Das Pferd und seine epische Funktion im mittelhochdeutschen 'Prosa-Lancelot' [Reprint 2011 ed.] 9783110858808, 9783110118827


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German Pages 388 [392] Year 1990

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Table of contents :
EINIGE VORBEMERKUNGEN
EINLEITUNG
1. Zur Forschung
2. Überlegungen zur Methode
HAUPTTEIL
I. Die Pferdearten
1. Das Kollektivum phert
2. Spezielle Typenbezeichnungen
3. Artverwandte Tiere: mûl und esel
II. Der Nutz- und Prestigewert des Pferdes
1. Das Pferd in seiner zweckdienlichen Funktion
2. Das Pferd in seiner repräsentativen Funktion
III. Das Exterieur des Pferdes
1. Genannte Körperteile
2. Das Gebäude kennzeichnende Adjektive
3. Die Farbe
IV. Das Gebaren des Pferdes
1. Die Darstellung des Verhaltens
2. Geschehen initiierende und beeinflussende Verhaltensauffälligkeiten
V. Die Ausstattung von Pferd und Reiter
1. Das Sattelzeug: gereite - geziuc
2. Die Kleidung des Reiters
3. Das Satteln des Pferdes
VI. Die Gangarten, Reitweisen und Reitordnungen
1. Gangarten
2. Reitweisen
3. Reitordnungen
VII. Der huofslac – ein gewiesener Weg
VIII. Die Beherrschung des Pferdes
1. Das Auf- und Absitzen
2. Der Sitz und die Haltung
3. Die Zügeleinwirkung
4. Der Sporengebrauch
5. Das Wenden und Anhalten
IX. Pferd und Reiter im Kampf
1. Formen des Kampfes
2. Das Pferd als Waffe
3. Das Schicksal des Pferdes
4. Das Beutepferd
X. Der Sturz
XI. Gebärdenhafte Handlungen. Der Griff in die Zügel oder an den Zaum
XII. Die Rolle des Pferdes in der Entwicklung der Protagonisten
1. Lancelot
2. König Artus
3. Gawan
4. Hector
SCHLUSSBETRACHTUNG
ANHANG
I. Register zum ,Prosa-Lancelot‘
II. Abkürzungsverzeichnis
III. Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Nachschlagewerke
3. Bildbände und Ausstellungskataloge
4. Reiterliche und hippologische Fach- und Forschungsliteratur und Nachschlagewerke
5. Forschungsliteratur zum ,Prosa-Lancelot‘
6. Forschungsliteratur zum Tier in der Dichtung
7. Forschungsliteratur zum Pferd in der Dichtung
8. Literatur zum Pferd in der Kultur- und Kunstgeschichte
9. Sonstige Forschungsliteratur
IV. Abbildungen
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Das Pferd und seine epische Funktion im mittelhochdeutschen 'Prosa-Lancelot' [Reprint 2011 ed.]
 9783110858808, 9783110118827

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ARBEITEN ZUR FRÜHMITTELALTERFORSCHUNG

ARBEITEN ZUR FRÜHMITTELALTERFORSCHUNG Schriftenreihe des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster

In Zusammenarbeit mit

Hans Belting, Hugo Borger, Dietrich Hofmann, Karl Josef Narr, Friedrich Ohly, Karl Schmid, Ruth Schmidt-Wiegand und Joachim Wollasch herausgegeben von

KARL HAUCK

19. BAND

W _G DE

1990

WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW Y O R K

DAS PFERD UND SEINE EPISCHE FUNKTION IM MITTELHOCHDEUTSCHEN , PROS A - LANCELOT

von

BEATE A C K E R M A N N - A R L T

W DE

G. 1990

WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK

CIPTitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Ackermann-Arlt, Beate: Das Pferd und seine epische Funktion im mittelhochdeutschen „ProsaLancelot" / von Beate Ackermann-Arlt. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1990 (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung ; Bd. 19) Zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss., 1986 ISBN 3-11-011882-3 Ne:GT

© Copyright 1990 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Satzstudio Alfes, Siegen/Autorin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin

Meinen Eltern und meinem Mann

Als der Erschaffende

das Pferd erschaffen

wollte,

sagte er zum Wind: Von dir will ich ein Wesen gebären, das geeignet ist, meine Verehrer zu tragen. Dieses Wesen soll geliebt sein von allen meinen

Sklaven,

es soll aber gefürchtet sein von allen, die meinen Geboten

zuwiderhandeln.

Und er schuf das Pferd und rief ihm zu: Dich habe ich geschaffen

ohnegleichen.

Alle Schätze dieser Erde ruhen zwischen deinen

Augen.

Meine Feinde sollst du treten unter deine Hufe, meine Freunde aber sollst du tragen auf deinem von dem Gebete zu mir

Rücken,

aufsteigen.

Auf der ganzen Welt sollst du glücklich

sein

und vorgezogen allen Geschöpfen dieser Erde. Denn dir soll sein die Liebe des Herrn der

Schöpfung.

Du sollst fliegen ohne Flügel, Du sollst siegen ohne

Schwert.

Worte des Propheten Mohammed um 630 n.Chr.

WORTE DES DANKES Diese Arbeit wurde im Sommer 1986 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Ihre Aufnahme in die Schriftenreihe des Instituts fur Frühmittelalterforschung verpflichtet mich den Herausgebern, insbesondere Herrn Professor Dr. Karl Hauck, zu großem Dank. Nach langjähriger Beschäftigung mit dem Thema möchte ich mit dem Druck der Arbeit allen Menschen herzlich danken, die mich auf diesem Weg begleiteten und unterstützten. In erster Linie gilt dieser Dank dem Doktorvater, meinem verehrten Lehrer Herrn Professor Dr. Friedrich Ohly, dessen Schülerin und Mitarbeiterin ich während des Studiums und nach dessen Abschluß sein durfte. Durch ihn entflammte meine Liebe für die Literatur des Mittelalters, und meinem Wunsch nach einer größeren Arbeit entsprach er mit Wohlwollen. Das Unternehmen wurde auf vielfältige Weise von ihm gefördert, und die vorliegende Arbeit verdankt ihm mehr, als in den gelegentlichen Verweisen deutlich gemacht werden konnte. Am wohltuend langen Zügel, jedoch mit kritisch-bestimmter Hand führte er mich - gleichsam als Remonte der Wissenschaft - ins angestrebte Ziel. Für sein Verständnis und seine Unterstützung bei schwierig zu überwindenden Hindernissen fühle ich mich ihm dankbar verbunden. Das Korreferat der Dissertation übernahm Herr Professor Dr. Uwe Ruberg. Hierfür wie für seine freundlichen Hinweise danke ich ihm herzlich. Herrn Professor Alexandre Micha, Paris, bin ich für seinen freundlichen Rat bei der Auswahl der Handschriften und für seine Hilfe bei den Recherchen an der Bibliotheque Nationale zu Dank verpflichtet. Frau Dr. Fischer und Herr Dr. Georg Kremnitz standen mir bei der Durchsicht der Bonner Handschrift hilfreich zur Seite. Frau Gudrun Kaufmann war mir eine unermüdliche Mithilfe beim Korrekturlesen. Ihnen gilt mein aufrichtiger Dank. Den vielen anderen Mitreitern und -Streitern, die durch wertvolle Hinweise und Ratschläge mir den Steigbügel hielten und besonders die anfängliche Kärrnerarbeit erleichtern halfen, sei hier summarisch, doch herzlich gedankt. Gedankt sei ferner der Konrad-Adenauer-Stiftung, die durch ein großzügiges Promotionsstipendium mir die Freiheit zu unbelasteter Forschung bot. Last not least danke ich meinen lieben Eltern und meinem Mann für ihre Unterstützung in jedweder Hinsicht, für ihre gewahrte Geduld und ihr Verständnis vor allem in schwierigen Phasen. Kreuztal, im September 1989

Beate Ackermann-Arlt

INHALTSVERZEICHNIS EINIGE VORBEMERKUNGEN EINLEITUNG 1. Zur Forschung a) Forschungslage zum ,Prosa-Lancelot' b) Zur Forschung über das Tier in der Dichtung 2. Überlegfungen zur Methode HAUPTTEIL I. Die Pferdearten 1. Das Kollektivum phert - Das phert mit rosbäre und ritwagen

1-20 21 21 21 39 49 53 53 58 61

2. Spezielle Typenbezeichnungen a) ros - Zur Distinktion von phert und ros b) jagephert c) soumaere d) hengst e) gül und gurre

63 65 79 81 85 88 91

3. Artverwandte Tiere: mäl und esel

92

II. Der Nutz- und Prestigewert des Pferdes 1. Das Pferd in seiner zweckdienlichen Funktion a) Der Umgang mit dem Pferd b) Die Anonymität des Pferdes

98 101 105 115

2. Das Pferd in seiner repräsentativen Funktion - Das Pferd als Geschenk

119 123

III. Das Exterieur des Pferdes 1. Genannte Körperteile

132 134

2. Das Gebäude kennzeichnende Adjektive

143

3. Die Farbe a) Der Schimmel b) Der Rappe

152 154 162

IV. Das Gebaren des Pferdes 1. Die Darstellung des Verhaltens

169 169

Inhaltsverzeichn is

XII

2. Geschehen initiierende und beeinflussende Verhaltensauffälligkeiten V. Die Ausstattung von Pferd und Reiter 1. Das Sattelzeug: gereite - geziuc

173 179 181

2. Die Kleidung des Reiters - Die Sporen

191 192

3. Das Satteln des Pferdes

194

VI. Die Gangarten, Reitweisen und Reitordnungen 1. Gangarten a) stapfen b) zelten c) draben d) Die schnelle Fortbewegung e) Der fehlerhafte Gang

197 199 200 201 203 205

2. Reitweisen a) riten - varn b) hurten - jagen - vliegen c) baneken

206 207 209 211

3. Reitordnungen a) Alleinritte b) Gemeinsames Reiten c) Zu zweit auf einem Pferd

213 213 215 217

VII. Der huofslac - ein gewiesener Weg

222

VIII. Die Beherrschung des Pferdes 1. Das Auf-und Absitzen

231

2. Der Sitz und die Haltung

236

3. Die Zügeleinwirkung

240

4. Der Sporengebrauch

242

5. Das Wenden und Anhalten

243

IX. Pferd und Reiter im Kampf 1. Formen des Kampfes a) Die tjost b) Oerbuhurt c) Oerturnei

246 248 248 252 254

2. Das Pferd als Waffe

254

Inhaltsverzeichnis

XIII

3. Das Schicksal des Pferdes

258

4. Das Beutepferd

261

X. Der Sturz

265

XI. Gebärdenhafte Handlungen Der Griff in die Zügel oder an den Zaum a) Aufforderung b) Ermahnung c) Zügelung d) Maßregelung e) Gefangennahme

270 271 273 275 278 280

XII. Die Rolle des Pferdes in der Entwicklung der Protagonisten . 284 1. Lancelot a) Jugend und Erziehung b) Lancelots Rittertum c) Das Verhältnis zur Königin d) Die Erniedrigung zum Karrenritter

285 287 295 298 302

2. König Artus 3. Gawan 4. Hector

305 310 312

SCHLUSSBETRACHTUNG

315

ANHANG

320

I. Register zum ,Prosa-Lancelot'

320

II. Abkürzungsverzeichnis III. Literaturverzeichnis

341 343

1. Quellen a) Textgrundlagen b) Zusätzlich genutzte Primärliteratur c) Textsammlungen 2. Nachschlagewerke 3. Bildbände und Ausstellungskataloge 4. Reiterliche und hippologische Fach- und Forschungsliteratur und Nachschlagewerke 5. Forschungsliteratur zum ,Prosa-Lancelot' 6. Forschungsliteratur zum Tier in der Dichtung 7. Forschungsliteratur zum Pferd in der Dichtung 8. Literatur zum Pferd in der Kultur- und Kunstgeschichte 9. Sonstige Forschungsliteratur IV. Abbildungen

343 343 346 346 348 348 350 352 354 355 358

363-375

EINIGE VORBEMERKUNGEN Et pater Anchises:,Bellum, ο terra hospita, portas; Bello armantur equi, bellum haec armenta minantur. sed tarnen idem olim curru succedere sueti quadrupedes et frena iugo concordia ferre: Spes et pads' ait.' Vergil1

Dieser Ausruf des Anchises beim Anblick weidender Rosse auf unbekanntem Land veranschaulicht die polyvalente Verwendung des Pferdes, das sich seit seiner Domestikation im Krieg und im Frieden als optimaler Begleiter und Gehilfe des Menschen in allen Lebensbereichen erwies und ihm bis dahin ο ungekannte Möglichkeiten zur Weiterentwicklung eröffnete. Das Pferd eröffnet ein neues Zeitalter. Es stand an der Wiege der Zivilisation. Der Mensch zu Pferd erschien auf dem Schauplatz der Geschichte als homo novus, der an Größe, Schnelligkeit und Wendigkeit dem Unberittenen als übermächtige Einheit potentiell überlegen war. Erst das Pferd als Reittier gab die Freiheit, weit im Raum zu streifen, und seine Ausdauer ermöglichte es, die Zeit für solche Unternehmungen erstaunlich zu verkürzen. Der Reiter bemächtigte sich der Kreatur, stets darum bemüht, sie sich für seine Belange dienstbar und

Jeder im Anmerkungsteil ohne nähere Angaben aufgeführte Verfassername oder Sammeltitel verweist auf einen Titel im Literaturverzeichnis. Der Vorname von Autoren und das Erscheinungsjahr werden nur dann beigefügt, wenn Verwechslungen auszuschließen sind. 1 Vergili Aeneis III, 539-543. Vater Anchises rief: „Krieg, bringst du, gastliches Land, uns; Pferde werden gewappnet zum Krieg. Krieg dröhn diese Tiere; doch gewöhnen sich längst auch, Wagen zu ziehen dieselben Vierfüßler und unterm Joch in Eintracht Zügel zu tragen: deuten so auch auf Frieden!" Wird bei Vergil beim Anblick der Pferde die Hoffnung auf den Frieden laut, so fordert in einem ähnlichen Bild der erste Kürassier in Schillers Wallenstein (Wallensteins Lager, 10. Auftritt) die Soldaten zu raschem Handeln auf, bevor das WafTenhandwerk vom Frieden verdrängt werde, der dem Wesen [gemeint ist das Kriegswesen] ein Ende macht; Der Soldat zäumt ab, der Bauer spannt ein. 2 Um für die Bedeutung des Pferdes in der Dichtung von vornherein leitende Gesichtspunkte zu gewinnen und sie im Allgemeinen zu begründen, sei an dieser Stelle der Weg der historisch gewachsenen Beziehung von Reiter und Pferd skizziert. Das Aufreißen des geschichtlichen Horizonts mag vergegenwärtigen, daß der Gegenstand der Untersuchung - die Pferde im mittelhochdeutschen ,Prosa-Lancelot' - in seiner geschichtlich einmaligen Existenz im Werk nur einen kleinen Ausschnitt aus einer großen Geschichte des Pferdes in der Menschheitsentwicklung und in der Dichtung repräsentiert, daß jene Pferde aber fest in diese Geschichte eingebunden und nur vor dieser Folie zu verstehen sind.

2

Das Pferd und seine epische Funktion

dem eigenen Willen gefügig zu machen. Der Domestikations- und Zureitevorgang war ein Teil dieser Auseinandersetzung der lenkenden, dominierenden Verstandeskraft mit der physischen überlegenen Stärke des Tieres, wodurch der Mensch seinen eigenen begrenzten Aktionsradius und Einflußbereich erheblich erweitern konnte. Das Pferd wurde damit zu einem Medium der Macht, indem seine Eigenschaften zu Eigenschaften im Dienste des Menschen wurden und seine Fähigkeiten indirekt das physische Vermögen des Reiters potenzierten. Dieser Vorgang hatte - und dies trifft fur das heutige Verhältnis von Reiter und Pferd in gleichem Maße zu - jedoch nur dann Bestand, wenn zwischen den beiden konträren, sich dennoch ergänzenden Elementen eine Harmonie bestand, wenn die körperliche Stärke des Tieres und der gebietende Wille des Menschen einander die Waage hielten. Als Last-, Kriegs-, Kutsch- und gewöhnliches Gebrauchspferd unentbehrlich geworden, nahm das Pferd eine Sonderstellung unter allen domestizierten Tieren ein, da es Schicksal und kulturelle Werdung einzelner Völker mitbestimmend ο beeinflußte, häufig überhaupt erst ermöglichte . Die Berittmachung einzelner Völker brachte vieles in Bewegung und bewirkte territoriale Verschiebungen größten Ausmaßes. Zweifellos erscheint die Wende, die sich insbesondere mit dem kriegerischen Einsatz4 der Pferdes vollzog, als kulturprägend, epochal und

3

BLENDINGER 1981 S . 6, 10, 27; KRETSCHMAR S . V.; LINDNER 1937 S . 386, 400 f. weist auf den geechichtsbestimmenden Einfluß des Pferdes bei den Illyrern und Skythen hin, deren kriegerische Reitertrupps mehrfach in östliche Siedlungsgebiete vordrangen. Allein der reichhaltige Wortschatz für das Pferdewesen, von dem vieles im Laufe der Jahrhunderte verlorengegangen ist, beweist den hohen Stellenwert des Pferdes für die menschliche Existenz und gesellschaftliche Weiterentwicklung in frühester Zeit, VON DEINES 1953 S. 3-15. Zur Sonderstellung des Pferdes innerhalb der domestizierten Tierarten bei frühen feudalen Gesellschaften WIESNER 1973 S.18.

4

Zu einem die Geschichte bestimmenden Faktor wurde das Pferd - sei es vor dem Streitwagen oder als Reittier - vor allem beim militärischen Einsatz, da seine Schnelligkeit, verbunden mit seinem edlen, kämpferischen Charakter, zu einem wesentlichen Kriterium in der Kriegsführung wurde. Isidor von Sevilla, Etymologiae, Bd. 2 Lib. XII 43 preist den Eifer des Pferdes für den Kampf folgendermaßen: Vivacitas equorum multa:. . .; odorantur bellum; excitantur sono tubae ad proelium; voce accensi ad cursum provocantur; dolent cum vidi fuerint; exultant cum vicerint. Quidam hostes in hello sentiunt, adeo ut adversaries morsu petant Die Tapferkeit hebt Albertus Magnus Bd. 2 Lib. XXII 53 S. 1377 f. als wesentliches Kriterium für den Wert des Pferdes hervor. Ad meritum autem deputatur ut sit audax valde, pedibus terram fodiens et terens, ginniens, membris tremens: hoc enim fortitudinis est indicium: et quod ex quiete summa facile concitetur, et ex maxima concitatione facile sistatur et quiescat. Die Geschichte des Reiterkriegers beginnt nach Untersuchungen von WIESNER 1971 S. 15, 37, 90 im späten 2. Jahrtausend v. Chr. WIESNER 1973 S. 11-179; MEYER 1982. Der erste schriftliche, ausschließlich von Pferden handelnde Nachweis, der als Ausbildungsanweisung zum Training der Streitwagengespanne und gleichzeitig als Dienstanordnung für das Wagenlenkerkorps des hethitischen Reiches galt, findet sich um 1350 v. Chr. von Kikkuli, dem Oberstallmeister des Hethiterkönigs, in Keilschrift auf Tontafeln geschrieben. W E B E R 1939/40 S. 311-314; POTRATZ 1938; KANNENHUBER 1961; D E N T 1975 S. 56-59; zur kritischen Einschätzung des Textes MEYER 1975 S. 46 ff. Der Gedanke der militärischen Verwendbarkeit des Pferdes wurde von Simon von Athen, FROHNER 1938/39 S. 193-201, und besonders von Xenophon, dessen Grundsätze für den Umgang mit dem Pferd bis auf den heutigen Tag ihre Gültigkeit bewahrt haben, fortgeführt. Xenophon, Reitkunst, hg. von KLAUS WIDDRA, Darmstadt 1965. Bis in unser Jahrhundert hinein hat sich das Pferd im Krieg als Mitstreiter des Menschen bewährt. PIEKALKIEWICZ schildert das Nebeneinander von Pferd und Soldat in der Schlacht und beschreibt das Alltagsleben der allerletzten Kavalleristen.

Vorbemerkungen

3

politisch wegweisend für einzelne Gesellschaften. Der Sonne gleich kam das Pferd von Osten nach Westen5 auf den Schauplatz der Weltbühne und nahm teil an der Weltgeschichte , die nur allzuoft Kriegsgeschichte bedeutet, und diese ist wiederum Pferdegeschichte, weil das Pferd für seine Rolle als schlachtenentη scheidendes Tier prädestiniert war . Es wurde zum treuen Gefährten des Kriegers, zog den Streitwagen und trug den Bogner ebenso wie den geharnischten Ritter. Das Pferd erhöhte den Feldherrn und mehrte seine Macht und sein Ansehen im Abend- wie im Morgenland. Über seine Nutztierfunktion hinaus erwies es sich auch als Partner des Menschen . So entstand ein Verhältnis, in dem eine persönliche Beziehung , die Λ

Q

Q

5

WIESNER 1971 S . 69; LINDNER 1937 S . 386, 401; STUART LEGG, Die ersten Reiter. Die Völker aus dem Herzland Asiens, Tübingen 1971; MICHAEL DE FERDINANDY, Tschingis Khan. Steppenvölker erobern Eurasien, Hamburg 1958; WILLIAM ROBINSON BROWN, The Horse of the Desert, New York 1929, Nachdruck Hildesheim 1977.

6

BLENDINGER 1981S. 29; MARIAN GRAF VON HUTTEN-CZAPSKI, Die Geschichte des Pferdes, aus dem Polnischen übersetzt von Ludwig Königh, hg. von BOGDAN GRAF VON HUTTEN-CZAPSKI, Berlin 1876, Nachdruck Leipzig 1984; DAPHNE MACHIN-GOODALL, Weltgeschichte des Pferdes, München 1984.

7

ALFONS POLLNER, Geschichte des Pferdes bis zum 1 9 . Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung als Kriegstier, Münster 1 9 3 2 ; BLENDINGER 1 9 8 1 S . 5 1 ; PLATE S . 7 f.; GEORG GAYLORD SIMPSON S . 24—34; zum Pferd als Belagerungsinstrument und zur entsprechenden Deutung des Hölzernen Pferdes zu Athen MCCARTNEY S . 1 7 f.; MIKLOS JANKOVICH, Pferde, Reiter, Völkerstürme, MünchenBasel-Wien s.a.

8

BLENDINGER 1 9 8 1 S. 2 7 weist in seiner naturphilosophischen Betrachtung auf die exponierte Stellung des Pferdes unter allen übrigen Tieren durch sein stark ausgeprägtes Individualwesen im Zusammenleben mit dem Menschen hin. KRETSCHMAR S. 3 5 4 - 3 5 8 . Wohin der Mensch auch zog, sein Pferd begleitete ihn. Der französische Aeronaut Pierre T6stu-Brissy unternahm 1798 den spektakulären Versuch, sein Pferd bei einer Ballonfahrt mitzunehmen, das sich jedoch für ein derartiges Experiment als ungeeignet erwies, da es bereits in niedriger Höhe aus den Nüstern zu bluten begann. JACKSON S. 1 1 0 . Der Primat des Pferdes im zoologischen Reigen erweist sich für das Tier selbst nicht unbedingt von Vorteil, weshalb Erasmus von Rotterdam, Μ Ω Ρ Ι Α Σ Ε Γ Κ Ω Μ Ι Ο Ν , Sive Laus Stultitiae Bd. 2 Kap. 3 4 S. 7 6 - ridendo dicere verum - eher der genialen Einfalt der Bienen huldigt, die, nicht einmal über alle fünf Sinne verfügend, zu unnachahmlichen Leistungen in der Baukunst und der Organisation ihres Staates befähigt sind. Zum Pferd schreibt der Humanist: Rursurn equus quoniam humanis sensibus affinis est, et in hominum contubernium demigravit, humanarum item calamitatum estparticeps. Quippe qui non raro dum vinci pudet in certaminibus ducit ilia, et in bellis dum ambit triumphum, confoditur, simulque cum sessore terram ore momordit. Ut ne commemorem interim lupata frena, aculeata calcaria, stabuli carcerem, scuticas, fustes, uincula, sessorem, breviter omnem illam servitutis tragoediam, cui se ultro addixit, dum fortes uiros imitatus, impensius hostem ulcisci studet. Der enge Bezug des Pferdes zur Welt des Menschen manifestiert sich auch im Sprachgebrauch, wo es als Metapher, in Bildern und in Sprichwörtern direkt und indirekt wiederholt auftaucht. Die Reden Bismarcks, der mit Vorliebe - häufig humoristisch - Bilder von Pferden oder vom Reiten gebrauchte, sind hierfür ein beredtes Beispiel. BLÜMNER S. 5 7 iT.; BRINKMANN S. 3 6 2 .

9

Dem innig-persönlichen Verhältnis zwischen Reiter und Pferd entsprang in hellenistischer und römischer Zeit das Bedürfnis, den animalischen Freund auch nach seinem Tod in Tierepikedien zu verherrlichen. Durch Anyte von Tegea wurde die teils ernst-sentimentale, teils heiter-parodistische Totenklage um Tiere in die Dichtung eingeführt. Elogien und Tierepitaphien gestorbener Renn-, Jagd- und Streitrösser, zumeist aristokratischer Reiter, beweisen die enge Verbundenheit von Mensch und Pferd jener Zeit. Pferdeepikedien und Epitaphien bei HERRLINGER Nr. 1, 1 0 , 3 8 , 45, 51, 52, 53.

Das Pferd und seine epische Funktion

4

auch Akzente gegenseitiger Bindung implizierte, sich manifestierte und dem Tier eine individuelle, über mechanische Hilfsdienste hinausgehende Pflege zuteil werden ließ, um es für das Zusammenwirken mit dem Menscshen gesund und leistungsfähig zu erhalten. Diese Einstellung zum Pferd, die aus der Perspektive des Menschen zwischen der sachlichen Nutzung eines ökonomischen Mittels und einer emotional-personalen Beziehung oszillierte, ließ Roß und Reiter zu einem - nicht nur durch die Alliteration - eng verbundenen Begriffspaar, ja zu einer untrennbaren Gemeinschaft werden, welche Vorstellung in der zentaurischen Einheit der griechischen Sagenwelt gipfelte10, jener mythischen Doppelgestalt, die durch das Zusammenschmelzen von Reiter und Pferd als ein dem üblichen Menschsein biologisch entrücktes und überlegenes Wesen gesehen wurde.11 Die persönliche Anerkennung und Respektierung des Pferdes durch den Menschen, die nur wenigen Tieren zuteil wird, bestätigen die vielfältigen Darstellungen der bildenden Kunst12, die im Pferd eine Inkarnation der Werte des Edlen, des ungebrochenen Stolzes und der Erhabenheit, aber auch der Grazie und Anmut sowie animalischer Vitalität und durch den Reiter gezügelter Dynamik sieht 13 . Dies alles hat seit Jahrtausenden die Künstler zu großartigen

10 Solum enim equum propter hominem lacrimare et doloris affectum sentire. Vnde [et] in Centauris equorum et hominum natura permixta est. Isidor Lib. XII 43; CLAIR 1967 S . 81 IT.; HOWEY 1958 S . 225-235; JÜNGER 1947 S. 227; Zur Darstellung und Bedeutung des Kentauren in der christlichen Kunst FERGUSON 1961 S. 14. Die Darstellung und Funktion der Kentauren bei den Griechen und Römern, in der christlichen Symbolik und als Ebenbild des Übels behandelt CHARBONNEAU-LASSAY 1940 S. 351-356, 358-363 (zum Kentauren als Bogenschützen). 11 Nach der griechischen Sage erfanden die am thessalischen Pelion wohnenden Kentauren das Reiten, d.h. als Einheit von Mensch und Pferd ist ihnen das Reiten von Natur aus eigen. Dabei ist der Oberkörper des Menschen auf verschiedene Weise mit dem R u m p f u n d den Beinen des Pferdes verbunden. FUHRMANN 1 9 2 2 S. 4 8 f.; WIESNER 1 9 7 3 S. 6 5 ; OTTO KELLER 1 9 0 9 (Nachdruck Hildesheim 1 9 6 3 ) Bd. 1 S. 2 5 0 ; CLAUDE LECOUTEUX, Les Monstres dans la L i t e r a t u r e Allemande du Moyen Age. Contribution ä l'fitude du Merveilleux Medieval (GAG 330 I, II, III) Göppingen 1 9 8 2 ; SCHLIEBEN 1 8 6 7 S . 4 4 . Die mythische Vorstellungjener Mensch-Pferd-Verschmelzung findet sich wie in Thessalien auch in Italien und Indien (SCHLIEBEN S. 57, bes. Anm. 276), wo das Pferd ohnehin als Symboltier in höchstem Ansehen stand. Der indische Seelenwanderungsglaube, dessen Wurzeln in alten tote mistischen Vorstellungen zu suchen sind, bewirkte über das vedische Roßopfer, bei welchem der zelebrierende Priester den Schweif des Opferrosses festhalten mußte, um so den Weg zur Himmelswelt finden zu können, eine Heiligsprechung des Pferdes. GONDA S. 1 1 3 ; GÖTZ S. 1 1 9 f.; FINDEISEN S. 6 4 . In Dantes Inferno verhindern die Pferdemenschen, die nur das Recht der Gewalt kennen, daß die im Blutstrom kochenden Seelen diesem zu entsteigen vermögen. Erst auf Vergils Bitten hin darf Dante auf dem Rücken des Kentauren ,Nessus' den Strom der Qualen durchqueren, wobei der Kentaur ihm die Namen der leidenden Seelen nennt. Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie, Inferno 1 2 , 5 5 - 1 3 9 ; NAIS S. 3 , 2 6 4 , 4 8 5 , 5 5 3 , 5 6 7 , 6 0 6 , 6 0 8 . Die symbolische Funktion der Kentauren in der bildenden Kunst untersuchen PAUL MICHEL 1 9 7 9 S. 7 0 , MODE S. 8 0 - 9 8 , SCHADE S . 5 0 f. und BAYET 1 9 5 4 S. 2 1 - 6 8 . Reiches Bildmaterial findet sich hierzu bei DEBIDOUR. 12 Ausgehend von dem Gedanken des inneren Zusammenhangs aller Künste und Wissenchaften und einer prinzipiellen Wechselwirkung zwischen Literatur- und Kunstwissenschaft, sei an dieser Stelle die enge Beziehung zwischen Reiter und Pferd, die am Dichtungstext ausführlich besprochen werden wird, andeutend auch auf dem Gebiet der bildenden Kunst dargelegt. Hierzu HERMAND. 1 3 ALBRECHT SCHÄFFER 1931.

