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German Pages 1103 Year 2010
STUDIEN UND TEXTE ZUR SOZIALGESCHICHTE DER LITERATUR
Herausgegeben von Norbert Bachleitner, Christian Begemann, Walter Erhart und Gangolf Hübinger
Band 121
Dorothe´e Bores
Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998 Ein Werkzeug der Diktatur?
De Gruyter
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Redaktion des Bandes: Gangolf Hübinger
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 05 Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2008 als Dissertation zur Erlangung des Akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.
ISBN 978-3-11-023385-8 e-ISBN 978-3-11-023386-5 ISSN 0174-4410 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort
Die Realisierung des vorliegenden Forschungsprojektes, das viele Jahre in Anspruch genommen hat, war nur möglich durch die direkte oder indirekte Beteiligung zahlreicher Personen und Institutionen. Mein herzlicher Dank gilt Herrn Prof. Dr. Ernst Fischer, für das mir entgegen gebrachte Vertrauen bei der Überlassung des Themas; für die Geduld trotz langer Bearbeitungszeit; für schnelle, unkomplizierte sowie kritische Betreuung meiner Arbeit. Danken möchte ich auch der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin, die mir unter größtmöglicher Rücksichtnahme auf meine persönliche Situation ein Forschungsstipendium gewährte und durch einen großzügigen Druckkostenzuschuss die Drucklegung der Ergebnisse ermöglichte. Für freundliche Betreuung und Bereitstellung der Archivbestände danke ich den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der folgenden Archive und Institutionen: Bertolt-BrechtArchiv, Berlin; BStU, Berlin; Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar; P.E.N.-Zentrum Deutschland (Darmstadt), insbesondere für die Bereitstellung der digitalisierten Aktenbestände; SAPMO im Bundesarchiv Berlin Lichterfelde; Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz; Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin. Für Interesse an meinem Forschungsvorhaben und tätige Unterstützung zu danken ist aber auch einzelnen Personen: Dr. Sven Hanuschek (München) für die freundliche Überlassung seiner umfangreichen Materialsammlung zur Geschichte des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums; Dr. Therese Hörnigk (Berlin) für umfassende Auskünfte über die eigene Forschungsarbeit und die Übergabe der transkribierten Interviews mit Präsidiumsmitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR ; Heinz Kahlau (Gummlin) für postalische Auskunftserteilung; Ingeburg Kretzschmar (Berlin) für Gewährung eines ausführlichen Zeitzeugengesprächs; Dr. Christoph Links (Berlin) und Martin Weskott (Katlenburg/Lindau); Dr. Franz Stadler (Wien) für erschöpfende Auskünfte über den Nachlass Robert Neumann und Übersendung von Kopien wichtiger Dokumente; Helga Schwarz-Stötzer (†) für die Gewährung der Einsichtnahme in den Nachlass von Johannes Tralow. Darüberhinaus möchte ich danken: Kathy und Oliver Vomfell, Sascha Kneip und Sandra Cartes sowie Andrea Schultze und Volker Buchholz für spontane und unkomplizierte Gastfreundschaft in Berlin (mit und ohne Anhang); meinen Eltern Elisabeth und Klaus Bores, die meinen Weg begleitet und an mich geglaubt haben; meinem Mann Christian Poß für beharrlichen Glauben an die Fertigstellung der Arbeit; für unermüdliche Unterstützung und liebevolle Ermutigung; für unersetzliche kritische Hilfe bei Korrektur und Formatierung; und unseren Kindern Lucia und V
Samuel, die mir, jedes auf seine Weise, Kraft und Mut zum Durchhalten gegeben haben. Trier, im Februar 2010
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Dorothée Bores
Inhaltsverzeichnis
1.
2.
3.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Einheit des deutschen P.E.N. um jeden Preis? Eine wiederkehrende Debatte um Schriftsteller und Moral 1.2 Theoretische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Der Intellektuellen-Diskurs nach 1945 – Allgemein und DDR-spezifisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Sonderfall P.E.N. – Ein Hort moralischer Werte? . . 1.3 Forschungsstand, Quellenlage und Vorgehensweise . . . . . .
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Vorgeschichte (1946–1950) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Engagement für die Wiederaufnahme deutscher Schriftsteller in den Internationalen P.E.N. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Wiederbegründung des P.E.N.-Zentrums Deutschland . . .
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Die »Kriegserklärung im deutschen P.E.N.« – Sezession als Folge des Kalten Krieges (1950/51) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 »Eine gedeihliche Zusammenarbeit […] ist nicht mehr denkbar« – Anzeichen einer unvermeidlichen Aufspaltung des P.E.N.-Zentrums Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Ideologische Grabenkämpfe vor und während der Wiesbadener Tagung (4.–7. 12. 1950) . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 … und die nachfolgenden Reaktionen . . . . . . . . . . . . 3.2 Zwischen Einheit und Teilung (Dezember 1950 – Oktober 1951) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Vergebliche Suche nach einvernehmlichen Lösungen des Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Propagandistische Einmischung des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen« . . . . . . . . 3.2.3 Vergebliche Hoffnung auf eine Klärung im Internationalen P.E.N.: Einrichtung an den Fronten nach dem Kongress in Lausanne (22.–27. 5. 1951) . . . 3.3 »Das wird ein Theater werden!« – Generalversammlung in Düsseldorf (23.–25. Oktober 1951) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kampf um Anerkennung: »Rumpfgruppe« oder gesamtdeutsches P.E.N.-Zentrum? (1951/53) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Reorganisationsbestrebungen des P.E.N.-Zentrums Deutschland (Oktober/November 1951) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Konstituierung eines P.E.N.-Zentrums in der Bundesrepublik Deutschland (3./4. 12. 1951) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Rege Aktivität zur Erhaltung des P.E.N.-Zentrums Deutschland : Eine Mitgliederversammlung in West-Berlin (10. 12. 1951) und ein Bericht zur »Lage im deutschen P.E.N.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Pariser Exekutive (März 1952) und Nizzaer Kongress (Juni 1952): Die Entscheidung der »querelles allemandes« im Internationalen P.E.N. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Öffentliches Ringen um Anerkennung und interne Zerfallserscheinungen im P.E.N.-Zentrum Deutschland . . . . . 4.6 »Das kommt praktisch einem Verbot der Generalversammlung gleich.« – Eine verhinderte Tagung in München, Februar 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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»Wenn Du kein Spektakel machen kannst … « – Die Ära Bertolt Brecht (1953–1956) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 5.1 Konsolidierung des P.E.N.-Zentrums Deutschland bzw. Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West (Sitz München) . . 238 5.1.1 Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Berlin (10. Mai 1953): Bekenntnis zur »Unteilbarkeit der deutschen Literatur« und Wahl einer prominenten Integrationsfigur zum Präsidenten 238 5.1.2 » A better understanding of present problems« – Verbindliche Namensgebung auf dem internationalen Kongress in Dublin (Juni 1953) . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 5.2 Strukturelle Veränderungen im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West (1953–1956) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 5.3 Die »Phase der Verteidigung« beendet, den »Angriff begonnen«: Etablierung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf internationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 5.3.1 Im Vorfeld des 26. internationalen P.E.N.-Kongresses in Amsterdam (20.–26. 6. 1954) . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 5.3.2 Der Amsterdamer Erfolg: Durchsetzung einer Resolution für Verbreitungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 5.4 Engagement des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West für die Aufnahme sowjetischer Schriftsteller in den Internationalen P.E.N. (1954–1956) . . . . . . . . . . . . . . . 293
5.5 »Die Sache ist gut«: Eine Resolution gegen den Einsatz von Atomwaffen . . . . . . . 6.
Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West /P.E.N.-Zentrum DDR unter Arnold Zweig (1956/57–1968) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Die krisenhafte Entwicklung des Weltkommunismus im Jahr 1956 – Die direkten Auswirkungen auf den P.E.N. in der DDR und auf internationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Ein langsamer Ablösungsprozess: Die westdeutschen Verantwortungsträger verlassen das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West (1958–1960) . . . . 6.3 Das »Hamburger Spectaculum« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Teil 1 – Eine boykottierte Generalversammlung und ihre Folgen (1960) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Teil 2 – Ein »Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West« in Hamburg (April 1961) . . . . . . . . . . 6.4 Unter Druck: Mauerbau und Inhaftierungen von Schriftstellern – Der Internationale P.E.N. verlangt Auskunft vom Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West . . . . 6.5 Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West im Netz der SED-Politik? (1959/60–1966) . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Strikter Ausbau der parteipolitischen Kontrolle durch das ZK der SED und personelle Veränderungen im Sinne der Kaderpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2 Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West ein »Petöfi-Club« der DDR? Eine umstrittene Veranstaltung und ein unliebsames P.E.N.-Mitglied (1965) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.3 Die Auswirkungen der parteipolitischen Kontrolle auf die Arbeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Beispiel des New Yorker P.E.N.-Kongresses (Juni 1966) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 »[E]igentlich doch immer am Rande eines Versandens … « – Der Ständige Verbindungsausschuss zwischen den deutschen P.E.N.-Zentren (1964–1968) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.1 Der Internationale P.E.N. als Mittler zwischen Ost und West: Die Schaffung eines Ständigen Verbindungsausschusses . . . . . . . . . . . . . . 6.6.2 Die Aktivitäten des Ständigen Verbindungsausschusses . . . . . . . . . . . . . . 6.6.3 Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West als nationale Repräsentanz der DDR – Das »Aus« für den Ständigen Verbindungsausschuss . . . . . . . . . . . . .
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6.7 »[…] obwohl wir nicht als Ja-Sager uns angenehm machen, sondern durch Entschiedenheit wirken.« – Der DDR-P.E.N. auf Konfrontationskurs im Internationalen P.E.N. . . . . . . . . . 6.8 Personelle Veränderungen im P.E.N.-Zentrum DDR : Die Abberufung der Generalsekretärin Ingeburg Kretzschmar und der »Tod des Dichters« Arnold Zweig (1968) . . . . . . . . . 7.
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Das P.E.N.-Zentrum DDR unter verstärkter parteipolitischer Einflussnahme (1969/70–1979) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 7.1 Gegen antisowjetische und antisozialistische Kampagnen im Internationalen P.E.N.: Fortsetzung des offenen Konfrontationskurses durch das P.E.N.-Zentrum DDR (1969/70) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 7.2 Dominanz von Kader- und Außenpolitik auf der Generalversammlung am 2. April 1970 . . . . . . . . . . . 522 7.2.1 Die Wahl von Heinz Kamnitzer zum Präsidenten des P.E.N.-Zentrums DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 7.2.2 Funktionalisierung des P.E.N.-Zentrums für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR . . . . . . . . . . 526 7.2.3 Vorbereitung einer weiteren sozialistischen Offensive: Protest gegen Seoul als Tagungsort des Internationalen P.E.N. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 7.3 Schlagabtausch im Internationalen P.E.N.: Die »Problemfälle« Wolf Biermann und Peter Huchel (1970/71) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 7.4 Zunehmende parteipolitische Instrumentalisierung des P.E.N.-Zentrums DDR (1971/72–1975) . . . . . . . . . . . . . . 550 7.4.1 Verstärkte Anleitung und verschärfte Sicherungsmaßnahmen … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 7.4.2 … und die konkreten Auswirkungen auf die (inter)nationale P.E.N.-Arbeit (1972/73) . . . . . . . . . . . 558 7.4.2.1 Durchsetzung einer Resolution für die Aufnahme der DDR in die UNESCO, April 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 7.4.2.2 Positionsbestimmung auf der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR, Oktober 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 7.4.2.3 Im Zeichen der DDR-Abgrenzungspolitik: Internationale Exekutive in West-Berlin, November 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 7.4.3 Fortgesetzte Regulierungsmaßnahmen der Abteilung Kultur im ZK der SED gegenüber dem P.E.N.-Zentrum DDR (1974/75) . . . . . . . . . . . . . . . . . 585
7.4.3.1 Personeller Wechsel im Generalsekretariat: Ablösung von Werner Ilberg durch den »Hardliner« Henryk Keisch . . . . . . . . . . . . . . 7.4.3.2 »Sorgen um die Aufnahme jener in den PEN, mit denen wir Meinungsverschiedenheiten haben« – Steuerungsversuche der Abteilung Kultur im Vorfeld der Generalversammlung 1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Solidarität mit verfolgten und inhaftierten Kollegen? (1973–1976/77) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.1 Konzentriertes Engagement für chilenische Autoren . 7.5.2 Der verweigerte Einsatz für die Schriftsteller des eigenen Landes (1976/77) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.2.1 »[E]in Häftling namens Siegmar Faust«? – Kein Engagement für »Faustus Simplicissimus« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.2.2 Keine »wunderbaren Jahre« für Reiner Kunze 7.5.2.3 Die Ausbürgerung von Wolf Biermann – Zündstoff für das Präsidium des P.E.N.Zentrums DDR und Auslöser verstärkter sicherheitspolitischer Maßnahmen . . . . . . . . . 7.6 Internationale Reaktionen auf die kulturpolitische Situation in der DDR nach dem November 1976 und Positionierung des P.E.N.-Zentrums DDR auf internationaler Ebene . . . . . . 7.7 »Ich bin überzeugt, daß wir auf verlorenem Posten stehen; nun ja.« – Das P.E.N.-Zentrum DDR und die Eskalation der kulturpolitischen Situation in der DDR (1979) . . . . . . . . 8.
Zwischen innerer Erstarrung, politischer Willfährigkeit und partiellem Neuanfang: Das P.E.N.-Zentrum DDR in den achtziger Jahren (1979/80–1988/89) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 »Betätigungsfeld zweier vom Aussterben bedrohter alter Herren«? – Das P.E.N.-Zentrum DDR in den Jahren 1979/80 bis 1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Zunehmende Erstarrung des DDR-P.E.N. auf nationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Weiterhin kein Einsatz für Schriftstellerkollegen im eigenen Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Gegen antisowjetische und antisozialistische Aktionen – Das P.E.N.-Zentrum DDR in der Offensive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3.1 Uneingeschränkte Solidarität mit der UdSSR .
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8.1.3.2 Gezielte Einflussnahme auf den Internationalen P.E.N. im Sinne der polnischen Regierungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.4 In »Frage[n] der Friedenserhaltung, der Rüstungsbegrenzung und der Abrüstung« – Einsatz des P.E.N.-Zentrums DDR für Friedenspolitik in Kooperation mit dem P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.4.1 Vorsichtige Annäherung, Erfolg und Misserfolg in der gemeinsamen Friedensarbeit (1979/80–1983) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.4.2 Ein neuerlicher Störfall: Die Affäre »Seyppel« (1983) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.4.3 Gleichklänge und Dissonanzen: Fortsetzung der gemeinsamen Initiativen für den Weltfrieden (1983/84) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Ein neuer Generalsekretär – Eine Chance, die Erstarrung zu überwinden? (1985–1989) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Das P.E.N.-Zentrum unter Walter Kaufmann im Inneren der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Ein neuer Auftritt auf der Ebene des Internationalen P.E.N. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.
XII
Die friedliche Revolution in der DDR – Auswirkungen auf das P.E.N.-Zentrum (1989–1991) . . . . . . . . . . . 9.1 Am Vorabend des Mauerfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 In das P.E.N.-Zentrum DDR kommt Bewegung: Generalversammlung am 1. März 1989 . . . . . . . . . . . 9.1.2 »Zeichen der Zeit«: Zwei umstrittene Erklärungen des DDR-P.E.N. und die Amtsniederlegung des langjährigen Präsidenten Heinz Kamnitzer . . . . . . . . 9.2 Nach dem Mauerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Die Reorganisation des P.E.N.-Zentrums DDR . . . . . 9.2.2 »Nicht Einheit, sondern Gemeinsamkeit.« – Erste Stellungnahmen zur Zukunft der beiden deutschen P.E.N.-Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2.1 »Kieler Schock« – Der Konflikt um die Vergangenheit des P.E.N.-Zentrums DDR bricht auf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2.2 »Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der DDR zusammengehen sollte« – Eine Meinungsumfrage unter ehemaligen DDR-Autoren . . . . . . . . . . . . . . .
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9.2.2.3 »Ich bin nicht der Politiker, den dieses Amt wohl braucht« – Heinz Knoblochs Rücktritt als Präsident des P.E.N.-Zentrums DDR . . . . . 10. Die (Wieder)Vereinigung – Notwendige Neuorientierung und Vereinigungsquerelen (1991–1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 »[E]in bißchen Geduld und Zeit« – Kursbestimmung und Positionierung unter neuem Namen: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Gescheitertes Aufeinanderzugehen der Literaten aus Ost und West? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 »Selbstreinigung« des Ostens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.1 Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 und Lesereihe Literatur in veränderter Landschaft . . . . . . . 10.3.2 Aufarbeitung der Vorwürfe gegen einzelne Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) . . . . . . . . . . . . 10.4 Auf dem langen Weg zur Einheit der deutschen P.E.N.-Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.1 Vorsichtige Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.2 Versuch einer strikten Abgrenzungspolitik . . . . . . . . . 10.4.3 Der Wille zur Einheit des deutschen P.E.N.-Clubs obsiegt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Der P.E.N.-Club in der DDR: Intellektueller Freiraum? Politisches Instrument? . . . . . . . . . . . . .
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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 998 A 1 Anhang zur Geschichte des P.E.N.-Zentrums Deutschland, Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, P.E.N.-Zentrums DDR und Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) (1946–1998) . . . 998 A 2 Tabellarische Übersicht zu den Präsidien des P.E.N.-Zentrums Deutschland (1948–1951), des ostdeutschen P.E.N.-Zentrums (1951–1998), des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (1989–1998), sowie des vereinigten P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (1998/99) . . . . 1021 A3 Mitgliederliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1031 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1060 Verzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1077 1. Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1077 2. Ortsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1087
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Abkürzungsverzeichnis
ACCF ADN AGMS AIM AKG ALV ANS AOP AOPK AP ATB BA BArch BdL BfU BL BRD BStU CCF CDR CDU CIA CIC ˇ CSSR DBB DDR DE DEFA DFG DLA DM DSV Exilarchiv FFM FDGB FDJ FIF FN HA HV GV ICD XIV
American Committee for Cultural Freedom Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst Archivierte Akte eines Gesellschaftlichen Mitarbeiters für Sicherheit Archivierter IM-Vorgang oder IM-Vorlauf Auswertungs- und Kontrollgruppe Amt für Literatur und Verlagswesen Amt für Nationale Sicherheit Archivierter Operativer Vorgang Archivierte Akte einer Operativen Personenkontrolle Allgemeine Personenablage Allied Travel Board Bundesarchiv Bundesarchiv Berlin Büro der Leitung Büro für Urheberrechte Bezirksleitung Bundesrepublik Deutschland Bundesbeauftragte(r) für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Congress for Cultural Freedom CD-Rom Christlich-Demokratische Union Central Intelligence Agency Counter Intelligence Corps Tschechoslowakische Sozialistische Republik Deutsche Bundesbank Deutsche Demokratische Republik Diensteinheit Deutsche Film-Aktiengesellschaft Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar Deutsche Mark Deutscher Schriftstellerverband Exilarchiv Frankfurt am Main Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Fund for Intellectual Freedom Fußnote Hauptabteilung Hauptverwaltung Generalversammlung International Control Division
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Industrie- und Handelsbank (der DDR) Inoffizieller Mitarbeiter Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit Feindverbindung bzw. zur unmittelbaren Bearbeitung im Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen Inoffizieller Mitarbeiter im besonderen Einsatz Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereichs Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereichs Inoffizieller Mitarbeiter/Vorlaufakte Kasten Kapitel Komitet gossudarstwennoj besopasnosti (russ.): Komitee für Staatssicherheit Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit Informationsbüro der Kommunistischen und Arbeiterparteien Konvolut Kontaktperson Kommunistische Partei der Sowjetunion Kommunistische Partei Österreichs Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Konzentrationslager Liberaldemokratische Partei Deutschlands Mappe Mark der Deutschen Notenbank Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Ministerium für Kultur Ministerium für Staatssicherheit Neues Deutschland Nachlass Nationalsozialismus Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet Nationale Volksarmee Die Neue Zeitung ohne Angabe ohne Datum Österreichische Nationalbibliothek operativ ohne Seite ohne Verfasser, ohne Verlag Poets/Playwrights, Essayists/Editors and Novelists Referat Radio Free Europe Rundfunk im amerikanischen Sektor Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin Strategic Arms Limitation Talks (engl.): Abrüstungsverhandlungen zwischen USA und SU Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz Sowjetische Besatzungszone XV
SDA/SDS SED SMAD SPD SU SV SZ Tscheka
UdSSR UfJ UN UNESCO USA VdN VS WfPC WiPC ZAIG ZDF ZK ZOV ZMA ZRK
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Schutzverband Deutscher Autoren/Schriftsteller Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sowjetunion Schriftstellerverband der DDR Süddeutsche Zeitung Tschreswytschainaja kommissija po borbe s kontrrevoluzijej, sabotshem i spekulazijej (russ.): Außerordentliche Kommission zum Kampf gegen Konterrevolution, Sabotage und Spekulantentum (1917 bis 1922) Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen United Nations (engl.): Vereinte Nationen United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (engl.): Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur United States of America (engl.): Vereinigte Staaten von Amerika Verlag der Nation Verband deutscher Schriftsteller (Bundesrepublik Deutschland) Writers for Peace-Committee (Internationaler P.E.N.) Writers in Prison-Committee (Internationaler P.E.N) Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe Zweites Deutsches Fernsehen Zentralkomitee Zentraler Operativer Vorgang Zentrale Materialablage Zentrale Revisionskommission
1.
Einleitung
1.1
Einheit des deutschen P.E.N. um jeden Preis? Eine wiederkehrende Debatte um Schriftsteller und Moral
Nach dem Mauerfall und dem damit verbundenen Niedergang des DDR-Staates trieben die politischen Kräfte in Ost und West die staatliche Einigung Deutschlands rasch voran. Schon im Oktober 1990 wurde die Einheit offiziell vollzogen. Was im Großen erstaunlich schnell realisiert worden war, musste im Kleinen, oftmals unter beträchtlichen Mühen, nachvollzogen werden. Für zahlreiche Institutionen, Verbände und Vereine in Ost und West stellte sich in Anbetracht der staatlichen Einheit die Frage des organisatorischen Zusammenschlusses. Auch auf kulturellem Sektor standen die Verantwortlichen vor der Entscheidung: Einheit ja oder nein? Gerade auf dem Gebiet der Kultur zeigten sich die pragmatischen Einigungsbestrebungen indes von ideologischen Streitigkeiten überlagert; sie führten zum Teil »zu neuen Spaltungen, die merkwürdigerweise gerade durch besonders eifrige Bemühungen um die Einheit herbeigeführt wurden.«1 Es waren gerade die Künstler und Schriftsteller, »die bestrebt waren, die Fehler der Politiker zu vermeiden; doch neben dem Ergebnis, das sie schließlich erreichten, nimmt sich das der Politiker so schlecht nicht aus.«2 Eine Sonderrolle in diesem Einigungsprozess nahmen die beiden deutschen P.E.N.-Zentren ein. Hatten andere kulturelle Einrichtungen wie etwa die Akademien der Künste in Ost- und West-Berlin, der Schriftstellerverband der DDR (SV) und der Verband deutscher Schriftsteller (VS) längst den – wenngleich problematischen, nicht zuletzt finanziell indizierten – Schulterschluss mit ihren Parallel-Institutionen vollzogen, so verweigerten sich die dem P.E.N. angehörenden Schriftsteller der nunmehr, mindestens auf dem Papier geeinten beiden deutschen Staaten einer schnellen Lösung, vor allem aufgrund moralischer Vorbehalte. Der SV hatte zunächst für seinen autonomen Fortbestand gekämpft. Am 10. Dezember 1989 hatte er durch seinen Vorstand ein weiteres Mal den langjährigen Vorsitzenden Hermann Kant bestätigt; dieser erklärte allerdings auf massiven Druck hin noch im selben Monat seinen Rücktritt. Rainer Kirsch übernahm die Leitung, doch am Jahresende 1990 musste sich der Verband wegen 1
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Hans Dieter Zimmermann: Wozu PEN und Akademie? Die Spaltung nach der Einheit. In: Zimmermann (Hg.): Literaturbetrieb Ost/West. Die Spaltung der deutschen Literatur von 1948 bis 1998. Stuttgart, Berlin und Köln 2000, S. 139–146, hier S. 139. Zimmermann: Wozu PEN und Akademie?, S. 139. 1
auslaufender Subventionen selbst auflösen. Faktisch gab es fortan nur noch einen deutschen Schriftstellerverband, den VS. Zur Debatte stand demzufolge die Frage, ob der eine, nun gesamtdeutsche Schriftstellerverband »für alle schriftstellerisch Tätigen ohne Ansehen der Person offen sein«3 konnte. Der Vorstand des VS widersprach einer solchen Auffassung; er stellte eine Liste von 21 Namen unerwünschter DDR-Autoren zusammen, die im März 1991 im Neuen Deutschland publiziert wurde. Die (West-)Berliner VS-Gruppe folgte der Empfehlung aber nicht; sie nahm alle Ost-Berliner Autoren, die es wünschten, in den Verband auf. Die Entscheidung gründete sich auf der Anlage des VS; er war und ist ein gewerkschaftsähnlicher Verband, der die beruflichen Interessen seiner Mitglieder zu vertreten hat – ungeachtet ihrer moralischen Integrität. Die Integration der Ost-Autoren in den Berufsverband war somit problematisch, aber unvermeidbar; sie löste »Gegengründungen von Autorenvereinen, Freien Akademien usw. aus, die ihrerseits moralische und andere Kriterien setzen konnten.«4 Auch in der Auseinandersetzung um die Zukunft der beiden Akademien der Künste in Ost und West stand die Frage nach der moralischen Legitimation der Ost-Mitglieder an zentraler Stelle. Zunächst war, ungeachtet der internen Meinungsverschiedenheiten zur Bedeutung der Ost-Akademie in der Vergangenheit, eine souveräne Existenz der Ost-Berliner Akademie als Zukunftsmodell protegiert worden. Der zunehmende finanzielle, aber auch politische und öffentliche Druck forcierte schließlich Ende 1991 die Annäherung an die West-Berliner Akademie. Gegen lebhaften Protest wurde von der Führung der Ost-Akademie die Neuwahl der Mitglieder beschlossen, um die Übernahme einer reduzierten Akademie durch die West-Akademie zu erbitten. Zwar hatte der westdeutsche Präsident Walter Jens bald nach dem Mauerfall Kontakt mit den Ost-Mitgliedern aufgenommen. Ein Teil der westdeutschen AkademieMitglieder lief jedoch Sturm gegen jede Übernahme von Mitgliedern der OstAkademie.5 Dabei spielten die zutage beförderten Erkenntnisse über die Zusammenarbeit von Künstlern und Schriftstellern mit der Staatssicherheit der DDR eine nicht unerhebliche Rolle: »Was lädt man sich ein, wenn man die ganze Akademie ›en bloc‹ überholt – und plötzlich sitzt ein Stasispitzel neben mir, was macht man mit so einem Gefühl?«,6 fragte etwa der Schauspieler Otto Sander. Trotz der moralischen Bedenken sprach sich Anfang Februar 1992 eine Zweidrittel-Mehrheit der West-Berliner Akademie für das Zusammengehen der beiden Akademien aus. Es folgten die demonstrativen Austritte zahlreicher Mitglieder der West-Akademie. Aus der Abteilung Literatur zogen sich Peter Demetz, Michael P. Hamburger, Zbigniew Herbert, Günter Kunert und Reiner 3
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Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe. Leipzig 1996, S. 450. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 451. Vgl. Werner Mittenzwei: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1949–2000. Berlin 2003, S. 452–460; Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 451–453 und Zimmermann: Wozu PEN und Akademie?, hier besonders S. 139–142. Zitiert nach Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 459.
Kunze zurück. Am 20. September 1992 kam es schließlich zur Ratifizierung des Staatsvertrages zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg über die Bildung der gemeinsamen Akademie.7 Während also dem SV als Zweckverband zur Wahrnehmung berufsbedingter Interessen eine moralisch begründete Argumentation nur sehr begrenzt offen stand, stellte sich dies bei der »an Elitevorstellungen orientierten KünstlerAkademie«8 schon deutlich anders dar. Für den P.E.N.-Club ergaben sich indes durch die Vorgaben der internationalen Charta noch wesentlich komplexere Voraussetzungen; man »war schon durch die Satzung verpflichtet, hohe moralische Maßstäbe walten zu lassen, so daß die [lange Zeit] nicht vollzogene Vereinigung der beiden Zentren gute Gründe hat.«9 Um die beiden deutschen P.E.N.-Zentren entspann sich eine lebhafte Auseinandersetzung. Mit jeder Jahresversammlung, sowohl in Ost wie in West, erreichte die Diskussion um die Zusammenführung der beiden Zentren einen neuen Höhe- oder treffender Tiefpunkt, der mit zunehmender Intensität und Dauer der Debatten in der Öffentlichkeit bald nurmehr höfliches Interesse, und zunehmend Unverständnis und Spötteleien der Beobachter erregte. Hin und her schwankend zwischen der völligen Ablehnung, dann wieder vorsichtigen Annäherung an den Gedanken einer Vereinigung, wechselseitig mal von der einen, mal von der anderen Seite vorgebracht, bewegte sich die P.E.N.-interne Diskussion nicht wirklich weiter. Die Einigungsquerelen der deutschen P.E.N.-Sektionen sind gekennzeichnet durch den Verschleiß einiger Präsidenten – wohlgemerkt auf beiden Seiten –, Aus- und Übertritte zahlreicher Mitglieder und hitzige, manches Mal von weniger sachlich begründeten denn persönlich motivierten Anwürfen überlagerte Auseinandersetzungen. Die Mitglieder der P.E.N.-Sektion im Osten Deutschlands befanden sich naturgemäß durch das reale Scheitern des in seinem utopischen Charakter vorgeführten Sozialismus in Defensivstellung: Fragwürdig erschien den westlichen Kollegen v. a. der Handlungsrahmen des P.E.N.-Zentrums in einem staatlichen Zwangssystem, dessen Organe alle Bereiche des gesellschaftlichen und somit auch kulturellen Lebens durchdrungen hatten. Die moralische Handlungsfähigkeit der Ost-P.E.N.-Mitglieder im Sinne der internationalen P.E.N.-Charta wurde vom Westen generell bezweifelt; die Arbeit des Zentrums könne niemals unabhängig von einer parteilichen bzw. staatlichen Anleitung betrieben worden sein: Es ist die Frage, ob das PEN-Zentrum eines totalitär verwalteten Staates die libertäre Charta des internationalen PEN überhaupt erfüllen konnte, oder ob es nicht bei der Erfüllung derselben zwangsläufig in offenen Widerspruch zum heimischen System geraten mußte. Es ist nicht die Frage, daß in einem solchen Zentrum auch viele ehrenwerte Autoren Mitglieder sein konnten, deren gewiß kleinster Wunsch es war, zum politischen Repräsentanten und poetischen Apologeten zu werden, wohl aber ist es ein
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Vgl. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 459f. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 456. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 456. 3
Problem, wenn, wie im DDR-PEN geschehen, dogmatische Kommunisten Mitglieder (gar Präsidiumsmitglieder) waren.10
Die Ost-Autoren wurden als willfährige »Staatsdichter« bezeichnet, die »ihr Verwachsensein mit den autoritären Strukturen nicht einmal gemerkt«11 hätten. Die DDR-Literatur, vor dem Mauerfall oft hoch gelobt, wurde pauschal auf ihre Funktion als »Erfüllungsgehilfe einer häßlichen Diktatur«12 reduziert. Im Vorantreiben der Forschung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur verdichteten sich die Hinweise auf eine Verstrickung einzelner Ost-Mitglieder mit dem in seiner Dimension kaum fassbaren Überwachungsapparat des Ministeriums für Staatssicherheit. Von diesen Vorwürfen betroffen waren brisanterweise z. T. führende Köpfe im Präsidium und – besonders eklatant – der langjährige Präsident des P.E.N.-Zentrums DDR. Vor diesem Hintergrund forderte man von westlicher Seite vehement die »Selbstaufklärung« der ostdeutschen Sektion. Um den Ungereimtheiten in Bezug auf individuelle Verdachtsfälle der IM-Tätigkeit Aufklärung entgegenzusetzen, rief man schließlich 1995 in beiderseitigem Einverständnis einen Ehrenrat ins Leben, der die vorgebrachten Anschuldigungen untersuchen und bewerten sollte. Als erklärtes Ziel des Ehrenrates galt es, die offenbaren Verfehlungen einzelner Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR zu untersuchen. Die dezidierte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einzelner Mitglieder hatte schon in der ersten Hälfte der neunziger Jahre dazu beigetragen, dass eine Reihe P.E.N.-unverträglicher Mitglieder wie u. a. Klaus Höpcke, Hermann Kant und Heinz Kamnitzer sich vom P.E.N. verabschiedeten. Indes dauerte die Aufarbeitung bis ins Jahr 2002 unvermindert an, galt es doch die Frage der IM-Tätigkeit eines hartnäckig den freiwilligen Austritt verweigernden Mitgliedes zu klären und eine Entscheidung pro/contra Aufhebung seiner Mitgliedschaft zu forcieren. Im Zentrum der »Selbstaufklärung« stand jedoch nicht nur die eigenverantwortliche Untersuchung der IM-Verdachtsfälle. Schon bald nach der staatlichen Wiedervereinigung hatten die Verantwortlichen der deutschen P.E.N.Zentren Interesse an einer breit angelegten Aufarbeitung der P.E.N.-Geschichte in Deutschland gezeigt. Sowohl von östlicher wie westlicher Seite wurde Wert darauf gelegt, die gesamte Geschichte der deutschen P.E.N.-Sektion(en) wissenschaftlich bearbeiten zu lassen, d. h. von ihrer Gründung im Jahre 1923 an. Zustande kam schließlich eine Kooperation von westdeutschen und ostdeutschen Wissenschaftlern, deren Forschungsarbeiten durch die DFG gefördert wurden. Im Zuge dieses umfassenden Geschichtsprojektes war auch die gezielte Aufarbeitung der P.E.N.-Geschichte in der DDR beschlossen, jedoch nicht realisiert worden. 10
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Joachim Walther: Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik. (Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten 6) Berlin 1996, S. 802. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 13. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 14.
Für die vorliegende Untersuchung, die erst nach dem Ende der Förderung durch die DFG begonnen wurde, ist der Zeitraum von 1946–1998 von Relevanz. Die Wiederbegründungsgeschichte eines deutschen P.E.N.-Clubs, der sich nach 1933 auf internationalen Druck hin selbst aufgelöst hatte, begann schon unmittelbar nach Kriegsende. Die Bemühungen, auf internationaler Ebene Akzeptanz für die Neugründung eines deutschen Zentrums zu erlangen, führten im November 1948 zum Erfolg. Trotz Deutschlands Einteilung in Besatzungszonen unter Ägide der verschiedenen Siegermächte gelang es, zunächst ein gesamtdeutsches P.E.N.-Zentrum Deutschland zu etablieren. Die Einheit der kulturellen Einrichtung hielt indes nicht lange vor: Im Oktober 1951 kam es zur Abspaltung einer Gruppierung westdeutscher P.E.N.-Mitglieder, die am Ende des Jahres in die Konstituierung eines bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums mit Sitz in Darmstadt mündete. Fortan existierten in Deutschland zwei voneinander unabhängige P.E.N.-Zentren: das P.E.N.-Zentrum Deutschland mit Schwerpunkt in der DDR und das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik). 1953 kam es auf Betreiben der internationalen P.E.N.-Führung zu einer teilweisen Umbenennung. Das P.E.N.-Zentrum Deutschland, das sich trotz und gerade wegen seiner DDRAffinität einen gesamtdeutschen Anstrich gab und vehement für die Unteilbarkeit der deutschen Literatur eintrat, bezeichnete sich fortan als Deutsches P.E.N.Zentrum Ost und West (Sitz München). Obgleich das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West de facto mehr und mehr unter Anleitung und Kontrolle durch Partei- und Staatsapparat der DDR geriet, erfolgte die eindeutige Zuschreibung zum Staatswesen erst 1967 mit der Umbenennung in P.E.N.-Zentrum DDR. Nach dem Niedergang des SED-Regimes erfolgte im Februar 1991 eine erneute Namensänderung. Als Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) kämpfte die Nachfolgeorganisation des DDR-P.E.N. um ihre Fortexistenz. Die Diskussion um die Zukunft der beiden deutschen P.E.N.-Zentren, die von scharfen Auseinandersetzungen um die Vergangenheit der DDR-Schriftsteller geprägt war, kam erst mit der Verschmelzung zu einem P.E.N.-Zentrum Deutschland Ende Oktober 1998 an einen vorläufigen Endpunkt. Mit Blick auf die vorliegende Forschungsarbeit scheint es sinnvoll, den Fokus zunächst auf Anfangs- und Endpunkt der nachfolgenden Untersuchung zu richten. Hier kristallisiert sich jeweils jene grundlegende, moralisch intendierte Anklage heraus, die bereits gegen die P.E.N.-Mitglieder in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und dann mehr als 40 Jahre später in der DDR während der Spaltungs- bzw. Wiedervereinigungsgeschichte mit Vehemenz erhoben wurde; diese muss Berücksichtigung als leitende Fragestellung finden. Den P.E.N.-Mitgliedern wurde, sowohl im Vorfeld der Teilung als auch der Vereinigung, das symptomatische Versagen als Intellektuelle, ihr Verrat an moralischen Grundwerten vorgehalten. Daraus ergibt sich gewissermaßen ein Ringschluss, der die intellektuelle Debatte der Jahre 1951–1953 mit jener der Jahre 1989–1998 verbindet. Der wiederkehrende Vorwurf intellektueller Unredlichkeit, beharrlich mit dem Verweis auf eine problematische Nähe zum diktatorischen Staatssystem gepaart, provoziert Fragestellungen grundsätzlicherer Art: Lässt sich 5
der Begriff »Intellektueller« eindeutig definieren und demzufolge mit konkreten ethisch-moralischen Anforderungen und Erwartungen verknüpfen? Ist eine Übertragung der Rollenattribute eines Intellektuellen auf den Typus »Schriftsteller« zulässig? Welche Rolle und Funktion kann in dieser Hinsicht den Schriftstellern in der DDR zugeschrieben werden? Und ganz konkret auf den P.E.N. bezogen: Welcher Anspruch erwächst aus der Mitgliedschaft im Internationalen P.E.N.-Club ? Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der internationalen P.E.N.-Charta zu? All diese Fragen können hier nicht erschöpfend und letztgültig behandelt werden. Gleichwohl ergibt sich aus den grundlegenden Überlegungen ein Bezugsrahmen – für die historiographische Untersuchung des P.E.N.-Clubs im Osten Deutschlands einerseits, für eine abschließende und kritische Bewertung der Forschungsergebnisse andererseits.
1.2
Theoretische Vorüberlegungen
1.2.1 Der Intellektuellen-Diskurs nach 1945 – Allgemein und DDR-spezifisch Eine schlichte, allgemeingültige Definition des Begriffs »Intellektueller« existiert nicht. Der Begriff ist bis heute Gegenstand einer Debatte, die in Abhängigkeit von zeitgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen sowie ideologischen Grundeinstellungen stetig fortgeschrieben wird. Demnach ist die Figur des Intellektuellen ein »diskursives Phänomen«,13 das sich aus den verschiedenen Beiträgen zum Intellektuellen-Diskurs zusammensetzt. Eine umfängliche Übersicht zur Geschichte des Begriffs »Intellektueller« nach 1945 hat Jutta Schlich, mit klarem Fokus auf die sprachwissenschaftliche Analyse, als Beitrag zum Forschungsreferat Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland 14 (2000) vorgelegt. Einen umfassenden Problemaufriss zum Sonderfall »Schriftsteller als Intellektueller« bietet ein Aufsatz von Georg Jäger.15 Eine wesentliche Erkenntnis bei der Beschäftigung mit dem Begriff »Intellektueller« tritt rasch zutage. Der Begriff unterliegt »spezifischen suggestiven Wirkungen«16 ; er ist, je nach Standort des Betrachters, mit zahlreichen negativen wie positiven Konnotationen belegt und wird durch Werturteile strukturiert: »Von allen präzisen Definitionen verlassen, treten die Vor-Urteile selber als Definitionen auf, so daß man schließlich zum ›Intellektuellen‹ erklären kann, wen man
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Georg Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller. Ein Problemaufriß. In: Sven Hanuschek, Therese Hörnigk und Christine Malende (Hg.): Politik und Literatur im Kalten Krieg. Tübingen 2000, S. 1–25, hier S. 1. Vgl. Jutta Schlich: Geschichte(n) des Begriffs Intellektuelle. In: Schlich (Hg.): Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland. Ein Forschungsreferat. (11. Sonderheft IASL)Tübingen 2000, S. 1–113. Vgl. Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller. Die folgenden Ausführungen zum allgemeinen Intellektuellen-Diskurs orientieren sich weitgehend an Jäger. Schlich: Geschichte(n) des Begriffs Intellektuelle, S. 40.
will.«17 Der Begriff entfaltet sich in den jeweiligen politischen und weltanschaulichen Auseinandersetzungen situationsspezifisch.18 Schon eine oberflächliche Sichtung der allein nach 1945 in großer Fülle zum Thema in der Bundesrepublik erschienenen Literatur verdeutlicht diesen Fakt. So arbeitete sich Dietz Bering, mit Blick auf die deutsche Wortgeschichte, an der Geschichte eines Schimpfwortes 19 (1978) ab; Helmut Schelsky griff mit Blick auf die Frankfurter Schule die gesamte linke Intelligenz an, der er eine »Priesterherrschaft«20 unterstellte. In der Bundesrepublik war der Begriff bis weit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vorwiegend mit negativen Assoziationen besetzt. Erst in den sechziger und siebziger Jahren gewannen positive Definitionsversuche an Bedeutung. So galten etwa nach Bering (1978) die Intellektuellen als Menschen, »die kritische Distanz zu den Mächtigen in den Staatsapparaten halten, Abstand halten auch zu erstarrten Ideologien, Menschen, die sich faschistoider Denk- und rollenspezifischer Denkweise entziehen, um – streng an demokratischen Ideen und Menschenrechten orientiert – in der Stunde der Gefahr ihre Stimme öffentlich zu erheben.«21 Mit Blick auf die Vergangenheit der DDR zeigt sich die Suche nach einer erhellenden Definition des Begriffs »Intellektueller« ungleich komplexer. In der deutsch-deutschen Kontroverse nach 1989/90 spielen divergierende Perspektiven im Umgang mit dem Begriff eine entscheidende Rolle: Berücksichtigt werden muss einerseits ein räumlicher, andererseits ein zeitlicher Faktor. Auf Grund der staatlichen Zweiteilung bis 1990, mit der die Existenz vollkommen verschiedener Gesellschaftssysteme einherging, sind naturgemäß verschiedene Blickwinkel auf die gesellschaftspolitische Position des Intellektuellen entstanden. Während nach 1945 in der Bundesrepublik ein öffentlich geführter Diskurs über die Rolle des Intellektuellen ohne größere Einschränkung möglich war und sich aus dem tagesaktuellen Geschehen heraus modifizierte, war die Situation in der DDR eine grundlegend andere. Der Begriff des Intellektuellen war in der DDR »nicht in der geläufigen Eigenständigkeit präsent, wie es in der Bundesrepublik der Fall war. Man sprach von der Intelligenz, die man aufteilte in eine technische und eine künstlerische.«22 Die Rolle der Intelligenz wurde weitgehend durch das SED-Regime definiert und vorgegeben. Die Geschichte der Intellektuellen in der DDR war somit in erster Linie durch die kulturpolitischen Maßnahmen des Regimes bestimmt. Zwar gab es Abweichungen vom offiziellen Dis17
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Dietz Bering: »Intellektueller« – in Deutschlandein Schimpfwort? HistorischeFundierung einer Habermas-Lübbe Kontroverse. In: Sprache in Wissenschaft und Literatur 54 (1984), S. 57–72, hier S. 68. Vgl. Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller, S. 2. Vgl. Dietz Bering: Die Intellektuellen.Geschichte eines Schimpfwortes.Stuttgart 1978. Vgl. Helmut Schelsky: Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen. Opladen 1975. Bering: »Intellektueller«, S. 68. Roman Luckscheiter: Intellektuelle in der SBZ/DDR 1945–1989. In: Schlich (Hg.): Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland, S. 343–366, hier S. 343. 7
kurs. Eine offene Intellektuellendebatte konnte sich unter den Bedingungen des SED-Staates indes nicht entwickeln. Ein verstärktes wissenschaftliches Interesse an der Erforschung des Kulturbetriebs in der DDR setzte im Grunde erst ein, nachdem die Geschichte des deutschen Teilstaates als abgeschlossenes Untersuchungsfeld zur Verfügung stand. In den meisten wissenschaftlichen Darstellungen, die sich mit der Rolle des Intellektuellen in der DDR auseinandersetzen, dominiert die »Frage, wie sie sich nach 1989 mit ihrer Vergangenheit und der neuen Gegenwart auseinandersetzen und wie die spezifische Rolle der DDR-Intellektuellen in der neuen Bundesrepublik nachwirkt.«23 Vor dem Mauerfall zeigten sich die Untersuchungen, die sich von der Bundesrepublik aus mit den Intellektuellen in der DDR beschäftigten, ideologisch geprägt; sie demonstrierten »entweder […] Sympathie mit dem System oder […] scharfe[ ] Kritik«24 . Die DDR-Forschung bewegte sich in der Regel in den Grenzen der engen ideologischen Vorgaben. Für die vorliegende Untersuchung rückt daher die Frage in den Blickpunkt, welche Sichtweise, welcher Maßstab zum Begriff des Intellektuellen zugrunde gelegt werden darf, kann oder muss. Die Versuche, ein theoretisches Konstrukt für die Position der Intellektuellen in der DDR zu entwickeln, sind vielfältig. Ein unumschränkt gültiges Theorem finden zu wollen, erscheint indes verfehlt. Ein Überblick über die Klärungsversuche zum Begriff des Intellektuellen im Allgemeinen und des Schriftstellers im Speziellen soll auf die spezifische gesellschaftliche Funktion des Schriftstellers, insbesondere unter den Bedingungen eines totalitären Herrschaftssystems wie dem der DDR überleiten. Die Rolle des Schriftstellers in der DDR muss schließlich auf den besonderen Anspruch, den der Internationale P.E.N. an seine Mitglieder stellt, rückbezogen werden. Den langwierigen und komplexen, (inter)national geführten Diskurs um Bedeutung und Geltung des Intellektuellen an dieser Stelle nachzeichnenzu wollen, erscheint im Hinblick auf die Vielzahl der Beiträge unmöglich. Aus diesem Grund soll hier in groben Zügen das Grundverständnis von der Funktion des Intellektuellen und die daraus resultierende Erwartungshaltung an intellektuelles Verhalten dargelegt werden, über die in weiten Teilen Konsens besteht. Soziologisch gesehen bezeichnet der Begriff Intellektueller »eine aus seiner ›Bestimmung‹, ›Mission‹ bzw. ›Sendung‹ resultierende Rolle, aber keine spezifische Berufsgruppe oder soziale Schicht.«25 Diese Sichtweise befürwortet etwa Ralf Dahrendorf; er sieht die soziale Rolle des Intellektuellen nicht an einen Beruf gebunden. Zwar legten bestimmte Berufe »ihren Trägern die Rolle des
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Luckscheiter: Intellektuelle in der SBZ/DDR, S. 343. Vgl. hierzu auch Luckscheiter: Intellektuelle nach 1989. In: Schlich (Hg.): Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland, S. 367–388. Luckscheiter: Intellektuelle in der SBZ/DDR, S. 343. Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller, S. 1.
Intellektuellen sehr nahe«26 . Andere machten sie dagegen »ziemlich unwahrscheinlich; aber grundsätzlich handelt es sich nicht um eine Rolle aus der Ordnung der Berufe«27 . Er vertritt damit eine sehr viel weiter gefasste Auffassung als etwa der amerikanische Soziologe Seymour Martin Lipset, der als Intellektuelle ausschließlich jene betrachtet, »die Kultur, d. h. die symbolische Welt des Menschen, einschließlich Kunst, Wissenschaft und Religion, schaffen, verteilen, anwenden.«28 Nach Dahrendorf kann »jeder Mensch« intellektuell handeln, »gleichgültig darum, was sein bürgerlicher Beruf ist.«29 Was ein Intellektueller ist, ergibt sich daher zwangsläufig aus der ihm jeweils zugeschriebenen Sendung oder Bestimmung. Diese wiederum generiert in der Regel eine soziale Rolle, die vom einzelnen angenommen oder abgelehnt werden kann.30 Gestützt auf Alfred Weber leitete der britische Soziologe Karl Mannheim die Haltung der Intellektuellen aus ihrer sozialen Lage ab. Als Angehörige der »sozial freischwebenden Intelligenz« – einer »relativ klassenlosen, nicht allzufest gelagerten Schicht im sozialen Raum«31 – seien die Intellektuellen nicht auf die allgemeine Standortgebundenheit des Denkens festgelegt und aufgrund ihres Wissensstandes in der Lage, durch »kritische[ ] Analyse der standortgebundenen Interessen in ›überperspektivischer Synthese‹ und ›dynamischer Vermittlung‹ gegensätzlicher Ansichten ein Gesamtwohl zu formulieren.«32 Mannheim zog daraus zwei Schlussfolgerungen. Aus der Einsicht in den Gang der sozialen Entwicklung erwächst der Anspruch auf die Monopolisierung des Wissens, ja der Wahrheit. In logischer Folge lässt sich daraus ein Machtanspruch der Intellektuellen ableiten; er ist durch ihren Wissensstand legitimiert: »Haben die Intellektuellen die Einsicht in den Gang der Gesellschaft und kennen sie die Ziele der Entwicklung, so sollten sie auch die Macht haben, ihre Einsicht durchzusetzen. […] Die kulturelle und politische Integration und Führung der Gesellschaft wird zur Aufgabe einer Gruppe besonders qualifizierter Menschen. Es ist der alte Gedanke: Die Philosophen sollten Könige werden!«33 Mannheims Theorie ist in der Folge scharf kritisiert worden.
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Ralf Dahrendorf: Deutsche Intellektuelle, Politik und Status. In: Dahrendorf (Hg.): Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München 1964, S. 308–324, hier S. 309. Dahrendorf, S. 309. Zitiert nach Dahrendorf, S. 309. Dahrendorf, S. 309. Vgl. Wolfgang Emmerich: Selbstbegründungsmythen der literarischen Intelligenz in Ost und West nach 1945. In: H. Hastedt, H. Lethen und Thomä (Hg.): Orientierung – Gesellschaft – Erinnerung. (Rostocker Philosophische Manuskripte. Neue Folge, Heft 4) Rostock 1997, S. 95–114. Verfügbar unter URL: http://www. deutschlandstudien.uni-bremen.de/deutschlandstudien/publika/rostock.htm [Zugriff: 28. 1. 2003]. Karl Mannheim: Ideologie und Utopie. (Schriften zur Philosophie und Soziologie, Bd. 3) Bonn 1929, S. 123. M. Rainer Lepsius:Kritik als Beruf. Zur Soziologieder Intellektuellen.In: Kölner Zeitschrift für Soziologie 16 (1964), S. 75–91, hier S. 78. Lepsius, S. 78. 9
Seit Mannheim konzentrieren sich die Charakterisierungen des Intellektuellen immer wieder auf die Begriffe »Abstand« bzw. »Distanz«. Man versucht, das Verhältnis zwischen »Geist« und »Macht« als unüberbrückbaren Gegensatz zu postulieren: »Der Dualismus, ja Antagonismus zwischen Geist und Macht ist unaufhebbar, er ist in der Natur der Dinge begründet«,34 so Theodor Geiger. Wird der Intellektuelle zum Funktionär, so gibt er seine eigentliche Berufung auf; er wird damit zum Ideologen.35 Der Intellektuelle als »geborene[r] Widerpart des Ideologen«36 kann demnach seine Bestimmung nur wahrnehmen, wenn er absolute Distanz zur Macht wahrt. Seine besondere innergesellschaftliche Aufgabe wird darin gesehen, dauernde »Kritik der bestehenden Mächte im Dienst eines bestimmten Ideals der Menschlichkeit«37 zu üben. Aus diesem klassischen Verständnis heraus wird der Intellektuelle bedingungslos einer Seite der Dichotomie »Geist« – »Macht« zugeordnet. Die Rede des Intellektuellen legitimiert sich auf der Grundlage universeller Ideen, gesellschaftlicher Grundwerte und Menschenrechte. Das Tätigkeitsfeld der Intellektuellen als »›Wissenshalter‹ und ›Wissensverwalter‹ einer Gesellschaft, als Träger der Gesellschaftsentwürfe«38 konzentriert sich daher in erster Linie darauf, orientiert an spezifischen Wertesystemen, den gesellschaftlichen Gegebenheiten kritische Fragen und Einsichten entgegenzusetzen. Dementsprechend bezeichnet Julien Benda die Intellektuellen als »clercs«, die Verteidiger ewiger, universeller und interessefreier Werte wie Gerechtigkeit, Wahrheit und Vernunft.39 Im stetig fortgeschriebenen Diskurs generiert sich daher die Figur des modernen Intellektuellen als »Sprecher[ ] im Namen universeller Werte, als des ›Gewissens‹ (wahlweise der Nation, der Klasse, der Demokratie, der Menschheit usf.), des Sachwalters von ›meinungs- und glaubenshaften Letztwerten‹ (Helmut Schelsky), der zuständig ist für die symbolische Ordnung der Dinge«40 . Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erlangte eine von Arnold Gehlen in Anlehnung an eine von Joseph A. Schumpeter (1942) erarbeitete Begriffsbestimmung maßgebliche Bedeutung. Demnach sind Intellektuelle diejenigen, »die die Macht des geschriebenen und gesprochenen Wortes«41 handhaben. In der Idealvorstellung übt sich der Intellektuelle im »selbständigen und bewußten Umgang 34
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Theodor Geiger: Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft. Stuttgart 1949, S. 71. Vgl. Lepsius, S. 79. Heinz-Winfried Sabais: Der Intellektuelle. Versuch einer moralischen Definition. In: Studium Generale 12 (1959) 11, S. 690–693, hier S. 691. René König: Intelligenz. In: König (Hg.): Soziologie. Lexikon. Frankfurt am Main 1958, S. 140–147, hier S. 142. Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller, S. 5. Vgl. Julien Benda: Der Verrat der Intellektuellen (La trahison des clercs). Mit einem Vorwort von Jean Améry. Aus dem Französischen von Arthur Merin. Frankfurt am Main, Berlin und Wien 1983. Emmerich: Selbstbegründungsmythen, S. 1. Joseph A. Schumpeter: Soziologie der Intellektuellen. In: Schumpeter (Hg.): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Bern 1946, S. 235–251, hier S. 237.
mit dem Wort«42 ; er ist der »Spezialist für das Wort«43 . Aus dieser Sicht ergeben sich Konsequenzen, die Schumpeter zu signifikanten Merkmalen der Intellektuellen erhob. Die Intellektuellen zeichnen sich durch das »Fehlen einer direkten Verantwortlichkeit für praktische Dinge«, durch das Fehlen von Kenntnissen aus eigener Erfahrung und ihren »mögliche[n] Wert als Störungsfaktor«44 aus, der aus ihrer »Neigung zu einer kritischen Haltung«45 erwächst. Innerhalb des Intellektuellen-Diskurses wird dem Schriftsteller seit jeher eine besondere Position zugewiesen. Er wird dem inneren Kreis der Intellektuellen zugeschrieben. Nach Michel Foucault ist der Schriftsteller der »Intellektuelle par excellence«46. Aus historischer Sicht sind es vor allem die Schriftsteller gewesen, an denen sich die Diskussion um den Begriff des Intellektuellen orientierte: »Voltaire, Diderot und die Enzyklopädisten, Hugo, Zola, Sartre in Frankreich […]; Lessing, Heine, Heinrich Mann, Böll oder Grass in Deutschland.«47 Als Prototyp des Intellektuellen gilt nach wie vor der Schriftsteller der Aufklärung; er gewann in einer historischen Umbruchsituation eine »ungewöhnliche produktive Freiheit und soziale Unabhängigkeit, die ihn zum ›Gewissen der Zeit‹ prädestiniert: ›er setzt ihr Werte und Ziele‹.«48 Zwei prototypische Schriftstellerrollen, die eng mit dem besonderen Verhältnis des Schriftstellers zur Sprache zusammenhängen, bilden sich in dieser Situation aus. Einerseits steht dem Schriftsteller die »Funktion der öffentlichen Weltauslegung und Sinnstiftung«49 im Sinne des »Priesterdichters« offen. Andererseits kann er die verantwortungsvolle Position des Kritikers übernehmen, die Aufgabe eines aufmerksamen Betrachters, der seine Beobachtungen analysiert und ohne Rücksichtnahme zu Papier bringt. Der Macht muss der kritische Autor in jedem Falle misstrauen, weil ihr an einer Instrumentalisierung der Rede gelegen ist. In der Konsequenz gelten Kritik und Opposition als einzige korrekte Haltung von Schriftstellern gegenüber der politischen Macht.50 Als Geburtsstunde der Figur des Schriftstellers als Intellektueller wird häufig das Auftreten von Emile Zola in der Dreyfus-Affäre (1898) herausgehoben. 42 43 44 45
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Dahrendorf, S. 309. Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller, S. 3. Schumpeter, S. 237. Arnold Gehlen: Das Engagement der Intellektuellen gegenüber dem Staat. In: Gehlen (Hg.): Einblicke. Frankfurt am Main 1978, S. 9–24, hier S. 11. Michel Foucault: Der sogenannte Linksintellektuelle. Gespräch mit M. Fontana. In: alternative 118 (1978), S. 74–85, hier S. 81. Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller, S. 12f. Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller, S. 13. Werner Mahrholz: Die Wesenszüge des schriftstellerischen Schaffensprozesses. In: Ludwig Sinzheimer (Hg.): Die geistigen Arbeiter. Tl. 1. Freies Schrifttum und Literaturverlag. (Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 152, Tl. 1) München und Leipzig 1922, S. 57–73, hier S. 65f. Zitiert nach Britta Scheideler: Zwischen Beruf und Berufung. Zur Sozialgeschichte der Schriftsteller 1880–1933: Professionalisierung und Berufsstandpolitik zwischen Wilhelminismus und Weimarer Republik. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 46 (1997), S. 13. Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller, S. 13. 11
Zwar gehen der Begriff des Intellektuellen und die Figur des Literaten als Intellektuellen offenkundig auf Zolas Interventionen im Fall Dreyfus zurück. Gleichwohl bestehen Zweifel daran, ein punktuelles Ereignis als Initialzündung für das Einsetzen intellektueller Handlungen von Schriftstellern festzuschreiben. Am Beispiel von Emile Zolas Verhalten lassen sich jedoch prototypische Merkmale für intellektuelles Handeln von Schriftstellern aufstellen: – Ein Schriftsteller setzt sein Ansehen ein, um sich in einem konkreten Fall politisch zu engagieren. – Er tut dies im Namen allgemeiner aufklärerischer Werte wie der Wahrheit […] und der republikanischen Grundwerte (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit). – Der Schriftstellerbedient sich der Medien, um Öffentlichkeitherzustellen,und setzt dabei spezifische publizistische und rhetorische Mittel ein (Offener Brief, Appell, Erklärung, Resolution, Gruppenmanifest). – Der Schriftstellerbewährt sein Engagement,indem er persönlichdie Konsequenzen trägt (Verurteilung, Exil).51
Allgemein gesprochen stellt die Wahrnehmung intellektueller Aufgaben hohe Ansprüche an den Einzelnen; sie verlangt Einsicht in die Zusammenhänge, Kritik im Abgleich mit universellen Werten und öffentliches Engagement ohne Rücksicht auf persönliche Nachteile. In diktatorischen Systemen setzt sich ein intellektuell Handelnder ungleich höheren Anforderungen aus; von ihm wird ein Höchstmaß an Charakterstärke, Mut und Zivilcourage verlangt. Das Bestehen von öffentlich anerkannten Grundwerten wie Freiheit, Gleichheit, Menschlichkeit, die als Voraussetzungen einer freien Kritik gelten, ist hier nicht garantiert. Ohne Zweifel sind daher die an den Intellektuellen gestellten Anforderungen in einer Diktatur sehr viel schwerer zu erfüllen. Wesentliche Grundvoraussetzungen fehlen: Die freie Meinungsäußerung wird durch die Zensur strikt reglementiert; die mediale Öffentlichkeit ist streng kontrolliert; die Rechtsstaatlichkeit ist außer Kraft gesetzt. Die Inanspruchnahme des freien Wortes ist mit der Gefahr harter Strafen verbunden. »Distanz zur Macht zu wahren und sie in Zweifel zu ziehen«52 , sich nicht den ideologischen Verführungen der Macht hinzugeben, um aus dem eigenen Selbstverständnis heraus die Werte Gerechtigkeit, Wahrheit und Vernunft zu verteidigen, stellt sich in Diktaturen als ungleich schwierigeres Unterfangen dar. Totalitäre Regime suchen zudem die Unterstützung der Intellektuellen: »Sie wollen sie auf ihre Seite ziehen und für ihre Ziele als glaubwürdige Instanzen mit öffentlicher Geltung einsetzen. Je bedeutender das Ansehen und je bekannter der Intellektuelle in der Gesellschaft ist, desto größer ist das Interesse der Despoten an ihnen.«53 Und die Verführbarkeit der Intellektuellen für Utopien, die in Diktaturen zu unantastbaren Ideologien mutieren, ist groß.
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Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller, S. 15. Günther Rüther: Überzeugungen und Verführungen. Schriftsteller in der Diktatur. In: DeutschlandArchiv 37 (2004) 4, S. 602–611, hier S. 603. Rüther: Überzeugungen und Verführungen, S. 603.
Idealtypisch stehen dem Intellektuellen bzw. Schriftsteller in einem diktatorischen System, speziell dem der DDR, verschiedene Optionen des Verhaltens offen. Jäger ordnet die DDR-Intellektuellen bzw. Schriftsteller in der von ihm erstellten Typologie drei verschiedenen Positionen zu: dem des Ideologen, des kommunistischen Intellektuellen und des kritischen Intellektuellen. Eine ähnliche, etwas feingliedrigere Differenzierung nimmt Günther Rüther speziell für die Schriftsteller vor; dieser lässt sich Ralf Dahrendorfs Schema von der klassischen, romantischen, tragischen und kritischen Haltung des Intellektuellen angleichen. Im Umgang mit der Macht ergeben sich demnach folgende Positionen: (1) Der Intellektuelle befindet sich im Einklang mit den herrschenden Gewalten und Verhältnissen, bejaht prinzipiell und ausdrücklich die sozialen und politischen Gegebenheiten. Er identifiziert sich mit der Macht und engagiert sich in deren Sinne: Er ist Mitglied der herrschenden Partei, übernimmt wichtige Funktionen in der Kulturbürokratie,54 d. h. er »begibt sich in die bestehende Herrschaftsordnung hinein«55 und bezieht öffentlich Position für das Regime. Der Intellektuelle wird zum Ideologen: »Im Rahmen der Rolle des Intellektuellen bleibt […] die Verwendung des Wortes zur Rechtfertigung, Überhöhung, Lobpreisung des Bestehenden. […] Kern aller Bemühungen der ideologischen Phantasie bleibt doch der Versuch, das Wirkliche als vernünftig zu erweisen.«56 Dies entspricht nach Dahrendorf der »klassischen Haltung« des Intellektuellen; Jäger klassifiziert die skizzierte Position als die des Ideologen.57 (2) Der Intellektuelle arrangiert sich mit der Macht. Er hält eine gewisse Distanz zur Partei, indem er etwa nicht in die Partei eintritt. In beschränktem Maße ist er zur Übernahme von Ämtern bereit, denen er aber den »Schein der Unabhängigkeit«58 zuzuschreiben versucht. Er umgeht öffentliche Stellungnahmen gegen das Regime und entzieht sich dem Konflikt mit der herrschenden Klasse. Im Falle des Schriftstellers meidet sein literarisches Werk politische Themen, die Auseinandersetzungen mit der Macht befürchten lassen. Damit ist jene Position umschrieben, die Jäger als die des kommunistischen Intellektuellen bezeichnet.59 In Teilen trifft sich diese Klassifizierung mit der von Dahrendorf eingeführten »romantischen Haltung«,60 die sich durch den Verzicht auf eine eindeutige politische Entscheidung und damit implizite Bestätigung der jeweils Herrschenden auszeichnet.
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Vgl. Rüther: Überzeugungen und Verführungen, S. 604. Dahrendorf, S. 312. Dahrendorf, S. 312. Vgl. Dahrendorf, S. 311f. und Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller, S. 18. Rüther: Überzeugungen und Verführungen, S. 604. Vgl. Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller, S. 18. Vgl. Dahrendorf, S. 314. 13
Die folgenden Optionen konzentrieren sich auf jene Intellektuelle, die mit der Macht in Konflikt geraten sind, weil sie dem herrschenden Regime ablehnend gegenüber stehen und eine andere Gesellschaftsordnung befürworten. (3) Ein Weg führt in die Innere Emigration: Der Intellektuelle verweigert die Annahme von Ämtern und enthält sich jeglicher politischer Stellungnahme. Seine Arbeiten konzentrieren sich auf Themen, die von der Zensur toleriert werden bzw. keinen politischen Kontext aufweisen. Radikalste Form der Inneren Emigration ist der Verzicht auf jegliche Wortmeldung bzw. die Produktion für die Schublade. Auch hier trägt der Intellektuelle in letzter Konsequenz zur Konservierung der bestehenden Machtverhältnisse bei; er »führt ein Leben im Schatten der Macht, die er duldet.«61 (4) Im Gegensatz dazu bleibt die Möglichkeit, als »kritischer Intellektueller« bewusst Distanz zur Macht zu halten. Nach Dahrendorf steht der kritische Intellektuelle am Rand der Gesellschaft, befindet sich aber in ihr: »Angelpunkt seiner Kritik ist die Zugehörigkeit, in der auch die Hoffnung eingeschlossen liegt, durch die Kritik etwas auszurichten.«62 Die Chancen der Intellektuellen, sich in einer Diktatur als Dissident oder Oppositioneller der Macht zu widersetzen, schätzt Rüther indes gering ein. Beschränkte Zugänglichkeit der Medien, Zensur und drohendes Berufsverbot verhindern eine Breitenwirkung seiner Kritik.63 Die kritischen Intellektuellen setzen sich der ständigen Gefahr von Verfolgung aus; sie haben, so Jäger, unter den Bedingungen der Diktatur die »Konsequenzen ihrer Rede selbst zu tragen (Beglaubigung durch Verfolgung).«64 Je nach kulturpolitischer Situation bleibt für den kritischen Intellektuellen ein mehr oder weniger großer Spielraum für kritische Äußerungen. Insgesamt aber kann er, so Rüther, den »Auftrag ›als sozial freischwebende Intelligenz‹ […] – wenn überhaupt – nur in eingeschränktem Maße erfüllen.«65 (5) Eine betont politische Position wird auch von jenen Intellektuellen eingenommen, die sich dem direkten Zugriff der Diktatur entziehen und ins Exil gehen. Nach Dahrendorf nehmen diese die »tragische Haltung« derer ein, »die der Gedanke an ihr Land so lange um den Schlaf bringt, bis sie es verlassen müssen, um sich selbst zu erhalten.«66 Mit ihrem Fortgang, der meist aus der Furcht vor Repressionen der Machthaber resultiert, verweigern die Exilierten die Zustimmung zu den bestehenden sozialen und politischen Verhältnissen. Mit ihnen überschreitet aber die Kritik die äußere Grenze der Zugehörigkeit; sie bringt sich damit um jede verändernde Wirkung.67 Das 61 62 63 64 65 66 67
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Rüther: Überzeugungen und Verführungen, S. 605. Dahrendorf, S. 318. Vgl. Rüther: Überzeugungen und Verführungen, S. 605. Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller, S. 18. Rüther: Überzeugungen und Verführungen, S. 605. Dahrendorf, S. 315. Vgl. Dahrendorf, S. 317.
Leben im Exil ist im Allgemeinen von politischer Ohnmacht gegenüber der Diktatur gekennzeichnet. Die Ausübung politischer Einflussnahme gestaltet sich schwierig bis unmöglich. Die vorgestellte Typologisierung offenbart, »dass die Wirkungsmöglichkeiten […] im SED-Sozialismus für die Schriftsteller eng begrenzt waren.«68 Rainer Land und Ralf Possekel werfen mit Blick auf die DDR, die als totalitärer Staat abweichende Haltungen in der Regel weder akzeptierte noch tolerierte, gar die provokative Frage auf, ob angesichts der gesellschaftlichen Voraussetzungen eine intellektuelle, wahrhaft kritische Existenz überhaupt möglich gewesen sei – ohne einen eigenen Beitrag zur Debatte zu leisten.69 Auch Klaus-Michael Bogdal zweifelt unumwunden die Möglichkeit zur intellektuellen Betätigung in der DDR an. Nach seiner Ansicht »gehörte schon ein Stück Selbstgefälligkeit und Verblendung dazu, in der DDR als Schriftsteller daran zu denken, die traditionelle Rolle [des universellen Intellektuellen] wirklich spielen zu können. […] Man kann sich im nachhinein [sic] nicht […] auf die traditionelle Rolle des Intellektuellen zurückziehen, der eigentlich nur die Wahrheit einer Utopie verkünden wollte und sich bestenfalls getäuscht hat.«70 Demgegenüber kritisiert Carsten Gansel die »allgemeine Rede vom Versagen oder vom Verrat der Intellektuellen« und mahnt zur Berücksichtigung der »konkret historischen Bedingungen ihrer Existenz- und Äußerungsmöglichkeiten« an: Unter Verhältnissen, die weder institutionellen Rückhalt, Öffentlichkeit, Rechtssicherheit, noch wirklichengeistigenAustausch ermöglichen,stellt sich die Rolle des Intellektuellen anders dar als in Gesellschaften mit ausdifferenzierten gesellschaftlichen Handlungsfeldern. Würde dies bedacht, könnte man die Behauptung, in der DDR habe es gar keine Intellektuellen gegeben, ebenso wenig aufrechterhalten wie jene von der ›Reibungselektrizität‹ zwischen Geist und Macht in Ost und West.71
Rüther lehnt das »pauschale Diktum«, die DDR-Autoren als »im Grunde verlässliche Komplizen der staatlichen Macht« kennzeichne ein »familiäres, fast intimes Verhältnis zu ihrem Staat«, ab: »Die Kritiken blenden aus, welche Wirkungsmöglichkeiten der Schriftsteller im […] SED-Sozialismus tatsächlich gehabt, welche Kompromisse und Gefährdungen er auf sich genommen hat.
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Rüther: Überzeugungen und Verführungen, S. 605. Vgl. Rainer Land und Ralf Possekel: Namenlose Stimmen waren uns voraus. Politische Diskurse von Intellektuellen aus der DDR. (Wolfgang Schmale (Hg.): Herausforderungen. Historisch-politische Analysen Bd. 1) Bochum 1994, S. 15. Klaus Michael Bogdal: Wer darf sprechen? Schriftsteller als moralische Instanz – Überlegungen zu einem Ende und zu einem Anfang. In: Weimarer Beiträge 37 (1994) 4, S. 597–603, hier S. 598f. Carsten Gansel: ›Vereinigungskrisen‹. Schriftsteller zwischen neuer Wahrheitssuche und alten Gewißheiten. In: Renate Chotjewitz-Häfner und Carsten Gansel (Hg.): Verfeindete Einzelgänger. Schriftsteller streiten über Politik und Moral. Berlin 1997, S. 14–22, hier S. 19. 15
Die Forderung, zu schweigen oder offen Widerstand zu leisten, fasst zu kurz.«72 Damit sind im Grunde jene beiden extremen Positionen bezogen, die in der Auseinandersetzung um Anspruch und Geltung der Intellektuellen in der DDR von Bedeutung sind – die grundsätzliche Negierung einer intellektuellen Existenz in einem totalitären Staatssystem, das Diktum vom Verrat der Intellektuellen auf der einen, die tolerante, historische Umstände berücksichtigende Sicht auf der anderen Seite. Beide Auffassungen bedürfen einer differenzierenden Betrachtung. Dabei muss in den Blick genommen werden, wie sich die Situation für die Intellektuellen, insbesondere die Schriftsteller in der SBZ bzw. DDR darstellte. Ein statischer Befund ist hier nicht zu erwarten. In den Beiträgen zum rückblickend geführten Diskurs um die Intellektuellen in der DDR dominieren zwei Elemente: Der Mythos »Antifaschismus« und der Mythos »Kulturnation«. Beide Begriffe sind dem parteiideologischen Diskurs zuzuschreiben, der die Position der Schriftsteller in der SBZ bzw. DDR zu definieren bzw. zu beeinflussen suchte. Geblickt werden muss in diesem Zusammenhang zunächst auf die Situation in Deutschland nach 1945: Unmittelbar nach Kriegsende waren die Schriftsteller in allen deutschen Besatzungszonen »im Projekt der geistigen Umerziehung (›reeducation‹) der Deutschen tätig und als Sinnvermittler in einer Situation gefragt, in der es um ›Vergangenheitsbewältigung‹, eine neue Standortbestimmung und Identitätsfindung ging«.73 Im Folgenden konzentrieren sich die Ausführungen ausschließlich auf den Prozess in der SBZ bzw. (frühen) DDR. Zunächst soll der Blick auf den Begriff des »Antifaschismus« gerichtet werden; er wirkte nach Kriegsende als entscheidendes »Integrationsideologem«74 beim Aufbau des neuen gesellschaftlichen Systems, sozusagen als Gründungsmythos der DDR. Als moralisches Druckmittel trug er aber nicht bloß über die 40 Jahre der SED-Diktatur, sondern wirkte noch nach dem Ende der DDR fort. In die SBZ bzw. die junge DDR, die nach dem Vorbild des sowjetischen Staatswesens aufgebaut wurde, kehrten vor allem jene Schriftsteller zurück, die als Kommunisten (oder Sozialisten) ins Exil gegangen waren. Sie hofften, trotz aller erkennbaren Mängel des jungen Staatswesens, das den antifaschistischdemokratischen Aufbau propagierte, »endlich einmal – zum ersten Mal! – in einem deutschen Staat leben zu können, der auf der ›richtigen‹ Seite, nämlich der der Humanität, des Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit, zu stehen schien und zudem der Kultur und den Künsten einen hohen Stellenwert zumaß.«75 Für die Kommunisten hieß die Alternative zum Nationalsozialismus nicht Demokratie, sondern Antifaschismus; dies entsprach dem Minimalkonsens der Volks72 73 74
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Rüther: Überzeugungen und Verführungen, S. 607. Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller, S. 17. Wolfgang Bialas: Vom unfreien Schweben zum freien Fall. Ostdeutsche Intellektuelle im gesellschaftlichen Umbruch. Frankfurt am Main 1996, S. 144. Zitiert nach Luckscheiter: Intellektuelle nach 1989, S. 376. Emmerich: Selbstbegründungsmythen, S. 7.
frontbewegung nach 1935, die die ins Exil gegangenen Kommunisten, Sozialdemokraten und bürgerlichen Intellektuellen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus geeint hatte. Auch nach dem Ende des Krieges behielt der Begriff Antifaschismus für die antifaschistischen Widerstandskämpfer und Exilierten, die sich »durch entbehrungsreiche KZ- und Zuchthausaufenthalte oder den Verlust der Heimat legitimierten«76, seine bindende Wirkung, nunmehr als pauschaler Gegenentwurf zum als kapitalistisch-imperialistisch verachteten Westen. Jenen, die als (stumme) Mitläufer des nationalsozialistischen Regimes unter dem Syndrom »Schuldbewußtsein und Sehnsucht nach Erlösung«77 litten, versprach der von den politischen Machthabern in der SBZ bzw. DDR propagierte Antifaschismus die Erteilung der Absolution. Mit versöhnender Geste wurde ihnen nun nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus die Aufnahme in das breite antifaschistische Bündnis angeboten. In der Folge band sich eine große Zahl von jenen »jungen Autoren, die das NS-Regime und den Krieg als junge Männer und Frauen, oft noch als Kinder, […], in der Regel als naiv Begeisterte oder als Mitläufer« erlebt hatten, »freiwillig, gläubig und affirmativ an das neue antifaschistisch-sozialistische Staatswesen – und fesselte sich selbst mit noch nicht absehbaren Folgen.«78 Schon im Exil, und späterhin in der DDR, wurde der moralische Impuls des Antifaschismus zum machtpolitischen Kalkül, zum moralischen Grundbekenntnis: »Ich bin ein Mensch, also bin ich Anti-Faschist (und nicht etwa Demokrat); und umgekehrt: Ich bin ein Anti-Faschist, also bin ich ein Mensch.«79 Dem Begriff Antifaschismus war ein feststehender Dualismus eingeschrieben; er diente einerseits der allumfassenden Integration – »Alle waren Anti-Faschisten«80 : War ›der Faschismus‹ (wie in der DDR das NS-Regime pauschalisierend genannt wurde) das Böse schlechthin, so wurde ›der Antifaschismus‹ (was immer das konkret war) als sein Gegenteil zum Guten und Wahren, zur ideologischen Klammer, die (fast) alles zusammenhielt. Zweifellos war der DDR-Antifaschismus ›verordnet‹ […], aber im gleichen Atemzuge wurde er freiwillig als Anker der moralischen Selbstrettung und imaginativen Wiedergutmachung ergriffen. So promovierte ›der Antifaschismus‹, und auf seinem Rücken der Sozialismus gleich mit, automatisch zum Humanum schlechthin, das zudem – nachdem die eine, die nazistische gerade in sich zusammengestürzt war – eine neue heilsgeschichtliche Perspektive auf Erden eröffnete. Der Antifaschismus wurde zum Selbstbegründungsmythos nicht nur der alten Garde exilierter Intellektueller,sondern paradoxerweiseauch zur fiktiv-mythischenLegitimationder jungen Intellektuellen, die in der Regel gerade keine Nazigegner gewesen waren, sondern sich nach einem Damaskus-ähnlichen Akt der Umkehr an diesen mythischen Ort stellten.81 76 77
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Emmerich: Selbstbegründungsmythen, S. 8. Antonia Grunenberg: Das Ende der Macht ist der Anfang der Literatur. Zum Streit um die SchriftstellerInnen in der DDR. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 44 (1990), S. 17–26, hier S. 18. Emmerich: Selbstbegründungsmythen, S. 8. Grunenberg, S. 19. Grunenberg, S. 19. Emmerich: Selbstbegründungsmythen, S. 8. 17
Andererseits funktionierte er als »Ausgrenzungsmechanismus«:82 »Wer nicht ›antifaschistisch‹ und für den Aufbau des Sozialismus war, wurde rasch dem unterstellten Gegenteil, dem ›Faschismus‹ (später gemildert zu ›feindlich-negativer Einstellung‹) zugeordnet.«83 Daraus entstand eine enge moralische Bindung der Intellektuellen an Partei und Staat. Gefordert wurde unbedingte Loyalität, die zur Falle wurde. Wer von der Parteiräson abwich, wurde automatisch zum Feind erklärt; er hatte den antifaschistischen Grundkonsens verlassen. Die Handlungsmöglichkeiten der Intellektuellen in der DDR waren durch dieses politische Schema des Feind-Freund-Denkens, des Denkens in Gegensätzen radikal eingeschränkt. Eine differenzierte Sicht auf die Realität der DDR oder gar ein kritisches Handeln führte unweigerlich zu harschen Konsequenzen. Als Option stand im Grunde nur das vollständig Dafür- oder Dagegensein offen. Wer sich außerhalb dieses Rasters und zwischen den Gegensätzen bewegte, setzte sich dem hohen moralischen Druck des instrumentalisierten Ideals Antifaschismus aus. Die Intellektuellen in der DDR waren in ihrem Selbstverständnis und Handeln stark durch den Mechanismus des Mythos »Antifaschismus« beeinflusst.84 Konstitutionelle Systemnähe der Intellektuellen war die Folge: »Und keiner wollte außen vor bleiben. Wer wollte schon auf seiten der Faschisten oder Revanchisten stehen?«85 Die Mehrheit der Intellektuellen lebte »in der Sehnsucht, gesellschaftlich eingebunden zu sein, gebraucht zu werden, den Sozialismus auf ihre Weise mit aufzubauen.«86 Auch die jüngere Autorengeneration »tappte […] – aller vordergründigen Aufmüpfigkeit zum Trotz – ebenfalls in die Loyalitätsfalle Antifaschismus«87 . Sie war zwar mit Blick auf die NS-Vergangenheit nicht mehr mit schlechtem Gewissen und Schuldgefühlen belastet. Aber auch die Jüngeren »wollten unter allen Umständen das Kollektiv, sie glaubten an die gemeinsame ›ominöse Sache‹, an die Gemeinschaft der Guten, sie wollten partout nicht ›Menschen ohne Zugehörigkeit‹ sein […] und glaubten recht lange in der DDR ›In diesem besseren Land‹ zu leben«.88 Trotz der verheerenden Erfahrungen einer totalitären Diktatur übte der Glaube an den Antifaschismus noch nach dem Zusammenbruch der DDR starke Anziehungskraft auf die Intellektuellen und Schriftsteller aus; sie sahen »im sozialistischen Staat […] noch bis zuletzt eine mögliche Alternative zur bürgerlich-kapitalistischen Staats- und Gesellschaftsordnung […] [verdrängten] daher die Wirklichkeit autoritärer Herrschaft im Sozialismus oder [tolerierten 82 83 84 85 86
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Grunenberg, S. 19. Emmerich: Selbstbegründungsmythen, S. 8. Vgl. Emmerich: Selbstbegründungsmythen, S. 9 und Grunenberg, S. 18f. Grunenberg, S. 19. Wolfgang Emmerich: Zwischen Hypertrophie und Melancholie. Die literarische Intelligenz der DDR im historischen Kontext. In: Universitas 8 (1993), S. 778–792, hier S. 786. Emmerich: Zwischen Hypertrophie und Melancholie, S. 786. Emmerich: Zwischen Hypertrophie und Melancholie, S. 787.
diese] zumindest im Namen einer höheren Wahrheit oder besseren Zukunft.«89 In dem Ende November 1989 veröffentlichten Aufruf »Für unser Land« mahnten sie an, eine »sozialistische Alternative zur Bundesrepublik zu entwickeln«90 . Als Grundstein dieses Projekts nannten sie Werte, deren Mythologisierung durch die historischen Realitäten eigentlich entlarvt schien: »Noch können wir uns besinnen auf die antifaschistischen und humanistischen Ideale, von denen wir einst ausgegangen sind.«91 Die Gebundenheit an den Mythos »Antifaschismus« betraf die Schriftsteller der SBZ bzw. DDR in besonderer Weise. Ihnen war von Seiten der politischen Machthaber ein privilegierter Sonderstatus, eine zentrale Funktion beim Aufbau und der Ausgestaltung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung bzw. des Sozialismus zugewiesen worden. Die durch den antifaschistischen Impetus erzeugte Loyalität zum politischen System verschmolz mit dem Versuch der politischen Machthaber, die künstlerische Intelligenz in das Machtsystem zu integrieren. Zentraler Begriff dieser Bindung der schreibenden Intellektuellen an den Staat war der der »Kulturnation DDR«, der im Diskurs mythische Erhöhung erfuhr. Der Rückbezug auf das Modell der klassischen Kulturnation, das die Vermittlung normativer Werte durch das Schaffen der Künstler zur Grundvoraussetzung für die (Re)Konstituierung einer Nation erhob, konstruierte eine symbolische Machtstellung der Schriftsteller gegenüber der Bevölkerung.92 Theoretisch abgesichert erschien die Elitefunktion der Intelligenz im Sozialismus schon durch den Leninismus, der explizit eine Vormachtstellung gegenüber der Arbeiterklasse begründet und festgeschrieben hatte.93 In Verbindung mit der Vorstellung von der »Kulturnation« tritt der Erziehungsgedanke als zentrales Element hervor: Der Schriftsteller sollte volkspädagogische, »sozialaktivistische«94 Aufgaben übernehmen, ergo an der »Erziehung der arbeitenden Menschen«95 mitwirken. Ihm oblag die Mobilisierung der Massen für den Sozialismus. Vermittels seines Vorbilds sollte er Hilfestellung bei der Heranbildung sozialistischer Persönlichkeiten – »neuer, von fortschrittlichem Geist beseelter, von einem Ethos der Arbeit erfüllter Menschen«96 – leisten; diese Vor89
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Vgl. Klaus Städtke: Zwischen staatlicher Förderung und Lesererwartung. Hat die literarische Intelligenz in der DDR versagt? In: Neophilologus 3 (1993), S. 457–466, hier S. 458. Für unser Land. In: Neues Deutschland vom 29. 11. 1989, S. 2. Abgedruckt in Bernd Lindner: Die demokratische Revolution in der DDR 1989/90. Bonn 1998, S. 118. Lindner, S. 118. Vgl. Lutz Winckler: Kulturnation DDR – Ein intellektueller Gründungsmythos. In: Argonautenschiff 1 (1992), S. 141–149, hier S. 143f. Vgl. Emmerich: Zwischen Hypertrophie und Melancholie, S. 782. Uwe Johnson in dem Gespräch: »Sie sprechen verschiedene Sprachen.« Schriftsteller diskutieren. In: alternative 7 (1964) 38/39, S. 98. Zitiert nach Emmerich: Zwischen Hypertrophie und Melancholie, S. 780. Alexander Abusch: Die Schriftsteller und der Plan. In: Abusch (Hg.): Literatur und Wirklichkeit. Berlin 1953, S. 139–149, hier S. 140. Abusch: Die Schriftsteller und der Plan, S. 140. 19
stellung entsprach der Stalinschen Aufgabenstellung für die literarische Intelligenz, die den kommunistischen Schriftsteller zum »Ingenieur der Seele« berufen sah. Durch diese Funktionsbestimmung wurde der gesellschaftliche Status des Künstlers enorm aufgewertet: »Er wurde Erzieher der noch nachhinkenden Volksmassen auf dem Wege zum Endziel Sozialismus, er durfte sich der Vorhut, oder mit dem Fremdwort: der Avantgarde zugehörig fühlen.«97 Dass die Schriftsteller damit in eine »vorbürgerliche, vormoderne, pointiert: rituelle Funktion ihrer praktischen Nützlichkeit, ihres politischen Gebrauchswertes«98 zurückfielen, schien sie nicht oder nur wenig zu stören. Mit dem hohen Status des Schriftstellers als Volkserzieher war, »Wohlverhalten vorausgesetzt«,99 eine Reihe von individuellen Förderungsmaßnahmen und Privilegien verbunden. Unmittelbar nach Kriegsende stand die bevorzugte Zuteilung von Lebensmitteln und Wohnraum im Zentrum der Bemühungen um die Schriftsteller. Nachdem die drängenden Nachkriegsprobleme beseitigt waren, traten andere Privilegien in den Vordergrund.100 Den Schriftstellern boten sich zahlreiche Möglichkeiten zur finanziellen Absicherung ihrer Arbeitsvorhaben: Stipendien und zeitlich limitierte Tätigkeiten als Dramaturg, Verlagslektor oder wissenschaftlicher Mitarbeiter; Förderungen durch die Kulturfonds der DDR; hohe Autorenhonorare und großzügige Vorauszahlungen durch die DDR-Verlage; Literaturpreise wie Nationalpreis, Heinrich-Mann-Preis u. a.101 Die von der SED nach sowjetischem Vorbild durchgeführten Maßnahmen zielten darauf ab, den Schriftstellern die »materielle Existenz [zu] sichern und, gemessen am Lebensstandard der übrigen Bevölkerung, ein Leben in relativem Wohlstand [zu] ermöglichen«.102 Prinzipiell beabsichtigte man mit derlei Maßnahmen, die Schriftsteller an die bestehende Ordnung zu binden. Das System der Privilegien und Anreize für die Schriftsteller wurde kontinuierlich ausgebaut. Es brachte aber, wie Stephan Bock ausführt, »statt Erleichterung [auch] Fremdheit und Abwehr«: »Die aus der Schaffung einer sich von der der arbeitenden Bevölkerung wesentlich abhebenden sozialen Basis resultierenden Wirkungen blieben vor allem bei den Schriftstellern nicht aus, die der Arbeiterschaft entstammten […]. Die Isolation, in der sich diese Schriftsteller in der sowjetischen und westlichen Emigration befunden hatten, wurde nach 1945 aufgrund des Privilegiensystems nicht abgebaut, sondern unter anderen Vorzeichen fortgesetzt.«103 Doch nicht nur die materielle, sondern vor allem die ideelle Privilegierung der Schriftsteller führte zur zunehmenden Entfremdung von der Bevölkerung. Die kulturellen und politischen Eliten paktierten als neue Machteliten gegenüber der 97 98 99 100
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Emmerich: Zwischen Hypertrophie und Melancholie, S. 780. Emmerich: Zwischen Hypertrophie und Melancholie, S. 780. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 45. Stephan Bock: Literatur Gesellschaft Nation. Materielle und ideelle Rahmenbedingungen der frühen DDR-Literatur (1949–1956). Stuttgart 1980, S. 55. Vgl. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 45. Vgl. auch Bock, S. 56f. Bock, S. 55. Bock, S. 57.
Bevölkerung. Das Volk wurde zum reinen Objekt einer (Kultur)Politik, die sich der »moralische[n] Erziehung der Nation«104 verschrieben hatte. Die Bevölkerung war in das geschlossene Bündnis von Geist und Macht nicht integriert; »ihr blieb die Rolle des Unmündigen, für den andere die Vormundschaft übernahmen.«105 Ein kraftvolles Zusammenwirken von Intelligenz und Bevölkerung in der DDR konnte es nicht geben. Weder beim Arbeiteraufstand vom Juni 1953, noch im Wendeprozess von 1989. Was den Intellektuellen in der Erinnerung an die Wende-Ereignisse als »Triumph des Zusammengehens von Intelligenz und Bevölkerung, als Sieg des Geistes über die Macht […] [,] als Höhepunkt des Wendeprozesses« erscheinen wollte, war in Wirklichkeit nur der Höhepunkt ihrer Illusionen, was ihre Führerrolle in dieser Umwälzung angeht. Der Zusammenbruch der DDR war, so wissen wir inzwischen, alles andere als der Triumph des Geistes über die Macht. Er manifestierte viel mehr ›das Desaster der interpretierenden Klasse‹, die, befangen in ihrem Wahn der am Ende doch möglichen Versöhnung von Geist und Macht im Sozialismus, ihren nachfolgenden Rollenverlust weder verstand noch verkraftete.106
In der DDR war ein durch »soziale Privilegien abgestützter Aristokratismus« begründet worden, dessen Vertreter sich moralisch unangreifbar fühlten; sie stellten »ihre gesamte Tätigkeit in den Dienst der Aufklärung, der Erziehung und des gesellschaftlichen Fortschritts«.107 Die feste Einbindung von Kunst und Literatur in das staatliche Machtgefüge brachte indes für die Kulturschaffenden weit reichende Konsequenzen mit sich: Zwar räumten die politischen Machthaber den Intellektuellen eine Führungsrolle in der Gesellschaft ein. Zugleich aber hoben sie wieder und wieder den Hegemonialanspruch der Partei auf dem Gebiet der Kultur hervor.108 Mit der Annahme der ihnen durch die Kulturnation zugeschriebenen Identität als Künstler-Erzieher mussten die Intellektuellen künstlerische Freiheit und Spontanität den pädagogischen Ansprüchen an ihre Arbeiten unterordnen: Die symbolische und funktionelle Macht, die sie als Erzieher in der Kulturnation gewinnen, bezahlen sie mit der Ohnmacht in ihrem eigenen, ursprünglich autonomen Bereich: der Kunst. Die Intellektuellen der frühen DDR befanden sich, um eine Formulierung Pierre Bourdieus zu gebrauchen, in der Position von ›beherrschten Herrschenden‹. […] [Sie] partizipieren an der Macht – insofern ›herrschen‹ sie. Zugleich werden die Intellektuellen und ihr Diskurs jedoch von jenen kontrolliert, die die Schnittpunkte der einzelnen Machtfelder – Kultur, Politik, Ökonomie, Militär, Polizei und Justiz – besetzen und über Inhalte und Ziele der Staatsmacht im ganzen bestim104
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Otto Grotewohl: Die Regierung ruft die Künstler (1950). In: Institut für MarxismusLeninismus beim ZK der SED (Hg.): Otto Grotewohl. Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik. Reden und Aufsätze. Bd. II: Auswahl aus den Jahren 1950 und 1951. Berlin 1959, S. 5–26, hier S. 12. Anne Hartmann: Schriftsteller als kulturpolitische Kader. Auswirkungen der sowjetischen Präsenz auf das kulturelle Leben in der SBZ. In: Hanuschek et al. (Hg.): Schriftsteller als Intellektuelle, S. 159–172, hier S. 161. Emmerich: Zwischen Hypertrophie und Melancholie, S. 779f. Winckler, S. 146. Vgl. Bogdal, S. 599. 21
men: den Parteifunktionärenals den Verwaltern politisch-administrativerMacht. Insofern sind die Intellektuellen, selbst in ihrer eigenen Sphäre, ›beherrscht‹.109
Die oben beschriebenen Modellversuche, das enge und keineswegs unproblematische Verhältnis zwischen den Intellektuellen und dem DDR-Staat auf theoretischer Ebene zu durchleuchten, legen bei konsequentem Abgleich mit den konsensfähigen Anforderungen an intellektuelle Existenz eine profunde Kritik nahe. Die von den gläubigen Anhängern des DDR-Sozialismus lange beschworene, fälschlicherweise als gelungen interpretierte Aussöhnung von Geist und Macht verletzt das im Intellektuellen-Diskurs gängige Postulat vom unüberbrückbaren Antagonismus der beiden gesellschaftlichen Kräfte. Distanz zur Macht, öffentliche und engagierte Kritik gegenüber den politischen Herrschenden scheint mit Blick auf das obig dargestellte Bündnis, begründet durch die Mythen »Antifaschismus« und »Kulturnation«, nachgerade unmöglich. Das unterstellte, sorglose Vertrauen in die Utopie des Sozialismus legt ein summarisches Urteil nahe: Die Intellektuellen haben als kritische Instanzen rundweg versagt; sie haben »nicht nur vom tradierten Antagonismus zwischen Kultur und Macht Abschied genommen – [sie] ha[ben] auch Zweifel an [ihrer] Moralität begründet.«110 Heidenreich gesteht dieser Aussage ein »gut Teil Wahrheit zu«, schränkt aber entscheidend ein: Die Schlussfolgerung sei »in summa […] falsch.«111 Auf theoretischer Ebene mögen die mit Blick auf die Intellektuellen erstellten Erwartungshorizonte funktionieren. Und damit wären die harschen Vorwürfe an die Intellektuellen der DDR in gewisser Weise legitim. Doch wo treffen sich Theorie und Realität? In den rein theoretischen Überlegungen wird der historische Alltag oftmals völlig ausgeblendet. Dabei gibt es hier zwei wesentliche Aspekte, die es zu berücksichtigen gilt. Zum einen: Das Verhältnis zwischen Intellektuellen und der Macht war keineswegs konfliktfrei. Widerspruch und Debatten um eine zu starke Fremdbestimmung von Kunst und kulturellem Bereich gab es in der DDR sehr wohl: »Die gesamte Geschichte des Verhältnisses von Literatur bzw. Kultur und Politik in der DDR lässt sich eigentlich nur aus der Konkurrenz zweier Felder begreifen, von denen das eine, die Literatur bzw. Kultur, beständig um seine relative Autonomie kämpfte, während das andere, die Politik, solche Autonomie nur in dem Maße zugestand, als die Suprematie des politischen Feldes unangetastet blieb.«112 Zum anderen: Die »Überzeugungsund Anziehungskraft des Antifaschismus«113 und auch der »Kulturnation« lie109
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Winckler,S. 147. Vgl. hierzu auch: Das intellektuelleFeld: Eine Welt für sich. Interview mit Karl-Otto Maue, Klaus Jarchow und H. G. Winter für den Norddeutschen Rundfunk (Hamburg, Dezember 1985). In: Pierre Bourdieu. Rede und Antwort. Aus dem Französischen von Bernd Schwibs. Frankfurt am Main 1992, S. 155–166, hier S. 160f. Gert Heidenreich: Volk ohne Traum. Die deutsche Intellektuellen-Debatte. In: neue deutsche literatur 40 (1992) 476, S. 56–67, hier S. 58. Vgl. Heidenreich: Volk ohne Traum, S. 61. Winckler, S. 147. Winckler, S. 147.
ßen im Laufe der Jahrzehnte nach; Kunst und Kultur gewannen zunehmend an Autonomie: Festzustellen ist, »daß […] immer mehr Schriftsteller aus und in der DDR den vermeintlichen Höhepunkt ihrer gesellschaftlichen Anerkennung Anfang der siebziger Jahre als schöpferischen Tiefstpunkt erkannt und sich seit Mitte der siebziger Jahre von dem verinnerlichten und von außen gesetzten Selbstverständnis entfernt haben – […]. Daß sie die traditionelle Position des Schriftstellers zurückzugewinnen versucht und sich vom ›Kollektivwesen Literatur‹, diesem Polypen, befreit haben.«114 Ein statischer Befund zur Befindlichkeit der DDR-Intellektuellen ist somit im Grunde nicht zulässig. Über diese historisch bedingten Einwände hinaus gibt es Versuche, die idealtypischen, mit der unausweichlichen Rede vom Versagen bzw. Verrat der Intellektuellen gepaarten Erwartungsprofile auf ein reales, ein menschliches Maß herunter zu brechen. Dass diese in der Regel als Ehrenrettungsversuche ausgelegt werden, überrascht mit Blick auf die emotionale Heftigkeit der nach 1989 entbrannten Debatte um die Intellektuellen der DDR kaum. Im Ansatz verfolgen die Autoren ein wesentliches Ziel; sie möchten moralisches Anspruchsdenken in kritische Relation zur charakterlichen Schwäche des Menschen setzen: »Intellektuelle sind auch nur Menschen. Ihre Endlichkeit und Fehlbarkeit halten sie menschlich. Gewiß ist dies eine triviale Einsicht. Aber wir tun gut daran, von ihr auszugehen, um nicht falsche Erwartungen zu hegen. […] Intellektuelle sind keine Götter, nicht einmal Engel oder Heroen.«115 In diesem Zusammenhang hat Gert Heidenreich einen bedenkenswerten Kommentar zur Diskussion um die Position der Intellektuellen und Schriftsteller in der DDR beigetragen: So hat das vereinte Deutschland seinen mittlerweile langatmigen Skandal. Auf eine kurze Formel gebracht, lautet er: Auch Intellektuelle und Dichter sind keine besseren Menschen. Wo gespitzelt wird, spitzeln auch sie. Das triviale Skandalon reibt sich an der beliebten Vorstellung,Dichter seien das ›Gewissender Nation‹. Die Gesamtheit der Dichter als Berufsstand freilich hatte ein solches Prädikat nie verdient und bei geziemender Klarsicht auch nicht beansprucht; denn es hält auf seiner Kehrseite die ebenso falsche wie bequeme Behauptung bereit, die Mehrheit müsse um das je eigene Gewissen nicht bemüht sein. Ein entlastendes Klischee zerfällt und die Enttäuschung schlägt um in Wut.«116
Heidenreich fordert unumwunden die persönliche gesellschaftliche Verantwortung eines Jeden: »Nicht das Gewissen der Nation, sondern das eigene Gewissen als Maßstab auch des gesellschaftlichen Engagements.«117 An anderer Stelle setzt Hans Christoph Buch an; er erteilt einer unumgänglich intellektuellen Begabung eines jeden Literaten eine deutliche Absage: Die Mehrheit der Menschen war und ist zu allen Zeiten die Unmündigkeit lieber als die Qual der Wahl. Das gilt auch für Schriftsteller, die bloß deshalb, weil sie gute Gedichte 114 115
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Bogdal, S. 602. Hans-Peter Krüger: Ohne Versöhnung handeln, nur leben. Zur Diskussion um DDRIntellektuelle. In: Sinn und Form 1 (1992), S. 40–50, hier S. 42. Heidenreich: Volk ohne Traum, S. 58. Heidenreich: Volk ohne Traum, S. 65. 23
oder Romane schreiben, nicht auch ethisch und moralisch höherstehende Wesen sind. Sie taugen weder als Gralshüter der Wahrheit, noch als Gewissen der Nation. Genies, Schurken und Helden sind unter Literaten statistisch ebenso gleichmäßig verteilt wie in der übrigen Gesellschaft.118
Diese im Grunde zutiefst pessimistische Einschätzung der Schriftsteller in ihren intellektuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten scheint sich der Realität weit mehr anzunähern als jene rein theoretischen Modelle, die Schriftsteller als gesellschaftliche Gruppe per se zum »Gewissen der Nation«, zum moralischen Wächter innerhalb einer Gesellschaft erheben. Ergibt sich für den Schriftsteller, des Wortes mächtig, zwangsläufig die Verpflichtung zur kritischen Einmischung in gesellschaftliche Prozesse? In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob die Prämisse, ein Schriftsteller sei unter allen Umständen verpflichtet bzw. in der Lage, grundsätzlich und lebenslang intellektuell zu handeln, in dieser absoluten Form haltbar ist. Nähert sich nicht viel eher jene Vorstellung, nach der ein zu höherer Erkenntnis fähiger Mensch nicht zu jeder Zeit und in jeder Situation intellektuell handelt, dem realen Bild einer Gesellschaft und ihrer Mitglieder an? Die Wahl der einen oder anderen Verhaltensweise steht dem einzelnen frei. Mit Blick auf die DDR weist Hans-Peter Krüger darauf hin, dass jedes historische Ereignis eine neue Entscheidungssituation brachte: »Die Entscheidungen fielen verschieden aus, verschieden nach der Generation des Aufbaus, der Hineingeborenen und der Abkunft; verschieden nach der Herkunft aus einer Intelligenzschicht (Literatur und Künste, […]); und verschieden nach dem Charakter der jeweiligen Persönlichkeit. […] Das die Gruppen unterscheidende Maß an Entschiedenheit, die intellektuelle Aufgabe wahrzunehmen oder aufzugeben, verschwimmt heute in pauschalen Gleichsetzungen, […].«119 Gleichwohl bleibt die Frage bestehen, wie angesichts der Schrecken diktatorischer Systeme mit der (un)bewussten Entscheidung gegen ein intellektuelles Handeln im traditionellen Sinne umzugehen ist. Unstreitig scheint die Einsicht, dass intellektuelles Handeln persönlichen Mut erfordert. Entschlossenheit und Standhaftigkeit, die bei offener Kritik an diktatorischen Staatssystemen fundamentale Bedeutung gewinnen, sind indes individuelle Wesenszüge, die nicht jeder Mensch gleichermaßen besitzt. Mit Blick auf das Individuum scheint eine vorschnelle und pauschale Urteilsfindung verfehlt. Eine individuelle Betrachtung einzelner Personen bleibt nach wie vor unumgänglich. Noch immer sind viele Facetten der DDR-Geschichte nicht erzählt, noch immer ist das Wissen um jene Kämpfe, die (unter Ausschluss der Öffentlichkeit) mit den totalitären Regulierungsinstanzen ausgefochten wurden, zu gering.
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Hans Christoph Buch: Ideologische Irrungen und Wirrungen der Literatur im 20. Jahrhundert. In: Gerd Langguth (Hg.): Autor, Macht, Staat. Literatur und Politik in Deutschland. Ein notwendiger Dialog. Düsseldorf 1994, S. 55–69, hier S. 67f. Krüger, S. 48.
Um Verfechtern einer bedingungslosen Kritik an den Schriftstellern der DDR vorzugreifen: »Ehrenrettung« soll hier nicht betrieben werden. Aber: Eine als gültig vorausgesetzte Hypothese, nämlich die des kollektiven Versagens der DDR-Schriftsteller, kann die Untersuchung zur Geschichte des P.E.N.-Clubs in der DDR nicht leiten. Vor einer Urteilsfindung soll die detailgetreue Rekonstruktion der historischen Begebenheiten stehen. Ähnliches befand auch Renate Chotjewitz-Häfner in der Debatte um den Schriftstellerverband der DDR: »Bei den Lesern und bei vielen Beteiligten besteht häufig der Wunsch nach einem moralischen Urteil. Dieses Bedürfnis halte ich für wenig fruchtbar. Vor einer Urteilsbildung sollte eine möglichst genaue Rekonstruktion der Ereignisse stattfinden. Das schließt einander widersprechende Zeugnisse nicht aus. Wir liefern Argumente, auch Analysen, die zur Wahrheitsfindung beitragen können.«120 Es gilt daher auch im Fall des P.E.N.-Clubs in der DDR, »bislang unbekannte[ ], verschwiegene[ ], vergessene[ ] Zusammenhänge« zu dokumentieren und durch »das positivistische Sammeln von Fakten, Zeitstimmen, Erinnerungen alle Kontexte neu zu sichten«121 . Der Blick wird zunächst unvoreingenommen auf dessen Geschichte(n) in den Jahren 1951 bis 1989 gerichtet werden – mit dem Ziel, Aufschluss zu gewinnen über dessen Position im System der DDR, dessen Reaktion auf kulturpolitisch bedeutende Ereignisse, dessen Stellung im internationalen Raum. 1.2.2 Sonderfall P.E.N. – Ein Hort moralischer Werte? Im Fall des P.E.N.-Clubs muss das Augenmerk gleichwohl auf eine Besonderheit gelenkt werden, die dem Diskurs um Funktion und Position der Schriftsteller in der DDR eine entscheidende Brisanz verleiht. Bei dem in den Blick genommenen P.E.N.-Zentrum DDR mit seinen Vorgänger- bzw. Nachfolgeorganisationen Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West bzw. Deutsches P.E.N.Zentrum (Ost) handelt es sich um eine Schriftstellervereinigung mit internationaler Anbindung, der explizit nicht die Aufgaben eines beruflichen Interessenverbandes oblagen. Als verbindendes Glied der ausgewählten Schriftsteller in aller Welt ist die P.E.N.-Charta gedacht, die alle Mitglieder des Clubs auf den unbedingten Einsatz für moralische Grundwerte verpflichtet. Die Charta stellt allgemeingültige Forderungen auf, um ein friedliches Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen. Den P.E.N.-Mitgliedern wird der Mut abverlangt, unbedingt für die Ideale der Charta einzutreten. Mit dem Eintritt in den P.E.N. erklärt sich der Schriftsteller mit einem Grundkonsens moralischer Forderun-
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Renate Chotjewitz-Häfner: Zwischen den Stühlen. In: Chotjewitz-Häfnerund Carsten Gansel (Hg.): Verfeindete Einzelgänger, S. 22–30, hier S. 24. Carsten Gansel: »Vereinigungskrisen«. Schriftsteller zwischen neuer Wahrheitssuche und alten Gewissheiten. In: Chotjewitz-Häfner und Gansel (Hg.): Verfeindete Einzelgänger, S. 14–22, hier S. 15. 25
gen einverstanden; ihm wird deutlich die Aufgabe zugewiesen, »unabhängig von ideologischen Bindungen, in diesem Sinne in seiner Gesellschaft zu wirken«.122 Die Gründung des Internationalen P.E.N.-Clubs geht auf die Idee der englischen Schriftstellerin Catherine Amy Dawson-Scott zurück. Unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges und seiner weltpolitischen Folgen, die ein zunehmend von Kontroversen und Konfrontationen gekennzeichnetes Verhältnis der Staaten innerhalb Europas bedingten, entwickelte Dawson-Scott im Sommer 1921 die differenzierte Vorstellung eines »Dining-Clubs« mit Sitz in London, für »men and women of repute«123 . Der Club sollte nicht jedermann zugänglich sein, sondern Menschen mit einer gewissen Profession, mit einer gemeinsamen Leidenschaft: dem Schreiben – der Literatur. Diesen Personen – den »Poets, Playwrights, Editors« und »Novelists«124 – sollte die Möglichkeit des Zusammentreffens und gedanklichen Austausches geboten werden. Bis zum heutigen Tag hat sich die »Interpretation der drei Versalien weltweit verdoppelt: P = Poets/Playwrights E = Essayists/Editors N = Novelists/Non-Fiction-Writers«125 . Das Angebot des Dining-Clubs sollte nicht nur ausgewählten Angehörigen der Londoner Literaturszene offen stehen, sondern ebenso ausländischen Autoren, die in London weilten und eine Anlaufstelle suchten.126 Doch das Zusammentreffen von Gleichgesinnten auf nationaler Ebene mit einem gelegentlichen Hauch von Internationalität durch Besuche fremdländischer Literaten genügte Dawson-Scott in keiner Weise. Die Ausdehnung auf einen Club mit internationalen Ausmaßen lag ihr von Anfang an am Herzen: »If we had an International Dinner Club, with centres in every capital city of the world, membership of one mean membership of all, we should have a common meeting ground in the world.«127 Dawson-Scott wünschte sich das Auffinden von Gleichgesinnten über die Nationen hinaus, die überall auf der Welt die Möglichkeit zum Gespräch, zum ungestörten Meinungsaustausch haben sollten. Und noch deutlicher: »Well, the dinner club is more to draw the nations together – United States of Europe and America in literature.«128 Intendiert war somit die internationale Freundschaft zwischen Autoren, eine »Art Völkerbund der Literaten«129 , der das Zusammenwachsen der Nationen nach der Zersplitterung in Folge des Ersten Weltkrieges unterstützen konnte.
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Ingrid Bachér: Vorwort. In: P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon. Göttingen 1996, S. 9–11, hier S. 9. Majorie Watts: The Early Years 1921–1926. London 1971, S. 11. Watts, S. 12. Gerd E. Hoffmann: EINLEITUNG. Viel habe ich dazu gelernt. In: Hoffmann (Hg.): P.E.N. International. München 1986, S. 7–13, hier S. 8. Vgl. Watts, S. 12. Zitiert nach Watts, S. 11f. Zitiert nach Watts, S. 13. Christa Dericum: Wächterrolle gegen Intoleranz. Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. In: P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon. Göttingen 1993, S. 17–35, hier S. 23.
Dawson-Scotts Gründungsvorhaben stieß in England auf breite Unterstützung der potentiellen Mitglieder. Die Begeisterung für den internationalen Gedanken war groß. Schon im Oktober 1921 formierte sich der Londoner P.E.N.-Club. Sogleich wurden Bemühungen zur Ausweitung der Idee auf internationaler Ebene angestellt. Zu diesem Zweck nahm man in das englische Zentrum unverzüglich »Honory Members« aus verschiedenen europäischen Staaten, aber auch Australien und Amerika, auf. Im Januar 1922 formierte sich das erste außerenglische Zentrum in Frankreich; im Frühjahr 1923 existierten bereits P.E.N.-Clubs in elf Ländern, darunter Spanien, Belgien, Norwegen, Tschechoslowakei, Italien und Amerika. Ein Jahr später war die Zahl auf achtzehn Zentren angestiegen.130 Zum heutigen Tage gibt es über hundertvierzig Zentren auf allen Kontinenten.131 Die Organisationsform des Internationalen P.E.N. hat sich in den Jahrzehnten seit seiner Gründung kaum verändert. Die Zentrale der internationalen Schriftstellervereinigung hat ihren Sitz nach wie vor in London. Jedem nationalen Zentrum ist vollständige Autonomie zugesichert. Jedes national gewählte Mitglied ist aber zugleich Mitglied des Internationalen P.E.N.-Clubs. Verlässt also ein Mitglied ein nationales P.E.N.-Zentrum, bleibt es weiterhin Mitglied der internationalen Vereinigung und kann um Aufnahme in einem anderen Zentrum nachsuchen. Für jedes Mitglied ist von den nationalen P.E.N.-Zentren ein jährlicher Mitgliedsbeitrag an die Londoner Zentrale zu entrichten. Geführt wird jedes nationale Zentrum durch ein von den Mitgliedern gewähltes Präsidium, das in der Regel, nationale Eigenheiten vorbehalten, aus Präsident, Generalsekretär und Schatzmeister sowie einem Beirat besteht. Hinzu kommen meist Ehrenpräsidenten, die je nach persönlichem Engagement mehr oder weniger intensiv am Tagesgeschäft Anteil nehmen. Die Führung der internationalen Geschäfte übernimmt das Präsidium des Internationalen P.E.N., zusammengesetzt aus internationalem Präsident, Generalsekretär und Schatzmeister. Zur Seite steht dem internationalen Präsidium eine Reihe von internationalen Vizepräsidenten. Gewählt werden die internationalen Führungskräfte durch das Exekutivkomitee des Internationalen P.E.N., das sich aus den Delegierten der einzelnen nationalen P.E.N.-Zentren rekrutiert. Das internationale Exekutivkomitee tritt ein-, meist zweimal jährlich zusammen, um organisatorische und inhaltliche Fragen der internationalen P.E.N.Arbeit zu besprechen. Literarische Themen bleiben den internationalen P.E.N.Kongressen vorbehalten, die im Normalfall einmal im Jahr an wechselnden Orten zusammentreten. Hierzu sind nicht nur die offiziellen, stimmberechtigten Delegierten der nationalen Zentren, sondern alle P.E.N.-Mitglieder eingeladen. Parallel stattfindende Tagungen des Exekutivkomitees sind hingegen den Dele130
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Vgl. Watts, S. 14–19 und Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N. In: Martin Gregor-Dellin (Hg.): P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München 1978, S. 11–18, hier S. 11–13. Vgl. Angaben auf der aktuellen Homepage des P.E.N. Deutschland. Verfügbar unter URL: http://www.pen-deutschland.de/index de.php [Zugriff: 10. 4. 2007]. 27
gierten vorbehalten. Im Laufe der Jahrzehnte sind zu den zentralen Gremien weitere Subkomitees hinzugekommen, die sich gezielt den speziellen Anliegen des Internationalen P.E.N.-Clubs widmen, so z. B. das Writers in Prison Committee, das Writers in Exile Committee und das Writers for Peace Committee. Im Gegensatz zur Organisationsform des Internationalen P.E.N. erfuhr das Selbstverständnis der Schriftstellervereinigung schon wenige Jahre nach der Gründung Modifikationen. Die eher vagen Gründungsideen konkretisierten sich im Wechselspiel mit den weltgeschichtlichen Ereignissen in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Entwicklung der Weltpolitik verlangte nach kritischer Selbstdefinition. Was sollte der P.E.N. sein? Dient(e) er nur dazu, »Schriftsteller auf Empfängen zu versammeln, sich gegenseitig zuzuhören oder zu feiern«132 ? War und ist er ein »literarischer Freundeskreis«133 , der von politisch und ideologisch motivierten Absichten weit entfernt ist? Schon 1927 hatte Ernst Toller auf den unausweichlichen »Zwang zur Politik« hingewiesen: »Der Gedanke des P.E.N.-Clubs läuft sich tot, wenn ihm nicht neue Impulse zugeführt werden. Jenseits von Politik und sozialen Fragen tagen zu wollen, ist eine Illusion.«134 Die Situation im Europa der dreißiger Jahre war von Völker- und Menschenrechtsverletzungen, Gebietsbesetzungen und Kriegsvorbereitungen gezeichnet; das nationalsozialistisch und faschistisch ausgerichtete Herrschaftssystem in Deutschland strebte nach der Ausrottung des kritischen Wortes.135 Die Verfolgung der Schriftsteller nahm verheerende Ausmaße an und wurde zu einem ernst zu nehmenden Problem für den P.E.N.-Club.136 Sein direkter Einsatz für die Belange verfolgter Autoren begann mit diesem Abschnitt der Weltgeschichte. Anfänglich zwar zögernd und auch von Divergenzen innerhalb der Vereinigung überschattet, zeichnete sich die »Veränderung des internationalen Freundes-Clubs zu einem Forum der Einmischung«137 ab. So wurde der P.E.N. – nicht ausschließlich, aber doch in einigen Bereichen seiner Tätigkeit – ein Politicum; wenn der Club seiner ersten und wichtigsten Aufgabe nachkommt und sich für seine gefangenen, gefoltertenund unterdrücktenKollegen in aller Welt verwendet, handelt er politisch: aber eben als eine Institution besonderer Art, […] die um ihre Machtlosigkeit weiß […], [deren] Einfluß um so größer ist, je humaner, behutsamer und […] unfanatischer sie Politik in ihren eigenen Reihen betreibt.138
Als Substrat der Aufgaben und Zielsetzungen des P.E.N. gilt bis zum heutigen Tage die internationale Charta – als Kernstück der P.E.N.-Ideologie gleicherma132
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Alexandre Blokh: Der Internationale P.E.N. und sein Sekretariat. In: Hoffmann (Hg.): P.E.N. International, S. 28–31, hier S. 28. Thomas von Vegesack: Die fordernde Meinung der Welt. 70 Jahre Internationaler P.E.N. In: P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon 1996, S. 17–22, hier S. 17. Zitiert nach Vegesack: Die fordernde Meinung der Welt, S. 17. Dericum: Wächterrolle, S. 32. Vgl. von Vegesack: Die fordernde Meinung der Welt, S. 18. Dericum: Wächterrolle, S. 27. Walter Jens: Politik und Freundlichkeit. In: Gregor-Dellin (Hg.): PEN Bundesrepublik Deutschland, S. 45–48, hier S. 46.
ßen beschworen wie umstritten. Die Charta gründet sich auf Resolutionen, die auf internationalen Kongressen angenommen worden sind. Sie nimmt neben der konkreten Aufforderung zum Einsatz gegen die Verletzung menschlicher Grundrechte auch die ursprünglichen Ideen auf. Die Gründungsmitglieder des P.E.N.-Clubs glaubten »mit Zuversicht und Energie unerschütterlich an die Kommunikationsfähigkeit des Menschen im allgemeinen und des Literaten im besonderen«139 . An die geistigen Menschen Europas richtete sich die Aufforderung, ein »ganz neues Gefühl […] für die Bedeutung ihres Tuns und die damit verbundene gemeinsame Verantwortung in einer Zeit gesellschaftlicher und politischer Veränderungen«140 zu entwickeln und diesem entsprechend zu handeln. Der Literatur ordnete man den Charakter einer »universelle[n] Aufgabe«141 zu, die zur Verständigung der Völker untereinander beitragen sollte. Diesen Gedanken führt Punkt 1 der Charta explizit formuliert an: »Die Literatur, obgleich national in ihrem Ursprung, kennt keine scheidenden Landesgrenzen und soll auch in Zeiten innenpolitischer oder internationaler Erschütterungen ihre Eigenschaft als eine allen Nationen gemeinsame Währung behalten.«142 Die Literaturschaffenden sollen also unbeeinflusst von der Tagespolitik ihres Landes im Sinne eines internationalen Gedankens tätig sein. Hierzu ist der »ungehinderte[ ] Gedankenaustausch […] innerhalb einer jeden Nation und zwischen allen Nationen«143 unentbehrlich, so wie es im vierten Punkt der Charta gefordert wird. Deutlich tritt an dieser Stelle die Offenheit zur Welt, die angestrebte Ignorierung nationaler Grenzen hervor. Der erste Präsident des P.E.N.-Clubs in London, John Galsworthy, hatte seinen Glauben an die Völker verbindenden Möglichkeiten der Literatur bereits zu Beginn der Unternehmung deutlich zum Ausdruck gebracht: Alles, was für den Völkerfrieden ist, ist gut […]. Ein Leben ohne Freundschaft ist nicht lebenswert. Und vielleicht sind wir Schriftsteller unter den Sterblichen die besten Praktiker der Sehnsucht und wissen am ehesten, was die Menschen sich wünschen – eine stille heitere Luft zum Atmen. Wir Schriftsteller wollen der Menschlichkeit dienen. Das beste Mittel hierzu ist, die Liebe zur Literatur von Land zu Land zu einer Kette zusammenzufügen und so dazu beizutragen, in einer freudlosen und erstarrten Welt den Geist der Freundschaft zu erneuern.144
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Vgl. Angelika Mechtel: Nur sie hatte den Mut und die Kraft. Anmerkungen zu Leben und Werk der Gründerin des P.E.N., Catherine Amy Dawson-Scott. In: Hoffmann (Hg.): P.E.N. International, S. 14–18, hier S. 16. Nicolaus Sombart: Buchstabe und Geist der Charta des P.E.N.-Clubs. Der Ort der Literatur in einer Gesellschaft im Wandel. Vortrag gehalten am 12. April 1996 auf Einladung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland und des Literaturhauses Berlin. Sombart, o. S. Charta des Internationalen P.E.N. Zitiert nach P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon 1996/97, S. 7f., hier S. 7. Charta, S. 7. Zitiert nach: Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N., S. 13. 29
Galsworthy beschwor bis zu seinem Tod Ende Januar 1933 immer wieder den Geist des P.E.N.; er war es, der die aus der Aufklärung erwachsenen Werte Freundschaftlichkeit, Toleranz, Freiheit und Frieden zwischen den Völkern als wichtigste Zielpunkte des P.E.N. hervorhob.145 Mit ihrer Unterschrift unter die Charta verpflichten sich die Mitglieder bis heute, »für die Hochhaltung des Ideals einer in einer einigen Welt in Frieden lebenden Menschheit mit äußerster Kraft zu wirken«146 ; ihr Wort und Werk soll diesem Ideal Unterstützung zukommen lassen. Diese Unterstützung aber steht in direkter Abhängigkeit vom ungehinderten Gedankenaustausch zwischen den Autoren aller Nationen, der nur gewährleistet ist, wenn ein grundlegendes Menschenrecht – nämlich das der freien Meinungsäußerung – dem Vertreter des geschriebenen Wortes von den Herrschenden seines Landes zugebilligt wird. Daraus ergibt sich in logischer Konsequenz die Formulierung des vierten Absatzes der Charta, in dem die Mitglieder des P.E.N. zum aktiven Eintritt gegen »jede Art der Unterdrückung der Meinungsfreiheit in ihrem Lande oder in der Gemeinschaft, in der sie leben«147 , angehalten werden: »Der P.E.N. erklärt sich für die Freiheit der Presse und verwirft die Zensurwillkür überhaupt und erst recht in Friedenszeiten.«148 Explizit wird die »freie Kritik gegenüber den Regierungen, Verwaltungen und Einrichtungen«149 gefordert. Nur auf diese Weise sei der »notwendige Fortschritt der Welt zu einer höher organisierten politischen und wirtschaftlichen Ordnung«150 zu erlangen. Für die Bewertung der Position, die der Schriftsteller zu gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten inner- und außerhalb des eigenen Staatssystems einnimmt, ergibt sich vor diesem Hintergrund ein spezielles Bezugssystem. Mit Blick auf die Mitgliedschaft im P.E.N. wird nicht in erster Linie die Bedeutung der literarischen Wortäußerungen im Kontext einer wie auch immer gearteten – d. h. systemtreuen bzw. -kritischen – Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Situation gewertet. Im Vordergrund steht das direkte, unmittelbare Engagement, mit dem sich das P.E.N.-Mitglied nach idealer Vorstellung für die in der internationalen Charta verbürgten Wertvorstellungen einsetzt. Die P.E.N.-Charta setzt klare Maßstäbe: Die Mitglieder werden in die Position des freien Intellektuellen eingesetzt, der gegenüber den Mächtigen eine unabhängige Wächterrolle einnimmt. Sie sollen in größtmöglicher Autonomie gegenüber den Herrschenden als Außenstehende kritisch urteilen und Missstände vehement zur Sprache bringen. Ein Rückzug der P.E.N.-Mitglieder auf die Einstellung, ein Schriftsteller müsse nicht zwangsläufig intellektuell agieren, scheint daher nicht zulässig. 145
146 147 148 149 150
30
Vgl. John Galsworthy: P.E.N.-Club. From a speech by J. G. to the P.E.N. Club Centre in New York 1926. In: Die Literarische Welt 20 (14. 5. 1926), S. 1. Charta, S. 7. Charta, S. 7. Charta, S. 7. Charta, S. 8. Charta, S. 7.
Die Vermutung, dass sich zwischen Ziel- und Umsetzung der P.E.N.-Charta schon unter den Bedingungen eines demokratischen Systems Widersprüche auftun, drängt sich beim Lesen der Grundsätze in gewisser Weise auf. Das langjährige P.E.N.-Mitglied Hermann Kesten stellt treffend fest: »Unsere Charta enthält ideale, will sagen undurchführbare Forderungen, lauter Grundsätze, deren Auslegung strittig ist. Sie hat also illusorischen Charakter.«151 Die Charta muss von jedem neuen Mitglied gelesen und unterschrieben werden, jedoch: Viele unterzeichnen, ohne sie zu verstehen oder verstehen zu wollen, so die traurige Feststellung Kestens. Hunderte unterschrieben die Charta, »die nicht einmal die Kraft hätten, ihren Inhalt wahrzunehmen, geschweige denn, wahrzumachen.«152 Auch Walter Jens beklagt das gelegentliche Aufbrechen der Unstimmigkeit zwischen Geltung und Leistung, der Ideologie und der Wirklichkeit: Das hohe Ansehen des Clubs stehe in Widerspruch zu den tatsächlich im Sinne der Charta tätigen Personen; »die Zahl der praktizierenden Mitglieder nimmt sich […] eher bescheiden aus (gottlob, Ausnahmen bestätigen die Regel) – […].«153 Obgleich die Charta mit ihren idealistischen Zielsetzungen angesichts der Diskrepanz zwischen Ideologie und Wirklichkeit als ein Zerrspiegel erscheint, dessen Existenz fragwürdig ist, darf deshalb ihre Notwendigkeit noch nicht in Frage gestellt werden. Das Ideal einer in einer einigen Welt in Frieden lebenden Menschheit als das – vielleicht utopische – Ziel, das in den Grundsätzen der Charta vorgegeben ist, kann »den in den P.E.N.-Zentren der Welt versammelten Autoren als Orientierung für ihr öffentliches Verhalten, auch für die Essenz ihres Werkes [dienen]. Politische Anschauungen sind dabei weniger von Bedeutung als moralische Grundwerte, vor denen wir freilich immer in Gefahr sind, zu versagen.«154 Die Utopie, die von der Realität mehr verlangt als sie gemeinhin herzugeben bereit ist, kann aber durch den Versuch ihr möglichst nahe zu kommen, als Antrieb des Fortschritts dienen.155 In Anbetracht der Realität totalitärer Staatssysteme rücken gleichwohl zusätzliche Fragestellungen ins Zentrum: Welche Handlungsräume ergaben sich für P.E.N.-Mitglieder in einem Staatssystem wie dem der DDR, das den Schriftstellern nach seiner Ideologie eindeutig eine gesellschaftspolitische Funktion zuwies und die Aussöhnung von Geist und Macht als vorrangiges politisches Ziel suggerierte? Stand ihnen dennoch die Position des kritischen Geistes offen? Und: Kann, muss oder soll der in der Charta erhobene, moralische Anspruch unter allen Umständen bestehen bleiben, auch wenn er nicht oder nur unter hohen 151
152 153 154
155
Hermann Kesten: Zielsetzung und Problematik des P.E.N. In: Gregor-Dellin (Hg.): P.E.N. Bundesrepublik Deutschland, S. 28–31, hier S. 29. Kesten: Zielsetzung und Problematik, S. 30. Jens: Politik und Freundlichkeit, S. 46. Gert Heidenreich: Vorwort. Das freie Wort wahren und die Freiheit wörtlich nehmen. In: P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon. Göttingen 1993, S. 9.f., hier S. 9. Hermann Broch: Die Intellektuellen und der Kampf um die Menschenrechte. In: Literatur und Kritik 54/55 (1971), S. 193–197, hier S. 193. 31
persönlichen Risiken durchgesetzt werden kann? Mit Blick auf die zahlreichen linken und rechten Diktaturen, die die Zeitläufte hervorbrachten, ergibt sich ein grundlegendes Problem: »Darf man von einem Schriftsteller erwarten, dass er Folter und Haft auf sich nimmt, um den ewigen Werten Freiheit, Gerechtigkeit und Vernunft gemäß zu handeln?«156 Urteilte man hier nach ganz strengen, kategorischen Maßstäben, so müssten P.E.N.-Mitglieder in diktatorischen Systemen entweder dieses Schicksal einkalkulieren bzw. ertragen oder konsequenterweise ihre Mitgliedschaft liquidieren. Dies scheint wiederum eine Frage der individuellen Persönlichkeit und ihrer emotionalen und moralischen Schwäche bzw. Stärke. Diese grundsätzliche Problematik stand in der langen Geschichte des Internationalen P.E.N.-Clubs wieder und wieder auf der Tagesordnung. Dabei kristallisierten sich stets zwei gegensätzliche Positionen heraus – jene, die ein der Charta gemäßes Verhalten unter diktatorischen Systembedingungen kategorisch negierte und jene, die zur Berücksichtigung der Lebensumstände in einem totalitären Staatswesen mahnte. Als pauschaler Bewertungsmaßstab taugte weder die eine noch die andere Haltung. Die letztere räumt(e) der Aufrechterhaltung des Kontakts zu den Schriftstellern des betreffenden Staatswesens Vorrang ein und nähert(e) sich damit, wenngleich unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, der ursprünglichen Intention der Gründerin Catherine Amy DawsonScott und des ersten Präsidenten, John Galsworthy, an: »Streit und Parteiengeist haben fast die ganze Welt zum Felde; wir bieten dem Gegenteil Heim: dem Geist gegenseitigen Verstehens und guten Willens.«157 Aus diesen Worten lässt sich der bis zum heutigen Tage geltende Grundsatz des Clubs herauslesen – die Hochachtung der Toleranz. Den Vertretern dieser Haltung galt und gilt es als wesentlich, den Schriftstellerkollegen in totalitären Staaten ein Fenster zur demokratischen Welt offen zu halten. Sie ordn(et)en die kompromisslose Verurteilung von (potentiellen) Verstößen gegen die Charta der Aufrechterhaltung der internationalen Verbindungen unter Aufbringung eines Höchstmaßes an Toleranz unter. Ihnen war und ist an einer differenzierenden Sicht der Dinge gelegen: Welche Wirkungsmöglichkeiten standen bzw. stehen den Schriftstellern in einer Diktatur tatsächlich offen? Sie akzeptier(t)en, dass sich das Leben in einem diktatorischen Staatswesen zwischen gegensätzlichen Polen – »Verrat oder Widerstand, Lüge oder Wahrheit«158 – abspielt(e). »[I]n diesem Magnetfeld«159 muss(te) sich der Einzelne immer wieder neu positionieren. Offen bleibt indes, wie weit die Toleranz mit Schriftstellerkollegen aus totalitären Staatssystemen gehen durfte bzw. darf. Vom Internationalen P.E.N. muss(te) aus seinen Grundsätzen heraus das pauschale Diktum, die Autoren in den modernen Diktaturen kennzeichne ein fami156 157 158 159
32
Rüther: Überzeugungen und Verführungen, S. 606. Zitiert nach Dericum: Wächterrolle, S. 18. Rücker: Überzeugungen und Verführungen, S. 607. Rücker: Überzeugungen und Verführungen, S. 608.
liäres, fast intimes Verhältnis zu ihrem Staat und seinen Institutionen, abgelehnt werden. Gleichwohl durfte und darf diese Sichtweise nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Schriftsteller – blinde Mitläufer ebenso wie engagierte Parteigänger – ein unmittelbares Bündnis mit der totalitären Macht eingegangen waren bzw. eingehen.160 Zwar verlangt(e) der Internationale P.E.N. von seinen Mitgliedern die gegenseitige Akzeptanz der jeweiligen weltanschaulichen Überzeugung. Zugleich aber mahnt(e) er sich selbst zu kritischer Distanz; es dürfe nicht geduldet werden, so der langjährige internationale Generalsekretär Alexandre Blokh, »daß parteipolitische Tendenzen in den einen oder anderen Zentren die Oberhand gewinnen und daß Mitglieder ausgeschlossen werden, die sich diesen Tendenzen nicht fügen. Der Internationale Sekretär hat die Pflicht, einer Entwicklung in dieser Richtung mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln (sie sind sehr beschränkt) entgegenzuwirken.«161 Die deutliche Forderung von Distanz des P.E.N.-Clubs zu Staats- und Parteienpolitik war schon in den Statuten von 1932 eindeutig formuliert worden: »Such words as nationalist, internationalist, democratic, aristocrat, imperialistic, anti-imperialistic, bourgeois, revolutionary or any other word with definite political significance should not be used in connection with the PEN; for the PEN has nothing whatever to do with State or Party Politics, and cannot be used to serve State or Party interests or conflicts.«162 In der Realität musste sich der Internationale P.E.N. sehr wohl, vor allem im Hinblick auf einzelne nationale Zentren, mit diesen Problemen auseinandersetzen. Entschieden wurde im Rahmen des Internationalen P.E.N. von Fall zu Fall. Im Hinblick auf den DDR-P.E.N. und seine Vorgängerund Nachfolgeorganisationen stand eine Suspendierung des Zentrums von Seiten der internationalen Vereinigung nie ernsthaft zur Debatte. Im Laufe der Jahrzehnte dominierte, trotz wechselnder personeller Besetzung, stets das Bemühen der internationalen Führung um bestmögliche Integration – obgleich die kulturpolitischen Probleme in der DDR und ihre verheerenden Auswirkungen international durchaus bekannt waren. Welche Bedeutung erlangen nun aber die vorausgegangenen Erörterungen über die Position des Intellektuellen im Allgemeinen und in einem diktatorischen Staatssystem wie dem der DDR im Speziellen für die Untersuchung der Geschichte des P.E.N.-Clubs in der DDR? Zunächst eröffnet die differenzierte Betrachtung der P.E.N.-Geschichte in der DDR die Möglichkeit, Mikromechanismen der Macht und deren Wirkungsweise auf kultureller Ebene zu erkennen und näher zu beschreiben. Im Zentrum steht die Frage, ob der P.E.N. in der DDR tatsächlich ein »Instrument der Diktatur« war. In welchem Verhältnis stand er zum Staatssystem der DDR? Dabei muss vergegenwärtigt werden, dass es zwei Ebenen zu unterscheiden gilt – die Institutionen- und die Perso160 161 162
Vgl. Rücker: Überzeugungen und Verführungen, S. 608. Alexandre Blokh: Der Internationale P.E.N. und sein Sekretariat, S. 30. Zitiert nach Thomas von Vegesack: Aus der Geschichte des P.E.N.-Clubs. In: Hoffmann (Hg.): P.E.N. International, S. 19–27, hier S. 21. 33
nengeschichte. Ein Urteil über die Institution P.E.N.-Zentrum DDR darf nicht ad hoc und pauschal auf alle seine Mitglieder übertragen werden. Darauf hat auch Hans Dieter Zimmermann hingewiesen, der allerdings eine entschiedene Haltung zum P.E.N.-Club in der DDR eingenommen hat: »Der PEN war […] in der Hand der Partei, was nicht heißen soll, daß nicht einzelne achtbare Mitglieder darin waren.«163 Um umfassende Erkenntnis über das Verhalten des einzelnen Mitgliedes zu gewinnen, wären die individuellen Biographien sehr differenziert zu prüfen; dies kann nur in Einzelstudien geleistet werden. Im Vordergrund der nachfolgenden Untersuchung muss demnach zunächst die möglichst genaue Rekonstruktion der Institutionsgeschichte mit Blick auf das Tun und Lassen der Führungskräfte, d. h. Präsident, Generalsekretär und Präsidium, stehen. Nur im konkreten Einzelfall kann individuelles Verhalten ergänzend dargestellt werden. Die Suche nach einer Antwort auf die Frage nach der Position des P.E.N.Clubs in der DDR verspricht jedoch nicht nur Erkenntnisgewinn über die Funktionsweise des Systems, sondern auch über die Rolle, die die Schriftsteller darin übernahmen. In den Blick genommen wird dabei nicht nur die Kaderpolitik der Partei, sondern auch das Agieren der »einfachen« Mitglieder. Welche Facetten der P.E.N.-Mitgliedschaft gab es? Wurden literarische Bedeutungsträger instrumentalisiert – für die (außen)politischen Zielsetzungen des DDR-Regimes, für die Indoktrinierung von (unbequemen) Schriftstellerkollegen? Handelten sie also ausschließlich als Ideologen, wie es manche der Ankläger unterstellen? Oder gab es fließende Übergänge? Welche Rolle spielten die in der internationalen P.E.N.-Charta niedergelegten Grundsätze, die in enger Verbindung mit den traditionellen Anforderungen an Intellektuelle standen? Ergaben sich für kritische Intellektuelle im P.E.N.-Zentrum Frei- bzw. Schutzräume, die sie zur differenzierten Auseinandersetzung mit der Macht nutzen konnten? Die Forschungsergebnisse zur P.E.N.-Geschichte in der DDR erlauben es, den theoretischen Diskurs zur Position des Intellektuellen in der DDR mit den realen Handlungen bzw. Handlungsmöglichkeiten der Schriftsteller – auf institutioneller Ebene – kritisch abzugleichen und gegebenenfalls zu ergänzen.
1.3
Forschungsstand, Quellenlage und Vorgehensweise
Nach Wiederherstellung der deutschen Einheit wurde im Zuge der P.E.N.internen Debatte um die Zukunft der beiden nunmehr in der Bundesrepublik Deutschland nebeneinander existierenden Zentren eindringlich die notwendige, eigenständige Klärung des Standortes im System des SED-Staates durch die in Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) umbenannte und durch Zuwahlen personell veränderte Sektion gefordert; diese wurde bislang jedoch nur unzureichend erarbeitet. Ein wesentliches Ergebnis der Auseinandersetzung war jedoch die Einsetzung eines Ehrenrates zur Klärung der individuellen Verstrickung ein163
34
Zimmermann: Wozu PEN und Akademie?, S. 144.
zelner Mitglieder in die Machtstrukturen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Unabhängig davon hatte damals auch eine Münchner Forschergruppe, Georg Jäger, München und Ernst Fischer, inzwischen Mainz, die Aufarbeitung der Geschichte der deutschen P.E.N.-Zentren in den Jahren 1948 bis 1967 in Erwägung gezogen. Im Zuge ihrer Antragstellung an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) kam eine Kooperation mit Wissenschaftlern in Berlin zustande, die sich der Geschichte des Ost-P.E.N. zugewandt hatten. Zielpunkt der Forschungen war nunmehr eine umfassende historiographische Darstellung des deutschen P.E.N.-Clubs. 1995 wurde das Projekt unter der Leitung von Georg Jäger und Ernst Fischer von der DFG bewilligt und die Arbeit daran aufgenommen.164 Angestrebt wurde die Untersuchung des P.E.N.-Clubs in der Weimarer Republik (Ernst Fischer), in der Nachkriegszeit bis zur Trennung 1951 (Christine Malende, Berlin)165 , in der Bundesrepublik bzw. DDR während des Zeitraums 1951 bis 1990 bzw. bis zur Vereinigung beider Zentren im Jahr 1998, sowie ergänzend eine Darstellung des Deutschen P.E.N. im Exil/P.E.N.Zentrums Deutschsprachiger Autoren im Ausland (Helmut Peitsch). Letztere ist 2006 unter dem Titel »No politics?« Die Geschichte des deutschen PEN-Zentrums in London 1939–2002 166 erschienen. Für die Geschichte des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland liegt die Untersuchung von Sven Hanuschek, München, seit 2003 beim Niemeyer Verlag, Tübingen, vor.167 Die Betrachtung 164
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Vgl. [o. V.]: PEN-Geschichte wird erforscht. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 98 (8. 12. 1995), S. 3. Die Trennung des P.E.N.-Zentrums Deutschland ist bereits mehrfach beschrieben worden. Erstmals thematisierte Helmut Peitsch die Trennung: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen«. Die Spaltung des PEN-Zentrums Deutschland. In: Kürbiskern 3 (1985), S. 105–124. Eine überarbeitete Fassung findet sich bei Helmut Peitsch: Vom Faschismus zum Kalten Krieg – auch eine deutsche Literaturgeschichte. Literaturverhältnisse, Genres, Themen. (Sigma Medienwissenschaft Bd. 21) Berlin 1996, S. 215–244. Vgl. weiterhin Christine Malende: Die »Wiedererrichtung und Trennung des P.E.N.-Zentrums Deutschland 1946/48–1951/53. In: Zeitschrift für Germanistik NF 5 (1995) 1, S. 82–95. Christine Malende: Berlin und der P.E.N.-Club. Zur Geschichte der deutschen Sektion einer internationalen Schriftstellerorganisation. In: Ursula Heukenkamp (Hg.): Unterm Notdach. Nachkriegsliteratur in Berlin 1945– 1949. Berlin 1996, S. 89–128. Eine ausführlicheDarstellung von Christine Malende zur Wiederbegründungs- und Trennungsgeschichte ist in Vorbereitung. Darüber hinaus beteiligte sich Ursula Heukenkamp an der Aufarbeitung der Trennungsgeschichte in ihren Aufsatz: Der Beitrag der Berliner Schriftsteller zur Spaltung des PEN-Zentrums Deutschland. In: Weimarer Beiträge 38 (1992) 3, S. 340–353. Schließlich äußerte sich Michael Hochgeschwender: Die Spaltung des deutschen PEN. In: Hochgeschwender: Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für Kulturelle Freiheit und die Deutschen. (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit Bd. 1) München 1998, S. 335–346. Den Fokus auf die Position des Präsidenten Johannes R. Becher lieferte Leonore Krenzlin: Dialogbemühungen mitten im kalten Krieg. Johannes R. Becher und der PEN-Club im Jahre 1950. In: Weimarer Beiträge 34 (1988) 10, S. 1749–1753. Vgl. Helmut Peitsch: »No politics«? Die Geschichte des deutschen PEN-Zentrums in London 1933–2002. Osnabrück 2006. Vgl. Sven Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums von 1951– 1990. (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur Bd. 98) Tübingen 2003. 35
der DDR-Sektion war ursprünglich von Therese Hörnigk, Berlin, im Rahmen ihrer Arbeit im »Wissenschaftler-Integrations-Programm«, schließlich in Kooperation mit der Berliner/Mainzer/Münchner Forschungsgruppe angestrebt, aufgrund beruflicher Veränderungen jedoch aufgegeben worden. Damit stand eine umfassende Aufarbeitung der Geschichte des P.E.N.-Zentrums in der DDR bzw. im Osten Deutschlands weiterhin aus. Die Recherchearbeiten wurden von der Autorin erst nach dem Ende der Laufzeit des DFG-Projektes aufgenommen. In der Geschichtsschreibung zur Literatur der DDR finden sich sehr vereinzelt Erwähnungen des P.E.N.-Zentrums; diese kommen über Randbemerkungen kaum hinaus. Wolfgang Emmerich widmete dem P.E.N.-Zentrum der DDR in seiner Kleinen Literaturgeschichte der DDR immerhin zwei längere Einträge,168 in denen er im Vergleich zum Schriftstellerverband eine gewisse Souveränität hinsichtlich der Mitgliederzuwahl und damit einen »weniger parteinahen Status«169 konstatierte. Zugleich verdeutlichte Emmerich, dass die DDR-Sektion niemals den hohen moralischen Ansprüchen des Internationalen P.E.N., die sich in der Charta manifestierten, genügt habe; sie habe das sich darin eröffnende »enorme[ ] Tätigkeitsfeld […] freilich kaum genutzt […], zumal nicht im Blick auf das eigene Land.«170 Die mögliche Ursache für die Untätigkeit führte Emmerich sehr verkürzt auf die Person des Präsidenten Heinz Kamnitzer zurück, der nicht nur »Parteimann«, sondern zugleich Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen sei.171 Ausführlicher beschäftigte Emmerich sich mit der Vereinigung der beiden deutschen Zentren; er zeichnete grob die Positionen der Vereinigungsgegner bzw. -befürworter in der schwelenden Auseinandersetzung nach und hob als deren Kernpunkt die strittige Ausdeutung der P.E.N.-Charta hervor.172 Einen wegweisenden Ansatzpunkt zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte boten die Gespräche zur Selbstaufklärung, die 1992 unter der Ägide des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) durchgeführt wurden. Der am 13. November 1992 durchgeführte Themenabend bezog sich ausschließlich auf die »Widerspruchsgeschichte des P.E.N.«173 , zu dessen Beginn Therese Hörnigk in einem Referat grundlegende Fragestellungen darlegte. Unter der Leitung von Dieter Schlenstedt diskutierten im Anschluss daran die langjährigen Mitglieder Günther Deicke, Stephan Hermlin, Heinz Kahlau, Walter Kaufmann, B. K. Tragelehn und Rainer Kirsch sowie die 1991 ins Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) Zugewählten Kerstin Hensel, Brigitte Struzyk und Steffen Mensching. Die Tonbandabschrift dieses Gesprächs enthält eine Fülle an Gedankenanstößen, Ein168 169 170 171 172 173
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Vgl. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 44f. und S. 453–456. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 44. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 454. Vgl. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 45. Vgl. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 456. Vgl. Widerspruchsgeschichte des P.E.N. In: Deutsches PEN-Zentrum (Ost) (Hg.): Gespräche zur Selbstaufklärung. Berlin 1993, S. 163–222.
schätzungen, Anmerkungen und Details, die bei der grundlegenden Erarbeitung einer Konzeption zum Thema wertvolle Anregungen bot. Einen weiteren eigeninitiierten Anstoß stellt die Publikation des Autorenlexikons 1995 durch das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) dar, dem Dieter Schlenstedt ein einführendes Kapitel zur Geschichte des deutschen P.E.N. voranstellte.174 Zwar werden die wesentlichen Entwicklungsstadien des deutschen P.E.N. mit Fokus auf die östliche Sektion und die Vorgängerinstitution Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West nachgezeichnet. Der Überblick bleibt allerdings schon aufgrund der gebotenen Kürze marginal. Mit einem sehr speziellen Aspekt beschäftigte sich Christine Malende unter der Fragestellung »Hat das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West zum innerdeutschen Literaturaustausch beigetragen?«175 . Die Überprüfung der Vermittlungstätigkeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West beschränkt sich auf die Jahre 1951 bis 1954 und orientiert sich vor allem an der – zumeist auf privater Ebene angeregten – Aktivität des geschäftsführenden Präsidenten Johannes Tralow in Bezug auf die Vermittlung westdeutscher Titel an ostdeutsche Verlage. Für die Entwicklungsgeschichte des P.E.N.-Clubs in der DDR allerdings bietet dieser Aufsatz wenig Substantielles. Im Jahr 2002 ist in Aufsatzform eine erste Darstellung zur Amtszeit von Bertolt Brecht erschienen.176 Allerdings umfasst diese nur den kurzen Zeitraum von 1953 bis 1956 und erläutert die Entwicklungen in diesen Jahren vor allem mit Blick auf den ins Zentrum gerückten Präsidenten. Hörnigk stellt Brechts Bedeutung für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West als repräsentative Integrationsfigur heraus; dieser Deutung ist zu folgen. Dargelegt werden weiterhin die wesentlichen Initiativen des Präsidenten Brecht, so sein Engagement in punkto Resolutionen gegen atomare Aufrüstung und Atomwaffenversuche sowie für die Aufnahme einer sowjetischen Sektion in den Internationalen P.E.N.; diese Einsätze verraten Brechts vornehmliches Interesse am P.E.N. als »internationale[r] Bühne politischer Wirksamkeit«177 . Die über das Engagement des Präsidenten 174
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Vgl. Dieter Schlenstedt: Zur Einführung. In: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Autorenlexikon. Geschichte und Gegenwart. Berlin 1995, S. 7–27. Vgl. Christine Malende: Hat das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West zum innerdeutschen Literaturaustausch beigetragen? In: Mark Lehmstedt und Siegfried Lokatis (Hg.): Das Loch in der Mauer. Der innerdeutsche Literaturaustausch. (Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte Bd. 10) Wiesbaden 1997, S. 215–260. Vgl. Therese Hörnigk: P.E.N.-Bruder Brecht. Für Werner Mittenzwei. In: Simone Barck und Inge Münz-Koenen (Hg.): Im Dialog mit Werner Mittenzwei. Beiträge und Materialien zu einer Kulturgeschichte der DDR. (Abhandlungen der Leibniz-Sozietät Bd. 3) Berlin 2002, S. 19–28. Mittenzwei äußerte in der dokumentierten Diskussion hierzu: »Was Therese Hörnigk vorgetragen hat, erinnert mich daran, was ich in meiner [Brecht-]Biographie alles ausgelassen habe. Zum PEN verhielt sich Brecht ja früher noch laxer als zum geistigen Eigentum. Aber nach 1949 ist da wohl eine Veränderung eingetreten, die es wert gewesen wäre, in der Biographie vermerkt zu werden.« Vgl. Diskussion I. In: Barck und Münz-Koenen (Hg.): Im Dialog mit Werner Mittenzwei, S. 38. Hörnigk: P.E.N.-Bruder Brecht, S. 22. 37
Brecht hinausgehende Aktivität des P.E.N.-Zentrums in diesen frühen Jahren, initiiert etwa durch die Arbeiten des geschäftsführenden Präsidenten Johannes Tralow bzw. des aktiven Schatzmeisters Bodo Uhse, liegt dagegen weitgehend im Dunkeln. Personenbezogen ist auch ein Aufsatz von Helmut Peitsch, der die Figur Hans Henny Jahnn im Kontext der gesamtdeutschen P.E.N.-Zentren Deutschland und Ost und West untersucht.178 Für die hier vorgestellte Studie war dabei vor allem der Blick auf ein konsequentes West-Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West von Interesse. Nachzugehen war der Frage, ob die von Peitsch nachgezeichneten Repressalien, die den Mitgliedern des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auferlegt wurden, repräsentativ waren und welche Rolle den Mitgliedern in der Bundesrepublik im Clubleben tatsächlich zukam. Die Qualität und Intensität der Lenkung, Anleitung und Finanzierung des P.E.N.-Zentrums durch staatliche Stellen (Abt. Kultur beim Zentralkomitee (ZK) der SED, Ministerium für Kultur (MfK), Ministerium für Staatssicherheit (MfS), Kulturfonds der DDR etc.) rückte sehr bald nach dem Zusammenbruch der DDR in den Mittelpunkt des Interesses. Fragwürdig erschien die Position des P.E.N.-Zentrums vor allem im Hinblick auf die in der internationalen P.E.N.-Charta niedergelegten Ansprüche an die Mitglieder. Die Möglichkeiten zur Wahrung dieser Grundsätze in einer sozialistischen Diktatur wurden von den Kritikern sehr gering eingeschätzt bzw. schlichtweg in Abrede gestellt. Hinzu kamen die Vorwürfe einer direkten Zusammenarbeit einzelner, z. T. führender Mitglieder mit dem Ministerium für Staatssicherheit sowie der generellen Instrumentalisierung des P.E.N.-Zentrums durch den DDR-Staat. In den Äußerungen der direkt Betroffenen zur Position des P.E.N.-Zentrums im Verhältnis zur SED-Diktatur stand dagegen oftmals eine Bewertung als relativer Freiraum im Vordergrund. So konstatierte selbst Joachim Seyppel als unerbittlicher Kritiker des DDR-Systems, der schließlich in die Bundesrepublik zurückkehrte: Der P.E.N. sei die »einzige Organisation auf internationaler Ebene, was Literatur betrifft, die nicht völlig von Staat oder Partei dominiert wird, die tatsächlich unabhängig und nur indirekt beeinflußbar ist.«179 Den unkritischen Umgang mit dem Status des P.E.N.-Zentrums in der DDR griff Jochen Staadt im Zuge der Vereinigungsdebatte sehr energisch an: »Das P.E.N.-Zentrum der DDR mutiert im milden Rückblick seiner Selbstdarsteller langsam aber sicher zu einem Organ des Internationalen P.E.N., das unter den besonderen Bedingungen des östlichen Deutschland existierte und das Beste aus
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Vgl. Helmut Peitsch: Hans Henny Jahnn in den gesamtdeutschen PEN-Zentren Deutschland und Ost und West. In: Dietrich Molter und Wolfgang Popp (Hg.): Siegener Hans Henny Jahnn Kolloquium. Homosexualität und Literatur. Essen 1986, S. 119–151. Joachim Seyppel: Ich bin ein kaputter Typ. Bericht über Autoren in der DDR. Wiesbaden und München 1982, S. 73.
der schlechten Lage zu machen suchte. Daß es anders war, stört die Vereinigungssüchtigen in West und Ost kaum.«180 Erste Untersuchungen der Eingriffe von staatlicher Seite konzentrierten sich vor allem auf die Aktivität des Ministeriums für Staatssicherheit. Triebfeder dieser Betrachtungen war einerseits die auf breiter Ebene in der Öffentlichkeit geführte Diskussion über die IM-Tätigkeit von Schriftstellern für den Staatssicherheitsdienst der DDR – angestoßen durch die Debatte um Christa Wolf bzw. Sascha Anderson und Rainer Schedlinski –, andererseits die P.E.N.-interne Auseinandersetzung um die moralische Integrität der Mitglieder des (ehemaligen) P.E.N.-Zentrums DDR ; letztere beschäftigte sich in erster Linie mit der Klärung der angeblichen bzw. tatsächlichen Täterschaft einzelner P.E.N.Mitglieder, etwa Hermann Kant, Hans Marquardt und Erich Köhler. In den vorgenannten Fällen löste sich die Frage um die Glaubwürdigkeit durch den baldigen Austritt der Beschuldigten aus dem P.E.N.-Club. Lediglich Erich Köhlers umstrittene Mitgliedschaft konnte erst im Jahr 2002 geklärt werden nach Vorlage der Ergebnisse aus den Akten des Archivs der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), Berlin, durch das Ehrenratsmitglied Martin Weskott;181 dieser wies die ehemalige IM-Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit nach und kam zu dem Schluss, dass die denunzierende Berichterstattung durch Köhler »mit dem Ethos eines Literaten im PEN unvereinbar«182 sei. In der Folge wurde von den auf der Jahrestagung 2002 in Darmstadt anwesenden Mitgliedern der Ausschluss des als IM »Heinrich« Enttarnten beschlossen.183 Den ersten Vorstoß in Sachen P.E.N. und Staatssicherheit hatte Friedrich Dieckmann bereits 1996 gewagt; er meldete sich unter Berufung auf die von Karl Corino herausgegebene Akte Kant mit einer ausführlichen »Akten-Lese« zu Wort.184 Die Titelwahl erscheint insofern etwas irreführend, als Dieckmann im wesentlichen die in Corinos Dokumentauswahl enthaltenen Hinweise auf das P.E.N.-Zentrum als Anknüpfpunkt für weiterführende Anmerkungen zu den oftmals nur angetippten Themenkomplexen nutzt; diese Anmerkungen allerdings 180
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Jochen Staadt: Ruhe im P.E.N.? In: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 3 (1997), S. 70–79, hier S. 70. Vgl. Martin Weskott: Hinter den Aktenbergen. Schriftsteller und Staatssicherheit am Beispiel Erich Köhler. Ein Forschungsbericht. Catlenburg 2002. Weskott: Hinter den Aktenbergen, S. 65. [dpa]: Konsequenz. Der Pen schließt Erich Köhler aus. In: Süddeutsche Zeitung 99 (29. 4. 2002), S. 15. Vgl. Friedrich Dieckmann: Deutsche PEN-Geschichten. Eine Akten-Lese. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 13–14 (1996), S. 42–54. Außerdem erschienen unter dem Titel: FriedrichDieckmann: PENNIANA SECRETA. Eine Akten-Lese.In: neue deutsche literatur2 (1996), S. 173–201 und in: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Autorenlexikon 1996. Zwischenbilanzen. Berlin [1996], S. 238–266. Karl Corino (Hg.): Die Akte Kant. IM »Martin«, die Stasi und die Literatur in Ost und West. Reinbek bei Hamburg 1995; dieser Band enthält reichhaltiges Quellenmaterial aus den Akten des Ministeriums für Kultur, die u. a. das P.E.N.-Zentrum der DDR betreffen. 39
enthalten eine Fülle an Detailwissen und Denkanstößen zur Position des P.E.N. im Staatssystem DDR. Ebenfalls 1996 ist Joachim Walthers umfassendes Werk zum Verhältnis von Literaturbetrieb und Staatssicherheit erschienen; ein Unterkapitel widmet er explizit dem P.E.N.-Zentrum DDR.185 Überaus hilfreich ist Walthers umfassende Kenntnis der BStU-Akten; er ordnet die ihm bekannten, P.E.N.-relevanten StasiZuträger in verschiedene Kategorien – Inoffizielle Mitarbeiter (IM) unter den Präsidiumsmitgliedern; Inoffizielle Quellen während der P.E.N.-Mitgliedschaft; Inoffizielle Quellen vor der P.E.N.-Mitgliedschaft; Offizielle Kontakte; IMVorläufe – und untermauert mit einigen prägnanten Zitaten aus dem Aktenmaterial dessen Brisanz. An den wenigen Beispielen verdeutlicht sich die versuchte Instrumentalisierung des P.E.N.-Zentrums DDR durch den Staatssicherheitsdienst. Die Arbeit der Zuträger zielte nicht nur auf die interne Überwachung des Zentrums durch Berichte über Generalversammlungen, Präsidiumssitzungen, persönliche Gespräche etc., sondern explizit auf die Überwachung und Beeinflussung des Internationalen P.E.N., auch in Kooperation mit dem sowjetischen Sicherheitsdienst KGB. Walthers abschließender Aufforderung zum genauen Aktenstudium Folge zu leisten, erscheint angesichts der Informationsfülle unerlässlich: »Es ist indes zu hoffen, daß die Historiographen der neu zu schreibenden Geschichte des P.E.N.-Zentrums der DDR das BStU-Archiv kräftig nutzen, damit die Schatten der Vergangenheit, ohne sie zu verdrängen, endlich weichen.«186 Eine erste ausführlichere Darstellung zur Aktenlage im BStU-Archiv in Bezug auf das P.E.N.-Zentrum der DDR lieferte im Jahr 2000 Therese Hörnigk mit ihrem Artikel »P.E.N. im Visier der Staatssicherheit«.187 Neben einer allgemeinen Einordnung der P.E.N.-Überwachung in die Struktur des Ministeriums für Staatssicherheit, benennt Hörnigk das Erkenntnis- und Sammelinteresse des Geheimdienstes in Bezug auf den P.E.N. differenziert, um schließlich Einblicke in die Ergebnisse ihres Aktenstudiums zu geben. Dabei richtet sie den Blick nicht nur auf die so genannten »Täter«-Akten, auf die v. a. in der Debatte um die Integrität der P.E.N.-Mitglieder in der DDR das Interesse abzielte, sondern verweist explizit auf die fließenden Übergänge zwischen Opfer- und Täter-Dasein. Wertvoll sind darüber hinaus Hörnigks kritische Überlegungen hinsichtlich des Aussagegehalts und der Verlässlichkeit der Unterlagen im BStU-Archiv. Die erste Auseinandersetzung mit der konkreten Einbindung des P.E.N.Zentrums in die organisatorischen Strukturen des SED-Staates nahm Jochen Staadt in seinem Aufsatz »Ruhe im P.E.N.?«188 vor. Anhand von Quellenmaterial aus der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR 185
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Vgl. Joachim Walther: Sicherungsbereich Literatur, insbes. das Kapitel zum PENZentrum der DDR, S. 801–815. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 815. Vgl. Therese Hörnigk: PEN im Visier der Staatssicherheit. In: Hanuschek et al. (Hg.): Schriftsteller als Intellektuelle, S. 249–268. Vgl. Staadt: Ruhe im P.E.N.?
im Bundesarchiv (SAPMO-BArch), Berlin, wies er für den Zeitraum 1970 bis 1980 an punktuellen Ereignissen nach, dass das P.E.N.-Zentrum keineswegs die autonome DDR-Sektion einer internationalen Organisation war, sondern vielmehr durch eine dreifache Bindung an die Organe des SED-Staates (Anleitung von Präsident und Generalsekretär durch die Kulturabteilung des ZK; SED-Mitglieder als Parteigruppe im P.E.N.-Zentrum der DDR; Inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes unter den P.E.N.-Mitgliedern) dessen stetige Kontrolle und Überwachung gewährleistet wurde: »Garantiert war auf diese Weise, daß das P.E.N.-Zentrum bis zum Ende staatstragend blieb und nicht aus dem Ruder lief.«189 Nahezu unaufgearbeitet erscheint die Entwicklung im P.E.N.-Zentrum nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur. Gleiches gilt für die nach dem Mauerfall aufkeimende Auseinandersetzung um den Umgang der beiden deutschen P.E.N.-Sektionen miteinander – Vereinigung, Fortbestand beider Zentren, Auflösung des Ost-P.E.N. und Aufnahme durch den P.E.N. der Bundesrepublik, Neugründung –, obgleich gerade diese, mindestens in den Anfängen der Debatten, ein ungeheures Medien- und damit öffentliches Interesse hervorgerufen hatte. Auf Emmerichs Randbemerkungen im Zusammenhang mit der Vereinigungsdebatte ist bereits hingewiesen worden. Friedrich Dieckmann streifte in einem kurzen Artikel von 1990 die Situation in der DDR-Sektion kurz vor und nach dem Mauerfall, allerdings nur mit Blick auf spezifische Details.190 Ein weiterer Aufsatz desselben Autors von 1995 kann mehr als parteiische Wortmeldung in der Debatte, denn als Versuch historischer Aufarbeitung begriffen werden. Allerdings kritisierte Dieckmann zu Recht die unvollständige Auseinandersetzung mit der Geschichte des P.E.N.Zentrums und wies auf Aspekte hin, die hinsichtlich der vielfach konstatierten Instrumentalisierung in eine umfassende Bewertung der DDR-Sektion einzubeziehen wären.191 Ans Ende der ein Jahr später publizierten »Akten-Lese« setzte Dieckmann lediglich einen Vermittlungsversuch zur Konfliktlösung, die er – mit eindeutiger Sympathiebekundung für das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) – aus den historischen Gegebenheiten herzuleiten versucht.192 Die konträren Argumentationen, die von den Verfechtern bzw. Gegnern einer Vereinigung beider Zentren ins Feld geführt wurden, zeichnete Dietger Pforte in
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Staadt: Ruhe im P.E.N.?, S. 78. Vgl. Friedrich Dieckmann: Der P.E.N., die Hochregale und die Utopie. Anmerkungen zu einem Schriftstellerclub. In: Freibeuter 45 (1990), S. 23–31, bes. S. 26f. und S. 28–30. Zuerst erschienen in: Der Morgen vom 25./26. 8. 1990. Vgl. FriedrichDieckmann: Die jakobinischeKrankheit. Anmerkungenzum deutschen PEN-Wesen. In: neue deutsche literatur 5 (1995), S. 176–181. Vgl. Dieckmann: PENNIANA SECRETA, S. 195–197. Er verfolgte hier dieselbe These wie schon in »Die jakobinische Krankheit«. Jochen Staadt qualifizierte Dieckmanns Ausdeutung der historischen Gegebenheiten als »Legende« ab. Vgl. Staadt: Ruhe im P.E.N.?, S. 70, Anmerkung 1. 41
seinem Aufsatz »Unvereint – vereint. Literarisches Leben in Deutschland«193 ohne weiterführende Schlussfolgerungen beispielhaft nach; dabei stützte er sich weitgehend auf die Wortmeldungen, die in einer Ausgabe der Zeitschrift europäische ideen aus dem Jahr 1995 dokumentiert sind.194 Einen Versuch, die Situation des P.E.N. in Deutschland nach 1990 differenziert darzulegen, hatte Dieter Schlenstedt – zu dieser Zeit Präsident des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) – bereits in einem Vortrag von 1996 vorgenommen.195 Dabei wählte er eine Darstellung, die die Situation des deutschen P.E.N. aus drei verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet: So zeichnete er kenntnisreich nicht nur den Umgang mit der eigenen Geschichte aus westlicher wie östlicher Perspektive und deren Konsequenzen für die zukünftige Existenz der Zentren nach, sondern reproduzierte zudem, nicht ohne Kritik zu üben, die medienwirksame Austragung der P.E.N.-Debatte und erläuterte die Reaktion und vermittelnde Einflussnahme des Internationalen P.E.N. auf die deutsch-deutsche Auseinandersetzung. Zwar sind bei der Auswertung des Textes Schlenstedts Sympathien für das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) nicht zu vernachlässigen. Die von ihm angeführten Thesen, die sich auf den Umgang mit der Geschichte des DDR-P.E.N. und den daraus zu ziehenden Konsequenzen befassen, sind jedoch, neben zahlreichen Hinweisen auf die Interna der Debatte, gewinnbringend in die Konzeption einer umfassenden Untersuchung einzubeziehen. Insgesamt lässt sich somit eine Beschäftigung mit dem P.E.N.-Zentrum in der DDR bzw. im Osten Deutschlands konstatieren, die zwar wesentliche Aspekte berührt. Ein umfassendes und differenziertes Bild von der Stellung des P.E.N.Zentrums im SED-Staat, eine Vorstellung von den sehr wohl zu vermutenden Entwicklungsstadien ermöglicht sie jedoch nicht. Was der P.E.N. in der DDR war, bleibt letztlich unklar. In einigen Beiträgen zeichnet sich eine auf ein reduktionistisches Argumentationsschema zulaufende Sicht der Dinge ab, nämlich auf die Konstatierung einer vollständigen Kontrolle und Lenkung des Zentrums durch die Einbindung in die organisatorischen Strukturen der SEDDiktatur. Dass die Überwachung und Anleitung des P.E.N.-Zentrums gegeben war, ist unzweifelhaft. Zu überlegen bleibt, ob diese Feststellung den kompromisslosen Schluss »P.E.N.-Zentrum der Diktatur« erlaubt oder ob nicht vielmehr eine Geschichte des »P.E.N.-Zentrums in der Diktatur« geschrieben werden sollte.196 Weitgehend unbeachtet bleiben zudem die Bezüge zum Internationalen P.E.N. – mit Ausnahme der Lenkungsversuche durch das Ministerium für Staatssicherheit –, ebenso wie die Qualität der Beziehungen zum P.E.N.Zentrum in der Bundesrepublik. Lediglich ein Aufsatz von Marion Brandt beschäftigt sich mit der gezielten Einwirkung des P.E.N.-Zentrums DDR auf die 193
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Vgl. Dietger Pforte: Unvereint – vereint. Literarisches Leben in Deutschland. In: neue deutsche literatur 1 (1996), S. 182–209, v. a. S. 188–191. Vgl. PEN-Stimmen. In: europäische ideen 94 (1995), S. 37–73. Vgl. Dieter Schlenstedt: Drei Geschichten vom PEN der letzten Jahre. In: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Autorenlexikon 1996. Zwischenbilanzen, S. 199–237. Vgl. hierzu Schlenstedt: Drei Geschichten, S. 230.
