Buch, 2. Cap., § 6, S. 16 – 23. 336 Baczko, Geschichte Preußens, 6. Band, S. 181. 337 Siehe oben, 1. Teil, C., I., 1., b). 338 Damit kann dahinstehen, ob etwa bestandene reichsrechtliche Machtspruchverbote de iure auf die Territorien übertragen worden sind (so: Erwin, Machtsprüche, S. 246). 339 Anders: Erwin, Machtsprüche, S. 247, der sich aber nicht speziell auf Preußen bezieht. 334
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
III. Die Bewertung des Machtspruchs im Wandel der Zeit 1. Der Machtspruch in älterer Zeit In älterer Zeit waren die Machtsprüche keineswegs verpönt.340 Der Monarch war nach den damaligen Staatsverfassungen über die Justizbehörden „oberster Richter“341, 342 Als heilsam wurde es betrachtet, den König im Wege der Supplik auf etwa vorgekommene Unregelmäßigkeiten im Gange der Justiz aufmerksam zu machen und ihn auf diese Weise zur Ausübung seiner Oberaufsicht zu bewegen. Und besonders in Preußen ließen sich die Herrscher die Pflege materieller Gerechtigkeit auch stets angelegen sein. In dem bereits oben verschiedentlich erwähnten Landtagsrezeß vom 26. Juli 1653 hieß es etwa: „Zum Achtzehendtem, soll keinem das beneficium appellationis vel supplicationis, verweigert, auch keine appellatio, sie sey dann manifeste frivola, darüber doch auch erkändnüs ergehen muß, verworffen, und simpliciter rejiciret, sondern in dubio iederzeit angenommen werden, dann Wir den gravatis die competentia juris remedia abzuschneiden, niemahls gemeinet gewesen.“343
Noch unter Friedrich Wilhelm I. galt der Machtspruch daher nicht als „der Feind der Gerechtigkeit“, sondern mit ihm verband sich ein nicht durch positives Recht gegängeltes, ungehemmtes Streben nach lauterem Rechte.344 Anstoß wurde daran nicht genommen, daß eine etwaige richterliche Unabhängigkeit und eine dadurch begründete Freiheit von Zwängen und latenten Drohungen in der Rechtsfindung geschmälert wurde, war doch die Stellung des Richters im Zeitalter des Absolutismus wie in früheren Zeiten von der heutigen wesentlich verschieden. Bereits im 16. Jahrhundert war es in Deutschland im bürgerlichen Prozeß „hergebracht“, daß jeder Richter vor der Abfassung des Urteils bei Rechtsverständigen Rat einzuholen und, falls er bei diesen „kain lauter od. außgedruckt recht […] erfunden“, sich an den Landesherrn zu wenden hatte.345 Als berühmtestes und zugleich wichtigstes Beispiel aus dem deutschen Strafrechte mag die Constitutio Criminalis Carolina von 1532
340
So etwa auch: Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 6 ff. So: Sietze, Oberstrichterliche Gewalt und Cabinets-Justiz, S. 10 – 11; ebenso: Stölzel, Machtsprüche, S. 166. 342 Zu Geschichte und Struktur der Justizaufsicht unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II.: Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 21 ff. 343 Aus dem Landtagsrezeß vom 26. Juli 1653, abgedruckt bei: Mylius, Corp. Const. March. Tom. VI, 1. Abt., Nr. 118, Sp. 435. 344 So: Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 5 – 6. 345 Tengler, Der Neü Layenspiegel, fol. Cr; ebenso: ders., Layenspiegel, fol. Cr; auch: Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 3. Teil, S. 443. 341
C. Das Machtspruchwesen
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dienen.346 Der Richter jener Zeiten war also keineswegs unabhängig und frei in seiner Rechtsfindung; seiner Urteilskraft wurde wenig zugetraut347. 2. Der Wandel der Ansichten während des 18. Jahrhunderts Die Schattenseite des Supplikenwesens war jedoch, daß es ein Dorado für Querulanten, Denunzianten und Lügner bot. Die Verordnung Friedrich Wilhelms I. vom 15. November 1739 liefert ein eindrucksvolles Zeugnis dafür, daß die Mißbräuche sich offenbar ins Unerträgliche gesteigert haben mußten; vom König selbst diktiert, hatte sie folgenden Wortlaut: „Von Morgen über acht Tage ab, wenn ein Advocat oder Procurator oder andrer dergleichen Mensch Sr. K. M. durch Soldaten[348] Memoralien in Prozeß- oder Gnadensachen einreichen zu lassen sich unterstehen oder auch wenn ein oder der andre Leute aufwiegeln wird, um in abgethanen und abgedroschenen Sachen Sr. K. M. Memoralien zu übergeben, alsdann S. K. M. einen solchen ohne Gnade aufhängen und neben ihn einen Hund hängen lassen wollen.“349
Die Verordnung wurde von niemandem ernst genommen; sie spiegelt jedoch die Hilflosigkeit des Königs gegenüber einer im Laufe der Zeit entarteten Rechtser346 Eine Vielzahl materieller Strafnormen der Peinlichen Halsgerichts-Ordnung Kaiser Karls V. vom Jahre 1532 verweisen hinsichtlich der Urteilsfindung auf dessen Art. 219; dieser lautete: „Erklerung bei wem, vnd an welchen orten rath gesucht werden soll. 219. Vnnd nach dem vilfeltig hieuor inn diser vnser vnd des heyligen Reichs ordnung der peinlichen gericht von rath suchen gemelt wirdet, so sollen allwegen die gericht, so inn jren peinlichen processen, gerichts übungen vnd vrtheylen, darinn jnen zweiuel zufiel, bei jren oberhofen, da sie auß altem veriertem gebrauch bißher vnderricht begert jren rath zu suchen schuldig sein, Welche aber nit oberhoffe hetten, vnd auff eyns peinlichen anklegers begern die gerichts übung fürgenommen wer, sollen inn obgemeltem fall bei jrer oberkeyt die das selbig peinlich gericht fürnemlich vnd on alle mittel zu bannen, vnd zu hegen macht hat, rath suchen. Wo aber die oberkeyt ex officio vnd von ampts wegen wider eynen mißhendlern, mit peinlicher anklag oder handlung volnfüre, so sollen die richter, wo jnen zweiffeln zufiele, bei den nechsten hohen schulen, Stetten, Communen oder andern rechtuerstendigen, da sie die vnderricht mit dem wenigsten kosten zu erlangen vermeynen, rath zu suchen schuldig sein.“ 347 Der Prolog des Sachsenspiegels etwa begann mit den Worten: „Des heyligen geistes minne, diu sterke mîne sinne, daz ich recht unde unrecht der Sassen bescheide nâch gottes hulden unde nâch der werlde vromen. Des ne kan ich alleyne nicht gethûn.“ Und in Ulrich Tenglers Layenspiegel hieß es: „[…] wann die weißheyt vnd vernunfft nit allweg eym yeden Richter/ vrteylsprecher od. radt sitzer von natur anhengig/ sond. dz liecht/ wann sinnlicheyt wiirt offt mit vnwissenheyt vertunckelt. Darumb eym yeden Richter gebürt nit zuuil in sein eygen vernunfft vertrawen […].“ (Tengler, Der Neü Layenspiegel, fol. XCIXv; ebenso: ders., Layenspiegel, fol. XCIXv.) 348 Das waren die „Langen Kerls“, welche in Potsdam bemüht wurden, dem König Suppliken zuzustellen. 349 Zitiert nach: Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 26 – 27, und: Stölzel, Friedrich Wilhelm I. und die Justiz, S. 130.
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
scheinung wider. Abhilfe brachte sie nicht.350 In den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts bestand schließlich kein Zweifel mehr: „Ein Machtspruch ist in der Regel und nach den gewöhnlichen Begriffen, welche man mit dem selbigen verbindet, das Ende aller Gerechtigkeit.“351 „Die gesittete Welt, dieß mächtige Tribunal, ist dahin übereingekommen, sich mit dem Worte M a c h t s p r u c h , – U n g e r e c h t i g k e i t als verschwisterte Ideen, zu denken.“352
Eine Eindämmung des Machtspruchwesens zu Gunsten einer zumindest materiellen Unabhängigkeit der Gerichte von der Krone ging fortan Hand in Hand mit jedem Streben nach formeller Gerechtigkeit. 3. Friedrichs des Großen Haltung zum Machtspruch Ein beachtlicher Schritt in Richtung einer gewissen partiellen Unabhängigkeit der Gerichte in Preußen schien mit dem von Friedrich II. verhängten Verbote der Aktenversendung, exemplarisch für die Mark Brandenburg gemäß § 1 II 7 des Projekts des Codex Fridericiani Marchici353 vom 3. April 1748, wodurch die Rechtsbelehrung durch Universitäten und Schöppenstühle fortfiel, zwar getan. Bei einem König, der sich als erster seit Jahrhunderten anschickte, die Rechtspflege zu modernisieren und der in seiner fast ein halbes Jahrhundert währenden Regentschaft stets darauf Sorge legte, daß seinen Untertanen materielle Gerechtigkeit widerfahre, mußte ein unmittelbarer Einfluß auf den Gang der Rechtspflege fast schon zwangsläufig erwartet werden, war doch bis dato mit der Belehrung durch den Landesherrn der Natur der Sache nach ohnehin gerechnet worden.354 Wenn Friedrich II. auf Machtsprüche ab etwa 1750 verzichten wollte, war dies nicht ein Bekenntnis zu einer unabhängigen Rechtspflege, sondern vielmehr ein Ausdruck der Abneigung, die allgemeine Geltung der Gesetze durch Ausnahmen zu erschüttern. Die §§ 7, 8 Thl. I Lib. I Tit. 2 des Projekts des Corporis Juris Fridericiani verboten dem Richter denn auch ausdrücklich die Auslegung des Gesetzes und verwiesen ihn bei Zweifelsfragen an das Justizministerium: „§. 7. Wie denn auch c) keinem Richter frey stehen soll, dieses Unser Land-Recht, wann es zweifelhaftig zu seyn scheinet, zu interpretiren, oder argumento legis, allerhand Exceptiones, Limitationes, und Ampliationes, nach Gefallen, und öfters ex æquitate cerebrina, zu fingiren. […] 350
Stölzel, Brandenburg-Preußens Recht, 2. Band, S. 175. Amelang, Vertheidigung des Prediger Schulz, S. 171. 352 Kircheisen, Ansprache vor dem Kronprinzen anläßlich dessen Besuchs bei dem Kammergerichte, zitiert nach: Klein, Nachricht von den Besuchen des Kronprinzen, S. 308. 353 Der Codex Juris Fridericinani Marchici, 1748 als „Projekt“ vorläufig zur Anwendung gebracht, bildete die Gerichts- und Prozeßordnung für die Mark Brandenburg und enthielt auch einige materiell-rechtliche Bestimmungen. Vgl. dazu auch oben, 1. Teil, D., II. 354 Sietze, Oberstrichterliche Gewalt und Cabinets-Justiz, S. 225. 351
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§. 8. Wann aber d) dieses Unser Land-Recht in einem und andern Fall den Richtern zweifelhaftig scheinen, und daher einiger Erläuterung bedürfen solte; So stehet Unsern Gerichten frey, dasjenige, was zur nähern Erläuterung gedachten Land-Rechts, oder dessen Supplemento gereichen kann, an das Departement der Justitz-Sachen einzuschicken: Da dann dem Befinden nach das Dubium decidirt, und dergleichen Decisiones jährlich durch den Druck publicirt werden sollen. Wir wollen aber durchaus nicht gestatten, daß die Partheyen selbst bey Uns auf eine Interpretation des Land-Rechts anfragen sollen; […]“355
Im § 29 der an den Leser des Codex Fridericiani Marchici gerichteten Vorrede wurde diese dem Gericht eingeräumte Option zur Pflicht verdichtet, indem es in Abs. 9 heißt: „Würde aber das Gericht finden, das die ratio legis zweifelhaftig sey; so muß es die Rationes pro & contra an das Justitz-Departement bringen, welches, auf eingeholten Rath der perpetuirlichen Land-Rechts-Commission, das Dubium decidiren wird […].“356
Der Richter stand damit bei der Rechtsfindung nach wie vor in einem wechselseitigen Verhältnisse zu seiner Obrigkeit; ungewöhnlich war dies indessen nicht. Die Notwendigkeit eines Suppliken- und Machtspruchwesens wurde in Preußen mit dem Projekt der Codicis Fridericiani durch die Einführung eines geregelten Instanzenzuges, wonach bis zu drei Kollegien sich unabhängig von einander mit einer streitigen Sache zu befassen hatten, zwar beträchtlich vermindert, ein Verbot der unmittelbaren Beschwerde beim König erfolgte gleichwohl nicht357; dem Mißtrauen Friedrichs gegenüber der Justiz entsprang es, daß er auch weiterhin möglichen Hinweisen aus dem Volke nachgehen wollte und in laufende Prozesse einzugreifen als notwendig erachtete, wenn ein Verdacht auf Unregelmäßigkeiten sich ergab.358 § 30 I 14 des Codex Fridericiani Marchici bestimmte für derartige Suppliken sogar einen genau festgelegten „Ersatz-Rechtsweg“, ähnlich dem Instanzenzug der Gerichte: „Es ist auch der Mißbrauch eingeschlichen, daß die Partheyen mit Vorbeygehung derer Ober-Gerichte sich an Unsern Geheimden Etats-Rath[359] , oder, mit Vorbeygehung Unsers Geheimden Etats-Rath, immediate bey Unserer allerhöchsten Person melden, und ihre Beschwerden anbringen. Nun wollen Wir zwar niemanden den Zutritt zu Unserm Thron verwehren; weil Wir aber hauptsächlich Unser Cammer-Gericht, und hiernächst Unsern Geheimden Etats-Rath darzu gesetzet und bestellet haben, daß sie in Unserm Nahmen die klagenden Unterthanen hören, und ihnen zu ihrem Recht verhelfen sollen, so müssen auch die Partheyen sich zuvörderst an dieselbe halten, folglich, wann gegen die Unter-Gerichte 355
Zitiert nach: Land-Recht, 1750. Zitiert nach: Land-Recht, 1750. 357 Das Verbot des § 8 Abs. 2 Corp. Jur. Frid. betraf nach seinem Wortlaute und nach seiner Systematik nicht die Suppliken. 358 Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 24. 359 Der Geheime Etats-Rat bestand aus dem Kollegium aller Etats-Minister. 356
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Klage geführet wird, sich an das Cammer-Gericht wenden, und wann gegen dieses geklaget wird, bey Unserm Geheimden Etats-Rath Hülfe suchen. Wann aber wider alles Vermuthen der Geheimde Etats-Rath die rechtliche Hülfe versagen würde, alsdann soll denen Partheyen frey stehen, Uns selbst anzutreten, und in bescheidenen Terminis ihre Klage anzubringen, welche Wir hiernächst mit aller Rigeur untersuchen lassen wollen.“360
Friedrichs berühmter Ausspruch in seinem politischen Testamente von 1752: „In den Gerichtshöfen müssen die Gesetze sprechen, und der Souverän muß schweigen“361,
bezog sich allein auf die Strafgerichtsbarkeit.362 Immerhin beschränkte er sich in Zivilsachen regelmäßig auf die Vorlage von Akten und Beweisen und gab nicht selbst die Entscheidungen vor. Mit Montesquieus363 Schrift über den „Geist der Gesetze“364 begann sukzessiv der Wandel des großen Königs in Anschauung und Bewertung der Machtsprüche, von der Stölzel sagt, er sei einer der interessantesten, bedeutungsvollsten psychologischen Vorgänge in seinem Leben365. Darin heißt es unter anderem: „Die Urtheilssprechung durch den Fürsten würde eine unerschöpfliche Quelle von Ungerechtigkeiten und Mißbräuchen sein; die Hofleute würden durch ihren Einfluß ihm seine Urtheile abnöthigen.“366 „In den despotischen Staaten kann der Fürst selbst richten, in den Monarchien dagegen nicht; hier würden die Verfassung zerstört und die vermittelnden, abhängigen Gewalten vernichtet werden; alle Förmlichkeiten der Urtheile würden aufhören; die Furcht würde sich aller Geister bemächtigen, man würde den bleichen Schrecken auf allen Gesichtern lesen und kein Vertrauen, keine Ehre, keine Liebe, keine Sicherheit, keine Monarchie würde mehr bestehen bleiben.“367