(Hg.), Roß und Reiter. Ihre Darstellung in der plastischen Kunst, Leipzig

Vorbemerkungen

5

Pferdedarstellungen inspiriert.14 Von den beinahe zwanzigtausend Jahre alten altsteinzeitlichen Deckenbildern in den Höhlen Altamiras1 über die zahlreichen 1ß Pferde auf dem antiken Parthenonfries des Phidias und die mittelalterliche 17 ΊΛ Sandsteinplastik des Bamberger Reiters aus dem frühen 13. Jahrhundert bis

14 Das enge Verhältnis von Mensch u n d Pferd von der Frühzeit bis zur Gegenwart zeigen Abbildungen bei KRETSCHMAR, die aus Kunst- und Gebrauchsgegenständen in Anlehnung an literarische Quellen die Zusammenhänge von Exterieurbeurteilung und Leistungsvermögen, von Reiterideal u n d Heldenvorstellung zu eruieren sucht. Eine große Ausstrahlung geht von den vier lebensgroßen Bronzepferden von San Marco aus, jener Quadriga, die, über dem Hauptportal der Basilika wie bei einer Parade im Gleichschritt fußend, den oberen Teil der Fassade beherrscht. Die Pferde von S a n Marco, hg. von Societä Olivetti und den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz Berlin, Berlin West 1982. Monographien über die Darstellung von Reiter und Pferd in den bildenden Künsten finden sich mannigfach. Fantaisie Equestre, hg. von Mus6e cantonal des Beaux-Arts, Lausanne 1 9 8 2 (hier bes. WILLY ROTZLER, Le cheval dans l'art S. 1 7 - 2 1 ) ; J O H N BASKETT, The Horse in Art, London 1 9 8 0 ; WERNHER GORBRACHT, Das Abenteuer Pferd, Bad Homburg 1 9 7 6 ; AUGUSTO AZZAROLI, Π cavallo nella storia antica, Milano 1 9 7 5 ; D. P. WILLOUGHBY, The Empire of Equus, London 1974; Graphische Sammlung Albertina, 230. Ausstellung, Pferd undReiter. Zeichnungen und Druckgraphik aus 5 J a h r h u n d e r t e n , Wien 1 9 7 2 ; HANS WIMMER, Das große Pferd. Bildwerke und Handzeichnungen, Bremen 1 9 6 7 ; WERNER SCHMALENBACH, Adel des Pferdes, Freiburg i.Br. 1 9 6 9 ; D. LIVINGSTONE-LEARMONTH, The Horse in Art, London-New York 1 9 5 8 ; GERTRUD WEISMANTEL, Roß und Reiter. Studie über die Formbestände der Volkskunst (Quellenbücher der Volkskunst 1 ) Berlin 1 9 4 8 ; MAX REINHARD (Hg.), Das Pferd in der Kunst. Erinnerungsband der Ausstellung ,Das Pferd in der Kunst', München 1 9 3 6 ; OTTO GROSSMANN, Das Reiterbild in Malerei u n d Plastik, Berlin 1 9 3 1 ; LUCIEN GUILLOT, Le cheval dans l'art, Paris 1 9 2 7 ; RICHARD SCHÖNBECK, Das Pferd u n d seine Darstellung in der bildenden Kunst vom hippologischen Standpunkt aus, Leipzig 1912. 1 5 VALDERRÄBANO

bes. S . 9 - 8 5 Fig. 9 S . 5 3 ; BREUIL u n d OBERMAIER bes. Lämina V. .caballo al galope'.

16 VIGNERON Tome I I S . 1 Abb. a, S . 35 Abb. a und b (rez. von JOSEPH WIESNER, Gnomon 44, 1972, 91-93); HARALD VON ROQUES DE MAUMONT, Antike Reiterstandbilder, Berlin 1958. Zu den Reiterstandbildern Theoderichs des Großen STAMMLER S . 48 f. 17 Das lebensgroße Reiterstandbild steht in über Mannshöhe an einem Vierungspfeiler des nördlichen Seitenschiffs im Bamberger Dom. JÖRG TRÄGER, Der Bamberger Reiter in neuer Sicht, Zeitschrift für Kunstgeschichte 1 ( 1 9 7 0 ) 1 - 2 0 ; HERBERT VON EINEM, Fragen u m den Bamberger Reiter, FS für THEODOR MÜLLER, München 1 9 6 5 ; WILHELM BÖCK, Der Bamberger Meister, Tübingen 1 9 6 0 ; JOHANN J O S E F MORPER, Die Zügelhaltung des Bamberger Reiters, Fränkische Blätter 2 ( 1 9 5 0 ) 1 f.; OTTO GEORG VON SIMPSON, The Bamberg Rider, The Review of Religion IV, 3 ( 1 9 4 0 ) 2 5 7 - 2 8 1 ; OTTO HARTIG, Der Bamberger Reiter und sein Geheimnis, Bamberg 1 9 3 9 ; SCHÄFER Abb. 11; VOMM Bd. 1 S. 1 8 ; PAUL GIRKON, Das Bild des Tieres im Mittelalter, Studium G e n e r a l e 20/4 (1967) 199-212, h i e r S. 200

18 Das Streben des Menschen richtete sich im Früh- und Hochmittelalter vorwiegend auf die Verehrung Gottes, was Architektur und Bildhauerei widerspiegeln. Durch den Primat religiöser Themen bot sich den Künstlern nur wenig Spielraum f ü r die Darstellung von Pferden. Das kirchliche Mäzenatentum blieb als restriktiver Faktor für die künstlerische Wiedergabe von Pferden in religiösen Werken bis in das 17. J a h r h u n d e r t hinein wirksam. Dies untermauert die Untersuchung von VON BLANKENBURG S . 5 Abb. 9 , S . 6 Abb. 1 2 , die nur verhältnismäßig geringe Vorkommen des Pferdes in der frühmittelalterlichen Tierornamentik nachweisen kann. Besonders eindrücklich erscheint die um 1225 entstandene plastische Gestaltung eines niederbrechenden Pferdes mit stürzendem Reiter an einem Kapitell der Kathedrale von Chartres. CHIARA FRUGONI, .Fortuna Tancredi'. Temi e immagini di polemica antinormanna in Pietro da Eboli, in: Studi su Pietro da Eboli (Istituto storico italiano per il medio evo, Studi storici, fasc. 103-105) R o m 1978, S. 1 4 7 - 1 6 9 .

6

Das Pferd und seine epische Funktion

hin zur Ikonographie der Reiterheiligen wie etwa des Heiligen Georg19 und der Monarchenikonographie der Renaissance und des Barocks2 findet die Wirkung des Pferdes auf den Menschen und seine wachsende Bedeutung für ihn, sein

19 Dies Motiv läßt sich in Darstellungen aus dem 15. Jahrhundert nachweisen. Graphische Sammlung Albertina Kat.-Nr. 69, 70. Namentlich Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci hat die Gestaltung von Reiter und Pferd als künstlerische Aufgabe lebenslang stark bewegt. Dürers Kupferstiche und Holzschnitte zeigen das Pferd in Verbindung mit Heiligen (,Der Heilige Eustachius', ,Der Heilige Georg" 1505/08), zusammen mit ritterlichen Reitern (.Ritter und Landsknecht' 1498, .Ritter, Tod und Teufel' 1513/14) sowie als alleinigen Darstellungsgegenstand (,Das kleine Pferd' 1505, ,Das große Pferd' 1505). Eine unbezweifelbare Wertschätzung dieser Werke kann nur vom künstlerischen Standpunkt erfolgen, denn würde die kritische Sonde einer hippologischen Beurteilung an diese Pferde gelegt, so schienen sie an wesentlichen Stellen zu kränkeln. Leonardo, sich in seinen diversen Pferdestudien an dem antiken ,Regisole' orientierend, konnte seine eigenen Pläne um die plastisch-monumentale Gestaltung dieses Sujets nicht verwirklichen. Seinen künstlerischen Höhepunkt erlangte das italienische Reitermonument der Renaissance in Donatellos .Gattamelata' (1447-53) in Padua und Verrocchios .Bartolomeo Colleoni' (1481-96) in Venedig. MARTIN GOSEBRUCH, Das Reiterdenkmal des Gattamelata, Stuttgart 1958; VOMM S. 20 f.; KNAPPE S. 278 ff.; GROSSMANN S. 62-66, 74-78. 20 Nicht selten wird in Malerei und Plastik das Paradepferd als hohes Roß zum Befehlsstand oder beweglichen Thron einer Herrscherpersönlichkeit funktionalisiert. ULRICH KELLER S. 2 ff. Was für Reiter und Pferd im engeren Sinne gilt, kann in einem umfassenderen Sinn für Herrscher und Untergebene gelten. Wie der Reiter den Kräften des Pferdes gebietet, so lenkt der Potentat die Energien seiner Untertanen, wobei ein korrelatives Abhängigkeitsverhältnis zwischen Machthaber und Untertan besteht: Besitzt der Reiter (Herrscher) einen umsichtigen Willen, kann er die ihm gefügigen Kräfte mit Erfolg zum erstrebten Ziel führen. Verfügt er jedoch nicht über diese Fähigkeiten, läßt er vielmehr die Zügel durchhängen, dann läßt sich das vorhandene Kräftepotential nicht regulieren, gerät es außer Kontrolle und macht es sich mitunter selbständig. In allegorischer Ausdeutung bestätigt diese Sichtweise der,Prosa-Lancelot' expressis verbis: (1122, 5-8) Das roß da der ritter off siezt das mußyn tragen wo er hien wille. Das bezeichent das volck. Als glich als er das roß füret war er will, also glich mäßen sie yn tragen undmuß er sie leyten war er wil zu allen nöten, umb das er sie beschirmen muß, und sie müßten im gewinnen alles das er bedarff. Wegen der Kommensurabilität der Reitkunst mit der Kunst des Regierens liegt die Vermutung nahe, daß der in der Kunst - insbesondere im Reiterdenkmal - Verewigte deshalb zu Pferd dargestellt worden ist, weil er - wie ein guter Reiter - die ihm anvertrauten Kräfte mit sicherer Hand geführt hat. Als Beispiel hierfür mag das Reiterbildnis Kaiser Karls V. in der Schlacht zu Mühlberg von Tizian gelten. SCHMALENBACH S . 89. Mit barockem Freiheitspathos konzipiert ist die Darstellung des Infanten Don Balthasar Carlos von Diego Veläsquez. SCHMALENBACH S. 91. Entsprechend der in der barocken Literatur gefeierten magnanimitas ist das Pferd hier nicht mehr dem Menschen unterworfen - so wie beispielsweise das Roß des Bamberger Reiters noch gänzlich dem staufischen Ritter untergeordnet ist - , es ist vielmehr die repräsentative Seite des Helden, die in der Reiter-Pferd-Harmonie zu einer Einheit verwächst. LÜTZELER S. 123.

Vorbemerkungen

Avancement zum Machtsymbol für weltliches 23

21

7

und geistliches

22

Herrschertum,

seinen künstlerischen Ausdruck. Nicht nur in der bildenden Kunst, auch im Bereich des Geistes hat das Pferd die menschliche Kreativität zu bedeutenden Werken entbunden. Seit der Antike haben auch die Dichter des Pferdes sich liebevoll angenommen . Piaton 25 fand

21 Daß Pferde nicht nur Kriegs- sondern auch Repräsentationsaufgaben zu erfüllen haben, machte bereits Xenophon in den ,Hippika' deutlich, indem er ausführlich darlegt, wie ein Pferd trainiert werden müsse, damit es bei offiziellen Anlässen wirkungsvoll zu Ruhm und Ehre seines Reiters beitragen könne. Xenophon Kap. 11; CORTI S. 14; LEGG S. 58. 22

S. 5-30, hat sich eingehend mit dem potentiellen Insigniencharakter des Pferdes im abendländischen Königtum und im päpstlichen Zeremoniell beschäftigt und konnte dabei nachweisen, daß das Pferd im Rahmen der Prozession des byzantinischen Zeremoniells zum kaiserlichen specificum wurde, wodurch sein Reiter sich von den übrigen Teilnehmern exponierte (ebd. S. 10).

TRÄGER

23 Der Grundstein, als Art und Individuum durchaus eigenständiger Gegenstand der Kunst zu werden, wurde dem Pferd mit den monumentalen Pferdeskulpturen des Barocks gelegt. VOMM S. 482 Anm. 17. Arbeiten von Kandinsky, Chagall, Picasso, Marini und Magritte beweisen die Attraktivität des Pferdes für die darstellende Kunst der Moderne. SCHMALENBACH S . 129-144. 24 SAUVAGE, bes. Premifere partie, S. 9-99, bespricht die literarische Pferdedarstellung anhand zahlreicher lateinischer Quellen. Den epochalen Eigenarten und der Intention des jeweiligen Autors entsprechend, wäre es lohnend, die Motivgeschichte des Pferdes in der Literatur von der Antike bis zur Moderne zu studieren. Dies reizvolle Unternehmen kann hier nur chronologisch selektiv, ohne auf literarische Verbindungen und Parallelen eingehen zu können, angedeutet werden. Als einer der letzten echten Nachfahren des reitenden Rittertums bricht bei Cervantes Don Quijote, der die Liebeshändel zwischen Don Lanzarote vom See und der Königin Ginevra so gut kennt, auf seinem mageren Klepper ,Rocinante', dem von ihm ebenso untrennbaren wie Sancho Pansa, auf, um - seinem Pferd stets freie Zügel gewährend - als Beschützer der Armen, Witwen und Waisen jegliches Unrecht aus der Welt zu schaffen. Miguel De Cervantes Saavedra, Der geniale Hidalgo Don Quijote von derMancha, Bd. 1 S. 110. Der für Don Quijote, wie für jeden Menschen, unverwirklicht bleibende Wunsch nach Vollkommenheit wird in dem vierteiligen utopisch-satirischen Reiseroman von Jonathan Swift, Travels into several remote nations of the world, im vierten Buch durch die Pferderepublik der Houyhnhnms, die als perfekte Inkarnation umsichtiger Lebensweise in stoischer Selbstzufriedenheit existiert, repräsentiert. Mit Pferden unterschiedlicher Couleur - darunter nicht wenig grillenhafte Steckenpferde - wird der Leser in Laurence Sternes .Tristram Shandy' konfrontiert. Zur metaphorischen Darstellung des Dichters und seiner Kunst bemüht der Autor ein ganzes Kapitel lang die Reiterei. Näheres hierzu bei OHLY, Die Pferde im .Parzival' Wolframs von Eschenbach, Spoleto 1985 S. 850 bes. Anm. 1; Jean Paul, Flegeljahre, Bd. 4 S. 646-654, bemerkt in seinem ,Reiterstück' - wie es sich zeigt zu Recht - , daß über den Ritt und Gaul (. . .) von der Welt schon viel gesprochen (wurde), und so ist es nur recht und billig, daß auch Jean Paul in dem ihm eigenen angenehm-heiteren Unterton ein erstes Tierstück von Belang mit dem Auibruch Walts, dieses ewigen Fußgängers, auf dem durchgerittenen Rücken eines erbarmungswürdigen, verschimmelten Schimmels, der das Leben und den Menschen zu lange getragen hat, mit teilweise ironisch gespitzter Feder in Szene setzt. Adalbert Stifter, der mit mittelalterlicher Literatur, insbesondere mit dem ,Parzival' Vertraute, gibt im ,Witiko' dem Thema Held und Pferd noch einmal eine große Renaissance. Das Elend der im Bergwerk arbeitenden Menschen und Pferde anklagend, beschreibt fimile Zola, Germinal, S. 692 ff. in episch breiter, protokollarischer Sachlichkeit den grausamen Tod des Grubenpferdes .Bataille'. Ebenfalls dem Untergang geweiht ist Deichgraf Hauke Haien, der als gespenstischer Schimmelreiter zum Titelhelden der Stormschen Erzählung avancierend, am Novellenende mitsamt seinem schicksalsträchtigen Schimmel von den brausenden Fluten verschlungen wird.

8

Das Pferd und seine epische Funktion

im ,Phaidros' in einer eigentümlichen Pferd-Mensch-Assoziation eine Deutung des menschlichen Wesens, in dem die natürlichen Kräfte durch die Macht des Willens von den geistigen gezügelt werden. Diese Form der ideellen Widerspiegelung objektiver Realität hat im Wagenlenker, der das Temperament seiner beiden Rosse, M u t und Sinnlichkeit, durch den Zügel der Vernunft beherrscht 26 ,

Nicht minder apokalyptisch eilt Kafkas Landarzt mit irdischem Wagen und unirdischen Pferden zu einem Patienten, dessen Wunde er nicht zu heilen vermag. Franz Kafka, Der Landarzt..., Bd. 8 S. 146-153; hierzu FINGERHUT S. 122 f. Ähnlich wie Zola im .Germinal' soziale Mißstände schonungslos aufdeckt, prangert Erich Maria Remarque, Im Westen nichts Neues, S. 71 ff. mit seiner Schilderung der auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges grausam verendenden Pferde die Brutalität und den Wahnsinn des Krieges nachhaltig an. Am Beispiel der Sorgen und Nöte des heranwachsenden Jody Tiflin um die eigenen und ihm anvertrauten Pferde veranschaulicht John Steinbeck in der Titelgeschichte seines Erzählwerkes, ,The red pony1, den schwierigen Individuationsprozeß eines sensiblen Kindes; hierzu ALLEN S. 123-128. Als idealer Zögling dagegen erscheint Thomas Manns Gregor, der die ihm angeborene Reitkunst auf dem Hengst ,Sturmi' ausübt, dessen detaillierte descriptio ganz das Schnittmuster mittelalterlicher Pferdebeschreibung aufweist. Thomas Mann, Der Erwählte, Bd. 7 S. 9-260, hier S. 136. Assoziativ den sprechenden Pferdekopf .Falladas' aus dem Grimmschen Märchen von der Gänsemagd ins Gedächtnis rufend, ragt in Max Frischs, Mein Name sei Gantenbein, S. 11 ein Pferdekopf aus der Wand von Gantenbeins Krankenzimmer; hierzu GOCKEL S. 66 f. Auch Bertold Brecht erinnert sich in seinem Gedicht ,0 Falladah, die du hangest!', Gesammelte Werke 8, S. 61 f., des symbolischen Gehaltes dieses sprechenden Pferdekopfes, und wie der prophetische Fallada sucht der Dichter, die Menschen mit seinen Worten von der Wahrheit zu überzeugen. FRANCO FORTINI, Das sprechende Pferd (dt. von HANS MAGNUS ENZENSBERGER) Kursbuch 4 (1966) 90-93. Schließlich durchzieht Martin Walsers fliehendes Pferd - in Szene gesetzt - eine nach ihm benannte Novelle. 25 Hellenistischer Tradition verpflichtet, in der Eigenschaften der Tiere zu menschlichen Neigungen in Bezug gesetzt werden, charakterisiert Piaton, selbst wenn er eine Trennung zwischen Mensch und Tier betont, den Menschen. DIERAUER S. 67 ff.; AUGUST NITSCHKE, Verhalten und Bewegung der Tiere nach frühen christlichen Lehren, Studium Generale 20/4 (1967) 235-262, hier S. 235. 26 Piaton, Phaidros, Kap. 34, 35. Alan von Lille läßt im ,Anticlaudianus' (IV 83-244; V 40-S2) fünf Pferde, die fünf Sinne symbolisierend, von der Vernunft als Wagenlenkerin zur großen Himmelsreise anspannen. Wagen und Lenkerin wurden mit Illustrierung dieses Werkes ins Bild gebracht. CHRISTEL MEIER, Die Rezeption des Anticlaudianus Alans von Lille in Textkommentierung und Illustration, in: CHRISTEL MEIER - UWE RUBERG (Hgg.), Text und Bild. Aspekte des Zusammenwirkens zweier Künste in Mittelalter und früher Neuzeit, Wiesbaden 1980 S. 408-549, Abb. 10-15, 17, 26-29, 41,47, 48, 50, 51, Farbtafel II; hierzu jetzt auch SCHLEUSENER-EICHHOLZ Bd. 1 S. 210 ff; OHLY 1985 S. 853 Anm. 8 und 9. Gut zweitausend Jahre nach Plato vergleicht Gottfried Keller im ,Grünen Heinrich' Bd. 4 S. 584 f. allegorisierend die Schulung des freien Willens mit der Ausbildung von Reiter und Pferd in der Manege, worüber er Heinrich wie folgt philosophieren läßt: „Diesen Prozeß", sagte er sich, „kann man am füglichsten mit einer Reitbahn vergleichen. Der Boden derselben ist das Leben dieser Welt, über welches es gilt hinwegzukommen aufgute Manier, und kann zugleich den festen derben Grund aller Materie vorstellen. Das wohlgeartete und geschulte Pferd ist das besondere, immer noch materielle Organ, der Reiter darauf der gute menschliche Wille, welcher jenes zu beherrschen und zum freien Willen zu werden trachtet, um auf edlere Weise über jenen derben Grund wegzukommen; der Stallmeister endlich mit seinen hohen Stiefeln und seiner Peitsche ist das moralische Gesetz, das aber einzig und allein auf die Natur und Eigenschaften des Pferdes gegründet ist und ohne dies gar nicht vorhanden wäre, nicht gedacht werden könnte', wie die Juden sagen. Das Pferd aber würde ein Unding sein, wenn nicht der Boden da wäre, auf welchem es traben kann, so daß also sämtliche Glieder dieses Kreises durcheinander bedingt sind und keines sein Dasein ohne das andere hat, ausgenommen den Boden der stummen und blinden Materie, welcher daliegt, ob jemand über ihn hinreite oder nicht. Nichtsdestoweniger gibt es gute und schlechte Reitschüler, und zwar nicht allein nach der

Vorbemerkungen

9

gültige Gestalt angenommen, was die enge Verbindung zwischen Mensch und Pferd literatisch festigte. Klangvolle Namen prominenter Pferde trugen mit dazu bei, eine Brücke zwischen der Geisteswelt der Antike und dem 20. Jahrhundert 97

zu schlagen, über die ihre Lebensgeschichte und ihre außergewöhnlichen Taten in die Geistigkeit unserer Tage strömen und hier ihren Platz beanspruchen. Die Sentenz nomen est omen bestätigend, hallt das Timbre ihrer Namen - wie später das der bekanntesten Ritterrosse OQ aus der mittelalterlichen Dichtung - durch die Jahrhunderte nach: .Pegasus' , das herrlich geflügelte Roß, das in hellenisti-

körperlichen Befähigung, sondern auch, und zwar vorzüglich, infolge des freien entschlossenen Zusammennehmens. Den Beweis dafür liefert das erste beste Reiterregiment, das uns über den Weg reitet. Die tausend Mann Gemeine, welche keine Wahl hatten, mehr oder weniger aufmerksam zu lernen, sondern durch eine eiserne Disziplin in den Sattel gewöhnt wurden, sind alle gleich zuverlässige und brave Reiter, keiner zeichnet sich besonders aus, keiner bleibt zurück, und um das Bild vollständig zu machen, kommen ihnen die zusammengedrängten und in die Reihe gewöhnten Pferde auf halbem Wege entgegen, und was der Reiter versäumen sollte, tut unfehlbar sein Organ, das Pferd, von selbst. Erst wo dieser Zwang und Schlendrian, oder das bitter Notwendige der Masse aufhört und wo die Freiheit beginnt, beim hochlöblichen Offiziercorps, gibt es sogenannte gute Reiter, schlechte Reiter und vorzügliche Reiter; denn diese haben es in ihrer Gewalt, über das geforderte Maß hinaus mehr oder weniger zu leisten. Das Ausgezeichnete, Kühne, was der Gemeine erst im Drange der Schlacht, in unausweichlicher Gefahr und Not unwillkürlich und unbewußt tut, die großen Sätze und Sprünge, übt der Offizier alle Tage zu seinem Vergnügen, aus freiem Willen und gewissermaßen theoretisch; doch fern sei es von ihm, daß er deswegen allmächtig sei und nicht trotz allem Mut und aller seiner Kunst von einem erschreckten Pferde einmal abgeworfen oder von seinem allzu überlegenen Tiere bewogen werden könne, durch ein anderes Sträßlein zu reiten, als er eigentlich gewollt hat. Ob nun ein gutes Reiterregiment denkbar wäre, das aus lauter Offizieren bestände, das heißt aus Leuten, welche ihren freien Willen zur Grundlage ihrer Tüchtigkeit machten, und in betracht, daß Bürgerwehrkavallerie, wo dies der Fall ist, nicht viel taugt, dies zu beantworten, gehört nicht hierher, da jedes Gleichnis hinkt, welches man über seine Bestimmung hinaus verfolgt." 27

Als einzige Spezies hat es das Pferd zu mythischen Genealogien gebracht. 1 7 4 ff.

BUCHHOLZ

Bd.

1, 2,

S.

28 Der Mythos berichtet, daß das Pferd an den Quellen des Okeanos geboren wurde und mit seinen Hufen auf den Höhen des Helikon den Musenquell aus dem steinernen Boden schlug. So schnell stürmte das Roß über das Land, daß es zu fliegen schien, weshalb ihm der Mythos Flügel verlieh. Als Musen- und Dichterroß vermag es den Menschen kraft seiner Flügel allen Hemmnissen zu entziehen und aus dem irdischen Verhaftetsein in die strahlenden Höhen des Geistes zu entführen. CLAIR S. 7 1 f.; CORTI S. 1 3 f.; ROSCHER Bd. 3 , 2 . Teil, Sp. 1 7 2 7 - 1 7 3 7 ; SCHLIEBEN S . 4 3 fT.; Bildkünstlerische Darstellungen des .Pegasus'bei CHARBONNEAU-LASSAY S. 3 3 1 - 3 3 4 . Bei Heinrich Heine, Buch der Lieder XI (Die Minnesänger), Bd. 1 S. 56 ist die Vorstellung vom Musenroß als des Dichters Inspirator lebendig geblieben: Phantasie, die schäumend wilde, Ist des Minnesängers Pferd, Und die Kunst dient ihm zum Schilde, Und das Wort, das ist sein Schwert. Einen Überblick über das Pferd in der Metapher der Antike bietet VIKTOR POSCHL, Bibliographie zur antiken Bildersprache, bearb. von HELGA GARTNEK - WALTRAUT HEYKE, Heidelberg 1964. Fliegende, dem .Pegasus' ähnliche Pferde begegnen in Märchen und Legenden wiederholt. In der islamischen Legende um Mohammeds Jenseitsreise reitet der Prophet auf .Burak' gen Himmel bis vor den Thron Gottes. MARIE-ROSE SFIGUY, Muhammeds wunderbare Reise durch Himmel und Hölle, München 1977. Das im Mittelpunkt der Geschichte der 357. Nacht stehende Pferd aus dem Zyklus der 1001-Nacht-Erzählungen ist nicht aus Fleisch und Blut, sondern künstlich aus Ebenholz und Elfenbein gefertigt. Dank eines Mechanismus vermag es sich wie ein Vogel in die Lüfte zu erheben und seinem Besitzer die Dame des Herzens wunschgemäß zuzuführen. Die Erzählungen aus den tausendundein Nächten. Vollständige deutsche Ausgabe in sechs Bänden zum ersten Mal nach dem arabischen Urtext der Calcuttaer Ausgabe aus dem Jahre 1830,

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Das Pferd und seine epische Funktion

scher Zeit als Musenroß zu einer Allegorie für die Dichtung wurde, und ,Areion' , das göttliche Schlachtroß, das, von Poseidon gezeugt, seinem Herrn das Leben • · rettet, sowie ,Aethon' 30 , das Streitroß des Pallas mit der Trauer um seinen toten Herrn. Pferde, die ihren Reitern den nahe bevorstehenden Tod prophezeien, sind 09

οι

qo

seit Homer bekannt und gelangten wie ,Bucephalos' , das bekannte Streitroß Alexanders des Großen, welches keinen anderen Reiter auf sich duldete als seinen Herrn, zu legendärem Ruhm.

übertragen von ENNO LITTMANN, Wiesbaden 1953, Bd. 3 S. 350-385. Geflügelte Pferde beleben auch die Legendendichtung Zentralasiens. HEISSIG 1983 S. 463 ff. Näheres hierzu bei OHLY 1985 S . 9 0 7 Anm. 9 5 . 2 9 ROSCHER ( H g . ) B d . 1 S p . 4 7 5 f.; KHOLL ( H g . ) 1 8 9 6 B d . 2 S p . 6 2 1 f.

30 Vergil, Aeneis XI89 f. 31 Als Achilleus sich vor Troja zum Kampf rüstet, um den Tod seines Waffengefährten Patroklos zu rächen, da kommt es zwischen ihm und seinem unsterblichen Roß ,Xanthos' zu einem bedeutungsschweren Zwiegespräch - dem ersten in der Literatur - , in dem das Pferd, aufgrund seiner divinatorischen Fähigkeiten, Achilleus den Tod weissagt. Homer, Ilias XIX 404—417; JAKOB GRIMM, Deutsche Mythologie, Wien-Leipzig 1943 S. 234; BUFFIERE S. 115, 502; DELEBECQUE Paris 1951. Sprechende Pferde lassen sich auch im kirghisischen Heldenepos nachweisen, wenngleich Homer in der Darstellung dieser Sonderheit unerreicht bleibt. „Daß Pferde reden, ist ein Gemeinplatz der Epik. Es kommt auf die Geschicklichkeit an, mit der ein Sänger sich dieses Erzählmittels bedient. Wie so oft, muß man auch in dieser Beziehung dem ,Ilias'-Dichter den Vorrang geben." HATTO S. 179-201, hier S. 186. In der Legende von St. Kolumkille weint der Schimmel beim Anblick seines sterbenden Herrn, BERNHART S. 92-95. 32 ANDERSON, Bucephalas and his Legend, American Journal of Philology 51 (1930, Nachdruck Amsterdam 1965) 1-21; CHARBONNEAU-LASSAY S. 217 f. Der Name des Pferdes taucht im Zusammenhang mit seiner Beschreibung in Naturgeschichten wiederholt auf. Plinius, Naturkunde, Buch VIII, 154. Hierzu DENT S. 84-92; Ps.-Hugonis de S. Victore, Debestiis et aliis rebus, Migne Patrologia Latina, Bd. 177, 91; Vincentius Bellovalensis, Speculum naturale, 1352 f.; Wolfgang Franzius, Animalium historica sacra, 81; CLAIR S. 74. Auch die Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts schenkt dem außergewöhnlichen Pferd Beachtung. Das älteste deutsche Alexander·Werk, das des Pfaffen Lamprecht, schildert ausführlich die erste Begegnung zwischen dem sich bislang ungestüm gebärdenden .Büciväl' und Alexander, seinem zukünftigen Herrn und einzigen Reiter, dem es sich mit einer Kommendationsgebärde unterwirft (358-377): Dd der h&rre [d.i. Alexander] diz vernam schiere er zd deme rosse quam, dd sin daz ros wart gware unde er iz begunde anestare, iz vergaz allir slner macht unde woldime wesen dienisthaft; iz kn&te fur in dar nider unde ne unsitete niwit sider; ime worden stne geMre, alsiz des kindes vil wol gewone wire. Er begundiz streichen, daz nieman geweichen ne mohte neheine wis, wander wasvilwts. er ne legete zoum noh seil dar ane, er begreif iz in sine manen. ellenhaft was stn gedanc, üf den rucke er ime spranc, üz dem marstalle er iz reit; daz was ein michil baltheit. In dem beinahe ein Jahrhundert späteren .Alexander' Rudolfs von Ems, 2103-2124, trägt .Büzeväl' das Haupt eines Urochsen als Brandzeichen an seiner Schulter. Aus mythischer Verbindung von Pferd und Greifen abstammend, trägt es ein Horn auf der Stirn, verschlingt Menschen wie Heu und ist stärker als Löwe und Elefant. Kafka erinnert sich des traditionsreichen Namens und zollt ihm in der kleinen Erzählung ,Der neue Advokat', Gesammelte Werke, Bd. 8, S. 145 f., seinen dichterischen Tribut. Freilich erinnert Advokat Dr. Bucephalus in seinem Äußeren wenig an die Zeit, da er noch Streitroß Alexanders von Mazedonien war, vielmehr beschränkt er sich d a r a u f fern dem Getöse der Alexanderschlacht - , in alten Büchern zu blättern.

