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German Pages [385] Year 2023
Sabine Fees
Das päpstliche Corporate Design Quellen zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden im hohen und späten Mittelalter
Archiv für Diplomatik Schriftgeschichte Siegel- und Wappenkunde Begründet durch
EDMUND E. STENGEL Herausgegeben von
IRMGARD FEES und ANDREA STIELDORF
Beiheft 21
Das päpstliche Corporate Design Quellen zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden im hohen und späten Mittelalter
von
SABINE FEES
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2023 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande ; Brill USA Inc., Boston MA, USA ; Brill Asia Pte Ltd, Singapore ; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland ; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung : BAV, Ross. 476 fol. 59v, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Korrektorat : Alexander Riha, Wien Einbandgestaltung : Michael Haderer, Wien Satz : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52817-1
Für meine Eltern
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Die päpstliche Kanzlei. 2.1 Papsturkunden. . . . 2.2 Geschäftsgang . . . . 2.3 Personal . . . . . . .
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3. Artes dictandi – Kurienferne Quellen zur Gestaltung päpstlicher Urkunden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 4. Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung. . . . . 4.1 Innozenz III.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Fälscherkonstitutionen . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.1 Fälschungskriterien: Bleibulle und Rasur .
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. . . . 4.1.1.2 Relevanz in Theorie und Praxis der Urkundenverifizierung . 4.1.1.3 Bedeutung für die Kanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Die Halbbulle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Litterae tonsae. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Weitere Quellen zur Gestaltung der Bleibulle. . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Rundschreiben Innozenz’ IV. zum Apostelstempel . . . . . . . . . . 4.2.2 Ordines Romani. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Regeln zur Gestaltung der litterae. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Handschrift Durrieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Speculum iudiciale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Vulgataredaktion des Formularium audientiae.. . . . . . . . . . . 4.3.4 Neuredaktion des Formularium audientiae in Ross. 476 . . . . . . . 4.3.5 Inhaltliche Entwicklung der Gestaltungsregeln. . . . . . . . . . . . 4.3.5.1 Beschreibstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5.2 Layout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5.3 Protokoll. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5.4 Textschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5.5 Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5.6 Eigennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
4.3.5.7 Datierung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5.8 Kanzleivermerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5.9 Bullierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien. . . . . . . . . 4.4.1 Ausstattungsvorschriften im Speculum iudiciale. . . . . . . . 4.4.2 Kanzleiordnung Nikolaus’ III. . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Forma scribendi privilegium . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Privilegienmuster in Ottob. lat. 747. . . . . . . . . . . . . . 4.4.5 Gestaltungsregeln in Ross. 476.. . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.6 Inhaltliche Entwicklung der Gestaltungsregeln und -vorlagen. . 4.4.6.1 Layout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.6.2 Protokoll. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.6.3 Textschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.6.4 Päpstliche Unterfertigungen . . . . . . . . . . . . . 4.4.6.5 Kardinalsunterschriften. . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.6.6 Datierung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.6.7 Kanzleivermerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Regeln zur Gestaltung der Bullen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Allgemeine Gestaltungsregeln in den Libri Cancellarie . . . . . . . 4.6.1 Konstitution Pater familias . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2 Kanzleiregeln.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Einzelfallregelungen in kurialen Urkundensammlungen.. . . . . . 4.7.1 Barb. lat. 2126. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.2 Vat. lat. 6772.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Zusammenfassung und Fazit.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 6. Anhang: Übersicht über die Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 7. Abkürzungsverzeichnis.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 8. Quellen- und Literaturverzeichnis . 8.1 Ungedruckte Quellen.. . . . . . . 8.2 Gedruckte Quellen. . . . . . . . . 8.3 Online publizierte Quellen. . . . . 8.4 Literatur . . . . . . . . . . . . . .
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9. Abbildungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 10. Register der Orts- und Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
Vorwort Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommer 2017 am Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Philipps- Universität Marburg unter dem Titel „In scriptura litterarum servandi sunt certus modus et certi actus. Funktion und Entwicklung der Hilfsmittel zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden“ angenommen wurde. Das Dissertationsprojekt wurde von zahlreichen Personen auf vielfältige Weise unterstützt. Ihnen allen, auch den im Folgenden nicht eigens benannten, möchte ich herzlich danken. An erster Stelle gilt mein Dank meinem Doktorvater Prof. Dr. Andreas Meyer (†). Bereits während meines Studiums und auch in der Promotionsphase hat er mich stets gefördert und mit guten Ratschlägen wohlwollend begleitet. Umso mehr bedaure ich, dass er den erfolgreichen Abschluss meines Promotionsverfahrens nicht mehr erleben durfte. Ebenso gebührt PD Dr. Otfried Krafft großer Dank, der mich während der gesamten Zeit mit fachlichem wie persönlichem Rat, mit Lob und Kritik sowie mit außergewöhnlicher Hilfsbereitschaft unterstützt hat und sehr kurzfristig und bereitwillig die Rolle des Erstgutachters übernahm. Auch bei Prof. Dr. Verena Epp möchte ich mich für die spontane Übernahme des Zweitgutachtens bedanken. Dem DHI in Rom bin ich für die Bewilligung eines Stipendiums und den äußerst lehrreichen und anregenden Aufenthalt im Institut, der mir die Arbeit mit vatikanischen Quellen ermöglichte und damit einen wichtigen Grundstein für meine Dissertation legte, zu großem Dank verpflichtet, ebenso der Gerda Henkel Stiftung für die großzügige Gewährung eines Stipendiums, das mein Dissertationsprojekt entscheidend voranbrachte, und für die Beteiligung an den Druckkosten. Für die Aufnahme meines Buches in die Reihe der Beihefte des Archivs für Diplomatik danke ich den Herausgeberinnen Prof. Dr. Irmgard Fees und Prof. Dr. Andrea Stieldorf sehr herzlich. Gedankt sei auch meinen Kolleginnen, Kollegen, Freundinnen und Freunden am Marburger Institut für Mittelalterliche Geschichte, besonders Dr. Bengt Büttner, Dr. Hendrik Baumbach, Jeanette Grohmann, Matthias Klipsch, Ass. Prof. Dr. Asami Kobayashi, Sebastian Müller, Dr. Jürgen Nemitz, Dr. Katja Skokow, Danielle Weber, Matthias Witzleb und apl. Prof. Dr. Thomas Wozniak, für die unvergessliche gemeinsame Zeit und zahlreiche anregende Fachgespräche. Ebenso danke ich Dr. Sonja Hillerich, Dr. Kristina Odenweller und Dr. Christian Pöpken für die
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Vorwort
Unterstützung bei der Vorbereitung meiner Disputatio während unserer gemeinsamen Zeit im Archivreferendariat. In Dankbarkeit verbunden bin ich außerdem meinen Kolleginnen und Kollegen sowie meinen Vorgesetzten im Hessischen Landesarchiv, allen voran Prof. Dr. Andreas Hedwig. Er hat mir die Drucklegung meiner Dissertation unter anderem durch eine vorübergehende Reduzierung meiner Arbeitszeit erheblich erleichtert und stand mir dabei stets mit Rat und Tat zur Seite. Größter Dank gebührt meinem Mann, der meine Promotion mit viel Geduld und Liebe begleitet und mich stets ermutigt hat – sein Zuspruch war unverzichtbar. Nicht zuletzt gilt ein besonderer Dank meinen Eltern, die mich mein Leben lang gefördert und angespornt haben. Für ihr unerschütterliches und bestärkendes Vertrauen in meine Fähigkeiten, ihre stolze Anteilnahme an meinen Erfolgen und ihre unermüdliche und liebevolle Unterstützung möchte ich mich herzlich bedanken, indem ich ihnen dieses Buch widme.
Marburg, im Februar 2023 Sabine Fees
1. Einleitung Ein korrektes äußeres Erscheinungsbild garantierte im Mittelalter die Authentizität jeglicher Art von Urkunden. Viele Aussteller gelangten daher zu immer einheitlicheren und charakteristischeren Gestaltungsmerkmalen, wodurch sie unter anderem dem blühenden Fälschungswesen entgegenwirkten. Dies gilt vor allem für die päpstliche Kanzlei, deren Aktivität quantitativ unerreicht blieb und die daher als größter Urkundenproduzent des hohen und späten Mittelalters gelten kann. Diese Produktivität ging mit einer zunehmenden Vereinheitlichung der Dokumente einher, sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch der äußeren Gestaltung. So erreichte die päpstliche Kanzlei seit dem 12. Jahrhundert eine beachtliche Uniformität und Stabilität im Aussehen ihrer Urkunden, die sich damit deutlich von den Produkten anderer mittelalterlicher Kanzleien Europas abhoben. Dieses differenzierte und unverkennbare visuelle Gesamtbild der Dokumente – das päpstliche Corporate Design – ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Schreiber zahlreiche Einzelelemente der Gestaltung des Urkundenäußeren akkurat und kontinuierlich umsetzten. Deutlicher als andere Kanzleien betonte die päpstliche daher die enorme Bedeutung der äußeren Merkmale als Echtheitskriterien.1 Auch mittelalterliche Juristen wiesen darauf hin, dass Papsturkunden sehr sorgfältig angefertigt würden, weshalb sich ihre Echtheit anhand allgemein bekannter Kriterien leicht überprüfen lasse.2 Doch wie konnte die päpstliche Kanzlei dies gewährleisten, und inwieweit spielten dabei auch schriftlich fixierte Vorschriften, Lehrtexte und Mustervorlagen eine Rolle? Zur inhaltlichen Gestaltung päpstlicher Urkunden sind sowohl theoretische Vorschriften als auch Muster, nach Bresslau als Formulare bezeichnet,3 in großer Zahl und meist in Form von Sammlungen überliefert. Die Forschung hat ihnen bereits viel Aufmerksamkeit geschenkt, sie wurden ediert, verglichen und auf ihre Herkunft und Entstehung hin untersucht.4 Auch zur äußeren Gestaltung der Papsturkunden sind entsprechende Texte aus dem Umfeld der päpstlichen Kanzlei 1 2 3 4
Rück, Beiträge, S. 30 f. Herde, Recht, S. 351; siehe unten Kapitel 4.1.1.2, S. 67. Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 226 f. Editionen kurialer Formelsammlungen wurden unter anderem vorgelegt von Tangl, Kanzleiordnungen; Herde, Audientia II; Schillmann, Formularsammlung; Heller, Ars dictandi. Einen Überblick über derartige Formelbücher gibt Vones, Formelbüchern. Ausführliche Angaben zur Gestaltung des Formulars päpstlicher Urkunden enthalten auch die Kanzleiregeln, ediert
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Einleitung
erhalten geblieben, die allerdings bisher weit weniger Beachtung gefunden haben. Was legten solche Vorlagen fest, warum und von wem wurden sie niedergeschrieben und wer nutzte sie? Diesen wissenschaftlich bisher kaum aufgearbeiteten Fragen will die vorliegende Arbeit nachgehen, indem sie die Hilfsmittel zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden vergleichend analysiert und hinsichtlich ihrer Entstehung und ihres Inhalts im Detail untersucht, um ihre Funktion und Bedeutung innerhalb der Kanzlei zu bewerten. Unter der „äußeren Ausstattung“ einer Urkunde sind dabei all jene Merkmale zu verstehen, die mit der äußeren Herstellung des Schriftstücks zusammenhängen und die in einer rein textlichen Transkription nicht mehr erkennbar sind. Neben dem allgemeinen Erscheinungsbild der Urkunde gehören dazu der Beschreibstoff, die Bleibulle und die graphische Ausstattung, also Kontext- und Auszeichnungsschrift sowie graphische Zeichen wie Rota und Benevalete.5 Die entsprechenden kurialen Quellen setzen im späten 12. Jahrhundert unter Innozenz III. ein, der Höhepunkt der Produktion von Vorschriften zur äußeren Gestaltung der päpstlichen Urkunden ist zu Beginn des 14. Jahrhunderts zu verorten. Am Ende dieses Jahrhunderts wurden dann, nach Ausweis der bislang aufgefundenen Quellen, derartige Hilfsmittel letztmals in größerem Umfang aufgezeichnet. Damit endete im Kern auch deren inhaltliche Entwicklung, sind doch aus dem 15. Jahrhundert nach aktuellem Kenntnisstand fast ausschließlich Abschriften oder Neukompilationen der älteren Texte und nur sehr vereinzelt ergänzende Neuregelungen überliefert. Der Untersuchungszeitraum wird damit durch die bisher bekannt gewordenen Quellen vorgegeben und erstreckt sich in der Hauptsache von der Wende zum 13. Jahrhundert bis zum Ende des 14. Jahrhunderts, die wenigen Aufzeichnungen des 15. Jahrhunderts werden ergänzend einbezogen. Die Literatur zur Diplomatik der Papsturkunden des Hoch- und Spätmittelalters ist seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umfangreich und weit gefächert. Im Mittelpunkt der Forschung stand zunächst die regestenmäßige Erfassung der Papsturkunden auf Grundlage der Original- wie auch der Registerüberlieferung, wobei vor allem das umfassende Regestenwerk von Potthast für die Urkunden von 1198 bis 1304 zu nennen ist.6 Mit der Zugänglichmachung der Vatikanischen Archive für die Wissenschaft durch Leo XIII. im Jahr 1881 setzte auch die Publi kation der Papstregister des 13. und 14. Jahrhunderts durch die École française de Rome ein.7 Daneben wurde die Überlieferung der Papsturkunden aber auch im
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bei Meyer, AMKRO. Zur inhaltlichen Gestaltung von Papsturkunden vgl. zuletzt den Sammelband Broser/Fischer/Thumser, Kuriale Briefkultur. Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 5–6; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 64–66; Roberg, Wiedergabe, S. 119. Potthast, Regesta. Vgl. die Bände der Reihe „Bibliothèque des Écoles Françaises d’Athènes et de Rome“ im Quellenverzeichnis.
Einleitung
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Hinblick auf ihre äußeren Merkmale erforscht. Hervorzuheben sind die Arbeiten von Delisle,8 die Abhandlungen von Diekamp zum päpstlichen Urkundenwesen des 11. bis 14. Jahrhunderts9 sowie die einschlägige Untersuchung von Berger in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Register Innozenz’ IV.10 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich Baumgarten im Rahmen mehrerer Untersuchungen umfassend mit verschiedenen äußeren Merkmalen päpstlicher Urkunden auseinander.11 Der Gestaltung von Papsturkunden speziell im in der Diplomatik häufig vernachlässigten Spätmittelalter hat Burger eine Abhandlung gewidmet.12 Seit dem 19. Jahrhundert wurden außerdem vermehrt Tafelwerke publiziert, die Zusammenstellungen von Reproduktionen und Fotographien verschiedenster Urkundenteile und Urkunden enthielten und somit eine wertvolle Grundlage für die weitere Erforschung der äußeren Ausstattung päpstlicher Urkunden bildeten.13 Ein bis heute unumgängliches Standardwerk verfasste Harry Bresslau mit seinem ausführlichen „Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien“.14 Ebenso unverzichtbar für Grundfragen der Papstdiplomatik bleibt der Abriss über Papsturkunden von Schmitz-Kallenberg.15 Seit den 1960er-Jahren gewann die Erfassung der Empfängerüberlieferung zunehmend an Bedeutung. Zahlreiche Papsturkunden aus den Jahren 1198 bis 1431 sind in den ersten drei Bänden des auf Vorarbeiten Baumgartens beruhenden und seit 1965 sukzessive veröffentlichten „Schedario Baumgarten“ erfasst, wobei die abgedruckten Karteikarten neben grundlegenden inhaltlichen Informationen zu den Urkunden auch Angaben zu den äußeren Merkmalen enthalten.16 Im Rahmen des „Censimento Bartoloni“ werden die im Original überlieferten Urkunden aus dem Zeitraum von 1198 bis 1417 erfasst, ebenfalls unter Berücksichtigung einzelner Aspekte der äußeren Ausstattung. Leider ist die geographische Abdeckung des Projekts aufgrund der überschaubaren Zahl der bisher veröffentlichten Arbeiten noch sehr lückenhaft.17
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Delisle, Mémoire; Delisle, Forme; Delisle, Litterae tonsae. Diekamp, Urkundenwesen IX.; Diekamp, Urkundenwesen Alexander. Berger, Registres. Baumgarten, Ersatz; Baumgarten, Bullenstempel; Baumgarten, Miscellanea diplomatica II; Baumgarten, Urkundenwesen. 12 Burger, Beiträge. 13 Beispielsweise Arndt/Tangl, Schrifttafeln. Zur Geschichte der Urkundenreproduktionen vgl. auch Rück, Urkunde, S. 323−326. Zur Berücksichtigung der Wiedergabe der äußeren Merkmale von Papsturkunden in Edition und Regesten seit dem 17. Jahrhundert vgl. Roberg, Wiedergabe. 14 Bresslau, Urkundenlehre 1–2. 15 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden. 16 Battelli/Pagano, Schedario. 17 Vgl. die detaillierte Beschreibung des Projekts und der zugehörigen Veröffentlichungen bei Ko-
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Einleitung
Wertvolle Erkenntnisse zur Urkundenproduktion sowie zur Ausprägung und Bedeutung einzelner Ausstattungsmerkmale bieten verschiedene Beiträge zur äußeren Gestaltung der päpstlichen Privilegien, die seit den 1970er-Jahren von Santifaller, Dahlhaus und Frenz vorgelegt wurden.18 Die Entwicklung der päpstlichen Briefe wurde, auch unter Einbeziehung der überlieferten Regeltexte zur Ausstattung, von Frenz, Herde und zuletzt Graber untersucht.19 In den 1990er-Jahren wurde die Erforschung der äußeren Merkmale von Urkunden durch Peter Rück wieder aufgegriffen, der sich den Urkunden unter neuen Blickwinkeln näherte und vor allem die visuell-ästhetische und liturgische Komponente der Ausstattung betonte.20 Dieser Ansatz wurde unter anderem von Bischoff, Bromm und Kruska aufgegriffen.21 Weiterführende Einblicke in die konkrete Arbeit der päpstlichen Kanzlei bei der Urkundenherstellung ermöglicht diese in ihrer Methodik durchaus umstrittene Perspektive allerdings kaum.22 Die Handbücher von Rabikauskas und Frenz fassen die wichtigsten Erkenntnisse der Forschungen des 19. und 20. Jahrhunderts zu Entwicklung und Gestaltung der päpstlichen Urkunden im Mittelalter zusammen.23 Im Rahmen einer Tagung zu früh- und hochmittelalterlichen Papsturkunden im Jahr 2008 wurde deren äußere Gestaltung erneut in den Mittelpunkt der Forschung gerückt.24 In der Folge erschienen weitere Beiträge zu einzelnen Gestaltungsmerkmalen von Papsturkunden, wobei besonders die zahlreichen Arbeiten von Krafft25 sowie die Einzelstudien von Maleczek26 hervorzuheben sind. In einem 2018 publizierten Tagungsband wurde die Ausstattung päpstlicher Urkunden auch anhand digitaler Forschungsmethoden beleuchtet.27 Insgesamt sind aber bis heute zahlreiche Fragen zu den äußeren Merkmalen von Papsturkunden offengeblieben, die weiterer Erforschung und Behandlung bedürfen.28 Neben der inneren und äußeren Entwicklung der päpstlichen Urkunden schenkte die Forschung auch der Organisation und dem Geschäftsgang der Kanzlei viel Aufmerksamkeit. Zu diesem Themenkomplex gibt es zahlreiche Einzeluntersu-
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bayashi, Papsturkunden, S. 26−34. Ein Teil der Beiträge zum Censimento wurde in der Reihe „Index actorum Romanorum pontificum“ veröffentlicht. Santifaller, Neugestaltung; Dahlhaus, Aufkommen; Dahlhaus, Rota; Frenz, Symbole. Frenz, Form; Herde, Beiträge; Herde, Audientia I; Graber, Spurium. Rück, Urkunde; Rück, Beiträge; Rück, Papsturkunde. Bischoff, Urkundenformate; Bromm, Entwicklung Großbuchstaben; Kruska, Zeilen. So auch Krafft, Bene Valete, S. 15 f. Rabikauskas, Diplomatica pontificia; Frenz, Papsturkunden. Fees/Hedwig/Roberg, Papsturkunden. Krafft, Bene Valete; Krafft, Unionsbullen; Krafft, Siegel; Krafft, Aufkommen. Maleczek, Unterschriften; Maleczek, Litterae clausae; Maleczek, Autographen. Herbers/Trenkle, Papstgeschichte. Zu den neueren Erkenntnissen der Papsturkundenforschung sowie weiteren Forschungsdesideraten vgl. Fees, Merkmale, S. 23−26 und zuletzt Johrendt, Papsturkunden, S. 339−355.
Einleitung
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chungen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts legten Baumgarten und Göller entsprechende Darstellungen mit besonderer Berücksichtigung des Spätmittelalters vor.29 Umfassende Untersuchungen im Hinblick auf das 13. Jahrhundert wurden von Heckel und Herde durchgeführt, die Organisation der kurialen Schreiberkollegien analysierte Schwarz.30 Eine präzise Zusammenfassung aller bekannten Fakten zum Geschäftsgang der Kanzlei im gesamten Mittelalter veröffentlichte zuletzt Andreas Meyer.31 Zusätzlich lieferte die Arbeit von Kobayashi wertvolle Erkenntnisse zur Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit der päpstlichen Kanzlei.32 Das Hauptaugenmerk liegt bei diesen Untersuchungen auf den Organi sationsformen, den Tätigkeiten und Einkünften des Kanzleipersonals sowie dem konkreten Geschäftsgang der Kanzlei. Bisher weitgehend ausgeklammert wurden die Fragen danach, woher die große Zahl der an der Urkundenherstellung beteiligten Personen wusste, wie die einzelnen Urkundenmerkmale zu gestalten waren, und ob sie auf schriftliche Regularien und Vorlagen zurückgriffen, um die charakteristische Einheitlichkeit im Erscheinungsbild der Papsturkunden zu erreichen. Einige derartige Hilfsmittel wurden in der Forschung bereits behandelt, e inzelne Texte wurden auch veröffentlicht. Als einer der ersten Historiker edierte Delisle einschlägige Regeltexte, die aus der päpstlichen Kanzlei hervorgingen.33 Auch in Tangls Edition der päpstlichen Kanzleiordnungen sind zwischen zahlreichen Texten, die hauptsächlich Befugnisse und Einkünfte der verschiedenen Kanzleibediensteten betreffen, einzelne Regularien mit Bezug zur äußeren Gestaltung der Papsturkunden abgedruckt.34 Eine im Speculum iudiciale des Juristen Guillelmus Duranti (des Älteren) überlieferte Ausstattungsanweisung für Papsturkunden wurde von Heckel gesondert publiziert,35 ein ähnlich gearteter Text zur Gestaltung von Privilegien und litterae von Berger wiedergegeben und besprochen.36 Die gründlichste Edition einer derartigen Quelle legte Herde mit dem Formelbuch der Audientia litterarum contradictarum vor, in seinen Analysen ging er aber fast ausschließlich auf inhaltliche Fragen der Urkundenausstellung ein, die den größten Teil des Nachschlagewerks ausmachen.37 Vereinzelt in Manuskripte der 29 Baumgarten, Kanzlei; Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei; Göller, Mitteilungen; Göller, Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens. 30 Heckel, Beiträge; Herde, Beiträge; Schwarz, Organisation. 31 Meyer, Kanzlei. 32 Kobayashi, Papsturkunden. 33 Delisle, Mémoire, S. 23 (siehe unten Kapitel 4.3.3, S. 122), S. 70–73 (siehe unten Kapitel 4.2.1, S. 85 und Kapitel 4.4.3, S. 213). 34 Tangl, Kanzleiordnungen, Nr. IX, S. 69–82 (siehe unten Kapitel 4.4.2, S. 207), Nr. XII, S. 91– 110 (siehe unten Kapitel 4.6.1, S. 286), Nr. CII, S. 303−306 (siehe unten Kapitel 4.4.3, S. 213). 35 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115 f. (siehe unten Kapitel 4.3.2, S. 112). 36 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX–LXII (siehe unten Kapitel 4.3.1, S. 107). 37 Herde, Audientia I (Analysen) und II (Edition).
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Einleitung
Vatikanischen Bibliothek eingetragene Vorschriften wurden von Kirsch, Krafft und Graber abgedruckt.38 Gestaltungsregeln für Papsturkunden finden sich beispielsweise auch in den Ordines Romani39 und den Kanzleiregeln40 und liegen daher in edierter Form vor, dieser inhaltliche Aspekt der Texte wurde aber bisher nie näher beleuchtet oder mit den anderen einschlägigen Quellen zur Urkundenausstattung in Verbindung gebracht. Insgesamt fehlt eine zusammenfassende Darstellung über die verschiedenen kurialen Regularien und eine vergleichende Analyse der Quellen bisher gänzlich. Die Texte gerieten aus dem Blickfeld, obwohl sie schon früh in der Geschichte der Papstdiplomatik bekannt geworden waren. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass die Regularien erst aus einer Zeit überliefert sind, in der die Registerüberlieferung bereits eingesetzt hatte, also nach 1198. Aufgrund der seither nahezu fortlaufend erhaltenen Registerreihen und der zunehmenden Masse an ausgestellten und überlieferten Urkunden wurde der Entwicklung der äußeren Merkmale seit diesem Zeitpunkt kaum Beachtung geschenkt, umso mehr gilt dies für entsprechende Gestaltungsvorschriften. Bei den Privilegien liegt ein Grund auch darin, dass die ersten kurialen Vorschriften zu ihrer Gestaltung aus dem 14. Jahrhundert stammen, als die Privilegien kaum noch ausgefertigt wurden. Die in der Literatur bereits besprochenen Quellen konnten im Rahmen der Recherchen für die vorliegende Arbeit um einige weitere ergänzt werden, die in der Forschung bisher keine Beachtung gefunden haben. Eine systematische Suche war allerdings nicht möglich, da die Hilfsmittel zur Urkundenausstattung keine geschlossene Gattung bilden. Es handelt sich vielmehr um in permanenter Veränderung und Anpassung begriffene Texte, die sich an verschiedene Adressaten richteten und unterschiedlichen Genres zuzuordnen sind. Sie wurden daher in stark abweichenden Zusammenhängen überliefert, beispielsweise als Teil des Kirchenrechts und Prozessrechts, im Rahmen von Zeremonienbüchern, aber auch im Zusammenhang mit Verwaltungsregelungen wie Kanzleiordnungen oder in Praxis handbüchern der Kanzlei. Das Quellenmaterial ist dementsprechend äußerst in homogen. Dennoch musste die Quellenauswahl nicht ausschließlich auf Zufallsfunde beschränkt werden. Den sichersten Ansatzpunkt für die Suche nach kanzleiinternen Regularien bildeten jene Handschriften, die nachweislich in der Kanzlei als Nachschlagewerke genutzt wurden, also vor allem die verschiedenen Abschriften 38 Kirsch, Formelbuch, S. 816−818 (siehe unten Kapitel 4.7.1, S. 308); Krafft, Szt. Margit, S. 462−464 (siehe unten Kapitel 4.7.2, S. 320); Graber, Spurium, S. 122 Anm. 110 (siehe unten Kapitel 4.3.5.9, S. 200). 39 Dykmans, Cérémonial 1, S. 161, und Cérémonial 3, S. 299−302; Andrieu, Pontifical, S. 527 f.; van Dijk, Ordinal, S. 536 f. (siehe unten Kapitel 4.2.2, S. 94). 40 Ottenthal, Regulae; Meyer, AMKRO. Für konkrete Angaben zu den einzelnen einschlägigen Kanzleiregeln siehe unten Kapitel 4.6.2, S. 289.
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der Kanzleibücher sowie Formel- und Urkundensammlungen, die im Umfeld der Kanzlei entstanden waren. In diesen Beständen, die sich heute in der Biblioteca Apostolica Vaticana befinden, konnten einige bislang von der Forschung nicht oder nur ungenügend berücksichtigte Hilfsmittel zur Urkundenausstattung, vor allem zur Privilegiengestaltung, erschlossen werden, welche die bisherigen Erkenntnisse wesentlich ergänzen. Sie erlauben modifizierte Interpretationen der bekannten Texte und ermöglichen dadurch neue Einsichten in die Bedeutung und Entwicklung der äußeren Merkmale von Papsturkunden, vor allem im Hinblick auf das vernachlässigte Spätmittelalter. Darüber hinaus gewähren sie zusätzliche Einblicke in die Entstehungszusammenhänge und insbesondere auch in die praktische Funktion solcher Hilfsmittel in der Geschäftspraxis der päpstlichen Kanzlei. Gerade die ältere Forschung neigte dazu, die bekannten Texte als offiziell approbierte Regelwerke und normative Vorschriften zu charakterisieren.41 Eine Überprüfung und gegebenenfalls Neubewertung dieser Betrachtungsweise erscheint vor den grundsätzlichen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte zur Organisation und Arbeitsweise der päpstlichen Kanzlei überfällig. Um Bedeutung und Funktion der Regularien im alltäglichen Betrieb der päpstlichen Kanzlei zu untersuchen, werden in einem ersten Schritt kurz die in den Quellen beschriebenen Arten von Papsturkunden sowie der Geschäftsgang der Kanzlei vorgestellt. Auf dieser Grundlage wird das Personal ermittelt, das für deren Herstellung, im Speziellen die äußere Gestaltung, verantwortlich war, da diese Personen als Nutzer und möglicherweise auch als Urheber der untersuchten Hilfsmittel gelten können. Ebenfalls als Grundlage für die eingehende Untersuchung der kurialen Quellen folgt ein kurzer Exkurs zu den Artes dictandi, kurienfernen Quellen, die ebenfalls äußere Merkmale von Papsturkunden thematisieren. Da diese in großem Umfang überlieferten Brief- und Urkundenlehren, die zwischen dem Ende des 11. und dem 13. Jahrhundert ihre Blüte erlebten, zeitlich deutlich vor den kurialen Quellen zur Urkundengestaltung entstanden, könnten sie diese beeinflusst haben und sind unter diesem Aspekt in die Untersuchung einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund werden die kurialen Regularien im Detail betrachtet, wobei sie entsprechend ihrem Inhalt und ihrer Entstehungszeit in Gruppen zusammengefasst werden. Als Ausgangspunkt werden verschiedene, unter Innozenz III. entstandene Texte thematisiert, gefolgt von einigen Quellen zur Gestaltung der päpstlichen Bleibulle. Im Anschluss folgen Regularien zur Ausstattung der litterae 41 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 101, bezeichnete die Regeln zur äußeren Ausstattung der litterae im Formelbuch der Audientia litterarum contradictarum als „streng eingehaltene Vorschriften“ und, daselbst S. 102, als „feste Normen“. Burger, Beiträge, S. 211 sprach von „ins einzelne gehenden Vorschriften“. Heckel, Kanzleianweisung, S. 112, charakterisierte die Regularien zur Ausstattung der litterae als „Verordnung“ und setzte, daselbst S. 114, die im Speculum iudiciale überlieferten Angaben zur Urkundengestaltung mit den Kanzleiordnungen gleich.
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sowie zur Gestaltung der Privilegien und der Bullen (im diplomatischen Sinne). Schließlich werden allgemeine, für alle genannten Urkundenarten relevanten Ausstattungsregeln besprochen und zum Abschluss einige Einzelfallregelungen vorgestellt, die in kurialen Urkundensammlungen erhalten geblieben sind.42 Dabei werden jeweils zunächst die Entstehungs- und Überlieferungszusammenhänge erarbeitet. Im Einzelnen ist zu ermitteln, wann und mit welcher Intention die Vorschriften schriftlich fixiert wurden, wobei jeweils die historischen Umstände der Entstehungszeit zu berücksichtigen sind. Außerdem gilt es festzustellen, in welchen Zusammenhängen sie tradiert wurden und ob sie weite Verbreitung fanden. So können auch Rückschlüsse auf ihre Nutzung in der Kanzlei gezogen werden: Wer zeichnete die Vorschriften auf und wo wurden sie aufbewahrt? Für welche Mitarbeiter der päpstlichen Kanzlei waren die Manuskripte von Bedeutung und zugänglich, wer griff auf sie zurück? In Verbindung mit dieser historischen Einordnung erfolgt auch eine inhaltliche Analyse. Die in den Regularien überlieferten Vorgaben werden im Einzelnen untersucht, innerhalb der nach inhaltlichen Zusammenhängen gebildeten Gruppen aber auch vergleichend betrachtet, um Parallelen, Entwicklungsstränge und Wechselbeziehungen aufzeigen zu können. So soll ermittelt werden, welchen Urkundenmerkmalen bei der Aufzeichnung der Texte besondere Aufmerksamkeit zukam und wie die entsprechenden Vorschriften inhaltlich weiterentwickelt wurden, ob sie verworfen oder neu definiert und umformuliert wurden und in welchen Zusammenhängen dies geschah. Aus den gewonnenen Ergebnissen lassen sich Schlussfolgerungen über die Gründe für die Aufzeichnung solcher Texte und ihre praktische Funktion in der Kanzlei ableiten. Im Rahmen der Untersuchung der Regeln zur Gestaltung der litterae wird dabei auch die Entwicklung der äußeren Merkmale in den überlieferten Originalurkunden berücksichtigt, die anhand der genannten Literatur zur Papstdiplomatik nachvollzogen werden kann. Auf dieser Grundlage ist zu ermitteln, ob die Urkunden die Vorgaben spiegeln oder sie vorwegnehmen, woraus wiederum Rückschlüsse darauf gezogen werden können, ob die Regularien als normative oder kodifizierende Texte zu charakterisieren sind. Im Hinblick auf die Quellen zur Privilegiengestaltung sind derartige Analysen nicht möglich, da, wie bereits erwähnt, im 14. Jahrhundert, als der größte Teil dieser Regularien entstand, nur noch sehr wenige Privilegien ausgefertigt wurden und diesen in der Forschung bisher kaum Beachtung geschenkt wurde, so dass eine entsprechende Vergleichsgrundlage fehlt. Die Regeln zur Gestaltung der Bullen sind zu spärlich, um im Zusammenhang mit der Originalüberlieferung zeitliche Entwicklungslinien ermitteln zu können. Insgesamt soll durch die umfassende Analyse von Entstehungszusammenhang, Inhalt, Entwicklung und Nutzung der Hilfsmittel der päpstlichen Kanzlei zur Ur42 Siehe auch die Gesamtübersicht über die untersuchten Quellen im Anhang, Abb. 20, S. 347.
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kundenausstattung ihre Funktion hinsichtlich der Urkundenherstellung im Rahmen der alltäglichen Kanzleiarbeit sowie ihre Relevanz für die Herausbildung und Wahrung des spezifischen Aussehens der spätmittelalterlichen Papsturkunde herausgearbeitet werden.
2. Die päpstliche Kanzlei Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes, während des Pontifikats Innozenz’ III. an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert, war die päpstliche Urkundenproduktion massiven Veränderungen unterworfen, die auf die Ausweitung des Machtanspruches der Päpste als oberste geistliche Richter der Christenheit zurückzuführen sind. Im Laufe des 11. und 12. Jahrhunderts war im Zuge des Investiturstreits eine grundlegende Neuordnung der Verhältnisse zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt erfolgt. Daraus resultierten zunehmende Eingriffe der Päpste in lokale Rechts- und Glaubensfragen sowie die theoretische Forderung nach einem universalen päpstlichen Jurisdiktionsprimat, gestützt auf den Dictatus papae Gregors VII. und die rechtliche Grundlage des Decretum Gratiani, der bald verstärkt auch in der Praxis umgesetzt wurde. Die Papstkirche wurde als Folge zunehmend monarchisch und zentralistisch organisiert. Im 12. Jahrhundert entwickelte sich die Möglichkeit der unbeschränkten Appellation an die Kurie, so dass fortan grundsätzlich alle Rechtsmaterien, die unter die kirchliche Gerichtsbarkeit fielen, direkt beim Apostolischen Stuhl vorgebracht werden konnten. Auch die Verfügungsgewalt des Papstes über alle Benefizien der Christenheit wurde nach und nach verwirklicht. Besonders das System der päpstlichen Reservationen führte zu einer extremen Hierarchisierung verschiedenster Rechtsfragen und erhöhte gleichzeitig die Rechtssicherheit, da die Zuständigkeiten immer präziser definiert wurden. Auf dieser Grundlage konnte der Heilige Stuhl die oberste Gesetzgebungsgewalt, die Verwaltungshoheit, das Provisionsrecht und die höchste Jurisdiktion in kirchlichen Fragen ausüben. Eine beträchtliche Ausweitung der päpstlichen Befugnisse lässt sich während des Pontifikats Innozenz’ III. feststellen, der in zunehmendem Maße verschiedenste kirchenrechtliche Fragen aus allen Teilen der Christenheit an die Kurie zog, um den päpstlichen Führungsanspruch durchzusetzen.43 Die durch diese Entwicklungen sprunghaft angestiegene Zahl der an die Kurie herangetragenen Bitten und Prozesse konnten die bisherigen Strukturen der päpstlichen Verwaltung nicht bewältigen. Fortan wurden im Rahmen von Delegationen höhere Geistliche vor Ort damit betraut, die Rechtssachen als Richter ganz oder in Teilen zu entscheiden. Um diese Verfahren in die Wege zu leiten, stellte die 43 Zu den Grundzügen dieser Entwicklung vgl. Haller, Papsttum 3, S. 1−25, 303 f., 471−473; Schimmelpfennig, Papsttum, S. 178−190; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 177−179; Landau, Schwerpunkte, S. 15–31; Heckel, Aufkommen, S. 291 f.; Moore, Pope, S. 42−44.
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päpstliche Kanzlei Reskripte aus, um die Aufträge an die Richter zu übermitteln. Auch das päpstliche Verfügungsrecht über die Benefizien wurde in großen Teilen mithilfe päpstlicher Schreiben ausgeübt, die sich so zu politischen und rechtlichen Steuerungsinstrumenten der zentralisierten Kirchenherrschaft entwickelten. Der weitaus größte Teil der Papsturkunden entstand auf Initiative von Petenten aus der ganzen Christenheit, weit seltener erfolgte eine Ausstellung motu proprio.44 Dies führte dazu, dass die Urkundenherstellung an der Kurie überproportional zunahm, die jährlich produzierte Durchschnittsmenge versechsfachte sich zwischen den Pontifikaten Leos IX. und Innozenz’ III. Schon im 13. Jahrhundert ist wohl mit einem Ausstoß von mehreren tausend Urkunden monatlich zu rechnen.45 Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, musste die Kanzlei reformiert werden. Seit dem 12. Jahrhundert fand daher nach und nach eine Erweiterung und Umstrukturierung des Kanzleipersonals statt, die sich auch darin bemerkbar machte, dass zunehmend Routinesachen den Kanzleimitarbeitern zur eigenständigen Bearbeitung überlassen wurden, um den Papst zu entlasten. So war es besonders die Massenbearbeitung standardisierter einfacher Urkunden, die zur Erweiterung des Mitarbeiterstabes sowie dessen Differenzierung und Hierarchisierung führte. Eine grundsätzliche Reformierung und Neuorganisation erfolgte allerdings erst, als sich die Kurie im 14. Jahrhundert dauerhaft in Avignon niederließ.46 Mit der Nachfrage wuchs auch die Attraktivität, Fälschungen päpstlicher Urkunden zu produzieren. Die höhere Geschäftslast ging somit auch mit einer größeren Verantwortung einher. Formular und äußere Erscheinung der Papsturkunden mussten normiert werden, da nur die Einhaltung solcher Standards ihre Rechtskraft gewährleisten und der Fälschungsproblematik entgegenwirken konnte. So bildete sich ein immer präziseres Formelwesen für die päpstlichen Briefe heraus, was die Arbeit der Kanzlei einfacher, sicherer und kontrollierbarer machte.47 Die fortschreitende Ausweitung der päpstlichen Befugnisse auf die verschiedensten Rechtsgeschäfte führte außerdem zu einer Differenzierung der Urkundentypen.48
44 Meyer, Kanzlei, S. 293 f., S. 340 f.; Heckel, Aufkommen, S. 292; Kordes, Einfluss, S. 242– 248. Zum Provisionswesen vgl. Hitzbleck, Besetzt!, S. 207–229. Zum Verfahrensablauf im Rahmen der päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit vgl. Kobayashi, Papsturkunden, S. 119– 181. 45 Meyer, Kanzlei, S. 291−293; Kobayashi, Papsturkunden, S. 111–115; Bischoff, Urkundenformate, S. 22–30. 46 Heckel, Studien, S. 272 f.; Herde, Audientia 1, S. 20; Herde, Beiträge, S. 149 f.; Bischoff, Urkundenformate, S. 13 f. 47 Heckel, Aufkommen, S. 293 f.; Poole, Lectures, S. 122. 48 Kleine, Litterae, S. 188.
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2.1 Papsturkunden Urkunden, die den Willen der Institution Papsttum verkündeten, konnten im Mittelalter vielfältige Formen annehmen, aber nicht alle sind als Papsturkunden zu betrachten. Nicht nur die päpstliche Kanzlei, sondern auch andere kuriale Institutionen wie Pönitentiarie und Rota fertigten Urkunden aus, genauso wie Konzilien, Kardinäle und päpstliche Legaten. Diese Urkunden, die Frenz als „nichtpäpstliche Papsturkunden“49 bezeichnete, werden in der folgenden Untersuchung nicht berücksichtigt. Sie beschränkt sich auf „echte“ Papsturkunden, die den Papst als Aussteller nennen und mit der päpstlichen Bleibulle besiegelt wurden. Im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts fertigte die päpstliche Kanzlei hauptsächlich drei verschiedene Urkundenarten aus, nämlich Privilegien, litterae und Bullen. Die Papsturkunde mit der prächtigsten äußeren Ausstattung ist das (feierliche) Privileg.50 Privilegien wurden für Einzelpersonen, Personengruppen oder Institutionen ausgestellt und übertrugen oder bestätigten Rechte, Freiheiten oder Besitzungen. In unterschiedlichen Ausprägungen wurden sie von der päpstlichen Kurie bereits seit dem 8. Jahrhundert ausgefertigt. Seit dem 11. Jahrhundert entwickelten sie eine charakteristische Erscheinung, die sich vor allem durch die aufwendige Gestaltung der ersten Zeile und die raumgreifenden Unterfertigungen von Papst und Kardinälen auszeichnet und in ihrer seit dem 12. Jahrhundert greifbaren endgültigen Ausprägung bis in das 15. Jahrhundert erhalten blieb.51 Bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts wurden in der päpstlichen Kanzlei zahlreiche Privilegien hergestellt, seit dem Ende des Jahrhunderts wurden sie aber nur noch vereinzelt ausgefertigt. In geringer Zahl entstanden sie aber auch noch während des avignonesischen Papsttums und lebten bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts fort.52 Für die Abwicklung der Masse der alltäglichen päpstlichen Rechtsgeschäfte etablierte sich im Laufe des 13. Jahrhunderts die wesentlich einfacher gestaltete päpstliche littera.53 Die Form des Briefes hatten die Päpste bereits in der Antike von den römischen Kaisern übernommen, feste Formen und Gestaltungsmerkmale entwickelte sie aber erst seit dem 12. Jahrhundert.54 Im Vergleich zu den Privilegien sind die litterae optisch weniger eindrucksvolle Dokumente. Sie weisen keinerlei gra49 Frenz, Papsturkunden, 110–117. 50 Frenz, Papsturkunden, S. 19−23; Meyer, Kanzlei, S. 296−300. 51 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 76–78; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 82 f.; Delisle, Mémoire, S. 16; Poole, Lectures, S. 100; Rück, Papsturkunde, S. 4 f. 52 Krafft, Bene Valete, S. 153−155; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 99 f.; Herde, Audientia 1, S. 1 f.; Herde, Beiträge, S. 165; May, Ego, S. 217; Kleine, Litterae, S. 189. Zum Rückgang der Ausfertigung von Privilegien seit der Mitte des 13. Jahrhunderts im Detail siehe unten Kapitel 4.4.1−4.4.4, ab S. 204. 53 Frenz, Papsturkunden, S. 23−27; Meyer, Kanzlei, S. 300 f. 54 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 81; Herde, Audientia 1, S. 2−4.
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phische Zeichen und nur wenige Schmuckelemente auf, als Unterfertigungs- und Beglaubigungselement dient ausschließlich die Bleibulle.55 Die päpstlichen litterae sind damit Ausdruck einer seit dem 12. Jahrhundert in ganz Europa greifbaren Expansion und Pragmatisierung von Schriftlichkeit.56 Die litterae können nach verschiedenen Gesichtspunkten kategorisiert werden. Nach inhaltlichen Aspekten lassen sich Gratial- und Justizbriefe unterscheiden. In Gratial- oder Gnadenbriefen wurden Rechte oder Benefizien verliehen, Rechtstitel bestätigt oder Dekrete promulgiert; sie übernahmen damit in großen Teilen die Funktion der Privilegien. Mit den Justizbriefen wurden dagegen juristische Alltagsgeschäfte geregelt, sie umfassen vor allem Mandate und Anordnungen für delegierte Richter oder andere Personen und Institutionen, die als verlängerter Arm der päpstlichen Gerichtsbarkeit fungierten.57 Die litterae können auch anhand des jeweiligen Geschäftsganges differenziert werden, den sie bei ihrer Herstellung durchliefen. So lassen sich die litterae dandae, einfache kirchenrechtliche Alltagsgeschäfte, die von den Mitarbeitern der Kanzlei selbständig bearbeitet wurden, von den litterae legendae trennen, die vor ihrer Fertigstellung vor dem Papst verlesen und von ihm persönlich genehmigt werden mussten.58 Die häufigste Form der litterae dandae stellten die litterae simplices dar, die einfachste und am stärksten standardisierte Art von Justizbriefen.59 Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts entwickelte sich außerdem die Unterscheidung nach litterae curiales (auch litterae de curia) und litterae communes, wobei erstere nicht auf Ersuchen eines Petenten, sondern aus eigenem Antrieb des Papstes, motu proprio, ausgefertigt wurden, während letztere die große Masse der erbetenen Urkunden bilden.60 Den größten Teil der litterae curiales machte die politische Korrespondenz der Päpste aus. Briefe solchen Inhalts wurden nicht in der Kanzlei, sondern in der päpstlichen Kammer expediert, sie wurden seit dem 14. Jahrhundert als Sekretbriefe, litterae secretae, bezeichnet.61 Die Verschlussart der litterae kann ebenfalls als Kriterium zu ihrer Kategorisierung dienen. Die meisten Briefe verließen die Kurie als litterae patentes, offene Briefe. Sie wurden für den Transport einfach zusammengefaltet und vielleicht auch 55 Fees, Bedeutung, S. 67–69. 56 Kleine, Litterae, S. 189−194; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 95; Poole, Lectures, S. 113. 57 Herde, Beiträge, S. 64 f.; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 81 f.; Kleine, Litterae, S. 189; Delisle, Mémoire, S. 18 f.; Poole, Lectures, S. 115–117. 58 Herde, Beiträge, S. 61–64; Delisle, Mémoire, S. 21 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 171 f.; Poole, Lectures, S. 118 f.; Kleine, Litterae, S. 197 f. 59 Heckel, Studien, S. 271; Herde, Beiträge, S. 69 f. 60 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 107 f.; Herde, Beiträge, S. 66–68. 61 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 108; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 115; Göller, Mitteilungen, S. 42–45, 56 f.
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mit der Bullierungsschnur umwickelt, konnten aber ohne Durchschneiden der Schnur geöffnet werden. Die sogenannten litterae clausae wurden dagegen vollständig verschlossen, sie wurden gefaltet und der Faden so durch alle Lagen gezogen, dass er durchtrennt werden musste, um das Pergament entfalten zu können. Diese Verschlussart diente der Geheimhaltung oder der Ehrung eines hohen Adressaten, aber auch der sicheren Verwahrung beigefügter Schriftstücke.62 Von besonderem Interesse für die vorliegende Untersuchung ist die Unterscheidung der litterae anhand ihrer äußeren Ausstattung. Sie lassen sich unter diesem Aspekt in zwei Kategorien einteilen, nämlich die einfachen, mit Hanffäden bullier ten litterae cum filo canapis und die im Schriftbild prächtiger ausgestatteten litterae cum serico, bei denen die Bulle mit Seidenfäden angebracht wurde. Diese Unterscheidung anhand der Bullierung trat zuerst unter Innozenz II. (1130–1143) auf und stabilisierte sich während des Pontifikats Alexanders III. (1159–1181).63 Im Allgemeinen wird in der Diplomatik davon ausgegangen, dass diese beiden Ausstattungsarten auch den Inhalt der jeweiligen Urkunde widerspiegeln.64 Die inhaltliche Trennung ist aber nicht immer stringent, so dass eine Urkunde zwar inhaltlich einem Justizbrief entsprechen, jedoch als littera cum serico ausgefertigt werden konnte. Dies war beispielsweise dann der Fall, wenn ein Befehl nicht in Form eines Reskriptes an einen Delegaten übermittelt, sondern direkt für den Petenten ausgefertigt wurde, für den es sich dann um einen Gnadenerweis handelte.65 Herde stellte fest, dass die Kanzlei in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in solchen Fällen sehr streng nach Empfängern unterschied, sich die Ausstattung aber seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zunehmend nach dem Inhalt richtete.66 Die 62 Frenz, Papsturkunden, S. 29 f.; Maleczek, Litterae, S. 62−72; Egger, Littera, S. 42 f.; Barbiche, Bulle, S. 240; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 593 f.; Baumgarten, Kanzlei, S. 194–197; Berger, Registres Innocent IV 1, S. XXXVIIIf.; Ewald, Siegelkunde, S. 177 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 97; Meyer, Kanzlei, S. 301 f.; Delisle, Mémoire, S. 20 f.; Berger, Registres Innocent IV 1, S. XXXIV–XXXVI; Herde, Beiträge, S. 72–76. 63 Zur Ausdifferenzierung der äußeren Ausstattung dieser beiden Kategorien von litterae siehe unten Kapitel 4.3.5, S. 147. 64 Delisle, Mémoire, S. 20, stellte die These auf, dass die Briefe cum serico für die Erteilung von Rechten, diejenigen cum filo canapis aber für Befehle verwendet wurden; außerdem nahm er an, dass die mit Seide bullierten Briefe für alle Ewigkeit gültig sein sollten, während die mit Hanf nur temporären Wert hatten und vernichtet werden konnten, nachdem ihr Rechtsinhalt ausgeführt worden war. Laut Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 101, verliehen Seidenschnurbriefe dem Adressaten in den meisten Fällen Rechtstitel, manchmal auch Gnadenerweise, weshalb er sie auch als tituli bezeichnete, während Hanfschnurbriefe, auch Mandate genannt, vor allem für administrative Schreiben Verwendung fanden, darunter Befehle, Delegationen, Exekutorialbriefe oder Verhaltensmaßregelungen. 65 Herde, Audientia 1, S. 459; Largiadèr, Papsturkunden Zürich, S. 61; Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 348–350; Teige, Beiträge Audientia, S. 5 f.; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 529 f. 66 Herde, Beiträge, S. 59–61. Auch Berger, Registres Innocent IV 1, S. XXIX–XXXI, stellte
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beiden verschiedenen Ausstattungsarten der litterae sind demnach nicht vollständig deckungsgleich mit den inhaltlichen Kategorien der Gnaden- und Justizbriefe, als Grundsatz kann aber zumindest seit dem späteren 13. Jahrhundert angenommen werden, dass Briefe cum serico eine Vergünstigung gewährten, solche mit Hanffäden aber rechtliche Entscheidungen fällten oder Befehle übermittelten.67 Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts trat neben Privilegien und litterae eine weitere Urkundenart in Erscheinung, die Bulle (im diplomatischen Sinne) oder littera solemnis.68 Sie ist zuerst unter Innozenz IV. im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Lehensherrschaft des Papstes im Königreich Sizilien nachweisbar. Zunächst wurde diese neue Urkundenform hauptsächlich für Dekrete und allgemeine Verfügungen genutzt, besonders für politisch bedeutsame Exkommunikationen, doch auch päpstliche Gnadenerweise wie Verleihungen und Bestätigungen von Rechten und Besitzungen wurden bald als Bullen erlassen. Sie waren nicht an bestimmte Adressaten, sondern an die Allgemeinheit gerichtet und beanspruchten mit ihrer Verewigungsformel Ad futuram/perpetuam rei memoriam ewige Gültigkeit. Bezüglich ihrer äußeren Ausstattung können die Bullen als eine Mischung aus Seidenschnurbriefen und Privilegien beschrieben werden. Wie die litterae verfügen sie über keinerlei Unterfertigungen, die prächtige Ausstattung der ersten Zeile ist jedoch an die Privilegien angelehnt.69 Für alle genannten Arten von Papsturkunden gilt gleichermaßen, dass ihnen eine unanfechtbare Rechtskraft, nach Bresslau auch als fides publica bezeichnet, zugeschrieben wurde. Die Tatsache, dass seit dem 11. oder spätestens dem 12. Jahrhundert Papsturkunden nicht nur weit mehr nachgefragt wurden als Königs- oder Kaiserurkunden, sondern auch bessere Überlieferungschancen hatten, deutet darauf hin, dass sie besondere Wertschätzung genossen. Die Vertrauenswürdigkeit der Urkunden gründete sich zum einen auf die Person des Papstes als Aussteller, zum anderen aber auch auf ihre standardisierte äußere Form, ihren formelhaften Inhalt und den etablierten Geschäftsgang ihrer Produktion.70 Dieser Herstellungsprozess soll im Folgenden näher betrachtet werden, vor allem im Hinblick darauf, welche Personen oder Institutionen im Einzelnen für die äußere
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fest, dass Briefe, die jemanden dazu aufforderten, bestimmte Rechte oder Privilegien einer anderen Person oder Institution zu respektieren, also eigentlich Mandate darstellten, manchmal mit Seide bulliert wurden, weil ihr universeller Charakter eher einer Gnadenverleihung entsprach. Zu solchen Mischformen vgl. auch Falkenstein, Beispiele, S. 335–363; Krafft, Papsturkunde, S. 426; Birnstiel/Schweitzer, Seide, S. 306–308; Hotz, Litterae apostolicae, S. 67–69. Herde, Beiträge, S. 71; Graber, Spurium, S. 96. Frenz, Papsturkunden, S. 27−29; Meyer, Kanzlei, S. 302. Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 82; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 100; Lar giadèr, Papsturkunden Zürich, S. 63; Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLII–XLIV; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 501 f. Bresslau, Handbuch, S. 655–660; Kleine, Litterae, S. 185–190.
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Gestaltung der Papsturkunden verantwortlich waren und damit deren fides pu blica gewährleisteten.
2.2 Geschäftsgang Die päpstliche Kanzlei des Mittelalters war keine bürokratische Behörde nach modernen Maßstäben. Daher folgten die Arbeitsabläufe bei der Ausfertigung von Urkunden zwar einer grundlegenden Systematik, allerdings war diese recht flexibel, so dass einzelne Arbeitsschritte jederzeit den Bedürfnissen entsprechend improvisiert werden konnten. Die Gewohnheiten des Geschäftsgangs wurden fortlaufend angepasst, doch lassen sich die einzelnen Schritte der Entwicklung aufgrund der schwierigen Quellenlage gerade im 13. Jahrhundert nicht lückenlos nachverfolgen.71 Außerdem gab es zu keiner Zeit nur einen singulären Weg, eine päpstliche Urkunde zu erlangen, es fanden sich zahlreiche Möglichkeiten, den etablierten Geschäftsgang zu umgehen, wenn man über einflussreiche Förderer verfügte. Papst und Kardinäle, aber auch andere hohe Kuriale konnten jederzeit direkt auf die Urkundenausstellung einwirken, und selbst normale Kanzleimitarbeiter konnten sich für Petenten einsetzen und als Fürsprecher auftreten. Auf diese Weise konnten unangenehme Kontrollen der Urkunden vermieden und verschiedene Instanzen übergangen werden. Es gab zwar einen offiziellen Geschäftsgang für Routinesachen, der in der Literatur gewöhnlich als expeditio per cancellariam bezeichnet wird, im Alltagsgeschäft wurden aber vielfältige Sonderregelungen geschaffen.72 Im Folgenden wird diese expeditio per cancellariam des 13. und 14. Jahrhunderts in ihren Grundzügen dargestellt. Dabei liegt der Fokus auf jenen Arbeitsschritten, die für die äußeren Merkmale der Urkunden entscheidend sind, Detailfragen zu den anderen Stadien der Urkundenexpedition werden nicht berücksichtigt.73 Um die Ausstellung einer päpstlichen Urkunde zu veranlassen, musste der Petent in vielen Fällen eine dem stilus curie entsprechende Supplik verfassen, was er meist von einem erfahrenen Prokurator erledigen ließ, dem auch der übrige Geschäftsgang anvertraut wurde. War die Bittschrift genehmigt worden, wurde auf dieser Grundlage ein Konzept der auszufertigenden Urkunde erstellt. Es wurden auch Vorurkunden oder Registereinträge als Konzept genutzt, andere Urkunden, vor allem die standardisierten litterae simplices, konnten auf Grundlage vorgegebener 71 Frenz, Kriminalist, S. 134 f.; Herde, Beiträge, S. 149. 72 Herde, Beiträge, S. 151–153, S. 222; Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 337. 73 Die folgende Darstellung des Geschäftsganges beruht auf Herde, Beiträge, S. 149–242; Meyer, Kanzlei, S. 306–312; Heckel, Beiträge, S. 439–449; Schwarz, Organisation, S. 142–148; Herde, Delegationsgerichtsbarkeit, S. 26–30; Herde, Audientia 1, S. 22 f.; Wetzstein, Heilige, S. 86–105; Rabikauskas, Diplomatica pontificia, S. 61–65, 118–121; Kobayashi, Papsturkunden, S. 56–73.
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Formulare direkt als Reinschrift ausgefertigt werden. Das fertige Konzept wurde zur weiteren Bearbeitung dem Reskribendar oder dem Distributor überbracht. Beide hatten die Aufgabe, die Konzepte an die für die Kanzlei tätigen Skriptoren zu verteilen. Diese Schreiber fertigten auf Basis der Konzepte die Reinschriften an, sie bildeten damit auch die Personengruppe, die vorrangig für die äußere Gestaltung der Urkunden verantwortlich zeichnete. Die litterae wurden von den Skriptoren komplett eigenständig hergestellt und mit einem Datum versehen, die feierlichen Privilegien dagegen wurden zunächst von Papst und Kardinälen unterzeichnet, der Vizekanzler agierte als Datar.74 Die Skriptoren verrichteten ihre Arbeit in ihrer eigenen Unterkunft. Zu keiner Zeit während des 13. und 14. Jahrhunderts verfügte die Kanzlei über ein Gebäude, das den zahlreichen Schreibern ausreichend Platz und Ruhe zur Arbeit geboten hätte.75 Ihre Aufträge erhielten sie in der vicecancellaria, Wohnung und gleichzeitig Büro des Vizekanzlers, die als zentrale koordinierende Stelle des Geschäftsganges und damit als „Kanzlei“ im eigentlichen Sinne fungierte, was dem Vizekanzler ein hohes Maß an Kontrolle über den gesamten Prozess der Urkundenexpedition ermöglichte.76 Diese Form der Organisation war sehr anpassungsfähig und funktio nierte daher auch bei häufigen Ortswechseln der Kurie.77 Die vicecancellaria war nicht im Papstpalast untergebracht und existierte daher im Gegensatz zu anderen kurialen Institutionen wie der Kammer in einer deutlichen räumlichen Distanz zum Papst. Dies war auch in Avignon der Fall, als viele andere Ämter und Funktionen, die von besonderer Bedeutung für das Papsttum waren, innerhalb des Papstpalastes angesiedelt wurden.78 Nach Anfertigung der Reinschrift wurde diese durch die Schreiber selbständig mit dem Konzept verglichen und gegebenenfalls verbessert, dann wurden beide Dokumente an die zuständigen Notare oder Abbreviatoren weitergeleitet und teilweise sogar dem Vizekanzler vorgelegt, wo sie erneut kollationiert wurden. Wurden Fehler im Inhalt oder in der Ausstattung festgestellt, wurde die Urkunde entweder 74 Zur Datierung der Privilegien siehe unten Kapitel 4.4.6.6, S. 276. 75 Schwarz, Organisation, S. 12, 67–71; Bischoff, Urkundenformate, S. 43; Kleine, Litterae, S. 198; Nüske, Untersuchungen (1975), S. 421; Meyer, Kanzlei, S. 322. 76 In dieser vicecancellaria erfolgten die wichtigsten Expeditionsschritte, vor allem die im Folgenden zu beschreibenden Kontrollen, außerdem wurden die Suppliken und Urkunden dort zwischen den einzelnen Bearbeitungsstadien aufbewahrt. Die Petenten, Prokuratoren und auch die Kanzleimitarbeiter konnten jederzeit auch außerhalb der offiziellen Arbeitszeit Urkunden abholen und hinterlegen. Außerdem wurden in der vicecancellaria wichtige Bekanntmachungen zum Kanzleibetrieb verlesen oder angeschlagen; vgl. Schwarz, Organisation, S. 141–149; Schwarz, Rolle, S. 180 f.; Meyer, Kanzlei, S. 319. 77 Schwarz, Organisation, S. 149. Zu den unterschiedlichen Residenzen der Kurie samt Kanzlei in Rom (Lateran und Vatikan) sowie außerhalb Roms (vor allem in Viterbo und Anagni) im 13. Jahrhundert vgl. Paravicini Bagliani, Cour, S. 10–37. 78 Schimmelpfennig, Papsttum, S. 217, 226 f.
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direkt korrigiert oder durch den Reskribendar zur Verbesserung an den zuständigen Skriptor übermittelt. Diese erste Kontrolle der Reinschrift wird als prima visio bezeichnet. Auch Notare und Abbreviatoren mussten demnach mit den Gewohnheiten und Regeln zur äußeren Gestaltung der päpstlichen Urkunden im Einzelnen vertraut sein, da sie die Arbeit der Skriptoren überprüfen mussten, ebenso wie der Vizekanzler als Leiter der Kanzlei. An diese erste Kontrolle schloss sich noch eine zweite an, in welcher der juristische Inhalt der Urkunden geprüft wurde. Dies erfolgte im 13. Jahrhundert durch einen Korrektor,79 einige Urkunden wurden auch vor dem Papst verlesen. Seit dem 14. Jahrhundert wurde dieser Prüfvorgang als cancellariam tenere bezeichnet und oblag einer Versammlung von Kanzleileitern, Notaren und ausgewählten Abbreviatoren. Eine abschließende Prüfung auf materielle Mängel wurde, zumindest zum Ende des 14. Jahrhunderts, durch den custos cancellarie durchgeführt. Er untersuchte die Urkunde auf Fehler wie unerlaubte Rasuren und Löcher oder Risse im Pergament und präsentierte sie im Anschluss dem Kanzleileiter, der sie zur Bullierung freigab. Bei den litterae simplices war der Geschäftsgang auch hinsichtlich der Kontrollen stark verkürzt, es fand lediglich eine einzige, vor allem inhaltliche Überprüfung statt, die vom Korrektor durchgeführt wurde.80 Die Kontrollen der Urkunden erfolgten teilweise in der Wohnung des Korrektors, teilweise in der vicecancellaria.81 Bestimmte Urkunden wurden im Anschluss an die beschriebenen Kontrollen in der Audientia publica verlesen, wo die betroffenen Parteien die Möglichkeit hatten, Einspruch einzulegen. Nicht nur litterae, sondern auch feierliche Privilegien wurden dort der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Falls ein Widerspruch erfolgte, wurde dieser zu einem späteren Zeitpunkt in der angeschlossenen Institution der Audientia litterarum contradictarum verhandelt. Wurde dem Protest stattgegeben, musste die bereits als Reinschrift ausgefertigte, aber noch nicht bullierte Urkunde kassiert werden, ansonsten wurde sie zur Besiegelung freigegeben. Allerdings konnte der Auditor litterarum contradictarum als Vorsitzender der Verhandlungen auch kleinere Korrekturen an den Urkunden vornehmen, die sich aus dem Einspruch ergeben hatten. Eine letzte Möglichkeit bestand darin, dass die Parteien sich auf einen Kompromiss einigten, über den der Auditor dann unter eigenem Siegel eine die päpstliche littera ergänzende Urkunde ausfertigte. Die Audientia war räumlich nicht in der vicecancellaria untergebracht, in Avignon lag sie im Papstpalast, vor 1321 in der Kirche Notre-Dame-des-Doms.82 79 Zur Tätigkeit des Korrektors vgl. auch Fickel, Korrektor, S. 11–30. 80 Dieser verkürzte Geschäftsgang wird auch als expeditio per viam correctoris bezeichnet; vgl. Frenz, Papsturkunden, S. 100 f.; Wetzstein, Heilige, S. 98. 81 Schwarz, Organisation, S. 147; Meyer, Kanzlei, S. 321 f. 82 Schwarz, Organisation, S. 147; Schimmelpfennig, Papsttum, S. 226; Kerscher, Johannes XXII., S. 242, 248 Anm. 8.
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Schließlich wurde die Papsturkunde in der Bullarie von den Bullatoren mit der päpstlichen Bleibulle versehen, dem letzten äußeren Merkmal, das an der Urkunde angebracht wurde. Die Bullarie, ein Raum in der Wohnung der Bullatoren, lag meistens aus praktischen Gründen nicht weit von der cancellaria entfernt.83 In Avignon war sie in einem gemieteten Stadthaus einquartiert, in dem sich auch Schmelzöfen zum Gießen der Bleischrötlinge befanden. Erst mit der Rückkehr der Kurie nach Rom unter Martin V. wurde sie im Papstpalast untergebracht.84 Die besiegelte Urkunde wurde dem Petenten oder Prokurator entweder direkt von den Bullatoren ausgehändigt oder diesem durch Kursoren zugestellt, abschließend konnte sie in das päpstliche Register eingetragen werden. Im Laufe des 13. Jahrhunderts begann sich die Expedition der Papstbriefe in zwei getrennte Geschäftsgänge aufzuspalten, in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts verfestigte sich diese Trennung endgültig. Die päpstlichen Notare und deren Abbreviatoren waren fortan nur noch für die Justizbriefe zuständig, die Expedition der Gratialbriefe unterstand dagegen weiterhin dem Vizekanzler und dessen Mitarbeitern. Die Personenkreise, die für die äußeren Merkmale der Urkunden zuständig waren, berührte diese Entwicklung aber nur am Rande, die Herstellung der Reinschriften blieb Aufgabe der Skriptoren, die Korrekturarbeiten oblagen weiterhin Notaren und Abbreviatoren.85 Stark verkürzt war der Geschäftsgang der litterae curiales. Ihr Wortlaut wurde vom Papst, dem Vizekanzler oder einem Notar entworfen, die Reinschrift wurde von einem Skriptor ausgefertigt und nach einer kurzen formalen Kontrolle direkt bulliert. Erst seit dem späten 14. Jahrhundert wurden die Reinschriften zunehmend von Sekretären hergestellt, die nicht dem Vizekanzler, sondern dem Kämmerer unterstanden. Zur selben Zeit wurde diese expeditio per cameram auch für päpstliche Urkunden möglich, die auf Basis einer Supplik ausgefertigt wurden.86 Die secretarii pape sind bereits seit den Pontifikaten Benedikts XII. und Johannes’ XXII. nachweisbar, seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nahm das päpstliche Sekretariat dann zunehmend festere Formen an, seine Beteiligung am Urkundengeschäft erreichte aber erst im 15. Jahrhundert erwähnenswerte Ausmaße.87 83 Meyer, Kanzlei, S. 312; Herde, Beiträge, S. 180. 84 Baumgarten, Kanzlei, S. 78–86. Baumgarten beschreibt ebenda S. 125 f., dass die Bullatoren zumindest in den 1370er Jahren die Urkunden abholten und mit einer eigens dafür angeschafften Tasche in die Bullarie trugen; vgl. Schwarz, Organisation, S. 147; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 310. 85 Meyer, Kanzlei, S. 308 f.; Schwarz, Corrector, S. 149 f.; Schwarz, Organisation, S. 102 f.; Herde, Beiträge, S. 158–160; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 305–308. 86 Meyer, Kanzlei, S. 313, 316; Frenz, Papsturkunden, S. 98−100; Frenz, Kanzlei, S. 132–140; Herde, Beiträge, S. 153 f.; Wetzstein, Heilige, S. 98 f.; Rabikauskas, Diplomatica pontificia, S. 122 f.; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 316 f.; Göller, Mitteilungen, S. 46. 87 Frenz, Kanzlei, S. 164–180; Frenz, Eindringen (1973), S. 319–326; Schmitz-Kallenberg,
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Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass verschiedene Personengruppen in der Kanzlei die korrekte äußere Ausstattung der Papsturkunden verantworteten. Zuvorderst sind hier die Skriptoren zu nennen, welche die Reinschrift herstellten, sie mussten die Gestaltungsgewohnheiten der Kanzlei bis ins Detail kennen. Doch auch die Notare und Abbreviatoren, die deren Arbeit kontrollierten, mussten Fehler bei der äußeren Gestaltung erkennen können, das Gleiche gilt für den custos cancellarie sowie den Vizekanzler. Zuletzt hatten auch die Bullatoren Einfluss auf die Erscheinung der Urkunden, da die Bulle gleichzeitig Beglaubigungsmittel und auffälligstes optisches Erkennungsmerkmal war. Im Folgenden werden kurz die Strukturen dargestellt, in denen diese Mitarbeiter der Kanzlei im 13. und 14. Jahrhundert organisiert waren und arbeiteten.
2.3 Personal Noch unter Innozenz III. hatte es einen Kanzler als Kanzleivorstand gegeben, das Amt blieb jedoch häufig unbesetzt, so dass sein ursprünglicher Stellvertreter, der Vizekanzler, seit dem frühen 13. Jahrhundert dauerhaft als Kanzleileiter agierte.88 Als dessen Stellvertreter, vor allem bei längerer Abwesenheit, fungierte wiederum seit dem 14. Jahrhundert der regens cancellariam.89 Der Vizekanzler wurde vom Papst vereidigt und nahm als Leiter der päpstlichen Kanzlei eine hohe Stellung an der Kurie ein. Das Amt wurde häufig von Männern mit hervorragender juristischer Ausbildung besetzt, unter den Vizekanzlern des 13. und 14. Jahrhunderts finden sich namhafte Kanonisten. Sie hatten die Oberaufsicht und die Disziplinargewalt über alle vereidigten Mitarbeiter der Kanzlei und der Audientia und waren in letzter Instanz für das Urkundenwesen und auch für die Ermittlung und Ahndung von Fälschungen verantwortlich.90 Dass sie in dieser Position Einfluss auf die Gestaltung der Urkunden nahmen, steht außer Frage. Den Kern der Bediensteten der päpstlichen Kanzlei bildeten in der fraglichen Zeit ursprünglich die Notare. Ihre Zahl belief sich anfangs auf sechs oder sieben, doch der vermehrte Geschäftsanfall der Kanzlei sorgte bald für einen StellenanPapsturkunden, S. 106–113; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 312–320; Göller, Mitteilungen, S. 46–53; Meyer, Kanzlei, S. 326 f. 88 Zur Entwicklung des Vizekanzleramtes aus dem Kanzleramt vgl. Heckel, Studien, S. 277–289; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 240–259; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 97–104; Poole, Lectures, S. 138−142; Tangl, Kanzleiordnungen, S. XI–XV; Nüske, Untersuchungen (1975), S. 394 f. 89 Meyer, Kanzlei, S. 318; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 289; Frenz, Papsturkunden, S. 74. 90 Schwarz, Rolle, S. 172–187; Meyer, Kanzlei, S. 318; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 289– 292; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 104; Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 146; Nüske, Untersuchungen (1975), S. 396.
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wuchs.91 Im frühen 13. Jahrhundert übernahmen die Notare noch zahlreiche praktische Aufgaben bei der Urkundenproduktion, sie waren für die Verlesung der Petitionen vor dem Papst zuständig, stellten die Konzepte her und prüften die Schriftstücke auf formale und inhaltliche Richtigkeit. Gemeinsam mit dem Vizekanzler leiteten sie die Kanzlei.92 Es war bereits im 13. Jahrhundert üblich, dass die päpstlichen Notare eine juristische Ausbildung erfahren hatten und sich rechtswissenschaftlich betätigten, daher wurden sie auch in diplomatischen Missionen im Auftrag des Papstes eingesetzt. Oft hielten sie sich jahrelang nicht an der Kurie auf und wurden daher zunehmend von der eigentlichen Kanzleiarbeit ausgeschlossen, ihre Aufgaben wurden von ihren Gehilfen, den Abbreviatoren, übernommen. Viele der Notare waren päpstliche Kapläne oder Subdiakone und als Verwandte oder Familiare von Kardinälen oft einträglich bepfründet. Die Möglichkeit der politischen Einflussnahme der Notare muss demnach als groß gelten, ihre Bedeutung in der Kanzlei und ihr Einwirken auf die dortigen Vorgänge wurde aber zunehmend geringer.93 Gleichzeitig wuchs seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Bedeutung der Abbreviatoren, die ursprünglich Privatbedienstete der päpstlichen Notare und des Vizekanzlers waren.94 Einige Abbreviatoren wurden seit der Mitte des 13. Jahrhunderts als Assistenten des Vizekanzlers zur Kontrolle der fertigen Reinschriften herangezogen, sie traten in ein offizielles Dienstverhältnis zum Leiter der Kanzlei ein und legten bei ihm einen Amtseid ab. Sie gewannen immer größere Unabhängigkeit, eine kollegiale Organisation der Abbreviatoren ist allerdings erst im 15. Jahrhundert bezeugt. Seit dem Konstanzer Konzil war ihre Zahl auf 25 begrenzt.95 Häufig waren die Abbreviatoren gleichzeitig Schreiber der päpstlichen Kanzlei, sie rekrutierten sich aber nicht zwangsläufig aus den Reihen der Skriptoren, denn es wurden auch einfache öffentliche Notare angeworben, die im Umkreis der Kurie tätig waren.96 Es ist wahrscheinlich, dass für die Kontrollarbeiten an den Reinschriften vorzugsweise solche Abbreviatoren herangezogen wurden, die auch als Schreiber tätig waren, da sie die meiste Erfahrung mit der Gestaltung der Urkunden hatten.97 91 Nüske, Untersuchungen (1975), S. 398–405; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 271 f. 92 Meyer, Kanzlei, S. 319 f.; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 273 f.; Heckel, Beiträge, S. 447 f.; Heckel, Studien, S. 268 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 104. 93 Herde, Beiträge, S. 20; Meyer, Kanzlei, S. 319−321; Schwarz, Rolle, S. 173. 94 Herde, Beiträge, S. 158–160; Schwarz, Organisation, S. 21 f.; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 274 f. 95 Schwarz, Abbreviature, S. 789–815; Meyer, Kanzlei, S. 320−325. 96 Herde, Beiträge, S. 26 f.; Herde, Öffentliche Notare, S. 497; Bresslau, Urkundenlehre, S. 275; Guillemain, Cour, S. 323 f. 97 Seit dem späten 14. Jahrhundert ist eine Differenzierung der Abbreviatoren in verschiedene Grade nachweisbar, die verschiedene Kontrollfunktionen im Geschäftsgang der Kanzlei wahr-
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Von besonderem Interesse sind die Arbeitsverhältnisse der Skriptoren, welche die Reinschriften der päpstlichen Urkunden selbstverantwortlich und in ihren eigenen Räumlichkeiten herstellten. Sie waren ebenfalls zunächst private Bedienstete der Notare, seit der Mitte des 13. Jahrhunderts traten aber auch sie in ein Dienstverhältnis zur Kanzlei ein und wurden vom Vizekanzler vereidigt.98 Wer Skriptor an der päpstlichen Kanzlei werden wollte, musste zunächst um eine solche Stelle supplizieren. Wenn der Kandidat bestimmte Bedingungen erfüllte, unter anderem ein Mindestalter von 18 Jahren hatte, von legitimer Geburt, gutem Leumund und geistlichem Stand war, konnte die Supplik positiv beschieden werden. Dann musste der Kandidat vor dem Vizekanzler eine Prüfung ablegen, um seine Eignung zu beweisen. Geprüft wurden die Allgemeinbildung, Fähigkeiten im Schreiben, der scriptura, außerdem Kenntnisse über die lateinische Sprache und Grammatik sowie über die äußere Ausstattung der Urkunden. Offenbar genügten Mindestkenntnisse, um eine Bescheinigung über die bestandene Prüfung zu erhalten, auf deren Basis dann ein Ernennungsschreiben ausgestellt und der Kandidat vereidigt wurde.99 Seit dem 14. Jahrhundert wurden die Skriptorenstellen als Pfründen, die Ernennung zum Schreiber als Provision mit einer Pfründe aufgefasst.100 Die Anzahl der Skriptoren war schon im 13. Jahrhundert sehr groß, im 14. Jahrhundert musste sie mehrfach auf 100 oder eine noch geringere Zahl begrenzt werden.101 So sind für den gesamten Pontifikat Bonifaz’ VIII. genau 100 Schreiber verzeichnet, anhand der Vermerke auf den Urkunden lässt sich aber feststellen, dass nie alle gleichzeitig, sondern immer nur etwa 50 von ihnen zur gleichen Zeit in der Kanzlei tätig waren. Sie waren neben ihrer Schreibertätigkeit auch mit politischen oder diplomatischen Missionen beauftragt und wurden beispielsweise als Kollektoren oder Gesandte eingesetzt. Viele Schreiber betätigten sich auch als öffentliche Notare und verfügten über mehr oder weniger einträgliche Pfründen. Sie füllten verschiedene Funktionen in der Kanzlei aus, waren abwechselnd Skriptoren, Abbreviatoren oder Registratoren und häufig auch als Prokuratoren tätig. Außerdem machten viele Skriptoren Karriere an der Kurie und gehörten als Kaplan, Kämme-
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nahmen und dementsprechend über unterschiedlich umfangreiche Vorkenntnisse verfügen mussten; die Grade wurden zunehmend als Stufen einer Dienstkarriere betrachtet; vgl. Schwarz, Abbreviature, S. 790–794. Meyer, Kanzlei, S. 322; Kleine, Litterae, S. 198; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 276; Schwarz, Organisation, S. 14–18. Schwarz, Organisation, S. 131–137. Sicher belegt sind diese Prüfungsformen und -inhalte erst für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts, allerdings ist davon auszugehen, dass sie sich im Zusammenhang mit der Selbstorganisation der Schreiber bereits deutlich vorher entwickelten und wenigstens teilweise bis in das 13. Jahrhundert zurückreichen. Schwarz, Organisation, S. 167–177; Meyer, Kanzlei, S. 323. Schwarz, Organisation, S. 39–52; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 105; Bischoff, Urkundenformate, S. 42 f.; Nüske, Untersuchungen (1975), S. 418; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 277.
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rer oder Notar der familia eines Kardinals an.102 Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden Ämterkumulationen häufiger und Schreiber gelangten fortan zunehmend in höhere Verwaltungsstellen, beispielsweise als Kanzleinotare, Registratoren oder Kammerkleriker.103 Die Skriptoren bildeten bereits im 13. Jahrhundert eine selbständige Organisation, unter Innozenz III. wurde ihre Tätigkeit erstmalig reglementiert. Sie unterstanden zwar der gemeinsamen Jurisdiktion des Vizekanzlers und der Notare, bildeten aber ein zunftartig organisiertes Kolleg, in dem die Arbeit und damit die Einkünfte gleichmäßig verteilt wurden.104 Zwei der Schreiber übernahmen die Aufgaben des Distributors und des Reskribendars, sie fungierten als Geschäftsleitung. Gemeinsam hatten sie dafür zu sorgen, dass alle Skriptoren den gleichen Anteil an Arbeit wie auch an Geld zugeteilt bekamen. Um dies zu gewährleisten, führten sie Distributionsbücher, in denen die aktiven Schreiber samt den ihnen zugeteilten Urkunden festgehalten wurden, und auch der auf den Ausfertigungen eingetragene Skriptorenvermerk, der Auskunft über den Schreiber des jeweiligen Stückes gab, trug zur gleichmäßigen Arbeitsverteilung bei. Distributor und Reskribendar wurden vom Vizekanzler (bis ins 14. Jahrhundert gemeinsam mit den Notaren) jeweils für sechs Monate ernannt und vereidigt, viele übten ihr Amt aber wesentlich länger aus.105 Auch der custos cancellarie wurde meist aus den Reihen der Skriptoren oder Abbreviatoren rekrutiert. Ursprünglich verrichtete er vor allem häusliche Dienste für Vizekanzler und Notare, er gewann jedoch zunehmend an Bedeutung und erhielt als rechte Hand des Vizekanzlers auch amtliche Zuständigkeiten. Zum Ende des 14. Jahrhunderts war er für die Sammlung der Suppliken zuständig, führte Buch über die von den Skriptoren eingereichten Reinschriften und war für die letzte Kontrolle der Urkunden auf mechanische Fehler verantwortlich. Außerdem verwahrte er die Libri Cancellarie und protokollierte die Publikation von Konstitutionen in der Kanzlei. Er wurde als Vorstandsmitglied der Schreiberkorporation betrachtet und hatte sein Amt auf Lebenszeit inne.106 102 Barbiche, Scriptores, S. 170–174; Schwarz, Organisation, S. 51–67; Nüske, Untersuchungen (1975), S. 424–427; Paravicini Bagliani, Cour, S. 90 f.; Boespflug, Curie, S. 31 f. 103 Schwarz, Organisation, S. 180; Guillemain, Cour, S. 324–329. 104 Schwarz, Organisation, S. 7–18; Meyer, Kanzlei, S. 322; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 276 f. Zu Organisation und Funktion des Schreiberkollegs vgl. Schwarz, Organisation, S. 151–166. 105 Schwarz, Organisation, S. 32–34, 85–95; Meyer, Kanzlei, S. 322 f.; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 277–279; Barbiche, Scriptores, S. 177–186; Heckel, Beiträge, S. 455 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 105. Zur Entwicklung der Ämter des Distributors und des Reskribendars vgl. Schwarz, Organisation, S. 102 f. 106 Schwarz, Organisation, S. 109; Meyer, Kanzlei, S. 328; Rabikauskas, Diplomatica pontificia, S. 93.
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Die Schreiber erhoben eine Taxe, die sie direkt vom Petenten oder dessen Prokurator einforderten. Im Gegensatz zu den Notaren wurden sie, ebenso wie die Abbreviatoren, nicht über die Einkünfte der Kanzlei finanziert. Die Kosten wurden für jedes Stück einzeln bemessen und berücksichtigten vor allem die Art der Urkunde sowie die Stellung des Empfängers, während Material- und Arbeitsaufwand keine Rolle spielten.107 Urkunden für hohe geistliche Würdenträger an der Kurie und deren familiae, für Mitarbeiter der Kanzlei oder auch Dokumente, die der politischen Korrespondenz dienten, wurden häufig ohne die Erhebung von Taxen ausgefertigt, ebenso wie Briefe für arme Petenten oder solche, deren kostenlose Mundierung der Papst befahl.108 Insgesamt agierten die Skriptoren als Berufsgruppe verhältnismäßig unabhängig von der Kanzlei. Sie unterstanden zwar der Aufsicht des Vizekanzlers und der Notare, die auch die Qualität ihrer Produkte kontrollierten, dennoch organisierten sie die Zuteilung der Arbeit und die Abläufe selbständig. Es fiel demnach auch in ihre eigene Zuständigkeit, sich über die entsprechenden Gewohnheiten der Kanzlei zu informieren und auf dem Laufenden zu halten. Von allen an der Herstellung päpstlicher Urkunden beteiligten Personen hatten sie sicherlich den größten Bedarf an Hilfsmitteln, die ihnen bei der Formulierung und Gestaltung helfen konnten. Sowohl die Abbreviatoren als auch die Skriptoren gingen demnach ihren Tätigkeiten im Wesentlichen eigenverantwortlich nach. Zugleich mussten sie aber kontinuierlich gewährleisten, dass die produzierten Urkunden den Gewohnheiten und Anforderungen der päpstlichen Kanzlei gerecht wurden. Der Erfüllung dieser Ansprüche war es sicherlich zuträglich, wenn das Personal durch eine entsprechende Ausbildung die erforderlichen Fähigkeiten wenigstens zu einem gewissen Grad bereits vor dem Eintritt in die Dienste der Kanzlei erworben hatte. Wie bereits angedeutet, verfügten viele der Notare, Abbreviatoren und Skriptoren über Notarspatente, sie waren also geprüfte päpstliche, im 13. Jahrhundert zuweilen auch noch kaiserliche Notare. Spätestens im 14. Jahrhundert strebte die Kurie dies als Voraussetzung für die Aufnahme in die Kanzleidienste an, allerdings kam es verhältnismäßig häufig vor, dass Kanzleimitarbeiter das Tabellionat erst nach jahrelanger Beschäftigung erhielten – zumindest nachträglich versuchte man demnach, diesen Befähigungsnachweis einzufordern.109 Neben der Ausbildung zum öffentlichen Notar verfügten einige auch über universitäre Bildung; dies gilt nachweislich für zahlreiche Vizekanzler, Auditoren und Korrektoren, aber auch 107 Schwarz, Organisation, S. 25–29; Heckel, Beiträge, S. 450–452; Bresslau, Urkunden lehre 1, S. 327–329. Zur gemeinsamen Verwaltung der Einkünfte durch die Schreiber vgl. Schwarz, Organisation, S. 35–39. 108 Schwarz, Organisation, S. 31. 109 Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 14–17; Nüske, Untersuchungen (1975), S. 414 f.; Barraclough, Public Notaries, S. 13 f.; Herde, Öffentliche Notare, S. 489–491; Schwarz, Organisation, S. 79–83.
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für einige Abbreviatoren und Skriptoren.110 Besonders seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts finden sich unter den Schreibern vermehrt Akademiker mit höheren Qualifikationen.111 Seit dem 13. Jahrhundert ergriff die Kurie selbst Maßnahmen zur Ausbildung der großen Zahl an benötigten Arbeitskräften. In den Jahren 1244 bis 1245 richtete Innozenz IV. ein studium generale ein.112 Er gewährte verschiedenen Privatschulen des kanonischen wie des zivilen Rechtes, die sich an der Kurie entwickelt hatten, zahlreiche Privilegien und schuf so eine innerkuriale Schule, welche Theologie sowie beide Rechte lehrte und dabei die kirchenrechtlichen Ansichten der römischen Kurie formulierte und vertrat. Durch hochkarätige Theologiedozenten wie John Peckham galt das studium curie zeitweise als hochangesehene Akademie.113 Das studium fungierte als Privatschule und war Personen vorbehalten, die enge Beziehungen zur Kurie nachweisen konnten;114 damit war es auch Notaren, Abbrevia toren und anderen Kanzleimitarbeitern zugänglich. Es wird vermutet, dass sich zumindest seit dem Pontifikat Johannes’ XXII. eine spezielle Notarsschule unter den Fakultäten des studium curie befand, in der auch eine Ausbildung im stilus curie und in der päpstlichen Urkundenminuskel erfolgt sein könnte.115 Während der Zeit des avignonesischen Papsttums war naturgemäß auch die Universität in Avignon von Bedeutung für die Kurie. Ursprünglich lag der Schwerpunkt der verhältnismäßig kleinen und unbedeutenden Universität auf den Rechtsfakultäten, Ende des 14. Jahrhunderts kam es aber zu einem massiven Aufschwung der Fakultät der Artes und damit auch der Notarskunst. Die Anwesenheit der Kurie zog Studenten aus ganz Europa nach Avignon, einige von ihnen fanden Arbeit bei hohen Kurialen, in der Kanzlei oder als Prokuratoren.116 Insgesamt konnten die Mitarbeiter der päpstlichen Kanzlei zumindest hinsichtlich des Notarsberufs einen hohen Ausbildungsstand vorweisen, außerdem dürfte der Bildungshintergrund der verschiedenen Ämter vom einfachen Skriptor bis zum Vizekanzler relativ gleichwertig gewesen sein.117 Diese Ausbildung ermöglichte es den potentiellen Skriptoren, die beschriebene Aufnahmeprüfung vor dem Vizekanzler problemlos zu bestehen. Außerdem hatten ausgebildete Notare Kenntnisse über gerichtliche und notarielle Vorgänge sowie zu den verschiedenen Urkunden110 Herde, Öffentliche Notare, S. 491 f. 111 Schwarz, Organisation, S. 179. 112 Paravicini Bagliani, Fondazione, S. 125–131; Paravicini Bagliani, Innocent IV., S. 883; Paravicini Bagliani, Cour, S. 194; Berger, Registres Innocent IV 2, S. LXV. 113 Paravicini Bagliani, Fondazione, S. 131–142; Paravicini Bagliani, Cour, S. 195; Verger, Université, S. 192. 114 Paravicini Bagliani, Fondazione, S. 135–139; Paravicini Bagliani, Cour, S. 195. 115 Herde, Beiträge, S. 49; Barraclough, Public Notaries, S. 101. 116 Verger, Université, S. 186–194. 117 Herde, Öffentliche Notare, S. 492 f.
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arten und Instrumenten samt deren rechtlichem Inhalt und äußerer Form.118 Demnach dürfte eine große Zahl der an der Urkundenausfertigung in der päpstlichen Kanzlei beteiligten Personen dazu befähigt gewesen sein, die juristische Relevanz der äußeren Ausstattung der Papsturkunden zu erfassen. Auch entsprechende Nachschlagewerke zur inneren und äußeren Gestaltung verschiedener Dokumente hatten patentierte Notare im Laufe ihrer Ausbildung kennengelernt und genutzt,119 so dass es für sie nahelag, auch im Zuge der Herstellung von Papsturkunden auf solche Hilfsmittel zurückzugreifen und sie gegebenenfalls auch selbständig auszuarbeiten. Gesondert von diesen Kanzleimitarbeitern sind die Bullatoren zu betrachten, die an der Kurie eine grundsätzlich andere Position bekleideten. Sie gehörten nicht zum Personal der Kanzlei, sondern unterstanden dem päpstlichen Kämmerer. Als diejenigen Personen, die mit der Herstellung und Anbringung der Bleibulle an den Papsturkunden betraut waren, spielten sie allerdings eine erhebliche Rolle für deren äußere Gestaltung. Die Bullatoren wurden auch als sigillatores, fratres de bulla oder fratres barbati bezeichnet. Meist waren zwei Bullatoren gleichzeitig tätig, nur für einige kürzere Zeiträume des personalen Wechsels lassen sich zum Teil drei, zum Teil nur ein Bullator nachweisen.120 Das Blei und die Hanf- und Seidenschnüre, die sie zur Herstellung der Siegel und zur Bullierung der Urkunden benötigten, beschafften sich die Bullatoren selbst vom Geld der päpstlichen Kammer, der Bullenstempel wurde aber vom Kämmerer aufbewahrt.121 Auch ihre Bezahlung erhielten sie aus den Einkünften der päpstlichen Kammer.122 Lange bestand die Tradition, fast ausschließlich Konversen der Zisterzienserklöster aus dem Patrimonium Petri, darunter besonders Fossanova und Casamari, als Bullatoren in den Dienst der Kurie aufzunehmen. Während des avignonesischen Papsttums griff man dann auf Laienbrüder der französischen Zisterzienserklöster, vor allem aus Fontfroide nahe Narbonne, zurück. Für die Zeit des Schismas schließlich lassen sich auch Bullatoren nachweisen, die aus anderen Klöstern und sogar Orden stammten, darunter Kartäuser und Benediktiner.123 Sie gehörten zu den 118 Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 11; Herde, Öffentliche Notare, S. 491. 119 Typischerweise dienten in der Notarsausbildung die sogenannten Artes dictandi als Nachschlagewerke; siehe dazu unten, Kapitel 3, S. 52. 120 Baumgarten, Kanzlei, S. 3–6; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 309; Barbiche, Bulle, S. 240; Watzl, Bullatoren, S. 193. 121 Baumgarten, Kanzlei, S. 109–123; Herde, Beiträge, S. 239; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 310. 122 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 310; Watzl, Bullatoren, S. 198. Detaillierte Informationen zur Bezahlung der Bullatoren bei Baumgarten, Kanzlei, S. 257–270. 123 Baumgarten, Kanzlei, S. 8−20, 46 f.; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 309; Watzl, Bullatoren, S. 194 f.
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wichtigsten Mitarbeitern der Kurie und standen in engster Beziehung zum Papst; wenigstens ein Bullator musste stets in dessen unmittelbarer Nähe sein.124 Ihre Ernennung zu Bullatoren nahm der Papst persönlich vor, den Amtseid leisteten sie in seine Hände. Außerdem wurden sie auf Lebenszeit bestellt und nicht, wie viele andere kuriale Mitarbeiter, nur für die Regierungszeit des jeweiligen Papstes.125 Schwierig zu beantworten ist die Frage nach dem Bildungshintergrund der Bullatoren. In der älteren Literatur werden sie häufig als fratres illiterati bezeichnet, es wurde immer wieder darauf verwiesen, dass sie nicht lesen und schreiben konnten und auch kein Latein verstanden, so dass sie sich den Inhalt der von ihnen bullierten Urkunden nicht erschließen und nur an der Ausstattung der Urkunde erkennen konnten, ob sie mit Hanf- oder Seidenfäden zu bullieren war. Auf diese Weise habe man Missbrauch verhindern und eine mögliche Bevorzugung bestimmter Petenten ausschließen wollen.126 Allerdings wird an keiner Stelle ein überprüfbarer Quellenverweis angeführt, der diese Vorstellung von den fratres illiterati untermauert. Demgegenüber gibt es Hinweise, die gegen die These des Analphabetismus sprechen. Zum einen wäre hier die gut dokumentierte Tatsache anzuführen, dass die meisten Konversen vor ihrer Berufung in das verantwortungsvolle Amt des Bullators bereits andere, oft leitende Positionen an der päpstlichen Kurie innehatten. Sie sind beispielsweise als Stallmeister, Kellermeister oder Verwalter des Almosenamtes nachweisbar und verfügten dadurch über genaue Kenntnis der Verhältnisse und Abläufe in der Kammer und der kurialen Verwaltung im Allgemeinen, die ihnen in ihrer Tätigkeit als Bullator zugutekam.127 Es ist nicht davon auszugehen, dass man für diese sehr anspruchsvollen und hochrangigen Verwaltungstätigkeiten auf Analphabeten zurückgriff. Zum anderen ist wenigstens eine Quelle überliefert, in der direkte Anweisungen an die Bullatoren schriftlich niedergelegt wurden. Es handelt sich um eine Hofordnung, die in der überlieferten Fassung in das Jahr 1306, also den Pontifikat Clemens’ V., datiert werden kann, allerdings auf eine Urfassung zurückgeht, die noch vor Bonifaz VIII. entstand, wahrscheinlich im Zeitraum zwischen 1261 und 1294.128 Der Text beschreibt, welche Entlohnung in Naturalien die Inhaber 124 Baumgarten, Kanzlei, S. 278 f. 125 Baumgarten, Kanzlei, S. 103–109; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 310; Watzl, Bullatoren, S. 197 f. 126 So die Argumentation bei Baumgarten, Kanzlei, S. 2, 104, 190, und ebenso, meist unter Bezug auf Baumgarten, bei Rabikauskas, Diplomatica pontificia, S. 59; Bresslau, Urkunden lehre 1, S. 309; Watzl, Bullatoren, S. 197; Ewald, Siegelkunde, S. 61; Nüske, Untersuchungen (1975), S. 429. 127 Baumgarten, Kanzlei, S. 43–47; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 309; Watzl, Bullatoren, S. 196. 128 Weiss, Versorgung, S. 76 f.; Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 45–47; Frutaz, Famiglia, S. 279–282; Haller, Aufzeichnungen, S. 3–5.
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verschiedener Kurienämter beanspruchen konnten und welche Leistungen sie dafür zu erfüllen hatten. Geregelt wird unter anderem die Zuteilung bestimmter Lebensmittel an die Bullatoren sowie die Ausgabe von Seide, Hanf und Blei für die Bullierung.129 Außerdem wird erläutert, dass dem Kämmerer durch die Bullatoren jeden Samstag die Bullenstempel und die im Laufe der vergangenen Woche eingenommenen Siegeltaxen in einer Ledertasche zu übergeben seien, damit er beides in einem Kasten bis zum kommenden Montag aufbewahre, da sonntags nur in Ausnahmefällen bulliert werde.130 Die Aufzeichnung derartiger Vorgaben, die sich direkt an die Bullatoren richteten, lassen vermuten, dass diese die entsprechenden Texte durchaus lesen und als Referenz für ihre Tätigkeit nutzen konnten. Genau wie die mit der Ausfertigung von Papsturkunden betrauten Mitarbeiter der Kanzlei konnten demnach auch die Bullatoren gegebenenfalls auf schriftliche Hilfsmittel zur Urkundenherstellung zurückgreifen.
129 Frutaz, Famiglia, S. 289: Duo bullatores quilibet duas vidandas carnium et aliorum et unam prebendam pro equo cum palea et .IIII.or ferri in mense et inter ambos .XLI. candelas et tres vidandas vini. Recipiunt eciam setam, filum, plumbum pro bulla et hospicium a camera […]; vgl. Weiss, Versorgung, S. 83. 130 Frutaz, Famiglia, S. 290: Predicti bullatores quolibet die sabbati debent reportare ad camerarium bullam sigillatam in theca de corio, et pecuniam quam habuerunt de bulla in septimana preterita. Camerarius vero debet habere cophinum, cuius clavem ipse teneat, in quo reponatur pecunia et bulla predicta, et remanet bulla penes camerarium in dicto cophino inclusa usque ad diem lune sequentem, quia non consuevit bullari die dominico, nisi ex necessitate.
3. Artes dictandi – Kurienferne Quellen zur Gestaltung päpstlicher Urkunden Noch bevor kuriale Quellen zur Urkundengestaltung entstanden, schlug sich das Aussehen der Papsturkunden in einer anderen Quellengattung nieder, die hier kurz erläutert werden soll, nämlich in den sogenannten Artes dictandi. Dabei handelt es sich um Lehrschriften der Ars dictaminis, jenes Teils der mittelalterlichen Rhetorik, der die Konzeption und Abfassung von Texten in korrektem Stil und richtiger Form vermittelte.131 In der Forschung hat sich der Begriff der Ars dictaminis für die Disziplin etabliert, während die einzelnen Traktate als Artes dictandi bezeichnet werden, wobei diese Unterscheidung nicht der zeitgenössischen Terminologie entspricht.132 Inhaltlich fokussieren die Artes dictandi meistens auf den Brief und dessen fünf Bestandteile (salutatio, exordium, narratio, petitio, conclusio), die Rhythmik des Satzes (cursus) und die rhetorischen Stilmittel (colores rhetorici).133 Während manche Artes sich als theoretische Abhandlungen zur Abfassung von Schriftstücken präsentieren, existieren daneben praktisch orientierte Mustersammlungen, die häufig als Summae dictaminis bezeichnet werden. Viele Traktate verbinden beide Aspekte und illustrieren den theoretischen Teil mit konkreten Mustern und Beispielen. Diese Muster können entweder auf authentische Vorlagen zurückgehen oder auch rein fiktiv sein.134 Die meisten Artes dictandi entstanden im Umfeld von mittelalterlichen Kanzleien, Klöstern, rechtswissenschaftlichen Schulen und Universitäten.135 Es dürfte auf diese Entstehungszusammenhänge zurückzuführen sein, dass ein Teil der Artes neben dem Brief im Allgemeinen auch Kanzleischriftgut und Rechtsdokumente, 131 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 11 f.; Camargo, Ars dictaminis, S. 20; Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, S. IX. 132 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 12–14; Camargo, Ars dictaminis, S. 20. 133 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 369–459; Camargo, Ars dictaminis, S. 21–26; Hartmann, Ars dictaminis, S. 10–20. Zur Entwicklung der fünf Briefteile und der Salutationslehre vgl. auch Haskins, Early Artes dictandi, S. 187; Beyer, Frühphase, S. 26–38; Murphy, Rhetoric, S. 224 f.; zum cursus vgl. auch Heathcote, Letter collections, S. 53–56; Murphy, Rhetoric, S. 248–253. 134 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 18 f.; Camargo, Ars dictaminis, S. 27 f.; Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, S. IX; Hartmann, Ars dictaminis, S. 21–23; Heathcote, Letter collections, S. 49 f. 135 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 16; Camargo, Ars dictaminis, S. 18; Vulliez, L’Apprentissage, S. 78.
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vor allem Urkunden, thematisiert.136 Für die vorliegende Untersuchung sind eben jene Artes von Interesse, die solche Urkundenlehren beinhalten, da sie gewöhnlich auch Papsturkunden berücksichtigen. Die Überlieferungssituation der Artes dictandi muss als äußerst unübersichtlich charakterisiert werden. Für viele der in großer Zahl erhaltenen Traktate liegen keine oder nur ungenügende Editionen vor. Die Nomenklatur bei der Bezeichnung der verschiedenen Werke wird in der Literatur uneinheitlich gehandhabt, zusätzlich sind die gegenseitigen Abhängigkeiten und auch die Zuordnung einzelner Werke und Bearbeitungen zu konkreten Autoren häufig unklar und kaum erforscht. Es liegen zahlreiche Detailstudien zu einzelnen Artes vor, außerdem bieten das Handbuch zur Ars dictaminis von Hartmann/Grévin sowie die Repertorien von Worstbrock/Klaes/Jütten für das 11. und 12. Jahrhundert und von Felisi/ Turcan-Verkerk für das 11. bis 14. Jahrhundert einen grundsätzlichen Überblick über die umfangreiche Quellensituation. Auf dieser Grundlage konnten diejenigen Traktate ermittelt werden, die aussagekräftige Angaben zur äußeren Gestaltung von Papsturkunden enthalten. Die Disziplin der Ars dictaminis entstand im Zuge des Investiturstreits und infolge des mit dieser Auseinandersetzung einhergehenden Bedarfs nach klar definierten rhetorischen Regeln für Streitschriften.137 Als früheste Ars dictandi wurde in der Forschung das Breviarium de dictamine des Alberich von Montecassino (1030–1094/99) identifiziert, das als erstes derartiges Werk eine explizite Kodifikation des Regelsystems zur Redaktion von Briefen enthält.138 Alberich war Mönch und Theologe, er wirkte im Kloster Montecassino als Lehrer für Grammatik, Rhetorik und Prosodie und verfasste während des Investiturstreits Streitschriften zur Unterstützung Gregors VII.139 Sein Breviarium ist eine heterogene Sammlung verschiedener Abhandlungen, die über mehrere Jahre kompiliert wurden, es enthält Kapitel zur Rhetorik, Grammatik und zur Brieflehre. Die einzelnen Texte entstanden in den Jahren zwischen 1077 und 1085. Ob das gesamte Korpus von Alberich selbst zusammengestellt wurde, ist nicht gesichert.140 136 Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, S. IX; Camargo, Ars dictaminis, S. 18; Vulliez, L’Apprentissage, S. 78; Vulliez, L’Ars dictaminis, S. 90–92. 137 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 20; Camargo, Ars dictaminis, S. 31 f.; Hartmann, Ars dictaminis, S. 56–59. 138 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 62; Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, S. 7; Hartmann, Ars dictaminis, S. 53–55; Worstbrock, Anfänge, S. 2–32. Zum Forschungsdiskurs über die Entstehung der Gattung der Artes dictandi und den „Vater“ der Disziplin vgl. Haskins, Early Artes dictandi, S. 171–187; Schmale, Bologneser Schule, S. 29–33; Beyer, Frühphase, S. 19–25; Patt, Early Ars dictaminis, S. 135–147; Hartmann, Ars dictaminis, S. 53–55. 139 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 62 f.; Bognini, Alberico, S. XIX–XXIV; Felisi/ Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 3, S. 424 f. 140 Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, Nr. 2, S. 8–16; Felisi/Turcan-Verkerk, Ar-
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Das Breviarium enthält eine Urkundenlehre, die auch päpstliche Privilegien behandelt.141 Darin wird zunächst kurz erläutert, dass es sich bei Privilegien um Vergünstigungen (concessiones) des Papstes für Kirchen handelt, danach folgen Beschreibungen des Benevalete, des im 11. Jahrhundert in Privilegien noch üblichen Chrismon (als Chi-Rho-Ligatur) und der Rota, jeweils mit Hinweisen zu deren Platzierung auf der Urkunde und ergänzt um graphische Darstellungen der Zeichen.142 Im Anschluss folgt der Text eines fingierten Privilegs Gregors VII. für das Kloster Montecassino.143 Die Urkundenlehre geht demnach konkret auf die Mitte des 11. Jahrhunderts eingeführten Innovationen der päpstlichen Kanzlei bei der Privilegiengestaltung, nämlich Rota und Benevalete, ein, deren erster Beleg aus dem Jahr 1049 ein Privileg Leos IX. für Montecassino ist.144 Inhalt und Anlage des Breviarium deuten darauf hin, dass es der Ausbildung von Personal für die päpstliche Kanzlei diente. Es deckte inhaltlich viele der Bedarfe ab, die sich aus der Gestaltung von Texten im Umfeld der Reformpäpste ergaben. Die Entwicklung von Alberichs Brieflehren kann demnach mit der Konfrontation zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. und der daraus resultierenden Entwicklung der päpstlichen Kanzlei in Verbindung gebracht werden.145 Auch auf personeller Ebene gab es enge Verbindungen zwischen dem Kloster Montecassino und der römischen Kurie: Stephan IX. und Viktor III. fungierten jeweils als Äbte von Montecassino, bevor sie den Papstthron bestiegen. Johannes von Gaeta war Schüler Alberichs, bevor er 1088 die Leitung der päpstlichen Kanzlei übernahm und schließlich als Getes dictandi, Nr. 3.3, S. 426 f.; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 64; Bognini, Alberico, S. XXIV–XXXIII; Worstbrock, Anfänge, S. 10–13; Murphy, Rhetoric, S. 207–210. 141 Druck: Bognini, Alberico, S. 35 f.; vgl. Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, Nr. 2.b.2, S. 13; Vulliez, L’Apprentissage, S. 86. 142 Bognini, Alberico, S. 35 f.: Privilegia summorum sunt ecclesie cuiuslibet concessiones pontificum. […] Habent autem privilegia prologos sicut cetere epistole et monogrammata in fine huiusmodi [Zeichnung des Benevalete] quod est „bene valete“. Signum autem in exordio privilegii vel crismon vel crux dominica cum superscripta „s“ erit; „s“ superscriptum signum interpretabitur, crismon autem huiusmodi effigiatur specie: [Zeichnung Chrismon ohne „s“]. Ut plenius autem in hoc monogrammate Christi nomen appareat, tali mea sententia effigiabitur specie: [Zeichnung des Chrismon mit „s“]. Consueverunt preterea in extremo margine privilegii quosdam insignire orbiculos antistitis nomen et paucula quelibet divina verba continentes in hunc modum: [Zeichnung Rota; in zwei Handschriften steht in den Quadranten papa Gregorius, als Devise dextera Domini plena est terra; zwei weitere Handschriften bringen die Devise Leos IX. misericordia Domini plena est terra]. Für die Darstellung der Zeichen in der Handschrift München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 19411 vgl. Krafft, Schlußgruß, S. 231 Abb. 1. 143 Bognini, Alberico, S. 36, S. 118 Anm. 7; Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, S. 13. 144 Dahlhaus, Aufkommen, S. 8 f.; Santifaller, Neugestaltung, S. 34; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 66; Bognini, Alberico, S. 115–117 Anm. 3. Zu Benevalete und Rota siehe unten Kapitel 4.4.6.4, S. 253. 145 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 70; Hartmann, Ars dictaminis, S. 63–67; Turcan- Verkerk, Apprendre, S. 135 f.
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lasius II. Papst wurde.146 Johannes könnte demnach als Mittelsmann gewirkt haben, der die Lehre Alberichs in der Kanzlei bekannt machte.147 Darüber hinaus verfügte Montecassino mit Santa Maria in Pallara über ein Filial kloster in Rom, in dem auch Alberich Zeit verbrachte und eventuell sogar an seinem Breviarium arbeitete.148 Die Ausbildung des päpstlichen Kanzleipersonals in der Ars dictaminis, für die das Breviarium die Grundlage bildete, fand wahrscheinlich in diesem Kloster statt, das Ziel dürfte die fachliche Stärkung der Mitarbeiter gewesen sein. Für entsprechende Unterweisungen in der Kanzlei selbst gibt es keine Belege, aber die Verbindung zwischen dem Kloster und der Kurie war sehr eng.149 Das Breviarium de dictamine und damit die Gattung der Artes dictandi entstand somit zwar nicht an der Kurie selbst, aber in ihrem engen Umfeld. Es wurde für die Schulung der Kanzleimitarbeiter herangezogen und diente eventuell sogar als Nachschlagewerk für die praktische Kanzleiarbeit.150 Vor diesem Hintergrund kann Alberichs Brieflehre als früheste bekannte Quelle gelten, die als konkretes Hilfsmittel für die äußere Ausstattung der Urkunden in der päpstlichen Kanzlei genutzt wurde. Das Breviarium wurde in Italien, Frankreich und im deutschsprachigen Raum rezipiert, besonders die italienischen Artes dictandi des 12. Jahrhunderts wurden deutlich von Alberichs Werk beeinflusst.151 Allerdings übernahmen die dictatores nicht alle Aspekte des Breviarium, denn keiner der italienischen Traktate aus dieser Zeit enthält eine Urkundenlehre. Zeitgleich entstanden aber in Frankreich zahlreiche Artes, die Abhandlungen zur Gestaltung von Rechtsdokumenten im Allgemeinen und Privilegien im Speziellen umfassen.152 Offenbar wurde die Urkundenherstellung im Umfeld der französischen Schulen als potentieller Aufgabenbereich der Absolventen des Unterrichts in der Ars dictaminis wahrgenommen, was im Kontext der italienischen Kommunen nicht der Fall war.153 In Frankreich entwickelte sich im Laufe des 12. Jahrhunderts eine eigene Tradition der Ars dictaminis, deren erste Blütezeit in die Jahre 1160 bis 1190 datiert wird. Sie kann auf verschiedene Kontakte und Beziehungen französischer Akteure mit den norditalienischen Traktaten und der päpstlichen Kurie zurückgeführt werden.154 Die Anfänge der französischen Ars dictandi werden nach aktuellem 146 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 66, 70; Hartmann, Ars dictaminis, S. 59–64; Turcan-Verkerk, Apprendre, S. 136; Herde, Audientia 1, S. 17; Murphy, Rhetoric, S. 202 f. 147 Hartmann, Ars dictaminis, S. 93. 148 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 71; Hartmann, Ars dictaminis, S. 59–63. 149 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 471 f.; Hartmann, Ars dictaminis, S. 63 150 Hartmann, Ars dictaminis, S. 93. 151 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 71–73. 152 Camargo, Ars dictaminis, S. 35 f.; Vulliez, L’Apprentissage, S. 83, S. 86–88. 153 Hartmann, Ars dictaminis, S. 130 f. 154 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 95 f.; Camargo, Ars dictaminis, S. 35 f.; Turcan- Verkerk, Histoire, S. 123–125.
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Forschungsstand im Umfeld der Grafen der Champagne verortet und mit einer einzelnen Person in Verbindung gebracht. Nicolas de Monthiéramey war Zisterzienser und fungierte in den Jahren 1146 bis 1152 als Sekretär des Bernhard von Clairvaux, danach hielt er sich an der römischen Kurie auf. Im Anschluss kehrte er nach Frankreich zurück, um seinem Förderer Graf Heinrich dem Freigiebigen von der Champagne zu dienen. Zu seinen Aufgaben gehörte dabei die Komposition von Briefen. In diesem Zusammenhang könnte er als erste Person die italienischen Traktate der Ars dictaminis und die jüngsten Gewohnheiten der päpstlichen Kanzlei nach Frankreich importiert haben.155 Um 1160 stieg dann in der Folge Tours zum Zentrum der Ars dictaminis in Frankreich auf, danach verbreitete sich die Disziplin in den 1170er-Jahren im Zentrum des Königreiches; ein deutlicher Schwerpunkt lag dabei in einem geographisch begrenzten Raum in der Loireregion um Tours, Meung, Orléans, Blois und Vendôme.156 Als erste Ars dictandi von zweifellos französischem Ursprung gilt die Aurea Gemma Gallica, die um 1153 bis 1155 entweder am Hof der Champagne oder im Kontext der Schulen von Tours verfasst wurde.157 Sie enthält zwar eine ausführliche Urkundenlehre, geht aber vor allem auf die Geschichte der Urkunde und verschiedene Formulare ein, ohne Angaben zur äußeren Ausstattung zu machen.158 Im Anschluss an die Aurea Gemma Gallica entstand eine Reihe von ähnlichen Traktaten, die ebenfalls Urkundenlehren umfassen. Aus dem Umfeld von Tours stammt eine anonyme Bearbeitung der italienischen Summa dictaminum des Bernhard von Bologna.159 Die unterschiedlichen Abschnitte dieser Redaktion B der Summa sind äußerst heterogen; einige verweisen inhaltlich auf Norditalien und die Toskana, andere auf Orléans, Tours und Vendôme.160 Die in Redaktion B integrierte Urkundenlehre entstand eventuell um 1147/48, wurde nach 1158 weiter bearbeitet und trägt den Titel De doctrina privilegiorum.161 Sie basiert auf Dokumenten, die mit der päpstlichen Kurie Eugens III. während ihres Aufenthalts in Frankreich
155 Turcan-Verkerk, L’introduction, S. 70–98; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 96 f. 156 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 99–105. 157 Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, Nr. 24, S. 119–122; Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 112, S. 505 f.; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 98 f.; Turcan- Verkerk, L’introduction, S. 63 f. 158 Druck: Wight, Aurea Gemma Gallica, 2.1–2.46. 159 Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, Nr. 7.6–7.9, S. 34 f.; Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 13.7, S. 434 f.; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 81–85; Turcan- Verkerk, Histoire, S. 123 f. 160 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 100; Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, S. 34; Vulliez, L’Apprentissage, S. 87 f. 161 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 13.8, S. 437 f.; Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, S. 34; Spence, Treatise, S. 55; Vulliez, L’Apprentissage, S. 86 f.; Druck: Spence, Treatise, S. 56–63.
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in den Jahren 1146 bis 1148 in Verbindung gebracht werden können.162 Die lange und wiederholte Anwesenheit der Kurie in Frankreich, besonders im Loiregebiet, könnte mit der Entwicklung der Artes dictandi in dieser Region zusammenhängen, denn nach Eugen III. verweilte auch Alexander III. zwischen 1162 und 1165 in Frankreich, davon mehrere Monate des Jahres 1163 in Tours.163 Zum Ende des 12. Jahrhunderts übernahmen die Schulen von Orléans die Führungsrolle in der Unterrichtung literarischer Disziplinen und der Produktion von Artes dictandi in Frankreich, wobei die dortige Lehre stärker auf die Diplomatik der Kanzleien ausgerichtet war.164 In diesem Kontext entstand um 1180 die Ars dictandi Aurelianensis, die einem Magister Rudolf von Tour zugeschrieben wird.165 Der moderne Titel ist darauf zurückzuführen, dass die Bistümer Orléans und Tours im Text erwähnt werden.166 Die enthaltene Urkundenlehre ist eine auf die wesentlichen Grundzüge reduzierte Bearbeitung der Redaktion B der Summa Bernhards.167 Als berühmtester Lehrer der frühen französischen Ars dictaminis gilt Bernhard von Meung.168 Sein unter dem Titel Flores dictaminum bekanntes Werk entstand um 1187 und bestand aus mindestens vier Teilen: einer theoretischen Ars dictandi, zwei Briefsammlungen und einer Privilegienlehre mit dem Titel Tractaturi de privilegiis.169 Es ist strukturierter und pragmatischer als die meisten Artes seiner Zeit und entwickelte sich zur am weitesten verbreiteten und am häufigsten bearbeiteten Brieflehre des 12. Jahrhunderts.170 Die Urkundenlehre weist weitreichende Übereinstimmungen mit dem entsprechenden Abschnitt in der Ars dictandi Aurelianensis auf, ist allerdings etwas umfangreicher. Diese Analogien sind darauf zurückzuführen, dass auch die Privilegienlehre Bernhards von Meung auf der Redaktion B der Summa des Bernhard von Bologna basiert.171 162 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, S. 437 f.; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 100; Spence, Treatise, S. 54; Vulliez, L’Apprentissage, S. 87. 163 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 100 f. 164 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 105. 165 Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, Nr. 19, S. 96–98; Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 85, S. 489; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 105 f. 166 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 106. 167 Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, S. 96; Druck: Rockinger, Briefsteller, S. 111– 114. 168 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 107; Schmale, Briefsteller, S. 16. 169 Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, Nr. 9, S. 43–62; Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 14.1, S. 438 f.; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 107; Schmale, Briefsteller, S. 13; Vulliez, L’Apprentissage, S. 90. 170 Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, S. 45; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 107; Schmale, Briefsteller, S. 2. 171 Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, S. 44 f.; Meisenzahl, Bedeutung, S. 75–79; Vulliez, L’Apprentissage, S. 88; Druck: Meisenzahl, Bedeutung, S. 2+–97+.
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Auch die zweite Redaktion der Introductiones dictandi ist Teil der französischen Tradition der Artes dictandi. In ihrem Kern gehen die Introductiones auf Transmundus zurück, der in den 1180er-Jahren als Notar an der Kurie tätig war und 1185/86 sogar zeitweise den abwesenden Kanzler als Leiter der Kanzlei vertrat. Ob er nach seiner Zeit an der Kurie tatsächlich in das Kloster Clairvaux eintrat, was in einigen Überlieferungen der Introductiones angedeutet wird, ist fraglich.172 Als gesichert gilt dagegen, dass die zweite, umfassend überarbeitete Redaktion der Introductiones das Werk eines anonymen Bearbeiters, wahrscheinlich eines Mönches aus Clairvaux ist, das wohl in den Jahren 1214 bis 1218 entstand.173 Offenbar erfolgte über Clairvaux ein kontinuierlicher Import der italienischen Artes dictaminis und der Gewohnheiten der päpstlichen Kanzlei nach Frankreich.174 Die in der zweiten Redaktion der Introductiones dictandi enthaltene Urkundenlehre wurde aus der Ars dictandi Aurelianensis übernommen, aber an einigen Stellen ergänzt und aktualisiert.175 Schließlich muss in diesen Traditionsstrang der Artes dictandi auch die Parisiana Poetria de arte prosayca, metrica et rithmica des John of Garland (auch Johannes Anglicus oder Jean de Garlande) einbezogen werden. John war ein in Frankreich wirkender Autor anglo-französischer Herkunft, der in Paris und Toulouse die Sprachkünste lehrte.176 Die Parisiana Poetria verfasste er wahrscheinlich um 1220, in den 1230er-Jahren wurde sie überarbeitet.177 Darin sind zahlreiche Privilegienmuster und Beispiele für offizielle Dokumente enthalten, das Werk könnte daher für den praktischen Gebrauch in Kanzleien kirchlicher Institutionen angelegt worden sein.178 Die Parisiana Poetria umfasst eine Urkundenlehre, die ebenfalls auf die Ars dictandi Aurelianensis zurückgeht.179 Alle beschriebenen Urkundenlehren der französischen Artes dictandi des 12. und der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gehen demnach auf eine gemeinsame Vorlage zurück. Als Ausgangspunkt für alle weiteren Bearbeitungen diente die französische Redaktion B der Summa dictaminum Bernhards, seit den 1180er-Jahren wurde dann die darauf basierende Ars dictandi Aurelianensis als Vorlage genutzt. Die 172 Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, S. 99 f.; Dalzell, Introductiones, S. 1–7; Heathcote, Letter collections, S. 43–46, 86–89. 173 Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, Nr. 20.5–20.16, S. 104–110; Felisi/Turcan- Verkerk, Artes dictandi, Nr. 92.1.2, S. 495; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 98; Dalzell, Introductiones, S. 7–13; Heathcote, Letter collections, S. 83. 174 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 98. 175 Worstbrock/Klaes/Jütten, Repertorium, S. 105; Dalzell, Introductiones, S. 8, 222; Druck: ebd., S. 144–157. 176 Lawler, Parisiana, S. XI f.; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 114, 212; Felisi/ Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 52, S. 465. 177 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 52.1, S. 465 f.; Lawler, Parisiana, S. XII–XV. 178 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 114. 179 Druck: Lawler, Parisiana, S. 152–159.
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Privilegienlehren weisen in ihrem Aufbau, Inhalt und sogar Wortlaut umfassende Übereinstimmungen auf und können daher zusammenfassend als verschiedene Bearbeitungen des gleichen Textes behandelt werden. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass der Abschnitt zur Gestaltung päpstlicher Urkunden in allen Versionen ausschließlich auf die Privilegien eingeht, litterae werden nicht berücksichtigt. Das spiegelt offenbar das Verhältnis beider Gattungen wider, wie es an der Wende zum 12. Jahrhundert bestand. Die Urkundenlehre beginnt in den meisten Fällen mit einer Definition des Privilegs, manchmal auch im Zusammenhang mit einer etymologischen Herleitung des Wortes.180 Im Anschluss sind die einzelnen Bestandteile des Protokolls und des Kontextes von Privilegien aufgeführt und mit Beispielen illustriert, wobei in allen Bearbeitungen darauf hingewiesen wird, dass die Buchstaben in der ersten Zeile verlängert werden sollen.181 Abschließend wird das Eschatokoll des Papstprivilegs samt Datierung beschrieben182 – der Wortlaut ist an dieser Stelle in allen Fassungen besonders ähnlich, er wurde also durch die Bearbeiter nicht aufgrund eigener Beobachtungen an Originalurkunden angepasst, sondern konsequent aus den jeweiligen Vorlagen übernommen. Die in den Texten angekündigten erläuternden Beispielzeichnungen zu den Bestandteilen des Eschatokolls sind allerdings in einigen der überlieferten Handschriften nicht vorhanden oder völlig falsch wiedergegeben.183 Insgesamt wei180 Zum Beispiel in der Privilegienlehre der Redaktion B der Summa dictaminum Bernhards, De doctrina privilegiorum, ed. Spence, Treatise, S. 56: Privilegium est apostolica vel imperialis sanctio, cuius timore firmata, iura intemerata servantur. Privilegium autem dicitur privata lex, id est specialis, cuius quidem fiducia sua quisque quasi quadam lege se defendit; vel ut Clemens papa testatur: Privilegium a privatione legum nomen accepit, quod videlicet iure factum nulla lex, nullum edictum, potest subvertere. Privilegium vero proprie dicitur, quod ab apostolico vel ab imperatore statuitur. 181 Zum Beispiel in der Ars dictandi Aurelianensis, ed. Rockinger, Briefsteller, S. 111: In prima linea apostolici privilegii pro salutacione scribitur altis litteris et longis: A episcopus servus servorum dei venerabili fratri Manase – vel alii: dilecto filio – suisque successoribus canonice substituendis in perpetuum. 182 Zum Beispiel in der zweiten Redaktion der Introductiones dictandi, ed. Dalzell, Transmundus, S. 144–147: His factis in sinistra parte paginae scribatur figura quae continet „benevalete“, sic: . A dextera parte vero scribatur rota quae duos habet circulos, et inter circulos scribatur versus psalterii quem voluerit dominus papa. In medio autem rotae sit forma crucis cuius bracchia pertingant ad minorem circulum. In superiori parte crucis scribatur nomen domini papae. In inferiori scribatur „papa tertius“ vel „quartus“. Inter rotam et figuram scribantur nomina cardinalium et signa. In fine chartae scribatur nomen cancellarii, et loci et temporis et ubi et quando scriptum est privilegium, sic: Datum Romae, per manum N. cancellarii, kalendas tali mensis talis, incarnationis dominicae anno tali, indictione tali, pontificatus domini pape anno tali. Hier meinen sinistra und dextera heraldisch links und heraldisch rechts; vgl. Krafft, Schlußgruß, S. 232 Anm. 108. 183 Dalzell, Introductiones, S. 224 Anm. 12, weist darauf hin, dass in allen bekannten Handschriften der Introductiones dictandi die Beispielzeichnung für das Benevalete fehlt. Lawler, Parisiana, S. 154 f., zeigt eine Darstellung des Eschatokolls in der Parisiana Poetria, die mit den tatsächlichen Unterfertigungen eines Papstprivilegs nichts zu tun hat; vgl. Krafft, Schlußgruß, S. 231 f.
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sen die Papstprivilegien-Lehren der französischen Artes dictandi deutliche Parallelen zu dem entsprechenden Abschnitt im Breviarium de dictamine des Alberich von Montecassino auf. Sie wurden aber im Hinblick auf die Veränderungen in den Gewohnheiten der päpstlichen Kanzlei aktualisiert: Die Beschreibung des Chrismons fiel weg, da es auf den Privilegien des 12. Jahrhunderts nicht mehr zu finden war, ergänzt wurde dafür der Hinweis auf die Kardinalsunterschriften.184 Die Urkundenlehre des Bernhard von Meung wurde um 1195 in Hildesheim rezipiert.185 Vor allem aber strahlte die französische Ars dictandi-Tradition in den Jahren 1190 bis 1225 auch nach Norditalien und speziell auf das Studium in Bologna aus.186 Um die Wende zum 13. Jahrhundert wirkte dort eine Generation von Autoren, mit denen die Lehre der Rhetorik in Bologna ihren Höhepunkt erreichte und die italienischen Artes dictandi eine Vorrangstellung in Europa erlangten, die für das gesamte 13. Jahrhundert erhalten blieb. Die wichtigsten dieser dictatores waren Guido Faba, Bene da Firenze und Boncompagno da Signa.187 Ihre Werke sind charakterisiert durch eine Ausweitung der Disziplin der Ars dictaminis, unter anderem durch eine zunehmende Ausrichtung auf die konkreten Bedürfnisse der Rechtslehre und des Notariats.188 Konkrete Angaben zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden sind allerdings nur von einem dieser Bologneser Autoren überliefert, nämlich von Boncompagno da Signa. Boncompagno (1165/75 – nach 1240) lehrte über viele Jahre Grammatik und Rhetorik in Bologna und anderen italienischen Städten, seine wiederholten Bemühungen um eine Anstellung an der römischen Kurie blieben aber zeitlebens erfolglos.189 Er verfasste zahlreiche Traktate zur Ars dictaminis, wobei die frühesten für den praktischen Gebrauch von Notaren konzipiert waren.190 Das umfangreichste dieser Werke ist die Oliva (um 1198), eine Urkundenlehre, die Privilegien und confirmationes von Geistlichen und Laien behandelt.191 Der Abschnitt zu den Papstprivilegien entspricht in seinem grundsätzlichen Aufbau dem der französischen Artes, die Darstellung der einzelnen Teile ist aber
184 Der Hinweis zu den Kardinalsunterschriften ist in der Redaktion B der Summa dictaminum Bernhards noch nicht enthalten; vgl. Spence, Treatise, S. 57. 185 De Kegel, Hildesheimer Briefsammlung, S. 53 f. 186 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 95; Camargo, Ars dictaminis, S. 33; Hartmann, Ars dictaminis, S. 135. 187 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 117; Camargo, Ars dictaminis, S. 33 f.; Hartmann, Ars dictaminis, S. 135 f.; Murphy, Rhetoric, S. 253–258. 188 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 117–121; Camargo, Ars dictaminis, S. 33 f., 37–41. 189 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 122; Murphy, Rhetoric, S. 253–255; Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 19, S. 441. 190 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 122 f.; Murphy, Rhetoric, S. 254 f. 191 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 19, S. 441; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 123; Cortijo Ocaña, Tratado, S. 76–78.
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deutlich ausführlicher.192 Nach der üblichen Definition und etymologischen Herleitung des Wortes „Privileg“ folgen zahlreiche Hinweise und Beispiele zu salutationes, exordia und narrationes. Im Kontext der Narratio-Formeln wird darauf hingewiesen, dass das Wort statuentes nicht mit einem Großbuchstaben geschrieben werden solle, da dies nur am Beginn einer Klausel oder bei Eigennamen erlaubt sei.193 Diese sehr spezielle Anmerkung deutet darauf hin, dass Boncompagno die entsprechenden Kenntnisse während eines seiner Aufenthalte an der Kurie im direkten Umfeld der Kanzlei erworben hatte.194 Im Anschluss folgt ein kurzer Hinweis auf die Unterfertigungszeichen.195 Da der Text keine genaue Beschreibung der signa aufweist, waren ursprünglich sicher Beispielzeichnungen beigegeben – wahrscheinlich für Rota, Benevalete und das Subscripsi-Zeichen der Papstunterschrift –, die in der bekannten Überlieferung nicht erhalten geblieben sind.196 Besonders ausführlich ging Boncompagno auf die Kardinalsunterschriften ein. Er äußerte sich zu der dem Rang der Kardinäle entsprechenden Reihenfolge der Unterschriften und auch zu den Subskriptionszeichen.197 Auch dieser Abschnitt deutet auf Kenntnisse aus der Kanzleipraxis hin. Abschließend wird die große Datierung der Privilegien198 erklärt und die päpstliche Bleibulle199 detailliert beschrieben und erläutert. In seiner wahrscheinlich 1228/29 entstanden Summa dictaminis übernahm Guido Faba viel Material aus dem Gesamtwerk Boncompagnos.200 Seine Summa enthält zwar ebenfalls eine Urkundenlehre, die auch päpstliche Privilegien berücksichtigt, allerdings finden sich darin keinerlei Hinweise zur äußeren Ausstattung.201 Auch im Umfeld der Kurie entstanden im 13. Jahrhundert einige einflussreiche Artes dictandi; die bedeutendsten Urheber waren Thomas von Capua und Richard von Pofi. Thomas von Capua war Notar in der päpstlichen Kanzlei und übernahm 192 Druck: Cortijo Ocaña, Tratado, S. 156–174. 193 Cortijo Ocaña, Tratado, S. 167: [8b.10] Et est notandum, quod quicumque scribit „Statuentes“ post „suscipimus“ per litteram grossam, errat non modicum, quia littera grossa debet esse clausule inceptio, nisi forte sit proprium nomen, cuius prima littera ob hoc scribi debet grossa, ut certitudo de nominee habeatur, aut causa honoris prout in Tractatu punctorum dixi. Set, si scribatur participium per litteram grossam, videbitur esse clausule inceptio. 194 Boncompagno hielt sich mehrfach an der päpstlichen Kurie auf, zuerst während des Pontifikats Cölestins III. (1191–1198), dann in den Jahren 1204–1205 und schließlich zwischen 1229 und 1234; vgl. Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 122. 195 Cortijo Ocaña, Tratado, S. 170: [9.2] Dominus equidem papa in suis privilegiis talia signa omni tempore ponit et inter illa duo signa, que primo ponuntur, talem facit subscriptionem. Tertium vero signum ita postea formatur, sicut potes inferius videre. 196 Zum Subscripsi-Zeichen siehe unten Kapitel 4.4.6.4, S. 264. 197 Zu den Kardinalsunterschriften siehe unten Kapitel 4.4.6.5, S. 271. 198 Zur Datierung der Privilegien siehe unten Kapitel 4.4.6.6, S. 276. 199 Zur Beschreibung der Bleibulle siehe unten Kapitel 4.1.1.1, S. 59. 200 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 35.2, S. 455; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 132. 201 Druck: Gaudenzi, Guidonis, S. 390–392.
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schließlich sogar deren Leitung; im Jahr 1216 wurde er zum Kardinal erhoben.202 Zwischen 1213 und 1239 entstand seine Ars dictandi, wobei nicht gesichert ist, ob er selbst als Autor gelten kann oder lediglich die Kompilation des Werkes veranlasste. Der Traktat wurde allerdings nicht als Hilfsmittel für die Bedürfnisse und praktische Arbeit der päpstlichen Kanzlei konzipiert, sondern knüpfte an die Bologneser Tradition der Ars dictaminis an.203 Inhaltlich stehen stilistische Fragen der Briefkomposition im Vordergrund, die äußere Ausstattung päpstlicher Urkunden wird an keiner Stelle thematisiert.204 Richard von Pofi war als öffentlicher Notar im Umfeld der päpstlichen Kanzlei und zeitweise auch als Abbreviator und Distributor im Kanzleibetrieb tätig.205 In den Jahren 1268 bis 1271, in der Sedisvakanz nach dem Tode Clemens’ IV., schuf er eine Ars dictandi samt umfangreicher Mustersammlung.206 Der einleitende theo retische Teil ist sehr kurz und auf die Unterweisung neuer und künftiger Mitarbeiter der päpstlichen Kanzlei in den grundlegenden Prinzipien des kurialen Briefstils ausgerichtet.207 Eventuell war der Traktat als Ergänzung zur Ars dictandi des Thomas von Capua angelegt.208 Die äußere Gestaltung päpstlicher Urkunden spielt auch bei Richard von Pofi keine Rolle. Grundsätzlich kann damit festgehalten werden, dass die Autoren der Artes dictandi, die im Umfeld der Kurie agierten, zwar einerseits an die Traditionen der italienischen und französischen Artes anknüpften,209 aber andererseits konsequent darauf verzichteten, Urkundenlehren in ihre Traktate zu integrieren. Der Grund dürfte darin liegen, dass die Gewohnheiten der äußeren Ausstattung der Papsturkunden in der päpstlichen Kanzlei des 13. Jahrhunderts intern bereits anderweitig geregelt und tradiert wurden. 202 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 88, S. 492; Schaller, Studien, S. 371–394; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 160; Herde, Audientia 1, S. 17 f.; Thumser, Collections, S. 214. 203 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 88, S. 492; Schaller, Studien, S. 399–494; Heller, Ars dictandi, S. 45–56; Frohmann, Emmy Heller, S. 161–178; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 161–167; Herde, Audientia, S. 18 f.; Murphy, Rhetoric, S. 258; Thumser, Collections, S. 214–218; Broser, Règles, S. 247 f. 204 Druck: Heller, Ars dictandi, S. 10–44. 205 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 84, S. 488; Herde, Öffentliche Notare, S. 495– 498; Herde, Authentische Urkunde, S. 181–184; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 167; Thumser, Collections, S. 220 f. 206 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 84.1, S. 489; Herde, Öffentliche Notare, S. 498 f.; Herde, Authentische Urkunde, S. 184–187; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 167–171; Thumser, Collections, S. 221, 236–239. 207 Herde, Authentische Urkunde, S. 186 f.; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 168 f.; Druck: Simonsfeld, Fragmente, S. 505–509; Thumser, Collections, S. 221–223; Broser, Règles, S. 247. 208 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 169. 209 Thumser, Collections, S. 212 f., 240 f.
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Seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts und vermehrt im Laufe des 13. Jahrhunderts wurden die italienischen und französischen Artes dictandi auch im deutschsprachigen Raum rezipiert und adaptiert.210 Der erste umfangreiche Traktat wurde in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, wahrscheinlich in den Jahren 1230 bis 1241, in Mitteldeutschland verfasst und wird gewöhnlich als Sächsische Summa prosarum dictaminum bezeichnet.211 Die Summa setzt sich aus einem theoretischen Teil zur Ars dictaminis und zum stilus der Papstkanzlei sowie einer Sammlung von Dokumenten aus dem Bereich der geistlichen Verwaltung zusammen.212 Auch eine Urkundenlehre ist enthalten.213 Zwischen 1240 und 1260 entstand die Summa dictaminum des Ludolf von Hildesheim. Sie basiert auf der Sächsischen Summa, der theoretische Teil, darunter auch die Privilegienlehre, ist in großen Teilen wörtlich aus dieser übernommen.214 Beide Summae dienten wiederum als Vorlage für das wohl in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts kompilierte Baumgartenberger Formelbuch, das die gleiche, leicht erweiterte Urkundenlehre aufweist.215 Diese Privilegienlehre geht hinsichtlich ihrer Strukturierung klar auf die französischen Vorbilder zurück, allerdings werden kaiserliche und päpstliche Privilegien gemeinsam betrachtet, wobei jeweils auf einzelne Unterschiede hingewiesen wird. Auffällig ist auch, dass lediglich das Formular behandelt wird, die äußere Gestaltung bleibt unberücksichtigt, Rota und Benevalete werden nicht erwähnt. In der Tradition der Artes dictandi im deutschsprachigen Raum, die hauptsächlich von Verfassern aus der Umgebung bischöflicher Kanzleien vorangetrieben wurde,216 spielte dieser Aspekt der Ausstattung päpstlicher Urkunden offenbar keine Rolle. In einem anderen Kontext entstand die Summa de arte prosandi des Konrad von Mure (ca. 1210–1281). Konrad stammte aus der Umgebung des Benediktinerklosters Muri im Aargau, studierte in Bologna oder Paris, war laut eigener Aussage in der päpstlichen Kanzlei und der Kanzlei Friedrichs II. tätig und leitete als Kanoniker in Zürich die dortige Stiftsschule.217 Seine Summa wurde um das Jahr 1276 210 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 181–194. 211 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 148, S. 519 f.; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 185 f. 212 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 186; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 261 f.; Rockinger, Briefsteller, S. 203–205. 213 Druck: Rockinger, Briefsteller, S. 215–219. 214 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 64, S. 474; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 186 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 262.; Rockinger, Briefsteller, S. 205–207, 349–358; Druck der Urkundenlehre: ebd., S. 375–379. 215 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 132, S. 513; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 187; Rockinger, Briefsteller, S. 205–207, 715–724; Druck der Urkundenlehre: ebd., S. 780–784. 216 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 185–187. 217 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 24, S. 444; Kronbichler, Summa, S. 5 f.; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 188.
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abgeschlossen und für den Unterricht der Novizen des Klosters Muri konzipiert; sie ist nur in einer einzigen Handschrift überliefert.218 Das Werk weicht in seinem Aufbau von den bisher betrachteten Artes dictandi ab, stützt sich inhaltlich aber auf zahlreiche französische und italienische Traktate. Es handelt die Ars dictaminis entlang der Leitfragen quis, cuius, cui, quid, quo, quomodo, cur, ubi, quando ab und ist dementsprechend in neun Kapitel gegliedert; eine Mustersammlung ist nicht vorhanden. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem mit Abstand umfangreichsten Kapitel quomodo. Darin findet sich auch eine Privilegienlehre, die auf Guido Fabas Summa dictaminis basiert, diese allerdings um einige Aspekte ergänzt.219 In der Urkundenlehre werden zunächst Privilegien definiert und im Anschluss deren einzelne Bestandteile vorgestellt, wobei an einigen Stellen auch die äußere Gestaltung beschrieben wird.220 Die Summa folgt damit grundsätzlich dem bereits bekannten Schema. Es existiert kein eigener Abschnitt zu Papsturkunden, der größte Teil des Textes bezieht sich auf Privilegien im Allgemeinen. In Rückgriff auf die französischen Urkundenlehren wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass deren erste Zeile immer in verlängerten Buchstaben geschrieben werden solle, ergänzt um die Information, dass der Name des Ausstellers besonders hervorzuheben sei.221 In einigen Fällen finden sich auch konkrete Angaben zu päpstlichen Privilegien, um diese von kaiserlichen zu unterscheiden, beispielsweise hinsichtlich der Kardinalsunterschriften.222 Zu den Unterfertigungszeichen äußerte sich Konrad nicht. Zum Abschluss des Kapitels quomodo findet sich allerdings ein Abschnitt zu Siegeln, in dessen Rahmen auch die päpstliche Bleibulle beschrieben wird.223 Die Artes dictandi des 14. und 15. Jahrhunderts wurden bisher nur sehr unvollständig untersucht und ediert.224 Auf Grundlage der bisherigen Forschungen lässt sich schlussfolgern, dass in den nach dem 13. Jahrhundert in Italien, Frankreich und Mitteleuropa produzierten Traktaten wenig signifikante Neuerungen auftreten. Sie wiederholen hauptsächlich die Lehren der dictatores des Hochmittelalters, wobei sie besonders im Hinblick auf die Mustersammlungen an die Umstände der jeweiligen Zeit und Region angepasst wurden. Es gab eine zunehmende Tendenz, aus Extrakten verschiedener Artes Kompendien zu kreieren und diese zu kommen218 Felisi/Turcan-Verkerk, Artes dictandi, Nr. 24.1, S. 445; Kronbichler, Summa, S. 6 f.; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 188 f. 219 Kronbichler, Summa, S. 6 f., 20 f.; Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 189. 220 Druck: Kronbichler, Summa, S. 132–138. 221 Kronbichler, Summa, S. 134: Item in privilegiis prima linea litteris longis, nec multum grossis debet conscribi. Et nomen dantis privilegium semper scribi debet littera eminentiori. 222 Kronbichler, Summa, S. 134: Et privilegiis papalibus subscribere debent cardinales. Set privilegiis imperialibus subscribere debent principes et magnates, qui tunc imperiali curie presentes fuerint. 223 Zur Beschreibung der Bleibulle siehe unten Kapitel 4.1.1.1, S. 59. 224 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 246; Camargo, Ars dictaminis, S. 41.
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tieren.225 Daher ist es unwahrscheinlich, dass im Spätmittelalter weitere Traktate mit Urkundenlehren produziert wurden, die auch Aspekte der äußeren Ausstattung von Papsturkunden auf innovative Art berücksichtigten, gesicherte Aussagen können für diese Zeit aufgrund des lückenhaften Forschungsstandes aber nicht getroffen werden. Was also zeichnet die Urkundenlehren in den Artes dictandi des 11. bis 13. Jahrhunderts aus? Prinzipiell ist festzuhalten, dass nicht jede Papsturkundenlehre auch die äußere Gestaltung der Dokumente berücksichtigt. Dies ist vorrangig bei den entsprechenden Abschnitten der französischen Artes-Tradition der Fall und darüber hinaus bei den Traktaten derjenigen Verfasser, die enge Kontakte zur Kurie und damit Kenntnisse aus der Praxis der päpstlichen Kanzlei hatten, wie beispielsweise Alberich von Montecassino, Boncompagno da Signa und (eventuell) Konrad von Mure. Die Autoren, die selbst in der päpstlichen Kanzlei tätig waren, verzichteten wiederum auf die Betrachtung der äußeren Merkmale. In allen untersuchten Artes werden ausschließlich Privilegien behandelt, litterae und andere Kategorien päpstlicher Urkunden kommen nicht vor. Charakteristisch für diese Privilegienlehren ist auch, dass die Angaben zur äußeren Ausstattung sich auf die besonders beeindruckenden und visuell auffälligen Bestandteile der Urkunde konzentrieren, nämlich die Protokollzeile und die Unterfertigungen (Rota, Benevalete, Papstsubskription und Kardinalsunterschriften). Die Beschreibungen der graphischen Symbole sind gewöhnlich durch mehr oder weniger genaue Beispielzeichnungen ergänzt. Doch was war der Zweck dieser Privilegienlehren in den Artes dictandi? Die Traktate scheinen in den meisten Fällen nicht als Nachschlagewerke für den praktischen Gebrauch in Kanzleien, sondern zu Zwecken der Lehre produziert worden zu sein.226 Die Ars dictaminis gilt ohnehin als sehr praxisnahe Disziplin. Dafür spricht zum einen die große Zahl der überlieferten Traktate und Bearbeitungen, die an unterschiedliche Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen angepasst wurden, zum anderen deutet auch die schnelle und konsequente Verankerung der Ars dictaminis im mittelalterlichen Lehrbetrieb darauf hin.227 Unterrichtet wurde das dictamen in verschiedenen Zusammenhängen, beispielsweise im Rahmen des Studiums in Bologna in enger Verbindung mit der Rechtslehre, seit dem 14. Jahrhundert auch verstärkt an den Universitäten Pavia und Padua, außerdem in den lokalen Schulen Süditaliens.228 In Frankreich wurde es im 12. Jahrhundert besonders in den Zentren der Ars dictaminis im Gebiet um Orléans 225 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 246 f., 263–271; Camargo, Ars dictaminis, S. 41; Murphy, Rhetoric, S. 267. 226 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 477; Camargo, Ars dictaminis, S. 57 f. 227 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 460 f. 228 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 472–477, 485–490, 518–523. Zu den Artes dictandi im Kontext der Entwicklung des Studiums in Bologna vgl. Hartmann, Ars dictaminis, S. 297– 305; Schmale, Bologneser Schule, S. 24–29; Wieruszowski, Ars dictaminis, S. 361–377.