360
Zitiert nach: Cammergerichts-Ordnung, 1766. „C’est dans les tribunaux où les loix doivent parler et où le souverain doit se taire.“ 362 Über die Geschichte der Machtsprüche im Strafrechte: Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 11 ff. Der hier zitierte Ausspruch Friedrichs des Großen war deshalb so sensationell, weil vormals die Ausübung des höchsten Richteramtes in Strafsachen durch den König eine Selbstverständlichkeit war. Rudimente dieser richterlichen Tätigkeit des Königs hielten sich bis in die Reichsstrafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 und finden sich selbst heute noch in der bayerischen Landesverfassung, wonach vor Vollstreckung der Todesstrafe die Zustimmung des Staatsoberhaupts erforderlich ist; es handelt sich dabei nicht um ein Gnadenrecht, sondern um echte richterliche Tätigkeit. (Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 14.) 363 Siehe hiezu: Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 8 – 9. 364 Erschienen 1748. 365 Stölzel, Machtsprüche, S. 161. 366 Montesquieu, Der Geist der Gesetze, S. 70. 367 Montesquieu, Der Geist der Gesetze, S. 69. 361
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Diese Veränderung in den Anschauungen Friedrichs schloß schließlich ab in der wenige Monate nach dem Abschlusse des Müller-Arnold-Prozesses368 getanen Bemerkung bezüglich eines Erbschaftsverfahrens: „Ich bin weit entfernt […] Mich einer unmittelbaren Entscheidung anzumaaßen, dieß würde ein Machtspruch seyn, und Ihr wisset, daß Ich solche verabscheue.“369, 370
4. Gesetzgebung über Machtsprüche unter dem Eindruck des Zeitgeistes Aus der geschilderten gesellschaftlichen Situation heraus und unter dem langjährigen Eindruck der Regierung Friedrichs des Großen sind sodann die Rechtssätze über die Machtsprüche entstanden, wie sie für das Allgemeine Gesetzbuch vorgesehen waren.
IV. Der Machtspruch in AGB und ALR In den verschiedenen Entwurfsfassungen zum Allgemeinen Gesetzbuch und sodann in dem Allgemeinen Gesetzbuche selbst erfuhr das Phänomen Machtspruch unterschiedlich weitreichende Behandelung.371 In dem ersten, von Volkmar von Mitte 1780 bis Anfang 1781 angefertigten Auszug aus dem Corpus iuris civilis, findet sich eine Bestimmung, welche die Geltung von Reskripten auf den Einzelfall beschränkt, für die sie gegeben werden. „§. 5. Rescripte und andre in einzeln Fällen ergehende Verordnungen sind in keinem andern Fall, als für welchen sie gegeben worden, Gesetze.“372
Klein übernahm diese Vorschrift in seinen nach November 1781 verfaßten Entwurf, und Svarez regte in seinem Konzept für dessen Umarbeitung vom Ende des Jahres 1782 an, über die Geltung landesherrlicher Reskripte folgendes zu regeln:
368 Eine gute Darstellung dieses Prozesses findet sich bei: Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 3 ff. 369 Kabinettsorder vom 4. Juli 1780, zitiert nach: Klein, Nachricht von den Besuchen des Kronprinzen, S. 312. 370 Diese Entwickelung ist genauer nachzulesen bei: Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 9 – 11. 371 Allein aus dem Umstande, daß der Machtspruch neben dem in den §§ 10 – 13 Einl. AGB aufgezeigten Gang der Gesetzgebung mit einer eigenen Vorschrift bedacht wurde, folgerte Schlosser, Dritter Brief, S. 175, eine Besonderheit gegenüber der Gesetzgebung. 372 GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 3. Band, fol. 2r, abgedruckt bei: Daniels, Preußisches Privatrecht, 1. Band, Anlage IV, S. 14.
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen „§. 5.
Rescripte u. alle in eintzelnen Fällen ergangne Verordnungen, sollen nicht über den Gegenstand, auf welchen sie gegeben sind, ausgedehnt werden. §. 6. Auch in eintzelnen Fällen soll durch Rescripte niemand in einem nach den Gesetzen ihm schon würcklich zustehenden Rechte gekränckt werden. §. 7. Machtsprüche können also niemals u. zu keiner Zeit die Kraft eines Gesetzes erlangen.“373
§ 7 definiert durch die mit dem Wort „also“ hergestellte Bezugnahme auf die vorangegangenen Paragraphen die Machtsprüche als Reskripte und sonstige für einen konkreten Einzelfall gegebene Anordnung. Sowohl aus den Bezeichnungen „Reskript“ und „Verordnung“ als auch aus der Marginalnote, welche die §§ 5 – 7 den Normen über die Gesetzgebung zuordnet, ist zu schließen, daß hier nicht die Entscheidungen der Gerichte, sondern die des Landesherrn oder zumindest hoher Regierungsbeamter gemeint sind. Bedeutung hätte den §§ 5 – 7, wenn sie gesetzliche Kraft erlangt hätten, als Auslegungsregeln zukommen können. § 5 hätte eine ausdehnende Auslegung der für Einzelfälle ergangene Reskripte in der Weise untersagt, daß nicht aus ihnen als vermeintlich allgemein erkannte Regeln abstrahiert werden konnten und auf vergleichbare Fälle übertragen werden könnten. Die Bestimmungen des § 6 gingen weiter. Durch den in diesem Rechtssatz hergestellten Bezug zu den „würcklich zustehenden Rechten“, die es im materiellen Strafrecht nicht gibt, wird der Machtspruch, der älteren gemeinrechtlichen Tradition entsprechend, in einen ausschließlich zivilrechtlichen Kontext gestellt. Hier war eine echte Kollision einer Einzelfallentscheidung mit den bestehenden gesetzlichen Vorschriften thematisiert. Bei erstem Hinsehen scheint es, als solle eine Garantie der auf gesetzlicher Grundlage zustehenden Rechte gegen bestimmte landesherrliche Beeinträchtigungen gegeben werden: Verfügungen, deren Wirksamkeit nach ihrer Konzeption auf den Einzelfall beschränkt sein soll, müßten demnach unbeachtet bleiben, wenn durch sie eine Beeinträchtigung von Rechten erfolgen würde, die nach den allgemeinen Gesetzen nicht stattfände. Durch die Norm kann indes nicht über die materielle Wirksamkeit eines landesherrlichen Befehls befunden werden, weil in der uneingeschränkt monarchischen Verfassung alle Befehle des Landesherrn, gleich in welcher Form sie ergehen – ob per Gesetz oder per Reskript –, gleichermaßen mit dem Anspruch verbunden sind, befolgt zu werden. Bestimmte Arten von Befehlen von vornherein ganz oder in einzelnen Beziehungen für unbeachtlich zu erklären, ist ausgeschlossen.374 373 GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 8. Band, fol. 101r, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 139. 374 Vgl. oben, 1. Teil, C., I., 2., c), bb).
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Nur für den Fall, daß ein Gesetz des Königs zu einer vom König gegebenen Einzelfallentscheidung in einem Widerspruche stünde, kann der § 6 Anwendung in der Weise leiden, daß durch ihn der Vorrang des Gesetzes vor der Einzelfallentscheidung bestimmt wird. Die materielle Wirksamkeit bleibt dadurch formell unberührt, und es wird lediglich der Vorrang des einen oder anderen Befehls bestimmt, soweit die Kollision reicht und nicht für den konkreten Fall eine Kollisionsbestimmung gegeben ist; dann wird durch § 6 Einl. EAGB bei einer Kollision von Gesetz und Einzelfallentscheidung der Grundsatz „lex specialis derogat legem generalem“ in sein Gegenteil verkehrt. § 7 faßt schließlich diese Auslegungsregeln der §§ 5 und 6 zu dem Grundsatze zusammen, daß die für Einzelfälle gegebenen Befehle nicht als abstakt-generelle Regelungen verstanden werden dürfen. In der Einleitung des gedruckten Entwurfs von 1784 hieß es in den §§ 5 – 7 der Einleitung wie folgt: „§. 5. Was der Landesherr in einzlen Fällen verordnet, soll nicht auf andre ausgedehnt werden. §. 6. Durch Machtsprüche soll niemand an seinem Rechte gekränkt werden. §. 7. Rescripte der Staatsminister oder der vorgesetzten Obercollegien, sollen über die Rechte der Unterthanen des Staats nichts entscheiden; sondern nur als einstweilige Verordnungen, bis zur nähern Erörterung der Sache gelten.“
§ 5 dieser Fassung entspricht inhaltlich dem § 5 des Entwurfs von 1782 und bereits dem ersten, von Volkmar angefertigten Entwurfe. Dem § 6 in der Fassung, die er durch die Hand Svarez’ Ende des Jahres 1782 erhalten hatte, entspricht in dieser Entwurfsfassung in etwa der § 7. Diese Norm hat nunmehr jedoch nicht mehr landesherrliche Entscheidungen zum Gegenstande, sondern mit ihr werden deutlich die Reskripte des Königs von denen der höchsten Staaatsbeamten abgegrenzt. Nur die von letzteren ergangenen Befehle sollen, auch wenn die darin getroffenen Bestimmungen nicht ausdrücklich als vorläufig bezeichnet worden sind, keine endgültige Entscheidung herbeizuführen die Kraft haben. Unter der Berücksichtigung der monarchischen Verfassung ist diese Bestimmung unbedenklich, denn der König kann selbstverständlich – sei es durch Gesetz oder im Einzelfall – die Reichweite der Bedeutung der von seinen Untergebenen erlassenen Bestimmungen und Entscheidungen beliebig ausdehnen oder einschränken. Die unbestimmte Fassung des § 6 Einl. EAGB, daß durch Machtsprüche niemand an seinem Rechte gekränkt werden solle, wurde indes ein Brandherd der Kritik. Seine Stellung unmittelbar nach der Bestimmung des § 5, der Einzelfallentscheidungen des Landesherrn zum Gegenstande hat, und noch vor § 7, in welchem erstmals Einzelfallentscheidungen hoher Staatsbeamter thematisiert werden, ließ als Macht-
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
sprüche zweifelsfrei nur Entscheidungen des Königs in Betracht kommen. Dabei mußte es sich um zivilrechtliche Entscheidungen handeln, da eine Verletzung von Rechten eine Terminologie war, die ausschließlich im Zivilrecht gebraucht wurde. Der Begriff des Machtspruches selbst aber blieb undefiniert. Schlosser etwa führte in seinen „Briefen über die Gesetzgebung“375 beispielhaft die unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten aus, denen diese Vorschrift zugänglich war. Unter Machtspruch könne demnach ein Ausspruch verstanden werden, der unter Verletzung des Verfahrensrechts erfolge, indem den Beteiligten rechtliches Gehör versagt bleibt. Ebenso könne es sich um einen Ausspruch handeln, welcher unter Verletzung materiellen Rechts ergehe. Als letzte Deutungsmöglichkeit komme schließlich in Betracht, daß unter dem Machtspruch eine ohne den regelmäßigen Gang der Gerichte und insbesondere den Instanzenzug beachtende Entscheidung des Regenten zu verstehen sei; im 19. Jahrhundert sollte dieses Phänomen als Verletzung des „Rechts auf den gesetzlichen Richter“ präzisiert werden. In der Umarbeitung des gedruckten Entwurfs durch Svarez im Jahre 1788 erhielten diese Rechtssätze folgende Fassung: „§. 6. Was der Landesherr in eintzelnen Fällen verordnet, soll auf andere Fälle nicht ausgedehnt werden. §. 7. Machtsprüche sollen, auch für den Fall, in welchem sie ergangen sind, keine rechtliche Würkung haben. §. 8. StaatsMinister und OberCollegia sollen sich eigenmächtiger Entscheidung über die Rechte der PrivatPersonen, mit Beyspielsetzung der in den Gesetzen vorgeschriebenen Form nicht anmaaßen. §. 9. Auch als einstweilige Verordnungen, biß zur nähern Erörterung der Sache durch den gehörigen Richter, sollen CabinetsOrdres und Rescripte nur in so fern gelten, als solche nicht wieder klare Gesetze sind, und aus ihrer vorläufigen Befolgung kein unwiederbringlicher Schaden entsteht.“376
Hier hatten diese Normen ihre schärfste Form angenommen; ihr Inhalt ist im wesentlichen aber unverändert geblieben.377
375
Schlosser, Dritter Brief, S. 175. GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 81. Band, fol. 1r, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 166. 377 So auch: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 166 – 167. 376
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Im Allgemeinen Gesetzbuche von 1791 hieß es schließlich in der Einleitung: „§. 5. Die von dem Landesherrn in einzelnen Fällen, oder in Ansehung einzelner Gegenstände, getroffenen Verordnungen können in andern Fällen, oder bey andern Gegenständen, als Gesetze nicht angesehen werden. §. 6. Machtsprüche, oder solche Verfügungen der obern Gewalt, welche in streitigen Fällen, ohne rechtliches Erkenntniß, ertheilt worden sind, bewirken weder Rechte noch Verbindlichkeiten. §. 7. Verfügungen, welche nur vorläufig und bis zu näherer Untersuchung einer streitigen Sache getroffen worden, sind nur so lange gültig, als dadurch keinem Theile ein unwiederbringlicher Schade zugefügt wird.“
§ 5 enthält eine Bestimmung, die weitgehend in der Tradition der Entwurfsfassungen steht und keine inhaltlichen Neuerungen mit sich bringt. Auf die Kritik hin, welcher der unbestimmte Rechtssatz des § 6 Einl. EAGB von 1784 ausgesetzt war, erhielt § 6 Einl. AGB, die entsprechende Norm im Allgemeinen Gesetzbuche, durch eine weitgehende Neufassung wieder mehr Kontur. Durch die Nennung von Rechten und Verbindlichkeiten wurde ihre ausschließlich zivilrechtliche Bedeutung stärker hervorgehoben. Die neben den Machtsprüchen in § 6 Einl. AGB genannten anderen Verfügungen mußten ebenfalls zivilrechtlicher Natur sein, denn die Wendung „streitige Fälle“ konnte sich nur auf den Zivilprozeß beziehen, weil es im inquisitorischen Strafverfahren jener Zeit einen „streitigen Fall“ nicht gab. Die überkommene, auf das Zivilrecht beschränkte Bedeutung des Begriffes war damit die geistige Vorlage dieser Norm.378 § 7 der Einleitung hat in dieser, als endgültig konzipierten Fassung des Gesetzbuchs eine ganz neue Wendung im Vergleich zu seinen Vorgängernormen – dem § 7 Einl. EAGB-1784 und dem § 6 Einl. EAGB-1782 – erhalten. Gegenstand dieses Rechtssatzes sind, wieder wie 1782 und anders als 1784, Entscheidungen des Landesherrn selbst. Erstmals ist mit der Wortlaut der Norm, der ihr in dieser Fassung gegeben ist, jedoch jeder Zweifel ausgeräumt, daß es sich um eine Verbotsnorm handele. Weder werden dadurch die Rechte der Untertanen vermeintlich geschützt, noch werden die Vollmachten subalterner Staatsbediensteter eingeschänkt, indem Entscheidungen, die nicht im Rechtswege erfolgten, die Verbindlichkeit abgesprochen oder zumindest angezweifelt wird. Der einzige Regelungsinhalt besteht darin, daß der Begriff der „Vorläufigkeit“ einer Entscheidung erläutert wird. Im heutigen juristischen Sprachgebrauch ist es die Vorwegnahme der Hautpsache, die ausgeschlossen werden soll.