Vorbemerkungen

11

Wie das Pferd in der Antike eine große Rolle spielte, so auch im Kult und in qq den Göttersagen der Germanen. Im germanischen Altertum erschienen in der

33 Davon zeugen die althochdeutschen Zaubersprüche und Segensformeln, mit deren Hilfe man kranke und lahme Pferde zu heilen hoffte. Der Zweite Merseburger Zauberspruch, in: Althochdeutsches Lesebuch, S. 89, stammt aus dem 10. Jahrhundert. Ein Pferd leidet an einer Beinverrenkung, die durch Beschwörung geheilt werden soll. In drei Anläufen versuchen sich drei Götter in ihren Besprechungskünsten, zuletzt und mit Erfolg Wodan: Phol ende uuodan uuorun zi holza. du uuart demo balderes uolon sin uuoz birenktt thu biguol en sinthgunt, sunna era suister; thu biguol en friia, uolla era suister; thu biguol en uuodan, so he uuola conda: sose benrenki, sose bluotrenki, sose lidirenki: ben zi bena, bluot zi bluoda, lid zi geliden, sose gelimida sin. Zur bildlichen Wiedergabe des in der Zauberformel episch berichteten mythischen Präzedenzfalls auf Brakteaten KARL HAUCK, Text und Bild in einer oralen Kultur. Antworten auf die zeugniskritische Frage nach der Erreichbarkeit mündlicher Uberlieferung im frühen Mittelalter (Zur Ikonologie der Goldbrakteaten, XXV), in: FMST 17, Berlin-New York 1983 S. 510-599, hier S. 519 ff. HAUCK weist nach, daß Formen der Heilbehandlung bereits im Brakteatenhorizont nachzuweisen sind, woraus geschlossen werden darf, daß manche Sprüche wohl älter sind, als die erste, zufällig erhaltene Aufzeichnung es glauben machen will (ebd. S. 521 f.). Lahmheiten, durch welche die Pferde für die alltäglichen Arbeiten ausfielen, wurden besonders häufig besprochen. Diese Sprüche sind zumeist zweigliedrig und arbeiten mit den Mitteln des Analogiezaubers. Im ersten Teil ist eine mythische Begebenheit wiedergegeben, die dann im zweiten Teil auf den gegenwärtigen Fall appliziert wird, wie folgendes Beispiel zeigt (Althochdeutsches LesebuchS. 91): Ad equum errehet. Man gieng after wege, zoh sin ros in handon; do begagenda imo min trohtin mit sinero arngrihte. ,wes, man, gestu? zu neridestu V „waz mag ih riten? min ros ist errehet." ,Nu ziuhez da bi fiere, tu rune imo in daz ora, drit ez an den cesewen fuoz: so wirt imo des erreheten buoz.' Pater noster, et terge crura eius et pedes, dicens: ,also sciero werde disemo - cuiuscumque coloris sit, rot, suarz, blanc, ualo, grisel, feh — rosse des erreheten buoz, samo demo got da selbo buozta.' Durch das bei einigen Zaubersprüchen am Schluß zugefügte ,Amen' erhalten die magischen Worte ebenso wie durch die Aufnahme biblischer Namen ein christliches Gewand, so daß man WEHRLI 1980 S. 25 folgen und in diesen Fällen rücksichtsvoller von Segen als von Zauberformeln sprechen

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Das Pferd und seine epische

Funktion

Götterlehre fast alle Asen beritten.34 Die Pferde selbst erhielten göttliche Funk-

wird. Ein Trierer Spruch, Althochdeutsches Lesebuch, S. 92, aus dem 9. J a h r h u n d e r t eröffnet mit Christus und Sankt Stephan das Geschehen, in dem Christus zugleich als Ritter und Heilender fungiert. Die heilende Wirkung, die sich in dem erzählten Fall eingestellt hat, wird im sich anschließenden Segensspruch neu beschworen: Incantacio contra equorum egritudinem quam nos dicimus spurihalz. Quam Krist endi sancte Stephan zi ther bürg zi Saloniun; thar uuarth sancte Stephanes hros entphangan. Soso Krist gibuozta themo sancte Stephanes hrosse thaz entphangana, so gibuozi ihc it mid Kristes fullesti thessemo hrosse. Paternoster. Uuala Krist thu geuuertho gibuozian thuruch thinagnatha thessemo hrosse thaz antphangana atha thaz spurialza, sose thu themo sancte Stephanes hrosse gibuoztos zi thero bürg Saloniun Amen. Ein ebenfalls aus dem 9. Jahrhundert stammender eingliedriger Wurmsegen, Althochdeutsches Lesebuch S. 90, gibt sich durch die Begriffe tulli und strala, welche die Hornsohle und den Strahl des Hufes bezeichnen, als Pferdeheilspruch zu erkennen. Zu den ältesten Pferdesegen und Merksprüchen Eis, Altdeutsche Zaubersprüche, 1964 S. 7-57; DERS., Forschungen zur Fachprosa, 1971 S. 318-328; DERS., Der älteste deutsche Zauberspruch, Forschungen und Fortschritte 30 (1956) 105-111; DERS., Ein Merkspruch von den Kennzeichen eines guten Pferdes, in: Mölanges de Linguistique et de Philologie, FERNAND Mossfi in memoriam, Paris 1959 S. 129-139. 34 In der indogermanischen Altertumsforschung hat das Pferd eine zentrale Bedeutung. BRANDENSTEIN, Das Pferd - eine Hauptfrage der indogermanischen Altertumskunde, Mitteilungen der A n t h r o p o l o g i s c h e n G e s e l l s c h a f t z u W i e n 9 2 ( 1 9 6 2 ) 3 0 - 3 4 ; SEGELCKE 1 9 6 9 S . 5 0 ; GRIMM 1 9 4 3 S .

202 f., 370. Neben der Auswertung literarischer Zeugnisse hat sich dank der Brakteatenforschung von KARL HAUCK ein zweiter Uberlieferungszweig eröffnet, der es erlaubt, tiefer in die Sagenwelt der tradition orale einzutauchen und einen Einblick in wesentliche Bereiche der Gedanken- und Glaubenswelt von ca. einem Dreivierteljahrtausend vor Snorri Sturluson und dem Edda-Codex eröffnet. „Für die Göttersage eröffnen diese Möglichkeit vor allem jene formelhaften goldenen seegermanischen Amulettbilder, die bis vor kurzem noch ganz unentschlüsselt waren." KARL HAUCK, Zur Ikonologie der Goldbrakteaten VII: Kontext-Ikonographie. Die methodische Entzifferung der formelhaften goldenen Amulettbilder aus der Völkerwanderungszeit, Verbum et S i g n u m , F S f ü r FRIEDRICH OHLY Bd. 2 1 9 7 5 S. 2 5 - 6 9 , h i e r S. 25. G r u n d l e g e n d e s zu den B r a k t e a t e n ,

HAUCK, Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Berlin-New York 1978 Bd. 3 S. 337-361, zur Brakteatenikonologie ebd. S. 361-401, zur Metaphorik der Pferdebilder bes. S. 383-389. Unter den drei wichtigsten Hauptgruppen der Amulette, die nach Typen gegliedert sind, weisen insbesondere die C-Brakteaten auf den wesentlichen Stellenwert des Pferdes im archaischen Gedankengut hin. HAUCK, Zur Ikonologie der Goldbrakteaten VII S. 26, 41, vgl. Abb. 1, 2, 3, 9, 10, I I a u. b, 14, 16, 17, 18, 19, 20. Entgegen der seit langer Zeit herrschenden Lehre, daß es sich beim Typus der C-Brakteaten um Entartungen von Reiterbildern handle, werden die Pferde der Reitergötter Odin-Wodan und Balder-Frey durch den Bildkontext und die Serienbestimmungen identifizierbar. Hauck hat hierein neues Motiv erkannt: Wodan-Odin tritt auf den Amulettbildern weniger als Kriegsgott, als vielmehr als göttlicher Arzt u n d Schamane auf, was u.a. zu einem neuen Verständnis des zweiten Merseburger Spruchs führte. KARL HAUCK, Goldbrakteaten aus Sievern. Spätantike Amulett-Bilder der ,Dania-Saxonica' und die Sachsen-,Origo' bei Widukind von Corvey (MMS 1) München 1970 S. 176 ff., 188-193, siehe Fig. 14 f., 1 u. 2,15a, b, c, d, e; Abb. 31a, 32,2, 31b, 32,1, 34a, 1,34a, 2,34b, 1,34b, 2,34c, 1,34c, 2,34d, l,34d, 2,34e, l,34e, 2,34f, l,34f, 2,34g, 1,34g, 2,35a, b (1 u. 2), 35c, 1 u. 2, 35d, 1 u. 2, 80, 82, 85, 1, 86, 87, 93, 96, 97, 98, 99, 100a, b , c, 1 0 1 , 117 ( r e z . v o n OTTO HÖFLER, B r a k t e a t e n a l s G e s c h i c h t s q u e l l e . Z u KARL HAUCKS . G o l d -

brakteaten aus Sievern' ZfdA 101, 1972, 161-186). In einigen Typen der B-Brakteaten wird ebenfalls deutlich ein gestürztes Pferd abgebildet. HAUCK, Goldbrakteaten aus Sievern, Lellinge-B (Abb. 30a), Schonen-B (Abb. 30b)undRalfunde-B (Abb. 30c), ebenso Obermüllern-B (Abb. 22,1-5), S. 162-165. Den HAUCKschen Gedanken, schamanistische Heilungsvorgänge für das Entstehen

Vorbemerkungen

13 QC

tion, wie an der Identität des windschnellen, achtfüßigen ,Sleipnir' , einer Kombination von Sturmund Totenroß, und Wodan, dem Herrn und Führer der OG Toten deutlich wird . Ausgehend von der Vorstellung, den Weg nach Walhall nur zu Pferd zurücklegen zu können - ob nun auf dem sagenhaften .Sleipnir' oder auf dem eigenen Roß - , gab man den Kriegern bei der Bestattung mit den Waffen auch das Pferd mit: sua cuique arma, quorundam igni et equus adicitur.37 Die Germanen machten ihre Entscheidungen und Handlungen von Pferdeorakeln abhängig. Auf Kosten der Allgemeinheit wurden in Hainen Schimmel gehalten, die durch keinen Dienst für Sterbliche entweiht waren . Das Volk schenkte in entscheidenden Fragen diesem nach seinem Glauben untrüglichen Orakel sein Vertrauen, und die Priester als die Diener der Götter hielten die Pferde für deren Vertraute . - Das weiße Pferd als Wappen Niedersachsens und die hölzernen OQ

OQ

der Amulette verantwortlich zu machen, aufgreifend, verfolgt HÖFLER das Motiv des zerstückelten Pferdes und gelangt dabei in Zusammenhang mit dem hobby-horse spekulativ in den Bereich des Kult-Spiels; HÖFLER ebd. S. 1 7 6 ff. Inzwischen sind zahlreiche weitere Arbeiten von KARL HAUCK zur ,Ikonologie der Goldbrakteaten' in den FMST, dem Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster, erschienen. Bd. 17 1983 S. 510 f. Anm. 1 bietet einen bibliographischen Nachweis der bisher erschienenen umfangreichen Studien. Im Druck das Brakteatenkorpus MMS 2 4 , 1 - 3 . Vgl. auch HAUCK, Gott als Arzt. Eine exemplarische Skizze mit Text- und Bildzeugnissen aus drei verschiedenen Religionen zu Phänomenen und Gebärden der Heilung, in: MEIER - RUBERG (Hgg.) 1 9 8 0 S. 1 9 - 6 2 . Hierzu auch EGIL BAKKA, Goldbrakteaten in norwegischen Grabfunden: Datierungsfragen (FMST 7), Berlin-New York 1973 S. 52-87. Durch die Auswertung der Amulettbilder konnten differenziertes Wissen über die Zauberhandlung gewonnen und philologische Ergebnisse erhärtet und erweitert werden. 35 Höchste Verehrung genoß Wodans grauer Hengst, der zum Sinnbild der Allgegenwart Gottes, aber auch zum Symbol des Todes wurde, der die Menschen so rasch überfällt wie nur das schnellste einherstürmende Roß. SCHEIBELREITER S. 4 6 ; CLAIR S . 7 5 ; BLANKENBURG S . 1 2 3 ; GRIMM S. 1 2 1 ; WIESNER 1 9 7 1 S. 6 1 f.; CORTI S. 2 4 ; JOHANNES HOOPS (Hg.), Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Straßburg 1 9 1 8 - 1 9 , Bd. 4 , S. 1 9 5 ; ELARD HUGO MEYER, Mythologie der Germanen, Straßburg 1903, S. 278, 371, 398. Auffallend ist, daß ,Sleipnir' sich auf den Brakteaten nicht nachweisen läßt, was in seinem späteren Auftauchen-seit dem 8. J a h r h u n d e r t - b e g r ü n d e t liegt. HAUCK, Zur Ikonologie der Goldbrakteaten, 1 9 7 5 S. 3 0 f. 3 6 BÄCHTOLD-STÄUBLI

(Hg.), Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Leipzig

1927-1942

Bd.

6 S p . 1 6 0 9 - 1 2 ; JAHNS B d . 1 S . 3 4 5 - 3 4 9 .

37 Tacitus, Germania, Kap. 27. Dazu die Erläuterungen von WOLFGANG LANGE (Hg.), Die Germania des Tacitus (Germanische Bibliothek, 5. Reihe) Heidelberg 1967 S. 344 f. Pferdeopfer und Pferdekult der Indogermanen, Wiener Beiträge zur Kulturgeschichte und Linguistik 4 (1936) 279—411. Zur Stellung und zum Einsatz des Pferdes in antiken Religionen und Kulten JOSE MARIA BLASQUEZ, Imagen y Mito. Estudios sobre religiones mediterraneas e ibericas, Madrid 1 9 7 7 ; DIETER METZLER, Das Pferd auf den Münzen des Labienus - ein Mithrassymbol?, in: Studien zur Religion und Kultur Kleinasiens, FS für F. K. DÖRNER, Leiden 1 9 7 8 Bd. 2 S. 6 1 9 - 6 3 8 .

3 8 SCHLIEBEN S . 6 7 ; GRIMM S . 3 7 2 ; MEYER 1 9 0 3 S . 2 9 7 ; WILHELM KOPPERS,

39 Tacitus, Kap. 10; LANGE (Hg.) S . 195-199; SALZLE 1965 S . 467 f.; EUGEN FEHRLE (Hg.), Publius Cornelius Tacitus, Germania, Heidelberg 1959 S . 92; GRIMM S . 92. Die Wertschätzung des Pfer-des wurde auch bei der Namengebung bedeutender Persönlichkeiten evident, wenn das Etymon ,Pferd' lebendig blieb. So wurde der König Marke des Tristan nach dem keltogermanischen Wort markos benannt. ROBERT LEHMANN-NITSCHE, König Midas hat Eselsohren, Zeitschrift für Ethnologie 68 (1936) 281-303, hier S. 302 Anm. 1; JULIUS POKORNY, Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch, Bern-München 1959 Bd. 1 S. 700. Nach dem Pferd hieß auch das angelsächsische Bruderpaar Hengist und Horsa, das der Keltenfürst Wortigern449 n.Chr. nach Britannien berief.

14

Das Pferd und seine epische Funktion

Pferdeköpfe an den Giebeln niederdeutscher Bauernhäuser sind Relikte dieser Vorstellungen und haben ihre Wurzeln in dieser Pferdeverehrung40. Das Pferd und die es umrankenden Mythen, Legenden und Phantasien 41 leben teilweise noch heute im Bewußtsein der Menschen, und zahlreiche ethnologische Daten 42 weisen auf die hohe Intensität der Mensch-Pferd-Beziehung hin, die sich noch im magisch-religiösen Denken verschiedener Völker und Kulturen zeigt . J O

Der Übergang von der Frühzeit zum Mittelalter brachte keinen Wandel für das Verhältnis zwischen Mensch und Pferd. Es erwies sich weiter als unentbehrlich für den Menschen und hatte in vielen Tätigkeitsbereichen seine wesentliche Funktion als obligates Glied in der Kette des politischen und gesellschaftlichen Lebens: Das Pferd beherrschte das gesamte Verkehrswesen, um so mehr, als das Tier bei dem Mangel an Brücken und ausgebauten Wegen, um die Verbindung zwischen Stadt und Dorf, Burg und Weiler aufrecht zu erhalten, den Reiter über Hindernisse aller Art hinwegzutragen hatte. Auf dem Pferd ritt man zur Jagd, mit ihm als Zugtier bestellte man das Land, brach man mit dem Gegner seine Lanze im Turnier und trug man Schlachten auf seinem Rücken aus. Seine überragende Bedeutung behielt das Pferd im Krieg. Alle großen Schlachten des

Dagegen EDWARD SCHRÖDER, Hengist und Horsa, ZfdA 77 (1940) 69-72. Ebenso der dänische Name .Hengist' im,Beowulf. HERBERT KOLB, Namen und Bezeichnungen der Pferde in der mittelalterlichen Literatur, Beiträge zur Namensforschung N.F. 9 (1974) 151-166, hier S. 166. 40 Ursprünglich deuteten Pferdeschädel an Häusern auf Opfergaben hin, die drohendes Unheil vom Haus und seinen Bewohnern abwenden sollten. ELARD HUGO MEYER, Deutsche Volkskunde, Berlin-Leipzig 1921 S. 53 Fig. 2 S. 57. Hierzu bediente man sich ebenso der Neidstange, die aus einem auf einem Pfahl aufgerichteten Pferdehaupt bestand. DOROTHEA FORSTNER, Die Welt der Symbole, Innsbruck 1 9 6 7 S. 4 1 3 ; BLANKENBURG S. 1 2 3 , 3 2 3 ; GRIMM S. 3 7 3 ; OTTO KELLER 1 9 0 9 S. 254.

41 HOWEYS. 225-235. 42

BÄCHTOLD-STÄUBLI

(Hg.) Bd. 6 Sp. 1609-51.

43 Auf die besondere Rolle des Pferdes im Totenglauben weisen WIESNER 1971 S. 36, 47, 54, 62 f. und JULIUS VON NEGELEIN, Das Pferd im Seelenglauben und Totenkult, Zeitschrift für Volkskunde 10 (1910) 406-420, bes. S. 406 f. sowie WOLFGANG BRÜCKNER, Roß und Reiter im Leichenzeremoniell, Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 15/16 (1964/65) 144-209 hin. Zur Verknüpfung von Wallfahrtsumritten und reliquiarem Gräberkult LEOPOLD SCHMIDT, Wallfahrtsforschung und Volkskunde, in: Religiöse Volkskunde, Fünf Vorträge (Beiträge zur Volkstumsforschung 14) München 1964 S. 50 ff. In Bayern finden auch heute noch alljährlich Umritte und Roßweihen statt, die ihre Wurzeln in der germanisch-kultischen Götterverehrung haben. LANGE (Hg.) 1967 S. 198. Die Ursprünge dieses Ritus kannte bereits das klassische Altertum. A. WÖRLE, Der kultische Umrittsbrauch, in: MAX REINHARD (Hg.) 1936 S. 52-55. Die Überbleibsel dieser allgemein religiösen Ausdrucksform festigte später der Segen der Kirche. F. K. MATHYS, Der Tag des Pferdes, RRI 12 (1983) 1478; KARL B. KRÄMER, Rossweih und Umritt, Sonderheft der Zeitschrift ,Der Bayerwald', Straubing 1970 S. 4-80; RUDOLF HINDRINGER, Weiheroß und Roßweihe. Eine religionsgeschichtlich-volkskundliche Darstellung der Umritte, Pferdesegnungen und Leonhardifahrten im germanischen Kulturkreis, München 1932. Zur Entstehung und Bedeutung verschiedener Umrittsbräuche FOCKE S. 47-59. Die Einbeziehung des Pferdes in das religiöse Gedankengut des Islams dokumentiert die 100. Sure des Koran, in der die arabische Wertschätzung des Pferdes als Kampfgefährte des Menschen anschaulich evident wird.

Vorbemerkungen

15

Mittelalters waren Schlachten mit Beteiligung von Reitern. Im Kampf entschieden nicht selten seine Qualitäten, seine Schnelligkeit, seine Ausdauer und sein Mut über Erfolg und Mißerfolg des Kämpfenden. Dem Ritter nützte kein scharfes Schwert, keine noch so spitze Lanze, wenn sein Pferd im Ansturm gegen den Feind nicht mutig und schnell genug war44. Ausgestattet mit Schwert, Lanze und Schild wurde der schwergepanzerte Ritter des 13. Jahrhunderts im Kampf erst durch sein Streitroß manövrierfähig. Für die Konstituierung des Ritterstandes wurde das Pferd, der Umgang und die Beherrschung des Tieres - was überhaupt erst die militärische VerwendbarkeitAR ermöglichte zur unerläßlichen Prämisj p se . Die historischen Bedingungen gaben den entscheidenden Anstoß fur die

44 Bereits im Buch Hiob 39,19-25 stimmt der Herr in der großen Rede über die Wunder der Tierwelt eine Hymne zum Lob des Pferdes an, in der er den Mut des Kampfrosses preist, das, willig und mutig, dem Feind entgegenstürme und keinerlei reiterlicher Aufforderung bedürfe, so daß sich sein Eifer zum Siegessymbol erhebe. 45 Das gilt trotz der von Bumke gemachten Einschränkungen. JOACHIM BUMKE, Studien zum Ritterbegriff im 12. und 13. Jahrhundert, Heidelberg 2 1977 S. 69 (rez. von HEDDA RAGOTZKY, PBB 101, 1979, 439—449). Gegen Bumkes Auffassung, daß unter Rittern Soldaten jeglicher Art zu verstehen seien, richtet sich zu Recht REUTER S. 93-96, der in seiner das Problem von Historiographie und Dichtung diskutierenden Arbeit sich um eine Klärung der Begriffe miles und ritter bemüht und dabei zu anderen Deutungen der Dichtungstexte gelangt als BUMKE (rez. von GISELA VOLLMANN-PROFE, GRM 22,1972,436—439). In einer späteren Arbeit, die sachlich und methodisch an die .Studien zum Ritterbegriff im 12. und 13. Jahrhundert' anknüpft, versucht BUMKE einer Sozialgeschichte der höfischen Literatur so nahe zu kommen, wie die Quellenfrage es erlaubt. In seiner Auseinandersetzung mit den Historikern diskutiert BUMKE die grundlegende Frage über die Wechselwirkung von Literatur und Gesellschaft. Zu Recht warnt BUMKE nachdrücklich davor, poetische Schilderungen als Abbilder der Wirklichkeit mißzuverstehen. Der Einfluß der Berittmachung auf ständische Unterschiede bleibt hier unberücksichtigt. JOACHIM BUMKE, Minsterialität und Ritterdichtung. Umrisse der Forschung, München 1976 (rez. von HEDDA RAGOTZKY, PBB 101, 1971, 4 3 9 - 4 4 9 ) . WERNER SCHRÖDER, Zum Ritter-Bild der f r ü h m i t t e l h o c h d e u t s c h e n Dichter,

GRM N.F. 22 (1972) 333-351. Daß das Wort ritter eine unterschiedliche Bedeutung erfährt, erkannte bereits HERBERT KLEIN, Ritterlehen und Beutellehen in Salzburg, Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 80 (1940) 87-128, hier S. 109. Für die ältere Zeit sieht er in der Berittmachung ein wesentliches Kriterium für den ritterlichen Status, ritter bezeichnet dann den zu Pferde Kriegsdienst leistenden Mann. VOLKER SCHUPP, Kritische Anmerkungen zur Rezeption des deutschen Artusromans, FMST9 (1975)405^142, bes. S. 409^114 (Das Wort .Ritter' als Verbindung von Ideal und Wirklichkeit). Unter Berücksichtigung der historischen Bedingungen hat schon früh PETERSEN S. 59-62 auf sich oftmals widersprechende Anwendungen des Begriffs ritter aufmerksam gemacht. WERNER HOFFMANN, Worterklärungen, in: Wolfram von Eschenbach, Parzival, hg. von GOTTFRIED WEBER, Darmstadt 2 1967, S. 947-1006, hier S. 984 f., differenziert zwischen rttaere, riter und ritter und erkennt im Unterschied der Form zugleich einen Unterschied in der Bedeutung - „entsprechend dem frz. cavalier .Reiter' und chevalier , R i t t e r * Z u l e t z t JEAN FLORI, Les origines de l'adoubement chevaleresque: 6tude des remises d'armes et du vocabulaire qui les exprime dans les sources historiques latines jusqu'au d6but du XIII® stecle, Traditio 35 (1979) 209-272; DERS., L'id6ologie du glaive. Pröhistoire de la chevalerie. Preface de GEORGES DUBY, Genf 1983. Mit Anklang an die große Ritterlehre im ,Prosa-Lancelot' (I 121,1 ff.) OHLY 1985 S. 925: „Der Ritter ist kein Fußgänger, weil er der im Sichverbinden mit dem Pferd liegenden Chance anders sich begäbe, einer Berufung in die Steigerung seiner eigenen Möglichkeiten in ein über das Reitersein hinausgehendes Rittersein vor Gott und der Welt zu folgen." 46 Auf den Zusammenhang zwischen entstehendem Benefizialwesen und einer Ausdehnung der Reiterei verweist SEGELCKE S. 12 f.; POLLNER S. 44 ff.

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Das Pferd und seine epische Funktion

Erweiterung der Reiterei, die das Pferd nun gänzlich zu einem unabdingbaren Faktum der Kriegsführung werden ließ. Das Berittensein war damit gleichzeitig zum Ausdruck gehobener gesellschaftlicher Stellung geworden 47 . Tacitus zufolge

47 SEGELCKE S. 19. Auf die Sonderstellung der nobiles, der Lehnsträger, weist FASOLI S. 199 f. hin, indem sie in der Vollständigkeit der Rüstung und in der Berittmachung mit exzellentem Pferdematerial Privilegien des Ritterstandes sieht, wodurch er sich von den anderen Kriegstruppen abhob. Da nur der Berittene eine schwere Rüstung tragen konnte, die ihm einen weitaus größeren Schutz gewährte, vergrößerte sich die Kluft zwischen Reiterei und Fußvolk immer mehr, wodurch der Dienst zu Pferd - und daraus resultierend das Reiten generell — als Vorzug und ehrende Auszeichnung gesehen wurde. REUTER S. 101. „Von Adeligen heißt es im Spätmittelalter: ,sy geen selten zu fusz überfeldt, ist auch yrm stand schendlich', und die Unehre ritterlichen Fußmarsches lassen die mittelhochdeutschen Dichter im .Tristan' und ,Parzival' spüren; der bürgerliche Meister Sigeher aber dichtet stolz: ,so rite ich hin ze walde, daz ist ein hirren site an mir'. Hier äußert sich höchst bewußt die mittelalterliche Auffassung: ,omnis nobilitas ab equo'." BRÜCKNER S. 181. Ritter und Hochgeborene scheuten sich nicht, in der Kirche bis unmittelbar vor den Altar geritten zu kommen. Spektakuläre Beispiele hierfür bringt BRÜCKNER S. 182. Auch in Wolfram von Eschenbach .Willehalm' werden durch rlten und gen Standesunterschiede ausgedrückt: irsult rlten, ich sol gen (Wh. 131,23), sagt der Kaufmann Wimär zu Willehalm und erweist ihm, dem Ritter, damit seine Ehrerbietung. Wie unbedingt der Ritt zu Pferd zugleich als Ehrung des Reiters empfunden wurde, macht die detraktive Bedeutung des ,verkehrten' Reitens offenkundig, wenn der Reiter also mit dem Rücken zur Vorwärtsbewegung des Tieres sitzt. Auf diese vornehmlich in Spottzeremonien geübte, höchst ungewöhnliche Reitweise hat RUTH MELLINKOFF, Riding backwards: Theme of Humiliation and Symbol of Evil, Viator 4 (1973) 153-186, ihr deutendes Augenmerk gelenkt, indem sie versucht, dem Verweisungscharakter dieses Phänomens als Symbol der Demütigung und des Unglücks in Schriftdokumenten und bildkünstlerischen Darstellungen nachzuspüren. Diese kuriose Besonderheit findet in ihrer szenischen Bildlichkeit und beispielhaften Aussagekraft bei Jean Paul, Flegeljahre, S. 649, ihre literarische Transcription, wenn sich Walt, in seiner nicht nur reiterlichen Bonhomie, umgekehrt in den Sattel seines nun genügsam grasenden Flugpferdes setzt, um die ausgedehnte Natur hinter sich mit seinen seligen Blicken auszumessen . ... Vgl. hierzu die Abb. bei LUTZ RÖHRICH (Hg.), Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Freiburg i.Br. 1973 Bd. 2 S. 725 unter der Rubrik ,Das Pferd beim Schwänze aufzäumen', d.h. eine Sache verkehrt anfangen. Da der Reiter sein Pferd gänzlich beherrschen soll, konnte in Zeiten, in denen fast jeder zu reiten verstand, .reiten' auch in der übertragenen Bedeutung von .beherrschen' und .Macht haben' gebraucht werden. Davon ausgehend, bedeutete umgekehrt .geritten werden' einen schweren Schimpf oder eine Verhöhung des zum Reittier Degradierten, was von besonderer Aussagekraft auf dem Feld der Erotik war. Das Motiv des von der Frau gerittenen Mannes, das den auf allen Vieren Kriechenden der Lächerlichkeit preisgibt, begegnet uns in Schrifttum und Bildkunst gleichermaßen; STAMMLER S. 12—44. Die Privilegiertheit des Reiters zeigt sich realiter bereits zu Anfang der Entwicklung der Reiterei. WIESNER 1971 S. 22, 31 f., 37, 78 f. kann dies am entwicklungsgeschichtlichen Verhältnis von .fahren' und .reiten' und dessen geschichtlich-soziologischen Auswirkungen aufzeigen. Zur Zeit von Solons Verfassung, dessen timokratische Neuregelung den Bürgern politische Rechte zusprach, waren die hippeis Männer, die jeder zumindest ein Pferd besaßen, legal als obere Klasse der Bürgerschaft anerkannt. Namen, die mit hippos gebildet waren - wie Hippodamos, Hippokrates, Hippolytos, Philippos oder Xanthippe - galten als besonders vornehm; KHOLL (Hg.) 2. Reihe 5. Halbbd. Sp. 972 f. Das Pferd allein war das edle und vorzugsweise zum Dienst der Geburtund Geldaristokratie bestimmte Tier. Diese Entwicklung führte dazu, daß der Terminus des Reiters, des Ritters, des Kavaliers, des Caballeros und des Kavalleristen zum Synonym des Generösen und Vornehmen avancierte. Das Gefühl, hoch zu Roß sitzend dem Fußgänger überlegen zu sein, vermittelt dem Reiter einen gewissen Stolz, der leicht zur Hybris ausufern kann. So läßt der erste Kürassier in Wallensteins Lager, 11. Auftritt, S. 55, selbstgefällig vernehmen: Frei will ich leben und also sterben, Niemand berauben und niemand beerben. Und auf das Gehudel unter mir Leicht wegschauen von meinem Tier. Einem ähnlichen Hochgefühl weiß sich der Poet

Vorbemerkungen

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gilt dies schon für germanische Zeit, in der die Gefolgsleute eines princeps, auserlesene Männer, von ihrem Herrn mit einem Streitroß ausgestattet, zu Pferde kämpften: exigunt enimprincipis sui liberalitate illum bellatorem equum, illam cruentam victricemque frameam.48 Der Mann, der wie schon der Patrizier zur Römerzeit zu Pferd Felddienst zu leisten vermochte, stieg im Ansehen. Mit dem Besteigen des Rosses wurde man wehrhaft, wurde man Reiter und Ritter 49 . In Deutschland erreichte das Ritterwesen militärisch und sittlich unter den Staufern in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts seine größte Bedeutung 50 , und das Pferd rückte als integrierendes Medium ritterlichen Wirkens in den Mittelpunkt der höfischen Alltagswelt, da alle chevaleresken Belange nur durch den Einsatz des Pferdes zu verfolgen waren 51 . Seine Verwendung bei gesell-

Walt bei JEAN PAUL, Flegeljahre, S. 649, verbunden: Sein hoher Aufenthalt auf der Sattelwarte stellte ihm, diesem ewigen Fußgänger, alle Berge und Auen unter ihn, und er regierte die glänzende Gegend. BLENDINGER S. 11; KRETSCHMAH S. 446, 464 zeigt die ideelle Wertschätzung des Reiters am Beispiel der mittelalterlich-muslimischen Gesellschaft auf, in der es bestimmten, nicht-muslimischen Bevölkerungsgruppen, insbesondere den Christen und Juden grundsätzlich verboten war, sich auf einem Pferd öffentlich zu zeigen. Die gesellschaftliche Sonderstellung dokumentiert sich noch in der Verehrung des Toten. VOMM S. 18 weist im Bereich der Grabmalkunst nach, daß das Pferd bzw. die Tatsache des Berittenseins auf Grabehrenmalen die Zugehörigkeit des Verstorbenen zum ritterlich-gehobenen Stand manifestiert und somit das Reiterdenkmal als Grabmal nur Mitgliedern mächtiger Adelsfamilien vorbehalten blieb. Zu römischen Reitergrabsteinen mit der Darstellung des triumphierenden Reiters, der gegen einen gefallenen Gegner oder einen mächtigen Feind anreitet MATHILDE SCHLEIERMACHER, Römische Reitergrab steine (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 338) Bonn 1984; LUDOLF MALTEN, Das Pferd im Totenglauben, Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 29 (1914) 179-255. 4 8 T a c i t u s , K a p . 14; LANGE ( H g . ) S . 2 3 2 .