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gelehrt, im 13. Jahrhundert dann im gesamten französischen Raum.229 Im 14. Jahrhundert wurde die Disziplin an der Universität Oxford unterrichtet.230 Schließlich wurden die Artes auch in den europäischen Klöstern rezipiert und die Kunst des Briefeschreibens wurde in den Klosterschulen vermittelt.231 Grundsätzlich dienten die Artes dictandi der Ausbildung für administrative und rechtliche, vor allem aber auch für notariatsbezogene Berufe.232 Die Notare und Kanzleimitarbeiter nutzten ihre in den Schulen und Universitäten erworbenen Kenntnisse und angefertigten Aufzeichnungen zur Ars dictaminis in ihrer beruflichen Praxis, wodurch die Regelwerke Eingang in die meisten europäischen Kanzleien fanden.233 Die Abschnitte der Urkundenlehren, die päpstliche und kaiserliche Privilegien behandeln, dürften dabei nur für einen kleinen Teil der Absolventen einer Ausbildung in den Artes dictaminis von praktischer Bedeutung gewesen sein, denn nur wenige von ihnen hatten realistische Aussichten darauf, als Schreiber oder Notar in der kaiserlichen oder päpstlichen Kanzlei eine Anstellung zu finden. Die Ausstattung der Kaiser- und Papsturkunden war für sie dennoch – auch als potentielle Empfänger – von Interesse, besonders im Kontext der Identifizierung von Fälschungen.234 Die äußeren Merkmale der Privilegien waren außerdem sowohl für die Verifizierung der Urkunden vor Gericht als auch bei ihrer Vidimierung durch öffentliche Notare von Bedeutung.235 Dass gerade die äußere Gestaltung, besonders die Unterfertigungen des Eschatokolls, als Echtheitsmerkmale der Urkunden galten, zeigt die Überlieferung von Transsumpten päpstlicher Privilegien mit besonders sorgfältiger Nachzeichnung von Rota, Benevalete und den Unterschriften von Papst und Kardinälen.236 Aufgrund der in vielen Handschriften fehlenden oder falsch wiedergegebenen Beispielzeichnungen dieser graphischen Zeichen waren viele der Artes dictandi als Hilfsmittel für eine derartige Echtheitsprüfung allerdings nur bedingt nutzbar. Die Beschreibungen der äußeren Ausstattung in den Artes dürften immerZur Verbindung der Disziplin mit der Rechtslehre vgl. auch Patt, Early Ars dictaminis, S. 151 f.; Murphy, Rhetoric, S. 263–266. 229 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 477–485. 230 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 490–493. 231 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 493–517. 232 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 16; Camargo, Ars dictaminis, S. 18; Vulliez, L’Apprentissage, S. 78; Vulliez, L’Ars dictaminis, S. 90–92; Wieruszowski, Ars dictaminis, S. 370 f.; Patt, Early Ars dictaminis, S. 134. 233 Hartmann/Grévin, Ars dictaminis, S. 461–470. 234 Dalzell, Introductiones, S. 222. Zur Identifizierung gefälschter Papsturkunden siehe unten Kapitel 4.1.1, S. 56. 235 Herde, Beiträge, S. 85 f.; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 91–94. Zu beglaubigten Urkundenabschriften und deren Beweiskraft vgl. auch Weileder, Notarsurkunden, S. 149–160. 236 Ein derartig ausgestattetes Transsumpt beschreibt Largiadèr, Papsturkunden Zürich, Nr. 82, S. 145 f. Vgl. auch Weileder, Notarsurkunden, S. 163.
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hin ausreichend gewesen sein, um die Privilegien als solche zu erkennen, auch wenn sie sich als Grundlage für eine detaillierte Echtheitsprüfung nicht eigneten. Obwohl nur ein Bruchteil der zugelassenen Notare und der in der Ars dictaminis geschulten Personen Anstellung in der päpstlichen Kanzlei suchte und fand, so kann doch umgekehrt festgehalten werden, dass ein großer Teil der dort tätigen Notare, Abbreviatoren und Skriptoren über ein Notarspatent verfügte oder zumindest eine Ausbildung in der Disziplin des dictamen absolviert hatte.237 Außerdem hielt sich im gesamten 13. und 14. Jahrhundert stets eine bedeutende Zahl öffentlicher Notare an der Kurie auf, die sich um Beschäftigung bemühten und häufig vom Personal der Kanzlei, der Audientia oder anderer kurialer Institutionen als Hilfskräfte herangezogen wurden.238 Die im 13. Jahrhundert an der Kurie verfassten litterae entsprachen dann in der Folge auch den in den Artes vorgegebenen Regeln zur Gestaltung von Briefen, die Artes dictandi samt der darin enthaltenen Privilegienlehren wurden offenbar im Umfeld der päpstlichen Kanzlei weithin rezipiert. Insgesamt scheinen sich die päpstlichen litterae und die Brieflehren gegenseitig beeinflusst und befruchtet zu haben.239 Der potentielle Einfluss der Artes auf die kanzleiinterne Entwicklung von Regeltexten zur äußeren Gestaltung der päpstlichen Urkunden wird daher im Rahmen der folgenden Untersuchung der kurialen Quellen berücksichtigt und in die Analyse der einzelnen Texte einbezogen.
237 Siehe oben Kapitel 2.3, S. 34. 238 Herde, Öffentliche Notare, S. 489–499; Barraclough, Public Notaries, S. 14–20; Schwarz, Organisation, S. 15. 239 Broser, Règles, S. 249–256.
4. Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung 4.1 Innozenz III. In der Papstgeschichtsforschung wurde der Pontifikat Innozenz’ III. (1198–1216) lange als wegweisend für die Entwicklung der komplexen Struktur der spätmittelalterlichen päpstlichen Kanzlei dargestellt.240 Nicht von der Hand zu weisen ist, dass Innozenz von Beginn seiner Amtszeit an großes Interesse an Arbeit und Organisation der Kanzlei zeigte.241 Schon vor seiner Krönung zum Papst bemühte er sich darum, die notwendigen Geldzahlungen an Kanzleimitarbeiter in geregelte Bahnen zu lenken und die Ausbeutung von Petenten zu verhindern, indem er allgemeingültige Taxen festlegte.242 Auch in den folgenden Jahren war er immer wieder mit der Regulierung der Abläufe in der Kanzlei beschäftigt; unter anderem wurde eine Kanzleiordnung, die bereits unter Cölestin III. (1191–1198) entstanden war, unter Innozenz III. umformuliert. In der Kanzleiordnung wurden vor allem die Rechte und Pflichten des Kanzleipersonals und der an der Kurie tätigen Prokuratoren geregelt.243 In den Quellen aus der Zeit Innozenz’ III. sind außerdem die Audientia publica und die Audientia litterarum contradictarum, die für den Geschäftsgang eines Großteils der päpstlichen Urkunden der folgenden Jahrhunderte entscheidend waren, erstmal greifbar. Die Entwicklung, die zur Entstehung dieser Institutionen führte, hatte allerdings bereits im späten 12. Jahrhundert eingesetzt.244 Insgesamt scheint Innozenz die Kanzlei autokratisch geleitet zu haben. Einige Neuerungen im 240 Schon Delisle wies in seinen „Mémoire sur les actes d’Innocent III“ Mitte des 19. Jahrhunderts auf die Bedeutung dieses Papstes hin, und auch Heckel machte in verschiedenen Aufsätzen (vgl. Heckel, Aufkommen; Heckel, Beiträge; Heckel, Studien) auf die zahlreichen organisatorischen Veränderungen in der Kanzlei während des Pontifikats Innozenz’ III. aufmerksam. Eine erneute Aufarbeitung dieser Erkenntnisse nahm zuletzt Zutshi (vgl. Zutshi, Innocent) vor, der die einzelnen Reformen der Kanzleistrukturen in ihrer Gesamtheit betrachtete und, basierend auf den Vorarbeiten von Stelzer (vgl. Stelzer, Anfänge) und Sayers (vgl. Sayers, Papal Government), die Rolle dieses Papstes kritischer bewertete. 241 Rabikauskas, Arbeitsweise, S. 267 f. 242 Heckel, Beiträge, S. 450–455; Zutshi, Innocent, S. 85 f. 243 Druck: Tangl, Kanzleiordnungen, Nr. II, S. 53–55; zur Datierung vgl. Heckel, Aufkommen, S. 305–310; Heckel, Studien, S. 266–289; Stelzer, Anfänge, S. 132–139; Zutshi, Innocent, S. 90–92. 244 Herde, Audientia 1, S. 20 f.; Stelzer, Anfänge, S. 138; Zutshi, Innocent, S. 99; Rabikauskas, Arbeitsweise, S. 268 f.
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Arbeitsablauf gingen auf seine Intervention zurück, und er kann, wenn auch nicht als innovativer Gestalter, so doch als aktiver, aber nicht immer erfolgreicher Reformer der päpstlichen Kanzlei bezeichnet werden.245 Vor diesem Hintergrund sind die im Folgenden zu untersuchenden Quellen aus dem Pontifikat Innozenz’ III. zu betrachten. 4.1.1 Fälscherkonstitutionen Die Fälscherkonstitutionen Innozenz’ III. enthalten keine konkreten Regeln zur Urkundengestaltung. Sie gehören aber zu den frühesten, in expliziter schriftlicher Form aus der Kurie hervorgegangenen Hinweisen darauf, dass die äußere Ausstattung der Papsturkunden festen Regeln folgte, die von den an der Urkundenproduktion beteiligten Personen umgesetzt werden mussten. Die päpstlichen Schreiben zur Fälscherthematik wurden außerdem von den Zeitgenossen umfassend rezipiert und diskutiert. Sie müssen daher als möglicher Ausgangspunkt für die weiteren Entwicklungen in die Untersuchung mit einbezogen werden. Bereits zu Beginn seines Pontifikats sah sich Innozenz mit Fälschungen päpstlicher Urkunden konfrontiert, die im Umfeld der Kurie teilweise gewerbsmäßig produziert wurden und während seiner gesamten Amtszeit ein ernsthaftes Problem blieben.246 Allerdings waren sie kein unbekanntes Phänomen, war doch schon im 11. Jahrhundert Gregor VII. auf einzelne Falsifikate aufmerksam geworden.247 Am Ende des 12. Jahrhunderts war das Fälscherproblem so akut, dass Innozenz III. bereits wenige Wochen nach seiner Weihe Gegenmaßnahmen einleitete.248 In einem Rundschreiben vom 19. Mai 1198 berichtete er, dass in Rom eine Bande aufgedeckt worden sei, in deren Werkstatt man einige falsche Bleibullen mit den Namen Innozenz’ III. und seines Vorgängers Cölestin III. (1191–1198) sowie viele damit besiegelte Briefe gefunden habe. Die Fälscherbande sei bereits seit mehreren Jahren tätig gewesen und ihre Produkte seien in alle Himmelsrichtungen verbreitet worden.249 Um die Aufdeckung dieser Fälschungen zu erleichtern, ließ Innozenz jeder Ausfertigung des Schreibens neben seiner echten Bulle zum Vergleich auch eine der 245 246 247 248 249
Zutshi, Innocent, S. 99–101; Sayers, Innocent, S. 38. Alberzoni, Nolebat, S. 137 f.; Heckel, Aufkommen, S. 301 f.; Zutshi, Innocent, S. 87. Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 612. Zu verschiedenen Fälschungsversuchen unter Innozenz III. vgl. Moore, Pope, S. 38 f. Reg. Inn. III., I/235, ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 334 [= X 5.20.4]: Accidit enim nuper in Urbe, quod quidam huiusmodi falsitatis astutiam pernitiosius exercentes in suis fuere iniquitatibus deprehensi: ita quod bullas tam sub nomine nostro quam bone memorie Cel(estini) pape, predecessoris nostri, quas falso confincxerant [!], et quamplures litteras bullis signatas eisdem invenimus apud eos ipsosque captos adhuc in carcere detinemus; vgl. Delisle, Mémoire, S. 47; Frenz, Kriminalist, S. 133 f.; Herde, Aufkommen, S. 301–303; Krabbo, Urkunde, S. 276; Zutshi, Innocent, S. 86 f., 96–98; Alberzoni, Nolebat, S. 140 f.; Hotz, Litterae apostolicae, S. 89–91.
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auf seinen Namen gefälschten Bullen anhängen250 – dieser Papst betrachtete die Bleibulle demnach als entscheidendes Echtheitskriterium. Er verfasste in der Folge zahlreiche Schreiben, in denen er sich mit verschiedenen Aspekten des Fälschungsproblems auseinandersetzte.251 Einige davon gingen später als Dekretalen in das Kirchenrecht ein – sechs der neun Konstitutionen, die unter dem Titel De crimine falsi in den Liber Extra aufgenommen wurden, stammten von Innozenz III.252 Der Tradition des römischen Rechts und seiner Vorgänger folgend, verstand er dabei nicht nur die Herstellung falscher Dokumente unter dem Namen und Siegel des Papstes als Fälschung, sondern auch das Verschweigen oder Verändern wichtiger Informationen bei der Erwirkung echter Papsturkunden – formal authentische Urkunden konnten somit ebenfalls Fälschungen sein.253 Bezüglich seiner Maßnahmen beim Vorgehen gegen Fälscher konnte Innozenz III. ebenfalls auf existierende Vorschriften aus dem kanonischen Recht und auf diverse päpstliche Schreiben zurückgreifen.254 Aufbauend auf diesen Grundlagen verschärfte er die Strafen für die Fälschung von Urkunden und die Verwendung der gefälschten Dokumente vor Gericht drastisch255 und regelte den Geschäftsgang in der Kanzlei neu, um den Fälschern ihr Handwerk zu erschweren.256
250 Foerster, Beispiele, S. 305; Heckel, Aufkommen, S. 302 f.; Herde, Recht, S. 334. Überlieferte Ausfertigungen des Schreibens und Exemplare der Bleibulle sind nicht bekannt. 251 Zutshi, Innocent III, S. 86–90. 252 X 5.20.4 bis X 5.20.9, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 817−822. Bei den ersten drei Einträgen unter dem Titel De crimine falsi handelt es sich um eine Anmerkung des Augustinus (X 5.20.1, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 816−817), um ein Schreiben Lucius’ III. (X 5.20.2, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 817) und einen Brief Urbans III. (X 5.20.3, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 817). Zu den Fälscherkonstitutionen Innozenz’ III. im Liber Extra vgl. Frenz, Kriminalist, S. 131; Alberzoni, Nolebat, S. 137–155. 253 Verschiedene Beispiele sind zusammengetragen bei Zutshi, Innocent III, S. 87. Bereits von Lucius III. wurden Fälschungen auf diese Weise definiert: X 1.3.10, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 19 f.; vgl. Herde, Bestrafung, S. 593–596; Herde, Recht, S. 325–327. 254 Herde, Bestrafung, S. 596–604. 255 X 5.20.7 (1201), ed. Friedberg, Corpus, Sp. 820 f.: […] statuentes, ut clerici, qui falsarii fuerint deprehensi, omnibus officiis et beneficiis ecclesiasticis perpetuo sint privati, ita, quod, qui per se falsitatis vitium exercuerint, postquam per ecclesiasticum iudicem fuerint degradati, saeculari potestati tradantur secundum constitutiones legitimas puniendi, per quam et laici, qui fuerint de falsitate convicti, legitime puniantur. Qui vero sub nomine nostro literis falsis utuntur, si clerici fuerint, officiis et beneficiis ecclesiasticis spolientur; si laici, tamdiu maneant excommunicationi subiecti, donec satisfaciant competenter, ita tamen, ut in istis et in illis malitia gravius quam negligentia puniantur, quo et de his, qui falsas literas impetrant, statuimus observandum. Vgl. Herde, Bestrafung, S. 597. 256 Reg. Inn. III., I/235, ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 334 f. [= X 5.20.4]: […] statuimus et sub excommunicationis pena et suspensionis ordinis et beneficii districtius inhibemus, ne quis apud sedem apostolicam de cetero litteras nostras nisi a nobis vel de manibus illorum recipiat, qui de mandato nostro sunt ad illud officium deputati. Vgl. Heckel, Aufkommen, S. 302 f.; Herde, Bestrafung, S. 597 f.
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In den Schreiben Innozenz’ zur Fälscherproblematik wird aber vor allem sein besonderes Interesse an Techniken zur Aufdeckung von gefälschten Urkunden deutlich. Er beschrieb Methoden, die es jeder Person ermöglichen sollten, eine echte von einer gefälschten Papsturkunde zu unterscheiden, denn die Entschuldigung der unwissentlichen Verwendung einer gefälschten Urkunde ließ er, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, nicht mehr gelten.257 Ausführliche Anweisung zur Verifizierung päpstlicher Urkunden gab Innozenz in einem bereits im Mittelalter umfassend kommentierten Schreiben vom 4. September 1198, das als Konstitution Licet ad regimen in den Liber Extra einging.258 Es richtete sich ursprünglich an den Erzbischof und die Kanoniker von Mailand und wurde durch eine päpstliche Provisionsurkunde veranlasst, deren Echtheit von den Mailändern angezweifelt wurde. In seiner Antwort erläuterte der Papst, dass ihm Schrift und Grammatik der fraglichen Urkunde suspekt erschienen seien, er die Bulle aber zunächst für echt befunden habe. Erst bei näherer Betrachtung habe Innozenz erkannt, dass sie eine Verdickung am oberen Schnurkanal aufgewiesen habe. Dort habe er den Faden ohne Probleme aus der Bulle herausziehen können, während er am anderen Ende unbeweglich geblieben sei. Außerdem wurde beim Entfernen der Schnur eine Schnittspur sichtbar, woraus der Papst schloss, dass hier eine echte Bulle an einer gefälschten Urkunde befestigt worden war.259 Der Papst nutzte den Anlass, um in dem Schreiben an die Mailänder einen Katalog von sieben Kriterien zur Unterscheidung von echten und falschen Papsturkun den zusammenzustellen. Die ersten vier Merkmale beschreiben verschiedene Arten der Bullenfälschung sowie die Befestigung von echten Bullen an gefälschten Urkun 257 X 5.20.7, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 820: De communi fratrum nostrorum consilio duximus statuendum, ut, qui literis nostris uti voluerint, eas primo diligenter examinent, quoniam, si falsis literis se usos dixerint ignoranter eorum sera poenitentia evitare nequibit poenas inferius annotatas. Vgl. Herde, Bestrafung, S. 596; Herde, Recht, S. 336. Viele spätere Dekretalisten plädierten allerdings für Straffreiheit bei Unwissenheit; vgl. Herde, Recht, S. 349 –354. 258 Druck: X 5.20.5, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 818 f.; Reg. Inn. III., I/349, ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 520–522. Vgl. Delisle, Mémoire, S. 47; Herde, Recht, S. 334 f.; Krabbo, Urkunde, S. 277; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 620; Frenz, Sed hee due species falsitatis, S. 336–340; Alberzoni, Nolebat, S. 141–143; Hotz, Litterae apostolicae, S. 93–96. 259 Reg. Inn. III., I/349, ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 521: Nam licet in stilo dictaminis et forma scripture aliquantulum ceperimus dubitare, bullam tamen veram invenimus: quod primum nos in vehementem ammirationem induxit, cum litteras ipsas sciremus de nostra conscientia nullatenus emanasse. Bullam igitur hincinde diligentius intuente, in superiori parte, qua filo adheret, eam aliquantulum tumentem invenimus: et cum filum ex parte tumenti sine violentia qualibet aliquantulum attrahi fecissemus – bulla in filo altero remanente – filum ex parte illa fuit ab ipsa sine qualibet difficultate avulsum. In cuius summitate adhuc etiam incisionis indicium apparebat, per quod liquido deprehendimus bullam ipsam ex aliis litteris extractam fuisse ac illis per vicium falsitatis insertam: sicut ex litteris ipsis plenius agnoscetis, quas ad maiorem certitudinem vobis duximus remittendas. Vgl. Poole, Lectures, S. 153 f.; Foerster, Beispiele, S. 304; Alberzoni, Nolebat, S. 141 f.
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den.260 Als weiteres Fälschungsindiz wird in dem Schreiben die Rasur genannt. Es sind darüber hinaus noch weitere Möglichkeiten zur Erlangung von gefälschten Papsturkunden aufgeführt, die allerdings nicht mit der äußeren Ausstattung zusammenhängen: das Einschleusen einer gefälschten Urkunde in den kurialen Geschäftsgang, um so die Besiegelung mit einem echten Siegel zu erwirken, und, damit zusammenhängend, der Verstoß gegen die bereits früher erlassene Bestimmung Innozenz’ III.,261 wonach Petenten ihre Urkunden nur aus der Hand des Papstes oder eines seiner Bullatoren empfangen durften.262 Zuletzt wird angemerkt, dass auf den letztgenannten Wegen entstandene Fälschungen äußerst schwer zu erkennen, die übrigen angeführten Merkmale dagegen durch gewissenhafte Begutachtung und Prüfung von Stil und Schrift sowie der Pergamentqualität leicht zu kontrollieren seien.263 4.1.1.1 Fälschungskriterien: Bleibulle und Rasur Die Bleibulle war das markanteste und auch juristisch bedeutsamste äußere Merkmal der päpstlichen Urkunden. Seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts zeigte sie auf einer Seite den Papstnamen im Nominativ samt Ordnungszahl in drei oder vier Zeilen, auf der anderen die Köpfe der Apostel Petrus und Paulus.264 Die Haare des Paulus wurden immer gestrichelt dargestellt, die des Petrus dagegen punktiert. Beide Seiten der Bulle wiesen an der Peripherie einen Kreis von erhabenen Punkten, den Perlkreis, auf. Im Verlauf des 13. und 14. Jahrhunderts gab es geringfügige Weiterbildungen, so nahmen einige Päpste dieser Zeit Elemente ihrer Familienwappen mit in das päpstliche Siegelbild auf. Abweichungen vom Grundtypus des Siegels kamen aber erst im 15. Jahrhundert vor.265 Die erhaltenen Bleibullen wei260 Ewald, Siegelkunde, S. 225. 261 X 5.20.4, siehe oben Anm. 256. 262 Reg. Inn. III., I/349, ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 522: Eos etiam a crimine falsitatis non reputamus immunes, qui contra constitutionem premissam scienter litteras nostras, nisi de nostra vel bullatoris nostri manu, recipiunt; eos quoque, qui accedentes ad bullam falsas litteras caute proiciunt, ut de vera bulla cum aliis sigillentur. Vgl. Baumgarten, Kanzlei, S. 217–219; Herde, Aufkommen, S. 303 f.; Poole, Lectures, S. 155 f. 263 Reg. Inn. III., I/349, ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 522: Sed hee due species falsitatis non possunt facile deprehendi, nisi vel in modo dictaminis vel in forma scripture vel qualitate charte falsitas cognoscatur. In ceteris autem diligens indagator falsitatem poterit diligentius intueri […]. 264 Zur Entwicklung im 11. und frühen 12. Jahrhundert vgl. Fees, Bedeutung, S. 67; Krafft, Siegel, S. 219–223; SPA SPE steht für Sanctus Paulus, Sanctus Petrus. Andere Auflösungen der Kürzung wie beispielsweise Sanctus Paulus Apostolus, Sanctus Petrus Episcopus schlug Graber, Spurium, S. 109 f., vor, die einfachste Variante liegt aber näher, was sich auch durch Quellenfunde bestätigen lässt; vgl. Krafft, Siegel, S. 223. 265 Krafft, Siegel, S. 223–246; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 610–612; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 613; Barbiche, Bulle, S. 239 f.; Ewald, Siegelkunde, S. 214 f.; Hack, Körper, S. 55; Poole, Lectures, S. 119 f.; Kittel, Siegel, S. 386 f.; Michaël-Schweder, Schrift, S. 21.
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sen durchschnittlich einen Durchmesser von etwa 35 mm auf, in der Regel sind sie etwa 0,5 cm dick.266 Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts konnten päpstliche Schreiben auch mit Wachs besiegelt werden, in das der Fischerring eingedrückt wurde, dies war aber lange nur bei privater und geheimer Korrespondenz üblich. Erst seit dem 15. Jahrhundert wurde der Ring regelmäßig zur Besiegelung päpstlicher Urkunden verwendet.267 Hinweise auf die Verwendung von Goldbullen in der päpstlichen Kanzlei sind äußerst spärlich, die frühesten überlieferten Exemplare stammen aus dem 16. Jahrhundert.268 Für die vorliegende Untersuchung zu den Papsturkunden des 13. und 14. Jahrhunderts können diese Besiegelungsarten deshalb unberücksichtigt bleiben. Die Bullen wurden am unteren Rand der Urkunden an der Plica angehängt, die von den Skriptoren gefaltet wurde.269 Die Bullierung erfolgte meist durch zwei oder drei Löcher im Bug der Urkunde, die mit einer starken Nadel durch das Pergament gestochen wurden.270 Bei Urkunden in Heftform wurden die Bullenschnüre durch ein einzelnes Loch in der linken unteren Ecke des Heftes geführt.271 Die Bleibulle selbst wurde aus einem einzelnen Bleischrötling hergestellt, der von beiden Seiten gestempelt wurde. Mittig in dem Schrötling verlief ein Schnurkanal, durch den die Siegelschnüre gezogen wurden. Durch das Zusammendrücken beim Stempeln des Bleis wurden sie fest in der Bulle eingeklemmt.272 Die Stempel wurden von Handwerkern hergestellt, bei denen es sich meist um professionelle Goldschmiede oder Medailleure handelte.273 Für die Prägung wurden bis in die Neuzeit Zange und Hammer benutzt. Die beiden Stempel waren schon aus praktischen Gründen nicht zu einem Instrument verbunden, da sie unabhängig voneinander verwendet werden mussten, wenn es zu einem Wechsel auf dem Papstthron kam.274 266 Eitel, Blei- und Goldbullen, S. 22; Ewald, Siegelkunde, S. 179; Hack, Körper, S. 54; Bar biche, Bulle, S. 240. 267 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 83 f.; Kittel, Siegel, S. 388; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 104; Ewald, Siegelkunde, S. 216; Rabikauskas, Diplomatica pontificia, S. 54. 268 Krafft, Siegel, S. 246–252; Eitel, Blei- und Goldbullen, S. 87 f.; Ewald, Siegelkunde, S. 149; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 567. 269 Baumgarten, Kanzlei, S. 177–184; Ewald, Siegelkunde, S. 170; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 592 f. 270 Baumgarten, Kanzlei, S. 191; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 611 f.; Ewald, Siegelkunde, S. 170; Graber, Spurium, Tafel 15, S. 143; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 593. 271 Baumgarten, Kanzlei, S. 142; Barbiche, Bulle, S. 240. 272 Zu den Schrötlingen, ihrer Form und Weiterverarbeitung vgl. Ewald, Siegelkunde, S. 174; Eitel, Blei- und Goldbullen, S. 7−9; Philippi, Technik, S. 295 f.; Baumgarten, Kanzlei, S. 202. 273 Baumgarten, Kanzlei, S. 154–156. 274 Baumgarten, Kanzlei, S. 146–152; Eitel, Blei- und Goldbullen, S. 1−7; Ewald, Siegelkunde, S. 120 f.; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 609 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 553. Siehe unten Kapitel 4.1.2, S. 77.
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Der Apostelstempel wurde wahrscheinlich mit seinem pyramidenförmigen Unterteil in einen Schraubstock oder Holzblock gesteckt, der Schrötling wurde daraufgelegt und der Namensstempel, wohl mithilfe einer Zange, darüber festgehalten. Die Prägung erfolgte durch einen Hammerschlag auf den Namensstempel, so dass beide Stempelbilder zur gleichen Zeit eingedrückt wurden.275 Da die beiden Stempel nicht ineinandergriffen, konnte es bei dieser Prägemethode durch kleine Unaufmerksamkeiten oder einen nicht senkrechten Hammerschlag leicht zu Verschiebungen kommen, was dazu führte, dass eines oder beide Bilder nicht vollständig zum Abdruck kamen.276 Dennoch musste die Verifizierbarkeit der Bleibulle jederzeit gegeben sein, denn seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts galt das anhängende Siegel als ausschlaggebendes Beglaubigungsmittel, erst mit ihm erlangte eine Urkunde Rechtskraft.277 Gerade im Falle der litterae, die über keinerlei Unterfertigungen verfügen, wurde der Inhalt allein durch die Bulle bestätigt, gleichzeitig war sie das wichtigste Echtheitskriterium der Urkunden.278 Alexander III. (1159–1181) verlieh dieser Funktion Nachdruck, indem er festlegte, dass ein echtes Siegel die Authentizität einer Urkunde gewährleistete.279 Die Fälschung oder Verfälschung von Bulle und Fäden wurden in der Folge beispielsweise von Innozenz’ Lehrer Huguccio als Merkmale unechter Urkunden benannt.280 Sowohl Huguccio281 als auch Cölestin III. (1191– 1198)282 empfahlen außerdem für die Verifizierung päpstlicher Urkunden einen Bullenvergleich. Doch erst die präzisen Angaben Innozenz’ III. zu Fälschungsmethoden im Schreiben Licet ad regimen vom September 1198 erlauben auch 275 Baumgarten, Kanzlei, S. 146 f.; Schmitz-Rheydt, Bullenstempel, S. 69; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 553 f. 276 Schmitz-Rheydt, Bullenstempel, S. 69 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 553; Baumgarten, Bullenstempel, S. 51*f. 277 Fees, Bedeutung, S. 67–69. 278 Ewald, Siegelkunde, S. 34 f. 279 X 2.22.2, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 344: […] Scripta vero authentica, si testes inscripti decesserint, nisi forte per manum publicam facta fuerint, ita, quod appareant publica, aut authenticum sigillum habuerint, per quod possint probari, non videntur nobis alicuius firmitatis robur habere. Vgl. Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 656–658; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 504; Ewald, Siegelkunde, S. 42 f.; Kleine, Litterae, S. 193. 280 Huguccio, Summa decretorum, ed. Prerovsky, Huguccio Pisanus, S. 306 (ad D. 19 c. 3 s. v. falsam epistolam): Item dicitur falsa, cum in epistola domini pape uel alterius prelati aliquid est additum a falsatore uel subtractum uel uitiatum, siue in bulla siue in carta siue in filo [andere Hss.: sigello] siue in litteris. Vgl. Herde, Recht, S. 327 f. Andere Beispiele sind nach verschiedenen Handschriften zitiert ebd., S. 326 f. Anm. 224. 281 Huguccio, Summa decretorum, ed. Prerovsky, Huguccio Pisanus, S. 306 (ad D. 19 c. 3 s. v. falsam epistolam): Set qualiter potest conuinci falsarius? Per testes, per sigillum dissimile, per litteras dissimiles, per modum scribendi et per multas alias presumptiones. 282 2 Comp. 5.9.3, ed. Friedberg, Quinque compilationes, S. 100: […] quos cognoscere poteris ex comparatione bullae et qualitate stili […]. Vgl. Foerster, Beispiele, S. 306.
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Rückschlüsse darauf, wie die Bullierung einer echten Papsturkunde am Ende des 12. Jahrhunderts den kurialen Gewohnheiten entsprechend auszusehen hatte. Innozenz ging im Einzelnen auf verschiedene Methoden des Missbrauchs der päpstlichen Bulle ein. Die erste genannte Option ist die Anbringung einer falschen Bulle an einer gefälschten Urkunde.283 Eine weitere Fälschungstechnik bestand darin, die Siegelschnur vollständig aus dem Schnurkanal zu entfernen, um danach die Bulle mittels neuer Fäden an dem gefälschten Dokument befestigen zu können.284 Die Schnur konnte auch oberhalb der Bulle durchtrennt und durch Zusammen knoten oder -nähen mit möglichst ähnlichen Fäden an der Fälschung angebracht werden. Am unauffälligsten gelang dies, wenn man die Schnüre direkt unter der Plica durchtrennte.285 Größere Geschicklichkeit war erforderlich, wenn der Fälscher auch die zerschnittenen Schnüre weiterverwenden wollte. Dazu konnte er am oberen Teil der Bulle ein Ende des Fadens abschneiden, alle Fäden aus der Urkunde herausziehen und die Bulle mithilfe derselben Fäden an der Fälschung befestigen, indem er das abgeschnittene Stück wieder in das Blei hineinschob.286 Innozenz III. unterschied hier juristisch zwischen Siegelmissbrauch einerseits und Siegelfälschung andererseits. Der Tatbestand des Missbrauchs zeichnete sich dadurch aus, dass der Fälscher ein Originalsiegel an einer gefälschten Urkunde anbrachte – dies konnte er durch Raub oder Diebstahl in seinen Besitz gebracht oder von einer echten Urkunde abgelöst haben, möglicherweise war er sogar in den Besitz des Originalstempels gelangt. Unter einer Bullenfälschung dagegen verstand man die Herstellung einer Kopie oder Nachbildung der echten Bulle, durch Nachschnitt des Stempels oder Abformung eines Originalsiegels. Es kamen auch eigens angefertigte Matrizen zum Einsatz, die auf Basis eines echten Abdrucks geformt wurden.287 Beispiele sind für alle von Innozenz genannten Fälschungsarten überliefert.288 Doch Innozenz begnügte sich nicht damit, die verschiedenen Fälschungstechniken aufzuzählen, sondern ging zum Abschluss seines Schreibens auch darauf 283 X 5.20.5, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 819: Prima species falsitatis haec est, ut falsa bulla falsis literis apponatur. 284 X 5.20.5, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 819: Secunda, ut filum de vera bulla extrahatur ex toto, et per aliud filum immissum falsis literis inseratur. Vgl. Ewald, Siegelkunde, S. 230; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 621. 285 X 5.20.5, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 819: Tertia, ut filum ab ea parte, in qua charta plicatur, incisum, cum vera bulla falsis literis immittatur, sub eadem plicatura cum filo similis canapis restauratum. Vgl. Ewald, Siegelkunde, S. 230; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 621. 286 X 5.20.5, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 819: Quarta, quum a superiori parte bullae altera pars fili sub plumbo rescinditur, et per idem filum literis falsis inserta reducitur infra plumbum. Vgl. Ewald, Siegelkunde, S. 230; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 621. Beispiele für derartige Fälschungen sind beschrieben bei Krafft, Tatort, S. 355, und bei Acht, Fälschungen, S. 42–44. 287 Ewald, Siegelkunde, S. 226−233; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 620−623; Graber, Spurium, S. 111. 288 Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 612; Hotz, Litterae apostolicae, S. 103–109.
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ein, wie die päpstliche Bulle und ihre Anbringung konkret im Hinblick auf diese Merkmale untersucht werden konnten und welche Auffälligkeiten dabei zu beachten waren. Genannt werden im Einzelnen: die Anbringung der Bullenschnur, das Aussehen der Bulle durch Abgleich mit einer echten, die Bewegungsfreiheit der Bulle an der Schnur im Ruhezustand und in Bewegung sowie Ungleichmäßigkeiten in der Prägung, besonders Wölbungen und Senkungen der Oberfläche.289 Diese präzisen Vorgaben sind sicherlich auf die beschriebene Methode zur Prägung der päpstlichen Bleibullen zurückzuführen. Die Prüfung der Bleibulle musste sich an Merkmalen orientieren, die auch bei schlechter Prägung eindeutig und unverwechselbar zu erkennen waren. Auch in späteren Briefen verwies Innozenz daher immer wieder auf den Bullenvergleich, den er als besonders probates Mittel betrachtete, um falsche Dokumente aufzudecken.290 Eine andere Methode zur Identifizierung von gefälschten Urkunden wird in den Fälscherdekretalen nie erwähnt, ist aber aus anderen Quellen bekannt. Es handelt sich um das Zählen der Punkte auf der Bleibulle, die den umlaufenden Perlkreis auf beiden Seiten der Bulle, die Umfassungen der beiden Apostelköpfe sowie die Haupt- und Barthaare des Petrus bilden.291 Im Detail beschrieben wird dieses Vorgehen in der Margarita decreti et decretalium des Martin von Troppau, die wahrscheinlich zwischen 1261 und 1274 entstand. Dort ist angegeben, dass der äußere Perlkreis auf der Apostelseite 73 und auf der Namensseite der Bulle 75 Punkte zählt, der Rahmen um Paulus aus 24 und der um Petrus aus 25 Punkten besteht und die Haare des Petrus 28 Punkte aufweisen.292 Auf diese Methode des Punktezählens zur Verifizierung von Papsturkunden verwies auch Konrad von Mure um 1276.293 289 X 5.20.5, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 819: In ceteris autem diligens indagator falsitatem poterit diligentius intueri, vel in adiunctione filorum, vel in collatione bullae, vel motione vel obtusione, praesertim si bulla non sit aequalis, sed alicubi magis sit tumida, et alibi magis depressa. Vgl. Poole, Lectures, S. 156; Foerster, Beispiele, S. 302; Delisle, Mémoire, S. 47; Ewald, Siegelkunde, S. 227 f. 290 Zum Beispiel X 5.20.6 (1200), ed. Friedberg, Corpus, Sp. 819 f. Innozenz III. schrieb bezüglich der Echtheit einer Papsturkunde an den Erzbischof von Antibari und mahnte ihn, die Bulle und die Siegelschnur sowie Beschreibstoff und Stil zu untersuchen, um Fälschungen identifizieren zu können: […] sic literas apostolicas studeas diligentius intueri tam in bulla, filo et charta, quam in stilo […]. Vgl. Foerster, Beispiele, S. 305; Hotz, Litterae apostolicae, S. 97. 291 Baumgarten, Bullenstempel, S. 52*; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 610 f. 292 Paris, Bibliothèque Nationale de France, Ms. lat. 4133, fol. 88rb–va: Quod false littere percipi possunt in bulla, puncta numerando. Nam vera bulla in circulo ubi sunt capita apostolorum habet LXXIII puncta. Alius vero circulus in alia parte LXXV. Alius qui est supra capud [sic!] Petri habet XXV, qui sunt in fronte beati Petri. Sed in fronte beati Pauli non sunt nisi XXIIII. Et in barba beati Petri XXVIII. Vgl. Delisle, Mémoire, S. 48 Anm. 1; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 534 (allerdings mit Zuordnung zu Gregor X.); Krafft, Siegel, S. 230; Graber, Spurium, S. 112 Anm. 77. 293 Kronbichler, Summa, S. 167: Item bulla pape rotunda de plumbo per cordas lini vel canapi carte solent appendi, et ab una parte habet capita apostolorum Petri et Pauli, ab alia parte nomen pape
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Besonders ausführlich ging Boncompagno da Signa auf die päpstliche Bulle ein. Er erläuterte in seiner bereits um 1198 verfassten Oliva deren Aussehen sowie ihre Beschaffenheit aus Blei und erwähnte dabei auch die Punkte, jedoch ohne im Speziellen auf ihre Funktion als Echtheitskriterium zu verweisen.294 Ein Schreiben Innozenz’ III. aus dem Jahr 1201 zeigt, dass auch er die Methode des Punktezählens als effektive Siegelkritik anerkannte. Darin beauftragte er den Erzbischof von Sens, den Abt von Saint-Martin und den Dekan von Troyes, eine verdächtige päpstliche Urkunde zu untersuchen und dazu unter anderem die anhängende Bulle mit einer echten zu vergleichen, wobei sie besonders auf die Punkte sowie auf Größe und Form des Siegels achten sollten.295 Im Rahmen eines Eheprozesses erwähnte Innozenz im Jahr 1210 erneut die Bedeutung der Punkte als Anhaltspunkt für die Echtheit einer Papsturkunde.296 Auch im Speculum iudiciale des Guillelmus Duranti, das im späten 13. Jahrhundert im Umfeld der Kurie entstand,297 wird im Rahmen eines Kapitels zum Zivilprozess,298 in dem verschiecum annotatione numeri equivocorum. Et circumferentia utrobique certis punctulis est expressa, ut eo difficilius possit falsificari, et eo facilius falsitas valeat deprehendi; zu Konrad von Mure siehe oben Kapitel 3, S. 46. 294 Cortijo Ocaña, Tratado, S. 172–174: [9.15] Post hec omnia supponitur ibi apostolica bulla cum sericis filis, in qua impressa sunt apostolorum Petri et Pauli capita et eorumdem nomina cum quibusdam signis et punctis ex una parte. Ex alia vero ipsius pape nomen continetur cum punctis et signis […] [9.18] Bulla etiam apostolica fit de plumbo causa multiplicis commoditatis. Nam plumbum facile malleatur. Unde bullator citius potest quaslibet expedire et bene in eo forma impremitur nec obstat visui, quia est competentis coloris et est valde conservatum et invariabile, nisi contundatur. […] [9.25] […] Puncta namque ipsi bulle propterea imprimuntur, ut apostolorum capitibus et pape nomini pressent ornatum. Profecto pictores et sculptores semper faciunt quendam circa vertices ymaginum apparatum causa honoris. [9.26] Vel puncta ideo fiunt, ut falsariorum malitia cognoscatur, quoniam in punctis ipsis quedam signa continentur, que non duxi per singula explanare. Vgl. Graber, Spurium, S. 112 Anm. 77; zu Boncompagno siehe oben Kapitel 3, S. 47. 295 Martène/Durand, Veterum scriptorum, Sp. 1031 f. (= Potthast 1321; datiert auf den 9. April 1201): […] eum qui litteris ipsis est usus, ad exhibendas eas vobis per censuram ecclesiasticam compellatis, conferatis eas diligentius cum transcripto, quod sub bulla nostra vobis mittimus interclusum, et bullam diligenter examinare curetis in punctis, quantitate, et forma, et si etiam vera esset, utrum litteris per vitium falsitatis inserta, et si per vos certum inveneritis indicium falsitatis, tam eum qui impetravit easdem, quam illum qui usus est illis, secundum institutionem nostram, quam vobis dirigimus, sublato appellationis obstaculo, puniatis. Vgl. Graber, Spurium, S. 112 Anm. 77. 296 Reg. Inn. XIII/54, ed. Sommerlechner/Weigl, Register 1210/11, S. 90 (= Potthast 3984; datiert auf den 25. April 1210): […] procurator mulieris ipsius […] appellavit, litteras arguens falsitatis et bullam volens astruere, quia punctus deerat, esse falsam. Vgl. Krafft, Siegel, S. 230 Anm. 54. 297 Siehe unten Kapitel 4.3.2, S. 112. 298 Kapitel 2.1.5 De rescripti praesentatione, receptione, et impugnatione; siehe unten Kapitel 4.3.2, S. 115.
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dene Maßnahmen zur Echtheitsprüfung von Dokumenten vorgestellt werden, die päpstliche Bleibulle als Authentizitätsmerkmal benannt. Um ihre Verifizierung zu erleichtern, wird ihr Aussehen im Detail beschrieben, wobei auch auf den Perlkreis sowie die Punkte im Allgemeinen verwiesen wird: Attendes enim, quod ex una parte bulle debet esse scriptum nomen pape litteras concedentis, debet etiam habere circuitum orbicularem de punctis. Ex alia parte debet esse caput caluum Pauli et hirsutum cum barba prolixa, et caput Petri granatum et pilosum cum barba rotunda et granata, et utrumque caput circumdatur circulo punctorum, et inter ipsa capita est crux prolixa, habens in summitate unum punctum et aliud in fine stipitis. Sed et super ipsa capita est linea litterarum continens S. Pa. S. Pe. Habet etiam eadem pars circulum orbicularem de punctis et bene, bene considerandus est numerus punctorum.299 Zwar sind im Speculum im Gegensatz zu der Beschreibung bei Martin von Troppau keine konkreten Zahlen genannt, allerdings wird deutlich darauf hingewiesen, dass die Anzahl der Punkte von besonderer Relevanz sei. In den Additiones des Johannes Andreae zum Speculum iudiciale, die um 1346/47 vollendet wurden,300 sind dann in Ergänzung zu diesem Abschnitt einerseits die Rosen erwähnt, die auf den Bleibullen Clemens’ VI. (1342–1352) als Trennzeichen fungierten,301 andererseits auch geheime Merkmale, mit deren Hilfe gefälschte Urkunden identifiziert werden konnten – dieser Hinweis bezieht sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Anzahl der Punkte.302 Tatsächlich bezeichnete Johannes Andreae die Punkte auf den päpstlichen Bleibullen auch in seinem Dekretalenkommentar als geheime Zeichen, die nur den Bullatoren bekannt seien.303 Untersuchungen an überlieferten Bleibullen konnten zeigen, dass die Punkte zahl auf der Apostelseite mit wenigen Ausnahmen von der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bis in das frühe 15. Jahrhundert exakt den Angaben bei Martin von Troppau entspricht.304 Diese konsequente Gleichförmigkeit in der Ausstattung und die zahlreichen, in verschiedenen Kontexten überlieferten Hinweise auf die Bedeutung der Punkte für die Validierung von päpstlichen Bullen lassen darauf 299 Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22ra. 300 Siehe unten Kapitel 4.3.2, S. 115. 301 Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22ra: In hac addite sunt sex rose, quod licet aliquam reprehendant, posset multum conferre proposito, scilicet falsitatis inveniende. Zu den Bleibullen Clemens’, die fünf Rosen aus dem Familienwappen des Papstes aufweisen, vgl. Krafft, Siegel, S. 224 f., und die Abbildung bei Serafini, Monete, Nr. 9, S. 71 und Tafel K, Abb. 10. 302 Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22ra: Bene considerandus est numerus punctorum habet et hec quedam signa secreta, quorum unum est mihi notum, per quod ipso primo aspectu cognoscerem falsam bullam. 303 Johannes Andreae, In quintum Decretalium, fol. 79r: Vix enim, immo nullo modo reperire erit, quin discrepet falsa a vera [bulla] vel in forma, vel in filis, vel in punctis, vel aliquo alio. Praeter id etiam, quod ibi sunt quaedam signa secreta solis bullatoris notae. 304 Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 530–535; Krafft, Siegel, S. 253 f.; Graber, Spurium, S. 112 Anm. 77.
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schließen, dass es in der päpstlichen Kanzlei konkrete Vorschriften gab, die das Aussehen der Bleibulle besonders im Hinblick auf die Anzahl der Punkte regelten. Ob diese Vorgaben auch schriftlich niedergelegt wurden, ist nicht bekannt, die Erwähnung der Punkte bei kuriennahen Autoren deutet aber darauf hin. Neben den verschiedenen Varianten von Siegelfälschung und Siegelmissbrauch erwähnte Innozenz in seinem Schreiben aus dem September 1198 noch ein weiteres Merkmal, das zur Identifizierung gefälschter Papsturkunden herangezogen werden konnte: das Auftreten von Rasuren. Dabei handelt es sich um Bearbeitungen und Veränderungen des Beschreibstoffes. Rasuren sind daher nicht nur rein inhaltlich von Interesse, sondern auch im Hinblick auf die äußere Erscheinung. In der ursprünglichen Version des Schreibens Innozenz’ III., die im Register überliefert ist, wird ganz allgemein die Rasur, also das Abschaben einzelner Textteile mit anschließender Neubeschriftung, als Fälschungsmerkmal genannt.305 Dieser Hinweis des Papstes vermittelte aufgrund seiner Formulierung den Eindruck, dass jegliche Art von Rasur auf einer Papsturkunde diese automatisch fälschungsverdächtig machte. Noch im selben Jahr sah sich Innozenz dann auch veranlasst, die Vorgaben zur Auswirkung von Rasuren auf die Gültigkeit päpstlicher Urkunden genauer zu fassen und einzuschränken. In Zusammenhang mit einem Streitfall um eine Pfründe zwischen zwei englischen Parteien waren einige päpstliche Briefe in Fälschungsverdacht geraten und wurden deshalb dem Papst zur Prüfung übersandt. Offenbar war man sich der Echtheit der Dokumente nicht sicher, da sie Rasuren aufwiesen. In seinem Antwortschreiben vom 20. Oktober 1198 mit dem Incipit Ex continentia306 erklärte Innozenz die Briefe für echt, da er in ihnen kein Anzeichen für eine Fälschung erkennen konnte, nisi paucarum literarum rasuras, que nequaquam sapientis animum in dubitationem vertere debuerunt.307 Er legte damit fest, dass unerhebliche Rasuren auf Papsturkunden nicht zwingend als Hinweis auf eine Fälschung interpretiert werden konnten. Möglicherweise hatte er nach Rücksprache mit der Kanzlei diese Einschränkung vorgenommen, denn die Erfahrung lehrte, dass gelegentliche Fehler und Verbesserungen in den Urkunden nicht zu vermeiden waren.308 Dies hatte vor ihm bereits Alexander III. (1159–1181) erkannt und seinerseits Rasuren in den Besitzspezifikationen von Privilegien und den Narrationes von litterae als besonders verdächtig definiert.309 305 Reg. Inn. III., I/349, ed. Hageneder, Register 1198/99, Nr. 349, S. 522: […] quinta, cum litteris bullatis et redditis aliquid in eis per rasuram tenuem immutatur. Vgl. Foerster, Beispiele, S. 302. 306 Druck: X 5.20.9, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 821 f.; Reg. Inn. III., I/404(405), ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 603 f. Vgl. Foerster, Beispiele, S. 305 f.; Herde, Recht, S. 337; Poole, Lectures, S. 159 f.; Krabbo, Urkunde, S. 277. 307 Reg. Inn. III., I/404(405), ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 604. 308 Zu verschiedenen Arten von Rasuren auf Papsturkunden der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, darunter Verbesserungen und Tintenkleckstilgungen, vgl. auch Fickel, Korrektor, S. 37–39. 309 X 2.22.3, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 345: […] Dicimus, quod propter abrasionem illam iudicare
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Der Fall der englischen Kleriker verdeutlicht zum einen, dass die Erlasse Innozenz’ weithin rezipiert wurden und die von ihm vorgegebenen Techniken zur Überprüfung der Echtheit von Urkunden durchaus Anwendung fanden. Zum anderen zeigt das päpstliche Schreiben nach England aber auch, dass diese Methoden noch verfeinert und an die Gegebenheiten der Kanzleipraxis angepasst werden konnten und mussten, was wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit denjenigen Personen erfolgte, die für die Urkundenherstellung zuständig waren und die Arbeitsweise der päpstlichen Kanzlei kannten. 4.1.1.2 Relevanz in Theorie und Praxis der Urkundenverifizierung Die beiden genannten päpstlichen Schreiben und die darin enthaltenen Kriterien zur Echtheitsprüfung von Papsturkunden waren von anhaltender Bedeutung für die mittelalterliche Debatte der Fälschungsproblematik. Dies gilt im Besonderen für Licet ad regimen, den ersten Brief vom September 1198. Er wurde von Innozenz selbst in späteren Schreiben zitiert und bald auch in kirchenrechtliche Sammlungen aufgenommen.310 Diese Entwicklung hängt auch damit zusammen, dass während des Pontifikats Innozenz’ III. eine ganze Reihe von Kompilationen päpstlicher Dekretalen entstand.311 Bereits in die erste derartige Arbeit, die Dekretalensammlung des Rainer von Pomposa aus dem Jahre 1201, wurde auch Licet ad regimen aufgenommen.312 Ebenso findet sich der Text in der Bearbeitung des Engländers Gilbertus313 wie auch in der ergänzenden Zusammenstellung seines Landsmannes Alanus, in die auch das zweite Schreiben Ex continentia vom Oktober 1198 Aufnahme fand.314 Auch die zwei Jahre später entstandene private Rechtssammlung des Bernhard von Compostella, die Compilatio Romana, enthält beide Dekretalen.315 In die Compilatio Tertia dagegen, die 1209/1210 von Innozenz III. als erste derartige Kompilation überhaupt offiziell approbiert wurde, ging nur Licet ad regimen
falsae non possunt, nec etiam haberi suspectae, praesertim quum et privilegia in possessionibus abradantur, et literae in narratione facti, si erratum est, possunt incunctanter abradi. 310 Herde, Aufkommen, S. 304 f. 311 Pennington, Collections, S. 301. Zu den Begriffen der Dekretale und der Dekretalensammlung vgl. Nörr, Entwicklung, S. 839 f. 312 Rainerius, 14.2, ed. Migne, PL 216, Sp. 1217−1219 (vollständiger Text); Theisen, Dekretalensammlung, S. 561 (Inhaltsangabe). Vgl. Pennington, Collections, S. 301–303; Theisen, Dekretalensammlung, S. 549−556. 313 Gilbertus, Anhang 29, ed. Heckel, Dekretalensammlungen, S. 224, S. 297. Vgl. Heckel, ebd. S. 144−147; Pennington, Collections, S. 304 f. 314 Alanus, 5.12.2 und 5.12.4, ed. Heckel, Dekretalensammlungen, S. 297. Vgl. ebd. S. 153−164; Pennington, Collections, S. 305 f. 315 Compilatio Romana, 5.13.2 und 5.13.3, ed. Singer, Dekretalensammlung, S. 101. Vgl. ebd. S. 22−24; Pennington, Collections, S. 306–308; Kuttner, Bernardus, S. 327−333.
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ein,316 dasselbe gilt für die Compilatio Quarta, eine weitere private Rechtssammlung.317 Erst im Liber Extra, der von Gregor IX. in Auftrag gegeben, von Raymund von Peñafort zusammengestellt und im Jahr 1234 approbiert wurde, finden sich wieder beide Dekretalen, nun in ihrer im Rahmen der Überlieferung des kanonischen Rechts final überarbeiteten Form.318 Raymund hatte die päpstliche Erlaubnis, die Dekretalentexte, die in den fünf Compilationes antiquae enthalten waren, auszusortieren, zu kürzen und zu redigieren. Er bediente sich zu diesem Zweck vor allem der verschiedenen, zu dieser Zeit existenten Kommentare und Glossen.319 In dem aus seiner Bearbeitung resultierenden Wortlaut blieben die Texte fortan verbindlich, alle anderen Sammlungen sowie alle nicht in den Liber Extra aufgenommenen Dekretalen verloren ihre Gültigkeit.320 Besonders auffällig an der Neufassung der beiden auf Innozenz zurückgehenden Dekretalen im Liber Extra ist, dass Licet ad regimen gegenüber allen vorherigen Kompilationen inhaltlich vermehrt wurde. Die fünf beschriebenen Fälschungsmethoden, die sich im ursprünglichen Brief des Papstes fanden, wurden um zwei weitere ergänzt, die beide im Detail auf verschiedene Formen von Rasuren eingehen. Bei der ersten handelt es sich um das vollständige Abwaschen der Schrift mit Wasser oder Wein321 und die anschließende Neukalzinierung und -beschriftung.322 Als zweite Möglichkeit, die viel Fingerfertigkeit voraussetzte, wird das Überkleben des vorher abgeschabten oder -gewaschenen Textes mit einem dünnen Pergament genannt.323 316 3 Comp. 5.11.2, ed. Friedberg, Quinque compilationes, S. 132. Vgl. Thier, Register, S. 58−64; Pennington, Collections, S. 309–311; Pennington, Making, S. 69–90. 317 4 Comp. 5.8.2, ed. Friedberg, Quinque compilationes, S. 148. Vgl. Heckel, Dekretalensammlungen, S. 297; Kuttner, Johannes, S. 617−621. 318 X 5.20.5, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 818 f.; X 5.20.9, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 821 f. 319 Kuttner, Raymond, S. 65−67; Nörr, Entwicklung, S. 842; Kantorowicz, Schriftvergleichung, S. 39. Zu entsprechenden Vorarbeiten zu den Fälschungsdekretalen Innozenz’ III. im Apparat Tankreds zur Compilatio Tertia und dem Apparat des Johannes Teutonicus zur Compilatio Quarta vgl. Herde, Recht, S. 339 f. Anm. 292. 320 Thier, Register, S. 66; Nörr, Entwicklung, S. 841−843. 321 Versuche haben zwar gezeigt, dass das Abwaschen der Schrift gelingen kann, allerdings ist die Übertragbarkeit auf mittelalterliche Urkunden sehr fraglich. Graber erprobte die Methode des Abwaschens an einem Stück Pergament und stellte fest, dass weder Wein noch Wasser noch hochprozentiger Alkohol die Schrift zuverlässig entfernen konnten, während es mithilfe von Milch gelang. Allerdings wies Graber selbst darauf hin, dieses Experiment mit Buchpergament und moderner Kalligraphietinte durchgeführt zu haben, weshalb es für mittelalterliche Papsturkunden nur wenig Aussagekraft hat; vgl. Graber, Spurium, S. 95. 322 X 5.20.5, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 819: Sexta, quum scriptura literarum, quibus fuerat apposita vera bulla, cum aqua vel vino universaliter abolita seu deleta, eadem charta cum calce et aliis iuxta consuetum artificium dealbata de novo rescribitur. Vgl. Foerster, Beispiele, S. 302. 323 X 5.20.5, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 819: Septima, quum chartae, cui fuerat apposita vera bulla,
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Ein Beispiel einer päpstlichen littera, die vollständig radiert und neu beschrieben wurde, ist im Bestand des Lippoldsberger Klosterarchivs überliefert.324 Der Text der ursprünglichen littera cum filo canapis des Papstes Nikolaus IV. vom 13. Januar 1289 wurde, mit Ausnahme der Initiale des Papstnamens, vollständig getilgt und im Anschluss mit dem Inhalt eines Gnadenbriefs beschriftet, demzufolge der Papst das Kloster mit allen Besitzungen und Rechten in seinen Schutz genommen habe. Der Hanffaden, an dem die Bulle angehängt war, wurde aus dem Schnurkanal herausgelöst und durch einen gelb-roten Seidenfaden ersetzt.325 Die einschlägige Gesetzgebung im Liber Extra wurde von den Dekretalisten bis ins kleinste Detail kommentiert, wodurch sich eine ausführliche Lehre zum Fälschungsdelikt entwickelte. Ausgehend von der Dekretale Licet ad regimen erläuterten Gottfried von Trani,326 Bernhard von Parma,327 Hostiensis,328 Johannes Andreae,329 Panormitanus330 und andere die verschiedenen Fälschungskriterien und verfassten in diesem Zuge teilweise eigenständige Diplomatiklehren, wobei die von Innozenz eingeführten Merkmale um weitere ergänzt wurden. Hinsichtlich der äußeren Ausstattung von Papsturkunden thematisierten die Dekretalisten dabei die Bulle und die Siegelschnüre sowie deren Relevanz für die Verifizierbarkeit der Urkunden, daneben gingen sie aber auch auf fehlerhafte Grammatik und Anredeformen, falsche Zeugenlisten oder auch widersprüchliche Inhalte ein.331 Zu den verschiedenen Arten der Bullenprüfung verfassten die Dekretalisten ebenfalls Erläuterungen.332 totaliter abolitae vel abrasae, alia subtilissima charta eiusdem quantitatis scripta cum tenacissimo glutino coniungitur. Vgl. Foerster, Beispiele, S. 302. 324 Hessisches Staatsarchiv Marburg, Urk. 36 Nr. 176. 325 Heinemeyer, Urkundenfälschungen, S. 216–222 mit Abb. 11. 326 In seiner Summa (1241–1243); vgl. Nörr, Literatur, S. 378. 327 In der Glossa ordinaria (1263−1266); vgl. Nörr, Literatur, S. 376 f. 328 Sowohl in seiner Lectura (1271) als auch in seiner Summa aurea (1253); vgl. Nörr, Literatur, S. 378. Von Hostiensis abhängig ist der spätere Kommentar des Petrus de Ancharano zu den Fälschungsdekretalen Innozenz’ III.; vgl. Herde, Recht, S. 334. 329 In seiner Novella (1338); vgl. Nörr, Literatur, S. 378. 330 In seiner Lectura (Nicolaus de Tudeschis, † 1445); vgl. Nörr, Literatur, S. 381. 331 Herde, Bestrafung, S. 598–604; Herde, Recht, S. 338–362. 332 Henricus de Segusio, In quintum Decretalium, fol. 61r: In collatione […], si conferatur de suspecta bulla ad veram et non suspectam, vix erit, quando vera bulla a falsa discrepet, vel in forma, vel in filiis, vel in punctis, vel in alio aliquo. Vel motione, quia facilius movetur filum foraminis sublevati, quam non sublevati […]. Alias obtusione, quia forsan apparet ictus malleunculi, quantumcunque bulla suaviter tunderetur […]. Equalis: propter percussionem mallei, tumida: in loco in quo non percussit, depressa: in loco in quo percussit. Johannes Andreae, In quintum Decretalium, fol. 79r: Si fiat collatio falsae bullae ad veram, facile erit cognoscere. Vix enim, immo nullo modo reperire erit, quin discrepet falsa a vera vel in forma, vel in filis, vel in punctis, vel aliquo alio. Praeter id etiam, quod ibi sunt quaedam signa secreta solis bullatoris notae. Motione: facilius movebitur filum foraminis sublevati, quam alterius. Obtusione: quando cudita [sic!] est bulla super filum, optime
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Besonders ausführlich wurde allerdings die Thematik der Rasuren auf Urkunden im Allgemeinen und auf Papsturkunden im Besonderen diskutiert. Hierfür bildeten die beiden unterschiedlichen Rechtsauffassungen in den Dekretalen Licet ad regimen und Ex continentia eine perfekte Grundlage. Darauf aufbauend entwickelten sich immer präzisere Differenzierungen von verschiedenen Rasurenarten und, damit einhergehend, unterschiedliche Einschätzungen zu ihrer Bedeutung für die Rechtsgültigkeit einer Urkunde. Da die beiden Dekretalen in dieser Hinsicht viel Raum zur Interpretation ließen, wurde die Rasurenfrage in den folgenden Jahrhunderten äußerst kontrovers ausgelegt und diskutiert.333 Einen Ausgangspunkt dafür bildete der Titel von Ex continentia im Liber Extra, der zusammenfassend angibt, dass Rasuren an unverdächtigen Stellen im Text kein eindeutiger Hinweis auf eine Fälschung seien: Propter paucarum literarum rasuram in loco non suspecto rescriptum non probatur falsum.334 Davon ausgehend argumentierten viele Juristen – wie bereits Papst Ale xander III.335 – dass der Ort der Rasur in der Urkunde von entscheidender Bedeutung sei. Eine Rasur in der Narratio galt dabei, anders als in der modernen Diplomatik, vielen Dekretalisten als unverdächtig, Rasuren im Bereich von Namen oder die Tilgung ganzer Zeilen aber machten die Urkunde in ihren Augen ungültig.336 Rasuren in litterae clausae fasste man ebenfalls nicht als Fälschungsindiz auf, da sie mit hoher Wahrscheinlichkeit von Mitarbeitern der päpstlichen Kanzlei vorgenommen worden waren.337 Für Gottfried von Trani war vor allem die Länge der Rasur von Bedeutung. Die Tilgung einer ganzen Zeile im dispositiven Teil hielt er für verdächtig, waren jedoch einzelne Buchstaben radiert, so bestand seiner Meinung nach kein Grund, die Echtheit der Urkunde anzuzweifeln.338 Hostiensis unterschied grundsätzlich zwischen unverdächtigen Rasuren von der Hand des Skriptors und solchen eines späteren Interpolators, die auf eine Verfälschung hinweisen konnten. Als verdächtige Stellen
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est obtusa bulla filo inferiori et superiori, quod non est, cum filum fuit tractum. Tumida: in loco, quo malleus non percussit. Depressa: in loco, quo malleus percussit. Vgl. Herde, Recht, S. 345. Herde, Recht, S. 340–344. X 5.20.5, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 821. Siehe oben Anm. 309. Bernardus Parmensis, Glossa ordinaria, Sp. 1754: Non in narratione facti, quia ex hoc nulla suscipio esset […]; nec per talem rasuram facta fuit ambiguitas in nomine. Vgl. Herde, Recht, S. 340. Bernardus Parmensis, Glossa ordinaria, Sp. 1750: Si vero litterae clausae essent, non nocet rasura in quocunque loco fuerit, quia non est praesumptio contra impetrantem. Vgl. Herde, Recht, S. 340 f. Goffredus Tranensis, Summa, fol. 223r–v: Est autem sciendum, quod rasura paucarum litterarum que nequaquam animum sapientis in dubitationem vertere debet, suspicionem falsitatis non inducit […]. Dummodo rasura paucarum litterarum vel sillabe immutatio sensus non inducat varietatem alias secus […]. Rasura vero linee suspicionem falsitatis inducit. Vgl. Herde, Recht, S. 342.
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nannte er das Inkarnationsjahr und die Indiktion, den Inhalt päpstlicher Rechtsanweisungen und – genau wie Alexander III.339 – die Besitzliste in päpstlichen Privilegien. Einzelne radierte Buchstaben schätzte er, wie bereits Gottfried von Trani, als unverdächtig ein, genauso wie Verbesserungen von Schreiberhand in den litterae de simplici iustitia.340 Aus praktischer Perspektive empfahlen einige Dekretalisten, die Pergamenturkunden gegen das Licht zu halten, um Rasurstellen erkennen zu können.341 Insgesamt wurden die ursprünglichen Aussagen Innozenz’ III. juristisch dahingehend interpretiert und weiterentwickelt, dass Rasuren gemeinhin dann als unproblematisch zu verstehen waren, wenn sie an einer nicht verdächtigen Stelle auftraten und damit als oberflächliche Fehler angesehen werden konnten. Auf eine präzise Definition dieser unverdächtigen Urkundenteile legte man sich aber nicht fest. Gemeinsam mit den Glossen und Ergänzungen der Dekretalisten zum Liber Extra fanden die von Innozenz III. festgelegten Fälschungskriterien auch Eingang in die prozessrechtliche Literatur. In dem bereits erwähnten Kapitel zum Zivilprozess im Speculum iudiciale des Guillelmus Duranti werden beispielsweise die in Licet ad regimen erläuterten Methoden zur Verifizierung päpstlicher Urkunden samt der zugehörigen Kommentare von Hostiensis und anderen Dekretalisten angeführt.342 Auch im weltlichen Recht wurden die Fälscherdekretalen des Liber Extra rezipiert. In einigen Handschriften des Schwabenspiegels343 werden verschiedene Techniken der Urkundenkritik vorgestellt, die sich eindeutig auf die Vorgaben in Licet ad regimen beziehen.344 Sie wurden an die Gegebenheiten des deutschen
339 Siehe oben Anm. 309. 340 Henricus de Segusio, Summa aurea, Sp. 1639: Distinguitur utrum rasura sit in loco, ubi ius constituit, et tunc obest. An in facti narratione, et tunc non obest […]. Distinguitur utrum sint literae de simplici iusticia, ut idem est accedens, et utrum sit rasura paucarum litterarum. Henricus de Segusio, In quintum Decretalium, fol. 61r: Quicunque radit, vel immutat rescriptum domini Papae, sibi assignatum, est si unam literam corrigat, et punctum ibi apponat secundum interpretationem et consuetudinem curiae, et sententias in ea latas censetur falsarius et excommunicatus est […]. Illud intellige, quando is, qui scripsit literas, rasit, et rescripsit, vel alius de mandato illorum, ad quos spectat. Illud vero, quando hoc fit per illum, qui impetrat, vel alium sine conscientia illorum, ad quos spectat. Henricus de Segusio, In quintum Decretalium, fol. 62r: In narratione facti, non in narratione iuris, nec annotatione, nec propriis nominibus personarum, vel rerum, nec alio loco suspecto. Vgl. Herde, Recht, S. 343 f. 341 Bernardus Parmensis, Glossa ordinaria, Sp. 1750: Et in hoc est alia comparatio notanda, scilicet quod rasura chartae quantuncunque sit subtiliter rasa, sive incisa, si aliter discerni non possit, elevari debet ad solem, et interponi debet inter solem et oculos, et statim apparebit rasura. Vgl. Herde, Recht, S. 341. 342 Guillelmus Durantis, Speculum iudiciale, fol. 21vb–22ra. 343 Stengel, Urkundenlehre, S. 664 f., nennt elf Handschriften. 344 Stengel, Urkundenlehre, S. 666–671, macht dies durch eine Gegenüberstellung beider Texte deutlich.
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Landrechts angepasst und entsprechend ergänzt.345 An einigen Stellen wurde die Vorlage derart umformuliert, dass sie als regelrechte Anleitung zur Urkundenfälschung herangezogen werden konnte – im Zusammenhang mit den Erläuterungen über das Zerschneiden und erneute Zusammenknüpfen von Siegelschnüren im Rahmen des Siegelmissbrauchs wird etwa darauf hingewiesen, dass diese Arbeit am besten von Frauenhänden erledigt werden sollte.346 Gemeinsam mit den ausführlichen Kommentaren der Dekretalisten bezeugen diese Bearbeitungen die breite zeitgenössische Rezeption der Vorgaben Innozenz’ III. zur Urkundenkritik und der sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen zur äußeren Ausstattung der Papsturkunden. Da viele Kanzleimitarbeiter über eine fundierte juristische Ausbildung verfügten, waren ihnen sicherlich auch die Apparate der Dekretalisten und die darin diskutierten technischen Feinheiten der Methoden zur Echtheitsprüfung bei Papsturkunden geläufig. Das Wissen darum war an der Kurie auch deshalb von Bedeutung, weil es häufig vorkam, dass im Laufe eines Prozesses ältere, von den Parteien als Beweismittel präsentierte Papsturkunden verifiziert werden mussten.347 Die Quellen zeigen, dass die dafür notwendigen Kenntnisse bereits vor dem Pontifikat Innozenz’ III. vorhanden waren. In der Historia ecclesiae Eboracensis ist ein Bericht über die Auseinandersetzungen zwischen den Erzbischöfen William von Canterbury und Thurstan von York über die Vorherrschaft Canterburys überliefert. Während der Verhandlungen an der Kurie Calixts II. (1119–1124) wurden mehrere Urkunden vorgelegt, welche die Ansprüche Canterburys stützen sollten. Allerdings entsprach die Diktion der angeblich jahrhundertealten Dokumente nicht dem stilus Curiae, außerdem war keine der Urkunden besiegelt, was an der Kurie sofort bemängelt wurde. Von Seiten Canterburys wurde argumentiert, dass die Siegel verloren gegangen oder verschlissen seien. Für diese Aussage wurden die Vertreter Canterburys ausgelacht, denn es sei doch erstaunlich, dass das Pergament erhalten geblieben sei, die Bleisiegel aber nicht.348 An dieser Darstellung wird deutlich, dass die Kurie bereits zu Beginn des 12. Jahrhunderts zur Verifizierung päpst345 Stengel, Urkundenlehre, S. 655–664. 346 Stengel, Urkundenlehre, S. 667: Daz dritte ist, daz man an etlicher hantvesten di seiden oben von einander sneidet und sluszet si durch ein ander hantvesten, di nach seinem willen geschriben ist, und man zeiset di seiden dann cleine autz einander und treit si dann zusamen und machet si wider gantz; daz mütz aber von gefugen frawen henden geschen. Vgl. ebd. S. 661 f. 347 Poole, Lectures, S. 143. 348 Raine, Historians, S. 204: Jussa sunt legi privilegia predicta. Erant quidem Romanorum pontificum nominibus praetitulata, sed stylum Romanum nihil sapiebant. Quibus perlectis, et illo ad ultimum Beati Gregorii ad Augustinum de distinctione duorum metropolitanorum Angliae, interrogaverunt quidam de Romanis Cantuarienses, si privilegia illa bullas haberent […]. Consilium eorum fuit ut coram redeuntes dicerent bullas consumptas vel perditas esse. Quibus sic dicentibus, alii subriserunt, alii nares corrugaverunt, alii cachinum emiserunt, illudendo dicentes, mirum esse plumbum consumptum fore vel perditum, et pergamenum durare.
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licher Urkunden auf die Prüfung der Bulle setzte.349 Verdachtsmomente aufgrund der Verwendung von Pergament weit vor dem 11. Jahrhundert hatten sich hingegen nicht ergeben. Auch Alexander III. führte Echtheitsprüfungen anhand von Bullenvergleichen durch. Im Jahr 1171 entschied er einen Streit zwischen dem Erzbischof von Capua und einem dortigen Kloster, indem er eine von der Äbtissin vorgelegte Urkunde des Papstes Leo IX. (1049–1054) aufgrund der fehlerhaften Grammatik – es sei nämlich unwahrscheinlich, dass die Schreiber Idioten gewesen seien – und auch des anhängenden Siegels für gefälscht erklärte. Er hatte es mit noch im Besitz der Kurie befindlichen Bullen Leos verglichen und festgestellt, dass es sich wesentlich von diesen unterschied.350 Innozenz III. untersuchte im Rahmen von Prozessen vorgelegte Urkunden ebenfalls zum Teil persönlich auf ihre Echtheit.351 Aus der chronikalischen Überlieferung sind zwei Beispiele besonders bekannt. Der Waliser Giraldus Cambrensis beschrieb in seiner Abhandlung De iure et statu Menevensis ecclesiae, wie er in Zusammenhang mit seiner Appellation an die Kurie, in der es um seine Bischofswahl in St. David’s und die Unabhängigkeit dieser Kirche von Canterbury ging, Innozenz III. zwei päpstliche Urkunden von Lucius II. (1144–1145) und Eugen III. (1145–1153) vorgelegt hatte. Diese wurden untersucht und verlesen, außerdem wurden die anhängenden Bullen geprüft.352 Deutlich anschaulicher ist eine in der Chronik der Äbte von Evesham überlieferte Schilderung zu den Verhandlungen um die Exemtion des Klosters Evesham aus der Zuständigkeit des Bischofs von Worcester, die im Jahr 1205 an der Kurie geführt wurden. Demnach legte Thomas von Marlborough dem Papst ein Privileg Konstantins des Großen sowie Urkunden der Päpste Clemens III. (1187–1191) und Cölestin III. (1191–1198) vor. Innozenz prüfte die Urkunden und die Befestigung der Siegel, danach reichte er sie zur weiteren Untersuchung an die Kardinäle weiter.353 Vor allem wegen des Siegels und seiner Anbringung an dem Pergament – 349 Poole, Lectures, S. 143–146. 350 Pflugk-Harttung, Acta, Nr. 226, S. 228 f.: […] privilegium autem Leonis propter vitium et corruptionem grammaticae artis, de quo tam litterato et prudenti viro absurdum est existimare, quod tam ydiotas scriptores habuerit, et propter bullam, quae a bullis eiusdem Leonis, quae coram nobis productae fuerant, omnino comparebat dissimilis, et diversa, cum illae inter se comparerent per omnia similes, suspecta et fide non digna iudicavimus. Vgl. Foerster, Beispiele, S. 307 f.; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 17; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 57. 351 Krabbo, Urkunde, S. 275 f. 352 Brewer, Giraldi, S. 188: Ad papam autem inprimis vespera quadam Giraldus accedens ostendit ei dictas literas ambas, tam Lucii papae quam Eugenii, super causa status apud Meneviam, per suam diligentiam nuper inventas. Quibus inspectis et auditis, bullisque notatis, praecepit ut in crastino convocatis ad hoc cardinalibus cunctis coram illis in pleno consistorio et publica audientia legerentur. Vgl. Poole, Lectures, S. 149−151; Spaethen, Giraldus, S. 598−629. 353 Macray, Chronicon, S. 161: Et dominus papa propriis manibus tractavit ea, et traxit per bullam
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das auch in diesem Fall keinen Verdacht erregte – erklärte der Papst die Fälschung auf Konstantin zu einer echten Urkunde.354 Innozenz legte in beiden genannten Fällen ein besonderes Augenmerk auf das Vorhandensein, die Gestaltung und die Befestigung der Bulle.355 Natürlich waren die Kriterien zur Verifizierung päpstlicher Urkunden, auf die er seine Entscheidungen stützte, nur auf die in seiner Kanzlei produzierten Dokumente und nicht auf mehrere Jahrhunderte alte Urkunden anwendbar, weshalb er solche auch immer wieder irrtümlich als unverdächtig akzeptierte.356 Derartige Prüfungen durch den Papst kamen auch in den folgenden Pontifikaten vor. Innozenz IV. entschied beispielsweise im Jahr 1245 einen Streitfall in Übereinstimmung mit den relevanten Rechtsetzungen zu Rasuren auf Papsturkunden. Der Prior von San Sisto und zwei Kanoniker aus Pisa hatten einen Brief Innozenz’ IV. aufgrund einer Rasur innerhalb des Wortes cogatis für gefälscht erklärt, der Papst aber urteilte, dass dem Impetranten in diesem Fall keine Schuld zufiel, und veranlasste, dass die Anordnungen der littera ausgeführt wurden.357 Ein Prozess zwischen dem Kapitel von Santa Reparata in Florenz und Sigardus, dem Verwalter des zugehörigen Hospitals, aus dem Jahr 1216 zeigt, dass die Methoden zur Identifizierung von Fälschungen auch außerhalb der Kurie Anwendung fanden.358 Sigardus hatte zur Fälschung einer päpstlichen Bulle gegriffen, um seine Ansprüche durchzusetzen, was an der Kurie moniert wurde. Honorius III. (1216–1227) übertrug den Fall an delegierte Richter vor Ort, die auch schnell auf Amtsentsetzung und Exkommunikation des Beschuldigten entschieden. In der darüber ausgefertigten Urkunde legten sie ihr Vorgehen bei der Identifizierung der Urkunde als Fälschung dar.359 Sie hatten die Bleibulle in heißen Brotteig gelegt, um die Schnüre lockern zu können, und konnten auf diese Weise feststellen, dass die echte Bulle durch Zerschneiden einer der Schnüre von einer anderen Urkunde gelöst und durch geschicktes Zusammennähen an dem gefälschten Dokument ange-
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et cartam si forte posset bullam a filo amovere, et diligentissime intuens ea tradidit cardinalibus intuenda, et quum per gyrum venissent iterum ad dominum papam, ostendens privilegium Constantini dixit, „Huiusmodi privilegia quae vobis ignota sunt, nobis sunt notissima, nec possent falsari;“ et ostendens indulgentias dixit, „Istae verae sunt,“ et restituit mihi omnia. Foerster, Beispiele, S. 303; Poole, Lectures, S. 147−149; Sayers, Innocent, S. 120–122; Kleine, Litterae, S. 201−206; Spaethen, Giraldus, S. 629−649. Eine Neubewertung des Berichts des Thomas von Marlborough besonders hinsichtlich der Aussagekraft der Quelle für die Details des Prozessablaufs lieferte zuletzt Müller, Thomas of Marlborough, S. 122–135. Foerster, Beispiele, S. 303. Poole, Lectures, S. 146−149; Kleine, Litterae, S. 204; Spaethen, Giraldus, S. 638−642. Ähnliches gilt für Innozenz IV.; vgl. Herde, Beiträge, S. 83 f. Berger, Registres Innocent IV 1, Nr. 869; vgl. ebd., S. LXXVf.; Herde, Beiträge, S. 80 f. Davidsohn, Process, S. 232–235. Baumgarten, Kanzlei, S. 193; Davidsohn, Process, S. 232 f.
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bracht worden war.360 Die delegierten Richter identifizierten hier eindeutig eine der von Innozenz beschriebenen Fälschungsarten. Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass die in der Theorie des Kirchenrechts diskutierten Methoden zur Echtheitsprüfung päpstlicher Urkunden in der Praxis durchaus Anwendung fanden, und zwar inner- wie außerhalb der römischen Kurie. Auch den Mitarbeitern der päpstlichen Kanzlei und den Bullatoren dürften sie daher geläufig gewesen sein. 4.1.1.3 Bedeutung für die Kanzlei Die breite Rezeption und Diskussion der Echtheitskriterien für Papsturkunden, die seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts durch Päpste wie auch Dekretalisten entwickelt worden waren, lässt grundsätzlich darauf schließen, dass sie auch dem mit der Urkundenherstellung befassten Personal an der päpstlichen Kurie bekannt waren. Dass der Inhalt der beiden Schreiben Innozenz’ III. in der Kanzlei bekanntgegeben wurde, kann angesichts ihrer Bedeutung für die Urkundenherstellung als sicher angenommen werden. Die Mitarbeiter der Kanzlei konnten die Anwendung der Prüfmerkmale in der gerichtlichen Praxis erleben oder die einzelnen Kriterien in den Kommentaren der Dekretalisten nachlesen, die päpstlichen Briefe zur Fälschungsthematik wurden ihnen aber wahrscheinlich auch auf anderem Wege zugänglich gemacht. Rudolf von Heckel nahm an, dass derartige schriftliche Erlasse, die für die Belange des Kanzleibetriebs relevant waren, an zentraler Stelle (wie der vicecancellaria) verlesen wurden, da ihr Inhalt dem gesamten Kanzleipersonal, den Bullatoren und auch den Prokuratoren und Petenten bekanntgemacht werden musste.361 Ein Anhaltspunkt für diese Theorie findet sich in der ältesten bekannten Kanzleiordnung der päpstlichen Kurie, die vorschrieb, sie von Zeit zu Zeit öffentlich in der data communis vor Notaren, Skriptoren und Bullatoren zu verlesen, damit niemand aus Unwissenheit dagegen verstoße.362 Heckel ging davon aus, dass dies auch für andere kanzleirelevante Erlasse und Schreiben galt und dass sie alle in einem zur ständigen Bekanntmachung bestimmten Statutenbuch festgehalten wurden. Einen Beweis für dessen Existenz sah er im Aufbau und Inhalt der frühen Dekretalensammlungen des Rai360 Davidsohn, Process, S. 234: Nos autem in pane calido bullam apponi fecimus et tunc filum fecimus aliquantulum trahi, quod de bulla exiebat, et ita invenimus filum incisum ex superiori parte bulle insertum in bulla et reductum in plumbum et utrumque filum in superiori parte sutum, ne filum incisum sine altero filo extrahi posset a bulla, sicut adhuc in eisdem litteris apparet. 361 Heckel, Studien, S. 264 f. 362 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 54: Ne quis autem ex ignorantia occasionem accipiat in peccatis, semper in communi data legatur hoc scriptum et sint presentes notarii scriptores et bullatores, ut ad deprehendam fraudem diligenter notent personas et deprehensas in fraude detegant et ostendant, si proprium volunt periculum evitare.
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ner von Pomposa und des Gilbertus sowie in den Rubrizellen der Papstregister, in denen jeweils verschiedene Texte und Statuten zusammengeführt und aneinandergereiht wurden, die den Parteienverkehr an der Kurie thematisieren.363 Ein Dekret in der Sammlung des Rainer von Pomposa weist sogar die Inskription Decretum in constitutione Lateranensis palatii promulgatum auf, was ebenfalls darauf hindeutet, dass derartige Briefe und Erlasse im Lateran angeschlagen oder verlesen wurden.364 Zu den Stücken, die wahrscheinlich Platz in einem solchen Statutenbuch gefunden hätten, rechnete Heckel auch die Fälscherkonstitution Licet ad regimen vom 4. September 1198.365 Das Schreiben Ex continentia vom 20. Oktober des gleichen Jahres, das diese inhaltlich ergänzt, wäre demnach ebenfalls in die Reihe dieser für die Kanzlei bedeutsamen Texte einzuordnen. Natürlich waren die Dekretalen zur Fälschungsproblematik in erster Linie nicht darauf ausgerichtet, die Mitarbeiter in der päpstlichen Kanzlei und die Bullatoren anzuweisen, sie sollten vielmehr vor allem auswärtigen Personen die Identifizierung von gefälschten Papsturkunden erleichtern.366 Dennoch hatten sie mit Sicherheit auch Einfluss auf die Arbeit in der Kanzlei und der Bullarie, da dort die aus den Fälschungsmerkmalen ableitbare korrekte Ausstattung der Urkunden praktisch umgesetzt werden musste. Das bedeutete auch, die verschiedenen Prinzipien für die Bullierung und den Einsatz von Rasuren einzuhalten. Die Bleibulle war letztlich so zu gestalten und anzubringen, dass nicht zu Unrecht ein Fälschungsverdacht aufkam, und Rasuren sollten nur in geringem Umfang und vor allem nicht an bestimmten Stellen im Formular der Urkunden vorkommen. Die Fälscherkonstitutionen Innozenz’ III. nahmen für die kirchenrechtliche Ausgestaltung der Fälschungsgesetzgebung zwar eine zentrale Rolle ein, als innovative Rechtssetzungen können sie aber nicht gelten. Die Analyse der darin genannten Fälschungsmerkmale und ihrer Bedeutung in der Theorie und der praktischen Anwendung hat gezeigt, dass die Päpste bereits im frühen 12. Jahrhundert begonnen hatten, Echtheitskriterien für ihre Urkunden zu definieren. Dies ist sicherlich auf den deutlich erhöhten Arbeitsanfall und die gleichzeitige Zunahme von Fälschungen seit dem Investiturstreit und der damit einhergehenden Verfestigung der päpstlichen Kirchenherrschaft zurückzuführen. Schon in der Mitte des Jahrhunderts hatte Alexander III. (1159−1181) festgelegt, wann eine Papsturkunde als Fälschung zu gelten hatte, dabei die Bulle zum entscheidenden Beglaubigungsmittel bestimmt und Vorgaben zur Zulässigkeit von Rasuren in Papsturkunden gemacht. 363 Heckel, Studien, S. 264−266. Da es sich bei den beiden auf Innozenz III. zurückgehenden Dekretalen ursprünglich um päpstliche litterae handelte, wurden auch sie in das Register eingetragen: Reg. Inn. III., I/349, ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 520–522, und Reg. Inn. III., I/404(405), ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 603 f. 364 Rainerius 14.4, ed. Migne, PL 216, Sp. 1221 A; vgl. Kuttner, Raymond, S. 70 f. 365 Heckel, Studien, S. 264 f. 366 Frenz, Kriminalist, S. 136.
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Den Bullenvergleich zur Verifizierung hatte bereits Cölestin III. (1191−1198) empfohlen. Auch die Dekretisten des 12. Jahrhunderts, insbesondere Innozenz’ Lehrer Huguccio, hatten diese Aspekte erörtert. Die Fälscherdekretalen Innozenz’ III. stützen sich ganz deutlich auf diese Vorarbeiten, sie ergänzen sie lediglich durch die ausführlicheren Beschreibungen der verschiedenen Fälschungsmethoden. Dass die Schreiben Innozenz’ III. von den Zeitgenossen dennoch so umfassend rezipiert wurden, ist vor allem auf die günstigen äußeren Umstände seines Pontifikats zurückzuführen. Die Blüte des Kirchenrechts im 12. Jahrhundert förderte die weite Verbreitung der auf seine Einzelfallentscheidungen zurückgehenden Dekretalen, außerdem hatten sich die Verhältnisse innerhalb des Kardinalskollegiums und auch der stadtrömischen Politik vorübergehend stabilisiert, so dass die Kurie sich erstmals seit Jahrzehnten wieder dauerhaft in Rom aufhalten konnte.367 Die erwartungsgemäß lange Regierungsdauer des jungen Papstes, der 18 Jahre amtierte, begünstigte ebenfalls sowohl die tiefgreifende Umstrukturierung des Kanzleiwesens als auch die Kodifikation von bereits seit Jahrzehnten im Vorfeld greifbaren Entwicklungen. 4.1.2 Die Halbbulle Nach dem Tod eines Papstes wurde sein Namensstempel vernichtet und durch eine Neuanfertigung für seinen Nachfolger ersetzt, der Apostelstempel dagegen wurde aufbewahrt und von dem nächsten Pontifex weiterverwendet. Daher siegelten einige Päpste des Hoch- und Spätmittelalters in der Anfangszeit ihres Pontifikats bis zu ihrer Krönung mit einer Halbbulle.368 Diese wurde als bulla dimidia oder bulla defectiva bezeichnet und war einseitig geprägt, sie zeigte nur den Abdruck des Apostelstempels, während die Namensseite frei blieb.369 Als Grund für diese Praxis wurde angeführt, dass die Anfertigung eines neuen Stempels einige Zeit in Anspruch nehmen konnte, manche dringlichen Geschäfte aber dennoch die zügige Ausfertigung von Urkunden erforderten, so dass man aus rein praktischen Gründen nur mit dem Apostelstempel siegelte.370 Es wurde ebenfalls vermutet, dass aus dieser Gewohnheit der Halbbullen-Nutzung im Laufe der Zeit die Auffassung erwuchs, dass ein Papst vor seiner Krönung die vollständige 367 Schimmelpfennig, Papsttum, S. 171−186. 368 Baumgarten, Kanzlei, S. 163; Ewald, Siegelkunde, S. 161; Hack, Körper, S. 58; Barbiche, Litterae, S. 263; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 570. 369 Andere Bezeichnungen sind bulla dimidiata, bulla blanca und bulla plana; vgl. Baumgarten, Kanzlei, S. 164; Ewald, Siegelkunde, S. 161; Barbiche, Bulle, S. 240; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 570. 370 Ewald, Siegelkunde, S. 162; Baumgarten, Kanzlei, S. 163 f.; Imkamp, Sicut, S. 119 f. Baumgarten, Kanzlei, S. 215, etwa ging davon aus, dass die Herstellung eines Stempels mindestens zwei Tage in Anspruch nahm, Fürst, Statim, S. 50, dagegen ermittelte mithilfe von Fachleuten, dass die Anfertigung eines Namensstempels in wenigen Stunden möglich war.
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Bulle, die bulla integra, gar nicht führen dürfe.371 Fürst widersprach diesen Thesen ausführlich und setzte ihnen die Theorie entgegen, dass die Halbbulle bereits Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden sei, als die päpstliche Amtsgewalt noch durch den sakralen Akt der Konsekration beziehungsweise Benediktion übertragen wurde. Erst im Zuge dieser Amtseinsetzung habe der Elekt seinen Papstnamen angenommen, er habe ihn daher auch vorher nicht auf seiner Bulle führen können. Demnach sei die Verwendung der bulla dimidia seit Erlass des Papstwahldekretes 1179 ein sinn entleerter Brauch gewesen, da seit diesem Zeitpunkt die Übertragung der päpstlichen Macht bereits durch den Wahlakt geschah.372 Die pragmatischste Position, mit der die Debatte vorerst zum Abschluss kam, vertrat Schimmelpfennig, der die Papsterhebung als Handlungskette begriff, die erst in ihrer Gesamtheit dem neugewählten Papst alle Befugnisse übertrug. Die Verwendung der bulla integra sei demnach zu den Vorrechten zu zählen, die erst nach Abschluss dieser Übergangsphase wahrgenommen werden konnten.373 Eine symbolische Bedeutung ist der Halbbulle jedenfalls nicht abzusprechen: Die ausschließliche Verwendung der Apostelseite der Bulle demonstrierte die dauerhafte und uneingeschränkte Macht des Papsttums, das unabhängig von der Person des Papstes dauerhaft weiterbesteht.374 Die frühesten konkreten Angaben zu diesem Sonderfall päpstlicher Sphragistik sind in einem Schreiben Innozenz’ III. überliefert. Es liegen keine direkten oder indirekten Nachrichten vor, die darauf schließen lassen, dass bereits seine Vorgänger den Brauch eingeführt hatten, die vor der Krönung ausgefertigten Urkunden mit einer Halbbulle zu besiegeln.375 Innozenz bekräftigte jedenfalls die Rechtmäßigkeit der unter der bulla dimidia ausgestellten Urkunden explizit in einem allgemeinen Rundschreiben an alle Erzbischöfe und Bischöfe vom 3. April 1198.376 Innozenz erklärte darin, dass er in größerem Umfang die Halbbulle genutzt habe377 und deshalb die Gültigkeit der unter diesen Umständen ausgefertigten Urkunden unter371 Baumgarten, Kanzlei, S. 163 f.; Ewald, Siegelkunde, S. 162; Barbiche, Litterae, S. 263. Hortal Sanchez, Initio, S. 127, und Bertrams, Missione, S. 231–238, versuchten nachzuweisen, dass die mit Halbbullen gesiegelten Urkunden doktrinelle Unterschiede zwischen konsekrierten und nicht konsekrierten Elekten ausweisen, wobei letztere ihrer Meinung nach noch nicht die volle Primatialgewalt besaßen und dies auch durch die äußere Form ihrer Urkunden veranschaulichten. 372 Fürst, Statim, S. 49–60; Fürst, Quia, S. 421–430. 373 Schimmelpfennig, Krönung, S. 255–256; Hack, Körper, S. 60. 374 Fürst, Statim, S. 63 f.; Schneider, Halbbulle, S. 459; Schneider, Siegel, S. 323; Hack, Körper, S. 57. 375 Hack, Körper, S. 58 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 103; Fürst, Statim, S. 59; Imkamp, Sicut, S. 120. 376 Reg. Inn. III, I/83, ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 121; vgl. Delisle, Mémoire, S. 46; Fürst, Statim, S. 57, 60–62; Imkamp, Sicut, S. 120–124; Hortal Sanchez, Initio, S. 114; Zutshi, Innocent, S. 85. 377 Potthast 1–21 wurden vor der Krönung ausgefertigt.
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streichen wolle: Verum, quoniam insolitum fuit hactenus, ut sub dimidia bulla ad tot et tam remotas provincias littere apostolice mitterentur et ex hoc littere ipse diutius, quam vellemus, possent ex alicuius dubitatione suspendi, ut quorum interest parcamus laboribus et expensis, universas litteras, que ab electionis nostre die usque ad sollempnitatem consecrationis sub bulla dimidia emanarunt, parem cum illis firmitatem op tinere decernimus, que in bulla integra diriguntur.378 Ob ein konkreter Fälschungsvorwurf gegen eines seiner Schreiben vorlag oder ob Innozenz III. auch angesichts der in diesem Zeitraum in Rom aufgedeckten Fälscherwerkstatt, die massenhaft auf seinen Namen gefälschte Urkunden produziert hatte, vorbeugend eine Anfechtung verhindern wollte, bleibt unklar.379 In jedem Fall ist das Rundschreiben vom April 1198 nicht als erneuter Rechtsakt zu verstehen, der erforderlich war, um den mit Halbbulle besiegelten Urkunden im Nachhinein volle Gültigkeit zu verleihen.380 Ganz im Gegenteil sollte die bestehende Rechtskraft der Urkunden sub bulla dimidia verbindlich festgelegt und allgemein verlautbart werden, um Verzögerungen, unnötige Rekurse und Kosten bei der Umsetzung päpstlicher Entscheidungen zu vermeiden.381 Mit der bulla dimidia besiegelte Papstschreiben wurden unter anderem ausgefertigt, um den Fürsten und Bischöfen der Christenheit die Wahl eines neuen Papstes zu verkünden.382 Dies kam unter Innozenz III. erstmals vor383 – seine Vorgänger hatten mit der Versendung von Wahlanzeigen stets bis nach ihrer Weihe gewartet, und auch unter seinen Nachfolgern wurden die entsprechenden Schreiben häufig erst nach der Krönung verschickt.384 Bisweilen wurden in Urkunden sub bulla dimidia aber auch dringliche, häufig politische oder administrative Angelegenheiten geregelt, die keinen Aufschub bis nach der Krönung des Papstes duldeten.385 Gregor X. schrieb beispielsweise am 4. März 1272 wegen der Finanzierung der Verteidigung des Heiligen Landes an Philipp III. von Frankreich und verschiedene andere Empfänger,386 Honorius IV. teilte am 24. April 1285 dem Klerus und Volk von Châlon sowie dem französischen König Philipp dem Schönen die Ernennung eines neuen Bischofs von Châlon mit.387 378 Reg. Inn. III, I/83, ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 121. 379 Fürst, Statim, S. 61 f.; Imkamp, Sicut, S. 123. 380 Bertrams, Missione, S. 234; Hortal Sanchez, Initio, S. 124. 381 Imkamp, Sicut, S. 123 f. 382 Zum Beispiel Urban IV. am 1. September 1261 (Potthast 18120; Wadding, Annales, S. 170) und Nikolaus III. am 2. Dezember 1277 (Potthast 21259; Gay, Registres Nicolas III, Nr. 222); vgl. Paravicini Bagliani, Cour, S. 97. 383 Potthast 1–3; Reg. Inn. III, I/1–3, ed. Hageneder, Register 1198/99, S. 3–6. 384 Imkamp, Sicut, S. 110–114; Schimmelpfennig, Krönung, S. 251. 385 Barbiche, Litterae, S. 264–267; Hortal Sanchez, Initio, S. 124–126. 386 Potthast 20510–20516; Guiraud/Cadier, Registres Gregoire X, Nr. 159; Barbiche, Actes 2, Nr. 1460, Nr. 1461; vgl. Paravicini Bagliani, Cour, S. 97; Barbiche, Litterae, S. 264 f. 387 Prou, Registres Honorius IV, Nr. 19; Barbiche, Actes 2, Nr. 1749; vgl. Paravicini B agliani, Cour, S. 97; Barbiche, Litterae, S. 265.
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Es sind insgesamt nur wenige Originale mit Halbbulle bekannt, in vielen Fällen ist das Siegel verloren. Das älteste Exemplar mit noch anhängender bulla dimidia ist eines der genannten Schreiben Gregors X. vom 4. März 1272, adressiert an die Erzbischöfe, Bischöfe und anderen Prälaten Frankreichs.388 Aus der Überlieferung in Abschriften und Registern kann dennoch die weitere Entwicklung des Gebrauchs der Halbbulle seit Innozenz III. und der sich in diesem Zusammenhang herausbildenden Gewohnheiten der Urkundenausstattung nachvollzogen werden. Nachdem Innozenz die Rechtskraft seiner sub bulla dimidia ausgefertigten Schreiben durch ein allgemeines Bestätigungsschreiben bekräftigt hatte, entwickelte sich auf dieser Grundlage im Laufe des 13. Jahrhunderts ein Formular für die unter Halbbulle ausgestellten Urkunden, das diese Funktion übernahm. Die Nachfolger Innozenz’ III. bis inklusive Alexander IV. (1254–1261) stellten vor ihrer Krönung anscheinend keine Urkunden aus.389 Die ersten Ansätze einer entsprechenden Formel sind dann unter Urban IV. zu erkennen: Im ersten Rundschreiben dieses Papstes an die Prälaten der Christenheit vom 1. September 1261390 findet sich eine ausführliche Bemerkung zur Besiegelung mit der Halbbulle, die den Kern der späteren Korroborationsformel bildet. Darin wird erläutert, dass dem Papst vor seiner Krönung noch kein Namensstempel zur Verfügung stehe und deshalb eine einseitig geprägte Bulle angehängt sei, außerdem wird deren Gültigkeit bekräftigt.391 Gleichzeitig wird die Gestaltung der bulla dimidia erstmals im Detail beschrieben, nämlich als sine impressione nostri nominis – es handelt sich bei diesem Rundbrief damit nach aktuellem Kenntnisstand um den frühesten schriftlichen Beleg dafür, dass die Bulle nur einseitig, nämlich auf der Apostelseite, geprägt wurde.392 Der Inhalt dieser Erklärung wurde in den folgenden Pontifikaten immer straffer gefasst und fortan in die meisten päpstlichen Schreiben, die vor der Krönung ausgefertigt wurden, aufgenommen, um von vorneherein jeglichen Fälschungsverdacht auszuräumen.393
388 Potthast 20516; Barbiche, Actes 2, Nr. 1460; vgl. Barbiche, Bulle, S. 240; Barbiche, Litterae, S. 263–265. 389 Hortal Sanchez, Initio, S. 114. 390 Potthast 18120; Wadding, Annales, S. 170. 391 Wadding, Annales, S. 170: De hoc autem quod bulla sine impressione nostri nominis est appensa praesentibus, vestra exinde non miretur devotio, sed potius gratuletur maxime, cum nos vestris desideriis occurrentes, vobis easdem litteras ante solemnia consecrationis nostrae miserimus, infra quae usus bullae cum impressione nominis non habetur. Hanc siquidem de bulla ipsa, quae non dudum nostri subscriptione nominis insignitur, causam rationabilem vobis filii benedictionis et gratiae sufficiat audivisse: quia vos et alii cito cum nos, sicut moris est, consecrationis insignia fuerimus assequuti, nostras habebitis litteras perfectae bullae appensione munitas. Vgl. Potthast 18120; Fürst, Statim, S. 58; Baumgarten, Kanzlei, S. 165; Hortal Sanchez, Initio, S. 114 f. 392 Fürst, Statim, S. 59 f. 393 Baumgarten, Kanzlei, S. 165 f.; Fürst, Statim, S. 62.
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Unter Gregor X. wurde schließlich eine Formulierung erarbeitet, die in der Folge mit nur geringfügigen Änderungen beibehalten wurde.394 Dass die Verstetigung unter diesem Papst stattfand, dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass er sich zum Zeitpunkt seiner Wahl am 1. September 1271 als Teilnehmer des Kreuzzugs des französischen Königs Ludwig IX. in Palästina befand und erst nach seiner Rückkehr am 27. März 1272 in Rom gekrönt werden konnte.395 In diesen beinahe sieben Monaten als Elekt musste er zwangsläufig auf die Halbbulle zurückgreifen, weshalb diese spezielle Besiegelungsvariante und die damit einhergehenden Merkmale der Urkundenausstattung an der Kurie zu dieser Zeit von besonderer Relevanz waren. Wohl auch vor diesem Hintergrund wurden während Gregors Pontifikat die im Laufe von Jahrzehnten entwickelten Gewohnheiten zur Verwendung der bulla dimidia in den Ordines Romani schriftlich fixiert.396 Die skizzierte Entwicklung macht deutlich, dass den Empfängern päpstlicher Urkunden in dem Rundschreiben Innozenz’ III. erstmals die Umstände der Verwendung und die rechtliche Bedeutung der Halbbulle aufgezeigt und erläutert wurden. Der Grundstein für die weiteren Entwicklungen war damit gelegt; in der Folge entstanden unter seinen Nachfolgern konkrete Urkundenformulare, in denen unter anderem die äußere Gestalt der Halbbulle beschrieben wurde. Da die Erläuterungen zur bulla dimidia, die im Rahmen verschiedener Urkunden Innozenz’ III. und seiner Nachfolger formuliert worden waren, für die päpstliche Kanzlei und auch die Bullatoren von größtem Interesse gewesen sein mussten, dürften sie dem mit der Urkundenherstellung betrauten Personal zeitnah bekannt gemacht worden sein. Zumindest einige der unter Halbbulle ausgefertigten Schreiben fanden Eingang in die päpstlichen Register, so dass die Formulierungen der Corroboratio dort nachgeschlagen werden konnten. Denkbar ist auch, dass die fraglichen Briefe analog zu den Fälscherkonstitutionen in ein mögliches Statutenbuch aufgenommen und an der Kurie verlesen oder ausgehängt wurden, beispielsweise direkt nach der Wahl eines neuen Papstes, wenn die Ausfertigung von Urkunden sub bulla dimidia potentiell bevorstand. Dass die Formeln in den Urkunden innerhalb weniger Jahrzehnte formalisiert wurden, legt solche Rückgriffe auf die entsprechenden Schreiben der Vorgänger nahe. In jedem Fall zeigt die Verstetigung der Formel, dass sich das Wissen um die Ausstattungsgewohnheiten bei dieser speziellen Art von Papsturkunden in der Kanzlei bereits etablieren konnte, bevor es 394 Guiraud/Cadier, Registres Gregoire X, Nr. 159: Nec miremini quod bulla non exprimens nostrum nomen est appensa presentibus, que ante consecrationis vel benedictionis nostre solempnia transmittuntur, quia semper hii qui fuerunt in Romanos electi pontifices, consueverunt in bullandis litteris ante sue consecrationis munus, modum huiusmodi observare. Vgl. Barbiche, Litterae, S. 267; Baumgarten, Kanzlei, S. 166–168; Ewald, Siegelkunde, S. 162; Hack, Körper, S. 59. Siehe auch unten Kapitel 4.2.2, S. 96. 395 Baldwin, Pope Gregory X, S. 15–19, 34–39; Fischer, Kardinäle im Konklave, S. 408 f. 396 Zu den Ordines Romani siehe unten Kapitel 4.2.2, S. 94.
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Ende des 13. Jahrhunderts Eingang in die Ordines Romani fand. Allerdings folgten auch nach Gregor X. längst nicht alle Päpste der beschriebenen Praxis.397 4.1.3 Litterae tonsae Abseits von Fragen der Fälschungsprävention und der Bullierung wurde unter Innozenz III. zu einem weiteren speziellen Ausstattungsmerkmal päpstlicher Urkunden eine wegweisende Regelung getroffen. Der Anlass dafür war, dass die Kanzlei sich im Jahr 1213 mit der Frage konfrontiert sah, wie mit deutlichen Textverlusten in stark beschädigten älteren Papsturkunden umzugehen war, wenn diese durch Insert in eine neue Urkunde bestätigt werden sollten. Die Mönche von Nonantola legten dem Papst drei zerfledderte und verschlissene Papyrusurkunden von Hadrian I. (772−795), Marinus I. (882−884) und Johannes IX. (898−900) vor. Innozenz beauftragte seinen Archivar damit, Abschriften aller drei Dokumente anzufertigen, damit das Kloster künftig eine verlässliche Kopie seiner Privilegierungen vorweisen konnte.398 Die Transkriptionen der drei Dokumente wurden in eine auf den 13. Juni 1213 datierte littera inseriert, die mit einer Bulle Innozenz’ III. beglaubigt wurde.399 Die Texte wurden aus den erhaltenen Teilen der Urkunden rekonstruiert und dabei kleine Fehlstellen sinngemäß ergänzt, größere Lücken, die sich nicht ohne Weiteres aus dem Kontext ergaben, wurden als Leerstellen in die Abschrift übernommen.400 Die auf Vermutungen beruhenden Ergänzungen wurden in einer besonderen Schriftart eingetragen, die als litterae tonsae bezeichnet wurde. Sie hebt sich graphisch vom Rest des Textes ab und dokumentiert damit ganz deutlich die Stellen der Transsumpte, die in der Vorlage unlesbar waren.401 Diese Methodik beschreibt auch die kurze, in die Bestätigungsurkunde eingefügte Erklärung, in der die abweichende Schrift der einzelnen Textstellen erläutert wird.402 Die Gestaltung der Buchstaben wird dabei nicht im Einzelnen charakterisiert, sie war ja aus der Urkunde selbst ersichtlich.
397 Siehe auch unten Kapitel 4.2.2, S. 94. 398 Delisle, Litterae tonsae, S. 256 f.; Krabbo, Urkunde, S. 279 f.; Poole, Lectures, S. 160 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 307. 399 Reg. Inn. III., XVI/61, ed. Migne, PL 216, Sp. 861–865; vgl. Delisle, Litterae tonsae, S. 256 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 307. 400 In der Edition bei Migne, PL 216, Sp. 861–865, die auf dem Registereintrag beruht, sind die Leerstellen durch Punkte wiedergegeben, die Anzahl der Punkte variiert je nach Größe der Lücke. Vgl. Krabbo, Urkunde, S. 280. 401 In der Edition bei Migne, PL 216, Sp. 861–865, sind die ergänzten Stellen durch Kapitälchen gekennzeichnet. 402 Migne, PL 216, Sp. 861: […] qui ea quae de ipsis scriptis papyriis ex quadam parte prae nimia vetustate consumptis colligere potuit, in publicam formam redigere procuravit: quibus nos apostolici favoris praesidium impendentes, in hac pagina fecimus sub bulla nostra conscribi, supplendo quae-
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Diese Technik zur Bestätigung schlecht erhaltener Privilegien dürfte vom Papst in Zusammenarbeit mit den erfahrenen Urkundenschreibern seiner Kurie entwickelt worden sein. Dass der Archivar die Arbeit ausführte, ist wohl auf seine Erfahrung mit solch alten Dokumenten zurückzuführen. Ob er auch die eigentliche Schreibarbeit übernahm, bleibt unklar. In jedem Fall ist festzuhalten, dass in dieser Urkunde aus dem Jahr 1213 die früheste konkrete schriftliche Anweisung zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden enthalten ist, die bisher bekannt geworden ist, wobei die entsprechende Anleitung in die Narratio der Urkunde selbst integriert wurde. Diese unter Innozenz III. praktizierte Methode, die Ausstellern wie Empfängern der Bestätigungsurkunde Rechtssicherheit garantierte, wurde auch von späteren Päpsten übernommen. Aus dem Pontifikat Gregors IX. (1227−1241) sind zwei Beispiele überliefert. In einen Brief vom 8. November 1228 für den Bischof und das Domkapitel Naumburg ist eine Urkunde Johannes’ XIX. inseriert, in der die Verlegung des Bistums Zeitz nach Naumburg genehmigt worden war.403 Ein anderes Schreiben datiert vom 14. April 1234 und erneuert ein Privileg Calixts II. für die Kirche von Saint-Omer.404 In beiden Fällen sind in den Originalen nicht mehr lesbare und auf Basis bekannter Formeln ersetzte Stellen durch litterae tonsae gekennzeichnet, deren Bedeutung in den Narrationes beider Urkunden erklärt wird.405 Der Wortlaut dieser Erläuterungen gleicht derjenigen in der littera Innozenz’ III. und weist formelhafte Züge auf. Auffällig an den Urkunden Gregors ist, dass die als litterae tonsae definierte Schriftart in der praktischen Ausführung variiert. In beiden überlieferten Urkunden entspricht sie der jeweiligen Gestaltung des Papstnamens in der Intitulatio, im dam quae secundum litterae circumstantias in integris praesumebantur originalibus fuisse descripta, quae causa discretionis mandavimus in hac charta tonsis litteris exarari. 403 Faksimile in Krabbo, Urkunde, Tafel I. 404 Faksimile in Delisle, Litterae tonsae. 405 Naumburger Urkunde, nach Krabbo, Urkunde, Tafel I, vgl. Delisle, Litterae tonsae, S. 258: Nos autem eodem privilegio diligenter inspecto, ne ius ecclesie vestre deperire valeret, illud de verbo ad verbum, quatenus colligi potuit, duximus presentibus adnotandum, tribuendo ei auctoritatem, quam originale noscitur habuisse, ac supplendo in quibusdam dictionibus sillabas quasdam et litteras, que conveniebant eisdem et fuisse presumebantur in illis, maxime cum bone memorie Innocentii pape secundi, predecessoris nostri privilegium nobis ostensum fidem fecerit ad supplementum huiusmodi in quibusdam dictionibus faciendum, propter quod causa discretionis sillabas ipsas et litteras mandavimus in hac pagina tonsis litteris exarari. Urkunde für Saint-Omer, nach Delisle, Litterae tonsae, S. 260: Nos autem, eodem diligenter inspecto, ne jus tuum et ecclesie tue contingeret deperire, illud de verbo ad verbum, quatenus colligi potuit, duximus presentibus annotandum, auctoritatem ei ex potestatis plenitudine tribuentes quam originale noscitur habuisse, supplentes etiam in quibusdam dictionibus sillabas quasdam et litteras que verisimiliter conveniebant eisdem et in eo presumuntur cum fuit integrum extitisse, quas utique causa discretionis mandavimus in presenti pagina tonsis litteris exarari.
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Detail sind jedoch Unterschiede ersichtlich. In der littera für Saint-Omer406 sind die ergänzten Stellen in der in litterae cum serico üblichen Elongata wiedergegeben,407 in dem Exemplar für Naumburg408 sind sie, wie auch der Papstname, deutlich aufwendiger verziert.409 Die Gestaltung der litterae tonsae orientierte sich demnach grundsätzlich an der Ausstattung der übrigen Urkunde.410 Es liegen keine systematischen Untersuchungen darüber vor, wie häufig die Rekonstruktion älterer Papsturkunden und die damit verbundene Nutzung der litterae tonsae in der päpstlichen Kanzlei vorkam, so dass keine Rückschlüsse darauf möglich sind, ob diese Praxis zum Alltagsgeschäft gehörte. Wie das Wissen um die litterae tonsae weitergegeben wurde, lässt sich nur mutmaßen, eine schriftliche Überlieferung, die ihre Verwendung vorschreibt, ist nicht bekannt. Der einzige Anhaltspunkt ist die Formel, die zur Ankündigung und Erläuterung der litterae tonsae in die Bestätigungsurkunden selbst eingesetzt wurde. Ähnlich wie die Merkmale zur Identifizierung gefälschter Papsturkunden und die Korroborationsformel in den mit Halbbulle besiegelten Urkunden waren auch die Hinweise zu den litterae tonsae nicht in erster Linie als Anweisung für die Mitarbeiter der päpstlichen Kanzlei abgefasst, sondern zur Information für all jene Personen, denen die Urkunden als Rechtsdokumente vorgelegt wurden. Aufgrund ihrer Bedeutung für die Arbeit der Kanzlei wurden sie dort aber sicherlich bekannt gegeben und zugänglich gemacht. Da bei der Übertragung der fraglichen Papstbriefe in die Register darauf geachtet wurde, auch die Ausstattungsmerkmale zu übernehmen,411 konnten alle nötigen Informationen zu den litterae tonsae dort nachgeschlagen werden. Darüber hinaus ist es denkbar, dass die Urkunde Innozenz’ III. und die beiden Exemplare Gregors IX. an der Kurie verlesen oder ausgelegt wurden, außerdem könnten auch sie in ein mögliches Statutenbuch für kanzleirelevante Schriftstücke aufgenommen worden sein. Anders als bei den Regelungen in den Fälscherkonstitutionen Innozenz’ III. und jenen zur Verwendung der bulla dimidia scheint es sich bei der Nutzung der litterae tonsae im Rahmen der Bestätigung lückenhaft erhaltener Privilegien nach aktuellem Forschungsstand tatsächlich um eine Innovation aus der Zeit dieses Papstes zu handeln – frühere Beispiele sind bisher nicht bekannt geworden. Ob Innozenz selbst als Urheber dieser Technik gelten kann, bleibt allerdings Spekulation. Es er-
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Beilage zu Delisle, Litterae tonsae. Delisle, Litterae tonsae, S. 263. Tafel I zu Krabbo, Urkunde; vgl. ebd., S. 284. Krabbo, Urkunde, S. 282−285. Krabbo, Urkunde, S. 285, und Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 307 Anm. 3, sprachen den litterae tonsae einen „unzialen Grundcharakter“ zu. Zum Begriff litterae tonsae und zu ihrer Gestaltung vgl. auch Traube, Perrona, S. 534−537. 411 Krabbo, Urkunde, S. 280, 292 und Tafel II.
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scheint mindestens genauso wahrscheinlich, dass erfahrene Kanzleimitarbeiter entsprechende methodische Überlegungen anstellten.
4.2 Weitere Quellen zur Gestaltung der Bleibulle Die aus den Fälscherkonstitutionen ablesbaren Gestaltungsmerkmale der päpstlichen Bleibullen wie auch die Regelungen zu den unter bulla dimidia ausgefertigten Urkunden behielten ihre Relevanz für die kuriale Praxis. Die untersuchten Schreiben Innozenz’ III. dienten als Grundlage für weitere Auseinandersetzungen mit dem Äußeren der päpstlichen Bleibullen und für daraus resultierende Konkretisierungen entsprechender Vorgaben. Davon zeugen Quellen des 13. und auch des 14. Jahrhunderts, die verschiedene Aspekte der Ausstattung des Papstsiegels betreffen, insbesondere die Gestaltung des Apostelstempels und der Halbbulle. 4.2.1 Rundschreiben Innozenz’ IV. zum Apostelstempel Von Innozenz IV. (1243−1254) sind zwei Rundschreiben überliefert, in denen explizit das Aussehen der päpstlichen Bleibulle thematisiert wird. Sie enthalten, ebenso wie die besprochenen Schreiben Innozenz’ III., keine konkreten Regelungen zur Urkundengestaltung, geben aber indirekt Auskunft über die aus Sicht der Kurie relevanten Ausstattungsmerkmale der Bleibulle sowie die Maßnahmen, die zu deren Konsolidierung in der Praxis ergriffen wurden.412 Auch Innozenz IV. musste sich mit der Thematik der gefälschten Papsturkunden auseinandersetzen, denn trotz der Erlasse seiner Vorgänger blieb das Problem weiterhin bestehen. Aus seinem Pontifikat sind zahlreiche Briefe überliefert, die im Zusammenhang mit unter Fälschungsverdacht geratenen päpstlichen Urkunden ausgestellt wurden. So beauftragte er am 13. Januar 1248 zwei seiner Skriptoren, mit aller Schärfe gegen das in England florierende Fälscherwesen vorzugehen.413 Nachdem einige der verantwortlichen Fälscher gefasst worden waren, gab er am 3. Februar 1254 Anweisungen, sie in pane doloris et aqua tribulationis einzusperren.414 Dagegen wurde ein als Prokurator tätiger Kleriker und Familiar des Kardinals Johannes von Toledo, der ebenfalls der Anfertigung gefälschter Papsturkunden verdächtigt worden war, nach eingehender, durch den Vizekanzler vorgenommener Untersuchung der Vorwürfe freigesprochen und wieder in Amt und Würden 412 Baumgarten, Miscellanea, S. 186*. 413 Berger, Registres Innocent IV 1, Nr. 4086; vgl. ebd., S. LXXV–LXXVII; Herde, Beiträge, S. 81 f. 414 Berger, Registres Innocent IV 3, Nr. 7759; vgl. ebd., S. LXXVII; Baumgarten, Miscellanea, S. 188* f.; Herde, Beiträge, S. 82.
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eingesetzt.415 Diese Beispiele verdeutlichen exemplarisch, dass bei den von Innozenz IV. im Rahmen von Fälschungsprozessen ausgefertigten Briefen vor allem das Strafmaß für Fälscher und konkrete Fragen der Prozessführung im Vordergrund standen. Diese Fokussierung auf die strafrechtliche Komponente hat ihre Ursache im Bildungshintergrund des Papstes. Sinibaldo Fieschi (ca. 1195−1254), der spätere Papst Innozenz IV., war ein ausgebildeter und erfahrener Jurist. Er absolvierte ein Rechtsstudium in Bologna und trat im Jahr 1226 in den Dienst der Kurie, zunächst als Auditor litterarum contradictarum. Bereits ein halbes Jahr später, im Mai 1227, wurde er von Gregor IX. zum Vizekanzler und noch im selben Jahr zum Kardinalpriester von San Lorenzo in Lucina ernannt, im Juni 1245 wurde er schließlich zum Papst gewählt. Innozenz IV. war der Autor eines Kommentars zu den Dekretalen Gregors IX., des Apparatus in quinque libros decretalium, außerdem publizierte er drei verschiedene Dekretalensammlungen, die ursprünglich in den Liber Extra integriert werden sollten.416 Aufbauend auf seinen umfassenden Rechtskenntnissen und Erfahrungen in der Kanzleiarbeit nahm Innozenz nach seiner Wahl zum Papst weitreichende Änderungen in der Organisation der Kanzlei vor. Er erließ eine richtungsweisende Kanzleiordnung und ging gegen die Korruption unter den Kanzleimitarbeitern sowie das Fälschungswesen im Allgemeinen vor.417 Im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen sind auch die beiden im Folgenden zu besprechenden Briefe aus dem Jahre 1252 zu betrachten, welche die päpstlichen Bullenstempel zum Thema haben.418 Grundsätzlich war die Kurie darauf bedacht, diese Stempel nach ihrer Indienst stellung so lange wie möglich zu verwenden, denn jede Neuanfertigung zog zwangsläufig Veränderungen am Aussehen des Siegels nach sich, wenn auch im Idealfall nur geringfügige. Schließlich galt die Bulle seit dem 12. Jahrhundert als eines der wichtigsten Merkmale zur Identifizierung von gefälschten Papsturkunden, eine möglichst stabile äußere Erscheinung war daher von fundamentaler Bedeutung. Die Nutzungsdauer der beiden Stempel, die für die Prägung der päpstlichen Bleibullen notwendig waren, unterschied sich allerdings deutlich. Ein Grund dafür ist, dass der Namensstempel beim Tod eines Papstes ausgetauscht werden musste, während 415 Berger, Registres Innocent IV 3, Nr. 7243; vgl. Baumgarten, Miscellanea, S. 190*–192*. Aus dem Wortlaut der Urkunde lässt sich vermuten, dass sich der fragliche Prokurator tatsächlich schuldig gemacht hatte und nur aufgrund der Vermittlung des Kardinals einer Strafe entging; vgl. Herde, Beiträge, S. 85. 416 Paravicini Bagliani, Innocent IV., S. 882–884; Nörr, Literatur, S. 843−845; Landau, Schwerpunkte, S. 29 f.; Herde, Beiträge, S. 79. Zu den Dekretalensammlungen, die unter dem Titel Novellae zusammengefasst wurden und die Grundlage des Liber Sextus Bonifaz’ VIII. bildeten, vgl. Bertram, Decretalis epistola, S. 263–269. 417 Tangl, Kanzleiordnungen, Nr. III, S. 55–59; vgl. Herde, Beiträge, S. 79 f. 418 Herde, Beiträge, S. 85; Baumgarten, Bullenstempel, S. 48*.
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der Apostelstempel gewöhnlich über den Papstwechsel hinaus in Gebrauch blieb. Außerdem erfolgte bei der Bullierung419 der Prägeschlag auf den Namensstempel, dieser wurde daher mit höherer Wahrscheinlichkeit beschädigt und musste schon deshalb häufiger erneuert werden.420 Es wurde vermutet, dass zeitweise auch verschiedene Stempel gleichzeitig genutzt wurden, für das 13. Jahrhundert ist dies aber weitgehend auszuschließen.421 Ob im Laufe des Pontifikats Innozenz’ IV. sukzessive drei oder vier Namensstempel Verwendung fanden, ist in der Forschung umstritten, weil die divergierenden Abdrücke unterschiedlich interpretiert werden.422 Da die im Folgenden zu besprechenden Schreiben Innozenz’ IV. den Apostelstempel in den Mittelpunkt stellen, kann diese Frage hier offen bleiben. Der Apostelstempel, mit dem die Urkunden zu Beginn des Pontifikats Innozenz’ IV. bulliert wurden, war wohl bereits unter Urban III. (1185−1187) geschnitten worden und auch während der Pontifikate Gregors VIII. (1187), Clemens’ III. (1187−1191), Cölestins III. (1191−1198), Innozenz’ III. (1198−1216), Honorius’ III. (1216−1227), Gregors IX. (1227−1241) und Cölestins IV. (1241) genutzt worden.423 Unter Innozenz IV. war er neun Jahre verwendet worden, bis er schließlich zersprang. Der Stempel wäre demnach seit etwa 1185 bis Mitte 1252, insgesamt fast 70 Jahre, in fortwährendem Gebrauch gewesen.424 Grundsätzlich war ein Wechsel des Apostelstempels kein alltägliches Vorkommnis; aus der 419 Siehe oben Kapitel 4.1.1.1, S. 60. 420 Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 609; Eitel, Blei- und Goldbullen, S. 3 f.; Ewald, Siegelkunde, S. 106. 421 Baumgarten, Bullenstempel, S. 51*; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXV; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 626; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 103; Schmitz-Rheydt, Bullenstempel, S. 67 f. 422 Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 624 f., identifizierte drei verschiedene Namensstempel, Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXIV, dagegen vier. Baumgarten, Bullenstempel, S. 49*−51*, wies darauf hin, dass Unterschiede zwischen verschiedenen Bullenstempeln nur dann klar ersichtlich seien, wenn ausreichendes und einwandfreies Untersuchungsmaterial vorliege, was besonders bei Diekamps Untersuchung nicht der Fall gewesen sei. Baumgarten stellte das Vorhandensein so vieler Namensstempel innerhalb eines Pontifikats grundsätzlich in Frage und führt die feinen Unterschiede zwischen den einzelnen Bullen auf Fehler und Ungenauigkeiten beim Prägen zurück. Serafini, Monete, S. 29, unterschied drei verschiedene Namensstempel und hielt einen vierten für nicht ausgeschlossen. 423 Eine Beschreibung des Aussehens der mit diesem Apostelstempel geprägten Bullen findet sich bei Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 619 f. 424 So Diekamp, Urkundenwesen X., S. 619. Baumgarten, Miscellanea, S. 186*f., hielt es für unwahrscheinlich, dass einem Stempel bei so häufigem Gebrauch eine dermaßen lange Haltbarkeit beschieden war. Besonders die bildliche Darstellung auf dem Apostelstempel wäre im Laufe so vieler Jahrzehnte vollständig unbrauchbar geworden, der besagte Stempel könne also keinesfalls aus dem 12. Jahrhundert stammen. Serafini, Monete, S. 27−29, bestätigte dagegen den Befund Diekamps.
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140 Jahre umfassenden Zeitspanne von Hadrian IV. (1154−1159) bis Cölestin V. (1294) sind nur sechs verschiedene Stempel bekannt.425 Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass der fragliche, unter Innozenz IV. zerbrochene Apostelstempel seit mehreren Jahrzehnten im Einsatz war, bevor er ersetzt werden musste. Diese Annahme wird durch ein Schreiben Innozenz’ IV. vom 5. Juli 1252 bestätigt.426 Darin teilte er den Prälaten der gesamten Christenheit mit, dass vor Kurzem, während des Aufenthalts der Kurie in Perugia, der alte Apostelstempel infolge des langen Gebrauchs zerbrochen und deshalb durch einen neuen ersetzt worden sei. Dieser weiche in seiner Gestaltung allerdings von dem ursprünglichen Stempel deutlich ab. Da die Erledigung der wichtigen Geschäfte nicht weiter verzögert werden solle, nutze die Kurie von nun an diese neue Matrize, trotz ihrer Mängel. Um potentiell daraus resultierenden Schaden zu vermeiden, informiere er die Allgemeinheit über diese Änderung, außerdem könne die an dieses Schreiben angehängte Bulle als Vergleichsobjekt zur Identifizierung von Fälschungen dienen.427 Delisle machte zuerst auf dieses Schreiben aufmerksam und veröffentlichte es auf Basis der an den Erzbischof von Narbonne adressierten Ausfertigung,428 die in der Bibliothèque Nationale erhalten ist.429 Als Abschrift des 17. Jahrhunderts ist außerdem ein Exemplar an den Erzbischof von Arles überliefert,430 eine Ausfertigung für den Bischof von Clermont ist in der Formelsammlung des Pseudo-Marinus von Eboli aus dem 13. Jahrhundert enthalten.431 Auch in das päpstliche Register wurde 425 Poole, Lectures, S. 200; Serafini, Monete, S. 27−31. 426 Druck: Delisle, Mémoire, S. 70 f.; vgl. Potthast 14650; Delisle, Mémoire, S. 49; Baumgarten, Kanzlei, S. 215 f.; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXIII; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 554. 427 Delisle, Mémoire, S. 71: Nuper siquidem contigit alterum bulle nostre typarium, que veneranda videlicet apostolorum Petri et Pauli capita exprimuntur, jam attritum innumeris malleationis diutine percussuris, extrema tandem ictus soliti passione confringi. Propter quod, ut bulle defectus quotidianam non interrumperet apostolici ministerii servitutem, ea ipsius bulle parte que appellationem nostri nominis non mutata, aliud typarium capitum predictorum in bullandi usum fecimus subrogari. Verum, quia illud scultoris manus priori non omnimodo similitudine figuravit, nos providere curantes ne necessaria predicte bulle mutatio ex dissimilitudinis nota quacumque difficultatem ingerat negociis vel personis, aut falsitatis astutia ex nove diversitatis ambiguo aliquod amminiculum surreptionis assumat, fraternitati tue per apostolica scripta mandamus quatinus, si qua in tua provincia super litteris nostris de veritate bulle dubitatio fortassis emerserit, tu, per diligentem collationem bulle presentis ad illam de qua hesitari contigerit, sine dificultate [!] aliqua judiciarii ordinis et onere vel dispendio quolibet, celerem dubitationi finem imponas […]. 428 Delisle, Mémoire, S. 49, 70 f. 429 Paris, Bibliothèque Nationale de France, Baluze 381, Nr. 67. 430 Delisle, Mémoire, S. 49; vgl. auch Potthast 14663. Dieses Exemplar des Rundschreibens ist auf den 14. Juli 1252 datiert. 431 Paris, Bibliothèque Nationale de France, Ms. lat. 4184, fol. 157v, ohne Datum; vgl. Schillmann, Formularsammlung, Nr. 2461, S. 307. Zur Formelsammlung des Pseudo-Marinus von Eboli vgl. auch Thumser, Collections, S. 230–234.
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der Brief eingetragen, als Adressat ist hier der Erzbischof von Genua genannt.432 Zum einen zeigt dieses Rundschreiben, dass die von verschiedenen Päpsten und Dekretalisten empfohlene Methode des Bullenvergleichs seit dem letzten Wechsel des Apostelstempels im späten 12. Jahrhundert so üblich geworden war, dass die Einführung einer neuen Matrize umgehend der gesamten Christenheit bekannt gegeben werden musste, um die Glaubwürdigkeit der päpstlichen Urkunden weiterhin zu gewährleisten.433 Zum anderen wird in dem Brief Innozenz’ IV. klar zum Ausdruck gebracht, dass der Papst mit dem Aussehen des neuen Stempels nicht zufrieden war und ihn für mangelhaft hielt. Auch weil die Kurie sich aufgrund drohender Konflikte mit den seit Jahren unabhängig herrschenden römischen Senatoren und infolge der andauernden Auseinandersetzungen zwischen dem Papsttum und den staufischen Herrschern nicht in Rom, sondern in Perugia aufhielt,434 als der Stempel zerbrach, stand wohl kurzfristig kein erfahrener Stempelschneider zur Verfügung. Nur die anfallende Geschäftslast veranlasste den Papst, die Matrize dennoch vorübergehend zu nutzen. Daraus lässt sich schließen, dass die Gestaltung der Apostelseite der Bulle bestimmte Kriterien erfüllen musste, die über die grundlegende Darstellung und Anordnung der Köpfe von Petrus und Paulus hinausgingen. In einem zweiten Schreiben, das weniger als zwei Monate später entstand,435 berichtete Innozenz IV., der im ersten Brief beschriebene, in Perugia hergestellte Apostelstempel sei erheblich vom vorherigen abgewichen und daher nicht zweckmäßig gewesen, besonders da die beiden Apostelköpfe im Abdruck corpulentiores erschienen seien. Daher sei nun, um ihn zu ersetzen, von einem anderen Meister ein dritter Stempel angefertigt worden, der besser gelungen sei.436 Dieser neue Stempel blieb dann in der Folge für längere Zeit in Gebrauch.437 432 Berger, Registres Innocent IV 3, Nr. 6771, datiert auf den 5. Juli 1252; Druck des vollständigen Registereintrags: Baumgarten, Miscellanea, S. 183* (fälschlicherweise mit dem Datum 5. Juli 1254). Die Schlussformeln der Urkunde sind dort gekürzt, außerdem hat der Schreiber eine geringfügige und inhaltlich unbedeutende Veränderung vorgenommen: Bei der Beschreibung der Ursache für den Bruch des Stempels wird aus innumeris malleationis diutine percussuris im Register innumeris malignationis diutine percussuris; vgl. Baumgarten, Ersatz, S. 115. 433 Baumgarten, Miscellanea, S. 184*; Delisle, Mémoire, S. 48 f. 434 Haller, Papsttum 4, S. 242–249; Baaken, Ius Imperii, S. 366–369; Riedmann, Konrad IV., S. 88 f., 96–100; Stürner, Kaiser, S. 38 f. 435 Druck: Delisle, Mémoire, S. 71–73; vgl. ebd., S. 49; Baumgarten, Kanzlei, S. 216; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXIIIf.; Hotz, Litterae apostolicae, S. 91–93 (fälschlich Innozenz III. zugeschrieben). 436 Delisle, Mémoire, S. 71 f.: Porro quia subrogatum hujus[modi] corpulentiores solito eorumdem capitum effigies exprimebat, dum per hoc discrepabat notabiliter a priori, aliud postmodum, cujus impressione presentes littere muniuntur, aptius in opus bullandi perpetuum fecimus, reposito in otium altero, alterius opificis ministerio fabricari, donec corruptione seu vetustate defecerit non mutandum. 437 Delisle, Mémoire, S. 49. Eine Beschreibung der mit diesem dritten Stempel geprägten Bullen bei Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 625. Bei Serafini, Monete, S. 29, ist für Innozenz IV. nur
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Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
Dieser zweite Brief wurde von Delisle nach der Überlieferung in der Formelsammlung des Pseudo-Marinus von Eboli veröffentlicht, die nicht datiert ist und die allgemeine Adresse universis archiepiscopis, episcopis et aliis ecclesiarum prelatis et clericis necnon et universis Christi fidelibus presentes litteras inspecturis aufweist.438 Das Schreiben findet sich außerdem unter dem Datum des 23. August 1252 im päpstlichen Register in einer im Wortlaut leicht abweichenden Fassung an den Erzbischof von Mailand.439 Es macht erneut deutlich, dass Papst und Kurie hohe Anforderungen an die Gestaltung der Bullenstempel stellten, vor allem durfte die Ausführung nicht zu sehr von der des vorhergehenden Stempels abweichen. Da dieser im beschriebenen Fall besonders lang in Gebrauch gewesen war und sich während dieser Jahre die Bedeutung der Bulle als Echtheitsmerkmal etabliert hatte, war er zur Referenz für die Gestaltung der Apostelbilder auf den päpstlichen Siegeln geworden. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass Innozenz IV. in diesem zweiten Schreiben aus dem Jahr 1252 unter Rückgriff auf die auch von Innozenz III. genannten Kriterien noch einmal grundsätzlich darauf einging, wie eine Papsturkunde auf ihre Echtheit hin zu überprüfen war. Er verwies auf die Begutachtung der Bulle, der Bullenschnur, des Beschreibstoffes, des grammatikalischen Stils und der Schrift.440 Außerdem bestimmte er, dass diejenigen, die auf diese Weise Fälschungsmerkmale feststellten und die entsprechenden Urkunden dennoch verwendeten, eingesperrt oder mit anderen kanonischen Strafen bedacht werden sollten.441 Auf die Notwendigkeit eines genauen Bullenvergleichs zur Verifizierung echter Papsturkunden ging er sogar noch einmal gesondert ein: Ita tamen quod, si super earumdem litterarum aliquibus de veritate bulle contigerit rationabiliter dubitari, per subtilem collationem aliarum similium de quibus non dubitatur ad illam hujusmodi hesitatio sine difficultate qualibet dirimatur.442 eine Neuprägung des Apostelstempels aufgeführt, die nächste Neuprägung ist für den Pontifikat Honorius’ IV. (1285–1287) vermerkt. 438 Paris, Bibliothèque Nationale de France, Ms. lat. 4184, fol. 159r; vgl. Schillmann, Formularsammlung, Nr. 2474, S. 308; Delisle, Mémoire, S. 49, 71. 439 Berger, Registres Innocent IV 3, Nr. 6772; Druck des vollständigen Registereintrags: Baumgarten, Miscellanea, S. 184*–186*; vgl. Potthast 14694, 14695 (mit allgemeiner Adresse und ohne Datierung); Heckel, Studien, S. 263. Der letzte Teil lautet hier: aptius in opus bullandi perpetuum, reposito in otium altero, fecimus per manum alterius opificis fabricari, donec corruptione seu vetustate defecerit non mutandum. 440 Delisle, Mémoire, S. 72: Deinde qui litteras hujusmodi recepit, eas in bulla, filo, carta, stilo dictaminis, scriptura, forma [von Baumgarten, Miscellanea, S. 186* korrigiert in scripture forma] et aliis in quibus notari vel deprehendi falsitas potest circumspiciat diligenter. Vgl. Baumgarten, Miscellanea, S. 186*; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXXVII. Tatsächlich hatte die Kanzlei Innozenz’ IV. Zugang zu den Registern Innozenz’ III., die mit der Kurie nach Lyon gekommen waren; vgl. Berger, Registres Innocent IV 1, S. Vf. 441 Delisle, Mémoire, S. 72: […] et contra impetratores earum vel scienter utentes eisdem ad incarcerationem et alias penas juxta rigorem canonum procedat exacta diligentia prelatorum. Vgl. Baumgarten, Miscellanea, S. 187*f. 442 Delisle, Mémoire, S. 72.
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Leider ist die Überlieferungssituation der mittelalterlichen päpstlichen Bullenstempel generell schlecht. Aus der Zeit Innozenz’ IV. gibt es zwar einen entsprechenden Fund, was ungewöhnlich ist, doch ist dessen Echtheit nicht gesichert.443 Als Vergleichsobjekt fällt er damit aus. Aufschlussreich sind dagegen die erhaltenen Bleibullen selbst. Ausgehend von den Datierungen der beiden Rundschreiben des Papstes lässt sich schlussfolgern, dass die erste erneuerte Variante des Apostelstempels nur vom 5. Juli bis zum 23. August 1252, also für etwa sieben Wochen, im Einsatz war, bevor sie durch die zweite, überarbeitete Version abgelöst wurde. Bei einigen der aus dieser kurzen Zeitspanne überlieferten Urkunden hängt die Bulle noch an,444 wodurch ein Vergleich der drei verschiedenen Apostelbilder möglich wird. Dabei ergibt sich folgendes Bild:
Abb. 1: Bulle an einer Urkunde vom 3. Oktober 1245 (HStAM, Urk. 56 Nr. 46; vgl. Potthast 11920)
Abb. 2: Bulle an einer Urkunde vom 5. August 1252 (Paris, Archives nationales de France, J 696 Nr. 15; vgl. Potthast 14682)
Abb. 3: Bulle an einer rkunde vom 12. DeU zember 1253 (HStAM, Urk. 56 Nr. 62; vgl. Potthast 15178)
443 Im Sommer 1887 wurden in der Nähe von Köln im Rhein Bullenstempel gefunden, die in den Pontifikat Innozenz’ IV. datiert werden können, allerdings deckt sich ihre Gestaltung mit keiner der bekannten Bullen Innozenz’ IV.; vgl. Schmitz-Rheydt, Bullenstempel, S. 64–66; Ewald, Siegelkunde, S. 118. Die Echtheit der Stempel bleibt umstritten; vgl. Schmitz-Rheydt, ebd., S. 67 f.; Baumgarten, Miscellanea, S. 179*f.; Eitel, Blei- und Goldbullen, S. 3; Ewald, ebd., S. 118. Bekannt ist darüber hinaus ein Namensstempel Clemens’ III. (1187–1191), der ebenfalls aus Bronze gefertigt ist, doch auch dessen Herkunft ist unklar; vgl. Schlosser, Typare, S. 44 f.; Schmitz-Rheydt, ebd., S. 65 f. Ebenso als Fälschungen gelten ein Stempel Pius’ II. und einer Pauls II.; vgl. Ewald, ebd., S. 118, Hack, Körper, S. 55 f. 444 Largiadèr, Papsturkunden Schweiz 1, Nr. 478 (Urkunde vom 1. August 1252 im Staatsarchiv Aargau); Sayers, Documents, Nr. 411 (Urkunde vom 20. Juli 1252: Kew, National Archives, SC 7/20/26), Nr. 412 (Urkunde vom 3. August 1252: Kew, National Archives, SC 7/20/31); Barbiche, Actes 1, Nr. 700 (Urkunde vom 5. August 1252: Paris, Archives Nationales, J 696 Nr. 15), Nr. 701 (Urkunde vom 7. August 1252: Paris, Archives nationales, L 248 Nr. 210); Paris, Bibliothèque Nationale de France, Baluze 381, Nr. 67 (vgl. Delisle, Mémoire, S. 49).
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Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
Im Schreiben Innozenz’ IV. vom August 1252 wurden die Apostelköpfe des ersten Ersatzstempels mit dem Ausdruck corpulentiores bezeichnet. Anhand des Siegelabdrucks vom 5. August 1252 kann nicht bestätigt werden, dass die Köpfe im Gegensatz zu dem vorherigen Siegelstempel übermäßig korpulent ausgefallen wären. Auch insgesamt nehmen die beiden Köpfe auf dem Siegelbild nicht mehr Raum ein, als dies bei dem älteren Abdruck der Fall war. Es liegt nahe, dass mit der Bezeichnung corpulentiores nicht die Beleibtheit, sondern die Körperlichkeit der Köpfe kritisiert wurde, denn tatsächlich sind die beiden Apostel auf dem von Juli bis August 1252 genutzten Siegelstempel im Detail plastischer und lebensnaher gestaltet, während sie auf der älteren Matrize sehr schematisch und reduziert dargestellt waren. Besonders auffällig sind die Unterschiede bei Ohren und Mündern, und auch ein Vergleich der Nasen lässt darauf schließen, dass der seit Anfang Juli 1252 genutzte Stempel deutlich filigraner ausgearbeitet worden war. Bei der Anzahl der Punkte des Perlkreises, der Umfassungen der Apostelköpfe und des Hauptund Barthaares von Petrus ist nur eine einzige geringfügige Abweichung festzustellen: Die Barthaare des Petrus bestanden auf dem älteren Stempel aus 28 Punkten, auf dem Ersatzstempel finden sich 29 Punkte. 3. Oktober 1245
5. August 1252
12. Dezember 1253
Perlkreis
73
73(?)445
73
Umfassung Paulus
25
25
25
Umfassung Petrus
26
26
25
Kopfhaar Petrus
25
25
25
Barthaar Petrus
28
29
28
Tab. 1: Übersicht über die Punktezahl auf den drei verschiedenen Apostelstempeln
Dieser Vergleich stützt die Aussage Innozenz’ IV., wonach sich die mit dem ersten Ersatzstempel des Jahres 1252 geprägten Bullen augenfällig von den vorhergehenden unterschieden.446 Die Sorge, dass der Wechsel des Bullenstempels die Verifizierung päpstlicher Urkunden anhand des Siegels erschweren konnte, war daher durchaus folgerichtig. Was die Punkteanzahl betrifft, weist allerdings auch der zweite Ersatzstempel eine einzelne Abweichung von dem älteren, bis Anfang Juli 1252 genutzten Exemplar auf: Der Perlkranz um Petrus’ Kopf zählt hier 25
445 Auf dem Digitalisat des Exemplars aus dem August 1252 sind die Punkte schwer erkennbar. Zu den Punkten auf dem ersten und dritten Stempel vgl. auch Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 619, 625. 446 Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXIV; Delisle, Mémoire, S. 49.
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statt 26 Punkte.447 Eine solche Differenz im Hinblick auf die Punktezahl scheint keinen Einfluss auf die Entscheidung über die Eignung der Stempel gehabt zu haben, sie wurde von Innozenz auch nicht als Begründung für die Ablehnung der Matrize vom Juli 1252 benannt. Die zweite Neuanfertigung orientierte sich aber in ihrer Gestaltung vor allem bei den Köpfen deutlicher an dem älteren Vorbild, ist doch die Darstellung der Apostel wieder auf die wesentlichen Merkmale reduziert. Natürlich lassen sich auch zwischen den Siegelabdrücken der Urkunden von 1245 und 1253 an verschiedenen Stellen Unterschiede feststellen, diese sind aber weniger markant, da sich die beiden Siegelbilder stilistisch stark gleichen. Diese Ähnlichkeit war für die Kurie ganz offenbar von größerer Relevanz als die künstlerisch anspruchsvollere Gestaltung des im Juli 1252 produzierten Stempels – nicht die Qualität des ersten Ersatzstempels stellte das Problem dar, sondern die Unterscheidbarkeit vom älteren Modell. Der zweite Ersatzstempel war daher in jedem Fall besser geeignet, die Funktion der päpstlichen Bleibulle als Echtheitsmerkmal zu gewährleisten. Da der Inhalt der beiden Rundschreiben Innozenz’ IV. zum Apostelstempel von großer Bedeutung für die Verifizierung päpstlicher Urkunden war, wurden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch den Mitarbeitern der päpstlichen Kanzlei und Bullarie bekannt gemacht. Außerdem wurden sie im Register und in der Formelsammlung des Pseudo-Marinus von Eboli schriftlich festgehalten. Diese ursprünglich fälschlicherweise dem Vizekanzler Marinus von Eboli zugeschriebene kuriale Sammlung von Formeln verschiedenster Urkundeninhalte ist eine der umfangreichsten derartigen Kollektionen des Mittelalters.448 Sie wurde um das Jahr 1270 durch einen oder mehrere Mitarbeiter der päpstlichen Kanzlei angelegt, wobei der oder die Urheber bisher nicht identifiziert werden konnten.449 Es sind mehrere Handschriften der Sammlung erhalten, die nachweislich im Umfeld der Kanzlei entstanden und dort auch genutzt wurden, sie alle entstammen der Zeit vom Ende des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts.450 Von besonderer Bedeutung ist eine im Vatikanischen Archiv überlieferte Abschrift aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, die, mit durchlaufender Nummerierung und Index versehen, der Kanzlei in Avignon als vielgenutztes Nachschlagewerk diente. Dieses Exemplar wurde vielleicht von Johannes XXII. (1316–1334) in Auftrag gegeben.451 Auch ein in Arles überliefertes Manuskript des späten 13. Jahrhunderts fungierte mit hoher Wahr447 Siehe oben Tab.1, S. 92. 448 Schillmann, Formularsammlung, S. 68; Erdmann, Entstehung, S. 176; Bertram, Handschriften, S. 457. 449 Schillmann, Formularsammlung, S. 46–59; Erdmann, Entstehung, S. 195–197, 199 f.; Bertram, Handschriften, S. 458. 450 Schillmann, Formularsammlung, S. 1–14; Erdmann, Entstehung, S. 177–195; Bertram, Handschriften, S. 458–470. 451 Schillmann, Formularsammlung, S. 6–10.
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Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
scheinlichkeit bis zum Ende des 14. Jahrhunderts als Gebrauchshandschrift an der Kurie.452 Der Aufbau der Sammlung orientiert sich an der sachlichen Einteilung des Kirchenrechts im Liber Extra, sie enthält neben den Urkundenformeln auch zahlreiche Erläuterungen zu Jurisdiktions- und Administrationsfragen, wurde also auch ganz allgemein als Handbuch der Rechtsprechung und Kirchenverwaltung genutzt. Da sie nachweislich in der päpstlichen Kanzlei Verwendung fand, wurde ihr ein „kanzleioffizieller“ Charakter zugesprochen.453 Dass die Geschichte der misslungenen Apostelköpfe innerhalb der Kanzlei und der Bullarie bekannt war, ist aufgrund dieser umfangreichen Überlieferung anzunehmen. Ohne die beiliegende Bulle waren die Briefe Innozenz’ IV. als Anleitung für die Gestaltung des Siegels allerdings nicht zu gebrauchen. Außerdem waren für die Herstellung der Stempel weder die Kanzleimitarbeiter noch die Bullatoren zuständig, stattdessen wurden externe Handwerker und Goldschmiede mit dieser Aufgabe betraut. Aus den Rundschreiben wird aber deutlich, dass es für die Anfertigung einer neuen Matrize für die päpstlichen Bleibullen durchaus Hilfsmittel gab, nämlich die Bruchstücke oder Abdrücke des vorherigen Stempels, die als Vorlage dienten und so genau wie möglich kopiert werden mussten. Genau wie die Fälscherkonstitutionen Innozenz’ III. zeigen auch die beiden Rundschreiben Innozenz’ IV., dass die entscheidende Grundlage sowohl für den Bullenvergleich als auch für die Anfertigung neuer Bullenstempel die Papstsiegel selbst darstellten. Konkrete schriftliche Anweisungen zur Beschriftung und Gestaltung der Stempel oder zur Prägung der Bullen sind nicht überliefert und wurden wahrscheinlich auch nie aufgezeichnet. Die Gestaltungsregeln zur päpstlichen Bleibulle wurden demnach durch die Praxis definiert, an der sich auch die Kirchenrechtler orientierten.454 Die einzige Ausnahme bilden die Vorgaben zur Nutzung der Halbbulle, die konkret ausformuliert und auch schriftlich fixiert wurden. 4.2.2 Ordines Romani Nachdem die Ausstattung päpstlicher Urkunden mit der bulla dimidia bereits in zahlreichen päpstlichen Schreiben des 13. Jahrhunderts thematisiert worden war, wurde dieser Sonderfall der Bullierung schließlich auch im Rahmen einer weiteren Quellengattung, den Ordines romani, aufgegriffen.455 Die Ordines entstanden nicht im Umfeld der Kanzlei, sondern wurden von Kurialen mit liturgischen und zeremoniellen Aufgaben verfasst und genutzt. Sie beinhalten aber konkrete schriftliche Regeln zu den unter Halbbulle ausgefertigten Papsturkunden und deren innerer 452 453 454 455
Bertram, Handschriften, S. 460, 466–475. Erdmann, Entstehung, 197 f.; vgl. auch ebd., S. 190–192. Siehe oben Kapitel 4.1.1.1, S. 59. Siehe oben Kapitel 4.1.2, S. 81.