Position des polnischen P.E.N.-Zentrums innerhalb des Internationalen P.E.N. in den achtziger Jahren.197 Somit lässt sich die Geschichte der P.E.N.-Sektion im Osten Deutschlands als ein Forschungsdesiderat beschreiben, an das sich eine ganze Reihe von Fragen stellen lassen, deren Beantwortung aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades des P.E.N. – nicht zuletzt infolge der Aufsehen erregenden Debatten über die Zusammenführung der beiden deutschen Zentren – von allgemeinem Interesse sein dürfte. Damit besaß bislang Christa Dericums in den Verzeichnissen des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland bis ins Jahr 2000 fortgeschriebene Anmerkung mindestens für die P.E.N.-Sektion der DDR uneingeschränkte Gültigkeit: »Die beinahe fünfzigjährige Geschichte der beiden P.E.N.-Zentren in Deutschland ist noch nicht geschrieben worden.«198 Die Quellenlage für die vorliegende Untersuchung ist insgesamt als gut einzuschätzen. Ein historischer Überblick über die kultur- und literaturpolitischen Ereignisse in der DDR wurde anhand der einschlägigen Forschungsliteratur als Grundlage der weiteren Forschungsarbeiten erworben (siehe Literaturverzeichnis). Als fundamentale Basis der Darstellung diente das Archiv des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West /P.E.N.-Zentrums DDR /Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost); dieses ist zugänglich im Archiv Stiftung Akademie der Künste (SAdK), Berlin. Für die Recherchearbeiten konnte allerdings die digitalisierte Version des Bestandes genutzt werden, die in der Darmstädter Geschäftsstelle des heutigen P.E.N.-Zentrums Deutschland erstellt wurde und zur Auswertung uneingeschränkt zur Verfügung stand. Die Nachweise der benutzten Quellen folgen der digitalisierten Version mit genauer Pfadangabe (z. B. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/… bzw. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/…). Aufgrund der im P.E.N.-Archiv (Ost) enthaltenen Tagungs- und Präsidiumssitzungsprotokolle, Korrespondenzen und Materialien war es möglich, nicht nur ein Grobgerüst der Entwicklung des Zentrums zu erstellen, sondern auch differenzierte Abläufe zu rekonstruieren. Eine ausführliche Chronologie, angelegt unter Berücksichtigung des einschlägigen Quellenmaterials, zeichnet die Entwicklung des P.E.N.-Zentrums nach; darüber hinaus wurden die Präsidien für den gesamten Zeitrahmen der Untersuchung zusammenfassend dargestellt (siehe Anhang). Im Archiv Stiftung Akademie der Künste (SAdK), Berlin, liegen weiterhin Nachlässe von Schriftstellern bzw. Kulturfunktionären, die für die Bearbeitung der DDR-P.E.N.-Geschichte von Interesse waren. Gesichtet wurden die Nachlässe von Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Wieland Herzfelde, Alfred 197
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Vgl. Marion Brandt: »Eure kulturpolitischen Probleme können wir nicht lösen«. Dokumente zur Haltung des PEN-Zentrums DDR zu Polen (1981 bis 1988). In: DeutschlandArchiv 35 (2002) 4, S. 618–628. Christa Dericum: Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. In: P.E.N. Zentrum Deutschland. Autorenlexikon. Aktualisierte Neuauflage. Wuppertal 2000, S. 12–31, hier S. 27. Vgl. hierzu Dericum: Wächterrolle. In: P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon 1993, S. 32, ebenso in: P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon 1996, S. 38. 43
Kurella, Bodo Uhse und Arnold Zweig. Ergänzend wurde Einsicht genommen in das Archiv des Deutschen Schriftstellerverbands bzw. Schriftstellerverbands der DDR und die Nachlässe von Alexander Abusch, Martin BeheimSchwarzbach, Willi Bredel, Ingeborg Drewitz, Günther Weisenborn und Erich Wendt. Für die Untersuchung der staats- und parteibezogenen Kontrolle, Einflussnahme und direkten Steuerung sind als wesentliche Quellen die Aktenbestände der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch), Berlin, sowie der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), Berlin, herangezogen worden. Im SAPMO-BArch wurden relevante Akten des ZK der SED (Abteilung Kultur, Büro Kurella, Büro Hager), des Kulturbundes zu demokratischen Erneuerung Deutschlands (Sekretariat Wendt, Sekretariat Abusch, Büro Schulmeister) und des Ministeriums für Kultur (Büro Abusch, Büro Wendt) eingesehen. Die Durchsicht des P.E.N.-relevanten Materials bei der BStU konzentrierte sich auf die Akten der bekannten Hauptzuträger Fritz Rudolf Fries, Heinz Kamnitzer, Hermann Kant, Dieter Noll und Paul Wiens. Darüber hinaus eingesehen wurden Auszüge der Akten von Günter de Bruyn, Günther Cwojdrak, Günther Deicke, Peter Hacks, Stephan Hermlin, Walter Kaufmann, Rainer Kerndl, Ingeburg Kretzschmar, Christa Wolf und Arnold Zweig. In den meisten Fällen sind (gescheiterte) IM-Vorläufe bzw. Operative Vorgänge dokumentiert; Informationen mit P.E.N.-Bezug sind darin meist geringfügig bis inexistent. Die in der Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz (SBBPK) lagernden Nachlässe der langjährigen (geschäftsführenden) Präsidenten Johannes Tralow und Heinz Kamnitzer sind in die Recherche einbezogen worden. Der umfangreiche Nachlass Tralow zeigte sich sowohl im Hinblick auf einschlägiges P.E.N.-Material (Berichte über die P.E.N.-Arbeit, Kongress-Unterlagen, Mitgliedslisten etc.) als auch in Bezug auf die umfangreichen P.E.N.-relevanten Korrespondenzen sehr ergiebig. Der Nachlass des langjährigen Präsidenten Kamnitzer (1968/70–1989) indes erwies sich entgegen den Erwartungen aufgrund seiner noch ausstehenden archivarischen Aufarbeitung als wenig gewinnbringend. An dieser Situation hat sich bis zum Abschluss der Forschungsarbeit keine Veränderung ergeben. Ausgewertet wurde weiterhin der im Deutschen Literaturarchiv in Marbach/Neckar lagernde Nachlass des P.E.N.-Mitglieds Stephan Hermlin, der lange Jahre als Präsidiumsmitglied, seit Mitte der sechziger Jahre auch als Vizepräsident des Internationalen P.E.N. agierte. Von besonderem Interesse war dabei die von Hermlin geführte und einsehbare Korrespondenz. Der freundlichen Unterstützung von Franz Stadler verdankt die Autorin umfassende Auskünfte über die Quellenlage im Nachlass von Robert Neumann (Österreichische Nationalbibliothek, Wien), der in der Funktion eines internationalen Vizepräsidenten lange Jahre als Mittler zwischen Ost und West wirkte. 44
Mündlich überlieferte Informationen waren einer Reihe von Interviews zu entnehmen, die Therese Hörnigk im Rahmen ihrer in den neunziger Jahren begonnenen Forschungen mit verschiedenen Mitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR durchgeführt hat. In gedruckter Form liegen die Gespräche mit den langjährigen Mitgliedern Stephan Hermlin und Hermann Kant vor.199 Darüber hinaus standen der Autorin die Typoskripte zu Interviews mit Walter Kaufmann, Günther Deicke, Rainer Kerndl, Ernst Schumacher und Rita Schober zur Verfügung. Ein umfangreiches Gespräch hat die Autorin mit der langjährigen (General)Sekretärin des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, Ingeburg Kretzschmar, geführt. Insgesamt erwies sich die Verwendung solcher Oral History-Dokumente allerdings als nicht unproblematisch. Die Erinnerung an die P.E.N.-Geschichte ist naturgemäß subjektiv geprägt. Die historischen Details, die anhand des schriftlichen Quellenmaterials belegbar sind, bleiben in den rückblickenden Betrachtungen oftmals unklar. Akzentverschiebungen und unterschiedliche Gewichtungen einzelner Ereignisse sind zu berücksichtigen. Der Wahrheitsgehalt von Erinnerung bleibt an sich kaum überprüfbar.200 Gegenproben mit Hilfe anderer Quellen erwiesen sich, wo sie möglich waren, als unerlässlich. Von weiteren Zeitzeugengesprächen wurde aus diesem Grund abgesehen. Gleichwohl erlaubten die Interviews, insbesondere im Fall von Ingeburg Kretzschmar, einen lebendigen Einblick in die (lange) Jahre zurückliegende Geschichte des P.E.N.-Clubs und die Verifizierung mancher unsicherer, anhand der schriftlichen Belege gewonnenen Einschätzungen sowie den Abgleich mit den Erfahrungsberichten der Zeitzeugen. Die briefliche Kontaktaufnahme mit Heinz Kahlau, der als Sekretär der in den siebziger Jahren installierten Parteigruppe des P.E.N.-Zentrums fungierte, erbrachte einige Details, die sich mit der Aktenlage decken. Zu einem weiterführenden direkten Gespräch zeigte sich Kahlau jedoch nicht bereit. Zur Ergänzung des personenbezogenen Quellenmaterials diente die Auswertung von (Auto-)Biographien, Erinnerungen etc. (siehe Literaturverzeichnis). Von der Publikations- und Veranstaltungstätigkeit des P.E.N.-Zentrums zeugen diverse Almanache und Broschüren, für deren Herausgabe das P.E.N.Zentrum verantwortlich zeichnete; diese lagen vollständig vor, u. a. Deutsches Wort in dieser Zeit, … daß die Zeit sich wende, Cross-Section und Literatur im Zeitalter der Wissenschaft. Während der Laufzeit des DFG-Projektes ist eine umfassende Auswertung vornehmlich bundesdeutscher Zeitschriften und Zeitungen über den gesamten Untersuchungszeitraum (1948–1998) hinweg vorgenommen worden. Ausgewertet wurden dabei auch die Presse-Spiegel des Darmstädter P.E.N.-Zentrums. Das 199
200
Vgl. Therese Hörnigk: Interview mit Stephan Hermlin am 30. 9. 1995 über die Geschichte des PEN nach 1945. In: Zeitschrift für Germanistik NF VII 1 (1997), S. 140–154 sowie Hörnigk: Interview mit Hermann Kant über die Geschichte des PEN nach 1945 (8. 10. 1995). In: Zeitschrift für Germanistik NF VII 2 (1997), S. 357–371. Vgl. hierzu auch Renate Chotjewitz-Häfner: Zwischen den Stühlen. In: ChotjewitzHäfner und Gansel (Hg.): Verfeindete Einzelgänger, S. 22–30, hier S. 24. 45
zusammengetragene Material wurde der Autorin freundlicherweise von Sven Hanuschek zur Verfügung gestellt. Weitere Zeitungen und Zeitschriften, u. a. Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Frankfurt am Main und Leipzig), Aufbau, Weimarer Beiträge, PZ-Archiv, SBZ-Archiv und Deutschland-Archiv, sind von der Autorin gesichtet worden. Die unterschiedliche Herkunft des Quellenmaterials erschwert eine einheitliche Gestaltung der Nachweise, z. T. existieren nur unvollständige Quellenangaben. Aufgrund der Fülle von Artikeln war eine bibliographische Nach-Lese zur Ergänzung fehlender Angaben nicht konsequent durchführbar. Die Fundstellen werden bei der Zitierung immer so vollständig wie möglich nachgewiesen. Vom Autor der Darstellung zur Geschichte des bundesdeutschen P.E.N.Zentrums, Sven Hanuschek, wurden freundlicherweise weitere relevante Quellen überlassen. Als wesentliches Material für die Positionseinschätzung der DDRSektion im Internationalen P.E.N. standen die internationalen »Minute Books« (= Protokolle der internationalen Exekutiven) der Jahre 1951 bis 1990 zur Einsichtnahme bereit, die Hanuschek bei seinen Recherchen im Londoner P.E.N.Sekretariat für seine Forschungsunterlagen kopiert hatte. Weiterhin profitierte die Untersuchung zum DDR-P.E.N. von Hanuscheks Recherchen im Deutschen Literaturarchiv Marbach, die sich auf die Nachlässe bundesdeutscher P.E.N.Mitglieder konzentrierte. Hervorzuheben ist hier etwa der Nachlass von Kasimir Edschmid, der insbesondere für die Teilungsgeschichte der beiden deutschen P.E.N.-Zentren relevantes Material enthält. Darüber hinaus bot die von Hanuschek mit Blick auf den bundesdeutschen P.E.N. getroffene Auswahl der im P.E.N.-Archiv Darmstadt erhaltenen Korrespondenzen, Protokolle, Rundbriefe und anderer P.E.N.-Materialien aus den Jahren 1949 bis 1990 wichtige Informationen; diese ließen nicht nur Rückschlüsse auf das Verhältnis der beiden deutschen Zentren, sondern auch kritische Vergleiche mit den im P.E.N.-Archiv (Ost) enthaltenen Quellen zu. Die vorliegende Untersuchung basiert demzufolge auf umfassendem Quellenmaterial, dessen Ordnung und Sichtung eine differenzierte Rekonstruktion der P.E.N.-Geschichte im Osten Deutschlands möglich machte. Grundlegende Aufgabenstellung des Forschungsprojektes war somit die Erarbeitung einer historiographischen Darstellung des P.E.N.-Clubs in der DDR bzw. im Osten Deutschlands, von der Spaltung des gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrums 1951/53 bis zur Vereinigung mit dem P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1998. Von besonderer Bedeutung erscheint dabei die differenzierte Standortbestimmung für das P.E.N.-Zentrum innerhalb der Organisationsstrukturen der SED-Diktatur unter der expliziten Berücksichtigung seiner Einbindung in die internationale Vereinigung P.E.N.-Club, deren Charta alle Mitglieder auf humanitäre Ideale, insbesondere auf das Eintreten für die Meinungsfreiheit, verpflichtet. Aus diesem Anspruch heraus ergab sich zwangsläufig die Notwendigkeit einer kritischen Überprüfung, welche Bedeutung die Charta des Internationalen P.E.N. für die Arbeit des P.E.N.-Zentrums in der DDR eingenommen 46
hat. Die scharfen Vorwürfe, die an die Mitglieder des DDR-P.E.N. nach dem Mauerfall und in den Folgejahren gerichtet wurden, orientierten sich in erster Linie an den – so lautete die Anklage – Verstößen gegen die Grundsätze der Charta. Symptomatisch sei das Schweigen der Mitglieder zu den negativen Entwicklungen der DDR-Kulturpolitik. Die P.E.N.-Mitglieder in der DDR seien der Rolle als intellektuelle Beobachter und Kritiker ihres Staates keineswegs gerecht geworden, sondern hätten vielmehr die Instrumentalisierung des Zentrums durch den Staatsapparat zugelassen. Die geäußerten Vorwürfe gegen die DDR-Autoren weisen deutlich auf das Spannungsfeld »Geist und Macht«, das bei der Analyse diktatorischer Systeme beträchtliche Bedeutung erlangt. An die Intelligenz, im engeren Sinne an die Schriftsteller, werden hohe moralische Ansprüche gestellt – im Falle des P.E.N. verstärkt durch die in der Charta geforderten humanitären Ideale. Ausgehend von der vorausgegangenen differenzierten Erläuterung dieses übergreifenden Themenkomplexes, in die eine kritische Darlegung der Charta-Inhalte eingebunden worden ist, leitet ein Überblick zur Vorgeschichte, d. h. Wiederbegründung und Spaltung des gesamtdeutschen P.E.N.Clubs, auf die Geschichte des DDR-P.E.N. über. Kombiniert mit dem einleitend diskutierten Themenkomplex »Geist und Macht« lässt eine kritische Geschichte des P.E.N.-Zentrums in der DDR weit reichende Aufschlüsse über die Rolle des Schriftstellers im politisch-gesellschaftlichen Prozess der DDR zu. Ein Stück der Geschichte der Intellektuellen, mindestens der Literaten in der DDR kann damit nachgezeichnet werden und somit einen erhellenden Beitrag zur Diskussion um das oftmals diagnostizierte Versagen der Intellektuellen in der DDR leisten. Da die angestrebte Untersuchung einen Zeitraum von nahezu einem halben Jahrhundert umfasst und aufgrund der wechselvollen Geschichte, die sich an der mehrfachen Umbenennung des Zentrums ablesen lässt, kein statischer Befund zu erwarten war, ist für die Darstellung ein weitestgehend chronologischer Aufbau unter Berücksichtigung des unten erläuterten Bezugsrahmens gewählt worden. Für die Chronologie ergab sich – an den Interna des P.E.N.-Zentrums der DDR orientiert – eine grobe Aufgliederung durch die personellen Wechsel in den Ämtern des Präsidenten und des Generalsekretärs, mit diesen vollzog sich ganz natürlich ein Wandel im Charakter der (An-)Leitung des Zentrums; dies gilt in ähnlicher Weise für den Internationalen P.E.N.-Club. Als weitere Folie eignete sich zum einen die weltpolitische Entwicklung im Zeitraum von 1951 bis 1998, für die sich im P.E.N. – international wie national – erhebliche Auswirkungen auf die Atmosphäre feststellen ließen. Zum anderen musste die DDR-interne, insbesondere die (kultur)politische Vergangenheit herangezogen werden. Einschneidende Ereignisse auf kulturpolitischem Gebiet konnten u. a. zur Überprüfung der Handlungsweise des DDR-P.E.N. in Bezug auf repressive Maßnahmen des Staates dienen. Aufgrund der Einbindung in eine internationale Organisation, die für Vereinigungen der DDR als Besonderheit zu werten ist, ergab sich für die Darstellung ein dreifacher Bezugsrahmen, der vordergründig die Stellung im Staats47
system der DDR (1) erfasst, zugleich aber die Einbindung in den Internationalen P.E.N. (2) und – aufgrund der besonderen Situation in Deutschland nach der Gründung zweier deutscher Teilstaaten – das Bezugsfeld Deutsches P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) /P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland (3) berücksichtigt. (1) Innerhalb der Chronologie erschien eine fortwährende Standortbestimmung des P.E.N.-Zentrums im Staatssystem der DDR von grundlegender Bedeutung; diese sollte Aufschluss bieten über den jeweiligen Grad der staatlichen Anleitung und Kontrolle. Hierzu zählen nicht nur Entscheidungen über die personelle Zusammensetzung der Delegationen für Kongresse des Internationalen P.E.N. und Eingriffe in die Mitgliederzuwahl – über deren angebliche Freiheit dem P.E.N.-Zentrum seine autonome Sonderstellung bescheinigt wurde –, sondern auch die Installierung einer P.E.N.-internen Parteigruppe sowie die differenzierte Planung der Generalversammlungen. Gleichzeitig sollten mögliche Freiräume, ggfs. auch deren Nutzung, ausgelotet werden, um die Existenz und Arbeit der P.E.N.-Sektion in der DDR umfassend beschreiben zu können. (2) Gerade in Bezug auf die Instrumentalisierung des P.E.N.-Zentrums für staatliche Zwecke, etwa im Hinblick auf eine gesteigerte Anerkennung des DDRStaates auf internationaler Ebene, zeigte sich die Position der DDR-Sektion im Internationalen P.E.N. von besonderem Interesse; umgekehrt kann der Internationale P.E.N. als Seismograph der weltpolitischen Lage gelten – insbesondere zu Zeiten des Kalten Krieges. Gefragt werden musste nach der Stellung des DDR-P.E.N. im internationalen Raum, ebenso interessierte das Verhältnis zu einzelnen nationalen, (nicht)sozialistischen Zentren. (3) Eine genaue Analyse der Stellung zum P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik erhellte nicht bloß das von abwechselnd friedlicher Koexistenz bis engagierter Zusammenarbeit geprägte Verhältnis der beiden deutschen Zentren, sondern spiegelte zugleich den Stand der deutsch-deutschen Beziehungen wider; dies gilt insbesondere für die Vereinigungsdebatte der deutschen Zentren in Ost und West, die die Problematik der Annäherung nach Jahrzehnten getrennt erlebter Vergangenheit außerordentlich verdeutlicht. Unerlässlich zeigt sich darüber hinaus die Berücksichtigung der Tatsache, dass den P.E.N.-Zentren ein Großteil der Wirkungsmöglichkeiten aus dem Eigenengagement der Mitglieder erwächst. Daher war die Entwicklung der P.E.N.Sektion in der DDR nicht als reine Institutionen-, sondern zudem als Personengeschichte zu betrachten. Im Zentrum standen dabei in erster Linie die Präsidiumsmitglieder, deren Haltung maßgeblich für die Aktivität des Zentrums war. Die individuelle Einbindung einzelner Mitglieder in die Machtstrukturen wurde untersucht; dabei ist keine Anklage der Betroffenen, keine »Täterschelte« intendiert. Es war daran gelegen, Mechanismen des Machtapparates zu begreifen und äußere Eingriffe in spezifische Handlungsweisen zu verstehen. Die Kaderpolitik spielte hier eine wesentliche Rolle, ebenso wie die gezielten Lenkungsversuche 48
des Ministeriums für Staatssicherheit; gleichwohl musste die Diskrepanz zwischen Zielsetzung und Ergebnis abgeschätzt werden. In die Betrachtungen einbezogen werden mussten zudem die im Sinne der Charta geleisteten Widerstandshandlungen einzelner, verwiesen sei hier etwa auf Stephan Hermlin. Wesentlich erschien weiterhin die nähere Betrachtung der Stellung »unbequemer« Mitglieder im P.E.N., wie etwa Wolf Biermann oder Stefan Heym, sowie der westdeutschen Mitglieder, von denen durch die langen Jahre der deutschen Zweiteilung hindurch stets eine gewisse Anzahl existierte. Welche Chancen zur Mitarbeit boten sich ihnen, wie kann ihre Akzeptanz im Westen beurteilt werden? Ein letzter großer Fragenkomplex soll abschließend angedeutet werden: So bedurfte die Position des 1991 in Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) umbenannten P.E.N.-Zentrums der DDR in den Folgejahren des Mauerfalls einer differenzierten Betrachtung. Dargestellt wird zum einen der Umgang mit der eigenen Vergangenheit – auf die Einsetzung eines Ehrenrats zur Aufarbeitung und »Selbstaufklärung« sei nur verwiesen –, zum anderen die Entwicklung der Auseinandersetzungen um die Zukunft der beiden nebeneinander existierenden deutschen Zentren, um schließlich mit deren Vereinigung gleichsam zum Ausgangspunkt der Geschichte, nämlich einem gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrum zu gelangen. Am Ende der Untersuchung steht der Versuch, die theoretisch umschriebene Position des Schriftstellers kritisch mit den Realitäten einer Diktatur, speziell des SED-Regimes, abzugleichen. Welche (versäumten) Chancen der oppositionellen Aktivität gab es unter den gesellschaftspolitischen Bedingungen der DDR für die Schriftsteller, insbesondere für die P.E.N.-Mitglieder? Haben sie, mit Blick auf die internationale P.E.N.-Charta, die an sie gestellten Anforderungen erfüllt? Welches Bild des DDR-Intellektuellen ergibt sich aus der Analyse der P.E.N.-Geschichte? Lassen sich die vorausgehend referierten Typologisierungen der DDR-Schriftsteller bestätigen? Müssen sie modifiziert oder gar neu kategorisiert werden? Bevor aber solche Rückschlüsse gewonnen werden können, muss zunächst der Blick auf die Geschichte des P.E.N.-Clubs im Osten Deutschlands freigegeben werden.
49
2.
Vorgeschichte (1946–1950)1
2.1
Engagement für die Wiederaufnahme deutscher Schriftsteller in den Internationalen P.E.N.
Nicht erst die Formierung zweier deutscher Staaten im Jahre 1949 ließ das P.E.N.-Zentrum Deutschland in seiner Einigkeit wanken. Schon die zonale Aufteilung Deutschlands nach den Vorstellungen der vier Siegermächte, die in der Folge nicht bloß geographische als vielmehr hinreichend ideologische Bedeutung erlangte, hinterließ ihre Spuren in der Wiederbegründungsgeschichte des deutschen P.E.N.-Clubs. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges orientierte sich die Wohnortswahl der in Deutschland gebliebenen und der aus dem Exil zurückkehrenden Schriftsteller u. a. an den politischen Realitäten in den Besatzungszonen. Maßgeblich für die Entscheidungsfindung war für viele sicherlich – neben der individuellen Heimatverbundenheit – die mehr oder minder stark ausgeprägte, eigene politische Orientierung. Während die westlichen Alliierten eine Demokratisierung nach eigenem Vorbild und die Errichtung der freien Marktwirtschaft für Deutschland anvisierten, zielten die Maßnahmen der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) von Beginn an auf eine gesellschaftliche Neuordnung in Anlehnung an das Muster der zentralistisch ausgerichteten Sowjetunion. Dementsprechend wurde bei der gegenseitigen Einschätzung der Literaten in der Folge nicht selten die äußere Existenzform der inneren Überzeugung gleichgesetzt. Die kritische Auseinandersetzung mit den Kollegen orientierte sich oftmals nicht an den literarischen oder publizistischen Leistungen, sondern driftete in einen ideologischen Schlagabtausch ab. Diese Entwicklung lässt sich gerade am Beispiel der Wiederbegründung und letztendlichen Teilung des P.E.N.-Zentrums Deutschland eindrucksvoll belegen. Doch zunächst, 1946, herrschte beinahe einmütiges Engagement in dem Bemühen um die Reintegration der deutschen Schriftsteller in die internationale Schriftstellervereinigung der Poets Essayists and Novelists. Anstöße zur Auf-
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Die Wiederbegründungs-und Teilungsgeschichtedes deutschenP.E.N.-Zentrumsnach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird im Folgenden nur skizziert. Minutiöse Ausführungen finden sich in Aufsätzen, sowie dem Beitrag zum DFG-Projekt Geschichte des deutschen P.E.N. von Christine Malende. Vgl. hierzu: Malende: Die »Wiedererrichtung« und Trennung des P.E.N.-Zentrums Deutschland. 1946/48 bis 1951/53. In: Zeitschrift für Germanistik NF V (1995), S. 82–95; Maldende: Berlin und der P.E.N.-Club. In: Ursula Heukenkamp (Hg.): Unterm Notdach, S. 89–128.
nahme der Bemühungen um die Errichtung eines deutschen Zentrums kamen von verschiedenen Seiten: Ein Ausgangsort der Bestrebungen zur Wiederbegründung eines deutschen P.E.N.-Zentrums, dessen Annullierung auf den denkwürdigen Kongress von Ragusa (1933) zurückzuführen ist, war Gauting in der Nähe von München: Dort trafen sich im September 1946 die Schriftsteller Curt Thesing, Johannes von Günther und Johannes Tralow, um eine »lose[ ] Arbeitsgemeinschaft zum Zwecke der Wiederaufrichtung der Deutschen Gruppe des P.E.N.«2 zu begründen. Diese nahm in der Folge Kontakt mit der Londoner Zentrale des Internationalen P.E.N. auf und erwartete den Anschluss von Erich Kästner, Rudolf Schneider-Schelde und Leo Weismantel. Vorausgegangen war dieser Zusammenkunft zum einen ein Briefwechsel zwischen Johannes Tralow und dem internationalen Generalsekretär Herman Ould3 , zum anderen eine Aktion des P.E.N.Clubs Deutscher Autoren im Ausland (Sitz London), dessen Mitglieder auf dem 18. Kongress des Internationalen P.E.N. in Stockholm (Juni 1946) auf Anregung von Alfred Kerr eine Resolution eingebracht hatten. Darin wurde der Kongress aufgefordert, die Möglichkeiten zur Wiedereinrichtung eines P.E.N.-Zentrums in Deutschland selbst zu erforschen.4 Als weiterer Mitstreiter meldete sich im Juli aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) der kulturpolitisch aktive Johannes R. Becher – Gründungsmitglied der deutschen Exilgruppe des P.E.N., Präsident des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und Mitglied des Parteivorstandes der SED – in einem Brief an Ould zu Wort: Namens und im Auftrag der deutschen Schriftsteller Herbert Eulenberg, Erich Kästner, Ilse Langner, Dr. Rudolf Pechel, Theodor Pli[e]vier, Günther Weisenborn, Ernst Wiechert erlaube ich mir, Ihnen die Frage vorzulegen, ob die deutsche Gruppe im PEN-Klub die Absicht hat, diese Gruppe entweder neu zu gründen oder neu zu beleben. Wir würden es von jedem Standpunkt aus nur begrüßen, wenn diese Gruppe wieder aktiv arbeiten würde.5
Aus London schlugen Herman Ould und das Vorstandsmitglied des P.E.N.Klubs Deutscher Autoren im Ausland, Wilhelm Sternfeld, übereinstimmend vier neu zu bildende, deutsche Gruppen vor – Berlin, Hamburg, München und Köln; bei der Auswahl der Gründungsmitglieder sei größte Sorgfalt notwendig.6 Die sich daraufhin im Januar 1947 formierende Münchener Vereinigung des Inter-
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Notiz zum Treffen vom 10. 9. 1946 in Gauting bei München. Unterzeichnet von Curt Thesing, Johannes von Günther und Johannes Tralow. SBBPK NL Tralow K 86 M 34. Vgl. Johannes Tralow: Gelebte Literatur. Autobiographische Skizze [Juni 1958]. In: Tralow (Hg.): Der Beginn. Berlin 1958, S. 7–79, hier S. 67. Vgl. Wilhelm Sternfeld: Die Arbeit des P.E.N.-Clubs. In: Die Neue Zeitung vom 4. 10. 1946 (Beilage). Johannes R. Becher an Herman Ould [26. 7. 1946]. SAdK Berlin Johannes R. BecherArchiv S 1210. Zitiert nach Malende: Die »Wiedererrichtung«, S. 83. Protokoll der Gründungssitzung [12. 1. 1947]. SBBPK NL Tralow K 86 M 35. 51
nationalen P.E.N. Clubs7 , zu der mit Curt Thesing und Johannes Tralow, Erich Penzoldt, Rudolf Schneider-Schelde, Erich Kästner, Hans Rupé und Paul Eipper ausschließlich Einwohner der Westzonen zählten, reichte den Lizenzantrag ihrer Gruppierung bei der amerikanischen Militärregierung ein und formulierte als »Zweck der Vereinigung […] die Errichtung eines Zentrums des ›internationalen P.E.N. Clubs, eines Weltzusammenschlusses von Schriftstellern‹ in München.«8 Bei der Gründungsversammlung hatte man sich darauf geeinigt, die Gruppe bis zur Lizenzerteilung und Zulassung durch den Internationalen P.E.N. auf die genannten sieben Mitglieder – »unbeschadet weiterer Vormerkungen«9 – unter provisorischer Geschäftsleitung durch Johannes Tralow zu beschränken. Wenige Tage später konstatierte Tralow die Billigung des Lizenzantrags durch den Leiter der amerikanischen International Control Division (ICD)10 , Oberst Mac Mahon, in einem Schreiben an Ould und richtete an ihn den folgenden Antrag mit Bitte um Weiterleitung an das Exekutiv-Komitee des Internationalen P.E.N.: Der P.E.N.-Club wolle genehmigen, die erwähnten sieben ehemaligen Mitglieder des P.E.N.-Clubs, vorläufig ›Münchener Vereinigung ehemaliger Mitglieder des P.E.N.Clubs‹ genannt, sowohl als Einzelmitglieder wie auch insgesamt als Münchener Zentrum des P.E.N.-Clubs anzuerkennen.11
Auf dieses Ansinnen reagierte man in London wenig eindeutig: Wilhelm Sternfeld monierte den zu späten Eingang der Eingabe; sie könne in der kommenden Sitzung des Exekutiv-Komitees nicht mehr vorgelegt werden.12 In einem weiteren Schreiben forderte Sternfeld den provisorischen Geschäftsführer auf, »diejenigen Kollegen mit Namen und Adressen in der englischen, amerikanischen und französischen Zone einzuschicken, die nach Meinung der Geschäftsleitung für ein P.E.N.-Zentrum in Deutschland in Frage kommen würden«13 . Herman Oulds Reaktion muss eher als vornehme Zurückhaltung interpretiert werden. Tralow berichtete:
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Vgl. Protokoll der Gründungssitzung [12. 1. 1947]. SBBPK NL Tralow K 86 M 35. Unterzeichner:Johannes Tralow, Curt Thesing (durch Tralow), Hans Rupé (durch Tralow), Ernst Penzoldt, Rudolf Schneider-Schelde, Erich Kästner, Paul Eipper (Bern) (angeführt, aber ohne Unterschrift). Protokoll der Gründungssitzung [12. 1. 1947]. SBBPK NL Tralow K 86 M 35. Protokoll der Gründungssitzung [12. 1. 1947]. SBBPK NL Tralow K 86 M 35. Der ICD gehörten jene amerikanischen Besatzungsoffiziere an, die für die gezielte Überwachung der deutschen Medien, Kultur und Öffentlichkeit eingesetzt worden waren. Johannes Tralow an Herman Ould [19. 1. 1947]. SBBPK NL Tralow K 86 M 35. Vgl. Bericht der provisorischen Geschäftsleitung der Vereinigung ehemaliger Mitglieder des P.E.N. [d. i. Johannes Tralow]. [o. D., vermutlich vor dem 16. 3. 1947]. SBBPK NL Tralow K 86 M 34. Bericht der provisorischenGeschäftsleitungder Vereinigungehemaliger Mitgliederdes P.E.N. [d. i. Johannes Tralow]. [o. D., vermutlich vor dem 16. 3. 1947]. SBBPK NL Tralow K 86 M 34.
Die Bildung der deutschen Gruppe bzw. Gruppen ist noch in der Schwebe. Nach der Auskunft Oulds ist man in London übereingekommen, den deutschen P.E.N. noch nicht formell zu wählen und weitere Untersuchungen dieser Fragen stattfinden zu lassen. Daher erklärt sich auch ein gewisses Hin und Her: Zuerst sollte es Berlin, Hamburg, München, Köln sein, dann wurden auch Frankfurt und Freiburg/E. genannt. Zuerst sollten nach Oulds Wunsch die Gruppen klein sein, jetzt ist dagegen eine Ausweitungstendenz zu beobachten.14
Allen Ungereimtheiten zum Trotz beschloss die Münchener Vereinigung bereits auf der folgenden Sitzung im März 1947, die Gruppe durch die Aufnahme ehemaliger Mitglieder des P.E.N. und anderer geeigneter Kandidaten – u. a. durch Kontaktaufnahme mit Hans Leip und Otto Flake – auszuweiten.15 Die aufzufordernden Personen »soll[t]en gebeten werden um a) Betroffenheitskarte b) Kurzer Bericht über politisches Verhalten c) Liste der Hauptwerke«16 . Anlässlich des I. Deutschen Schriftstellerkongresses in Berlin (Oktober 1947), der zu einer »aggressive[n], den Stil des Kalten Krieges aufnehmende[n] Kontroverse«17 zwischen den deutschen Schriftstellern geraten war, kam es zu einer ersten »P.E.N.-Besprechung«18 ; diese war von dem als Gast des Kongresses anwesenden Herman Ould angeregt worden: Es liegen noch eine Reihe technischer Probleme an, die nach meiner Auffassung nicht auf einem Treffen wie diesem behandelt werden sollten. Aber ich stehe Ihnen als Ratgeber und als Abgeordneter Ihres Komitees oder als Berater von irgend jemandem von Ihnen in den nächsten Tagen zur Verfügung, um Ihre Fragen zu beantworten, Mitteilungen zu machen und zu helfen, so gut ich kann.19
Zuvor hatte er in der Ansprache an den Kongress seine Haltung zu den deutschen Schriftstellern mit deutlichen Worten hervorgehoben: Und wenn Sie in den Zeitungen lesen – was Sie vielleicht schon getan haben – oder im Rundfunk hören – was Sie vielleicht schon gehört haben, daß ich aus diesem oder jenem Grunde Deutschland aus dem PEN-Club heraushalten will, dann werden Sie 14
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Bericht der provisorischenGeschäftsleitung der Vereinigungehemaliger Mitglieder des P.E.N. [d. i. Johannes Tralow]. [o. D., vermutlich vor dem 16. 3. 1947]. SBBPK NL Tralow K 86 M 34. Hier berichteteTralow auch über die Bildung einer Hamburger Gruppe um Hans Leip und Walther von Hollander. Vgl. Sitzungsprotokoll [16. 3. 1947]. SBBPK NL Tralow K 86 M 35. Anwesend waren Erich Kästner, Ernst Penzoldt, Rudolf Schneider-Schelde und Johannes Tralow. Sitzungsprotokoll [16. 3. 1947]. SBBPK NL Tralow K 86 M 35. Enthalten ist hierin auch die »Liste der aufzufordernden ehemaligen Mitglieder« sowie die »Liste der nicht ehemaligen Mitglieder«. Ursula Heukenkamp: Der Beitrag der Berliner Schriftsteller zur Spaltung des PENZentrums Deutschland. In: Weimarer Beiträge 38 (1992) 3, S. 340–353, hier S. 341. Vgl. hierzu auch: Anneli Hartmann und Wolfram Eggeling: Kontroverse Ost/West. Der I. Deutsche Schriftstellerkongreß – ein Beginn des kalten Krieges. In: IASL 17 (1992) 1, S. 66–92; Ursula Reinhold, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger (Hg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß4.–8. Oktober 1947. Protokoll und Dokumente. Berlin 1997. Tralow: Gelebte Literatur, S. 69. Herman Ould: [Begrüßung 5. 10. 1947]. In: Reinhold et al. (Hg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, S. 129–131, hier S. 131. 53
jetzt wissen, daß das nicht wahr ist. Es ist mein sehnlichster Wunsch, daß der deutsche PEN-Club sobald wie möglich in Deutschland neu formiert werden sollte. Und ich bin ganz sicher, daß die lediglich in London existierende Gruppe nur zu glücklich sein wird, wenn das erreicht werden kann.20
Tralow erinnerte sich mit einigem Unbehagen an jenen »Dilettantenzirkel« von »[e]twa zwanzig Damen und Herren«: »Man mußte sich Reden anhören, die gänzlichen Mangel an Sachkenntnis durch nicht gerade neue Phrasen zu ersetzen trachteten und dann ging man naiv daran, in Gegenwart des zuständigen internationalen P.E.N.-Sekretärs bereits die Posten und Ämter des deutschen P.E.N.Zentrums zu besetzen … das es noch gar nicht gab.«21 Und durchaus von sich überzeugt setzt er hinzu: »Daß von den Anwesenden heute nur zwei und nicht mehr P.E.N.-Mitglieder sind, sagt wohl alles. Diese zwei sind Weisenborn und ich, beide auf internationaler Basis als Gründungsmitglieder gewählt.«22 Gänzlich erfolglos konnte die Zusammenkunft wiederum nicht gewesen sein. In der Presse findet sich ein Hinweis, wonach sowohl Wilhelm Unger vom P.E.N.-Klub Deutschsprachiger Autoren im Ausland, als auch Herman Ould positive Zeichen setzten mit der Erklärung, »daß der deutsche Pen-Klub in absehbarer Zeit eine Realität werden und die Isolierung der deutschen Schriftsteller aufgehoben werden müsse«23 . Der langjährige Generalsekretär des Internationalen P.E.N. schlug nunmehr öffentlich in Übereinstimmung mit dem ebenfalls anwesenden Wilhelm Sternfeld die Bildung von vier deutschen Gruppen in den Städten Berlin, Hamburg, München und Köln unter umsichtiger Auswahl von Mitgliedern vor.24 Mindestens auf internationaler Ebene waren damit die Dinge in Bewegung geraten – zugunsten der deutschen Schriftsteller. Neben diesem Ausweitungsauftrag auf deutscher Ebene sollte die Tuchfühlung mit den internationalen Sektionen des P.E.N. ganz konkret wieder aufgenommen werden: Im Vorfeld des internationalen P.E.N.-Kongresses in Zürich (Juni 1947) berichtete Max Rychner an Stephan Hermlin, dass man in London beschlossen habe, »von Österreich zwei, von Deutschland drei Persönlichkeiten 20 21 22 23
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Reinhold et al. (Hg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, S. 131. Tralow: Gelebte Literatur, S. 69. Tralow: Gelebte Literatur, S. 69. [o. V.]: Die Schriftsteller für den Frieden. In: Nacht-Express (Berlin) vom 9. 10. 1947. Ein Feature des Deutschlandfunks vom 5. 12. 2001 befasste sich mit der Formierung eines P.E.N.-Zentrums in der Bundesrepublik Deutschland. Im Original-Ton war hier auch Unger zu hören: »Frau Ricarda Huch war für viele von uns in der Emigration die Stimme dessen, was wir da draußen manchmal das heimliche Deutschland, manchmal das andere Deutschland nannten. Ricarda Huch ist, wie Sie wissen, von dem Sprachrohr des PEN-Clubs London, von Thomas Mann als eine zukünftige Präsidentin des deutschen PEN-Clubs genannt worden, und wir alle hoffen, daß es zu dieser Gründung bald kommt und daß Ricarda Huch uns die Ehre geben wird, diesen Posten auszufüllen – Beifall.« Ricarda Huch starb noch im November 1947. Zitiert nach Marianne Weil: Geschichte aktuell: Kalter Krieg der Literaten. Vor 50 Jahren: Der PEN für Westdeutschland formiert sich, S. 2. Gesendet in der Reihe »Hintergrund Politik« am 5. 12. 2001 im DeutschlandRadio. [o. V.]: Die Schriftsteller für den Frieden. In: Nacht-Express (Berlin) vom 9. 10. 1947.
einzuladen, nicht mehr, auf daß dann die Neugründungen erfolgen. An diesem von den Delegierten so vieler Nationen gefaßten Beschluß ist wohl nicht zu rütteln.«25 Tatsächlich hatte man auf einer Sitzung des Exekutiv-Komitees die Bitte an das Schweizer P.E.N.-Zentrum gerichtet, die Einladung der deutschen Vertreter Johannes R. Becher, Erich Kästner und Ernst Wiechert zum Kongress in der Schweiz zu übernehmen.26 Die Genannten nahmen am Züricher Kongress teil, der sich in einer ganztägigen, der »dramatischste[n] und wesentlichste[n]«27 Sitzung – so der Berichterstatter der Neuen Zeitung – nach einem Antrag des leitenden Ausschusses mit der Frage der Wiedererrichtung eines deutschen Zentrums beschäftigen musste; man kam jedoch – trotz Thomas Manns vehementem Plädoyer für eine Beendigung der Isolierung Deutschlands vom Rest der Welt28 – zu keiner endgültigen Entscheidung. Im Laufe der kontroversen Diskussion, die »zeitweise eine bedrohliche Trennung der Geister über die ›deutsche Frage‹ anzuzeigen«29 schien, äußerten vor allem die Mitglieder der im Zweiten Weltkrieg von deutschen Truppen besetzten Staaten, etwa Max Deauville aus Belgien und der französische Delegierte Vercors [d. i. Jean Bruller]30 , ernsthafte Bedenken ob der Vertrauenswürdigkeit der Deutschen und forderten bei Zulassung mindestens 25
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Max Rychner an Stephan Hermlin [16. 3. 1947]. In: Silvia Schlenstedt (Hg.): Briefe an Hermlin 1946–1984. Berlin und Weimar 1985, S. 5–7, hier S. 7. Vgl. Sitzungsprotokoll [16. 3. 1947]. SBBPK NL Tralow K 86 M 35. Die Einladung erfolgte bereits am 17. Februar durch ein Schreiben von Herman Ould. Becher antwortete am 25. 2. 1947 voller Zuversicht: »Ich bin der Ansicht, daß die Teilnahme der deutschen Autoren von Vorteil sein wird für die Bereinigungder internationalenAtmosphäre, und gerade durch persönliche Begegnung und Aussprache wird sich zweifellos wieder eine Basis gegenseitigenVertrauensherstellenlassen.Ich danke Ihnen und Ihren Mitarbeitern aufs herzlichste dafür, daß Sie auch mich ausersehen haben, an dieser wichtigen Friedensarbeit teilzunehmen.« Zitiert nach Rolf Harder (Hg.): Johannes R. Becher. Briefe 1909–1958. Berlin und Weimar 1993, S. 323. [o. V.]: Arbeit für die Verständigung. Bildung einer deutschen PEN-Club-Gruppe beschlossen. In: Die Neue Zeitung 46 (9. 6. 1947). Vgl. hierzu auch Margaret Storm Jameson: Writers in Conflict. Nationalism at P.E.N. Conference. In: The Manchester Guardian Week [o. A.], enthalten in SBBPK NL Tralow K 86 M 35: »Zurich was sweltered in an abnormal heat, and delegates in shirtsleeves lost patience and tempers.« Thomas Mann entwickelte in seiner Rede seine Vorstellung des neu zu begründenden deutschen P.E.N.-Zentrums: »Als Präsidenten schlug er Ricarda Huch vor, die er als eine ›stolze, aufrechte Frau‹ bezeichnete. Als Mitglieder, für die er selbst einstehen könne, nannte er die drei anwesenden deutschen Vertreter Becher, Kästner und Wiechert, außerdem Anna Seghers, Ernst Penzoldt, Karl Jaspers, Manfred Hausmann, Hans Reisiger, Bernhard Kellermann, Friedrich Wolf, Karl Barth, W. E. Süskind, Theodor Plievier und Fritz von Unruh.« [o. V.]: Arbeit für die Verständigung. Bildung einer deutschen PEN-Club-Gruppe beschlossen. In: Die Neue Zeitung 46 (9. 6. 1947). Vgl. b-i [d. i.?]: Internationaler PEN-Kongress in Zürich. In: Aufbau 7 (1947) (ursprünglich erschienen in Neue Züricher Zeitung vom 5. 6. 1947), S. 71–73, hier S. 71f. Vercors war von Hause aus Graphiker, schrieb während der Résistance das Buch Le silence du Fromage, das nach Robert Neumanns Bekunden ein großer Erfolg ge55
»erhebliche Restriktionen und Kontrollen«31 . Als besondere Fürsprecher erwiesen sich der Präsident des P.E.N.-Klubs deutscher Autoren im Ausland, Hermann Friedmann, und die englische Delegierte Phyllis Bentley: »[J]ede Verzögerung [sei] gefährlich, ja ein Gift für die ganze Welt.«32 Schließlich fasste man in einer ersten Abstimmung den grundsätzlichen Beschluss, dass die Errichtung eines deutschen P.E.N.-Clubs prinzipiell gutzuheißen sei. Der Kongress entschied nach einer längeren Debatte über ein notwendig durchzuführendes Kontrollund Prüfungsverfahren, »daß deutsche Autoren, die dem Hitlerregime Widerstand entgegengesetzt haben, künftighin wieder in den Club aufgenommen werden und an seinen Tagungen teilnehmen können.«33 Jedoch sei die »Frage der Wiederaufnahme der Deutschen in den P.E.N. ernsthaft zu untersuchen und zu diesem Zweck eine vorbereitende Kommission« zu bestellen: [U]nd zwar hatten die drei slavischen Zentren (Polen, Tschechoslowakei, Jugoslavien) ein Mitglied zu entsenden, ebenso die drei skandinavischen Zentren (Dänemark, Norwegen, Schweden) und die drei Zentren Frankreich, Holland und Belgien. Ausserdem [sic] hatte das Londoner Zentrum deutscher Schriftsteller im Ausland eine Stimme, dazu ein deutscher Schriftsteller und der Vorsitzende internationale Secretär [sic] Herman Ould.34
Auftrag der »Kontrollkommission für deutsche Dichter«35 war es, jeden einzelnen Antrag auf Mitgliedschaft einer besonderen Prüfung auf politische Integrität zu unterziehen und eine Entscheidung über die (Nicht-)Aufnahme herbeizuführen. Vorausgegangen war diesem Beschluss eine engagierte und viel beachtete Rede Johannes R. Bechers, in deren Verlauf er in der Rolle des nach Deutschland zurückgekehrten, von der deutschen Nachkriegsrealität eingeholten Exilanten zu den internationalen Kongressteilnehmern sprach. Becher brachte den
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wesen war. Vgl. Robert Neumann: Ein leichtes Leben. Bericht über mich selbst und Zeitgenossen. Berlin und Weimar 1975, S. 103. b-i [d. i.?]: Internationaler PEN-Kongress in Zürich. In: Aufbau 7 (1947) (ursprünglich erschienenin Neue Züricher Zeitung vom 5. 6. 1947), S. 71–73, hier S. 72. Mit einer sarkastischenAnmerkung beantwortete Erich Kästner in einem Artikel in der Neuen Zeitung vom 23. Juni 1947 Vercors’ Vorwurf, die »antifaschistischen Schriftsteller[]« hätten geschwiegen,statt offensiv das Wort gegen das Regime zu ergreifen: »Nun, wenn sie das getan hätten, dann hätte man sich im Züricher Kongreßhaus über ihre Aufnahme in den PEN-Club nicht mehr den Kopf zu zerbrechen brauchen …« Erich Kästner: Die deutsche Frage. Abgedruckt in: Aufbau 8 (1947), S. 138f., hier S. 138. b-i [d. i. ?]: Internationaler PEN-Kongress in Zürich. In: Aufbau 7 (1947), S. 71–73, hier S. 72. [o. V.]: Arbeit für die Verständigung. Bildung einer deutschen PEN-Club-Gruppe beschlossen. In: Die Neue Zeitung 46 (9. 6. 1947). [Johannes Tralow?]: Bericht über die Bestrebungen, ein PEN-Zentrum Deutschland zu errichten [o. D., nach der Gründungsversammlung Göttingen, November 1948]. SBBPK NL Tralow K 86 M 36. Zur Einrichtung einer Kontrollkommission vgl. u. a. Henri Membré [Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums Frankreich]: Der Kongreß des PEN-Klubs in Zürich. In: Nouvelles de France (Deutsche Ausgabe) 529 (20. 6. 1947). b-i [d. i.?]: Internationaler PEN-Kongress in Zürich. In: Aufbau 7 (1947), S. 71–73, hier S. 72.
Vertretern der von Hitlertruppen besetzten Länder seine bedauernde Anteilnahme entgegen und warb zugleich für die »demokratischen Kräfte in Deutschland«36 . Dabei nahm er nicht nur Bezug auf die zurückgekehrten antifaschistischen Exilanten, sondern verwies auf diejenigen, die in Deutschland geblieben waren und dort z. T. unter großer Gefahr dem NS-Regime Widerstand geleistet hatten; diese müssten mit dem internationalen Leben wieder in Kontakt gebracht werden. Eine solche Verbindung könne und müsse auch der P.E.N.-Club schaffen: »Die Schriftsteller, die sich bewährt haben, sollen herausgelöst werden aus der unheilvollen Isolierung, um ihnen und damit auch den besten Kräften des deutschen Volkes den Zugang zur Welt wieder zu schaffen.«37 Uneingeschränkte Einigkeit mit dieser Haltung lässt sich für Kästners unter dem Eindruck des Kongresses formulierten Artikel »Die deutsche Frage« konstatieren; er forderte mit Nachdruck die Aufhebung der »faktische[n] und geistige[n] Quarantäne Deutschlands«38 : Es ist nicht nur ungerecht, [die Deutschen] unter einer Glasglocke im Vakuum festzuhalten, sondern es ist ein Fehler! Man hebe die verhängnisvolle Quarantäne auf, und man wird sehen, welche Früchte eine solche demokratische Maßnahme zeitigen wird.39
Ernst Wiechert hatte die Delegierten ebenso wie Becher mit Eindringlichkeit und Nachdruck, die nicht bloß zwischen den Zeilen zum Ausdruck kamen, um eine rasche Entscheidung gebeten: »Do not put it a long way; we cannot wait a long way. Make some haste to it and give us the feeling that after so many years we may enter again the great house of humanity.«40 Bechers Rede verfehlte ihre Wirkung nicht: Eine Erklärungsgrundlage für die Entscheidung der Delegierten, allem Misstrauen zum Trotz deutsche Schriftsteller wieder in den Internationalen P.E.N. aufzunehmen, kann aus einer Äußerung des französischen Generalsekretärs, Henri Membré, abgeleitet werden. Die Delegierten hätten eine schwere Verantwortung zu tragen, aber die »Furcht vor einer schweren Ungerechtigkeit gegenüber den wenigen Schriftstellern dieses Lan36
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Die ganze Wahrheit. Rede von Johannes R. Becher auf der PEN-Club-Tagung in Zürich. In: Aufbau 7 (1947), S. 73f., hier S. 74. Abgedruckt in: Johannes R. Becher: Publizistik III 1946–1951. (Johannes R. Becher-Archiv der Akademie der Künste (Hg.): Johannes R. Becher. Gesammelte Werke Bd. 17) Berlin und Weimar 1979, S. 163–166. Die ganze Wahrheit, S. 74. Offenbar war diese Rede nicht von vorneherein geplant gewesen: »Nach einer anstrengenden Pannenfahrt gelangte ich, […] nach eineinhalb Tagen und einer Nacht nach Meersburg und kam am 3. Juni in Zürich zum PENClub-Kongreß, wo ich […] durch die Rede Vercors veranlaßt wurde zu sprechen, was zunächst ganz und gar nicht in meiner Absicht lag.« Johannes R. Becher an Hans Staas [26. 6. 1947]. In: Harder (Hg.): Becher. Briefe 1909–1958, S. 340. Auch in einem Interview zur P.E.N.-Tagung in Zürich folgte Becher dieser Version einer ganz und gar spontanen Rede. In: Becher: Publizistik III 1946–1951, S. 610–612, vgl. v. a. S. 612. Erich Kästner: Die deutsche Frage. In: Aufbau 8 (1947), S. 138f., hier S. 139. Kästner: Die deutsche Frage. In: Aufbau 8 (1947), S. 138f., hier S. 139. Zitiert nach Margaret Storm Jameson: Writers in conflict. Nationalism at P.E.N. Conference. In: The Manchester Guardian Week [o. A.]. Enthalten in SBBPK NL Tralow K 86 M 35. 57
des, die auch in den Lagern gelitten hatten oder den Mut hatten, Verantwortung auf sich zu nehmen«, sei die Ursache für die Annahme des Antrags gewesen: »Deshalb mußte man die Ungerechtigkeit vermeiden, man mußte ihnen in ihrer überwältigenden Aufgabe der Erlösung ihres Volkes helfen.«41 Nicht nur an Membrés Äußerungen, auch an der unter Aufstellung klarer Konditionen gefällten Entscheidung zur Wiederaufnahme einer Gruppe deutscher Schriftsteller in den Internationalen P.E.N. lässt sich die Verantwortlichkeit dieser weltweiten Schriftstellervereinigung ablesen; ihre Haltung in der Frage der Wiederzulassung eines deutschen P.E.N. war international richtungweisend und durchaus mutig. Die Entscheidungsträger des Internationalen P.E.N. setzten ihre Hoffnung auf jene deutschen Schriftsteller, denen eine entscheidende Mitwirkung an der geistigen Neuordnung Deutschlands zugebilligt wurde; sie betrieben Brückenbau in einer prekären Situation. Damit aber trat eine widerspruchsvolle Konstellation zutage, die für viele Jahrzehnte bestimmend bleiben sollte: Der Internationale P.E.N. stellte sich positiv gegenüber einem Deutschland, das künftighin zur Demarkationslinie zwischen der westlichen und östlichen Welt werden würde; er geriet in die Rolle des Mittlers zwischen Ost und West. 1947 musste der Internationale P.E.N. »nur« für oder gegen Deutschland entscheiden: Mit zunehmender Verschärfung des Ost-West-Konflikts hatte die Schaltzentrale des Internationalen P.E.N. in London immer wieder abzuwägen zwischen Integration, vorsichtiger Mahnung und eindeutiger Wendung gegen diktatorische Staatssysteme mit all ihren Auswüchsen – stets im Konflikt mit den Grundsätzen der Charta und den Befindlichkeiten aller Mitglieder, gleich welcher Couleur. Die Tätigkeit der für die Deutschen eingesetzten Garantiekommission führte schließlich zur Benennung von zehn Schriftstellern aus allen vier Besatzungszonen, die als Gründungsmitglieder des neu zu errichtenden deutschen Zentrums fungierten; es waren Johannes R. Becher, Herbert Eulenberg, Erich Kästner, Hans Leip, Ernst Penzoldt, Anna Seghers, Reinhold Schneider, Rudolf Schneider-Schelde, Johannes Tralow und Ernst Wiechert.42 Die Gruppe wählte den Vorsitzenden des P.E.N.-Klubs deutscher Autoren im Ausland, Hermann Friedmann, zu ihrem Mitglied; dieser beantragte im April 1948 in einer Exekutivrats-Sitzung des Internationalen P.E.N. die Neugründung eines P.E.N.Zentrums in Deutschland und benannte die vorgeschlagenen Gründungsmitglieder in der Presse erstmals öffentlich.43 41
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Henri Membré: Der Kongreß des PEN-Klubs in Zürich. In: Nouvelles de France (Deutsche Ausgabe) 529 (20. 6. 1947). Vgl. Names and Adresses of German Writers, proposed as the first members of a new German P.E.N. Club by the German P.E.N. in London and by Mr. Erich Kästner, Munich, member of the Preparatory Commission. SBBPK NL Tralow K 85 M 3. Vgl. auch [Johannes Tralow?]: Bericht über die Bestrebungen, ein PEN-Zentrum Deutschland zu errichten [o. D., nach der Gründungsversammlung Göttingen, November 1948]. SBBPK NL Tralow K 86 M 36. Vgl. Günther Birkenfeld et al.: An den PEN-Club. In: Der Tagesspiegel vom 3. 4. 1948, sowie Walther Karsch: Berlin und der PEN-Club. In: Der Tagesspiegel vom 8. 4. 1948.
Die darauf einlaufenden kritischen, gegen einzelne Mitglieder gerichteten Äußerungen machen deutlich, wie breit sich bereits Ende der vierziger Jahre die Abgründe zwischen den ideologischen Lagern in Deutschland aufgetan und auf den kulturellen Bereich übertragen hatten. Insbesondere die Vier-MächteStadt Berlin war aufgrund der uneinheitlichen Kulturpolitik der Alliierten zum Kumulationspunkt einer Vielzahl unterschiedlich ausgerichteter Sender und Zeitungen geworden, in deren Berichterstattung sich ein immer stärkerer Konfrontationskurs entwickelte. Schon im Vorfeld des I. Deutschen Schriftstellerkongresses (Oktober 1947) und erst recht nach dem auf seiner Bühne in Szene gesetzten, offenen Schlagabtausch der internationalen Gäste – Katajew, Wischnewski und Gorbatow auf sowjetischer, Melvin Jonah Lasky auf amerikanischer Seite – zeichnete sich auf dem Gebiet der deutschen Kultur die Tendenz ab, strikte Distanz zum politischen Konterpart zu demonstrieren.44 Die mit wechselseitiger Zielrichtung geführte Konfrontation blieb auch im Hinblick auf die Wiedererrichtung eines deutschen P.E.N.-Zentrums nicht ohne Wirkung; ein offener Brief von 25 Berliner Schriftstellern an den P.E.N.-Club, u. a. gehörte Günther Birkenfeld zu den Absendern, monierte im Berliner Tagesspiegel : Berlin ist in dem Kreis der Neugründer nicht vertreten. Die kommunistischen Schriftsteller Johannes R. Becher und Anna Seghers können keinen Anspruch darauf erheben, als Vertreter der Gesamtheit der Berliner Schriftsteller angesehen zu werden. Wenn sie als Vertreter der russischen Zone auftreten, so ist das Sache der russischen Zone. Berlin gehört aber nicht zur russischen Zone und hat deshalb das Recht, den Exekutivrat des Internationalen PEN-Clubs um eine eigene Vertretung bei der Neugründung des Deutschen PEN-Clubs zu bitten.45
Die überaus deutliche Ablehnung der beiden Ostzonen-Schriftsteller wurde noch unterstrichen: Wir Berliner Schriftsteller weigern uns, Johannes R. Becher und Anna Seghers als unsere Vertreter anzuerkennen. Die Mehrzahl der Berliner Schriftsteller, die diesen Namen verdienen, zählt keineswegs zu den Anhängern des Kommunismus, als die Anna Seghers und Johannes R. Becher zu gelten haben.46
Die Autoren um Birkenfeld hatten sich zudem in einem Schreiben an Hermann Friedmann gewandt, damit dieser dem Exekutivrat des Internationalen P.E.N.
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Vgl. Heukenkamp: Der Beitrag der Berliner Schriftsteller, v. a. S. 340–345. Zum I. Deutschen Schriftstellerkongreß vgl. die Literaturangaben in Kap. 2, FN 17. Günther Birkenfeld et al.: An den PEN-Club. In: Der Tagesspiegel vom 3. 4. 1948. Weitere Unterzeichner des offenen Briefes waren O. E. H. Becker, Hansi BoehowBlüthgen, Paul Bourdin, Otto A. Dilschneider, Ludwig Eberlein, Hans Erman, Dora Fehling, Gerhard Grindel, Rainer Hildebrand, Hellmut Jaesrich, Walter Kahnert, Walther Karsch, Victor Klages, Karl Walther Kluger, Robert Kukowka, Helmut Meyer-Dietrich, Maximilian Müller-Jabusch, Günter Neumann, Herbert Pfeiffer, Edwin Redslob, Eva Siebert, Hans-Joachim Wiegand, Hugo Zehder und Georg Zivier. Günther Birkenfeld et al.: An den PEN-Club. In: Der Tagesspiegel vom 3. 4. 1948. 59
die Zuziehung von »mindestens zwei Vertreter[n] der Westberliner Schriftsteller zur Neugründung des Deutschen PEN-Clubs«47 vorschlage. Dass Birkenfeld und die übrigen Unterzeichneten gerade den amerikanisch lizenzierten Tagesspiegel als Medium ihrer Botschaft nutzten, ist kaum verwunderlich. Schließlich brachte dessen Redaktion, der Birkenfeld nahe stand, »unentwegt ihr Mißtrauen gegen den Kulturbund zum Ausdruck […], der als ein Instrument kommunistischer Unterwanderung betrachtet wurde«48 , und sparte auch sonst nicht mit antisowjetischen Anfeindungen. Noch im Oktober 1947 hatte Birkenfeld sich ausdrücklich für den Kulturbund ausgesprochen; er sei »trotz vieler Bedenken« eingetreten, »weil er die Ueberzeugung habe, gerade heute mit Kameraden, die grundsätzlich anderer politischer Meinung sind, im Gespräch bleiben zu müssen.«49 Seine Akzeptanz ideologischer Gegner kannte indes klare Grenzen. Er forderte ein offenes Gespräch, in dem man »Gegnerschaft ebenso freimütig bekennen [solle] wie Freundschaft.«50 Eine wie im Falle des P.E.N. vorgesehene Vertretung der anti- bzw. nichtkommunistischen deutschen Schriftsteller durch erklärte Anhänger des Kommunismus war für Birkenfeld indiskutabel. Der unverhohlenen Initiative gegen Becher und Seghers folgten vielfältige Reaktionen: Klaus Gysi, Bundessekretär des Kulturbunds, befasste sich im Berliner Rundfunk kritisch mit dem Angriff auf Becher und Seghers;51 Johannes R. Becher reagierte seinerseits mit einem offenen Brief an Birkenfeld52 ; Richard Drews und Wolfgang Weyrauch sprachen sich öffentlich für Becher und Seghers aus.53 Der Vorstand des auf seinen überzonalen Charakter bedachten Schutzverbands Deutscher Autoren (SDA), dem u. a. auch Johannes R. Becher angehörte, arbeitete konstruktiv auf eine Lösung des Konflikts hin: So hatte man bereits wenige Tage nach dem Birkenfeld-Brief beim Internationalen P.E.N. die Zulassung einer eigenen Vertretung der Berliner Schriftsteller beantragt und als Vertreter der Berliner Schriftsteller im Internationalen P.E.N. Günther Weisenborn und Hermann Kasack benannt.54 Tags darauf war im Tagesspiegel von dessen Begründer Walther Karsch zu lesen, dass mit diesen »zwei [der Berliner Schrift47
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Zitiert nach Günther Birkenfeld et al.: An den PEN-Club. In: Der Tagesspiegel vom 3. 4. 1948. Heukenkamp: Der Beitrag der Berliner Schriftsteller, S. 343. [o. V.]: Eine Erklärung des Kulturbundes. In: Nacht-Express (Berlin) vom 9. 10. 1947. Anlass für diese Äußerungen war der Verlust der westzonalen Lizenzen für den Kulturbund im Vorfeld des I. Deutschen Schriftstellerkongresses. [o. V.]: Eine Erklärung des Kulturbundes. In: Nacht-Express (Berlin) vom 9. 10. 1947. Vgl. den Hinweis in den einleitenden Erklärungen zum Offenen Brief Johannes R. Bechers an Günther Birkenfeld. In: Neues Deutschland vom 7. 4. 1948. Vgl. Um die Neugründungdes PEN-Clubs.Offener Brief JohannesR. Bechersan Günther Birkenfeld. In: Neues Deutschland vom 7. 4. 1948. Vgl. Heukenkamp: Der Beitrag der Berliner Schriftsteller, S. 347. Heukenkamp verweist auf einen Offenen Brief der beiden. In: Sonntag 15 (1948), S. 10. Eine Erklärung des Schutzverbandes deutscher Autoren. In: Neues Deutschland vom 7. 4. 1948.
steller] namhaft gemacht [seien], von denen der eine zwar unzweifelhaft östliche, der andere aber – […] – westliche Sympathien heg[e].«55 Der gegen einen »kulturellen Kolonialismus von sowjetischer Seite«56 mit Entschiedenheit anschreibende Karsch führte die Debatte um Seghers und Becher fort; er begründete die Anfeindungen etwas differenzierter: Wir wissen bis jetzt noch nicht (die Beteiligten bestreiten es jedenfalls), ob Becher und Anna Seghers für diese ihre Nominierung verantwortlich sind. Wir wissen aber eines: in der russischen Zone kann als Schriftsteller in der Oeffentlichkeit wirken, wer den Segen des Zentralkomitees der SED hat oder wer sich selbst ›gleichgeschaltet‹ hat.57
Die Erwiderungen der Angefeindeten, die die »Verquickung von Literatur und Politik« anfochten und eine Alleinvertretung Berlins durch ihre Person keineswegs in Anspruch nahmen58 , fertigte Karsch mit einem weiteren Angriff auf den Kommunismus und seine Anhänger ab. Weder Becher noch Seghers hätten sich je »gegen die Orgie der Unfreiheit in Ostdeutschland« in irgendeiner Weise engagiert: Außerdem: haben nicht gerade Becher und Frau Seghers immer die These verfochten, dass das Wort des Dichters ein politisches Wort sei; jetzt, da sie bei ihrem politischen Wort, bei ihrem Bekenntnis zum Kommunismus, zur Diktatur (genannt ›Volksdemokratie‹) genommen werden, beschweren sie sich.59
Das Argument, dass Becher und Seghers im Einverständnis mit der Münchener Gruppierung als Vertreter der Schriftsteller in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nominiert worden seien, hatte für den Kritiker kein Gewicht. Mit unumwundener und zweifellos durch die weltpolitische Lage indizierter Schärfe lehnte er die beiden Literaten aus der SBZ und sämtliche ihrer Kollegen ab; »sie repräsentieren nicht Berlin, weil achtzig Prozent der Berliner es abgelehnt haben, sich in dem großen Welttheater der Politik um die Hauptstadt Deutschlands von den Gesinnungsgenossen Johannes R. Bechers’ und Anna Seghers’ repräsentieren zu lassen.«60 In diesen offenen Auseinandersetzungen nahm das Gründungsmitglied Johannes Tralow eine ausgleichende Position ein; die Rolle des Vermittlers zwischen Ost und West sollte sein weiteres Wirken im P.E.N. maßgeblich bestimmen. Tralow bekümmerten die im Tagesspiegel publizierten Anfeindungen weniger. Als Hauptproblem hatte er die Zusammensetzung der internationalen Kontrollkommission ausgemacht; er sorgte sich generell um die Aufnahme der Deutschen in den P.E.N.:
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Walther Karsch: Berlin und der PEN-Club. In: Der Tagesspiegel vom 8. 4. 1948. Heukenkamp: Der Beitrag der Berliner Schriftsteller, S. 345. Walther Karsch: Berlin und der PEN-Club. In: Der Tagesspiegel vom 8. 4. 1948. Vgl. Um die Neugründungdes PEN-Clubs.Offener Brief JohannesR. Bechersan Günther Birkenfeld. In: Neues Deutschland vom 7. 4. 1948. Walther Karsch: Berlin und der PEN-Club. In: Der Tagesspiegel vom 8. 4. 1948. Walther Karsch: Berlin und der PEN-Club. In: Der Tagesspiegel vom 8. 4. 1948. 61
Die Lage war und ist deswegen nicht sehr einfach, weil in der europäischen Kommission auch drei slawische Vasallenvölker einer totalitären Macht, nämlich Polen, Tschechoslowaken und Jugoslavien zusammen eine Stimme hatten, und wenn die Abstimmung in der Kommission auch fünf Stimmen für Deutschland und eine dagegen ergab, so bleiben doch immer noch Mächte am Werk, die sorgsam geknüpfte Fäden noch im letzten Augenblick verwirren oder gar zerreißen könnten. Dazu kommt die Kürze der Zeit bis zum nächsten Kongreß am 31. Mai, der mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten der Europäer von New York nach Kopenhagen verlegt wurde.61
Sein Schlichtungsversuch in der Kontroverse um Becher und Seghers setzte an dem P.E.N.-Grundsatz des Unpolitischen an: Ganz abgesehen davon, daß niemand dem internationalen Exekutivrat vorschreiben kann, welche deutschen Schriftsteller er als Neugründer geeignet hält, müssen bei der Vornahme von Zuwahlen alle Neugründer stets zusammenwirken. Für den PEN-Klub, der übernational, überstaatlich und überparteilich ist, bedeuten die politischen Neigungen von Johannes R. Becher und Anna Seghers nichts, sobald sie sich auf die Ziele des PEN-Klubs verpflichten.62
Entspannung in die Diskussion um die Vorschlagsliste für die Gründungsmitglieder des deutschen P.E.N. brachte schließlich ein im Sonntag bekannt gegebener Briefwechsel zwischen Becher und Tralow, aus dem deutlich hervorgeht, dass zum einen die Vorschläge von der Münchener Gruppe gemacht worden waren und zum anderen Becher die »Bildung von Initiativgruppen in allen vier Zonen und in Berlin sowie einen Meinungsaustausch zwischen diesen angeregt«63 hatte. Becher trug sich damit immerhin Karschs Zugeständnis ein, »daß er mehr Instinkt für die Imponderabilien [d]er heutigen politischen und geistigen Situation bewiesen ha[be] als die Münchener Gruppe.«64 An dem Grundsätzlichen, an der »sehr handfeste[n] politischen Frage«65 ändere sich mit dieser Aufklärung jedoch nichts. Auch andere publizistische Organe in der SBZ waren nicht untätig geblieben: Im Neuen Deutschland veröffentlichte man Auszüge aus einem offenen Brief des in West-Berlin ansässigen Schriftstellers und Verlegers Heinz Ullstein an Hermann Friedmann, in dem jener noch einmal Bezug auf den Beschwerdebrief der Berliner Schriftsteller im Tagesspiegel nahm und zugleich sein Einverständnis »als Schriftsteller« mit der Vertretung durch Seghers und Becher erklärte – »obschon [ihn] weltanschauliche Gegensätze vermutlich von Frau Seghers und
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[Johannes Tralow?]: Essay »PEN-KLUB« [Im Vorfeld des Kopenhagener Kongresses]. SBBPK NL Tralow K 87 M 13. [Johannes Tralow?]: Essay »PEN-KLUB« [Im Vorfeld des Kopenhagener Kongresses]. SBBPK NL Tralow K 87 M 13. Walther Karsch: Um den PEN-Club. In: Der Tagesspiegel vom 11. 4. 1948. Vgl. hierzu Eine Erklärung des Schutzverbandes deutscher Autoren. In: Neues Deutschland vom 7. 4. 1948; Johannes R. Becher an Johannes Tralow [23. 2. 1948]. Abgedruckt in: Sonntag vom 14. 4. 1948. Walther Karsch: Um den PEN-Club. In: Der Tagesspiegel vom 11. 4. 1948. Walther Karsch: Um den PEN-Club. In: Der Tagesspiegel vom 11. 4. 1948.
Herrn Becher trennen«66 würden. Ullstein räumte dem literarischen Können Vorrang vor ideologischen Überzeugungen ein. Demnach wäre eine Unterzeichnung des Briefes nur dann möglich gewesen, wenn man sich auf den Standpunkt stellen müßte, Frau Seghers und Herr Becher seien wertlose Schriftsteller, die nur auf Grund der Machenschaften irgendwelcher Mächte aus politischen Gründen als Vertreter in den Pen-Club berufen werden sollen. Davon aber kann keine Rede sein. Frau Seghers und Herr Becher sind Schriftsteller von überdurchschnittlichem Können und Persönlichkeiten, die in jeder Beziehung berechtigt sind, in einer Vereinigung von Schriftstellern ihre Kollegen zu vertreten.67
Eine brisante Bemerkung, die zugleich der östlichen Seite Auftrieb gegeben haben dürfte, machte Ullstein sozusagen en passant; es entbehre nicht eines gewissen Reizes, »daß diesen Brief Leute unterschrieben haben, die dem Kommunismus weit, weit nähergestanden haben oder noch stehen«68 als er selbst. In den erläuternden Ausführungen zu Ullsteins Brief holte das Neue Deutschland dann zunächst zum generellen Schlag gegen die Anprangerung des Kommunismus und seiner Anhänger aus: Es scheine »nun doch hoch an der Zeit zu sein, Front zu machen gegen das wie eine Sucht grassierende politische Denunziantentum, das es wagt, in einer demokratischen Zeit Menschen zu diffamieren, weil sie Kommunisten sind.«69 Die personale Spezifizierung schob man ungeachtet der eigenen mit umgekehrten Vorzeichen versehenen Denunziation ungerührt hinterher: »Es muß festgehalten werden, daß es die Herren Dr. Günther Birkenfeld und Maximilian Müller-Jabusch waren, die den Versuch einer solchen Diffamierung unternommen haben.«70 Schließlich veröffentlichte das Neue Deutschland ein warnendes Machtwort eines nicht namentlich genannten Mitglieds des Londoner P.E.N.-Clubs: Man werde jeden einzelnen deutschen Kandidaten selbsttätig sehr genau überprüfen und ein eigenes Urteil – ohne Belehrung von irgendeiner Seite – fällen; eine »Fortsetzung der Aktion des ›Tagesspiegel‹ [werde] die Zahl derer, die gegen die Zulassung eines deutschen Centre [seien], in entscheidender Weise vermehren.«71 Darauf verstummten die Wortführer dieser ersten Kontroverse. Die auf dieser problematischen Basis beruhende Diskussion deutete jedoch bereits früh darauf hin, dass die weitestgehend unter parteipolitischen und ideologischen Grundsätzen entflammte Auseinandersetzung in der Zukunft für Sprengstoff im deut66
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[Heinz Ullstein]: Um den Deutschen Pen-Club. Ein offener Brief an Professor Friedmann, London. In: Neues Deutschland vom 13. 4. 1948. [Heinz Ullstein]: Um den Deutschen Pen-Club. Ein offener Brief an Professor Friedmann, London. In: Neues Deutschland vom 13. 4. 1948. [Heinz Ullstein]: Um den Deutschen Pen-Club. Ein offener Brief an Professor Friedmann, London. In: Neues Deutschland vom 13. 4. 1948. [Heinz Ullstein]: Um den Deutschen Pen-Club. Ein offener Brief an Professor Friedmann, London. In: Neues Deutschland vom 13. 4. 1948. [Heinz Ullstein]: Um den Deutschen Pen-Club. Ein offener Brief an Professor Friedmann, London. In: Neues Deutschland vom 13. 4. 1948. [o. V.]: Der PEN-Club und die deutschen Schriftsteller. In: Neues Deutschland vom 21. 4. 1948. 63
schen P.E.N. sorgen und kaum zu einer für beide Seiten zufrieden stellenden Lösung führen würde. Konkreten Anlass für Zweifel an einer dauerhaften Existenz einer überzonalen Konstruktion gab es somit schon vor der realen Wiederbegründung des deutschen P.E.N.-Clubs. Auf dem Weg zur Installierung eines deutschen Zentrums bildete der 20. Internationale P.E.N.-Kongress in Kopenhagen (Mai/Juni 1948) einen wichtigen Markstein. Neben den Vertretern des P.E.N.-Klubs Deutscher Autoren im Ausland nahm als einziger Delegierter aus Deutschland Johannes R. Becher an den Sitzungen teil,72 für die »[d]ie Wiederbegruendung eines P.E.N. in Deutschland […] – neben der Annahme einer neuen fuer alle Gruppen bindenden Charta – einer der Hauptpunkte der Tagesordnung«73 gewesen war. Harsche Kritik an diesem Kongress, der die Formierung einer deutschen Gruppe vorantrieb und schließlich einstimmig beschloss,74 ohne eine umfassende Diskussion geführt zu haben, formulierte Melvin J. Lasky; er hatte schon auf dem I. Deutschen Schriftstellerkongreß in Berlin (1947) durch seine antisowjetischen und antikommunistischen Töne für Aufruhr gesorgt. Seine scharfen Äußerungen zielten zunächst auf den Kopenhagener Kongress selbst, mündeten aber schließlich in Fragen zu Sachverhalten, die in der weiteren (kultur)politischen Entwicklung der DDR massive Bedeutung erlangten; sie entwickelten gleichsam ein imaginiertes Szenario dessen, was in den Folgejahren zur traurigen Realität der Kulturschaffenden unter einem diktatorischen Regime werden sollte und fragten zugleich nach der Gegenwehr der Intellektuellen: Ueber diese Leistung ging die Kopenhagener Tagung nicht hinaus. Nach dem kurzen und so unerwartet glücklich verlaufenden Ausflug in ideologische Gewässer versuchte der PEN-Club, an allen weiteren Kontroversen vorbeizusteuern. Die kommunistische Frage, die ›russische Frage‹ wurde eifrig vermieden. Was würde der treffliche, wortgewandte Becher zum Beispiel tun, um die Bürgerrechte und die geistige Freiheit seiner schriftstellerischen Kollegen im Jahre 1948 zu verteidigen? Was würde er (oder Anna Seghers,Ludwig Renn, FriedrichWolf oder schließlichauch Günther Weisenborn)tun, wenn einer ihrer Kollegen – wie zum Beispiel Dieter Friede – verhaftet, verschleppt, 72
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Vgl. Niels Rickelt: Deutscher Erfolg vor einem internationalen Forum. In: Aufbau 8 (1948) (ursprünglich erschienen in »Deutsche Nachrichten. Zeitschrift für deutsche Flüchtlinge in Dänemark« vom 21. 6. 1948), S. 723–725, hier S. 724. Als Grund für Bechers alleinige Anwesenheit führte Rickelt an, dass »die Durchführung einer Auslandsreise für Deutsche […] heute noch von so vielen Faktoren abhängig [sei], die unüberwindbar erscheinen.« Erich Kästner habe im letzten Augenblick absagen müssen, weil er nicht die notwendigen Papiere erhalten habe. Vgl. Mitteilungsblatt. PENKlub Deutscher Autoren im Ausland (Sitz London) [nach Juni 1948]. SBBPK NL Tralow K 85 M 29. Tralow nutzte diese Tatsache eher zum spärlich verdeckten Schlagabtausch mit den westlichenDelegierten:Aus der »russischenZone [erschien]Johannes R. Becher, aus den drei westlichen Zonen jedoch – nicht einer.« Johannes Tralow: Die Lage des P.E.N. In: Welt und Wort 3 (1948), S. 242. Mitteilungsblatt. PEN-Klub Deutscher Autoren im Ausland (Sitz London) [nach Juni 1948]. SBBPK NL Tralow K 85 M 29. Vgl. Beschlussfassung des Internationalen P.E.N.-Kongresses, Kopenhagen 1948. Abgedrucktin: Mitteilungsblatt.PEN-Klub Deutscher Autoren im Ausland (Sitz London) [nach Juni 1948]. SBBPK NL Tralow K 85 M 29.
erschossen wird? Was würden sie sagen, wenn Zeitungen und Bücher beschlagnahmt und auf Verbotslistengesetzt werden? Welche Haltung würden sie gegenüberder wachsenden Furcht und dem Terror einnehmen, der heute geistige Menschen verfolgt, die beim Ende des ›Dritten Reiches‹ glaubten, endlich die Früchte einer neuen kulturellen Freiheit kosten zu dürfen? Das sind rhetorische Fragen, auf die jeder in Deutschland die fürchterliche Antwort kennt. Und auch in Kopenhagen kannte sie jeder.75
Laskys Artikel rührte damit an jene Problematik, die in der Diskussion der Korrelation P.E.N. und SBZ/DDR grundlegenden Konfliktstoff bot und noch bietet – der Frage nach der »moralische[n] Integrität der Autoren«76 , die in einem diktatorischen System leben und arbeiten; Lasky gab eine düstere Prognose: »Einige aber unter der Menge hatten das Gefühl, daß die freien Schriftsteller auf dieser Welt im Begriff sind, sanft und allmählich Selbstmord zu begehen.«77 Griff Lasky vor allem die Ostzonen-Schriftsteller an, so hagelte es von anderer Seite generelle Kritik an der Vorgehensweise; sie richtete sich nicht nur auf die Auswahl der Gründungsmitglieder selbst, zur Zielscheibe wurde auch die in Kopenhagen geführte Debatte um die »nicht ganz fleckenlose[ ] politische[ ] Vergangenheit«78 der benannten Gründungsmitglieder. Tralows publizistische Entgegnung auf Laskys Bericht, in der er die Überparteilichkeit des P.E.N. und dessen Vorreiterfunktion bei gewichtigen Entscheidungen im Verhältnis zu den »politischen Mächten«79 betonte, diente Oskar Jancke, später Sekretär der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, in seinen Äußerungen zu den Vorgängen als Argumentationshilfe. Wenn der P.E.N.-Club sich als eine »moralische Anstalt« geriere, wenn er »überparteilich [sei – wie es Tralow unterstreiche – ], [müsse] er nach einem einzigen Maß messen und [dürfe] den Deutschen gegenüber keine Ausnahme machen.«80 Demgegenüber praktiziere die Überwachungskommission eine Ausnahmebehandlung der Deutschen. Ein langes Zögern sei dem P.E.N.-Club nicht zu raten; er solle »den Deutschen einen echten Frieden an[ ]bieten.«81
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Melvin J. Lasky: Illusion des PEN-Clubs. Die Tagung in Kopenhagen. In: Der Tagesspiegel vom 8. 6. 1948, S. 3. Peitsch: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen«, S. 215–244, hier S. 217. Melvin J. Lasky: Illusion des PEN-Clubs. Die Tagung in Kopenhagen. In: Der Tagesspiegel vom 8. 6. 1948, S. 3. Oskar Jancke: Der Pen-Club als moralische Anstalt? In: Welt und Wort 3 (1948), S. 322f., hier S. 322. Im speziellenbehandelte Jancke die Zurückstellung von Ernst Wiechert, Rudolf Alexander Schröder und Hans Leip von ihrer Gründungsmitgliedschaft. Vgl. Johannes Tralow: Die Lage des P.E.N. In: Welt und Wort 3 (1948), S. 242. Vgl. auch das Typoskript von [JohannesTralow]: P.E.N.-Zentrum Deutschland. Ein Bericht [nach Kopenhagen, Juni 1948]. SBBPK NL Tralow K 87 M 13. Oskar Jancke: Der Pen-Club als moralische Anstalt? In: Welt und Wort 3 (1948), S. 322f., hier S. 323. Oskar Jancke: Der Pen-Club als moralische Anstalt? In: Welt und Wort 3 (1948), S. 322f., hier S. 323. 65
Dem von Jancke kritisierten, von Becher zuerkannten Misstrauen82 zum Trotz hatte der Kongress nach vehementer Befürwortung der Kandidaten durch Hermann Friedmann83 und Peter de Mendelssohn84 die zehnköpfige Gruppe der Gründungsmitglieder nach einigen Diskussionen, personellen Veränderungen und Ersetzungen anerkannt und zudem zehn weitere Schriftsteller benannt, um die statutengemäße, für rechtsgültige Beschlüsse erforderliche Zahl von zwanzig Mitgliedern zu gewährleisten: Da die Mindestzahlvon Mitgliederneines Zentrums nach dem Statut zwanzig betragen muß, ergab sich auf dem Kongress der Wunsch, die zehn nach ihrem Werk und ihrem Verhalten eingehend geprüften auf der Stelle durch zehn weitere Namen zu ergänzen oder vielmehr durch zwölf neue Namen. Denn zugleich war die Debatte um die zehn zuerst Genannten wieder entbrannt, und um das Ganze nicht zu gefährden, wurden Leip und Wiechert fallengelassen und dazu noch Rudolf Alexander Schröder […]. Was auch über die verschiedenen Ursachen geschrieben worden ist, so hat der Kongress doch keine endgültige Stellung zu den drei, [sic] Autoren genommen – es handelt sich vielmehr um eine vorläufige Zurückstellung und keineswegs um eine Ablehnung. Daß alle drei dem Westen angehören,ist dagegen eine Tatsache, mit der man sich abzufinden hat.85
Als vollberechtigte Mitglieder sollten nach dem Beschluss des Kongresses neben den bereits Benannten und als Stellvertreter der »Zurückgestellten« für die sowjetische Zone Günther Weisenborn, Ludwig Renn, Paul Wiegler und Friedrich Wolf, für West-Berlin Hermann Kasack und Günther Birkenfeld, und für die Westzonen Elisabeth Langgässer, Axel Eggebrecht, Hans Henny Jahnn und Dolf Sternberger in den Internationalen P.E.N.-Club aufgenommen werden.86 Unter Berücksichtigung aller Zurückstellungen und Neubenennungen lässt sich somit eine Zahl von 18 Gründungsmitgliedern87 für ein deutsches P.E.N.-Zentrum konstatieren. Unter dem Vorsitz von Hermann Friedmann, der durch seine Mitgliedschaft im P.E.N.-Klub deutschsprachiger Autoren bereits dem Internationalen P.E.N. angehörte, waren Becher, Eulenberg, Kästner, Penzoldt, Seghers, Schneider, Schneider-Schelde, Tralow, Weisenborn, Renn, Wiegler, Wolf, Kasack, Birkenfeld, Langgässer, Eggebrecht, Jahnn und Sternberger 82
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Vgl. [Gespräch zwischen Peter Huchel und Johannes R. Becher zur] Tagung des PENClubs in Kopenhagen. In: Aufbau 7 (1978), S. 606–608. Vgl. [o. V.]: Der Kongress in Kopenhagen. In: Mitteilungsblatt. PEN-Klub Deutscher Autoren im Ausland (Sitz London) [nach Juni 1948]. SBBPK NL Tralow K 85 M 29. Vgl. Niels Rickelt: Deutscher Erfolg vor einem internationalen Forum. In: Aufbau 8 (1948), S. 723–725, hier S. 724. Johannes Tralow: Die Lage des P.E.N. In: Welt und Wort 3 (1948), S. 242. Vgl. auch das Typoskript von [Johannes Tralow]: P.E.N.-Zentrum Deutschland. Ein Bericht [nach Kopenhagen, Juni 1948]. SBBPK NL Tralow K 87 M 13. Zur Streichung von Leip, Wiechert und Schröder vgl. auch Oskar Jancke: Der Pen-Club als moralische Anstalt? In: Welt und Wort 3 (1948), S. 322f. Vgl. weiterhin Tralow: Gelebte Literatur, S. 70. Vgl. Johannes Tralow: Die Lage des P.E.N. In: Welt und Wort 3 (1948), S. 242. Vgl. auch Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Tagung des Internationalen P.E.N.Clubs, Zentrum Deutschlandin München vom 15. 11.–18. 11. 1949 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 37.
durch die Kopenhagener Versammlung berufen worden, am Wiederaufbau eines deutschen P.E.N.-Zentrums mitzuarbeiten. Auf Bechers »bescheidene, sachliche und doch feierliche Rede«88, die offenbar in der Kopenhagener Tagespresse ein breites Echo hervorrief, sei nur verwiesen; sie bekundete – wie die Züricher Rede ein Jahr zuvor – Empathie für die Opfer des Hitlerfaschismus und erbat dieselbe für die Widerständigen in Deutschland.89 Ihr Abschluss beschwor eine Hoffnung, deren Utopie angesichts dessen, was folgte und von Becher allenfalls geahnt werden konnte, einen schalen Nachgeschmack hinterlässt: »Möge es einmal in einer nicht zu fernen Zeit möglich sein, daß der PEN-Kongreß in Berlin, dem Zentrum eines vereinigten demokratischen Deutschlands, abgehalten werden kann.«90
2.2
Die Wiederbegründung des P.E.N.-Zentrums Deutschland
Eine erste Zusammenkunft der Gründungsmitglieder in Lübeck, auf der die Statuten festgelegt und der Vorstand des neu begründeten deutschen P.E.N.Zentrums gewählt werden sollte, hatte man zunächst für den August 1948 geplant.91 Kaum hatten sich die Aufregungen um die Zulassung der deutschen Schriftsteller zum P.E.N. und die politisch motivierten Auseinandersetzungen innerhalb der Berliner Autorenschaft ein wenig gelegt, schlugen die Wellen wieder hoch. Noch bevor die Gründungsversammlung statthaben konnte, wurde ein neuer Kleinkrieg eröffnet: Kontrahenten waren Johannes R. Becher und Johannes Tralow. Ersterer äußerte unter Verweis auf eine Notiz in der Zeitschrift Die Literatur vom Oktober 1933,92 die unter den Ausschussmitgliedern der deutschen P.E.N.-Gruppe auch Johannes Tralow benennt, die Anschuldigung, dieser habe Nazi-Propaganda betrieben, und forderte den Rücktritt, »da es ihm ›ausgeschlossen erscheine, dass die Vertreter der okkupierten Länder sich mit irgendeiner Erklärung zufrieden geben werden‹.«93 Die Beweggründe für diese Anklage gegen Tralow, der sich in der vorangegangenen Debatte sehr für die Anerkennung Bechers eingesetzt hatte, liegen weitgehend im Dunklen; sie lassen sich jedoch mit Bechers Äußerungen im Umfeld des Kopenhagener 88
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Niels Rickelt: Deutscher Erfolg vor einem internationalenForum. In: Aufbau 8 (1948), S. 723–725, hier S. 724. Vgl. Johannes R. Becher: Rede in Kopenhagen. In: Becher: Publizistik III 1946–1951, S. 202–206. Zitiert nach Niels Rickelt: Deutscher Erfolg vor einem internationalenForum. In: Aufbau 8 (1948), S. 723–725, hier S. 725. Vgl. Mitteilungsblatt. PEN-Klub Deutscher Autoren im Ausland (Sitz London) [nach Juni 1948]. SBBPK NL Tralow K 85 M 29. Ein Leserbrief von Gottfried Keilhaus an Johannes R. Becher im Sonntag 26 (4. 7. 1948) gibt den genauen Fundort der Namensliste wieder: Die Literatur. Monatsschrift für Literaturfreunde – Das literarische Echo 1 (Oktober 1933). Johannes Tralow an die Gründungsmitglieder der Deutschen Gruppe des Internationalen PEN [15. 6. 1948]. SBBPK NL Tralow K 86 M 50. 67
Kongresses in Einklang bringen, die deutlich machten, dass ihn die Einschätzung von Arbeit und Haltung jener Schriftsteller sehr beschäftigte, die unter nationalsozialistischer Herrschaft in Deutschland geblieben waren. Würde die Notiz über Tralow bekannt, so musste er fürchten, vor den Mitgliedern des P.E.N. – nicht zuletzt angesichts des auf dem Kongress gefassten Beschlusses zur Nazi-Vergangenheit der deutschen Mitglieder – sein Gesicht zu verlieren. Tralow fühlte sich als zu Unrecht Beschuldigter brüskiert; er erhob nun seinerseits eine schwerwiegende, sehr persönliche Anklage gegen Becher, die weniger an die vergangenheitsorientierte Frage der Nazi-Kollaboration rührte, als vielmehr auf die politisch-ideologische Teilung Deutschlands mit ihren Folgen für den P.E.N. zielte. Becher stelle es dar, als sei die Wahl der Zwanzig nur seiner persönlichen Bürgschaft zu danken. Nach seiner Darstellung verfügt er über die Vertreter der ehemals okkupierten Länder, gegen Hinauswurf durch ihn gibt es keine Appelation: […]. Alles zusammengefaßt bedeutet das die Diktatur Bechers unter Ausschluss irgendeiner Diskutierung der Rechtfrage, […]. Herr Becher schreibt aber auch: ›Wenn wir in dieser Angelegenheit nicht schleunigst etwas unternehmen‹ (d. h. wenn ich nicht fliege) ›würde es zu einem Skandal kommen.‹ Zu der Diktatur kommt also der Terror, der hier im Westen die mildere Gestalt einer Skandalandrohung annimmt. Aus der Deutschen Gruppe soll eine SED Organisation werden. Das ist der wahre Hintergrund des Angriffs gegen mich, der in seiner Substanz kindisch ist.94
Bedeutsam erscheint in dieser Frage die von Tralow zitierte Anmerkung des zur Klärung der Sachlage eingeschalteten Generalsekretärs des französischen P.E.N.-Zentrums, Henri Membré; sie beweist im Hinblick auf die folgenden Entwicklungen dessen Weitsichtigkeit: Sie werden »in Deutschland zwei Klubs haben«95 ! Angesichts dieses scharfen Gegen-Angriffs erstaunt die Tatsache, dass Tralow auch nach der Abspaltung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) weiterhin unter Wahrnehmung verantwortlicher Aufgaben im P.E.N.-Zentrum Deutschland verblieb, dessen Anbindung an die DDR trotz gesamtdeutscher Bemühungen bald offenkundig wurde. Gerade die Person Bechers wurde in der Teilungsgeschichte zum Stein des Anstoßes. Noch erstaunlicher aber mutet an, 94
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Johannes Tralow: Betrifft: Becher contra Tralow [vermutlich an die Gründungsmitglieder in Ergänzung des Schreibens vom 15. 6. 1948] [17. 6. 1948]. SBBPK NL Tralow K 86 M 50. Johannes Tralow: Betrifft: Becher contra Tralow [vermutlich an die Gründungsmitglieder in Ergänzung des Schreibens vom 15. 6. 1948] [17. 6. 1948]. SBBPK NL Tralow K 86 M 50. Vgl. hierzu auch den Hinweis von Helmut Peitsch auf einen Brief von Johannes Tralow an Elisabeth Langgässer vom 4. 11. 1948 (DLA 70.4191/2); dieser bezieht sich auf die von Herman Ould und Henri Membré gefällte positive Entscheidung über Tralows Zugehörigkeit zu den P.E.N.-Gründungsmitgliedern in Bezug auf seine im Dritten Reich erschienenen historischen Romane. Vgl. Peitsch: Hans Henny Jahnn in den gesamtdeutschenPEN-Zentren Deutschland und Ost und West. In: Dietrich Molter und Wolfgang Popp (Hg.): Siegener Hans-Henny-Jahnn-Kolloquium. Homosexualität und Literatur. (Kultur – Literatur – Kunst Bd. 6) Essen 1986, S. 119– 151, hier S. 122.
wie lange Tralow seine Energien in den »Ost-P.E.N.« investierte – und mit den verantwortlichen Genossen zusammenarbeitete. Wie löste sich nun die Frage um Tralows Mitgliedschaft? Erich Kästner und Rudolf Schneider-Schelde als Mitglieder der früheren P.E.N.-Arbeitsgruppe München setzten sich mit Tralow zusammen, um die von außen eingeholten Gutachten zu den gegen ihn vorgebrachten Vorwürfen zu erörtern. Übereinstimmend votierte Henri Membré, ebenso wie Hermann Friedmann, wegen mangelnder Beweise96 gegen einen Ausschluss: »Auf Grund der hier befindlichen genauen Auskünfte sind wir – meine Vorstandskollegen Ould und ich [Friedmann] – einmütig der Ueberzeugung, daß die Sache nicht von der Art ist, eine Aufforderung an Tralow aus der Gründerschaft auszuscheiden statthaft wäre.«97 In München fasste man schließlich den Beschluss, dass Becher seine Behauptung beweisen müsse und einer Erörterung auf der Gründerversammlung zuzustimmen sei: »Es wird erwartet, daß Becher sein Material rechtzeitig vor der Gründerversammlung im August einreicht, sodaß auch Tralow seine Maßnahmen dazu treffen kann.«98 Damit verstummten zunächst einmal die gegenseitigen Anklagen. Gleichwohl waren die innerdeutschen Differenzen nach außen gedrungen, denn im Vorfeld der Gründungsversammlung, die entgegen der ursprünglichen Planung erst für den 18. bis 20. November 1948 nach Göttingen einberufen worden war, berichtete Max Barth im New Yorker Staatsanzeiger und Herold : Sofort nach der Heimkehr der Gründer vom internationalen Kongreß begannen in Deutschland Quertreibereien der Kommunisten unter ihnen gegen einige ihrer Kollegen, unter anderem auch gegen Kästner. Diese Dinge werden auf der Gründungsversammlung wahrscheinlich zur Behandlung und zum Austrag kommen.99
De facto gelangten nur wenige Informationen über die Göttinger Besprechungen in die Öffentlichkeit; diese fanden, »weil ›delikate Dinge‹ behandelt wurden, hinter verschlossenen Türen statt.«100 Über den Ausgang der Kontroverse Becher – Tralow, die auf der Tagung ausführlich diskutiert wurde, sind keine Details bekannt. Im Protokoll ist die Maßregelung Tralows durch Friedmann dokumentiert. Tralow habe sich mit der Unterstellung, Becher betreibe Partei96
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Vgl. Protokoll der Sitzung der früheren PEN-Arbeitsgruppe München. Beratung über die Agression [sic] Johannes R. Becher gegen Johannes Tralow [5. 7. 1948; erstellt von Johannes Tralow]. SBBPK NL Tralow K 86 M 50. Hermann Friedmann [25. 6. 1948]. Zitiert nach Protokoll der Sitzung der früheren PEN-Arbeitsgruppe München. Beratung über die Agression [sic] Johannes R. Becher gegen Johannes Tralow [5. 7. 1948; erstellt von Johannes Tralow]. SBBPK NL Tralow K 86 M 50. Protokoll der Sitzung der früheren PEN-Arbeitsgruppe München. Beratung über die Agression [sic] Johannes R. Becher gegen Johannes Tralow [5. 7. 1948; erstellt von Johannes Tralow]. SBBPK NL Tralow K 86 M 50. Max Barth: Neugründung des Penklubs im Reich. In: New Yorker Staatszeitung und Herold vom 7. November 1948. Gerd Schulte: Hinter verschlossenen Türen. Die Tagung des PEN-Clubs in Göttingen. In: Die Welt vom 20. 11. 1948. 69
politik im P.E.N., ins Unrecht gesetzt.101 Niederschmetternd hatte Barth, seinen latent antikommunistischen Ton fortführend, für die Zukunft des deutschen P.E.N. prognostiziert: »Der neue Klub wird mit allen jenen Krankheitskeimen und Konfliktbazillen ins Leben treten, die allen Organismen eingeboren sind, in den[en] Kommunisten und Freiheitsfreunde vereinigt sind.«102 Entgegen dieser negativen, wenngleich weitsichtigen Einschätzung wurde das »doppelte Friedenswerk von Göttingen« uneingeschränkt gelobt: [E]inmal die Einordnung des deutschen Schrifttums und ihrer Jünger in die grosse internationale Schriftstellerorganisation […] und ferner, dass Göttingen sich als der Ort erwiesen hat, an dem der Gegensatz West-Ost zum Schweigen gebracht werden konnte. […] Es wurde betont, dass der P.E.N., ohne eine politische Institution zu sein, für die Politik vorbildlich in die Erscheinung getreten ist.103
Konkret hatten die nach Göttingen angereisten Schriftsteller nach der Unterzeichnung der in Kopenhagen beschlossenen »PEN-Charter« für die mit dem Namen P.E.N.-Zentrum Deutschland versehene Gruppierung ein »Präsidium aus drei gleichberechtigten Mitgliedern«104 – Hermann Friedmann, Johannes R. Becher und Ernst Penzoldt –, sowie die Sekretäre Erich Kästner und Rudolf Schneider-Schelde benannt und zum Sitz des Zentrums München bestimmt. Neben der Annahme von vier Resolutionen, die im Wesentlichen allgemeine Probleme der kulturellen Aufbauarbeit in Deutschland betrafen, verständigte man sich über die Zuwahl neuer Mitglieder.105 Die Konfrontation Ost-West schien überwunden – offenbar herrschte Einigkeit. Doch der Schein trog. Zwar zeigten sich die deutschen P.E.N.-Mitglieder auch bei ihrer nächsten Zusammenkunft in Hamburg (Februar 1949) einmütig. Dies dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass lediglich acht der Gründungsmitglieder an der Versammlung teilnahmen.106 Aus der SBZ war niemand erschienen. Die spannungsgeladene Atmosphäre des weltpolitischen 101 102
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Vgl. Malende: Die »Wiedererrichtung«, S. 86 und S. 94 (Anm. 28). Max Barth: Neugründung des Penklubs im Reich. In: New Yorker Staatszeitung und Herold vom 7. November 1948. MitteilungsblattNr. 2. PEN-Klub DeutscherAutoren im Ausland (Sitz London) [Ende 1948]. MitteilungsblattNr. 2. PEN-Klub DeutscherAutoren im Ausland (Sitz London) [Ende 1948]. Vgl. Mitteilungsblatt Nr. 2. PEN-Klub Deutscher Autoren im Ausland (Sitz London) [Ende 1948]. Vgl. auch Paul Wiegler: Die deutsche PEN-Tagung. In: Aufbau 12 (1948), S. 1077f., hier S. 1077. Er weist auf S. 1078 ausdrücklich auf eine von Reinhold Schneider und Friedrich Wolf eingebrachte Resolution hin: »Sie erklärt, daß die deutschen Schriftstellersich für die vergangenen Ereignisseund das gegenwärtigeGeschehen mitverantwortlich fühlen, ›in besonderem Maße dafür, im Sinne der Wiedergutmachung gegen jede Völkerverhetzung zu wirken und im Zeitalter der Atombombe auf dem Gebiet des Geistes und des gesamten öffentlichen Daseins jede Neigung zur Zerstörung menschlichen oder kreatürlichen Lebens zu bekämpfen.‹« An den Sitzungen nahmen teil: Hermann Friedmann, Ernst Penzoldt, Erich Kästner, Rudolf Schneider-Schelde, Hans Henny Jahnn, Hermann Kasack, Dolf Sternberger und Axel Eggebrecht. Herbert Eulenberg traf später ein. Vgl. Protokoll zur Tagung
Klimas hinterließ jedoch ihre unübersehbaren Spuren in der öffentlichen Berichterstattung über den P.E.N.; dies zeigt sich bei Durchsicht der Presse-Artikel anlässlich der Hamburger Tagung im Februar 1949. Während das Hamburger Echo nur leise Spott-Töne gegenüber den Ostzonen-Schriftstellern anschlug,107 verfolgte der Berichterstatter des Berliner Tagesspiegel seine in den einführenden Sätzen sorgfältig vorbereitete Argumentationslinie mit Akribie und führte damit die scharfen Angriffe auf die Ostzonen-Schriftsteller im Vorfeld der Wiederbegründung fort.108 Zielpunkt beider Journalisten war die Abwesenheit der »Männer aus dem Osten«: Es verlautete zwar von ihnen, sie würden kommen. Schwierig zu sagen also ob ihnen der Boden in Hamburg zu heiß oder der Regen zu naß war. Wären die erwarteten Gäste gekommen, so hätte man sich (vermutlich) auf temperamentvolle Diskussionen vorbereiten können.109
Der Verfasser der Tagesspiegel -Glosse insistierte auf der Fadenscheinigkeit der Entschuldigungen für die Abwesenheit der Ost-Literaten und betonte zugleich deren Lenkung durch die Partei; ihre Zugehörigkeit zur Internationale der Intellektuellen habe von jeher im Widerspruch zum Kommunismus gestanden. »[D]er Osten« habe die »befristete Lizenz« zurückgezogen und die Ost-Autoren träten nun – in Parallele zu ihren russischen Kollegen – den Rückzug an, da sie den Schwur auf die Charta des P.E.N. verweigern müssten.110 Entgegen dieser polemischen Anmerkungen, die wenig zur Verständigung zwischen Ost und West beizutragen hatten, spitzte der Journalist Gert H. Theunissen von einem neutralen Standort das Problem auf seine Kernfrage zu: Die Entwicklung hat [den PEN] jetzt wohl vor das größte Problem seit seiner Gründung gestellt: in eine Welt, die immer tiefer in Ost und West zu zerfallen droht. Barbarei droht jegliche Verantwortung der Politik zu verschlingen. Zu welchen Entscheidungen wird nun der PEN-Club gelangen?111
An diesen globalen Fragen indes schienen die Teilnehmer der Hamburger Versammlung – auch wegen der Abwesenheit der Mitglieder aus der SBZ – wenig interessiert. In den Sitzungen befassten sich die anwesenden Mitglieder vor allem mit der Verhandlung von Organisationsfragen (Mitgliedsbeiträge, -zuwahlen etc.) – Johannes Tralow wurde in Abwesenheit zum Schatzmeister bestellt. Diese Wahl sollte für die Zukunft des P.E.N.-Zentrums Deutschland eine bedeutende
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des deutschen Zentrums des PEN-Clubs in Hamburg am 12. April 1949 [Abschrift] [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 37. Vgl. Malende: Die »Wiedererrichtung«, S. 87. [o. V.]: Acht von zwanzig. PEN tagt in Hamburg. In: Hamburger Echo (April 1948). Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.b. [o. V.]: PEN-Club ohne Kommunisten. In: Der Tagesspiegel vom 20. 4. 1949. [o. V.]: Acht von zwanzig. PEN tagt in Hamburg. In: Hamburger Echo (April 1948). Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.b. [o. V.]: PEN-Club ohne Kommunisten. In: Der Tagesspiegel vom 20. 4. 1949. Gert H. Theunissen:Geist als Realität. Wege und Ziele des PEN-Clubs. Zu seiner Hamburger Tagung. In: Hamburger Allgemeine Zeitung (April 1949). Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177. D.I.5.b. 71
Rolle spielen.112 Noch einmal diskutierte man die Göttinger Resolutionen, einschließlich der Frage einer Deutschen Akademie der Sprache. Verwiesen sei schließlich auf das deutliche Bestreben des P.E.N.-Zentrums Deutschland um eine bestmögliche Vorbereitung auf den bevorstehenden Kongress in Venedig (September 1949), der von internationaler Seite als entscheidendes Datum für die Wiedererlangung der vollständigen Souveränität der deutschen Gruppe angesetzt worden war.113 Schon im Juni 1949 traf die deutsche Gruppe – wiederum in kleiner, veränderter Besetzung – auf Einladung der Stadt Bielefeld anlässlich einer GoetheAusstellung der Sammlung Kippenberg erneut zusammen. Anwesend waren Friedmann, Tralow, Birkenfeld und der neu hinzu gewählte Kasimir Edschmid, sowie Horst Lange, Alfred Kantorowicz und Fritz Usinger, deren Zuwahl noch nicht offiziell bestätigt worden war. Besprochen wurde die generelle Problematik, Reisegenehmigungen zu erlangen, die Annahme von 34 in Göttingen und Hamburg Zugewählten durch die internationale ›Commission Préparative‹ sowie die nicht zuletzt finanziell notwendige Ausdehnung des Zentrums durch weitere Zuwahlen; letztere koppelte man jedoch an »hohe Qualifikation«: »Drei Gesichtspunkte sollten dabei maßgebend sein: Die Qualifikation als solche, die notwendige politische Prüfung und die menschliche Eignung (keine truble-makers [sic]).«114 Angesprochen wurde wiederum der Venedig-Kongress. Entgegen Kästners Standpunkt, der zur vorläufigen Zurückhaltung der Deutschen gemahnt hatte, befürwortete Friedmann ausdrücklich das Einbringen einer Resolution zur »Freizügigkeit des deutschen Buches«, für die man schließlich den folgenden Wortlaut wählte: Die Delegation des deutschenPEN-Zentrums, Herr Professor Hermann F r i e d m a n n und Herr Dr. Erich K ä s t n e r, werden beauftragt, auf dem Kongress des Internationalen PEN in Venedig auf jedem ihnen geeignet erscheinenden Wege dafür einzutreten und zu wirken, d a ß j e g l i c he B e h i n de ru ng in der Vertreibung des deutschen Buches beseitigt wird, da sie mit der PEN-Charta nicht zu vereinbaren ist.115
Sein vertrauensvolles Hoffen auf die deutschen P.E.N.-Mitglieder hatte Friedmann bereits zu Beginn der Tagung in der einführenden Ansprache zum Ausdruck gebracht: »Wenn der PEN will, so k a n n er in der Tat für Deutschland von außerordentlicher Bedeutung sein. Ich richte hiermit einen Appell an meine Freunde, sich diese Situation anzueignen und aufzunehmen und durch das Bild, wie er sein k a n n, zu erfüllen.«116 Hermann Friedmann hoffte auf ein P.E.N.112 113
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Vgl. auch Malende: Die »Wiedererrichtung, S. 87. Vgl. Protokoll zur Tagung des deutschen Zentrums des PEN-Clubs in Hamburg am 12. April 1949 [Abschrift] [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 37. Protokoll zur Tagung des PEN-Zentrums Deutschland in Bielefeld am 2./3. 6. 1949 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 37. Protokoll zur Tagung des PEN-Zentrums Deutschland in Bielefeld am 2./3. 6. 1949 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 37. Protokoll zur Tagung des PEN-Zentrums Deutschland in Bielefeld am 2./3. 6. 1949 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 37.
Zentrum Deutschland, das ein auf kultureller Ebene geeintes Deutschland zu demonstrieren vermochte. Der internationale P.E.N.-Kongress, der im September 1949 in Venedig stattfand, führte zur erwarteten Anerkennung und vollständigen Gleichberechtigung des P.E.N.-Zentrums Deutschland.117 Nach Friedmanns Einschätzung war es »Kästner gelungen, bisher unversöhnliche feindliche Elemente zu Freunden zu machen. Dass diese nun mit Vertrauen auf uns blickten, sei ein ungeheures Aktivum.«118 Gleichwohl sei das »Ressentiment noch ungeheuer […]. Man habe allen Grund, sehr vorsichtig, würdig, aber auch sehr bestimmt vorzugehen und aus dem Glashaus herauszutreten und durch die Tat zu beweisen, dass man existiere und wie man existiere.«119 Friedmann, dessen führende Rolle in der Vermittlung zwischen den internationalen Gruppen und den deutschen Autoren deutlich hervorzuheben ist, zeigte sich wie schon zuvor von einem unerschütterlichen Glauben an die Vertreter des Geistes beseelt. Kritikern, die der Aufrechterhaltung einer deutschen Literatur aufgrund der zonalen Teilung Deutschlands mehr als skeptisch gegenüberstanden, setzte er entschieden entgegen, »daß der (zeitweiligen) Unüberschreitbarkeit der politischen Grenzen die Unabsperrbarkeit der geistigen glücklicherweise gegenübersteh[e].«120 Dementsprechend knüpfte man optimistische Erwartungen an die Versammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland, die vom 15. bis 18. November 1949 in München tagte – allerdings unter Ausschluss der Presse: Man sei »ja erst seit der diesjährigen Sommertagung in Italien wieder autonom, müsse[ ] daher erst wieder zusammenwachsen. Hier in München [sei] die erste, richtige PENTagung«121 – so Günther Weisenborn. Verhandelt wurden demgemäß Angleichungen des P.E.N.-Zentrums Deutschland an die ausländischen Gruppen122 : Zur Diskussion standen die Statuten, Vorschläge zur Finanzierung des Zentrums und neue Zuwahllisten. Man kam mit der Arbeit voran, denn am Ende der Tagung waren Satzungen sowie Zuwahllisten debattiert und angenommen. Eine deutsche Eigenheit blieb indes bestehen, die Friedmann kommentierte: »Die besonderen deutschen Verhältnisse verlangten eine besondere Struktur, die 117
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Vgl. [o. V.]: Deutsches PEN-Zentrum tagt. In: Die Neue Zeitung vom 14. 11. 1949, S. 3. Vgl. auch [o. V.]: Die Tagung der deutschen PEN-Gruppe. Johannes R. Becher kommt nicht nach München. In: Süddeutsche Zeitung 159 (14. 11. 1949), S. 2. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Tagung des Internationalen P.E.N.-Clubs, Zentrum Deutschland in München vom 15. 11.–18. 11. 1949 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 37. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Tagung des Internationalen P.E.N.-Clubs, Zentrum Deutschland in München vom 15. 11.–18. 11. 1949 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 37. Hermann Friedmann: PEN – das Licht, das nicht erlosch. In: Die Neue Zeitung vom 18. 11. 1949, S. 4. J. v. H. [d. i.?]: Am Rande PENdelnd. Mit Zeichnungen von Meyer-Brockmann. In: Süddeutsche Zeitung 164 (19./20. 11. 1949), S. 8. Vgl. [o. V.]: Die Tagung der deutschen Pen-Gruppe. In: Münchner Merkur 168 (15. 11. 1949), S. 3. 73
etwas von den anderen PEN-Satzungen abweiche. Man komme durch die bestehenden Zonenverhältnisse dazu, wieder ein Präsidium aus drei gleichberechtigten Mitgliedern vorzuschlagen.«123 Ungeklärt bleibt, warum in München keines der Mitglieder aus der DDR erschienen war. Dass Johannes R. Becher seine Teilnahme wiederum abgesagt hatte wegen Vorbereitungsarbeiten zu einer Tagung des Kulturbundes, als dessen Präsident er seit der Gründung 1945 fungierte, wurde den Lesern in der süddeutschen Presse ohne ideologische Seitenhiebe zur Kenntnis gebracht,124 ebenso wie seine Wahl in den Vorstand. Als geschäftsführenden Präsidenten hatte man Hermann Friedmann bestätigt, als 1. weiteren Präsidenten Johannes R. Becher und schließlich als 2. weiteren Präsidenten Erich Kästner gewählt. Die Zahl der Sekretäre reduzierte sich auf einen – Ernst Penzoldt –, das Amt des Schatzmeisters behielt Johannes Tralow, während Rudolf Schneider-Schelde und Wilhelm Hausenstein als Revisoren bestellt wurden. Durch die Bestätigung der Bielefelder Wahlvorschläge und erneute Zuwahlen auf der Münchener Tagung war das Zentrum auf 112 Mitglieder angewachsen. Unbehagen bereitete mindestens Erich Kästner das durch die Zuwahlen entstandene ungleichgewichtige Verhältnis zwischen Mitgliedern aus Ost und West. Er legte am Ende der Tagung einen Briefentwurf vor – bezeichnenderweise »für die Freunde Weisenborns bestimmt« –, der darlegen sollte, »dass die Münchner Ergebnisse in Bezug auf die Zuwahl von keinerlei politischen Erwägungen beeinflusst worden seien«125 . Ein Blick auf die staatsbezogenen Mehrheitsverhältnisse im deutschen P.E.N. erklärt Kästners Anlauf zur prophylaktischen Beschwichtigung der Mitglieder aus dem Osten: Von den 94 zu den Gründungsmitgliedern neu hinzu Gewählten lebten lediglich neun in der DDR: Bertolt Brecht, Stephan Hermlin, Peter Huchel, Ehm Welk, Alfred Kantorowicz, Hans Mayer, Ernst Bloch, Georg Lukacs und Arnold Zweig.126 Von den Mitgliedern der Grün123
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Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in München vom 15. 11.–18. 11. 1949 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 37. Vgl. [o. V.]: Repräsentanten deutscher Literatur in München. Zur Tagung des Deutschen PEN-Zentrums vom 15. bis 18. November. In: Die Abendzeitung vom 15. 11. 1949. Vgl. weiterhin Süddeutsche Zeitung 159 (14. 11. 1949), S. 2 und Die Neue Zeitung vom 14. 11. 1949, S. 3. Becher hatte seine Teilnahme tatsächlich kurzfristig absagen müssen. Noch am 2. 11. schrieb er an Walter Bauer: »Am 14. komme ich nun wieder, um an der PEN-Club-Tagung teilzunehmen, und ich würde mich freuen, wenn es irgendeine Möglichkeit gäbe, Sie zu sehen […].« In: Harder (Hg.): Becher. Briefe 1909–1958, S. 392. Seine endgültige Absage datiert auf den 11. 11. 1949. Vgl. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11768. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in München vom 15. 11.–18. 11. 1949 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 37. Vgl. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in München vom 15. 11.–18. 11. 1949 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 37. Vgl. auch Helmut Peitsch: »Die Freiheitfordertklare Entscheidungen«, S. 107.
dungsgruppe war es immerhin ein Viertel gewesen, das in der SBZ zu Hause war. Weisenborn sah jedoch keine Notwendigkeit für ein solches Schreiben und erklärte stattdessen mit Nachdruck, »dass der PEN eine Tat begangen habe, die mehr spreche als Worte. Er habe sich wunderbar verhalten. Hier sei ein echter Geist der Versöhnlichkeit zutage getreten«127 . Auf der abschließenden Pressekonferenz hatten die Sprecher des P.E.N. – Friedmann, Kästner, Kesten und Weisenborn – auch in der Öffentlichkeit deutlich gemacht: »Gemäß der internationalen PEN-Charta werde die Auswahl der PEN-Mitglieder nur nach schriftstellerischen Wertmaßstäben und nach allgemeinen sittlichen Standpunkten vorgenommen. Die politische Einstellung des einzelnen spiele weder bei der Auswahl noch innerhalb der PEN-Arbeit irgendeine Rolle.«128 Auch der neu gewählte Schatzmeister Johannes Tralow hob das Bestreben des P.E.N.-Zentrums Deutschland hervor, den Zusammenhalt der deutschen Literatur zu bewahren: »Daß die geistige Einheit Gesamtdeutschlands auf keinen Fall zerrissen werden dürfe, [sei] das einstimmige leidenschaftliche Bekenntnis«129 der Münchener Tagung. So standen die Zeichen also – scheinbar – auf Harmonie. Die von Friedmann und den übrigen Vorstandsmitgliedern so vehement beschworene Einheit der deutschen Literatur indes war längst ins Wanken geraten: Am Rande der Münchener P.E.N.-Tagung spielte sich eine Szene ab, deren Nachwehen nicht intern geklärt, sondern in die Öffentlichkeit getragen wurden. Eine genaue Rekonstruktion der Vorgänge scheint aufgrund der Quellenlage kaum möglich, die zulässige Ausdeutung jedoch symptomatisch für das Ost-West-Verhältnis im Nachkriegsdeutschland. Im Zentrum der Auseinandersetzung standen wiederum Berliner Autoren – Günther Weisenborn und Günther Birkenfeld. Eine anlässlich der P.E.N.-Tagung in München an David Roussets Untersuchung ›Univers Concentrationnaire‹ entbrannte Auseinandersetzung hatte Birkenfeld zum Anlass genommen, seinen Diskussionspartner Weisenborn mit einem Artikel im amerikanisch lizensierten Telegraf harsch anzugreifen; dieser habe die Nichtexistenz von Konzentrationslagern in den Westzonen bedauert. Selbstredend blieb Weisenborn die Antwort nicht schuldig. Im Kurier schließlich wurde sowohl Anklage als auch Gegenwehr nebst einem richtenden Kommentar der Redaktion zur Kenntnis gebracht.130 Die gegenseitigen Anwürfe verdeutlichen einerseits einmal mehr, wie weit reichend sich die zonale Aufteilung Deutschlands und die zunehmend auseinander127
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Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in München vom 15. 11.–18. 11. 1949 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 37. [o. V.]: Schriftsteller gegen Schmutz- und Schundgesetz. Deutsches PEN-Zentrum erweitert. In: Duisburger Tageblatt vom 21. 11. 1949. Vgl. hierzu auch Johannes Tralow: Das Gesicht des deutschen PEN. In: Die Neue Zeitung vom 21. 11. 1949, S. 3. Johannes Tralow: Das Gesicht des deutschen PEN. In: Die Neue Zeitung vom 21. 11. 1949, S. 3. Vgl. [o. V.]: Grenzgänger der Humanität. In: Der Kurier 19 (23. 1. 1950). Abschrift bei SBBPK NL Tralow K 89 [PEN-Presse, Allgemein, 1949]. Birkenfelds Angriff auf Weisenborn war im Telegraf vom 28. 12. 1949 erschienen. 75
strebende Politik der Alliierten auf das Verhältnis der deutschen, speziell Berliner Kulturschaffenden auswirkte. Andererseits lassen sich die diffusen, mehr von Ahnung denn wirklichem Wissen geprägten Vorbehalte gegen das ideologische Gegenüber dingfest machen. In seiner Anklage bediente Birkenfeld im Grunde beide Seiten durch die Verwendung eines Jargons, der die ideelle Befindlichkeit der kulturpolitisch aktiven Deutschen erahnen lässt: Weisenborn sympathisiere mit dem »Kulturbund zur kommunistischen Verschleierung Deutschlands« und habe im Gegenzug Birkenfeld als ein »von den Amerikanern gekaufte[s] Subjekt[ ]« bezeichnet.131 Unbewusst werden die vagen Ängste vor den von den Alliierten vertretenen, in ihren gesellschaftspolitischen Auswirkungen noch kaum einzuschätzenden Systemen – Sozialismus versus Kapitalismus – und vor der ideologischen Unterwanderung plakativ ins Bild gesetzt. Weisenborn eignete sich für die vorgebrachten Anschuldigungen in mehrfacher Hinsicht: Er hatte während der Vorbereitung des I. Deutschen Schriftstellerkongresses als Mitglied im engeren Leitungskreis des SDA als Verbindungsglied zum Kulturbund gewirkt. Schon damals standen Weisenborn und Birkenfeld beim Tauziehen um Programm und Termin des Kongresses in unterschiedlichen Lagern des SDA.132 Seine »Entscheidungslosigkeit«133 – weder eindeutig für noch gegen den Osten, weder für noch gegen den Westen – trug Weisenborn von beiden Seiten Kritik ein. So befand die Redaktion des Kurier: »Es ist an der Zeit, daß Weisenborn seine Stellung zum Osten präzisiert, sonst muß er sich gefallen lassen, daß seine Gegner ihn nach Herkunft und Bruderschaft im östlich lizenzierten Lager vermuten, und auch annehmen, daß seine Nationalidee und die des Friedens von dort inspiriert ist.«134 Eine Existenz zwischen den Lagern war schon in dieser Zeit, wenn nicht unmöglich, mindestens außerordentlich heikel. Dennoch beharrte Weisenborn, der dem Freundeskreis Bechers angehörte, auf seinem »letzte[n] Grundprinzip«; es gelte der »Vereinigung der beiden Hälften Deutschlands«, deren Haupthindernis er im »Kampf der Weltmächte auf ihrem Boden« sah.135 Seine Position zwischen den Fronten, die keinesfalls die Bejahung der in der Ostzone herrschenden politischen Ansichten einschloss, brachte er anlässlich der Münchener Tagung (1949) sehr plastisch zum Ausdruck: »Wissen Sie, was ich augenblicklich für das Wesentlichste halte? Wir Deutschen dürfen uns auf keinen der vier prächtigen geschmückten Besatzungsmächtesessel setzen, sondern nur auf unser eigenes Schemelchen dazwi-
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[o. V.]: Grenzgänger der Humanität. In: Der Kurier 19 (23. 1. 1950). Vgl. Reinhold et al (Hg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, S. 18 und 24. [o. V.]: Grenzgänger der Humanität. In: Der Kurier 19 (23. 1. 1950). Abschrift bei SBBPK NL Tralow K 89 [PEN-Presse, Allgemein, 1949]. [o. V.]: Grenzgänger der Humanität. In: Der Kurier 19 (23. 1. 1950). Abschrift bei SBBPK NL Tralow K 89 [PEN-Presse, Allgemein, 1949]. [o. V.]: Grenzgänger der Humanität. In: Der Kurier 19 (23. 1. 1950). Abschrift bei SBBPK NL Tralow K 89 [PEN-Presse, Allgemein, 1949].
schen.«136 Gerade für dieses »Schemelchen dazwischen« aber war in der kulturpolitischen Situation Berlins kein Platz. Eine Notiz, die Johannes R. Becher am 24. Januar 1950 in sein Tagebuch niederschrieb, nimmt Bezug auf die Auseinandersetzung zwischen Birkenfeld und Weisenborn: »Übersehen habe ich Birkenfelds Sudelei vom 18. Dezember, die einen hinterhältigen Angriff gegen Weisenborn darstellt, ebenfalls wegen der sogenannten Konzentrationslager.«137 In Bezug auf jene »sogenannten Konzentrationslager« machte Johannes R. Becher selbst anlässlich der Wiesbadener Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland (Dezember 1950) in Aufmerksamkeit erregender Weise in der westdeutschen Presse von sich reden; er bediente ein Vorurteil, das die Kluft zwischen Ost und West stärker aufriss. Die Spannungen entfalteten sich weiter – doch nicht erst jene öffentliche Entgleisung Bechers initiierte den Eintritt des deutschen P.E.N. in den kalten Krieg; sie war nur ein punktuelles Ereignis unter vielen Faktoren, die unweigerlich zu seiner Spaltung trieben.
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J. v. H. [d. i.?]: Am Rande PENdelnd. Mit Zeichnungen von Meyer-Brockmann. In: Süddeutsche Zeitung 164 (19./20. 11. 1949), S. 8. Johannes R. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 64–74, hier S. 70. Vgl. auch Johannes R. Becher: Feinde der Menschheit. Notiz [24. 1. 1950]. Abgedruckt in Carsten Gansel (Hg.): Der gespaltene Dichter. JohannesR. Becher. Gedichte, Briefe, Dokumente 1945–1958. Berlin 1991, S. 48f., hier S. 49. 77
3.
Die »Kriegserklärung im deutschen P.E.N.«1 – Sezession als Folge des Kalten Krieges (1950/51)
3.1
»Eine gedeihliche Zusammenarbeit […] ist nicht mehr denkbar«2 – Anzeichen einer unvermeidlichen Aufspaltung des P.E.N.-Zentrums Deutschland
3.1.1 Ideologische Grabenkämpfe vor und während der Wiesbadener Tagung (4.–7. 12. 1950) Obwohl die Wortführer auf der im Anschluss an die Münchener Tagung veranstalteten Pressekonferenz darauf zielten, das P.E.N.-Zentrum Deutschland als geglücktes und richtungsweisendes Experiment im Hinblick auf ein geeintes Deutschland erscheinen zu lassen, erwecken die bis dahin vor allem in der Presse geführten Kontroversen Skepsis in Bezug auf die Beständigkeit der demonstrierten Einigkeit. Denn die Anfeindungen fanden mit der Auseinandersetzung Birkenfeld – Weisenborn keineswegs ein Ende; sie bildeten vielmehr den Auftakt zu einer Entwicklung, an deren Ende die Abspaltung einer weiteren deutschen P.E.N.-Gruppe stand. Die Vielschichtigkeit der Einflussnahmen auf diese Entwicklung im deutschen P.E.N. erklärt, warum in der Forschungsliteratur3 jeweils eigene Wege zur Klärung der Spaltung beschritten werden. Eine Gewichtung der konstatierten Einflüsse ist sekundär, wesentlich erscheint vielmehr das Zusammenspiel der einzelnen Faktoren, das bei zusammenfassender Betrachtung deutlich wird. Im Vorfeld und auf der Wiesbadener Generalversammlung des P.E.N.Zentrums Deutschland, die im Dezember 1950 zusammenkam, trat die zunehmende Verschärfung der Gegensätze im deutschen P.E.N. deutlich zutage. In enger Verknüpfung damit stand der Kongreß für kulturelle Freiheit, der vom
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Johannes Tralow: Kriegserklärung im deutschen PEN [o. D., nach 23.–25. Oktober 1951 (Düsseldorfer Tagung)]. SBBPK NL Tralow K 87 M 13. Rudolf Pechel, Theodor Plievier und Günther Birkenfeld an das Präsidium des PENCentrum Deutschland [20. 11. 1950]. Zitiert nach: Protokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950]. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Vgl. hierzu Kap. 2, FN 1, sowie Peitsch: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen«. Erschienen ohne Anmerkungen auch in: Kürbiskern 3 (1985), S. 105–124; Hochgeschwender, S. 335–346. Mit der Spaltung des deutschen P.E.N.-Zentrums beschäftigt sich auch ein Beitrag von Leonore Krenzlin: Dialogbemühungen mitten im kalten Krieg. Johannes R. Becher und der PEN-Club im Jahre 1950. In: Weimarer Beiträge 34 (1998) 10, S. 1749–1753.
26.–30. Juni 1950 in Berlin tagte. Einerseits entzündete sich an diesem »›Kulturkongreß‹, arrangiert von einem Polizeispitzel [Melvin J. Lasky] […] in unserem vielgeplagten Berlin«4 , die Aggression Bechers, die wie ein Bumerang auf ihn zurückwirkte; andererseits konzentrierten sich im organisatorischen Umfeld des Kongresses antikommunistische und antineutralistische Kräfte auch unter den Berliner Schriftstellern, deren Engagement die Entzweiung der P.E.N.Mitglieder in der Folgezeit vorantrieb. Der Berliner Kongreß für kulturelle Freiheit5 kann als ein Ergebnis der Ausbildung von gegenläufigen Bewegungen begriffen werden, die auf internationaler Basis gemäß der ideologischen Blockbildung forciert wurde; er signalisierte die zunehmende Auseinandersetzung zwischen den beiden am Kalten Krieg beteiligten Machtblöcken. Besorgt um die dauerhafte Kontrolle ihres Machtbereiches, gleichzeitig bestrebt, eine ideologische Verunsicherung des jeweils anderen Blockes zu erreichen, strebten beide Seiten nach einer klaren Abgrenzung vom Kontrahenten. Auf ideellkulturellem Gebiet komprimierte sich der weltanschauliche Gegensatz in den für die jeweilige Ideologie funktionalisierten Begriffen »Frieden« (Ost) und »Freiheit« (West). Die Idee zur Durchführung des Kongresses für kulturelle Freiheit in Berlin ging zurück auf eine kleine Gruppierung aus dem Dunstkreis einer um 1948 entstandenen »internationalen, transatlantischen Kommunikationsgemeinschaft liberaler Intellektueller«6 , die dezidiert antikommunistische und antineutralistische Ansichten vertrat. Zu den Ideengebern und Unterstützern des Kongresses zählten u. a. der seit dem I. deutschen Schriftstellerkongreß hinlänglich bekannte Melvin Lasky, dem gemeinsam mit der Redaktion der liberaldemokratischen und antikommunistischen Zeitschrift Der Monat 7 die organisatorische Vor4
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Johannes R. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 308. Becher verdächtigte Lasky, ein Agent des Armeenachrichtendienstes CIC zu sein. Daraus entwickelte sich nach Hochgeschwender das »stereotype Topos des ›Polizeispitzels‹«. Vgl. Hochgeschwender, S. 227. Der überzeugte Antistalinist Lasky, der in der Zeit des Kalten Krieges als Vertreter eines militanten Antikommunismus von sich reden gemacht hatte, stand unter dem Verdacht, ein CIA-Agent zu sein. Nach Saunders leugnete Lasky diese Verbindung jedoch hartnäckig. Tatsächlich hatte er bei der Organisation und Durchführung des Berliner Kongresses für kulturelle Freiheit eine führende Rolle eingenommen. Vgl. Frances Stonor Saunders: Wer die Zeche zahlt. … Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg. Berlin 2001, S. 38f., S. 53 und S. 78–87. Becher könnte mit seiner Zuschreibung »Polizeispitzel« auch Michael Josselson gemeint haben; er zählte ebenfalls zu den Mitorganisatoren des Berliner Kulturkongresses und war zu dieser Zeit Agent des CIA. Vgl. Hochgeschwender, S. 218f. Vgl. auch Klaus Harpprecht: Wir wollten Weltluft. Unzeitgemäße Anmerkungen über den CIA, den »Monat« und den Kongress für die Freiheit der Kultur«. In: Die Zeit 26 (21. 6. 2000). Verfügbar unter URL: http://www.melvin-lasky.de/Hauptteil 7 [Zugriff: 4. 5. 2005]. Die folgenden Ausführungen orientieren sich maßgeblich an der Darstellung von Hochgeschwender, der die (Ideen-)Geschichte des Congress for Cultural Freedom (CCF) vor dem Hintergrund ausführlicher Studien des Forschungsstandes und eigenem Quellenstudium minutiös beschrieben hat. Hochgeschwender, S. 116. Detaillierte Ausführungen zur Funktion der Zeitschrift Der Monat im Entstehungsprozess des CCF und in der Folgezeit finden sich bei Hochgeschwender, S. 159–203. 79
bereitung oblag, der CIA-Agent Michael Josselson, sowie der West-Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter und wohl auch der amerikanische Sozialphilosoph Sidney Hook. Ursprünglich als einmalige Veranstaltung für die antikommunistische, intellektuelle Linke geplant, führte die angestoßene Entwicklung im selben Jahr zur Begründung einer organisierten Bewegung mit dem gleich lautenden Namen Kongreß für kulturelle Freiheit (CCF), deren finanzielle Unterstützung durch die CIA nach Hochgeschwender sehr wahrscheinlich ist.8 Der CCF organisierte weltweit überwiegend linksliberale und sozialdemokratische Intellektuelle, von denen nicht wenige als ehemalige Kommunisten zu identifizieren sind. Die Veranstaltung des Berliner Kongresses muss als Reaktion auf die seit 1947/48 zunehmend erfolgreiche Friedens- und Neutralitätskampagne des KOMINFORM9 verstanden werden, die sich in einer Art erweiterter Tradition von Willi Münzenbergs in den dreißiger Jahren angewendeten »fellow-traveller«Prinzip10 in Verbindung mit der Weltfriedensbewegung11 zu einer weltweiten
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Zur Charakterisierung des Monat vgl. insbesondere S. 149f. Zu den Mitarbeitern des Monat zählte z. B. Hilde Spiel. Vgl. Hilde Spiel: Welche Welt ist meine Welt? Erinnerungen 1946–1989. Reinbek bei Hamburg 1992, S. 113, zum Kongreß für kulturelle Freiheit, S. 124–131. Vgl. weiterhin Harpprecht:Wir wollten Weltluft. Der Zeitgenosse Harpprecht verweist auf die partielle Unterstützung des Monat durch den amerikanischen Geheimdienst – die pauschale Beurteilung des Monat samt aller Unternehmungen und Publikationen des Kongresses für die kulturelle Freiheit als Tarnoperation der CIA durch die Autorin FrancesStonor Saunders lehnt er jedoch entschiedenab. An der Qualität der Zeitschrift, an der Wachsamkeit gegen jede totalitäre Gefahr habe diese Tatsache nicht das Geringste geändert. Vgl. hierzu Saunders. Hochgeschwender, S. 17. Die Bildung eines Informationsbüros der Kommunistischen und Arbeiterparteien (KOMINFORM) war Ende Juni 1947 von hochrangigenFunktionärenaus neun europäischen Ländern beschlossen worden. Auftrag des KOMINFORM, dem je zwei Vertreter der Kommunistischen Parteien Europas angehören sollten, war es, den »Erfahrungsaustausch und im Bedarfsfalle eine Koordinierung der Tätigkeit der kommunistischen Parteien auf der Grundlage des gegenseitigen Einvernehmens zu organisieren.« Andreas Michaelis: Agenturen des Kalten Krieges in Deutschland. In: Deutschland im Kalten Krieg 1945–1963. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums 28. August bis 24. November 1992 im Zeughaus Berlin. Berlin 1992, S. 253–274, hier S. 262. Eine prägnante Beschreibung des Prinzips liefert Münzenbergs Lebensgefährtin Babette Gross: Als »fellow-traveller« bezeichnet man »jene[ ] für den Kommunismus […] unentbehrlichen,großenteilsaus den Reihen der Intellektuellenstammenden Hilfstruppen, die, ohne Mitglieder der kommunistischen Parteien zu sein, diesen jedoch tätige Sympathie entgegenbringen und sie durch öffentliche Bekenntnisse moralisch unterstützen. […] [Münzenbergs] Leistung war es […], sie in einem bis dahin unbekannten Umfang mobilisiert und für die Kommunisten dienstbar gemacht zu haben.« Babette Gross: Willi Münzenberg. Eine politische Biographie. Mit einem Vorwort von Arthur Koestler. (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Nr. 14/15) Stuttgart 1967, S. 230. Bei der im Zusammenhang mit der Weltfriedensbewegung in Gang gesetzten zweiten »fellow-traveller«-Welle trat »zunehmend neben das Prinzip des großen Namens das der großen Zahl.« Hochgeschwender, S. 208. Die Führung der Weltfriedensbewegung lag in den Händen der Familie Joliot-Curie. Das Internationale Verbindungskomitee der Weltfriedensbewegung, das seit dem Bres-
Massenbewegung entwickelt hatte und sich ideologisch an der »Zwei-Lager«Theorie12 Shdanows orientierte. Ausschlaggebend für die verstärkte kommunistische Propagandaaktivität war wiederum die aggressiv antisowjetische Debatte westlicher Intellektuellenkreise, die vor dem Hintergrund der kommunistischen Machtübernahme in weiten Teilen Ostmitteleuropas die »Möglichkeit eines nuklearen Erstschlages gegen die Sowjetunion«13 zur Lösung des kommunistischen Problems ebenso diskutierte wie den »Präventivkrieg gegen die Sowjetunion«14 . Die Angst vor dem drohenden Einsatz atomarer Waffen und die kollektive Erfahrung des wenige Jahre zurückliegenden Weltkrieges verliehen der Thematik »Frieden«, ungeachtet »der an sich erkennbar stalinistisch beeinflußten Friedenskampagne«15 , enorme Anziehungskraft. Zunächst auf die Formierung eines breiten, verdeckt stalinistisch gesteuerten Bündnisses von Intellektuellen ausgerichtet, erlangte die Weltfriedenskampagne recht schnell massenorganisatorischen Charakter. Wesentliches Instrument der Bewegung waren die Friedenskongresse und -tagungen, die seit 1948 an verschiedenen Orten initiiert wurden und die Friedensthematik mit antiamerikanischer Propaganda verbanden. Als Höhepunkt der Aktivitäten kann der Stockholmer Appell vom März 1950 gelten, der »ein vorbehaltloses Verbot nuklearer Waffen, die umfassende Kontrolle des Verbots sowie die generelle Ächtung des nuklearen Erstschlages forderte«16 und in einer groß angelegten Unterschriftenaktion vor allem in den kommunistischen Ländern regen Zuspruch erhielt, aber auch im Westen Unterstützung fand. Die massenhafte Mobilisierung für die Sache des Friedens, die verdeckt den kommunistischen Interessen diente, erzwang förmlich eine antisowjetische Reaktion. Der Berliner Kongress, dessen wesentliches Thema die kulturelle Freiheit – als »Topos der Antikommunisten«17 – war, kann als eine Art Gegenkongress zu den Veranstaltungen der Friedensbewegung charakterisiert werden.
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lauer Kongreß der Kulturschaffenden zum Schutze des Friedens (August 1948) existierte, wurde weitgehend von kommunistischen Mitgliedern dominiert und befand sich somit faktisch in Abhängigkeit von den stalinistischen Herrschaftsstrategien. Vgl. Hochgeschwender, S. 208. Andrej Shdanow hatte auf dem konstituierenden Treffen des KOMINFORM eine Rede vorgetragen, die als ein »Grundsatzdokument« des Kalten Krieges angesehen werden kann. Darin entwickelte der Chefideologe der KPdSU und enger Vertrauter Stalins die »Zwei-Lager«-Theorie, »wonach sich der Kampf zwischen dem ›imperialistischen und antidemokratischen Lager, dessen Grundziel es ist, die Welthegemonie des USA-Imperialismus zu errichtenund die Demokratie zu zerbrechen‹, und dem ›antiimperialistischen und demokratischen Lager‹ immer mehr verschärfe.« Michaelis, S. 262. Hochgeschwender, S. 205. Hochgeschwender, S. 206. Hochgeschwender, S. 205. Hochgeschwender, S. 209. Vgl. hierzu auch Peitsch: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen«, S. 227–232. Peitsch zeichnet die publizistische Schlacht nach, die die Unterzeichnung des Appells durch Thomas Mann, Hermann Hesse und Reinhold Schneider in der Folgezeit hervorrief. Hochgeschwender, S. 216. 81
Einladungen nach Berlin ergingen an Intellektuelle in der gesamten westlichen Welt, um – wie das P.E.N.-Mitglied Hilde Spiel erinnert – »die westliche Intelligenz als entschlossene, nicht korrumpierbare Vorhut im Kampf […] gegen die Gefahr des ›Weltkommunismus‹ darzustellen und einzusetzen«18. Gleichwohl erreichte der Berliner Kongress aus organisatorischen und ideologischen Gründen nicht die Ausmaße der kommunistisch geprägten Weltfriedenskongresse. Indes lieferte die aktuelle Entwicklung der weltpolitischen Lage einen Hintergrund von besonderer Brisanz: Am Tag vor der Eröffnung des Kongresses (25. 6. 1950) erfolgte der Einmarsch von Truppen des kommunistisch regierten Nord-Korea in das zur US-amerikanischen Einflusssphäre gehörende SüdKorea. Spekulationen über das imperialistische Machtstreben der Sowjetunion schienen bestätigt, Bestrebungen zur stärkeren Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Lager wurden nachhaltig intensiviert. Der Ost-West-Konflikt verschärfte sich in der Folgezeit bis hin zur realen Gefahr eines weiteren Weltkrieges19 – der viel beschworene Frieden geriet in Gefahr. Die Nachricht vom Einmarsch der kommunistischen Truppen sorgte auf dem Kongress für eine spürbare Verschärfung der Atmosphäre, die zumindest teilweise eine Radikalisierung der Versammlung mit sich brachte.20 Für die Verfechter eines militärischen Schlags gegen den sowjetisch dominierten Ostblock, so z. B. Arthur Koestler, bot dieses Beispiel »sowjetischen Imperialismus«21 die Möglichkeit, den Kongress mit radikalen und kompromisslosen Positionen zu dominieren. Angesichts des stalinistischen Totalitarismus sei Neutralität unmöglich geworden. Obgleich sich gegen Koestlers Radikalismus schon auf dem Kongress eine Opposition zu regen begann, beherrschte die demonstrierte Haltung die öffentliche Wahrnehmung der Tagungsergebnisse und wurde von deutschen Schriftstellern wie Eugen Kogon und Günther Birkenfeld ganz oder zumindest zum Teil unterstützt.22 Provokativ musste der Kongreß für kulturelle Freiheit auf (deutsche) Kommunisten in mehrfacher Hinsicht wirken: Der geistige Kern der Bewegung rekrutierte sich zum Teil aus ehemaligen Anhängern des Kommunismus. Zudem machte sich der Kongress die Mechanismen des Münzenbergschen »fellowtraveller«-Prinzips zunutze, um antikommunistische und antineutralistische Kräfte zu bündeln; er versammelte »westlich orientierte[ ] Intellektuelle ganz unterschiedlicher politischer Herkunft, […] um ein Bekenntnis zur Westlichkeit 18
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Spiel: Welche Welt, S. 127. Vgl. Klaus Harpprecht: Die geistige Résistance nach 1945. Verfügbar unter URL: http://www.frankfurter-hefte.de/ausschnitt/kultur 5.html [Zugriff: 11. 5. 2005]. Vgl. Fischer Chronik Deutschland. Ereignisse Personen Daten. Frankfurt am Main 2001, S. 69. Vgl. Spiel: Welche Welt, S. 127f. und Hochgeschwender, S. 236. James Burnham, Theoretiker des Kalten Krieges, benutzte den Begriff des »sowjetischen Imperialismus«, um den »Stockholmer Appell« als »Instrument« desselben zu beschreiben. Vgl. Peitsch: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen«, S. 233. Vgl. Hochgeschwender, S. 236f.
abzulegen«23 . Zugleich inszenierte man die Veranstaltung durch die Anwesenheit einer Vielzahl von – außerordentlich vielen deutschen – Journalisten und Publizisten als mediales Großereignis, um die Publizität des Unternehmens zu garantieren. Dass die dezidiert antisowjetische Propaganda im Vorfeld und während des Berliner Kongresses für kulturelle Freiheit, sowie dessen reale Durchführung die Anhänger des Kommunismus keineswegs unberührt ließ, überrascht aufgrund der skizzierten Vorgeschichte kaum. Mit einer von Hilde Spiel als »Kundgebung der kommunistischen Intelligentsia für den Frieden«24 charakterisierten Parallelveranstaltung im Haus des Kulturbundes versuchte man der publizistischen Wirkung des Kongresses entgegenzuwirken.25 Wie sehr Johannes R. Becher gedanklich mit dem Kongreß für kulturelle Freiheit befasst war, verdeutlichen die Eintragungen in seinem Tagebuch 1950 ; sie bringen Bechers aggressive, antiamerikanische Haltung drastisch zum Ausdruck: Der Kulturkongress sei ein »Weltskandal«26 ; dieser sei »dem ›amerikanischen Jahrhundert‹ vorbehalten«27 geblieben. Einen Brand im Club der Kulturschaffenden, dessen Ursache ungeklärt blieb, brachte er mit dem Kongress in Verbindung: »Brandstiftung ist erwiesen, die Spuren führen in die Richtung der Veranstalter des sogenannten ›Kongresses für kulturelle Freiheit‹.«28 Diesen begriff er als »das Lager der schlimmsten Kriegshetzer, […] das Lager von Menschen, die nichts so sehr hassen als den Frieden.«29 Enttäuscht zeigte Becher sich etwa über die Beteiligung der deutschen Bildhauerin und Graphikerin Renée Sintenis am Kongress: Man könnte tatsächlich an der Menschheit zweifeln, wenn man sieht, daß nach einem ersten und einem noch schlimmeren zweiten Weltkrieg diejenigen, die einen allerschlimmsten dritten Weltkrieg vorbereiten, solch einen durchschlagenden Erfolg ihrer verbrecherischen Bestrebungen haben bei Menschen, wie ich sie zu dem menschlich Besten zu rechnen habe, was unsere gegenwärtige Zeit und besonders Deutschland zu bieten hat.30
Seine Auslassungen, die propagandistisch erst nachträglich mit der Veröffentlichung seines Tagebuchs zum Tragen kommen sollten, richtete Becher stellvertretend für die Exkommunisten im Umfeld des Kongresses gegen den deutschen Schriftsteller Theodor Plievier, der bald nach der Rückkehr aus dem sowjeti-
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Hochgeschwender, S. 229. Spiel: Welche Welt, S. 130. Vgl. Spiel: Welche Welt, S. 130f. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 308. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 308. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 311. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 317. Johannes R. Becher an Renée Sintenis [28. 6. 1950]. Zitiert nach Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 317f. Renée Sintenis hatte dem am 8. August 1945 konstituierten Präsidialrat des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands angehört. 83
schen Exil dem Kommunismus abgeschworen und seit dem Frühjahr 1950 das deutsche Vorbereitungskomitee um Lasky unterstützt hatte:31 : Der dumme Pli[e]vier ist nun doch auf dem Kongreß erschienen. Er ist – seinem literarischen Charakter nach – ein vegetativer Schriftsteller, ein Triebgeschöpf. In Moskau, wo er sich mit seinen Gedanken zusammennehmen und eine gewisse Disziplin im Denken üben mußte, dort ist ihm ›Stalingrad‹gelungen.Nun ist er mit seiner Dummheit auf sich selber gestellt […]. Wäre er nicht so dumm, hätte er den Aufenthalt dort gewählt, wo sein Verstand sich hätte weiter bilden können.32
Pikanterweise gehörte gerade Plievier zu jener kleinen Gruppe, die in die wenige Monate später stattfindende Wiesbadener Versammlung des deutschen P.E.N.Zentrums eine Debatte über die öffentlichen Angriffe mit Bezug auf den Kongress hineintrug, um diese gezielt gegen Johannes R. Becher als Mitglied und Präsident einzusetzen; noch aber ließ sich die Mehrzahl der im P.E.N. versammelten Schriftsteller nicht für eine konzertierte Aktion gegen Becher und die anderen DDR-Mitglieder einnehmen. Der für Anfang Dezember 1950 einberufenen Jahresversammlung des P.E.N.Zentrums Deutschland war eine Vorstandssitzung im Oktober vorausgegangen, auf der beschlossen worden war, diese für die beiden Teile Berlins geplante Veranstaltung kurzfristig nach Wiesbaden zu verlegen. Zwei Mitglieder aus dem Osten sollten daran teilnehmen, auf der Tagesordnung stand u. a. der »Fall Birkenfeld«.33 Becher brachte sein Bedauern zum Ausdruck, dass die P.E.N.Tagung nicht auch im Osten stattfinden könne, »denn allmählich bilde[ ] sich bei den dortigen Kollegen die Ansicht heraus, daß wir nur irgendwelche formalen Anhängsel des PEN-Klubs noch seien«34 . Nichtsdestotrotz reisten aus der DDR Johannes R. Becher35 und Stephan Hermlin nach Wiesbaden, um an der Zusammenkunft teilzunehmen. Zunächst 31
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Vgl. Hochgeschwender,S. 24. Plievierlebte an verschiedenenOrten in der Sowjetunion, darunter Leningrad (St. Petersburg), Moskau, Paulskoje, Galitsino und Domodjedowo. Vgl. David Pike: Deutsche Schriftsteller im Sowjetischen Exil. Frankfurt am Main 1992, S. 97. Plievier besuchte auch die Redaktionsräume des Monat regelmäßig: »Denis Rougement, Ernst Reuter, Willy Brandt kamen vorbei,aber auch Theodor Plievier; dieser allerdings unter Polizeischutz, weil er sich als Dissident wohl zu Recht vor einer Entführung in den Ostsektor fürchtete.« Aussage von Wolf Jobst Siedler. Zitiert nach Klaus Harpprecht: Wir wollten Weltluft. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 318. Zu Plieviers Schaffen im Exil bemerkt Pike, S. 529: »Das einzige wirklich hervorragende literarische Produkt der deutschen Emigration in Rußland war Theodor Plieviers Roman Stalingrad […].« Zur Charakterisierung des Romans führt Pike, S. 531 an: »Stalingrad ist alles andere als eine Auseinandersetzung zwischen Ideologien. […] Er [Plievier] spricht deutlich über das Verbrecherische des Krieges […].« Plievier verurteilte den Krieg moralisch und akzentuierte die Schuld des deutschen Volkes. Vgl. Pike, S. 538. Vgl. Kurzer Bericht über die Vorstandssitzung des PEN-Zentrums Deutschland in München [21. 10. 1950]. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Johannes R. Becher an Hermann Friedmann [7. 11. 1950]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11724. Zitiert nach Malende: Die »Wiedererrichtung«, S. 88. Vgl. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 541–552. Bechers Eintragungen auf S. 541 bezeugen dessen zutiefst verinnerlichte Aversion gegen alles Amerikanische:
deutete nichts darauf, dass der Ost-West-Konflikt die Tagesgeschäfte des deutschen P.E.N. tangieren würde: Man führte die in München begonnene Debatte über die Einführung eines »Schmutz- und Schundgesetzes«36 in der Bundesrepublik fort und diskutierte wiederum die Frage der Geldbeschaffung zur Finanzierung des P.E.N.-Zentrums.37 Den Markstein dieser bis dahin scheinbar harmonischen Sitzung setzte erst die Verlesung eines von den nicht anwesenden Schriftstellern Günther Birkenfeld, Rudolf Pechel und Theodor Plievier an das Präsidium »zu Händen Herrn Erich Kästner«38 gerichteten Schreibens vom 20. November 1950; es eröffnete die zielstrebige Offensive gegen Becher, deren Vorlage dieser selbst mit seiner Abschlussrede auf dem II. Schriftstellerkongress im Juli 1950 geliefert hatte. Diese war in der Zeitschrift Aufbau publiziert worden.39 Zusammengefunden hatten die Verfasser des Briefes auf Birkenfelds Initiative hin; dieser hatte unter den deutschen Teilnehmern am Kongreß für kulturelle Freiheit nach Verbündeten gesucht und Korrespondenz mit Hermann Kesten, Eugen Kogon, Rudolf
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»Bei der Landung in Frankfurt am Main Erstaunen über den amerikanischen Charakter, den der Landeplatz samt seinem deutschen Personal angenommen hat. […] Wiesbaden: Charakter einer Kolonialstadt. Nicht mit Hunderten, sondern mit Tausenden im Freien parkenden amerikanischen Autos. Hotel von Amerikanern belebt, überall amerikanische Anschriften. Die robusten, massiven Figuren von Militärpolizisten, in einem stampfenden,gummikauendenDahinschlenkern,die deutschen Polizisten dagegen wie ärmliche Polizeiangestellte wirkend …« Unter dieser Bezeichnung lief die ablehnende Diskussion im P.E.N.-Zentrum Deutschland, z. T. argumentierte man auch mit der Parallele zur gleichfalls umstrittenen Gesetzgebung der Weimarer Republik. Bereits in München hatte sich das P.E.N.Zentrum Deutschland in einer Resolution gegen »Maßnahmen und Tendenzen, die das freie literarische Schaffen beeinträchtigen könnten«, vor allem gegen jede zukünftige »direkte oder indirekteZensur« gewandt. Vgl. [o. V.]: Schriftstellergegen Schmutzund Schundgesetz. In: Duisburger Tageblatt vom 21. 11. 1949. Tatsächlich ging es um die Debatte zur Einführung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (Einführung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 14. 7. 1953). So berichteten Erich Kästner und Stefan Andres von ihrem Besuch in Bonn: »Das Resultat ist nicht befriedigend, es scheint, als solle das Gesetz getarnt als ›Gesetz über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften‹ kommen. Bonn meint es offenbar gut, begreift jedoch nicht, warum der PEN sich wehrt.« In Wiesbaden berieten die P.E.N.-Mitglieder noch einmal Handlungsmöglichkeiten gegen das Gesetzesvorhaben. Vgl. Protokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden vom 4.–7. 12. 1950 [Dezember 1950]. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Einen Beitrag zur öffentlichen Diskussion liefert beispielsweise der Artikel von Bruno E. [d. i.?]: Gefahren der Freiheit. Brauchen wir ein Schmutz- und Schundgesetz? In: Die Neue Zeitung, [o. A]. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.f. Protokoll der Tagung des InternationalenP.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950]. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Protokoll der Tagung des InternationalenP.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950]. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Vgl. Johannes R. Becher: Die gleiche Sprache. In: Aufbau 6 (1950) 8, S. 697– 703. Pechel, Plievier und Birkenfeld hatten fälschlicherweise in ihrem Brief auf das Heft Nummer 5 hingewiesen. 85
Pechel, Theodor Plievier und Dolf Sternberger aufgenommen.40 Birkenfelds Agitation ist vor dem Hintergrund seiner Aktivität für den CCF, v. a. durch seine Mitarbeit in dessen Berliner Sekretariat zu sehen. Das Berliner Büro des CCF war zunächst »kaum mehr als ein weiterhin existentes Relikt des von Lasky organisierten Kongresses«41 geblieben. Internes Kompetenzgerangel unter den Mitarbeitern, konzeptionelle Informationsverweigerung und Verwehrung finanzieller Unterstützung des Büros durch die internationale Zentrale des CCF in Paris hemmten die Aktivität des Berliner Sekretariates. Als primärer Aufgabenbereich war den Mitarbeitern von der internationalen Zentrale in Paris lediglich die Beobachtung und Dokumentation politischer und gesellschaftlicher Vorgänge im Osten Deutschlands aufgetragen worden. Der internationale CCF vertrat den intellektuell-elitären Ansatz, vor allem das ideologische Fundament antikommunistischer Propaganda aufzuarbeiten und bereitzustellen. Diametral dazu stand Birkenfelds Auffassung, der CCF sei ein »Teil direkter Aktion gegen die kommunistische Welt«42 und »eine unter vielen Agenturen des Kalten Krieges, die in Zusammenarbeit mit KgU [Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit], UfJ [Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen], SPD-Ostbüro und anderen Propagandaarbeit im Osten und antikommunistische Aufklärung im Westen betreiben«43 . Bechers scharfer Angriff auf die Teilnehmer des Berliner Kongresses und damit zugleich auf Birkenfelds ideologisches Konzept diente letzterem als Grundlage für seinen Generalangriff gegen die Kommunisten im deutschen P.E.N.-Club. Für seinen antikommunistischen Vorstoß nutzte Birkenfeld 40
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Vgl. Hochgeschwender, S. 335–346, hier v. a. S. 339, FN 159: »Plievier und Pechel [hatten] positiv reagiert, Sternberger sollte durchgehend zurückhaltend bleiben, Kogon schloß sich den drei anderen später an, Kesten stand zwar auf ihrer Seite, hielt sich aber zurück.« Pechel und Plievier gehörten zudem zum Autorenkreis der von Lasky herausgegebenen Zeitschrift Der Monat. Vgl. Hochgeschwender, S. 154. Hochgeschwender, S. 299. Hochgeschwender, S. 318. Hochgeschwender, S. 317. Die KgU trat Mitte Dezember 1948 mit dem Aufruf »Gegen Unmenschlichkeit« hervor. Die Gründung ging auf den Publizisten Rainer Hildebrandt zurück. Grundlegende Zielsetzung »war zunächst die Sammlung von Informationen über Personen, die in der Sowjetischen Besatzungszone verschleppt worden waren, sowie die Aufklärung der Öffentlichkeit über ›sowjetische Konzentrationslager auf deutschem Boden‹.« Ein spezieller Suchdienst, der Nachforschungenüber den Verbleib verschleppter oder willkürlich verhafteter Personen anstellte, wurde eingerichtet. Von der Alliierten Kommandantur erhielt die KgU im April 1949 die Lizenz »›als unabhängige, rechtlicheingetrageneOrganisationüberparteilichenund überkonfessionellen Charakters‹«. Anfang der 50er Jahre wandelte sich die KgU »unter dem wachsenden Einfluß von Ernst Tillich von einer vorwiegend humanitären Einrichtung zu einer Organisation des aktiven Widerstandes gegen das politische System der DDR.« Michaelis, S. 263. Der UfJ wurde im September 1949 in West-Berlin von einer Gruppe vormals in der SBZ ansässiger Juristen um Horst Erdmann (alias Dr. Theo Friedenau) gegründet. Als wesentliches Ziel der Vereinigung galt das »Sammeln von Informationen über Aktionen bzw. Urteile der Polizei- und Justizorgane der SBZ/DDR, die nicht den Normen bundesdeutscher Rechtsstaatlichkeit entsprachen.« Hochgeschwender, S. 272.
die über die Tätigkeit im Berliner Sekretariat des CCF erschlossenen Kontakte und Strukturen, fand Unterstützung bei einigen der ebenfalls im CCF organisierten Schriftstellerkollegen. Keinesfalls handelte er im direkten Auftrage der internationalen Zentrale des CCF. Sein Handeln kann als strikter Alleingang eines überzeugten Antikommunisten im Sinne seiner Grundsätze verstanden werden.44 Im Mittelpunkt der Anklage durch Birkenfeld, Pechel und Plievier standen Bechers Anfeindungen gegen die Teilnehmer des Kongresses für kulturelle Freiheit, die im Aufbau öffentlich gemacht worden waren. Bechers Ausführungen mussten durch ihre aggressive Wortwahl über jedes Maß hinaus brüskierend wirken. Becher hatte den Schlussteil seiner Rede dem scharfen Angriff reserviert. Von relativ unverfänglichen Anmerkungen zur Frage des schriftstellerischen Nachwuchses, die auf der Tagung des Schriftstellerverbandes im Mittelpunkt stand, schlug Becher den Bogen zu jenem schwierigen Fall, »wenn einer ausgezeichnet Bescheid weiß in allen Literaturen der Welt, aber wenn dabei sein Herz unempfindlich ist gegenüber allem dem, was sein Volk will und wessen die Völker bedürfen und wenn er seine Verstandesgabe nur dazu benutzt, dem Unheil und dem Verderben zu dienen.«45 Zwar sei solchen Leuten nicht zu helfen; »hier k[ö]nn[e] nur auf eine Art Abhilfe geschaffen werden, indem man mit ihnen so verfährt, wie es Menschenfeinde verdienen und wie es Maxim Gorki in dem Satz ausgedrückt hat: ›Wenn der Feind sich nicht ergibt, muß er vernichtet werden.‹«46 War Becher bislang in seinen destruktiven Auslassungen im Hinblick auf den Adressaten seiner Aggression vage geblieben, konkretisierte er im Folgenden die Zielscheibe seiner Drohungen: Wenn solche Leute anläßlich des Spitzel- und Kriegsbrandstifter-Kongresses, wie er vor einiger Zeit in Berlin stattfand, an Arnold Zweig, Anna Seghers, Bertold Brecht und mich die Aufforderung gerichtet haben, uns mit ihnen zusammenzusetzen und zu diskutieren,so antworten wir ihnen: mit Spitzeln und Kriegsverbrecherngibt es keinerlei Art von Diskussion. Solche Leute sind für uns keine Gesprächspartner. Wir setzen uns mit ihnen auseinander, nur im wörtlichen Sinne. Wir setzen uns mit ihnen so weit wie möglich auseinander, um nicht in Tuchfühlung mit ihnen zu geraten, die ja längst 44
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Vgl. hierzu das Kapitel »Die Spaltung des deutschen P.E.N.« in: Hochgeschwender, S. 335–345. Die Kapitelüberschrift impliziert die aktive Beteiligung des CCF an der Spaltung des deutschen P.E.N.-Zentrums; dieser Eindruck relativiert sich erst am Schluss der Darstellung. Im Wesentlichen reagiert Hochgeschwender mit seinen Ausführungen auf Peitschs Artikel (siehe Kap. 3, FN 3), in dem dieser dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen eine tragende Rolle im Spaltungsprozess zuschreibt und die Position des CCF nur andeutungsweise anklingen lässt. Hochgeschwender sieht darin eine Überbewertung des regierungspolitischen Einflusses und rückt Birkenfelds Position in Verbindung mit dem CCF in den Vordergrund. Seine Analyse lässt letztendlichjedoch deutlich werden, dass Birkenfeld eigenmächtig und ohne Anleitung bzw. Unterstützung des CCF die Spaltung des P.E.N. vorangetrieben hatte. Letztlich interpretiert Hochgeschwender die Spaltung als unumgängliche Konsequenz der weltpolitischen Lage. Johannes R. Becher: Die gleicheSprache. In: Aufbau 6 (1950) 8, S. 697–703, hier S. 701. Becher: Die gleiche Sprache. In: Aufbau 6 (1950) 8, S. 701. 87
keine deutschen, französischen, englischen, amerikanischen Schriftsteller mehr sind, sondern die sich längst als Handlanger der Kriegshetzer in eine Bande internationaler Hochstapler verwandelt haben, in literarisch getarnte Gangster.47
Schließlich mündete Becher in einem unmissverständlichen Hassbekenntnis – gerichtet gegen alle diejenigen, die unbelehrbare Apologeten eines Systems sind, das seinen geschichtlichen Bankrott unwiderlegbar bewiesen hat […]. Wir hassen diese Leute nicht nur, die sich zu den Schreibern der Kriegshetzer erniedrigt haben, wir empfinden auch Abscheu und Ekel vor diesem antibolschewistischen Gesindel, widerwärtig ist uns das Geschwätz dieser kriminellen Clique von der Freiheit der Persönlichkeit […]. Wir wollen nichts mehr wissen von Euch, Euch weder sehen, noch hören.Zwar müssen wir vorerst von Euch noch Kenntnis nehmen, aber wir nehmen nur Kenntnis in dem Sinne, wie man von einem Geschwür Kenntnis nimmt, das darauf wartet, operiert zu werden.48
Die Empörung der drei Ankläger angesichts solch diffamierender Angriffe scheint ohne weiteres nachvollziehbar, allerdings verdeutlicht die ihrerseits vorgebrachte Mutmaßung, »dass einige weitere Mitglieder des deutschen PENCentrums diesen Auslassungen Bechers vorbehaltlos zugestimmt haben und zustimmen, so sicherlich Stefan [sic] Hermlin, Alfred Kantorowicz, Anna Seghers und Friedrich Wolff [sic]«49 , wie wenig die um klare Abgrenzung ringenden Lager zu einer differenzierenden Sichtweise willens, möglicherweise fähig waren. Christine Malende analysiert diese pauschale Beurteilung der DDRAutoren als typische Vorgehensweise: ›Berliner Stil‹ daran war vor allem, wie der begründete Vorwurf gegen Bechers wirklich unflätige ›Schmähungen gegen den Spitzel- und Kriegsbrandstifter-Kongreß‹ die ihrerseitskeine Differenzierungenkannten,auf ›seine Gesinnungsgenossen‹,von denen ›anzunehmen‹ ist, daß sie ihm ›vorbehaltlos zugestimmt haben‹, ausgeweitet wurde.50
Die weitere Zusammenarbeit mit Becher und »seinen Gesinnungsgenossen« lehnten Pechel, Plievier und Birkenfeld entschieden ab: Johannes R. Becher hat die Neutralität, um die sich die anderen Präsidenten des deutschen P.E.N. und die an den bisherigen Tagungen anwesenden Mitglieder so sehr bemühten, in einer Form öffentlichgebrochen,die nach unsererÜberzeugungvon dem deutschen Centrum nur noch mit der Trennung von Becher und seinen Gesinnungsgenossen beantwortet werden kann. Zudem handeln Becher und die obengenannten Parteigänger als Wortführer eines Systems der kulturellen Unfreiheit und Unterdrückung, beständig und öffentlich im schroffen Widerspruch zu der von ihnen unterschriebenen PEN-CHARTA. Eine gedeihliche Zusammenarbeit mit dieser Gruppe ist nicht mehr denkbar.51 47 48 49
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Becher: Die gleiche Sprache. In: Aufbau 6 (1950) 8, S. 701f. Becher: Die gleiche Sprache. In: Aufbau 6 (1950) 8, S. 702. Rudolf Pechel, Theodor Plievier und Günther Birkenfeld an das Präsidium des PENCentrum Deutschland [20. 11. 1950]. Zitiert nach: Protokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950]. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Malende: Berlin und der P.E.N.-Club, S. 126. Rudolf Pechel, Theodor Plievier und Günther Birkenfeld an das Präsidium des PENCentrum Deutschland [20. 11. 1950]. Zitiert nach: Protokoll der Tagung des Interna-
Ob die Antragsteller die Trägheit des deutschen P.E.N.-Zentrums in dieser Frage vorausgeahnt hatten oder nicht: Sie versuchten, der vorgebrachten Forderung mit der Androhung eines öffentlichen Rückzugs ihrerseits Nachdruck zu verleihen: »Sollte die von uns hiermit beantragte Trennung von der Gruppe Becher nicht erfolgen, so würden die Unterzeichneten schweren Herzens ihren Austritt aus dem PEN-Centrum Deutschland unter Abgabe einer öffentlichen Erklärung vollziehen müssen.«52 Der von Pechel, Plievier und Birkenfeld explizit geforderte Ausschluss Bechers und seiner DDR-Schriftstellerkollegen aus dem deutschen P.E.N. verdeutlicht die Brisanz des weltpolitischen Ost-West-Konfliktes, der ein nationales Gremium zu sprengen drohte. Die Auseinandersetzungen im deutschen P.E.N. demonstrieren eindrücklich die Auswirkungen des ideologischen Machtgerangels auf ideell-kulturellem Terrain. Ursula Heukenkamps Ansicht, dass die Briefschreiber die Wiesbadener Tagung ganz gezielt als »Plattform [nutzten], auf der die publizistische Schlacht rings um den ›Kongress für kulturelle Freiheit‹ in Berlin (26.–30. Juni 1950) weitergeführt werden sollte«, ist unbedingt zu folgen: »Die Verfasser hatten nicht weniger als die Spaltung des deutschen P.E.N. im Sinn.«53 Birkenfeld hatte seine konkreten Ambitionen nach eigenen Angaben bereits vor der Wiesbadener Tagung dargelegt. Dabei hatte er einen Gedanken aufgegriffen, der schon in den ersten Korrespondenzen zur Wiederbegründung eines deutschen P.E.N.-Zentrums eine Rolle gespielt hatte: Die Lösung, in Deutschland mehrere Gruppen zu bilden, hielt man in der entstandenen Bipolarität für ein probates Mittel zur Wahrung der offensichtlich notwendigen Distanz zwischen Ost und West; Birkenfeld verwies auf seinen Vorschlag in diese Richtung: Und genau das [Bildungeiner eigenenGruppe] schwebte uns ja auch für Wiesbadenzur Lösung des Problems Becher und Genossen vor. Als ich sah, daß ich in letzter Minute nicht fliegen konnte, schrieb ich Kästner, daß ich in Wiesbaden freundschaftlich vorgeschlagen hätte, daß Becher etc. eine selbständige ostdeutsche PEN-Sektion bilden, da wir ihn – hier haben Sie durchaus Recht, lieber Herr Edschmid – als international gewähltes Mitglied ja ohnehin nicht ausschließen könnten. Leider scheint Kästner diesen Vorschlag in Wiesbaden nicht bekanntgegeben zu haben. Er hätte uns allen den leidigen Streit erspart, der nun um den PEN ausgebrochen ist.54
Als Zielsetzung der antikommunistischen Kampagne kann nicht lediglich die Separation von den DDR-Autoren angenommen werden, sondern vielmehr die Provokation einer Grundsatzdebatte über die Mitgliedschaft von Kommunisten
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tionalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950]. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Rudolf Pechel, Theodor Plievier und Günther Birkenfeld an das Präsidium des PENCentrum Deutschland [20. 11. 1950]. Zitiert nach: Protokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950]. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Heukenkamp: Der Beitrag der Berliner Schriftsteller, S. 348. Günther Birkenfeld an Kasimir Edschmid [4. 1. 1951]. DLA N: Kasimir Edschmid Konv. P.E.N. 89
im Internationalen P.E.N.; letzteres schien den Beschlüssen der Generalversammlung zufolge erreicht. Folgt man dem Tagungsbericht für die abwesenden Mitglieder, so war den übrigen Teilnehmern der ganze Vorgang ebenso unbekannt wie die zurückliegende Auseinandersetzung zwischen Birkenfeld und Weisenborn; letztere sollte nun einem eingesetzten Ehrengericht dargelegt werden. Eine sofortige, fundierte Diskussion der gegen Becher erhobenen Vorwürfe hielt Friedmann für schwerlich möglich, da die im Aufbau abgedruckte Becher-Rede den Tagungsteilnehmern nicht im vollständigen Wortlaut vorlag.55 Überdies berühre, so Friedmann, die gesamte Problematik »so eingreifend die allgemeinen Prinzipien des PEN, dass er den Satzungen gemäss vorschlage, den ganzen Komplex der Londoner Exekutive des Internationalen PEN zur Beurteilung vorzulegen«56 . Becher selbst »erklärte feierlich, er habe keinen der Unterzeichneten des Protestschreibens gemeint oder genannt. Er habe sich jeweils eisern an die PEN-Charta gehalten; er bitte das zu untersuchen.«57 Dem Vorschlag Friedmanns folgend, fassten die anwesenden P.E.N.-Mitglieder – mit Ausnahme von Becher und Martin Beheim-Schwarzbach – einvernehmlich den Beschluss, den Sachverhalt an die Londoner Zentrale des Internationalen P.E.N. weiterzugeben.58 Die dringlich notwendige Beschäftigung der deutschen P.E.N.-Mitglieder mit der schwelenden Ost-West-Problematik schien mit dieser Entscheidung aufgehoben – tatsächlich wurde sie nur aufgeschoben. Dass in diesem Stadium eine konstruktive Debatte möglich gewesen wäre, die die zukünftige Spaltung des P.E.N.-Zentrums Deutschland verhindert hätte, ist indes eher unwahrscheinlich. Das Interesse der meisten Anwesenden war offenbar weniger auf die Diskussion solch brisanter Fragen orientiert; sie schienen – nach Martin Beheim-Schwarzbachs ironischkritischer Einschätzung – redlich bestrebt, von dem heißen Brei gar keine Notiz zu nehmen und recht sanft hindurchzukommen, woraus ihnen kein Vorwurf gemacht sei, wenn man bedenkt, wie mies das Leben ohnehin ist, und wie nett sich’s zusammen plaudert und schmaust, wenn man die Finger von der wunden Stelle läßt.59
Das Argument allerdings, dass ein nationales Gremium aufgrund der weltpolitischen Relevanz niemals eigenständig über den Ausschluss kommunistischer Mitglieder diskutieren, geschweige denn urteilen könne und eine verbindliche Entscheidung nur durch das internationale Exekutivkomitee herbeigeführt 55
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Vgl. Protokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950]. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Protokoll der Tagung des InternationalenP.E.N. Clubs, Zentrum Deutschlandin Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950], S. 3. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Protokoll der Tagung des InternationalenP.E.N. Clubs, Zentrum Deutschlandin Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950], S. 3. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Vgl. Protokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950], S. 3. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Martin Beheim-Schwarzbach: Dichter unter sich. Bericht über die PEN-Club-Tagung in Wiesbaden. In: Die Welt am Sonntag vom 10. 12. 1950.
werden dürfe, wurde in den nachfolgenden Stellungnahmen zu diesem Komplex wiederholt betont. Auch Erich Kästner machte sich diese Sichtweise zu Eigen: Unsere Auffassung ist – in Anbetracht der Tatsache, daß ja in allen PEN-Zentren kommunistische Schriftsteller Mitglieder sind, ja, daß ganze PEN-Zentren in Ländern existieren, die volksdemokratisch regiert werden – daß ein einzelnes PEN-Zentrum, mögen die Reibungsflächen dort auch besonders groß sein, überhaupt nicht befugt ist, einen solchen Antrag zu diskutieren und darüber abzustimmen.60
Karl Friedrich Borée, der als einziger kritischer Teilnehmer der Wiesbadener Tagung aufgefallen war, wertete im Nachgang die Weiterleitung des »ganzen Sprengstoff[s] an die internationale Zentrale«61 als unumgängliche Notwendigkeit: »[D]as Problem geht über Deutschland hinaus, der PEN als Ganzes wird der aufgeworfenen Frage nicht lange mehr ausweichen können«62 . Geradezu paradox wirkt es auf den heutigen Betrachter, dass im weiteren Verlauf der Wiesbadener Tagung ausgerechnet Johannes R. Becher in seiner Funktion als einer der drei Präsidenten von der Mitgliederversammlung mehrheitlich bestätigt wurde. Gegen die Bedenken des Mitgliedes Karl Friedrich Borée, Becher habe »›eine betonte Funktion in der DDR‹«63 , verwahrten sich der geschäftsführende Präsident Hermann Friedmann sowie die Mitglieder Curt Thesing und Fritz Usinger ausdrücklich.64 Die Beweggründe für dieses Vorgehen sind nur ansatzweise nachzuvollziehen. Sicherlich erhoffte sich Friedmann von der Bestätigung Bechers im Amt ein Signal des Zusammenhalts von Schriftstellern aus Ost und West – entgegen der allgemeinen Tendenz der gesellschaftlichen Entzweiung Deutschlands. In seiner Biographie Sinnvolle Odyssee, die 1950 erschienen war, beschwor er als »›Politik‹« des P.E.N. die »Nichtexistenz einer OstWest-Spannung im deutschen Schrifttum«65 . Die Zweistaatlichkeit Deutschlands stand nach seiner damaligen Überzeugung der Etablierung eines einheitlichen deutschen Schrifttums nicht im Wege.66 Dass die Mehrheit der anwesenden Mitglieder Friedmann durch positive Stimmabgabe für Becher folgte, lässt mehrere Schlüsse zu: Man vertraute der Führung durch Friedmann; man war in der Mehrzahl nicht an einer politischen Auseinandersetzung und der Aufspal60
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Erich Kästner an Kasimir Edschmid [8. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. auch Erich Kästner: Deutsche PEN-Gruppe kann über Ausschluß von Becher nicht entscheiden. In: Die Neue Zeitung 4 (5. 1. 1951). Karl Friedrich Borée: PEN-Club vor der Entscheidung. Die Tagung von Wiesbaden. In: Der Tagesspiegel (Beiblatt) 1599 (12. 12. 1950), S. 1. Karl Friedrich Borée: PEN-Club vor der Entscheidung. Die Tagung von Wiesbaden. In: Der Tagesspiegel (Beiblatt) 1599 (12. 12. 1950), S. 1. Wortbeitrag von Karl Borée. In: Protokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950], S. 3. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Vgl. Protokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950], S. 3. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Hermann Friedmann: Sinnvolle Odyssee. Geschichte eines Lebens und einer Zeit. 1873–1950. München 1950, S. 348. Vgl. Friedmann, S. 348. 91
tung des P.E.N. interessiert;67 man konnte oder wollte die Tragweite der gegen Becher vorgebrachten Anschuldigungen nicht begreifen; man wollte bewusst ein integratives Zeichen setzen, eine gesamtdeutsche Orientierung demonstrieren.68 Letzteres scheint wahrscheinlich, denn auf der Anwesenheitsliste des Tagungsprotokolls lassen sich die Namen vieler Mitglieder ausmachen, die für eine Verständigung mit den DDR-Autoren durchaus offen waren.69 Ein solches Motiv vermutet auch der Zeitgenosse Hans Reinowski. Der P.E.N. bilde neben den christlichen Kirchen die »einzige geistige Brücke zwischen Deutschlands Osten und Westen«; Bechers Wahl sei wohl auf die brüchige Hoffnung gegründet, »diese geringe Brücke vermittle Hilfe?«70 Ein weiteres Indiz für die grundsätzlich positive Haltung der anwesenden Mitglieder hinsichtlich einer deutschdeutschen Verständigung war auch die Verabschiedung einer Resolution, die mit Blick auf Deutschland die Verständigung zwischen den Regierenden forderte. Dem Verweis auf den Punkt 3 der P.E.N.-Charta, »in der die gegenseitige Achtung der Nationen gefordert wird, und in der die Mitglieder sich verpflichten, ›für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhass und für die Hochhaltung des Ideals einer in einer einigen Welt in Frieden lebenden Menschheit mit äusserster Kraft zu wirken‹«, setzte die Wiesbadener Generalversammlung hinzu: »Es ist selbstverständlich, dass das PEN-Zentrum Deutschland diesem Grundsatz zu allererst im eigenen Lande folgen muss. Es empfiehlt den verantwortlichen Politikern und Staatsmännern, ein Gleiches zu tun.«71 3.1.2 … und die nachfolgenden Reaktionen Während Becher parallel zum Verlauf der Versammlung noch notierte, »Allgemein Teilnahmslosigkeit gegen PEN-Tagung, trotz Anwesenheit solcher populärer Schriftsteller wie Kästner und Penzoldt«72 , war der Nachhall in der 67 68
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Vgl. hierzu auch Malende: Berlin und der P.E.N.-Club, S. 127. Vgl. Peitsch: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen«, S. 220. Ein ähnliches Urteil fällte Wilhelm Sternfeld, P.E.N.-Klub Deutschsprachiger Autoren im Ausland, in einem Brief an Kasimir Edschmid: Festzuhalten sei, »dass die Wahl Bechers nichts anderes als ein Bekenntnis zu der Idee eines einheitlichen Deutschland und seines Schrifttums sei und nicht als Deckung der Becherschen Rede ausgelegt werden koenne. Trotz aller politischenDifferenzen halte der PEN als unpolitischeOrganisation an dem Gedankender Einheit fest und sei nicht bereit,sich in die Gefolgschafteiner politischen Richtung zu begeben. Es komme nicht auf die Person Bechers an, sondern auf die Idee, fuer die die Wahl Bechers Ausdruck gewesen sei.« Sternfeld an Edschmid [11. 2. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Protokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950], S. 1. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Hans J. Reinowski: PEN und Becher. In: Darmstädter Echo vom 14. 12. 1950. Protokoll der Tagung des InternationalenP.E.N. Clubs, Zentrum Deutschlandin Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950], S. 5. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Vgl. auch Peitsch: Hans Henny Jahnn in den gesamtdeutschen PEN-Zentren, S. 123. JohannesR. Becher: Eintrag 4.–10. 12. 1950. In: Becher:Auf andere Art so große Hoffnung, S. 543.