49 Wie SEGELCKE S. 132 richtig bemerkt, ist der Ritter begrifflich nicht vom Pferd zu trennen; REUTER S. 87, 100. Aus diesem Grund läßt Parzivals fürsorgliche Mutter Herzeloyde ihren Sohn in einer pferdelosen Umwelt aufwachsen, um ihm so das Los seines im ritterlichen Kampf gefallenen Vaters Gahmuret zu ersparen. Als der Knabe entgegen dem mütterlichen Willen dann doch zu einem Pferd gelangt, weigert er sich - in seiner jugendlichen Weltunerfahrenheit die Identität von Reiter- und Rittertum absolut begreifend - von seinem Pferd abzusitzen, aus Angst, dann nicht mehr als Ritter zu gelten (Parz. 163, 22 ff.). Hierzu OHLY 1985 S. 901. 50 G. KÖHLER, Die Entwicklung des Kriegswesens und der Kriegsführung in der Ritterzeit, Breslau 1 8 8 9 B d . 3 2. Teil S . 14; FLECKENSTEIN S . 2 1 9 .

51 Das wachsende Interesse am Pferd und die damit verbundene Sorge um sein Wohlergehen schlägt sich in der entstehenden Fachliteratur nieder, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts Meister Albrant begründete, von dessen ,Roßarzneibuch' über einhundertachtzig Handschriften nachgewiesen werden konnten (von Megenbergs ,Buch der Natur' dagegen sehr viel weniger), womit es, entgegen der Auffassung EDWARD SCHRÖDERS, ZfdA 76 (1939) 181, seinen berechtigten Aufmerksamkeitsanspruch für die Germanistik erlangt haben sollte, wo immer es hier noch dunkle Stellen zu erhellen gilt. GERHARD EIS, Meister Albrants Roßarzneibuch im deutschen Osten, ReichenbergLeipzig 1939 (Nachdruck Hildesheim-New York 1977) (rez. von REINHARD FRÖHNER, Beiträge zur G e s c h i c h t e d e r V e t e r i n ä r m e d i z i n 2 , 1 9 3 9 / 4 0 , 2 5 1 - 2 5 3 u n d EDWARD SCHRÖDER, Z f d A 7 6 , 1 9 3 9 , 1 7 1

f.) DERS., Zum Roßarzneibuch Meister Albrants, Beiträge zur Geschichte der Veterinärmedizin 3 (1940/41) 331-340; DERS., Mittelalterliche Fachprosa der Artes, in: Deutsche Philologie im Aufriß, hg. von WOLFGANG STAMMLER Berlin 1966 Bd. 2 Sp. 113; DERS., Mittelalterliche F a c h l i t e r a t u r

Stuttgart 1967 S. 31 f.; DERS., Medizinische Fachprosa des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 48) Amsterdam 1982, zur Hippiatrik S. 158-229; DUSAN LUDVIK, Untersuchungen zur spätmittelalterlichen deutschen

Das Pferd und seine epische Funktion

18

schaftlichen, politischen und privaten Verpflichtungen war freilich nicht auf den Ritterkreis beschränkt; auch Geistliche, Bauern und Bürger, höfische Damen und junge Mädchen benutzten das Pferd als Reittier. Ihnen diente es allein zu praktischen Zwecken, während es für den Ritter - gleich Waffen und Rüstung über diesen zweckmäßigen Sinn hinaus zum Requisit seiner Lebensform wurde. In Anbetracht der Omnipräsenz des Pferdes erscheint es nicht verwunderlich, daß sich die Dichter jener Zeit in ihren Werken der Beschreibung dieses Tieres, seines Äußeren und seines Wesens sowie seiner Ausstattung und des gesamten Zubehörs häufig mit einer Emphase widmen , die von fundierter hippologischer und reiterlicher Kenntnis zeugt, deren sich der Dichter als Baumeister seines Werkes mit handwerklichem Geschick bedient, seine künstlerischen Intentionen untermauernd und konsolidierend. Wie die antiken zeichnen die mittelalterlichen Dichter aus der Masse zeltender und galoppierender Streit- und Reiserosse die das epische Geschehen tragenden und Handlung evozierenden Pferdepersönlichkeiten durch Namengebung aus. ,Wintwalite' , ,Puzzät' , ,Gringulje-

Fachprosa (Pferdebücher), Ljubljana 1959, S. 13-37; J A H N S Bd. 2 S. 147. Den Einfluß der hippologischen Fachliteratur auf das völkische Gedankengut, ihre breitgestreute und weitreichende Strahlungskraft in die nachfolgende Zeit hinein spiegelt die von Eis eruierte ,Roßaventüre', Beiträge zur Geschichte der Veterinärmedizin 2 (1939/40) 257-274, aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts wider. Zum größten Teil aus Volksrezepten kompiliert, darf sie als stark entstellte Fassung des Albrantschen Roßarzneibuches angesehen werden. Sie beinhaltet die Heilung, Wertsteigerung und Schädigung von Pferden und offenbart die Praktiken der Roßtäuscher und die Düperien der Stallknechte. GERHARD E I S , Bemerkungen zur Roßaventüre, Beiträge zur Geschichte der Veterinärmedizin 3 (1940/41) 101-104; DERS., Altdeutsche Zaubersprüche S. 130-144; DERS., Forschungen zur Fachprosa S . 122-168; RICHARD SCHMUIZER, Bemerkungen zu Gerhard Eis, Die Roßaventüre, Beiträge zur Geschichte der Veterinärmedizin 3 (1940/41) 97-100; REINHARD FRÖHNER, Kulturgeschichte der Tierheilkunde. Geschichte des deutschen Veterinärwesens, Bd. 2, Konstanz 1954, S. 77-121 (Magie und Mystik in der Tierbehandlung); DIETER RASCHKE, Zur Geschichte der Besprechung von Tierkrankheiten, Veterinärhistorische Mitteilungen 2 (1922) 17 ff. 52 Erinnert sei an die über 500 Verse laufende descriptio eines außergewöhnlichen Rassepferdes, welches das erlesenste und kostbarste Reitzeug trägt, das jemals dichterische Fiktion hervorgebracht hat, um es der edeln vrouwen Eniten zum Geschenk werden zu lassen (Erec 7 2 9 0 - 7 7 6 6 ) . Hierzu PETRUS TAX, Studien zum Symbolischen in Hartmanns ,Erec': Enites Pferd, ZfdPh 8 ( 1 9 6 3 ) 29—44; REINHARD FRÖHNER, Das Pferd in Hartmanns von Aue ,Erec', Veterinärhistorische Mitteilung 4 ( 1 9 2 4 ) 4 5 ff. In Analogie zum Hartmannschen Roman skizziert Konrad Fleck in seinem Erstlingswerk ,Flore und Blanscheflur', 2 7 3 6 - 2 8 8 2 , ein so prächtiges Bild von dem Pferd, das dem liebenden Flore von seinem Vater auf den weiten Weg nach Babylon mitgegeben wird, daß der Leser hier schon versichert sein darf, den Helden am Ende in den Armen seiner Geliebten zu finden; REINHARD FRÖHNER, Flores Reitpferd, Veterinärhistorische Mitteilungen 4 ( 1 9 2 4 ) 4 7 ff. 53 EREC 4629, 4714. 54 ,Puzzät', dem treuen Pferd Willehalms wird nach einem kräftezehrenden Ritt eine besonders fürsorgliche Betreuung zuteil, die in der Literatur dieser Zeit einzigartig ist (Wh. 58, 21-59,19). Während im mittelhochdeutschen Text Willehalm sein Pferd namentlich direkt anspricht-ouwi, sprach er, Puzz&t, kundestü nü geben rät, war ich küren möhte! (Wh. 58, 21 ff.) - , zeigt die afrz. Quelle mit dem blassen Namen cheval noch eine größere Distanz zwischen Reiter und Pferd (Aliscans 504). Diese Begegnung unberücksichtigt lassend, behauptet LEWIS, S. 178, zu Unrecht, daß es in der mittelalterlichen Literatur keine Tierliebe um des Tieres willen gebe. Vgl. MARIA BINDSCHEDLER, Tierdarstellungen in der deutschen Dichtung des Mittelalters, Schweizer Monatshefte für Politik, Wirtschaft, Kultur 47 (1967/68) 694-713, hier S. 698.

Vorbemerkungen

19

te' 55 , ,Guverjorz'56 und der kurzohrige ,Ingliart' 5 7 sind dem Leser Hartmanns von Aue und Wolframs von Eschenbach vertraute Namen, die den Blick auf die ruhmreich bestandenen Abenteuer ihrer Reiter lenken; denn erst reitend sind die literarischen Helden handlungsfähig und treiben sie das epische Geschehen voran. Damit das Unternehmen nicht bereits im Vorwort Gefahr läuft, ein spätes Indiz für Shakespeares im Heinrich V. kundgetane Erfahrung zu werden, daß über das Pferd zu sprechen - in unserem Fall zu schreiben - ebenso unerschöpfCQ lieh sei wie das Meer, wollen wir uns nun dem ,Prosa-Lancelot' zuwenden, dem „ältesten und zweihundert Jahre hindurch einzigen Prosaepos in deutscher Sprache" 59 . Die gesamte literarische Welt ist hier weniger auf den eigenen Beinen als auf dem Pferderücken unterwegs. Es reiten der König und die Königin, Ritter, Burschen und junge Damen, der Bauer und Knecht ebenso wie der Geistliche und der Einsiedler, selbst Zwerge treiben ihr Unwesen zu Pferd. Als Reittiere dienen stattliche Streitrosse, schnelle Jagdpferde und leichtfüßige Zelter, aber auch Maultiere und Esel; man reitet entweder allein, zu zwei mitunter auf einem Pferd - oder in großer Gesellschaft; man reitet in der Kühle des frühen Morgens ebenso wie am Mittag, zur Zeit der lästigen Hitze, oder in tiefer Nacht, wenn allein das Licht des Monds dem Reiter seinen Weg erleuchtet. Der reitende Mensch durchstreift den Wald zur Jagd oder inkognito, die großen Wege meidend, oder einfach zu seinem Vergnügen. Die schwierige Durchquerung eines Flusses kann mit Hilfe des Pferdes bravourös gemeistert werden. Auf großen Straßen wie auf Pfaden und Wegen durchziehen die Reiter den realen oder den märchenhaft verzauberten Raum und machen weder vor einer reichlich gedeckten Tafel noch vor dem Zelt einer Dame halt. Das Pferd, wo es nicht Selbstzweck, nicht unmittelbarer Gegenstand der dichterischen Betrachtung ist, ist ebenso unauffälliger wie notwendiger Bestandteil der Kulisse, vor der das ritterliche Wirken sich in Szene setzt. Der ,ProsaLancelot' ist ein Ritterroman in arturischem Umfeld, und sowohl die Minne als

55 Das besondere Verhältnis zwischen Reiter und Pferd zeigt im ,Parzival' die emotional gefärbte Wiederbegegnung zwischen Gawan, der in seiner unverhohlenen Wiedersehensfreude sein Pferd wie einen lang vermißten Freund anspricht, und dem Gralspferd ,Gringuljete' (Parz. 540,15-24). Die Vorliebe eines Reiters für ein bestimmtes Pferd wird bei Shakespeare, Heinrich V., 8. Szene, zur spleenig entarteten Farce. 56 Parz. 210, 7. 57 Parz. 389, 26; 398, 14 f. 58

Die folgenden Textbelege sind der Ausgabe von REINHOLD KLUGE (Hg.), Lancelot, nach der Heidelberger Pergamenthandschrift Pal. Germ. 147 (DTM 42, 47, 63) Berlin 1948, 1963, 1974 entnommen. Die Zahlen vor dem Komma geben die Seiten an, die Ziffern rechts davon die Zeile. Rezensiert wurde Lancelot I von LUTZ MACKENSEN, Muttersprache 6 0 ( 1 9 5 0 ) 1 9 2 , und Friedrich Ranke, AfdA 6 4 ( 1 9 5 1 ) 1 0 9 - 1 1 2 . Als Separatausgabe erschien REINHOLD KLUGE (Hg.), Der Karrenritter. Episode des mittelhochdeutschen Prosa-Lancelot (Kleine Prosadenkmäler des Mittelalters 1 0 ) München 1 9 7 2 . HANS-HUGO STEINHOFF, Germanistik 1 4 ( 1 9 7 3 ) 6 1 9 , weist in seiner positiven Rezension auf hilfreiche Neuerungen der Studienausgabe hin.

59 KLUGE, Lancelot I, S. VIII.

20

Das Pferd und seine epische

Funktion

auch die Suche nach dem Gral sind Antriebsfedern für die ritterliche Bewährung. Auf diesem Weg der Abenteuer ist das Pferd als unabdingbarer Faktor in das epische Geschehen integriert, es initiiert es mitunter und wird an einigen Stellen zum konzeptionellen Markierungspunkt, so daß mit dem Thema der Arbeit der Blick zugleich auf entscheidende Fragen der Dichtung gelenkt wird. Die Beschreibung des Exterieurs einzelner Pferde, ihrer Ausstattung und ihres Verhaltens, ihrer Erlangung durch Schenkung oder Erbeutung spricht ihre eigene Sprache, die weniger kulturgeschichtlich als für das Verständnis dieses Werkes bedeutsam ist und die Möglichkeit eröffnet, die planerische Gestaltung und geistige Ordnung dieser Dichtung auch an ihren Pferden wahrnehmbar zu machen.

EINLEITUNG 1. Zur Forschung a) Forschungslage zum ,Prosa-Lancelot' Der,Prosa-Lancelot', dessen Lektüre bei Dante Paolo und Francesca zur Liebe verführt1, ist lange Zeit ein Stiefkind der Forschung gewesen. In den meisten Literaturgeschichten2 finden sich nur knappe, zumeist recht schüchtern anmutende Anmerkungen zu diesem umfangreichen Prosawerk. Die Ursache hat in der Unzulänglichkeit des Textes gelegen. Erst nach dem 2. Weltkrieg begann Kluge das Werk zu edieren, dessen letzter Band3 seit Mitte der siebziger Jahre

1

Dante, Inferno 5, 127-138. Dazu besonders KURT RUH, Lancelot, DVjs 33 (1959) 269-282, Neudruck mit Nachtrag und ergänzender Literatur, in: KURT WAIS (Hg.), Der arturische Roman (WdF 157) Darmstadt 1970, S. 237-255, hier S. 144f.

2

KARL BERTAU, Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter, München 1973, Bd. 2, S. 791; GUSTAV EHRISMANN, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, München 1965, 2. Teil, 2. Abschnitt, 2. Hälfte, S . 435f.; JULIUS SCHWIETERING, Die deutsche

Literatur des Mittelalters (Handbuch der Literaturwissenschaft), Potsdam s.a. (1941), Darmstadt 1957, S. 296. Erst HELMUT DE BOOR, Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Die deutsche Literatur im späten Mittelalter, München 41973, Bd.3, 1. Teil, S. 121ff., und besonders KURT RUH, Epische Literatur des deutschen Spätmittelalters, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Europäisches Mittelalter, Frankfurt 1978, Bd.8, S. 128131, und WEHRLI 1980 S. 499-504, lösen das Werk aus dem Rahmen spätmittelalterlicher erzählender Prosa heraus und entsprechen der von RUH, Lancelot, 1959 S. 242 erhobenen Forderung, dem,Prosa-Lancelot' einen adäquaten Platz innerhalb der Literaturgeschichtsschreibung zuzuweisen und ihn „in die Reihe der höfischen Meisterwerke einzugliedern". Zur allgemeinen Orientierung COLA MINIS, Lancelot, in: KARL LANGOSCH (Hg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, Berlin 1955, Bd. 5, Sp. 592-598; JOSEF KLAPPER, Lancelot, ebd., Berlin 1943, Bd.3, Sp. 23-27. Bereits Bekanntes ordnend und einschätzend, berücksichtigt UWE RUBERG in der zweiten Auflage des Verfasserlexikons, Berlin-New York 1984, Bd.5, Sp. 530-546, prägnant und erschöpfend die neuesten Erkenntnisse zur Darlegung der Handschriftenkonkordanz, zur Quelle, zur Verfasser- und Übersetzerproblematik, zu den formalen wie gehaltlichen Strukturen des Textes und seiner Nachwirkungen. Die gut arrangierte, vollständige Bibliographie zum mittelhochdeutschen Text bietet darüber hinaus ausgewählte Literatur zur altfranzösischen Quelle. Eine detaillierte Nacherzählung des deutschen Textes, kombiniert mit längeren Übersetzungspassagen, bietet KARL LANGOSCH, Lancelot und Ginevra, in: König Artus und seine Tafelrunde. Europäische Dichtungen des Mittelalters, hg. von KARL LANGOSCH in Zusammenarbeit mit WOLF-DIETER LANGE, Stuttgart 1980, S. 357-564 (Text), S. 612-703 (Anmerkungen und Literaturhinweise), S. 754-758 (Nachwort). Eine am mittelhochdeutschen Text nur locker angelehnte, die Merlin-Vorgeschichte miteinbeziehende Nacherzählung des Lancelot-Stofles ist RUTH SCHIRMER, Lancelot und Ginevra. Ein Liebesroman am Artushof (Manesse Bibliothek der Weltliteratur) Zürich 1961, zu verdanken. 2

3 Mit Abschluß des 3. Bandes, der die ,Gral-Queste' und den ,Tbd des Königs Artus' beinhaltet, erfüllte sich am 5 . 1 2 . 1 9 7 3 auch REINHOLD KLUGES Leben. Dank der Hilfe seiner langjährigen Mitarbeiterin konnte der letzte Band - wie von KLUGE konzipiert - 1 9 7 4 veröffentlicht werden. Der geplante und wünschenswerte 4. Band mit Sprachanalysen, Glossarium und einer Übersicht über Namen und Orte konnte bislang nicht vollendet werden.

22

Forschung

abgeschlossen vorliegt. Kluge stützte sich auf die am vollständigsten und besten erhaltene Heidelberger Pergamenthandschrift (P) von etwa 1430, die lange Zeit als das Original angesehen wurde. Denn nach der communis opinio hatte es vor 1400 keine erzählende deutsche Prosa gegeben und Behaghel4, der als erster den Versuch unternahm, das Bruchstück einer früheren Handschrift aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, das Münchner Lancelot-Fragment (M) (Cgm. 5250, Nr. 25)5, mit der großen Handschrift (P) in Verbindung zu bringen, blieb ohne philologische Resonanz6. Man betrachtete das Werk zwar schon früh als ältesten deutschen Prosaroman7, hielt es aber für ein „unzeitgemäßes Zufallsprodukt"8 eine Auffassung, die lange fortbestanden hat9. Als Erster erkannte Schröder10 nach einem Handschriftenvergleich die Konkordanz der Heidelberger Handschrift mit einem frühen Amorbacher Fragment (A), was ihn zum Protagonisten der heute - trotz bestehender Kontroversen - mit Sicherheit anzunehmenden Auffassung werden ließ, die Ursprünge des deutschen ,Prosa-Lancelot' in der Mitte des 13. Jahrhunderts zu vermuten, zu einer Zeit also, in der der Roman stets metrisch und reimweise gekleidet daherzukommen hatte 11 . Damit sorgte der einsame Metöke in der höfischen Literaturgesellschaft für einige Unruhe, die

4

5

OTTO BEHAGHEL, Das niederdeutsche Lanzelotfragment, Germania 2 3 ( 1 8 7 8 ) 4 4 1 - 4 4 4 ; vgl. bereits B. J. DOCEN, Bruchstücke eines Romans, vielleicht von Gawan, in niederdeutscher Mundart, J . G. Btlschings wöchentliche Nachrichten für Freunde der Geschichte, Kunst und Gelaehrtheit des Mittelalters 3 1 ( 1 8 1 6 ) 1 0 9 - 1 1 2 .

Den Werdegang dieser nur mit einem Blatt belegten Handschrift skizziert ausführlich HANS-HUMünchner Lancelot Fragment (Cgm. 5250, Nr. 25), in: WEHNER SCHRÖDER (Hg.), Wolfram-Studien II, Berlin 1974, S. 254-258. GO STEINHOFF,

6

Auch ARTHUR PETER, Die deutschen Prosaromane von Lancelot, Germania 28 (1883) 129-185, der wenig später den Konnex der bekannten deutschen Lancelot-Prosahandschriften zu Ulrich Füeterers ,Lancelot* eruierte, konnte keine Verbindung zwischen dem Bruchstück (M) und (P) herstellen. - Die Beliebtheit des Lancelot-Stoffes für weitere Bearbeitungen und deren Abhängigkeitsverhältnis von der Lancelotsage in einer literaturhistorischen Untersuchung aufzuzeigen, unternahm PAUL MARTENS, Zur Lancelotsage, Romanische Studien 5 (1880) 557-700.

7

Bereits im Jahre 1869 hatte FRIEDRICH KEINZ, Über einige altdeutsche Denkmäler (MSB, philosophisch-philologische Classe VI, 1869, S. 290-323) S. 312-316, auf ein in Prosa verfaßtes, zur Artusliteratur gehöriges Fragment (M) aufmerksam gemacht, dessen Entstehungszeit er auf 1300 oder ein wenig früher datierte. Vgl. PETER S. 140f.; WILHELM SCHERER, Die Anfänge des deutschen Prosaromans und Jörg Wickram von Colmar. Eine Kritik (Quellen und Forschungen 21) Straßburg 1877, S. 9f.; FELIX BOBERTAG, Geschichte des Romans und der ihm verwandten Dichtungsgattungen in Deutschland, Breslau 1876, Bd.l, S. 57ff.

8

WOLFGANG LIEPE, Elisabeth von Nassau-Saarbrücken. Entstehung und Anfänge des Prosaromans in Deutschland, Halle 1920, S. 26.

9

So noch in ähnlicher Sicht bei FRIEDRICH RANKE, Von der ritterlichen zur bürgerlichen Dichtung (Annalen der deutschen Literatur) Stuttgart 2 1 9 6 9 , S. 1 7 9 - 2 5 3 , hier S. 1 8 6 .

10

EDWARD SCHRÖDER,

Eine unbenutzte Quelle des mittelhochdeutschen Sprachschatzes, Neuph. Mitt. 33 (1932) 22-26; DERS., Der deutsche Lancelot in Prosa. Ein Werk aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts, ZfdA60 (1923) 148-151; DERS., Fragment eines mittelhochdeutschen Prosaromans aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts, ZfdA 59 (1922) 161f.

11 Noch in seiner in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts geschriebenen Düringischen Chronik, hg. von ROCHUS VON LILIENCRON (Thüringische Geschichtsquellen 3 ) J e n a 1 8 5 9 , S . 6 , entschuldigt sich Johann Rothe in einer Reimvorrede für die Prosaform seines Werkes, obwohl sich bereits seit

, Prosa-Lancelot'

23

auf den Kreis der Philologen übersprang und aus der ein bis heute noch nicht entschiedener wissenschaftlicher Buhurt um die Provenienz der deutschen Prosafassung entstand. Kluge ging bei seiner Edition von der Annahme einer direkten Übersetzung des deutschen Textes nach dem altfranzösischen Prosaroman von Lancelot (Q) aus 12 , dessen Entstehung nicht vor 1215 angenommen wird13. Intensive Studien schienen seine Theorie zu bestätigen 14 . Kaum, daß sich etwas Licht im Dunkel der Überlieferungsproblematik zeigte, tauchte mit dem Finnen Tilvis ein engagierter Kritiker der Theorie auf, der alles bislang Gesicherte in seinen Grundfesten erschütterte15. Dieser Vertreter der Suolahti-Schule

dem 14. Jahrhundert eine kohärente deutsche Prosaliteratur herausgebildet hatte. Als Grund für die in den Augen des Schreibers einfachere, wenig kunstvolle Form nennt er den Herbst seines Lebens, der ihm die Hand zittern läßt und zum Schreiben die Brille aufzwingt. Er bittet seine Auftraggeberin, die Landgräfln Anna, um Nachsicht: Nu sulde dis buch geschreben seyn gar kostlich unde gar reyne, das zemete wol der frawen meyn: diesse gäbe ist zwar zu cleyne. Nicht sal yre togunt das vorsmehen, das is ungereymet ist. vor jaren hette ich es wol gethan, zu langk worde mir nu die frist. Es zittern mir die hende, die synnen synt ouch worden lass, die mir waren vor behende, unde muss nu schreiben durch eyn glass. Frankreich hingegen zeigt sich gegenüber der Prosa als der .wahrheitsgetreueren' Form weitaus aufgeschlossener. In der von einem Anonymus verfaßten,Prosachronik über Philipp-August' (um 1226) wird in der Vorrede lobend auf den ,Prosa-Lancelot' Bezug genommen, weil er aus Gründen der Wahrhaftigkeit auf jeglichen Reim verzichte: Si com Ii liures Lancelot Qu il n'a de rime un seul mot Por melz dire la vtiritt; PETER M . SCHON, Studien zum Stil der frühen französischen Prosa (Analecta Romanica 8) Frankfurt a.M. 1960, S. 29. Zur Prosa als der adäquaten Darstellungsform von Wahrhaftigkeit HAUG, S. 80f. 12

Bd.l, S. XII, LXII. KLUGE sah ein Deszendenzverhältnis von Ρ als Abschrift von A , die eine wortgetreue Übersetzung von Q sein mußte, vor. Μ blieb als Seitenzweig mit niederdeutschen Sprossen sekundär. Die Forschungslage zu Fragen des Ursprungs und der Überlieferung detailliert bei HANS-HUGO STEINHOFF, Zur Entstehungsgeschichte des deutschen ,Prosa-Lancelot', in: PETER F. GANZ und WERNER SCHRÖDER (Hgg.), Probleme mittelalterlicher Überlieferung und Textkritik (Oxforder Colloquium 1966) Berlin 1968, S. 81-95. Zur handschriftlichen Überlieferung und zur Datierung des mittelhochdeutschen Textes BECKEDAHL S. XVI-XX.

13

JEAN FRAPPIER, fitude sur ,La Mort le roi Artu', Roman du X I I I 6 stecle. Dernifere partie du Lancelot en prose, Paris-Genöve 21961, S. 133f.; FERDINAND LOT, Sur la date du Lancelot en prose, Romania 57 (1931) 137-146.

14

SCHÄFTLEIN

15

PENTTII TILVIS,

KLUGE

1952 bes. S . 87 insistiert auf einer direkten Deszendenz von Ρ aus A, was er dialektgeographisch zu beweisen sucht. Resümierend hierzu DERS., Die Sprache der Amorbacher Bruchstücke und des Heidelberger Lancelot, Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-SchillerUniversität Jena 13 (1964) 143-147. Kritische Anmerkungen hierzu bei STEINHOFF 1968 S . 87. Prosa-Lancelot-Studien I—II (AASF, Ser. B, Tom. 110) Helsinki-Wiesbaden 1957, Tafel III, S. 211 (rez. von A. CULIOLI, Bulletin de la Soci6t6 Linguistique de Paris 55 (1960) 183f.,

24

Forschung

bestritt mit Nachdruck die direkte Deszendenz des mittelhochdeutschen Werkes von dem altfranzösischen Zyklus und vertrat demgegenüber die Auffassung, daß das Werk nur über eine mittelniederländische Übersetzung ins Oberdeutsche gelangt sein könne. Um das neu erstellte Theoriegebilde von einem französischniederländisch-deutschen Überlieferungsverhältnis zu konsolidieren, mußte Tilvis grundlegende zeitliche Verschiebungen im Verhältnis der Handschriften untereinander annehmen16. Seine Methode bestand im wesentlichen im Aufspüren mittelniederländischer Splitter in der Handschrift P, woran die detektivische Frage des Sprachforschers sich anschloß, auf welchem Weg sie dorthin gelangt sein könnten. Seine Rezensenten unterstützten die Indiziensammlung und gaben ihm in wesentlichen Punkten seiner Beweisführung recht17. Der philologische Streit hat sich seitdem noch verhärtet18, und um eine allgemein akzeptierte Lösung des Problems muß weiterhin gerungen werden. Trotz bestehender Divergenzen hat die sprachliche und literarische Erschließung des Romans bereits begonnen. Das Bemühen des Autors, die Welt des Romans in ihrer Komplexität darzustellen, schlägt sich in einem vielgliedrig-verschachtelten Sprachduktus nieder, der mit gelegentlich bis zu sieben Nebensät-

AfdA 70 (1958) 155f., EMIL ÖHMANN, Neuph. Mitt. 59 (1958) 52-59, ARTHUR THOMAS AL 11 (1959) 83iT., A. MORET, fitudes Germaniques 14 (1959) 257f.( ROBERT W. ACKERMANN, Romance Philology 13 (1959-60) 188f., FRANK G. BANTA, JEGPH 59 (1960) 526f„ E. NELLMANN, ArchStud 197 (1961) 48f., J. MONFRIN, Bibliothöque de l^cole de Chartres 119 (1961) 296f., R . BRUMMER, ZfrPh 81 (1965) 187f.); DERS., Ist der mhd. Prosa-Lancelot II (= Ρ II) direkt aus dem Afrz. übersetzt?, Neuph. Mitt. 73 (1972) 629-641 (Neudruck: Arturistiek in Artikelen, hg. von FRITS PIETER VAN OOSTROM, Utrecht 1978, S. 165—177). Die im Titel gestellte Frage beantwortet TILVIS am Schluß des Aufsatzes mit einem kategorischen ,nein'. COLA MINIS,

HATTO,

1 6 STEINHOPF 1 9 7 4 S . 2 5 4 .

17 Rezensenten (wie Anm. 15). Hierzu außerdem BROGSITTER S. 114f.; DE BOOR S. 121; MINIS Sp. 594f.; JOSEPH VAN MIERLO, Een verloren mndl. Prozaroman uit de eerste helft der dertiende eeuw, Verslagen en Mededelingen van de Kon. Vlaamse Academie voor Taal- en Letterkunde (1952) 313-335. 18 Entgegen der Auffassung von TILVIS 1957 S . 641, nimmt STEINHOFF 1968 S. 95, trotz berechtigter Zweifel und angesichts der Differenzen zwischen PI und PII eine direkte Beziehung des 2. und 3. Romanteils zum altfranzösischen Zyklus an und hält das Gesamtwerk auch weiterhin für „eine im Prinzip wortgetreue Übersetzung der altfranzösischen Vorlage". STEINHOFF 1977 S. 273. So auch WEHRLI 1980 S. 499f. mit restriktivem „vielleicht", da bisher kein eindeutiger Beweis zur Falsifikation der Annahme geführt werden konnte. Die Uberlieferungsfrage wurde auch auf dem internationalen Kolloquium der Wolfram von Eschenbach-Gesellschaft in Schweinfurt vom 26.-29. September 1984 auf sprachlicher wie gehaltlicher Ebene immer wieder leidenschaftlich diskutiert, ohne daß sich, trotz teilweiser Erhellung der noch mannigfach vorhandenen dunklen Stellen, eine allgemein befriedigende Lösung abgezeichnet hätte. Leider erschienen die WolframStudien I X , Schweinfurter ,Lancelot'-Kolloquium 1984, hg. von JOACHIM HEINZLE-L. PETER JOHNSON-WERNER SCHRÖDER, Berlin 1986, erst nach Abschluß meines Manuskriptes, so daß die darin abgedruckten Vorträge, die eine weitgefächerte Umschau über die germanistische ,Lancelot'-Forschung wie sie sich heute darstellt gewähren, nicht mehr in diesen Forschungsstand aufgenommen werden konnten. Allerdings wirken die Eindrücke aus den Referaten und Diskussionen nachhaltig in die eigene Gedankenführung hinein. Dazu trug auch die freundliche Einsicht in die Manuskripte einiger Referenten bei, denen an dieser Stelle mein besonders herzlicher Dank gilt.