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wie auch äußerer Ausstattung und sind daher im Rahmen dieser Untersuchung zu berücksichtigen. Schon seit dem frühen 11. Jahrhundert wurden an der Kurie Texte zu verschiedenen zeremoniellen Anlässen zusammengestellt und in sogenannte Zeremonienbücher eingetragen. Diese waren zunächst noch vom stadtrömischen Stationsgottesdienst geprägt und behandelten vorrangig Wahl und Weihe des Papstes, die Liturgie des Kirchenjahres und die Pflichten der Kardinäle. Als die Kurie nach Avignon übersiedelte, wandten sie sich verstärkt dem Zeremoniell des päpstlichen Palastes zu und integrierten nun auch Ordines zu Heiligsprechungen, Konzilien und liturgischen Funktionsträgern.456 Ausschlaggebend für diese Entwicklung war, dass die Päpste in Avignon im Gegensatz zu den vergangenen zwei Jahrhunderten für lange Zeit in derselben Stadt residierten, weshalb sich die Räumlichkeiten und das Personal des päpstlichen Hofes zunehmend im Papstpalast konzentrierten. Hatten die Riten und Messen in Rom und Umgebung meist in der Öffentlichkeit stattgefunden, so wurden sie in Avignon seit Benedikt XII. (1334–1342) zunehmend innerhalb des Papstpalastes vollzogen, was sich in der Ausrichtung der Zeremonienbücher niederschlug.457 Da besonders seit Ende des 14. Jahrhunderts eigens geschulte Zeremonialkleriker für die Gestaltung der liturgischen Handlungen verantwortlich waren, sind besonders die von diesen bearbeiteten und genutzten Zeremonienbücher an der Kurie erhalten geblieben. Neben diesen Klerikern waren auch höhere Kuriale und Prälaten häufig im Besitz solcher Ordines. Im 15. Jahrhundert wurden sie von Päpsten sogar zur Begründung von Rechtsentscheidungen herangezogen, sie besaßen also offiziellen Charakter.458 Der Ordo Romanus XIII Gregors X. (1271–1276) ist die früheste bekannte Quelle dieser Gattung, die für die Untersuchung der unter bulla dimidia ausgestellten Urkunden von Bedeutung ist. Der Ordo ist in seiner ursprünglichen Version in nur einem Manuskript vom Ende des 13. Jahrhunderts erhalten,459 daneben aber auch in zahlreichen Handschriften des späteren Ordo Romanus XIV, in die der Ordo XIII eingearbeitet wurde.460 Diese späteren Überlieferungen enthalten le456 Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 4, 139. 457 Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 36–39. 458 Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 139 f. Beispiele für Zeremonialhandschriften im Besitz von Zeremonialklerikern und Kardinälen finden sich bei Dykmans, Cérémonial 1, S. 51–58. 459 Paris, Bibliothèque de l’Arsenal, Cod. 526. Es handelt sich um einen Band, der aus sechs Handschriften zusammengebunden wurde, der dritte dieser Teile (fol. 89–119) enthält den Ordo Gregors X.; vgl. Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 30, 394; Andrieu, Pontifical, S. 49–51, 317 f.; Stroick, Zeremoniale, S. 306; Van Dijk, Ordinal, S. LVII; Dykmans, Cérémonial 1, S. 40–48. Das Manuskript ist nicht das Original, sondern eine zeitnahe Abschrift, die Handschrift der ursprünglichen Kompilation ist nicht erhalten; vgl. Dykmans, Cérémonial 1, S. 60. 460 Zum Ordo Romanus XIV und der Aufnahme des Ordo Romanus XIII in eine Fassung des Ordo Romanus XIV vgl. Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 62–83, 409, 412–416; An
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diglich zwei der vier inhaltlichen Hauptteile des Ordo XIII, nämlich Vorschriften zu Wahl und Weihe sowie eine Beschreibung der päpstlichen Messgewohnheiten im Laufe des Kirchenjahres (Proprium de tempore oder Temporale). Diese fragmentarische Version wurde während des 14. Jahrhunderts mehrfach kopiert und in spätere Ordines (wie den Ordo Romanus XIV) integriert.461 Der für die vorliegende Betrachtung entscheidende Abschnitt ist Teil der Beschreibung von Papstwahl und -weihe und damit in allen bekannten Überlieferungen enthalten. Als Initiator des Ordo gilt Papst Gregor X. (1271–1276), da er im Prolog als solcher bezeichnet und in der Beschreibung einer bulla dimidia sein Name genannt wird.462 Allerdings scheint der Papst lediglich den Auftrag zur Abfassung eines Zeremoniales zu Papstwahl und -weihe gegeben zu haben, das die Formalitäten und Feierlichkeiten definieren sollte, die bei der Papsterhebung zu beachten waren, nämlich das Konsistorium, die Namensgebung, die Papstkrönung und die Besitzergreifung des Laterans. Diese Auseinandersetzung mit dem grundlegenden Ablauf der Papstwahl stand im Zusammenhang mit der dem Pontifikat Gregors vorausgehenden beinahe dreijährigen Sedisvakanz und den Turbulenzen im Zusammenhang mit seiner eigenen Wahl.463 Der Ordo wurde in den Jahren 1272 bis 1274 kompiliert, wahrscheinlich von einem mit liturgischen Aufgaben betrauten französischen Kurialen, der mit den römischen Verhältnissen nicht vertraut war und auf verschiedene Vorlagen zurückgriff.464 Seine Quellen können nicht im Einzelnen bestimmt werden, da eine große Zahl derartiger Texte im Umlauf war, die zum Teil nicht mehr erhalten oder noch nicht bekannt geworden sind. In jedem Fall regelte der Ordo das Zeremoniell der Papstwahl nicht vollständig neu, sondern fixierte schriftlich, was bei Gregors eigener Erhebung bereits Tradition war.465 Bei dem Teil, der auf die Halbbulle eingeht, handelt es sich um einen kurzen Abschnitt innerhalb der Vorschriften zu Papstwahl und -weihe.466 In knappen Worten drieu, Pontifical, S. 58, 155, 182 f., 209, 318 f.; Van Dijk, Ordinal, S. LVII f.; Dykmans, Cérémonial 1, S. 49–59. Die fraglichen Handschriften datieren alle aus dem 14. und 15. Jahrhundert. 461 Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 34 f. 462 Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 30 f. 463 Stroick, Zeremoniale, S. 305; Dykmans, Cérémonial 1, S. 14; May, Ego, S. 231−234; Baldwin, Pope Gregory X, S. 15–19; siehe oben Kapitel 4.1.2, S. 81. 464 Ob der Ordo vor oder nach Erlass des Papstwahldekrets Ubi maius periculum Gregors X. im Jahr 1274 verfasst wurde, ist umstritten. Wahrscheinlich ist seine Entstehung aber vorher anzusetzen, da das Dekret im Ordo nicht erwähnt wird; vgl. Andrieu, Pontifical, S. 278, 287 f.; Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 31; Stroick, Zeremoniale, S. 305; Van Dijk, Ordinal, S. LX; Dykmans, Cérémonial 1, S. 15–22. 465 Stroick, Zeremoniale, S. 305 f.; Dykmans, Cérémonial 1, S. 22. 466 Druck: Dykmans, Cérémonial 1, S. 161 (Abschnitt 8); Andrieu, Pontifical, S. 527 f.; Van Dijk, Ordinal, S. 536 f.
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wird die Verwendung der bulla dimidia erläutert und deren Gestaltung kurz umrissen – eine Seite zeigte die Apostelköpfe, die andere blieb ungeprägt: Idem vero electus, in quocumque ordine fuerit, si scribat aliquas litteras alicui ante suam consecrationem, bullari faciet ipsas litteras cum illa parte bulle in qua sunt capita apostolorum ex una parte, ex altero vero erit plana, cum nondum sit consecratus in papam.467 Neben der Beschreibung der Halbbulle werden in dem Ordo auch die bei deren Nutzung notwendigen Änderungen im Urkundenformular angegeben. Zum einen sollte in der Intitulatio zwischen dem Namen des Papstes und dem Titel servus servorum dei das Wort electus eingefügt werden, um den Status des erwählten Pontifex anzuzeigen.468 Die Datierungsformel wurde auf dieselbe Art angepasst.469 Außerdem war die bereits beschriebene, sonst in Papsturkunden unübliche Korroborationsformel aufzunehmen, um den Empfänger und alle Betrachter der Urkunde auf die außergewöhnlichen Umstände ihrer Ausstellung aufmerksam zu machen.470 Diese Formularanpassungen verdeutlichen erneut, dass der Kurie die Bedeutung der Bulle als Beglaubigungsmittel auch oder besonders in Zeiten des Papstwechsels deutlich vor Augen stand. Sie war deshalb bemüht, die bei Besiegelung mit der Halbbulle auftretenden Abweichungen vom gewohnten Aussehen des Siegels in den Dokumenten entsprechend zu erläutern, um potentielle Zweifel an ihrer Authentizität zu vermeiden. Wenn die bulla dimidia zum Einsatz kam, wurden zwar regelmäßig alle im Ordo beschriebenen Formalien konsequent befolgt, trotzdem wurde die Gültigkeit der mit Halbbulle versehenen Urkunden immer wieder angezweifelt. So musste Honorius IV. (1285–1287) nach seiner Krönung ein Schreiben für den französischen König erneut ausstellen und den Brauch darin erläutern.471 Dennoch sah sich noch sein Nachfolger Nikolaus IV. (1288–1292) gezwungen, die Rechtskraft der von Honorius IV. ausgestellten Urkunden sub bulla dimidia zu bekräftigen.472 Nicht alle 467 Dykmans, Cérémonial 1, S. 161. 468 Dykmans, Cérémonial 1, S. 161: Et in salutatione scribit nomen suum sic „G. electus servus servorum dei dilec.“ et cetera. „Salutem et apostolicam benedictionem“. 469 Dykmans, Cérémonial 1, S. 161: Et ponitur „Dat. in tali loco x kalendas maii suscepti a nobis apostolatus officii anno primo“. Zu den Anpassungen des Urkundenformulars vgl. Baumgarten, Kanzlei, S. 164 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 103; Barbiche, Bulle, S. 240. 470 Dykmans, Cérémonial 1, S. 161: Et addit in fine litterarum ante datam „Nec mireris quod bulla exprimens nomen nostrum non est appensa presentibus, que ante consecrationis et benedictionis nostre solempnia transmittuntur, quia hii qui hactenus fuerunt in romanos electi pontifices consueverunt in bullandis litteris ante sue consecrationis munus modum huiusmodi observare“. Siehe oben Kapitel 4.1.2, S. 81. 471 Barbiche, Litterae, S. 265 f.: […] nostris litteris premissa continentibus olim super hoc regie majestati directis, quibus bulla non exprimens nomen nostrum pro eo appensa extitit quia hii qui fuerunt hactenus in Romanos electi pontifices consueverunt in bullandis litteris ante consecrationis et benedictionis solite munus, quod non susceperamus tunc temporis, modum hujusmodi observare. 472 Potthast 23049; vgl. Fürst, Statim, S. 58, 60–62; Hortal Sanchez, Initio, S. 116.
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Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
Päpste des 13. Jahrhunderts folgten dieser Tradition und siegelten mit der Halbbulle, zeitweise war ihr Gebrauch obsolet. Nikolaus IV. hatte sie nie verwendet, da er bereits am Tag seiner Wahl gekrönt wurde.473 Auch Bonifaz VIII. (1294–1303) verzichtete auf ihre Nutzung und ordnete an, dass bis zu seiner Krönung keine Urkunde in der Kanzlei ausgefertigt werden sollte.474 Paravicini Bagliani nannte als mögliche Gründe für diese Vorsichtsmaßnahme die Absicht, einem Missbrauch der bulla dimidia vorzubeugen, der unter dem Vorgänger Cölestin V. (1294) vorgekommen war,475 sowie die zu Beginn des Pontifikats Bonifaz’ VIII. erfolgten Umbesetzungen in der Kanzleileitung.476 Die wahrscheinlichste Ursache ist jedoch, dass Bonifaz nach dem Rücktritt seines Vorgängers jeden Zweifel an der Legitimität seiner eigenen Papsterhebung ausschließen musste und sich deshalb im Besitz der Vollgewalt seines Amtes zeigte. Trotz dieser realpolitischen Entscheidungen einiger Päpste wurden die schriftlichen Regeln im Ordo Gregors X. auch über das 13. Jahrhundert hinaus tradiert. Ein weit späterer Ordo Romanus, der den Gebrauch der Halbbulle auf dieser Basis behandelt, findet sich in einer Sammlung zeremonieller Texte, deren Entstehung eng mit François de Conzié verbunden ist. Dieser stammte aus Savoyen und war bereits im Alter von 22 Jahren Doktor beider Rechte. Als solcher wurde er zum päpstlichen Auditor ernannt und saß wenig später auf dem Bischofsstuhl von Grenoble, danach wurde er nacheinander zum Erzbischof von Arles, Toulouse und Narbonne bestimmt. Daneben fungierte er mehrfach als Vikar von Avignon, kurz vor seinem Tod erhielt er sogar den Titel des Patriarchen von Konstantinopel.477 Daneben hatte Conzié auch 48 Jahre lang (1383–1431) unter verschiedenen Päpsten und in unterschiedlichen Obödienzen des Abendländischen Schismas die Position des Kämmerers der Kurie inne.478 Als solcher war er Vorsteher des päpstlichen Haushalts und der Finanzen, ernannte das Personal der Kammer, des päpstlichen Palastes und des Kirchenstaates und war für die Organisation und Durchführung spezieller Ereignisse wie Konklaven oder Konzilien verantwortlich.479
473 Baumgarten, Kanzlei, S. 167 f. 474 Krafft, Siegel, S. 218 Anm. 4; Paravicini Bagliani, Cour, S. 97; Baumgarten, Kanzlei, S. 167 f.; Hortal Sanchez, Initio, S. 116 f.; Herde, Cölestin V., S. 146 f. 475 Paravicini Bagliani, Cour, S. 97. 476 Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 103. 477 Müller, François, S. 197–199; Millet, Archevêque, S. 185–187; Dykmans, Cérémonial 3, S. 47 f. 478 Er war Kämmerer unter Clemens VII., Benedikt XIII., Alexander V., Johannes XXIII. und Martin V., außerdem war er Unterstützer und Mitorganisator der Konzilien von Pisa und Konstanz. Aufgrund seines reichen Erfahrungsschatzes war er offenbar für die Organisation der Kurie unverzichtbar; vgl. Müller, François, S. 197–217; Millet, Archevêque, S. 195–211. 479 Hack, Körper, S. 56; Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 120 f.; Müller, François, S. 198 f.; Millet, Archevêque, S. 193.
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Unter seiner Leitung, teilweise sogar von ihm persönlich, wurde ein umfangreiches Zeremonienbuch verfasst, das in zwei Handschriften des 15. Jahrhunderts (eine davon ist das Autograph) und fragmentarisch in Abschriften des 17. Jahrhunderts überliefert ist.480 Es enthält mehrere Texte verschiedenen zeremoniellen Inhalts und wurde von verschiedenen Händen aufgezeichnet, wobei sich auch die Hand des François de Conzié identifizieren lässt.481 Es ist auf die Belange des päpstlichen Kämmerers zugeschnitten und enthält als Erstes einen Text über den Tod des Papstes sowie die Wahl und Erhebung eines Nachfolgers.482 Beschrieben werden die verschiedenen Handlungen und Zeremonien, die an der Kurie im Falle eines Papstwechsels vonstattengehen mussten. Außerdem wird die Verwendung der bulla dimidia nach der erfolgten Papstwahl geregelt und in diesem Zusammenhang auch auf ihre Verwendung in den Wahlanzeigen eingegangen. Diese Texte zu Papsttod und Papstwahl werden ergänzt durch einige Erläuterungen zu den Kardinälen, ihrer Bedeutung und Funktion an der Kurie und ihrer zeremoniellen Rolle in den kurialen Messen.483 Gemeinsam stellen diese Teile die ältesten Stücke des Buches dar, sie bildeten möglicherweise ursprünglich den Anhang zu einem früheren Zeremonienbuch aus der Zeit Urbans V. (1362–1370). Dieses und andere bekannte Ordines (wie der Ordo Romanus XIV) wurden neben weiteren liturgischen und kanonischen Texten mit hoher Wahrscheinlichkeit als Grundlage für die Sammlung des François de Conzié herangezogen und von ihm bearbeitet und glossiert.484 Auch Teile des Ordo Romanus XIII sind im Zeremonienbuch Conziés enthalten, es ist daher denkbar, dass eine unbekannte, nach 1300 umgearbeitete Version des Ordo Romanus XIII als Vorlage für die Sammlung diente. Die Verwendung des Papstnamens Clemens V. im Rahmen der Beschreibung der Urkundenformulare deutet darauf hin, dass die fragliche Umarbeitung während des Pontifikats dieses Papstes (1305–1314), also im Zuge der Übersiedlung der Kurie nach Frankreich stattgefunden haben muss.485 Diese zeitliche Einordnung ist deshalb von besonderem Interesse, weil auch Clemens V. (1305–1314) die bulla dimidia nie nutzte, vor seiner Krönung aber durchaus ein Ersatzsiegel gebrauchte.486 Für ein eiliges Schreiben an Philipp den Schönen von Frankreich vom 18. August 1305, das eine Dispens für die Hoch480 Bei den beiden vollständigen Handschriften handelt es sich um Barb. lat. 2651 (Autograph) und Vat. lat. 4736. Zu diesen Handschriften und den Fragmenten vgl. Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 121, 424 f.; Celier, Opuscules, S. 91–108; Dykmans, Cérémonial 3, S. 48–50. 481 Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 121–123; vgl. Celier, Opuscules, S. 91, 103–108; Dykmans, Cérémonial 3, S. 48–50. 482 Hack, Körper, S. 56; Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 120; Celier, Opuscules, S. 93 f.; Dykmans, Cérémonial 3, S. 50–61. 483 Dykmans, Cérémonial 3, S. 62–68. 484 Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 122; Dykmans, Cérémonial 3, S. 69. 485 Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 122 f.; Dykmans, Cérémonial 3, S. 69. 486 Krafft, Siegel, S. 218 Anm. 4.
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zeit des Thronfolgers enthielt, griff er auf das Siegel zurück, das er als Erzbischof von Bordeaux verwendet hatte. Um den wichtigen Inhalt zu bekräftigen, wurde dieselbe Urkunde unter dem gleichen Datum nach seiner Krönung unter Verwendung der bulla perfecta erneut expediert.487 Allerdings bezeichnete er sich vom Tage seiner Wahl an in seinen Urkunden als episcopus und begann sofort die Zählung nach Pontifikatsjahren. Baumgarten und Barbiche sahen den Grund für diese ungewöhnliche Verfahrensweise darin, dass Clemens, der nach seiner Wahl nicht in Rom, sondern in Lyon gekrönt wurde, zunächst kein erfahrenes Kanzleipersonal bei sich hatte und deshalb das traditionelle Vorgehen nicht kannte.488 Dies legt auch eine Studie Zutshis zu einigen frühen litterae aus dem Pontifikat Clemens’ nahe, die nicht der zu dieser Zeit üblichen Ausstattung entsprechen und Abweichungen im Formular aufweisen, was ebenfalls auf die Abwesenheit versierter Kanzleimitarbeiter zurückzuführen sein dürfte.489 Da es aber immer wieder Schwierigkeiten mit der Anerkennung dieser Urkunden aus der Frühzeit seines Pontifikats gegeben hatte, erließ Papst Clemens V. im Jahr 1306 eine Konstitution, welche diejenigen mit Exkommunikation bedrohte, die eine vor der Benediktion oder Krönung eines Papstes ausgestellte Urkunde anfochten.490 Diese Konstitution fand schließlich um 1500 Aufnahme in die Extravagantes Communes.491 Um 1390 überarbeitete François de Conzié die ihm vorliegenden Ordines zur Papstwahl und glich sie an die in Avignon etablierten Gebräuche an, vielleicht anlässlich des Todes Clemens’ VII. 1394.492 Die übrigen in dem Zeremonienbuch überlieferten Texte wurden in den folgenden Jahren ergänzt; beispielsweise dürfte der Ordo zum Einzug des Papstes in eine Stadt anlässlich der Wahl Martins V. abgefasst worden sein. Anders als die Regelungen zu Papsttod und -wahl beruhen diese Texte nicht auf älteren Zeremonienbüchern, sondern wurden von Conzié selbstän-
487 Barbiche, Actes 3, Nr. 2229; Battelli/Pagano, Schedario 3, Nr. 4800, 4869; vgl. Bar biche, Litterae, S. 267–275; Paravicini Bagliani, Cour, S. 97 f.; Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 88. 488 Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 87–90; Barbiche, Litterae, S. 273–275. Fürst, Quia, S. 426–430, ging dagegen davon aus, dass Clemens dies bewusst tat, um die Tatsache zu unterstreichen, dass der Papstelekt bereits vor seiner Krönung die volle päpstliche Gewalt ausüben konnte. 489 Zutshi, Letters, S. 333–335. 490 Druck: Fürst, Quia, S. 419; vgl. Baumgarten, Kanzlei, S. 168 f.; Hortal Sanchez, Initio, S. 156 f.; Bertrams, Missione, S. 225; Schimmelpfennig, Krönung, S. 252; Fürst, Quia, S. 426–430. 491 Extravag. Comm. V, 10, 4; ed. Friedberg, Corpus, Sp. 1312: […] nos, talium temeritates compes cere cupientes singulos, qui occasione huiusmodi aliquas literas nostras super negotiis quibuscunque confectas, quae a nobis ante coronationis nostrae insignia emanarunt, ausi fuerint impugnare, excommunicationis sententia innodamus. Vgl. Schimmelpfennig, Krönung, S. 252. 492 Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 125 f.; Dykmans, Cérémonial 3, S. 70–73.
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dig auf Grundlage eigener Erfahrungen verfasst.493 Die einzelnen Abschnitte bildeten wohl ursprünglich gesonderte libelli, die nach 1416 zusammengebunden und in der Folge als Konvolut kopiert und mit Nachträgen versehen wurden.494 Hinsichtlich der Bullierungspraxis nach der Wahl eines Papstes beschreibt der Text im Zeremonienbuch des François de Conzié ähnlich dem Ordo Gregors X. in knappen Worten das Aussehen der Halbbulle und die im Formular der päpstlichen Urkunde vorzunehmenden Änderungen.495 Die Beschreibung der bulla dimidia ist präziser gefasst als in der älteren Vorlage: Item eo tunc littere sue super talibus non bullantur nisi cum media bulla, illa videlicet in qua capita apostolorum Petri et Pauli sunt sculpta. Alia enim, in qua suum nomen est describendum, non ponitur quia ante coronationem non nominat se papam […].496 Die verwendete Bulle wird hier explizit als media bulla, Halbbulle, bezeichnet, außerdem wird deutlich hervorgehoben, dass die Seite, die bei der Prägung leer blieb, normalerweise den Namen des Papstes trug. Die Erläuterungen zu den Anpassungen im Urkundenformular entsprechen inhaltlich den Angaben im Ordo Romanus XIII.497 Neben diesen Ausstattungsmerkmalen behandelte Conzié auch die Nutzung der Halbbulle in der Praxis. Ihm zufolge war es nicht üblich, dass der Papst vor der Krönung Konsistorien abhielt oder Promotionen und Provisionen vergab.498 Die Ausstellung von Urkunden sub bulla dimidia solle ebenfalls vermieden werden. Dasselbe gelte auch für die Wahlanzeigen: Sie seien erst nach der Krönung zu versenden, damit sie mit einer bulla perfecta ausgestellt werden und damit die volle Amtsgewalt des Papstes demonstrieren könnten.499 Ebenfalls erst nach der 493 Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 125 f.; vgl. Celier, Opuscules, S. 106 f. 494 Diese Kopie ist nicht erhalten, ihr Textbestand ist aber in einer in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts angefertigten Abschrift überliefert; vgl. Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 126; Celier, Opuscules, S. 107 f.; Dykmans, Cérémonial 3, S. 49 f. 495 Druck: Dykmans, Cérémonial 3, S. 299 (Abschnitte 177–179). 496 Dykmans, Cérémonial 3, S. 299 (Abschnitt 177). 497 Dykmans, Cérémonial 3, S. 299 (Abschnitt 177): […] quia ante coronationem non nominat se papam, sed cum in litteris loquitur, incipit „Clemens episcopus servus servorum Dei“, etc., et hoc est quando iam est consecratus. Si vero nondum est consecratus, incipit: „Clemens electus servus servorum Dei“, etc. (Abschnitt 178) Item in fine litterarum huiusmodi ante datam adduntur verba sequentia: „Nec mireris quod bulla exprimens nomen nostrum non est appensa presentibus. Nam hii qui fuerunt hactenus electi in Romanos pontifices, ante sue consecrationis et benedictionis solemnia in suis bullandis litteris modum huiusmodi observare consueverunt.“ (Abschnitt 179) Item data ponitur isto modo, videlicet: „Datum Lugduni“, vel „Rome“, etc., „Kal. maii“, vel „martii“, etc., „suscepti a nobis apostolatus officii anno primo“. 498 Dykmans, Cérémonial 3, S. 299 (Abschnitt 1): Sciendum est quod papa ante suam coronationem non consuevit tenere consistoria, promotiones aut provisiones facere quascumque […]. 499 Dykmans, Cérémonial 3, S. 301 (Abschnitt 187): […] Hoc enim ante dictam coronationem non est fieri solitum, quia, ut supra dictum est, littere sue tunc ab eo procedere non debent, nisi sub media bulla sui nominis non expressiva, que si dirigentur super insinuatione dicte assumptionis, ipsam minus debite precessisse quodammodo iudicare viderentur. Hoc etiam bene exposcit rei huiusmodi
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Konsekration auszufertigen seien die verschiedenen Formen von Gnadenbriefen für arme Kleriker oder Günstlinge von Kardinälen, Königen und Fürsten, Prälaten oder Universitäten.500 Diese Erläuterungen verdeutlichen, dass die Verwendung der Halbbulle trotz aller päpstlichen Maßnahmen zur Bekräftigung ihrer Gültigkeit seit Innozenz III. auch am Übergang zum 15. Jahrhundert immer noch umstritten war. Dazu trug sicherlich bei, dass wie bereits im 13. auch im 14. Jahrhundert die bulla dimidia nicht konsequent von allen Päpsten verwendet wurde. Clemens VI. (1342–1352) und auch Innozenz VI. (1352–1362) waren offenbar bemüht, den Gebrauch der bulla defectiva zu vermeiden,501 wohl um die ungebrochene Kontinuität der päpstlichen Herrschaft in Avignon zu illustrieren. Auch Urban VI. (1378–1389) verzichtete auf die Besiegelung seiner Urkunden mit der Halbbulle, um die Legitimität seines Pontifikats zu unterstreichen, während sein Konterpart, Clemens VII. (1378–1394), durch ihre Nutzung die Existenz einer Sedisvakanz und damit die Nichtigkeit der Wahl Urbans VI. betonte.502 In Conziés Zeremonienbuch findet sich darüber hinaus die älteste bekannte Erläuterung dazu, wie beim Tod eines Papstes mit den Bullenstempeln zu verfahren war.503 Der Vizekanzler sollte diese, sobald ihm der Tod des Pontifex bekannt gemacht wurde, von den päpstlichen Bullatoren entgegennehmen, in einem festen Leinenstoff verpacken und mit seinem Siegel verschließen. Dann waren alle an der Kurie weilenden Kardinäle zu einer festgelegten Uhrzeit in einem geeigneten Raum des päpstlichen Palastes zusammenzurufen, zusätzlich sollten auch der Kämmerer, der Thesaurar und die Kammerkleriker anwesend sein. Vor diesen Zeugen hatte der Vizekanzler die beiden Bullenstempel (cugna bullarum) des verstorbenen Papstes vorzuzeigen und den Namensstempel (illud quod erit sculptum nomine pape defuncti) mit einem von den Bullatoren mitgebrachten Hammer zu zerstören, quod ad signandum ulterius reddatur omnino inutile et ineptum.504 Der Apostelstempel (cugnum continens imagines apostolorum Petri et Pauli) dagegen sollte wieder in das Leinentuch gewickelt, versiegelt und vom Kämmerer verwahrt werden, bis die Wahl eines Nachfolgers erfolgt war. Der Stempel konnte auch vom Vizekanzinsinuande sublimitas, ut non minutam aut partitam, sed integram et perfectam eam intuentibus se demonstret. 500 Dykmans, Cérémonial 3, S. 302 (Abschnitt 188): […] est consuetum per ipsum, post dictam suam coronationem, gratias aperiri in favorem eorum […]. 501 Zutshi, Correspondence, S. 380. 502 Krafft, Siegel, S. 230; Zutshi, Continuity, S. 288. 503 Dykmans, Cérémonial 3, S. 264 f. (Abschnitte 8–11); vgl. Hack, Körper, S. 56 f.; Paravicini Bagliani, Leib, S. 122; Dykmans, Cérémonial 3, S. 52 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 554. 504 Im Gegensatz dazu wurde der Fischerring beim Tode des Papstes den Kardinälen übergeben. Während er im 14. Jahrhundert meistens dauerhaft verwahrt wurde, wurde er im 15. Jahrhundert umgehend in Gegenwart des Kardinalskollegiums zerstört; vgl. Paravicini Bagliani, Leib, S. 122; Ewald, Siegelkunde, S. 107; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 554 f. Zur Siegelzerstörung im Allgemeinen vgl. Knauber, Siegel, S. 267–275.
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ler aufbewahrt werden, dann musste das Leinentuch aber vom Dienstältesten der Kardinalbischöfe oder aller drei Kardinalsränge versiegelt werden. Auf diese Weise konnte bis zur Wahl eines neuen Papstes keine Urkunde mehr besiegelt werden. In anderen Ordines wird außerdem beschrieben, dass man den Bullatoren die Aufgabe übertrug, den Leichnam des Papstes zu waschen und zu salben, da sie während der Sedisvakanz nicht in der Bullarie gebraucht wurden.505 Doch nicht nur der Tod eines Pontifex führte zur Zerstörung seines Namensstempels, eine päpstliche Resignation konnte denselben Effekt haben. Die Teilnehmer des Konstanzer Konzils veranlassten beispielsweise, dass Johannes XXIII. (1410–1415) nach seiner Absetzung den Bullenstempel an das Konzil auslieferte. Er wurde in derselben Sitzung, in der Johannes formell abgesetzt wurde, öffentlich zerschlagen. Da der Papst nach seiner Absetzung juristisch „tot“ war, griff man auf das entsprechende Zeremoniell zurück.506 Die Kanzlei des Basler Konzils war darauf bedacht, für den Konzilspapst Felix V. (1439–1449) eigens Bullenstempel zur Herstellung einer Halbbulle zu fertigen, die dieser zwischen seiner Wahl und seiner Krönung nutzte. Auch die formalen Besonderheiten der Urkunden sub bulla dimidia in Intitulatio, Datierung und Siegelankündigung wurden konsequent umgesetzt, um der Gewohnheit zu entsprechen und vor allem um – wie schon 1378 – die Fiktion der Vakanz zu unterstreichen.507 Die Bestimmungen zur bulla dimidia waren demnach zumindest in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bekannt, obwohl sie nur in verhältnismäßig wenige Ordines Aufnahme gefunden hatten. Der Ordo Romanus XV des Petrus Amelii aus dem späten 14. Jahrhundert etwa beschreibt zwar die vor und nach dem Tod eines Papstes durchzuführenden Maßnahmen und Handlungen, geht dabei aber mit keinem Wort auf die Verwendung der Halbbulle ein.508 Auch einige Texte aus dem frühen 15. Jahrhundert, die in verschiedenen Handschriften der Staatsbibliothek Eichstätt erhalten sind, berichten über das Zeremoniell bei Krönung und Tod eines Papstes, ohne dabei auf die bulla dimidia zu sprechen zu kommen.509 Aus der Existenz von Conziés Zeremonienbuch und den beschriebenen Ereignissen im Rahmen der Konzilien von Konstanz und Basel lässt sich aber schlussfolgern, dass die Vorschriften zur Verwendung der bulla dimidia ihre Bedeutung für die kuriale Pra505 Paravicini Bagliani, Leib, S. 119; Hack, Körper, S. 57. 506 Schneider, Siegel, S. 316–323; Baumgarten, Kanzlei, S. 160–162; Ewald, Siegelkunde, S. 107–110; Krafft, Siegel, S. 234; Hack, Körper, S. 60 f. 507 Weil das Konzil keinen Zugriff auf einen Apostelstempel hatte, da die aktuelle Matrize beim amtierenden Papst Eugen IV. im Einsatz war, musste eigens ein neuer Stempel hergestellt werden. Die Namensseite der Halbbulle Felix’ V. blieb nicht ungeprägt, sondern zeigte ein leeres Feld umschlossen von einer Perlenschnur, es wurde also zum Prägen ein Gegenstempel benutzt; vgl. Schneider, Halbbulle, S. 457–462; Krafft, Siegel, S. 237. 508 Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 107–111, 423. 509 Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 118 f., 423 f.
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xis auch im Spätmittelalter nicht eingebüßt hatten. Der kurze Regeltext zur Ausstattung der mit Halbbulle besiegelten Urkunden wurde seit seiner Aufzeichnung im Ordo Gregors X. an der Kurie fortlaufend tradiert und immer wieder angepasst, er konnte daher noch im 15. Jahrhundert als Anleitung dienen. Nach Beendigung des Großen Abendländischen Schismas wurden dann keine originären Zeremonienbücher mehr konzipiert, man beschränkte sich fortan auf die Bearbeitung älterer Sammlungen.510 Allerdings wurden in diesem Rahmen die Regeln zum Gebrauch der Halbbulle auch noch in der frühen Neuzeit rezipiert; in einem Zeremonialbuch von 1516 sind sie beinahe unverändert wiedergegeben.511 In der Praxis wurde die bulla dimidia jedoch im 15. Jahrhundert weiterhin vor allem dann genutzt, wenn die politischen Umstände dies aus Sicht des jeweiligen Elekten nahelegten. Während des Schismas gebrauchte Gregor XII. (1406–1415) zunächst demonstrativ sein Kardinalssiegel, dann die Halbbulle, sein avignonesischer Gegenspieler Benedikt XIII. (1394–1417/23) griff von Anfang an auf die bulla dimidia zurück.512 Martin V. (1417–1431) nutzte sie ebenfalls513 und unterstrich damit wiederum die Vakanz nach der Absetzung Johannes’ XXIII., Gregors XII. und Benedikts XIII. Auch für Paul II. (1464–1471) ist die Verwendung der Halbbulle noch nachweisbar,514 spätestens zu Beginn des 16. Jahrhunderts scheint diese Tradition jedoch endgültig aufgegeben worden zu sein.515 Die im 13. Jahrhundert schriftlich niedergelegten Regeln überdauerten damit ihre Anwendung in der Praxis. Auch in der juristischen Literatur wurden die Vorschriften zum Gebrauch der bulla dimidia seit dem 13. Jahrhundert rezipiert und theoretisch erörtert, sie fanden Aufnahme in verschiedene Rechtssammlungen, Kommentare und Glossen.516 Guillelmus Duranti behandelte in seinem Speculum als Erster diese an der Kurie geläufigen Texte. Anlässlich einer Abhandlung über die Gültigkeit von Kaiserurkunden, die vor der Krönung ausgestellt wurden, kam er auch auf die päpstlichen litterae ante coronationem und die Verwendung der Halbbulle zu sprechen, die er in diesem Zusammenhang kurz beschrieb.517 Johannes Andreae widmete sich in seiner Glosse des Liber Sextus ebenfalls ausführlich der Gestaltung päpstlicher Urkunden, die vor der Krönung ausgefertigt wurden, und ging sowohl auf die Änderungen im 510 511 512 513 514 515 516 517
Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 132. Schimmelpfennig, Krönung, S. 252; Hack, Körper, S. 58; Baumgarten, Kanzlei, S. 173 f. Krafft, Siegel, S. 232 f.; Gualdo, Litterae, S. 110–112. Krafft, Siegel, S. 235; Schneider, Halbbulle, S. 460. Krafft, Siegel, S. 239; Frenz, Kanzlei, S. 64. Krafft, Siegel, S. 244 f. Fürst, Quia, S. 424. Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 29vb: […] et hec potest esse causa, quare papa ante coronationem tantum media bulla utitur, videlicet cum capitibus apostolorum dumtaxat, sine nomine proprio, licet statim post electionem et immutationem nomen suum designet. Vgl. Fürst, Quia, S. 424 f.
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Formular als auch auf die bulla dimidia ein.518 Der Wortlaut seiner Beschreibung weist große Ähnlichkeit mit den entsprechenden Formulierungen im Zeremonien buch Conziés auf, möglicherweise ähnelten sich die Vorlagen und auch Andreae konnte auf eine nicht erhaltene Fassung des Ordo Romanus XIII zurückgreifen. Dass in dem von ihm angeführten Beispiel der Intitulatio der Papstname Bonifaz genannt wird, deutet darauf hin, dass eine Bearbeitung dieses Ordo wohl bereits während des Pontifikats Bonifaz’ VIII. (1294–1303) erfolgt war, auf der wiederum die unter Clemens V. (1305–1314) entstandene Version basieren dürfte, die in Conziés Sammlung aufgenommen wurde. Die unter Gregor X. verfassten Vorschriften wurden demnach zumindest bis in die ersten Jahre des 14. Jahrhunderts regelmäßig aktualisiert und gingen so auch in das kanonische Recht ein. Beachtenswert ist, dass beide genannten Bearbeitungsstufen unter Päpsten entstanden, die selbst nie die Halbbulle verwendet hatten. Möglicherweise sollte die Tradition während der für das Papsttum und die Kurie turbulenten Zeit um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert519 gerade deshalb in schriftlicher Form bewahrt werden, weil sie in der Praxis keine Anwendung fand und die Einzelheiten der Umsetzung damit in Vergessenheit zu geraten drohten. Die zeremoniellen Ordines gehörten sicherlich nicht zu jenen Büchern, die den Mitarbeitern der päpstlichen Kanzlei als Nachschlagewerke oder Lehrmaterialien dienten. Von Bedeutung waren sie vor allem für diejenigen Kurialen, die eine wichtige Rolle in der Organisation und Durchführung der darin beschriebenen zeremoniellen Handlungen spielten; dazu zählten natürlich Kämmerer wie François de Conzié und der Vizekanzler. Letzterem fiel die Aufgabe zu, den Namensstempel des verstorbenen Papstes zu vernichten und für die sichere Aufbewahrung des Apostelstempels zu sorgen. Wahrscheinlich war er ebenso dafür verantwortlich, das Kanzleipersonal bei der Ausfertigung von Urkunden sub bulla dimidia anzuweisen. Da die Päpste gewöhnlich bemüht waren, die Zahl derartiger Urkunden möglichst gering zu halten, konnte der Vizekanzler den Vorgang wohl persönlich überwachen. Das Wissen über diese verhältnismäßig seltene Urkundenart musste demnach nicht in schriftlicher Form in der Kanzlei selbst vorliegen. Die in den Ordines festgehaltenen Vorschriften konnten gegebenenfalls auch in der Kanzlei verlesen oder ausgehängt werden. Da die Bullatoren dem Kämmerer unterstanden, erhielten sie ihre Anweisungen zur Besiegelung päpstlicher Urkunden mit der Halbbulle ohnehin direkt von diesem. 518 Liber Sextus, mit der Glosse von Johannes Andreae, fol. 102va: […] sed tunc ante confirmationem scribunt ante datam, locum et diem ponendo: data suscepti a nobis apostolatus officii anno etc., et tunc etiam non scribunt se simpliciter episcopos, sed sic scribunt: talis pone Bonifacius electus episcopus. Item tunc non bullant bulla integra, sed tunc temporis siquas litteras concedunt, ponunt mediam bullam, id est illam partem, que habet capita sculpta, et ex alio latere quo ponitur nomen, plana est bulla sine nomine. Vgl. Fürst, Quia, S. 425; Kuttner, Style, S. 448–453. 519 Siehe unten Kapitel 4.3.3, S. 122.
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Die Ordines Romani und ihre Texte zu Tod und Wahl eines Papstes verdeutlichen exemplarisch anhand einer speziellen Sonderform von Papsturkunden, wie die Entwicklung von konkreten Regeln zu deren äußerer Ausstattung an der Kurie vonstattengehen konnte. Die ersten Erläuterungen zur Gestaltung der bulla dimidia und der entsprechenden Dokumente sind in einem Schreiben Innozenz’ III. (1198–1216) überliefert. Im Laufe der folgenden Pontifikate konsolidierten und stabilisierten sich die bei Innozenz beschriebenen Ausstattungsmerkmale, bis sie unter Gregor X. (1271–1276) im Rahmen eines eigenständigen Regeltextes schriftlich fixiert wurden, der wiederum von da an regelmäßig aktualisiert und bis in das 16. Jahrhundert tradiert wurde. In der Folge wurde die Halbbulle zwar nicht von jedem Papst genutzt, im Falle ihres Gebrauchs wurden aber die formulierten Regeln stets konsequent umgesetzt, was darauf schließen lässt, dass die aufgezeichneten Vorschriften auch in der Praxis herangezogen wurden.
4.3 Regeln zur Gestaltung der litterae Die bisher vorgestellten Quellen umfassten päpstliche Schreiben und Erlasse sowie Regelungen aus dem Bereich des kurialen Zeremoniells, in denen Fragen der äußeren Gestaltung der päpstlichen Urkunden nur am Rande behandelt wurden oder die sogar nur indirekte Schlussfolgerungen zu Einzelaspekten der äußeren Ausstattung von Urkunden und Bullen zuließen. Im Gegensatz dazu betreffen die im Folgenden zu betrachtenden Texte konkret die Urkundengestaltung. Ihr zen traler Gegenstand ist die detaillierte Beschreibung und Regelung der äußeren Form päpstlicher litterae. Bei den litterae handelte es sich um eine verhältnismäßig einfach ausgestattete Urkundenart. Innerhalb des einheitlich formierten Textblocks wurden lediglich das Protokoll und im Besonderen der Papstname hervorgehoben. Am Ende des Textes wurde die kleine Datierung eingetragen, Unterfertigungen waren nicht vorhanden, den Abschluss der Urkunden bildete das anhängende Siegel.520 Seit Innozenz II. (1130–1143) unterschied die päpstliche Kanzlei zunehmend zwischen den mit Hanfschnur bullierten Mandaten und den mit Seidenschnur besiegelten Gnadenbriefen, was sich auch in der Ausstattung der Urkunden niederschlug.521 Seit dem Pontifikat Alexanders III. (1159–1181), besonders während der 1170erJahre, stabilisierte sich diese Differenzierung einzelner Gestaltungsmerkmale, die 520 Frenz, Papsturkunden, S. 23–27. 521 Rabikauskas, Diplomatica pontificia, S. 42 f.; Herde, Beiträge, S. 57–59; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 90−101; Santifaller, Beiträge zur Geschichte der Kontextschlussformeln, S. 244; Delisle, Mémoire, S. 19 f.; Poole, Lectures, S. 116; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 530; Kleine, Litterae, S. 189.
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fortan als Anhaltspunkt für die Bullierung mit Seide oder Hanf dienten.522 Die litterae cum serico erhielten ein deutlich feierlicheres Aussehen. Augenfällig sind das aufwendiger ausgeführte Protokoll sowie verschiedene Ziervarianten in der Textschrift, die in den unscheinbareren litterae cum filo canapis nicht vorkamen.523 Zum Ende des 12. Jahrhunderts war die Entwicklung dieser spezifischen äußeren Charakteristika der beiden Arten von litterae vollendet.524 Die Quellen enthalten umfangreiche Angaben zu zahlreichen Einzelaspekten ihrer Ausstattung; zu keiner anderen Urkundengattung wurden so umfassende und detaillierte Vorschriften aufgezeichnet. Die Überlieferung der entsprechenden Quellen setzt aber erst in der Mitte des 13. Jahrhunderts und damit zu einer Zeit ein, als die Herausbildung der Ausstattungsspezifika in der praktischen Umsetzung als abgeschlossen betrachtet werden kann. Die in verschiedenen Zusammenhängen erhaltenen Texte zur Ausgestaltung der litterae haben allesamt ihren Ursprung im Umfeld der päpstlichen Kanzlei, ihre Abfassung und Überlieferung stehen mit dem als Formularium audientiae bekannten Korpus in Zusammenhang. Dieses Formelbuch war auf die Bedürfnisse der in der Audientia tätigen Mitarbeiter zugeschnitten, in der ein großer Teil der durch die Kanzlei ausgefertigten Papsturkunden öffentlich verlesen wurde. Das Formularium enthält Anleitungen zur inneren und äußeren Gestaltung derjenigen litterae, die in der Audientia behandelt wurden. Die darin enthaltenen Ausstattungsregeln sind in vier verschiedenen Bearbeitungsstufen überliefert und erlauben daher eine detaillierte Nachverfolgung der Genese dieser Vorschriften von der ersten Hälfte des 12. bis in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die verschiedenen Versionen gewähren Einblicke in die jeweiligen Umstände der Entstehung und Umarbeitung der Texte sowie in die inhaltliche Weiterentwicklung der Regelungen. 4.3.1 Handschrift Durrieu Schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden im Umfeld der neugegründeten Audientia publica Formelbücher, in denen die Kompetenzen und Zuständigkeiten der Institution festgelegt wurden, die aber auch als Lehr- und Nachschlagewerke für die Mitarbeiter der Kanzlei und die Prokuratoren dienten.525 Das früheste bekannte dieser Formelbücher ist nur in einem einzigen Manuskript überliefert, 522 Krafft, Aufkommen, S. 135 f.; Birnstiel/Schweitzer, Seide, S. 318–332; Kordes, Einfluss, S. 215–224; Falkenstein, Beispiele, S. 339 f.; Hotz, Litterae apostolicae, S. 50 f., 171 f. 523 Rabikauskas, Diplomatica pontificia, S. 43; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 95 f.; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 404; Poole, Lectures, S. 116; Burger, Beiträge, S. 210; Birnstiel/schweitzer, Seide, S. 316–333. 524 Krafft, Aufkommen, S. 135 f.; Birnstiel/Schweitzer, Seide, S. 331 f.; Kordes, Einfluss, S. 218; Kruska, Zeilen, S. 239. 525 Herde, Audientia 1, S. 33.
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welches als „Handschrift Durrieu“ bezeichnet wird, da es sich im Privatbesitz der Erben des Grafen Paul Durrieu befindet.526 Da die Handschrift nicht eingesehen werden konnte, musste auf die in der Literatur verfügbaren Beschreibungen zurückgegriffen werden.527 Glücklicherweise ist der Text des für Fragen der äußeren Ausstattung maßgeblichen Abschnitts in der Einleitung zu Élie Bergers Edition der Register Innozenz’ IV. wiedergegeben528 – auf diese Transkription stützt sich die folgende Analyse. Der Inhalt der Handschrift Durrieu ist nicht homogen, sondern setzt sich aus verschiedenen Texten zusammen, die von unterschiedlichen Händen eingetragen wurden. Dem Inhalt nach zu urteilen handelt es sich insgesamt um Arbeitsmaterialien von Mitarbeitern der päpstlichen Kanzlei.529 Das Manuskript gliedert sich in zwei Teile. Der erste (fol. 1r–45r) beinhaltet Auszüge der Libelli de iure canonico des Roffredus Beneventanus und wurde wohl in der Mitte des 13. Jahrhunderts angelegt. Die Libelli behandeln verschiedene Materien des kanonischen Rechts und enthalten Formulare für Klagelibelle. Der zweite Teil wiederum besteht aus zwei Formelbüchern. Das zweite, umfangreichere dieser Bücher (fol. 60r–102v) beinhaltet ausschließlich Formulare, wobei der Schwerpunkt auf Delegationsreskripten liegt.530 Bei dem ersten Formelbuch dagegen (fol. 46r–59v) lassen sich inhaltlich drei Teile unterscheiden. Der erste (fol. 46r–48r) enthält Vorschriften zur äußeren Gestaltung päpstlicher Urkunden sowie zur Formulierung der Salutatio und einiger Schlussklauseln. Darauf (fol. 48r–54v) folgt eine Sammlung sachlich angeordneter Notulae, also grundlegender Richtlinien zum Inhalt von Justizbriefen; schließlich endet das Formelbuch (fol. 55r–59v) mit einer unsystematischen Formelsammlung, die immer wieder von Notulae durchsetzt ist.531 Diese Anlage der Sammlung nimmt den Aufbau der späteren Vulgataredaktion des Formularium audientiae vorweg. Auch innerhalb des Formelteils findet sich in Ansätzen bereits die inhalt liche Einteilung, die in späteren Fassungen weiter ausgearbeitet wurde.532 526 Paris, Collection Paul Durrieu Nr. 5; vgl. Herde, Audientia 1, S. 35; Heckel, Verordnung, S. 301; Tessier, Note, S. 357–371; Pfeiffer, Untersuchungen, S. 18–20; Barraclough, Audientia, Sp. 1394. 527 Eine kritische Edition des Manuskriptes wird von Herde vorbereitet; vgl. Herde, Papal formularies, S. 129 Anm. 19; Herde, Delegationsgerichtsbarkeit, S. 24 Anm. 16. Fünf Seiten der Handschrift, die auch den für diese Untersuchung interessanten Teil enthalten, wurden in der Recueil de fac-similés á l’usage de l’École des Chartes reproduziert, allerdings ist dieser Teil der Sammlung nicht öffentlich zugänglich; vgl. Giry, Manuel, S. 682; Tessier, Note, S. 357. 528 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX–LXII. Die Transkriptionen aus der Handschrift finden sich teilweise in den Fußnoten, teilweise innerhalb des Fließtextes. 529 Tessier, Note, S. 358. 530 Herde, Audientia 1, S. 35–38; Tessier, Note, S. 358 f. 531 Herde, Audientia 1, S. 35 f.; Tessier, Note, S. 360. 532 Herde, Audientia 1, S. 37.
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Das Formelbuch ist in einer Schrift verfasst, die der Mitte des 13. Jahrhunderts zuzuordnen ist. Einige Namensreste in den Formularen deuten auf den Pontifikat Gregors IX. (1227–1241) als Entstehungszeitraum hin.533 Möglicherweise wurde die Handschrift aber erst nach dem Tod Gregors 1241 angelegt, denn viele Formelsammlungen entstanden in Zeiten der Vakanz des Papststuhls, da der Kanzleibetrieb ruhte und die Mitarbeiter Zeit hatten, sich der Abfassung solcher Hilfsmittel zu widmen.534 Aufgrund der Erwähnung des französischen und des deutschen Königs in einigen Adressen lässt sich der Entstehungszeitraum auf die Jahre 1223 bis 1245 eingrenzen.535 Angesichts der beiden im Text vorkommenden Papstinitia len H. und I. kann sogar vermutet werden, dass es sich um die Überarbeitung eines älteren Textes aus der Zeit Honorius’ III. (1216–1227) oder Innozenz’ III. (1198–1216) handelt.536 Bereits Delisle ging davon aus, dass einige Regelungen des Formularium audientiae bereits unter Innozenz III. Anwendung fanden.537 Die Überlieferung des Formelbuches in der Handschrift Durrieu beweist, dass sie zu Beginn des 13. Jahrhunderts bereits in schriftlicher Form vorlagen. Die Frage des Urhebers der Sammlung ist nicht eindeutig zu klären. Tessier machte darauf aufmerksam, dass die in den Formeln genannten Ortsnamen häufig toskanische Bezüge aufweisen. Aus dem Wortlaut des Beginns der Ausstattungsvorschriften Attende qui corrigis quod … schloss er außerdem, dass sich die Regeln nicht an einfache Schreiber richteten, sondern an einen Korrektor, der die Urkunden auf ihre Richtigkeit überprüfte. Da unter Gregor IX. ein gewisser Bandinus von Siena als Korrektor tätig war, der nachweislich über Beziehungen zur Toskana verfügte, schlug Tessier diesen als Kompilator vor, allerdings mit ausdrücklichen Vorbehalten.538 Herde widersprach dieser These, da ein Korrektor nicht als Urheber in Frage komme.539 Letztlich könne allein aus dem Verb corrigere nicht automatisch auf den Tätigkeitsbereich des Korrektors geschlossen werden.540 In der Tat hätte ein Korrektor, der für die Prüfung des juristischen Inhalts der päpstlichen Briefe zuständig war, zwar Verwendung für eine Formelsammlung gehabt, aber nicht für theoretische Anweisungen zur äußeren Ausstattung, die er nicht zu prüfen hatte.541 533 Herde, Audientia 1, S. 36; Tessier, Note, S. 359. 534 Fischer, Kontinuität, S. 333 f.; Thumser, Collections, S. 236; Thumser, Briefkultur, S. 21; Herde, Audientia 1, S. 170 Anm. 6; Erdmann, Entstehung, S. 197. 535 Tessier, Note, S. 359. 536 Herde, Audientia 1, S. 36 erläutert, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, das I. mit Innozenz IV. in Zusammenhang zu bringen; vgl. auch Tessier, Note, S. 359. 537 Delisle, Mémoire, S. 26. 538 Tessier, Note, S. 360 f. Auch Fickel, Korrektor, S. 29, 104 konnte die Tätigkeit des Bandinus von Siena als Korrektor für das Jahr 1227 nachweisen. 539 Herde, Audientia 1, S. 170 Anm. 6. 540 Fickel, Korrektor, S. 12; Herde, Beiträge, S. 175. 541 Herde, Beiträge, S. 197–213; Heckel, Beiträge, S. 443, 445–447; Kleine, Litterae, S. 198; Schwarz, Corrector, S. 180–183.
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Die Formulierung Attende qui corrigis deutet eher auf die Notare oder Abbreviatoren hin, die Kontrollinstanzen der Kanzlei, denen die prima visio und damit auch die Prüfung der äußeren Merkmale oblag. Nach einer These Herdes könnte Gottfried von Trani, der in den Jahren 1240 bis 1244 das Amt des Auditor litterarum contradictarum innehatte, die Sammlung veranlasst haben.542 Gottfried lehrte Zivilrecht in Neapel und kanonisches Recht in Bologna und erlangte Bekanntheit aufgrund seiner Bearbeitung der Dekretalen Gregors IX. in einem Glossenapparat und einem weit verbreiteten Lehrbuch, der Summa titulorum decretalium.543 Seine Stellung als Auditor würde das Engagement für eine derartige Formelsammlung erklären. Auch die äußeren Umstände der Kurie unterstützen die These der zeitlichen Verortung des Regeltextes nach dem Tod Gregors IX. 1241 und in der Amtszeit Gottfrieds von Trani. Infolge der zweiten Exkommunikation Kaiser Friedrichs II. durch Papst Gregor im März 1239 und im Rahmen der sich insgesamt zuspitzenden Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst errang Friedrich im Jahr 1241 einige militärische Erfolge und eroberte Teile der Romagna zurück.544 Außerdem besiegten die vereinten Flotten von Sizilien und Pisa im gleichen Jahr in einer Seeschlacht die genuesische Flotte, wodurch zwei Kardinäle und zahlreiche weitere ranghohe Geistliche in Friedrichs Gefangenschaft gerieten, die sich auf dem Weg zu einem von Gregor in Rom einberufenen Konzil befunden hatten.545 Im Sommer 1241 schließlich marschierte der Kaiser im Patrimonium Petri ein, doch bevor es zur Eroberung Roms kam, wurde der Tod des Papstes vermeldet, was Friedrich zum Rückzug bewog.546 Der auf Druck des römischen Senators Matteo Rosso Orsini kurzfristig zum Papst erhobene Cölestin IV. verstarb bereits nach zwei Wochen, woraufhin die meisten Kardinäle aus der Stadt flohen. Erst eineinhalb Jahre später, im Juni 1243, wurde schließlich in Anagni Innozenz IV. (1243–1254) zum neuen Pontifex gewählt.547 Während der Vakanz, in der die Kurie zerfiel und sich auf der Flucht befand, zerstreute sich wahrscheinlich auch das Kanzleipersonal, da ohne Papst und ohne feste Verortung der Kurie vor allem für die Skriptoren ohnehin keine Arbeit und damit auch kein Einkommen anfiel. Auch der Verbleib des Vizekanzlers Jacobus Buon542 Herde, Audientia 1, S. 75, 170; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 284 Anm. 1. 543 Zapp, Goffredus de Trano, Sp. 1533 f. 544 Haller, Papsttum 4, S. 114–144; Stürner, Dreizehntes Jahrhundert, S. 255–261; Stürner, Friedrich II., S. 480–488, 496–498; Stürner, Kaiser, S. 34–37. 545 Haller, Papsttum 4, S. 142–146; Stürner, Dreizehntes Jahrhundert, S. 262; Stürner, Friedrich II., S. 498–502. 546 Haller, Papsttum 4, S. 146–148; Stürner, Dreizehntes Jahrhundert, S. 264; Stürner, Friedrich II., S. 506–509. 547 Haller, Papsttum 4, S. 161–163; Stürner, Dreizehntes Jahrhundert, S. 264; Stürner, Friedrich II., S. 509–517; Stürner, Kaiser, S. 37.
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cambio, der das Amt bis zum Tode Gregors IX. und dann nachweislich wieder nach der Krönung Innozenz’ IV. innehatte, ist für die zwei dazwischenliegenden Jahre ungeklärt.548 In dieser Situation dürfte Gottfried von Trani die Notwendigkeit gesehen haben, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Betrieb von Audientia und Kanzlei nach der Sedisvakanz ohne größere Beeinträchtigungen durch möglicherweise wechselndes Personal oder sich verändernde äußere Gegebenheiten wieder aufnehmen und nach gewohntem Schema weiterführen zu können. Zu diesem Zweck könnte er sich um die schriftliche Fixierung der etablierten Gebräuche hinsichtlich der inneren wie äußeren Ausstattung der päpstlichen Urkunden bemüht haben; wahrscheinlich konnte er dafür sogar auf Vorlagen zurückgreifen, die in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts aufgezeichnet worden waren. Die konkrete Bearbeitung der Regeln erfolgte wohl in Zusammenarbeit mit in seinem Umfeld verbliebenen Notaren, Abbreviatoren und Skriptoren, die mit der Urkundenherstellung in der Praxis vertraut waren und so die Gewohnheiten und poten tiellen Schwierigkeiten am besten kannten. Laut Herde und Tessier ist die Handschrift Durrieu selbst kein Kanzleiexemplar, da die Schrift nicht den kurialen Gewohnheiten entspricht und der Text von vielen Fehlern entstellt ist. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Abschrift aus einem Nutzexemplar der Kanzlei.549 Herde datierte die zweite, in dem Manuskript enthaltene Formelsammlung ebenfalls in die Zeit Gregors IX. Außerdem stellte er fest, dass beide Formelbücher nach paläographischen Gesichtspunkten von Engländern abgefasst sein könnten, woraus er die Vermutung ableitete, dass ein Kanzleiexemplar aus der Zeit Gregors mit dem entsprechenden Inhalt nach England gelangt sein müsse, wo ein Kopist Mitte des 13. Jahrhunderts eine Abschrift begann, die gegen Ende des Jahrhunderts von zwei anderen Schreibern fortgesetzt wurde.550 Das Formelbuch ist, was seinen generellen Aufbau mit theoretischer Einleitung einerseits und Formelsammlung andererseits angeht, eindeutig von den Artes dictandi beeinflusst.551 Über die Struktur hinausgehende Anleihen sind allerdings nicht festzustellen, im Gegenteil löste sich der Redaktor des Formelbuches ganz deutlich von der Schultradition der Artes, die an der Kurie in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts nicht zuletzt dank Thomas von Capuas Ars dictandi durchaus geläufig war.552 Statt deren gelehrtes literarisches Schema zu übernehmen, wurden 548 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 250 f.; Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 75 f. Gewöhnlich blieben sowohl der Vizekanzler als auch der Auditor litterarum contradictarum während einer Sedisvakanz im Amt und führten die Geschäfte der Kanzlei soweit nötig und möglich weiter; vgl. Schwarz, Rolle, S. 173; Fischer, Kontinuität, S. 330–334. Siehe auch unten Kapitel 4.3.2, S. 120. 549 Herde, Audientia 1, S. 37; Tessier, Note, S. 359. 550 Herde, Audientia 1, S. 37 f.; vgl. auch Tessier, Note, S. 358. 551 Herde, Formularies, S. 139 f. 552 Zur Ars dictandi des Thomas von Capua siehe oben Kapitel 3, S. 48.
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Regeln und Muster zusammengestellt, die sich an der konkreten Praxis der Kanzlei orientierten.553 Da die in den Artes dictandi überlieferten Urkundenlehren im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit päpstlichen Urkunden ausschließlich Privilegien thematisieren, kommen sie als inhaltliche Vorlagen für die Vorschriften zur äußeren Gestaltung in der Handschrift Durrieu sowieso nicht in Frage. Diese behandeln nämlich allein die päpstlichen litterae, da nur diese standardmäßig in der Audientia verlesen und verhandelt wurden. Die Regeln gehen zunächst auf die Ausgestaltung einzelner Buchstaben in der Urkundenschrift ein, es folgen einige Hinweise zur Verwendung von Großbuchstaben und Abkürzungen. Außerdem äußert sich der Text zu verschiedenen Elementen des Protokolls päpstlicher Briefe und zur Gestaltung der Datierung. 4.3.2 Speculum iudiciale Eine etwas spätere Bearbeitung dieser Ausstattungsvorschriften wurde in Durantis Speculum iudiciale überliefert. Das Speculum gehört zu den im frühen 12. Jahrhundert aufkommenden Gesamtdarstellungen zum Zivilprozess, den Ordines iudiciorum oder iudiciarus.554 Sie zeichneten sich dadurch aus, dass sie universelles römisches Prozessrecht mit verschiedenen Partikularrechten verbanden. Einige dieser Ordines behandelten das komplette Verfahrensrecht, andere griffen nur bestimmte Elemente auf; entsprechend erreichten manche einen immensen Umfang, während andere nur einen kurzen Überblick in Form eines Kompendiums boten.555 Die frühen Ordines des 12. Jahrhunderts hatten ausschließlich den legistischen Zivilprozess zum Inhalt. Da sich jedoch seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts auch einige Juristenpäpste, besonders Alexander III. (1159–1181) und Innozenz III. (1198–1216), zu diesem Themenbereich äußerten, fanden die entsprechenden päpstlichen Erlasse ebenfalls zunehmend Berücksichtigung. Zentrales Anliegen der Bearbeiter war zunächst die umfassende Darlegung des Zivilprozesses auf Grundlage aller vorliegenden Quellen; als wichtigste dieser Arbeiten ist der um 1216 verfasste Ordo des Tankred zu nennen. In der Folgezeit wurden die Einzelheiten der prozessualen Praxis stärker berücksichtigt, es wurden daher auch Materien behandelt, die nur in loser Beziehung zum eigentlichen Verfahren des Zivilrechts standen.556 Von großer Bedeutung für die alltägliche Praxis an den Gerichten waren genaue Kenntnisse über die in Prozessen zulässigen Beweisarten, nämlich Zeugen und Urkunden, die jeweils auf ihre Aussagekraft und Rechtmäßigkeit hin zu prü-
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Herde, Audientia 1, S. 18 f.; Thumser, Collections, S. 213. Fowler-Magerl, Ordines, S. 16; Nörr, Ordo, S. 330–341; Nörr, Zivilprozess, S. 383. Nörr, Zivilprozess, S. 384 f.; Nörr, Speculum iudiciale, S. 63–65. Fowler-Magerl, Ordines, S. 56; Nörr, Ordo, S. 330–339; Nörr, Zivilprozess, S. 383 f.
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fen waren.557 Aus diesem Grund setzten sich die Verfasser der Prozessdarstellungen auch mit Kriterien auseinander, anhand derer die Echtheit von Urkunden verifiziert werden konnte. Die Ordines waren daher auch nicht Teil der Rechtsvorlesungen an den Universitäten, sondern richteten sich an die Praktiker; sie wurden unter anderem zur Unterrichtung des Nachwuchses in bischöflichen und monastischen Schulen und damit zur Ausbildung zukünftiger Notare und Mitarbeiter in der bischöflichen Gerichtsbarkeit herangezogen.558 Eine deutliche Weiterentwicklung in der Organisation und vor allem auch im Umfang solcher Ordines stellt das Speculum iudiciale des Guillelmus Duranti des Älteren dar, das den eigentlichen Abschluss der Literatur zum Zivilprozessrecht bildet.559 Guillelmus Duranti der Ältere,560 geboren um 1230/31, studierte in Bologna kanonisches Recht und erwarb um 1260 den Titel eines doctor decretorum. An der Kurie war er als päpstlicher Kaplan und Subdiakon tätig, außerdem fungierte er als Auditor generalis causarum sacri palatii, und zwar sowohl unter Clemens IV. (1265–1268) als auch unter Gregor X. (1271–1276). Er war damit einer der obersten Entscheidungsträger der kirchlichen Gerichtsbarkeit und eng mit der Entwicklung der römischen Rota verbunden.561 Während seiner Zeit als Generalauditor unter Clemens IV. sammelte Duranti praktische Erfahrungen in der kurialen Arbeitsweise, sowohl im Hinblick auf die juristische Praxis als auch in Bezug auf die Ausfertigung, die Gestaltung und den Stil der aus den Verfahren resultierenden Urkunden. Diese Kenntnisse brachte er unter anderem in sein Speculum ein, in dem daher an verschiedenen Stellen der Papstname Clemens erscheint, auch die in den Beispielurkunden angegebenen Datierungen verweisen gewöhnlich auf die Regierungszeit dieses Papstes.562 Duranti wurde schließlich auch zum rector et capitanus generalis im Patrimonium Petri ernannt; als solcher hatte er die zivile wie auch die geistliche Verwaltung und Gesetzgebung in Teilen des Kirchenstaates inne, agierte aber auch als Diplomat und Befehlshaber der päpstlichen Truppen.563
557 Fowler-Magerl, Ordines, S. 44–47. 558 Fowler-Magerl, Ordines, S. 25, 79–99. 559 Gaudemet, Introduction, S. 17 f.; Nörr, Zivilprozess, S. 385. 560 Zur korrekten Namensform, die in der Forschung umstritten ist, vgl. Heckel, Kanzleianweisung, S. 110 f. Anm. 4; Lange/Kriechbaum, Recht, S. 478; Schulte, Geschichte, S. 144. 561 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, S. 204–207; Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1015– 1019; Gaudemet, Durand, Guillaume, S. 82 f.; Gaudemet, Introduction, S. 13 f.; Lange/ Kriechbaum, Recht, S. 478−480; Schulte, Geschichte, S. 144 f.; Nörr, Duranti, S. 320– 333; Verger, Juristes, S. 48. 562 Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1046–1050; Heckel, Kanzleianweisung, S. 112; Nörr, Duranti, S. 320 f. 563 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, S. 209–211; Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1022– 1025; Gaudemet, Durand, Guillaume, S. 83 f.; Gaudemet, Introduction, S. 14 f.; Lange/ Kriechbaum, Recht, S. 480; Schulte, Geschichte, S. 146; Verger, Juristes, S. 48.
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1285 wurde er zum Bischof von Mende gewählt, am 1. November 1296 starb er in Rom.564 Auf Basis seines Praxiswissens verfasste Duranti zahlreiche Abhandlungen zu den unterschiedlichsten Themenkomplexen der Kanonistik und Theologie. Besonders hervorzuheben sind das Breviarium oder Repertorium zum kanonischen Recht sowie sein Kommentar zu den Konstitutionen des Konzils von Lyon. Daneben schuf er auch theologische und liturgische Werke, beispielsweise ein Rationale divinorum officiorum und ein Pontificale.565 Als sein wichtigstes und größtes Werk gilt jedoch des Speculum iudiciale, dem er auch seinen Beinamen Speculator verdankt.566 Durantis Speculum behandelt die gesamte Materie des römisch-kanonischen Prozesses und beschreibt sowohl die institutionellen als auch die verfahrensrechtlichen Aspekte der zivil- und strafrechtlichen Verwaltung. Der Jurist wollte seine Leser vor allem mit dem Formelwesen der Papsturkunden vertraut machen, dessen Kenntnis entscheidend für einen erfolgreichen Prozess vor einem kirchlichen Gericht sein konnte. Das Speculum ist daher als praktisches Hilfsmittel für jene Personen konzipiert, die sich in der Praxis mit der römisch-kanonischen Rechtsprechung auseinandersetzen mussten, also vor allem Richter, Prokuratoren und Notare, aber auch Prozessführende oder geladene Zeugen.567 Auch aufgrund seiner Veröffentlichung durch die Universität Bologna sowie dank der späteren Kommentierung durch einflussreiche Juristen und der Beigabe eines Registers behielt das Speculum seine Bedeutung als eine der einflussreichsten und meistgenutzten juristischen Abhandlungen bis ins späte Mittelalter und verbreitete sich durch den aufkommenden Buchdruck noch weiter. Erst im Laufe des 17. Jahrhunderts verlor es seinen Status als zentrales Werk zum Prozessrecht.568 Bekannt sind heute etwa 130 mittelalterliche Handschriften des Speculum.569 Das Speculum iudiciale ist in vier Teile gegliedert. Der erste behandelt die an einem Prozess beteiligten Personen, der zweite Zivilprozesse, der dritte strafrechtliche Verfahren. Der vierte Abschnitt schließlich bietet Formeln und Beispieltexte 564 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, S. 211 f.; Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1021–1029; Gaudemet, Durand, Guillaume, S. 83–85; Gaudemet, Introduction, S. 15–17; Lange/ Kriechbaum, Recht, S. 481; Schulte, Geschichte, S. 146 f.; Verger, Juristes, S. 48 f. 565 Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1052–1061; Gaudemet, Durand, Guillaume, S. 85–87; Schulte, Geschichte, S. 152–156. 566 Gaudemet, Introduction, S. 17. 567 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, S. 212 f.; Colli, Speculum iudiciale, S. 517 f.; Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1035; Gaudemet, Durand, Guillaume, S. 85; Gaudemet, Introduction, S. 17; Heckel, Kanzleianweisung, S. 111. 568 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, S. 224 f.; Colli, Speculum iudiciale, S. 519; Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1050–1052; Gaudemet, Durand, Guillaume, S. 85; Gaudemet, Introduction, S. 18; Lange/Kriechbaum, Recht, S. 486; Schulte, Geschichte, S. 152. 569 Bertram, Commentaire, S. 103; Colli, Speculum iudiciale, S. 535.
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für diverse Arten von Rechtsdokumenten.570 Der Text mit Angaben zu den äußeren Merkmalen päpstlicher Urkunden findet sich im zweiten Buch unter dem Titel De rescripti praesentatione, receptione et impugnatione.571 Das ausführliche alphabetische Register, das dem Speculum in späteren Drucken häufig beigefügt wurde, wird meist als Inventarium oder Repertorium bezeichnet. Es wurde von Berengar Fredoli erarbeitet, der unter Clemens V. Großpönitentiar war, und bereits im Jahr 1306 fertiggestellt. Es erleichterte die Handhabung des umfangreichen Werkes deutlich und trug damit sicherlich zu seiner weiten Verbreitung bei.572 Einige Schlagworte des Inventariums verweisen auch auf die Ausstattungsregeln für Papsturkunden.573 Inhaltlich von größerem Interesse sind aber die beiden Kommentare zum Speculum, die im Laufe des 14. Jahrhunderts entstanden. Der erste stammt von Johannes Andreae, dem berühmten Dekretalisten und Lehrer des kanonischen Rechts.574 Seine Additiones ad speculum iudiciale Guilelmus Durantis, vollendet um 1346/47, sind eine fortlaufende Kommentierung zu den Inhalten des Speculum, die fehlende Fundstellen nachweist, Fehler berichtigt und kontroverse Rechtsfragen aufarbeitet. Die Erläuterungen fassen die gesamte kanonistische Lehre der Mitte des 14. Jahrhunderts zusammen und steigern damit den inhaltlichen Wert des Speculum noch einmal beträchtlich.575 Auch den Abschnitt zur 570 Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1035 f.; Gaudemet, Durand, Guillaume, S. 85; Gaudemet, Introduction, S. 18; Lange/Kriechbaum, Recht, S. 484 f.; Nörr, Zivilprozess, S. 394; Schulte, Geschichte, S. 149 f. Eine ausführliche Inhaltsangabe findet sich bei Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, S. 213–220. 571 Druck: Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb f.; Heckel, Kanzleianweisung, S. 115 f. Heckels Text beruht auf sechs Münchner Speculum-Handschriften, die er mit der Frankfurter Ausgabe des Speculum von 1592 abglich. Die Buchstabenbeispiele, die in den von ihm benutzten Handschriften oft nicht entsprechend wiedergegeben wurden und sich nicht als anschauliche Beispiele eigneten, übernahm er aus Originalurkunden Clemens’ IV.; vgl. Heckel, ebd., S. 114 f. Im Folgenden wird vorrangig auf Heckels Edition und dessen zweckmäßige Paragrapheneinteilung zurückgegriffen, der Nürnberger Wiegendruck des Speculum wird aber zum Vergleich herangezogen. 572 Schulte, Geschichte, S. 180–182; Wouw, Frédol, Berengar, Sp. 885. 573 Berengarius Fredoli, Inventarium, fol. 19v, zum Stichwort Bulla: Qualis debeat esse bulla pape et quod debeat continere, et qualiter collatio bullarum fiat: tit. De rescripti presentatione § III ver. „fiet autem“. Ebd. fol. 43v, zum Stichwort Falsitas: Quibus modis falsitas rescripti appellationis cognoscatur: tit. De rescripti presentatione § III quasi per totum, et valent que ibi notantur ad cog noscendum falsitatem aliarum scripturarum. Ebd. fol. 62v, zum Stichwort Littera: Cuius forme debeant esse littere curie ratione, ut ex forma littere falsitas cognoscatur: tit. De rescripti presentatione § III ver. „et quoniam“ et ver. „item circa lineas“. 574 Schulte, Geschichte, S. 205–221; Lange/Kriechbaum, Recht, S. 659–661; Tamba, Gio vanni, S. 667–671; Stelling-Michaud, Jean d’André, Sp. 89 f.; Zapp, Johannes Andreae, Sp. 555; Kuttner, Joannes, S. 395−399. 575 Kuttner, Joannes, S. 398−407; Lange/Kriechbaum, Recht, S. 662 f.; Schulte, Geschichte, S. 221–223; Tamba, Giovanni, S. 671; Stelling-Michaud, Jean d’André, Sp. 91.
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Urkundenausstattung bereichern die Anmerkungen Andreaes um einige interessante Aspekte.576 Der Urheber des zweiten Kommentars ist Baldus de Ubaldis, Verfasser zahlreicher Abhandlungen des kanonischen wie auch des zivilen Rechts. Seine Additiones zum Speculum iudiciale sind stark römisch-rechtlich orientiert und behandeln vor allem die notarielle Praxis,577 zur Gestaltung der Urkunden trug er hingegen keine Ergänzungen bei. Das Speculum selbst ist in großen Teilen ein kompilatorisches Werk, es vereint heterogene Materialien und enthält ganze Abhandlungen anderer Autoren.578 Angestrebt wurde die Verarbeitung aller verfügbaren Fakten zum mittelalterlichen Recht.579 Duranti bezog sich dafür vorwiegend auf die ihm vertraute Rechtspraxis der römischen Kurie sowie auf Sammlungen römischen und kanonischen Rechts, griff aber auch auf Schriften seiner Zeitgenossen, vor allem aus dem italienisch- und französischsprachigen Raum, zurück.580 Zum Vorwurf wurde ihm gemacht, dass er seine Quellen in vielen Fällen nicht benannte und Übernahmen aus anderen Schriften nicht als solche kennzeichnete, was jedoch nicht unüblich und für derartige Nachschlagewerke durchaus zweckmäßig war.581 Schon der Titel verweist darauf, dass Durantis Abhandlung zum Prozessrecht der seit dem 12. Jahrhundert gebräuchlichen Literaturgattung der specula zuzuordnen ist, die sich zum einen durch die umfassende Behandlung eines Themas, zum anderen durch ihren Florilegien-Charakter auszeichnet.582 Die Zusammenstellung von verschiedenen Texten und Themen in derartigen Kompilationen führte allerdings, wie auch im Falle des Speculum, zu einer gewissen Unübersichtlichkeit und Unordnung des Materials, zu Wiederholungen, inhaltlichen Widersprüchen und einer mangelhaften Systematik.583 In Durantis Werk ist dies auch darauf zurückzuführen, dass er seine Arbeitsmaterialien durch Kopisten abschreiben ließ und dann die fertigen Abschriften bearbeitete. Auch die an vielen Stellen in den Text eingefügten Querverweise kön576 Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb f. 577 Chevrier, Baldi de Ubaldis, Sp. 39–44; Lange/Kriechbaum, Recht, S. 750–792; Schulte, Geschichte, S. 275–277; Weimar, Baldus de Ubaldis (LexMA), 1375 f.; Weimar, Baldus de Ubaldis (HRG), Sp. 410–412. 578 Colli, Speculum iudiciale, S. 517; Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1041; Gaudemet, Durand, Guillaume, S. 85. 579 Nörr, Zivilprozess, S. 394; Schulte, Geschichte, S. 150. 580 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, S. 220–222; Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1039, Sp. 1043 f.; Gaudemet, Durand, Guillaume, S. 85; Gaudemet, Introduction, S. 18; Lange/ Kriechbaum, Recht, S. 485 f.; Nörr, Zivilprozess, S. 394. 581 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, S. 222 f.; Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1042 f.; Gaudemet, Introduction, S. 18; Kuttner, Joannes, S. 404; Nörr, Speculum iudiciale, S. 66; Schulte, Geschichte, S. 150 f. 582 Lange/Kriechbaum, Recht, S. 415−419. 583 Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1037; Gaudemet, Introduction, S. 18; Lange/Kriechbaum, Recht, S. 482 f.
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nen die so entstandenen Gegensätze nicht auflösen, da sie oft über viele Stationen letztlich nur zum Ausgangspunkt zurückführen.584 Auch die Regeln zur Urkundengestaltung wurden nicht von Duranti selbst verfasst, sie entsprechen nicht seinem Schreibstil.585 Der Text selbst nennt als Quelle den modus curie.586 In der Tat griff Duranti für Teile des Speculum iudiciale, besonders für die Titel De rescripti praesentatione und De appellatione, auf Formelbücher aus dem Umfeld der Kurie zurück. Beispielsweise übernahm er zwei Abhandlungen zu päpstlichen Justizbriefen, De revocatoriis und Optime conclusiones super revocatoriis, direkt aus kurialen Quellen.587 Als eine weitere Vorlage vermutete Heckel eine unbekannte Frühversion des Formularium audientiae. Dass es sich dabei um ein für Skriptoren konzipiertes Nachschlagewerk handelte, schloss er aus den im Speculum überlieferten Regeln zur äußeren Gestaltung der Urkunden.588 Herde vertrat ebenfalls die Ansicht, dass die Gestaltungsregeln aus einem solchen Formelbuch kopiert wurden, da Duranti auch für die im Speculum enthaltene Formelsammlung nachweislich auf Vorlagen aus dem Umfeld der Audientia zurückgriff. Die Tatsache, dass das zugrunde liegende Formularium nicht identifiziert werden konnte, wertete Herde als Beweis, dass zu dieser Zeit verschiedene Redaktionen solcher Regularien im Umlauf waren.589 Tatsächlich zeigt der Abgleich der im Speculum überlieferten Ausstattungsvorschriften mit denjenigen in der Handschrift Durrieu, dass beide in weiten Teilen sowohl inhaltlich als auch wörtlich übereinstimmen. Duranti muss demnach ein der Handschrift Durrieu sehr ähnliches Formelbuch als Vorlage benutzt haben.590 Die wichtigsten Unterschiede zwischen beiden Textvarianten liegen darin, dass die einzelnen Regeln in anderer Reihenfolge angeordnet und die Ausführungen zur Datierung im Speculum wesentlich detaillierter sind, außerdem wurden Hinweise zur Gestaltung von Privilegien ergänzt.591 Als päpstlicher Subdiakon und Kaplan sowie als Generalauditor der Rota stand Duranti in enger Verbindung zur Audientia publica und hatte jederzeit Zugang zu den Nachschlagewerken und Formelsammlungen der päpstlichen Kanzlei.592 Zusammenfassend kann demnach mit ho584 Nörr, Speculum iudiciale, S. 66–68. 585 Heckel, Kanzleianweisung, S. 111. 586 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 1: Nota, quod [secundum modum curie] littera debet esse […]. Mit der eckigen Klammer markiert Heckel die „Worte Durantis“, die nicht Teil der Vorlage Durantis waren; vgl. Heckel, Kanzleianweisung, S. 115. 587 Heckel, Kanzleianweisung, S. 111; Herde, Audientia 1, S. 70 f. 588 Heckel, Kanzleianweisung, S. 111 f. 589 Herde, Audientia 1, S. 71–74; vgl. auch Fowler-Magerl, Ordines, S. 69; Nörr, Duranti, S. 322. 590 Heckel, Verordnung, S. 301 f. Anm. 71; Tessier, Note, S. 363. 591 Tessier, Note, S. 363. 592 Herde, Audientia 1, S. 71; Lange/Kriechbaum, Recht, S. 485.
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her Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die im Speculum überlieferten Ausstattungsregeln einer Frühform des Formularium audientiae entnommen wurden, die der Überlieferung in der Handschrift Durrieu sehr ähnlich war, und damit aus der päpstlichen Kanzlei selbst hervorgingen.593 Inhaltlich ist der Text grob systematisch gegliedert. Der erste, wesentlich längere Teil enthält Vorschriften zur Gestaltung der päpstlichen litterae. Er behandelt zunächst den Beschreibstoff der Urkunden und geht dann auf die Gestaltung einzelner Buchstaben ein, es folgen einige Anmerkungen zur Schreibweise einzelner Worte und zur Verwendung von Abkürzungen. Den Abschluss bilden verhältnismäßig ausführliche Vorschriften zur Gestaltung der Datierung in Papstbriefen. Ein zweiter, sehr knapp gehaltener Abschnitt zu Privilegien behandelt ausschließlich deren Protokoll und den letzten Satz des Kontextes. Heckel teilte die relativ kurze Anweisung zur Urkundenausstattung für seinen Druck dem Inhalt entsprechend in 17 Paragraphen auf, die jeweils aus maximal zwei Sätzen bestehen.594 Bemerkenswert ist die Auswahl der in den Regeln behandelten äußeren Merkmale. Viele der auffälligsten Charakteristika der Briefe und Privilegien werden nicht erläutert oder gar erwähnt, den kennzeichnenden Unterschieden zwischen litterae cum filo canapis und litterae cum serico, die sich in der Praxis bereits im späten 12. Jahrhundert etabliert hatten, wird beispielsweise gar keine Aufmerksamkeit geschenkt. Besonders spärlich sind die Vorschriften zur Gestaltung der Privilegien, Angaben zu den aufwendigen graphischen Unterfertigungszeichen fehlen vollständig. Eine Erklärung für diese Tatsache schlug Heckel vor. Wie in vielen anderen Kanzleianweisungen seien auch in dieser nur solche Vorschriften aufgezeichnet worden, gegen die häufig oder gerade zur Zeit der Aufzeichnung in auffälligem Maße verstoßen wurde. Die grundlegenden Gewohnheiten und Vorschriften zur Gestaltung päpstlicher Urkunden seien demnach als durch Tradition und Ausbildung bekannt vorausgesetzt worden.595 Ob die Skriptoren tatsächlich größere Probleme mit der Gestaltung einzelner Buchstaben der kurialen Minuskel als mit der Ausführung der anspruchsvollen Unterfertigungen der Privilegien hatten, sei dahingestellt. Hinsichtlich der detaillierten Regelungen zur Datierung der litterae erscheint diese Begründung zutreffend, es lässt sich aber auch noch eine weitere Erklärung für die Zusammenstellung der Regeln anführen. Das Hauptaugenmerk dieser Ausstattungsvorschriften scheint auf der Abgrenzung der litterae von den Privilegien zu liegen. Neben den Vorgaben zur Textschrift, die so allgemein gehalten sind, dass sie sowohl auf beide Arten der litterae als auch auf Privilegien angewendet werden konnten, werden nämlich vor allem solche 593 Heckel, Kanzleianweisung, S. 112; Herde, Audientia 1, S. 71. 594 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115 f. 595 Heckel, Kanzleianweisung, S. 114.
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Merkmale behandelt, deren Gestaltung für die beiden Urkundengattungen jeweils unterschiedlich gehandhabt werden musste. Explizit benannt wird das Querformat der litterae (für die Privilegien des 13. Jahrhunderts wurde ein Hochformat genutzt596), die kleine Datierung der Briefe wird im Detail beschrieben (in Privilegien steht standardmäßig die große Datierung), außerdem wird die Formulierung der Protokollzeile in den Privilegien (die sich in Inhalt und Ausstattung deutlich vom Protokoll der litterae unterscheidet) sowie das dreifache Amen behandelt, das deren Kontext beschließt (und in den Briefen nicht vorkommt). Diese Angaben zu den grundlegenden Ausstattungsunterschieden zwischen den beiden Urkundenarten dürften für die alltägliche Arbeit derjenigen Skriptoren sehr nützlich gewesen sein, die mit den Schreibarbeiten sowohl für litterae als auch für Privilegien betraut wurden.597 Als Urheber dieser Bearbeitung der Gestaltungsvorschriften kommen demnach, genau wie bei der Handschrift Durrieu, nur Mitarbeiter der päpstlichen Kanzlei in Frage, die direkt mit der Urkundenherstellung in Verbindung standen.598 Inhalt und Aufbau lassen darauf schließen, dass die Regeln auf Grundlage des bereits vorhandenen Textkorpus sowie eigener Erfahrungen als Hilfsmittel für die Praxis erarbeitet wurden. Die Initiative dafür dürfte entweder von der Kanzleileitung oder auch von einzelnen Kanzleibediensteten ausgegangen sein, welche die vorhandenen Regeln selbstverantwortlich oder unter Anleitung des Vizekanzlers und/oder des Auditors an ihre individuellen Bedürfnisse anpassten. In jedem Fall können für diese Version der Ausstattungsregeln grundsätzlich Skriptoren als Zielgruppe angenommen werden, während als Adressaten der Fassung in der Handschrift Durrieu die Kontrollinstanzen der Kanzlei, Notare und Abbreviatoren, identifiziert werden konnten. Die Aufnahme dieser speziellen Variante der Gestaltungsregeln in das Speculum könnte ein Indiz dafür sein, dass sie unter den Skriptoren der Kanzlei eine gewisse Verbreitung erfahren hatte und deshalb von Duranti ausgewählt wurde. Da die Gestaltungsvorschriften ausschließlich im Kontext des Speculum iudiciale überliefert sind, kann dessen Entstehungsszeit als Anhaltspunkt für die zeitliche Verortung dieser Bearbeitung des Regeltextes dienen.599 Das um 1284 angelegte 596 Bischoff, Urkundenformate, S. 62; Herde, Beiträge, S. 58; vgl. unten Kapitel 4.4.6.1, S. 238. 597 Zu den Vorgaben zur Privilegiengestaltung in den Ausstattungsvorschriften im Speculum iudiciale siehe unten Kapitel 4.4.1, S. 204. 598 Heckel, Kanzleianweisung, S. 114. 599 Ausgehend von einer Stelle in den Additiones des Johannes Andreae herrschte in der Forschung lange Zeit die Überzeugung vor, das Speculum sei in zwei Ausgaben erschienen; vgl. Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1029–1032; Gaudemet, Durand, Guillaume, S. 85; Heckel, Kanzleianweisung, S. 112 f.; Lange/Kriechbaum, Recht, S. 483 f.; Bertram, Commentaire, S. 103 f. Es wurde angenommen, dass das Speculum in seiner ersten Fassung zwischen dem 28. Oktober 1271, dem Tod des Hostiensis, und dem 11. Juli 1276, der Papstwahl des Ottobonus, fertiggestellt wurde; vgl. Heckel, Kanzleianweisung, S. 112; Gaudemet, Introduction, S. 17. Für die
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Autograph600 des Speculum lässt darauf schließen, dass Duranti die Arbeit daran während seiner Zeit als Auditor in Rom begann und dann bis zu seinem Tod im Jahr 1296 konsequent fortsetzte.601 Die Vorgaben zur Ausstattung von Papsturkunden gehörten zum Grundbestand und waren bereits in der ältesten bekannten, spätestens 1276 fertiggestellten Fassung enthalten,602 sie müssen demnach vor diesem Stichjahr aufgezeichnet worden sein. In der Literatur wurde ihre Entstehung aufgrund der Nennung des Papstnamens Clemens in den Beispielen zur Urkundenausstattung in den Pontifikat Clemens’ IV. (1265–1268) datiert.603 Analog zur früheren Version des Textes in der Handschrift Durrieu kann jedoch auch in diesem Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Anpassung und Verschriftlichung der Regeln in der auf den Tod Clemens’ IV. folgenden Vakanz erfolgte, da sich die Kanzleimitarbeiter aufgrund des ruhenden Geschäftsbetriebs solchen Aufgaben widmen konnten.604 Während der dreijährigen Sedisvakanz wurden schließlich keine päpstlichen Urkunden ausgefertigt, und auch die Fortführung des Registers wurde eingestellt; allerdings ließen die Kardinäle zahlreiche Schreiben ausfertigen.605 Möglicherweise blieb der größte Teil des Kanzleipersonals auch aus diesem Grund während der gesamten drei Jahre in Viterbo und damit im Umfeld der Kurie,606 denn gerade die Skriptoren, die aufgrund der Einstellung der Kanzleigeschäfte über keine regelmäßigen Einnahmen verfügten,607 konnten durch die Mitwirkung an den Kardinals urkunden Einkommen generieren. Da die Mitarbeiter der Kanzlei mehr oder weniger geschlossen vor Ort verweilten, waren die Voraussetzungen für die Erarbeitung einer aktualisierten Fassung der Ausstattungsvorschriften besonders gut. Darüber hinaus übte der Vizekanzler Michael von Toulouse sein Amt auch während der
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Entstehung der zweiten Redaktion wurden davon ausgehend verschiedene Datierungsvorschläge gemacht, Schulte, Geschichte, S. 148 f., verortete sie spätestens 1287. Heckel, Kanzleianweisung, S. 113, vermutete dagegen, dass sie in den Jahren 1287–1291 abgeschlossen wurde, erkannte jedoch auch, dass es sich bei dieser „zweiten Ausgabe“ nicht um eine vollständige Umarbeitung handelte, sondern lediglich größere und kleinere Zusätze in den im Wesentlichen unverändert gebliebenen Text eingearbeitet wurden; vgl. auch Falletti, Guillaume Durand, Sp. 1031 f. Bertram, Commentaire, S. 103 f., zog schließlich auf dieser Grundlage die Existenz einer zweiten Ausgabe in Zweifel. Paris, Bibliothèque Nationale de France, Ms. lat. 4255; vgl. Colli, L’apografo, S. 273–275; Colli, Speculum iudiciale, S. 522–525. Colli, L’apografo, S. 271–277; Colli, Speculum iudiciale, S. 519–534. Heckel, Kanzleianweisung, S. 113 f. Heckel, Kanzleianweisung, S. 114; Herde, Audientia 1, S. 71. Siehe oben Kapitel 4.3.1, S. 109. Fischer, Kardinäle im Konklave, S. 10 f.; Fischer, Kontinuität, S. 332. Zur teilweisen Weiterführung der Amtsgeschäfte durch die Kardinäle vgl. auch Fischer, Kardinäle im Konklave, S. 361–365. Fischer, Kontinuität, S. 333; Fischer, Kardinäle im Konklave, S. 331 Anm. 312. Fischer, Kardinäle im Konklave, S. 331.
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Sedisvakanz weiter aus und war als Vertreter der Kardinäle an den Verhandlungen mit der Stadt Viterbo beteiligt.608 Auch der Posten des Auditor litterarum contradictarum blieb mit Bartholomäus von Amiens in der papstlosen Zeit besetzt.609 Eine Beteiligung der beiden hochrangigen Amtsträger an der Erarbeitung dieser Version des Regeltextes ist daher durchaus vorstellbar. Insgesamt waren die Jahre 1268 bis 1271 allerdings eine sehr instabile Zeit für die päpstliche Kurie. Die generellen Risiken und Herausforderungen, die jede Vakanz mit sich brachte, wurden durch konkrete Krisensituationen verschärft. Der grundsätzliche Dissens zwischen den Kardinälen und ihre mangelnde Einigungsbereitschaft sowie die Einflussnahme externer Kräfte, vorrangig Karls von Anjou, auf die Papstwahl resultierten in der langen Dauer der papstlosen Zeit. Diese wurde inner- wie außerhalb der Kurie zunehmend als Gefahr für die Stabilität der Gesamtkirche betrachtet, was in einer äußerst negativen Außenwahrnehmung der Kirchenführung resultierte.610 Die vielfältigen Konflikte zwischen der Kurie und der Stadt Viterbo führten außerdem zu Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Kardinäle, sie wurden sogar mehrfach im Papstpalast eingeschlossen.611 Mit Gregor X. einigte man sich schließlich auf einen Elekten, der sich zum Zeitpunkt seiner Wahl auf Kreuzzug im Heiligen Land befand, so dass der zeitliche Horizont wie auch die Umstände seiner Rückkehr nach Italien zunächst unwägbar blieben.612 Zusammengenommen erzeugten diese Faktoren eine schwierige Situation für die päpstliche Kanzlei und ihr Personal, das über mehrere Jahre nicht absehen konnte, wann, an welchem Ort und in welcher personellen Konstellation es seine geregelte Arbeit wieder aufnehmen würde. Vor diesem Hintergrund diente die Aufzeichnung der Ausstattungsvorschriften für die zwei zu dieser Zeit üblichen Arten von Papsturkunden wahrscheinlich wiederum vor allem der Konsolidierung und Bewahrung der etablierten Gewohnheiten auch über eine instabile Phase hi naus. Die Verschriftlichung war notwendig, damit die zu dieser Zeit bereits weitestgehend unabhängig agierenden Skriptoren auf die Aufzeichnungen zurückgreifen, sich eigene Abschriften anfertigen und diese ihrem eigenen Wissenstand und ihren eigenen Zuständigkeiten entsprechend adaptieren konnten. Als wahrscheinlichste
608 Fischer, Kontinuität, S. 331 f. Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 252, und Nüske, Untersuchungen (1974), S. 67 f., gaben 1268 als Ende der Amtszeit des Michael von Toulouse an. 609 Herde, Audientia 1, S. 76; Fischer, Kontinuität, S. 331 Anm. 29; Nüske, Untersuchungen (1974), S. 133 f.; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 284 Anm. 1. 610 Nico Ottaviani/Rizzi, Conclave, S. 186 f.; Haller, Papsttum 5, S. 20; Fischer, Kardinäle im Konklave, S. 397–409. 611 Nico Ottaviani/Rizzi, Conclave, S. 187–192; Haller, Papsttum 5, S. 20 f.; Fischer, Kardinäle im Konklave, S. 310–334. 612 Baldwin, Pope Gregory X, S. 15–19, 34–39; Haller, Papsttum 5, S. 23 f.; Fischer, Kardinäle im Konklave, S. 408 f.
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Entstehungszeit der im Speculum überlieferten Version der Gestaltungsvorgaben können demnach die Jahre 1268 bis 1271 gelten. Es bleibt festzuhalten, dass die Ausstattungsvorschriften in der Handschrift Durrieu und diejenigen im Speculum iudiciale derselben Tradition angehören und unterschiedliche Bearbeitungen desselben Grundstocks an Regeln darstellen, der an der Kurie kursierte. Wahrscheinlich wurde aber keine dieser Fassungen jemals als „offizieller“ Vorschriftenkatalog approbiert. Die inhaltlichen Varianten und die daraus abzulesenden unterschiedlichen Zielgruppen der beiden Überlieferungen könnten darauf hindeuten, dass es sich um „private“ Aufzeichnungen handelte.613 Andererseits kann jedoch beiden Texten aufgrund der gemeinsamen Basis, der möglichen Beteiligung von Vizekanzler und Auditor bei ihrer Abfassung und auch ihrer Überlieferungsgeschichte durchaus ein wenigstens „halboffizieller“ Charakter zugesprochen werden. Diese Interpretation wird auch dadurch gestützt, dass die Gestaltungsvorgaben in den späteren Formelbüchern der Audientia, die im Folgenden betrachtet werden, auf die in diesen beiden Quellen greifbare Grundlage zurückgehen.614 4.3.3 Vulgataredaktion des Formularium audientiae Zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstand eine grundlegende und richtungsweisende Neubearbeitung des Formularium audientiae, die alle vorherigen Formelsammlungen der Audientia ablöste und für die Kanzlei über mehrere Jahrzehnte maßgeblich blieb. Herde bezeichnete diese Fassung des seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts greifbaren Formelbuches als „Vulgataredaktion“. Genau wie ihre Vorläufer ist sie als Hilfsmittel für die Mitarbeiter der päpstlichen Kanzlei konzipiert und wurde auf die alltäglichen Anforderungen der Kanzleiarbeit zugeschnitten.615 Die Vulgataredaktion setzt sich aus einem Theorie- und einem Praxisteil zusammen. Der einleitende theoretische Part besteht aus einer umfassend überarbeiteten Version der Regeln zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden und einer Sammlung von Notulae, in einem Teil der überlieferten Handschriften findet sich außerdem ein kurzes Regel- und Formelbuch für Notare. Daran schließt sich der praktische Teil in Form einer umfangreichen Formelsammlung an, die grob systematisch nach juristischen Sachbetreffen gegliedert ist.616 Auch diese Fassung des Formularium weist damit, analog zu der in der Handschrift Durrieu überlieferten
613 Zum privaten Charakter der Aufzeichnungen aus dem Umkreis der päpstlichen Kanzlei und Kurie im 13. Jahrhundert vgl. Vones, Formelbüchern, S. 404 f. 614 Tessier, Note, S. 369 f.; Pfeiffer, Untersuchungen, S. 5. 615 Herde, Audientia 1, S. 12; Heckel, Verordnung, S. 299. 616 Herde, Audientia 1, S. 185.
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älteren Version, die gleiche inhaltliche Struktur auf wie die Artes dictandi, ohne jedoch inhaltlich an diese anzuknüpfen.617 Die Vorschriften und Formeln sowohl der Frühform als auch der Vulgataredaktion des Formularium audientiae behandeln vornehmlich Delegationsreskripte. Anhand solcher litterae cum filo canapis delegierte der Papst seine kirchenrechtliche Zuständigkeit an untergeordnete Instanzen, damit diese die entsprechenden Verfahren vor Ort einleiten konnten. Im Laufe des 13. Jahrhunderts bildeten sich für die gebräuchlichsten dieser gewöhnlich in der Audientia zu verlesenden Reskripte standardisierte Formulare heraus, die im Formularium zusammengestellt wurden.618 Daneben beinhaltet die Sammlung aber auch einige Formeln für als litterae cum serico auszufertigende Gnadensachen, darunter allgemeine Besitzbestätigungen, Aufnahmen in den päpstlichen Schutz, Schutzbriefe für Kreuzfahrer, Schiedssprüche und Vergleiche.619 Die Anweisungen zur äußeren Ausstattung, die in den meisten Handschriften über keinen Titel verfügen,620 berücksichtigen ausdrücklich beide Arten von litterae und behandeln im Einzelnen die Gestaltung des Protokolls und der Textschrift, den zu verwendenden Beschreibstoff und die Liniierung sowie in besonders ausführlicher Weise die Datierung der Papstbriefe. Das Hauptaugenmerk liegt dabei eindeutig auf denjenigen Merkmalen, die seit dem späten 12. Jahrhundert der äußeren Differenzierung von Hanf- und Seidenschnurbriefen dienten. Diese Verlagerung des inhaltlichen Fokus der Gestaltungsvorschriften im Gegensatz zu den Vorgängerversionen spiegelt die organisatorische Neustrukturierung der Kanzlei, die sich bereits im Lauf des 13. Jahrhunderts anbahnte, im 14. Jahrhundert aber endgültig feste Gestalt annahm. Die Expeditionswege von Justiz- und Gnadenbriefen wurden zunehmend separiert, bis schließlich die Notare und Abbreviatoren nur noch für 617 Siehe oben Kapitel 4.3.1, S. 111. 618 Herde, Audientia 1, S. 181–185; Herde, Delegationsgerichtsbarkeit, S. 20–24. 619 Herde, Audientia 1, S. 413–429; Herde, Delegationsgerichtsbarkeit, S. 39; Barraclough, Audientia, Sp. 1393; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 270. 620 Eine Handschrift (Vat. lat. 6332, siehe unten S. 134) enthält eine Inhaltszusammenfassung als Überschrift, und ein weiteres Manuskript, das nicht von einem Schreiber aus dem Umfeld der Kanzlei angelegt wurde (Handschrift im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, siehe unten S. 136), bietet den Titel Regule secrete cancellarie domini nostri pape; vgl. Herde, Audientia 2, S. 5. Als regule secrete cancellarie wurden gewöhnlich die päpstlichen Kanzleiregeln bezeichnet (siehe unten Kapitel 4.6.2, S. 291), es ist daher anzunehmen, dass der Schreiber der Handschrift, der mit der Materie nicht vertraut war, die Ausstattungsvorschriften fälschlicherweise für Kanzleiregeln hielt. Dass diese Überschrift ein Hinweis darauf ist, dass die Ausstattungsvorschriften im Formularium audientiae vor der interessierten Öffentlichkeit geheim gehalten werden sollten, wie Graber, Spurium, S. 125 Anm. 118, annahm, scheint vor diesem Hintergrund unwahrscheinlich. Das Wort secrete beschreibt vielmehr die rein interne, also nicht-öffentliche Ausrichtung der Regelaufzeichnungen. Zum Gegensatz von „öffentlich“ und „nicht-öffentlich“ im Mittelalter vgl. Schubert, Erscheinungsformen, S. 109–111.
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die Justizbriefe (gewöhnlich cum filo canapis) zuständig waren, während die Expedition der Gnadenbriefe (gewöhnlich cum serico) weiterhin dem Vizekanzler und seinen Mitarbeitern unterstand.621 Insgesamt vermittelt die Vulgataredaktion den Eindruck einer systematischen Arbeit, in der alle relevanten Informationen zur Formulierung und Ausfertigung derjenigen Urkunden, die in der Audientia behandelt wurden, umfassend und strukturiert zusammengestellt wurden. Es ist daher davon auszugehen, dass sie nicht auf die Initiative einzelner Kanzleimitarbeiter zurückgeht und als persönliches Arbeitsinstrument angelegt wurde, sondern ihre Abfassung vom leitenden Personal zentral veranlasst, geplant und betreut wurde. Der Vizekanzler und der Auditor litterarum contradictarum, möglicherweise aber auch die Notare dürften entscheidenden Anteil an der Konzeption und Formulierung gehabt haben, besonders in jenen Abschnitten, in denen die Kompetenzen der Audientia definiert werden. Die eigentliche Schreibarbeit übernahmen wahrscheinlich Skriptoren und Abbreviatoren.622 Es ist anzunehmen, dass sie auch beratend tätig waren, zumindest bei der inhaltlichen Ausarbeitung der Vorschriften zur äußeren Urkundengestaltung, da in diesem Bereich weniger juristische Bildung als vielmehr praktische Erfahrung gefragt war. Die theoretischen Ausstattungsregeln sind knapp und präzise formuliert und setzen Grundkenntnisse und Erfahrungen in der Kanzleiarbeit voraus, der Stil ist lehrhaft-autoritär und entspricht Arbeitsanweisungen von Vorgesetzten an Untergebene.623 In erster Linie war das Formularium für Skriptoren bestimmt, welche die Reinschriften im Falle der litterae legendae meist ohne vorherige Erstellung eines Konzeptes direkt auf Basis der eingereichten Bittschrift und der Angaben des Formelbuches erstellten. Doch auch für alle anderen an der päpstlichen Urkundenproduktion beteiligten Personen sowie die an der Kurie tätigen Prokuratoren war das Formularium audientiae als Kompendium der relevanten Kanzleigewohnheiten von großer Bedeutung.624 Die Vulgataredaktion ist in zwei verschiedenen Redaktionsstufen überliefert. Die erste Fassung, in der auch die Vorschriften zur äußeren Gestaltung der päpstlichen litterae bereits enthalten sind, wurde zu Beginn des 14. Jahrhunderts unter Bonifaz VIII. (1294–1303) kompiliert, wahrscheinlich in den Jahren 1302/03.625 Die Zusammenstellung der Formelsammlung und vor allem die Erarbeitung des Regeltextes zur Urkundenausstattung sind vor dem Hintergrund des Amtsverständnisses 621 Meyer, Kanzlei, S. 308 f.; Schwarz, Corrector, S. 149 f.; Schwarz, Organisation, S. 102 f.; Herde, Beiträge, S. 158–160; siehe oben Kapitel 2.2, S. 29. 622 Herde, Audientia 1, S. 169–173. 623 Herde, Audientia 1, S. 185. 624 Heckel, Kanzleianweisung, S. 112; Barraclough, Audientia, Sp. 1394. 625 Herde, Audientia 1, S. 171 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 269; Poole, Lectures, S. 190.
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dieses Papstes und den sich daraus ergebenden Folgen für Kurie und Kanzlei zu betrachten. Bonifaz sah vom Zeitpunkt seiner Wahl an seine Hauptaufgabe darin, die unter seinem Vorgänger eingebüßte Autorität des Papsttums wiederherzustellen und die Verwaltungsstrukturen der Kurie neu zu ordnen. Vor allem galt es, die administrativen und rechtlichen Missstände, die den kurzen Pontifikat Cölestins V. charakterisiert hatten, zu kompensieren und für die Zukunft zu beseitigen.626 Der mit den Gewohnheiten der Kanzlei kaum vertraute Cölestin war bei der Verleihung von Gnadensachen von den Mitarbeitern der Kurie wiederholt hintergangen worden. Der zeitgenössische Vorwurf, der Papst habe besiegelte Blanko-Urkunden in Umlauf gebracht, konnte dagegen anhand der Originale nicht bestätigt werden. Die Kanzlei und ihr Geschäftsgang scheinen grundsätzlich funktional gewesen zu sein, die erhaltenen Urkunden Cölestins entsprechen den zu dieser Zeit gängigen Ausstattungsgewohnheiten und -vorschriften.627 Bonifaz VIII. brachte seinen Anspruch auf die uneingeschränkte Universalherrschaft des Papsttums immer wieder zum Ausdruck und formulierte ihn schließlich im November 1302 in der berühmten Bulle Unam Sanctam.628 Diese theoretischen Forderung zogen seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts in der Praxis einen Ausbau des Delegatwesens, die Ausweitung der päpstlichen Reservationen und die zunehmende Vergabe von Expektanzen nach sich, woraus sich für die Kanzlei ein immer höheres Geschäftsaufkommen ergab.629 Verstärkt wurde dieser Effekt der vermehrten Inanspruchnahme der päpstliche Entscheidungsgewalt sicherlich durch das Heilige Jahr 1300, das, wenn auch zunächst ohne päpstliche Einflussnahme, durch das Versprechen eines vollkommenen Ablasses große Zahlen von Pilgern nach Rom lockte.630 Die Vorstände der päpstlichen Kanzlei und der Audientia hatten in der Folge entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um den zunehmenden Anforderungen an den Kanzleibetrieb und die päpstlichen Urkunden gerecht zu werden. Die Abläufe in der Kanzlei mussten so strukturiert werden, dass diese auch in Krisensi626 Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 99 f. Bereits drei Tage nach seiner Wahl widerrief Bonifaz zahlreiche Provisionen und andere Gnadenbriefe seiner Vorgänger Cölestin V. und Nikolaus IV. und suspendierte mehrere Erzbischöfe und Bischöfe, die durch Cölestin V. ohne die Beteiligung der Kardinäle eingesetzt worden waren; vgl. Herde, Bonifaz VIII., S. 234–237; Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 101–103; Haller, Papsttum 5, S. 100. 627 Herde, Cölestin V., S. 87 f. 628 Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 327–336; Haller, Papsttum 5, S. 180–182; Miethke, Jubeljahr, S. 141–144. 629 Herde, Delegationsgerichtsbarkeit, S. 20–24; Meyer, Pfründenmarkt, S. 270–278; Meyer, Dominus, S. 613–620; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 177–180; Schimmelpfennig, Papsttum, S. 230 f. 630 Zum Heiligen Jahr 1300 und der damit einhergehenden Stärkung des Ansehens und der Stellung des Papstes vgl. Schmidt, Jubeljahr, S. 399–405; Miethke, Jubeljahr, S. 137–139; Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 263–275; Haller, Papsttum 5, S. 134 f.
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tuationen funktionsfähig blieb und der vermehrten Arbeitslast gewachsen war. Gleichzeitig gewann die einheitliche Gestaltung der inneren und vor allem auch äußeren Merkmale der Papsturkunden an Bedeutung, denn durch die zunehmende Standardisierung wurden die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um Fälschungen leichter identifizieren und damit Beeinträchtigungen der päpstlichen Herrschaftsausübung vermeiden zu können. Von jedem Petenten, der an der Kurie eine Urkunde erbat, und auch von weltlichen Herrschern, die im Konflikt mit dem Papsttum standen, sollten die Urkunden als unanfechtbarer Ausdruck des päpstlichen Willens wahrgenommen werden, die Dokumente mussten daher rechtlich einwandfrei und eindeutig als päpstliche Urkunde erkennbar sein. Für die päpstliche Kanzlei, welche die Uniformität der Urkunden zu gewährleisten hatte, waren die Voraussetzungen dafür während des Pontifikats Bonifaz’ VIII. denkbar schlecht. Es war eine turbulente Zeit für das Papsttum: Seit dem Beginn seiner Amtszeit war die Legitimität des Caetani-Papstes umstritten, es gab inner- wie auch außerhalb der Kurie Gerüchte und Diskurse über die Rechtmäßigkeit und die Umstände des Rücktritts seines Vorgängers Cölestin V., die vermehrt in den letzten Jahren des 13. Jahrhunderts um sich griffen.631 Sie wurden vor allem von den durch Bonifaz abgesetzten Kardinälen aus dem konkurrierenden Geschlecht der Colonna forciert, was zu andauernden Kontroversen und im Jahr 1297 zu einem als Kreuzzug deklarierten und siegreichen Feldzug des Papstes gegen die Colonna führte.632 Von permanenten Auseinandersetzungen belastet war auch das Verhältnis Bonifaz’ zu König Philipp IV. von Frankreich. Nachdem ein erster Konflikt wegen der Besteuerung des französischen Klerus zunächst wieder beigelegt werden konnte,633 entzündete sich der Disput erneut an der umstrittenen Gerichtsbarkeit über einen Abt und weitete sich zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über das Verhältnis von Nationalstaat und Papsttum aus, die in den Jahren 1302 bis 1303 ihren Höhepunkt erreichte634 – zu ebenjener Zeit, als das Formularium audientiae erarbeitet wurde. Dass der Papst sich sowohl auf Reisen als auch während seiner Nachtruhe von bewaffneten Rittern beschützen ließ, ist ein klarer Hinweis darauf, dass er aufgrund dieser Konstellationen kontinuierlich um sein Leben fürchten musste.635 Die Arbeit der Kanzlei wurde neben diesen äußeren Faktoren zusätzlich dadurch beeinträchtigt, dass Bonifaz die meisten Winter seiner Amtszeit in Rom verbrachte, während der Sommer aber regelmäßig nach Orvieto, Rieti oder in seine 631 Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 111–127, 253–261. 632 Vian, Bonifacio, S. 218–232; Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 159–200; Haller, Papsttum 5, S. 115–127; Miethke, Jubeljahr, S. 146. 633 Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 139–155; Haller, Papsttum 5, S. 105–115, 120– 124. 634 Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 299–325; Haller, Papsttum 5, S. 151–217; Kay, Ad nostram praesentiam, S. 171–184; Miethke, Jubeljahr, S. 146–149. 635 Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 209.
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Heimatstadt Anagni umzog.636 Die gesamte Kanzlei musste ihn natürlich bei jedem dieser Ortswechsel begleiten,637 was die Etablierung fester Strukturen erschwerte und ständige organisatorische Anpassungen notwendig machte.638 Besonders die Tätigkeit der Audientia wurde durch die häufigen Reisen jedes Mal für mehrere Wochen unterbrochen, besonders im Jahr 1301, als der Papst entgegen den üblichen Gepflogenheiten Rom ohne vorherige Bekanntgabe des genauen Datums verließ.639 Hinzu kam, dass Bonifaz unter schlechter Gesundheit litt und beinahe in jedem Jahr seines Pontifikats schwer erkrankte.640 Das Personal der Kurie konnte daher nie sicher sein, wie lange die Amtszeit dieses Pontifex dauern würde. Diese Umstände hatten nachweislich auch Auswirkungen auf den Personalstand der Kanzlei. Zwar blieb der Großteil der Skriptoren aus der Amtszeit Cölestins auch unter Bonifaz VIII. sowie unter dessen Nachfolger im Amt,641 in der Leitung kam es aber zu häufigen Wechseln. Direkt zu Beginn seines Pontifikats besetzte Bonifaz den Posten des Vizekanzlers neu, außerdem entließ er einen von Cölestin V. auf Veranlassung Karls von Anjou eingesetzten Notar aus seinen Diensten.642 In den Jahren 1295 bis 1300 wechselten sich Petrus von Piperno und Riccardus Petronus von Senis mehrfach als Vizekanzler ab, 1301 übernahm schließlich Papinian, Bischof von Parma, den Posten.643 Papinians direkte Beteiligung an der Erarbeitung des Formularium audientiae kann anhand des Textes belegt werden.644 Das Amt des Auditor litterarum contradictarum war unter Bonifaz VIII. offenbar nur sporadisch besetzt. Ottobonus de Placentia übte diese Funktion von 1296 bis Februar 1299 aus, danach scheint sie vakant geblieben zu sein. Huguccio von Vercelli versah die Aufgabe bis April 1301 in Stellvertretung, erst 1303/1304 wurde er, möglicherweise noch von Bonifaz VIII., offiziell eingesetzt.645 Zur Zeit der Anlage des 636 637 638 639 640 641
642 643
644
645
Paravicini Bagliani, Cour, S. 46–59; Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 223–227. Paravicini Bagliani, Cour, S. 49 f. Boespflug, Curie, S. 52. Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 224. Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 281. Barbiche, Scriptores, S. 125–177; Nüske, Untersuchungen (1974), S. 144–240, (1975), S. 250–390; Herde, Bonifaz VIII., S. 237; Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 102. Etwa 20 der Skriptoren übten diese Tätigkeit sogar 30 oder mehr Jahre aus; vgl. Boespflug, Curie, S. 31. Herde, Bonifaz VIII., S. 237 f.; Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 102. Insgesamt sind während des Pontifikats Bonifaz’ VIII. elf Notare nachweisbar; vgl. Boespflug, Curie, S. 30 f. Nüske, Untersuchungen (1974), S. 68–82; Herde, Audientia 1, S. 171 f.; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 253–255; Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 83–87; Boespflug, Curie, S. 30. Herde, Audientia 2, S. 105, K 10: Cum clausula nova sive conclusio, quam adinvenit venerabilis et peritissimus pater dominus Papinianus Parmen. episcopus, sancte Romane ecclesie vicecancellarius. Vgl. Herde, Audientia 1, S. 170. Herde, Audientia 1, S. 172; Herde, Audientia 1, S. 77; Nüske, Untersuchungen (1974), S. 135–141; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 284 Anm. 1; Boespflug, Curie, S. 30.
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Formularium audientiae war das Auditorenamt demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit unbesetzt. Huguccio, ein bekannter Kanonist mit profunder juristischer Ausbildung, brachte sich dann möglicherweise in die weitere Ausarbeitung des Textes ein.646 Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass sowohl die zahlreichen Wechsel in den Leitungsfunktionen von Kanzlei und Audientia als auch die häufigen Ortswechsel der Kurie und die generelle Unberechenbarkeit der politischen Situation ein prekäres und instabiles Arbeitsumfeld für die päpstliche Kanzlei erzeugten, die gleichzeitig mit einem stetig anwachsenden Arbeitsaufkommen konfrontiert war und größere Verantwortung für die Rechtssicherheit der Urkunden zu tragen hatte. Dennoch gab es in der Kanzlei und auch in der Kurie im Allgemeinen keine Ansätze institutioneller Reformen, im Vordergrund stand um die Jahrhundertwende vielmehr die Bewahrung bestehender Traditionen und Bräuche.647 Diese angestrebte Kontinuität, auch im Hinblick auf die innere wie äußere Ausstattung der Urkunden, konnte im Rahmen der genannten Umstände nur durch die schriftliche Fixierung der etablierten Gewohnheiten sichergestellt werden. Vor diesem Hintergrund ist auch die Tatsache zu verstehen, dass das Formularium audientiae bereits kurz nach seiner Entstehung in Teilen revidiert wurde. Die Umarbeitung in eine zweite Redaktion kann in die Pontifikate Clemens’ V. (1305–1314) und Johannes’ XXII. (1316–1334) datiert werden.648 Sie fällt damit in eine Zeit, als die Kurie Rom verließ, mehrere ereignisreiche Jahre in verschiedenen französischen Städten verweilte und schließlich nach Avignon übersiedelte, wo sie unter Johannes XXII. endgültig den Bischofspalast der Stadt als neue Papstresidenz bezog.649 Während der zahlreichen Ortswechsel war es der päpstlichen Kanzlei kaum möglich, feste Strukturen und Arbeitsabläufe zu etablieren. In Avignon angekommen, musste sie sich dann hinsichtlich ihres Geschäftsganges und ihrer inneren Organisation an die neuen Umstände und die äußerlichen Gegebenheiten der Stadt und des Papstpalastes anpassen.650 Das beförderte eine Revision der erst wenige Jahre alten Vorschriften des Formularium. Ein entscheidender Faktor für die Weiterführung und Überarbeitung des Formularium war sicherlich die teilweise personelle Neuaufstellung der Kanzlei, die sich im Zuge der Umsiedlung der Kurie nach Frankreich ergab. Während die meisten der insgesamt etwa 100 unter Bonifaz VIII. tätigen Schreiber auch unter sei646 647 648 649
Herde, Audientia 1, S. 172; Schulte, Geschichte, S. 163. Boespflug, Curie, S. 29 f., 50. Herde, Audientia 1, S. 172. Guillemain, Papes, S. 13–25; Schimmelpfennig, Papsttum, S. 223 f.; Bryson, Clement V, S. 62–74; Haller, Papsttum 5, S. 227–251. Zu den Aufenthaltsorten der Kurie in den Jahren 1305 bis 1309 vgl. auch Maleczek, Zeugnis, S. 187–199. 650 Zum Ausbau des Palastes in Avignon in mehreren Stufen und zu den Auswirkungen auf die Kurie vgl. Kerscher, Johannes XXII., S. 232–251.
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nem Nachfolger Benedikt XI. im Amt geblieben waren, schied ein signifikanter Teil von ihnen während der Amtszeit Clemens’ V. gleichzeitig aus dem Dienst der Kanzlei aus.651 Dies ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass die Kurie im Jahr 1305 aus Rom abzog und einige Skriptoren, möglicherweise vor allem die älteren oder kranken unter ihnen, ihre Heimat nicht verlassen wollten, um dem Papst nach Frankreich zu folgen.652 Bereits 1310 sind dann aber 110 Schreiber in der Kanzlei nachweisbar, die in der Folge wieder auf 90 reduziert wurden;653 es gab demnach zahlreiche Neuzugänge. Diese unerfahrenen Neueinsteiger mussten möglichst schnell und effizient mit der Praxis der Kanzlei vertraut gemacht werden. Angesichts des unorganisierten Aufbruchs aus Italien und der zahlreichen Ortswechsel wurde dies durch die Nutzung schriftlicher Hilfsmittel deutlich erleichtert. Die Erarbeitung der zweiten Fassung der Regeln zur äußeren Ausstattung, die in den Pontifikat Clemens’ V. datiert werden kann,654 dürfte somit auch auf diese personellen und strukturellen Veränderungen zurückzuführen sein. Während der ersten Monate seines Pontifikats standen Clemens V. die Mitarbeiter der Kanzlei und der Bullarie noch nicht zur Verfügung, zum Zeitpunkt seiner Wahl im Juni 1305 hielten sie sich noch in Perugia auf. Kanzleifremde Schreiber übernahmen vorübergehend ihre Aufgaben, weshalb die aus dieser Zeit überlieferten Urkunden nicht der üblichen und im Formularium audientiae festgelegten Ausstattung entsprechen.655 Der Kanonist Guido von Baisio war in den Jahren 1304 bis 1313 Auditor litterarum contradictarum.656 Er organisierte den Umzug der Kanzlei und führte wahrscheinlich auch die erste Redaktion des Formularium audientiae mit sich.657 Ende 1304 oder Anfang 1305 stieß er, und mit ihm wohl auch das Formularium audientiae, in Poitiers zum Gefolge des Papstes.658 Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatte Guido großen Einfluss auf die ersten Erweiterungen und Umgestaltungen, die in der Folge am Formularium und an den darin enthalte651 Unter Bonifaz VIII. und Benedikt XI. waren stets zwischen 41 und 49 Skriptoren gleichzeitig mit der Ausfertigung päpstlicher Urkunden beschäftigt, zu Beginn des Pontifikats Clemens’ V. sind laut Barbiche, Scriptores, S. 171, nur noch 33 nachweisbar. Auch Nüske, Untersuchungen (1975), S. 416, gibt an, dass von den insgesamt etwa 100 unter Bonifaz VIII. nachweisbaren Schreibern 22 unter Clemens V. ausschieden; vgl. auch Guillemain, Cour, S. 329 f. 652 Barbiche, Scriptores, S. 171. 653 Guillemain, Cour, S. 321 f.; Barbiche, Scriptores, S. 171. 654 Als Papstname wird in den im Text angegebenen Beispielen in der ersten Redaktion Bonifatius genannt, in der zweiten Clemens. Clemens VI. (1342–1352) kommt nicht in Frage, da die älteste überlieferte Handschrift mit der zweiten Fassung vor dessen Pontifikat entstanden ist; vgl. Herde, Audientia 1, S. 141 f. 655 Zutshi, Letters, S. 324–333; siehe oben Kapitel 4.2.2, S. 99. 656 Herde, Audientia 1, S. 77; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 284 Anm. 1; Schulte, Geschichte, S. 186–190; Maleczek, Zeugnis, S. 193 f. 657 Herde, Audientia 1, S. 172 f. 658 Herde, Audientia 1, S. 173; Bryson, Clement V, S. 64 f.
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nen Ausstattungsvorschriften vorgenommen wurden.659 Genau wie bei der Erarbeitung der Urfassung war demnach auch an der Weiterentwicklung des Formelbuches mindestens ein gelehrter Kanonist beteiligt. Auf Guido von Baisio folgten in den Jahren 1313 bis 1338 drei weitere Auditoren, zwischen 1316 und 1321 scheint das Amt erneut über längere Zeit vakant geblieben zu sein.660 Während der drei Jahrzehnte der Pontifikate Clemens’ V. und Johannes’ XXII. sind insgesamt sechs verschiedene Vizekanzler nachweisbar.661 Auch in dieser Zeit kann somit von einer kontinuierlichen und stabilisierenden Kanzleileitung keine Rede sein, was die Aktualisierung der schriftlichen Aufzeichnungen nur umso notwendiger machte. Für die Arbeiten am Formularium dürfte vor allem Petrus Textoris (Pierre le Tessier, Vizekanzler 1319–1325) verantwortlich gewesen sein, der ausdrücklich als Bearbeiter einer Formel angegeben ist.662 Nach dem Ausscheiden Guidos von Baisio aus der Audientia scheint er die führende Rolle bei der Konsolidierung des Formelbuches übernommen zu haben. Petrus de Pratis (Pierre des Prés, Vizekanzler 1325–1361) war möglicherweise ebenfalls an der Neuredaktion beteiligt.663 Auch die Vorschriften zur Urkundenausstattung könnten unter Anleitung dieser Vizekanzler weiter fortgeschrieben und angepasst worden sein. Die vor diesem Hintergrund erarbeitete zweite Redaktion der Ausstattungsregeln weist einige Textunterschiede im Gegensatz zur ersten auf. Die Vorgaben wurden erweitert, präzisiert oder auch inhaltlich gestrafft, darüber hinaus sind einzelne Vorschriften nur in der ersten oder nur in der zweiten Fassung vorhanden.664 Die Aufzeichnungen wurden offenbar von den Redaktoren der Formelsammlung, also Vizekanzler, Notaren und Auditor, und in der Folge möglicherweise auch von einzelnen Kanzleimitarbeitern, die sich Abschriften für den persönlichen Gebrauch anfertigten, fortlaufend an die tatsächlichen aktuellen Bedarfe angepasst. Viele der im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts in der Kanzlei angelegten Handschriften des Formularium waren somit keine bloßen Kopien ihrer Vorlagen, sondern weisen inhaltliche Weiterentwicklungen auf. Dass diese ständigen Aktualisierungen durchaus bereits bei der 659 Herde, Audientia 1, S. 173. 660 Bernardus Roiardi (1313–1316), Pierre de Nogaret (1321–1323) und Bertrand de Deucio (1323–1338); vgl. Herde, Audientia 1, S. 77; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 284 Anm. 1; Guillemain, Cour, S. 319. 661 Herde, Audientia 1, S. 172; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 255–260; Guillemain, Cour, S. 309. 662 Herde, Audientia 2, S. 414, Q 3,2a: Hec forma fuit, sicut posita est in libro isto, correcta per dominum P. abbatem monasterii sancti Saturnini Tholosan. vicecancellarium presentibus duobus prothonotariis pape, pluribus auditoribus et aliis advocatis. Pierre le Tessier war seit 1318 Abt des Klosters S. Saturninus in Toulouse; vgl. Herde, Audientia 1, S. 172; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 258 f.; Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 99−103. 663 Herde, Audientia 1, S. 172; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 259 f.; Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 105−107; Beattie, John XXII, S. 149, 157–159. 664 Herde, Audientia 1, S. 141.
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Anlage der Manuskripte antizipiert wurden, ist auch daran ablesbar, dass einige der Kanzleiexemplare innerhalb des Textes Lücken aufweisen, die wohl für Nachträge freigehalten wurden.665 Dennoch wurde interessanterweise auch nach der Erarbeitung und Etablierung der zweiten Redaktion die erste Fassung nicht vollständig verworfen. Zwei Handschriften des Formularium aus dem 15. Jahrhundert enthalten zwar den Formelteil in einer jüngeren Redaktion, die Ausstattungsvorschriften aber in der älteren.666 Dieser Rückgriff auf die ursprüngliche Fassung dürfte auf die Umstände zurückzuführen sein, unter denen die einzelnen Manuskripte entstanden. Einige Vorgaben zur äußeren Gestaltung der Papsturkunden fanden auch an anderer Stelle Eingang in das Formularium audientiae, nämlich als Bestandteil der Sammlung von Notulae.667 Eingeschoben zwischen die behandelten rechtlichen Aspekte finden sich dort zwei kurze Hinweise zur Ausstattung der litterae. Sie schreiben eine gleichmäßige Zeilenlänge vor und verbieten die Trennung von Eigennamen. Es stellt sich die Frage, warum diese Bestimmungen in die Notulae eingefügt wurden und nicht in die eigentlichen Ausstattungsvorschriften. Sie stehen nach einigen Angaben zum Wortlaut der Adresse und zu den korrekten Anredeformen, zur Erläuterung sind zahlreiche Beispiele mit verschiedenen Namen angeführt.668 Möglicherweise war im Verlauf der Ausarbeitung dieser Textpassage auch die Trennung von Eigennamen diskutiert worden, so dass die entsprechenden Reglungen an Ort und Stelle notiert wurden. Im Zusammenhang damit könnten sich die Kompilatoren der Notulae auch mit der grundsätzlichen Erscheinung der Urkunde befasst und die Vorgabe zur gleichmäßigen Zeilenverteilung ergänzt haben. Auch in späteren Bearbeitungen wurden diese beiden Gestaltungsvorschriften nicht in die Ausstattungsregeln integriert, sie sind außerdem nur in etwa einem Drittel der bekannten Formularium-Handschriften enthalten. Die Notulae sind ebenfalls in zwei verschiedenen Redaktionen überliefert, wobei die zweite Fassung in diesem Fall die erste vollständig ablöste. In ihrer Ursprungsversion wurden sie unter Bonifaz VIII., wohl zwischen 1298 und 1303, zusammengestellt, die Umarbeitung erfolgte vermutlich während des Pontifikats Johannes’ XXII. in den Jahren von 1316 bis 1322.669 Delisle hatte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts auf eines dieser Manuskripte aufmerksam gemacht und die darin enthaltenen Gestaltungsvorschriften transkribiert.670 In der Folge wurde der Text mehrmals abgedruckt,671 eine detaillierte Edi665 Michael, Handschrift, S. 173. 666 Herde, Audientia 1, S. 141 f. 667 Herde, Audientia 1, S. 190. Die Notulae behandeln die delegierten Richter, den Gerichtsort, die Zulassung von Laien zur Klage, die Formulierung der Salutatio sowie die verschiedenen Klauseln der Delegationsreskripte. 668 Herde, Audientia 2, S. 34–36. 669 Herde, Audientia 1, S. 142 f. 670 Delisle, Mémoire, S. 22. 671 Auf der Basis der Edition Delisles druckte Winkelmann, Kanzleiordnungen, S. 33 f., den
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tion legte schließlich Herde in seiner Ausgabe der Vulgataredaktion des Formularium audientiae vor.672 Die Edition beruht auf 16 Handschriften, von denen zehn die Anweisungen zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden673 und von diesen wiederum fünf die beiden erwähnten Notulae enthalten.674 Diese zehn Kodizes werden im Folgenden kurz vorgestellt, da ihre Entstehungsgeschichte weiterführende Einblicke in die Funktion des Formularium im Rahmen der Produktion päpstlicher Urkunden verspricht. Zunächst sind einige Kanzleiexemplare zu nennen. Um ein solches handelt es sich bei dem heute in Paris befindlichen Manuskript, in dem Delisle die Ausstattungsvorschriften erstmals entdeckt hatte.675 Es enthält die komplette erste Redaktion der Urkundengestaltungsregeln, nicht jedoch die beiden Notulae. Als Entstehungszeit der Handschrift gab Herde die Jahre 1333 bis 1334 an; die fehlenden Rubriken sowie die Tatsache, dass sie auf Papier geschrieben ist, charakterisieren sie als Gebrauchsexemplar. Die zahlreichen späteren Nachträge in Kanzleischrift beweisen außerdem, dass der Codex in Avignon ständig im Umfeld der Kanzlei benutzt wurde und unter Martin V. nach Rom gelangte. Kurz danach ging er dann allerdings in den Besitz eines französischen Klosters über – wahrscheinlich hatte ihn ein ehemaliger Kanzleimitarbeiter oder Prokurator beim Verlassen der Kanzlei dorthin mitgenommen.676 Eine weitere Handschrift, die in der päpstlichen Kanzlei in Gebrauch war, findet sich heute in der Vatikanischen Bibliothek und beinhaltet verschiedenste Texte mit Bezug zur Urkundenproduktion.677 Der Band besteht im Hinblick auf Heftung und Foliierung aus zwei Teilen, deren jeweiliger Grundstock von derselben Hand
Text erneut ab, ohne daran Änderungen vorzunehmen. Ohne Kenntnis von Delisles Arbeit veröffentlichte Ende des 19. Jahrhunderts Simonsfeld, Beiträge, S. 255–258, die Regeln erneut auf Grundlage einer venezianischen Handschrift (Venedig, Biblioteca Nazionale di San Marco, Cl. IV lat. N. 30). Sechs Jahre später hatte er jedoch in München ein weiteres Manuskript entdeckt (München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 17788) und veröffentlichte eine neue Edition, die sich auf alle drei bekannten Handschriften stützte; vgl. Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 365– 367. Auf derselben Basis wurden die Regeln erneut von Poole, Lectures, S. 188–193, abgedruckt. Nach der Identifizierung weiterer Handschriften stellten Arndt/Tangl, Schrifttafeln, S. 47−49, aus den verschiedenen Manuskripten einen Text zusammen, der die Regeln anhand von litterae Innozenz’ IV. illustriert. Auch Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 101 f., besprach die Ausstattungsregeln. 672 Herde, Audientia 2, S. 5–15. Da Herdes Ausgabe aufgrund der Vielzahl ihrer Vorlagen und der Berücksichtigung zahlreicher Varianten alle vorausgehenden Editionen obsolet macht, bildet sie die alleinige Basis der folgenden Untersuchungen. 673 Herde, Audientia 1, S. 141. 674 Herde, Audientia 1, S. 142. 675 Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. Lat. 4163; vgl. Herde, Audientia 1, S. 83–93. 676 Herde, Audientia 1, S. 91 f. 677 Ottob. lat. 747; vgl. Herde, Audientia 1, S. 116–124; Herde, Marinus, S. 162–164; Barraclough, Chancery Ordinance, S. 202.
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geschrieben wurde. Der erste Teil wird weiter unten im Detail besprochen,678 der zweite enthält das Formularium audientiae, daneben aber auch die Abhandlungen Super revocatoriis und De confirmationibus des Pseudo-Marinus von Eboli,679 die Kanzleikonstitution Nikolaus’ III.680 sowie zahlreiche spätere Nachträge. Die Gestaltungsvorschriften und die beiden Notulae sind in ihrer jeweils zweiten Redaktion vorhanden. Das Manuskript wurde in der Papstkanzlei in Avignon, spätestens unter Benedikt XII. (1334–1342), angelegt und noch bis ins 15. Jahrhundert genutzt, was die zahlreichen Nachträge und Glossen beweisen.681 In der Vatikanischen Bibliothek ist noch eine weitere Gebrauchshandschrift erhalten geblieben.682 Sie enthält das als Provinciale Romanum bekannte Verzeichnis der Provinzen und Bistümer der römischen Kirche, diverse Kalender und das Formularium audientiae inklusive Ausstattungsvorschriften in der zweiten Redaktion, während die Notulae fehlen. Der Codex wurde an der Kurie in Avignon angefertigt, wahrscheinlich ebenfalls während des Pontifikats Benedikts XII. (1334–1342). Zahlreiche Nachträge, Marginalien und Zusätze bezeugen seinen Gebrauch in der päpstlichen Kanzlei von der avignonesischen Zeit bis in den Pontifikat Benedikts XIII.; im 16. Jahrhundert gelangte er nach Rom.683 Ein weiteres Kanzleiexemplar des Formularium befindet sich heute im Vatikanischen Archiv.684 Das Papiermanuskript ist in das Originalregister des ersten Pontifikatsjahres Clemens’ VI. eingeheftet. Es entstand wohl in den Jahren 1342/43 und beinhaltet die zweite Redaktion der Gestaltungsvorschriften und der beiden Notulae, daneben auch Eide verschiedener Kanzleimitarbeiter, eine Taxordnung und das Provinciale Romanum. Ein Nachtrag beweist, dass die Handschrift noch 1384 in Avignon genutzt wurde; im 18. Jahrhundert wurde sie mit den anderen Registerbänden nach Rom gebracht.685
678 679 680 681
Siehe unten Kapitel 4.4.4, S. 228. Herde, Marinus, S. 151–296. Siehe unten Kapitel 4.4.2, S. 207. Herde, Audientia 1, S. 121–123, setzte ihre Entstehungszeit etwas früher an als die der Pariser Handschrift und hielt den Pontifikat Benedikts XII. für die Obergrenze, den Pontifikat Johannes’ XXII. (1316–1334) für möglich. Dem Inhalt und der Anlage nach zu urteilen, wurde die Handschrift von einem Skriptor oder Abbreviator der Kanzlei angefertigt und bis zu seinem Tod benutzt, dann ging sie vermutlich in den Besitz anderer Schreiber über, was Herde auch für die meisten anderen derartigen Handschriften annahm. 682 Vat. lat. 5711; vgl. Herde, Audientia 1, S. 108–113; Herde, Marinus, S. 160 f.; Barraclough, Chancery Ordinance, S. 201; Börsting, Provinciale, S. 7, 61. 683 Herde, Audientia 1, S. 111–113. 684 Città del Vaticano, Archivio Apostolico Vaticano, Reg. Aven. 57; vgl. Herde, Audientia 1, S. 106–108; Tangl, Taxwesen, S. 6–8; Tangl, Kanzleiordnungen, S. LXVI; Börsting, Provinciale, S. 8, 66. 685 Herde, Audientia 1, S. 107 f.
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Einige Jahre später entstand ein Pergamentmanuskript, das ebenfalls für einige Zeit in der päpstlichen Kanzlei benutzt wurde und heute in Venedig liegt.686 Neben dem Formularium audientiae beinhaltet es zahlreiche weitere Formeln und Traktate, unter anderem die Kanzleiordnung Nikolaus’ III.687 In diesem Fall gehört die enthaltene Version der Ausstattungsvorschriften der ersten Redaktion an, die der Notulae und der Formeln dagegen der zweiten. Der Codex wurde um 1400 in der Kanzlei der römischen Obödienz angelegt, die Marginalien und Zusätze, die auf eine Nutzung durch die Kanzleimitarbeiter hinweisen, reichen zeitlich nicht weit darüber hinaus, er kam wohl nach dem Konzil von Konstanz außer Gebrauch.688 Es ist durchaus denkbar, dass es den römischen Kompilatoren der Handschrift während des Schismas nicht möglich war, auf die einschlägigen Nachschlagewerke der päpstlichen Kanzlei in der jeweils aktuellen Version zurückzugreifen, waren doch viele davon in Avignon und damit der gegnerischen Obödienz verblieben. Die bisher betrachteten Kanzleiexemplare des Formularium waren schließlich alle dort angefertigt und auch benutzt worden.689 Vielleicht standen für die Anlage dieses Manuskripts nur Vorlagen der neueren Formelredaktion inklusive Notulae zur Verfügung, welche die Ausstattungsvorschriften nicht enthielt. Abschriften der ersten Redaktion, die ja kurz vor der Übersiedelung nach Avignon in Rom entstanden war, hätten sich eventuell noch dort befinden können. Es ist jedenfalls naheliegend, dass das Aufgreifen der veralteten Version der Gestaltungsregeln mit der außergewöhnlichen Situation der Kurie in Rom zusammenhing. Aus dem frühen 15. Jahrhundert stammt eine Handschrift, die ebenfalls Spuren des Gebrauchs in der päpstlichen Kanzlei aufweist und auch heute noch in der Vatikanischen Bibliothek zu finden ist.690 Sie ist, mit Ausnahme von Marginalien und Nachträgen, von einer einzigen Hand geschrieben und beinhaltet eine Anweisung zur Privilegienausstattung,691 das Formularium audientiae sowie weitere Formeln. Auch in diesem Exemplar sind die Ausstattungsvorschriften der ersten Reaktion zuzurechnen, die Formeln gehören allerdings der zweiten Redaktion an. Die für die Untersuchung interessanten Notulae fehlen. Angefertigt wurde der Codex unter Martin V., und zwar im Zuge der Neuordnung der Kanzlei nach Abschluss des 686 Venedig, Biblioteca Nazionale di San Marco, Cl. IV lat. N. 30 (= collocazione 2415); vgl. Herde, Audientia 1, S. 113–116; Herde, Marinus, S. 161 f.; Simonsfeld, Beiträge, S. 228–232; Barraclough, Chancery Ordinance, S. 199. Nach Venedig könnte die Handschrift während des Pontifikats Papst Gregors XIII. (1572–1585) gekommen sein, der aus dieser Stadt stammte. 687 Siehe unten Kapitel 4.4.2, S. 207. 688 Herde, Audientia 1, S. 115 f. 689 Zur Situation der päpstlichen Kanzlei und zum Verbleib der Regelwerke und Kanzleibücher im Großen Abendländischen Schisma siehe unten Kapitel 4.3.4, S. 145. 690 Vat. lat. 6332; vgl. Herde, Audientia 1, S. 125–128; Herde, Marinus, S. 164 f.; Barraclough, Chancery Ordinance, S. 201 f. 691 Siehe unten Kapitel 4.4.3, S. 213.
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Konzils von Konstanz; Herde hielt eine Entstehung kurz nach 1418 für wahrscheinlich.692 Auch in diesem Fall scheint der Rückgriff auf die veraltete Version der Gestaltungsregeln mit der Entstehungssituation zusammenzuhängen; ebenso wie bei der Handschrift aus Venedig, die möglicherweise sogar als direkte Vorlage gedient haben könnte, standen wahrscheinlich keine Abschriften der neueren Redaktion als Grundlage zur Verfügung. Neben diesen sechs Gebrauchsexemplaren sind noch einige weitere Handschriften zu erwähnen, die zwar nicht für die Nutzung in der Kanzlei angelegt wurden, aber dennoch im direkten Kurienumfeld entstanden und hinsichtlich der Ausstattungsregeln teilweise interessante inhaltliche Ergänzungen oder Abweichungen aufweisen. In diese Kategorie gehört ein heute in Cambridge befindlicher Codex, der Mitte des 14. Jahrhunderts angelegt wurde.693 Die enthaltene Abschrift des Formularium audientiae ist sorgfältig geschrieben und mit farbigen Initialen verziert, sie enthält die erste Redaktion beider untersuchten Texte. Höchstwahrscheinlich erwarb William Welde, Abt von St. Augustine, die Handschrift in den Jahren 1388/89 anlässlich einer Reise an die Kurie.694 Dem unmittelbaren Kurienumfeld entstammt auch ein Münchner Formularium-Manuskript, das die erste Redaktion der Ausstattungsvorschriften, nicht aber die beiden Notulae aufweist.695 Vermutlich handelt es sich um eine direkte Abschrift aus einem Kanzleiexemplar, die von einem Prokurator in den Jahren 1363 bis 1371 angefertigt wurde. Durch Prokuratoren dürfte die Handschrift auch nach Deutschland gelangt sein, wo sie bereits seit 1371 mit Nachträgen versehen wurde.696 Auch ein Trierer Manuskript, das Ende 1379 oder Anfang 1380 angelegt wurde, ist die Abschrift einer Kanzleihandschrift.697 Es enthält den Liber cancellarie, verschiedene Kanzleiregeln und einen Teil des Formularium audientiae, nämlich die Ausstattungsvorschriften und die Notulae, inklusive der beiden, die sich zur Urkundengestaltung äußern. Durch Umstellung der Blätter ist die Reihenfolge der Vorschriften durcheinandergeraten. Beide Texte gehören der zweiten Redaktion an, innerhalb der Gestaltungsregeln treten geringfügige Änderungen und Auslassungen gegenüber den anderen Überlieferungen auf.698
692 Herde, Audientia 1, S. 127 f. 693 Cambridge, St. John’s College, Ms. F 5; vgl. Herde, Audientia 1, S. 98–103. 694 Herde, Audientia 1, S. 100–102. 695 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 17788; vgl. Herde, Audientia 1, S. 103–106; Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 337–343. 696 Herde, Audientia 1, S. 105 f.; Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 339–343. 697 Trier, Stadtbibliothek, Ms. 987/1856; vgl. Herde, Audientia 1, S. 80 f.; Tangl, Forschungen, S. 555 f. 698 Herde, Audientia 1, S. 80.
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Eine Handschrift aus Frankfurt am Main beinhaltet ebenfalls nur ein Fragment des Formularium audientiae.699 Der Codex entstand im 15. Jahrhundert und enthält die ersten 14 Abschnitte der Ausstattungsvorschriften, die meist der zweiten Redaktionsstufe entsprechen, allerdings fehlen die letzten Abschnitte zur Datierung der Briefe. Laut Herde wurde die Abschrift verständnislos ausgeführt, es finden sich den Sinn verstümmelnde Auslassungen. Es ist daher anzunehmen, dass das Manuskript nicht durch einen Schreiber aus dem Umkreis der päpstlichen Kanzlei angelegt wurde. Anschließend an die Ausstattungsanweisung folgen einige Notulae, wobei die beiden Vorgaben zur Urkundengestaltung fehlen.700 Neben diesen von Herde beschriebenen Manuskripten ist noch auf eine weitere Pergamenthandschrift hinzuweisen, die Michael in der Berliner Staatsbibliothek identifizierte.701 Die in einem Zuge verfasste Abschrift ohne Nachträge wurde offenbar durch einen Kenner der Materie angefertigt. Sie beinhaltet verschiedene Kalender, das Provinciale Romanum, die Kanzleiordnung Nikolaus’ III.,702 die beiden erwähnten Abhandlungen des Pseudo-Marinus von Eboli703 sowie die Vulgataredaktion des Formularium audientiae704. Die Ausstattungsvorschriften sind in ihrer zweiten Bearbeitung enthalten, die beiden Notulae zur Urkundengestaltung fehlen aber.705 Die Handschrift entstand vermutlich in den Jahren zwischen 1349 und 1360 an der Kurie in Avignon und wurde offenbar als mit farbigen Initialen ausgestattete Reinschrift eigens für einen auswärtigen Auftraggeber angefertigt, der in Deutschland, wohl im Rheinland oder der Erzdiözese Köln, zu verorten ist. Michael nahm an, dass Prokuratoren Abschriften solcher Formelbücher an zahlungswillige Interessenten verkauften.706 Insgesamt zeugen die Handschriften von der weiten Verbreitung des Formularium inner- wie außerhalb der päpstlichen Kurie. Im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts entstanden zahlreiche Abschriften, die entweder als Referenz für die Kanzlei als Gesamtinstitution (aufbewahrt vielleicht in den Räumlichkeiten des Vizekanzlers oder in der Audientia) oder als Gebrauchsexemplare für einzelne Skriptoren oder Abbreviatoren konzipiert wurden. Auch Prachtexemplare, die an zahlende Kunden außerhalb der Kurie verkauft wurden, sind überliefert, genau wie von und für Prokuratoren angelegte Kodizes, die sich ebenfalls um Abschriften dieses auch für ihre Arbeit wichtigen Nachschlagewerks bemühten. Besonders durch die Tä699 Frankfurt/Main, Institut für Stadtgeschichte, Bartholomäusstift. Bücher, III 3; vgl. Herde, Audientia 1, S. 79 f. 700 Herde, Audientia 1, S. 79 f. 701 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. lat. Fol. 352; vgl. Michael, Handschrift, S. 141–188. 702 Siehe unten Kapitel 4.4.2, S. 207. 703 Herde, Marinus, S. 151–296. 704 Michael, Handschrift, S. 144–147. 705 Michael, Handschrift, S. 168 f. 706 Michael, Handschrift, S. 180–183.