Presse auf die Wiesbadener Tagung laut und vernehmlich. Becher vermerkte nach der Heimkehr in seinen Aufzeichnungen: »Eine wütende geifernde Pressefehde gegen unser Auftreten in Wiesbaden vorgefunden. Wie müssen wir die Leute verärgert haben, daß sie so außer Fassung geraten sind. Ahnung über alle Befürchtungen hinaus bestätigt.«73 Die Aufmerksamkeit der Pressevertreter hatten Bechers Meinungsäußerungen auf einer Pressekonferenz anlässlich des im Tagungsprogramm vorgesehenen Besuches von Mainz erregt. Becher kommentierte dort die im Westen mit Besorgnis und Ablehnung beobachteten inhumanen Entwicklungen in der DDR, so die Existenz von Konzentrationslagern und die jüngst mit System betriebene Verfolgung der Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas. Laut Pressemeldung hatte Becher – in Übereinstimmung mit der offiziellen Propaganda der DDR-Regierung – erklärt: ›Wir leugnen die Existenz der Arbeitslager in der Sowjetzone keineswegs, doch befinden sich dort nur Kriegshetzer und Feinde der Sache des Friedens; denn die neue Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik verlangt eine Sicherung der dem Frieden dienenden Kräfte.‹74
Das Vorgehen gegen die Zeugen Jehovas sei darauf zurück zu führen, »daß deren Anhänger ›erwiesenermaßen Instruktionen vom CIC (Counter Intelligence Corps [amerikanischer Geheimdienst])‹ erhalten hätten. Im Übrigen gebe es in der Deutschen Demokratischen Republik keinerlei Beschränkung der Religionsausübung.«75 Mit seinen Ausführungen stellte sich Becher schützend vor 73
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Johannes R. Becher: Eintrag 11. 12. 1950. In: Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 547. [dpa]: Geist und Macht. In: Süddeutsche Zeitung 284 (1950). Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.f. Vgl. auch [ap]: Proteste gegen Johannes R. Becher. In: Der Tagesspiegel (Beiblatt) 1599 (12. 12. 1950), S. 1 und [o. V.]: Becher bestätigt Existenz von »Arbeitslagern«in der Ostzone. In: Die Neue Zeitung vom 7. 12. 1950. [dpa]: Johannes R. Becher: Wir leugnen Arbeitslager nicht. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.f. Vgl. auch [ap]: Proteste gegen Johannes R. Becher. In: Der Tagesspiegel (Beiblatt) 1599 (12. 12. 1950), S. 1 und [ap]: Becher bezeichnet Arbeitslager in der Ostzone als notwendig. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. Die Zeugen Jehovas hatten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Zulassung der gottesdienstlichen Betätigung wieder erlangt. Ab dem Jahr 1950 waren sie in der DDR zunehmenden Repressionen und Verhaftungen ausgesetzt: Einer vorbereitenden Verleumdungskampagne in der Presse folgte am 30. August 1950 eine groß angelegte Verhaftungswelle, einen Tag später wurde die Religionsgemeinschaft in der DDR offiziell verboten. Vorgeworfen wurde den Zeugen Jehovas das Betreibenvon Hetze gegen die demokratische Ordnung und die Spionage für eine imperialistische Macht, d. h. die USA. Anfang Oktober 1950 folgten Schauprozesse vor dem Obersten Gericht der DDR, die mit hohen Zuchthausstrafen wegen angeblich begangener Spionage, Kriegs- und Boykotthetze für die Angeklagten endeten. Die scharfe Verfolgung der Zeugen Jehovas ließ erst Ende der sechziger Jahre nach. Kurz nach dem Mauerfall erfolgte schließlich die Anerkennung durch die Regierung der DDR. Vgl. hierzu Hans-Hermann Dirksen:Die Zeugen Jehovas in der DDR (Zusammenfassungdes Beitrages).Verfügbarunter URL: http://www.ravensbrueckblaetter.de /rb blaetter.html [Zugriff: 30. 3. 2005]. 93
die inhumanen Auswüchse einer stalinistisch geprägten Staatsführung – so die wenige Wochen zuvor durchgeführten Schauprozesse gegen Anhänger der Zeugen Jehovas –, die in der westdeutschen Öffentlichkeit durchaus wahrgenommen und kritisch beurteilt wurden. Die Verteidigung der staatlichen Maßnahmen im Sinne einer »politischen Notwendigkeit« wurde von den Kritikern als »aktive[r] Anteil« an der Verfolgung der Zeugen Jehovas ausgelegt.76 Dass Becher mit seiner offen präsentierten systemkonformen Haltung gegen sich gearbeitet hatte, war ihm insgeheim klar. Zu den Pressekonferenzen, die sich »zu einer offenen, ehrlichen Aussprache«77 gestaltet hätten, hielt er fest: Keine ›peinliche‹ Frage ließ ich unbeantwortet, niemand benahm sich unsachlich oder gar persönlich-ausfallend. Solcherlei verträgt nur das Papier, […] Gefühl: das alles, was du in Wiesbaden, Mainz und Frankfurt gesagt und nicht gesagt hast, wird man dir, womöglich blutig, heimzahlen. Gefühl: du hast etwas angerichtet, etwas für gewisse Leute unerlaubt Schreckliches.78
Ein Anflug von Selbstkritik indes darf hinter diesen Äußerungen nicht vermutet werden, denn sogleich polte Becher die Beurteilung seines Auftretens in eine nebulöse Anklage seiner Gegner um, in der er selbst das Opfer stellt; bezeichnend ist die Wahl eines in höchstem Maße Destruktivität ausdrückenden Vokabulars: Worin besteht dieses für gewisse Leute unerlaubt Schreckliche? Man hat sich mit dir an einem Tisch gesetzt, man hat sich mit dir in ein menschliches Gespräch eingelassen, man hat dich – na sprechen wir offen – nicht in den Dreck getreten, nicht über den Haufen geknallt … Selbst in einem Verhältnis von 25:2, wie es auf der PEN-ClubTagung bestand, können sie uns nicht ertragen – man muß uns eben ausrotten.79
Tatsächlich verlief die öffentliche Reaktion – maßgeblich getragen von der Presse – in zwei Schüben. Der erste kann als direkte Reaktion auf die Wiesbadener Tagung verstanden werden; der zweite folgte im Januar 1951 auf den öffentlichkeitswirksam vollzogenen Austritt von Theodor Plievier aus dem P.E.N.-Zentrum Deutschland. Die Aussagen allerdings waren außerordentlich different – je nach grundsätzlichem Standort jedoch sehr ähnlich. Ein Teil der bundesrepublikanischen Presse erhob scharfe Anklage gegen die westdeutschen Mitglieder – »P.E.N.-Club-Schlafwandler«80 – wegen ihrer kritiklosen, unpolitischen Haltung gegenüber Becher und seinen deutlich zum Ausdruck gebrachten Überzeugungen.81 Mangelnde Konfliktfähigkeit, extremes Harmo76 77
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Vgl. hierzu auch [o. V.]: Zynismus. In: Die Neue Zeitung vom 11. 12. 1950. JohannesR. Becher: Eintrag 4.–10. 12. 1950. In: Becher:Auf andere Art so große Hoffnung, S. 547. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 546. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 546. Das von Becher angegebene Verhältnis deckt sich nicht mit dem Tagungsprotokoll; danach waren mit Becher und Hermlin insgesamt nur 25 PEN-Mitglieder anwesend. Vgl. Protokoll der Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950], S. 1. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. A. B. [d. i.?]: PEN-Club-Schlafwandler. In: Neuer Vorwärts 51 (22. 12. 1950). Vgl. u. a. [o. V.]: PEN-Brüderlichkeit. Artikelausschnitt ohne weitere Quellenangabe. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h, sowie
niebedürfnis, fehlende Zivilcourage, Rückzug in den Elfenbeinturm und »politische [I]nstinktlos[igkeit]«82 lauteten die implizit oder explizit angesprochenen Anklagepunkte.83 Nach Ansicht der Kritiker hielten es »wohl die meisten der zum PEN-Club gehörenden Schriftsteller für ungehörig«, differenzierte Erwägungen anzustellen, etwa zur Vereinbarkeit des Eids auf die P.E.N.-Charta mit der realen Menschenrechtssituation unter SED-Herrschaft: Sie haben die Nazidiktatur verurteilt, damit genug der Politik. Nun wünschen sie sich wieder in ihre schimmernden Elfenbeintürme zurückzuziehen. […] dort kann man sich ungestört vom Lärm der profanen Welt feinsinnigen ästhetischen Glasperlenspielen hingeben. PEN-Vizepräsident Johannes R. Becher aber darf sich diabolisch ins Fäustchen lachen: Mit solchen bürgerlichen Schlafwandlern hat er leichtes Spiel.84
Unmissverständlich formulierten die Vertreter einer antisowjetischen Position den generellen Angriff auf den »politischen K[ä]mpf[er]«85 für die Ausbreitung des Kommunismus in Deutschland. In der Anklage von Bechers Person ließen sich Ängste, Vorbehalte und Anklagepunkte gegenüber dem sowjetischen Herrschaftsbereich fokussieren. Becher stand stellvertretend für »die als globale Bedrohung wahrgenommene Vision eines expansiven Sowjetkommunismus«86 , dessen imperialistisches Streben man im Westen fürchtete. Becher personifizierte insbesondere den Unrechtsstaat DDR, in dem Menschenrechte nicht beachtet wurden; die Existenz von Konzentrationslagern nach sowjetischem Vorbild möglich war; unschuldige Menschen unerbittlich verfolgt, verurteilt und inhaftiert wurden. Die pauschalen Verurteilungen gründeten auf der grundsätzlichen Ablehnung der jenseits des Eisernen Vorhanges betriebenen diktatorischen Staatspolitik. Konkret fußten sie einerseits auf dem zu konstatierenden Widerspruch zwischen Bechers versöhnlichem Auftreten auf der Wiesbadener Tagung und seiner übersteigerten Hassrede gegen die Teilnehmer des Berliner Kongresses.87 Als Prototyp eines gekauften Schriftstellers, der als »literarischer Kettenhund«88 skrupellos nach Anleitung des Politbüros agiere, verfolge Becher
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E. D. [d. i.?]: Westliche Unbegreiflichkeiten. Ohne weitere Angaben. Exilarchiv FFM EB 75/177 D.I.5.h. A. B. [d. i.?]: PEN-Club-Schlafwandler. In: Neuer Vorwärts 51 (22. 12. 1950). Vgl. Martin Beheim-Schwarzbach: Dichter unter sich. Bericht über die PEN-ClubTagung in Wiesbaden. In: Die Welt am Sonntag vom 10. 12. 1950. Vgl. weiterhin George R. Reymond: Zivilcourage [Leserbrief auf den Artikel von C. E. L. [d. i.?]: Der doppelte Präsident. In: Die Zeit vom 11. 1. 1951]. In: Die Zeit vom 18. 1. 1951, S. 12. A. B. [d. i.?]: PEN-Club-Schlafwandler. In: Neuer Vorwärts 51 (22. 12. 1950). [o. V.]: PEN-Brüderlichkeit. Artikelausschnitt ohne weitere Quellenangabe. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. Christoph Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung.Deutsche Geschichte1945–1955. (Schriftenreihe Studien zur Geschichte und Politik Bd. 298) Bonn 1991, S. 210f. Vgl. [o. V.]: PEN-Brüderlichkeit. Artikelausschnitt ohne weitere Quellenangabe. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h, sowie [o. V.]: Zynismus. In: Die Neue Zeitung vom 11. 12. 1950. A. B. [d. i.?]: PEN-Club-Schlafwandler. In: Neuer Vorwärts 51 (22. 12. 1950). 95
einfach eine politischeTaktik. Gestern sprach man von Gesindel und Gangstern, heute setzt man sich mit diesem ›Gesindel‹ an einem [sic] Tisch – zum höheren Ruhme des Kommunismus. Und in der Absicht, den besudelten fremden Göttern, die der Ausbreitung des kommunistischen Glaubensbekenntnisses entgegenstehen, hinterrücks den letzten Tritt zu versetzen.89
Andererseits brach sich die Empörung über Bechers polarisierende Aussagen auf den Pressekonferenzen in Wiesbaden, Mainz und Frankfurt90 und deren protestlose Hinnahme durch die P.E.N.-Kollegen Bahn: Und da steht nun Johannes R. Becher vor einer Gruppe geistig nihilistischer Dichter und Schriftsteller, die behaupten für die Freiheit des Geistes zu kämpfen, und er wird dort mit zynischen Bemerkungen angehört! Kein Zeitungsbericht meldet von Protesten, keiner spricht von Widerspruch. Im Gegenteil! Er wird sogar zu einem der Pr ä s i d e nt en d e s K l u b s gewählt. So liebt dieser Pen-Klub die Freiheit! […] Wann endlich erwacht der Westen zu einem selbständigen und sicheren Urteil gegenüber Persönlichkeitenwie Johannes R. Becher? Ihnen kommt die Einladungin die freie Luft des Westens gerade recht, um dort die gewalttätige Politik ihrer Brotgeber in freiheitlicher Maskierung anzupreisen.91
Persönliche Kritik, die nicht nur sein politisches (Nicht)Engagement, sondern auch sein literarisches Schaffen angriff, traf Erich Kästner als Mit-Präsident: »Seitdem er – leider! – sein so treffsicheres politisch-satirisches Florett aus der Hand gelegt hat und sich nur noch mit dem Schreiben von Kinderbüchern befaßt, scheint er seinen bewährten kritischen Verstand nicht mehr so akzentuiert ins Treffen führen zu wollen.«92 Politisches Denken und Wille zur deutsch-deutschen Auseinandersetzung attestierte man lediglich den drei Briefschreibern – Birkenfeld, Pechel und Plievier –, sowie dem sich ihnen nachträglich anschließenden Wilhelm Speyer.93 89
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[o. V.]: PEN-Brüderlichkeit. Artikelausschnitt ohne weitere Quellenangabe. Eine ähnliche Aussage trifft der Verfasser E. D. [d. i.?]: Westliche Unbegreiflichkeiten, [o. A.]. Beide Artikel enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. Vgl. weiterhin Hans J. Reinowski: PEN und Becher. In: Darmstädter Echo vom 14. 12. 1950. Speziell zur Pressekonferenz in Frankfurt am Main vgl. [FAZ]: Peinlichkeiten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. 12. 1950. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. E. D. [d. i.?]: Westliche Unbegreiflichkeiten, [o. A.]. Enthalten in der Ausschnittssammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. Vgl. auch den Artikel [o. V.]: Zynismus. In: Die Neue Zeitung vom 11. 12. 1950, sowie Karl Friedrich Borée: PEN-Club vor der Entscheidung. Die Tagung von Wiesbaden. In: Der Tagesspiegel (Beiblatt) 1599 (12. 12. 1950), S. 1. A. B. [d. i.?]: PEN-Club-Schlafwandler. In: Neuer Vorwärts 51 (22. 12. 1950). Vgl. weiterhin osto [d. i?]: Kästner gegen Kästner. In: Welt der Arbeit 50 (15. 12. 1950). Im Artikel »Der doppelte Präsident« fragte C. E. L. [d. i.?] in der Zeit vom 11. 1. 1951: Kästner »würde aufbegehren, wenn man ihn als fellow traveller bezeichnete. Aber warum verhält er sich wie so einer? Warum tun es auch die anderen Mitglieder? Warum haben sie die Freiheit für Becher gewählt, die Agitationsfreiheit zugunsten des Systems der Unterdrückung, statt der Freiheit, die die Charta des PEN-Clubs meint?« Vgl. u. a. A. B. [d. i.?]: PEN-Club-Schlafwandler. In: Neuer Vorwärts 51 (22. 12. 1950), sowie [o. V.]: PEN-Brüderlichkeit. Artikelausschnitt ohne weitere Quellenangabe. Ent-
Ihre Haltung sei in der gegenwärtigen Lage die einzig mögliche.94 Nach BeheimSchwarzbachs Dafürhalten müsse Karl Friedrich Borée »rühmend genannt« werden; er, »aus der dünnen, scharfen Luft Berlins kommend, hielt tapfer das Banner schonungslosester Aussprachebereitschaft hoch, aber drang gegen den Wunsch aller, das Spiel zu spielen, daß wir ein einig Volk seien, nicht durch.«95 Im Nachgang der Tagung deutete Borée, der als einziger gegen die Wiederwahl Bechers gestimmt hatte, Friedmanns diplomatische Bemühungen als Tagungsleiter nicht bloß im Hinblick auf die innerdeutsche Verständigung, sondern auf das weiter gesteckte »Ziel, die mühsam geschlagene Brücke zwischen der deutschen literarischen Welt und der internationalen nicht schon im zweiten Jahre ihres Bestehens in die Luft gehen zu lassen – zur vermutlichen Genugtuung einzelner immer noch mißgünstiger Berufsgenossen im Auslande«.96 Die Zielsetzung, den P.E.N. als übernationales und überparteiliches Bündnis in der Zukunft zu bewahren, wertete Borée angesichts des ideologischen Widerstreits von Ost und West als größtes Problem, als »Not«97 der Schriftstellervereinigung; »sie kann nur durch die Einsicht überwunden werden, daß von einer bestimmten Stelle an das Politische vom Geistigen nicht mehr zu trennen ist.«98 Für ihn schien der Gedanke der geistigen Einheit untergeordnet, die Trennung von den ostdeutschen Autoren jedoch unumgänglich, um die moralische Glaubwürdigkeit des P.E.N. und seiner Charta zu bewahren. Diese Argumentation differenzierte Oskar Jancke, Sekretär der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der nach Peitsch »die Rolle des Initiators der PEN-Spaltung für die Akademie in Anspruch«99 nahm; er stellte rhetorische Fragen: Kann nun ein einzelnes Mitglied einer solchen Organisation zugleich nach der Satzung leben und trotzdem einem Regime dienen, das ihr zuwider die geistige Freiheit mißachtet? Ist das möglich, ohne daß die ganze Organisation unnütz wird und sich selbst in Frage stellt? Man kann als PEN-Mitglied unter einem totalitären Regime leben, ohne die Charter zu verletzen. Aber man verletzt sie und die ganze Organisation, wenn man das Regime fördert und an bedeutender Stelle unterstützt.100
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halten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. Wilhelm Speyer hatte seine Austrittserklärung offenbar an Erich Kästner gesendet. Vgl. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [19. 12. 1950]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Hans R. Reinowski: PEN und Becher. In: Darmstädter Echo vom 14. 12. 1950. Martin Beheim-Schwarzbach: Dichter unter sich. Bericht über die PEN-Club-Tagung in Wiesbaden. In: Die Welt am Sonntag vom 10. 12. 1950. Karl Friedrich Borée: PEN-Club vor der Entscheidung. Die Tagung von Wiesbaden. In: Der Tagesspiegel (Beiblatt) 1599 (12. 12. 1950), S. 1. Karl Friedrich Borée: PEN-Club vor der Entscheidung. Die Tagung von Wiesbaden. In: Der Tagesspiegel (Beiblatt) 1599 (12. 12. 1950), S. 1. Karl Friedrich Borée: PEN-Club vor der Entscheidung. Die Tagung von Wiesbaden. In: Der Tagesspiegel (Beiblatt) 1599 (12. 12. 1950), S. 1. Peitsch: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen«, S. 219. Oskar Jancke: VerletztePEN-Charta? In: Das literarischeDeutschland 1 (20. 12. 1950) 4, S. 1. Wilhelm Sternfeld fühlte sich durch Passagen des Jancke-Artikels zu einer öffentlichen Entgegnung veranlasst, die allerdings erst nach zahlreichen Anläufen publiziert wurde. Vgl. Wilhelm Sternfeld: Verunglückte Mohrenwäsche. In: Frankfurter Rundschau 73 (29. 3. 1951), S. 9. Sternfelds Kritik an Janckes Ausführungen spie97
Ganz anders zeigte sich die »offizielle« Lesart der Tagungsergebnisse: Zwar distanzierte sich der Präsident des deutschen P.E.N., Hermann Friedmann, von Bechers Erklärungen vor der Presse; diese »seien außerhalb der Tagung und auf dessen eigene Initiative erfolgt. Die Leitung des Deutschen PEN-Clubs habe weder davon Kenntnis gehabt, geschweige denn eine Genehmigung ausgesprochen«101 . Der neu gewählte Generalsekretär, Kasimir Edschmid, überschrieb seinen überaus sachlichen Tagungsbericht mit dem programmatischen Titel »Unteilbarkeit des deutschen Geistes«102 . Als Mitglied des Vorstandes war ihm an P.E.N.-interner Verständigung gelegen. Die Auseinandersetzungen rund um die Zusammenkunft fanden Erwähnung – ohne übermäßige Akzentuierung: »Einige schwebende Meinungsverschiedenheiten und Konflikte wurden, da sie prinzipielle und den ganzen PEN angehende Fragen behandelten, nach London überwiesen. Es wird kein Geheimnis verraten, wenn man sagt, daß es sich um Probleme der Spaltung Deutschlands und der Spannung zwischen dem östlichen und westlichen Deutschland handelte.«103 Edschmid hielt seine persönliche Sicht der Dinge zurück: »Es ist klar, daß, solange keine Entscheidung gefällt wurde, die ja nicht nur den deutschen PEN angehen wird, der Generalsekretär, der die verschiedenen Meinungen bei der Exekutive zu Gehör bringen muß, keine Stellung in der Oeffentlichkeit nehmen kann. Es ist nicht seines Amtes und wäre auch nicht gute Sitte, in ein schwebendes Verfahren einzugreifen.«104 Während Edschmid sich auf eine fundamentale Diskussion der Konfliktpunkte nicht einließ und wohl auf ein Urteil der höheren Instanz hoffte, wagte das P.E.N.-Mitglied Emil Belzner eine differenzierte Betrachtung der grundlegenden Problematik P.E.N. und Politik. Belzner kann als Vertreter einer toleranten Position gelten, der sich dem absoluten Blockdenken klar entgegenstellte. Die versuchte Instrumentalisierung der deutschen P.E.N.-Sektion im Sinne des machtpolitischen Gerangels hatte er klar erkannt und lehnte sie ab; das deutsche
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gelt die nach 1945 zwischen den Emigranten und den in Deutschland Verbliebenenentbrannte Auseinandersetzung über Schuldfragen hinsichtlich des NS-Regimes wider. Vgl. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [9. 1./15. 1. 1951/30. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Auch Erich Kästner zeigte sich verärgert über Janckes Ausführungen. Er hoffte auf eine angemessene Erklärung in der nächsten Nummer der Akademie-Zeitschrift:»Im gegenteiligenFalle sollten wir uns untereinanderüberlegen, ob wir nicht in corpore aus der Akademie austreten sollten oder ob wir diesen Schritt, um nicht neues Geschrei zu provozieren, trotz allem unterlassen müssen.« Erich Kästner an Kasimir Edschmid [27. 12. 1950]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. [dpa]: Protest gegen Becher an London weitergeleitet. In: Die Neue Zeitung vom 14. 12. 1950. Kasimir Edschmid: »Unteilbarkeit des geistigen Deutschlands«. Zur Wiesbadener Tagung des deutschen PEN-Zentrums. In: Rhein-Neckar-Zeitung 291 (16./17. 12. 1950), S. 13. Kasimir Edschmid: »Unteilbarkeit des geistigen Deutschlands«. Zur Wiesbadener Tagung des deutschen PEN-Zentrums. In: Rhein-Neckar-Zeitung 291 (16./17. 12. 1950), S. 13. Kasimir Edschmid: Zu den Auseinandersetzungenüber den PEN-Klub. In: Darmstädter Echo vom 13. 1. 1951, S. 4.
P.E.N.-Zentrum könne weder ein Instrument des Westens noch des Ostens sein. Als obersten Grundsatz des P.E.N. verwies Belzner auf das Gebot der Toleranz, der Achtung vor den Überzeugungen anderer: Eine einheitliche und regulierte politische Überzeugung sei im P.E.N. undenkbar, da ja gerade die Vielfalt der geistigen Positionen hier zu einer Gesamtwirkung kommen soll: der Oeffentlichkeit darzutun, daß wahrer Geist, geboren aus echten nationalen Ursprüngen,Entscheidendeszu einer Verständigungunter den Völkern beitragenkann und daß er keinen der Verfeindung der Welt dienenden Parolen hörig ist […]. Und wer hier diktatorisch vorgehen wollte, seine eigene Meinung als die alleinige und allein richtige durchzusetzen, der sähe sich bald vor der Tür.105
Gleichwohl verkannte Belzner die spezifische Problematik der deutschen Situation nicht. Die Überwindung der Teilung Deutschlands, die eine durch die weltpolitischen Einflüsse erheblich gesteigerte vergiftete Atmosphäre hervorgerufen hatte, sah er als zwingend an. Für den Umgang mit den Vertretern der Ostzone, deren Regime er ablehnte, empfahl er kritische Toleranz: Zum einen gehe von den wenigen ostdeutschen Stimmen im P.E.N. keine Gefahr aus, »daß irgendwie tendenziöse Strömungen das Uebergewicht erhalten könnten«106 ; zum anderen dürfe »die Anerkennung der PEN-Charta durch die ostdeutschen Mitglieder […], solange nicht der Beweis eines gegenteiligen Verhaltens vorlieg[e], nicht leichthin als Farce ausgelegt werden.«107 Jenseits des Rummels in der westdeutschen Presse vermittelte Edschmids Tagungsprotokoll einen sachlichen Eindruck. Die Teilnehmer der Versammlung hatten die Diskussion um die Problematik des deutschen P.E.N. demnach kaum an die Oberfläche dringen lassen bzw. hatten gar kein Interesse daran gezeigt. Ursache dafür war vor allem die Tatsache, dass mit Ausnahme Borées keiner der aktiven Antikommunisten an der Zusammenkunft teilgenommen hatte. Ein außen Stehender, Wilhelm Sternfeld, Vorstandsmitglied des P.E.N.-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland, sprach am Schluss der Sitzungen »seine aufrichtige Genugtuung darüber aus[…], wie fair in Wiesbaden verhandelt worden sei.«108 105 106 107 108
Emil Belzner: PEN/Becher. In: Rhein-Neckar-Zeitung 291 (14. 12. 1950), S. 2. Emil Belzner: PEN/Becher. In: Rhein-Neckar-Zeitung 291 (14. 12. 1950), S. 2. Emil Belzner: PEN/Becher. In: Rhein-Neckar-Zeitung 291 (14. 12. 1950), S. 2. Protokoll der Tagung des InternationalenP.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden [4.–7. 12. 1950] [Dezember 1950], S. 1. SBBPK NL Tralow K 86 M 38. Sternfelds Aussage wurde von Bechers Gattin, Lilly Becher, genutzt, um gegen die journalistische Hetze gegen Johannes R. Becher anzugehen. In ihrem Artikel zitierte sie Sternfeld; er habe »in der abschließenden Pressekonferenz ›die vorbildliche Zusammenarbeit und Konzilianz der Schriftsteller aus dem Osten und Westen Deutschlands, die anderen Organisationen als Beispiel dienen könnte‹«, als »wesentlichsten Eindruck« bezeichnet. »›Diese Tagung hat bewiesen[…], daß es Harmonie geben kann. Sie ist ein Symbol dafür. Ich bin für die Austragung von Konflikten – aber im gegenwärtigen Moment ist die Einheit wichtiger!‹« Lilly Becher: Denn sie wissen, was sie tun … Bemerkungen zur Tagung des deutschen PEN-Zentrums. In: Berliner Zeitung vom 14. 12. 1950. Hochgeschwender schreibt Sternfeld und dem P.E.N.-Klub Deutschsprachiger Autoren im Ausland im Prozess der P.E.N.-Spaltung eine »zwar nicht entscheidende, aber 99
Auch der als »Hofbarde[ ] der Pieck, Grotewohl und Ulbricht«109 diffamierte Johannes R. Becher zeichnete ein positives Bild von der Wiesbadener Tagung; dies fiel angesichts der faktischen Ergebnisse, namentlich seiner Wiederwahl zum Präsidenten und des friedlichen Verlaufs110 der Pressekonferenzen, nicht schwer. Becher zeigte bei seiner Rückkehr nach Ost-Berlin auf einer Pressekonferenz »Befriedigung […] über die fruchtbare Aussprache […] [und] die Bereitwilligkeit zu einem Gespräch über wesentliche Grundfragen der deutschen Nation und zu seiner Fortsetzung«.111 Ein rundum harmonisches Bild im Sinne der parteipolitischen Zielsetzungen in Hinblick auf die Deutschlandpolitik zeichnete selbstredend das Neue Deutschland ; danach hätten die »Verhandlungen im Zeichen der Bereitschaft zum gegenseitigen Vertrauen, des leidenschaftlichen Willens zur Wiedervereinigung Deutschlands und des Bekenntnisses zur Erhaltung und Festigung des Friedens«112 gestanden. Die Wiederwahl Bechers betone »das Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Notwendigkeit das […] Gespräch zwischen Ost und West unter allen Umständen fortzusetzen.«113 Beifall erhielt das Ergebnis der Wiesbadener Tagung zudem durch den Vorstand des Deutschen Schriftstellerverbandes (DSV). Auch dieser beschwor den positiven Einfluss der – in Wirklichkeit längst brüchigen – Einheit der Schriftsteller auf die Zusammenführung der beiden deutschen Staaten.114 Gleichwohl musste Becher den journalistischen Angriffen auf seine Person, etwa in der Neuen Zeitung, in irgendeiner Form begegnen. Der Versuch, in
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doch wichtige Rolle« zu und rückt ihn in die Nähe von Günther Birkenfeld. Vgl. Hochgeschwender, S. 337. Tatsächlich aber vermitteln Sternfelds Briefe an Edschmid einen differenzierten Blick auf die Situation nach Wiesbaden, der das Handeln aller Beteiligten kritisch beleuchtet und insgesamt auf eine einvernehmliche Lösung, d. h. die Aufrechterhaltung eines deutschen Zentrums drängt. Vgl. etwa die Briefe vom 3. 1. 1951 und 10. 1. 1951. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Qu [d. i.?]: Trotz Widerspruchs: Pen-Club gesamtdeutsch. Von unserem nach Wiesbaden entsandten qu-Sonderberichterstatter. In: Der Mittag (Düsseldorf) vom 8. 12. 1950. Der widerspruchslose Verlauf der Pressekonferenzen wurde in der westdeutschen Presse vielfach moniert. Über die Frankfurter Pressekonferenz, deren Thematik einigen Zündstoff enthielt, notierte der Verfasser des Artikels Peinlichkeiten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. 12. 1950. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h.: »Die Atmosphäre des Gespräches blieb im großen und ganzen erstaunlich gedämpft auf allen Seiten.« [o. V.]: Ost-West-Gespräch der Schriftsteller. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Leipzig) 1 (6. 1. 1951), S. 4. [o. V.]: Die deutsche Literatur ist unteilbar. Ergebnis der Tagung des deutschen PENZentrums in Wiesbaden im Geist der Einheit und des Friedens. In: Neues Deutschland vom 12. 12. 1950. [o. V.]: Die deutsche Literatur ist unteilbar. Ergebnis der Tagung des deutschen PENZentrums in Wiesbaden im Geist der Einheit und des Friedens. In: Neues Deutschland vom 12. 12. 1950. Vgl. [Vorstand des DSV]: Für den Wiederaufstieg einer großen deutschenLiteratur.In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Leipzig) 1 (13. 1. 1951), S. 14. Siehe auch Schriftsteller-Verband zur PEN-Tagung. In: Neues Deutschland vom 6. 1. 1951.
einer Erklärung an die Redaktion der Neuen Zeitung seine aggressiven Attacken gegen die Teilnehmer am Kongreß für kulturelle Freiheit zu konkretisieren und auf die führenden Persönlichkeiten Lasky, Koestler und Burnham zuzuspitzen,115 musste angesichts seiner schwarz auf weiß festgehaltenen Aussagen gegen die am Kongress teilnehmenden Schriftsteller aus aller Welt bedeutungslos erscheinen. Er provozierte nur einen weiteren verbalen Schlag gegen seine Person im speziellen und den Kommunismus im Allgemeinen, der von Ernest J. Salter ausgeführt wurde.116 Salter führte die Rücknahme der extremen Äußerungen im Wesentlichen auf eine Veränderung der politischen Situation zurück; sie sei eine »taktische Schwenkung«117 der Literatur in einer totalitären Gesellschaft analog zu deren Staatspolitik. Mit diesem Hinweis zielte Salter auf einen Brief des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl an den Bundeskanzler Konrad Adenauer vom 30. November 1950, in dem dieser die Bildung eines »Gesamtdeutschen konstituierenden Rates« vorschlug, um die Wiedervereinigung Deutschlands voranzutreiben.118 Während die Redaktion der in der DDR erschienenen Wochenzeitschrift Der Sonntag diesen politischen Schritt im Zusammenhang mit der Wiesbadener Tagung positiv ausgedeutet dem vollständigen Abdruck von Bechers Erklärung voranstellte,119 sah Salter darin lediglich einen weiteren Beweis für die staatspolitische Gleichschaltung der DDRAutoren.120 Eine erneute Annäherung an einen Kontrahenten im P.E.N., Rudolf Pechel, auf pseudo-persönlicher Ebene misslang Becher ebenfalls gründlich. Propagandistisch wirksam hatte er einen unmittelbar nach Wiesbaden verfassten Brief an Rudolf Pechel im Sonntag abdrucken lassen; darin folgte er noch einmal der obig dargelegten Argumentationslinie in Bezug auf den Kongreß für kulturelle Freiheit, und beschwor emphatisch die einstige Verständigungsbereitschaft, die das Verhältnis zwischen ihm und Pechel geprägt habe.121 Pechel erteilte Becher 115
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Zitiert in Ernest J. Salter: Worin der Zynismus des Kommunisten Becher besteht. In: Die Neue Zeitung vom 14. 12. 1950. Vgl. Ernest J. Salter: Worin der Zynismus des Kommunisten Becher besteht. In: Die Neue Zeitung vom 14. 12. 1950. Ernest J. Salter: Worin der Zynismus des Kommunisten Becher besteht. In: Die Neue Zeitung vom 14. 12. 1950. Vgl. Klaus Schroeder:Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft1949–1990. München und Wien 1998, S. 86. Grotewohl griff damit eine Empfehlung auf, die auf der Konferenz der Ostblock-Staaten am 20./21. Oktober 1950 in Prag formuliert worden war. Vgl. Ernst Deuerlein (Hg.): DDR 1945–1970. Geschichte und Bestandsaufnahme. München 1972, S. 88. Abdruck eines Ausschnittsaus dem Schreiben von Grotewohlan Adenauer siehe Deuerlein,S. 114f. Zu den Prager Deutschland-Beschlüssenvgl. Dokument 83, Kleßmann, S. 463. [o. V.]: Deutsche Schriftsteller an einen Tisch. Zur Tagung des PEN-Zentrums in Wiesbaden. In: Der Sonntag vom 17. 12. 1950. Vgl. Ernest J. Salter: Worin der Zynismus des Kommunisten Becher besteht. In: Die Neue Zeitung vom 14. 12. 1950. Bechers Brief an Pechel war zunächst in der Wochenzeitung Der Sonntag erschienen. Abgedruckt wurde er auch in Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 547–552. 101
im Gegenzug eine unmissverständliche Abfuhr, die keinen Zweifel an seiner endgültigen Absage gegenüber den Vertretern des SED-Regimes zuließ. Er sah das Beweismaterial zu den Vorgängen in der DDR als erdrückend an. Bechers Schweigen hinsichtlich des stalinistischen Terrors in der DDR und die positive Einschätzung des am 15. Dezember 1950 verabschiedeten Gesetzes zum Schutze des Friedens als »modernes, fortschrittliches und menschliches Gesetz, das der Idee der Initiatoren des PEN-Klubs voll entspreche«122 , de facto jedoch ein strafrechtliches Instrument zur unerbittlichen Verfolgung von Systemkritikern darstellte123 , wertete Pechel als drastischen Verstoß gegen die P.E.N.-Charta. Für das Verhältnis zwischen ihm und Becher machte er deutlich: »Dadurch haben Sie jede Brücke zwischen Ihnen und mir abgebrochen und eine Zusammenarbeit mit Ihnen in irgendeiner Vereinigung für mich unmöglich gemacht – es sei denn, Sie fänden den Mut zu einer Verurteilung der genannten Verbrechen gegen die Menschlichkeit.«124
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Zwischen Einheit und Teilung (Dezember 1950 – Oktober 1951)
3.2.1 Vergebliche Suche nach einvernehmlichen Lösungen des Konflikts Während die Presseschlacht noch tobte, war man intern daran gegangen, eine für alle Seiten verträgliche Lösung jenseits der ideologischen Grabenkämpfe, die nur in der Separation ein Ende finden konnten, zu suchen. Die Korrespondenzen in den Monaten nach der Wiesbadener Tagung spiegeln das gesamte Spektrum der wankenden Empfindungen, Überlegungen und um Ausgleich bemühten Aktivitäten wider. Besonderes Unbehagen über die ihm zugefallene Rolle verspürte der Generalsekretär Kasimir Edschmid. Bei ihm als Verantwortlichem für den Schriftverkehr liefen die Fäden zusammen: Präsidiumsmitglieder, Ausgetretene, rührige Mitglieder und Außenstehende luden bei Edschmid bestenfalls ihre Ideen, 122
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[o. V.]: Ost-West-Gespräch der Schriftsteller. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Leipzig) 1 (6. 1. 1951), S. 4. Vgl. Schroeder, S. 86. Das Gesetz wurde in der Bundesrepublik kritisch wahrgenommen. Vgl. etwa die Zeitungsnotiz »Ohne Kommentar«. Ohne weitere Angaben enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. Becher hatte auf der Ost-Berliner Pressekonferenz seine Bereitschaft erklärt, westdeutsche Beobachter durch die Gefängnisse der DDR zu führen, um zu beweisen, dass dort kein Unrecht geschehe. Auf dieses Angebot reagierte ein intimer Kenner der Verhältnisse in diversen DDR-Gefängnissen mit erschreckenden Details über die Haftbedingungen. Vgl. [o. V.]: SSD [d. i. Staatssicherheitsdienst] hat den »humansten« Strafvollzug. In: Die Neue Zeitung 20 (25. 1. 1951). Rudolf Pechel antwortet Johannes R. Becher. Zusammenarbeit unmöglich gemacht. In: Die Neue Zeitung vom 29. 12. 1950. In seinem Tagebuch reagierte Becher auf Pechels Antwort mit der Typisierung eines »Pechel-Deutschen«, der alle Vorbehalte gegenüber westlich Orientierten einte. Vgl. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung, S. 583f.
Meinungen und Vorschläge, gegebenenfalls auch ihren Unmut ab. Schon unmittelbar nach der Wiesbadener Tagung stellte er fest: »Ich bin etwas desolé […] und etwas verzweifelt ueber all den Stunk …«125 Enttäuscht zeigte er sich über die Proteste und Beschimpfungen, die »Zeitungshatz«126 ; er fürchtete – zu Recht – demonstrative Austritte aus dem deutschen P.E.N.-Zentrum. Und so resümierte er: »Ich bin darüber und über die Situation, in die speziell ich gerate, keineswegs sonderlich glücklich.«127 In die Klagen über die Auswirkungen der negativen Entwicklungen im deutschen P.E.N.-Zentrum stimmte der Schatzmeister Johannes Tralow ein; er verwies auf die »keineswegs rosig[e]«128 Kassenlage: Für die nächste Zeit seien aufgrund der oftmals schwierigen finanziellen Lage der Mitglieder Anträge auf ermäßigte Jahresbeiträge in großer Zahl zu erwarten. Des Weiteren seien Auswirkungen der negativen Presse auf die Spendengelder zu befürchten. Überhaupt schien Tralow mit seiner Position unzufrieden; er fühlte sich trotz seiner Zugehörigkeit zum Vorstand nicht genügend in die Ebene der Entscheidungsträger eingebunden. So bemerkte er gegenüber Edschmid, Friedmann habe eine Neigung, lediglich Kästner, Becher und sich selbst als Vorstand zu betrachten. Kassenwart und Generalsekretär würden so zu »Befehlsempfängern«.129 Entschieden verwies Tralow darauf, dass er Beschlussfassungen ohne seine Anwesenheit nicht anerkennen werde.130 Tralows offensichtliche Aggression gegen Friedmann speiste sich jedoch aus anderen Quellen. Unmittelbar nach der Wiesbadener Generalversammlung hatte der Schatzmeister eine der Hauptrollen in einem neuerlichen Verwirrspiel eingenommen, das die Kräfte des Präsidiums im Verhältnis zu den drängenden Fragen des deutschen P.E.N. ungebührlich in Anspruch nahm. Tralow strengte gegen den geschäftsführenden Präsidenten Friedmann ein Ehrengerichtsverfahren an; er warf Friedmann in Bezug auf eines seiner neuen Werke manipulative Buchkritik vor. Dem Ansehen des P.E.N.-Zentrums konnte ein solcher öffentlich gemachter Vorwurf gegen den geschäftsführenden Präsidenten nur schaden. Das kritisierte Verhalten stand im krassen Widerspruch zu der von der Wiesbadener Mitgliederversammlung herausgegebenen Empfehlung zur Verbesserung der deutschen Buchkritik. Doch das Unpassende geschah: Auf ungeklärten Wegen geriet der Vorgang in die Presse – in aller Ausführlichkeit beschrieben und mit deutlichem 125
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Kasimir Edschmid an Johannes Tralow [14. 12. 1950]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Edschmid. Kasimir Edschmid an Johannes Tralow [14. 12. 1950]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Edschmid. Kasimir Edschmid an Johannes Tralow [19. 12. 1950]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Edschmid. Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [16. 12. 1950]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [16. 12. 1950] SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. Vgl. Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [16. 12. 1950]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. 103
Verweis auf den Widerspruch zum Meinungsfreiheit-Passus der P.E.N.-Charta versehen. Ein Artikel in der Abendzeitung informierte ausführlich über die Vorgänge: Demnach war Tralow von einer westdeutschen Zeitung131 mit einer Kritik zu Friedmanns Buch beauftragt worden; Friedmann wiederum hatte bereits einen anderen Kritiker mit einer Besprechung betraut und forderte nun von Tralow vor Abdruck Einsicht in seine Kritik; Tralow verweigerte seine Zustimmung zu einem solchen Vorgehen, woraufhin Friedmann den Abdruck zu verhindern suchte; letztlich habe die Zeitung die Besprechung des von Friedmann beauftragten Kritikers abgedruckt, weil diese »›in hohem Maße dem Wunsch des Autors gerecht‹« werde.132 Friedmann beschuldigte Tralow, den ausführlichen Artikel in der Abendzeitung lanciert zu haben, und erhob Einspruch gegen die dargelegten Vorwürfe.133 Tralow hingegen behauptete, er habe erst durch Kästner von dem Pressebericht erfahren.134 In den Korrespondenzen der Präsidiumsmitglieder finden sich Andeutungen weiterer Varianten des Vorganges, die eine genaue Rekonstruktion nahezu unmöglich machen. Fakt ist lediglich, dass Friedmann die Sache als »intentional aufgebauschte Bagatelle«135 verstand, Tralow hingegen im moralischen Interesse des P.E.N. auf die unbedingte Klärung des Sachverhaltes durch ein Ehrengerichtsverfahren insistierte. Nahezu besessen von der Idee, das P.E.N.-Ethos zu pflegen, schien Tralow einigermaßen blind für das politische Risiko seiner Forderung. Vermutlich in dem Glauben, weiteren Schaden vom P.E.N.-Zentrum abzuwenden, hatte Friedmann gegenüber Kästner seinen Rücktritt angeboten.136 Um ein solches Resultat der Auseinandersetzung zu vermeiden, argumentierte Kästner im Hinblick auf die öffentliche Wahrnehmung eines solchen Schrittes; er würde »in der Öffentlichkeit zu neuen Mißdeutungen und Presseschwätzereien führen« und sofort »mit der Ost-West-Schwierigkeit«137 in Verbindung gebracht. Behutsam bemühte sich Kästner um eine Vermittlung zwischen Tralow und Friedmann.138 Insgeheim aber schien ihm deren Streitigkeit grotesk: »Sorgen haben die Leute! 131
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Es handelte sich dabei um Die Neue Zeitung. Vgl. Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [21. 12. 1950]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. [Vgl.] Hiss. [d. i. ?]: »Glashaus« der Autoren. PEN-Club attackiert Buchkritik. »Fall Friedmann« beweist Mitschuld der Schriftsteller. In: Die Abendzeitung vom 20. 12. 1950. Vgl. Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [30. 12. 1950]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Erich Kästner an Hermann Friedmann [8. 1. 1951]. Anlage zu einem Brief von Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [9. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Hermann Friedmannan Johannes Tralow [9. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Hermann Friedmann [8. 1. 1951]. Anlage zu einem Brief von Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [9. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Hermann Friedmann [8. 1. 1951]. Anlage zu einem Brief von Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [9. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. u. a. Erich Kästner an Hermann Friedmann [27. 12. 1950]. Anlage zu einem Brief von Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [9. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.
[…] Der Globus will Selbstmord begehen, und zwei alte Herren benehmen sich wie dumme Jungen.«139 Alle Bitten von Kästner und Edschmid, die Streitigkeit »gerade in der augenblicklichen Welt- und PEN-Krise«140 einvernehmlich beizulegen, wurden von Tralow beharrlich abgelehnt.141 Anfang Januar setzte man schließlich mit Zustimmung des betroffenen Präsidiumsmitglieds Friedmann ein Ehrengericht ein, dem Erich Kästner, Hanns Braun und Ernst Penzoldt angehörten.142 Dem beschwichtigenden Einwirken von verschiedenen Seiten war es wohl zu verdanken, dass Tralow sich schließlich wenige Tage nach Einsetzung des Ehrengerichts zum Einlenken bereit fand.143 Zwar zog er seinen Ehrengerichtsantrag nicht offiziell zurück.144 Gleichwohl war Tralow bewusst geworden, dass die tatsächliche Durchführung eines solchen Verfahrens dem P.E.N.-Zentrum zum gegebenen Zeitpunkt mehr schaden als nützen würde: Er hatte »nachgedacht, wie man die Angelegenheit so bereinigen kann, daß der PEN-Club gedeckt ist, aber in einer Weise, die Herrn Professor Friedmann insofern schont, daß sein Name in diesem Zusammenhang nicht mehr erwähnt wird«145 . Um nicht gänzlich klein beizugeben, schlug Tralow ein P.E.N.-internes Rundschreiben vor, das ganz allgemein für eine kritische Haltung gegenüber »Autoren-Selbstkritik«146 werben sollte. Schlussendlich ging Tralows Antrag unter – die Frage, in welcher Form das P.E.N.-Zentrum Deutschland künftig fortexistieren sollte, verlangte dringlicher nach Antwort.147 Ein auslösender Faktor für Tralows Rückzug dürfte auch die neuerliche Debatte gewesen sein, die sich in Reaktion auf die am Jahresende 1950 in der 139 140
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Erich Kästner an Kasimir Edschmid [21. 12. 1950]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Kasimir Edschmid an Johannes Tralow [19. 12. 1950]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Edschmid. Vgl. Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [21. 12. 1950 und 3. 1. 1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [8. 1. 1951 und 9. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Tralow verwies u. a. auf einen Brief von Becher. Vgl. Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [13. 1. 1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. Friedmann stellte seine eigenen Überlegungen gegenüber Edschmid an: »Herr Tralow ist einfach zum Verzicht gezwungen worden: ob von Becher,das weiss ich nicht, aber jedenfalls hat sich Kästner […] ganz auf meine Seite gestellt, und auch Sternfeld hat Tralow gründlich die Meinung gesagt […].« Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [17. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [20. 1. 1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [13. 1. 1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [13. 1. 1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. Zwar hatte Tralow Anfang Februar seinen Antrag auch an Kästner weitergeleitet; dieser aber schien gewillt, autoritär zu handeln: »Der Fall Tralow-Friedmann wird schliesslich zu regeln sein, wie Sie und ich es einmütig beschliessen. Sogar wenn Becher anderer Ansicht wäre, hätten wir die Mehrheit.« Erich Kästner an Kasimir Edschmid [1. 2. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. 105
Presse platzierte Austrittserklärung148 von Theodor Plievier entspann und das P.E.N.-Zentrum Deutschland weiterhin zum Objekt des öffentlichen Interesses machte. Plievier hatte noch einmal die Anklagen gegen Becher und die kommunistische Welt zusammengefasst, um als Voraussetzung der Friedenserhaltung angesichts der deutlichen Zweiteilung der Welt »auch im Geistigen eine sehr saubere Grenzziehung«149 zu fordern. Als Hauptakteure des nachfolgenden Schlagabtauschs traten Eggebrecht, Friedmann und wiederum Plievier an.150 Die beiden Erstgenannten versuchten vor allem auf der Ebene menschlicher Schwäche um Verständigung zu werben. Dass Bechers Rede vom Juli 1950 »ohne jeden Abstrich […] abscheulich und hassenswert«151 und sein Auftritt vor der Presse anlässlich der Wiesbadener Tagung alles andere als der P.E.N.-Sache dienlich gewesen war, machten beide deutlich. Als präziser Beobachter bestätigte Eggebrecht die inakzeptable Situation hinsichtlich der Meinungsfreiheit in der DDR und ermahnte zu einer kritischen Haltung gegenüber dem Osten und seinen Vertretern. Gleichwohl lehnte er eine Pauschalverurteilung der in der DDR lebenden Schriftsteller ab und erwiderte auf Plieviers Austritt entschieden: »Ich bleibe im PEN-Club!«152 Er gemahnte Plievier an seine eigenen Erfahrungen mit
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Theodor Plievier: Ich trete aus der deutschen PEN-Gruppe aus. In: Die Neue Zeitung 309/310 (30. 12. 1950). In wesentlichen Grundzügen dargestellt wurde die Austrittserklärung in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften, vgl. u. a. den Artikel [o. V.]: Theodor Plievier verläßt die deutsche Pen-Gruppe. In: Das freie Wort 2 (5. 1. 1951) 1, und P. F. [d. i.?]: Geschehen vom Tage: Plievier zieht einen Strich. In: Frankfurter Rundschau vom 3. 1. 1951. Theodor Plievier: Ich trete aus der deutschen PEN-Gruppe aus. In: Die Neue Zeitung 309/310 (30. 12. 1950). Geäußert hatten sich auch Erich Kästner, Emil Belzner und Dolf Sternberger. Kästner argumentiertewiederum in Hinblickauf die internationaleTragweiteder Entscheidung für oder gegen Kommunisten im P.E.N., während Sternberger sich auf einen weitestgehend neutralen Standpunkt zurückzog. Belzner drückte zwar sein Bedauern über Plieviers Austritt aus. Gleichzeitig deutete er dessen Entbehrlichkeit an: Auch ohne den Rücktritt würde man »auf die Respektierung der internationalen PEN-Charta durch die Mitglieder bestanden haben«. Vgl. [o. V.]: Kästner: Deutsche PEN-Gruppe kann über Ausschluß von Becher nicht entscheiden. In. Die Neue Zeitung 4 (5. 1. 1951) und [o. V.]: Vier PEN-Mitglieder zum Fall Becher. Eggebrecht, Kästner, Sternberger und Belzner teilen Plieviers Standpunkt nicht. In: Frankfurter Rundschau vom 6. 1. 1951. Axel Eggebrecht: Ich bleibe im PEN-Club! In: Die Welt vom 4. 1. 1951. Auch abgedruckt in: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Bonn 1951, S. 22–24. Axel Eggebrecht: Ich bleibe im PEN-Club! In: Die Welt vom 4. 1. 1951. Eggebrecht trat späterhin, auch im Rundfunk, für seinen Standpunkt ein, »der unbedingtes Festhalten an einem gesamtdeutschen PEN verlangt. […] Es wäre ein grosses Unglück, wenn unsere PEN-Dinge nun auch in den Wust des Ost-West-Streites mit seinem zweideutigen Jargon hineingerissen würden.« Gleichwohl stand er Becher sehr kritisch gegenüber: »Ich habe nichts gegen ihn selbst. Aber er ist nun einmal ein sehr offizieller Mann, hoher Funktionär, markanter Repräsentant Ostdeutschlands. Es wäre besser, wenn nicht gerade er in unserem Präsidium sässe. Und an seiner Stelle würde ich das selbst sehen – und daraus eine Konsequenz gezogen haben, ehe es zu dieser Not-
dem kommunistischen Totalitarismus während seiner Exilzeit und seiner Rückkehr nach Deutschland: Kennt er nicht den furchtbaren Sog der Diktatur? Weiß er nicht, daß dort noch viele leben, und sogar unter den offiziösen Schreibern, die im innersten Herzen sehr wohl noch das hohe Bild echter Geistesfreiheit bewahrt haben? Ich jedenfalls kenne solche Beispiele – wenn ich mich auch aus verständlichen Gründen hüten werde, sie öffentlich anzuführen …153
Im Interesse dieser Menschen plädierte Eggebrecht dafür, den DDR-Autoren über die Mitgliedschaft in einem gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrum gleichsam ein Fenster zur westlichen Machtsphäre offen zu halten: »Mancher heimliche Bruder im Geiste, dessen bin ich sicher, wird uns das danken – auch drüben. Und Gott war bereit, Sodom zu retten – um eines einzigen Gerechten willen …«154 Mit einer ähnlichen Aussageabsicht dehnte Friedmann die Auslegung der Charta auf ein Maximum des Vertretbaren aus; er schrieb den P.E.N.Mitgliedern keinen Freibrief für ihr Handeln aus, mahnte aber für dessen Beurteilung an, die hohen Moralansprüche an die Intellektuellen ins Verhältnis zu ihrer realen Situation zu setzen: Der PEN erwartet von seinen Mitgliedern, daß sie zur Förderung der Freiheit und zur Bekämpfung der Unfreiheit alles Mögliche tun. Er verlangt aber nicht das Unmögliche. Er weiß um die vorgegebenen Freiheitsschranken in dieser tragischen Welt. Er darf nicht daran denken, das Individuum wider den Staat aufzurufen. Er kennt die geringe Befähigung der Menschen zum Märtyrertum. Alles was er fordert ist: die Wirksamkeit des einzelnen für die Freiheit im Rahmen seiner Möglichkeiten, und namentlich die unbedingt freiheitlicheHaltung im eigenen, persönlichen Tun und Lassen.155
Auch Friedmann hoffte auf den P.E.N. als ein Loch im Eisernen Vorhang, als »eine Tribüne für das fortzusetzende gute deutsche Gespräch (vielleicht, wer weiß, auch für das Weltgespräch) und eine Heimstätte, zu der unsere Brüder – dies ist unser innigster Wunsch – zurückfinden mögen.«156 Beide Befürworter eines gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrums versuchten mit ihren Ausführungen eine versöhnliche Antwort auf die schwierige Frage, ob und wie das Ethos des P.E.N. mit dem Leben unter einer Diktatur in Einklang zu bringen sei. Bedeutet(e) das Leben und Arbeiten in einem totalitär regierten Staat grundsätzlich die bedingungslose Akzeptanz, gar tätige Unterstützung des Regimes? Machte sich jeder automatisch eines Bruchs der P.E.N.-Charta schuldig, der zu unrechtmäßigen Vorgängen schwieg? War eine Grenzziehung überhaupt möglich? Musste
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Wahl [gemeint ist Wiesbaden] kam.« Axel Eggebrecht an Johannes Tralow [5. 6. 1951]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Eggebrecht. Axel Eggebrecht: Ich bleibe im PEN-Club! In: Die Welt vom 4. 1. 1951. Axel Eggebrecht: Ich bleibe im PEN-Club! In: Die Welt vom 4. 1. 1951. Hermann Friedmann: Was bleibt der deutschen PEN-Gruppe …? In: Die Neue Zeitung vom 14. 1. 1951, S. 5. Auch abgedrucktin: Bundesministeriumfür gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 25–27. Hermann Friedmann: Was bleibt der deutschen PEN-Gruppe …? In: Die Neue Zeitung vom 14. 1. 1951, S. 5. 107
die P.E.N.-Mitgliedschaft von Bürgern eines diktatorischen Staatswesens nicht pauschal negiert werden? All dies waren Fragen, die knapp fünfzig Jahre später unter umgekehrten Vorzeichen – Wiederannäherung statt Trennung – in ähnlicher Weise gestellt werden und im Hinblick auf die angeklagten Autoren gleichfalls vorsichtige Fürsprecher wie kategorische Gegner aktivieren sollten. Plieviers Erwiderung auf Eggebrechts und Friedmanns Reaktionen demonstriert eindrucksvoll den engen Zusammenhang zwischen Welt- und P.E.N.Politik. Die in Gang gekommene Aufrüstung des Westens sah Plievier trotz des Bewusstseins für die damit verbundenen Gefahren als einziges Mittel an, um das Kräfteverhältnis zwischen den politischen Machtblöcken im Gleichgewicht zu halten und den Weltfrieden zu sichern. Nur durch strikte Abgrenzung konnte nach Plievier auf weltpolitischem Terrain eine kriegerische Auseinandersetzung vermieden werden. Da mitten durch Deutschland die Demarkationslinie verlief, war für Plievier konsequenterweise die Aufrechterhaltung eines gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrums inakzeptabel. Auch hier sollte eine deutliche Grenzziehung wirksam werden; Toleranz gegenüber den intellektuellen Vertretern des östlichen Machtbereichs stand für Plievier vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrungen mit dem Kommunismus nicht zur Debatte. Die fortgeschrittene Indoktrination der DDR-Autoren, insbesondere Bechers, war für ihn unstrittig – ein konstruktives Gespräch schien damit unmöglich. Durch seinen demonstrativen Austritt aus dem deutschen P.E.N.-Zentrum wünschte Plievier eine eindeutig abschlägige Positionierung der West- gegenüber den Ostmitgliedern herbeizuführen.157 Eggebrecht hingegen hatte sich in seiner versöhnlicheren Argumentation ähnlich wie Friedmann auf die aktuellen politischen Verständigungsbemühungen bezogen, die Grotewohl durch seinen Brief an Adenauer angestoßen hatte. Dass Adenauer einen guten Monat später Grotewohls Anliegen eine harsche Abfuhr erteilen würde, ahnten beide zu diesem Zeitpunkt noch nicht: »Bonn erwägt zumindest die Möglichkeit eines Gesprächs mit Grotewohl. Wollen wir Geistigen nun nach einer Vertiefung des Grabens schreien?«158 Der Meinungsaustausch zwischen den (Ex-)P.E.N.-Mitgliedern wurde von der medialen Öffentlichkeit vielfältig zur Kenntnis genommen und positiv wie negativ kommentiert.159 Herbert Hohenemser vom Münchener Merkur sah die unumgängliche Konsequenz deutlich: 157
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Vgl. Theodor Plievier: Mit einem Lautsprecher kann man kein Gespräch führen. In: Die Neue Zeitung vom 14. 1. 1951, S. 5. Axel Eggebrecht: Ich bleibe im PEN-Club! In: Die Welt vom 4. 1. 1951. Vgl. auch Hermann Friedmann: Was bleibt der deutschen PEN-Gruppe …? In: Die Neue Zeitung vom 14. 1. 1951, S. 5. Von den Medien der DDR wurde Eggebrechts Formulierung nur zu gern aufgenommen, ließ sie sich doch zur propagandistischen Unterstützung der politischen Linie hervorragend einsetzen. Vgl. die Ausschnittsammlungdes Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. Explizit verwiesen sei auf einen Artikel von Rudolf Hagelstange, der die wesentlichen Anklagepunkte gegenüber Becher noch einmal eindrucksvoll zusammenfasst: Vom Tatsachensinn der deutschen Schriftsteller. In: Die Neue Zeitung vom 22. 1. 1951.
Das Ergebnis dieser nunmehr vor aller Welt klar zutage liegenden Bekenntnisse ist der endgültige Bruch zwischen Ost und West, nunmehr auch im Bereich des deutschen Schrifttums. Zweifellos werden viele deutsche Schriftsteller diesen von den ersten drei entscheidungsmutigen Autoren gefaßten Entschluß begrüßen und sich ihm anschließen. Sie werden die Entladung eines lange über dem PEN-Club schwebenden Gewitters als Reinigung empfinden, und es wird der Leitung des deutschen PEN-Zentrums nichts anderes übrigbleiben, als nunmehr auch rückhaltlos über die tiefe geistige Krise des Clubs zu sprechen.160
Um den »Stimmen von wenig oder gar nicht unterrichteter Seite«161 zu begegnen und die unerledigten P.E.N.-Angelegenheiten zumindest bis zur Stellungnahme des Internationalen P.E.N. aus dem Fokus des öffentlichen Interesses zu bringen, versuchte Friedmann, losgelöst von der emotionsgeladenen Debatte, durch eine Darstellung der reinen Fakten entgegen zu wirken.162 Auf die öffentliche Austrittserklärung von Plievier hatte man notgedrungen eingehen müssen. Birkenfelds Rückzug aus dem P.E.N.-Zentrum Deutschland, der ebenso wie Plieviers und Pechels unmittelbar nach der Wiesbadener Tagung erfolgte163 , blieb indes unkommentiert. Schon auf den Brief, den Birkenfeld, Pechel und Plievier an den Vorstand des P.E.N.-Zentrums Deutschland gerichtet hatten, erfolgte keinerlei direkte Reaktion: »[U]nser Brief vom 20. XI. 50 [wurde] mit keiner Zeile, sondern nur mit der Wiederwahl Bechers beantwortet, wobei es als brüskierend von uns empfunden werden musste, daß wir diese Tatsache nur durch die Presse erfuhren.«164 Spekulationen über die Gründung eines weiteren deutschen P.E.N.-Zentrums durch Plievier, Pechel und Birkenfeld wurden durch eine dpaMeldung im Keim erstickt; ein solcher Schritt sei nicht geplant.165 Während man folglich von Seiten des Präsidiums nach außen hin bemüht war, die Situation zu entschärfen, hatte man hinter den Kulissen längst begonnen, mögliche Szenarien zur Lösung des Konflikts durchzuspielen. In die Überlegungen waren auch externe Berater eingeschaltet worden: Wilhelm Sternfeld, Vorstandsmitglied des P.E.N.-Klubs Deutschsprachiger Autoren mit Sitz in London, war bereits Anfang Januar in einen ausführlichen Briefwechsel mit dem Generalsekretär Edschmid eingetreten. Er bedauerte die Austritte von Birkenfeld, Pechel und Plievier, kritisierte aber zugleich deren Nichterscheinen auf dem Kongress. Taktisch klüger wäre es nach Sternfelds Ansicht gewesen, wenn die drei Ankläger auf der Tagung ihren Standpunkt persönlich vertreten und sich 160
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Herbert Hohenemser: PEN-Club-Dämmerung. In: Münchener Merkur vom 31. 1. 1951. Hermann Friedmann: Zwischenbericht vom 14. Februar. In: Die Neue Zeitung vom 14. 2. 1951. Abgedruckt in: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 31. Vgl. Hermann Friedmann: Zwischenbericht vom 14. Februar. In: Die Neue Zeitung vom 14. 2. 1951. Vgl. [dpa]: Birkenfeld, Pechel und Pli[e]vier verlassen PEN-Club formell. In: Die Neue Zeitung vom 27.1.1951. Günther Birkenfeldan Kasimir Edschmid [4. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. dpa-Meldung vom 19. 1. 1951: Kein zweites PEN-Zentrum geplant. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM DB 75/177 D.I.5.h. 109
der Wiederwahl Bechers in den Vorstand entgegen gestellt hätten.166 Möglicherweise wäre dann Anna Seghers gewählt worden: »Damit waere zwar die Kluft, die heute zwischen Ost und West klafft, nicht aus der Welt geschafft gewesen, der Stein des Anstosses aber beseitigt worden, und keiner haette behaupten koennen, dass die Nichtwiederwahl Bechers eine generelle antikommunistische Tendenz gehabt haette.«167 Zwar verurteilte Sternfeld die Auslassungen Bechers gegen die Teilnehmer des Kongresses für kulturelle Freiheit. Dem Menschen Becher aber brachte er Sympathie entgegen;168 ein sporadischer Briefwechsel der beiden streifte auch die Angelegenheiten des P.E.N.-Clubs. Sternfeld riet Edschmid zur Kontaktaufnahme mit dem in London lebenden Richard Friedenthal,169 der als Mitglied der internationalen Exekutive in unmittelbarer Nähe zur P.E.N.-Zentrale stand. Friedenthal zeigte sich wenig erstaunt über die im P.E.N.-Zentrum Deutschland entbrannten Konflikte, ein Auseinanderbrechen des »muehsam zusammengezimmerte[n] Floss[es]« schätzte er jedoch »besonders bedauerlich [ein], weil damit alle die Leute recht behielten, die im internationalen PEN der Ansicht waren, es sei noch zu frueh. Ich glaube das auch jetzt nicht«170 . Die von Kästner eingebrachte Idee, regionale Gruppierungen – insbesondere einen Ost-Flügel – innerhalb des deutschen P.E.N.-Zentrums einzurichten, hielt Friedenthal für problematisch: Wie soll das aussehen? Ein Ost-PEN waere doch eine ganz eindeutig ›ernannte‹ Affaire und haette meiner Ansicht nach wenig Aussicht vom internationalen Komitee anerkannt zu werden. Die PEN-Klubs der Ostlaender sind schon so gut wie tot; sie berichten dem Generalsekretär nichts, entsenden keine Vertreter zu den Kongressen und man weiss ueberhaupt nichts ueber ihren Mitgliederbestand oder Vorstand. Sie werden lediglich par courtoisieauf der Liste beibehalten.Man wird ihnen nicht noch einen reinen Hoeflichkeits-Genossen beigesellen.171
Um den Konflikt zu entschärfen und der drohenden Spaltung entgegen zu wirken, empfahl Friedenthal, ähnlich wie Sternfeld, statt Becher »einen weniger exponierten Repraesentanten der Ostzone«172 zu wählen. Während Friedenthal eine deutliche Gegenposition zur angedachten Spaltung des P.E.N.-Zentrums Deutschland einnahm, muten Sternfelds Stellungnahmen eher wankelmütig an. Zunächst hatte er Edschmid geraten, in der Argumentation gegenüber dem 166
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Vgl. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [3. und 22. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [3. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [22. 1. und 11. 2. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Zum Briefwechsel der beiden Anfang der fünfziger Jahre vgl. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 3211, 3215–3217 und 3942. Vgl. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [3. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [8. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [8. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [8. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.
internationalen Exekutivkomitee die politisch-ideologische Dimension des Konflikts weitestgehend auszublenden oder zumindest abzuschwächen und lediglich Bechers Rede vom Juli 1950 sowie das Schweigen der DDR-Autoren zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit als Ursache der Auseinandersetzung in den Mittelpunkt zu stellen. Sternfeld empfahl, von einer Darstellung des Konflikts als einer »Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Antikommunismus«173 dringend abzusehen: Das Problem existiere seit langer Zeit in fast allen Zentren. Die Gefahr, dass der kommunistische Flügel an die Macht kommen koennte, besteht m. E. in keinem Zentrum und bestimmt nicht im deutschen, und um die politischen Konflikte nicht auch in den P.E.N. zu tragen, begnuegt man sich damit, alle Versuche der Kommunisten, ihre Absichten durchzusetzen, auf dem korrekten Wege geschaeftsmaessig zu erledigen. Man wird daher seitens der Exekutive wenig davon erbaut sein, wenn jetzt das junge deutsche Zentrum die Gretchenfrage stellt.174
Alternativ schlug Sternfeld das Vorbringen der Frage vor, »ob es angesichts der politischen Teilung Deutschlands […] nicht richtig sei, im Interesse erspriesslicher Arbeit diese Trennung auch im PEN durchzuführen, in der zwei selbstaendige Staatswesen mit verschiedenen politischen Ideologien bestuenden.«175 Worin Sternfeld den Nutzen eines solchen Vorgehens sah, ist nur in Ansätzen spürbar. Offenkundig präferierte er die Entscheidung einer übergeordneten Instanz über die potentielle Trennung der deutschen P.E.N.-Sektion, die er grundsätzlich zu befürworten schien. Mit einem solchen Richterspruch wäre das P.E.N.-Zentrum Deutschland der direkten Verantwortung für die Spaltung enthoben gewesen. Andererseits wäre ein aktiver Ausschluss Bechers durch das deutsche P.E.N.-Zentrum vermieden worden, der den kollektiven Austritt aller DDR-Mitglieder nach sich gezogen und den Vorwurf antikommunistischer Tendenzen im P.E.N. erhärtet hätte. Dass das Kernproblem der (Nicht)Mitgliedschaft von Kommunisten im P.E.N. durch eine solche Strategie kaum abgeschwächt werden konnte, war Sternfeld bewusst: »Gewiss wuerde dieser Konflikt eine stickige Atmosphäre beiseite fegen und klare Luft schaffen, aber die Erschuetterungen fuer den Internationalen P.E.N. wuerden verhaengnisvoll sein.«176 Anfang Februar regte Sternfeld überraschenderweise an, öffentlich deutlich zu machen, dass der »P.E.N. als unpolitische Organisation [trotz aller politischen Differenzen] an dem Gedanken der Einheit fest[halte] und […] nicht bereit sei, sich in die Gefolgschaft einer politischen Richtung zu begeben. Es komme nicht auf die Person Bechers an, sondern auf die Idee, fuer die die Wahl Ausdruck gewesen sei.«177
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Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [3. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. dort auch die Briefe vom 9. und 10. 1. 1951. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [10. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [3. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [9. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [11. 2. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. 111
Ursache für diesen Sinneswandel war ein Telegramm US-amerikanischer Intellektueller vom 3. Februar 1951, die sich »mit den aus dem deutschen PEN ausgetretenen deutschen Schriftstellern solidarisch«178 erklärt und die Loslösung der deutschen Schriftsteller von der »schändlichen Führung Johannes R. Bechers«179 gefordert hatten. Zurück zu führen war diese Initiative auf das Wirken Birkenfelds im CCF. Ende Dezember 1950 war die Pariser CCF-Zentrale »in Birkenfelds Aktivitäten einbezogen oder zumindest davon in Kenntnis gesetzt worden«180 , nachdem dieser zuvor weitestgehend im Alleingang gehandelt hatte. Hochgeschwender interpretiert Birkenfelds Vorstoß als Reaktion auf die Weiterleitung seines Wiesbadener Protestes durch den deutschen P.E.N. an den Internationalen P.E.N.; er habe sich »seinerseits internationaler Unterstützung versichern wollen«181 . Rückendeckung für sein Vorgehen erhielt Birkenfeld durch Lasky, der sich in Paris über die mangelnde Unterstützung von Birkenfelds Aktivitäten beklagte. Ähnlich äußerte sich Rudolf Hagelstange. Paris wandte sich seinerseits an das New Yorker Büro des CCF (ACCF), dessen Eingreifen in der Lancierung des Telegramms bestand.182 Becher reagierte auf das Telegramm mit Artikeln in der Täglichen Rundschau und im Sonntag; er beklagte generell die auf seine Person bezogene »Kettenreaktion von Falschmeldungen, Verdrehungen und Verleumdungen«183 im Nachgang der Wiesbadener Tagung. Das Telegramm der amerikanischen Intellektuellen beantwortete Becher mit der deutlichen Ablehnung einer äußeren Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten und der Forderung nach nationaler Souveränität. Becher holte zum Gegenschlag aus, in dem er das Demokratieverständnis der Amerikaner grundsätzlich und speziell im Fall des P.E.N. in Frage stellte: Sind sie für Demokratie nur dann, wenn diese Demokratie in allem und jedem ihren eigenen weltanschaulichen und politischen Ansichten entspricht, und sind sie sofort für Aufhebung demokratischerWahlen, wenn darin einmal eine andereMeinung, wenn 178 179
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Hochgeschwender, S. 341. Zitiert nach Wilhelm Sternfeld: Die Lage des deutschen PEN-Clubs – von außen gesehen. In: Süddeutsche Zeitung 52 (3./4. 3. 1951). Hochgeschwender, S. 340. Hochgeschwender, S. 340. Vgl. Hochgeschwender,S. 340f. Hagelstange meldete sich etwa zur gleichenZeit in Laskys Monat zu Wort, um einen leidenschaftlichen Appell an die deutschen Schriftsteller zu richten; er insistierte auf eine deutliche Stellungnahme gegenüber dem kommunistischen Regime der DDR. Es sei »unerläßlich in dieser schwankenden und zerfahrenen Zeit für einen Schriftsteller von 1951: daß er Gesicht zeige, Verantwortung bekunde, Unterscheidungen und Entscheidungen treffe und – wegweisend für die ihm Vertrauenden – Farbe bekenne«. Vgl. Rudolf Hagelstange: Der Verrat aus Furcht. In: Der Monat 3 (Februar 1951) 29. In der redaktionellen Anmerkung wird auf die Gewichtigkeit von Hagelstanges Stimme verwiesen; dieser hatte nach der Wiederbegründung des deutschen P.E.N.-Zentrums die an ihn herangetragene Mitgliedschaft abgelehnt wegen Bechers Präsidentschaft. Vgl. Hagelstange: Der Verrat aus Furcht. Interview mit dem Sonntag (11. 2. 1951). Abgedruckt in Becher: Publizistik III 1946– 1951, S. 625–628, hier S. 625.
auch nur zu einem sehr bescheidenden Maße, zum Ausdruck gelangt? […] Gegen diese allerseits anerkanntendemokratischen,deutschenWahlen versucht man nun von Amerika aus zu protestieren – ungewöhnlich und aufschlußreich.184
Seine antiamerikanische, prosowjetische Propaganda trieb er schließlich noch weiter: »Kein Stück an Deutschland soll ganz bleiben, nicht einmal solch ein winziges ganzes Stückchen, wie es der PEN-Klub ist. Denn ein ganzes Deutschland, das ist der Angsttraum aller Kriegstreiber, würde im Bunde mit der Sowjetunion und allen freien Völkern den Frieden in Europa verwirklichen.«185 Die westliche Presse reagierte vor allem auf Bechers provozierende Ausführungen hinsichtlich der (Nicht-)Existenz sowjetischer Konzentrationslager. Nach Bechers Aussagen bestünden diese »allein in den Gehirnen von Verbrechern oder krankhaften Naturen oder von Menschen, die anfällig sind für jede Art von antibolschewistischem Propagandaterror«186 . Ein weiterer Artikel im Sonntag brachte Bechers empörte, z. T. übersteigerte Kritik an der Einmischung der amerikanischen Intellektuellen in die deutsche P.E.N.-Problematik zum Ausdruck. Becher lehnte einen äußeren Eingriff in innerdeutsche Angelegenheiten entschieden ab.187 Wilhelm Sternfeld sah mit der öffentlichen Einmischung durch die amerikanischen Intellektuellen in die Probleme des deutschen P.E.N.-Zentrums den Grundkonflikt Antikommunismus-Kommunismus innerhalb des Internationalen P.E.N. endgültig offen zu Tage getreten: Die Vertreter des Antikommunismus hatten deutlich Position bezogen. Als logische Folge sah Sternfeld die Spaltung fast aller nationalen P.E.N.-Zentren voraus. Er vermutete gar eine zielgerichtete Kampagne der Kommunisten: »Ich bin sogar ueberzeugt, dass derartige Pläne in den Koepfen vieler Kommunisten schwirren, sich Russland aber diesen Trumpf als letzte Karte in Reserve haelt. Es kann sein, dass dieser Trumpf ausgespielt wird, wenn der Fall Becher von Koestler, Silone und den Amerikanern vor die Exekutive gebracht wird.«188 In einem Zeitungsartikel spekulierte Sternfeld schließlich über den Aufbau einer »zweite[n] Internationale der Schriftsteller [unter der Aegide Moskaus]«: »Wer […] die Methoden Moskaus kennt, weiß, daß es ein solches Instrument zur Zersetzung der andern Organisation benut184
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Johannes R. Becher: Ungewöhnlich und aufschlussreich. In: Tägliche Rundschau vom 10. 2. 1951, S. 4. Johannes R. Becher: Ungewöhnlich und aufschlussreich. In: Tägliche Rundschau vom 10. 2. 1951, S. 4. Johannes R. Becher: Ungewöhnlich und aufschlussreich. In: Tägliche Rundschau vom 10. 2. 1951, S. 4. Zu den westlichen Reaktionen vgl. [NZ]: Johannes R. Becher leugnet Existenz sowjetischer KZ’s. In: Die Neue Zeitung vom 12. 2. 1951 und [o. V.]: Johannes R. Becher bleibt im deutschen PEN-Club In: Münchener Merkur vom 12. 2. 1951. Vgl. Fremde Einmischung verboten. Schriftsteller gegen die Aktion eines amerikanischen Komitees. In: Der Sonntag vom 18. 3. 1951. Abgedruckt in Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (Hg.): Standort des deutschen Geistes. Oder: Friede fordert Entscheidung. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Eine Antwort. Berlin 1951, S. 34–38. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [11. 2. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. 113
zen würde.«189 Um das deutsche Zentrum vor dem Vorwurf zu schützen, eine solche Entwicklung provoziert zu haben, blieben laut Sternfeld nur zwei Wege: Einerseits die gütliche Einigung innerhalb der deutschen Sektion,190 andererseits die Entscheidung der internationalen Exekutive zur Aufspaltung in zwei völlig unabhängige Zentren gemäß der »Existenz zweier grundverschiedener deutscher Staatswesen«191 . Als unmittelbare Reaktion auf die Veröffentlichung des Telegramms aus den USA kann neben der mehrfachen öffentlichen Stellungnahme Bechers192 eine Adresse fast aller P.E.N.-Mitglieder aus der DDR an den internationalen Generalsekretär Herman Ould verstanden werden. Einigermaßen hoffnungsvoll beschwor die Mitgliedschaft von östlicher Seite die gemeinsame Zukunft der deutschen Schriftsteller in einem P.E.N.-Zentrum. Die Gefahr einer drohenden Isolation innerhalb der internationalen Schriftstellergemeinschaft hatte man erkannt und versuchte, dieser Entwicklung durch die Flucht nach vorne entgegenzuwirken. Die DDR-Schriftsteller berichteten von einem »der geistigen Verantwortung deutscher Schriftsteller angemessene[m] Gespräch«193 in Wiesbaden, dessen Geist man für die künftige Arbeit erhoffe; den Spaltungsversuch einiger Mitglieder bedaure man. Absolute Solidarität sicherte man, verbunden mit der Bitte um die Unterstützung des Internationalen P.E.N., verbindlich zu: »Was uns betrifft, so werden wir – unbeschadet weltanschaulicher Gegensätze – alles tun, die Einheit des deutschen PEN-Zentrums zu erhalten und Meinungsverschiedenheiten fair, mit geistigen Waffen zu diskutieren.«194 189
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Wilhelm Sternfeld: Die Lage des deutschen PEN-Clubs – von außen gesehen. In: Süddeutsche Zeitung 52 (3./4. 3. 1951). Vgl. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [11. 2. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Wilhelm Sternfeld: Die Lage des deutschen PEN-Clubs – von außen gesehen. In: Süddeutsche Zeitung 52 (3./4. 3. 1951). Von westlicher Seite reagierte Otto Flake, Mitglied des P.E.N.-Clubs. Er betonte die Untragbarkeit eines von Becher ausgefüllten Präsidentenamtes. Notwendig sei eine Mitgliederversammlung, die über den Fall Becher zu entscheiden habe, falls Becher nicht von sich aus »unter dem Druck der Meinungsbildung« zurück trete. Otto Flake: Fall Becher verlangt Entscheidung.In: Die Neue Zeitung vom 6. 2. 1951. Flake wartete keine Reaktion des P.E.N.-Präsidiums ab und bat am 15. 3. 1951 um Streichung aus der Mitgliederliste. Vgl. Otto Flake an Johannes Tralow. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Flake. Johannes R. Becher/Ludwig Renn/Anna Seghers/Friedrich Wolf/Bert[olt] Brecht/ Alfred Kantorowicz/BernhardKellermann/ArnoldZweig/ErnstBloch/StephanHermlin/Peter Huchel/Hans Mayer an Herman Ould [Generalsekretär des Int. P.E.N.] [6. 2. 1951]. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv 20489 Fiche 4223. Vgl. auch [o. V.]: Immer noch PEN-Konflikt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. 2. 1951. Vgl. auch eine dpa-Meldung vom 8. 2. 1951. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. Vgl. weiterhin einen Hinweis auf dieses Schreiben in einem Brief von Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [9. 4. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Auch Kästner war der Brief bekannt. Vgl. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [8. 2. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Johannes R. Becher/Ludwig Renn/Anna Seghers/Friedrich Wolf/Bert[olt] Brecht/ Alfred Kantorowicz/Bernhard Keller/Arnold Zweig/Ernst Bloch/Stephan Herm-
Friedenthal maß dem Brief der DDR-Autoren ausschlaggebenden Einfluss in der Urteilsfindung des internationalen Exekutivkomitees bei;195 es lehnte die Entscheidung über den »Fall Becher« offiziell im April 1951 ab und gab die Verantwortung zurück an das P.E.N.-Zentrum Deutschland : All the circumstances were considered very carefully by the Committee and discussed at some length and by an unanimous vote it was decided that the Committee did not feel that it wished to take action. By the International Rules and practice of the International P.E.N. we have neither the right nor the duty to interfere in the internal affairs of national centres.196
Insgesamt schien man im Internationalen P.E.N. der politisch motivierten Diskussionen überdrüssig und verweigerte die Instrumentalisierung im Rahmen einer ideologischen Grundsatzdebatte.197 In einer öffentlichen Stellungnahme interpretierte der Präsident Friedmann die Entscheidung als »Anerkennung, daß die Wiesbadener Tagung aus dem Gesichtspunkte des PEN völlig korrekt gehandelt habe und nur daß das Exekutivkomitee sich nicht einmischen könne. Also, die höchste PEN-Instanz konnte kein Recht, aber auch keinen Grund für seine Einmischung erkennen.«198 Der erhoffte Richterspruch der übergeordneten Instanz war damit ausgeblieben. Für das weitere Vorgehen in der Konfliktsituation hatte das P.E.N.Zentrum Deutschland allein Sorge zu tragen. Eine baldige Entscheidung war wünschenswert, denn der nächste internationale Kongress, auf dem man sich würde verantworten müssen, stand bevor. In Beratungen mit Tralow und Penzoldt war Kästner zu dem Schluss gekommen, dass man versuchen solle, »Becher auf mehr oder weniger gütlichem Wege zum Rücktritt aus dem Vorstand zu bewegen und dann etwa [entsprechend Friedenthals Rat] [Bernhard] Kel-
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lin/Peter Huchel/Hans Mayer an Herman Ould [Generalsekretär des Int. P.E.N.] [6. 2. 1951]. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv 20489 Fiche 4223. Vgl. auch eine dpaMeldung vom 8. 2. 1951. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [9. 4. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.: »Wie sollte das Komitee sich da mit einer Moeglichkeit befassen, die mindestens von einer der beiden in Frage kommenden gar nicht gewünscht wurde?« Herman Ould an Hermann Friedmann [13. 4. 1951]. BA Koblenz NL Pechel N 1160 III/64. Dass das internationale Exekutivkomitee ein Urteil zur deutschen Problematik ablehnen würde, hatte Ould im Gespräch mit Friedenthal schon im Februar deutlich gemacht. Diese Entscheidungberuhte auf der fehlenden Substanz der Auseinandersetzung: Die Ankläger seien ausgetreten, der Angeklagte zum Präsidenten gewählt, eine Diskussion ohne substantielle Grundlage somit unmöglich. Wie solle das internationale Komitee das klären? Vgl. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [15. 2. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Friedenthal interpretierte die Londoner Entscheidung als Rückzug aus der generellen Debatte: »Man wollte offenbar das heisse Eisen recht schnell loswerden und legte es schnell vor die Londoner Tür.« Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [15. 2. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Eine überzeugende Antwort. Prof. Friedmann zur Bonner Flugschrift, den PEN-Club betreffend. In: Rhein-Neckar-Zeitung 119 (25. 5. 1951), S. 2. 115
lermann hineinzuwählen.«199 Nachdem Becher seine Zustimmung zu einer solchen Vorgehensweise mit Hinweis auf den drohenden Austritt sämtlicher DDRMitglieder verweigert200 und ein Ehrengerichtsverfahren gegen sich selbst vorgeschlagen hatte,201 erhielt Edschmids alternativer Vorschlag Priorität, eine schriftliche Abstimmung aller deutschen P.E.N.-Mitglieder über die personelle Besetzung der Präsidentenämter anzuregen. Nach mehrfachem Meinungsaustausch mit Kästner202 brachte Edschmid das schriftliche Abstimmungsverfahren über 199
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Erich Kästner an Kasimir Edschmid [20. 4. 19951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Auf ein »guetliches Arrangement mit Becher« hatte auch Sternfeld gedrängt. Vgl. Wilhelm Sternfeld an Erich Kästner [o. D.]. Anlage zu einem Brief von Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [11. 2. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Erich Kästner an Kasimir Edschmid. [20. und 27. 4. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Bechers Reaktion deckte sich mit einer Einschätzung Kästners, die dieser bereits im Februar 1951 hinsichtlich des von London »mehr oder weniger deutlich vorgebrachten Vorschlag[s],wir sollten Becher privatim nahe legen, von sich aus seinen Posten zur Verfügung zu stellen«, geäußert hatte. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [20. 2. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Die Presseäußerungen Bechers im Hinblick auf das Telegramm des amerikanischen Komitees für kulturelle Freiheit hatten eine solche unnachgiebige Haltung hinsichtlich einer gütlichen Einigung mehr als ahnen lassen. Seine Position machte Becher auch in einem Brief an Hermann Friedmann vom 28. 4. 1951 deutlich. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11829. Während Kästner sich gegenüber diesem Vorschlag zunächst sprachlos zeigte, sah Tralow einen taktischen Vorteil: »1. Zeitgewinn, 2. trotzdem Durchführung eines Klärungsversuchs, also Aktivität, 3. Beruhigung der absprunglustigen Westmitglieder, denn man müsse sie per Rundschreiben von dem Verfahren verständigen.« Erich Kästner an Kasimir Edschmid [20. 4. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. In einem nachträglichen Bericht verwies Tralow darauf, dass nach § 15 der Statuten des deutschen P.E.N.-Zentrums in der Auseinandersetzung um Bechers Person durch den Vorstand ein Ehrengericht hätte eingesetzt werden müssen. Vgl. Johannes Tralow: Bericht über die Abspaltung im Deutschen P.E.N. [20. 12. 1951]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 343–355, hier Bl. 350. Vgl. auch Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [2. 6. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11882. § 15 der Satzungen vom 17. 11. 1949 besagte: »Ein Schieds- oder Ehrengericht, welches Streitigkeiten der Mitglieder zu pruefen oder Verstoesseder Mitglieder zu beurteilenhat, wird eingerichtet. Die Ehrenoder Schiedsrichter werden ad hoc vom Vorstand ernannt. Gegen den Spruch des Schieds- oder Ehrengerichtes ist eine Berufung an die Mitgliederversammlung zulaessig. In schweren Faellen kann der Vorstand die Mitgliedschaft des Betreffenden suspendieren.« S a t z u n g e n des PEN-Zentrums Deutschland, angenommen in der Mitgliederversammlung am 17. 11. 1949. SBBPK NL Tralow K 86 M 37. Erich Kästner stand diesem Ansinnen ratlos gegenüber, entschied letztlich aber negativ, d. h. er lehnte einen Antrag ab. Vgl. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [27. 4. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [17. 4. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Kästner spekulierte über das Ergebnis der schriftlichen Wahl und formulierte eine Alternative – wohl um einem unerwünschten, jedoch verbindlichen Ausgang vorzubeugen: »Was hielten Sie davon, wenn die Umfrage, bei allem Ernst und Nachdruck, nicht als endgültige Abstimmung, sondern als unerläßliche Informationsquelle und Basis für den Kongreß hingestellt würde?« Vgl. weiterhin Erich Kästner an Kasimir Edschmid [20. 4. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. In einem Brief an Becher hatte Friedmann bereits Mitte April eine potentielle schriftliche Neuwahl angedeutet. Vgl. Hermann Friedmannan Johannes R. Becher [20. 4. 1951]. SAdK Berlin, Johannes
das Präsidium schließlich im Mai 1951 in Gang.203 Edschmid forcierte die schriftliche Wahl, »um endlich einmal auf diese Weise die Stimme des gesamten Plenums zu hören und nicht nur die Ansicht einer sich aus dem häufig schwachen Besuch der Tagung ergebenden Minderheit«204 ; er hoffte auf ausreichende Beteiligung, die eine Dominanz des Osten verhindern und ein mehrheitlich akzeptables Ergebnis, ergo die Nicht-Wiederwahl Bechers, erbringen sollte. Dass es sich bei dieser Form der Abstimmung um alles andere als eine geheime Wahl handelte, wurde von Edschmid offenbar billigend in Kauf genommen – kritische Reaktionen der Mitglieder auf diese Methode blieben nicht aus. Aus der DDR kamen verschiedene Rückmeldungen auf Edschmids Unterfangen: Arnold Zweig erklärte sich unumwunden mit dem in Wiesbaden gewählten Vorstand einverstanden.205 Ende Mai 1951 wagte Peter Huchel zunächst im Alleingang einen Vorstoß, um »die Vorgänge im PEN-Zentrum kameradschaftlich zu klären«206 : Zur Vermeidung einer von ihm vorausgesehenen Krise im P.E.N. schlug er in einem Brief an alle Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland die Einberufung einer Tagung nach Berlin Ost und West vor, auf der satzungsgemäß der neue Vorstand gewählt werden sollte. Sein Vorschlag, der vor allem als Reaktion auf die von Kasimir Edschmid initiierte schriftliche »WahlUmfrage« betreffs des in Wiesbaden gewählten Präsidiums zu begreifen ist, lief jedoch weitestgehend ins Leere. Zustimmung zu einer Mitgliederversammlung, »welche die bedauerlichen Vorgänge im PEN-Zentrum kameradschaftlich klärt«, signalisierte Bertolt Brecht, der Edschmids Vorhaben kurz und bündig
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R. Becher-Archiv 11825. Anfang Mai beschlossen Edschmid und Friedmann verbindlich die Durchführung einer schriftlichen Wahl. Vgl. Kasimir Edschmid an Johannes Tralow [4. 5. 1951]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Edschmid. Friedmann versuchte noch einmal, Becher von der Notwendigkeit eines solchen Vorgehens zu überzeugen, »dass nur ein grossherziger Entschluss Ihrerseits die Situation retten kann. Ich bitte Sie herzlich, die Hinwendung an die Mitglieder hinzunehmen, in Ihrem Lager Ruhe zu stiften, wie ich in meinem hier es versuche. Dann beschämen und entwaffnen Sie Ihre Gegner und schaffen die Bedingungen für unsere Arbeit und Zusammenarbeit.« Hermann Friedmann an Johannes R. Becher [4. 5. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11830. Auch der Generalsekretär informierte Becher über den geplanten Schritt. Vgl. Kasimir Edschmid an Johannes R. Becher [4. 5. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11831. Eine unmissverständliche Absage sandte Becher an Friedmann sowie Edschmid [9. 5. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11834 und 11835. Becher teilte auch dem Generalsekretär des Internationalen P.E.N. seine Ablehnung des schriftlichen Wahlverfahrens mit. Vgl. Johannes R. Becher an Hermann Friedmann [28. 5. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11838. Vgl. Kasimir Edschmid an alle Mitglieder [12. 5. 1951]. SAdK Berlin, Bertolt BrechtArchiv 792/26. Kasimir Edschmid an alle Mitglieder [12. 5. 1951]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 792/26. Arnold Zweig an Kasimir Edschmid [24. 5. 1951]. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv 20489 Fiche 4223. Peter Huchel an die Kollegen im P.E.N.-Zentrum Deutschland [30. 5. 1951]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Abgedruckt in Bernd Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959. Mainz 1974, S. 13. 117
abgeschmettert hatte: »Sehe keinen Grund für Neuwahl«.207 Eine weitere Antwort ist von Jahnn erhalten: »Ich stimme jedenfalls Ihrem Vorschlag zu, eine Mitgliederversammlung einzuberufen und würde (trotz mancher Bedenken) jetzt auch Berlin als Tagungsort vorschlagen.«208 Interessanterweise enthält Jahnns Mitteilung an Huchel zugleich seine frühere Reaktion auf Edschmids Initiative: »›Meine Wahl: ich gebe meine Stimme den drei in Wiesbaden gewählten Persönlichkeiten und meine dazu, daß ein Ausbooten des östlichen Herrn einer Auflösung des deutschen PEN-Centrums gleichkomme.‹«209 Der Grund für Jahnns Sinneswandel von der Akzeptanz einer schriftlichen Wahl hin zur klaren Anmeldung von Gesprächsbedarf lag in der Veröffentlichung einer Schrift210 zu den Problemen des deutschen P.E.N.-Zentrums durch das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen: Damit scheint mir eine neue Situation gegeben zu sein. Ich habe mich besonnen, daß ja eine brieflich abgegebene Wahl nicht geheim ist, und daß der PEN-Klub plötzlich unter den Einfluß der Bonner Regierung rückt. Welche Schlußfolgerungen ich endlich daraus ziehen werde, weiß ich im Augenblick noch nicht.211
Diesem Brief an Huchel, der Jahnns Unschlüssigkeit schon anklingen lässt, schickte er sogleich einen weiteren hinterher; dieser verdeutlicht die Bredouille, in der die westlichen Autoren steckten. Die Einnahme einer politisch neutralen Haltung schien kaum mehr opportun: »Meine Stellungnahme ist völlig klar, wenn ich auch nicht richtig weiß, wie ich mich verhalten soll, weil wir Schriftsteller im Westen, die sich noch gegen eine propagandistische Einmischung wehren, in immer mehr Schwierigkeiten geraten.«212 Westliche Schriftsteller, die Bereitschaft zur Verständigung mit den Vertretern der DDR signalisierten, gerieten in den Ruf so genannte »Rückversicherer« zu sein. Ihnen wurde vorgehalten, sich für den Fall einer machtpolitischen Veränderung durch ihre praktizierte ideologische Unentschiedenheit sozusagen ein Hintertürchen offen zu halten.213 Mit einem offenen Brief an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Deutschland Anfang Juni legten schließlich Bernhard Kellermann, Anna Seghers und Peter Huchel energischen Protest gegen die geplante Vorgehensweise ein: »Wir 207
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Bertolt Brecht an Kasimir Edschmid [30. 5. 1951]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 792/27. Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [9. 6. 1951]. Abgedruckt in Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel, S. 13f., hier S. 14. Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel, S. 13. Vgl. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Bonn 1951. Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [9. 6. 1951]. Abgedruckt in Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, S. 13f., hier S. 14. Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [8. 6. 1951 (Jahnn hatte sich offenkundigbei einem der beiden Briefe im Datum geirrt; dieser bezieht sich eindeutig auf den zuvor zitierten.)]. Abgedruckt in Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel, S. 14. Vgl. hierzu Spiel: Welche Welt, S. 124: »Es war damals und noch jahrelang schwer, sich der Militanz der Anti-Kommunisten und häufig Ex-Kommunisten zu versagen – […] –, ohne in den Verdacht zu geraten, Sympathisant des Stalin-Regimes zu sein.«
werden solche Wahlen niemals anerkennen. Solche Wahlen sind undemokratisch, ungesetzlich und widersprechen sowohl den Satzungen des PEN-Clubs als auch dem Sinn der PEN-Charta.«214 Den Vorwurf der Satzungswidrigkeit erhob auch Stephan Hermlin in einem Brief an Edschmid, der in der Wochenschrift Sonntag veröffentlicht wurde.215 Hermlin insistierte auf die Verwirklichung der »in Wiesbaden getroffenen Entschließungen […], zum Beispiel seine Mitgliederversammlung in Berlin, in ganz Berlin.«216 Für ihn stand der einende Aspekt des P.E.N. im Vordergrund: »Der PEN hat ein humanes Programm: er könnte gerade heute versöhnend und friedlich wirken.«217 Das allerdings sah er verraten: »Statt dessen verzettelt [d]er [P.E.N.] sich in nutzlosen Zänkereien, an denen lediglich ein paar Intriganten interessiert sind.«218 Ähnlich wie Hermlin interpretierten Kellermann, Seghers und Huchel die avisierte schriftliche Wahlmethode als probates Mittel zur Amtsenthebung Bechers – ganz im Sinne seiner Kontrahenten: »Auf diese Weise hofft man, sich des Druckes zu entledigen, den bestimmte Kreise auf das PEN-Club-Präsidium ausüben, die jede Art deutschen Gesprächs für ihre dunklen Machenschaften als gefährlich erachten. Die Einheit der deutschen Literatur im PEN-Zentrum soll zerstört werden durch Zurückweichen vor Erpressern und Verleumdern.«219 Kellermann, Seghers und Huchel griffen nicht nur die eigentlichen Urheber der Kontroverse an, sondern kritisierten zugleich die gering eingeschätzte Standfestigkeit des P.E.N.-Präsidiums gegenüber ideologischer Einflussnahme. Ein Artikelschreiber der Berliner Zeitung verstieg sich gar zu der Idee, das Präsidium weiche auf die schriftlichen Neuwahlen aus, um eine Mitgliederversammlung zu vermeiden, die »sich zu einer Art von gesamtdeutschem
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Für die Einheit der deutschen Literatur. Offener Brief an das Präsidium des Deutschen PEN-Zentrums [Hermann Friedmann]. Unterzeichnet von Bernhard Kellermann, Anna Seghers und Peter Huchel [Anfang Juni 1951]. Abgedruckt in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Leipzig) 23 (9. 6. 1951), S. 287. Anfang Mai hatte Huchel eine Einladung zu einer »Zusammenkunft sämtlicher in der Deutschen Demokratischen Republik wohnenden Mitglieder des deutschen PEN-Zentrums« versandt. Auf der Agenda standen die in Wiesbaden beschlossene Frühjahrs-Tagung und die allgemeine Lage des deutschen P.E.N.-Zentrums im Zusammenhang mit der internationalen Tagung in Lausanne (Juni 1951). Ob diese Versammlung zustande kam, ist nicht nachweisbar; der offene Brief an das P.E.N.-Präsidium könnte jedoch darauf zurückzuführen sein. Vgl. Peter Huchel an Arnold Zweig [4. 5. 1951]. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv 20489 Fiche 4223. [Stephan Hermlin]: Eine ernste Belastungsprobe. Brief an Kasimir Edschmid. In: Sonntag vom 3. 6. 1951. Veröffentlicht in: Stephan Hermlin. Äußerungen 1944–1982. Berlin und Weimar 1983, S. 121f. Hermlin. Äußerungen 1944–1982, S. 121. Hermlin. Äußerungen 1944–1982, S. 121. Hermlin. Äußerungen 1944–1982, S. 121. Für die Einheit der deutschen Literatur. Offener Brief an das Präsidium des Deutschen PEN-Zentrums [Hermann Friedmann]. Unterzeichnet von Bernhard Kellermann, Anna Seghers und Peter Huchel [Anfang Juni 1951]. Abgedruckt in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Leipzig) 23 (9. 6. 1951), S. 287. 119
Gespräch hätte gestalten müssen«.220 Nach seiner Ansicht sollten sich die Mitglieder »schriftlich fest[ ]leg[en] […], ob sie funktionieren wie die amerikahörige Clique es befiehlt, und wer nicht seine Stimme befehlsgemäß abgibt, hat mit den entsprechenden Weiterungen zu rechnen.«221 Ohne Belege auch nur anzudeuten, unterstellte der Verfasser dem Verfahren grundsätzlich manipulativen Charakter: »Zunächst wurde in persönlichen, vertraulichen Bearbeitungen die gewünschte Kandidatenliste vorbereitet. An Leute, deren man nicht sicher war, wurden keine Aufforderungen verschickt, und nicht zuletzt werden auch schriftliche Vorschläge, die nicht wunschgemäß ausfallen, den Adressaten nicht erreichen.«222 Die Abstimmung sei derart angelegt, um »einen Vorstand zu konstituieren, wie er gewissen amerikanischen Kreisen, auf deren Unterstützung und Spende man vielleicht spekuliert, genehm ist.«223 Die Impuls gebende Einflussnahme der aus dem Umfeld des CCF stammenden P.E.N.-Mitglieder ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen; die Initiative zur schriftlichen Abstimmung ging jedoch von Edschmid aus, der bemüht war, eine für alle Seiten einigermaßen akzeptable Lösung des Konflikts zu finden. Eine Manipulation im oben dargestellten Sinne ist nach Aktenlage nicht nachweisbar. Der Artikel kann als ein typisches Beispiel antiamerikanischer Propaganda unter Beschwörung des nationalen Einheitsgedankens gedeutet werden: Mit dem drohenden Erfolg der von Birkenfeld u. a. im P.E.N. betriebenen Spaltungsinitiative wurde die Unteilbarkeit der deutschen Kultur negiert, die kurz zuvor noch ganz im Sinne der DDR-Regierung auf dem Ersten Deutschen Kulturkongreß in Leipzig (16.–18. 5. 1951) von Teilnehmern aus der Bundesrepublik Deutschland und der DDR als »wesentliche[r] Beitrag […] zur Überwindung der politischen und wirtschaftlichen Trennung Deutschlands«224 beschworen worden war. Aufgrund des in die Öffentlichkeit getragenen Protests, der dem ohnehin angekratzten Ansehen des P.E.N.-Zentrums Deutschland nur noch mehr schaden konnte, schaltete sich Friedmann ein: Er charakterisierte den Versuch einer schriftlichen Befragung der Mitglieder als »durchaus realistisch und zulässig« und formulierte ein juristisch zweifelhaftes Rechtfertigungskonstrukt; »[e]in derartiges Wahlverfahren sei zwar in den Satzungen nicht vorgesehen, aber es sei, da 220
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Kr. [d. i.?]: Exempel westlicher Demokratie. In: Berliner Zeitung vom 3. 6. 1951. Abgedruckt in Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 48–50, hier S. 49. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 49. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 50. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 51. [o. V.]: »Wir wollen den Frieden!« Kulturschaffende aus ganz Deutschland trafen sich in Leipzig. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Leipzig) 21 (26. 5. 1951), S. 260f., hier S. 260. Vgl. auch [o. V.]: Die besten Vertreter des deutschen Gedankengutes sind aufgerufen. Aus dem Eröffnungsreferat Johannes R. Bechers. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Leipzig) 21 (26. 5. 1951), S. 261f.
erfahrungsgemäß auf Tagungen immer nur ein Bruchteil der Mitglieder anwesend ist, erlaubt, solange kein Widerspruch dagegen erfolge.«225 Mit Hinweis auf den erfolgten Einspruch ost- und westdeutscher Mitglieder verwies Friedmann auf seinen Vorschlag, eine neue Tagung anzusetzen. Die Einberufung einer Tagung nach Berlin, wie auf der Wiesbadener Mitgliederversammlung beschlossen und auch im offenen Brief von Kellermann, Seghers und Huchel noch einmal implizit gefordert worden war, sah Friedmann kritisch: Die Entwicklung der Dinge habe »›es mehr als fraglich gemacht, ob zur Zeit ein Treffen in Berlin überhaupt zustande kommen, geschweige denn ersprießlich sein wird.‹«226 Seine öffentliche Stellungnahme nutzte Friedmann zudem, um verschiedentlich Rügen auszuteilen: »Weder hätten die Ankläger Bechers, ohne den Londoner Entscheid abzuwarten, aus dem PEN austreten dürfen, noch hätte Becher selbst ohne Rücksicht auf den PEN seine vielbesprochenen Interviews geben und Peter Huchel ein Rundschreiben über den Tagungsort versenden sollen.«227 Friedmanns öffentliche Verteidigung des angestrebten Verfahrens kann als Quintessenz der intern angestellten Überlegungen hinsichtlich der umstrittenen Mitgliederbefragung gewertet werden: U. a. hatte Hermann Kasack einen Widerruf angeregt, den Friedmann zunächst billigte.228 Kästner hingegen hatte zu bedenken gegeben, dass die Zurücknahme des Abstimmungsverfahrens »ausserordentlich unschön« wirken und dem Ruf des deutschen P.E.N.-Zentrums unweigerlich schaden würde; er propagierte, ein »nachfolgendes Rundschreiben als Nur-Umfrage zu deklarieren«229 , etwa als Grundlage einer Mitgliederversammlung. Die Tücken der Abstimmung ohne jegliche Vorgaben wurden Kästner mit den eintreffenden Rückfragen der Mitglieder bewusst: »[D]as Abstimmungsergebnis [wird], da wir keine Vorschlagsliste haben, ein bildhübsches Kraut- und Rübenfeld werden. Über Lausanne [Internationaler P.E.N.-Kongress (22.–27. 6. 1951)] werden wir noch wegkommen. Aber die Rübenernte im Herbst wird uns kaum erspart bleiben.«230 Käst225
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[NZ]: Friedmann wird neue Tagung einberufen. In: Die Neue Zeitung vom 6. 6. 1951. Vgl. auch Kasimir Edschmid an Johannes Tralow [22. 5. 1951]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Edschmid. [NZ]: Friedmann wird neue Tagung einberufen. In: Die Neue Zeitung vom 6. 6. 1951. [NZ]: Friedmann wird neue Tagung einberufen. In: Die Neue Zeitung vom 6. 6. 1951. Vgl. Erich Kästner an Kasimir Edschmid[22. 5. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. auch Kasimir Edschmid an Johannes Tralow [22. 5. 1951]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Edschmid. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [22. 5. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [22. 5. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Im Nachgang beklagte sich auch Borée über die Vorgehensweise, die keinerlei Kalkül hinsichtlich möglicher Abstimmungsergebnisse erlaubte: »Wie sollte man denn wählen?! Wenn keine Liste da war, wenn man keine Zeit hatte, sich zu verabreden? Ich habe durch die Presse versucht, zur Aufstellung einer Liste aufzurufen, aber mein Ruf verhallte. Man konnte doch aber nicht ins Blaue hinein drei Kandidaten benennen, auf die Gefahr hin, daß die geschlossene Front des Oestlichen dann trotz ihrer Minderheit durchdrang. Man konnte einfach nichts anderes tun, als durch Schweigen die Wahl zu vereiteln.«Karl FriedrichBorée an Kasimir Edschmid [19. 7. 1951]. DLA N: Edschmid 121
ner sah sich selbst hinsichtlich der Stimmabgabe »ein bisschen in die »Zwickmühle«231 geraten. Um den »Zersplitterungstendenzen« entgegen zu wirken, lautete sein Plädoyer jedoch auf Wiederwahl des bisherigen Präsidiums – mit einer Ausnahme: Becher sollte durch seinen Kollegen Bernhard Kellermann ersetzt werden.232 Mit dieser Vorgehensweise hoffte Kästner den vorgeblichen Stein des Anstoßes für die Auseinandersetzungen im P.E.N. beiseite zu schaffen und das deutsche Zentrum vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Obgleich die westdeutschen Präsidiumsmitglieder Bechers Meinung bereits bei den drängenden Entscheidungen im Vorfeld der Umfrage ignoriert hatten233 , strebten sie zu diesem Zeitpunkt immer noch eine grundsätzliche Verständigung an. Gegen das schriftliche Wahlverfahren hatte Becher im Vor-234 und Nachhinein vergeblich votiert: »Dass solch ein Verfahren ebenso neuartig wie undemokratisch ist, müsste Ihnen doch aus der primitivsten Vereinserfahrung heraus bekannt sein.«235 Als eine Art Kurzschlusshandlung, aus der Wut über die Nichtbeachtung seiner Meinung heraus geboren, kann Bechers Mitteilung gelesen werden, dass »eine Anzahl von Mitgliedern des deutschen PENZentrums, die in der Deutschen Demokratischen Republik leben und arbeiten, sich entschlossen hat, sich zur Förderung der Ziele des PEN-Zentrums zusammenzuschliessen und eine PEN-Gruppe der Deutschen Demokratischen Republik zu bilden.«236 Dass mit einem solchen Vorgehen die Mitglieder der DDR als Sezessionisten in die Annalen eingehen würden und die eigentliche Zielvorgabe eines gesamtdeutschen Zentrums negiert wäre, hatte Becher wohl im Eifer des Gefechts nicht recht bedacht. So verwundert es kaum, dass er wenige Tage später mitteilte, die Idee werde »von der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen PEN-Zentrums vorerst nicht gutgeheissen […], da solch ein Entschluss in der augenblicklichen mehr als verwickelten Lage nur zu neuen Missdeutungen Anlass gibt und nichts unternommen werden soll, was die Krise im PEN-Club verschärft«237.
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Konv. P.E.N. Zu Borées Presseaufruf in der Welt äußerte sich Becher äußerst abwertend. Vgl. Johannes R. Becher an Hermann Friedmann [28. 5. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11838. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [28. 5. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [28. 5. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [27. 4. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. weiterhin Johannes R. Becher an Kasimir Edschmid [9. 5. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Johannes R. Becher an Kasimir Edschmid [9. 5. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Johannes R. Becher an Kasimir Edschmid [28. 5. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Zeitgleich versuchte er auch mit einem Rundschreiben an die Mitglieder des deutschenP.E.N.-Zentrums[29. 5. 1951] gegen die Maßnahmen des Vorstandszu votieren. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11844. Johannes R. Becher an Kasimir Edschmid [30. 5. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11845. JohannesR. Becher an Kasimir Edschmid [6. 6. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.
Während Becher offensichtlich Friedmann und Edschmid klar als Gegner seiner Person definiert hatte, schien er Tralow Vertrauen entgegenzubringen. Ihn versuchte Becher Ende Mai für eine Gegenaktion zur schriftlichen Abstimmung zu gewinnen; Bechers Ziel war es, mit Tralows Unterstützung genügend Mitglieder für die Idee einer vorgezogenen Mitgliederversammlung zu werben und sich »dann gemeinsam an den Vorstand zu wenden«238 . Bechers Brief kreuzte sich mit einem Schreiben von Tralow, das die Unzulänglichkeit des angestrebten schriftlichen Wahlverfahrens kritisierte. Zwar empfand Tralow die Vorgehensweise als durchaus legitim: Die Majorität des Vorstandes hatte dem Vorschlag entsprochen, Präzedenzfälle lagen nach Tralows Dafürhalten ebenso vor. Die Grundvoraussetzungen für die Neuwahl des Präsidiums aber waren problematisch: Friedmann und Kästner hatten nach Tralows Ansicht ihre Ämter niedergelegt, Becher indes war zu einem Rücktritt nicht bereit. Dennoch befürwortete Tralow ein schriftliches Verfahren. Die Einberufung einer Mitgliederversammlung nach Berlin, wie es in Wiesbaden beschlossen und von Becher erbeten wurde, sah er auf Grund der desolaten finanziellen Lage der bundesdeutschen Schriftsteller als unmöglich an. So votierte er für Friedmann und Kästner, Bechers Präsidentschaft sah er als unumstößliches Fakt an.239 Offenbar resignierte Becher angesichts Tralows Argumentation. In seinem Antwortbrief verwies er nur noch am Rande auf mögliche Finanzierungshilfen: Der P.E.N.Club »hätte […] in diesem Fall eine Spende annehmen können. Jedenfalls stand von unserer Seite jederzeit eine Spende zur Verfügung. Die in der DDR lebenden Mitglieder hätten die notwendige Summe mit Leichtigkeit aufgebracht.«240 Unter dem Eindruck der sich zunehmend verschärfenden Kontroverse, die vor allem in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde, schien den westlichen Präsidiums-Mitgliedern die Unumgänglichkeit einer neuerlichen Tagung deutlich zu werden. Tralow signalisierte diesen Stimmungswechsel bereits Anfang Juni in einem Brief an Becher.241 Die persönliche Kommunikation zwischen Becher und dem übrigen Vorstand wurde durch ein Zusammentreffen mit Friedmann Mitte Juni erneut aufgenommen. Wiederum äußerte Becher Kritik an der Vorgehensweise und insistierte auf Einhaltung der Satzungen, d. h. »Neuwahl gegen Ende dieses Jahres auf einer Tagung«242 und erhielt schließlich Fried-
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[Vgl.] Johannes R. Becher an Johannes Tralow [30. 5. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11852. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [2. 6. 1951]. und Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [2. 6. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11860 und 11882. Johannes R. Becher an Johannes Tralow [5. 6. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11864. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [7. 6. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11872. Johannes R. Becher: Bericht über die Unterredung mit Professor Hermann Friedmann, geschäftsführender Präsident des PEN-Clubs [13. 6. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11881. 123
manns Zustimmung. Der Plan einer schriftlichen Abstimmung hatte damit jegliche Bedeutung verloren und verlief im Sande. 3.2.2 Propagandistische Einmischung des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen«243 Thematisiert wurde im Verlauf des Gesprächs zwischen Becher und Friedmann zudem die von Jahnn erwähnte Broschüre des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen;244 diese war im Mai 1951 mit dem Titel Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club unter der Ägide des Ministers Jakob Kaiser herausgegeben worden.245 Die Herausgeber246 hatten polarisierende Wortmeldungen zum P.E.N.-Konflikt zusammengestellt, die in Zeitungen und Zeitschriften der britischen und US-amerikanischen Besatzungsmächte veröffentlicht worden waren. Zwar kamen Vertreter der unterschiedlichen Standpunkte – der »Angeklagte« Becher, die um Vermittlung Bemühten Friedmann und Eggebrecht, die Antikommunisten Plievier, Pechel und Hagelstange – zu Wort.247 Im Verein mit der vorausgeschickten Darstellung des »Tatbestand[s]«248 wird jedoch deutlich, dass die Publikation nicht nur informativen Überblick zur Diskussion im deutschen P.E.N.-Club bieten, sondern eine klare Erwartungshaltung an den Leser herantragen wollte: Allen, »die sich für das Geistesleben Deutschlands, für seine Erneuerung, für eine Klärung seiner Grundsubstanz verantwortlich fühlen […] den Tatbestand vorzulegen, damit sie sich selbst ein Urteil bilden und ihr Votum ablegen können, ist der Zweck der vorliegenden Zusammenstellung.«249 Die im Vorwort angeführten Fakten zur
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Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Vgl. Johannes R. Becher: Bericht über die Unterredung mit Professor Hermann Friedmann, geschäftsführender Präsident des PEN-Clubs [13. 6. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11881. Johannes R. Becher bat nach dem Erscheinen Freunde um die Beschaffung dieser Broschüre. Vgl. Johannes R. Becher an Karl und Elisabeth Raichle [24. 5. 1951]. Abgedruckt in: Harder (Hg.): Johannes R. Becher.Briefe 1909–1958, S. 419–420, hier S. 420. Emil Belzner reagierte mit dem Artikel »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen.« In: Rhein-Neckar-Zeitung vom 23. 5. 1951. Abgedruckt in: Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (Hg.): Standort des deutschen Geistes, S. 50–52. Zwar schreibt Peitsch Jakob Kaiser die Autorschaft am Vorwort zu. Die Broschüregibt darauf allerdings keinen stichhaltigenHinweis. Vgl. Peitsch: »Die Freiheitfordert klare Entscheidungen«, S. 215. Vgl. Inhalt. In: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 39. Vgl. [o. V.]: Der Tatbestand. In: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 5–7. [o. V.]: Der Tatbestand. In: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 5–7, hier S. 7.
Entwicklung der Kontroverse im P.E.N.250 und die daran angehängten Analysen legen die Vermutung nahe, dass die innerhalb der deutschen Sektion zu fällende Entscheidung über die Nicht(Anerkennung) von Johannes R. Bechers »Eigenschaft eines P.E.N.-Präsidenten« zu einer Art Präzedenzfall für das gesamtgesellschaftliche Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland erhoben werde sollte. Die Herausgeber forderten explizit die klare Stellungnahme der Leser zu der durch den »Fall Johannes R. Becher« provozierten Grundsatzfrage nach dem möglichen Fortbestand der geistigen Einheit Deutschlands. Implizit ließen sie als »richtige« Antwort nur die Absage an eine weitere Zusammenarbeit mit den geistig Schaffenden der DDR zu – »eine echte Repräsentanz deutschen Schrifttums in der Sowjetzone [komme] nicht mehr zur Geltung«251 . Die generelle Absage an die ostdeutsche Intelligenz fügte sich jedoch mit den weitgehend einvernehmlichen Ergebnissen des zuvor stattgefundenen Starnberger Dichtertreffens (26./27. 3. 1951)252 , etwa dem Ziel einer gemeinsamen gesamtdeutschen Zeitschrift, kaum zu einem übereinstimmenden Bild und so rekurrierten die Herausgeber der Broschüre in dieser Angelegenheit auf den klärenden Einfluss der Entscheidung über Becher.253 Eine rückblickende Bewertung der bundesbehördlichen Aktivität in Sachen P.E.N., von Jakob Kaiser im April 1952 verfasst, unterstreicht die politische Dimension der Auseinandersetzungen um das P.E.N.-Zentrum Deutschland. Die im Westen gefürchtete Expansion des Sowjetkommunismus wurde eins zu eins auf eine der wenigen verbliebenen gesamtdeutschen Institutionen übertragen. Ziel der Aktion sei es gewesen, die »von Becher eingeleitete Sowjetisierung
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Dass dabei fälschlicherweise der Brief Plieviers, Pechels und Birkenfelds als Reaktion auf Bechers Wiederwahl ins Präsidentenamt dargestellt wurde, sei nur am Rande vermerkt. [o. V.]: Der Tatbestand. In: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 5–7, hier S. 5. Hier trafen sechzig in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Autoren und 4 Autoren aus der DDR zu Gesprächenzusammen. Teilnehmer aus der DDR waren Willi Bredel, Stephan Hermlin, Peter Huchel und Bodo Uhse. Insgesamt schienen die Gespräche der Schriftsteller auf einer friedlichen Basis abgelaufen zu sein. Die Ablehnung der Remilitarisierung, der Einsatz für die deutsche Einheit und den Frieden gehörten nach DDR-Berichten zu den Grundfragen, in denen Übereinstimmung erzielt wurde. Vgl. Das Starnberger Dichtertreffen. In: Tägliche Rundschau, [o. A.]. Abgedruckt in PZ-Archiv 8 (20. 4. 1951), S. 15. Vgl. weiterhin [o. V.]: Gesamtdeutsches Schriftstellergespräch in Starnberg. In Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Leipzig) 14 (7. 4. 1951), S. 177. In der Bundesrepublik wurde das Treffen im Vor- und Nachhinein kritisch gesehen, eine Verständigung der ost- und westdeutschen Dichter schien unerwünscht. Vgl. Peitsch: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen«, S. 237–239. Vgl. [o. V.]: Der Tatbestand. In: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 5–7, insb. S. 5 und 7. Zum Starnberger Gespräch vgl. auch Materialien zum Starnberger Gespräch. DLA N: Weismann/Starnberger Gespräche/Zugehörige Materialien (84.3266), Bl. 25 und 26. 125
des PEN-Clubs aufzuhalten«254 , denn »[e]s wäre der Politik der Bundesregierung und auch im gesamtdeutschen Interesse höchst nachteilig gewesen, wenn ein solcher Versuch Erfolg gehabt hätte.«255 Es sei »hier […] keineswegs um eine kulturelle Angelegenheit [gegangen], sondern um den eindeutigen Versuch, über den PEN-Club Einfluß auf die Schriftsteller und über diese Einfluß auf das gesamte deutsche literarische Leben der Bundesrepublik zu erlangen.«256 An der Beschäftigung einer bundesdeutschen Behörde mit der Kontroverse des deutschen P.E.N. und deren Aufbereitung für eine weitere Öffentlichkeit lässt sich ablesen, dass die Einwirkungsmöglichkeit der Intellektuellen auf das gesellschaftliche, insbesondere politische Leben hoch bewertet wurde. Dem deutschen P.E.N.-Club kam in dieser Hinsicht zweifach repräsentativer Stellenwert zu: Einerseits versammelten sich hier Vertreter geistigen Schaffens in Deutschland, andererseits erforderte die Anbindung an die weltweit organisierte Vereinigung P.E.N. die Repräsentanz Deutschlands im internationalen Raum. Die globale Problematik der Ost-West-Konfrontation kam auch in den internationalen P.E.N.-Gremien zum Tragen. Besondere Bedeutung erlangte dabei die Zweiteilung Deutschlands. Dass die Mitglieder des Internationalen P.E.N. die politischen Bestrebungen beider deutscher Staaten aufmerksam verfolgten, zweifelte man im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen sichtlich nicht an. Die Politik der Bundesregierung zu Beginn der fünfziger Jahre arbeitete auf die Eingliederung der Bundesrepublik in das Bündnis der westlichen Staaten hin, um politische Gleichberechtigung zu erlangen. In diesem Prozess spielte weltwirtschaftliche Re-Integration und – unter dem Eindruck des KoreaKrieges verstärkt – militärische Wiederaufrüstung eine wichtige Rolle. Deutliche Abgrenzung gegenüber der unter sowjetischem Einfluss stehenden DDR war somit unerlässlich, eine deutsche Wiedervereinigung auf absehbare Zeit undenkbar.257 Gesprächsangebote des DDR-Ministerpräsidenten Grotewohl hatte Bundeskanzler Adenauer Anfang 1951 mehrfach mit Hinweis auf das unfreie Regierungssystem der »Sowjetzone« abgelehnt.258 Übertragen auf den P.E.N. bedeutete dies, dass eine stellvertretende Funktion Bechers als Mitpräsident, die auch seine Delegation zu internationalen Kongressen und Tagungen wahrscheinlich machte, dieser politischen Abgrenzungstendenz entgegenstand. Im Hinblick auf die Wahrnehmung der westdeutschen Politik durch die P.E.N.Vertreter anderer westlicher Staaten und die gesamte Weltöffentlichkeit schien ein gesamtdeutscher P.E.N.-Club kaum opportun, ließ im Gegenteil einen Ver254
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Abschrift (auszugsweise) aus einem Schreiben des Herrn Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen [Jakob Kaiser] vom 15. 4. 1952. BA Koblenz B 106/294, Bl. 316. Das vollständige Schreiben sowie dessen Adressat waren leider nicht ermittelbar. Abschrift (auszugsweise) aus einem Schreiben des Herrn Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen [Jakob Kaiser] vom 15. 4. 1952. BA Koblenz B 106/294, Bl. 316. Abschrift (auszugsweise) aus einem Schreiben des Herrn Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen [Jakob Kaiser] vom 15. 4. 1952. BA Koblenz B 106/294, Bl. 316. Vgl. Kleßmann, S. 210–212. Vgl. Deuerlein, S. 88.
lust an Glaubwürdigkeit fürchten. Mit der Veröffentlichung der Broschüre zielte man darauf, den internen Klärungsprozess von außen weiter anzutreiben und die westdeutschen Intellektuellen zu einer klaren Positionsbestimmung in der Deutschlandfrage zu mahnen. Um dieses Ziel zu erreichen, hängte man sich an die öffentlichkeitswirksam geführte Debatte der Kontrahenten im P.E.N. an. Die Einbindung von Interna der Wiesbadener Tagung scheiterte an der Auskunftsunwilligkeit des Generalsekretärs Kasimir Edschmid, der von den Präsidenten Friedmann und Kästner in seiner informativen Zurückhaltung unterstützt wurde.259 Die führenden Köpfe im P.E.N.-Zentrum Deutschland übten sich demnach zu diesem Zeitpunkt in der Wahrung von Distanz zu den Regierungsstellen der Bundesrepublik. Kästner zeigte sich verärgert darüber, »daß sich der liebe Herr Minister Kaiser gemüssigt fühlt, dem PEN-Club Vorschriften zu machen.«260 Das »Interesse der Bonner Behörden« sei »ein bisschen zuviel der Ehre«261 . Die unmissverständliche Zielvorgabe des Ministeriums wies Kästner entschieden zurück: »Es scheint mir langsam an der Zeit, den Besserwissern mit ihrer am Ende kriegerischen Patentlösung eins auf die Finger zu hauen.«262 Friedmann übte mit Verweis auf die Entscheidung des Exekutivkomitees über den »Fall Becher« öffentlich harsche Kritik an der Vorgehensweise des Ministeriums; es sei »schwer, die Bemerkung zu unterdrücken, daß man um so erstaunter sein wird zu erfahren, daß das Bundesministerium für s e i n e Einmischung wohl Grund und Recht zu haben glaubte. Es hätte dieser Einmischung nicht bedurft, um die Frage des Präsidiums wieder aufzunehmen; sie w a r bereits wieder aufgenommen.«263 Die ideologische Zersplitterung des deutschen P.E.N. 259
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Vgl. Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [11. 2. 1951] und Erich Kästner an Kasimir Edschmid [20. 2. 1951]. Beide Briefe DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. weiterhin Emil Belzner: Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. In: Rhein-NeckarZeitung vom 23. 5. 1951. Abgedruckt in Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 50–52, hier bes. S. 52. Nach Belzner hatte das Bundesministerium, nachdem seine kategorische Forderung von Unterlagen über die WiesbadenerTagung zurückgewiesenworden war, ein Entschuldigungsschreiben an das P.E.N.-Zentrum gesandt. »Was nicht als Manko dargestellt werden soll, sondern sympathisch berührt. Dann allerdings folgte bald darauf der Versand der hier besprochenen Flugschrift, in der das erwähnte Zwischenspiel füglich unerwähnt bleibt.« Erich Kästner an Kasimir Edschmid [17. 5. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [22. 5. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [22. 5. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. In einem späteren Brief an Edschmid [28. 5. 1951] führte Kästner aus: » Reizend wäre es, wenn Axel Eggebrecht Herrn Minister Kaiser auf Grund des Pressegesetzes wegen unerlaubten Nachdrucks verklagte. Da gäbe es wenigstens etwas zu lachen, und die Lacher wären bestimmt nicht auf Herrn Kaisers Seite.« DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Eine überzeugende Antwort. Prof. Friedmann zur Bonner Flugschrift, den PEN-Club betreffend. In: Rhein-Neckar-Zeitung 119 (25. 5. 1951), S. 2. Vgl. hierzu auch Peitsch: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen«, S. 241. Seine harsche Ablehnung der »Kampagne gegen [Becher] und gegen die Schriftsteller aus der Deutschen Demokratischen Republik« brachte Friedmann auch im persönlichen Gespräch mit Becher zum 127
lehnte Friedmann ab; er hoffte weiterhin auf deutsch-deutsche Verständigung und die Mitgliedschaft eines einigen P.E.N.-Zentrums Deutschland in der internationalen P.E.N.-Gemeinschaft.264 Friedmanns Stellungnahme war ein Artikel von Emil Belzner vorausgegangen; dieser hob – einerseits im Hinblick auf die P.E.N.-internen Vorgänge, andererseits in Hinsicht auf Glaubwürdigkeit der westlichen Kritik an der kulturpolitischen Situation in der DDR – den doppelt negativen Einfluss der bundesministeriellen Broschüre hervor: Insofern nämlich, als nach Veröffentlichung der amtlichen Flugschrift der Eindruck entstehen könnte und auch schon entstanden ist, die Neuwahlen geschähen ›unter Druck‹. Diesem Odium kann sich das deutsche P.E.N.-Zentrum ebensowenig aussetzen, wie eine solche augenscheinliche Minderung seiner freien Entscheidung im Interesse der Bundesrepublik liegen kann. Ganz abgesehen davon, daß man mit dieser Einmischung manches Argument gegen die staatliche Beschattung des Kulturlebens in der Ostzone abschwächt. Blinder Eifer in der so diffezilen [sic] Sache der Freiheit schadet nur. Und man hat mit dieser amtlichen Publikation den Interessen des Westens nicht gerade gedient. Wer auch immer der Initiator dieser staatlichen Einschaltung in ein schwebendes Verfahren sein möge – er war nicht wohl beraten mit dieser Stellungnahme.265
Hochgeschwender vermutet, dass die Anregung für die Broschüre vom CCF ausgegangen sei. Einen Beleg dafür erbringt er allerdings nicht. Nachweisen konnte er lediglich »Kontakte zwischen Birkenfeld und dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen […], in denen es primär um die Frage ging, wie eine Dokumentation über die Ereignisse anzulegen sei.«266 In dem oben erwähnten Schreiben des Bundesministers verweist dieser auf die Aufnahme von Besprechungen mit Edschmid »und anderen Mitgliedern, so u. a. Karl Friedrich B o r é e«267 . Dass Kaiser dabei auf die Bereitschaft Birkenfelds zur Zusammenarbeit stieß, ist nicht unwahrscheinlich. Dieser hatte Anfang 1951 seine Kam-
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Ausdruck. Becher zeigte sich von starkem Misstrauen gegenüber den westlichen Kritikern der Broschüre geprägt: Ihre Artikel stellten zwar eine »Ablehnung der Kaiserschen Methoden dar, allerdings scheint ihnen diese Broschüre besonders ungelegen gekommen zu sein, als sie dadurch in der Durchführung ihrer eigenen Pläne, die im Grunde dasselbe Ziel hatten, gehindert wurden. Professor Friedmann und seinesgleichen wollten sich nicht dem Verdacht aussetzen, dass sie in direktem Auftrag des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen handelten, wenn sie mich aus dem Vorstand schriftlich hinauswählen liessen.« Johannes R. Becher: Bericht über die Unterredung mit Professor Hermann Friedmann, geschäftsführender Präsident des PENClubs [13. 6. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11881. Vgl. Eine überzeugende Antwort. Prof. Friedmann zur Bonner Flugschrift, den PENClub betreffend. In: Rhein-Neckar-Zeitung 119 (25. 5. 1951), S. 2. Emil Belzner: Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. In: Rhein-Neckar-Zeitung vom 23. 5. 1951. Abgedruckt in Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 50–52, hier S. 51. Hochgeschwender, S. 343, vgl. dort auch FN 189. Abschrift (auszugsweise) aus einem Schreiben des Herrn Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen [Jakob Kaiser] vom 15. 4. 1952. BA Koblenz B 106/294, Bl. 316.
pagne gegen Becher dank Kontakten zum RIAS mit ausführlichen Rundfunkkommentaren zum Thema fortgesetzt.268 Von wem auch die Idee ausgegangen sein mag, Kaiser zeigte sich im Nachgang der erfolgten P.E.N.-Spaltung mit dem Ergebnis der – wenngleich tendenziell überbewerteten – Initiative vollauf zufrieden; ihr sei »es zu danken, dass sich die Geister reinlich schieden und eine westliche Sektion des PEN Anerkennung im internationalen PEN-Club gefunden hat.«269 Der Publikation und somit der bundesdeutschen Regierungspolitik den entscheidenden Einfluss auf die Spaltung des P.E.N.-Zentrums zuzuschreiben, erscheint im Hinblick auf die von ideologischen und politischen Spannungen überfrachtete innerdeutsche Gesamtsituation allerdings überzogen. Letztlich führte die ideologische Kluft zwischen den Machtblöcken des Kalten Krieges, die das gesamtgesellschaftliche Leben in Deutschland bestimmte und auch oder gerade von den Intellektuellen nicht länger zu überbrücken war, zur Trennung – nicht primär die Einzelaktion einer amtlichen Behörde.270 Ende Mai lud Becher per Telegramm alle »Penclubmitglieder der Republik« zu einer »unsere weitere Arbeit im PEN entscheidenden Sitzung«271 in den Berliner Club der Kulturschaffenden. Ob diese im Zusammenhang mit der Broschüre des Bundesministeriums stand, bleibt ungewiss. Eine Erwiderung der östlichen Seite auf die Schrift folgte jedenfalls prompt: Vermutlich im Juli 1951 erschien eine 56-seitige Druckschrift des Kulturbundes – Standort des deutschen Geistes 272 –, die noch einmal anhand zahlreicher Dokumente die wesentlichen Etappen der Entwicklung im deutschen P.E.N.-Zentrum zu dokumentieren versuchte. Abgedruckt finden sich neben der P.E.N.-Charta und den Satzungen des P.E.N.-Zentrums Deutschland Auszüge der Züricher und Kopenhagener Reden, um Bechers hervorragende Verdienste bei der Wiederbegründung eines deutschen P.E.N.-Zentrums zu belegen, und wiederum eine Vielzahl (offener) Briefe, Reden und Stellungnahmen von 1950/51 – dazu bestimmt, der »pamphletistische[n] Art«273 der bundesministeriellen Broschüre entgegenzuwirken.
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Vgl. Hochgeschwender, S. 343. Abschrift (auszugsweise) aus einem Schreiben des Herrn Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen [Jakob Kaiser] vom 15. 4. 1952. BA Koblenz B 106/294, Bl. 316. Vgl. auch Hochgeschwender, S. 336. Vgl. auch Hochgeschwender, S. 345. Johannes R. Becher an Arnold Zweig [31. 5. 1951] [Telegramm]. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv 20489 Fiche 4223. Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (Hg.): Standort des deutschen Geistes. Oder: Friede fordert Entscheidung. Johannes R. Becher und der PENClub. Eine Antwort. [o. A.] Ein erster Verweis auf die »Becher-Broschüre« erfolgte in einem Brief von Erich Kästner an Kasimir Edschmid [11. 7. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Die jüngsten Dokumente, die in der Broschüre zum Abdruck gelangten, stammten von Ende Juni 1951. Die Veröffentlichung Anfang Juli erscheint damit sehr wahrscheinlich. Vorbemerkung. In: Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (Hg.): Standort des deutschen Geistes, S. 5. 129
In der Vorbemerkung zur Broschüre wandte sich der Verfasser – mit hoher Wahrscheinlichkeit Becher selbst – explizit gegen den wiederholten Abdruck des Briefes »Ein Sohn schreibt an seinen Vater«, »›der unzweifelhaft eine Fälschung und einen Mißbrauch des Sohnes als Füllfederhalter anderer Kreise darstell[e]‹«274 . Erstmals erschienen war der Brief in Laskys Monat unter Hinzufügung zweier Artikel von Stefan Andres und Rudolf Hagelstange, zusammengefasst unter der Überschrift »Der Fall Johannes R. Becher«275 ; Andres zeichnete von Becher das Bild eines »bedingungslos[en], kritiklos[en] und hemmungslos[en]«276 Sklaven einer unmenschlichen Staatsmacht, deren Interessen er willfährig diene und der er nur mehr durch Flucht oder Tod entkommen könne. Jegliche Freundschafts- oder Verständigungsangebote seien inakzeptabel: »Freie und Sklaven verstehen einander nicht.«277 John T. Becher hatte nach einem Besuch im Dezember 1950/Januar 1951 einen Brief an seinen Vater Johannes R. Becher gerichtet, der die totalitären Züge der von seinem Vater verehrten »demokratischen Republik« entlarvte. Er erteilte der DDR und seinem scheinbar gegenüber diesen Entwicklungen blinden Vater eine endgültige Absage. Emotional bewegend aufgrund der zerstörten Vater-Sohn-Beziehung, polarisierend im Hinblick auf die politischen Zielsetzungen zur Erneuerung Deutschlands, schien dieser Brief außerordentlich geeignet, eine klare Stellungnahme der Leserschaft zu provozieren. Nach Ansicht von Carsten Gansel interpretierte Becher den Brief als »Bestandteil einer politisch gesteuerten Kampagne, und das machte es ihm nach außen leicht, den Bruch zu verkraften und die aufgeworfenen Fragen mit empörter Rhetorik zu verdrängen. Innerlich müssen ihn aber der Komplex von Vorwürfen wie die selbst erahnten Widersprüche bis ins tiefste getroffen haben. Wie anders ist zu erklären, daß er wiederum in eine Grenzsituation geriet und glaubte, nicht mehr weiterleben zu können?«278 Bechers Vermutung einer politisch motivierten Intrige war nicht völlig abwegig, wurde jedoch durch einen weiteren Brief seines Sohnes vom 18. September 1951 z. T. entkräftet: »Ich habe erfahren, daß an der Echtheit meines Briefes […] gezweifelt worden ist. […] Ich will hiermit klar und deutlich aussprechen, daß ich mein eigener Agent bin.«279 Beide Briefe von John T. Becher wurden unmit274
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Vorbemerkung. In: Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (Hg.): Standort des deutschen Geistes, S. 5. Vgl. weiterhin Johannes R. Becher an die Mitglieder des deutschen P.E.N.-Zentrums [29. 5. 1951]. SBBPK NL Tralow K 86 M 48. Vgl. »Der Fall Johannes R. Becher«. In: Der Monat 3 (1951) 29. Stefan Andres: Brief an einen Staatssklavenbildner. In: Der Monat 3 (1951) 29. Stefan Andres: Brief an einen Staatssklavenbildner. In: Der Monat 3 (1951) 29. Carsten Gansel: Johannes R. Becher zwischen Dichten und Funktionieren. In: Gansel (Hg.): Der gespaltene Dichter, S. 11–30, hier S. 25. Abdruck des Briefes in: Gansel (Hg.): Der gespaltene Dichter, S. 60–62 und Harder (Hg.): Johannes R. Becher. Briefe 1909–1958, S. 397–399. Zitiert nach: Der Kulturbund schweigt. Das deutsche PEN-Zentrum tagt – John T. Becher weist Verdächtigungen des Kulturbundes zurück. In: PZ-Archiv 20 (20. 10. 1951), S. 5–7, hier S. 6.
telbar vor der Zusammenkunft des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf vom 23.–25. 10. 1951 in die publizistische Auseinandersetzung um Bechers Person eingebracht, um »die Realität der Verhältnisse zu verdeutlichen, unter denen Johannes R. Becher, Mitglied des Zentralkomitees der SED und Präsident des ›Kulturbundes […]‹ lebt, die er anerkennt und durch sein Wirken fördert.«280 Um die Authentizität des zweiten Briefes von John T. Becher zu unterstreichen, druckte das PZ-Archiv ein Faksimile ab.281 Das PZ-Archiv wurde herausgegeben im Auftrage des Publizistischen Zentrums für die Einheit Deutschlands in Zusammenarbeit mit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) und dem Europäischen Informationsdienst von Heinz Baumeister, Ernst Tillich und Dr. Josef Witsch. Bezeichnenderweise gehörte Ernst Tillich zum Umfeld des CCF. Bereits vor dessen Entstehung hatte er in seiner Funktion als KgU-Leiter mit Günther Birkenfeld zusammengearbeitet und in der Frühphase des CCF einige Aktivität entfaltet; er unterstützte das Berliner Büro des CCF in seiner Anfangszeit und ließ sich bei der offiziellen Registrierung des CCF als Verein als Gründungsmitglied neben Lasky, Reuter u. a. eintragen.282 Josef Witsch kann als Vertreter einer dezidiert antikommunistischen Haltung verstanden werden. Er äußerte sich Anfang 1951 zu den Vorgängen im deutschen P.E.N. und urteilte: In dem Sinne ist die Mitarbeit kommunistischer Schriftsteller in allen internationalen Verbänden, wie etwa dem P.E.N.-Club nichts anderes als eine Gelegenheit innerhalb dieser Gremien für den Kommunismus zu arbeiten. […] Indem wir uns mit Leuten wie Becher zusammensetzen, indem wir sie zu Präsidenten wählen in Gremien, die den Schutz der Freiheit zum Ziel haben, tragen wir zur Verwirrung des inneren Widerstandes der Sowjetzone mehr bei […]. Wir machen Menschen unsicher, die unter der Erfahrung der Diktatur sehr sicher geworden sind in ihren Instinkten und Handlungen.283
Eine konzertierte Aktion des CCF lässt sich hier zwar nicht nachweisen. Sehr deutlich zeigt sich indes, dass sich die entschiedenen Antikommunisten bei ihren publizistischen Angriffen auf den ideologischen Gegner sehr subtiler Mittel bedienten. Die Zielsetzung war offensichtlich: Einerseits sollte Becher in seiner ganzen Persönlichkeit diskreditiert werden, um seiner weiteren Mitarbeit im deutschen P.E.N. nachdrücklich entgegen zu wirken. Andererseits signalisierte man ganz generell eine deutliche Distanz gegenüber dem politischen System der DDR und seinen Anhängern.
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Der Kulturbundschweigt.Das deutschePEN-Zentrum tagt – John T. Becher weist Verdächtigungen des Kulturbundes zurück. In: PZ-Archiv 20 (20. 10. 1951), S. 5–7, hier S. 5. Vgl. Der Kulturbund schweigt. Das deutsche PEN-Zentrum tagt – John T. Becher weist Verdächtigungendes Kulturbundeszurück. In: PZ-Archiv 20 (20. 10. 1951), S. 5– 7, hier S. 7. Vgl. Hochgeschwender, S. 155, 300 und 303. Dr. W. [d. i. Josef K. Witsch]: Gibt es einen gesamtdeutschen PEN-Club? In: PZArchiv 2 (1951). 131
3.2.3 Vergebliche Hoffnung auf eine Klärung im Internationalen P.E.N.: Einrichtung an den Fronten nach dem Kongress in Lausanne (22.–27. 5. 1951) Symptomatisch für den Zerfall der vielfach beschworenen geistigen Einheit Deutschlands und die Konfrontation weltanschaulicher Grundsätze in der weltweiten P.E.N.-Gemeinschaft hatte sich der Verlauf des internationalen P.E.N.Kongresses in Lausanne (22.–27. Juni 1951) gezeigt. Als offizielle Teilnehmer des P.E.N.-Zentrums Deutschland waren Erich Kästner und Kasimir Edschmid delegiert, Hermann Friedmann nahm nur am ersten Kongresstag teil.284 Eine Reihe von DDR-Schriftstellern erwog die Teilnahme aus Furcht vor der drohenden Spaltung des deutschen P.E.N.-Clubs: »Das war uns unerwünscht«285 . Vom Lausanner Kongress erwartete man offenbar eine endgültige Klärung der deutschen Problematik und hoffte auf eine positive Einwirkung der Präsenz von DDR-Vertretern auf die zu erwartenden Diskussionen. Noch Ende Mai hatte sich Zweig bei Edschmid beklagt, dass er nicht auf eigene Kosten in die Schweiz reisen könne.286 Die avisierte Entsendung einer inoffiziellen Delegation wurde in der DDR schließlich aber positiv beantwortet: »Unsere Regierung ging auf diesen Vorschlag sehr bereitwillig ein und unterstützte uns durch Bewilligung von Transportmöglichkeiten und Schweizer Franken für einen Aufenthalt von ungefähr einer Woche.«287 Mit staatlicher Subvention entsendet wurden schließlich Johannes R. Becher, Stephan Hermlin und Arnold Zweig. Zwar war die Möglichkeit des ost-westdeutschen Gesprächs vor dem Hintergrund des Lausanner P.E.N.-Treffens durchaus gegeben. Die mehr oder minder inoffiziellen Vermittlungsversuche im Vorfeld der eigentlichen Tagung scheiterten jedoch. Trotz Flankenhilfe durch die Delegierten des P.E.N.-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland (Sitz London) und der österreichischen P.E.N.284
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Vgl. Mitteilungsblatt des PEN-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland (Sitz London) Nr. 7 (1950), S. III. Aufgrund der von Becher eingenommenen, wenig kooperativenHaltung zur Lösung des KonfliktsbefürworteteKästner seine eigene Teilnahme sowie die von Edschmid und Friedmann. Die Delegierung von Becher beurteilte er eher als »heikle Sache«. In der Korrespondenz gab er eine Rücksprache mit Herman Ould zu bedenken. Vgl. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [30. 4. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Ausführungen von Arnold Zweig. Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [26. 7. 1951]. SAPMO-BArch DY 27/913, Bl. 141–146, hier Bl. 141. Vgl. Arnold Zweig an Kasimir Edschmid [24. 5. 1951]. SAdK Berlin, Arnold ZweigArchiv 20489 Fiche 4223. Finanzielle Probleme dieser Art kannten auch die bundesdeutschen P.E.N.-Mitglieder. Auch Karl Friedrich Borée, der an der internationalen Tagung gerne teilgenommen hätte, klagte. Vgl. Borée an Kasimir Edschmid [12. 5. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Ausführungen von Arnold Zweig. Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [26. 7. 1951]. SAPMO-BArch DY 27/913, Bl. 141–146, hier Bl. 141.