378
Vgl. auch Krause, in: Gose/Krause, Entwurf, Gesetzbuch, Landrecht, S. 10.
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V. Die Funktion der §§ 5 – 7 Einl. AGB 1. Über das vermeintliche Verbot der Machtsprüche a) Kritik des § 6 Einl. AGB Durch die Zeiten hielt sich beharrlich die Kritik, § 6 Einl. AGB habe ein Verbot landesherrlicher Machtsprüche verordnet oder zumindest den Gehorsam gegen landesherrliche Befehle in Zweifel gezogen. Als mit der Kabinettsorder vom 17. November 1793 die Umarbeitung des Allgemeinen Gesetzbuchs zum Allgemeinen Landrecht angeordnet und damit die Würfel zu Gunsten der Einführung des Codex gefallen waren, bäumten sich seine Gegner ein letztes Mal gegen das Werk auf und griffen dabei auch diese These wieder auf. Der preußische Justizminister Goldbeck etwa ließ unter dem 6. Dezember 1793 eine Denkschrift an den König gelangen, in welcher er sich mit energischen Worten über die schon vormals bemängelten Stellen des Gesetzbuchs exaltierte. Den § 6 der Einleitung kritisierte er gleich zu Beginn und nannte ihn als den Verwerflichsten von allen: Untragbar und „höchstunzuläßig“ sei es, „einen jeden von der Befolgung des [königlichen] Befehls zu entbinden“.379 Eine derartige Interpretation dieser Norm findet sich auch bei neueren Kritikern der preußischen Gesetzgebung. Von einem durch den § 6 Einl. AGB ausgesprochenen „Verbot“ der Machtsprüche ist insbesondere bei Autoren zu lesen, die den staatsrechtlichen Sätzen des Gesetzbuchs konstitutive Wirkung beimessen wollen.380 Der Wortlaut der Norm verbiete die Machtsprüche, lautet etwa die These, die – exemplarisch für viele andere – Kleinheyer381 aufstellt. Nach dieser Deutung wäre die Vorschrift mit der uneingeschränkten Monarchie in der Tat unvereinbar gewesen. Teils wird daher geäußert, zur Suspension des Allgemeinen Gesetzbuchs habe diese Gesetzesstelle denn auch den Hauptanlaß gegeben.382 b) Kleins und Svarez’ Bewertung des Machtspruchwesens Zutreffend ist indes, daß die Autoren des Gesetzbuchs den Machtsprüchen ablehnend gegenüberstanden. Kleins ablehnende Haltung gegenüber den Machtsprüchen war formeller Art. Er bestritt nicht, „daß größtentheils dabey die wohlthätigsten Absichten zum Grunde liegen“.383 Seine Befürchtung ging jedoch dahin, daß durch Machtsprüche die 379
GStA PK (M), I. HA, Rep. 96, Nr. 227 A, fol. 32r, zitiert nach: Finkenauer, Vom AGB zum ALR, S. 213 ff. 380 Vgl. dazu oben, 3. Teil, B., I., 1., sowie die Nachweise bei: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 137. 381 Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht, S. 151. 382 So etwa bei: Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht, S. 81. 383 Klein, Was muß zur Erhaltung der Ruhe geschehn? S. 117.
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„Ehrfurcht für die Form“ gefährdet werde, da allein die Durchführung der Rechtspflege nach festen Regeln, wozu auch die Zuständigkeiten gehörten, das Vertrauen der Beteiligten gewinnen könne.384 „In welchem Sinne man auch das Wort Machtspruch nehmen mag, so bedeutet es doch immer eine Abweichung von dem ordentlichen Wege Rechtens“.385
Auch wenn der Landesherr dabei unter Beobachtung der äußersten Sorgfalt vorgehe, bleibe doch immer „eine verfassungswidrige Handlung übrig“.386 Nach heutiger Terminologie würde der Gegenstand dieser Sorge als die Gewähr des „gesetzlichen Richters“ bezeichnet werden. Diese Kritik des Machtspruchwesens aus formalen Gründen schien von gleicher Denkart zu sein wie Friedrichs des Großen Äußerungen, und auch Klein berief sich zur Begründung auf Montesquieu.387 Über die oben zitierten Vorschriften des Codex Fridericiani sagte er: „Eben diese Grundsätze herrschen auch in der neuen Preußischen Gesetzgebung.“388
Kleins Kritik wurde von Svarez geteilt. Auch dieser fürchtete, daß „die größte Verwirrung im gantzen Staat, die äußerste Unzufriedenheit der Nation und zuletzt die Zerrüttung aller bürgerlichen Ordnung die gewiße und unvermeidliche Folge“389
der Machtsprüche sein würde. Die Ursache solch schwerwiegender Nachteile sah Svarez jedoch in der Besorgnis materieller Ungerechtigkeiten; er begründete sie damit, daß allein der ausschließlich den Gesetzen unterworfene Richter jene zur Wahrheitsfindung unerläßliche Unparteilichkeit walten lassen könne, indem er nicht nebenbei noch das Wohl des Staates, politische Umsicht oder auch nur seinen eigenen Vorteil im Auge habe. Falls aber dennoch einmal ein Verdacht der Einseitigkeit aufkomme, so „steht einem jeden der Weg der Beschwerden bey den unmittelbaren Vorgesetzten eines solchen Richters, bey dem Ministerio und zuletzt bey dem Souverain selbst offen“.390
Durch eine Kabinettsjustiz sei dagegen eine Perpetuierung erfolgter Ungerechtigkeiten zu befürchten, weil der Souverän, so anfällig für die Einreden von Günstlingen, von einmal gefällten fehlerhaften Urteilen so leicht nicht wieder abrücken werde.391
384 385 386 387 388 389 390 391
Klein, Was muß zur Erhaltung der Ruhe geschehn? S. 117 – 118. Klein, Was muß zur Erhaltung der Ruhe geschehn? S. 118. Klein, Was muß zur Erhaltung der Ruhe geschehn? S. 118. So etwa in: Klein, Was muß zur Erhaltung der Ruhe geschehn? S. 123. Klein, Was muß zur Erhaltung der Ruhe geschehn? S. 118. Svarez, KPV, fol. 206v = S. 583. Svarez, KPV, fol. 206v = S. 583. Svarez, KPV, fol. 206v = S. 583.