,Prosa-Lancelot'

25

zen verschiedenen Grades arbeitet, so daß den Sprachforschern ein weites Feld sich auftut 19 . Erst eine umfassende Sprachanalyse aller drei Werkteile läßt auf neue Einsichten zur Ursprungs- und Uberlieferungsfrage hoffen. Verschachtelt wie die Sprache ist auch die Struktur des Romans. Durch die systematisch verwobene Schachtelung des entrelacements erhält das Werk eine beziehungsreich verflochtene epische Breite, die mit ihrer genealogischen Linienführung, den Sucheabenteuern und Doppelaventiuren zu einer komplexen Einheit sich fügt. „Die äußere und innere Einheit dieser Konzeption bildet seit jen i eins on der Kernprobleme der internationalen Prosa-Lancelot Forschung" . Koch hat auf der Grundlage des ersten Bandes unter der eingegrenzten Fragestellung, wie im Lancelot-Roman Welt gestaltet werde, den ersten Schritt zu einer Formanalyse gewagt. Kurz und prägnant resümiert er, daß die Janusköpfigkeit des Werkes, beruhend auf traditionellen wie protagonistischen Zügen, seine wesentlicheQQ konstituierende Kraft des Werkes darstelle. Anders als Koch versucht Voß , über das Verhältnis des Romans zu Geistesströmungen seiner Zeit zu einer 23

strukturellen Beurteilung zu gelangen . Voß hat die Diskrepanz der ideologischen Konzeptionen anhand der höfischen und geistlichen Weltanschauung besonders betont und glaubt in der aporetischen Disposition dieser beiden Wertsysteme, das eigentliche Thema des ,Prosa-Lancelot' zu erkennen24.

19 Zum Gegenstand sprachlicher Untersuchung nahm den ersten Band KAI B. LINDGREN, Über den oberdeutschen Präteritumsschwund (AASF 112,1) Helsinki 1957; DERS., Über Präteritum und Konjunktiv im Oberdeutschen, Neuph. Mitt. 64 (1963) 264-283. Die ausladenden Satzkonstruktionen und Nebensatzperioden bieten eine gewinnverheißende Fundgrube für eine synchrone Nebensatzbetrachtung wie sie GABRIELE SCHIEB unternimmt, Zum Nebensatzrepertoire des ersten deutschen Prosaromans: Die Temporalsätze, in: DIETRICH HOFFMANN - WILLY SANDERS (Hgg.), Gedenkschrift für WILLIAM FOERSTE, Köln 1970, S. 61-77; DIES., Zum System der Nebensätze im ersten deutschen Prosaroman: Die Objekt- und Subjektsätze, in: Studien zur Geschichte der deutschen Sprache, Berlin (Ost) 1972, S. 167-230; DIES., Zum Nebensatzrepertoire des ersten deutschen Prosaromans. Die Attributsätze, PBB (Halle)99 (1978) 5-31. Zur Syntax ANNE BETTEN, Zu Satzbau und Satzkomplexität im mittelhochdeutschen ,Prosa-Lancelot'. Überlegungen zur Beschreibung der Syntax mittelhochdeutscher Prosa, Sprachwissenschaft 5 (1980) 15-42. Ihre Beobachtungen an der Prosa nutzt BETTEN, um generalisierende, zumeist aus Versepen dieser Zeit gewonnene Aussagen einzelner Grammatiken und anderer sprachgeschichtlicher Darstellungen über das Verhältnis von Parataxe und Hypotaxe zu überprüfen. Eine Segmentierungsanalyse versuchen SEIDEL-SCHOPHAUS S.102-116; RUBERG 1976 S . 211f. 2 0 STEINHOFF 1 9 7 7 S . 2 7 4 . 2 1 HORST KOCH,

Studien zur epischen Struktur des Lancelot-Prosa-Romans, Köln 1 9 6 5

Der ,Prosa-Lancelot'. Eine strukturanalytische und strukturvergleichende Studie auf der Grundlage des deutschen Textes (Deutsche Studien 12) Meisenheim am Glan 1970 (rez. von HARTMUT BECKERS, ABäG 5 ( 1 9 7 3 ) 1 7 9 - 1 8 1 ; UWE RUBERG, AfdA 8 3 ( 1 9 7 2 ) 1 7 2 - 1 7 9 ; HANS-HUGO STEINHOFF, Germanistik 1 2 ( 1 9 7 1 ) 2 8 5 ; DENNIS H . GREEN, MLR 6 6 ( 1 9 7 1 ) 9 3 2 - 9 3 4 ; WOLFGANG HARMS, Leuvense Bijdragen 5 9 ( 1 9 7 0 ) 1 6 2 - 1 6 4 ) .

2 2 RUDOLF VOSS,

23

Dieses Unterfangen beurteilen einige seiner Rezensenten als nicht unproblematisch. STEINHOFF nennt das Vorgehen zu Recht einen methodisch bedenklichen Versuch. Kritische Anmerkungen zum Typologie-Verständnis Vossens ausführlich bei RUBERG.

24 Voss S.23; dazu STEINHOFF 1977 S.277,288; weitere Forschungsliteratur zur Struktur bei RUBERG 1984 Sp. 545f.

26

Forschung

Mit Erscheinen des dritten Bandes hat das interpretatorische Bemühen 25 26 erfreulich zugenommen . Anregungen zur Werkdeutung gibt erstmalig Ruh , der auf der Grundlage des ersten Bandes unter verschiedenen Teilaspekten charakteristische Wesenszüge des Romans herausstellt, die für nachfolgende 97

Studien und Interpretationen richtungsweisend wurden. Während Ruh in seinem zweiundzwanzig Jahre späteren Vortrag auf der Grundlage des Gesamtwerkes die Wandlungen Lancelots, der im ersten Band als ritterliche Idealgestalt sich zeigt, mit einer durch die jahrelange Beschäftigung mit dem Gegenstand

25 Dies liegt zum einen in der Fertigstellung der Edition und zum anderen in der Renaissance, die der Artus-StofT gerade in jüngster Vergangenheit erlebt, begründet. Damit wird der pointierten Formulierung von RUH, Lancelot, 1970 S. 254, daß im ,Prosa-Lancelot' „ein wahrhaft säkulares Buch" vorliege, Rechnung getragen, wobei zu bemerken ist, daß speziell der LancelotstofT die Dichter des Hochmittelalters nur wenig zur Nachahmung inspirierte-schließt man die umfangreiche Prosa-Kompilation und Füeterers Lancelotroman einmal aus. Gründe hierfür nennt ERNST H. SOUDEK, Studies in the Lancelot Legend (Monographs in Comparative Literature 58/1) Houston 1972; DERS., Lancelot und Lanzelet. Zur Verbreitung der Lancelotsage auf deutschem Sprachgebiet, Rice University Studies 57 (1971) 115-121. Auffällig bleibt dennoch eine über die Jahrhunderte fortdauernde Rezeptionsbereitschaft am Lancelot- und Artusstoff. Nach Dante, Ariostos .Orlando Furioso' und Cervantes' ,Don Quichote' wird das Thema auch in der Neuzeit wieder rezipiert. Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts erschien von Mark Twain, A Connecticut Yankee in King Arthur's Court, hg. von H. HILL, San Francisco 1963 (Faksimiledruck der Erstausgabe von 1889), eine muntere Travestie der Artusdarstellung, basierend auf ihrer populärsten Fassung von Sir Thomas Malory, Le Morte Darthur, hg. von EUGENE VINAVER, London 1954. Auf dem Roman-Vierteiler von Terence Η. White, The Once and Future King, New York 1958, fußend, entstand das Musical .Camelot', das am 3.12.1960 im Majestic Theatre am Broadway uraufgeführt wurde. Frederick Loewe, Camelot. A new musical, written by Alan Jay Lerner, New York 1961. Die Vorstellung von Artus' Unsterblichkeit-zu mindest der seines Namens-, wie sie schon Hartmann von Aue im Prolog seines ,Iwein' (14-17) preist, scheint sich mit der Rückkehr des Königs von der zauberhaften Feeninsel Avalon im Oktober 1981 auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses mit der Jaroslaw Chundelaschen Inszenierung von Tankred Dorst, Merlin oder das wüste Land, Frankfurt a.M. 1981, bestätigt zu haben. Die Gralthematik tritt bei Dorst in den Hintergrund, und den Untergang des Reiches hat Merlin zu verantworten, der, von Viviane gefangen gehalten, nicht mehr helfend eingreifen kann. Die Neubearbeitung des Lancelot-Stoffes bleibt im Weltlichen verhaftet. Aus diesem Grund auch ist Galahad kein gnadenvoller Tod beschieden, sondern ein vergleichsweise schmachvoller zwischen den Heeren Mordreds und Artus'. Die auf die heutige Gesellschaft transponierte Problematik verdeutlicht, daß das Dilemma der Artusgesellschaft nicht auf das Mittelalter beschränkt ist, und Dorst wäre wohl kaum bereit, in den hofinungsfrohen Ausruf des sterbenden Artus „sometimes a king will come and a sword will rise again" einzustimmen, der am Ende von John Boormans Artus-Verfilmung mit dem vielversprechenden Titel ,Excalibur' laut wird, der im November 1981 in den deutschen Kinos Premiere hatte. In Marion Zimmer Bradleys Roman, The mists of Avalon, New York 3 1982 (dt. Die Nebel von Avalon) übertragen von MANFRED OHL und HANS SARTORIUS, Frankfurt a.M. 1983, werden die Ereignisse um Artus und die Ritter der Tafelrunde wohl zum ersten Mal von einer Frau, durch Morgan le Fay, erzählt. Die Autorin schöpft aus verschiedenen Quellen und verknüpft unterschiedliche Religionen, Kultur- und Stoffkreise zu einem umfangreichen Erzählwerk, das vor magischem Hintergrund bekannte Gestalten der mittelhochdeutschen Artusepik zu neuem Leben erweckt. Mit der Enthüllung des Gralmysteriums findet das Artusreich auch hier seinen Höhepunkt und Abstieg zugleich, und Avalon versinkt unwiederbringlich im Nebel der Zeit. 26 RUH, Lancelot, 1970 zur höfischen Minne S. 246iT., zu Lancelot in seinen Funktionen als Asket, Heiliger und Märtyrer S. 250f. 27 RUH 1982 S. 3-15.

,Prosa-Lancelot'

27

tiefschürfenden Kenntnis weitgehendst deskriptiv verfährt, sorgt er mit seinem OQ ,Queste'-Aufsatz für Unruhe in der Lancelot-Philologie. Es wird der Versuch OQ

unternommen, den Niederschlag einer einheitlichen Geschichtskonzeption im Werk aufzuzeigen. Da unter den zahlreichen eschatologischen Entwürfen einzig die Geschichtstheologie Joachims von Fiore am Ende der irdischen Zeit noch einen höheren Grad an Vollkommenheit in der Welt selbst zuteil werden läßt, schien die Drei -status -Lehre des italienischen Abtes als mögliches Vorbild beΟΛ sonders beachtenswert. Was die Forschung hierzu an Ergebnissen zusammen01 getragen hat, unterzieht Speckenbach einer sorgfältigen Uberprüfung. Indem er den Zyklus auf die Wirkung der joachitischen Lehre von den drei Reichen hin befragt, folgt er methodisch dem einzig zu beschreitenden Weg, um zugesicherten Ergebnissen zu gelangen und letztlich einen neuen Lösungsweg aufzuzeigen. Mit einer sorgsamen Textanalyse deckt Speckenbach die Widersprüche auf, die bei einer konsequenten Anwendung der joachitischen Einteilung trotz zeitlicher Verschiebungen bleiben. Die Art und Weise wie sich der Untergang des Artusreiches abzeichnet und schließlich vollzieht, drücke ein Endzeitbewußtsein aus, wie es seit Augustin nachdrücklich formuliert worden ist. Die Abläufe im Text haben wenig gemein mit der Vorstellung eines harmonischen Lebens unter monastischer Führung, wie es bei der consummatio des dritten status und im Anschluß daran nach Joachim zu erwarten wäre. Widersprüche solcher Art und die Tatsache, daß Joachims Drei-status -Lehre bis in die 40er Jahre des 13. Jahrhunderts

28 KURT RUH, Der Gralsheld in der .Queste del Saint GraaP, in: Wolfram-Studien I, hg. von WERNER SCHRÖDER, Berlin 1970, S. 240-263, bes. S. 260-263. 29 Die Dichtung selbst ermuntert zu einem solchen Unternehmen, weil sie durch stereotype Wiederholungen wie die history sagt uns (142,13 u.ö.) und hie spricht das buch (197,17 u.ö.), die den Anfang der zahlreichen Szenenwechsel einleiten, den Anschein eines authentischen Berichtes historischer Abläufe und Ereignisse u n s gibt. Zu m historien -Begriff zuletzt KNAPE bes. S. 213-237. KNAPE zählt nicht weniger als über einhundertfünfzig Belegstellen für den Begriff kistorie. Später werden durch einen Schreiber am Artushof alle auentiuren einschließlich der Gralsuche schriftlich festgehalten (1482,5-9; II 26,26-31; 109,25-28; 343,5ff.; 695,7-697,30; III 383,15ff.; 388, 5f.). Zum chronikartigen Charakter des Werkes RUBERG 1984 Sp. 532, 534; KLAUS SPECKENBACH, Endzeiterwartung im, Lancelot-Gral-Zyklus'. Zur Problematik des Joachitischen Einflusses auf den Prosaroman, in: Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters, Symposium Münster 1982, hg. von KLAUS GRUBMÜLLER-RUTH SCHMIDT-WIEGAND - KLAUS SPECKENBACH (MMS 51) München 1984, S. 210-225 (in verkürzter Form auch «L'attente de la fin du monde dans le cycle du Lancelot-Graal trait6 sur l'influence de Joachim de Fiore sur le roman en prose discutö d'apres la version allemande»,in: Actes du Colloque des 14 et 15 Janvier 1984 , publics par les soins de DANIELLE BUSCHINGER (GAG 415) Göppingen 1984, S. 213-224; FROMM 1979 S. 69-97; RUBERG 1965 S. 105-115; Auszüge dieser Untersuchung mit neu eingerichteten Anmerkungen unter dem Titel ,Die Kontinuität der überblickten Zeitabläufe im ,Prosa-Lancelot', in: ALEXANDER RITTER (Hg.), Zeitgestaltung in der Erzählkunst (WdF 447) Darmstadt 1978, S. 190-228. Kritische Anmerkungen zu RUBERGS Untersuchungen zur Erzählzeit und zur erzählten Zeit (ebd. S. 115-121) bei CAPLES S. 21ff., die in ihrer Flachheit den überzeugend a m Text geführten Beobachtungen RUBERGS kaum gerecht werden können. 30 Zuerst EUGENE ANITCHKOF, Joachim de Fiore et les milieux courtois, Rom 1931 (Nachdruck Genf 1974) bes. S. 304ff.; DERS., Le Galaad du Lancelot-Graal et les Galaads de la Bible, Romania 53 (1927) 388-391; O'SHARKEY S. 54; FROMM 1979 S. 89-97. 3 1 SPECKENBACH 1 9 8 4 .

28

Forschung

keiner großen Bekanntheit sich erfreute, lassen Speckenbach einen Einfluß der OFT Konzeption auf das Werk zurückweisen. Auch Haug betrachtet den Text als Ganzes aus dem Blickwinkel der Einheit des Stoffes. Die literaturwissenschaftlich-komparatistisch ausgerichtete Studie, welche die Problematik von Struktur und Mythosrezeption im Vergleich des ,Prosa-Lancelot' mit Chretiens und Ulrichs von Zatzikhoven ,Lanzelet' behandelt, zeichnet die Konturen der Haupthandlungsträger in den einzelnen Werken absichtlich scharf, um ein ungenaues Zusammenfließen, wie mitunter in der Forschung, zu vermeiden. Beim Herausarbeiten von „Motiwerschiebungen und Verrätselungen" fällt Haug einer gelegentlichen Uberbetonung des ,Lanzelet' anheim. Wo seine OAGegenüberstellung von Lancelot und Tristan das Prosawerk als „Antitristan" entlarvt, ist dies nicht ganz unbedenklich, weil sich trotz auffalliger Unterschiede auch Parallelen Ηzwischen den beiden großen Liebenden des 13. C Qß Jahrhunderts aufzeigen lassen . Auch nach zwei Dezennien ist das in Rubergs ,Raum-Zeit-Untersuchung' trefflich Eruierte nach wie vor eine der tragenden Säulen der Lancelot-Forschung. Mit fein differenzierter Methodik den Text unter polyvalenten Aspekten betrachtend, entdeckt er eine klare räumliche und zeitliche Struktur des voluminösen Erzählwerks. Seine werkdeutende Arbeit macht die Verknüpfung der Ereignisse in einem genau durchkalkulierten Raum-ZeitSystem als das Fundament im Sinngefüge der Dichtung aus. Die Prosa scheint nichts dem Zufall überlassen zu wollen, alles Terminliche und jede Örtlichkeit ist bewußt durchgestaltet. So wie bei den Landschaftsdarstellungen ein deutlicher Zug zum Konkreten sich zeigt, wenn geographische und topographische Bestimmungen, Sprach- und Landesgrenzen den Eindruck minutiöser Genauigkeit vermitteln, so scheint auch die Zeiterfassung mit einer präzisen Folge kalendarischer Daten chronologisch dargestellt. Damit zeigt das Werk eine Nähe zur Chronik, die der Autor durch eine bewußte Gestaltung des Geschehens und sein wohl durchdachtes Inbezugsetzen von Charakteren und Ereignissen jedoch auffängt, so daß er, trotz gelegentlicher Beteuerungen, nicht als Annalist verstanden werden darf, und der ,Prosa-Lancelot' „vom reinen Chronikstil" deutlich abrückt. Die Eigenverantwortlichkeit des Autors, sein individueller Formwille tritt besonders in der Anlage und Stufung der zahlreichen Suchebewegungen38 hervor, welche die epische Breite beziehungsreich durchlaufen. „Unzählige Einon

3 2 HAUG m i t e i n e r u m f a n g r e i c h e n B i b l i o g r a p h i e z u m L a n c e l o t s t o f f S . 8 9 - 1 0 2 (rez. v o n FRITS PIETER VAN OOSTROM, R a p p o r t s 4 9 , A m s t e r d a m 1 9 7 9 , S . 1 0 8 - 1 1 4 ; CHRISTOPH CORMEAU, A f d A 9 1 ( 1 9 8 0 ) 23FF.). 3 3 HAUG S . 2 6 .

34 HAUG S. 83-88. 35 Hierzu XENJA VON ERTZDORFF, Tristan und Lancelot. Zur Problematik der Liebe in den höfischen Romanen des 12. und frühen 13. Jahrhunderts, GRM 33 (1983) 21-52. 36 RUBERG 1965. Bedauerlicherweise lag RUBERG der 3. Band, die ,Mort Artu', noch nicht vor, um seine Beobachtungen am Gesamtwerk zu komplettieren. 3 7 RUBERG 1 9 6 5 S . 115. 3 8 H i e r z u UWE RUBERG, D i e S u c h e i m ,Prosa-Lancelot', ZfdA 9 2 ( 1 9 6 3 ) 1 2 2 - 1 5 7 ; FRIEDRICH OHLY,

Die Suche in den Dichtungen des Mittelalters, ZfdA 94 (1965) 171-184, hat in diesem Zusammenhang auf die Begegnungsszene zwischen Lancelot und Gawan hingewiesen, der durch das

,Prosa-Lancelot'

29

zelabenteuer erhalten ihre Ausrichtung durch Integration in eine gestufte Gesamtbewegung von Suchen, als deren höchste ausdrücklich die nach dem Gral bezeichnet wird . . . ; der Artushof verödet, weil die gesamte höfisch-ritterliche Welt zur Suche aufgebrochen ist" . Anhand der vier sich steigernd angeordneten Sucheformen widerlegt Ruberg beispielhaft die bis dahin vertretene Auffassung, die Anordnung der ritterlichen Queste-Bewegung sei lediglich ein bequemes Mittel der Erzähltechnik, während die suochunge als die eigentliche „Trieb- und Lenkkraft des ritterlichen Vorwärtsdranges" 4 0 angesehen werden muß. Später geht Ruberg 41 peripher auch auf das minnebedingte Schweigen und das ungewöhnlich häufig zu beobachtende schweigende gedenken im ,Prosa-Lancelot' ein. Die für den Artushof bislang untypische Schweigsamkeit erweist sich als warnendes Signal für den unabwendbaren Untergang des gesamten Artusreiches. „Das Gedenken im Prosa-Lancelotroman hat ein Gefälle hin zum Untergang" 4 2 , resümiert Ohly seine Beobachtungen zur Melancholie und zum Nachsinnen, die sich in beeindruckender Neuheit an den Hauptfiguren in unterschiedlichen Schattierungen zeigen. Anfängliches Schweigen, das sich zum Gedenken, zur Schwermut, ja zum Wahnsinn steigert, kennzeichnet vor allem die Psyche Lancelots 43 . Auch König Artus zeigt von Anfang an einen neuen ausgeprägten Hang zur Melancholie. Dies läßt ihn in einem völlig veränderten Licht erscheinen, dessen Strahlen nach und nach den gesamten Hof erfassen. Mit Beginn der Gralsuche, aus der viele Tafelrunder nicht wieder an den Hof zurückkehren, wird der wesensverändernde Einschnitt in die bislang zumindest äußerlich funktionierende Gesellschaft evident. Der zunehmend versiegende Erzähl- und Redefluß deutet auf eine Verödung des Hofes hin, der empfindlich an seinem Lebensnerv getroffen ist. Einem der zentralen Themen - der Liebe und ihren unterschiedlichen Ausformungen - wendet sich Krawutschke 44 für den ersten Band, den,Lancelot propre', zu. Unter Berufung auf Andreas Capellanus ,De Amore' diskutiert er an ausgeOrt

Zusammentreffen mit Lancelot das höchste Ziel seiner Suche erreicht hat und durch einen kühnen Sprung auf Lancelots Pferd den erneut sich Entziehenden mit beiden Armen liebevoll umfaßt, den endlich Gefundenen so festzuhalten und nicht wieder aufzugeben (I 453, 32-454, 1). 3 9 RUBERG 1 9 8 4 S p . 5 3 9 . 4 0 RUBERG 1 9 6 3 S . 122.

41 UWE RUBERG, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (MMS 32) München 1978, S. 224-230. 42 FRIEDRICH OHLY, Bemerkungen eines Philologen zur Memoria, in: KARL SCHMIDT - J. WOLLASCH

(Hgg.), Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter (MMS 48) München 1984, S. 9-68, hier S. 62. Daß alle Zeichen des Romans auf Sturz stehen, daß das Gedenken und das Stürzen eine verhängnisvolle Allianz eingehen, wird sich im Einzelfall am Sturz von Reiter und Pferd konkretisieren lassen. 43 RUBERG 1965 S. 173-176 vergleicht Lancelots gedenken mit Parzivals trüren. 44 PETER W. KRAWUTSCHKE, Liebe, Ehe und Familie im deutschen Prosa-Lancelot I, Michigan 1976 (Europäische Hochschulschriilen, R.l, 229) Bern-Frankfurt a.M.-Las Vegas 1978.

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Forschung

wählten Beispielen das Problem der Unvereinbarkeit und Vereinbarkeit von Ehe und Liebe45. Er glaubt, beides im Text nachweisen zu können, sieht das Ideal keuscher Liebe ebenso wie Ehebruch und Vergewaltigung zur Darstellung gelangen. Die Arbeit hat ihren Mangel in der Beschränkung auf den ersten Band; denn gerade die Entwicklung und Fortdauer der Liebesverhältnisse - allen voran das zwischen Lancelot und Ginover - bis zum Romanende zu verfolgen, verspräche dem Werte- und Normenverständnis des Autors auf den Grund zu kommen46 Die außergewöhnliche Liebesbeziehung zwischen Lancelot und Ginover bezieht Α.Π

auch Xenja von ErtzdorfF in ihre allgemeinen Betrachtungen über das Phänomen der erotischen Anziehung zwischen Mann und Frau, das Entstehen und Wachsen ihrer Liebe innerhalb und außerhalb der Gesellschaft mit ein. Konnte in benachbarten Werken wie in „der Willehalm- und in der Sigune-Geschichte die

45 KRAWUTSCHKE S. 117-124 (Problematik der Ehe). Die von KRAWUTSCHKE aufgezeigten für die Ehe sprechenden Exempel, woraus eine generell hohe Wertschätzung der Ehe im Roman abgeleitet wird (ebd. S. 118fT.), verlieren im Vergleich mit der leidenschaftlich die Ehe brechenden Liebe zwischen Lancelot u n d Ginover, die jedes andere Liebesverhältnis überstrahlt, jeglichen Glanz. Ausführlich hierzu jetzt RÜDIGER SCHNELL, Andreas Capellanus. Zur Rezeption des römischen u n d kanonischen Rechts in ,De Amore' (MMS 46) München 1982, bes. S. 86-126 (,De Amore' als Ehetraktat), S. 169f. (Warnung vor der Ehe). 46 In der Trilogie findet ein für die Zeit ungewöhnlicher Wechsel von Werten u n d Normen statt, der auch in der Minnedarstellung evident wird. So stellt sich Lancelots Liebe zur Königin anfänglich als die Antriebsfeder f ü r sein ritterliches Wirken dar, und er selbst sieht darin die Wurzel seines Erfolges. Liebe ist das Movens f ü r die Erlangung weltlicher Ehre. In der ,Gral-Queste' vollzieht sich dann eine Umwertung, indem die vormals anspornende u n d sittigende Kraft zur sündigen herabsinkt, ebenso wie das weltliche Rittertum vor dem geistlichen sich relativiert. Dieses Verdikt der Sündhaftigkeit bleibt der Frauenminne auch in der ,Mort Artu' anhaften u n d mündet schließlich im allgemeinen Chaos. Auf die sich konstituierenden u n d wandelnden Normen und Werte geht TRUDE EHLERTS Aufsatz .Normenkonstituierung u n d Normenwandel im Prosa-Lancelot', Wolfram-Studien IX, S. 102-118, ein, der über die sich wandelnde Bewertung der Minneverhältnisse auch auf die großen gesellschaftlichen Einbrüche und Umwandlungen sich richtet. Ebenfalls in den Wolfram-Studien IX, WIEBKE FREYTAG, Mundus fallax, Affekt und Recht oder exemplarisches Erzählen im Prosa-Lancelot, S. 134-194. Zur sich wandelnden Bewertung von Lancelots Rittertum auch auf sprachlicher Ebene, veranschaulicht a m Gebrauch der Epitheta ornantia, PETER UTZ, Lancelot und Parzival. Zur Klosterepisode im .Karrenritter" des mhd. Prosa-Lancelot, PBB 101 (1979) 369-384, bes. S. 372. Den moraltheologischen Implikationen, welche auf die Liebeskonzeption des Romans Einfluß nahmen, ist FRITZ PETER KNAPP, Die Liebeskonzeption im französischen Prosa-Lancelot und in der christlich-neuplatonischen Theologie, auf der Grundlage des afrz. Textes nachgegangen. Demnächst in: DERS., Chevalier errant u n d fin 'amor. Das Ritterideal des 13. J a h r h u n d e r t s in Nordfrankreich und im deutschsprachigen Südosten (Schriften der Universität Passau 8), Passau 1986. Gelegentliche Unebenheiten im Auge behaltend, sieht KNAPP im christlichen Neuplatonismus die geistesgeschichtliche Quelle für die Darstellung des Liebesverhältnisses zwischen Lancelot und Gueniövre, da hier der Eros-Gedanke im Kern - u n t e r Berücksichtigung aller anderen Elemente der fin'amor - bewahrt sei. „Die platonische Grundidee von der einen Liebe, die letztlich alle Wesen mit der Sehnsucht nach Selbstvollendung im Streben nach dem einen Guten, d.h. Gott, erfüllt", sieht KNAPP, basierend auf der zuerst von MYRRHA LOT-BORODINE formulierten „gradualistischen" Weltanschauung, auf den Roman transponiert, wenn der platonische Eros als die veredelnde u n d wertsteigernde Kraft über das Ich hinausträgt, je nach Art seiner Bestimmung. Diese Kraft speist die ekstatische Frauenminne Lancelots, der zum Schluß als Asket stirbt, ebenso wie die ekstatische Gottesliebe Galaads, der von vornherein vor jeder Versuchung gefeit ist. 4 7 VON ERTZDORFF 1 9 8 3 .

,Prosa-Lancelot'

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erotische Liebe in die Ehe integriert und dabei mit der Liebe Gottes vereinbart" 4 8 werden, so ist eine derartige Harmonisierung im ,Prosa-Lancelot' undenkbar, weil die Ehe der Königin ein dauerhaftes Glück vom ersten Moment ihrer Begegnung an verhindert. Die verbotene Verbindung ist aber - zumindest in den Anfängen - nicht als „farblos, düster und quälend" 4 9 zu charakterisieren. Wünsche der geliebten Frau sind Lancelot uneingeschränkter Befehl. Ginover bietet ihrerseits - mit zum Teil großem Raffinement - all ihre Kräfte zur Wahrung der Dis-kretion auf. Die ganze Skala der Gefühlsregungen wird ausgeschöpft, wenn die Liebenden zwischen leidenschaftlichem Geben und Nehmen und völliger Erstarrung und Entrücktheit sich bewegen. Erst als die Probleme des Paares immer mehr mit denen der Außenwelt sich verstricken und ihre Liebe in zunehmendem Maß an den christlichen Normen des Gralbereichs gemessen wird, verliert sie an Glanz und Leidenschaft. Die ehebrecherische Komponente tritt in den Vordergrund, die das Zusammensein endgültig als Sünde verurteilt. Der Zusammenbruch ist auf allen Ebenen unabwendbar: Die Liebenden trennen sich und sterben, und mit ihnen geht das ganze Artusreich unter. Die Welt der ,Mort Artu' ist in der Tat düster und in ihrer asketisch-christlichen Trauer auf den Tod hin orientiert. Erst diese Welt läßt einer erotischen Liebe keinen Raum. Fromm50 betont die zentrale Position der Karrenritterepisode im Gesamtwerk, so daß die bislang primär Chretiens gewidmete Aufmerksamkeit51 sich nun ihrem prosaischen Gegenentwurf zuwendet. Der mythologischen Ursprünglichkeit der Episode nachspürend, folgt Fromm ihrer nach seinem Verständnis linearen und finalen Struktur, die sich einer biblischen Bildbedeutung des Weges annähert, „in welcher der Prüfungs- und Stationenweg des menschlichen Lebens EN

zu einem transzendentalen Ziel führt" . Auf dieser Wegstrecke erscheint die differente Signifikanz des Karrens in der und im ,Prosa-Lancelot' als ein Meilenstein tieferen Verständnisses53. Bei weiterer Betrachtung schiebt sich auch hier die Minnethematik in den Vordergrund. Die sich nicht auf breiter Straße, sondern auf schmaler Brücke abspielende Szene stellt nach Fromm ein Konglomerat der drei im 12. Jahrhundert wesentlichen Minnekonzeptionen dar: Wesenszüge des fin'amor, des amour courtois und der Tristanminne54 vereinigt der Prosaist in der Darstellung der Lancelot-Minne. 4 8 VON ERTZDORFF S . 4 4 . 4 9 S o VON ERTZDORFF S . 4 4 .

vgl. auch ALOIS WOLF, «Ja por les Fers ne Remanra» (Chretiens .Karrenritter' V.4600), Minnebann, ritterliches Selbstbewußtsein und concordia voluntatum, Literaturwissen-

5 0 FHOMM 1 9 7 9 ;

schaftliches Jahrbuch N. F. 20 (1979) 31-60. 51

Bibliographische Hinweise hierzu ausführlich bei HAUG. ERNST H . SOUDEK, The Cart-Episode: Evolution of an Arthurian Incident from Chretien's «Le Chevalier de la Charrette», through the Old French Prose Lancelot, the Middle High German Prose Lancelot, to Malory's Morte Dartur (DA 31 (1970/71) S. 1230 A-1241 A) Michigan 1969, greift aus verschiedenen Bearbeitungen die Karrenepisode heraus, um Wandlungen herauszuarbeiten.