Sektion zeichnete sich keine Entschärfung des deutsch-deutschen Konflikts ab. Zwar ergaben sich »neben den offiziellen Veranstaltungen eine ganze Reihe von Zusammenkünften und Gesprächen mit den Vertretern der Ostzone […]. Ein Resultat wurde trotz angestrengter Bemühungen – die Privatgespräche gingen bis in die Morgenstunden hinein – nicht erzielt.«288 Im Gegenteil: Eine Resolution zur Frage des Weltfriedens, die dem internationalen Gremium zur Abstimmung vorgelegt wurde, provozierte eine heftige Diskussion, in deren Verlauf sich die bestehenden Spannungen zwischen Ost und West entluden. Der Antrag auf Annahme der umstrittenen Entschließung wurde laut Bericht des P.E.N.-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland (Sitz London) den Teilnehmern aus der DDR zugeschrieben: »Es zeigte sich vor allem, dass die Vertreter der Ostzone nicht so sehr zu dem Kongress gekommen waren, um die Lage des deutschen PEN zu klären, als um eine Resolution auch zur Friedensfrage zu lancieren.«289 Sie hätten Besprechungen mit den beiden amerikanischen Delegierten Marc Connolly und Ben Lucien Burman geführt, die dann die Resolution zur Debatte im Plenum vorgeschlagen hätten.290 Arnold Zweig verwies im Nachgang der Lausanner Tagung auf einer Präsidialratssitzung des Kulturbundes auf die Initiative der beiden amerikanischen Delegierten: »Diese wollten mit uns eine Friedens-Resolution beraten, denn es sei unmöglich, dass der PEN-Club in dieser Zeit nicht eine Friedensresolution durchbringt. Es wurde dann dieser Text besprochen, und sie legten ihn dem Präsidium des PEN vor.«291 Kästner hatte die sprengende Wirkkraft der durch den Text provozierten ideologischen Grundsatzdebatte voraus gesehen; er beschwor Becher in einer weiteren Besprechung, »um der Einheit im deutschen PEN willen diesen Antrag nicht zu stellen« und vertrat »die Meinung […], daß Begriffe wie Frieden und Freiheit nicht separat, sondern nur als zusammenhängendes Ganzes diskutiert werden könnten.«292 Eine solche Resolution halte er für untragbar, da das Wort 288
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Mitteilungsblatt des PEN-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland (Sitz London) Nr. 7 (1950), S. III. Mitteilungsblatt des PEN-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland (Sitz London) Nr. 7 (1950), S. III. Vgl. Mitteilungsblatt des PEN-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland (Sitz London) Nr. 7 (1950), S. III. Robert Faesi konstatiert: »Es war ein gegenwärtig in Deutschland lebender amerikanischer Delegierter, Burman, der sich zu diesem, gewiß von seiner Seite wohlgemeinten,aber naivenUnterfangenhergab, dessen Gelingen dem Kommunismus nur eine wirkungsvolle Propagandaplattform gesichert hätte.« Robert Faesi: PEN-Club und Politik. In: Neue Zürcher Zeitung vom 12. 7. 1951. Ausführungen von Arnold Zweig. Protokoll der Präsidialsitzung [26. 7. 1951]. SAPMO-BArch DY 27/913, Bl. 141–146, hier Bl. 142. Thomas Halbe: Literatur mit Eisernem Vorhang. In: Frankfurter Neue Presse vom 6. 12. 1951. Laut Edschmid nahmen an der »private[n]Nachtsitzung«Edschmid, Kästner, Becher, Hermlin, Zweig, »ein paar Engländer, Amerikaner, Schweizer, Oesterreicher« und Mitglieder des P.E.N.-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland teil. Vgl. Auszug aus einem Brief von Kasimir Edschmid an G. Henle [d. i.?] [30. 6. 1951]. Anlage eines Schreibens vom Auswärtigen Amt an das Bundesministerium des Innern [14. 8. 1951]. BA Koblenz B 106/294, Bl. 296–297. 133
»Frieden« durch die kommunistische »Propaganda zu einem Schlagwort geworden sei und durch die Mitglieder des PEN-Clubs erkannt und abgelehnt worden sei.«293 Becher reagierte darauf mit geringer Verständigungsbereitschaft und drohte erneut, »daß unter Umständen dann ein PEN-Zentrum im Osten und eines im Westen gebildet werden müßte.«294 Kästners Befürchtungen traten ein: Die unterschiedliche Ausdeutung der Begriffe »Freiheit« und »Frieden«, die die Abgrenzungstendenzen der Anhänger des CCF und der Weltfriedensbewegung maßgeblich und nachhaltig prägte, zeigte auch auf internationaler P.E.N.-Ebene Wirkung. Die bislang sorgsam vermiedene Grundsatzfrage, ob eine kommunistische Weltanschauung und die fundamentalen Ideen des P.E.N. überhaupt miteinander vereinbar seien, wurde explizit gestellt. Als personale Zielscheibe der Kritik am kommunistischen Totalitarismus diente Becher; er wurde von Bruno Schönlank, einem in der Schweiz lebenden deutschen Schriftsteller, aufs Schärfste angegriffen.295 In der konkreten Diskussion über die Resolution trat wiederum der ideologisch begründete Konflikt innerhalb des P.E.N.-Zentrums Deutschland offen zutage, und ließ »jede Aussicht auf eine leidliche Verständigung der beiden Gruppen während des Kongresses«296 schwinden. Nach der Rückkehr vom Kongress wies Kästner mit Blick auf Bechers Spaltungsdrohung auf den »Zwang der Verhältnisse hin[…], der stärker war als jedes Bemühen um Verständigung. Die westdeutschen Schriftsteller verstanden nicht mehr die politisch und ideologisch ›ausgerichteten‹ Leitsätze ihrer Kollegen aus der Ostzone und diese begriffen nicht mehr, daß Freiheit mehr als eine vieldeutige Definition ist.«297 Eine direkte Abstimmung des internationalen Gremiums über die Resolution wurde durch Kästners Intervention unterbunden; er erklärte, dass er zwar für den Frieden sei, ohne Mandat der deutschen P.E.N.-Mitglieder sei die Annahme der Resolution jedoch ausgeschlossen. Damit stellte er sich bewusst gegen die ostdeutschen P.E.N.-Mitglieder, die – gleichgültig, ob sie nun Ideengeber waren oder nicht – die Resolution mit trugen. Ein von Richard Friedenthal eingebrachter Zusatzantrag, der Resolutionstext solle vor einer Abstimmung zunächst in den Mitgliederversammlungen der nationalen Zentren diskutiert werden, wurde mit einer Stimme Mehrheit angenommen.298
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Ausführungen von Arnold Zweig. Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [26. 7. 1951]. SAPMO-BArch DY 27/913, Bl. 141–146, hier Bl. 146. Thomas Halbe: Literatur mit Eisernem Vorhang. In: Frankfurter Neue Presse vom 6. 12. 1951. Vgl. Robert Faesi: PEN-Club und Politik. In: Neue Zürcher Zeitung vom 12. 7. 1951. Mitteilungsblatt des PEN-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland (Sitz London) Nr. 7 (1950), S. IV. Thomas Halbe: Literatur mit Eisernem Vorhang. In: Frankfurter Neue Presse vom 6. 12. 1951. Vgl. Mitteilungsblatt des PEN-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland (Sitz London) Nr. 7 (1950), S. IV.
Die Nicht annahme der Resolution und die Überweisung zur Prüfung an die nationalen Zentren ließen unterschiedliche Interpretationen zu. War diese Entscheidung wiederum ein Ausweichen vor einer grundsätzlichen Entscheidung? Robert Faesi, Präsident des deutschsprachigen Schweizer P.E.N.-Zentrums, wertete die Entscheidung als »indirektes Mißtrauensvotum gegenüber dem Liebäugeln mit dem diktatorischen Osten«299 . Bedeutung habe der Kongress gewonnen durch die Offenlegung der grundsätzlichen Problematik,300 deren Klärung Faesi offenbar in Bälde erwartete. Ein Bericht Edschmids über den Verlauf der Lausanner Tagung lässt erkennen, dass die westdeutschen Vertreter die durch ihre Intervention zurückgestellte direkte Abstimmung über die Resolution als Triumph werteten. Auf internationalem Terrain dominierte offenkundig die deutliche Abgrenzungstendenz der bundesdeutschen P.E.N.-Mitglieder gegenüber den Kollegen der östlichen Machtsphäre: So kam es zu dem ungewöhnlichen Effekt, dass eine ganz selbstverständliche Sache, wie die, die Völker sollten für den Frieden sorgen, nicht unterzeichnet wurde, weil wir uns enthielten und die anderen aufklärten, um was es ging. Wahrscheinlich wird man es in der Presse vertuschen, aber es ist ein grossartiger Sieg! Becher sagte grün vor Wut, wir müssten es ›bezahlen‹.301
Diese Einschätzung klingt wenig versöhnlich: Die sukzessive Entfernung vom Gedanken eines einheitlichen deutschen P.E.N.-Clubs hatte bei den westlichen Präsidiumsmitgliedern eingesetzt. Die Bereitschaft zur unbedingten Verständigung schwand.302 Die Teilnehmer aus der DDR hingegen sahen ihre Sache keineswegs als verloren an und erstellten Analysen gänzlich anderer Natur. Zweig deutete den geringen Erfolg der Eingabe in seinen erläuternden Ausführungen vor dem Präsidial299
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Robert Faesi: PEN-Club und Politik. In: Neue Zürcher Zeitung vom 12. 7. 1951. Faesi hatte sich schon zu einem früheren Zeitpunkt in die Auseinandersetzungen innerhalb des deutschen P.E.N.-Zentrums eingeschaltet; er hatte im April 1951 offenbar damit gedroht, auf der Lausanner Tagung einen Antrag auf Ausschluss des deutschen Zentrums aus dem Internationalen P.E.N. zu stellen. Vgl. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [27. 4. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Robert Faesi: PEN-Club und Politik. In: Neue Zürcher Zeitung vom 12. 7. 1951. Auszug aus einem Brief von Kasimir Edschmid an G. Henle [d. i.?] [30. 6. 1951]. Anlage eines Schreibens vom Auswärtigen Amt an das Bundesministerium des Innern [14. 8. 1951]. BA Koblenz B 106/294, Bl. 296–297, hier Bl. 297. Ein ähnlicher Prozess ist auch bei einigen anderen westdeutschen Mitgliedern feststellbar; das Vertrauen in die kommunistischen Kollegen war geschwunden. Curt Thesing etwa, der in Wiesbaden noch für Becher eingetreten war, schrieb Mitte Mai an Birkenfeld: »Wie ich Edschmid gegenüber betonte, hat sich meine Einstellung Becher und anderen ostzonalen Kollegen gegenüber einschneidend geändert. Das, was ich in den letzten Wochen hier erlebte, hat mir […] gezeigt, daß es den östlichen Organisationen nicht […] um eine freie Aussprachemit dem Ziele geht, die bestehendeweltanschauliche Kluft zu überbrücken, um auf diese Weise nach Möglichkeit die deutsche kulturelle Einheit aufrecht zu erhalten und zum Frieden beizutragen, sondern um ein schlecht getarntes, bolschewistisch dirigiertes Propagandaunternehmen.« Zitiert nach Hochgeschwender, S. 343, FN 190. 135
rat des Kulturbundes positiv um; die längerfristige Diskussion in den einzelnen Gremien schien ihm ein nachhaltigerer Erfolg für die Sache des Friedens als eine widerspruchslose Akzeptanz: Wir waren etwas verdutzt über diese ganze Wendung, fanden aber, dass das Resultat für die Sache ausserordentlichgünstig sei, dass nämlich alle PEN-Organisationendiese Friedens-Resolution zu diskutieren und abzustimmen hätten. Was sonst eine Angelegenheit von einer Viertelstunde gewesen wäre, war jetzt eine Sache von einem Vierteljahr.303
Im Übrigen schienen die DDR-Autoren bereit, den Kampf um ihre Existenz im Internationalen P.E.N. aufzunehmen. Vorrangig ging es ihnen um die grundsätzliche Frage der Mitgliedschaft, die Zugehörigkeit zu einem nationalen Zentrum voraussetzte. Als Ansatzpunkt nahm Zweig daher das P.E.N.-Zentrum Deutschland ins Visier: Das Handeln der westdeutschen Schriftsteller in den führenden Positionen des P.E.N.-Zentrums interpretierte er nicht als Konsequenz ihrer eigenen Überzeugungen; er sah sie – gemäß der antiamerikanischen Propaganda – vielmehr dem repressiven Einfluss des westlichen Machtblocks ausgesetzt und kehrte die Argumentation der Kommunismusgegner geradewegs um: Die Furcht der Schriftsteller vor drohenden privatwirtschaftlichen Sanktionen, »wenn sie sich in Gegensatz zu Washingtons Parolen«304 stellten, setze sie unter enormen Druck. Vom amtierenden deutschen P.E.N.-Präsidium erhoffte Zweig offenbar keine erfolgreiche Unterstützung der DDR-Mitglieder; diese sah er dazu berufen, sich auf der nächsten Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland für eine »andere Leitung« zu verwenden, »die mehr Mut hat als die jetzige.«305 Hier deutet sich – intensiviert durch die zunehmende Bedrängung – ein gesteigertes Gruppendenken an, das bisher bei den Mitgliedern aus der DDR in dieser Weise nicht feststellbar war.306 Die von Zweig im Folgenden angekündigte Strategie für das Verhalten auf internationaler Ebene verdeutlicht, dass sich die weit fortgeschrittene weltpolitische Blockbildung längst auf den P.E.N. 303
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Ausführungen von Arnold Zweig. Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [26. 7. 1951]. SAPMO-BArch DY 27/913, Bl. 141–144 und Bl. 146, hier Bl. 143. Ausführungen von Arnold Zweig. Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [26. 7. 1951]. SAPMO-BArch DY 27/913, Bl. 141–144 und Bl. 146, hier Bl. 146. Ausführungen von Arnold Zweig. Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [26. 7. 1951]. SAPMO-BArch DY 27/913, Bl. 141–144 und Bl. 146, hier Bl. 146. Zweig brachte u. a. den diffusen Hinweis auf die geplante Gründung eines P.E.N.Clubs der DDR, den man, »um den PEN-Club zusammenzuhalten,[…] in Kontakt mit der westdeutschen Gruppe« bringen wolle, »um ihn so zur deutschen Landesgruppe zusammenzutun.« Ausführungen von Arnold Zweig. Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [26. 7. 1951]. SAPMO-BArch DY 27/913, Bl. 141–144 und Bl. 146, hier Bl. 144. Belege eines ernsthaften Bestrebens in dieser Hinsicht sind nicht nachweisbar. Fraglich ist auch, wie Zweig u. a. sich die reale Umsetzung dieses Vorhabens vorstellten.
übertragen hatte und nun zur Durchsetzung der eigenen Interessen gepflegt, statt überwunden werden sollte: »Weiter wird in der nächsten Zeit eine unserer Aufgaben sein, unseren Freunden in den Volksdemokratien klar zu machen, dass es mit einer Absonderung für die Friedensfreunde im PEN vorbei ist. Wir müssen eine möglichst starke Front unserer Freunde zusammenbringen.«307 Ob Zweig als gutgläubiger »fellow-traveller« der propagandistischen Ausnutzung der Friedenthematik durch den Sowjetkommunismus und seine Anhänger aufgesessen war oder sich der politischen Dimension des Vorgehens bewusst war, ist schwer zu entscheiden. Dass mit einer solchen Vorgehensweise die grundlegende Idee des P.E.N. ad absurdum geführt wurde, nämlich eine weltweite Gemeinschaft der Schriftsteller zu schaffen, die zur Verständigung der Nationen einen bedeutsamen Beitrag leisten könnte, schien jedoch keine Rolle zu spielen. Ergänzend entwickelte Hermlin in seinem Beitrag auf der Präsidialratssitzung des Kulturbundes vom Juli 1951 ein differenziertes Freund-FeindSchema des Internationalen P.E.N. aus Sicht der DDR-Mitglieder, das er in einem Artikel für den Aufbau öffentlich machte: Die Menschen, denen man auf dem PEN-Kongreß begegnet, gehören zwei Kategorien an: Mit den einen – sie bilden die große Mehrzahl – kann man reden, obwohl nicht ein einziger unter ihnen meine politischen Ansichten teilt; die anderen sind entweder erbarmungswürdig verkrampft in Angst und Mißtrauen (Angst vor dem Beeinflußtwerden, vor allem aber vor dem Gesehenwerden in kompromittierender Gesellschaft), oder sie sind einfach verrückt vor Haß.308
Eine bedeutende Rolle maß Hermlin denjenigen zu, die der internationalen Zentrale am nächsten waren. Neben den Engländern hatte er als Gegner auch den P.E.N.-Klub Deutschsprachiger Autoren im Ausland ausgemacht, dessen Mitgliedschaft sich in erster Linie aus Emigranten zusammensetzte, von Hermlin als »Autoren dritten Ranges« abqualifiziert; »sie sind inzwischen naturalisierte Engländer geworden […]. Das sind die Leute, mit denen man rechnen muss, und die im allgemeinen, um sich ihre Stellung zu verdienen, amerikanischer als alle Amerikaner sind, […] mit diesen Leuten kann man nicht reden.«309 Ausschlaggebend für diese Einschätzung dürfte Sternfelds Position gewesen sein; dieser stand nach dem Wiesbadener Debakel nicht nur intern Edschmid beratend zur Seite, sondern hatte auch öffentlich die Aufspaltung des P.E.N.-Zentrums Deutschland als Lösung des Konflikts propagiert.310 Positiv schätzte Hermlin hingegen den internationalen Vize-Präsident Robert Neumann ein, der in der Tat in den folgenden 307
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Ausführungen von Arnold Zweig. Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [26. 7. 1951]. SAPMO-BArch DY 27/913, Bl. 141–144 und Bl. 146, hier Bl. 146. Stephan Hermlin: Deutsches Tagebuch in Ost und West. In: Aufbau 9 (1951), S. 836– 844, hier S. 839. Ausführungen von Stephan Hermlin. Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [26. 7. 1951]. SAPMO-BArch DY 27/913, Bl. 144–146, hier Bl. 145. Hermlins Einschätzung wurde vermutlich verstärkt durch den grundsätzlichen Vorbehalt gegenüber Emigranten, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht nach 137
Jahren immer wieder strategische Ratschläge an die Literaten der DDR richten sollte.311 Unterstützung erwartete Hermlin auch von Seiten des französischen P.E.N.312 Hermlin kalkulierte nüchtern die Zahl der Gegner und Befürworter innerhalb des Internationalen P.E.N.-Clubs. Eine auffallende Äquivalenz der P.E.N.- zur Parteipolitik lässt sich daran ablesen: Als Voraussetzungen des politischen Erfolgs waren scharfes Kalkül und ausgeklügelte Taktik unerlässlich. Friedmanns in Lausanne formulierte Warnung vor der Gefahr, »›daß der PEN-Club ein Opfer des Kalten Krieges werde‹«313 , verhallte ungehört. Der geschäftsführende Präsident hatte weiterhin auf die Überwindung der Vorbehalte zugunsten der Einheit des Geistes gehofft. Das Gegenteil geschah: Man begann, sich an den jeweiligen Fronten einzurichten. Das Ergebnis des Lausanner Kongresses stellte das Führungsgremium des deutschen P.E.N.-Zentrums unter Zugzwang. Ein Indiz für die Erhöhung des öffentlichen Drucks lässt sich einem Schreiben von Emil Belzner entnehmen, der in seiner Eigenschaft als Redakteur der Heidelberger Rhein-Neckar Zeitung auf die Vielzahl von Zuschriften verwies, »die kaum eine Stellung zu dem westostdeutschen Streit nehmen, sondern das ganze Hin und Her, bewegt von den
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Deutschland zurückgekehrt waren, um am Aufbau eines neuen, besseren Deutschland mitzuarbeiten. Unmittelbar im Anschluss an die Lausanner Tagung richtete Robert Neumann einen Brief an Johannes R. Becher, in dem er umfangreiche Ratschläge zur weiteren Vorgehensweise erteilte. So riet er zur Bildung von etwa fünf Distriktgruppen und einer Dachorganisation in Deutschland, um der drohenden kompromisslosen Spaltung zu begegnen. Die Abstimmung über Becher solle man fallen lassen. Wenn die Aufregung etwas nachgelassen habe, könne Becher von sich aus seinen Rücktritt vornehmen und sein Amt an Zweig übertragen – »nicht, weil ich ihn für einen besonders grossen Organisator oder Vereinsmann halte sondern weil sein Ansehen im Westen ihn gegen kleinliche Angriffe schützt denen ein politisch mehr Exponierter wie Sie automatisch ausgesetzt ist.« Des Weiteren solle man zukünftig eine Einmischung der »Londoner Deutschen [gemeint ist der PEN-Klub deutschsprachiger Autoren im Ausland]« und der Österreicher nicht mehr dulden. Neumann stellte sich aber nicht völlig unkritisch auf die Seite der DDR-Mitglieder. Als wichtigen Punkt forderte er Belege für die Aktivität der DDR-Autoren im Hinblick auf die P.E.N.-Charta: »Können wir derlei sehen? […] [W]ir wollen Sie beim Wort nehmen und Ihnen wirklich Unterlagen über im Osten prozesslos und spurlos Verschwundene schicken; wir wollen sehen, was Sie ausrichten können, und können Sie wirklich etwas ausrichten, so werden Sie mehr zur Entgiftung beigetragen haben als durch irgendeineHandlung, an die ich denken könnte.« Zugleich mahnte Neumann, die Kontakte zu den Machtträgern der DDR gezielt zu nutzen, um Erfolge zu erlangen: »Wir wissen wohl, dass Ihr Einfluss begrenzt ist; aber Sie haben Zugang zu denen, die den Einfluss haben und ihren ehrlichen Willen um eine solche Entgiftung unter Beweis stellen können, indem sie sich Ihrer Intervention zugänglich zeigen.« Robert Neumann an Johannes R. Becher [9. 7. 51]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11895. Vgl. Ausführungen von Stephan Hermlin. Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [26. 7. 1951]. SAPMOBArch DY 27/913, Bl. 144–146, bes. Bl. 145f. Zitiert nach [o. V.]: Auf Grund der Pen-Charta. Zeitungsausschnitt vom 26. 6. 1951. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h.
Interessen der Besatzungsmächte (US und SU), lächerlich finden!«314 Eine klare Entscheidung über die Zukunft des P.E.N.-Zentrums Deutschland war unabdingbar. Der weiterhin verständigungsbereite Friedmann drängte Anfang Juli auf unverzügliche Abhaltung einer Tagung, die »Aussprache ueber Situation und entsprechende Beschlussfassung«315 ermöglichen sollte. Becher hingegen schien eine ruhigere Gangart eingelegt zu haben. Dem internationalen Vize-Präsidenten, Robert Neumann, zu dem er in einem freundschaftlichen Verhältnis stand, teilte er etwa zeitgleich mit: Ich denke, »wir lassen den Sommer ein wenig darüber hinweggehen und überlegen dann ruhig, wie wir fortfahren sollen.«316 Friedmann jedoch trieb die Dinge an; er bat bereits einen Monat später, die ins Rollen gekommenen Vorbereitungen der Tagung zu beschleunigen, um dem Auseinanderfallen des Zentrums entgegenzuwirken. Durch die Ankündigung einer baldigen Versammlung seien »weitere Austritte so Reinhold Schneiders […] vielleicht abzubremsen«317 . Schon im Juli waren die Beratungen über den möglichen Tagungsort in Gang geraten. Die westlichen Präsidiumsmitglieder lehnten Berlin, wie es ursprünglich auf der Wiesbadener Tagung vorgesehen war, ab. Zur Disposition standen Nauheim und Düsseldorf. Für Nauheim sprach Edschmids Überlegung, »daß [dort] kein Presseandrang«318 zu erwarten sei und somit weitestgehend ohne Beobachtung und Einfluss der Öffentlichkeit beraten werden könnte; für eine Zusammenkunft in Düsseldorf eröffnete sich die Möglichkeit, Reisezuschüsse zu gewähren. Edschmid, der »mangelnden Westbesuch«319 fürchtete, hoffte auf die motivierende Wirkung der finanziellen Unterstützung, während Kästner die Gründe der schwach besuchten Versammlungen ungleich pessimistischer einschätzte: »Es wäre ja auch möglich, daß eine gewisse Indolenz die wichtigere Ursache ist. Immerhin wüssten wir es danach.«320 Die Sorge um eine Majorisierung der bevorstehenden Generalversammlung durch die DDR-Mitglieder trieb Edschmid schon Ende Juni 1951 um. Neben der Neuwahl des Präsidiums stand die Entscheidung über die Lausanner Resolution, die rein politische Bedeutung erlangt hatte, auf der Agenda. In einem Brief, den ein nicht näher zu identifizierender Herr Dr. G. Henle an das Auswärtige Amt der Bundesrepublik in Auszügen weiterleitete, klagte er: 314 315
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Emil Belzner an Kasimir Edschmid [19. 7. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [Juli 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Johannes R. Becher an Robert Neumann [13. 7. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11901. Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [7. 8. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [11. 7. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Gemeint sein könnte Nauheim in Hessen, Nahe der Stadt Rüsselsheim. Gemeint sein könnte aber auch Bad Nauheim, gleichfalls in Hessen, nördlich von Frankfurt am Main gelegen. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [14. 8. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [14. 8. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. 139
Nun haben wir aber Tagung des deutschen PEN, zu der der Osten geschlossen, etwa 20 Mann, kommen wird. […] Sie werden vom Osten finanziert. Wer finanziert aber die Tagung bei uns? Denn die meisten sind zu arm, um die Reise und die Tagungskosten tragen zu können. Ich brauche 3 bis 4000 DM. Die Sache ist von höchster politischer Wichtigkeit.Der Osten hat die Finanzierungangeboten, aber ich habe natürlich lächelnd abgelehnt. […] Es hängt natürlich alles daran, die Majorität vom Westen her zu bekommen. Und es wäre sehr blamabel, wenn das Gegenteil geschähe. Denn der PEN ist eine Weltmacht.321
Da zu diesem Zeitpunkt die Teilnehmerzahl aus dem Osten noch gar nicht klar war, schließlich stand nicht einmal der Tagungsort wirklich fest, muss Edschmids Angabe als taktischer Zug gewertet werden, der dazu diente, die Dringlichkeit seines Anliegens zu verdeutlichen. Edschmid hatte offenkundig den rechten Adressaten gewählt; seine indirekte Anfrage hatte Erfolg: Die Kulturabteilung des Bundesministeriums des Inneren, der das Schreiben im August 1951 vom Auswärtigen Amt zugesandt wurde, unterstützte die westdeutsche Gruppe des P.E.N. mit einer Summe von 3000 DM – verbunden mit der Bitte um vertrauliche Behandlung.322 Zwar kann aufgrund der ungeklärten Identität des Briefempfängers die Absicht Edschmids, staatliche Behörden um Unterstützung anzugehen, nicht bewiesen werden. Die gezielte Wahl ist aber wahrscheinlich. Damit hatte man die im Zusammenhang mit der Broschüre des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen gepflegte Ablehnung der staatlichen Einmischung innerhalb weniger Monate abgelegt. Interessanterweise hatte Edschmid gegenüber Tralow jegliche Unterstützung abgelehnt: »Eine finanzielle Hilfe für diese Tagung von seiten [sic] der DDR kommt meines Erachtens ebenso wenig in Frage wie ich sie von Bonn annehmen würde.«323 Edschmid strebte keine offene Konfrontation an, sondern setzte auf die garantierte Überstimmung der DDRVertreter durch eine die realen Mehrheitsverhältnisse widerspiegelnde Teilnahme westlicher Mitglieder, die er durch Übernahme der Reisekosten zu sichern versuchte. Auch in einer Stellungnahme von Kästner deutete sich an, dass er an einer einvernehmlichen Verständigung mit Becher, der de facto immer noch dem Präsidium angehörte, nicht mehr wirklich interessiert war. Dazu beigetragen hatte neben dem Ablauf der Lausanner Tagung sicherlich die geringe Kooperationsbereitschaft, die Becher bei der Suche nach einer gütlichen Lösung des Konfliktes – etwa durch den freiwilligen Rücktritt vom Amt des Präsidenten – an den Tag gelegt hatte. Bechers Stimme im Vorstand maß Kästner kein Gewicht mehr bei; sie musste etwa in der Frage des Tagungsortes nur gehört werden, um
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Auszug aus einem Brief von Kasimir Edschmid an G. Henle [d. i.?] [30. 6. 1951]. Anlage eines Schreibens vom Auswärtigen Amt an das Bundesministerium des Innern [14. 8. 1951]. BA Koblenz B 106/294, Bl. 296–297, hier Bl. 297. Handschriftliche Notiz gerichtet an Herrn Gussone [Referent des Bundesministeriums des Inneren] [ohne genaue Datierung]. BA Koblenz B 106/294, Bl. 301. Kasimir Edschmid an Johannes Tralow [18. 6. 1951]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Edschmid.
Becher »formalistisch nicht ins Recht zu setzen«324 und keinen Angriffspunkt zu bieten. Das Votum kalkulierte Kästner im Voraus: »Denn dass für Düsseldorf die Mehrheit der Vorstandsmitglieder optieren wird, dürfte wohl kaum zu bezweifeln sein, sogar, wenn Tralow anderer Meinung wäre.«325 Im P.E.N.-Zentrum Deutschland ergab sich damit eine kuriose Konstellation: Man suchte im Grunde eine den weltpolitischen Orientierungen gemäße Abgrenzung gegeneinander; auf eine Spaltung des Zentrums schienen die westdeutschen Präsidiumsmitglieder jedoch noch nicht konkret abzuzielen.326 An der Oberfläche hatten sich jedoch die Wogen offenbar recht schnell geglättet. Schon im Juli konstatierte Huchel – ein wenig voreilig: »Die leidige PEN-Club-Angelegenheit ist ja inzwischen im Sande verlaufen.«327 Der Generalsekretär Kasimir Edschmid informierte im August offiziell alle Präsidiumsmitglieder über die [durch ihn eigenmächtig angenommene] Einladung der Stadt Düsseldorf für die nächste Tagung vom 23.–25. Oktober; er schlage vor, dass diese als Jahres-Generalversammlung gelten solle.328 Dagegen gab es offenbar auch von östlicher Seite keine Einwände. Engagement zur Erhaltung des gesamtdeutschen Charakters im P.E.N.Zentrum Deutschland zeigte im Vorfeld der Düsseldorfer Tagung lediglich der Schatzmeister, Johannes Tralow. Er war sich der Tatsache bewusst, dass die Stimmung gegenüber den östlichen Mitgliedern des Zentrums nicht zum Besten stand; er fürchtete die bevorstehende Entzweiung und erhoffte durch die Anwesenheit der Mitglieder aus der DDR eine Abwendung des drohenden Szenarios. Ende September appellierte er in einem Schreiben an »alle Kollegen in der DDR«, der Einladung zur Tagung nach Düsseldorf unbedingt zu folgen – auch wenn diese nicht dem in Wiesbaden gefassten Entschluss entspräche, die nächste Zusammenkunft in Berlin stattfinden zu lassen: Es kommt in diesem Augenblick doch nicht etwa auf den Tagungsort an, sondern auf die deutsche Einheit, und die Einheit des deutschen PEN-Zentrums ist ein Teil davon. Würde sie in die Brüche gehen, wäre das eine starke Unterstützung für Bonn. […] Es wäre nach meiner Überzeugung ein nicht wieder gut zu machender Fehler, wenn Sie nicht möglichst vollzählig in Düsseldorf erscheinen würden. Der Besuch wird ohnehin mager sein, und es wird jede Frau und jeder Mann gebraucht werden, besonders aber Sie.329
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Erich Kästner an Kasimir Edschmid [14. 8. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [14. 8. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [14. 8. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Peter Huchel an Hans Henny Jahnn [18. 7. 1951]. Abgedruckt in Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, S. 17. Kasimir Edschmid an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Deutschland [Johannes R. Becher/Hermann Friedmann/Erich Kästner/Johannes Tralow] [21. 8. 1951]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Johannes Tralow an alle Kollegen in der DDR [25. 9. 1951]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. 141
Die Kommunikation von Ost nach West indessen schien eingefroren. Tralow klagte: »Es sieht nicht sehr günstig aus, und aus dem Osten erhalte ich überhaupt keine Nachrichten mehr«330 .
3.3
»Das wird ein Theater werden!«331 – Generalversammlung in Düsseldorf (23.–25. Oktober 1951)
Kästners Sorge, dass die Düsseldorfer Zusammenkunft der Schriftsteller zu einem »Theater« geraten könnte, war nicht unbegründet. Zündstoff war durch die zu beratende Friedensresolution zur Genüge gegeben. Mitte September erhielt die den gesamten P.E.N. betreffende Auseinandersetzung einen Impuls durch einen Beschluss des P.E.N.-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland ; dessen Mitglieder lehnten die Resolution in ihrer in Lausanne vorgelegten Form ab und schlugen eine Fassung vor, die sich unmissverständlich von der kommunistisch gesteuerten Friedenskampagne lossagte und deren Unterstützer mittelbar brandmarkte.332 Den Funktionären aus der DDR sei es nicht um ein wirkliches Gespräch gegangen, »sondern nur darum, die bereits mitgebrachte Resolution durchzubringen und damit einen Auftrag durchzuführen, der die Anwesenheit dieser Kongressteilnehmer in den Augen ihrer Behörden rechtfertigen konnte.«333 Ein weiterer Vorbote des Streits, der durch überzeugte Gegner der Kommunisten im P.E.N. zur Spitze getrieben werden sollte, war Karl Friedrich Borées allgemein gehaltener Antrag zur Generalversammlung, der unmissverständlich die Legitimität der Mitgliedschaft von Autoren aus der DDR in Frage stellte und das kulturpolitische Konzept der SED, den sozialistischen Menschen zu bilden, als menschenrechtswidrig geißelte: Die von den Mitgliedern des P.E.N. durch Unterschrift anerkannte Verpflichtung, ›jeder Art der Unterdrückung der Aeußerungsfreiheit entgegenzutreten‹, ist mit dem durch Wort oder Tat kundgetanen Bekenntnis zu einem politischen System nicht zu vereinigen, das es unternimmt, mit Hilfe einer staatlichen Kulturpolitik die Menschen ideologisch umzuformen.334 330
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Johannes Tralow an Erich Kästner [9. 10. 1951]. SBBPK NL Tralow K 33 Konv. Kästner. Alfred Kantorowiczhatte im Januar 1950 auf Bitten des damaligen Schatzmeisters Johannes Tralow beim Postscheckamt Ost-Berlin ein Konto auf seinen Namen einrichten lassen, um den DDR-Mitgliedern eine unproblematische Zahlung ihrer Mitgliedsbeiträgezu ermöglichen.Geldanweisungenauf ein Konto in die Bundesrepublikhatten sich schwierig gestaltet. Vgl. Verlagsleitung von Alfred Kantorowicz Verlag GmbH an Johannes Tralow [17. 1. 1950]. SBBPK NL Tralow K 48 Konv. Kantorowicz. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [27. 9. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. P.E.N.-Klub deutschsprachigerAutoren im Ausland: Geänderte Fassung der Lausanner Friedensresolution [22. 9. 1951]. Abgedruckt in: Mitteilungsblatt des PENKlubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland (Sitz London) Nr. 7 (1950), S. IVf. Mitteilungsblatt des PEN-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland (Sitz London) Nr. 7 (1950), S. IV. Karl Friedrich Borée an Kasimir Edschmid [15. 9. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.
Ein weiteres, deutliches Anzeichen für die nachhaltige Verschärfung des ideologisch geprägten Konfliktes innerhalb des P.E.N.-Zentrums Deutschland, der – ähnlich wie in Lausanne – über die nationalen Zentrumsgrenzen hinauswirkte, war die Versendung der Broschüre Über Toleranz und Geistesfreiheit 335 . Urheber war wiederum Karl Friedrich Borée, der »auf Anregung«336 , möglicherweise des CCF, die Denkschrift verfasst und vor der anberaumten Tagung in Düsseldorf an verschiedene P.E.N.-Mitglieder mit Bitte um Unterzeichnung versendet hatte. Verantwortet wurde die Schrift insgesamt durch sieben West-Mitglieder. Die Unterzeichneten Martin Beheim-Schwarzbach, Karl Friedrich Borée, Hermann Kasack, Ernst Kreuder, Wilhelm Lehmann, Georg von der Vring und Rudolf Alexander Schröder richteten die Druckschrift ganz allgemein an die Mitglieder des Internationalen P.E.N. – mit Ausnahme der darin Angeschuldigten337 . Im Begleitschreiben verdeutlichten die Absender ihre Intention: Im Hinblick auf die vorangegangenen Zusammenkünfte in Wiesbaden und Lausanne sei »eine Aufklärung der P.E.N.-Mitglieder über die Situation der geistigen Freiheit unter dem sowjetkommunistischen Regime unerlässlich«338 . Der Hinweis auf das Ausscheiden »mehrere[r] angesehene[r] Mitglieder des deutschen P.E.N.-Zentrums […], weil ihnen die klare Absetzung von den mit dem sowjetkommunistischen System sympathisierenden Kollegen ein Gewissensbedürfnis ist«339 , implizierte die indirekte Aufforderung an alle Adressaten, das Verhältnis zum (Sowjet-)Kommunismus im P.E.N. gründlich zu überdenken und lieferte zugleich die Schlussfolgerung: Aus moralischer Sicht war die grundsätzliche und deutliche Distanzierung von allen kommunistischen Schriftstellern im Internationalen P.E.N. unausweichlich. Damit handelte man entgegen jener Haltung, die Hilde Spiel in ihren Erinnerungen dem Internationalen P.E.N. im Umgang mit der Vielfalt der Meinungen und Überzeugungen seiner Mitglieder zuschrieb: Lachend und langmütig ertrug man in der Führung des P.E.N., wie es im politischen und gesellschaftlichen Leben damals üblich war, auch als falsch oder gar gefährlich empfundene Überzeugungen, ohne sie freilich zu übernehmen. Nie war man in dieser wahrhaft völkerverbindenden Gemeinschaft je total zerstritten, jeder Wirrkopf oder
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[o. V.]: Über Toleranz und Geistesfreiheit an die Mitglieder des Internationalen P.E.N.Club. Berlin: [o. V.] Oktober 1951. SBBPK NL Tralow K 86 M 51. Karl Friedrich Borée an Wilhelm Lehmann [2. 10. 1951]. Zitiert nach Peitsch: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen«, S. 240. Vgl. Johannes Tralow: Kriegserklärung im deutschen PEN [nach dem 23.–25. 10. 1951 (Düsseldorfer Tagung)]. SBBPK NL Tralow K 87 M 13. Vgl. weiterhin eine Broschüre von Johannes Tralow: Bericht über die Situation im deutschen P.E.N. [20. 12. 1951]. Berlin 1951, S. 3. Martin Beheim-Schwarzbach/Karl Friedrich Borée/Hermann Kasack/Georg von der Vring/Ernst Kreuder/Wilhelm Lehmann/Rudolf Alexander Schröder an die Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Clubs [Oktober 1951]. SBBPK NL Tralow K 86 M 51. Martin Beheim-Schwarzbach/Karl Friedrich Borée/Hermann Kasack/Georg von der Vring/Ernst Kreuder/Wilhelm Lehmann/Rudolf Alexander Schröder an die Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Clubs [Oktober 1951]. SBBPK NL Tralow K 86 M 51. 143
ideologische Starrkopf blieb stets ein ›cher confrère‹. Polarisierungen wurden vermieden, Haß wurde nicht gesät.340
Im Hinblick auf die Düsseldorfer Tagung zielte Borées Schrift ganz konkret darauf ab, einer positiven Abstimmung über die Lausanner Resolution vorzubeugen; diese sei in ihrer Intention grundsätzlich politisch angelegt und diene wie auch der Stockholmer Friedensappell durch die Funktionalisierung des Friedensbegriffs als Propagandamittel des kommunistischen Imperialismus. Borées Anklage richtete sich generell gegen den kommunistischen Totalitarismus, legte anhand zahlreicher Einzelbeispiele die kulturpolitische Situation in der DDR offen, insbesondere hinsichtlich der Möglichkeiten zur freien Meinungsäußerung. Den Schluss seiner Schrift bildete die differenzierte Auflistung aller P.E.N.Mitglieder aus der DDR, um deren symptomatische Partei- und Staatsnähe anhand ihrer kulturpolitischen Funktionen zu belegen.341 Als »zwar äußerlicher, aber unbedingt zuverlässiger Maßstab« galt Borée dabei der »Grad, in dem [die DDR-Autoren] von diesem System mit Vertrauen oder Ehrungen ausgezeichnet worden sind«.342 An der Düsseldorfer Generalversammlung, die am 23. und 24. Oktober 1951 tagte, nahmen neben den Vorstandsmitgliedern Friedmann, Edschmid, Becher und Tralow 11 (12) Mitglieder aus der Bundesrepublik Deutschland und sieben aus der DDR teil.343 Gegenüber der Gesamtzahl der Mitglieder nahm sich diese Beteiligung recht dürftig aus. Schon im Vorfeld der Tagung hatte Kästner über die Absagen der Mitglieder aus der Bundesrepublik geklagt: »Penzoldt kommt nicht. Eggebrecht kommt nicht. Das kann ja heiter werden, wenn nur die Extremsten aller Schattierungen aufkreuzen.«344 Von Seiten der DDR war man bemüht, möglichst vollzählig zu erscheinen,345 da man der Mitglieder-
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Spiel: Welche Welt, S. 123f. Vgl. [o. V.]: Über Toleranz und Geistesfreiheit an die Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Club. Berlin [Oktober] 1951, S. 13f. SBBPK NL Tralow K 86 M 51. [o. V.]: Über Toleranz und Geistesfreiheit an die Mitglieder des Internationalen P.E.N.Club. Berlin [Oktober] 1951, S. 13. SBBPK NL Tralow K 86 M 51. Vgl. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober 1951 [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 1. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Teilnehmer aus der Bundesrepublikwaren: Emil Barth, Walter Bauer,Martin Beheim-Schwarzbach,Karl FriedrichBorée,Hanns Braun, Hans Hennecke, Hans Henny Jahnn, Hermann Kasack, Martha Saalfeld, Georg von der Vring, Günther Weisenborn und Wilhelm Lehmann. Teilnehmer aus der DDR: Stephan Hermlin, Peter Huchel, Rudolf Leonhard, Hans Mayer, Ludwig Renn, Ehm Welk, Arnold Zweig. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [13. 10. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Johannes R. Becher hatte sich mehrfach an Kasimir Edschmid gewandt und um seine Hilfe bei der Erlangungvon Aufenthaltsgenehmigungenfür die DDR-Mitglieder gebeten. Vgl. Johannes R. Becher an Kasimir Edschmid [3. 10., 15. 10. und 18. 10. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.
versammlung »besondere Bedeutung«346 beimaß. Becher beschwor im Vorfeld die Hoffnung, daß die Diskussionen […] in einem sachlichen, kollegialen Geiste geführt werden und dazu beitragen, Mißverständnisse aufzuklären und einen gemeinsamen Standpunkt herauszuarbeiten im Interesse der Erhaltung der Einheit der deutschen Kultur und der Bewahrung des Friedens. Jedenfalls werden die Schriftsteller der Deutschen Demokratischen Republik […] nichts unversucht lassen, um diesem Ziel zu dienen.347
Die kurzfristige Absage der Teilnahme durch den Präsidenten Erich Kästner leistete allerhand Spekulationen über die Ursachen seines Fernbleibens Vorschub.348 Als eingeladene Gäste waren überdies der Präsident des P.E.N.-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland, Richard Friedenthal, und der Präsident des österreichischen P.E.N.-Clubs, Franz Theodor Csokor, zugegen.349 Die Generalversammlung fand unter Ausschluss der Presse statt.350 Zunächst erarbeitete und verabschiedete man eine Satzungsänderung, die die Voraussetzungen für die Beschlussfähigkeit einer Generalversammlung detailliert festsetzte. Als verbindliche Mindestteilnehmerzahl einigte man sich auf eine Zahl von 23 Mitgliedern. Für den Fall, dass bei einer Sitzung diese Zahl nicht erreicht werden sollte, billigte man dem Präsidenten die Möglichkeit der Einberufung einer neuen Versammlung zu, die dann unabhängig von der Zahl der Teilnehmer beschlussfähig sein sollte. Dieser erste Tagesordnungspunkt war laut Protokoll in »lebhaften Diskussionen, in friedvoller und positiver Zusammenarbeit«351 abgearbeitet worden. Dominiert wurde die Düsseldorfer Generalversammlung jedoch durch die »ernste, wohl immer gezügelte aber doch leidenschaftliche«352 Diskussion über die Lausanner Friedensresolution, in die 346
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Zur PEN-Club-Tagung in Düsseldorf [Interviewmit Johannes R. Becher]. Abgedruckt in: Becher: Publizistik III. 1946–1951, S. 629–631. Zur PEN-Club-Tagung in Düsseldorf [Interviewmit Johannes R. Becher]. Abgedruckt in: Becher: Publizistik III. 1946–1951, S. 629–631. Als Ursache seines Fernbleibens vermutete man u. a. politische Bedenken. Vgl. [AP]: Kästner kommt nicht. In: Hamburger Abendblatt vom 24. 10. 1951. Noch im Nachgang unkte Friedenthal über die »Kästnerei« und deutete damit an, dass Kästner gesundheitliche Beschwerden vorgetäuscht habe, um seine Nichtteilnahme zu begründen. Vgl. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [5. 3. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. In einem Brief an Edschmid [21. 10. 1951] hatte Kästner indes mitgeteilt, dass seine Frau Lotte »sehr krank« sei und er deshalb nicht teilnehmen könne. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober 1951 [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 1. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. [o. V.]: Politiker und Poet dazu. Zur Generalversammlung des PEN-Klubs. In: Düsseldorfer Nachrichten vom 25. 10. 1951. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober 1951 [November1951; erstellt von HildegardFinger],S. 3. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober 1951 [November1951; erstellt von HildegardFinger],S. 4. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. 145
auch die Londoner Neufassung einbezogen wurde. Von Borée wurde wiederum die stilistische Nähe der Lausanner Resolution zum Stockholmer Friedensappell hervorgehoben;353 Kasack fürchtete die propagandistische Ausnutzung der Resolution.354 Letztlich konnte in der Grundsatzdebatte über die Bedeutung der Begriffe »Frieden« und »Freiheit« keine Klärung erzielt werden. Becher konzentrierte sich in seinen Ausführungen vor allem auf die bedingungslose Friedensbereitschaft der DDR-Vertreter. Eine Aussage zu seiner Deutung des Begriffs »Freiheit« ist im Tagungsprotokoll nicht verbürgt.355 Gleichwohl musste Becher sich einigen Fragen stellen, die Friedmann vermutlich in Anlehnung an Borées Broschüre formulierte; »[s]ie zielten darauf hin, ob in Bechers Sphäre Dinge geschähen, die gegen den Freiheitsbegriff der Charta stünden, ob er, Becher, sie unterbinden könne, ja ob er überhaupt in der Lage sei, die Regeln der Charta einzuhalten.«356 Becher zeigte sich durchaus verständigungsbereit, verwies auf Dokumente, die er zur Entkräftung bestimmter Anschuldigungen mitgebracht habe und schlug die Bildung einer Kommission zur Untersuchung einzelner Fälle vor.357 Trotz dieser Zugeständnisse und dem Versuch einiger Mitglieder auf eine Verständigung hin zu wirken, wurde die Lausanner Resolution bei der geheimen Abstimmung mit 11: 9 Stimmen bei zwei Enthaltungen abgelehnt.358 Die anschließend zur Debatte stehende Londoner Neufassung der Resolution vom September 1951 fand ebenfalls keine mehrheitliche Zustimmung. Einver353
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Vgl. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober 1951 [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 5. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober 1951 [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 7. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober 1951 [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 5. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober 1951 [November1951; erstellt von HildegardFinger], S. 6. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober 1951 [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 6. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober 1951 [November1951; erstellt von HildegardFinger], S. 8. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. An dieser Abstimmung waren demnach die 22 anwesendenMitglieder beteiligt. Wilhelm Lehmann erschien erst kurz nach der Abstimmung. Wäre zu diesem Zeitpunkt schon die zuvor beschlossene Satzungsänderung in Kraft getreten, wäre eine Entscheidung nicht möglich gewesen. Es ist aber davon auszugehen, dass § 9 der am 17. 11. 1949 beschlossenen Satzungen noch Gültigkeit besaß: »Ueber alle sonstigen Angelegenheitenentscheidetdie Mitgliederversammlungmit einfacherMehrheit; ausgenommen sind Satzungsaenderungen, die […] einer Zweidrittel-Mehrheit bedürfen.« S a t z u n g e n des PEN-Zentrums Deutschland, angenommen in der Mitgliederversammlung am 17. 11. 1949. SBBPK NL Tralow K 86 M 37.
nehmen erzielte die Generalversammlung lediglich darüber, dass bei der offiziellen Mitteilung des Abstimmungsergebnisses erneut auf die Artikel 3 und 4 der P.E.N.-Charta verwiesen werden sollte.359 War es am ersten Versammlungstag noch gelungen, die unterschiedlichen Meinungen einigermaßen zu bündeln, so spiegelten die tumultartigen Vorgänge im Vorfeld und während der vorzunehmenden Neuwahl des Präsidiums am zweiten Tag der Generalversammlung die innere Zerrüttung des deutschen P.E.N.Zentrums Deutschland wider. Zum Auftakt der Sitzung nahm Stephan Hermlin, sekundiert von den übrigen Teilnehmern aus der DDR, das Wort, um in aller Ausführlichkeit zu dem im Vorfeld der Tagung versandten »Pamphlet« von Borée u. a. Stellung zu nehmen. Zwischenrufe von beiden Seiten steigerten sich bis zu einem regelrechten Aufruhr – ohne Hermlins Ausführungen zu stoppen. Der geschäftsführende Präsident, Hermann Friedmann, zeigte sich verärgert über die Disziplinlosigkeit der Versammlung und unterband Hermlins Ausführungen schließlich, um die Präsidiumswahl in Gang zu bringen. Ein wenig überraschend wurde der bisherige Schatzmeister, Johannes Tralow, zum geschäftsführenden Präsidenten des P.E.N.-Zentrums ernannt. Tralow hatte von 22 abgegebenen Stimmen elf erhalten – ebenso wie Friedmann. Das Patt war mutmaßlich durch Friedmanns Stimmenthaltung zustande gekommen.360 Friedmann trat daraufhin zurück. Ob Friedmann eine weitere Abstimmung vermeiden wollte oder die gebotene Chance nutzte, um der verantwortungsvollen Position in der unleugbar schwierigen Situation enthoben zu werden, sei dahingestellt. Fakt war der durch den Rücktritt ausgelöste Präsidentenwechsel. Dass Tralow mit seiner Stimme, sprich durch seine mutmaßliche Selbstwahl, den entscheidenden Ausschlag gegeben hat, ist spekulativ, aber nicht unwahrscheinlich. Dem wäre lediglich entgegen zu halten, dass Tralow wiederholt Friedmanns Bedeutung für das P.E.N.-Zentrum Deutschland betont hatte.361 Bei der Wahl des zweiten Präsidenten konnte sich der abwesende Erich Kästner, der bei der Abstimmung über den geschäftsführenden Präsidenten schon ohne Erfolg aufgestellt worden war, nicht durchsetzen. Er unterlag mit sechs Stimmen Becher, für den neun Mitglieder stimmten. Von einer rücksichtslosen Majorisierung der Wahl durch die DDR-Mitglieder zu sprechen, wie in der 359
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Vgl. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober 1951 [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 8. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Gestimmt wurde mit 12:11 Stimmen gegen die Londoner Friedensresolution. Wilhelm Lehmann war nach der ersten Abstimmung zur Versammlung hinzu gestoßen, daher nun 23 Stimmberechtigte. Tralow setzte sich öffentlich gegen diese Darstellung zur Wehr. Bei der Abstimmung zum geschäftsführendenPräsidenten sei kein einziger weißer Zettel abgegeben worden. Nachhaltig kritisierte er Friedmann, der Einzelheiten nach außen gegeben hatte. Vgl. Johannes Tralow: Kein Weißer Zettel. In: Rhein-Neckar-Zeitung vom 12. 11. 1951. Enthalten in SBBPK NL Tralow K 88. Letztlich lässt sich auf Grund der Geheimabstimmung nicht beweisen, wer von den Anwesenden keine Stimme abgegeben hatte. Vgl. u. a. Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [18. 11. 1950]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. 147
nachfolgenden Berichterstattung vielfach geschehen,362 erweist sich dennoch als schwierig: Dass eine höhere Beteiligung von westdeutscher Seite einen anderen Ausgang der Wahlen garantiert hätte, sei mit den nachfolgenden Überlegungen keineswegs in Abrede gestellt. Gleichwohl spricht gegen eine Majorisierung zunächst das generelle Verhältnis der Ost- und Westteilnehmer von 8:15. Selbst unter Einbezug der gesamtdeutsch orientierten Teilnehmer – Tralow, Weisenborn und Jahnn – wäre im Extremfall eine gleichgewichtige Stimmverteilung wie bei der Wahl des geschäftsführenden Präsidenten möglich gewesen. Unverständlich erscheint vor dem Hintergrund der geringen Zahl der Stimmberechtigten vor allem die westdeutsche Kandidatenaufstellung. Neben Kästner stellten sich als Vertreter der Bundesrepublik auch Walter Bauer und Kasimir Edschmid zur Verfügung. Eine Zersplitterung der westdeutschen Stimmen war damit nahezu vorprogrammiert. Dass hingegen die DDR-Teilnehmer bei einer Kandidatur von Johannes R. Becher und Ehm Welk mehr oder minder geschlossen für ersteren stimmen würden, war ebenso vorhersehbar. Es drängt sich die freilich unbelegbare Vermutung auf, dass reines taktisches Kalkül diese Vorgehensweise leitete, um die Wiederwahl Bechers zu forcieren, auf diese Weise den ideologischen Dissens erneut anzufachen und eine klare Entscheidung zu erzwingen. Möglicherweise muss den Anwesenden aber lediglich ein »gewisse[s] taktische[s] Ungeschick[ ]«363 attestiert werden, wie das West-Berliner P.E.N.-Mitglied Gerhart Pohl im Nachhinein andeutete. Auch für das Amt des dritten Präsidenten standen sechs westdeutsche Mitglieder zur Verfügung, wiederum Kasimir Edschmid, dann Walter Bauer, Wilhelm Lehmann, Emil Barth und die gesamtdeutsch orientierten Hamburger Günther Weisenborn und Hans Henny Jahnn. Als Vertreter der DDR zog Arnold Zweig ins Rennen. Günther Weisenborn wurde mit sieben Stimmen der meiste Zuspruch zu Teil, allerdings bei neun Enthaltungen. Die übrigen Kandidaten gingen mit keiner, einer oder höchstens zwei Stimme(n) hervor, so auch Arnold Zweig. Die DDR-Vertreter sahen somit von vornherein davon ab, durch geschlossene Abstimmung in diesem Wahlgang ein östlich dominiertes Präsi362
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Vgl. etwa Mitteilungsblatt des PEN-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland (Sitz London) Nr. 7 (1950), S. V; [o. V.]: Die Sezession im deutschen PEN-Club. Eine kritische Würdigung. In: Die Neue Zeitung vom 27. 10. 1951; [o. V.]: Spaltung im deutschen PEN-Zentrum. In: Der Tagesspiegel vom 25. 10. 1951. Gegen derartige Pressedarstellungen wandte sich auch Hans Henny Jahnn in einem Brief an Horst Lange und Oda Schäfer [6. 11. 1951]: »Wer in Düsseldorf nicht zugegen war, kann sich nur schwerlich ein Bild von den Vorgängen machen. Irgendwelche geschickte RosstäuscherManöver sind von Seiten der östlichen Kollegen weder versucht noch durchgeführt worden.Die Blamage fällt m. E. ausschließlichauf die westlichen Kollegen.Schließlich waren sie in der Mehrzahl, und es wäre an ihnen gewesen, einen Vorschlag zu machen, wie die schwebende PEN-Krise behoben werden könnte.« Abgedruckt in: Ulrich Bitz (Hg.): Hans Henny Jahnn. Briefe. Hamburger Ausgabe. Teil 2. Granly, Granly – Reisen nach Deutschland, Hamburg-Blankenese: 1941–1959. Hamburg 1994, S. 680–682, hier S. 680. Gerhart Pohl: Ueberwindung des »Biedermeier«. Zur Gründung des westdeutschen PEN-Clubs. In: Der Kurier (Berlin) vom 29. 10. 1951.
dium anzustreben. Im Hinblick auf die wie auch immer intendierte Zielsetzung, ein gesamtdeutsches Zentrum zu erhalten, erscheint diese Strategie logisch, hätte doch die Dominanz östlicher Vertreter die Chance des Zusammenhalts nicht eben erhöht. Die Wahl des Generalsekretärs führte den gesamten Vorgang zu einer dramatischen Spitze. Per Akklamation wählte die Versammlung den bisherigen Generalsekretär Edschmid einstimmig wieder; dieser aber nahm die Wahl nicht an und zog sich zunächst darauf zurück, »dass seine praktischen Erfahrungen furchtbar waren«364 . Der tiefere Grund seines Rückzugs, die Abwahl seiner Kollegen Friedmann und Kästner, trat erst nach heftiger Bedrängung hervor; Edschmid interpretierte die Absage an die beiden bisherigen Präsidenten als Ausdruck des Misstrauens. Dies erklärt auch, warum Edschmid sowohl für das Amt des 2. und 3. Präsidenten kandidiert und somit Bereitschaft zur Mitarbeit im Präsidium signalisiert hatte, seine einstimmige Wiederwahl zum Generalsekretär nach dem ablehnenden Votum gegen Friedmann und Kästner jedoch nicht annahm. Eine Zusammenarbeit mit Tralow, Becher und Weisenborn kam für ihn prinzipiell nicht in Frage. Nun geschah Kurioses: Edschmid wurde entgegen seiner ablehnenden Haltung im zweiten Wahlgang erneut als Kandidat aufgestellt, des Weiteren Jahnn. In der Abstimmung erhielt Edschmid sieben, Jahnn fünf Stimmen. Zehn Stimmberechtigte hatten sich enthalten. Wiederum verweigerte Edschmid seine Zustimmung, daraufhin erklärte man Jahnn zum Generalsekretär.365 Als potentielle Schatzmeister standen Fritz Usinger, Luise Rinser, Emil Barth und Axel Eggebrecht zur Wahl. Mit der überzeugenden Mehrheit von elf Stimmen wurde Eggebrecht – in Abwesenheit! – zum neuen Schatzmeister ernannt. Damit waren sämtliche Vorstandsämter durch Befürworter eines gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrums besetzt worden. Als Revisoren wurden per Akklamation überraschenderweise Martin Beheim-Schwarzbach, der Borées Anklageschrift unterzeichnet hatte, und der nicht anwesende Hans Erich Nossack bestimmt.366 Dass allerdings im Fortschreiten des Wahlaktes, insbesondere nach der erfolgten Wiederwahl Bechers, eine »sichtliche[ ] Verwirrung und Unsicherheit«367 der Versammlung überwog, belegt die mit jedem Wahlgang steigende Zahl der Stimmenthaltungen. Hatte es in der Abstimmung über den geschäfts364
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Zitiert nach: Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 10. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 10. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 11. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Die Verteilung der Stimmzahlen: Usinger 2 : Rinser 1 : Barth 1 : Eggebrecht 11 : Stimmenthaltungen 8. Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 10. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. 149
führenden und den zweiten Präsidenten jeweils nur eine Stimmenthaltung gegeben, wuchs die Zahl der Unschlüssigen in den weiteren Abstimmungen auf neun bzw. zehn Mitglieder an. Ob dies nur ein Zeichen von Unentschlossenheit und Ratlosigkeit war, oder darin deutlich zum Ausdruck kommen sollte, dass man an der Konstituierung eines Vorstands unter Beteiligung von Becher nicht mitwirken wollte, ist schwer zu entscheiden. Die anwesenden Mitglieder schienen laut Protokoll keine offene Stellungnahme zum Ausgang der Vorstandswahlen gegeben zu haben. Einzige Ausnahme war Karl Friedrich Borée, der als offensiver Ankläger des DDR-Regimes und überzeugter Gegner kommunistischer Mitglieder im P.E.N. hervorgetreten war; er verlas nach Beendigung der Wahlen die nachfolgende Erklärung, an die er seine Austrittserklärung aus dem P.E.N.Zentrum Deutschland anknüpfte: Wir sind in der einzigartigen Lage, daß wir einerseits die Charta bejahen müssen, andrerseits aber in unserem Zentrum Leute haben, die auf Grund ihrer totalisierten Ideologie nicht in der Lage sind, den entscheidenden Passus (die Freiheit betreffend) der Charta befolgen zu können, selbst wenn sie menschlich dies tun wollen.368
Die offenbar vorbereitete Erklärung machte deutlich, dass Borée einzig die konsequente Trennung von den Schriftstellern aus der DDR als gangbare Lösung für den Konflikt des P.E.N.-Zentrums akzeptieren wollte. Da die Versammlung nicht einmal eine Distanzierung von Becher signalisierte, sondern im Gegenteil seine Wahl ins Amt eines Präsidenten bestätigte, sah Borée keine Grundlage für sein weiteres Verbleiben im deutschen P.E.N.-Zentrum. Der bisherige geschäftsführende Präsident Friedmann verabschiedete sich ebenfalls, wenn auch mit freundlichen Worten, vom P.E.N.-Zentrum Deutschland : »›Ich verlasse Sie ohne Spur von Bitterkeit, ich danke Ihnen und: auf Wiedersehen!‹«369 Die von Becher vorgeschlagene Wahl zum Ehrenpräsidenten lehnte er dankend ab: »›Sie tun ihrer Sache damit keinen Dienst, wenn Sie verkünden, Sie hätten mich zum Ehrenpräsidenten gewählt und ich schreibe dann anders.‹«370 Indirekt klang hier Friedmanns Distanzierung von einem deutschen P.E.N.-Zentrum mit der gegebenen Konstellation innerhalb der Führungsriege an. Über die Motivation seiner Rückzugshaltung kann nur spekuliert werden: War es gekränkte Eitelkeit wegen seiner – durch eigene Enthaltung entschiedenen – Abwahl aus dem Amt? Friedmanns aktive Beteiligung an den nachfolgenden Ereignissen legt jedoch nahe, dass er den Einsatz für die geistige Einheit
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Protokoll anlässlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf am 23. und 24. Oktober [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 11. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Zitiert nach Protokoll anlässlichder Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschlandin Düsseldorf am 23. und 24. Oktober [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 12. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Zitiert nach Protokoll anlässlichder Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschlandin Düsseldorf am 23. und 24. Oktober [November 1951; erstellt von Hildegard Finger], S. 12. SBBPK NL Tralow K 86 M 39.
Deutschlands unter den gegebenen Umständen als aussichtslos erachtete und eine Trennung gemäß der ideologischen Überzeugungen für unabdingbar hielt. Es scheint, als hätten die Gegner eines gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrums auf diesen oder einen ähnlich umstrittenen Wahlausgang gehofft, um auf einen konkreten Anlass für die weitere Vorgehensweise verweisen zu können. (Un)erwarteten Rückhalt erhielten sie durch die abgewählten Präsidiumsmitglieder Friedmann, Kästner und Edschmid, die auf Grund von Bechers inakzeptabler Wiederwahl ins Präsidentenamt keinerlei Chance mehr für eine einvernehmliche Verständigung innerhalb des P.E.N.-Zentrums Deutschland sahen. Offenbar ohne Wissen des von der Versammlung neu gewählten Vorstandes371 berief eine Reihe von westdeutschen Mitgliedern im Nachgang der P.E.N.-Tagung eine Pressekonferenz in einem Düsseldorfer Hotel ein, auf der sie nachstehende Erklärung verlasen: Folgende auf der Generalversammlungdes PEN-Zentrums Deutschlandin Düsseldorf anwesende Mitglieder, der bisherige geschäftsführende Präsident Prof. Dr. Hermann Friedmann, der seitherige, durch Krankheit am Erscheinen verhinderte Präsident Dr. Erich Kästner, der bisherige Generalsekretär Kasimir Edschmid sowie Emil Barth, Walter Bauer, Martin Beheim-Schwarzbach, Karl Friedrich Borée, Hanns Braun, Hans Hennecke, Hermann Kasack, Wilhelm Lehmann, Martha Saalfeld, Georg von der Vring erklären: Wir bedauern, daß von den etwa 50 westdeutschen Kollegen nur eine geringe Zahl erschienen ist, trotz des ausdrücklichen Hinweises auf die Bedeutung dieser Tagung, während aus dem Osten 8 von 14 Mitgliedern erschienen waren. Infolgedessen ergab sich für die westdeutschen Mitglieder eine Niederlage bei den Vorstandswahlen. Obwohl die vom Osten befürwortete Lausanner Friedensresolution von der Versammlung abgelehnt wurde, hat die Diskussion ergeben, daß zwischen den beiden Gruppen eine Verständigung über den Begriff Freiheit nicht möglich ist. Um die geistig schon längst bestehende Trennung auch organisatorisch zum Ausdruck zu bringen, werden die oben Genannten eine selbständige deutsche Gruppe innerhalb des Internationalen PEN bilden.372
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Vgl. Pressemeldung des in Düsseldorf gewählten Präsidiums. Zitiert nach spectator [d. i.?]: Die Vorgänge im deutschen PEN-Zentrum. In: Rhein-Neckar-Zeitung vom 30. 10. 1951. Vgl. [o. V.]: Sezession im PEN. In: Das Literarische Deutschland vom 10. November 1951. Den Widerspruch zum Kassenrevisor gewählt worden zu sein und dennoch die westdeutscheGegenerklärungunterzeichnet zu haben, versuchte Beheim-Schwarzbach Ende Oktober aufzulösen. Er habe das Revisoramt nicht als ein Vorstandsamt, sondern als eine Gefälligkeit angesehen. In Verbindung mit seinem Ausscheiden aus der »bisherigen, nunmehr vorwiegend kommunistisch geleiteten Zusammensetzung« lege er das Amt automatisch nieder. Dass Beheim-Schwarzbach zuvor die in Vorbereitung der Generalversammlung versandte Schrift Borées befürwortet und sich damit bereits im Vorfeld der Tagung explizit gegen die DDR-Mitglieder ausgesprochen hatte, lässt seine Zustimmung zur Übernahme des Revisoramtes in Kenntnis der zukünftigen Vorstandszusammensetzung noch paradoxer erscheinen. Vgl. Martin Beheim-Schwarzbach an Johannes Tralow [27. 10. 1951]. SBBPK NL Tralow K 40 Konv. Beheim-Schwarzbach. [Vgl.] [o. V.]: Zur Spaltung im deutschen PEN. Gewählte Vorstandsmitglieder nehmen Stellung, [o. A.]. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.g. 151
Durch die aktive Beteiligung der vormaligen Präsidiumsmitglieder, die durch ihre literarischen Leistungen, und in jüngster Zeit verstärkt durch den Presserummel um den P.E.N., der deutschen und internationalen Öffentlichkeit hinlänglich bekannt waren, erhielt die Entscheidung zur Abspaltung einer westdeutschen Gruppierung innerhalb des P.E.N. besonderes Gewicht. Um die Anerkennung der Gruppe beim Internationalen P.E.N. beantragen zu können, zielte man darauf ab, auch die übrigen westdeutschen – mindestens jedoch zwanzig – Mitglieder für die Idee einer eigenständigen Sektion zu gewinnen. Der neu gewählte Vorstand des schwer angeschlagenen P.E.N.-Zentrums Deutschland trat in Düsseldorf ebenfalls vor die Presse und erklärte sein Bedauern über den Abspaltungsversuch der westdeutschen Mitglieder. Der wieder gewählte Präsident Becher allerdings äußerte sich – möglicherweise aus taktischen Überlegungen – nicht.373 Als maßgeblicher Wortführer fiel Günther Weisenborn auf; er begründete seine Bereitschaft zur Übernahme des Präsidentenamtes ausführlich und stellte zugleich klare Bedingungen für sein Verbleiben im Amt auf: Die Wahl kam mir völlig überraschend. Nach anfänglicher Ablehnung habe ich mich entschlossen, das Amt anzunehmen, weil ich weiß, daß wohl die meisten Schriftsteller von Rang in Westdeutschland eine derartig scharfe Zurückweisung ihrer ostdeutschen Kollegen nicht anerkennen, wie sie von einigen Mitgliedern heute geäußert wurde. Ich bedauere die Vorkommnisse vom heutigen Tage. Ich werde mich für eine baldige neue Generalversammlung einsetzen, auf der nach diesem klärenden Gewitter endlich eine Arbeitsatmosphäre entstehen kann. Der PEN lebt in der Idee der Verständigung. Sowie dies Grundprinzip nicht gewahrt und ein objektives Gleichgewicht der gesamtdeutschen Interessen nicht mehr gesichert ist, trete ich zurück. Bis dahin halte ich es für meine Pflicht zu bleiben und in völliger Unabhängigkeit der Bekämpfung des Hasses unter den Deutschen zu dienen.374
Offenbar hoffte Weisenborn auf eine gütliche Einigung der Konfliktparteien; er spekulierte auf »Rücktritte und Neuwahlen«375 auf der von ihm geforderten Generalversammlung, zu der auch die Mitglieder der abgespaltenen westdeutschen Gruppe eingeladen werden sollten.376 Im weiteren Verlauf der Pressekonferenz wurde in erster Linie der auf der Mitgliederversammlung angenommene Vorschlag einer »Kommission zur objektiven Untersuchung von Beschwerden über Freiheitsberaubung, Körper-
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Nach den Erinnerungen von Alexander Abusch war Becher »unzufrieden mit dem Ergebnis, denn seine Strategie war darauf gerichtet, die Einheit möglichst lange zu erhalten und die Spaltung zu verhindern. Becher sagte verbittert: ›Unsere Freunde waren zu gut und zu unüberlegt. Wir haben den Anderen zu früh das Feld überlassen.‹« Alexander Abusch: Manuskript des Memoirenbandes Mit offenem Visier (Kap. XI–XX). SAPMO-BArch SG Y 30/1084/3, Bl. 377f. Zitiert nach Gerd Vielhaber: Zwei Erklärungenauf der DüsseldorferGeneralversammlung. In: Weser-Kurier (Bremen) vom 27. 10. 1951. Gerd Vielhaber: Zwei Erklärungen auf der Düsseldorfer Generalversammlung. In: Weser-Kurier (Bremen) vom 27. 10. 1951. [o. V.]: Die Spaltung des Pen-Zentrums. Erklärungen west- und ostdeutscher Schriftsteller. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 250 (26. 10. 1951).
verletzungen, Konzentrationslager«377 in der DDR ausführlich erläutert und ausdrücklich auf die von Becher zugesagte Unterstützung der Kommissionstätigkeit verwiesen. Der Beschluss der Generalversammlung eignete sich in hervorragender Weise, um Bewegung im P.E.N.-Zentrum Deutschland zu signalisieren. Zum einen beabsichtigte man konkrete Schritte, um die allgemeinen Vorbehalte gegenüber der DDR zu klären. Zum anderen war den Mitgliedern aus der DDR die Möglichkeit geboten, sich im Sinne der Charta-Grundsätze engagiert zu zeigen und das bestehende Misstrauen zu entkräften. Stephan Hermlin und Hans Mayer ergriffen sogleich die gebotene Chance, in dem sie den Einsatz ihres gesamten Einflusses für eine unbehinderte Arbeit der Kommission versprachen.378 Dieses Entgegenkommen wurde insbesondere Becher lediglich als taktisches Kalkül ausgelegt; »[e]r dürfte damit nicht nur seine westdeutschen bisherigen Kollegen, sondern auch den internationalen PEN ›einschläfern‹ wollen.«379 Die Chancen der Mitglieder aus der DDR, zu einer gütlichen Einigung beizutragen, waren verschwindend gering geworden. Die Reaktionen der westlichen Presse auf das Ergebnis der Düsseldorfer Tagung fielen in der Mehrheit erwartungsgemäß positiv aus. Kritik entzündete sich lediglich an der Frage, ob die klare Trennung nicht schon viel eher möglich und notwendig gewesen wäre.380 Die Aufspaltung des P.E.N.-Zentrums Deutschland wurde rückhaltlos begrüßt und als Teilsieg in der Auseinandersetzung mit dem ideologischen Gegenüber verbucht. Durch die Aufspaltung sei »die Absicht der sowjetzonalen Kommunisten, eine Sezession um jeden Preis zu verhindern und den PEN-Club weiter als Forum für ihre propagandistischen Absichten zu mißbrauchen, vereitelt worden.«381 Die Neue Zeitung pries die künftige Güte der im Grunde noch gar nicht existierenden neuen Sektion: Das gereinigte deutsche PEN-Zentrum wird [seine Aufgaben] in Zukunft erfüllen können. Es wird aufgehört haben als Podium für die propagandistischen und verlogenen Expektorationen der sowjetdeutschen Delegierten zu dienen. Das deutsche Zentrum wird endlich arbeiten können, ohne durch die Fensterredender Delegiertender Unfreiheit aufgehalten zu werden. Endlich ist Sauberkeit eingekehrt, wo bislang dem verstellten Wort und der trügerischen Brüderlichkeit das Wort geredet wurde. Es herrscht endlich intellektuelle Sauberkeit, wo man bisher ›operiert‹ und leisegetreten und die
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[o. V.]: Die Spaltung des Pen-Zentrums. Erklärungen west- und ostdeutscher Schriftsteller. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 250 (26. 10. 1951). [o. V.]: Die Spaltung des Pen-Zentrums. Erklärungen west- und ostdeutscher Schriftsteller. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 250 (26. 10. 1951). [o. V.]: Was wird aus dem deutschen PEN-Club? Rückwirkungen in der Weltorganisation des PEN zu erwarten. In: Die Presse (Wien) vom 27. 10. 1951. Gerhard Reddemann: Notwendige Klärung. In: Fuldaer Volkszeitung vom 27. 10. 1951. [o. V.]: PEN-Sezession vereitelt kommunistische Pläne. In: Die Neue Zeitung vom 26. 10. 1951. Vgl. auch [o. V.]: Die Sezession im deutschen PEN-Club. Eine kritische Würdigung. In: Die Neue Zeitung vom 27. 10. 1951. 153
eigenen wichtigen Prinzipien verdeckt und verwischt hatte. Es gibt wieder einen deutschen PEN.382
Weniger triumphierend, vielmehr bedauernd werteten andere das gleichwohl als unumgänglich erachtete Zerbrechen einer der »letzte[n] überzonalen Brücke[n]«. Es gebe fortan nur mehr ostzonale und westzonale Schriftsteller, »die zwar auf deutsch schreiben, aber kein Deutschland mehr gemeinsam repräsentieren zu können glauben. Bekennen wir es: das ist eine T r a g ö d i e, wieder einmal eine Tragödie der deutschen Zwietracht oder wenigstens eine Tragödie der Ohnmacht des Geistes in unserer Zeit. Denn die Entscheidung ist nicht nur äußerlich ein Politikum, sie fiel um des Politischen willen. Aber – gestehen wir auch das: sie m u ß t e um des Politischen willen fallen.«383 Kritische Worte für das Verhalten der westdeutschen Schriftsteller fand jedoch die Düsseldorfer Zeitung Das freie Wort. In Düsseldorf sei offen zutage ›getreten‹, daß die westdeutschen Vertreter den PEN-Club nur als repräsentative Institution angesehen haben und ihre Mitgliedschaft nicht als ethische Verpflichtung. Laxheit und Indifferenz führten dazu, daß die westdeutschen Schriftsteller von den ostdeutschen bei Wahl des neuen Präsidiums überstimmt wurden[.] […] Für die Farce, die die westdeutschen Schriftsteller in Düsseldorf geboten haben, gibt es keine Entschuldigung, Indolenz und Gleichgültigkeit standen Einmütigkeit und politische Ausrichtung gegenüber.384
Im Gegensatz zu anderen Kommentatoren bedauerte der Artikelschreiber den Verlust einer gemeinsamen »Plattform« der deutschen Schriftsteller in ihrer Gesamtheit und plädierte unter Verweis auf Ursprung und Zielsetzung der internationalen Organisation, auch im Hinblick auf die anstehende Entscheidung über die Existenz zweier deutscher P.E.N.-Sektionen: »Mehr Herz und Verstand, mehr Verantwortungsbewußtsein in einer Zeit, wo die Mächte des Ungeistes ihre Polypenarme immer drohender ausstrecken, mehr persönlicher Einsatz für Freiheit, Recht und Menschenwürde.«385 Das westdeutsche P.E.N.-Mitglied Gerhart Pohl beschäftigte sich mit dem potentiellen Vorwurf, man fördere durch die Sezession im P.E.N. die weitere und tiefer gehende Spaltung Deutschlands; diesen Gedanken wies Pohl entschieden zurück und blickte weit in die Zukunft: »Im Gegenteil – ich glaube, wir fördern damit die künftige Einheit Deutschlands, die nur dann sinnvoll sein kann, 382
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[o. V.]: PEN-Entscheidung.In: Die Neue Zeitung vom 27./28. 10. 1951. Auch Hermann Kasack verwies auf die nunmehr gebotene Möglichkeit, die P.E.N.-Aufgaben im Sinne der Charta »frei von politischer Einseitigkeit« erfüllen zu können. Hermann Kasack: Ja und Nein. Auf der Düsseldorfer PEN-Tagung. In: Stuttgarter Nachrichten vom 27. 10. 1951. Werner Wien: Die gesträubten Federn. In: Bremer Nachrichten vom 30. 10. 1951. Heinz Bläser: Trägheit im Westen – Entschlossenheit im Osten. Jahreshauptversammlung des deutschen PEN-Zentrums – Selbständige westdeutsche Gruppe. In: Das freie Wort (Düsseldorf) vom 9. 11. 1951. Heinz Bläser: Trägheit im Westen – Entschlossenheit im Osten. Jahreshauptversammlung des deutschen PEN-Zentrums – Selbständige westdeutsche Gruppe. In: Das freie Wort (Düsseldorf) vom 9. 11. 1951.
wenn sie die in der PEN-Charta niedergelegten Freiheiten im gleichen Maße garantiert wie das Bonner Grundgesetz und die Praxis in Westdeutschland«386 . Pohl verstand die Trennung von den kommunistisch orientierten Autoren nicht als pauschale Verurteilung ihrer Persönlichkeiten, wohl aber als Ausdruck einer konsequenten Haltung gegenüber der von ihnen vertretenen Weltanschauung. Andernfalls würden die westdeutschen Schriftsteller ihre moralische Glaubwürdigkeit gänzlich eingebüßt haben. Die Absetzung der »wirklichen Demokraten« von den »Volksdemokraten« eröffnete laut Pohl die Chance, »für die gefährdeten nichtkommunistischen Geistesarbeiter der Sowjetzone wirkungsvoller einzutreten, als es in der organisatorischen Zusammenarbeit mit den Kommunisten und ihren Trabanten bisher möglich war.«387 Eine nicht von der Hand zu weisende Kritik an den Vorgängen im P.E.N.Zentrum Deutschland äußerte ein Artikelschreiber für die Rhein Neckar-Zeitung ; er monierte »einen erheblichen Schönheitsfehler«388 der Spaltung. Sie sei nicht als unmittelbare Reaktion auf die geistigen und weltanschaulichen Auseinandersetzungen zu erkennen, sondern scheine vielmehr »die in demokratischem Sinne nicht sehr schmackhafte Frucht einer Niederlage und der Verärgerung darüber zu sein. Und darum sind die Dinge jetzt nicht klarer, sondern noch verworrener als vorher.«389 Tatsächlich war den in Düsseldorf anwesenden Mitgliedern des P.E.N.-Zentrums Deutschland keine saubere Grenzziehung gelungen. So existierte »nach den Ergebnissen der Düsseldorfer Jahresversammlung eine ›gesamtdeutsche‹ und – die […] ›westdeutsche‹ Gruppe; die eine Gruppe ist bereits auf Grund der Wahlen organisiert, die andere versucht sich zu organisieren.«390 Eine klare Lösung des Konfliktes war mit dieser Konstellation nicht gegeben. Doch die Bestrebungen, ein funktionierendes P.E.N.-Zentrum zu organisieren bzw. zu reorganisieren, wurden unmittelbar nach der gescheiterten Düsseldorfer Generalversammlung auf beiden Seiten mit Vehemenz aufgenommen.
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Gerhart Pohl: Ueberwindung des »Biedermeier«. Zur Gründung des westdeutschen PEN-Clubs. In: Der Kurier (Berlin) vom 29. 10. 1951. Gerhart Pohl: Ueberwindung des »Biedermeier«. Zur Gründung des westdeutschen PEN-Clubs. In: Der Kurier (Berlin) vom 29. 10. 1951. Spectator [d. i.?]: Die Vorgänge im deutschen PEN-Zentrum. In: Rhein-NeckarZeitung vom 30. 10. 1951. Spectator [d. i.?]: Die Vorgänge im deutschen PEN-Zentrum. In: Rhein-NeckarZeitung vom 30. 10. 1951. Spectator [d. i.?]: Die Vorgänge im deutschen PEN-Zentrum. In: Rhein-NeckarZeitung vom 30. 10. 1951. 155
4.
Kampf um Anerkennung: »Rumpfgruppe« oder gesamtdeutsches P.E.N.-Zentrum? (1951/53)
4.1
Reorganisationsbestrebungen des P.E.N.-Zentrums Deutschland (Oktober/November 1951)
Mit der Abspaltung einiger westdeutscher P.E.N.-Mitglieder hatte die sich stetig ausprägende Blockbildung, die die weltpolitische Atmosphäre seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges maßgeblich bestimmte und in der Zweistaatlichkeit Deutschlands ihren deutlichen Ausdruck fand, direkten Einfluss auf die Struktur des deutschen P.E.N. genommen. Die Existenz einer zweiten, eindeutig westlich orientierten Gruppierung innerhalb des deutschen P.E.N., gleichgültig ob international anerkannt oder nicht, sollte die mindestens z. T. von Lethargie und Apathie geprägte deutsche P.E.N.-Mitgliederschaft aufrütteln. Die kleine Gruppe der Ausgetretenen verharrte nach ihrer medienwirksamen Stellungnahme erwartungsgemäß nicht in Untätigkeit. Die eindeutige Positionierung der gesamten Mitgliederschaft des P.E.N.-Zentrums Deutschland sollte provoziert werden – durch die Einberufung einer Gründungsversammlung für ein eigenständiges P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland, die noch im Dezember 1951 stattfinden sollte.1 Ein Ausweichen vor der Entscheidung Ost oder West schien, außer durch den Austritt aus der internationalen Vereinigung, unmöglich – unter der Prämisse, dass das ursprüngliche P.E.N.-Zentrum Deutschland sogleich zu einer Repräsentanz des DDR-Staates modifiziert werden würde.2 Hermann Kasack postulierte: »Jedenfalls wird künftig die Mitgliedschaft in einer der beiden PEN-Gruppen zu einer Gewissensfrage für die deutschen Schriftsteller.«3 Die unmittelbaren Reaktionen der Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland fielen sehr unterschiedlich aus. Öffentliche Unterstützung eines P.E.N.Zentrums für die Bundesrepublik kam umgehend aus Berlin. Von dort meldeten sich die West-Berliner Autoren Martin Kessel, Friedrich Luft und Gerhart Pohl zu Wort, die an der Düsseldorfer Tagung nicht teilgenommen hatten. Sie machten deutlich, dass sie die Zusammensetzung des dort gewählten Vorstands
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Vgl. Gerhart Pohl: Ueberwindung des »Biedermeier«. Zur Gründung des westdeutschen PEN-Clubs. In: Der Kurier (Berlin) vom 29.10.1951. Vgl. Hermann Kasack: Ja und Nein. Auf der Düsseldorfer PEN-Tagung. In: Stuttgarter Nachrichten vom 27.10.1951. Hermann Kasack: Ja und Nein. Auf der Düsseldorfer PEN-Tagung. In: Stuttgarter Nachrichten vom 27.10.1951.
nicht anerkennen würden.4 Der in seinem Handeln so entschieden wirkende Karl Friedrich Borée reagierte auf die eingetretene Sezession verunsichert. Mit seinem Austritt hatte er ein eindeutiges und gemessen an seiner zuvor dargelegten Haltung durchaus konsequentes Zeichen hinsichtlich der Situation im deutschen P.E.N. setzen wollen. Von der Initiative weiterer westdeutscher Mitglieder hatte er offenkundig keine vorherige Kenntnis und wohl auch nicht mit einer solchen gerechnet. Er kam sich nun »in [s]einer Solorolle etwas deplaciert vor«5 und versuchte, seine P.E.N.-Mitgliedschaft zu retten: Ich habe mich durch meine Austrittserklärung selbstverständlich nur von dem einer östlichen Leitung verfallenen PEN-Zentrum lossagen wollen,in dem Glauben, daß mir meine Zugehörigkeit zum Gesamt-PEN erhalten bliebe, und bitte, meine Erklärung in diesem Sinne auszulegen, sodaß nichts im Wege steht, daß ich mich der neuen Gruppe anschließe.6
Kaum hatte Borée ein Signal des freundlichen Entgegenkommens von den Sezessionisten erreicht, intensivierte er seine Bemühungen, um im Einvernehmen mit den übrigen West-Berliner Mitgliedern an der strukturellen Neuorganisation des deutschen P.E.N. mitzuwirken.7 Emil Belzner, der stets als Fürsprecher eines einheitlichen deutschen P.E.N.Zentrums angetreten war, zeigte sich über die Entwicklungen tief enttäuscht und suchte nach einer angemessenen Erklärung: »Das alles ist eine traurige Geschichte. Mein Standpunkt: Ich fühle mich als Mitglied des deutschen PEN – nicht einer Spaltgruppe oder eines ›gesamtdeutschen‹ Zentrums. Was aus all dem wird, muss man sehen. […] Vielleicht war die Neugründung des deutschen PEN verfrüht. Daran wird’s liegen.«8 Resigniert zog Belzner sich wenig später ganz aus dem P.E.N. zurück, da ihm »an einem wahrenden Zusammenhang des deutschen Kulturlebens mehr als an Förmlichkeiten und Tendenzen gelegen war«.9 Die notwendig gewordene Standortbestimmung auf der einen oder anderen Seite konnte Belzner für sich selbst erst Jahre später treffen und ließ 1955 seine Mitarbeit – nun im bundesrepublikanischen P.E.N. – wieder aufleben: »Ich hielt meine Position ausserhalb der beiden Teile für richtig. Doch konnte das nur ein begrenzter Zustand des Abwartens sein.«10 In jeglicher Hinsicht enttäuscht vom P.E.N.-Club zeigte sich das Mitglied Reinhold Schneider:
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[dpa]: Drei Berliner PEN-Mitglieder gegen neuen Vorstand. In: Die Neue Zeitung vom 26.10.1951. Friedrich Luft war der Berliner Feuilletonchef der Neuen Zeitung. Karl Friedrich Borée an Kasimir Edschmid [11.11.1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Karl Friedrich Borée an Kasimir Edschmid [11.11.1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Karl Friedrich Borée an Kasimir Edschmid [28.11.1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Emil Belzner an Kasimir Edschmid [3.11.1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Emil Belzner an Kasimir Edschmid [22.2.1955]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Emil Belzner an Kasimir Edschmid [22.2.1955]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. 157
Die Erklärung meines Austritts richtet sich gegen niemand als gegen den PEN-Club selbst. Ich fühlte mich seit der Gründung von 1948 verpflichtet, die, bei allen Gegensätzen, doch der Versuch war, eine auf gegenseitiger Achtung gegründete Einheit darzustellen. Davon hat sich der Club entfernt. Die Art, wie interne Streitigkeiten der Presse dargeboten werden, die in einer jeden Region von der jeweiligen Macht abhängt und nichts anderes zu tun weiss, als Sensationen aufzustöbern und zu machen, halte ich für unwürdig. Auch ist nicht zu erwarten, dass der Club den einmütigen überparteilichen Protest des Gewissens gegen den modernen Staat, seine Kriegstechnik und die Unterdrückung des Geistes ausspricht, welchen Protest ich nun einmal für geboten halte. Unserer ganzen verdorbenenOeffentlichkeit gegenübermuss sich ein Jeder allein verantworten […]. Wir wollen Kameradschaft und Freundschaft halten: das ist das wichtigste. Aber die Berechtigung des Clubs vermag ich nicht einzusehen.11
De facto standen die beiden deutschen Gruppen vor ein und demselben Problem: Würde ihre Existenz vom Internationalen P.E.N. anerkannt? Grundsätzliche Vorbedingung für die Verhandlung über eine Anerkennung als eigenständiges Zentrum war die Mindestzahl von zwanzig Mitgliedern. Der Vorstand des ursprünglichen, nun öffentlich zum »sowjetzonalen Rumpfzentrum« degradierten P.E.N.-Zentrums Deutschland musste fürchten, alle westdeutschen Mitglieder und damit seine Daseinsberechtigung zu verlieren. Auch die in der Bundesrepublik zu konstituierende Gruppe hatte für eine ausreichende Mitgliederzahl, die die Notwendigkeit einer Neugründung demonstrieren sollte, Sorge zu tragen.12 Eine erste Diskussion über die deutsche Problematik sollte auf der im März 1952 stattfindenden Tagung des internationalen Exekutivkomitees (Paris) geführt werden. Eine endgültige Entscheidung über die Legitimierung eines oder zweier deutscher P.E.N.-Zentren konnte erst durch den internationalen Kongress getroffen werden, der im Juni 1952 in Nizza zusammentrat. Unmittelbar nach der Düsseldorfer Tagung mit ihrem folgenschweren Ausgang trat der neu gewählte Vorstand – bestehend aus Tralow, Becher, Weisenborn und Jahnn – zusammen, um Schadensbekämpfung zu betreiben; man hoffte offenbar noch auf eine einigende Klärung des Sachverhaltes. Mit einem zunächst grundsätzlich informativen Schreiben an alle Mitglieder kündigte man eine erneute Arbeitstagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland an und beschwor die Hoffnung, »dass nach dem klärenden Gewitter ein guter Geist der Arbeit in den PEN einziehen werde, der den wahren geistigen Aufgaben der deutschen Schriftsteller gerecht«13 werde: »Wir wenden uns mit einem dringenden Appell an alle Mitglieder, die Abneigung, Nichtachtung unter deutschen Schriftstellern zu begraben und echte Toleranz zu beweisen. Wir bitten jeden Einzelnen, sich der PEN-Charter gewissenhaft zu entsinnen, um daraus das persönliche Verhalten
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Reinhold Schneider an Johannes Tralow [31.10.1951]. SBBPK NL Tralow K 53 Konv. Schneider. Vgl. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [28.10.1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Hans Henny Jahnn/Johannes Tralow/Günther Weisenborn/Johannes R. Becher an alle Mitglieder [26.10.1951]. SBPPK NL Tralow K 86 M 39.
zu gewinnen.«14 Die Luft im deutschen P.E.N. wurde indessen mindestens für die Verfechter eines geeinten Zentrums immer dünner: Die Bemühungen der Ausgetretenen konzentrierten sich – entgegen der versuchten Wiederannäherung der im P.E.N.-Zentrum Deutschland Verbliebenen – auf die Bildung der eigenständigen westdeutschen Gruppierung; diese nahm schon bald konkrete Züge an. Die Vorstandsebene des P.E.N.-Zentrums Deutschland indes begann wenige Tage nach der umstrittenen Wahl zu bröckeln: Dem neu ernannten Generalsekretär Hans Henny Jahnn schien der Boden zu heiß zu werden; er hatte sich Hilfe suchend an Tralow gewandt: »Unser Orgelbauer [d .i. Jahnn15 ], wie Huchel ihn nennt, telefonierte mir aus Hamburg sehr verzweifelt. Seine Akademie [Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz16 ] hat ihm geschrieben. Was – das kann ich mir denken. Ich habe ihn energisch wieder aufgerichtet und ihm versichert, daß er nicht im Stich gelassen werden wird. Anscheinend getröstet, ist er jetzt auf dem Weg nach Frankreich.«17 Tralow demonstrierte – zumindest scheinbar – eine entspannte Haltung gegenüber Jahnns Nöten. Eine ausführliche Mitteilung von Jahnn an Huchel verdeutlicht die schwierige Situation der westdeutschen Autoren; sie lässt ahnen, wie genau die Entwicklung im deutschen P.E.N. von den Institutionen der Bundesrepublik Deutschland beobachtet wurde, welche weit reichenden Folgen für die westdeutschen Kollegen mit der Bereitschaft zu Toleranz oder gar Zusammenarbeit mit DDR-Autoren verbunden waren. Deutlich wird in Jahnns Fall die indirekte politische Relevanz des P.E.N.: Jahnn verhandelte im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister über Fragen des Urheberrechts. Nach der öffentlichen Resonanz auf die Düsseldorfer Tagung, insbesondere auf Jahnns Wahl zum Generalsekretär,18 fürchtete man negative Auswirkungen auf die Beratungen: Es sei der 14
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Hans Henny Jahnn/Johannes Tralow/Günther Weisenborn/Johannes R. Becher an alle Mitglieder [26.10.1951]. SBPPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. Bernd Goldmann: Hans Henny Jahnn. Schriftsteller,Orgelbauer. 1894–1959. Eine Ausstellung. Wiesbaden 1973. Vgl. Anmerkung 2 zu Brief [9] von Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [26. oder 27. Oktober 1951]. In: Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, S. 110. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [28.10.1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11969. Hans Henny Jahnn und Peter Huchel hatten einander Ostern 1951 kennen gelernt und pflegten seitdem einen Briefwechsel, der zum Großteil die redaktionelle Arbeit an der Zeitschrift Sinn und Form, aber auch die Situation im deutschen P.E.N.-Zentrum – aus westlichem wie östlichem Blickwinkel – beleuchtete. Die Briefe »dokumentierendas Ringen um die Einheit und Gemeinsamkeiteiner deutschen Literatur, das Zerbrechen des deutschen PEN-Zentrums und seine Folgen.« [Vgl.] Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, hier S. 7. Dass Jahnn die Aufgabe des Generalsekretärs in einem »östlich dominierten«Vorstand übernommen hatte, wurde in der westdeutschen Presse im Nachgang der Düsseldorfer Tagung nicht nur im Sinne der Kritik an Jahnns Haltung, sondern auch im Hinblick auf die Hintergründe seiner Entscheidung hinterfragt.So äußerte H. K. [d. i. Hermann 159
Eindruck entstanden, Jahnn »und Hr. Nossack wäre[n] der Ostzone verpflichtet. Man will Euch kurzerhand in die Gesellschaft von Johannes R. Becher einreihen. Der weite Widerhall einer solchen Auffassung, das fürchten wir, könnte Deine [sic] Verhandlung in Bonn etc. sehr in die Quere kommen.«19 Die aus seiner Sicht ungerechtfertigte Verurteilung seiner Haltung in der (west)deutschen Presse beantwortete Jahnn mit einer massiven Stellungnahme, die die Unterstellung kommunistischer Anhängerschaft drastisch abstrafte: Ich kann und muß von mir aus erklären: ich bin kein Kommunist, ich bin der Ostzone nicht verpflichtet. Wenn man mich in die Gefolgschaft von Johannes R. Becher einreiht, so kann ich das nur mit dem Willen zum kalten Krieg erklären.Wahr ist vielmehr: ich bin für Verständigung, ich bin für den Frieden. Ich bin der Ansicht, daß, wenn der Wille zur Verständigung unter Schriftstellern in Trümmer geht, Katastrophen nicht zu vermeiden sind. Wenn die sittlich unanfechtbarste Haltung eines Menschen genügt, um ihn in ein Lager zu verweisen, in dem er sich nicht befindet, nie befunden hat, dann ist es die Methode, mit der man einen ehrlichen Mann zum Heuchler stempelt. Wie weit ich mich gegen Unterstellungen wehren werde oder wehren kann, vermag ich im Augenblick nicht zu übersehen. Ich kann jedenfalls nur sagen, daß mir die deutsche Nation wieder einmal zum Halse heraus hängt, und daß ich nichts sehnlicher wünsche, als wieder emigrieren zu können.20
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Kesten?], dessen Charakterisierung des neu gewählten Vorstandes – »Johannes Tralow (ostzonal), Beigeordnete: J. R. Becher (ostöstlich), G. Weisenborn (west-west-ost), Generalsekretär: Hans-Henny Jahnn (Norddeutschland)« – an seiner Vorliebe für differenzierende Betrachtungen keinen Zweifel lässt, in der Deister- und Weser-Zeitung: »[M]an mag über Becher, Weisenborn denken, wie man will, – daß ein Mann wie der norddeutsche H. H. Jahnn in Düsseldorf ›positiv dabei‹ war, stimmt nachdenklich. Einen Dichter solcher Aussagekraft organisatorisch nach Ost abwandern zu lassen, bedeutet entweder, daß ›Pen-West‹ froh wäre, ihn loszuwerden, oder daß man im Zotteltrab der Politik seine Chance in Düsseldorf verpaßt – besser: ver,pennt’ hat, statt die Möglichkeit der Abwanderung den anderen zu überlassen.« K.s Schelte galt den ferngebliebenen West-Mitgliedern, die nach seiner Ansicht durch ihre Anwesenheit ein pro-westliches Ergebnis der Vorstandswahl und den Abzug der DDR-Autoren hätten sichern können; die Spaltung indes stand für ihn keinesfalls zur Debatte. Vgl. H. K. [d. i. Hermann Kesten?]: Anschluß ver-,pennt’. Spaltung des ›Pen-Klubs, Abteilung Deutschland‹. In: Deister- und Weser-Zeitung vom 3.11.1951. Hanns Ulbricht [Sekretär der Klasse der Literatur, Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz an Hans Henny Jahnn [25.10.1951]. Zitiert nach: Anmerkung 2 zu Brief [9]. In: Goldmann(Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, S. 110f. Hans Henny Jahnn an Han[n]s Ulbricht [28.10.1951]. Personalakte der Akademie der Wissenschaftenund der Literatur.Zitiert nach Goldmann: Hans Henny Jahnn. Schriftsteller, Orgelbauer. 1894–1959, S. 129f., hier S. 129. Jahnn lebte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst für kurze Zeit in Dänemark, siedelte in die Schweiz und schließlich auf die Insel Bornholm um. Seine Ausreise aus Deutschland geschah widerwillig und nicht zum Zweck einer politischen Demonstration. In erster Linie waren es materielle Belange, die ihn zum Handeln zwangen. Die Unvereinbarkeit seines literarischen Werkes mit den Vorstellungen des nationalsozialistischen Regimes brachte Jahnn ständige Geldsorgen. Zu den Hitlerflüchtlingen mochte er sich nicht gezählt wissen, obgleich er mit dem Hitlerregime nicht sympathisierte. So versuchte er sich mit den deutschen Behörden zu arrangieren und reiste auch nach Ausbruch des Krieges mehrfach nach Deutschland; offiziell ausgebürgert wurde er nie. Jahnn
Eine tolerante, gar kooperative Position gegenüber den DDR-Autoren, wie sie sich in Jahnns Amtsübernahme andeutete, schien ganz unmöglich. Der Druck von außen verstärkte sich auf allen Ebenen. Aktive Behinderung wurde Jahnn zum Vorwurf gemacht: »Meine Kollegen beklagen sich und mich, daß ich das wichtigste Urhebergesetz durch meinen Nichtaustritt aus dem PEN sabotierte, mich selbst maßlos schädigte.«21 Jahnn zog aus der schon bereuten Annahme der Funktion als Generalsekretär persönliche Konsequenzen, um weiteren negativen Reaktionen vorzubeugen; er bat um Rückstellung seiner Wahl in die Akademie der Künste (Ost-Berlin)22 – dies »wäre geradezu vernichtend für mich« –, kündigte die Niederlegung seiner Funktion als Redaktionsbeisitzer einer in Planung begriffenen Zeitschrift der Akademie der Wissenschaften und der Literatur an und mutmaßte: »Wahrscheinlich werde ich auch gezwungen, hier in Hamburg meinen Präsidentenposten abzugeben.«23 Er konstatierte: »Es war eine große Torheit, mich zum Generalsekretär zu wählen, eine noch größere, daß ich mich überreden ließ, die Wahl anzunehmen. Ich werde kalt gestellt werden, ohne daß ich oder jemand sonst einen Gewinn davon hätte.«24 Die wirtschaftlichen Auswirkungen seiner Verständigungsbereitschaft deutete Jahnn lediglich an: »Für alle Schriftsteller und Schaffende schlechthin, die den Kurs der Bonner Regierung nicht bejahen, wird das Dasein in ökonomischer Beziehung hier im Westen immer schlechter.«25
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war in dieser Zeit weder ein politischer Mensch, noch ein Mitläufer; dem stand seine »anarchistische, gegen jedwede staatliche Ordnung rebellierende Grundhaltung« entgegen. Erst nach dem Ende des Krieges änderte sich seine Haltung. Er demonstrierte sein Bemühen um Ausgleich und Versöhnung zwischen den beiden Machtblöcken; »er wurde allmählich zu einem engagierten Verständigungspolitiker.« [Vgl.] Elsbeth Wolffheim: Hans Henny Jahnn. (rowohlts monographien 432) Reinbek bei Hamburg 1989, S. 81–83 und S. 116f. Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [26. oder 27.10.1951]. In: Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, S. 20–22, hier S. 21. Offenbar hatte Huchel in einem Antwortbrief gegen Jahnns Bitte interveniert. Einen Monat später erkundigte sich Jahnn noch einmal vorsichtig: »Schreiben Sie mir doch noch einmal nach Hamburg, bitte, was es für mich bedeuten würde, wenn ich in die Berliner Akademie der Künste gewählt würde. Politische Bindungen kann ich nicht eingehen; das sagte ich Ihnen schon.« Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [23.11.1951]. In: Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, S. 25. [Vgl.] Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [26. oder 27.10.1951]. In: Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, S. 20–23, hier S. 21. Jahnn gehörte zu den Gründern der Freien Akademie der Künste in Hamburg im Jahr 1950. Er war seit ihrem Bestehen und bis zu seinem Tode Präsident der Freien Akademie. Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [26. oder 27.10.1951]. In: Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, S. 20–23, hier S. 21. Vgl. Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [o. D.]. In: Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, S. 40. Anfang November 1951 bat er, »[d]a [s]eine Wahl zum Generalsekretär allerlei Übles auf ökonomischem Gebiet für [ihn] gehabt ha[be], […] wenigstens die 150 DM Aufwandsentschädigung auf [s]ein Bankkonto überweisenzu lassen.«Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow [9.11.1951]. 161
Gleichwohl legte er sein Amt als Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums Deutschlands zu diesem Zeitpunkt nicht nieder; er nahm eine vermittelnde Position ein. An Hans Erich Nossack und Wilhelm Lehmann appellierte er, nichts zu übereilen;26 er mahnte Huchel: »Werden in der DDR jetzt Trompetenstöße geblasen, dann kann das Letzte, alles verdorben werden. Bitte raten sie Ihren Freunden zur Mäßigung – zur Mäßigung in der Beurteilung der Lage. Und bremsen Sie die kleinen Schreier unserer Gefilde!«27 Auch mit dem Internationalen P.E.N. nahm Jahnn Kontakt auf. Das Ergebnis dieser Beratungen stellte eine deutschlandinterne Lösung frei. In London hatte man »sich entschlossen, einstweilen von den Vorgängen in Deutschland nichts zu wissen« – obgleich der internationale Präsident, Henri Membré, »das Ganze natürlich grauenvoll [fand].«28 Mit ihm hatte Jahnn bereits vor der Düsseldorfer Tagung »konferiert« und beide hielten es »für wünschenswert, daß es zu keiner Spaltung kommen möchte.«29 Auch nach der de facto vollzogenen Spaltung hoffte Jahnn noch auf eine gütliche Lösung. Sollte die Bewahrung der Einheit unmöglich sein, favorisierte Jahnn eine regionale Dreiteilung des deutschen P.E.N. in einen Hansischen Kreis (Norddeutschland), einen Alemannischen Kreis (Süddeutschland) und einen Berliner Kreis (Ostdeutschland).30 Vermutlich verband sich für ihn mit einem solchen Konstrukt die Hoffnung, dem Eindruck einer ausschließlich politisch motivierten Zweiteilung des P.E.N.-Clubs in Deutschland entgegen zu wirken. Der geschäftsführende Präsident des P.E.N.-Zentrums Deutschland setzte großes Vertrauen in die Zusammenarbeit mit Hans Henny Jahnn. Tralow gab sich unbeeindruckt von den Düsseldorfer Ereignissen; er hatte sich wenige Tage nach dem Düsseldorfer Eklat auf die neue Situation eingestellt und zeigte sich zuversichtlich: »Solange das Triumvirat Weisenborn, Jahnn und Tralow zusammenhält, fürchte ich nichts.«31 Tralow konkretisierte sehr rasch die Zielvorstellungen; diese orientierten sich nicht auf die möglichst unbeschädigte Rekonstruktion der ursprünglichen Mitgliedschaft, sondern protegierten die klare Abgrenzung von den Ausgetretenen und die Konsolidierung des Zentrums:
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Abgedruckt in: Bitz (Hg.): Hans Henny Jahnn. Briefe. Hamburger Ausgabe. Teil 2, S. 682. Vgl. Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [26. oder 27.10.1951]. In: Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, S. 20–23, hier S. 21. Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [26. oder 27.10.1951]. In: Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, S. 20–23, hier S. 22f. Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow [26.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 47 Konv. Jahnn. Hans Henny Jahnn an Han[n]s Ulbricht [28.10.1951]. Personalakte der Akademie der Wissenschaftenund der Literatur.Zitiert nach Goldmann: Hans Henny Jahnn. Schriftsteller, Orgelbauer. 1894–1959, S. 129f., hier S. 129. Vgl. Hans Henny Jahnn an Han[n]s Ulbricht [28.10.1951]. Personalakte der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Zitiert nach Goldmann: Hans Henny Jahnn. Schriftsteller, Orgelbauer. 1894–1959, S. 129f., hier S. 129. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [28.10.1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11969.
Wir haben alles genau überlegt, was zu geschehen hat, damit möglichst viele Westleute bei der Stange bleiben. Aber wir haben etwas übersehen was noch weit wichtiger ist: daß wir die Secessionisten auch wirklich legal los werden. Sie hätten formal eine gute Situation, indem sie dem Zentrum Deutschland ohne zu zahlen, weiter angehören und bei unserer nächsten Tagung in hellen Scharen auftauchen, um uns zu majorisieren. Dadurch würden sie wieder in den Besitz der Firma gelangen.32
Tralow war – besser früher als später – für die Schaffung klarer Verhältnisse. Den 13 Ausgetretenen solle man ihren Austritt bestätigen: Durch ihr Verfahren in Düsseldorf haben sie sich selbstverständlich eines Vertrauensbruchs schuldig gemacht; aber es ist besser wir ziehen auf diese Weise sofort die Konsequenz, sonst müßte man versuchen, auf dem Wege über das Ehrengericht ihnen die Mitgliedschaft absprechen zu lassen. Jetzt im Augenblick wird keiner Einspruch erheben. Große Taktiker sind sie ohnehin nicht. Außerdem wird unser Verfahren auf manche Unschlüssige Eindruck machen.33
Die auf der Düsseldorfer Tagung vorgenommene Satzungsänderung, die für die Beschlussfähigkeit einer Versammlung die Mindestzahl von 23 anwesenden Mitgliedern festschrieb, erkannte Tralow im Nachgang für den Fortbestand des P.E.N.-Zentrums Deutschland als problematisch: »Wir müssen so schnell wie möglich zu einer beschlußfähigen Versammlung kommen, und das ist im Augenblick nicht ganz so leicht.«34 Für die Umgehung dieser Problematik sah er »zwei [halblegale] Wege: entweder zu vergessen, was wir nicht mehr genau wissen – oder umgehend eine Tagung einzuberufen mit dem Hinweis darauf, daß die nächste, deren Datum gleichzeitig genannt wird unter allen Umständen beschlußfähig sei.«35 Im Postskriptum seines Briefes an Becher wartete Tralow schließlich mit einem juristischen Winkelzug auf; die Satzungsänderungen seien in Düsseldorf aufgrund der nach § 9 der Statuten notwendigen, jedoch nicht zustande gekommenen 2/3-Mehrheit nicht angenommen worden.36 Damit stand der Tagung, die Tralow als dringend erachtete, »um den PEN wieder fest auf die Beine zu stellen«37 , aus seiner Sicht formal nichts mehr im Wege. Besondere Hervorhebung erfordert die Tatsache, dass Tralow unmittelbar nach der Abspaltung einiger westdeutscher Mitglieder die direkte Verbindung des P.E.N.-Zentrums Deutschland mit dem sowjetisch kontrollierten Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands billigte, der in der amerikani32
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Johannes Tralow an Johannes Becher-Archiv 11969. Johannes Tralow an Johannes Becher-Archiv 11969. Johannes Tralow an Johannes Becher-Archiv 11969. Johannes Tralow an Johannes Becher-Archiv 11969. Johannes Tralow an Johannes Becher-Archiv 11969. Johannes Tralow an Johannes Becher-Archiv 11969.
R. Becher [28.10.1951]. SAdK Berlin, Johannes R. R. Becher [28.10.1951]. SAdK Berlin, Johannes R. R. Becher [28.10.1951]. SAdK Berlin, Johannes R. R. Becher [28.10.1951]. SAdK Berlin, Johannes R. R. Becher [28.10.1951]. SAdK Berlin, Johannes R. R. Becher [28.10.1951]. SAdK Berlin, Johannes R.
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schen und britischen Zone bereits Ende 1947 nicht mehr zugelassen worden war38 . Der Kontakt kam selbstredend über dessen Begründer und Präsidenten Johannes R. Becher zustande und spielte zunächst vor allem in finanzieller Hinsicht eine Rolle: Tralow erhielt von Carlfriedrich Wiese, Bundessekretär des Kulturbundes, in Reaktion auf die Düsseldorfer Ereignisse noch im Oktober 1951 eine Zahlung von 500 DM.39 Dass es sich dabei nicht um eine einmalige Zuwendung handelte, belegt eine rückblickende Darstellung von Tralow in einem Schreiben an Brecht im Jahr 1954. Demnach ließ sich Tralow nach Düsseldorf für seine P.E.N.-Arbeit durch den Kulturbund mit einem »monatliche[n] Betrag« bezahlen, »von dem […] ein Teil an [den] damaligen nominellen Generalsekretär, Hans-Henny Jahnn, weiter[gegeben]«40 wurde. Dieser »Zustand« regelmäßiger Zahlungen habe »bis 1952 und zwar bis zur Organisierung des in Bayreuth geplatzten akademischen Altherrenclubs ›Kulturtag‹ [Oktober 1952] gewährt«41 . Zu diesem Zeitpunkt habe Becher erklärt, »daß [Erich] Wendt [1. Bundessekretär des Kulturbunds] kein Geld mehr für den P.E.N. habe.«42 Das Interesse an einer der letzten gesamtdeutschen Vereinigungen war im Kulturbund groß, schließlich zeichnete sich der P.E.N. durch Merkmale aus, die der maßgeblich durch Bechers Führungsstrategie charakterisierten Zielsetzung des Kulturbundes dienlich schienen: Er brachte Vertreter der Kultur aus Ost und West zusammen, die wenigstens zum Teil einer deutsch-deutschen Verständigung nicht völlig ablehnend gegenüberstanden. Eine verdeckte Indienstnahme des P.E.N.-Zentrums Deutschland im Sinne der von Becher im Kulturbund vertretenen »Konzeption der Erneuerung Deutschlands mit der Berufung auf die Einigungskraft der deutschen Kultur«43 scheint wahrscheinlich. Becher verfolgte seit der Gründung des Kulturbunds im Juli 1945 hartnäckig sein Ziel, die Organisation zu einem Sammelpunkt der gesamten deutschen Intelligenz zu machen, der er eine vordringliche Rolle im Prozess des gesellschaftlichen Neuaufbaus in Deutschland zuschrieb. Bechers Unternehmung war schon 1946/47 der Kritik ausgesetzt: Den sowjetischen Kulturoffizieren, die für die Lenkung der Kulturpolitik in der SBZ ver38
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Vgl. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 35. Umfassende Informationen zur Frühgeschichte des Kulturbunds finden sich bei Magdalena Heider: Politik – Kultur – Kulturbund. Zur Gründungs- und Frühgeschichte des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands 1945–1954 in der SBZ/DDR. (Bibliothek Wissenschaft und Politik 51) Köln 1993. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [28.10.1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11969. Tralow dankt zu Beginn des Briefes Becher für die Übersendung von DM 500,- durch Carlfriedrich Wiese, Bundessekretär des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (Berlin). Johannes Tralow an Bertolt Brecht [19.1.1954] [Abschrift]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 62–63, hier Bl. 62. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [19.1.1954] [Abschrift]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 62–63, hier Bl. 62. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [19.1.1954] [Abschrift]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 62–63, hier Bl. 62. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 33.
antwortlich waren, missfiel Bechers tolerante Annäherung an weite Kreise der deutschen Intelligenz – vorwiegend ungeachtet ihrer politischen Orientierung; es dürfe »›nicht sein, daß sich der Kulturbund einfach in einen Auflauf der gesamten Intelligenz verwandelt‹«44 und »›nicht deutlich seinen Standort als SEDOrganisation bestimmt‹«45 . Die westlichen Besatzungsmächte misstrauten der sowjetisch kontrollierten Organisation, die rasch eine starke Verbreitung und Wirkung erzielte und vergaben Ende 1947 in ihren Sektoren keine Lizenzenmehr für den Kulturbund. Der entgegen sowjetischer Kritik im Amt des KulturbundPräsidenten belassene Becher hielt weiterhin, auch nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, an seiner Idee fest. Mit Tralow verband Becher die Hoffnung auf die einigende Kraft des deutschen Geisteslebens. Ob Tralow als politische Zukunft des geeinten Deutschlands zu diesem Zeitpunkt eine Volksdemokratie sowjetischer Prägung vorschwebte, ist schwerlich zu entscheiden. Eindeutig feststellbar ist anhand seiner Aussagen lediglich die Abscheu gegen die Auswirkungen der weltpolitischen Blockbildung auf das Verhältnis der »Normalbürger« in beiden Teilen Deutschlands und sein Hoffen auf Einheit.46 Tralows politische Weitsicht, in welcher Ausprägung auch immer, stand jedoch mit Sicherheit zurück hinter seiner Bereitschaft zu ideologischer Toleranz, die unabdingbar zur Erhaltung des Projektes »P.E.N.-Zentrum Deutschland « war, für das er sich seit Kriegsende unermüdlich eingesetzt hatte. Die Handlungsmöglichkeiten in Richtung Westen waren seit dem faktischen Verbot des Kulturbundes in den Westzonen stark eingeschränkt, zur Aufrechterhaltung einer Kommunikation von Ost nach West schien eine Unterstützung des nach Düsseldorf in seinem Fortbestand gefährdeten P.E.N.-Zentrums Deutschland durch den Kulturbund unter der Prämisse gesamtdeutscher Arbeit zweckdienlich. Eine ähnliche Vorgehensweise Bechers lässt sich schon zu einem früheren Zeitpunkt an anderem Ort nachweisen. Er nutzte seine Omnipräsenz in den kulturellen Gremien der DDR für die Multiplikation der Maßnahmen, die er infolge der in Wiesbaden deutlich zu Tage getretenen Ost-West-Konfrontation als geeignet erachtete, um die »Herbeiführung eines einheitlichen Kulturlebens«47 zu unterstützen. In seiner Funktion als ständiger Sekretär der Sektion Dichtkunst und Sprachpflege in der Deutschen Akademie der Künste, OstBerlin, berichtete Becher von der Wiesbadener Tagung im Dezember 1950. Die dort artikulierten Vorbehalte der westdeutschen Kollegen gegenüber der DDR 44
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Sergej Tulpanow in seiner Berichterstattung vor der Kontrollkommission des ZK der KPdSU in Moskau (September 1946). Zitiert nach Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 33. Alexander Dymschitz in seiner Berichterstattung vor der Kontrollkommission des ZK der KPdSU in Moskau (September 1946). Zitiert nach Mittenzwei:Die Intellektuellen, S. 33. Vgl. z. B. Johannes Tralow an Fritz Usinger [29.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Usinger. Deutsche Akademie der Künste, Sektion Dichtkunst und Sprachpflege an Bertolt Brecht [27.12.1950]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht Archiv 795/15. 165
deutete er ins Positive um; es bestünde »zwar eine weitgehende Unkenntnis über die Grundsätze und Erfolge unseres Neuaufbaues, aber ebenso ein aufrichtiges Bedürfnis nach friedlicher Annäherung und Verständigung.«48 Als geeignetes Mittel der Annäherung begriff das Führungsgremium der Akademie den direkten, dem institutionellen Rahmen enthobenen Kontakt zwischen ost- und westdeutschen Autoren. Zu diesem Zweck versandte man eine Liste der westdeutschen P.E.N.-Mitglieder an alle Mitglieder der Ost-Berliner Akademie, »damit jeder versucht, auch in persönlicher Fühlungsnahme auf freien Meinungsaustausch und Verständigung hinzuwirken.«49 Dass es dabei weniger darum ging, allein im speziellen Fall des P.E.N. die Spaltung abzuwenden, verdeutlicht der Maßnahmenkatalog im Sitzungsprotokoll der Sektion Dichtkunst und Sprachpflege vom 12. Dezember 1950. Die avisierte Kontaktaufnahme mit den westdeutschen P.E.N.-Mitgliedern war Teil einer großen Offensive, deren erklärte Ziele »kulturelle Aufklärungsarbeit« und »Zusammenführung von Ost und West auf kulturellem Gebiet« hießen; diese Absichten entsprachen den deutschlandpolitischen Interessen der Schutzmacht Sowjetunion und der von ihr angeleiteten SED-Führung, die noch immer der Idee eines einheitlichen Deutschlands verhaftet waren. Die Chancen einer Annäherung an die Bundesrepublik Deutschland auf politischer Ebene schienen bereits zu diesem Zeitpunkt gering; es habe sich gezeigt, »dass im gegenwärtigen Stadium Einzelpersönlichkeiten für die friedliche Annäherung wirksamer zu werben vermögen als Organisationen«.50 Als geeignete Personen in diesem Sinne sollten die westdeutschen P.E.N.Mitglieder funktionalisiert werden. Als konkretes Ergebnis dieser strategischen Überlegungen präsentierte die Sektion Dichtung und Sprachpflege der Deutschen Akademie der Künste in Ost-Berlin den deutlich nationalistisch gefärbten Aufruf »An alle deutschen Schriftsteller im Westen unseres Vaterlandes« vom 10. 1. 1951, unterzeichnet von Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Anna Seghers und Arnold Zweig.51 Signalisiert wurde von ihnen unbedingte Bereitschaft zu einer Zusammenkunft »jederzeit an jedem beliebigen Ort«, um »dem gemeinsamem Ziel aller Deutschen zu dienen, der Erhaltung des Friedens und der Wiedervereinigung von
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Deutsche Akademie der Künste, Sektion Dichtkunst und Sprachpflege an Bertolt Brecht [27.12.1950]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht Archiv 795/15. Protokoll der Sitzung der Sektion Dichtkunst und Sprachpflege vom 12. Dezember 1950 [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht Archiv 795/19–22, hier 795/19f. (Anhang zum Schreiben vom 27.12.1950, vgl. FN 47; dieser enthält auch die an die AkademieMitglieder versandte Liste der P.E.N.-Mitglieder auf den Blättern 795/17f.) Protokoll der Sitzung der Sektion Dichtkunst und Sprachpflege vom 12. Dezember 1950 [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht Archiv 795/19–22, hier 795/20. Vgl. An alle deutschen Schriftsteller im Westen unseres Vaterlandes. Aufruf der Sektion Dichtung und Sprachpflege der deutschen Akademie der Künste in Berlin. In: Dokumentation der Zeit 13 (Januar 1951), S. 527.
Ost und West.«52 Ein positiver Effekt des Aufrufs im Sinne seiner Verfasser war – im Gegensatz zu den sicherlich unerwünschten Analysen der westdeutschen Presse53 – die Diskussion des Gesprächsvorschlags durch eine Gruppe Münchener Schriftsteller im Februar 1951. Hier wurde die Idee zum Starnberger Dichtertreffen geboren: Die Anwesenden »beschlossen, ihre ›ostdeutschen Kollegen‹ für ein ›gesamtdeutsches Gespräch‹ zu Ostern nach München einzuladen und alle in Bayern lebenden Autoren aufzufordern, ›sich angesichts der drohenden Remilitarisierung und der Überzeugung, daß wir für Frieden und Einheit Deutschlands eintreten müssen, diesem Schritt anzuschließen.‹«54 Eine umgehende organisatorische Integration des P.E.N.-Zentrums Deutschland in den Kulturbund analog zur finanziellen Unterstützung des geschäftsführenden Präsidenten, Johannes Tralow, ist nicht eindeutig nachweisbar. Interesse an den Vorgängen im deutschen P.E.N. hatte man bereits in einer Präsidialratssitzung des Kulturbundes vom Juli 1951 gezeigt, ein Kontakt zu Johannes Tralow, der zu diesem Zeitpunkt lediglich als Schatzmeister fungierte, war unerheblich. Laut Sitzungsprotokoll wurde die ausführliche Berichterstattung über die Ereignisse im deutschen und Internationalen P.E.N., im Nachgang zum internationalen Kongress in Lausanne, kommentarlos und ohne Diskussion konkreter Handlungsanweisungen entgegengenommen.55 Gleiches gilt für die Darstellung der Düsseldorfer Ereignisse durch Johannes R. Becher vor demselben Gremium im November 1951.56 Mit der Aufnahme der Zahlungen an Tralow verband sich dessen unbedingte Kooperationsbereitschaft; er nahm die Korrespondenz mit den Sekretären Wendt und Wiese auf. So berichtete er noch im Dezember 1951 über kleine Erfolgserlebnisse seiner Arbeit für das P.E.N.-Zentrum Deutschland : »Ich hatte hier auch einiges Positives zu verbuchen, so den bedingungslosen Beitritt von Wilhelm v. Scholz, eine sehr herzliche Einladung des französischen Pen nach Paris u. a.«57 Mit Hinweis auf die eigene desolate finanzielle Situation, u. a. hervorgerufen durch Auseinandersetzungen mit den westdeutschen Finanz-
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An alle deutschen Schriftsteller im Westen unseres Vaterlandes. Aufruf der Sektion Dichtung und Sprachpflege der deutschen Akademie der Künste in Berlin. In: Dokumentation der Zeit 13 (Januar 1951), S. 527. Vgl. [o. V.]: Die Anfälligen. In: Der Tagesspiegel vom 11.1.1951. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. und [o. V.]: Becher bis zur Neige. In: Die Neue Zeitung vom 11.1.1951. [NZ]: Münchener Schriftsteller laden SED-Dichter ein. In: Die Neue Zeitung vom 9.2.1951. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. Zu den Teilnehmernder Versammlung in München zählten u. a. JohannesTralow, Georg Schwarz, Carl August Weber, Hans Werner Richter, Max Stefl, [?] SchmittSulztal, der Verleger Willy Weismann und Ernst Penzoldt. Vgl. Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [26.7.1951]. SAPMO-BArch DY 27/913, Bl. 141–146. Vgl. Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [9.11.1951]. SAPMO-BArch DY 27/913, Bl. 181–182. Johannes Tralow an Erich Wendt [31.12.1951]. SAPMO-BArch Berlin DY 27/736. 167
behörden, verband Tralow eine dezente Eingabe: »Bitte, vergessen Sie mich aber nicht.«58 Schon Ende Oktober 1951 standen weitere Erschütterungen des wackligen P.E.N.-Gebäudes bevor. Tralow erhielt Mitteilung von Axel Eggebrecht und Hans Erich Nossack über die Aufgabe ihrer Vorstandsämter. Nach der Düsseldorfer Tagung hatte Tralow an den in Abwesenheit zum Schatzmeister gewählten Hamburger Axel Eggebrecht geschrieben, um ihn »inständig« um die Annahme der Wahl zu bitten; Tralow glaubte sich im Einverständnis mit Eggebrecht: Wir sind »uns in einem Punkt, auf den es ankommt, einig. Sie sind ebenso wie Weisenborn, Jahnn und ich alles andere als ein Kommunist, ja Sie üben ebenso wie wir Kritik nach beiden Seiten, aber wir sind verständigungsbereit.«59 Eine organisatorische Orientierung des P.E.N.-Zentrums Deutschland nach Hamburg »mit einem Präsidenten, einem Generalsekretär und einem Schatzmeister«60 , alle mit Wohnsitz in der Hansestadt, schien Tralow tauglich. Mit Verweis auf den geringen Arbeitsaufwand, der mit dem Amt verbunden sei, versuchte er, Eggebrecht den Posten schmackhaft zu machen. Wiederum demonstrierte Tralow ungebrochenen Optimismus. Der Austritt der dreizehn sei bedauerlich, »aber er wirft den deutschen PEN nicht um, auch dann nicht, wenn noch weitere folgen. […] Das PEN-Zentrum Deutschland jedenfalls besteht und wird auf alle Fälle fortfahren zu bestehen.«61 Dieser positiven Grundhaltung setzten die Hamburger Schriftsteller Axel Eggebrecht und Hans Erich Nossack absolute Skepsis entgegen und erklärten am 31. Oktober die Ablehnung ihrer in Abwesenheit vorgenommenen Wahl ins Präsidium; sie beriefen sich auf die »Einheit des deutschen geistigen Lebens«, die »mehr und mehr in Gefahr« geriete und bedauerten die Spaltung des deutschen P.E.N.-Clubs.62 Den gesamtdeutschen Anspruch des P.E.N.-Zentrums unter Tralow akzeptierten beide nicht. Eine rein westdeutsche Opposition stünde de facto einer »Rumpfgruppe« gegenüber, die sich gesamtdeutsch nenne und alle ostdeutschen Mitglieder umfasse: »Das entspricht keineswegs den wirklichen Mehrheitsverhältnissen.«63 Eggebrecht und Nossack drückten ihr Misstrauen 58 59
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Johannes Tralow an Erich Wendt [31.12.1951]. SAPMO-BArch Berlin DY 27/736. Johannes Tralow an Axel Eggebrecht [28.10.1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Eggebrecht. Johannes Tralow an Axel Eggebrecht [28.10.1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Eggebrecht. Johannes Tralow an Axel Eggebrecht [28.10.1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Eggebrecht. Erklärung von Axel Eggebrecht und Hans Erich Nossack [31.10.1951]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. auch [NZ]: Eggebrecht lehnt Wahl zum PEN-Schatzmeister ab. In: Die Neue Zeitung vom 30.1.1951 sowie [dpa]: Bis zur redlichen Klärung. Axel Eggebrecht und Hans Erich Nossack lehnen PEN-Wahl ab. In: [o. A., 31.10. bzw. 1.11.1951]. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.g. Erklärung von Axel Eggebrecht und Hans Erich Nossack [31.10.1951]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39.
gegenüber der unter dem Namen P.E.N.-Zentrum Deutschland firmierenden Gruppierung durch die Übernahme des herabsetzenden Vokabulars der bundesrepublikanischen Presse aus; sie fürchteten die Funktionalisierung als westliche Verfechter der östlichen Linie und zogen sich auf eine scheinbar neutrale Position zurück: »Denn so wenig wir uns als Vorkämpfer einer westdeutschen Literatur gegen den Osten fühlen, so undenkbar ist es, dass man uns – noch dazu ohne unser Wissen – zu Kämpfern an einer Front in umgekehrter Richtung missbrauchen will.«64 Ihr Ruf nach einer »redlichen Klärung«65 des Konflikts verhallte ungehört. Tralow zögerte nicht, Eggebrecht der »Kriegserklärung gegen den östlichen Teil unseres Vaterlandes«66 zu bezichtigen; das müsse man eben hinnehmen. Allerdings leuchte ihm die Begründung der Entscheidung nicht ganz ein; er selbst fühlte sich autonom in seinem Handeln: »[D]enn auch ich denke nicht daran, mir die Freiheit meiner Meinung durch irgendetwas auf dieser Welt einschränken zu lassen, noch mich als Rammbock dirigieren zu lassen. Wer solche Absichten hegen sollte, würde eine Enttäuschung erleben.«67 Ein Missbrauch Eggebrechts sei niemals beabsichtigt gewesen. Ungeachtet dieser Absagen arbeitete Tralow jedoch weiter für seine Idee eines gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrums. Mitte November drängte er bei den Vorstandskollegen auf die Einberufung einer neuerlichen Tagung des P.E.N.Zentrums Deutschland, zu der alle nicht ausdrücklich ausgetretenen Mitglieder eingeladen werden sollten.68 Mit einer raschen Reaktion auf die Ereignisse in Düsseldorf verband sich für Tralow die Hoffnung auf die Wiederherstellung der – z. T. durch die negativen Pressekommentare – demontierten Glaubwürdigkeit des P.E.N.-Zentrums Deutschland. In seiner Korrespondenz formulierte er klare Vorstellungen für die Rehabilitierung: Vordringlich sei die »sehr vorsichtig[e]« Ergänzung »durch einige Mitglieder«.69 Im Blick hatte Tralow den Ausgleich der durch die Austritte nach Düsseldorf eingetretenen Mitgliederverluste und die grundsätzliche Stärkung des P.E.N.-Zentrums Deutschland. 64
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Erklärung von Axel Eggebrecht und Hans Erich Nossack [31.10.1951]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. In einer Mitteilung an Jahnn überdachte Nossack seinen Austritt aus dem P.E.N.-Club. Jahnn hatte »ihn überreden können, die Ereignisse der nächsten Zeit noch abzuwarten.« Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [26. oder 27.11.1951]. In: Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel1951–1959 1974, S. 20–22, hier S. 21. Erklärung von Axel Eggebrecht und Hans Erich Nossack [31.10.1951]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Johannes Tralow an Axel Eggebrecht [10.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Eggebrecht. Johannes Tralow an Axel Eggebrecht [10.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Eggebrecht. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [28.10.1951]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher, Johannes Tralow an Hans Henny Jahnn [13.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 33 Konv. Jahnn und Johannes Tralow an Günther Weisenborn [13.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Weisenborn. Johannes Tralow an Fritz Usinger [29.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Usinger. 169
Eine unreflektierte Zuwahl um jeden Preis schloss er aufgrund der durch die Block-Konfrontation zwischen Ost und West geprägte gesamtgesellschaftliche Situation in Deutschland von vorneherein aus. Dass ein P.E.N.-Zentrum mit hohem Ostler-Anteil übermäßige Angriffsfläche für die Kritiker aus der Bundesrepublik bieten würde, war ihm sehr bewusst – ebenso wie die Tatsache, dass die Kontroverse um die kommunistischen Mitglieder im deutschen P.E.N. an eine Grundsatzfrage rührte, die den gesamten Internationalen P.E.N. betraf: »Das Problem ist kein deutsches Problem. Die Frage ist gestellt, ob Kommunisten Mitglieder des Pen sein können oder nicht.«70 Diese »Querelle Allemande, die [nach Tralows Einschätzung] den Gesamt-PEN zum Platzen bringen k[o]nn[te]«,71 erforderte ein sensibles Vorgehen. Die Zahl der kommunistisch orientierten Mitglieder musste begrenzt werden: »Wir dürfen dem Zentrum kein kommunistisches Gesicht geben.«72 Stattdessen müsse der unkommunistische Westflügel, »der sich zurzeit zum Ostflügel wie 2:1 verh[a]lt[e]«, gestärkt werden, damit er »in der Majorität bleibt«.73 In diesem Sinne war eine zahlenmäßig begrenzte Nominierung von DDR-Autoren nach Tralows Ansicht unumgänglich; Berlin müsse sich in dieser Frage nach dem Westen richten.74 Neben den ideologischen und quantitativen Ansprüchen stellte Tralow qualitative nicht gänzlich zurück: »Ich lehne ab, einen ganzen Stoß von Ostleuten hineinzunehmen, obwohl der Osten sehr schwach vertreten war, und ebenso lehne ich es ab, hier im Westen die Schriftsteller von den Wegrändern aufzusammeln. Lieber langsam. Vorerst gilt es, die Position zu stärken.«75 Es sei »aber nicht damit getan, einfach frisch darauf los zu wählen, sondern nur solche penwürdige Schriftsteller zu präsentieren, die ihr Einverständnis damit erklärt haben.«76 Auf diese Weise versuchte Tralow eine erfolgreiche Vergrößerung der Mitgliederzahl abzusichern und den Ausgleich des nach der Düsseldorfer Spaltung eingetretenen Mitgliederverlusts zu garantieren. Auf die Vorschlagsliste sollten nur jene gesetzt werden, die sich mit der Mitgliedschaft in einem aus Ost- wie Westlern zusammengesetzten P.E.N.Zentrum ausdrücklich einverstanden zeigten.
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Johannes Tralow an Fritz Usinger [29.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Usinger. JohannesTralow an Fritz Usinger [5.12.1951].SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Usinger. JohannesTralow an Günther Weisenborn[13.11.1951].SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Weisenborn. Johannes Tralow an Hans Henny Jahnn [13.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 33 Konv. Jahnn. Vgl. Johannes Tralow an Günther Weisenborn [17.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Weisenborn. Johannes Tralow an Fritz Usinger [29.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Usinger. Johannes Tralow an Hans Henny Jahnn [13.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 33 Konv. Jahnn.
Bereits Ende Oktober hatte Tralow an Becher auf dieser Basis sechs erfolgreiche Sondierungen vermelden können.77 Doch musste Tralow auch deutliche Absagen an seine Unternehmung einstecken. Eine viel sagende Ablehnung sandte ihm Ernst Sander; er teilte mit, dass er die »Sezession der Westdeutschen […] mit dem Ziel, ein eigenes westdeutsches Zentrum zu gründen, […] leidenschaftlich begrüsst«78 habe. Versöhnlich, aber entschieden führte er weiter aus: Lieber Tralow: ich bin im Herzen und im Geiste völlig auf Seiten derer, die sich für ein westdeutsches Zentrum entschieden haben. […] Ich halte jede Entscheidung, die auf ein Deutschland zwischen Westen und Osten zielt, für verhängnisvoll. Ich habe mich für den Westen entschieden […]. Und ich gehe darin sogar so weit, dass ich mich in der gegenwärtigen weltpolitisch-geistigen Auseinandersetzung für den Westen gegen Deutschland entscheiden würde. […] Ich weiss, dass ich vorerst kaum Möglichkeiten haben werde, in die westdeutscheGruppe gewählt zu werden, seis drum. Das liegt nicht an mir und nicht bei mir […]. Ich will nicht gross auf ›Gesinnung‹ und dergleichen pochen – aber folgte ich jetzt Ihrem Vorschlag, so wäre das, was mich betrifft, vielleicht klug, ganz sicher aber charakter- und gesinnungslos.Teilte ich Ihre Auffassung von den Dingen, so würde ich mich ohne Bedenken neben Sie, hinter Sie oder vor Sie stellen. Da ich anders denke, bleibt mir nichts, als Ihnen zu danken und Sie um Verständnis für meine Entscheidung zu bitten. Ich bin 33 lau gewesen: ich möchte nicht ein zweites Mal lau sein, auch wenn ich dadurch den Genickschuss vermiede.79
Berlin, in persona Becher, hatte indessen Tralows personelle Vorstellungen akzeptiert; Ende November konstatierte Tralow, dass man sich vorstandsintern auf zwei Punkte geeinigt habe: Für das Verhältnis der Mitglieder sollte gelten »zwei (West) : 1 (Ost)«80 . Auch die Zusammensetzung des Vorstandes sollte die Dominanz des Westens demonstrieren: Die besondere Lage des Zentrums bringt es mit sich, daß der Westen und der Osten durch je einen Präsidenten im Vorstand vertreten sind, und es ist ferner ein stillschweigendes Übereinkommen, daß der geschäftsführende Präsident immer ein Westler sein soll ebenso wie der Generalsekretär und der Schatzmeister. Im Vorstand stehen also einer Stimme des Ostens vier Stimmen des Westens gegenüber.81
Auf einer vorausgegangenen Vorstandssitzung, die lediglich von Becher und Tralow bestritten worden war, hatte man den Termin für die geplante Mitgliederzusammenkunft in Berlin auf den 10. Dezember 1951 festgesetzt. Für den 77
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Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [28.10.1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11969. Ernst Sander an JohannesTralow [24.11.1951].SBBPK NL Tralow K 53 Konv. Sander. Ernst Sander an JohannesTralow [24.11.1951].SBBPK NL Tralow K 53 Konv. Sander. Der Kontakt zwischen Sander und Tralow riss nach dieser Absage allerdings nicht ab; sie führten ihre Korrespondenz bis Ende der fünfziger Jahre fort. Vgl. SBBPK NL Tralow K 53 Konv. Sander. Johannes Tralow an Wilhelm von Scholz [26.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. von Scholz. Johannes Tralow an Wilhelm von Scholz [26.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. von Scholz. Vgl. auch Johannes Tralow an Ernst Glaeser [26.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 32 Konv. Glaeser. 171
Fall, dass diese Versammlung durch zu geringe Beteiligung im Sinne der Statuten nicht beschlussfähig sein sollte, hatte man einen weiteren Termin im Januar 1952 ins Auge gefasst. Diese Tagung sollte dann in jedem Fall – unabhängig von der Teilnehmerzahl – als beschlussfähig anerkannt werden.82 Das Protokoll der Unterredung zwischen Becher und Tralow demonstriert, dass beide keinen Zweifel an der Fortexistenz des von ihnen angeführten P.E.N.-Zentrums hegten. Einvernehmlich beschlossen sie, den bereits ausgetretenen Mitgliedern das Verbleiben im bzw. die Rückkehr in das ursprüngliche(n) P.E.N.-Zentrum ohne Probleme zu ermöglichen und ein entsprechendes Aufforderungsschreiben an die Ausgetretenen zu versenden. Das provisorische Arbeitsprogramm für 1952 sah die Herausgabe einer Vierteljahres-Zeitschrift des P.E.N.-Zentrums Deutschland vor. Zudem beabsichtigte man, die Kontakte zu den P.E.N.-Zentren der an Deutschland angrenzenden Länder zu intensivieren und eine größere Zahl deutscher Teilnehmer zu den internationalen Kongressen zu entsenden. Andiskutiert wurden auch etwaige Anträge für den internationalen Kongress in Nizza, die im Protokoll aber nicht näher ausgeführt wurden.83 In diese Atmosphäre optimistischer Arbeitsfreudigkeit platzte die Nachricht vom Rücktritt Günther Weisenborns. Dieser überraschte Tralow und Becher nicht über die Maßen, denn Weisenborn hatte bereits im Anschluss an den Ausgang der Düsseldorfer Tagung seine Sicht der Dinge offen gelegt. Es gebe im deutschen P.E.N. »›zwei Fronten, zwischen denen eine kleine Gruppe von Schriftstellern sich bis zur Selbstaufgabe um eine Verständigung bemüht. Für jede Art von Ost-West-Gespräch […] stellt die Entscheidung des deutschen PEN, die mich tief deprimiert, einen schweren Schlag dar.‹«84 Für die Übernahme seiner Funktion als Mit-Präsident hatte er klare Bedingungen gestellt, die seine Forderung eines geeinten deutschen Zentrums verdeutlichten. Voraussetzung der Amtsausübung sei, »›daß eine neue Vollversammlung, die von der Mehrheit aller Mitglieder besucht werden müßte, die Lage überprüft [mittels vorgezogener Neuwahlen] … Sollten die Dissidenten negativ antworten, so ist mein Interesse erschöpft und mein Amt natürlich frei.‹«85 Da Becher die Rechtsgültigkeit der Vorstandswahl betonte, die Notwendigkeit einer erneuten Mitgliederversammlung negierte und lediglich Bereitschaft zu von westlicher Seite initiierten Verhandlungen über die Vorstandszusammensetzung signalisierte,86 war das Risiko 82
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Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung [des P.E.N.-Zentrums Deutschland] am 20.11. 1951 in Berlin [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl auch SAdK Berlin, Johannes R. Becher Archiv 11992. Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung [des P.E.N.-Zentrums Deutschland] am 20.11. 1951 in Berlin [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl auch SAdK Berlin, Johannes R. Becher Archiv 11992. Zitiert nach [dpa/FR]: Ist die PEN-Spaltung endgültig? In: Frankfurter Rundschau, [o. A.]. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. [dpa/FR]: Ist die PEN-Spaltung endgültig? In: Frankfurter Rundschau, [o. A.]. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. Vgl. [dpa/FR]: Ist die PEN-Spaltung endgültig? In: Frankfurter Rundschau, [o. A.]. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h.
für Weisenborns Absprung kalkulierbar. Westliche Initiative war nach den Vorgängen in Düsseldorf realiter nicht zu erwarten. Und so erklärte Weisenborn am 27. November mit Seitenhieb auf Becher: Da ich das Strukturprinzipdes PEN anerkenne,nach welchem die Majorität unbedingt entscheidet, hatte ich die Haltung unserer bei der Düsseldorfer Tagung abwesenden Mitglieder abzuwarten, denn deren Zahl war beträchtlich. Ein überraschend großer Teil dieser damals abwesenden Schriftsteller entschied sich inzwischen für die Sezession. Ihre Entscheidung zwingt mich, der ich die Einheit des PEN befürworte, von meinem Amt zurückzutreten, besonders da ich der Presse entnahm, daß Johannes R. Becher meine Forderung nach einer allgemeinen Hauptversammlung des deutschen PEN ablehnte, und das Ergebnis der Düsseldorfer Zufallsmehrheit als in jedem Falle bindend darstellt. Ich bin genau entgegengesetzter Meinung. Da mein Verhalten lediglich von meiner eigenen Meinung bestimmt wird, ziehe ich in aller Sauberkeitdie fällige Konsequenz.87
Relativ ungerührt von diesem Rückzug zeigten sich die beiden anderen Präsidenten. Tralow bemerkte lediglich lakonisch in einem Schreiben an Becher: »Mit Weisenborn hatten Sie recht.«88 Einen Tag vor Weisenborns Rücktritt hatte Jahnn unter Hinweis auf seinen Gesundheitszustand allen befürchteten und nachfolgend entstandenen »Gerüchte[n], Verdächtigungen und Benachteiligungen ökonomischer Art« zum Trotz dem geschäftsführenden Präsidenten, Johannes Tralow, schriftlich mitgeteilt: Ich lege also mein Amt als Generalsekretär nicht nieder; aber ich erkläre mich für unfähig, muss erklären, dass ich es im Augenblick in keiner Weise ausfüllen kann. Es handelt sich nicht um eine ›politische‹ Krankheit, sondern um die Realität eines z. Z. nicht mehr Könnens. Ich kann also an keiner Sitzung teilnehmen, die vor Januar stattfindet.89
Jahnn wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass ihn seine Gesundheit längerfristig außer Gefecht setzen würde. Bereits im November 1951 kämpfte er mit einer Grippe. Auf seiner Frankreichreise wurde eine ernsthafte Herzerkrankung diagnostiziert, die lange Klinikaufenthalte nach sich zog.90 Obgleich Jahnn sich aus gesundheitlichen Gründen zurückzog, war der erklärte Gegner des Kalten Krieges, den er »als Wahnsinn, als Rückfall ins Primitive ansah«91 , noch längst
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Vgl. weiterhin [o. V.]: Becher spricht sich gegen eine Neuwahl des deutschen PENPräsidiums aus. In: Die Neue Zeitung vom 29.10.1951 und spectator [d. i.?]: Die Vorgänge im deutschen PEN-Zentrum. In: Rhein-Neckar-Zeitung vom 30.10.1951. Vgl. [NZ]: Weisenborn tritt als PEN-Präsident zurück. In: Die Neue Zeitung vom 28.11.1951. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [29.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow [26.11.1951]. SBBPK NL Tralow K 47 Konv. Jahnn. Vgl. Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, v. a. S. 23–32. Günther Weisenborn: Auf den Tod eines Dichters. Trauerrede Hans Henny Jahnn, gehalten am 17. November 1957 im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. In: Freie 173
nicht bereit, seine grundsätzlich neutrale Position zwischen Ost und West aufzugeben. Er hegte noch immer geringe Hoffnung auf eine Entspannung der Lage und eine einvernehmliche Lösung durch die deutschen P.E.N.-Mitglieder. Trotz seiner Krankheit hielt Jahnn weiterhin schriftliche Verbindung mit Tralow. Anfang März 1952 verwies er darauf, »dass [er] trotz seiner Krankheit allmählich wieder Kontakt mit den Dingen der Aussenwelt bekomme.«92 Sein Interesse für die Belange des P.E.N.-Zentrums Deutschland war ungebrochen. Noch vom Krankenbett aus teilte er mit, dass ihm zwar die Teilnahme an der internationalen Exekutivkomitee-Tagung in Paris (März 1952) nicht möglich sei. Am internationalen Kongress in Nizza wünsche er jedoch teil zu nehmen.93 De facto hatte er an den Reorganisationsbestrebungen des P.E.N.-Zentrums Deutschland jedoch keinen aktiven Anteil; er lieh der Organisation lediglich seinen Namen. Wenige Tage nach Weisenborns Rücktritt und Jahnns temporär beschränktem Rückzugsgesuch nahm die Aktivität der westdeutschen Kontrahenten die Aufmerksamkeit des Vorstandes, insbesondere die des geschäftsführenden Präsidenten, voll in Anspruch; sie verlangte umgehend nach Antwort.
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Akademie der Künste Hamburg (Hg.): Hans Henny Jahnn. Buch der Freunde. Hamburg: [o. V.] 1960, S. 53–59, hier S. 58. Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow [1.3.1952]. SBBPK NL Tralow K 47 Konv. Jahnn. Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow [1.3.1952]. SBBPK NL Tralow K 47 Konv. Jahnn. Trotz seiner grundsätzlichenBereitschaft zur Verständigung mit den östlich orientierten Kollegen verschloss Jahnn die Augen vor der menschenrechtlichen Situation in der DDR keineswegs; er fungierte als »Stachel im Fleisch« und forderte von P.E.N.Mitgliedern wie Bodo Uhse und Johannes R. Becher, die über einflussreiche Kontakte in die politischen Kreise der DDR verfügten, entsprechendes Engagement – konkret im Fall des kommunistischen Journalisten Jan Herchenröder. Dieser war in der DDR verurteilt worden und eine Wiederaufnahme des Verfahrens schien unmöglich. Jahnn, der sich in seiner Eigenschaft als Generalsekretär für den Verurteilten einsetzen wollte, wertete einen potentiellen Verhandlungserfolg nicht nur als punktuelle Entlastung der Vorwürfe gegenüber der DDR, sondern vor allem als Entkräftung der Anklage gegenüber den DDR-Mitgliedern im Hinblick auf die Einhaltung der P.E.N.-Charta. Vgl. Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow [1.3.1952]. SBBPK NL Tralow K 47 Konv. Jahnn und Hans Henny Jahnn an Johannes R. Becher [2.3.1952]. Abgedruckt in: Bitz (Hg.): Hans Henny Jahnn. Briefe. Hamburger Ausgabe. Teil 2, S. 709–711. Mindestens bei Becher stieß Jahnn auf eine wenig freundliche Reaktion: »Meine Bemühungen, Jan Herchenröder aus dem Zuchthaus in Waldheim freizubekommen, hat mir bisher nur einen ungehaltenen Brief Bechers eingetragen. Einen Brief, aus dem ich erkenne, daß zum wenigsten er keine freundschaftlichen Gefühle für mich hat. (Gegenseitigkeit)« Vgl. Hans Henny Jahnn an Ellinor Jahnn [21.3.1952]. Abgedruckt in: Bitz (Hg.): Hans Henny Jahnn. Briefe. Hamburger Ausgabe. Teil 2, S. 713–715, hier S. 713.
4.2
Konstituierung eines P.E.N.-Zentrums in der Bundesrepublik Deutschland (3./4. 12. 1951)
Den vereinzelten Zweifeln94 am eigenen Tun zum Trotz konstituierte sich auf einer von Hermann Friedmann und Kasimir Edschmid vorbereiteten Zusammenkunft95 unter Beteiligung der aus dem P.E.N.-Zentrum Deutschland Ausgetretenen am 3. und 4. Dezember 1951 im Haus der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt – unter Zuwahl einer Reihe von schriftstellerischen und politischen Persönlichkeiten96 – das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik). Für die Teilnahme an der konstituierenden Sitzung hatten sich insgesamt 15 ursprüngliche Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland entschieden, darunter die in Düsseldorf abgewählten Vorstandsmitglieder Friedmann, Kästner und Edschmid. Außer diesen waren von den Unterzeichnern der Düsseldorfer Sezessionserklärung Walter Bauer, Martin Beheim-Schwarzbach, Wilhelm Lehmann, Georg von der Vring und Hermann Kasack erschienen. Darüber hinaus waren anwesend Rudolf Alexander Schröder, Curt Thesing, Marie Luise Kaschnitz, Martin Kessel, Oda Schaefer97 , Ernst Kreuder und Leo Weismantel. Hanns Braun, Emil Barth, Hans Hennecke, Martha Saalfeld und Karl Friedrich Borée ließen sich neben 15 weiteren übertrittswilligen P.E.N.-Mitgliedern durch Vollmachten vertreten.98 Als Gast nahm der Präsi-
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Vgl. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [7. 11. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.: »Können wir denn eigentlich ein neues Zentrum mit Vorstandswahlen starten, ohne die Genehmigung der Internationalen Exekutive in der Tasche zu haben?« Kästner mahnte zur Vorsicht bei den Zuwahlen. Die Hauptsache sei, dass man sich konsolidiere. [o. V.]: Ist die PEN-Spaltung endgültig? Neue Hauptversammlung aller Mitglieder geplant. In: Frankfurter Rundschau, [o. A.]. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.5.h. Dies waren: Der Regisseur Ludwig Berger, Prof. Dr. Theodor Heuss, Prof. Dr. Bruno Snell, Prof. Dr. Alfred Weber, Prof. Dr. Karl Geiler. Vgl. hn [d. i.?]: »PEN-Zentrum (Bundesrepublik)« gegründet. In: Darmstädter Tagblatt vom 5. 12. 51. Darüber hinaus war die Zuwahl elf weiterer Schriftsteller angeregt worden, darunter Frank Thiess, Edzard Schaper, Wolfgang Goetz, August Scholtis, Rudolf Hagelstange, Oskar Jancke, Karl Krolow und Hans Werner Richter. Vgl. [NZ]: Deutsches PEN-Zentrum (Bundesrepublik).Gründungsversammlungin Darmstadt – Erweiterungdes Mitgliederkreises. In: Die Neue Zeitung vom 5. 12. 51. Oda Schaefer hatte schon nach Bechers umstrittener Rede auf dem SchriftstellerKongress 1950 ihre Ablehnung gegenüber Becher deutlich zum Ausdruck gebracht: »Horst [Schaefer] und ich hatten eigentlich vor, wegen dieser Dinge, die sich nun nicht mehr überbrücken lassen, aus dem PEN auszutreten, vor allem, wenn Becher drin bleibt. Er hat eine Attacke gegen uns westliche, käufliche Schriftsteller geritten, es fehlte nicht viel, und er hätte uns Amihuren geschimpft. Das wird mir allmählich zu dumm, und ich erliege nicht der Furcht vor dem Einmarsch der Russen, sondern spucke in diesem Fall munter und lustig.« Oda Schaefer an Johannes Tralow [15. 8. 1950]. SBBPK NL Tralow K 53 Konv. Schaefer, Oda. Eine Stimmübertragung war nach den Statuten nicht vorgesehen und durchaus juristisch zweifelhaft. Sie wurde von Kästner kritisch gesehen, jedoch nicht strikt ablehnt; 175
dent des P.E.N.-Klubs deutschsprachiger Autoren im Ausland, Richard Friedenthal, teil.99 Die Versammelten wählten Erich Kästner zum ersten Präsidenten des neu gegründeten P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland. Das Amt des Generalsekretärs übernahm Kasimir Edschmid, Walter Bauer wurde als Schatzmeister benannt. Als Ehrenpräsident mit Sitz und Stimme im Vorstand wählte man Hermann Friedmann. Dem Präsidium sollte fortan ein beratendes Kollegium zur Seite stehen, dem Rudolf Alexander Schröder, Hermann Kasack, Martin Kessel und Martin Beheim-Schwarzbach angehörten.100 Laut Pressemeldungen hatten sich bereits wenige Tage nach der konstituierenden Zusammenkunft insgesamt 27 deutsche Schriftsteller für das proklamierte westdeutsche Zentrum entschieden.101 Am 13. Dezember meldete Die Neue Zeitung bereits die Namen von 42 Mitgliedern. Hinzu kamen weitere 21 in Darmstadt Zugewählte,102 so dass das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) nach kurzer Existenz bereits mehr als sechzig Mitglieder ausweisen konnte.
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er zog sich in diesen Dingen auf seine mangelnden rechtlichen Kenntnisse zurück. Vgl. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [7. 12. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. [o. V.]: Kasimir Edschmid mit den »Abgespalteten«: Vor neuem deutschen PenZentrum? »PEN-Zentrum für die Bundesrepublik und Berlin unter neuen Aspekten«. In: Pfälzische Volkszeitung vom 5. 12. 1951. Kästner hatte die Einladung Friedenthals unterstützt: »Immerhin kennt er sich in der verflixten Materie aus. Also ohne Stimme, aber als Hausfreund und, sicher einmal, als Mitglied.« Erich Kästner an Kasimir Edschmid [20. 11. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. hn [d. i.?]: »PEN-Zentrum (Bundesrepublik)« gegründet. In: Darmstädter Tagblatt vom 5. 12. 51. Vgl. [o. V.]: 27 Mitglieder des westdeutschen PEN. In: Die Neue Zeitung vom 7. 12. 1951.Enthalten in der Ausschnittsammlungdes ExilarchivsFFM EB 75/177 D. I. 5.h. Benannt wurden: Emil Barth, Walter Bauer, Werner Bergengruen, Hanns Braun, Karl Friedrich Borée, Kasimir Edschmid, Hermann Friedmann, Gunter Groll, Wilhelm Hausenstein, Hans Hennecke, Walter von Hollander, Hermann Kasack, Erich Kästner, Martin Kessel, Hermann Kesten, Ernst Kreuder, Horst Lange, Wilhelm Lehmann, Friedrich Luft, Gerhard Pohl, Martha Saalfeld, Oda Schäfer, Curt Thesing, Georg von der Vring, Leo Weismantel, Leopold Ziegler und Martin BeheimSchwarzbach. Rudolf Pechel hatte sich noch vor der eigentlichen Konstituierung des bundesrepublikanischen Zentrums für eine Mitgliedschaft entschieden: »Um Ihnen Ihre Arbeit zu erleichtern, erkläre ich mich bereit, meine eventuelle Wahl ohne Vorbehalt anzunehmen.« Rudolf Pechel an Kasimir Edschmid [30. 11. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. [o. V.]: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik). In: Die Neue Zeitung vom 13. 12. 1951. Neben den bereits in FN 101 Aufgeführten wurden Rudolf SchneiderSchelde, Wilhelm Speyer, Herbert Roch, Stefan Andres, Rudolf Alexander Schröder, Hermann Uhde-Bernays, Editha Klipstein, Marie Luise Kaschnitz, Eugen Kogon, Hans José Rehfisch, Alfred Döblin, Joachim Maaß, Fritz Usinger, Ernst Penzoldt und Alfred Neumann als Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) benannt. Als neu zugewählt wurden aufgeführt: Günther Birkenfeld, Rudolf Pechel, Theodor Plievier, Alfred Weber, Ludwig Bergsträsser, Ludwig Berger, Theodor Heuss, Bruno Snell, Karl Geiler, Oskar Jancke, Richard Friedenthal, Frank Thieß, Albrecht Goes, Otto Rombach, Wolfgang Götz, Günther Eich, Karl Krolow, Hans Werner Richter, Edzard Schaper, August Scholtis, Rudolf Hagelstange. Die von Sternfeld mehrfach ausgesprocheneWarnung vor Neuzuwahlen,mit denen man »den Boden
Die Namen und Zahlen der Übergetretenen ließen sich problemlos auflisten. Dass hinter jedem einzelnen Namen eine überaus individuelle und oftmals nicht leichte Entscheidung stand, trat dabei in den Hintergrund. Die Entwicklung im deutschen P.E.N. machte jedoch – ein ernsthaftes Interesse an der Schriftstellervereinigung vorausgesetzt – die von Kasack geforderte Beantwortung der »Gewissensfrage« unumgänglich. Die Bedeutung persönlicher Bindungen und Überzeugungen trat unter dem Druck der politischen und weltanschaulichen Differenzen bei manchen in den Vorder-, bei anderen in den Hintergrund. Ernst Penzoldt etwa, der von Friedenthal durchaus als »Schwankende[r]«103 eingestuft worden war, entschied sich im Dezember 1951 für die Mitgliedschaft im P.E.N.Zentrum der Bundesrepublik. Noch Mitte des Jahres hatte er in einem Brief an Hermlin seine Befürwortung einer Position »dazwischen« dargelegt, die gleichwohl durch die äußeren Umstände erschwert war: [V]ermutlich haben Sie über den ›wunderlichen Heiligen‹ gelächelt und sich gefragt, was will er eigentlich, der nicht zu uns gehört und auch nicht recht zu den andern? Ich habe es in letzter Zeit oft gesagt: der legitime Platz des Künstlers ist der zwischen zwei (und mehr) Stühlen. Da sitz ich nun. Ich gestehe, daß ich ›gutgläubig‹ genug war zu erwarten, in meiner Haltung und Meinung (z. B. der Befürwortung des Starnberger Gesprächs, der Ablehnung der Remilitarisierung (wo auch immer), der Friedensliebe, der Ablehnung jedes Gewissenszwangs) Vertrauen zu genießen. Das war ein Irrtum. Nun versuche ich mich meiner Haut zu wehren.104
Was Penzoldt letztendlich zur eindeutigen Entscheidung für den Westen bewegte, bleibt unklar. Friedenthal berichtete Anfang November 1951, er habe ihn – vorsichtig, vorsichtig – bearbeitet. Er ist immer noch zurückhaltend, aber ich glaube, dass er sich schliesslich anschliessen wird. Jedenfalls äusserte er sich recht eindeutig über Becher und seine Leute. Er hat sich wohl nur geärgert, dass er wegen seiner Teilnahme an den Starnberger Gesprächen so angegriffen wurde. Tralow lehnt er als ganz unmöglich in jeder Beziehung ab.105
Ganz so eindeutig, wie hier von Friedenthal konstatiert, hatte Penzoldt sich – zumindest in seinen Briefen an Hermlin – zunächst nicht gegen den Osten gestellt. Wirtschaftliche Zwänge, etwa die Angewiesenheit auf Aufträge von Rundfunk und Presse in der Bundesrepublik Deutschland,106 dürften den Entscheidungsdruck erhöht haben. Ein nicht zu unterschätzender Faktor für Penzoldts endgültige Entscheidung dürfte die freundschaftliche Bindung zu den
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der Legalitaet verlassen« würde, hatte man offenkundig in den Wind geschlagen. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [18. 11. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [26. 11. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Ernst Penzoldt an Stephan Hermlin [14. 5. 1951]. Zitiert nach Silvia Schlenstedt (Hg.): Briefe an Hermlin 1946–1984. Berlin und Weimar 1985, S. 32 und 34. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [7. 11. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Ernst Penzoldt an Stephan Hermlin [14. und 30. 5. 1951]. Abgedruckt in Schlenstedt (Hg.): Briefe an Hermlin 1946–1984, S. 32, 34 und 36. 177
führenden westdeutschen Autoren gewesen sein. Kästner notierte nach der Darmstädter Gründungstagung: »Habe eben mit Penzoldt telefoniert. Er wird [Edschmid] – vom Vertrauen in unseren Vorstand beflügelt – sofort zusagen.«107 Ein aufschlussreiches Austrittsgesuch aus dem von ihm aufrecht erhaltenen P.E.N.-Zentrum Deutschland erreichte Johannes Tralow unmittelbar im Anschluss an die konstituierende Sitzung in Darmstadt. Fritz Usingers Brief führt einen weiteren Aspekt vor Augen, der für das Verlassen der um Becher und Tralow verbliebenen Gruppierung maßgeblich gewesen sein konnte. Nicht zuvorderst stand bei Usinger die politische, ja ideologische Divergenz. Zum Tragen kamen ganz offensichtlich gruppendynamische Prozesse; das zutiefst menschliche Grundbedürfnis nach Vertrautheit und Kollegialität spielte eine nicht unerhebliche Rolle: Das sieht so aus, dass fast sämtliche westdeutschen Schriftsteller des alten PEN in der Darmstädter Gruppe vereinigt sind, darunter alle die, zu denen sich in den letzten Jahren nähere menschliche oder künstlerische Beziehungen anbahnten, ausser – leider – Ihnen, der Sie allein in der anderen Gruppe stehen. Ich verschweige nicht, lieber Tralow, dass mir dies herzlich leid tut, denn ich gedenke der früheren kameradschaftlichen Begegnungen mit Freude. Es ist aber natürlich, dass ein Mensch dort am besten und glücklichsten wirkt, wo ihn eine Atmosphäre des Vertrauten und Vertrauens umfängt.108
Das von Hilde Spiel in ihren Erinnerungen gezeichnete Bild von der großen Sippe des P.E.N. zeigt sich hier im Einzelfall belegt.109 Usinger folgte in erster Linie seiner »Familie« nach. Bestätigt fühlte er sich in seinem Entschluss durch die überspitzten Formulierungen, die Tralow in einem Brief an ihn für die Haltung der im Anschluss an die Düsseldorfer Tagung ausgetretenen westdeutschen Autoren bemühte.110 Usinger selbst war offenbar kein ausgeprägter Anhänger irgendeiner politischen Ideologie; er wandte sich ausschließlich gegen die aus seiner Sicht überzogene Ausdeutung des Konflikts zwischen West und Ost durch Tralow: Anzunehmen, dass Männer wie R. A. Schröder, Lehmann, Edschmid eine ›Kriegserklärung und eine geistige Vorbereitung zum Kampf mit den Waffen gegen den Osten‹ betreiben sollen, erscheint mir so absurd, wie wenn man ihnen Sabotage-Akte gegen die Bundesbahn nachsagen wollte. Bei solchen Überspannungen des Gefühls oder der Ideologie, die in keiner Beziehung zur Realität mehr stehen, bin ich unfähig mitzugehen, und wenn in einer PEN-Sitzung solche Dinge über alte Kameraden von uns ungerügt oder unbewiesen geäussert würden, fühlte ich mich innerlich gezwungen, das Sitzungszimmer zu verlassen. Und die entsprechende PEN-Gruppe auch.111
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Erich Kästner an Kasimir Edschmid [5. 12. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Fritz Usinger an Johannes Tralow [7. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 55 Konv. Usinger. Vgl. Spiel: Welche Welt, S. 120f. Vgl. Johannes Tralow an Fritz Usinger [29. 11. 1951]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Usinger. Fritz Usinger an Johannes Tralow [7. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 55 Konv. Usinger.