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
Es war insonderheit der Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes, den Svarez immer wieder und namentlich im Zusammenhange mit der Unstatthaftigkeit von Machtsprüchen besonders betonte: „Auf diesen Grundsätzen beruhet die Sicherheit des Eigenthums und der Rechte und die bürgerliche Freyheit“.392
Damit war Svarez einer der ersten, der nicht mehr ein absolutes Streben nach überpositiver Gerechtigkeit vertrat, sondern dieses Streben in einem Spannungsfelde sah, dessen entgegengesetzter Pol die private Sicherheit ist. Es spricht daraus die Einsicht, daß, bedingt durch die Beschränktheit der menschlichen Erkenntniskraft, sich das Recht nicht stets in seiner vollen Reinheit durchzusetzen vermag. Soll der Einzelne aber nicht von ständiger Furcht und Sorge um sein Hab und Gut umfangen sein, so muß auf den status quo, so er nicht arglistig herbeigeführt wurde, Verlaß sein. Præsumptio wie unvordenkliche Verjährung sind nur unreife Früchte dieser Erkenntnis im positiven Recht jener Zeit; sie unterscheiden sich von dieser Ansicht dadurch, daß dieselben nur Platz griffen, wenn eine Sachverhaltsaufklärung zu keiner Zeit – also auch nicht nachträglich – eintrat.393 Der Urgrund des von Svarez erstrebten Verzichts auf Machtsprüche war also eine Festigung der Verläßlichkeit in staatlich herbeigeführte oder geduldete, für den Einzelnen positive Zustände, das heißt in den Bestand erfolgter Vermehrung des Reichtums an Sachgütern oder Rechten. Der verfassungsrechtlichen Brisanz, welche eine Positivierung dieser Materie in der uneingeschränkten Monarchie haben mußte, war sich Svarez von Anfang an bewußt, wie aus einer Stellungnahme von ihm aus dem Jahre 1781 zu dem von Klein gefertigten Entwurf hervorgeht. Er begründete darin den notwendig fragmentarischen Gehalt der Rechtssätze über Machtsprüche, insonderheit über deren Statthaftigkeit und Tragweite, mit der „in statu monarchico sehr intrigate[n] Materie“, die „nicht völlig erschöpft werden könte“.394
392
Svarez, KPV, fol. 71v = S. 624. Wie gering die Rechtssicherheit in früheren Zeiten war, zeigt ein Blick in die Rechtsgeschichte: Nach einem während des IV. Lateran-Konzils im Jahre 1215 verkündeten Dekrets des wegen seines juristischen Verstandes gefeierten Papstes Pius III. sollte sogar ein gutgläubiger Erwerb stets dann ausgeschlossen sein, wenn der Erwerber zu irgend einer Zeit, und sei es noch so spät nach dem Erwerbe, von dem rechtlichen Mangel Kenntnis erlangt, weil alles, was nicht aus dem guten Glauben komme, Sünde sei. Concilio generali cap. 20 X (I. extra decretarium) II. 26: „Quoniam omne, quod non est ex fide, peccatum est, synodali iudicio diffinimus, ut nulla valeat absque bona fide præscriptio tam canonica quam civilis, quum generaliter sit omni constitutioni atque consuetudini derogandum, quæ absque mortali peccato non potest observari. Unde oportet, ut qui præscribit in nulla temporis parte rei habeat conscientiam alienæ.“ 394 Svarez in seiner Stellungnahme zu der von Klein angefertigten Entwurfsfassung von nach November 1781, GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 8. Band, fol. 96v, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 138 – 139. 393
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Auf die Anfrage einzelner Mitglieder der Gesetzkommission395 nach der Verbindlichkeit contra legem erteilter Reskripte und Kabinettsordern und wer dieselben geben dürfe, führte Svarez aus, daß unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie dem Landesherrn zwar weitgehende Vollmachten zustünden; er könne allerdings nicht „das Jus commune gantz aufheben“ sowie „etwas contra ius commune statuiren“.396 Nach alter deutscher Sitte war der Landesherr der Wahrer des Rechts: Er nannte seine Stellung und Regentschaft „von Gottes Gnaden“, und bereits im 13. Jahrhundert, im Prolog des Sachsenspiegels,397 der eine genaue Beobachtung des zeitgenössischen mitteldeutschen Rechts war, ist Deuteronomium zitiert mit den Worten: „Got ist selbe recht, dâr umme is ym recht lieph.“398
Vor diesem Hintergrunde kam es dem Landesherrn wohl zu, über die positiven Gesetze zu disponieren, sie aufzuheben und neue, auch für den Einzelfall, zu erlassen, doch blieb er dabei stets der „Idee der Gerechtigkeit“399 verpflichtet. Doch auch bei dieser vermeintlichen Einschränkung der landesherrlichen Vollmachten handelte es sich um nichts anderes als eine weitere unechte Limitierung formell absoluter Macht, wie sie im ersten Teile dieser Arbeit bereits erläutert wurde.400 c) Justizgewährleistungen in Landesverträgen Schon früh in der Geschichte Brandenburgs tauchen diverse, vor allem in Landtags-Rezessen enthaltene Justizgewährleistungen durch die Landesherren auf. In dem Landtags-Rezeß vom 25. Juni 1534 sicherte beispielsweise Markgraf Joachim von Brandenburg zu, er wolle „alle Wege dem Gerichte und Rechten seinen Gang unverhindert lassen“.401 Auch der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg verwies die Rechtspflege in dem feierlichen Landtags-Rezeß vom 26. Juli 1653 an die Gerichte; hier heißt es: „Zum Sechszehenden, wollen Wir insonderheit, den Lauff der heylsamen Justiz, zubefördern, mit höchstem fleiße und euserster sorgfältigkeit angelegen sein laßen, und zu dem ende Unser Cammergericht alhier zu Cölln an der Spree, und Newmärkische Regierung zu
395
Das waren Heidenreich und Lampe. Vgl. dazu: Erwin, Machtsprüche, S. 88 ff. 397 Repgow, Sachsenspiegel, Prosavorrede, S. 85. 398 Deut. 32, 4: „Deus fidelis & absque ulla iniquitate iustus & rectus.“ – „Gott ist selbst das Recht, und darum liebt er die Gerechtigkeit.“ 399 So: Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 4, auch S. 5. 400 Vgl. oben, 1. Teil, C., II., 2. 401 Zitiert nach: Mylius, Corp. Const. March. Tom. VI, 1. Abt., Nr. 16, Spp. 5 ff. (hier: Spp. 25 f.). 396
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Cüstrin, iederzeit mit qvalificirten Personen […] besetzen, denselben auch anbefehlen, iedermänniglich Justitiam unpartheyisch zu administriren […].“402
Im neueren Schrifttum werden solche Zusagen bisweilen in einer Weise interpretiert, wonach sie Eingriffe des Landesherrn in die Rechtspflege erschweren sollten.403 Zwar sagte der Landesherr im neunzehnten Abschnitt des eben zitierten Landtags-Rezesses von 1653 zu, sich an die Landesreverse „festiglich zu halten“; rechtliche, erforderlichenfalls mit Zwang durchsetzbare Bindungen der Landesherren resultierten hieraus jedoch gewiß nicht. Die erste und trivialste Frage dabei wäre bereits, vor welchem Spruchkörper dieses Recht eingeklagt werden sollte. Der Mangel in der Erkenntnis und vor allem in der Vollstreckbarkeit reichsgerichtlicher Spruchkörper schließt eine Klage vor einem Reichsgericht praktisch aus,404 und innerhalb des eigenen Territoriums gab es kein Gericht, das über den Herrscher richten konnte.405 Der Regent konnte auch nicht auf Eingaben seiner Untertanen verzichten, um von etwaigen Mißständen in seinem Staate Kenntnis zu erlangen; seit jeher wurde es daher zu den Eigenschaften eines guten Herrschers gerechnet, ein „offenes Ohr“ für die Anliegen seiner Untergebenen zu haben und ihre Anliegen an seinen Thron gelangen zu lassen.406 Daher enthalten die Landtags-Rezesse selbst entsprechende Vorbehalte. In dem Landtags-Rezeß von 1534 gewährte der Landesherr unabhängig davon, in welchem Stadium sich ein Prozeß befand, und frei von jedem Formzwang das Recht, Suppliken bei ihm einzureichen, und er behielt sich das Recht vor, zumindest bei Zustimmung der Parteien selbst zu entscheiden. „Und ob von gesprochenen Urtheil, oder sonsten in oder ausserhalb Rechtens an Uns suppliciret würde, wollen Wir solche Supplicationen annehmen lassen, oder durch Unsere sonderlich dazu verordente Räthe annehmen und uff notturfftige Bericht, Uns alle Gebuhr bezeigen, jedoch alle Wege dem Gerichte und Rechten seinen Gang unverhindert lassen, Es wehre denn, daß Wir aus sonderlichen Gnaden zwischen den Partheyen etwan mit ihrer selbst Bewilligung güttlig handelten.“407
Aber auch hierdurch war kein wirksamer Verzicht des Herrschers ausgesprochen, nicht auch in anderen Angelegenheiten – also ohne Zustimmung der Parteien – höchstselbst zu entscheiden. Denn es folgten in diesem Reskript – ganz wie für den ordentlichen Rechtsweg – auch für das Supplikenwesen Gewährleistungen, welche sowohl in denjenigen Sachen gelten sollten, welche mit Zustimmung der Parteien durch den Landesherrn entschieden werden, als auch „in andern Sachen, Processen, 402 Zitiert nach: Mylius, Corp. Const. March. Tom. VI, 1. Abt., Nr. 118, Spp. 425 – 464 (hier: Spp. 434 f.). 403 Vgl. die Nachweise bei: Erwin, Machtsprüche, S. 210. 404 Vgl. oben, 1. Teil, C., I., 1., b). 405 Vgl. oben, 1. Teil, C., I., 2., c), bb), (1). 406 Vgl. oben, 1. Teil, D., IV., 3.; Krause, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs, I A/1, S. LXXIX; Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 157. 407 Zitiert nach: Mylius, Corp. Const. March. Tom. VI, 1. Abt., Nr. 16, Spp. 25 ff. (hier: Spp. 25 f.).
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Vrtheln“.408 Eigene Entscheidungen des Landesherrn in solchen anderen Sachen wurden also als selbstverständlich vorausgesetzt. Auch der Große Kurfürst verwehrte durch seine im Landtags-Rezeß von 1653 gegebene Zugeständnisse seinen Untertanen nicht, Bittschriften an seinen Thron zu tragen; vielmehr räumte er ausdrücklich jedem Untertan das Recht ein, sowohl im Rechtswege Berufungen einzulegen als auch an den Landesherrn selbst Suppliken zu richten: „Zum Achtzehendtem, soll keinem das beneficium appellationis vel supplicationis, verweigert, auch keine appellatio, sie sey dann manifeste frivola, darüber doch auch erkändnüs ergehen muß, verworffen, und simpliciter rejiciret, sondern in dubio iederzeit angenommen werden, dann Wir den gravatis die competentia juris remedia abzuschneiden, neimahls gemeinet gewesen.“409
Wo durch den Landesherrn Zugeständnisse für die Rechtspflege gemacht worden sind, handelte es sich um Absichtserklärungen des Herrschers, die rechtlich völlig unverbindlich waren410 und deren Umsetzung allein von der fortwährenden Bereitschaft des Herrschers abhing, sie einzuhalten.411 Indirekt geht dies auch aus dem Wortlaut des Landtags-Rezesses von 1653 hervor: im neunzehnten Abschnitt heißt es nämlich, daß „die Landes-Reverse præsumptionem Juris & de Jure für sich haben, welche auch in allen Judiciis observiret, und danach allerdinges gesprochen und erkandt werden muß, du wollen Wir Unserm Cammergerichte, und allen Judiciis, sich darnach zuachten anbefehlen lassen“.412
Wäre man von einer rechtlichen Bindung des Landesherrn an seine im LandtagsRezeß gegebenen Zugeständnisse ausgegangen, hätte man nicht mittels der Fiktion der præsumtio iuris et de iure, also der unwiderleglichen Rechtsvermutung, einen juristischen Kunstgriff wählen müssen, mit welchem die Fortdauer des in dem Rezeß ausgesprochenen Herrscherwillens zumindest für die juristische Arbeit fingiert wird. Lediglich auf tatsächliche Weise konnten solche Zugeständnisse eine gewisse Bindung erzeugen, indem der Herrscher nicht ohne Erklärung und ohne Mißtrauen zu wecken sich von dieser selbst auferlegten Obliegenheit wieder lösen kann.413
408 Abgedruckt bei: Mylius, Corp. Const. March. Tom. VI, 1. Abt., Nr. 16, Spp. 25 – 30 (Sp. 26). 409 Zitiert nach: Mylius, Corp. Const. March. Tom. VI, 1. Abt., Nr. 118, Spp. 425 – 464 (hier: Sp. 435). 410 Vgl. die Nachweise bei: Erwin, Machtsprüche, S. 210. 411 Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 158. 412 Mylius, Corp. Const. March. Tom. VI, 1. Abt., Nr. 118, Spp. 425 – 464 (hier: Sp. 436). 413 Vgl. oben, 3. Teil, II., 2.
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d) Die materiell-rechtliche Funktion der Bestimmungen über Machtsprüche Daß Svarez also Machtsprüche als illegitim erachtete, hieß keineswegs, daß er den König für schlechterdings unvermögend gehalten hätte, sich darüber hinwegzusetzen und gleichwohl Machtsprüche zu erlassen;414 der Landesherr sei vielmehr „die Quelle aller JurisdictionsRechte“.415 So hatte Svarez in seinen Kronprinzenvorlesungen nach aller Theorie, in wieweit Machtsprüche unzulässig seien und es ihnen an Kraft gebreche, Rechte und Verbindlichkeiten zu bewirken, ausgeführt, „daß dadurch die Rechte des Souverains selbst [nicht] im mindesten geschmälert würden“416,
und daß selbst in dem Falle, daß „ein mächtiger Günstling“ sich einen Machtspruch erschlichen habe, die Gerichte, wenn selbst deren Gegenvorstellungen ungehört blieben, sowie die Parteien sich „dem Willen des Souverains unterwerfen müßen, weil ihnen nach der StaatsVerfaßung in keinem Falle ein Recht zum thätigen Wiederstande zukommt.“417
Auch in der Revisio monitorum sagte Svarez entsprechendes: „Thut er solches de facto, so ist es ein Machtspruch. Dergleichen Machtsprüchen muß der Richter zwar gehorchen; weil er nicht berechtigt ist, dem Landesherrn zu resistiren.“418, 419