5 2 FHOMM 1 9 7 9 S . 7 4 . 53

Hierzu auch ein

FROMMS

These unterstützender Passus bei

HAUG S . 7 2 - 8 2 .

54 Hierzu kritisch, die Motivkomplexe bei Chr6tien und im Prosawerk methodisch eindeutig trennend HAUG S. 8 4 - 8 8 .

Forschung

32

Die Darstellung des Rittertums in seiner weltlich-höfischen wie geistlichen Ausformung fand ein besonderes Interesse. Caples 55 sieht in Lancelots Lehnsverlust die zentrale Frage, um die das Thema des Werkes kreise 56 . Sie führt alle Konflikte, selbst die aus der Minne zwischen Lancelot und Ginover keimenden, auf die Bestrebung, dieses Lehen wiederzuerlangen, zurück . Die Aussparung der ,Gral-Queste' und des ,Tod des König Artus', die der Bearbeiterin noch nicht vorlagen, führt zu verfehlten Textdeutungen 58 . Ihre These, Lancelots Weg sei eine „feudalistische Tragödie"59, verleitet zu der Annahme, dem Autor sei mit nur geringem Interesse an der Darstellung der Heilsgewinnung gelegen. Die Verteilung des im Krieg von Flandern eroberten Landes widerspricht dieser These jedoch in nuce, denn Lancelot tritt das von Artus übertragene konigrich von Gäulen (II 768, 19-23) kurz darauf wieder ab, wann er wolt Hector synen bruder konig zu Bonewig machen und Bohort zu Gaune und Lyonel zu Gaule, des konig Artus gar willig was und zumal gern volgte (II 777, 8ff). Lancelot scheint auch

meint, es sei "the ethical or secular code of the Prosa-Lancelot (...) a code of chivalry, since virtually all the secular characters in the work are knights or of knightly rank; even many of the religious figures are explicitly described as former knights or members of this courtly society".

5 5 CAPLES S . 5

56 "The loss of the fief is the tragedy of the Lancelot propre from beginning to the end." CAPLES S. 59. Zu den sozialpolitischen Fragen im afrz. Text ELSPETH KENNEDY, Social and political ideas in the French Prose Lancelot, Medium Aevum 26 (1957) 90-106. 57

Aus dieser Sicht erfährt die Lancelot-Ginover-Beziehung eine falsche Bewertung, wenn CAPLES sie "as one between feudal lord and vassal" (S. 194) oder Ginover als "a surrogate for the lost heritage of his (Lancelots) own kingship" ( S . 1 9 6 , ähnlich S . 6 8 , 8 8 ) bezeichnet. Kritisch STEINHOFF 1 9 7 7 S. 2 7 4 Anm. 6 .

58 Mit einer Beschränkung auf die ersten beiden Bände mußte sich der Blick der Interpretin auf das Höfische zentrieren. Wie die Forschung mancherorts dargelegt hat, ist der Grundtenor des .Lancelot propre' vornehmlich ein weltlicher, was STEINHOFF 1977 S . 288f. mit der literaturgeschichtlichen Stellung des Romans begründet, der sich jedoch in der .Queste' grundlegend zum Geistlichen wandelt. Dieser qualitative Schritt, der dem Werk seinen besonderen Reiz gibt und seine Außergewöhnlichkeit im literarischen Reigen der Zeit bewirkt, muß von jedem mit vollzogen werden, wenn der inhaltlich einheitlichen Konzeption Gerechtigkeit widerfahren soll. Jegliches Separieren einzelner Teile vom Werkganzen muß zu inhaltlichen Verzerrungen und verfahrenen Deutungen führen, die am Kernproblem vorbeilaufen. So beispielsweise in der Gleichsetzung des Liebesabenteuers von Lancelot und Ginover mit der Begegnung zwischen Artus und Gartissie. CAPLES S. 45. Der unterschiedliche Ausgang des Beisammenseins beweist den äußerlich zwar ähnlich gestalteten, im Kern aber gänzlich verschiedenen Charakter der Intimität: Während Artus von Gartissie heimtückisch gefangengenommen wird, entläßt Ginover ihren Geliebten mit einem Kuß zur Befreiung ihres Gemahls (1462,4-7; 473,2 lf.). Der entehrenden Arrestation steht das die Nacht überdauernde Glücksgefühl der beiden Liebenden diametral gegenüber. S. I. Weitaus weniger aporetisch stellt sich für STEINHOFF die einheitliche Konzeption des Romans dar. Wenn nämlich das geistliche Rittertum in Lancelot und dessen Sohn Galaad inkarniert ist, dann macht der Schluß, in dem auch Lancelot, der, in seiner ritterlichen Vollkommenheit fragwürdig geworden, „schließlich mit Gottes Gnade den Weg zur militia dei findet" (1977 S. 288), palpabel, daß das weltlich-höfische Rittertum keineswegs verworfen wird, „sondern die Blindheit derer, die seinen bedingten Status zu erkennen sich weigern, und die höfische Minnedoktrin, aus der weltliches Rittertum seine autonome Legitimation abzuleiten versucht hatte" (ebd. S. 288). Die Ereignisse im Romangeschehen scheinen die Sicht der Dinge von dieser Warte aus zwangsläufig zu bestätigen.

5 9 CAPLES

Prosa-Lancelot'

33

nach der dramatisch-kämpferischen Auseinandersetzung mit Artus nicht im geringsten an einer Belehnung interessiert. Die Krone von Benoic gibt er an Bohort mit Worten weiter, welche die Kluft zwischen ihm und Artus für jedermann offenkundig werden lassen Dann hett er mir alles syn rieh geben, ich gebe es im alles wiedder in dißer punt als es yczu ist, umb des willen wann ich nit von im wolt zu lehen han (III 625, 6ff). Überblickt man das Gesamtwerk, so ist der Anschauung von Caples zuzustimmen, daß der „Lancelot propre ( . . . ) a chivalry CA of a pronouncedly wordly character" präsentiert. Eine geistliche Orientierung kündigt sich mit der Waffenallegorese früh an, mit deren Hilfe ein neues, spirituelles Ritterbild entworfen wird. Wang61 untersucht das neutestamentliche Bild vom Christen als Ritter anhand vielfaltiger Text- und Bildquellen zusammenschauend und ermittelt, daß im,Prosa-Lancelot' durch die Funktionsallegorese der Waffen ein neues Ritterbild entworfen wird. Die traktatähnliche Ausdeutung der Waffen durch die Frau vom See (I 121, 4 -122, 4) verdeutlicht mit der allegorischen Auslegung des zweischneidigen Schwertes die exponierte Stellung des Ritters, der als Knecht Gottes wie als Richter der Christen nach zwei Seiten verpflichtet ist und dennoch die zusammengehörige weltliche und geistliche Macht in einer Hand hält. „Das einzige Maß dieser Ritterschaft ist der Dienst, das Bezeichnende die Abhängigkeit. Im Gegensatz zum Artusroman, wo das Ideal der Ritterschaft gerade auf der freien Stellung des Ritters gegenüber der Gesellschaft und in der Bindung an den Hof bzw. König Artus selbst beruht, steht hier der Ritter gleich einem Priester im fi 9 Dienste Gottes wieCO der christlichen Gemeinde" . Gedanken Wangs aufgreifend, bringt Beckedahls Untersuchung der ,Gral-Queste' den kirchlichen Aspekt vermehrt zur Sprache, um zu zeigen, wie der .Queste'-Verfasser Methoden und Denkformen aus der Schriftexegese im Roman anwendet, bietet doch gerade die

60 CAPLES S. 86. Das weltliche Rittertum beansprucht in den ,Lancelot'-Teilen einen starken Eigenwert. Doch geht die alte höfische Welt dem neuen spirituellen Gralrittertum nur „in Form eines nach Vorbild der christlich-mittelalterlichen Auffassung vom Gang der Weltheilsgeschichte strukturierten stufenweisen Aufstiegs" voraus. Voss S. 25. Die geistliche Komponente des Rittertums ist schon vom Ursprung her begründet: Des ritters ampt (ist) geistlich und fleischlich zu gottes dienst gemacht (I 122, 19), belehrt die Frau vom Lack den jungen Lancelot. Bereits in den ,Lancelot'-Teilen weisen Vordeutungen auf das spirituelle Rittertum der Gralsuche hin. „Sie [die Vordeutungen] reichen aus, die Wertordnung um Artus und Lancelot schon in den ,Lancelot'-Teilen zu relativieren . . . und auf die neuen transzendierenden Verpflichtungen zu weisen". RUBERG, Rezension Voss (wie Anm.22) S. 174. Der ,miles christianus' im 16. und 17. Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition (Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 1) Frankfurt a.M. 1975.

6 1 ANDREAS WANG,

6 2 WANG S . 9 9 .

63 BECKEDAHL, Forschungsüberblick zur ,Gral-Queste' S. XX-XXV, Überlegungen zu literarischen Aspekten der ,Gral-Queste' S. 327-330, zum Verhältnis der ,Gral-Queste' zu den anderen Teilen des Zyklus S. 332-335, zu hagiographischen Motiven in der .Queste' S. 335-341; RUH, Gralsheld, 1970, stellt die Funktion des Haupthelden in der altfrz. ,Queste' heraus und ebnet damit einen leichter begehbaren Weg für das Verständnis der mhd. Fassung.

34

Forschung

,Queste' typologische Möglichkeiten, die sich von der innerbiblischen bis zur außerbiblischen Typologie erstrecken 64 . An Hand von Bildern, Symbolen, ausdrucksstarken Szenen und visionärem Erleben macht Beckedahl deutlich, „daß in der Queste verschiedene geschichtstheologische Systeme miteinander verschmolzen werden; die Typologie des Alten und des Neuen Testamentes; die Trias ante legem, sub lege, sub gratia und die Weltwoche" 65 . Danach fügt sich der Roman als Ganzes in einen vierfachen Schriftsinn. „Nach dem sensus litteralis ist es eine Suche, die in historischen und pseudo-historischen Angaben verankert ist, und äußerlich die Mittel des Artusromans verwendet. Allegorisch ist es die geistliche Suche der Menschheit nach dem Innewerden mit Gottes Mysterien. Die Queste stellt die irdische Pilgerschaft der Kirche, als Gemeinschaft der Gläubigen, zur Endzeit dar. Moralisch wird in einem Idealrittertum, das stark in Anlehnung an das Mönchtum konzipiert ist, die vorbildliche Lebensführung des Einzelnen dargestellt. Im sensus anagogicus steht die visio beatifica am Ende des individuellen Suche weges zusammen mit Andeutungen, die auf ein eschatologisches Zeit-alter schließen lassen. Trotzdem aber sind die Möglichkeiten des mehrfachen Schriftsinnes im Rahmen des Romans begrenzt, und die verschiedenen Bedeutungsebenen der ,Queste' als Ganzes nicht hervorgehoben. Die Artuswelt wird in diesem Rahmen der Typologie zwar nicht wörtlich, aber doch durch fifi die heilsgeschichtliche Struktur zu einer Synagoge relativiert". Den Träumen in der ,Gral-Queste' und ihrer allegorischen Auslegung widmet Speckenbach sein Interesse. Ihm verdankt die Forschung eine Auflösung der Irritationen, wie sie die ,Queste' durch Sprengung der alten Verstehensebenen evoziert, wenn Bekanntes in sein Gegenteil gekehrt wird. Die Auslegungen im ersten Teil der ,Gral-Queste' stehen mit beinahe allen größeren Erzähleinheiten in Verbindung und „durch die allmähliche Entfaltung der Allegoresen wird schrittweise der höfische Roman zu einer geistlichen Dichtung umgewandelt" 68 . 69

Eine spätere den gesamten Zyklus einbeziehende Untersuchung kann das untermauern. 28 Träume - die Visionen eingeschlossen - des ,Lancelot-Gral-Zyklus' sind ungleich über den Text verteilt. Die Konzentration von 11 Träumen im ,Queste'-Teil, der kein Sechstel der gesamten Dichtung ausmacht, ist augenfällig.

64 So z.B. Abels Tod an einem Freitag als Präfiguration der Kreuzigung (III 298, Iff.) und Lancelot als Präfiguration Galaads als Beleg für außerbiblische Typologie. BECKEDAHL S. XXXI. Methodisch fußt BECKEDAHL auf FRIEDRICH OHLY, Halbbiblische und außerbiblische Typologie, in: DERS., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, S. 361-400. 6 5 BECKEDAHL S . 3 2 0 . 6 6 BECKEDAHL S . 3 2 4 .

Handlungs- und Traumallegoresen in der ,Gral-Queste', in: WALTER HAUG (Hg.), Formen und Funktionen der Allegorie (Germanistische Symposien Berichtbände 3) Stuttgart 1 9 7 9 , S. 2 1 9 - 2 4 2 . Zu Träumen und Visionen in der,Queste' BECKEDAHL S. 1 5 8 - 2 2 7 .

6 7 KLAUS SPECKENBACH,

6 8 SPECKENBACH 1 9 7 9 S . 2 3 4 .

Form, Funktion und Bedeutung der Träume im ,Lancelot-Gral-Zyklus', in: I sogni nel Medioevo. Atti del Colloquio Internazionale del Lessico Intellettuale Europeo 1983, hg. von TULLIO GREGORY, Roma 1 9 8 5 , S . 3 1 7 - 3 5 5 .

6 9 KLAUS SPECKENBACH,

,Prosa-Lancelot'

35

Auch in diesem bedeutungsträchtigsten Teil der Dichtung bleibt das Träumen den Hauptfiguren vorbehalten. Auf dem Weg der Allegorese führen die Ausdeuter den Träumenden von dem Verhaftetsein in weltliches Denken durch einen qualitativen Sprung zum Verstehen des Geistlichen, wodurch sich neue Wertund Bewertungskategorien eröffnen. Immer wieder sind es einzelne Schauplätze und Episoden, die im Blickpunkt des deutenden Interesses stehen und über deren Analyse Rückschlüsse auf das Gesamtwerk gezogen werden. Der Krieg in Flandern (II 704-786), in dem Lancelot und Artus gemeinsam gegen Claudas, Lancelots Erbfeind kämpfen, wird als einzige längere Nebenhandlung ohne Unterbrechung erzählt. Er bleibt die herausragende kriegerische Auseinandersetzung, die Artus für sich entscheiden kann. Er zeigt die Artusgesellschaft in einmaliger Geschlossenheit und markiert den höchsten Punkt in der freundschaftlichen Beziehung zwischen Artus und Lancelot, die Seite an Seite für die gemeinsame Sache kämpfen. Auch das Verhältnis zwischen Artus und seinen Gefolgsleuten stellt sich hier harmonischer, ja, beinahe ideal dar, als an irgendeiner anderen Stelle. Vor der Folie der 70

Vers-epik und mit Blick auf das Ganze eruiert Stoehr auf sprachlicher wie gehaltlicher Ebene Besonderheiten der Prosa-Kampfdarstellungen, einer Kombination aus idealen und realistischen Elementen. Das Bild der Artusgesellschaft im Krieg unterscheidet sich 71 vom herkömmlichen der höfischen Versepik durch seine realistischen Züge , wenngleich die Prosasprache zur Darstellung des Kampfgeschehens durchaus eine Nähe zur Verssprache sich bewahrt. Auch hier zeigt sich die Janusköpfigkeit des Werkes, das Elementefjoder höfischen Epik aufnimmt, ohne den Konventionen ganz zu entsprechen. Utz , der die Klosterepisode im .Karrenritter' herausgreift, sieht, daß in „einem erzählerischen Mikrokosmos etwas von dem aufscheint, was das Faszinierende an dem sich über mehrere tausend Seiten ausdehnenden Prosa-Roman ausmacht."74 Utz setzt die Kloster-episode einem Vergleich mit der Trevrizent-Einkehr in Wolframs ,Parzival' aus. Mit den Ereignissen in der flammenden Krypta und mit der zweiten Taufe, dem Kulminationspunkt der Episode, wird Lancelot seine Identität kundgetan, gleichzeitig der Gralsautorität unterstellt, die ihm prophezeit, was in der ,Gral-Queste' sich erfüllen wird: Daß nach ihm einer kommen wird, der ihn übertrifft und alle Abenteuer zu beenden vermag, an denen Lancelot gescheitert 70

MEREDITH LYNNE PALMER STOEHR, The War in Flanders: Themes and Structure of an Episode in the "Prosa-Lancelot', Michigan 1978 (mit ausführlichem Register zum kämpf- und waffenbezogenen Vokabular S. 254-297, Register der Personennamen S. 298-303, Register der Ortsnamen S. 304fT., graphische Darstellung der Genealogie von Lancelot und Artus S. 307f.).

71 Dies zeigt sich allein in den dargestellten KamplTormen, die den Zweikampfund das Scharmützel ebenso umfassen wie den Buhurt, die Massenschlacht. "The courtly epics show mostly single combats, more or less courteously fought between fellow knights. The epics which show full battle scenes most often concern ßghts between Christian and heathen, in which no quarter is expected to be given, or, as in 'Kudrun' or the 'Nibelungenlied', fights over strongly felt points of family honor." STOEHR S. 248. 7 2 STOEHR S . 2 4 5 .

73 UTZ 1979. 74 UTZ S. 369.

Forschung

36

ist. Es kommt somit zu einer Neudefinition des Helden, die seine Stellung relativiert. Trotz einiger Kongruenzen macht Utz auf das grundverschiedene Geschichts- und Gralverständnis aufmerksam. Eine im ,Parzival' mögliche Harmonisierung von Artus- und Gralswelt, von Liebe und Gesellschaft ist im ,ProsaLancelot' undenkbar. In diesen wesentlichen Punkten erscheint das Prosawerk eher wie eine Negation des Versepos, und sicherlich entbehrt eine derartige Kontrastierung nicht ihres Reizes. Doch mutet - angesichts der wesenhaften Eigenständigkeit der Trilogie - die Behauptung kühn an, daß der »Lancelot' ohne den .Parzival' nicht denkbar wäre . ITC

Welz selektiert aus der Kompilation das Abenteuer im ,Verlornen Walt', „in dem ein magischer Reigen der Entfremdung zelebriert wird" 77 , um an seiner Struktur den Sinn und die Bedeutung dieses Intermezzos für das Dichtungsganze aufzuzeigen. Bereits an diesem Abenteuer wird offenkundig, „daß wer der beste Ritter dieser Welt ist, nicht auch ihr Gralheld sein kann. Denn was Lancelot im Verlornen Walt zum Erlöser qualifiziert, genau das disqualifiziert ihn als Gralheld . Harms'* verfolgt die Bildlichkeit des Weges wie sie sich als Situationsgeschichte des homo viator präsentiert. Es gehört zu den Erzählprinzipien des Romans, daß die aventiure suchenden Ritter als „handlungstragende viatores" auf einem die Welt überziehenden Straßen- und Wegenetz in immer wieder auftretende bivium-Situationen gelangen - zumeist zu Pferd. Harms resümiert, daß im .Lancelot' die beschriebenen Situationen weniger auf metaphorischer Ebene relevant werden, als vielmehr in ihrer epischen Realisierung eine Aufgabe im Gesamtwerk erfüllen. Herausragende Persönlichkeiten und Personengruppen im einzelnen sowie das Verhältnis der Gestalten untereinander zu betrachten, dient der Forschung vielfach, offene Fragen Besonders in der 81,Queste' ungewöhnlich zahlreich vertreten sind zu dieklären. Einsiedler und Eremiten , die zunehmend das ITQ

»7Q

ΟΛ

75 U T Z S. 384. 76 DIETER WELZ, Lancelot im .Verlornen Walt'. Zu Struktur und Sinn einer Episode aus dem deutschen,Prosa-Lancelot', ZfdA 107 (1978) 231-247. WELZ Aufsätze leisten an Hand ausgewählter Szenen einen Beitrag, die Gestalt Lancelots in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft zu analysieren, ohne dabei zu tieferen Wesensschichten vorzustoßen. Vgl. auch DIETER WELZ, Lancelot auf der .fremden Insel'. Zur strukturalen Lektüre einer Episode aus dem deutschen ,Prosa-Lancelot', Acta Germania 11 (1979) 53-75; DERS., Poetry and Truth. On two Episodes of the Medieval .Prosa-Lancelot', Euphorion 73 (1979) 121-131. 77 WELZ, Lancelot im .Verlornen Walt', S. 246. 7 8 WELZ e b d . S . 2 4 6 .

79 WOLFGANG HARMS, Homo viator in bivio (Medium Aevum 21) München 1970, S. 250-286 (Die Situation des homo viator im Prosa-Lancelot). 8 0 HARMS e b d . S . 2 5 0 .

81 Angesichts der geradezu beängstigenden Ansammlung von Eremiten und heiligen Männern werden Assoziationen an Thomas Manns indische Erzählung, Die vertauschten Köpfe, in: Ders., Der Tod in Venedig, Frankfurt a.M. 1972, S. 104-176, hier S. 152, wach, in welcher der regengrüne Dankakawald stark bevölkert ist mit Heiligen. Wenn auch aus literarhistorisch gänzlich anderer Motivation schallt Thomas Mann - dem siebenhundert Jahre älteren Prosawerk nicht unähnlich mit der ihm eigenen Ironie ein Territorium, das einem jeden hinlängliche Abgeschiedenheit und ein Stück grausiger Menschenleere zu bieten hat.

, Prosa-Lancelot'

37

Geschehen prägen. Nach seinen befruchtenden Gedanken zur Karrenepisode on lenkt Fromm sein deutendes Augenmerk auf diese Gruppe, wenn er fragt, was die Eremitentypik fur die Problematik der ,Queste' leiste. Ein anregendes Vorbild für den ,Lancelot'-Roman sieht er im ,Perlesvaus'. Die instrumentale Funktion der Eremiten zielt auf die Protagonisten, denen sie Lebens- und Glaubensführer sind. Ihre literarische Rolle ist die einer seelsorgerlich-ratspendenden Tätigkeit. Sie spiegeln nicht nur die graduell unterschiedliche Verwobenheit von Weltdienst und Heilsuche bei den Questerittern, sondern weisen über das Werk hinaus auf die großen Eremitenbewegungen des 12. Jahrhunderts als ein Symptom der Zeit hin. Unterschiedlichster Provenienz und Lebensführung dienen sie dem Zweck, QQ „die Aventiuren der Gralsucher als allegorische zu erkennen und zu deuten" Sie führen in die spirituale Verstehensebene ein, ohne dabei die narrative aufzuheben. In der Begegnung zwischen Klausner und Questeritter erscheint die Schuldfrage in neuem Licht, weil es Schuld auf mehreren Ebenen geben kann. Das Belehrungswissen stellt diesen in alle Zusammenhänge und Geheimnisse eingeweihten Personenkreis auf eine Stufe mit dem auktorialen Erzähler. Von dieser Warte eröffnen die weitabgewandten Leute den nicht zufällig zu ihnen stoßenden Sucherittern neue Blickrichtungen und Kenntnis in eine bislang nebulöse Vergangenheit. Eine priesterliche Aufgabe erfüllen sie mit der Verwaltung der Sakramente, mit der Meßfeier und der Beichtabnahme. Die Wahrung dieser Aufgaben führt nun nicht zu einer generellen Verwerfung der weltlichen Belange, wie Fromm aus dem bedeutenden Beichtgespräch zwischen Lancelot und einem Eremiten richtig folgert, sondern verträgt sich durchaus mit der Anerkennung des Artusrittertums und des innerweltlichen Ehrbegriffs. Fromms Hinweise auf Wilhelm von St. Thierry wies der Forschung, die bei den mystischen Einflüssen bislang auf Bernhard von Clairvaux blickte, einen neu zu beschreitenden Weg zum besseren Textverständnis. QI Die Eigenständigkeit der Prosa zeigt sich auch an den von Harms untersuchten Kämpfen zwischen Freunden und Verwandten. Harms konstatiert für den .Lancelot propre' in dieser Hinsicht eine wesentliche Andersartigkeit im Vergleich zur höfischen Artusepik. „Die Ungewißheit-der Zustand desOR noch Unbekannten-, die immer wieder die Situation der Handlung bestimmt" , läßt auf reiche auszuwertende Beute in Hinblick auf die Fragestellung hoffen. Die

82

H A N S FROMM,

Lancelot und die Einsiedler, S. 198-209. Gedankensplitter zur Eremitenfrage finden sich bereits in FROMMS Aufsatz zur Karrenepisode 1979 S. 78, 94.

83

FROMM,

84

WOLFGANG HARMS, Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur bis um 1300 (Medium Aevum 1) München 1963, S. 179-201. Jetzt auch, die Genealogien der Haupthandlungsträgerbis zu ihren Wurzeln verfolgend ELIZABETH A . A N D E R S E N , Väter und Söhne im,Prosa-Lancelot', in: Wolfram-Studien IX, S. 213-227. Das Verhältnis von Vätern und Söhnen ist für den strukturellen und thematischen Aufbau des Zyklus von Bedeutung, insbesondere der typologische Aspekt des Verhältnisses Lancelot zu Galaad, wodurch es sich von den übrigen Vater-Sohn-Konstellationen abhebt. Der Autor weicht von der bislang geltenden Norm, daß gute Väter gute Söhne und schlechte Väter schlechte Söhne zeugen, ab, spielt vielmehr mit den Varianten, wodurch die dargestellte Welt komplexer, realistischer erscheint.

Einsiedler, S. 158.

8 5 HARMS e b d . S . 1 7 9 .

38

Forschung

Studie zeigt, daß die Freundeskämpfe eine andere Qualität als die für die Artusliteratur des 13. Jahrhunderts übliche haben, und auch die nur vereinzelt ausgetragenen Tjoste zwischen verwandten Rittern bleiben im ,Prosa-Lancelot' episodenhaft. Ein wesentlicher Unterschied bei der Kampfszenenanalyse zeigt sich auch an den Haupthandlungsträgern Lancelot und Gawan, deren Rolle ihrem Wesen und ihrer Funktion innerhalb der Artusgemeinschaft entsprechend, stark divergiert. Hat die Lancelot-Philologie mit der Analyse einzelner Personen und Personenkreise, ihrer Funktionen im Text und der Bewertung ihres Verhältnisses zu- und untereinander, einen wesentlichen Beitrag zum Textverständnis geleistet, so bleibt ein Blick ins Innere der Protagonisten, die Eruierung ihrer charakterlichen Eigenschaften, ihrer Stimmungslagen und Gemütsverfassungen, die gerade im ,Prosa-Lancelot' in all ihren Spielarten evident werden und für die Handlung mitunter höchst bedeutsam sind, noch offen. Ein die Trilogie in ungewohnter Häufung und Intensität durchziehendes Motiv ist das gedenken. Ohly verfolgt diesen Gesichtspunkt in seinen unterschiedlichen Ausprägungen, wie er an fast allen Hauptpersonen, besonders aber an Lancelot, zu beobachten ist. In allen Fällen hat es eine Nähe zur Melancholie. Nie ist es konstruktiv-aufbauend, immer eher isolierend-bedrückend. Nicht selten findet das melancholischegedercken seine Steigerung in Schwermut und Wahnsinn und führt den so Versonnenen oftmals in prekäre, für ihn schmerzlich endende Situationen. Mehr als einmal bringen die schweren Gedanken nicht allein das Innere des Menschen in Absence zum Wanken, sondern führen zu Einbrüchen und Stürzen in concreto. Ohne die sicher führende Hand ihres gedankenverlorenen Reiters stürzen Pferde in Gräben oder brechen sich an vom Reiter nicht gesehenen Hindernissen das Genick. A7

„Das Gedenken im Prosa-Lancelotroman hat ein Gefalle hin zum Untergang* . „Alle Zeichen des Romanes stehen auf Sturz. Gedenken und Stürzen sind sich nah. Die Pferde und Mauern stürzen, am Ende stürzt die ganze Artuswelt." Obgleich dieses Sichverlieren in eine unheilvolle Gedankenwelt nicht allein QQ

89

Lancelot vorbehalten ist , bleibt er in dieser traurigen Disziplin unerreicht. Die naturgemäß nur kurz angerissenen Standpunkte in der Forschung zeigen, daß nicht nur die Ansichten über Ursprungs- und Uberlieferungsfrage auseinanderdriften, sondern auch in interpretatorischen Gewässern in verschiedene Richtungen gesegelt wird, vor allem wenn die Frage um Klärung der Funktionen und Eindeutigkeit der Rollenzuweisung von Haupthandlungsträgern kreist, und

86

OHLY 1984 S. 60-63. Hierzu bereits treffliche Überlegungen bei RUBERG 1965 S. 541T., 173IT. Zur Herkunft und Entwicklung des Motivs jetzt DAGMAR HIRSCHBERG, Die Ohnmacht des Helden. Zur Konzeption des Protagonisten im ,Prosa-Lancelot', in: Wolfram-Studien IX S. 242-266. Zum gedenken im ,Parzival' (283, 16f.), das aus einem Sichverdenken an die in der Ferne verbliebene geliebte Frau resultiert OHLY 1984 S. 59f.

8 7 OHLY e b d . S . 6 2 . 8 8 OHLY e b d . S . 6 2 .

ebd. S . 61ff. bringt mit Blick auf das Gesamtwerk, vornehmlich auf sein apokalyptisches Ende, charakteristische Beispiele für krtus'gedenken, das diese Figur in ungewohnt neuem Licht erscheinen läßt und den Untergang seines bislang hehren Reiches im Keim vorgebildet trägt.

8 9 OHLY

,Prosa-Lancelot'

39

Probleme des dargestellten Rittertums sichtbar werden. Unter Berücksichtigung ihres Themas hofft diese Arbeit, einen Beitrag zur Konsolidierung einzelner hermeneutischer Ansätze leisten zu können und diesen in der einen oder anderen Richtung eine größere Gewichtung zu geben.

b) Zur Forschung über das Tier in der Dichtung Die durch sein reiches Vorkommen in einer Fülle von Dichtungen bezeugte Bedeutung des Pferdes stimulierte die Forschung90 bisher nur zu wenigen Arbeiten über die Darstellung von Pferden in Beziehung zum Dichtungsganzen oder zu gesonderten Untersuchungen, während die Tierwelt allgemein eine weitaus größere Beachtung fand. Das Spektrum der Arten und ihrer mitunter wunderlich-phantastischen Vertreter und ihrer Bedeutung für ein Dichtungs-

90

Außer Betracht bleibt im folgenden die Gattung der Tierdichtung, vertreten durch Tierfabel und -epos, in denen das Tier der Held und ihm die Handlung zugeordnet ist, wie etwa im populären .Reineke Fuchs', dessen anthropomorpher Charakter menschliche Wesenszüge nicht immer die besten - aufdeckt. Solche gattungsgeschichtlichen Abhandlungen liegen u.a. vor von GRUBMÜLLER, Meister Esopus, der die Genese und historische Bedingtheit der Fabel darlegt und die dem literarischen Typus eigenen Bedingungen im Mittelalter beobachtet. DE BOOR, Fabel und Brspel, 1966; JAUSS expliziert literarische Besonderheiten der mittelalterlichen Tierdichtung vor allem am Roman de Renart. SCHWAB, Zur Interpretation der geistlichen bispelrede, 1958; WEHRLI, Vom Sinn des mittelalterlichen Tierepos (1957), würdigt - eingedenk der wesentlichen Rolle des Tieres im mittelalterlichen Denken und Schaffen - die Bedeutung des Tier-epos als Wegbereiter, Analogon und Kontrapunkt zu anderen Erzählformen. Weitere biblio-graphische Hinweise zur Tierdichtung, Tierfabel, Tiersage und zum Tiermärchen bietet SCHMITT, Stoff- und Motivgeschichte der deutschen Literatur, 2 1965, S. 233 ff. (Tiere allgemein), S. 256 f. (Pferd). Eine Verbindungslinie zwischen Tierfabel und ihrer bildkünstlerischen Umsetzung zieht LÄMKE. Unberücksichtigt bleiben muß ebenso die mittelalterliche hippologische Fachliteratur, die keine ästhetischen Ansprüche stellt wie die Dichtung; dazu Eis 1960 Sp. 1115. Das Interesse unserer Studie soll dem Pferd und seiner epischen Funktion in der Dichtung vom Menschen gelten. Aus diesem Grund werden auch kulturhistorische Abhandlungen, wie sie in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden sind, am Rande erwähnt, wenn sie für die Interpretation eine Hilfe sein können. SCHLIEßEN 1867 interessieren die Pferde der Frühzeit aus mythischer und historischer Sicht. SCHLIEBEN führt mannigfaltiges Quellenmaterial an, an dem er die Eigenschaften von Pferden, deren Beurteilung, Pflege und D r e s s u r um einiges anzusprechen - herausarbeitet. Die Rolle des Pferdes in der Religion und in den Sitten und Gebräuchen einzelner Völker wird hier ebenso berücksichtigt. Einen wesentlichen Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte leistet JAHNS 1872, der das Verhältnis von Reiter und Pferd im täglichen Leben, in der Sprache, in der Mythologie, im Kultus und Volksglauben sowie in der Geschichte des deutschen Volkes beleuchtet. Die stoffreiche Arbeit hat ihren Mangel in der willkürlichen Zusammenstellung und Auswertung der literarischen Belege als kulturgeschichtlicher Zeugnisse, die zum Teil ohne Bezug auf ihre Entwicklungsgeschichte aus ihrem Zusammenhang gelöst und arbiträr nebeneinander gestellt werden. Ebenso OTTO KELLER, Thiere des classischen Alterthums in culturgeschichtlicher Beziehung, Innsbruck 1887.