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tigkeit der Prokuratoren, die aus verschiedenen Ländern an die Kurie kamen und ihre Arbeitsmaterialien häufig wieder mit zurück in ihre Heimat nahmen, wurde das darin enthaltene Wissen weiterverbreitet. Dass die meisten Handschriften auch die Regeln zur äußeren Ausstattung übernahmen, zeigt deren andauernde Relevanz für die Schreiber und auch andere Personen, die im Umfeld der Kanzlei tätig waren. Ein klarer Hinweis auf ihre umfangreiche Nutzung sind auch die deutlichen Gebrauchsspuren, welche die Kanzleiexemplare in der Vatikanischen Bibliothek aufweisen. Insgesamt ist die breite kuriale Überlieferung des Formularium der eindrucksvollste Beweis dafür, dass die schriftlich fixierten Gestaltungsregeln, die aus der Kanzlei selbst hervorgingen, dort in der alltäglichen Praxis auch Verwendung fanden. Eine päpstliche Beteiligung oder Einflussnahme auf die Ausarbeitung dieser Regeltexte oder gar eine Promulgation durch den Papst kann allerdings für keine der beiden Bearbeitungsstufen des Formularium festgestellt werden. Es gibt auch keinen eindeutigen Hinweis darauf, dass das Formelbuch im Rahmen der Kanzlei jemals „offiziell“ publiziert wurde, auszuschließen ist eine systematische Veröffentlichung aufgrund der Bedeutung des Formularium für die praktische Arbeit aber nicht. So ist es für andere im Umfeld der Kanzlei entstandene Regularien gesichert, dass sie in der Audientia verlesen wurden.707 Außerdem wurden Erlasse und Konstitutionen, die mit der Kanzlei und ihren Produkten in Zusammenhang standen, wahrscheinlich in der Wohnung des Vizekanzlers, der zentralen Koordinationsstelle der Kanzlei, öffentlich ausgehängt.708 Die umfangreiche Überlieferung von Kanzleiexemplaren, die Rolle von Vizekanzlern und Auditoren bei der Erarbeitung der Texte sowie die Tatsache, dass diese fortlaufend redigiert und den aktuellen Gegebenheiten angepasst wurden, lassen ebenfalls die Schlussfolgerung zu, dass das Formelbuch durchaus „amtlichen“ Charakter hatte.709 Dafür spricht auch, dass neue Formeln, die der Vizekanzler, die Notare oder der Auditor entworfen hatten, offenbar zunächst dem Papst zur Prüfung vorgelegt und erst nach dessen Genehmigung in das Formularium aufgenommen wurden.710 Möglicherweise wurde bei Anpassungen oder Ergänzungen der Ausstattungsregeln ähnlich verfahren und ihnen dadurch „offizielle“ Geltung verliehen. Eine Anweisung des Vizekanzlers oder gar des Papstes, eine bestimmte, aktuell gültige Version des Formularium zu verwenden, ist für die Zeit des 13. und 14. Jahrhunderts nicht bekannt, es war für die Mitarbeiter der Kanzlei aber dennoch von 707 Herde, Audientia 1, S. 173. Päpstliche Konstitutionen und auch Kanzleiregeln wurden nachweislich durch öffentliche Verlesung in der Audientia publiziert; siehe unten Kapitel 4.4.2, S. 210 und Kapitel 4.6.2, S. 291. 708 Schwarz, Organisation, S. 148. 709 Herde, Audientia 1, S. 12 f.; Heckel, Verordnung, S. 299; Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 336. 710 Herde, Audientia 1, S. 64 f.; Heckel, Verordnung, S. 298 f.
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Vorteil, die jeweils neueste Version zu kennen, um Beanstandungen zu vermeiden.711 Immerhin musste der Schreiber, wenn eine Urkunde aufgrund äußerer oder innerer Fehler von den Kontrollinstanzen der Kanzlei abgewiesen wurde, diese gratis neu ausfertigen; er hatte also die Verantwortung und die Kosten selbst zu tragen.712 Es ist daher anzunehmen, dass gerade die Skriptoren und Abbreviatoren bemüht waren, sich regelmäßig über die aktuellen Gewohnheiten im Formelwesen und bei den Vorgaben zur äußeren Gestaltung zu informieren auf dem Laufenden zu halten. Besonders für Neuzugänge in der Kanzlei konnte daher das Formularium von großer Bedeutung sein, aber auch in für die Kurie unübersichtlichen Situationen aufgrund von unorganisierten oder häufigen Ortswechseln, die den geregelten Geschäftsablauf störten, konnte es als wichtiger Ankerpunkt dienen. Eine Konstitution des 15. Jahrhunderts verpflichtete die Skriptoren und andere, an der Urkundenherstellung beteiligte Personen dazu, sich neu ergangene Konstitutionen und Statuten innerhalb eines Monats nach ihrer Publikation zu kopieren und als Arbeitsgrundlage bei sich zu haben.713 Ähnliche Anweisungen sind in den Statuten für die Pönitentiarieschreiber aus der Mitte des 14. Jahrhunderts überliefert. Diese wurden angehalten, ihr Amt betreffende Konstitutionen, Taxlisten, Formulare und Regeln abzuschreiben, um sich mit dem stilus curie und den wichtigen Formeln vertraut zu machen.714 Dass sich ein ähnlicher Brauch auch aufgrund der schwierigen äußeren Umstände in der Kanzlei bereits im 13. Jahrhundert entwickelt hatte, konnte bereits anhand der in der Handschrift Durrieu und im Speculum iudiciale überlieferten Ausstattungsvorschriften gezeigt werden. Die breite Überlieferung der späteren Version des Regeltextes im Formularium audientiae beweist die für die päpstliche Kanzlei fortbestehende Notwendigkeit der schriftlichen Fixierung von Ausstattungsgewohnheiten. Die Relevanz dieser Aufzeichnungen ist darauf zurückzuführen, dass sie vor allem in Zeiten personeller und räumlicher Instabilität ein effizientes Wissensmanagement und damit die Aufrechterhaltung des Kanzleigeschäfts und die für die Herrschaftsausübung des Papsttums ausschlaggebende Kontinuität in der Urkundengestaltung gewährleisteten. 4.3.4 Neuredaktion des Formularium audientiae in Ross. 476 In der Vatikanischen Bibliothek befindet sich neben den beschriebenen Kanzleiexemplaren der Vulgataredaktion des Formularium auch eine Handschrift, die eine 711 Herde, Papal formularies, S. 135. 712 Herde, Beiträge, S. 179, 245 f.; Pfeiffer, Untersuchungen, S. 12. 713 AMKRO, Eugen IV., Transkription, S. 241 f., Nr. ME 9, Abschnitt 2: […] presentes et futuri nova constitutiones et statuta huiusmodi infra mensem a die publicationis presentium computandum, videlicet rescribendarius, officiales et scriptores secum […] habere […]. 714 Schwarz, Organisation, S. 69 f., 136, 234 (Abschnitt 21).
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Umarbeitung verschiedener Teile dieses Formelbuches enthält. Es handelt sich um den Codex Rossianus 476, eine Pergamenthandschrift mit 110 Folii und äußerst vielseitigem und für die vorliegende Untersuchung aufschlussreichem Inhalt.715 Der Grundbestand wurde von einer einzelnen Person eingetragen, die Nachträge stammen von mehreren weiteren Händen.716 Aufgrund der zahlreichen Ergänzungen von Urkunden und Eiden für Kanzleibedienstete sowie vieler Marginalien lässt sich eindeutig feststellen, dass es sich bei dem Manuskript um ein Gebrauchsexemplar der päpstlichen Kanzlei handelte, das während des Pontifikats Gregors XI. (1370–1378) angelegt wurde und bis in die ersten Jahre des 15. Jahrhunderts in Gebrauch blieb.717 Mitte des 15. Jahrhunderts gelangte der Band vermutlich in den Besitz des Kardinals Domenico Capranica (1400–1458).718 Er hatte verschiedene Verwaltungsämter im Kirchenstaat inne, war Ordensprotektor der Minoriten und des Deutsch ordens sowie Großpönitentiar.719 Außerdem hatte Capranica weitreichende wissenschaftliche und literarische Interessen, was seine umfangreiche Bibliothek bezeugt.720 Diese bestand aus annähernd 400 Bänden und war damit eine der größten Privatbibliotheken seiner Zeit, sie enthielt unter anderem Formularsammlungen der päpstlichen Kanzlei, darunter wahrscheinlich auch die Neuredaktion des Formularium audientiae.721 Dies ließe sich als ein weiterer deutlicher Hinweis auf deren Nutzung in der päpstlichen Kanzlei interpretieren. Im 19. Jahrhundert gelangte die Bibliothek des Domenico Capranica in die Sammlung Rossi, die nach dem Ersten Weltkrieg der Vatikanischen Bibliothek einverleibt wurde.722 An verschiedenen Stellen innerhalb des Codex Rossianus 476 sind Regelungen zur äußeren Ausstattung päpstlicher Urkunden eingetragen. Auf den ersten Seiten des Codex (fol. 1r–46v) findet sich ein Formelbuch, das eine Bearbeitung der Formeln des Formularium audientiae enthält, die aus der ursprünglichen Sammlung und anderen Vorlagen entnommen wurden.723 Es folgt das Provinciale Romanum (bis fol. 59r), dann (auf fol. 59v) eine erste Seite mit ausführlichen Informationen zur Urkundengestaltung.724 Behandelt wird die Ausstattung von Privilegien, unter 715 Detaillierte Beschreibungen der Handschrift bei Herde, Audientia 1, S. 133–138, und Perarnau, Documentación, S. 636–645. 716 Herde, Audientia 1, S. 136 f.; Perarnau, Documentación, S. 645. 717 Herde, Audientia 1, S. 136 f.; Perarnau, Documentación, S. 639. 718 Herde, Audientia 1, S. 136 f.; Börsting, Provinciale, S. 7. 719 Meuthen, Capranica, Domenico, Sp. 1488; Saraco, Cardinale, S. 13–35. 720 Meuthen, Capranica, Domenico, Sp. 1488; Antonovics, Library, S. 141; Saraco, Cardinale, S. 37–61. 721 Antonovics, Library, S. 141–146; Saraco, Cardinale, S. 53–56. 722 Herde, Audientia 1, S. 137 f.; Antonovics, Library, S. 147 f.; Saraco, Cardinale, S. 58 f. 723 Herde, Audientia 1, S. 137. 724 Börsting, Provinciale, S. 7, 58–60; Herde, Audientia 1, S. 133, ging nicht eigens auf fol. 59v ein und gab an, dass das Provinciale auf fol. 48r–59v zu finden sei.
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anderem anhand von Beispielzeichnungen für Rota, Benevalete und andere graphische Symbole.725 Der ursprüngliche Textbestand dieser Privilegienlehre wurde von späteren Händen, die aber alle noch dem 14. Jahrhundert zuzuordnen sind, um zusätzliche Erläuterungen ergänzt. Einer dieser Nachträge hat inhaltlich keinen direkten Bezug zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden. Er besagt, dass im Jahr 1386 durch den Einfluss des Deutschen Ordens die litauischen Könige Skirgalla und Jagiello, zwei über verschiedene Gebiete herrschende Brüdern, nach langer Zeit der Trennung zum katholischen Glauben zurückgekehrt seien und Papst Urban VI. ihnen für ihre Anerkennung günstige Urkunden gewährt habe.726 Tatsächlich wurde Jagiello, der Großfürst Litauens, gemeinsam mit seinen drei Brüdern, darunter Skirgalla, im Jahr 1386 in Krakau getauft, bevor er wenige Tage später Hedwig ( Jadwiga) von Anjou, den „König“ von Polen, heiratete und selbst zum polnischen König gekrönt wurde. Diese Vorgänge waren der Auslöser sowohl für die umfassende Christianisierung Litauens als auch für den Zusammenschluss der beiden Länder zur litauisch-polnischen Union.727 Da Jagiello nun unter seinem christlichen Namen Wladyslaw in Polen regierte, setzte er seinen Bruder Skirgalla als Regenten in Litauen ein.728 Das Papsttum hatte an diesen Entwicklungen offenbar keinen Anteil, weder Jagiello noch Hedwig hatten wegen ihrer Verbindung den Rat Papst Urbans VI. eingeholt.729 Wladyslaw Jagiello sandte zwar noch im Jahr 1386 einen Boten nach Rom, um seine Krönung zum polnischen König anzuzeigen, dieser wurde allerdings unterwegs von den Habsburgern festgesetzt, so dass Urban erst 1388 durch Bischof Dobrogost von Posen über die Vorgänge informiert wurde.730 Die entsprechende Erläuterung in Ross. 476 kann daher frühestens in diesem Jahr in die Handschrift eingetragen worden sein. Auf einer Fehlinformation beruht dagegen der Hinweis, dass der Deutsche Orden diese Entwicklungen vorangetrieben habe, denn tatsächlich war die litauisch-polnische Union auch ein politisches Bündnis, das sich gegen den mächtigen Ordensstaat richtete.731 Zwar hatte Jagiello im Jahr 1380 einen geheimen Vertrag 725 Zu den Vorgaben zur Privilegiengestaltung in Ross. 476 siehe unten Kapitel 4.4.5, S. 233. 726 Ross. 476, fol. 59v: Nota, quod anno domini M IIIC LXXXVI ad principium per potentiam magistri et fratrum Sancte Marie Theutonicorum Ierusalimitanis duo reges Litwanorum, videlicet Sizghayl et Jaghyal, qui longissimo tempore in scismate fuerant, ad fidem catholicam, quam Sancta Romana tenet ecclesia, abiurato scismate redierunt, et sanctissimus dominus noster dominus Urbanus divina providentia papa VI eis concessit pro recognitione ipsorum litteras opportunas, quiquidem reges licet germani sint, tamen habent diversa dominia. 727 Borkowska, Organisation, S. 144–150; Rabikauskas, Cristianizzazione, S. 8–10; Klocz owski, Pologne, S. 145–149. 728 Urban, Teutonic Order, S. 126–128. 729 Hellmann, Päpste, S. 56 f. 730 Hellmann, Päpste, S. 58. 731 Borkowska, Organisation, S. 144 f.; Biskup, Geschichte, S. 389; Kloczowski, Pologne, S. 142–144.
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mit dem Deutschen Orden gegen seinen Onkel Kestutis geschlossen, um die Herrschaft über Litauen zu erringen, und in diesem Zusammenhang auch die Christianisierung des Landes in Aussicht gestellt, doch die Bedingungen wurden von beiden Seiten nicht erfüllt, so dass es bereits im Jahr 1383 zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Vertragspartnern gekommen war.732 Der Deutsche Orden bezweifelte in der Folge die Wahrhaftigkeit und Rechtmäßigkeit der Christianisierung Litauens durch Polen und betonte seinen eigenen ausschließlichen Anspruch auf die Bekehrung und Beherrschung des Landes, da er andernfalls um seine Legitimation fürchten musste. Da diese Argumentation nicht auf fruchtbaren Boden fiel, beharrte der Orden fortan darauf, dass es sein Kreuzzug gewesen sei, der letztendlich zur Bekehrung der Litauer geführt habe.733 Vor diesem Hintergrund muss auch die Formulierung in der Handschrift interpretiert werden. Papst Urban VI. erkannte jedenfalls im April 1388 die Christianisierung Litauens sowie Wladyslaw Jagiello als polnischen König an und untersagte dem Deutschen Orden weitere Kämpfe gegen Litauen.734 Dennoch kam es zu mehreren Kriegszügen und schließlich 1410 zur Schlacht bei Tannenberg, in welcher der Deutschorden von der litauisch-polnischen Union besiegt wurde. Der andauernde Konflikt wurde auch auf dem Konzil von Konstanz verhandelt, erst 1435 konnte er durch einen Friedensvertrag beendet werden.735 Dieser Nachtrag zu den litauischen Königen im Rahmen der Privilegienlehre in Ross. 476 könnte inhaltlich dem Provinciale Romanum zuzuordnen sein, das auf der vorhergehenden Seite mit einer Liste zur visitatio liminum endet. In dieser ist dargelegt, in welchen zeitlichen Abständen die Prälaten aus den verschiedenen Ländern und Regionen der Christenheit an der Kurie zu erscheinen und dem Papst ihren Tribut zu entrichten hatten736 – im Zuge von Christianisierungen wie im 732 Urban, Teutonic Order, S. 124–126. 733 Biskup, Geschichte, S. 390; Rüther, Geheimdiplomatie, S. 51 f.; Urban, Teutonic Order, 129–135. 734 Hellmann, Päpste, S. 58; Biskup, Geschichte, S. 390; Klowczowski, Pologne, S. 148. 735 Biskup, Geschichte, S. 394–409; Rüther, Geheimdiplomatie, S. 51–64; Hellmann, Päpste, S. 58–60. 736 Ross. 476, fol. 58v: Sciendum est, quod in primitiva ecclesia fuit assignatum et determinatum per dominum nostrum papam de consilio fratrum suorum, quomodo deberent venire ad curiam Romanam omnes prelati pro solvendo tributum ipsi domino pape et ecclesie Romane personaliter vel per legitimos procuratores, si ipsi personaliter non possint venire legitimo impedimento detenti. Et hoc intelligitur de prelatis exemptis cathedralium et aliarum ecclesiarum ac monasteriorum et aliorum locorum religiosorum necnon domorum et hospitalium et de aliis, qui tenent feudum a dicta Romana ecclesia, et ita qui debent persolvere tributum sive censum annuum dicte Romane ecclesie describuntur ad solvendum illud. Auf fol. 59r steht die angekündigte Liste, genannt werden Apulii, Ytalici, Tusci, Lumbardi, Theotonici, Gallici, Ungari, Siculi, Provinciales, Catalani, Anglici, Scoti, Norvegi, Suevi, Ispani, Cambalienses in dominio Tartarorum, Soltavienses in partibus Aquilonis archiepiscopi. Zu derartigen Listen im Provinciale Romanum vgl. Börsting, Provinciale, S. 24 f. Im Anschluss
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Falle Litauens war diese Liste gegebenenfalls um weitere Regionen zu ergänzen. Möglicherweise trug der Urheber dieser Ergänzung sie aber auch deshalb unterhalb der Gestaltungsregeln für Privilegien ein, um auf die Folgen dieser politischen Vorgänge für die Urkundenausstattung hinzuweisen.737 Diese Konsequenzen betrafen das Protokoll der Papsturkunden. In den Notulae des Formularium audientiae wurden für verschiedene Empfänger unterschiedliche Anredeformen vorgegeben. Bis 1386 waren die litauischen Herrscher in die Kategorie der Heiden einzuordnen, denen in der Adresse päpstlicher Urkunden Attribute wie infidelis beigeordnet wurden, außerdem war bei Schreiben an heidnische Adressaten die in den litterae übliche Grußformel salutem et apostolicam benedictionem durch eine Mahnformel zu ersetzen.738 Christliche Könige dagegen wurden mit der üblichen Formel gegrüßt und in der Adresse mit besonders ehrenden Adjektiven bedacht;739 für die Ausstattung des Protokolls mussten dann die im Formularium festgelegten Vorgaben eingehalten werden.740 Und in der Tat sind aus dem Jahr 1388 drei päpstliche litterae erhalten, die an König Wladyslaw Jagiello adressiert sind und allesamt die Formulierungen carissimo in Christo filio Wladislao regi Polonie illustri salutem et apostolicam benedictionem aufweisen.741 Somit
folgen auf fol. 59r eine Kanzleiregel Urbans V. zur Forma pauperum (vgl. AMKRO, Urban V., Edition, Nr. 71, S. 118 f.) und eine Liste zu den Eigenschaften verschiedener Völker (Gloria Grecorum, Invidia Romanorum usw.; vgl. Weeda, Images, S. 146–168). 737 Die Doppelseite, auf der das Provinciale endet, hätte an den oberen und unteren Seitenrändern genug Platz geboten, die Ergänzung dort einzutragen – auf anderen Seiten der Handschrift wurden die Ränder für ähnliche Nachträge genutzt. Letztendlich lässt der Befund keine klare Deutung der Absicht des Schreibers zu. 738 Herde, Audientia 2, S. 39, N 17: Item nota, quod, quando scribit Iudeis, Sarracenis vel paganis et aliis similibus, loco salutationis dicit: „deum verum et vivum diligere et timere,“ vel: „viam veritatis agnoscere et timere,“ vel sic: „Infideli regi Marochitano viam veritatis agnoscere et timere,“ vel sic: „Nobili viro soldano Babilonie et Damasci timorem divini nominis et amorem.“ 739 Herde, Audientia 2, S. 36 f., N 13: Et est sciendum, quod, quando dominus papa scribit imperatoribus sive regibus, vocat eos „carissimos in Christo filios“ et imperatrices et reginas „carissimas in Christo filias“ in salutatione; in prosecutione vero litterarum addit „nostros“ vel „nostras“. Zusatz in zwei Handschriften: sic: „Carissimo in Christo filio Carolo illustri Romanorum imperatori semper augusto,“ vel sic: „Karissimo in Christo filio P. Francorum regi illustri,“ vel sic: „Carissime in Christo filie Marie Aragonum regine illustri salutem“ etc. 740 Zu den Ausstattungsregeln für Adresse und Grußformel in litterae siehe unten Kapitel 4.3.5.3, S. 161, zu den Regeln für das Protokoll in Privilegien Kapitel 4.4.6.2, S. 240. 741 1. Urban VI. an König Wladyslaw von Polen am 1. April 1388 betreffend die Absolution im Rahmen des geplanten Feldzugs gegen Türken und Tartaren; vgl. Sułkowska-Kurasiowa, Bullarium Poloniae, Nr. 52, S. 11; Druck: Lewicki, Codex, Nr. 13, S. 17. 2. Urban VI. an König Wladyslaw von Polen am 17. April 1388 betreffend die Taufe Jagiellos/ Wladyslaws und die Christianisierung Litauens; vgl. Sułkowska-Kurasiowa, Bullarium Poloniae, Nr. 53, S. 11; Druck: Fijalek, Codex, Nr. 12, S. 22–24. 3. Urban VI. an König Wladyslaw von Polen am 17. April 1388 betreffend die Kriegshandlungen
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hatten auch Änderungen im Formular des Protokolls gegebenenfalls direkte Auswirkungen auf die Ausstattung der Urkunden. Unabhängig von seiner inhaltlichen Zuordnung demonstriert der Nachtrag in Ross. 476 den konkreten Einfluss äußerer Faktoren auf die Arbeit der päpstlichen Kanzlei und die daraus resultierende Notwendigkeit, die kurialen Regelaufzeichnungen und Handbücher regelmäßig zu aktualisieren. Im Anschluss an die Gestaltungsregeln für Privilegien enthält die Handschrift diverse Nachträge zur Formelsammlung, auf fol. 64r–v folgt dann ein weiterer Text, der die Ausstattung von Papsturkunden betrifft. Es handelt sich um eine alphabetische Liste verschiedenster Begriffe mit dem Titel Arthografia quarundam dictionum extranearum secundum stilum Romane curie, posite per ordinem alphabeti.742 Sie gehörte offensichtlich zum Grundbestand der Handschrift und wurde äußerst ordentlich und großzügig auf eineinhalb Seiten eingetragen. Dargestellt ist in diesem Verzeichnis die jeweils nach Kurialstil korrekte Schreibweise einzelner Worte und Ausdrücke. Verschiedene Nachträge gehen außerdem ausdrücklich auf in Papsturkunden verbotene Abkürzungen ein. An diese Liste schließt sich noch auf fol. 64v eine weitere Sammlung von Vorgaben zur Urkundengestaltung an, die sich bis zum Ende von fol. 65r erstreckt.743 Den Grundbestand dieser Sammlung bildeten nur zwei Regeln, die an die Arthografia angehängt waren und sich den Seidenschnurbriefen widmen, dann aber von einer anderen Hand des 14. Jahrhunderts noch um sechs weitere Abschnitte ergänzt wurden, die auch die Bullen (im diplomatischen Sinne) sowie Sekret- und Kurialbriefe (die sowohl cum serico als auch cum filo canapis ausgefertigt werden konnten) mit einbeziehen.744 Weitere Gestaltungsregeln sind in der Handschrift nicht enthalten. Die übrigen Folii beinhalten unterschiedliche Formeln und Nachträge, Eide verschiedener Kanzleimitarbeiter sowie ein Verzeichnis von Kardinälen und Bischöfen.745 Die Regeln zu den litterae cum serico könnten im Hinblick auf ihren Inhalt auf die Vorschriften in der Vulgataredaktion des Formularium zurückgehen, im Wortzwischen Jagiello/Wladyslaw und dem Deutschen Orden; vgl. Sułkowska-Kurasiowa, Bullarium Poloniae, Nr. 54, S. 12; Druck: Lewicki, Codex, Nr. 14, S. 18. 742 Herde, Audientia 1, S. 133; Perarnau, Documentación, S. 640 (hier: Orthografia). 743 Herde, Audientia 1, S. 133, beschrieb sie als „Regeln über die Ausstattung und Bullierung von Papsturkunden, teilweise unter Benützung von Formulierungen des Formularium audientiae, sonst aber völlig verschieden von dessen Regeln über die äußere Ausstattung von Papsturkunden.“ Perarnau, Documentación, S. 640, fasste sie unter den Titel „De diversis generibus litterarum domini pape“. 744 Der erste Nachtrag behandelt die Bullen und nennt in einem Beispiel den Papstnamen Gregor, wurde also wahrscheinlich noch während des Pontifikats Gregors XI. oder kurz danach eingetragen. Die folgenden Einträge stammen von derselben Hand und dürften auch derselben Zeit zuzuordnen sein. 745 Herde, Audientia 1, S. 133–136.
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laut unterscheiden sie sich allerdings deutlich. Sie behandeln grundsätzlich dieselben Gestaltungsmerkmale, allerdings fehlen die im Formularium sehr umfassenden Vorgaben zur Datierung. Außerdem ist die Neubearbeitung weniger sorgfältig gegliedert, was ihren Charakter als ein in Entstehung begriffenes Regelwerk unterstreicht. Zudem liegt der Schwerpunkt dieser Bearbeitung der Ausstattungsregeln deutlich auf den mit Seidenschnur bullierten und insgesamt prächtiger ausgestatteten Urkundenarten – in dieselbe Richtung weist auch die Aufnahme der Privilegienlehre in denselben Codex. Insgesamt veranschaulichen Strukturierung und Wortlaut der Gestaltungsregeln in Ross. 476, dass die verschiedenen Urkunden in der päpstlichen Kanzlei vorrangig nach inhaltlichen Kategorien unterschieden wurden, die sich wiederum in der Ausstattung spiegelten. Beispielsweise werden im Rahmen einer Aufzählung von Gattungen päpstlicher Urkunden, welche die Vorschriften zur Gestaltung der Seidenschnurbriefe einleitet, Gratialurkunden, Exekutorialbriefe, litterae de curia, Sekretbriefe und Justizbriefe genannt.746 Die Gratialurkunden, die in der Handschrift als gratiose bezeichnet werden, wurden als übergeordnete Kategorie betrachtet, die sowohl Privilegien als auch Bullen und Seidenschnurbriefe umfasste, also alle cum serico bullierten Dokumente. Die Regeln sind in der Folge nur grob nach einzelnen Urkundenarten geordnet, zahlreiche Vorschriften beanspruchen Gültigkeit für alle gratiose. Diese Kategorisierung der Urkunden dürfte auch mit den Umstrukturierungen der Kanzlei im Laufe des 14. Jahrhunderts, besonders mit der seit Beginn des Jahrhunderts forcierten Trennung der Zuständigkeiten für Gratial- und Justizurkunden, zusammenhängen.747 Die Etablierung eines eigenen Geschäftsganges für die Justizbriefe mit separatem Personal führte möglicherweise dazu, dass ein Teil der Skriptoren sich auf die Herstellung dieser einfachen, mit Hanfschnur bullierten litterae spezialisierte, während andere Schreiber vor allem für die Ausfertigung der prächtigeren Urkunden und speziell für deren aufwendige Auszeichnungsschriften zuständig waren. Erstere konnten bei Unklarheiten bezüglich der inneren wie äußeren Gestaltung auf die immer wieder aktualisierten Versionen des Formularium audientiae zurückgreifen, während für Letztere keine übergreifende Regelsammlung vorlag, die alle für ihre Arbeit relevanten Urkundenarten umfasste. Da das Formularium inhaltlich im Laufe der Zeit zunehmend auf die einfachen Justizbriefe ausgerichtet wurde, die das Hauptgeschäft der Audientia ausmachten, war die Aufzeichnung von Vorschriften zu anderen Urkundengattungen an dieser Stelle vernachlässigt worden. Vor diesem Hintergrund ist die Entstehung der Handschrift Ross. 476 zu betrachten, denn sie enthält in kompakter Form konkrete Vorgaben 746 Ross. 476, fol. 64v: Litterarum domini pape alie gratiose, alie executorie, alie de curia, alie secrete, alie ad causas. Siehe oben Kapitel 2.1, S. 23. 747 Siehe oben Kapitel 2.2, S. 29.
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für die in den älteren Regeltexten kaum oder gar nicht berücksichtigten Papsturkunden. Die Nachfrage nach derartigen Aufzeichnungen war daher unter den Skriptoren wohl ganz grundsätzlich vorhanden, während des Pontifikats Gregors XI. war der Bedarf aufgrund der außergewöhnlichen äußeren Umstände aber sicherlich besonders groß. Dass ein Teil der Kurie in Avignon verblieb, als Gregor 1376/77 nach Rom zurückkehrte, veranlasste möglicherweise die Anlage des Codex Rossianus 476, zumindest aber dürfte es sie befördert haben.748 Auch der amtierende Vizekanzler Petrus de Monteruco (Pierre de Monteruc) war dem Papst nicht nach Rom gefolgt und schloss sich schließlich Clemens VII. (1378–1394) an, der seit Juni 1379 in Avignon residierte. Viele Kanzleimitarbeiter verließen zudem unter Gregors Nachfolger Urban VI. (1378–1389) die römische Kurie und kehrten nach Avignon zurück.749 Mit Gregor waren allerdings auch viele Gebrauchshandschriften der Kurie und der Kanzlei nach Rom gekommen, darunter die Libri cancellarie750 und die Supplikenregister.751 Der Grundbestand der Handschrift Ross. 476 wurde nach Ausweis der enthaltenen Urkundenabschriften in den Jahren 1370 bis 1378 angelegt,752 sie könnte demnach entweder noch in Avignon entstanden und gemeinsam mit den genannten Büchern nach Italien transportiert oder ab 1376/77 in Rom verfasst worden sein.753 Die Initiative für die Erarbeitung dieser Neuredaktion des Formularium dürfte wiederum von Mitarbeitern oder der Leitung der Kanzlei ausgegangen sein. Der Inhalt, vor allem die Vorgaben zur Urkundengestaltung sowie die 1397 nachgetragene Konstitution Privilegium scriptorum litterarum apostolicarum Bonifaz’ IX.,754 lässt darauf schließen, dass der Codex für den Gebrauch durch Skriptoren oder die Kontrollinstanzen der Kanzlei konzipiert wurde.755 Perarnau versuchte, auf der Grundlage zwei entsprechender Namensnennungen in dem Manuskript Bezüge zu einer konkreten Person namens Thomas Petra herzustellen.756 Dieser war zunächst 748 Guillemain, Papes, S. 134–136. 749 Tangl, Kanzleiordnungen, S. LIIIf.; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XXXIIf.; Zutshi, Continuity, S. 286–296; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 260 f. 750 Siehe unten Kapitel 4.4.2, S. 211. 751 Zutshi, Continuity, S. 287. 752 Die meisten Urkunden sind den Päpsten Clemens VI. (1342–1352), Innozenz VI. (1352–1362), Urban V. (1362–1370) und Gregor XI. (1370–1378) zuzuordnen, nur wenige Stücke, bei denen es sich klar um Nachträge handelt, stammen von Urban VI. (1378–1389), Bonifaz IX. (1389– 1404) und Innozenz VII. (1404–1406); vgl. auch die Analyse bei Perarnau, Documentación, S. 645. 753 Herde, Audientia 1, S. 136 f.; Perarnau, Documentación, S. 639, mit Anm. 4. Zur Datierung in den Pontifikat Gregors XI. siehe auch unten Kapitel 4.4.5, S. 235. 754 Ross. 476, fol. 77r–v; vgl. auch Perarnau, Documentación, S. 639 Anm. 4. 755 Ebenso schlussfolgerte bereits Perarnau, Documentación, S. 643. 756 Perarnau, Documentación, S. 643–645. Thomas Petra wird erwähnt auf fol. 89r (Forma iura-
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als Skriptor und Abbreviator, später als Notar in der päpstlichen Kanzlei tätig.757 Im Jahr 1387 ist er sogar als regens cancellariam Urbans VI. bezeugt.758 Außerdem agierte er am 9. April 1378 als Vermittler zwischen Bartholomäus Prignano, der am vorhergehenden Tag als Urban VI. zum Nachfolger Gregors gewählt worden war, und einem Gesandten des Kardinals Pedro de Luna, dem späteren Benedikt XIII.759 Allerdings wies bereits Perarnau selbst darauf hin, dass Schriftvergleiche mit nachweislich durch Thomas Petra verfassten Dokumente dessen eigenhändige Beteiligung an Ross. 476 ausschließen.760 Dennoch deutet das Vorkommen seines Namens in der Handschrift darauf hin, dass sie im Umfeld Petras entstand. Die Vermutung liegt nahe, dass dabei Bartholomäus Prignano eine führende Rolle innegehabt haben dürfte, da er vor seiner Wahl zum Papst die römische Kanzlei als regens cancellariam geleitet und Thomas Petra offenbar bereits zu dieser Zeit gefördert hatte.761 Diese personellen Zusammenhänge sprechen dafür, dass der Codex erst nach der Übersiedlung der Kurie nach Rom 1376/77 angelegt wurde. In die gleiche menti prelatorum sumpta de Libro Cancellarie per me, Thomam Petra) und auf fol. 106r im Kontext einer nachgetragenen Urkunde Innozenz’ VII. aus dem Jahr 1405, die mit der Notiz pro me est versehen ist (magistri Thome Petra, administratoris monasterii sancte Marie Anglonensis, ordinis sancti Benedicti, Treventine diocesis, notarii et familiaris nostri). 757 Hofmann, Forschungen 2, S. 106; Perarnau, Documentación, S. 643–645. 758 Ottob. lat. 747, fol. 58r (marginal, datiert auf den 5. November 1387): dominum Thomam Petra, regentem cancellariam; vgl. Perarnau, Documentación, S. 644 mit Anm. 15. 759 Darüber berichtete Thomas Petra selbst im Jahr 1380 im Rahmen einer schriftlichen Aussage über die Wahl Urbans VI. (gedruckt bei Seidlmayer, Anfänge, S. 261–264, hier S. 263): Item quod mane sequenti post exitum dom. cardinalium in aurora venit ad me fr. Alfonsus de Merica tercii ordinis s. Francisci vir magni devocionis et penitencie presbiter Yspanus, qui exclusa familia et clausis hostiis in loco secreto studii mei dixit michi: Venio ad te ex parte dom. Cardinalis de Luna missus per fr. Alfonsum episcopum olim Gienensem nunc heremitam et confessorem dicti cardinalis. Et rogavit me Thomam idem frater ex parte dicti cardinalis, quod statim irem ad dom. Barensem, qui erat electus in papam, et dicerem sibi ex parte ipsius cardinalis, quod confortaret se, et annunciarem sibi ex parte sua, quod erat verus Christi vicarius concorditer et canonice electus et quod non dubitaret de aliquo, et offerrem sibi ex parte dicti cardinalis locum tutum et gentem quam volebat, quia iam locutus fuerat ipse cardinalis cum Romanis et cum aliis personis, de quibus confidebat, a quibus habuerat, quod eum ubicumque vellet, ponerent securum. Et sic feci, ut michi mandatum erat. Atque dom. noster respondit michi sic: dicas domino de Luna, quod sibi regracior et quod non video expedire que offert, ex eo quod intendo libenter videre filios nostros Christi servos, ex quo hec divina vocacio mecum est. Sed oret pro me. […]. Vgl. Perarnau, Documentación, S. 644. 760 Perarnau, Documentación, S. 644. 761 Zur Tätigkeit des Bartholomäus Prignano als regens cancellariam vgl. Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 260 f.; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XXXII; Zutshi, Continuitiy, S. 286. Hinsichtlich der Auditores litterarum contradictarum sind die Informationen für diese Jahren unvollständig. Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 285, nannte für die Jahre 1374–1375 Petrus von Sortenac, für das Jahr 1376 Bertrandus, Bischof von Pamphylien. Herde, Audientia 1, S. 78, ergänzte für die Jahre 1371–1372 Gaufridus de Salinhaco, als dessen Nachfolger vermutete er Martinus de Salva.
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Richtung weist auch das Vorhandensein der ausführlichen Gestaltungsregeln für Papsturkunden in dem Manuskript, denn diese dienten mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, die in der Kanzlei und Audientia etablierten Gewohnheiten auch in Abwesenheit eines Großteils des erfahrenen Personals zu bewahren und gleichzeitig den aktuellen Gegebenheiten und Anforderungen anzupassen. Vor allem mussten die zahlreichen neuen Mitarbeiter, die in die römische Kanzlei integriert wurden, entsprechend geschult und mit den Standards vertraut gemacht werden.762 Dies galt besonders im Hinblick auf die Ausstattung der gratiose, für die keine schriftlichen Regularien vorlagen. Ebenso wie die früheren Versionen der Regeln zur Urkundenausstattung diente demnach auch die Bearbeitung in Ross. 476 vorrangig der Wahrung von Kontinuität in Krisenzeiten. Dementsprechend beweisen auch die in der Handschrift nachgetragenen Urkunden, die nach Gregor XI. ausschließlich von römischen Päpsten stammen, dass sie in der dortigen Kanzlei für einige Jahrzehnte kontinuierlich genutzt wurde. Erst seit dem Pontifikat Martins V. (1417–1431) lässt sich ihr Gebrauch nicht mehr nachweisen. Dennoch sind keine weiteren Exemplare dieser überarbeiteten Version des Formularium audientiae mit Schwerpunkt auf den gratiose erhalten.763 Herde machte auf eine zweite Handschrift aufmerksam, die eine völlige Neubearbeitung des Formelteiles des Formularium beinhaltet, allerdings enthält sie keinerlei Ausstattungsvorschriften.764 Ob die Gestaltungsregeln für Gratialurkunden innerhalb der Kanzlei in größerem Rahmen rezipiert und tradiert wurden, lässt sich anhand der bekannten Quellen nicht feststellen. Aufgrund der massiven Umbrüche im päpstlichen Urkundenwesen seit dem späten 14. Jahrhundert, das in der Folge vor allem durch die zunehmende Mitwirkung der Sekretäre der päpstlichen Kammer an der Urkundenproduktion und die aufkommende Urkundenart der Breven gekennzeichnet war,765 büßten die Aufzeichnungen möglicherweise ganz grundsätzlich an Bedeutung ein. 4.3.5 Inhaltliche Entwicklung der Gestaltungsregeln Da es sich bei den beschriebenen vier Quellen zur äußeren Gestaltung päpstlicher Urkunden (mit Schwerpunkt auf den litterae) um verschiedene Bearbeitungsstufen eines im Umfeld der päpstlichen Kanzlei verbreiteten Grundbestands von Ausstat762 Ähnlich begründete bereits Hofmann, Forschungen 1, S. 2 f., die umfängliche Aufzeichnung herrschender Bräuche und älterer Vorschriften nach der Rückkehr der Kurie nach Rom; vgl. auch Schwarz, Statuta, S. 850 f.; Vones, Formelbüchern, S. 406 f.; Barraclough, Public Notaries, S. 91. 763 Herde, Audientia 1, S. 137. 764 Città del Vaticano, Archivio Apostolico Vaticano, Arm. 53 t. 11, vgl. Herde, Audientia 1, S. 138–140. 765 Frenz, Eindringen (1973), S. 306 f., 319–322.
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tungsregeln handelt, ermöglicht es ein Vergleich der vier Fassungen, die inhaltliche Genese der Vorgaben über beinahe zwei Jahrhunderte im Detail nachzuvollziehen. Zu diesem Zweck wird die folgende inhaltliche Untersuchung der Texte nach den darin beschriebenen Urkundenmerkmalen gegliedert, um die einzelnen Entwicklungsschritte bezüglich der Formulierung und der Schwerpunktsetzung der Vorschriften herausarbeiten und auf dieser Grundlage weitere Rückschlüsse auf die Intentionen der Kanzleimitarbeiter bei der Er- und Überarbeitung der Regeltexte ziehen zu können. Besonderes Augenmerk soll darauf gelegt werden, ob es sich bei den Ausstattungsvorschriften um normative oder kodifizierende Aufzeichnungen handelte. 4.3.5.1 Beschreibstoff Seit dem 11. Jahrhundert wurden päpstliche Urkunden ausschließlich auf Pergament ausgefertigt. Papier kam an der Kurie zwar seit dem 13. Jahrhundert auf, fand aber lange keine Verwendung für die Herstellung von Urkunden. Vereinzelt sind auf Papier geschriebene litterae secretae des 14. Jahrhunderts überliefert, erst seit dem 16. Jahrhundert ging man aber dazu über, Papsturkunden vermehrt auf Papier auszustellen.766 Für die Beschaffung des Pergaments war die päpstliche Kammer verantwortlich, die Schreiber wurden zentral damit versorgt.767 Allerdings wurde es in ganzen Häuten ausgegeben, Zuschnitt und Bearbeitung blieben den Skriptoren selbst überlassen.768 Innozenz III. benannte den Beschreibstoff als Identifizierungsmerkmal gefälschter Urkunden.769 Das lässt darauf schließen, dass man sich bei der Auswahl des Pergaments an bestimmten Vorgaben und Gewohnheiten orientierte. Johannes Teutonicus ging in seinem Apparat zur Compilatio Tertia (ca. 1210–1220) im Rahmen der Kommentierung der entsprechenden Verordnung Innozenz’ näher auf die Beschaffenheit des Pergaments von Papsturkunden ein: Quia est alia carta quam consueta, carta enim erat grossa et pecorina, quia in talibus non de facili fit rasura, nisi deprehendatur si carta levetur ad solem.770 Bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde demnach in der päpstlichen Kanzlei für die Urkundenproduktion bevorzugt dickes Schafs- oder Lammpergament genutzt.771 766 Santifaller, Beiträge zur Geschichte der Beschreibstoffe, S. 51 f., 87–89; Poole, Lectures, S. 59; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 84; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 501. 767 Baumgarten, Kanzlei, S. 134–137; Herde, Beiträge, S. 191. 768 Bischoff, Urkundenformate, S. 44, 82–84. 769 X 5.20.5, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 819: Sed hae duae species falsitatis non possunt facile comprehendi, nisi vel in modo dictaminis, vel in forma scripturae, vel qualitate chartae falsitas cognoscatur. 770 Johannes Teutonici Apparatus, Licet ad regimen, ed. Pennington, legalhistorysources.com/ edit501.htm, abgerufen am 06.02.2023. 771 Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 494; Bischoff, Urkundenformate, S. 46 f.
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Spätestens in der Mitte des Jahrhunderts wurde diese Tradition schriftlich fixiert, nämlich in der Version der Ausstattungsvorschriften, die im Speculum iudiciale überliefert ist. Dort ist angegeben, dass das Urkundenpergament pecorina grossa et non rasa sein soll.772 Die Analogie der Wortwahl könnte auf einen direkten Zusammenhang zwischen dem Kommentar des Johannes Teutonicus und diesem Regeltext hinweisen, es mag sich aber auch lediglich um die gebräuchliche zeitgenössische Ausdrucksweise handeln. Johannes Andreae verwies in seinem Kommentar zum Speculum darauf, dass Papsturkunden auch auf Ziegen- oder Kalbspergament ausgefertigt würden. Diese Beobachtung veranlasste ihn zu der Erläuterung, dass der Ausdruck pecorina, im Gegensatz zu dem nach seiner Definition enger gefassten Begriff pecudina, als universale Bezeichnung für Vieh verwendet werde, der auch Tiere wie Pferde, Kühe und Esel einschließe.773 Obwohl pecorina (von pecus, pecoris) auch als „vom Schaf “ übersetzt werden kann, müsste die Regelung demnach nicht zwangsläufig als Einschränkung auf Schafspergament verstanden werden, eine weiter gefasste Interpretation wäre durchaus möglich. In eine ähnliche Richtung weisen auch die Bullarierechnungen des 14. Jahrhunderts, welche die Einkäufe von Pergament für die Kanzlei auflisten. Dort wird eine Vielzahl verschiedener Arten genannt, darunter Lamm-, Ziegen- und Rindspergament, deutlich am häufigsten wurde aber Lammpergament erworben.774 Allerdings konnte Petra Goebel anhand von naturwissenschaftlichen Untersuchungen an etwa 110 Papsturkunden aus der Zeit des 12. bis 15. Jahrhunderts im Steiermärkischen Landesarchiv zweifelsfrei nachweisen, dass die päpstliche Kanzlei für die Urkundenproduktion ausschließlich auf Pergament von Hausschafen zurückgriff.775 Die weiteren genannten Pergamentarten wurden offenbar für andere Zwecke eingekauft. Die Originale zeigen, dass im 13. Jahrhundert die Pergamentqualität der Papst urkunden noch recht schwankend war, es kam dünnes und dickes Material vor. Im 14. Jahrhundert wurde dann aber hauptsächlich gutes dickes Pergament, also per772 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 1. 773 Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb: Non dixit pecudina, quia secundum derivatores plus continent pecus pecoris quam pecus pecudis. Dicunt etiam, quod pecus pecudis continet omnia animalia, que sunt ad usum hominum, ad vescendum vel utendum. Sed pecus pecoris maiora, ut equos, boves, asinos et similia. Hoc dico, quia in hedinis et vitulinis, quando sunt magni processus, videmus litteras scribe, pecus autem corripit primam. Ovidius, de arte, charta antepenultima [Ovid, De arte amatoria libri tres, III, Z. 249]: Turpe pecus mutilum, turpis sine gramine campus. De hiis ff. de legatis III, l. legatis servis, § pecoribus [Dig. 32.65.4], et l. servis legatis, § pecudibus [Dig. 32.81.2], qui faciunt contra predicta. 774 Pargamena agnina, pargamena capretina, pargamena bovina. Außerdem werden genannt pargamena edulina (Pergamente von jungen Ziegenböcken), pargamena mutonina (Hammelpergamente), pargamena vitulina (Kalbspergamente) und pargamena yrcina (Bockpergamente); vgl. Baumgarten, Kanzlei, S. 128 f.; Wattenbach, Schriftwesen, S. 118–123; Bischoff, Urkundenformate, S. 46 f. 775 Goebel, Forschungsmethoden, S. 124–127.
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gamena grossa, verarbeitet.776 Die Aufzeichnung der entsprechenden Regel in den 1260er-Jahren spiegelt diese Entwicklung. Allerdings war die Güte des Beschreibstoffes auch stark von der Art der littera abhängig. Während für Seidenschnurbriefe in der Regel gut bearbeitete Häute herangezogen wurden, wurden einfache Hanfschnurbriefe häufig auf nur grob vorbereiteten und rauen Stücken mundiert.777 Im Speculum wird noch eine weitere erforderliche Eigenschaft des Pergaments genannt: Es wird die Verwendung von pergamena non rasa vorgegeben. Diese Formulierung ist als Umschreibung für das heute in der Diplomatik üblicherweise als „südlich“ bezeichnete Pergament zu verstehen.778 Im Süden Europas wurde meist nur die Fleischseite der Tierhaut als Vorderseite der Urkunde abgeschabt und kalziniert, während die Rückseite nur von Haaren befreit wurde. Das Pergament war dicker und stabiler, worauf auch die Charakterisierung als grossa hinweist. Im Gegensatz dazu wurden im Norden Europas die Häute von beiden Seiten bearbeitet und konnten so auch beidseitig beschrieben werden, was vor allem für die Herstellung von Büchern von Bedeutung war.779 Das „südliche“ Pergament oder pergamena non rasa war das Produkt der Weißgerber, dagegen wurde pergamena rasa, das „nördliche“ Pergament, von Schreibern oder sogenannten Pergamentern veredelt.780 Aus den Rechnungsbüchern der Kammer lässt sich ablesen, dass während des 14. Jahrhunderts für die Urkunden der päpstlichen Kanzlei ausschließlich pergamena non rasa verwendet wurde.781 Die Vulgataredaktion des Formularium audientiae übernahm die Beschreibung der wesentlichen Charakteristika des Pergaments nicht, stattdessen wurde aber eine andere Regel zur Qualität des Beschreibstoffes in das Formularium aufgenommen. Demnach durfte das für päpstliche Urkunden verwendete Pergament keine Löcher oder sichtbaren Nähte aufweisen.782 Ein Kanzleiexemplar des Formularium, die heute in Venedig befindliche Handschrift, weist eine andere Lesart der Regel auf und verbietet die Verwendung von Häuten mit offenkundigen Löchern oder Rissen– an der wesentlichen Aussage der Vorschrift ändert sich dadurch nichts.783
776 Herde, Beiträge, S. 58; Burger, Beiträge, S. 211; Bischoff, Urkundenformate, S. 47 f. 777 Burger, Beiträge, S. 211. 778 Graber, Spurium, S. 93 Anm. 14; Baumgarten, Kanzlei, S. 129; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 494 f. 779 Baumgarten, Kanzlei, S. 129 f.; Graber, Spurium, S. 92; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 494; Wattenbach, Schriftwesen, S. 116 f.; Bischoff, Urkundenformate, S. 45 f. 780 Janzen, Rasorium, S. 200–202. 781 Baumgarten, Kanzlei, S. 129–134. 782 Herde, Audientia 2, S. 8, Z 10: Item nota, quod in nulla parte sui [= littere domini pape] debent continere foramen vel suturam apparentem. 783 Statt suturam apparentem steht in dem Manuskript scisuram apparentem; vgl. Herde, Audientia 2, S. 8, Z 10; Graber, Spurium, S. 94 Anm. 14; Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 347.
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Diese im Formelbuch der Audientia fixierten Gewohnheiten zeigen, dass die päpstliche Kanzlei einen hohen Qualitätsstandard für ihre Produkte anstrebte. Ein beschädigtes Pergament hätte die Autorität des Ausstellers untergraben, Papsturkunden sollten daher möglichst makellos sein. Die Skriptoren hatten also beim Zuschnitt der Urkunde auf Fehlstellen zu achten, die nicht durch Schaben oder Kalzinieren ausgebessert werden konnten.784 Auch die überlieferten Originale demonstrieren die Intention, derartige Mängel im Urkundenpergament zu vermeiden. Herde stellte fest, dass die Vorschrift durchweg eingehalten wurde.785 Bresslau dagegen verwies vor allem für das 15. Jahrhundert auf Urkunden mit Löchern, die offenbar schon vor der Beschriftung vorhanden waren, da die Schrift um sie herum angeordnet wurde.786 Der hohe Pergamentverbrauch der Kanzlei im Zuge des stetig zunehmenden Urkundenausstoßes führte wohl dazu, dass vermehrt über kleinere Schäden hinweggesehen wurde. Das Ideal des 13. Jahrhunderts konnte anscheinend nicht dauerhaft aufrechterhalten werden. Vorschriften zur Beschaffenheit und Qualität des Urkundenpergaments fanden also im Laufe des 13. Jahrhunderts Eingang in die Ausstattungsregeln des Formularium und blieben dort bis ans Ende des 14. Jahrhunderts erhalten. Zum Format der zu verwendenden Häute sind die Angaben in den Quellen wesentlich spärlicher. Lediglich in den Anweisungen im Speculum iudiciale findet sich ein kurzer Hinweis darauf, dass die päpstlichen Briefe quadrata sein sollten.787 Johannes Andreae interpretierte diesen Ausdruck in seinem Kommentar dahingehend, dass vor allem keine lange Form, also kein Hochformat gewünscht sei, die Pergamente aber durchaus breiter als hoch sein dürften, was einem Querformat entspräche.788 Auch Heckel ging davon aus, dass mit dieser Beschreibung auf das übliche Querformat hingewiesen werden sollte. Ebenso kam Bischoff, der die Urkundenformate mittelalterlicher Urkunden analysierte, zu dem Schluss, dass unter quadrata im 13. Jahrhundert kein quadratisches Format zu verstehen sei, sondern die Blätter vielmehr ein regelmäßiges Rechteck bilden sollten.789 Die späteren Bearbeitungen der Gestaltungsvorschriften enthalten keine Vorgaben zu Formatfragen. Die Originale zeigen, dass Form und Größe der päpstlichen Urkunden stark variierten und sowohl vom Umfang des Urkundentextes und als auch von der Be784 785 786 787 788
Wattenbach, Schriftwesen, S. 211–214. Herde, Audientia 1, S. 187. Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 496. Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 1. Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb: Quantum percipio, plus abhorret curia formam longam, quam latam. Unde sepe videmus modice scripture litteras multum latas et curtas. Quare hodie sit pulchrior forma chartarum quam olim. 789 Im 12. Jahrhundert wiesen die päpstlichen Briefe noch häufig quadratische Formen auf, im 13. Jahrhundert war dies nicht mehr üblich; vgl. Bischoff, Urkundenformate, S. 73; Heckel, Kanzleianweisung, S. 116.
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deutung des Inhalts und des Empfängers abhängig waren.790 Die litterae wurden zwar seit der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert immer in dem auch in der Vorschrift im Speculum geforderten Querformat ausgefertigt, ihre Größe war aber sehr uneinheitlich.791 Im Allgemeinen war das Pergament der litterae cum filo canapis von kleinerer Dimension als das der litterae cum serico, im Laufe des Hochmittelalters lässt sich aber insgesamt eine stete Zunahme der Urkundengröße feststellen.792 Besonders unter Innozenz III. (1198–1216), aber auch noch unter Honorius III. (1216–1227) und Gregor IX. (1227–1241) wurden litterae häufig noch auf sehr kleine Pergamentstücke geschrieben, schon unter Innozenz IV. (1243–1254) war dies aber nicht mehr der Fall.793 Im 14. und 15. Jahrhundert schließlich waren Bögen von 40 cm mal 60 cm keine Seltenheit.794 Auch zu diesem Aspekt des Pergamenteinkaufs geben die Bullarierechnungen des 14. Jahrhunderts Aufschluss, da sie konkrete Bezeichnungen für die erworbenen Größen angeben. Diese reichen in kleinteiligen Abstufungen von ganz kleinen (pelles ultime forme) über mittelgroße Blätter (pelles mediocris forme) bis hin zu riesigen Bögen (pelles ultra formam).795 Das Zusammennähen mehrerer Pergamente zu einem großen Stück, um einen besonders umfangreichen Urkundentext darauf unterzubringen, kam in der päpstlichen Kanzlei nicht vor.796 Frenz stellte fest, dass die Urkunden aus der Zeit nach 1300 grundsätzlich ein festes Seitenverhältnis (Breite zu Höhe, mit aufgeschlagener Plica) von 4 : 3 haben.797 Bischoff konnte außerdem zeigen, dass bereits im 12. Jahrhundert die ausgesprochen einheitlichen Proportionen der Papstbriefe ein Höhen-Breiten-Verhältnis aufweisen, das dem goldenen Schnitt entspricht und damit Rückschlüsse auf die Art des Zuschnitts zulässt.798 Es gab unter den Skriptoren also durchaus feste Gewohnheiten im Hinblick auf das Format und die Bearbeitung des Urkundenpergaments, entsprechende schriftliche Aufzeichnungen sind aber nicht überliefert. 790 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 65; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 495 f.; Burger, Beiträge, S. 212; Frenz, Form, S. 353. 791 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 65; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 495 f.; Burger, Beiträge, S. 211; Kordes, Einfluss, S. 222 f.; Bischoff, Urkundenformate, S. 11; Rück, Urkunde, S. 332 f. 792 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XXXVII; Herde, Beiträge, S. 58; Baumgarten, Urkundenwesen, S. 351−353; Frenz, Form, S. 352 f.; Bischoff, Urkundenformate, S. 66 f.; Kordes, Einfluss, S. 221, S. 237; Maleczek, Litterae, S. 62. 793 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX; Frenz, Form, S. 352 f.; Kordes, Einfluss, S. 238. 794 Burger, Beiträge, S. 211 f. 795 Baumgarten, Kanzlei, S. 128 f.; Bischoff, Urkundenformate, S. 49. 796 Bischoff, Urkundenformate, S. 48 f. 797 Frenz, Form, S. 354. 798 Bischoff, Urkundenformate, S. 70–78, unterscheidet drei verschiedene Zuschnittsarten, die sich in den päpstlichen Briefen des 13. Jahrhunderts nachweisen lassen.
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Prinzipiell wurden Papsturkunden auf Einzelblätter geschrieben, seit dem 14. Jahrhundert aber ging man bei inhaltlich sehr umfangreichen Dokumenten dazu über, sie in Form eines Heftes auszufertigen. Die allgemeine Ausstattung wich nicht von den auf einzelnen Pergamentbögen mundierten Urkunden ab, aufgrund der fehlenden Plica mussten lediglich die Kanzleivermerke an anderer Stelle positioniert und die Bulle anderweitig angebracht werden.799 In den untersuchten Regeltexten werden die Libelle wohl auch aus diesem Grund nicht explizit erwähnt. Auch über die zu verwendende Tinte sind keine Angaben erhalten. Abgesehen von sehr wenigen Ausnahmen wurde für die päpstlichen Urkunden im Mittelalter ausschließlich die überall in Europa gebräuchliche schwarze Tinte genutzt. Die Herstellung oblag den Skriptoren selbst, sie war aber jedem erfahrenen Notar und Schreiber geläufig und musste daher nicht eigens geregelt werden.800 Insgesamt sind in den Regeltexten zur Gestaltung der litterae die Vorgaben zum Beschreibstoff der Papsturkunden sehr knapp gehalten, obwohl nach Ausweis der genannten kirchenrechtlichen Quellen auch Qualität und Format des Pergaments als relevante Erkennungsmerkmale päpstlicher Urkunden galten. Dies dürfte sich letztlich darauf zurückführen lassen, dass sich die Vorschriften vorrangig an die Skriptoren und Kontrollinstanzen der Kanzlei richteten, während für die Beschaffung der Häute die Kammer zuständig war. Die im Speculum überlieferten diesbezüglichen Vorgaben waren somit für die Kanzleimitarbeiter nicht maßgeblich und wurden wohl aus diesem Grund nicht in die späteren Textversionen übernommen. Für den Zuschnitt des Pergaments waren zwar die Schreiber selbst verantwortlich, die dafür notwendigen Kenntnisse sowie die etablierten Gewohnheiten der päpstlichen Kanzlei bei der Präparierung des Beschreibstoffes ließen sich aber in der Praxis sicherlich effizienter vermitteln als in Regelform. Auch eine Prüfung des Materials auf Fehlstellen dürften die Skriptoren vorgenommen haben; vor diesem Hintergrund ist wohl auch die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in die Vulgataredaktion des Formularium zu betrachten. Diese offensichtlich gezielte Auswahl einzelner Aspekte bei der Erarbeitung der Ausstattungsvorschriften demonstriert, dass diese inhaltlich konsequent an den faktischen Bedarf der Kanzleimitarbeiter angepasst wurden. 4.3.5.2 Layout Im Zusammenhang mit Form und Größe des Pergaments steht das Layout der Urkunde. Es ist vor allem durch Zeilenlänge und -abstände sowie die Platzierung des Textblocks auf dem Beschreibstoff charakterisiert. Um eine gleichmäßige Verteilung 799 Baumgarten, Kanzlei, S. 142 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 503. 800 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 65; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 505 f. Zur Herstellung der Tinte im Mittelalter vgl. Wattenbach, Schriftwesen, S. 233–244.
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des Textes zu gewährleisten, wurden in der päpstlichen Kanzlei seit dem 12. Jahrhundert Linien auf dem Pergament angebracht, die dem Schreiber als Zeilen dienten.801 Zunächst wurden nur horizontale Striche gezogen, seit dem 13. Jahrhundert finden sich aber auch zunehmend vertikale Linien (oft Doppellinien) als Seitenbegrenzungen. Identische Zeilenhöhen wurden mithilfe eines Zirkels erzeugt. Da der genaue Umfang der Urkunde vor Anfertigung der Reinschrift nicht immer bekannt war, wurden häufig zu viele oder zu wenige Zeilen vorgegeben, bisweilen reichen sie bis unter die Plica.802 Die Vulgataredaktion des Formularium audientiae schreibt ausdrücklich vor, dass diese Liniierung der Papstbriefe nie mit Blei oder Tinte geschehen dürfe, da sie sonst fälschungsverdächtig seien.803 In der Praxis wurden die Linien gewöhnlich mithilfe eines Griffels oder Hölzchens fest in das Pergament eingedrückt. Dieses Verfahren wird als Blindliniierung bezeichnet, da die Zeilen kaum sichtbar sind.804 Die Nachdrücklichkeit der Regel im Formularium macht deutlich, dass die Blindliniierung als Echtheitskriterium päpstlicher Urkunden verstanden wurde und daher unbedingt einzuhalten war. Nach Ausweis der Originale hielten sich die Skriptoren der päpstlichen Kanzlei in den meisten Fällen an diese Vorgabe, Tintenlinien wurden komplett vermieden, Bleistift- und Braunstiftlinien wurden zumindest nach Beschriftung der Urkunde wieder weggewischt.805 Wie die Zeilen im Rahmen der Schriftgestaltung einzusetzen waren, erläutert eine weitere Vorschrift in der Vulgataredaktion, in der die Ausstattung des Papstnamens in der Intitulatio der Seidenschnurbriefe thematisiert wird. In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich betont, dass alle Buchstaben des Namens, mit Ausnahme der größeren Initiale, de linea ad lineam reichen sollen.806 In der zweiten Redaktion des Formularium wurde eine Vorgabe ergänzt, der zufolge in allen Papstbriefen sämtliche Buchstaben mit Oberlängen in der ersten Zeile an die obere Linie heranzuführen seien, dasselbe gelte für die Initialen der dort genannten Namen.807 An dieser Stelle stehen in einer päpstlichen littera Name und Wohnort 801 Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 504; Baumgarten, Urkundenwesen, S. 352 f.; Bischoff, Urkundenformate, S. 80. 802 Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 504; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 608; Burger, Beiträge, S. 213; Wattenbach, Schriftwesen, S. 217 f.; Bischoff, Urkundenformate, S. 80 f.; Frenz, Form, S. 355; Baumgarten, Miscellanea, S. 194*. 803 Herde, Audientia 2, S. 8, Z 9: Item nota, quod littere domini pape non debent lineari cum plumbo vel cum incausto; quod si fieret, essent suspecte. 804 Wattenbach, Schriftwesen, S. 215–218. 805 Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 505; Baumgarten, Urkundenwesen, S. 352 f. 806 Herde, Audientia 2, S. 5, Z 2: Que autem cum serico bullantur, debent habere nomen domini pape per omnes litteras elevatum prima semper apice existente et facta cum aliquibus spatiis infra se, reliquis litteris eiusdem nominis de linea ad lineam attingentibus […]. 807 Herde, Audientia 2, S. 7, Z 7a: Item nota, quod omnes littere longe, que sunt in prima linea, ut „l, b“, et „ſ “ et similia, debent tangere superiorem lineam et etiam prime littere nominum.
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oder Diözese des oder der Adressaten.808 Mit dieser Regelung wurde die erste Zeile gegenüber dem Rest des Textes hervorgehoben, was der Urkunde ein gefälliges Gesamtbild verlieh und gleichzeitig die Namen der Empfänger, die beispielsweise bei der Vorlage des Dokuments in einem Gerichtsverfahren von besonderer Bedeutung waren, zusätzlich akzentuierte. Tatsächlich lässt sich anhand der überlieferten Originale feststellen, dass seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts das Protokoll auf der zweiten Querlinie eingetragen und die erste als Oberlinie genutzt wurde.809 Seit dem 14. Jahrhundert wies die erste Zeile im Verhältnis zum übrigen Text eine zunehmend größere Höhe auf, bis sie schließlich doppelt so hoch war wie die zweite. Ebenso wurde für die Initiale im Laufe der Zeit mehr Raum gelassen.810 Diese Entwicklung in den Originalen kann zeitlich mit der Ergänzung der Vorschrift zur Betonung der ersten Zeile in der zweiten Redaktion des Formularium in Verbindung gebracht werden. Hinsichtlich der angestrebten Zeilenhöhe bieten die Quellen keine präzisen Angaben. Sie wurde in der Praxis im Wesentlichen durch die Größe des Pergaments und den Umfang des einzutragenden Textes bestimmt, es blieb dem Skriptor selbst überlassen, die Einteilung entsprechend vorzunehmen. Die Originale zeigen, dass mit der Vergrößerung der Pergamente seit dem 12. Jahrhundert die Zeilenabstände zunächst anwuchsen, seit der Mitte des 14. Jahrhunderts entwickelte sich jedoch ein wesentlich gedrängteres Schriftbild, da die Zeilen wieder näher zusammenrückten. Die Größe der Schrift war zwar vom jeweiligen Schreiber abhängig, passte sich aber grundsätzlich den vorgegebenen Zeilengrößen an.811 Doch nicht nur Zeilenhöhe und -abstände konstituieren das Layout der mittelalterlichen päpstlichen litterae, sondern auch die regelmäßige Verteilung des Textes auf diesen Zeilen. Seit dem 12. Jahrhundert wurde der Kontext päpstlicher Urkunden mithilfe von Zeilen- und Außenliniierung weitgehend so formiert, dass er als Block zentriert auf dem Pergament stand, die letzte Zeile wurde gegebenenfalls gedehnt, damit ein bündiger Abschluss entstand.812 So wurde ein einheitliches „Blocksatz-Layout“ erzeugt. In den Originalen ist die Schrift gewöhnlich so angeordnet, dass sie jeweils an der linken senkrechten Linie (oder im Falle einer doppelten Linie an der inneren) beginnt und an der rechten (oder gegebenenfalls der äußeren von zwei Linien) endet.813 Seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts wurden am Zeilenende die kleinen Querstriche der Buchstaben t und e sowie die obere Rundung des Schluss-s zunehmend bis zur senkrechten Seitenlinie verlängert, um 808 809 810 811
Zur Inscriptio siehe unten Kapitel 4.3.5.3, S. 165. Baumgarten, Miscellanea, S. *194; Frenz, Form, S. 365; Kordes, Einfluss, S. 220. Frenz, Form, S. 366–370; Bischoff, Urkundenformate, S. 80; Kruska, Zeilen, S. 236 f. Baumgarten, Urkundenwesen, S. 353; Burger, Beiträge, S. 213; Frenz, Form, S. 363; Kordes, Einfluss, S. 230 f.; Kruska, Zeilen, S. 237. 812 Kruska, Zeilen, S. 233 f.; Kordes, Einfluss, S. 216 f. 813 Burger, Beiträge, S. 213; Frenz, Form, S. 355.
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die Einheitlichkeit der Zeilenlängen zusätzlich zu forcieren.814 Einen vorläufigen Abschluss fand diese Entwicklung eines gleichmäßigen Layouts in der Mitte des 13. Jahrhunderts unter Innozenz IV.815 Eine erste schriftliche Regelung zu diesem Aspekt der Urkundengestaltung ist in der wahrscheinlich während der Vakanz vor dem Pontifikat Innozenz’ IV. angelegten Handschrift Durrieu überliefert, ein Abschnitt der Ausstattungsvorschriften geht speziell auf die Aufteilung der Worte in der letzten Urkundenzeile ein: Diese solle die gleiche Länge haben wie die übrigen Zeilen des Textblocks und wenigstens die vier Worte der Jahresdatierung (nach Pontifikatsjahren) enthalten.816 Im Wortlaut etwas verändert findet sich diese Vorschrift auch in der etwas späteren Bearbeitung des Textes im Speculum iudiciale. Auch dort wird vorgegeben, dass die letzte Zeile der littera auf gleicher Höhe mit den anderen enden soll, am Ende dürfe kein Raum frei bleiben.817 In dieser Form wurde die Vorschrift nicht in die Vulgataredaktion des Formularium audientiae übernommen, sie ist aber implizit in den zahlreichen anderen Hinweisen zur Anordnung der Datierung enthalten.818 Zum allgemeinen Layout der Datumsformel päpstlicher Briefe äußert sich außerdem ein Zusatz zu diesem Regeltext, der nur in der Trierer Handschrift, einer Abschrift aus einem Kanzleiexemplar des späteren 14. Jahrhunderts, enthalten ist. Demnach soll das Datum mit großzügigen Wortzwischenräumen ausgeführt werden, wenn genug Raum dafür vorhanden ist, andernfalls sei es eng und mit gedrängten Buchstaben zu schreiben.819 Die Notiz, die ursprünglich ein Schreiber in seinem Exemplar des Formularium vermerkt haben dürfte, um sich diese Gewohnheit der Kanzlei einzuprägen, die ihm eventuell ein erfahrenerer Skriptor oder ein höhergestelltes Kanzleimitglied erläutert hatte, verdeutlicht das angestrebte Ideal der päpstlichen Kanzlei hinsichtlich des Layouts der litterae. Eine großzügige Verteilung der Worte in der Zeile war wünschenswert, von größerer Bedeutung war aber die Einhaltung der Seitenränder und des gleichmäßigen Blocksatzes. Um dies zu gewährleisten, wurde gegebenenfalls eine kompakte Anordnung der Worte und Buchstaben präferiert, um Diskrepanzen bei der Zeilenlänge zu vermeiden.
814 Kordes, Einfluss, S. 236 f. 815 Kordes, Einfluss, S. 223 f. 816 Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXII: Item nota quod ultima linea terminari debet cum aliis equaliter semper, et ad minus ultima linea continere debet hoc: „pontificatus nostri anno primo“ [Anführungszeichen hier und im Folgenden ergänzt, da bei Berger nicht vorhanden]. 817 Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 13: Item circa lineas nota, quod ultima linea debet compleri et fieri cum aliis equalis, nec debet pars eius vacua remanere […]. 818 Zu den Regeln zur Gestaltung der Datierung siehe unten Kapitel 4.3.5.7, S. 187. 819 Herde, Audientia 2, S. 14, Z 17a: […] et [datum] est facienda cum competentibus intervallis, si spatium litterarum hoc patiatur; si vero hoc non patiatur, potest strictius scribi.
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Die untersuchten Hilfsmittel der Kanzlei enthalten auch Vorschriften zu einem weiteren Aspekt, der großen Einfluss auf das Layout der päpstlichen Briefe hat, nämlich zur Silbentrennung. Der früheste erhaltene Regeltext, der sich zu dieser Thematik äußert, ist auch in diesem Fall die Anweisung im Speculum iudiciale. Sie verbietet rigoros jegliche Trennung von Worten in päpstlichen litterae.820 Johannes Andreae ergänzte in seinem Kommentar einen Hinweis auf die Konstitution Cum ad sacrosancte Johannes’ XXII., in welcher der Papst für die zeilenweise Taxierung der in einer Urkunde ergänzten Klauseln von einem Zeilenumfang von 150 Buchstaben oder 25 Worten ausging.821 Frenz konnte im Rahmen seiner Untersuchung päpstlicher Originale keine derart konkrete Zahl bestätigen, stattdessen aber hinsichtlich der Verteilung des Textes auf die Zeilen eine Relation ermitteln. Er erkannte, dass sich in einer Urkundenzeile durchschnittlich genauso viele Wörter befinden, wie die Urkunde Zeilen hat.822 Bischoff hielt dagegen, dass diese Verteilung von den Urkundenschreibern nicht absichtlich angestrebt worden sei, sondern sich aus der Proportionierung des Pergaments in Höhe und Breite ergebe, die dem Standard des goldenen Schnitts folge.823 Diese Erkenntnisse sind für das Layout der litterae durchaus aussagekräftig, für die Frage der Worttrennung aber nicht von Interesse. Der Kommentar Johannes Andreaes ist als nähere Definition des Begriffs der Zeile zu verstehen und bezieht sich nicht auf das konkrete Trennungsverbot der Anweisung. In den Ausstattungsvorschriften des Formularium audientiae wird die Silbentrennung nicht behandelt, allerdings findet sich in den Notulae zur Delegationsgerichtsbarkeit ein entsprechender Hinweis, der die Aufteilung von Eigennamen auf zwei Zeilen verbietet.824 Es handelt sich um eine sehr deutliche Einschränkung des früheren grundsätzlichen Verbots auf den speziellen Fall der Namen. Tatsächlich ist die Trennung von Eigennamen in einem Fließtext besonders problematisch, da 820 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 11: Item non debet aliqua dictio dividi, ut principium sit in fine unius linee et finis in principio alterius. 821 Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb: Constitutio Johannis Cum ad sacrosancte, quo ad salaria pro litteris solvenda taxat lineas CL litterarum vel XXV dictionum. Die Konstitution Cum ad sacrosancte regelt die Taxierung päpstlicher Urkunden und fand als Teil der Extravagantes Johannis XXII. Eingang in das Kirchenrecht. Der von Johannes Andreae zitierte Abschnitt lautet (Druck: Extrav. Jo. XXII 13.1, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 1219): Si vero per se, vel saltem aliis addita clausulis faciat lineam; in quarta parte Turonensis grossi taxetur, et sic pro qualibet linea hu iusmodi additae clausulae in taxando quarta pars grossi Turonensis addatur. Et si quid superfuerit, et minus linea: illud superfluum nec taxationem immutet. Lineam autem, quae centum et quinquaginta literas, seu XXV. Continet dictiones, intelligi volumus in hoc casu. Vgl. Tangl, Taxwesen, S. 19 f. Zu den Konstitutionen Johannes’ XXII. zum Taxwesen siehe unten Kapitel 4.6.1, S. 286. 822 Frenz, Form, S. 358. 823 Bischoff, Urkundenformate, S. 70–77. 824 Herde, Audientia 2, S. 36, N 12a: Item nota, quod proprium nomen non debet dividi in litteris papalibus, quod teneat duas lineas, et si fiat, vitium est.
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sie das Erkennen von Namen in möglicherweise unbekannten Sprachen erschweren und außerdem den Schreiber leichter zu Fehlern in der Buchstabenfolge verleiten konnte. Offenbar war ein vollständiges Verbot der Worttrennung in päpstlichen Urkunden nicht durchsetzbar, denn es war hinsichtlich der Verteilung des Textes auf die Zeilen nicht praktikabel und für ein einheitliches Schriftbild nicht förderlich. Die Originale zeigen, dass die Regelung nie Beachtung fand, was die Aufzeichnung der späteren, wesentlich spezielleren und praxisnäheren Vorschrift erklärt.825 Erneut wird deutlich, dass eine gleichmäßige Zeilenlänge als wesentliches Element des Layouts der Papstbriefe galt. Das Verbot der Silbentrennung, das offenbar zeitweise wenigstens durch einzelne Kanzleimitarbeiter angestrebt und daher in der früheren Textversion festgehalten worden war, konnte sich in der Praxis nicht durchsetzen, da es sicherlich die Wahrung des einheitlichen Blocksatzes erschwert hatte. Die Notulae beinhalten noch eine zweite Regel, die wiederum illustriert, dass für die Urheber dieser Ergänzungen vor allem der optische Gesamteindruck der litterae im Vordergrund stand. Demnach sollen die ersten Buchstaben des Zeilenbeginns sowie die letzten am Zeilenende jeweils nicht weiter hinausragen als in den anderen Zeilen, sondern genau untereinander stehen.826 Der gesamte Text war somit in einheitlicher Ausrichtung und ohne Absätze, also im Blocksatz zu formatieren. Weiter wird angegeben, dass die Zeilen immer den gleichen Abstand zueinander aufweisen sollen, nur die erste dürfe höher sein. Schließlich sollen die Ränder des Briefes eine angemessene Breite haben und der Abstand vom Textblock zum Rand immer gleich groß sein.827 Insgesamt wird in diesem Abschnitt der Notulae das angestrebte einheitliche Layout der päpstlichen litterae in all seinen Einzelmerkmalen zusammengefasst. Diese Hinweise, die sich nur in der zweiten Redaktion der Notulae finden, spiegeln eine konkrete Weiterentwicklung in der äußeren Gestaltung der päpstlichen Urkunden, die im 14. Jahrhundert an Größe zunahmen und ein regelmäßigeres Schriftbild aufwiesen. Das kompaktere Bild wurde durch breitere Ränder, eine Verringerung der Zeilenhöhe und eine Verkürzung des Wortabstandes herbeigeführt.828 Laut Herdes Edition des Formularium sind die beiden Ergänzungen aber auch in der Handschrift enthalten, die sich heute in Cambridge befindet und eigentlich die erste Redaktion der Notulae aufweist.829 Das Manuskript ist kein 825 Heckel, Kanzleianweisung, S. 117. 826 Herde, Audientia 2, S. 36, N 12b: Item nota, quod littera non debet ultra exire in una linea vel incipere quam in alia. 827 Herde, Audientia 2, S. 36, N 12b: […] et debent esse equales linee post primam, que aliquantulum latior debet esse; et debet habere competentia spatia et equalia a lateribus. 828 Herde, Audientia 1, S. 196; Frenz, Form, S. 362 f. 829 Herde, Audientia 2, S. 36.
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Kanzleiexemplar, entstand aber in der Mitte des 14. Jahrhundert im Umfeld der Kanzlei.830 Eventuell handelt es sich hier um eine Zwischenstufe, die zwar eine erweiterte Fassung der ersten Redaktion enthält, aber noch vor der endgültigen Umarbeitung entstand. In jedem Fall verdeutlicht dieser Einschub in die Notulae, die eigentlich juristische Fragen zur Delegationsgerichtsbarkeit behandeln, dass die Kanzlei seit der Mitte des 14. Jahrhunderts mit Nachdruck den gleichmäßigen optischen Gesamteindruck ihrer Briefe forcierte. Die entsprechenden Regeln wurden dort aufgezeichnet, wo die Schreiber der Justizbriefe die Vorlagen für ihre Arbeit fanden, nämlich in der Formel- und Regelsammlung der Notulae. Sie ergänzten damit inhaltlich die Ausstattungsvorschriften des Formularium, die keinerlei allgemeine Angaben zum Layout der Urkunde enthalten, sondern nur auf die erste und letzte Zeile eingehen. Die Notula zum Layout der Papstbriefe enthält darüber hinaus die einzige Vorgabe zur Gestaltung der Ränder, die in den bekannten Hilfsmitteln der Kanzlei überliefert ist, beschränkt sich aber auf den Hinweis, dass diese groß genug (competentia spatia) und einheitlich (equalia a lateribus) sein sollen. Wie auch im Fall der Zeilenhöhe blieb die Wahl einer passenden Randbreite den Schreibern selbst überlassen. Das angestrebte Layout war nur im Grundsatz vorgegeben, die praktische Umsetzung musste jeder Skriptor selbst leisten. Er orientierte sich dabei sicherlich an seinen Kollegen, den allgemeinen Trends und Gewohnheiten der päpstlichen Kanzlei und seinen praktischen Erfahrungen. Die Originale zeigen, dass das Format der Urkundenränder im 13. und 14. Jahrhundert bestimmten Entwicklungslinien folgte. Seit den 1220er-Jahren wurden Zeilenanfang und -ende durch senkrechte Begrenzungslinien zunehmend von den Pergamenträndern eingerückt.831 Die Seitenränder wurden, besonders seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, im Laufe der Jahrzehnte immer breiter und erreichten in der Mitte des 14. Jahrhunderts eine beachtliche Dimension.832 Der obere Rand dagegen nahm im Laufe des 13. Jahrhunderts zunächst analog zu den Seitenrändern in seiner Breite zu, seit dem 14. Jahrhundert wurden seine Ausmaße jedoch zunehmend durch die immer ausladendere Initiale des Papstnamens bestimmt, wodurch er schmaler wurde.833 Durchschnittlich wurde seit dem 14. Jahrhundert etwa ein Drittel der Pergamentfläche beschrieben, an den Seiten und oben blieben jeweils Ränder von etwa 6 cm Breite frei.834 Auch die Größe der Plica war nicht vorgegeben, sie ist in den untersuchten Quellen nirgends beschrieben. In der 830 Siehe oben Kapitel 4.3.3 S. 135. 831 Kordes, Einfluss, S. 220 f. 832 Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXXVIIIf.; Kruska, Zeilen, S. 239; Kordes, Einfluss, S. 239 f.; Baumgarten, Urkundenwesen, S. 353; Burger, Beiträge, S. 212 f. 833 Kruska, Zeilen, S. 235 f.; Kordes, Einfluss, S. 219 f., 237 f.; Frenz, Form, S. 357. 834 Frenz, Form, S. 364 f.
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Praxis hing ihre Höhe von der Länge des Textes und der freien Fläche unterhalb des Textes der Urkunde ab.835 Eine Sonderform hinsichtlich des Layouts stellen die litterae clausae dar.836 Richtlinien darüber, wann eine Urkunde verschlossen versandt werden sollte, sind nicht überliefert und dürften auch nicht existiert haben. Diese Ausstellungsart kam verhältnismäßig selten vor, offenbar wurde gelegentlich spontan entschieden, eine Urkunde zu verschließen.837 Im 13. und frühen 14. Jahrhundert wurden litterae clausae fast ausschließlich für die politische, diplomatische und teilweise private Korrespondenz der Päpste mit den weltlichen Herrschern Europas genutzt.838 In der Neubearbeitung des Formularium findet sich aber eine Erläuterung zu den Sekretbriefen, die eine Teilmenge der litterae clausae bildeten.839 Diese seien deswegen sekret, weil sie Geheimnisse enthielten und ihr Inhalt von den Skriptoren nicht eingesehen werden solle.840 In der Praxis wurde diese Geheimhaltung dadurch gewährleistet, dass die litterae secretae nicht durch das Kanzleipersonal, sondern durch das Personal der päpstlichen Kammer expediert wurden.841 Eventuell wurde diese überarbeitete Fassung des Formularium also nicht nur von den Skriptoren der Kanzlei, sondern auch den Sekretären der Kammer genutzt. In dem Regeltext wird auch noch auf eine andere Eigenart dieser besonderen Briefform hingewiesen: Aufgrund des Verschlusses der Urkunde soll die Adresse des Empfängers auf der Außenseite als suprascriptio wiederholt werden, und zwar im gleichen Wortlaut wie im Protokoll. Sie soll mindestens eine ganze Zeile und noch einen Teil einer weiteren Zeile einnehmen und mit großzügigen Abständen geschrieben werden.842 Weitergehende Anweisungen zur Gestaltung der zu verschließenden Urkunden enthält der Abschnitt zu den Sekretbriefen nicht. Die Tradition, litterae clausae auf die beschriebene Art zu verschließen und mit der Adresse zu beschriften, wurde in der Kanzlei bereits seit dem 12. Jahrhundert gepflegt.843 Schriftliche Vorgaben zu solchen Sonderformen päpstlicher Urkunden sind aber erst aus dem späten 14. Jahrhundert überliefert, als im Rahmen der Neu835 Frenz, Form, S. 357. 836 Siehe oben Kapitel 2.1, S. 24. 837 Maleczek, Litterae, S. 56−59; Egger, Littera, S. 48 f.; Herde, Beiträge, S. 74 f. 838 Maleczek, Litterae, S. 62−72. 839 Siehe oben Kapitel 2.1, S. 23. 840 Ross. 476, fol. 65r: Et dicuntur secrete quia secreta continent et earum materie pro non visis per scriptores haberi debent, et clause omnia sunt […]. 841 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 108; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 115; Göller, Mitteilungen, S. 42–45, 56 f. Zwei frühe Beispiele aus dem Pontifikat Clemens’ V. beschreibt Maleczek, Litterae, S. 64. 842 Ross. 476, fol. 65r: […] et clause omnia sunt, et earum suprascriptio cum titulo interiori eorum quibus diriguntur dempta salutatione prefatione domini nostri per omnius concordari debet, et occupare debet lineam integram suis contentam spatiis et aliquam partem alterius linee. 843 Maleczek, Litterae, S. 55−59.
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bearbeitung des Formularium möglichst viele der Traditionen, die in der päpstlichen Kanzlei in Avignon praktiziert worden waren, für das unerfahrene Personal der römischen Kanzlei in Form von Anweisungen schriftlich fixiert wurden. Da litterae verhältnismäßig selten verschlossen wurden, konnte in den vorhergehenden Jahrzehnten im Kontext einer funktionierenden Kanzlei mit bewährten Mitarbeitern auf die Aufzeichnung einer entsprechenden Regel wahrscheinlich verzichtet werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Hinweise zum Layout der Papstbriefe in den Quellen vor allem auf die erste und letzte Zeile, das Protokoll und die Datierung, eingehen. Beschrieben werden damit jene beiden Bestandteile der Urkunde, für deren Gestaltung spezielle Vorgaben eingehalten werden mussten – dort lagen demnach auch potentielle Fehlerquellen und es bestand der größte Regelungsbedarf. Erst in den beiden Notulae, die wahrscheinlich in der Mitte des 14. Jahrhunderts in das Textkorpus eingefügt wurden, sind allgemeine Vorschriften zum grundsätzlichen Layout der Urkunden kodifiziert, die in der Praxis bereits seit dem 13. Jahrhundert umgesetzt wurden. Diese Kanzleitraditionen wurden offenbar – ebenso wie die Konventionen hinsichtlich der Beschaffenheit und dem Zuschnitt des Pergaments – lange vor ihrer schriftlichen Fixierung auf Grundlage von Anschauungsmaterial und ihm Rahmen kollegialer Erläuterungen vermittelt und tradiert. Die aufgezeichneten Regeln bezeugen, dass das einheitliche Erscheinungsbild der Papstbriefe als wesentliches Ausstattungsmerkmal betrachtet wurde. Als entscheidende Charakteristika des Layouts der litterae galten in der Kanzlei die gleichmäßige Höhe und Länge der Zeilen sowie eine angemessene Breite der Ränder. 4.3.5.3 Protokoll Abgesehen vom Layout werden in den verschiedenen Entwicklungsstufen der Ausstattungsvorschriften für litterae noch zahlreiche weitere Aspekte der Protokollgestaltung behandelt. Grundsätzlich setzt sich das Protokoll der Papstbriefe aus drei verschiedenen Teilen zusammen, der Intitulatio (Papstname samt dem Titel episcopus servus servorum Dei),844 der Adresse und der abschließenden Grußformel. Diese Salutationsformel lautete seit dem 11. Jahrhundert salutem et apostolicam benedictionem.845 Die älteste überlieferte Vorschrift zur Gestaltung eines Protokollbestandteils findet sich in der Handschrift Durrieu. Dort wird ganz knapp geregelt, dass die Initiale des Papstnamens immer hervorzuheben sei.846 Wesentlich umfassender 844 Zur Entwicklung dieses Titels vgl. Poole, Lectures, S. 23; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 67; May, Ego, S. 19 f. 845 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 77; Poole, Lectures, S. 177–180. 846 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX: „H.“, in principio littere, vel prima alia littera cujus
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sind dann die Angaben der Vulgataredaktion des Formularium. Demnach soll der Papstname in der Intitulatio der Seidenschnurbriefe per omnes litteras elevatum ausgeführt werden.847 Diese Hervorhebung des Papstnamens durch Elongata kam unregelmäßig bereits in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts vor, seit Alexander III. (1159–1181) wurde sie zur Regel, und zwar ausschließlich in mit Seide bullierten litterae.848 Seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhundert, besonders unter Gregor IX., wurde die Elongata immer häufiger durch schmale unziale Majuskeln ersetzt.849 Im Detail beschrieben ist im Formularium darüber hinaus die Ausführung der Initiale in den litterae cum serico, die schwarz auszumalen und mit Aussparungen zu versehen war. Außerdem wird erneut betont, dass die übrigen Buchstaben des Papst namens zeilenfüllend – also elongiert – sein sollen. Es blieb dem Schreiber freigestellt, sie zusätzlich floral auszuschmücken.850 In der zweiten Redaktion des Formularium wurde die angestrebte Ausstattung der Initiale in Seidenschnurbriefen weiter präzisiert, sie soll demnach entweder mit Aussparungen oder Verzierungen versehen werden.851 In den Originalen wurde diese Dekoration besonders im 13., in weniger aufwendiger Ausführung aber auch im 14. Jahrhundert oft in Form von Blatt- oder Blütenranken umgesetzt, die aus den Endlinien der Buchstaben herauslaufen.852 Im Protokoll der Hanfschnurbriefe soll dagegen laut der Vulgataredaktion des Formularium audientiae nur die Initiale des Papstnamens vergrößert werden, die übrigen Buchstaben seien in gewöhnlicher Minuskelschrift auszuführen. Die Handschriften der zweiten Redaktion schränken noch zusätzlich ein, dass die Initiale nie mit Durchbrechungen oder Blumenranken verziert werden dürfe, und legen außerdem fest, dass in den litterae cum filo canapis die Oberlängen des Papstnamens bis an die obere Linie heranreichen sollen.853
847 848 849 850
851 852 853
cumque pontificis, semper sollempniter formari debet. Das H interpretierte Berger als Initiale Honorius’ III., vgl. ebd., S. L. Herde, Audientia 2, S. 5, Z 2: Que autem cum serico bullantur, debent habere nomen domini pape per omnes litteras elevatum […]. Kordes, Einfluss, S. 217 f.; Birnstiel/Schweitzer, Seide, S. 319 f.; Hotz, Litterae apostolicae, S. 131–136. Kordes, Einfluss, S. 236. Herde, Audientia 2, S. 5, Z 2: […] prima semper apice existente et facta cum aliquibus spatiis infra se, reliquis litteris eiusdem nominis de linea ad lineam attingentibus et cum floribus vel sine hoc modo: „Bonifatius ep̅c“ etc. Herde, Audientia 2, S. 6, Z 6 II: Item notandum, quod in litteris cum serico prima littera nominis debet esse divisa vel cum floribus, ut supra in nomine „Clemens“. Krafft, Aufkommen, S. 136−138; Burger, Beiträge, S. 214 f. Herde, Audientia 2, S. 8–9, Z 11: Item nota, quod ille littere, que bullantur cum filo canapis, debent habere primam litteram nominis domini pape elevatam (sine floribus et divisione) et reliquas communes (preter „l, ſ, b“ et similia, que debent tangere superiorem lineam,) hoc modo: „Bonifatius“ etc.
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Auch die Gestaltungsvorschriften in der Neuredaktion des Formularium audientiae gehen darauf ein, wie der erste Buchstabe des Papstnamens in litterae cum serico ausgestattet werden soll, nämlich geschwärzt und mit Aussparungen im Körper des Buchstabens.854 Der Wortlaut erinnert stark an die Vorschrift der Vulgataversion des Formularium und geht wahrscheinlich direkt auf diese zurück. Die Weiterentwicklung dieser Regel von ihrer Frühform bis zur Aufnahme in die Vulgataredaktion ist beachtlich. Die detaillierte Ausformulierung der in der Handschrift Durrieu noch sehr knappen Vorschrift verdeutlicht die Bemühungen der Urheber des Formularium, zunehmend trennscharfe Vorgaben für die Gestaltung der Seidenschnurbriefe einerseits und der Hanfschnurbriefe andererseits zu formulieren, um die seit dem 12. Jahrhundert übliche Abgrenzung der beiden Arten von litterae anhand ihrer äußeren Ausstattung dauerhaft zu gewährleisten. Die Überlieferung im Speculum bietet leider keine zusätzlichen Erkenntnisse, da sie solche Zierelemente aufgrund ihrer Auslegung auf die Kontextschrift nicht berücksichtigt. Insgesamt geben die Regularien eine deutliche Betonung des Papstnamens vor, und zwar in beiden Briefarten. Dennoch wurde durch die präzisen Einschränkungen bei der Verzierung des Papstnamens und besonders der Initiale in den litterae cum filo canapis gewährleistet, dass ihre Ausstattung gegenüber den litterae cum serico erheblich einfacher und schmuckloser blieb. Diese Genese der Ausstattungsregeln spiegelt sich auch in den Originalen. Geschmückte Initialen sind in den päpstlichen Urkunden bereits seit dem Ende des 11. Jahrhunderts nachweisbar. Unter Alexander III. (1159–1181) verstetigte sich die Hervorhebung des ersten Buchstabens, außerdem wurde er in den Seidenschnurbriefen fortan regelmäßig prachtvoller verziert als in den mit Hanfschnur bullierten litterae. Die Entwicklung erreichte ihren Höhepunkt mit besonders prächtig ausgestatteten Initialen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts während der Pontifikate Gregors IX. (1227−1241) und Innozenz’ IV. (1243−1254).855 Die Entstehung der Handschrift Durrieu, die den ersten kurzen Hinweis zur Ausschmückung des Anfangsbuchstabens enthält, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Sedisvakanz zwischen diesen beiden Päpsten datiert werden, so dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Verschriftlichung dieser Regel und der konsequenten Verzierung der Initialen in den litterae vermutet werden kann. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde der aufwendige Schmuck zunehmend von eher nüchternen Verzierungen abgelöst.856 Offenbar gab es aber 854 Ross. 476, fol. 64v: Item debent habere litteram primam nominis pape apicem cum aliquibus spaciis infra corpus generaliter omnes littere gratiose. 855 Zur Entwicklung der Initialengestaltung vom 11. bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts vgl. Krafft, Aufkommen, S. 127−137; Birnstiel/Schweitzer, Seide, S. 319 f.; Kordes, Einfluss, S. 218 f., 234–236; Kruska, Zeilen, S. 239; Hotz, Litterae apostolicae, S. 117–131. 856 Herde, Beiträge, S. 58; Krafft, Aufkommen, S. 138.
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Versuche, dieser Tendenz entgegenzuwirken, denn auf Originalen findet sich vereinzelt der Kanzleivermerk fiant flores – eine Anweisung, die Initiale nachträglich zu verzieren.857 In Einzelfällen lässt sich nachweisen, dass dieser Zierbuchstabe nicht von dem Schreiber der Urkunde, sondern gesondert eingetragen wurde.858 Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Skriptoren der päpstlichen Kanzlei zumindest in einigen Fällen bereits im 13. Jahrhundert zur Anfertigung der prächtigen Verzierungen des Protokolls Fachkräfte als Gehilfen beschäftigten, was in ähnlicher Form für das 15. Jahrhundert nachweisbar ist.859 Möglicherweise wurden die Schmuckelemente aber auch von Schreiberkollegen angebracht, die auf diese Ausstattungsschriften spezialisiert waren. Im 14. Jahrhundert, vor allem mit dem Pontifikat Clemens’ V. (1305−1314), setzte sich dann aber endgültig die schlichtere Ausstattung der Initiale durch und blieb auch während der gesamten avignonesischen Zeit erhalten. In den Seidenschnurbriefen wurde der Anfangsbuchstabe meist nur mit einfachen Aussparungen geschmückt, in den Hanfschnurbriefen wurde er lediglich geschwärzt und vergrößert.860 Dieser Rückgang der prächtigen Verzierungen setzte also zeitgleich mit der Präzisierung der entsprechenden Ausstattungsregeln in der zweiten Redaktion des Formularium audientiae ein – ein Befund, der darauf schließen lässt, dass die Regel aufzeichnungen einen konkreten Einfluss auf die praktische Urkundengestaltung hatten. Auch die Gestaltung der übrigen Buchstaben des Papstnamens wurde seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts streng regelgerecht ausgeführt, in den Briefen cum serico als litterae elevatae, in denen cum filo canapis in einfacher Minuskelschrift und mit verlängerten Oberschäften.861 Erst während des Großen Schismas wurde, zumindest in der römischen Kanzlei, wieder eine deutlich prächtigere Gestaltung der Papstinitiale üblich.862 Die Regel zur Ausstattung des Buchstabens in den Seidenschnurbriefen war zwar in die Neuredaktion des Formularium übernommen worden, sie wurde aber nicht mehr so wortgetreu befolgt wie in der avignonesischen Kanzlei. Mit dem Wechsel des Kanzleipersonals im Zuge der Übersiedlung nach Rom ging demnach eindeutig auch ein Bruch mit den etablierten Gestaltungstraditionen einher. Im Hinblick auf den Papsttitel episcopus servus servorum Dei sind die Vorgaben in den Ausstattungsregularien äußerst spärlich. In der Handschrift Durrieu findet 857 Beispiele finden sich bei Largiadèr, Papsturkunden Schweiz 1, Nr. 551 (1257), und Schwarz, Originale, Nr. 177 f. (1289); vgl. Graber, Spurium, S. 124 f. Anm. 117; Krafft, Aufkommen, S. 137. 858 Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 591; Krafft, Aufkommen, S. 137. 859 Frenz, Sed hee due species falsitatis, S. 340 f.; Nüske, Untersuchungen (1975), S. 420 f. 860 Burger, Beiträge, S. 214 f.; Krafft, Aufkommen, S. 138 f. 861 Burger, Beiträge, S. 214–222; Berger, Registres Innocent IV 1, S. L; Herde, Audientia 1, S. 188. 862 Burger, Beiträge, S. 215; Krafft, Aufkommen, S. 139.
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sich ein Hinweis darauf, dass der Papst sich selbst in der Intitulatio stets als episcopus servus servorum bezeichne (Dei fehlt in der Handschrift).863 Zur Ausstattung der Formel macht der Text keine Aussagen. Im Speculum iudiciale sowie in der Neuredaktion des Formularium ist festgehalten, dass das Wort episcopus immer mit der Buchstabenkombination eps̅ zu kürzen sei.864 Die Vulgataredaktion des Formularium geht auf den Papsttitel gar nicht gesondert ein,865 was darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Gestaltung des Titels bei der Differenzierung von Seiden- und Hanfschnurbriefe keine Rolle spielte. In den Originalen wurde er meist in gewöhnlicher Textschrift ausgeführt, die beiden Initial-ʃ der Worte servus servorum wurden seit dem 12. Jahrhundert manchmal besonders weit nach oben verlängert.866 Die Adresse nimmt, ähnlich wie der Papstname, in den beiden Briefarten unterschiedliche Formen an, ihre Ausstattung wird daher in den Regeln des Formularium näher beschrieben. Demnach soll das D des Wortes Dilecto in der Adresse von litterae cum serico hervorgehoben werden:867 Es sei als Majuskel-D oder unziales Ꝺ zu gestalten.868 Die inhaltlich gleiche Regel wurde in verkürztem Wortlaut auch in der Neuredaktion des Formularium nachgetragen.869 In den Originalen findet sich seit den 1220er-Jahren meist ein rundes oder ovales D mit verstärktem Bogen, im 13. Jahrhundert noch oft mit Verzierungen in Form von Strichen,
863 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX: Nota ergo circa salutationem, quod papa in salu[tatione] semper, cuicumque scribat, vocat se sic: „episcopus servus servorum“, preposito nomine: „Gregorius“, vel: „Inno[centius]“, vel si quo alio. Berger vermutete hinter den Beispielen die Päpste Gregor IX. und Innozenz III. oder Innozenz IV.; vgl. ebd., S. L. Allerdings ist mit Herde, Audientia 1, S. 36 davon auszugehen, dass nur Innozenz III. in Frage kommt; siehe oben Kapitel 4.3.1, S. 107. Ein ähnlicher Hinweis findet sich auch in der Summa de arte prosandi des Konrad von Mure, ed. Kronbichler, Summa, S. 130: Papa itaque in salutatione proprio nomine premisso appellat se „servus servorum Dei“. Zu Konrad von Mure siehe oben Kapitel 3, S. 50. 864 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 10; Ross. 476, fol. 64r, fol. 65r; vgl. Graber, Spurium, S. 104. Zu den Abkürzungsregeln siehe unten Kapitel 4.3.5.5, S. 177. 865 Bei Herde, Audientia 2, S. 5, Z 2 wird im Zusammenhang mit der Erläuterung der Ausstattung des Papstnamens in Seidenschnurbriefen in einem Beispiel nach dem Papstnamen das gekürzte Wort episcopus angegeben, wobei die meisten Handschriften die Schreibung epc̅ bieten, nur in drei Handschriften steht ep̅s. Dies deutet darauf hin, dass es den Kompilatoren an dieser Stelle nicht um die korrekte Schreibweise ging. Den Rest des Papsttitels servus servorum dei bietet nur eine Handschrift. 866 Burger, Beiträge, S. 221; Frenz, Form, S. 370; Birnstiel/Schweitzer, Seide, S. 321; Hotz, Litterae apostolicae, S. 137 f. 867 Herde, Audientia 2, S. 5, Z 2: Et ubi dicitur „Dilecto filio“, „D“ debet elevari hoc modo: „Dilecto“ etc. 868 Herde, Audientia 2, S. 9, Z 11: [Ubi dicit:] „Dilecto filio“, „D“ debet esse tale D vel tale Ꝺ seu huiusmodi forme et sic de similibus. Die intendierten Buchstaben sind in den verschiedenen Handschriften unterschiedlich ausgeführt. 869 Ross. 476, fol. 65r: […] et similiter ibi „dilecti filii“, prima littera in omnibus gratiis erit apex.
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Punkten oder Schnörkeln, später häufig schmucklos, dafür zunehmend höher und schmaler.870 In der Inscriptio der Papsturkunden wurde aber nicht nur die Anrede Dilectus filius verwendet, denn gemäß der Vorschrift in den Notulae des Formuliarum wurden Patriarchen, Erzbischöfe und Bischöfe als Venerabilis frater angesprochen.871 Diese zweite Option ist in den überlieferten Ausstattungsvorschriften an keiner Stelle explizit benannt – der Hinweis darauf, dass die litterae cum serico auch in dieser Hinsicht aufwendiger zu gestalten seien, genügte wahrscheinlich als Vorgabe für die Skriptoren. Allerdings legt die Formulierung der Regel in der Handschrift Durrieu nahe, dass eine entsprechende Vorgabe in einer früheren Textvariante vorhanden gewesen sein dürfte.872 In der Praxis wurde das V des Venerabilis analog zum D des Dilectus gehandhabt, im 14. Jahrhundert wurde es in runder U-Form mit verstärkten Schäften und in gleicher Höhe wie die Oberlängen ausgeführt, im In870 Frenz, Form, S. 371–373; Kordes, Einfluss, S. 221; Burger, Beiträge, S. 222 f.; Hotz, Litterae apostolicae, S. 138 f. 871 Herde, Audientia 2, S. 38, N 15: Quando vero scribit patriarchis, archiepiscopis et episcopis, [in der ersten Redaktion:] scribit sic: „Bonifatius etc. venerabili fratri salutem“; [in der zweiten Redaktion:] etiam episcopis cardinalibus, dicit: „Venerabilibus fratribus salutem“ etc. […]. Vgl. Herde, Audientia 1, S. 197; Graber, Spurium, S. 116. 872 Laut Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIXf., ist die Regel zur Ausstattung des Protokolls in der Handschrift Durrieu folgendermaßen formuliert: Nota ergo circa salutationem quod papa in salu[tatione] semper, cuicumque scribat, vocat se sic: „episcopus servus servorum“, preposito nomine: „Gregorius“, vel: „Inno[centius]“, vel si quo alio. Si autem scribatur patriarche vel archiepiscopo, cum aliis, sic dices: „Gregorius episcopus, servus servorum Dei“. Der zweite Satz lässt darauf schließen, dass in beiden Sätzen hinter dem Papsttitel ursprünglich die jeweilige Inscriptio folgte, also Dilecto filio im ersten Satz, Venerabili fratri im zweiten. Ohne die Ergänzung der Adresse bleibt der Zweck des zweiten Satzes unverständlich, da die verschiedenen Adressaten keinen Einfluss auf die Formulierung der Intitulatio, sondern nur auf die Formulierung der Inscriptio haben. Auffällig ist, dass bei der Aufzählung der Adressaten im zweiten Satz die Bischöfe ausgelassen wurden. Dass auch ihnen die Anrede Venerabilis frater zugestanden wurde, bestätigt ein Regeltext aus dem späten 12. Jahrhundert, der unter dem Titel De salutatione apostolica bei Delisle, Mémoire, S. 68–70, abgedruckt ist. Dort heißt es (S. 68): Si [dominus papa] scribat archiepiscopo et episcopo, vocat eos venerabiles fratres in hunc modum: „Celestinus, episcopus, servus servorum Dei, venerabili fratri suo“ […]. Dazu auch in der Oliva des Boncompagno da Signa (1198), ed. Cortijo Ocaña, Tratado, S. 177: [10.25] Verumtamen sic fuit postmodum a sanctis patribus institutum, ut solummodo patriarche, archiepiscopi et episcopi „fratres“ appellantur a papa et omnes alii „filii“; zu Boncompango siehe oben Kapitel 3, S. 47. Eine ähnliche Erläuterung mit noch längerer Adressatenliste findet sich auch in der Summa dictaminis des Guido Faba (1228/29), ed. Gaudenzi, Guidonis, S. 316: Dominus papa cardinales et omnes archiepiscopos, patriarchas, primates, episcopos appellat fratres, hoc modo: „Gregorius episcopus, servus servorum Dei, venerabili fratri […]“; zu Guido Faba siehe oben Kapitel 3, S. 48. Auf Guido Faba basiert wohl ein ähnlicher Abschnitt in der Summa de arte prosandi Konrads von Mure (1276), ed. Kronbichler, Summa, S. 130: […] et omnes cardinales, patriarchas, primates, archiepiscopos, episcopos appellat „fratres“, alios omnes, imperatores, reges, duces, et cuiuscumque ordinis, professionis, sexus, conditionis appellat „filios“; zu Konrad von Mure siehe oben Kapitel 3, S. 50.
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neren wurde es teilweise reich verziert.873 In den früheren Versionen des Textes zur Urkundenausstattung sind noch keine Vorschriften zur Hervorhebung der Adresse in den Seidenschnurbriefen enthalten, was wiederum demonstriert, dass die äußere Trennung der beiden Briefarten erst mit Anlage der Vulgataredaktion schriftlich fixiert wurde. Die älteste erhaltene Überlieferung der Gestaltungsregeln enthält aber einen Hinweis, der auf ein bestimmtes Detail der Adresse in Papsturkunden eingeht. Statt dem Namen des Empfängers weisen die Originale häufig zwei Punkte auf, die sogenannten Reverenz- oder Gemipunkte. Sie sollten die Gültigkeit des Dokuments über den Tod oder die Ablösung des Adressaten hinaus gewährleisten, wenn es sich um einen Dignitär als Leiter einer kirchlichen Institution handelte.874 Seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurden die Punkte vermehrt in päpstlichen Urkunden verwendet.875 Die entsprechende Anweisung kursierte nach Ausweis der Handschrift Durrieu spätestens im frühen 13. Jahrhundert in schriftlicher Form in der Kanzlei. Sie besagt, dass sowohl in der Salutatio als auch in anderen Teilen des Briefes zwei Punkte zu setzen seien, wenn kein Personenname genannt wird. Als Beispiele werden angegeben: .. episcopo, .. abbati, .. preposito.876 Die Verwendung der Gemipunkte wurde bereits einige Jahre vor Entstehung der Handschrift Durrieu auch von Guido Faba in seiner Summa dictaminis (1228/29) beschrieben.877 Die späteren Bearbeitungen der Ausstattungsvorschriften übernahmen diese Regel nicht. Die Originale zeigen dann auch, dass die Reverenzpunkte gerade im 14. Jahrhundert nicht konsequent genutzt wurden, häufig wurde an ihrer Stelle einfach eine Lücke gelassen.878 Die Gewohnheit ging demnach nie ganz verloren, sie konnte sich aber auch nicht endgültig durchsetzen und als feste Tradition etablieren. Die Entscheidungsträger der Kanzlei maßen den Punkten offenbar keine so große Bedeutung bei, dass sie ihre Verwendung vorschrieben, untersagt wurde sie aber ebenfalls nicht. Wie in vielen anderen Detailfragen blieb die Entscheidung dem jeweiligen Skriptor selbst überlassen.
873 Burger, Beiträge, S. 222 f. 874 Poole, Lectures, S. 118; Graber, Spurium, S. 116 Anm. 87; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LIIIf. 875 Delisle, Mémoire, S. 31; Birnstiel/Schweitzer, Seide, S. 330 f. 876 Berger, Registres Innocent IV 1, S. LIII: Item, sive in salutatione, sive quacumque alia parte littere, scribantur episcopo vel cuicumque alii proprio nomine non expresso, ante quam ponantur illi quibus scribitur, debent poni duo puncta, ita quod cuilibet duo, sic videlicet, „. . episcopo, . . abbati, . . preposito“, et sic de ceteris. 877 Gaudenzi, Guidonis, S. 316: Et nota quod [dominus papa] non ponit in litteris suis proprium nomen prelati, sed duo puncta fiunt, inter que remanet modicum spacium carte quod representat proprium nomen; et significat quod non scribitur persone, sed tantummodo dignitati. Vgl. Graber, Spurium, S. 116 Anm. 87. Zu Guido Faba siehe oben Kapitel 3, S. 48. 878 Baumgarten, Miscellanea, S. 195*f.; Graber, Spurium, S. 116 Anm. 87.
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Die Grußformel, die das Protokoll der päpstlichen litterae beschließt, weist weder in den litterae cum serico noch in den litterae cum filo canapis eine besondere Ausstattung auf. Es ist daher wenig überraschend, dass sie in den Regeltexten nur am Rande erwähnt wird. Im Speculum iudiciale ist die standardmäßig zu nutzende Kürzung angegeben: Salt̅ et apli̅cam ben̅.879 Dieselbe Formel fand auch Aufnahme in die Vulgataredaktion, ergänzt um die Information, dass sie in allen litterae anzuwenden sei, in Hanf- wie in Seidenschnurbriefen.880 Auffällig ist, dass in den überlieferten Handschriften beider Textvarianten häufig völlig falsche Abkürzungen angegeben wurden, die nicht den Gewohnheiten der Kanzlei entsprechen.881 Allerdings ist im Falle des Formularium zu konstatieren, dass zumindest viele der Kanzleiexemplare die korrekte Form bieten, während gerade die Manuskripte anderer Provenienz falsche Kürzungen aufweisen.882 Für die Kanzleianweisung im Speculum iudicale kann in dieser Frage keine gesicherte Aussage getroffen werden, da dessen Handschriftentradition nicht im Einzelnen erforscht ist.883 Die im Original überlieferten Papstbriefe beweisen, dass sich die Vorgaben zur korrekten Kürzung zunehmend unter den Schreibern verbreiteten. Während die Grußformel zu Beginn des 13. Jahrhunderts noch häufig andere Formen aufwies, wurde sie in späteren Jahrzehnten und im 14. Jahrhundert zunehmend vorschriftsmäßig gestaltet.884 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass detaillierte Vorschriften zur Gestaltung des Protokolls der päpstlichen litterae erstmals in der Vulgataredaktion des Formularium audientiae festgehalten wurden, die früheren Versionen der Ausstattungsvorschriften enthalten nur vereinzelte Hinweise und gehen nicht näher auf die äußere Gestaltung ein. Die erste Zeile, die aufgrund des Mangels an Unterfertigungen auf den litterae den Blick beim Betrachten der Urkunde als Erstes auf sich zieht, war bereits seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts von zentraler Bedeutung für die optische Differenzierung der Hanf- und Seidenschnurbriefe. Aber in den Mittelpunkt der schriftlich fixierten Ausstattungsvorschriften rückte dieser Aspekt erst 879 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 10. 880 Herde, Audientia 2, S. 6, Z 3: „Salt̅ et apli̅cam ben̅“ in omnibus sic scribitur. 881 Zur häufig inkorrekten Ausführung der Kürzung apli̅cam in den Handschriften des Speculum iudiciale vgl. Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 345; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 502. Die verschiedenen Varianten der Grußformel in den Handschriften des Formularium audientiae finden sich bei Herde, Audientia 2, S. 6, Z 3. 882 Von den sechs Handschriften, deren Nutzung in der Kanzlei als gesichert gelten kann, enthalten drei die richtige Kürzung. Davon abweichend bietet die Pariser Handschrift Salt̅ et apca̅ ben̅, die 1342/43 entstandene Handschrift Reg. Aven. 57 Salm̅ et apli̅cam bn̅. Umgangen wird das Problem in Vat. lat. 5711 mit der Kürzung Salt̅ etc. 883 Der Nürnberger Wiegendruck des Speculum aus dem Jahr 1486 führt eine vollkommen entstellte Version der Formel an; vgl. Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22ra: salu. ⁊ aposto. Bene. 884 Delisle, Mémoire, S. 27; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 502 f.; Graber, Spurium, S. 106; Hotz, Litterae apostolicae, S. 52.
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mit der Neufassung der Gestaltungsregeln im Rahmen des Formularium audientiae an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert. Zu dieser Zeit geriet die Kanzlei aufgrund der schwierigen Situation unter Bonifaz VIII., der Vakanzen im Amt des Auditors, der zahlreichen Wechsel in der Kanzleileitung und der permanenten Umzüge der Kurie unter Druck, die etablierten Gewohnheiten schriftlich zu sichern, um damit ihre Einhaltung auch unter diesen erschwerten Bedingungen zu gewährleisten.885 Außerdem forcierte die gleichzeitige Zunahme des Geschäftsanfalls die Entwicklung getrennter Geschäftsgänge für Gratial- und Justizbriefe, die sich bereits während des 13. Jahrhunderts angedeutet hatte.886 Die detaillierten Vorgaben zur Gestaltung des Papstnamens und der Adresse kodifizierten vor diesem Hintergrund die in der Praxis längst etablierten Unterschiede in der Ausstattung der beiden Briefarten. Die Aufzeichnung der entsprechenden Vorschriften in dem allgemein zugänglichen Nachschlagewerk der Audientia stellte sicher, dass sie den Skriptoren und Kanzleibediensteten auch im Fall einer Krisensituation sowie in Phasen des Orts- und Personalwechsels zur Kenntnis gelangten. In diesem akuten Bedarf dürfte der Hauptgrund für die Ausarbeitung der Gestaltungsregeln in der Vulgataredaktion des Formularium liegen. Im Detail entfalteten die Regeln aber auch normative Wirkung. So resultierten die konkreten Vorgaben zur Gestaltung der Initiale des Papstnamens im Formularium audientiae nach Ausweis der Originale in einer gleichmäßigeren und insgesamt weniger prächtigen Ausstattung des Buchstabens im 14. Jahrhundert. Insgesamt ermöglichten es die beschriebenen Merkmale, dass jede littera auf den ersten Blick einer der beiden auch für den rechtlichen Status relevanten Ausstattungsarten zugeordnet werden und von den Bullatoren entsprechend bulliert werden konnte. 4.3.5.4 Textschrift Vom 12. bis zum 15. Jahrhundert war die kuriale Minuskel die Urkundenschrift der päpstlichen Kanzlei.887 Die typisch gleichmäßigen Buchstabenformen und -ausführungen wurden zu einem wichtigen Erkennungsmerkmal päpstlicher Urkunden. Charakteristischerweise sind die kurzen Buchstaben klein und zierlich, die Oberlängen dagegen weit nach oben und leicht nach rechts gezogen, die Unterlängen verhältnismäßig kurz und nach links gebogen.888 Der Schrift- und Buchsta885 Siehe oben Kapitel 4.3.3, S. 124. 886 Siehe oben Kapitel 2.2, S. 29. 887 Zur Entwicklung der kurialen Minuskel im 12. Jahrhundert vgl. Hotz/Schönfeld, Schriftentwicklung, S. 59–67; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 518–533; Poole, Lectures, S. 58 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 98; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 375–377. 888 Kleine, Litterae, S. 195; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 377 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 533; Bromm, Entwicklung der Großbuchstaben, S. 114. Beschreibungen der einzelnen Buchstaben und ihrer Ausführungen bei Burger, Beiträge, S. 224–228.
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benvergleich (collatio manus oder comparatio litterarum) war bereits im Mittelalter eine verbreitete und anerkannte Methode, um Fälschungen zu identifizieren. In Lehrbüchern für Notare wie auch im Strafrecht sind zahlreiche Abhandlungen über Methode und Beweiswert dieses Verfahrens überliefert.889 Auch Innozenz III. nannte in Licet ad regimen die Gestaltung der Schrift als Echtheitsmerkmal von Papsturkunden.890 Dies war nur deshalb möglich, weil die kuriale Minuskel eine unverwechselbare Schriftform entwickelt hatte. Die Gleichförmigkeit des Schriftbildes wurde möglicherweise auch dadurch gewährleistet, dass in der päpstlichen Kanzlei seit dem 13. Jahrhundert schriftliche Vorgaben zur Gestaltung der Textschrift kursierten. Bereits in der Handschrift Durrieu finden sich zahlreiche Anweisungen zu diesem Themenkomplex. Ein Abschnitt besagt beispielsweise, dass der erste Buchstabe des Kontextes und auch die Initialen aller weiteren clausule im Verhältnis zu den folgenden Buchstaben hervorzuheben seien.891 Unklar bleibt, auf welche Klauseln sich die Regel bezieht, Hinweise auf konkrete Formeln (beispielsweise die Sanctio-Formeln) fehlen. Allerdings wird die Vorschrift in zahlreichen Abschnitten wiederholt, welche die Gestaltung der einzelnen Buchstaben im Kontext der Urkunde thematisieren. Für viele der beschriebenen Buchstaben ist eigens erwähnt, dass sie in principio clausule feierlich ausgeführt werden sollen.892 Auch die Anweisungen des Speculum iudiciale widmen sich der Frage der Initialen, und zwar in ähnlichem Wortlaut wie die Handschrift Durrieu. Demnach soll der erste Buchstabe aller clausule, besonders der erste der Narratio, im Gegensatz zu den folgenden Buchstaben hervorgehoben werden.893 Wie bereits in der Handschrift Durrieu wird auch im Speculum im Rahmen der zahlreichen Regelungen zur 889 Rück, Urkunde, S. 314 f.; Kantorowicz, Schriftvergleichung, S. 42−56. 890 X 5.20.5, ed. Friedberg, Corpus, Sp. 819: Sed hae duae species falsitatis non possunt facile comprehendi, nisi vel in modo dictaminis, vel in forma scripturae, vel qualitate chartae falsitas cognoscatur. Vgl. Kantorowicz, Schriftvergleichung, S. 38−39. 891 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX: Item prima littera narrationis quecumque, sic que ponitur post benedictionem, et que ponitur in principio cujuscumque clausule, sollempnius debet scribi quam ille que secuntur. Ein Hinweis auf die Großschreibung der Buchstaben am Beginn einer Klausel findet sich auch in der Oliva Boncompagnos da Signa, die um das Jahr 1198 verfasst wurde (siehe oben Anm. 193) – ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass ein Vorläufer der in der Handschrift Durrieu überlieferten Regeln bereits unter Innozenz III. entstanden sein und Boncompagno als Vorlage gedient haben könnte. 892 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX: [A]ttende qui corrigis quod hee littere: „b, f, h, k, l, p, q, s“, sic formari debent […], nisi pona[n]tur in principio clausule […] ubi sollempniter formari debent […]. Preterea hec littera „d“ […], nisi ponatur in principio clausule, et tunc debet formari sollempniter; […]. 893 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 3: Item prima littera narrationis, quecumque sit et etiam quecumque ponitur in principio cuiuslibet clausule, sollempnius scribi debet quam alie, que sequuntur.
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Schreibweise einzelner Buchstaben mehrfach erneut darauf hingewiesen, dass sie am Beginn einer Formel stets sollempniter zu gestalten seien.894 Für die Vulgataredaktion des Formularium audientiae wurden diese Regelung konkretisiert. Gemäß den dort fixierten Vorgaben soll der erste Buchstabe des Kontextes in allen Papstbriefen groß geschrieben werden, in einigen der Handschriften wird ausdrücklich betont, dass dies für alle Briefen gelte, die taxiert werden, also sowohl für Seiden- wie auch für Hanfschnurbriefe. Gleichzeitig wird aber eine Einschränkung vorgenommen: Die Regel gelte nicht für litterae simplices, in diesen solle die Initiale des Kontextes nur halbhoch ausgeführt werden.895 Die klar definierte Abgrenzung zeigt, dass sich diese sehr zahlreich ausgefertigte Unterkategorie päpstlicher Urkunden äußerlich von den übrigen litterae abheben sollte. Die besonders einfache Ausstattung spiegelt dabei neben dem verkürzten Geschäftsgang896 auch die Tatsache wider, dass in den litterae simplices sehr einfache und standardisierte Justizsachen und Verfahrensfragen behandelt wurden. Eine weitere Regel im Formularium ergänzt die Vorgabe zum ersten Buchstaben des Kontextes. Auch die Initialen der Sanctio-Formeln Nulli ergo und Si quis autem sollen demnach in allen Briefen, in denen sie vorkommen, groß hervorgehoben und möglichst als Majuskel ausgeführt werden.897 Auf diese Weise wurde der Kontext der Urkunde wesentlich übersichtlicher gestaltet und das Auge durch die Akzentuierung auf entscheidende Satzanfänge gelenkt.898 Im Gegensatz zu den früheren Textversionen ist durch diese Formulierung die Hervorhebung der Anfangsbuchstaben klar auf den Kontext-Beginn und die Sanctio-Klauseln eingegrenzt. In dieser Version blieb die Vorschrift im 14. Jahrhundert bestehen und wurde schließlich auch in die Ausstattungsvorschriften der Handschrift Ross. 476 übernommen. Dort wurde festgehalten, dass der erste Buchstabe des Kontextes in allen Gratialbriefen hervorzuheben sei.899 In die Neubearbeitung aufgenommen wurde auch die Vorgabe der Vulgataredaktion, dass die Initialen der beiden Formeln Nulli 894 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 4 (Buchstabe d), Abschnitt 6 (Buchstaben m und n), Abschnitt 7 (Buchstaben g/q, f, h, l, s und p). 895 Herde, Audientia 2, S. 6, Z 4: Littera autem prime dictionis (omnium litterarum, que taxantur), que immediate sequitur ad „benedictionem“, semper debet esse magna in omnibus litteris, puta sic „Ad audientiam“ etc., nisi in simplicibus, ubi debet esse mediocris isto modo: „Conquestus“ etc. 896 Sie wurden ohne Konzept auf Basis der im Formularium audientiae vorgegebenen Muster direkt als Reinschrift ausgefertigt; vgl. Herde, Beiträge, S. 69 f. Zu den litterae simplices siehe auch oben Kapitel 2.1, S. 23, und Kapitel 2.2, S. 26. 897 Herde, Audientia 2, S. 7, Z 7: Item notandum, quod „N“ de „Nulli ergo“ etc. et „S“ de „Si quis autem“ etc. semper in omnibus litteris, ubi scribuntur, debent esse magne et elevate, ut hic, et maiores, ut forme competet. 898 Rück, Papsturkunde, S. 25; Hotz, Litterae apostolicae, S. 143 f. 899 Ross. 476, fol. 65r: Nota quod in omnia littera gratiosa prima littera prohemii erit apex, ut supra ibi „Gratie“ etc. Das ut supra bezieht sich auf die Nachzeichnung eines Bullenprotokolls, das sich in der Handschrift genau vor dieser Regel findet. Dort sind nach der Formel Ad perpetuam rei me-
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ergo und Si quis autem zu vergrößern seien, was im Manuskript bei der Wiedergabe des Wortlautes auch geschehen ist.900 Es zeichnet sich hier eine deutliche inhaltliche Weiterentwicklung von den Texten des 13. Jahrhunderts zu jenen des 14. Jahrhunderts ab. Während im 13. Jahrhundert ganz allgemein die Hervorhebung zahlreicher Buchstaben in principio clausule gefordert wurde, ohne konkrete Formeln zu benennen, erfolgte zu Beginn des 14. Jahrhunderts im Formularium audientiae eine Konkretisierung dieser Regelung durch eine Eingrenzung auf die Initialen des Kontextes und der Sanctiones. Damit wurde ein weiteres Merkmal betont, dass der Unterscheidung der beiden Arten von litterae diente: Während die Formeln Nulli ergo und Si quis autem in den litterae cum serico obligatorisch waren, fanden sie in den litterae cum filo canapis keine Anwendung.901 Diese Genese der aufgezeichneten Vorschriften spiegelt sich auch in den Originalen. Während im 13. Jahrhundert noch recht unregelmäßig die Initialen ganz verschiedener Formularteile des Kontextes als Majuskeln ausgeführt wurden, wurden seit dem 14. Jahrhundert zunehmend nur noch die ersten Buchstaben des Kontextes und der Sanctio-Formeln hervorgehoben.902 Auch in diesem Aspekt scheinen die Gestaltungsvorgaben im Formularium audientiae normative Wirkung entfaltet zu haben. Im Zusammenhang mit den Sanctiones enthält die Neuredaktion des Formularium noch eine weitere Regelung: So seien innerhalb der gesamten Formel Nulli ergo keinerlei Rasuren erlaubt, und das Gleiche gelte für den letzten Satz, der den Brief beschließt.903 Mit diesem „letzten Satz“ dürfte die Formel Si quis autem gemeint sein. Erstmals wurden damit in einem in der Kanzlei entstandenen Regeltext konkrete Bestandteile des Formulars der päpstlichen Gratialurkunden, nämlich die obligatorischen Formeln der Sanctio, als juristisch relevante Stellen definiert, die keine Rasuren aufweisen durften, nachdem bereits seit dem 13. Jahrhundert zahlreiche Dekretalisten diesen Aspekt der Rasurenproblematik diskutiert hatten.904 Diemoriam die beiden ersten Worte des Kontextes eingetragen (Gratie divine), der erste Buchstabe ist vergrößert und schwarz ausgemalt. 900 Ross. 476, fol. 64v: Et huiusmodi clausule semper prime littere dictorum versiculorum quos continet debent esse aliquantulum grosse, ut supra patet. 901 Zur Entwicklung der Sanctio-Formeln in den litterae cum serico seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts vgl. Santifaller, Beiträge zur Geschichte der Kontextschlussformeln, S. 245−257. 902 Frenz, Form, S. 371; Kordes, Einfluss, S. 221; Birnstiel/Schweitzer, Seide, S. 322–324; Graber, Spurium, S. 99; Burger, Beiträge, S. 223 f.; Berger, Registres Innocent IV 1, S. L; Delisle, Mémoire, S. 31. Die Entwicklung der einzelnen Majuskelbuchstaben bis zum Ende des 12. Jahrhunderts wird im Detail bei Bromm, Entwicklung, S. 60−109, analysiert. 903 Ross. 476, fol. 64v: Et clausula ipsa [Nulli ergo] non patitur rasuram integre dictionis. Ultima nota, dictio que claudit litteram nullam penitus rasuram patitur. 904 Siehe oben Kapitel 4.1.1.2, S. 70.
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ser kurze Hinweis ist die einzige Stelle, an der das Thema innerhalb der schriftlichen Gestaltungsregeln für die päpstlichen litterae aufgegriffen wurde.905 Die Originale zeigen, dass Rasuren auf Papsturkunden durchaus gebräuchlich waren; eine große Zahl der überlieferten Urkunden weist derartige Korrekturen auf, meist allerdings nur kleine und wenig auffällige. Wenn sich eine Rasur in einem inhaltlich wesentlichen Teil befand, wurde offenbar gewöhnlich eine Neuausfertigung angeordnet.906 Es entsteht der Eindruck, dass es in der Kanzlei durchaus stringente Konventionen für den Umgang mit Rasuren gab. Die Notwendigkeit, diese zumindest in Teilen schriftlich zu fixieren, ergab sich aber erst im Kontext der Ausnahmesituation der Kanzlei nach der Rückkehr der Kurie nach Rom unter Gregor XI. Neben den Großbuchstaben der Satzanfänge behandeln die frühen Ausstattungsvorschriften der Kanzlei auch die Gestaltung einzelner Kleinbuchstaben der Kontextschrift im Detail. Die Handschrift Durrieu enthält mehrere entsprechende Abschnitte, sie machen den größten Teil der Ausstattungsvorschriften in diesem Manuskript aus. Dort ist festgelegt, dass die Buchstaben b, f, h, k, l, p, q und ſ 907 jeweils Ober- und Unterlängen aufzuweisen haben, die deutlich umgebogen sein sollen. Eine Ausnahme bildet das s, das am Ende eines Wortes immer als kleiner, runder und zurückgebogener und nicht als langer Buchstabe ausgeführt werden soll.908 Das kleine ꝺ soll immer mit rundem Schaft geschrieben werden, nie mit geradem.909 Das i sei immer dann nach unten zu verlängern, wenn es mit einem zweiten i (ij) oder am Ende eines Wortes mit den Buchstaben m oder n zusammentreffe, ansonsten sei es als normales i zu schreiben.910 Schließlich soll auch der letzte Schaft
905 Die Rasuren-Problematik wurde am Ende des 14. Jahrhunderts auch an anderer Stelle behandelt, nachdem sie lange nur von den Dekretalisten diskutiert worden war; siehe unten Kapitel 4.6.2, S. 289. 906 Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 520, nennt als Beispiel eine Urkunde Urbans IV. vom 7. Mai 1264 für das Nonnenkloster St. Stephan in Straßburg, in welcher der Schreiber in der Adresse ordinis sancti Benedicti statt ordinis sancti Augustini geschrieben hatte, weshalb die Urkunde neu ausgefertigt werden musste; vgl. auch Graber, Spurium, S. 118–120; Delisle, Mémoire, S. 30. 907 In der Handschrift findet sich offenbar an dieser Stelle ein kleines rundes s, Graber merkte aber zu Recht an, dass hier ein ſ (langes s) stehen müsste, damit die Textstelle Sinn ergibt; vgl. Graber, Spurium, S. 102 Anm. 45. 908 Berger, Registers Innocent IV 1, S. XLIX: [A]ttende qui corrigis quod hee littere: „b, f, h, k, l, p, q, s“ sic formari debent superius capitibus et inferius caudis, nisi pona[n]tur in principio clause vel nominum propriorum hominum vel locorum seu rerum ubi sollempniter formari debent, excepta „s.“ cum est finalis dictionis, que semper debet scribi retorta, sic: „s“, vel „ss“. 909 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX: Preterea hec littera „d.“ semper debet scribi retorta, sic: „ꝺ“, nisi ponatur in principio clausule, et tunc debet formari sollempniter; sic autem nunquam scribi debet in litteris pape: „d.“ 910 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX: Item hec littera, „i“, semper scribitur ut jacet, nisi concurrat cum alia „i“, vel cum „m“ et „n“ in fine dictionis, et tunc sic trahitur, „j“.
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der Buchstaben m und n am Wortende nach unten verlängert werden (ɱ und ŋ).911 Abgeschlossen wird dieser Themenkomplex in der Handschrift Durrieu mit der Bemerkung, dass alle übrigen Buchstaben wie gewohnt ausgeführt werden sollen.912 Aus diesen präzisen Angaben lässt sich die Absicht des Redaktors dieses Textes ablesen. Er beschrieb nicht jeden einzelnen Buchstaben des Alphabets und seine Gestaltung in der kurialen Minuskel, diese Kenntnisse wurden vorausgesetzt und mussten spätestens im 15. Jahrhundert sogar bei der Prüfung zur Aufnahme als Skriptor in die Kanzleidienste nachgewiesen werden.913 Aufgezeichnet wurden daher ausschließlich jene Besonderheiten, die den speziellen Charakter der päpstlichen Urkundenschrift ausmachten und daher von den Schreibern besonders beachtet werden mussten. Auch in der späteren Version des Textes im Speculum iudiciale sind Vorschriften zur Buchstabengestaltung enthalten, sie weisen aber einige inhaltliche Veränderungen auf. Die Regel über die umgebogenen Ober- und Unterlängen wurde auf eine kleinere Auswahl von Buchstaben, nämlich g/q914, f, h, l, ſ und p, beschränkt.915 Die Originale zeigen, dass die Oberlängen der Buchstaben b, h, l, ſ und f seit der Mitte des 12. Jahrhunderts deutlich nach oben verlängert wurden. Seit den 1160er-Jahren wurden auch die Unterlängen der Buchstaben p, q, ſ und f regelmäßig unter das Mittelband geführt. Die Entwicklung ging zunehmend dahin, die Oberlängen nach rechts und die Unterlängen nach links in die Horizontale umzubiegen, unter Innozenz IV. (1243–1254) hatte sich dieses Schriftbild dann endgültig etabliert.916 Die sich in der Handschrift Durrieu an die Vorgaben zu Ober- und Unterlängen anschließende Anweisung zur Verwendung des runden s am Ende des Wortes fehlt in der Version im Speculum. Da diese Form in der päpstlichen Kanzlei bereits seit der Mitte des 12. Jahrhunderts gängig war, musste ihre Verwendung offenbar nicht mehr ausdrücklich benannt werden.917 Hinsichtlich des runden ꝺ bietet der Text 911 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX: Item hee littere, „m“ et „n“, cum in fine dictionum ponuntur, semper ultimus pes inferius trahitur, sic videlicet „ɱ, ŋ“, alias pares sicut pedes. 912 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX: Alie littere scribuntur ut scribi consueverunt. Den Abschnitt zur Schriftgestaltung in Papstbriefen beschließt der Satz: Hec circa scripturam litterarum simpliciter. Danach folgen Regeln zu den salutationes. 913 Schwarz, Organisation, S. 134. 914 Die Lesung des ersten Buchstabens ist unklar. Heckel, Kanzleianweisung, S. 116 f., hielt ein q für wahrscheinlicher, während Graber, Spurium, S. 103 Anm. 47, für ein g plädierte. Im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb, steht ein G. 915 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 7: Generaliter autem hee littere „g/q f h l ſ p“ sic formari debent curvatis superius et inferius capitibus […]. Im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb, sind folgende Buchstaben angegeben (alle als Großbuchstaben gedruckt): G, F, H, L, E, P. 916 Kordes, Einfluss, S. 228 f.; Hotz, Litterae apostolicae, S. 153–159; Hotz/Schönfeld, Schriftentwicklung, S. 61–66. 917 Kordes, Einfluss, S. 228; Graber, Spurium, S. 102 Anm. 45.
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fast wörtlich dieselbe Beschreibung wie die Handschrift Durrieu.918 Beim Buchstaben i wurde die Regelung etwas eingeschränkt. Er soll demnach grundsätzlich immer sine tractu, also ohne Verlängerung nach unten, ausgeführt werden. Eine solche soll nur dann zum Einsatz kommen, wenn das i mit einem zweiten i zusammentrifft (ij), von den Buchstaben m und n oder dem Wortende ist im Gegensatz zur älteren Textversion nicht mehr die Rede.919 In den Originalen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts kommt die Verlängerung des i im Zusammenhang mit den Buchstaben m und n offenbar nicht vor.920 Vielleicht handelte es sich dabei nur um die spezielle Eigenheit eines Schreibers, die Eingang in die frühen Aufzeichnungen fand. Die Vorschrift zu den Buchstaben m und n entspricht inhaltlich wieder derjenigen in der Handschrift Durrieu. Ihr letzter Schaft soll am Wortende nach unten verlängert werden, dies dürfe aber an keiner anderen Stelle vorkommen, besonders nicht am Beginn eines Wortes.921 In die Vulgataredaktion des Formularium audientiae wurden diese Vorschriften zur Ausformung der einzelnen Buchstaben nicht übernommen. Für die Differenzierung der Seiden- und Hanfschnurbriefe, die der Hauptgegenstand dieser Bearbeitung der Gestaltungsregeln sind, spielten die Vorgaben zur Buchstabengestaltung keine Rolle, da sie für alle Papsturkunden gleichermaßen galten. Die Originale aus dieser Zeit bezeugen, dass die in den früheren Texten fixierten Gewohnheiten dennoch weiterhin ausnahmslos umgesetzt wurden922 – wahrscheinlich wurden diese Grundlagen neuen Kanzleimitarbeitern gemeinsam mit den Konventionen zum Pergamentzuschnitt und Layout der päpstlichen Urkunden anhand von Anschauungsmaterial vermittelt. Allerdings werden im Zusammenhang mit der Vorschrift zu den Oberlängen der ersten Zeile in der zweiten Redaktion der Vulgataversion auch die Unterlängen der Buchstaben erwähnt. Diese sollen in einer bestimmten Weise nach hinten gebogen 918 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 4: Item hec littera „ꝺ“ sic debet esse retorta, […] non autem debet scribi sic: „d“. Im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb, ist das erste d als Großbuchstabe, das zweite als Kleinbuchstabe wiedergegeben, wodurch der Sinn der Regel entstellt ist: Item hec littera „D“ sic debet esse retorta, […] non autem debet scribi sic: „d“. 919 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 5: Item hec littera „i“ debet semper scribi sine tractu, nisi quando concurrit cum alia, ut patet, cum scribitur: „ijdem“. Im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb, steht: Item hec littera „I“ debet semper scribe sine tractu, nisi quando corruit cum alia, ut patet, cum scribitur ibidem. 920 Berger, Registres Innocent IV 1, S. L. 921 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 6: Item ultima pars litterarum „m“ et „n“ numquam trahitur, nisi cum sunt in fine dictionis; tunc vero sic hoc modo: „ɱ ŋ“ […]. Im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb, sind die beiden verlängerten Schäfte bei den Beispielen am Ende des Satzes nicht im Druckbild umgesetzt, die Regel bleibt dennoch verständlich. 922 Graber, Spurium, S. 103; Burger, Beiträge, S. 224–228.
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werden, die in den Handschriften nachgezeichnet ist.923 Ob sich diese Regelung auf alle Buchstaben mit Unterlängen oder nur auf jene in der ersten Zeile bezieht, geht aus der Formulierung nicht hervor. Nach Ausweis der Originale wurde diese Umbiegung der Unterlängen bereits seit Innozenz IV. (1243–1254) konsequent umgesetzt.924 Ein weiteres Merkmal der Textschrift päpstlicher litterae wurde dagegen in den Ausstattungsvorschriften in der Vulgataredaktion des Formularium erstmals aufgegriffen, wiederum mit der Absicht, die Abgrenzung von Seiden- und Hanfschnurbriefen anhand der äußeren Ausstattung zu gewährleisten. In den Briefen cum serico sollen demnach die Buchstabenkombinationen ſt und ct mit auseinandergezogener Ligatur ausgeführt werden, indem das t etwas vom s oder c abgesetzt wird.925 In anderem Wortlaut ist dieselbe Regel in einem Nachtrag in der Handschrift Ross. 476 formuliert. In Gratialbriefen sei überall dort ein Bogen (arcus) einzufügen, wo die Buchstaben c und t oder ſ und t aufeinandertreffen. Als Beispiele sind in dem Manuskript die Worte abſt̅ineo und act̅us angeführt, die beide mit deutlichen Ligaturen geschrieben wurden.926 Die genannten Buchstabenverbindungen sind seit dem letzten Drittel des 12. Jahrhunderts, beinahe ausschließlich in den mit Seide bullierten Originalen, nachweisbar, seit dem Ende des Jahrhunderts wurden sie zunehmend weit zerdehnt.927 Allerdings scheinen die Ligaturen weder in den litterae des 13. noch in denen des 14. Jahrhunderts konsequent verwendet worden zu sein; so gelangten viele Seidenschnurbriefe zur Besiegelung, ohne mit Ligaturen versehen zu sein.928 Deren fehlerhafte Verwendung in litterae cum filo canapis wurde dagegen sehr wohl beanstandet – ein Hanfschnurbrief mit Ligaturen passierte die Kontrollinstanzen der Kanzlei offenbar nicht.929 923 Herde, Audientia 2, S. 7, Z 7a: Et omnes littere, que tractum recipiunt sub linea, ut „p, f, ſ, q“ et similia, debent fieri ut hic. 924 Kordes, Einfluss, S. 228 f. 925 Herde, Audientia 2, S. 6 f., Z 6: Item notandum, quod in litteris cum serico quando „ſ “ attingit „t“ ex parte antea in eadem dictione, „t“ debet aliquantulum prolongari ab „ſ “ hoc modo: „teſ¯timonium“ etc.. Illud idem fit de „t“, cum coniungitur ad „c“ in eadem dictione hoc modo: „dilec¯to“ etc. 926 Ross. 476, fol. 65r: […] in gratiosis huiusmodi fiunt arcus ubicumque „c“ et „t“ conveniunt vel „ſ “ longum et „t“, ut „abſt̅ineo, act̅us“ et similia. 927 Birnstiel/Schweitzer, Seide, S. 324–326; Kordes, Einfluss, S. 232–234; Hotz, Litterae apostolicae, S. 160. 928 Baumgarten, Urkundenwesen, S. 349 f.; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 596 f.; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 503 f.; Baumgarten, Miscellanea, S. 198*. Ein frühes Beispiel ist eine littera Lucius’ III. von 1184, die mit Seidenschnur bulliert, aber ohne gedehnte Ligaturen ausgeführt wurde; vgl. Birnstiel/Schweitzer, Seide, S. 332–334. 929 Davon zeugt eine littera Clemens’ IV. vom 10. Juni 1267 an einige französische Geistliche, die mit Hanfschnur besiegelt wurde, aber ursprünglich als littera cum serico abgefasst worden war, wie die vielen Rasuren im Text andeuten, die von der Beseitigung der fraglichen ſt- und ct-Ligaturen
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In den Ausstattungsregeln des Formularium audientiae wurden demnach die bereits seit dem späten 12. Jahrhundert greifbaren Grundsätze zur Verwendung der genannten Buchstabenverbindungen kodifiziert, in der Praxis wurden sie allerdings lockerer gehandhabt, als die Formulierung der Regeln vermuten lässt. Die litterae cum serico mussten ein gewisses Mindestmaß an Verzierung aufweisen; vor allem die Ausgestaltung des Papstnamens und der Adresse waren dabei von Bedeutung. Weitere Ausschmückungen innerhalb der Textschrift waren zwar gewünscht, wie die Regelung im Formularium bezeugt, aber nicht unbedingt erforderlich. Auf der anderen Seite wurde jeglicher Ansatz aufwendiger Ausstattung im Kontext der Hanfschnurbriefe rigoros unterbunden, um ihre deutliche Abgrenzung von den Gnadenbriefen zu garantieren. Es bleibt zu resümieren, dass die in den Hilfsmitteln der Kanzlei aufgezeichneten Regeln zur Gestaltung der Textschrift in den päpstlichen Urkunden zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Schwerpunkte setzten. In den frühen Versionen der Ausstattungsvorschriften für litterae wurde viel Wert darauf gelegt, die Besonderheiten in der Gestaltung der einzelnen Buchstaben im Rahmen der Urkundenschrift genau darzulegen, betont wurde außerdem die Notwendigkeit, die Initialen von Formeln im Kontext deutlich hervorzuheben. Mit der Erarbeitung der Vulgataredaktion des Textes änderte sich der Fokus deutlich. Die Vorschrift zur Hervorhebung der Initialen wurde auf den Beginn des Kontextes und der Sanctio-Formeln Nulli ergo und Si quis autem beschränkt, wodurch der rechtliche Inhalt der Urkunde übersichtlicher strukturiert wurde und deutlicher hervortrat. Außerdem wurden die aufgrund vorhandener Vorlagen möglicherweise überflüssigen Vorschriften zur Gestaltung einzelner Buchstaben verworfen. Stattdessen wurde mit Aufnahme der Regel zu den Ligaturen in Seidenschnurbriefen eine weitere, seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts etablierte Möglichkeit zur optischen Abgrenzung der Gnadenbriefe gegenüber den Justizbriefen schriftlich fixiert, die von den Skriptoren aber nur optional genutzt wurde. 4.3.5.5 Abkürzungen Ein weiterer Aspekt der Schriftgestaltung wird in den Ausstattungsvorschriften für litterae in besonderer Ausführlichkeit beschrieben und deshalb gesondert betrachtet. Es handelt sich um die verschiedenen lateinischen Abkürzungen und Kürzungszeichen, deren Nutzung innerhalb der päpstlichen Urkunden teilweise vorgeschrieben und teilweise verboten wurde. Eine einzelne Angabe findet sich bereits in der frühen Handschrift Durrieu. Sie verbietet die Verwendung hochgestellter Buchstaben zur Kürzung von Wörtern, stammen; vgl. Delisle, Forme, S. 123; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 503 f.; Berger, Registres Innocent IV 1, S. L.