Dass in ähnlicher Weise von westlicher Seite, mindestens in manchem Presseorgan, ein gespenstisches Bild von den Kollegen im Osten entworfen wurde, überging Usinger geflissentlich und stellte fest: »Ich habe den Eindruck, dass wir uns gedanklich sehr weit voneinander entfernt haben. So bleibt mir nichts anderes übrig, als mich von der von Ihnen geleiteten PEN-Gruppe zu lösen, und ich muss Sie bitten, mich aus Ihrer Liste zu streichen.«112 In dem in Darmstadt verkündeten Arbeitsprogramm propagierte der Vorstand des neu ins Leben gerufenen bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums eine »wirklich positive und fruchtbare Arbeit des deutschen PEN-Klubs«; man erhoffte sich durch die Loslösung von den ostdeutschen Schriftstellern die weitgehende Eliminierung politischer Divergenzen, die einer »tatkräftige[n] Aktivität«113 bisher im Weg gestanden hätten. Die Atmosphäre der Darmstädter Tagung wurde kontrastreich gegenüber früheren Zusammenkünften des P.E.N.Zentrums Deutschland abgesetzt: Zum ersten Male wirkten die Mitglieder im Geist echter Kameradschaft zusammen. Die Diskussion war nicht minder heftig als früher, aber sie wurde offen geführt und endete nicht in versteckten Kampfabstimmungen, sondern fast durchweg in einstimmigen Beschlüssen. Zum ersten Male fehlten völlig die lauernden, heimlichen Blicke, die bei den früheren Tagungen das Kennzeichen der unter Befehl und gegenseitiger Beobachtung stehenden Ostzonenmitglieder bildeten. Zum ersten Male saßen PENAutoren frei zusammen und besprachen die Aufgaben, die anzupacken sind. Viel bleibt zu tun, aber der positive Eindruck, den diese Tagung auf die anwesenden Pressevertreter machte, war unverkennbar.114
Man sah im neu geschaffenen bundesdeutschen Zentrum die überwiegende Majorität der bisherigen deutschen P.E.N.-Mitglieder vereinigt. Geschaffen worden sei ein Zusammenschluss, der endlich arbeitsfähig sei. Die Überlebenschance des von Tralow und Becher geführten P.E.N.Zentrums Deutschland schätzten die Vertreter der neu gegründeten bundesdeutschen Sektion gering ein; man erwartete die baldige Selbstauflösung der Gruppe. Deren kommunistische Ausrichtung wurde in der westlichen Presse als erwiesen angesehen; eine dauerhafte Mitgliedschaft in einer weltoffenen Gemeinschaft wie dem Internationalen P.E.N. bewertete man kritisch: Recht unklar dagegen bleibt, welche Rolle dem verbleibenden Rumpf-Klub der Ostzonenmitglieder zufallen wird. Vielleicht wird dieser versuchen, mit dem Wort ›gesamtdeutsch‹ um so nachdrücklicher zu operieren, je klarer geworden ist, daß es sich ausschließlich um kommunistische oder ostzonale Autoren (der Unterschied ist klein) handelt, oder allenfalls um ein oder zwei Mitläufer. Vielleicht folgt diese Gruppe aber auch dem Beispiel der Sowjetunion und der sowjetischen Vasallenstaaten und gibt die Zusammenarbeit mit einer so kosmopolitischen Organisation wie dem Internationalen P.E.N. völlig auf.115 112
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Fritz Usinger an Johannes Tralow [7. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 55 Konv. Usinger. [o. V.]: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik). Gründungsversammlung in Darmstadt – Erweiterung des Mitgliederkreises. In: Die Neue Zeitung vom 5. 12. 1951. [o. V.]: Schriftsteller schaffen klare Lage. In: Die Neue Zeitung 287 (6. 12. 1951), S. 5. [o. V.]: Schriftsteller schaffen klare Lage. In: Die Neue Zeitung 287 (6. 12. 1951), S. 5. 179
Mit Spannung erwarteten die externen Beobachter die Stellungnahmen der westdeutschen Autoren Weisenborn, Eggebrecht, Nossack und Jahnn, die sich bis auf letzteren bereits aus dem P.E.N.-Zentrum Deutschland zurückgezogen hatten. Von vielen Kommentatoren wurde die jüngste Entwicklung im deutschen P.E.N.-Club, d. h. die Bildung eines bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums, als zwangsläufige Folge der politischen Entwicklung gesehen. Thomas Halbe erinnerte in der Frankfurter Neuen Presse ein wenig wehmütig an den Grundgedanken, der bei der Wiederbegründung des deutschen P.E.N. nach 1945 eine tragende Rolle gespielt hatte. Angestrebt worden war die Überwindung der politischen Teilung Deutschlands durch die Schriftsteller, die noch die Möglichkeit haben müßten, den Eisernen Vorhang von beiden Seiten zu durchstoßen mit der Macht des Gespräches. Dieser Traum ist aus. Die Weite des Gedankens ist so klein oder so groß wie die Grenzziehung des politischen Raumes. Sie geht in der Oeffentlichkeit keinen Zentimeter mehr über diese Barriere hinaus. Sie hat nur noch Wirkung in der persönlichen Beziehung von Mensch zu Mensch. Wir bedauern diese Entwicklung immer wieder. Sie ist nichts anderes als eine Kapitulation des Geistes vor den Gegebenheiten der Politik. Diese freilich ist ein Faktum und demnach unsere bestimmende Wirklichkeit.116
Im P.E.N.-Zentrum Deutschland sah man die Begründung einer bundesdeutschen Sektion sehr kritisch. Die Vorwürfe, mit denen die Existenzberechtigung einer solchen Gruppierung in Frage gestellt wurde, erinnern an das Argumentationsschema der Gegenseite. Johannes Tralow warf der »Spaltertagung«117 Satzungswidrigkeit vor; man habe nicht einmal die notwendige Teilnehmerzahl zur Abstimmungsfähigkeit erreicht, »[t]rotz der unverhältnismässig hohen Geldmittel, die inzwischen von gewissen Stellen zur Verfügung gestellt wurden, trotz der Unterstützung der Darmstädter ›Akademie für Sprache und Dichtung‹, trotz des moralischen Drucks, der in Besuchen, Briefen und Rundschreiben angewendet wurde.«118 Lediglich 16119 von 83 Mitgliedern des gesamtdeutschen Zentrums seien anwesend gewesen. 116
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Thomas Halbe: Literatur mit Eisernem Vorhang. In: Neue Frankfurter Presse vom 6. 12. 1951. [Johannes Tralow]: Die PEN-Spalter in Darmstadt und die Mitgliederversammlung des gesamtdeutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember in Berlin, S. 2. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12011. [Johannes Tralow]: Die PEN-Spalter in Darmstadt und die Mitgliederversammlung des gesamtdeutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember in Berlin, S. 2. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12011. In der Presse werden 15, zum Teil auch 17 anwesende Mitglieder erwähnt. Vgl. z. B. [o. V.]: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik). Gründungsversammlung in Darmstadt – Erweiterung des Mitgliederkreises. In: Die Neue Zeitung vom 5. 12. 1951. Korrekt scheint aber die Angabe von 15 Teilnehmern. Die Pfälzische Volkszeitung benennt alle: Kasimir Edschmid, Hermann Friedmann,Erich Kästner,Rudolf Alexander Schröder, Kurt Thesing, Hermann Kasack, Marie Luise Kaschnitz, Wilhelm Lehmann, Martin Kessel, Walter Bauer, Oda Schäfer, Georg von der Vring, Ernst Kreuder, Martin Beheim-Schwarzbach und Leo Weismantel. Vgl. [o. V.]: Kasimir Edschmid mit den »Abgespalteten«: Vor neuem deutschen Pen-Zentrum? »PEN-Zentrum für die Bundesrepublik und Berlin unter neuen Aspekten«. In: Pfälzische Volkszeitung vom 5. 12. 1951.
Auffallend pejorativ zeigt sich Tralows Wortwahl für das neu gegründete P.E.N.-Zentrum: Von einem »Häuflein« und einer »Spaltergruppe« ist die Rede. »Absurd« und »grotesk« sei die Vorgehensweise dieser Gruppe.120 Moniert wurden die vorgenommenen Zuwahlen: Zum einen existiere keine Anerkennung der Gruppierung durch den Internationalen P.E.N., zum anderen seien unter den Zugewählten einige, deren Verhalten während des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland sicherlich das Interesse der internationalen P.E.N.-Tagung erregen werde. Die fehlende Unabhängigkeit des Zentrums komplettierte die Reihe der angebrachten Vorwürfe. Tralow interpretierte die Vorgänge auf der Düsseldorfer Tagung und in ihrem Vorfeld weitgehend als eine von außen gesteuerte, konzertierte Aktion gegen die Schriftsteller aus der DDR. Der Austritt der ausschließlich westdeutschen Mitglieder schien ihm nicht allein die Konsequenz aus dem sich zuspitzenden Konflikt innerhalb des Zentrums zu sein. Ziel sei die Ausschaltung bzw. der Ausschluss der Mitglieder aus der DDR gewesen: »Die Spaltung war vorher kühl überlegt. Man will im Gegensatz zur PenCharter keinen einzigen Kommunisten im Zentrum Deutschland mehr dulden, und es ist nicht mehr zu leugnen, daß einige unserer Kollegen aus der DDR der SED angehören.«121 Die »Weisungen in dieser Richtung« seien »seitens des Kaiser-Ministeriums [d. i. das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen] bzw. amerikanischer Dienststellen ergangen.«122 Auch die Personalunion des Generalsekretärs der Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt, und der »Spaltergruppe« in Kasimir Edschmid, sowie die Inanspruchnahme von Unterstützung durch eben diese Akademie, und schließlich die Aufnahme von Theodor Heuss »als Renommiermitglied […], wohl in der Absicht, dadurch sich nach aussen hin einen Anschein von demokratischer Legitimität zu verschaffen«123 , schienen Tralow kaum eine seriöse Grundlage. Die von Hermann Friedmann geäußerte Vermutung, dass die Anerkennung des in der Bundesrepublik neu gegründeten P.E.N.-Zentrums durch die Exekutive des Internationalen P.E.N.-Clubs nur noch eine Formsache sei, da bei der Darmstädter Tagung alle satzungsgemäßen Voraussetzungen erfüllt gewesen seien,124 schien Tralow unberechtigt; er teilte die »Darmstädter Siegeszuversicht« nicht: »Es scheint mir nicht wahrscheinlich, dass der internationale 120
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[Johannes Tralow]: Die PEN-Spalter in Darmstadt und die Mitgliederversammlung des gesamtdeutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember in Berlin, S. 2. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12011. Johannes Tralow an Adolf von Hatzfeld [13. 11. 1951]. SBBPK NL Tralow K 32 Konv. v. Hatzfeld. [Johannes Tralow]: Die PEN-Spalter in Darmstadt und die Mitgliederversammlung des gesamtdeutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember in Berlin, S. 1. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12011. [Johannes Tralow]: Die PEN-Spalter in Darmstadt und die Mitgliederversammlung des gesamtdeutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember in Berlin, S. 2f. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12011. Vgl. hn [d. i.?]: »PEN-Zentrum (Bundesrepublik)« gegründet. In: Darmstädter Tagblatt vom 5. 12. 51. 181
PEN einer aggressiven politischen Kampfgruppe seinen Namen gibt, zumal der Missbrauch des PEN-Namens, wie er jetzt stattfindet, uebel vermerkt werden duerfte.«125 Vielmehr werde die »hochstaplerische Verwendung des Namens PEN, die illegale[ ] Zuwahl[ ] und vor allem die Wahl des Herren Theodor Heuss […] den ehemaligen Mitgliedern international sehr schaden.«126 Zudem könnten »die westdeutschen Schriftsteller nicht einmal in Nizza auftreten, weil sie ihre Mitgliedschaft im deutschen Zentrum des internationalen PEN-Klubs aufgegeben hätten.«127 Dieser Ansicht stellte sich der Generalsekretär des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums, Kasimir Edschmid, freundschaftlich, aber bestimmt entgegen: »Seien Sie mir nicht böse, wenn ich Ihnen sage, dass ich nicht aus dem Internationalen P.E.N. ausgetreten bin und wohl alle anderen, die sich fuer die Sezession entschlossen, auch nicht.«128 Zwar hatte das in der Bundesrepublik neu gegründete P.E.N.-Zentrum unmittelbar im Anschluss an die konstituierende Sitzung die feste Überzeugung kundgetan, durch die internationale Exekutive anerkannt zu werden. De facto hatte man den Antrag auf Anerkennung beim internationalen Sekretariat des P.E.N. noch längst nicht offiziell eingereicht.129 Möglicherweise orientierte man sich bei dieser Vorgehensweise an dem von Sternfeld mehrfach vorgebrachten Rat, diesen Antrag aus politischen Erwägungen zunächst zurück zu stellen: Wie wir alle wissen, schweben in diesen Wochen die Verhandlungen wegen der Wiedervereinigung Deutschlands und wenn ich auch ueber den Ausgang dieser Besprechungen skeptischbin, wuerdeich nichts tun, was in diesem Stadium der Verhandlungenwie eine Separation aussehen koennte. Da ja ohnehin die Exekutive erst in einigen Monaten zusammentritt, koennen Sie sich getrost mit diesem Antrage Zeit lassen.130
Die Entwicklung der deutsch-deutschen Verhandlungen um die Zukunft eines (un)geteilten Deutschland bremsten die Vorgänge im deutschen P.E.N. indes nur unwesentlich ab. Eine Gegen-Gruppierung zum P.E.N.-Zentrum Deutschland war ins Werk gesetzt. Darauf musste reagiert werden. Der nächste Schachzug blieb dem P.E.N.-Zentrum Deutschland vorbehalten.
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Johannes Tralow an Ernst Glaeser [26. 11. 1951]. SBBPK NL Tralow K 32 Konv. Glaeser. Johannes Tralow an Wolfheinrich von der Mülbe [5. 12. 51]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. von der Mülbe. W[eser]-K[urier]: PEN-Zentrum fordert Rückkehr der ›abtrünnigen‹ Mitglieder. In: Weser-Kurier vom 12. 12. 51. Kasimir Edschmid an Johannes Tralow [20. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Edschmid. Vgl. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [20. 12. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [4. und 18. 11. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.
4.3
Rege Aktivität zur Erhaltung des P.E.N.-Zentrums Deutschland : Eine Mitgliederversammlung in West-Berlin (10. 12. 1951) und ein Bericht zur »Lage im deutschen P.E.N.«131
Schon im Vorfeld der für den 10. Dezember 1951 einberufenen Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland war Tralow bewusst, dass nach den Erfahrungen der Wiesbadener und der Düsseldorfer Tagung mit der Teilnahme westlicher Mitglieder kaum zu rechnen sein würde. Zwar hatten alle verbliebenen West-Mitglieder die Einladung zur Tagung erhalten.132 Nur wenige hatten jedoch überhaupt darauf reagiert.133 Einer potentiellen Beanstandung der Mitgliederversammlung und ihrer Ergebnisse hatte Tralow bereits bei der Formulierung der Einladung entgegen gearbeitet; darin betonte er die Einberufung der Mitgliederversammlung laut den rechtsverbindlichen Beschlüssen von Düsseldorf. Um im Hinblick auf die erwartungsgemäß unzureichende Teilnehmerzahl die Gültigkeit der geplanten Zuwahlen und eine generelle Beschlussfähigkeit zu garantieren, hatte Tralow in der Einladung einen entsprechenden Passus eingefügt: »Nach § 8 der Satzungen kann jede ordentlich einberufene Mitgliederversammlung durch Zweidrittel-Mehrheit neue Mitglieder aufnehmen. Darüber hinaus liegt ein Antrag vor, die einberufene Versammlung möchte sich unter dem Zwang der Umstände auch dann für beschlußfähig erklären, falls die Zahl der Anwesenden 23 nicht erreichen sollte.«134 Denkbar ist, dass man im Falle einer Beanstandung durch den Internationalen P.E.N. die ganz ähnliche Ausgangssituation der bundesrepublikanischen Gründung als Argumentationshilfe nutzen wollte; auch hier war man bei der Gründungstagung unter der notwendigen Teilnehmerzahl geblieben. De facto warfen sich in der nachfolgenden Auseinandersetzung die beiden deutschen P.E.N.-Gruppierungen wechselseitig Statutenwidrigkeit wegen mangelnder Anwesenheit einer ausreichenden Zahl von Mitgliedern vor, um die Existenzberechtigung des jeweiligen Gegenübers vor allem in der Öffentlichkeit in Frage zu stellen.135 Um dem eigenen Unternehmen wenigstens minimales Gelingen zu sichern, nahm Tralow für die organisatorische Vorbereitung Becher in die Pflicht: »Es scheint mir notwendig, daß unsere Freunde aus dem Osten vollzählig erschei-
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Johannes Tralow: Bericht über die Abspaltung im Deutschen P.E.N. [20. 12. 1951] [Typoskript]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 349–355. Gedruckt erschien die Darstellung unter dem Titel: Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. Johannes Tralow an alle Mitglieder [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [8. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher, sowie Johannes Tralow an alle Mitglieder [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Johannes Tralow an alle Mitglieder [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. [o. V.]: Edschmid weist Behauptung von Becher zurück. In: Frankfurter Neue Presse vom 17. 12. 1951. Vgl. auch [o. V.]: Edschmid gegen Becher. In: Vorderpfälzer Tagblatt (Landau) vom 19. 12. 1951. 183
nen.«136 Tatsächlich kamen am 10. Dezember mit Ausnahme des amtierenden geschäftsführenden Präsidenten, Johannes Tralow, und dem noch zu wählenden Mitglied Rüdiger Syberberg ausschließlich führende Schriftstellerpersönlichkeiten der DDR zur Berliner Zusammenkunft: Anna Seghers, Friedrich Wolf, Bertolt Brecht, Arnold Zweig, Peter Huchel, Hans Mayer, Ehm Welk, Rudolf Leonhard, Johannes R. Becher und Alfred Kantorowicz.137 Jahnn konnte wegen seiner Erkrankung nicht teilnehmen.138 Somit nahmen lediglich zwölf legitimierte Mitglieder an der Versammlung teil. Dass deren Zusammensetzung nicht gerade dazu angetan war, den Vorwurf »sowjetzonaler« Dominanz zu entkräften, dürfte allen Beteiligten deutlich vor Augen gestanden haben. Umso erstaunlicher erscheint daher die Vehemenz, mit der die alleinige Legitimität des P.E.N.Zentrums Deutschland betont wurde.139 In diesem Zusammenhang muss darauf verwiesen werden, dass die Zahl der Versammlungsteilnehmer nicht das Äquivalent zur Gesamtmitgliedschaft des P.E.N.-Zentrums Deutschland stellte. Gleichwohl ist für den rückblickenden Betrachter die Situation aufgrund der Mitgliederbewegungen verworren. Tralow konstatierte für den 10. Dezember 1951 die Zahl von 37 Mitgliedern aus Ost und West.140 Berücksichtigt man die Zahl der Ost-Mitglieder und addiert, nach Abzug der in Reaktion auf Düsseldorf und Darmstadt Ausgetretenen141 und den zur bundesrepublikanischen 136
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Johannes Tralow an Johannes R. Becher [29. 11. 1951]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Beschlußprotokollvon der Mitgliederversammlungdes Deutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember 1951 in Berlin-Charlottenburg, Schillerstraße 5, Weinstube Neumann [o. D.], S. 1. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow [7. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 47 Konv. Jahnn. Vgl. Resolution des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Abgedruckt in: -r- [d. i.?]: Gegen eine Bevormundungdes PEN-Clubs. Eine Pressekonferenzseines DeutschenZentrums in der Akademie der Künste. In: Der Morgen (LDPD) vom 12. 12. 1951. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [8. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Die Austrittsgesuche von Reinhold Schneider, Hans Leip und Ernst Sander nach der Düsseldorfer Spaltung sind im Nachlass von Johannes Tralow erhalten geblieben. Vgl. die Briefe an Johannes Tralow von Reinhold Schneider [31. 10. 1951], Hans Leip [1. 11. 1951], Ernst Sander [24. 11. 1951]. SBBPK NL Tralow K 53 Konv. Schneider, K 49 Konv. Leip, K 53 Konv. Sander. Unmittelbar nach der Darmstädter Gründungsversammlung des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums bat Oskar Maria Graf um Streichung aus der Liste. Vgl. Oskar Maria Graf an Johannes Tralow [5. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 45 Konv. Graf. Fritz Usingers Austrittgesuch überschnitt sich mit der Berliner Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland, so dass Tralow ihn für diesen Zeitpunkt als zugehörig wertete. Vgl. Fritz Usinger an Johannes Tralow [7. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 55 Konv. Usinger. Schon am 7. November 1951 berichtete der Generalsekretär Jahnn an Huchel: »Ich bin wahrscheinlich sehr deprimiert und sitze vor einem Haufen von Briefen, geschrieben von PEN-Mitgliedern, die mir ihren Austritt aus dem legalen PEN mitteilen.« Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959, S. 24. Nach einer Notiz der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. 11. 1951 waren zu diesem Zeitpunkt bereits Rudolf Schneider-Schelde, Curt Thesing, Ernst Kreuder, Oda Schaefer und Horst Lange aus-
Gruppe Übergetretenen, die im P.E.N.-Zentrum Deutschland Verbliebenen, so lässt sich Tralows Angabe annähernd bestätigen. Für das Verbleiben der Mitglieder aus der Bundesrepublik Deutschland im P.E.N.-Zentrum Deutschland dürfen zu diesem Zeitpunkt ganz unterschiedliche Ursachen angenommen werden – Trägheit, Überzeugung, Unentschlossenheit oder abwartende Haltung. Begleitet worden war die Mitgliederversammlung im Vor- und Nachhinein von Pressemitteilungen der amerikanisch lizenzierten Neuen Zeitung in der zu erwartenden tendenziösen Weise.142 Glaubt man den in verschiedenen Presseorganen der DDR kolportierten Hinweisen von Tralow bzw. Becher, so hatte die Redaktion der Neuen Zeitung schon im Vorfeld nicht nur mit Worten, sondern auch mit konkreten Handlungen einem Zusammentreffen der an der Fortexistenz des P.E.N.-Zentrums Deutschland interessierten Schriftsteller und einer nachfolgend geplanten Pressekonferenz entgegen zu wirken versucht.143 Die Mitgliederversammlung beschloss, den Protest gegen die »Versuche […], die Versammlungsfreiheit des ordnungsgemäß gewählten PEN-Zentrums zu unterbinden«144 , an die Exekutive des Internationalen P.E.N. weiter zu leiten. Mit der Durchführung der Versammlung in einem West-Berliner Weinlokal hatte die Gruppe um Becher und Tralow ein positives Signal im Sinne der Ost-WestVerständigung setzen wollen, dessen Motivation unterschiedlich interpretiert werden kann. Die Darstellung der antikommunistischen Presse schürte den Eindruck einer hoch konspirativen Zusammenkunft östlicher Anhängerschaft, die sich lediglich das Deckmäntelchen des Westens übergezogen habe.145 Die DDRPresse nährte ihrerseits kaum minder propagandistisch die diffuse Vorstellung von einem amerikanischen Agententum und generelle Vorbehalte gegenüber dem Westen: Das deutsche Volk aber darf dankbar sein, daß es mutige Schriftsteller besitzt, die den Versuchen amerikanischer Agenten, die Spaltung Deutschlands zu verewigen, wirksam entgegentreten. Sie verdienen unsere volle Unterstützung. Sie beweisen, daß ihre Berufung als Dichter nicht nur den Umgang mit Worten bedeutet, sondern eine Verpflichtung ist, dem Willen des Volkes für die Gegenwart und die Zukunft Ausdruck
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getreten. Am 13. November 1951 verwies Tralow in einer Information an den Generalsekretär des Internationalen P.E.N., David Carver, auf den Austritt von 23 Mitgliedern aus dem P.E.N.-Zentrum Deutschland. Das Mitgliederverhältnis zwischen West und Ost sei zahlenmäßig »etwas mehr als 2:1«. Vgl. Johannes Tralow an David Carver [13. 11. 1951]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Carver. Vgl. [o. V.]: Getarnter Gift-Becher (Joh. R.). In: Die Neue Zeitung 286 (8. 12. 1951), S. 4 und [o. V.]: Becher-Dämmerung. In: Die Neue Zeitung vom 15. 12. 1951. Vgl. -r- [d. i.?]: Gegen eine Bevormundung des PEN-Clubs. Eine Pressekonferenz seines Deutschen Zentrums in der Akademie der Künste. In: Der Morgen (LDPD) vom 12. 12. 1951, sowie G. K. [d. i. ?]: Der PEN-Club und die Freiheit. Pressekonferenz des Präsidiums des deutschen PEN-Zentrums. In: Berliner Zeitung vom 12. 12. 1951. Vgl. Beschlußprotokoll von der Mitgliederversammlung des Deutschen PENZentrums am 10. Dezember 1951 in Berlin-Charlottenburg, Schillerstraße 5, Weinstube Neumann [o. D.], S. 2. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. [o. V.]: Getarnter Gift-Becher (Joh. R.). In: Die Neue Zeitung 286 (8. 12. 1951), S. 4. 185
zu verleihen. Unser Volk aber will die deutsche Einheit und den Frieden. Wer sich dagegenstellt, ist ein Feind des Volkes und der Kunst auch wenn er noch so interessante Bücher geschrieben hat.146
Zielscheibe der westlichen Kritik war vor allem Becher, dessen Scheitern konstatiert wurde; er versuche unter allen Umständen, »Söldlinge zu werben für sein mit literarischen Emblemen getarntes trojanisches Pferd«147 . Dabei seien seine Pläne, das deutsche P.E.N.-Zentrum »zur Propagierung kommunistischer Pseudo-Ideen zu nutzen«148 , längst zunichte – gescheitert an der Haltung der westdeutschen Autoren. Tralows engagierte und selbst bestimmte Handlungsweise verkannte der Kommentator der Neuen Zeitung völlig; mit ihm sei »kein[ ] Staat«149 zu machen. Auf der Agenda der Becher-Tralow-Gruppe stand als oberster Punkt die Zuwahl neuer Mitglieder, um Bezeichnungen wie »P.E.N.-Torso«150 oder »Rumpf-P.E.N.« schnellstmöglich zu entkräften und die Daseinsberechtigung des eigenen Zentrums zu untermauern. Tatsächlich wählte man einstimmig bzw. mit ein oder zwei Enthaltungen insgesamt 31 Schriftsteller aus der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, deren Einverständnis nachträglich eingeholt werden musste. Der Presse gegenüber legte man sich strikte Geheimhaltung der Namen auf, um die »Existenz der in der Bundesrepublik wohnhaften Mitglieder«151 nicht zu gefährden. Um den durch Weisenborns und Eggebrechts Rücktritte geschwächten Vorstand zu stärken, wählte man Rüdiger Syberberg zum Mitpräsidenten und übertrug Tralow zusätzlich zum Amt des Präsidenten das des Schatzmeisters.152 Auf welchen Wegen der Kontakt zu dem in der Bundesrepublik lebenden Syberberg zustande gekommen war, ist nur zu vermuten. Beide lebten in München, beide hatten zu den Teilnehmern des Starnberger Gespräches am 26. und 27. März 1951 gehört.153 Die Tatsache, dass Syberberg zuvor nicht Mitglied des P.E.N.-Zentrums Deutschland gewesen war und nicht als namhafter Schriftsteller gelten konnte, lässt vermuten, dass man zur raschen Besetzung des vakanten Amtes mit einem westlichen Vertreter auch zu 146
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n [d. i.?]: Dichter und Drahtzieher. Zu Vorgängen um das deutsche PEN-Zentrum. In: National-Zeitung (Berlin/Ost) vom 14. 12. 1951. [o. V.]: Becher-Dämmerung. In: Die Neue Zeitung 259 (15. 12. 1951). [o. V.]: Becher-Dämmerung. In: Die Neue Zeitung 259 (15. 12. 1951). [o. V.]: Becher-Dämmerung. In: Die Neue Zeitung 259 (15. 12. 1951). [dpa]: PEN-Torso tagte unter Becher und Tralow. In: Die Neue Zeitung vom 12. 12. 1951. [o. V.]: Zwölf unbekannte Pen-Mitglieder. Ohne weitere Angaben enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.7. Vgl. weiterhin W. Erw. [d. i.?]: »Die geistige Einheit bewahren«. Pressekonferenz des deutschen PEN-Zentrums über seine Berliner Tagung. In: Neue Zeit vom 13. 12. 1951. Vgl. Beschlußprotokoll von der Mitgliederversammlung des Deutschen PENZentrums am 10. Dezember 1951 in Berlin-Charlottenburg, Schillerstraße 5, Weinstube Neumann [o. D.], S. 3. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. AnwesenheitslisteStarnbergerGespräch [26./27. 3. 1951].DLA Marbach A: Weismann/Starnberger Gespräch/Zugehörige Materialien (84.3266).
unbefriedigenden Kompromissen bereit war. Das Verhältnis 3 (West) zu 1 (Ost) war damit – mindestens formell – wieder hergestellt. Für den Kongress in Nizza, der für die Entscheidung über die Anerkennung der deutschen Zentren von großer Bedeutung war, benannte man als offizielle Delegierte Tralow und Becher. Die Liste der Gastdelegierten, die ohne Stimmberechtigung teilnehmen würden, wies in ausgewogenem Verhältnis die Namen von ost- wie westdeutschen Mitgliedern auf. Mit Syberberg, Jahnn, Belzner, Seghers, Brecht und Zweig hoffte man das P.E.N.-Zentrum Deutschland angemessen zu repräsentieren. Weitere Beschlüsse betrafen die Kontaktaufnahme mit P.E.N.-Zentren in den Ostblockstaaten Polen, Bulgarien, Rumänien, Tschechoslowakei u. a., um deren Arbeit im Internationalen P.E.N. zu intensivieren.154 Tatsächlich hatte auch Friedenthal intern die Inaktivität der Ost-Zentren bereits angemerkt.155 Die Initiative des P.E.N.-Zentrums Deutschland geschah aus taktischem Kalkül: Sollte die Aktivierung der P.E.N.-Zentren aus dem Herrschaftsbereich der Sowjetunion gelingen, so konnte man auf dem Nizzaer Kongress bei der Abstimmung über die beiden deutschen Zentren mit positiven Stimmen für das P.E.N.Zentrum Deutschland rechnen. Darüber hinaus beschloss die Mitgliederversammlung die bereits angedachte Herausgabe einer Vierteljahreszeitschrift des P.E.N.-Zentrums Deutschland ; diese sollte »die Einheit Deutschlands auf literarischem Gebiet in einer möglichst vorbildlichen Art darstellen. Druck und Vertrieb soll[t]en in Westdeutschland erfolgen. Als Redakteure [waren] vorgesehen: Alfred Kantorowicz, Hans Henny Jahnn, Rüdiger Syberberg, [Herbert] Burgmüller.«156 Mit Bedacht hatte man einen Überhang westdeutscher Redakteure gebilligt. Kantorowicz schien als ehemaliger Herausgeber der in der SBZ erschienenen Zeitschrift Ost und West, die in den Jahren 1947 bis 1949 zumindest auf literarischem Gebiet eine Brücke der Verständigung zwischen den Deutschen aller Zonen zu schlagen versuchte, nahezu prädestiniert für ein solches gesamtdeutsches Unternehmen. Das Projekt wurde jedoch nie realisiert. Öffentlichkeitswirksam erwies sich eine von Johannes Tralow eingebrachte und einstimmig angenommene Resolution, die im Nachgang der Versammlung auf einer Pressekonferenz in der Ost-Berliner Akademie der Künste verkündet wurde. Sie dokumentierte die Auffassung der Tagungsteilnehmer und baute rhetorisch geschickt einen Spannungsbogen vom »Ethos« des P.E.N. über die Kri-
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Vgl. Beschlußprotokoll von der Mitgliederversammlung des Deutschen PENZentrums am 10. Dezember 1951 in Berlin-Charlottenburg, Schillerstraße 5, Weinstube Neumann [o. D.], S. 3. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Vgl. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [8. 1. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Beschlußprotokollvon der Mitgliederversammlungdes Deutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember 1951 in Berlin-Charlottenburg, Schillerstraße 5, Weinstube Neumann [o. D.], S. 3. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. 187
tik an den Ausgetretenen hin zur generell versöhnlichen Haltung des P.E.N.Zentrums Deutschland auf: Der Internationale PEN ist seit seiner Gründung auf rein literarischer Basis ein der Völkerverständigung gewidmeter, unpolitischer Weltbund von Schriftstellern. Der jetzige Vorstand ist von der internationalen Zentrale in London anerkannt und das Zentrum die einzige Verbindung der deutschen Literatur zum PEN. Von den aus dem Zentrum und damit aus dem internationalen PEN ausgetretenen Mitgliedern wurde aber durch die Entfesselung eines West-gegen-Ost-Kampfes Politik in das Zentrum hineingetragen. Bestätigt wird dieser Vorgang dadurch, daß die ehemaligen Mitglieder sich in Darmstadt politische Persönlichkeiten und staatliche Funktionäre beigesellt haben, die nicht zum engerenKreise der ausgesprochenschöngeistigenAutoren gehören.Dennoch wird sich das PEN-Zentrum Deutschland zu gegebener Zeit der Rückkehr derjenigen ehemaligen Mitglieder nicht verschließen, die bereit sind, den unpolitischen und rein literarischen Charakter des Zentrums Deutschland nicht nur mit Worten zu achten. Aus diesem Grund legt sich das Zentrum Deutschland in bezug auf seine legalen Zuwahlen bewußt große Beschränkung auf, damit der gegenwärtige Zustand sich nicht zu einer Benachteiligung des Westens auswirke.157
Mit dieser Verlautbarung setzte sich das P.E.N.-Zentrum Deutschland selbstbewusst in den Stand, die einzige rechtmäßige Vertretung der deutschen Schriftsteller im Internationalen P.E.N. zu sein, und brachte implizit die Illegalität der Darmstädter Gründung zum Ausdruck.158 Man demonstrierte die Überzeugung, dass die neu gegründete Sektion der Bundesrepublik Deutschland keine Chance auf internationale Anerkennung haben würde und räumte den »Abtrünnigen« unter gewissen Auflagen großmütig die Rückkehrmöglichkeit ein. Die Bewahrung der »geistige[n] Einheit Deutschlands« stehe »über alle politischen Meinungsverschiedenheiten hinweg«159 als Zielsetzung im Vordergrund, so Tralow. Als politisierende Störer dieses hehren, wenngleich angesichts der politischen Realitäten illusorischen Ziels, brandmarkte man die Betreiber der deutschen P.E.N.-Spaltung. Die Reaktionen der Presse nahm Tralow scheinbar gelassen zur Kenntnis. Sein Mitgefühl galt Becher, der wieder einmal zum Objekt des Angriffs wurde, obgleich Tralow als Wortführer agiert hatte: Die Süddeutsche Zeitung brachte die Nachricht, daß Becher den ›Deutschen Pen-Club (Bundesrepublik)‹ illegal genannt habe. Der arme Becher! Alles was ich tue, hat er getan. Das heißt, ich selbst habe in der von mir geleiteten Pressesitzung am 11. Dezember in Berlin lediglich den Nachweis der Legalität des Zentrums Deutschland erbracht. Becher hat für seine Verhältnisse kaum den Mund aufgemacht. Aber wenn er nicht dagewesen wäre, würde er auch nur alles getan und gesagt haben, was der amerikani157
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Resolution des P.E.N.-Zentrums Deutschland vom 10. 12. 1951. Zitiert nach -r- [d. i.?]: Gegen eine Bevormundung des PEN-Clubs. Eine Pressekonferenz seines »Deutschen Zentrums in der Akademie der Künste. In: Der Morgen (LDPD) vom 12. 12. 1951. Vgl. etwa [o. V.]: Tralow erklärt »Pen-Zentrum Bundesrepublik« für illegal. Zeitungsartikel vom 11. 12. 1951, [o. A.]. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.7. Zitiert nach W. Erw. [d. i.?]: »Die geistige Einheit Deutschlands bewahren«. Pressekonferenz des deutschen PEN-Zentrums über seine Berliner Tagung. In: Neue Zeit vom 13. 12. 1951.
schen Presse in Westdeutschland richtig erscheint, ihn gesagt und getan zu haben lassen. […] Es ist durchaus ein Unterschied, ob ich sage: Das von mir vertretene Zentrum ist legal oder ob ich sage, ein anderes Gebilde sei illegal. Das Letzte wäre ein Angriff, und wir sind entschlossen, nicht anzugreifen.160
Weniger versöhnlich zeigte sich Bertolt Brecht, der auf der Pressekonferenz anwesend war; er zielte scharf auf die westdeutschen Neugründer, deren Spaltungsbestrebungen er als gesteuertes Unternehmen charakterisierte: Ich halte das für eine sehr schändliche Art. […] Wenn nun einige westdeutsche Schriftsteller der Meinung sind, es können sich Schriftsteller verschiedener Meinung nicht mehr an einen Tisch setzen, so haben sie [im Internationalen P.E.N.] laut PEN-Charta nichts mehr zu suchen. Man soll nicht mehr hinter ihnen herlaufen. Sie werden prinzipiell auf Spaltung drängen und die Aufträge derer durchführen, die an Spaltung und kriegerischer Haltung interessiert sind.161
Mit dem öffentlich verkündeten Resolutionstext hatte das P.E.N.-Zentrum Deutschland eindeutig Stellung bezogen. An eine Selbstaufgabe, auf die einige der Gegenspieler in der Bundesrepublik spekulierten, schien im Vorstand des P.E.N.-Zentrums Deutschland niemand zu denken. Für die bevorstehende Tagung der internationalen Exekutive in Paris war es von entscheidender Bedeutung, wie viele westdeutsche (Neu-)Mitglieder sich in der Folgezeit für das ursprüngliche Zentrum entscheiden würden. Das Beschlussprotokoll der Versammlung vom 10. Dezember 1951 listet die 31 neu gewählten Mitglieder auf, deren verbindliche Zusage gleichwohl noch ausstand. Darunter waren zahlreiche Schriftsteller aus der DDR, u. a. Wieland Herzfelde, Bodo Uhse, Willi Bredel und Stefan Heym. Aus dem Westen hatte man u. a. Wilhelm von Scholz, Herbert Burgmüller, Alexander Stenbock-Fermor und Wolfheinrich von der Mülbe gewählt.162 Wenige Tage nach der Berliner Generalversammlung hatten laut Tralow einige der westdeutschen Autoren die Annahme ihrer Wahl in das P.E.N.-Zentrum Deutschland signalisiert; dies waren Wilhelm von Scholz, Wolfheinrich von der Mülbe, Karl Jakob Hirsch, Irma Loos und selbstredend Rüdiger Syberberg. Walter von Molo hatte noch keine endgültige Entscheidung getroffen.163 Insgesamt gesehen liefen die Zu- oder 160
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Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [16. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. Zitiert nach -n- [d. i.?]: Dichter und Drahtzieher. Zu Vorgängen um das deutsche PENZentrum. In: National-Zeitung (Berlin/Ost) vom 14. 12. 1951. Beschlußprotokoll von der Mitgliederversammlung des Deutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember 1951 in Berlin-Charlottenburg, Schillerstr. 5, Weinstube Neumann [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Aufgelistet wurden weiterhin Walter von Molo, Karl Jakob Hirsch, Manfred Hausmann, Melchior Fischer, Walter Kolbenhoff, Irma Loos, Marie-Luise Fleisser, Werner Ilberg, Herbert Ihering, Eduard Claudius, Alexander Abusch, Paul Rilla, Hans Marchwitza, Arno Peters, Richard Drews, Maximilian Scheer, Claus Herrmann, Ernst Niekisch,Victor Klemperer,Werner Krauß, Erich Weinert und Kuba (d. i. Kurt Barthel). Vgl. Johannes Tralow an Otto-August Ehlers [15. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Ehlers. Von der Mülbes Reaktion ist in Tralows Korrespondenz erhalten geblie189
Absagen der Mitgliedschaft im P.E.N.-Zentrum Deutschland nur schleppend ein. Mitte Januar 1952 klagte Tralow über die fehlenden Antworten auf die Benachrichtigung über die Wahl ins Zentrum.164 Enttäuscht zeigte er sich über die ausgebliebenen Reaktionen der DDR-Autoren Eduard Claudius, Wieland Herzfelde, Paul Rilla, Maximilian Scheer, Kurt Barthel und Stefan Heym: Ich meine, selbst wenn die sechs nicht bereit sein sollten, die Wahl anzunehmen, so wäre es doch wohl nötig gewesen, das mitzuteilen. Ebenso kann aber auch irgendein Umstand, den wir nicht kennen […] die Antwort verhindert haben. Zur zahlenmäßigen Sicherung des Zentrums brauchen wir die sechs nicht. Andererseits können wir Leute, die für würdig erachtet wurden, gewählt zu werden, nicht als Bagatelle betrachten. Allerdingsist auch die andere Erwägung nicht abzuweisen,ob wir gut daran tun, unser Zentrum mit neuen Leuten zu belasten, die dem PEN-Club an sich vielleicht mit einem Ressentiment gegenüberstehen. Ein derartiges Ressentiment kam bei Mitgliedern zum Ausdruck, die schon im alten PEN gewesen sind. Sie sind übereinstimmend der Meinung, daß sie ihre alte Mitgliedschaft überhaupt nicht verloren haben […].165
In Tralows Nachlass sind die Zusagen bzw. Hinweise darauf erhalten geblieben von Alexander Stenbock-Fermor, Ernst Niekisch, Willi Bredel und Wieland Herzfelde im Januar, sowie von Herbert Burgmüller, Erich Weinert und Bodo Uhse im Februar 1952.166 Ein Mitgliederverzeichnis, handschriftlich mit dem Verweis »52« versehen, vermerkt 61 Mitglieder. Von den auf der Liste angeführten Mitgliedern kamen 27 aus der DDR, 33 aus dem Westen und ein Mitglied, Alexander Stenbock-Fermor, aus West-Berlin.167 Bei der vorliegenden Mitgliederliste handelt es sich höchstwahrscheinlich um jene Aufstellung, auf die Tralow in einem Schreiben an Becher Anfang März 1952 Bezug nahm. Dass zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht endgültig geklärt war, wer dem P.E.N.-Zentrum Deutschland angehörte oder nicht, machen Tralows Erläuterungen deutlich: »Was die alten Nichtausgetretenen anbelangt, so bin ich auf folgende Weise verfahren. Ich habe alle gelöscht, die mir ihren Austritt erklärten und außerdem alle, die sich in der Presse als Darmstädter Mitglieder feiern ließen. Am 10. Dezember [1951] war der Bestand 37. Wir müssen uns darüber klar sein, daß die meisten eben abwarten, und vielleicht auch zu faul sind, überhaupt etwas zu tun. […] Auch ich bin über manchen Namen erstaunt, aber das kann
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ben. Vgl. Wolfheinrich von der Mülbe an Johannes Tralow [7. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. von der Mülbe. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [19. 1. 1951]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [24. 1. 1951]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Pikiert auf die neuerliche Zuwahl hatte z. B. Willi Bredel reagiert. Vgl. Willi Bredel an Johannes Tralow [17. 1. 1952]. SBBPK NL Tralow K 41 Konv. Bredel. Vgl. Briefe an Johannes Tralow von Alexander Stenbock-Fermor [6. 1. 1952], Ernst Niekisch [7. 1. 1952],Willi Bredel [17. 1. 1952], Erich Weinert [1. 2. 1952], Herbert Burgmüller [1. 2. 1952] und Bodo Uhse [18. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 54 Konv. Stenbock-Fermor, K 51 Konv. Niekisch, K 41 Konv. Bredel, K 57 Konv. Weinert, K 41 Konv. Burgmüller und K 55 Konv. Uhse, sowie Johannes Tralow an Wieland Herzfelde [30. 1. 1952]. SBBPK NL Tralow K 32 Konv. Herzfelde. Vgl. Mitgliederverzeichnis [1952]. SBBPK NL Tralow K 85 M 7.
ich nicht ändern.«168 Dass Tralows Liste Fehler aufwies, ergibt ein Abgleich mit den Namensaufstellungen, die nach der Darmstädter Gründungsversammlung in der Presse erschienen waren. So hatten sich demnach Stefan Andres, Editha Klipstein, Joachim Maaß, Hans José Rehfisch, Wilhelm Speyer und Hermann Uhde-Bernays bereits im Dezember 1951 für die bundesdeutsche P.E.N.Sektion entschieden.169 Weitere Bewegungen in den Mitgliederzahlen waren zu erwarten. Während eine offizielle Entscheidung über die Existenz zweier deutscher P.E.N.-Zentren noch ausstand, begannen bereits die ersten internen Auseinandersetzungen. Der in einem Schreiben von Tralow an Edschmid signalisierte Vorsatz, friedfertig mit dem Bestehen eines zweiten deutschen P.E.N.Zentrums umzugehen, hielt nicht lange vor. Zum Streitobjekt wurden die P.E.N.-Akten, die zum Großteil bei Edschmid lagerten. Schon Mitte Dezember hatte Tralow deren sofortige Herausgabe gefordert.170 Edschmid hingegen schlug vor, »die Aktenfrage, die inzwischen natuerlich bearbeitet wurde aber hoechst diffizil ist, so lange ruhen [zu] lassen, bis wir eine Entscheidung ueber beide PENs in Paris erreicht haben? Wenn Sie etwas Spezielles brauchen, schicke ich es Ihnen natuerlich gern. Dies ist nicht ein Vorschlag, der von mir persoenlich allein gemacht wird, sondern allgemein geteilt wird.«171 Aus Tralows Reaktion auf diesen Vorschlag lässt sich einerseits seine unumstößliche Überzeugung vom Alleinvertretungsanspruch des P.E.N.-Zentrums Deutschland heraus lesen. Andererseits wird deutlich, wie sehr Tralow von einem Argwohn gequält wurde, der ihn sofort eine Intrige vermuten ließ. Im Falle des einbehaltenen Akten- und Adressenmaterials fürchtete er, dass man von Seiten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) die »Kommunikation mit den anderen P.E.N.-Zentren«172 unterbinden wollte, die einer positiven Vorbereitung der internationalen Exekutive dienen würde. In der Konsequenz schrieb Tralow einen Bericht an Carver, um die wesentlichen Adressen zu erbitten, und erhob Klage gegen Edschmid. Zwar stellte Tralow gegenüber Edschmid die Vorgehensweise als Beschluss des Vorstands dar.173 Edschmid zeigte sich nichtsdestotrotz »sachlich wie persönlich ausserordentlich getroffen. […] Ich bedaure es ausserordentlich, dass durch dieses Vorgehen die von uns erstrebte korrekte und 168
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Johannes Tralow an Johannes R. Becher [8. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Vgl. [o. V.]: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik). In: Die Neue Zeitung vom 13. 12. 1951. Vgl. Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [16. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. Kasimir Edschmid an Johannes Tralow [20. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Edschmid. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [26. 1. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [26. 1. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher und Johannes Tralow an Kasimir Edschmid [14. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Edschmid. 191
nicht aggressive Haltung gestört ist.«174 In den eingesehenen Quellen sind keine Hinweise erhalten auf den Ausgang der Streitigkeit, die durch Anwälte geklärt werden sollte. Der Briefwechsel zwischen Edschmid und Tralow brach in der Folge ab. Tralows Handeln im Nachgang der Mitgliederversammlung vom 10. Dezember 1951 verdeutlicht, dass er ängstlich darauf bedacht war, die Existenz des P.E.N.-Zentrums Deutschland zu erhalten. Jegliche Pressemeldung, und derer gab es viele, wurde von ihm mit besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen und löste einen neuerlichen Aktivitätsschub aus. Offensichtlich fürchtete er die Übervorteilung des ursprünglichen deutschen Zentrums, nicht zuletzt, weil die bundesrepublikanische Neugründung durch den Präsidenten des P.E.N.-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland, Richard Friedenthal, über einen direkten Draht zur internationalen Leitung verfügte: [H]eute morgen ging durch den Rundfunk, dass die Darmstaedter im Fruehjahr 51 [gemeint ist 1952] ihre Anerkennung aus London erwarten. Mir scheint zweierlei notwendig, was ich nicht bewirken kann. 1.) muessten moeglichst viele andere Zentren gegen den Versuch, die Angelegenheit dem Kongress zu entziehen in London Protest einlegen. 2.) scheint es mir noetig, dass jemand von uns sowohl nach Paris wie nach London faehrt um dort unsere Sache in Person zu vertreten, was zweifellos von der anderen Seite geschehen ist und fortfaehrt zu geschehen.175
Um der nach der Pressemeldung zu befürchtenden »Vorwegnahme der Nizzaer Entscheidung«176 entgegen zu wirken, versuchte Tralow persönliche Gespräche mit den Verantwortlichen in London anzuregen: Waere es nicht vielleicht ganz gut, wenn ein oder zwei unserer Mitglieder Sie und die anderen in Frage kommenden Herren in London spraechen? Die ausgetretenen Mitglieder sind durch die deutsche Emigrationsgruppe staendig bei Ihnen vertreten, waehrend wir ausser Ihnen niemand haben, mit dem wir korrespondieren koennten. Es scheint mir ein geringer Ausgleich dieses Missverhaeltnisses noetig zu sein.177
Tralows Eingabe bewirkte wenig. Von Seiten des internationalen Generalsekretariats, geleitet durch David Carver, schien man nicht gewillt, der Pariser Exekutivkomitee-Tagung in irgendeiner Weise vorzugreifen; man bestätigte lediglich, dass Edschmid und Kästner eine Eingabe zur Anerkennung eines eigenständigen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland gemacht hat-
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Kasimir Edschmid an Johannes Tralow [23. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Edschmid. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [15. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes Tralow an David Carver [o. D., vermutlich um den 15. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Carver. Johannes Tralow an David Carver [o. D., vermutlich um den 15. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Carver.
ten,178 und machte wiederholt deutlich, dass das deutsche Problem auf die Agenda für Paris gesetzt sei.179 Untätig auf die Entscheidung des internationalen Exekutivkomitees zu warten, war indes nicht Tralows Sache. Zur optimalen Vorbereitung der Pariser Zusammenkunft verfasste der geschäftsführende Präsident einen Bericht über die Abspaltung im Deutschen P.E.N.,180 der die wesentlichen Etappen der Trennung und insbesondere die Anklagepunkte gegenüber den Sezessionisten subsumierte. Ziel der Darstellung war es weniger, die internationale P.E.N.Gemeinschaft mit sachlicher Hintergrundinformation zu versorgen. Tralow beabsichtigte vielmehr, Verstöße der westdeutschen Ausgetretenen gegen die internationale P.E.N.-Charta zu beweisen und so die internationalen Delegierten gegen das neu gegründete P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland einzunehmen. Zwar beinhalten Tralows Ausführungen keine grundsätzlich falschen Informationen. Die Schlussfolgerungen allerdings demonstrieren die eindimensionale Sichtweise, derer Tralow sich bediente. So beklagte er die aus seiner Sicht fälschlichen Vorwürfe gegen die DDR-Mitglieder ebenso wie die durchaus nachweisbare »Kampagne von Seiten der den Ausgetretenen nahestehenden Presse gegen das legale P.E.N.-Zentrum Deutschland«181 , bei der er selbst als »sowjetzonale Person« abgestempelt worden war. Vor den tieferen Ursachen dieser Anklagen, insbesondere der problematischen Menschenrechtssituation in der DDR und der zunehmenden, ideologisch motivierten Differenz zwischen Ost und West, verschloss er – beseelt vom Gedanken eines einheitlichen deutschen P.E.N.-Zentrums – die Augen. Die Schuld an der Entwicklung im P.E.N.Zentrum Deutschland schrieb Tralow allein den Abspaltern zu. Etwaige alternative Lösungsmöglichkeiten, etwa ein Misstrauensvotum gegen den in Düsseldorf gewählten Vorstand und eine Neuwahl auf einer Mitgliederversammlung im Jahr 1952, seien von den Ausgetretenen nicht in Betracht gezogen worden, »weil sie sich dadurch ihrer in der Ostzone wohnenden Kollegen nicht entledigen könn[t]en«.182 Als Tenor seiner Ausführungen blieb der schwerwiegende Vorwurf an die ausgetretenen West-Mitglieder, »durch einen Kampf gegen ihre in der Ostzone ansässigen Kollegen sowohl Staats- wie Parteipolitik in das Zen-
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Vgl. David Carver an Johannes Tralow [17. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Vgl. David Carver an Johannes Tralow [17. 12. 1951/15. 2. 1952/27. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Johannes Tralow: Bericht über die Abspaltung im Deutschen P.E.N. [20. 12. 1951] [Typoskript]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 349–355. Gedruckt erschien die Darstellung unter dem Titel Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Johannes Tralow: Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N. [20. 12. 1951], S. 4. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Johannes Tralow: Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N. [20. 12. 1951], S. 5. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. 193
trum hinein[ge]tr[a]gen [zu haben] und offensichtlich in den gesamten Internationalen P.E.N. hinein[ ] tragen«183 zu wollen. Zur Untermauerung dieser Vorwürfe kam Tralow die Zuwahl des Bundespräsidenten Theodor Heuss sehr zupass: »Der Beitritt des Staatsoberhauptes der Bundesrepublik Westdeutschland, Theodor Heuß [sic], zu den Ausgetretenen zeigt klar, daß sie sich, bewußt oder verführt, zu einer politischen Kampfgruppe gegen den Osten zusammengefunden haben, für die sie nun den ehrwürdigen Namen des Internationalen P.E.N.-Clubs mißbrauchen wollen.«184 Dass ausgerechnet das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland in den Darmstädter P.E.N. gewählt worden war, wurde auch von dessen Mitgliedern zum Teil mit Skepsis beurteilt. Nach Kästners Beobachtung hatten einige die Wahl als »Schönheitsfehler empfunden […], da diese […], gerade bei der Konstituierung, als Fehdehandschuh aufgefasst werden kann.«185 Sie fürchteten – zu Recht – die Konstruktion einer Parallele zu den Vorwürfen, die in der vorausgegangenen Auseinandersetzung gegen Johannes R. Becher wegen seiner parteipolitischen Funktionen laut geworden waren. Ein persönlicher Brief, den Tralow im Auftrag der Mitgliederversammlung vom 10. Dezember 1951 an den Bundespräsidenten richtete, konkretisierte, was sich im beigefügten Bericht über die Lage im Deutschen P.E.N. andeutete. Tralow bekräftigte in seinem Anschreiben die feste Überzeugung, dass das P.E.N.-Zentrum Deutschland gegenwärtig die »einzige Vertretung« des Internationalen P.E.N. in Deutschland sei; er verweigerte damit der Darmstädter Gruppierung erneut jegliche Daseinsberechtigung. Den Vorwurf staatspolitischer Lenkung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) sprach Tralow zwar nicht explizit aus. In allen Formulierungen aber schwang die Warnung vor den Folgen der implizierten Verknüpfung von Staat und Schriftstellervereinigung mit: Das Zentrum Deutschland des Internationalen PEN-Clubs ist im Hinblick auf seine in der Bundesrepublik ansässigen Mitglieder sehr besorgt. Diese Mitglieder sind durch Ihren Anschluss an eine penmässig gesehen, jedenfalls zur Zeit illegale Gruppe nicht nur in eine Gegnerschaft zu Ihnen auf internationaler Basis gedrängt, sondern müssen auch befürchten, dass die Person ihres Staatsoberhauptes in den Mittelpunkt der in Nizza zu erwartenden sehr heftigen Debatten gezerrt werden wird. Eine Niederlage der Darmstädter politischen Kampfgruppe würde auch eine Niederlage des Bundespräsidenten sein.186
Zugleich aber bekräftigte Tralow sein Vertrauen in den Internationalen P.E.N., der nach seiner Einschätzung einer staatlichen Einflussnahme gegenüber unempfänglich schien: 183
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Johannes Tralow: Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N. [20. 12. 1951], S. 2. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Johannes Tralow: Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N. [20. 12. 1951], S. 5. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [18. 12. 1951].DLA Marbach N: Edschmid Konv. P.E.N. Johannes Tralow an Theodor Heuss [20. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39.
Erinnern Sie sich bitte, Herr Bundespräsident, dass Ihr Eintreten für unsere Darmstädter Kollegen nicht der erste staatsmännische Versuch ist, auf den internationalen PEN-Club von politischer Seite Einfluss zu gewinnen. […] Die Angelegenheit der Darmstädter Gruppe wird nicht in West-Deutschland, nicht von einer westdeutschen Regierung und nicht von einer westdeutschen, finanziell gebundenen Presse entschieden.187
Über die konkrete Absicht von Tralows Schreiben an Heuss kann nur spekuliert werden. Wollte er ihn vor der aus seiner Sicht zu erwartenden Niederlage der westdeutschen Gruppe auf internationaler Ebene warnen? Wünschte er den Rückzug von Heuss aus dem P.E.N. anzuregen? Strategisch gesehen würde dieser dem P.E.N.-Zentrum Deutschland bei einer entsprechenden Diskussion auf der internationalen Exekutivkomitee-Tagung argumentativ weniger genutzt haben als sein Verbleiben. Heuss sah die Angelegenheit eher gelassen; er maß dem P.E.N. im Gegensatz zum politischen Tagesgeschäft einen geringeren Stellenwert bei und wünschte, seine P.E.N.-Mitgliedschaft in erster Linie als literarische, kaum als politische Angelegenheit verstanden zu wissen. Durch seinen persönlichen Referenten ließ er Tralow mitteilen, daß er ja nun bei seiner außerordentlichen Inanspruchnahme zeitlich gar nicht in der Lage ist, sich in die Einzelauseinandersetzungen der P.E.N.-Gruppen hinein zu begeben. Er macht Sie aber darauf aufmerksam,daß er, der er 18 Jahre lang in der Leitung des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller tätig gewesen ist, dem P.E.N.-Club nicht als Bundespräsident, sondern als ›Essayist‹ angehört. Die Vorstellung, daß die Auseinandersetzungen, die Sie in Nizza erwarten, sich um die Figur des Bundespräsidenten drehen werden, erscheint ihm paradox wenn nicht burlesk.188
Auf Heuss’ Antwortbrief reagierte Tralow mit einer Mischung aus Genugtuung und einer gewissen Selbstgefälligkeit: »Er scheint sich schrecklich geärgert zu haben, sonst hätte er sich weder so unlogisch noch so ungezogen geäußert. Den Brief lege ich natürlich in Paris vor und ich glaube ihn daraufhin auch als schriftstellerisch noch keineswegs P.E.N.-reif bezeichnen zu dürfen.«189 Welche Wirkung Tralow sich von diesem Vorhaben erhoffte, bleibt zweifelhaft. De facto setzte er das Vorhaben nicht in die Tat um. Im Zusammenhang mit der Broschüre zur Lage im Deutschen P.E.N. muss darauf verwiesen werden, dass Tralow auf eine sorgfältige strategische Vorbereitung der entscheidenden Exekutivkomitee-Tagung in Paris bedacht war. Um mit seinem Bericht alle internationalen P.E.N.-Zentren ansprechen zu können, erachtete er fremdsprachige Übersetzungen des Textes für notwendig. Finanzierung und Organisierung dieses Vorhabens überließ Tralow weitestgehend dem Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, jedoch nicht, ohne differenzierte Vorstellungen geäußert zu haben. Sein dortiger 187 188
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Johannes Tralow an Theodor Heuss [20. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 86 M 39. Hans Bott [Persönlicher Referent des Bundespräsidenten, Theodor Heuss] an Johannes Tralow [18. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 46 Konv. Heuss. Johannes Tralow an Wolfheinrich von der Mülbe [1. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. von der Mülbe. 195
Ansprechpartner Carlfriedrich Wiese teilte den Bundessekretären Wendt und Abusch mit: Tralow wünscht, daß dieser Bericht ins englische und französische übersetzt wird und eine Reihe von Exemplaren an alle ausländischen PEN-Zentren versandt wird, wobei er vorschlägt,den Versand in die Volksdemokratienund an die in der DDR wohnenden Mitglieder des Deutschen PEN-Zentrums von hier aus vorzunehmen. Alles andere will er von München aus veranlassen.Ich schlage vor, über den Bericht kurz in der nächsten Sekretariatssitzung zu sprechen.190
Tralows Darstellung zur Lage im deutschen P.E.N. akzeptierte man ohne Beanstandungen und so gelangte der Bericht unverändert, aber mit zeitlicher Verzögerung in den Druck und lag im Januar 1952 vor. Erst jetzt sandte Tralow seinen Brief an Heuss ab, der ursprünglich ebenso wie die Denkschrift auf den 20. 12. 1952 datiert worden war.191 Man hatte für das Prestige des P.E.N.-Zentrums keine Kosten gescheut: »Ich habe die Berichte drucken lassen, mir schien das PEN-würdiger als Rotaprint-Abzüge«192 , teilte Wiese am 10. Januar 1952 mit. Im selben Schreiben formulierte Wiese regelrechte Arbeitsanweisungen, die Becher ihm zur Weitergabe an Tralow aufgetragen hatte; sie betrafen vor allem differenzierte Angaben zur Berechnung des Kostenaufwands für die Arbeit des P.E.N.-Zentrums, mit dem der Kulturbund als Geldgeber zu rechnen haben würde: 1. Die neu in den PEN gewählten Mitglieder schnellstens zu bestätigen. Liste mit Anschriften liegt bei. […] 2. Baldmöglichst eine exakte Kalkulation der geplanten Zeitschrift zu übersenden. Die seinerzeit von uns gemeinsam über den Daumen gepeilte Kalkulation muss natürlich durch konkrete Angaben eines geeigneten Druckers unterstützt werden. 3. Eine Kalkulation des PEN-Aufwands für 1952 zu erreichen, wie er nach ihrer Ansicht mindestens benötigt wird.193
Deutlich wird hier, dass die Belange des P.E.N.-Zentrums Deutschland in enger Kooperation mit dem Kulturbund behandelt wurden. Die Verantwortlichen des Kulturbunds waren umfassend über die Unternehmungen des geschäftsführenden Präsidenten informiert; er war zur Rechenschaft über seine Unternehmungen verpflichtet. Inwieweit die Bundessekretäre zu diesem Zeitpunkt allerdings Einfluss auf die Entscheidungen nahmen, ist schwerlich abzuschätzen. Die wenigen Belege, die es für die Zusammenarbeit gibt, deuten vor allem auf die bereits erwähnte finanzielle, z. T. auch organisatorische Unterstützung hin. Von Januar 1952 an erhielt Tralow unregelmäßige Zahlungen »für die Bestreitung der Organisationsauslagen«, die im Durchschnitt monatlich 500,- DM betrugen. Ab Juli 190
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Carlfriedrich Wiese an Erich Wendt und Alexander Abusch [15. 12. 1951]. SAPMOBArch DR 1/7867, Bl. 348. Johannes Tralow an Theodor Heuss [15. 1. 1952] [Abschrift]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 347a. Carlfriedrich Wiese an Johannes Tralow [10. 1. 1952]. SBBPK NL Tralow K 58 Konv. Wiese. Carlfriedrich Wiese an Johannes Tralow [10. 1. 1952]. SBBPK NL Tralow K 58 Konv. Wiese.
1952 sollte nach einer Ankündigung von Wiese die monatliche Auszahlung dieses Betrages veranlasst werden. »Über die Verwendung der Organisationsgelder« wurde von Tralow eine »kurze Abrechnung [verlangt], die [er] am besten persönlich mitbringen oder auf eine andere [ihm] zweckmässig erscheinende Weise übermitteln«194 sollte. Die Gründe dafür, dass Tralow die Zusammenarbeit mit dem Kulturbund nicht nur billigte, sondern dankbar annahm, stehen sicherlich im Zusammenhang mit seiner – vielfach belegten – chronischen Geldnot. Gepaart mit der desolaten Finanzlage des P.E.N.-Zentrums Deutschland, dessen Erhalt als gesamtdeutsche Schriftstellervereinigung Tralow ganz offensichtlich zu einer Herzenssache, mehr noch zu einer fixen Idee, geworden war, kam die Handreichung des Kulturbunds für den Schriftsteller aus der Bundesrepublik Deutschland gelegen. Unbestritten nahm Tralow die Annehmlichkeiten der Verbindung mit dem Kulturbund, etwa finanzierte Ferienaufenthalte in der Künstlerkolonie Ahrenshoop195 , gern in Anspruch und profitierte späterhin auch beim Verlegen seiner Bücher in der DDR von den aus seiner Tätigkeit als P.E.N.-Präsident erwachsenen Kontakten zu kulturpolitischen Entscheidungsträgern und Verlegern. Seine Position innerhalb der beiden deutschen Staatsgefüge allerdings ist ambivalent zu beurteilen. Im Grunde wurde Tralow zu einem Wanderer zwischen zwei Welten: Seinen Wohnsitz in Gauting gab er nicht auf, verbrachte aber einen Großteil seiner Zeit in der Berliner Zweitwohnung. Als überzeugter Kommunist ist Tralow ganz sicher nicht anzusprechen, eine Einordnung als williger »fellowtraveller« fällt ebenso schwer. Nach der Spaltung des deutschen P.E.N.-Zentrums gehörte Tralow zu jenen, die weiterhin an die Überwindung des Ost-WestKonflikts, mindestens auf literarischem Gebiet, glaubten. Neutralisten aber, die sich nicht eindeutig für eine Seite entscheiden wollten, hatten es in der Bundesrepublik Deutschland schwer. In einem Rückblick auf die Zeit nach der Wahl zum geschäftsführenden Präsidenten des P.E.N.-Zentrums Deutschland resümierte Tralow seine Situation in einer autobiographischen Skizze bitter: »Das Durchhalten war auch nicht leicht, und als ich, der einzige westdeutsche Schriftsteller, der im Vorstand zurückblieb, mich umsah, befand ich mich unter den Trümmern meiner Existenz. Es gab viele Leute, die mich tapfer nannten, aber keinen Freund, der mich nicht bedauerte.«196 Tralow deutet hier auch die negativen Auswirkungen seiner P.E.N.-Aktivitäten auf seine Tätigkeit als Schriftsteller in der Bundesrepublik an. Dass sein Ende der fünfziger Jahre verfasster Bericht völlig dem Denken in den Kategorien des Kalten Krieges verhaftet war, sei explizit verdeutlicht: »Ein amerikanischer Boykott ist wie das Lynchen von Negern. Er geht auf die Vernichtung aus. […] So sieht ein Bonner Boykott nach amerikani-
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Carlfriedrich Wiese an Johannes Tralow [9. 6. 1952]. SBBPK NL Tralow K 58 Konv. Wiese. Amtliches Ostseebad Ahrenshoop, Badeort und Künstlerkolonie nördlich von Rostock, Mecklenburg-Vorpommern. Tralow: Gelebte Zeit, S. 72. 197
schem Muster aus. Die grobschlächtigen Versuche der weiland amerikanischen ›Neuen Zeitung‹, mich als Schriftsteller herabzusetzen, rechne ich nicht mit.«197 In der DDR stand man den Befürwortern einer deutschen Einheit Anfang der fünfziger Jahre offener gegenüber, befand man sich doch im Grundziel, wenngleich mit anderen Vorzeichen, in Einklang. Die Mischung aus problematischer Auftragslage in der Bundesrepublik, daraus resultierenden finanziellen Schwierigkeiten und scheinbarer Übereinstimmung der Zielvorstellung dürften Tralow von einer Zusammenarbeit mit den kulturpolitischen Institutionen der DDR überzeugt haben. Dass er sich damit mindestens zum Teil in Abhängigkeit einer staatlich kontrollierten Massenorganisation der DDR begab, dürfte Tralow sehr wohl bewusst gewesen sein. Gleichwohl sind Belege für eine direkte Einflussnahme der Kulturfunktionäre auf Tralows Arbeit für das P.E.N.-Zentrum Deutschland kaum nachweisbar. Tralow erscheint in seinem weiteren Handeln vor allem orientiert an seiner Zielvorstellung eines gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrums.
4.4
Pariser Exekutive (März 1952) und Nizzaer Kongress (Juni 1952): Die Entscheidung der »querelles allemandes« im Internationalen P.E.N.
Der Internationale P.E.N. hatte sich bis dahin weitestgehend aus den deutschen Angelegenheiten heraus gehalten. Dies war vor allem darauf zurück zu führen, dass die Spaltung des deutschen P.E.N.-Zentrums in eine Phase der Neuorganisation im Internationalen P.E.N. gefallen war. Der langjährige Generalsekretär, Herman Ould, war im September 1951 »überaus schwer erkrankt«198 und noch im selben Monat gestorben. Schon während seiner Erkrankung hatten die internationalen Vize-Präsidenten und der Generalsekretär der Maison Internationale (Paris) die laufenden Angelegenheiten provisorisch übernommen.199 Robert Neumann, der sich als einer der Vize-Präsidenten der deutschen P.E.N.-Frage angenommen und bereits nach Lausanne als Berater Bechers betätigt hatte,200 teilte im Oktober 1951 mit, dass man sich entschlossen habe, den Posten des internationalen Generalsekretärs zunächst unbesetzt zu lassen und die Fortführung der Geschäfte aufzuteilen. Seine Aufgabe sei nun u. a. die Betreuung der Burman-Connolly-Resolution, die in Lausanne für Auseinander-
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Tralow: Gelebte Zeit, S. 72f. Robert Neumann an Johannes R. Becher [8. 9. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 3793. Vgl. Robert Neumann an Johannes R. Becher [8. 9. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 3793. Vgl. Robert Neumann an Johannes R. Becher [8. 9. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 3793.
setzungen gesorgt und den Konflikt im deutschen P.E.N. offen gelegt hatte.201 Nach dem Düsseldorfer Eklat hatte Becher einen knappen Bericht an Neumann gesandt, der die wesentlichen Fakten als bekannt voraussetzte und als wichtigstes Ziel der Gruppierung um Becher und Tralow nannte: »Wir werden arbeiten.«202 Neumanns Antwort demonstrierte, dass man in London über die genauen Vorgänge im deutschen P.E.N. nicht hinreichend orientiert war. Aus diesem Grund schlug Neumann einen offiziellen Bericht an den Internationalen P.E.N. vor, dem »[e]twaige Anträge (bezgl. Affiliation eines neuen ostdeutschen Zentrums – es sei denn, dass Ihr jetzt das alte Zentrum habt und die Westdeutschen ein neues wollen; ich kenne ja nicht den Tatbestand)«203 beigefügt werden sollten. Eine ähnliche Äußerung wolle man auch von den ausgetretenen Mitgliedern aus der Bundesrepublik erbitten. Die »Sache« werde auf die Tagesordnung der internationalen Exekutivkomitee-Sitzung in Paris (März 1952) gesetzt, die letztendliche Entscheidung könne aber erst der im Juni 1952 tagende internationale Kongress (Nizza) fällen. Neumann selbst stellte sich nicht generell gegen eine Spaltung des P.E.N.Zentrums Deutschland in zwei Gruppen; allerdings war ihm an der Schaffung eines verbindenden Gliedes – »eine Art Senat als Dachorganisation«204 – zwischen beiden Teilen gelegen. Völlig autarke deutsche Gruppierungen ohne jeglichen organisatorischen Zusammenhang wurden demnach von Neumann abgelehnt; dies entsprach seiner Hoffnung auf eine Entschärfung des ideologischen Konflikts zwischen Ost- und Westdeutschland. Seine Vorstellungen hatte Neumann auch an Kästner weiter gegeben; dieser urteilte abschlägig: »Der Plan eines ›Senats‹ hat kaum Sinn. Da hätten wir alle Schwierigkeiten nur ein Stockwerk höher, im Dachgeschoß. Außerdem glaube ich nach wie vor, daß die Tralowgruppe keine 20 Mann zusammenbringt.«205 Auch Tralow bewertete eine solche Regelung negativ: »[D]ie Aufteilung des Zentrums Deutschland in zwei selbständige Körper wäre praktisch die Anerkennung eines West- und eines OstP.E.N. […] Brecht sollte Präsident des Ostens und Kästner Präsident des Westens werden, während über den Wassern Friedmann als Ehrenpräsident schweben würde.«206 Offenbar hatte auch Becher die regionale Aufteilung des P.E.N.Zentrums Deutschland vorgeschlagen, stieß damit aber auf Tralows Ablehnung: »[I]ch [kenne] die Geschichte des P.E.N. gut genug, um nicht zu wissen, daß bis jetzt jeder föderative Versuch innerhalb eines Zentrums zu einem neuen suve201
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Vgl. Robert Neumann an Johannes R. Becher [20. 10. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11954. Johannes R. Becher an Robert Neumann [29. 10. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11970. Robert Neumann an Johannes R. Becher [2. 11. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11974. Robert Neumann an Johannes R. Becher [2. 11. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11974. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [5. 11. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. PEN. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [8. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. 199
ränden [sic] Zentrum geführt hat. […] [D]er Vorschlag von Ihnen wäre die glatte Kapitulation und würde von den andern damit beantwortet werden: ›Wir sind bereit, aber Becher darf nicht Ostpräsident sein.‹«207 Tralow ging es darum, das P.E.N.-Zentrum Deutschland mit Mitgliedern aus Ost und West zu erhalten. Explizit verwiesen werden muss darauf, dass sich in dieser Stellungnahme Neumanns ganz persönliche Ansicht widerspiegelte. Wie sich der Internationale P.E.N. in seiner Gesamtheit zu den »querelles allemandes« stellen würde, blieb abzuwarten. Neumann versäumte jedoch nicht, auf die zu erwartenden Schwierigkeiten hinzuweisen: »Das Hauptproblem, das wir haben werden, ist der Widerstand der lateinischen Zentren (vor allem Frankreichs) dagegen, den Deutschen nun gar drei Stimmen zu geben, während Frankreich nur eine hat. Aber ich lasse die Revision der Stimmberechtigung fiktiver Zentren ohne wirkliches Eigenleben auf die Tagesordnung stellen.«208 In Vorbereitung des Nizzaer Kongresses riet Neumann, »schon jetzt […] den Kontakt mit den wichtigen nationalen Zentren auf[zu]nehmen und den Boden für Ihre Anträge vor[zu]bereiten.«209 So wie Neumann sich als wohl gesonnener Berater des ursprünglichen P.E.N.Zentrums Deutschland betätigte, engagierte sich der Präsident des P.E.N.-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland, Richard Friedenthal, unmittelbar nach der Düsseldorfer Tagung als Fürsprecher der zu konstituierenden West-Gruppe: »Ich habe inzwischen schon verschiedene Briefe nach London geschrieben und versucht, dort etwas Klarheit über die Situation zu schaffen. Leider ist die Sache durch Oulds Tod sehr erschwert. Und ausserdem will niemand recht auf diese querelles allemandes hören. Immerhin wir versuchen es.«210 Während Neumann die Existenz zweier deutscher Zentren durchaus als gangbare Lösung ansah, schien Friedenthal als erklärter Gegner der Ost-Zentren auf das Scheitern der »Rumpfgruppe« zu hoffen, um der westdeutschen Initiative den Weg zur internationalen Anerkennung zu ebnen: Es wird sich vermutlich recht bald aufklären, wer wo steht. Damit dürfte auch das Kardinalproblem gelöst sein: kann die Ostgruppe überhaupt 20 Mitglieder zusammenbringen? Wenn nicht, dann wäre sie beschlussunfähig und könnte nicht den Anspruch erheben, das ›PEN-Zentrum Deutschland‹ zu repräsentieren. Denn Zuwahlen dieser Rumpfgesellschaft hätten auf keinen Fall Gültigkeit. Etwas schwieriger liegt der Fall, wenn sie doch Zuzug aus dem Westen erhalten. Dann bleibt nur übrig, die Westgruppe so stark wie möglich zu machen und – wie ich schon in Düsseldorf sagte – durch intensive und positive Arbeit vor dem internationalen PEN als die Gruppe zu legitimieren, die wirklich im Sinne der Charter etwas tut und nicht nur politisiert.211 207
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Johannes Tralow an Johannes R. Becher [8. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Robert Neumann an Johannes R. Becher [2. 11. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11974. Robert Neumann an Johannes R. Becher [2. 11. 1951]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 11974. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [30. 10. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [30. 10. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.
Einen knappen Monat später konnte Friedenthal keinen Fortschritt in der Sache vermelden. Alles sei weiterhin in der Schwebe. Zur Stimmungslage innerhalb der internationalen Exekutive habe er »nichts Authentisches erfahren können«212 : »Nach Oulds Tod herrscht Lähmung. Unser Freund Robert Neumann hat zunächst einmal die Behandlung des ›deutschen Streites‹ als seine Domäne erklärt …«213 . Nach der konstituierenden Sitzung der Darmstädter Gruppe, die eine internationale Entscheidung der deutschen Frage unumgänglich gemacht hatte, spöttelte Friedenthal über das Exekutivkomitee: »Ich kenne die Herren: sie zittern davor, in den ›Gegensatz‹ hineingezogen zu werden, und der eine oder andere unter ihnen könnte befürchten, die Bestätigung möchte auch als eine solche unserer – etwas sub linea vorhandenen – Polemik missdeutet werden.«214 Spätestens im Dezember 1951 übernahm der bisherige Schatzmeister des englischen P.E.N.-Zentrums, David Carver, zunächst interimistisch die Geschäfte des Internationalen P.E.N.,215 bevor er auf der Pariser Exekutive als internationaler Generalsekretär bestätigt wurde.216 Als ursprünglicher Gegner bekannte sich Robert Neumann schließlich doch zu Carver; man habe Carver »unter Überwindung [s]einer Opposition« gewählt: Ich wollte der bunten Reihe zuliebe mal einen Franzosen, aber, so stellte sich heraus, ich hatte unrecht, die anderen hatten recht. Denn Carver erwies sich als noch sicherer gegen literarische Ressentiments gefeit als Ould […]; er ist ein höchst repräsentativer, weltläufiger Mann, hochgewachsen, rotgesichtig (ein Kavallerist? Ein Denker? was Bedeutendes jedenfalls!) – und hat mit all diesen Vorzügen und seinem Ehrgeiz und hohen Ernst den PEN auf Höhen emporgeführt, von denen sich nicht einmal die verbrüderungs-träumerische Dawson-Scott [Begründerin des P.E.N.-Clubs] etwas hätte träumen lassen, als sie zum erstenmal in ihr Waldhorn stieß. Es sind die besten Eigenschaften des konservativen Britentums – gleiche Rechte für Bantu und Eskimo, für Jud und Christ und sogar Kommunist –, immer vorausgesetzt, daß die andere Seite ebenfalls die Spielregeln dieser Internationalität bewahrt.217
Mit Carver stand auf internationaler Ebene wieder ein direkter Ansprechpartner für die Belange der beiden deutschen Konfliktparteien zur Verfügung. Bei ihm liefen im Nachgang der Mitgliederversammlungen in Darmstadt und Berlin die diversen Anträge, Erklärungen und Memoranda der deutschen P.E.N.Gruppierungen und ihrer Wegbereiter ein; diese Schriften zielten allesamt darauf
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Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [26. 11. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [26. 11. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [17. 12. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [27. 12. 1951 und 30. 1. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. [Johannes Tralow]: Bericht über die Sitzung des Exekutiv-Komitees vom 11. und 12. März in Paris [17. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 86 M 40. Robert Neumann: Ein leichtes Leben. Bericht über mich selbst und Zeitgenossen. Berlin und Weimar 1975, S. 75f. 201
ab, die Legitimität des eigenen Zentrums zu beschwören und die Existenzberechtigung des Gegenübers in Abrede zu stellen.218 So hatte Tralow nach der erfolgten Konstituierung des Deutschen P.E.N.Zentrums (Bundesrepublik) umgehend Einspruch beim Generalsekretariat des Internationalen P.E.N. erhoben 1.) wegen der Fuehrung des Titel ›Deutsches P.E.N.-Zentrum‹, wozu einzig und allein das von mir vertretene PEN-Zentrum Deutschland authorisiert ist, 2.) gegen eine kuenftige Zulassung; vor allem dagegen, dass eine Zulassung vor dem Entscheid des kuenftigen internationalen Kongresses in Nizza von irgend einer anderen Stelle erfolgt.219
Die Wirkung seines Protestes schätzte Tralow recht optimistisch ein, weil die Austrittsbegründung,mit Kommunisten nicht an einem Tisch sitzen zu wollen, der Pen-Charter widerspricht. Aber so richtig das auch ist, so kommt es doch zuletzt nur auf eine Machtfrage an. Leider! Doch gerade das scheint mir den Ausgetretenen wenig Chancen zu geben. Für den Satz: ›Kommunisten raus aus dem PEN!‹ dürfte sich kaum noch eine Mehrheit finden.220
Bestens informiert über die Ansichten des interimistischen Generalsekretärs zeigte sich Wilhelm Sternfeld, der sich wie Friedenthal schon unmittelbar nach der Düsseldorfer Tagung dazu berufen fühlte, auf internationaler Ebene als Fürsprecher und Ratgeber des neu gegründeten P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik zu wirken.221 Sternfeld hatte sogleich die »Bearbeitung der massgebenden Persoenlichkeiten«222 im Internationalen P.E.N. in Angriff genommen. Interne Information floss durch seine Feder auf direktem Wege zum bundesdeutschen Generalsekretär Edschmid. So ließ Sternfeld nach einer Unterredung mit Carver verlauten, dieser schätze die »Vorstandswahl in Düsseldorf zweifellos legal, wenn auch hoechst bedauernswert«223 ein. Nach Carvers Ansicht sei das »alte PEN-Zentrum Deutschland im Augenblick das rechtlich anerkannte«224 . Kritik habe er hingegen an der Art und Weise geübt, in der das neue Zentrum gegründet worden sei. Allerdings schätzte Sternfeld die Chancen positiv ein, 218
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Vgl. u. a. Richard Friedenthal: Briefentwurf Deutsches P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) an den Internationalen P.E.N. [o. D.]. Anhang zu einem Brief von Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [13. 1. 1952], sowie Richard Friedenthal: Memorandum about the present situation of the PEN inside Germany [2. 3. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Johannes Tralow an David Carver [6. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Carver. Johannes Tralow an Günther Weisenborn [17. 11. 1951]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Weisenborn. Vgl. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [28. 10. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [18. 11. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [20. 12. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [20. 12. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.
dass die Aufteilung des deutschen P.E.N. in ein »West- und ein Ost-Zentrum«225 vom internationalen Sekretär unterstützt werden würde. In der Folge entwickelte Sternfeld nicht nur Strategien für die Durchsetzung der Sezession vor der internationalen Exekutive,226 sondern formulierte späterhin ausgeklügelte Richtlinien, die das Nebeneinander zweier deutscher P.E.N.-Zentren nach seiner Ansicht regeln könnten.227 Auf der Zusammenkunft des Exekutivkomitees in Paris vom 11. bis 12. März 1952 trafen die Konfliktparteien schließlich aufeinander. Als Vertreter des P.E.N.-Zentrums Deutschland war Johannes Tralow erschienen. Das neu gegründete P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik wurde durch Hermann Friedmann vertreten, nachdem Kästner seine Teilnahme abgesagt und Friedmann aufgrund seiner langen P.E.N.-Erfahrung als den »Geeignetste[n] für die Pariser Mission«228 empfohlen hatte. Verwiesen sei auf die Anwesenheit der von Seiten des Internationalen P.E.N. in der Frage des deutschen Clubs besonders engagierten Mitglieder Friedenthal und Neumann, zwischen denen es – laut Friedmann – »zu einiger Schärfe«229 gekommen war. Neumann sei »überhaupt ›ambivalent‹ [gewesen] – und dann (diplomatisch?) erkrankt: er erschien nicht zur Abstimmung.«230 Diesen zwiespältigen Eindruck vermitteln auch andere Quellen. In seinem Schreiben an Becher hatte Neumann, wie bereits dargelegt, zwar eine regionale Aufteilung des deutschen P.E.N. grundsätzlich befürwortet. Eine konsequent zweigeteilte P.E.N.-Kultur in Deutschland wurde jedoch von ihm abgelehnt. Neumanns Rat an Tralow zielte darauf, in Paris die Darmstädter Gruppe ohne weiteres anzuerkennen, »weil alles andere nur böses Blut machen würde«.231 In den Verhandlungen unterstützte Neumann jedoch Tralows Position; er hatte für die Aufrechterhaltung der Einheit und somit gegen ein zweites deutsches Zentrum plädiert. Bereits auf der Lausanner Tagung hatte Neumann auf Seiten der Mitglieder aus der DDR operiert. Hilde Spiels Erinnerungen liefern eine Einschätzung Neumanns, die seiner Persönlichkeit im Hinblick auf die Aktivitäten im P.E.N. wenig schmeichelt und für die weiteren Betrachtun225
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Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [20. 12. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [20. 12. 1951]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid [24. 1. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [29. 1. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [14. 3. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [14. 3. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Richard Friedenthalan Kasimir Edschmid [24. 4. 1952].DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Neumann »versuchtein Paris kräftig gegen mich zu stänkern,verschwand dann aber am zweiten Verhandlungstag hinter den Kulissen, als er sah, dass es ihm damit nicht glückte. Wenn ich mehr Zeit und Lust zu solchen Dingen hätte, würde ich ihn von seinem Vizepräsidentensessel herunterrutschen lassen. Er stiftet nur Unfug.« [Johannes Tralow]: Bericht über die Sitzung des Exekutiv-Komitees vom 11. und 12. März in Paris [17. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 86 M 40. 203
gen immer wieder kritisch in Betracht gezogen werden muss: »Nicht jedem war klar gewesen, daß Robert Neumann, aus reiner Lust an der Intrige, in geheimer Wühlarbeit die Sache der Kommunisten zu fördern versucht hat. Doch David Carver, Nachfolger von Herman Ould als Generalsekretär, sagt allen, die es hören wollen, lachend: ›Robert was the snake in the grass.‹«232 Auf der Pariser Tagung hatte Johannes Tralow den Redebeitrag von Richard Friedenthal als besonders feindselig, als »große[n] Angriff«233 gegen das ursprüngliche P.E.N.-Zentrum Deutschland empfunden. Schon im Vorfeld der Exekutive hatte Friedenthal aktiv auf die Vorarbeiten des Deutschen P.E.N.Zentrums (Bundesrepublik) eingewirkt; er bereitete ein erklärendes Gespräch mit Carver vor und drängte auf die Abfassung eines »Memorandum[s] über die Vorgänge, die zur Trennung führten«234 . Weiterhin riet er, die »Aktivlegitimation der Ostler«235 vehement in Frage zu stellen: »Vor allem sollte man doch dem Anspruch der Ostleute entgegentreten, dass sie nach wie vor das Gesamtdeutsche PEN-Zentrum seien. Ebenso fragwürdig ist ihre Behauptung, sie seien von der ›internationalen Leitung‹ sanktioniert. Das stimmt nicht.«236 Vor dem Exekutivkomitee solle man deshalb »in Sachen Becher/Gruppe nicht zu fein sein«.237 Tatsächlich zielte Friedenthal auf die Schwachstellen der Gruppierung um Tralow und Becher. Er monierte die laut Statuten zu geringe Mitgliederzahl an der Versammlung vom 10. Dezember 1951; diese sei daher ebenso wie die dort vorgenommenen Zuwahlen nicht rechtsgültig.238 Friedenthal hoffte auf diese Weise der Bestätigung des gesamtdeutschen Anspruchs entgegen zu wirken, den der Vorstand des ursprünglichen P.E.N.-Zentrums Deutschland unentwegt beschwor, und damit die Chancen auf Anerkennung einer bundesdeutschen Sektion zu erhöhen: Der internationale P.E.N.-Präsident »Membré [hätte] an zwei deutschen Zentren, jedes mit eignen Delegierten, das Gegenteil von Interesse […]. Vor allem für Abstimmungen. Denn die Londoner Gruppe deutscher Autoren [ist] ihm aus gleichem Grund ein Dorn im Hühnerauge.«239 Friedenthals Einschätzung der Situation beruhte nicht auf Spekulationen. Tatsächlich gab es konkrete Bestrebungen, eine Auflösung des P.E.N.-Klubs 232 233
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Spiel: Welche Welt, S. 123. [Johannes Tralow]: Bericht über die Sitzung des Exekutiv-Komitees vom 11. und 12. März in Paris [17. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 86 M 40. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [27. 12. 1951]. DLA Marbach N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [30. 1. 1952]. DLA Marbach N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [30. 1. 1952]. DLA Marbach N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner gab Friedenthals Ansichten weiter an Kasimir Edschmid [29. 1. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. [Johannes Tralow]: Bericht über die Sitzung des Exekutiv-Komitees vom 11. und 12. März in Paris [17. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 86 M 40. Vgl. weiterhin Erich Kästner an Kasimir Edschmid [29. 1. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [29. 1. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.
Deutschsprachiger Autoren im Ausland zu bewirken. Ausgerechnet das P.E.N.Zentrum Deutschland hatte einen gleich lautenden Antrag auf seiner Berliner Zusammenkunft vom 10. Dezember behandelt, der von Hans Henny Jahnn nach einvernehmlicher Aussprache mit Membré gestellt worden war.240 Zwar war dieses Ansinnen laut Protokoll zurück gestellt worden. Im Januar 1952 richtete Tralow jedoch an Becher die Bitte, ein anderes Zentrum zur Antragstellung auf Streichung des »Emigranten-Zentrums« zu veranlassen: »[D]as Vorliegen eines solchen Antrags würde unsere Verhandlungsposition sehr stärken.«241 Mutmaßlich spekulierte Tralow auf die Aktivierung eines der östlichen P.E.N.-Zentren, die nach seiner Ansicht »nicht von [München] aus bearbeitet werden soll[t]en, sondern selbstverständlich von [Becher]«242 . Auch eine generelle »Verstärkung« durch die Ost-Zentren auf der Exekutive in Paris hielt Tralow für »überaus wünschenswert«.243 Über den Streichungsantrag, den man nicht selbst stellen, jedoch unterstützen wollte, hatte Tralow auch Carver in Kenntnis gesetzt.244 Mitte Februar beantragte Tralow in einem Schreiben an Carver als Tagesordnungspunkt für die Nizzaer Tagung im Namen des P.E.N.-Zentrums Deutschland schließlich doch die Auflösung des P.E.N.-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland.245 Dieses Ansinnen drang zu Friedenthal durch und verstärkte dessen Aggression gegen die Tralow-Becher-Gruppierung und Tralow persönlich, die in einem Beschwerdebrief an Tralow unmissverständlich zum Ausdruck kam.246 Auch Sternfeld zeigte sich empört: 240
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Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow [7. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 47 Konv. Jahnn. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [19. 1. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [5. 1. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [26. 1. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Vgl. Johannes Tralow an David Carver [o. D., vermutlich um den 15. 12. 1951]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Carver. Vgl. Johannes Tralow an David Carver [15. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Carver. Vgl. Richard Friedenthal an Johannes Tralow [29. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 44 Konv. Friedenthal. Friedenthal stellte in seinem Brief nicht nur die Existenzberechtigung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Frage. Er griff Tralow auch wegen der im Zusammenhang mit der Wiederbegründung des deutschen P.E.N.-Zentrums nach 1945 aufgetauchten Frage an, ob Tralow dem Vorstand des gleichgeschalteten P.E.N.Zentrums 1933 angehört und welche Position er während der Zeit des Nationalsozialismus eingenommen habe, um diese als Druckmittel gegen Tralow zu verwenden. Der Internationale P.E.N. hatte die Angelegenheit damals auf sich beruhen lassen. Friedenthal ergänzte: Man behalte sich vor, »gegebenenfalls diese Angelegenheit zur Sprache zu bringen, so peinlich und unsympathisch uns das wäre«. Tralow reagierte auf diesen Angriff, auf den »sehr frechen Brief von Friedenthal [gelassen], in dem unsere Rechtmäßigkeit angezweifelt wird. Außerdem will er die olle Kamelle, ich sei Nazi gewesen, wieder aufwärmen. Damit dürfte er kein Glück haben und mir nur in die Hände spielen. Übrigens standen Rudolf Pechel und Müller-Jabusch, der große Kommunistenfresser, mit vielen andern auf der gleichen Liste, die von den Nazis ausgebrütet worden 205
Dieser Antrag ist ein richtiger Dolchstoss, der allerdings wohl sein Ziel nicht erreichen wird. Waehrend wir alle uns bisher bemueht haben, Gehaessigkeiten gegeneinander nicht vor die Oeffentlichkeit zu bringen, scheut sich das PEN-Zentrum Deutschland und sein Generalsekretaer nicht, den Antrag auf Aufloesung der Organisation zu stellen, der der neue deutsche P.E.N. in Wahrheit seine Existenz zu verdanken hat.247
In Paris wurde der Antrag der Becher-Tralow-Gruppe letztlich abgelehnt, ebenso wie das Ansinnen von Axel Eggebrecht, Hans Erich Nossack und Günther Weisenborn, als eine weitere deutsche Gruppe anerkannt zu werden.248 Das internationale Exekutivkomitee fällte nach Anhörung der Kontrahenten ein diplomatisches Urteil; man beschied beiden Gruppen ihre vorläufige Existenzberechtigung. »Mit 15 Stimmen gegen 4 bei 2 Enthaltungen«249 wurde die Trennung akzeptiert. Die Nach- und Zuwahlen des P.E.N.-Zentrums Deutschland wurden anerkannt, dem neu gegründeten Deutschen P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) bewilligte man ein »›Provisorium‹ bis 1953«250 . Nach Darstellung der Zeitschrift Deutsche Woche, die in der DDR erschien, hatte man sich »unter dem verschiedentlich in Gesprächen aufgetauchten Aspekt, die Wiedervereinigung Deutschlands könne in Jahresfrist Realität werden, zu einer vorübergehenden Lösung der Angelegenheit«251 entschlossen. Tralow beschwor die »Verteidigung [d]es Gesamtdeutschen P.E.N.-Clubs«, eine Aufspaltung des deutschen P.E.N.-Clubs gemäß der staatlichen Zweiteilung sei gescheitert; er konstatierte: Es gibt keinen Ost- und West-P.E.N., sondern es gibt einen Gesamtdeutschen P.E.N.Club mit Sitz in München und einen deutschenP.E.N. (Bundesrepublik)mit dem Sitz in Darmstadt. Die erhoffte Trennung ist durch unseren P.E.N.-Club also vereiteltworden. Der Gedanke der Einheit wird immer durch uns wirksam vertreten.252
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war.« Johannes Tralow an Johannes R. Becher [8. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Wilhelm Sternfeld an Johannes Tralow [22. 2. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [13. 3. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Da es sich um eine Gruppierung Hamburger Autoren handelte, lag die Vermutung nahe, dass auch Hans Henny Jahnn sich einer solchen anschließen wollte. Nach Tralows Versicherung gehörte Jahnn jedoch nicht zu den »Abtrünnigen«. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [27. 3. 1952].SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid [12. 3. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. auch Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [13. 3. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Gegen eine Aufspaltung hatten nach Friedenthals Bericht die Vertreter des französischsprachigen P.E.N.-Zentrums Belgiens, des P.E.N.-Zentrums der Niederlande, Indiens und Tralow gestimmt. Vgl. Johannes Tralow an Hans Henny Jahnn [17. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 33 Konv. Jahnn. Vgl. hierzu auch [Johannes Tralow]: Bericht über die Sitzung des Exekutiv-Komitees vom 11. und 12. März in Paris [17. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 86 M 40. [o. V.]: Gesamtdeutscher PEN-Club international anerkannt. Ein bundesrepublikanisches Zentrum bis 1953 provisorisch genehmigt. In: Deutsche Woche 13 (26. 3. 1952), S. 11. [Johannes Tralow]: Bericht über die Sitzung des Exekutiv-Komitees vom 11. und 12. März in Paris [17. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 86 M 40.
Tralow selbst gab sich in seinem Bericht vorsichtig optimistisch, während Friedenthal befand: Er »war überhaupt zum Schluss offensichtlich resigniert und schüttelte sogar Friedmann nach dem Abstimmungsergebnis die Hand, die dieser für mein Gefühl etwas reichlich gerührt und freudig ergriff. Die beiden sassen dann noch eine Weile zusammen«253 . Einzelne Korrespondenzen in der Folgezeit der Pariser Tagung machen deutlich, dass im Gegensatz zu Tralows Interpretation des Pariser Abstimmungsergebnisses keinerlei Klarheit über die genaue Benennung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren geschaffen worden war. Die deutliche Trennung des deutschen P.E.N.-Clubs in »zwei Zentren mit geographischer Bezeichnung«254, die von den westdeutschen Initiatoren und ihren Protagonisten auf internationaler Ebene gefordert worden war, konnte keineswegs durchgesetzt werden. Während Tralow zum Ärger seiner Kontrahenten mit dem Begriff »Gesamtdeutsch« kokettierte, versicherte Friedenthal, in Paris seien »[k]einerlei Einzelheiten« festgelegt worden, »sodass die Frage der künftigen Bezeichnung der beiden getrennten Klubs offen ist. Jedenfalls dürfen die Ostler sich nicht gesamtdeutsch nennen.«255 Friedenthal nutzte in den folgenden Monaten seine Kontakte zu Carver, um in der Schaltzentrale des Internationalen P.E.N. die Vorbehalte gegen das P.E.N.Zentrum Deutschland zu schüren: »Ich machte ihn nochmals darauf aufmerksam, dass der Rumpf-Klub sich diese Bezeichnung überhaupt erst auf der gänzlich unverfassungsmässigen Versammlung in Berlin im Dezember zugelegt hat. Er, Carver, will sich das noch eigens notieren.«256 Erfreut berichtete Friedenthal an Edschmid von einer »ziemlich scharf[en] und deutlich[en]«257 Rüge, die Carver wegen der Verwendung der Bezeichnung »gesamtdeutsch« an Tralow gerichtet habe. In der Tat hatte Carver, allerdings weniger scharf als vielmehr diplomatisch, gegenüber Tralow deutlich gemacht: 253
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Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [13. 3. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Tralow berichtete von der gegenseitigen Bekundung guten Willens. Vgl. [Johannes Tralow]: Bericht über die Sitzung des Exekutiv-Komitees vom 11. und 12. März in Paris [17. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 86 M 40. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [5. 3. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [13. 3. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [16. 5. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. auch Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [24. 4. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Friedenthal hatte Carver den Artikel der Zeitschrift Deutsche Woche vorgelegt, der den Begriff »Gesamtdeutsch« in der Überschrift verwendet hatte (vgl. FN 251), und bat ihn »doch von sich aus eine energische Klarstellung vorzunehmen, vor allem auch in der Frage der Klub-Bezeichnung. ›Gesamtdeutscher PEN‹ ist eine reine Propagandafassung, die ganz unberechtigterweise von dem Rumpfgrüppchen der 10–12 Mann in Berlin festgelegt wurde, und nach dem Pariser Beschluss völlig jeder Berechtigung entbehrt. Hoffentlich reagiert Carver nun auch. Ich habe bisher keine Antwort.« Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid [16. 5. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. 207
This use of the word ›gesamt‹ I am sure will give a totally erroneous impression as there are now in existence three German P.E.N. Klubs, namely: the Centre of which you are Geschäftsführende Präsident, the newly-formed Centre of which Herr Erich Kästner is President, and the P.E.N. Klub Deutscher Autoren im Ausland. I have therefore made it clear in my letter that you speak not for the entire German P.E.N. but for your own Centre only.258
Carver bezog sich auf einen Brief, den er an die Regierung Bayerns gerichtet hatte, um gegen die Nichterteilung von Aufenthaltsgenehmigungen für einen Besuch bei Tralow im Landkreis Starnberg für Johannes R. Becher, Alexander Abusch und Alfred Kantorowicz zu intervenieren: »I have written […] in support of your application for the granting of visas and confirming the nonpolitical status of the International P.E.N.«259 Die Entscheidung des Landratsamtes Starnberg, »auf Grund der geltenden Anordnungen und der Weisungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern über den Interzonenverkehr mit der sowjetisch besetzten Zone«260 die Aufenthaltsgenehmigungen zu verweigern, war von Tralow mit der ihm eigenen Angriffslust quittiert worden: »Die Beschwerde an die Regierung für Oberbayern ist bereits fort. Eventuell klage ich beim Verwaltungsgericht. An David Carver habe ich in dieser Angelegenheit geschrieben.«261 Tralow hatte sich bereits vor der abschlägigen Entscheidung des Landratsamtes entschlossen gezeigt: »Die Angelegenheit muß unbedingt, und zwar wegen allen unseren Freunden aus der DDR offiziell durchgefochten werden.«262 Der energische Protest zeitigte Wirkung. Schon Mitte April 1952 berichtete Tralow von einer längeren Unterredung mit dem zuständigen Referenten, Herrn Dr. Günder, im Bayerischen Innenministerium: Auf meine Frage, ob nun etwa grundsätzlich jedem Mitglied des Gesamtdeutschen P.E.N.-Clubs die Einreise in die Bundesrepublik aus der DDR verweigert werden sollte, stellte er als Richtlinie auf, daß nur solche Mitglieder hereingelassen werden könnten, die wohl ihren Wohnsitz in der DDR haben, sich aber nicht mit dem dortigen Staat identifizieren. Ich meinte darauf, daß ich der Bundesrepublik gegenüber kein Landes258
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David Carver an Johannes Tralow [18. 4. 1952]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Eine fehlerhafte Abschrift ist enthalten in SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 345. Tralow war bemüht, Carvers Vorwurf wegen der Verwendungdes Begriffs »gesamtdeutsch« zu entkräften: »›Gesamtdeutsch‹bedeutet nur, daß unsere Mitglieder in ihren Wohnsitzen nicht auf einen Sektor Deutschlands begrenzt sind. Das entspricht der W a h r h e i t. München, Dahmburg, Düsseldorf etc. liegen nicht im Osten, und Leipzig, Dresden, Schwerin etc. liegen nicht im Westen. Im übrigen habe ich in jedem Fall mit den in Frage kommenden Herren g e s p r o c h e n. Dabei wurde auch die Selbständigkeit des P.E.N.-Clubs Bundesrepublik erörtert und von mir ausdrücklich bestätigt.« Johannes Tralow an David Carver [20. 4. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 344. David Carver an Johannes Tralow [18. 4. 1952]. Abschrift enthalten in SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 345. Landratsamt Starnberg an Johannes Tralow [27. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 54 Konv. Landsratsamt Starnberg. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [5. 4. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [8. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher.
verrätersei und es meinen Kollegenin der DDR ebenfalls nicht zumuten wolle, Landesverrat gegen ihren Staat zu begehen, weil das als Nachweis für eine Einreiseerlaubnis für die Bundesrepublik verlangt werde.263
Während Tralow kampfbereit weiterhin an eine Klage vor dem Verwaltungsgericht dachte, ruderte Becher zunächst zurück; er halte es für am zweckmässigsten,[die AngelegenheitDr. Günder] in der Versenkungverschwinden zu lassen. Vielleicht war es schon nicht ganz richtig, sie so weit vorzutreiben, denn würden wir die Leute noch dazu provozieren, eine Entscheidung zu fällen, so wäre diese Entscheidung vielleicht ein für uns nicht ganz günstiger Präzedenzfall.264
Die internationale Unterstützung in der Visa-Frage ließ Becher, der vor einer Konfrontation mit den staatlichen Behörden Bayerns zunächst zurück geschreckt war, mutig werden. Er regte an, vom Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland unter Verweis auf den »englischen Protest« eine Stellungnahme bezüglich der verweigerten Aufenthaltsgenehmigungen zu erfragen.265 Die Entscheidung darüber überließ er jedoch Tralow. Welche Wirkung die Interventionen letztlich erbrachten, geht aus dem Quellenmaterial nicht hervor. Deutlich wird jedoch, dass Carver dem P.E.N.-Zentrum Deutschland keineswegs so feindlich gesonnen gegenüber stand, wie es Friedenthals Briefe scheinen lassen. Carvers Haltung lässt sich eher als bedacht kritisch denn feindselig gegenüber der Becher-Tralow-Gruppe charakterisieren, deren Gefüge noch nicht eindeutig festgelegt war. Die Entscheidung über die endgültige Anerkennung der Existenz zweier respektive dreier deutscher P.E.N.-Zentren fiel auf dem 24. Internationalen P.E.N.-Kongress, der im Juni 1952 in Nizza tagte; dort wurde die bundesdeutsche P.E.N.-Sektion einstimmig von den Delegierten akzeptiert,266 sowie das P.E.N.Zentrum Deutschland und der P.E.N.-Klub Deutschsprachiger Autoren im Ausland bestätigt.267 Als Vertreter aus der Bundesrepublik waren neben den Präsidiumsmitgliedern Kästner und Edschmid auch die Mitglieder Hanns Braun, Georg von der Vring, Hermann Kasack, Ernst Kreuder, Wilhelm Lehmann und Martin Kessel angereist. Dieser Gruppe stand Johannes Tralow als einziger Abgesandter des P.E.N.-Zentrums Deutschland gegenüber.268 Von wem das 263
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Johannes Tralow an Johannes R. Becher [12. 4. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes R. Becher an Johannes Tralow [22. 4. 1952]. SBBPK NL Tralow K 39 Konv. Becher. Vgl. Johannes R. Becher an Johannes Tralow [22. 4. und 13. 5. 1952]. SBBPK NL Tralow K 39 Konv. Becher. Vgl. Johannes Tralow: Bericht an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland [11. 8. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 356–360. Vgl. Johannes Tralow: Bericht an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland [11. 8. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 356–360, hier Bl. 358. Vgl. D[armstädter] E[cho]: PEN-Zentrum der Bundesrepublik in Nizza einstimmig bestätigt. In: Darmstädter Echo vom 28. 6. 1952. Martin Kessel hatte gefürchtet, dass ein »ganzer Autobus voll ›Gesamt-Deutscher‹ anrückt« und riet Kästner »einige ›Politische‹ von uns mit zu nehmen […]. Sonst kann Dir passieren, daß Du als ›Splitter209
P.E.N.-Zentrum Deutschland in Nizza vertreten werden sollte, war bis zuletzt fraglich gewesen. Von den offiziell auf der Mitgliederversammlung vom Dezember 1951 bestimmten Delegierten hatten sich bis zum April 1952 nur Tralow und Becher angemeldet und, als zusätzliche Teilnehmer des P.E.N.-Zentrums Deutschland, Hermlin und Kantorowicz.269 Die Chance auf Teilnahme westdeutscher Mitglieder, etwa Jahnn oder Syberberg, beurteilte Tralow skeptisch. Kurz vor Beginn des Nizzaer Kongress reichte Jahnn schließlich sein Rücktrittsgesuch vom Amt des Generalsekretärs ein. Tralow bat in seinem Antwortbrief inständig: »[B]itte, fallen Sie mir nur nicht vor Nizza in den Rücken – das ist alles, was ich im ersten Augenblick schreiben kann.«270 Jahnn schien angesichts des rücksichtslosen Konkurrenzkampfes, der zwischen den beiden deutschen P.E.N.-Gruppierungen entbrannt war, desillusioniert über den Einigungswillen der deutschen Schriftsteller; ihn habe »das Gezänk zwischen deutschen Schriftstellern östlich und westlich der Demarkationslinie nicht nur nicht interessiert, sondern an[ge]widert«.271 Schon im Vorfeld der Pariser Exekutive im März 1952 hatte Jahnn Bedenken über die Zukunft des P.E.N.-Zentrums Deutschland geäußert; er fürchtete, dass dieses sich bei Anerkennung eines zweiten deutschen P.E.N.-Zentrums »in einen Ost-P.E.N. verwandeln würde.«272 Eine solche Entwicklung schien er nicht mittragen zu wollen und drohte mit Amtsaufgabe.273 In Paris hatte sich die Existenz eines P.E.N.-Zentrums in der Bundesrepublik konkretisiert und so war es im Hinblick auf Jahnns Befürchtungen nur konsequent, dass er sich nach diesem positiven Signal des Internationalen P.E.N.Clubs zurückzog. Zu den grundsätzlichen Bedenken kam der wachsende Druck, dem Jahnn durch die exponierte Stellung als Generalsekretär des von DDRMitgliedern dominierten P.E.N.-Zentrums Deutschland ausgesetzt war. Er gab
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gruppe‹ mit drei Mann einem ganzen totalitären Haufen von sowjetisierten Einheitsdeutschen gegenübersitzt«. Martin Kessel an Erich Kästner [4. 3. 1952]. Anlage zu einem Brief von Erich Kästner an Kasimir Edschmid [vermutlich 6. 3. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [12. und 19. 4. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes Tralow an Hans Henny Jahnn [31. 5. 1952]. SBBPK NL Tralow K 33 Konv. Jahnn. Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow [17. 9. 1957]. SBBPK NL Tralow K 47 Konv. Jahnn. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [23. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [23. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Gleichwohl blieb Tralow dem Generalsekretär wohl gesonnen. »Bei Hans Henny Jahnn dürfen wir bei allen Unerfreulichkeiten seines Briefes […] nicht vergessen, daß er uns in den vergangenen Monaten durch sein Ausharren über eine Schwere[sic] Zeit hinweggeholfenhat, und wenn uns sein etwaiger Rücktritt auch nicht gerade umwerfen würde, […] so würde er doch recht schädlich sein. […] In eine Misere würde Jahnn auch ohne uns schlittern […]. Aber das kann uns kein Trost sein. Wir können unsern Generalsekretär nicht einfach absacken lassen.«
sein Amt auf, um angesichts der existenzbedrohenden Auswirkungen seiner Verständigungsbereitschaft das wirtschaftliche Überleben zu sichern.274 Einen völligen Richtungswechsel in Jahnns Überzeugungen bedeutete seine Absage an das P.E.N.-Zentrum Deutschland indes nicht; er führte seine Korrespondenzen mit Huchel fort, die auch die Vorgänge im P.E.N.-Zentrum betrafen,275 und beteiligte sich in anderer Weise weiterhin am Austausch von westdeutschen und DDR-Schriftstellern.276 Vermutlich zu Recht hatte Tralow nach Jahnns angekündigtem Rücktritt Konsequenzen für die Entscheidung des Kongresses in Nizza befürchtet. Die Nachricht von Jahnns Amtsniederlegung hätte sicherlich unangenehme Fragen der internationalen Delegierten provoziert. Dass ein westdeutscher, verständigungsbereiter Schriftsteller mit öffentlichem Prestige den Vorstand vor Ablauf der Amtszeit verlassen wollte, hätte in der Debatte über die Existenzberechtigung zweier deutscher Sektionen den vom P.E.N.-Zentrum Deutschland erhobenen gesamtdeutschen Anspruch noch fragwürdiger erscheinen lassen. Dem ungeklärten Vorwurf, dass das P.E.N.-Zentrum Deutschland in Wahrheit ein rein kommunistisches Unternehmen sei, wäre massiv Vorschub geleistet worden. Jahnns Rückzug aus dem P.E.N.-Zentrum Deutschland ging nach Nizza ohne öffentlichen Widerhall, im Verborgenen vor sich.277 Für den Nizzaer Kongress zog Johannes Tralow selbst die eigene Teilnahme auf Grund seiner schwierigen finanziellen Lage immer wieder in Zweifel und hoffte auf das Erscheinen der DDR-Mitglieder.278 Ende Mai stand endgültig fest, dass Tralow trotz aller Schwierigkeiten nach Nizza reisen würde. Die »Freunde aus der DDR«279 hatten sämtlich, einschließlich Becher, abgesagt.280 Ein Brief, den Hermlin unmittelbar nach dem Nizzaer Kongress an Tralow sandte, lässt vermuten, dass Tralow auf Grund seiner Einzelkämpfer-Position auf internationaler Ebene seinen Rücktritt vom Amt des geschäftsführenden Präsidenten angedroht hatte. Bislang waren die maßgeblichen Initiativen zur Erhaltung des P.E.N.-Zentrums Deutschland von der westdeutschen Minorität, 274
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Jahnns wirtschaftlichschwierigeLage klingt auch in Briefen von Tralow an Jahnn deutlich an. Vgl. SBBPK NL Tralow K 33 Konv. Jahnn. Vgl. Goldmann (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959. Vgl. Peitsch: Hans Henny Jahnn in den gesamtdeutschen PEN-Zentren, S. 144. Der genaue Zeitpunkt von Jahnns offiziellem Rücktritt ist nicht belegt. Eine Notiz im Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland im Mai 1953 vermerkt Jahnns Austritt. Der Posten des Generalsekretärs wird im Zusammenhang mit den Neuwahlen als »vakant« charakterisiert;dies deutet darauf hin, dass Jahnn sein Amt schon geraume Zeit vor der Generalversammlung abgegeben hatte. Vgl. Protokoll der Mitgliederversammlungdes P.E.N.-ZentrumsDeutschland[10. 5. 1953].SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12215. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [12., 19. 4. und 7. 5. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [7. 5. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [28. 5. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. 211
in persona Johannes Tralow, ausgegangen. Hermlins Schreiben kann insofern als taktisches Unternehmen gewertet werden, um Tralows Verstimmung über die passive Haltung der DDR-Mitglieder zu mildern und ihn bei der Stange zu halten: Ich hoffe sehr, dass Sie Ihre Andeutungen nicht wahr machen mögen. Was Ihre Arbeit im PEN betrifft, so habe ich in meiner Rede ([…] auf dem Schriftstellerkongress [22.– 25. 5. 1952]) meine Meinung dazu gesagt – […]. Wir alle sind Ihnen zu Dank verpflichtet. Sie geniessen nach wie vor das volle Vertrauen aller hiesigen PEN-Mitglieder, und wir hoffen, dass Sie weiter auf Ihrem Posten bleiben und nicht zurücktreten.281
Tralows Ausscheiden hätte das Fortbestehen eines P.E.N.-Zentrums mit Mitgliedern aus Ost und West mehr als fraglich werden lassen. Hermlins betontes Bemühen, Aufmerksamkeit für die Sache des P.E.N. zu demonstrieren – »Und geben Sie doch bald einen Bericht über Nizza – ich bin auf alles sehr gespannt (wer war da? Gab es wesentliche Diskussionen? alles, alles …)«282 – lässt darauf schließen, dass Tralow sich Jahnns Vorwürfe zu Eigen gemacht hatte; dieser hatte offenbar seinen Rücktritt auch damit begründet, die DDR-Mitglieder »hätten kein Interesse am PEN«283 . Hermlin widersprach dieser Sichtweise entschieden und urteilte: Jahnn hat »vorschnell gehandelt. […] Er hat mit seinem Austritt einer guten Sache geschadet, und ich hoffe nur, dass er nicht endgültig ist, dieser Austritt.«284 Offenbar hatte man von Seiten der DDR-Schriftsteller die Hoffnung noch nicht aufgegeben, Jahnn als westdeutschen Vertreter im Vorstand halten zu können. Sein Rückzug bedeutete zum einen eine weitere Schwächung des gesamtdeutschen Anspruchs des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Möglicherweise fürchtete man aber auch, dass Tralow bei fehlender Unterstützung für Jahnn Konsequenzen im Hinblick auf die Arbeit für das P.E.N.-Zentrum ziehen würde. Tralow war Jahnn von jeher sehr gewogen, und hatte sich für die Verbreitung seines Werkes in der DDR mehrfach stark gemacht. Um einer solchen Entwicklung entgegen zu wirken, stellte Hermlin die Ausnutzung seines Einflussvermögens in Aussicht, um Jahnns literarisches Werk auch in der DDR erscheinen zu lassen.285 Problematisch erwies sich in diesem Gesamtzusammenhang die Haltung, die Becher in Bezug auf das P.E.N.-Zentrum Deutschland zeigte; er schien sich nach der vollzogenen Trennung des deutschen P.E.N.-Clubs Stück für Stück aus der Arbeit heraus zu ziehen. Schon im April 1952 hatte Tralow geklagt, »daß Becher 281
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Stephan Hermlin an Johannes Tralow [23. 6. 1952]. SBBPK NL Tralow K 46 Konv. Hermlin. Stephan Hermlin an Johannes Tralow [23. 6. 1952]. SBBPK NL Tralow K 46 Konv. Hermlin. Stephan Hermlin an Johannes Tralow [23. 6. 1952]. SBBPK NL Tralow K 46 Konv. Hermlin. Stephan Hermlin an Johannes Tralow [23. 6. 1952]. SBBPK NL Tralow K 46 Konv. Hermlin. Vgl. Stephan Hermlin an Johannes Tralow [23. 6. 1952].SBBPK NL Tralow K 46 Konv. Hermlin.
sich […] als Vorstand so gut wie gar nicht rühr[e].«286 Als Ansprechpartner für Tralow standen die Bundessekretäre Abusch, Wiese und Wendt zur Verfügung, mit denen er wesentliche Dinge regelte. Die Reaktionen auf den bei Tralow angeforderten Bericht über den Nizzaer Kongress lassen die lenkende Kontrolle des Kulturbundes deutlich werden. Tralows individuell gefärbte, keinesfalls als sachlicher Rapport angelegte Darstellung287 wurde von den Verantwortlichen inhaltlich diskutiert und vorsichtig korrigiert: Ich [d. i. Wiese] habe mit Becher noch einmal Ihr Nizza-Rundschreiben durchgesprochen und es scheint uns wenig geeignet, dieses an Carver zu schicken. Für London kommt nur ein Bericht in Frage, den das Gesamtpräsidium vertritt. Ich soll Ihnen deshalb im Auftrag Bechers vorschlagen,einen solchensozusagenentprivatisiertenBericht zu schreiben,ihn mit Syberberg durchzusprechenund dann nach hier zu geben. Sobald auch Becher damit einverstanden ist, kann dann der Bericht als Stellungnahme des Gesamtpräsidiums nach London gehen.288
In diesem Schreiben klingt auch an, dass Becher sich – entgegen Tralows Empfindung – nicht gänzlich aus dem P.E.N.-Geschäft zurückgezogen hatte. Becher gab jedoch seine Einflussnahme seltener in direkter Form, vielmehr oftmals über die Bundessekretäre weiter.289 Gleichwohl bemühte Tralow sich weiterhin intensiv, Becher auf direktem Wege in die von ihm betriebenen P.E.N.-Geschäfte einzubeziehen.290 Im Rückgriff sei auf eine Entscheidung des Internationalen P.E.N.-Clubs verwiesen, die durchaus politischen Zündstoff beinhaltete: Auf dem Kongress in Nizza war von dem amerikanischen Schriftsteller James T. Farrell ein Antrag auf Übernahme des Fund for Intellectuell Freedom291 (FIF) durch den Internationalen P.E.N. gestellt worden.292 Die Bildung des Fonds im Jahr 1951 ging zurück auf eine Initiative Arthur Koestlers, der als radikaler Gegner des Kommunismus auf dem Berliner Kongreß für kulturelle Freiheit (1950) in Erscheinung getreten war. Zu den Unterzeichnern des Gründungsaufrufs gehörten neben dem über286
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Kästner berichtete über Weisenborn, der im Gespräch mit Tralow diese Klage gehört hatte. Erich Kästner an Kasimir Edschmid [25. 4. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Vgl. Johannes Tralow: Bericht an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland [11. 8. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 356–360. Carlfriedrich Wiese an Johannes Tralow [11. 9. 1952]. SBBPK NL Tralow K 58 Konv. Wiese. Vgl. auch CarlfriedrichWiese an Johannes Tralow [3. 1. 1953].SBBPK NL Tralow K 58 Konv. Wiese. Wiese schrieb hier explizit in Bechers Auftrag. Johannes Tralow an Alexander Abusch [3. 9. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 331. Vgl. hierzu Sven Hanuschek: Der Fund for Intellectual Freedom: Ein Propagandainstrument des Kalten Kriegs? In: Hanuschek et al. (Hg.): Schriftsteller als Intellektuelle, S. 285–306. Vgl. Johannes Tralow: Bericht an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland [11. 8. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 356–360, hier Bl. 358f., sowie [o. V.]: Fonds für Schriftsteller im Exil. In: Kontakte. Mitteilungen vom Kongress für Kulturelle Freiheit 2 (1952) 14, S. 11. 213
zeugten Antikommunisten James T. Farrell293 die Schriftsteller John dos Passos, Graham Greene, Aldous Huxley, Richard Rovere, Budd Schulberg und Stephen Spender; sie alle waren Mitglieder des Internationalen Kongresses für kulturelle Freiheit oder standen ihm zumindest nahe.294 Mit der Unterzeichnung hatten sich die Autoren bereit erklärt, »Teile ihrer Einnahme aus ihren Urheberrechten dem Fonds zur Unterstützung von Autoren zu übergeben, die aus den Ländern östlich des Eisernen Vorhangs geflüchtet sind (mit Ausnahme der deutschen Ostzone).«295 Nach Koestlers eigenem Bericht wurde sein Spendenaufruf von den Adressaten mit wenig Interesse bedacht, so dass anfänglich gar keine finanziellen Mittel zur Verfügung standen.296 Von der Verbindung des FIF mit einer unpolitischen oder zumindest politisch neutralen Organisation wie dem P.E.N. versprachen sich Koestler und die übrigen Verantwortlichen zum einen Arbeitsentlastung für sich selbst, zum anderen positive Auswirkungen auf den Fonds: »Der FIF soll von der internationalen Organisation des PEN und von dessen Renommee profitieren, das eine Vergrößerung der Mitgliederzahl erbringen soll, somit mehr Geld und damit mehr Einfluß.«297 Farrells Anliegen wurde vom Internationalen P.E.N. positiv entschieden. Überrascht wurde von Beobachtern festgestellt, dass sich »nach heftigem Für und Wider […] das merkwürdige Schauspiel« geboten habe, daß der ostdeutsche PEN-Präsident Johannes Tralow mit ›Ja‹ der Uebernahme und Verteilung des antikommunistischen Fonds zustimmte, indes Erich Kästner für den westdeutschen PEN sich der Stimme enthielt. ›Tralow schläft und Stalin wacht‹, bemerkte in der trägen Mittagshitze, in der die Abstimmung stattfand, ein österreichischer Dichter.298
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Farrell engagierte sich als Vorsitzender des ACCF, dessen Vorsitz er 1956 nieder legte. Vgl. Saunders, S. 218f. Vgl. [o. V.]: Fonds für Schriftsteller im Exil. In: Kontakte. Mitteilungen vom Kongress für Kulturelle Freiheit 2 (1952) 14, S. 11. [o. V.]: Fonds für Schriftsteller im Exil. In: Kontakte. Mitteilungen vom Kongress für Kulturelle Freiheit 2 (1952) 14, S. 11. Vgl. Arthur und Cynthia Koestler: Auf fremden Plätzen. Bericht über die gemeinsame Zeit. Hg., mit einem Vorwort und einem Epilog versehen von Harold Harris. Übersetzt von Liesl Nürenberger. Wien, München und Zürich 1984, S. 115. Hanuschek: Der Fund for Intellectual Freedom. In: Hanuschek et al. (Hg.): Schriftsteller als Intellektuelle, S. 285–306, hier S. 291. Ossip Kalenter: Die junge Generation und die Literatur. In: Stuttgarter Nachrichten vom 28. 6. 1952. Zitiert nach Hanuschek:Der Fund for IntellectualFreedom.In: Hanuschek et al. (Hg.): Schriftstellerals Intellektuelle,S. 285–306, hier S. 291. Die Mitteilung dieser Überraschung durch einen außerdeutschen Delegierten band Johannes Tralow ein in seinen Bericht an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland [11. 8. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 356–360, hier Bl. 359: »… als Sie vortraten, es war der spannendste Augenblick der Tagung, man hätte eine Nadel niederfallen gehört – und Ihr ›OUI‹ sagten. Ich habe unmittelbar darauf und auch etwas später mit mehreren Personen gesprochen, die meisten hatten erwartet, Sie würden ›NON‹ sagen, alle fanden es sehr großzügig und noch mehr k l u g, daß Sie ›OUI‹ sagten, es war die Sensation des Tages, wenigstens soweit es die Europäer anging.«
Doch Tralow war die antikommunistische Urheberschaft des FIF keineswegs entgangen. In seinem Bericht über den Nizzaer Kongress ließ er die Diskussion unter den Tagungsteilnehmern noch einmal Revue passieren und machte die Beweggründe seiner positiven Entscheidung deutlich: [Ich] opponierte […] in der dem Kongress unmittelbar vorangehenden Sitzung des Exekutiv-Komitees gegen den amerikanischen Antrag, weil ihn schon der Name Arthur K o e s t l e r für uns unannehmbar machte. Selbst die Annahme des niederländischen Antrags, daß die Unterstützung ohne Ansehen der Partei oder der Weltanschauung des Notleidenden gegeben werden sollte, konnte mich nicht umstimmen. Erst als das Plenum der Erklärung des Präsidenten S a u r a t zustimmte, daß der anstößige Name Arthur K o e s t l e r zu verschwinden habe, weil er in weiten Kreisen des Kongresses für untragbar gehalten werde, […] und als die Aufsichtsmöglichkeit über die Verwendung der Gelder durch die einzelnen Zentren sicher gestellt war, gab ich die mir anvertraute deutsche Stimme für den Antrag ab. Künftig kann das Zentrum Deutschland also unter Berufung auf den gezeigten, ehrlichen, guten Willen mit viel größerem moralischem Druck eingreifen, wenn etwas zu beanstanden sein sollte.299
Welche Intention der Internationale P.E.N. mit der Übernahme des FIF verfolgte, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Tralow vertrat vehement die Auffassung, es handle sich um einen breit angelegten »Fonds für politisch verfolgte Schriftsteller«.300 Die in der westdeutschen Presse verbreitete Information, der FIF sei auf die Unterstützung Not leidender, im Exil lebender Schriftsteller aus den Ostblockstaaten beschränkt, brandmarkte er »als eine nachträgliche zum Zwecke der Kriegshetze erfundene Version, um der westdeutschen Bevölkerung vorzugaukeln, daß die Gesamtheit der ›Internationalen P.E.N.-Clubs‹ sich in die Kriegsfront eingereiht haben.«301 Eine Bestätigung von Tralows Einschätzung lieferte Robert Neumann: Was den ursprünglich von Koestler und seinen Freunden gestifteten Hilfsfonds anlangt, so taten Sie recht daran, dafür zu stimmen. Wir legen größten Wert darauf, das nicht zu einem einseitigen anti-kommunistischen Instrument werden zu lassen. Meine Freundin Storm-Jameson, oder Carver, oder ich selbst – wir werden alle dankbar sein, wenn Sie uns notleidende,aus anderen autoritärenStaaten exilierte Schriftstellernachweisen. Die sollten vor allem um Aufnahme in unser ›Writers in Exile‹-Zentrum in London ansuchen; es liegt uns sehr daran, das nicht einseitig von Ost-Flüchtlingen frequentiert zu sehen.302
Die tatsächliche FIF-Förderstruktur sah jedoch vor, »ausschließlich Flüchtlinge aus den Ostblockstaaten zu unterstützen, nicht aber solche aus Spanien oder 299
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Johannes Tralow: Bericht an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland [11. 8. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 356–360, hier Bl. 359. Johannes Tralow: Bericht an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland [11. 8. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 356–360, hier Bl. 358. Vgl. auch Johannes Tralow an Otto Bothe [Chefredakteur des Weser-Kuriers] [30. 8. 1952]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Weser-Kurier. Johannes Tralow an Otto Bothe [Chefredakteur des Weser-Kuriers] [30. 8. 1952]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Weser-Kurier. Robert Neumann an Johannes Tralow [22. 8. 1952]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann, Robert. 215
Portugal.«303 Der Internationale P.E.N. war um eine zentrale Kontrolle der FIFAktivität bemüht. Zur Verwaltung der FIF-Gelder hatte man eine komplizierte Struktur entworfen: Nationale FIF-Sekretariate, die schon vor der Übernahme durch den P.E.N. existiert hatten, sollten wie zuvor weiter arbeiten. Eingesetzt wurden zudem nationale »Governors«, mit denen die FIF-Sekretariate ebenso wie mit dem Generalsekretariat des Internationalen P.E.N. Kontakt pflegen sollten. Entscheidungsbefugt im Hinblick auf die Vergabe der Gelder war letztlich der internationale Generalsekretär; er entschied über die Bewilligung und Herausgabe der Schecks.304 Die Zustimmung zum Hilfsfonds trug Tralow auf der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland im Jahr 1953 die Kritik des Präsidenten Becher ein. Laut Protokoll revidierte Tralow seine Einschätzung des FIF: »Tatsächlich sei dieser Fonds nur für Gegner einer östlichen Weltanschauung bestimmt.«305 Diese Einseitigkeit könne aber aufgehoben werden, in dem man eigene Vertreter zur Mitverwaltung des FIF bestimme; dazu sei von Seiten des Internationalen P.E.N. durch Carver und Neumann aufgefordert worden.306
4.5
Öffentliches Ringen um Anerkennung und interne Zerfallserscheinungen im P.E.N.-Zentrum Deutschland
Johannes Tralows kurzzeitige Resignation im Vorfeld des Nizzaer Kongresses hielt nicht lange vor; er begann in der Folge, unermüdlich gegen die aus seiner Sicht irreführenden Informationen der Presse anzuschreiben, die allein durch die verwendeten Bezeichnungen für das P.E.N.-Zentrum Deutschland eine Zugehörigkeit zur DDR implizierten und damit der von ihm vehement vertretenen, grundsätzlichen Intention entgegenwirkten. So warf Tralow etwa den Berichterstattern Hanns Braun und Hermann Kesten vor, als Initiatoren einer Kampagne gegen das P.E.N.-Zentrum Deutschland zu fungieren.307 An Abusch berichtete er: »Beanstandet werden von mir 5 westdeutsche Zeitungen und Zeitschriften. Die N[eue] Z[eitung] unterliegt nicht der deutschen Gerichtsbarkeit, aber der Kesten’sche Bericht [zunächst in der Neuen Zeitung abgedruckt]308 erschien in der Neuen Literarischen Welt, und die hat ebenso wie der Weser303
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Hanuschek: Der Fund for Intellectual Freedom, In: Hanuschek et al. (Hg.): Schriftsteller als Intellektuelle, S. 285–306, hier S. 291. Hanuschek: Der Fund for Intellectual Freedom, In: Hanuschek et al. (Hg.): Schriftsteller als Intellektuelle, S. 285–306, hier S. 293. Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland [10. 5. 1953], S. 8. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12215. Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland [10. 5. 1953], S. 6. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12215. Vgl. Johannes Tralow: Bericht an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland [11. 8. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 356–360, hier Bl. 356. Vgl. Johannes Tralow: Bericht an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland [11. 8. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 356–360, hier Bl. 356.
Kurier berichtigt.«309 Dort hatte man Tralows korrigierende Stellungnahme zum Kongress-Bericht vorbehaltlos abgedruckt: Ihr Mitarbeiter wäre in der Lage gewesen sich […] zu überzeugen, wie der offizielle Name unseres P.E.N.-Zentrums lautet. Stattdessen zieht er vor, an fünf Stellen Ausdrücke wie ›ostdeutsch‹ und ›ostzonal‹ zu gebrauchen. Ich stelle dagegen fest, daß es ein ›ostdeutsches‹ P.E.N.-Zentrum überhaupt nicht gibt, wohl aber ein P.E.N.-Zentrum Deutschland mit dem Sitz in München, dessen geschäftsführender Präsident ich bin, dessen Mitglieder in ganz Deutschland ihre Wohnsitze haben und in der durch Kriegseinwirkung hervorgerufenen Teilung ihres Vaterlandes keinen Anlaß sehen, sich zu trennen. Unser Zentrum ist der Meinung, daß es weder eine sowjetzonale, noch eine trizonale Sprache gibt, sondern nur eine deutsche – das ist unsere ganze ›Politik‹.310
Mit der Süddeutschen Zeitung und ihrem Artikelschreiber Hanns Braun lieferte sich Tralow eine scharfe Auseinandersetzung, die bis zu einer Klage vor dem Landgericht München führte: »Ich [d. i. Tralow] laufe mir die Hacken wund zu Rechtsanwälten und Gerichten.«311 Tralow hatte Beschwerde eingelegt, weil die Süddeutsche Zeitung seine Gegendarstellung zum Bericht über den Nizzaer Kongress nicht termingerecht abgedruckt hatte. Auf Tralows Drängen signalisierte die Süddeutsche Zeitung guten Willen und druckte die Berichtigung ab, in der die Bezeichnung »Ost-P.E.N.« ebenso abgelehnt wurde, wie die Behauptung, dass das P.E.N.-Zentrum Deutschland »aus einem bewußten Tarnmanöver den Anspruch ableitet, sich gesamtdeutscher PEN oder PEN-Zentrum Deutschland oder auch PEN-Zentrum München zu nennen«312 . Von Seiten der Redaktion schien man jedoch keineswegs gewillt, klein bei zu geben. Dem Abdruck von Tralows Berichtigung stellte man die redaktionelle Erklärung zur Seite, dass die Verwendung des Begriffs »Ost-PEN« ein Versuch sei, an Stelle der mißverständlich erscheinenden offiziellen Titulatur eine prägnante Bezeichnung für die beiden deutschen PEN-Zentren zu finden, die der Öffentlichkeit die Situation deutlich macht […] [und] dem Leser, der sich seit der Spaltung des deutschen PEN-Zentrums allmählich nicht mehr auskennt, anzuzeigen, daß die überwiegende Anzahl der Mitglieder dieses Zentrums in der Ostzone lebt. […] Der Zusatz »Ost« ist unseres Ermessens keinesfalls ehrenrührig, sondern soll nur den lokalen Schwerpunkt des Mitgliedsbestandes andeuten, ebenso wie der Deutsche PEN-Club Bundesrepublik […] sich die Bezeichnung West-PEN gefallen läßt.313 309
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Johannes Tralow an Alexander Abusch [3. 9. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 331. Tralow bezog sich unter anderem auf Helmut Goebel: Die gespalteneLiteratur. In: Weser-Kurier 177 (5. 8. 1952), S. 2. Johannes Tralow: P.E.N.-Zentrum Deutschland.In: Weser-Kurier vom 23. 8. 1952.Vgl. Johannes Tralow: PEN-Club zwischen heute und morgen. In: Der Standpunkt 40 (3. 10. 1952). Vgl. weiterhin Johannes Tralow an Otto Bothe [Cheredakteur des WeserKuriers] [17. 8. 1952]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Weser-Kurier. Johannes Tralow an Alexander Abusch [3. 9. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 331. Vgl. auch [SZ]: PEN-ible Fragen. In: Süddeutsche Zeitung vom 8. 10. 1952. [o. V.]: Die Penaten des PEN. In: Süddeutsche Zeitung 201 (September 1952), S. 2. Als Anlage an den Brief von Johannes Tralow an Alexander Abusch [3. 9. 1952]. SAPMOBarch DR 1/7867, Bl. 331. [o. V.]: Die Penaten des PEN. In: Süddeutsche Zeitung 201 (September 1952), S. 2. 217
Solange man die Namen der Mitglieder nicht kenne, sei die Berechtigung des Einspruches nicht zu überprüfen: »Allein diese [Mitgliederl]isten können verbindlichen Aufschluß darüber geben, ob die Bemerkung ›Ost-PEN‹ für das Zentrum Deutschland irreführend ist.«314 Im Gegensatz zum Deutschen P.E.N.Zentrum (Bundesrepublik) verweigerte Tralow die Einsicht in die Mitgliederliste des P.E.N.-Zentrums Deutschland und schürte damit den bestehenden Generalverdacht, eine Organisation unter östlicher Direktive zu repräsentieren. Tralows Begründung, er fürchte berufliche Schädigungen für die Mitglieder,315 beantwortete die redaktionelle Anmerkung mit Häme: »Wir dürfen Herrn Tralow versichern, daß es nicht politische Gründe sein müssen, die es Schriftstellern bei Buchverlagen und Zeitungen schwer machen, ihre Manuskripte unterzubringen. Er darf überzeugt sein, daß uns Beiträge von Mitgliedern des Ost-PEN, die literarischen Rang haben, immer willkommen sind.«316 Im Falle der ausstehenden Liste kündigte man an, sich mit dem Generalsekretär des Internationalen P.E.N.Clubs in Verbindung zu setzen.317 Ob die Redaktion mit dem Internationalen P.E.N. Kontakt aufnahm, ist unklar. Den »im P.E.N. Interesse geführten Prozeß«318 verlor Tralow – allerdings nicht ohne zweifelhaften Gewinn für die eigene Argumentation daraus zu ziehen: »[I]ch bin sehr froh, dass ich ihn verloren habe, denn die Begründung des süddeutschen Landgerichts ist sehr schön. Es wurde gesagt, geografisch sei es zwar richtig, dass es kein Ost-PEN sei. Aber in dem Sinne des Beklagten, politisch, scheint es zweifelhaft. Aber es ist ein Werturteil in der Bundesrepublik, Ost wird gleich kommunistisch gesetzt und ich finde diese Begründung sehr verwertbar.«319 Zu den presserechtlichen Auseinandersetzungen, die das P.E.N.-Zentrum Deutschland wieder einmal ins Licht der Öffentlichkeit zerrten, fügten sich die Meldungen von neuerlichen Aus- und Rücktritten westdeutscher Mitglieder ungünstig hinzu. So wurden die Nachricht vom Austritt des bei Konstanz lebenden Wilhelm von Scholz und der Rücktritt des amtierenden Präsidenten Rüdiger Syberberg bereitwillig aufgegriffen, um das Bröckeln »von Johannes Tralows und Johannes R. Bechers ›Ost-P.E.N.‹«320 im Hinblick auf seine westdeutschen Mitglieder zu diagnostizieren. Im September 1952 war Wilhelm von 314 315
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[o. V.]: Die Penaten des PEN. In: Süddeutsche Zeitung 201 (September 1952), S. 2. Tralows Weigerung der Bekanntgabe von Namen fand Eingang in die Meldungen der westlich orientierten Presse. Vgl. [dpa]: Tralow weigert sich. In: Die Neue Zeitung vom 17. 10. 1952 und ok. [d. i.?] Geheimnisvoller deutscher Ost-PEN, [o. A.]. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.7. [SZ]: PEN-ible Fragen. In: Süddeutsche Zeitung vom 8. 10. 1952. [SZ]: PEN-ible Fragen. In: Süddeutsche Zeitung vom 8. 10. 1952. Johannes Tralow an [Hanns Julius] Wille [Dramaturg, DEFA] [29. 11. 1952]. Anlage zu einem Brief von Tralow an Alexander Abusch [29. 11. 1952]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 329f., hier Bl. 330. Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland [10. 5. 1953], S. 6. SAdK Berlin,JohannesR. Becher-Archiv12215. Die umfangreichenProzessakten sind erhalten geblieben. Vgl. SBBPK NL Tralow K 86 Mappe 49. ok. [ d. i.?] Geheimnisvoller deutscher Ost-PEN, [o. A.]. Enthalten in der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177 D.I.7. Vgl. auch Erich Kästner an Kasimir
Scholz ausgetreten;321 er erklärte, »er habe von einer Spaltung des deutschen PEN-Zentrums nichts gewußt und, als er von München aus ohne Hinweis auf die Doppelexistenz des PEN-Zentrums zum Beitritt aufgefordert wurde, völlig arglos zugesagt.«322 In Schreiben an die Süddeutsche Zeitung und die Deutsche Presseagentur (DPA) bemühte sich Johannes Tralow, den impliziten Vorwurf der Täuschung zu entkräften. Die Begründung, die von Scholz vorgebracht habe, sei unwahr: Wahr ist vielmehr, daß sich aus der Korrespondenz einwandfrei das Gegenteil ergibt und daß Wilhelm von Scholz in letzter Zeit mehrfach von Mitgliedern des Deutschen PEN-Zentrums (Bundesrepublik) wegen seiner uns verschwiegenen nationalsozialistischen Vergangenheit angegriffen wurde und aus der Tatsache, daß er nicht berichtigen konnte, die Folgerungen gezogen hat.323
Parallel hatte Tralow einen Brief an von Scholz geschickt, dessen gleich lautender Inhalt von diesem wiederum dementiert wurde; er sei bei seiner Zusage im November 1951 von der Existenz einer deutschen P.E.N.-Gruppe ausgegangen.324 Zwar bemühte sich Tralow gerade im ausführlichen Briefwechsel mit der Chefredaktion der DPA um eine Widerlegung der durch von Scholz vorgebrachten Austrittsbegründung.325 Letztlich wirkte Tralows Version auf den DPA-Redakteur jedoch nicht plausibel.326 Indes war für Tralow das größte Ärgernis weniger die Tatsache des Austritts an sich,327 als vielmehr der Schaden für das Ansehen des P.E.N.-Zentrums Deutschland durch von Scholz’ öffentlichkeitswirksam vollzogenen Rückzug. Zudem dürfte Tralow eine persönliche Enttäuschung erfahren haben, denn zu Beginn des Jahres 1952 hatte er noch auf von Scholz’ ehrliches Interesse am P.E.N.-Zentrum Deutschland gehofft: »Jedenfalls scheint mir, daß wir mit von Scholz durchaus rechnen können: Er hat es sich lange überlegt, ehe er zu uns kam, und steht nun völlig zu uns«328 . Eine erste Zusage zur Bereitschaft, Mitglied im P.E.N.-Zentrum Deutschland zu werden, hatte von Scholz bereits am 16. 11. 1951 gegeben. Am 10. 12. 1951 bestätigte von Scholz telegrafisch die Mit-
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Edschmid [11. 10. 1952]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.: »Dadurch wird [Tralows] Position sehr geschwächt.« Sein Austrittsgesuch hatte von Scholz am 6. 9. 1952 bei Tralow eingereicht. Vgl. Johannes Tralow an DPA [17. 9. 1952]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. DPA. [dpa]: Wilhelm von Scholz tritt aus dem PEN-Club aus. In: Die Neue Zeitung vom 18. 9. 1952. Johannes Tralow an Süddeutsche Zeitung [17. 9. 1952]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. Süddeutsche Zeitung. Vgl. auch Johannes Tralow an DPA [17. 9. 1952]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. DPA. Vgl. Wilhelm von Scholz an Johannes Tralow [20. 9. 1952]. SBBPK NL Tralow K 53 Konv. von Scholz. Johannes Tralow an DPA [17. und 22. 9. 1951]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. DPA. Vgl. Chefredaktion der DPA an Johannes Tralow [20. und 24. 11. 1952]. SBBPK NL Tralow K 43 Konv. DPA. Vgl. Johannes Tralow an DPA [26. 11. 1952]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. DPA. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [23. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. 219
teilung der am selben Tag vorgenommenen Zuwahl. Nach seiner Darstellung hatte er erst danach aus der Presse erfahren, dass es zu einer Spaltung des P.E.N.Zentrums Deutschland gekommen war. Von Scholz erkundigte sich wohl bei Tralow über die Sachlage, zog aber keinerlei Konsequenz.329 Offenbar hatte von Scholz Anfang 1952 gar seine Bereitschaft signalisiert, Tralow zur internationalen Exekutivkomitee-Tagung zu begleiten.330 Dass zudem zwischen den Erkundigungen zur Situation im deutschen P.E.N. und der Austrittserklärung mehr als neun Monate lagen, lässt weniger generelle Vorbehalte gegen die Becher-TralowGruppe, als vielmehr anderweitige Einflussfaktoren als wahrscheinlich erscheinen. Die von Tralow in seiner Presse-Berichtigung angedeuteten Angriffe auf von Scholz wegen seiner ungeklärten nationalsozialistischen Vergangenheit ließ auch der Ausgetretene selbst anklingen: Die »kaum lösbare[n] Streitigkeiten« im deutschen P.E.N.-Club, »verbunden mit den Angriffen gegen mich bestimmten mein Handeln.«331 Sein Bedauern über die nachträglich eingetretene »persönliche Verstimmung«332 bedauerte von Scholz ausdrücklich. Den Austritt von Scholz’ sah Tralow »auf der einen Seite [als] ein[en] Verlust. Wenn er aber nicht berichtigen kann, so kann man sein Verschwinden auch als einen Reinigungsprozeß auffassen.«333 Der Ruf des P.E.N.-Zentrums stand höher als das individuelle Schicksal eines Einzelnen. Gleichwohl wird deutlich, mit wie viel Beharrlichkeit und Energie Tralow sich für die Belange des P.E.N.-Zentrums Deutschland einsetzte. Ablesen lässt sich zugleich ein latenter Zwang, grundsätzlich Recht behalten zu wollen. Dennoch spricht aus seinen Briefen die ehrliche Überzeugung von seiner Sichtweise, die sich von außen betrachtet in einer gewissen Schieflage zu den realen Gegebenheiten befand. Schwerwiegender als der Verlust des West-Mitgliedes Wilhelm von Scholz war Rüdiger Syberbergs Rücktritt vom Präsidentenamt im Oktober 1952, den dieser zugleich mit dem Austritt aus dem Internationalen P.E.N.-Club verknüpfte.334 In einer nach seiner eigenen Einschätzung »sehr zurückhaltende[n] und unaggressive[n]«335 Pressenotiz hatte Syberberg seinen Rückzug als Konsequenz einer Fehleinschätzung begründet: »Ich habe mich geirrt, allerdings hat 329
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Vgl. Wilhelm von Scholz an Johannes Tralow [17. 9. 1952]. SBBPK NL Tralow K 53 Konv. von Scholz. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [23. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Wilhelm von Scholz an Johannes Tralow [17. 9. 1952]. SBBPK NL Tralow K 53 Konv. von Scholz. Vgl. auch Johannes Tralow an Alexander Abusch [8. 9. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Abusch: »Wilhelm von Scholz ist ausgetreten, weil [Rudolf] Pechel ihn als Nazi angegriffen hat.« Wilhelm von Scholz an Johannes Tralow [17. 9. 1952]. SBBPK NL Tralow K 53 Konv. von Scholz. Johannes Tralow an Alexander Abusch [8. 9. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Abusch. Vgl. Rüdiger Syberberg an Johannes Tralow [8. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 54 Konv. Syberberg. Rüdiger Syberberg an Johannes Tralow [8. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 54 Konv. Syberberg.
man sich offensichtlich auch in mir geirrt. Heute teile ich die Ueberzeugung […], daß wir in der ›Stunde des einsamen Gewissens‹ leben, und ich möchte deshalb wieder für mich allein stehen.«336 Ein wenig ausgreifender, dennoch kaum weniger kryptisch für den Unwissenden, führte Syberberg in der Zeitschrift Die Literatur aus: Warum Austritt aus dem Ost-PEN? Das ist sehr einfach zu beantworten, zumal es unmittelbar nicht einmal etwas mit Politik oder der Ost-West-Frage zu tun hat. In einem Kreise, in dem ›ja‹ nicht mehr zuverlässig ›ja‹ heißt, fühlte ich mich unbehaglich. Und wo ich mich unbehaglich fühle, stehe ich auf und gehe. Nun fängt leider doch ein bißchen Politik an: Wenn nämlich daraufhin eine Reihe von prominenten Mitgliedern – auf Knöpfchendruck von oben – plötzlich menschlich überhaupt nicht mehr ansprechbar ist, sondern nur noch (eben nach dem Kommando: die Augen links) eisern ›funktioniert‹, dann zeigt mir das in ebenso trauriger wie unmißverständlicher Weise die – dezent gesagt – Bedenklichkeit eines Systems, dessen verwandte Formen ich bereits zu Nazizeiten entschieden abgelehnt habe. Das Fazit: Ich habe allen Widerständenzum Trotz der Anbahnung einer Verständigung zwischen Ost und West zu dienen versucht – heute gestehe ich meinen Irrtum (um nicht zu sagen Konkurs) ein und verspüre keine weiteren Neigungen mehr zu solchen direkten Unternehmungen. Warum ich auch nicht in den ›West-PEN‹ eintreten mag? Nun, die Antwort auf diese Frage ist eigentlich noch einfacher als die auf jene erste Frage: Weil ich nämlich vom West-PEN gar nicht erst aufgefordert, respektive gewählt bin. (Falls: Nein danke!)337
Hintergrund der undurchsichtigen Ausführungen war eine Auseinandersetzung um finanzielle Angelegenheiten: Zwischen Rüdiger Syberberg und dem Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, vertreten durch Carlfriedrich Wiese, war am 31. Mai 1952 ein Vertrag geschlossen worden, »nach dem Syberberg DM 400,- monatlich auf sechs Monate für verschiedene Arbeiten«338 gezahlt werden sollten. Dieser Kontrakt stand nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit Syberbergs Verpflichtungen gegenüber dem P.E.N.Zentrum Deutschland. Die Verknüpfung mit den Belangen des P.E.N.-Zentrums erfolgte erst durch Syberbergs verzweifelte Reaktion auf die im September 1952 auf Grund seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erfolgte Einstellung der »praenumerando vereinbart[en]«339 Zahlungen des Kulturbunds. Um seiner finanziellen Not Ausdruck zu verleihen und eine Anweisung des ausstehenden Betrages zu erwirken, sendete Syberberg ein Telegramm des Inhalts »Andern-
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[NZ]: Syberberg aus dem PEN-Zentrum Deutschland ausgeschieden. In: Die Neue Zeitung vom 9. 10. 1952. Rüdiger Syberberg schreibt uns. In: Die Literatur (Stuttgart) vom 1. 11. 1952. Enthalten in SBBPK NL Tralow K 89 Konv. 1952. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [7. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Vgl. weiterhin Rüdiger Syberberg an Johannes Tralow [8. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 54 Konv. Syberberg. Rüdiger Syberberg an Johannes Tralow [8. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 54 Konv. Syberberg. 221
falls notgedrungen sofortiger Austritt aus dem PEN«340 an den Kulturbund. Der Wortlaut des Telegramms legte eine Interpretation als Versuch der Erpressung nahe. Die Vermutung musste sich aufdrängen, dass Syberberg den voraus zu sehenden Imageschaden einer öffentlich wirksam platzierten Austrittserklärung als Druckmittel nutzen wollte. Aus Sicht des P.E.N.-Zentrums Deutschland wäre der erneute Austritt eines westdeutschen Präsidiumsmitglieds ebenso Wasser auf die Mühlen der Kritiker gewesen wie die Offenlegung der organisatorischen Verbindung zum parteipolitisch kontrollierten Kulturbund. Auch Tralow, an den das Telegramm durch die Verantwortlichen des Kulturbunds weiter geleitet worden war, reagierte entsprechend; er fasste Syberbergs Telegramm als eine öffentliche Mitteilung [auf], in de[r] Sie weitere, nicht vereinbarte Zahlungen verlangen, mit der Drohung, sonst aus dem P.E.N. Club austreten zu wollen. Das ist eine Drohung und Sie wissen es. Sie wissen auch, daß der P.E.N. Club als solcher mit den Ihnen geleisteten Freundschaftsdiensten nichts zu tun hat. Ich bitte Sie, doch einmal darüber nachzudenken, was eine derart gestellte Forderung, auf die Sie keinen Anspruch haben, in Wirklichkeit bedeutet.341
Offenkundig hatte Johannes Tralow zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von dem Abschluss eines Vertrages zwischen Syberberg und dem Kulturbund.342 Das P.E.N.-Zentrum hatte Syberberg aus Kulanz lediglich ein Honorar für die redaktionelle Arbeit an einem geplanten Almanach fort gezahlt, obgleich er diese wegen einer dauerhaften Erkrankung nicht erledigen konnte: »Ich [d. i. Tralow] glaube, man könnte das schon eine ganz freundschaftliche Haltung Ihnen gegenüber nennen.«343 In den ersten Monaten seiner Amtszeit hatte sich die Zusammenarbeit mit Syberberg durchaus produktiv gestaltet und Tralow schien von Syberbergs Arbeitswilligkeit überzeugt. Der Gedanke, dass Syberberg lediglich Zuwendungen erhalten wollte, ohne eine Gegenleistung zu erbringen, wurde noch im Februar 1952 von Tralow völlig abgelehnt.344 Obgleich sich schon im April 1952 Probleme wegen Syberbergs chronischer, großenteils wohl krankheitsbedingter Finanznot anbahnten,345 hatte man sich offenbar zu einem finanziellen Entgegenkommen durchgerungen, um einen neuerlichen Präsidentenverlust zu vermeiden. Verärgert über Syberbergs scheinbar unbotmäßige Forderungen erklärte Tralow in seinem Anfang Oktober 1952 verfassten 340
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Zitiert nach Rüdiger Syberberg an Johannes Tralow [11. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 54 Konv. Syberberg. Johannes Tralow an Rüdiger Syberberg [3. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. Syberberg. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [7. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes Tralow an Rüdiger Syberberg [3. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. Syberberg. Vermerkt sei an dieser Stelle, dass auch diese Summe mit höchster Wahrscheinlichkeit aus der Kasse des Kulturbunds floss. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [23. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [12. 4. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher.
Schreiben an Syberberg abschließend, man sei von Seiten des P.E.N.-Zentrums nicht gewillt, seine Mitgliedschaft zu erkaufen.346 Erst nach Absendung seiner deutlichen Absage an Syberberg erfuhr Tralow in einem Telefonat mit dessen Frau von den Hintergründen der Geldansprüche. Die von den Syberbergs nachträglich vorgebrachte Begründung der Austrittsdrohung, sie hätten es »nicht für angängig noch penmäßig [gehalten], daß […] Frau Syberberg für [die] 6 köpfige Familie Wohlfahrtsunterstützung beantrage, so lange [er] mehr oder minder bekanntermaßen PEN-Präsident«347 sei, veranlasste Tralow zur vorsichtigen Fürsprache bei Becher: Ich habe den Eindruck, als wenn dieses Telegramm auf die kleine Frau zurückzuführen sei. Sie können sich denken, daß mir diese Geschichte mit Syberberg große Sorgen bereitet. Überlegen Sie sich doch noch einmal, ob Sie unter diesen Umständen Syberberg fallen lassen. Die Behauptung der Frau Syberberg, daß Abkommen ihm gegenüber nicht eingehalten werden, soll sich wohl gegen den Abbruch ohne Kündigung richten. Daß er tatsächlich krank ist, können meine Frau und ich bestätigen.348
Tralow handelte vor dem Horizont ganz ähnlicher Erfahrung – auch für ihn waren finanzielle Engpässe durchaus an der Tagesordnung.349 Gleichwohl wird deutlich, dass Tralow im Hinblick auf die finanziellen Belange des P.E.N.Zentrums nicht über Entscheidungsbefugnis verfügte; diese lag bei der Leitung des Kulturbunds, ergo bei Becher. Mit Tralows internem Schlichtungsversuch überkreuzten sich zwei Briefe von Rüdiger Syberberg, in denen er – empört und tief verletzt – auf den ausgesprochenen Verdacht eines Erpressungsversuchs mit der Aufkündigung seiner Präsidentschaft und dem Austritt aus dem P.E.N.-Club antwortete: »Ich habe nicht die Neigung, einer Gruppe anzugehören, in der leitende Mitglieder sich derartig übler Manieren schuldig machen.«350 Enttäuscht zeigte Syberberg sich über das Handeln der Kulturbund-Vertreter, die ihm nach seinem Bekunden wirtschaftliche Unterstützung in seiner Krankheit zugesichert hatten. In der Konsequenz wünschte er, den noch nicht aufgekündigten Vertrag mit dem Kulturbund selbst zu lösen.351 Den Vorwurf, von Seiten verschiedener Organisationen – DEFA, Kulturbund und P.E.N.352 – ohne Gegenleistung Gel346
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Vgl. Johannes Tralow an Rüdiger Syberberg [3. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. Syberberg. Rüdiger Syberberg an Johannes Tralow [11. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. Syberberg. Vgl. auch Johannes Tralow an Johannes R. Becher [7. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [7. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Vgl. etwa die Briefe von Johannes Tralow an Johannes R. Becher [12. 4. und 7. 5. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Rüdiger Syberberg an Johannes Tralow [8. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. Syberberg. Vgl. Rüdiger Syberberg an Johannes Tralow [8. und 11. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. Syberberg. Vgl. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [3. 12. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. 223
der bezogen zu haben, wies er entschieden von sich und stellte sich selbst als Opfer dar: Ich habe in dieser Zeit meiner PEN-Präsidentschaft nachweislich 23–24.000,– DM/ West eingebüßt, von kleineren Honoraren […] einiger Zeitschriften zu schweigen, wohlgemerkt nach Abzug aller Beträge, die ich von irgendwelcher Seite in der DDR jemals erhalten habe, nebenbei gesagt überwiegend – Sie vornehmer und besonders einem Schwerkranken gegenüber so taktvoller Herr Tralow – für geleistete Arbeit erhalten habe. Dabei hätte ich dies alles wahrhaftig und um der Sache und meiner Überzeugung Willen ohne großes Lamento getragen – wenn mir nicht plötzlich offenbar gemacht worden wäre, für wen und für was ich mitsamt meiner Familie diese Opfer gebracht habe.353
Nach dieser mehr als deutlichen Absage an die P.E.N.-Präsidenten Becher und Tralow, die durch Syberbergs oben zitierte Stellungnahme in der westdeutschen Presse um den explizit ausgesprochenen ideologischen Vorbehalt ergänzt wurde, war an eine Verständigung nicht mehr zu denken. In den erhalten gebliebenen Akten findet der Fall Syberberg keine Erwähnung mehr; man hatte ihn gemäß seines eigenen Wunsches von Seiten des Kulturbunds wie von Seiten des P.E.N.Zentrums Deutschland abgeschrieben. Obgleich das erhaltene Aktenmaterial nur ungenügend Auskunft über die Art der Kontrakte zwischen dem Kulturbund und Syberberg gibt, liegt der Verdacht der Korruption nahe. Syberberg hatte sich zur Zusammenarbeit mit dem staatlich kontrollierten Kulturbund bereit gefunden. Inwieweit seine Aktivität für das P.E.N.-Zentrum Deutschland während seiner kurzen Amtszeit gesteuert worden ist, lässt sich anhand der vorliegenden Quellen nicht nachweisen. Feststellbar ist lediglich, dass er als P.E.N.-Präsident kaum in Erscheinung getreten ist. Dem P.E.N.-Zentrum Deutschland stand nach dieser Episode nurmehr ein »Rumpfpräsidium«354 vor, wie Rüdiger Syberberg treffend formuliert hatte. Es bestand aus Johannes Tralow, geschäftsführender Präsident und Schatzmeister in einer Person, und Johannes R. Becher als zweitem Präsidenten. Das Amt des Generalsekretärs blieb bis zur Generalversammlung im Mai 1953 offiziell vakant. Trotz der desolaten Vorstandssituation zeigte Johannes Tralow, der als treibende Kraft agierte, keine Ermüdungserscheinungen. Nach der offiziellen Bestätigung des P.E.N.-Zentrums Deutschland durch den internationalen Kongress ging es ungeachtet der widrigen Umstände darum, das Zentrum in seiner Existenz zu konsolidieren und weiter aufzubauen. Im persönlichen Gespräch mit dem Bundessekretär Wiese hatte Tralow schon im August 1952 das weitere Vorgehen besprochen: »Wir haben uns sehr viel vorgenommen, was wochenlanger, ja monatelanger Vorbereitungen bedarf […].«355 Zur Stärkung der Posi353
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Rüdiger Syberberg an Johannes Tralow [11. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. Syberberg. Rüdiger Syberberg an Johannes Tralow [8. und 11. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. Syberberg. Johannes Tralow an Carlfriedrich Wiese [14. 8. 1952]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Wiese.
tion auf internationaler Ebene plante man den »Vorstoß«, Berlin als Tagungsort eines kommenden internationalen P.E.N.-Kongresses durchzusetzen.356 Vordringliches Ziel war jedoch die Vorbereitung der laut Statuten jährlich einzuberufenden Generalversammlung, die zur Wiederherstellung eines vollständigen und arbeitsfähigen Vorstandes, sowie zur einheitlichen Positionsbestimmung unabdinglich war. Zuvor wünschte Tralow Klarheit über den tatsächlichen Mitgliederstand zu schaffen, um eine mögliche, wenngleich – objektiv betrachtet – sehr unwahrscheinliche Intrige westlicher Mitglieder abzuwenden: Wir kranken noch daran, daß sich 30 Mitglieder des Zentrums (Bundesrepublik) bei uns noch nicht offiziell abgemeldet haben. Ursprünglich geschah das, um sich – wie Friedmann in Paris offen erklärte – die Eigenschaft als Mitglied des Internationalen P.E.N. zu sichern. Wenn wir sie nun als Mitglieder zur Generalversammlung einlüden, könnte es sehr wohl geschehen, daß sie auf Bonner Order hin vollzählig erschienen und bei einer etwaigen Majorität den Auflösungsantrag stellten, und dann wären wir alle außerhalb des Internationalen P.E.N., während sie selbst durch das Medium des P.E.N. (Bundesrepublik) drin bleiben. […] Ich möchte daher vorschlagen,daß ich diese Doppelmitgliederfrage, ob sie tatsächlichMitglieder bei uns sein wollen, mit dem Hinweis darauf, daß wir ihre Namen dann in unserer Mitgliederlisteveröffentlichen.In der Schwebe lassen können wir diesen Zustand nicht, und mein Brief muß so abgefaßt sein, daß Nichtbeantwortung Austritt aus dem P.E.N.-Zentrum Deutschland bedeutet.357
Obgleich diese Äußerungen Züge einer regelrechten Kalter-Krieg-Neurose aufweisen, blieb Tralow doch die Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen P.E.N.-Zentrums erklärtes Anliegen: »Eine Bereinigung [der Mitgliedschaft] dieser Art schließt keineswegs aus, daß wir sie dann als Gäste zu unserer Generalversammlung einladen, natürlich erst dann, wenn wir unsere eigenen Angelegenheiten unter uns erledigt haben. Zugelassen müßten sie zu dem Punkt: Wiedervereinigung der beiden Zentren, werden.«358 Die dürftige Resonanz auf ein entsprechendes Klärungsgesuch des P.E.N.-Zentrums Deutschland verdeutlicht, wie gering das Interesse der westdeutschen Mitglieder war. Die wenigen Antworten, die einliefen, erteilten der »gesamtdeutschen« Unternehmung eine deutliche Absage. So ließ etwa Luise Rinser verlauten: »Da ich niemals mein Verbleiben im PEN-Club ›Z.D.‹ [d. i. Zentrum Deutschland] erklärt habe, nahm ich an, dass diese Unterlassung gleich sei mit einer Austrittserklärung. Das Schreiben […] belehrt mich darüber, dass man mich als Mitglied betrachtet. Das ist ein Irrtum. Ich erkläre hiermit meinen Austritt rückwirkend zum Januar 1952.«359 Johannes von Günther distanzierte sich von beiden deutschen P.E.N.-Sektionen: »[M]ir ist weder der Penclub östlicher Schattierung, noch der Penclub westlicher
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Johannes Tralow an Carlfriedrich Wiese [14. 8. 1952]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Wiese. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [21. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [21. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Luise Rinser an Johannes Tralow [10. 11. 1952]. SBBPK NL Tralow K 52 Konv. Rinser. 225
Schattierung nach Herzen. Ich will meine Arbeit in Frieden machen und will nichts mit den Streitereien der beiden Teile zu tun haben.«360 Unterstützung erhielt Tralow durch Herbert Burgmüller, ansässig in Düsseldorf. Burgmüller gehörte zu den jüngsten Mitgliedern des P.E.N.-Zentrums Deutschland, die man im Dezember 1951 zugewählt hatte.361 Schon zu Beginn des Jahres 1952 hatte es zwischen Tralow und Burgmüller eine erste Zusammenarbeit in Sachen P.E.N. gegeben: Burgmüller unterstützte Tralows Argumentation im Hinblick auf die Ursachen der Spaltung im deutschen P.E.N. und zeigte sich dem P.E.N.-Zentrum Deutschland wohl gesonnen; er hatte Tralow Mitte Januar die Möglichkeit zur Veröffentlichung seines Berichts über die Situation im deutschen P.E.N. in der Zeitschrift Blick in die Woche. Das Wichtigste aus Leben und Zeitgeschichte angeboten und stellte auch Druckplatz für einen Bericht über die Pariser Exekutivkomitee-Tagung in Aussicht.362 Auch den finanziellen Engpass, der seine Teilnahme am Kongress in Nizza zu verhindern drohte, versuchte Tralow mit einer Auftragsarbeit für die von Burgmüller herausgegebene Zeitschrift zu entschärfen.363 Die Korrespondenz belegt die Ergebnisse der Kooperation zwischen Burgmüller und Tralow nicht. Sie schien jedoch fruchtbar zu sein, denn unmittelbar nach Syberbergs Rückzug aus dem P.E.N. betrieb Tralow die Intensivierung der Kontakte zu Burgmüller; er trat an ihn heran, um ihn für die Fortführung der redaktionellen Arbeit am geplanten Ost-West-Almanach des P.E.N.-Zentrums Deutschland zu gewinnen, die zuvor Syberberg aufgetragen gewesen war. Geplant hatte man eine Mischung von Beiträgen ost- wie westdeutscher Autoren: »[Alfred] Kantorowicz übernimmt den östlichen Teil, und wir bitten Sie, den westlichen zu übernehmen. […] Der Almanach soll im Westen gedruckt werden und herauskommen.«364 Als geschäftsführender Präsident interessierte sich Tralow lediglich für Burgmüllers grundsätzliche Bereitschaft zur Übernahme dieser Aufgabe. Die finanziellen Belange wies er weit von sich: »Etwaige geschäftliche Dinge bitte ich mit Becher abzumachen, da ich dafür nicht zuständig bin und wegen Arbeitsüberlastung nicht sein will.«365 Erfreut 360
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Johannes von Günther an Johannes Tralow [26. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 45 Konv. Günther. Vgl. P.E.N.-Charter, unterzeichnet von Herbert Burgmüller [10. 3. 1952]. SBBPK NL Tralow K 39 Konv. Burgmüller. Herbert Burgmüller an Johannes Tralow [22. 1., 1. und 8. 2. 1952]. SBBPK NL Tralow K 39 Konv. Burgmüller. Die Wochenzeitschrift Blick in die Woche. Das Wichtigste aus Leben und Zeitgeschehen erschien im Düsseldorfer Rheinland-Verlag ab 1951. Interessanterweise wurde das Erscheinen im Mai 1953 eingestellt, parallel zur Übernahme des P.E.N.-Generalsekretariats durch Herbert Burgmüller. Über einen Zusammenhang kann nur spekuliert werden. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [19. 4. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [3. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [3. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller.
nahm Burgmüller das Angebot an366 und berichtete schon Ende November 1952, »dass die bisherige Resonanz auf die Einladungen zum Almanach ausserordentlich erfreulich«367 sei. Die Übernahme der Almanach-Redaktion stellte für Burgmüller lediglich den Einstieg in die P.E.N.-Arbeit dar, mit deren Untiefen er sich sehr bald konfrontiert sah. Da die Präsentation des Almanachs prestigeträchtig für die Anfang 1953 bevorstehende Generalversammlung des P.E.N.Zentrums Deutschland geplant war, band man Burgmüller mindestens informell in deren Vorbereitungen ein.