Und auch Klein räumte ein, daß die Existenz der Machtsprüche sich nicht verhindern lasse, wenn nicht die zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung erforderliche Subordination geschwächt werden solle.420 Daß die Rechtsangelegenheiten nur nach den Gesetzen des Staates und nur von den vom Staate bestellten Gerichten untersucht und entschieden werden sollten, war eben nicht mehr als ein „weiser […] und […] wohlthätiger Grundsatz“421; die Machtsprüche „sollen“ keine rechtliche Wirkung haben und der Souverän „wolle“ davon Abstand nehmen und auch seinen Ministern solche nicht gestatten. Die belehrende, nicht reglementierende Form des Gesetzes im Allgemeinen Gesetzbuche tritt hier deutlich zu Tage; die staatsrechtlichen Vorschriften entpuppen sich einmal mehr als programmatische Grundsätze ohne verbindliche Wirkung gegen den Monarchen. 414
Vgl. dazu auch: Erwin, Machtsprüche, S. 218 ff. Svarez, KPV, fol. 297v = S. 69. 416 Svarez, KPV, fol. 207r = S. 585. 417 Svarez, KPV, fol. 207r = S. 585. 418 Zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 140. 419 Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 140, vermutet, daß für Svarez die Gehorsamspflicht der Gerichte auch gegenüber Machtsprüchen so evident gewesen sei, daß er deshalb auf einen entsprechenden Hinweis in dem gedruckten Entwurf verzichtet habe. 420 Klein, Was muß zur Erhaltung der Ruhe geschehn? S. 119. 421 Svarez, KPV, fol. 207r = S. 584. 415
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Durch den Wortlaut der meisten der oben zitierten Normen wird dies gedeckt. Zumeist handelt es sich bei Rechtssätzen über Machtsprüche nicht um Einschränkungen landesherrlicher Befugnisse, sondern lediglich um die interpretatorische Erfassung bestimmter landesherrlicher Rechtshandlungen. Insbesondere der § 6 Einl. AGB verbot nicht die Machtsprüche, sondern setzte sie vielmehr voraus und schränkte nur deren Rechtsfolgen im Wege einer generalisierten Auslegung des Herrscherwillens ein. Die Möglichkeit der Verkündigung des Inhaltes eines Machtspruchs als allgemeinverbindliche Regel blieb durch diese Vorschriften unbenommen. Soweit im gedruckten Entwurf die Verbindlichkeit von Machtsprüchen zweifelhaft erscheint, handelt es sich um eine Wiederholung von Verzichtserklärungen des Königs, die rechtlich ohne Wirkung sind.422 Überhaupt scheint bei der Positivierung dieser Normen über Machtsprüche eine programmatische Entscheidung423 – etwa zur Manifestation einer Gewaltenteilung – zumindest nicht von Anfang an vorgelegen zu haben, denn insbesondere die Abwandlung der Bestimmungen, wie sie von den ersten handschriftlichen Entwürfen bis zum gedruckten Entwurf von 1784 vorgenommen worden sind, lassen ein durchgängiges Konzept vermissen.424 In den zu § 6 Einl. EAGB eingegangenen Monita finden sich daher kaum verfassungskritische Bemerkungen. Lediglich ein anonymer Monent hatte die Tilgung der Vorschrift mit der Begründung verlangt, daß man dem Regenten „im iure privato keine Regel vorschreiben“ könne.425 Aus dieser weitgehenden Akzeptanz der Norm durch die Monenten, insbesondere auch mit der dargelegten Begründung der Stände, spricht ein allgemeiner, zur damaligen Zeit als selbstverständlich geltender Konsens, daß solche einfach-gesetzlichen Normen für den Landesherrn keine Bindungswirkung haben. Grolmann sagte dazu prägnant: „Dies ist eine Vorschrift für die Unterthanen, nicht für den Landesherrn.“426
Ein treffliches Beispiel dazu bietet der Vortrag, den Kircheisen dem Kronprinzen bei dessen Visitation des Kammergerichts zu Berlin hielt. Hier schickte sich Kircheisen, abgesprochen mit Svarez,427 an, den Kronprinzen davon zu überzeugen, daß es aus Gründen der Wohlfahrt anzuraten sei, keine Machtsprüche zu tun. Die ersten drei Seiten428 des Manuskripts beschäftigen sich ausschließlich mit „Vernunftschlüssen“, nicht mit positiv-juristischen Ausführungen: Kircheisen erwähnt 422
Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 159. Vgl. zur Wirkung programmatischer Gesetzgebung oben, 3. Teil, II., 2. 424 Vgl. auch: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 138. 425 Preisschrift Nr. 57, auszugsweise GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 72. Band, fol. 20r, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 161. 426 GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 72. Band, fol. 20r, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 161. 427 Vgl. Krause in: Svarez, KPV, Anh. S. 893. 428 Die S. 307 – 309 des Abdrucks bei: Klein, Nachricht von den Besuchen des Kronprinzen. 423
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4. Teil: Funktion einiger staatsrechtlicher Rechtssätze im besonderen
die bessere Qualifikation der Richter zur Rechtsfindung, die Belastung des Königs mit den sehr viel wichtigeren Regierungsgeschäften, er zitiert Montesquieu429, aber keine Gesetze. Solche Überzeugungsarbeit wäre jedoch nicht erforderlich gewesen, ginge Kircheisen davon aus, bereits das Gesetz würde auch bloß die geringste Einschränkung der Befugnis des Königs zum Machtspruche bewirken. Auch die in der Folge Erwähnung findenden Landes-Rezesse der Vergangenheit achtete Kircheisen nicht als verbindlich gegenüber dem herrschenden Könige, sondern er baute auch hier auf die „erleuchteten Einsichten Ewr. Königl. Hoheit“, solche „Versprechungen“ „unverbrüchlich heilig“ zu achten: „Wohl dem Staate, der durch Fürsten regiert wird, die so etwas versprechen und halten!“430 Den § 6 der Einleitung des noch nicht einmal in Kraft getretenen neuen Gesetzbuches erwähnte er erst gar nicht; wodurch sollte diese argumentationslose Bestimmung den Kronprinzen auch überzeugen? e) Kabinetts-Reskripte Indessen bestand ein in diversen Gesetzen den Gerichten gegenüber ausgesprochenes Verbot, vom ordentlichen Gange der Rechtspflege vermöge solcher Reskripte abzuweichen, für die Mitglieder des Kabinetts verantwortlich gezeichnet hatten. Bereits unter der Geltung des gemeinen Rechts standen einer Partei, die auf Grund eines Machtspruchs einen Nachteil erlitten hatte, bestimmte Einreden, insbesondere die der Erschleichung, zu, welche das Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen hatte. Auch der erste Entwurf eines preußischen Landrechts vom Jahre 1620 enthielt den Satz, daß Mandate und Reskripte aus dem Kabinett unverbindlich seien und daß die Parteien sich gegen dieselben mit bestimmten Rechtsmitteln schützen konnten.431 Dem Gegner im Prozeß, der sich auf ein Kabinettsreskript berief, stand es frei zu behaupten, dasselbe sei erschlichen, und der andere Teil mußte daraufhin den Beweis der Ordnungsmäßigkeit erbringen. In der Allgemeinen Ordnung zur Verbesserung des Justizwesens vom 21. Juni 1713 hieß es in § 22 Abs. 1: „wann gleich jemand, durch unverschämtes Anhalten, zum Nachtheil seines Gegenparts oder des Publici, wider die Rechte etwas in Unserm Hoff-Lager auswürcken möchte; So seyndt die Rescripta und Decreta, womit es so bewandt, von keiner Kraft, und gelten nicht weiter, als sie mit der Justitz übereinkommen.“432
Ebenso betraf das in den §§ 14, 15 I 1 des Codex Fridericiani Marchici von 1749 den Justiz-Kollegien gegenüber ausgesprochene Verbot, Kabinetts-Reskripte zu beachten, nicht Machtsprüche des Königs; dort heißt es in § 15 I 1: 429 Der Hinweis auf die Mittelmacht ist auf Anraten Svarez’ entfallen, der befürchtete, man könne aus einem Hinweise hierauf „sehr leicht Gift saugen“, denn „man beschuldigt jetzt ohnehin unsere Justiz, daß sie sich g e g e n d i e M o n a r c h i e a u f l e h n e , u n d e i n F r a n z ö s i s c h e s P a r l a m e n t a g i r e n w o l l e.“ (Stölzel, Svarez, S. 334 f.; ebenfalls abgedruckt bei Krause, in: Svarez, KPV, Anh. S. 893.) 430 Zitiert nach: Klein, Nachricht von den Besuchen des Kronprinzen, S. 312. 431 Nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 143. 432 Zitiert nach: Mylius, Corp. Const. March., 2. Teil, 1. Abt., Sp. 531.
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„Sie [= die Richter des Kammergerichts] sollen auch auf keine Rescripta, wenn sie schon aus Unserm Cabinet herrühren, die geringste Reflexion machen, wenn darin etwas wider die offenbare Rechte sub- & obrepirt worden, oder der strenge Lauf Rechtens dadurch gehindert oder unterbrochen wird: Sondern sie müssen nach Pflicht und Gewissen weiter verfahren, jedoch von der Sache Bewandniß sofort berichten.“433
Erfaßt waren von dieser Vorschrift mithin nur solche Reskripte, durch welche Minister und ranghohe Staatsbeamte versuchten, kraft ihrer eigenen Autorität und ohne Wissen des Königs den freien Lauf Rechtens zu beeinflussen.434 Nur für diese Ministerialreskripte wurde die Rechtsfolge der Unwirksamkeit angeordnet. Der Zweck des § 15 I 1 des Codex Fridericiani Marchici bestand darin, durch den von dem Gerichte zu verfassenden Rapport dem König eine Gegenvorstellung in die Hand zu geben, um auf diese Weise erschlichene Reskripte möglichst zu vermeiden.435 Svarez sah den § 6 Einl. EAGB offenbar in dieser Tradition, führte er doch in der Revisio monitorum aus: „Solten wieder Vermuthen dergleichen Machtsprüche entweder von dem LandesHerrn selbst, oder von seinem StaatsMinisteris erlaßen werden, so sind die LandesJustizCollegia verbunden, sofort dagegen zu berichten, die wahre Lage der Sache vorzustellen, und die Gründe, warum der Machtspruch nicht statt finden könne, anzuführen.“436
Den Befehlen des Königs selbst hingegen konnten die positiven Gesetze in der uneingeschränkten Monarchie ihre verbindliche Kraft nicht absprechen, und es mußte damit jedes neuerlich ergehende, auf einen bestimmten Fall verfaßte Reskript, wie eine lex specialis zu einer etwaigen allgemeineren Norm in der Anwendung vorgehen. 2. Der Machtspruch und die Staatsraison Kritik übte Goldbeck in seiner oben erwähnten Denkschrift vom 6. Dezember 1793 bereits daran, daß Hintergrund des § 6 der Gedanke sei, es könne eine Verfügung des Königs erschlichen werden, die mit der materiellen Gerechtigkeit nicht in völligem Einklange stehe. Daß ein solcher Fall eintreten könne, bestritt Goldbeck zwar nicht explizit, ihn aber einer Vorschrift des Gesetzbuchs zu Grunde zu legen und damit dem Volke eine solche Möglichkeit vor Augen zu führen, hielt er für höchst bedenklich.
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§ 14 enthält den schönen Satz: „Sie müssen […] allen Menschen ohne Ansehen der Person, Grossen und Kleinen, Reichen und Armen, gleiche und unpartheyische Justitz administriren, so wie sie gedencken solches vor dem gerechten Richterstuhl GOttes zu verantworten, damit die Seufzer der Wittwen und Waysen, auch anderer Bedrängten, nicht auf ihr und ihrer Kinder Haupt kommen mögen.“ 434 Vgl.: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 155. 435 Eberhard Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 27 – 28. 436 GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 80. Band, fol. 20r, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 161.
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„Das Vertrauen der Unterthanen daß ihr Landesherr nur gerechte Befehle gebe und die Ueberzeugung, daß er, wenn die Wahrheit ihm daran bisher verborgen geblieben, deren Entdeckung gerne befördern und sie hören werde, ist die sicherste Stütze der Regierung.“437
Hierin spiegeln sich nicht Bedenken, die in der preußischen Staatsverfassung wurzeln, sondern rein pragmatische Erwägungen, deren Zweck in der Erhaltung der Akzeptanz des bestehenden Staatswesens durch das Volk und insbesondere in der Beförderung der Zuneigung der Untertanen zu ihrem König besteht, und diese Kritik fügt sich in die Reihe der Vorwürfe ein, die auch gegen die Pflichtenlehre erhoben und bereits referiert wurden.438 Diese von Frankreich ausgegangenen und sich über ganz Europa ausbreitenden revolutionären Bestrebungen von Preußen abzuhalten, war ihr Bestreben. Die Aufgabe der Vorschrift des § 6 der Einleitung sah Klein hingegen darin, daß „die laute Verdammung der Machtsprüche“ heilsam auf die Nation wirke, welche „stolz auf eine gerechte Regierung[,] ihre Anhänglichkeit an den Landesherrn verdoppeln wird“.439 3. Die prozeßrechtliche Dimension des § 6 Einl. AGB Die Funktion des § 6 Einl. AGB war mithin keine staatsrechtliche. Der einzige Schwachpunkt eines durch Machtspruch erlangten Rechts war die Ungewißheit seines Bestandes. Unter den Voraussetzungen, daß der Regent immer nach dem Guten strebe und daß die Erkenntnis stets voranschreite – beides Prämissen, an denen zur Zeit der Aufklärung dogmatisch gehaftet wurde440 –, mußte der Inhaber des ihm zu Unrecht zugesprochenen Rechtes oder Vorteils stets befürchten, daß neue Erkenntnisse oder ein neuer Regent mit besseren Einsichten den einmal getanen Machtspruch durch neuerlichen Machtspruch zunichte machen werde. Die Erfahrung zeige, so Klein, daß nachfolgende Regierungen stets bemüht seien, vormals begangenes Unrecht wieder gutzumachen. Die Sorge, die sich hieraus für den Inhaber eines durch Machtspruch erlangten Rechts ergibt, schilderte Svarez in den Kronprinzenvorträgen eindringlich: „Der aber, welcher einen solchen Machtspruch erschlichen hätte, würde dabey niemals sicher seyn, sondern stets der Gefahr ausgesetzt bleiben, daß sein Gegentheil, sobald die Umstände sich ändern und wenn nicht eher, doch gewiß unter einer neuen Regierung, gegen den Machtspruch reclamire, die Aufhebung deßelben und die Wiederherstellung seiner gekränckten Rechte erlange und den, welcher sich gegen die GrundGesetze des Staats so gröblich vergangen hat, zur verdienten Bestrafung ziehn laße.“441
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Zitiert nach: Stölzel, Svarez, S. 386. Vgl. oben, A., III., 3. Klein, Was muß zur Erhaltung der Ruhe geschehn? S. 122. Siehe nur: Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 207. Svarez, KPV, fol. 207r = S. 585.