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wie etwa die gängigen Schreibweisen mͥ (mihi), t (ͥ tibi) oder s (ͥ sibi).930 Dieselbe Regel wird in der späteren Bearbeitung des Textes im Speculum iudiciale wiederholt, ergänzt um ein weiteres Beispiel für eine derartige Kürzung, nämlich gͥ für igitur.931 In den Vorschriften des Speculum ist außerdem eine Reihe von vorgeschriebenen Kürzungen aufgelistet, die in den Papstbriefen zwingend zu gebrauchen waren, nämlich ep̅s, dioc, Salt̅ et apl̅icam ben, Dat̅, Kl,̅ Non, Id9.932 Bei den genannten Beispielen handelt es sich um Worte, die in den standardisierten Formeln von Protokoll und Datierung vorkommen, Abkürzungen im Fließtext sind nicht berücksichtigt. In die Vulgataredaktion wurde keine dieser Anweisungen der früheren Texte übernommen, sie untersagt stattdessen aber eine andere Art von Wortkürzung, nämlich die im Mittelalter gebräuchlichen Formen für pro () und per (). Die Angaben variieren allerdings von Handschrift zu Handschrift. In einigen sind nur die Zeichen für per und pro angeführt, in anderen ist darüber hinaus die Kürzung für quod () oder auch die Endung -ur (2) ergänzt.933 Insgesamt sind die Vorgaben zu den verbotenen Abkürzungen im Formularium damit relativ unkonkret und nach Ausweis der verschiedenen Überlieferungen auch uneinheitlich. Auch die im Speculum überlieferte Regel, in der die zu nutzenden Kürzungsformen für verschiedene Worte angegeben sind, wurde in dieser Form nicht in die Vulgataredaktion übernommen, sie lässt sich aber zumindest indirekt den Beispielen zur Schreibweise von Protokoll und Datierung entnehmen.934 Zahlreiche Hinweise vor allem zu in Papsturkunden verbotenen Abkürzungen enthält dann wieder die Arthografia in der Neubearbeitung des Formularium audientiae.935 Dort sind in alphabetischer Reihenfolge Worte aufgelistet, die in Papst930 Berger, Registres Innocent IV 1, S. LI: Item nota quod in nulla parte littere propter necessitatem aliquam debet poni littera super litteram causa abreviandi, verbi gratia: „mͥ, t,ͥ s“ͥ vel hiis similibus. 931 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 8: Item non debet una littera super aliam poni causa abreviandi, puta sic: „mͥ, t,ͥ s ͥ, gͥ“ et similia. Im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb, sind die aufgeführten Beispiele ohne die hochgestellten Buchstaben ausgeführt. 932 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 10: Item certe dictiones sub certis abreviationis scribi debent et, si aliter scribantur, est littera corrigenda, puta hee hoc modo: „ep̅s, dioc̅, Salt̅ et apli̅cam ben̅, Dat̅, Kl,̅ Non̅, Id9“. Im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb, sind die aufgeführten Beispiele falsch gekürzt: ep̅us, dyoce., salu. ⁊ aposto. Bene., datʅ., Kal. No. Idus. 933 Herde, Audientia 2, S. 7, Z 8: Item nota, quod in litteris papalibus non recipiuntur omnes breviature ut iste et hiis similes nec tale 2. Zu den verschiedenen Angaben in den Handschriften vgl. auch die Anmerkungen zu den Varianten bei Herde, Audientia 2, S. 7, und Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 346 f. 934 Vgl. zu den Kürzungen im Protokoll oben Kapitel 4.3.5.3, S. 161, zu den Kürzungen in der Datierung unten Kapitel 4.3.5.7, S. 187. 935 Ross. 476, fol. 64r–v.
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briefen mehr oder weniger häufig Verwendung fanden. Die Beispiele zeigen dabei die an der Kurie üblicherweise genutzten Kürzungen, darunter auch in Papsturkunden gebräuchliche Formen wie apli̅cam ben̅, ep̅s und nr̅m. Die interessantesten Informationen bieten die bei verschiedenen Buchstaben eingefügten Nachträge, die sich speziell zu Wortkürzungen in päpstlichen litterae äußern. Der erste Nachtrag findet sich unter dem Buchstaben E und gibt an, dass das Wort est niemals gekürzt werden soll.936 Unter H steht das Verbot, die Worte hic, hec und hoc auf die bekannten Arten abzukürzen,937 ebenso wie unter P die Verwendung der auch in der Vulgataredaktion benannten Kurzformen für per und pro sowie ähnliche Kürzel untersagt werden.938 Schließlich finden sich unter dem Buchstaben Q die verbotenen Kürzungen für quod, quia und quam.939 Die Liste der Arthografia enthält damit die umfangreichsten bekannten Angaben zu Wortkürzungen in Papsturkunden, die Regeln der früheren Texte wurden im Rahmen ihrer Zusammenstellung in großen Teilen resümiert und außerdem um zahlreiche weitere Beispiele ergänzt. In derselben Handschrift wird die Nutzung von Abkürzungen in Urkunden im Rahmen der Regularien zur Ausstattung von gratiose erneut thematisiert. Demnach sollen sie laut geltender Regel (die allerdings in keiner der bekannten Ausstattungsvorschriften überliefert ist und daher möglicherweise im Vorfeld nie schriftlich fixiert worden war) in allen Papstbriefen grundsätzlich vermieden und die dictiones immer ausgeschrieben werden. Davon ausgenommen sind einige Wörter, für die feste Kürzungsformen angegeben sind, nämlich apli̅cam, cli̅ci, ep̅s, ben̅, eccla̅.940 Ähnlich wie bereits in der viel früheren Vorschrift im Speculum iudiciale handelt es sich auch bei diesen vorgeschriebenen Abkürzungen vor allem um Bestandteile von standardisierten Formeln des Protokolls. Für weitere Beispiele wird auf die Arthografia verwiesen, was wiederum bestätigt, dass mit deren Anlage vor allem das Ziel verfolgt wurde, einen umfassenden Überblick über die Gewohnheiten der päpstlichen Kanzlei bei der Wortkürzung zu geben. Direkt im Anschluss an die Arthografia wird in der Handschrift Ross. 476 außerdem noch eine weitere Abkürzung aufgegriffen, die in keinem der früheren Regeltexte Beachtung gefunden hatte, nämlich die lateinische Kürzung der Genitiv-Plural-Endung -rum. Diese sei demnach immer in Form des Zeichens zu kürzen, umgekehrt sollen aber alle sonstigen Worte, die auf -rum enden, ohne Kürzung 936 Ross. 476, fol. 64r: „e̅“: hec numquam sic scribitur, sed sic: „est“. 937 Ross. 476, fol. 64r: „hic hec hoc“ et non sic: „hc ħ“ etc. 938 Ross. 476, fol. 64r: Item quod hee figure „ pͥ p̄“ et cetera non fiunt in litteris apostolicis sed hee sillabe et similes scribuntur extense. Vgl. auch Graber, Spurium, S. 107 Anm. 66. 939 Ross. 476, fol. 64r: Et nota quod in litteris domini pape numquam sit tale „ꝙ“ vel tale „qȝ“ vel tale „ꝙ̃“ etc. 940 Ross. 476, fol. 65r: Et regula in omnibus communiter datur, quod dictiones extense communiter scribuntur, exceptus quibusdam ut „apli̅cam, cli̅ci, ep̅s, ben̅, eccla̅“ etc., de quibus aliquas habentes supra in arthografia dictionum folio proximo.
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ausgeschrieben werden.941 Die Verwendung des beschriebenen Kürzungszeichens war zwar in der päpstlichen Kanzlei längst üblich geworden, sie scheint aber bis zu diesem Zeitpunkt nicht schriftlich fixiert worden zu sein, da wohl in den vorhergehenden Jahrzehnten in der routinierten avignonesischen Kanzlei keine Notwendigkeit dazu bestanden hatte. Wahrscheinlich hatte sich dieser Bedarf erst durch das Fehlen eines Teils des erfahrenen Personals in der römischen Kanzlei Gregors XI. (1370–1376) ergeben. Im Hinblick auf die zahlreichen verbotenen Kürzungen, die in der Arthografia festgehalten wurden, ist es durchaus naheliegend, dass mit Blick auf die Genitiv-Kürzung Klärungsbedarf bestand. Die entsprechende Konvention wurde im direkten Anschluss an die Arthografia eingetragen, die ebenfalls nachträglich um Vorgaben zur Verwendung von Abkürzungen in Papstbriefen ergänzt wurde. Diese Notizen weisen in ihrer Gesamtheit darauf hin, dass in der römischen Kanzlei des späten 14. Jahrhunderts die Frage der Abkürzungen in Papsturkunden methodisch betrachtet wurde, indem bestehende Gewohnheiten rekapituliert und schriftlich fixiert wurden, um in der Folge den zahlreichen neuen Mitarbeitern der Kanzlei als Vorlage zu dienen. Die inhaltliche Entwicklung der Regeltexte lässt sich in ihrem zeitlichen Verlauf auch in diesem Fall mit den Beobachtungen in Einklang bringen, die an den Originalen gemacht wurden. Bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts wiesen die päpstlichen Urkunden alle möglichen Formen von Kürzungen auf, die meisten sind aber nach der schriftlichen Fixierung der entsprechenden Regeln in der Mitte des Jahrhunderts nicht mehr nachweisbar, mit Ausnahme der per- und pro-Kürzungen, die noch bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts auftraten. Nachdem ihre Verwendung in der Vulgataredaktion des Formularium schriftlich verboten worden war, kamen auch sie vorübergehend kaum noch vor.942 Seit Johannes XXII. ist dann allerdings ein deutlicher Anstieg der Nutzung von verbotenen Kürzungen zu konstatieren, die erst unter Urban VI. und damit direkt nach der Niederschrift der ausführlichen Regeln in der Neuredaktion des Formularium wieder zurückging.943 Die zunehmenden Mängel in der Umsetzung der Vorschriften in der avignonesischen Kanzlei könnten mit den wenig präzisen Vorschriften im Formularium zusammenhängen. Die umfassenden Bemühungen der römischen Kanzlei im späten 14. Jahrhundert, die verbotenen und erlaubten Kürzungen eindeutig zu definieren, zeigten dann 941 Ross. 476, fol. 64v: Nota, quod casus genitivi plurales et non casualia [!] terminata in „rum“, ut „imposte, cete“ et similia, semper debent scribi per hanc figuram „“, et non sic: „rum“. Alie vero dictiones in „rum“ terminate per tres litteras in ultra sillaba terminande sunt hoc modo: „farum“ etc. 942 Graber, Spurium, S. 105–108; Baumgarten, Urkundenwesen, S. 345 f.; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LI; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 597; Diekamp, Urkundenwesen Ale xander, S. 504. 943 Burger, Beiträge, S. 233; Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 347; Poole, Lectures, S. 19; Herde, Audientia 1, S. 187.
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wiederum erkennbare Wirkung in der Praxis. Insgesamt verdeutlicht diese Entwicklung erneut, dass die schriftlich fixierten Ausstattungsregeln durchaus direkten normierenden Einfluss auf die konkrete Gestaltung der Urkunden haben konnten. Neben den verbotenen Wortkürzungen wird in der Vulgataredaktion des Formularium auch ein weiteres, sehr grundlegendes Element im Zusammenhang mit Kürzungen im Text aufgegriffen, nämlich das zu verwendende Kürzungszeichen. Keine der früheren Textversionen hatte sich dazu geäußert, es handelt sich somit auch hier um eine Neuerung, die erst mit der Erarbeitung der Vulgataredaktion unter der Ägide der oberen Entscheidungsträger der Kanzlei Aufnahme in die Ausstattungsregeln der Kanzlei fand. Für die mit Hanffäden bullierten Papstbriefe schreibt der Text strikt die Nutzung des einfachen Kürzungsstriches vor.944 Dieser wurde stets als flach gewölbter Strich ohne Schlaufen ausgeführt.945 Dagegen sei in den Seidenschnurbriefen prinzipiell das diplomatische Abkürzungszeichen zu verwenden.946 Diese Vorgabe galt allerdings nicht für die gesamte Textschrift, wie häufig angenommen, sondern ausdrücklich nur für Substantive. In den Handschriften finden sich verschieden gestaltete Formen des diplomatischen Abkürzungszeichens als Beispiele, die nach Belieben des Schreibers genutzt werden konnten.947 Die Regel besagt aber auch, dass dieses Kürzungszeichen non tamen in omnibus, also nicht über allen Nomen zu verwenden sei. Einige der Handschriften gehen auf diese Bemerkung näher ein und erläutern, dass vor allem dann ein einfacher Kürzungsstrich gesetzt werden dürfe, wenn für das diplomatische Zeichen aufgrund der Buchstabenkonstellation nicht genug Platz bleibe. Als Beispiel wird das Wort ecclesiis angeführt, bei dem das Kürzungszeichen über dem l platziert wird – dort findet aufgrund der hohen Oberlänge dieses Buchstabens das ausladende diplomatische Zeichen keinen Platz.948 Die Vorgaben waren also durchaus den praktischen Erfordernissen der täglichen Schreiberarbeit angepasst. Die Formulierung dieser Vorschriften lässt erkennen, dass es den Skriptoren im Falle der Seidenschnurbriefe relativ freigestellt war, welche Abkürzungszeichen sie nutzten und wie sie diese gestalteten. Grundsätzlich verboten war dagegen die Verwendung des diplomatischen Kürzungszeichens in den einfachen Hanfschnurbriefen. 944 Herde, Audientia 2, S. 6, Z 5: […] in illis autem cum filo canapis semper planus hoc modo: –. 945 Rück, Beiträge, S. 21; Burger, Beiträge, S. 234. 946 Herde, Audientia 2, S. 6, Z 5: Item notandum, quod in istis litteris cum serico titulus debet esse super nominibus, ut supra factus est in „eps“ hoc modo vel aliter, ut placebit scriptori, non tamen in omnibus […]. 947 Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 345 f.; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 503. Zur Entwicklung und Gestaltung des diplomatischen Abkürzungszeichens vgl. Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 102; Rück, Beiträge, S. 20–22; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 406. 948 Herde, Audientia 2, S. 6, Z 5: […] non tamen in omnibus (, videlicet ubi competenter fieri non possunt, ut in „eccl̅iis“, vel aliis locis, in quibus, si taliter esse non potest, fiet longus).
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Vor diesem Hintergrund ist eine sehr unpräzise formulierte Regel zu diesem Thema zu interpretieren, die sich unter den Nachträgen der Neubearbeitung des Formularium in Ross. 476 findet. Zunächst ist dort angegeben, dass in allen Gratial urkunden immer das diplomatische Abkürzungszeichen zu setzen sei, und es sind entsprechende Beispiele aufgeführt. Im Anschluss wird allerdings einschränkend ergänzt, dass in anderen päpstlichen Briefen durchaus auch das gewöhnliche Kürzungszeichen Verwendung finde.949 Mit dieser widersprüchlichen Aussage dürfte der Verfasser entweder auf die einfachere Ausstattung der Hanfschnurbriefe verweisen oder aber darauf, dass er auch bei den gratiose Ausnahmen hinsichtlich des gebrauchten Abkürzungszeichens festgestellt hatte. Es entsteht der Eindruck, dass der Urheber dieses Nachtrags, möglicherweise ein unerfahrener Mitarbeiter in der römischen Kanzlei des späten 14. Jahrhunderts, die Regelungen der Vulgataredaktion des Formularium, die grundsätzlich viel Interpretationsspielraum ließen, nicht kannte oder nicht verstand. Auch die Originalüberlieferung deutet darauf hin, dass die Entscheidung über die in den Seidenschnurbriefen zu nutzenden Kürzungszeichen letztlich den Skriptoren überlassen blieb. Bereits im 12. Jahrhundert wurden beide Abkürzungszeichen in litterae cum serico unterschiedslos nebeneinander verwendet, in Hanfschnurbriefen kam das diplomatische aber nur in wenigen Ausnahmefällen zum Einsatz.950 Auch im 14. Jahrhundert finden sich in den Seidenschnurbriefen zahlreiche einfache Kürzungsstriche, auch über Substantiven ohne störende Oberlängen.951 Wie im Falle der Ligaturen scheinen die Kontrollinstanzen der Kanzlei auch bei den Kürzungszeichen besonderen Wert darauf gelegt zu haben, dass die Hanfschnurbriefe nicht fälschlicherweise Merkmale der besser ausgestatteten Seidenschnurbriefe aufwiesen.952 Den seit dem späten 12. Jahrhundert geübten Gewohnheiten entsprechend, die im Formularium aufgezeichnet wurden, hatten die Skriptoren bei der Gestaltung der litterae cum serico vorrangig dafür zu sorgen, dass ein gewisser Mindeststandard erfüllt war, hinsichtlich der Hanfschnurbriefe waren der Ausstattung dagegen deutliche Grenzen gesetzt.
949 Ross. 476, fol. 65r: Et in eisdem scilicet gratiosis omnibus fiunt titelle [sic!] hoc modo: „apli̅cam ben̅“, et non extense tamen. In alias vero apostolicas litteras titelle tamen extense fiunt. 950 Birnstiel/Schweitzer, Seide, S. 326 f.; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 596 f. 951 Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 503; Burger, Beiträge, S. 234. 952 In einer littera cum filo canapis Clemens’ IV. hatte der Schreiber das diplomatische Abkürzungszeichen verwendet, weshalb einer der revidierenden Mitarbeiter der Kanzlei am Rand der Urkunde vermerkte: corrige titulos, quia non est cum serico. Die beanstandeten Stellen wurden daraufhin vom Schreiber korrigiert; vgl. Delisle, Forme, S. 123 f.; Graber, Spurium, S. 125 Anm. 117; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 102; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 503; Berger, Registres Innocent IV 1, S. L.
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Auf einen Sonderfall im Hinblick auf die Kürzungszeichen macht die Arthografia in der Neuredaktion des Formularium aufmerksam. Grundsätzlich wird bei den dort aufgeführten Abkürzungen ausschließlich das diplomatische Abkürzungszeichen verwendet, was angesichts der Ausrichtung der Gestaltungsvorschriften auf Gratialurkunden zu erwarten ist. Ein abweichendes Zeichen wird nur bei der Kurzform pp̅ für papa genutzt, welche die von den päpstlichen Bleibullen bekannte, nach oben gewölbte Linie über den Buchstaben (–ᴖ–) aufweist. Die Handschrift gibt ganz ausdrücklich vor, dass papa in allen Fällen auf diese Art zu kürzen sei.953 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass seit dem frühen 13. Jahrhundert in den Hilfsmitteln der Kanzlei verschiedene Formen der Wortkürzung verboten, andere zwingend vorgeschrieben wurden. Eine zusammenfassende Darstellung dieser Abkürzungen wurde aber erst im späten 14. Jahrhundert in Form der Arthografia in der Handschrift Ross. 476 geschaffen. Da die Vulgataredaktion des Formularium, die nach Ausweis der Überlieferung während des gesamten Jahrhunderts als zentrales Nachschlagewerk für die Skriptoren der Kanzlei gelten kann, nur eine einzige knappe Vorschrift zu diesem Themenkomplex enthält, waren vor allem für neue Kanzleimitarbeiter kaum schriftliche Orientierungshilfen vorhanden. Zum Ende des 14. Jahrhunderts wurden daher die teilweise auf die älteren Regeltexte zurückgehenden Gewohnheiten der Kanzlei systematisch aufgezeichnet. Die Fokussierung der Vulgataredaktion auf die Verwendung von einfachem und diplomatischem Kürzungszeichen kann als ein weiterer Beweis dafür angeführt werden, dass die Kodifizierung der seit der Zeit Alexanders III. etablierten äußeren Abgrenzung von Hanf- und Seidenschnurbriefen ein zentrales Anliegen der Bearbeiter der Vulgataredaktion war. 4.3.5.6 Eigennamen Im Zusammenhang mit der Gestaltung der Textschrift schenken die Quellen auch der Ausstattung von Eigennamen in den päpstlichen Briefen besondere Beachtung. Namen kommen nämlich nicht nur in der Adresse, sondern auch im Kontext der litterae vor. In Gnadenbriefen werden standardmäßig die privilegierten Personen benannt, in Justizbriefen dagegen Kläger und Beklagte. Die Eigennamen markieren demnach rechtlich relevante Inhalte. In der Handschrift Durrieu wird die Gestaltung der Namen lediglich am Rande erwähnt. Anlässlich der Beschreibung der Buchstaben mit Ober- und Unterlängen wird darauf hingewiesen, dass alle genannten Buchstaben, nämlich b, f, h, k, l, p, q und s, als Initiale eines Eigennamens, sei es einer Person, eines Ortes oder einer Sache, nicht verlängert, sondern hervorgehoben werden sollen.954 953 Ross. 476, fol. 64r: Et nota, quod in omni casu scribitur „papa“ modo predicto. 954 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX: […] hee littere: „b, f, h, k, l, p, q, s“ sic formari debent
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Im Speculum iudiciale ist diese Anweisung dahingehend konkretisiert, dass der erste Buchstabe aller Eigennamen capitanea et magna et sollempniter auszuführen sei.955 Während die Worte capitanea und magna eine Majuskel beschreiben, steht sollempniter für eine besondere Verzierung des Buchstabens. Darüber hinaus wird festgelegt, dass alle Eigennamen extense, also ohne Abkürzungen geschrieben werden sollen.956 Dieser Hinweis widerspricht allerdings der aus den Originalen ablesbaren Praxis. So wurden Personennamen häufig mit einem einzelnen Buchstaben abgekürzt, und bei Ortsnamen fehlen meist die Endungen. Selbst das im Speculum an dieser Stelle angeführte Beispiel für die Schreibweise der Eigennamen, Martinus et Bononien., weist einen gekürzten Ortsnamen auf.957 Auch Johannes Andreae verwies in seinem Kommentar zu diesem Abschnitt auf derartige Kürzungen von Eigennamen in päpstlichen litterae.958 Heckel schloss daraus, dass mit dieser Vorschrift lediglich die Verwendung von Kürzungsstrichen oder anderen verbotenen Kürzungszeichen untersagt werden sollte.959 Für diese These spricht eine Präzisierung der Regelung zur Kürzung von Eigennamen in einem anderen Abschnitt der Ausstattungsvorschriften im Speculum, der zufolge nur der Name des Petenten extense zu schreiben sei, während der des Beklagten gekürzt werden dürfe.960 Johannes Andreae ergänzte an dieser Stelle zur Erläuterung des Wortes extense den deutlichen Hinweis, dass damit die Schreibweise ohne Kürzungszeichen gemeint sei.961 Diese Einschränkung bei der Namenskürzung bezieht sich ausschließlich auf Justizbriefe, in denen Kläger und Beklagte benannt werden, die Stellung des Einschubes im Text deutet auf eine spätere Ergänzung hin.
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superius capitibus et inferius caudis, nisi pona[n]tur in principio clausule vel nominum propriorum hominum vel locorum seu rerum ubi sollempniter formari debent […]. Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 2: Et nomina propria hominum et locorum […] prima littera debet esse capitanea et magna et sollempniter scribi […]. Ein ähnlicher Hinweis auf die Großschreibung von Namen findet sich auch in der Oliva Boncompagnos da Signa, siehe Anm. 193. Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 2: Et nomina propria hominum et locorum extense scribuntur […]. Im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb, steht: Martin9 et Bononia et similia. Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb: Bene convenit C. de ve. Iu. Enuc. L. II ante si [= C 1.17.2], ubi precipitur nomina prudentum, qui leges composuerunt, scribi per consequentiam litterarum. Cessabit ergo, secundum hac q. XII I li. Jo. De deo [= Liber quaestionum des Johannes de Deo, quaestio 12], fundata super littera apostolica, in qua ponebantur littere pro nomine, facit de accu. Qualiter II § debet [= X 5.1.24]. Heckel, Kanzleianweisung, S. 116. Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 9: Circa dictiones autem illud notandum est, quod propria nomina impetrantium extense scribi debent; secus de nominibus eorum, contra quos impe trantur. Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb: id est, sine titulo.
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Der Nachtrag veranschaulicht ein grundlegendes Charakteristikum der Ausstattungsvorschriften der Kanzlei aus dem 13. Jahrhundert, die permanent umgearbeitet und angepasst wurden, so dass sie die fortlaufende Weiterentwicklung und Präzisierung der kodifizierten Gestaltungsgewohnheiten dokumentieren. Das ursprüngliche Verbot der Kürzung von Eigennamen durch Kürzungszeichen war sehr allgemein und missverständlich formuliert. Die spätere Ergänzung zeigt, dass dieser Mangel nachträglich durch eine konkretere Regelung zumindest teilweise behoben wurde. Dabei wurde das Kürzungsverbot auf die rechtlich besonders relevante Namensnennung des Petenten begrenzt, der die Urkunde potentiell erbat, um sie im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vorzulegen. Ganz allgemein ist schließlich auch in der Vulgataredaktion des Formularium audientiae festgehalten, dass in allen Papstbriefen die Anfangsbuchstaben von Eigennamen und auch von Ämterbezeichnungen größer als die anderen Buchstaben auszuführen seien; die Regel wurde offenbar aus den älteren Vorlagen übernommen.962 Eine der späteren Abschriften aus einem Kanzleiexemplar macht zusätzlich auf einen Sonderfall aufmerksam. In der Intitulatio, in welcher der Papst als episcopus bezeichnet wird, soll dieses Wort kleingeschrieben und nicht mit einer Majuskel versehen werden.963 Graber ging davon aus, dass dies mit der folgenden Formel servus servorum Dei zusammenhängt, die ebenfalls in Kleinbuchstaben ausgeführt wird.964 Wahrscheinlich waren bei einem Nutzer oder Bearbeiter des Regeltextes diesbezüglich Fragen aufgekommen, als er sich mit der praktischen Umsetzung der Vorschriften auseinandersetzte, vielleicht hatte er eine Ausfertigung mit den Regularien abgeglichen und diese Abweichung bemerkt. Jedenfalls wurde diese Ausnahme in der Handschrift als Besonderheit notiert, auch wenn sich in der Praxis an dieser Stelle wahrscheinlich kaum Probleme ergaben, da für die Gestaltung des Protokolls eigene Regeln vorlagen. In den Originalen wurden die Namensinitialen im Kontext meist als vergrößerte Minuskeln ausgeführt und mit einem waagerechten oder senkrechten Strich verziert.965 Die regelmäßige Verwendung der vergrößerten Anfangsbuchstaben bei Eigennamen setzte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein, etwa zur selben Zeit, als deren Gestaltung nach Ausweis des Textes im Speculum in der Kanzlei thematisiert wurde.966
962 Herde, Audientia 2, S. 10, Z 13: Item nota, quod in litteris apostolicis omnia propria nomina personarum, locorum, nomina officiorum et dignitatum debent habere primam litteram elevatam, sic: „Petrus, Canonicus, Episcopus“ et similia. 963 Herde, Audientia 2, S. 10, Z 13, Anm. 3: […] nisi ubi papa scribit se episcopum quia tunc cum parva scribitur littera. 964 Graber, Spurium, S. 100. 965 Graber, Spurium, S. 101. 966 Graber, Spurium, S. 101; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 597; Poole, Lectures, S. 189.
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Einen Sonderfall unter den Eigennamen stellen Papstnamen dar, die im Kontext der Urkunde genannt werden. In der frühen Handschrift Durrieu findet sich eine Anweisung zu deren Gestaltung. Sie besagt, dass der erste Buchstabe jedes Papstnamens verziert werden soll.967 In den späteren Bearbeitungen des Textes im Speculum iudiciale und der Vulgataredaktion des Formularium audientiae ist keine derartige Regelung enthalten, die Ausstattung von Papstnamen wurde nur noch in Bezug auf das Protokoll behandelt, im Rahmen des Urkundenkontextes aber nicht wieder aufgegriffen. Informationen zu diesem Themenkomplex bietet erst wieder ein Zusatz in einer Münchner Handschrift der Vulgataredaktion. Dort wurde notiert, dass ein Papstname im Kontext eines Papstbriefes in Elongata auszuführen sei.968 Ein weiterer Zusatz derselben Handschrift besagt, dass der Papstname aber dann in normalen Kleinbuchstaben geschrieben werden soll, wenn der Papst als Aussteller einer inserierten Urkunde genannt wird.969 Hier ist zu berücksichtigten, dass diese Zusätze aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nur in der Münchner Handschrift überliefert sind, einem Manuskript, das wahrscheinlich von einem Prokurator verfasst und genutzt wurde.970 Eventuell handelt es sich um von einzelnen Kanzleimitarbeitern praktizierte Verfahrensweisen oder um theoretische Überlegungen, die in den Reihen des Kanzleipersonals diskutiert und von einem Schreiber als Anmerkung in seinem Exemplar notiert wurden, das in der Folge dem Urheber der Münchner Handschrift als Vorlage diente. In die späteren Kanzleiexemplare gingen die Ergänzungen jedenfalls nicht ein. In den Originalen des 13. wie auch des 14. Jahrhunderts wurde die Verwendung der Elongata bei Papstnamen im Kontext recht willkürlich gehandhabt.971 Das offenkundige Fehlen einer eindeutigen Konvention in der Praxis fand seinen Niederschlag demnach auch in einem Mangel an entsprechenden Aufzeichnungen in den Hilfsmitteln der Kanzlei. Hinsichtlich der Vorgaben zur Ausstattung von Eigennamen in päpstlichen litterae lässt sich resümieren, dass eine Hervorhebung der Namensinitialen bereits in den frühen Quellen vorgegeben und diese Regelung in etwas präziserer Formulierung auch in die späteren Überarbeitungen übernommen wurde – nur in die Neuredaktion des Formularium fanden sie keinen Eingang. Sonderfälle wie im Ur967 Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLIX: „H.“, in principio littere, vel prima alia littera cujus cumque pontificis, semper sollempniter formari debet. 968 Herde, Audientia 2, S. 8, Z 10, Zusatz 3: Item est sciendum, quod, quando in littera dicitur „ad instar“, littere debent esse levate vel inherentes in nomine pape hoc modo: „Clemens“, et sic in aliis. 969 Herde, Audientia 2, S. 8, Z 10, Zusatz 5: Item nota, quod, quando aliquod privilegium propter vetustatem petitur renovari et dicatur propter nimiam vetustatem consumptum et inseratur in litteris alterius pontificis, littere in nomine pontificis debent esse parve sic: „Innocentius“ etc. 970 Herde, Audientia 1, S. 188. 971 Herde, Audientia 1, S. 187; Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 347 f.; Baumgarten, Urkundenwesen, S. 346; Berger, Registres Innocent IV 1, S. L f.
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kundenkontext vorkommende Papstnamen wurden dabei zunächst nicht berücksichtigt. Die Nachträge in der Münchner Handschrift des Formularium zeigen, dass die in den Kanzleigewohnheiten und damit auch den Regeltexten im Hinblick auf solche Details der Urkundengestaltung bestehenden Defizite im 14. Jahrhundert zunehmend bemerkt und als Mangel empfunden wurde. Die Ergebnisse solcher praktisch orientierten Auseinandersetzungen mit den Ausstattungsregeln wurden dann jeweils von Einzelpersonen in Form von Notizen festgehalten und ergänzten die grundlegenden Vorschriften der Kanzleihilfsmittel. 4.3.5.7 Datierung Die umfangreichsten Vorgaben bieten die untersuchten Ausstattungsvorschriften, allen voran die Vulgataredaktion des Formularium audientiae, zur Datierung der litterae. Im Vordergrund stehen dabei die Schreibweise der einzelnen Elemente sowie ihre Verteilung auf die Zeilen der Urkunde. Seit Clemens III. bilden Ausstellungsort, Tag, Monat und Pontifikatsjahr die Bestandteile der Datumsangabe in den Papstbriefen.972 Uneindeutig und daher in der Forschung immer noch umstritten ist die genaue Definition der einleitenden Abkürzung Dat, die sowohl als data als auch als datum aufgelöst werden kann.973 Die vollständige Datierungsformel der Briefe ist in den Ausstattungsvorschriften des Speculum iudiciale wiedergegeben: Dat Lugdun̅ II Id9 Pontificatus nri̅ Anno Primo.974 Eine erste Vorschrift zur Schreibweise wurde in der Mitte des 13. Jahrhunderts in der Handschrift Durrieu aufgezeichnet. Sie besagt, dass die Tagesdatierung in den litterae stets nach folgendem Schema anzugeben sei: II id9, XVI kl, IIII non. Die Worte Iden, Kalenden und Nonen seien demnach zu kürzen, die Tageszählung dagegen in Form von römischen Zahlen und nicht als ausgeschriebenes Wort wiederzugeben.975 Im Speculum findet sich dieselbe Regel,976 ein weiterer Abschnitt 972 Poole, Lectures, S. 113 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 95; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 407; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 472; Delisle, Mémoire, S. 60; Kordes, Einfluss, S. 216; Falkenstein, Beispiele, S. 338 f. 973 Delisle, Mémoire, S. 50 f.; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 392; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LVIII. 974 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 13. Offenbar fehlt die Monatsangabe in allen Handschriften und Drucken; vgl. ebd., S. 117. Dies könnte eventuell damit zusammenhängen, dass für den Monat als eines der wenigen Worte der Datierung keine bestimmte Regelung hinsichtlich der Abkürzung vorgegeben wurde. Der ursprüngliche Verfasser des Textes hatte ihn wohl vergessen, da er sich auf die anderen Teile der Datierung fokussierte, deren Gestaltung er näher erläutert. Auch im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb, fehlt die Monatsangabe, außerdem sind falsche Kürzungen angegeben: datȝ. Lugd. II Idus pōtifi. nr̄i āno p̉mo. 975 Berger, Registres Innocent IV 1, S. LIX: Preterea „II id., XVI kl.“, vel „IIII non.“, cum occurrunt, scribenda sunt ut supra, et non sic: „p̉die, VI decimo“, aut „qͣrto“. 976 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 12: Preterea „II Id9“ vel „III Kl̅“ vel „IIII Non“, cum
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besagt außerdem, dass das Pontifikatsjahr im Gegensatz zur Tagesdatierung nie als römische Ziffer, sondern immer als ganzes Wort geschrieben werden soll.977 Das die Datierung einleitende Dat sei dagegen immer zu kürzen.978 Auch in der Vulgataredaktion des Formularium audientiae wird vorgeschrieben, dass immer die römische Tageszählung anzuwenden sei, wobei vor allem in der zweiten Redaktion betont wird, dass dies für alle päpstlichen litterae gelte.979 Erst in der zweiten Redaktion wurde auch der bereits aus den älteren Texten bekannte Hinweis ergänzt, dass die Worte nonas, idus und kalendas immer gekürzt geschrieben werden sollen.980 Die Originale des 13. und 14. Jahrhunderts zeigen, dass dies bereits vor der Aufnahme der Regel in die Vulgataredaktion konsequent umgesetzt worden war.981 Mit der Ergänzung dieser bereits etablierten Gewohnheit wurden demnach die Angaben zur Gestaltung des Datums in diesem zentralen Hilfsmittel für die Kanzleimitarbeiter vervollständigt, da die Datierung sich zunehmend zu einem Echtheitskriterium der päpstlichen Briefe entwickelte. Dafür spricht auch die zusätzliche Erläuterung der Regel, dass die Briefe bei Nichtbeachtung als verdächtig anzusehen seien. Die in den älteren Textversionen festgehaltene Vorschrift, die Zahl in der Tagesdatierung immer als römische Zahl zu schreiben, wurde nicht in die Vulgataredaktion aufgenommen. Die korrekte Schreibweise ergibt sich allerdings aus zahlreichen Beispielen, in denen die Tagesdatierung ausnahmslos dieser Vorgabe entsprechend ausgeführt ist. Eine Ergänzung zum Themenkomplex der Datierung, die nur in der Frankfurter Handschrift des Formularium aus dem 15. Jahrhundert überliefert ist, macht Angaben zur Schreibweise der Monatsnamen. Diese sollen, wenn sie als letzten Buchstaben ein r aufweisen, mit gekürzter Genitivendung geschrieben werden: Ianuar;
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occurrunt, hoc modo scribenda sunt et non extense, sic videlicet: „pridie Idus“, vel „tertio Kalendas“ vel „quarto Nonas“, et sic de aliis. Im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb, ist der Sinn der Regel durch Verwendung von römischen Zahlen im zweiten Teil des Satzes entstellt: Preterea „II Idus“ vel „III kal.“ vel „IIII non“, cum occurrunt, hoc modo scribenda sunt et non extense, sic videlicet „pridie Idus“ vel „III kal.“ vel „IIII non“, et sic de aliis. Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 13: […] „Anno Primo“ vel „Secundo“ vel „Tertio“, et non debet sic abreviari: „Anno I“ vel „II“ vel „III“. An dieser Stelle wurden die Zahlworte und römischen Zahlen im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22rb, korrekt verwendet. Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 10. Zu den Vorgaben hinsichtlich der Wortkürzung siehe auch oben Kapitel 4.3.5.5, S. 177. Herde, Audientia 2, S. 10 f., Z 14: Et quia hic de data est mentio, de illa dicatur. Notandum, quod data scribitur (semper in litteris papalibus) secundum nonas, secundum idus et secundum kalendas mensium […]. Herde, Audientia 2, S. 11, Z 14: […] que debent scribi breviate ut hic: „non., id.“ vel „X kl.“, et si aliter fieret, littere essent suspecte. Baumgarten, Urkundenwesen, S. 354; Burger, Beiträge, S. 233.
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Februar; Octobr;.982 Keine der früheren Überlieferungen der Vulgataredaktion enthält explizite Hinweise zu den Monatsangaben, die Beispiele zur kompletten Datierung weisen stets ausgeschriebene Monatsnamen auf, allerdings enden diese auch nie auf r. Eventuell handelt es sich bei diesem Eintrag in der schlecht ausgeführten, späten Abschrift des Formularium um ein Indiz für die Ausarbeitung und Verschriftlichung einer weiteren kanzleiinternen Konvention zur Vereinheitlichung der Schreibweise von Monatsnamen im 15. Jahrhundert. Einen sehr speziellen Zusatz enthält auch die Trierer Handschrift des Formularium, eine um 1380 entstandene Abschrift eines Kanzleiexemplars. Als Urheber der Vorlage wurde bereits in anderem Zusammenhang ein Skriptor vermutet,983 der sich ausgehend von Erläuterungen seiner Kollegen oder des höhergestellten Kanzleipersonals ergänzende Notizen in sein Exemplar der Formelsammlung machte. Hinsichtlich der Schreibweise der römischen Zahlen in der Datierung notierte er sich, dass die Zahlen acht und neun immer als VIII und VIIII zu schreiben seien, ansonsten müsse der Brief gratis neu ausgefertigt werden.984 Verboten waren demnach die Form IX für die Zahl neun und möglicherweise auch andere Schreibweisen für die beiden Zahlen, die den Zeitgenossen geläufig waren. Dieselbe Handschrift enthält auch die ergänzende Regel, dass innerhalb der Datierung nirgends ein Punkt gesetzt werden soll.985 Punkte konnten zur Trennung der einzelnen Datierungsteile oder zur Kennzeichnung von römischen Zahlen (zur Unterscheidung von Wörtern) dienen, beides sollte aber vermieden werden. Der Schreiber vermerkte hier zwei wichtige Grundsätze, die für seinen beruflichen Alltag von erheblicher Bedeutung waren – ein Verstoß hätte zu unbezahlter Ausbesserungsarbeit führen können. Dennoch sind diese offensichtlich streng überwachten Vorgaben nicht in anderen Zusammenhängen überliefert, was wiederum verdeutlicht, dass die Aufzeichnung der in der Kanzlei bei der äußeren Urkundengestaltung geübten Gewohnheiten auch und vor allem durch einzelne Mitarbeiter erfolgte und sich damit an deren konkreten praktischen Bedarfen orientierte. Konkrete Vorgaben zur graphischen Anordnung und zur Verteilung der einzelnen Datierungselemente auf die Zeilen der litterae gab es in der päpstlichen Kanzlei bereits im frühen 13. Jahrhundert, wie die Aufzeichnungen in der Handschrift Durrieu beweisen. Demnach soll die letzte Zeile genauso lang sein wie die anderen Zeilen und mindestens folgende vier Worte enthalten: pontificatus nostri anno primo.986 Die Worte der letzten Zeile waren also gleichmäßig zu verteilen und sollten 982 Herde, Audientia 2, S. 12, Z 14. 983 Siehe oben Kapitel 4.3.5.2, S. 156. 984 Herde, Audientia 2, S. 14, Z 17b: Item semper debet VIII et VIIII ita scribi, alioquin littera rescriberetur gratis. 985 Herde, Audientia 2, S. 14, Z 17a: Nec est ponendus in data aliquis punctus […]. 986 Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXII: Item nota quod ultima linea terminari debet cum aliis equaliter semper, et ad minus ultima linea continere debet hoc: pontificatus nostri anno primo.
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die Zeile füllen, was meist dadurch erreicht wurde, dass man sie in die Länge zog und größere Zwischenabstände ließ. Dies war besonders dann notwendig, wenn es sich ergab, dass nur wenige Worte für die letzte Zeile übrig blieben. Der zweite Teil der Regel besagt, dass die komplette Angabe des Pontifikatsjahres in der letzten Zeile stehen soll, und impliziert damit, dass die Jahresdatierung nie auseinandergerissen und auf zwei Zeilen verteilt werden durfte, sondern immer komplett in einer und damit zwangsläufig der letzten Zeile untergebracht werden musste.987 In den Ausstattungsanweisungen des Speculum iudiciale wurde diese Anweisung in zwei separate Regeln aufgeteilt. In der ersten ist festgelegt, dass die letzte Zeile, welche die Datierung enthält, komplett auszufüllen sei; sie sollte also genauso lang sein wie die vorhergehenden Zeilen.988 Der nächste Abschnitt schreibt dann vor, dass die Datierung in der Zeile enden soll, in der das Wort pontificatus steht.989 Damit wurde auf recht umständliche Art dasselbe ausgedrückt wie in der einfacheren Regel der Handschrift Durrieu, nämlich dass die Jahresdatierung nicht in einzelne Bestandteile aufgeteilt, sondern vollständig in die letzte Zeile gesetzt werden sollte. Der Text im Speculum schränkt die Möglichkeiten zur Anordnung der Datierung noch weiter ein: Sie soll nicht zwei komplette Zeilen einnehmen, bei Nutzung beider Zeilen seien in der ersten (also der vorletzten Zeile der Urkunde) mindestens noch zwei Worte des Kontextes einzutragen.990 Das Datum sollte folglich nicht zu viel Raum im Gesamtlayout der Urkunde einnehmen. Auch die Ausstattungsvorschriften der Vulgataredaktion des Formularium audientiae enthalten zahlreiche Vorgaben zur Aufteilung der Datierung auf die letzten Zeilen der Urkunde, die grundsätzlich für beide Briefarten gültig waren. Im Unterschied zu den meisten anderen Regeln in dieser Bearbeitung des Textes dienten sie damit nicht der optischen Differenzierung der Seiden- und Hanfschnurbriefe. Sie besagen, dass die Datierung immer auf eine oder zwei Zeilen zu verteilen sei. Gemäß der ersten Redaktion sollen dabei entweder Dat. und die Ortsangabe oder Dat., die Ortsangabe und die Tagesdatierung in einer Zeile eingetragen werden, das pontificatus nostri anno septimo dann in der nächsten. Käme aber beispielsweise Dat. Lateran kl. in einer Zeile und der Rest in der nächsten zu stehen, oder andersherum, dann wäre der Brief zu korrigieren.991 Gemeint ist, dass die Datierung aus987 Heckel, Kanzleianweisung, S. 117. 988 Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 13: Item circa lineas nota, quod ultima linea debet compleri et fieri cum aliis equalis, nec debet pars eius vacua remanere; et debet continere hoc: „Dat̅ Lugdun̅ II Id9 Pontificatus nri̅ Anno Primo“ […]. 989 Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 14: Item nota, quod tota data debet compleri in linea, in qua scribitur dictio „Pontificatus“, et non debet in alia linea terminari. 990 Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 15: Item data non debet duas lineas integras continere; immo in initio penultime linee necesse est ad minus duas dictiones precedentis clausule contineri. 991 Herde, Audientia 2, S. 9, Z 12: Item nota, quod in omnibus litteris apostolicis data tota debet esse in eadem linea vel in duabus, ita quod „Dat. Lateran“. (vel „Rome apud sanctum Petrum“) sit semper in
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schließlich nach dem Ortsnamen oder der vollständigen Tagesdatierung getrennt werden durfte, wenn sie nicht in einer einzigen Zeile Platz fand. Offenbar machte der Wortlaut dieser Regelung den Skriptoren in der Kanzlei Schwierigkeiten. So findet sich in der zweiten Redaktion eine präzisere Beschreibung mit deutlicheren Beispielen: […] ita quod Dat. Lateran. (vel Rome apud sanctum Petrum) sit semper in una linea et pontificatus nostri anno septimo [sit] in alia si tota non potest poni in una. Item nota, quod V kl. ianuarii vel kl. ianuarii non debet tenere duas lineas nec pontificatus etiam duas lineas. Quod, si secus fieret, littere essent corrigende, scilicet si Dat. Lateran. kl. esset in una linea et quod sequitur in alia vel Dat. Rome in una linea et apud sanctum Petrum in alia, vel pontificatus nostri in una linea et anno primo in alia.992 Inhaltlich ist damit das Gleiche geregelt wie in der ersten Version: Die drei Bestandteile Ortsangabe, Tagesdatierung und Jahresdatierung sollten jeweils als Einheit erhalten bleiben. Letztendlich blieb für den Schreiber nur noch die Entscheidung, ob er die Tagesdatierung in die erste Zeile hinter die Ortsangabe oder in die zweite Zeile vor die Jahresangabe setzte.993 Die Regel wurde demnach in der zweiten Redaktion des Textes gegenüber der ersten inhaltlich nicht verändert, aber eindeutiger formuliert und mit zusätzlichen Beispielen versehen, was ihre Verständlichkeit verbesserte. In einer Münchner Handschrift des Formularium audientiae, bei der es sich wahrscheinlich um eine Abschrift aus dem Exemplar eines Prokurators handelt, findet sich ein sehr spezieller Zusatz zu diesen Gestaltungsvorschriften. In Justizbriefen soll demnach das letzte Wort der Zeugenklausel perhibere nicht getrennt werden. Allerdings ist die Regel ungeschickt verbalisiert, da das angegebene Beispiel zeigt, wie es in der Urkunde gerade nicht aussehen sollte.994 Es ist anzunehmen, dass dieser Hinweis inhaltlich nicht speziell auf das Wort perhibere zu beziehen ist, das den gebräuchlichen Abschluss einer Vielzahl von Justizbriefen bildete. Er muss vielmehr im Zusammenhang mit einem weiteren Zusatz derselben Handuna linea vel [„Dat. Lateran. Kl. Ianuarii“ sit in una linea] et „pontificatus nostri anno septimo“ [sit] in alia. Quod, si secus fieret, littere essent corrigende, scilicet si „Dat. Lateran. Kl.“ esset in una linea et quod sequitur in alia vel econverso vel forte suspecte essent. 992 Herde, Audientia 2, S. 9, Z 12. 993 Dass die Anweisung vor allem für Außenstehende schwer verständlich war, zeigt ein Zusatz in der Frankfurter Handschrift, die von einem kurienfernen Unbekannten angelegt wurde, der die Materie, die er abschrieb, offenbar nur schwer verstand. Als zusätzliche Erläuterung zu der Regel findet sich dort laut Herde, Audientia 2, S. 9, Z 12, Anm. 5: vel Datum Aueniom.(!) in una linea et totum residuum in alia. Sed si dicatur: Datum apud Villam nouam vel similiter et oportet fieri in duabus lineiis (!), fiat sic: Datum apud Villam nouam Aueniom. Diocesis in una linea et totum residuum in alia vel sic: Datum Villam nouam Aueniom. Diocesis X kln. Maii in una linea et totum residuum in alia et sic de aliis. 994 Herde, Audientia 2, S. 8, Z 10, Zusatz 2: Notandum est, quod dictio, que est ante datam littere, non debet dividi sed poni tota in uno latere, verbi gratia „per-“ in uno latere et „-hibere“ in alio. Vgl. Herde, Audientia 1, S. 187; Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 347.
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schrift betrachtet werden, der besagt, dass in litterae simplices, eben jenen einfachen Justizbriefen, die komplette Datierung in eine Zeile zu setzen sei, wenn diese nur maximal die letzten zwei Worte des Kontextes beinhalte, bei drei oder mehr Worten dagegen dürfe die Angabe des Pontifikatsjahres in eine zweite Zeile verschoben werden.995 Vor diesem Hintergrund ist wohl auch die erstgenannte Regel eher im Kontext der Verteilung der einzelnen Datierungsbestandteile zu betrachten. Die Datierung sollte zwar komplett in die letzte Kontextzeile geschrieben werden, sofern dies möglich war, allerdings durfte diese letzte Zeile eben nicht nur ein halbes Wort des Kontextes enthalten. Es entsteht der Eindruck, dass der Verfasser der Vorlage dieser Handschrift mit diesen Zusätzen speziell solche Gewohnheiten notierte, die sich für die Gestaltung der litterae simplices etabliert hatten, einer Unterart der Hanfschnurbriefe, die in den Gebrauchshandschriften der Kanzlei bis dahin keine explizite Erwähnung gefunden hatte. Wahrscheinlich war der Urheber dieser Zusätze in seinem Arbeitsalltag vor allem mit der Mundierung solcher einfachen Justizbriefe befasst. Auf derart praxisrelevante Gebräuche verweist auch ein weiterer Zusatz zu diesem Themenbereich aus derselben Handschrift, in dem vermerkt ist, dass die strenge Regelung zur Aufteilung der einzelnen Datierungselemente bei Bedarf durchaus verletzt werden könne, zumindest insoweit, dass eine Aufteilung von Dat. und der Ortsangabe Avinion. auf zwei Zeilen möglich sei.996 Diese Ergänzung verdeutlicht einmal mehr die Schwierigkeiten bei der Um- und Durchsetzung der angestrebten Vereinheitlichung der Datumsangabe in den litterae, zeigt aber auch, dass der Verfasser dieser Anmerkungen sowohl mit den theoretischen Regeln als auch mit den sich aus der Praxis ergebenden möglichen Abweichungen von denselben vertraut war. Die Zusätze der Münchner Handschrift dokumentieren, dass die Datierungsregeln noch im späten 14. Jahrhundert optimiert und im Detail geschärft wurden. Gleichzeitig finden sich darin aber auch Anklänge an die ältere Vorschrift aus dem Speculum iudiciale, der zufolge die Datierung nie zwei komplette Zeilen einnehmen soll. Diese Vorschrift wurde nicht in die Vulgataredaktion aufgenommen, behielt aber offenbar dennoch ihre Gültigkeit, was möglicherweise in der Kanzlei den Bedarf nach einer grundsätzlichen Klärung dieser Frage entstehen ließ, vor allem im Hinblick auf die häufig ausgefertigten und stark standardisierten einfachen Justizbriefe. In die überlieferten Kanzleiexemplare der folgenden Jahrzehnte fanden diese Anmerkungen zwar keinen Eingang, sie deuten aber darauf hin, dass in den Reihen 995 Herde, Audientia 2, S. 8, Z 10, Zusatz 4: Item in simplicibus litteris tenendum est, quod, in ultima linea sunt II partes tantum, data tota debet esse ibidem; et si sunt ibidem tres partes, tunc „pontificatus“ esse poterit in secunda linea. 996 Herde, Audientia 2, S. 10, Z 13, Zusatz: Item nota, quod „Dat.“ tenetur modo in una linea et „Avinion.“ in capite alterius, sed hoc sustinetur in illis, in quibus necesse est.
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der Kanzleibediensteten stetig die gültigen Konventionen und mögliche Konkretisierungen der verschriftlichten Regeln diskutiert wurden. Die Notwendigkeit dafür ergab sich immer dann, wenn in der praktischen Arbeit konkrete Fragen aufkamen, was im Zusammenhang mit der Aufnahme und dem Anlernen neuer unerfahrener Mitarbeiter sicherlich gehäuft vorkam. Die Präzisierungen der Vorschriften zur Datierung haben auch ihren Niederschlag in den Originalen gefunden. Baumgarten und Diekamp stellten ganz allgemein fest, dass in den päpstlichen litterae des 13. und 14. Jahrhunderts die vorgeschriebene Verteilung der Datierung häufig missachtet wurde, ohne dass die Urkunden entsprechende Korrekturvermerke aufweisen.997 Allerdings lässt sich diese Beobachtung vor dem Hintergrund der früheren Regelung im Speculum iudiciale deutlich differenzieren. Heckel untersuchte Originale beider Jahrhunderte und erkannte, dass bereits im 13. Jahrhundert das Verbot der Trennung der Jahresangabe strikt eingehalten wurde, während die anderen Teile der Datierung, die in der Anweisung des Speculum keine Beachtung fanden, willkürlich aufgeteilt wurden. Im 14. Jahrhundert, als die spezifischeren Vorschriften des Formularium audientiae in der Kanzlei vorlagen, konnte er derartige Beobachtungen deutlich seltener machen.998 Auch Burger stellte fest, dass im 14. und 15. Jahrhundert solche von den Vorschriften abweichenden Zeilenverteilungen selten vorkamen.999 Diese parallele Entwicklung von Regelaufzeichnung und praktischer Umsetzung lässt erneut auf einen direkten normierenden Einfluss des Formularium auf die Arbeit der Skriptoren und damit die Gestaltung der Urkunden schließen. Die Vulgataredaktion des Formularium bietet über diese Vorschriften hinaus noch weitere Erläuterungen zur Datierung. Als Hilfestellung für die Errechnung des Tagesdatums enthalten die Handschriften komplexe Merkverse, die in den beigefügten Kommentaren erläutert werden.1000 Natürlich beziehen sich diese Hilfsmittel zur Datumsberechnung nicht konkret auf die äußere Gestaltung, da sie aber interessante Einblicke in die Entwicklung der Gestaltungsvorschriften des Formularium und ihre Bedeutung in der Kanzlei erlauben, werden sie im Folgenden näher betrachtet. Das diffizilste dieser Gedichte ist ein Vierzeiler, der mit einer Ausnahme in allen Manuskripten überliefert ist.1001 Es handelt sich um eine Merkhilfe für die Anzahl
997 Baumgarten, Urkundenwesen, S. 354; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 597; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 505. 998 Heckel, Kanzleianweisung, S. 117; vgl. auch Delisle, Mémoire, S. 51; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXII. 999 Burger, Beiträge, S. 235 f. 1000 Herde, Audientia 1, S. 188 f. 1001 Nur die Frankfurter Handschrift des 15. Jahrhunderts bricht an dieser Stelle ab und bringt die Merkverse und dazugehörigen Erläuterungen nicht; vgl. Herde, Audientia 2, S. 11, Z 14.
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der Tage jedes Monats sowie der jeweiligen Iden, Nonen und Kalenden.1002 Das Gedicht entstammt der komputistischen Literatur und steht in der Tradition der Memorialverse. Typisch für diese Literaturgattung ist, dass die einzelnen Texte keinem bestimmten Urheber zugeschrieben werden können, sondern als Allgemeingut zu betrachten sind, das von verschiedenen Autoren übernommen und bearbeitet wurde. Als Höhepunkt der Komputistik gilt die Massa compoti des Alexander de Villa Dei, die um 1200 in Nordfrankreich entstand.1003 Einige derartige Merkverse wurden in die Gestaltungsvorschriften des Formularium audientiae übernommen, allerdings nur solche, die für die Berechnung der Monatstage und des römischen Tagesdatums relevant waren. Nicht integriert wurden Gedichte zu weiterführenden Datierungsfragen wie der goldenen Zahl oder den Ostergrenzen, da sie für die Datierung der Papsturkunden nicht von Belang waren. Da die mittelalterliche Literatur zur Komputistik bisher kaum ediert wurde, konnte Herde, der die Verse untersuchte, keine konkreten Quellen ermitteln.1004 Im Formularium ist im Anschluss an das Lehrgedicht dessen Inhalt noch einmal in einfachen Worten wiedergegeben. Demnach haben alle Monate acht Iden; Mai, Oktober, Juli und März haben sechs Nonen, alle anderen Monate vier; die Zahl der Kalenden betrage in den Monaten Januar, Dezember und August 19, im September, November, April und Juni 18, im Juli, Oktober, März und Mai 17 und schließlich im Monat Februar 16.1005 Bemerkenswert ist, dass in der zweiten Redaktion darauf verzichtet wurde, im Rahmen dieser Erläuterung noch einmal auf die Iden einzugehen, wie es in der ersten Redaktion noch der Fall gewesen war. Tatsächlich 1002 Herde, Audientia 2, S. 11 f., Z 14: Asin ter denos, plus uno epta Feb octo vicenos. Immo sex captant, reliqui sibi quatuor aptant. Idem septenos, Februus sex, Ida novenos. Nisa tenent octo, sunt Idus omnibus octo. Gemäß den im Formularium folgenden Erläuterungen steht das fiktive Wort Asin für die Monate April, September, Juni und November, die jeweils 30 Tage haben, während die übrigen Monate aus einem Tag mehr (plus uno), also 31 Tagen bestehen, mit Ausnahme des Februar (Feb) mit nur 28 Tagen. In der zweiten Zeile steht Immo für Juli, März, Mai und Oktober, die sechs Nonen haben, alle übrigen Monate haben 14. Ebenfalls für Juli, März, Mai und Oktober gilt, dass sie 17 Kalenden haben (septenos), beim Februar sind es 16 (sex), die Monate Januar, Dezember und August, repräsentiert durch das Kunstwort Ida, haben 19, die Monate November, Juni, September und April (Nisa) schließlich 18. Der letzte Halbsatz gibt an, dass alle Monate acht Iden haben. 1003 Bischoff, Ostertagtexte, S. 549–553; Herde, Audientia 1, S. 188 f. 1004 Herde, Audientia 1, S. 189. 1005 Herde, Audientia 2, S. 12 f., Z 15: [Notandum ergo breviter, quod omnes menses habent octo idus.] Item nota, quod Maius, October, Iulius et Martius habent sex nonas; omnes alii menses habent quatuor nonas. Item nota, quod Ianuarius, December et Augustus habent XIX kalendas; September, November, Aprilis et Iunius habent XVIII kalendas; Iulius, October, Martius et Maius habent XVII kalendas; Februarius habet XVI kalendas.
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ist der Merksatz zu den Iden in dem vierzeiligen Gedicht auch ohne weitere Erklärung gut verständlich. Dasselbe gilt auch für die Anzahl der Tage in den einzelnen Monaten, die in der ersten Zeile des Merkgedichtes beschrieben wird. Während die erste Redaktion noch eine zusätzliche Interpretation dieses Verses in einfachen Worten enthält, fehlt diese Ergänzung in der zweiten Redaktion.1006 In der Tat ist die Kenntnis der Tagesanzahl eines Monats für die korrekte Berechnung der Tagesdatierung zu vernachlässigen, wenn die Zahl der Nonen, Iden und Kalenden für jeden einzelnen Monat bekannt ist. Diese Feinjustierungen dokumentieren, dass der Regeltext nach und nach auf die tatsächlichen Bedürfnisse seiner Nutzer abgestimmt wurde. Nach dieser detaillierten Aufschlüsselung zu den Nonen, Iden und Kalenden folgt in der Vulgataredaktion eine ausführliche Anweisung zur konkreten Umsetzung der römischen Tagesdatierung in den Urkunden. Der erste Tag eines Monats soll demnach immer mit kl. bezeichnet werden, der zweite mit VI non., der dritte mit V non., bis zum Tag non. Der nächste Tag heiße dann VIII id., dann VII id. bis zum Tag id. Dann folgen die Kalenden, die nach dem darauffolgenden Monat zu benennen seien.1007 Diese sehr detaillierte Erklärung und vor allem die große Anzahl an Beispielen deuten darauf hin, dass das Personal der päpstlichen Kanzlei Nachhilfe bei der Berechnung des römischen Tagesdatums benötigte – wahrscheinlich vor allem die Neuzugänge. Diese Datierungsform war offenbar nicht selbstverständlich und allen Mitarbeitern geläufig – die Zeitgenossen waren andere Datierungssysteme gewohnt –, sondern musste mithilfe von klaren Beispielen und Merkversen vermittelt werden. Drei der Formularium-Handschriften enthalten darüber hinaus noch einen weiteren Memorialvers.1008 Auch er behandelt die Zählung der Iden, Nonen und Kalenden in den verschiedenen Monaten und lässt sich direkt auf die zeitgenössische komputistische Literatur zurückführen. Die heute in Trier befindliche Handschrift, die nur den theoretischen Teil des Formularium audientiae enthält, entnahm den 1006 Herde, Audientia 2, S. 14, Z 17: Recollige ergo iterum et die, quod Ianuarius, Martius, Maius, Iulius, Augustus, October et December XXXI dies habent, Aprilis, Iunius, September et November XXX, Februarius XXVIII. 1007 Herde, Audientia 2, S. 13, Z 16: Sciendum est, quod prima dies cuiuslibet mensis in data littera rum dicitur „kl.“, secunda dicitur „VI non.“, tertia dicitur „V non.“, quarta dicitur „IIII non.“ (1. Redaktion:) quinta dies dicitur „III non.“, sexta dies dicitur „II non.“, septima dies dicitur „non.“; et hoc observatur in mensibus habentibus sex nonas; et idem fit in hiis, qui habent IIII nonas secundum numerum. (2. Redaktion:) et sic deinceps usque ad „non.“; et idem de mensibus habentibus IIII nonas. Completis autem nonis devenitur ad idus; et dicitur: „VIII id., VII id.“ etc. usque ad „idus“. Et tunc postea dicitur „kl.“ nominando mensem sequentem illum, in quo littere conceduntur, videlicet si littere concedantur die XV infra Maium, dices: „Dat. Lateran. VXII kl. Iunii“, et sic de [singulis et] aliis mensibus. 1008 Herde, Audientia 2, S. 14 f., Z 17c.
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Vers direkt dem Werk Alexanders de Villa Dei, dagegen beruht die etwas verderbte Version der beiden übrigen Handschriften1009 auf einer anderen Überlieferung.1010 Die Aufnahme dieser komputistischen Merkverse in das Formularium, die offenbar in verschiedenen Exemplaren unabhängig voneinander erfolgte, deutet darauf hin, dass die Gedichte innerhalb der päpstlichen Kanzlei bekannt waren und zur Ausbildung der Kanzleibediensteten herangezogen wurden. Daraus lässt sich mit Herde schließen, dass das Formularium nicht nur ein Nachschlagewerk für den täglichen Kanzleibetrieb war, sondern als Lehrbuch auch für den Unterricht zukünftiger Kanzleischreiber genutzt wurde.1011 Als Resümee kann festgehalten werden, dass bereits seit den frühesten Regeltexten des 13. Jahrhunderts die Datierung der litterae und ihre graphische Gestaltung im Mittelpunkt des Interesses der Kanzlei standen. Deutlich ist die Bemühung erkennbar, das Datum als möglichst standardisiertes und fälschungssicheres Merkmal und damit auch als Echtheitskriterium der päpstlichen Briefe zu etablieren. So wurden die dafür entwickelten Gestaltungsmerkmale in den entsprechenden Nachschlagewerken der Kanzlei schriftlich fixiert, wo sie den Skriptoren und anderen Bediensteten der Kanzlei, vor allem neuen und unerfahrenen Mitarbeitern, zugänglich gemacht werden konnten. Außerdem wurden die Vorgaben zunehmend detaillierter ausgearbeitet. Dennoch enthalten die kurienfernen Abschriften des Formularium aus dem späten 14. und dem 15. Jahrhundert zahlreiche Ergänzungen zu den in den Kanzlei exemplaren aufgezeichneten Regeln. Diese Nachträge deuten darauf hin, dass die zu Beginn des 14. Jahrhunderts verschriftlichten Ausstattungsvorschriften nicht alle Konventionen umfassten, die am Ende des Jahrhunderts für die Praxis von Relevanz waren; zahlreiche Gewohnheiten zur Gestaltung der Datierung, die entweder bereits seit dem 13. Jahrhundert üblich waren oder sich erst im Laufe des 14. Jahrhunderts etabliert hatten, waren in den zentralen Hilfsmitteln der Kanzlei nie schriftlich festgehalten worden. Seit etwa 1370 wurden sie zunehmend als Notizen in den Arbeitsexemplaren einzelner Kanzleimitarbeiter ergänzt, in die späteren Abschriften der Vulgataredaktion, die nachweislich in der Kanzlei in Gebrauch waren, fanden sie aber keine Aufnahme mehr. Der Grund für die intensive Auseinandersetzung mit der Datierung ist sicherlich in ihrer rechtlichen Relevanz zu suchen. Das Datum der Urkunde war beispielsweise bei der Erwirkung von Benefizien von entscheidender Bedeutung, da bei mehreren Anwärtern auf eine Pfründe immer derjenige Vorrang hatte, der das früheste Datum auf seiner Provisionsurkunde vorweisen konnte. Aus diesem 1009 Es handelt sich um die Handschrift, die in ein Register Clemens’ VI. eingebunden ist, sowie das heute in Venedig befindliche Exemplar; siehe oben Kapitel 4.3.3, S. 133 f. 1010 Herde, Audientia 1, S. 189 f. 1011 Herde, Audientia 1, S. 190.
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Grund entwickelten sich in der Kanzlei auch Vorschriften zur Datierung der Suppliken. Die Bittschriften, die vor dem Papst verlesen wurden, erhielten das Datum des Tages der päpstlichen Genehmigung, die Suppliken, die in der Audientia bearbeitet wurden, wurden dagegen auf den Tag des Mundierungsauftrags datiert. Darüber hinaus konnten sie aber auch ein fiktives, nach festgelegten Kriterien ermitteltes Datum erhalten, das dann in die Urkunde übernommen wurde. Um diese Vorzugsdatierung konnte später sogar suppliziert werden.1012 Dazu passt auch die Beobachtung, dass die Datierung in den Originalen mitunter nicht gemeinsam mit dem Kontext geschrieben, sondern später nachgetragen wurde.1013 Deshalb war es von größter Wichtigkeit, dass die Skriptoren die korrekte Berechnung des römischen Tagesdatums beherrschten, damit den Petenten und vor allem dem Papst aus fehlerhaften Datierungen keine rechtlichen Nachteile entstanden. Besonders im Hinblick auf die Organisation der Audientia waren also die Regeln zur Datierung von Bedeutung. Da die Schreiber auf den dort verlesenen Urkunden das Datum des Tages eintrugen, an dem sie durch den Distributor oder Reskribendar den Auftrag zur Mundierung erhalten hatten, lag die Entscheidung über die zu setzende Datierung für diese Papsturkunden, die einen großen Teil der Kanzleiproduktion ausmachten, bei den als Kolleg organisierten Skriptoren.1014 Behandelt wurden in der Audientia vorrangig Justizbriefe. So erklärt sich auch, dass die Gestaltungsregeln für Gratialurkunden in der Neuredaktion des Formularium mit keinem Wort auf die Datierung eingehen, obwohl praktisch alle anderen Vorschriften zur Ausstattung der litterae aus der Vulgataversion des Textes übernommen wurden. Die Datierungsregeln beziehen sich ausdrücklich immer auf beide Briefarten, waren jedoch für die Produzenten der gratiose von geringerer Bedeutung. Die immer klarere Trennung von Gnaden- und Justizbriefen im Laufe des 14. Jahrhunderts spiegelt sich in dieser Entwicklung der beiden Textvarianten. Am Beispiel der Datierung wird deutlich, dass die Konventionen zur Ausstattung der päpstlichen Urkunden nicht nur aus rein ästhetischen Gesichtspunkten, sondern vor allem vor dem Hintergrund der juristischen Bedeutung der einzelnen Urkundenbestandteile erarbeitet wurden. Die Regeltexte müssen daher immer im Kontext der rechtlichen Entwicklung der päpstlichen Urkunden betrachtet werden.
1012 Meyer, Kanzlei, S. 308, 327; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 598 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 474–476. 1013 Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 473; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 588–591; Burger, Beiträge, S. 235 f. 1014 Meyer, Kanzlei, S. 308; Herde, Beiträge, S. 190 f.
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4.3.5.8 Kanzleivermerke Kanzleivermerke reflektieren vorrangig die internen Prozesse der päpstlichen Kanzlei bei der Ausstellung von Urkunden, tragen aber auch zu deren optischer Gesamt erscheinung bei und müssen daher als äußeres Merkmal betrachtet werden.1015 Fälschungen von Kanzleivermerken belegen, dass sie sogar als Authentizitätsmerkmale der Papsturkunden galten. Seit der Zeit Innozenz’ III. traten Kanzleivermerke in immer größerer Zahl und Vielfalt auf.1016 Am konsequentesten wurde seit dieser Zeit der Skriptorenvermerk angebracht, der Name oder die Initiale des Schreibers der Urkunde. Der Vermerk diente dazu, den Produzenten jeder Urkunde identifizieren zu können, damit sie ihm bei gegebenenfalls anfallenden Korrekturen wieder vorgelegt werden konnte. Der Skriptor musste sie dann, je nach Position und Umfang der beanstandeten Stelle, entweder verbessern oder unentgeltlich neu schreiben. Zusätzlich konnte anhand der Schreibervermerke eine gerechte Verteilung der Arbeit und damit auch der Einkünfte innerhalb der Organisation der Skriptoren effektiver umgesetzt werden.1017 Der Vermerk findet sich im Normalfall auf der Plica, bei litterae clausae, denen die Plica fehlt, steht er unter dem Urkundentext.1018 Er ist seit etwa 1200 nachweisbar, fehlt aber auf den Originalen aus den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts noch gelegentlich, seit der Mitte des Jahrhunderts ist er beinahe durchgängig vorhanden.1019 Allerdings wurden die Schreibernamen besonders zu Beginn des 13. Jahrhunderts sehr stark gekürzt, erst im 14. Jahrhundert finden sich meist vollständige Namen, Patronyme und gelegentlich Herkunftsangaben.1020 Im Laufe dieses Jahrhunderts wurden die Schreibervermerke außerdem zunehmend verziert und teilweise sogar der Ausstattung des Papstnamens im Protokoll angeglichen.1021 Dass der Vermerk auf die Plica gesetzt wurde, war zu Beginn des 14. Jahrhunderts längst gebräuchlich und eine innerhalb des Schreiberkollegiums fest etablierte Gewohnheit. Er diente aber in der Kanzlei vorrangig der internen Arbeitsorganisation und fand wohl auch daher in den untersuchten Regularien zur Urkunden1015 Burger, Beiträge, S. 209. 1016 Zutshi, Innocent, S. 92–95; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 506; Delisle, Mé moire, S. 31−34. 1017 Zutshi, Innocent, S. 93; Nüske, Untersuchungen (1975), S. 408 f.; Schwarz, Organisation, S. 12; Heckel, Beiträge, S. 455 f.; Fickel, Korrektor, S. 9 f. Siehe auch oben, Kapitel 2.3, S. 33. 1018 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 102; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 506 f.; Burger, Beiträge, S. 236; Barbiche, Scriptores, S. 116. 1019 Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 592 f.; Schwarz, Organisation, S. 53; Herde, Beiträge, S. 27; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXVII–LXIX; Burger, Beiträge, S. 236. 1020 Herde, Beiträge, S. 27; Burger, Beiträge, S. 236 f.; Nüske, Untersuchungen (1975), S. 408 f.; Barbiche, Scriptores, S. 175; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 102. 1021 Largiadèr, Papsturkunden, S. 67; Burger, Beiträge, S. 236 f.
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gestaltung lange keine Beachtung; erst am Ende des 14. Jahrhunderts wurde der Skriptorenvermerk im Rahmen eines Nachtrags in der Neuredaktion des Formularium audientiae erwähnt. In einem Abschnitt zu den litterae secretae1022 wird dort die Anbringung des Skriptorenvermerks bei dieser speziellen Briefform beschrieben. Er soll demnach innerhalb des geschlossenen Briefes eingetragen werden, bei der mittleren Faltung und der ersten Randlinie, und zwar in einem Abstand von etwa drei Fingern zum Text des Briefes.1023 Obwohl sich Verschlussart und Ausstattung der litterae clausae bereits im 13. Jahrhundert in der Kanzlei herausgebildet hatten, wurden derartige Spezialfälle erst im späten 14. Jahrhundert auch in den Nachschlagewerken der Kanzlei berücksichtigt. Dabei wurde dann auch der Posi tionierung des obligatorischen Skriptorenvermerks Beachtung geschenkt, da sie vom üblichen Standard abwich.1024 Ein weiterer Nachtrag in derselben Handschrift geht noch auf einen anderen Sonderfall unter den päpstlichen Urkunden ein, nämlich auf litterae de curia, also die aus eigenem Antrieb der Kurie ausgefertigten Dokumente.1025 Der Urheber der Notiz hielt fest, dass diese nicht taxiert würden und daher auch keine Taxvermerke aufweisen sollten, stattdessen sei an gleicher Stelle, an der die Skriptoren mit ihrem Namen unterschrieben, der Vermerk de curia zu setzen.1026 Dieser Hinweis beweist eindeutig, dass sich die Gestaltungsvorschriften vor allem an die Skriptoren der päpstlichen Kanzlei richteten, die für die Herstellung der Reinschrift verantwortlich waren. Die litterae de curia hatten sie gratis auszufertigen; unter ihrem Namensvermerk, der ihnen auch die Zuteilung der Einkünfte garantierte, mussten sie daher die entsprechende Eintragung auf der Urkunde vornehmen.1027 Die Originale zeigen, dass diese Konvention bereits vor ihrer schriftlichen Fixierung am Ende des 14. Jahrhunderts konsequent eingehalten wurde.1028 Darüber hinaus sind in den verschiedenen Versionen der Ausstattungsvorschriften für die päpstlichen litterae keine Vorschriften zu Kanzleivermerken enthalten. Der Fokus der Nachträge aus dem späten 14. Jahrhundert liegt klar auf dem Schreibervermerk, da vor allem dieser für die Skriptoren, die als vorrangige Ziel1022 Siehe oben Kapitel 2.1, S. 23. 1023 Ross. 476, fol. 65r: Et in eis nomen scriptoris intus ponitur iusta [= iuxta] plicam mediam et lineam collateralem primam itaque distet etiam a testu [= textu] littere per latitudinem trium digitorum saltim. 1024 Zu Schreibervermerken auf litterae clausae vgl. Maleczek, Litterae, S. 63 f. 1025 Siehe oben Kapitel 2.1, S. 23. 1026 Ross. 476, fol. 65r: Littere de curia sunt, que aperte sunt et curiam tangent, utpote pro camera apostolica, pro collectoribus, nuntiis, cruce, processibus, passagio, inquisitoribus et cetera, que non taxantur, sed in loco, in quo scriptor se subscribit, ponitur „de curia“. 1027 Schwarz, Organisation, S. 31. 1028 Zahlreiche Beispiele aus dem 14. Jahrhundert sind in Battelli/Pagano, Schedario 3, verzeichnet, vgl. etwa die Nummern 4811, 5097, 5619, 5736, 5972, 6089, 6251, 6433, 6483, 6685, 6726.
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gruppe dieser Nachschlagewerke zu betrachten sind, relevant war. Die Gestaltung des Vermerks wird dabei allerdings nicht berücksichtigt, sie blieb den Schreibern offenbar selbst überlassen. Dadurch leisteten sie einen wichtigen Beitrag zum äußeren Erscheinungsbild der päpstlichen Urkunden. Dass sich nach der Rückkehr der Kurie nach Rom 1376/77 erstmals die Notwendigkeit ergab, einige Details der bereits seit dem 13. Jahrhundert bestehenden Gewohnheiten zur Anbringung des Schreibervermerks schriftlich zu fixieren, ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass zahlreiche unerfahrene Schreiber angelernt werden mussten, denen diese Konventionen – vor allem im Hinblick auf die weniger häufig ausgefertigten Urkundenarten – nicht geläufig waren. 4.3.5.9 Bullierung Zur Gestaltung der Bleibulle enthalten die Ausstattungsregeln für die litterae keine Hinweise, war doch diese Thematik für die Skriptoren, Abbreviatoren und Notare nicht von Belang. Wie die bisherige Untersuchung der Vorschriften zu den verschiedenen Aspekten der Urkundenausstattung gezeigt hat, sind aber die Angaben zu den zwei verschiedenen Bullierungsarten, cum serico und cum filo canapis, und deren Wechselwirkungen mit der Gestaltung bestimmter Urkundenmerkmale umso umfassender. Einige Vorschriften nehmen dabei ganz konkret Bezug auf die Bullierung. Die Ausstattung der litterae gab letztendlich vor, ob Hanf- oder Seidenschnüre zur Bullierung benutzt wurden. Zu diesen beiden Besiegelungsarten äußerte sich Boncompagno da Signa in seiner um 1198 entstandenen Oliva.1029 Er erläuterte, dass Urkunden durch die päpstliche Kanzlei aus Gründen der Diskretion, der Ehrerweisung und der Haltbarkeit mit Seide bulliert würden.1030 Hanf, das nicht leicht zerstörbar und preisgünstig sei, eigne sich dagegen gut für die Besiegelung einfacher Briefe.1031 In den Regeltexten der Kanzlei sind derartige Interpretationen an keiner Stelle zu finden. Direkt zu Beginn der Ausstattungsvorschriften in der Vulgataredaktion des Formularium audientiae wird aber darauf hingewiesen, dass die Bulle an päpstlichen
1029 Zu Boncompagno da Signa siehe oben Kapitel 3, S. 47. 1030 Cortijo Ocaña, Tratado, S. 172: [9.17] Quare autem sericum in privilegiis et confirmationibus ponatur, non est inutile scire. Nam tribus de causis ibi ponitur sericum: causa discretionis, honoris, utilitatis. Discretionis, ut notetur differentia inter privilegia vel confirmationes et epistolas; honoris, quia locus in quo digniora et desiderabiliora continentur, dignius est exornandus; utilitatis, quia sericum res durabilis est et vix aliqua consumitur vetustate. 1031 Cortijo Ocaña, Tratado, S. 174: [9.27] Idem, si queratur „Quare filum usualium epistolarum sit de campe?“, respondendum est, quod tale filum non est frangibile et haberi potest pro precio competenti.
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litterae entweder mit Seiden- oder mit Hanffäden angebracht werden soll.1032 In den folgenden Abschnitten werden dann, wie in den vorherigen Kapiteln dargestellt, die Unterschiede in der Ausstattung dieser beiden Urkundenkategorien im Detail beschrieben. Der Text ist darauf ausgelegt, die differenzierenden äußeren Merkmale der beiden Arten päpstlicher litterae systematisch darzustellen, um eine scharfe optische Trennung zu gewährleisten. Dadurch wurde unter anderem garantiert, dass die Bullatoren auf den ersten Blick entscheiden konnten, auf welche Fadenart sie bei der Bullierung zurückgreifen mussten.1033 Wie bereits vorrangig anhand der Vorschriften zu den Ligaturen und den Kürzungszeichen gezeigt werden konnte,1034 kam es der Kanzlei dabei vor allem darauf an, dass in den einfacher ausgestatteten Hanfschnurbriefen keinerlei Elemente der prächtigeren Seidenschnurbriefe vorkamen, damit diese nicht versehentlich mit Seide bulliert wurden. Auf diese Weise hätte sich nämlich, gemäß der gängigen Zuweisung von Hanfschnüren zu Mandaten und Seidenschnüren zu Gnadenbriefen, potentiell ihr Rechtsstatus verändert – ein in der Urkunde enthaltener Befehl hätte so einen anderen Charakter annehmen können.1035 Nicht nur der Inhalt, sondern auch die äußere Ausstattung päpstlicher Urkunden war demnach von rechtlicher Relevanz. Ein sehr konkreter Zusatz in einer Münchner Handschrift des Formularium, die wahrscheinlich von einem Prokurator als Abschrift aus einem Kanzleiexemplar angelegt wurde, besagt, dass in Indulgenzbriefen nie die Formel Nulli ergo verwendet werden dürfe, sie aber dennoch mit Seidenschnüren zu bullieren seien.1036 Dieser Hinweis demonstriert, dass auch die Sanctio-Formel mit ihrer vergrößerten Initiale ein charakteristischer Bestandteil der päpstlichen Gnadenbriefe war. Sicherlich achteten die Bullatoren bei der Wahl der Bullierungsart auch darauf, ob eine Urkunde entsprechend hervorgehobene Formelanfänge aufwies. Bestätigt wird diese Annahme durch eine recht ausführliche Anweisung zur Ausstattung von Seidenschnurbriefen in der Neuredaktion des Formularium audientiae. Dort ist festgelegt, dass alle Arten von Gnadenbriefen (gratiose), ob für Orte oder Personen, ob auf ewig oder zeitlich begrenzt, immer mit Seide zu bullieren seien. Darüber hinaus besagt der Abschnitt aber auch, dass die gratiose immer die Sanctio Nulli ergo enthalten sollen, deren Inhalt im Detail beschrieben ist; zusätzlich ist der gesamte Wortlaut von Nulli ergo und der gewöhnlich folgenden Formel 1032 Herde, Audientia 2, S. 5, Z 1: Est notandum, quod littere domini pape alie bullantur cum serico, alie cum filo canapis. 1033 Herde, Beiträge, S. 58. 1034 Zu den Ligaturen siehe oben Kapitel 4.3.5.4, S. 176, zu den Kürzungszeichen siehe oben Kapitel 4.3.5.5, S. 181. 1035 Zum Zusammenhang zwischen äußerer Ausstattung und Inhalt der litterae siehe oben Kapitel 2.1, S. 24. 1036 Herde, Audientia 2, S. 8, Z 10, Zusatz 1: Item nota, quod in litteris indulgentiarum non debet esse „Nulli ergo“ etc., et si ponatur, littere sunt rescribende; tamen sunt cum filo serico.
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Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
Si quis autem angeführt.1037 Daraus lässt sich zum einen schließen, dass die beiden Sanctio-Bestandteile für die Kanzleibediensteten eine Einheit bildeten – wenn sie von Nulli ergo sprachen, war Si quis autem inbegriffen. Zum anderen wird deutlich, dass das Vorhandensein dieser Formeln in der Kanzlei als notwendiges Erkennungsmerkmal der litterae cum serico betrachtet wurde. Ein Sonderfall der Bullierung wird ausführlich in einem Nachtrag in derselben Handschrift kommentiert, in dem litterae secretae thematisiert werden, die immer als litterae clausae versandt wurden.1038 Die Sekretbriefe seien demnach entweder selbständig zu bullieren oder in ein anderes Pergament einzulegen; in beiden Fällen sei das Siegel mit einer Hanfschnur anzubringen. In diesem Zusammenhang wird außerdem erneut darauf hingewiesen, dass im Gegensatz dazu bei Gratialbriefen immer Seidenfäden zu nutzen seien.1039 Auch die beabsichtigte Expeditionsart der Urkunden konnte demnach als Indiz für eine der beiden Bullierungsvarianten dienen. Dass eine Urkunde als littera clausa versandt werden sollte, war für die Bullatoren gewöhnlich an verschiedenen, von den Skriptoren entsprechend gestalteten Merkmalen erkennbar: an der fehlenden Plica, dem unter den Text gesetzten Schreibervermerk sowie der Adresse auf der Rückseite.1040
1037 Ross. 476, fol. 64v: Item gratiosarum alie continent privilegia locorum vel personarum perpetua, alie temporalia privilegia ad vitam, videlicet concedentis vel eorum, quibus concessa sunt, alie vero continent gratiam directam persone, cui concessa est. Et omnes huiusmodi gratiose bullari debent cum serico et in eis apponi clausula „Nulli ergo etc.“, in qua repeti debent omnia verba principalia contenta in littera, per que gratia ipsa conceditur, per genitivos casus singularis numeri nominum verbalium astractorum [!] eorundem verborum, preterquam huius verbi „decernimus“ et huius „indulgemus“, loco quorum utimur in dicta clausula genitivo singulari verbalis nominis astracti [!] huius verbi „volo“, verbi gratia, cum in littera dicitur „concedimus et donamus“ et postea sequitur „indulgemus“ et deinde „decernimus“, in dicta clausula dicetur sic: „Nulli ergo omnino hominum liceat hanc paginam nostre concessionis, donationis et voluntatis infringere vel ei ausu temerario contraire. Si quis autem hoc attemptare presumpserit, indignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli apostolorum eius noverit incursurum.“ Vgl. auch Perarnau, Documentación, S. 640 Anm. 8; Graber, Spurium, S. 122 Anm. 110. 1038 Zu den Sekretbriefen als Unterart der litterae clausae siehe oben Kapitel 2.1, S. 23, und Kapitel 4.3.5.2, S. 160. 1039 Ross. 476, fol. 65r: Litterarum secretarum alie per se bullantur, alie in factis pergamentis includuntur, tamen et hee et ille bullantur cum cordula canapis, gratiose vero prefate omnes cum serico. Der Hinweis auf die Seidenschnur-Bullierung diente offenbar der Abgrenzung der Bullierungsart der litterae secretae von derjenigen der im vorhergehenden Abschnitt der Handschrift besprochenen Gratialbriefe. Litterae clausae und damit auch Sekretbriefe wurden grundsätzlich mit Hanfschnur bulliert; vgl. Maleczek, Litterae, S. 55. Zu in litterae eingelegten Beilagen, den sogenannten cedule intercluse, vgl. Egger, Littera, S. 56–62. Auch in der Kanzlei angenähte Pergamentzettel sind unter Gregor IX. (1232) zu beobachten; vgl. Krafft, Papsturkunde, S. 354 f. 1040 Zum Schreibervermerk auf litterae clausae siehe oben Kapitel 4.3.5.8, S. 198; zur Adresse auf der Rückseite siehe oben Kapitel 4.3.5.2, S. 160. Maleczek, Litterae, S. 62 f. benannte vereinzelte Fälle mit abweichender Ausstattung, bei denen offenbar kurzfristig die Expeditionsart gewech-
Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien
203
Es bleibt festzuhalten, dass sich die Hinweise zur Bullierung in den Gestaltungsregeln für die päpstlichen litterae grundsätzlich nicht an die Bullatoren, sondern an die Skriptoren richteten, denn diese gaben mit der gewählten Ausstattung die Bullierungsart, also die Nutzung von Hanf- oder Seidenschnüren, vor. Ihnen oblag es, die Urkunde der richtigen Kategorie zuzuordnen, die dann für die Bullatoren mit einem einzigen Blick auf das Dokument anhand einer Vielzahl von Merkmalen erkennbar war. Wie die detaillierte Analyse der Gestaltungsregeln für die päpstlichen litterae zeigen konnte, bildete diese anhand der äußeren Ausstattung vorgenommene Differenzierung der Urkundenarten nach litterae gratiose und Justizbriefen, die in den aufgezeichneten Regeln erstmals in der Vulgataredaktion des Formularium audientiae ihren Niederschlag fand, im 14. Jahrhundert das Kernelement der Kanzleihilfsmittel zur Urkundenausstattung. Da die optische Abgrenzung der verschiedenen Urkundenarten das vorrangige Anliegen der Kanzlei war, war die Kenntnis der entsprechenden Regeln für die Skriptoren von größter Bedeutung. Im Rahmen der gratiose wurde dabei auch die Ausstattung der Privilegien berücksichtigt. Die entsprechenden Aufzeichnungen werden im Folgenden vorgestellt und im Detail analysiert.
4.4 Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien Die meisten der bisher untersuchten Quellen enthalten beinahe ausschließlich Regeln zur Gestaltung der Papstbriefe, während den Privilegien darin kaum Beachtung geschenkt wird. Allerdings waren die päpstlichen Privilegien stets wesentlich aufwendiger gestaltet als die litterae. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist das umfangreiche Eschatokoll, das aus den prominenten graphischen Zeichen der päpstlichen Unterfertigung und den Unterschriften von Papst und Kardinälen besteht. Es trennt den Kontext der Urkunde von der Datierung, die am unteren Ende des Pergaments eingetragen wurde, nur noch gefolgt von der päpstlichen Bulle.1041 Trotz der komplexeren Ausstattung der Privilegien sind in den untersuchten kurialen Regularien insgesamt verhältnismäßig wenige Vorschriften zu ihrer Gestaltung erhalten geblieben. Aus dem 13. Jahrhundert sind nur die wenigen kurzen Hinweise im Speculum iudiciale überliefert, weder die Ausstattungsvorschriften in der Handschrift Durrieu noch die Version in der Vulgataredaktion des Formularium audientiae berücksichtigen diese Urkundenart. Erst in die Neuredaktion des Formularium, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts angelegt wurde, gingen auch umfassende selt und als litterae patentes konzipierte Schreiben als litterae clausae versandt wurden. In diesen Fällen wurden die Bullatoren sicherlich entsprechend instruiert. 1041 Frenz, Papsturkunden, S. 19–23.
204
Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
Vorgaben zur Privilegiengestaltung ein. Die Urheber dieser Bearbeitung des Formelbuches konnten dafür allerdings durchaus auf Vorlagen zurückgreifen, waren doch seit dem frühen 14. Jahrhundert in der päpstlichen Kanzlei verschiedene Aufzeichnungen speziell zur Privilegienausstattung entstanden. Etwa hundert Jahre nach dem Aufkommen der ersten Hilfsmittel zur Urkundengestaltung wurden somit auch die Privilegien in den Blick genommen, allerdings zu einer Zeit, als sie nur noch selten ausgefertigt wurden.1042 Im Gegensatz zu den Gestaltungsvorschriften für die litterae erfolgte die Aufzeichnung der Regeln zu den Privilegien demnach nicht im Zusammenhang mit einem mengenmäßigen Anwachsen der Produktion dieser Urkundenart, sondern im Gegenteil parallel zu ihrem zunehmenden Bedeutungsverlust im Kontext des päpstlichen Urkundenwesens. In den Regularien wurden dementsprechend längst ausgebildete Gewohnheiten fixiert und nicht die Weiterentwicklung von Ausstattungsmerkmalen dokumentiert. 4.4.1 Ausstattungsvorschriften im Speculum iudiciale Die frühesten bekannten Vorschriften zur äußeren Gestaltung von Privilegien, die im Umfeld der päpstlichen Kanzlei aufgezeichnet wurden, sind Teil der wahrscheinlich in den Jahren 1265 bis 1268 entstandenen und im Speculum iudiciale Guillelmus Durantis des Älteren überlieferten Ausstattungsvorschriften, die vorrangig litterae behandeln.1043 Der Text datiert in eine Zeit, als die Ausfertigung von Privilegien bereits im Rückgang begriffen war, die entsprechenden Gewohnheiten den Kanzleimitarbeitern aber durchaus noch präsent gewesen sein dürften. Innozenz IV. (1243–1254)
Alexander IV. (1254–1261)
Urban IV. (1261–1264)
Clemens IV. (1265–1268)
Aurora, Documenti, S. 88
–
–
–
2
Barbiche, Actes 1, S. LXXIII
4
4
–
–
Graber, Papsturkunden, S. 307 f.
3
–
–
–
Hilger, Verzeichnis, S. XXXI
8
7
–
–
Largiadèr, Papsturkunden Schweiz 1, S. XIX
10
5
2
–
1042 Zum Rückgang der Privilegienausfertigung seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts siehe oben Kapitel 2.1, S. 22; vgl. Tangl, Kanzleiordnungen, S. XLIX. 1043 Zu Entstehung und Inhalt dieser Quelle siehe oben Kapitel 4.3.2, S. 112.
205
Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien
Innozenz IV. (1243–1254)
Alexander IV. (1254–1261)
Urban IV. (1261–1264)
Clemens IV. (1265–1268)
Largiadèr, Papsturkunden Zürich, S. 59
3
–
–
–
Linehan, Portugalia 1, S. 247–460
2
3
1
–
Sayers, Documents, S. LXIII
3
5
–
1
Schmidt, Originale Baden-Württemberg, S. XXVIII
13
5
5
1
Schmidt, Originale Norddeutschland, S. XII
–
–
–
1
Schmidt/Sabanés, Butllari de Catalunya 1, S. 235–515
3
–
–
–
Schwarz, Originale Niedersachsen, S. XV
4
2
–
–
Gesamt
53
31
8
5
Tab. 2: Übersicht über die im Censimento verzeichneten Privilegien aus der Mitte des 13. Jahrhunderts
Als Gründe für diese rückläufige Entwicklung der Privilegienausfertigung1044 lassen sich Veränderungen in den Strukturen und rechtlichen Grundlagen des Kirchenbesitzes vermuten, vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Orden im 13. Jahrhundert. Die Masse der Privilegien hatten immer Besitz- und Exemtionsbestätigungen für Klöster ausgemacht, doch da vermehrt nur noch ältere Privilegien bestätigt wurden (meist in Form von litterae cum serico) und die neu entstandenen Orden andere Verwaltungs- und Besitzstrukturen aufwiesen, büßten derartige Dokumente zunehmend an Bedeutung ein. Schon in den Consuetudines curie Romane des Bonaguido von Arezzo, die in die Mitte des 13. Jahrhunderts datiert werden können, wird darauf hingewiesen, dass Exemtionsprivilegien nur noch bestätigt, aber nicht mehr neu ausgefertigt würden.1045 Zudem dürften auch die 1044 Vgl. auch Krafft, Bene Valete, S. 153. Baumgarten, Miscellanea, S. 117*–124*, konnte für den Pontifikat Innozenz’ IV. sogar insgesamt mehr als 200 Privilegien nachweisen. 1045 Teige, Beiträge Kanzleiwesen, S. 415: Item de facili renovantur privilegia, si habeant originalia, alias de novo privilegium exemptionis nullo modo conceditur hodie. Zu den Consuetudines curie Romane vgl. ebd., S. 414 f.; Wahrmund, Consuetudines, S. 5–9; Barraclough, Bonaguida, Sp. 938 f. Auf diesen Umgang mit Exemtionsprivilegien verweist auch eine Regelung in der Kanzleiordnung Nikolaus’ III., in der die Verlesung von Urkunden in der Audientia und vor dem Papst spezifiziert wird; ed. Barraclough, Chancery Ordinance, S. 238, Abschnitt 8: Item
206
Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
Konflikte zwischen Papst und Kardinälen im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts dazu beigetragen haben, dass die Partizipation der Kardinäle an der Ausfertigung päpstlicher Urkunden zunehmend eingeschränkt wurde.1046 In der Zeit der langen Vakanz von 1268 bis 1271, in der mit hoher Wahrscheinlichkeit die Aufzeichnung der im Speculum überlieferten Ausstattungsvorschriften erfolgte, wurden die Kompetenzen der Kardinäle während der papstlosen Zeit und in diesem Zusammenhang auch die Frage ihrer Teilhabe an der päpstlichen plenitudo potestatis insgesamt mit besonderer Intensität diskutiert.1047 Vor diesem Hintergrund dürfte das Privileg als diejenige Urkunde, welche die Rolle der Kardinäle bei der Ausübung der Kirchenherrschaft veranschaulichte, wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt sein. In den im Speculum überlieferten Regeln werden im Hinblick auf die Privilegien ausschließlich die Protokollzeile und der letzte Satz des Kontextes thematisiert.1048 Das konnte bereits damit erklärt werden, dass die zentrale Funktion dieser Bearbeitung der Gestaltungsregeln offenbar darin bestand, litterae und Privilegien hinsichtlich ihrer äußeren Ausstattung voneinander abzugrenzen. Wahrscheinlich handelt es sich um Aufzeichnungen, die sich ursprünglich vor allem an jene Skriptoren richteten, die für die Herstellung beider Urkundenarten herangezogen wurden. Aufgrund seiner Praktikabilität erreichte der Text wohl eine weite Verbreitung unter den Mitarbeitern der Kanzlei.1049 Doch auch vor diesem Hintergrund mutet die Abwesenheit von Vorschriften zu den maßgeblichen Unterfertigungszeichen der Privilegien eigenartig an. Die Nichtbeachtung des Eschatokolls kann verschiedene Ursachen haben. Da der Text vorrangig auf die Differenzen zwischen Privilegien und Briefen abhob, konnten die Unterfertigungen schon deshalb außen vor bleiben, weil sie in den litterae keine Rolle spielten und eine Abgrenzung an dieser Stelle nicht nötig schien. Denkbar ist auch, dass sich die Vorschriften an Schreiber richteten, die lediglich für Protokoll und Kontext der Privilegien zuständig waren, während die komplexeren Unterfertigungszeichen von erfahreneren, auf diese Bestandteile des Eschatokolls spezialisierten Skriptoren eingetragen wurden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass dem Text ursprünglich Zeichnungen der graphischen Elemente beigegeben waren, die nicht in das Speculum übernommen wurden oder bereits in der benutzten Vorlage fehlten. privilegia exemptorum, si petantur renovari. – Legantur per notarios et per vicecancellarium. Zur Kanzleiordnung Nikolaus’ III. siehe unten Kapitel 4.4.2, S. 207. 1046 Krafft, Bene Valete, S. 154; Fischer, Kardinäle von 1216 bis 1304, S. 155–192; Ullmann, Heuristic Value, S. 131; siehe unten Kapitel 4.4.3, S. 225. 1047 Fischer, Kardinäle im Konklave, S. 257–263. 1048 Druck: Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitte 16–17; Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22va. 1049 Siehe oben Kapitel 4.3.2, S. 118.
Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien
207
Obwohl sich keine Vorgaben zu den charakteristischsten Merkmalen der Privilegien finden, ist die im Speculum überlieferte Bearbeitung der Ausstattungsvorschriften dennoch der erste Hinweis darauf, dass bei der Abfassung von Gestaltungs regeln für päpstliche Urkunden im Umfeld der Kanzlei neben den litterae auch die Privilegien Beachtung fanden. 4.4.2 Kanzleiordnung Nikolaus’ III. Ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert stammt ein kurzer Hinweis zur Ausstattung von Privilegien, der nicht als praxisorientierte Aufzeichnung im Umfeld der Kanzlei entstand, sondern im Rahmen einer päpstlichen Verfügung aufgezeichnet wurde. Direkt zu Beginn seines Pontifikats, am 21. Januar 1278, erließ Nikolaus III. eine Kanzleiordnung, welche die Geschäftspraxis der päpstlichen Kanzlei reformierte, indem sie den Geschäftsgang präzisierte.1050 Darin sind in 89 Abschnitten verschiedene, nach inhaltlichen Gesichtspunkten abgegrenzte Kategorien päpstlicher Urkunden aufgeführt, wobei jeweils angegeben ist, ob sie eigenständig durch die Audientia behandelt oder vor dem Papst verlesen werden sollten.1051 Die in der Kanzleiordnung festgehaltenen Beschlüsse fasste der Papst aber nicht allein. Er ließ sich den Index eines nicht überlieferten Formelbuches mit denjenigen Urkundenarten vorlegen, die im bisherigen Kanzleigebrauch durch die Audientia gegangen waren, und beriet sich auf dieser Grundlage mit dem Vizekanzler Petrus Peregrossus (Petrus von Mailand)1052 und einigen der Notare. Ihre gemeinsamen Entscheidungen wurden schriftlich festgehalten. Damit wurden auch die Kompetenzen der Audientia neu und vor allem stringent definiert. Insgesamt wurde eine wesentliche Erhöhung der persönlichen Beteiligung des Papstes an der Urkundenausstellung beschlossen, indem bisherige Routinesachen der päpstlichen Entscheidung vorbehalten wurden. Für Nikolaus III. ergab sich damit die Möglichkeit, mehr Kontrolle über den Kanzleibetrieb auszuüben, als dies unter seinen Vorgängern üblich gewesen war.1053 Die vielfachen Wechsel auf dem Papstthron in der Nachfolge Alexanders IV. (1254–1261) und besonders nach 1050 Druck: Barraclough, Chancery Ordinance, S. 236–250; Tangl, Kanzleiordnungen, Nr. IX, S. 69–82; Tangl, Forschungen, S. 567–578; Erler, Liber cancellariae apostolicae, S. 140–147; vgl. Barraclough, Chancery Ordinance, S. 192; Tangl, Kanzleiordnungen, S. XXX, S. 71 f. (zur Datierung); Herde, Audientia 1, S. 56 f.; Tangl, Forschungen, S. 561–566; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 268; Simonsfeld, Neue Beiträge, S. 225–227. 1051 Zu den litterae dandae und legendae siehe oben Kapitel 2.1, S. 23. 1052 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 252 f.; Herde, Audientia 1, S. 56; Nüske, Untersuchungen (1974), S. 70−73; Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 80 f. 1053 Barraclough, Chancery Ordinance, S. 192; Herde, Audientia 1, S. 57; Tangl, Forschungen, S. 561 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 268 f.; Tangl, Kanzleiordnungen, S. 70; Ottenthal, Rezension zu G. Erler, S. 681.
208
Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
dem Tod Gregors X. 1276 sowie die häufigen Neubesetzungen des Vizekanzleramts1054 hatten sicherlich dazu beigetragen, dass die Mitarbeiter von Kanzlei und Audientia ihrer Arbeit im Verlauf der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in zunehmender Unabhängigkeit und ohne Eingriffe und Leitung durch eine effektive Kontrollinstanz nachgegangen waren. In der Kanzleiordnung wurde im Hinblick auf die Privilegien (privilegia communia und privilegia exemptorum) festgelegt, dass diese immer durch Vizekanzler oder Notare zu prüfen und genehmigen seien. Außerdem sei die fertige Reinschrift jedes Privilegs vom Vizekanzler dem Papst zur Unterzeichnung vorzulegen.1055 Die äußere Gestaltung ist also insofern betroffen, dass die persönliche Beteiligung des Papstes an der Ausstattung des Eschatokoll der Privilegien thematisiert wird, wenn auch nur in Form eines verhältnismäßig abstrakten Hinweises. Die Mitwirkung des Papstes an der Unterfertigung der Privilegien war allerdings keine Neuerung, sondern entsprach bereits seit dem 12. Jahrhundert dem üblichen Vorgehen.1056 Sie wurde in der Kanzleiordnung Nikolaus’ III. aber erstmals in Gestalt eines päpstlichen Erlasses explizit festgeschrieben, die Regelung war daher durchaus von Bedeutung für die konkreten Abläufe bei der Ausfertigung von Privilegien und damit auch für das Personal der Kanzlei, das mit deren Herstellung betraut war. Die Aufnahme dieser Vorgaben in die Kanzleiordnung deutet genau wie die Existenz von Ausstattungsvorschriften zu Privilegien im Speculum iudiciale darauf hin, dass deren Ausfertigung in der päpstlichen Kanzlei in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts weiterhin als derart regelmäßiges Vorkommnis betrachtet wurde, dass Leitlinien für ihre Gestaltung und den entsprechenden Geschäftsgang erarbeitet und schriftlich fixiert wurden. Gleichzeitig zeigt die Überlieferung der Originale, dass in den 1270er-Jahren im Gegensatz zum Pontifikat Innozenz’ IV. in der Mitte des Jahrhunderts deutlich weniger Privilegien ausgestellt wurden, wobei die Zahl sich gegenüber dem vorherigen Jahrzehnt wieder leicht erhöht zu haben scheint.1057
1054 Seit 1257 war Petrus Peregrossus bereits der fünfte amtierende Vizekanzler; vgl. Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 251–253. 1055 Barraclough, Chancery Ordinance, S. 238, Abschnitte 7–8: Item privilegia communia non legebantur, sed scripta in grossa per vicecancellarium portabantur ad papam, ut signarentur. – Legantur per vicecancellarium. Item privilegia exemptorum, si petantur renovari. – Legantur per notarios et per vicecancellarium. Vgl. Tangl, Kanzleiordnungen, S. 73, Abschnitt 7; Erler, Liber cancellariae apostolicae, S. 145; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 171; Herde, Audientia 1, S. 58. Zur Erneuerung der Exemtionsprivilegien siehe auch Anm. 1045. 1056 Zur Beteiligung des Papstes an der Unterfertigung der Privilegien und der inhaltlichen Relevanz dieser Kanzleiordnung siehe unten Kapitel 4.4.6.4, S. 268. 1057 Siehe oben Tab. 2, S. 204 f.
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Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien
JohanNikolaus III. nes XXI. (1277– (1276–1277) 1280)1058
Gregor X. (1271–1276)
Innozenz V. (1276)
Hadrian V. (1276)
Barbiche, Actes 1, S. LXXIII
1
–
–
–
–
Hilger, Verzeichnis, S. XXXI
3
–
–
–
–
Largiadèr, Papsturkunden Schweiz 1, S. XIX
1
–
–
–
–
Linehan, Portugalia, S. 461–495
–
1
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–
1
Schmidt, Originale Baden-Württemberg, S. XXVIII
1
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2
Schwarz, Originale Niedersachsen, S. XV
2
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–
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–
Gesamt
8
1
0
0
3
Tab. 3: Übersicht über die im Censimento verzeichneten Privilegien aus den 1270er-Jahren
Auffällig ist auch, dass Nikolaus III. für zahlreiche Arten von litterae eine päpstliche Beteiligung anstrebte, die Genehmigung der Privilegien aufgrund ihres stark standardisierten Inhalts aber den Entscheidungsträgern der Kanzlei überließ, obwohl er persönlich an der Ausfertigung beteiligt war. Auch diese Entwicklung deutet darauf hin, dass die Privilegien im Verhältnis zu den litterae ihre Bedeutung als Medium päpstlicher Kommunikation und Herrschaftsausübung zunehmend verloren. Die Kanzleiordnung Nikolaus’ III. ist in drei verschiedenen Überlieferungssträngen auf uns gekommen, wobei es sich um unterschiedliche, an die jeweiligen Anforderungen angepasste Bearbeitungen des Textes handelt.1059 Sie wurde in einige Handschriften des Formularium audientiae eingetragen1060 und ist in verschiedenen Manuskripten des Formelbuchs des Pseudo-Marinus von Eboli enthalten.1061
1058 Zusätzlich sind im Register Nikolaus’ III. vier Privilegien aufgeführt: Gay, Registres Nicolas III, Nr. 458, 459, 475, 517; vgl. Maleczek, Autographen, S. 72 Anm. 12. 1059 Barraclough, Chancery Ordinance, S. 193–196; Tangl, Forschungen, S. 564 f.; Teige, Beiträge Audientia, S. 14 f.; Tangl, Kanzleiordnungen, S. 69 f. 1060 Die Handschriften samt Beschreibungen sind aufgeführt bei Herde, Audientia 1, S. 79–140, und bei Barraclough, Chancery Ordinance, S. 198–202; siehe oben Kapitel 4.3.3, S. 132. 1061 Fünf Handschriften nennt Barraclough, Chancery Ordinance, S. 202–205; siehe oben Kapitel 4.2.1, S. 93.
210
Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
Darüber hinaus wurde die Kanzleiordnung auch als Teil der Sammlung päpstlicher Konstitutionen in dem als Liber Cancellarie I bekannten Kanzleibuch überliefert. Es handelt sich um das erste von insgesamt drei Kanzleibüchern, die an der Kurie und in der Folge auch in der Forschung mit dem Namen Liber Cancellarie bezeichnet wurden.1062 Dieser Liber Cancellarie entstand als umfassendes Nachschlagewerk zur Urkundenproduktion parallel zu den verschiedenen Fassungen des Formularium audientiae. Er ergänzte diese inhaltlich, wies aber einen grundsätzlich anderen Charakter auf als die halboffiziellen Regelwerke des Handbuchs der Audientia.1063 Als Grundstock des Liber Cancellarie I diente das um 1200 entstandene Provinciale, ein Verzeichnis aller Bistümer der römischen Kirche, weshalb das Kanzleibuch ursprünglich auch als Liber provincialis bezeichnet wurde.1064 Daran angefügt wurden Formulare für verschiedene Urkundenarten, vor allem für Privilegien und Schutzbriefe für Klöster, Orden, Hospize, Bischöfe und Juden, wobei lediglich der rechtliche Inhalt und die Formulierung, nicht aber die äußere Ausstattung vorgegeben wurden. Dazu kamen Verordnungen und Aufzeichnungen über den Geschäftsgang der Kanzlei, über die Rechte und Pflichten der Kanzleimitarbeiter, deren Eide sowie das Taxwesen. Die grundlegende Sammlung war bereits 1228 vorhanden und wurde unter Innozenz IV. um neue Formulare erweitert. Unter seinen Nachfolgern kamen nur noch vereinzelt Ergänzungen hinzu, die letzten datieren aus dem Pontifikat Clemens’ IV. Der Liber Cancellarie I blieb bis in die avignonesische Zeit in Gebrauch.1065 Einen großen Teil der im Kanzleibuch aufgezeichneten Regelungen machen demnach päpstliche Konstitutionen wie die Kanzleiordnung Nikolaus’ III. aus. Ursprünglich entstand päpstliches Recht meist auf Basis von Einzelfallentscheidungen, die als Dekretalen verbreitet wurden. Seit dem 13. Jahrhundert entwickelte sich aber mit dem Aufkommen der motu proprio erlassenen Konstitution eine neue Art der Rechtsetzung.1066 Diese ewig gültigen Konstitutionen hatten offizielle Geltung und wurden, wenn sie im Zusammenhang mit der Kanzlei standen, im Liber Cancellarie aufgezeichnet, außerdem wurden sie in der Audientia öffentlich ver1062 Zur Bezeichnung als Liber Cancellarie I in Abgrenzung zu den beiden später angelegten Libri cancellarie vgl. Meyer, Kanzlei, S. 338 f.; Hotz, Libri cancellarie, S. 400–403; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 184 f. Zum Liber Cancellarie II siehe unten Kapitel 4.4.3, S. 214, zum Liber Cancellarie III Kapitel 4.6.2, S. 289. 1063 Meyer, Kirchenherrschaft, S. 195 f.; Landau, Schwerpunkte, S. 15. 1064 Tangl, Kanzleiordnungen, S. XV–XXIII; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 106; Erler, Liber cancellariae apostolicae, S. XVI–XVIII; Ottenthal, Rezension zu G. Erler, S. 680; Börsting, Provinciale, S. 6. 1065 Tangl, Kanzleiordnungen, S. XLV f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 106; Erler, Liber cancellariae apostolicae, S. XXV f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 268. 1066 Bertram, Decretalis epistola, S. 270–272; Meyer, Dominus, S. 608 f.; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 180.
Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien
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lesen und damit publiziert.1067 Der Inhalt lässt darauf schließen, dass es sich bei dem Liber Cancellarie I um ein offizielles Handbuch handelte, das im Alltag häufig genutzt wurde, sei es bei der Vereidigung neuer Kanzleimitarbeiter, der Klärung rechtlicher Fragen innerhalb der Kanzlei oder der Ausfertigung päpstlicher Urkunden.1068 Dementsprechend wurden die jeweils aktuellen Versionen in der (vice)cancellaria hinterlegt, zuständig für die Verwahrung war der regens cancellarie, seit dem 15. Jahrhundert der custos cancellarie, der Haushaltsleiter der Kanzlei.1069 Die Bedeutung der Libri Cancellarie für die Arbeit in der Kanzlei verdeutlichen auch die Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Rückkehr Gregors XI. nach Rom in den Jahren 1376/77 ergriffen wurden.1070 Die Kanzleibücher waren mit Gregor in die Stadt gekommen und auch dort verblieben, als nach der Wahl Clemens’ VII. (1378–1394) zahlreiche Kuriale nach Avignon zurückkehrten. So konnte Urban VI. (1378–1389) direkt zu Beginn seines Pontifikats Abschriften der beiden Kanzleibücher in Auftrag geben, die unter der Leitung Dietrichs von Nieheim ausgeführt und 1380 vollendet wurden.1071 Dietrich hatte in Avignon oder am kurialen studium generale die Rechte studiert, war notarius publicus und seit 1370 an der Kurie tätig. Zunächst als Notar und Rotarichter, später als Ab breviator und Skriptor der päpstlichen Kanzlei hielt er sich bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1418 stets im engsten Umfeld der römischen Päpste auf.1072 Dietrich beließ es nicht bei einer bloßen Abschrift der Libri Cancellarie, sondern bearbeitete und organisierte diese auch.1073 Der Hauptgrund für die Herstellung der Kopien dürfte in der Situation der Kanzlei zu suchen sein. Da sich ein Großteil der erfahrenen Kanzleimitarbeiter in Avignon befand, agierte der spätere Papst Urban zunächst selbst als regens und damit auch als Verwalter der Kanzleibücher. Er sah sich bereits in dieser Funktion, aber auch nach seiner Papstwahl gezwungen, die Kanzlei neu zu ordnen und die freien Ämter mit unerfahrenen Kräften zu besetzen, die zunächst
1067 Tangl, Kanzleiordnungen, S. XXVI; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XXIV. 1068 Tangl, Kanzleiordnungen, S. XXIII–XLV; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 106; Erler, Liber cancellariae apostolicae, S. VIII–XVI; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 346; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 268; Hotz, Libri cancellarie, S. 397; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XXIII f.; Jackowski, Kanzleiregeln, S. 38. 1069 Meyer, Kanzlei, S. 328; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XXV; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 287–292. 1070 Zur Situation der Kanzlei nach der Rückkehr Gregors XI. nach Rom siehe oben Kapitel 4.3.4, S. 145. 1071 Tangl, Kanzleiordnungen, S. LIII f.; Hotz, Libri cancellarie, S. 397; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XXXII f.; Tangl, Rezension zu Dr. E. v. Ottenthal, S. 338 f.; Vones, Formelbüchern, S. 406 f. Dass keine Abschrift des Liber Cancellarie III angefertigt wurde, hängt mit der Textgattung der Kanzleiregeln zusammen; vgl. Kapitel 4.6.2, S. 290. 1072 Leuschner, Dietrich von Nieheim, Sp. 140–144; Colberg, Dietrich von Nieheim, Sp. 1037 f. 1073 Hotz, Libri cancellarie, S. 397; Ottenthal, Rezension zu G. Erler, S. 679.
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Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
anhand der Libri Cancellarie geschult werden und diese häufiger als Nachschlagewerk nutzen mussten.1074 Der ursprüngliche Liber Cancellarie I ist nicht erhalten – laut Dietrich von Nieheim war seine Vorlage schon um 1380 durch hohes Alter zerstört und außerdem teilweise rubrikenlos,1075 – er ist aber in drei Abschriften überliefert. Bei der frühesten handelt es sich um die offizielle Kopie, die unter der Leitung Dietrichs von Nieheim angefertigt wurde und sich heute in der Bibliothèque Nationale in Paris befindet. Dieses Exemplar weist Spuren häufiger Benutzung auf; es hat bis ins 15. Jahrhundert hinein in der Kanzlei als Handbuch gedient und enthält Nachträge, die bis in das Jahr 1405 reichen.1076 Der Pariser Band spiegelt mit Ausnahme einiger Ergänzungen den Zustand des Liber cancellarie während des Pontifikats Johannes’ XXII. wider.1077 Auf dieses Exemplar geht ein weiteres Manuskript zurück, das unter Bonifaz IX. um 1400 entstanden, an der Kurie Gregors XII. genutzt und nach seiner Absetzung durch das Konzil von Pisa in seinem Besitz verblieben sein dürfte.1078 Außerdem ist eine Mainzer Handschrift bekannt, die eine Abschrift des ersten Kanzleibuches beinhaltet.1079 Die älteste bekannte Überlieferung der Kanzleiordnung Nikolaus’ III. findet sich in einer Bologneser Handschrift aus dem späten 13. Jahrhundert, bei der es sich um einen Vorläufer des Liber Cancellarie I handelt.1080 Für die Kanzleiordnung Nikolaus’ III. lässt sich vor dem Hintergrund dieses Überlieferungskontextes schlussfolgern, dass sie aufgrund ihrer Aufnahme in mehrere offizielle wie auch halboffizielle Nachschlagewerke der päpstlichen Kanzlei, die auch anderweitige Vorgaben zur Gestaltung von Papsturkunden enthielten, für jeden Kanzleimitarbeiter jederzeit einsehbar war. Da sich die päpstlichen Vorgaben 1074 Tangl, Kanzleiordnungen, S. LIV; Erler, Liber cancellariae apostolicae, S. IX; Hotz, Libri cancellarie, S. 397; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XXXII f.; Tangl, Rezension zu Dr. E. v. Ottenthal, S. 338 f. 1075 Hotz, Libri cancellarie, S. 397; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 184. 1076 Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. lat. 4169; vgl. AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunabeln, Nr. 378, S. 296 f.; Tangl, Kanzleiordnungen, S. IX–X, LXII–LXV; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 106; Barraclough, Chancery Ordinance, S. 209; Erler, Liber cancellariae apostolicae, S. V–X; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 346– 348; Börsting, Provinciale, S. 6, 48–50; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 184. 1077 Meyer, Kirchenherrschaft, S. 185 f. 1078 Ottob. lat. 911; vgl. AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunabeln, Nr. 253, S. 139–141; Tangl, Kanzleiordnungen, S. X Anm. 1, S. LXV f.; Barraclough, Chancery Ordinance, S. 209; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 348; Börsting, Provinciale, S. 6; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 186 f.; Tangl, Rezension zu Dr. E. v. Ottenthal, S. 340. 1079 Mainz, Stadtbibliothek, Hs. II 39; vgl. AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunabeln, Nr. 334, S. 251–262; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 184. 1080 Bologna, Reale Collegio di Spagna, Ms. 275; vgl. AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunabeln, Nr. 16, S. 12–14; Barraclough, Chancery Ordinance, S. 205–208.
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speziell an das Personal der Audientia richteten, wurde sie dort mit hoher Wahrscheinlichkeit regelmäßig verlesen. Es kann daher mit Sicherheit angenommen werden, dass die in der Kanzleiordnung enthaltene Regelung zur Beteiligung des Papstes an den Unterfertigungen der Privilegien den Notaren, Abbreviatoren und Skriptoren ebenfalls geläufig war. 4.4.3 Forma scribendi privilegium Der erste bekannte Regeltext aus dem Umfeld der päpstlichen Kanzlei, der ausschließlich und ausführlich die äußere Gestaltung päpstlicher Privilegien thematisiert und konkrete Vorgaben zu deren Ausstattung enthält, entstand erst im 14. Jahrhundert. Er wird nach seinem Incipit als Forma scribendi privilegium bezeichnet und kann, genau wie die Ausstattungsanweisungen für litterae im Formularium audientiae, als dediziertes Hilfsmittel der Kanzlei für die Urkundenherstellung gelten. Die älteste bekannte Überlieferung dieser ersten kurialen Privilegienlehre findet sich in einer Handschrift der Vatikanischen Bibliothek, die im ersten oder zweiten Drittel des vierzehnten Jahrhunderts an der Kurie angefertigt wurde und wohl zum älteren Bestand der päpstlichen Bibliothek gehört.1081 Sie beinhaltet in erster Linie eine Frühform des Formularium audientiae, bestehend aus einigen Notulae und über 300 Formeln zur inhaltlichen Gestaltung päpstlicher Urkunden, danach folgt ein Provinciale Romanum. Das den Codex ursprünglich beschließende Blatt ist verloren, auf der letzten vorhandenen Seite, fol. 89v, ist die Forma scribendi privilegium eingetragen.1082 Die Formelsammlung selbst kann in den Pontifikat Gregors X. (1271–1276) datiert werden, das Provinciale hingegen ist in einer Version enthalten, die noch nicht die Zusätze Johannes’ XXII. (1316–1334) aufweist. Der Inhalt der Handschrift ist demnach größtenteils dem 13. oder frühen 14. Jahrhundert zuzuordnen.1083 Die Privilegienlehre ist wahrscheinlich der jüngste Text in dem Manuskript, die darin aufgeführten Namen zweier Kardinäle verweisen in die Jahre zwischen 1312 und 1321.1084 Die im Text angekündigten Beispielzeichnun1081 Ottob. lat. 762; vgl. Herde, Audientia 1, S. 53–56; Pfeiffer, Untersuchungen, S. 10–14; Barraclough, Audientia, Sp. 1394. 1082 Herde, Audientia 1, S. 54–56. 1083 Herde, Audientia 1, S. 53 f. 1084 Guillelmus Petri Godin, O. P., Kardinalpresbyter tit. S. Caeciliae 1312–1317; Nicolaus Alberti, O. P., Kardinalbischof von Ostia 1303–1321; vgl. Herde, Audientia 1, S. 56; Pfeiffer, Untersuchungen, S. 10 f. Sowohl Herde als auch Pfeiffer nennen an gleicher Stelle außerdem den Skriptor Sy(mon) Aretinus, der in der Privilegienlehre erwähnt wird, und geben an, dass dieser für das Jahr 1317 belegt sei, was in die gleiche Zeit verweise. Symon ist aber tatsächlich für mehrere Jahrzehnte als Skriptor nachweisbar, seit 1294 bis entweder 1326 (vgl. Nüske, Untersuchungen (1975), S. 376 f.) oder sogar 1342 (vgl. Guillemain, Cour, S. 328; Barbiche,
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gen sind nicht vorhanden, möglicherweise waren sie auf dem letzten, fehlenden Blatt eingetragen. Denkbar ist auch, dass es sich bei dieser Überlieferung um eine Abschrift handelt, in welche die in der Vorlage vorhandenen Muster nicht übernommen wurden. Die Forma scribendi privilegium ist darüber hinaus auch als Teil des Liber Cancellarie II auf uns gekommen.1085 Dieses zweite Kanzleibuch wurde in Avignon als Fortsetzung des Liber Cancellarie I angelegt, es enthält Reservationsbullen, auf die Kanzlei bezügliche Verordnungen von Johannes XXII. bis Urban VI. (1378–1389) sowie zahlreiche Formulare für verschiedene Arten päpstlicher Urkunden. Die Sammlung wurde wahrscheinlich unter Clemens VI. (1342–1352) begonnen und unter seinen Nachfolgern fortgeführt. Sie wurde an der Kurie als Quaternus albus bezeichnet, wobei albus in diesem Zusammenhang als „weiß/hell eingebunden“ oder auch als „neu“ zu deuten ist.1086 Unter Innozenz VI. (1352–1362) wurde der Grundbestand des Kanzleibuchs vermutlich vollendet und in der Folge um Zusätze der nachfolgenden Päpste erweitert. Die Libri Cancellarie blieben grundsätzlich so lange wie möglich in Gebrauch und waren dabei von vornherein auf spätere Ergänzungen ausgelegt.1087 Auch der Liber Cancellarie II ist nicht im Original, aber in verschiedenen Abschriften überliefert; erhalten geblieben ist unter anderem die Bearbeitung Dietrichs von Nieheim, die sich heute in der Vatikanischen Bibliothek befindet.1088 Sie wurde nach ihrer Anlage im Jahr 1380 bis in das Jahr 1560 fortlaufend mit Nachträgen versehen und war demnach dauerhaft in der Kanzlei in Gebrauch.1089 In der Zeit der Konzilien bis zur Rückkehr der Kurie nach Rom unter Martin V. (1417−1431) existierte die Kopie Dietrichs wohl parallel mit ihrer Vorlage, dem ursprünglichen Quaternus albus, seitdem scheint sie allein weitergenutzt worden zu sein. Unter den Nachträgen finden sich Konstitutionen, verschiedene Formulare und Eide, außerdem die Nachzeichnung des Eschatokolls einer Konsistorialbulle,
Scriptores, S. 166 f., 171). Seine Erwähnung eignet sich daher nicht als konkreter Anhaltspunkt für die Datierung. 1085 Zur Bezeichnung als Liber Cancellarie II vgl. Meyer, Kanzlei, S. 338 f.; Hotz, Libri cancellarie, S. 400–403; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 184 f. Zum Liber Cancellarie I siehe oben Kapitel 4.4.2, S. 210, zum Liber Cancellarie III unten Kapitel 4.6.2, S. 289. 1086 Tangl, Kanzleiordnungen, S. XLVIII, LIII; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 106; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 348; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 269; Hotz, Libri cancellarie, S. 397–400. 1087 Tangl, Forschungen, S. 557 f.; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XXVIII f. 1088 Barb. lat. 2825 (= Cod. Barb. XXXV 69); vgl. AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunablen, Nr. 250, S. 87–109; Tangl, Kanzleiordnungen, S. LV–LXI, LXVII–LXXI; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 348 f. 1089 Vones, Formelbüchern, S. 409; Tangl, Kanzleiordnungen, S. XLVIII–LV; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 348 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 106.
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vollständig mit Rota, Papstsubskription und Kardinalsunterschriften.1090 Auf den Seiten vor dem Eschatokoll steht der Text einer Urkunde Eugens IV. vom 24. Januar 1446, in der er die Erzbischöfe von Köln und Trier für abgesetzt erklärte, diese war allerdings als einfache Bulle, nicht als Konsistorialbulle ausgefertigt worden.1091 Die Beispielzeichnung muss daher unabhängig von der vorhergehenden Urkunde betrachtet werden. Der Eintrag zeigt, dass auch für Urkundenarten wie die Konsistorialbulle, die sich erst im 15. Jahrhundert entwickelten, weiterhin Ausstattungsbeispiele aufgezeichnet und in das Kanzleibuch eingetragen wurden. Die lange intensive Nutzung dieser Handschrift in der Kanzlei ist ihr deutlich anzusehen. Die meisten Seiten sind abgegriffen, die Schrift verblasst und verrieben, viele Vorschriften sind getilgt oder ergänzt, auf den Seitenrändern finden sich zahlreiche Nachträge. Das Manuskript gelangte im 17. Jahrhundert in den Besitz des Kardinals und Vizekanzlers Francesco Barberini und schließlich mitsamt der gesamten Bibliotheca Barberini in die Vatikanische Bibliothek.1092 Es sind allerdings auch ältere Abschriften des Liber Cancellarie II als die des Dietrich von Nieheim bekannt. Die Handschrift Ottob. lat. 778 in der Vatikanischen Bibliothek, die neben dem Avignonesischen Kanzleibuch auch einige Kanzleiregeln enthält, wurde während des Pontifikats Innozenz’ VI. (1352–1362) im Umfeld des Papstes, möglicherweise von einem Kanzleimitarbeiter, kompiliert.1093 Nur wenige Monate, bevor Dietrich von Nieheim seine Abschriften anlegte, also Ende 1379 oder Anfang 1380, entstand der bereits erwähnte Trierer Codex, der nie als Kanzleiexemplar diente, in den aber neben dem Liber Cancellarie II auch die Kanzleiregeln einiger Päpste sowie ein Teil des Formularium audientiae eingetragen wurden.1094 Bei diesen drei Handschriften handelt es sich um die ältesten Überlieferungen des Liber Cancellarie II, sie alle gehen unabhängig voneinander auf den nicht erhaltenen Quaternus albus zurück.1095
1090 Barb. lat. 2825, S. 328. In der Rota steht die Devise Eugens IV.: Adiutor et protector meus es tu, Domine. Ne derelinquas me Deus meus; vgl. Gualdo, Lettere, S. 194 Anm. 25. Unter der Rota steht die Unterschrift Eugens: + Ego Eugenius catholice ec̅clie ep̅s SS. Es folgen in drei Spalten jeweils mit vorangestelltem Kreuz die Unterfertigungen von neun Kardinalpriestern, einem Kardinalbischof und zwei Kardinaldiakonen. Zu den Konsistorialbullen siehe unten Kapitel 4.4.6.4, S. 256. 1091 Barb. lat. 2825, S. 325–327. Druck der Urkunde: Hansen, Westfalen, Nr. 189, S. 176–179; vgl. Helmrath, Reich, S. 133; Stieber, Pope Eugenius IV, S. 276 f. 1092 Tangl, Kanzleiordnungen, S. LVIII–LXI; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 349. 1093 Ottob. lat. 778; vgl. AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunabeln, Nr. 252, S. 130–139; Tangl, Forschungen, S. 554 f.; Hotz, Libri cancellarie, S. 398; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 187 f.; Teige, Beiträge Kanzleiwesen, S. 415–422. 1094 Trier, Stadtbibliothek, Ms. 987/1856; siehe oben Kapitel 4.3.3, S. 135; AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunabeln, Nr. 412, S. 344–351. 1095 Tangl, Forschungen, S. 556.
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Bemerkenswert ist, dass die Privilegienlehre ausschließlich in dem Exemplar Dietrichs, nicht aber in den beiden älteren Kodizes enthalten ist. Es ist daher fraglich, ob sie bereits Teil des Quaternus albus war oder erst durch Dietrich von Nieheim aus einer anderen Vorlage übernommen und in das Kanzleibuch integriert wurde. Eventuell hatte er die Notwendigkeit gesehen, die Urkundenformulare des Liber Cancellarie II um konkrete Anweisungen zur Herstellung und Ausstattung der Dokumente zu ergänzen. Er könnte sich dabei an den Artes dictandi mit ihrer Kombination aus theoretischen Anweisungen und praktischen Mustern orientiert haben, die ihm als öffentlichem Notar und studiertem Juristen sicherlich bekannt waren, und auch das Formularium audientiae könnte ihm aufgrund seiner engen Verbindungen zur päpstlichen Kanzlei als Vorbild gedient haben. Allerdings weist die Bearbeitung der Privilegienlehre im Liber Cancellarie II gegenüber der älteren Version einige Textverderbnisse auf, die teilweise den Sinn der Ausstattungsanweisungen entstellen. Die Forma scribendi privilegium ist ferner in einem späteren Kanzleiexemplar des zweiten Kanzleibuchs enthalten, das neben dem Grundbestand des Liber Cancellarie II verschiedene Kanzleiregeln sowie Auszüge aus dem alten Liber Cancellarie I umfasst.1096 Das Manuskript zeigt auf der letzten Seite den Besitzvermerk eines L. de Temperiis, der unter Innozenz VII. (1404–1406) und Gregor XII. (1406– 1415) als Skriptor der päpstlichen Kanzlei nachweisbar ist.1097 Vielleicht hatte sich dieser Schreiber den Codex als Nachschlagewerk für seine tägliche Arbeit aus den an der Kurie verfügbaren Kanzleibüchern kompiliert. Entstanden ist die Handschrift, die eine große Menge an Flüchtigkeitsfehlern enthält, um 1403 in Rom.1098 Auch in einer Pariser Überlieferung des Liber Cancellarie II ist die Privilegienlehre enthalten. Es handelt sich um eine äußerst sorgfältige, in einem Zuge angefertigte Kopie, die um 1468 bis 1470 vermutlich im Auftrag des custos cancellarie Gregorius de Puteo angefertigt wurde.1099 Beide Handschriften könnten die Forma scribendi privilegium aus dem von Dietrich geschaffenen Exemplar des Kanzleibuches übernommen haben.1100 Gleiches kann für eine Mainzer Handschrift angenommen 1096 Vat. lat. 3984; vgl. AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunabeln, Nr. 168, S. 170–182; Vones, Formelbüchern, S. 408 f.; Tangl, Taxwesen, S. 22 f.; Tangl, Kanzleiordnungen, S. LXXI; Börsting, Provinciale, S. 8, 67; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XXIV, XLf.; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 351. 1097 AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunablen, S. 170; Tangl, Taxwesen, S. 22 f.; Tangl, Kanzleiordnungen, S. LXXI. 1098 AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunablen, S. 170; Tangl, Taxwesen, S. 22 f.; Tangl, Kanzleiordnungen, S. LXXI; Tangl, Rezension zu Dr. E. v. Ottenthal, S. 340; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 187. 1099 Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. lat. 4172; vgl. AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunabeln, Nr. 379, S. 298−318; Tangl, Kanzleiordnungen, S. LXXI. 1100 Die Überschrift Incipit formularium alias quaternus Cancellarie in Vat. lat. 3984, fol. 50r lässt darauf schließen, dass ein Teil dieser Handschrift des L. de Temperiis auf den ursprünglichen
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werden, in die sogar der Kolophon Dietrichs von Nieheim übertragen wurde. Bei dem Manuskript handelt es sich um einen juristischen Sammelband, der neben den Libri Cancellarie I und II samt der Forma scribendi privilegium auch Kanzleiregeln sowie ein Formelbuch aus der Zeit Urbans VI. (1378–1389) enthält und Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts entstanden sein dürfte.1101 Die Quellenlage lässt insgesamt darauf schließen, dass sämtliche Überlieferungen der Privilegienlehre im Kontext des Liber Cancellarie II auf das Exemplar Dietrichs von Nieheim zurückgehen, auch weil sie allesamt die gleichen Textentstellungen gegenüber der frühen Version in Ottob. lat. 762 aufweisen. Dieser Befund unterstützt die These, dass die Ausstattungsanweisungen nicht Teil des ursprünglichen Quaternus albus waren, sondern erst im Zuge der Bearbeitung Dietrichs Eingang in das Kanzleibuch fanden. Diese textlich teilweise verderbte Redaktion der Forma scribendi privilegium wurde aber nicht nur im Kontext des Liber Cancellarie II tradiert. Auch eine späte Handschrift des Formularium audientiae, die während des Pontifikats Martins V. (1417−1431) nach Abschluss des Konstanzer Konzils entstand, enthält die Gestaltungslehre für Privilegien in dieser Variante.1102 Bezeichnenderweise stand bereits die älteste bekannte Überlieferung der Privilegienlehre mit dem Formularium audientiae in Verbindung. Da sie aber nie in die späteren Bearbeitungen des Formelbuches integriert wurde, existierten die beiden Traditionen der Ausstattungsvorschriften für litterae und Privilegien offenbar während des gesamten 14. Jahrhunderts parallel in zwei unterschiedlichen Überlieferungskontexten, bis sie in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erneut in einer Handschrift zusammengeführt wurden. Die im Rahmen des Liber Cancellarie II überlieferte Version der Forma scribendi privilegium wurde bereits mehrfach abgedruckt.1103 Maßgeblich ist bis heute die Edition Tangls, die auf drei Handschriften beruht und der folgenden inhaltlichen Untersuchung zugrunde gelegt wird.1104 Die frühe Version des Textes in der HandQuaternus albus zurückgeht; vgl. Meyer, Kirchenherrschaft, S. 187. Allerdings steht diese Ru brik direkt nach der Forma scribendi privilegium (fol. 48r−49v), was wiederum darauf hindeutet, dass diese nicht Teil des Quaternus albus war, sondern aus einer anderen Vorlage übernommen wurde. Zur Zeit der Anfertigung der Pariser Handschrift war der ursprüngliche Quaternus albus nicht mehr in Gebrauch. 1101 Mainz, Stadtbibliothek, Hs. II 39; vgl. AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunabeln, Nr. 334, S. 251−262. 1102 Vat. lat. 6332; siehe oben Kapitel 4.3.3, S. 134. 1103 Schon Delisle, Mémoire, S. 73, hatte die Forma scribendi privilegium nach der Pariser Handschrift veröffentlicht; auf dieser Grundlage wurde sie erneut abgedruckt bei Winkelmann, Kanzleiordnungen, S. 34 f. In den Schrifttafeln zur lateinischen Paläographie wurde der Inhalt des Textes anhand eines Privilegs Urbans IV. illustriert; vgl. Arndt/Tangl, Schrifttafeln, S. 49−51. 1104 Tangl, Kanzleiordnungen, Nr. CII, S. 303−306. Die Edition beruht auf dem Liber Cancel-
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schrift Ottob. lat. 762 wurde bisher allerdings in keiner Ausgabe berücksichtigt, ihre Einbeziehung in die Analyse verspricht daher wertvolle neue Erkenntnisse zum Entstehungskontext der kurialen Privilegienlehre sowie zu ihrer Bedeutung als Hilfsmittel für die Urkundenherstellung in der päpstlichen Kanzlei. Außerdem lassen sich auf dieser Grundlage die in den späteren Handschriften verderbten Textstellen und damit der ursprüngliche Textbestand rekonstruieren. In beiden erhaltenen Bearbeitungsstufen der Forma scribendi privilegium werden die Privilegien – genau wie in der Kanzleiordnung Nikolaus’ III. – als privilegia communia bezeichnet, ein Begriff, der sich im 14. Jahrhundert an der Kurie als Bezeichnung für diese Urkundengattung durchsetzte.1105 In den verschiedenen Handschriften trägt der Text oft eine Überschrift, wie beispielsweise De privilegiis domini pape scribendis1106 oder Tractatus de modo et forma scribendi et formandi privilegium commune.1107 In ihrem Aufbau orientiert sich die Privilegienlehre an der Urkunde selbst. Zuerst wird die Protokollzeile besprochen, danach die Kontextschrift, es folgen Angaben zur Rota, zu den Kardinalsunterschriften und abschließend zur Datierungszeile. Am ausführlichsten behandelt werden die Rota, das größte und aufwendigste der graphischen Symbole in der päpstlichen Unterfertigung, und die Kardinals unterschriften. Die konkreten Vorgaben des Textes zur Gestaltung der einzelnen Merkmale sowie Formulierungen wie debet scribi1108 und precavendum est1109 deuten klar darauf hin, dass er sich an Skriptoren richtete, die für die Herstellung von Privilegien zuständig waren. Genau wie die verschiedenen Versionen der Ausstattungsvorschriften für litterae wurde die Forma offenkundig als Hilfsmittel für die Mitarbeiter der päpstlichen Kanzlei konzipiert. Die Forma scribendi privilegium wird in den meisten Überlieferungen durch Muster für Ordensprivilegien zugunsten der Benediktiner und Augustiner ergänzt; in einem Fall schließt sich daran zusätzlich ein Exemplar für den Zisterzienserorden an. Die theoretischen Anweisungen der Privilegienlehre sind so gestaltet, dass sie häufig auf Beispielzeichnungen verweisen, statt die einzelnen Gestaltungsmerkmale umständlich zu umschreiben. Diese Illustrationen fehlen allerdings in den meisten Handschriften, wodurch der Text als Anleitung zur Privilegiengestaltung wesentlich an Wert verlor. Zumindest im Kanzleibuch Dietrichs von Nieheim, das wahrscheinlich das vorrangige Gebrauchsexemplar der Kanzlei war, ist aber als Bestandteil des ersten Beispielprivilegs für Benediktiner die Zeichnung eines volllarie II des Dietrich von Nieheim (Barb. lat. 2825), der Abschrift des L. de Temperiis (Vat. lat. 3984) und der Pariser Handschrift (Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. lat. 4172). 1105 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 83. 1106 Barb. lat. 2825, S. 1; Vat. lat. 3984, fol. 48r; Tangl, Kanzleiordnungen, S. 303. 1107 Vat. lat. 6332, fol. 13v. 1108 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 303, Abschnitt 2. 1109 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 304, Abschnitt 4.
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ständigen Eschatokolls erhalten, die als Referenz für die Erläuterungen des Textes diente.1110 Dieses Benediktiner-Privileg nennt in Intitulatio und Datierung Clemens VI. (1342–1352) als Aussteller, in Unterschrift und Rota dagegen Johannes XXII. (1316−1334); datiert ist es auf den 4. April 1343.1111 Daraus lässt sich mit Tangl folgern, dass die im Liber Cancellarie II vorliegende Bearbeitung der Privilegienlehre unter Clemens VI. entstand.1112 Adressat ist die Benediktinerabtei St. Arnulf zu Metz, in der Narratio wird dann allerdings das Benediktinerinnenkloster Saint-Pierre-aux-Nonnains als Empfänger des Privilegs benannt.1113 Als Vorlage für dieses Muster könnte ein Schutzprivileg Clemens’ V. vom 18. Dezember 1311 für das Kloster St. Arnulf gedient haben.1114 Mögliche Erneuerungen dieser Urkunde durch Johannes XXII. oder Clemens VI. sind nicht bekannt, aber nicht auszuschließen.1115 Auch zu einem gleichartigen Privileg für die Benediktinerinnen von Saint-Pierre-aux-Nonnains sind keine Informationen überliefert; wann und auf welcher Grundlage dieser Name Eingang in den Beispieltext fand, muss daher offenbleiben.1116 Das zweite Musterprivileg ist an den Augustinerinnenkon1110 Barb. lat. 2825, S. 5; siehe unten Kapitel 4.4.6.4, S. 258. 1111 Barb. lat. 2825, S. 2−5 und Vat. lat. 3984, fol. 48r−49r. Innerhalb des Textes der Privilegienlehre wird auf die subscriptio pape in den Beispielzeichnungen verwiesen, dort findet sich wiederum der Name Clemens; vgl. Tangl, Kanzleiordnungen, S. 304, Abschnitt 8: scriptione pape qui dicit „Ego Clemens“ etc. ut in sequenti forma. 1112 Tangl, Kanzleiordnungen, S. XLIX. 1113 Barb. lat. 2825, S. 2: Clemens episcopus servus servorum Dei, dilectis filiis Petro abbati monasterii sancti Arnulphi Metensis eiusque fratribus […] monasterium Sancti Petri [!] Metensis ordinis sancti Benedicti. Vgl. Tangl, Kanzleiordnungen, S. 304 f. 1114 Zitiert nach dem Original in den Archives Départementales de la Moselle (H. 5/9) bei Müller, Schnittpunkt, S. 46; vgl. Müsebeck, Benediktinerabtei, S. 185. Das Musterprivileg in der Forma scribendi privilegium ist an einen Abt Petrus adressiert, dieser war 1309 durch Clemens V. providiert worden; vgl. Sauerland, Geschichte (1894), S. 131 f. Im Register Clemens’ V. fehlt das Privileg. 1115 Während des Pontifikats Johannes’ XXII. wurden zahlreiche Urkunden für den Bischof und verschiedene Klöster in Metz ausgestellt; vgl. Sauerland, Geschichte (1895), S. 75–103. Möglicherweise wurde auch eine Privilegienbestätigung für das Kloster St. Arnulf ausgefertigt, im Register Johannes’ XXII. ist allerdings kein derartiges Stück verzeichnet. 1116 Das Kloster Saint-Pierre-aux-Nonnains setzte zur Absicherung seiner Rechte und Besitzungen im Hoch- und Spätmittelalter nicht auf päpstliche Bestätigungen, sondern auf seine historische Legitimation als Reichskloster, die vorrangig durch drei ottonische Diplome gestützt wurde; vgl. Blennemann, Metzer Benediktinerinnen, S. 101–108. Im Register Clemens’ V. ist keine Urkunde für das Kloster verzeichnet, im Register Johannes’ XXII. finden sich zwei Schreiben zu receptiones in das Kloster, allerdings datieren sie in die Jahre 1327 (Mollat, Lettres communes Jean XXII 6, Nr. 29573) und 1330 (Mollat, Lettres communes Jean XXII 9, Nr. 50324), also später als die wahrscheinliche Entstehungszeit der Forma scribendi privilegium. Möglicherweise kam es im Zuge der Umarbeitung der Beispielprivilegien unter Clemens VI. zu einer Verwechslung der beiden Metzer Klöster.
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vent in Vals-près-le-Puy adressiert und nennt Johannes (XXII.) als Aussteller,1117 Unterfertigungen und Datierung fehlen.1118 Dieses Muster scheint auf ein echtes Privileg Johannes’ XXII. aus dem Jahr 1321 zurückzugehen, das in der Mitte des 17. Jahrhunderts noch in den Beständen des Klosters vorhanden war, heute aber verloren ist.1119 Offenbar umfasste die Forma scribendi privilegium ursprünglich als illustrierende Beigaben ein Privileg Johannes’ XXII. und eine Urkunde seines Vorgängers, die hinsichtlich des Papstnamens aktualisiert worden war. Diese Muster wurden im Zuge der Bearbeitung unter Clemens VI. nur unvollständig angepasst, so dass der Name Johannes’ in den Unterfertigungen des ersten und dem Protokoll des zweiten Privilegs erhalten blieb. Vor diesem Hintergrund kann als Entstehungszeit für die ältere, in der Handschrift Ottob. lat. 762 überlieferte Version der Privilegienlehre das Jahr 1321 angenommen werden, da im April dieses Jahres die Vorlage für das jüngste Beispielprivileg ausgefertigt worden sein dürfte. 1117 Barb. lat. 2825, S. 6: Iohannes episcopus servus servorum Dei, dilectis in Christo filiabus . priorisse monasterii sancte Marie Magdalene de Valle eiusque sororibus […] et monasterium sancte Marie Magdalene de Valle ordinis sancti Augustini Aniciensis diocesis […]; vgl. Tangl, Kanzleiordnungen, S. 305 f. 1118 Barb. lat. 2825, S. 6−8; Vat. lat. 3984, fol. 49r−49v und Vat. lat. 6332, fol. 18r−19v. 1119 In einer Handschrift mit dem Titel Reigles de S. Augustin pour les religieuses de Val, establies audit lieu soubs ladite regle en l’année 1312 par Bernard de Castanet … avec les constitutions … approuvées et confirmées de nouveau par Monseigneur Messire Henry de Maupas du Tour, Evesque du Puy, comte du Velay, au Puy, 1646 ist eine französische Übersetzung der Urkunde enthalten, der lateinische Text ist nicht überliefert. Die Übersetzung gibt auch die Inschrift der Rota, die päpstliche Subscriptio sowie die Unterfertigung eines Kardinals mit Hinweis auf die weiteren Kardinals unterschriften wieder, die Datierung fehlt; vgl. Fita, Monastère, S. 60, S. 292−299. Im Register Johannes’ XXII. ist das Stück selbst nicht verzeichnet, dafür aber eine weitere Urkunde für den Konvent in Vals-près-le-Puy vom 8. September 1325, welche die Existenz des Privilegs bestätigt und als dessen Ausstellungsdatum den 25. April 1321 angibt. In der registrierten Urkunde wurde erläutert, dass das Privileg in der letzten Zeile einige Rasuren aufweise, die in der päpstlichen Kanzlei entstanden seien – wahrscheinlich war es unter Fälschungsverdacht geraten; vgl. Mollat, Lettres communes Jean XXII 6, Nr. 23404: „Priorissae et conv. monast. S. M. Magdalenae de Valle, per priorissam soliti gub. O. S. A., Anicien. di.,“ annotatur quoddam privilegium ipsis per P. P. VII kal. maii anno Vo concessum, per quod ipsas sub b. Petri et S. A. protectione suscepit; etenim in litteris originalibus quaedam rasurae in ultima linea, in cancellaria apost. factae, existunt. Auffällig ist, dass im Protokoll dieses Privilegs in der Forma scribendi privilegium neben der Verewigungsformel auch die Grußformel der litterae aufgeführt ist. In Vat. lat. 2825, S. 6 und Vat. lat. 3984, fol. 49r, lautet das Protokoll: Dilectis in Christo filiabus . . priorisse monasterii sancte Marie Magdalene de Valle eiusque sororibus tam presentis quam futuris regularem vitam professis. Salutem etc. INPPM. Im Original scheint die Grußformel nach Ausweis der überlieferten Übersetzung nicht enthalten gewesen zu sein. Die Ergänzung der Formel im Rahmen des Beispielprivilegs kann als ein weiterer Hinweis interpretiert werden, dass das Formelwesen der Privilegien den Mitarbeitern der Kanzlei, die hauptsächlich mit der Ausfertigung von litterae befasst waren, nicht mehr vertraut war.
Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien
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Die Überlieferung der Forma scribendi privilegium in der Formularium audientiae-Handschrift Vat. lat. 6332 nennt in beiden Musterprivilegien Johannes XXII. als Aussteller und weist außerdem eine textliche Variante in der Adresse der zweiten Beispielurkunde auf.1120 Das deutet darauf hin, dass sie nicht aus einem Exemplar des Liber Cancellarie II, sondern einer davon unabhängigen Vorlage in das Manuskript übernommen wurde. Darüber hinaus sind die beiden genannten Beispielurkunden nur in Vat. lat. 6332 um ein zusätzliches Privileg zugunsten des Zisterzienserordens ergänzt.1121 Es ist an das Kloster Heinrichau in der Diözese Breslau adressiert, als Aussteller ist Clemens angegeben,1122 Unterfertigungen und Datierung sind nicht vorhanden. Als Vorlage diente augenscheinlich ein Schutzprivileg Johannes’ XXII. für Heinrichau vom 23. Mai 1318.1123 Überliefert ist eine Bestätigung dieses Privilegs durch Benedikt XII. vom 1. November 1337 (in Form einer littera),1124 eine weitere gleichartige Urkunde, etwa von Clemens VI., ist nicht bekannt. Offenbar wurde dieses Beispielprivileg im Gegensatz zu den beiden anderen Mustern in der Handschrift durch Anpassung des Ausstellernamens aktualisiert. In dem Kanzleiexemplar Dietrichs von Nieheim sowie der Handschrift des L. de Temperiis, deren Privilegienlehre auf erstgenannte Bearbeitung zurückgehen dürfte, folgt auf die Privilegienmuster eine Auflistung der Rota-Devisen der Päpste Innozenz VI. (1352−1362), Urban V. (1362−1370) und Urban VI. (1378−1389), die den in der Beispielzeichnung (im Kanzleibuch Dietrichs) wiedergegebenen Wahlspruch Johannes’ XXII. (1316−1334) ergänzen.1125 Ein vergleichbarer Eintrag findet sich in einem Manuskript der Formelsammlung des Pseudo-Marinus von Eboli, das während des Pontifikats Clemens’ V. (1305−1314) entstand und nachweislich in der päpstlichen Kanzlei als Nachschlagewerk in Gebrauch war. Auf der unbeschriebenen Rückseite des letzten Blattes dieses Bandes ist unter der 1120 Als Aussteller des Benediktiner-Privilegs ist Johannes (XXII.) angegeben, die Datierung fehlt; vgl. Vat. lat. 6332, fol. 14r−15v. Auch in der Intitulatio des Privilegs für die Augustinerinnen ist Johannes (XXII.) genannt, außerdem weist das Protokoll im Vergleich zu den Überlieferungen im Liber Cancellarie II (siehe Anm. 1117) Abweichungen auf, es enthält aber ebenfalls die Grußformel: Dilectis in Christo filiabus priorisse mon(asterii) sancte Marie Magdalene de … per priorissam soliti gubernari eiusque sororibus tam presentibus quam futuris regularem vitam professis INPPM Salt. etc.; vgl. Vat. lat. 6332, fol. 18r. 1121 Vat. lat. 6332, fol. 16r−18r. 1122 Vat. lat. 6332, fol. 16r: Clemens episcopus servus servorum Dei. Dilectis filiis Abbati monasterium sancte Marie in Henrichoro, Cisterciensis ordinis Wratislawensis diocesis, eiusque fratribus […]. 1123 Druck: Schulte, Heinrichau, S. 145–149; vgl. Grünhagen/Wutke, Regesten, Nr. 3802, S. 83 f.; Grüger, Heinrichau, S. 25 f.; Schulte, Heinrichau, S. 117 f. Im Register Johannes’ XXII. ist das Privileg nicht verzeichnet. 1124 Wutke/Randt/Bellée, Regesten, Nr. 5992, S. 185; vgl. Grüger, Heinrichau, S. 30. 1125 Barb. lat. 2825, S. 8; Vat. lat. 3984, fol. 49v; vgl. Tangl, Kanzleiordnungen, S. XLIX; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 269. Zur regelmäßigen Aktualisierung der Rota-Devisen siehe unten Kapitel 4.4.6.4, S. 261.
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Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
Überschrift Hii sunt versus felicis recordationis Romanorum pontificum positi in rotis privilegiorum communium eine Liste mit den Devisen der Päpste von Alexander IV. (1254−1261) bis Benedikt XI. (1303−1304) festgehalten, daneben wurde folgender Hinweis eingetragen: Et nota, quod nullus debet ponere versum in rota, nisi papa mandet.1126 Bereits im frühen 14. Jahrhundert wurden demnach im Umfeld der Kanzlei Devisenverzeichnisse angelegt und mit entsprechenden Vorgaben zur Rotagestaltung versehen, sicherlich auch deshalb, weil der päpstliche Wahlspruch in der Rota als Echtheitskriterium der Privilegien betrachtet wurde. Dieser Eintrag in der Pseudo-Marinus-Handschrift könnte eventuell als Vorbild für die Devisenliste im Liber Cancellarie II gedient haben. Da die älteste bekannte, in Ottob. lat. 762 überlieferte Version der Forma scribendi privilegium mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls in das frühe 14. Jahrhundert respektive die ersten Jahre des Pontifikats Johannes’ XXII. datiert werden kann, entstand sie allem Anschein nach parallel zur zweiten Redaktion der Vulgataversion des Formularium audientiae.1127 Sicherlich begünstigte die Situation des Papsttums zu dieser Zeit nicht nur die Überarbeitung des Formelbuches der Audientia, sondern auch die Aufzeichnung der Privilegienlehre, denn die Umsiedlung der Kurie nach Avignon stellte eine grundsätzliche Zäsur für die Entwicklung der kurialen Verwaltung und Verfassung dar. Das Personal, dessen räumliche Unterbringung und die Abläufe mussten zwangsläufig neu strukturiert werden; in diesem Zusammenhang wurden auch althergebrachte Vorschriften den neuen Gegebenheiten entsprechend angepasst und aufgezeichnet.1128 Aufgrund der vermehrten Integration neuer und unerfahrener Mitarbeiter in die Kanzlei drohte das Praxiswissen über die Herstellung von Privilegien womöglich auszusterben, besonders auch deshalb, weil offenbar seit Bonifaz VIII. (1294–1303) nur sehr wenige dieser Urkunden ausgefertigt worden waren.1129 Ein Grund für die Aufzeichnung der Regeln zur Privilegiengestaltung könnte daher die Notwendigkeit der Kodifizierung von althergebrachten, aber nicht mehr geübten Gewohnheiten gewesen sein. Möglicherweise war der konkrete Anlass sogar die Ausfertigung der Urkunde für den Augustinerinnenkonvent in Vals-près-le-Puy, die dann der Privilegienlehre als Musterprivileg beigegeben wurde. Da bereits belegt werden konnte, dass die Auditores litterarum contradictarum und die Vizekanzler entscheidenden Einfluss auf die Entstehung und Weiterentwicklung des Formularium hatten, kann dies auch im Hinblick auf die Forma scribendi privilegium vermutet werden. Für das Amt des Auditors liegen für die Jahre 1126 Erdmann, Entstehung, S. 177 f. 1127 Siehe oben Kapitel 4.3.3, S. 128. 1128 Vones, Formelbüchern, S. 405 f.; Schimmelpfennig, Zeremonienbücher, S. 36–39; May, Ego, S. 278. Siehe oben Kapitel 4.3.3, S. 128. 1129 Siehe unten Tab. 4, S. 224 und Anm. 1164.
Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien
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1317 bis 1320 keine gesicherten Erkenntnisse vor, seit 1321, dem wahrscheinlichsten Entstehungsjahr für die in Ottob. lat. 762 überlieferte Version, übte Petrus de Nogareto (Pierre de Nogaret) diese Funktion aus.1130 Als Vizekanzler ist in den Jahren 1316 bis 1319 Gaucelmus Johannis Deuza (Gaucelme de Jean) nachweisbar, der zeitweise durch Bertrandus de Poietto (Bertrand du Pouget) vertreten wurde.1131 Seit 1319 (bis 1325) hatte Petrus Textoris (Pierre le Tessier) das Amt inne, der bereits als Bearbeiter einer Formel in der zweiten Redaktion des Formularium in Erscheinung trat.1132 Er kommt daher, neben dem Auditor Pierre de Nogaret, auch als Initiator für die Erarbeitung einer kurialen Privilegienlehre in Betracht. Als Hauptgrund für die Aufzeichnung der Vorgaben zur Gestaltung der litterae im Formularium audientiae zu Beginn des 14. Jahrhunderts konnte der konkrete praxisorientierte Bedarf des Kanzleipersonals nach standardisierten schriftlichen Hilfsmitteln nicht nur für die innere, sondern auch die äußere Gestaltung der Urkunden identifiziert werden. In der Kanzlei mussten päpstliche Briefe in zunehmend größerer Anzahl ausgefertigt und dabei zahlreiche komplexe Gewohnheiten hinsichtlich der Differenzierung der beiden Arten von litterae umgesetzt werden. Zusätzlich wurden die Vorgaben für die Gestaltung dieser Urkunden im Detail kontinuierlich weiterentwickelt. Um diesen Anforderungen dauerhaft gerecht werden zu können, mussten diese Gestaltungsregeln schriftlich fixiert werden, um sie den zahlreichen Mitarbeitern der Kanzlei, vor allem den Neuzugängen, unkompliziert und schematisch vermitteln zu können. Als notwendig erwies sich dies generell im Kontext von organisatorischen Ausnahmesituationen und personellen Umstrukturierungen, die durch die äußeren Umstände des Papsttums geprägt wurden, was vor allem an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert der Fall war. Diese Verschriftlichung bestehender Konventionen diente somit der Aufrechterhaltung des Kanzleibetriebs und damit einer wesentlichen Funktion der päpstlichen Kurie. Hinsichtlich der Privilegien war die Ausgangslage zu Beginn des 14. Jahrhunderts jedoch eine völlig andere. Die Entwicklung der äußeren Merkmale dieser Urkundenart war bereits seit einem Jahrhundert abgeschlossen, außerdem setzte sich die seit Mitte des 13. Jahrhunderts feststellbare rückläufige Tendenz bei der Ausfertigung der Privilegien um die Jahrhundertwende weiter fort, seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts traten sie nur noch sporadisch auf.1133 1130 Herde, Audientia 1, S. 77; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 284 Anm. 1. 1131 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 256−258; Herde, Audientia 1, S. 172. 1132 Siehe oben Kapitel 4.3.3, S. 130; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 258 f.; Herde, Audientia 1, S. 172. 1133 In der Empfängerüberlieferung sind seit dem Ende des 13. Jahrhunderts und besonders im 14. Jahrhundert selten Privilegien nachweisbar. In den Bänden des Censimento sind nach Nikolaus III. nur noch wenige Privilegien verzeichnet, siehe unten Tab. 4, S. 224. Ergänzend finden sich in den päpstlichen Registern zwei Privilegien Martins IV. (1281–1285), (Olivier-Martin, Registres Martin IV, Nr. 580, 581), zwei Privilegien Honorius’ IV. (Prou, Registres Ho-
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Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
Honorius IV. (1285–1287)
Nikolaus IV. (1288–1292)
Bonifaz VIII. (1294–1303)
Aurora, Documenti, S. 88
2
–
–
Barbiche, Actes 1, S. LXXIII
–
1
1
Hilger, Verzeichnis, S. XXXI
1
–
–
Largiadèr, Papsturkunden Schweiz 1, S. XIX
1
–
–
Sayers, Documents, S. LXIII
-
–
1
Schmidt, Originale Baden- Württemberg, S. XXVIII
–
1
–
Schmidt/Sabanés, Butllari de Catalunya 1, S. 533–785
–
1
–
Gesamt
4
3
2
Tab. 4: Übersicht über die im Censimento verzeichneten Privilegien aus dem späten 13. und frühen 14. Jahrhundert
Da die Herstellung dieser Urkunden zunehmend seltener wurde, dürfte der Bedarf der Kanzleimitarbeiter nach der Erarbeitung allgemein zugänglicher Regeln eher gering gewesen sein, die meisten Skriptoren wurden nie mit dieser Urkundengat tung konfrontiert. Außerdem hatte man auch während des 12. und der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, als Privilegien noch regelmäßig in großer Zahl mundiert wurden, auf die Aufzeichnung entsprechender Vorgaben verzichtet, und das auch im Zuge von Ortswechseln der Kurie und Umstrukturierungen des Kanzleipersonals. Als Vorlagen für die Gestaltung hatten sich laut Bresslau vor allem die Originale der Vorurkunden bewährt.1134 Die privilegia communia wurden seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts fast ausschließlich im Rahmen der Bestätigung älterer Privilegien ausgefertigt,1135 diese Methode hätte demnach auch weiterhin norius IV, Nr. 96, 97) und vier Privilegien Bonifaz’ VIII. (Digard, Registres Boniface VIII 1, Nr. 184, 1163, 1839, und Registres Boniface VIII 3, Nr. 4132); vgl. Maleczek, Autographen, S. 72 Anm. 12. Offenbar handelte es sich teilweise um Mischformen mit der Verewigungsformel einer Bulle (Honorius IV., Nr. 96, 97; Bonifaz VIII., Nr. 184, 1839) oder der Grußformel einer littera (Martin IV., Nr. 580, 581), aber den Unterfertigungen eines Privilegs – weitere Anhaltspunkte dafür, dass das Privileg in seiner ursprünglichen Form in Vergessenheit zu geraten drohte. In den Registerbänden sind jeweils nur die Kardinalsunterschriften wiedergegeben, daher bleibt unklar, ob jeweils auch Rota, Benevalete und Papstunterschrift auf den Urkunden vorhanden waren. Zu den Privilegien Bonifaz’ VIII. vgl. auch Krafft, Bene Valete, S. 155 Anm. 30. Ebenfalls zu berücksichtigen sind die beiden Privilegien Johannes’ XXII. und das Privileg Clemens’ V., die als Vorlagen für die Muster in der Forma scribendi privilegium dienten, aber nicht registriert wurden. 1134 Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 291 f. 1135 Siehe oben Kapitel 4.4.1, S. 205.
Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien
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problemlos angewandt werden können. Letztendlich belegen die Erarbeitung der Forma scribendi privilegium selbst und vor allem die beigegebenen Musterprivilegien, dass auch zu Beginn des 14. Jahrhunderts entsprechende Originalurkunden an der Kurie greifbar waren. Insgesamt scheinen die Anforderungen der alltäglichen Kanzleiarbeit somit nicht der einzige Grund für die schriftliche Niederlegung von Gestaltungsregeln für Privilegien am Beginn des 14. Jahrhunderts gewesen zu sein. Vielmehr entsteht der Anschein, dass es in der päpstlichen Kanzlei Ambitionen gab, das drohende Aussterben dieser Urkundenart abzuwenden und ihre weitere Produktion zu forcieren. Um zu verhindern, dass die bei der Ausstattung der Privilegien zu beachtenden Gewohnheiten in Vergessenheit gerieten, mussten sie vor diesem Hintergrund notwendigerweise schriftlich fixiert werden. Diese Bemühungen könnten von einem oder mehreren der genannten, in den Jahren 1316 bis 1325 tätigen Vizekanzler ausgegangen sein; als wahrscheinlichster Kandidat bietet sich erneut Pierre le Tessier an. Das Interesse der Kanzleileiter am Erhalt der Privilegien ließe sich vorrangig durch ihr Kardinalsamt erklären, denn für das Kardinalskolleg und sein Rollenverständnis spielte diese Urkundengattung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die seit dem 11. Jahrhundert immer weiter gestiegene Bedeutung des Kollegs manifestierte sich unter anderem im Konsistorium, dem Rat der Kardinäle. In öffentlichen Sitzungen oder auch in separaten Treffen berieten die Kardinäle den Papst in politischen wie juristischen Fragen und wurden auf diese Weise an der Verwaltung des Kirchenstaates beteiligt. Für den Papst bestand zwar keine Verpflichtung, die Kardinäle einzubinden oder ihre Ratschläge zu berücksichtigen, dennoch verstanden sie es, ihre Machtstellung auf dieser Grundlage im Laufe des 13. Jahrhunderts konsequent zu festigen und auszubauen.1136 In den Privilegien spiegelten sich die gemeinsamen Beschlussfassungen von Papst und Kardinälen, deren Beteiligung durch ihre Unterschriften auf den Urkunden dokumentiert wurde. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts lässt sich an diesen explizit de fratrorum nostrorum consilio ausgestellten Urkunden auch eine faktische Mitbestimmung der Kardinäle in kirchenpolitisch bedeutsamen Fragen ablesen. Mit dem Wegfall der Kardinalsunterschriften auf den litterae und Bullen entfiel demnach nicht nur eine breitenwirksame Repräsentation des Einflusses der Kardinäle, sondern auch deren tatsächliche Partizipation an der päpstlichen Kirchenherrschaft.1137
1136 Fischer, Kardinäle von 1216 bis 1304, S. 179–183; Fischer, Kardinäle im Konklave, S. 274– 276; Maleczek, Papst, S. 297–312; Becker, Wahlkapitulationen, S. 17 f.; Lulvès, Machtbestrebungen des Kardinalkollegiums, S. 458–464; Lulvès, Machtbestrebungen des Kardinalats, S. 74–94. Zur kanonistischen Erörterung der Stellung der Kardinäle im 13. Jahrhundert vgl. auch Fischer, Kardinäle im Konklave, S. 255–263. 1137 Fischer, Kardinäle von 1216 bis 1304, S. 181; Anheim/Beattie/Lützelschwab, Kardinäle, S. 266 f.; Trenkle, De fratrum nostrorum, S. 138–144; Maleczek, Autographen,
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Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
Unter Bonifaz VIII. (1294–1303) kam es vermehrt zu Auseinandersetzungen zwischen dem Papst und den Colonna-Kardinälen sowie dem Kardinalskollegium im Allgemeinen, dessen dienende Stellung er deutlich hervorhob.1138 Diese Konflikte ließen die Kardinäle wahrscheinlich zunehmend befürchten, dass die sich im Urkundenwesen abzeichnende Entwicklung auch einen tatsächlichen Machtverlust im Verhältnis zum Papst nach sich ziehen würde. Dementsprechend liegt es nahe, dass sie um die Aufrechterhaltung der in den Privilegien versinnbildlichten Tradition der gemeinsamen Urkundenausfertigung bemüht waren. Ebenfalls seit dem Pontifikat Bonifaz’ VIII. trugen die Vizekanzler immer häufiger den Kardinalshut. Noch im 13. Jahrhundert hatten die Kanzleileiter, die in den Kardinalsstand erhoben wurden, ihr Amt in der Folge niedergelegt.1139 Gaucelmus Johannis Deuza war nur etwa drei Monate nach seiner Berufung zum Vizekanzler im Dezember 1316 zum Kardinal geweiht worden, gleichzeitig mit Bertrandus de Poietto, der ihn zeitweise als Leiter der Kanzlei vertrat. Petrus Textoris war der letzte Vizekanzler des 14. Jahrhunderts, der diese Position noch vor seiner Ernennung zum Kardinal innehatte, die etwa eineinhalb Jahre später im Dezember 1320 folgte.1140 Vor diesem Hintergrund scheint es plausibel, dass die Vizekanzler des 14. Jahrhunderts ihre Stellung als Vorstände der Kanzlei nutzten, um den Ansprüchen der Kardinäle im Kontext der Kanzleiarbeit Geltung zu verschaffen. Genau wie im Falle des Formularium audientiae dürften die Vizekanzler demnach auch bei der Ausarbeitung der Forma scribendi privilegium eine umfassende Rolle gespielt haben. Sicherlich erfolgte die konkrete Erarbeitung und Verschriftlichung der Regeln wiederum in Zusammenarbeit mit den Notaren, Abbreviatoren und Skriptoren der Kanzlei. Möglicherweise waren auch in den folgenden Jahrzehnten die Vizekanzler Petrus de Pratis (Pierre des Prés, Vizekanzler 1325−1361) und Petrus de Monteruco (Pierre de Monteruc, Vizekanzler 1361−1378)1141 dafür verantwortlich, dass die Privilegienlehre dauerhaft tradiert und hinsichtlich der Rota- Devisen regelmäßig aktualisiert wurde. Als Modell für die Abfassung der Forma scribendi privilegium könnten den Kanzleivorständen wiederum die Lehrschriften der Artes dictandi gedient haben. Zwar lassen sich keine direkten wörtlichen Übernahmen feststellen, doch sowohl S. 69–71, 81−89; Maleczek, Papst, S. 320–322; Ullmann, Heuristic Value, S. 131; Krüger, Konsistorialurkunden, S. 361 f. 1138 Fischer, Kardinäle von 1216 bis 1304, S. 191 f.; Lulvès, Machtbestrebungen des Kardinalkollegiums, S. 464–467; Lulvès, Machtbestrebungen des Kardinalats, S. 91 f.; Paravicini Bagliani, Boniface VIII, S. 184–189. 1139 Maleczek, Autographen, S. 111; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 253; Nüske, Untersuchungen (1974), S. 58−84; Fischer, Kardinäle von 1216 bis 1304, S. 179; Anheim/Beattie/Lützelschwab, Kardinäle, S. 245. 1140 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 256−259; Schwarz, Rolle, S. 173 f. 1141 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 259−261.
Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien
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in ihrem Aufbau als auch in ihrer inhaltlichen Ausrichtung auf die graphisch auffälligen Urkundenmerkmale lehnt sich die Forma eng an die Texte zu den päpstlichen Privilegien in den Abhandlungen zur Ars dictaminis an. Große Ähnlichkeiten bestehen besonders zu den Privilegienlehren der französischen Tradition.1142 Auch in diesen wird zunächst die Gestaltung der ersten Zeile erläutert und danach das Eschatokoll ausführlich behandelt, bevor ein Beispiel für die große Datierung der Privilegien die theoretische Anweisung beschließt. In Entsprechung zu den Artes dictandi illustriert auch die Forma scribendi privilegium die Unterfertigungszeichen der Urkunden anhand von Beispielzeichnungen. Die Definition des Privilegs, die typischerweise die entsprechenden Abschnitte in den Brieflehrbüchern einleitet, wurde nicht in die kuriale Bearbeitung übernommen, sie war für die Praxis der Kanzlei nicht von Belang. Dafür wurde der in den meisten Artes dictandi (mit Ausnahme der Oliva des Boncompagno da Signa)1143 nur sehr knappe Hinweis auf die Kardinalsunterschriften detaillierter ausgearbeitet, da diese Vorgaben für die konkrete Privilegienproduktion und vor allem für die Partizipation der Kardinäle von besonderer Bedeutung waren. Auch die Tatsache, dass die Forma scribendi privilegium um einige Beispielprivilegien ergänzt wurde, verweist auf die Traktate zur Briefkunst zurück, die gewöhnlich ebenfalls Musterbeispiele enthielten. Insgesamt lässt die große Zahl der strukturellen Gemeinsamkeiten darauf schließen, dass die in den französischen Artes dictandi enthaltenen Urkundenlehren als Vorbilder für die kuriale Privilegienlehre des 14. Jahrhunderts herangezogen wurden. Inhalt und Darstellungsweise wurden aber nicht eins zu eins übernommen, sondern an die konkreten Anforderungen des Kanzleibetriebs (und der Kardinäle) angepasst. Die Verbindung zwischen den genannten Vizekanzlern und den französischen Artes dictandi liegt nahe, denn alle drei stammten, wie die meisten Kanzleileiter des 14. Jahrhunderts, aus Frankreich und hatten, wahrscheinlich an französischen Universitäten, Doktorgrade in mindestens einem der Rechte erlangt, was ebenfalls auf die meisten Vizekanzler seit der Jahrhundertwende zutrifft.1144 Aufgrund der engen Verbindung zwischen den juristischen Disziplinen und dem Unterricht zum dictamen hatten sie sicherlich im Zuge ihres Studiums auch die Artes dictandi kennengelernt. Unter den Notaren, Abbreviatoren und Skriptoren der Kanzlei sind seit Clemens V. ebenfalls immer mehr Franzosen nachweisbar, die teilweise an den französischen Universitäten ausgebildet worden und potentiell bereits mit den
1142 Siehe oben Kapitel 3, S. 42. 1143 Siehe oben Kapitel 3, S. 47. 1144 Guillemaine, Cour, S. 309 f.; Anheim/Beattie/Lützelschwab, Kardinäle, S. 246 f. Zu Gaucelmus Johannis Deuza vgl. auch Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 96−99; Lützelschwab, Flectat, S. 453 f. Zu Betrandus de Poietto vgl. auch Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 98 f.; Lützelschwab, Flectat, S. 442−445. Zu Petrus Textoris vgl. auch Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 99−103.
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Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
französischen Artes in Berührung gekommen waren.1145 Somit ergeben sich vielfältige mögliche Einflusswege auf den an der Kurie erarbeiteten Text. Insgesamt ist bei der Forma scribendi privilegium die Abhängigkeit von den Artes dictandi wesentlich deutlicher greifbar als im Falle des Formularium audientiae. 4.4.4 Privilegienmuster in Ottob. lat. 747 Aus der Mitte des 14. Jahrhunderts ist noch eine weitere Vorlage zur Privilegiengestaltung überliefert, die ebenfalls in einem Nachschlagewerk der päpstlichen Kanzlei aufgezeichnet wurde. Sie ist in dem Manuskript Ottob. lat. 747 erhalten geblieben, das in Avignon von einem Skriptor oder Abbreviator angelegt und über Jahrzehnte in der Kanzlei benutzt wurde.1146 Es besteht aus zwei separaten Teilen, wobei der hintere eine Abschrift des Formularium audientiae enthält, der vordere unter anderem einen Liber taxarum, eine Ars predicandi und das Provinciale Romanum.1147 Vor Letzterem wurde auf der Doppelseite fol. 51v–52r das Muster eines päpstlichen Privilegs eingetragen.1148 Sowohl die vorhergehende Doppelseite (fol. 50v–51r) als auch die folgende Seite (fol. 52v) sind leer, so dass die Gestaltungsvorlage nicht durch beschriftete Rückseiten und durchscheinende Tinte entstellt wird.1149 Während einige Bestandteile der Handschrift wohl bereits im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts entstanden, handelt es sich bei dem Privileg um eine Ergänzung aus der Mitte des Jahrhunderts. In der Intitulatio, der Rota und der subscriptio pape des Stücks wird der Papstname Clemens genannt, außerdem lässt die Schrift auf einen Skriptor der Kanzlei Clemens’ VI. (1342–1352) schließen, der Nachtrag dürfte demnach aus der Zeit dieses Pontifikats stammen.1150 Während der Forma scribendi privilegium zur Illustration der graphischen Unterfertigungszeichen auf den päpstlichen Privilegien entsprechende Beispielzeichnungen beigegeben worden waren, beschränkte sich der Urheber des Eintrags in Ottob. lat. 747 von vornherein auf das Muster und verzichtete auf einen erläuternden Regeltext. Das Privileg ist in der Handschrift quer über beide Seiten geschrieben, wodurch sich für die Darstellung des raumgreifenden Privilegienprotokolls und des ausladenden Eschatokolls ein geeignetes Format ergab. Die zweite Seite, fol. 52, wurde offenbar speziell zu diesem Zweck als Einzelblatt in den Codex eingeklebt.1151 Das Muster trägt die Überschrift Forma privilegii communis, somit wurden die Privilegien wie in der Kanzleiordnung Nikolaus’ III. und der Forma 1145 Guillemaine, Cour, S. 314−332. 1146 Siehe oben Kapitel 4.3.3, S. 132. 1147 Herde, Audientia 1, S. 116–118. 1148 Siehe unten Abb. 4, S. 240. 1149 Herde, Audientia 1, S. 117. 1150 Herde, Audientia 1, S. 120. 1151 Herde, Audientia 1, S. 121.
Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien
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scribendi privilegium auch in dieser Quelle mit der Bezeichnung privilegia communia bedacht. Das zentrale Anliegen dieser Aufzeichnung war die Veranschaulichung der graphischen Ausstattung und des Layouts eines päpstlichen Privilegs, was auch daran ersichtlich ist, dass der Kontext der Urkunde stark gekürzt wurde und nur vier Zeilen umfasst. Dagegen sind die Protokollzeile und besonders die Unterfertigungen des Eschatokolls sehr groß und deutlich ausgeführt; Letztere füllen etwa ein Drittel der Seite. Sie wurden im Verhältnis zum Text zwei bis drei Zentimeter nach innen eingerückt. Kardinalsunterschriften sind nicht vorhanden, auf die Unterfertigungszeichen folgt direkt die Datierung. Der Schwerpunkt liegt ganz offensichtlich auf jenen Bestandteilen der Urkunde, die von den Mitarbeitern der Kanzlei angefertigt wurden – für die Kardinalsunterschriften waren die Kardinäle (oder deren Schreiber) selbst zuständig.1152 Für das Urkundenmuster wurde nicht der gesamte auf der Doppelseite verfügbare Raum genutzt, sondern an allen Seiten ein großzügiger Rand freigelassen – bei der Ausfertigung von Privilegien auf Pergament wurde ebenso verfahren. In der Folge war der Platz in der Breite nicht ausreichend; sowohl die letzte Kontextzeile als auch die Datierung sind zu umfangreich für die gewählte Zeilenlänge und ragen über den rechten Rand hinaus. Grundsätzlich ist das Beispielprivileg aber sehr sorgfältig ausgeführt und in einer deutlichen kurialen Minuskel geschrieben. An einigen Stellen sind in kleiner, aber gut lesbarer Schrift kurze Hinweise zu einzelnen Bestandteilen des Privilegs eingetragen, diese thematisieren ausschließlich die eigenhändige Beteiligung von Papst und Vizekanzler bei der Privilegienherstellung. Dies könnte darauf hindeuten, dass der Kanzleileiter den Anstoß zur Erstellung dieser Vorlage gegeben hatte und eventuell sogar direkt in deren Gestaltung involviert war. Die Nutzer der Handschrift wurden anhand der Beispielurkunde über die äußere Ausstattung der Privilegien, zusätzlich aber auch über maßgebliche Aspekte des Geschäftsgangs bei deren Ausfertigung instruiert. Laut Herde ist davon auszugehen, dass das Manuskript nach dem Tod seines Urhebers in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in den Besitz eines anderen Mitarbeiters der Kanzlei überging.1153 Dieser dürfte auch für den Nachtrag des Musterprivilegs verantwortlich sein; er nutzte den Band somit als Arbeitsexemplar und ergänzte ihn entsprechend der Anforderungen, die in der Kanzlei an ihn gestellt wurden – dazu gehörte offenbar auch die Herstellung von Privilegien. Die Aufzeichnung dieser Gestaltungsvorlage kann jedenfalls als weiterer Hinweis darauf gelten, dass es in der Kanzlei auch in der Mitte des 14. Jahrhunderts weiterhin Bemühungen gab, das Wissen über die Privilegienausstattung und damit auch die Urkundenart selbst zu bewahren. 1152 Siehe unten Kapitel 4.4.6.5, S. 271. 1153 Herde, Audientia 1, S. 121 f.
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Das Muster in Ottob. lat. 747 ist auf den 1. August 1349 datiert und an den Abt der Zisterzienserabtei Walkenried (Walkenreit) im Harz adressiert; der Kontext wird mit der gebräuchlichen Formel Religiosam vitam eligentibus eingeleitet. In der niedersächsischen Überlieferung findet sich allerdings keine Spur dieses Privilegs, es sind keinerlei Urkunden Clemens’ VI. für das Kloster Walkenried bekannt.1154 Das große Ordensprivileg Religiosam vitam wurde dem Kloster bereits im Jahr 1205 durch Innozenz III. verliehen.1155 Die Privilegien und Freiheiten des Klosters wurden im Jahr 1268 durch Clemens IV.1156 und erneut im Jahr 1319 durch Johannes XXII. bestätigt, jeweils in Form einer littera.1157 Der gekürzte Kontext des Beispielprivilegs entspricht mit nur geringfügigen Abweichungen den Formularen der Ordensprivilegien, die als Ergänzung der Forma scribendi privilegium in den Liber Cancellarie II eingetragen wurden.1158 Es könnte sich daher bei dem Muster um ein rein fiktives Privileg handeln, das auf Basis des Kanzleibuchs erstellt wurde. Allerdings ergäbe sich in diesem Fall die Frage, weshalb als Adressat ausgerechnet das niedersächsische Kloster Walkenried gewählt wurde, das dem Kurienpersonal wahrscheinlich kaum vertraut gewesen sein dürfte. Obwohl der Gedanke naheliegt, können die päpstlichen Register Innozenz’ III. nicht als Vorlage gedient haben. Zwar waren sie gemeinsam mit weiteren kurialen Archivalien im Jahr 1339 nach Avignon gelangt, nachdem sie 1304 zunächst in Perugia, dann seit 1311/12 in Assisi untergebracht worden waren,1159 das fragliche Privileg für Walkenried aus dem Jahr 1205 war aber nicht registriert worden. Da 1154 Ob eine entsprechende Urkunde in die päpstlichen Register eingetragen wurde, ließ sich nicht ermitteln, da die Register Clemens’ VI. noch nicht abschließend bearbeitet sind. 1155 Dolle, Urkundenbuch 1, Nr. 57, S. 103–107; Schwarz, Originale Niedersachsen, Nr. 7, S. 5. 1156 Dolle, Urkundenbuch 1, Nr. 454, S. 415 f.; Schwarz, Originale Niedersachsen, Nr. 145, S. 60. 1157 Dolle, Urkundenbuch 2, Nr. 953, S. 201 f.; Schwarz, Originale Niedersachsen, Nr. 230, S. 98. Zu den Papsturkunden für das Kloster Walkenried vgl. auch Heutger, Kloster Walkenried, S. 23–26. 1158 Ottob. lat. 747, fol. 51v–52r (für den Abgleich mit dem Formular wurde die Überlieferung des Musterprivilegs für den Benediktinerorden in Barb. lat. 2825, S. 2–5 herangezogen; vgl. auch Tangl, Kanzleiordnungen, Nr. CIII, CIV, S. 304–306): Religiosam vitam eligentibus apostolicum decet [im Formular: convenit] adesse presidium, ne forte cuiuslibet temeritatis incursus aut eos a proposito revocet, aut robur, quod absit, sacre religionis insurgat [im Formular: infringat]. Eapropter, dilecti in domino filii, vestris iustis postulationibus clementer annuimus, et prefatum monasterium [im Formular wird hier konkret das Kloster St. Peter in Metz genannt], in quo divinis [im Formular: divino] estis obsequiis [im Formular: obsequio] mancipati, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus, et presentis scripti privilegio communimus. Statuentes, ut quascunque [im Formular an dieser Stelle ein zusätzlicher Satz Inprimis siquidem statuentes, ut … Preterea quascunque] possessiones, quecunque bona idem monasterium impresentiarum iuste et pacifice [im Formular: canonice] possidet, aut infuturum concessione pontificum etc. et sic finit. Cunctis autem, eidem loco sua iura servantibus, sit pax domini nostri Ihesu Christi etc. 1159 Denifle, Registerbände, S. 2–12; Feigl, Überlieferung, S. 242–249.
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rüber hinaus wurden die Unterfertigungszeichen der Privilegien im 13. Jahrhundert nicht in die Register übernommen,1160 auch in dieser Hinsicht scheiden die Bände demnach als Vorbild für das Musterprivileg aus. Denkbar ist dagegen, dass im Zuge der letzten bekannten Bestätigung der Privilegien des Klosters durch Johannes XXII. im Jahr 1319 das Original des Privilegs Innozenz’ III. an der Kurie vorgelegen hatte und eine Kopie davon angefertigt worden war. Möglicherweise diente diese sogar (neben anderen Originalen) als Grundlage für die Erarbeitung der Forma scribendi privilegium, deren älteste bekannte Überlieferung etwa in diesem Zeitraum entstand. Es ist nicht auszuschließen, dass ursprünglich eine Abschrift der Urkunde für Walkenried dem Text als Beispiel beigegeben war und in der Folge als Muster in der Kanzlei kursierte, bis sie während des Pontifikats Clemens’ VI. in die Formularium-Handschrift übertragen und hinsichtlich des Papstnamens und der Datierung aktualisiert wurde. Bezeichnenderweise konnte die Bearbeitung der Forma scribendi privilegium, die später Eingang in den Liber Cancellarie II fand, in den gleichen Zeitraum datiert werden. Demnach könnte auch das Privilegienmuster in Ottob. lat. 747 wiederum als illustrierende Ergänzung zu den theoretischen Erklärungen der kurialen Privilegienlehre gedient haben. Die zeitgleichen Entwicklungsschritte lassen jedenfalls eine gemeinsame Tradition der beiden Quellen vermuten. Insgesamt scheint es unter Clemens VI. in der Kanzlei verstärkte Bemühungen gegeben zu haben, Vorlagen für die Herstellung von Privilegien bereitzustellen. Dazu passt auch die Beobachtung, dass seit dem Pontifikat dieses Papstes regelmäßig die vollständigen Unterfertigungen der Privilegien in die päpstlichen Register eingetragen wurden.1161 Offenbar wurde ihr Fehlen in den älteren Registerbänden nach deren Ankunft in Avignon 1339 erkannt und als Mangel empfunden, der umgehend behoben wurde. Diese vermehrte Aufzeichnung und Überarbeitung der Regeln und Vorlagen zur Ausstattung von Privilegien fand in einer Phase der Stabilität für die päpstliche Kurie statt. Nach der endgültigen Übersiedlung nach Avignon unter Johannes XXII. hatte man sich dort in der Zeit Clemens’ VI. eingerichtet. 1348 konnte Clemens die Stadt Avignon erwerben, die eigentlich zum Machtbereich der Anjou gehörte, der Papstpalast als Zentrum der päpstlichen Regierung wurde weiter ausgebaut. Aufbauend auf diesen Grundlagen konnten nach vielen unsteten Jahrzehnten endlich effektive, ortsstabile und damit kontinuierliche Verwaltungsstrukturen etabliert werden, um dem vermehrten Geschäftsanfall 1160 Feigl, Registrierung, S. 117. 1161 Krafft, Bene Valete, S. 155; Denifle, Specimina, S. 12. Auch unter Innozenz IV., als Privilegien noch in großem Umfang ausgefertigt wurden, waren bei deren Registrierung zumindest teilweise die Unterfertigungszeichen und Kardinalsunterschriften mit in das Register aufgenommen worden; vgl. Baumgarten, Miscellanea, S. 123*; Berger, Registres Innocent IV 1, S. XVI; Hageneder, Register, S. 65. Seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts war dies offenbar nicht mehr der Fall.
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gerecht zu werden.1162 Vor diesem Hintergrund ist auch die Anlage des Liber Cancellarie II unter Clemens VI. zu betrachten.1163 Ob die zunehmende Bereitstellung von Vorlagen zur Privilegiengestaltung in der Mitte des 14. Jahrhunderts auch mit einer gesteigerten Ausfertigung dieser Urkundenart einherging, lässt sich nur schwer beurteilen, da keine repräsentativen Angaben zu den im 14. Jahrhundert ausgestellten Privilegien vorliegen. Die bisher bekannt gewordene Überlieferung deutet in der Tat auf eine minimale Zunahme der Privilegienausfertigung in der Mitte des Jahrhunderts hin, für einen eindeutigen Befund ist der Forschungsstand aber nicht ausreichend.1164 Allerdings sind eindeutige zeitliche Parallelen zu den Entwicklungen im Kardinalskollegium und dessen Verhältnis zum Papst feststellbar. Seit der Jahrhundertwende büßte das Konsistorium als Gremium zunehmend an Bedeutung ein. Zur Klärung juristischer wie politischer Probleme wurden gehäuft Kommissionen aus zumeist drei Kardinälen eingerichtet, dem Konsistorium wurden lediglich die bereits erzielten Ergebnisse zur abschließenden Diskussion vorgelegt. Dieses Vorgehen stärkte die Position einzelner Kardinäle, auf die Autorität des Kardinalats als Gesamtheit wirkte es sich allerdings negativ aus.1165 Die Kardinäle bezogen ihre Legitimität zunehmend aus ihrer Stellung als Kirchenfürsten, ihre Partizipation an der päpstlichen plenitudo potestatis war allerdings nie juristisch abgesichert worden und wurde unter dem stark monarchisch agierenden Clemens VI. sogar deutlich eingeschränkt.1166 Dieser Papst betrachtete das Kardinalskolleg zwar als zentrale Stütze des Papsttums, verlangte von den einzelnen Mitgliedern aber bedingungslosen Gehorsam, Loyalität sowie die Unterordnung unter seinen Willen. Diese autokratischen Vorstellungen verwirklichte er auch dadurch, dass er vorran1162 Schimmelpfennig, Papsttum, S. 224–229. 1163 Siehe oben Kapitel 4.4.3, S. 214. 1164 In den Bänden des Censimento sind aus der Zeit nach Bonifaz VIII. keine Privilegien verzeichnet. Da die Register der avignonesischen Päpste bisher nur unvollständig bearbeitet wurden, lassen sich auch seitens der Ausstellerüberlieferung keine gesicherten Aussagen treffen. Zu einem Privileg Benedikts XII. (1334–1342) in Form eines Libells vgl. Battelli, Acta Pontificum, Nr. 25. Maleczek, Autographen, S. 72 f. Anm. 12, verweist aus den noch unbearbeiteten Registerbänden des 14. Jahrhunderts auf drei Privilegien Clemens’ VI. (1342–1352) und drei Privilegien Innozenz’ VI. (1352–1362); vgl. auch Zutshi, Changes, S. 242 f.; Krafft, Bene Valete, S. 155. Die Abbildung eines der registrierten Privilegien Clemens’ VI. aus dem Jahr 1350 findet sich bei Denifle, Specimina, Tafel 58. Ein weiteres Privileg Clemens’ VI. bespricht Prinet, Seings. Eines der registrierten Privilegien Innozenz’ VI. aus dem Jahr 1360 ist bei Santifaller, Bemerkungen (Abb.), abgebildet. In den Registern Urbans V. (1362–1370) (Hayez, Urbain V 2, Nr. 6332) und Gregors XI. (1370–1378) (Hayez, Gregoire XI 3, Nr. 12252) ist jeweils ein Privileg verzeichnet. 1165 Anheim/Beattie/Lützelschwab, Kardinäle, S. 266–270. 1166 Anheim/Beattie/Lützelschwab, Kardinäle, S. 259–263; Lützelschwab, Flectat, S. 324–326; Lulvès, Machtbestrebungen des Kardinalats, S. 94–102.
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gig Verwandte in den Kardinalsstand erhob. Die oligarchischen Bestrebungen der Kardinäle wurden unter Clemens VI. wirkungsvoll zurückgedrängt, selbständiges Handeln ohne päpstliches Placet gestand er selbst den Kardinallegaten nicht zu.1167 Vor diesem Hintergrund wurden in den Reihen der Kardinäle seit den 1340er-Jahren Forderungen nach garantierter Teilhabe laut, die schließlich in der Wahlkapitulation von 1352 gipfelten. Diese wurde im Zuge des Konklaves zur Wahl Innozenz’ VI. von den Kardinälen mit dem Ziel verfasst, die Verfügungsgewalt des künftigen Papstes über das Kirchengut und vor allem auch das Kardinalat massiv einzuschränken.1168 Nachdem dieser Versuch misslungen war, ebbten die doktrinären Debatten über das Verhältnis zwischen Papst und Kardinälen zunächst ab, bis sie mit dem Schisma seit 1378 erneut in den Mittelpunkt rückten.1169 Die gehäufte Erarbeitung von Regeln und Mustern zur Privilegiengestaltung erfolgte demnach zu eben jenem Zeitpunkt, als der zwar nie offen ausgetragene, aber permanent im Hintergrund schwelende Konflikt über die Stellung der Kardinäle in der spätmittelalterlichen Kirche einen Höhepunkt erreichte. Das erneut aufflam mende Interesse an der Urkundengattung Privileg kann somit wiederum mit konkreten Bemühungen der Kardinäle um faktische Mitwirkung an der päpstlichen Kirchenherrschaft in Zusammenhang gebracht werden. Als Vizekanzler war zu diesem Zeitpunkt Petrus de Pratis (Pierre des Prés) tätig, er trug den Kardinalshut bereits seit dem Jahr 1320, die Kanzleileitung hatte er seit 1325 inne.1170 Petrus konnte somit während des Pontifikats Clemens’ VI. bereits auf langjährige Erfahrung und zwei Konklave zurückblicken. Möglicherweise engagierte er sich in seiner einflussreichen Position für die Aufzeichnung der Hilfsmittel zur Ausstattung von Privilegien, um die Macht des Kardinalskollegiums insgesamt zu stärken. Die erläuternden Notizen, die das Musterprivileg in Ottob. lat. 747 ergänzen und unter anderem die Beteiligung des Vizekanzlers an der Ausfertigung der Urkunden behandeln, könnten somit direkt auf Pierre des Prés zurückgehen. 4.4.5 Gestaltungsregeln in Ross. 476 Der jüngste bekannte Regeltext zur Privilegiengestaltung stammt aus den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts. Er ist Teil der unter Gregor XI. (1370−1378) 1167 Lützelschwab, Flectat, S. 321–329. 1168 Anheim/Beattie/Lützelschwab, Kardinäle, S. 279–281; Lützelschwab, Flectat, S. 328 f.; Lulvès, Machtbestrebungen des Kardinalkollegiums, S. 469 f.; Lulvès, Machtbestrebungen des Kardinalats, S. 94–102; Krüger, Überlieferung, S. 229 f.; Becker, Wahlkapitulationen, S. 22 f. 1169 Anheim/Beattie/Lützelschwab, Kardinäle, S. 263. 1170 Herde, Audientia 1, S. 172; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 259 f.; Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 105−107; Lützelschwab, Flectat, S. 488−490; Beattie, John XXII, S. 149, 157–159.
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durch Kanzleimitarbeiter und möglicherweise auf Veranlassung der Kanzleileitung angelegten Neuredaktion des Formularium audientiae, die bis in den Pontifikat Gregors XII. (1406−1415) in der römischen Kanzlei in Gebrauch war.1171 Die Handschrift enthält Vorgaben zur Ausstattung verschiedener Kategorien von Gratialurkunden, deren Ausfertigung im 14. Jahrhundert einem von den Justizbriefen separaten Geschäftsgang folgte.1172 Der Codex Rossianus 476, der die Gesamtheit der gratiose behandelt, dürfte als Hilfsmittel für Skriptoren angelegt worden sein, die sich auf diese aufwendigeren Urkundenarten spezialisiert hatten. Dabei wurden auch die Privilegien berücksichtigt, was als deutlicher Hinweis darauf gelten kann, dass die seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts greifbaren Bemühungen, diese Urkundengattung vor dem endgültigen Aussterben zu bewahren, auch gegen Ende des Jahrhunderts weiter aufrechterhalten wurden, obwohl sie in der Praxis der Kanzlei zu dieser Zeit kaum noch eine Rolle spielte.1173 Ungeachtet ihres Bedeutungsverlustes ist der Ausstattung der Privilegien in Ross. 476 eine gesamte Seite gewidmet.1174 Deren ursprünglicher Textbestand behandelt sowohl die Unterfertigungszeichen des Eschatokolls als auch die Gestaltung des Kontextes. Allerdings wurden im Gegensatz zur Forma scribendi privilegium die einzelnen Merkmale nicht dem Aufbau eines Privilegs entsprechend vom Protokoll bis zur Datierung der Reihe nach betrachtet, sondern stattdessen die Unterfertigungszeichen gleich zu Beginn und noch vor dem Kontext beschrieben. Die theoretischen Erläuterungen wurden wiederum durch Beispielzeichnungen zu den einzelnen Bestandteilen des Eschatokolls ergänzt, wobei auch diese nicht gemäß ihrer Platzierung auf dem Privileg angeordnet, sondern am Seitenrand neben den entsprechenden Textabschnitten oder sogar innerhalb des Fließtextes eingetragen wurden. Sie illustrieren somit zwar im Detail die Gestaltung der einzelnen Unterfertigungen, allerdings nicht deren Arrangement auf dem Pergament – das Layout wird erst in einem späteren Nachtrag spezifiziert.1175 Bei den Einträgen und Musterzeichnungen auf dieser Seite handelt es sich demnach nicht um eine systematisch konzipierte Vorlage, in der von vornherein alle relevanten Ausstattungsmerkmale berücksichtigt wurden und anhand derer ein optischer Gesamteindruck der Urkunde vermittelt werden sollte. Im Zentrum stand ursprünglich wohl eine eingehende Erörterung der Unterfertigungszeichen, die in der Folge nach und nach um zusätzliche Details zur Privilegiengestaltung erweitert 1171 Ross. 476; siehe oben Kapitel 4.3.4, S. 138. 1172 Siehe oben Kapitel 2.2, S. 29. 1173 Aus dem Pontifikat Gregors XI. ist nur ein Privileg bekannt (Hayez, Gregoire XI 3, Nr. 12252), siehe oben Anm. 1164. 1174 Ross. 476, fol. 59v. Bei Perarnau, Documentación, S. 640, wird der Inhalt der Seite beschrieben als Notulae de signatura papae, de litteris maiusculis adhibendis in documentis concelleriae [sic!] etc. 1175 Siehe unten Kapitel 4.4.6.4, S. 262.
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wurde; diese umfassen dann auch Angaben zu Protokoll, Datierung und Kardinals unterschriften. Genau wie das Musterprivileg in Ottob. lat. 747 könnte auch diese Regelsammlung als Ergänzung zu den Vorschriften in der Forma scribendi privilegium angelegt worden sein. Sowohl die theoretischen Erläuterungen als auch die Beispielzeichnungen sind sehr detailliert und dürften sich gut als Hilfsmittel für die Herstellung von Privilegien geeignet haben. Neben den präzisen Gestaltungsvorgaben enthalten die verschiedenen Textabschnitte aber auch Hinweise zur Bedeutung und Interpretation der graphischen Zeichen des Eschatokolls – eine singuläre Erscheinung in den untersuchten Quellen. Offenbar gab es im Kontext der Anlage dieser Handschrift Bemühungen, alle noch vorhandenen Kenntnisse über die päpstlichen Privilegien zusammenzutragen und an einer Stelle zu bündeln, um dieses Wissen dauerhaft zu erhalten. Angestrebt wurde demnach nicht allein der formale Fortbestand des Privilegs, auch der symbolische Gehalt der einzelnen Urkundenmerkmale sollte bewahrt werden. Das deutet auf eine intensive Auseinandersetzung mit dieser seit einem Jahrhundert kaum noch relevanten Urkundenart im Umfeld der Kanzlei hin. In dieselbe Richtung weist die wenigstens in Teilen rekonstruierbare Genese dieser Vorschriftensammlung. Die Strukturierung der Einträge auf der Seite sowie der in den Beispielen verwendete Papstname Gregorius lassen darauf schließen, dass der Grundbestand der Regeln zur Privilegienherstellung noch während des Pontifikats Gregors XI. in die Handschrift integriert wurde.1176 Die Nachzeichnung eines Benevalete entspricht der im 14. Jahrhundert üblichen Gestaltung und dürfte aus einer Vorlage dieser Zeit übernommen worden sein, möglicherweise sogar aus dem Musterprivileg in Ottob. lat. 747 oder dem Liber Cancellarie II Dietrichs von Nieheim, die beide gleichartig gestaltete Monogramme beinhalten. Bemerkenswert ist aber, dass auch einige der Beispiele im ursprünglichen Textbestand auf Honorius III. (1216−1227) verweisen. Die Musterzeichnung einer Rota enthält den Namen und die Devise dieses Papstes, zudem nennt ein Beispiel für eine päpstliche Subskription den Namen Honorius. Darüber hinaus findet sich auf der Seite ein zweites Benevalete-Monogramm, dessen Form ebenfalls auf Honorius III. zurückgeht. Offenbar wurde zur Erarbeitung der Regeln neben Urkunden oder Nachschlagewerken des 14. Jahrhunderts zusätzlich eine ältere Vorlage aus dem frühen 13. Jahrhundert herangezogen, möglicherweise ein Original Honorius’ III., das in der Kanzlei im Zusammenhang mit einer Privilegienbestätigung vorgelegt worden war. Der Rückgriff auf ein eineinhalb Jahrhunderte altes Muster deutet jedenfalls darauf hin, dass diejenigen Personen, die sich für die Aufzeichnung der Gestaltungsregeln engagierten, bewusst an die Vorbilder aus einer Zeit anknüpften, in der Privilegien noch regelmäßig und in großer Zahl ausgefertigt wurden. 1176 Siehe zum Folgenden auch unten Kapitel 4.4.6.4 ab S. 263.
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Der letzte Nachtrag auf dieser Seite der Handschrift geht auf die Kardinalsunterschriften sowie die Datierung der Privilegien ein. Er folgt auf den bereits ausführlich besprochenen Hinweis zur Christianisierung der litauischen Könige1177 und ist wahrscheinlich kurze Zeit später, also nach 1388, gleichzeitig mit der Erläuterung zur Positionierung der Unterfertigungszeichen ergänzt worden. Während für die ursprüngliche Anlage der Handschrift und der Regeln zur Privilegiengestaltung Bartholomäus Prignano, der spätere Urban VI., als römischer regens cancellariam verantwortlich gewesen sein dürfte,1178 könnten die genannten Nachträge auf Anregung von Franciscus Moricotti Prignano, seit 1382 regens cancellariam und in den Jahren 1385 bis 1394 Vizekanzler, entstanden sein.1179 Nach dessen Tod blieb das Amt bis 1405 unbesetzt, als stellvertretender Leiter der Kanzlei fungierte Bartholomäus Francisci de la Capra, der allerdings nie zum Kardinal erhoben wurde.1180 Das wahrscheinlich durch die Kanzleileitung veranlasste erneute Aufgreifen der Gestaltungsregeln für das Privilegieneschatokoll und speziell für die Kardinals unterschriften zum Ende des 14. Jahrhunderts lässt wiederum Zusammenhänge mit konkreten Ambitionen des Kardinalskollegiums im Kontext des Abendländischen Schismas seit 1378 vermuten. Nach der Wahl Urbans VI. (1378–1389) kam es aufgrund enttäuschter Erwartungen zu einer raschen Entfremdung zwischen Papst und Kardinälen. Dies führte noch im gleichen Jahr zur Wahl Clemens’ VII. und damit zur Entstehung von zwei konkurrierenden Kurien mit jeweils eigenen Kardinalskollegien, denn Urban weihte zahlreiche neue Kardinäle, nachdem er von denjenigen für abgesetzt erklärt worden war, die ihn gewählt hatten.1181 In der Folge wurden die Kardinalskollegien jedoch grundsätzlich in allen Obödienzen des Schismas als unverzichtbare Verbündete des jeweiligen Papstes anerkannt, auch von Urban VI. Obwohl dementsprechend zunächst keine direkten Konflikte um die Rollenverteilung in der Kirchenregierung entstanden, gab es dennoch zunehmend Bemühungen, die päpstliche Machtbefugnis zugunsten der Kardinäle einzuschränken, und zwar primär im Hinblick auf Fragen des Schismas beziehungsweise der angestrebten Kirchenunion. Diese Bestrebungen kulminierten in der römischen Obödienz in den Wahlkapitulationen von 1404 und 1406, in denen der künftige Pontifex zur Lösung des Schismas verpflichtet und die Kardinäle zum maßgeblichen Kontrollorgan der Vorgänge erklärt und damit autorisiert wurden, die Realisierung der Forderungen gegenüber dem Papst mithilfe aller zur Verfügung stehenden Druckmittel durchzusetzen.1182 1177 Siehe oben Kapitel 4.3.4, S. 140. 1178 Siehe oben Kapitel 4.3.4, S. 146. 1179 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 262. 1180 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 262. 1181 Genequand, Kardinäle, S. 304–309; Maleczek, Autographen, S. 127−140; Lulvès, Machtbestrebungen des Kardinalkollegiums, S. 471 f. 1182 Genequand, Kardinäle, S. 315–322; Maleczek, Autographen, S. 142−147; Krüger, Über-
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Vor dem Hintergrund dieses sich neu entwickelnden Rollenverständnisses des Kollegiums dürfte auch die Beteiligung an der päpstlichen Urkundenausfertigung wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt sein. Eventuell gelangte die Handschrift auch in diesem Kontext in den Besitz des Kardinals Domenico Capranica.1183 Auch jenseits des traditionellen päpstlichen Kanzleiwesens stellten die Kardinäle seit der Wende zum 15. Jahrhundert zunehmend gemeinsam Urkunden aus und demonstrierten damit ihre Macht als Kollegium. Um das Jahr 1404 kamen die von mehreren Kardinälen gewährten, häufig sehr großformatigen und prächtig ausgestatteten Sammelablässe auf.1184 Etwa zehn Jahre später formulierten sie dann auf dem Konstanzer Konzil erstmals konkret den Anspruch, stärker an der Ausfertigung päpstlicher Urkunden beteiligt zu werden.1185 Manifestiert hatte sich dieser bereits seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts im Rahmen der Entwicklung von Regeln und Vorlagen zur Privilegiengestaltung. Die Kardinäle konnten ihre Forderung schließlich durchsetzen: In seiner Wahlkapitulation von 1431 sicherte Eugen IV. ihnen die Mitwirkung an wichtigen Dokumenten zu, was letztlich zur Entstehung der Konsistorialbulle führte.1186 4.4.6 Inhaltliche Entwicklung der Gestaltungsregeln und -vorlagen Bei den Quellen zur Privilegiengestaltung handelt es sich, im Gegensatz zu den Ausstattungsregeln für litterae, nicht um verschiedene Bearbeitungsstufen eines fortlaufend tradierten Textbestandes. Allerdings weisen zumindest die drei im 14. Jahrhundert entstandenen Quellen durchaus parallele Entwicklungslinien auf, sie scheinen sich gegenseitig zu ergänzen und teilweise sogar aufeinander aufzubauen. Aus diesem Grund sollen im Folgenden auch die Gestaltungsregeln und -vorlagen für Privilegien entlang der darin berücksichtigten Urkundenmerkmale im Hinblick auf ihre inhaltliche Entwicklung von den 1260er-Jahren bis zum Ende des 14. Jahrhunderts untersucht werden. Als Bezugspunkt dienen dabei die beiden erhaltenen Versionen der Forma scribendi privilegium, deren vergleichende Betrachtung weitere Erkenntnisse zur Genese dieses Regeltextes verspricht. Darüber hinaus können anhand der älteren Fassung mögliche Einflüsse der Gestaltungvorgaben aus dem lieferung, S. 232; Becker, Wahlkapitulationen, S. 20 f.; Lulvès, Machtbestrebungen des Kardinalkollegiums, S. 472–475. 1183 Siehe oben Kapitel 4.3.4, S. 139. 1184 Seibold, Sammelindulgenzen, S. 194 f., 197–200. 1185 Dendorfer/Märtl, Papst, S. 348; Krüger, Konsistorialurkunden, S. 360. 1186 Dendorfer/Märtl, Papst, S. 339 f., 348; Krüger, Konsistorialurkunden, S. 359 f., 363; Krüger, Überlieferung, S. 234–237; Maleczek, Autographen, S. 73; Maleczek, Unterschriften, S. 244. Eine Vorlage zur Gestaltung des Eschatokolls der Konsistorialbullen samt Kardinalsunterschriften wurde in der Mitte des 15. Jahrhunderts in den Liber Cancellarie II eingetragen; siehe oben Kapitel 4.4.3, S. 214.
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13. Jahrhundert auf die Privilegienlehren des 14. Jahrhunderts ermittelt werden, die jüngere, im Liber Cancellarie II überlieferte Bearbeitung der Forma erlaubt im Vergleich mit den beiden späteren Quellen zur Privilegienausstattung Rückschlüsse auf die gegenseitigen Abhängigkeiten dieser Texte und Mustervorlagen. 4.4.6.1 Layout Der erste Eindruck eines päpstlichen Privilegs wird vor allem durch die Größe des Pergaments und das grundsätzliche Layout von Text und Unterfertigungszeichen geprägt. Dennoch werden diese Merkmale in den Regeln zur Privilegiengestaltung, die in der mittelalterlichen päpstlichen Kanzlei schriftlich festgehalten wurden, nur am Rande berücksichtigt. Was den Beschreibstoff betrifft, sind gar keine Vorgaben überliefert. Das ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass im 14. Jahrhundert die Verwendung von einseitig geschabtem Schafspergament in der päpstlichen Kanzlei längst Standard war. Die in dieser Hinsicht für die Briefe aufgezeichneten Vorschriften hatten damit auch für die Privilegien Geltung.1187 Im Kontext der litterae-Gestaltung wurde ebenfalls bereits festgestellt, dass in den Regularien keinerlei Vorgaben für Größe und Zuschnitt des Pergaments gemacht wurden, dasselbe gilt auch für die Privilegien. Die Originale zeigen, dass sie im 13. Jahrhundert durchschnittlich in der Höhe etwa 70 cm und in der Breite 50 bis 60 cm maßen, im 14. Jahrhundert kamen auch wesentlich größere Stücke von bis zu zwei mal zwei Metern vor. Die Privilegien wiesen zu Beginn des 13. Jahrhunderts noch ein deutliches Hochformat auf, das sich allerdings zunehmend – dem allgemeinen Trend zum Querformat folgend – dem Quadrat annäherte.1188 Zum Layout des Textblocks enthält nur eine einzige Quelle konkrete Regelungen, nämlich die Erläuterung zur Urkundenausstattung im Speculum iudiciale. Dort ist festgelegt, dass das Protokoll eines Privilegs vollständig in der ersten Zeile Platz finden soll, und zwar so, dass die drei die Zeile beschließenden Punkte noch innerhalb der Seitenlinie, infra lineam lateralem, stehen.1189 Auch für die Privilegienherstellung waren demnach die Pergamente zu liniieren, die gleichmäßige Zeilenlänge wurde durch seitliche Begrenzungslinien garantiert. Weiterführende Hinweise zur Liniierung und zu ihrer Bedeutung für die Zeilengestaltung wurden weder in diesem Text noch in den Privilegienlehren des 14. Jahrhunderts verschriftlicht.
1187 Zu den Vorgaben zum Beschreibstoff im Kontext der litterae siehe oben Kapitel 4.3.5.1, S. 148. 1188 Bischoff, Urkundenformate, S. 62; Herde, Beiträge, S. 58. 1189 Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 16: Et debet hoc salutatio scribi litteris longis, et tota debet poni in una linea, ita quod tria ultima puncta retorta, que consueverunt poni post in perpetuum, non fiant extra sed intra lineam lateralem.
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An den Originalen lässt sich feststellen, dass die Ränder der Privilegien seit dem 12. Jahrhundert zunehmend breiter wurden. Der dadurch verlorene Raum wurde durch engere Zeilenabstände ausgeglichen, die Zeilenhöhe wurde deutlich reduziert. Außerdem wuchs die Textmenge in den Urkunden, beispielsweise dadurch, dass ältere Privilegien als Insert in den Text aufgenommen wurden, was die gedrängtere Gestaltung des Textblocks und damit eine Angleichung an die litterae zusätzlich beförderte. Auf diese Weise wurde der optische Gesamteindruck der Urkunden nachhaltig verändert.1190 Abgesehen von dem Hinweis im Speculum iudiciale betreffen nur wenige Regeln das Layout der Privilegien. Da die übrigen Vorschriften ausschließlich die Platzierung der Unterfertigungen im Eschatokoll thematisieren, werden sie gesondert im Kontext der Vorgaben zu den Unterfertigungen betrachtet.1191 Allerdings wurde in der Mitte des 14. Jahrhunderts in der Kanzlei ein Hilfsmittel geschaffen, das diesen Mangel an Regelungen zur Gesamtkonzeption der Urkunden in Teilen behob, nämlich das Musterprivileg in Ottob. lat. 747.1192 Es verdeutlicht das angestrebte Layout in Form einer reduzierten Nachzeichnung eines (beinahe) vollständigen Privilegs. Ablesbar sind die gleichmäßige Zeilenhöhe und -länge, die Größe der Papstinitiale und der übrigen Protokollzeile im Verhältnis zum Kontext sowie Format und Positionierung der päpstlichen Unterfertigungen. Das Musterprivileg vermittelt dennoch kein vollständiges Bild. Da der Kontext stark gekürzt ist, ist seine Dimension im Gesamtlayout der Urkunde nicht ersichtlich, außerdem fehlen die Kardinalsunterschriften, die auf den Originalen viel Raum einnehmen (vgl. Abb. 4). Im Rahmen des Geschäftsgangs der Kanzlei waren an der Ausfertigung von Privilegien mehrere Personen beteiligt, sie wurden also nicht vollständig von einem einzelnen Skriptor hergestellt. Wahrscheinlich übernahm ein Schreiber den Zuschnitt des Pergaments und die Eintragung des Kontextes, für die Herstellung der verzierten Buchstaben des Protokolls und die Zeichnung der Unterfertigungen könnte zusätzlich ein eigens dafür ausgebildeter Spezialist, beispielsweise ein erfahrener Skriptor oder Abbreviator, herangezogen worden sein. Schließlich führte der Papst Teile der Unterfertigungen persönlich aus, dasselbe galt für die Kardinäle.1193 An der Eintragung der Datierung war darüber hinaus der Vizekanzler beteiligt.1194 Für den Schreiber, der die grundsätzliche Anlage des Privilegs besorgte, war es demnach unmöglich, das Layout komplett selbständig zu bestimmen. Er gab aber die Grundstruktur vor, indem er die Ausmaße der Seitenränder festlegte 1190 Kruska, Zeilen, S. 237–239. 1191 Siehe unten Kapitel 4.4.6.4, S. 253. 1192 Ottob. lat. 747, fol. 51v–52r. 1193 Siehe unten Kapitel 4.4.6.4, S. 253 und Kapitel 4.4.6.5, S. 271. 1194 Siehe unten Kapitel 4.4.6.6, S. 276.
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Abb. 4: Musterprivileg in Ottob. lat. 747, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
und gleichzeitig den Kontext so formatierte, dass genug Raum für das Eschatokoll übrigblieb. Das Musterprivileg ist darauf ausgelegt, sowohl für diese Aufgabe als auch für die Gestaltung der päpstlichen Unterfertigungen als Arbeitsvorlage dienen zu können. 4.4.6.2 Protokoll Das Protokoll der Privilegien umfasst die Intitulatio, bestehend aus dem Papstnamen und dem Titel episcopus servus servorum Dei, die Adresse und die stets gekürzte Verewigungsformel INPPM (in perpetuum). Schon im 12. Jahrhundert war es Standard, dass die erste Zeile der Privilegien durch Majuskelbuchstaben hervorgehoben wurde, woraus sich die als Elongata bezeichnete Auszeichnungsschrift mit stark nach oben verlängerten Buchstaben entwickelte. Außerdem wurden der Papstname und die Verewigungsformel zusätzlich ausgeschmückt.1195 Das INPPM wurde dabei als Majuskelligatur umgesetzt und bildete, gemeinsam mit der zuneh-
1195 Rabikauskas, Diplomatica pontifica, S. 35; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 91; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 378–380; Delisle, Mémoire, S. 28; Berger, Registres Innocent IV 1, S. XXVII f. Die Entwicklung der Elongata beschreibt Bromm, Entwicklung der Elongata, S. 31−62.
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mend aufwendiger ausgeschmückten Initiale des Papstnamens, ein graphisches Gegengewicht zu den Unterfertigungszeichen.1196 Die früheste schriftliche Erläuterung zu diesen Urkundenbestandteilen findet sich in den Ausstattungsvorschriften des Speculum iudiciale. Dort ist ein vollständiges Privilegienprotokoll wiedergegeben, das als titulus1197 oder salutatio bezeichnet wird:1198 Clemens episcopus servus servorum Dei. Dilectis filiis . . abbati talis loci eiusque fratribus tam presentibus quam futuris regularem vitam professis in perpetuum.1199 Das Beispiel lässt darauf schließen, dass dem Verfasser des Textes ein Exemtionsprivileg für ein Kloster als Vorlage diente. Die verschiedenen im Protokoll gebräuchlichen Kürzungen, wie beispielsweise das markante INPPM, wurden in dem Muster nicht umgesetzt, und auch der Text geht nicht auf diese Gestaltungsfragen ein.1200 Betont wird dagegen, dass nach dem in perpetuum, welches das Protokoll abschließt, am Ende der Zeile noch drei Zeichen gesetzt werden sollen, die sogenannten puncta retorta.1201 Es handelt sich dabei um drei meist im Dreieck angeordnete Punkte, Striche oder Schleifen, die möglicherweise die Weiterentwicklung eines Satzzeichens waren, das ursprünglich das Ende der Protokollformel mar kierte.1202 Weiterhin besagen die Regeln im Speculum, dass das komplette Protokoll in litteris longis auszuführen sei.1203 Die Vorschrift erscheint äußerst unkonkret, da es im 13. Jahrhundert längst üblich war, sowohl den Papstnamen als auch den ersten Buchstaben der Adresse sowie das INPPM zusätzlich hervorzuheben.1204 Möglicherweise geht der Text auf eine ältere Vorlage zurück, beispielsweise auf ein Privileg aus dem 12. Jahrhundert, in dem die Ausstattung der einzelnen Merkmale noch nicht ausgeprägt war. Wahrscheinlicher ist, dass die Verfasser keine konkreten Bezeichnungen für die unterschiedlichen Auszeichnungsschriften kannten, aber eine 1196 Kordes, Einfluss, S. 210; Krafft, Bene Valete, S. 159. 1197 Titulus oder linea titularis war eine Bezeichnung der Zeitgenossen für die verlängerte Auszeichnungsschrift (Elongata) der ersten Zeile; vgl. Herde, Audientia 1, S. 1; Heckel, Kanzleianweisung, S. 118. 1198 Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 16: Item titulus sive salutatio privilegiorum talis est. 1199 Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 16. 1200 Im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22va, weist das Privilegienprotokoll einige Abkürzungen auf, von denen die meisten allerdings nicht den in Kapitel 4.3.5.5, S. 181, vorgestellten Regelungen der päpstlichen Kanzlei entsprechen: Cle. eps servus servo dei dilectis filiis abbati tal’ loci eiusque fratrib9 ta̅ pnt̅ibus q̅ futuris regulare̅ vita̅ fessis in etuu̅. 1201 Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 16: […] tria ultima puncta retorta, que consueve runt poni post „in perpertuum“ […]. 1202 Heckel, Kanzleianweisung, S. 118; Frenz, Symbole, S. 404 f.; Santifaller, Neugestaltung, S. 36–38; Dahlhaus, Aufkommen, S. 9. 1203 Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 16: Et debet hoc salutatio scribi litteris longis […]. 1204 Heckel, Kanzleianweisung, S. 118.
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langwierige Beschreibung vermeiden wollten, zumal die in dieser Version der Gestaltungsvorschriften aufgezeichneten Regelungen die Privilegien nur am Rande und in Abgrenzung zu den litterae berücksichtigen. Andererseits wird deutlich darauf hingewiesen, dass das gesamte Protokoll samt den puncta retorta in einer Zeile Platz finden soll.1205 Für die litterae war eine derart konkrete Vorgabe nie formuliert worden, deshalb hielt man diese Eigenart der Privilegien wohl für erwähnenswert. In der Forma scribendi privilegium im Liber Cancellarie II sind die Angaben zur Gestaltung des Protokolls zwar wesentlich detaillierter, aufgrund einer Entstellung des Textes aber auch unvollständig und schwer zu interpretieren. Zunächst ist dort festgelegt, dass der Papstname in dicken und verzierten Buchstaben ausgeführt werden soll.1206 Im Anschluss daran folgt eine Beschreibung der übrigen Protokollzeile, die offensichtliche textliche Mängel aufweist, welche auf einen Textverlust im Laufe der Überlieferung zurückzuführen sind. Sie lautet: „Servus servorum dei“ usque ad locum „in perpetuum“ debet scribi debet abbreviatum de litteris miniatis ut est hic: IN PPM, et in fine prime linee debet compleri scilicet imperpetuum, ut est supra.1207 Tangl rekonstruierte den Satz auf Basis der Ausstattungsvorschriften des Formularium audientiae für Seidenschnurbriefe folgendermaßen: Servus servorum dei usque ad locum inperpetuum debet scribi totum de litteris magnis et de linea ad lineam attingentibus. In perpetuum scribi debet abbreviatum de litteris miniatis ut est hic etc.1208 Ein Blick in die Frühform der Forma scribendi privilegium in der Handschrift Ottob. lat. 762 trägt an dieser Stelle immens zur Aufklärung bei, da sie eine vollständige Beschreibung des Protokolls aufweist. Diese lautet: Cetere autem littere in prima linea debent esse elevate cum simplici tractu penne ad equalem altitudinem cum 1205 Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 16: Et debet hoc salutatio scribi litteris longis, et tota debet poni in una linea, ita quod tria ultima puncta retorta, que consueverunt poni post „in perpetuum“, non fiant extra sed intra lineam lateralem. 1206 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 303, Abschnitt 1: Nomen papa debet esse de grossis litteris ut sunt minee. Das Wort minee, genau wie der in den nächsten Abschnitten verwendete Ausdruck littera miniata, bezeichnete offenbar die Vergrößerung und Schwärzung von Buchstaben, was in den Texten zur Ausstattung der litterae oft mit apex umschrieben wurde; vgl. Krafft, Illustrationen, S. 94. Die Frühversion des Textes in der Handschrift Ottob. lat. 762 hat folgenden Text: In primis nomen domini pape debet esse cum litteris grossis elevatis et corpulentis. 1207 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 303, Abschnitt 2. Delisle, Mémoire, S. 73, schlug vor, diese Passage folgendermaßen umzuformulieren, um ihren Sinn wiederherzustellen: Servus servorum Dei usque ad locum im (sic!) perpetuum debet scribi de litteris miniatis, ut est hic. Im (sic!) perpetuum debet esse abbreviatum, et in fine linee debet compleri, scilicet IN PPM, ut est supra. Vgl. auch Winkelmann, Kanzleiordnungen, S. 34 f. Dem hielt schon Tangl berechtigterweise entgegen, dass eine Auslassung innerhalb des Textes, und zwar zwischen dem ersten und zweiten debet, viel wahrscheinlicher sei als die überflüssige Hinzufügung des Wortes abbreviatum, das Delisle in seiner Version tilgte. 1208 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 303 f.
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litteris nominis papalis, illo „d“ excepte, quod in prima linea ponitur in illa dictione „dilectis“, quod „d“ debet esse grossum elevatum et corpulentum sicut littere nominis papalis. Debet etiam tota salutatio esse in prima linea et finiri in dictione imperpetuum, que dictio sit elevata cum grossis litteris sicut nomen papale et sit abbreviata in hunc modum: „INPPM“.1209 Der Textverlust in der Bearbeitung im Kanzleibuch ist demnach sogar noch deutlich größer als von Tangl angenommen, ursprünglich wurde die Elongierung der Protokollzeile, die Hervorhebung des ersten Buchstabens der Adresse sowie die Gestaltung des INPPM erläutert, außerdem wurde vorgegeben, dass das gesamte Protokoll in der ersten Zeile Platz finden soll. Die Beschreibung in dieser älteren Überlieferung der Forma scribendi privilegium ist sehr detailliert, vor allem im Hinblick auf die Formgebung der einzelnen Buchstaben und Formeln. Demnach ist zu konstatieren, dass es im Laufe der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu einer deutlichen und vor allem sinnentstellenden Verschlechterung des Textes gekommen war. Der nur in dieser frühen Version enthaltene Hinweis darauf, dass die gesamte Protokollformel in der ersten Zeile der Urkunde unterzubringen sei, könnte auf die inhaltsgleiche Vorgabe in den Ausstattungsanweisungen im Speculum iudicale zurückgehen, weisen doch beide Texte bei dieser Vorschrift einen ähnlichen Wortlaut auf.1210 Auffällig ist, dass die im Speculum an gleicher Stelle vermerkte Regelung zu den puncta retorta nicht in die Forma scribendi privilegium übernommen wurde. Möglicherweise fehlte sie bereits in der als Vorlage für die Forma genutzten Variante der Gestaltungsvorschriften; es könnte sich um eine spätere Überarbeitung als die im Speculum erhaltene gehandelt haben. Eventuell verzichtete man aber auch bewusst auf eine theoretische Beschreibung dieser puncta und bildete sie stattdessen als Teil des im Text angekündigten INPPM-Musters ab, was in der Handschrift Ottob. lat. 762 allerdings nicht der Fall ist – ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass es sich bei dieser Überlieferung um eine Abschrift handelt, in welche die vorgesehenen Beispielzeichnungen nicht übernommen worden waren. Die der Kanzleibuch-Version der Forma scribendi privilegium beigegebenen Beispielprivilegien sind hinsichtlich der Ausstattung des Protokolls nur wenig aussagekräftig. Im Exemplar Dietrichs von Nieheim weisen beide Privilegienmuster keinerlei elongierte Schrift auf, hervorgehoben sind lediglich die Initiale des Papstnamens (ähnlich der Initiale einer Buchseite) und das D von Dilectis filiis (in der einfachsten Form als vergrößerter dicker Buchstabe). Nur das INPPM entspricht den aus den Privilegien bekannten Gewohnheiten, es ist in dicken Majuskeln ausge1209 Ottob. lat. 762, fol. 89v. 1210 In beiden Fällen wird das Protokoll als salutatio bezeichnet, die Vorschrift ist in beiden Texten nicht vollständig gleich, aber doch mit ähnlichen Worten formuliert: Et debet hoc salutatio scribi litteris longis, et tota debet poni in una linea […] (Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 16). Debet etiam tota salutatio esse in prima linea […] (Ottob. lat. 762, fol. 89v).
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Abb. 5: INPPM-Nachzeichnung im Liber Cancellarie (Barb. lat. 2825), © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
führt und mit der charakteristischen langen Querverbindung an den Unterlängen der beiden P versehen (vgl. Abb. 5). Zusätzliche Verzierungen finden sich nicht, bei der ersten Beispielurkunde fehlen außerdem die puncta retorta.1211 Eine sehr schöne Nachzeichnung des Privilegienprotokolls bietet das Musterprivileg in Ottob. lat. 747.1212 Der Papstname ist prächtig ausgestattet, die Initiale ist deutlich vergrößert und weist kunstvolle Durchbrechungen auf, die Schrift der übrigen Zeile ist eine sehr enge Elongata und erreicht die gleiche Höhe wie die Buchstaben des Papstnamens, darüber hinaus ragen nur die beiden Anfangsbuchstaben des servus servorum. Das D des Wortes Dilectis ist dick und schwarz geschrieben, das INPPM am Ende der Zeile ist auf die beschriebene Art gestaltet und in unzialisierten Majuskeln ausgeführt, die Zeile schließt mit drei übereinanderstehenden puncta retorta (vgl. Abb. 6). Fehlerfrei ist das Beispiel aber dennoch nicht, denn obwohl eine komplette Doppelseite für die Nachzeichnung des Privilegs genutzt wurde, fand nicht das gesamte Protokoll in der ersten Urkundenzeile Platz. Die Worte futuris regularem vitam professis wurden daher mit einem Verweiszeichen oberhalb der Zeile in normaler Schrift nachgetragen. Das Muster ist aber in jeder Hinsicht ein wertvolleres Hilfsmittel für die Anfertigung eines Privilegienprotokolls als die theoretischen Erläuterungen in den Ausstattungsvorgaben des Speculum und der Forma scribendi privilegium. Die Beschreibung der verschiedenen Arten von Auszeichnungsschriften bereitete den Verfassern der Regeltexte verständlicherweise große Schwierigkeiten, eine graphische Vorlage war dahingehend eine weitaus praktikablere Alternative. 1211 Barb. lat. 2825, S. 2, 6; Vat. lat. 3984, fol. 48r–49r weist dieselbe, nicht regelgerechte Ausstattung auf. 1212 Ottob. lat. 747, fol. 51v–52r.
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Abb. 6: Protokoll des Musterprivilegs in Ottob. lat. 747, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
Abb. 7: INPPM-Nachzeichnung in der Neuredaktion des Formularium audientiae, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
Der ursprüngliche Textbestand der Gestaltungsvorschriften für Privilegien in der Neuredaktion des Formularium audientiae umfasst keine Beschreibung des Protokolls. Allerdings findet sich zu Beginn eines Abschnitts, in dem verschiedene gebräuchliche Schreibweisen von Satzanfängen in Privilegien wiedergegeben sind, eine sehr präzise, dick ausgemalte Nachzeichnung des INPPM samt den drei schleifenförmigen puncta retorta (vgl. Abb. 7). Eine zeigende Nota-Hand am Rande der Handschrift verweist den Benutzer auf die besondere Wichtigkeit dieser Darstellung. Ein späterer Nachtrag oberhalb des INPPM ergänzte nähere Vorgaben zur Gestaltung des Protokolls der auch an dieser Stelle als privilegium commune bezeichneten Urkunde. Demnach sei dieser erste Satz in litteris capitalibus zu schreiben, außerdem soll bei der Formel Dilectis etc. der erste Buchstabe groß, die übrigen Buchstaben bis zum in perpetuum aber lang ausgeführt werden, wie dies auch bei ad futuram der Fall sei.1213 Wenige Zeilen später folgt in der Handschrift eine Nachzeichnung der Verewigungsformel des Protokolls päpstlicher Bullen – Ad futuram rei memoriam – in Elongata, auf die sich dieser Hinweis bezieht.1214
1213 Ross. 476, fol. 59v: Privilegium commune scribitur hoc modo: prima dictio constat tota ex litteris capitalibus et ibi „dilectis“ etc. prima littera erit capitalis, alie omnes usque ibi „in perpetuum“ erunt longe, sic ibi „ad futuram“ et cetera, „in perpetuum“ vero sit hoc modo: INPPM. 1214 Siehe unten Kapitel 4.5, S. 283, Abb. 21.
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Ähnlich wie schon die Verfasser der früheren Texte hatten auch die Urheber dieses Nachtrags offensichtliche Probleme damit, die im Protokoll zu verwendenden Schriftarten zu benennen. Man behalf sich zunächst mit der Definition aller Buchstaben der ersten Zeile als Großbuchstaben. Aufgrund der darauf folgenden Angabe, dass der erste Buchstabe der Adresse als Majuskel auszuführen sei, musste aber zur Abgrenzung nachträglich die Elongata präziser definiert werden. In der Folge wurden daher die übrigen Buchstaben als longe beschrieben. Darüber hinaus wurde im Rahmen dieser Ergänzung mit den Worten in perpetuum nota sic hoc modo erneut nachdrücklich auf die vorgeschriebene Ausführung des INPPM verwiesen. Insgesamt fällt auf, dass der Eintrag speziell auf jene Teile des Protokolls eingeht, die in der Version der Forma scribendi privilegium im Liber Cancellarie II aufgrund des Textverlustes nicht behandelt werden. Der Nachtrag in Ross. 476 könnte demnach als inhaltliche Ergänzung zu dieser Privilegienlehre entstanden sein. Dafür spricht auch, dass auf eine Beschreibung des Papstnamens vollständig verzichtet wurde, denn eine solche ist bereits in der Forma enthalten. In der Zusammenschau kann für die Regeln zur Gestaltung des Protokolls päpstlicher Privilegien eine deutliche inhaltliche wie auch strukturelle Weiterentwicklung von der Mitte des 13. bis zum Ende des 14. Jahrhunderts konstatiert werden. Während der Text im Speculum iudiciale andere Schwerpunkte setzte und daher nur eine sehr grobe Erläuterung zur ersten Privilegienzeile enthält, ist die Beschreibung in der Frühversion der Forma scribendi privilegium aus dem frühen 14. Jahrhundert, die teilweise auf den Text des 13. Jahrhunderts zurückgehen könnte, sehr detailliert. Die Ausstattung einzelner Protokollbestandteile wird in der Privilegienlehre ausführlich behandelt, sie war daher als Anleitung zur Urkundenherstellung sicherlich gut geeignet. Die spätere Bearbeitung, die Aufnahme in den Liber Cancellarie II fand, bietet dagegen einen so stark verderbten Text, dass sie diesen Zweck nicht mehr erfüllte, sie wurde aber dennoch über Jahrzehnte in dieser Form tradiert. Das Musterprivileg in Ottob. lat. 747 könnte in der Folge als Ergänzung zur Forma scribendi privilegium konzipiert worden sein, denn die präzise Nachzeichnung des Protokolls in dieser Handschrift machte jede textbasierte Beschreibung obsolet. Auch der Nachtrag zur Protokollgestaltung in der Neuredaktion des Formularium audientiae weist Informationen und Muster auf, welche die Angaben in der Forma scribendi privilegium vervollständigen. Die beiden jüngeren Quellen zur Privilegiengestaltung lassen außerdem erkennen, dass für Verfasser und Nutzer dieser Hilfsmittel im Kontext derartig komplexer Gestaltungsfragen konkrete Beispiele und Musterzeichnungen tauglicher waren als theoretische Darstellungen. 4.4.6.3 Textschrift Für die Kontextschrift der Privilegien wurde seit dem 11. Jahrhundert ausschließlich die kuriale Minuskel genutzt, die Satzanfänge wurden dabei regelmäßig durch
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Vergrößerung und Verzierung betont.1215 Diese Ausstattung entspricht in großen Teilen der auch in den Gestaltungsvorschriften für litterae beschriebenen, es bestand demnach keine Notwendigkeit, ausführliche und spezielle Vorschriften zur Textschrift der Privilegien aufzuzeichnen. In diese Richtung weisen auch die Anweisungen im Speculum iudiciale, die beide Urkundenarten berücksichtigen. Die Regeln zur Buchstabengestaltung sind zwar dem Abschnitt über die litterae zugeordnet, sie wurden aber so formuliert, dass sie auch für Privilegien Gültigkeit beanspruchen konnten. Hinsichtlich der Initialen besagt der Text im Speculum, dass der erste Buchstabe jeder clausula hervorzuheben sei.1216 Auch diese Vorgabe, in der die späteren Beschränkungen bei der Kontextgestaltung der litterae noch keine Rolle spielten, konnte damit auf beide Urkundenarten angewendet werden. Entsprechend kurz gefasst ist auch die Anweisung zu diesem Themenkomplex in der Forma scribendi privilegium im Liber Cancellarie II. Sie enthält lediglich den Hinweis, dass die Kontextschrift des Privilegs genau wie bei den anderen mit Seide bullierten Urkunden (littere) zu handhaben sei, mit der Ausnahme, dass der erste Buchstabe jedes Satzes hervorgehoben werden sollte.1217 Die Anweisung verweist damit eindeutig auf die Regeln zur Ausstattung päpstlicher litterae, speziell der litterae cum serico, im Formularium audientiae des 14. Jahrhunderts. Dort ist festgelegt, dass in den Seidenschnurbriefen nicht alle Satzinitialen, sondern nur jeweils die ersten Buchstaben des Kontextes und der beiden Formeln Nulli ergo und Si quis autem vergrößert werden sollen.1218 Der oder die Bearbeiter dieser Version der Privilegienlehre setzten also voraus, dass die Skriptoren der päpstlichen Kanzlei die Ausstattung der Seidenschnurbriefe kannten oder zumindest wussten, wo sie die entsprechenden Regeln nachschlagen konnten. In diesem Zusammenhang sei erneut daran erinnert, dass eine Handschrift des frühen 15. Jahrhunderts sowohl das Formularium audientiae als auch die Forma scribendi privilegium enthält.1219 Die Frühversion der Privilegienlehre in Ottob. lat. 762 enthält diesen Verweis auf die Ausstattungsregeln für litterae cum serico noch nicht, ähnlich wie in den Anweisungen im Speculum iudiciale wurde aber auch in der älteren Variante der Forma scribendi privilegium festgehalten, dass die Initialen aller Sätze hervorzuheben seien.1220 1215 Rabikauskas, Diplomatica pontifica, S. 36; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 91; Santifaller, Neugestaltung, S. 31; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 571; Delisle, Mé moire, S. 31; Berger, Registres Innocent IV 1, S. XXVIII. 1216 Heckel, Kanzleianweisung, S. 115, Abschnitt 3: Item prima littera narrationis, quecumque sit et etiam quecumque ponitur in principio cuiuslibet clausule, sollempnius scribi debet quam alie, que sequuntur. 1217 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 304, Abschnitt 3: Tenor deinde privilegii scribi debet, ut alie littere ad sericum scribuntur, excepto quod prima littera cuiuslibet orationis privilegii debet esse miniata. 1218 Siehe oben Kapitel 4.3.5.4, S. 171. 1219 Siehe oben Kapitel 4.4.3, S. 217. 1220 Ottob. lat. 762, fol. 89v: Infra privilegium sunt omnes littere principantes clausulas elevate et cor-
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In den Beispielprivilegien, die der Forma scribendi privilegium im Liber Cancellarie II beigegeben sind, wurde diese Regel allerdings nicht konsequent eingehalten. In dem Kanzleiexemplar Dietrichs von Nieheim ist zwar in beiden Musterurkunden der erste Buchstabe des Kontextes deutlich vergrößert, die Initialen der weiteren Sätze sind aber nur sehr unscheinbar oder überhaupt nicht hervorgehoben.1221 In der Kanzleibuch-Abschrift des Skriptors L. de Temperiis dagegen sind alle Satzanfänge mit deutlichen großen Buchstaben versehen, obwohl viele andere Ausstattungsregeln nicht beachtet wurden.1222 Das Musterprivileg in der Kanzleihandschrift Ottob. lat. 747 befolgt alle bekannten Regeln zur Gestaltung der Textschrift von Gratialurkunden. Bei Wortkürzungen ist ausschließlich das diplomatische Abkürzungszeichen eingesetzt, zwischen den Buchstabenverbindungen ſt und ct finden sich deutliche Ligaturen. Außerdem sind die Initialen aller Sätze erkennbar hervorgehoben, die im Text verwendeten Abkürzungen entsprechen den üblichen Vorgaben und Gewohnheiten (vgl. Abb. 8).1223 Auch in dieser Hinsicht kann das Muster demnach als Ergänzung zu den theoretischen Regeln der Forma scribendi privilegium betrachtet werden, da auch die Vorschriften zur Gestaltung von Seidenschnurbriefen umgesetzt wurden, auf die in der Privilegienlehre lediglich verwiesen wird, ohne sie im Einzelnen aufzuführen. Die Neuredaktion des Formularium audientiae enthält keine beschreibenden Vorgaben zur Textschrift, dafür aber verschiedene Beispiele für Satzanfänge in Privilegien (In primis, Prohibemus, Discedentem vero, Cum autem, Crisma vero, Alioquin, Ad hec, Sepulturam quoque, Decimas, Obeunte vero, Paci quoque, Preterea, Decernimus ergo). Nachträglich hinzugefügt wurden Siqua igitur und Cunctis autem.1224 Entscheidend ist, dass die Initiale des jeweils ersten Wortes in allen Beispielen deutlich durch Vergrößerung und dicke schwarze Linien hervorgehoben wurde. Es ging den Verfassern also um die Illustration ebenjener in der Forma scribendi privilegium festgehaltenen Regel, der zufolge der Anfangsbuchstabe jedes Satzes zu betonen ist. Ein späterer, diese Liste von Satzanfängen ergänzender Nachtrag betont ausdrücklich, dass der erste Buchstabe des Exordiums (und damit des Kontextes) sowie die Initialen aller genannten Ausdrücke und aller anderen Satzanfänge wie dargestellt ausgeführt werden sollen.1225 pulente et grosse sicut minia […]. Die Wortwahl weicht an dieser Stelle deutlich von der Version im Speculum iudiciale ab, dies könnte aber auch auf einen Versuch des Bearbeiters zurückzuführen sein, die Gestaltung der Initialen näher zu beschreiben. 1221 Barb. lat. 2825, S. 2–8. 1222 Vat. lat. 3984, fol. 48r–49v. 1223 Ottob. lat. 747, fol. 51v–52r. 1224 Ross. 476, fol. 59v. 1225 Ross. 476, fol. 59v: Item prima littera exordii et harum dictionum videlicet [es folgen die genannten Beispiele] et cetera omnia capita clausularum ita scribuntur.
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Abb. 8: Ausschnitt aus dem Kontext des Musterprivilegs in Ottob. lat. 747, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
Darüber hinaus ist in den Ausstattungsregeln für Privilegien in der Handschrift Ross. 476 angegeben, dass die korrekte Schreibweise des Namens Jesus Christus Ih̅sxp̅s sei.1226 Ebenso gekürzt findet sich der Name auch am Ende des Kontextes im Beispielprivileg in Ottob. lat. 747.1227 Möglicherweise entnahmen die Verfasser der Regelsammlung in der Neuredaktion des Formularium diese Vorgabe sogar direkt dem Musterprivileg. Weitere konkrete Vorschriften zur Textschrift der Privilegien umfasst der Codex Rossianus nicht, stattdessen sind allgemeine Regeln zur Kontextgestaltung päpstlicher Urkunden enthalten, die ausdrücklich für alle gratiose Geltung beanspruchen konnten.1228 Auch in dieser Hinsicht lehnt sich der Text damit an die Forma scribendi privilegium an, die ebenfalls pauschal auf die Ausstattungsregeln für die Urkunden cum serico verweist. Abgesehen von den Satzinitialen unterscheidet sich der Kontext der Privilegien noch durch ein weiteres Merkmal von dem der litterae. An das letzte Wort des eigentlichen Privilegientextes sind als Apprecatio drei AMEN angeschlossen, welche die letzte Textzeile komplett ausfüllen.1229 Um diese Streckung zu erreichen, wurde besonders das mittlere AMEN häufig in die Länge gezogen und entwickelte dadurch die Form eines verzierten Bindungsstriches, der nur noch einzelne Buchstaben des ursprünglichen Wortes erkennen ließ.1230 Schon die Kanzleianweisung im Speculum iudiciale enthält Vorgaben zur Gestaltung der letzten Kontextzeile der Privilegien. Am Ende des Urkundentextes, noch vor den Unterfertigungen, sei demnach zweimal das Wort AMEN einzufügen. Dabei soll allerdings die letzte Zeile noch mindestens zu zwei Dritteln mit Text gefüllt sein, im letzten Drittel soll das doppelte AMEN folgen.1231 Diese Regel 1226 Ross. 476, fol. 59v: „Ih̅sxp̅s Ih̅uxp̅i“ et cetera sic debet scribi in privilegiis. 1227 Ottob. lat. 747, fol. 52r. 1228 Ross. 476, fol. 65r: Nota quod in omnia littera gratiosa prima littera prohemium erit apex, ut supra ibi „Gratie“ etc. […] totum residuum gratiosarum communium scribetur sicut in aliis litteris apostolicis […]. 1229 Santifaller, Bemerkungen, S. 292–296. 1230 Kaltenbrunner, Merkmale, S. 381; Frenz, Symbole, S. 400; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 571; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 100; Poole, Lectures, S. 47. 1231 Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 17: Item in fine privilegii ante signa et subscriptiones ponitur bis „AMEN“, et finis privilegii usque ad „AMEN AMEN“ debet continere ad minus
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erscheint, genau wie die Vorschriften zur Protokollgestaltung im Speculum, unpräzise und unvollständig. Es ist ganz konkret von zwei AMEN die Rede, während die Originale bereits seit dem 11. Jahrhundert meist drei aufweisen.1232 Heckel erklärte dies schlüssig damit, dass das mittlere AMEN, das sich aufgrund seiner graphischen Gestaltung von den beiden anderen abhob, offenbar nicht mehr als Wort, sondern vielmehr als Füllzeichen betrachtet wurde.1233 Warum dieses Zeichen mit keinem Wort erwähnt wird, muss offenbleiben, es macht aber erneut deutlich, dass das Augenmerk der Urheber dieser Anweisung nicht auf der Privilegiengestaltung, sondern vielmehr auf der Gestaltung der Textschrift päpstlicher Urkunden im Allgemeinen und der Abgrenzung von litterae und Privilegien im Besonderen lag. In der Frühform der Forma scribendi privilegium werden dagegen explizit drei AMEN benannt, die in der Handschrift auch dargestellt sind. Das mittlere entspricht dabei dem beschriebenen Füllzeichen.1234 Den Verfassern des Textes war die Bedeutung dieses Zeichens als drittes AMEN offenbar geläufig. Zur Verteilung der Apprecatio auf die letzte Zeile sind allerdings keine Angaben enthalten. An dieser Stelle stützte sich die Privilegienlehre offenbar auf andere Vorlagen, eine unbekannte Bearbeitung der im Speculum iudiciale überlieferten Ausstattungsanweisungen oder auch die Praxiserfahrung von Kanzleimitarbeitern. Bemerkenswert ist, dass die spätere Bearbeitung der Forma scribendi privilegium im Liber Cancellarie II an dieser Stelle größere Ähnlichkeiten mit dem Text im Speculum iudiciale aufweist. Mit Blick auf die letzte Zeile des Kontextes besagt sie, dass diese komplett zu befüllen sei, und zwar in der Form, dass das AMEN AMEN bis zum Ende der Zeile reiche.1235 Es werden demnach erneut nur zwei AMEN erwähnt, diese sind außerdem in den Handschriften nicht den Gewohnheiten entsprechend ausgestattet.1236 Dadurch wird die These bestätigt, dass das mittlere AMEN in der päpstlichen Kanzlei nicht durchweg als eigenständiges Wort interpretiert wurde. Offenbar wurde das Füllzeichen bereits seit dem 13. Jahrhundert uneinheitlich gedeutet, was sich in den verschiedenen Formulierungen der Regeln zur Apprecatio niederschlug. Der Fokus der Vorschrift in dieser Version der Forma duas partes linee, tertia parte remanente pro predictis „AMEN“, et si minus remaneat, non est vis, dummodo recipiat predicta „AMEN AMEN“. Im Wiegendruck Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale, fol. 22va, sind die AMEN nicht in Großbuchstaben ausgeführt und teilweise gekürzt. 1232 Santifaller, Bemerkungen, S. 294 f. 1233 Heckel, Kanzleianweisung, S. 118. 1234 Ottob. lat. 762, fol. 89v: […] et semper finiat privilegium sive ultima linea privilegii in hac dictionem „Amen“ triplicata sic: „AMEN A._.._.E AMEN“ [es folgen zwei übereinanderstehende puncta retorta]. 1235 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 304, Abschnitt 4: Et precavendum est, quod ultima linea privilegii sit tota scripta, videlicet quod „amen amen“ continuata scriptura eiusdem ultime linee veniat in finem ipsius linee. 1236 So in den Handschriften Vat. lat. 3984 und Vat. lat. 6332.
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Abb. 9: Abschluss des Kontextes eines Musterprivilegs in Barb. lat. 2825, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
scribendi privilegium liegt, wie auch im Speculum, auf der Verteilung der Worte in der Zeile, ein direkter Einfluss der Ausstattungsanweisungen aus dem 13. Jahrhundert auf die Überarbeitung der Privilegienlehre in der Mitte des 14. Jahrhunderts ist daher denkbar. Allerdings fehlt in der Forma die Angabe, dass die AMEN nur ein Drittel der Zeile beanspruchen dürfen, ergänzt wurde stattdessen der Hinweis, dass sie komplett auszufüllen sei, um den in den Papsturkunden üblichen geschlossenen Zeilenfall zu gewährleisten. Die Gestaltung der den Kontext beschließenden AMEN in den beiden Beispielprivilegien, die dem Regeltext in den meisten Handschriften des Liber Cancellarie II beigegeben sind, entspricht nur teilweise den theoretischen Vorgaben. Am Ende der ersten Urkunde stehen im Kanzleiexemplar Dietrichs von Nieheim drei AMEN, wobei das mittlere als Füllzeichen ausgeführt ist. Am Ende des letzten AMEN stehen drei puncta retorta, am Rand der Handschrift ist noch eine weitere, etwas aufwendigere Ausführung dieser Punkte als Alternative nachgetragen. Allerdings wurden die drei AMEN nicht gedehnt, um die Zeile vollständig auszufüllen; selbst der ausladende Abschlussstrich des letzten AMEN erreicht das Zeilenende nicht (vgl. Abb. 9).1237 Auch die letzte Zeile des zweiten Beispielprivilegs ist nicht bis zum Ende gefüllt, nach den puncta retorta ist noch etwa ein Drittel der Zeile frei geblieben, außerdem umfasst die Apprecatio nur zwei normal geschriebene AMEN, das mittlere Füllzeichen fehlt.1238 In einer anderen Handschrift ist der Kontextabschluss gar nur angedeutet, es findet sich nur ein einzelnes, in einfacher Textschrift ausgeführtes AMEN.1239 Bei der Ausstattung der Beispielprivilegien in den Handschriften des Liber Cancellarie II wurde ganz offensichtlich nicht viel Wert auf die präzise Einhaltung der im theoretischen Teil der Privilegienlehre vorgegebenen Regeln gelegt, sie wurden wohl zunehmend als Formularvorlagen für die inhaltliche Gestaltung der Urkunden betrachtet. In dem Musterprivileg in Ottob. lat. 747 dagegen wurde auch dieses in der Forma scribendi privilegium beschriebene Merkmal umgesetzt. Die letzte Zeile des Textblocks wird von drei AMEN beschlossen, von denen das mittlere in Form eines Füllzeichens ausgeführt ist (vgl. Abb. 10). Der Kontext vor den drei Worten nimmt 1237 Barb. lat. 2825, S. 5. 1238 Barb. lat. 2825, S. 8. 1239 Vat. lat. 3984, fol. 49r–49v.
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Abb. 10: Kontextende des Musterprivilegs in Ottob. lat. 747, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
dabei so viel Raum ein, dass eine Dehnung der AMEN nicht nötig war, um sie bis zum Zeilenende zu strecken. Die abschließenden puncta retorta, erneut drei an der Zahl, ragen sogar ein kleines Stück über die Zeile hinaus.1240 Damit ist in dem Muster nicht nur die Regelung zur vollständigen Zeilenfüllung aus der Forma scribendi privilegium im Kanzleibuch, sondern, möglicherweise zufällig, auch die Vorgabe im Speculum iudiciale zum Kontextumfang in der letzten Zeile umgesetzt. Wiederum erweist sich das Beispielprivileg als praktikable und illustrative Ergänzung der Privilegienlehre im Liber Cancellarie II. Eine kurze Anmerkung zu den drei AMEN wurde auch in den Ausstattungsvorschriften der Handschrift Ross. 476 ergänzt. Im Anschluss an die Beispiele zur Gestaltung der Satzanfänge findet sich der Hinweis, dass am Ende des Textes Amen Amen Amen hinzugefügt werden soll.1241 Die Dreizahl ist an dieser Stelle eindeutig festgelegt – ein weiterer Hinweis darauf, dass in dieser Handschrift konsequent nicht nur die Gewohnheiten der Privilegiengestaltung, sondern auch die noch vorhandenen Kenntnisse über die Bedeutung der einzelnen Zeichen zusammengetragen wurden, eventuell in Ergänzung oder auch zur Korrektur der Forma scribendi privilegium. Auch am Ende des 14. Jahrhunderts war die ursprüngliche Bedeutung des Füllzeichens demnach noch nicht in Vergessenheit geraten. Doch ein weiterer Nachtrag zu dieser Thematik deutet darauf hin, dass die sehr kurz gefasste Vorgabe für einen späteren Bearbeiter zu unpräzise formuliert war, vor allem wohl deshalb, weil sie kein veranschaulichendes Muster umfasste. Er vermerkte daher, dass in Privilegien für den Zisterzienserorden die AMEN anders ausgeführt werden sollen und fügte ein Beispiel an, das auch das mittlere Füllzeichen aufweist; nach dem letzten AMEN folgen dann zwei puncta retorta (vgl. Abb. 11).1242
1240 Ottob. lat. 747, fol. 52r. 1241 Ross. 476, fol. 59v: […] et in fine aditur „Amen Amen Amen“. 1242 Ross. 476, fol. 59v: In privilegio vero commune pro ordine cisterciensis ista „amen“ fiunt hoc modo videlicet „AMEN ._.A._. AMEN“.
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Abb. 11: Beispiel für einen Kontextabschluss in der Handschrift Ross. 476, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
Dass der Urheber dieser Ergänzung annahm, es handele sich bei dieser Gestaltung der AMEN um eine Besonderheit der Privilegien für Zisterzienser, ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass er nur selten mit päpstlichen Privilegien konfrontiert wurde, da diese Urkundenart im späten 14. Jahrhundert derart selten geworden war. Der Nachtrag ist außerdem ein weiterer Hinweis darauf, dass Ausstattung und Bedeutung der Apprecatio sich mittlerweile zu Spezialwissen entwickelt hatten. Die verschiedenen Vorgaben zu den AMEN am Ende des Privilegienkontextes in den betrachteten Quellen demonstrieren anschaulich, dass es im Umfeld der päpstlichen Kanzlei im Laufe des 14. Jahrhunderts immer wieder Bemühungen gab, die Gewohnheiten der Privilegienausstattung, die nicht mehr häufig zur Anwendung kamen und damit in Vergessenheit zu geraten drohten, schriftlich zu fixieren. Die Bedeutung einzelner Merkmale war offenbar nur noch einzelnen Kanzleimitgliedern bekannt, die sich intensiver mit dieser Urkundengattung beschäftigt hatten. Mit der Aufzeichnung dieser Regeln waren demnach keine aktuellen Anpassungen oder Veränderungen der Gestaltungsmerkmale von Privilegien verbunden oder wurden gar neue Entwicklungen eingeleitet, vielmehr galt es, seit dem 12. Jahrhundert bestehende Konventionen zu rekonstruieren. Man setzte sich zu diesem Zweck offenbar mit älteren Vorlagen und Originalen auseinander, um die vorhandenen Regeltexte entsprechend zu ergänzen und zu präzisieren. 4.4.6.4 Päpstliche Unterfertigungen Die Privilegien des 13. und 14. Jahrhunderts weisen drei verschiedene päpstliche Unterfertigungen auf, nämlich Rota, subscriptio pape und Benevalete-Monogramm. Die Entwicklung dieses Eschatokolls setzte unter Leo IX. (1049–1054) ein. In dessen Privilegien wurde die päpstliche Unterzeichnung, die bis dahin aus Kreuz, ausgeschriebenem Benevalete-Gruß und Interpunktion bestand, erstmals in verschiedene graphische Elemente aufgespalten und als Rota, Monogramm und Komma symmetrisch unter dem Kontext der Urkunde angeordnet.1243
1243 Rabikauskas, Diplomatica pontifica, S. 36; Dahlhaus, Aufkommen, S. 8 f.; Rück, Papsturkunde, S. 16; Santifaller, Neugestaltung, S. 34; Dahlhaus, Rota, S. 249 f.; Katterbach/ Peitz, Unterschriften, S. 181; Rück, Urkunde, S. 321–323.
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Die Rota kann als eine Weiterentwicklung des dem päpstlichen Gruß voranstehenden Kreuzes interpretiert werden. Dieses gleicharmige Kreuz ist als zentrales Element der Rota erhalten geblieben, es wurde aber von zwei konzentrischen Kreisen umgeben, wobei der innere Kreis durch das Kreuz in vier Quadranten geteilt wird.1244 Seit Urban II. (1088–1099) wurden in die oberen beiden die Apostelnamen SCS Petrus und SCS Paulus, in die unteren beiden der Papstname in der Form Urbanus PP II eingetragen.1245 In den Kreisring wurden seit Paschalis II. (1099–1118) ein kleines Kreuz und als Umschrift die Devise des jeweiligen Papstes gesetzt. Sie ist gewöhnlich in Minuskelbuchstaben ausgeführt und weist häufig Abkürzungen auf, außerdem ist sie stets im Uhrzeigersinn zu lesen.1246 Die Devise wurde durch den Papst persönlich ausgewählt und für den kompletten Pontifikat beibehalten, wobei es auch vorkam, dass die Devise eines Vorgängers übernommen und weitergeführt wurde.1247 Die Bezeichnung des Symbols als Rota ist erstmals in den französischen Privilegienlehren des 12. Jahrhunderts nachweisbar,1248 in den kurialen Texten erscheint das Wort zum ersten Mal in der Forma scribendi privilegium, allerdings erst in der Bearbeitung aus der Mitte des 14. Jahrhunderts.1249 Die Rota symbolisiert als Herrschaftszeichen die Autorität des Papstes, sie steht daher links auf dem Pergament und damit an erster Stelle der Unterfertigungen.1250 1244 Poole, Lectures, S. 101; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 381; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 91; Hartmann, Entwicklung, S. 385 f.; Dahlhaus, Aufkommen, S. 26−28. Zur Entwicklung und (religiösen) Deutung der Form der Rota (Kreuz im Ring bzw. vom Ozean umflossener Erdkreis) und zu ihrer Nähe zu Münz- und Siegelbildern vgl. Hartmann, Entwicklung, S. 386−412; Santifaller, Neugestaltung, S. 35 f.; Dahlhaus, Aufkommen, S. 11−18, 26−41. 1245 Eine Liste der verschiedenen Quadrantenbeschriftungen der Päpste Leo IX. bis Urban II. findet sich bei Poole, Lectures, S. 101–102, und mit ausführlicherem Kontext bei Dahlhaus, Rota, S. 255−287; vgl. auch Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 91 f.; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 381–383; Hartmann, Entwicklung, S. 402–410; Santifaller, Neugestaltung, S. 34; Dahlhaus, Aufkommen, S. 9; Dahlhaus, Rota, S. 251 f. 1246 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 91 f.; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 382 f.; Dahlhaus, Aufkommen, S. 9 f.; Dahlhaus, Rota, S. 250 f. 1247 Eine Liste der Devisen der Päpste Leo IX. bis Innozenz III. findet sich bei Poole, Lectures, S. 103 f., die Devisen von Leo IX. bis Cölestin III. verzeichnete auch Dahlhaus, Aufkommen, S. 77−83; vgl. auch Hartmann, Entwicklung, S. 402–410. Zu den Hintergründen der Devisen-Auswahl, vor allem bei Leo IX., vgl. Dahlhaus, Aufkommen, S. 41−49. 1248 In De doctrina privilegiorum (siehe oben Kapitel 3, S. 43) scheint es sich noch um eine Beschreibung des Aussehens des Unterfertigungszeichens zu handeln; vgl. Spence, Treatise, S. 57: In dextra vero parte fiat quedam rota dupplex, et in medio intrinsecus, crux Christi in circulo duplicis rote scribatur […]. In der Ars dictandi Aurelianensis (siehe oben Kapitel 3, S. 44) wird das Wort eindeutig als Eigenname verwendet; vgl. Rockinger, Briefsteller, S. 111: A dextra parte scribatur rota que duos habet circulos, et inter circulos scribatur versus psalterii quem dominus papa sibi elegerit. Et in medio rote sit forma crucis, cuius brachia contingant ad interiorem circulum. 1249 Dahlhaus, Aufkommen, S. 11. 1250 Rück, Papsturkunde, S. 20 f.; Dahlhaus, Aufkommen, S. 26−41.
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Auch die subscriptio pape wurde unter Paschalis II. fester Bestandteil der Privilegien. Sie entsprach seitdem beinahe ohne Abweichungen dem Schema Ego Paschalis catholice eccl̅ie ep̅s SS. Die Unterschriften wurden zunächst noch dicht unter dem Kontext der Urkunde platziert, erst im Laufe der Jahre fand die subscriptio ihren Platz im Zentrum des Eschatokolls zwischen Rota und Monogramm. Der Schaft des E von Ego sowie die anderen Oberschäfte der Subskription sind meist weit nach oben verlängert, das SS gewöhnlich sehr steil gestellt.1251 Das Monogramm löste seit Leo IX. zunehmend den ausgeschriebenen Schlussgruß ab, es ist aus den Worten Bene valete geformt.1252 Das Gerüst bildet ein großes N, an dessen Schäften und Diagonalbalken die übrigen Buchstaben angebracht sind. Das Benevalete wies zunächst eine sehr schlichte Erscheinung auf, erst seit Urban II. kamen verschiedene Verzierungen vor.1253 Da es unabhängig von der Person des jeweiligen Papstes Verwendung fand, ist es nicht wie die Rota als persönliches Herrschaftszeichen zu betrachten, sondern als institutionelles Monogramm des Papsttums.1254 Ebenfalls seit Leo IX. fand sich auf den Privilegien rechts neben dem Benevalete ein großes und auffällig verziertes Komma, möglicherweise eine Weiterentwicklung der Interpunktion des ursprünglichen Schlussgrußes. Seit dem 12. Jahrhundert war es aber nicht mehr Teil der Urkunden.1255 Die Unterfertigungen verliehen dem päpstlichen Privileg sein eindrucksvolles Erscheinungsbild, sie waren „die eigentliche Bühne der Herrschaftsdramaturgie.“1256 Die Zeichen vermittelten aufgrund ihrer Anordnung und Gestalt symbolisch die Rechtsrelevanz der Urkunde, da sie das Augenmerk auf sich lenkten und somit den autoritativen Charakter des Dokuments betonten. Auf diese Weise symbolisierten 1251 Zur Entwicklung dieser Formel in der päpstlichen Unterschrift und zu ihrer Bedeutung vgl. May, Ego, S. 22−103; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 574; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 92 f.; Frenz, Symbole, S. 400; Dahlhaus, Rota, S. 251, S. 289; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 386. 1252 Die Entwicklung des Monogramms von Leo IX. bis ins Jahr 1198 beschreibt Krafft, Bene Valete, S. 23−128; vgl. auch Poole, Lectures, S. 23 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 90–92; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 383; Frenz, Symbole, S. 403 f.; Santifaller, Neugestaltung, S. 36; Dahlhaus, Aufkommen, S. 9; May, Ego, S. 22 f. Zur Lesung des Monogramms als Bene valete vgl. Krafft, Bene Valete, S. 20 f.; Krafft, Schlußgruß, S. 212−240. 1253 Krafft, Bene Valete, S. 161−175; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 92; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 383. Zahlreiche Abbildungen der verschiedenen Ausführungen des Monogramms, vor allem aus dem 11. und 12. Jahrhundert, finden sich bei Krafft, Bene Valete, S. 249−312. 1254 Rück, Beiträge, S. 31; Krafft, Bene Valete, S. 157 f. Es ist damit mehr als ein reines „Zierstück“, zu dem es Santifaller, Neugestaltung, S. 36, aufgrund seiner fehlenden „kanzleimäßigen Bedeutung“ erklärte. 1255 Krafft, Bene Valete, S. 18; Poole, Lectures, S. 105 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 69; Frenz, Symbole, S. 404 f.; Santifaller, Neugestaltung, S. 36–38; Dahlhaus, Aufkommen, S. 9; May, Ego, S. 40 f. 1256 Rück, Papsturkunde, S. 16.
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sie den universalen Herrschaftsanspruch des Papsttums.1257 Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch in den untersuchten Quellen zur Privilegiengestaltung der Fokus auf diese graphischen Symbole gelegt wurde. Darüber hinaus war ihre Herstellung für die Skriptoren und Abbreviatoren sicherlich die größte Herausforderung, während die übrigen Teile des Privilegs größtenteils den im 13. und 14. Jahrhundert wohlbekannten Gestaltungsregeln der litterae folgten. Dennoch enthält die Ausstattungsanweisung im Speculum iudiciale keinerlei Beschreibungen der Unterfertigungen oder Anweisungen zu deren Gestaltung. Auf ihre Existenz verweist lediglich die Regelung zu den AMEN als Schlussformel des Kontexts, die angibt, dass diese am Ende des Privilegs, aber noch vor den Zeichen und Unterschriften einzufügen seien.1258 Wie bereits erörtert, kann das Fehlen von Bestimmungen zu diesen charakteristischen Elementen mit der inhaltlichen Ausrichtung des Textes auf die äußere Abgrenzungen von litterae und Privilegien erklärt werden.1259 Die Formulierung der genannten Vorschrift könnte aber auch als Hinweis darauf interpretiert werden, dass der Text ursprünglich Beispielzeichnungen enthielt und diese im Zuge der Bearbeitung der im Speculum iudiciale überlieferten Version nicht übernommen wurden. Die Forma scribendi privilegium im Liber Cancellarie II geht dann zwar auf die Unterfertigungen ein, beschränkt sich dabei aber auf die Rota. Die Papstunterschrift wird nur am Rande erwähnt, das Benevalete findet gar keine Beachtung. Zur Rota ist festgelegt, dass sie in der Mitte der Urkunde anzubringen sei, wobei nicht mehr als eine Zeile zwischen dem Urkundentext und der Rota frei bleiben dürfe.1260 Diese Angabe steht in klarem Widerspruch zu der aus den Originalen des 13. und 14. Jahrhunderts bekannten Platzierung der Rota, die sich stets auf der linken Seite der Urkunde findet. Die zentrale Position der Rota ist aber in einigen Privilegien des späten 11. Jahrhunderts nachweisbar.1261 Angesichts der Tatsache, dass diese Bearbeitung der Forma scribendi privilegium in der Mitte des 14. Jahrhunderts entstand, dürfte sich der Hinweis jedoch kaum auf eine so frühe Vorlage beziehen. Die Positionierung der Rota in der Mitte der Urkunde war aber für eine andere Urkundenart charakteristisch, nämlich die Konsistorialbullen. Konsistorialbullen beurkundeten Angelegenheiten, die im Konsistorium aus Papst und Kardinälen beschlossen wurden. Sie sind als Unterart der Bullen zu betrachten, da sie analog zu diesen anstelle der Adresse eine Verewigungsformel
1257 Rück, Urkunde, S. 313, 327−330. 1258 Heckel, Kanzleianweisung, S. 116, Abschnitt 17: […] in fine privilegii ante signa et subscriptiones […]. 1259 Siehe oben Kapitel 4.4.1, S. 206. 1260 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 304, Abschnitt 5: […] tamen predicta rota pingatur quasi in medio carte, non dimissa nisi una linea vacua integra inter litteram privilegii et rotam. 1261 Frenz, Symbole, S. 404.
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aufweisen.1262 Inhaltlich umfassen sie beispielsweise Privilegienverleihungen und -bestätigungen, Kanonisationen, wichtige Konstitutionen und Dekrete.1263 Ähnlich dem Privileg verfügen sie über eine Rota, die allerdings unterhalb des Textes an zentraler Position eingetragen ist, darunter folgen die Unterschriften des Papstes und der Kardinäle.1264 Konsistorialbullen werden deshalb in der Forschung als Weiterentwicklung oder Ersatz der feierlichen Privilegien betrachtet.1265 Mit der ältesten bekannten Konsistorialbulle bestätigte Eugen IV. die im Rahmen seiner Wahlkapitulation gegebenen Versprechen; sie wurde im Jahr 1431 mundiert.1266 Die spektakulärsten Exemplare sind die in großer Zahl ausgefertigten und teilweise sehr prächtig ausgestatteten Unionsbullen Eugens IV., die während des allgemeinen Konzils von Ferrara/Florenz entstanden.1267 Als Vorbild für die Vorschrift in der Forma scribendi privilegium, die mehrere Jahrzehnte vorher aufgezeichnet wurde, kommen die Konsistorialbullen daher nicht in Frage. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass die im Liber Cancellarie II enthaltene Privilegienlehre umgekehrt als Anregung für die Gestaltung der Konsistorialbullen diente.1268 Da die Kardinäle im Kontext der Wahl Eugens IV. eine Wiederbelebung der mit den Privilegien aussterbenden Tradition ihrer Teilhabe an der Ausfertigung päpstlicher Urkunden einforderten,1269 griffen sie auf der Suche nach Informationen zur Privilegienherstellung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das Kanzleibuch zurück und fanden dort die Beschreibung der zentralen Positionierung der Rota. Sie könnte in der Folge als Anleitung für die Ausstattung der Konsistorialbullen herangezogen worden sein. In diesem Zusammenhang kann auch das Eschatokoll einer Konsistorialbulle, das in den Liber Cancellarie II Dietrichs von Nieheim eingetragen wurde, als Illustration dieser Erläuterung in der Forma scribendi privilegium betrachtet werden.1270 1262 Zu den Bullen siehe unten Kapitel 4.5, S. 282. 1263 Frenz, Papsturkunden, S. 29; Meyer, Kanzlei, S. 302; Krafft, Unionsbullen, S. 115; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 109 f.; Krüger, Konsistorialurkunden, S. 363− 378. 1264 Gualdo, Lettere, S. 187−190; Baumgarten, Kanzlei, S. 181; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 110; Dahlhaus, Aufkommen, S. 9. Neben den Konsistorialbullen mit Rota, Papstunterschrift und Kardinalsunterschriften existierten auch einfachere Versionen von Konsistorialurkunden ohne Rota; vgl. Gualdo, Lettere, S. 196−203, sowie Krüger, Konsistorialurkunden, S. 358 f., der zwischen Konsistorialbullen und litterae consistoriales differenzierte. 1265 Krüger, Konsistorialurkunden, S. 360−362; Gualdo, Lettere, S. 188 f.; Santifaller, Neugestaltung, S. 35; Maleczek, Autographen, S. 73; Maleczek, Unterschriften, S. 244. 1266 Krüger, Konsistorialurkunden, S. 363; Gualdo, Lettere, S. 190−198. 1267 Krafft, Unionsbullen, S. 113−135; Frenz, Symbole, S. 402; Krüger, Konsistorialurkunden, S. 366 f. 1268 Krafft, Illustrationen, S. 92. 1269 Krüger, Konsistorialurkunden, S. 360−362; Gualdo, Lettere, S. 192−197. 1270 Siehe oben Kapitel 4.4.3, S. 214.
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Doch worauf ist diese Formulierung zur Mittelposition der Rota in der kurialen Privilegienlehre im Liber Cancellarie II zurückzuführen? Ein Blick auf die Frühform in der Handschrift Ottob. lat. 762 trägt auch in diesem Fall zur Aufklärung bei. In dieser älteren Version des Textes werden die Unterfertigungszeichen nicht näher beschrieben, stattdessen wird auf eine (in dem Manuskript leider nicht überlieferte) Beispielzeichnung verwiesen. Der Wortlaut lässt aber darauf schließen, dass in diesem Muster alle Elemente des Privilegieneschatokolls berücksichtigt wurden: Item post scripturam privilegii debent poni infrascripte figure distantes solum una linea ab ultima linea privilegii. Et debet esse in medio privilegii, ita quod equali spatio distet prima figura a prima margine et ultima figura a secunda margine.1271 In der späteren Bearbeitung der Privilegienlehre ist dieser Abschnitt so stark verkürzt, dass ein falscher Rückbezug entsteht – die Anweisung zur Anbringung in der Mitte des Privilegs bezieht sich in der Folge nicht mehr wie in der Frühversion auf die Gesamtheit der Unterfertigungen, sondern nur noch auf die Rota. Der zweite Teil der Regel, der die zum Rand der Urkunde einzuhaltenden Abstände behandelt, fehlt vollständig. Erneut wird deutlich, dass die Version der Forma scribendi privilegium aus der Mitte des 14. Jahrhunderts durch große Textverderbnisse inhaltlich stark entstellt ist. Allerdings verweist auch diese Variante der Privilegienlehre hinsichtlich der Rotagestaltung mehrfach auf ein Muster im Anhang des Textes, das wiederum in den meisten Handschriften fehlt.1272 Von den eingesehenen Manuskripten findet es sich ausschließlich in Barb. lat. 2825, und zwar als Bestandteil des Beispielprivilegs für die Benediktiner von St. Arnulf zu Metz. Dort ist aber nicht nur die Rota eingetragen, sondern alle päpstlichen Unterfertigungen, also auch die subscriptio pape und das Benevalete-Monogramm.1273 Das zweite Beispielprivileg für die Augustinerinnen von Vals-près-le-Puy verfügt in keiner Überlieferung über ein Eschatokoll, und auch das Muster für die Zisterzienser in Heinrichau, das nur in der Formularium audientiae-Handschrift Vat. lat. 6332 enthalten ist, umfasst keine Beispielzeichnungen. Die Nachzeichnungen der Unterfertigungen in Barb. lat. 2825 verdienen eine nähere Betrachtung, weil es sich bei dem Manuskript nachweislich um ein Kanzleiexemplar handelt, das wahrscheinlich als direkte Vorlage zur Privilegiengestaltung diente. Das Fehlen der Muster in den anderen Handschriften könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie von Skriptoren oder anderweitig mit der Kanzlei in 1271 Ottob. lat. 762, fol. 89v. 1272 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 304, Abschnitt 5: Rota vero fiat cum subscriptione et aliis ut scriptum est et depictum in forma sequenti. Abschnitt 6: Postea scribantur omnia inter rotam et crucem primo factam, ut in sequenti rota scriptum est. 1273 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 304–306; Barb. lat. 2825, S. 2–8, das Eschatokoll befindet sich auf S. 5.
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Zusammenhang stehenden Personen angefertigt wurden, die keine Verwendung für diese sehr speziellen Regelaufzeichnungen hatten. Wenn das Augenmerk bei der Herstellung einer Abschrift auf anderen Inhalten lag, konnte sicherlich auf die aufwendige Anfertigung solcher graphischen Darstellungen verzichtet werden. Die Musterzeichnungen in dem Kanzleiexemplar Dietrichs von Nieheim werden von einer weiteren theoretischen Erläuterung zur Rota eingeleitet: Diese soll neun oder zehn Zeilen hoch sein, damit die Namen in den Quadranten angemessen groß eingetragen werden können.1274 Tatsächlich ist diese Höhe auch an den Originalen belegbar, der Verfasser dürfte sie an ihm vorliegenden Urkunden ausgezählt haben.1275 Zusätzlich wird in dem Einschub erläutert, dass sich Papst Johannes XXII. für die in der Rota wiedergegebene Devise In te Domine speravi non confundar in eternum1276 entschieden habe und dass jeder Papst einen solchen Vers auswähle.1277 Diese Tradition der Wahl einer Rota-Devise wird bereits in der Frühform der Forma scribendi privilegium angedeutet.1278 Die Rota selbst ist in der Handschrift groß und sehr ordentlich gezeichnet, die genannte Devise ist gleichmäßig im Ringkreis verteilt. Die Quadranten sind zwar inhaltlich richtig beschriftet, allerdings in normaler kurialer Minuskel statt wie üblich in elongierter Schrift. Am linken Rand schließt die Rota mit dem Text ab, sie reicht dann bis etwa in die Mitte der Seite (vgl. Abb. 12). Da es sich um eine einzelne Seite des Manuskripts handelt, blieb in der Folge nur noch wenig Raum für die übrigen Unterfertigungen. Genau wie im theoretischen Teil der Privilegienlehre liegt demnach auch bei den Beispielzeichnungen das Hauptaugenmerk auf der Rota, wodurch das Gesamtbild des Eschatokolls verfälscht wird. Die subscriptio pape musste in der Folge auf zwei Zeilen verteilt werden. Sie weist alle relevanten graphischen Merkmale auf: Das charakteristisch langgezogene, initiale E, die korrekte Kürzung der Worte eccli̅e ep̅s, die weit nach oben verlängerten Oberschäfte und das aufwendig verzierte Subscripsi-Zeichen (SS). Dieses wurde am Rand der Handschrift in etwas größerer Ausprägung erneut eingetragen. Ganz am 1274 Barb. lat. 2825, S. 5: Rota continet X vel VIIII lineas privilegii ut scribi possint latius nomina interiora. Vgl. Tangl, Kanzleiordnungen, S. 305. 1275 Krafft, Bene Valete, S. 155 Anm. 35. Zum Verhältnis von Rotadurchmesser und Zeilenhöhe von der Mitte des 11. bis zum Ende des 12. Jahrhunderts vgl. auch Christlein/Gropp/Maier, Tools, S. 50–52. 1276 Ps (H) 30, 2; Teil des Te Deum. Die Devise sowie der Hinweis auf ihre Auswahl durch den jeweiligen Papst unterstreichen die Theorie von Dahlhaus, Aufkommen, S. 41–49, wonach die Päpste Devisen wählten, die nicht nur der Bibel, sondern auch exponierten Stellen der Liturgie entstammten. 1277 Barb. lat. 2825, S. 5: Dominus Johannes papa XXII. elegit versum in rota ponendum videlicet qui ponitur in presenti rota, et illam vel consimilem faciet dominus papa. Vgl. Tangl, Kanzleiordnungen, S. 305. 1278 Ottob. lat. 762, fol. 89v: Littere que sunt in circunferentia prime figure non sint immutabiles, sed sunt arbitrarie pape residenti.
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Die kurialen Quellen zur Urkundengestaltung
Abb. 12: Eschatokoll eines Musterprivilegs in Barb. lat. 2825, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
rechten Seitenrand findet sich ein sauber ausgeführtes, wenn auch im Verhältnis zur Rota zu kleines Benevalete-Monogramm.1279 Es handelt sich um eine für die Zeit Clemens’ VI. typische Form mit dicken Schäften und einem doppelstrichigen Schrägbalken.1280 Diese Gestaltung deutet erneut darauf hin, dass diese Bearbeitung der Privilegienlehre und der zugehörigen Beispielprivilegien aus dem Pontifikat Clemens’ stammt. Insgesamt ist die Wiedergabe des Eschatokolls sehr detailliert und berücksichtigt alle wesentlichen Charakteristika, mangelhaft ist lediglich die Anordnung und das Größenverhältnis der einzelnen Bestandteile, was vor allem auf die zu geringe Breite der einzelnen Seite zurückzuführen ist. In den Originalen orientierte sich die Größe des Monogramms meist an der Größe der Rota. Zur Herstellung beider Zeichen wurden oft Zirkel und Lineal benutzt. Das Pergament wurde so unterteilt, dass sich nicht nur Entsprechungen zwischen Höhe und Breite von Rota und Monogramm ergaben, sondern auch feste Zusammenhänge zwischen dem Abstand beider Zeichen und der Zeilenhöhe der Urkunde. Bindende Gewohnheiten oder strikte Idealproportionen lassen sich zwar nicht ermitteln, nachweisbar ist aber die Einhaltung grober Richtwerte.1281 Diese 1279 Barb. lat. 2825, S. 5. 1280 Ein auf dieselbe Art gestaltetes Benevalete ist auch im Register unter einer Urkunde Clemens’ VI. von 1350 eingetragen, es ist abgebildet bei Denifle, Specimina, Tafel 58; vgl. Krafft, Bene Valete, S. 155 Anm. 35. 1281 Krafft, Bene Valete, S. 160; Christlein/Gropp/Maier, Tools, S. 45 f.; Bischoff, Urkundenformate, S. 73 f.; Hartmann, Entwicklung, S. 388.
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Gewohnheiten dürften im Kontext der praktischen Arbeit und nicht in Form schriftlicher Vorgaben tradiert worden sein. In zwei der untersuchten Liber Cancellarie II-Handschriften wurden im Anschluss an die beiden Beispielprivilegien die Rota-Devisen der Päpste Innozenz VI. (1352−1362), Urban V. (1362−1370) und Urban VI. (1378−1389) notiert.1282 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Forma scribendi privilegium hinsichtlich der Devisen immer wieder auf den neuesten Stand gebracht wurde, damit sie als Vorlage für die praktische Arbeit tauglich blieb. Das zeigt auch die exakte Datierung einer Anweisung Urbans V. zu seiner Devise auf den 30. November 1363, die offenbar kanzleiintern rezipiert wurde.1283 Das Fehlen eines Eintrags für Gregor XI. (1370−1378) deutet aber darauf hin, dass die Liste nach der Aktualisierung unter Urban V. zunächst nicht mehr fortgeschrieben worden war, zumindest nicht in der Version der Privilegienlehre, die Dietrich von Nieheim als Vorlage diente. Die Devise Urbans VI. wurde in dem Kanzleiexemplar Barb. lat. 2825 eindeutig von späterer Hand ergänzt. In jedem Fall konnten die Schreiber, die für die Herstellung der Privilegien zuständig waren, für den größten Teil des 14. Jahrhunderts die Devise des jeweiligen Papstes der Forma scribendi privilegium entnehmen. Die Liste ist damit ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass der Text vor seiner Aufnahme in den Liber Cancellarie II im Umfeld der Kanzlei kursierte und für die Mitarbeiter zugänglich war. In der um das Jahr 1403 entstandenen Abschrift des L. de Temperiis wurde die Devise Bonifaz’ IX. (1389−1404) allerdings nicht mehr nachgetragen. Beispielzeichnungen des Privilegieneschatokolls sind nicht nur im Kontext der Forma scribendi privilegium überliefert. Die Darstellung der Unterfertigungen im Musterprivileg der Handschrift Ottob. lat. 747 ist hinsichtlich der graphischen Komponente und des Layouts die beste der untersuchten Vorlagen.1284 Da für die Nachzeichnung der Urkunde eine Doppelseite der Handschrift genutzt wurde, 1282 Barb. lat. 2825, S. 8: Dominus Innocentius papa VI. mandavit et voluit, quod in privilegiis communibus per eum concedentis ponantur infra rotam magnam verba scilicet: „Fac mecum domine signum in bonum“. [Angelehnt an Ps (Gr) 85, 17. Introitus des Freitags nach dem dritten Sonntag der Fastenzeit. Entspricht der Devise Eugens III.; vgl. Dahlhaus, Aufkommen, S. 81, Nr. 20]. Dominus Urbanus papa V. mandavit II. kal. decembris pontificatus sui anno secundo et voluit, quod in privilegiis communibus per eum concedendis ponantur infra rotam magnam verba videlicet: „Dominus opera manuum tuarum ne despicias“. [Ps (Gr) 137, 8, Teil der Totenliturgie]. Dominus Urbanus papa VI. elegit sibi versum in rota privilegiorum per ipsum concedendorum ponendum qui sequitur: „Fortitudo mea et laus mea dominus et factus est mihi in salutem“. [Ps (H) 117, 14, Sonntag Quinquagesima]. Vgl. auch Vat. lat. 3984, fol. 49v; Tangl, Kanzleiordnungen, S. XLIX, S. 306. 1283 Barb. lat. 2825, S. 8: Dominus Urbanus papa V. mandavit II. kal. decembris pontificatus sui anno secundo et voluit, quod in privilegiis communibus per eum concedendis ponantur infra rotam magnam verba videlicet: „Dominus opera manuum tuarum ne despicias“. Siehe oben Anm. 1282. 1284 Ottob. lat. 747, fol. 51v–52r.
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Abb. 13: Eschatokoll des Musterprivilegs in Ottob. lat. 747, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
konnten – im Gegensatz zu dem Muster in Barb. lat. 2825 – alle Elemente des Eschatokolls in angemessener Größe und in der korrekten Position wiedergegeben werden (vgl. Abb. 13). Tatsächlich wurde auch der in der Forma scribendi privilegium vorgegebene Abstand von nur einer Zeile zwischen Text und Unterfertigungen eingehalten. Die Rota ist sehr ordentlich vorgezeichnet, eingetragen sind die Quadranteninschriften und das Kreuz im Außenring, allerdings fehlt die Devise. Eventuell war sie den Urhebern dieser Mustervorlage nicht geläufig, da sie auch in den anderen Vorlagen zur Privilegiengestaltung aus dieser Zeit nirgends genannt ist.1285 Die Beschriftungen der Quadranten sind mit Ausnahme der beiden Sanctus in Elongata ausgeführt, beim Papstnamen Clemens fehlt allerdings die Ordnungszahl. Die subscriptio pape ist auf die korrekte Art gekürzt, das initiale E sowie alle anderen Oberlängen sind bis auf Höhe des Scheitelpunkts der Rota verlängert. Genauso groß ist auch das SS, das mit floralen Elementen verziert ist. Es steht sehr weit von der übrigen subscriptio entfernt, wie dies seit dem 13. Jahrhundert in den päpstlichen Privilegien üblich wurde. Das Subscripsi-SS scheint als komplett eigenständiges Zeichen und nicht mehr als Teil der Papstunterschrift betrachtet worden zu sein.1286 Das Benevalete weist die gleiche Höhe auf wie Rota und Subscripsi-SS, es ist außerdem genauso ausgestattet wie das Exemplar in der Forma scribendi privilegium im Kanzleibuch des Dietrich von Nieheim – beide Muster dürften im gleichen Zeitraum entstanden sein. Der erste Schaft des Monogramms ist zwar teilweise misslungen, da die beiden Querstriche des E viel zu weit nach oben versetzt sind, es handelt sich aber eindeutig um die im 14. Jahrhundert gebräuchliche Form. Auch die Neubearbeitung des Formularium enthält Hinweise zur Gestaltung der päpstlichen Unterfertigungszeichen sowie dazugehörige graphische Darstellungen. Die Positionierung der einzelnen Unterfertigungen auf dem Privileg wird im Gegensatz zu den anderen untersuchten Vorlagen aber nicht anhand einer vollständigen Beispielzeichnung des Eschatokolls vermittelt. Die verschiedenen Bestandteile werden vielmehr nacheinander behandelt, wobei die theoretischen Erläuterungen 1285 Auch in der Forschungsliteratur ist die Devise Clemens’ VI. an keiner Stelle aufgeführt. 1286 Krafft, Bene Valete, S. 152 f.
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jeweils um Musterzeichnungen innerhalb des Fließtextes oder am Seitenrand ergänzt wurden. Ihre Platzierung auf dem Pergament wird aber im Rahmen eines sehr aufschlussreichen Nachtrags beschrieben. Demnach soll die Urkunde in der Mitte gefaltet und die subscriptio pape dann zentral eingetragen werden, so dass sie durch die Faltung in der Mitte geteilt wird. Die Rota sei dann darüber, das Subskriptions zeichen (SS) darunter und hinter diesem das Benevalete anzubringen.1287 Diese Formulierung lässt vermuten, dass die Urkunde bei der Anfertigung der Unterfertigungszeichen nicht im Hochformat vor dem verantwortlichen Schreiber lag, sondern er sie um 90 Grad drehte und von der Seite darauf schaute, so dass die Rota aus seiner Sicht „oben“ zu platzieren war. Als Anhaltspunkt für die symmetrische Gestaltung diente dabei die Faltlinie, die zentral entlang der Längsseite des Pergaments verlief. Diese Seite mit Vorschriften zur Privilegiengestaltung ist die einzige der untersuchten Quellen, die neben der Rota auch den anderen Unterfertigungszeichen einige theoretische Bemerkungen widmet und sie nicht lediglich in Form von Beispielzeichnungen darstellt. Der Grundbestand des Textes, der ausschließlich die päpstlichen Unterfertigungen behandelt, scheint vor diesem Hintergrund als Ergänzung zur Forma scribendi privilegium angelegt worden zu sein, denn er füllt die inhaltlichen Lücken, die in der Privilegienlehre infolge des Textverlustes im Hinblick auf das Eschatokoll entstanden sind. Die erste auf der Seite eingetragene Musterzeichnung zeigt eine sauber ausgeführte Rota mit dem Namen Honorius III. und der Devise Perfice gressus meos in semitis tuis1288 (vgl. Abb. 14). Theoretische Erläuterungen zur Rota bietet der Text nicht, was die Theorie unterstützt, dass er als Pendant und zur inhaltlichen Vervollständigung der Forma scribendi privilegium konzipiert wurde, in der die Rota wiederum als einziges Unterfertigungszeichen thematisiert wird. Die Formel für die päpstliche Unterschrift ist vollständig wiedergegeben: Ego Gregorius catholice ece eps̅. In einem Nachtrag wird zusätzlich ihre Gestaltung näher beschrieben. Demnach soll der erste Buchstabe E sehr weit nach oben verlängert werden, was auch in der beigefügten Beispielzeichnung entsprechend dargestellt ist. Genauso sei auch mit den Buchstaben mit Oberlängen zu verfahren. Im Rahmen dieser Ergänzung wird außerdem ein zweites Beispiel für die päpstliche subscriptio angeführt: Ego Honorius catholice ecce̅ eps̅. Umständlich und schwer zu interpretieren ist die Erläuterung zur Platzierung dieser Formel. Sie soll am Ende des Buchstabens E eingefügt werden, und zwar in tanta distantia a rota quanta est inter 1287 Ross. 476, fol. 59v: Subscriptio domini pape debet esse ita, quod plica, que fieret in medio littere eam dividat per medium, et rota erit in capite, signum subscriptionis in pede et et [!] postea signum bene valete. 1288 Ps (H) 17, 5; Offertorium des achten Sonntags vor Ostern (Sexagesima) und des sechsten Sonntags nach Pfingsten.
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Abb. 14: Rota-Nachzeichnung in der Handschrift Ross. 476, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
rotam et „E“.1289 Möglicherweise wird damit ausgedrückt, dass die Höhe des E dem Abstand des Buchstabens zur Rota entsprechen soll. Der Nachtrag lässt außerdem offen, wie weit die Oberschäfte der Buchstaben nach oben zu verlängern waren. Das Musterprivileg in Ottob. lat. 747 ist in dieser Hinsicht wesentlich aussagekräftiger. Auffällig ist, dass das SS nicht als Teil der Subskriptionsformel aufgeführt ist – ein weiterer Hinweis darauf, dass es als eigenständiges Zeichen betrachtet wurde. In beiden Beispielen für die päpstliche Unterschrift wurde außerdem eine falsche Kürzung des Wortes ecclesie verwendet, die korrekte Form lautet eccl̅ie. Zumindest im ersten Fall dürfte dies auf Platzmangel zurückzuführen sein, ließen doch die großen Musterzeichnungen und die Anordnung des Textes dem Bearbeiter nicht mehr genug Raum für die vollständige Wiedergabe der subscriptio. Sie ist daher auch auf zwei Zeilen aufgeteilt und muss sich diese zusätzlich mit der Anweisung über die Gestaltung des Benevalete teilen. Für den Verfasser stand offenbar die graphische Gestaltung der Unterfertigungszeichen im Vordergrund, während er der korrekten Schreibweise der Wörter in diesem Zusammenhang keine Beachtung schenkte (vgl. Abb. 15). 1289 Ross. 476, fol. 59v: Item hec littera „E“ huiusmodi longitudinis debet esse et similiter de aliis prominentibus subscriptionis pape, que talis est: „Ego Honorius catholice ecc͞e ep͞s“, et locari debet in fine huiusmodi littere „E“ in tanta distantia a rota quanta est inter rotam et „E“.
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Abb. 15: Subscriptio pape in der Handschrift Ross. 476, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana Abb. 16: Nachzeichnung eines Subscripsi- Zeichens in der Handschrift Ross. 476, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
Das Subscripsi-Zeichen wird gesondert betrachtet, ist in der Handschrift aber ebenfalls nachgezeichnet. Es handelt sich um das typische doppellinige SS mit dreifachen Verdickungen an beiden Enden, drei Ausbuchtungen im Zentralschaft und drei schleifenförmigen puncta retorta, das sich seit dem 13. Jahrhundert auch in den Originalen findet (vgl. Abb. 16). Eine kurze beigegebene Erläuterung besagt, dass dieses Zeichen stellvertretend für die Worte subscripsi oder signavi stehe.1290 Zur Illustration der Gestaltung des Monogramms enthält die Handschrift sogar zwei verschiedene Beispielzeichnungen, die in ihrer Gestaltung allerdings stark voneinander abweichen. Das erste Benevalete weist die bereits aus der Forma scribendi privilegium und dem Musterprivileg in Ottob. lat. 747 bekannte Form mit zwei dicken Schäften und doppelliniger Diagonale auf, die im 14. Jahrhundert gebräuchlich war. Das zweite, größer ausgeführte Monogramm dagegen hat eine deutlich andere Anmutung. Das formgebende N besteht aus dünnen langen Schäften, am unteren Ende der Diagonale findet sich ein aufwendig verziertes A, am rechten Schaft eine reich geschmückte Rankenverzierung oder Halbpalmette (vgl. Abb. 17). Dies entspricht der Ausstattung des Monogramms während des Pontifikats Honorius’ III., das Benevalete dürfte demnach derselben Vorlage entnommen sein wie die Rota, die ebenfalls Honorius als Aussteller nennt.1291
1290 Ross. 476, fol. 59v: Hoc signum dicitur importare idem quod „subscripsi“ vel „signavi“. 1291 Dasselbe Benevalete findet sich auf einer Urkunde Honorius’ III.; vgl. Schwarz, Originale, Nr. 26, S. 13; Krafft, Bene Valete, S. 151.