Forschung

40

ganzes ist vielfaltig91. Die zoologische Palette hält reiche Möglichkeiten bereit.92 QO Die Vogelwelt steht durch Artenreichtum im Vordergrund . Die Skala reicht von kleineren Vögeln wie dem Eisvogel94, der Taube und dem Raben95, über den Qfi Q7 Pelikan und einige Raubvögel bis hin zum geflügelten Fabelwesen, dem Oft ,Greif . - Dem literarischen Cliche vom ambivalenten Wesen des Hundes

91

U T E SCHWAB

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Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, sei exemplarisch auf Arbeiten unterschiedlichster Provenienz und Intention, die sich mit speziellen Tieren beschäftigen, hingewiesen.

93

DIETRICH SCHMEDTKE, Lastervogelserien. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Tiersymbolik, ArchStud 212(1975)241-264 und 213(1976)328f.

94

HARMS, Der Eisvogel und die halkyonischen Tage, 1975 Bd.l S.477-515, stellt anhand des buntgefiederten Einzelgängers Möglichkeiten u n d Grenzen des Verhältnisses von naturkundlicher Beschreibung und allegorischer Naturdeutung an verschiedenen Werken aus der Zeit der Übergänge zwischen hochmittelalterlicher und neuzeitlicher Naturauffassung vor.

95

Die Signifikanz von Taube und Rabe in der mittelalterlichen deutschen Literatur, Köln 1 9 6 5 (rez. von WOLFGANG HARMS, AfdA 8 2 ( 1 9 7 1 ) 1 6 8 - 1 7 0 ) , wählt die häufig antithetisch aufeinander bezogenen Bedeutungsträger als Paradigmen aus, u m über ihre auszulegenden Eigenschaften Erkenntnisse über die Traditionen oder Traditionskontaminationen einer Bedeutungsfunktion zu gewinnen. Die hieraus gewonnenen interpretatorischen Aussagen sind von philologischer Bedeutsamkeit, wenn auch - wie HARMS ZU Recht kritisiert — das methodische Vorgehen teilweise bedenklich erscheint. OHLY, Probleme der mittelalterlichen Bedeutungsforschung und das Taubenbild des Hugo von Folieto ( 1 9 6 8 ) , bes. S. 4 8 - 9 2 , nutzt MESSELKENS reiche Materialiensammlung, u m sie mit der Auslegung des Eingangsbildes eines im 12. J a h r h u n d e r t von Hugo von Folieto geschaffenen Vogelbuches f ü r die allgemeine Mediävistik zu ergänzen. Hugos von Folieto ,Aviarium' bringt nach der Taube und dem Falken noch 26 weitere Vögel in Bildern und Auslegungen.

96

GERHARDT 1 9 7 9 will am aus dem ,Physiologus' gewählten Beispiel .Pelikan' und dessen Entwicklungsgeschichte zeigen, wie das blspel von der Auslegung in verschiedener Art beeinflußt wird.

97

(Hg.), Das Tier in der Dichtung, Heidelberg 1970, gibt einen Überblick über das nuancenreiche Farbenbild von Tierdichtung u n d Tierdarstellung in der Literatur: von der Revision von Gattungsbegriffen über die Behandlung bestimmter Tiermotive in der modernen Kunstprosa bis zur zusammenfassenden Deutung und Neuwertung älterer Tierdarstellungen. Die Konzeption des Buches spiegelt exemplarisch die Vielfalt der Erscheinungsformen des Tierthemas in der Dichtung u n d der damit verbundenen Problematik wider u n d stellt einen ersten philologischen Ansatz zu einer angestrebten umfassenden Phänomenologie dar. Die Subsumierung der einzelnen Gesichtspunkte unter eine einheitliche Fragestellung konnte hier noch nicht verwirklicht werden. Der von der Herausgeberin erstellte Fragenkatalog sollte für die Forschung ein Anreiz sein, das Material in einer systematisch aufgebauten Untersuchungsreihe neu zu sichten. Jetzt auch der Kongreßband der 31. Tagung des Centre italiano di studi sull'alto medioevo vom April 1983 in Spoleto, ,L'uomo di fronte al mondo animale nell'alto medioevo', Spoleto 1985. Neben den Tieren in der Kultur-, Wirtschafts-, Rechts- u n d Kunstgeschichte des Mittelalters gelten einige Beiträge auch den Tieren in der Dichtung. Hinweise zum Bild des Tieres in der monastischen Literatur des Mittelalters gibt GREGORIO PENCO, il simbolismo animalesimo nella letteratura monastica, Studia monastica 6(1964)7-38.

H A N S MESSELKEN,

Falkenmotive in der deutschen Lyrik und verwandten Gattungen vom 1 2 . - 1 6 . Würzburg 1 9 6 3 ; CHRISTOPH GERHARDT, ZU Wolframs Adlerbild, ZfdA 9 9 ( 1 9 7 0 ) 2 1 3 - 2 2 2 ; LISELOTTE WEHRHAHN-STAUCH, Aquila - resurrectio, Zeitschrift des Vereins f ü r deutsche Kunstwissenschaft 2 1 ( 1 9 6 7 ) 1 0 5 - 1 2 7 . IRMGARD REISER,

Jahrhundert,

98

1963 behandelt die etymologische Bedeutung des Wortes Greif, dessen Erscheinungsformen sowie sein Vorkommen und seine Bedeutung in der Literatur. SETTIS-FRUGONI 1973; INGEBORG WEGNER, Studien zur Ikonographie des Greifen, Freiburg i. Br. - Leipzig 1928.

WILD

Her in der Dichtung

41

zwischen treuer Wachsamkeit und teuflischer Perfidie geht Gnädinger" am Beispiel der wohl eindrücklichsten Hundefiguren der mittelalterlichen Dichtung nach: an Tristans Bracken ,Hiudan' und dem zauberhaften Feenhündchen ,Petitcreiu'. - Am zoologisch ungewöhnlichen Phänomen des schlangenfressenden Hirsches zeigt Kolb 100 , wie bei Albert dem Großen die allegorische Denkweise durch eine naturkundliche abgelöst wird. Daß der alternde Hirsch Schlangen frißt und davon Durst bekommt, den er an der Quelle löscht, bedeutet Albert nicht mehr, daß der Hirsch als Sinnbild des Neophyten und Katechumenen, der den Kampf mit dem Versucher siegreich bestanden hat und nach geistlicher Labung dürstend zu Christus, den „fons reflectionis" 101 eilt, um durch die heilige Taufe die wahre Jugend zu gewinnen, sondern — gemäß mittelalterlicher Säftelehre auf diese Weise den Vorrat an Warmem und Feuchtem in seinem Körper erhöht und dadurch eine Verlängerung seines Lebens bewirkt. - Der Eber, vom Menschen ebenso gern gejagt wie gefürchtet, und daher in der Literatur und der bildenden Kunst häufig dargestellt, wird mit verschiedenen Vorstellungen von verschiedener Herkunft tradiert 102 . - Dem Einhorn widmet der Franziskaner103

pater Einhorn eine profunde Monographie. Diese umfassende Darstellung des Einhorns in der Literatur und der bildenden Kunst ist ein Standardwerk zur mittelalterlichen Einhornmotivik. Wertvolle Ergebnisse ergeben sich, wo der Autor den bildkünstlerischen und den literarischen Bereich zueinander in Beziehung setzt und aufschlußreiche Abweichungen sichtbar werden. Im folgenden soll das Pferd in den engeren Gesichtskreis der Betrachtung treten, auch wenn es nur als Tier unter anderen erwähnt wird oder für die Erschließung eines Textes von partieller Bedeutung ist. Der wesentlichen Rolle des Pferdes in der Chanson de geste entsprechend, nehmen die Textbelege bei Bangert 104 einen umfangreichen Teil der Untersuchung ein, wobei die Pferdear99

1971. ZU .Petitcreiu' und anderen für die Minne bedeutsamen Tieren zuletzt 1984 S. 564-576.

GNÄDINGER

WESSEL

100

KOLB 1971 S. 5 8 3 - 6 1 0 .

101

KOLB S . 5 8 4 .

102

BECK, Das Ebersignum im Germanischen, 1967, kann auf der Basis von Mythen und durch die Auswertung von archäologischen Funden - da es für den zu untersuchenden Zeitraum an schriftlichen Quellen mangelt - eine kriegerische Funktion des Ebersignums im Germanischen nachweisen. Gedanken BECKS aufgreifend, weist SPECKENBACH, Der Eber in der deutschen Literatur des Mittelalters, 1975 Bd.l S. 425-476, die Rolle des Ebers ad malam und ad bonam partem in einem breiten Spektrum der mittelalterlichen Literatur nach, die wesentlich von der Bedeutung des Ebers in früheren Kulturen beeinflußt ist. Bildkünstlerische Eberdarstellungen werden in der Studie ebenso berücksichtigt wie die Funktion des Ebers als Wappentier in der Heraldik, seine allegorische Ausdeutung in der Form der Personifizierung sowie seine Funktion in literarischen Traumdarstellungen. U T E SCHWAB, Eber, aper, porcus in Notkers des Deutschen Rhetorik, A.I.O.N. 8(1967)109-245.

103

EINHORN

104

BANGERT 1 8 8 5 S . 8 - 1 2 2 beeindruckt eher durch die Vielzahl der Belegstellen, als durch eine interpretatorische Ausdeutung des Materials. Dies gilt ähnlich für BATERAU 1 9 0 9 S . 1 6 - 1 8 , der aus Dichtungen des 12. und 13. Jahrhunderts Belege zum Pferd registerartig zusammenstellt. Innerhalb der Behandlung der antiken Tierwelt weist OTTO KELLER 1 9 0 9 S . 2 4 6 auf den mythologischen Gegensatz von schwarzen und weißen Pferden hin. DE GUBERNATIS 1 8 7 4 S . 2 2 0 - 2 7 8 widmet dem Pferd als dem edelsten Vertreter unter den mythologischen Tieren ein mit ethnologischen Daten und Nachweisen gefülltes Kapitel.

1976 (rez. von

DIETRICH SCHMIDTKE,

Beitr(Tüb.) 100(1978)137-147);

BEER

1972.

42

Forschung

ten, die Ausrüstung von Reiter und Pferd sowie die Stellung des Pferdes in der Rechtspflege besondere Beachtung finden. Bindschedler105 greift aus verschiedenen Gattungen mittelalterlicher deutscher Dichtung Beispiele von Tierdarstellungen heraus - darunter auch Pferde - , um auf die literarisch gestaltete Tierwelt lOfi

als solche hinzuweisen. Wehrli erörtert am .Ruodlieb', der reich an Tierszenen und -motiven ist, im Rahmen der Darstellung von Ruodliebs Reisevorbereitun1Π7 gen, die liebevolle Schilderung des Pferdes. Lewis untersucht die fur die Dichtungen relevanten Tiere im ,Erec', ,Iwein', ,Parzival' und .Tristan' und geht - mit Ausnahme des ,Tristan', in dem das Pferd nur eine untergeordnete Rolle spielt - besonders auf die ritterlichen Reittiere ein, um auf diesem Interpretationsweg einen neuen Zugang zur Dichtung zu gewinnen. Eine zahlreiche Aspekte der französischen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts umfassende Unter1 OA suchung bietet Bichon , der wiederholt auf die Funktion dichterischer Pferdedarstellungen eingeht. Nai's109 behandelt unter differenzierter Fragestellung die literarisch gestaltete Fauna, wobei sie - auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen basierend - der künstlerischen Beschreibung des Pferdes ihre deutende Aufmerksamkeit schenkt110. Im religiösen Denken des Menschen spielt das Pferd eine nicht unwesentliche Rolle, und die mediävistische Philologie hat sich bei der Erforschung mittelalterlichen Bedeutungsdenkens - einst den Theologen vorbehalten - mit Nachdruck der Tierallegorese zugewandt. Grundlegend ist die Dissertation von Schmidtke 111 . Sie bereichert die mediävistische Forschung durch ihre eigenen Ergebnisse und bietet durch ihre einleitenden theoretischen Partien ein abgesichertes Fundament für darauf aufbauende zukünftige Untersuchungen. Schmidtke informiert ausführlich über die Verbindungsstränge zwischen der deutschen Tier-allegorese und der lateinischen Tradition. Im theoretischen Teil erörtert Schmidtke den philosophisch-theologischen Nährboden für die bezeichnenden Funktionen der Tiere aufgrund der mittelalterlichen Zeichentheorie und Naturallegorese.

105

BINDSCHEDLER S . 6 9 4 .

106

WEHRLI,

107

S. 13-32, 58-61, 120-129. Die in wesentlichen Punkten hilfreiche Arbeit verzichtet auf eine differenzierte Unterscheidung der Pferdearten, geht nicht auf ihre Benennungen ein, läßt manches außer acht und ist gelegentlich ungenau.

108

BICHON S. 159-166,173,190-197, 238-245, 248f., 318-339, 356-369,403f., 424-133,597-612, 634-642, 692-695, 699,884-886 (Index des animaux).

109

NAIS S. 545f., llf., 76, 109, 132, 143, 173, 182, 251, 263, 377, 383, 386f„ 409f„ 415, 421-424, 433, 437f., 459, 479-490, 496, 500, 503, 505f., 516, 518, 520, 523-525, 529, 545f., 558f., 563, 566f., 573, 585, 588, 590, 605-612, 615, 620. Zum Pferd in der antiken Poesie detailliert und reich an Belegen DELEBECQUE; zu den Pferden in der amerikanischen Literatur ALLEN S . 159-174 (William Faulkner), S. 185f. (Ernest Hemingway); zum Hippischen in der Renaissance-Epik GIAMATTI S . 265-307.

110

Zur Pferdebeschreibung in der Renaissance

111

SCHMIDTKE 1 9 6 6 ,

Ruodlieb und die Tiere, S. 130.

LEWIS

zum Pferd

S.

NAIS

373-377 (rez. von

S. 545-555. WOLFGANG HARMS,

AfdA 8 2 ( 1 9 7 1 )

165-168).

Tier in der Dichtung

43

Der Katalog der Tierbedeutungen veranschaulicht auf der Basis der Lehre vom geistigen Schriftsinn die Bedeutungspolyvalenz der einzelnen Kreaturen. Obwohl im Titel auf die Zeit von 1100 bis 1500 beschränkt, ist Schmidtkes Arbeit literarhistorisch wie ein Handbuch nutzbar und über das Mittelalter hinaus für 112

die Erschließung von Texten hilfreich. Nitschke beschränkt sich auf Tiere in Lebensbeschreibungen von Heiligen. Eine Episode aus dem Leben des Heiligen Kolumcille berichtet von der Überlegenheit des Pferdes gegenüber dem Menschen: Während ein weißes Pferd trauernd seinen Kopf an die Brust des sterbenden Heiligen schmiegt, versucht ein die Gebärde nicht verstehender Mönch, das klagende Pferd zu vertreiben113. Pangritz114 bemerkt die besondere Stellung des Pferdes bei naiven Völkern, die es zu allen Zeiten und in verschiedenen Religionen wie ihresgleichen behandelt haben 115 . Daß das Pferd in der mongolischen Dichtung als strukturbestimmendes Motiv besonders häufig auftaucht, ist in einer von nomadischer Viehhaltung geprägten Gesellschaft nicht verwunderlich. In den Brautwerbungs- und Wiedergewinnungsepen nimmt das Pferd, das die Sprache der anderen Tiere wie die des Menschen versteht, die Rolle des Gefährten und Helfers des Helden ein. Abweichend von der mittelhochdeutschen Heldenepik ereignet sich mit der Geburt des Helden zeitlich gleich die Geburt eines Fohlens, das später das Lieblingspferd und der stete Wegbegleiter des Helden wird. Von Anbeginn ist der Hauptperson ein bestimmtes, in seiner Qualität einmaliges Pferd an die Seite gestellt, von dem sich sein Reiter freiwillig niemals trennt. Noch der sterbende Held, der, abgesessen und unter leinem Baum liegend, ie auf den Tod wartet, wird von seinem treuen Pferd bewacht Ein deutendes Bemühen um mittelalterliche Literatur stößt unweigerlich auf die episch tragende Funktion des Pferdes. Der Antagonismus von Körper und Geist - oder die zumindest geforderte Beherrschung des Körpers durch den Geist -

112

NITSCHKE, Tiere und Heilige, 1966, S. 62-100. Im Kongreßband der 31. Tagung des Centn) italiano di studi sull'alto medioevo vom April 1983 inSpoleto, L'uomo di fronte al mondo animale nell'alto medioevo, Spoleto 1 9 8 5 , erschienen die Beiträge von HANNELORE ZUG TUCCI, II mondo medievale dei pesci, tra realta e immaginazione, und von PLERRE BOGLIONI, Santo e animali nell'alto medioevo.

113

NITSCHKE 1 9 6 6 S . 8 3 .

114

PANGRITZ 1 9 6 3 .

115

PANGRITC S . 1 5 6 ; SCHLIEßEN 1 8 6 7 .

116

HEISSIG

1979 S. 9ff. (Textbelege für das Pferd) S. 30f. Tabelle I. Mit dem Bild des an den Baum gebundenen, bei seinem sterbenden Reiter verweilenden Pferdes werden Assoziationen an Wolframs groß angelegte Sterbeszene von Vivianz im ,Willehalm' wach. Für den Leser völlig unerwartet, wird ein Pferd ins Bild gebracht, das weniger aus Treue zu seinem Herrn, als vielmehr gezwungenermaßen der Szene beiwohnt, weil des orses zoum diu linde begriffen hete vaste, ein drum von einem aste, do er drabe was gevallen (Wh. 69, 20-23). Die Anwesenheit des Pferdes ist in dieser Situation eher zufällig, dient allenfalls als erzähltechnisches Mittel, das aus der gegebenen Erstarrung löst und den Helden Willehalm erneut handlungsfähig werden läßt. In der altfranzösischen Quelle ist das Motiv noch krasse: Das Pferd .Baucent' verweigert nach dem Tod von Vivien sämtliche Nahrung. Li quens Guillaumes soz l'arbre retorna, Tote la nuit ο son neveu veilla; Si bons chevaus ne but ne ne menja. Aliscans 9301T.

Forschung

44

findet einen adäquaten Ausdruck in dem Bild von Reiter und Pferd, das, wie Wang 117 nachweist, zum miles christianus wesentlich gehört. Die Pferd-ReiterAllegorese findet sich im Verein mit der ,militia christiana'-Bildlichkeit nicht eben häufig, doch spielt das Pferd mitsamt seiner Ausrüstung und der zum Führen des Pferdes notwendigen Teile im Rahmen der ,militia'-Bildlichkeit eine 11Q

nicht geringe Rolle. - Das Austragen weltlicher Ritterkämpfe wird, wie Harms gezeigt hat, entscheidend von den Pferden mitgetragen. Einerseits obligate Re-quisiten ritterlicher Lebensweise 119 , verdeutlichen sie andrerseits teilweise 120 divergierende Interessenlagen ihrer Reiter im Dichtungsganzen ,ini was auf ihre

zeichenhafte Funktion in Werken hinweist. Dies betont Mersmann , der nach der Bedeutung des Besitzwechsels in der Dichtung fragt. Am ,Parzival' offenbart sich die dichterische Sorgfalt in der Darstellung des Verhältnisses von Reiter und Pferd besonders. Am situationsbedingten Erwerb des Gralspferdes durch Parzival zeigt sich, wie Pferde zu Markierungspunkten im Werk und im Leben 1 oo literarischer Helden werden. Bertau behandelt detailliert den Weg der ritterlichen Bewährung, den Parzival zu gehen - besser: zu reiten - hat und schenkt den Stationen, an denen Pferden eine episch bedeutsame Aufgabe zukommt, Bedeutung: Sei es die Kindheit des Helden in einer pferdelosen Umgebung, sei es der Erwerb des ersten eigenen Streitrosses nach dem Sieg über Ither, der ihm ein neues, ritterliches Bewußtsein und einen bisher ungekannten gesellschaftlichen Status verleiht, sei es die unrechtmäßige Inbesitznahme des Gralspferdes mit dem Signum der Turteltaube. Das Pferd ist an entscheidenden Punkten zum handlungsbestimmenden Faktor einer Dichtung avanciert. Seine Funktion innerhalb des kompliziert verwobenen Personengewebes, Relationen zu stiften, steht außer Frage. „Es ist eine konkrete Relation, die des Pferdebesitzers; aber aus ihr erwächst loodie Frage nach 194 der Bedeutung der Proportion von Gestalten untereinander" . - Engelen fragt über die Natur der Edelsteine und die Art ihrer dichterischen Behandlung hinaus nach ihrer spirituellen Bedeutung, auch bei dem zum Teil mit Edelsteinen geschmückten Sattelzeug des Pferdes. Damit folgt die mittelalterliche deutsche Dichtung einem spätantiken Brauch, das mit kostbaren Steinen dekorierte Pferd als Zeichen des Vornehmen und Generösen zu gebrauchen, was auf den Reiter sich bezieht. - Eine Gegenüberstellung von Realem und Wunderbarem in vier höfischen Romanen veranlaßt Knoll1 5 im

117

WANG S. 102, 129, 134, 135 (Signum des ungezügelten Pferdes) S. 169.

118

HARMS 1 9 6 3 S . 1 8 5 , 1 9 7 ( z u m , P r o s a - L a n c e l o t ' ) .

119

HARMS 1970 S. 260 (zum ,Prosa-Lancelot'). Von Pferden initiierte und beeinflußte Situationen und deren Deutungen bei HAUG S. 28f., 31f., 34, 54, 73.

120

HAHMS 1 9 7 0 S . 2 8 6 .

121

MERSMANN 1971 bes. S. 138-143, 160f„ 165-168, 184f.

122

BERTAU 1973 Bd.2 S. 780, 795ff., 800f., 816f., 824, 840, 972f., 974f., 976f., 983, 991, 996, 9981T., 1009, 1014.

123

BERTAU e b d . S . 9 8 3 .

124

ENGELEN S . 1 6 4 - 1 6 7 .

125

KNOLL S. 1 7 8 - 1 8 4 .

Her in der

Dichtung

45

Rahmen einer Betrachtung der Tierwelt, die Reitpferde der Romangestalten im Zusammenhang mit dem den höfischen Menschen allgemein kennzeichnenden und persönlich charakterisierenden Besitz zu sehen. - An Beispielen aus Dichtungen des 12. und 13. Jahrhunderts und besonders am Pferd der Kamille bei 126 Heinrich von Veldeke zeigt Stebbins , wie die Farben eines Pferdes auf den Besitzer oder auf eine dem Reiter nahestehende Person schließen lassen. Nicht selten sind Färbung und Zeichnung ein Spiegel des inneren Zustandes des Helden. Entgegen Meinungen der Forschung, daß die Pferdefarben einen Hinweis auf das Epos als Ganzes lieferten, legt Stebbins im Vergleich zum Roman d'Eneas dar, daß die Buntheit von Kamilles Pferd nur etwas über die Reiterin selbst aussagt und nicht in direktem Zusammenhang mit der Gesamtgeschichte zu sehen ist. Nur in wenigen Ausnahmen besteht ein Sinnbezug zwischen den Abenteuerphasen des Protagonisten und dem Aussehen seines Pferdes. Das ist immer dann der Fall, wenn die Geschichte der Abenteuer eines Ritters Hauptgegenstand der Dichtung ist und die Eigenschaften des ihm 197 zugeordneten Pferdes von signethafter Bedeutung für den Kontext sind. Peils Analyse gebärdenhafter Situationen geht auch auf bezeichnende Gesten im Kontakt mit Pferden ein. Im Vergleich mit Chretien verfolgt er die Gebärden Orgeluses und Gawans am Pferd. Das Roß und seine Darstellung in der Literatur machten zum alleinigen 1 9ft Gegenstand zwei Arbeiten älteren Datums , die als Materialsammlungen wertvolle Hilfe leisten können, eine konsequente Ordnung der Belegstellen vom reiterlichen Standpunkt aus jedoch vermissen lassen. Diesem Vorwurf weiß sich die profunde Untersuchung von Segelcke 129 zu entziehen, die weniger das Pferd als die mittelhochdeutsche Reitterminologie aus etymologischer und reiterlicher Sicht anhand zahlreicher literarischer Quellen vorführt und kunstgeschichtliche Zeugnisse heranzieht. Der erste Teil konzentriert sich auf die etymologische Erhellung des Verbums riten, der zweite Teil gibt einen Überblick über die ritterlichen termini technici des Reitens. Es folgt ein Ausblick auf die Terminologie des Reitens im Neuhochdeutschen. Ebenfalls etymologisch interessiert, 130

sucht Goossens die Bedeutung der vox stut in Veldekes Beschreibung von den windgezeugten Pferden des Mesapus zu eruieren. Mit Hilfe der modernen Wortgeographie gelingt ihm der Nachweis, daß ein Substantiv * stod in der Bedeutung .Hengst' im Umkreis von Veldekes Heimat existierte, wonach im besagten Vers nicht eine ,Herde von Zuchtpferden' gemeint ist, sondern stut einen in der Nähe des Meeres verweilenden wunderbaren Beschäler meint. Um die Eruierung der

126

STEBBINS S . 1 3 3 - 1 4 6 .

127

PEIL S . 1 0 5 f . , 3 2 9 f .

128

PFEIFFER 1 8 5 5 ; KITZE 1 8 8 7 .

129

SEGELCKE 1 9 6 9 .

130

GOOSSENS S . 1 7 7 - 1 8 7 .

Forschung

46

sprachlich sich wandelnden Bezeichnungen für das männliche Pferd ist Birkhan 131 bemüht, wenn er die Entwicklung von mittelhochdeutsch meiden in der Bedeutung von .Hengst' , .Zuchthengst' , zu der pejorativen Bedeutung von .Wallach' nachweist. 1

Kolb beleuchtet die einzelnen Bezeichnungen, durch welche die bestimmten Arten der Gattung ,Pferd' unterschieden werden. Die mittelhochdeutsche Literatur differenziert dabei weniger nach phänotypischen Gesichtspunkten, als nach dem Verhältnis, in dem die Pferde zu den Menschen stehen. Kolb befragt Autoren der wissenschaftlichen Literatur des Mittelalters, um einer sachlichen und sprachlichen Unterscheidung der einzelnen Typen zu ihrem Recht zu verhelfen. Als erster hat Albertus Magnus eine Vierteilung der domiti equi in dextrarii, Streitrosse, palefridi, gewöhnliche Reitpferde, curriles equi, besonders schnelle Pferde, und runcini, womit die Last- und Arbeitspferde gemeint sind, vorgenommen. Die Kategorien variieren bei den einzelnen Naturlehrern. Gemein ist ihnen jedoch, daß kreatürliche Verhalten der Pferde gelegentlich zu heroisieren, wenn sie dem Pferd im Kampf wie in der Trauer um den toten Herrn menschliche Eigenschaften zusprechen. Dies Motiv ist seit der Antike bekannt und tradiert sich hartnäckig. Zu den syntaktischen Mitteln, mit denen Hartmann von Aue die Beziehung von Mensch und Pferd darlegt, leistet die Arbeit von 1 ss Kishitani einen Beitrag. Die Frage nach der epischen Funktion von Pferden im Dichtungskontext 1 l o t behandeln einige Aufsätze . Johnson hebt - wie später ausführlicher Mersmann, Bertau und vor allem Ohly - die signifikante Rolle der Gralspferde für das epische Geschehen im ,Parzival' hervor. Diesem gilt auch eine Untersuchung von 1Qß 1Q7 Eis .der die Beschreibung von Jeschutes Pferd mit dem Vers unzufdenhuof swanc im diu man beleuchtet. Er ι oqbetont das in der realistischen i. Tradition Verhaftete der descriptio. Eichhoff diskutiert das sonderbare Außere von Kun-driens Pferd, das Wolfram als nassnitec unt uerbrant140 beschreibt. Auch Eichhoff findet für beide Ausdrücke eine realistische Erklärung, indem er auf die Fachterminologie von Pferdezüchtern hinweist, die spätere Schreiber nicht verstanden, und verweist auf die der Zeit eigene Gewohnheit des Einbrennens von Mhd. meiden ,Hengst', .Wallach' und die Dichtersprache, Münchner Studien zur Sprachwissenschaft 2 9 ( 1 9 7 1 ) 5-8.

131

HELMUT BIRKHAN,

132

KOLB 1 9 7 4 .

133

KISHITANI

134

Das Motiv des durch Arglist verlorenen und glücklich wiedergewonnenen Pferdes verfolgt bei Chretien von Troyes, Wolfram von Eschenbach, Heinrich von dem Türlin, Gottfried von Straßburg, in den Secreta secretorum, bei Hans Sachs und im 19. Jahrhundert GLEIS S. 47-66.

135

L. PETER JOHNSON,

S. 94-97.

Lähelin and the grail horses, MLR 6 3 ( 1 9 6 8 )

612-617.

136 Eis, Die überlange Pferdemähne, 1971 S. 73-81. 137 Parz. 256,22-27. 138 Parz. 256,22. 139

THEODOR EICHHOFF,

140 Parz. 312,9.

Kundriens Pferd (Parz. 312,5-18), ZfdPh 82 (1963) 92f.