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Die Verjährung eines nach den Gesetzen begründeten, aber auf Grund eines Machtspruchs nicht realisierbaren Anspruches war damit bereits systematisch ausgeschlossen, weil eine nachmalig etwa erfolgende Empörung und Ereiferung des Königs oder seiner Nachfolger über die weiland verfügten Ungerechtigkeiten dem Naturell des Menschen und eben auch des Königs nicht entschnitten werden kann. Ungleich mehr als ein im ordentlichen Rechtswege und unter Beobachtung der allgemeinen Landesgesetze zustande gekommenes Urteil trug damit der Machtspruch die Ungewißheit seines Bestandes in sich. In der Revisio monitorum sagte Svarez daher: „Sollte […] der Machtspruch zur Ausübung gebracht werden müßen, so soll derjenige, zu deßen Besten derselbe erlaßen ist, doch niemalen dabei gesichert sein, sondern dem beleidigten Theil jederzeit frey stehen, sich auf richterliche Entscheidung zu berufen und von seinem Gegner die Ersetzung alles Schadens und Interesse zu verlangen. ## Die Verjährung dieser Befugniß kan nicht eher ihren Anfang nehmen, als bis derjenige, welcher den Machtspruch erlaßen hat, verstorben ist.“442
Die Rechtskraft eines gerichtlichen Urteils nach ordnungsmäßiger Verhandelung ergab sich folglich ebenfalls nicht aus positivem Rechte, sondern aus der Gewißheit seiner Ordnungsmäßigkeit und der damit einhergehenden Erwartung, daß auch künftige Herrscher daran keinen Anstoß nehmen werden. Diese Systemschwäche berücksichtigten die Autoren des Gesetzbuchs durch die Einschaltung der §§ 528, 529 I 9 ALR. § 528 I 9 ALR besagt: „Gegen den, welchem das rechtliche Gehör versagt wird, kann keine Verjährung angefangen werden.“
Und § 529 I 9 ALR: „Auch wenn ein solches Hinderniß im Laufe der Verjährung eintritt, wird die Fortsetzung derselben so lange unterbrochen, als das Hinderniß dauert.“443
Dem durch einen Machtspruch Nachteil erleidenden Teil wurde damit nicht durch Verjährung das Recht genommen, auch gerichtliche Nachprüfung der Rechtslage zu erlangen. Diese ganz beachtlichen Einschränkungen der Wirkung eines Machtspruchs, insbesondere hinsichtlich seiner Perpetuierung, aber wurden durch das 442 GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 80. Band, fol. 20r, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 161 – 162. 443 Die diesen entsprechenden §§ 528, 529 I 9 AGB lauteten: „§. 528. Gegen den, welcher durch einen Machtspruch in der Ausübung und Verfolgung seines Rechts gehindert wird, nimmt keine Verjährung ihren Anfang. §. 529. Auch hindert ein im Laufe der Verjährung ergangener Machtspruch die Fortsetzung derselben so lange, als die Wirkung des Machtspruchs dauert.“
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Allgemeine Gesetzbuch nicht begründet; es handelte sich vielmehr um die bloße Wiedergabe der aus der Uneingeschränktheit der Monarchie resultierenden Konsequenzen, soweit sie den König betrafen. In seinen Kronprinzenvorträgen sagte Svarez über das im Allgemeinen Gesetzbuche zum Ausdruck kommende Prinzip der mangelnden Gewißheit des Bestandes der auf Machtspruch begründeten Rechtslage: „Übrigens sind diese[444] in das Gesetzbuch aufgenommnen Grundsätze an sich nicht neu, sondern aus wiederholten Erklärungen und Verordnungen Friedrichs M. gezogen.“445
Eine solche Nachprüfung konnte nach Ansicht Grolmanns446 und vor ihm schon Boehmers447 erst nach dem Tode des Regenten fruchtbar sein, weil ein Regent, so lange er lebt, seinen Machtspruch aufrecht zu erhalten bestrebt sein wird; die Überzeugung von der Richtigkeit dieser Hypothese mußte durch die 46jährige Regentschaft Friedrichs des Großen noch bestärkt worden sein, dessen Maxime es war, sich niemals ein Dementi zu geben, entspricht zugleich aber auch der Veranlagung des Menschen, Fehler nicht leicht zuzugeben und noch weniger sich zu korrigieren. So lange aber ein Machtspruch bestand, waren die Gerichte, als dem König unterworfen, nicht abweichend zu entscheiden befugt. Der Machtspruch hatte damit einen Stillstand der Rechtpflege in der Sache, in welcher derselbe gegeben war, zur Folge; unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie konnte es gar keinem Zweifel unterliegen, daß die vom Könige getroffene Entscheidung für alle Untertanen unbedingt verbindlich sein mußte. Mit der temporären Begrenzung der landesherrlichen Macht auf die Dauer des Lebens des Königs ging nun aber notwendig ein Mangel in der Rechtskraft einher. Unter den oben dargestellten Prämissen – des Strebens nach dem Guten und des steten Gewinnes an Erkenntnis – mußte mit einem Wiederaufgreifen der Sache unter einem neuen Regenten gerechnet werden, der bei einer neuerlich eingereichten Supplik nicht auf ein vorgängiges ordentliches Erkenntnisverfahren verweisen konnte. Juristisch bedeutsam war diese Vorschrift allein für den Richter. In der oben zitierten Entwurfsfassung von 1784 – durch einen Machtspruch solle niemand an seinem Rechte gekränkt werden – konnte der juristische Inhalt der Norm nur an das Gericht gewendet sein, nicht auf der Grundlage eines einmal ergangenen Machtspruchs neuerliche Entscheidungen zu stützen. Damit konnte der Machtspruch weder zu formeller noch zu materieller Rechtskraft erstarken; auch eine Tatbestandswirkung für andere Entscheidungen war ihm damit genommen.448 Svarez konnte damit in rein verfahrensrechtlicher Hinsicht den Machtsprüchen ihre Verbindlichkeit absprechen, ohne der uneingeschränkten Monarchie etwas zu nehmen. 444 445 446 447 448
Das sind u. a. das Verbot der Machtsprüche und die Gewähr des gesetzlichen Richters. Svarez, KPV, fol. 207r = S. 585. Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 162. Im Jahre 1710, nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 162. So: Finkenauer, Vom AGB zum ALR, S. 106.
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„Machtsprüche, wodurch der Landesherr über die PrivatRechte eines Unterthanen, zum Nachtheil deßelbigen, ohne Beobachtung der gesetzmäßigen Form etwas entscheidet, haben auch für den Fall, in welchem sie gegeben worden, keine rechtliche Würkung.“449 „Machtsprüche würken weder Rechte noch Verbindlichkeiten. Es kan also weder irgendein Minister noch der Souverain selbst Machtsprüche tun.“450
Klein sah darin unter den gegebenen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen das beste Mittel, „es so einzurichten, daß der, welcher durch Gunst des Hofes etwas ungerechtes durchsetzen will, selbst davon den größten Schaden zu erwarten hat.“451
Damit zeigt sich nun auch in privatrechtlicher Hinsicht die bereits oben festgestellte soziale Komponente dieser Vorschrift: eine Belehrung der Untertanen über die Unzweckmäßigkeit einer Supplik.452 Auch Svarez sah den Zweck der Vorschrift in ihrer Abschreckungswirkung für die Untertanen, Eingaben an den König zu unterlassen, damit Machtsprüche erst gar nicht stattfinden: „Damit die Leute desto mehr abgeschreckt werden, Machtsprüche aufzutragen, würde ferner zu verordnen seyn.“453
In einer Stellungnahme zu der zitierten anonymen Preisschrift Nr. 57, in welcher der § 6 Einl. EAGB mit der uneingeschränkten Monarchie als unvereinbar angesehen wird, sagte Grolmann ebenfalls kennzeichnend: „Das Monitum ist unrichtig. Der Weg, durch welchen die Unterthanen zu ihrem Recht gelangen sollen, wird in dem Gesetz-Buch vorgeschrieben. In dem selbigen Gesetzbuch müßen auch die Schleichwege, welche Unterthanen so gern ergreifen, aber nicht ergreifen sollen, abgeschnitten werden.“454
Und unter den ständischen Monenten schließlich forderten die altmärkischen und die Magdeburgischen Stände, daß den Untertanen noch eingehender das Verbot, um Machtsprüche nachzusuchen, eingeschärft werde und verlangten in Tradition des gemeinen Rechts, daß durch Machtsprüche erlangte Rechte als „erschlichen“ betrachtet werden müßten.455
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GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 80. Band, fol. 2v, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 163. 450 Svarez, KPV, fol. 206v = S. 583. 451 Klein, Was muß zur Erhaltung der Ruhe geschehn? S. 119. 452 Finkenauer, Vom AGB zum ALR, S. 108; Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 159. 453 GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 80. Band, fol. 20r, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 161. 454 GStA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, 72. Band, fol. 20r, zitiert nach: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 161. 455 Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des ALR, S. 160; Birtsch, Gesetzgebung und Repräsentation, S. 290.
Ausblick: Vom Wandel der Zeit und ihrer Ideale Der uneingeschränkte Glaube an Aufklärung, an eine allgemeine Gelehrtenrepublik und stets wachsende Volksbildung war, als der preußische Codex im Jahre 1794 endlich Wirklichkeit geworden war, bereits im Sinken begriffen. Längst hatte sich auch im preußischen Justizministerium die alte Auffassung wieder durchgesetzt, daß Rechtsgelehrsamkeit kein gemeines Volksgut sei. Wenn auch Carmer, Svarez und Klein es mit viel Glück gelungen war, das Allgemeine Landrecht letztendlich in ganz Preußen einzuführen, so hatten sich doch die konservativen Kreise um Danckelmann und Wöllner insoweit durchsetzen können, als der Gedanke an eine allgemeine und umfassende Rechtsaufklärung im ganzen Volke, wie sie Friedrich dem Großen und dem ersten preußischen Großkanzler Samuel von Cocceji noch vorschwebte, in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts im preußischen Justizministerium nicht mehr zu hören war. Als sie bemerkten, daß sie zwar den Codex selbst nicht mehr zu verhindern vermochten, destruierten sie dessen geistige Grundlagen. Im Jahre 1792 und damit zu einer Zeit, als der Kampf um das Allgemeine Landrecht noch gar nicht ausgefochten und dessen Ausgang noch nicht abzusehen war, legte bereits Erhard in seinem „Versuch einer Critik des Allgemeinen Gesetzbuchs“ den die kommende Zeit weissagenden Satz nieder: „Die Anwendung des Rechts auf einzelne Fälle ist eine Sache, die große Fertigkeit, reifes Nachdenken, und geübten Scharfsinn voraussetzt, und wird also stets ein Werk einer besondern Classe von Männern bleiben müssen, die sich diesem schweren Geschäfte ausdrücklich gewidmet haben.“1
Er zeichnete damit – unbewußt und doch sehr präzise – die erst rund ein halbes Jahrhundert später ausgesprochene These Kirchmanns vor, daß Gesetzgebung – zumindest, soweit sie eine gesellschaftliche Wertung enthält – der wirklichen gesellschaftlichen Entwickelung stets nachhinke.2 Die „Annalen der Preußischen Rechtsgelehrsamkeit“, die über ein Vierteljahrhundert ein Fanal der Aufklärung mit allen ihren Idealen gewesen waren, erschienen mit dem sechsundzwanzigsten Bande im Jahre 1809 zum letzten Male. Das Zeitalter 1
Erhard, Critik des AGB, S. 275 – 276. Kirchmann, die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, S. 16, sagte zu der Eingangs dieser Arbeit erwähnten Schrift Savignys: „Nicht bloß die Gegenwart, keine Zeit hat den Beruf zur Gesetzgebung in diesem Sinne. Es war eine gutmüthige Täuschung, zu wähnen, daß, wenn man der Wissenschaft nur Zeit lassen wollte, sie die Gegenwart erreichen und verstehen wollte.“ 2
Ausblick: Vom Wandel der Zeit und ihrer Ideale
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der Aufklärung war damit in der preußischen Rechtswissenschaft endgültig zu Ende gegangen, und das Vorwort dieser letzten Ausgabe leitete schon in eine neue Ära über; Klein schloß es mit den Worten: „Ich habe […] die Hoffnung geschöpft, daß es […] mit der Zeit gelingen werde, den Punct anzugeben, wo selbst eine vorher pflichtmäßig gebildete Vernunft ihre Kraft verliert.“3
Das noch junge 19. Jahrhundert fand einen neuen Abgott: die Pandektenwissenschaft. Nur wenige Jahrzehnte sollte es von da an noch dauern, bis sich das Verständnis von der Funktion des Gesetzes so weit auf das Reglementgesetz verdichtet und beschränkt hatte, daß die Funktion staatsrechtlicher Rechtssätze unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie, wie sie im Allgemeinen Gesetzbuch und Allgemeinen Landrechte kodifiziert waren, nicht mehr nachvollzogen werden konnte. Zwar sagte Thöne in seinen „Fundamental-Lehren des Preußischen Privatrechts“ vom Jahre 1833 noch: „[…] so ging ein Staatsrecht in unser Gesetzbuch über, […] was keinen materiellen Werth hat“4,
und schloß damit dem Wortlaute nach allein eine materiell-rechtliche Funktion der staatsrechtlichen Rechtssätze zutreffend aus; ob er jedoch andere, diesen Rechtssätzen zukommende Funktionen anerkannte, ist nicht bekannt. Die zeitgenössische Kritik gibt er jedenfalls treffend wieder: „Man hat gegen unsere neuen Gesetzbücher und auch gegen das Allgem. Landrecht wohl eingewandt, sie hätten alle denselben Fehler, der darin bestehe, daß sie sich mehr als juridische Lehr-, denn als Gesetzbücher darstellten. […] Der Gesetzgeber solle nicht Facta beschreiben, die ohne ihn beständen, nicht die Regeln des Naturrechts theoretisch aufstellen oder entwickeln, sondern jene als bekannt und gegeben und diese als an sich verbindlich voraussetzen; bloß Anwendungen davon machen auf Gegenstände und Personen, Formen und Bedingungen hinzusetzen, die man nicht vorher wissen könne, die aber zur Handhabung des allgemeinen Vernunftrechts nothwendig oder wenigstens gut und nützlich seyen. Principien sollten hier nicht erst gefunden werden, sondern nur im Geiste und im Resultate dem Kenner sichtbar seyn.“5
Im Jahre 1852 konzentrierte sich der Blick der Zeit schon so weit auf das Reglement, daß etwa in Löhers „System des Preußischen Landrechts“ über dessen staatsrechtliche Sätze unzweideutig zu lesen ist: „Ueberhaupt scheint das Landrecht viel Ueberflüssiges zu enthalten.“6
Man hatte es verlernt, mit einer nicht-konstitutiven Gesetzgebung umzugehen. Wie die Aufklärung in der Rechtswissenschaft mit dem Allgemeinen Gesetzbuche für die Preußischen Staaten vom Jahre 1791 gipfelte, von dem Hattenhauer 3 4 5 6
Klein, Annalen der Preußischen Rechtsgelehrsamkeit, 26. Band, Vorrede, S. VII–VIII. Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 24. Thöne, Preußisches Privatrecht, 1. Band, S. 20 – 21. Löher, System des Preußischen Landrechts, S. 245.
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Ausblick: Vom Wandel der Zeit und ihrer Ideale
sagte, es sei „wohl die größte Kodifikation der deutschen Gesetzgebungsgeschichte und zugleich eines der wichtigsten Denkmäler der Preußischen Aufklärung“7, so stand auch am Ende dieses Jahrhunderts wieder ein Codex – ein Meisterwerk, das deutsche Gesetzgebungskunst in höchster Vollendung ist: das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich. Die Unterschiede in den geistigen Grundlagen beider Codices könnten größer nicht sein. Ihre Gemeinsamkeit aber liegt in dem Willen zu einer auf den Sitten und Gebräuchen des Volkes beruhenden, für den ganzen Umfang des Nationalstaates gleichmäßig geltenden Gesetzgebung. So ward auch das Gesetzbuch des neuen Reichs vorgezeichnet von einem Großen König und von Carl Gottlieb Svarez.
7
Hattenhauer, ALR, S. 9.