4.6
»Das kommt praktisch einem Verbot der Generalversammlung gleich.«368 – Eine verhinderte Tagung in München, Februar 1953
Die organisatorischen Schwierigkeiten, die die Durchführung einer ordentlichen Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland behinderten und verzögerten, spiegeln die Realitäten der deutsch-deutschen Beziehungen in den Jahren 1952/53 wider. Die politischen Bemühungen um eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten waren vergeblich gewesen: Sämtliche Initiativen von Seiten der Bundesrepublik, DDR, Sowjetunion und Vereinten Nationen (UN) zur einvernehmlichen Lösung der deutschen Frage scheiterten an der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Verhandlungspartner. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unter Adenauer verfolgte im Wesentlichen drei Ziele: Wiederherstellung der außenpolitischen Handlungsfreiheit; Sicherung des Friedens durch Integration in die westliche Staatengemeinschaft; Überwindung der deutschen Teilung. Die Erlangung der vollen Souveränität ging einher mit der Einbindung in den Westen. Eine rasche Wiedervereinigung unter Verzicht auf die Westanbindung war nicht im Sinne der Regierung Adenauer und wurde auch von der westdeutschen Bevölkerung nicht mitgetragen; sie »fühlte sich […] mehrheitlich eher dem Westen, der Demokratie und der inzwischen etablierten Wirtschaftsordnung zugehörig und mißtraute […] sowjetischen Vorschlägen angesichts der Entwicklung in der SBZ/DDR.«369 Die von Adenauer propagierte »Politik der Stärke« hielt den Anspruch der Wiedervereinigung in »Frieden und Freiheit« aufrecht, gab jedoch der Westintegration den Vorrang. So war Grotewohls Vorstoß zur Bildung eines »Gesamtdeutschen konstituieren366
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Herbert Burgmüller an Johannes Tralow [6. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 39 Konv. Burgmüller. Herbert Burgmüller an Johannes Tralow [26. 11. 1952]. SBBPK NL Tralow K 39 Konv. Burgmüller. Generalversammlung des PEN in München verboten. Anlage zu einer Mitteilung von Carlfriedrich Wiese an [?] Berthold [im Hause] [6. 2. 1953]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1953/GV des PEN in München verboten/Dr. Wiese 1a. Axel Schildt: Politische Entscheidungen und Einstellungen. In: Deutschland in den fünfziger Jahren (Informationen zur politischen Bildung 265 (1997)), S. 10–23, hier S. 15. 227
den Rats unter paritätischer Zusammensetzung aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands« (30. 11. 1951) durch Adenauer ebenso harsch zurück gewiesen worden wie schon zuvor die der Volkskammer der DDR im September 1951 vorgelegten Vorschläge zur Abhaltung gesamtdeutscher Beratungen. Die Anfang März 1951 durch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unterbreitete Anregung zur Abhaltung freier, allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahlen, die von den Westalliierten unterstützt wurde, war wiederum von Grotewohl abgelehnt worden.370 Die Prüfung der Voraussetzungen für freie gesamtdeutsche Wahlen in beiden deutschen Staaten durch die UN scheiterte im Herbst 1951 an der Weigerung der DDR-Regierung, eine UN-Kommission einreisen zu lassen.371 Überrascht reagierten die Westmächte daher auf eine Note der sowjetischen Regierung vom März 1952 »mit dem Vorschlag […], ›unverzüglich die Frage eines Friedensvertrages mit Deutschland zu erwägen‹, der ›unter unmittelbarer Beteiligung Deutschlands, vertreten durch eine gesamtdeutsche Regierung‹, ausgearbeitet werden solle.«372 Die Westmächte lehnten mit Adenauers Zustimmung jegliche Verhandlungen über einen Friedensvertrag vor gesamtdeutschen Wahlen ab. Der Bundeskanzler interpretierte Stalins Note als Versuch, die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland zu behindern, und warnte vor der Gefahr eines neutralen Deutschlands, das zum »›strategische[n] Zwischenziel der sowjetischen Expansionspolitik‹«373 werden würde. Weitere sowjetische Noten folgten im Verlauf des Jahres 1952; eine Prüfung der sowjetischen Angebote wurde nicht vorgenommen. Mit dem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westmächten am 26. Mai 1952 geschlossenen Deutschland-Vertrag war man dem Ziel der Westintegration ein gutes Stück näher gekommen. Zwar wurde der Vertrag in einer erweiterten Fassung erst im Oktober 1954 ratifiziert, eine Aufwertung der Bundesrepublik als Partner der Westmächte war aber durch die umfangreichen Besprechungen gewährleistet.374 Artikel 7 des Vertragswerks schrieb als gemeinsames Ziel der Westmächte und der Bundesrepublik fest: »Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die Europäische Gemeinschaft integriert ist.«375 Die Umsetzung dieser Vorstellung setzte den gänzlichen politischen Rückzug der Sowjetunion voraus. Indes förderte die Deutschlandpolitik der Westmächte die deutliche Abgrenzung der beiden deutschen Staaten voneinander: Am Tag der Unterzeichnung des Deutschland-Vertrages verabschiedete der Ministerrat der DDR eine Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, die mit 370 371 372 373 374 375
228
Vgl. Deuerlein, S. 88f. Vgl. Deuerlein, S. 89. Schildt, S. 17. Schildt, S. 17. Vgl. Schildt, S. 15–17. Vertrag über die Beziehungenzwischen der BundesrepublikDeutschland und den Drei Mächten in der geänderten Fassung vom 23. Oktober 1954. Abgedruckt Schildt, S. 16.
sofortiger Wirkung zur völligen Abriegelung der bisher noch durchlässigen Zonengrenze zwischen Ost und West führte.376 Auch West-Berlin wurde gegenüber den angrenzenden DDR-Gebieten abgesperrt und die Zahl der Übergänge von West- nach Ost-Berlin drastisch reduziert. Mit der Verkündung des »planmäßigen Aufbaus des Sozialismus« in der DDR auf der 2. Parteikonferenz der SED (9.–12. Juli 1952) wurden in der SED die Befürworter eines Gesamtdeutschlands von den Unterstützern einer eigenstaatlichen DDR zurückgedrängt.377 Damit standen sich zwei deutsche Staaten gegenüber, die ihre Existenz mit der Einbindung in den östlichen bzw. westlichen Machtblock zu gestalten suchten. Die staats- und geopolitischen Gegebenheiten am Ende des Jahres 1952 mussten Auswirkungen auf das P.E.N.-Zentrum Deutschland zeigen, das in seiner grundlegenden Orientierung »gesamtdeutsch« ausgerichtet worden war – wenngleich es diese Betitelung nicht offiziell gebrauchen durfte. Während die formelle Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft aus Ost und West relativ leicht zu bewerkstelligen war, wurden die Verantwortlichen des P.E.N.-Zentrums doch vor die Frage gestellt, wie angesichts der strikten Zweistaatlichkeit das Clubleben über die Grenzen hinweg aufrecht zu erhalten sei. Mindestens die einmal jährlich einzuberufende Mitgliederversammlung sollte unter größtmöglicher Beteiligung stattfinden. Zu den altbekannten finanziellen Engpässen, die eine Teilnahme bislang verhindert hatten, kam nun die Problematik des streng reglementierten Interzonenverkehrs hinzu. Die Wahl des Tagungsortes bereitete erhebliche Schwierigkeiten – Bundesrepublik Deutschland oder DDR? Schon im August 1952 drängte Tralow den Bundessekretär Wiese, »die Frage der Generalversammlung so schnell wie möglich zu klären.«378 Schließlich hatte man entschieden, die Mitgliederversammlung Ende Januar 1953 in München tagen zu lassen. Eingeholt werden musste zu diesem Zweck das Einverständnis der zuständigen Behörden. Im Oktober hatte Tralow beim Bayerischen Staatsminister des Innern und stellvertretenden Ministerpräsidenten, Wilhelm Hoegner, wegen der Generalversammlung angefragt; dieser verwies darauf, dass im Hinblick auf die Einreiseerlaubnis die zuständigen Bundesbehörden angegangen werden müssten.379 Aufgrund der negativen Erfahrung bei der Beantragung von Aufenthaltsgenehmigungen für Abusch, Becher und Kantorowicz im Frühjahr 1952, blickte Tralow der Entscheidung mit Skepsis wie Bereitschaft zur Parade entgegen: 376
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Vgl. Aus der Polizeiverordnung über die Einführung einer besonderen Ordnung an der Demarkationslinie [27. 5. 1952]. Abgedruckt in: Deuerlein, S. 124f. Vgl. Andreas Hillgruber:DeutscheGeschichte1945–1972. Die »deutscheFrage« in der Weltpolitik. (Walther Hubatsch (Hg.): Deutsche Geschichte. Ereignisseund Probleme; Ullstein-Buch Nr. 3851) Frankfurt am Main, Berlin und Wien 1974, S. 59f. Johannes Tralow an Carlfriedrich Wiese [14. 8. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Wiese. Vgl. Wilhelm Hoegner an Johannes Tralow [22. 10. 1952]. SBBPK NL Tralow K 47 Konv. Hoegner. 229
Im Vertrauen: So recht glaube ich noch nicht daran. […] Wir lassen uns verbieten oder warten ab, daß unseren Freunden aus der DDR die Einreise verweigert wird und verlegen die Generalversammlung dann an einen Ort, der Herr Högner [sic] nicht zugängig ist. Verbote sind die beste Propaganda.380
Dennoch forderte Tralow die DDR-Mitglieder auf, die Anträge auf Aufenthaltsgenehmigungen auszufüllen und an ihn zurückzusenden.381 Vorausgegangen war eine persönliche Vorsprache beim Regierungsdirektor Kanein im Bayerischen Staatsministerium des Innern.382 Ende Dezember erhielt Tralow unerwartet vom Bundes-Innenministerium in Bonn die mündliche Zusage, »daß allen […] Mitgliedern aus der DDR die Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden wird.«383 Man sei vom BundesInnenministerium wie »Bayerischen Innenministerium als unpolitische Vereinigung anerkannt«, teilte Tralow mit: »Es liegt demnach Grund genug vor, ein [kurzfristiges Verbot] nicht befürchten zu müssen.«384 Das Bundesministerium hatte seine Entscheidung jedoch wohl etwas vorschnell gefällt und mitgeteilt. Zeitgleich mit dessen Genehmigung verließ eine an den westdeutschen P.E.N.Präsidenten Erich Kästner gerichtete Anfrage das Bayerische Innenministerium, die Tralows Angaben über das Verhältnis der beiden deutschen P.E.N.-Zentren betrafen: Das Bayer. Staatsministerium des Innern gestattet sich anzufragen, welche Vereinbarungen zwischenIhnen als Präsidenten des westdeutschen Zentrums und Herrn Tralow hinsichtlich des Zustandekommens der für Januar 1953 in München vorgesehenen Generalversammlung des PEN-Zentrums Deutschland sowie der Wiedervereinigung der beiden Gruppen getroffen wurden, sowie ob und inwieweit das Exekutivkomitee des internationalen PEN-Clubs diese Bemühungen tatsächlich zu fördern beabsichtigt. Der zuständige Referent (Regierungsdirektor Dr. Kanein […]) ist gerne bereit, Sie zu einer für erforderlich gehaltenen persönlichen Rücksprache jederzeit zu empfangen.385
Kästner kam nach einer Unterredung mit Friedenthal der Einladung zum Gespräch nach, von dem er ausführlich und vielsagend an Edschmid berichtete: 380
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Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [26. 11. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Vgl. auch Johannes Tralow an Johannes R. Becher [21. 11. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Vgl. Johannes Tralow an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschland [22. 12. 1952]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht Archiv 837/56. Vgl. Werner Kanein an Johannes Tralow [4. 12. 1952]. SBBPK NL Tralow K 39 Konv. Bayerisches Staatsministerium des Innern. Angesetzt worden war das Treffen auf den 10. 12. 1952. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [5. 1. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Vgl. auch Johannes Tralow an Alexander Abusch [21. 1. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Abusch. Tralow hatte persönlich im Bonner Innenministerium vorgesprochen. Vgl. Johannes Tralow an Günther Weisenborn [5. 6. 1952]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Weisenborn,sowie Johannes Tralow an Kollege [10. 1. 1953].SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/01. Johannes Tralow an Kollege [10. 1. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/01. Abschrift des Schreibens von Ministerialdirigent Dr. Kääb [Bayer. Staatsministerium des Innern] an Erich Kästner [29. 12. 1952]. Anlage zu einem Brief von Erich Kästner an Kasimir Edschmid [10. 1. 1952]. DLA Marbach N: Edschmid Konv. P.E.N.
Ich sagte [Kanein] u. a., dass Tralows Behauptungen, die Generalversammlung des Zentrums Deutschlandsolle in München abgehalten werden, weil einer der wichtigsten Punkte die Wiedervereinigung unserer beiden PEN-Gruppen sei, keineswegs stimmen. Man hätte uns ja eben erst in Nizza als eigenes Zentrum konstituiert, so dass ja vom Internationalen PEN her gar nicht erwartet würde, diese Wiedervereinigung solle ein Nahziel sein. Andererseits sagte ich ihm aber auch, dass unser Zentrum naturgemäss von sich aus nicht vorschlageoder wünschenkönne, die Tagung solle nicht in München stattfinden. Denn wenn auch nicht zu vermuten stünde, dass man die Tagung in München veranstaltet, um im grösseren Publikum Unklarheit hervorzurufen, so verböte uns doch unsere Clubtoleranz derartige Vorschläge. Vielleicht sei es sogar ganz gut, wenn die Tagung, falls überhaupt in Westdeutschland, in München abgehalten würde, weil wir dadurch am ehesten Gelegenheit hätten, zu erfahren, welche westdeutschen Schriftsteller an der Tagung teilnehmen. Dr. Kanein liess mich nicht im Zweifel, dass das bayer.Innenministerium in irgendeiner Form die Tagung beobachtenwerde, so dass ich wahrscheinlichauch durch ihn, der wie ich Dresdener ist, manches Wissenswerte erfahren kann. Schliesslich bestünde in den hiesigen Blättern anschliessend an die Tagung, falls dieselbe Missverständnisse hervorrufen sollte, eine günstige Gelegenheit, […] klärend Stellung zu nehmen.386
Kästner rückte sich und das P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland auf die deutschlandpolitische Linie der Regierung Adenauer – eine Annäherung an das P.E.N.-Zentrum Deutschland war ausgeschlossen. Dass man sich von Regierungsseite für das Treiben zweier literarischer Verbände dies- und jenseits der Demarkationslinie interessierte, trug der politischen Entwicklung Rechnung. Eine Wiedervereinigung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren, so unwahrscheinlich sie auf Grund der Sachlage auch war, hätte diametral zur Zweistaaten-Politik gestanden. Der Einfluss der Kästnerschen Informationen auf die internen Entscheidungen des Bayerischen Innenministeriums ist nicht fest zu machen. De facto verzögerte zunächst das zuständige Münchener Wohnungsamt die Aufenthaltserlaubnis für die DDR-Mitglieder. Der Termin für die Generalversammlung war bereits von Ende Januar auf Anfang Februar verschoben worden. Aufgrund der »Unübersichtlichkeit in der Frage der Aufenthaltsgenehmigung«387 schloss Wiese in einer Mitteilung an Brecht eine weitere Verschiebung nach hinten nicht aus. Zwar hatte sich das Wohnungsamt der Stadt München am 15. Januar bereit erklärt, die erforderlichen Aufenthaltsgenehmigungen binnen vier bis fünf Tagen auszustellen.388 Schließlich zog das Bundes-Innenministerium indirekt seine ursprüngliche Genehmigung der Mitgliederversammlung zurück. Am 24. Januar 1953, kurz vor dem ursprünglich geplanten Tagungstermin, erhielt 386 387
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Erich Kästner an Kasimir Edschmid [10. 1. 1953]. DLA N: Edschmid Konv. P.E.N. Carlfriedrich Wiese an Bertolt Brecht [7. 1. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 875/51. Tatsächlich war wenig später als weiterer Termin der Generalversammlung der 20.–22. Februar in Aussicht gestellt worden.Vgl. Carlfriedrich Wiese an Bertolt Brecht [11. und 13. 2. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 875/55. Vgl. GV des PEN in München verboten. Anlage zu einer Mitteilung von Carlfriedrich Wiese an [?] Berthold [i. Hause] [6. 2. 1953]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/1953/GV des PEN in München verboten/Dr. Wiese 1a. 231
Tralow ein Schreiben, »in dem es sehr zart heißt, daß es sich nicht ›empfehle‹, [die] Mitglieder aus der DDR nach München einzuladen«,389 denn es bestehe »begründeter Anlaß zu der Annahme, daß diese Schriftsteller ihre Anwesenheit im Bundesgebiet für die Propagierung sowjetischer Ideologien verwenden werden, die die Bevölkerung im Bundesgebiet ablehnt.«390 Die zunächst zugesicherten Aufenthaltsgenehmigungen für die Mitglieder aus der DDR wurden letztlich nicht erteilt: »Nach Ansicht des Innenministerium empfiehlt es sich nicht, das Bayerische Innenministerium macht sich diese Sicht zu eigen, das Münchener Wohnungsamt muß noch Ermittlungen anstellen, – auf diese sehr leise Art wird die Generalversammlung des PEN-Clubs in München verboten, ohne daß man von einem Verbot spricht.«391 Mit dieser Verfahrensweise zwangen die bundesdeutschen Behörden das P.E.N.-Zentrum Deutschland schon im Vorfeld der Tagung zur Aufgabe. Eine Durchführung der Generalversammlung ohne die Mitglieder aus der DDR hätte den Anspruch des P.E.N.-Zentrums Deutschland, Schriftsteller aus Ost und West zu vereinen, ad absurdum geführt. Gleichwohl vermied man von bundesdeutscher Seite auf diese Weise, eine laufende Versammlung mit Polizeigewalt zu unterbrechen und aufzulösen, wie es etwa auf der Deutschen Kulturtagung392 in 389
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Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [28. 1. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Brief des Bundes-Innenministeriums an Johannes Tralow [24. 1. 1953]. Zitiert nach Dr. F. T. [d. i.?]: »… es empfiehlt sich nicht!« Generalversammlungdes PEN-Clubs in München verboten. In: Der Sonntag 6 (8. 2. 1953). Brief des Bundes-Innenministeriums an Johannes Tralow [24. 1. 1953]. Zitiert nach Dr. F. T. [d. i.?]: »… es empfiehlt sich nicht!« Generalversammlungdes PEN-Clubs in München verboten. In: Der Sonntag 6 (8. 2. 1953). Vgl. hierzu Karl Saller (Hg.): Von der Verantwortung des deutschen Geistes. Die Deutsche Kulturtagung in Bayreuth vom 24.–26. Oktober 1952 [Broschur]. Vgl. außerdem Johannes Tralow an Alexander Abusch [21. 1. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Abusch und Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [23. 3. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Der Wunsch nach einer Deutschen Kulturtagung mit Teilnehmern aus Ost und West war hervor gegangen aus mehreren Ost-West-Gesprächen, die in kleineren, fachlich bestimmten Kreisen geführt worden waren. Die Initiative zu einem Aufruf ging zurück auf verschiedene Wissenschaftler, u. a. aus Hamburg und Heidelberg. Ein Vorgespräch, an dem auch fünf Teilnehmer aus der DDR teilnahmen, fand Ende August in Heidelberg statt. Dort wurde ein Vorbereitender Ausschuss gewählt, zu dem auch der Münchener Professor für Medizin, Karl Saller, gehörte. Wenige Stunden vor Eröffnungwurde die Durchführungder Bayreuther Kulturtagung vom bayerischen Staatsminister des Innern, Wilhelm Högner, untersagt: »Nachdem die Ermittlungen nun einwandfrei ergeben haben, daß es sich bei der für die Zeit vom 24. bis 27. 10. 1952geplanten Kulturtagungin Bayreuthum eine kommunistischeTarnveranstaltunghandelt, mußte diese auf Grund des Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzesverboten werden,wovon hierdurchKenntnis gegeben wird.« Saller,Bildtafel V. Saller sagte daraufhin die Tagung ab. Gleichwohl waren aufgrund des kurzfristigen Verbotes etwa 200 Teilnehmer, davon etwa 40 aus der DDR, bereits angereist. Am 25. Oktober kam es zu »Weiterungen […], indem die Bayreuther Polizei etwa 16 Festnahmen und eine Verhaftung vornahm.« Aus der DDR waren u. a. Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Alexander Abusch, Anna Seghers, Erich Wendt, Carlfriedrich Wiese und Hans Mayer
Bayreuth (1952) geschehen war. Zur propagandistischen Ausnutzung gegen die Bundesrepublik Deutschland und ihr Staatssystem eigneten sich die Vorkommnisse aus Sicht der DDR allemal. Eine Mitteilung des Kulturbunds über die Vorgänge zur Weitergabe an die Presse brandmarkte die »Anwendung bürokratischer Methoden« zur Verhinderung der Generalversammlung als »weitere[n] Beweis dafür, daß die Regierungsorgane der westdeutschen Bundesrepublik […] unter Ausnutzung ihrer Macht kulturelle Veranstaltungen demokratischer Kräfte verhindern.«393 In der Wochenzeitschrift Sonntag wurde der Hergang referiert, um gleichfalls massive Hiebe gegen die westdeutsche Demokratie auszuteilen:
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angereist, für die im Vorfeld von der Stadt Bayreuth Aufenthaltsgenehmigungen ausgestellt worden waren. Vgl. Saller, Bildtafel II. In einem Protesttelegramm wandte sich einer der Organisatoren, Prof. Anschütz aus Hamburg, gemeinsam mit Becher und Seghers an den Bundespräsidenten Heuss, um für Unterstützung »gegen das rechtsund verfassungswidrige Verbot dieser Tagung« zu werben: »Wir protestieren gegen die am heutigen Tage [25. 10. 1952] in Bayreuth erfolgte Festnahme von etwa 70 Teilnehmern, unter denen sich bedeutende Künstler und Wissenschaftler aus der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik befinden. Diese Willkürakte verletzen auch das Gastrecht gegenüber Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik, denen die Einreiseausdrücklich zum Zweck der Teilnahme an dieser Tagung von den zuständigen Behörden in der Bundesrepublik genehmigt war.« Saller, S. 71. Einen weiteren Protestbrief richtete Karl Saller an Heuss, in dem er ausführlich zu den Vorwürfen gegen die Veranstaltung Stellung nahm und gegen den Vorwurf einer Verbindung der Tagung zum Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands vehement argumentierte. Vgl. Saller, S. 5–13. Die Erinnerungen des Bundessekretärs Alexander Abusch lassen allerdings eine organisatorische Nähe zum Kulturbund vermuten. Darauf deutet nicht zuletzt auch die starke Präsenz einer ganzen Reihe von Vertretern des Kulturbundes– Becher, Abusch, Wendt, Wiese und Gertrud Sasse [Vizepräsidentin des Kulturbundes]– hin. Auf BechersGeheiß organisierteTralow, der ebenfalls an der Tagung teilnehmen sollte, nach dem Verbot der Veranstaltungin München einen abendlichen»Empfang des PEN-Clubs für einigermaßenprogressivdenkendeIntellektuelle Münchens«: »Am Abend fanden sich nicht wenige Intellektuelle Münchens im Hotel ›Vier Jahreszeiten‹ zusammen, keineswegs nur direkte Anhänger der Bewegung ›Deutscher Kulturtag‹. Ihre Gespräche waren meist voll Resignation über die Wiederkehr des Gleichen in Bayern mit amerikanischer Hilfe. […] Zu dem Empfang des PENClubs […], der nicht so schnell verboten werden konnte, hatten sich die erschienenen Münchener Intellektuellen gerade noch gewagt.« Alexander Abusch: Manuskript des Memoirenbandes Mit offenem Visier (Kap. XI–XX). SAPMO-BArch SG Y 30/1084/3, Bl. 393f. Vgl. auch Alexander Abusch: Mit offenem Visier. Memoiren. Berlin 1986, S. 280f. Nach Tralows Angaben in einem Brief an Bertolt Brecht [19. 1. 1954] wurde der Empfang vom Kulturbund finanziert. Den Erfolg des Empfangs, den man »östlich der Elbe als wundervolleDemonstrationbetrachtete«,beurteilteTralow eher skeptisch: »[W]ir Westler [waren] ja genau im Bilde […], daß alle Beteiligtenohnehinzu uns gehörten […].« SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Brecht. GV des PEN in München verboten. Anlage zu einer Mitteilung von Carlfriedrich Wiese an [?] Berthold [im Hause] [6. 2. 1953]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/1953/GV des PEN in München verboten/Dr. Wiese 1a. 233
Es gibt zwei Methoden, mit denen man in Westdeutschland versucht, Veranstaltungen demokratischer Kräfte und deren Organisationen zu verbieten und ihre Tätigkeit unmöglich zu machen. Die eine ist die Methode der nackten, brutalen Polizeigewalt, die auch vor Verhaftungen nicht zurückschreckt. […] Die andere Methode kommt auf Filzsohlen daher. Der Polizei-Tschako wird in den Schrank gestellt, der Gummiknüppel mit Samt umwickelt und unter der Jacke verborgen. Die Gewalt gibt sich zivilisiert. […] Die Verhinderung der PEN-Tagung ist ein weiteres Glied in der lückenlosen Kette der Beweise, daß in Westdeutschland die Niederknüppelung demokratischer Kräfte zum herrschenden System geworden ist. Ob mit Polizeiknüppel oder auf Filzsohlen – das sind Unterschiede in der Form des Vorgehens. Der Inhalt ist der Gleiche: Faschismus.394
Der Artikelschreiber griff auch die aktuelle Deutschlandpolitik der Bundesregierung an, insbesondere die Ablehnung des durch Stalin vorgeschlagenen Friedensvertrages und die Unterzeichnung des Deutschlandvertrages: Aber wenn Schriftsteller für den Abschluß des Friedensvertrages eintreten und ihre Ablehnung des Generalvertrages äußern, dann ist das verboten, denn das ist nach Meinung des Innenministeriums ›Propagierungsowjetischer Ideologien,die von der Bevölkerung abgelehnt werden.‹ Wenn das Bundesministerium so sicher ist, daß die Bevölkerung für den Generalvertrag und gegen den Abschluß eines Friedensvertrages ist und mit dem Wiederaufleben des Faschismus in Westdeutschland so sehr einverstanden ist, dann soll das Innenministerium endlich die seit Jahren von Millionen Menschen geforderte Volksabstimmung über diese Fragen veranstalten. Über das Ergebnis dieser Abstimmung sind wir in keinem Augenblick in Zweifel.395
Nichtsdestotrotz war die Durchführung der Generalversammlung in München gescheitert. Ein wenig frustriert konstatierte Tralow: Wieviel Arbeit und Mühen hat es gekostet, um unsere Generalversammlung in München durchzubringen, bis mir dann im letzten Augenblick die bereits gemachte Zusage des Bonner Innenministeriums widerrufen wurde. Jetzt kann ich von Neuem beginnen. Sehen Sie, unser P.E.N. ist eine ganz klare, unpolitische Sache mit einem großen internationalen Hintergrund. Und doch! Man hat hier eben schreckliche Angst vor Euch [DDR-Autoren], als wenn Ihr hexen und zaubern könntet. Das entspringt einem sehr begreiflichen Minderwertigkeitskomplex unserer verehrten Bonner Regierung.396
Als Alternative zur Durchführung der Generalversammlung hatte Tralow schon vor der endgültigen Genehmigungsverweigerung die Durchführung schriftlicher Neuwahlen avisiert; diese seien dringlich: »Unser Vorstand ist eben überreif und braucht ein neues Mandat.«397 Von dem verantwortlichen Bundessekretär Abusch wurde diese Lösung des Problems abgelehnt. Der schriftliche
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Dr. F. T. [d. i.?]: »… es empfiehlt sich nicht!« Generalversammlung des PEN-Clubs in München verboten. In: Der Sonntag 6 (8. 2. 1953). Dr. F. T. [d. i.?]: »… es empfiehlt sich nicht!« Generalversammlung des PEN-Clubs in München verboten. In: Der Sonntag 6 (8. 2. 1953). Johannes Tralow an Bodo Uhse [21. 2. 1953]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse. Johannes Tralow an Alexander Abusch [21. 1. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Abusch.
Wahlmodus sei »juristisch anfechtbar und deshalb nicht […] zweckmässig.«398 Abusch propagierte die Vorbereitung der Versammlung in Berlin Ost und West, falls es keine andere Möglichkeit in der Bundesrepublik geben sollte.399 Generell hielt man es von Seiten des Kulturbunds für ratsam, »die Generalversammlung doch in der B[undes]R[epublik] zu veranstalten. Ohne Zweifel wiegt ein Auftreten drüben sehr viel schwerer als hier.«400 Den Mitgliedern teilte man als neuen Termin für die Tagung den 17.–19. April mit, um einen neuen Ort bemühe man sich.401 Eine offizielle Durchführung der Versammlung wünschte man zu umgehen; die Schwierigkeiten in Bezug auf die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen hoffte man durch die persönliche Fürsprache einzelner Westmitglieder bei den entsprechenden Behörden lösen zu können.402 Damit begann die Suche nach einem geeigneten Ort von vorn. Tralow brachte in die Diskussion u. a. das Saargebiet ein, obgleich er wegen des Ausweichens auf quasi »neutrales« Gebiet missliebige Interpretationen fürchtete: »[U]nser offizielles Erscheinen an der Saar [könnte] als so etwas wie eine Anerkennung de facto aufgefaßt werden. Das kann uns nicht lieb sein, weil, soviel ich weiß, alle unsere Mitglieder für die Wiedervereinigung Deutschlands sind und nicht für das Gegenteil.«403 Der Vorschlag wurde jedoch vom Kulturbund abgeschmettert,404 ebenso wie die Einladung zur »Generalversammlung ohne Anfall von Kosten«405 in Tralows Gautinger Wohnung: »Generalversammlung in G[auting]. abzuhalten, erscheint unmöglich. Das hieße den Weltbund der Schriftsteller in einen unverantwortlichen dörflichen Anonymismus zurückdrängen.«406 Verärgert über die Zurückweisung seiner Vorschläge und die zeitliche Verzögerung einer definitiven Entscheidung, sichtlich nicht einverstanden mit der vom Kulturbund geforderten Durchführung der Mitgliedertagung in Stuttgart – »Dann ist aber die dörfliche Anonymität des kleineren Stuttgarts 398
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Alexander Abusch an Johannes Tralow [31. 1. 1953]. SBBPK NL Tralow K 39 Konv. Abusch. Vgl. Alexander Abusch an Johannes Tralow [31. 1. 1953]. SBBPK NL Tralow K 39 Konv. Abusch. Carlfriedrich Wiese an Johannes Tralow [13. 2. 1953]. SBBPK NL Tralow K 58 Konv. Wiese. Vgl. Carlfriedrich Wiese an Bertolt Brecht [13. 2. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt BrechtArchiv 875/55. CarlfriedrichWiese an Johannes Tralow [13. 2. und 6. 3. 1953].SBBPK NL Tralow K 58 Konv. Wiese. Brecht riet man von Seiten des Kulturbundes, eine Aufenthaltsgenehmigung, die ihm für Heidelberg zu anderen Zwecken ausgestellt worden war, aufzuheben. Vgl. Carlfriedrich Wiese an Bertolt Brecht [11. 2. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt BrechtArchiv 875/54. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [25. 2. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Carlfriedrich Wiese an Johannes Tralow [6. 3. 1953]. SBBPK NL Tralow K 58 Konv. Wiese. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [4. 3. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Carlfriedrich Wiese an Johannes Tralow [14. 3. 1953]. SBBPK NL Tralow K 58 Konv. Wiese. 235
noch dichter«407 –, drang Tralow auf eine definitive Meinungsäußerung seines Vorstandskollegen Becher: Am 15. April spätestens verlassen die Einladungen mein Haus. Bekomme ich vorher keine Nachricht von Ihnen, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Versammlung nach Gauting in meine Wohnung einzuberufen. Bitte wollen Sie das doch nicht als Dickköpfigkeit von mir auffassen oder als einen Versuch, unter allen Umständen meine eigene Meinung durchzusetzen. Ich setze ebenso gern Ihre Meinung durch, nur müssen Sie mir die Möglichkeit dazu geben, und vor allem muß ich diese Meinung wissen.408
Becher hingegen trat auch in dieser Angelegenheit nicht mehr in Erscheinung, die Verhandlungen führten seine Bundessekretäre. Deren verstärkte Einmischung in die organisatorischen Belange des P.E.N.-Zentrums Deutschland signalisiert deutlich den gewachsenen Führungsanspruch. Tralow schien jedoch keineswegs gewillt, anstandslos Direktiven des Kulturbundes auszuführen, die seinen Vorstellungen nicht entsprachen. In die Diskussion eingebracht hatte Tralow schließlich die Hansestadt Hamburg. Seine Hoffnung, dass dort eine Genehmigung der Generalversammlung leichter zu erlangen sei, wurde durch die Einschätzung des Hamburger Mitglieds Heinrich Christian Meier getrübt; er sei »nicht so ganz überzeugt, dass für die beabsichtigte Tagung Hamburg der richtige Ort sei«409 und warnte Tralow vor einem möglichen »Fehlschlag« auch im Hinblick auf die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen. Dennoch hatte Tralow – vermutlich eigenmächtig in Erfüllung seiner Androhung gegenüber Becher – »zum 8. Mai nach Hamburg zur G.V. P.E.N. eingeladen«410 , konstatierte aber gegenüber Günter Hofé frustriert: »[W]enn alles so geht, wie bisher, also gar nicht, werde ich ohnehin die Versammlung abblasen müssen.«411 Spätestens Ende April stand jedoch fest, dass die 5. Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in »Gross-Berlin«412 stattfinden würde. Auf welche Weise schließlich eine Einigung über den Versammlungsort erzielt wurde, lässt sich nicht rekonstruieren. Die dominante Einwirkung des Kulturbunds auf diese Entscheidung erscheint sehr wahrscheinlich. Mit Nachdruck bat man um das möglichst vollständige Erscheinen der Mitglieder: »Die kommende Generalversammlung ist als besonders wichtig zu betrachten, und darum werden alle Mitglieder gebeten, sie nicht zu versäumen. Es kommt auf jeden einzelnen an, 407
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Johannes Tralow an Johannes R. Becher [2. 4. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [2. 4. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [14. 4. 1953]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Johannes Tralow an Günter Hofé [Verlag der Nation] [18. 4. 1953]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Verlag der Nation. Johannes Tralow an Günter Hofé [Verlag der Nation] [18. 4. 1953]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Verlag der Nation. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [25. 4. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller, sowie Johannes Tralow an Kollege [25. 4. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/07.
auch auf sie.«413 Für die Genehmigung der Generalversammlung in Berlin hatte sich insbesondere Wiese eingesetzt; er hatte die Tagung »in allen Einzelheiten mit dem ZK, Abt. Schöne Literatur und Kunst [verantwortlich Willi Adam], abgesprochen«,414 um sie parteilich genehmigen zu lassen. Hier lässt sich zum ersten Mal die direkte Kontaktaufnahme mit den parteilichen Führungsinstanzen hinsichtlich der Belange des P.E.N.-Zentrums Deutschland belegen. Um einen unbehinderten Ablauf der Tagung zu garantieren, die für beide Berliner Stadtteile geplant war, hatte Wiese am Tag vor der Versammlung die »Befürwortung des Polizeipräsidenten Waldemar Schmidt persönlich eingeholt. Auf dem Polizeipräsidium teilte man mir mit, dass damit die Angelegenheit erledigt sei. Zu passieren ist in beiden Richtungen der Kontrollpunkt Brandenburger Tor, der durch ihn sofort verständigt wird.«415 Der ersten Generalversammlung nach der internationalen Anerkennung des P.E.N.-Zentrums Deutschland, die für die Aufnahme regulärer Clubaktivitäten unerlässlich war, stand damit kein bürokratischer Hinderungsgrund mehr im Weg. Die Generalversammlung bildete den Auftakt zu einem neuen Abschnitt der Geschichte des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Der Kampf um Anerkennung wich einer aktiven Arbeit auf nationaler wie internationaler Ebene.
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Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [25. 4. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller, sowie Johannes Tralow an Kollege [25. 4. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/07. Carlfriedrich Wiese an SED, Abt. Staatliche Verwaltung [9. 5. 1953]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1953/GV des Pen in München verboten/Dr. Wiese 2. Carlfriedrich Wiese an SED, Abt. Staatliche Verwaltung [9. 5. 1953]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1953/GV des Pen in München verboten/Dr. Wiese 2. 237
5.
»Wenn Du kein Spektakel machen kannst … «1 – Die Ära Bertolt Brecht (1953–1956)
5.1
Konsolidierung des P.E.N.-Zentrums Deutschland bzw. Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West (Sitz München)
5.1.1 Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Berlin (10. Mai 1953): Bekenntnis zur »Unteilbarkeit der deutschen Literatur«2 und Wahl einer prominenten Integrationsfigur zum Präsidenten Mit der Mitgliederversammlung, die im Mai 1953 in Berlin-Charlottenburg tagte, verband sich eine Zäsur in der Geschichte des P.E.N.-Zentrums Deutschland, die die Zeit der direkten deutsch-deutschen Konfrontation weitestgehend beendete. Nach Abschluss der Separations- und Reparationsbestrebungen innerhalb der deutschen P.E.N.-Mitgliedschaft kam der 5. Generalversammlung3 des P.E.N.-Zentrums Deutschland besondere Bedeutung zu. Gemeinschaftlich strebte man die Rückkehr zu einer normalen Arbeitstätigkeit an, die die Akzeptanz des P.E.N.-Zentrums Deutschland auf nationaler wie internationaler Ebene verbessern sollte. Wesentliche Voraussetzung für dieses Ziel war die Wiederherstellung eines arbeitsfähigen und vollzähligen Vorstands. Die Aufarbeitung der Schwierigkeiten, die der Tagung vorausgegangen waren, und die Einigung über die grundsätzlichen Aufgaben und Pläne des P.E.N.-Zentrums standen zunächst jedoch im Vordergrund. In einer »mehrstündigen Aussprache [kam] einmütig die Auffassung zum Ausdruck […], daß die Arbeit des PENClubs auf die Wahrung der Unteilbarkeit [d]er nationalen Literatur, auf Ver-
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Zitiert nach: Interview mit Ingeburg Kretzschmar (Generalsekretärin des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West/P.E.N.-Zentrums DDR), geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. Zur Amtszeit von Bertolt Brecht vgl. auch Therese Hörnigk: PEN-Bruder Brecht. Für Werner Mittenzwei. In: Simone Barck und Inge Muenz-Koenen (Hg.): Im Dialog mit Werner Mittenzwei. Beiträge und Materialien zu einer Kulturgeschichte der DDR. (Abhandlungen der Leibniz-Sozietät Bd. 3) Berlin 2002, S. 19–27. Vgl. Briefkopf des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West: »Das Deutsche P.E.N.Zentrum Ost und West (Sitz München) bekennt sich zur Unteilbarkeit der deutschen Literatur.« Trotz der enormenVeränderungen,die die Struktur des deutschenP.E.N.-Clubsseit der Wiederbegründung nach dem Zweiten Weltkrieg erfahren hatte, zählte man die Mitgliederversammlungen beharrlich durch. Damit sollte auch zum Ausdruck gebracht werden, dass man sich nach wie vor als rechtmäßiger Nachfolger des ursprünglichen P.E.N.-Zentrums Deutschland von 1948 verstand.
ständigung und Zusammenarbeit der deutschen Schriftsteller gerichtet sein«4 müsse. Am Ende der langen Diskussion stand die Annahme einer Resolution, die von den Mitgliedern Alexander Abusch, Werner Ilberg, Bertolt Brecht und Elga Kern ausgearbeitet worden war und den obersten Grundsatz des P.E.N.Zentrums Deutschland deutlich hervorhob: Die in der 5. Generalversammlung des PEN-Zentrums Deutschland am 10. Mai 1953 in Berlin-Charlottenburg versammelten Schriftsteller aus ganz Deutschland bekennen sich, in Übereinstimmung mit der PEN-Charter, zur Überparteilichkeit des PENClubs und zur Unteilbarkeit ihrer nationalen Literatur. Die 5. Generalversammlung des PEN-Zentrums erklärt sich daher für die Wiedervereinigung der beiden deutschen PEN-Zentren. Sie fordert alle PEN-Mitglieder auf, im Geiste der PEN-Charter dahin zu wirken, den jetzigen unnatürlichen Zustand zu überwinden.5
Laut Protokoll beriet die Generalversammlung »konkrete Vorschläge für die Wiedervereinigung der beiden Zentren«6 – allerdings ohne greifbares Ergebnis. Dem Anspruch, ost- und westdeutsche Schriftsteller zu vereinen, wurde die Mitgliederversammlung durch die Zuwahl neuer Mitglieder gerecht.7 Von den 15 en bloc Gewählten stammten acht aus der Bundesrepublik Deutschland: Fritz Helling, Heinrich Christian Meier, Peter Martin Lampel, Eugen Rugel, Ruth Schaumann, Carl August Weber, Elga Kern und Heinz Becker-Trier. Richard Cahen hatte seinen Wohnsitz in Paris. Die sechs Neuzugänge aus der DDR, Stefan Heym, Erich Arendt, Erich Wendt, Wilhelm Girnus, Carlfriedrich Wiese und Günter Hofé, bekleideten zum Teil wichtige kulturpolitische Funktionen: Wendt und Wiese arbeiteten für den Kulturbund; Girnus besetzte als Redakteur der Zeitung Neues Deutschland, verantwortlich für Innen-, anschließend Kulturpolitik, eine zentrale Position in der parteipolitischen Propaganda-Maschinerie.8 Doch auch ein unbequemer Kopf wie Stefan Heym fand ungehindert Eingang in das P.E.N.-Zentrum Deutschland. Eine von der Generalversammlung bestätigte Änderung der Statuten betraf auch die Vorstandsbesetzung. Danach sollte der Vorstand bestehen »aus zwei oder drei gleichberechtigten Präsidenten, deren einer der geschäftsführende Prä-
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[o. V.]: Kommunique des P.E.N.-Zentrums Deutschland [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/1953/GV 10. 5. 1953/Kommunique 1 und 2, hier 1. Resolution des P.E.N.-Zentrums Deutschland vom 10. Mai 1953. Zitiert nach: Protokoll der Mitgliederversammlungdes P.E.N.-ZentrumsDeutschland[10. 5. 1953].SAdK Berlin, JohannesR. Becher-Archiv12215, Bl. 13. Enthalten auch in SBBPK NL Tralow K 86 K 43. Kommunique des P.E.N.-Zentrums Deutschland [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/1953/GV 10. 5. 1953/Kommunique 1 und 2, hier 1. Vgl. Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland am 10. Mai 1953 in Berlin-Charlottenburg, Kurfürstendamm, Hotel Tusculum. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1953/GV 10. 5. 1953/Protokoll 1–2, hier 1. Vgl. Jürgen Kaulfuß und Bernd-Rainer Barth: Wilhelm Girnus. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 255. 239
sident ist, sowie aus einem Generalsekretär und einem Schatzmeister.«9 Einen für die weitere Entwicklung des P.E.N.-Zentrums Deutschland bedeutsamen Schritt unternahm Johannes R. Becher; er schlug die Einsetzung von Bertolt Brecht ins Präsidentenamt10 vor und trat damit de facto zurück: »Vielleicht werden nun eine Anzahl von Leuten, die in gewissen Personen Hindernisse sehen, zu uns finden.«11 Becher reagierte damit sehr verspätet auf die Angriffe, die sich in den zurückliegenden Streitigkeiten von westlicher Seite auf seine Person konzentriert hatten und läutete gleichzeitig offiziell seinen sukzessiven Rückzug aus dem P.E.N.-Zentrum Deutschland ein, der im Grunde schon vollzogen war. Bechers Bedeutung für den P.E.N. erscheint zumindest nach der bekannten Aktenlage schon zu diesem Zeitpunkt marginal; er hatte sich mehr und mehr aus den Tagesgeschäften zurückgezogen. Brechts Persönlichkeit war aus Bechers Sicht geeignet, eine reziproke Wirkung hervorzurufen: Dem in der Diskussion erneut bekräftigten Bekenntnis zur Unteilbarkeit der deutschen Literatur sollte auf personeller Ebene Nachdruck verliehen und somit gerade westdeutschen Schriftstellern die Entscheidung für die Mitgliedschaft in einem gesamtdeutsch ausgerichteten P.E.N.-Zentrum erleichtert werden. Umgekehrt würde eine steigende Zahl von Mitgliedern aus der Bundesrepublik Deutschland den Anspruch untermauern, Schriftsteller aus der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu vereinen. Damit verband sich sicherlich auch die Hoffnung, die Chancen des P.E.N.-Zentrums Deutschland auf Akzeptanz und Integration in die internationale P.E.N.-Gemeinschaft zu erhöhen. Dass die personelle Zusammensetzung des Vorstands ein implizites Signal der eigenen Ausrichtung aussenden würde, hatte Becher schon im Verlauf der Tagung deutlich gemacht: »Jede Neuwahl ist der Ausdruck einer Linie, die wir versuchen müssen, herauszuarbeiten.«12 Von den Teilnehmern der Generalversammlung wurde Bechers Vorschlag sehr positiv aufgenommen. Eine Übernahme des Präsidentenamtes durch Brecht interpretierte man als »grosse[n] Gewinn«, haftete ihm doch nicht der Ruch politischer Willfährigkeit an: Becher hat man künstlich drüben abgestempelt mit dem schönen Wort Funktionär, während man bisher die Taktik verfolgt hat, Brecht in Gegensatz dazu zu stellen, als sei das hier so eine Art Untergrundbewegung. Jetzt haben die Leute keine Ausrede mehr. Dazu kommt, dass Brecht in Westdeutschland zum Teil veröffentlicht ist. Bei 9
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Vgl. Statuten. Vollständig abgedruckt in Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland [10. 5. 1953]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12215, Bl. 13. In den geänderten Statuten hatte man festgelegt, dass der Vorstand »aus zwei oder drei gleichberechtigten Präsidenten, deren einer der geschäftsführende Präsident ist, sowie aus einem Generalsekretär und einem Schatzmeister« bestehen sollte. Wortbeitrag von Johannes R. Becher. In: Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland [10. 5. 1953]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12215, Bl. 20. Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland [10. 5. 1953]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12215, Bl. 20.
Becher haben sie keine Ahnung, aber ein Urteil. Diese Wahl nimmt den Leuten sämtliche Argumente. Wir haben hier jemand, von dem niemand behaupten kann, dass er keine eindeutige Haltung habe oder von jemand abhängig sei. Sein Weg liegt offen vor aller Augen.13
Unumstritten war die Persönlichkeit Brechts im Westen indes nicht. Schon vor der Rückkehr aus dem langjährigen Exil in den USA war Brechts Erfolgsstück Die Dreigroschenoper im West-Berliner Hebbel-Theater aufgeführt und mit vielfältiger Kritik bedacht worden. Nach seiner Ankunft in Europa Ende 1947 arbeitete Brecht zunächst mit Erfolg in Zürich. Sein Drama Herr Puntilla und sein Knecht Matti, im November 1948 als deutsche Erstaufführung in Hamburg gezeigt, wurde zum »Schlager der Saison«. Es wurde in mindestens fünfzehn Inszenierungen an größeren und kleineren Bühnen Westdeutschlands präsentiert. Brecht strebte auf dem Theater eine »gesamtdeutsche Akzeptanz und Repräsentanz«14 an. Im April 1949 stellte er fest: »Ich kann mich ja nicht in irgendeinen Teil Deutschlands setzen und damit für den anderen Teil tot sein.«15 Sein erklärtes Ziel war es, »den Zugang zu so vielen deutschsprachigen Bühnen wie möglich zu erhalten.«16 Förderlich erschien in dieser Hinsicht die Übertragung der Rechte an seinen Werken an den westdeutschen SuhrkampVerlag. Die Ende Mai 1949 von Brecht gefällte Entscheidung, in Ost-Berlin seinen ständigen Wohnsitz zu nehmen, schien im Widerspruch zu seinem Wunsch nach gesamtdeutscher Repräsentanz zu stehen. Im Westen wurde sein Entschluss zuvorderst als eindeutiges Bekenntnis zum kommunistischen System der sowjetischen Besatzungszone begriffen. Tatsächlich betrachtete Brecht die SBZ/DDR durchaus als »Modell eines neuen Deutschlands.«17 Seine Entscheidung für OstBerlin war »die eigentliche Konsequenz seines Denkens, das er darauf eingestellt hatte, die neue Welt, an deren Aufbau er mitarbeiten wollte, zu gestalten, und sei es unter den finstersten Verhältnissen und Anfängen; und anders als auf dem Boden des Marxismus war für ihn diese neue Welt nicht vorstellbar.«18 Geflissentlich übersehen wurde im Westen, »dass B.s Entscheidung nicht ausschließlich auf eine politische Sympathieerklärung zurückzuführen war, sondern durch die Aussicht auf ein Theater, in dem er seine Regiekonzeption ungehindert durchsetzen konnte, wesentlich erleichtert wurde.«19 Ihm »wurde ein großer Wunschtraum seines Lebens erfüllt. Er erhielt eine nahezu unbeschränkte sub13
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Wortbeitrag von Werner Ilberg. In: Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.Zentrums Deutschland [10. 5. 1953]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12215, Bl. 20. Jan Knopf (Hg.): Schriften, Journale, Briefe. (Brecht-Handbuch in fünf Bänden Bd. 4) Stuttgart und Weimar 2003, S. 502. Bertolt Brecht an Gottfried von Einem [April 1949]. Zitiert nach Knopf, S. 502. Knopf, S. 502. Knopf, S. 502. Marianne Kesting: Bertolt Brecht mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. (rowohlts monographien 50037) Reinbek bei Hamburg 2003, S. 119. Knopf, S. 502. 241
ventionierte Bühne, mit der er ganz in seinem Sinne arbeiten und experimentieren konnte.«20 Gleichwohl erreichte Brecht sein Ziel, gesamtdeutsche Repräsentanz zu erlangen. Seine Stücke kamen im Osten wie im Westen auf die Bühne. Die Reaktionen auf sein experimentelles Theater, das Brecht immer wieder in harten Konflikt mit den kulturpolitischen Verhältnissen der DDR brachte, waren vielfältig. Brechts Biographin Marianne Kesting gelang eine prägnante Charakterisierung seiner Wirkung: In Westdeutschland wurde [sein Theater] politisch verdächtigt, in Ostdeutschland von einer engstirnigen Kritik bekämpft. Andererseits verschaffte sich Brecht im Osten durch sein politisches, im Westen durch sein künstlerisches Prestige wenigstens Beachtung und Gehör. Inmitten der großen Weltauseinandersetzung bildete er mit seinem Theater einen fortwährenden Stein des Anstoßes, des Verwunderns, des Zweifels, aber jedenfalls des lebhaften öffentlichen Interesses.21
Anfang der fünfziger Jahre hatte Brecht sich dem Konzept des Kulturbunds angenähert, das von Johannes R. Becher erstellt worden war. Dessen erklärtes Ziel war eine Einheit Deutschlands und die Erhaltung einer deutschen Nationalliteratur. Brecht sah in der Erhaltung einer gesamtdeutschen Literatur eine Möglichkeit, die Konfrontation zwischen Ost und West aufzuweichen und zu einer friedlichen Vereinigung der beiden deutschen Staaten beizutragen. Seine Bereitschaft zur Übernahme des Präsidentenamtes für das P.E.N.-Zentrum Deutschland, das diesen gesamtdeutschen Anspruch selbstbewusst vertrat, war logische Folge dieses Denkens. Vor seiner Bestätigung durch die Mitgliederversammlung machte Brecht unmissverständlich deutlich, dass sich mit ihm »kein Gesinnungswandel […] vollziehen«22 werde. Seine Wahl erfolgte einstimmig – das P.E.N.Zentrum Deutschland hatte eine prominente Integrationsfigur gewonnen, deren Ansehen zwar mit politisch motivierten Vorbehalten belastet war. Deren Intensitätsgrad reichte aber nicht an die Stärke des Misstrauens gegenüber Becher heran. Somit überwog die Hoffnung, mit Brecht einen Präsidenten gewählt zu haben, der den Weg zur (inter)nationalen Konsolidierung mindestens ebnen konnte. Die Generalversammlung bestätigte auf Brechts Vorschlag hin Tralow als geschäftsführenden Präsidenten. Das seit Jahnns Rücktritt vakante Amt des Generalsekretärs wurde dem in Düsseldorf ansässigen Herbert Burgmüller übertragen, der sich bei der Abstimmung gegen Eugen Rugel durchsetzte. Um den Vorstand zu komplettieren, übernahm Stephan Hermlin nach einstimmiger Wahl die Finanzen des P.E.N.-Zentrums Deutschland, als Kassenrevisoren
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Kesting, S. 120. Kesting, S. 120f. Wortbeitrag von Bertolt Brecht. In: Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.Zentrums Deutschland [10. 5. 1953]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12215, Bl. 20.
wurden die Bundessekretäre Wendt und Wiese eingesetzt.23 Die Kontrolle der P.E.N.-Finanzen oblag damit Funktionären des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Zwar waren Wendt und Wiese in der Generalversammlung zu Mitgliedern gewählt worden.24 Ihre Mitgliedschaft und Amtsübernahme dürfte indes weniger ihrer literarischen und verlegerischen Leistung, denn ihrer Funktion im Kulturbund geschuldet gewesen sein. Die enge Anbindung des P.E.N.-Zentrums Deutschland an den Kulturbund der DDR trat hier deutlich hervor. Durch die Wahl eines neuen Vorstands auf der Generalversammlung war im Grunde eine klare Aufgabenverteilung geschaffen worden. Wenige Monate später schien jedoch alles beim Alten. Der Generalsekretär Burgmüller verschwand im Juni 1953 in der Versenkung, und Tralow beschwerte sich: Burgmüller »wollte durchaus das Generalsekretariat und in Verbindung damit die Redaktionsstelle in ›Heute und Morgen‹, weil er damit auch die technischen Mittel für das Generalsekretariat habe. Ich nehme nun an, daß er krank ist, aber deswegen können doch wichtigste Arbeiten nicht liegen bleiben.«25 Die Kommunikation mit den Verantwortlichen in der DDR erwies sich weiterhin als schwierig. Hatte Tralow schon während der gemeinsamen Präsidentenzeit mit Becher über ausstehende Entscheidungen geklagt, so schien sich die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen des Kulturbunds wie mit seinen neuen Vorstandskollegen Brecht und Hermlin schwierig zu gestalten: »Unsere alte Beschwerde: Osten antwortet nicht […]. Daran wird sich auch nichts ändern. Aber hier im Westen ist nun einmal die Zentrale«26 . Als geschäftsführender Präsident blieb Tralow weiterhin Hauptaktivist des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Tatsächlich hatte sich Brecht schon vor der Wahl deutlich von jeglicher organisatorischer Verantwortung distanziert: »Bei Übernahme meiner Funktion habe ich seinerzeit ausdrücklich ausgemacht, dass ich mich um keinerlei administrative Angelegenheiten kümmern muss.«27 Übrig blieb die Repräsentation. Für das Tagesgeschäft interessierte Brecht sich nicht; er überließ es Tralow, für die banalen Dinge zu sorgen. Seine Aktivität als Präsi23
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Vgl. Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland [10. 5. 1953]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12215, Bl. 20f. Vgl. Unterschriftenliste [10./11. Mai 1953]. SBBPK NL Tralow K 85 K 7. Erich Wendt war von 1947 bis 1954 als Leiter des Aufbau-Verlages tätig. Vgl. Bernd-Rainer Barth: Erich Wendt. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 907. Carlfriedrich Wiese wurde wegen seiner Arbeit als Publizist kulturpolitischer Schriften für die Mitgliedschaft im P.E.N. vorgeschlagen. Vgl. Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland am 10. Mai 1953 in Berlin-Charlottenburg, Kurfürstendamm, Hotel Tusculum. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1953/GV 10. 5. 1953/Protokoll 1–2, hier 1. Johannes Tralow an Carl August Weber [17. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Weber. Vgl. auch Johannes Tralow an Günter Hofé [7. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Verlag der Nation. Johannes Tralow an Carl August Weber [17. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Weber. Bertolt Brecht an Bodo Uhse [14. 4. 1955].SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv757/41. 243
dent konzentrierte sich in erster Linie auf einige wenige Initiativen, die vor allem auf eine öffentliche Wirkung im internationalen Raum zielten. Eine Mitarbeiterin im Sekretariat des P.E.N.-Zentrums, Ingeburg Kretzschmar, erinnert Brechts Prinzip folgendermaßen: Ich musste bei Brecht einmal in der Woche in der Chaussee-Straße antanzen mit der Korrespondenz, die inzwischen international angefallen war. Wir hatten ja nun doch Verbindungen zu allen möglichen PEN-Zentren in anderen Ländern. Und wenn ich dann mit meiner Korrespondenz kam, die ich mit ihm durchsprechen sollte, wie und was wir beantworten, dann sagte er ›Also, hör mal zu, hast Du was, womit Du ein Spektakel machen kannst?‹ Ich sagte: ›Nein, das sind eigentlich alles solide Anfragen …‹ – […] Brecht: ›Wenn Du kein Spektakel, wenn Du keinen Skandal machen kannst, brauchste gar nichts machen!‹; das war sein stehendes Wort.28
Bevor jedoch daran gegangen werden konnte, ideelle Anregungen zu konkretisieren und international durchzusetzen, musste zunächst ein neuerlicher Angriff auf die Existenz des P.E.N.-Zentrums Deutschland abgewehrt werden. 5.1.2 » A better understanding of present problems«29 – Verbindliche Namensgebung auf dem internationalen Kongress in Dublin (Juni 1953) Auf einer dem Dubliner Kongress vorausgegangenen Tagung des internationalen Exekutivkomitees in London vom 25. bis 26. März 1953 war die Debatte um die beiden deutschen Sektionen erneut ausgelöst worden. Aus finanziellen Gründen hatte kein Vertreter des P.E.N.-Zentrums Deutschland nach London reisen können, und so führte die »Abwesenheit von der März-Sitzung der Internationalen Exekutive schon wieder zu einem Rattenschwanz von Missverständnissen«.30 Zur Diskussion hatte erneut der »status of the German P.E.N.«31 gestanden. Die auf Betreiben des bundesdeutschen P.E.N. von London eingeforderte Mitgliederliste des P.E.N.-Zentrums Deutschland, deren Herausgabe Tralow so lange verweigert hatte, lag der Londoner Exekutive zur Einsichtnahme vor.32 Zweifel an der Authentizität der Liste wurden geschürt durch die anwesenden Delegierten des bundesrepublikanischen P.E.N.-Zentrums, Kasimir Edschmid und Richard Friedenthal, sowie durch einen kommentierenden Brief des abwesenden Erich Kästner.33 Auf Grund der nicht enden wollenden Ungereimtheiten 28 29
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Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 1002 in Berlin. David Carver an Bertolt Brecht [14. 7. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/37. Robert Neumann an Johannes Tralow [29. 5. 1953]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. David Carver an Johannes Tralow [17. 4. 1953]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. David Carver hatte Johannes Tralow Mitte Februar nachdrücklich aufgefordert, »without further delay a list of the members of your centre« zu senden. David Carver an Johannes Tralow [19. 2. 1953]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Vgl. David Carver an Johannes Tralow [17. 4. 1953]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Vgl. auch Minutes of the Meeting of the International Executive Committee
bezüglich der deutschen P.E.N.-Zentren strebte man von Seiten des internationalen Exekutivkomitees eine endgültige und eindeutige Lösung an: The International ExecutiveCommittee is of opinion that owing to general present-day circumstances it is expedient that the two German P.E.N. Centres should be organised on a territorial basis. This is not to be taken as necessitating residence for members in one Zone or the other so long as the main body and the activities of one P.E.N. are centred in one zone. The Committee refers the matter to the two Centres for their opinion and informs them that further discussion will take place and a decision be made at Dublin Congress.34
Zur Klärung der strittigen Mitgliedschaften forderte Carver im Auftrag des internationalen Exekutivkomitees von den Präsidenten der beiden deutschen P.E.N.-Zentren zudem ein Rundschreiben, das unter Hinweis auf die Existenz beider deutscher Sektionen von jedem einzelnen P.E.N.-Mitglied verlangte, »to state explicitly of which of the two Centres he is a member or would prefer to join.«35 Tralow zeigte sich Neumann gegenüber empört über die in seinen Augen ungerechte Behandlung; er begriff den Vorstoß des Exekutivkomitees als direkten Angriff auf das P.E.N.-Zentrum Deutschland – angestoßen vom P.E.N.Zentrum der Bundesrepublik: Im Exekutiv-Komiteewird nicht nur über uns verhandelt, sondern auch gegen uns eine Resolution gefaßt, und zwar auf Grund von selbstverständlich unwahren Behauptungen, wie sie in solchen Fällen immer zur Hand sind. Und das geschah, ohne uns von der beabsichtigten Aggression zu benachrichtigen. Sie können sich denken, daß dann irgend jemand von uns dagewesen wäre. Ein solches Verfahren scheint mir mit Demokratie nichts mehr zu tun zu haben und nicht einmal mehr mit Justiz. Denn selbst, wenn ich dagewesen wäre, so hätte ich mich als überfallen erklären müssen, weil ich ja ganz ohne Beweismittel und ohne jede Vorbereitunggewesen wäre. Auch fällt es seltsam auf, daß die Herren Gegner mit zwei Personen anrücken durften, was man uns bestimmt nicht zugestanden hätte.36
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held at the English Speaking Union, Charles Street, London W. 1. [25. 3. 1953], S. 4. P.E.N.-ArchivLondon. Tatsächlichwar man auch nach der internationalenDiskussion von Seiten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) mit der eigenhändigen Überprüfungder Mitgliederlistedes P.E.N.-ZentrumsDeutschlandbefasst. Vgl. hierzu etwa Richard Friedenthalan Kasimir Edschmid [25. 4. 1953].DLA N: Edschmid Konv. P.E.N.: »Zur Liste der Ostler: ich schicke Ihnen der Einfachheit halber sogleich eine Kopie. Natürlich müssen Sie das Material dort haben. Wilhelm Herzog sagte mir übrigens noch neulich, dass er ganz und gar nicht dazu gehöre, es sei ›Wahnsinn‹, wenn Tralow das behaupte. Er sei überhaupt Mitglied des Schweizer PEN.« Klärungsbedarf bestehe auch bei Armin T. Wegner und Ruth Schaumann. Resolution des Internationalen Exekutiv-Komitees [25./26. 3. 1953].Zitiert nach David Carver an Johannes Tralow [17. 4. 1953]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Vgl. auch Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held at the English Speaking Union, Charles Street, London W. 1. [25. 3. 1953], S. 4. P.E.N.-Archiv London. David Carver an Johannes Tralow [17. 4. 1953]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Johannes Tralow an Robert Neumann [21. 5. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. 245
Die eigene Redlichkeit hervorhebend, blieb Tralow eine Attacke gegen die »Gegner« nicht schuldig; er schwärzte seinerseits das bundesdeutsche P.E.N.-Zentrum beim internationalen Vizepräsidenten Neumann an: »Grundsätzliche Gegnerschaften halten wir trotz allem nicht für statthaft im P.E.N., und wir führen die Attacken gegen uns mehr auf den eigentlichen Leiter des Zentrums Deutschland zurück, nämlich Minister Kaiser in Bonn, […]. Daß er an unsere Freunde [!] Zahlungen leistet, haben mir Kästner und Martin Kessel selbst zugegeben.«37 Neumann versuchte – »privat und inoffiziell« –, Tralow zu beschwichtigen und unmissverständlich in seine Schranken zu weisen: ›Gegen Sie‹ ist keinerlei Resolution gefasst worden. […] Was wir beschlossen haben – […] – war eine Notstandsmassnahme zur Klärung einer immer verwickelter und unerfreulicherwerdendenSituation,die dadurchbedingt ist, […] dass die [beidendeutschen P.E.N.-Zentren] also wenigstens teilweise im selben Raum co-existieren, und dass diese Co-Existenz im Zusammenhang mit der derzeitigen unpräzisen Namensgebung offenbar immer wieder zu Missverständnissen führt – seitens deutscher Behörden, seitens wenig informierter deutscher Schriftsteller, ganz besonders seitens des Auslands. […] Ich betone nochmals, dass das nicht gegen Sie oder gegen das andere deutsche Zentrum gerichtet ist, sondern eine Massnahme darstellt, die im Interesse dieser beiden getroffen wurde. Sie sehen von dort aus vielleicht nicht ganz klar, wie sehr dieser innerdeutsche Zwist die internationale Position beider deutscher PEN-Zentren schädigt. Er hat in den letzten Jahren etwa 25% unserer Verhandlungszeit in Anspruch genommen; die überwältigende Mehrheit der Exekutive will von diesen endlosen Streitereien einfach nichts mehr hören; […].38
Dem Versuch von internationaler Seite, durch eine regionale Zuordnung der deutschen P.E.N.-Zentren Klarheit über die Situation des P.E.N.-Clubs in Deutschland zu schaffen, wirkte Tralow als alleiniger Vertreter des P.E.N.-Zentrums Deutschland auf dem Dubliner Kongress entgegen. Visa-Schwierigkeiten hatten die Anreise von Brecht und Hermlin verhindert.39 De facto hätte eine gebietsmäßige Bindung der Namensgebung die Anlehnung an die staatspolitische Aufteilung Deutschlands bedeutet. Eine Umwandlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in ein reguläres P.E.N.-Zentrum der DDR wäre die Folge gewesen. Nach langwierigen Verhandlungen zur Namensgebung der beiden deutschen Zentren unter Aufsicht eines kleineren, gesonderten Komitees40 einigte man sich schließlich verbindlich auf die BezeichnungenDeutsches P.E.N.-Zentrum Ost und 37
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Johannes Tralow an Robert Neumann [21. 5. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Robert Neumann an Johannes Tralow [29. 5. 1953]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Vgl. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [2. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Brecht. Die Bildung dieses Komitees ging zurück auf einen Vorschlag des internationalenVizePräsidenten Robert Neumann, der monierte, dass in der Vergangenheit bei den Treffen zu viel Zeit für die Diskussion der deutschen Probleme aufgewendet worden sei. Ein kleineres Komitee solle die Namensgebung und andere Dinge besprechen. Als Mitglieder des Komitees wurden C. V. Wedgwood (England), F. T. Csokor (Österreich), N. A. Donkersloot (Holland), Kasimir Edschmid und Erich Kästner, Johannes Tralow und Robert Neumann selbst zugelassen. Vgl. auch Minutes of the Meeting of the Interna-
West (Sitz München) und Deutsches P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik).41 Das ursprüngliche P.E.N.-Zentrum Deutschland hatte damit seinen Anspruch verteidigt, Schriftsteller aus Ost- wie Westdeutschland zu vereinen. Die Forderung von Seiten des internationalen P.E.N.-Sekretariats nach einem Revers, durch das jedes einzelne Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West die Kenntnis von der Existenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) bestätigte und sich eindeutig für die Mitgliedschaft in der Ost-West-Sektion erklärte, wurde in Dublin als Beschluss fest geschrieben und streng kontrolliert.42 Tralow wertete das Ergebnis des Dubliner Kongresses mindestens im Hinblick auf die Außenwirkung als Triumph.43 Gleichwohl klingt in seinem Bericht an Brecht unmittelbar im Anschluss an den Kongress an, dass er insgesamt gesehen keineswegs einen fulminanten Sieg errungen hatte und das Ergebnis seiner Verhandlungen gegen mögliche Vorbehalte aus östlicher Richtung zu verteidigen suchte: Jedenfalls vertreten wir als [Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West] in jedem Fall Deutschland nach wie vor. Im Westen nannte man uns sowieso ›Ostpen‹. Das wird bei Ost und West etwas schwerer. Aber natürlich gibt es auch Leute, die München nach Sibirien verlagern.Ich hätte unsern Namen P.E.N. Zentrum DeutschlandOst und West durchdrücken können. Das war ein Fehler, den ich gemacht hätte, wenn die andern mich nicht durch Widerspruch gerettet hätten. Denn ich hätte den andern (so war nun einmal zum Schluß die Meinung des internationalen Vorstandes) den gleichen Namen mit ›Bundesrepublik‹ gewähren müssen. Es wäre kein Unglück gewesen. Ost und West ist Deutschland. Daran, daß Ost zuerst genannt ist, was ich mir als Konzession habe abringen lassen, werden Sie sich so wenig stoßen wie ich. Können wir uns daran stoßen? Ost geht in allen Sprachen dem West voran. Es erhebt sich nun die Frage, ob ich, wie Wiese mir (wohl auf Ihre Veranlassung) schrieb, Vertagung hätte beantragensollen. Ich habe es nicht getan, weil mir das Ergebnis richtig erscheint, und ich das Plenum des Kongresses auf diplomatischem Wege ausschalten wollte. Wenn wir auch Grund haben, mit der gefaßten Resolution zufrieden zu sein (Chamson, Frankreich), so müssen wir uns doch damit abfinden, daß die Masse der lieben Kollegen genau wie bei uns in Westdeutschland unter Terror steht. In Dublin war er ein gesellschaftlicher. Ich war eben ›the red‹, der Rote. Schrecklich! Und der Gesandte der Bundesrepublik hat mich auch nicht zu seinem Empfang eingeladen.44
Die Entscheidung des Dubliner Kongresses und dessen Interpretation sorgte nicht für Frieden zwischen den deutschen Kontrahenten. Stattdessen gab es
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tional Executive Committee held at the Hiberian Hotel, Dublin, Ireland [8. 6. 1953]. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [13. 6. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht Archiv 793/28–31 und Mitteilung von Johannes Tralow an alle Mitglieder [20. 6. 1953]. SBBPK NL Tralow K 86 K 41. Vgl. Johannes Tralow an Bodo Uhse [11. 12. 1955]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse. Vgl. weiterhin Johannes Tralow an Franz Fühmann [19. 12. 1955]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Fühmann. Vgl. weiterhin Revers. Enthalten u. a. in SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Cahen. Vgl. hierzu etwa die rückblickende Einschätzung von Johannes Tralow an Hermann Schreiber [14. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. Schreiber. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [13. 6. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/28–31. 247
öffentliches Gezänk um die Darstellung der Ereignisse: Tralow konnte nicht umhin, seinen Teil-Erfolg gegen das P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik auszuspielen; er polemisierte mit dem Abdruck eines inhaltlich weit gestreuten Briefs im Neuen Deutschland gegen einen Artikel, den der bundesdeutsche Generalsekretär Kasimir Edschmid in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht und darin dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West gefälschte Listen vorgeworfen hatte.45 Auch hier bekräftigte Tralow noch einmal den Erfolg des von ihm vertretenen P.E.N.-Zentrums: Es handelt sich also ganz gewiß nicht um eine gleichgültige Namensgebung. Das PENZentrum Deutschland hat sogar die Gelegenheit ergriffen, den seinen abzuändern und statt des Wortes Deutschland eine der gegenwärtigen Lage entsprechende Definition zu wählen. Es nennt sich jetzt ›Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West (Sitz München)‹. Diese neue Bezeichnung wird es der Westpresse etwas erschweren, auch ferner noch von einem ›Ost-PEN‹ zu schreiben. Diese Namensänderung hat, wie schon der neue Name selbst besagt, nichts mit der Aufgabe eines Anspruchs zu tun, wie auch dem PEN-Zentrum Ost und West die gesamtdeutsche Stimme und sein erster Platz unverändert erhalten bleiben.46
Tralows Höhenflug wurde jäh abgebremst. Er hatte sich mit seiner insgesamt provokativ-arroganten Wortmeldung zu weit vorgewagt; sie brachte ihn in Konflikt mit der Londoner Zentrale. Der internationale Generalsekretär reagierte mit einer scharfen Zurechtweisung und der Forderung nach öffentlicher Berichtigung in der deutschen Presse.47 Von dem freundschaftlichen Ton, der die vorausgegangene Korrespondenz bestimmt hatte,48 war nichts mehr zu spüren. 45
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Vgl. Was Kasimir Edschmid verschwieg. Brief des Schriftstellers Johannes Tralow (München) an die »National-Zeitung«. Abgedruckt in: Neues Deutschland (Berliner Ausgabe) 164 (16. 7. 1953).Kasimir Edschmid:Der PEN-Kongreß in Irland.In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. 6. 1953. Vgl. auch Johannes Tralow an Robert Neumann [16. 7. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann: »Ich meine, Edschmid hätte es nicht nötig gehabt, in der Frankfurter Allgemeinen einen viele Meter langen, ganz verlogenen Bericht über den Dubliner Kongress mit einem Angriff gegen uns und gegen mich zu verquicken.« Edschmid führte die Presseschlacht fort. Vgl. Kasimir Edschmid: Antwort an Tralow. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. 7. 1953. Was Kasimir Edschmid verschwieg. Brief des Schriftstellers Johannes Tralow (München) an die »National-Zeitung«. Abgedruckt in: Neues Deutschland (Berliner Ausgabe) 164 (16. 7. 1953). Seinen Protest richtete Tralow auch direkt an die Frankfurter Allgemeine Zeitung [25. 6. 1953]. SBBPK NL Tralow K 31 Konv. Frankfurter Allgemeine Zeitung. Auf Tralows öffentliche Verlautbarung könnte Carver, wie auch schon bei früherer Gelegenheit, von Seiten des bundesdeutschen P.E.N. aufmerksam gemacht worden sein. Dass es von dieser Seite einen steten Informationsfluss nach London gab, bemerkte Robert Neumann beiläufig in einem Brief an Johannes Tralow [15. 9. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann: »Und glauben Sie nicht, dass eine ostdeutsche Zeitung einen für ostdeutsche Leser bestimmten Aufsatz bringen kann, ohne dass wir den von westdeutscher Bundesrepublikseite [sic] zugeschickt bekommen.« Vgl. David Carver an Johannes Tralow [14. 7. 1953]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Carver zeigte sich erleichtert über die Lösung der deutschen Frage in Dublin und die gedeihliche Zusammenarbeit mit Tralow hinsichtlich der Klärung der Mitgliedschaften. Freundlich verwies Carver noch einmal auf die Notwendigkeit eines
Carver verstand den veröffentlichten Brieftext als Anzeichen dafür, dass Tralow entschieden habe, not to adhere to the arrangement for the naming of your Centre which was agreed to at the Dublin Congress. The continued use of the term ›Gesamtdeutscher P.E.N.‹ is misleading and provocative and – above all – unauthorised. This is a very serious matter […]. It was decided that the Centre of which you are the Geschäftsführende Präsident should be called Deutsches P.E.N. Zentrum: Ost und West. There is nothing in that name entitling your Centre to call itself ›Gesamtdeutscher P.E.N.‹ and it does not in any way entitle you to consider your Centre to have first place and speak for all Germany. There is no question of precedence between your Centre and the Deutsches Zentrum der Bundesrepublik.49
Kritik übte Carver auch an Tralows Interpretation der Umstände, die zur Bildung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) geführt hatten; diese sei »full of inaccuracies and cannot but be misleading. I must state in the strongest possible terms that I consider your letter to be likely to cause dissention and to be anything but in the spirit of the P.E.N., the spirit of tolerance and reciprocity between writers.«50 Das internationale Sekretariat wachte mit Argusaugen darüber, wie das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West agierte und sich in der Öffentlichkeit präsentierte. Gegen Carvers harschen Tadel meldete Tralow erbitterten Protest an. Als Vermittler in dem aus seiner Sicht »schon lange schwärenden Konflikt […] [mit] dem reaktionären Carver« rief er Neumann um Hilfe an: »Vielleicht reden Sie einmal mit dem quarrelmaker.«51 Tralow startete zum politisch motivierten Generalangriff gegen den internationalen Generalsekretär durch; er zeigte sich überzeugt davon, dass Carver seit Beginn der deutsch-deutschen Auseinandersetzungen auf Seiten der pro-westlich eingestellten deutschen P.E.N.-Mitglieder agiert habe: In jedem einzigen Fall ohne jede Ausnahme ging der Stunk von Kästner und Edschmid aus […] und Mister Carver hielt den Bügel und war zu allen Knappendiensten bereit. Ohne ihn, Carver,hätten diese Dinge nicht solche Formen annehmen können. Wir sind für ihn ein rotes Tuch und gegen uns sind alle Mittel erlaubt. Darin unterscheidet er sich nicht von den Bundesrepublikanern. Von Korrektheit, wie Sie meinten, ist bei ihm auch nicht die Ahnung einer Spur zu finden. […] Brecht und ich sind beide überzeugt, dass Carver durch seinen Brief vom 30. Juli eine Provokation beabsichtigt, die das bewirken soll, was den reaktionären Kräften
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korrekten und eindeutigen Briefkopfs für das P.E.N.-Zentrum, über dessen Bedeutung bereits Neumann mit Tralow korrespondiert hatte: »I am sure you will agree that it is not in anybody’s interest that there could be any possible misunderstanding in the future over the naming of the two German Centres […].« Vgl. auch Robert Neumann an Johannes Tralow [28. 6. 1953]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Auch Neumann hatte Erleichterung demonstriert und dankte Tralow »für die von Ihnen in Dublin gezeigte Verhandlungswilligkeit und Kompromissbereitschaft«. David Carver an Johannes Tralow [30. 7. 1953]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. David Carver an Johannes Tralow [30. 7. 1953]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Johannes Tralow an Robert Neumann [29. 8. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. 249
in Dublin misslang. Sein Verhalten bestätigt mir die Richtigkeit meines Artikels […]. Es ist eine Anmassung, mir vorschreiben zu wollen, welche Worte ich gebrauchen soll, um meine Meinung auszudrücken. Das Wort ›gesamtdeutsch‹ ist eins, das ich gar nicht liebe. Aber ich kann ohne es in unserer jetzigen Situation nicht auskommen. […] Gesamtdeutsch bedeutet ein Ziel, und für so dumm halte ich selbst Mister Carver […] nicht, dass er glauben könnte, wir würden dieses ›gesamtdeutsch‹ unserem klaren Titel Ost UND West vorziehen.52
Letztlich gelang es Neumann, Tralow zum Einlenken gegenüber Carver zu bewegen.53 Zwar musste Tralow sich auch von Neumann eine Rüge wegen der Benutzung des irreführenden Begriffs »gesamtdeutsch« gefallen lassen. Der internationale Vizepräsident zeigte sich aber, die Tücken der sprachlichen Barriere bemühend, bestrebt, die Wirkung des Carverschen Brief zu entschärfen und Tralows Bild des internationalen Generalsekretärs gerade zu rücken: [E]r erhebt keinen Anspruch darauf, ein Schriftsteller zu sein, aber er war durch lange Jahre Schatzmeister des Internationalen P.E.N. und hat, als besonders naher Freund Herman Oulds, schon seit einiger Ewigkeit an seinem Schicksal nahen Anteil genommen. Er bewährt sich überaus.Wenn sein letzter Brief an Sie ein wenig temperamentvoll ist, so müssen Sie bedenken, dass uns allen, ohne Ausnahme, dieser ewige innerdeutsche Hader zum Halse hinauswächst.54
Man war es im Internationalen P.E.N. offenkundig leid, sich wieder und wieder mit den innerdeutschen Streitigkeiten zu beschäftigen. Neumann beschwor Tralow eindringlich, den »ganzen Hader aus der Welt [zu] schaffen«,55 der das Engagement für die Aufrechterhaltung der »Ostverbindung« im Internationalen P.E.N. mehr und mehr erschwere. Zwischen den Zeilen machte Neumann deutlich, dass es an der Zeit war, die ideologische Kluft zwischen Ost und West als gegeben anzunehmen – nicht, um sie bedingungslos zu akzeptieren, sondern um ihr auf der Ebene des Internationalen P.E.N. entgegen zu wirken. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West sollte sich nach seiner Ansicht aus dem lähmenden, ergebnislosen Dissens mit dem bundesdeutschen P.E.N.-Zentrum lösen und endlich zu einer gedeihlichen Mitarbeit im Internationalen P.E.N. gelangen. In dieser Hinsicht war auch die Beilegung der Auseinandersetzung mit dem internationalen Generalsekretär unumgänglich. Ein konkretes Aufgabenfeld für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West sah Neumann in der tätigen Mithilfe bei der Aktivierung der P.E.N.-Zentren östlich des Eisernen Vorhangs. Im Internationalen P.E.N. gab es aus seiner Sicht genügend Vertreter der Ansicht, dass die Verbindung mit den ohnehin nicht in Erscheinung tretenden Ost-Zentren zu kappen sei; »nicht unbedingt oder aus52
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JohannesTralow an Robert Neumann [5. 9. 1953].SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Johannes Tralow an Robert Neumann [8. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Robert Neumann an Johannes Tralow [15. 9. 1953]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Robert Neumann an Johannes Tralow [15. 9. 1953]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann.
schließlich aus politischen Gründen, sondern administrativ, weil sie nicht funktioniert […].«56 Neumann formulierte einen konkreten Arbeitsauftrag für den geschäftsführenden Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, der der Etablierung auf internationaler P.E.N.-Ebene bei erfolgreicher Erledigung durchaus zuträglich sein würde: [Sie können] aber auch etwas Positives unternehmen,um jene zu widerlegen,die für den Abbau der Ostverbindung sind, weil sie ohnehin nicht existiere. Beweisen Sie in Amsterdam, dass sie existiert.Sie sind ja ein Westdeutscher,wie wir alle wissen; aber bringen Sie doch Ihre ostdeutschen Mitglieder, und bringen Sie die Polen, Ungarn und Tschechen. Sie können der herzlichsten Aufnahme sicher sein, davon bin ich überzeugt.57
Diese Aufforderung befand sich im Einklang mit einer vom französischen P.E.N.-Präsidenten, André Chamson, eingebrachten Resolution, die gerade erst auf dem Dubliner Kongress von den Delegierten angenommen worden war; sie hatten eine abgeänderte Version verabschiedet, die die Aufrechterhaltung der »Beziehungen unter den Schriftstellern der ganzen Welt […], und zwar ungeachtet der Unterschiede der Regime und der Widerstände der Regierungen«58 , als Wunsch des Kongresses formulierte. Weitere bemerkenswerte, zum Teil gleich lautende Ratschläge von Neumann an Tralow folgten Anfang Dezember 1953, nachdem dieser seinen Zwist mit Carver beigelegt hatte: [V]ersuchen Sie, Ihre Mitglieder zu einer Aufgabe ihrer emotionalen Fixierung gegenüber dem P.E.N. ›Bundesrepublik‹ zu überreden, die Welt ist gross und es gibt für Sie alle eine ungeheure Anzahl ausserdeutscher Probleme, nehmen Sie doch direkte Verbindung mit anderen Zentren auf, mit den Franzosen zum Beispiel, aber auch mit all jenen anderen, die des Kalten Krieges und seiner Hauptteilnehmer unterschiedslos überdrüssig sind – und Sie werden sehen, wie warm solche Versuche und Bemühungen aufgenommen werden und wie rasch ihr Zentrum sich eine sichere Position innerhalb unserer internationalen Struktur schaffen wird. Dazu wiederhole ich meinen Rat, dass Sie die Zentren der Volksrepubliken zu einer Teilnahme am Amsterdamer Kongress veranlassen – und diese wird um so wirksamer sein, wenn unsere osteuropäischen Freunde nicht einfach ihre neuen und uns unbekannten Leute mitbringen, sondern aus Ostberlin tatsächlich Brecht, Zweig und die Seghers, aus Prag Frantisek Langer (von dem wir seit Ewigkeiten nichts mehr gehört haben) und Mucha (der angeblich im Gefängnis ist), aus Budapest neben Lukacs etwa auch Havatny, und so weiter. Es wäre meiner persönlichen Ansicht nach auch an der Zeit der Neugründung eines Chinesischen P.E.N. nahe zu treten, und ich persönlich würde einen dahingehenden Antrag
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Robert Neumann an Johannes Tralow [15. 9. 1953]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Robert Neumann an Johannes Tralow [15. 9. 1953]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Resolution des 25. Internationalen Kongresses in Dublin. Zitiert nach: Was Kasimir Edschmid verschwieg. Brief des Schriftstellers Johannes Tralow (München) an die »National-Zeitung«. Abgedruckt in: Neues Deutschland (Berliner Ausgabe) 164 (16. 7. 1953). 251
sicherlichunterstützen,wenn er von einer Gruppe wirklichrepräsentativerchinesischer Schriftsteller gestellt wird.59
Offensichtlich hielt Neumann das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West für das geeignete Medium, um die immer weiter klaffende Schere zwischen den in konträren politisch-ideologischen Machtsphären angesiedelten P.E.N.-Zentren zumindest ansatzweise schließen zu können. Sein Rezept für Integration lautete Funktionalisierung im Sinne der Ost-West-Verständigung; diese war durchaus ein Anliegen, das von einer Majorität der internationalen P.E.N.-Mitgliedschaft mitgetragen wurde, wie die Annahme der Dubliner Resolution erwiesen hatte. Neumanns Argumentation schien dem geschäftsführenden Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West einzuleuchten. Denn Neumanns Vorschläge prägten in der Folgezeit zu einem nicht unerheblichen Teil das Arbeitsprogramm des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, insbesondere Brechts und Tralows Aktivität auf internationalem Terrain. Neumanns Rolle in der P.E.N.-Geschichte ist bislang in der Forschungsliteratur ein wenig unterbelichtet geblieben. Eine umfassende Auseinandersetzung mit seinem Leben und Wirken liegt bislang nicht vor. Zwar hat Hilde Spiel ihn, aus der Sicht einer Kommunismus-Kritikerin, als Intrigant innerhalb des Internationalen P.E.N. beschrieben.60 Was aber beabsichtigte Neumann wirklich mit seiner tätigen Unterstützung für die Ost-Zentren? Tatsächlich informierte Neumann häufig »privat und unoffiziell«61 über die Hintergründe dieser oder jener Entscheidung, die von der internationalen Exekutive bzw. der Londoner Zentrale getroffen und vertreten wurden; er beriet und gab klare Handlungsanweisungen, die von Tralow oftmals angenommen und umgesetzt wurden. War Neumann deshalb tatsächlich »the snake in the grass«?62 Wie sich in der Korrespondenz zwischen Tralow und Carver andeutet, bestand zwischen Neumann und dem internationalen Generalsekretär durchaus Austausch über die Verbindung zum Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West.63 Neumann arbeitete demnach zumindest zeitweise nicht ohne Carvers Wissen und es gelang ihm auch, eine Verständigung zwischen Tralow und dem internationalen Generalsekretär zu fördern. In seiner Korrespondenz mit Johannes Tralow schien ihm in erster Linie an einer Verständigung zwischen Ost und West gelegen. Neumann war keinesfalls Kommunist; er hatte sich durchaus kri59
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Robert Neumann an Johannes Tralow [3. 12. 1953]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Vgl. Spiel: Welche Welt, S. 123. Robert Neumann an Johannes Tralow [29. 5. 1953]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Spiel: Welche Welt, S. 123. Eine Überprüfung von Neumanns Position innerhalb des Internationalen P.E.N. könnte durch die Einsicht in seinen in der Österreichischen Nationalbibliothek lagernden Nachlass gelingen. Vgl. David Carver an Johannes Tralow [14. 7. 1953]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Vgl. weiterhin Robert Neumann an Johannes Tralow [24. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann.
tisch mit den Auswüchsen des Kommunismus auseinander gesetzt. Die Unterstützung einer kommunistischen Unterwanderung oder gar Majorisierung des Internationalen P.E.N. mit dem Ziel, Unruhe oder gar das Auseinanderbrechen der Schriftstellervereinigung zu provozieren, dürfte nicht seine Absicht gewesen sein. Zwar verkannte er die Auswüchse des aus dem Kommunismus erwachsenden totalitären Staatssystems nicht. Den Kontakt zu den geistigen Vertretern aus dem kommunistischen Machtbereich abreißen zu lassen, hielt er jedoch nicht für opportun. Seine Strategie für den Umgang mit den Kommunisten im Internationalen P.E.N. war eine andere: Kommunikation hielt er für das Mittel der Wahl – nicht das Pochen auf eine kaum unmissverständlich auslegbare P.E.N.-Charta: Die noble Charta bedeutet in jedem Land etwas anderes. Es ist nicht ein politisches Problem, sondern ein semantisches oder ein psychologisches oder ein moraltheologisches Problem, daß jeder in jedem Land guten Glaubens ist, er sei frei – und freier als sein Nachbar auf jeden Fall. Unter achttausendSchriftstellernin sechzigLändern – wie viele wirklich Freie? Sie fänden Platz in den ohnedies zu spärlichen Sesseln in meiner Bibliothek. Was bleibt? Gelegentlich von feurigen Außenseitern erzwungene politische Gesten waren immer noch Gesten ins Leere. Literarische Diskussionen – so abgrundtief langweilig wie jede literarische Diskussion für jeden, der nicht gerade oben steht und sich selber hört. […] Und es wäre natürlich jedenfalls besser, sich nicht gerade auf Schriftsteller zu beschränken. Doch sind diese Schriftsteller immerhin wache Menschen aus aller Welt, mit denen es sich plaudern läßt. Das ist der Sinn des PEN. Solange man plaudert, schießt man nicht. Undramatisch und plauderlings bringt man den andern mitunter sogar dazu, daß er einen Gefangenen freisetzt – gnadenweise, spontan, in der Stille, nicht etwa von uns gedrängt. […] Und zwar ohne die Charta auf den Tisch zu knallen.64
Der Dubliner Kongress hatte also weit reichende Folgen: eine verbindliche Namensgebung für die beiden deutschen P.E.N.-Zentren; in diesem Zusammenhang eine handfeste Meinungsverschiedenheit zwischen Tralow und dem internationalen Generalsekretär Carver und infolgedessen eine intensive und anregende Kontaktaufnahme mit dem internationalen Vize-Präsidenten Neumann.
5.2
Strukturelle Veränderungen im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West (1953–1956)
Während der Vorstand des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, insbesondere Johannes Tralow, in der zweiten Jahreshälfte 1953 vor allem mit der umfassenden Vorbereitung des für 1954 geplanten internationalen P.E.N.-Kongresses in Amsterdam beschäftigt war, begannen die Verantwortlichen des Kulturbundes über eine organisatorische Neuorientierung nachzudenken. Anfang September 1953 entschied man, in Bälde »die Frage der Weiterarbeit des PEN-
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Neumann: Ein leichtes Leben, S. 79f. 253
Clubs im Kulturbund auf die Tagesordnung zu setzen«65 . Eine Woche später konkretisierte sich das Vorhaben bereits. In einer Sekretariatssitzung des Kulturbundes beschloss man, »die Frage der Übergabe an den Schriftstellerverband […] mit Bertolt Brecht, Kuba [d. i. Kurt Barthel, Vorsitzender des DSV] und Herrn Just [Sektorenleiter für Kunst und Literatur im ZK der SED] vor[zu]bespr[e]chen«66. Der Deutsche Schriftstellerverband (DSV) war ursprünglich ebenfalls in den Kulturbund eingegliedert gewesen. Im Mai 1952 war der Schriftstellerverband zu einer eigenständigen Organisation geworden und hatte zugleich den Status eines Monopolverbands erlangt. Die Initiative zur Übernahme des P.E.N.-Clubs ging offenbar auf den Schriftstellerverband zurück;67 eine maßgebliche Rolle spielte dabei dessen Abteilung Gesamtdeutsche Arbeit.68 Mitte September gerieten die Verhandlungen ins Stocken.69 Erst Anfang November beauftragten die Teilnehmer an einer Sekretariatssitzung des Kulturbunds, u. a. Becher, Wendt, Abusch und Uhse, den Bundessekretär Wiese mit der Herbeiführung einer »Aussprache mit Herrn [Gustav] Just und Kuba über den PEN und seine weitere Betreuung durch den DSV«70 . Die Protokollnotizen erwecken den Anschein, dass die entsprechenden Beschlüsse der Sekretariatssitzungen über den Vorstand des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West hinweg gefasst wurden. Allerdings schien der geschäftsführende Präsident des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zumindest an einer näheren Zusammenarbeit mit dem DSV sehr interessiert. Eine Annäherung an den Schriftstellerverband hatte schon bei der Planung eines deutschfranzösischen Schriftstellertreffens in Berlin begonnen, das über den P.E.N.Club organisiert werden sollte. Um eine solche Zusammenkunft anzuleiern, 65
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Beschlussprotokoll der Sekretariatssitzung [Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands] vom 1. und 2. September 1953 [o. D.]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 7706. Beschlussprotokoll der Sekretariatssitzung [Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands] vom 8. September 1953 [o. D.]. SAdK Berlin, Johannes R. BecherArchiv 7707. Vgl. Beschlussprotokoll der Sekretariatssitzung [Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands] vom 22. September 1953 [o. D.]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 7709. Über die Arbeit des Abteilung Gesamtdeutsche Arbeit im Deutschen Schriftstellerverband informiert ausführlich Carsten Gansel: »Deutschland einig Vaterland«, S. 209– 240. Vgl. weiterhin: Carsten Gansel: Deutschland einig Vaterland? Der Deutsche Schriftstellerverband und seine Westarbeit in den fünfziger Jahren. In: Mark Lehmstedt und Siegfried Lokatis (Hg.): Das Loch in der Mauer. Der innerdeutsche Literaturaustausch. (Veröffentlichungen des Leipziger Arbeitskreises zur Geschichte des Buchwesens. Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte Bd. 10) Wiesbaden 1997, S. 261–278. Vgl. Beschlussprotokoll der Sekretariatssitzung [Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands] vom 22. September 1953 [o. D.]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 7709. Beschlussprotokoll der Sekretariatssitzung [Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands] vom 3. November 1953 [o. D.]. SAdK Berlin, Johannes R. BecherArchiv 7715.
kontaktierte Tralow im Oktober 1953 den Generalsekretär des französischen P.E.N.-Clubs, Jean de Beer, der umgehend Interesse an der Sache signalisierte.71 Das Vorhaben scheiterte: In Absprache mit den Bundessekretären Wendt und Wiese, dem Vorsitzenden des DSV, Kurt Barthel (Kuba) und dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller hatte Tralow gegenüber de Beer vorgeschlagen, den Rahmen der Begegnung über den P.E.N.-Club hinaus zu erweitern, um nicht in jedem Falle politische Dinge ausklammern zu müssen. Eingeladen werden sollte durch (ost-)deutsche Schriftsteller und Schriftstellerinnen, etwa Seghers, Brecht, Hermlin, Renn und Weisenborn,72 sowie Kollegen aus dem Westen.73 In die Vorbereitungen einbezogen worden war auch Gustav Just, Sektorenleiter für Kunst und Literatur im ZK der SED.74 Ohne Absegnung der Partei war das Vorhaben nicht zu realisieren. Noch im Dezember 1953 setzte der DSV das Vorhaben auf den »Arbeitsplan für gesamtdeutsche Arbeit im I. Quartal 1954«75 . Der Plan stieß jedoch auf das Misstrauen der Franzosen; sie witterten eine propagandistische Ausnutzung eines solchen Zusammentreffens und stellten deutliche Forderungen auf: Si ces contacts, théoretiquement privés, doivent être accompagnés de réceptions, de cérémonies, de publicité par la presse, etc. … etc. … ils ne seraient plus que prétextes à propagande politique, ce qui est contraire à l’esprit et à la lettre de notre charte. Pour me [d. i. de Beer] résumer, votre proposition a chance d’arriver à maturité, dans les conditions suivantes: 1) que les invitations soient privées 2) que, cependant, des écrivains de vos deux Centres y prennent part 3) que les réunions aient lieu dans les deux secteurs de Berlin 4) que les réunions soient strictement privées, et que la presse n’ait connaissance que des communiqués élaborés et approuvés en commun.76
Tralow wertete diese Zusage unter Vorbehalt als Erfolg hinsichtlich der Vermittlungstätigkeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Dessen Aufgabe sah Tralow mit der Zustimmung der Franzosen als abgeschlossen an. Zweifel schie71
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Vgl. Jean de Beer an Johannes Tralow [28. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 40 Konv. Beer. Vgl. Johannes Tralow an Jean de Beer [19. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Beer. Vgl. auch Johannes Tralow an Bertolt Brecht [30. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Brecht, sowie Johannes Tralow an Kurt Barthel [30. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Barthel. Gegenüber Kuba hatte Tralow die Ergänzung der Einladenden um westdeutscheSchriftsteller angeregt,etwa Peter Lampel, Herbert Burgmüller u. a. Johannes Tralow an Friedrich Hagen [24. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 32 Konv. Hagen. Vgl. Beschlussprotokoll der Sekretariatssitzung [Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands] vom 8. September 1953 [o. D.]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 7707. Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit]: Arbeitsplan für gesamtdeutsche Arbeit im I. Quartal 1954 [o. D.]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 25, Bl. 24–25. Jean de Beer an Johannes Tralow [19. 3. 1954]. SBBPK NL Tralow K 40 Konv. Beer. 255
nen indessen die Verantwortlichen von Kulturbund und DSV zu haben, denn Tralow schrieb an Uhse: Die Franzosen sind keine preisgekrönten Dilettanten. Die Frage der Konferenz als solcher hatte entschiedenzu sein, als wir […] veranlaßt wurden,uns nach Paris zu wenden. Jetzt, da der Erfolg durchaus erreichbar ist, hat man keine Angst vor seiner eigenen Courage zu bekommen. Man kann dem französischen P.E.N. jetzt keine lange Nase machen: April, April! Jedenfalls bitte ich Sie, mir dieses Mal wirklich unverzüglich zu schreiben, in wessen Hände die Korrespondenz gelegt werden soll. Eventuell nenne ich Ihre Adresse. Allerdings nicht als Vorstandsmitglied unseres Zentrums, das kein Geld hat und sich jetzt herauszieht.77
Ein deutsch-französischen Treffen unter den gegebenen Voraussetzungen kam nicht zustande.78 Ungeachtet der ein wenig glücklosen Kooperation hinsichtlich des deutschfranzösischen Schriftstellertreffens bekräftigte Tralow Mitte November das Interesse an Gesprächen mit den Verantwortlichen des DSV über gesamtdeutsche Fragen: Wenn man es mit der gesamtdeutschen Arbeit ernst meint, so findet sich naturgemäß bei unserm P.E.N.-Zentrum die fruchtbarste Arbeit, die ich allein nicht bewältigen kann. Ich kann nur wiederholen, daß ich eine Zusammenarbeit sehr begrüßen würde, und ich bezweifle nicht, daß sich sachliche Erfolge in diesem Fall kaum vermeiden lassen.79
Der DSV hatte sich bereits zu einem früheren Zeitpunkt zunehmend in die gesamtdeutsche Arbeit eingeschaltet. Mit besonderem Interesse waren die Ergebnisse der gesamtdeutsch angelegten Starnberger Tagung (26./27. 3. 1951) und des Ersten Deutschen Kulturkongresses in Leipzig (16.–18. 5. 1951) zur Kenntnis genommen worden.80 Die Teilnehmer beider Ost-West-Gespräche hatten das »Interesse an weiteren Diskussionen« bekräftigt; diese stellten »ein[en] wesentliche[n] Beitrag zur Verständigung untereinander und damit zur Wiedererweckung der deutschen Einheit«81 dar. In der Folge intensivierte der Schriftstellerverband seine koordinierende Tätigkeit, um die oftmals nur sporadischen und vornehmlich persönlichen Kontakte zwischen Schriftstellern aus Ost und West zu stärken und institutionell zu fixieren. Auf diese Weise sollte dem verstärkten Rückzug der westdeutschen Autoren von gesamtdeutschen Veranstaltungen entgegengewirkt werden, der in Konsequenz des zunehmenden öffentlichen Drucks in der Bundesrepublik auf die Befürworter der deutschen Einheit immer deutlicher wurde.82 Die Bedeutung der gesamtdeutschen Beziehungen wurde in Reaktion auf den III. Schrift77 78
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Johannes Tralow an Bodo Uhse [25. 3. 1954]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse. Vgl. [Toni Stemmler]:Bericht Abt. GesamtdeutscheArbeit im DSV [16. 2. 1955].SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 26, Bd. 1, Bl. 1–10, hier Bl. 10. Johannes Tralow an Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] [21. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Deutscher Schriftstellerverband. Vgl. Gansel: »Deutschland einig Vaterland«, S. 211–217. Gansel: »Deutschland einig Vaterland«, S. 216. Vgl. Gansel: »Deutschland einig Vaterland«, S. 211–217.
stellerkongress der DDR, der dieses Thema ins Zentrum der Debatte gerückt hatte, durch die Bildung einer eigenständigen Abteilung Gesamtdeutsche Arbeit klar zum Ausdruck gebracht. Die Abteilung stand unter der direkten Kontrolle des ersten Sekretärs; die Stellenbesetzung erfolgte in Absprache mit dem ZK der SED.83 Die Ost-West-Aktivitäten des Verbandes waren mehr und mehr »einseitig auf die Unterstützung parteipolitischer Zielsetzungen der SED orientiert«:84 Die Vorlagen der Abteilung Gesamtdeutsche Arbeit an das Sekretariat des DSV gaben die politischen Richtlinien des ZK der SED exakt wider; »[d]as Referat Gesamtdeutsche Arbeit des DSV funktionierte [1953/54] wie eine dem ZK nachgeordnete Abteilung.«85 Das Referat plante die Funktionalisierung der persönlichen Kontakte zwischen den ost- und westdeutschen Schriftstellern etwa durch einen vorgegebenen und kontrollierten Briefverkehr, Dichterlesungen ausgewählter DDR-Autoren in Westdeutschland und den »Aufbau von ›Stützpunkten‹ in Westdeutschland«86 . Insbesondere mit Blick auf das letztgenannte Vorhaben erscheint das Interesse an einer kontinuierlichen Einwirkung auf die Aktivität des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West konsequent. Tralow sah in der Verbindung zum Schriftstellerverband die Chance, das aus seiner Sicht »immer wieder vom Osten aus gefährdete P.E.N. Zentrum Ost und West«87 zu retten: Die Einbindung der ostdeutschen P.E.N.-Mitglieder in die Arbeit des Zentrums gestaltete sich schwierig. Hilfe erhoffte sich Tralow vom 1. Sekretär des DSV, Kurt Barthel: »Unser Kollege Kuba hatte mir z. B. versprochen, die Ostmitglieder unseres Zentrums gelegentlich zusammenzurufen […]. Das dürfte bisher nicht geschehen sein, da sich Ostmitglieder bei mir beschweren, daß ich so gar nichts in dieser Hinsicht tue.«88 Gewichtigerer Beweggrund für die bereitwillige Annäherung an den DSV von Tralows Seite aus dürfte jedoch die zunehmende Spannung gewesen sein, die sich seit Ende 1952 zwischen dem geschäftsführenden Präsidenten des P.E.N.Zentrums und den Verantwortlichen des Kulturbunds aufgebaut hatte und im Verlauf des Jahres 1953 zu eskalieren drohte. Hintergrund des Konflikts war die finanzielle Unterstützung des P.E.N.-Zentrums Deutschland/Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West durch den Kulturbund. Eine alleinige Subventionierung durch den Kulturbund bestritt Tralow Anfang 1954 vehement: »Wenn Dr. Wiese also sagt: ›Bis jetzt hat der Kulturbund den P.E.N. subventioniert‹, so stimmt das nicht, jedenfalls nicht für die letzten eineinhalb Jahre, sondern es hat ehrlicherweise zu lauten: ›Bis jetzt haben Tralow u n d der Kulturbund
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Vgl. Gansel: »Deutschland einig Vaterland«, S. 220. Gansel: »Deutschland einig Vaterland«, S. 222. Gansel: »Deutschland einig Vaterland«, S. 224. Gansel: »Deutschland einig Vaterland«, S. 226. Johannes Tralow an Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] [4. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 14–16, hier Bl. 14. Johannes Tralow an Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] [21. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Deutscher Schriftstellerverband. 257
den P.E.N. subventioniert.‹«89 Der Tralow nach der Spaltung monatlich zugewiesene Betrag war Ende 1952 ersatzlos gestrichen worden; die laufenden Kosten – »Sekretärin, Papiere, Ausschnittbüro, Telefon, Porti, Ferngespräche und Telegramme«90 – gingen zu Tralows Lasten. Deutliche Verärgerung zeigte Tralow über die Verweigerung eines Reisekostenzuschusses für die Teilnahme an der wichtigen Exekutivkomitee-Tagung in London Anfang 1953, deren Ergebnis in Hinsicht auf die deutschen P.E.N.-Zentren von Tralow als Angriff auf die Existenz des damaligen P.E.N.-Zentrums Deutschland gewertet wurde.91 Ein Briefwechsel zwischen dem Bundessekretär Wendt und Tralow vom August 1953 hatte vermutlich die Überlegungen zur Ausgliederung des P.E.N.Clubs aus dem Kulturbund angestoßen. Oberflächlich ging es um Tralows Verärgerung über die Schwierigkeiten, die ihm von den DDR-Behörden hinsichtlich der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen, der Nutzung seines Sperrkontos und eines Ferienaufenthalts in Ahrenshoop gemacht wurden; er fühlte sich vom Kulturbund zu wenig unterstützt.92 Über Heinz Willmann, Generalsekretär des deutschen Friedensrats, erfuhr Wendt von Tralows Ärger und richtete sich nach dessen Anmerkung: »Ich halte es für falsch, einen Mann zu verärgern, der uns in Westdeutschland noch manchen Nutzen bringen kann.«93 Willmann hatte darauf hingewiesen, »dass es doch richtiger wäre, wenn sich der Kulturbund auch einmal um Herrn Tralow kümmern würde, um ihn nicht unnötigerweise zu verärgern.«94 Auf Wendts Brief, der »etwaige Mißverständnisse«95 zu beseitigen suchte, reagierte Tralow mit einer Reduzierung seiner Kritik am Kulturbund auf die Schwierigkeiten des P.E.N.-Zentrums: »Für den P.E.N. hätte ich es allerdings sehr gern gesehen, wenn ich einmal sachlich u. gründlich alle Probleme – u. es gibt welche, denn die Reaktion ist wieder sehr munter – hätte durchsprechen können.«96 Wegen der offenen Zahlung des Mitgliedsbeitrages an den Internationalen P.E.N., der wegen eines verweigerten Geldtransfers bislang ausstand, fürchtete Tralow Sanktionen des internationalen Generalsekretärs: Vergessen wir nicht, daß der Generalsekretär David Carver ein Erzreaktionär u. geschworener Freund des Zentr. Bundesrepublik ist. Ich habe immer alles gegen ihn 89
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Johannes Tralow an Bertolt Brecht [19. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 62f., hier Bl. 63. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [19. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 62f., hier Bl. 62. Vgl. Johannes Tralow an Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] [4. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 14–16, hier Bl. 14 und Johannes Tralow an Bertolt Brecht [19. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367 Bl. 62f. Vgl. Heinz Willmann [Generalsekretär des Deutschen Friedensrats] an Erich Wendt [1. 8. 1953] und [o. V.]: Aktenvermerk. Betr.: Rücksprache mit Herrn Johannes Tralow [27. 7. 1953]. SAPMO-BArch DY 27/189. Heinz Willmann an Erich Wendt [1. 8. 1953]. SAPMO-BArch DY 27/189. [o. V.]: Aktenvermerk. Betr.: Rücksprache mit Herrn Johannes Tralow [27. 7. 1953]. SAPMO-BArch DY 27/189. Erich Wendt an Johannes Tralow [14. 8. 1953]. SAPMO-BArch DY 27/189. Johannes Tralow an Erich Wendt [19. 8. 1953]. SAPMO-BArch DY 27/189.
erreichen müssen, u. was er sich jetzt an Provokation geleistet hat, übersteigt alles Dagewesene. Ich fürchte ihn nicht, aber man darf ihm keine Vorwände zu Aggressionen machen.97
Alle Bemühungen Tralows an anderer Stelle einen Transfer zu erwirken, hatten lediglich zur Rückverweisung an den Kulturbund geführt: Der P.E.N.-Club »ist Sache des Kulturbundes, da mischen wir [Deutscher Friedensrat, Amt für Literatur] uns nicht ein.«98 Von Seiten des Kulturbunds erhielt Tralow lediglich die standardisierte Antwort: »Die Kassenlage erlaubt es nicht.«99 Als mögliche Lösung regte Tralow an, das Inkasso der Ost-Mitgliederbeiträge durch den Kulturbund vornehmen zu lassen und aus diesem Guthaben den Transfer nach London vorzunehmen. Insgeheim hoffte er, »die Ostbeiträge gelegentlich transferiert zu bekommen, da [die] Westeinnahmen bei Weitem nicht ausreichen, die laufenden Unkosten zu decken«.100 Auf der Sekretariatssitzung des Kulturbundes Anfang September 1953 beauftragte man das »Sekretariat Dr. Wiese […], die Kassierung der Beiträge für den PEN-Club zu übernehmen und damit gleichzeitig die bei Herrn Prof. Dr. Kantorowicz eingezahlten Beiträge.«101 Es wurde Tralow zugesagt, von den Beiträgen der Ost-Mitglieder den internationalen Beitrag zu überweisen.102 Mit Hermlin, den die Mitgliederversammlung im Mai 1953 ins Amt gewählt hatte, war nach Tralows Einschätzung »als Schatzmeister […] leider nicht zu rechnen.«103 Ein Sonderkonto für die Beiträge der Ost-Mitglieder hatte Alfred Kantorowicz bereits im Januar 1950 einrichten lassen; er hatte seit Ende 1949 gemeinsam mit Tralow die Aufgaben des Schatzmeisters wahrgenommen.104 Auf ein Rundschreiben vom Oktober 1953 an alle Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, das um Überweisung der Mitgliedsbeiträge auf Wieses Konto bat,105 reagierte er mit Verärgerung; diese gründete nicht auf der eigenen Amts-
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Johannes Tralow an Erich Wendt [19. 8. 1953]. SAPMO-BArch DY 27/189. Tralows Einschätzung beruhte auf seiner jüngsten Auseinandersetzung mit Carver wegen der Verwendung des Begriffs »gesamtdeutsch«, die er erst im Herbst 1953 beilegte. Johannes Tralow an Erich Wendt [19. 8. 1953]. SAPMO-BArch DY 27/189. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [19. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 62f. Johannes Tralow an Alfred Kantorowicz [14. 11. 1953].SBBPK NL Tralow K 33 Konv. Kantorowicz. Beschlussprotokoll der Sekretariatssitzung [Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands] vom 8. September 1953 [o. D.]. SAdK Berlin, Johannes R. BecherArchiv 7707. Vgl. weiterhinErich Wendt: Aktennotizüber eine Unterredungmit Herrn Tralow am 7. 9. 1953 [9. 9. 1953]. SAPMO-BArch DR 1/7867. Vgl. Erich Wendt: Aktennotiz über eine Unterredung mit Herrn Tralow am 7. 9. 1953 [9. 9. 1953]. SAPMO-BArch DR 1/7867. Johannes Tralow an Erich Wendt [19. 8. 1953]. SAPMO-BArch DY 27/189. Vgl. Alfred Kantorowicz an Johannes Tralow [2. 12., 6. 12., 20. 12. 1949 und 17. 1. 1950]. SBBPK NL Tralow K 48 Konv. Kantorowicz. Vgl. Johannes Tralow an alle Mitglieder [6. 10. 1953]. SAPMO-BArch DY 27/189. 259
enthebung.106 Unmut empfand er darüber, dass er weder von der Übernahme des Amtes durch Hermlin, noch über die Einrichtung eines neuen Kontos beim Kulturbund informiert worden war, und zog die Konsequenz: »Ich darf Sie bitten, meinen Namen aus der Liste des Verbandes zu streichen.«107 Sowohl Brecht als auch Tralow versuchten, in der Sache zu vermitteln, um einen geschätzten Kollegen in den Reihen des P.E.N.-Clubs zu halten.108 Auf die Benachrichtigung durch Tralow, dass er »die Summe von DM 2.764,80, die auf dem bisher von [ihm] verwalteten Sonderkonto stand, auf das Privatkonto des Dr. Carl Friedrich [sic] Wiese, Sonderkonto ›P.E.N.-Zentrum‹ überweisen«109 könne, reagierte Kantorowicz gegenüber Brecht mit einem scharfen Angriff auf Becher und seine Genossen, sowie die für ihn offensichtliche Inanspruchnahme des P.E.N.-Clubs durch den Kulturbund: Die Ungehörigkeit,mich nicht einmal von Entscheidungen,die meine Mitarbeit betreffen, zu unterrichten, gehört zum Amtsstil der Sekretariate, deren eines sich für die weitere Nutzanwendung unseres PEN zuständig gemacht hat. Der Fall liegt doch zutage. Anstelle des neugewählten Schatzmeisters, der durch zahllose Ehrenämter und Reiseverpflichtungen so überbürdet ist, daß ihm in dieser Sache nicht einmal Zeit zu einem Brief oder Telefonanruf bleibt, nimmt ein Bundessekretär das PEN-Konto in Obhut. Das überhebt uns jeden Zweifels, daß unser PEN-Zentrum eine ganz beiläufige Unterorganisation der Betriebe des vielfachen Präsidenten [gemeint ist Becher] ist. Sollte der Zeitpunkt kommen, daß der große Mann es für zweckmässig hält, sich zur Abwechslung einmal des Decors dieser unterdessen in ein Schubfach abgelegten Institution zu bedienen, so wird sein allgegenwärtiger Abusch das Notwendige tun – […]. Was jedoch meine Beteiligung nützen sollte, weiß ich wirklich nicht. Wenn es Beifall zu spenden gilt – es gibt so viele Leute mit breiteren Handflächen und kräftigeren Stimmbändern.110
Ende November 1953 konstatierte Tralow gegenüber Brecht die Beilegung der Zwistigkeit.111 Tatsächlich hatte Kantorowicz die Auflösung des Kontos zeitgleich mit seinem Brief an Brecht in Auftrag gegeben.112 Seine Streichung von der Mitgliederliste des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West wurde erst
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Vgl. Alfred Kantorowicz an Johannes Tralow [10. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 48 Konv. Kantorowicz. Alfred Kantorowicz an Johannes Tralow [21. 10. 1953].SBBPK NL Tralow K 48 Konv. Kantorowicz. Vgl. weiterhin Alfred Kantorowicz an Johannes Tralow [10. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 48 Konv. Kantorowicz. Vgl. Bertolt Brecht an Alfred Kantorowicz [13. 11. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt BrechtArchiv 731/05 und Johannes Tralow an Alfred Kantorowicz [14. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 33 Konv. Kantorowicz. Alfred Kantorowicz an Bertolt Brecht [21. 11. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt BrechtArchiv 731/06. Alfred Kantorowicz an Bertolt Brecht [21. 11. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt BrechtArchiv 731/06. Vgl. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [28. 11. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt BrechtArchiv 730/34. Vgl. Mitteilung von Alfred Kantorowicz an Johannes Tralow [21. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 48 Konv. Kantorowicz.
einige Zeit nach seiner Flucht in die Bundesrepublik im August 1957 durch den Vorstand vorgenommen – angeblich wegen ausstehender Mitgliedsbeiträge.113 Vom Kulturbund regelrecht im Stich gelassen fühlte sich Tralow hinsichtlich der vom Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West angestrebten Herausgabe eines Almanachs, der deutsche Schriftsteller aus Ost wie West, unabhängig von einer P.E.N.-Mitgliedschaft, vereinen sollte. Der Vorschlag, ein solches Jahrbuch zu edieren, ging laut Tralow auf Bechers Vorschlag zurück: »Ich hatte zu diesem Almanach kein Geld, aber als Becher ihn vorschlug, konnte ich unmöglich nein sagen. Aber ich unterliess es keineswegs, darauf hinzuweisen, dass ein solches Unternehmen, einmal begonnen, unbedingt durchgeführt werden müsse, solle es nicht wie ein Bumerang wirken.«114 Tralow hatte sich zunächst völlig aus der Verantwortung herausgezogen und lehnte »jede geschäftliche Mitwirkung und Mitherausgabe«115 ab. Begonnen hatten die Arbeiten am Almanach noch unter der Ägide Syberbergs im Jahr 1952, nach dessen Ausscheiden im Oktober war die Redaktion des westlichen Teils durch Burgmüller übernommen worden.116 Die redaktionelle Bearbeitung der ostdeutschen Beiträge oblag zunächst Alfred Kantorowicz, Anfang Januar 1953 übernahm Alexander Abusch diese Arbeiten.117 Zwar gab es aus dem Westen etliche ablehnende Reaktionen auf die Einladung zur Mitarbeit am Almanach.118 Gewonnen werden konnten jedoch neben einer Vielzahl von DDR-Autoren u. a. Alfred Döblin, Albert Schweitzer, Lion Feuchtwanger und Reinhold Schneider.119 Die inhaltlichen Arbeiten gingen zumindest für die West-Beiträge rasch voran. Burgmüller und Tralow hatten für das Erscheinen des Almanachs die Generalversammlung 1953 ins Auge gefasst und bereits Ende Dezember 1952 eine Absprache mit dem Inhaber des Münchener Verlags Das Schiff, Paul Hermann Höhne, getroffen: Gegen Zahlung einer ersten Rate von 6000,- DM West war Höhne bereit, einen Teil des Risikos hinsichtlich des Herstellungspreises von 16.000,– DM West zu übernehmen. Über die Höhe einer zweiten Rate hatte man sich noch nicht geeinigt. Es war jedoch Eile geboten, denn das Buch sollte schon in den ersten Januartagen in 113
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Vgl. JohannesTralow: Vorstandssitzungdes Deutschen P.E.N.-ZentrumsOst und West am 10. Dezember 1958, 16 Uhr in Berlin [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 46. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [22. 12. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 732/54–55. Vgl. Johannes Tralow an Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] [4. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellverband SV 367, Bl. 14–16, hier Bl. 15. Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [21. 12. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Vgl. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [6. 2. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller, sowie Aktenmaterial über Herausgabe eines PEN-Almanachs mit Beiträgen deutscher Schriftsteller aus Ost und West beim Kulturbund, Bundessekretariat, Sekretariat Abusch (1953). SAPMO-BArch DY 27/3724. Vgl. Aktenmaterial über Herausgabe eines PEN-Almanachs mit Beiträgen deutscher Schriftsteller aus Ost und West beim Kulturbund, Bundessekretariat, Sekretariat Abusch (1953). SAPMO-BArch DY 27/3724. Vgl. Herbert Burgmüller(Hg.): Deutsches Wort in dieser Zeit. Ein Almanach des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West (Sitz München). München 1954, S. 329f. 261
den Druck gehen.120 Alles Drängen war vergeblich: Tralow bat Becher, alles »Erforderliche mit größtmöglicher Beschleunigung zu veranlassen«121. Becher aber tat, was er schon so oft getan hatte: Er schwieg.122 Wechselseitige Missverständnisse, (un)beabsichtigte Behinderungen ließen die Zusammenarbeit von Ost und West in Sachen Almanach stagnieren und hemmten die Drucklegung. Ende März 1953 berichtete Tralow noch einmal von einem Vorstoß: In einem Gespräch hatten Günter Hofé, Verlag der Nation, und Höhne, Verlag Das Schiff, in Aussicht gestellt, den Almanach mit gemeinsamen Impressum erscheinen zu lassen, um die Produktionskosten zu senken.123 Dennoch geschah nichts. So sehr Tralow sich um Vermittlung sorgte, er kam in der Sache des Almanachs nicht voran. Burgmüller schien in der Versenkung verschwunden, tatsächlich war er erkrankt.124 Von Seiten des Kulturbunds rührte man sich nicht. Ende Juli erwirkte Tralow eine weitere Kostensenkung: Hofé hatte Bereitschaft gezeigt, den Almanach »ohne jeden Zuschuß zu drucken, und zwar mit einem Ost- (Verlag der Nation) und einem West-Verlags-Signet.«125 Tralows Verhandlungserfolg erfuhr keine Resonanz. Erst Anfang September nahm Tralow den Faden wieder auf. In einer Unterredung mit Wendt und Wiese erhielt er die Zusicherung, dass die benötigte Ratenzahlung – nun doch für den Verlag Das Schiff – an Burgmüller transferiert werden würde.126 Ein Brief des Verlegers Höhne wies Tralow jedoch darauf hin, dass bis Ende September nichts geschehen war.127 Indessen wurde die unerledigte Angelegenheit Almanach auch für Burgmüller zu einem Problem: Abgesehen davon, daß ich persönlichden größten Unannehmlichkeitenausgesetztbin, sehe ich kaum noch eine Möglichkeit, die Mitarbeiter des Almanachs bei der Stange zu halten, ja, deren Verstimmung gegen unser Zentrum zu beschwichtigen. Die ganze Angelegenheit, die eigentlich eine Unterstützung für uns sein sollte, wirkt sich nun zu einem Bumerang für uns aus. Wenn hier nicht schnellstens gehandelt wird, sind die Folgen für unser Zentrum unabsehbar.128
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Vgl. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [21. 12. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Johannes Tralow an Johannes R. Becher [21. 12. 1952]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becher. Vgl. Herbert Burgmüller an Johannes Tralow [3. 1. 1953]. SBBPK NL Tralow K 41 Konv. Burgmüller. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [23. 3. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Vgl. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [3. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [29. 7. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/38–40. Vgl. Erich Wendt: Aktennotiz über eine Unterredung mit Herrn Tralow am 7. 9. 1953 [9. 9. 1953]. SAPMO-BArch DR 1/7867. Vgl. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [3. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Herbert Burgmüller an Johannes Tralow [13. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 41 Konv. Burgmüller.
Die unbegründete Nichtzahlung durch den Kulturbund wirkte in zweierlei Hinsicht. Einerseits führte sie zu einer Intensivierung des Zusammenhalts zwischen den westlichen Vorstandsmitgliedern Tralow und Burgmüller; dieser Kontakt war zwischenzeitlich völlig zusammengebrochen gewesen: »Es geht nicht an, daß der Konnex zwischen Generalsekretär und Präsidenten verloren geht. […] Wir müssen zusammen arbeiten. Was dabei heraus kommt, wenn wir uns […] in Unternehmungen hetzen lassen, deren Realisierung nicht mehr in unseren Händen liegt, das sehen wir am Almanach.«129 Andererseits verstärkten sich Tralows Aktivitäten, um die Sache einem guten Ende zuzuführen. Der von Tralow um Vermittlung mit dem Kulturbund angerufene Brecht konnte nicht helfen.130 Von Seiten des Kulturbunds erfuhr Tralow schließlich, dass die Gelder für andere Zwecke ausgegeben worden waren.131 In der Folge intensivierte sich der Kontakt zum Schriftstellerverband, der im Hinblick auf die Organisierung des deutschfranzösischen Schriftstellertreffens über den P.E.N.-Club erwachsen war. Bei der Kontaktaufnahme mit dem Schriftstellerverband hatte Tralow vermutlich keine engere Anbindung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West an den Verband im Blick; sie schien jedoch spätestens Mitte Dezember spruchreif zu sein.132 Die Verantwortlichen des Schriftstellerverbands erhofften sich von der »[Einschaltung i]n die Arbeit des P.E.N.-Klubs« eine »Aktivierung der gesamtdeutschen Arbeit durch den P.E.N.-Club«.133 In diesem Zusammenhang betonte Tralow auf einer Vorstandssitzung des Schriftstellerverbands die Herausgabe des durch Burgmüller und Abusch bearbeiteten P.E.N.-Almanachs als »eine der vordringlichsten Aufgaben[, die] von großer Wichtigkeit für die ganze weitere Arbeit«134 sei und führte mit seinen Darlegungen einen entsprechenden Beschluss herbei: »Der Vorstand ergreift die Initiative, daß die Ost-Mitglieder des PEN-Clubs zusammenkommen und dafür sorgen, daß mit der Arbeit begonnen wird. Die erste Aufgabe besteht darin, den längst fälligen PEN-Almanach herauszubringen.«135 Bis Ende Dezember war von Seiten des Schriftstellerverbands jedoch nichts Greifbares geschehen.136 Mit kühl kalkulierten Argumenten verdeutlichte Tralow gegenüber seiner Ansprechpartnerin im Referat 129
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Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [21. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Vgl. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [15. 11. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt BrechtArchiv 730/31–33. Vgl. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [22. 12. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Vgl. Protokoll des engeren Vorstandes [DSV] am Montag, 14. Dezember 1953 [17. 12. 1953]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12775. Protokoll des engerenVorstandes[DSV] am Montag, 14. Dezember 1953 [17. 12. 1953]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12775. Protokoll des engerenVorstandes[DSV] am Montag, 14. Dezember 1953 [17. 12. 1953]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12775. Protokoll des engerenVorstandes[DSV] am Montag, 14. Dezember 1953 [17. 12. 1953]. SAdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv 12775. Vgl. Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] an Johannes Tralow [31. 12. 1953]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Deutscher Schriftstellerverband. 263
Gesamtdeutsche Arbeit im Schriftstellerverband, Toni Stemmler, die Notwendigkeit, ein Scheitern der Unternehmung abzuwenden: Die Herausgeber (wenigstens Burgmüller) haben entsprechende Verträge mit Schriftstellern abgeschlossen und sollen nun die Verträge brechen. Das ist nicht gerade günstig für das Angebot des kulturellen Austausches. […] Natürlich kennt Minister Kaiser in Bonn bereits den Fall. Das Erscheinen des Almanachs wäre eine zu unangenehme Schlappe für ihn gewesen, daß er nicht alles hätte ins Werk setzen sollen, ihn zu vereiteln. […] Der völlig berechtigte Vorwurf, Schriftsteller-Kollegen um ihre Honorare geprellt zu haben, ist vernichtend. Mir persönlich ist der westdeutsche Verlag völlig egal. Andererseits ist der von Burgmüller gewonnene Verlag von ihm, von Wiese, von Wendt und von mir überprüft. Tatsache ist ferner, daß ein Westverlag, der unsern Almanach druckt, seine Existenz auf ’s Spiel setzt. Wer klug reden will, soll erst einmal andere Verlage aufweisen, die er gewonnen hat. Noch haben Minister Kaiser und P.E.N. (Bundesrepublik) nicht zugeschlagen. Aber es wird im geeigneten Augenblick geschehen. Für Verzögerungstaktiken und Kommissionsreisen, die doch schließlich auch nur Geld kosten, scheint mir darum der Augenblick schlecht gewählt. Wenn wir auf deren Resultate warten wollen, sind wir bis dahin aus ehrenrührigen Gründen längst gestrichen.137
Besonderes Gewicht erhielt Tralows Schreiben durch die Anmerkung über ein im Dezember 1953 geführtes Gespräch mit dem inzwischen als Sekretär für Kultur und Erziehung des ZK der SED amtierenden Paul Wandel; dieser habe ihm »positive Erledigung dieser trostlosen Angelegenheit«138 zugesagt. Nun kamen die Dinge ins Rollen, die direkte Verbindung zum ZK der SED machte sich bemerkbar: Stemmler antwortete umgehend, dass sie »sofort Rücksprache mit Kuba genommen [habe] und ebenfalls mit dem ZK [d]er Partei. Es wird sofort veranlaßt, daß die Sache Almanach geklärt wird.«139 Mitte Januar 1954 lag wieder einmal eine verbindliche Zusage des Bundessekretärs Wiese vor, dass der erforderliche Betrag umgehend an Burgmüller überwiesen werde,140 um unverzüglich die Honorare der Westmitglieder auszuzahlen.141 Tralow misstraute Wiese zu Recht,142 denn im Mai 1954 schien die Zahlung der Honorare 137
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Johannes Tralow an Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] [4. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 14–16, hier Bl. 15. Johannes Tralow an Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] [4. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 14–16, hier Bl. 16. Vgl. auch Johannes Tralow an Alexander Abusch [23. 12. 1954]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Abusch. Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] an Johannes Tralow [6. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Deutscher Schriftstellerverband. Enthalten auch in SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 73. Vgl. weiterhin Toni Stemmler an Gustav Just [Sektorenleiter der Abt. Kunst und Schöne Literatur beim ZK der SED] [6. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 72. Vgl. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [19. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 62f., hier Bl. 63, sowie Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [20. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Vgl. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [20. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [19. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 378, Bl. 62f., hier Bl. 63.
immer noch ungeklärt zu sein.143 Zu diesem Zeitpunkt schrieb Brecht einen Brief an den Leiter des Amts für Literatur und Verlagswesen (ALV), Karl Ewald Böhm, dessen Inhalt nicht völlig zu durchschauende Händel zwischen dem Verlag der Nation und dem Verlag Das Schiff andeutet. Vermutlich führten sie aber zur Lösung der finanziellen Schwierigkeiten: Der Vorstand des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West empfiehlt dem Amt für Literatur und Verlagswesen, dem Verlag der Nation eine Lizenzausgabe eines ihm näher bekannten Werkes aus dem Verlag ›Das Schiff‹, München, zu ermöglichendurch die Genehmigung eines entsprechenden Betrages der Bank der Deutschen Länder. Der Vorstand des P.E.N. Zentrums sieht darin eine wirksame Unterstützung seines Vorhabens, den von Ihnen genehmigten P.E.N.-Almanach durch den Verlag ›Das Schiff‹ vor allem auch in Westdeutschland herauszubringen.144
De facto wurde der Almanach in der DDR unter der Lizenz-Nummer des Verlags der Nation gedruckt, ein Teil der Auflage wies aber im Impressum den Münchener Verlag Das Schiff aus. Obgleich die Auflage wegen Papierschwierigkeiten nur teilweise fertig gestellt war,145 konnte der nach beinahe zweijährigem Tauziehen vorliegende Almanach mit dem Titel Deutsches Wort in dieser Zeit 146 vor internationalem Publikum auf dem Amsterdamer P.E.N.-Kongress im Juni 1954 vorgestellt und als Erfolg verbucht werden. Das Buchprojekt des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West wurde von der Presse mit besonderem Interesse zur Kenntnis genommen. Vergessen war die Tatsache, dass sich das Erscheinen des Almanachs mit Beiträgen von Schriftstellern aus der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ungebührlich in die Länge gezogen und Veränderungen in den organisatorischen Strukturen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West provoziert hatte. Hinter den Kulissen des Schriftstellerverbands hatte sich indes mehr bewegt. Man beschloss Anfang Januar 1954, der durch stetige Finanzkrisen bedingten Blockade bzw. Erschwerung der internen wie internationalen P.E.N.-Arbeit nachhaltig entgegen zu wirken und stellte zu diesem Zweck für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West wiederum die notwendige Verbindung zum ZK der SED her. Auf Vorschlag von Gustav Just, der als Sektorenleiter für Kunst und Literatur im ZK der SED den Vorstandssitzungen des Schriftstellerverbands beiwohnte,147 wurde »eine Sitzung für die Genossen des PEN-Klubs herbeigeführt. Hier wurde beschlossen, daß der Schriftsteller-Verband für den 143
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Vgl. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [23. 5. 1954]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Bertolt Brecht an Karl Ewald Böhm [11. 5. 1954]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 1827/06. Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 7. September 1954, 14 Uhr, im Hotel Johannishof, Berlin [8. 9. 1954; erstellt von Herbert Burgmüller]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/58–61, hier 793/59. Die Auslieferung sollte endgültig im Oktober 1954 erfolgen. Herbert Burgmüller (Hg.): Deutsches Wort in dieser Zeit. Vgl. Werner Baum an Toni Stemmler [im Hause = DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] [28. 12. 1953]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 71. 265
PEN-Klub einen Haushaltsplan entwirft und beim Finanzministerium den notwendigen Etat beantragt.«148 Als Fürsprecher des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West wandten sich die Verantwortlichen des Schriftstellerverbands an Karl Raab, Leiter der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe des ZK der SED, um auf die Notwendigkeit eines eigenständigen Haushaltsplans für den P.E.N. zu verweisen: »Da dieser Haushaltsplan erst sehr spät beschlossen und aufgestellt wurde, bitten wir Dich, auf Anraten des Genossen Just, uns dabei behilflich zu sein, daß dieser Antrag noch für das Haushaltsjahr 1954 genehmigt wird und in der Hauptsache, daß er überhaupt mit der Umtauschquote und mit Devisen durchkommt.«149 Das Ziel der Bemühungen war offenkundig, trotz einer organisatorischen Anbindung an den Schriftstellerverband eine eigenständige Finanzierung für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West zu erreichen. Zunächst aber saß man mit dem P.E.N.-Zentrum sozusagen zwischen den Stühlen: In organisatorischer Hinsicht funktionierte die breite Infrastruktur des Schriftstellerverbands gegen Entgelt150 sehr gut für das P.E.N.-Zentrum. Der Schriftstellerverband verfügte über genügend Personal und Verbindungen, die etwa bei der Vorbereitung und Abwicklung der Generalversammlung vom März 1954 außerordentlich hilfreich waren.151 Die finanziellen Schwierigkeiten blieben zunächst bestehen. Zwar hatte man die Bedeutung des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West im Hinblick auf seine Anbindung an eine internationale Organisation und seine bestehenden Kontakte in die Bundesrepublik erkannt. Noch immer aber war die finanzielle Verantwortung für das P.E.N.-Zentrum ungeklärt: Die Ausgaben für die Generalversammlung 1954 stellte der Schriftstellerverband mindestens zum Teil dem Kulturbund in Rechnung,152 der die erforderlichen Summen aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Sonderkonto P.E.N. verauslagte. Das Konto des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, auf dem im Grunde nur die Mitgliedsbeiträge eingingen, lag noch in den Händen des Kulturbunds.153 148
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Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit]: Arbeitsplan für den Monat Januar 1954 [26. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 25, Bl. 21–23, hier Bl. 21. [?] Joseph und Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] an Karl Raab [16. 1. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 64. Vgl. Carlfriedrich Wiese an Johannes Tralow [1. 3. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 48. Vgl. Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West [i. V. Toni Stemmler] an Hotel Johannishof [19. 2. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 54; Werner Baum und Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] an Polizeirevier Berlin [24. 2. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 51; Toni Stemmler an Bodo Uhse [20. 3. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 45; Johannes Tralow an Kurt Barthel [20. 3. 1954.]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Deutscher Schriftstellerverband. Vgl. Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] an Carlfriedrich Wiese [9. 4. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 34. Vgl. Carlfriedrich Wiese an Johannes Tralow [1. 3. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 48.
Im Vorfeld des Amsterdamer Kongresses versuchte Tralow verzweifelt, Valuta für den ausstehenden internationalen Mitgliedsbeitrag zu erlangen. Bislang war er mit abwegigen Erklärungen immer wieder vertröstet worden. Er wandte sich schließlich an Brecht: Ich werde allmählich an allem etwas irre. Falls Kollege Uhse nach London [zur Tagung des Exekutiv-Komitees] gekommen wäre, so hätte er doch auch Westvaluta gebraucht, und die wäre etwas höher gewesen als diese DM West 400,-. […] Aber diese DM West 400,- bewirken bei Nichtzahlung zwar nicht, daß wir gestrichen werden, wohl aber, daß unsere Stimme ruht. Ich erkläre Ihnen ganz offen, daß ich mich dieser Blamage in Amsterdam nicht aussetzen werde. Doch bitte ich, diese Erklärung nicht so aufzufassen, daß ich auch dieses Mal das Geld wiederum aus eigener Tasche zahlen werde. Meine Tasche ist leer, und selbst, wenn sie es nicht wäre, muß ich endlich einmal Schluß machen. Wenn für die Reise eines Mitgliedes aus der DDR ohne weiteres ein Transfer verfügbar ist, so hat er es auch in diesem Fall zu sein. Schließlich gehört das mit zu den Pflichten unserer Mitglieder aus der DDR, die nun schon seit Jahren alle internationalen Verpflichtungen auf den armen Westen abwälzen. Es genügt keineswegs, die DM Ost 50,– jährlich zu zahlen, sondern es muß in solchen Fällen auch für einen Transfer gesorgt sein.154
Offenbar wird an dieser Stelle Tralows schwierige Position; er investierte mit Eifer in den Aufbau und die Erhaltung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. In rein inhaltlichen Angelegenheiten konnte er agieren, die finanziellen Obliegenheiten waren von seiner Seite aus nicht zu steuern. Die Summen, die an West-Mitgliedsbeiträgen bei ihm anlangten, genügten zur Deckung der Kosten nicht. Offensichtlich gelang es Tralow aber nicht, bei dem für das Sonder-Konto verantwortlichen Bundessekretär Wiese die Anweisung des internationalen Beitrags zu erwirken. Brecht jedenfalls wandte sich an den DSV und mahnte: »Meiner Ansicht nach sollten wir rasch dafür sorgen, dass die DM 400,- (West) bereitgestellt werden. Darf ich Sie bitten, das zu erledigen, bis Tralow (6. Juni) nach Berlin kommt.«155 Die Angelegenheit wurde durch das Referat Gesamtdeutsche Arbeit im Schriftstellerverband geregelt, dessen Mitarbeitern die gesamte Organisation der Reise nach Amsterdam oblag; sie unterstützten die DDR-Mitglieder der P.E.N.-Delegation bei der Visa- und Devisenbeschaffung156 und kümmerten
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Johannes Tralow an Bertolt Brecht [22. 5. 1954]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 735/53. Bertolt Brecht an Gustav Just [1. Sekretär des Vorstands des DSV] [26. 5. 1954]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 735/54. Vgl. Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit]: Arbeitsplan für den Monat Mai 1954 [27. 4. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 25, Bl. 11–14, hier Bl. 14. Gustav Just an Victor van Vriesland [11. 5. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 25, Bl. 132. Toni Stemmler an Regierung der DDR, Ministerium für Kultur [22. 5. 1954].SAdK Berlin,Archiv SchriftstellerverbandSV 25, Bl. 126. [?] Pietscher [Referentin DSV, Abteilung Ausland] an das Amt für Auswärtige Angelegenheiten, Konsularabteilung [16. 6. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 25, Bl. 102. 267
sich um die Öffentlichkeitsarbeit.157 Von den für die Finanzierung der KongressTeilnahme bewilligten Geldern wurde eine entsprechende Summe abgezweigt.158 Die Devisen wurden dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West nicht direkt, sondern über den Schriftstellerverband zur Verfügung gestellt, der lediglich die ihm entstandenen Unkosten rückforderte.159 Eine notwendig gewordene zusätzliche Bewilligung von Gulden, »um die [unerwartet höheren] Unkosten für den Aufenthalt zu decken [und] nun den Aufenthalt [der] Schriftsteller in Amsterdam nicht zu gefährden«160 , wurde ebenfalls von Stemmler und ihren Kollegen durchgesetzt. Mit der Unterstützung der P.E.N.-Mitglieder in der Vorbereitung des Amsterdamer Kongresses verknüpften sich deutliche Erwartungen hinsichtlich einer agitatorischen Nutzbarmachung in Sinne der Interessen der DDR: Der Internationale P.E.N.-Kongreß muß von unseren Schriftstellern ebenfalls dazu genutzt werden, um Verbindungen mit holländischen und überhaupt ausländischen Autoren zu schaffen. Aufgabe des Verbandes ist es, dafür Sorge zu tragen, daß diese Verbindungen nicht nur privater Natur bleiben, sondern vom Verband ausgewertet werden können.161
Über tatsächliche Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen des internationalen Kongresses, der insgesamt für die Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West erfolgreich verlief, geben die vorhandenen Quellen keine Auskunft. Die strukturellen Veränderungen im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West wurden im Verlauf des Jahres 1954 fortgesetzt: Der Schatzmeister Bodo Uhse richtete Ende August bzw. spätestens Anfang September ein Konto für das P.E.N.-Zentrum ein, auf das die beim Kulturbund vorhandenen Gelder transferiert wurden.162 Die Voraussetzungen einer eigenständigen Geschäftsführung waren damit geschaffen. Ende Oktober stellte Uhse beim Finanzministerium der DDR einen detaillierten Haushaltsplan des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und
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Vgl. Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] an ADN [22. 6. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 89. Vgl. Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit]: Notiz für das Sekretariat des Deutschen Schriftstellerverbands [8. 6. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 50, Bl. 185. [?] Kohn [Sekretär des DSV, Referat Gesamtdeutsche Arbeit] an Bertolt Brecht [5. 8. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 77. Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] an Koll. Raddatz [Regierung der DDR, Ministerium für Kultur] [22. 6. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 121. Vgl. auch Notiz von [?] Pietscher [Referentin DSV, Abteilung Ausland] an Gustav Just [seit März 1954 1. Sekretär des Vorstands des DSV] [21. 6. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 97. Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit]: Arbeitsplan [9. 4. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 25. Vgl. Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] an Carlfriedrich Wiese [Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands] [2. 9. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 198.
West für das Jahr 1955 vor.163 Unterstützt wurde Uhses Antrag durch ein Schreiben von Stemmler, das auf die Eigenständigkeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West insistierte: [Es] hat in Berlin seinen eigenen Geschäftsbereich.Ebenso ist es politischnicht tragbar, daß das P.E.N.-Zentrum Ost und West vom Deutschen Schriftsteller-Verband finanziert wird. Wir bitten deswegen, den Haushaltsplan des P.E.N.-Zentrums von dem des Deutschen Schriftsteller-Verbandes abzuzweigen und ihn als besonderen Plan zu behandeln.164
Uhses Vorstoß gelang nicht. Im Februar 1955 war noch keine Entscheidung über den Haushaltsplan des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gefällt. Uhse fragte beim Schriftstellerverband um Verauslagung einer Summe von 5000,- DM »zu Lasten des P.E.N.-Etats«165 an. Nach der Verabschiedung des Haushaltsplans, die für Anfang März 1955 erwartet werde, erfolge umgehend die Rückzahlung.166 Eine Aufnahme des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in den Haushaltsplan der DDR erfolgte jedoch nicht.167 Die Annahme von Spendengeldern oder einer geregelten staatlichen Unterstützung lässt sich für diesen Zeitpunkt anhand der vorliegenden Quellen nicht feststellen. Lediglich in einem Brief von Brecht an den Schatzmeister Uhse deutet sich eine Förderung durch den Kulturfonds der DDR an: »[I]ch schicke Ihnen meine Unterschrift unter den Bewilligungsbescheid Nr. 124-5 (5867), möchte aber darauf aufmerksam machen, dass ich keinerlei Verpflichtungen übernehmen kann, die Verwendung der Gelder selbst zu verantworten. […] Bitte teilen Sie das auch dem Kulturfonds mit.«168 Der Kulturfonds war aufgrund einer 1949 verabschiedeten Verordnung »Über die Erhaltung und die Entwicklung der Wissenschaft und Kultur, die weitere Verbesserung der Lage der Intelligenz und die Steigerung ihrer Rolle in der Produktion und im öffentlichen Leben« eingerichtet worden. Der Grundstock des Kulturfonds bestand aus Mitteln, die zuvor die Deutsche Verwaltung für Volksbildung, der Kulturbund und der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) zur Unterstützung von Künstlern in einem gemeinsamen Fonds gesammelt hatten. Dieser erhielt Zuwendungen aus staatlichen Haushaltsmitteln und wurde regelmäßig aufgestockt, durch die Erhebung einer »Kulturabgabe«, d. h. Eintrittskartenzuschläge für kulturelle Veranstaltungen, Preisaufschläge bei Tonträgern und Abgaben bei Benutzung von Rundfunk- und Fernsehempfängern. Verwaltet wurde der Kulturfonds 163
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Vgl. Bodo Uhse an Regierung der DDR, Ministerium für Finanzen, Abt. Haushaltsplanung [30. 10. 1954]: Haushaltsplan des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West [für das Jahr 1955]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 691/1. Toni Stemmler [DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit] an Regierung der DDR, Ministerium für Finanzen [11. 11. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 50, Bl. 197. Bodo Uhse an DSV [14. 2. 1955]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 681/37. Vgl. Bodo Uhse an DSV [14. 2. 1955]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 681/37. Vgl. Arno Röder [Abt. Kultur beim ZK der SED] [14. 9. 1964]: Betr.: Deutsches PENZentrum Ost und West. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Bertolt Brecht an Bodo Uhse [14. 4. 1955].SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv757/41. 269
durch ein Kuratorium, dem die Präsidenten oder Vorsitzenden der Künstlerverbände, der Akademie der Künste, der Gewerkschaft Kunst und des Kulturbundes sowie weitere durch den Minister für Kultur bestellte Persönlichkeiten angehörten. Das Büro des Kulturfonds war dem Ministerium für Kultur nachgeordnet. Damit unterstand der Direktor des Kulturfonds direkt den Weisungen des Kulturministers.169 Bestätigt wird die finanzielle Unterstützung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West durch den Kulturfonds der DDR in einem internen Bericht der Abteilung Kultur beim ZK der SED, der rund ein Jahrzehnt später verfasst worden war: »Haushalts-mässig wurde das PEN-Zentrum nirgends geführt. Es bekam seine Mittel jeweils nach Bedarf und persönlicher Anweisung eines Gen. der Abt. [Kultur] (Genosse Schröder tat dies bis zum Jahre 1963) vom Kulturfonds der DDR.«170 Mit dieser Regelung ging einher, dass das Deutsche P.E.N.Zentrum Ost und West der Anleitung durch die Abteilung Kultur des ZK der SED unterstellt war. Gleichwohl lassen sich direkte Eingriffe in die Arbeit des Zentrums durch die Abteilung Kultur Mitte der fünfziger Jahre am Quellenmaterial nicht nachweisen. Zu den organisatorischen Veränderungen hinsichtlich der Einbindung in die parteipolitischen und staatlichen Strukturen der DDR kamen interne strukturelle Veränderungen im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West. Auf einer Vorstandssitzung Anfang September 1954, bei der sämtliche Vorstandsmitglieder anwesend waren, hatte man beschlossen: Das bisherige Büro in München soll selbstverständlich aufrechterhalten bleiben. Brecht wird sich als Mitglied der Deutschen Akademie der Künste bemühen, im Hause der Akademie einen Raum zur eigenen Verfügung zu erhalten, damit er dort die laufenden Büroarbeiten erledigen lassen kann. Ein weiteres Büro für den Generalsekretär in Düsseldorf bzw. Mülheim/Ruhr soll möglichst schnell geschaffen werden. Eine endgültige Regelung der gesamten Bürofragen bleibt der Beratung des Etats für das nächste Jahr vorbehalten.171
Interessanterweise vermerkt der von Uhse für das Jahr 1955 eingebrachte Haushaltsplan die Kosten für das zu diesem Zeitpunkt gar nicht existente »Berliner Büro«, und das Entgelt für den Generalsekretär Burgmüller. Tralows Büro in München hingegen war in die Kalkulation nicht aufgenommen wor-
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Vgl. Andreas Herbst, Winfried Ranke und Jürgen Winkler (Hg.): So funktionierte die DDR. Lexikonder Organisationenund Institutionen.In: Enzyklopädieder DDR. Personen, Institutionen und Strukturen in Politik, Wirtschaft, Justiz, Wissenschaft und Kultur. (Digitale Bibliothek Bd. 32) Berlin 2000, S. 8849–8850. Arno Röder [Abt. Kultur beim ZK der SED] [14. 9. 1964]: Betr.: Deutsches PENZentrum Ost und West. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 7. September 1954, 14 Uhr, im Hotel Johannishof, Berlin [8. 9. 1954; erstellt von Herbert Burgmüller]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/58–61, hier 793/60.
den, obgleich auch dort laufende Kosten zu decken waren.172 Das Protokoll einer Vorstandssitzung Ende November 1954 vermeldete die zum 15. November erfolgte Verpflichtung einer Sekretärin für das Berliner Büro, das man »voraussichtlich Mitte Januar 1955 im Hause des Künstler-Klubs ›Die Möwe‹, Luisenstraße«173 einrichten könne. Bei der Sekretärin handelte es sich um Ingeburg Kretzschmar(-Djacenko),174 die für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West bis zum Ende der sechziger Jahre eine bedeutsame Rolle spielte. Mit Kretzschmar war zweifellos eine ebenso schillernde wie schwer zu positionierende Persönlichkeit zum P.E.N. gestoßen, an der sich die Geister, vor allem die männlichen, schieden. Eine Beschreibung ihrer Person ist Robert Neumann trefflich gelungen: Ingeburg (die ich inzwischen ins Herz geschlossen habe) war eine Kunstfigur zur dritten Potenz: eine Frau von zarter Schönheit, mit Zügen von fast übermäßigem Ebenmaß, mit einer prachtvollen und spektakulären Frisur – schwarzhaarig? Oder ist kaum merklich und niederschmetternderweise ein blausilberner Schimmer in dieses Schwarz gemischt? So scharf man hinblickte: diese Frau war alterslos. Ihre zarte Haut duftete von teuren Kosmetika. Ihre Kleider – man findet keine besseren in Paris. Fragte man, taktlos bewundernd, so sagte sie ernst: ›Alles Produkte der DDR!‹ Sie sprach langsam, vorsichtig, wägend, präzise, jedes Wort saß an seinem Platz – man dachte: ist dieses Produkt genannt Ingeburg tatsächlich ganz aus der DDR, so kann die DDR die in ihre beste Auslage stellen. Mit dem einzigen Bedenken: ist nicht vielleicht diese Kunstfigur in einer allzu kunstvollen Weise makellos?175
Die Verbindung zwischen Kretzschmar und dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West war durch Uhse zustande gekommen. Die vielseitig ausgebildete Frau schien geradezu prädestiniert, um für den P.E.N.-Club zu wirken: Kretzschmar hatte Literatur-, Kunst- und Musikgeschichte sowie Volkswirtschaft studiert und war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Berlin gegangen, um bei der Täglichen Rundschau als Literatur- und Musikkritikerin zu arbeiten. Doch auch auf musischem Terrain war Kretzschmar aktiv; sie verfügte über eine abgeschlossene Ausbildung als Konzertpianistin. Kretzschmars Arbeit für die Roman-Zeitung, die nach 1945 die von den Nationalsozialisten verbotene und verfemte Literatur veröffentlichte, hatte ihr weit reichende Kontakte zu den aus dem Exil zurückgekehrten Autoren eröffnet. Uhse schlug ihr vor, die Arbeit für den P.E.N. zu übernehmen.176 Ob Kretzschmar Mitglied des P.E.N.-Clubs wurde, lässt sich nicht eindeutig eruieren. Im persönlichen Gespräch verneinte 172
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Vgl. Bodo Uhse an Regierung der DDR, Ministerium für Finanzen, Abt. Haushaltsplanung [30. 10. 1954]: Haushaltsplan des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West [für das Jahr 1955]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 691/1. Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 26. 11. 1954 bei Bertolt Brecht [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/78–80, hier 793/79. Bei ihrem Eintritt in das Büro des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West führte Ingeburg Kretzschmar einen Doppelnamen. Nach ihrer Trennung von Boris Djacenko unterzeichnete sie wieder mit ihrem Geburtsnamen. Neumann: Vielleicht das Heitere, S. 104. Vgl. Interview mit Ingeburg Kretzschmar in Berlin, geführt am 21. 2. 2002. 271
sie die Mitgliedschaft,177 im Nachlass Johannes Tralow findet sich eine Mitteilung vom Januar 1955: »Ich bekenne mich zur Unteilbarkeit der deutschen Literatur und erkläre hiermit, daß ich meine Wahl zum Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West annehme.«178 Auf den Mitgliederlisten der folgenden Jahre, etwa von 1957 und 1959, ist Kretzschmar indes nicht vermerkt.179 Die Veränderungen in der Struktur des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West nahm Tralow mit Skepsis zur Kenntnis. Vorbehalte schürte er vor allem gegenüber der aus seiner Sicht allzu selbstbewusst agierenden Kretzschmar: »Nun haben wir ja […] ein Berliner Büro mit einer piekfeinen Dame. Ich bekam sie als vollzogene Tatsache serviert, und sie lässt mich deutlich merken, daß ich sie nicht bezahle.«180 Auf Burgmüller, dem als Generalsekretär eigentlich die Aufgabe zugekommen wäre, als entscheidendes westliches Gegengewicht der DDRAkteure zu wirken, war nicht zu zählen; er fiel wegen Erkrankung wiederum dauerhaft aus.181 Tralow fühlte sich uninformiert und in wesentlichen Fragen von Berlin übergangen. Die Zusammenarbeit funktionierte schlecht. So erhielt er im Nachgang der 1955 in Hamburg stattgefundenen Generalversammlung trotz Nachfrage notwendige Informationen nicht: »Meine vielen Bitten um Aufgabe der Namen und Adressen der Neugewählten wurden nicht zur Kenntnis genommen. Das und noch mehr erfuhr ich in den beiden Tagen meiner letzten Anwesenheit in Berlin […]. Wer Mitglied wird, bestimmt Frau Kretzschmar, und da stellt sich die Sache so dar, daß von den sechs Gewählten nur die beiden Ostmitglieder benachrichtigt wurden und auch das erst, als ich in Berlin aufkreuzte.«182 Seinen Unmut über Kretzschmars Arbeitsmoral machte er auch gegenüber Uhse deutlich: »Am 2. Juni waren die 6 [in Hamburg] Neugewählten noch nicht benachrichtigt und vier im Westen Wohnende sind es, soweit ich weiß, heute noch nicht. Einen davon […] wollte Frau Kretzschmar noch streichen, aber so wertvoll die gnädige Frau sein mag, die Beschlüsse der Generalversammlung kann sie nicht aufheben. […] Ich jedenfalls habe das Material über die Generalversammlung mehr als einmal angemahnt, ohne auch nur eine Antwort zu erhalten. Solange ich im Zentrum Ost und West bin, widerfuhr mir das zum ersten Mal.«183 Zugleich blieb Tralow wieder einmal auf den Kosten sitzen: »Anbei überreiche ich Ihnen jetzt zum dritten Mal eine Mahnung des
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Vgl. Interview mit Ingeburg Kretzschmar in Berlin, geführt am 21. 2. 2002. Mitteilung von Ingeburg Kretzschmar [13. 1. 1955]. SBBPK NL Tralow K 86 K 43. Vgl [o. V.]: Mitgliederlistedes Deutschen PEN-Zentrums Ost und West [1957]. SBBPK NL Tralow K 85 K 10 und [o. V.]: Mitgliederliste des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West [1. 11. 1959]. SBBPK NL Tralow K 85 K 11. Johannes Tralow an Konrad Winkler [21. 6. 1955]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Winkler. Herbert Burgmüller an Johannes Tralow [30. 9. 1955]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 681/1. Johannes Tralow an Konrad Winkler [21. 6. 1955]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Winkler. Johannes Tralow an Bodo Uhse [21. 6. 1955]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse.
Hotels Atlantik Hamburg. Die Sache wird mir allmählich etwas peinlich, und ich bitte Sie herzlichst, den Betrag doch bezahlen zu wollen.«184 Hier deutet sich an, was im Verlaufe des Jahres 1955 immer klarer hervortrat: Tralow hielt die Fäden nicht länger in der Hand. Missmutig nahm er wahr, dass das Berliner Büro eigenständig und ohne Rücksicht auf den Westen agierte: »Ich glaube, daß es nötig sein wird, über die Möglichkeit, unser Zentrum aufrecht zu erhalten, ernsthaft und aufrichtig unter uns vieren zu sprechen. Ich habe nicht den Eindruck, daß dem Osten und auch unseren Kollegen des Ostens an ihm etwas liegt. Warum sollen wir Westmitglieder so große ideelle Opfer bringen, wenn sie gar nicht verlangt werden.«185 Vergeblich mühte er sich um Kontaktaufnahme mit Burgmüller: »Mit Carver habe ich inzwischen zwei Briefe gewechselt. Von Berlin erhielt ich nicht eine einzige Antwort. Lassen wenigstens Sie von sich hören.«186 Kurzzeitig hatte Tralow gar mit dem Gedanken an eine Aufgabe seines Präsidentenamtes gespielt. Auf der Generalversammlung im März 1955 nahm er die Wiederwahl »doch wieder an […]. Es war mir nicht einmal möglich, mich dem Amt des Delegierten zu entziehen, sodaß ich normalerweise Ende April [1955] in London sein werde, […]. Sie können mich inkonsequent nennen; aber ich kann beim besten Willen keinen entdecken, der mich zur Zeit ersetzen könnte.«187 In Reaktion auf die zunehmende Ausgrenzung seiner Person aus der Führung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gründete Johannes Tralow Anfang 1956 in München einen Arbeitskreis für Zeitgeschichte: »Es soll natürlich eine Ost-West-Angelegenheit sein, und er würde unter unserem P.E.N.Zentrum laufen, wenn nicht unser Vorstand beschlossen hätte, daß er bei Veranstaltungen unseres Zentrums vorher seine Zustimmung geben müsse. Damit wird unser Zentrum in München arbeitsunfähig. Aus diesem Grunde Arbeitskreis.«188 Tralow wollte sich offensichtlich eine gewisse Handlungsfähigkeit erhalten, fürchtete er doch die Untergrabung der von ihm gewünschten beispielhaften Koexistenz ost- wie westdeutscher Schriftsteller durch die Funktionsträger der DDR. Zunächst plante er ein »Doppelreferat Ost-West«189 als Veranstaltung in München, um der selbst gestellten Aufgabe, »die ostdeutschen Dichter und Wissenschaftler hier in Westdeutschland stets in Evidenz zu hal-
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Johannes Tralow an Ingeburg Kretzschmar [14. 6. 1955]. SBBPK NL Tralow K 33 Konv. Kretzschmar. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [14. 4. 1955]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [14. 4. 1955]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller.Vgl. auch JohannesTralow an Ingeburg Kretzschmar [14. 4. 1955].SBBPK NL Tralow K 33 Konv. Kretzschmar. Johannes Tralow an Robert Neumann [2. 4. 1955].SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [4. 2. 1956]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Johannes Tralow an Bodo Uhse [21. 1. 1956]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse. 273
ten«,190 gerecht zu werden. Tralow lud erfolglos Bodo Uhse ein. Auch bei Kantorowicz fragte Tralow um einen Vortrag in München an.191 Eine weitere Einladung erging an Wilhelm Girnus.192 Realisiert werden sollte schließlich Anfang 1956 eine Veranstaltung mit Alfred Kantorowicz. Nach der anfänglich auf eigenmächtiges Handeln ausgerichteten Initiative schien Tralow nun doch zur Zusammenarbeit mit dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West bereit; er signalisierte Uhse Kooperationsbereitschaft: »Wenn ich nicht von vorneherein die Sache unter der Firma unseres Zentrums gestartet habe, so liegt es daran, daß ein Vorstandsbeschluß vorliegt, der die Zustimmung des Vorstands vorsieht.«193 Offenbar hatte Uhse seine Unterstützung zugesagt: »Wir sind bereits zwei und die dritte Zustimmung werden Sie zweifellos ohne weiteres finden. […] [D]ie Einladung wird vom ›Arbeitskreis‹ einerseits zusammen mit dem ›Deutsches P.E.N.Zentrum Ost und West (Sitz München)‹ […] erfolgen.«194 Tralows Abkoppelung von der Arbeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West schien damit einem neuerlichen konstruktiven Zusammenwirken gewichen.