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Abb. 17: Benevalete-Nachzeichnungen in der Handschrift Ross. 476, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
Die auf dieser Seite zusammengestellten Regeln zur Privilegiengestaltung wurden offenbar auf Grundlage zweier Vorlagen erarbeitet, wobei eine aus dem frühen 13. und die andere aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammte.1292 Hinsichtlich der Rota, die ihre Gestalt seit Paschalis II. nicht mehr verändert hatte, waren für den oder die Verfasser der Ausstattungsregeln keine graphischen Unterschiede zwischen beiden Vorbildern festzustellen, weshalb nur ein Exemplar nachgezeichnet wurde; im Falle der beiden sehr verschieden gestalteten Monogramme wurden aber beide Varianten in die Handschrift übertragen. Sie sind dort als gleichwertige Alternativen aufgeführt.1293 Eine von der Kanzlei vorgegebene Präferenz bestand bei der Ausführung des Benevalete in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts demnach nicht.1294 In der den Beispielzeichnungen beigefügten Beschreibung wird das Benevalete als signum maius papale bezeichnet, außerdem werden Bedeutung und Konstruktion des Monogramms erläutert: Es stehe stellvertretend für die Worte valete bene, die obere Öffnung bilde den Buchstaben V, die untere ein N.1295 Damit liegt hier 1292 Siehe oben Kapitel 4.4.5, S. 235. 1293 Ross. 476, fol. 59v: […] in quo sunt plures […]. Die Beispielzeichnung des Monogramms im Stil des 14. Jahrhunderts findet sich innerhalb des Fließtextes, die Zeichnung des Benevalete aus der Zeit Honorius’ III. ist mit Verweiszeichen auf dem Seitenrand eingetragen und wird mit den Worten vel sic eingeleitet. 1294 Dasselbe stellte Krafft, Bene Valete, S. 175−182, für die Benevalete-Monogramme des 11. und 12. Jahrhunderts fest. 1295 Ross. 476, fol. 59v: Item signum maius papale, in quo sunt plures, importat hoc videlicet „valete
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eine der sehr seltenen Auflösungen des Monogramms vor. Erneut wird deutlich, dass für die Urheber dieser Regelsammlung der Fokus nicht ausschließlich auf der Fixierung der wichtigsten Gewohnheiten bei der Herstellung und Ausstattung der Privilegien lag, sondern gleichzeitig das Wissen über die Bedeutung der einzelnen Zeichen und Symbole bewahrt werden sollte. Auch in dieser Hinsicht ergänzen die Anweisungen zur Privilegienausstattung in Ross. 476 die Forma scribendi privilegium, in der dieser Aspekt keine Rolle spielt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass man in der Kanzlei im Rahmen der schriftlichen Aufzeichnungen zur Gestaltung der Unterfertigungen päpstlicher Privilegien seit dem frühen 14. Jahrhundert auf illustrierende Zeichnungen setzte. Bereits die Frühversion der Forma scribendi privilegium verfügte über ein Beispiel-Eschatokoll, das in der einzigen bekannten Überlieferung leider nicht enthalten ist. Die Bearbeitung der Privilegienlehre im Liber Cancellarie verweist ebenfalls auf Muster, die allerdings nur in einem der untersuchten Exemplare auch tatsächlich vorhanden sind. Aufgrund der starken Textverderbnisse in dieser Version waren solche Beispielzeichnungen aber zwingend notwendig, um die theoretischen Vorgaben korrekt interpretieren zu können. Wohl auch aus diesem Grund entstanden seit der Mitte des 14. Jahrhunderts weitere Hilfsmittel, welche die Forma scribendi privilegium in dieser Hinsicht ergänzten. Das Musterprivileg in Ottob. lat. 747 zeigt ein vollständiges Eschatokoll und dessen Layout im Kontext der Gesamturkunde, die Regeln zur Privilegiengestaltung in der Neuredaktion des Formularium dagegen gehen auf jedes Element der päpstlichen Unterfertigungen gesondert ein und bieten sowohl Nachzeichnungen als auch theoretische Erläuterungen. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts verfügte die päpstliche Kanzlei somit über umfassende Regeln und Muster zur Ausstattung des Eschatokolls der päpstlichen Privilegien, die als Vorlage zu deren Herstellung dienen konnten. Im Zusammenhang mit den päpstlichen Unterfertigungen wurde in der Forschung immer wieder die Frage nach der eigenhändigen Beteiligung des Papstes aufgeworfen. Insgesamt konnte durch die Analyse der Originale zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert eine stufenweise Abnahme der persönlichen Mitwirkung des Papstes an der Ausfertigung der Privilegien konstatiert werden. Ursprünglich hatte er den Segenswunsch selbst geschrieben, an der Fertigung des Benevalete-Monogramms, das diesen ablöste, hatte aber nach Leo IX. kein Papst mehr einen Anteil. Eine ähnliche Tendenz lässt sich bei der Rota feststellen: Nach der Entwicklung des Zeichens unter Leo IX. trugen die Päpste zunächst oft die Devise selbst ein, später aber nur noch das vorangestellte Kreuz. Auch die Gestaltung der nabene“, et apertura superior importat litteram „v“, inferiori vero litteram „n“, et sic hoc modo: [es folgen die beiden genannten Beispiele]. Vgl. Krafft, Bene Valete, S. 20 f.; Krafft, Schlußgruß, S. 212−240.
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mentlichen subscriptio oblag im 12. Jahrhundert häufig vollständig den Päpsten, seit dem 13. Jahrhundert beschränkte sich die Eigenleistung dann zunehmend auf das Ego, später das E oder auch nur Teile des Buchstabens.1296 Die untersuchten Quellen liefern auch zu dieser Detailfrage der Privilegienausstattung interessante Hinweise. Eine häufig zitierte Regelung findet sich in der Kanzleiordnung Nikolaus’ III., in der festgelegt wurde, dass der Vizekanzler die privilegia communia nach Fertigstellung der Reinschrift dem Papst vorzulegen habe, damit dieser sie signieren könne.1297 Um welche Art von Unterfertigung es sich bei dieser Signatur handelte, wird allerdings nicht spezifiziert. Diekamp folgerte aus seinen Beobachtungen an den Urkunden der Päpste Alexander IV. bis Johannes XXII., dass die Eintragung des Rotakreuzes im äußeren Ring gemeint war.1298 Gestützt wird diese Annahme durch eine kurze Bemerkung in der Frühform der Forma scribendi privilegium, der zufolge der Papst das Rotakreuz eigenhändig ein trug.1299 Ausführlicher ist die entsprechende Anweisung in der Bearbeitung der Privilegienlehre aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Demnach soll in die Rota nichts eingetragen werden, bevor das Privileg verlesen und vom Papst mit dem Kreuzzeichen abgezeichnet wurde; erst danach seien die weiteren Beschriftungen des Kreisrings und des Kreuzes, also der vier Quadranten, zu ergänzen.1300 Auch in einer Erläuterung zum Musterprivileg in Ottob. lat. 747 wird betont, dass das Rotakreuz durch den Papst anzubringen sei.1301 In der Nachzeichnung der Rota ist außerdem der Kreisring noch nicht mit der Devise befüllt, dort findet sich nur das Kreuz, die Quadranten sind allerdings bereits beschriftet. Schließlich wird auch in der Neubearbeitung des Formularium audientiae darauf hingewiesen, dass das Kreuz in der Rota vom Papst persönlich stamme.1302
1296 Rabikauskas, Diplomatica pontifica, S. 37; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 572–579; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 92 f.; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 384–386; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 171; Frenz, Symbole, S. 405; Santifaller, Neugestaltung, S. 35; Dahlhaus, Aufkommen, S. 9 f., 18−26; Dahlhaus, Rota, S. 255−290; Katterbach/ Peitz, Unterschriften, S. 181−260. 1297 Barraclough, Chancery Ordinance, S. 238, Abschnitt 7: Item privilegia communia non legebantur, sed scripta in grossa per vicecancellarium portabantur ad papam, ut signarentur. 1298 Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 499; vgl. auch Wattenbach, Schriftwesen, S. 462. 1299 Ottob. lat. 762, fol. 89v: Item facit dominus papa illam crucem parvam, qui est in circunferentia orbitatis inter hec verba „eternum + in“. 1300 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 304, Abschnitt 6: In rota nichil scribatur, quousque sit lectum privilegium et signatum per papam signo crucis. Postea scribantur omnia inter rotam et crucem primo factam, ut in sequenti rota scriptum est. 1301 Ottob. lat. 747, fol. 51v: ista crux debet fieri per manum pape [als Erklärung oberhalb des Rota kreuzes im äußeren Ring]. 1302 Ross. 476, fol. 59v: Item parva crux in capite rote sit per dominum nostrum papam.
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Abb. 18: Erläuterung des plietus auf dem Musterprivileg in Ottob. lat. 747, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
Doch die meisten der genannten Quellen schreiben dem Papst darüber hinaus noch weitere persönliche Mitwirkung zu. In der Frühversion der Forma scribendi privilegium wurde vermerkt, dass der Papst auch das oculum, also das Auge oder die Knolle des ersten Buchstabens seiner Unterschrift, selbst anfertige, und zwar in der Art, dass der Skriptor zunächst ein großes C schreibe (Cgo) und der Papst dies durch einen Federstrich in ein E verwandle.1303 Dem entspricht die Vorgabe des Musterprivilegs in der Kanzleihandschrift Ottob. lat. 747. Den ersten Buchstaben der subscriptio pape bildet hier ein großes C beziehungsweise ein E ohne Querstrich. Genau in der Mitte des langgezogenen Schaftes dieses Buchstabens findet sich ein Verweispunkt und dazu die Erklärung plietus istius „e“ debet fieri per papam (vgl. Abb. 18).1304 Unklar bleibt, ob das Verweiszeichen lediglich deshalb in der Mitte des Buchstabens angebracht ist, um das E deutlich zu kennzeichnen, oder ob der oder die Urheber des Privilegienmusters davon ausgingen, dass der Papst an dieser Stelle einen Strich eintragen sollte.1305 1303 Ottob. lat. 762, fol. 89v: Dominus autem papa facit oculum propria manu prime littere sue subscriptionis scripte per scriptorem, scilicet quod scriptor facit „Cgo“ et papa format vel convertit illud c in e per tractum penne. 1304 Ottob. lat. 747, fol. 51v. 1305 Ob der erste Buchstabe des Ego in Privilegien des 14. Jahrhunderts wenigstens gelegentlich einen
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Abb. 19: Verweiszeichen zur Erläuterung des pilum in der Handschrift Ross. 476, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
In der Neubearbeitung des Formularium audientiae aus dem späten 14. Jahrhundert wird der eigenhändige Beitrag des Papstes zu dem initialen E der päpstlichen subscriptio ebenfalls thematisiert. Als Teil des ursprünglichen Textbestands der Vorgaben zur Privilegienherstellung ist dort angegeben, dass der oder das piletus des ersten Buchstabens E von der Hand des Papstes stamme.1306 Diese Erklärung wurde neben dem oberen Ende des zugehörigen Beispiel-E platziert. Ein auf derselben Seite eingefügter Nachtrag bestätigt diesen Hinweis auf die Position des einzutragenden Striches. Der langgestreckte Buchstabe E ist an dieser Stelle erneut nachgezeichnet, daneben findet sich folgender Hinweis: Hunc pilum facit papa manu propria.1307 Diese Anmerkung verweist anhand eines Punktes auf die auch aus den Originalen bekannte schräge Linie, die den oberen Endhaken des E beschließt (vgl. Abb. 19). Die Urheber dieser beiden Notizen waren sich demnach einig, dass es sich bei dem durch den Papst vorzunehmenden Eintrag um diesen oberen Schräg strich handelte, durch den der Buchstabe C in ein E verwandelt wurde. Interessant ist die Verwendung der Termini pilum, piletus und plietus. Es handelt sich um nur leicht voneinander abweichende Ausdrücke, die sich alle auf den E-Strich beziehen. Bedeutung und Herkunft der Worte sind unbekannt, besonders die beiden Varianten pilum und piletus lassen jedoch einen Zusammenhang derartigen E-Strich aufweist, müsste anhand der wenigen bekannten und bisher kaum untersuchten Originale dieser Zeit geprüft werden. Bisher sind offenbar keine derartigen Ausfertigungen bekannt geworden. 1306 Ross. 476, fol. 59v: Iste piletus huiusmodi littere prioris „e“ sit per dominum nostrum papam. 1307 Ross. 476, fol. 59v.
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mit der Bezeichnung für den römischen Wurfspeer (pilum) vermuten. Möglicherweise erinnerte die schräge Position des Striches, der gewöhnlich in einem ungefähren 45°-Winkel zum geraden Schaft des Buchstabens angebracht wurde, die Zeitgenossen an die typische Haltung eines mit Wurfspeer bewaffneten Menschen. Unabhängig von der Bedeutung der Bezeichnungen, über die hier nur spekuliert werden kann, lässt sich jedenfalls feststellen, dass sich in den Kreisen der Kanzleimitarbeiter offenbar bestimmte Begriffe für diesen E-Strich etabliert hatten. Die verschiedenen Wortvarianten könnten entweder auf unterschiedliche Traditionen innerhalb der Kanzlei hindeuten oder auch darauf, dass das Wissen um den ursprünglich möglicherweise einheitlichen Terminus im 14. Jahrhundert allmählich verloren ging. Auch hinsichtlich der päpstlichen Beteiligung an der Privilegienausfertigung ergänzen somit also das Musterprivileg in Ottob. lat. 747 und die Neuredaktion des Formularium audientiae inhaltlich die Forma scribendi privilegium im Kanzleibuch Dietrichs von Nieheim. Während in der Frühversion der Privilegienlehre die Ausführung des E-Striches durch den Papst im Detail beschrieben wurde, fehlt dieser Aspekt in der Bearbeitung im Liber Cancellarie II, in der nur noch das Rotakreuz Erwähnung findet. Die beiden späteren Quellen zur Privilegienausstattung, denen die Forschung bisher keine Beachtung geschenkt hat, schließen auch diese durch Textverluste entstandene Lücke und geben präzise Auskunft darüber, welche Art von persönlicher Mitwirkung des Papstes an den Unterfertigungen der Privilegien im 14. Jahrhundert in der Kanzlei vorgesehen war. 4.4.6.5 Kardinalsunterschriften Unterhalb der Signa und der päpstlichen Unterschrift wurden auf den Privilegien des 13. und 14. Jahrhunderts die Unterschriften der Kardinäle eingetragen, durch die der Inhalt der Urkunde zusätzlich beglaubigt wurde. Bereits im 11. Jahrhundert wurden päpstliche Privilegien gelegentlich von Kardinälen und auch anderen Prälaten unterschrieben, nach und nach wurde der Kreis der Unterzeichnenden dann auf die Kardinäle beschränkt.1308 Unter Innozenz II. (1130−1143) etablierten sich die Kardinalsunterschriften endgültig als fester Bestandteil der Privilegien, gleichzeitig wurde auch ihre Anordnung in drei Kolumnen eingeführt. Seitdem unterfertigten die Kardinalbischöfe mittig unter der Unterschrift des Papstes, die Kardinalpriester links davon unter der Rota und die Kardinaldiakone rechts unter dem Benevalete. Innerhalb jeder Kolumne richtete sich die Reihenfolge nach dem 1308 Maleczek, Autographen, S. 69 f.; Maleczek, Unterschriften, S. 240 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 93; Frenz, Symbole, S. 400; Dahlhaus, Rota, S. 290; Katterbach/Peitz, Unterschriften, S. 185−193; May, Ego, S. 42−127; Rabikauskas, Diplomatica pontifica, S. 37.
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Amtsalter der Kardinäle.1309 Die früheste bekannte und zugleich sehr ausführliche Beschreibung der Kardinalsunterschriften und ihrer Anordnung in drei Spalten ist in der um 1198 entstandenen Oliva des Boncompagno da Signa überliefert.1310 Eine standardisierte Formel für die Unterfertigungen bildete sich im Laufe des 12. Jahrhunderts heraus. In Übereinstimmung mit den Ordines der Kardinäle entsprachen sie fortan folgenden Schemata: † Ego N. Sabinensis episcopus SS; † Ego N. presb. card. tit. sancti Clementis SS; † Ego N. diac. card. sancti Nicolai in carcere Tulliano SS.1311 Die vorangestellten, zunächst schlichten Kreuze sind seit dem Pontifikat Paschalis’ II. (1099−1118) regelmäßig nachweisbar. Sie wurden in den folgenden Jahrzehnten zunehmend aufwendiger und differenzierter gestaltet, mit Querbalken oder Keilen an den Enden, Punkten in den Winkeln oder Kreisen an den Balken verziert und dadurch so stark umgestaltet, dass in vielen Fällen keine Kreuzform mehr erkennbar war. Sie entwickelten sich zu charakteristischen signa der einzelnen Kardinäle.1312 Auch die im späten 12. Jahrhundert hinzutretenden Subscripsi-Zeichen, die analog zur Papstsignatur auch die Kardinalsunterschriften abschlossen, wurden sehr individuell und dabei teilweise äußerst ausladend gestaltet. Deren bereits im Kontext der subscriptio pape demonstrierte doppelte Funktion als Wortkürzung und eigenständiges Zeichen wird eingehend in der Oliva Boncompagnos erörtert.1313 1309 Maleczek, Autographen, S. 70; Maleczek, Unterschriften, S. 241; Trenkle, De fratrum nostrorum, S. 138–141; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 93; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 54 f.; Frenz, Symbole, S. 400–402; Krafft, Bene Valete, S. 72; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 500; Katterbach/Peitz, Unterschriften, S. 199−201; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 388 f.; May, Ego, S. 127−129; Rabikauskas, Diplomatica pontifica, S. 37. 1310 Cortijo Ocaña, Tratado, S. 170 f.: [9.3] Positis vero per ordinem signis et facta ipsius pape subscriptione, subscribunt episcopi cardinales et postmodum alii, secundum quod est ecclesie Romane consuetudo. [9.4] Et credo, quod episcopus ille, qui est maior inter episcopos cardinales, subscribit vel subscribere debet, idest Hostiensis episcopus, et dicit ita in subscriptione: „Ego Octavianus Hostiensis et Vellarensis episcopus“, quia duos habet modo episcopatus. Et postea facit signum suum et non ponit ibi aliquod verbum, set signum loco verbi. Et post illum subscribunt episcopi cardinales. [9.5] Postmodum vero subscribit prior presbyterorum cardinalium. Et postea omnes presbyteri cardinales, post illos autem subscribit prior diaconorum cardinalium, postmodum alii. Et nota hic et in superiori hoc nomen „prior“ officium et non tempus et sic „prior“ non ponitur hic comparative, immo est nomen officii. Zu Boncompagnos Oliva siehe oben Kapitel 3, S. 47. 1311 Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 54 f.; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 585 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 93. 1312 Frenz, Symbole, S. 403; Katterbach/Peitz, Unterschriften, S. 204−260. 1313 Cortijo Ocaña, Tratado, S. 171: [9.6] Et licet diversa sint subscribentium signa, tamen quodlibet signum gerit officium verbi, si verbum ibi non fuerit, et exigit premissos nominativos, licet tale signum ad aliud fuerit repertum. Et potest denotare duo tempora, videlicet preteritum et presens, ut „subscribo“ vel „subscripsi“.
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Die Zahl der unterzeichnenden Kardinäle stand für jedes Privileg bereits zu Beginn des Ausfertigungsprozesses fest, denn grundsätzlich wurden die Urkunden von allen in der Umgebung des Papstes anwesenden Kardinäle beglaubigt. Entsprechend der Rangordnung wurde für jeden von ihnen eine Zeile vorgesehen, die in der Folge frei blieb, wenn ein Kardinal zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Privilegs nicht mehr anwesend oder anderweitig verhindert war.1314 Bezüglich des Ausmaßes der persönlichen Beteiligung der Kardinäle an ihren Unterfertigungen lässt sich im Laufe des 13. Jahrhunderts eine deutliche Entwicklung feststellen. Bis in die Zeit Innozenz’ IV. (1243−1254) gab es in dieser Hinsicht offenbar keine verbindlichen Gewohnheiten, das Vorgehen bei der Anfertigung der Unterschriften hing von den einzelnen Personen und den aktuellen Umständen ab. Einige Kardinäle ließen die gesamte Subscripsi-Formel durch ihre persönlichen Schreiber eintragen, andere zeichneten das Kreuz, das SS, das Ego oder auch nur das E, manche schrieben ihren Namen selbst.1315 Im Laufe der Zeit bildete sich die Tradition heraus, dass die Kardinäle analog zum Papst wenigstens das charakteristische Kreuz und meist auch das E des Ego selbst einfügten. Insgesamt lässt sich seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine klare Entwicklung hin zur vermehrten Eigenhändigkeit der Kardinalsunterschriften konstatieren, während gleichzeitig die persönliche Mitwirkung der Päpste an ihren eigenen Unterfertigungen immer weiter zurückging.1316 In den meisten untersuchten Quellen zur Privilegienausstattung sind auch Vorschriften zur Gestaltung der Kardinalsunterschriften enthalten; die Forma scribendi privilegium im Liber Cancellarie II beinhaltet sogar eine verhältnismäßig ausführliche Beschreibung dieses Eschatokoll-Bestandteils. Demnach sollen die Unterschrif[9.7] Vel posset dici, quod illud non sit signum nec sit aliquid positum loco alicuius signi, set duo „.S.“, hoc modo titulata SS et quadam circumvolutione interserta et ponuntur pro „subscribo“ vel „subscripsi“, quia tabelliones ista duo SS intricata ponunt in publicis instrumentis pro verbo et nichilominus dimittunt signum proprium, quod in cirographis ponere consueverunt. [9.8] Sed credo, quod illud signum vel ista duo SS taliter intricata gerant (ubi verbum non ponitur) duplex officium, verbi videlicet et signi, quia in multis privilegiis vidi, quod verbum totum scribebatur et postmodum talia SS circumvoluta post verbum loco signi posita erant. [9.9] Quidam etiam post verbum faciunt crucem punctatam vel aliquem caracterem. Posset etiam dici, quod tale signum ponatur pro manu subscribentis et est hoc rei veritas. Unde subscribentibus quandoque dicitur, „Faciatis hic manum vestram“ et tabelliones tale signum „manum suam“ nominant. Unde iam vidi quosdam, qui manum in publicis instrumentis pingebant. 1314 Maleczek, Autographen, S. 70; Maleczek, Unterschriften, S. 241; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 587; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 93; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 389 f.; Frenz, Symbole, S. 400–402. 1315 Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 580–587; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 93; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 387 f.; Frenz, Symbole, S. 405; Berger, Registres Innocent IV 1, S. XXVIII f.; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 499 f. 1316 Katterbach/Peitz, Unterschriften, S. 204−260; Maleczek, Autographen, S. 74−89; Maleczek, Unterschriften, S. 242.
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ten der Kardinalbischöfe direkt unterhalb der Papstunterschrift, also in der Mitte der Urkunde, eingetragen werden, auf der linken Seite davon die der Kardinalpriester und rechts die der Kardinaldiakone. Außerdem wird betont, dass alle Kardinäle ihr Zeichen vor der Unterschrift, sei es ein Kreuz oder ein anderes Symbol, eigenhändig – manu propria – schreiben sollen. Im Anschluss werden im Text drei Beispiele angeführt, jeweils eine Unterschriftenformel für jeden Kardinalsrang.1317 Diese Muster sind in den Handschriften entweder untereinander oder als fortlaufender Text angeordnet, die Aufteilung in drei Kolumnen wurde nicht graphisch umgesetzt.1318 In zwei Liber Cancellarie II-Handschriften sind die signa vor den Unterschriften verziert,1319 das charakteristische subscripsi (SS) am Ende der Unterschrift weist dagegen in keinem der Manuskripte eine besondere Ausstattung auf. In den der Forma beigegebenen Beispielprivilegien wurden die Kardinalsunterfertigungen grundsätzlich nicht berücksichtigt. In der älteren Überlieferung der Privilegienlehre ist die Erläuterung zu den Kardinalsunterschriften noch wesentlich kürzer gehalten, sie deckt aber, mit Ausnahme des Hinweises auf die Eigenhändigkeit, bereits alle wesentlichen Aspekte ab.1320 Auch der frühen Version der Forma scribendi privilegium sind bereits drei Beispiele für die Formulierung der Unterfertigungen beigegeben. Sie sind in der Handschrift Ottob. lat. 762 in einer Zeile nebeneinander angeordnet, wodurch die Aufteilung in drei Spalten wenigstens ansatzweise erkennbar ist, allerdings fehlen die charakteristischen signa. Dass gerade dieser Abschnitt zur Gestaltung der Kardinalsunterschriften in der späteren Version der Forma, die an vielen anderen Stellen Textverluste aufweist, besonders detailliert ausgearbeitet wurde, kann als ein Anhaltspunkt dafür gelten, dass die Aktualisierung dieser Vorlage zur Privilegienausstattung in erster Linie durch die Kardinäle forciert wurde, für die dieser Bestandteil der Privilegien naturgemäß von entscheidender Bedeutung war. Besonders die Ergänzung zur Eigenhändigkeit der signa lässt das Bemühen der Kardinäle erkennen, ihre persönliche
1317 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 304, Abschnitt 8: Subscriptiones vero cardinalium episcoporum fieri debent recte sub scriptione pape qui dicit „Ego Clemens“ etc. ut in sequenti forma; a sinistra vero parte videlicet a principio scripture debent se subscribere presbiteri cardinales, in alia parte dextra debent se subscribere dyaconi cardinales. Quilibet cardinalis debet se subscribere manu propria cum signo crucis depicto vel alio signo si alio est usus. Subscriptio cardinalium: † Ego Ant. tt. sancte Lucie presbyter cardinalis ss. † Ego Odo episcopus Tusculanus ss. † Ego B. sancti Angeli dyaconus cardinalis ss. 1318 Als Fließtext in Barb. lat. 2825 und Vat. lat. 3984, untereinander in Vat. lat. 6332. 1319 Die Kreuze in Vat. lat. 3984 sind vergrößert und laufen an den Enden breit auseinander, in Vat. lat. 6332 sind sie nach ähnlichem Schema ausgeführt, aber zusätzlich dick ausgemalt und ordentlicher gezeichnet. 1320 Ottob. lat. 762, fol. 89v: Item debent primo subscribi presbiteri cardinales, secundario [sic!] episcopi, tertio diaconi cardinales, et sint nomina predictorum columpnatim scripta, non subsequenter continuatim. Ego Guillelmus tituli sancte Cecilie presbiter card. ss. Ego Nicolaus Ostien. episcopus ss. Ego B. diacon.
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Mitwirkung an der päpstlichen Entscheidungsfindung und Urkundenausfertigung endgültig zu fixieren. Auch in der Handschrift Ross. 476 wird im Rahmen eines Nachtrags aus dem späten 14. Jahrhundert die Anordnung und Ausgestaltung der Kardinalsunterschriften erläutert. Die Kardinalbischöfe sollen demnach ihre Unterfertigungen in die Mitte der Urkunde unter die päpstliche Unterschrift setzen, die Kardinalpriester in der Spalte davor unterschreiben, die Diakone in der nachfolgenden. Außerdem sollen sie jeweils ihre eigenen Kreuze oder Subskriptionszeichen verwenden.1321 Die sehr ähnliche Formulierung deutet darauf hin, dass die Sammlung von Vorschriften zur Privilegienausstattung im Codex Rossianus auf Basis der Forma scribendi privilegium nachträglich um die Vorgaben zu den Kardinalsunterfertigungen ergänzt wurde. Insgesamt weisen die Vorschriften zu den Kardinalsunterschriften in den Quellen des 14. Jahrhunderts eine äußerst stabile inhaltliche Tradition auf; die Erläuterungen in den verschiedenen Texten ähneln sich stark und bauen klar aufeinander auf. Auffällig ist, dass der Fokus der Aufzeichnungen grundsätzlich auf der Anordnung der Unterfertigungen in drei Spalten liegt. Tatsächlich dürfte dieser Aspekt für das Personal der päpstlichen Kanzlei im Hinblick auf die konkrete Vorgehensweise bei der Privilegienherstellung von besonderem Interesse gewesen sein. Für die Eintragung der Unterschriften waren nicht die Mitarbeiter der Kanzlei, sondern die Kardinäle und deren eigene Schreiber zuständig. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, dass die Kardinalsunterschriften in dem Musterprivileg in Ottob. lat. 747 ebenso wenig berücksichtigt wurden wie in den Beispielprivilegien der Forma scribendi privilegium. Diese Muster wurden für die Skriptoren der Kanzlei als Vorlagen für die von ihnen zu gestaltenden Urkundenbestandteile angelegt, die Unterfertigungen der Kardinäle fielen jedoch nicht in ihr Aufgabengebiet. Dennoch oblag es aber mit hoher Wahrscheinlichkeit der Kanzlei unter Leitung des Vizekanzlers, den notwendigen Geschäftsgang bei der Fertigstellung der Urkunden zu organisieren und zu überwachen, dass jeder Kardinal an der für ihn vorgesehenen Stelle unterzeichnete. Deshalb dürften die wichtigsten Informationen für die Planung der Abläufe und die Kontrolle der korrekten Ausführung in den untersuchten Quellen schriftlich festgehalten worden sein. Die Tatsache, dass die entsprechenden Regeln während des gesamten 14. Jahrhunderts tradiert und noch zum Ende des Jahrhunderts in der Neuredaktion des Formularium audientiae nachgetragen wurden, kann sicherlich als ein weiterer Beweis für die konsequenten Anstrengungen der Kardinäle und speziell des Vi1321 Ross. 476, fol. 59v: Item episcopi cardinales subscribunt se recte sub papa in medio littere, presbiteri in capite et diaconi inferius, cum singulis propriis crucibus et propriis signis subscriptionum, videlicet sic „SS“ vel sic „SS“. Von den beiden Beispielen für Subskriptionszeichen ist das erste einfacher gehalten, das zweite ist reich verziert.
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zekanzlers interpretiert werden, das Aussterben der Privilegien zu verhindern. Die Vorgaben zur Gestaltung der Kardinalsunterschriften konnten in der Folge auch im 15. Jahrhundert im Kontext der aufkommenden Konsistorialbullen weiterhin Gültigkeit beanspruchen. Das Muster-Eschatokoll einer solchen Urkunde, das um die Mitte des 15. Jahrhunderts in den Liber Cancellarie II eingetragen wurde, umfasst neben Rota und Papstunterschrift Eugens IV. insgesamt zwölf Kardinalsunterschriften, die regelgemäß den Ordines entsprechend angeordnet wurden.1322 Es erweist sich somit als anschauliche Illustration der in den Quellen des 14. Jahrhunderts nur theoretisch formulierten Regeln, die nun für eine neue Urkundengattung wieder praktischen Wert bekommen hatten. 4.4.6.6 Datierung Im Gegensatz zu den päpstlichen litterae wurden die Privilegien nicht mit der kleinen, sondern der wesentlich umfangreicheren großen Datierung versehen, die deutlich mehr Platz auf dem Pergament beansprucht. Das Datum bildete sowohl hinsichtlich des Layouts als auch im Sinne des Geschäftsgangs den Abschluss der Urkunde und wurde erst eingetragen, nachdem alle Unterfertigungen des Privilegs vervollständigt worden waren.1323 Im 12. Jahrhundert etablierte sich die Gewohnheit, die Datierung in einer einzigen Zeile unterzubringen, sie reicht daher meist bis an die rechte Hilfslinie heran, die den Textblock begrenzt. Die Datumszeile befindet sich häufig sehr knapp oberhalb der Plica, ist aber im Normalfall nicht von ihr verdeckt.1324 Seit dem 12. Jahrhundert setzte sich diese große Datierung aus folgenden Bestandteilen zusammen: Dat., Ort, per manum, Name des Datars, römisches Tagesdatum, Indiktion, Inkarnationsjahr, Pontifikatsjahr.1325 Sie wurde von einem Skriptor oder möglicherweise noch im Konsistorium von einem Notar1326 eingetragen, allerdings schrieb der Datar seinen Namen oder wenigstens die Initiale selbst. Als Datar fungierte der Vizekanzler als Leiter der Kanzlei, der durch seine persönliche Mitwirkung die Urkunde beglaubigte.1327 Sowohl die Tagesdatierung 1322 Barb. lat. 2825, S. 328; siehe oben Kapitel 4.4.3, S. 214. 1323 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 69; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 500. 1324 Kaltenbrunner, Merkmale, S. 402. 1325 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 93; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 470. Zur Entwicklung der Datierung auf den päpstlichen Privilegien vgl. Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 84–86; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 419–428; Poole, Lectures, S. 48–50. 1326 Zur möglichen Eintragung durch einen Notar im Konsistorium vgl. Herde, Beiträge, S. 222 f.; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 583 Anm. 11; Diekamp, Urkundenwesen Alexander IV., S. 500 f. 1327 Rabikauskas, Diplomatica pontifica, S. 37 f.; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 588; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 501; Poole, Lectures, S. 139; Schmitz-Kallenberg,
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als auch das Indiktions- und das Inkarnationsjahr wurden in Form von römischen Zahlen angegeben, das Pontifikatsjahr dagegen stets als Wort ausgeschrieben, was den Vorgaben zur Gestaltung der Datierung in den litterae entspricht.1328 Mit Blick auf das Datum des Jahresanfangs, das für die Berechnung der drei verschiedenen Jahresangaben relevant war, konnten sich in der päpstlichen Kanzlei nur teilweise verbindliche Gewohnheiten etablieren. Bei der Datierung nach Indiktion, dem 15-jährigen spätrömischen Steuerzyklus, wurden offenbar willkürlich verschiedene Jahreswechsel veranschlagt; Verwendung fanden sowohl die griechische (1. September) als auch die Bedaische (24. September) und die römische Indiktion (1. Januar oder 25. Dezember).1329 Hinsichtlich der Inkarnationsjahre variierte der Jahresanfang zwischen dem Nativitätsstil (25. Dezember) einerseits und dem Florentiner und Pisaner Stil andererseits (25. März, aber unterschiedliche Jahreszählung).1330 Rabikauskas erklärte dieses Phänomen damit, dass seit Beginn des 13. Jahrhunderts die litterae die Masse der in der päpstlichen Kanzlei ausgefertigten Urkunden bildeten, während Privilegien nur verhältnismäßig selten hergestellt wurden. Da die litterae ausschließlich nach Pontifikatsjahr datiert wurden, mangelte es den Kanzleibediensteten an Erfahrung mit den beiden anderen Datierungsvarianten. Außerdem wurde deren korrekte Anwendung auf den Urkunden weniger streng kontrolliert als die des Pontifikatsjahres – eine logische Folge des Mangels an entsprechenden Richtlinien, die als Grundlage für eine Kontrolle hätten dienen können.1331 Die These Rabikauskas’ wird dadurch bestätigt, dass die Datierung nach Pontifikatsjahren auf den Privilegien äußerst einheitlich gehandhabt wurde: Seit Beginn des 13. Jahrhunderts galt konsequent der Tag der Papstkrönung als Stichtag für die Berechnung.1332 Diese an den Originalen gemachten Beobachtungen legen die Vermutung nahe, dass im Umfeld der Kanzlei keine (einheitlichen) Merkverse oder anderen Hilfsmittel zur Ermittlung der verschiedenen Jahresdatierungen genutzt wurden, und in der Tat enthalten die Regeltexte zu diesem Aspekt der großen Datierung keinerlei Vorgaben. Insgesamt finden sich in den untersuchten Quellen nur wenige Hinweise zum Datum der Privilegien, und die spärlichen Angaben beziehen sich ausschließlich auf dessen Positionierung und graphische Gestaltung. Papsturkunden, S. 94; Kaltenbrunner, Merkmale, S. 396–399; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 470 f.; Dahlhaus, Rota, S. 254. 1328 Siehe oben Kapitel 4.3.5.7, S. 187. 1329 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 93 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 414–416; Delisle, Mémoire, S. 54–58; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LIX–LXI. 1330 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 93 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 438–440; Delisle, Mémoire, S. 58 f.; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXIf. 1331 Rabikauskas, Annus Incarnationis, S. 52 f. 1332 Delisle, Mémoire, S. 59 f.; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXII; Imkamp, Sicut, S. 109; Kuttner, Style, S. 448–453; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 422.
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In der Frühform der Forma scribendi privilegium ist die Datierung überhaupt nicht berücksichtigt. Möglicherweise ergaben sich die wichtigsten Gestaltungsmerkmale aus den ursprünglich beigegebenen Musterbeispielen. Denkbar ist auch, dass der Text mit einem Abschnitt zur Datierung endete, der in der Handschrift Ottob. lat. 762 aufgrund der fehlenden Seite nicht überliefert wurde. In der Bearbeitung der Privilegienlehre aus der Mitte des 14. Jahrhunderts wird die Datierung dann an zwei Stellen thematisiert. Zunächst ist schlicht festgelegt, dass das Datum am Ende der Urkunde bei der Plica unterhalb der Kardinalsunterschriften einzutragen sei1333 – diese inhaltliche Ergänzung gegenüber der älteren Textvariante wurde demnach im Zusammenhang mit der Ausformulierung der Regeln zu den Unterfertigungen der Kardinäle vorgenommen. Im Anschluss an diese Erläuterungen folgt dann der Hinweis, dass die Datierung immer eine gesamte Zeile füllen soll.1334 Der Text verweist zur Veranschaulichung der Vorgaben auf die nachfolgenden Urkunden. Von den beiden Beispielprivilegien im Liber Cancellarie II Dietrichs von Nieheim umfasst aber nur das erste eine Datierung, das zweite endet mit dem Kontext. Darüber hinaus sind in diesem ersten Muster die vorgegebenen Regeln nicht umgesetzt. Die Datierung weist keine besondere Schriftausstattung auf und erstreckt sich aufgrund des begrenzten Raumes auf der Einzelseite der Handschrift über vier Zeilen, die letzte ist durch besonders große Wortzwischenräume so weit gestreckt, dass sie ebenso lang ist wie die übrigen.1335 Die anderen untersuchten Überlieferungen der Forma scribendi privilegium sind in dieser Hinsicht wenig aussagekräftig.1336 Auch der Urheber des Musterprivilegs in Ottob. lat. 747 hatte Mühe mit der Vorgabe, die gesamte Datierung in einer Zeile unterzubringen, versuchte aber doch, nicht gegen diese Regel zu verstoßen – ein weiterer Hinweis darauf, dass das Privilegienmuster als Illustration der theoretischen Bestimmungen in der Forma scribendi privilegium angelegt wurde.1337 Obwohl dafür eine Doppelseite der Handschrift genutzt wurde, fand die umfangreiche Datierung nicht genug Platz, sie ragt weit über die anderen Zeilen der Urkunde hinaus bis an den Rand der Seite. Zusätzlich sind die Worte sancte Romane ecclesie vicecancellarii mit Verweiszeichen oberhalb der Zeile nachgetragen. Besondere Ausstattung weist die Datierung nicht auf, dafür 1333 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 304, Abschnitt 7: Et ponatur data in fine iuxta caudam sive plicaturam sub signis omnium cardinalium ut in sequenti folio scripta est. 1334 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 304, Abschnitt 9: Dat. etc. ut in sequenti carta et semper debet continere unam integram lineam ut dictum est. 1335 Barb. lat. 2825, S. 5. 1336 In Vat. lat. 3984, fol. 49r, ist die Datierung direkt an den Kontext angeschlossen und stark verkürzt: Dat. Avinione per manum Petri episcopi Penestrini sancte Romane ecclesie vicecancellarii etc. incarnationis dominice Anno domini millesimo etc. In Vat. lat. 6332 fehlt die Datierung. 1337 Ottob. lat. 747, fol. 51v–52r.
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Abb. 20: Datierungszeile des Musterprivilegs in Ottob. lat. 747, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
aber eine beigefügte Erklärung, derzufolge der Vizekanzler den ersten Buchstaben seines Namens innerhalb der Datierung selbst eintragen soll, was den aus den Originalen ermittelbaren Gewohnheiten entspricht (vgl. Abb. 20).1338 Mit der schriftlichen Fixierung dieser Tradition wurde die Beteiligung des Vizekanzlers an der Ausfertigung der Privilegien konsolidiert – amtierender Kanzleileiter zur Zeit der Aufzeichnung des Privilegienmusters war Pierre des Prés.1339 Die Initiale des Namens des Datars wurde häufig als geschwärzte Majuskel ausgeführt,1340 womit die Vorgabe aus dem Formularium audientiae umgesetzt wurde, den ersten Buchstaben von Eigennamen immer zu vergrößern.1341 Zusammengenommen vermittelten die Beschreibungen in der Forma scribendi privilegium und das illustrierende Muster in Ottob. lat. 747 wahrscheinlich einen für die Praxis ausreichend präzisen Eindruck davon, wie die Privilegiendatierung zu gestalten war. Im ursprünglichen Textbestand der Ausstattungsvorschriften für Privilegien in der Neubearbeitung des Formularium audientiae waren in der Folge keine Angaben zur Datierung enthalten. Erst zum Ende des 14. Jahrhunderts wurde im Zusammenhang mit dem Nachtrag zur Gestaltung der Kardinalsunterschriften auch der wahrscheinlich auf der Forma scribendi privilegium basierende Hinweis ergänzt, dass das Datum nahe der Plica einzutragen sei und danach nur noch die Bulle folge.1342 Als Grund für diese nachträgliche Übernahme von Vorschriften, die bereits im Liber Cancellarie II fixiert waren, kann das Bedürfnis nach einer Vervollständigung dieser Regelsammlung zur Privilegiengestaltung vermutet werden. Angaben zur Ausstattung des Papstnamens im Rahmen der großen Datierung enthält keine der untersuchten Quellen. Nach Ausweis der Originale wurde sie auch nicht einheitlich gehandhabt. Häufig, aber nicht regelmäßig wurde der Papstname durch Elongata hervorgehoben.1343 Es liegt nahe, hier einen Zusammenhang
1338 Ottob. lat. 747, fol. 51v: Vicecancellarius debet facere primam litteram sui proprii nominis [als Erklärung über der Nennung des Datars: per manum Petri episcopi Penestrini …]. 1339 Siehe oben Anm. 663. 1340 Kaltenbrunner, Merkmale, S. 401 f.; Delisle, Mémoire, S. 51; Berger, Registres Innocent IV 1, S. XXVIII. 1341 Siehe oben Kapitel 4.3.5.6, S. 183. 1342 Ross. 476, fol. 59v: Datum erit iuxta plicam littere postquam nihil erit nisi bulla […]. 1343 Kaltenbrunner, Merkmale, S. 401 f.; Delisle, Mémoire, S. 51; Berger, Registres Inno cent IV 1, S. XXVIII.
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mit den ebenfalls variierenden Vorgaben zur Schreibung des Papstnamens im Kontext der litterae zu vermuten.1344 Insgesamt verdeutlicht der Fokus der Regeln und Vorlagen zur Privilegiendatierung auf die Positionierung und das Layout des Datums, dass für die Urheber der Aufzeichnungen das Gesamtbild des Eschatokolls der Urkunden im Vordergrund stand. Im Gegensatz zu den Ausstattungsregeln für litterae, die umfangreiche Vorschriften nicht nur zur Gestaltung der gesamten Datierungsformel, sondern auch zur Schreibweise der einzelnen Bestandteile und zur Errechnung der römischen Tagesdatierung enthalten, wird in den Ausstattungsvorgaben für die Privilegien der korrekten Ermittlung und Angabe der verschiedenen komplexen Varianten der Jahresdatierung keine Beachtung geschenkt. Wahrscheinlich ist dies darauf zurückzuführen, dass die Datierung im Kontext der in der Audientia behandelten litterae von besonderer rechtlicher Bedeutung war und als fälschungssicheres Echtheitsmerkmal dieser Urkunden etabliert wurde,1345 während im Falle der Privilegien vorrangig die päpstlichen Unterfertigungen und die Kardinalsunterschriften die Authentizität der Urkunde garantierten, der Datierung aber keine explizite juristische Relevanz innewohnte. 4.4.6.7 Kanzleivermerke Auch auf Privilegien wurden im späten Mittelalter mitunter Kanzleivermerke eingetragen, die den Herstellungsprozess dieser Urkunden in der päpstlichen Kanzlei dokumentieren. Besonders der bereits im Kontext der litterae behandelte Skriptorenvermerk war im Rahmen des Geschäftsgangs der Privilegien gleichermaßen von Bedeutung. Er diente als Arbeitsnachweis, der es einerseits erlaubte, den Schreiber zur Verbesserung möglicher Fehler erneut heranzuziehen, ihm andererseits aber auch die Einkünfte aus der Herstellung der Urkunde garantierte.1346 Dementsprechend findet der Vermerk auch in den Regelwerken zur Privilegienausfertigung Erwähnung. In der frühen Version der Forma scribendi privilegium ist am Ende des Abschnitts zum Kontext der Privilegien, direkt im Anschluss an die Beschreibung der drei AMEN, der Hinweis nomen scriptoris Sy. Aretinus eingetragen, danach folgen die Erläuterungen zu den Unterfertigungen.1347 Die korrekte Platzierung des Schreibervermerks – rechts auf der Plica und damit unterhalb des Eschatokolls – ließ sich aus dieser Anordnung der Regeln nicht ablesen. Da es sich bei der Überlieferung in Ottob. lat. 762 wahrscheinlich um eine Abschrift handelt, könnte die Anmerkung 1344 Siehe oben Kapitel 4.3.5.6, S. 186. 1345 Siehe oben Kapitel 4.3.5.7, S. 196. 1346 Siehe oben Kapitel 4.3.5.8, S. 198. 1347 Ottob. lat. 762, fol. 89v. Zum Skriptor Symon Aretinus siehe oben Anm. 1084.
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in der ursprünglichen Vorlage als Nachtrag eingefügt und so an die falsche Stelle übernommen worden sein. Denkbar wäre auch, dass der oder die Urheber die Platzierung des Vermerks auf den litterae vor Augen hatten, denn dort steht er aufgrund der fehlenden Unterfertigungen direkt unterhalb des Textblocks. In der späteren Bearbeitung der Privilegienlehre im Liber Cancellarie II wird der Skriptorenvermerk nicht erwähnt, eine entsprechende Ergänzung findet sich aber in der Überlieferung des Textes, die während des Pontifikats Martins V. (1417– 1431) in eine Formularium-Handschrift eingetragen wurde. Am Ende des Beispielprivilegs für den Benediktinerorden steht dort folgender Hinweis: Hic ponatur nomen scriptoris.1348 Da das Musterprivileg weder Unterfertigungen noch Datierung aufweist, bleibt die beabsichtigte Position des Vermerks im Kontext der Gesamturkunde auch in diesem Fall unklar. Eine Angabe zur Platzierung von Kanzleivermerken auf Privilegien ist aber im Rahmen eines Nachtrags zu den Ausstattungsvorgaben in Ross. 476 überliefert. Er besagt, dass es nicht den Gewohnheiten der Kanzlei entspreche, auf Privilegien Tax- und Schreibervermerke oder andere Zeichen von Kanzleimitarbeitern vor (oder oberhalb) der Datierung einzutragen.1349 Sie sollten demnach immer unterhalb des Datums angebracht werden, möglicherweise auch vor dem Hintergrund, dass der Schreibervermerk an anderer Stelle möglicherweise als weitere Kardinals unterfertigung hätte interpretiert werden können. Die Originale zeigen, dass Privilegien zu Beginn des 13. Jahrhunderts nur selten Kanzleivermerke aufwiesen; im weiteren Verlauf des Jahrhunderts kamen besonders die Schreibervermerke dann zwar häufiger, aber nicht regelmäßig vor.1350 Aufgrund der unzureichenden Forschungslage zu den Privilegien des 14. Jahrhunderts kann für diese Zeit keine gesicherte Aussage über das Vorkommen derartiger Vermerke getroffen werden. Offenbar wurde in der päpstlichen Kanzlei bezüglich der Anbringung von Kanzleivermerken auf Privilegien nie ein verbindliches Verfahren etabliert.
1348 Vat. lat. 6332, fol. 15v. 1349 Ross. 476, fol. 59v: […] et nota, quod non solent antequam [datum] ponere taxam nisi scriptoris nec alia signa domini cancellarie in huiusmodi privilegiis. 1350 So das Ergebnis einer kursorischen Durchsicht der Angaben zu den Kanzleivermerken in den Bänden des Censimento (konsultiert wurden die in Tab. 2, S. 204 f. genannten Bände) und in Battelli/Pagano, Schedario. Die Auswertung gestaltete sich schwierig, da gerade die Schreibervermerke nicht immer als solche identifizierbar sind, weil sie nicht konsequent rechts auf der Plica, sondern auch an anderen Stellen der Urkunden eingetragen wurden. Darüber hinaus ist der Erhaltungszustand bei einigen der beschriebenen Privilegien so schlecht, dass Rückschlüsse auf das ursprüngliche Vorhandensein von Kanzleivermerken nicht mehr möglich sind. Insgesamt scheint der größere Teil der Privilegien des 13. Jahrhunderts, besonders nach dem Pontifikat Innozenz’ III., Kanzleivermerke aufzuweisen, wobei der Schreibervermerk deutlich am häufigsten und auch exklusiv vorkommt.
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Wie bereits im Fall der Gestaltungsregeln für litterae kann mit Blick auf die Regularien zur Privilegienausstattung konstatiert werden, dass die Kanzleivermerke bei den Verfassern dieser Texte und Vorlagen nicht im Mittelpunkt des Interesses standen, denn nur in wenigen der untersuchten Quellen wurden entsprechende Hinweise ergänzt. Letztlich waren die Geschäftsgänge von Kanzlei und Audientia, die ihren Ausdruck in den Vermerken fanden, nicht zentraler Gegenstand der hier betrachteten Hilfsmittel zur Urkundenausstattung.
4.5 Regeln zur Gestaltung der Bullen Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts etablierte sich in der päpstlichen Kanzlei eine Urkundenart, die hinsichtlich ihrer äußeren Gestalt als Mischform zu betrachten ist, da sie Merkmale von Privilegien und litterae in sich vereint. Diese Urkunden werden in der Forschung gewöhnlich als Bullen oder litterae solemnis bezeichnet. Die Bullenform wurde vorrangig für die Verlautbarung besonders bedeutsamer Inhalte von zeitlich unbegrenzter Rechtswirkung, wie päpstliche Dekrete, Exkommunikationen oder Zirkumskriptionen, genutzt.1351 Die Ausstattung der Bullen entspricht in großen Teilen derjenigen der Seidenschnurbriefe, das Protokoll ist aber wesentlich aufwendiger gestaltet und erinnert an das Privileg. Es füllt die erste Zeile vollständig aus und besteht aus der Intitulatio und einer Verewigungsformel, die Adresse fehlt. Der erste Buchstabe des Papstnamens wurde stets vergrößert und verziert, der übrige Name in Majuskeln ausgeführt, der Rest der Zeile dagegen in Elongata. Die Verewigungsformel variierte im 13. Jahrhundert in ihrer Formulierung, als endgültige Varianten setzten sich Ad perpetuam rei memoriam und das seltener gebrauchte Ad futuram rei memoriam durch. Auf die Verewigungsformel folgen gewöhnlich drei puncta retorta, die Initialen ihrer ersten beiden Worte wurden häufig als verzierte Majuskeln ausgeführt. Die Anfangsbuchstaben des Kontextes und der Formeln Nulli ergo und Si quis autem wurden ebenfalls hervorgehoben.1352 Den Abschluss der Urkunde bildet die Datierung, über Unterschriften oder Unterfertigungszeichen verfügen die Bullen nicht. Das Datum lehnte sich ursprünglich an die große Datierung der Privilegien an, im 14. Jahrhundert wurde aber nur noch die kleine der litterae verwendet. Das Siegel ist stets mit Seidenfäden angebracht.1353 1351 Frenz, Papsturkunden, S. 28 f.; Rabikauskas, Diplomatica pontificia, S. 43 f.; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 82. 1352 Frenz, Papsturkunden, S. 28; Burger, Beiträge, S. 214–221; Rabikauskas, Diplomatica pontifica, S. 43 f.; Frenz, Form, S. 373; Berger, Registres Innocent IV 1, S. XLV f.; Schmitz- Kallenberg, Papsturkunden, S. 100; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 501; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 82 f. 1353 Frenz, Papsturkunden, S. 29; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 100; Berger, Re-
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Abb. 21: Verewigungsformel päpstlicher Bullen in der Handschrift Ross. 476, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
Obwohl die Bullen bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts aufkamen und im Laufe des 14. Jahrhunderts immer zahlreicher ausgefertigt wurden, sind zu ihrer äußeren Gestaltung kaum Vorgaben überliefert. Lediglich eine der untersuchten Quellen, nämlich die Neubearbeitung des Formularium audientiae aus dem späten 14. Jahrhundert, berücksichtigt diese Urkundengattung. Der erste kurze Hinweis zur Gestaltung der Bullen findet sich zwischen den auf einer Seite der Handschrift zusammengetragenen Ausstattungsvorschriften für päpstliche Privilegien. Nachträglich wurde dort die sauber in Elongata ausgeführte und mit zwei puncta retorta versehene Verewigungsformel Ad futuram rei memoriam eingetragen (vgl. Abb. 21).1354 Weitere Erläuterungen zur Bulle sind mit diesem Nachtrag nicht verbunden. Er schließt direkt an die Erklärung zu den drei AMEN am Ende des Privilegienkontextes an und wurde wahrscheinlich deshalb an dieser Stelle eingefügt, weil die AMEN in einem der beigegebenen Beispiele die gleiche Ausstattung mit Elongata und puncta retorta aufweisen. Im Rahmen eines Einschubs zwischen den Regeln für Gratialbriefe wird die Gestaltung des Bullenprotokolls erneut aufgegriffen. Die Bulle wird an dieser Stelle in Abgrenzung zu den litterae als privilegium bezeichnet, was erneut verdeutlicht, dass die Klassifizierung der Papsturkunden in der päpstlichen Kanzlei des 14. Jahrhunderts anderen Kriterien folgte, als dies in der Forschung üblich ist. Der Terminus privilegium war sowohl für Privilegien als auch für Bullen üblich, Erstere wurden dabei durch den Zusatz commune von Letzteren unterschieden. Dass die Bullengestaltung in der Handschrift im Kontext der Gratialbriefe thematisiert wurde, unterstreicht aber wiederum den Charakter der Bullen als Mischform zwischen Privilegien und litterae. Gemeinsam bildeten Privilegien, Bullen und Seidenschnurbriefe die gratiose, wobei die Zuordnung zu dieser Kategorie offenbar nicht nur anhand des Rechtsinhalts, sondern auch mit Blick auf das damit zusammenhängende, besonders aufwendige Äußere erfolgte.
gistres Innocent IV 1, S. XLII–XLIV, LVIII; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 501; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 82 f. 1354 Ross. 476, fol. 59v.
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Abb. 22: Nachzeichnung des Protokolls einer päpstlichen Bulle in der Handschrift Ross. 476, © 2023 Biblioteca Apostolica Vaticana
Die Hinweise zur Bulle im Codex Rossianus schließen inhaltlich an die Regel zur Ausstattung der Initiale des Papstnamens in Seidenschnurbriefen an: Sie sei in der Bulle genauso zu gestalten wie dort, anders als bei den litterae sollen aber die ihr folgenden Buchstaben des Namens vergrößert und dick ausgemalt werden. Außerdem sollen alle weiteren Buchstaben der gesamten ersten Zeile bis an die obere Linie reichen, wobei die beiden Initial-s der Formel servus servorum besonders hervorzuheben seien, und zwar durch eine zusätzliche Verlängerung nach oben sowie die Verzierung mit Rankenschmuck. Außerdem wird vorgegeben, dass jeweils nach dem Wort Dei und am Ende der Zeile Punkte zu setzen seien.1355 Im Anschluss an diese Beschreibung folgt in der Handschrift die sauber ausgeführte Nachzeichnung eines Bullenprotokolls mit dem Papstnamen Gregorius (vgl. Abb. 22). Sie erstreckt sich über zwei Zeilen und weist alle beschriebenen Merkmale auf. Als Vorlage dürfte eine Bulle Gregors XI. (1370−1378) gedient haben, in dessen Pontifikat die Entstehung der Handschrift Ross. 476 datiert werden kann.1356 Erst aus dem Muster erschließt sich die Beschaffenheit der im Text erwähnten puncta: Im Anschluss an das Wort Dei finden sich zwei einfache, übereinanderstehende Punkte, am Ende des Protokolls die auch aus dem Privileg bekannten drei puncta retorta. Darüber hinaus weist die Zeichnung noch weitere auffällige Merkmale auf, die im Text keine Erwähnung finden, nämlich ein hervorgehobenes A zu Beginn der Formel Ad perpetuam rei memoriam sowie eine spezielle Gestaltung der beiden Schluss-s von ep̅s und servus, die an die übereinandergestellten puncta retorta erinnert. Erneut erweist sich – analog zu den Vorlagen zur Privilegienausstattung –, dass illustrierte Darstellungen für die Praxis in der Kanzlei von größerem Nutzen 1355 Ross. 476, fol. 64v–65r: Privilegia tamen habebunt sub prima maiori omnes alias litteras dicti nominis [pape] apices, et omnes prime linee litteras in ampla linea scriptas de linea ad lineam attingentes, sed vero primum tamen harum duarum dictionum „servus servorum“ altius erit et floridam, et puncta fierent inter dictiones „dei“ et „ad futuram“ ac in fine linee hoc modo: „GREGORIUS ep͞s servus servorum dei. Ad perpetuam rei memoriam.“ 1356 Siehe oben Kapitel 4.3.4, S. 138.
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waren als theoretische Anweisungen. Im Anschluss an das Protokoll sind zusätzlich die beiden ersten Worte des Kontextes, Gratie divine, wiedergegeben, der erste Buchstabe ist vergrößert und geschwärzt. Die Erläuterungen zur Bulle schließen mit dem Hinweis, dass die übrige Urkunde genauso auszustatten sei wie die anderen gratiose.1357 Der Text verweist damit auf die Angaben zur Gestaltung der litterae cum serico, die sich in der Handschrift direkt vor und nach diesem Einschub finden. Da sich die Bullen nur hinsichtlich des Protokolls von den Seidenschnurbriefen unterschieden, konnte auf weitere gattungsspezifische Ausführungen verzichtet werden. Ob die Normen zur Bullenausstattung in Ross. 476 erstmals schriftlich festgehalten wurden oder ob die Urheber dieser Handschrift dafür auf Vorlagen zurückgreifen konnten, lässt sich nicht abschließend klären. Ältere Überlieferungen ähnlicher Aufzeichnungen sind bisher nicht bekannt, es ist aber nicht auszuschließen, dass beispielsweise in einer (nicht überlieferten) Abschrift des Formularium audientiae bereits Notizen zur Gestaltung der Bullen enthalten gewesen sein könnten. Möglicherweise wurde diese Urkundenart auch im Zuge der Neubearbeitung der Gestaltungsvorschriften im Codex Rossianus erstmals berücksichtigt, um auf diese Weise die Regelsammlung zu den gratiose zu vervollständigen. Es ist in jedem Fall bemerkenswert, dass die Bullen in den untersuchten Quellen zur Urkundenausstattung – den zentralen Hilfsmitteln der Kanzlei – bis in die letzten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts keine Erwähnung fanden, vor allem vor dem Hintergrund, dass die im 14. Jahrhundert nur noch selten ausgefertigten Privilegien in den Nachschlagewerken wesentlich früher und umfassender behandelt wurden als die für das päpstliche Urkundenwesen dieser Zeit deutlich relevanteren Bullen. Der Grund dürfte darin liegen, dass sich aus der Praxis der päpstlichen Kanzlei keine Notwendigkeit zur Aufzeichnung von Gestaltungsregeln für Bullen ergab. Zudem ist, wie gezeigt werden konnte, die Verschriftlichung und Tradierung der Regeln zur Privilegienausstattung vor allem auf das Bestreben der Kardinäle zurückzuführen, diese Urkundenart als relevantes Kommunikationsmedium des Papsttums zu bewahren. An einer vergleichbaren Förderung der Bullen, welche die Privilegien seit der Mitte des 13. Jahrhunderts als prächtige Variante der Papsturkunden zunehmend verdrängten und damit die Partizipation der Kardinäle einschränkten, dürften sie hingegen kein Interesse gehabt haben. In den Vorgaben zur Ausstattung der litterae wurden seit dem späten 13. Jahrhundert vorrangig solche Gestaltungsmerkmale thematisiert, die der Abgrenzung zu anderen Urkundengattungen oder der Differenzierung der beiden Arten von litterae dienten, außerdem aktuelle Anpassungen und Ergänzungen zu speziellen Ausstattungsdetails, die im Laufe des 14. Jahrhunderts aus der Kanzlei hervorgingen. Die Notwendigkeit zur Aufzeichnung derartiger Vorgaben entfiel im Hinblick auf 1357 Ross. 476, fol. 65r: Reliqua scribuntur sicut in aliis gratiosis.
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die Bullen. Deren Eigenschaft als Mischform machte eine Abgrenzung zu anderen Urkundenarten obsolet und brachte es zudem mit sich, dass sie keine innovativen Charakteristika aufwiesen, die dem Kanzleipersonal nicht bereits in anderen Zusammenhängen vermittelt worden wären. Schließlich konnten für die Gestaltung von Kontext und Datierung der Bullen die Vorschriften für die Seidenschnurbriefe Gültigkeit beanspruchen, während für das Protokoll die Regeln und Vorlagen zur Privilegienausstattung herangezogen werden konnten. Erst im Zuge der Übersiedlung der Kurie nach Rom unter Gregor XI. im Jahr 1376, als die Kanzlei auf einen großen Teil ihres erfahrenen Personals verzichten und viele neue Mitarbeiter in die Gewohnheiten der Kanzlei einweisen musste, ergab sich schließlich der Bedarf nach einer schriftlichen Fixierung der in der routinierten avignonesischen Kanzlei seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich angewandten Regeln. Dieser naheliegende Zusammenhang ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Codex Rossianus 476 vor dem Hintergrund der Ausnahmesituation der Kanzlei nach dem Weggang aus Avignon und damit erst nach 1376 angelegt wurde.
4.6 Allgemeine Gestaltungsregeln in den Libri Cancellarie Neben den verschiedenen gattungsspezifischen Regeltexten und Gestaltungsvorlagen wurden im 14. Jahrhundert auch Ausstattungsvorschriften aufgezeichnet, die nicht speziell auf die Charakteristika von litterae, Privilegien oder Bullen eingehen, sondern das päpstliche Urkundenwesen im Allgemeinen betreffen. Sie thematisie ren Merkmale wie Rasuren und Kanzleivermerke, die für die Gestaltung aller genannten Urkundenarten gleichermaßen relevant waren. Sämtliche derartigen Regelungen, die in den untersuchten Quellen ermittelt werden konnten, wurden im Kontext der Libri Cancellarie überliefert. 4.6.1 Konstitution Pater familias Die älteste Quelle, die aussagekräftige Angaben zu einem allgemeinen Gestaltungsmerkmal der Papsturkunden enthält, ist im Kontext des Liber Cancellarie I auf uns gekommen. Dieses erste Kanzleibuch, das im frühen 13. Jahrhundert angelegt wurde,1358 blieb bis in die avignonesische Zeit in Gebrauch und enthält deshalb auch Konstitutionen Johannes’ XXII. (1316–1334) mit Bezug zur päpstlichen Kanzlei. Als Johannes XXII. zum Papst gewählt wurde, befand sich die Kurie nach einem längeren Zeitraum ohne feste Residenz während des Pontifikats Clemens’ V. (1305–1314) sowie der anschließenden zweijährigen Sedisvakanz logistisch wie wirtschaftlich in einer kritischen Lage. Johannes gestaltete in der Folge den Auf1358 Zu Entstehung und Inhalt des Liber Cancellarie I siehe oben Kapitel 4.4.2, S. 210.
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und Ausbau des päpstlichen Hofes und seiner Verwaltungsstrukturen in Avignon, indem er unter anderem die zerrütteten Finanzen ordnete und eine Reorganisation der päpstlichen Kanzlei einleitete. Dadurch prägte er die Entwicklung der spätmittelalterlichen zentralistischen Kirchenregierung nachhaltig.1359 Ein zentraler Fokus lag dabei auf der Finanzverwaltung, da sich die Einkommenssituation der Kurie zu Beginn des 14. Jahrhunderts beträchtlich verschlechtert hatte. Aufgrund des Umzugs der Kurie nach Avignon hatten sich die Einkünfte aus dem Kirchenstaat deutlich verringert. Clemens V. hatte außerdem nur einen Bruchteil des päpstlichen Vermögens mit nach Lyon gebracht, das Gros wurde 1314 auf dem Weg nach Avignon von den Ghibellinen geplündert. Clemens’ eigene beachtliche Geldmittel, die dieses Defizit während seines Pontifikats wenigstens teilweise ausgleichen konnten, waren nach seinem Tod fast vollständig an seine Verwandtschaft gefallen.1360 Im Zuge der vor diesem Hintergrund vorangetriebenen Finanzreformen Johannes’ XXII. wurden auch die Einnahmen aus der Urkundenproduktion reguliert und damit einhergehend die Strukturen der päpstlichen Kanzlei weiterentwickelt. Grundlegend für diese Umgestaltung waren zwei Konstitutionen, welche die im Rahmen der Ausfertigung päpstlicher Urkunden anfallenden Gebühren neu organisierten, nämlich Cum ad sacrosancte und Pater familias.1361 Während in Cum ad sacrosancte aus dem Jahr 1316 lediglich allgemeine Taxen festgelegt wurden, finden sich in Pater familias vom 16. November 1331 deutlich wegweisendere Regelungen. Die Konstitution bietet ein sorgfältig und detailliert ausgearbeitetes Taxsystem für 516 verschiedene Urkundenarten, die in der päpstlichen Kanzlei ausgefertigt wurden.1362 Neben konkreten Ansätzen für die Abbreviatoren- und Skriptorentaxe enthält sie auch allgemeine Bestimmungen über die Abbreviatoren und ihre Eide, die Skriptoren, die Registratoren, den Korrektor und die anderen in der Audientia tätigen Personen. Insgesamt reformierte und normierte sie damit den Geschäftsgang der Kanzlei und die Organisation des Personals.1363 Die Taxordnung blieb für die avignonesische Kurie lange Zeit maßgebend.1364 Aufgrund ihres Inhalts stieß sie von Beginn an auch außerhalb der Kurie auf Interesse, 1359 Grohe, Johannes XXII., Sp. 544 f.; Weakland, Centralization, S. 43–54, 286–310; Tangl, Taxwesen, S. 18 f. 1360 Weakland, Centralization, S. 39, 285 f. 1361 Tangl, Taxwesen, S. 19; Johrendt, Einkünfte, S. 94–97; Weakland, Centralization, S. 47– 52; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 287, 330 f.; Tangl, Kanzleiordnungen, S. 91. 1362 Druck: AMKRO, Johannes XXII., Edition, Nr. 52, S. 79–130; Tangl, Kanzleiordnungen, Nr. XII, S. 91–110; Erler, Liber cancellariae apostolicae, S. 172–191; vgl. Tangl, Taxwesen, S. 20 f.; Johrendt, Einkünfte, S. 96. Durch die konkreten Vorgaben der Konstitution zum Strafmaß für zahlreiche Dienstvergehen wurde die Disziplinargewalt des Vizekanzlers gegenüber den Skriptoren deutlich eingeschränkt; vgl. Schwarz, Organisation, S. 128 f. 1363 Tangl, Kanzleiordnungen, S. 91; Ottenthal, Rezension zu G. Erler, S. 680. 1364 Tangl, Taxwesen, S. 22.
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denn sie erlaubte es den potentiellen Petenten päpstlicher Urkunden, deren Kosten bereits im Vorfeld zu kalkulieren. Die Konstitution wurde deshalb nicht nur als Teil des Liber Cancellarie I tradiert, sondern auch gesondert abgeschrieben und verbreitet.1365 Im Rahmen der Bestimmungen für die Skriptoren der Kanzlei regelte Johannes XXII. in Pater familias auch ein äußeres Gestaltungsmerkmal der Papsturkunden: den Skriptorenvermerk.1366 Schließlich war dieser für die eindeutige Zuordnung einer Urkunde zu einem Schreiber und damit für einen geregelten Geschäftsgang von grundlegender Bedeutung. In der Konstitution wurde dementsprechend festgelegt, dass kein Skriptor eine von ihm geschriebene Urkunde aus der Hand geben dürfe, ehe er sie – wie es Brauch sei – mit seinem Namen signiert habe und sie gegebenenfalls taxiert worden sei. Bei Zuwiderhandlung werde eine Geldstrafe in Höhe des doppelten Betrags der Taxe fällig.1367 Der Skriptorenvermerk wurde bereits seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts standardmäßig auf Papsturkunden angebracht; in dieser Hinsicht bestätigte der päpstliche Erlass lediglich eine bestehende Gewohnheit, forcierte ihre Einhaltung aber durch eine konkrete Strafandrohung. Wo der Vermerk anzubringen war und wie er gestaltet werden sollte, wurde in der Konstitution nicht thematisiert, im Vordergrund stand die Regelung des eigentlichen Geschäftsganges, nicht dessen Niederschlag im äußeren Erscheinungsbild der Urkunden. Auffällig ist, dass in Pater familias ganz allgemein von litteras die Rede ist. Diese Formulierung lässt offen, ob die Regelung sich ausschließlich und explizit auf die litterae bezieht oder ob sie alle litterae apostolicae umfasst, also auch Bullen und Privilegien. Da im Kontext der Ansätze für die Taxen der einzelnen Urkundenarten die privilegia communia separat genannt sind, dürfte Letzteres zutreffend sein.1368 Dass sich zumindest während des 13. Jahrhunderts keine verbindliche Gewohnheit entwickelt hatte, wie die Kanzleivermerke auf Privilegien anzubringen waren, konnte bereits in anderem Zusammenhang festgestellt werden.1369 Aufgrund ihrer Überlieferung im Liber Cancellarie I sowie ihrer Relevanz für die Kanzlei ist sicher davon auszugehen, dass die Konstitution dem mit der Ur1365 Vgl. die bei AMKRO, Johannes XXII., Edition, S. 79 f. genannten Manuskripte sowie die bei Altmann, Bruchstücke, S. 418, beschriebene Baseler Handschrift, die Pater familias und ein Provinciale enthält. 1366 Zum Skriptorenvermerk siehe oben Kapitel 4.3.5.8, S. 198. 1367 AMKRO, Johannes XXII., Edition, Nr. 126, S. 104: Quod nullus scriptorum ipsorum litteras per eum grossatas restituat, nisi prius nomen suum, ut moris est, posuerit in eisdem, easque, si taxande fuerint, taxari faciat. Illi vero, qui contrarium fecerit, computetur taxatio duplicata. Vgl. Tangl, Kanzleiordnungen, S. 102, Abschnitt 124; Schwarz, Organisation, S. 36; Erler, Liber cancellariae apostolicae, S. 184; Burger, Beiträge, S. 237. 1368 AMKRO, Johannes XXII., Edition, Nr. 246, S. 126: Pro privilegiis communibus, octo Turonenses. 1369 Siehe oben Kapitel 4.4.6.7, S. 281.
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kundenherstellung betrauten Personal bekannt war. Sie regelte den Gebrauch des Skriptorenvermerks grundlegend, was möglicherweise auch als Grund für das Fehlen entsprechender Vorgaben in den meisten Regularien zur Urkundenausstattung interpretiert werden könnte. Die wenigen in diesen Quellen überlieferten Anmerkungen zu den Schreibervermerken thematisieren in der Folge ausschließlich die Sonderfälle der litterae secretae und litterae de curia1370 sowie die nur selten ausgefertigten Privilegien.1371 Die gelegentliche Erwähnung des Skriptorenvermerks im Kontext der Ausstattungsvorschriften deutet aber darauf hin, dass er in der Kanzlei durchaus als ein von den Skriptoren anzufertigendes äußeres Merkmal der Papsturkunden betrachtet wurde. Seine konkrete Gestaltung wurde dennoch weder in der Konstitution Pater familias noch in den Regelwerken zur Urkundenausstattung vorgegeben. 4.6.2 Kanzleiregeln Die päpstlichen Konstitutionen, die seit dem 13. Jahrhundert zur Regelung des Geschäftsgangs und der Organisation des an der Urkundenausfertigung beteiligten Personals erlassen und in die Libri Cancellarie I und II eingetragen worden waren, wurden seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts zunehmend von den deutlich kürzer gefassten Kanzleiregeln abgelöst, die seit dem Ende des Jahrhunderts den Inhalt des Liber Cancellarie III bildeten.1372 Die Kanzleiregeln beinhalten Vorschriften und Normen für die formelle und sachliche Behandlung der von der Kanzlei zu expedierenden Gnaden- und Justizbriefe. Sie organisierten somit die Praxis bei der Verleihung von Privilegien, Indulten und Pfründen, der Erteilung von Dispensen und den damit zusammenhängenden Verfahrensweisen. Sie interpretierten die päpstliche Signatur auf den Suppliken und normierten die in den Papsturkunden zu verwendenden Klauseln, außerdem regelten sie die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen die verschiedenen Urkunden in der Kanzlei ausgefertigt werden konnten, und strukturierten damit den Geschäftsgang der Kanzlei.1373 Die Kanzleiregeln dienten daher vor allem den Abbreviatoren der Kanzlei als Richtschnur für die Formulierung sachlich und kir1370 Siehe oben Kapitel 4.3.5.8, S. 198. 1371 Siehe oben Kapitel 4.4.6.7, S. 280. 1372 Hotz, Libri cancellarie, S. 397; Meyer, Kanzleiregeln, S. 95. Zur Bezeichnung als Liber Cancellarie III in Abgrenzung zu den beiden früheren Libri cancellarie vgl. Meyer, Kanzlei, S. 338 f.; Hotz, Libri cancellarie, S. 400–403. Zum Liber Cancellarie I siehe oben Kapitel 4.4.2, S. 210, zum Liber Cancellarie II oben Kapitel 4.4.3, S. 214. 1373 Meyer, Kirchenherrschaft, S. 179; Meyer, Emil von Ottenthal, S. 218; Meyer, Dominus, S. 613; Meyer, Kanzleiregeln, S. 96; Meyer, Edition, S. 118; Ottenthal, Regulae cancella riae, S. VI f., XVI; Jackowski, Kanzleiregeln, S. 11–13, 20 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 106; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 349.
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chenrechtlich einwandfreier Konzepte.1374 Außerdem wurden in den regule cancellarie die Kompetenzen des Vizekanzlers als Leiter der Kanzlei festgesetzt.1375 Die Rechte und Pflichten des übrigen Kanzleipersonals wurden allerdings nur sehr selektiv behandelt.1376 Als erster Papst erließ Johannes XXII. (1316–1334) in den Jahren 1320 bis 1325 eine Reihe von Kanzleiregeln, die er im Laufe seines Pontifikats mehrfach ergänzte. Unter seinen Nachfolgern entwickelte sich daraus eine verbindliche Gewohnheit, seit Johannes XXII. sind die regule als ununterbrochene Reihe überliefert.1377 Sie entstanden offiziell immer auf Befehl und im Namen des Papstes, konnten aber auf verschiedene Quellen zurückgehen. Grundlagen waren mündliche oder schriftliche Willensäußerung entweder des Papstes selbst, seiner Bevollmächtigten (besonders des Vizekanzlers und des Kämmerers) oder der kurialen Institutionen. Die entsprechende Vorlage wurde dann entweder direkt übernommen oder von Vizekanzler und Abbreviatoren zu einer oder mehreren Regeln umgearbeitet.1378 Die Kanzleiregeln wurden unter jedem Papst erneuert, im Zuge des Amtsantritts fand stets eine Revision der Regeln des Vorgängers statt und es wurde eine neue Version approbiert.1379 Diese Überarbeitung nahm zunächst meist der Papst selbst oder dessen Vizekanzler vor, seit Clemens VII. (1378–1394) wurde es dann aber üblich, diese Aufgabe Kardinälen oder anderen Bevollmächtigten zu überlassen.1380 Die meisten regule entstanden somit am Anfang eines Pontifikats, spätere Ergänzungen waren aber jederzeit möglich. Seit Eugen IV. fiel die Approbation weg, die Kanzleiregeln wurden seitdem bei jedem Papstwechsel in Form einer selbständigen Verfügung erlassen.1381 Umfassende Neubearbeitungen des Kanzleiregelkorpus fanden unter Gregor XI. (1370–1378) und Benedikt XIII. (1394–1423) statt, diese Versionen entwickelten sich zu den richtungweisenden Vorlagen für alle späteren Redaktionen.1382 Seit Urban V. (1362–1370) war es üblich, die Regeln zu 1374 Meyer, Emil von Ottenthal, S. 218; Meyer, Edition, S. 118; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. VI f.; Jackowski, Kanzleiregeln, S. 12; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 106. 1375 Meyer, Emil von Ottenthal, S. 218; Meyer, Dominus, S. 614; Meyer, Edition, S. 118. 1376 Meyer, Kanzleiregeln, S. 95. 1377 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 349; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. VII–IX; Jackowski, Kanzleiregeln, S. 15–17. 1378 Meyer, Kanzleiregeln, S. 95 f.; Hotz, Libri cancellarie, S. 399 f.; Meyer, Dominus, S. 618; Meyer, Edition, S. 120 f.; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XVII f.; Jackowski, Kanzleiregeln, S. 16 f. 1379 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 349 f.; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 196; Meyer, Emil von Ottenthal, S. 229 f.; Meyer, Kanzleiregeln, S. 99 f.; Meyer, Edition, S. 119 f.; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. IX f.; Jackowski, Kanzleiregeln, S. 17, 43. 1380 Meyer, Kanzleiregeln, S. 101 f. 1381 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 350–352; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. VIII–XIII; Jackowski, Kanzleiregeln, S. 19; Göller, Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens, S. 204 f. 1382 Hotz, Libri cancellarie, S. 400; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 351; Ottenthal, Regulae
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datieren, wobei das einheitlich am Beginn eines Pontifikats erlassene Korpus meist ein gemeinsames Datum aufweist.1383 In den Manuskripten sind die regule gewöhnlich nach Pontifikaten und innerhalb dieser grob chronologisch angeordnet.1384 Da es sich bei den regule cancellarie ursprünglich um kanzleiinterne Geschäftsanweisungen handelte, die der Öffentlichkeit nur sehr eingeschränkt bekannt gemacht wurden, wurden sie auch als regule secrete oder regule restrictive tradite bezeichnet.1385 Zwar wurden päpstliche Konstitutionen und später auch die daraus erarbeiteten Kanzleiregeln spätestens seit 1298 an der Kurie mündlich publiziert, erst unter Johannes XXIII. (1410–1415) wurde es aber üblich, die aktuell gültigen Regeln nach ihrer Genehmigung in schriftlicher Form zu veröffentlichen.1386 Die Promulgation der regule erfolgte auf Befehl des Vizekanzlers durch Verlesung in der Kanzlei und/oder der Audientia litterarum contradictarum, auch ihre Aufnahme in den Liber Cancellarie III wurde durch Papst oder Vizekanzler veranlasst.1387 Dank ihrer Eintragung in das Kanzleibuch waren die Kanzleiregeln für die Angehörigen der päpstlichen Kanzlei jederzeit greifbar und zugänglich.1388 Der Liber Cancellarie III als eigenständiger Codex wurde wahrscheinlich während des Pontifikats Gregors XI. (1370–1378) geschaffen, indem die ursprünglich in den Liber Cancellarie II eingetragenen Kanzleiregeln nach und nach in ein eigenes Buch ausgesondert wurden.1389 Er ist nicht im Original, sondern nur in späteren Abschriften und Kompilationen überliefert. Andreas Meyer ist es zu verdanken, dass der Forschung heute mehr als 160 Kanzleiregel-Handschriften aus dem 14. und 15. Jahrhundert bekannt sind.1390 Bei einigen handelt es sich um Pricancellariae, S. VIII–XII; Göller, Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens, S. 203; Jackowski, Kanzleiregeln, S. 17–19. 1383 Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XIV f. 1384 Eine Ausnahme bildet lediglich der Abschnitt über die potestas vicecancellarii, die (stetig zunehmenden) Befugnisse des Vizekanzlers, der seit Benedikt XIII. stets zusammenhängend am Ende der Regeln stand. Unter demselben Papst begann man, die reservationes generales an die Spitze der Regeln zu setzen; vgl. Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XIV, XVI f.; Meyer, Kanzleiregeln, S. 98 f.; Göller, Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens, S. 203 f.; Jackowski, Kanzleiregeln, S. 30. 1385 Meyer, Dominus, S. 620; Meyer, Emil von Ottenthal, S. 227 f.; Meyer, Kanzleiregeln, S. 97. Zum Gegensatz von „öffentlich“ und „nicht-öffentlich“ oder auch „heimlich“ im Mittelalter vgl. Schubert, Erscheinungsformen, S. 109–111. 1386 Meyer, Kanzleiregeln, S. 97 f.; Meyer, Dominus, S. 618, 621; Meyer, Emil von Ottenthal, S. 228 f.; Jackowski, Kanzleiregeln, S. 31. 1387 Meyer, Kirchenherrschaft, S. 196; Meyer, Dominus, S. 618; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XXII f.; Jackowski, Kanzleiregeln, S. 31 f. 1388 Meyer, Dominus, S. 615. 1389 Hotz, Libri cancellarie, S. 400–402; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 196; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XI. 1390 Meyer, Dominus, S. 609; vgl. auch AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunabeln. Beschreibungen einiger Kanzleiregel-Handschriften auch bei Ottenthal, Regulae
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vatkopien von Kanzleibediensteten und an der Kurie ansässigen Prokuratoren, der größte Teil wurde allerdings fernab der Kurie angefertigt.1391 Das älteste erhaltene Manuskript wurde gegen Ende des Pontifikats Innozenz’ VI. (1352–1362) wahrscheinlich von einem höherstehenden Kanzleimitarbeiter angelegt und noch bis zur Rückkehr der Kurie nach Rom benutzt.1392 Alle übrigen Handschriften datieren in die Zeit nach dem Ausbruch des Großen Schismas, der größte Teil entstand erst nach 1410.1393 Eine umfassende Edition der Kanzleiregeln, die alle bekannten Manuskripte samt der zahlreichen sprachlichen wie inhaltlichen Varianten berücksichtigt, ist online zugänglich.1394 Auf dieser Grundlage wurden die regule cancellarie auf das Vorhandensein von Vorschriften zur äußeren Gestaltung von Papsturkunden geprüft. Das Ergebnis ist gerade angesichts des umfangreichen Regelkorpus äußerst spärlich, konnten doch insgesamt nur fünf relevante Regeln identifiziert werden. Diese wenigen enthaltenen Vorschriften zur äußeren Ausstattung sind aber gerade deshalb von besonderem Interesse, weil sie nur sporadisch und in so geringer Zahl vorkommen. Sie scheinen auf eine gesteigerte Notwendigkeit zur Festlegung spezieller Details hinzudeuten, da in den Kanzleiregeln generell die innere Gestaltung der Papsturkunden im Vordergrund stand. Die erste zu betrachtende regula wurde während des Pontifikats Gregors XI. (1370–1378) erlassen.1395 Sie ist allerdings nur in einer einzigen der insgesamt 79 bekannten Handschriften überliefert, in denen Gregors Kanzleiregeln enthalten sind.1396 Die Anlage dieses heute in München befindlichen Manuskripts kann auf das Jahr 1391 datiert werden.1397 Die betreffende Regel ist die letzte Ergänzung zu Gregors Pontifikat und weist keine Datierung auf, allerdings erlauben die Dacancellariae, S. XXXVII f. Zu den päpstlichen Kanzleiregeln im frühen Buchdruck vgl. Werhahn-Piorkowski, Regule Cancellarie, S. 115–177. 1391 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 350; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. XLVIII; Meyer, Emil von Ottenthal, S. 228 f. 1392 Ottob. lat. 778; vgl. Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 350 f.; Hotz, Libri cancellarie, S. 398 f.; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 187–190; Meyer, Kanzleiregeln, S. 98–101; Teige, Beiträge Kanzleiwesen, S. 419–422. 1393 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 351; Meyer, Kirchenherrschaft, S. 188; Meyer, Kanzleiregeln, S. 98; Meyer, Edition, S. 127; Ottenthal, Regulae cancellariae, S. VIII, XLVIII; Jackowski, Kanzleiregeln, S. 17. 1394 AMKRO; vgl. Meyer, Emil von Ottenthal, S. 218–236; Meyer, Kanzleiregeln, S. 102–104. Dadurch obsolet geworden sind die älteren und auf wesentlich kleinerer Handschriftenbasis erarbeiteten Editionen in Ottenthal, Regulae cancellariae, S. 1–268, und Teige, Beiträge Kanzleiwesen, S. 422–440. Eine Edition der Kanzleiregeln Innozenz’ VIII. und Alexanders VI. bietet auch Werhahn-Piorkowski, Regule Cancellarie, S. 387–629. 1395 AMKRO, Gregor XI., Edition, Nr. 82, S. 99. 1396 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 16433; vgl. AMKRO, Gregor XI., Konkordanz, S. 23–26. 1397 AMKRO, Katalog der Kanzleiregelhandschriften und Inkunabeln, S. 275.
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tumsangaben der vorhergehenden Einträge die Schlussfolgerung, dass sie im Jahr 1378 und damit kurz vor dem Tod des Papstes verfasst worden sein muss.1398 Diese späte Entstehung könnte ein Grund dafür sein, dass sie keinen Eingang in die anderen Kanzleiregel-Handschriften fand. Da Gregors direkter Nachfolger Urban VI. (1378–1389) sie im Rahmen der Regelrevision nicht übernahm, scheint sie jedenfalls nicht Teil des offiziellen Korpus geworden zu sein. Ihre singuläre Überlieferung könnte auch darauf hindeuten, dass diese Kanzleiregel nie promulgiert wurde; möglicherweise war der Papst verstorben, während sie sich noch im Entwurfsstadium befand. Auf Grundlage dieser Fassung könnte sie in die Münchner Handschrift gelangt sein. Inhaltlich werden zwei verschiedene Aspekte der äußeren Ausstattung von Papsturkunden behandelt, nämlich Rasuren und Kanzleivermerke. Die Regel Gregors besagt, dass jede Urkunde in der Kanzlei zunächst die prima visio durchlaufen und dabei am Rand korrigiert und signiert werden müsse, danach sei sie in einem zweiten Korrekturvorgang vor dem Vizekanzler zu verlesen und von diesem zu signieren.1399 Letztlich ist damit in grob verkürzter Form ein Teil des Geschäftsgangs dargestellt, den der größte Teil aller Papsturkunden standardmäßig durchlief, im Zuge dessen werden dann auch einige Kanzleivermerke benannt.1400 Die prima visio wurde im 14. Jahrhundert von Abbreviatoren vorgenommen, bei Beanstandungen wurden, wie in der Regel erwähnt, am oberen Rand oder an den Seitenrändern der Urkunde Korrekturanmerkungen mit dem Hinweis cor angebracht, oft in Verbindung mit der Namensinitiale des jeweiligen Abbreviators. Nachdem der zuständige Skriptor die angewiesenen Korrekturen vorgenommen hatte, wurden die Vermerke in vielen Fällen radiert oder gestrichen, gelegentlich blieben sie aber auch stehen.1401 Bei der angesprochenen Verlesung vor dem Vizekanzler handelt es sich um die zweite Kontrolle der Reinschrift, die durch den Kanzleileiter gemeinsam mit Notaren oder Abbreviatoren vorgenommen und gewöhnlich mit dem Ausdruck cancellariam tenere bezeichnet wurde.1402 Die Freigabe der Urkunde zur Besiege-
1398 Die letzte Regel mit Datierung nennt den 23. Januar 1378; vgl. AMKRO, Gregor XI., Edition, Nr. 78, S. 94–96. 1399 AMKRO, Gregor XI., Edition, Nr. 82, S. 99: Item littere videntur in Cancellaria prima visione et signantur et corriguntur in margine, secunda visione leguntur coram vicecancellarium, et dicta lectura facta ipsa vicecancellarius signum suum imponit […]. 1400 Es handelt sich um die expeditio per cancellariam. Für eine Darstellung der einzelnen Schritte des Geschäftsgangs siehe oben Kapitel 2.2, S. 26; Meyer, Kanzlei, S. 310–313; Frenz, Papsturkunden, S. 92–98. 1401 Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 102; Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 597 f.; Herde, Beiträge, S. 200–213; Frenz, Papsturkunden, S. 97; Fickel, Korrektor, S. 35–37, 59–61. 1402 Siehe oben Kapitel 2.2, S. 28.
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lung erfolgte wie in der regula beschrieben durch eine entsprechende Signatur des Vizekanzlers.1403 Nicht erwähnt wird die Prüfung der Urkunde auf äußere Fehler durch den custos cancellarie, die im 14. Jahrhundert gewöhnlich vor der Expeditionsfreigabe stattfand. Allerdings werden im zweiten Teil der Kanzleiregel Aspekte angesprochen, die Gegenstand dieser Kontrolle waren, sie scheint daher mit der Verlesung vor dem Vizekanzler gleichgesetzt worden zu sein. Möglicherweise war das Amt des custos direkt nach der Rückkehr der Kurie nach Rom 1378 unbesetzt. In der regula werden verschiedene Gründe benannt, die dazu führen konnten, dass eine Urkunde die Prüfung nicht bestand und neu ausgefertigt werden musste: wegen einer Rasur an einer verdächtigen Stelle, aufgrund unpassender Form (wobei unklar bleibt, ob damit die äußere Form im Allgemeinen oder die Rasur im Speziellen angesprochen ist), wenn eine vorzunehmende Korrektur so umfangreich war, dass sie nicht mehr in die Zeile passte, oder schließlich wegen einer durch Rasur verursachten Fehlstelle im Pergament.1404 Welche Teile der Urkunde als verdächtig zu gelten hatten, wenn sie eine entsprechende Verbesserung aufwiesen, wurde auch in dieser Kanzleiregel nicht im Einzelnen festgelegt, obwohl die Frage bereits seit dem 13. Jahrhundert von den Dekretalisten ausführlich und mit widersprüchlichen Ergebnissen diskutiert worden war.1405 Der einzige konkrete Hinweis der Kanzleihilfsmittel zu dieser Thematik ist in der wahrscheinlich etwa zeitgleich zu dieser Regel entstandenen Neuredaktion des Formularium audientiae überliefert, dort werden die Sanctio-Formeln der Gratialurkunden als relevante Stellen definiert.1406 Abschließend besagt die Kanzleiregel Gregors XI., dass die Schuld für eine aus den genannten Gründen notwendig gewordene unentgeltliche Neuausfertigung einer Urkunde bei dem jeweiligen Skriptor, aber auch dem Abbreviator liegen könne.1407 Die Verantwortlichkeit des Abbreviators könnte sich entweder auf falsche oder unzureichende Korrekturanweisungen oder auch auf ein fehlerhaftes Konzept beziehen, denn auch die Ausarbeitung der Konzepte, die den Skriptoren als Vorlage für die Herstellung der Reinschrift dienten, oblag im 14. Jahrhundert diesen höhergestellten Kanzleimitarbeitern. Die Erwähnung der Schuldfrage in der Regel dürfte mit Einkommensfragen zusammenhängen; möglicherweise muss1403 Ein L auf dem linken Rand der Urkunde und die Initiale des Vizekanzlers auf dem rechten; vgl. Frenz, Papsturkunden, S. 97; Meyer, Kanzlei, S. 312 1404 AMKRO, Gregor XI., Edition, Nr. 82, S. 99: […] et dicta lectura facta ipsa vicecancellarius signum suum imponit, ubi iudicantur ad rescribendum interdum propter rasuram factam in loco suspecto, interdum propter formam ineptam, interdum ex eo, quia ille dictiones, que debent poni in correctione, non possunt intrare lineam et est magna correctio, interdum propter maculam in tonsam […]. 1405 Siehe oben Kapitel 4.1.1.2, S. 70. 1406 Siehe oben Kapitel 4.3.5.4, S. 172. 1407 AMKRO, Gregor XI., Edition, Nr. 82, S. 99: […] interdum iudicantur gratis rescribende propter culpam abbreviatorum, interdum propter culpam scriptorum.
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ten die Abbreviatoren Ausgleichszahlungen leisten, wenn die Skriptoren durch deren Verschulden Urkunden gratis ausfertigen mussten. Insgesamt werden in dieser regula Gregors XI. Abläufe und Grundsätze beschrieben, bei denen es sich um althergebrachte und seit Jahrzehnten geübte Gewohnheiten der päpstlichen Kanzlei handelte. Dass Ende des 14. Jahrhunderts dennoch die Notwendigkeit bestand, diese in Form einer Kanzleiregel zusammenzufassen und auf diese Weise den Mitarbeitern bekannt zu machen (auch wenn die Promulgation möglicherweise nicht mehr erfolgte), ist ein weiterer Beweis für die schwierige Situation der Kanzlei nach dem Umzug der Kurie nach Rom in den Jahren 1376/77.1408 Da in großem Umfang auf unerfahrenes Personal zurückgegriffen werden musste, nachdem der Vizekanzler mit einem Teil der Kanzleimitarbeiter in Avignon zurückgeblieben war,1409 waren offenbar selbst die grundlegenden Kenntnisse des Geschäftsgangs nicht in ausreichendem Maße verbreitet, um eine reibungslose Erledigung der Geschäfte zu garantieren. Die umfängliche Auflistung der verschiedenen mit Rasuren in Zusammenhang stehenden Verfehlungen deuten darauf hin, dass auch die innere Gestaltung der Urkunden nicht dem gewohnten Standard entsprach und deshalb in größerem Umfang Nachbesserungen und Neuausfertigungen notwendig waren. Zugleich hatte sowohl die Anbringung der Kanzleivermerke durch Vizekanzler und Abbreviator als auch die Handhabung der Rasuren direkte Auswirkungen auf die äußere Gestalt der Urkunden. In der Kanzleiregel ist mehrfach vom Vizekanzler die Rede. Da Gregor XI. dieses Amt nicht neu besetzt hatte, galt der in Avignon verbliebene Petrus de Monteruco (Pierre de Monteruc) weiterhin offiziell als Leiter der römischen Kanzlei, als sein Stellvertreter in Rom fungierte Bartholomäus Prignano, der spätere Urban VI.1410 In dieser Funktion dürfte er auch für die Abfassung der fraglichen Kanzleiregel zumindest mitverantwortlich gewesen sein. Nach seiner Papstwahl wurde die regula allerdings nicht wieder aufgegriffen, für die Einweisung der neuen Mitarbeiter1411 wurden unter dem nachfolgenden regens cancellariam und späteren Vizekanzler Rainulf de Gorsa1412 offenbar andere Methoden entwickelt.1413 1408 Zur Aufzeichnung althergebrachter Gewohnheiten für die Einweisung der homines novi an der Kurie vgl. Hofmann, Forschungen 1, S. 2 f.; Schwarz, Statuta, S. 850 f. 1409 Siehe oben Kapitel 4.3.4, S. 145. 1410 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 260 f. 1411 Die Aufzeichnungen am Ende des Kanzleibuchs Dietrichs von Nieheim über die Eidleistungen neuer Skriptoren und Abbreviatoren (vgl. Erler, Liber cancellarie, S. 204–208) veranschaulichen, dass auch in den Jahren 1380/81 im Zuge der Abwanderung zahlreicher Kanzleimitarbeiter an die avignonesische Kurie in großem Umfang neues Personal aufgenommen wurde, an einem Tag allein 27 Skriptoren; vgl. Burger, Beiträge, S. 238. 1412 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 261 f.; Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 111 f. 1413 In diesem Zusammenhang sind auch die von Urban VI. in Auftrag gegebenen Abschriften der Kanzleibücher zu betrachten; siehe oben Kapitel 4.4.2, S. 211.
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Die nächste Kanzleiregel mit Bezug zur äußeren Urkundengestaltung begegnet unter Clemens VII. (1378–1394), sie wurde 1387 in seinem neunten Pontifikatsjahr erlassen.1414 Darin wurde festgelegt, dass auf jeder zu registrierenden Urkunde der Lektor den Tag der Registrierung einzutragen habe, und zwar auf der Plica direkt hinter dem Taxvermerk, unter Verwendung der römischen Tagesdatierung nach Kalenden, Nonen und Iden. Das entsprechende Datum sei außerdem im Register zu vermerken.1415 Bei dem angesprochenen Lektor handelt es sich möglicherweise um einen der lectores audientiae, die für die Verlesung von Urkunden in der Audientia publica zuständig waren.1416 Die Angabe über die Positionierung des Datums post taxam ist allerdings unpräzise,1417 da auf und auch unter der Plica an verschiedenen Stellen des Kanzleigangs unterschiedliche Taxvermerke eingetragen wurden, darunter die der Skriptoren, der Bullarie und der Prokuratoren der Audientia.1418 Die Identifizierung des beschriebenen Registrierungsvermerks auf den Originalen gestaltet sich schwierig. Gelegentlich findet sich auf der Vorderseite ein kleines r, das als Kürzung für registrande, registranda oder registrandum und damit als Anweisung zur Registrierung interpretiert wurde, eine Datierung weist dieser Vermerk aber nie auf. Zentral auf der Rückseite der Urkunden steht häufig ein großes R als Hinweis auf die erfolgte Aufnahme in das Register, teilweise wurde dabei die Nummer des Eintrags in dem betreffenden Registerband ergänzt.1419 Der Erläuterung in der Kanzleiregel entspricht keiner der beiden Kanzleivermerke, weitere Angaben zur Registrierung konnten auf den Originalen bisher allerdings nicht identifiziert werden.
1414 AMKRO, Clemens VII., Edition, Nr. 169, S. 84 f., datiert auf den 1. März 1387. 1415 AMKRO, Clemens VII., Edition, Nr. 169, S. 85: […] ordinavit, quod, si de cetero super quibuscumque gratiis beneficialibus vel alias contingat in Cancellaria sue sanctitatis aliquas litteras sub bulla expediri gratiam vel iustitiam continentes, que in registro litterarum apostolicarum eiusdem sanctitatis registrabuntur, quod primo in bulla per lectorem scribatur in plica littere post taxam dies, mensis et annus iuxta morem Romane curie per kalendas, nonas et idus, secundum quod eveniet, et deinde, quod in registro scribatur dies, mensis et annus modo consimili, quibus huiusmodi littere de dicto registro tradentur parti […]. 1416 Frenz, Papsturkunden, S. 101 f.; Schwarz, Organisation, S. 100–102. 1417 In einer Handschrift (Seu d’Urgell, Biblioteca Capitular, 2086) ist die Kanzleiregel mit einem Titel versehen, in dem von einer Positionierung des Vermerks auf der Rückseite der Urkunde die Rede ist; vgl. AMKRO, Clemens VII., Edition, Nr. 169, S. 84: Quod in litteris sub bulla in cancellaria expeditis scribantur in dorso dies et mensis, quibus evenient, et in registris, quibus expedientur. 1418 Frenz, Papsturkunden, S. 103 f. Zu den Taxvermerken im Allgemeinen vgl. auch Schwarz, Organisation, S. 145–147; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 102 f.; Tangl, Taxwesen, S. 6; Diekamp, Urkundenwesen Alexander, S. 507–518. 1419 Diekamp, Urkundenwesen XI., S. 601 f.; Frenz, Papsturkunden, S. 98; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 102; Zutshi, Innocent, S. 94; Berger, Registres Innocent IV 1, S. LXIX f.
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Die beschriebene Erfassung des Registrierungsdatums hatte aber sicherlich den gleichen Hintergrund wie die Angabe der Registernummer im Zusammenhang mit dem R-Vermerk, nämlich die problemlose Wiederauffindbarkeit des expedierten Stücks in den Registerbänden. In der Folge konnte der Registereintrag als Grundlage für eine Neuausfertigung, vor allem aber auch als Echtheitsnachweis für die mundierte Urkunde dienen. Diese juristische Relevanz erschließt sich auch aus dem Wortlaut der Regel selbst: Die Registratoren hatten demnach zu beschwören, das Datum von Expedierung und Registrierung entsprechend zu erfassen, außerdem wurde festgelegt, dass diesen Angaben in allen Prozessen, an der Kurie wie auch außerhalb, volle Glaubwürdigkeit zugestanden werden solle.1420 Letztendlich lag der Zweck der regula darin, für die Petenten päpstlicher Urkunden sowie das Papsttum selbst zusätzliche Rechtssicherheit zu schaffen, vor allem vor dem Hintergrund des Schismas, das aufgrund der Gleichzeitigkeit mehrerer Päpste und Kanzleien zu einer allgemeinen Verunsicherung hinsichtlich der Gültigkeit päpstlicher Urkunden führte. Erreicht wurde das unter anderem durch einen Kanzleivermerk und damit ein äußeres Gestaltungsmerkmal. Von den 14 Manuskripten, in denen Kanzleiregeln Clemens’ VII. überliefert sind, ist die fragliche Vorschrift nur in drei enthalten, in einer davon doppelt.1421 Das Fehlen in den anderen Handschriften ist mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass die Regel erst im Jahr 1387 und nicht zu Beginn des Pontifikats erlassen wurde. Denn dass die Vorschrift an der Kurie rezipiert und überliefert wurde, verdeutlicht ihre Approbation durch Clemens’ direkten Nachfolger in Avignon, Benedikt XIII. (1394–1424).1422 Überraschend ist, dass auch Martin V. (1417–1431) als Papst des Konstanzer Konzils diese Kanzleiregel der avignonesischen Kurie übernahm.1423 Ihr Fortbestehen kann aber offenkundig mit einer bestimmten Personalie in Verbindung gebracht werden, nämlich mit Johannes de Broniaco ( Jean de Brogny). Brogny war 1391 nach dem Tod des Petrus de Monteruco (Pierre de Monteruc) von Clemens VII. als Vizekanzler eingesetzt worden und behielt den Posten auch unter Benedikt XIII., bis er sich im Jahr 1408 dem Konzil von Pisa anschloss. 1420 AMKRO, Clemens VII., Edition, Nr. 169, S. 85: […] et quod super hoc registratores et eorum clerici prestabunti in manibus eiusdem domini nostri seu eius vicecanellarii aut vicesgerentis sollemne iuramentum de consignando et scribendo, ut premittitur, diem registrationis et expeditionis dictarum litterarum. Voluit et etiam ordinavit prefatus dominus noster, quod huiusmodi consignationi et scripture, que per dictos registratores fiet, ut premittitur, stabitur et plena fides adhibebitur in decisione omnium causarum tam in Romana curia quam extra. 1421 Vat. lat. 3987 (doppelt); Reims, Bibliothèque Municipale, Ms. 771; Seu d’Urgell, Biblioteca Capitular, 2086; vgl. AMKRO, Clemens VII., Konkordanz, S. 9 f. 1422 AMKRO, Benedikt XIII., Edition, Nr. 99, S. 41. 1423 AMKRO, Martin V., Transkription, Nr. OT 50, S. 19, unter dem Titel De subscriptione littera rum in bulla et registro.
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Er fungierte in der Folge als Vizekanzler Alexanders V. (1409–1410), Johannes’ XXIII. (1410–1415) und des Konzils von Konstanz (1414–1418), auch nach der Wahl Martins V. blieb er bis zu seinem Tod 1426 im Amt.1424 Vor dem Hintergrund dieser personellen Konsistenz erscheint es naheliegend, Jean de Brogny nicht nur als Urheber der Kanzleiregel Clemens’ VII. zu vermuten, sondern auch als diejenige Person, die für ihre Bestätigung unter Benedikt XIII. und Martin V. verantwortlich war. Offenbar bemühte er sich insgesamt darum, die Registrierung für alle päpstlichen Urkunden obligatorisch zu machen, indem er die Funktion des Registereintrags als Beglaubigungsmittel popularisierte. Unter Benedikt XIII. (1394–1424) wurde nicht nur die Kanzleiregel Clemens’ VII. approbiert, sondern zusätzlich eine weiter Regel ergänzt, die am Rande auch die äußere Urkundenausstattung betrifft. Sie fällt in jene Kategorie von regule cancellarie, in denen die Kompetenzen des Vizekanzlers definiert wurden, und weist keine Datierung auf.1425 Sie ist in acht der 18 Manuskripte mit Kanzleiregeln Benedikts XIII. enthalten, nämlich in all jenen, die ein vollständiges Textkorpus bieten.1426 Außerdem wurde sie, ebenso wie die Vorschrift Clemens’ VII., von Martin V. und dessen Nachfolgern aufgegriffen und sogar bis in das späte 15. Jahrhundert hinein immer wieder bestätigt.1427 Festgelegt wurde, dass der Vizekanzler unter bestimmten Umständen sowohl in signierten Suppliken als auch in Reinschriften von Urkunden Namen und Bei namen der genannten Personen und auch Pfründen verbessern dürfe.1428 Diese Regelung ist deshalb bemerkenswert, weil die Eigennamen in den Ausführungen der Dekretalisten zu jenen loci suspecti gehörten, die aufgrund einer Rasur als verdächtig anzusehen waren.1429 Einschränkend ist festzuhalten, dass das verwendete Verb corrigere sowohl eine Korrektur direkt in der Urkunde als auch eine Neuausfertigung beschreiben könnte, die Formulierung lässt allerdings Ersteres vermuten. Die regula berührt somit die Thematik der Rechtmäßigkeit von Rasuren in Papsturkunden. Allerdings enthält sie keine präzisen Vorgaben zur Klärung dieser 1424 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 263; Baumgarten, Von der apostolischen Kanzlei, S. 119– 123, 127–131. Zu Brognys Rolle auf dem Konzil von Konstanz vgl. Helmrath, Konzil von Konstanz, S. 40–42; Schneider, Siegel, S. 325; Göller, Geschichte der apostolischen Kanzlei, S. 205–211. 1425 AMKRO, Benedikt XIII., Edition, Nr. 119, S. 48. 1426 AMKRO, Benedikt XIII., Konkordanz, S. 8 f. 1427 AMKRO, Martin V., Transkription, Nr. OT 69, S. 26, unter dem Titel De correctione nominis et agnominis etc. in supplicatione et bulla; Eugen IV., Transkription, Nr. OT 86, S. 27; Nikolaus V., Edition, Nr. 163, S. 99; Calixt III., Edition, Nr. 91, S. 31; Pius II., Edition, Nr. 78, S. 34 f.; Paul II., Edition, Nr. 73, S. 41 f., unter dem Titel De correctione; Sixtus IV., Edition, Nr. 73, S. 33. 1428 AMKRO, Benedikt XIII., Edition, Nr. 119, S. 48: Item, quod [dominus vicecancellarius] possit corrigere in supplicationibus signatis et bullis nomen et cognomen persone et beneficii, de quibus agetur, prout opportunum fuerit, dummodo constet de corpore beneficii vel persone […]. 1429 Siehe oben Kapitel 4.1.1.2, S. 70.
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seit dem 13. Jahrhundert bestehenden Ausstattungsfrage. Im Gegenteil erzeugte sie potentiell weitere Unklarheiten, indem sie festhielt, dass ein nachträglicher Eingriff des Vizekanzlers an einer entscheidenden Textstelle die Urkunde nicht fälschungsverdächtig mache. Erneut kann hinter der Erarbeitung der Kanzleiregel unter Benedikt XIII. und deren erneutem Aufgreifen unter Martin V. der Vizekanzler Jean de Brogny vermutet werden. In diesem Fall dürfte aber neben der Optimierung des Geschäftsgangs durch das Ermöglichen von Korrekturen in einem späten Stadium auch und vor allem der Ausbau der Befugnisse seines eigenen Amtes eine wichtige Rolle gespielt haben. Diese Kompetenzerweiterung sowie der offensichtliche Einfluss der Kanzleileitung auf die Approbation der regule cancellarie sind sicherlich die entscheidenden Gründe dafür, dass die Regel über viele Jahrzehnte in Kraft blieb. Die beiden letzten, im Rahmen der Analyse von Ausstattungsvorschriften relevanten Kanzleiregeln entstanden im 15. Jahrhundert und damit außerhalb des gewählten Untersuchungszeitraums. Da sie aber sehr konkrete und aufschlussreiche Angaben zur äußeren Gestaltung von Papsturkunden enthalten, werden sie im Folgenden – auch aus Gründen der Vollständigkeit – dennoch berücksichtigt. Die erste dieser Regeln wurde im zweiten Pontifikatsjahr Eugens IV. (1431– 1447) erlassen.1430 Für ihre breite Rezeption spricht die Übernahme durch Eugens Nachfolger, die diese Vorschrift noch bis in das späte 15. Jahrhundert regelmäßig im gleichen Wortlaut bestätigten.1431 Um die Fälschung päpstlicher Urkunden zu erschweren, wurde in der regula verfügt, dass die Tagesdatierung in Papsturkunden, die bis zu diesem Zeitpunkt in Form von römischen Zahlen vor den Kalenden, Nonen und Iden umgesetzt worden war, künftig ohne Zahlzeichen und stattdessen in Worten anzugeben sei.1432 Mit dieser Regelung wurde eine jahrhundertealte Tra-
1430 AMKRO, Eugen IV., Transkription, Nr. OT 111, S. 39 f., unter dem Titel Quomodo scribi debeat data in litteris apostolicis, datiert auf den 11. September 1432. Aufgrund der noch fehlenden Konkordanz zu den regule cancellarie Eugens IV. in der Online-Edition der Kanzleiregeln kann über das Vorhandensein dieser Regel in den überlieferten Handschriften keine Aussage getroffen werden. 1431 AMKRO, Nikolaus V., Edition, Nr. 13, S. 7, unter dem Titel Item ut littere scribantur, ne detur occasio falsi; Calixt III., Edition, Nr. 15, S. 6; Pius II., Edition, Nr. 16, S. 8 f.; Paul II., Edition, Nr. 15, S. 10 f., unter dem Titel De litteris numerabilibus in litteris apostolicis apponendis; Sixtus IV., Edition, Nr. 15, S. 7. 1432 AMKRO, Eugen IV., Transkription, Nr. OT 111, S. 39: Sanctissimus in Christo pater et dominus noster dominus Eugenius papa quartus, ut in apostolicis litteris committendi crimen falsi per amplius occasio tollatur, die XXI mensis septembris pontificatus sui anno secundo, voluit, statuit et ordinavit, quod in antea [sic!] dictiones numerales, que in dat(a) litteris ante kalendas, nonas et idus immediate poni consueverunt, per litteras et sillabas extense scribantur et ille ex dictis litteris, in quibus huiusmodi dictiones aliter scripte fuerint, ad bullariam non mittantur. Vgl. Frenz, Papsturkunden, S. 25; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 110.
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dition verworfen und eine grundlegende Anpassung der äußeren Ausstattung der Urkunden vorgenommen, um deren Fälschungssicherheit zu erhöhen. Auch darüber hinaus sind während des Pontifikats Eugens IV. deutliche Veränderungen bei der Organisation und dem Geschäftsgang der kurialen Behörden festzustellen, der Papst griff in viele Amtsbereiche normierend ein.1433 Zu den Neuerungen gehörten neben der veränderten Schreibweise der Datierung auch weitere Anpassungen im Urkundenwesen, darunter die Aufnahme des Inkarnationsjahres in die Datierung der litterae und Bullen1434 sowie die Einführung der Konsistorialurkunden.1435 Diese päpstlichen Eingriffe sind wenigstens partiell auf die Reformforderungen des Basler Konzils und der Kardinäle zurückzuführen, die teilweise bereits in Eugens Wahlkapitulation festgehalten worden waren.1436 Im Zuge der zunehmenden Auseinandersetzungen mit dem Konzil und des Konkurrenzkampfs um Unterstützung und Anerkennung war der Papst vermehrt bereit, auf einzelne Forderungen einzugehen.1437 Zusätzlich beförderten wohl die konkreten Entwicklungen in Basel den Reformwillen Eugens. Im Dezember 1431 hatte er vergeblich versucht, die Kirchenversammlung aufzulösen und in den Kirchenstaat nach Bologna zu verlegen, was zu Spannungen zwischen Papst und Konzil führte.1438 Viele Kuriale, darunter auch Kanzleimitarbeiter, schlossen sich in der Folge dem Konzil an.1439 Innerhalb weniger Monate bildete sich in Basel eine eigenständige Kanzlei heraus, die sich an den Strukturen der päpstlichen Kanzlei orientierte und parallel zu dieser agierte, im September 1432 waren alle Kernfunktionen besetzt.1440 Jean de la Rochetaillée ( Johannes de Rupescissa), der Vizekanzler Eugens IV., wechselte ebenfalls an die
1433 Dendorfer, Veränderungen, S. 110–112; Schwarz, Kurie, S. 247 f. 1434 Frenz, Papsturkunden, S. 25; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 110; Burger, Beiträge, S. 236. 1435 Siehe oben Kapitel 4.4.6.4, S. 256. 1436 Dendorfer, Veränderungen, S. 111–128. Zu den Reformforderungen vgl. auch Stieber, Pope Eugenius IV., S. 10 f.; Schwarz, Kurie, S. 254 f. 1437 Dendorfer, Veränderungen, S. 111–114. Zur mangelnden Unterstützung für Eugen in den ersten Monaten des Konzils vgl. auch Stieber, Pope Eugenius IV., S. 14–17. 1438 Decaluwé, Defeat, S. 66–99; Stieber, Pope Eugenius IV., S. 12–19; Dendorfer, Veränderungen, S. 107–109. 1439 Helmrath, Konzil als Behörde, S. 96; Gilomen, Bürokratie, S. 224; Dendorfer, Veränderungen, S. 112 f.; Helmrath, Veränderungen, S. 42. Von insgesamt über 130 nachweisbaren Konzilschreibern waren nur acht aus der päpstlichen Kanzlei zum Konzil gewechselt; vgl. Frenz, Urkunden, S. 11. Unter den höhergestellten Kanzleimitarbeitern des Konzils waren dagegen viele, die vorher in der päpstlichen Kanzlei tätig gewesen waren; vgl. Dephoff, Urkunden- und Kanzleiwesen, S. 40 f., 54–95. 1440 Helmrath, Konzil als Behörde, S. 96 f.; Gilomen, Bürokratie, S. 223–229; Dephoff, Urkunden- und Kanzleiwesen, S. 39 f. Eine Liste vom 31. Oktober 1432 nennt bereits 30 Schreiber; vgl. Gilomen, Bürokratie, S. 244 f.
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Konzilskanzlei und übernahm deren Leitung, allerdings erst im Mai 1433.1441 Er war demnach zum Zeitpunkt des Erlasses der fraglichen Kanzleiregel im September 1432 noch für Eugen tätig und könnte an deren Erarbeitung beteiligt gewesen sein. Auch wenn die anhand der genannten Kanzleiregel verfügte Änderung der Datierungsgestaltung kaum als umfassende Reform zu betrachten ist,1442 hoben sich die Urkunden Eugens mit dieser Neuerung dennoch nicht nur von denen seiner Vorgänger, sondern auch von jenen des Konzils ab, die dieses Detail nicht übernahmen.1443 Diesen gegenüber versprachen die päpstlichen Urkunden fortan eine erhöhte Fälschungssicherheit. Abschließend ist eine Kanzleiregel Pauls II. (1464–1471) zu betrachten. Im Vergleich zu den bisher behandelten regule enthält sie mit Abstand die umfangreichsten und konkretesten Angaben zur äußeren Urkundengestaltung. Sie wurde offenbar nicht gemeinsam mit dem gesamten Kanzleiregelkorpus zu Beginn des Pontifikats, aber noch im Laufe des ersten Pontifikatsjahres erlassen.1444 Einleitend wird darin erläutert, dass der Papst die folgenden Regelungen deshalb treffe, weil die Einhaltung einer bestimmten Ausstattungskonvention nötig sei, um den päpstlichen Urkunden, die in die verschiedensten Teile der Welt gelangen würden, ein würdevolles Aussehen zu geben.1445 Im Anschluss werden mehrere verschiedene Aspekte der äußeren Ausstattung thematisiert. Zunächst wird vorgegeben, dass in allen Urkunden der gesamte Papstname gemäß dem stilus curie so zu gestalten sei, dass sowohl die verlängerte Initiale als auch die übrigen Buchstaben in großen Majuskeln ausgeführt und deren Umrisslinien mit schwarzer Tinte ausgefüllt werden.1446 Beschrieben wird damit die gotische 1441 Dephoff, Urkunden- und Kanzleiwesen, S. 42–53; Helmrath, Konzil als Behörde, S. 96 f.; Gilomen, Bürokratie, S. 224. 1442 Inwieweit solche Detailregelungen von den Zeitgenossen als Reformen aufgefasst wurden, ist umstritten; vgl. Schwarz, Kurie, S. 255–258; Dendorfer, Veränderungen, S. 124 f. 1443 Frenz, Urkunden, S. 22; Dephoff, Urkunden- und Kanzleiwesen, S. 19 f. Die Datierung nach Inkarnationsjahr, die unter Eugen IV. für alle Papsturkunden eingeführt wurde, war auch bei den Konzilsurkunden üblich, allerdings in anderer Schreibweise und nach Nativitätsstil berechnet, nicht nach dem Florentiner Stil wie in Eugens Kanzlei; vgl. Frenz, Urkunden, S. 11, 22; Dep hoff, Urkunden- und Kanzleiwesen, S. 19–22. Außerdem wurde das Inkarnationsjahr auf den Urkunden Eugens vor dem Tagesdatum eingetragen, in den Konzilsurkunden aber danach; vgl. Frenz, Urkunden, S. 25. 1444 AMKRO, Paul II., Edition, Nr. 186, S. 117–119, datiert auf den 2. Mai 1465. 1445 AMKRO, Paul II., Edition, Nr. 186, S. 118: Ut in scribendis litteris apostolicis, que ad diversas orbis partes deferuntur, pro dignitate mittentis decor debitus observetur, sanctissimus in Christo pater et dominus noster dominus Paulus divina providentia papa secundus mandat […]. 1446 AMKRO, Paul II., Edition, Nr. 186, S. 118: […] omnibus et singulis litterarum earundem scriptoribus tam presentibus quam futuris, ut litteras maiusculas sive capitales in principiis bullarum, illas presertim, quibus nomen sue sanctitatis prenotatur, secundum stilum curie impleant, ita ut tractus littere P et aliarum litterarum eiusdem nominis in cirumferentiis impleatur incaustro sive attramento.
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Majuskel, die bereits seit Bonifaz IX. (1389–1404) vermehrt in der Intitulatio der litterae genutzt wurde, während dies in den Privilegien und Bullen bereits seit dem 13. Jahrhundert üblich war.1447 Unter Paul II. wurde diese vereinheitlichende Tendenz, die sich seit dem Anfang des Jahrhunderts entwickelte, offenbar erstmals schriftlich fixiert. Der ausdrückliche Hinweis auf das notwendige Ausfüllen oder Schwärzen der Buchstaben ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die expedierten Urkunden gelegentlich nur die Umrisslinien aufwiesen.1448 Weiterhin wird in der regula vorgegeben, dass die litterae apostolicae auf große Pergamente geschrieben und dabei angemessen große Abstände eingehalten werden sollen.1449 Dieser Hinweis bezieht sich wahrscheinlich sowohl auf die Zeilenabstände als auch auf die Breite der Ränder. Tatsächlich lässt sich an den Originalen ablesen, dass die verwendeten Pergamente im Verhältnis zum Inhalt der Urkunden seit der Mitte des 14. Jahrhunderts kleiner wurden und seit dem späten 14. Jahrhundert auch die Breite des oberen Randes der Urkunden stetig abnahm.1450 Diesem Trend sollte offenbar entgegengewirkt werden. Im Zusammenhang mit diesen Vorgaben zum Layout wurde auch festgelegt, dass möglichst wenige Rasuren vorzunehmen seien, vor allem keine deutlich sichtbaren und die Urkunde verunstaltenden oder solche, die mehr als eine Drittel einer Zeile einnehmen.1451 Bei dieser Regelung handelt es sich um die konkreteste Vorgabe zur Rasuren-Problematik in allen untersuchten Hilfsmitteln der Kanzlei. Erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde demnach wenigstens hinsichtlich des erlaubten Umfangs einer Rasur ein eindeutiger Anhaltspunkt schriftlich fixiert, nachdem die Frage seit den Fälscherkonstitutionen Innozenz’ III. im 13. Jahrhundert inner- wie außerhalb der Kurie immer wieder aufgegriffen und diskutiert worden war. Zuletzt schreibt die Kanzleiregel Pauls vor, dass die Buchstaben der Textschrift deutlich, schön und gemäß dem stilus curie zu formen seien, nicht kursiv und gedrängt.1452 Es wird damit auf die kuriale Minuskel verwiesen, die seit dem 12. Jahrhundert als Urkundenschrift der päpstlichen Kanzlei etabliert war, seit dem Ponti fikat Eugens IV. (1431–1447) aber teilweise verdrängt wurde. Besonders in den 1447 Frenz, Form, S. 372 f. Zur Gestaltung des Papstnamens in den Urkunden des 15. Jahrhunderts vgl. Frenz, Eindringen, S. 360–365. 1448 So Frenz, Form, S. 372. Als Beispiel ist allerdings nur eine einzige Urkunde aus dem Jahr 1515 genannt. 1449 AMKRO, Paul II., Edition, Nr. 186, S. 118: Insuper mandat, quod littere apostolice scribantur in cartis sive membranis amplis et magnis secundum diversitatem rerum cum decentibus spatiis […]. 1450 Frenz, Form, S. 353–357. 1451 AMKRO, Paul II., Edition, Nr. 186, S. 118: […] ita quod in ipsis litteris non fiant multe rasure saltem nimium apparentes et deformes aut tertiam partem linee transcendentes. Vgl. Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 547. 1452 AMKRO, Paul II., Edition, Nr. 186, S. 118: Mandat preterea, quod ipse bulle apostolice littera distincta, pulcra et formata secundum predictum stilum et non cursiva et inculcata scribantur.
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seit dem Ende des 14. Jahrhunderts aufkommenden Breven1453 sind die Einflüsse humanistischer Schriftformen deutlich greifbar – die humanistische Kursive löste nach und nach die kuriale Minuskel ab.1454 Mit der Vorschrift zur Nutzung der kurialen Minuskel sollte diese Entwicklung offenkundig abgewendet oder wenigstens eingeschränkt werden. Abschließend werden in der regula für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Vorgaben harte Strafen angedroht, die von Geldstrafen bei den ersten Verstößen bis zur Suspension und schließlich zum Amtsentzug bei der vierten Übertretung reichen.1455 Außerdem wird ganz grundsätzlich untersagt, Urkunden zu expedieren, die eine der genannten „Deformitäten“ aufweisen. Das Verbot richtet sich sowohl an die Kanzlei als auch an die Kammer.1456 Wie in den regule cancellariae üblich, ist auch in dieser stets von litterae apostolicae im Allgemeinen die Rede, eine Abgrenzung einzelner Urkundengattungen wird nicht vorgenommen. Obwohl die Breven im Sprachgebrauch der Kanzlei konkret als litterae apostolicae in forma brevis bezeichnet wurden,1457 ist doch davon auszugehen, dass die Regelungen auch und teilweise sogar speziell ihnen galten. In diese Richtung weist zum einen die Vorschrift zur Gestaltung der Textschrift, die sicherlich vorrangig auf die Breven und die darin verwendete humanistische Kursive abzielte. In den anderen Papsturkunden (also litterae und Bullen) fand auch im 15. Jahrhundert weiterhin die kuriale Minuskel Verwendung, ein Eingreifen mit Blick auf die Textschrift war bei ihnen daher nicht nötig.1458 Zum anderen lässt die explizite Erwähnung der Kammer im letzten Satz der Regel darauf schließen, dass sich die Vorgaben explizit auch auf die Breven bezogen, denn diese wurden nicht durch die Kanzlei, sondern die Sekretäre der Kammer expediert.1459 Schließlich 1453 Breven wurden ursprünglich in politischen und verwaltungstechnischen Angelegenheiten, später aber auch zunehmend für Gnadensachen ausgefertigt. Charakteristische Merkmale sind die geringe Größe, die wenig feierliche Ausstattung und die Besiegelung mit dem Wachsabdruck des Fischerrings; vgl. Frenz, Papsturkunden, S. 35−37; Meyer, Kanzlei, S. 303−305; Rabikauskas, Diplomatica pontificia, S. 78–82; Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 83 f.; Schmitz-Kallenberg, Papsturkunden, S. 110 f. 1454 Frenz, Eindringen (1974), S. 439–470. 1455 AMKRO, Paul II., Edition, Nr. 186, S. 118: Transgressores vero per publicationem presentis mandati commoniti pro prima vice in decem florenis auri de Camera multentur, pro secunda vero in triginta, pro tertia quadrimestri ab officio et emolumentis ipsius omnibus suspendantur, quod, si quarto transgressi fuerint, tamquam incorrigibiles et ex proposito delinquentes priventur officio. Quod quidem mandatum vult sua sanctitas per sancte Romane ecclesie vicecancellarium aut regentem Cancellarie pro tempore inviolabiliter observari. 1456 AMKRO, Paul II., Edition, Nr. 186, S. 118: Et nihilominus prohibet litteras apostolicas, in quibus aliqua predictarum deformitatum apparuerit, quomodolibet per Cancellariam vel Cameram apostolicam expediri. 1457 Frenz, Papsturkunden, S. 14. 1458 Frenz, Eindringen (1973), S. 367–375. 1459 Frenz, Papsturkunden, S. 35–38, 105 f.; Frenz, Kanzlei, S. 64–66, 164–180; Frenz, Eindrin-
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fanden sich gerade unter den Sekretären in der Mitte des 15. Jahrhunderts zahlreiche Humanisten.1460 Es ist also wahrscheinlich, dass die Bestimmungen zur Schrift ausführung insbesondere auf sie zielten. Der ausdrückliche Bezug zur Kammer wie auch die Regelung zur Textschrift sind deutliche Hinweise darauf, dass anhand dieser Kanzleiregel der humanistische Einfluss auf die Gestaltung der päpstlichen Urkunden zurückgedrängt werden sollte. Dieser Versuch kann allerdings nicht als Anzeichen einer kulturfeindlichen, antihumanistischen Einstellung Pauls II. gedeutet werden, obwohl die Zeitgenossen ihm eine solche vorwarfen.1461 Dagegen spricht anschaulich die Gestaltung seiner Bleibulle, die deutlich von der seiner Vorgänger abwich und eindeutige humanistische Merkmale aufwies.1462 Auffällig ist der Kontrast zwischen der konservativen Regelung zur Urkundenausstattung und der progressiven Gestaltung der Bulle jedoch durchaus. Offenbar gab es grundsätzliche Bestrebungen, das althergebrachte Aussehen der päpstlichen Urkunden zu bewahren. Ein möglicher Grund mag darin liegen, dass sich die in der Kanzleiregel genannten Merkmale wie das Layout, die Gestaltung des Papstnamens und vor allem auch die kuriale Minuskel zu Echtheitskennzeichen der Papsturkunden entwickelt hatten und deren Legitimität garantierten. Änderungen an diesen Elementen drohten daher die päpstliche Herrschaftsausübung zu beeinträchtigen, die auf der Glaubwürdigkeit und Unanfechtbarkeit der Urkunden basierte. Doch die gleiche Voraussetzung galt auch und sogar vornehmlich für die Bleibulle, die seit dem 12. Jahrhundert als besonders aussagekräftiges Authentizitätsmerkmal galt – trotzdem hatte Paul II. offenkundig keine Bedenken, sie von Grund auf zu verändern.1463 Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass die Initiative für die Formulierung der Kanzleiregel nicht vom Papst, sondern vielmehr von der Kanzlei ausging. Zum einen konnte bereits im Rahmen der bisherigen Untersuchung festgestellt werden, dass die Verantwortung für die einheitliche Gestaltung der Papsturkunden stets von der Kanzlei und besonders dem Vizekanzler als ihrem Leiter übergen (1973), S. 319–326; Wetzstein, Heilige, S. 100; Meyer, Kanzlei, S. 316. Auch die anderen Urkundenarten konnten in bestimmten Fällen durch die Kammer expediert werden. Zu dieser expeditio per cameram vgl. Frenz, Papsturkunden, S. 98–100; Meyer, Kanzlei, S. 313; Frenz, Kanzlei, S. 132–140. Siehe auch oben, Kapitel 2.2, S. 29. Die Hauptaufgabe der Sekretäre war aber die Ausfertigung von Breven; vgl. Frenz, Eindringen (1973), S. 322. 1460 Frenz, Papsturkunden, S. 37; Frenz, Eindringen (1973), S. 302–307. 1461 Frenz, Eindringen (1973), S. 305. 1462 Krafft, Siegel, S. 239–242; Frenz, Eindringen (1973), S. 305. 1463 Diese Neugestaltung führte tatsächlich zu entsprechender Kritik und wurde als unpassend und nicht praktikabel empfunden, so dass in der Folge unter Pauls Nachfolger Sixtus IV. eine Bulle verwendet wurde, die den früheren Vorbildern sehr viel ähnlicher war; vgl. Krafft, Siegel, S. 242.
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nommen wurde; es ist daher davon auszugehen, dass dies auch im 15. Jahrhundert noch der Fall war. Zum anderen ging mit dem Aufkommen der Breven und dem wachsenden Einfluss der häufig humanistisch gebildeten und geprägten Sekretäre der Kammer ein zunehmender Kompetenz- und Bedeutungsverlust der Kanzlei einher.1464 Um dem Entgegenzuwirken und die Stellung der Institution sowie ihres Personals zu wahren, mussten aus Sicht der Kanzlei die humanistischen Einflüsse möglichst eingedämmt werden. Als Vizekanzler fungierte unter Paul II. Rodrigo Borgia, der spätere Alexander VI. (1492–1503). Er war bereits im Jahr 1457 von seinem Onkel Calixt III. (1455–1458) in dieses Amt eingesetzt worden und behielt es unter sämtlichen Nachfolgern, bis er im Jahr 1492 selbst zum Papst gewählt wurde.1465 Er hatte daher sicherlich ein persönliches Interesse daran, das Ansehen und den Einfluss der Kanzlei an der Kurie zu sichern, und kommt als Urheber der Kanzleiregel durchaus in Frage. Darauf deutet auch eine weitere, unter Sixtus IV. (1471–1484) und damit während der Amtszeit Rodrigo Borgias erlassene regula hin, die sich auf die Regel Pauls II. bezieht.1466 Darin werden zwar die einzelnen Gestaltungsvorgaben nicht erneut benannt, aber explizite Angaben zu den Strafen bei deren Nichtbefolgung gemacht und ausdrücklich auf den Vertrauensverlust in die Urkunden durch eine vom stilus curie abweichende Gestaltung hingewiesen.1467 Die Kanzleiregel ist nur in fünf der Handschriften überliefert, die Kanzleiregeln Pauls II. enthalten, allerdings handelt es sich dabei ausnahmslos um Kanzleiexemplare.1468 Für Außenstehende ohne direkten Bezug zur Urkundenproduktion der päpstlichen Kurie waren diese Festlegungen wahrscheinlich nicht von Interesse. Diese Überlieferungssituation wie auch die ergänzende Regel Sixtus’ IV. deuten aber darauf hin, dass die Kanzleiregel Pauls II. für den internen Betrieb der Kanzlei durchaus von anhaltender Bedeutung war. Letztlich stellt sie die erste umfassende und päpstlich approbierte Regelung zur Ausstattung von Papsturkunden überhaupt dar.
1464 Frenz, Eindringen (1973), S. 306 f., 319–322. Laut der Berechnung bei Frenz, Kanzlei, S. 80– 83, wurden in den Jahren 1471–1527 etwa 20 Prozent der Urkunden, deren Ausstellung per Supplik veranlasst wurde, als Breven ausgefertigt. 1465 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 266. 1466 AMKRO, Sixtus IV., Edition, Nr. 196, S. 172–174. 1467 AMKRO, Sixtus IV., Edition, Nr. 196, S. 173: Cum, sicut accepimus, plerique litterarum apostolicarum scriptores incuria et negligentia quadam litteras ipsas incorrecte admodum ac incomposite et invenuste contra laudabilem cancellarie apostolice consuetudinem scribant, propter quod tam nostro et apostolice sedis quam eorundem scriptorum honori et, quod deterius est, ipsarum litterarum fidei et auctoritati plurimum detrahitur, cum ille propter incorrectionem et deformationem caracterum nec non stili inobservantiam merito apud plerosque suspecte reddantur. 1468 AMKRO, Paul II., Konkordanz, S. 14–16.
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Insgesamt kann festgehalten werden, dass als Urheber der Kanzleiregeln, die Vorgaben zur äußeren Gestaltung von Papsturkunden machen, die jeweiligen Vizekanzler gelten können, während die Päpste selbst an ihrer Erarbeitung und Formulierung wahrscheinlich nicht beteiligt waren. Aufgrund des Charakters der regule cancellarie und ihrer Veröffentlichung in Form eines päpstlichen Erlasses erlangten sie aber offizielle Geltung. Allerdings sind konkrete Angaben zur Urkundengestaltung nur in sehr wenigen Kanzleiregeln enthalten, meist stehen Regelungen zum Geschäftsgang der Kanzlei und zu den Kompetenzen des Vizekanzlers im Vordergrund, die gelegentlich Rückschlüsse auf einzelne Aspekte der Urkundenausstattung erlauben. Regeln mit konkreten Vorgaben zu einzelnen Gestaltungsmerkmalen wurden nur dann erlassen, wenn sich die Kanzlei mit besonders schwierigen Umständen konfrontiert sah: nach der Rückkehr Gregors IX. nach Rom und dem Zurückbleiben eines Teils des Kanzleipersonals in Avignon, im Zuge der Entstehung einer konkurrierenden Kanzlei während des Basler Konzils und in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts unter dem zunehmenden Konkurrenzdruck durch die Sekretäre der päpstlichen Kammer. Nur in solchen Ausnahmesituationen nutzten die Vizekanzler die Möglichkeit, die Urkundengestaltung durch rechtsetzende regule cancellarie zu regulieren.
4.7 Einzelfallregelungen in kurialen Urkundensammlungen Nachdem die in verschiedenen Nachschlagewerken der päpstlichen Kanzlei auf uns gekommenen Gestaltungsregeln im Einzelnen untersucht wurden, muss abschließend noch eine verwandte Quellengattung in Betracht gezogen werden, die ebenfalls Angaben zur Ausstattung von Papsturkunden beinhalten kann. Es handelt sich dabei um im Umfeld der Kurie entstandene Urkunden- und Briefsammlungen, die nur in singulärer Überlieferung vorliegen. Sammlungen von Brief- und Urkundenabschriften1469 wurden aus unterschiedlichen Gründen angelegt. Anhand ihres Entstehungshintergrundes können sie grob in drei verschiedene Kategorien eingeteilt werden, die allerdings nicht klar gegeneinander abzugrenzen sind.1470 Die Forschung unterscheidet zwischen archivischen, literarischen und didaktischen Kollektionen. Als literarisch werden solche Sammlungen bezeichnet, die offenkundig aus Gründen der erbaulichen Unterhaltung entstanden und Briefe umfassen, die stilistisch besonders elegant oder inhaltlich von hohem moralischem Wert sind oder schlicht aus der Feder einer besonders berühmten Persönlichkeit stammen. Didaktische Sammelwerke dagegen beinhalten 1469 Zur Problematik der Abgrenzung zwischen Briefen und Urkunden, vor allem hinsichtlich der päpstlichen litterae, vgl. Thumser, Briefkultur, S. 12–14. 1470 Constable, Letter-Collections, S. 35−51.
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neben der eigentlichen Briefsammlung oft auch einen theoretischen Teil – die Artes dictandi gehören zu dieser Gattung. Bei den archivischen Zusammenstellungen handelt es sich um administrative oder persönliche Aufzeichnungen, die Abschriften von Dokumenten aller Arten enthalten können und entweder aus geschäftlichen Gründen oder als Nachschlagewerk für den Praxisgebrauch verfasst wurden.1471 Sowohl bei den Libri Cancellarie als auch den verschiedenen Versionen des Formularium audientiae handelt es sich gemäß dieser Klassifizierung um Misch formen aus didaktischen und archivischen Kollektionen – sie enthalten theoretische Abschnitte, die der Unterweisung von Kanzleimitarbeitern dienten, können aber auch als administrative Sammlungen betrachtet werden, die als Hilfsmittel für die Praxis und als Vorlagen zur Urkundenherstellung genutzt wurden. Thumser schlug eine grundsätzliche Abgrenzung solcher Formularsammlungen von den Musterbriefsammlungen vor und begründete dies mit ihrem amtlichen Charakter.1472 Allerdings konnte im Zusammenhang mit den frühen Versionen und der Entwicklung des Formularium audientiae bereits gezeigt werden, dass die Übergänge zwischen privaten und amtlichen Sammelwerken fließend waren und das Formularium allenfalls einen halboffiziellen Status hatte, so dass sich die Amtlichkeit nicht als Kriterium für eine derartige Differenzierung anbietet. Auch die weiteren von Thumser identifizierten Merkmale dieser kurialen Nachschlagewerke, nämlich die Formelhaftigkeit der Muster und die konsequent gehandhabte Systematik, begegnen beispielsweise ebenso in den Artes dictandi.1473 Eine eindeutige Trennung der kurialen Kollektionen in amtliche oder offizielle Formelsammlungen einerseits und private oder inoffizielle Urkundensammlungen andererseits erscheint daher kaum möglich. Vorlagen aus der Briefsammlung des Richard von Pofi wurden beispielsweise im 14. Jahrhundert in authentischen Papsturkunden verwendet.1474 Vor diesem Hintergrund sind auch die beiden im Folgenden zu untersuchenden Sammlungen zu betrachten. Ihre singuläre Überlieferung lässt darauf schließen, dass sie unter den Mitarbeitern der Kanzlei keine weite Verbreitung fanden. Sie enthalten keine umfassenden und strukturierten Vorgaben zur äußeren Ausstattung der päpstlichen Urkunden, aber aussagekräftige Notizen und Kommentare zu einzelnen Gestaltungsfragen. Aufgrund ihrer Herkunft aus dem direkten Umfeld der Kanzlei können sie durchaus als halboffizielle Quellen gelten. Sie liefern wertvolle Erkenntnisse zu einigen Gewohnheiten der Urkundengestaltung und zur Bedeu1471 Constable, Letters, S. 56–62. 1472 Thumser, Briefkultur, S. 25. 1473 Thumser, Briefkultur, S. 25, wies selbst darauf hin, dass auch die Briefsammlungen des Richard von Pofi und des Pseudo-Marinus von Eboli zahlreiche Formeln enthalten und daher eine gewisse Nähe zu den Formelsammlungen aufweisen. 1474 Beispiele bei Krafft, Papsturkunde, S. 578 Anm. 137, S. 679 Anm. 16.
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tung von Ausstattungsvorschriften für das Kanzleipersonal und werden deshalb in die Untersuchung einbezogen. 4.7.1 Barb. lat. 2126 In der Handschrift Barb. lat. 2126 der Vatikanischen Bibliothek ist eine Urkundensammlung überliefert, die einige besonders interessante Hinweise zur äußeren Urkundengestaltung beinhaltet.1475 Der Codex setzt sich aus zwei verschiedenen Teilen zusammen, die inhaltlich völlig unabhängig voneinander sind und erst durch ihren modernen Einband miteinander verbunden wurden. Allerdings befanden sie sich bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts gemeinsam im Besitz des Carlo Strozzi, was aus zwei entsprechenden Vermerken der Jahre 1628 (im ersten Teil) und 1627 (im zweiten Teil) hervorgeht.1476 Die beiden Handschriften wurden wahrscheinlich als Teil der Bibliothek Strozzi Ende des 18. Jahrhunderts an die Biblioteca Barberini verkauft und dort aufgrund ihrer gemeinsamen Herkunft zusammengebunden.1477 Der zweite, auf Papier verfasste Teil des Manuskripts, dessen Entstehung in die Jahre 1330 bis 1337 datiert werden kann, besteht aus zwei Faszikeln, die beide dem an der Kurie tätigen Prokurator Andreas Sapiti zugeschrieben werden können.1478 Der erste Teil der Handschrift, der für die folgende Untersuchung von Interesse ist, steht dagegen auf Pergament und enthält eine Sammlung von Papsturkunden, die Kirsch als Vorarbeit für ein Formelbuch interpretierte.1479 Tatsächlich waren mehrere Schreiber an der Herstellung beteiligt, die Kollektion wurde durch zahlreiche Nachträge ergänzt und aktualisiert. Überholte Vorschriften wurden ausgestrichen und korrigiert, offenbar zumindest teilweise unter Anleitung des jeweiligen Vizekanzlers. Außerdem deuten verschiedene Vermerke in der Handschrift darauf hin, dass die einzelnen Einträge umorganisiert werden sollten.1480 Die meisten Stücke sind mit fortlaufenden 1475 Barb. lat. 2126; vgl. Börsting, Provinciale, S. 8; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 270 f.; Kirsch, Andreas Sapiti, S. 583; Vones, Formelbüchern, S. 406. 1476 Barb. lat. 2126, fol. 36r: Caroli Strozze, Thome filii 1628; fol. 161r: Caroli Strozze, Thome filii 1627. 1477 Kirsch, Andreas Sapiti, S. 583 f.; Bombi, Geschäftsgang, S. 253 Anm. 1. Beide Teile verfügen jeweils über eine eigene Foliierung, außerdem wurde nach der Zusammenführung eine weitere ergänzt. In Übereinstimmung mit Kirsch wird im Folgenden die alte römische Foliierung zitiert. Diese scheint nicht gleichzeitig mit der Anlage der Handschrift, aber noch im 14. Jahrhundert angebracht worden zu sein; vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 814. 1478 Kirsch, Andreas Sapiti, S. 583 f.; Bombi, Geschäftsgang, S. 253; Bombi, Registro, S. 50–54; Bombi, Andrea Sapiti, S. 137 f.; Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 270 f. Zu Andreas Sapiti vgl. Bombi, Registro, S. 15–48; Bombi, Andrea Sapiti, S. 132–136. Zum Inhalt der beiden Faszikel vgl. Bombi, Registro, S. 49 f., 54–67; Bombi, Andrea Sapiti, S. 137–141; Kirsch, Andreas Sapiti, S. 584 f.; Bombi, Geschäftsgang, S. 254–256; Börsting, Provinciale, S. 61 f. 1479 Kirsch, Formelbuch, S. 814 f., 819 f. 1480 Barb. lat. 2126, fol. 31v: Post istam scribatur una, que est in sequenti quaterno in penultimo folio sub tali signo: [Verweiszeichen]; fol. 33v: Post istam scribatur una, que est in quarto quaterno
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Nummern versehen, die allerdings von einer späteren Hand durch andere Zahlen, Buchstaben und verschiedene Zeichen ersetzt wurden, welche eine abweichende Reihenfolge vorgeben. Verschiedene Randnotizen, in denen einige der Urkundenabschriften explizit als formae bezeichnet werden, bestätigen die Vermutung, dass es sich um eine strukturierte Formelsammlung handelt.1481 Die Foliierung zeigt, dass das Manuskript unvollständig ist, einzelne und teilweise sogar mehrere zusammenhängende Blätter fehlen. Darüber hinaus scheint es noch vor der Nummerierung der Folios zu einer Neuanordnung einzelner Seiten gekommen zu sein.1482 In der Sammlung sind die einzelnen Urkunden nach inhaltlichen Gesichtspunkten unterteilt, pro Lage wird jeweils eine bestimmte Art von Papsturkunden behandelt, beispielsweise Dispense oder Reservationen. Diese einzelnen Rubriken sind durch Überschriften bezeichnet, die häufig von einer späteren Hand nachgetragen wurden, was wiederum für die fortlaufende Arbeit an der Handschrift spricht. Der Inhalt der einzelnen formae ist jeweils am Rand als kurzes Regest zusammengefasst.1483 Grundsätzlich betreffen die in der Sammlung enthaltenen Muster vor allem Gnadenbriefe.1484 Neben wenigen von Kardinälen ausgefertigten Stücken enthält die Sammlung ausschließlich Papsturkunden, von denen die meisten Johannes XXII. (1316– 1334) als Aussteller nennen. Kirsch schloss dennoch aus dem in der Handschrift vorkommenden Ausdruck felicis recordationis Johannes papa XXII1485 auf eine Entstehung des gesamten Sammelwerks erst nach dem Tod dieses Papstes. Allerdings findet sich diese Formulierung nur an einer einzigen Stelle, bei der es sich wahrscheinlich um einen späteren Nachtrag handelt. Die vielen verschiedenen Hände und Ergänzungen sowie die offenbar noch vor der Foliierung vorgenommene Umorganisation der Seiten machen es unmöglich, die ursprüngliche Reihenfolge der Eintragungen nachzuvollziehen. Entsprechend lassen sich aus der Position dieses Hinweises auf den verstorbenen Papst im vorderen Drittel des Manuskripts keine Rückschlüsse ziehen. Aus denselben Gründen stehen auch die sicherlich später nachgetragenen Abschriften einer Urkunde Benedikts XII. (1334–1342)1486 und eines wahrscheinlich Innozenz’ VI. (1342–1352) zuzuordnenden Stückes1487 zwisequenti in secundo folio sub tali signo: [Verweiszeichen]; fol. 41r: Post istam scribatur una, que est in precedenti quaterno immediate in penultimo folio sub tali signo: [Verweiszeichen]. 1481 Zum Beispiel Barb. lat. 2126, fol. 106v: Ista forma fuit facta […], fol. 155v: Nota quod in formam istam […]. Vgl. auch die Beispiele bei Kirsch, Formelbuch, S. 815. 1482 Beispielsweise steht der erste Teil einer Urkunde auf fol. 36v, der zweite Teil auf fol. 38, fol. 37 wurde demnach nachträglich an dieser Stelle eingefügt; vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 814. 1483 Kirsch, Formelbuch, S. 818 f. 1484 Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 271. 1485 Barb. lat. 2126, fol. 63r. 1486 Barb. lat. 2126, fol. 123r. 1487 Barb. lat. 2126, fol. 147v. Eine eindeutige Zuordnung zu Innozenz VI. gestaltet sich auch auf-
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schen Formeln aus dem Pontifikat Johannes’ XXII. Letztendlich ist die Tatsache, dass der mit Abstand größte Teil der enthaltenen Urkunden aus der Zeit Johannes’ XXII. stammt, ein plausibler Anhaltspunkt dafür, dass die Sammlung während seines Pontifikats begonnen wurde. Sie wurde dann unter seinen Nachfolgern in Avignon bis in die Mitte des Jahrhunderts weitergeführt und ergänzt. Es scheint sich demnach nicht, wie von Kirsch angenommen, um eine reine Vorarbeit für ein Nachschlagewerk der Kanzlei zu handeln, sondern um ein bereits über mehrere Jahrzehnte in der Praxis genutztes Formelbuch, das schließlich nach langem Gebrauch vollständig umstrukturiert werden sollte. Die Anlage des Manuskripts ist damit vor dem gleichen Hintergrund zu betrachten wie die finale Umarbeitung der Vulgataredaktion des Formularium audientiae und die Entstehung der Frühversion der Forma scribendi privilegium. Die Umorganisation der Kanzlei im Zuge der Übersiedlung nach Avignon und die damit einhergehende Notwendigkeit, die neuen Mitarbeiter in die Traditionen und Abläufe einzuarbeiten, beförderten die vermehrte Herstellung schriftlicher Hilfsmittel zur Urkundenherstellung. Wie die Überlieferung in Barb. lat. 2126 zeigt, wurden zu diesem Zweck nicht nur bereits vorliegende Regelwerke angepasst oder althergebrachte Gewohnheiten schriftlich fixiert, sondern auch eine grundlegend neuartige und umfassende Urkundensammlung angelegt. Da sie hauptsächlich Gratialurkunden umfasst, kann sie als inhaltliche Ergänzung des Formularium audientiae betrachtet werden, das vorrangig Justizbriefe behandelt. In der Erarbeitung dieser Sammlung spiegelt sich damit die seit dem 13. Jahrhundert greifbare Differenzierung der Ausfertigung von Justiz- und Gratialurkunden in zwei getrennte Geschäftsgänge, die in der avignonesischen Kanzlei der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts im Zuge der Ausbildung entsprechender organisatorischer Strukturen endgültig feste Formen annahm.1488 Die zu Formeln umgestalteten Urkundenabschriften sind umfassend mit Anmerkungen versehen, die teilweise als Marginalien am Seitenrand, teilweise unter den Stücken eingetragen sind. Meist handelt es sich dabei um Erläuterungen zum Inhalt und zu den Anwendungsfällen der einzelnen Muster, einige dieser Einträge auf den letzten Seiten der Sammlung geben aber auch Hinweise zur äußeren Ausstattung der Urkunden.1489 Sie gehören zu Urkundenformularen, die Bestätigungen und Erneuerungen von Privilegien für Pilgerhospitäler betreffen, und fokussieren auf die Auswirkungen des Inserierens älterer Papsturkunden auf verschiedene Ausstattungsmerkmale.
grund der fehlenden Datierung schwierig; vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 815. Auch bei dieser Urkunde dürfte es sich jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen späteren Nachtrag handeln. 1488 Siehe oben Kapitel 2.2, S. 29. 1489 Auf diese Anmerkungen verwies bereits Bresslau, Urkundenlehre 2, S. 271.