Literaturverzeichnis Allgemeines deutsches Conversations-Lexicon für die Gebildeten eines jeden Standes, mit den gleichbedeutenden Benennungen der Artikel in der lateinischen, französischen, englischen und italienischen Sprache, nebst der deutschen Aussprache der Fremdwörter, in X Bänden, Dritter Band, Cl – Ezz, herausgegeben vom einem Vereine Gelehrter, Leipzig, 1834. Zitiert: Allgemeines deutsches Conversations-Lexicon, 3. Band. Allgemeines deutsches Conversations-Lexicon für die Gebildeten eines jeden Standes, mit den gleichbedeutenden Benennungen der Artikel in der lateinischen, französischen, englischen und italienischen Sprache, nebst der deutschen Aussprache der Fremdwörter, in X Bänden, Zehnter Band, T – Z, Herausgegeben vom einem Vereine Gelehrter, Leipzig, 1837. Zitiert: Allgemeines deutsches Conversations-Lexicon, 10. Band. Amelang, Karl Ludwig: Vertheidigung des Prediger Schulz in zweiter Instanz, Hamburg, 1798. Zitiert: Amelang, Vertheidigung des Prediger Schulz. Anonym: Geschichte der Staatsverfassung und der Gesetze in der Churmark Brandenburg, in: Magazin der Gesetzgebung, besonders in den Königl. Preußischen Staaten, erster Band, Liegnitz und Leipzig, 1781, S. 189 – 334. Zitiert: Geschichte der Staatsverfassung. – Ueber die neue Preußische Justizverfassung. Eine Erinnerung zu den Briefen über Berlin, in: Berlinische Monatsschrift, Dritter Band, Januar bis Junius 1784, herausgegeben von Friedrich Gedike und Johann Erich Biester, Berlin, 1784, S. 243 – 248. Zitiert: Über die neue preußische Justizverfassung. Arnim, Achim von: Brief an Savigny, abgedruckt bei: Reinhold Steig, Achim von Arnim über Savignys Buch vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung, Miscelle, S. 229 – 232, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abtheilung, Dreizehnter Band, herausgegeben von Ernst Immanuel Bekker u. a. Weimar, 1892, S. 228 – 234. Zitiert: Arnim, Brief an Savigny. Baczko, Ludwig von: Geschichte Preußens, Sechster und letzter Band, Königsberg, 1800. Zitiert: Baczko, Geschichte Preußens, 6. Band. Basedow, Johann Bernhard: Practische Philosophie für alle Stände, Ein weltbürgerlich Buch ohne Anstoß für irgend eine Nation, Regierungsform und Kirche, Zweyter Theil, Zweyte verbesserte Auflage, Dessau, 1777. Zitiert: Basedow, Practische Philosophie, 2. Teil. Bielitz, Gustav Alexander: Praktischer Kommentar zum allgemeinen Landrechte für die preußischen Staaten, Erster Band, Erfurt, 1823. Zitiert: Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 1. Band. – Praktischer Kommentar zum allgemeinen Landrechte für die preußischen Staaten, Siebenter Band, Erfurt, 1829. Zitiert: Bielitz, Praktischer Kommentar zum ALR, 7. Band. Birtsch, Günter: Gesetzgebung und Repräsentation im späten Absolutismus. Die Mitwirkung der preußischen Provinzialstände bei der Entstehung des Allgemeinen Landrechts, in:
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Personen- und Sachregister § 1 Einl. AGB/ALR 33, 106 § 1 II 13 AGB/ALR 144, 152, 163 §§ 1 – 2 II 17 AGB/ALR 128 §§ 1 – 4 II 13 AGB/ALR 142, 198 §§ 1 – 72 Einl. ALR 156 §§ 1 – 79 Einl. AGB 156 § 2 II 13 AGB/ALR 145, 159, 173 §§ 2, 3 II 13 AGB/ALR 144, 147, 163 §§ 2 – 4 II 13 AGB/ALR 143 § 3 II 13 AGB/ALR 146 §§ 3, 6 II 13 AGB/ALR 156 §§ 3 – 17 II 17 AGB/ALR 128 § 5 II 13 AGB/ALR 157, 204 §§ 5 – 13 II 13 AGB/ALR 157 §§ 5 – 16 II 13 AGB/ALR 203 §§ 5 – 18 II 13 AGB/ALR 208 § 6 Einl. AGB 33, 216, 229 f., 237, 240 § 6 Einl. EAGB 227, 229, 237, 239, 243 § 6 Einl. EAGB-1782 229 § 6 II 13 AGB/ALR 157, 209 § 7 Einl. EAGB-1784 229 § 7 II 13 AGB/ALR 157 §§ 7 – 15 II 13 AGB/ALR 157 §§ 8 – 11 II 13 AGB/ALR 156 § 10 Einl. AGB/§ 7 Einl. ALR 211 § 10 II 17 AGB/ALR 127 § 10 II 17 ALR 43 §§ 10, 11 Einl. ALR 213 §§ 10 – 13 Einl. AGB/§§ 7 – 9 Einl. ALR 209 § 11 Einl. AGB/§ 8 Einl. ALR 211 § 12 Einl. AGB 211 § 12 II 13 AGB/ALR 156 § 13 Einl. AGB/§ 9 Einl. ALR 211 § 13 II 13 AGB/ALR 157 § 14 II 13 AGB/ALR 159 §§ 14, 15 Einl. AGB 213 §§ 14, 15 Einl. AGB/§§ 10, 11 Einl. ALR 213 §§ 14, 15 II 13 AGB/ALR 157 §§ 14 – 21 Einl. ALR 213
§ 15 II 13 AGB/ALR 157 §§ 17 – 18 II 13 AGB/ALR 207 § 18 II 17 AGB/ALR 156 f., 203, 208 § 18 II 17 AGGB/ALR 128 §§ 18 – 25 Einl. AGB 213 §§ 19 ff. II 17 AGB/ALR 128 § 35 II 14 AGB/ALR 205 §§ 77 – 79 Einl. AGB 138, 147, 188, 198 §§ 528, 529 I 9 ALR 241 §§ 629 ff. I 9 AGB/ALR 205 Absolutismus 18 f., 43, 45, 47, 51, 56, 58 – 60, 62 – 66, 97, 102, 104 – 106, 108, 114, 116 – 120, 122, 130, 148, 153 – 155, 166, 172, 174, 181 f., 189, 202, 207, 220, 245 AGB/ALR Teil II Titel 13 34, 128, 144 AGB/ALR Teil II Titel 14 128 AGB/ALR Teil II Titel 17 128 Aktenversendung, deren Verbot 86 Aller 48 Allgemeine Ordnung zur Verbesserung des Justizwesens vom 21. Juni 1713 238 Allgemeines Gesetzbuch für die Preußischen Staaten 19, 24, 26, 34, 37, 55, 59, 61, 63, 76 – 79, 81 – 83, 100, 104, 106, 109 – 112, 114, 127, 130 – 132, 134, 147 f., 181, 185, 187, 210, 225, 229, 245 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten 17 – 20, 37 f., 40 – 42, 45, 47, 55, 61 f., 67, 70 – 72, 79 f., 82, 87, 92, 98, 100 – 102, 104, 106, 108, 110, 115, 117, 120, 127, 131, 148, 170 f., 174, 176, 180 f., 210, 244 f. Allgemeines Staatsrecht 20 f., 27 – 30, 35, 48, 106, 145, 148, 153 Amerika, Nord- 20 Analogie 43 Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preußischen Staaten 93 Antimachiavell 178
Personen- und Sachregister Arnim, Achim von 114 Aufklärung 26 f., 74, 77 – 79, 84, 86 – 88, 90, 93, 95, 98, 102, 126, 147, 196, 198, 244 f. Aufklärung und Gesetzgebungsverfahren 92 Augustinus 166 f. Aurich 17 Auslegung 47 Axiom 24 Bambergische Halsgerichtsordnung von 1507 39 Basedow, Johann Bernhard 26, 149, 158, 169 Beamte, deren Entlaßbarkeit 62 Begriffsjurisprudenz 100 Berlin 17, 48, 71 Berlinische Monatsschrift 90 Bibel 28 Bielitz, Gustav Alexander 110, 152, 156, 164, 170, 203 Billigkeit 62, 82 – 84 Bittschrift der preußischen Stände vom 19. Dez. 1662 58 Brandenburg 17, 48 Buchholz, Friedrich 110, 178 Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. Aug. 1896 41, 92, 115, 125, 246 Bürgerliches Recht 32, 34, 132 f., 207, 216 Carmer, Johann Heinrich von 25, 36, 61, 68, 70 – 73, 75, 77 f., 82 – 85, 94 – 96, 177, 184, 244 Cleve-märkischer Landtagsabschied vom 9. Mai 1649 58 Cocceji, Heinrich von 215 Cocceji, Samuel von 40, 66 f., 69 f., 78, 81 f., 86, 89 f., 244 Codex 80 Codex Fridericianus 69 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis 135 Codex Pomeranicus 69 Codicis Fridericiani Marchici 69 Codicis Fridericiani Pomeranici 69 Connecticut, Verfassung 53
261
Conrad, Hermann 89, 105, 117 Corpus iuris Fridericiani 69 Danckelmann, Adolf von 171, 184 f., 187 f. Danckelmann, Adolph von 112, 123, 244 De civitate Dei 166 Deduktion 24, 26 Deklaration vom 24. Sept. 1798 20 Deutsche Bundesakte von 1815 20, 54 Deutsche Nationalversammlung von 1848 52 Deutscher Bund 20 Deutscher Kaiser 49, 51 Deutsches Reich 48 f., 52 f., 55 Deutschland 20, 154 Diskussion, öffentliche 94 Dissertation sur les raisons d’établir ou d’abroger les lois 90 Dreißigjähriger Krieg 50 Duisburg 17 Eggers, Christian Ulrich Detlev von 89, 110, 127, 156, 194 Eichhorn, Karl Friedrich 54 Eigentum 145 Eigentumsschutz 232 Eike von Repgow 38 Einl. AGB/ALR 144 Empirie 24, 26, 52 Erhard, Christian Daniel 57, 63 – 65, 109, 113, 137, 194, 197, 244 Erläuterungstiefe 122, 126 Esprit des lois 43, 89 Euklid 24 Europa 20 Fiskus 206 Forum internum 120 Fragmentarismus 126 Frankreich 17, 20, 50, 60, 98, 154, 193 Frankreich, Verfassung 54 Franz I. von Österreich 51 Französische Revolution 91, 98, 182, 184, 196 Freiburger Stadtrecht von 1520 39 Freyheit und Eigenthum 128 Frieden, innerer siehe Innerer Frieden 193
262
Personen- und Sachregister
Frieden von Hubertusburg vom 15. Feb. 1763 70 Friedrich II. von Preußen 43 – 45, 47, 51, 56, 59, 62, 65, 67 f., 71, 77 – 79, 84 – 89, 91, 94 f., 98, 101, 103, 106, 110, 112, 119 – 121, 136, 149, 171, 175 – 180, 186, 195, 211, 219, 222, 225, 244, 246 Friedrich Wilhelm I. von Preußen 98, 220 f. Friedrich Wilhelm II. von Preußen 45, 56, 60, 71 – 73, 75, 77, 79, 87, 91, 95, 112, 136, 181, 185, 203, 211 Friedrich Wilhelm III. von Preußen 31, 35, 56, 64, 116, 129 Friedrich Wilhelm von Brandenburg, genannt der Große Kurfürst 57, 59, 98, 219, 233, 235 Fundamental Orders of Connecticut 53 Fürst und Kupferberg, Maximilian von 70 Gelehrtenrepublik 93, 124, 244 Gemeines Recht 61 Gemeines Wohl 100, 130, 138, 140, 142 f., 145, 148, 153 f., 159, 189, 198 – 202 Generalklausel 198 Gerechtigkeit 22 Gerichtsbarkeit 49 Gesellschaftsvertrag, Lehre vom 160, 162, 169 – 172, 174, 178, 180 f., 198 Gesetz 25, 27, 31, 39, 42 f., 45, 52, 64, 66 – 68, 73, 78 f., 100 f., 118 Gesetz, dessen Adressat 122, 124 Gesetz, dessen Funktion 37, 42 – 44, 47, 100, 103, 119, 122, 176, 196 Gesetz, Kürze desselben 103 Gesetz-Sammlung für die Preußischen Staaten 46, 118 Gesetze, allgemeine 119 Gesetze, bürgerliche 22, 30, 32 – 34, 206 Gesetze, deren Unterteilung 33 Gesetzesjurisprudenz 106 Gesetzesjurisprudenz, moderne 37 Gesetzessprache siehe Rechtssprache 39 Gesetzgeber 29 Gesetzgebung, allgemeine 114 – 116, 121, 126, 129 Gesetzgebung, bürgerliche 158 Gesetzgebung, deren Grenzen 140 Gesetzgebung, deren Zweck 141 f.