5.3
Die »Phase der Verteidigung« beendet, den »Angriff begonnen«195 : Etablierung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf internationaler Ebene
5.3.1 Im Vorfeld des 26. internationalen P.E.N.-Kongresses in Amsterdam (20.–26. 6. 1954) Durch die dargestellten Umorganisationen, Kompetenzstreitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten, die die Jahre 1953/54 prägten, war das Deutsche P.E.N.Zentrum Ost und West nicht lahm gelegt – auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag. Ungeachtet der organisatorischen Querelen entfaltete das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West, maßgeblich vorangetrieben durch den geschäftsführenden Präsidenten Johannes Tralow, in der zweiten Jahreshälfte 1953 eine rege Aktivität. Wie der internationale Vize-Präsident, Robert Neumann, geraten hatte, begann man von Seiten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf den kommenden 26. internationalen P.E.N.-Kongress in Amsterdam (20.–26. Juni 1954) hinzuarbeiten. Das in den Jahren 1951 bis 1953 dominierende Bestreben, sich gegen tatsächliche oder als solche empfundene Angriffe 190 191
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Johannes Tralow an Bodo Uhse [4. 2. 1956]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse. Vgl. Johannes Tralow an Bodo Uhse [2. 1., 4. 2. und 18. 2. 1956]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse. Johannes Tralow an Wilhelm Girnus [25. 1. 1956]. SBBPK NL Tralow K 32 Konv. Girnus. Johannes Tralow an Bodo Uhse [18. 2. 1956]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse. Johannes Tralow an Bodo Uhse [18. 2. 1956]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse. Johannes Tralow: Geschäftsbericht für die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 22./23.3.1955 in Hamburg [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1955/GV März 1955/Eine Rede von 1–8, hier 7.
von westdeutscher Seite zur Wehr setzen zu müssen bzw. eigene Attacken gegen die »Abtrünnigen« zu lancieren, wurde abgelegt. Die (Re)etablierung als eigenständiges P.E.N.-Zentrum war abgeschlossen. Nun galt es, sich als funktionierendes und aktives Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West auch auf der internationalen Bühne zu präsentieren. Beinahe sämtliche Bestrebungen, die von internationaler Bedeutung waren und in den letzten Monaten des Jahres 1953 bzw. in den Anfangsmonaten von 1954 angegangen worden waren, kumulierten in ihrem Ergebnis auf dem Amsterdamer Kongress. Mit dem gleichgerichteten Ziel der Profilierung des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West im Internationalen P.E.N. engagierten sich Bertolt Brecht und Johannes Tralow in der zweiten Jahreshälfte 1953, um Berlin als Tagungsort für den internationalen P.E.N.-Kongress im Jahr 1955 zu propagieren. Ursprünglich beworben hatte sich Israel mit Tel Aviv; Tralow schien jedoch eine gesicherte Einreise aller P.E.N.-Mitglieder nicht gewährleistet. In Gesprächen mit dem französischen Generalsekretär, Jean de Beer, auf dem Kongress in Dublin war Tralow in der Idee bestärkt worden, Berlin als Tagungsort vorzuschlagen. Eine Bewerbung Berlins setzte jedoch die uneingeschränkte Unterstützung des Vorhabens durch die Regierung der DDR voraus und so nahmen Brecht und Tralow Anfang Juli 1953 die Verbindung mit dem Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl, auf, um dessen Stellungnahme zu erbitten.196 Schließlich musste die »freie Ein- und Ausreise sämtliche[r] Mitglieder[ ] des Internationalen P.E.N.-Clubs für den etwaigen P.E.N. Kongress in Berlin«197 im Voraus zugesichert sein. Grotewohl gab den Sachverhalt weiter an Paul Wandel, Leiter der Koordinierungsstelle für Unterricht, Wissenschaft und Kultur bei der Regierung der DDR.198 Wandel führte mit Brecht ein persönliches Gespräch, in dessen Verlauf deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, dass »von Seiten der DDR […] keine Bedenken gegen die Durchführung einer Tagung«199 bestünden. Gleichwohl machte man deutlich, »dass von der Regierung erst eine offizielle Äusserung gegeben werden kann, wenn ein entsprechender Antrag des P.E.N. Clubs vorliegt.«200 Brecht wertete das Gespräch im Grundtenor positiv, setzte jedoch Akzente: »Die Regierung scheint interessiert, jedoch wäre es sehr gut, wenn man einen Versuch unternehmen könnte, PEN-Club-Mitglieder aus den Volksdemokratien für diesen Kongress zu mobilisieren. Das würde es für die
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Vgl. Bertolt Brecht und Johannes Tralow an Otto Grotewohl [2. 7. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 1282/19–20. Bertolt Brecht und Johannes Tralow an Otto Grotewohl [2. 7. 1953]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 1282/19–20, hier 1282/20. Vgl. Otto Grotewohlan Bertolt Brecht[9. 9. 1953].SAdK Berlin,Bertolt Brecht-Archiv 1282/10, sowie Heinz Willmann an Johannes Tralow [4. 9. 1953]. SBBPK NL Tralow K 58 Konv. Willmann. Heinz Willmann an Johannes Tralow [4. 9. 1953]. SBBPK NL Tralow K 58 Konv. Willmann. Heinz Willmann an Johannes Tralow [4. 9. 1953]. SBBPK NL Tralow K 58 Konv. Willmann. 275
DDR sehr viel leichter machen, allen PEN-Mitgliedern die Einreise zu ermöglichen.«201 Für das Vorhaben des P.E.N.-Zentrums begann man sich auch von Seiten der Abteilung Kunst, Literatur und kulturelle Massenarbeit beim ZK der SED zu interessieren; man lud den Parteifunktionär Alexander Abusch Anfang des Jahres 1954 zu einer Aussprache »über die Arbeit des PEN, die nächsten Aufgaben insbesondere in Bezug auf die Berliner Konferenz« – mit der Bitte, »diese Einladung absolut vertraulich zu behandeln.«202 Etwaige Ergebnisse der Aussprache sind im vorliegenden Quellenmaterial nicht aufzufinden. Aufgegriffen wurde das Vorhaben durch das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West erst wieder auf der Generalversammlung 1954. Dort thematisierte Tralow noch einmal die ausstehende Entscheidung über einen Kongressort für das Jahr 1955: »Das alles scheint mir nicht so schlimm zu sein wie gerade Israel. Keiner von uns würde da reinkommen. Nun wäre es eine Möglichkeit, daß wir – dann müßte man den Brief auf den Tisch des Hauses in London hinhauen – uns bemühen, nach Berlin einzuladen und wenn es sein muß, in den demokratischen Sektor.«203 Der zum Schatzmeister des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West berufene Bodo Uhse signalisierte daraufhin die Verbindungsaufnahme mit dem Ministerium für Kultur, um die Zusage für notwendige Einreisegenehmigungen zu erlangen. Als Befürworter eines in Ost-Berlin ausgerichteten Kongresses zeigte sich Brecht.204 Die Versammlung beschloss jedoch, auf Ost- und West-Berlin ausgerichtet, »gleichlautende Schreiben zu richten an a) b) c) d)
Minister der Deutschen Demokratischen Republik Minister der Bundesrepublik den Hohen Senat von Berlin den Oberbürgermeister von Groß-Berlin.«205
Auf der folgenden Tagung des internationalen Exekutivkomitees in London (7. April 1954) wurde von Johannes Tralow, der das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West dort vertrat, Berlin als Kongressort schließlich nicht vorgeschla-
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Bertolt Brechtan JohannesTralow [29. 8. 1953].SBBPK NL Tralow K 39 Konv. Brecht. ZK der SED (Abteilung Kunst, Literatur und kulturelle Massenarbeit) an Alexander Abusch [6. 1. 1954]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 303. Wortbeitrag von Johannes Tralow. In: Protokoll über die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 4. und 5. März 1954 in Berlin [15. 3. 1954; erstellt von Gertrud Lipke]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1954/ GV März 1954/Protokoll 1–19, hier 10. Vgl. Protokoll über die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 4. und 5. März 1954 in Berlin [15. 3. 1954; erstellt von Gertrud Lipke]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1954/GV März 1954/Protokoll 1–19, hier 10. Protokoll über die Generalversammlungdes Deutschen P.E.N.-ZentrumsOst und West am 4. und 5. März 1954 in Berlin[15. 3. 1954;erstellt von Gertrud Lipke].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1954/GV März 1954/Protokoll 1–19, hier 10.
gen, obgleich die Kontaktaufnahme mit den betreffenden Regierungsstellen positiv beantwortet worden war.206 Ein Blick auf die Interna macht noch einmal die prekäre Situation in der Führungsriege des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West deutlich: Zwischen Berlin und München hatte nach Bodo Uhses Wahl zum Schatzmeister ein unterdrücktes Kompetenzgerangel begonnen. Bislang hatte Tralow aus dem Osten wenig Nachricht erhalten. Die weitestgehende Passivität von Seiten der DDR-Vertreter hatte ihm viele Freiheiten gewährt; er konnte beinahe ungestört schalten und walten. Mit dem Einsatz des kulturpolitisch rührigen Bodo Uhse erwuchs ihm aber ein Gegenpol. Es gab nun Aktivität – aber wenig Information: »Nachrichten erhalte ich nicht, und das ist ein wenig mißlich. Entschlüsse muß ich fassen, und es könnte sein, daß sie wenig fundiert wären, weil ich von den tatsächlichen Geschehnissen nichts weiß.«207 Tralow sah sich dennoch in der Position des Verantwortlichen, gerade in der Frage des Kongresses in Berlin. Zur Debatte stand die Teilnahme an der entscheidenden Exekutive in London. Die Generalversammlung hatte in der Annahme, dass zwei Delegierte zu entsenden seien, Brecht und Tralow bestimmt. Mitte März teilte Tralow mit, dass nur ein Delegierter für London zugelassen sei. Tatsächlich war Tralow einer irrigen Annahme aufgesessen; er bat inständig um eine Entscheidung in der Sache und eine Mitteilung über den Stand der Verhandlungen wegen des Kongressortes Berlin. Gleichzeitig aber griff er implizit die scheinbare Inaktivität der Vorstandskollegen an: Man kann aber nicht dauernd dem Frieden Liebeserklärungenmachen, und dann Friedensarbeit verweigern. Auf dem sehr wichtigen literarischen Sektor gibt es nur eine wirksame Friedensarbeit, und das ist die P.E.N. Arbeit. Wer Friedensarbeit verweigert, arbeitet für den Krieg. […] Wer dauernd seinen Friedenswillen betont, muß auch dem P.E.N. dankbar sein, daß er diese letzte Möglichkeit unter allen Umständen gewährt.208
Hatte Tralow beabsichtigt, Brecht und Uhse anzustacheln, so war ihm das gelungen. Allerdings erhielt er auch die Quittung für seinen Angriff. Brecht mahnte zur Vorsicht; man müsse »zunächst einmal in London sozusagen das Klima ab[ ]schätzen.«209 Zugleich stellte er eine deutliche Forderung: Berlin dürfe nur zum Vorschlag gebracht werden, wenn als sein Vertreter Uhse nach London mitreisen dürfe: »Andernfalls ist Herr Brecht der Meinung, daß die Frage Berlin in London nicht gestellt werden kann.«210 Uhse zeigte sich enttäuscht über Tralows Brief; »[e]s gibt darin Dinge, die ich platterdings nicht verstehe, eine aggressive
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Vgl. Johannes Tralow und Bertolt Brecht an Johannes R. Becher [Minister für Kultur] [8. 3. 1954]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 14/37–38, sowie Bodo Uhse an Johannes Tralow [26. 3. 1954]. SBBPK NL Tralow K 55 Konv. Uhse. Johannes Tralow an Bodo Uhse [20. 3. 1954]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse. Johannes Tralow an Bodo Uhse [20. 3. 1954]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse. Bodo Uhse an Johannes Tralow [26. 3. 1954]. SBBPK NL Tralow K 55 Konv. Uhse. Bodo Uhse an Johannes Tralow [26. 3. 1954]. SBBPK NL Tralow K 55 Konv. Uhse. 277
Schärfe, wie sie zwischen Kollegen, die sich dem gleichen Ziele verpflichtet fühlen nicht üblich ist«211 . Dennoch deutete er seine Gesprächsbereitschaft an. Uhse trat schließlich selbst von der Teilnahme zurück, weil die Ausfertigung der Reisepapiere zu lange dauern würde, bat aber in vermuteter Übereinstimmung mit dem abwesenden Brecht, »die Frage Berlin in London nicht zu stellen oder höchstens zu versuchen, sie in der Schwebe zu lassen«212 . Offenbar war von Seiten der DDR-Regierung eine endgültige Entscheidung noch immer nicht gefällt worden.213 Tralow gab sich durchaus kooperativ und bedauerte, dass Uhse die Reise nicht antreten konnte. Wegen des Kongresses in Berlin zeigte er sich mit Brecht und Uhse einig: »Was nun das Projekt Berlin anbelangt, so bin ich durchaus ihrer Meinung […]. 1955 käme überhaupt nicht mehr in Frage.«214 In der Diskussion um den Kongressort auf der Exekutivkomitee-Tagung meldete sich Tralow nicht zu Wort. Tel Aviv wurde wegen der hohen Reisekosten für die Mitglieder abgelehnt, Robert Neumann überbrachte die Einladung des österreichischen P.E.N.-Clubs für eines der kommenden Jahre.215 Tatsächlich fand der internationale P.E.N.-Kongress 1955 in Wien statt. Das Vorhaben, das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West mit der Ausrichtung eines internationalen P.E.N.Kongresses nach vorn zu bringen, war gescheitert. Erstes und wichtigstes Ziel für die Teilnahme am internationalen P.E.N.Kongress in Amsterdam war die Zusammenstellung einer repräsentativen Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Tralow fürchtete, wiederum allein einer großen Gruppe des bundesdeutschen P.E.N. gegenüber zu stehen: »Zweimal habe ich die Schlacht durchgestanden, während der Minister Kaiser in Bonn vom Zentrum (Bundesrepublik) bis zu 16 Männlein und Weiblein schickte. Wie viele werden es erst sein bei der Nähe von Amsterdam zu Westdeutschland.«216 Tralow betonte, »daß ein größeres Aufgebot aus der DDR erscheinen muss.«217 Einer freundlichen Aufnahme durch den internationalen Kongress war Tralow durch Robert Neumann versichert worden.218 In der Folge verwandte Tralow viel Energie auf die Mobilisierung der Schriftsteller aus der DDR und betonte vor allem die generelle Bedeutung der internationalen Tagungen: [Es] entsprichtnicht der anerkannt bedeutsamenStellung unseresZentrums als Brücke zwischen Ost und West, auch fernerhin nur durch ein einziges Mitglied als offiziellen Delegiertenvertretenzu sein. Man hat aus der internationalenLeitungheraus den herz211 212 213 214 215
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Bodo Uhse an Johannes Tralow [26. 3. 1954]. SBBPK NL Tralow K 55 Konv. Uhse. Bodo Uhse an Johannes Tralow [3. 4. 1954]. SBBPK NL Tralow K 55 Konv. Uhse. Vgl. Bodo Uhse an Johannes Tralow [3. 4. 1954]. SBBPK NL Tralow K 55 Konv. Uhse. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [3. 4. 1954]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Brecht. Condensed Minutes of Meeting of Executive Committee [London] [7. 4. 1954], S. 2. P.E.N.-Archiv London. Johannes Tralow an Arnold Zweig [20. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Zweig. Johannes Tralow an Robert Neumann [8. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Vgl. Robert Neumann an Johannes Tralow [15. 9. 1953]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann, Robert. Vgl. auch Johannes Tralow an Alexander Abusch [o. D.]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 294.
lichen Wunsch geäußert, daß besonders auch unsere Mitglieder aus der DDR auf dem Kongreß erscheinen möchten und versichert, daß alle einer freundschaftlichen Aufnahme gewiß sein dürfen. Sehr erwünscht ist auch das Erscheinen zu uns gehöriger Damen, auch wenn sie nicht persönlich unsere Mitglieder, sondern Familienangehörige unserer Mitglieder sind.219
Besonderes Bemühen erforderte es, den Präsidenten Bertolt Brecht zu einer Teilnahme zu bewegen. »Fuchsteufelswild«220 über die vorangegangenen Schwierigkeiten bei der Erlangung eines Visums für Dublin, hatte Brecht eine Reise nach Amsterdam kategorisch abgelehnt. Mit unnachgiebiger Eindringlichkeit versuchte Tralow, Brecht vom international mit Spannung erwarteten Kongressbesuch zu überzeugen: »Sie wissen wer Sie sind, und wir alle wissen es auch. Im Interesse unseres Zentrums wäre es mir schmerzlich, Sie in Amsterdam nicht zu sehen.«221 Im Hinblick auf Brecht dürfte Tralow vor allem repräsentative Zwecke im Blick gehabt haben, gegenüber dem Kulturfunktionär und P.E.N.-Mitglied Abusch überwogen in der Argumentation die strategischen Aspekte: »Der XXVI. Kongress in Amsterdam ist insofern für uns von Wichtigkeit, weil unser Zentrum dort eine Resolution gegen Vertragsbruch aus politischen Gründen, gegen jeglichen Boykott und Unterstützung von Boykottbestrebungen beantragen wird.«222 Die Bemühungen um zahlreiche Teilnahme am internationalen Kongress waren letztlich erfolgreich: Anfang April konnte Tralow an den Präsidenten des niederländischen P.E.N.-Zentrums, Victor E. van Vriesland, eine stattliche Teilnehmerliste des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West vermelden. Anreisen sollten der Präsident Bertolt Brecht, darüber hinaus Wieland Herzfelde, Erich Arendt, Stefan Heym, Günter Hofé, Peter Huchel, Victor Klemperer, Hans Mayer, Jan Petersen, Ludwig Renn, Anna Seghers, Wilhelm Girnus, Bodo Uhse, Arnold Zweig, Kuba und Erwin Strittmatter.223 Damit hatten sich ausschließlich DDR-Autoren zur Teilnahme angemeldet. Um eventuellen Schwierigkeiten bei der Erlangung von Visa vorzubeugen, hatte Tralow frühzeitig alle Register gezogen. Er kümmerte sich um eine zeitige Antragstellung, nahm mit den Verantwortlichen des niederländischen P.E.N. in dieser Hinsicht Verbindung auf224
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Johannes Tralow an Wieland Herzfelde [17. 1. 1954]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2155. Johannes Tralow an Robert Neumann [8. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [2. 10. 1953].SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Brecht. Johannes Tralow an Alexander Abusch [o. D.]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 294. Vgl. Johannes Tralow an Victor van Vriesland [10. 4. 1954]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Vriesland. Vgl. Johannes Tralow an Victor van Vriesland [4. 12. 1953]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Vriesland. 279
und bat auch Carver und Neumann um Hilfe.225 Von Seiten des niederländischen P.E.N.-Clubs wurde Tralow positive Erledigung der Visafrage signalisiert. Dass der DSV im Mai 1954 ebenfalls an Victor van Vriesland herantrat, um Unterstützung in der im Grunde geklärten Visa-Angelegenheit zu erbitten, muss auf diesen mehr als sonderbar gewirkt haben.226 Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West nahm jedenfalls erstmals mit einer größeren Gruppe an einem Kongress des Internationalen P.E.N. teil. Im Programmheft des Kongresses sind Brecht und Tralow als offizielle Delegierte, Anna Seghers als Ehrengast vermerkt. Von den Mitgliedern erschienen nach der dort abgedruckten Teilnehmerliste Erich Arendt mit Frau, Stephan Hermlin mit Frau, Günter Hofé, Hans Mayer, Peter Huchel, Eugen Rugel, Hans Schwalm [d. i. Jan Petersen], Erwin Strittmatter und Arnold Zweig mit Frau Beatrice.227 Im Vorfeld des Kongresses engagierte sich Tralow jedoch nicht nur für die Mobilisierung der eigenen Mitglieder aus dem Osten. So wie Neumann es ihm in seinen Briefen empfohlen hatte, trat er für eine Stärkung des östlichen Flügels im Internationalen P.E.N. ein; er bemühte sich um die Reaktivierung der osteuropäischen P.E.N.-Zentren sowie die Neugründung einer chinesischen Sektion und arbeitete zugleich an der Vorbereitung zur Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in den Internationalen P.E.N.-Club. Anfang November 1953 nahm Tralow den Kontakt mit den P.E.N.-Zentren von Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und der Tschechoslowakei auf.228 Die Resonanz auf seine Initiative fiel mäßig aus. Das polnische Zentrum reagierte rasch mit einer Zusage der Teilnahme am Kongress,229 Anfang 1954 schien auch das Erscheinen der ungarischen Sektion so gut wie sicher.230 Von Seiten der internationalen Zentrale signalisierte Neumann »Sympathie und Mitarbeit«231 ; er hatte in dieser Hinsicht ein positives Gespräch mit Carver geführt und erwartete auch von der Vizepräsidentin Storm Jameson im internationalen Führungsgremium Unterstützung für das Vorhaben. Als Gegner solcherlei Bestrebungen 225
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Vgl. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [2. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Brecht. Vgl. auch Johannes Tralow an Robert Neumann [16. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Vgl. Gustav Just an Victor van Vriesland [11. 5. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 132, sowie Victor van Vriesland an Bodo Uhse [15. 5. 1954]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 367, Bl. 123. Vgl. Program 26th International Congress of the P.E.N. Amsterdam 1954, June 20th – 26th . P.E.N.-Archiv London. Vgl. auch P.E.N.-Klub Deutschsprachiger Autoren im Ausland. Mitteilungsblatt 5 (Ende September 1954), S. II. Johannes Tralow an Jan Pandarowksi [7. 11. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Pandarowski. Das Schreiben ging u. a. auch an Dora Gabé [Bulgarischer P.E.N.] und Jirina Tumová [Tschechoslowakischer P.E.N.]. Vgl. Johannes Tralow an Robert Neumann [5. 12. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Vgl. Johannes Tralow an Robert Neumann [16. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Robert Neumann an Johannes Tralow [24. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann.
sah Neumann lediglich den Vizepräsidenten Denis Saurat, »der allerlei Opposition machen wird, aber er hat keinerlei Anhang.«232 Unmittelbar vor dem Amsterdamer Kongress konzentrierte Tralow seine Bemühungen noch einmal darauf, die osteuropäischen P.E.N.-Zentren für die Teilnahme am bevorstehenden internationalen Kongress zu motivieren. Den Einsatz für die Integration der sowjetischen Schriftsteller in den Internationalen P.E.N. stellte Tralow als bedeutsames, gemeinsames Ziel in den Vordergrund: Es scheint uns notwendig zu sein, daß alle Zentren, die für eine Neutralisierung des Internationalen P.E.N. Clubs sind, angesichts der entscheidenden Wichtigkeit dieser Angelegenheit im Exekutiv-Komitee erscheinen und natürlich auch auf dem Kongreß. Einreiseschwierigkeiten dürfte es nicht geben. Unseren Mitgliedern aus der DDR hat man sie […] grundsätzlich gewährt.233
Wenige Tage vor dem Kongress erhielt Tralow ein eindeutig positives Signal aus Ungarn. Mózes Rubinyi, Präsident des ungarischen P.E.N.-Clubs, antwortete: »Wir wollen hoffen, dass unsere Leute mit den Ihrigen, im Sinne des echten P.E.N.-Ideals, eine große Arbeit in Amsterdam verrichten werden.«234 Einen Teilerfolg konnte Tralow somit verbuchen. In Amsterdam erschienen tatsächlich Vertreter des ungarischen, polnischen und tschechoslowakischen P.E.N.-Clubs.235 Die singuläre Reaktivierung von P.E.N.-Zentren aus der östlichen Machtsphäre wurde im nachfolgenden Bericht des internationalen Generalsekretärs durchaus positiv vermerkt. Carver lobte uneingeschränkt die Atmosphäre des Kongresses; »this was one of the friendliest meetings […] in the whole history of the association.« Und weiter: »It was more truly international in character than often before in recent years in that the East European centres sent delegates.«236 Auch von Hans Flesch, Vertreter des P.E.N.-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland, wurde der Verlauf des Kongresses rundum positiv bewertet: »Der […] diesjährige Kongress […] hat zwar im Anfang ein wenig bedrohlich gewirkt, hat sich aber gegen Ende in ungeahnter Weise als Kongress der Annäherung erwiesen. […] Der Geist der Versöhnlichkeit, der seit einiger
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Robert Neumann an Johannes Tralow [24. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Johannes Tralow an Mózes Rubinyi [Präsident des ungarischen P.E.N.-Clubs] [29. 5. 1954]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Rubinyi. Das Schreiben ging auch an Dora Gabé [Präsidentin des bulgarischen P.E.N.-Clubs]. SBBPK NL Tralow K 32 Konv. Gabé. Mózes Rubinyi [Präsident des ungarischen P.E.N.-Clubs] an Johannes Tralow [8. 6. 1954]. SBBPK NL Tralow K 52 Konv. Rubinyi. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held at the Carlton Hotel, Amsterdam Holland, June 20th 1954, S. 1f. P.E.N.-Archiv London. Vgl. auch P.E.N.-Zentrum deutscher Autoren im Ausland. Mitteilungsblatt 5 (Ende September 1954), S. II. David Carver: Report on the XXVIth International Congress June 20th–26th, 1954: Amsterdam. In: [o. A.], S. 11–18, hier S. 11. P.E.N.-Archiv London. 281
Zeit aus dem Osten herüberweht, macht sich auch in Amsterdam [durch die Teilnahme einiger Ost-Zentren] bemerkbar […].«237 In die Vorbereitungsphase von Amsterdam fiel auch die reguläre Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Zu dieser Tagung, die am 4./5. März 1954, »zum ersten Mal innerhalb der DDR, und zwar im demokratischen Sektor von Berlin« stattfand, hatte man mit Nachdruck geladen: »Da internationale Fragen im weiten Ausmass zu besprechen sind, wird um Ihr Erscheinen dringend gebeten.«238 Administrativ veränderte sich wenig: Brecht, Tralow und Burgmüller blieben im Amt; Uhse übernahm die Funktion des Schatzmeisters. Die Zuwahlen sollten das Mitgliederverhältnis zugunsten des Westens ausgleichen: Laut Tralow kamen von den insgesamt 43 Mitgliedern 19 aus dem Westen, die übrigen 24 aus dem Osten.239 Zugewählt wurden 1954 acht neue Mitglieder, von denen sechs schließlich ihre Wahl annahmen. Mit Dinah Nelken, Robert Jordan, Karl Saller und Ernst Schoen konnte man vier Mitglieder aus dem Westen gewinnen. In der DDR ansässig waren Carl Friedrich Weiskopf und Max Zimmering.240 Gleichwohl weist der Mitgliederstand des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West starke Unregelmäßigkeiten auf. Eine unmittelbar nach der Generalversammlung 1954 erstellte Liste führt insgesamt 56 Mitglieder auf. Offenbar war Tralow sich zum Zeitpunkt der Generalversammlung über den Ist-Zustand selbst nicht hundertprozentig im Klaren.241 Inhaltlich lag dem geschäftsführenden Präsidenten vor allem daran, die anwesenden Mitglieder für die Situation im Internationalen P.E.N. zu sensibilisieren. Tralow schwor die Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf das gemeinsame Ziel ein, »uns davon abzuhalten, der amerikanischen Kriegshetze als Opfer zu verfallen«242 . Zwar gebe es solche Tendenzen unter 237
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P.E.N.-Zentrum deutscher Autoren im Ausland. Mitteilungsblatt 5 (Ende September 1954), S. If. Johannes Tralow an Alexander Abusch [8. 2. 1954]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Abusch. Vgl. Ausführungen von Johannes Tralow. In: Protokoll über die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 4. und 5. März 1954 in Berlin [15. 3. 1954; erstellt von Gertrud Lipke]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/1954/GV März 1954/Protokoll 1–19, hier 2. Vgl. Protokoll über die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 4. und 5. März 1954 in Berlin [15. 3. 1954; erstellt von Gertrud Lipke]. P.E.N.Archiv (Ost) PEN-Club/1954/GV März 1954/Protokoll 1–19, hier 14–17. Vgl. weiterhin [o. V.]: Mitgliederliste vom Stand 15. März 1954, ausgefertigt auf Grund des Beschlusses der Generalversammlung vom 4. März 1954 Deutsches P.E.N. Zentrum Ost und West Sitz München. SBBPK NL Tralow K 85 M 8. Vgl. [o. V.]: Mitgliederliste vom Stand 15. März 1954, ausgefertigt auf Grund des Beschlusses der Generalversammlung vom 4. März 1954 Deutsches P.E.N. Zentrum Ost und West Sitz München. SBBPK NL Tralow K 85 M 8. Protokoll über die Generalversammlungdes Deutschen P.E.N.-ZentrumsOst und West am 4. und 5. März 1954 in Berlin[15. 3. 1954;erstellt von Gertrud Lipke].P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/1954/GV März 1954/Protokoll 1–19, hier 3.
den internationalen P.E.N.-Mitgliedern. Das Interesse an den Vertretern östlicher Länder sei im Internationalen P.E.N. ungeachtet dessen groß. Tralow mühte sich, den Mitgliedern die Brückenfunktion des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West bei der Verständigung zwischen Ost und West im Internationalen P.E.N. nahe zu bringen. Vergebens, so scheint es. In der von Tralow geforderten Aussprache kam niemand auf die angedeutete Erweiterung des Internationalen P.E.N. durch neu zu gründende Zentren der östlichen Machtsphäre auch nur andeutungsweise zu sprechen.243 Diskutiert wurde lediglich das Verhältnis zum bundesdeutschen P.E.N.-Zentrum. Mit einer von Bodo Uhse vorbereiteten Resolution brachte die Generalversammlung den Wunsch nach einer Wiedervereinigung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West mit dem Deutschen P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) entschieden zum Ausdruck: Die Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West […] bedauern die Tatsache, daß die politische Spaltung Deutschlands in den P.E.N. hineingetragen worden ist. Sie sind der Meinung, daß dieser Zustand den Zielen des P.E.N. abträglich ist. […] Sie erklären, alles zu tun, um die noch vorhandene Spaltung zu überwinden und verpflichten ihr neugewähltes Präsidium, in diesem Sinne zu wirken.244
Allein die Vorgehensweise bei der Normalisierung des Verhältnisses zwischen beiden deutschen P.E.N.-Zentren lag im Dunkeln: Sollte man Einladungen zu Veranstaltungen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gegenüber den Mitgliedern des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) aussprechen? Mit Skepsis sah das Münchner Mitglied Carl August Weber eine solche Praxis. Absagen seien vorprogrammiert: »Wir haben in München erlebt, daß wir vom P.E.N. eine Einladung herausgaben und die Leute kamen im Abendanzug bis zur Tür des Veranstaltungsraumes. Dort wurde ihnen dann gesagt: ›Zu den Kommunisten werden Sie doch nicht hereingehen, wir sind von der Zeitung.‹«245 Ungerührt von einer potentiellen Abfuhr empfahl Brecht als Modalität, das Gegenüber gezielt in Verlegenheit zu bringen: »Ich meine, wir sollten es zu einer Gewohnheit machen, immer wieder einzuladen und nicht von dem Gesichtspunkt aus, daß es beschämend ist, wenn man 4× einladet und es kommt keiner. Beschämend ist es für den Betreffenden. Wir müssen im Stande sein zu schreiben: ›Nach alter Gewohnheit laden wir Sie zum fünften Mal ein …‹«246
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Vgl. Protokoll über die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 4. und 5. März 1954 in Berlin [15. 3. 1954; erstellt von Gertrud Lipke]. P.E.N.Archiv (Ost) PEN-Club/1954/GV März 1954/Protokoll 1–19. Protokoll über die Generalversammlungdes Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 4. und 5. März 1954 in Berlin[15. 3. 1954;erstellt von Gertrud Lipke].P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/1954/GV März 1954/Protokoll 1–19, hier 8. Wortbeitrag von Carl August Weber. In: Protokoll über die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 4. und 5. März 1954 in Berlin [15. 3. 1954;erstellt von Gertrud Lipke].P.E.N.-Archiv(Ost) PEN-Club/1954/GV März 1954/Protokoll 1–19, hier 8. Wortbeitrag von Bertolt Brecht. In: Protokoll über die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 4. und 5. März 1954 in Berlin [15. 3. 1954; 283
Tralows Geschäftsbericht vom März 1955 machte indes darauf aufmerksam, dass der wiederholt gefasste »Aufruf zur Wiedervereinigung« keinerlei Wirkung gezeigt hatte. Deutliche Abgrenzungstendenz gegenüber dem westdeutschen Zentrum signalisierte daraufhin das Mitglied Arnold Zweig; er machte deutlich, dass man trotz vielfacher Versuche nie auf Widerhall gestoßen sei, dass im Gegenteil die Annäherungsversuche als Schwäche ausgelegt würden. Zweig beschwor das Selbstbewusstsein des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West und warnte davor, »auch nur noch einen Schritt zu machen, als ob wir jemand brauchten. ›Wir sind nicht schwach, wir sind eine Phalanx, die sich sehen lassen kann. Wir werden weiter wachsen und brauchen nicht noch Tendenzen zu zeigen, dass wir uns vereinigen.‹ «247 Zunächst aber stand der Amsterdamer P.E.N.-Kongress (Juni 1954) auf der Tagesordnung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Dort traf die starke Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West lediglich auf eine schwache Vertretung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik). Dessen Abgesandte hatten auf Artikel internationaler P.E.N.-Mitglieder, die sich kritisch mit der Rolle des deutschen Nationalsozialismus in Bezug auf die Niederlande auseinandersetzten, mit einer Absage ihrer Teilnahme am Kongress reagiert.248 Die Problematik des deutsch-deutschen Verhältnisses trat in den Hintergrund. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West arbeitete mit Nachdruck an seiner internationalen Profilierung. 5.3.2 Der Amsterdamer Erfolg: Durchsetzung einer Resolution für Verbreitungsfreiheit Die Vorstandsmitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West werteten die Teilnahme am Amsterdamer Kongress im Juni 1954 als einen großen Erfolg für ihre Sektion. Es war gelungen, aus dem Schatten der deutsch-deutschen Auseinandersetzungen herauszutreten und an der Arbeit des Internationalen P.E.N.Clubs aktiv teil zu haben. An die freundschaftliche Atmosphäre in Amsterdam erinnert sich das P.E.N.-Mitglied Hans Mayer: »Hier in den Niederlanden haben wir, als Delegierte, in keinem Augenblick, weder auf der Tagung noch gar in der niederländischen Öffentlichkeit, ein Zeichen von Ausgrenzung oder Missachtung erfahren müssen.«249 Auch der zunächst widerwillige Brecht schien die Reise zu genießen: »Niemals wieder, weder vorher, noch später, habe ich [d. i.
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erstellt von Gertrud Lipke]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/1954/GV März 1954/Protokoll 1–19, hier 7. DeutschesP.E.N.-ZentrumOst und West. VII. Generalversammlung22./23. März 1955 in Hamburg. Protokoll über die Sitzung am 22. 3. 55 um 15 Uhr [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1955/ GV März 1955/Protokoll 1–4, hier 2. Vgl. op [d. i.?]: Deutsche Autoren sagten ab. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. 6. 1954. Vgl. hierzu Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 116–128. Hans Mayer: Erinnerung an Brecht. Frankfurt am Main 1996, S. 9.
Hans Mayer] ihn so aufgeschlossen, heiter und daseinswillig erleben können wie in jenen Frühlingstagen des Jahres 1954 in Amsterdam. Auch er fühlte sich befreit und erleichtert in dieser so ganz anderen Umwelt.«250 Die Kongressteilnehmer des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West freuten sich zum einen über das breite Interesse an dem Almanach Deutsches Wort in dieser Zeit, der ein fassbares Resultat der eigenen Tätigkeit war. Anlass zur Freude war auch die Annahme einer Resolution durch den internationalen Kongress, die auf der vorausgegangenen Generalversammlung von Mitgliedern des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West diskutiert und verabschiedet worden war. Die Abfassung der Resolution lässt sich auf einen konkreten Anlass zurückführen; sie war erwachsen aus einer Initiative Tralows in der zweiten Jahreshälfte 1953. Der geschäftsführende Präsident hatte einen öffentlichen Protest des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gegen die Absetzung von Brechts Stücken an den Städtischen Bühnen Wuppertal und am Mannheimer Nationaltheater formuliert, die etwa von der Neuen Zeitung als »sehr erfreuliche Haltung«251 gelobt worden war. Die Streichung der Stücke aus den Spielplänen war in Reaktion auf die Ereignisse des 17. Juni 1953 vorgenommen worden. Insofern geriet das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West in Berührung mit den tagespolitischen Geschehnissen, die die DDR infolge der krisenhaften Gesamtsituation erschütterten. Schon der Tod Stalins im März 1953 hatte für Verunsicherung gesorgt. Ulbricht und seine Gefolgsleute verfolgten weiter einen harten Kurs zum Aufbau des Sozialismus in der DDR, der auf die wirtschaftliche, aber auch mentale Lage der Bevölkerung negativ einwirkte und schließlich in der gesamten Republik zu Streiks und Demonstrationen am 16./17. Juni 1953 und in den Folgetagen führte: Es ging nicht um die Verwirklichung einer Idee, sondern um die Realisierung einer eigenen, menschenwürdigeren Existenz. Nicht das Versprechen der Freiheit, sondern die unmittelbare Handlungsfreiheit, hier und jetzt: […] – der Drang nach elementaren Freiheiten als Unterpfand der großen, allgemeinen Freiheit, das war das bewegende Motiv […] des ganzen Volksaufstandes.252
Brutal wurde der Aufstand mit Hilfe der Sowjetarmee niedergeschlagen: Zwischen 8000 und 10000 Menschen wurden in diesen Tagen festgenommen und mindestens 50 Menschen starben. Vom Westen her sah man der gewaltsamen Niederschlagung mit hilfloser Wut zu.253 Bertolt Brecht geriet in diesem Zusammenhang unter westlichen Beschuss, weil er unter dem Eindruck der Ereignisse
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Mayer: Erinnerung an Brecht, S. 9. Zitiert nach Herbert Burgmüller an Johannes Tralow [18. 7. 1953]. SBBPK NL Tralow K 39 Konv. Burgmüller. Gerhard Beier: Wir wollen freie Menschen sein. Der 17. Juni 1953. Bauleute gingen voran. Frankfurt am Main 1993, S. 15. Vgl. Mählert, S. 75. 285
an Ulbricht, Grotewohl und Semjonow254 Briefe gerichtet hatte, die als Ergebenheitsadressen aufgefasst wurden. Brecht hatte darin seine Verbundenheit mit der Regierung zum Ausdruck gebracht, zugleich aber eine Volksaussprache über das Tempo des sozialistischen Aufbaus gefordert: Brecht hatte Stellung bezogen. In doppelter Weise, allein, das konnte die Öffentlichkeit damals noch nicht erfahren. Weil Ulbrichts Zensur nur die Tatsache mitteilen ließ, daß sich Brecht gegen die Revolte ausgesprochen hatte. Er hatte sich auch, in seinem offiziellen Brief und auch mit der Kraft seiner satirischen Gedichte, gegen die bürokratischen Verursacher der Revolte ausgesprochen. Er hatte sich zornig lustig gemacht über den stalinistischen Generalsekretär des Schriftstellerverbandes, der den Aufständischen vorwarf, sie hätten das Vertrauen der Regierung verspielt.255
An seinen Verleger Peter Suhrkamp richtete Brecht deutliche Worte der Kritik, die Regierung und Arbeiter gleichermaßen betrafen: [I]ch habe in der Nacht des 16. und am Vormittag des 17. Juni die erschütternden Demonstrationen der Arbeiter übergehen sehen in etwas sehr anderes als den Versuch, für sich die Freiheit zu erlangen. Sie waren zu Recht erbittert. Die unglücklichen und unklugen Maßnahmen der Regierung, die bezwecken sollten, überstürzt auf dem Gebiet der DDR eine Schwerindustrie aufzubauen, brachten zu gleicher Zeit Bauern, Handwerker, Gewerbetreibende, Arbeiter und Intellektuelle gegen sie auf.256
An den Arbeitern sei ihm die »Richtungslosigkeit und jämmerliche Hilflosigkeit« aufgefallen. Ihre Losungen schienen ihm »verworren und kraftlos«. Es sei die deutsche Arbeiterklasse in ihrem »depraviertesten Zustand«257 . Brecht forderte in der Folgezeit, übereinstimmend mit einem Großteil der Intellektuellen und Schriftsteller, eine Änderung in der Politik der DDR-Regierung, eine Modernisierung der DDR.258 Seine Skepsis gegenüber dem Aufstand vom 17. Juni verarbeitete Brecht in dem Gedicht Die Lösung : »Nach dem Aufstand des 17. Juni/Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands/In der Stalinallee Flugblätter verteilen/Auf denen zu lesen war, daß das Volk/Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe/Und es nur durch verdoppelte Arbeit/Zurückerobern könne. Wäre es da/nicht doch einfacher, die Regierung/löste das Volk auf/und wählte ein anderes?«259 Brechts differenzierende Betrachtung drang nicht nach Westen, wahrgenommen wurde nur sein Bekenntnis zur Regierung der DDR. Die Intendanten von Wuppertal und Mannheim reagierten mit der Streichung von Brechts Stücken. Gefordert wurde der umfassende Boykott von Aufführungen der Brecht-Werke. Brechts Dramen wurden schließlich beinahe zwei Jahre lang nicht an westdeutschen Bühnen zur Aufführung gebracht.260 Angesichts der in der DDR gerade erst vor aller Welt offen begangenen Menschen254
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Wladimir S. Semjonow war als Politischer Berater der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland tätig. Mayer: Erinnerung an Brecht, S. 13. Zitiert nach Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 107. Zitiert nach Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 107. Vgl. Knopf, S. 401. Zitiert nach Weber, S. 223. Vgl. Knopf, S. 508.
rechtsverletzungen musste der gegen die Absetzung erhobene Protest des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West unter Berufung auf die P.E.N.-Charta und die Resolution von Dublin, »die es den Mitgliedern des Internationalen P.E.N. ausdrücklich verbietet, irgendeine Unterdrückung der geistigen Freiheit im eigenen Lande schweigend zu dulden«261 , im Westen auf Unverständnis, Ablehnung und Hohn stoßen. Statt die inhumanen Maßnahmen der DDR-Regierung gegen ihr Volk zu kritisieren, stellte man sich auf die Seite eines aus westlicher Sicht liebedienerischen Staatsdichters. Die Neue Zeitung nahm den Protest zum Anlass, das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West erneut anzugreifen: Wenn sich die Intendantenvon Mannheim und Wuppertal von einem Autor distanziert haben, der sich mit der blutigen Niederwerfung der Freiheitsaktion deutscher Arbeiter vom 17. Juni solidarisch erklärte, indem er jene widerwärtige Ergebenheitsadresse an Ulbricht richtete, so ist das das genaue Gegenteil der Knebelung der geistigen Freiheit, nämlich ein selbstverständliches Bekenntnis zu ihr. Trüge dieser fragwürdige Verein den Namen ›Deutsches PEN-Zentrum Ost und West‹ zu Recht, dann hätte er gegen das unwürdige Verhalten des einstigen Arbeiterfreundes Brecht protestieren müssen, wie es von ihm auch zu erwarten gewesen wäre, daß er sich gegen die Absetzung von Brechts erster Fassung des ›Lukullus‹ in Ostberlin durch die SED-Führung wandte. Damals haben diese Kreise geschwiegen, jetzt entrüsten sie sich. Sechs Wochen zu spät, aber immerhin in einer Weise, die auch dem Einfältigsten klarmacht, was von solchen Bannerträgern der ›Freiheit‹ zu halten ist.262
Kritik kam auch von Wilhelm Sternfeld; er verwies auf das Recht jedes Bühnenleiters zur freien Gestaltung des Spielplans und stellte fest: »Das Eintreten des Herrn Tralow für Geistesfreiheit würde in PEN-Club-Kreisen gewiß höher eingeschätzt werden, wenn er und seine Kollegen auch in der Presse der Deutschen Demokratischen Republik für das Recht der freien Meinungsäußerung einträten.«263 Zu dem gesamten Sachverhalt sind einige Dinge zu bemerken, die nichts rechtfertigen oder beschönigen, nur darlegen wollen: Mit der eigenmächtigen Aktion hatte Tralow nicht eben politischen Spürsinn unter Beweis gestellt. Die bumerangartige Wirkung hätte ihm angesichts der bundesdeutschen Reaktionen auf den 17. Juni klar sein müssen. Bei seiner Entscheidung standen ihm wohl vor allem zwei Aspekte vor Augen. Einerseits sah er das Ansehen des gerade erst ins Amt berufenen Präsidenten Bertolt Brecht beschädigt und wollte dem entgegenwirken. Andererseits verstand er die Streichung der Stücke als eine Unterdrückung der geistigen Freiheit, was sie unter den gegebenen Umständen – wenn auch auf passive Weise – de facto war. Eine Protestadresse gegen die DDRRegierung wäre aus Tralows Sicht niemals in Frage gekommen, hieß doch der 261
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Resolution des 25. Internationalen Kongresses in Dublin. Zitiert nach: Was Kasimir Edschmid verschwieg. Brief des Schriftstellers Johannes Tralow (München) an die »National-Zeitung«. Abgedruckt in: Neues Deutschland (Berliner Ausgabe) 164 (16. 7. 1953). [NZ]: »Beschämend«. In: Die Neue Zeitung vom 18. 8. 1953. Wilhelm Sternfeld:Antwort an Herrn Tralow [15. 8. 1953].[o. A.]. Enthaltenin der Ausschnittsammlung des Exilarchivs FFM EB 75/177, D.I.7. 287
oberste P.E.N.-Grundsatz für ihn »Keine Staats- und Parteipolitik«. Eine Kritik an den Maßnahmen der Regierenden wäre einer konkreten Einmischung in staatsinterne Angelegenheiten gleichgekommen, der sich der P.E.N.-Club nach Tralows Meinung zu verschließen hatte. Dass er sich mit der Billigung der finanziellen Abhängigkeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West von staatlichen Einrichtungen der DDR längst auf das Terrain der Politik begeben hatte, ist jedoch Fakt. Anzumerken bleibt weiterhin, dass Brechts fortwährendes Engagement gegen die sowjetisch beeinflusste Kunst- und Kulturpolitik der Regierung, insbesondere deren stetige Reglementierungsversuche des künstlerischen Schaffens, keinerlei Eingang in die Arbeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West fand. Während Brecht in der Auseinandersetzung um die Oper Das Verhör des Lukullus (Uraufführung 12. Oktober 1951) vor allem den vermittelnden Dialog mit den Regierenden suchte, die politische Einmischung akzeptierte und zu gewissen Zugeständnissen bereit war, hatte sich im Vorfeld und in der Zeit nach den Ereignissen des 17. Juni 1953 sein Widerstand gegen die staatlichen Eingriffe in die künstlerische Produktion verstärkt und gipfelte schließlich in einer grundlegenden Kritik an der gesamten Kulturpolitik.264 Dessen ungeachtet kennzeichnete Brechts Position, wie die vieler anderer Intellektueller, eine grundlegende Zustimmung zum DDR-Staat; er »fürchtete faschistische Regression, wünschte Kontinuität in der Machtausübung, dankte den Sowjets für die garantierte Sicherheit und wollte zugleich eine offene innersozialistische Debatte – mit entschieden größeren Freiräumen für die Künstler«265 . Brecht folgte seiner Vorstellung von einem »eingreifenden Denken«, die er »durch vielfältige Aktivitäten in Verbänden und Gremien wie der Akademie der Künste und dem Schriftstellerverband einzubringen« versuchte: »Er legte Wert darauf, als Gesprächspartner von Politikern im neuen Staat gehört zu werden, und setzte darauf, dass die politische Klasse an einem Dialog mit den Künstlern interessiert war.«266 In den kurzzeitigen Diskussionsprozess über eine Erneuerung des Sozialismus, der nach den Ereignissen des 17. Juni 1953 unter den Intellektuellen der DDR in Gang gekommen war, trat Brecht aktiv ein. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West indes schien zu diesem Zeitpunkt nicht das richtige Forum für kulturpolitische Diskussionen zu sein. In der Zeit nach der Spaltung des deutschen P.E.N.-Clubs war man zu sehr mit den Auswirkungen des Kalten Krieges beschäftigt: Abgrenzung und Selbstdefinition standen im Vordergrund. Ein aktives, wirkliches Clubleben außerhalb der einmal jährlich einzuberufenden Generalversammlungen existierte nicht. Zwar wurde auf den Generalversammlungen von einzelnen Mitgliedern immer wieder der Wunsch geäußert, eine Aktivität außerhalb der jährlichen Zusammenkünfte 264 265
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288
Vgl. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 81–97 und S. 103–115. Manfred Jäger: Avantgarde im Nachtrab. Der Juni-Aufstand 1953 und die Intellektuellen in der DDR. In: DeutschlandArchiv 36 (2003) 4, S. 673–684, hier S. 678. Vgl. Knopf, S. 398.
herbeizuführen, etwa in Form von Lesungen in Ost- wie Westdeutschland.267 Auch über die Vereinzelung der Mitglieder wurde Klage geführt: »Wenn von einer Generalversammlung zur andern Generalversammlung keiner etwas vom andern erfährt, was können wir dann erreichen?«268 Lediglich von München aus schien bis 1956 eine Organisationstätigkeit in dieser Richtung eingeleitet worden zu sein.269 Private bzw. in anderen Zusammenhängen stattfindende Treffen von P.E.N.-Mitgliedern, etwa in der Ost-Berliner Akademie der Künste, spielten in der Auseinandersetzung zwischen künstlerischer Intelligenz und politischen Machthabern der DDR eine wesentlich bedeutsamere Rolle.270 Auch die Zusammensetzung der Mitgliedschaft und das grundlegende Anliegen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, die Unteilbarkeit der deutschen Literatur zu erhalten, dürfte der Auseinandersetzung mit Interna der Kulturpolitik in der DDR entgegen gewirkt haben. Die Diskussion der kulturpolitischen Restriktionen, die die Kunstschaffenden in der DDR trafen und in ihrer künstlerischen Produktion einschränkten, hemmten und hinderten, hätte der Verständigung zwischen Ost und West deutlich geschadet und westlichen Vorbehalten gegenüber dem DDR-Regime Vorschub geleistet. Vordringlich war die Zielsetzung, das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West grundlegend arbeitsfähig zu machen und auf internationalem Terrain zu etablieren. Trotz der westdeutschen Häme gegen seinen Protest unternahm Tralow Versuche, internationale Unterstützung zu erwirken. Er kontaktierte den Vertrauten Neumann: »Irgendwo ein Wort von Ihnen über den Boykott gegen Brecht, den wir alle, nämlich den Boykott, als Mitglieder des P.E.N.s nicht billigen dürfen, würde einem Manne Wohl tun, den Sie – daran zweifle ich nicht – ebenso schätzen wie ich.«271 Neumann zeigte Interesse an der Sache: Was Sie mir über eine Boykottierung Brechts schreiben, hat mich umso mehr interessiert, als ich von ihr keine Ahnung hatte. Selbstverständlich bin ich bereit, gegen sie zu protestieren – nur sollte sich so ein Protest nicht auf einen Einzelfall in einem einzelnen Lande beschränken sondern grundsätzlicher Natur sein. […] [Ein entsprechender Antrag] sollte Ihnen eine Grundlage bieten, den Fall Brecht und alle ähnlichen Fälle in Amsterdam zur Sprache zu bringen, allerdings vorausgesetzt, dass Sie Gegenan267
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Vgl. Wortbeitrag von Bodo Uhse. In: Protokoll über die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 4. und 5. März 1954 in Berlin [15. 3. 1954; erstellt von Gertrud Lipke]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1954/GV März 1954 1–19, hier 5f. Vgl. weiterhin Johannes Tralow: Bericht über die 9. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West (Sitz München) am 9. März 1956 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 44. Wortbeitrag von Elga Kern. In: Protokoll der Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 22./23. 3. 1955 in Hamburg [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1955/GV März 1955/Protokoll 1–4, hier 3. Vgl. Johannes Tralow: Bericht über die 9. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West (Sitz München) am 9. März 1956 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 44. Vgl. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 110ff. Johannes Tralow an Robert Neumann [8. 10. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. 289
schuldigungen zu beantworten bereit sind. Können Sie das, so dürfen Sie, glaube ich, einer ausführlichen Diskussion des Problems und unserer Unterstützung sicher sein. Nochmals: ich sage das ohne jede Kenntnis des Einzelfalles.272
Wiederum ließ sich Tralow von Neumanns Ratschlägen leiten. Auf der Generalversammlung im März 1954 legte er einen Resolutionsentwurf vor, der deutlich erkennbar auf dem Protest gegen die Absetzung von Brechts Stücken fußte, jedoch in Anlehnung an die internationale P.E.N.-Charta auf breiterer Basis den »Bruch von Verträgen, die der Verbreitung und der Verwertung literarischer Werke dienen«, kritisierte: Wenn er aus politischen Gründen erfolgt, ist er ein Verbrechen gegen die geistige Freiheit und damit gegen die Menschlichkeit. Desselben Verbrechen machen sich alle Privatpersonen, Parlamente und Regierungen schuldig, die aus gleichen Gründen durch Gewaltmassnahmen und Propaganda die freie Verbreitung geistiger Werke zu verhindern suchen. Druckerzeugnisse, die der Herbeiführung oder der Aufrechterhaltung eines Kriegszustandes, welcher Art er immer sein mag, oder der Rassenhetze dienen, gehören nicht zur Literatur im Sinne dieser Resolution.273
Nach ausführlicher Diskussion durch das Plenum wurden die Mitglieder Günter Hofé, Werner Ilberg und Johannes Tralow mit der Überarbeitung des Textes beauftragt;274 sie stellten im Verlauf der Generalversammlung eine verschlankte und elegantere Fassung vor, die auf dem Amsterdamer Kongress mit einer geringfügigen Änderung der Formulierung nach kurzer Aussprache einstimmig angenommen wurde: 1. The International P.E.N. Club demands freedom of circulationfor all types of literature, while deploring works which serve the inflammation of national hatred, racial discrimination or militarism. 2. The InternationalP.E.N. Club declaresthat in particulareveryobstacle placed in the way of humanist literature is an attack upon humanity, irrespective of whether this hindranceis imposed by private persons,authorities,governmentsor parliaments.275
Die Durchsetzung einer Resolution des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf einer internationalen Tagung wertete Tralow als grandiosen Erfolg. Nicht länger musste sich das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West gegen Angriffe verteidigen; es hatte, mit Blick auf das Gesamtergebnis des Amsterdamer Kongresses, eine gestärkte Position auf internationalem Terrain eingenommen:
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Robert Neumann an Johannes Tralow [3. 12. 1953]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Johannes Tralow: Resolutionsentwurf [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/1954/Resolutionsentwurf 1. Vgl. Protokoll über die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 4. und 5. März 1954 in Berlin [15. 3. 1954; erstellt von Gertrud Lipke]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1954/ GV März 1954/Protokoll 1–19, hier 9. Zitiert nach: Minutes of the Meeting of the Executive Committee held at the Carlton Hotel, Amsterdam, Holland, at 2 p.m. on Sunday, June 20th 1954, S. 8. P.EN.-Archiv London.
Auf jeden Fall kann unser Zentrum sagen: Die Schmach, die unser Zentrum durch Ablehnung der Züricher [gemeint ist Lausanne] Friedensresolution auf sich geladen hat, ist durch den Amsterdamer Sieg unserer eigenen Resolution gelöscht. […] Resolution und Almanach entfesselten sofort die niederländische Presse. Unter dicken Überschriften erfolgten die Berichte und Besprechungen. Besonders aufgeregt gebärdete sich die große sozialdemokratische Zeitung über Albert Schweitzer. Der arme, alte Mann sei von bösen Buben verlockt worden.Der DPA-Korrespondent wich einem unserer offiziellen Delegierten nicht von den Hacken, und dem entsprach die Berichterstattung der westdeutschen Presse. Die Hamburger Welt brachte einen ausgiebigen Bericht, der unbegreiflicherweise sogar richtig war. Die Mehrzahl der westdeutschen Zeitungen polemisierte zwar, aber dieses Mal nicht gegen uns, sondern gegen das Zentrum Bundesrepublik, das sich von uns an die Wand habe drücken lassen. Es war eine allgemeine Bestürzung, als man erkannte, daß die Phase der Verteidigung hinter uns lag, und wir den Angriff begonnen hatten. Dagegen verhielt sich die Presse der DDR recht unbeteiligt.276
Ganz so unbeteiligt, wie Tralow es hier scheinen ließ, verhielt sich die DDRPresse indes nicht. Für eine propagandistische Nutzbarmachung gegen die Regierung der Bundesrepublik schien die Resolution nur allzu geeignet: Es ist hier am Platze, daran zu erinnern, daß sich die Regierung unserer Republik und die deutschen Schriftsteller wiederholt an die Bonner Behörden mit der Forderung gewandt haben, die Flut der militaristischen und chauvinistischen Literatur in Westdeutschlandzu unterbindenund den humanistischenWerkenVerbreitungsfreiheit zu gewähren. Wieder und wieder jedoch wies die Adenauer-Regierung die Vorschläge zurück und unterstellteden Antragstellern,denen die Unteilbarkeitder deutschen Kultur Herzenssache ist, sie machten ›kommunistische Propaganda‹. Der Beschluß des höchsten internationalen Gremiums der Schriftsteller hat diesem ›Argument‹, das die Adenauer-Regierung lediglich als einen Vorwand für ihre ablehnende Haltung benutzte, endgültig den Boden entzogen. Gleichzeitig bestätigte der internationale PEN-Kongreß, daß die Vorschläge unserer Regierung und der deutschen Schriftsteller ein wesentlicher Beitrag zur Wahrung des Friedens und zur Verteidigung der geistigen Freiheit sind, der die Unterstützung der führenden Schriftsteller aller Kontinente verdient. Bonn aber hat sich durch seine Haltung wieder einmal in eine Situation hineinmanövriert, aus der es schwer einen Ausweg finden wird. Es ist nicht anzunehmen, daß man hier wagen wird, das Märchen von der ›kommunistischen Propagandamache‹ auch jetzt noch zu verbreiten. Man würde sich dem Gespött der ganzen Welt preisgeben.277
In der westdeutschen Presse gab es entgegen Tralows Darstellung sehr wohl kritische Töne. Den Almanach des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West betrachtete Oskar Jancke, bundesdeutsches P.E.N.-Mitglied, mit Skepsis; man könne darin »nicht ohne Befremden auch Beiträge von Mitgliedern des PENZentrums der Bundesrepublik bemerk[en]«278 . Auch Kritik an der Annahme der Resolution zur Verbreitungsfreiheit ohne jegliche Debatte durch die interna276
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Johannes Tralow: Geschäftsbericht für die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 22./23. 3. 1955 in Hamburg [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1955/GV März 1955/ Eine Rede von 1–8, hier 5 und 7. el [d. i.?]: PEN ächtet den Militarismus. Zum Beschluß des Internationalen PENKongresses in Amsterdam. In: Berliner Zeitung vom 29. 6. 1954. Oskar Jancke: Panne im PEN. In: Die Zeit 27 (8. 7. 1954), S. 4. 291
tionale Exekutive kam deutlich zur Sprache. Ein Kommentator der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fürchtete eine negative Instrumentalisierung der Entschließung im Sinne staatlicher Zensurmaßnahmen: »Es ist nicht zu verkennen, daß sie bei den bestehenden West-Ost-Spannungen zu einem politischen Instrument werden kann, die ihr unterlegte und von dem PEN-Club geforderte geistige Freiheit einzuschränken.«279 Man könne darin »freilich ebenso gut eine Maßnahme zugunsten demokratischer und humanistischer Literatur wie ein Plädoyer für die Zensur«280 sehen, so der in der Schweiz emigrierte Schriftsteller Ossip Kalenter. Es habe dann auch nicht an heftiger Kritik gefehlt, nicht so sehr durch die PEN-Kongreßteilnehmer wie durch die holländische Presse, deren führende Organe […] offen erklärten, es sei beschämend, daß der PEN-Club eine Motion von Leuten angenommen habe, in deren Ländern das freie Wort getötet worden sei und der Haß gegen das Ausland durch die Propagandalügen der Regierungen angefacht werde. Der PEN-Kongreß habe sich damit lächerlich gemacht, und die Schriftsteller der freien Welt hätten in Amsterdam nicht der Erhaltung der Freiheit gedient.281
Dass Kalenter schwerwiegende Vorbehalte gegenüber den Vertretern der östlichen Machtsphäre hegte, verdeutlicht seine exponierte Darstellungsweise des in Amsterdam erschienenen »Sowjetmenschen bzw. einiger seiner satellitischen Abarten«: »Sofern er der polnischen oder tschechischen Delegation angehörte, trug er einen schwarzen Anzug, […], indes die ostdeutsche Spezies, verkörpert durch Bert Brecht, sich mit absichtlich schäbiger Joppe und sorgfältig ungekämmten Haaren eher das simple Aussehen eines Provinzgastwirtes zu geben liebte.«282 Auch Hermann Kesten konnte nicht umhin mit Sarkasmus eine Besonderheit im Auftreten der DDR-Autoren festzustellen; sie »stimmten mit ihrer Regierung so vollkommen überein, daß sie immer nur zu zweien auftauchten, als wollte stets der eine triumphierend des andern Übereinstimmung kontrollieren.«283 Eine ähnliche Einschätzung kommentierte Hans Mayer viele Jahrzehnte später mit witziger Ironie in seinen Erinnerungen an den Amsterdamer Kongress: Übrigens schrieb einer unser literarischen Gegner, der sich nicht die Mühe machte, genauer hinzuschauen: ›Brecht hat offenbar nur in Begleitung eines staatlichen Beschatters ausreisen dürfen.‹ Da sei ein Mann in einer Lederjacke, dem man seine Funktion gut ansehen könne. In der Tat, Brecht war gern in Amsterdam zusammen
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op [d. i.?]: Deutsche Autoren sagen ab. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. 6. 1954. Ossip Kalenter: Schriftsteller unter sich. Zum XXVI. Internationalen PEN-ClubKongreß in Amsterdam. In: Rheinische Post vom 2. 7. 1954. Ossip Kalenter: Schriftsteller unter sich. Zum XXVI. Internationalen PEN-ClubKongreß in Amsterdam. In: Rheinische Post vom 2. 7. 1954. Ossip Kalenter: Schriftsteller unter sich. Zum XXVI. Internationalen PEN-ClubKongreß in Amsterdam. In: Rheinische Post vom 2. 7. 1954. Hermann Kesten: Der Club der Dichter. In Amsterdam. In: Süddeutsche Zeitung 150 (3./4. 7. 1954).
mit dem Mann mit der Lederjacke. Er gehörte nämlich als Schriftsteller zur Delegation und hieß Erwin Strittmatter.284
Dass Brecht sich in Amsterdam für die Integration der sowjetischen Autoren in den Internationalen P.E.N.-Club aussprach, wurde von den Kongressbeobachtern mit misstrauischer Skepsis wahrgenommen. In Amsterdam wurde keine Entscheidung über eine mögliche Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller getroffen, sondern lediglich eine Vertagung der Frage beschlossen. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West hatte sich indes schon seit Dezember 1953 mit der vorbereitenden Kontaktaufnahme mit den Schriftstellern der Sowjetunion befasst. Auch nach Amsterdam verstand man sich als Mittler zwischen Internationalem P.E.N. und sowjetischen Autoren.
5.4
Engagement des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West für die Aufnahme sowjetischer Schriftsteller in den Internationalen P.E.N. (1954–1956)
Kompliziert und letzthin vergeblich zeigte sich der Versuch des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West, zwischen den sowjetischen Schriftstellern und dem Internationalen P.E.N. zu vermitteln. Eine Mitgliedschaft der Schriftsteller aus der SU war von Seiten des Internationalen P.E.N. keineswegs unerwünscht; sie war jedoch trotz vielfältiger Bemühungen nicht zustande gekommen: Die bisherigen Schwierigkeiten lagen […] in der bisherigen anti-westlichen ›Linie‹: Wells hat es in Moskau mit Stalin und Gorki versucht; dann haben Ould und ich es mit Fadayew [d. i. Fadejew] und Simonow in London versucht (aber das war zur Zeit der Zdhanow Campagne), und schließlichhabe ich es noch über Michalowski versucht (der damals polnischer Gesandter in London war und sich der Sache sehr annahm) – wir haben immer ›snubs‹ einzustecken gehabt und [auf dem Züricher Kongress 1947] schliesslich beschlossen, den nächsten Zug den Russen zu überlassen.285
Tralows Start in die Vermittlungsarbeit wurde von ihm selbst wenig erfolgreich beurteilt. Zunächst hatte er persönlichen Kontakt mit dem politischen Berater der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland, Wladimir S. Semjonow, aufnehmen wollen, scheiterte aber und schien von weiterer Aktivität abzusehen: »Vielleicht hat ein anderer besseren Erfolg.«286 Als Hemmnis für den Eintritt sowjetischer Autoren in den Internationalen P.E.N. vermutete Tralow Differenzen über die Zahl der Zentren, die von den sowjetischen Schriftstellern gefordert,
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Mayer: Erinnerung an Brecht, S. 12. Robert Neumann an Johannes Tralow [24. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Vgl. auch Minutes of the Meeting of the InternationalExecutiveCommittee held at the Carlton Hotel, Amsterdam Holland, June 20th 1954. S. 12. P.E.N.-Archiv London. Johannes Tralow an Robert Neumann [5. 12. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. 293
von der internationalen Schriftstellervereinigung jedoch verweigert würden.287 Neumann sah darin kein Hindernis; das sei sicherlich zu überbrücken.288 So wenig hoffnungsfroh Tralow im Dezember 1953 geklungen hatte, seine Initiative gab er doch nicht auf. Es war ihm wenig später gelungen, den Präsidenten Brecht für die Kontaktaufnahme zu gewinnen; dieser sollte die Korrespondenz mit dem sowjetischen Schriftsteller Ilja Ehrenburg aufnehmen: »Ich halte das für besser, da ich E. zu wenig kenne und als Bürgerlicher vielleicht auch nicht so angenehm sein würde.«289 Die Initiative des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West für die Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in den Internationalen P.E.N. wurde von Neumann positiv gesehen: »Sind sie jetzt bereit, so werden sie […] von der grossen Majorität des Kongresses mit Freuden aufgenommen werden. Eine Zwischenlösung wäre vielleicht, wenn sie zunächst ›Beobachter‹ schickten. Nun, überlassen wir es also zunächst Brecht und Ehrenburg.«290 Die Dinge kamen tatsächlich in Bewegung: Ehrenburg gab die Anfrage weiter an das Sekretariat des sowjetischen Schriftstellerverbandes; dort sollte über eine Mitgliedschaft im Internationalen P.E.N. beraten werden.291 Anfang Mai 1954 konnte das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West einen ersten Vermittlungserfolg vermelden: Der Sekretär des sowjetischen Schriftstellerverbandes, Konstantin M. Simonow, hatte die Bereitschaft signalisiert, einen oder mehrere Beobachter zum internationalen Kongress nach Amsterdam zu entsenden, wenn vom internationalen Generalsekretariat eine offizielle Einladung ausgesprochen und offizielles Material über die P.E.N.-Arbeit der vergangenen Jahre übersandt werden würde.292 Tralow schien überzeugt, dass einer offiziellen Einladung der sowjetischen Schriftsteller als Gäste des internationalen Kongresses in Amsterdam nichts mehr im Weg stünde. Die Freude über das Ergebnis blieb nicht lange ungetrübt. Zwar reagierte Neumann mit Anerkennung für die Arbeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Er warnte jedoch vor einer zu erwartenden Blockade:
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Johannes Tralow an Robert Neumann [5. 12. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Vgl. Robert Neumann an Johannes Tralow [24. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Johannes Tralow an Robert Neumann [16. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Robert Neumann an Johannes Tralow [24. 1. 1954]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Vgl. Johannes Tralow an Robert Neumann [9. 3. 1954]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Vgl. Konstantin Michailowitsch Simonow an Bertolt Brecht [5. 5. 1954] [russisch]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 972/09. In englischer Sprache abgedruckt in Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held at the Carlton Hotel, Amsterdam Holland, June 20th 1954, S. 10f. P.E.N.-Archiv London. Vgl. weiterhin Johannes Tralow an David Carver [13. 5. 1954]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Carver, sowie Johannes Tralow an Robert Neumann [13. 5. 1954]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann.
[I]ch halte es durchaus für möglich, dass gewisse Leute ihre instinktive Abneigung gegen diese wichtige Verbreiterung der internationalen Basis unserer Organisation mit dem Vorwand bemänteln könnten, dass (a) eine Einladung dieser Art nur von einer Vollsitzung der Exekutive erlassen werden könnte – also nicht von dem Amsterdamer Kongress; (b) die Holländer als Einladende die Initiative zu ergreifen hätten (und sie hatten besonders betont, sie wollten alles Politische tunlichst ausschalten); und (c) tatsächlich ein alter, nach der letzten Ablehnung unseresLiebeswerbensdurch die sowjetischen Schriftsteller gefasster Beschluss vorliegt, von uns aus nichts weiter zu unternehmen, bis die Sowjetschriftsteller von sich aus sich bei uns melden. – Sie werden sehen, da wird noch mancherlei Widerstand zu überwinden sein – möglicherweise. Nun, wir werden sehen.293
Von Carver erhielt Tralow zunächst keine Antwort, dann lediglich die Zusage, Simonows Brief dem internationalen Exekutivkomitee vorzulegen; dieses tage leider erst unmittelbar vor dem Amsterdamer Kongress am 20. Juni »and there will be insufficient time to implement any decision before the Congress opens on the 21st . It is a matter that I was not informed of the Soviet Writers’ Association’s wish to attend in time to inform the International Executive Committee at the London meeting in April.«294 Eine beobachtende Teilnahme der sowjetischen Schriftsteller in Amsterdam war damit unmöglich geworden. Über die Hintergründe der Entscheidung informierte wie immer zuverlässig und inoffiziell Neumann: [Z]u meinem Bedauern [hat sich] keine Einmütigkeit für eine sofortige Einladung der russischen Schriftsteller erzielen lassen – und nur solch eine Einmütigkeit unserer kleinen Gruppe [Carver, Neumann, Storm Jameson, van Vriesland] hätte uns berechtigt, ohne vorherige Befragung der Internationalen Exekutive zu handeln. Ich persönlich hätte gedacht, dass für eine internationale Organisation wie die unsere, auf diesem immer kleiner werdenden Erdball, eine Einladung ›unpolitischer‹ gewesen wäre, als eine Nichteinladung – aber man hat mich dahin beruhigt, dass jedermann die Einladung grundsätzlich will und sich unsere Meinungsverschiedenheit lediglich auf die Prozedur beschränkt.Das wird also in Amsterdam besprochenwerden; […]. Von unserer Seite wollen wir nichts als eine völlig freundschaftliche und offene Behandlung der Frage – schliesslich haben wir uns fünfundzwanzig Jahre lang um die Mitarbeit der Russen bemüht.295
In die punktuelle Absage in der Angelegenheit der sowjetischen Schriftsteller mischten sich Missverständnisse um einen Resolutionsentwurf des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, der von Tralow eingereicht, von Carver aber in Vorbereitung des Kongresses nicht an die internationalen P.E.N.-Zentren versandt worden war. Er hatte aufgrund eines Gesprächs mit Tralow über den Inhalt der Resolution irrtümlich deren Rücknahme durch das Deutsche P.E.N.293
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Robert Neumann an Johannes Tralow [15. 5. 1954]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. David Carver an Johannes Tralow [27. 5. 1954]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Abgedruckt auch in Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held at the Carlton Hotel, Amsterdam Holland, June 20th 1954, S. 11. P.E.N.-Archiv London. Robert Neumann an Johannes Tralow [29. 5. 1954]. SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. 295
Zentrum Ost und West angenommen.296 Unter den von der internationalen Zentrale an alle Zentren versendeten Resolutionen befand sich aber eine Erklärung des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums – Grund genug für den stets misstrauischen und kampfbereiten Tralow, hinter dem vermeintlichen Angriff auf das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West eine generelle Offensive gegen den Osten zu vermuten.297 Mit der Zusicherung, dass der Text dem Kongress dennoch vorgelegt werden könne, gelang es Carver, diesen Sachverhalt zu klären. Dessen ungeachtet vermutete Tralow hinter der Entscheidung eine »Schwenkung zum Kalten Krieg hin […][:] Wenn der Internationale P.E.N. nicht universell wird […], so dürfte sein Absinken zu einem Instrument amerikanischer Kriegsvorbereitung schwerlich zu verhindern sein. […] Es fragt sich nur, ob der Kampf für den Frieden, das heißt für die Neutralisierung des P.E.N. in Amsterdam aufgenommen werden wird.«298 Tralows steten Berater Robert Neumann provozierte diese Einschätzung der Situation im Internationalen P.E.N. zu einer ausführlichen Darlegung der Kräfteverhältnisse: Ihre Vermutung, die ›Spitzengruppe‹ des P.E.N. habe eine Schwenkung zum Kalten Krieg hin vorgenommen, ist völlig abwegig. Aber es wäre eine Unaufrichtigkeit, wenn ich Ihnen verhehlen wollte, dass die Wahl Morgans zu einer gewissen Kräfteverschiebung geführt hat und der Ihnen seinerzeit erklärte Zustand heute nicht mehr statthat. Nach wie vor ist der Einfluss der amerikanischen Centren bei uns und ganz allgemein im Internationalen P.E.N. praktisch nicht – existent, erstens wegen der Unbeliebtheit der Amerikaner und zweitens, weil die dortigen P.E.N. Centren besonders ambitionslos und uninteressiert sind. Dagegen hat Carvers British-Conservative Einstellung durch die Hinzuwahl des erzkonservativen Präsidenten eine ausserordentliche Machtstärkung erfahren, und leider neigt auch Storm Jameson dieser Gruppe zu […]. Dadurch ist der Einfluss von Chamson und mir selbst vorübergehend in den Hintergrund gedrängt – wir sind natürlich keine Lämmchen und werden entsprechendreagieren – […]. Sie werden also zunächst einmal mit einer british-konservativen Ausgangssituation zu tun haben, und man versichert mir, dass man tatsächlich die Russen im P.E.N. haben wolle, aber vorsichtig und langsam. […] Ob diese mir gegebenen Zusicherungen echt sind oder nicht, wird sich erst in Amsterdam herausstellen. Die Gefahr liegt dort weder bei den in unseren Kreisen impotenten Amerikanern noch bei den offiziell vorsichtig internationalistischen Engländern, sondern darin, dass man möglicherweise die Emigrantenzentren zu einem emotionalen Appell gegen die Zulassung der Russen vorschicken könnte. Diese Emigrantenzentren bestehen fast ausschliesslich aus ausgezeichnetenLeuten, die zum Teil schon unter Franco und Hitler gelitten haben und deren Antikommunismus auf sozialdemokratischer, liberaler oder konservativer Grundlage beruht – […]. Es ist nun einmal so, dass der P.E.N. immer schon nichtfaschistischen, anti-autoritären Flüchtlingen geholfen hat, und ihr moralischer Einfluss, trotz ihrer sehr geringen Zahl ist ein grosser – beinahe ebenso gross wie der andere grosse Impuls unserer Organisation, der internationalistisch-pazifistisch ist und jedem 296
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Vgl. David Carver an Johannes Tralow [31. 5. 1954]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Vgl. Johannes Tralow an Robert Neumann [29. 5. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann, sowie Johannes Tralow an David Carver [27. 5. 1954]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Carver. Johannes Tralow an Robert Neumann [29. 5. 1953]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann.
Einfluss durch offizielle Regierungspolitiken mit dem grössten Misstrauen gegenüber steht. Die Entscheidung in Amsterdam wird also im wesentlichen davon abhängen, welcher der beiden Impulse sich als der stärkere erweisen wird: daher der […] Rat, dass Sie schon im Voraus möglichst vielen Delegierten klar machen, worum es geht.299
Unterstützung in der Angelegenheit der sowjetischen Schriftsteller hatte Tralow beim französischen Generalsekretär, Jean de Beer, gesucht.300 Beer, der gerade selbst von einer Reise nach Moskau und Leningrad zurückgekehrt war, signalisierte uneingeschränktes Interesse an einer Kontaktaufnahme: »Mon séjour en Union Soviétique m’a convaincu de l’utilité, de la possibilité, et par conséquent de la nécéssité d’avoir avec ce pays des relations normales.«301 Er mahnte Tralow jedoch zur Geduld. Möglicherweise sei, aufgrund der geringen Zeit, die für die Vorbereitung der sowjetischen Teilnahme am Amsterdamer Kongress verbliebe, eine Verschiebung der Einladung auf den Kongress in Wien im kommenden Jahr die bessere Lösung.302 Die potentielle Aufnahme eines sowjetischen P.E.N.-Zentrums in die internationale Organisation stand in Amsterdam schließlich auf der Agenda. Die Teilnehmer an der Tagung des Exekutivkomitees wurden umfassend über die Hintergründe der neuerlichen Kontaktaufnahme mit den sowjetischen Schriftstellern informiert. Die nachfolgende Diskussion streifte die Frage, ob die P.E.N.-Charta von den Schriftstellern in der SU unterzeichnet werden könne, nur am Rande. Die weitgehende Einigkeit über eine positive Grundhaltung gegenüber den sowjetischen Schriftstellern fand Niederschlag in einer mit Mehrheit angenommenen Resolution: 1. That any proposal by the Soviet writers to form a Russian Centre will be received with interest. 2. That the International Secretaryshall report upon it to the next meeting of the International Executive 3. That the International Executive will consider any Russian proposal in the context of the Charter303
Im Hinblick auf die Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in den Internationalen P.E.N. konnte Tralow bis Anfang September 1954 keine Initiativen des internationalen Generalsekretariats feststellen. Auf einer Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West beschloss man daher, dass sich Brecht »mit der Bitte um Auskunft an den sowje-
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Robert Neumann an Johannes Tralow [2. 6. 1954].SBBPK NL Tralow K 51 Konv. Neumann. Vgl. Johannes Tralow an Jean de Beer [29. 5. 1954]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Beer. Jean de Beer an Johannes Tralow [4. 6. 1954]. SBBPK NL Tralow K 40 Konv. Beer. Vgl. Jean de Beer an Johannes Tralow [4. 6. 1954].SBBPK NL Tralow K 40 Konv. Beer. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held at the Carlton Hotel, Amsterdam Holland, June 20th 1954, S. 12. P.E.N.-Archiv London. 297
tischen Kollegen Simonow wenden«304 sollte; er übernahm damit die Verantwortung in dieser Angelegenheit, die bislang in der Hauptsache von Tralow getragen worden war.305 Eine Einmischung in die Verhandlungsführung duldete Brecht nicht; er wies Tralow, der im Oktober eigenständig ein Gespräch mit Konstantin Fedin geführt hatte, deutlich in seine Schranken.306 Fedin hatte Tralow die Bereitschaft der sowjetischen Autoren zur Teilnahme am Wiener P.E.N.Kongress (1955) mitgeteilt, »sei es als ein bereits organisiertes Zentrum, sei es als Gäste«307 . Die Angelegenheit der sowjetischen Schriftsteller war Brecht eine Herzenssache: »Es liegt mir sehr viel daran, die Schriftsteller der Sowjetunion für den Internationalen P.E.N.-Club zu gewinnen.«308 Seine Prämisse, lediglich repräsentative Aufgaben zu übernehmen, wich einer Bereitschaft zur punktuellen inhaltlichen Arbeitsübernahme – jedoch ohne belegbare Folgehandlungen. Anfang November 1954 wurde klar, warum sich in der Sache nichts bewegte: Brecht hatte in keiner Richtung agiert; Carver teilte mit, dass Simonow auf ein Schreiben des Internationalen P.E.N. nicht reagiert habe.309 Das war selbstverständlich ein Affront des Internationalen P.E.N., der nach vielen Missschlägen bei Integrationsversuchen erneut Verhandlungsbereitschaft signalisiert hatte. Die ausgebliebene Reaktion der sowjetischen Autoren wirkte sich nach Tralows Empfinden auch negativ auf das Ansehen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West aus, das als Vermittler tätig geworden war: Die Lage hat sich seit Amsterdam völlig verändert, und zwar zu unseren Ungunsten. Dass unsere sowjetischen Freunde die von ihnen selbst bewirkte Einladung des Internationalen P.E.N. nicht angenommen haben, hätte wahrscheinlich schon ein ähnliches Ergebnis gehabt. Dazu kommt nun der Umstand, dass unsere sowjetischen Freunde das Schreiben des Generalsekretariats überhaupt nicht beantwortet haben, was als Beleidigung propagiert wird. Da die Universalität [des Internationalen P.E.N.] durch die sowjetische Ablehnung nicht mehr zu erhoffen ist, so liegt es seitens der Restaurateure nahe, auf diese Universalität zu verzichten (und damit auch auf die politische
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Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 7. September 1954, 14 Uhr, im Hotel Johannishof, Berlin [8. 9. 1954; erstellt von Herbert Burgmüller]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/58–61, hier 61. Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 7. September 1954, 14 Uhr, im Hotel Johannishof, Berlin [8. 9. 1954; erstellt von Herbert Burgmüller]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/58–61, bes. 61. Vgl. Bertolt Brecht an Johannes Tralow [27. 11. 1954]. SAdK Berlin, Bertolt BrechtArchiv 793/74. Johannes Tralow an Herbert Burgmüller [2. 11. 1954]. SAdK Berlin, Bertolt BrechtArchiv 793/66. Vgl. weiterhin Johannes Tralow an Robert Neumann [20. 10. 1954]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann, sowie Johannes Tralow an David Carver [22. 10. 1954]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Carver. Bertolt Brecht an David Carver [27. 11. 1954]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/75–76. Vgl. David Carver an Johannes Tralow [11. 11. 1954]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver, sowie Johannes Tralow an Bodo Uhse [15. 11. 1954]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse.
Neutralität) um sich durch Parteinahme im kalten Krieg die dadurch erhofften Vorteile zu sichern.310
Die Ursache für das Schweigen aus der Sowjetunion bleibt unklar. Weder in Brechts, noch in Tralows Korrespondenzen finden sich Gründe für den Rückzug dargelegt. Festgestellt wird von beiden lediglich der Kommunikationsstillstand. Ende November 1954 bekräftigte Brecht seinen Willen, zur Klärung dieser Angelegenheit in Korrespondenz mit Carver und Simonow zu treten.311 Belegt ist lediglich seine Kontaktaufnahme mit dem internationalen Generalsekretär,312 der Brecht, so wie Tralow zuvor, darauf aufmerksam machte, dass eine Teilnahme der sowjetischen Schriftsteller am kommenden Kongress in Wien wiederum nur auf Einladung der internationalen Exekutive möglich sein würde; dies sei bei allen Verhandlungen mit den Schriftstellern der Sowjetunion im Hinterkopf zu behalten.313 Dazu kam es jedoch offenbar nicht. In Brechts Nachlass sind keinerlei Belege enthalten, die auf eine Fühlungnahme mit den sowjetischen Schriftstellern hinweisen. Tralow hielt sich nach seiner scharfen Zurechtweisung durch Brecht in dieser Angelegenheit zunächst zurück. Erst auf einer Sitzung des internationalen Exekutivkomitees im April 1955 stand die Sache der sowjetischen Kollegen wieder auf der Agenda. Als Delegierter des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West nahm Johannes Tralow teil; er wurde nach eigenem Bekunden »an der eisigen Stimmung beinahe selbst zum Eisblock.«314 Die schottische P.E.N.-Sektion brachte einen Antrag ein, der zur Zusammenarbeit mit den Sowjets aufforderte; dieser wurde abgelehnt.315 »Etwas anderes war bei der Lage auch nicht gut möglich«,316 lautete Tralows knapper Kommentar. Am internationalen Kongress in Wien nahmen schließlich keine Beobachter aus der Sowjetunion teil, die Konstituierung eines sowjetischen P.E.N.-Zentrums schien in weite Ferne gerückt. Brechts Einsatz erscheint in dieser Hinsicht nur marginal; er konzentrierte seine Kräfte in Hinsicht auf P.E.N.-Belange schon bald auf ein anderes Projekt. 310
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Johannes Tralow: Bericht über die Sitzung des Exekutiv-Komitees am 20/21. 4. 1955 [o. D.]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 681/69. Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 26. 11. 1954 bei Bertolt Brecht [o. D.; erstellt von Herbert Burgmüller]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/78–80, hier 793/80. Bertolt Brecht an David Carver [27. 11. 1954]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/75–76. Vgl. David Carver an Bertolt Brecht [8. 12. 1954]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/84, sowie David Carver an JohannesTralow [11. 11. 1954].SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Carver. Johannes Tralow: Bericht zur Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 27./28. 3. 1957 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1957 Weimar/Bericht zur GV 1–10, hier 6. Vgl. Johannes Tralow: Bericht über die Sitzung des Exekutiv-Komitees am 20./21. 4. 1955. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 681/69. Johannes Tralow: Bericht über die Sitzung des Exekutiv-Komitees am 20./21. 4. 1955. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 681/69. 299
Die als Manko empfundene Absenz von Vertretern östlicher Nationen im Internationalen P.E.N. stand beim Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West schon auf der Generalversammlung des Jahres 1956 wiederum auf der Tagesordnung. Beklagt wurde die mangelnde Universalität des Internationalen P.E.N., die immer mehr einer einseitig ausgerichteten, deutlich antikommunistischen Ausrichtung weiche. In der Leitung des Internationalen P.E.N. sei »die latente Reaktion […] inzwischen akut geworden«317 , so Tralow. In dieser Einschätzung bestärkt sahen sich Tralow und Uhse durch die Vorkommnisse auf dem Wiener Kongress von 1955. Der internationale P.E.N.Präsident Charles Morgan hatte eine für Furore sorgende Eröffnungsrede gehalten, die einmal mehr die Frage der Mitgliedschaft sowjetischer Schriftsteller zur generellen Entscheidung über die Orientierung des Internationalen P.E.N. erhob: »[I]ch halte es für die Pflicht nicht nur der Delegierten dieses Kongresses, sondern auch der PEN-Zentren, die sie vertreten, dieses Problem zu behandeln, und zu entscheiden, in welche Richtung sich nach ihrem Wunsche unsere Organisation entwickeln soll.«318 Morgans Ausführungen rührten an jenen wunden Punkt, der die Diskussion im Internationalen P.E.N. seit Beginn des Kalten Kriegs mehr und mehr bestimmte, nämlich die Frage der (Un)Vereinbarkeit der P.E.N.-Charta mit den realen Gegebenheiten einer totalitären Diktatur. Die von Morgan geleistete Analyse der verschiedenen Standpunkte in dieser Problematik führt die Spannbreite der Auslegungsmöglichkeiten dar und demonstriert zugleich eindringlich die Unversöhnlichkeit einer absoluten und relativen Auslegung der Charta. Die Vorstellung jener »liberal gesinnten Internationalisten[, die anführen], es sei wünschenswert und im Einklang mit unseren Prinzipien, mit kommunistischen Schriftstellern zusammenzukommen und mit ihnen zu debattieren, in der Hoffnung, diese könnten sich, in einem Geiste allgemeiner Versöhnlichkeit, unsere gemeinsame Grundlage der Gesinnungs- und Meinungsfreiheit ehrlich zu eigen machen«319 , schien Morgan arglos; es hieße »den Optimismus bis zur Naivität treiben.«320 Demgegenüber stünden selbstredend jene, »die überzeugt sind, der PEN sei gegründet worden und bestehe weiter, um ganz bestimmte Prinzipien zu verkünden und zu wahren, er würde aufhören, der PEN zu sein, und würde zu einer anderen Organisation werden,
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Johannes Tralow: Bericht über die 9. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West (Sitz München) am 9. März 1956 [o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) PENClub/GV März 1956/Bericht über die GV 1–2, hier 1. Charles Morgan: Das Dilemma des Schriftstellers.Ansprache zur Eröffnungdes Internationalen P.E.N.-Kongresses in Wien am 13. Juni 1956. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 690/2, S. 3. Charles Morgan: Das Dilemma des Schriftstellers.Ansprache zur Eröffnungdes Internationalen P.E.N.-Kongresses in Wien am 13. Juni 1956. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 690/2, S. 3. Charles Morgan: Das Dilemma des Schriftstellers.Ansprache zur Eröffnungdes Internationalen P.E.N.-Kongresses in Wien am 13. Juni 1956. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 690/2, S. 3.
wenn er diese Prinzipien aufgäbe.«321 Die dritte Position, jene der Kommunisten bzw. den Kommunisten nahe Stehenden, befürworte natürlich eine Aufnahme möglichst vieler kommunistischer Zentren, bei der – gemäß den Spielregeln des Kalten Krieges – eine Majorisierung des P.E.N. zu befürchten stünde.322 Vor dieser Folie stellte Morgan einen angesichts der Charta berechtigten, gleichwohl rhetorischen Fragenkatalog auf, der implizit die Aufnahme weiterer kommunistischer Zentren negierte, letztlich aber grundsätzlich die Mitgliedschaft kommunistischer Zentren in Frage stellte. Zwar gab sich Morgan liberal, überließ die Antwort den P.E.N.-Mitgliedern. Das ans Ende der Rede gestellte Credo ließ über seine eigene Entscheidung jedoch keinen Zweifel zu: Ich persönlich weiss ganz genau, dass ich, solange ich Präsident des PEN Clubs bin, nichts unternehmen werde, was gefährden könnte, was ich für seine grundlegenden Prinzipien halte. Zu den wichtigstendieser Prinzipien gehört es aber, dass Schriftsteller, die Flüchtlinge vor der Tyrannei sind, Anspruch haben, von uns geschützt, und dass Schriftsteller, die Werkzeuge der Tyrannei sind, nicht beanspruchen können, von uns aufgenommen zu werden.323
Die solchermaßen provokante Eröffnungsrede des internationalen P.E.N.Präsidenten, die selbstredend entsprechende Resonanz in der Presse erfuhr, sorgte bei allen Kongressteilnehmern für Unruhe. Die Kommunisten und jene, die dem Kommunismus nahe standen oder mindestens für eine Verständigung plädierten, waren empört über Morgans Ausführungen. Aber auch jene, die den Inhalt der Ansprache grundsätzlich billigten, fühlten sich durch das eigenmächtige Vorgehen des Präsidenten übergangen. So urteilte etwa Kästner: »Morgan’s Auftreten war zwar nicht ohne Haltung, aber innerhalb eines demokratischen Clubs vollkommen unmöglich.«324 Da das Tagungsprogramm keine direkte Aussprache über Morgans Worte zuließ, richteten das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West, sowie die ungarische, tschechoslowakische und polnische Delegation nach gemeinsamer Absprache Briefe an das Präsidium des Kongresses, die um eine Aussprache über die aufgeworfene Thematik baten und so eine Erklärung durch Morgan unumgänglich machten.325 Morgan legte in einer Sitzung des Exekutivkomitees dar, »daß 321
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Charles Morgan: Das Dilemma des Schriftstellers. Ansprache zur Eröffnung des Internationalen P.E.N.-Kongresses in Wien am 13. Juni 1956. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 690/2, S. 3. Vgl. Charles Morgan: Das Dilemma des Schriftstellers. Ansprache zur Eröffnung des Internationalen P.E.N.-Kongresses in Wien am 13. Juni 1956. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 690/2, S. 3. Charles Morgan: Das Dilemma des Schriftstellers. Ansprache zur Eröffnung des Internationalen P.E.N.-Kongresses in Wien am 13. Juni 1956. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 690/2, S. 5. Erich Kästner: Vertraulich. [Berichtüber den InternationalenP.E.N.-Kongress in Wien 1955]. Anlage zu einem Brief an Kasimir Edschmid [18. 6. 1955]. P.E.N.-Material 1950– 1956, überlassen von Hildegard Finger (Sekretärin von Kasimir Edschmid), S. 3. Vgl. [Bodo Uhse]: Bericht über den 27. Kongress des Internationalen P.E.N. und die Tätigkeit der deutschen Delegation [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 1081/68–86, hier 1081/77f. 301
seine Rede die Rede des privaten Mannes und PEN-Mitgliedes Charles Morgan gewesen sei.«326 Auf Grund der vielfach an seinem Auftreten geäußerten Kritik beantragte Morgan eine Abstimmung über sein Verbleiben im Amt des Präsidenten, die entgegen aller Klagen von der Mehrzahl der Delegierten positiv entschieden wurde. Zu einer gemeinsamen Diskussion der von Morgan aufgeworfenen Fragen schien die Exekutive indes nicht bereit. Ein dementsprechender Antrag von Ignazio Silone wurde mit 17:12 Stimmen abschlägig beurteilt. Uhse wertete dieses Ergebnis dennoch als Indiz dafür, dass Morgans antikommunistische Initiative gescheitert war. Eine Isolierung der entsprechenden Zentren war nicht geglückt. Bestätigt in seiner Einschätzung sah Uhse sich auch durch den Verlauf der folgenden Vollsitzung des Kongresses, die die Kritik an Morgan noch einmal aufleben ließ. Besonderes Gewicht gewann aus Uhses Sicht der Aufruf des anwesenden UNESCO-Vertreters, Roger Caillois; dieser mahnte den Internationalen P.E.N. zur Mitarbeit beim Aufbau eines Internationalen Rats für Kunst und Literatur zur Förderung der internationalen Verständigung auf kulturellen Gebiet – insbesondere auch hinsichtlich der Sowjetunion. Zudem lieferte Caillois eine diplomatische Interpretation von Morgans Rede, die von Morgan dankbar bestätigt wurde und ihr die Schärfe nahm: »Ich bin überzeugt, dass Morgan mit dieser Rede nicht beabsichtigt hat irgend ein Land zu entmutigen, dessen Schriftsteller den Wunsch hegen, dem P.E.N. beizutreten.«327 Uhse sah darin »in der Tat ein völliges Abweichen von der Rede Morgans«.328 Den Versuch, »den P.E.N.-Club zu spalten und den Kalten Krieg von der Seite der Literatur her ausgerechnet in Wien wieder aufzuwärmen«329 , hielt er für gescheitert. Die sich daraus ergebende Konstellation im Internationalen P.E.N. sollte jedoch nach seiner Ansicht strategisch genutzt werden: »Nimmt man den PEN ernst, so wäre gerade jetzt nach der peinlichen Niederlage, die Morgan erlitten hat, eine gute Gelegenheit die Aufnahme eines sowjetischen oder chinesischen Zentrums im PEN zu fordern. Tun wir das jetzt nicht, so ist die Frage, ob es einen Sinn hat, wenn wir weiter im PEN bleiben.«330 Die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Politik des Internationalen P.E.N.-Clubs sah Uhse »in Zusammenarbeit 326
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Erich Kästner: Vertraulich. [Bericht über den InternationalenP.E.N.-Kongressin Wien 1955]. Anlage zu einem Brief an Kasimir Edschmid [18. 6. 1955].P.E.N.-Material 1950– 1956, überlassen von Hildegard Finger (Sekretärin von Kasimir Edschmid), S. 3. [Bodo Uhse]: Bericht über den 27. Kongress des Internationalen P.E.N. und die Tätigkeit der deutschen Delegation [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv1081/68–86, hier 1081/81. [Bodo Uhse]: Bericht über den 27. Kongress des Internationalen P.E.N. und die Tätigkeit der deutschen Delegation [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv1081/68–86, hier 1081/82. [Bodo Uhse]: Bericht über den 27. Kongress des Internationalen P.E.N. und die Tätigkeit der deutschen Delegation [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv1081/68–86, hier 1081/82. Bodo Uhse an Anna Seghers [19. 6. 1955]. SAdK Berlin, NL Uhse 690/5. Vgl. auch [Bodo Uhse]: Bericht über den 27. Kongress des Internationalen P.E.N. und die Tätigkeit der deutschen Delegation [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv1081/68–86, hier 1081/84.
mit wichtigen neutralen Zentren«331 gegeben. Unverzichtbar sei aber nicht nur die Verbesserung der Arbeit der bestehenden »volksdemokratischen Zentren«, sondern auch die Unterstützung durch neu zu bildende Zentren.332 Trotz der deutlich spürbaren antikommunistischen Stimmung in der internationalen P.E.N.-Führung beriet die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West 1956 dieser Einschätzung entsprechend über den »etwaigen Anschluss der sowjetischen Kollegen, der ausnahmslos […] von allen Rednern als erwünscht bezeichnet wurde, um die Universalität des Internationalen P.E.N. herzustellen. […] Allgemein wurde auch die Notwendigkeit hervorgehoben, den Internationalen P.E.N. der Politik zu entziehen und die literarischen Probleme mehr als bisher in den Vordergrund zu stellen.«333 Erst auf der Mitgliederversammlung im März 1957 äußerte Tralow dezidierte Kritik an den sowjetischen Kollegen, deren ambivalentes Verhalten in der Annäherung an den Internationalen P.E.N. nicht nur das Ansehen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, sondern auch ihr eigenes und das der Sowjetunion schwer beschädigt und nach seiner Ansicht maßgeblichen Beitrag zur Verstärkung der ideologischen Vorbehalte im Internationalen P.E.N. geleistet hatte: Es gibt Unwägbarkeiten, die man nicht vernachlässigen darf, wenn man das Wort Koexistenz prägt. Selbstverständlich bedeutet es, daß jeder bei seiner Meinung bleibt, bei seiner Weltanschauung;aber es bedeutetdoch auch friedlicheVerbindung.Das geht aus der ganzen Politik der Sowjetunion hervor. Durch Schritte oder Unterlassungen, wie die unserer russischen Kollegen, wird eine derartige Politik aber verdächtig.334
An eine Aufgabe des Ziels, den Internationalen P.E.N. als eine Vereinigung universellen Charakters zu erhalten, dachte Tralow indes nicht: Wer den Frieden will, muß die Möglichkeit der Koexistenz bejahen. […] Der Internationale P.E.N. muß als Beispiel der Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz bestehen bleiben. Die Schriftstellerdieser Erde haben fortzufahren, diesen beispielhaften Beweis zu liefern. Fiele der P.E.N. auseinander, so würde sich das sehr ungünstig auf den Frieden auswirken, und so stark ist er auch wieder nicht, daß nicht die kleinste Erschütterung gefährlich wäre.335 331
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[Bodo Uhse]: Bericht über den 27. Kongress des Internationalen P.E.N. und die Tätigkeit der deutschen Delegation [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv1081/68–86, hier 1081/85. Vgl. [Bodo Uhse]: Bericht über den 27. Kongress des Internationalen P.E.N. und die Tätigkeit der deutschen Delegation [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 1081/68–86, hier 1081/86. Johannes Tralow: Bericht über die IX. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West (Sitz München) am 9./10. März 1956 in Sacrow bei Potsdam [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 794/72–73, hier 794/72. Enthalten auch in PEN-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1954/Bericht über die GV 1–2. Johannes Tralow: Bericht zur Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 27./28. 3. 1957 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1957 Weimar/Bericht zur GV 1–10, hier 6f. Johannes Tralow: Bericht zur Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 27./28. 3. 1957 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1957 Weimar/Bericht zur GV 1–10, hier 8f. 303
Dem Schatzmeister Bodo Uhse kam die Aufgabe zu, erneut als Vermittler zwischen Internationalem P.E.N. und sowjetischen Schriftstellern zu fungieren. Er schien als offizieller Delegierter des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West für den mit Spannung erwarteten internationalen P.E.N.-Kongress in Tokio (1.–9. September 1957) geradezu prädestiniert, die Vorbereitung einer Annäherung zwischen Ost und West anzugehen. Uhse pflegte in dieser Angelegenheit den Kontakt nach drei Seiten hin: Im Vorfeld des Tokioer Kongresses war er in Berlin mit dem sowjetischen Schriftstellerkollegen Surkow zusammen getroffen, hatte eine Unterredung mit dem 1956 in London zum internationalen P.E.N.Präsidenten gewählten Franzosen André Chamson und korrespondierte mit dem japanischen P.E.N.-Zentrum. Von Seiten der UdSSR war offenkundig Interesse an einer Teilnahme in Tokio vorhanden. Allerdings verließ man sich nicht auf das Verhandlungsgeschick von Uhse – obgleich dieser Surkow ein vorbereitendes Gespräch mit Chamson in Aussicht gestellt hatte. Der internationale P.E.N.-Präsident hatte sich im Hinblick auf die UdSSR bedeckt gehalten; man überlasse die Entscheidung über die Zulassung sowjetischer Delegierter dem gastgebenden japanischen P.E.N.-Zentrum.336 Ohne das Ergebnis der Unterredung zwischen Uhse und Chamson zu kennen, hatte man aus der UdSSR über die japanischsowjetische Freundschaftsvereinigung beim japanischen P.E.N.-Club angefragt, ob dieser »drei sowjetische Schriftsteller einladen könne, die interessiert daran seien, am Kongreß teilzunehmen.«337 Der japanische P.E.N. könne eine Einladung nur in Aussicht stellen, falls von sowjetischer Seite tatsächlich der konkrete Plan zur Konstituierung eines eigenen P.E.N.-Zentrums verfolgt würde, teilte daraufhin die Sekretärin des japanischen P.E.N.-Clubs, Yoko Matsuoka, dem Schatzmeister des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West mit; dieser informierte wiederum Surkow.338 Mit dem japanischen P.E.N.-Club verband das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West laut Uhse seit dem Wiener Kongress eine freundschaftliche Beziehung.339 Zudem war Matsuoka als Mitglied einer japanischen Kulturdelegation 1956 in Moskau gewesen, hatte anschließend die übrigen Volksdemokratien bereist und schließlich auch dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West einen Besuch in Berlin abgestattet. Matsuoka befürwortete ausdrücklich eine Erweiterung des Internationalen P.E.N. durch die Aufnahme eindeutig kommunistisch ausgerichteter Zentren: »Ich bin der Meinung, dass es wünschenswert 336
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Vgl. Bodo Uhse an [Alexander?] Surkow [25. 7. 1957]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 693/1. Yoko Matusoka an Bodo Uhse [o. D.]. Zitiert nach Bodo Uhse an [Alexander?] Surkow [25. 7. 1957]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 693/1. Vgl. Bodo Uhse an [Alexander?] Surkow [25. 7. 1957]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 693/1. Vgl. Bodo Uhse: [Bericht über den 31. Internationalen P.E.N.-Kongress in Rio de Janeiro vom 23.–31. 7. 1960] [o. D.], S. 2. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 697/2. Enthalten auch in SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 321–326, hier Bl. 322.
wäre, wenn der PEN wirklich eine internationale Organisation wird, und ich kann mir keinen besseren Platz und bessere Zeit vorstellen als im kommenden Kongreß in Tokio.«340 Sie wies aber zugleich auf die finanzielle Unterstützung einiger westeuropäischer P.E.N.-Zentren durch den Kongress für kulturelle Freiheit und die daraus resultierende Problematik für eine Abstimmung über die Aufnahme sowjetischer wie chinesischer Schriftsteller in den P.E.N. hin.341 Aufgrund dieser Nachricht übersandte Uhse an Surkow seine Analyse der aus seiner Sicht beinahe aussichtlosen Situation: Es besteht kein Zweifel darüber, welche Art von Delegierten durch den Kongreß für kulturelle Freiheit finanziell unterstützt werden [sic]. Es kann weiterhin nicht daran gezweifelt werden, dass diese Delegierten mit einem klaren Auftrag nach Tokio gehen und versuchen werden,den Tokioer Kongreß zu einem Kampfkongreßgegen die sozialistischen Länder und ihre Literatur zu machen. Freilich gibt es Gegenkräfte. […] Ob eine Chance in Tokio gegeben ist, die reaktionären Tendenzen im internationalen PEN aufzuhalten, scheint mir – offen gesagt – äusserst fraglich. Dass man trotzdem versuchen muss, den Kampf gegen diese reaktionären Tendenzen in Tokio zu führen, auch auf die Gefahr hin, dass es zu einem Ausschluss jener Zentren kommt, die sich der reaktionären Politik widersetzen, ist wohl richtig, doch wird man sich dabei die Gesamtlage im internationalen PEN klar vor Augen halten müssen.342
Aufgrund dieser ungünstigen Voraussetzungen scheint es wahrscheinlich, dass die sowjetischen Schriftsteller von einer Teilnahme am Tokioer Kongress absahen. Trotz des ausstehenden Verhandlungserfolges wurde Uhse nicht müde, weiterhin um eine Integration der sowjetischen Schriftsteller in den Internationalen P.E.N. zu werben. Anfang 1959 bat er den Vorsitzenden des sowjetischen Schriftstellerverbands, Boris Polewoi, über eine Teilnahme sowjetischer Delegierter am internationalen P.E.N.-Kongress in Frankfurt am Main (19.–25. 7. 1959) nachzudenken und signalisierte deutlich seine Bereitschaft, gegebenenfalls beim internationalen Sekretariat eine offizielle Einladung zu erwirken.343 Unterstützt wurde Uhse in diesem Ansinnen durch die Sekretärin des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West, Ingeburg Kretzschmar, die mit der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands in Kontakt trat und P.E.N.-Charta, personelle Angaben über die internationale Leitung des P.E.N. und eine Liste der internationalen P.E.N.-Zentren übersandte. Mit der detaillierten Sachinformation verband Kretzschmar Erläuterungen, die verdeutlichen, wie sehr das Klima des Kalten Krieges am Ende der fünfziger Jahre die Positionen im Internatio-
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Yoko Matusoka an Bodo Uhse [o. D.]. Zitiert nach Bodo Uhse an [Alexander?]Surkow [25. 7. 1957]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 693/1. Vgl. Yoko Matusoka an Bodo Uhse [o. D.]. Zitiert nach Bodo Uhse an [Alexander?] Surkow [25. 7. 1957]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 693/1. Bodo Uhse an [Alexander?] Surkow [25. 7. 1957]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 693/1. Vgl. Bodo Uhse an Boris Polewoi [13. 2. 1959]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel allgemein 1959–1962/Sowjetischer Schriftstellerverband 1–2. 305
nalen P.E.N. beherrschte. Die Blockbildung war längst abgeschlossen; es ging darum, den eigenen Einflussbereich zu halten und zu erweitern: Unser fortschrittlichesLager innerhalbdes PEN konnte infolgeder Nichtzugehörigkeit der Sowjet-Unionund der Volksrepublik China nicht operativgenug auftreten,um das Programm des PEN in unserem Sinne zu verändern. Über eine Abwehrstellung kamen wir selten hinaus. Zu operativen Vorstößen waren wir (ohne sowjetische und chinesische Genossen) dem Rang und der Zahl nach zu schwach (z. B. bei Abstimmungen). Man sollte dem Gegner keine Gelegenheit geben, eine solche Situation weiterhin für sich auszunutzen.344
Von einem freundschaftlichen Miteinander der Schriftsteller aus aller Welt, jenseits aller ideologischen Vorbehalte, ist hier nichts mehr zu spüren. Stattdessen lenkten politische Kalkulationen das Handeln. Kretzschmar kündigte für April 1959 einen Aufenthalt in Moskau an: »Ehe ich nach Moskau komme, werde ich versuchen, wichtige politische Perspektiv-Entscheidungen, die unser Zentrum betreffen, an höchster Stelle geklärt zu haben, um für eine weitere Aussprache in der Auslandskommission vorbereitet zu sein.«345 Kretzschmars Reise nach Moskau ist, ebenso wie eine Reaktion des sowjetischen Schriftstellerverbands, nicht verbürgt. In Frankfurt am Main erschienen 1959 keine Schriftsteller aus der UdSSR. Ob Uhse im Hinblick auf den im darauf folgenden Jahr stattfindenden Kongress in Rio de Janeiro noch einmal vermittelnd gewirkt hatte, lässt sich anhand des zugänglichen Quellenmaterials nicht ergründen. Die deutlich antikommunistische Atmosphäre, die im Vorfeld des Tokioer und des Frankfurter Kongresses konstatiert worden war, schien mit der Übernahme des Präsidentenamts durch Alberto Moravia zumindest an der Oberfläche zurück genommen. Carver legte in seinem Bericht von dem Kongress in Rio de Janeiro besondere Betonung darauf, »daß es Moravia als Präsidenten weiter darauf ankommen wird, ›die Schriftsteller aller Nationen und der verschiedensten Meinungen im PEN zusammenzufassen.‹«346 Moravia selbst hatte auf der dem Kongress voran gegangenen Exekutivkomitee-Tagung im April 1960 die sowjetischen Schriftsteller erneut ins Gespräch gebracht; man hoffe, dass es möglich sei, russische Beobachter in Rio de Janeiro zu empfangen. Unter allgemeiner Zustimmung der internationalen Vizepräsidenten und der Delegierten wurde eine erneute Einladung sowjeti-
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Ingeburg Kretzschmar an [?] Romanowa [Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands] [14. 3. 1959]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel allgemein 1959–1962 (E–Z)/Sowjetischer Schriftstellerverband 2–2a, hier 2a. Ingeburg Kretzschmar an [?] Romanowa [Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands] [14. 3. 1959]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel allgemein 1959–1962 (E–Z)/Sowjetischer Schriftstellerverband 2–2a, hier 2a. Zitiert nach Bodo Uhse: [Bericht über den 31. Internationalen P.E.N.-Kongress in Rio de Janeiro vom 23.– 31. 7. 1960] [o. D.], S. 1. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 697/2. Enthalten auch in SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 321–326, hier Bl. 321.
scher Vertreter durch den internationalen Präsidenten und seinen Generalsekretär beschlossen.347 Zur internationalen Zusammenkunft in Rio de Janeiro erwartete man demnach sowjetische Gäste; diese erschienen jedoch nicht. Alberto Moravia und David Carver »erklärten ihr Fernbleiben mit Schwierigkeiten, die durch die Tatsache gegeben seien, daß die Sowjetunion keine diplomatischen Beziehungen mit Brasilien unterhalte.«348 Moravia brachte seine Enttäuschung über das Fernbleiben der sowjetischen Gäste zum Ausdruck; er hoffe aber, dass eine Teilnahme an einem der künftigen Kongresse möglich werde.349 Weitere Vorstöße zur Bildung einer sowjetischen P.E.N.-Sektion wurden durch die Verantwortlichen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West nicht unternommen. Nach vielen Einladungen erschienen auf dem internationalen P.E.N.-Kongress 1964 in Budapest zum ersten Mal in der Geschichte des Internationalen P.E.N. russische Beobachter.350 Die endgültige Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in die internationale Schriftstellervereinigung erfolgte jedoch erst in den achtziger Jahren.
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»Die Sache ist gut«351 : Eine Resolution gegen den Einsatz von Atomwaffen
Wie stark die Arbeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ihrer Quantität und Qualität von den Anliegen und Interessen der Vorstandsmitglieder geprägt wurde, beweist Brechts konzentrierte Aktivität in den drei Jahren seiner kurzen Amtszeit. Seine Tätigkeit als Präsident des P.E.N.-Zentrums war geprägt von einem thematischen Schwerpunkt, der in seinem dramatischen Werk und seinen politischen Verlautbarungen gleichermaßen sichtbar wurde. Die Möglichkeit eines atomaren Krieges, der durch wissenschaftliche Forschung im Dienste politischer Machthaber zu einer existenten Bedrohung geworden war, regte Brecht zu einer intensiven Beschäftigung mit dieser Thematik an. Als Friedensaktivist und strikter Aufrüstungsgegner konzentrierte sich Brecht 347
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Vgl. Minutes of the P.E.N. International Executive Committee. Meeting in the EnglishSpeaking Union, Concord House, London, at ten o’clock on Monday. April 4, 1960. P.E.N.-Archiv London. Bodo Uhse: [Bericht über den 31. Internationalen P.E.N.-Kongress in Rio de Janeiro vom 23.– 31. 7. 1960] [o. D.], S. 1. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 697/2. Enthalten auch in SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 321–326, hier Bl. 321. Vgl. Minutes of the Meeting of the Executive Committee of International P.E.N. in Rio de Janeiro, July 24, 1960, S. 5. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Alfred Unger: Bericht über die Internationale Tagung des P.E.N.-Clubs in Budapest. Sendereihe »In diesen Tagen«. Hessischer Rundfunk. Abschrift des Sendungsmanuskripts durch Abt. Information beim Staatlichen Rundfunkkomitee der DDR [1. 11. 1964]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2156. Äußerung von Bertolt Brecht. Zitiert nach Werner Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln.Zweiter Band. Frankfurtam Main 1986, S. 653. 307
speziell auf die Auswirkungen der Atomenergie und -waffenversuche. Generell nahm das Thema »Frieden« bzw. die Frage, wie ein Krieg zu verhindern sei, in Brechts politischen wie gesellschaftlichen Erklärungen eine zentrale Stellung ein. Er beteiligte sich an vielfältigen Aktionen gegen eine neue Kriegsgefahr. Besonders bekannt geworden ist sein Offener Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller; Brecht trat hier entschieden gegen eine Remilitarisierung der Bundesrepublik auf. Er sprach sich konsequent gegen militärische Aufrüstung aus und brachte dies immer wieder zum Ausdruck.352 Bedeutsam in dieser Hinsicht erscheint seine Rede auf dem Weltfriedenskongress, der 1954 in Berlin tagte. Er forderte darin auf, »›die Wahrheit über die Gefahr der [amerikanischen] Experimente mit Atomwaffen für die ganze Erde‹ zu sagen.«353 In der Auseinandersetzung der beiden weltpolitischen Machtblöcke sah er die Gefahr eines weiteren Krieges heraufziehen. Eine Lösung des Konflikts schien für ihn nur möglich durch die friedliche Koexistenz der Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen.354 Auch in seiner dramatischen Arbeit antwortete Brecht indirekt auf die globale Bedrohung der Menschheit durch die Atomwaffenforschung und ihre Anwendung. In engem Zusammenhang damit stand etwa Brechts Drama Leben des Galilei, das nach seiner Entstehung im dänischen Exil einer fortwährenden Überarbeitung und Radikalisierung unterzogen wurde. Neben der Frage nach der Verwertbarkeit von Wissen, dem Verhältnis des Wissenschaftlers zu den Herrschenden, rückte die grundsätzliche Frage nach der moralischen Verantwortung des Wissenschaftlers in den Vordergrund. Die Entstehung und Fortentwicklung des Galilei zeigte sich stark beeinflusst durch die weltgeschichtlichen Ereignisse: Veranlasst durch die Nachricht von der gelungenen Spaltung des Uran-Atoms durch deutsche Physiker, entstand 1938/39 die erste Fassung des Dramas.355 Vor dem Hintergrund der amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 verschärfte Brecht die Aussage dieser frühen Version des Galilei im amerikanischen Exil deutlich, indem er in der zweiten Fassung Galilei die Mahnung in den Mund legt: Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein. Die Kluft zwischen euch und ihr kann eines Tages so groß werden, daß euer Jubelschrei über irgendeine neue Errungenschaft von einem universalen Entsetzensschrei beantwortet werden könnte.356
Das Wettrüsten zwischen den beiden weltpolitischen Machtblöcken hatte indes längst begonnen: 1949 zündete die Sowjetunion ihre erste Atombombe – die USA verfügten damit nicht mehr über das Atomwaffenmonopol. Die Entwicklung einer neuen Waffe, deren Wirkungspotential noch größer als das der Atom352 353 354 355 356
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Vgl. Knopf, S. 396–398. Knopf, S. 393. Vgl. Knopf, S. 396–398. Vgl. Kesting, S. 91. Bertolt Brecht: Leben des Galilei. (edition suhrkamp 1) Frankfurt am Main 1967, S. 125f.
bombe sein sollte, wurde auf beiden Seiten zu Beginn der fünfziger Jahre voran getrieben. In einem Testlauf mit verheerenden Auswirkungen hatten die USA die erste Wasserstoffbombe am 1. November 1952 auf dem Eniwetok-Atoll der Marshall-Inseln gezündet.357 Am 8. August 1953 vermeldete die Sowjetunion den Besitz der Wasserstoff-Bombe.358 Zwar nahmen die USA und die UdSSR Anfang 1954 erste Gespräche über die Kontrolle der Atomenergie, Abrüstung und Rüstungskontrolle auf. Das Bestreben, immer wirkungsvollere Bomben zu konstruieren, bestimmte jedoch die militärische Realität. Im Jahr 1955 nahm Brecht die dramatische Auseinandersetzung mit dieser Problematik wieder auf. Wiederum hatte er sich als Hauptfigur eines zu entwickelnden Dramas einen bedeutenden Naturwissenschaftler ausgesucht; er begann mit der Arbeit über den weltbekannten Physiker Albert Einstein unmittelbar nach dessen Tod im April 1955. Einsteins Leben barg eine »subjektive Tragödie«359 : In der Befürchtung, im nationalsozialistischen Deutschland würde nach der gelungenen Uran-Spaltung eine Atombombe entwickelt werden, hatte Einstein dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt 1939 die Entwicklung der Atombombe empfohlen. Einstein, der weltbekannte Pazifist und Präsident der Internationale der Kriegsdienstverweigerer, händigte nach Brecht »dem feind des faschismus die tödliche waffe aus, und der feind des faschismus wird faschist.«360 Der Münchener Publizist Ernst Schumacher, der mit Brecht in Austausch über das Einstein-Drama stand, führt die »Tragödie« näher aus: Als tragische Klimax musste Einstein empfinden, dass seiner Forderung nach einer öffentlichen Vorführung der A-Bombe im Frühsommer 1945 nicht statt gegeben, sondern die neue Waffe ohne Ankündigung gegen die […] Städte Hiroshima und Nagasaki eingesetzt wurde. Als er erkennenmusste, dass die USA einer grundsätzlichenÄchtung der Atomwaffen nicht zustimmten, sondern mit der Entwicklung der H-Bombe das atomare Wettrüsten vorantrieben, wuchs sein ›Schuldgefühl‹ bis zu der Äußerung, er würde, falls er wieder geboren würde, lieber Hausierer oder Spengler als noch mal Physiker werden.361
Das Formieren des Stoffes für ein Bühnenstück erwies sich jedoch als außerordentlich schwierig. Einstein verfügte über keinen Antagonisten. Zudem war er nie unmittelbar an den politisch entscheidenden Vorgängen beteiligt gewesen: »Da Einstein weder an der Entdeckung der Kernspaltung noch am Bau der Atombombe direkt beteiligt war, mußte das, was Brecht mit ›aushändigen 357
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Vgl. Gerhard Piper: 50 Jahre H-Bombe. Reif für die Insel. Verfügbar unter URL: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Atomwaffen/50-jahre.html [Zugriff: 7. 11. 2005]. Vgl. Der große Ploetz. Die Daten-Enzyklopädie der Weltgeschichte. Daten, Fakten, Zusammenhänge. 33., neu bearbeitete Auflage. Darmstadt 2003, S. 1342. Ernst Schumacher: Wie Brecht beinahe ein Einstein-Stück schrieb. Die subjektive Tragödie eines großen Wissenschaftlers in der Debatte zwischen Kritiker und Autor. In: Freitag vom 15. 4. 2005. Verfügbar unter URL: http://www.freitag.de/2005/15/ 05151701.php [Zugriff: 18. 10. 2005]. Zitiert nach Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, S. 596. Ernst Schumacher: Wie Brecht beinahe ein Einstein-Stück schrieb. 309
der tödlichen waffe‹ beschrieb, über sehr komplizierte Vorgänge vermittelt werden.«362 Brechts Arbeiten am Einstein-Drama erlahmten in der zweiten Hälfte des Jahres 1955 trotz der tagespolitischen Aktualität des zugrunde liegenden Themas. Das Interesse am Stoff allerdings »übertrug sich ganz unmittelbar auf die Erarbeitung einer neuen Fassung des ›Galilei‹«363 . Unter dem Eindruck der Weiterentwicklung der Atom- zur Wasserstoffbombe, der Atombombenversuche der USA auf dem Eniwetok- und dem Bikini-Atoll der Marshall-Inseln und der Vorgänge um den amerikanischen Physiker Robert J. Oppenheimer364 radikalisierte Brecht die Aussage seines Galilei weiter. Der geniale Wissenschaftler überlässt sein geistiges Produkt den politischen Machthabern; er verdammt sich am Ende selbst: Einige Jahre lang war ich ebenso stark wie die Obrigkeit. Und ich überlieferte mein Wissen den Machthabern, es zu gebrauchen, es nicht zu gebrauchen, es zu mißbrauchen, ganz, wie es ihren Zwecken diente. Ich habe meinen Beruf verraten. Ein Mensch, der das tut, was ich getan habe, kann in den Reihen der Wissenschaft nicht geduldet werden.365
Doch Brechts Engagement ging über sein dramatisches Werk hinaus. Als Friedensaktivist war er unermüdlich: »Keine Schonung gönnte sich Brecht im Auffinden und Unterstützen von Initiativen zur Sicherung des Friedens, des ›A und O aller menschenfreundlichen Tätigkeiten‹«366 . Was lag also näher, als die Anbindung an den Internationalen P.E.N. für eine eigene Initiative gegen die globale Bedrohung durch das atomare Wettrüsten der Großmächte zu nutzen? Schließlich verpflichtet der Paragraph 3 der P.E.N.-Charta die Mitglieder, »für die Hochhaltung des Ideals einer in einer einigen Welt in Frieden lebenden Menschheit mit äußerster Kraft zu wirken«367 . Brecht nahm die Arbeit auf: Im November 1954 beschloss das Präsidium auf Brechts Drängen hin, 1955 auf die Herausgabe eines Almanachs zu verzichten und stattdessen für das Jahr 1956 eine Publikation mit dem Arbeitsthema Literatur und Wasserstoffbombe herauszubringen: Diese »soll Beiträge 362 363 364
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Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, S. 597. Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, S. 598. Der US-amerikanische Physiker Robert Oppenheimer wurde vor allem wegen seiner führenden Position bei der Entwicklung erster Nuklearwaffen während des Zweiten Weltkrieges bekannt (Manhattan Projekt); er gilt als »Vater der Atombombe«. Nach dem Krieg arbeitete Oppenheimer als Berater der neu gegründeten amerikanischen Atomenergiebehörde.Er setzte sich von dieser Position aus für eine internationaleKontrolle der Kernenergie und gegen das nukleare Wettrüsten zwischen den Weltmächten USA und SU ein und widersetzte sich dem Bau der Wasserstoffbombe in den USA. Ende 1953 wurde wegen angeblicher kommunistischer Gesinnung ein Untersuchungsverfahren gegen Oppenheimer eingeleitet, das mit Anhörungen im Mai 1954 endete. Oppenheimer wurde die Erlaubnis entzogen, weiterhin an geheimen Projekten mitzuarbeiten oder Einsicht in neue Entwicklungen zu nehmen. Brecht: Leben des Galilei, S. 126. Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, S. 652. P.E.N.-Charta. Zitiert nach P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon 1996/97, S. 7f., hier S. 7.
von Schriftstellern und Wissenschaftlern umfassen, die auf die große Gefahr hinweisen, von der die Welt gegenwärtig bedroht ist. Ein genauer Themenplan wurde noch nicht beraten, doch wurde u. a. auf die Bedeutung von Beiträgen aus der Feder von [John Desmond] Bernal, Einstein und Blacket hingewiesen.«368 Im Zeichen dieser Thematik stand auch die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, die am 22./23. März 1955 in Hamburg stattfand. Als Thema der Generalversammlung hatte man eine interne Information über die Auswirkungen der Atomenergie unter Ausschluss der Presse vorgesehen: Das Hauptreferat soll einer der namhaften westdeutschen Atomforscher halten. In einer anschließenden Diskussion werden Fragen behandelt, die sich mit den Schwierigkeiten und Möglichkeiten der literarischen Bekämpfung drohender Weltkatastrophen, mit Atomideologie (Generäle als Schriftsteller) und mit Fragen der Mutation befassen.369
Brechts Versuch, den Nobelpreisträger Werner Heisenberg als Redner zu gewinnen, schlug fehl. Heisenberg, der fundamentale Beiträge zur Atom- und Kernphysik geliefert hatte und zu dieser Zeit dem Göttinger Max Planck Institut als Direktor vorstand, bat, »von [s]einer Beteiligung absehen zu wollen.«370 Ihm schien Brechts Ansatz, die Fortexistenz der Literatur und die potentiellen Folgen von Atomwaffenversuchen kausal zu verknüpfen, hinsichtlich der sehr viel grundsätzlicheren Problematik allzu verfehlt.371 Zum Vortrag bereit zeigte sich schließlich der Physiker Theodor Möglich.372 Die in Hamburg anwesenden P.E.N.-Mitglieder beschlossen schließlich die Annahme einer von Brecht vorbereiteten Resolution zur Vorlage beim Internationalen P.E.N.: Die Mitgliederdes P.E.N., Schriftsteller vieler Nationen, machen sich die Überzeugung aller verantwortungsbewußten Atomphysiker zu eigen, daß die Einleitungradioaktiver Prozesse durch die Explosion von Atombomben die Menschheit mit totaler Ausrottung bedroht. Von nun an bedroht uns nicht nur der Atomkrieg, sondern bereits seine experimentelle Vorbereitung.
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Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 26. 11. 1954 bei Bertolt Brecht [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 793/78–80, hier 793/79. Vgl. auch Johannes Tralow an Bodo Uhse [2. 1. 1955]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 681, Bl. 53f., hier Bl. 54. Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 11. Februar 1955 im Künstler-Club»Die Möwe«, Berlin[16. 2. 1955].SAdK Berlin,Bertolt Brecht-Archiv 794/09–11, hier 794/10. Werner Heisenberg an Bertolt Brecht [2. 3. 1955]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 747/64. Heisenberg hatte 1932 für seine Arbeiten zur Quantenmechanik den Nobelpreis in Physik erhalten. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er zusammen mit anderen Physikern, u. a Otto Hahn und Carl Friedrich von Weizsäcker, in das Heereswaffenamt berufen. Im Rahmen des so genannten »Uranprojekts« war ihnen die Aufgabe gestellt, Einsatzmöglichkeiten der Kernspaltung zu finden. Auf Heisenbergs umstrittene Position in Bezug auf den Bau der Atombombe sei hier nur verwiesen. Vgl. Werner Heisenberg an Bertolt Brecht [2. 3. 1955]. SAdK Berlin, Bertolt BrechtArchiv 747/64. Vgl. Bertolt Brecht: Meldung an ADN. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 744/141. 311
Die Mitglieder des P.E.N. verpflichten sich, ihre Leser auf diese Tatsachen aufmerksam zu machen.373
Gleichwohl fungierte Brecht vor allem als Motor; er stieß die Sache an, die Arbeit auf den internationalen Tagungen und Kongressen blieb anderen. Vorgelegt wurde die Resolution zunächst dem internationalen Exekutivkomitee, das auf seiner Tagung im April 1955 über die grundsätzliche Zulassung der Resolution zur Diskussion auf dem Kongress in Wien entscheiden sollte. Der Reise nach London zur Exekutive waren die üblichen Probleme vorausgegangen: Von den ostdeutschen Mitgliedern fand sich niemand bereit zu reisen; Tralow wollte, klagte über mangelnde Finanzen und reiste schließlich doch. Die Resolution des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West »fand erheblichen Widerstand«374 . Unter Verweis auf die veränderte Atmosphäre im Internationalen P.E.N., hervorgerufen durch das beharrliche Schweigen der Sowjetschriftsteller, machte Tralow gegenüber Brecht deutlich: Unsere Resolution hat in dieser Form keine Aussicht. Tatsächlich kann man nach der PEN-Charter Schriftsteller auch schwer verpflichten, sich über irgendein besonderes Thema zu äußern. Ich weiß, das ist formal gedacht, aber man wird sich dieser formalen Auslegung bedienen. Ich bitte Sie nun, doch freundlichst diese beiden Zeilen zu ändern. Die Resolution scheint mir insofern nicht ganz glücklich, weil das, was am Schluß stehen sollte, bereits am Anfang steht. Um mich verständlich zu machen, habe ich ganz unverbindlich eine Resolution skizziert: Alle verantwortungsbewußten Atomphysiker sind sich darin einig, daß die Einleitung radioaktiver Prozesse die Menschheit mit totaler Ausrottung bedroht. Der Internationale PEN bittet alle, die solche Prozesse vorbereiten, die Ergebnisse der berufenen Wissenschaftler zu berücksichtigen. Aber, wie gesagt: ganz unverbindlich! In diesem Fall sind Sie bei uns der Berufene.375
Brecht schlug jedoch Tralows gut gemeinten Rat aus. Von der Sache überzeugt, sah er keine Notwendigkeit, internationalen Befindlichkeiten Rücksicht zu zollen. Unterstützt durch Uhse blieb Brecht standhaft: Von Berlin aus sandte man in Vorbereitung des Wiener Kongresses den ursprünglichen, leicht modifizierten Resolutionsentwurf nach London: »[U]ns [erscheint] die Stimmung dort nicht wichtig […]. In derlei Sachen muss man immer mit einem gewissen kleinen Kampf rechnen. […] Ich bin unbedingt dafür, die Resolution gegen alle Schiebungsmanöver durchzukämpfen. Uhse hat mir versprochen, nötigenfalls es auch nicht an Schärfe fehlen zu lassen.«376 Brecht und Uhse spekulierten auf die öffentliche Wirkkraft der Resolution und ihrer Diskussion, hofften auf deren
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Resolution der Hamburger Generalversammlung vom 22./23. 3. 1955. SBBPK NL Tralow K 86 M 42. Johannes Tralow: Bericht über die Sitzung des Exekutiv-Komitees am 20./21. 4. 1955 in London [27. 4. 1955]. SBBPK NL Tralow K 86 M 42. Johannes Tralow an Bertolt Brecht [26. 4. 1955]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 794/42. Bertolt Brecht an Johannes Tralow [30. 4. 1955]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 794/49.
Durchsetzung entgegen aller Widerstände. Ein drohender Atomkrieg betraf alle Teilnehmer des internationalen Kongresses – gleichgültig ob aus West oder Ost. Schon Ende März 1955 hatten Tralow, Brecht und Uhse auf einer Vorstandssitzung die Herausgabe einer mit 48 Seiten recht umfangreichen deutsch-, englisch- und französischsprachigen Broschüre beschlossen, »die auf die Gefahren eines Atom-Krieges hinweist«377 ; sie sollte u. a. Beiträge der Physiker Theodor Möglich und Frédéric Joliot-Curie enthalten. Für das »Material über den Atomkrieg für einen Resolutionsentwurf des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West«378 entschieden Brecht und Uhse: »400 Exemplare der Broschüre werden nach Wien geschickt. Es muss rechtzeitig der Weg der Broschüren nach Wien untersucht werden, dass sie pünktlich und ohne Beschlagnahme nach Wien kommen.«379 Beide waren offensichtlich bestrebt, der Initiative des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West über den Internationalen P.E.N. hinaus breitere Wirkungsmöglichkeit zu garantieren: »Es soll zwischen Wien und Helsinki eine Verbindung hergestellt werden, da Helsinki später stattfindet (Bericht über die Resolution, 200 Exemplare der Broschüre für Helsinki).«380 Ebenfalls für den Juni 1955 war ein Weltfriedenstreffen in Helsinki angekündigt worden. Unter der Ägide des französischen Atomphysikers Frédéric Joliot-Curie, maßgebliche Führungspersönlichkeit der Weltfriedensbewegung, trafen dort hochrangige Wissenschaftler aus aller Welt zusammen, um über die Ächtung der Atomwaffen, eine wirksame internationale Kontrolle und geeignete Abrüstungsmaßnahmen zu diskutieren.381 Aufgrund der Beteiligung internationaler wissenschaftlicher Prominenz war die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit vorprogrammiert. Die Vorlage der Resolution und entsprechender Materialien vor diesem Gremium hätte einen propagandistischen Erfolg des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gewährleisten können. Ob die Broschüre tatsächlich gedruckt wurde, bleibt jedoch unklar. Im vorliegenden Quellenmaterial sind weder Exemplare, noch erhellende Hinweise auf die Existenz einer solchen Druckschrift enthalten. 377
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Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 28. 3. 1955 im Künstler-Club ›Die Möwe‹, Berlin [30. 3. 1955; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. SBBPK NL Tralow K 86 M 43. Besprechung zwischen Bertolt Brecht und Bodo Uhse am 29. 4. 1955 über den Druck der Broschüre und Resolution für den XXVII. Jahreskongress des P.E.N. in Wien. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 757/42. Eine Sammlung von Zitaten, die sich mit den humanitären wie politischen Auswirkungen von Atomwaffen auseinandersetzen, ist im Archiv des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West enthalten. Ob diese Verwendung für die Broschüre fand, ist allerdings ungeklärt. Vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1955/Atomwissenschaftler 1–3. Besprechung zwischen Bertolt Brecht und Bodo Uhse am 29. 4. 1955 über den Druck der Broschüre und Resolution für den XXVII. Jahreskongress des P.E.N. in Wien. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 757/42. Besprechung zwischen Bertolt Brecht und Bodo Uhse am 29. 4. 1955 über den Druck der Broschüre und Resolution für den XXVII. Jahreskongress des P.E.N. in Wien. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv 757/42. Vgl. Ernst Schumacher: Wie Brecht beinahe ein Einstein-Stück schrieb. 313
Wenngleich Brecht die Warnungen des geschäftsführenden Präsidenten nicht beherzigt hatte, hielt Tralow sich mit Ratschlägen nicht zurück. Er sandte Brecht Material für die Resolution382 und empfahl die Kontaktaufnahme mit dem international einflussreichen französischen P.E.N.; mit seinen Verantwortlichen sei vor der Sitzung auf jeden Fall zu reden.383 Als offizieller Delegierter reiste schließlich Bodo Uhse nach Wien (12.–19. 6. 1955).384 Brecht schien unabkömmlich, Tralow war erkrankt. In einem kurzen Brief an den Kongress entschuldigte Brecht sich für sein Fehlen: »Umso mehr wäre ich Ihnen allen verbunden, wenn Sie den vorliegenden Resolutionsentwurf unseres Zentrums freundlich diskutieren wollten. Er ist, wie ich gestehe, auf meine Initiative hin eingebracht.«385 Die Resolution traf dennoch auf den erwarteten Widerstand. In seinem Tagebuch notierte Uhse enttäuscht über die mangelnde Unterstützung durch den mitgereisten Arnold Zweig: Der von Brecht vorbereitete Antrag, eine Stellungnahme gegen die Experimente mit Atombomben, soll unter allen Umständen zu Fall gebracht werden. Welche Enttäuschung, daß Zweig gestern abend im Gespräch mit Robert Neumann sofort die Segel strich. ›Zeigen Sie Ihren guten Willen und ziehen Sie die Resolution zurück‹ = Neumanns wohlmeinender Rat, Zweig gleich: ›Ja, wenn Sie meinen, daß das der Sache dienlich ist, freilich, freilich …‹ […] Als ich [Neumann] für den nächsten Tag zu einer Aussprache auf der Sitzung selbst einlade; ›Aber nein, es ist besser, wenn wir nicht zusammen gesehen werden!‹ Wie sagte Brecht von diesen Herren: gentlemen gangsters alle miteinander. Schließlich erklärte ich mich bereit, die Entschließung dann zurück zu ziehen, wenn sie von einer anderen Gruppe eingebracht wird.386
Zwecks Redigierung überwies das Exekutivkomitee den Resolutionsantrag schließlich an eine Kommission, bestehend aus Ignazio Silone, Paul Tabori, John Lehmann, Bodo Uhse und Jean de Beer;387 diese legte einen neuen Resolutionstext vor, der andere Akzente setzte: The International P.E.N., recognising the extreme gravity of the times we live in and the illimitable dangers which threaten the human race owing to the development of weap382 383
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Vgl. Johannes Tralow an Bodo Uhse [3. 5. 1955]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 691/1. Vgl. Johannes Tralow an Ingeburg Kretzschmar [23. 5. 1955]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 681/62. Als Ehrengastwar Arnold Zweig nach Wien gereist. Am Kongressnahmen die Mitglieder Eduard Claudius, Louis Fürnberg, Gotthold Gloger, Stephan Hermlin, Herbert Ihering, Hans Mayer, Eugen Rugel und Franz Carl Weiskopf teil. Vgl. Program 17th Congress of the International P.E.N. Teilnehmerliste. Wien 1955, S. 5. P.E.N.-Archiv London. Bertolt Brecht an den XXVII. Jahreskongress des Internationalen P.E.N. [Juni 1955]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 527/9. Bodo Uhse: Tagebuch 22. 2.–4. 12. 1955. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 405. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held at the Palais Pallavicini, Vienna at 2.30 p. m. on Sunday, June 12th, 1955. P.E.N.-Archiv London. Vgl. auch Johannes Tralow: Bericht über die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West (Sitz München) am 9. März 1956 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/GV März 1956/Bericht über die GV 1–2.
ons of massdestruction, expresses its sympathy and support for all those who consider it their duty to bring the full reality of these dangers to the conscience of their follow men. It takes its stand against any attempt on the part of governments or official organisations to repress such free expressions of opinion.388
Dennoch stimmte eine Mehrheit der Delegierten dagegen, die veränderte Resolution dem internationalen P.E.N.-Kongress zur Abstimmung vorzulegen. Vorausgegangen war der Abstimmung eine langwierige Debatte, in deren Verlauf u. a. die Rückstellung und spätere Diskussion der Resolution gefordert wurde. Die vielstimmige Ablehnung der Resolution, der die Kritik am atomaren Wettrüsten eingeschrieben war, resultierte weniger aus inhaltlichen, denn massiv politisch gefärbten Bedenken. In Wien war am 15. Mai 1955 nach erfolgreichen Verhandlungen mit der Sowjetunion und dem Abschluss entsprechender Verhandlungen mit den westlichen Siegermächten der Österreichische Staatsvertrag unterzeichnet worden, der die Wiederherstellung der Souveränität Österreichs, den Abzug der Besatzungstruppen garantierte und Österreich zur Neutralität verpflichtete; er war zum Zeitpunkt des P.E.N.-Kongresses noch nicht in Kraft getreten. Zum ersten Mal war eine Verständigung zwischen den Großmächten im Sinne des Friedens erfolgt. Von einer in Wien beschlossenen Wortmeldung des Internationalen P.E.N., die implizit die Rüstungspolitik der USA und der Sowjetunion kritisierte, fürchtete das österreichische P.E.N.-Zentrum unter diesen staatspolitischen Voraussetzungen eine Schwächung seiner Position im eigenen Lande. Aus Rücksicht gegenüber den österreichischen Gastgebern, die ihre Bedenken vor dem Exekutivkomitee äußerten, dürften viele der Delegierten gegen die Resolution gestimmt haben.389 Tralow hingegen interpretierte die Ablehnung der Eingabe als dezidierte Absage an das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West : Man war nicht geneigt, eine noch so einleuchtende Resolution, wenn sie von uns kam, anzunehmen, weil man uns mit ihr keine Propaganda machen lassen wollte. In Amsterdam war diese Hemmung noch nicht da. In Amsterdam hatten sie sogar auf unsere Initiative hin die Sowjets eingeladen. Der Kernpunkt, der dem Internationalen Club einen sehr starken Ruck zur Reaktion gab, ist die gesellschaftlich (und die Gesellschaft kann auch menschliche Gesellschaft heißen) kaum faßbare Tatsache, daß die sowjetischen Kollegen den Brief des Internationalen PEN überhaupt nicht beantwortet haben.390
In der Folge drängte Uhse auf Brechts Teilnahme am internationalen Kongress im darauf folgenden Jahr; dieser lehnte entschieden ab. Immer noch grundsätzlich vom Inhalt seiner Eingabe überzeugt, ermunterte er Uhse jedoch, die 388
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held at the Palais Pallavicini, Vienna at 2.30 p. m. on Sunday, June 12th, 1955. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held at the Palais Pallavicini, Vienna at 2.30 p. m. on Sunday, June 12th, 1955. P.E.N.-Archiv London. Johannes Tralow an Konrad Winkler [21. 6. 1955]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Winkler. 315
in Wien abgelehnte Resolution in London (8.–14. 7. 1956) wiederum vorzulegen: Nur keine falsche Scham. Die Sache ist gut. Also geniere ich mich gar nicht, selbst mit dem Hute in der Hand, immer wieder an die gleiche Tür zu klopfen. Damit vergebe ich mir nicht das geringste. Bleibt die Tür verschlossen, ist das keineswegs peinlich für mich, den Bittsteller, wohl aber für den, der nicht öffnet.391
Besprochen worden war die erneute Vorlage der Resolution auch in einer Sitzung der gesamtdeutschen Kommission im Schriftstellerverband; hier waren die strategischen Pläne des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West für das Jahr 1956 festgelegt worden.392 Auf der Londoner Exekutivkomitee-Tagung (8. 7. 1956) wurde die Resolution des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West schließlich nur mit knapper Mehrheit, »in abgeschwächter Form angenommen«393 . In seinem Anliegen unterstützt fühlen konnte sich Brecht auch durch eine durch den britischen Mathematiker und Philosophen Bertrand Russell in London ins Leben gerufene Initiative. Auf der Bodensee-Insel Mainau waren am 15. Juli 1955 insgesamt 18 Nobelpreisträger zusammengetroffen und hatten den Mainauer Appell verfasst; er warnte vor den Gefahren eines Atomkrieges und forderte zum Gewaltverzicht in den Auseinandersetzungen zwischen den Nationen auf. Unterzeichnet worden war der Aufruf u. a. von Adolf Butenandt, Max Born, Otto Hahn und Werner Heisenberg.394 Als Uhse die Nachricht von der Annahme der Entschließung durch den Internationalen P.E.N. überbrachte, lächelte Brecht, aber ohne alle Ironie. Zu Uhse sagte er: … man soll das nicht überschätzen. Aber etwas ist damit doch getan, nicht viel, eine Kleinigkeit. Die Resolution ist gut. Sie drückt aus, was die Menschen beschäftigt. Sie ist auch deshalb gut, weil sie Leute, die sonst nicht viel miteinander zu tun haben, in dieser wichtigen Frage zusammengeführt hat. Ein Schritt vorwärts also. Wenn man weit zu gehen hat, braucht es vieler Schritte. Aber jeder ist wichtig, denn man kann bekanntlich den nächsten nicht ohne den vorhergegangenen Schritt tun.395
Brechts Worte beherzigte der Vorstand des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auch nach seinem Tod. Auf der Basis der in London verabschiedeten Resolution erwog man 1957 einen weiteren Versuch, sich in der Anti-Atom-Bewegung zu engagieren, verknüpft mit einer neuerlichen Annäherung an das bundesdeutsche P.E.N.-Zentrum. Diese Konstellation ergab sich aus den aktuellen Entwicklungen in der globalen Rüstungspolitik, die die Bundesrepublik Deutschland in besonderer Weise betraf: Im März 1957 bestätigte die Bundesregierung, über die Stationierung von 391 392
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316
Zitiert nach Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, S. 653. Beschlußprotokoll. Sitzung der Kommission für gesamtdeutsche Arbeit [DSV] am 9. 2. 1956 [10. 2. 1956]. SAdK Berlin, Archiv Schriftstellerverband SV 26, Bl. 2. Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, S. 653. Vgl. Fischer Chronik Deutschland, S. 169. Zitiert nach Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, S. 653.
Atomwaffen in der Bundesrepublik durch US-amerikanische Streitkräfte informiert zu sein. Eine provokante Äußerung des Bundeskanzlers Adenauer, die die neu entwickelten taktischen Atomwaffen als »nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie«396 , an der auch die Bundeswehr teilhaben müsse, klein redete, rief in der Bundesrepublik entschiedenen Protest hervor. Achtzehn führende bundesdeutsche Atomwissenschaftler, darunter Max Born, Otto Hahn, Werner Heisenberg, Max von Laue und Carl Friedrich von Weizsäcker, lehnten am 12. April 1957 in ihrer Göttinger Erklärung die Verharmlosung der taktischen Atomwaffen ab. Zwar signalisierten sie die Bereitschaft, eine friedliche Verwendung der Atomenergie weiterhin zu fördern. Die Mithilfe an der Entwicklung atomarer Waffen verweigerten sie indes. Die Göttinger Erklärung und der Appell zur Einstellung der Kernwaffenversuche, den der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer wenige Tage später über den Rundfunk an die Weltöffentlichkeit richtete, unterstützten die in der Bundesrepublik aufkommende Protestbewegung, die den generellen Verzicht auf Atomwaffen forderte.397 In diesem Klima der manifesten Ablehnung wagte sich das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West vor, um die bundesrepublikanische Sektion zu einer gemeinsamen Erklärung gegen atomare Aufrüstung in Ost- wie Westdeutschland zu gewinnen: Wir stehen vor der Möglichkeit, Deutschland aus dem bedrohlichen Atomrüsten herauszuhalten, und zwar dank des weltweiten Echos, das die so mutige und verantwortungsbewußte Erklärung der Göttinger Wissenschaftler gefunden hat. Die Initiative der Göttinger hat Anlaß zu einer Bewegung gegeben, die mit der Erklärung Albert Schweitzers nun weit über den Rahmen Deutschlands hinaus die bestehende Bedrohung der Menschheit durch Atom- und Wasserstoffexperimente aufs deutlichste klarmacht. Der durch diese Tatsachen gegebene Rahmen bietet die günstigsten Voraussetzungen zu einem praktischen Erfolg wenigstens in der deutschen Frage zu kommen, das heißt zu einem Verzicht auf die Entwicklung und Anwendung von Massenvernichtungswaffen durch deutsche Truppen, von welcher Seite auch immer, und auch zu einem Verzicht auf die Stationierung solcher Waffen auf deutschem Boden, sei es im Osten oder im Westen, durch fremde Heere. In diesem Sinne dem beispielgebendenSchritt der deutschenWissenschaftlerzu folgen, liegt nun wohl in der Verantwortung der deutschen Schriftsteller – und insbesondere jener, die mit ihrer Zustimmung zur Londoner Resolution zum Ausdruck gebracht haben, daß sie sich klar darüber sind, um was es hier geht.398
Mit diesem Anliegen nahm das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West erstmals seit dem Wiener Kongress (1955) direkten Kontakt mit der bundesdeutschen P.E.N.-Sektion auf. In Wien waren auf Wunsch des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West als Vertreter des Bundes-P.E.N. Erich Kästner, Richard Friedenthal, Fritz Usinger, Walter Schmiele, Gerhard Hering und Walter Meckauer 396 397 398
Zitiert nach Fischer Chronik Deutschland, S. 203. Vgl. Fischer Chronik Deutschland, S. 203. Johannes Tralow/Heinrich Christian Meier/Alexander Stenbock-Fermor/Bodo Uhse und Arnold Zweig an das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) [4. 5. 1957]. SBBPK NL Tralow K 86 M 45. 317
mit Franz Carl Weiskopf und Bodo Uhse zu einer Besprechung zusammengekommen: »Sinn der Aussprache war, zwischen den beiden Zentren ein normales Verhältnis herzustellen, wie es sich zwischen zwei Zentren des P.E.N.-Klubs von selbst verstehen sollte.«399 Über den Austausch der Mitgliederlisten hatte man sich positiv verständigt. Eine Annäherung beider Zentren durch »gegenseitige[ ] informative[ ] Vorträge«400 wurde von Kästner nicht direkt abgelehnt; er hatte erklärt, mit Vorstand und Beirat darüber sprechen zu wollen.401 Die Frage nach einer Wiedervereinigung der beiden Zentren war erwartungsgemäß zurückgestellt worden; sie sei »nicht zeitgemäss und utopisch«402 , so Friedenthal. Trotz dieser Abfuhr hatte Uhse die Chancen auf eine längerfristige Kooperation mit dem Deutschen P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) günstig gewertet. Auf Grund der Besprechung sowie zahlreicher privater Unterhaltungen sei der Eindruck entstanden, »dass bestimmte Formen der Zusammenarbeit […] durchaus möglich [seien], d. h., dass Friedenthal und andere bei entsprechendem Drängen […] diese Zusammenarbeit nicht mehr verhindern könn[t]en.«403 Eine Wiedervereinigung war von bundesrepublikanischer Seite indes kategorisch abgelehnt worden. Verlangt hatte man, laut Uhses Bericht auf der Generalversammlung des Jahres 1956, dass das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West sich in ein »reines Ostzentrum«404 verwandele. Der Vorstoß im Hinblick auf die Anti-Atom-Bewegung führte zu keiner gemeinsamen Erklärung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren. Heinrich Christian Meier mutmaßte als westlicher Beobachter, dass der »Vorschlag nicht auf Gegenliebe gestoszen«405 sei. Tatsächlich nahm das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) den Vorschlag des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zur Kenntnis; man hatte jedoch bereits im April 1957 eine Entschließung for399
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[Bodo Uhse]: Bericht über den 27. Kongress des Internationalen P.E.N. und die Tätigkeit der deutschen Delegation [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv1081/68–86, hier 1081/83. [Bodo Uhse]: Bericht über den 27. Kongress des Internationalen P.E.N. und die Tätigkeit der deutschen Delegation [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv1081/68–86, hier 1081/83. Erich Kästner: Vertraulich. [Bericht über den InternationalenP.E.N.-Kongressin Wien 1955]. Anlage zu einem Brief an Kasimir Edschmid [18. 6. 1955].P.E.N.-Material 1950– 1956, überlassen von Hildegard Finger (Sekretärin von Kasimir Edschmid), S. 4. [Bodo Uhse]: Bericht über den 27. Kongress des Internationalen P.E.N. und die Tätigkeit der deutschen Delegation [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv1081/68–86, hier 1081/83. [Bodo Uhse]: Bericht über den 27. Kongress des Internationalen P.E.N. und die Tätigkeit der deutschen Delegation [o. D.]. SAdK Berlin, Bertolt Brecht-Archiv1081/68–86, hier 1081/84. Johannes Tralow: Bericht über die 9. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West (Sitz München) am 9. März 1956 [o. D.]. SBBPK NL Tralow K 86 M 44. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [28. 5. 1957]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier.
muliert und veröffentlicht, die Albert Schweitzers Erklärung »einmütig begrüsst und sich mit seiner Sorge um den Fortbestand des Menschlichen […] klar identifiziert«406 hatte. Eine konkrete Kooperation der beiden deutschen P.E.N.Zentren war mit dieser Aktion nicht erreicht, wohl aber eine beiderseitige Kommunikation. Eine Normalisierung des deutsch-deutschen Verhältnisses schien möglich. Bertolt Brecht nahm an diesen Entwicklungen keinen Anteil mehr. Er war in der Nacht vom 14. auf den 15. August 1956 gestorben. Gearbeitet hatte er bis zuletzt. Noch wenige Tage vor seinem Tod nahm er, trotz seines bedenklichen Gesundheitszustands, an den Probearbeiten zur Aufführung seines Galilei teil.407 Im Vorstand des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West nahm man das plötzliche Ableben des Präsidenten mit Erschütterung auf: Wir haben die schmerzliche Pflicht, Ihnen vom Ableben unseres Präsidenten Bertolt Brecht Mitteilung machen zu müssen. Wir können die Trauerkunde nur mit Ergriffenheit entgegennehmen. Brecht war ein Einmaliger und von ihm gilt nicht das Wort, daß jeder Mensch zu ersetzen sei.408
Beigesetzt wurde Brecht am 17. August auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, neben dem von ihm bewohnten Haus in der Chausseestraße: Alles Ritual hatte er selbst angeordnet, den Metallsarg betreffend, der eilends herzustellen war, dazu die negative Zeremonie einer Beisetzung ohne Redner. Ausgiebig wurde die Rhetorik am nächsten Tag nachgeliefert: bei dem ›Staatsakt‹ im Theatersaal des Berliner Ensembles am Schiffbauerdamm. Sonderbare Mischung des Personals bei dieser amtlichen Trauerfeier für einen unbequemen Autor. Sowohl im Publikum wie bei den Mitwirkenden trafen die Funktionäre mit ihren Neinsagern zusammen, nicht gerechnet die Freundeund Schüler Brechts, die aus dem Westen gekommen waren. […] Es war eine absurde Feier. Brecht hätte sie vermutlich genossen.409
Ohne hintergründige Ironie wertete Tralow die Berliner Gedenkfeier: »Alles, was in Ost- und fast alles was in Westberlin Rang und Namen hatte, war anwesend und erhärtete damit die Tatsache, daß Bertolt Brecht heute schon eine geschichtliche Persönlichkeit war.«410 Von Seiten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West war man bestrebt, Brecht auch im Westen angemessen zu würdigen. Nach »vielen Quertreibereien«, Zu- und Absagen fand Mitte November 1956 in München eine Gedächtnisfeier für Brecht statt, zu der das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West geladen hatte. Als Redner hatte man Hans Mayer gewonnen, Therese Giehse und 406
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Walter Schmiele an Johannes Tralow [11. 6. 1957]. SBBPK NL Tralow K 53 Konv. Schmiele. Vgl. auch Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 102. Kesting, S. 147. Johannes Tralow und Bodo Uhse an alle Mitglieder [17. 8. 1956]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2155. Mayer: Erinnerung an Brecht, S. 118–120. Johannes Tralow: Bericht zur GV 1957 [o. D.]. P.E.N. Archiv CDR 1 PEN-Club/GV März 1957 Weimar/Bericht zur GV 1–10, hier 4. 319
Ursula Herking rezitierten und sangen aus Brechts Werk. Nach Tralows Bericht gelangten Störungsversuche, die, wie erwartet, nicht ausblieben, nicht zum Ziel. Beinahe aber hätte ein anderer Umstand die Feier gesprengt. Wir riefen, aber es kamen mehr, als wir erwartet hatten. Ein Saal für 500 Personen stand zur Verfügung, den wir durch Öffnen von Türen für 800 Personen erweitern konnten und erweiterten. Als dann aber noch etwa 200 Menschen standen, war die Grenze erreicht, und ich mußte die Polizei um Absperrung bitten, um einen Tumult und vielleicht Schlimmeres zu verhüten. Zweifellos befanden sich auch in München Teilnehmer von Rang und Namen – ich habe selbst eine Reihe von ihnen begrüßt – aber die Hauptsache war doch das Volk. Das Volk kam und die Jugend kam, insbesondere auch die studierende Jugend.411
Die Ära Brecht ging mit öffentlichem Widerhall zu Ende. In der kurzen Amtszeit hatte sich im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West vieles bewegt. Die Zuständigkeiten für das P.E.N.-Zentrum innerhalb der Organisationsstrukturen der DDR hatten sich verändert, die Etablierung und Profilierung auf internationaler Ebene war geglückt. All dies war nicht ausschließlich durch Brechts Wirken bestimmt worden. Er hatte sich maßgeblich für seine ureigenen Interessen in die P.E.N.-Arbeit eingebracht; er war der Ideengeber, trat aber kaum selbst in Erscheinung. Mit der Durchsetzung der Anti-Atom-Resolution, an die er unbeirrt geglaubt hatte, war ihm zumindest ein kleines internationales »Spektakel« geglückt.
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Johannes Tralow: Bericht zur GV 1957 [o. D.]. P.E.N. Archiv CDR 1 PEN-Club/GV März 1957 Weimar/Bericht zur GV 1–10, hier 4f.
6.
Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West / P.E.N.-Zentrum DDR unter Arnold Zweig (1956/57–1968)
6.1
Die krisenhafte Entwicklung des Weltkommunismus im Jahr 1956 – Die direkten Auswirkungen auf den P.E.N. in der DDR und auf internationaler Ebene
Der plötzliche Tod des Präsidenten Bertolt Brecht im August 1956 löste keine unmittelbaren Veränderungen in der Führungsriege des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West aus. Das Amt des Präsidenten blieb zunächst unbesetzt, weil die reguläre, alljährlich stattfindende Generalversammlung des Jahres 1956 bereits im März abgehalten worden war. In der Folge wurden die laufenden Arbeiten – wie großenteils auch schon zuvor – von den Kontrahenten Johannes Tralow und Bodo Uhse fortgeführt. Der westdeutsche Generalsekretär Herbert Burgmüller, der auch vor Brechts Tod wenig in Erscheinung getreten war, spielte für das Tagesgeschäft des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West im Grunde keine Rolle mehr. Zudem wurden die personellen Fragen durch äußere Einflüsse zurückgedrängt: Die weltpolitischen Ereignisse, die das Jahr 1956 bestimmten und deren Konsequenzen weit darüber hinaus reichten, nahmen entscheidenden Einfluss auf die Tätigkeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West ; sie entfachten, insbesondere auf internationaler P.E.N.-Ebene, eine kontroverse und langwierige Diskussion. Das Jahr 1956 bedeutete eine »tiefe Zäsur in der Entwicklung des Weltkommunismus«1 : Signale, die im Februar von den Führern der KPdSU ausgesandt worden waren, brachten weit reichende Erschütterungen des kommunistischen Weltbildes mit sich. Auf dem XX. Parteitag der KPdSU (14.–25. 2. 1956) sprachen sich Nikita Chruschtschow und andere führende Köpfe der KPdSU für vier, großenteils neue Thesen des Kommunismus aus: 1. Kriege sind vermeidbar; 2. die friedliche Koexistenz zwischen Ost und West ist für einen langen Zeitraum Ziel der KPdSU; 3. der ›Aufbau des Sozialismus‹ geht auf ›unterschiedlichem Wege‹ entsprechend den nationalen Besonderheiten in den einzelnen Ländern vor sich; 4. auch ein friedlicher,parlamentarischer›Weg zum Sozialismus‹ ist möglich und nicht nur die Revolution […].2
Schwerwiegende Folgen für den Weltkommunismus provozierte Chruschtschows »Geheimrede« auf dem Parteitag, die die Abschaffung des Personenkults forderte. Chruschtschow distanzierte sich unmissverständlich von Stalin 1 2
Weber, S. 251. Weber, S. 252. 321
und dessen Herrschaftsmethoden; er beschuldigte Stalin des Machtmissbrauchs, der Willkür und des Massenterrors. Obgleich Chruschtschow den Terror des Stalin-Regimes nur partiell aufdeckte, hatten die Enthüllungen für die kommunistische Welt entscheidende Konsequenzen. Die eingeläutete »Entstalinisierung«, die alle kommunistischen Parteien und kommunistisch regierten Staaten betraf, führte zu unterschiedlichen Entwicklungen in den einzelnen Ländern.3 In der DDR sorgten die Weisungen der KPdSU gleichermaßen für Unruhe und Verwirrung. Ulbricht war die Brisanz des XX. Parteitages sehr bewusst; er passte sich sofort der neuen Linie der Sowjetführer an. So rief die SED zur Vermeidung jedweden Personenkults auf. Gleichwohl versuchte Ulbricht eine offene Diskussion über die »Entstalinisierung« zu bremsen, denn »als gewiefter Taktiker«4 hatte er deren Gefahren für die Parteiführung der SED und sich selbst erkannt. Auf der 3. Parteikonferenz der SED im März 1956 standen demzufolge wirtschaftspolitische Fragen im Vordergrund. Die Abkehr von Stalin wurde in den Gesprächen nur gestreift.5 Von einer Veröffentlichung der ChruschtschowRede in der DDR sah man ab; sie sollte vor den Parteimitgliedern nur verlesen werden. Eine Debatte von Chruschtschows Rede und den daraus resultierenden Ergebnissen in den unteren Parteiebenen schien von der Parteiführung unerwünscht.6 Die Inhalte indes waren durchgedrungen und das Entsetzen in sämtlichen Schichten der Bevölkerung war groß; es erschütterte alle Menschen, am meisten die, die sich diesem Mann in ihrem Denken verpflichtet fühlten. Spontan wurde überall diskutiert. Selbst in Gremien, in denen bisher die Rituale streng eingehalten wurden, kam es zu eruptiven Ausbrüchen, offenbarten Menschen ihre Verzweiflung, als hätten sie einen Gott verloren.Die Wortführer waren verunsichert, verzweifelt oder blieben stumm. […] Am meisten hatte man den Dichtern geglaubt. Die Gefühle, die diesem Mann entgegengebracht wurden, waren von ihnen geweckt worden. Nicht zuletzt sie hatten die Wandlung herbeigeführt, die aus dem von den Faschisten als Bluthund verteufelten Stalin den verehrten Genossen Stalin machten.7
Die Enthüllungen über Stalin trafen die Schriftsteller in besonderer Weise. Becher legte seinen inneren Konflikt, der ihn »jahrelang verzehrte«8 , schriftlich nieder; er war seit langem »in demselben Maße, wie [er] Stalin verehrte und liebte, […] von Grauen ergriffen worden […] angesichts gewisser Vorgänge, die er in der Sowjetunion erleben mußte.«9 Wenige Monate später schien Becher grundsätzlich ernüchtert über die Utopie des Sozialismus: 3 4 5 6
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Vgl. Weber, S. 251–253. Weber, S. 254. Vgl. Weber, S. 254f. Vgl. 27. Tagung des Zentralkomitees der SED, 30. März 1956. Abgedruckt in: Gansel: Der gespaltene Dichter, S. 139–151, bes. S. 140 und 146f. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 124f. JohannesR. Becher:Gewisse Ereignissein letzter Zeit. Zitiert nach Gansel: Der gespaltene Dichter, S. 134. Johannes R. Becher: Diesen Mann habe ich damals verehrt wie keinen. Zitiert nach Gansel: Der gespaltene Dichter, S. 134f.