Tier in der Dichtung

47

Ornamenten an markanten Stellen des Tierkörpers, was für Kundriens Pferd zutreffend wäre 141 . Bumke 142 deckt ein Mißverständnis in der ,Willehalm'-Ausgabe von Lachmann und Leitzmann auf, die kalopeiz als Namen eines Heidenkönigs verstanden, während es der Intention des Dichters gemäß die Bezeichnung für die schnellste Gangart des Pferdes, den Galopp, ist, eine Neubildung von Wolfram aufgrund von altfranzösisch galop. Diese zum Teil aperfuartigen und Einzelheiten verhafteten Anmerkungen aufgreifend und vervollständigend, 1AQ

widmet Ohly in einem Aufsatz den Pferden des .Parzival' die längst fällige adäquate Aufmerksamkeit. Es gelingt ihm beispielhaft, das auf den ersten Blick hin abseitig erscheinende Detail so in den Vordergrund zu rücken und zum Sprechen zu bringen, daß das Werkganze erneut Erhellung findet. Seine Beobachtungen verdeutlichen, mit wieviel Bedacht Wolfram Pferd und Reiter agieren läßt, wem er welches Pferd in welcher Situation zuordnet und wie der einzelne in den Besitz des ihm zugeordneten Reittieres gelangt. Dies alles spricht seine eigene verhaltene und doch eindeutige Zeichensprache, die das Wesen und das Schicksal der betreffenden Helden näherbringt, was dann auch an ihren Pferden ablesbar wird, die sie reiten. Bestimmte Pferde markieren bedeutsame Stationen und entscheidende Wendungen im Leben der Protagonisten. Indem Ohly die Biographien der herausragenden Pferde - zumeist die der Gralpferde - analysiert, mehrt und vertieft er das Wissen um den Werdegang ihrer Reiter. Stets fungiert das Pferd als Medium der dichterischen Vorsehung - sei es im Kampf, sei es bei der Findung des von Gott vorgegebenen Weges. Das Kreatürliche berücksichtigend, wird es vom Dichter dennoch ins Übernatürliche gesteigert. „Wolframs auf jegliche Art von Spiritual! sierung verzichtende Dichtart ist geeignet, durch des Pferdes sachliches Dasein und sein Dienen in der Bindung an den Menschen von dessen Befinden, von Beziehungen zwischen Menschen und zu Gott zu zeugen, insofern es in einer unerklärten Teilhabe an den inneren Zuständen des Reiters diese in seinem animalischen Verhalten sichtbar spiegelt. Das . . . episch-nüchterne Sichdarstellen von Humanem, ja Göttlichem im Hippischen ist möglich, da die klaglose Kreatur dem Willen wie des Reiters so auch des Dichters mit einem Gehorsam zur Verfügung steht, der sie auch über ihre Natur hinausträgt." 144 Mit besonderer Liebe und Sorgfalt hat auch Hartmann von Aue im ,Erec' die Pferde behandelt. Das Motiv durchzieht die ganze Dichtung und erhält vor allem mit Blick auf Enite zeichenhafte Bedeutung. Die einzelnen Pferde markieren wesentliche Entwicklungsstufen, so daß die Forschung sich ihnen wiederholt

141

EICHHOFF

hält bei der Aufschlüsselung der Vokabel nassnitec eine Übersetzung im Sinne von „aufgeschlitzt" oder „gespalten" für nicht möglich, läßt bei seiner Argumentation den von WIESNER 1939 S. 38 im alten Ägypten nachgewiesenen Brauch des Nüsternschnitts außer acht. Wenn er später bei der Erörterung der Zierbrände, die ebenfalls in Ägypten beliebt waren, eine Verbindungslinie zu Kundriens Falben herstellt, so scheint die von ihm geforderte Übersetzung von nassnitec in ihrer Ausschließlichkeit nicht haltbar.

142

JOACHIM BUMKE,

143

OHLY 1 9 8 5 .

144

OHLY 1 9 8 5 S . 9 2 7 .

König Galopp. Zu Wolframs ,Willehalm' 360,9, MLN 76(1961) 261fT.

Forschung

48

zuwandte, um die feinen Beziehungen zwischen der Reiterin und ihren Pferden und ihre Bedeutung für das Ganze gegenwärtig werden zu lassen. Insbesondere den Farben von Enites Pferd - die linke Seite ist weiß, die rechte schwarz, beide trennt ein grüner Strich - und den Exempelfiguren des Sattelzeuges schenkt Reinitzer 14 seine deutende Aufmerksamkeit. Daß die Farben schwarz, weiß, grün mehr als die motivische Funktion eines Erkennungszeichens haben, zeigt sich in ihrem Auftreten auch an anderer Stelle - an einem schwarz-weißen Zelt, unter dem Mabonagrins Dame sitzt, zu dem ein grüner Weg führt. Diese Farbkombination ist also nicht allein Enite vorbehalten, sondern kennzeichnet bestimmte Eigenschaften von ihr, die auch andere Personen haben können. Im Vergleich mit der Quelle fällt auf, daß Hartmann die Exempelfiguren am Sattelzeug mit ihrem Aussagewert nicht mit der in bonam und in malam partem zu deutenden schwarz-weiß Färbung des Pferdes kongruieren läßt, d.h. die weiße Flanke bildet nicht den Untergrund für die positiven, die schwarze Flanke nicht für die negativen Exempla. Mit Recht resümiert Reinitzer, „daß die Opposition zwischen linker und rechter Pferdehälfte nur in isolierter Bedeutungsfunktion besteht, darüber hinaus jedoch die gegensätzlichen Farben swarz und wiz zusammen mit grüen einen weiteren, gemeinsamen Sinn, eine einzige res significans ergeben, die sich mit der Bedeutung der Exempla trifft." 146 Mit der von der Vorlage abweichenden Neuverteilung und Mischung biblischer und heidnischmythologischer Beispielfiguren wird von Hartmann nicht allein auf Enite Bezug genommen, es erfolgt vielmehr zugleich eine Charakterisierung Erecs. Indem Reinitzer Hintergründe und Zusammenhänge der abgebildeten Figuren vorführt, scheint eine Korrektur der Schuldverteilung erforderlich: „Der objektiven Schuld der Frau stellt sich die Mitschuld des Mannes zur Seite" 147 . Tax 148 analysiert die Funktion der Reitpferde im ,Erec' mit der Frage, wie der Dichter mit seinen Pferdebeschreibungen Sinnbildliches zum Ausdruck bringen wolle, wobei in höchstem Maß Bedenkliches sich ergibt, da Tax bei der Auslegung der Farben zeitgenössische Quellen unberücksichtigt läßt und einem zu modernen Symbolverständnis verhaftet ist. Akzeptabler erscheint der Hinweis von Tax 149 auf den Stellenwert des Pferdes für Erecs ritterliche Erhöhung. Indem der Held durch Gottes Fügung seinze wazzer150 geführtes Roß wiedererhält, können seine ritterlichen aventiuren kontinuierlich fortlaufen.

145

Über Beispielfiguren im ,Erec', DVjs 50(1976) 597-639, hier S. 615-629; jetzt Dilatatio materiae. Zur Poetik des ,Erec' Hartmanns von Aue, F M S T 19(1985)1-30; zu ,Enite und den Pferden' OHLY 1985 S. 863 Anm.17.

HEIMO REINITZER,

FRANZ JOSEF WORSTBROCK,

146

REINI-IZERS. 6 2 0 .

147

REINITZER S . 6 2 9 .

148

TAX, Enites Pferd, 1963. Die einseitig religiöse Interpretation und der zu weit gefaßte Typologiebegriff sind dem Textzusammenhang nicht immer angemessen. Vgl. LEWIS S. 27.

149

PETRUS W. TAX, WW

Studien zum Symbolischen in Hartmanns Erec: Erecs ritterliche Erhöhung,

13(1963)277-288.

150 Erec 6716.

Tier in der

Dichtung

49

Zu den Pferden im ,Prosa-Lancelot' wurde bisher wenig gesagt, obwohl sie wie zu zeigen sein wird - erheblich am epischen Geschehen beteiligt sind. Lediglich Rubergs Aufsatz ,Die Suche im Prosa-Lancelot' 1 5 1 und später seine .Raum- und Zeituntersuchung' 152 sind auf das Pferd eingegangen, wo immer es für seine Interpretation bedeutsam wurde. Seine Ansätze aufgreifend und vervollständigend, soll in der vorliegenden Studie die Relevanz des Pferdes in diesem Werk en detail besprochen werden.

2. Überlegungen zur Methode Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, von der literarischen Gestaltung der Pferde, ihrer Reiter und der gesamten hippologischen und chevaleresken Adhärentien ausgehend, zum tieferen Verständnis des deutschen ,Prosa-Lancelot' beizutragen. Die Untersuchung über die Pferde in dieser Dichtung ist angehalten, zu zentralen Fragen des Werkes Stellung zu nehmen und erhellendes Licht auf kompositorische und gehaltliche Probleme fallen zu lassen. Das streng induktive Verfahren ist ganz auf das Werk und seine Deutung gerichtet, basierend auf dem Vertrauen, daß das Ganze einer Welt auch in seinen einzelnen Teilen lebendig ist. Seit das monumentale Werk in einer Edition vorliegt, ist es auch in seiner Gesamtheit zu behandeln. Auch wenn die Verfasserfrage noch nicht eindeutig geklärt werden konnte, zeigt der Roman-Zyklus mit seiner genealogischen Struktur doch einen derart klar gegliederten Bau, und folgt das Geschehen einem derart wohl durchdachten Plan, der die epische Vorausdeutung ebenso wie die beziehungsvolle Retrospektive vorsieht, daß eine partielle Bearbeitung des Werkes unbefriedigend bleiben müßte. Da der gesamte Zyklus vom mittelalterlichen Lesepublikum als Unität aufgenommen wurde 154 , soll er auch als solche behanftn

151

RUBERG 1 9 6 3 b e s . S . 1 3 2 .

152

RUBERG

153

Die Fabel und die Tierdichtung des Mittelalters haben - wie im Forschungsstand andeutend gezeigt werden konnte - bereits ihren festen Platz in der Forschung gefunden. Auch der symbolischen und allegorischen Funktion einzelner Tiere in der Literatur und den bildenden Künsten wurde wiederholt Aufmerksamkeit geschenkt. Umfassende Untersuchungen zur Bedeutung bestimmter Tierarten in anderen Dichtungsgattungen finden sich hingegen nur vereinzelt. Ausgewählte Literatur zum Pferd als Bildspender und -empfänger in der Metaphorik bietet OHLY 1985 S. 860 Anm. 15. Zum Pferd als Metapher bei Hildebert von Lavardin VON Moos S. 404 (Register zum Pferd).

154

ALEXANDRE MICHA,

1965 bes. S. 23, 25, 30, 46, 50-55, 67, 73, 85fT., 95f., 98, 107, 133, 154, 157, 166, 170, 173f.; im Zusammenhang mit dem gedenken und den daraus resultierenden Pferdestürzen OHLY 1984 S . 60iT.; ebenso HIRSCHBERG.

Stüdes sur le Lancelot en Prose II, L'esprit du Lancelot-Graal, Romania 8 2 hier S. 3 7 6 . Soweit zu übersehen, ist die einheitliche Konzeption des Romans in der Forschung einhellig bejaht worden. (1961) 357-378,

Methode

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delt werden, um seine Wesenheit als Ganzes zu erfassen. Zudem ist Lancelot als Titelheld und Haupthandlungsträger eine die gesamte Trilogie verbindende und tragende Figur. Für das methodische Vorgehen maßgebend ist der Gedanke, daß das Pferd nicht um seiner selbst willen, sondern als unlösbarer Bestandteil des dichterischen Gesamtwerkes betrachtet werden muß 155 , zumal es - wie zu zeigen sein wird - an einigen Stellen als Ausgangspunkt und auslösender Faktor im epischen Geschehen fungiert. Es gilt den Stellenwert des Pferdes im Kontext samt seinen 1 ζβ

möglichen Bedeutungen zu eruieren. Das Pferd erhält für den Roman erst im Zusammenwirken mit dem Menschen seine Existenzberechtigung. Roß und Reiter zusammen sollen der Gegenstand der Untersuchung sein. Es wird nach der Kohärenz zwischen dem Aussehen eines Pferdes und einem diesem Aussehen entsprechenden Verhalten des Menschen zu fragen sein. Auch ohne eine ausgesprochen allegorische Deutung spricht der Dichter durch das Pferd auch über seinen Reiter. Dem hermeneutischen Zirkel entsprechend, in 1dem sich das Ganze aus dem Einzelnen, das Einzelne aus dem Ganzen versteht , sollen aus Einzeluntersuchungen Schlüsse auf das Gesamtwerk gezogen werden, soll das Detail im Ganzen seinen Sinn gewinnen. Somit wird zuerst nach der faktischen Darstellung der Pferde gefragt, um danach die Frage nach ihrem Anteil am Handlungsgeschehen und am Schicksal der Personen zu erheben. Ein philologisch-empirisches Vorgehen, ein Sichten, Ordnen und Auswerten aller Belege die Pferd und Reiter unmittelbar oder im weiteren Sinn betreffen, soll der interpretierenden Auswertung den Weg bereiten. Dazu gehören philologisch-grundlegend der gesamte hippologische Wortschatz159, die vom Dichter nach Geschlecht und Gestalt - mit wenigen Beispielen auch nach ihrer Herkunft - unterschiedenen Pferdearten, der differenzierte Wortschatz für die Gangarten des Pferdes und die situationsbedingten Reitweisen des Reiters. Die Unterscheidung von Männerund Damenpferden mit Blick auf ihr Exterieur, auf ihre Farbe und ihr Verhalten werden herauszuarbeiten und auf ihre Funktionen im Kontext hin zu befragen sein; ebenso dem Pferd artverwandte Tiere wie Esel und Maultier und deren

155 Wie sehr - nach Walter Benjamins erhärteter Meinung - „der Wahrheitsgehalt eines Werkes, je bedeutender er ist, desto unscheinbarer und inniger an seinen Sachgehalt gebunden ist", zeigt beispielhaft OHLY 1985 S. 921f. Anm. 109 an den Pferden des .Parzival'. 156

157

In Anlehnung an die von FRIEDRICH OHLY betriebene Bedeutungsforschung um eine Aufdeckung des tieferen Sinns der hippologischen Erscheinungen im Werk bemüht, werden wir die auf der Stufe des Buchstabensinnes geführte Interpretation nach einer derartigen Bedeutungsdimension nur punktuell in einzelnen Fällen befragen können. Durch Heideggers Ontologie ist bekannt, daß menschliche Erkenntnis in dieser Form verläuft. 11,18.

STAIGER S .

158

Das Wortregister im Anhang gibt eine Übersicht über die termini technici des Reitens, die gattungs- und geschlechtsspezifischen Pferdebezeichnungen und die Ausrüstung von Reiter und Pferd in den kontextrelevanten Situationen.

159 Die Sichtung des Wortschatzes ist nicht en bloc dem interpretatorischen Bemühen vorangestellt, sondern eröffnet, wo immer es Beobachtungen festzuhalten gibt, die einzelnen Kapitel.

,Prosa-Lancelot'

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Reiter. Auch die Ausstattung von Pferd und Reiter, der Umgang mit dem Tier und seine Beherrschung im Krieg, beim Turnier und in Friedenszeiten haben im Blickpunkt unseres Interesses zu stehen. In den Situationen, in denen die Reitweise Spiegel der Gemütslage des jeweiligen Reiters ist, hat sie einer genauen Analyse zu unterliegen. Stürze und Beinahe-Stürze, der Erwerb und der Verlust ebenso wie der Besitzwechsel einzelner Pferde und das erfolgreiche oder vergebliche Verfolgen einer Hufspur geschehen nicht ad libitum, sondern mar160

kieren exponierte Stellen im Text. Alle diese Gesichtspunkte gilt es zu verfolgen. 161 Mit Wehrli haben wir die Phänomene zu beschreiben, die Beobachtungen in einen sinnvoll-geordneten Zusammenhang zu bringen, um sie schließlich im Kontext zu deuten. Es kann nicht genügen, nur nach der Erscheinungsform des Pferdes, seinem Bewegungsablauf und seinem Verhalten, nach der Darstellung des Zubehörs zu fragen. Es geht uns um die Relevanz des Pferdes für den literarisch handelnden Menschen und das epische Geschehen. Die zur Erzielung sicherer Ergebnisse notwendige sukzessive Analyse aller hippologischen und reiterlichen Gegebenheiten bringt es mit sich, daß kaum jemals die synchrone Wirksamkeit aller Faktoren gleichzeitig berücksichtigt werden kann. Die Behandlung einzelner Aspekte, die Belegstellen wie Versatzstücke aus ihrem Zusammenhang herauslöst, bringt zumeist ein Absehen von den übrigen gestaltenden Kräften mit sich. Um gegen diese in Kauf zunehmende Isolierung ein Gegengewicht zu schaffen, soll im letzten Teil durch Beobachtungen an Haupthandlungsträgern auf ihrem Weg der Abenteuer und ritterlichen Bewährung am zusammenhängenden Text versucht werden, dem Zusammenwirken in der Reiter-Pferd-Beziehung im Ganzen der Dichtung sein Recht zu geben. 162 Am deutschen Text ist in werkimmanentem Vorgehen zu prüfen, inwieweit die Darstellung von Roß und Reiter der literarischen Tradition verpflichtet ist,

160 Das im Anhang beigegebene Bildmaterial aus altfranzösischen Handschriften des 13. Jahrhunderts hat für die Beobachtungen am Text bestätigende Funktion. Da der deutsche Text nicht illustriert ist, mußte auf die alt französischen Quellentexte zurückgegriffen werden, wobei allein jene aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts Berücksichtigung fanden, um die zeitliche Nähe zum deutschen Text zu wahren. Zur Verfügung standen die Bonner Handschrift S 526 (Amiens 1286) sowie die in Paris befindlichen Handschriften der Biblioth&que Nationale, ms. fr. 342 (1274), ms. fr. 344 (Mitte 13. Jh.) sowie ms. fr. 110 und ms. fr. 1422 (beide Ende 13. Jh.). Auf eine Problematisierung des Verhältnisses von Text und Bild als solches muß angesichts der Weite dieses Feldes verzichtet werden, würde der Rahmen der Arbeit damit doch gesprengt. Zur grundsätzlichen Bedeutung der Kombination von Text und Bild im Mittelalter und zu den spezifischen Möglichkeiten und Formen, Sprache ins Bild zu bringen, mit reicher Literatur MEIER-RUBERG (Hgg.); SCHILLING S . 2 9 3 - 3 1 3 . 161

WEHRLI 1 9 6 5 S . 1 5 f .

162 Die Beschränkung auf den mittelhochdeutschen Text leitet ihre Berechtigung aus der Nähe des deutschen Werkes zu seiner französischen Vorlage ab, wenngleich man die deutsche Fassung-wie KLUGE in seiner Einleitung zum zweiten Band, S. X X I I , pointiert bemerkt—nicht als bloße Übersetzung abtun darf. Der Lancelot-Stoff wurde im Mittelalter als übernational und gemeinabendländisch empfunden und bearbeitet. Lancelot ist kein französischer Nationalheld, sondern „ein hoher Vertreter jener Artusritterschaft, deren Tatenruhm über alle Grenzen drang" (S. X X I I I ) . Ein Vergleich des altfranzösischen und des deutschen einschlägigen Wortschatzes wäre gleichwohl erwünscht, kann hier jedoch nicht geleistet werden.

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Methode

oder ob im Übergang zur Prosa sich eine neuartige, eigenständige Couleur zeigt, was im Vergleich mit stoffverwandten Versepen des entsprechenden Zeitraumes zu prüfen wäre. Die gelegentliche Synkrisis mit anderen Werken soll Charakteristika und auffällige Abweichungen von der darstellerischen Norm hervortreten lassen. Alles, was zur Vergegenwärtigung des poetischen Textes dienen und eine Erklärungshilfe sein kann, ist uns wertvoll, weshalb wir gelegentlich aus der Begrenztheit des eigenen Faches heraustreten und kulturhistorische Randbezirke und hippologische Fachgebiete tangieren. Die partiell angewandte Methode des Rückgriffs auf ältere Quellen, benachbarte Werke oder fachkundliche LiteΊ fin

raturen findet ihre Rechtfertigung in einem Cyprianischen Axiom: nihil innovetur, nisi quod traditum est164.

163 Eis 1960 Sp. 1113 bemerkt, „daß die Fachprosaforschung bei der Interpretation der mittelhochdeutschen Dichtung wichtige Dienste leistet", und gerade in jüngster Zeit eine Anzahl von Fehldeutungen am Dichtungstext anhand von Fachschriften berichtigt werden konnten. 164

Cyprianus, Epistula ad Pompeium (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum III/2) Wien 1871 (Nachdruck 1965), Epistula 74, S . 799. Hierzu MAX WEHRLI, Literatur als Geschichte, Festrede vom 29. April 1970, Universität Zürich (Jahresbericht 1969/70), S . 11; STAIGER S . 29f.

HAUPTTEIL

I. Die Pferdearten Je enger und häufiger der Kontakt zu Dingen der Lebenswelt ist, um so differenzierter ist der diese Sachen bezeichnende Wortschatz, der Gegenstände in ihren kleinsten Abweichungen unterscheidet, um Klarheit und begriffliche Eindeutigkeit zu gewährleisten. Da das Pferd im 13. Jahrhundert in der Alltagswelt in vielen Lebensbereichen vertreten war und als Indikator zur Einschätzung des sozialen Status seines Reiters fungierte, sind seine Bezeichnungen mannigfaltig1. Vornehmlich die Dichter der Versepik bedienen sich der farbenfrohen Bezeichnungspalette mit verständiger Feder. Die Vielfalt von literarischen Pferdebezeichnungen zeigt, wie verschwenderisch die Sprache hier verfährt. Eine reiche Fülle von Benennungsspezifika für die verschiedensten Tiere η findet sich bei Wolfram von Eschenbach , der stellvertretend genannt sei, dessen

1

Mit der in der modernen Maschinenwelt des 20. J a h r h u n d e r t s perfektionierten Technik ging die Eliminierung des Pferdes aus der Alltagswelt des Menschen konform, u n d d a r a u s resultierte eine sprachliche Minimierung. Ein Pferd ist ein Pferd, vielleicht noch zu differenzieren nach seinem Geschlecht, auffälligen Größenunterschieden und den Hauptfarben. Der Hengst u n d die Stute mit ihrem Fohlen, das Pony, der Schimmel, der Rappe und eventuell auch noch der Braune und der Fuchs sind der Gemeinsprache geblieben. Wieviel reichhaltiger erscheint da die hippologische Farbenskala der Antike, die durch Isidor Bd.2, Lib. XII, 48, gelehrsam an das Mittelalter weitergegeben wurde. Color hic praecipue spectandus: badius, aureus, roseus, myrteus, cervinus, gilbus, glaucus, scutulatus, camus, Candidus, albus, guttatus, niger. Alle nhd. spezifizierenden Synonyme u n d Metonomien haben Fachsprachencharakter angenommen u n d sind n u r noch dem mit der Hippologie Vertrauten geläufig. Der schwere Kaltblüter verschwand mit Anspannung vor dem Pflug, das Droschkenpferd mit der Kutsche u n d das Militärpferd mit dem Kavalleristen aus der Welt des technischen Zeitalters. Pferdefuhrwerke haben im schnellebigen Straßenverkehr keinen Platz mehr. Der fein differenzierende Wortschatz f ü r das Auto hat in dem Maße zugenommen, wie er f ü r das Pferd abgenommen hat. Der moderne Mensch hat sich f ü r alle Lebensbereiche mit der Maschine einen unbeseelten Ersatz geschaffen - tausendmal schneller, stärker u n d auch grauenhafter als es das Pferd im Dienst des Menschen jemals sein konnte. Zugleich verblaßten die einst geläufigen, charaktervollen Bezeichnungen, das Register der termini technici schrumpfte erheblich. Das bunte Gemisch zur begrifflichen Kennzeichnung des Pferdes u n t e r etymologischem und mundartlichem Aspekt bei JAHNS Bd.l S. 2-39. Zur Etymologie u n d Bedeutung althochdeutscher Einhuferbezeichnungen PALANDER S. 77-100 (zu Pferd u n d Esel); zu den einzelnen Bezeichnungen des Pferdes im Lateinischen (equus, equa, admissarius, canterius, caballus, mannus, veredus, paraveredus, parhippus, iumentum) RITTWEGEH; mit Bezug auf Alexander N e c k a m u n d Albertus Magnus KOLB S. 152-162; Bezeichnungen im Altfranzösischen bei BULL S. 27-51 (zum Pferd), S. 52f. (zum Esel), S. 54f. (zum Maultier und Maulesel); ebenso ZILTENER 1983 Sp. 200-204 (zum Pferd), Sp. 176 (zum Fohlen), Sp. 197 (zum Maultier), Sp. 212 (zur Stute); in Vorbereitung HANS HÖFINGHOF, Die volkssprachigen Tierbezeichnungen in den Leges barbarorum (angekündigt in FMST 18(1984) S.710).

2

Die Anzahl der im .Parzival' genannten Tiere ist beachtlich, wenngleich sie ihr Vorkommen vornehmlich als Symbole, in Metaphern u n d Vergleichen haben. Hierzu OHLY 1985 S. 854fT.

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Pferdearten

,Parzival' aufgrund der zeitlichen Nähe, seiner Thematik und seines weiträumigen Baus in der Versepik am ehesten mit dem Prosawerk verglichen werden darf. Q Zudem wird in ihm „der geistige Gehalt einer Epoche" umfassend zum Ausdruck gebracht. Das Pferd allgemein als ,Tier' zu bezeichnen, sieht sich der Dichter nur einmal genötigt4. Neben auszeichnenden nomina propria5 bedient sich Wolfram der Kollektiva phert und ors als den häufigsten und neutralsten Appellativa der Spezies Pferd. Die Skala der Appellativnamen reicht von dem vole , dem jungen Pferd, über den soum, das Lastpferd, die Maultiere ( mül und mülinne ) als Q Q Reittiere , bis zu den leichteren Reitpferden wie dem runzit und des jungen

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WEHRLI 1980 S. 301. Die Ausstrahlungskraft des Wolframschen Werkes resultiert nicht zuletzt aus seinem reichen Wortschatz, der sich durch Lebendigkeit, Liebe zum Detail und Bemühung um adäquate termini technici von dem der meisten Zeitgenossen virtuos abhebt. Dies gilt insbesondere für den hippologischen Bereich. VORDERSTEMANN S. 406f.

4

von liuten noch von tieren wart nie gestriten herter kämpf. ieweder ors von müede dampf (211,180*.). In 452,2 weiß Wolfram zwischen dem Pferd und dem Tier allgemein zu differenzieren. Ebenso tut es die Prosa. In seinem Wahnsinn begegnet Lancelot man undfrauwen, roß und thyr (II 782,9f.).

5 Vgl. Anm. 53, 54, 55, 56, 57 in den Vorbemerkungen. 6

OHLY 1985 S. 874f. Anm. 41, zählt 221 Belege für ors; in 224,19 auch in der Form ros; ros ist die gemeingermanische Bezeichnung für die Spezies Pferd und ihre Unterarten. Wolfram bezeichnet auch die herausragenden arabischen und kastilianischen Streitrosse mit der gängigen Sammelbezeichnung ors. DWb, Bd.8, Sp. 1237. In Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch, IV,4,19, dient das Nomen zur Bezeichnung des Esels, auf dem Christus in Jerusalem einreitet: Thaz ddtun sie bi nöti, thaz ros ni skränkoloti.

7

Die Bezeichnung ist vom Dichter in der ihm eigenen Ironie synonym für Streitroß gebraucht (Parz. 75,22; 379,28). Nicht das unbeschwert einherspringende junge Pferd in seinem kreatürlichen Verhalten bringt Wolfram in den Blick, sondern eine Ausnahme, die nur in bezug auf den Reiter zu verstehen ist. Das Fohlen unter dem Sattel ist eine Sonderheit, um „den auf es Angewiesenen . . . in seinem Rang als Reiter" zu mindern. OHLY 1980 S. 879. In 546,2 spricht Wolfram von einer mülinne volen, den Gawan an Plipalinot eher bereit ist abzugeben, als den soeben wiedergewonnenen ,Gringuljete'. Durch dieses zoologische Absurdum, von einer als unfruchtbar geltenden Mauleselstute ein Fohlen zu ziehen, drückt Wolfram pointiert die Unmöglichkeit aus, daß Gawan sich von seinem Pferd erneut trennen würde, vole zur Bezeichnung des jungen Pferdes (bis zum 3. Lebensjahr) auch bei Wernher der Gartenaere, Helmbrecht, 376. Im übrigen verfährt Wernher bei der Wahl der Pferdebezeichnungen willkürlich: Das Pferd des jungen Helmbrecht wird sowohl mit meidem (325, 387, 1780) als auch mit hengst (236, 394, 399, 760,1750) undphärit (843) benannt. Packpferde wiederum werden zu rossen aufgewertet (1475).

8

Als Reitpferd dient das Maultier jedoch nur Kundrie, deren äquivokes Wesen mit dem kontrastreichen Aussehen des Tieres korrespondiert (Parz. 312,7-15). Alexander Neckam, De laudibus divinae sapientiae, Kap. 159, schildert das Maultier als ein animal paradoxum: Mulus tarnen animal est astutum et versutiis dolosis argutum. Hierzu auch LEWIS S. 129ff.

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Das allgemein als minderwertig eingeschätzte Pferd (LEXER Bd. 2, Sp.542f.) erscheint bei Wolfram in positiver wie auch pejorativer Bedeutung. In positiver Parz. 522,14; 687,23; 779,3; im ,Willehalm' reitet die Ritterschaft üf schoenen runztden (305,17) spazieren. Die negative Bedeutung überwiegt jedoch (Parz. 256,24; 520,7; 531,11; 534,14; 540,5). VORDERSTEMANNS. 269f., weist nach, daß der früheste Beleg für runzit in Wolframs .Parzival* sich findet, von diesem Zeitpunkt an stetig, aber nicht in großer Dichte auftaucht. Wertneutral fungiert es als Knappen- und Damenreitpferd. So auch im ,Willehalm' als Rennewart, soeben erst der Stellung eines Küchenjungen enthoben, harnasch unde runztt (196,18) ablehnt und, auf seine eigenen Kräfte vertrauend, ze fuoze in den strlt (196,17) eilt. Als ritterlicher Famulus darf er ohnehin nicht mit der Zuweisung

Pferdearten

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Parzival schwächlichem pfärdelin10 . Die für den Ritter so wichtigen Streitrosse sind sui generis noch einmal unterteilt. Die wertneutralen Oberbegriffe sind ors11 und marc12 , unter die sich spezifizierend der kastelän, das bevorzugte Streitroß ι^

kastilischer Provenienz , und der ravit, das leichtere Pferd arabischer Abstammung 14 , subsumieren lassen. Im,Willehalm' findet mit derjumente15 (395,7) und der orse muoter (395,12) auch die Stute Beachtung.

eines ordentlichen Streitrosses rechnen. Auch trainieren junge, im Kampf noch unerfahrene Ritter mit stumpfen Waffen auf minderwertigen Pferden, um ihre kämpferischen Fertigkeiten für den Ernstfall zu perfektionieren. Die eigentlichen Streitrosse schont man für den Einsatz in der Schlacht (Wh. 187,8-24). JAHNS Bd.l S.32 sieht im runzlt das verschnittene Pferd, den Wallach, benannt. BULL S. 35 eruiert, daß altfrz. roncin in der Wertschätzung altfrz. Dichter tiefer stand als destrier oderpalefroi. Den Einsatz des runcinus für schwere Arbeiten und als Zugpferd bezeugt Albertus Magnus Bd.2 S. 1378. Runcitii autem sunt qui habentur ad labores onerum vel tractus quadrigarum et redarum. 10 Durch Anhängen des Diminutiv-Suflixes - lin erfährt das neutrale Nomenphert einen pejorativen Nebenklang, was Wolfram durch ein wertminderndes Adjektiv noch unterstreicht: harte kranc stn phärdeltn (Parz. 144,24). Im Kampf gegen Ither muß der junge Knappe mitsamt seinem schwächlichen Tier zu Boden, daz er und sin pfärdelin muosen fallende üf die bluomen sin (Parz. 154,29f.). Die Erbarmungswürdigkeit des Pferdchens stellt die Gegenüberstellung mit Ithers Streitroß (daz ors unt daz pfärdelin 155,29) kontrastierend heraus. Zur Bedeutung der Berittmachung Parzivals und Malkreatiures mit einem armseligen pferdelln OHLY 1985 S.877. 11 Dieser im Althochdeutschen noch allgemein gebräuchliche Ausdruck für ,Pferd* hat sich im Mittelhochdeutschen verengert auf die Bezeichnung für das Streitroß des Ritters. Zur Etymologie DWb Bd.8 Sp.l237f.; mhd. ors entspricht dem afrz. destrier