Gesetzgebung, Recht zur 139, 141, 158, 209, 212 Gesetzgebung, reglementierende 100, 104, 111, 122, 245 Gesetzgebung, reglementierende, deren Grenzen 48 Gesetzgebung, staatsrechtlich siehe Staatsrechtliche Gesetzgebung 108 Gesetzgebungsauftrag 33 Gesetzgebungskompetenz, deren Grenzen 64 Gesetzkommission 43, 62, 81, 113 f., 209 f., 212, 214 Gewaltenteilung 43, 237 Gewohnheitsrecht 39 Glaube 166 Glück, allgemeines 145 Glückseligkeit 148 Glückseligkeit, allgemeine 147 Glückseligkeit, gemeinschaftliche 145 Goldbeck, Heinrich Julius von 188, 191, 230, 239 Goßler, Christoph 84 Gottesgnadentum 60 Gottesstaat 165 Großer Kurfürst siehe Friedrich Wilhelm von Brandenburg, genannt der Große Kurfürst 58 Grundgesetz 117 Haller, Carl Ludwig von 46, 92, 152, 164, 171, 174 Hattenhauer, Hans 18, 41, 245 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation siehe Deutsches Reich 48 Herrscherpflichten 158, 172, 180 Herrscherrechte, deren Zweckbindung 170, 190 Hinterpommern 48 Hobbes, Thomas 161 Hochmut, demokratischer 107 Höhere Regalien 206, 207 Humanismus 98 Il Principe 168 Immediatbericht vom 20. Nov. 1793 Innerer Frieden 193 Insubordination 109
36
Personen- und Sachregister Interpretationsmethoden 38 Interpretationsverbot 17 Isensee, Josef 151 Iuris scientia 23 Iurisdictio 49 Ius publicum internum 36, 54 Ius supremi dominii cum summa atque absoluta potestate 49 f. Ius territoriale 49 Ius territoriale, superioritas 50 Jariges, Philipp Joseph von 70 Joachim Markgraf von Brandenburg Jurisprudenz 82, 93 Jurisprudenz, philosophische 27
233
Kabinettsorder vom 21. Okt. 1741 67 Kabinettsorder vom 20. Juni 1746 98 Kabinettsorder vom 14. Apr. 1780 20, 40, 44 – 46, 72, 74, 81, 86, 95, 101, 210 Kabinettsorder vom 27. Juli 1780 60 Kabinettsorder vom 23. Dez. 1784 94 Kabinettsorder vom 21. Aug. 1786 61 Kabinettsorder vom 27. Aug. 1786 45, 61, 71, 75, 211 Kabinettsorder vom 1. Sept. 1786 87 Kabinettsorder vom 18. Apr. 1792 185 Kabinettsorder vom 17. Nov. 1793 72, 77, 101 f., 186, 230 Kabinettsorder vom 30. Okt. 1809 21 Kabinettsorder vom 14. Sept. 1820 17 Kaiser 218 Kameralrecht, Recht dazu 159 Kant, Immanuel 25, 64, 88, 90 f., 96 f., 161 Kant und das Allgemeine Landrecht 90 Karl II. von England 53 Kasuistik 17, 80 Katholische Kirche 27 Kein Mensch muß müssen, wenn es nicht im Allgemeinen Landrecht steht 47 Kircheisen, Friedrich Leopold von 129, 237 Kirchmann, Julius Hermann von 244 Klein, Ernst Ferdinand 57, 104, 111, 116, 119, 128, 132, 134, 147, 156, 196, 230, 236, 244 Kleinheyer, Gerd 106 f., 111 f. Klewitz, Wilhelm Anton von 170 f., 173 Klüber, Johann Ludwig 20
263
Kommentierungsverbot 17, 47, 79, 81 f. Kompetenzverteilung 144 Königliche Akademie der Wissenschaften 40 Konstitution siehe Verfassung 108 Konstitution vom 31. Dez. 1746 48, 69 Konstitutionalismus 20 Kontinuität 120 Krause, Peter 23, 95, 116 Kreittmayr, Wiguläus Xaverius Aloysius von 40, 135 Krieg, Frieden, Bündnisschluß, Recht dazu 159 Kronprinzenvorlesungen 33 – 35, 43, 45, 55 – 57, 61 f., 64, 111, 116, 120 f., 128, 144, 148, 154, 156 f., 160, 162, 168, 177 f., 193, 204, 206, 240 Kronprinzenvorträge siehe Kronprinzenvorlesungen 36, 144 Krönung von Königsberg (1701) 49 Laienspiegel 38 Landeshoheit 49 Landrechte 39 Landstände 43, 50, 154 Landstände, märkische 61 Landstände, preußische 57 f., 60 f. Landtagsrezeß vom 25. Juni 1534 58, 233 Landtagsrezeß vom 26. Juli 1653 59, 220, 233 Lehrbücher 97, 124 Leibniz, Gottfried Wilhelm 24, 68, 89 Leitbildfunktion 117 Leviathan von 1651 161 Logik 21 Löher, Franz 245 Ludwig XVI. von Frankreich 98 Luther, Martin 167 Maas 48 Machiavelli, Niccolò 151, 168 Machtsprüche 33, 214, 216 f., 222, 225 f. Machtsprüche und deren Bestandskraft 240 Machtstaatstheorie 168 f. Majestätsrechte 155 – 158, 162 f., 174, 203 – 206, 209 Marie Antoinette 98 Märzrevolte von 1848 21
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Personen- und Sachregister
Massow, Eberhard Julius Wilhelm Ernst von 54 Mathematik 21, 24 – 26 Maxime 120 f., 148 f. Militärpersonen 17 Mittelalter, Hoch- 38 Mittelalter, Spät- 38 Mittelhochdeutsch 39 Mittwochsgesellschaft 111, 128, 146 – 148 Monarchie, konstitutionelle 21 Monarchie, uneingeschränkte siehe Absolutismus 19, 56 Monita 130 Montesquieu 224, 231, 238 Montesquieu, Charles 43, 89 Moralität 27 Moser, Johann Jacob 154, 217 Müller Arnold 71 Müller-Arnold-Prozeß 225 Münster 50 Nation, deren Zusammengehörigkeit 146 Naturgesetz 76 Naturrecht 21 – 27, 29, 31 f., 44, 63, 76 – 79, 83, 111, 149, 158 Naturwissenschaft 37, 85 Naturzustand 24, 164 Neuerungen 109 Neues Testament 165 Neuhochdeutsch 39 Neuostpreußen 186 Neuzeit, frühe 38 Niedere Regalien 205 Norddeutscher Bund 52, 55 Oberste Gerichtsbarkeit 216 Oberste Gerichtsbarkeit, Recht dazu 159 Offenbarung, göttliche 27 Öffentliches Recht 31 f. Ordnung 22, 26, 67 f., 100, 118, 153, 183 Ordnungszweck 47 Ordre naturel 26 Osnabrück 50 Österreich 17 Ostpreußen 17, 49 Pandekten 17, 92 Pandektenwissenschaft
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Patent, wodurch eine Gesetz-Commißion errichtet, und mit der nöthigen Instruction wegen der ihr obliegenden Geschäfte versehen wird, vom 29. Mai 1781 210 Patent vom 28. Mai 1781 95 Patent vom 14. März 1797 17 Patriarchalstaatstheorie 164, 170 Peinliche Halsgerichtsordnung von 1532 39, 50 Pflichtenlehre 162, 172, 178, 180 f., 193, 198, 240 Philosophie 21, 23, 25 – 28, 30, 84, 87 Pius III. 232 Plenitudo potestatis 49 Polen 50 Polizei, Recht zur 159 Polnische Teilungen 48, 123 Pommern 17 Popularität 196 Populärphilosophie 26 Positives preußisches Recht 35 Positives Recht 145 Praktikabilität 44 Präzisierung des Rechts 74 Preußen 17, 20 f., 43, 46, 48 – 52, 55 f., 66, 69, 72, 77, 91, 94, 98, 100, 183 Preußen, Verfassung 51, 55 f., 63, 104, 111, 116, 130 f., 160, 182 Privatgesetze siehe Gesetze, bürgerliche 33 Privatrecht 30 f., 33 – 37, 62, 133 Privatrecht, römisches 39 Privatrechte 34 Privilegium de non appellando 218 Privilegium illiminatum de non appellando 49, 51 Publikandum vom 16. Dez. 1808 20 Publikation 31, 69, 73, 94 f., 97 Publikationsgebot 213 f. Publikationspatent vom 20. März 1791 40, 46, 72 f., 76, 83, 100 f., 149 Publikationspatent vom 5. Feb. 1794 72 f., 149 Pufendorf, Samuel Freiherr von 24 Pütter, Johann Stephan 21, 200 Rechtliches Gehör 204 f., 228 Rechtskundeunterricht 97 Rechtsordnung als Friedensordnung
22
Personen- und Sachregister Rechtspflege 234 Rechtsphilosophie 26 Rechtsprechung 217 Rechtssammlungen, private 39 Rechtssätze, deklaratorische 118 Rechtssätze, staatsrechtliche 132 Rechtssicherheit 128 Rechtsspiegel 38 Rechtssprache 38, 47 Rechtssprache, deutsche 38 – 40, 199 Rechtssprache, lateinische 39 Rechtsstaat 43 Rechtswissenschaft 30, 66, 80 f., 85, 97 Reformplan Coccejis vom 9. Mai 1746 86 Regelung 100 Reglement, was für Justitz-Sachen denen Kriegs- und Domainen-Cammern verbleiben, und welche vor die Justitz-Collegia oder Regierungen gehören, vom 19. Juni 1749 206 Reglementgesetze siehe Gesetzgebung, reglementierende 122, 245 Reichsfürsten 49 Reichsgesetze 39 Reichskammergerichtsordnung von 1495 39 Reichsstaatsrecht 49, 53 Reichsstände 49 f., 217 Reichsverfassung 53 Reichsverfassung von 1849 52 Reinhold, Carl Leonhard 27 Republik 63 Res privata 207 Res publica 207 Reskript vom 29. Okt. 1742 67 Reskripte 226 f., 238 Restauration 91 Richter 100 f., 123 Rom 165 Römisches Recht 39, 73, 76, 92 Rückwirkungsverbot 213 f. Ruhe und Sicherheit 143, 202 Sachsenspiegel 38, 42 Savigny, Friedrich Carl von Schelp, Robert 30 Schenkung 41 Schlesien 17, 48, 186
17, 40, 80, 92
265
Schlettwein, Johann August 149, 200 Schlosser, Johann Georg 30, 32, 41, 104, 116, 133, 154, 189, 199, 202, 228 Schlözer, August Ludwig 34, 150 Schutz 145 Schwabenspiegel 38 Schweden 50 Selbstbindung des Königs 62 Siebenjähriger Krieg 51, 70 Sietze, Karl Friedrich Ferdinand 18 Sozialstaat 147 Sprache 61, 67, 73, 75, 77, 90 Sprache, deren Bedeutung für die Rechtswissenschaft 37 f. Sprache, deren Funktion 46 Sprache, deutsche 39 f. Sprache, lateinische 40 Staat 30, 32, 112, 148 f., 165 Staat, Theorie von dessen Entstehung 29 Staat als Wohlfahrtseinrichtung 150 Staatsbegriff 150, 152 f., 155 Staatsrecht 23, 30 f., 33 – 37, 54 f., 106, 109 f., 119 f., 132 f., 135, 137, 176, 207 Staatsrecht, allgemeines siehe Allgemeines Staatsrecht 20 Staatsrecht, deutsches siehe Reichsstaatsrecht 53 Staatsrecht, preußisches 111 Staatsrecht im Heiligen Römischen Reich siehe Reichsstaatsrecht 20 Staatsrechtliche Gesetzgebung 20, 30, 37, 47, 108, 112, 118 – 122, 128, 170, 180 Staatsrechtliche Grundsätze 113 Staatstheorie, christliche 166 Staatsverfassung siehe Verfassung 107 Staatsverwaltung 113 f. Staatsverwaltung, preußische 101 Staatswesen 27 Staatsziele 158 Staatszweck 62, 65, 130, 138 f., 141 f., 144, 146 f., 153, 155 – 158, 162 f., 181, 189 Städteordnung vom 19. Nov. 1808 21 Stadtrechte 39 Stände siehe Landstände 59 Stölzel, Adolf 38, 40, 45, 62, 66, 90, 112, 115 Strafgesetzgebung, Recht zur 158 Strafrecht 32, 39, 207, 216
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Personen- und Sachregister
Südpreußen 186 Summa fidei catholicæ contra gentiles 166 Summa theologiæ 166 Supplikenwesen 45 Suspension 106, 109, 112 Suspension des AGB 181, 190, 192 Svarez, Carl Gottlieb 24, 31, 33 – 36, 40, 43 f., 54 – 57, 60 – 64, 68, 71 f., 78, 80, 84, 98, 102, 104 – 106, 110 f., 114 f., 118 – 121, 123, 126, 128, 130, 136, 144 – 147, 154 f., 157 f., 160, 162, 168, 172, 175 – 177, 180, 184, 186, 192 – 196, 202, 204, 206 f., 211, 216, 231 f., 236, 240, 244, 246 Theologie 27 f. Thieme, Hans 91 Thomas von Aquin 166 Thöne, Johann Franz 18, 67, 245 Tieftrunk, Johann Heinrich 31, 44 Tradition 42, 166 Transparenz 82 Ulpian 32 Ulrich Tenglers Layenspiegel 38 Unabhängigkeit der Gerichte 222 uneingeschränkte Monarchie siehe Absolutismus 19 Universalität 126 Universität 29 Urrecht 24 Vereinigte Staaten von Nordamerika, Verfassung 54 Verfassung 47, 51 f., 103, 110, 112, 115 – 117 Verfassungsrecht 29 Verfassungsrecht, positives 20 Verfassungsurkunde für Preußen 21, 52, 55 Verläßlichkeit 129, 133
Vernunft 21, 23, 25, 27 f., 32, 57, 65, 67 f., 76 f., 84, 91, 96, 166 Vernunftgesetze 65 Vernunftrecht 23, 29, 32 Verordnung vom 15. Nov. 1739 221 Verordnung vom 27. Okt. 1810 21 Verstand 21, 24 – 26, 93 Verwaltungsgerichtsbarkeit 101 Viehmängelverordnung vom 27. März 1899 115 Voigt, Gottfried Christian 88 Vollständigkeit 126, 128, 189 Voltaire 89 f., 179 Vorpommern 48 Wehlauer Frieden vom 19. Sept. 1657 50 Weigel, Erhard 24 Weinacht, Paul-Ludwig 150 Wertvorstellungen 148 Westfälischer Frieden von 1648 50, 53 Westpreußen 17 Wilhelmshaven 17 Wohlfahrt, gemeinschaftliche 145 Wolff, Christian 24, 29, 89, 162 Wöllner, Johann Christoph 112 f. Wöllner, Johann Christoph von 244 Wortlautauslegung 38 Württembergisches Landrecht von 1555 39 Zeitgeist, seine Bedeutung auf die Gesetzgebung 37 Zeitgesetze 115, 119 Zivilgesetze siehe Gesetze, bürgerliche 30 Zivilpersonen 17 Zivilrecht siehe Bürgerliches Recht 135, 207 Zöpfl, Heinrich 26, 56 Zuverlässigkeit 103 Zwangsrechte 34, 111