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Die erste derartige Erklärung findet sich unter vier Stücken, die das Hospital von Altopascio betreffen. Dieses Hospital an der Via Francigena war das Mutterhaus des Ordens der Jakobsritter von Altopascio, dessen Hauptaufgaben in der Pilgerpflege und dem Brückenbau bestanden.1490 Bereits seit dem Pontifikat Eugens III. (1145–1153) genoss die Institution päpstlichen Schutz, 1239 wurde dem Orden durch Papst Gregor IX. (1227–1241) die Johanniterregel verliehen – wahrscheinlich strebte die Kurie aufgrund des großen Reichtums und Einflusses des Hospitals eine möglichst enge Bindung an den Apostolischen Stuhl und damit die päpstliche Kontrolle über die Einrichtung an.1491 Bei den entsprechenden Einträgen in der Handschrift Barb. lat. 2126 handelt es sich um stark verkürzte Formeln. Sie sind undatiert und nennen Johannes (XXII.) als Aussteller; nur aufgrund eines Verweises auf ein weiteres Muster in der Handschrift lässt sich erschließen, dass die zugrunde liegenden Urkunden Rundschreiben an die gesamte Christenheit waren und die Brüder des Hospitals von Altopascio betrafen. Sie wurden allesamt am 1. Oktober 1319 auf der Grundlage von Vorurkunden expediert, die in der Kanzlei vorgelegt worden waren, und forderten die Prälaten auf, die Brüder beim Almosensammeln zu unterstützen und Beeinträchtigungen ihrer Gesandten zu ahnden.1492 1490 Zur Gründung und Geschichte des Hospitals Altopascio vgl. Schmugge, Anfänge, S. 17 f.; Emerton, Altopascio, S. 5–23; Schneider, Nachlese, S. 33–60. 1491 Schmugge, Anfänge, S. 62; Schneider, Nachlese, S. 34–37; Meyer, Bettel, S. 55 f. Zur Geschichte der päpstlichen Privilegierungen des Hospitals im 12. und 13. Jahrhundert vgl. Meyer, Bettel, S. 55–67. 1492 Barb. lat. 2126, fol. 155r: 1. „Johannes ep͞s“ etc. „Venerabilis fratribus archiepiscopis“ etc. ut in prima istius quaterni „salt̅“ etc. „Conquestionem dilectorum filiorum .. magistri et fratrum“ etc. ut in eadem usque ad „instar felicis recordationis Alexandri et Urbani ac Clementis V precedessorum nostrorum“ etc. usque in finem. (= Mollat, Lettres communes Jean XXII 3, Nr. 10412. Vorurkunde Clemens’ V. vom 1. März 1314: Tosti, Regestum Clementis papae V 9, Nr. 10295.) 2. „Johannes ep͞s“ etc. „Venerabilis fratribus“ etc. ut in alia proxime post istam superiorem que incipit: „Conquestionem salt̅“ etc. „Non absque dolore cordis“ etc. ut in eadem usque ad „universitati vestre ad felicis recordationis Clementis IIII et Bonifacii VIII et Clementis V predecessorum nostrorum“ etc. usque in finem. (= Mollat, Lettres communes Jean XXII 3, Nr. 10411. Vorurkunde Bonifaz’ VIII. vom 6. März 1297: Digard, Registres Boniface VIII 1, Nr. 1927; Vorurkunde Clemens’ V. vom 1. März 1314: Tosti, Regestum Clementis papae V 9, Nr. 10294. Nicht erwähnt ist die gleichlautende Vorurkunde Urbans IV. vom 20. Juli 1262: Schneider, Regestum, Nr. 734.) 3. „Johannes ep͞s“ etc. ut in proxima sequenti post istam superiorem que incipit: „Non absque salt̅“ etc. „Circa opera pietatis“ etc. ut in eadem usque „Alexandri, Urbani, Clementis IIII et Clementis V predecessorum nostrorum“ etc. usque in finem. (= Mollat, Lettres communes Jean XXII 3, Nr. 10416. Vorurkunde Clemens’ IV. vom 17. April 1266: Überliefert als Insert in einer Urkunde des Erzbischofs Robert Winchelsey von Canterbury vom 19. August 1303, gedruckt bei Graham, Registrum, S. 783−787, Insert S. 785 f.; vgl. Meyer, Bettel, S. 65. Vorurkunde Clemens’ V. vom 1. März 1314: Tosti, Regestum Clementis papae V 9, Nr. 10296.) Die Formel
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Über die konkreten Abläufe in der Kanzlei im Zuge der Ausfertigung dieser Bestätigungsurkunden gibt die Notiz unterhalb der vier Formeln Aufschluss. Demnach wurden ursprünglich alle vier Dokumente an Hanfschnur bulliert, weil aber die Brüder von Altopascio die alten Originale vorlegen konnten und diese Seidenschnüre aufwiesen, wurden die litterae neu ausgefertigt und die Bleibullen auf dieselbe Art angebracht. Daraus schlussfolgerten die Urheber der Formelsammlung, dass alle Urkunden, in denen die Phrasen ad instar … oder felicis recordationis … vestigiis inherentes vorkommen, mit Seidenschnur zu versehen seien.1493 Diese beiden Formeln konnten als ein sicheres Indiz dafür gelten, dass innerhalb des Textes eine ältere Papsturkunde konfirmiert wurde. An die Stelle der zwei Punkte wurde der Name des Papstes gesetzt, der in der zu erneuernden Vorlage als Aussteller genannt war. Besonders aufschlussreich ist ein ebenfalls in der umfassenden Erläuterung zu diesen Formeln enthaltener Hinweis auf die Rolle des Vizekanzlers, in diesem Fall des Petrus Textoris (Pierre le Tessier, Vizekanzler 1319−1325), im Rahmen der beschriebenen Privilegienerneuerung.1494 Er hatte die im Jahr 1319 von den Brüdern Circa opera pietatis findet sich auch im Liber Cancellarie I, diese Version geht auf eine Vorlage mit Bezug zu den Brüdern von Altopascio zurück; vgl. Tangl, Kanzleiordnungen, Nr. LVIII, S. 282 f. 4. „Johannes ep͞s“ etc. ut in proxima sequenti post istam superiorem que incipit: „Circa opera pietatis salt̅“ etc. „Querelam gravem“ etc. usque „Clementis IIII, Bonifatii VIII et Clementis V predecessorum nostrorum“ etc. usque in finem. (= Mollat, Lettres communes Jean XXII 3, Nr. 10413. Vorurkunde Clemens’ IV. vom 10. Januar 1268: Jordan, Registres Clement IV, Nr. 557; Vorurkunde Bonifaz’ VIII. vom 6. März 1297: Digard, Registres Boniface VIII 1, Nr. 1779; Vorurkunde Clemens’ V. vom 1. März 1314: Tosti, Regestum Clementis papae V 9, Nr. 10293.) Die Formel Querelam gravem findet sich auch im Liber Cancellarie I, diese Version geht auf eine Vorlage mit Bezug zu den Brüdern von Altopascio zurück; vgl. Tangl, Kanzleiordnungen, Nr. LVII, S. 282. Zu den vier Formeln vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 816, zu den Vorurkunden Meyer, Bettel, S. 64 f. 1493 Barb. lat. 2126, fol. 155r: Nota, quod iste quatuor littere fuerunt facte ad cordam, et quia fratres de Altopassu ostenderunt antiqua privilegia consimilia que fuerant facte ad sericum, fuerunt rescripte ad sericum et sic, prout patet, omnes littere que fiunt „ad instar“ vel „felicis recordationis … vestigiis inherentes“, ut etiam hic superius in littera que incipit: „Particeps mercedis“, patet debent fieri ad sericum. Vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 816. Bei dem erwähnten Dokument mit dem Incipit Particeps mercedis handelt es sich offenbar um die ebenfalls am 1. Oktober 1319 ausgefertigte Urkunde Johannes’ XXII., in der allen, die den von den Brüdern zu Altopascio betriebenen Bau der Brücke über den Arno unterstützen, ein Ablass von 40 Tagen gewährt wird (= Mollat, Lettres communes Jean XXII 3, Nr. 10410). Zur Geschichte dieses Ablasses vgl. Meyer, Bettel, S. 66 f. 1494 Der Vizekanzler wird nicht beim Namen genannt, kann aber aufgrund der Bezeichnung als Abt von Saint-Sernin in Toulouse (Barb. lat. 2126, fol. 155r: vicecancellarium, scilicet abbatem sancti Saturnini Tholosani tempore domini pape Johannis XXII anno quarto) als Pierre le Tessier identifiziert werden; vgl. Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 258 f.; Baumgarten, Von der Apostolischen Kanzlei, S. 99−103.
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von Altopascio vorgelegten Vorurkunden offenbar persönlich entgegengenommen und inspiziert, wobei er auch feststellte, dass sie jeweils als Mehrfachausfertigungen an die gesamte Christenheit versendet worden waren.1495 Darüber hinaus wurde – weiterhin in Ergänzung zu den vier genannten Urkundenmustern – von einem Bearbeiter des Formelbuchs angemerkt, dass bei der gleichzeitigen Bestätigung mehrerer Vorurkunden die Namen aller ausstellenden Päpste aufzuführen seien, und zwar in der zeitlich richtigen Abfolge. Diese Papstnamen seien dabei immer in Elongata zu gestalten.1496 In der Handschrift wurde diese Vorgabe im Rahmen der Formeln auch tatsächlich umgesetzt. Diese allgemeine Aussage zur Ausstattung der Papstnamen im Kontext wurde jedoch durch eine weitere Notiz wieder eingeschränkt beziehungsweise näher definiert, indem ein konkreter Zusammenhang mit der Bullierung hergestellt wurde. Nur bei der Erneuerung von Privilegien oder Gratialbriefen, also in Urkunden, bei denen die Bulle mit Seide angebracht werde, seien die Papstnamen durch Elongierung hervorzuheben; dies gelte hingegen nicht für die Bestätigung einfacher Exekutorialbriefe.1497 Da die Bullierung den letzten Schritt bei der Ausfertigung einer Urkunde darstellte, konnte sie für die Skriptoren kaum als Kriterium für die Gestaltung der Papstnamen im Kontext dienen. Im Umkehrschluss lässt sich aus dieser auf Grundlage des Studiums von Originalen erarbeiteten Notiz aber schlussfolgern, dass es im frühen 14. Jahrhundert der Praxis der Kanzlei entsprach, die Schreibweise der Namen früherer Päpste innerhalb der Renovationsformel in Übereinstimmung mit der Kategorie des ursprünglichen, der Bestätigung zugrunde liegenden Dokuments anzupassen, was auch entsprechende Auswirkungen auf die Bullierung hatte. Wurde ein einfacher Hanfschnurbrief erneuert, sollte auch die Bestätigungsurkunde die einfache Ausstattung und Bullierung aufweisen, wurde dagegen ein 1495 Barb. lat. 2126, fol. 155r: Item prout dicti fratres per antiquas litteras indulgentie eis per sedem apostolicam concesse ostenderunt, huiusmodi littere indulgentie, que ipsis fratribus et aliis hospitalibus questuariis solent concedi, fecerunt duplicari et multiplicari, prout manifeste apparebat per distributionem in ipsis litteris ab antiquo factam et hec fuerunt ostensa et visa per dominum vicecancellarium, scilicet abbatem sancti Saturnini Tholosani, tempore domini pape Johannis XXII anno quarto. Vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 816. 1496 Barb. lat. 2126, fol. 155r: Item nota quod, quando huiusmodi littere vel alie renovantur „ad instar“, debet ille qui facit notam incipere et continuare sicut continentur in ipsa littera que renovantur, et ubi dicitur „ad instar … et …“ debet incipi a primo papa, nominando eos per ordinem usque ad ultimum si sunt ibi plures nominandi et debent semper fieri littere levate in nominibus pontificum. Vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 817. 1497 Barb. lat. 2126, fol. 155r: Item quando privilegia regis Francie vel alterius renovantur „ad instar“ vel „vestigiis“ etc., semper fiunt littere levate in nominibus pontificum in litteris gratiosis, sed in executoriis si executorias habent non fiunt levate, et sic videtur quod littere levate in nominibus pontificum quantumcumque dicatur „ad instar“ vel „vestigiis“ etc. non debent fieri, nisi quando littere ipse sunt ad sericum. Vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 817.
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Privileg oder Gratialbrief konfirmiert, war die auszufertigende Urkunde prachtvoll zu gestalten und mit Seide zu bullieren. In der Handschrift folgen auf diese detaillierten Erläuterungen weitere Urkundenformeln, die auf der folgenden Seite erneut ergänzende Notizen aufweisen, allerdings von anderer Hand. Im Rahmen dieser Anmerkungen wird die Frage der Elongierung von Papstnamen erneut aufgegriffen und eingehend untersucht, wobei die Veränderungen in den diesbezüglichen Kanzleigewohnheiten über etwa zwei Jahrzehnte nachverfolgt werden. Der Zusammenhang mit der Bullierung wird dabei nie aus den Augen verloren. Im Zuge dieser Analyse stellte der Verfasser fest, dass die von dem vorherigen Bearbeiter vermutete Differenzierung der Ausstattung nach Gratial- und Justizbriefen in der Kanzlei in dieser Form nicht konsequent umgesetzt worden war. Zunächst wurde zum Vergleich eine Urkunde betrachtet, die eine ähnliche Institution wie Altopascio, nämlich das Hospital auf dem Großen St. Bernhard im Bistum Sitten in der Schweiz betrifft.1498 Aufgrund seiner Lage an einem der wichtigsten Alpenübergänge betrieben viele Mächtige Europas im Wettbewerb um die Beherrschung der Alpenpässe gegenüber dem Hospital eine umfassende Protektions- und Schenkungspolitik. Vor diesem Hintergrund nahm auch Eugen III. das Hospiz unter den Schutz der römischen Kirche und bestätigte seinen Besitz, weitere päpstliche Privilegierungen folgten im weiteren Verlauf des 12. und 13. Jahrhunderts.1499 Laut dem Eintrag in der Handschrift Barb. lat. 2126 bestätigte die Kanzlei Johannes’ XXII. am 1. April 1323 eine solche päpstliche Begünstigung, in der allen Gläubigen, die das Hospital am Großen St. Bernhard unterstützten, ein Teil der Kirchenstrafen erlassen und die kirchliche Bestattung zugesichert wurde.1500 Die 1498 Zur Gründung und Geschichte des Hospitals vgl. Quaglia, Maison, S. XXVI−XXXII, 1−34; Zenhäusern, Domus Montis Iovis, S. 161−186; Schmugge, Anfänge, S. 42 f. 1499 Zenhäusern, Domus Montis Iovis, S. 174 f.; Quaglia, Maison, S. 56−59. 1500 Barb. lat. 2126, fol. 155v: „Johannes ep͞s servus servorum Dei universis Christi fidelibus, ad quos littere iste pervenerint salt̅ et apli̅cam be͞n. Si iuxta sententiam sapientis“ ut supra in alia ista forma usque: „Cum igitur dilectis filiis prepositus et capitulum hospitalis sancti B. Montis Iovis Sedunensis diocesis ad hoc totis viribus“ etc. ut in eadem usque „confisi, ad instar felicis recordationis Innocentii et Clementis Romane pontificis predecessorum nostrorum omnibus, qui“ etc. ut in eadem usque „suscipimus“. Vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 817. Der Eintrag vermittelt den Eindruck, dass durch die Kanzlei Johannes’ XXII. eine einzelne Urkunde zur Bestätigung von zwei Vorurkunden ausgefertigt wurde. Die Original- und Register überlieferung zeigt aber, dass am 1. April 1323 zwei Vorurkunden im Rahmen von zwei einzelnen Dokumenten erneuert wurden, die beide inhaltlich der Formel Si iuxta sententiam entsprechen; vgl. Mollat, Lettres communes Jean XXII 4, Nr. 17133 (Annotatur privilegium eisd. fratribus [hospitalis ss. Nicolai et Bernardi de Montejovis] ab Innocentio Papa III datum Lugduni, V id. apr. anno IV o, per quod Pontifex fideles hortatur ut eleemosynas dictis fratribus conferant, et relaxat annuatim septimam partem injunctae paenitentiae omnibus illis qui facultatibus suis ipsis
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zugehörige Erläuterung besagt, dass bei der Erneuerung derartiger Privilegien und Indulgenzen mit den Formeln ad instar, ad exemplar und predecessorum vestigiis inherendo die Papstnamen in Elongata auszuführen seien, allerdings nur dann, wenn sie mit Seide bulliert würden.1501 Erneut ist dies auch in der Handschrift entsprechend umgesetzt. subvenerint, et in tam sancta fraternitate statuerint se collegas esse) und Largiadèr, Papsturkunden Schweiz 2, Nr. 751, S. 30; außerdem Mollat, Lettres communes Jean XXII 4, Nr. 17136 (Transcribitur privilegium eisdem fratribus a Clemente Papa IV datum Perusii per quod XV kal. jun. anno Io hortatur fideles ut eleemosynas dictis fratribus conferant, et relaxat annuatim septimam partem injunctae poenitentiae, ad instar Innocentii Papae III, omnibus qui facultatibus suis ipsis subvenerint, et in tam sancta fraternitate statuerint se collegas esse). Hinsichtlich der genannten Vorurkunden ist die Überlieferungssituation ebenfalls unübersichtlich. Im Register ist von der Bestätigung einer Urkunde Innozenz’ III. die Rede (Nr. 17133); auch Quaglia, Maison, S. 57 f., bezog sich auf ein Dokument Innozenz’ III. vom 9. April 1201, allerdings ohne Angabe einer Quelle. Aufgrund des Verlustes der Registerbände des dritten und vierten Pontifikatsjahres Innozenz’ III. kann dessen Existenz nicht verifiziert werden. Allerdings ist eine gleichlautende Urkunde Innozenz’ IV. vom 9. April 1247 bekannt; vgl. Berger, Regis tres Innocent IV 1, Nr. 2519; Druck: Gremaud, Documents, Nr. 502, S. 395–397; Bernoulli, Acta Pontificum Helvetica, Nr. 320, S. 198 f. (Zur Übereinstimmung des Wortlauts dieser Urkunde mit der im Liber Cancellarie I eingetragenen Formel Si iuxta sententiam, die auf eine Urkunde für Altopascio zurückgeht, vgl. Tangl, Kanzleiordnungen, S. XLII f., und die Formel Nr. LVI auf S. 280−282.) Largiadèr, Papsturkunden Schweiz 2, Nr. 751, S. 30, identifizierte das im Archiv von Grand-Saint-Bernard überlieferte Original als Abschrift der Urkunde Innozenz’ IV. und ging davon aus, dass es sich bei dem Registereintrag (oder bei Mollat?) um eine Verschreibung zu Innozenz III. handelt. Paradoxerweise verwies auch Quaglia, Maison, S. 58, im Zuge seiner Analyse des vermeintlichen Privilegs Innozenz’ III. auf den Druck des Exemplars Innozenz’ IV. bei Bernoulli, ebd. Insgesamt deutet die Überlieferung darauf hin, dass die ursprüngliche Urkunde unter Innozenz IV. ausgefertigt wurde. Hinsichtlich der zweiten Bestätigung ist im Register Johannes’ XXII. angegeben, dass eine Urkunde Clemens’ IV. vom 18. Mai 1266 konfirmiert wurde (Nr. 17136). Im Register Clemens’ IV. ist kein derartiges Stück verzeichnet. Quaglia, Maison, S. 58, erwähnte eine Erneuerung der Urkunde Innozenz’ durch Clemens V. im Dezember 1310. Im Register Clemens’ V. findet sich unter diesem Datum kein entsprechendes Stück, stattdessen aber ein mit der Urkunde Innozenz’ IV. gleichlautendes Dokument vom 3. Juli 1310, das wiederum ad instar felicis recordationis Innocentii et Clementis Romanorum pontificium predecessorum nostrorum ausgefertigt wurde; vgl. Tosti, Regestum Clementis papae V 5, Nr. 5898. Die in die Handschrift Barb. lat. 2126 übernommenen direkten Zitate („Cum igitur …“, „confisi, ad instar …“) stammen offenbar aus dieser Urkunde Clemens’ V. Schlussendlich ist davon auszugehen, dass der Kanzlei Johannes’ XXII. die Vorurkunden Innozenz’ IV., Clemens’ IV. und Clemens’ V. vorlagen. Der Eintrag in Barb. lat. 2126 deutet darauf hin, dass auch die Urkunde Clemens’ V. bestätigt wurde und die daraus resultierende Renova tionsurkunde als Vorlage für die in Barb. lat. 2126 vorliegende Formel diente, ein entsprechender Eintrag im Register Johannes’ XXII. fehlt allerdings. 1501 Barb. lat. 2126, fol. 155v: Nota quod, quandocumque huiusmodi privilegia seu indulgentie renovantur „ad instar“ vel „ad exemplar“ aut „predecessorum vestigiis inherendo“, quod nomina pontificum, qui in ipsis privilegiis vel indulgentiis exprimuntur, debent fieri cum litteris levatis ut hic
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Einschränkend wird allerdings festgehalten, dass diese Gestaltung zu jener Zeit üblich gewesen sei, als Kardinal Albus Vizekanzler und Manuel sein Stellvertreter war.1502 Es könnte sich um die Konstellation des Jahres 1312 handeln, als der amtierende Vizekanzler Arnald Novelli (Arnaud Nouvel) als Legat nach England entsandt wurde und Magister Manuel als regens cancellariam die Leitung der Kanzlei übernahm.1503 Allerdings bleibt unklar, auf welche Vorlage die in der Handschrift festgehaltene Beobachtung zur Ausstattung zurückgeht, da die beschriebene Personalsituation zeitlich weder mit der genannten Urkunde Johannes’ XXII. für das Hospital am Großen St. Bernhard (aus dem Jahr 1323) noch mit der Vorurkunde Clemens’ V. (aus dem Jahr 1310) in Einklang gebracht werden kann. Möglicherweise bezog sich der Verfasser dieser Anmerkung auf die Amtszeit Arnalds im Allgemeinen, die wahrscheinlich im Jahr 1307 begann, könnte doch Magister Manuel bereits vor der Englandreise Arnalds als Stellvertreter fungiert haben. Den wahrscheinlichsten Bezugspunkt für diesen Hinweis stellt somit die Vorurkunde Clemens’ V. dar. Ergänzend wird in der Notiz erläutert, dass die Gewohnheiten der Kanzlei unter der Leitung von Bertrandus de Poietto (Bertrand du Pouget, stellvertretender Leiter der Kanzlei 1317−1319) und Petrus Textoris (Pierre le Tessier, Vizekanzler 1319−1325) von dieser Praxis abwichen.1504 Bei den Renovationsurkunden aus diesen Jahren seien nämlich die Papstnamen im Kontext immer in Elongata ausgeführt worden, unabhängig davon, ob die Urkunden mit Seide oder Hanf bulliert worden seien.1505 Insgesamt wird anhand dieser detaillierten Erklärungen zu den wechselnden Gebräuchen der Kanzlei deutlich, wie groß der Einfluss des jeweiligen Kanzleileiters auf die Gestaltung der Urkunden war, besonders in Detailfragen. Zur Illustration des unter Pierre le Tessier üblichen Verfahrens wurde erneut auf eine littera Johannes’ XXII. mit Bezug zum Hospital Altopascio zurückgegriffen, die bereits zu Beginn des Abschnitts angeführt wurde. Mit Verweis auf Vorurkunden Alexanders IV. (1254–1261), Urbans IV. (1261–1264), Clemens’ IV. (1265– 1268) und Clemens’ V. (1305–1314) werden darin die Prälaten der Christenheit in proxima, et specialiter quando sunt littere ad sericum, alias non quantumcumque dicatur „ad instar“ […]. Vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 817. 1502 Barb. lat. 2126, fol. 155v: Et sic servatum fuit, ut prescribitur, tempore quo cardinalis Albus erat vicecancellarius et magister Manuel regebat cancellariam. Vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 817. 1503 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 256, 289 f. 1504 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 256–258. 1505 Barb. lat. 2126, fol. 155v: Tempore vero cardinalis de Pugeto [Bertrand du Pouget] servatum fuit, quod etiam in litteris in quibus dicitur „felicis recordationis … pape predecessoris nostri vestigiis inherentes“, nomina pontificum fiebant cum litteris levatis, sive essent ad sericum sive ad cordam, et etiam tempore domini Petri tituli sancti Stephani in Celiomonte presbiteri cardinalis [Pierre le Tessier] in litteris de Altopassu, que fuerunt renovate tempore suo ad instar, ut hic patet per formam que immediate sequitur. Vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 817.
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aufgefordert, die Privilegien des Hospitals im Bereich des Almosensammelns durchzusetzen.1506 Die zugehörige Erläuterung weist darauf hin, dass derartige Bestätigungsurkunden mit Seidenschnur bulliert und die Papstnamen im Kontext elongiert würden, auch wenn der Name des Ausstellers selbst nicht in Elongata ausgeführt, sondern nur mit ausgeschmückter Initiale ausgestattet sei.1507 Tatsächlich ist auch in der Handschrift nur der erste Buchstabe des Namens Johannes hervorgehoben, bei den Papstnamen im Kontext sind dagegen alle Buchstaben verlängert. Diese abweichende Gestaltung dürfte damit zusammenhängen, dass dieses Stück, wie in einer der vorhergehenden Notizen in der Handschrift erläutert, ursprünglich als Hanfschnurbrief expediert und dann nach Vorlage der Vorurkunden erneut ausgestellt und mit Seidenschnur bulliert wurde.1508 Offenbar wurde als Grundlage für die Aufzeichnungen in Barb. lat. 2126 die erste Ausfertigung herangezogen, ohne den Widerspruch zu bemerken, was in der Folge zu weiteren Unklarheiten führte. In jedem Fall wurde auch im Zuge der zweiten Betrachtung dieses Beispiels erneut der enge Zusammenhang zwischen Bullierungsart und Gestaltung der Papstnamen hervorgehoben. Auf diese Ausführungen folgt in der Handschrift eine Lücke,1509 im Anschluss findet sich eine wiederum von anderer Hand eingetragene Urkunde Johannes’ XXII. für ein nicht namentlich bezeichnetes Hospital, in der ein Privileg Clemens’ III. erneuert wird.1510 In der Handschrift sind beide Papstnamen (in der Intitulatio und 1506 Urkunde vom 1. Oktober 1319, vgl. die dritte Formel in Anm. 1492. 1507 Barb. lat. 2126, fol. 155v: Nota, quod in formam istam et quamplures alias Clementis IIII et Bonifacii VIII, ut supra patet, et principales litteras et „ad instar“ et „felicis recordationis pape predecessoris nostri vestigiis“ etc. vidi fieri ad sericum et cum litteris levatis in primo nomine pape, scilicet principium littere, et in aliis nominibus pontificum, si erant in eis, sicut „ad instar“ et aliis predictis formis, et secundum „Nulli“ etc. Vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 818. Die Urkunde wurde ursprünglich als Hanfschnurbrief ausgefertigt, da den Prälaten darin Befehle erteilt wurden und es sich demnach um ein Mandat handelte. Der Schreiber wollte mit dieser Erklärung möglicherweise auch darauf hinweisen, dass ein solcher Brief auch als Seidenschnurbrief ausgestattet werden konnte, weil er einen Gnadenerweis enthielt, wenn auch nicht für den Empfänger. Siehe dazu auch oben, Kapitel 2.1, S. 24. 1508 Siehe oben Anm. 1493. 1509 Nach neuer Foliierung folgt eine leere Seite (fol. 112r), nach alter Foliierung fehlen vor dieser leeren Seite zusätzlich zwei vollständige Blätter (fol. 156 und fol. 157). 1510 Barb. lat. 2126, fol. 158v: „Johannes ep̅s“ etc. „Dilectis filiis magistro et fratribus hospitalis salt̅“ etc. „Quoddam privilegium felicis recordationis Clementis pape III predecessoris nostri vobis et hospitali vestro eiusque fratribus concessum nobis ex parte vestra presentatum inspeximus diligenter, cuius tenor de verbo ad verbum talis est“, et ponatur totus tenor obmissis subscriptionibus pape et cardinalium atque signis, ponatur tamen data que in fine dicti privilegii continetur et postea dicatur: „Nos itaque vestre sacre religionis inducti meritis vestris supplicationibus favorabiliter annuentes, prefatum privilegium approbamus ipsumque nimia vetustate consumptum ad instar predecessoris eiusdem auctoritate apostolica innovamus ad cautelam presentium et memoriam futurorum. Nulli ergo“ etc. Vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 818. Da weder Empfänger noch Inhalt bekannt sind und die
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im Kontext) in Elongata ausgeführt. Die zugehörige Notiz liefert eine Zusammenfassung der gesamten im Vorfeld diskutierten Thematik. So sei die Elongierung der Papstnamen in Renovationsurkunden nicht immer realisiert und in vielen Fällen auch anders gehandhabt worden, zu Zeiten des Vizekanzlers Pierre le Tessier sei diese Art der Ausstattung aber durchaus üblich gewesen. Die Schlussfolgerung lautet, dass es ratsam sei, einen Papstnamen im Kontext nur bei seiner ersten Nennung zu elongieren, sozusagen an der Stelle, an welcher der Papst zu sprechen beginne, bei weiteren Erwähnungen müsse der Name nicht mehr hervorgehoben werden.1511 Diese abschließende Notiz verdeutlicht, dass die Verfasser der verschiedenen Anmerkungen im Rahmen ihrer Analyse der Originale zu keinem schlüssigen Ergebnis gekommen waren. Eine feststehende Regel zum Umgang mit den Papstnamen in Bestätigungsurkunden konnten sie nicht ermitteln, da eine entsprechende Gewohnheit wahrscheinlich nie etabliert worden war. In der Folge entwickelten die Bearbeiter oder auch der Verfasser der abschließenden Anmerkung, eventuell im Austausch mit weiteren Mitarbeitern oder auch der Leitung der Kanzlei, einen Lösungsvorschlag für diese diffuse Regelungssituation, der in der Handschrift schriftlich fixiert wurde. Der Impuls zur Ausarbeitung konkreter Ausstattungsregeln und zu deren schriftlicher Fixierung konnte demnach nicht nur aus der praktischen Arbeit der Kanzlei heraus, sondern ebenso durch die theoretische Beschäftigung mit päpstlichen Urkunden entstehen. Die Auseinandersetzung mit den Originalen erfolgte in diesem Fall im Zusammenhang mit der Anlage einer Urkunden- oder Formelsammlung für Gratialurkunden. Die Kompilatoren waren bemüht, präzise Regeln für die Ausstattung päpstlicher Bestätigungsurkunden festzulegen, die eine der behandelten Rubriken bildeten. Im Mittelpunkt standen dabei zwei Aspekte, nämlich zum einen die Bullierung (mit Seide oder Hanf ) und zum anderen die Gestaltung der Papstnamen im Kontext. Betont wurde die gegenseitige Abhängigkeit der beiden AusstattungsDatierung fehlt, konnte die Vorlage nicht ermittelt werden. Eine Urkunde Clemens’ III. zugunsten des Hospitals Altopascio ist nicht bekannt. In einer littera desselben Papstes für das Hospital am Großen St. Bernhard wurden Schenkungen an das Hospiz konfirmiert (Brackmann, Helvetia pontificia, Nr. 9, S. 135; vgl. Zenhäusern, Domus Montis Iovis, S. 172; Quaglia, Maison, S. 61), allerdings ist im Register keine Bestätigung dieses Dokuments aus der Zeit Johannes’ XXII. verzeichnet. 1511 Barb. lat. 2126, fol. 158v: Nota, quod licet pluries fuerit dubitatum et etiam contrarium factum, prout in littera Montispesulani inferius apparet, fuit tamen deliberatum quod fieret sicut continetur in presenti forma cum litteris levatis sicut iacet, et ita fuit deliberatum tempore dicti domini cardinalis sancti Stephani, et est ratio quod fiant littere levate in prima nominatione pontificus pro eo, quod papa loquitur, sed postquam devenitur ad tenorem, non debent fieri nec in ipso principio ipsius privilegii nec alibi littere levate, quia ex tunc papa non loquitur, sed totum est de ipso tenore. Vgl. Kirsch, Formelbuch, S. 818. Es folgen auf fol. 158v noch drei weitere Urkundenformeln (Revokationen) von anderen Händen ohne inhaltlichen Bezug zu den diskutierten Fragen, sie weisen keinerlei Papstnamen im Kontext auf. Danach endet dieser Teil der Handschrift.
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merkmale, vor allem der Einfluss der Bullierungsart auf die Schreibweise der Papstnamen. Damit demonstrieren die Notizen in der Urkundensammlung erneut, dass die Mitarbeiter der päpstlichen Kanzlei die Papsturkunden vorrangig anhand der äußeren Ausstattung den beiden Kategorien der Gratial- und Justizurkunden zuordneten. Ausgangspunkt der Überlegungen für die Aufzeichnungen in Barb. lat. 2126 war die Erneuerung einiger Urkunden zugunsten des Hospitals Altopascio, die in gleicher Weise bereits unter Bonifaz VIII. und Clemens V. erfolgt war – die Brüder erwirkten offenbar regelmäßig nach einem Wechsel auf dem Papstthron solche Bestätigungen ihrer Privilegien. Die Ausfertigung der Urkunden in der Kanzlei Johannes’ XXII. hatten die Urheber der Urkundensammlung wohl entweder persönlich miterlebt oder sie waren durch Berichte aus erster Hand darüber informiert worden. Dabei war bei ihnen der Eindruck entstanden, dass derartige Urkunden grundsätzlich mit Seide bulliert und die Papstnamen im Kontext elongiert wurden, was sie als Hinweis für die künftige Expedierung ähnlicher Stücke notierten. Im Verlauf der Sammlung und des Studiums weiterer Beispiele, die ihnen zur Abschrift für das Formelbuch vorlagen, waren dann offenbar die diesbezüglichen Uneinheitlichkeiten aufgefallen, denen in der Folge im Detail nachgegangen wurde – die gewonnenen Erkenntnisse wurden jeweils in der Handschrift aufgezeichnet. Die im Zuge dieser Analyse angestellten Überlegungen lassen sich an den sukzessive ergänzten Kommentaren erstaunlich deutlich ablesen, die aufkommenden Fragen wurden offenbar in der Kanzlei, auch unter Beteiligung der höhergestellten Funktionäre, diskutiert. Auf Grundlage einer Rekapitulation der über zwei Jahrzehnte üblichen Gebräuche wurde so letztendlich eine Regelung erarbeitet und definiert, die, soweit möglich, alle Gewohnheiten und Eventualitäten mit einbezog. Falls sich in der Kanzlei des 13. Jahrhunderts diesbezüglich bereits verbindliche Konventionen herausgebildet hatten, waren diese im Zuge der Übersiedlung der Kurie nach Frankreich verlorengegangen. Insgesamt unterstreichen die Beteiligung mehrerer Kanzleimitarbeiter sowie die wahrscheinliche Einflussnahme der Kanzleileitung bei der Erarbeitung der Urkundensammlung deren halboffiziellen Charakter als Kanzleihilfsmittel im Sinne des Formularium audientiae. Die wesentliche Rolle des Vizekanzlers und seines Stellvertreters bei der Fest legung und Aufzeichnung derartiger Richtlinien sowie ihr Einfluss auf die konkrete Ausstattung der Urkunden ist vor allem daran ablesbar, dass sich die Gebräuche mit den Wechseln im Amt des Kanzleileiters änderten – sie waren offenbar direkt von dessen Entscheidungen abhängig. Folglich wurden die verschiedenen Gestaltungsvarianten von den Kompilatoren der Urkundensammlung ganz selbstverständlich in Relation zu den Amtszeiten der jeweiligen Kanzleileitungen gesetzt und nicht entlang von Pontifikaten definiert. Alle in der Handschrift genannten Vizekanzler und regentes cancellariam waren unter den Päpsten Clemens V. (1305–1314) und Johannes XXII. (1316–1334) tätig, lediglich Petrus de Pratis (Pierre des Prés, Vi-
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zekanzler 1325–1361), der als Verantwortlicher für einige nachgetragene Formeln genannt wird, blieb auch nach Johannes’ Tod unter dessen Nachfolgern im Amt.1512 Diese Tatsache kann als weiterer Anhaltspunkt dafür gelten, dass die Sammlung während des Pontifikats Johannes’ XXII. angelegt und in der Folge weitergeführt wurde. Allerdings muss offenbleiben, ob es sich bei der in Barb. lat. 2126 überlieferten Gebrauchshandschrift um das einzige Exemplar dieses Formelbuches handelte oder ob auf dessen Grundlage weitere, nicht erhaltene oder bekannt gewordene Abschriften entstanden, in denen möglicherweise sogar die angedachten Umstrukturierungen umgesetzt wurden. Insgesamt gewährt die Urkundensammlung wertvolle Einblicke in die Art und Weise, wie Problemstellungen bei der äußeren Gestaltung von Papsturkunden in der Kanzlei behandelt und gelöst wurden. Außerdem vermitteln die Aufzeichnungen einen Eindruck davon, dass es zu Beginn des 14. Jahrhunderts durchaus Bestrebungen gab, den Mangel an Regeln zu speziellen Aspekten der Ausstattung zu beheben und auch für Detailfragen feste Vorgaben zu entwickeln. 4.7.2 Vat. lat. 6772 Die charakteristischen Ausstattungsmerkmale einer Sonderform von Papsturkunden werden in einer anderen, ebenfalls in der Vatikanischen Bibliothek überlieferten Urkundensammlung behandelt. Sie war ursprünglich in zwei Bücher gegliedert, allerdings ist nur das erste erhalten geblieben. Dieses beinhaltet vor allem Urkunden Urbans V. (1362−1370) und wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit während dessen Pontifikat angelegt. Als Urban, der drei Jahre in Rom verbracht hatte, die Stadt 1370 wieder Richtung Avignon verließ, blieb das Manuskript wohl zurück. Seit dem Jahr 1378 – nach der Rückkehr der Kurie nach Rom unter Gregor XI. – wurde es dann um Urkunden Urbans VI. (1378–1389) und früherer Päpste des 13. und 14. Jahrhunderts ergänzt.1513 Handschrift und Inhalt lassen eindeutig auf eine Entstehung im Umfeld der päpstlichen Kanzlei schließen, auch in diesem Fall wurden die enthaltenen Urkundenabschriften nach inhaltlichen Gesichtspunkten in Rubriken eingeteilt.1514 Einige Einträge weisen zusätzliche Notizen, Kommentare oder Marginalien auf, 1512 Barb. lat. 2126, fol. 41v: Addita fuit ista clausula de novo per dominum P. Pen. vicecancellarium; fol. 106v: Ista forma fuit facta tempore domini P. Pen. vicecancellarii […]. Zu Pierre des Prés, seit 1325 Kardinalbischof von Palestrina, vgl. Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 259 f.; Beattie, John XXII, S. 149, 157–159. 1513 Vat. lat. 6772. Zur Datierung der Handschrift vgl. Perarnau, Fons, S. 153; Perarnau, Butlla, S. 358–360. 1514 Krafft, Szt. Margit, S. 456 f.; Perarnau, Butlla, S. 355. Die Rubriken sind jeweils mit Titeln versehen, z. B. De inhibicionibus (fol. 25r), De processibus (fol. 33r) oder De absolutionibus (fol. 105r). Zu den einzelnen Rubriken vgl. Perarnau, Butlla, S. 355–358.
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in denen Formeln näher erläutert werden oder deren Anwendung präzisiert wird. Eine einzelne Anmerkung bietet auch Informationen zur äußeren Gestaltung. Sie findet sich in dem Abschnitt De veneracione sanctorum, der zahlreiche Dokumente zu Heiligsprechungen des 14. Jahrhunderts umfasst.1515 Die erste Urkunde unter dieser Rubrik stammt aus dem Jahr 1379, was darauf hindeutet, dass die thematische Sammlung zu Heiligsprechungsverfahren um 1380 begonnen wurde.1516 In diesem ersten Mandat mit dem Incipit Dignum et debitum, ausgestellt im Namen Urbans VI. am 1. Juni 1379, wurde auf Bitten der Piastin Elisabeth, Witwe Karls von Anjou, des Königs von Ungarn, ein ungarischer Kleriker beauftragt, gemeinsam mit dem Patriarchen von Jerusalem und den Bischöfen von Pécs und Vesz prém eine Untersuchung über das Leben und die vollbrachten Wunder der Margarethe von Ungarn, Dominikanerin und Tochter des ungarischen Königs Bela IV., vorzunehmen.1517 Nach zwei gescheiterten Versuchen in den Jahren 1272 und 1276 war dies bereits das dritte Kanonisationsverfahren,1518 das über Margarethe durchgeführt wurde.1519 Die Tatsache, dass Urban VI. nach zahlreichen erfolglosen Petitionen der Dominikaner und der ungarisch-angevinischen Herrscherfamilie um die erneute Verfahrensaufnahme diesem Ersuchen im Jahr 1379 letztlich stattgab, ist sicherlich vor dem Hintergrund des Großen Schismas und dem damit zusammenhängenden Wettbewerb der beiden Obödienzen um einflussreiche Unterstützer wie die Anjou zu bewerten.1520 Auch dieser dritte Prozess war allerdings nicht von Erfolg gekrönt, erst im Jahr 1943 wurde Margarethe schließlich heiliggesprochen.1521 Mit Blick auf die äußere Ausstattung ist vor allem der Eintrag relevant, der in der Handschrift direkt auf die Abschrift dieser Urkunde folgt. Er ist von anderer 1515 Vat. lat. 6772, fol. 20r; vgl. Krafft, Papsturkunde, S. 815; Krafft, Szt. Margit, S. 456 f.; Per arnau, Butlla, S. 356 f. 1516 So auch Perarnau, Butlla, S. 356. Zur Datierung der Urkunde vgl. Krafft, Szt. Margit, S. 456 f. 1517 Druck: Krafft, Szt. Margit, S. 462–464; Csepregi/Klaniczay/Péterfi, Legenda vetus, S. 742–749 (mit englischer Übersetzung). In der Handschrift fehlen Aussteller und Adresse der Urkunde. Bei dem Adressaten dürfte es sich um Demeter, Erzbischof von Esztergom (Gran), handeln; vgl. Krafft, Szt. Margit, S. 457; Krafft, Papsturkunden, S. 862 Anm. 8; Klaniczay, Efforts, S. 329. 1518 Zum Kanonisationsverfahren im Allgemeinen vgl. Krötzl, Prozeßführung, S. 85–95; Wetzstein, Heilige, S. 203–243; Krafft, Papsturkunde, S. 1033 f. Zu konkreten Kanonisationsverfahren in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts vgl. Krafft, Papsturkunde, S. 855–939. 1519 Klaniczay, Efforts, S. 315–319; Klaniczay, Saint Margaret, S. 19–29; Krafft, Szt. Margit, S. 455 f.; Krafft, Papsturkunde, S. 552 f. mit Anm. 6; Klaniczay, Proving Sanctity, S. 136– 147; Klaniczay, Heiligkeit, S. 357–359. 1520 So auch die Argumentation bei Krafft, Papsturkunde, S. 862 f.; Krafft, Heiligsprechungen, S. 370, 378–381; und Klaniczay, Efforts, S. 320–328. 1521 Klaniczay, Efforts, S. 327–331; Krafft, Szt. Margit, S. 461 f.
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Hand verfasst und macht den Eindruck einer eiligen Notiz. Inhaltlich behandelt er die in Kanonisationsverfahren obligatorische Formel testes examinandos über die Zeugenanhörung zu Leben und Wundern der jeweiligen Kandidatin oder des jeweiligen Kandidaten.1522 Allerdings beließ es der Verfasser dieses Nachtrags nicht bei der Wiedergabe der forma, er ergänzte auch eine knappe Bemerkung zu deren Gestaltung. Demnach sei sie analog zu den Eidesformeln als littera clausa auszufertigen.1523 Solche Eidesformeln wurden anlässlich der Amtseinführung von Bischöfen und Äbten versendet. Die päpstliche Kanzlei stellte in diesem Zusammenhang neben der eigentlichen Ernennungsurkunde mehrere litterae aus, beispielsweise eine Absolutionsurkunde, Mitteilungen über die Einsetzung und diverse Indulte, darunter die Erlaubnis zur Weihe durch einen frei gewählten Bischof (munus consecrationis). Unverzichtbar war vor allem die Übersendung des Wortlauts des bei der Investitur zu leistenden Eides, die forma iuramenti. Die Formel konnte entweder in das munus consecrationis inseriert oder als eigenständige Urkunde in Form einer littera clausa ausgefertigt werden. Häufig wurde der Eid im Anschluss vom Empfänger unterzeichnet und an die Kurie zurückgeschickt.1524 Wahrscheinlich wurde die forma iuramenti deshalb als Vergleich für die Formel testes examinandos herangezogen, weil es sich in beiden Fällen um standardisierte Schriftstücke mit feststehendem Wortlaut handelte – im Gegensatz dazu beinhaltete der Großteil der verschlossen versandten litterae private oder diplomatische Korrespondenz der Päpste.1525 Die Erläuterung zur Zeugenformel in Vat. lat. 6772 besagt weiterhin, dass in dem Dokument an erster Stelle, wiederum analog zu den Eidesformeln, in großen Buchstaben mit schwarzer Tinte die Überschrift Forma examinacionis testium einzutragen sei, in der nächsten Zeile habe dann die Formel selbst zu folgen.1526 In der Handschrift weist aber lediglich das Wort Forma vergrößerte Buchstaben auf, die Initiale ist schwarz ausgemalt. In gleicher Weise gestaltet ist das erste Wort des Formeltextes, Testes. Darüber hinaus enthält der kurze Eintrag keine weiteren Hinweise zur Ausstattung oder gar Bullierung der Zeugenformel. 1522 Zu diesen Zeugenvernehmungen vgl. Krötzl, Prozeßführung, S. 87–89; Krafft, Papsturkunde, S. 734 f. 1523 Vat. lat. 6772, fol. 20r: Hic sequi debet forma examinandi testium, et est clausa sicut forma iuramenti […]. Vgl. Krafft, Szt. Margit, S. 464; Krafft, Papsturkunde, S. 862 Anm. 8. Zu den litterae clausae siehe oben Kapitel 2.1, S. 24. 1524 Frenz, Forma iuramenti, S. 169–171. Zur Versendung als litterae clausae vgl. auch Egger, Littera, S. 56 f. 1525 Maleczek, Litterae, S. 62−72. 1526 Vat. lat. 6772, fol. 20r: […] et ideo in principio eius infra litteram cum magna littera sic rubricatur in nigro tamen atramento, sicut in dicta iuramenti forma, videlicet: Forma examinacionis testium. Et non plus postea littera in alia linea statim incipitur sic: Testes examinandos […]. Vgl. Krafft, Szt. Margit, S. 464.
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Obwohl in der Notiz nur wenige Ausstattungsmerkmale einer sehr speziellen Urkundengattung thematisiert werden, erlaubt sie dennoch aussagekräftige Rückschlüsse auf die allgemeine Bedeutung von Hilfsmitteln zur Urkundengestaltung in der Kanzlei. In keinem der offiziellen oder halboffiziellen Nachschlagewerke des 13. und 14. Jahrhunderts wurden Sonderfälle wie Eides- oder Zeugenformeln berücksichtigt, ihre Herstellung folgte aber trotzdem festen Gewohnheiten, die offenbar nie schriftlich fixiert worden waren. Ein Bearbeiter der Handschrift Vat. lat. 6772 trug die Formel testes examinandos an geeigneter Stelle in der Urkundensammlung nach und nutzte die Gelegenheit, auch deren äußere Gestaltung näher zu beschreiben und diese Konventionen festzuhalten. Wahrscheinlich ergab sich der Bedarf dafür auch dadurch, dass der Kanonisationsprozess über Margarethe von Ungarn der erste war, der nach der Rückkehr der Kurie nach Rom 1376/77 geführt wurde, und die entsprechenden Gebräuche auch im Hinblick auf die Ausstattung der auszufertigenden litterae aufgrund des Mangels an eingearbeitetem Personal und eines erfahrenen Kanzleileiters nicht mehr allgemein geläufig waren.1527 Die Erarbeitung der Anmerkungen zur Zeugenformel könnten demnach entweder auf diesen konkreten Fall zurückgehen oder ganz allgemein im Zuge der Auseinandersetzung mit den im Kontext von Heiligsprechungsverfahren auszufertigenden Urkunden anlässlich der Anlage der Urkundensammlung in Vat. lat. 6772 erfolgt sein. Die Gewohnheiten der Kanzlei, die an dieser Stelle schriftlich fixiert wurden, dürften entweder auf der Grundlage älterer Originale – soweit solche in Rom verfügbar waren – rekonstruiert oder von erfahreneren Kanzleimitarbeitern erfragt worden sein, die nicht in Avignon zurückgeblieben waren. Die Erkenntnisse zur Rolle der Kanzleileitung bei der Klärung solcher Ausstattungsfragen, die im Rahmen der Analyse der Handschrift Barb. lat. 2126 gewonnen werden konnten, lassen vermuten, dass auch der regens cancellariam Bartholomäus Prignano1528 in diesen Prozess involviert gewesen sein könnte. Letztendlich wurden die Konventionen zur Gestaltung der Zeugenformel durch ihre Aufzeichnung in der Urkundensammlung für die Mitarbeiter der Kanzlei zugänglich gemacht und damit eine reibungslose Herstellung und einheitliche Ausstattung auch solcher Schriftstücke ermöglicht, die im Gegensatz zu den standardisierten Justiz- und Gratialbriefen nur verhältnismäßig selten expediert wurden.1529 1527 Siehe oben Kapitel 4.3.4, S. 145. 1528 Bresslau, Urkundenlehre 1, S. 260 f. 1529 Aus den Pontifikaten Clemens’ VI. (1342–1352), Innozenz’ VI. (1352–1362) und Urbans V. (1362–1370) sind insgesamt sieben Kanonisationsverfahren bekannt, von denen zwei (Ivo von Tréguier und Elzear von Sabran) zur Heiligsprechung führten; vgl. Krafft, Papsturkunde, S. 793–795. In der römischen Obödienz wurden während des Großen Schismas (1378–1415) ebenfalls sieben Verfahren geführt, die in zwei Heiligsprechungen (Brigitta von Schweden und John von Bridlington) mündeten; vgl. Krafft, Papsturkunde, S. 861–863; Krafft, Heiligsprechungen, S. 370–377.
5. Zusammenfassung und Fazit Et quod in scriptura litterarum servandi sunt certus modus et certi actus – diesen Hinweis notierte ein Mitarbeiter der päpstlichen Kanzlei als Überschrift zu den Ausstattungsvorschriften in seiner Abschrift des Formularium audientiae.1530 Zahlreiche der damit angesprochenen Regeln und Handlungen (im Sinne des Geschäftsgangs), die bei der äußeren Gestaltung päpstlicher Urkunden zu beachten waren, wurden in den im Rahmen der vorliegenden Studie bearbeiteten Quellen schriftlich fixiert und überliefert. Die untersuchten Regularien, die entweder als eigenständige Hilfsmittel zur Urkundenherstellung konzipiert wurden oder indirekte Informationen über die bei der Ausfertigung von Papsturkunden zu beachtenden Gestaltungsgewohnheiten enthalten, bilden allerdings keine einheitliche Quellengattung. Sie haben zwar alle ihren Ursprung im Umfeld der päpstlichen Kanzlei, weisen davon abgesehen aber äußerst unterschiedliche Entstehungs- und Überlieferungszusammenhänge auf. Dennoch konnten auf Basis einer detaillierten Analyse der Umstände ihrer Aufzeichnung, ihrer Verbreitung und ihres Inhalts zahlreiche Rückschlüsse auf Funktion und Bedeutung solcher Texte und Vorlagen im Geschäftsbetrieb der cancellaria apostolica gezogen werden. Grundsätzlich lassen sich verschiedene Hochphasen identifizieren, in denen vermehrt neue Regularien zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden entstanden oder bereits vorhandene inhaltlich weiterentwickelt wurden.1531 Die erste derartige Periode ist um die Wende des 12. zum 13. Jahrhundert anzusetzen. Zwar sind aus dieser Zeit keine expliziten Regelaufzeichnungen überliefert, aber sowohl die präzisen Angaben zu Bleibulle und Rasuren in den Fälscherkonstitutionen Innozenz’ III. (1198–1216) als auch die Schreiben zur Halbbulle und zur Verwendung von litterae tonsae bezeugen, dass in diesen Jahren an der Kurie die Ausprägung konkreter Gestaltungsvorgaben forciert wurde. In die gleiche Richtung deuten die in der Handschrift Durrieu überlieferten Ausstattungsregeln, die Hinweise auf die Existenz einer Frühversion des Textes aus dem Pontifikat Innozenz’ III. enthalten. Allerdings stützten sich sowohl die Rechtssetzungen dieses Papstes zu den Echtheitskriterien von Papsturkunden als auch der ihm zugeschriebene Ausbau der Or1530 Herde, Audientia 2, S. 5. 1531 Eine ähnliche Aufteilung in Phasen, die teilweise mit den im Folgenden beschriebenen übereinstimmen, nahm auch Vones, Formelbüchern, S. 403–405, 414 f., vor. Siehe auch die Quellenübersicht im Anhang, Abb. 23, S. 347.
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ganisationsstrukturen der päpstlichen Kanzlei auf Vorarbeiten der Päpste, Dekretisten und Kanzleimitarbeiter des 12. Jahrhunderts. Die breite Rezeption und der nachhaltige Einfluss der Dekretalen und Verordnungen Innozenz’ III. ist auf die günstigen Umstände und stabilen Verhältnisse während seines Pontifikats und die gleichzeitige Weiterentwicklung des kanonischen Rechts zurückzuführen. Die in diesem Zeitraum aufgezeichneten Vorgaben zur Gestaltung der litterae wurden dementsprechend in den folgenden Jahrzehnten im Umfeld der Kanzlei fortlaufend tradiert und angepasst, alle späteren Bearbeitungen gehen auf sie zurück. Die älteste bekannte Überlieferung in der Handschrift Durrieu entstand wahrscheinlich in den Jahren 1241 bis 1243, als die Kurie durch den Einmarsch Kaiser Friedrichs II. in den Kirchenstaat sowie die kurz aufeinander folgenden Tode Gregors IX. und seines Nachfolgers Cölestins IV. massiv unter Druck geriet und sich daher gezwungen sah, Rom zu verlassen. Den anhaltenden Einfluss der grundlegenden Vorgaben aus der Zeit Innozenz’ III. bestätigen auch die Schreiben Innozenz’ IV. (1243–1254) zum Apostelstempel aus dem Jahr 1252, in denen die maßgebliche Bedeutung der äußeren Gestaltung der Bleibulle als entscheidendes Echtheitsmerkmal erneut aufgegriffen wurde. Die in den päpstlichen Rundschreiben dargelegte Notwendigkeit, den gerade erneuerten Stempel ein weiteres Mal ersetzen zu müssen, ergab sich ebenfalls im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen dem Papsttum und den Staufern. Aufgrund der andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen hielt sich die Kurie zum Zeitpunkt der Zerstörung des alten Apostelstempels nicht in Rom, sondern in Perugia auf, weshalb zunächst kein erfahrener Stempelschneider verfügbar war. Demnach kann die Zeit des Kampfes der Päpste gegen die Staufer im 13. Jahrhundert als zweite Blüte der Auseinandersetzung mit den Regularien zur äußeren Gestaltung der Papsturkunden gelten. Als dritte Hochphase lassen sich die Jahre von 1268 bis 1278 identifizieren. Der im Speculum iudiciale überlieferte Text zur Gestaltung von litterae und Privilegien entstand mit hoher Wahrscheinlichkeit im Laufe der auf den Tod Clemens’ IV. (1265–1268) folgenden, beinahe drei Jahre andauernden Sedisvakanz, die von Auseinandersetzungen zwischen den italienischen und den französischen Kardinälen unter dem Einfluss Karls von Anjou und in der Folge von unsicheren Verhältnissen und einem Stillstand der Geschäfte von Kurie und Kanzlei geprägt war. Als 1271 endlich Gregor X. (1271–1276) zum Nachfolger Clemens’ gewählt wurde, befand er sich auf einem Kreuzzug in Palästina. Da er erst nach seiner Rückkehr im März 1272 in Rom zum Papst gekrönt werden konnte, musste er aufgrund seines Status als Elekt über mehrere Monate Urkunden unter der Halbbulle ausfertigen, was die Aufzeichnungen zu Aussehen und Verwendung der bulla dimidia im Ordo Romanus XIII in den Jahren 1272 bis 1274 beförderte. Im Jahr 1278 schließlich erließ Nikolaus III. (1277–1280) eine Kanzleiordnung, in der er gemeinsam mit den höhergestellten Kanzleibediensteten den Geschäftsgang der Kanzlei reformierte
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und die päpstliche Kontrolle über die Urkundenausfertigung verstärkte, nachdem die zahlreichen Wechsel auf dem Papstthron und im Vizekanzleramt in den vorangegangenen Jahrzehnten zunehmend zu einer Verselbständigung der Kanzleiarbeit geführt hatten. In diesem Zusammenhang wurde auch die persönliche Beteiligung des Papstes an der Privilegienausstattung thematisiert. In den ersten Jahren des 14. Jahrhunderts entstand auf Grundlage der Texte des 13. Jahrhunderts jene Version der Gestaltungsregeln für litterae, die für das gesamte 14. Jahrhundert maßgeblich bleiben sollte, da sie Eingang in die Vulgataredaktion des Formularium audientiae fand. Die Erarbeitung der ersten Redaktion kann in die Jahre 1302 bis 1303 und damit in eine Zeit datiert werden, als der gesteigerte Machtanspruch Bonifaz’ VIII. (1294–1303) mit Erlass der Bulle Unam sanctam 1302 verstärkt hervortrat. Dies geschah kurz nachdem die Kurie im Zusammenhang mit dem Heiligen Jahr 1300 bereits einen enormen Zustrom von Petenten erlebt hatte – beide Vorkommnisse machten entsprechende Anpassungen im Kanzleibetrieb notwendig. Gleichzeitig führten die Auseinandersetzung mit den Colonna-Kardinälen und die mehrfachen Umzüge der Kurie zwischen Rom und Anagni offenbar auch zu instabilen personellen Verhältnissen: Es gab zahlreiche Wechsel in der Kanzleileitung, und das Amt des Auditors scheint in den Jahren 1299 bis 1303 gar vakant geblieben zu sein. Die Umarbeitung der Gestaltungsvorschriften in eine zweite Redaktion erfolgte während des Pontifikats Clemens’ V. (1305–1314), etwa gleichzeitig ist auch die Überarbeitung der Vorgaben zur Verwendung der Halbbulle im Ordo Romanus XIII anzusetzen, die später in den Ordo des François de Conzié aufgenommen wurden. Der Pontifikat Clemens’ V. war vorrangig durch die unstete Situation der Kurie gekennzeichnet, die sich wechselweise in verschiedenen französischen Städten aufhielt, bevor sie sich schließlich in Avignon niederließ. Da Teile des Personals in Rom zurückgeblieben waren, mussten neue Mitarbeiter in die Kanzlei integriert werden, was die Weiternutzung und Revision der Ausstattungsvorschriften im Formularium audientiae sicherlich beförderte. Eine weitere Hochphase der Produktion von Regularien zur Ausstattung von Papsturkunden ist während des Pontifikats Johannes’ XXII. (1316–1334) zu verorten, als die Kurie sich schließlich langfristig in Avignon einrichtete und sich im Zuge dessen organisatorisch den Gegebenheiten der Stadt und des neuen Papstpalastes anpasste sowie vermehrt unerfahrene, französischstämmige Mitarbeiter in die Dienste der Kanzlei aufnahm, denen die in der Kanzlei des 13. Jahrhunderts praktizierten Traditionen unbekannt waren. Vor diesem Hintergrund entstand die Frühform der Forma scribendi privilegium, in der die wichtigsten Aspekte der äußeren Gestaltung von Privilegien schriftlich fixiert wurden, sowie die in Barb. lat. 2126 überlieferte Urkundensammlung, in der vorrangig die im Formularium audientiae nur am Rande berücksichtigten Gratialurkunden behandelt und dabei auch verschiedene Ausstattungsmerkmale im Detail diskutiert werden. Unter Johannes XXII. wurden außerdem im Rahmen der Konstitution Pater familias
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aus dem Jahr 1331 die Gebühren für die Ausfertigung päpstlicher Urkunden neu geregelt, um der problematischen finanziellen Situation der Kurie entgegenzuwirken, die sich im Zuge der Übersiedlung nach Frankreich ergeben hatte. Diese Regelungen berührten mit dem Skriptorenvermerk auch ein gestalterisches Attribut päpstlicher Urkunden. In der Mitte des 14. Jahrhunderts hatte sich die Kurie endgültig in Avignon etabliert. Die räumlich und organisatorisch beständige Situation wurde genutzt, um vorhandene kuriale Amtsbücher und Nachschlagewerke für den Gebrauch der Kanzlei zu aktualisieren und zu vervollständigen; während des Pontifikats Clemens’ VI. (1342–1352) wurde beispielsweise der Liber Cancellarie II angelegt. Ebenfalls in diese Zeit können sowohl die in einer späteren Abschrift dieses Kanzleibuchs überlieferte Bearbeitung der Forma scribendi privilegium als auch die Entstehung des Musterprivilegs in Ottob. lat. 747 datiert werden. Insgesamt erlebte die Aufzeichnung von Regeln und Vorlagen zur Privilegiengestaltung in dieser für das Papsttum vor allem hinsichtlich der äußeren Umstände sehr stabilen Phase eine Blütezeit. Eine vermehrte Aufzeichnung von Gestaltungsregeln für Papsturkunden kann auch zu Beginn des Abendländischen Schismas in den Jahren nach der Rückkehr der Kurie nach Rom 1376 bis 1377 unter Gregor XI. (1370–1378) festgestellt werden. Da der Vizekanzler und ein Teil des Kanzleipersonals in Avignon zurückblieben, ergab sich die Notwendigkeit, in großem Umfang unkundige Mitarbeiter mit den Gewohnheiten der Kanzlei vertraut zu machen und das Fehlen einiger etablierter Hilfsmittel zu kompensieren. Es wurden daher neue Nachschlagewerke angelegt, aber auch Abschriften von Büchern angefertigt, die ihren Weg nach Rom gefunden hatten. Diese Gelegenheit wurde genutzt, um die Texte zu ergänzen und den aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Vor diesem Hintergrund entstanden wohl ab dem Jahr 1376 die Ausstattungsvorschriften zu den gratiose in der Neuredaktion des Formularium audientiae im Codex Rossianus 476 sowie die durch Dietrich von Nieheim 1380 vollendeten Abschriften der Libri Cancellarie. Wahrscheinlich wurde in diesem Zusammenhang auch erstmals die Forma scribendi privilegium in den Liber Cancellarie II aufgenommen. Die früheste Kanzleiregel, die Angaben zur äußeren Gestaltung enthält, kann in das Jahr 1378 datiert werden, nur wenige Jahre jünger ist der Eintrag zur Ausstattung des im Rahmen von Heiligsprechungsverfahren relevanten Formulars Textes examinandos in der in Vat. lat. 6772 überlieferten Urkundensammlung. In der römischen Kanzlei wurden demnach in diesen Jahren bereits vorhandene Vorschriften gesammelt, gebündelt und überarbeitet, aber auch einige bereits seit Jahrzehnten etablierte Konventionen erstmals schriftlich fixiert. Das päpstliche Urkundenwesen des 15. Jahrhunderts war durch tiefgreifende Umbrüche gekennzeichnet, die einerseits durch den Konziliarismus, andererseits durch die zunehmende Beteiligung der Sekretäre an der Urkundenproduktion im Zusammenhang mit dem Aufkommen der Breven geprägt wurden. In der Folge
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büßten die Regularien zur Urkundengestaltung ihre Bedeutung in der Kanzlei nach und nach ein, die vorhandenen Texte wurden zwar zum Teil noch tradiert, aber kaum ergänzt und überarbeitet. Originäre Aufzeichnungen entstanden nur noch selten, die wenigen grundlegend neuen Vorschriften fanden ihren Niederschlag vor allem in den Kanzleiregeln. Bei der spätesten bekannten Quelle handelt es sich um eine regula cancellarie Pauls II. (1464–1471) mit umfangreichen und grundlegenden Angaben zur äußeren Ausstattung der päpstlichen Urkunden, die dem zunehmenden Einfluss der humanistisch geprägten Sekretäre auf die Urkundenherstellung entgegengesetzt wurden. Als eine letzte signifikante Hochphase der Erarbeitung von Gestaltungsregeln kann der Pontifikat Eugens IV. (1431–1447) identifiziert werden. Im Jahr 1432 wurde anhand einer Kanzleiregel dieses Papstes die Schreibweise der Datierung in Papsturkunden nachhaltig verändert, außerdem entstand während seiner Amtszeit die neue Urkundenart der Konsistorialbulle – um das Jahr 1446 wurde das vollständige Protokoll einer solchen Urkunde als Vorlage in den Liber Cancellarie II eingetragen. Diese späten Weiterentwicklungen des mittelalterlichen päpstlichen Urkundenwesens fallen damit in eine Zeit, als Eugen und seine Kanzlei zunehmend durch die Konkurrenz der Konzilskanzlei in Basel unter Druck gerieten. Insgesamt spiegeln die einzelnen Phasen der Aufzeichnung von Regeln zur Urkundengestaltung jeweils die äußeren Umstände der päpstlichen Kurie, nachdem die soliden Verhältnisse während des Pontifikats Innozenz’ III. erstmals eine strukturierte Auseinandersetzung mit der Ausstattung von Papsturkunden zugelassen hatten. In der Zusammenschau bleibt festzuhalten, dass der größte Teil aller bekannten Vorlagen und Regeltexte in für die Kurie und damit auch die Kanzlei besonders unsicheren und instabilen Situationen entstand. Diese waren gewöhnlich durch Ortswechsel und im Zusammenhang damit auch durch Veränderungen der Organisations- und Personalstruktur der Kanzlei charakterisiert. Besonders massive Einschnitte, die entsprechend umfassende Regelaufzeichnungen nach sich zogen, ergaben sich im Rahmen von Sedisvakanzen sowie im Zuge der Umsiedlung der Kurie nach Frankreich und schließlich nach Avignon zu Beginn des 14. Jahrhunderts und mit der Rückkehr nach Rom am Ende des Jahrhunderts. Unter solchen Umständen konnte nur ein effizientes Wissensmanagement in Form einer konsequenten Verschriftlichung der geltenden Gewohnheiten die Aufrechterhaltung des Kanzleibetriebs garantieren, der für die Herrschaftsausübung des Papstes unverzichtbar war. Lediglich die vermehrte Aufzeichnung und Weiterentwicklung von Regeln und Vorlagen zur Privilegiengestaltung während des Pontifikats Clemens’ VI. kann mit keiner speziellen Krisensituation des Papsttums in Verbindung gebracht werden. Die Bestrebungen zur Wiederbelebung der aussterbenden Urkundenart der Privilegien, die seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts greifbar sind, lassen sich aber auch insgesamt nicht ausschließlich mit den äußeren Umständen der Kanzlei in
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diesem Zeitraum erklären. Vielmehr kommt das Kardinalskollegium, vertreten vor allem durch den Vizekanzler, als Urheber und Beförderer dieser Anstrengungen in Betracht, denn die Kardinäle spielten seit der Mitte des 13. Jahrhunderts mit dem Rückgang der feierlichen Privilegien eine zunehmend geringere Rolle im päpstlichen Urkundenwesen. In der Entstehung von Ausstattungsvorlagen für diese Urkundengattung im 14. Jahrhundert spiegeln sich die Spannungen im Verhältnis zwischen Papst und Kardinälen, die gerade während der autokratischen Herrschaft Clemens’ VI. eine neue Ausprägung erfuhren; es zeigt sich letztlich der Anspruch der Kardinäle auf Repräsentation und konkrete Partizipation an der päpstlichen Kirchenherrschaft, dem unter Clemens VI. enge Grenzen gesetzt worden waren. In der Folge wurden diese Forderungen von den Kardinälen im 15. Jahrhundert explizit formuliert und konnten schließlich durchgesetzt werden. Auch die Regularien für die Privilegienherstellung wurden demnach im Rahmen von klar definierbaren historischen Entwicklungen niedergeschrieben, die ihre Erarbeitung entscheidend beeinflussten und vorantrieben. Unabhängig von den jeweiligen Entstehungszusammenhängen sind die betrachteten Quellen entsprechend ihrer Adressaten grundsätzlich in zwei Kategorien zu unterscheiden. Die erste umfasst Mitteilungen oder Verlautbarungen, die als Rundschreiben an die gesamte Christenheit oder an einzelne Personen außerhalb der Kurie gerichtet waren – es handelt sich dabei vorrangig um die behandelten Schreiben der Päpste Innozenz III. und Innozenz IV. Sie machen keine direkten Vorgaben zur Ausstattung der päpstlichen Urkunden, lassen aber Rückschlüsse auf herrschende Traditionen vor allem im Hinblick auf die Gestaltung der Bleibulle zu. Als zweite Kategorie davon zu unterscheiden sind die Aufzeichnungen, die als interne Regularien oder Hilfsmittel konzipiert wurden und direkt die Mitglieder der Kurie im Allgemeinen oder das Personal der Kanzlei im Speziellen adressieren. Dazu gehören sowohl die päpstlichen Konstitutionen als auch die Kanzleiregeln, die jeweils konkrete Vorgaben zum Geschäftsgang der Kanzlei beinhalten und dem Personal offiziell durch Verlesung oder Aushang bekanntgegeben und durch Eintrag in die Libri Cancellarie dauerhaft zugänglich gemacht wurden. Sie waren grundsätzlich für alle Mitarbeiter der Kanzlei sowie die in deren Umfeld tätigen Personen bestimmt. Bei einigen der untersuchten Quellen der letztgenannten Kategorie konnte die angesprochene Zielgruppe noch präziser definiert werden. Die in der Handschrift Durrieu überlieferten Regeln etwa richteten sich vorrangig an die Kontrollinstanzen der Kanzlei, also die Notare und Abbreviatoren. Die spätere Version dieser Ausstattungsvorschriften im Speculum iudiciale war dagegen eher auf die Bedürfnisse der Skriptoren zugeschnitten. Im Umfeld der Kanzlei kursierte demnach seit dem frühen 13. Jahrhundert ein gewisser Grundstock an schriftlichen Regeln zur Urkundenausstattung, der dem jeweiligen Bedarf der verschiedenen Arbeitsbereiche angepasst werden konnte. Die auf diesen Grundlagen basierende Vulgataredaktion
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des Formularium audientiae wurde als Hilfsmittel sowohl für die Skriptoren als auch die Kontrollinstanzen konzipiert, und zwar für diejenigen unter ihnen, die mit der Herstellung päpstlicher litterae befasst waren. Der Text wurde in der Folge fortlaufend aktualisiert und unter Clemens V. sogar vollständig überarbeitet. Die zahlreichen überlieferten Kanzleiexemplare und Abschriften aus dem Umfeld der Kanzlei, die das Formularium audientiae beinhalten, bezeugen seine weite Verbreitung unter dem Kanzleipersonal. In einigen Fällen sind sogar eindeutig Skriptoren oder Prokuratoren als Urheber derartiger Handschriften nachweisbar – ein deutliches Zeichen für die wichtige Funktion dieses Nachschlagewerks im alltäglichen Kanzleibetrieb. Da im Formularium audientiae vorrangig die einfachen Justizbriefe thematisiert wurden, die den größten Teil der in der Audientia verlesenen Urkunden ausmachten, wurden ergänzend weitere Urkundensammlungen und Nachschlagewerke für die im Formularium nur am Rande berücksichtigten Gratialurkunden angelegt, die in den Handschriften Barb. lat. 2126 und Ross. 476 überliefert sind. Die Trennung der Geschäftsgänge nach Justiz- und Gnadenbriefen führte sicherlich auch zu Spezialisierungen unter den Skriptoren, so dass die für die Justizbriefe zuständigen Mitarbeiter die Gestaltungsvorschriften im Formularium audientiae nutzen konnten, während die Sammlungen zu den gratiose für jene Schreiber konzipiert wurden, die hauptsächlich diese prächtigeren Urkunden herstellten und auf die komplexeren Ausstattungsschriften spezialisiert waren. Auch in den Texten und Vorlagen zur Privilegiengestaltung stehen stets das Protokoll und die Unterfertigungszeichen im Vordergrund, sie waren demnach ebenfalls primär für diejenigen Skriptoren und Abbreviatoren bestimmt, die für diese besonders aufwendigen Merkmale verantwortlich waren. Folglich sind alle untersuchten Regularien des 13. und 14. Jahrhunderts, die konkrete Vorgaben zur Urkundengestaltung enthalten, auf die tatsächlichen Bedürfnisse des Kanzleipersonals ausgerichtet, das die korrekte äußere Gestalt der Urkunden gewährleistete. Diese Aufgabe kam vorrangig den Skriptoren zu, die für die Herstellung der Reinschriften zuständig waren. Verantwortung trugen daneben aber auch die Abbreviatoren und Notare sowie der custos cancellarie, welche die Arbeit der Schreiber auf Fehler prüften, außerdem der Leiter der Kanzlei, der die Urkunden letztendlich zur Besiegelung freigab. Diese eindeutige Orientierung der untersuchten Texte und Vorlagen an den Anforderungen der Kanzleimitarbeiter ist ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass in diesen Kreisen ein erkennbarer Bedarf für die schriftliche Fixierung der gängigen Konventionen bestand – besonders in Zeiten des personellen Umbruchs. Die Notwendigkeit für die Aufzeichnung der Kanzleigewohnheiten ergab sich auch aus der autonomen Arbeitsweise der Kanzleimitarbeiter und besonders der Skriptoren, die sich eigenständig organisierten sowie finanzierten und ihrer Arbeit gewöhnlich in ihren privaten Räumlichkeiten nachgingen. Sie waren außerdem
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selbst dafür verantwortlich, die aktuell geltenden Vorschriften zu kennen und über Änderungen auf dem Laufenden zu bleiben. Diese Regelung setzte voraus, dass sie auf leicht zugängliche und stets aktuell gehaltene Nachschlagewerke zugreifen und sich auf dieser Basis gegebenenfalls eigene Urkunden- und Regelsammlungen anlegen konnten. Besonders für die Ausbildung neuer Mitarbeiter waren derartige Hilfsmittel unverzichtbar. Da viele der Kanzleibediensteten über ein Notarspatent verfügten, war ihnen der Umgang mit solchen Sammlungen grundsätzlich vertraut. Darüber hinaus gab es kaum Alternativen, die als Anschauungsmaterial dienen konnten. In Einzelfällen wurden Originalurkunden als Muster genutzt, die an der Kurie zur Erneuerung vorgelegt wurden. Die meisten Urkunden wurden aber auf Grundlage von Konzepten oder Formularen ausgefertigt, so dass die Methode einer Orientierung an Mustern nicht anwendbar war, außerdem war sie für das Anlernen von unerfahrenem Personal ungeeignet. Zudem eigneten sich die päpstlichen Register nicht als Vorlagen, da die äußeren Merkmale in den Einträgen nur teilweise und selektiv berücksichtigt wurden und die Bände besonders im Zusammenhang mit Ortswechseln der Kurie nicht permanent zugänglich waren. Dass die aufgezeichneten Regeln und Vorlagen im Rahmen der Herstellung päpstlicher Urkunden tatsächlich herangezogen wurden, bezeugen in erster Linie die Quellen selbst. Die Manuskripte, die nachweislich in der Kanzlei in Gebrauch waren, weisen deutliche Spuren kontinuierlicher Nutzung auf. Dasselbe gilt für die Abschriften, die von Skriptoren oder anderen Kanzleibediensteten angefertigt, bearbeitet und ergänzt wurden. Die zahlreichen Nachträge und Marginalien in den überlieferten Handschriften sowie die verschiedenen Neuredaktionen der Kanzleihandbücher im 14. Jahrhundert demonstrieren, dass sie regelmäßig in Verwendung waren und fortlaufend an die aktuellen Gegebenheiten und die damit einhergehenden Bedürfnisse der Nutzer angepasst wurden. Was den Adressaten- und Nutzerkreis angeht, bilden allerdings die Ordines Romani einen Sonderfall. Sie dienten nicht als Kanzleihilfsmittel, denn die Skriptoren, Abbreviatoren und Notare hatten keinen direkten Zugriff auf die Zeremonienbücher, die von Kurialen mit vorrangig liturgischen Funktionen aufgezeichnet und verwahrt wurden. Der Vizekanzler spielte allerdings im Zeremoniell nach dem Tod eines Papstes eine wichtige Rolle, er musste daher die entsprechenden Regularien kennen und konnte sie sicherlich einsehen. Die Herstellung der nur äußerst selten ausgefertigten Urkunden sub bulla dimidia, die in den Ordines geregelt wurde, konnte die Kanzleileitung bei Bedarf persönlich anleiten, die Verbreitung der relevanten Texte unter den Kanzleibediensteten war daher nicht zwingend notwendig. Die Konzeption und Produktion der übrigen Quellen mit konkreten Vorgaben zur Urkundengestaltung erfolgte dagegen grundsätzlich im Umfeld der Kanzlei. Die Übergänge zwischen „privaten“ und „offiziellen“ Aufzeichnungen haben sich dabei im Zuge der Analyse der einzelnen Überlieferungen als fließend erwiesen. Die beiden Varianten der Vulgataredaktion des Formularium audientiae wurden
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beispielsweise erwiesenermaßen auf Veranlassung und unter Mitwirkung der jeweiligen Vizekanzler und möglicherweise auch der Vorsitzenden der Audientia erarbeitet. Die Aufzeichnungen der Ausstattungsvorschriften in der Handschrift Durrieu und im Speculum iudiciale sowie die Neuredaktion des Formularium im späten 14. Jahrhundert wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit gleichfalls unter Beteiligung und Anleitung der amtierenden Auditoren und/oder Kanzleileitungen verfasst. In jedem Fall basierten sie auf einem Grundstock an Regeln, der in der Kanzlei in verschiedenen Fassungen zirkulierte und der letztlich bereits dadurch sanktioniert war. Die Impulse für die Ausarbeitung der Vorlagen zur Privilegiengestaltung im 14. Jahrhundert dürften ebenfalls vom Vizekanzler ausgegangen sein. Auch im Rahmen der Anlage und Weiterentwicklung der in Barb. lat. 2126 überlieferten Urkundensammlung wurde zur inhaltlichen Klärung der Ausstattungsfragen nachweislich die Kanzleileitung einbezogen. Die eigentliche Ausführung im Sinne der Verschriftlichung der Vorgaben übernahmen aber wahrscheinlich in allen Fällen Skriptoren oder Abbreviatoren. Trotz dieses Engagements der Entscheidungsträger der Kanzlei wurde offenbar keiner dieser Regeltexte jemals offiziell vom Papst approbiert und damit in einen „amtlichen“ Status überführt. Insgesamt kann ihnen aber ein für die Kanzleimitarbeiter verbindlicher und damit wenigstens „halboffizieller“ Charakter zugesprochen werden. Als „offiziell“ können dagegen die Schreiben der Päpste Innozenz III. und Innozenz IV. gelten, die allerdings keine direkten Vorgaben zur Urkundengestaltung enthalten. Auch bei den Konstitutionen Nikolaus’ III. und Johannes’ XXII. handelt es sich um dispositive päpstliche Erlasse, sie regulieren aber vorrangig den Geschäftsgang und die Organisation der päpstlichen Kanzlei – das Urkundenäußere ist dabei nur am Rande betroffen und steht nie im Mittelpunkt. Die Kanzleiregeln, die neben organisatorischen Fragen vor allem die Kompetenzen des Vizekanzlers sowie den Rechtsinhalt der päpstlichen Urkunden normieren, wurden ebenfalls von den Päpsten approbiert, die Urkundenausstattung thematisieren aber auch sie nur in seltenen Fällen. Die wenigen regulae, in denen konkrete Vorgaben zur Gestaltung der Papsturkunden gemacht wurden, entstanden außerdem mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Federführung der jeweiligen Kanzleileitungen. Die Päpste nahmen somit nach Ausweis der untersuchten Quellen vom 13. bis in das 15. Jahrhundert zu keiner Zeit direkten Einfluss auf die äußere Erscheinung ihrer Urkunden. Sicherlich ist davon auszugehen, dass zumindest diejenigen unter ihnen, die Erfahrung in der Kanzleiarbeit und Interesse an den rechtlichen oder ästhetischen Komponenten der Urkundenausstattung hatten, an grundsätzlichen Festlegungen zur Gestaltung ihrer Urkunden mitwirkten. Sie wurden in diesem Bereich aber nie aus Eigenantrieb gesetzgeberisch tätig, um den Produzenten der Papsturkunden konkrete Vorgaben zu machen. Alle Quellen, die solche expliziten Bestimmungen enthalten, haben stattdessen ihren Ursprung in der Kanzlei selbst. Gerade im Rahmen der Erarbeitung von
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Formel- und Urkundensammlungen hatten die Kompilatoren offenbar neben dem Formelwesen immer auch die äußere Gestalt der Urkunden im Blick, wie etwa die Nachträge in den Notulae des Formularium audientiae oder die umfassenden Anmerkungen zu Ausstattungsfragen in Barb. lat. 2126 zeigen. Diese beiden Beispiele wie auch die Urkundensammlung in Vat. lat. 6772 und die Neuredaktion des Formularium in Ross. 476 demonstrieren außerdem, dass bestehende Regelungslücken in den vorhandenen Regularien von den Mitgliedern der Kanzlei gezielt gefüllt wurden. Dementsprechend decken die überlieferten Quellen inhaltlich ein breites Spektrum an Ausstattungsmerkmalen ab. Ausgerechnet für das augenscheinlichste und rechtlich signifikanteste Charakteristikum der päpstlichen Urkunden, die anhängende Bleibulle, sind jedoch kaum Vorschriften überliefert, lediglich zum Aussehen der verhältnismäßig selten genutzten Halbbulle sind Beschreibungen erhalten. Deren Überlieferungsgeschichte demonstriert den greifbaren Effekt der schriftlichen Fixierung von Gestaltungsgewohnheiten, die es in diesem Fall ermöglichte, die bereits seit dem 12. Jahrhundert bestehende Tradition zur Ausstellung von Urkunden unter der bulla dimidia in stabile Formen zu gießen und in der Folge bis in das 15. Jahrhundert immer wieder (wenn auch nicht durchgehend) in gleichbleibender Form umzusetzen. Hinsichtlich der bulla integra erlauben die Konstitutionen Innozenz’ III. zu den Echtheitskriterien päpstlicher Urkunden wie auch die Rundschreiben Innozenz’ IV. zur Einführung eines neuen Apostelstempels den Rückschluss, dass bei der Prägung der Bleibullen sowie deren Anbringung an der Urkunde durchaus detaillierte Vorgaben zu beachten waren. Ob diese jemals schriftlich fixiert wurden, muss allerdings offenbleiben – für die Gestaltung des Bullenstempels dürften vor allem die vorherigen Stempel oder die damit geprägten Bullen als Vorlage gedient haben. Die in den Regularien und Vorlagen des 13. bis 15. Jahrhunderts schriftlich festgehaltenen Richtlinien betreffen beinahe ausschließlich die drei Urkundenarten der litterae, der Privilegien und der Bullen (im diplomatischen Sinne), allerdings wurden sie in unterschiedlichem Ausmaß berücksichtigt. Die umfangreichsten Vorschriften sind zur Gestaltung der päpstlichen litterae erhalten geblieben. Sie wurden regelmäßig den verschiedenen Bearbeitungen der Formelsammlung für die in der Audientia zu verlesenden Urkunden beigegeben und sind daher in mehreren Entwicklungsstufen vom frühen 13. bis in das späte 14. Jahrhundert überliefert. Darüber hinaus wurden Vorgaben zur Ausstattung der litterae auch im Rahmen anderer Urkunden- und Formelsammlungen aufgezeichnet. Die Regularien belegen eine inhaltliche Neuausrichtung der Regeln an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert. Die frühen Versionen der Ausstattungsvorschriften in der Handschrift Durrieu und im Speculum iudiciale behandeln vorrangig allgemeine, für Papsturkunden aber durchaus charakteristische Merkmale. Sie gehen ausführlich auf die Besonderheiten bei der Gestaltung der einzelnen Buchstaben der Kontextschrift
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ein, auch werden verschiedene Kriterien des allgemeinen Layouts der litterae beschrieben, nur am Rande erwähnt wird dagegen die Ausstattung des Protokolls. Bei den späteren Bearbeitungen der Regeln in der Vulgataredaktion des Formularium audientiae und in Ross. 476 ist eine deutlich andere Schwerpunktsetzung feststellbar. Die Bestimmungen zur Buchstabengestaltung fehlen, das Protokoll als entscheidendes Merkmal zur Unterscheidung von Seiden- und Hanfschnurbriefen wird dagegen im Detail thematisiert, insbesondere im Hinblick auf die Ausführung des Papstnamens. Als weitere Möglichkeiten zur optischen Abgrenzung der beiden Arten von litterae werden die nur in den litterae cum serico zu verwendenden ct- und ſt-Ligaturen benannt. Auch die Nutzung des diplomatischen Kürzungszeichens in Seidenschnurbriefen und des einfachen Kürzungsstriches in Hanfschnurbriefen wird behandelt. Im Gegensatz zu den Vorgaben für das Protokoll waren diese Auszeichnungsmerkmale in der Textschrift aber nach Ausweis der Originalüberlieferung für Gratialbriefe nicht obligatorisch, ihr regelwidriger Gebrauch in den Hanfschnurbriefen wurde allerdings streng geahndet. Im Zuge der Erläuterungen zu den unterschiedlichen Merkmalen wird immer wieder der Zusammenhang zwischen Ausstattung und Bullierungsart, also der Verwendung von Hanf- oder Seidenschnüren, hergestellt. Diese Regelungen richteten sich allerdings nicht an die Bullatoren, sondern an die Skriptoren, denn diese gaben mit der Gestaltung der Urkunden die Bullierungsart und damit auch den Rechtscharakter der Urkunden vor. Diese Fokussierung auf die Differenzierung der litterae cum serico von den litterae cum filo canapis in den Regularien des 14. Jahrhunderts spiegelt keinen akuten Wandel in der äußeren Erscheinung der Urkunden, sondern vielmehr die organisatorischen Veränderungen in der päpstlichen Kanzlei. Während die Entwicklung der genannten abgrenzenden Ausstattungsmerkmale bereits seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nachweisbar ist und sich in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts stabilisiert hatte, setzte nämlich die Trennung der Geschäftsgänge für Justiz- und Gratialbriefe erst im 13. Jahrhundert ein und verfestigte sich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Allerdings ist etwa gleichzeitig mit der Aufzeichnung der präzisen Regeln zur Ausführung der Initiale in der Vulgataredaktion des Formularium die Entwicklung hin zu einer einheitlicheren und insgesamt weniger prächtigen Ausstattung dieses Buchstabens in den Urkunden zu konstatieren. Wenigstens im Rahmen bestimmter Details lässt diese Parallelität einen direkten standardisierenden Einfluss der in diesem zentralen Nachschlagewerk der Kanzlei fixierten Vorschriften auf die Gestaltung der Originale vermuten. Andere Ausstattungsmerkmale der litterae wurden bereits in den Regeltexten des 13. Jahrhunderts thematisiert, die Vorgaben dann aber in den Bearbeitungen des 14. Jahrhunderts erheblich präzisiert. Einzelne Hinweise zu den in päpstlichen Urkunden vorgeschriebenen oder verbotenen Wortkürzungen finden sich etwa bereits in der Handschrift Durrieu sowie in der Vulgataredaktion des Formularium audientiae, umfassende Beispiele bietet dann aber erst die Neuredaktion des For-
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mularium in Form der Arthografia. Nach Ausweis der Originale kam es nach einer zunehmend einheitlicheren Handhabung der Abkürzungen im Laufe des 13. Jahrhunderts während der avignonesischen Zeit zu einer deutlichen Zunahme der Nutzung untersagter Kürzungen. Das könnte auf den Verlust der Kenntnisse althergebrachter Gewohnheiten im Rahmen der Übersiedlung der Kurie nach Frankreich, aber auch auf die in dieser Hinsicht unpräzisen Angaben in der Vulgataredaktion des Formularium zurückzuführen sein. Erst in direktem zeitlichem Zusammenhang mit der Niederschrift der Arthografia kurz nach der Rückkehr der Kurie nach Rom wurden die Kürzungsregeln in den Originalen wieder konsequent umgesetzt. Auch die Schreibweise der Eigennamen in päpstlichen Briefen fand schon in den frühesten Texten aus dem 13. Jahrhundert Beachtung. Aus den überlieferten Quellen sind Bemühungen ablesbar, die Kürzung vornehmlich der inhaltlich und rechtlich relevanten Namen zu vermeiden. Die Hervorhebung sämtlicher Namens initialen ist ebenfalls bereits in der Handschrift Durrieu vorgeschrieben, die Regel wurde auch in den späteren Bearbeitungen beibehalten und in der Folge konsequent umgesetzt. Zum Sonderfall der Papstnamen im Urkundenkontext enthält der frühe Text nur eine sehr unkonkrete Angabe, die späteren Bearbeitungen greifen die Thematik gar nicht mehr auf. Dass sie in den Reihen der Kanzleibediensteten im 14. Jahrhundert aber durchaus – und möglicherweise gerade wegen des Mangels an schriftlichen Vorgaben – problematisiert wurde, zeigen die entsprechenden Nachträge in der Münchner Formularium-Handschrift und dem Formelbuch in Barb. lat. 2126. Sehr ausführlich behandeln die meisten Regularien die rechtlich besonders bedeutsame Datierung der päpstlichen litterae. Im Vordergrund steht dabei neben der Schreibweise der einzelnen Bestandteile vor allem deren Verteilung auf die letzten Zeilen der Urkunde. Entsprechende Vorschriften wurden bereits im 13. Jahrhundert aufgezeichnet, dann in die Vulgataredaktion des Formularium übernommen und seitdem fortlaufend im Detail präzisiert und anhand von zahlreichen Beispielen erläutert. Auch in diesem Fall folgt die Entwicklung der Originale der schriftlichen Fixierung der Regeln, die zunehmend konkreteren Vorgaben wurden zeitnah in den Urkunden umgesetzt, Verstöße gegen die jeweils aktuellen Regelungen kamen offenbar nur selten vor. Eine grundlegende Anpassung hinsichtlich der Gestaltung der Datierung wurde zur Erhöhung der Fälschungssicherheit mit einer Kanzleiregel Eugens IV. aus dem Jahr 1432 vorgenommen: Es wurde die Verwendung ausgeschriebener Worte statt römischer Zahlzeichen bei der Tagesdatierung angeordnet. Zur Herstellung von Privilegien sind aus dem Umfeld der päpstlichen Kanzlei verglichen mit den litterae verhältnismäßig wenige Hilfsmittel überliefert, außerdem entstand der größte Teil von ihnen erst im 14. Jahrhundert. In den Ausstattungsvorschriften des Speculum iudiciale aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sind die Privilegien zwar berücksichtigt, allerdings in sehr geringem Umfang und ausschließlich im Hinblick auf die Gestaltung von Protokoll und Kontext in
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Abgrenzung zu den litterae. Die Privilegienlehren der päpstlichen Kanzlei wurden damit zu einer Zeit niedergeschrieben, als die Urkunden immer seltener ausgefertigt wurden – die Aufzeichnung der Regeln erfolgte nicht, als sie häufig angewandt wurden, sondern als sie in Vergessenheit zu geraten drohten. In der Zeit bis zum 13. Jahrhundert, als Privilegien noch regelmäßig ausgestellt wurden, bestand offenbar kein Bedarf für die Erarbeitung entsprechender Regularien. Die Konventionen waren den in der römischen Kanzlei tätigen Skriptoren geläufig und wurden Neuzugängen wohl in der Praxis vermittelt, außerdem konnten gewöhnlich Vorurkunden als Vorlagen herangezogen werden. Als zentrales Hilfsmittel für die Privilegiengestaltung in der Kanzlei des 14. Jahrhunderts kann die Forma scribendi privilegium gelten, die in mehreren Abschriften des Liber Cancellarie II überliefert ist. Einen deutlich besseren und stellenweise ausführlicheren Text bietet allerdings die bisher in der Forschung nicht berücksichtigte und nur aus einer einzelnen Handschrift bekannte ältere Version dieser Privilegienlehre aus dem frühen 14. Jahrhundert. Die spätere Bearbeitung im Kanzleibuch weist an mehreren Stellen umfangreiche Textverderbnisse auf, gerade die besonders aussagekräftigen Abschnitte zur Gestaltung der Protokollzeile und der Unterfertigungszeichen sind stark entstellt. Die beiden Beispielprivilegien, die der theoretischen Abhandlung zur Illustration beigegeben wurden und auf Originale der Päpste Clemens V. und Johannes XXII. zurückgehen, wurden im Laufe ihrer Nutzung und Tradierung in der Kanzlei ebenfalls überarbeitet und in einer Handschrift sogar um ein weiteres Beispiel ergänzt. Allerdings sind die vorgesehenen Beispielzeichnungen der charakteristischen Privilegienmerkmale, besonders der Unterfertigungen, auf die sich der Text der Forma scribendi privilegium an mehreren Stellen bezieht, ausschließlich in der Überlieferung im Liber Cancellarie II Dietrichs von Nieheim enthalten. In Kombination mit den partiellen Textverlusten schränkte dieser Mangel die Nutzbarkeit der Privilegienlehre als Anleitung für die Privilegienproduktion deutlich ein. Vor diesem Hintergrund entstanden seit der Mitte des 14. Jahrhunderts weitere Hilfsmittel, darunter das besonders anschauliche Musterprivileg in der Handschrift Ottob. lat. 747, das möglicherweise ebenfalls auf einem Entwurf aus dem Pontifikat Johannes’ XXII. beruht, der seit dieser Zeit in der Kanzlei kursierte. Die Privilegien-Nachzeichnung zeigt alle für die Skriptoren wesentlichen Merkmale in präziser Ausführung und in der korrekten Anordnung und eignete sich damit ausgesprochen gut als Vorlage für die Praxis, vor allem als komplementäre Illustration zu den theoretischen Erläuterungen der Forma scribendi privilegium. Die wahrscheinlich in den Jahren zwischen 1376 und 1390 entstandenen Vorgaben zur Ausstattung der Privilegien im Codex Rossianus 476 bündeln und ergänzen schließlich die im Laufe des 14. Jahrhunderts erarbeiteten Regeln. Sie verbinden dabei theoretische Vorschriften mit Beispielzeichnungen und inhaltlichen Interpretationen der
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charakteristischen Privilegienmerkmale und können daher ebenfalls als Ergänzung oder sogar Weiterentwicklung der Forma scribendi privilegium gelten. Dennoch wurde auch die Forma selbst regelmäßig aktualisiert, zumindest bezüglich des Verzeichnisses der Rota-Devisen. Dieses schließt sich in zwei Überlieferungen der Privilegienlehre an die Beispielprivilegien an und wurde bis in das späte 14. Jahrhundert mit wenigen Ausnahmen immer wieder um die Devisen der jeweils aktuellen Päpste erweitert. Dadurch konnte die Forma scribendi privilegium wenigstens in dieser Hinsicht dauerhaft als Hilfsmittel für die Urkundenherstellung genutzt werden. Grundsätzlich stehen bei allen Vorlagen und Regeltexten zur Ausstattung der Privilegien die Protokollzeile und die päpstlichen Unterfertigungen im Mittelpunkt, da ihre Gestaltung äußerst komplex und den Skriptoren des 14. Jahrhunderts, die gewöhnlich litterae oder Bullen herstellten, kaum geläufig war. Zur Erläuterung dieser Merkmale griff man statt auf umständliche Beschreibungen bevorzugt auf illustrierte Anweisungen zurück, da diese in der Praxis unkompliziert als Mustervorlage genutzt werden konnten. Außerdem zeigen die Quellen, dass es dem Kanzleipersonal häufig an der geeigneten Terminologie mangelte, um beispielsweise die verschiedenen Ausstattungsschriften der Protokollzeile durch konkrete Benennungen voneinander abzugrenzen. Neben der Ausgestaltung und Anordnung der einzelnen Unterfertigungselemente wurde immer auch die Beteiligung des Papstes an deren Herstellung berücksichtigt. Alle Überlieferungen stimmen darin überein, dass er das Rotakreuz selbst schrieb und anhand der Eintragung des in der Kanzlei mit Begriffen wie pilum oder piletus bezeichneten Querstriches das E der subscriptio pape vollendete. Auch Regeln zur Gestaltung der Kardinalsunterschriften sind bereits in der Frühversion der Forma scribendi privilegium enthalten. Sie gehen vornehmlich auf deren Aufteilung in drei Spalten gemäß den Ordines der Kardinäle ein. In der Bearbeitung des Textes im Liber Cancellarie II wird außerdem die Eigenhändigkeit der repräsentativen signa der einzelnen Kardinäle vorgeschrieben. Damit wurde deren persönliche Beteiligung an der Ausstellung der Privilegien erstmals an offizieller Stelle schriftlich festgehalten. Die Vorgabe wurde in ähnlichem Wortlaut auch in der Handschrift Ross. 476 nachgetragen. Die damit angedeutete Entwicklung, die Partizipation der Kardinäle an der Ausfertigung päpstlicher Urkunden erneut zu verstetigen und erstmals zu kodifizieren, mündete zu Beginn des 15. Jahrhunderts in die Entstehung der Konsistorialbulle. Die charakteristische Ausstattung des Eschatokolls dieser neu entwickelten Urkundenart, die Mitte des 15. Jahrhunderts auch im Liber Cancellarie II veranschaulicht wurde, geht möglicherweise direkt auf die in demselben Kanzleibuch enthaltene Forma scribendi privilegium zurück. Aufgrund der Textverluste beschreibt diese Version der Privilegienlehre die Anordnung der Unterfertigungen auf Privilegien nämlich präzise in der Art, wie sie schließlich
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bei der Konsistorialbulle umgesetzt wurde – mit zentral platzierter Rota, Papstunterschrift und Kardinalsunterschriften. An keiner Stelle in den Regularien zur Privilegiengestaltung werden Aspekte wie die Ausstattung der Kontextschrift, die Nutzung von Wortkürzungen und Kürzungszeichen oder die Schreibung von Namen im Kontext der Urkunde thematisiert. Da bei diesen Merkmalen für Privilegien die gleichen Regeln galten wie für Seidenschnurbriefe, konnten die Vorschriften jederzeit den entsprechenden Hilfsmitteln zur Gestaltung der litterae entnommen werden. Die Bulle (im diplomatischen Sinne) fand in den untersuchten Quellen über weite Strecken keine Berücksichtigung, erst im späten 14. Jahrhundert wurde ein kurzer Abschnitt zur Gestaltung des Bullenprotokolls in die Neuredaktion des Formularium audientiae aufgenommen. Für die Aufzeichnung spezifischer Vorgaben für Bullen hatte sich vor allem deshalb lange kein Bedarf ergeben, weil es sich bei dieser Urkundengattung um eine Mischform handelt, die Merkmale der Privilegien und der Seidenschnurbriefe in sich vereint, für die wiederum bereits schriftliche Regularien vorlagen. Die grundsätzliche Schwerpunktsetzung der Kanzlei des 13. Jahrhunderts auf Ausstattungsvorschriften für diejenigen Urkunden, die in der Audientia behandelt wurden, trug ebenfalls dazu bei, dass gratiose im Allgemeinen und die Bulle im Speziellen in den Regeltexten lange keine Beachtung fanden. Konsequenterweise wird auch in dem kurzen Abschnitt zur Bulle in Ross. 476 ausschließlich die Ausstattung des Protokolls beschrieben, während mit Blick auf die Gestaltung des Kontexts auf die Regelungen zu den litterae cum serico verwiesen wird. Neben den Vorschriften für die einzelnen Urkundenarten enthalten die untersuchten Quellen auch einige Regelungen, die für alle bisher genannten Papsturkunden gleichermaßen Geltung beanspruchen konnten. Zum Verbot von Rasuren an bestimmten Stellen der Dokumente hatte sich beispielsweise bereits Innozenz III. geäußert, aus der Folgezeit sind schriftliche Erörterungen dieser Problematik aber ausschließlich von Dekretalisten überliefert. In den kurialen Quellen, vor allem den Kanzleiregeln, wurde die Thematik erst im späten 14. Jahrhundert nach der Rückkehr der Kurie nach Rom erneut aufgegriffen, konkrete Festlegungen dazu, in welchen Urkundenelementen Rasuren potentiell einen Fälschungsverdacht begründen konnten und daher unbedingt vermieden werden mussten, wurden jedoch nach Ausweis der bekannten Überlieferung bis in das 15. Jahrhundert nie aufgezeichnet. Auch Kanzleivermerke kommen in den verschiedenen Quellen des 14. Jahrhunderts vereinzelt zur Sprache, meist in Verbindung mit ihrer Funktion im Rahmen des Geschäftsgangs. Am häufigsten wird der Skriptorenvermerk thematisiert, lediglich in den Kanzleiregeln des späten 14. Jahrhunderts werden auch andere Vermerke erwähnt. Ihre Platzierung und Ausstattung wird allerdings an keiner Stelle beschrieben, obwohl sich besonders im Hinblick auf die Positionierung des Skriptorenvermerks bereits seit dem 13. Jahrhundert feste Konventionen etabliert
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hatten. Auch bezüglich der Gestaltung hatte das ausführende Personal bestimmte Gewohnheiten entwickelt. Wie die prächtig ausgestatteten Schreibervermerke des 14. Jahrhunderts zeigen, leisteten sie damit einen relevanten Beitrag zur äußeren Erscheinung der Papsturkunden. Über diese Detailregelungen hinaus ist den untersuchten Quellen auch zu entnehmen, dass die Mitarbeiter der päpstlichen Kanzlei die von ihnen produzierten Urkunden nicht nur entsprechend ihrem Inhalt kategorisierten, sondern auch anhand der eng damit zusammenhängenden äußeren Merkmale, speziell der Bullierungsart. Die Differenzierung der litterae in Seiden- und Hanfschnurbriefe und die damit einhergehende Trennung der Geschäftsgänge prägten die interne Klassifizierung der Papsturkunden offenbar nachhaltig und fanden ihren Niederschlag folgerichtig auch in den Nachschlagewerken der Kanzlei. Das zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstandene Formularium audientiae nahm vorrangig die Urkunden cum filo canapis in den Fokus, in der Folge wurden auch Sammlungen angelegt, die ausschließlich die cum serico bullierten Dokumente berücksichtigten. Die Urkunden, an denen die Bulle mit Hanfschnüren angebracht wurde, umfassten dabei die gewöhnlichen Justizbriefe und die litterae simplices, welche die Masse der in der Audientia behandelten Schreiben ausmachten. Zu den mit Seide versehenen Urkundenarten, die in den Quellen unter dem Begriff gratiose zusammengefasst werden, gehörten neben den Seidenschnurbriefen auch die Privilegien (in den Quellen als privilegia communia bezeichnet) und die Bullen (in den Quellen als privilegia bezeichnet). Allerdings kam es auch immer wieder vor, dass Vorschriften für beide Kategorien von Papsturkunden in einer Handschrift zusammengeführt wurden. Die Frühversion der Forma scribendi privilegium ist beispielsweise auf der letzten Seite eines Manuskripts des frühen 14. Jahrhunderts eingetragen, das in der Hauptsache eine Vorstufe des Formularium audientiae mit zahlreichen Formeln für Delegationsreskripte enthält. Ein Kanzleiexemplar der Vulgataredaktion dieser Formelsammlung für die Audientia aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts beinhaltet die Privilegienlehre in der späteren, aus dem Liber Cancellarie II übernommenen Bearbeitung. In den Codex Ottob. lat. 747, der ebenfalls eine Abschrift des Audientia-Formelbuches umfasst, wurde in der Mitte des 14. Jahrhunderts ein Privilegienmuster eingetragen. Auch die Neuredaktion des Formularium in Ross. 476 enthält neben den Gestaltungsvorschriften für gratiose zahlreiche Formeln für als Hanfschnurbriefe auszufertigende Urkunden, die durch die Audientia gingen. Der Bedarf an inhaltlich derart vielseitigen Hilfsmitteln deutet darauf hin, dass trotz der Trennung der Geschäftsgänge nach Justiz- und Gratialurkunden zumindest Teile des Kanzleipersonals in beiden Bereichen tätig waren. Die Nachträge zur Privilegiengestaltung in den Formularium-Handschriften könnten auf Mitarbeiter zurückgehen, die zunächst für die Ausfertigung einfacher litterae zuständig waren, später aber ihren Tätigkeitsbereich auf die komplexeren gratiose ausweiten konn-
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ten. Ein weiterer Grund für die Zusammenführung der verschiedenen Regularien dürfte darin liegen, dass die Privilegienlehren die Kenntnis der Gestaltungsvorgaben für die Seidenschnurbriefe voraussetzten. Sowohl die Forma scribendi privilegium als auch das Musterprivileg in Ottob. lat. 747 bauen offensichtlich auf den Vorschriften im Formularium audientiae auf und ergänzen diese lediglich um die spezifischen Privilegienmerkmale. Die Aufzeichnungen in Ross. 476, die explizit für alle gratiose Gültigkeit beanspruchen, sind die logische Weiterentwicklung dieses ganzheitlichen Ansatzes. Im Endeffekt entstand durch die Zusammenstellungen der unterschiedlichen Texte und Mustervorlagen im Laufe der Jahrhunderte ein erweitertes und flexibles Regelkorpus zur Urkundengestaltung, in das nach und nach weitere Arten von Papsturkunden mit einbezogen wurden. Gemeinsam ist den meisten untersuchten Regularien, dass sie nicht als normativ zu verstehen sind. Bei sämtlichen Vorlagen und Regeln zur Privilegiengestaltung handelt es sich vielmehr um Aufzeichnungen bereits etablierter Konventionen, die erst dann schriftlich festgehalten wurden, als diese Urkundenart in der Praxis nur noch eine untergeordnete Rolle spielte und die Ausformung ihrer äußeren Merkmale seit Langem abgeschlossen war. Gleiches gilt für die singuläre Regelung zu den Bullen, die Ende des 14. Jahrhunderts und damit zu einer Zeit niedergeschrieben wurde, als diese Urkundengattung bereits seit mehr als hundert Jahren regelmäßig ausgefertigt wurde und feste äußere Formen entwickelt hatte. Ebenso wurden in den päpstlichen Konstitutionen und Kanzleiregeln zur Urkundengestaltung lediglich erprobte Traditionen und Gewohnheiten der Kanzlei bestätigt. Auch in den Ausstattungsvorschriften für litterae aus dem 13. Jahrhundert und den Urkundensammlungen des 14. Jahrhunderts sind ausnahmslos Merkmale beschrieben, die in den ausgefertigten Stücken längst umgesetzt wurden. Ein komplexeres Bild ergibt sich lediglich mit Blick auf die Bearbeitungen des Formularium audientiae aus dem 14. Jahrhundert. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Abgrenzung von Seiden- und Hanfschnurbriefen anhand der in der Vulgataredaktion beschriebenen Ausstattungsmerkmale, die als zentraler Regelungs gegenstand dieses Textes identifiziert werden konnte, bereits seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts etabliert war. Im Zuge der schriftlichen Fixierung der relevanten Vorgaben wurden die bestehenden, nach Ausweis der Originale im Detail variierenden Gewohnheiten aber konkretisiert, beispielsweise hinsichtlich der Ausstattung der Initiale des Papstnamens. Dies führte zu einer einheitlicheren Gestaltung der Urkunden. Die geringfügigen Veränderungen in der äußeren Erscheinung der päpstlichen litterae im Verlauf des 14. Jahrhunderts gingen außerdem in mehreren Fällen mit der Aufzeichnung entsprechender Hinweise in der zweiten Vulgataredaktion des Formularium audientiae, als Nachträge in einzelnen Formularium-Handschriften oder auch in der Neuredaktion des Textes im späten 14. Jahrhundert einher. Dabei verliefen die Verschriftlichung der Regeln und die Umsetzung in der Praxis häufig parallel oder in enger zeitlicher Nähe. Bei solchen
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Einzelheiten könnten die Vorschriften in den verschiedenen Versionen des Formelbuches der Audientia demnach durchaus regulierend gewirkt haben. Beispiele sind das zum Ende des 14. Jahrhunderts präzisierte Verbot bestimmter Abkürzungen und die im Laufe desselben Jahrhunderts zunehmend konkreter vorgegebene Formatierung der Datierung. Im Ergebnis handelt es sich somit auch bei den Ausstattungsrichtlinien für litterae aus dem 14. Jahrhundert im Grundsatz um kodifizierende Texte, die aber vor allem im Zuge späterer Ergänzungen und Anpassungen im Detail normative Wirkung entfalten konnten. Damit kann insgesamt festgehalten werden, dass die Regularien zur äußeren Gestaltung der päpstlichen Urkunden keine autoritativ erlassenen Normen enthalten, die erst durch schriftliche Anordnung Eingang in die Praxis der Kanzlei fanden. Stattdessen wurden in den Texten und Vorlagen herrschende consuetudines kodifiziert, die bereits vor ihrer Aufzeichnung praktiziert wurden.1532 Die Verschriftlichung dieser etablierten Gewohnheiten erfolgte meist auf Grundlage der vorhandenen Erfahrungen und des gesammelten Handlungswissens des Kanzleipersonals. Da die Aufzeichnungen häufig in personell kritischen Situationen entstanden, fiel diese Aufgabe sicherlich den erfahrenen Kräften zu und wurde wohl in den meisten Fällen durch die Leitung von Kanzlei und Audientia begleitet. Die Notizen in der Urkundensammlung in Barb. lat. 2126 lassen darauf schließen, dass sich die Kanzleimitarbeiter bei offenen Fragen zur Urkundenausstattung untereinander austauschten und in unklaren Fällen auch die Kanzleileitung befragten, die letztendlich eine Entscheidung über die weitere Handhabung und die aktuell anzuwendenden Konventionen traf. Insgesamt sind die Regelniederschriften meistens auf direkte oder indirekte Weisungen des Vizekanzlers oder seines Stellvertreters zurückzuführen, die somit entscheidenden Einfluss nicht nur auf die Formulierung der Regularien, sondern auch auf die Gestaltung der Urkunden hatten. Die Notizen in Barb. lat. 2126 wie auch die verschiedenen Richtlinien zur Privilegiengestaltung aus dem 14. Jahrhundert – speziell die Beispielprivilegien – demonstrieren außerdem, dass für die Erarbeitung konkreter Regeln und Muster sowie die Rekonstruktion nicht mehr geläufiger oder unklarer Traditionen auch Originalurkunden herangezogen wurden. Dies geschah beispielsweise im Zusammenhang mit der Vorlage älterer Urkunden an der Kurie, die von Petenten zwecks ihrer Erneuerung und Bestätigung präsentiert wurden. In manchen Fällen mögen auch Registereinträge Anhaltspunkte für die Formulierung von Ausstattungsvor1532 Eine ähnlich geartete Differenzierung zwischen stilus curiae (Gewohnheit) und ordinatio curiae (Norm) wurde im Hinblick auf die üblichen Formen der Prozessführung an der Kurie bereits in einer juristischen Dissertation des 17. Jahrhunderts vorgenommen (vgl. Stryk, Dissertatio, S. 11, 25) und von Märtl, Modus expediendi, S. 335−339, im Zusammenhang mit einer Darstellung des kurialen Geschäftsganges aus dem 15. Jahrhundert übernommen.
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Zusammenfassung und Fazit
schriften geliefert haben. Daneben griff man außerdem auf die existierenden Regularien zurück, um sie zu überarbeiten oder durch neue Aufzeichnungen zu ergänzen, zu illustrieren und leichter nutzbar zu machen. Aufgrund der permanenten Aktualisierungen und Zusammenführungen kann, was die Vorgaben zur Urkundengestaltung betrifft, zu keiner Zeit die Rede von einem stabilen und beständigen Regelkorpus sein. Die Aufzeichnungen mussten regelmäßig und flexibel an die jeweiligen Gegebenheiten und sich weiterentwickelnde Gewohnheiten angepasst werden, denn nur so konnten sie dauerhaft ihren Zweck erfüllen. Ergänzungen der schriftlich fixierten Vorschriften konnten dabei nicht nur durch kanzleiinterne Neuregelungen oder einen situationsbedingt gestiegenen Bedarf, sondern auch im Kontext kurienferner Geschehnisse notwendig werden. Der Eintrag zur Taufe der litauischen Könige 1378 in der Handschrift Ross. 476 verdeutlicht, dass externe politische Ereignisse direkten Einfluss auf die Gestaltung der päpstlichen Urkunden haben konnten, denn Rang und Religionszugehörigkeit der Adressaten wirkten sich unmittelbar auf die Formulierung und in der Folge auf die Ausstattung des Protokolls päpstlicher Schreiben aus. Auch in anderer Hinsicht sind in den Regularien äußere Einflüsse erkennbar. Die kurialen Aufzeichnungen zur Urkundengestaltung sind maßgeblich von den in Europa weit verbreiteten, als Artes dictandi bekannten Lehrschriften zur Kunst des Briefeschreibens beeinflusst, die ihrerseits durch den stilus curiae geprägt, seit dem frühen 12. Jahrhundert aber im Gegenzug auch an der Kurie rezipiert wurden. Da ein großer Teil der in der päpstlichen Kanzlei tätigen Mitarbeiter eine Ausbildung im dictamen erhalten hatte oder sogar über ein Notarspatent verfügte, waren ihnen das Konzept und der Nutzen derartiger Hilfsmittel für die Praxis geläufig. Folglich orientierten sich die im Umfeld der Kanzlei entstandenen Nachschlagewerke in ihrem grundlegenden Aufbau an den Artes dictandi. In Anlehnung an diese weisen etwa die Formelbücher der Audientia einen einleitenden theoretischen Teil auf, der von einer umfangreichen Formelsammlung ergänzt wird. Besonders deutlich ist die Vorbildfunktion der Artes bei der Forma scribendi privilegium greifbar, die um 1320 in Avignon entstand. Seit dem 12. Jahrhundert hatte sich in Frankreich, ausgehend von der Gegend um Tours und Orléans, eine spezifisch französische Schule der Briefkunst entwickelt. Da viele der in diesem Zusammenhang entstandenen Artes dictandi für den Unterricht an Universitäten und die Ausbildung von Notaren genutzt wurden, waren sie sicherlich auch großen Teilen des im 14. Jahrhundert zunehmend aus Frankreich stammenden Kanzleipersonals bekannt. Die französischen Artes zeichnen sich dadurch aus, dass sie die üblichen Erörterungen zur Gestaltung von Briefen um Urkundenlehren ergänzten, die unter anderem päpstliche Privilegien behandelten. Die Forma scribendi privilegium lehnt sich sowohl in ihrem Aufbau als auch in ihrer inhaltlichen Fokussierung auf die graphisch auffälligen Privilegienmerkmale eng an diese französischen Privilegienlehren an.
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Die entsprechenden Abschnitte der Artes dictandi wie auch die kurialen Aufzeichnungen zur Urkundengestaltung beschreiben demnach grundsätzlich jene Aspekte, die das charakteristische Aussehen der päpstlichen Urkunden konstituierten und deren Wiedererkennbarkeit garantierten. Durch diese uniforme Ausstattung der Papsturkunden wurde ein „Corporate Design“ erzeugt, das vor allem der Rechtssicherheit der Dokumente diente.1533 Die eindeutig identifizierbaren Merkmale und deren einheitliche Umsetzung ermöglichten die zuverlässige Authentifizierung der Urkunden und gewährleisteten damit deren Rechtsgültigkeit. Gleichzeitig erschwerte die gleichförmige Erscheinung potentiellen Fälschern das Handwerk, die Möglichkeiten zur Manipulation wurden deutlich eingeschränkt.1534 Diese Verifizierbarkeit und Fälschungssicherheit war für die einzelnen Urkundenarten von unterschiedlicher rechtlicher Bedeutung. Privilegien dienten vorrangig dem Nachweis von Besitzungen, Rechten und Freiheiten, es durften daher vor allem im Falle konkurrierender Ansprüche keine Zweifel an ihrer Legitimität aufkommen. Außerdem wurden sie regelmäßig an der Kurie vorgelegt, um erneuert und bestätigt zu werden; auch in diesem Zusammenhang erfolgte die Prüfung ihrer Authentizität anhand der äußeren Merkmale. Bullen wurden dagegen für (politisch) bedeutsame Schreiben und Dekrete mit langer oder zeitlich unbegrenzter Gültigkeit, wie beispielsweise Exkommunikationen oder Inkorporationen, genutzt und mussten daher vertrauenswürdig und überprüfbar sein. Besondere Relevanz hatte das einheitliche und regelkonforme Design für die päpstlichen litterae. Die optische Abgrenzung von Hanf- und Seidenschnurbriefen, die in der Vulgataredaktion des Formularium audientiae beschrieben ist, hatte letztendlich vor allem rechtliche Hintergründe. Da üblicherweise eine einfache Ausstattung und die Bullierung mit Hanfschnur auf ein Mandat hindeuteten, während eine aufwendigere Urkundengestaltung und die Verwendung von Seidenschnüren grundsätzlich Gnadenerweisen vorbehalten waren, spiegelten die äußeren Merkmale den juristischen Inhalt der Urkunden und damit auch ihre Rechtswirkung. Die zahlreichen detaillierten Vorschriften zur Systematisierung der Datumsangabe hängen ebenfalls mit deren Rechtsverbindlichkeit zusammen. Eine Vorzugsdatierung auf einer päpstlichen littera, um die sogar suppliziert werden konnte, hatte handfeste Vorteile für den Empfänger, sie musste daher so fälschungssicher wie möglich gestaltet werden. Insgesamt wurde bei der Aufzeichnung von Ausstattungsregeln für litterae vor allem denjenigen Urkundenbestandteilen Aufmerksamkeit geschenkt, die in juristischer Hinsicht von besonderem Belang waren – dies galt neben der Datierung auch für die Adresse, die im Kontext genannten Eigennamen sowie die obligatorischen Sanctio-Formeln in Gnadenbriefen. Die 1533 Meyer, Kanzlei, S. 306. Von der Schaffung eines „Corporate Design“ für Papsturkunden im 12. Jahrhundert ist auch bei Hotz, Litterae apostolicae, S. 116, 136, die Rede. 1534 Graber, Spurium, S. 124 f.
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Zusammenfassung und Fazit
klare Normierung dieser wesentlichen Kriterien war von zentraler Bedeutung, weil die Urkunden häufig zur Vorlage in Gerichtsprozessen erwirkt wurden. In den Verfahren wurde über ihre Glaubwürdigkeit vor allem anhand der äußeren Merkmale entschieden, die somit Verfahrenssicherheit sowohl für die Petenten als auch für Papst und Kurie gewährleisteten. Die Wahrung des Corporate Designs aller Arten von Papsturkunden wurde demnach nicht aus rein ästhetischen Gründen angestrebt, denn bis in das späte Mittelalter war die äußere Ausstattung der Hauptanhaltspunkt zur Verifizierung der Urkunden. Teilweise ließen sich auch die päpstlichen Register heranziehen, um die Echtheit einzelner Urkunden nachzuweisen, allerdings wurden im 13. und 14. Jahrhundert bei weitem nicht alle Ausgänge darin vermerkt. Für das 13. Jahrhundert konnte festgestellt werden, dass sogar ein Großteil der ausgefertigten Urkunden nie Eingang in die Registerbände fand.1535 Im 14. Jahrhundert betonte Benedikt XII. (1334–1342) gegenüber König Philipp VI. von Frankreich, dass alle durch seine Kammer ausgestellten Urkunden registriert würden und daher Fälschungen leicht zu identifizieren seien.1536 Außerdem wies er den gleichen Empfänger darauf hin, dass alle päpstlichen Schreiben an Könige, Fürsten und andere Personen wörtlich in die Register übernommen würden.1537 Tatsächlich wurden unter den avignonesischen Päpsten zwar nicht alle, aber zumindest ein großer Teil der litterae curiales und der Provisionsurkunden in den entsprechenden Registerserien erfasst. Einfache Gnaden- und Justizbriefe wurden dagegen weiterhin nur unregelmäßig registriert.1538 Allerdings bildete sich während der Jahrzehnte in Avignon durchaus eine – im Gegensatz zu den Gewohnheiten des 13. Jahrhunderts – deutlich strukturiertere und konsequentere Registrierungspraxis heraus.1539 Möglicherweise konnten vor diesem Hintergrund tatsächlich immer mehr Papsturkunden anhand der Register verifiziert werden, es ist daher nicht auszuschließen, dass der vorübergehende Rückgang von Regelaufzeichnungen zur litterae-Gestaltung nach Johannes XXII. (1316–1334) mit dieser Entwicklung in Verbindung stand. Dass nach der Rück1535 Hageneder, Register, S. 68–76. 1536 Daumet, Benoît XII. Lettres closes, Nr. 341: […] cum intercipiuntur false littere, de facili cognoscuntur et maxime cum omnes et singule littere tam patentes quam clause, que per nostram cameram transeunt, registrentur. Vgl. Bombi, Benedict XII, S. 203; Zutshi, Changes, S. 255 f. 1537 Daumet, Benoît XII. Lettres closes, Nr. 888: Et tamen, quia labilis est hominum memoria, registra nostra, in quibus omnes et singule littere nostre, quas regibus et principibus ac quibusvis personis aliis postquam ad summi pontificatus apicem divina miseratio nos assumpsit, destinavimus et nos destinare contingit, registrate sunt et registrantur de verbo ad verbum continue, perquiri fecimus diligenter, in quibus nichil de premissis, sicut nec unaquam cogitate fuerunt, penitus reperitur. Vgl. Bombi, Benedict XII, S. 203; Zutshi, Changes, S. 256; Hageneder, Register, S. 70. 1538 Zutshi, Changes, S. 255 f., 259; Bombi, Benedict XII., S. 202–204. 1539 Zutshi, Changes, S. 257–260.
Zusammenfassung und Fazit
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kehr Gregors XI. nach Rom im Jahr 1376 erneut entsprechende Vorschriften niedergeschrieben wurden, könnte insofern auch mit dem Fehlen der Registerbände, die in Frankreich zurückgeblieben waren, in Zusammenhang gebracht werden. Da aber gerade die große Masse der standardisierten Gnaden- und Justizbriefe nicht systematisch erfasst worden war, verloren die äußeren Merkmale der Urkunden sowie die Regeln zu deren Gestaltung erst im Laufe des 15. Jahrhunderts, als die Registrierung der per cameram und per cancellariam expedierten Papsturkunden Standard war, ihre Bedeutung für die Authentifizierung der Dokumente.1540 Vor diesem Hintergrund war es entscheidend, dass das Corporate Design über lange Zeiträume und auch über Krisensituationen hinaus beibehalten wurde. Gerade in Phasen interner oder externer Konflikte des Papsttums sowie im Falle von Ortswechseln der Kurie oder umfassender personeller Umbrüche durften keine Diskrepanzen bei den charakteristischen Ausstattungsmerkmalen der Papsturkunden auftreten, damit die Funktionsfähigkeit der päpstlichen Kanzlei und damit auch die Rechtmäßigkeit des Papstes nicht in Frage gestellt werden konnte. Beständigkeit bei der Gestaltung der Urkunden war ein wichtiger Faktor für die Demonstration der Legitimität ihres Ausstellers. Auch die Kardinäle bemühten sich daher im Rahmen ihres Eintretens für eine Renaissance des Privilegs, das charakteristische Aussehen dieser Urkundengattung zu erhalten, weil das althergebrachte Design durch die sichtbare Beteiligung der Kardinäle Ausdruck der von ihnen angestrebten Außendarstellung des Papsttums war. Diese permanente Aufrechterhaltung des einheitlichen Erscheinungsbildes der Dokumente konnte auf Dauer nur durch die schriftliche Fixierung der entsprechenden Gewohnheiten gelingen. Die Wahrung des rechtlich wie symbolisch essentiellen Corporate Designs war somit sicherlich ein wesentlicher Grund für die Entstehung der untersuchten Regularien. Ihre wichtigste Funktion lag darin, auch im Rahmen heikler und unübersichtlicher Umstände die Kontinuität und Zuverlässigkeit der päpstlichen Herrschaftsausübung zu gewährleisten und damit zur Konsolidierung der päpstlichen Kirchenherrschaft beizutragen.1541 Auch darüber hinaus haben sich die untersuchten Regeln und Vorlagen als wertvolle Quellen mit hoher Aussagekraft erwiesen. Sie können in vielerlei Hinsicht als Referenz für die Originalüberlieferung dienen, besonders im Hinblick auf die Erforschung der äußeren Entwicklung der einzelnen Urkundenarten. Darüber hinaus gewähren sie Einblicke in die Kompetenzen, Befugnisse und Einflussmöglichkeiten der Kanzleileitung, die Arbeitsweise der Skriptoren sowie die in der Kanzlei gebräuchliche Terminologie bezüglich des päpstlichen Urkundenwesens. Sogar zur 1540 Frenz, Papsturkunden, S. 153 f. Zu dieser Entwicklung passt auch die Beobachtung, dass in einer Kanzleiregel Clemens’ VII. von 1387 Bemühungen greifbar sind, die Registrierung der Papsturkunden zu standardisieren; siehe oben Kapitel 4.6.2, S. 296. 1541 Vgl. auch Fischer, Kontinuität, S. 325 f.
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Zusammenfassung und Fazit
Klärung spezieller Fragestellungen der Diplomatik, beispielsweise zur persönlichen Beteiligung von Papst und Kardinälen an der Ausfertigung von Privilegien, können sie herangezogen werden. Insgesamt ergänzen und bereichern die Regularien zur Ausstattung von Papsturkunden daher sowohl die Diplomatik als auch die Geschichte des Papsttums im Spätmittelalter um zahlreiche bedeutende Erkenntnisse.
6. Anhang: Übersicht über die Quellen
Abb. 23: Darstellung der zeitlichen Abfolge, der gegenseitigen Abhängigkeiten und der Entwicklungslinien der untersuchten kurialen und nicht-kurialen Quellen zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden (die nicht-kurialen Quellen sind durch gestrichelte Rahmenlinien gekennzeichnet).
7. Abkürzungsverzeichnis AfD AfkKR AHC AMKRO AUF AZ Barb. lat. BECh DBI DDC HJb HStAM LexMA MGH MIÖG NA QFIAB Ottob. lat. Ross. RQ Traditio Vat. lat. ZRG KA
Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde Archiv für katholisches Kirchenrecht Annuarium Historiae Conciliorum Andreas Meyer, Kanzleiregeln Online (vgl. 7.3 Online publizierte Quellen) Archiv für Urkundenforschung Archivalische Zeitschrift Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Barberinus latinus Bibliothèque de l’École des Chartes Dizionario biografico degli Italiani Dictionnaire du Droit Canonique Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft Hessisches Staatsarchiv Marburg Lexikon des Mittelalters Monumenta Germaniae Historica Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (1923–1942: MÖIG) Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde Quellen und Forschungen aus Italienischen Archiven und Bibliotheken Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Ottobonus latinus Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Rossianus Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte Traditio. Studies in Ancient and Medieval History, Thought and Religion Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Vaticanus latinus Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung
8. Quellen- und Literaturverzeichnis
8.1 Ungedruckte Quellen Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana: Barb. lat. 2126 Barb. lat. 2825 Ottob. lat. 762 Ross. 476 Vat. lat. 2661 Vat. lat. 3984 Vat. lat. 6332 Vat. lat. 6772 Marburg, Hessisches Staatsarchiv Marburg: Urk. 36 Nr. 176 Urk. 56 Nr. 46 Urk. 56 Nr. 62 Paris, Archives nationales: J 696 Nr. 15 Paris, Bibliothèque Nationale de France: Ms. lat. 4133 Ms. lat. 4184
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9. Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16
Bulle einer Urkunde vom 3. Oktober 1245, HStAM, Urk. 56 Nr. 46 Bulle einer Urkunde vom 5. August 1252, Paris, Archives nationales de France, J 696 Nr. 15 Bulle einer Urkunde vom 12. Dezember 1253, HStAM, Urk. 56 Nr. 62 Musterprivileg in Ottob. lat. 747, fol. 51v–52r. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. INPPM-Nachzeichnung im Liber Cancellarie, Barb. lat. 2825, S. 1. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Protokoll des Musterprivilegs in Ottob. lat. 747, fol. 51v–52r. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. INPPM-Nachzeichnung in der Neuredaktion des Formularium audientiae Ross. 476, fol. 59v. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Ausschnitt aus dem Kontext des Musterprivilegs in Ottob. lat. 747, fol. 51v. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Abschluss des Kontextes eines Musterprivilegs in Barb. lat. 2825, S. 5. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Kontextende des Musterprivilegs in Ottob. lat. 747, fol. 52r. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Beispiel für einen Kontextabschluss in der Handschrift Ross. 476, fol. 59v. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Eschatokoll eines Musterprivilegs in Barb. lat. 2825, S. 5. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Eschatokoll des Musterprivilegs in Ottob. lat. 747, fol. 51v–52r. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Rota-Nachzeichnung in der Handschrift Ross. 476, fol. 59v. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Subscriptio pape in der Handschrift Ross. 476, fol. 59v. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Nachzeichnung eines Subscripsi-Zeichens in der Handschrift Ross. 476, fol. 59v. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten.
Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23
Abbildungsverzeichnis
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Benevalete-Nachzeichnungen in der Handschrift Ross. 476, fol. 59v. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Erläuterung des plietus auf dem Musterprivileg in Ottob. lat. 747, fol. 51v. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Verweiszeichen zur Erläuterung des pilum in der Handschrift Ross. 476, fol. 59v. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Datierungszeile des Musterprivilegs in Ottob. lat. 747, fol. 51v–52r. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Verewigungsformel päpstlicher Bullen in der Handschrift Ross. 476, fol. 59v. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Nachzeichnung des Protokolls einer päpstlichen Bulle in der Handschrift Ross. 476, fol. 65r. Abgedruckt mit Genehmigung der Biblioteca Apostolica Vaticana. Alle Rechte vorbehalten. Darstellung der zeitlichen Abfolge, der gegenseitigen Abhängigkeiten und der Entwicklungslinien der untersuchten kurialen und nicht-kurialen Quellen zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden
10. Register der Orts- und Personennamen A Aargau 50 Alanus 67 Alberich von Montecassino 40–42, 47, 52 Alexander de Villa Dei 194, 196 Alexander III., Papst 24, 44, 61, 66, 70, 71, 73, 76, 106, 112, 162, 163, 183 Alexander IV., Papst 80, 204, 207, 222, 268, 316 Alexander V., Papst 98, 298 Alexander VI., Papst 292, 305 Altopascio 314 Altopascio, Hospital 311–313, 315, 316, 318, 319 Anagni 27, 110, 127, 326 Andreas Sapiti 308 Antibari 63 Arles 88, 93, 98 Arnald Novelli, siehe Arnaud Nouvel Arnaud Nouvel 316 Assisi 230 Augustinus 57 Avignon 21, 27–29, 35, 93, 95, 98, 100, 102, 128, 132–134, 136, 145, 161, 211, 214, 222, 228, 230, 231, 286, 287, 295, 297, 306, 310, 320, 323, 326–328, 342, 344 B Baldus de Ubaldis 116 Bandinus von Siena 109 Bartholomäus Francisci de la Capra 236 Bartholomäus Prignano, siehe Urban VI., Papst Bartholomäus von Amiens 121 Basel 103, 288, 300, 306, 328 Bela IV., ungar. König 321 Bene da Firenze 47 Benedikt XI., Papst 129, 222 Benedikt XII., Papst 29, 95, 133, 221, 232, 309, 344 Benedikt XIII., Papst 98, 104, 133, 146, 290, 291, 297–299
Berengar Fredoli 115 Berlin 136 Bernhard von Bologna 43–47 Bernhard von Clairvaux 43 Bernhard von Compostella 67 Bernhard von Meung 44, 47 Bernhard von Parma 69 Bertrand du Pouget 223, 226, 227, 316 Bertrandus, Bischof von Pamphylien 146 Bertrandus de Poietto, siehe Bertrand du Pouget Blois 43 Bologna 47, 50, 52, 86, 113, 114, 212, 300 Bonaguido von Arezzo 205 Boncompagno da Signa 47, 48, 52, 64, 166, 170, 184, 200, 227, 272 Bonifaz VIII., Papst 32, 37, 86, 98, 105, 124–128, 131, 169, 222, 224, 226, 232, 311, 312, 319, 326 Bonifaz IX., Papst 145, 212, 261, 302 Bordeaux 100 Breslau 221 Brigitta von Schweden 323 C Calixt II., Papst 72, 83 Calixt III., Papst 305 Cambridge 135, 158 Canterbury 72, 73, 311 Capua 73 Carlo Strozzi 308 Casamari, Kloster 36 Châlon 79 Champagne 43 Clairvaux, Kloster 45 Clemens III., Papst 73, 87, 91, 187, 317, 318 Clemens IV., Papst 49, 113, 115, 120, 176, 182, 204, 210, 230, 311, 315, 316, 325 Clemens V., Papst 37, 99, 100, 105, 115, 128–130, 160, 164, 219, 221, 224, 227, 286, 287, 311, 315, 316, 319, 326, 330, 336 Clemens VI., Papst 65, 102, 129, 133, 145, 196,
Register der Orts- und Personennamen
214, 219–221, 228, 230–233, 260, 262, 323, 327–329 Clemens VII., Papst 98, 100, 102, 145, 211, 236, 290, 296–298, 345 Clermont 88 Cölestin III., Papst 48, 55, 56, 61, 73, 77, 87, 254 Cölestin IV., Papst 87, 110, 325 Cölestin V., Papst 88, 98, 125–127 D Dietrich von Nieheim 211, 212, 214–218, 221, 235, 243, 248, 251, 257, 259, 261, 262, 271, 278, 295, 327, 336 Dobrogost, Bischof von Posen 140 Domenico Capranica 139, 237 Duranti, siehe Guillelmus Duranti der Ältere E Eichstätt 103 Elisabeth, poln. Regentin 321 Elzear von Sabran 323 England 67, 85, 111, 316 Esztergom 321 Eugen III., Papst 43, 44, 73, 261, 311, 314 Eugen IV., Papst 103, 215, 237, 257, 276, 290, 299–302, 328, 335 Evesham, Kloster 73 F Felix V., Papst 103 Ferrara 257 Florenz 74, 257 Fontfroide, Kloster 36 Fossanova, Kloster 36 Francesco Barberini 215 Franciscus Moricotti Prignano 236 François de Conzié 98–103, 105, 326 Frankfurt am Main 136, 188, 191, 193 Frankreich 42–45, 51, 52, 80, 99, 128, 129, 319, 327, 328, 335, 342, 345 Friedrich II., dt. König, Kaiser 50, 110, 325 G Gaucelme de Jean 223, 226, 227 Gaucelmus Johannis Deuza, siehe Gaucelme de Jean Gaufridus de Salinhaco 146 Gelasius II., Papst 42
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Genua 89 Gilbertus 67, 76 Giraldus Cambrensis 73 Gottfried von Trani 69–71, 110, 111 Grand-Saint-Bernard 315 Gregor VII., Papst 20, 40, 41, 56 Gregor VIII., Papst 87 Gregor IX., Papst 68, 83, 84, 86, 87, 109–111, 152, 162, 163, 165, 202, 306, 311, 325 Gregor X., Papst 63, 79–82, 95, 96, 98, 101, 104–106, 113, 121, 208, 209, 213, 325 Gregor XI., Papst 139, 143, 145–147, 173, 180, 211, 232–235, 261, 284, 286, 290–295, 320, 327, 345 Gregor XII., Papst 104, 212, 216, 234 Gregor XIII., Papst 134 Gregorius de Puteo 216 Grenoble 98 Guido Faba 47, 48, 51, 166, 167 Guido von Baisio 129, 130 Guillelmus Duranti der Ältere 15, 64, 71, 104, 112–117, 119, 120, 204 Guillelmus Petri Godin 213 H Hadrian I., Papst 82 Hadrian IV., Papst 88 Hadrian V., Papst 209 Hedwig von Anjou 140 Heiliges Land, siehe Palästina Heinrichau, Kloster 221, 258 Heinrich der Freigiebige von der Champagne 43 Heinrich IV., dt. König, Kaiser 41 Honorius III., Papst 74, 87, 109, 152, 162, 235, 263, 265, 266 Honorius IV., Papst 79, 90, 97, 223, 224 Hospital am Großen St. Bernhard 314, 316, 318 Hostiensis 69–71, 119 Huguccio 61, 77 Huguccio von Vercelli 127, 128 I Innozenz II., Papst 24, 106, 271 Innozenz III., Papst 12, 17, 20, 21, 30, 33, 55–59, 61–64, 66–69, 71–85, 87, 89, 90, 94, 102, 106, 109, 112, 148, 152, 165, 170, 198, 230, 231, 254, 281, 302, 315, 324, 325, 328, 329, 332, 333, 338
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Register der Orts- und Personennamen
Innozenz IV., Papst 13, 25, 35, 74, 85–94, 108–111, 132, 152, 156, 163, 165, 174, 176, 204, 205, 208, 210, 231, 273, 315, 325, 329, 332, 333 Innozenz V., Papst 209 Innozenz VI., Papst 102, 145, 214, 215, 221, 232, 233, 261, 292, 309, 323 Innozenz VII., Papst 145, 146, 216 Innozenz VIII., Papst 292 Italien 42, 51, 121, 129, 145 Ivo von Tréguier 323 J Jacobus Buoncambio 111 Jagiello, litau. Großfürst, poln. König 140–142 Jean de Brogny 297–299 Jean de Garlande, siehe John of Garland Jean de la Rochetaillée 300 Jerusalem 321 Johannes IX., Papst 82 Johannes XXIII., Papst 98, 103, 104, 291, 298 Johannes XIX., Papst 83 Johannes XXI., Papst 209 Johannes XXII., Papst 29, 35, 93, 128, 130, 131, 133, 157, 180, 212–214, 219–222, 224, 230, 231, 259, 268, 286–288, 290, 309–312, 314–320, 326, 332, 336, 344 Johannes Andreae 65, 69, 104, 105, 115, 116, 119, 149, 151, 157, 184 Johannes Anglicus, siehe John of Garland Johannes de Broniaco, siehe Jean de Brogny Johannes de Rupescissa, siehe Jean de la Rochetaillée Johannes Teutonicus 68, 148, 149 Johannes von Gaeta 41, 42 Johannes von Toledo 85 John of Garland 45 John Peckham 35 John von Bridlington 323 K Karl von Anjou 121, 127, 321, 325 Kestutis 141 Köln 91, 136, 215 Konrad von Mure 50–52, 63, 64, 165, 166 Konstantin der Große 73 Konstantinopel 98 Konstanz 98, 103, 134, 135, 141, 217, 237, 297, 298
Krakau 140 L L. de Temperiis 216, 218, 221, 248, 261 Leo IX., Papst 21, 41, 73, 253–255, 267 Leo XIII., Papst 12 Lippoldsberg, Kloster 69 Litauen 140–142 Lucius II., Papst 73 Lucius III., Papst 57, 176 Ludolf von Hildesheim 50 Ludwig IX., frz. König 81 Lyon 90, 100, 114, 287 M Magister Manuel 316 Mailand 58, 90 Mainz 212, 216 Margarethe von Ungarn 321, 323 Marinus I., Papst 82 Marinus von Eboli 93 Martin IV., Papst 223 Martin V., Papst 29, 98, 100, 104, 132, 134, 147, 214, 217, 281, 297–299 Martin von Troppau 63, 65 Martinus de Salva 146 Matteo Rosso Orsini 110 Mende 114 Metz 219, 230, 258 Meung 43 Michael von Toulouse 120, 121 Montecassino, Kloster 40–42 München 132, 135, 186, 187, 191, 192, 201, 292, 335 Muri, Kloster 50 N Narbonne 36, 88, 98 Naumburg 83, 84 Neapel 110 Nicolas de Monthiéramey 43 Nicolaus Alberti 213 Nicolaus de Tudeschis, siehe Panormitanus Nikolaus III., Papst 79, 133, 134, 136, 205, 207–210, 212, 218, 223, 228, 268, 325, 332 Nikolaus IV., Papst 69, 97, 224 Nonantola, Kloster 82
Register der Orts- und Personennamen
O Orléans 43, 44, 52, 342 Orvieto 126 Ottobonus de Placentia 127 Oxford 53 P Padua 52 Palästina 79, 81, 121, 325 Palestrina 320 Panormitanus 69 Papinian 127 Paris 45, 50, 132, 133, 168, 212, 216–218 Paschalis II., Papst 254, 255, 266, 272 Patrimonium Petri 36, 110, 113 Paul Durrieu 108 Paul II., Papst 91, 104, 301, 302, 304, 305, 328 Paulus, Apostel 59, 63, 89, 92, 102, 254 Pavia 52 Pécs 321 Pedro de Luna, siehe Benedikt XIII., Papst Perugia 88, 89, 129, 230, 325 Petrus, Abt 219 Petrus Amelii 103 Petrus, Apostel 59, 63, 89, 92, 102, 254 Petrus de Ancharano 69 Petrus de Monteruco, siehe Pierre de Monteruc Petrus de Nogareto, siehe Pierre de Nogaret Petrus de Pratis, siehe Pierre des Prés Petrus Peregrossus 207, 208 Petrus Textoris, siehe Pierre le Tessier Petrus von Mailand, siehe Petrus Peregrossus Petrus von Piperno 127 Petrus von Sortenac 146 Philipp der Schöne, frz. König 79, 99 Philipp III., frz. König 79 Philipp IV., frz. König 126 Philipp VI., frz. König 344 Pierre de Monteruc 145, 226, 295, 297 Pierre de Nogaret 223 Pierre des Prés 130, 226, 233, 279, 319, 320 Pierre le Tessier 130, 223, 225–227, 312, 316, 318 Pisa 74, 98, 110, 212, 297 Pius II., Papst 91 Poitiers 129 Polen 140, 141 Pseudo-Marinus von Eboli 88, 90, 93, 133, 136, 209, 221, 307
383
R Rainer von Pomposa 67, 76 Rainulf de Gorsa 295 Raymund von Peñafort 68 Riccardus Petronus von Senis 127 Richard von Pofi 48, 49, 307 Rieti 126 Robert Winchelsey 311 Rodrigo Borgia, siehe Alexander VI., Papst Roffredus Beneventanus 108 Rom 27, 29, 42, 56, 77, 81, 89, 95, 100, 110, 114, 120, 125–129, 132–134, 140, 145, 146, 173, 200, 211, 214, 216, 286, 292, 294, 295, 306, 320, 323, 325–328, 335, 338, 345 Romagna 110 Rudolf von Tour 44 S Saint-Martin, Kloster 64 Saint-Omer 83, 84 Saint-Pierre-aux-Nonnains, Kloster 219 Saint-Sernin, Kloster 312 San Sisto, Kloster 74 Santa Maria in Pallara, Kloster 42 Savoyen 98 Schweiz 314 Sens 64 Sigardus, Hospitalsverwalter 74 Sinibaldo Fieschi, siehe Innozenz IV., Papst Sixtus IV., Papst 304, 305 Sizilien 110 Skirgalla, litau. Großfürst 140 S. Saturninus, Kloster 130 St. Arnulf, Kloster 219, 258 St. Augustine, Kloster 135 St. David’s 73 St. Peter, Kloster 230 St. Stephan, Kloster 173 Stephan IX., Papst 41 Straßburg 173 Symon Aretinus 213, 280 T Tankred 68, 112 Tannenberg 141 Thomas Petra 145, 146 Thomas von Capua 48, 49, 111 Thomas von Marlborough 73, 74 Thurstan von York 72
384
Register der Orts- und Personennamen
Toskana 43 Toulouse 45, 98, 130, 312 Tours 43, 44, 342 Transmundus 45 Trier 135, 156, 189, 195, 215 Troyes 64 U Ungarn 321 Urban II., Papst 254, 255 Urban III., Papst 57, 87 Urban IV., Papst 79, 80, 173, 204, 217, 311, 316 Urban V., Papst 99, 145, 221, 232, 261, 290, 320, 323 Urban VI., Papst 102, 140–142, 145, 146, 180, 211, 214, 217, 221, 236, 261, 293, 295, 320, 321, 323
V Vals-près-le-Puy 220, 222, 258 Vendôme 43 Venedig 132, 134, 135, 150, 196 Veszprém 321 Viktor III., Papst 41 Viterbo 27, 120, 121 W Walkenried, Kloster 230, 231 William von Canterbury 72 William Welde 135 Wladyslaw ( Jagiello), poln. König, siehe Jagiello, litau. Großfürst, poln. König Worcester 73 Z Zürich 50