Der Grundirrtum meines Lebens bestand in der Annahme, daß der Sozialismus die menschlichen Tragödienbeende und das Ende der menschlichen Tragik selbst bedeute. […] Wer vom Sozialismus träumt und schwärmt als von einem Erdenparadies und einem Glück für alle, der wird furchtbar belehrt werden in dem Sinne, daß die sozialistische Ordnung ganze Menschen hervorbringt, die aufs Ganze gehen, wenn auch nicht unter Anwendung der barbarischen Mittel der Vorzeit, aber auch diese bleiben noch eine Zeitlang im Gebrauch, wie es gerade in letzter Zeit bewiesen wurde, und dadurch, daß sich ihrer Sozialisten bedienten, übertreffen sie in ihrer Barbarei noch die vordem gebräuchlichen.10
Auch Brecht war entsetzt gewesen: »Was jetzt zur Sprache kam, erdrückte ihn. So viel Mord, so viel vergossenes Blut wollte er nicht hinnehmen. Hier verlor sich die Tragik in Sinnlosigkeit.«11 Infolge des XX. Parteitags der KPdSU verstärkten sich die Tendenzen innerhalb der Intelligenz, die zunehmende Unzufriedenheit mit den realen Gegebenheiten zum Ausdruck zu bringen: Von den Schriftstellern wurde der »Vorwurf der administrativen Bevormundung und Doktrinisierung der Literatur«12 auf breiter Basis vorgebracht. Selbst unter den dezidiert sozialistischen Schriftstellern wie Anna Seghers, Eduard Claudius, Stefan Heym, Bodo Uhse und Willi Bredel war schon Anfang 1956 Kritik an den ästhetischen Doktrinen laut geworden, die der Parteiapparat herausgegeben hatte. Die von der Sowjetunion ausgehenden Impulse bewirkten eine Intensivierung der offenen Kritik und schienen in der Kulturpolitik der DDR gleichsam eine Phase regelrechten »Tauwetters« einzuläuten.13 Die SED-Führung war bemüht, die innerhalb der Partei entbrannte heftige Auseinandersetzung einzudämmen. Zwar bekannte man sich zu einigen Fehlern der SED-Politik. Man pochte allerdings auf die Korrektheit der Generallinie, die von der Partei ausgegeben worden war, um mögliche Opponenten klein zu halten. Eine kurze Phase innerer Liberalisierung setzte ein: Zahlreiche frühere Strafurteile wurden überprüft, bis zum 21. Juni 1956 wurden im Zuge einer allgemeinen Amnestie fast 11.900 Strafgefangene, darunter auch politische Häftlinge, entlassen. Bis zum Oktober stieg diese Zahl auf insgesamt rund 21.000.14 Rehabilitiert wurden auch einige der Ulbricht-Gegner, die mit Parteistrafen belegt worden waren. Die Opfer der stalinistischen Säuberungen in der Partei, die verhaftet und in Geheimprozessen verurteilt worden waren, kamen dabei nicht zur Sprache; ihr Schicksal wurde tabuisiert, »um den Terror innerhalb der Partei verschleiern zu können.«15 Auch in anderen Ländern innerhalb des sowjetischen Machtbereichs löste das Signal, das der XX. Parteitag der KPdSU ausgesendet hatte, Reaktionen aus; die »Entstalinisierung« wuchs sich zu einer Krise aus: Während in Polen 10
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Johannes R. Becher:Der Grundirrtum meines Lebens. Zitiert nach Gansel: Der gespaltene Dichter, S. 153f. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 125. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 126. Vgl. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 126. Die Fischer Chronik, S. 191. Weber, S. 257. 323
durch die personell veränderte Führungsriege mit Reformen auf die Erschütterung des kommunistischen Weltbildes reagiert wurde, steigerte sich die gereizte Atmosphäre in Ungarn bis zum Volksaufstand. Seit dem Tod Stalins im März 1953 befand sich Ungarn in einem zunehmend destabilisierten Zustand. Der Wechsel in der politischen Führung von Mátyás Rákosi zu Imre Nagy bewirkte für die Bevölkerung keine Verbesserung der schwierigen Gesamtsituation. Zwar war Nagy mit seiner Reformpolitik zum »Hoffnungsträger«16 des Volkes geworden; er scheiterte jedoch Ende 1955 an den Intrigen seines Amtsvorgängers Rákosi und anderer ungarischer Dogmatiker. In diese Phase höchster Instabilität traf die Nachricht von der Wende in der sowjetischen Politik. Die Debatten in den Kreisen der Studenten und Intellektuellen wurden intensiv geführt und fanden zunehmende Resonanz innerhalb der Bevölkerung.17 Die »heißen Diskussionen des Petöfi18 -Klubs« etwa, der 1955 von jungen Literaten und Intellektuellen gegründet worden war, wurden schließlich »mit Lautsprechern auf die Straßen übertragen«19 . Der »Prozess der Ernüchterung«20 , der innerhalb eines engen Kreises der literarischen Intelligenz infolge des von Nagy eingeleiteten »Neuen Kurses« eingesetzt hatte, wirkte fort. Auftrieb erhielt die zunehmende Protestbereitschaft der ungarischen Bevölkerung infolge der reformpolitischen Entwicklungen in Polen, die durch die gegen den Willen des Kremls durchgesetzte Wahl von Wladislaw Gomulka zum Parteichef der kommunistischen Partei in Gang gesetzt worden waren. In den ungarischen Universitätsstädten häuften sich Studentenversammlungen, die zunehmend radikalere Forderungen stellten.21 Eine für den 23. Oktober in Budapest geplante Solidaritätsbekundung der Studenten und Intellektuellen mit den Reformen in Polen verwandelte sich von einer zunächst friedlichen Kundgebung zu einem Aufstand, der die breite Masse erfasste: »Zunächst gab es keinen Versuch, dem Kind einen Namen zu geben. Das Etwas tanzte, tobte, sang, lachte, skandierte vorerst anonym auf den Straßen.«22 Angesichts der allerorten ausbrechenden Straßenkämpfe gingen die in Ungarn stationierten sowjetischen Truppen auf Bitte der ungarischen Regierung 16
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Györgi Dalos: Ungarn in der Nußschale. Geschichte meines Landes. München 2004, S. 158. Vgl. Janos Hauszmann: Ungarn. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 2004, S. 263. Die Initiatoren benannten ihren 1955 gegründeten Kreis zunächst nach Bessenyei, einem Dichter der Aufklärung. Unter Einwirkung der ungarischen Führungspartei wurde er umbenannt in Petöfi-Club, nach Sándor Petöfi, Dichter und Anführer der gescheiterten Revolution von 1848. Dass der Club zur »Keimzelle der intellektuellen Revolte des kommenden Jahres« werden würde, ahnten die Verantwortlichen nicht voraus. Vgl. György Litvan und János M. Bak (Hg.): Die Ungarische Reform 1956. Reform – Aufstand – Vergeltung. Wien 1996, S. 59–57, hier S. 57. Vgl. Dalos: Ungarn in der Nußschale, S. 159. Litvan und Bak (Hg.): Die Ungarische Revolution 1956, S. 42. Vgl. Hauszmann: Ungarn. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, S. 264. Dalos: Ungarn in der Nußschale, S. 160.
unter Ernö Gerö zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung mit Waffengewalt gegen die Aufständischen vor. In das entstandene politische Vakuum trat Nagy mit der Bildung einer Regierung ein, die eine sofortige Feuereinstellung und den Rückzug der sowjetischen Truppen verkündete. Die von Nagy verfolgte Reformpolitik zielte auf die nationale Unabhängigkeit Ungarns und die Einführung einer parlamentarischen Demokratie. Am 1. November verkündete Nagy die Neutralität Ungarns und den Austritt des Landes aus dem Warschauer Pakt; er rief die UNO um Hilfe an. Indessen rückten am 4. November erneut sowjetische Panzer gegen Budapest vor und János Kádár gab die Gründung einer prosowjetischen Gegenregierung unter seinem Vorsitz bekannt. Aufgrund der militärischen Übermacht der sowjetischen Armee waren Nagy und seine Regierungsmitglieder zur Aufgabe gezwungen. Die aufständischen Freiheitskämpfer stellten sich den sowjetischen Truppen in Budapest und anderen Orten entschlossen entgegen. Am 15. November brach der Aufstand jedoch endgültig zusammen.23 In der westlichen Welt wurde die gewaltsame Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes mit großem Entsetzen aufgenommen. Ungarn wurde weltweit zu einem Symbol der Freiheit und der tragischen Niederlage. Kádárs unlegitimierte Regierung stand vor großen Problemen; Ungarn befand sich in einer außen- wie innenpolitisch schwierigen Lage: Die UNO hatte die »ungarische Frage« auf die Tagesordnung der Generalversammlung gesetzt und forderte den Abzug der sowjetischen Truppen. Der neu gegründete Zentrale Arbeiterrat von Budapest rief zum Generalstreik auf. Der ungarische Schriftstellerverband veröffentlichte im Namen der ungarischen Intelligenz eine Erklärung, die sich für die ungarische Revolution als eine eindeutige Willensäußerung des Volkes aussprach und den Abzug der Sowjetarmee verlangte. Der Revolutionsrat der Ungarischen Intelligenz wurde gegründet.24 Im Innern des Landes wurde der politische Widerstand unvermindert fortgesetzt. Die KádárRegierung verhängte daraufhin das Standrecht und verfügte eine Massenverhaftung, in deren Folge mehr als 300 Menschen hingerichtet und mehr als 16.000 Personen verurteilt und interniert wurden. Zu den Opfern dieser Maßnahmen zählten Arbeiter, Bauern und Intellektuelle. Die Vergeltungsaktion der Regierung traf auch prominente Persönlichkeiten, so Imre Nagy und seine Gefährten, die 1958 hingerichtet wurden.25 Inhaftiert wurden auch die Schriftsteller Tibor Déry und Gyula Háy; sie hatten in Verbindung mit dem Petöfi-Klub an der geistigen Vorbereitung des Aufstandes mitgearbeitet. Déry hatte nach der niedergeschlagenen Revolte weiterhin als Wortführer unter den ungarischen Schrift-
23 24 25
Hauszmann: Ungarn. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, S. 265–267. Vgl. Litvan und Bak (Hg.): Die Ungarische Reform 1956, S. 140. Vgl. Dalos: Ungarn in der Nußschale, S. 167f. und Hauszmann: Ungarn. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, S. 267f. 325
stellern gewirkt.26 Im Januar 1957 waren beide inhaftiert und am 13. November zu neun bzw. sechs Jahren Haftstrafe verurteilt worden.27 Unter dem Eindruck der antistalinistischen Bestrebungen in Polen und des ungarischen Volksaufstands erhielt auch die in der DDR seit 1953 existierende Oppositionsbewegung, die maßgeblich von Intellektuellen getragen wurde, verstärkten Auftrieb. Anders als im Juni 1953 blieben die Arbeiter passiv, die »ideologische Opposition der Partei- und Hochschulintelligenz der DDR [war] um so gravierender«.28 Die »Entstalinisierung« wurde zum Anlass genommen, um gegen die diktatorischen Führungsmethoden der SED zu opponieren und massive Forderungen zur Demokratisierung des Staatssystems aufzustellen. In der jüngeren Generation bildete sich eine Opposition des »drittes Weges« aus, deren ideologische Konzeption »antistalinistisch, aber nicht antikommunistisch«29 war; sie lehnte den Kapitalismus ebenso ab wie die Herrschaftsstrukturen der DDR und forderte Reformen zur Schaffung eines menschlichen Sozialismus. Die scheinbare »Tauwetter-Periode«, die nach Chruschtschows »Geheimrede« auf dem XX. Parteitag der KPdSU in der DDR eingesetzt hatte, wurde von der Parteiführung jedoch abrupt beendet. Der Aufstand in Ungarn und sein nachweislicher Einfluss auf die oppositionellen Kreise in der DDR bedingten eine Verschärfung der kulturpolitischen Situation in der DDR; man fürchtete eine parallele Entwicklung, die dem politischen System hätte gefährlich werden können. Auf diese Weise gerieten die Intellektuellen der Republik unter verstärkte Kontrolle durch die staatspolitischen Instanzen. Das Ministerium für Staatssicherheit erstellte im Auftrag des Politbüros eine »Analyse der Feindtätigkeiten innerhalb der wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz«; dieser wurde ideologische Diversion und Revisionismus zur Last gelegt.30 Verhaftungen, Schauprozesse und Verurteilungen zu langjährigen Zuchthausstrafen waren an der Tagesordnung. Obgleich das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West von diesen Entwicklungen relativ unberührt blieb – die ideologische Oppositionsbewegung unter den Angehörigen der Partei- und Hochschulintelligenz hatte keinerlei Eingang in seine Arbeit gefunden –, geriet es nun verstärkt in den Blickpunkt der parteipolitischen und staatlichen Beobachter. Sporadisches Interesse an der Tätigkeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf internationaler Ebene hatte das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten schon Mitte 1955 gezeigt. Als Kontaktperson fungierte Bodo Uhse. Über eine allgemeine Information zu den beiden deutschen P.E.N.-Zentren und Auskünfte über die zur Vorlage in Wien geplante Atom-Resolution sowie die Delegationszusammensetzung war Uhses 26 27
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Vgl. Litvan und Bak (Hg.): Die Ungarische Reform 1956, S. 141 und S. 198. Vgl. Tibor Déry: Kein Urteil. Memoiren. Berlin 1983, S. 440. Ein Ausschnitt aus Dérys Erinnerungen ist verfügbar unter URL: http://www.ungarn1956.de/site/40208570/ default.aspx [Zugriff: 20. 6. 2007]. Weber, S. 258. Weber, S. 260. Vgl. Weber, S. 260.
Antwort jedoch nicht hinausgegangen.31 Ein Bericht über den Kongress in Wien ging an die Abteilung Kultur beim ZK der SED.32 Nach den alarmierenden Vorgängen in Ungarn wuchs das Interesse am Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West, dessen Beeinflussung durch die Anbindung an den Internationalen P.E.N. nicht ausgeschlossen schien. Die Politfunktionäre erwarteten nicht nur grundlegende Aufklärung über das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West. Dringlich gefordert wurde genaue Auskunft über die Haltung des Internationalen P.E.N. in der Ungarn-Angelegenheit.33 Im Vorstandsmitglied Bodo Uhse hatte das Ministerium für Kultur, Hauptabteilung Schöne Literatur, einen auskunftswilligen Informanten, der Mitte Februar 1957 auf Anfrage mitteilte, daß das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West bisher vom Präsidium des Internationalen PEN keine Mitteilung darüber erhalten hat, daß der InternationalePEN Schritte zu unternehmen beabsichtigt oder bereits unternommen hat, die sich gegen die Politik der Regierung der ungarischen Volksrepublik richten. Das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West wird beim Präsidenten des Internationalen PEN André Chamson anfragen, wie es sich damit verhält. Im übrigen ist beabsichtigt, daß sich das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West mit dieser und anderen Fragen der Haltung des Internationalen PEN auf seiner Generalversammlung am 28./29. 3. [1957] in Weimar beschäftigt.34
Gleichwohl hatte der Vorstand des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West von außen einen Anstoß zur Reaktion auf die Verhältnisse in Ungarn erhalten – durch das Sekretariat des Internationalen P.E.N.; es hatte infolge eines von Radio Free Europe (RFE) übertragenen Hilferufs des ungarischen P.E.N. alle nationalen P.E.N.-Sektionen aufgefordert, in eigener Initiative Solidarität mit den ungarischen Schriftstellerkollegen zu bekunden.35 Dass Johannes Tralow schon Anfang November 1956 eigenmächtig auf diese Aufforderung des internationalen P.E.N.-Sekretariats reagiert hatte, war an Uhse offenbar vorbeigegangen oder er verschwieg dies. Allerdings hatte Tralow keine Solidaritätsbekundung mit den ungarischen Schriftstellerkollegen verfasst; er schrieb an Carver und Chamson, um seiner Skepsis gegenüber der RFE-Meldung Ausdruck zu verleihen: »Das private Radio ›Free Europe‹ wird bei uns in Bayern gar nicht geschätzt. Es waren wiederholt Debatten im Bayerischen Parlament mit dem Ziel, es aus Bayern verschwinden zu lassen.«36 Tralows Abneigung gegen RFE lag in dessen antiso31
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Vgl. Bodo Uhse: Zur Anfrage des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten [7. 6. 1955]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 681/33. Vgl. Bodo Uhse an Erich Mückenberger [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [24. 6. 1955]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 681/75. Vgl. Werner Baum [Ministerium für Kultur, Hauptabteilung Schöne Literatur] an Bodo Uhse [7. 2. 1957]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 691/1. Bodo Uhse an Werner Baum [Ministerium für Kultur, Hauptabteilung Schöne Literatur] [13. 2. 1957]. SAdK Berlin NL Bodo Uhse 691/1. Vgl. Tralow: Gelebte Literatur, S. 74f. Johannes Tralow an André Chamson und David Carver [8. 11. 1956]. Zitiert nach Tralow: Gelebte Literatur, S. 74–76, hier S. 75. Enthalten auch in SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 693/2. 327
wjetischem Charakter begründet. Auch die Rundfunklandschaft in Deutschland war maßgeblich durch den Kalten Krieg geprägt. In Anlehnung an den amerikanischen RIAS, der in und um Berlin wirkte, war im Dezember 1949 »mit maßgeblicher Beteiligung der US-Regierung und antikommunistischer Exilantengruppen das Großunternehmen ›Radio Free Europe‹«37 gegründet worden; es sollte ein Rundfunk geschaffen werden, »der sich an jedes Land hinter dem Eisernen Vorhang in dessen eigener Sprache richten würde«38 . Seit Ende 1952 befanden sich die Aufnahmestudios in München. Programme für sechs Ostblockländer wurden von Sendern und Relaisstationen in Bayern gesendet, die in »Übereinstimmung mit der Zielsetzung der US-Außenpolitik […] einen gewaltigen Ätherkrieg«39 entfesselten. Die Ergebnisse seiner Nachforschungen bei RFE und dem Bayerischen Rundfunk veranlassten Tralow zu der »Vermutung, daß ›Radio Free Europe‹ Meldungen verbreitet, die es niemals empfing, und zwar lediglich in der Absicht einer Völkerverhetzung.«40 Zwar ließ Tralow in seinem Antwortbrief an Carver und Chamson alle Möglichkeiten einer Reaktion auf die ungarischen Ereignisse für sein Zentrum offen. Er monierte jedoch die ungenaue Informationslage und machte angesichts seines gleichwohl detailreichen Wissensstandes aus seiner latent prosowjetischen Haltung kein Hehl: Wir wissen wohl, daß im Augenblick Bücher verbrannt werden und von wem und welche Bücher, wir wissen, daß Häuser angesteckt werden und von wem; wir wissen, daß Gesandtschaften erstürmt und geplündert werden und von wem; wir wissen wohl, daß in Ungarn Streitigkeiten ausgebrochen sind, die zu beklagenswerten Kämpfen geführt haben, aber wir wissen nicht genau, wer wen bekämpft, und ich persönlich kann mir sehr wohl vorstellen, daß eine Besatzungsmacht die Verpflichtung in sich fühlte, diese Kämpfe, die zu Beginn ausschließlich Kämpfe von Ungarn gegen Ungarn waren, im Interesse des ungarischen Volkes zu unterbinden.41
Diese aus persönlicher Sicht formulierte Aussage, die Tralow als Befürworter der sowjetischen Intervention zeigt und seinen Mangel an Distanz zur kommunistischen Machtsphäre deutlich unter Beweis stellt, blieb zunächst die einzige offizielle Stellungnahme aus den Reihen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Die von Tralow zugesicherte Weitergabe des Telegramms von Carver und Chamson an die Mitglieder des Zentrums ist nicht nachweisbar. Gleichwohl schien Tralows Stellungnahme nachfolgend legitimiert worden zu sein: »Dagegen möchte ich feststellen, daß mein Schreiben vom 8. 11. 56 nachträglich von der Majorität unserer einzelnen Mitglieder und schließlich auch unserer 37
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Wilfried Rogasch: Ätherkrieg über Berlin. Der Rundfunk als Instrument politischer Propaganda im Kalten Krieg 1945–1961. In: Deutschland im Kalten Krieg 1945–1963, S. 69–84, hier S. 79. Rogasch, S. 79. Rogasch, S. 79f. Johannes Tralow an André Chamson und David Carver [8. 11. 1956]. Zitiert nach Tralow: Gelebte Literatur, S. 75. Johannes Tralow an André Chamson und David Carver [8. 11. 1956]. Zitiert nach Tralow: Gelebte Literatur, S. 75.
Generalversammlung einstimmig gebilligt wurde. Es ist also nunmehr als offizielle Verlautbarung unseres Zentrums anzusehen.«42 Auf internationaler Ebene fiel die von Carver und Chamson angestoßene Aktion jedoch auf fruchtbaren Boden. Chamson zeigte sich auf der internationalen Tagung des Exekutivkomitees im April 1957 von der Resonanz der nationalen P.E.N.-Zentren auf den Appell des ungarischen P.E.N.-Clubs ebenso beeindruckt wie von der schnellen und unkonventionellen Hilfe für die ungarischen Flüchtlinge durch Erika Hanel, österreichischer P.E.N., und Paul Tabori, Writers in Exile.43 Die Weigerung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, sich mit den ungarischen Schriftstellern solidarisch zu erklären, strafte Carver im Jahresbericht 1956/57 auf seine Weise ab; diese sei »the only evidence of the activity of the Ost-and-West-Centre«44 . Wurde im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West die Frage nach der Beurteilung der Vorgänge in Ungarn offiziell gar nicht erst gestellt, so löste sie im österreichischen P.E.N.-Club indirekt das Ausscheiden von vier Mitgliedern aus, die der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) angehörten: Das österreichische P.E.N.-Zentrum hatte in unmittelbarer Reaktion auf Ungarn eine Protestresolution gegen die sowjetische Intervention verfasst. Ernst Fischer, Bruno Frei, Hugo Huppert und Hugo Glaser lehnten die Unterzeichnung ab. In der Folge wurde ihnen mitgeteilt, »daß dies gleichbedeutend mit einem Ausscheiden aus dem Club sei, da damit auch die Pen-Club-Charta abgelehnt werde.«45 Dass Bruno Frei und Hugo Huppert sich in ihren Antworten an das P.E.N.-Präsidium zur P.E.N.-Charta bekannten, nicht aber zum Vorgehen des P.E.N., blieb unbeachtet.46 Anfang Mai 1957 wurde auf einer Generalversammlung des Clubs das Ausscheiden der KP-Schriftsteller offiziell bekannt gegeben. Im Hinblick auf das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West erscheint diese Entwicklung im österreichischen P.E.N. insofern von Interesse, als die dort ausgeschiedenen Mitglieder Anschluss an eben diese Sektion suchten und auch fanden. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West war damit zum Zufluchtsort deutschsprachiger Kommunisten avanciert. Erst im Vorfeld einer internationalen Exekutivkomitee-Tagung, die im Oktober 1964 in Budapest tagte, sah Ingeburg Kretzschmar eine Chance zur Rückkehr in den österreichischen P.E.N. für die vier Mitglieder, »die ihre Stimme für die Festigung der Arbeiter- und Bauernmacht erhoben« hatten: »Jetzt ist das PEN-Zentrum Ungarn Gastgeber für 42
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Johannes Tralow an Gyorgy Bölöni und Mozes Rubinyi [15. 6. 1957]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 693/1. Vgl. Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Englishspeaking Union, Charles Street, London W1, at 10 a.m. on Tuesday, April 2nd , 1957, S. 10f. P.E.N.-Archiv London. David Carver: International Secretary’s Annual Report 1956–57. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 694/2, 2. Mappe. KP-Schriftsteller aus dem Pen-Club ausgeschieden [Abschrift einer dpa-Meldung, Streng vertraulich!] [4. 5. 1957]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 693/2. Vgl. Roman Roˇcek: Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines literarischen Clubs. Wien, Köln und Weimar 2000, S. 360–370, bes. S. 366–368. 329
eine Exekutive und die Mitglieder Bruno Frei, Hugo Huppert und Ernst Fischer, die ausgeschlossen wurden, können darauf rechnen, daß das Ungarische Zentrum beim internationalen PEN erwirken könnte, auch gegen die Stimme des Österreichischen PEN, der sie ausgeschlossen hat, wieder dort aufgenommen zu werden.«47 Die Protokolle der Exekutive geben keinen Hinweis auf eine solche Forderung.48 Die Mitgliedschaft der österreichischen Schriftsteller im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West blieb jedenfalls bestehen. Im November 1975 verweist ein Aktenvermerk auf die Streichung von Hugo Huppert aus der Mitgliederliste: Huppert habe »bekanntlich in den letzten Jahren in einigen Fragen persönliche Positionen ein[genommen], die ihn [von den Mitgliedern des DDRP.E.N.] trenne[ ]. Vermutlich ist das auch der Grund, warum er […] erklärte, er verstünde nicht, warum [man] ihn als Mitglied des Zentrums führ[e] und ihm regelmäßig […] Rundschreiben zuschick[ ]e. Er sei Mitglied des österreichischen, und nur des österreichischen P.E.N.«49 Die Notwendigkeit einer öffentlichen Stellungnahme zu den Verhältnissen in Ungarn nach dem niedergeschlagenen Aufstand ergab sich für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West erst auf dem Tokioer Kongress des Internationalen P.E.N., der Anfang September 1957 stattfand. Schon auf der Londoner Exekutive im April 1957 hatten sich Unregelmäßigkeiten bei der Besetzung der Vorstandsämter im ungarischen P.E.N.-Zentrum angedeutet, die auf eine mögliche parteipolitische Beeinflussung hinwiesen.50 Paul Tabori, Präsident der Writers in Exile -Sektion des Internationalen P.E.N., hatte daraufhin im Vorfeld des Tokioer Kongresses eine Resolution eingereicht, die die Mitgliedschaft des ungarischen P.E.N.-Zentrums in Frage stellte: In view of the (alleged) serious irregularities in the conduct of the Hungarian P.E.N. Centre, which seem to include breaches of the P.E.N. Charter, the XXIXth P.E.N. Congress, meeting in Tokyo: a) delegates a Commission to examine the past and present status of the Hungarian P.E.N. Centre, and b) suspends the Hungarian P.E.N. Centre until the Commission has ended its investigation and presented a report to the International Executive.51
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Protokoll der XIV. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West vom 28. bis 29. September 1964 in Potsdam [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV September 1964 – Potsdam/Protokoll 1–31, hier 3. Vgl. Condensed Minutes of the International P.E.N. Executive Committee Meeting in the Picture Hall of the Academy of Sciences, Budapest, Hungary, at ten o’clock on Thursday October 15–1964. P.E.N.-Archiv London. Aktenvermerk [25. 11. 1975; erstellt von Henryk Keisch]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/F/Frei Bruno 1. Vgl. Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Englishspeaking Union, Charles Street, London W1, at 10 a.m. on Tuesday, April 2nd , 1957, S. 11. P.E.N.-Archiv London. Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Sankei Hall in Tokyo, Japan, at 2.30 p.m. on September 1st , 1957, S. 6f. P.E.N.-Archiv London.
Als einziger Vertreter des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West reiste Bodo Uhse nach Tokio; er sah den Verlauf des Kongresses als entscheidend für die Zukunft des Internationalen P.E.N. an. Eine Suspendierung des ungarischen P.E.N.Zentrums hätte nach seiner Einschätzung die sofortige Spaltung der internationalen Vereinigung zur Folge gehabt; wiederum wäre implizit die Mitgliedschaft der Kommunisten in Frage gestellt worden. Uhse nahm im Vorfeld der Sitzungen die Verbindung mit den Delegationen aus Bulgarien, Polen und der Tschechoslowakei auf, um eine geschlossene Position zu verabreden: »Sie stimmten mir im allgemeinen zu, waren aber nicht zu einem so intransigenten Auftreten entschlossen, wie ich es vorschlug. Das zeigte sich auch später in der Abstimmung.«52 In eigener Initiative hatte Tralow schon im Juni 1957 Kontakt zu Bölöni und Rubinyi vom ungarischen P.E.N. aufgenommen, um auf die eigene kritische Haltung gegenüber der durch Carver und Chamson angestoßenen Aktion zu verweisen und mehr über Position und Arbeit des ungarischen P.E.N. zu erfahren.53 In der Exekutivkomitee-Sitzung entzündete sich an Taboris Antrag eine umfassende Diskussion, die zusätzlichen Stoff erhielt durch den telegrafischen Protest des nicht vertretenen ungarischen Zentrums gegen die Resolution. Der befürchtete Vorstoß gegen alle Zentren in kommunistisch regierten Ländern blieb nicht aus; Südkorea schlug deren Ausschluss von einer aktiven Mitgliedschaft im Internationalen P.E.N. vor – allerdings ohne nennenswerte Resonanz. Die Debatte konzentrierte sich auf den ungarischen P.E.N.; Tabori legte seine Anklagepunkte ausführlich nieder: The Exile Centre therefore charged the Hungarian P.E.N. Centre (1) with serious irregularities in conducting business since 1949; (2) with ignoring all elementary rules, having no membership, no officials save the praesidium,and no meetings (save those of a small clique under authority of secret police), and supplying no membership lists to headquarters; (3) with clearly established violation of the P.E.N. Charter; as not only have they broken the pledge of point 4 but have lent themselves to the persecution of their fellow writers; (4) with being unworthy to bear the name of P.E.N.54
Ergänzend fügte Tabori hinzu, er habe bislang gegen den Ausschluss von Zentren totalitärer Staaten votiert, »since he believed maintaining bridgeheads with their members was very important; but now in the case of Hungary it was only a bridgehead for tyranny and hypocrisy, an alien body within the PEN that could harm it greatly.«55
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Bodo Uhse: Bericht über den XXIX. Kongreß des Internationalen P.E.N. vom 1. bis 9. September 1957 in Tokio, S. 3. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 694/2. Vgl. Johannes Tralow an Gyorgy Bölöni und Mozes Rubinyi [15. 6. 1957]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 693/1. Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Sankei Hall in Tokyo, Japan, at 2.30 p.m. on September 1st , 1957, S. 10f. P.E.N.-Archiv London. Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Sankei Hall in Tokyo, Japan, at 2.30 p.m. on September 1st , 1957, S. 11. P.E.N.-Archiv London. 331
Schließlich wurde in zwei eigenständigen Verfahren über die beiden Punkte der Resolution abgestimmt. Das Ergebnis hinsichtlich der Einsetzung einer Untersuchungskommission fiel eindeutig aus. Zweiundzwanzig Zentren stimmten dafür, lediglich Uhse stimmte dagegen. Eine geschlossene Haltung der »volksdemokratischen« Zentren war offenkundig nicht erreicht worden: Die Delegierten aus Bulgarien, Polen und der Tschechoslowakei bezogen durch Stimmenthaltung eine neutrale Position. Für eine vorläufige Suspendierung der ungarischen P.E.N.-Sektion stimmten nur dreizehn Delegierte; neun sprachen sich dagegen aus, Vietnam und die Niederlande enthielten sich der Stimme. Der Einwand Polens hinsichtlich einer unzureichenden Befürwortung blieb unbeachtet. Eine eindeutige Entscheidung hinsichtlich der Suspendierung wurde nicht ausgesprochen. Das internationale Sekretariat wandte sich zunächst an den Vorstand des ungarischen P.E.N., um einen Rechenschaftsbericht über die Arbeit der Sektion zu erbitten.56 Am Rande der Exekutivkomitee-Sitzungen und in der nachfolgenden Berichterstattung scheinen sich jedoch Unregelmäßigkeiten ereignet zu haben. In seinem ausführlichen Kongressbericht betonte Uhse, dass er »in mehrfachen Interventionen die Behandlung der Resolution in Abwesenheit der Ungarn für unmöglich [erklärt habe]. Tabori spiele sich hier als Kläger, Zeuge, Staatsanwalt und Richter in einer Person auf. Die Annahme einer solchen auf anonyme Verleumdungen stützenden Resolution müsse zur Spaltung des PEN führen.«57 Im offiziellen Protokoll des Internationalen P.E.N. ist in diesem Zusammenhang keine einzige Wortmeldung von Uhse dokumentiert. Diese Tilgung von Redebeiträgen aus den Minutes steht vermutlich in engem Zusammenhang mit Uhses Versuch, interne Kenntnisse über die »finanzielle[ ] Abhängigkeit bestimmter Delegationen (Bundesrepublik, Südkorea, Schriftsteller im Exil) vom Kongress für kulturelle Freiheit« auszuspielen, »um die Ungültigkeit und Unrechtmäßigkeit des ganzen [Abstimmungsv]erfahrens öffentlich festzustellen.«58 Uhses kryptische Erklärung, die Debatte sei »durch den Versuch einer irgendwie organisierten Tätigkeit innerhalb [d]er [P.E.N.-]Reihen von einer außerhalb stehenden politischen Körperschaft [gemeint ist der CCF]«59 beeinflusst, blieb im Protokoll der Exekutivkomitee-Tagung unkommentiert. In einem noch während des Kongresses verfassten Briefes an Chamson bekräftigte Uhse noch einmal seine Vorwürfe gegen die Unterstützung einer erheblichen Anzahl von Delegierten durch den CCF und bat um Prüfung der Tatsachen. Eine Antwort erhielt er jedoch nach eigenen Aussagen nicht. Stattdessen sei seine Wortmeldung nachträglich auf Wunsch von David Carver aus 56 57
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Vgl. David Carver an Gyorgi Bölöni [20. 12. 1957].SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 693/2. Bodo Uhse: Bericht über den XXIX. Kongreß des Internationalen P.E.N. vom 1. bis 9. September 1957 in Tokio, S. 3. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 694/2. Bodo Uhse: Bericht über den XXIX. Kongreß des Internationalen P.E.N. vom 1. bis 9. September 1957 in Tokio, S. 7f. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 694/2. Bodo Uhse: Bericht über den XXIX. Kongreß des Internationalen P.E.N. vom 1. bis 9. September 1957 in Tokio, S. 9. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 694/2.
dem vom japanischen P.E.N. herausgegebenen Protokoll der Geschäftssitzungen gestrichen worden.60 Uhses Bericht dokumentiert die Vorgänge detailreich – bis hin zu wortwörtlichen Abschriften.61 Eine fiktive Konstruktion des Ablaufs, um gegenüber den Berichtempfängern in einem positiveren Lichte da zu stehen, erscheint damit eher unwahrscheinlich. Uhses Version gewinnt vor dem Hintergrund einer Untersuchung von Francis Stonor Saunders über den amerikanischen Geheimdienst und dessen Einflussnahme auf den westlichen Kulturbetrieb einiges an Plausibilität. Die Spekulationen über die Bedeutung des CCF für die Spaltungsgeschichte des deutschen P.E.N. sind bereits ausführlich dargelegt worden (vgl. Kap. 3). Saunders verweist vor allem für die sechziger Jahre nachdrücklich auf die Ambitionen der CIA, »den PEN für die Interessen der amerikanischen Regierung einzuspannen. Und das Werkzeug dazu sollte der Kongress für kulturelle Freiheit sein.«62 Dem CCF war es nach Saunders Angaben jedoch schon in den fünfziger Jahren gelungen, einen guten Kontakt zu David Carver aufzubauen: Der CIA-Agent Michael Josselson, Leiter des CCF, und John Hunt, Führungsoffizier des CCF und Mitglied des Internationalen P.E.N., standen in einem freundschaftlichen Verhältnis zum internationalen Generalsekretär, der »sich seinerseits als inoffizieller Vertreter des Encounter [vom CCF finanzierte Zeitschrift] [betätigte], wenn er bei PEN-Konferenzen kostenlose Exemplare verteilte.«63 Ob und auf welchen Wegen eine Förderung einzelner P.E.N.-Zentren durch den CCF vermittelt worden ist, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Eine umfassende Untersuchung zum Verhältnis zwischen CCF und P.E.N. wäre wünschenswert, um die Anzeichen einer gezielten Einflussnahme auf die internationale Schriftstellervereinigung differenziert zu prüfen. Der Versuch einer Instrumentalisierung durch die anti- bzw. nichtkommunistische Linke, die dem CCF angehörte, scheint nicht undenkbar. Carvers Nähe zum CCF lässt sein Handeln in der von Uhse beschriebenen Weise durchaus möglich erscheinen; er konnte kein Interesse an einer Aufdeckung seiner Verbindungen zu einer eindeutig politisch orientierten Organisation haben. Gleichwohl brachte Carver den Vorwurf Uhses auf der folgenden Exekutivkomitee-Tagung im März 1958 selbst zur Sprache; demnach seien einige Delegierte bei ihrer Teilnahme am Tokioer Kongress von einer »organisation of a
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Das ursprüngliche Protokoll ist in Uhses Nachlass erhalten geblieben, ebenso wie die Korrektur des japanischen P.E.N. und Carvers Intervention. Vgl. XXIX. International Congress of P.E.N. [1.–10. 9. 1957]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 694/2, 2. Mappe; Yoko Matsuoka [Generalsekretärin des japanischen P.E.N.] und David Carver: Announcement To Be Issued To The Official Delegates [5. 9. 1957]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 694/3. Vgl. Bericht über den XXIX. Kongreß des Internationalen P.E.N. vom 1. bis 9. September 1957 in Tokio, S. 9–12. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 694/2. Saunders, S. 343. Saunders, S. 343. 333
political character«64 unterstützt worden. Die Verantwortung für die Beweisführung läge jedoch bei der Person, die die Anklage erhoben habe.65 Ein geschickter Schachzug, um jedwede Diskussion im Keim zu ersticken: Weder Uhse noch ein anderer Vertreter des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West war anwesend. Auch der internationale Vizepräsident Robert Neumann stellte eine Einwirkung von außen in Abrede. Wenn Uhse etwas so Unwahrscheinliches wie die Beeinflussung eines Delegierten durch eine außen stehende Organisation nicht zu beweisen wünsche, dann entbehre seine Anklage jeglicher Grundlage. Kein weiterer Delegierter meldete sich zu Wort – Ende der Debatte.66 Indes beschäftigte die Suspendierung des ungarischen P.E.N.-Zentrums die Delegierten auch auf dieser Tagung; sie beschlossen schließlich die Einsetzung eines »Committee of five«, das die Vorgänge in Ungarn prüfen und darüber berichten sollte.67 De facto galt die ungarische Sektion als suspendiert. Tralow verfolgte die Entwicklungen im Internationalen P.E.N. hinsichtlich Ungarns mit Sorge; er fürchtete Negativwirkungen auf das eigene Zentrum: »Der Fall Ungarn ist nicht gerade ein Vergnügen. Er könnte uns im Osten Schwierigkeiten machen, obwohl meine persönliche Stellung dazu ja ganz eindeutig war. Aber es kommt eben auf den internationalen PEN an.«68 Der Fall Ungarn beschäftigte das Exekutivkomitee wiederum im September 1958,69 eine endgültige Entscheidung sollte der internationale P.E.N.-Kongress in Frankfurt am Main (Mai 1959) erbringen. Die parteipolitischen Instanzen der DDR waren aufgrund der brisanten Thematik darauf bedacht, die DDRMitglieder der stark besetzten Delegation70 auf eine klare Haltung einzuschwören. Der Leiter der Kulturkommission beim Politbüro des ZK der SED, Alfred 64
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Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Englishspeaking Union, Charles Street, London, W.1., March 18th , 1958, at 10 a.m., S. 15. P.E.N.-Archiv London. Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Englishspeaking Union, Charles Street, London, W.1., March 18th , 1958, at 10 a.m., S. 15. P.E.N.-Archiv London. Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Englishspeaking Union, Charles Street, London, W.1., March 18th , 1958, at 10 a.m., S. 16. P.E.N.-Archiv London. Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Englishspeaking Union, Charles Street, London, W.1., March 18th , 1958, at 10 a.m., S. 13f. P.E.N.-Archiv London. Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [5. 3. 1958]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Vgl. P.E.N. International Executive. Paris. Meeting in the French PEN Maison Internationale, 66 Rue Pierre Charron, Paris VIII, at 4 p.m. on Sunday, September 28, 1958, S. 5–7. P.E.N.-Archiv London. Am Kongress in Frankfurt am Main nahmen aus dem Osten Bodo Uhse, Willi Bredel, Stephan Hermlin, Ingeburg Kretzschmar, Wieland Herzfelde, Günter Hofé, Hans Mayer, Max Sidow, Erwin Strittmatter, Max Zimmering teil, aus dem Westen Johannes Tralow, Günther Weisenborn, Gotthold Gloger und Konrad Winkler. Programm des XXX. Kongress des Internationalen P.E.N. Frankfurt am Main 19. bis 25. Juli 1959. SBBPK NL Tralow K 85 M 26.
Kurella, hatte die Entwicklung im Internationalen P.E.N. verfolgt. Von Uhse war er über den Ablauf der vorangegangenen internationalen ExekutivkomiteeSitzung in London (April 1959) eingehend informiert worden.71 Dort hatte sich die »Kommission der Fünf«, bestehend aus André Chamson, Victor van Vriesland, Richard Friedenthal, Rochi Hingorani und David Carver, für eine Aufhebung der Suspendierung ausgesprochen. Das ungarische P.E.N.-Zentrum habe in der Vergangenheit zugegebenermaßen nicht normal funktioniert, aber es habe im Laufe der vergangenen Monate große Anstrengungen unternommen, zu einem normalen Leben zurück zu kehren.72 Nach ausführlicher Diskussion der Sachlage, in der Paul Tabori als scharfer Ankläger, André Chamson hingegen als Verteidiger der einigenden Funktion des P.E.N. »even at the cost of certain sacrifices«73 auftrat, beschloss die Exekutive mit geringer Majorität, dass die Suspendierung des ungarischen P.E.N.-Zentrums bei Annahme durch den internationalen Kongress in Frankfurt aufzuheben sei. Zu den Befürwortern zählten u. a. Belgien, Frankreich, Holland, die Tschechoslowakei und beide deutsche P.E.N.-Zentren.74 In Frankfurt trat der österreichische P.E.N.-Club der Kommissions-Empfehlung harsch entgegen; er stellte den Antrag, den Fall der ungarischen Sektion von der Tagesordnung zu streichen. Solange es dem ungarischen Zentrum nicht gelinge, durch seinen Einsatz inhaftierte Schriftsteller aus dem Gefängnis zu befreien, solle es nicht wieder in den Internationalen P.E.N. integriert werden. Erst dann könne über eine Aufhebung der Suspendierung nachgedacht werden.75 Die Delegierten ließen sich jedoch in der Mehrzahl von den Beteuerungen der anwesenden Vertreter des ungarischen P.E.N. überzeugen, dass ihre Sektion bestrebt sei, »to re-establish itself in the true spirit of P.E.N.«76 und alles in ihrer Macht stehende für die inhaftierten Schriftstellerkollegen zu tun.77 Nach ausführlicher Diskussion, in der sich eine kleine, aber entschlossene 71
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Bodo Uhse: Bericht über die Internationale Exekutive in London am 9. 4. 1959 [13. 4. 1959]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38, Bl. 9f. Vgl. Resolution des Committee of Five. In: Confidential. P.E.N. International Executive Committee – Meeting in London. Thursday, April 9th , 1959. P.E.N.-Archiv London. Confidential. P.E.N. International Executive Committee – Meeting in London. Thursday, April 9th , 1959. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Confidential. P.E.N. International Executive Committee – Meeting in London. Thursday, April 9th , 1959. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the P.E.N. International Executive Committee, in the Plenary Hall of the Römer, Frankfurt am Main, at 3 p.m. on Sunday, July 19th , 1959, S. 7. P.E.N.-Archiv London. Vgl. auch Johannes Tralow: Ergebnissedes XXX. Internationalen Kongresses in Frankfurt am Main. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv Fiche 4227. Minutes of the Meeting of the P.E.N. International Executive Committee, in the Plenary Hall of the Römer, Frankfurt am Main, at 3 p.m. on Sunday, July 19th , 1959, S. 13. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the P.E.N. International Executive Committee, in the Plenary Hall of the Römer, Frankfurt am Main, at 3 p.m. on Sunday, July 19th , 1959, S. 14. P.E.N.-Archiv London. 335
Opposition gegen die Ungarn zeigte, lehnte die Exekutive den österreichischen Vorschlag mit großer Mehrheit ab. Die Delegierten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West traten in der Auseinandersetzung nicht als Redner auf; sie stimmten jedoch gemeinsam mit dem P.E.N.-Klub Deutschsprachiger Autoren im Ausland, Tschechien, Polen und 16 weiteren Sektionen gegen die Annahme der österreichischen Resolution. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) enthielt sich der Stimme.78 Der Kongress beschloss schließlich eine Intervention zugunsten der verurteilten ungarischen Kollegen, die an den Ersten Parteisekretär in Ungarn, János Kádár, gerichtet wurde: »At the moment when the Hungarian P.E.N. Centre recovers its membership of International P.E.N., we urgently beg you to consider an act of clemancy towards imprisoned Hungarian writers. In particular, Tibor Déry, Julius Háy. We express in advance the satisfaction of writers all over the world.«79 Eine solche Eingabe konnte nach Tralows Meinung ohne weiteres vom Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West mitgetragen werden; sie könne »nicht als aggressiv angesehen werden. Die vorliegenden Gerichtsurteile wurden gar nicht berührt, ihre Rechtmäßigkeit also nicht angegriffen.«80 Der Kongress stimmte schließlich der Wiederaufnahme des ungarischen P.E.N.-Zentrums in den Internationalen P.E.N. zu.81 Im Nachgang begründete Storm Jameson noch einmal die Entscheidung der Fünfer-Kommission als integrative Maßnahme im Hinblick auf alle Ostblock-Mitglieder: [It] decided to recommend the readmission because it believed that the interests of writers in all Iron curtain countries, including Hungarian writers, would be best served by keeping open a line of communicationthrough the Hungarian Centrewith authority in this country. This decision may have been the wrong one, but it was taken after much thought, in good faith, and is reversible at any moment if the basis on which it was made proves to be an illusion. If that happens an experiment made with degree of hope will have failed.82
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Vgl. Minutes of the Meeting of the P.E.N. International Executive Committee, in the Plenary Hall of the Römer, Frankfurt am Main, at 3 p.m. on Sunday, July 19th , 1959, S. 16. P.E.N.-Archiv London. Telegramm des Internationalen P.E.N. an den Ersten Sekretär der Ungarischen Arbeiterpartei, János Kádár, Frankfurt am Main 1960. Zitiert nach: The Minutes of the P.E.N. International Executive Committee, Meeting in the English-Speaking Union, Concord House, London, at ten o’clock on Monday April 4, 1960. Vgl. auch Johannes Tralow an alle Mitglieder. Ergebnisse des XXX. Internationalen Kongresses in Frankfurt am Main. SBBPK NL Tralow K 86 M 46. Johannes Tralow: Ergebnisse des XXX. Internationalen Kongresses in Frankfurt am Main. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv Fiche 4227. Ingeburg Kretzschmar: Nicht im Krähwinkel. Vom XXX. Internationalen PENKongress in Goethes Geburtsstadt. In: Berliner Zeitung am Abend 180 (6. 8. 1959). Stellungnahme von Margaret Storm Jameson [7. 11. 1959]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 692/3.
Die ungarische P.E.N.-Sektion hatte die Unterstützung durch das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West dankbar zur Kenntnis genommen und warb um eine verstärkte Kooperation der Sektionen sozialistischer Länder: Erlauben Sie mir im Namen des Ung. PEN-Clubs meinen herzlichsten Dank auszusprechen, für die freundschaftliche Unterstützung, welche seitens des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West und persönlich Ihrerseits uns – bei dem letzten internationalen PEN Kongress – gewährt wurde. Die Erfahrungen […] haben unsere Überzeugung nur verstärkt, wie notwendig es wäre die Zusammenarbeit der PEN Clubs des sozialistischen Lagers fester und regelmässiger zu gestalten. Glauben Sie nicht es wäre nun zeitgemäss, die Organisation einer solchen Beratung zu beginnen – an welcher die PEN-Organe der sozialistischen Länder teilnehmen würden?83
Mit dieser Aufforderung war eine Einschätzung verbunden, die symptomatisch für die Positionierung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Bezug auf das Staatssystem der DDR erscheint. Obgleich es offiziell einen gesamtdeutschen Anspruch vertrat, wurde es von vielen Außenstehenden voll und ganz dem sozialistischen Lager zugeschrieben. Dass diese Bewertung mit den realen Gegebenheiten mehr und mehr in Einklang stand, zeigt etwa die Vorbereitung von Frankfurt: Unmittelbar vor dem internationalen Kongress 1959 hatte Kurella die DDR-Delegierten Stephan Hermlin, Willi Bredel, Wieland Herzfelde, Erwin Strittmatter, Max Zimmering und Bodo Uhse »[z]ur Vorbereitung der PEN-Tagung«84 eingeladen. Beraten werden sollte der »Ablauf der Tagung und unser Auftreten«85 . Mit dem Auftritt der instruierten Delegierten in Frankfurt am Main war man indes nicht zufrieden. Eine nachfolgende Besprechung mit den Delegationsmitgliedern über den Verlauf der P.E.N.-Tagung wurde als notwendig erachtet: »Auf Grund eines Artikels in der ›Deutschen Woche‹ vom 29. 7. sowie eines Artikels in der ›B[erliner]Z[eitung] am Abend‹ vom 6. 8. scheint es uns, daß unsere PEN-Delegation sich nicht an unsere Abmachungen gehalten hat.«86 Worin die Kritik lag, lässt sich nur anhand der Zeitungsartikel nachvollziehen. Im Artikel der BZ am Abend fanden die Teilnehmer aus der DDR keinerlei Erwähnung. Schlossen die Beobachter der Abteilung Kultur des ZK der SED daraus, dass die DDR-Vertreter nicht in Erscheinung getreten waren, so fanden sie die Bestätigung in einem weiteren Zeitungsbericht. Das Leitthema des Kongresses, Schöne Literatur im Zeitalter der Wissenschaften, rührte nah an
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István Söter [Präsident des Ungarischen P.E.N.-Zentrums] an Bodo Uhse [5. 9. 1960]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 685. Alfred Kurella an Stephan Hermlin, Willi Bredel, Wieland Herzfelde, Erwin Strittmatter, Max Zimmering und Bodo Uhse [10. 7. 1959]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38, Bl. 11. Alfred Kurella an Stephan Hermlin, Willi Bredel, Wieland Herzfelde, Erwin Strittmatter, Max Zimmering und Bodo Uhse [10. 7. 1959]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38, Bl. 11. Hausmitteilung von [?] Weiß [Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Alfred Kurella [13. 8. 1959]. DY 30/IV 2/2.026/38 Fiche 1–2. 337
die Arbeit des jüngst verstorbenen Bertolt Brecht; es bot eine gute Gelegenheit für die aktive Mitgestaltung der Diskussion durch die DDR-Schriftsteller. Laut der leicht bissigen Berichterstattung äußerten diese sich nicht: Brecht blieb, von einer Ausnahme abgesehen, fast vollkommen unerwähnt, […] und gerade diejenigen, die sein Erbe zu pflegen beauftragt sind, die Schriftsteller und Kritiker der DDR, hüllten sich in Schweigen – so, als sei ihnen ihre Delegation zu diesem Kongreßdes Zuhörens(und manchmal auch nur zu Vergnügungsreisen),nicht des Mitsprechens wegen übertragen worden. Das ist um so verwunderlicher, als doch gerade die vom Geiste des sozialistischen Realismus geprägten Literaten ein besonders inniges Verhältnis zur Wissenschaft, ein besonders feines Empfinden für die Begegnung von Literatur und Wissenschaft haben müßten.87
Eine solch negative Einschätzung der DDR-Delegation von außen konnte den Verantwortlichen im ZK der SED nur missfallen. Eine Imageverbesserung des DDR-Staates war durch passives Verhalten nicht zu erlangen. Über die nachfolgende Aussprache im ZK der SED sind keine Aktenvermerke erhalten, die zunehmende Kontrolle der P.E.N.-Arbeit – gerade in ihrer Wirkung nach außen – lässt sich dennoch feststellen. Auffallend erscheint in dieser Hinsicht, dass es keine klare Zuständigkeit hinsichtlich der organisatorischen Anleitung und Kontrolle des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gab. Anfragen kamen mal aus dem ZK der SED, dem Ministerium für Kultur und schließlich dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten. Ende 1959 schien man von Seiten des Ministeriums für Kultur gewillt, »[i]nfolge der Dringlichkeit und Bedeutung der Tätigkeit von Vertretern der DDR in den internationalen Organisationen«88 klarere Direktiven ausgeben zu wollen, und lud zu einem »Vortrag über die Arbeit in den internationalen Organisationen«89 ein. Das Interesse am Internationalen P.E.N. war erheblich gestiegen. Man bat um die Zusendung der Satzungen des Internationalen P.E.N., gleichzeitig wünschte man »eine Aussprache über die Zusammenarbeit im Rahmen des PEN-Zentrums, an welcher die verantwortlichen Mitarbeiter des Sektors Westdeutschland im Ministerium für Kultur und der Abteilung Internationale Organisationen im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten gleichfalls sehr interessiert sind.«90 Eine ähnliche Einladung erfolgte im Oktober 1960, »um verschiedene Fragen und die Verbesserung der Arbeit unserer Nationalen Zentren in den Internatio-
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[o. V.]: Im Mittelfeld zwischen Jules Verne und Bert Brecht. PEN-Club diskutiert die schöne Literatur im Zeitalter der Wissenschaften. Ohne weitere Angabe. Enthalten in SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38 Fiche 1–2, Bl. 13. [?] Neukranz [Ministerium für Kultur, Abteilung Kulturelle Beziehungen mit dem Ausland] an Bodo Uhse [3. 12. 1959]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 650/1–179. [?] Neukranz [Ministerium für Kultur, Abteilung Kulturelle Beziehungen mit dem Ausland] an Bodo Uhse [3. 12. 1959]. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 650/1–179. [Ministerium für Kultur, Abteilung Kulturelle Beziehungen mit dem Ausland, Sektor III] an Bodo Uhse [29. 12. 1959]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel allgemein 1959–1962 E–Z/M/Ministerium für Kultur 1.
nalen Organisationen gemeinsam mit allen Sekretären der Nationalen Zentren zu besprechen.«91
6.2
Ein langsamer Ablösungsprozess: Die westdeutschen Verantwortungsträger verlassen das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West (1958–1960)
In der gesamten Diskussion um die Ereignisse in Ungarn, den ungarischen P.E.N. und die Haltung des Internationalen P.E.N. zu diesem, trat eine wichtige Person des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West überraschenderweise nicht in Erscheinung. Von Arnold Zweig, der auf der Generalversammlung im März 1957 als Brechts Nachfolger gewählt worden war, ist keine Stellungnahme aufzufinden. Dies erscheint symptomatisch für Zweigs Manier, sein Amt als Präsident des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auszuüben. Der Nominierung von Arnold Zweig für die Wahl zum Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West hatte Johannes Tralow skeptisch gegenüber gestanden; er favorisierte Ludwig Renn als Kandidaten: »Renn ist im Westen sehr akkreditiert, und ich halte es für an der Zeit, dem endlich einmal Rechnung zu tragen.«92 In Tralows Augen schien Zweig in seinen Entscheidungen allzu wenig autonom: »Nun stehe ich mich mit Zweig sehr gut, aber es ist nun einmal Tatsache, daß er alle seine eigenen Schritte von Becher abhängig macht.«93 Offenkundig fürchtete Tralow eine stärkere Beeinflussung der Arbeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West durch kulturpolitische Funktionäre, namentlich des seit 1954 als Minister für Kultur amtierenden Johannes R. Becher. Tralows Vorbehalte gegenüber Zweig gründeten indes zum Teil auch auf einer Verletzung seiner persönlichen Eitelkeit. Vorauseilend hatte Uhse bei der Planung der kommenden Generalversammlung 1957 eine »Einführung des neugewählten Präsidenten«94 vorgesehen, die Tralow als vorgreifende Würdigung verstand. Er selbst sah sich zurückgesetzt und scheute vor der Konfrontation mit einer solchen Konstellation zurück: Aber ganz abgesehen davon scheint es mir den Bogen ein wenig zu überspannen, wenn ich daneben sitzen soll, wenn ein Kollege gefeiertwerden soll, der bishernoch gar nichts hatte tun können, während ich meine Altersjahre dem P.E.N. mit immerhin einigen
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Irene Gysi [Ministerium für Kultur, Abteilung Kulturelle Beziehungen mit dem Ausland, Sektor III] an Ingeburg Kretzschmar [20. 10. 1960]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) 73. Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [9. 3. 1957]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [9. 3. 1957]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Johannes Tralow an Bodo Uhse [1. 3. 1957]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Uhse. 339
Erfolgen widmete. Um keine peinlichen Situationen entstehen zu lassen, halte ich es für besser, einfach nicht da zu sein.95
Tatsächlich erschien Tralow nicht auf der Generalversammlung, die am 27. und 28. März 1957 in Weimar stattfand. Sein Geschäftsbericht musste verlesen werden.96 Die Wahl verlief nach Plan: Arnold Zweig wurde zum Präsidenten gewählt, Uhse im Amt bestätigt. Die Position des Generalsekretärs übernahmen in der Nachfolge Burgmüller der West-Berliner Alexander Stenbock-Fermor und der Hamburger Heinrich Christian Meier.97 Letzterer war von Tralow protegiert worden in der Hoffnung, die ursprüngliche Intention des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West zu bewahren: »Vielleicht läßt sich doch die Koexistenz in unserem Zentrum aufrecht erhalten, wenn wir vorsichtig vorgehen und unsern lieben Ostkollegen klar machen, daß Koexistenz gegenseitig sein muß.«98 Als Tralow den Entschluss fasste, der Mitgliederversammlung fern zu bleiben, konnte er nicht ahnen, dass man ihn nicht nur einstimmig als geschäftsführenden Präsidenten wiederwählen, sondern auch »in Würdigung seiner Verdienste um den PEN aus Anlaß seines 75. Geburtstages zum Ehrenmitglied des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West«99 ernennen würde. Ob dieser Vorschlag ein geschickter Winkelzug der DDR-Seite war, um den manches Mal P.E.N.-müden Tralow bei der Stange zu halten, lässt sich nur vermuten. Fakt ist, dass Tralow die Niederlegung seines Amtes schon einmal erwogen hatte, weil er das Interesse des Ostens am Westen bezweifelte. Mit Tralow wäre die zentrale Verbindungsfigur zum Westen aus dem Vorstand ausgeschieden, die zudem über langjährige P.E.N.-Erfahrung verfügte; er hielt eine Tür in den westlichen Teil Deutschlands offen. Über diesen Sachverhalt waren sich die kulturpolitischen Strategen im Klaren – eine gezielt gesetzte Schmeichelei scheint daher nicht ausgeschlossen. Gleichwohl existiert ein Schreiben von Ruth Gassner-Hirsch, Witwe des P.E.N.-Mitglieds Karl Jakob Hirsch, in dem diese vorschlägt, Tralow eine solche Ehrung als Anerkennung für seine geleisteten Dienste zuteil werden zu lassen: »Es handelt sich um eine Geste, die niemanden auch nur einen Pfennig kostet; aber ich glaube, daß eine so treue und mutige Arbeit zumindest eine Geste wert wäre.«100 Trotz seiner Bedenken gegenüber Zweig war Tralow nach dessen Wahl ins Präsidentenamt zu einer moderaten Reaktion fähig; er teilte mit, dass er »für 95
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Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [9. 3. 1957]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Vgl. Johannes Tralow: Geschäftsbericht zur Generalversammlung am 27./28. 3. 1957. P.E.N. Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1957 Weimar/Bericht zur GV 1–10. Vgl. Stephan Hermlin: Bericht zur GV 1957 in Weimar. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1957 Weimar/Rede Stephan Hermlin 1. Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [9. 3. 1957]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Stephan Hermlin: Bericht zur GV 1957 in Weimar. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV März 1957 Weimar/Rede Stephan Hermlin 1. Ruth Gassner-Hirsch an Alfred Kurella [2. 2. 1957]. SAdK Berlin, Alfred KurellaArchiv 2621.
[s]eine Person [Zweigs] Eintritt in das Präsidium für die entscheidende Tatsache [d]er Generalversammlung«101 halte. Auch die Neubesetzung des Generalsekretariats hielt er für eine »recht glückliche«102 Lösung, und urteilte insgesamt: »Ich habe auch den Eindruck einer großen Geschlossenheit unseres Zentrums, die dringend nötig ist angesichts der schweren Kämpfe, denen wir – wie ich glaube – entgegengehen.«103 Tralow spielte damit auf die weltpolitische Lage nach den ungarischen Ereignissen an. Die von Tralow anlässlich der Wahl Zweigs ins Amt des Präsidenten beschworene Einmütigkeit war schon ein Jahr später nicht mehr recht fassbar. Tralow konnte die starken Zweifel an einer unabhängigen Position des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West nicht mehr unterdrücken. So sehr er sich mühte, den Mythos der praktizierten Koexistenz zu beschwören – die Realität führte ihm die fortschreitend verstärkte Dominanz der DDR-Vertreter in der Leitung des P.E.N.-Zentrums vor. Tralow schien verärgert über die zunehmende Ausrichtung der P.E.N.-Arbeit an den gesellschaftlichen und politischen Veranstaltungen der DDR, die implizit die einseitige Beeinflussung deutlich machte. So musste zum Beispiel die Generalversammlung des Jahres 1958 wegen parteipolitischer Ereignisse, etwa dem V. Parteitag der SED, mehrmals verschoben werden.104 Tralow sah auf dieser Basis die Chancen einer gleichberechtigten Beteiligung westlicher Mitglieder, ebenso wie deren Bereitschaft zur Mitwirkung an einer Organisation solchen Zuschnitts schwinden: Es werde auf die Dauer schwer fallen, »eine ganze Reihe unserer Westmitglieder für ein Zentrum zu gewinnen, das lediglich ein Wurmfortsatz einer Ostorganisation ist. Außerdem gibt es noch ein Amt für Verfassungsschutz, dem diese Tatsache auf Dauer nicht verborgen bleiben kann und das daraus seine Folgerungen ziehen dürfte.«105 Eindringlich warnte Tralow davor, die Mitglieder aus dem Westen Deutschlands von jeglicher Beschlussfassung auszuschließen: »Abwegig erscheint es mir, innerhalb einer Koexistenz, wie wir sie in unserem Zentrum haben müssen, eine Diktatur aufrichten zu wollen […]. […] Wir müssen also abwarten, ob unser Zentrum seiner Aufgabe gewachsen ist, d. h. ob eine Koexistenz überhaupt möglich ist. Wie ich die Sache sehe, hängt das vom Osten ab.«106 Der Hinweis auf das Bundesamt für Verfassungsschutz kam nicht von ungefähr: Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West stand gemeinsam mit ande101
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Johannes Tralow an Arnold Zweig [13. 4. 1957]. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv Fiche 4226. Johannes Tralow an Arnold Zweig [13. 4. 1957]. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv Fiche 4226. Johannes Tralow an Arnold Zweig [13. 4. 1957]. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv Fiche 4226. Vgl. Johannes Tralow an Erich Wendt [30. 4., 20. 5. und 9. 9. 1958]. SAPMO-BArch DR 1/7732, Bl. 362, 359 und 358. Johannes Tralow an Günter Hofé [7. 9. 1958]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Verlag der Nation. Johannes Tralow an Günter Hofé [7. 9. 1958]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Verlag der Nation. 341
ren gesamtdeutschen Initiativen, etwa dem Deutschen Kulturtag und dem Wartburgkreis deutscher Dichter,107 unter Beobachtung. Schon 1954 war das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West in einem Gutachten der bundesdeutschen Behörde als Tarnorganisation bezeichnet worden.108 1956 wurde das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West wiederum in einem »System der kommunistischen Hilfsorganisationen« in einer Spalte mit weiteren Organisationen gesamtdeutscher Zielsetzung aufgeführt, das das Bundesamt für Verfassungsschutz erstellt und an die Bundesminister für Justiz, Verteidigung und den Oberbundesanwalt weitergeleitet hatte.109 Direkte Konsequenzen erwuchsen daraus zunächst nicht. Die Furcht vor Maßnahmen gegen das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West, etwa ein Verbot in der Bundesrepublik Deutschland oder Sanktionen gegen die westdeutschen Mitglieder, war jedoch gegenwärtig. Tralow selbst hatte schon 1953 wegen des »Verdachts der Förderung verfassungsfeindlicher Vereine«110 eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen müssen. Auf der Generalversammlung des Jahres 1957 schlug Tralow im Namen des Vorstands vor, dass das »Bundesamt zur Löschung [des] Namens [aus der Liste der kommunistischen Tarnorganisationen] und, falls nötig, vor dem Verwaltungsgericht auf Löschung verklagt werden soll[e].«111 Ein Jahr später erwirkte Tralow das Einverständnis der Mitgliederversammlung, die Adresse des Berliner Büros, das zu dieser Zeit in der Ost-Berliner Akademie der Künste installiert war, durch Ingeburg Kretzschmars Privatadresse zu ersetzen. Er sei nunmehr entschlossen, [s]ich persönlich durch eine Klage beim Verwaltungsgericht gegen die Führung [s]eines Namens auf der Liste der Tarnorganisationen [zu] wenden, da [das] Zentrum als Ganzes kein Interesse gezeigt [habe]. Diesen Prozeß kann ich jedoch nicht mit Erfolg führen, wenn mir nachgewiesen wird (und es würde geschehen!), daß unsere Berliner Adresse mit der eines staatlichen Instituts der DDR identisch ist.112 107 108
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Vgl. Gansel: Parlament des Geistes, S. 227. Vgl. Johannes Tralow an Robert Neumann [20. 5. 1954]. SBBPK NL Tralow K 35 Konv. Neumann. Vgl. Anlage »Zeichnung des ›Systems der kommunistischen Hilfsorganisationen‹ nach dem Stand vom 1. 2. 1956« zu einem Schreiben des Bundesamts für Verfassungsschutz an den Bundesminister der Justiz, Bundesminister für Verteidigung und den Oberbundesanwalt [22. 3. 1956]. BA Koblenz B 141 17821, Bl. 30. Durchsuchungsanordnung im Ermittelungsverfahren gegen den Schriftsteller Johann [sic] Tralow von Gauting [14. 1. 1953; ausgestellt vom Amtsgericht Starnberg]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club 1953/GV des PEN in München verboten/Ermittlung Tralow 1. Vgl. Johannes Tralow: Bericht zur Generalversammlung 1957. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1957 Weimar/Bericht zur GV 1–10, hier 1f. Vgl. weiterhin JohannesTralow an [Hans] Fladung [4. 5. 1957].SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Demokratischer Kulturbund Deutschlands. Vgl. auch Johannes Tralow an Albert Schneider [4. 5. 1957]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. Schneider. Johannes Tralow an den Vorstand des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West [22. 10. 1958]. SBBPK NL Tralow K 86 M 46, sowie Johannes Tralow: Vorstandssitzung des P.E.N.-Zentrums Ost und West (Sitz München) am 10. Dezember 1958, 16 Uhr in Berlin. SBBPK NL Tralow K 86 M 46. Zuvor hatte Tralow versucht, Arnold
In Tralows umfangreichen Nachlass sind jedoch keinerlei Hinweise auf eine Klage vor dem Verwaltungsgericht zu finden. Tralows Befürchtungen, die die Konsistenz der grundsätzlichen Zielsetzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West betrafen, wurden vom Hamburger Vorstandsmitglied Heinrich Christian Meier geteilt. Auch Meier, ein überzeugter Vertreter der gesamtdeutschen Intention, sah die Westdeutschen im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West zunehmend unterrepräsentiert. Nach seinem Eintritt in die Vorstandsebene im Jahr 1957 betonte er immer wieder die Notwendigkeit, etwas »für die Beziehung zu den westlichen Kollegen«113 tun zu müssen; er sah etwa im Jahr 1958 die Abhaltung einer »Tagung in Westdeutschland [als] psychologisch ganz besonders wichtig«114 an, um den westdeutschen Mitgliedern die Teilnahme zu erleichtern und somit den gesamtdeutschen Charakter des P.E.N.-Zentrums zu erhalten.115 Meiers Eingaben hatten wenig Erfolg; die Generalversammlung fand auch 1958 wiederum in Weimar statt. Die Zusammenarbeit mit Kretzschmar und Uhse im Rahmen des Vorstands erwies sich für Meier als schwierig und wenig ertragreich; beide nahmen kaum Rücksicht auf westliche Befindlichkeiten. Anfang 1959 zeigte sich Meier von den Mühen um die Aufrechterhaltung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in der intendierten Form ermüdet: »Dass ich sobald wieder nach [Berlin] komme, halte ich für ausgeschlossen. Ich fand, dass von der andern Seite die Opfer an Zeit, Geld und gutem Willen n i c h t geachtet werden. Unsre letzte Zusammenkunft mit Uhse war m. E. direkt fatal.«116 Die Vorbehalte gegenüber den östlichen Vorstandsmitgliedern bestätigten sich nur allzu rasch. Auf einer Präsidiumssitzung im Mai 1959 äußerte Zweig die Meinung, dass aus dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West ein »Ostzentrum« gemacht werden müsse. Tralow drohte daraufhin, »angesichts einer solchen Tendenz aus dem Vorstand aus[zu]treten«.117 Ganz kampflos wollte er jedoch das Feld nicht räumen. In kryptischen Andeutungen bat er Mitte Mai 1959 den P.E.N.-Kollegen Alexander Abusch, der inzwischen in Bechers Nach-
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Zweig zu überzeugen, seine Privatadresse als die des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West anzugeben. Zweig zeigte für Tralows Beweggründe Verständnis, bat aber um die Suche nach einer anderen Lösung. Vgl. Johannes Tralow an Arnold Zweig [23. 9. 1957], sowie Arnold Zweig an Johannes Tralow [30. 9. 1957]. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv Fiche 4226. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [8. 3. 1958]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [7. 2. 1958]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Vgl. auch Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [22. 2. 1958]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [27. 2. 1959]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Johannes Tralow an Arnold Zweig [21. 11. 1959]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Zweig. 343
folge zum Minister für Kultur ernannt worden war, um eine Unterredung.118 Ende Mai richtete Tralow ein Rückzugsgesuch an den Vorstandskollegen Alexander Stenbock-Fermor. Er begründete seinen Rücktritt mit der fehlenden Unterstützung bei der Vorbereitung der Generalversammlung; diese Situation habe ihm deutlich vorgeführt, dass er die »Arbeit ohne Hilfe nicht mehr bewältigen«119 könne und deshalb zurücktreten müsse. Durch das vermittelnde Eingreifen des P.E.N.-Mitglieds Erich Wendt, seines Zeichens stellvertretender Minister für Kultur im Rang eines Staatssekretärs, konnte Zweig zum Rückzug seiner Forderung angehalten und Tralow zum Verbleiben im Vorstand des Zentrums bewegt werden.120 Dass man von Seiten der DDR daran interessiert war, Tralow für den P.E.N. zu erhalten, bestätigt auch eine Aussage der Sekretärin Kretzschmar: »Man hat Tralow immer mit berechtigter Achtung behandelt, mit großer Vorsicht, um ihn nicht zu verknatzen und Tralow verstand, daraus das Beste zu machen. Er war […] eine sehr hilfreiche Figur. Im Hinblick auf die Etablierung des PEN war er ein führender Mann mit großem Geschick und diplomatischem Talent.«121 Noch im September 1959 wog Tralow sich in Sicherheit: »Der östliche Vorstoß zur Aufspaltung unseres Zentrums dürfte sich wohl erledigt haben. Natürlich kann ich mich irren, und man muß stets auf alles gefaßt sein; aber mich kann nichts erschüttern. Meine Überzeugung beruht darauf, daß […] meine Position hier nicht gerade schwach zu sein scheint.«122 Tralows Einsatzbereitschaft für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West frischte auf; er dachte über Maßnahmen zur Stärkung des durch Todesfälle geschwächten Westflügels nach.123 Gemeinsam mit Richard Cahen erwog er beispielsweise eine Anfrage bei Heinrich Böll. Eine Kampagne zur Gewinnung neuer Westmitglieder startete Tralow schließlich Anfang Oktober 1959.124 Auf einer Vorstandssitzung im November 1959 spitzte sich die Situation erneut zu. Organisatorische Veränderungen innerhalb der Vorstandsebene kamen dort zur Sprache. Uhse schlug vor, der kommenden Generalversammlung Zweig als alleinigen Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West vorzuschlagen, dem drei Vize-Präsidenten zur Seite gestellt werden soll118
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Vgl. Johannes Tralow an Alexander Abusch [13. 5. 1959]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Abusch. Johannes Tralow an Alexander Stenbock-Fermor [26. 5. 1959]. SBBPK NL Tralow K 36 Konv. Stenbock-Fermor. Vgl. Johannes Tralow an Arnold Zweig [21. 11. 1959]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Zweig. Vgl. auch Johannes Tralow an Alexander Abusch und Erich Wendt [14. 11. 1959]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 268 und Bl. 19. Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [8. 9. 1959]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Vgl. Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [27. 9. 1959]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Vgl. Johannes Tralow an alle Westmitglieder [1. 10. 1959]. SBBPK NL Tralow K 86 M 46. Gemeinsam mit Richard Cahen erwog er beispielsweise eine Anfrage bei Heinrich Böll. Vgl. Johannes Tralow an Richard Cahen [30. 10. 1959]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Cahen.
ten. Die Vorherrschaft der DDR-Kollegen im Vorstand des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West wäre in einer solchen Konstellation deutlich zum Ausdruck gekommen. Tralows Einfluss, der im Grunde schon längst auf ein Minimum geschmolzen war, wäre selbst bei der Wahl zu einem der Vizepräsidenten verschwindend gering geworden. Die Verweigerung durch Tralow, einem solchen Antrag zuzustimmen, veranlasste Zweig sein früheres Anliegen zu wiederholen. »[A]ngesichts der allgemeinen Verschärfung der politischen Lage« könnten die Westmitglieder »ohnehin nicht im Zentrum verbleiben«.125 Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West müsse in eine reine DDR-Sektion umgewandelt werden.126 Beide Vorhaben hätten eine Änderung der Statuten, präzise § 2 Absatz a und § 6, bedeutet. Laut Satzung konnte eine Statutenänderung nur durch die Generalversammlung beschlossen werden, und nach § 14 auch nur nach fristgerechter Ankündigung der Anträge als Punkt der Agenda. Mit dieser Argumentation versuchte Tralow intern, die strukturelle Umwandlung des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West abzuwenden.127 Gleichzeitig nahm er die Verbindung zu Wendt erneut auf, um den Sachverhalt vorzutragen und seine Bereitschaft zum Rücktritt vom Amt des geschäftsführenden Präsidenten deutlich zu machen.128 Einen Tag vor der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums fand im Ministerium für Kultur eine Unterredung statt, an der Abusch, Wendt, Uhse und der Leiter des Ministerbüros, Werner Baum, teilnahmen. Es erfolgte eine Beschlussfassung, die den direkten Zugriff ministerieller Institutionen der DDR auf personelle Entscheidungen im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West zum ersten Mal belegen lässt: 1. Johannes Tralow bleibt in seiner Funktion unter der Bedingung, daß ein richtiges Büro geschaffen wird. Hierfür ist die wesentliche Begründung die notwendige Aktivierung des PEN. 2. Heinrich Christian Meyer [sic] wird nicht wieder gewählt. An seine Stelle tritt Wieland Herzfelde. Es wird also in Zukunft neben den beidenPräsidentendrei Sekretäre geben, nämlich AlexanderStenbock-Fermor,Wieland Herzfelde und Bodo Uhse.129
Auf der unmittelbar nachfolgenden Generalversammlung am 26.–28. November 1959, die in Berlin tagte, wurden die Präsidenten bestätigt. Tralow blieb all seinen Zweifeln zum Trotz im Amt – »und das [trotz] einer Generalversammlung, wo alle [s]eine westdeutschen Kollegen durch Abwesenheit glänzten und das Zen-
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Protokoll der Vorstandssitzung am 13. 11. 1959 [16. 11. 1959]. SBBPK NL Tralow K 86 M 46. Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung am 13. 11. 1959 [16. 11. 1959]. SBBPK NL Tralow K 86 M 46. Vgl. Johannes Tralow an Arnold Zweig [21. 11. 1959]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Zweig. Vgl. Johannes Tralow an Alexander Abusch und Erich Wendt [14. 11. 1959]. SAPMOBArch DR 7867, Bl. 268 und Bl. 19. Aktennotiz [25. 11. 1959; erstellt von Werner Baum, Büro des Ministers für Kultur]. SAPMO-BArch DR 1/7867, Bl. 267. 345
trum, das auch ihr Zentrum ist, einfach von sich aus fallen ließen.«130 Da die vorliegenden Quellen keine vorherige Einwirkung des Ministeriums für Kultur auf die Arbeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West nachweisen lassen,131 liegt die Vermutung nahe, dass in dieser speziellen Auseinandersetzung die Aktivierung des Ministers bzw. seines Stellvertreters in erster Linie auf persönlicher Ebene funktioniert hatte. Abusch und Wendt waren beide Mitglieder des P.E.N.Zentrums und Tralow sprach sie – wohl wissend um ihre kulturpolitische Funktion – gezielt an. Die Unfähigkeit des P.E.N.-Vorstandes, eine einvernehmliche Lösung für die personelle Struktur zu erzielen, hatte somit mittelbar die Einflussnahme des Kulturministers provoziert. P.E.N.-Mitgliedschaft und ministerielle Funktionsträgerschaft vermischen sich hier in einer Weise, die eine klare Trennung nicht mehr zulässt. Eine eindeutige Übernahme der Verantwortung für die Tätigkeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West von staatlicher bzw. parteipolitischer Seite lässt sich zu diesem Zeitpunkt anhand des Quellenmaterials nicht nachzeichnen. Vom Beschluss auf Ministerebene schien Tralow nichts zu ahnen. Auch die beschlossene Nichtwiederwahl von Heinrich Christian Meier wurde in seiner Abwesenheit auf der Generalversammlung 1959 umgesetzt. Das Mitglied Karlludwig Opitz hatte »auf suggestive Beeinflussung eines gewissen Herrn«132 den Ausschluss von Meier aus dem Vorstand beantragt. Indes erfuhr Meier von dieser Absetzung auf offiziellem Wege nichts – ein weiteres Indiz für die Geringschätzung seiner Mitwirkung im Vorstand durch die östlichen Mitglieder. Erst Ende 1960 wurde Meier von Tralow über diesen Sachverhalt in Kenntnis gesetzt.133 Dennoch fühlte Meier sich weiterhin berufen, die Interessen der westdeutschen Mitglieder gegenüber dem östlich dominierten Vorstand zu vertreten.134 Meiers Abwahl vorausgegangen war seine offene und deutliche Kritik an der Erstellung des P.E.N.-Almanachs … aber die Welt ist verändert 135 für das Jahr 1959, die von Kretzschmar ohne jegliche Rücksprache mit dem Vorstand im völligen Alleingang vorgenommen worden war. Einerseits fühlte sich Meier persön130
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Johannes Tralow an Richard Cahen [24. 4. 1960]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Cahen. Vgl. auch Bodo Uhse: Information über Verlauf und Beschlüsse der XI. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Berlin vom 26.– 28. November 1959 [11. 12. 1959], S. 2. SBBPK NL Tralow K 86 M 47. Selbstverständlich erhielt Abusch allgemeine Informationen des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West; diese entsprechen aber den offiziellen Mitteilungen, die an alle Mitglieder gingen. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [2. 1. 1960]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Vgl. auch Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [17. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Vgl. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [2. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier, Heinrich Christian. Vgl. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [2. 1. 1961 und 11. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West (Hg.): … aber die Welt ist verändert. Ein Almanach. Berlin 1959.
lich düpiert, weil sein Beitrag nicht aufgenommen worden und er ohne Benachrichtigung geblieben war. Andererseits stieß er sich an Kretzschmars eigenmächtigem Agieren, das sich über das Mitspracherecht der Vorstandsmitglieder bei der Auswahl der Almanach-Texte großzügig hinwegsetzte.136 Gleichwohl hatte sich an Meiers grundsätzlicher Haltung nichts geändert; er sah im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West weiterhin eine »geistige und literarische Klammer […] zwischen beiden Teilen des Volkes« und hatte im Vorfeld der Generalversammlung 1959 an den Vorstand appelliert, »dass diese noch vorhandene Klammer mit Liebe und äusserster Delikatesse gewahrt werde.«137 Der Beschluss der Generalversammlung, ihn nicht wieder zu wählen, strafte Meiers Hoffen gnadenlos ab. Die schleichende Loslösung des geschäftsführenden Präsidenten vom Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West hatte indessen längst begonnen. Auf der Mitgliederversammlung Ende 1959 wurde Tralows endgültiger Rückzug eingeläutet. Zur Stärkung des westlichen Flügels hatte Tralow im Vorfeld die Zusage von sieben West-Autoren eingeholt, die bereit waren, eine Wahl ins Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West anzunehmen. Von östlicher Seite schien man begreiflicherweise an einer Zuwahl westlicher Mitglieder nicht wirklich interessiert. Durch die Annahme eines von Uhse eingebrachten Antrags gelang es, die Wahlen auf ein schriftliches Verfahren abzuwälzen. Mit Uhses Nominierung zum ersten Sekretär des Zentrums oblag diesem die Aufgabe, die aufwändige Prozedur einzuleiten; er nahm sie jedoch auch nach expliziter Aufforderung durch Tralow nicht wahr. Sämtliche Vorstandsmitglieder schwiegen.138 Die verhinderte Wahl von neuen West-Mitgliedern begriff Tralow als »Abdrosselung des Westens auf kalten Wege«139 , die ihm nicht länger tragbar erschien: Schließlichsind die Mitgliederin ihrer Gesamtheit Herren des Zentrums und nicht eine kleine Clique. Es ist jedenfalls klar ersichtlich,daß man den Eintritt neuer Westmitglieder verhindern wollte, während man sich wohl der Hoffnung hingab, daß die anderen Westmitglieder sich damit begnügen würden, Mitläufer des Ostens zu sein oder sich überhaupt zu verkrümeln. Das aber entspricht nicht meiner Auffassung der von uns praktisch gelebten Koexistenz […].140 136
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Vgl. Heinrich Christian Meier an Ingeburg Kretzschmar [4. 11. 1959]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Heinrich Christian Meier an das Präsidium und die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West [20. 11. 1959]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Vgl. auch Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [20. 11. 1959]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Vgl. Johannes Tralow an Heinz Becker-Trier [1. 4. 1960]. SBBPK NL Tralow K 29 Konv. Becker-Trier, sowie Johannes Tralow an Richard Cahen [24. 4. 1960]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Cahen. Vgl. weiterhin Johannes Tralow an Hanna Meuter [13. 4. 1960]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meuter und Johannes Tralow an Bodo Uhse [11. 1. 1960]. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv Fiche 4228. Johannes Tralow an Hanna Meuter [13. 4. 1960]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meuter. Johannes Tralow an Richard Cahen [24. 4. 1960]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Cahen. 347
Tralows Hoffnung auf die gleichberechtigte Beteiligung von Schriftstellern aus der Bundesrepublik Deutschland wie der DDR an der Arbeit der von ihm mit aufgebauten P.E.N.-Sektion war geschwunden. Seinen vertrauten Freund und P.E.N.-Kollegen Konrad Winkler, der in Heidelberg lebte, ließ er wissen, »daß [er] wohl wieder Präsident ist, aber daß sich an dem Zentrum doch vieles geändert hat. Wir müssen abwarten, ob von einer Parität Ost/West künftig noch die Rede sein kann. Ich selbst werde mich natürlich bemühen, die Parität aufrecht zu erhalten, solange ich an meinem Platz stehe.«141 In Wirklichkeit hatte das Firmenschild »Ost und West« arge Risse bekommen; es war nach Tralows Ansicht zu einer »falschen Flagge [geworden], unter der sich der Osten allein produzieren will«142 . Zum Jahreswechsel 1959/60 beschloss Tralow resigniert, »das Jahr 1960 [s]ein letztes Jahr im Vorstand des P.E.N. sein zu lassen«: »Es hat keinen Zweck mehr. Außerdem bin ich so alt, daß jetzt auch mal andere sich an dieser Aufgabe versuchen sollen. Ich habe immerhin neun Jahre als Mauerhaken zwischen Ost und West gehalten und schließlich ermüdet jede Materie einmal.«143 Ende März 1960 hielt Tralow den Zeitpunkt zum endgültigen Rücktritt von seinem Amt für gekommen: »Es liegt kein Grund vor, ihn hinauszuziehen, dagegen ein zwingender Grund, ihn nicht länger zu verschieben.«144 Alle Spekulationen der Öffentlichkeit über die wahren Gründe seines Ausscheidens, das er offiziell mit seinem hohen Alter erklärt hatte, verhinderten nicht, »daß [Tralow s]ich mit [s]einem Rücktritt wie befreit fühl[t]e.«145 Gleichwohl fürchtete er aufgrund seines Rückzugs, der eine deutliche Distanzierung von der Orientierung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West implizierte, Sanktionen der östlichen Zweitheimat. Eine Akklimatisierung an die Bundesrepublik Deutschland schien ihm aufgrund der entstandenen Situation opportun: Es wäre mir sehr wünschenswert, wenn ich wieder – und sei es auch nur in einem bescheidenen Maße – in der BundesrepublikFuß fassen könnte. Hier in der DDR habe ich bis jetzt eine Gesamtauflage von 850 000 erreicht, und so bin ich finanziell nicht ohne weiteres zu schmeißen. Aber weiß man denn, wie lange man evtl. noch lebt? Und dann: wir sind Schriftsteller, und so möchte ich nicht grade mit meinem 80. Geburtstag hier in der DDR abgehalftert werden, ohne einen anderen Auslauf zu haben. […] Daß ich aber, wenn ich mich wieder einfädeln möchte, jeder Kritik an der Westpolitik, in meinem Falle also überhaupt jeder Politik entsagen müßte, dürfte wohl das Wenigste sein, was man von mir verlangen würde. […] so sind wir Anhänger einer friedlichen 141
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Johannes Tralow an Konrad Winkler [27. 12. 1959]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Winkler. Johannes Tralow an Richard Cahen [10. 1. 1960]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Cahen. Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [1. 1. 1960]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Johannes Tralow an Günter Hofé [25. 3. 1960]. SBBPK NL Tralow K 37 Konv. Verlag der Nation. Vgl. weiterhin das offizielle Rücktrittsgesuch von Johannes Tralow an Arnold Zweig [28. 3. 1960]. SAdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv Fiche 4228. Johannes Tralow an Hanna Meuter [13. 4. 1960]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meuter.
Koexistenz, und in diesem Sinne habe ich immer gearbeitet. Aber nun ist doch die entscheidendeWendung eingetreten,daß keine von beiden Seiten (was auch gesagt werden mag) diese Koexistenz mehr wünscht.146
Tralows Interesse an den Geschicken des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West war mit seinem Ausscheiden aus dem Vorstand jedoch längst nicht gestorben. Zwar hielt er Distanz. In der unmittelbaren Folgezeit seines Rücktritts nahm jedoch ein wichtiger Informant, Heinrich Christian Meier, weiter an der Arbeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West aktiven Anteil; er hatte das Hoffen auf ein funktionierendes gesamtdeutsches Zentrum noch nicht gänzlich aufgegeben. Tralow war an allen P.E.N.-Belangen interessiert; er kommentierte die Vorgänge um das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West jedoch in seiner Korrespondenz mit Heinrich Christian Meier nur noch aus der Ferne. So distanzierte er sich offiziell auch von der für Hamburg geplanten Mitgliederversammlung des Jahres 1960. Seine privat geäußerte Einschätzung des Mitgliederzulaufs verrät seine negativen Emotionen gegenüber den DDR-Kollegen. Die einst freundliche Koexistenzbereitschaft war bitterem Zynismus gewichen: »Aus dem Osten werden nach meiner Überzeugung ganze Horden erscheinen. Sie kriechen gar zu gerne aus dem Nest und außerdem ist für sie 1:1 sehr billig, falls sie überhaupt etwas zahlen.«147 Gleichwohl avancierte Tralow als langjähriger Kenner des P.E.N. zum einflussreichen Berater aus dem Hintergrund. Nach Tralows Rücktritt lässt sich die Führungssituation im Deutschen P.E.N.Zentrum Ost und West nur unzulänglich beschreiben. Die strukturelle Zusammensetzung des Präsidiums veränderte sich. Fest steht: Tralow war vorzeitig ausgeschieden, Zweig blieb als Präsident im Amt und Kretzschmar führte weiterhin die Sekretariatsgeschäfte. Zeitlich parallel zu Tralows Ausscheiden lässt sich eine Intensivierung der Kontakte zur Abteilung Kultur des ZK der SED durch die Sekretärin Ingeburg Kretzschmar feststellen. Obgleich 1960 keine zur Neuwahl des Präsidiums einzuberufende Generalversammlung stattgefunden hatte, übernahm der auf der Generalversammlung 1958 zugewählte Heinz Kamnitzer schon in diesem Jahr präsidiale Aufgaben. Der promovierte Historiker war von 1952 bis 1954 als Direktor des Instituts für Geschichte des deutschen Volkes, und als Dekan der Humboldt-Universität zu Berlin tätig gewesen. Bis 1955 war er Mitherausgeber der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Danach arbeitete Kamnitzer als freischaffender Schriftsteller. Mit Zweig verband ihn eine enge Freundschaft, die ihren Ausdruck in TV-Bearbeitungen von dessen Werken und Arbeiten über Zweig, z. B. Der Tod des Dichters (1974), fand.148 Kamnitzer reiste schon 1960, ohne offiziell den Sta146
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Johannes Tralow an Konrad Winkler [3. 7. 1960]. SBBPK NL Tralow K 38 Konv. Winkler. Vgl. auch Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [3. 7. 1960]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [24. 11. 1960]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Bernd-Rainer Barth: Heinz Kamnitzer. In: Müller-Enbergs (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 408. 349
tus eines Präsidiumsmitglieds erlangt zu haben, mit Zweig zu einer Aussprache mit dem Sekretär des Internationalen P.E.N. nach London.149 Im März 1961 traf er wiederum in London mit Carver zusammen, um die Belange des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zu besprechen.150 Die nächste Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West fand erst Anfang Oktober 1962 statt. Im Protokoll ist nur die Wiederwahl des bisherigen Vorstands vermerkt.151 Eine protokollarische Notiz vom 9. November desselben Jahres vermerkt als Präsidiumsmitglieder Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde und Heinz Kamnitzer.152 Herzfelde war laut Beschluss des Ministeriums für Kultur bereits 1959 in den Vorstand gewählt worden; er fungierte auf der Generalversammlung 1962 als Berichterstatter über eine gescheiterte Generalversammlung des Jahres 1960 sowie ein Ost-West-Gespräch in Hamburg.153 Wann und auf welche Weise Hermlin und Kamnitzer in das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West berufen wurden, bleibt unklar. Offenbar hatten sie ihre Arbeit aber schon Ende 1960, spätestens zu Beginn des Jahres 1961 aufgenommen: Hermlin war als Delegierter zur Londoner Exekutive im Mai 1961 gemeldet154 und Kamnitzer trat zunehmend als direkter Ansprechpartner von Carver in Erscheinung.155 Der einzige westdeutsche Vertreter im Vorstand, Heinrich Christian Meier, war nach dem Diktat des Ministeriums für Kultur bereits 1959 aus dem Vorstand ausgeschieden. Stenbock-Fermor, West-Berlin, blieb zunächst weiter im Amt. Der langjährige Schatzmeister Bodo Uhse hatte sich bereits 1959 mehr und mehr aus der P.E.N.-Arbeit zurückgezogen. Spätestens 1961 übernahm er keine aktive Position mehr.156 Die Führung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und 149
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Vgl. Protokoll der XIII. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 2./3. 10. 1962 in Weimar [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Oktober 1962 in Weimar/Protokoll 1–12, hier 2. Vgl. David Carver an Arnold Zweig [20. 4. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/PENZentren International 1962–1968/Briefwechsel/Carver–Zweig 2, 1. Protokoll der XIII. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 2./3. 10. 1962 in Weimar [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1962 in Weimar/Protokoll 1–12, hier 12. Vgl. Protokollarische Notiz über die Zusammenkunft des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West mit dem Vizepräsidenten des Internationalen P.E.N, Herrn Robert Neumann am 9. 11. 1962 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1962 in Weimar/Protokoll 9. 11. 1962 1–10. Vgl. Protokoll der XIII. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 2./3. 10. 1962 in Weimar [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Oktober 1962 in Weimar/Protokoll 1–12, hier 1. Vgl. Arnold Zweig an Robert Neumann [15. 5. 1961]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2. 026/38 Fiche 1–2, Bl. 55. Vgl. etwa David Carver an Heinz Kamnitzer [17.4.1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/Briefwechsel/Kamnitzer–PEN International 1. Vgl. Günter Caspar (Hg.): Über Bodo Uhse. Ein Almanach. Aufsätze und Erinnerungen. Mit Karikaturen, Photographien und Faksimiles. Berlin und Weimar 1984, S. 410–413.
West lag nach Tralows Ausscheiden beinahe ausschließlich in den Händen von Staatsbürgern der DDR. Lediglich in der Zusammensetzung der Mitgliedschaft kam der im Namen erhobene Anspruch Ost und West zur Geltung – allerdings in weitgehend passiver Weise.
6.3
Das »Hamburger Spectaculum«157
6.3.1 Teil 1 – Eine boykottierte Generalversammlung und ihre Folgen (1960) Für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West endete das Jahr 1960 mit einem Ereignis, das enormen Widerhall in der medialen Öffentlichkeit sowohl der Bundesrepublik Deutschland als auch der DDR erzeugte. Die allgemeine Aufregung verhalf dem ursprünglichen Vorhaben, eine Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in einer westdeutschen Stadt abzuhalten, »ohne daß sie stattfand, zu einem spektakulären Erfolg. Die Einzelheiten, die dazu führten, waren grotesk«158 , so urteilte die Sekretärin Ingeburg Kretzschmar im Nachgang. Was war geschehen? Der östlich gelenkte Vorstand hatte sich überraschenderweise entschlossen, den westlichen Flügel des P.E.N.-Zentrums wieder aufleben zu lassen. Vermutlich um ein Zeichen der reaktivierten Kooperationsbereitschaft von Ost nach West zu setzen, wurde Hamburg als Tagungsort für die 12. Generalversammlung bestimmt. Auf diese Weise konnte auf eine verstärkte Teilnahme der westdeutschen P.E.N.-Mitglieder gehofft werden. Für den Ablauf der dreitägigen Mitgliederversammlung, die für den 7. bis 9. Dezember 1960 geplant worden war, hatte man ein breit angelegtes Programm erstellt. Neben dem internen Geschäftsbericht und der nachfolgenden Arbeitsberatung waren drei öffentliche Veranstaltungen angesetzt worden: 1. Ein Podiumsgespräch über TOLSTOI – DIE KRISE DER KUNST UND WIR 2. Ein Forum über DER PEN IN UNSERER ZEIT 3. Eine Dichterlesungaus den Werkenvon Anna Seghers,Arnold Zweig, Ludwig Renn u. a.159
Vertragliche Nutzungsvereinbarungen von Räumlichkeiten für dieses Vorhaben hatte das Ost-Berliner P.E.N.-Sekretariat im Vorfeld der Tagung mit der Hamburger Universität und dem Künstlerclub »die insel« abgeschlossen.160 157
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Ingeburg Kretzschmar an Erich Kästner [25. 1. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Erich Kästner 1. Ingeburg Kretzschmar an Konrad Farner [3. 1. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Konrad Farner 2. Vgl. Interne Erklärung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West »[z]ur Sache« [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Erklärung/Zur Sache 1–3. Vgl. Erklärung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Erklärung 1–2. 351
Bei der Ankunft in Hamburg wurde den Präsidiumsmitgliedern mitgeteilt, dass die Nutzung der angemieteten Universitätsräume nicht mehr möglich sei.161 Ein Gespräch zwischen den Vorstandsmitgliedern Herzfelde, Kamnitzer und Kretzschmar und dem Rektor der Universität, Prof. Dr. Helmut Thielicke, diente zwar der Entkräftung der Vorbehalte: 1. Der Briefkopf des PEN-Zentrums Ost und West sei irreführend gewesen. 2. Das Gespräch über den PEN-Club in unserer Zeit wäre nicht paritätisch verlaufen, da kein Mitglied des PEN-Zentrums der Bundesrepublik eingeladen worden sei. 3. Die angekündigte Autorenlesung hätte einen einseitigen Charakter getragen.162
Die Verweigerung der Veranstaltungsdurchführung wurde jedoch aufrechterhalten. Thielicke verwies darauf, »daß seine Entscheidung auf eine Weisung zurückzuführen und unwiderruflich sei.«163 Der Hamburger Schul- und Kultursenator, Heinrich Landahl, hatte jegliche Veranstaltung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem Boden der Universität verboten. Ein Sprecher der Hamburger Universität teilte laut Pressemeldungen mit, das kommunistisch gelenkte P.E.N.-Zentrum habe sich mit irreführenden Angaben Zugang zur Universität verschaffen wollen; die Universität sei in verschiedenen Punkten über das Programm und die Identität der Teilnehmer getäuscht worden. Dieser Plan des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West habe im letzten Augenblick vereitelt werden können. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West wurde in einer der führenden Tageszeitungen Hamburgs ungeniert mit der herrschenden Partei der DDR gleich gesetzt: Thielicke habe sein »Veto gegen die Veranstaltungen der SED in hamburgischen Hörsälen eingelegt«164 , so das Urteil in der Welt. Auch der Künstlerclub »die insel«, der grundsätzlich eine offenere Haltung gegenüber den Kulturschaffenden der DDR zeigte, sagte unter dem äußeren Druck die geplanten Veranstaltungen ab. Im Nachhinein brachte der Verantwortliche gegenüber dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West sein Bedauern über die Vorgänge zum Ausdruck; man sei allerdings unzureichend über den Charakter der Veranstaltung informiert gewesen: »Satzungsgemäss ist Politik aus unserem Hause verbannt. Es hätte daher der Klärung bedurft, ob politische Fragen zur Debatte gestellt werden sollten.«165 Zudem fürchtete man nach der landespolitischen Entscheidung, »dass [das] Zusammentreffen [des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West] bei uns zu einer Art Protestkundgebung gegen 161
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Interne Erklärung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West »[z]ur Sache«. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Erklärung/Zur Sache 1–3. Vgl. Erklärung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Erklärung 1–2. Vgl. Erklärung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Erklärung 1–2. W. G. [d. i.?]: SED-Autoren wollen in Hamburg tagen. Versammlung des »Deutschen PEN-Zentrums Ost und West«. In: Die Welt vom 7. 12. 1960. Hamburger Künstlerclub e. V. »die insel« an das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West [4. 1. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Hamburger Künstlerclub e. V. 1–1a.
die Massnahmen der Hamburger Regierung geführt hätte.«166 Eine Konfrontation mit den Regierungsbehörden wollte man wegen der DDR-Autoren offenkundig nicht riskieren. In Reaktion auf die Unterbindung der Generalversammlung und des geplanten Rahmenprogramms verfassten die P.E.N.-Mitglieder aus der DDR ein Kommuniqué, das der Presse übergeben wurde. Um die Nachfragen der Journalisten umfassend beantworten zu können, berief Arnold Zweig im Namen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 8. Dezember eine Pressekonferenz in einem Hamburger Hotel ein. Die Präsidiumsmitglieder des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West versuchten, den Anwesenden Entstehungsgeschichte und internationale Legitimation ihrer Sektion nahe zu bringen. Auf Wunsch der Hoteldirektion wurde die Pressekonferenz jedoch kurz nach ihrem Beginn durch Beamte des Landeskriminalamts aufgelöst.167 Eine Formalie diente der Hamburger Polizeibehörde als formal berechtigtes Argument: Das Deutsche P.E.N.Zentrum Ost und West, das auf seinen Briefbögen auch nach Tralows Ausscheiden München als Sitz angab, war dort nicht im Vereinsregister eingetragen. Der Vorwurf der bewussten Irreführung war somit nicht einfach von der Hand zu weisen. Auch ein eilends durch den internationalen Generalsekretär Carver verfasstes Telegramm konnte die Vorwürfe nicht entkräften.168 Daraufhin lud das P.E.N.-Mitglied Carl August Weber die Pressevertreter ein, als seine persönlichen Gäste ein privates Gespräch mit den Tagungsteilnehmern zu führen. Doch auch dieses Vorhaben wurde untersagt: »Ein Teil der Korrespondenten verließ unter Protest den Saal, ein Teil blieb im Vestibül, um von den Mitgliedern wenigstens einige Fragen beantwortet zu bekommen.«169 Die Abhaltung der Generalversammlung war unter diesen Umständen unmöglich geworden. Dennoch trat das »erweiterte[ ] Präsidium[ ]« des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Hamburg zusammen; man kam zu der Ansicht, »dass es mit Würde und Tradition des PEN unvereinbar sei, an einem Orte zu tagen, wo so e tw a s passieren kann. ›Es ist unter unserer Würde, heimlich in einer Dachkammer‹[,] so der grosze Arnold Zweig.«170 Aufgrund der massiv vor Augen geführten Undurchführbarkeit einer regulären Generalversammlung in einer westdeutschen Stadt wurde als Ort einer künftigen Zusam-
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Hamburger Künstlerclub e. V. »die insel« an das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West [4. 1. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Hamburger Künstlerclub e. V. 1–1a. Vgl. Hugo Huppert: Gruß an Arnold Zweig. In: Die Weltbühne 45 (7. 11. 1967), S. 1425. Vgl. Bestätigungstelegramm von David Carver [o. D.]. SBBPK NL Heinz Kamnitzer Ordner »P.E.N. bis 1969«. Interne Erklärung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West »[z]ur Sache« [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Erklärung/Zur Sache 1–3. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [2. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. 353
menkunft Berlin avisiert. Die 25 Tagungsteilnehmer verließen Hamburg unverrichteter Dinge. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West war wieder einmal in den Sog des Kalten Krieges hineingeraten. Die deutsch-deutsche Politik war im Verlauf des Jahres 1960 vom Wege einer Verständigung völlig abgekommen. Am Ende des Jahres standen die Zeichen auf verschärfter Konfrontation. Vereinzelte Vorstöße der DDR-Regierung, eine einvernehmliche Lösung der deutschen Frage zu erzielen, waren von der Bundesregierung ignoriert worden und ohne offizielle Resonanz geblieben. Ungeöffnet zurückgegangen war ein Brief des Ersten Sekretärs des ZK der SED und Stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR, Walter Ulbricht, in dem dieser der CDU (West) im Januar 1960 u. a. eine Volksabstimmung über eine vollständige Abrüstung und einen Friedensvertrag vorgeschlagen hatte. Auch ein im April vorgelegter »Deutschlandplan des Volkes« blieb ohne Echo. Zwar war es Mitte August 1960 gelungen, ein neues, unbefristetes Handelsabkommen zwischen den beiden deutschen Staaten zu vereinbaren. Ende August kündigte sich indes eine neuerliche Krise an: Das Innenministerium der DDR verhängte zunächst ein kurzzeitiges Einreiseverbot für Bundesbürger nach Ost-Berlin. Anfang September verlangten die DDRGrenzkontrolleure von Bundesbürgern eine Sondergenehmigung der Volkspolizei. Mitte September wurden die Bundesreisepässe der West-Berliner nicht mehr anerkannt; verlangt wurde nun ein Visum, das bei Vorlage des Personalausweises ausgestellt wurde. Die Verschärfung der Einreisebedingungen stieß auf den entschiedenen Protest der Bundesregierung und der drei Westalliierten. Der Außenminister der DDR und die sowjetische Regierung zeigten sich davon unbeeindruckt. In der Reaktion beschlossen die drei Westmächte, DDR-Funktionären keine West-Visa mehr auszuhändigen. Das erst kurz zuvor geschlossene Interzonenhandelsabkommen wurde Ende September 1960 von der Bundesregierung aufgekündigt.171 Die politischen Voraussetzungen für eine Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in einer westdeutschen Stadt waren somit mehr als ungünstig. Vor dem Hintergrund der politischen Lage überrascht die Reaktion der Hamburger Behörden kaum. Die Meldung über die »geplatzte«172 Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West hatte selbst in die kleinsten, regionalen Presseorgane der Bundesrepublik Eingang gefunden. Die meisten Blätter konzentrierten sich auf die einheitliche Wiedergabe der einschlägigen Agenturmeldungen; deren Tenor verhieß die in letzter Minute geglückte Verhinderung einer
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Vgl. Die Fischer Chronik, S. 252–254. Vgl. z. B. [UPI]: Tagung des Ost-PEN-Zentrums jetzt endgültiggeplatzt. Polizei verbietet Pressekonferenz in Hamburg. In: Aichinger Zeitung vom 9. 12. 1960, sowie [dpa]: Polizei läßt PEN-Tagung platzen. Pressekonferenz aufgelöst – Teilnehmer verlassen Hamburg. In: Stuttgarter Nachrichten vom 9. 12. 1960 und [o. V.]: Tagung des ›PenZentrums‹geplatzt. Verbot auf Wunsch der Hotelbesitzerin– PolitischeRichtung nicht genehm. In: Münsterisches Tageblatt vom 9. 12. 1960.
»getarnte[n] kommunistische[n] Veranstaltung«173 . Einen scharfen Angriff auf die DDR-Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West formulierte Eugen Rühle: Die Literaten trugen, als sie nach Hamburg gereist kamen, keineswegs Hammer und Zirkel, das Staatswappen der DDR, auf der Brust, wie Ulbricht es von jedem Fußballer verlangt. Und als Sitz des Klubs wurde nicht etwa Berlin angegeben, sondern München, wo zwei oder drei Mitglieder zu Hause sind und die Eintragung im Vereinsregister nicht zu finden ist. Aber das entscheidende Argument gegen das Hamburger Gastspiel: Hier wird mit falschen Karten gespielt. Hier kommen Schriftsteller, die sich dazu weiß Gott zu schade sein sollten, aufgezäumt als Trojanische Parade-Pferde über die Grenze! Gegen einen Vortrag von Arnold Zweig, eine Lesung von Ludwig Renn oder Ehm Welk in Westdeutschland ist im Prinzip nichts zu sagen. Aber bitte schön, unter der richtigen Firmenmarke, damit jeder Bescheid weiß und auf Gegenseitigkeit. Ich bin sehr für Kulturaustausch, für Gastspiele, für Interzonenreisen. Meinetwegen soll sogar der sowjetzonale Schriftstellerverband bei uns auftreten. Aber dann muß das PENZentrum der Bundesrepubliköffentlichund unzensiertin der Zone tagen dürfen.Wenn Arnold Zweig in Hamburg redet, soll Kästner in Leipzig sprechen. Noch ein Wort zum Thema menschliche Begegnung: Wir vermögen wohl zwischen Mensch und Funktionär, zwischen Individuum und Delegation zu unterscheiden. Die sowjetzonalen Schriftsteller sollen in der Bundesrepublik reisen, so oft ihnen die Ostberliner Notenbank das Westgeld für die Reisespesen bewilligt. Es kann den Schriftstellern aus dem Osten nichts schaden, wenn sie sich hin und wieder in der Bundesrepublik umgucken. Aber begegnen wir dann den Menschen Zweig, Renn, Hermlin, wenn sie zur Haupt- und Staatsaktion nach Hamburg kommen? Die Tagesordnung, die Referate, die Resolutionen – das alles ist vorher bis aufs i-Tüpfelchen im SEDZentralkomitee und im Ostberliner Kulturministerium abgesprochen worden. Keiner aus der Schar der Nationalpreisträger, der aus seinem Herzen nicht eine Mördergrube machte. Ulbricht spricht aus Dichtermund! Ich finde, solange der Stacheldraht deutsche Familien zerreißt, solange die Reisesperren der Zone Eltern und Kinder, Ehepaare, Geschwister trennen, sollten die sowjetzonalen Literaten, wenn sie schon das Privileg der Freizügigkeit genießen, still, bescheiden und demütig durch unsere Lande reisen.174
Die massiven Maßnahmen der bundesrepublikanischen Behörden gegen die Kulturschaffenden der DDR wurden auch von der Führungsspitze der SED registriert; sie begriff die Vorgänge als gezielten Angriff auf das Staatswesen der DDR und leitete gezielte Schritte zur Gegenwehr ein. Zunächst sammelten die Verantwortlichen im ZK der SED Vorschläge zu einem strategisch geplanten, breit angelegten Propaganda-Feldzug gegen die Schritte der Hamburger Behörden. Eine medienwirksame Aufbereitung der Vorgänge um die gescheiterte Generalversammlung und ein gezielter öffentlicher Protest standen im Mittelpunkt der Bestrebungen; geplant wurde: 173
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[AP]: KommunistischesPEN-Zentrum wollte in Hamburg tagen. In: Badische Neueste Nachrichten (Karlsruhe) vom 9. 12. 1960. Kommentar von Eugen Rühle im Rundfunksender SFB [10. 12. 1960]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/2.026/38, Bl. 93–98, hier Bl. 96–98. Eine auszugsweise Mitschrift findet sich abgedruckt unter dem Titel »Das ›Deutsche PEN-Zentrum Ost und West‹.« In: SBZ-Archiv 24 (2. Dezemberheft 1960), S. U2. 355
1. a) Pressekonferenz – über alle Vorgänge b) Pressekonferenzmit Hinzuziehungaller westdeutschenJournalisten,die in Hamburg zur Pressekonferenz eingeladen waren 2. Fernsehinterview im Rahmen des ›Treffpunkts Berlin‹ 3. Protest an den Internationalen PEN, nationale Schriftstellervereinigungen und literarische Zeitungen und Zeitschriften. Protest an [Ernest] Moravia, Präsident des PEN und Erich Kästner, Präsident des West/PEN. Offener Brief an westdeutsche Kulturschaffende (oder nur an Schriftsteller) 4. Durchführung des Gesprächs ›Tolstoi, die Krise der Kunst und wir‹ […] 5. Verschiedene Artikel in der Tagespresse 6. Es ist zu erwägen, ob ein Offener Protestbrief an den Innenminister der Westzone, Schröder, gerichtet werden soll.175
Die endgültige Festlegung von Maßnahmen sollte in Absprache mit den Funktionären Joachim Herrmann und Horst Sindermann erfolgen. Beide waren ausgewiesene Propaganda-Experten: Herrmann war bis 1960 Mitglied der Agitationskommission des Politbüros und hatte dann zur Westkommission des Politbüros gewechselt; Sindermann leitete seit 1954 die Abteilung Agitation und Propaganda im ZK der SED.176 Nach eingehenden Besprechungen mit zahlreichen »Genossen« wurde schließlich die Ausstrahlung eines Gesprächs im Fernsehfunk mit Alfred Kurella, Arnold Zweig, Heinz Kamnitzer, Peter Hacks und Stephan Hermlin unter der Leitung von Wolfgang Böttner am 11. 12. 1960 konkret umgesetzt. Für den 13. 12. 1960 plante man zudem eine internationale Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West im Deutschen Presseklub (Berlin), zu der offiziell der P.E.N.-Präsident Arnold Zweig einlud. Die organisatorische Sicherung der Pressekonferenz lag jedoch in den Händen des Presseamts beim Vorsitzenden des Ministerrats; zuständig war der Amtsleiter, Kurt Blecha, der wiederum an die Weisungen aus dem Politbüro des ZK der SED gebunden war – in persona Erich Mückenberger. Vorgesehen hatte man auch die taktische Verknüpfung etwa zeitgleicher Vorgänge in Hamburg und München: Die Sendung Aktuelle Kamera vom 10. 12. 1960 zeigte einen Bildbericht zum Hamburger Ereignis, sowie einen Bericht von einer Protestversammlung gegen die Verhaftung der DDR-Bürger Karl Laux (Direktor der Musikhochschule Dresden), Heinrich Allmeroth (Generalintendant der Städtischen Bühnen Dresden) und Klaus Gysi (Leiter des Aufbau-Verlags); diese hatten auf Einladung des Präsidenten des Deutschen Kulturtages, Karl Saller, an einer Diskussion des Deutschen Kulturtages in München teilgenommen und waren wegen des Verdachts »landesverräterischen 175
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Vorschläge zur Auswertung des PEN-Kongresses Ost/West in Hamburg [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 339. Helmut Müller-Enbergs: Joachim Herrmann sowie Helmut Müller-Enbergs und Bernd-Rainer Barth: Horst Sindermann. In: Müller-Enbergs (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 346f. und S. 801.
Nachrichtendienstes« für kurze Zeit in Haft genommen worden. Ihre Inhaftierung wurde von der DDR-Propaganda zur Anklage der bundesdeutschen Personalpolitik benutzt: »Solange die Schröder, Strauß, Heusinger, Globke und Brandt die Kriegsfanfare blasen können, wird auch gegen die humanistische Kultur mobilgemacht. Solange alte Nazis Notstandsgesetze und Hitlergenerale Rüstungs-Denkschriften produzieren und in Aktion setzen können, solange bleiben Frieden, Demokratie und Kultur in Westdeutschland in Gefahr.«177 Laux, Allmeroth und Gysi sollten auch zur Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West erscheinen, denn nach ihren kurzzeitigen Verhaftungen vermochten sie der Kritik an der Behandlung durch die bundesrepublikanischen Behörden besondere Authentizität verleihen.178 Zur Berliner Pressekonferenz am 13. Dezember 1960, die als Fortführung der in München abgebrochenen gekennzeichnet wurde – »an einem Ort, wo Sie, meine Damen und Herren, kein polizeilich-kriminalistisches Eingreifen zu fürchten haben«179 – erschienen als Vertreter des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West Bruno Apitz, Alfred Kurella, Erich Arendt, Ingeburg Kretzschmar, Heinz Kamnitzer, Arnold Zweig, Carl August Weber, Herbert Ihering, Günter Hofé, Ludwig Renn und Stephan Hermlin; Peter Hacks hatte die Leitung der Veranstaltung übernommen. Laut Protokoll meldeten sich in erster Linie Vertreter der einschlägigen DDR-Medien zu Wort. Fragen stellten u. a. Abgesandte des Morgen, der Weltbühne, des Neuen Deutschland und des DDR-Rundfunksenders Radio Berlin Internationale. Ob deren Fragestellungen im Vorhinein mit parteilichen Instanzen abgesprochen waren, um einen propagandistisch erfolgreichen Verlauf der Pressekonferenz zu garantieren, lässt sich nicht belegen. Ein fragmentarisches Papier aus den Akten des ZK der SED, das »Fragen von Korrespondenten aus der DDR«180 für die Pressekonferenz 177
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[o. V.]: West-Polizei verhaftete Kulturschaffende aus der DDR. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 51 (17. 12. 1960), S. 804. Zur Verdeutlichung der Vorwürfe, die sich gegen die Inhaber herausragender Positionen im Staatssystem der Bundesrepublik Deutschland richteten,seien zwei Beispiele herausgegriffen:Adolf Heusinger hatte von 1931–1944 dem Generalstab des Heeres der deutschen Wehrmacht angehört, wurde später Generalinspektor der Bundeswehr und am 13. 12. 1960 schließlich zum Vorsitzenden des Ständigen Militärausschusses der NATO ernannt. Gegen den Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, wurden von Albert Norden, Sekretär des ZK der SED, im Juli 1960 schwere Vorwürfe erhoben; er sei aktiv an der Erstellung der nationalsozialistischen Rassegesetze von 1935 beteiligt gewesen. Vgl. Die Fischer Chronik, S. 255f. Vgl. Zur Auswertung des PEN-Kongresses [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 340. [Protokoll zur] Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Dienstag, 13. Dezember 1960 im Deutschen Presseklub in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Pressekonferenz 1–21, hier 1. Pressekonferenz des Deutschen PEN-Zentrums Ost-West. Fragen von Korrespondenten aus der DDR [o. D., vermutlich vor dem 13. 12. 1960]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 336. 357
des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West verzeichnet, deutet auf eine solche Vorgehensweise hin. Gleichwohl stimmen die im Protokoll vermerkten Fragen nicht hundertprozentig mit den im Fragment vermerkten überein.181 Als Wortmeldung eines westdeutschen Medienvertreters ist in den Aufzeichnungen lediglich die Nachfrage eines Journalisten der Süddeutschen Zeitung verbürgt. In weiten Teilen war die Pressekonferenz darauf ausgerichtet, die Politik und das geistige Klima in der Bundesrepublik anzuprangern und die Integrität des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zu beschwören. So bemühte man sich nach Kräften, das Verbot als gezielten Angriff auf den deutsch-deutschen geistigen Austausch im Sinne einer Kalten-Krieg-Strategie darzustellen: [H]inter diesem Verbot, hinter dieser Behinderung [waren] offensichtlich Kreise am Werke […], die an den geistigen Beziehungen, an der kulturellen Verständigung zwischen den beiden deutschenStaaten und ihren literarischenVertreternnicht interessiert waren, sondern die im Gegenteil an einem Abbruch, an einer Fehde, vielleicht sogar an einer geistig-literarischen Zwietracht in Deutschland interessiert sind. Wenn Sie wollen, können Sie das alles als einen Teil des Feldzuges wider den Geist betrachten, aber eindeutig bestimmt als einen Teil des kalten Krieges auf dem Abschnitt der Kultur.182
Durch die gezielte Frage eines Pressevertreters der DDR hinsichtlich einer direkten Verbindung zwischen dem Hamburger Verbot und den oben erwähnten, kurzfristigen Inhaftierungen von Allmeroth, Gysi und Laux war Alfred Kurella die Möglichkeit gegeben, mit undurchsichtigen Andeutungen propagandistisch wirksam das Bild eines Unrechtsstaates von der Bundesrepublik zu zeichnen: Ich glaube sogar, dass die Vorgänge in Hamburg insofern klassisch sind, als hier die Zwielichtigkeit oder Heuchelei der angewandten Methoden besonders krass zum Ausdruck kamen. Vom ersten Tag an war das Bestreben einiger Personen vorzufinden, d. h. der eigentlichen Autoren dieser Eingriffe, die wohl in den verschiedenen Fällen dieselben sein werden – denn es handelt sich um dasselbe Land, dieselbe Polizei und denselbenVerfassungsschutz– die diese Dinge vorschrieben,diese Personen im Dunkel lassen. […] Mir scheint, dass unsere Hamburger Erfahrungen in dieser Hinsicht völlig ausreichend sind, und jeder kann sich, was die anderen Ereignisse betrifft, seinen Vers machen.183
Demgegenüber nahm Stephan Hermlin eine neutrale Position ein: keine Anklage der Vorgänge in der Bundesrepublik, kein implizites Bekenntnis zur DDR. Hermlin zog aus den Vorkommnissen einen ganz anderen Schluss; er wollte sich nicht zum Sklaven im Wettstreit der Ideologien machen lassen: 181
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Vgl. Pressekonferenzdes Deutschen PEN-Zentrums Ost-West. Fragen von Korrespondenten aus der DDR [o. D., vermutlich vor dem 13. 12. 1960]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 336. [Protokoll zur] Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Dienstag, 13. Dezember 1960 im Deutschen Presseklub in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Pressekonferenz 1–21, hier 4. [Protokoll zur] Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Dienstag, 13. Dezember 1960 im Deutschen Presseklub in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Pressekonferenz 1–21, hier 7.
Wir alle, jeder Mensch, der irgend etwas mit Kultur zu tun hat, dessen Hauptinteresse sich auf Literatur oder bildende Kunst oder Musik richtet, jeder Mensch dieser Art hat seit 15 Jahren unerträglich unter dem kalten Krieg gelitten, denn der kalte Krieg ist ein Mörder der Kunst. Ich persönlich – es ist möglich, dass das eine ganz isolierte Meinung ist – bin fest der Auffassung, dass zwar die Intellektuellen nicht den kalten Krieg beseitigen können, dazu sind sie zu schwach, aber dass sie ihn einem ganzen Bereich entziehen können, und dass sie ihn dadurch konkret schwächen, indem sie sich nicht dazu hergeben, auf ihrem Lebensbereich die Losungsworte der Herrschaften, die an diesem kalten Krieg interessiert sind, zu befolgen.184
Auch dem Präsidenten Arnold Zweig war in erster Linie daran gelegen, den deutsch-deutschen Dialog fortzusetzen; er machte deutlich, dass man »keine Lust [habe], auf die Arbeit zur Verbindung der beiden Teile Deutschlands zu verzichten, nur weil uns unbeteiligte, aber wirksame Stellen, Organe der bundesrepublikanischen Rechtsmaschine, in Hamburg daran gehindert haben zu tagen.«185 Nach seiner Ansicht sollten gerade die Schriftsteller »miteinander in dauerndem Gespräch bleiben; dies verlangten die »geistigen Fragen [d]er Epoche«186 . Zweig bemühte sich, den intellektuellen Stellenwert des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West hervorzuheben, obgleich zu früh verstorbene Mitglieder wie etwa Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger zu beklagen seien: Sie sehen, die geistige Potenz des deutschschreibenden literarischen Lebens war durch unsere Gruppe recht anständig vertreten, obwohl die meisten unserer Mitglieder nicht mehr über dem Rasen, sondern darunter sind. Dennoch können Sie sich darauf verlassen, dass wir weiter durch unseren Nachwuchs – hier zu meiner Rechten und Linken sitzen sie – die Absicht haben, eine Vertiefung und ununterbrochene Förderung des Schriftkontakts zu allen deutsch schreiben, deutschsprachigen Zentren zu ermöglichen, soweit wir nicht daran gehindert werden, und dass von Seiten der DDR eine solche Behinderung nicht stattfinden wird.187
Dementsprechend sprach Kamnitzer eine Einladung an den bundesdeutschen P.E.N. zu literarischen Veranstaltungen in Ost-Berlin aus, nicht ohne noch einmal die Situation in der Bundesrepublik anzuprangern: »Die Mitglieder werden
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[Protokoll zur] Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Dienstag, 13. Dezember 1960 im Deutschen Presseklub in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Pressekonferenz 1–21, hier 14. [Protokoll zur] Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Dienstag, 13. Dezember 1960 im Deutschen Presseklub in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Pressekonferenz 1–21, hier 2. [Protokoll zur] Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Dienstag, 13. Dezember 1960 im Deutschen Presseklub in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Pressekonferenz 1–21, hier 9. [Protokoll zur] Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Dienstag, 13. Dezember 1960 im Deutschen Presseklub in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Pressekonferenz 1–21, hier 9f. 359
bei uns hier die Freiheit genießen, die uns in Hamburg verwehrt worden ist.«188 Gleichzeitig betonte Kamnitzer die Bereitschaft des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, erneut eine Tagung in der Bundesrepublik anzugehen: »Zu diesem Zweck werden wir das Generalsekretariat des Internationalen PEN in London ersuchen, alle nationalen Verbände des PEN von den Vorkommnissen in Kenntnis zu setzen, um in der Bundesrepublik mit ihrer Hilfe den schuldigen Respekt gegenüber der PEN-Charta zu erwirken.«189 Nach weiteren Anmerkungen von Kurella, die Begebenheiten am Rande der verhinderten Tagung in Hamburg behandelten, schloss der Versammlungsleiter Hacks die Pressekonferenz mit einer abschließenden Charakterisierung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Er zeigte sich überzeugt, dass man, orientiert an den Werten der in der Emigration während des Nationalsozialismus entstandenen Volksfront-Bewegung, auf dem richtigen Weg sei: Ich glaube, aus unserer Pressekonferenz ist hervorgegangen, dass das Deutsche PENZentrum Ost und West nicht eine Propagandaorganisation ist, sondern dass das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West eine oder vielleicht die repräsentative Organisation der Literatur des anderen Deutschland,der Literatur des antifaschistischenund humanistischen Deutschland ist. Ich glaube, der Literatur des anderen Deutschland ist es in seiner Geschichte nicht das erste Mal passiert, dass sie verboten worden ist, was sie nicht daran gehindert hat, die wahre und wirkliche Literatur der Deutschen zu bleiben. Der Fortschritt der Menschheit geht Wege, die nicht immer gradlinig sind, in denen auch Rückwege enthalten sind. Trotzdem, glaube ich, können wir sicher überzeugt sein, dass mit der Hilfe des Geistes und der Hilfe aller friedliebenden Menschen die Welt einem Zustand nähergebracht werden kann, der auch dem Geiste einen wirklichen Platz bietet und ihm erlaubt, seine Funktion im Leben der Menschen auszufüllen.190
Während man sich von östlicher Seite also öffentlich um die Entkräftung des Vorwurfs bemühte, dass das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West eine Propagandaorganisation sei, rumorte es im Innern der Sektion: Kritik kam in erster Linie aus den Reihen der West-Mitglieder, die sich seit langem zurückgesetzt fühlten. Nachdem Tralow aus dem Präsidium ausgeschieden war, wurde offenbar, was durch dessen Aktivität zumindest zum Teil verdeckt geblieben war: Das Ost-Berliner Büro hegte wenig Interesse an den westdeutschen Mitgliedern. Bei Tralow liefen die Beschwerden ein. Das Verhältnis habe sich nach Tralows 188
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[Protokoll zur] Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Dienstag, 13. Dezember 1960 im Deutschen Presseklub in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Pressekonferenz 1–21, hier 13. [Protokoll zur] Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Dienstag, 13. Dezember 1960 im Deutschen Presseklub in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Pressekonferenz 1–21, hier 12. [Protokoll zur] Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Dienstag, 13. Dezember 1960 im Deutschen Presseklub in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Pressekonferenz 1–21, hier 20f.
Abgang »sehr nachteilig geändert«191 . Man schweige sich völlig aus: »[L]iegt dies nun an der weiteren Zuspitzung der Lage der um sich greifenden Blutvergiftung innerhalb der beiden deutschen Staaten, oder besteht tatsächlich die Absicht, die westdeutschen Mitglieder als Mitglieder zweiten Ranges zu behandeln?«192 Einer der Wortführer unter den Kritikern der P.E.N.-Führung war der Hamburger Günther Weisenborn, der 1951 kurzzeitig als Mitpräsident des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West agiert hatte und nach der Aufgabe seines Amtes nie ausgeschieden, jedoch mehrfach als Unruhe stiftender Einzelaktivist in Erscheinung getreten war. Weisenborn hatte seit der Separation des deutschen P.E.N.-Clubs in Abständen immer wieder die Idee verfolgt, den vor 1933 existenten Hansischen Kreis eines deutschen P.E.N.-Zentrums neu aufzubauen. Den letzten Vorstoß in diese Richtung hatte er in Reaktion auf die Flucht des P.E.N.Mitglieds Alfred Kantorowicz in die Bundesrepublik Deutschland versucht, war aber an Tralows tätiger Abwehr eines solchen Unternehmens gescheitert.193 Als die Sanktionen gegen die Generalversammlung in Hamburg öffentlich bekannt geworden waren, hatte Weisenborn sich beim Präsidenten des KünstlerClubs »die insel« für das P.E.N.-Zentrum einzusetzen versucht: »Ich habe ihm erklärt, dass keine kommunistische Propaganda getrieben werden würde. Das Zentrum Ost und West sei keine kommunistische Organisation. […] Ich hatte Mühe, ihm klar zu machen, dass die Formel ›Ost und West‹ laut Satzung nicht so zu verstehen sei, als handele es sich um ostdeutsche Schriftsteller und um westdeutsches Publikum.«194 Nach dem Scheitern der Hamburger Generalversammlung schrieb Weisenborn an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West einen »ernste[n] Brief der Kritik«195, der Teile der in der westlichen Presse erhobenen Anklage wiederholte; er monierte die unzureichende Vorbereitung der Tagung und das Übergehen der westlichen Mitglieder: Kretzschmar sei zur Vorbereitung der Tagung zwar mehrfach in Hamburg gewesen. Eine Kontaktaufnahme mit den dortigen P.E.N.-Mitgliedern sei jedoch nie erfolgt.196 Deren Kontakte und Kenntnisse der am Orte gegebenen Situation hätten aus Weisenborns Sicht das 191
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Richard Cahen an Johannes Tralow [20. 9. 1960]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Cahen. Richard Cahen an Johannes Tralow [20. 9. 1960]. SBBPK NL Tralow K 42 Konv. Cahen. Vgl. Johannes Tralow an alle Mitglieder [8. 9. 1957]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2155. Günther Weisenborn an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West [7. 12. 1960]. SAdK Berlin, NL Günther Weisenborn 1347/2. Günther Weisenborn an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West [7. 12. 1960]. SAdK Berlin, NL Günther Weisenborn 1347/2. Auch Heinrich Christian Meier zeigte sich uninformiert; er wusste nicht einmal, »wer die Organisation besorgte.« Er hatte im Vorfeld an einer regen Beteiligung der WestMitglieder gezweifelt: »Im allgemeinen mögen es PEN-Mitglieder nicht allzu gern, dass man sie vor vollendete Tatsachen stellt und sie quasi an ihrem eigenen Wohnort mit Versammlungen überrumpelt, zu denen sie ihrerseits keine Zusage gegeben haben. Darum befürchte ich, dass nur ein sehr geringer Kreis erscheinen wird. Aber ich kann 361
Scheitern der Versammlungsdurchführung vermeiden können. In dieser Ansicht wurde er auch von Heinrich Christian Meier, Hamburg, unterstützt.197 Zudem sei die DDR-Lastigkeit der Rednerliste aufgrund der politischen Spannungslage nahezu ein Garant für das Missraten des Vorhabens gewesen: Wer auf dem Standpunkt steht, die Polizei hätte auf jeden Fall eingegriffen, was wir bezweifeln, braucht trotzdem die Arbeit der Polizei nicht zu erleichtern, indem er die Basis ›Ost und West‹, die immer noch gültige paritätische Basis des Zentrums verlässt. Gegen unser Zentrum wird seit Jahren von der gegnerischen Propaganda die Behauptung verbreitet, es handle sich um ›ein Ost-Zentrum mit einigen Alibi-Blüten aus Westdeutschland‹. Genau diese Behauptung wurde durch das Verhaltenunseres Zentrums – wenn auch ohne böse Absicht – bestätigt.198
Vor diesem Hintergrund erhob Weisenborn die konkrete Forderung, eine beträchtliche Stärkung des westdeutschen Mitgliederflügels und eine gleichberechtigte Ost-West-Zusammensetzung des Präsidiums zu erreichen. Weisenborn war kein kalter Krieger; er wollte die »letzte Brücke der Literatur« erhalten und wünschte eine gezielte Aktivierung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Westdeutschland: »Wir wollen der ressentimentbestimmten Anti-Haltung des Kalten Krieges auf unserem Boden überzeugend entgegentreten können. Darum unterstreiche ich das Wort unseres Präsidenten Arnold Zweig: PEN – jetzt erst recht!«199 Die von Weisenborn subsumierten Vorbehalte der westdeutschen, insbesondere Hamburger Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, waren auch von den staatssicherheitlichen Behörden der DDR zur Kenntnis genommen worden.200 Hinter den Kulissen pflegte Weisenborn »seinen Lieblingswunsch«201 – die Begründung eines norddeutschen Sonderkreises bzw. Hansischen Kreises. Schon am Rande der in Hamburg nicht zustande gekommenen Tagung hatte Weisenborn im Gespräch mit den P.E.N.-Mitgliedern Heinrich Christian Meier, Peter Hacks und Hugo Huppert diese Frage angeschnitten. Im vertraulichen Gespräch mit Meier bat er, dieser möge »doch diese Sache in die Hand nehmen.«202 In der Folge beriet sich Meier in diesen Dingen ausführlich mit dem früheren geschäftsführenden Präsidenten Johannes Tralow; dessen Stimme hatte auch nach dem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt weiterhin Gewicht. Meier
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mich täuschen.« Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [20. 11. 1960]. SBBPK NL Johannes Tralow K 50 Konv. Meier. Vgl. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [2. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Günther Weisenborn an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West [nach dem 7.–9. 12. 1960]. SAdK Berlin, NL Günther Weisenborn 1346, 2. Mappe. Günther Weisenborn an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West [nach dem 7.–9. 12. 1960]. SAdK Berlin, NL Günther Weisenborn 1346, 2. Mappe. Vgl. Einzel-Information über das Verhalten Hamburger Mitglieder nach der verhinderten PEN-Tagung [2. 1. 1961]. BStU, MfS, ZAIG, Z 362, Bl. 1f. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [2. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [2. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier.
tendierte dazu, »trotz allen geschehenen Unrechts, aller Dummheiten und Narrheiten und ›Fusztritte‹« an dem »alte[n], wohl fundierte[n] PEN-Zentrum Ost und West«203 festzuhalten; er rechnete durch eine regionale Neuorganisierung mit keiner wesentlichen Verbesserung der westdeutschen Position: »Ein ›hansischer Kreis‹ oder ein ›norddeutsches PEN‹, das von dem hier waltenden Behördenapparat genauso bekämpft würde, wie das Ost-West-PEN, ist bestimmt ganz wertlos. […] Wir müssen erreichen, dass unser bestehender PEN-Kreis in Zukunft besser und PEN-gemässer dasteht und mit mehr Wirkung auftreten könne [sic].«204 Gleichwohl erwog Meier die sorgsame Prüfung einer eventuellen Neugründung: Sollte das Präsidium dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West weiterhin das Gepräge einer reinen DDR-Organisation aufpressen, so könne er »binnen 24 Stunden eine Separation und Distanzierung der westdeutschen Kollegen veranlassen.«205 Die Anstrengungen zur Aufrechterhaltung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West beurteilte der P.E.N.-Veteran Tralow hingegen skeptisch; er sah ein »Fiasko« voraus. Die Koexistenz, für die er lange und überzeugt gekämpft hatte, hielt er für Vergangenheit: »Wie kann eine Organisation nach außen hin wirken, wenn sie innerlich gar nicht mehr existiert?«206 Die Schuld für diese Entwicklung legte er den verantwortlichen DDR-Schriftstellern zur Last, die entgegen den Statuten handelten. Tralow hatte ein erstaunlicher Sinneswandel erfasst, der seine tiefen Verletzungen im geistigen Sinne dokumentierte; er, der beinahe ein Jahrzehnt lang für die Vereinigung der ost- wie westdeutschen Schriftsteller unter dem Dach des P.E.N. mit aller Kraft gewirkt hatte, kapitulierte vor den realen Auswüchsen des Kalten Krieges und riet zur Separation der westdeutschen Schriftsteller – de facto zur Gründung eines dritten deutschen P.E.N.Zentrums: Ich gebe zu erwägen, daß der Fortfall der Silbe Ost einem Deutschen P.E.N.-Zentrum Hansescher Kreis, der durchaus nicht auf Norddeutschland beschränkt zu werden braucht, einen ganz neuen Auftrieb geben würde. […] Ein deutsches P.E.N.-Zentrum West (oder Hansescher Kreis) hätte vor allem auch bei den Kräften, die der SPD nahestehen, große Erfolgsmöglichkeiten, jedenfalls bei allen Schriftstellern, die nicht in Bonn hängen. […] ich bin der Meinung, daß man retten sollte, was zu retten ist, und das ist ein Zentrum ohne Abhängigkeit von Bonn.207
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Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [2. 1. 1961]. SBBPK Konv. Meier. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [2. 1. 1961]. SBBPK Konv. Meier. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [2. 1. 1961]. SBBPK Konv. Meier. Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [8. 1. 1961]. SBBPK Konv. Meier. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [2. 1. 1961]. SBBPK Konv. Meier.
NL Tralow K 50 NL Tralow K 50 NL Tralow K 50 NL Tralow K 34 NL Tralow K 50
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Meier blieb trotz Tralows Rat bei seiner Meinung; man werde in den Verhandlungen mit den DDR-Mitgliedern zunächst auf eine »gewisse Parität«208 und eine Garantie derselben drängen. Sollte man auf diese »westdeutschen Wünsche« nicht eingehen, so könne man den Plan eines Hansischen Kreises auf den Tisch legen: »Wenn es […] keine echte gesamtdeutsche Koexistenz im PEN mehr gibt, wenn dies die Realität ist, so werden ja die drübigen Kollegen die Gründung eines – ihnen weiter befreundeten – ›Hansischen Kreises‹ begrüssen müssen und ihren Kreis dann in ›PEN-Zentrum der DDR‹ umbenennen.«209 Indessen ergab Meiers Abtasten der Voraussetzungen für die Begründung eines Hansischen Kreises wenig Positives: Von der Hamburger Kulturbehörde war keine Handreichung zu erwarten; dort wertete man eine potentielle Neugründung als »Element weiterer Verwirrung«210 , das zudem gegen den bundesdeutschen P.E.N. gerichtet sei. Aber auch die Union der westdeutschen Mitglieder bröckelte. Nur eine Handvoll würde sich nach Meiers Einschätzung überhaupt für eine Teilnahme an einer Generalversammlung in Berlin gewinnen lassen. Damit sanken die Chancen auf eine zufrieden stellende Durchsetzung der Forderungen nach absoluter Parität, Vermeidung von Fraktionsbildung und hinreichender Information der West-Mitglieder durch den Vorstand. Dennoch sollte nach Meiers Dafürhalten die »Frage der Sezession«211 erst nach erfolgloser Verhandlung gestellt werden. Meier verhielt sich demnach moderat, obgleich Tralow aus dem Hintergrund zur Kampfaufnahme riet und nahezu zur Separation drängte; er lieferte Argumentationsschemata, um die einschlägigen Verfahrensfehler des Vorstands seit 1959 nachzuweisen und dachte bereits über die personelle Besetzung der Ämter einer neu zu schaffenden Sektion nach. Im Hinblick auf die Anerkennung einer weiteren westdeutschen P.E.N.-Sektion durch das internationale Gremium vermittelte Tralow unumstößliche Zuversicht.212 Zugleich aber mahnte er Meier zur Entschlossenheit: »Willst Du die Führung übernehmen, dann hast Du meine Stimme; aber Du mußt sie wirklich übernehmen und ein Ziel haben, das Du auch behaupten willst.«213 Die in Aussicht genommene Offensive wurde allerdings nicht gestartet. Im Archiv des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West sind keine Akten enthalten, die von Separationsbestrebungen der westdeutschen Mitglieder berichten. Der Vorstand des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zeigte nach dem 208
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Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [11. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [11. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [23. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [23. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Vgl. Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [17. und 26. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier. Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier [16. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 34 Konv. Meier.
Hamburger Spektakel (1960) gegenüber den Mitgliedern aus der Bundesrepublik ein gewisses Entgegenkommen. So bemühte man sich um eine Stärkung des westlichen Flügels, um einer paritätischen Ordnung Ausdruck zu verleihen. Ein stärkerer Einbezug der bundesdeutschen Mitglieder in geplante Veranstaltungen wurde angestrebt. Die von Meier so dringlich erhoffte Generalversammlung in Berlin fand allerdings nicht statt. Erst im Oktober 1962 trat man zusammen. Und hier herrschte wieder Einigkeit. Selbst Tralow war erschienen und betonte, dass man den Anspruch auf den Titel Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West niemals aufgegeben habe und auch in Zukunft nicht aufgeben werde.214 Woher sein plötzlicher erneuter Sinneswandel rührte, ist nicht nachvollziehbar. Eine weitere Sezession innerhalb eines deutschen P.E.N.-Zentrums war abgewendet. Wiederum wäre es der Westen gewesen, der sich vom Osten abgespalten hätte – doch dieses Kapitel der deutschen P.E.N.-Geschichte wurde nicht geschrieben. Einfluss auf die Entscheidung der verbliebenen West-Mitglieder für das Deutsche P.E.N.-Zentrums Ost und West übten vermutlich die Entwicklungen, die in der Folge der verhinderten Generalversammlung in Hamburg ihren Weg nahmen. 6.3.2 Teil 2 – Ein »Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West« in Hamburg (April 1961)215 Wenige Tage nach der in Ost-Berlin durchgeführten Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, die sich mit den Hamburger Ereignissen auseinandersetzte, wendete sich die Sachlage auf interessante Weise. In der Hamburger Wochenzeitschrift Die Zeit erschien unter dem Titel Die roten Dichter und Hamburgs Polizei eine differenzierte Darstellung der Geschehnisse um die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West ; sie entfaltete mehr und mehr polemische Züge und beklagte die vergebene Möglichkeit: Nun würde man die geistige Elite der Zone einmal von Angesicht zu Angesicht sehen, würde ihre Argumente hören und ihnen die eigenen entgegensetzen können. Bisher hatten sie nach Möglichkeit jede Diskussion vermieden. Sie geben Journalisten aus der Bundesrepublik nur ungern eine Einreise-Erlaubnis, sie verbieten unsere Bücher und Zeitungen in ihrer Zone, bestrafen den, der unsere Sender hört. Aber nun endlich würden sich unsere Schriftsteller und Intellektuellen einmal mit ihnen messen können – welche Chance! Welche Verantwortung! Aber es kam anders, denn Verantwortung ist nicht jedermanns Sache. Auch nicht im Westen, der sich auf die Freiheit seines Geistes einiges zugute tut.216
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Vgl. Protokoll der XIII. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 2./3. Oktober 1962 in Weimar, Hotel Elephant [o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) PEN-Club/GV Oktober 1962 in Weimar/Protokoll 1–13, hier 3. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 107–113. Die Redaktion der Zeit: Die roten Dichter und die Polizei Hamburgs. In: Die Zeit 51 (16. 12. 1960). 365
Die Redaktion der Zeit stellte sich nicht auf die Seite des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West ; sie legte die ideologische Zusammensetzung der DDRDelegation haarklein dar. Als bedenklich wertete sie hingegen die Maßnahmen der Hamburger Polizeibehörde – diese demonstrierten lediglich Schwäche. Die Verhinderung einer geistigen Auseinandersetzung mit den Schriftstellern aus der DDR interpretierte man als Armutszeugnis für das Staatssystem der Bundesrepublik Deutschland; man habe mit dieser Vorgehensweise dem politischen Gegner verwertbare Argumente an die Hand gegeben: Aus, vorbei. Da kommen sie endlich einmal aus ihrem Bau heraus – prominente Dichter und Funktionäre und wollen sich stellen. Aber bei uns ist, wenn Dichter kommen, weder der Kultursenator zuständig, noch der gesunde Menschenverstand, sondern der Polizeisenator. Die Gäste von drüben wird das nicht weiter verwundert haben, denn genauso stellen sie sich die Bundesrepublik vor. Wahrlich, sie sind als Sieger abgezogen: Sie bringen die Bestätigung heim: ›geistige Auseinandersetzungen werden in der Bundesrepublik von der Polizei erledigt ‹. Ja, es ist beschämend: Unsere Hausknechte brachten die Zonenvertreter zu Ulbrichts Räson. Und wenn bei denen drüben wieder einmal Studenten oder Schriftsteller murren und nach freier Diskussion ›wie im Westen‹ verlangen sollten, dann kann Ulbricht ihnen nun mit Fug und Recht entgegnen: ›Ach, ihr meint wie in Hamburg …‹ Und wenn von uns wieder einmal Studenten hinüberfahren wollen, um drüben in der Universität zu diskutieren, dann ist jenen jetzt die Ablehnung leicht gemacht: ›Ihr laßt ja auch unsere Leute nicht zu Wort kommen …‹ Wer sich bisher in der Bundesrepublik in Sicherheit wähnte, dem muß nach diesem leider symptomatischen Ereignis wirklich bange werden. Denn unsere Sicherheit hängt doch weiß Gott nicht nur von unseren Verbündeten und den vereinten Verteidigungsanstrengungen ab – so notwendig dieser militärische Schutz auch ist –, wirklich stark und überlegen wissen wir uns doch nur, weil unsere Sache die bessere ist. Aber wer kann sich durch die stärkste Rüstung gesichert fühlen, wenn unsere Mitbürger und gar unsere Regierenden sich zu schwach dünken, im eigenen Lande mit dem Gegner die Waffen zu kreuzen?217
Die Kritik der Zeit -Redaktion gipfelte in einer Einladung der DDR-Autoren nach Hamburg: Wir bedauern es aufrichtig, daß eine Diskussion mit den Schriftstellern aus der Zone nicht stattgefunden hat. Und darum laden wir die abgewiesenen Mitglieder des PENZentrums Ost und West ein, auf Kosten der ZEIT nach Hamburg zu kommen, und die Themen, die sie für ihren ersten Besuch vorgesehen hatten, mit uns und einigen Schriftstellern aus der Bundesrepublik zu diskutieren. Sollte die Universität ihre Räume verweigern, so stehen die Redaktionsräume der ZEIT dafür zur Verfügung.218
Die Verantwortlichen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West stellten daraufhin umfangreiche Überlegungen an, wie die Reaktion auf diesen Vorschlag aussehen sollte – davon zeugt ein Notizpapier, das zahlreiche Formulierun-
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Die Redaktion der Zeit: Die roten Dichter und die Polizei Hamburgs. In: Die Zeit 51 (16. 12. 1960). Die Redaktion der Zeit: Die roten Dichter und die Polizei Hamburgs. In: Die Zeit 51 (16. 12. 1960).
gen einer möglichen Antwort aufweist.219 Letztlich nahm Zweig ganz unprätentiös die Einladung »mit Dank« an, und lud seinerseits einen Vertreter der Zeit -Redaktion nach Berlin ein, »um mit dem Vorstand des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West Termin und Einzelheiten der geplanten Zusammenkunft festzulegen.«220 Der Verleger der Zeit, Gerd Bucerius, machte in einer öffentlichen Stellungnahme deutlich, dass bei den geplanten Veranstaltungen die kritische Auseinandersetzung im Mittelpunkt stehen sollte. Man freue sich sehr über die öffentliche Diskussion und habe an die Vertreter der Zone wichtige Fragen zur geistigen Freiheit in der DDR: »Wir haben kein unverbindliches Ost-West-Verbrüderungsgeschwätz zu bieten. Unsere Gäste sollten sich darauf vorbereiten, faire und präzise Fragen über die Verantwortung des Schriftstellers für das Volk und die Zukunft an uns zu stellen und uns zu beantworten.«221 Einen Missionierungsgedanken verband Bucerius mit dem geplanten Gespräch indes nicht; ihm war an der allgemeinen Wirkung eines solchen Gespräches zwischen Ost und West gelegen: Ich bilde mir nicht ein, ich erwarte nicht, dass wir die Entsandten des PEN-Clubs hier von der Richtigkeit unserer Meinung überzeugen können. Darum geht es mir aber gar nicht. Ich lehne es ab mich hinter einer Maginotliniedes Geistes zurückzuziehen.Wenn von drübenein geistiger Vorstosserfolgt, will ich ihn mit geistigenWaffen beantworten. Nicht um der Schriftsteller drüben willen, die sich natürlich ihre Meinung in langen Jahren gebildet haben, sondern um des Zuhörerkreises willen. Des Zuhörerkreises hier, aber auch in der Zone, die es dann ja doch irgendwo erfahren.222
Das Hamburger Mitglied Heinrich Christian Meier äußerte in einem Brief an Tralow seinen Unmut über die Entscheidung des Präsidiums. Er hielt die Zusage für falsch: »Mit Ironie stellt die Zeit vom 23. Dez. fest, dass sie, wie gewünscht, einen Unterhändler auch nach Berlin senden werde, obzwar auf den Plakaten des PEN als Sitz doch München angegeben gewesen war. Nun ja, manche Leute lernen nie.«223 Wiederum habe man die westdeutschen Mitglieder bei der Entscheidung außen vor gelassen: »Da man die Einladung angenommen hat […], sind fraglos wieder einmal die westdeutschen Kollegen übergangen, und es ist möglich, dass man mir hier antworten wird: Was willst Du, wir sind ja praktisch längst ausgebootet. Der Zweck der Veröffentlichungen von Bucerius ist doch ganz klar, den Ost-West-PEN abzustempeln als einen reinen Club der SED,
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Vgl. Notizen von Arnold Zweig im Hinblick auf die Einladung der Zeit. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Zweig 1–1a. Arnold Zweig an Redaktion Die Zeit [17. 12. 1960]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Schriftwechsel GV 1960 in Hamburg/Redaktion Die Zeit 1. Stellungnahme von Gerd Bucerius. Abgedruckt in: Die Antwort von Arnold Zweig. In: Die Zeit 52 vom 23. 12. 1960. Stellungnahme von Gerd Bucerius in einem RIAS-Interview vom 21. 12. 1960. Zitiert in der Mitschrift einer Sendung des RIAS vom 20. 1. 1961, 19.10 Uhr. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38, Bl. 99–101, hier Bl. 99. Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [23. 12. 1960]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. 367
einen ›sowjetzonalen PEN‹.«224 Man könne »in der Operation des Dr. Bucerius n u r den Versuch sehen, den PEN nun endgültig als ›ostzonal‹ abzustempeln und dabei der SPD einen Wischer zu erteilen. (Denn B. ist CDUabgeordneter.)«225 Tralow indes schien es müde zu sein, die Zänkereien zwischen Ost und West zu beurteilen und Ratschläge zu erteilen: »Der P.E.N. Ost-West, der solange er unter meiner Leitung das Exempel für eine vorgelebte freundschaftliche Koexistenz zwischen Ost und West war, scheint sich jetzt aufzulösen. Aber Ihr Westler laßt Euch ja alles gefallen, und so geschieht es Euch ganz recht. Ich habe die Nase plein.«226 In der westdeutschen Öffentlichkeit rief die Einladung der Zeit -Redaktion geteilte Reaktionen, sowohl Einwände wie Beistimmung, hervor. Unter dem Titel Geistesfreiheit – auch für »Rote Dichter« veröffentlichte die Zeit Anfang Januar 1961 empörte wie zustimmende Zuschriften.227 Mit Beginn des neuen Jahres wurde die differenzierte Planung der Hamburger Veranstaltung aufgenommen. In die konkrete Vorbereitung mischten sich Bestrebungen, dem offiziell gültigen Namen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West durch eine gezielte Stärkung des westdeutschen Flügels Berechtigung zu verleihen. Dieses Ansinnen war aufgrund der gegebenen Situation kaum mehr als ein Baustein strategischer Vorbereitung – das faktische Interesse an den westdeutschen Mitgliedern dürfte weniger intensiv gewesen sein.228 Zu einer Vorbesprechung wurden für den 13. Januar 1961 die Vertreter der Zeit Redaktion, Marion Gräfin Dönhoff und Gerd Bucerius, in Ost-Berlin erwartet. Ein Zusammentreffen der Präsidiumsmitglieder im Vorfeld zur Abstimmung der »gemeinsamen Standpunkte«229 war unerlässlich. Zu dem klärenden Gespräch in der Ost-Berliner Akademie der Künste wurde auch der Leiter der Abteilung Kultur im ZK der SED, Siegfried Wagner, gebeten.230 224
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Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [2. 1. 1960]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Vgl. auch Einzel-Information über das Verhalten Hamburger PENMitglieder nach der verhinderten PEN-Tagung [2. 1. 1961]. BStU, MfS, ZAIG, Z 362, Bl. 1f., hier Bl. 2: »Die Annahme dieser Einladung habe bei ihnen großes Befremden ausgelöst, weil sie erwartet hätten, daß man sie vorher in dieser Angelegenheit zumindest konsultiert,zumal sich das Mitgliedergremium gegen solche oder ähnliche zukünftige Zusammentreffen in Hamburg als mit der Würde des PEN nicht zu vereinbaren wandte. Durch diese Handlungsweise seien sie erneut in ihrer Ansicht bestärktworden, daß man sie bei entscheidenden Fragen zu übergehen versucht.« Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow [11. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 50 Konv. Meier. Johannes Tralow an Richard Cahen [26. 1. 1961]. SBBPK NL Tralow K 30 Konv. Cahen. Vgl. Geistesfreiheit – auch für »Rote Dichter«. Ein Artikel ruft Einwände … und Zustimmung hervor. In: Die Zeit 2 (6. 1. 1961), S. 16. Vgl. Ingeburg Kretzschmar an Wieland Herzfelde [25. 1. 1961]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2155. Ingeburg Kretzschmar an Wieland Herzfelde [11. 1. 1961]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2155. Vgl. Ingeburg Kretzschmar an Siegfried Wagner [Abt. Kultur beim ZK der SED] [11. 1. 1961]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 341.
Die Inhalte und Grundlagen der Diskussionen, die Listen der Teilnehmer von beiden Seiten wurden wechselseitig besprochen. In die umfassende Vorbereitung des Hamburger Gespräches wurde Alfred Kurella als Leiter der Kulturkommission beim Politbüro des ZK der SED einbezogen. Kretzschmar übermittelte Kurella die Namen der westlichen Teilnehmer mit der Bitte um Stellungnahme. Man habe das Recht, »Vorschläge, die nach Rang und politischer Haltung nicht annehmbar sind, von der Teilnehmerliste zu streichen.«231 Vorgeschlagen waren Rudolf Müller, Marcel Reich-Ranicki, Jürgen Rühle, Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Rudolf Hagelstange, Kasimir Edschmid, Hoimar von Ditfurth und die Redaktion der Zeit. Zu Stellungnahmen waren offenbar auch verschiedene andere Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West angehalten worden. So lieferte etwa der in Österreich lebende Hugo Huppert eine ausführliche, wenngleich keineswegs unstrittige Analyse: Prof. Dr. Rudolf Müller und Marcel Reich-Ranickisind in den Wiener Literaturkreisen unbekannte, obskure Größen. Hingegen ist Jürgen Rühle […] [u]nter den redenden und schreibenden Antikommunisten ein vergleichsweise harmloser Gesprächspartner. Nicht abzulehnen. Der sozusagen unpolitische Romanautor und Novellist Heinrich Böll wäre ebenfalls nicht abzuweisen. […] Hingegen ist Kasimir Edschmid […] meines Erachtens kein in Betracht kommender Gesprächspartner. Unbedingt abzulehnen.232
Schließlich waren die Rahmenbedingungen für das Zusammentreffen am 7. und 8. April 1961 zur beiderseitigen Zufriedenheit geklärt. Der Veranstaltungsplan ähnelte dem für den ersten Besuch des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Hamburg vorgesehenen Programm: Im Künstler-Club »die insel« hielten die DDR-Autoren vor zahlreich erschienenem Publikum eine Dichterlesung; in der Universität fanden an den beiden aufeinander folgenden Abenden Diskussionen zu den bereits 1960 vorgesehenen Themen Tolstoi und seine Wirkung auf die Gegenwart und die Rolle des PEN-Clubs in unserer Zeit statt. Im Unterschied zur Planung von 1960 gab es nun keine einseitigen Vorträge, sondern »Rede und Gegenrede« – und das nach einem zuvor festgelegten Regelwerk: Ein Podium, darauf ein Tisch, an dessen Mitte der Gesprächsleiter Platz nahm, der am ersten Abend vom ›Osten‹, am zweiten vom ›Westen‹ gestellt wurde. […] Zur Rechten des Diskussionsleiters saßen die von der Redaktion eingeladenen Gäste, drei an der Zahl, zur Linken drei Mitglieder der Ost-Delegation. Zum Anfang hielt, von einem Vortragspult aus, ein Sprecher jeder Seite ein kurzes Referat. Danach begann eine Diskussion, die sich zunächst auf die Teilnehmer am
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Ingeburg Kretzschmar an Alfred Kurella [17. 2. 1961]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38 Fiche 1–2, Bl. 31. Hugo Huppert an Ingeburg Kretzschmar[4. 3. 1961].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Die Zeit – Schriftwechsel allgemein/Hugo Huppert 1. Auch Bruno Apitz war um eine »rasche Meinungsäußerung« gebeten worden. Ingeburg Kretzschmar an Bruno Apitz [17. 2. 1961]. Vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Die Zeit – Schriftwechsel allgemein 1. 369
Podiumstisch erstreckte, dann aber ausgedehnt wurde auf eingeladene Gäste, die in den drei ersten Reihen des Publikums Platz genommen hatten.233
Diese strikte Regel wurde jedoch schon im Verlauf des ersten Diskussionsabends aufgeweicht; »kein Mensch [hat] sich an sie gehalten […]. Aber trotzdem ist alles gut gegangen, und vielleicht ist gerade deshalb alles gut gegangen. Wir waren jedenfalls sehr höflich zueinander – so höflich, als ob nur Hamburger teilgenommen hätten.«234 Lob gab es auch für das Publikum: Es bestand zumeist aus Intellektuellen, von denen eine nicht geringe Zahl aus allen vier Ecken der Bundesrepublikgekommen war. Viel akademische Jugend. Die Zuhörer (unter denen auch eine kleine Anhängerschaft der Ost-Delegation zu bemerken war) verfolgten die Diskussionen mit einer Aufmerksamkeit und Spannung, als handele es sich um die Teilnahme an einem Drama. Diesem Publikum bescheinigten späterhin Vertretergroßer Tageszeitungen,daß es in seiner wachen Intelligenz,in seiner Toleranz und in der Schnelligkeit der Erkenntnis, der Ablehnung und der Zustimmung nicht der schlechteste Teil der Veranstaltungen gewesen sei.235
Zu Beginn des ersten Themenabends machte der Zeit -Herausgeber Gerd Bucerius die Motive noch einmal deutlich, die zur Einladung der Vertreter des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West nach Hamburg geführt hatten. Die Unterstellung des SPD-geführten Hamburger Senats, man befördere »kommunistische Propaganda«, wies Bucerius weit von sich; darüber »brauchen wir uns nicht zu unterhalten.«236 Wegweisend seien ganz andere, »viel primitiver[e]« Motive gewesen: »Wir waren im Grunde gar nichts anderes als neugierig.«237 Was folgte, waren dezidierte Fragen: Wir wollten einfach wissen: wie setzen sich angesehene Dichter und Schriftsteller diesseits und jenseits des Eisernen Vorhanges mit dem System diesseits und jenseits – und unsere Neugier bezog sich natürlich vor allem auf das System jenseits –, mit dem totalitärenSystem auseinander?Wie werden sie mit dem Kommunismus fertig, da wir doch glauben, daß die Freiheit die Voraussetzung für Dichtung sei? Auf diese Frage können wir aber natürlich nur Antworten bekommen, wenn wir uns mit Kennern und – ja, vor allem – mit Vertretern jener totalitären Weltanschauung auseinandersetzen, sie anhören.238
Auf DDR-Seite wurde über die Beweggründe für die Einladung durch Bucerius spekuliert. Der staatlich gelenkte Nachrichtenmonopolist ADN unterstellte geschickte Wahlpropaganda im Vorfeld der bevorstehenden Bundestags- und Hamburger Senatswahl:
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Josef Müller-Marein: Vorwort. In: J. Müller-Marein und Theo Sommer (Hg.): Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager? Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West. (Das aktuelle Thema Bd. 7) Hamburg 1961, S. 7–13, hier S. 12. Gerd Bucerius in: Müller-Marein, S. 79. Müller-Marein: Vorwort. In: Müller-Marein, S. 7–13, hier S. 12f. Gerd Bucerius in: Müller-Marein, S. 18. Müller-Marein, S. 18. Müller-Marein, S. 20.
mdb [Mitglied des Bundestages] bucerius lädt ein … […] neben seinem namen führt er das ›mdb‹ der bundestagsabgeordneten, und seine fraktion ist die der adenauer-partei. was konnte ausgerechnet ihn ploetzlich so begegnungsfreudig gestimmt haben? die antwort faellt nicht schwer, zunaechst einmal galt es, das laedierte ansehen der bundesrepublik wieder etwas zu heben, doch das war nicht alles. denn der artikel, der die einladung enthielt, fuehrte gleichzeitig einen scharfen hieb gegen die hamburger behoerden, denen die ganze schuld an dem skandaloesen verbot zugesprochen wurde. die hamburger behoerden – das bedeutet spd. […] auf der jagd nach stimmen […] sachliche gespraeche mit diskussionpartnern aus der ddr sind an der waterkant bei grossen teilen der bevoelkerung genauso populaer wie anderswo in der bundesrepublik. viele menschen haben den kalten krieg und seine unruhen satt. nun, liebe hamburger, wer sorgt fuer solche gespraeche? bucerius, bitte sehr: die cdu tut etwas fuer die verstaendigung. Und, liebe hamburger, denkt daran bei den wahlen […].239
Im ZK der SED zeigte man sich von dieser Argumentation nicht gänzlich überzeugt: »Hierbei sind zweifellos Gegensätze zwischen CDU-Bundestagsabgeordneten Bucerius und der Hamburger sozialdemokratischen Stadtverwaltung ausgenutzt worden, obwohl die wahren Motive Bucerius für uns noch nicht voll durchschaubar sind.«240 Auch in der Bundesrepublik hatte man Bucerius’ Pläne skeptisch beurteilt: Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen hatte schon für die Einladung der DDR-Autoren »nicht das geringste Verständnis« gezeigt. Der Einstieg in die Gespräche geriet moderat. Die Diskussion der ersten Veranstaltung konzentrierte sich tatsächlich weitgehend auf das vorgegebene Thema Tolstoi und die Krise der Kunst und wir; sie nahm den »Charakter einer mit vorsichtigen Sondierungen operierenden literaturpolitischen Debatte an[ ]«241 . Nur am Rande kam die Ost-West-Problematik zum Tragen. So stellte Siegfried Lenz, ohne einen direkten Bezug zu den Autoren der DDR herzustellen, aber sicherlich wohlüberlegt, beiläufig die Frage nach der Position des Schriftstellers in der Gesellschaft: Doch wie muß es einem Künstler ergehen, der von vorneherein unter der Tyrannei der großen Zahl steht, dem nahegelegt wird, sich zwar in einem Appell an den Zeitgenossen zu wenden, gleichzeitig aber Rücksichten darauf zu nehmen, daß seine Gefühle, wie Tolstoj sagt, auf alle ansteckend wirken müssen? Sobald dem Künstler nahegelegt wird, Rücksichten zu nehmen – gleichviel, ob es sich um Rücksichten auf Mächtige handelt, auf Verbände, auf politisierende Bischöfe oder auf die Massen –, sobald er sich einverstanden erklärt, Interessen und Dogmen anzuerkennen,kann sein Appell kein freier Appell sein. Wen der Künstler schont, so fürchte ich, dem erspart er seine Aufrichtigkeit, und wo dies geschieht, hört das Künstlertum auf, und es beginnt die Unterwerfung.242 239
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Mitteilungen des Kultur-ADN [9. 4. 1961]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/2.026/38, Bl. 48–50, hier Bl. 48. Einschätzung der PEN-Diskussion in Hamburg [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 350–354, Bl. 350. Rüdiger Thomas: Sonderbare Begegnungen zwischen ost- und westdeutschen Autoren 1961–1964. In: DeutschlandArchiv 32 (1999) 1, S. 64–73, hier S. 67. Siegfried Lenz in: Müller-Marein, S. 34f. 371
Eine Auseinandersetzung darüber kam aber nicht recht in Gang. Dazu schien das Thema des zweiten Veranstaltungstages, Der PEN-Club in unserer Zeit, wesentlich geeigneter. Auch Bucerius erwartete eine gewisse Dynamik: »Ich habe freilich das Gefühl, daß es heute – das liegt so im Thema drin – ein ganz klein bißchen härter werden könnte. Mir würde das, ich bin alter Advokat, nicht leid tun; aber wir werden das schon in guter Form über die Runden bekommen. Wenn es wirklich zu heiß werden sollte, dann können wir eine Pause einlegen […].«243 Die Zusammensetzung der Diskussionsteilnehmer versprach kontroversen Meinungsaustausch. Auf dem Podium saßen, als Vertreter des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West, Carl August Weber, Hans Mayer und Arnold Zweig. Geladene Gäste der Zeit -Redaktion waren Hans Magnus Enzensberger, Martin Beheim-Schwarzbach und Marcel Reich-Ranicki. Als Diskussionsleiter agierte der Feuilleton-Chef der Zeit, Rudolf Walter Leonhardt. Im Grunde sollte sich die Diskussion auf die zentralen Fragen konzentrieren, die jede Beschäftigung mit der Institution P.E.N.-Club leiten: Welche Bedeutung hat die P.E.N.-Charta, wie ist sie auszulegen? Welche Funktion kommt dem Schriftsteller hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Stellung zu? Sie ging aber gleich zu Beginn weit darüber hinaus. Ein einführendes Referat lieferte Martin Beheim-Schwarzbach244 , der 1951 zu den westdeutschen Separatisten im P.E.N.-Zentrum Deutschland gehört hatte; er hielt sich nicht lange beim Thema P.E.N. auf. Zwar trug er die in der Charta formulierten Grundsätze vor und verwies auf die »Toleranz und Weiträumigkeit des internationalen PEN, der die nationalen PEN-Zentren unter seinem Dache zusammenfaßt […].«245 Bezeichnendsei es, »daß unter eben diesem Dache nationale Zentren krasser politisch-sozialer Kontraste brüderlich, sagen wir also: mehr oder minder kollegial vereint sind, was einen Begriff davon geben mag, wie außerordentlich schwebend das Gesamtbild des PEN-Clubs ist.«246 Seine Ausführungen weitete Beheim-Schwarzbach jedoch auf grundsätzlichere Gedanken über die Position der Schriftsteller in der Bundesrepublik Deutschland aus. Zentrale These seines Vortrags war die Eigengesetzlichkeit der Dichtung, die sich nicht den »Diktaten einer wie immer gearteten Gesellschaft oder eines wie immer gebauten Staates«247 unterwerfen dürfe. Zur Frage, ob der Schriftsteller »Ja« oder »Nein« zur Gesellschaft sagen müsse, stellte Beheim-Schwarzbach fest: »Die Geistigen sollen das Gewissen der Nation und einer Gesellschaft sein, und die Aufgabe des Gewissens ist es nun einmal, zu zwacken.«248 Die im Anschluss von Zweig vorgetragenen Darlegungen wirkten gegenüber Beheim-Schwarzbachs sorgsam und wohlbedacht vorbereiteten Worten kaum als Vortrag, denn als frei formulierte Ansammlung von Gedankensplittern. Aus 243 244 245 246 247 248
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Gerd Bucerius in: Müller-Marein, S. 79. Vgl. Martin Beheim-Schwarzbach in: Müller-Marein, S. 80–89. Müller-Marein, S. 82. Müller-Marein, S. 82. Müller-Marein, S. 84. Müller-Marein, S. 88f.
ihnen sprach der Exilant Arnold Zweig – einer jener bürgerlichen Schriftsteller, die sich Ende der dreißiger, Anfang der vierziger Jahre auf ihre Weise der Volksfront-Idee verschrieben hatten und in diesem Geiste nach Deutschland, in die sowjetisch besetzte Zone, zurückgekehrt waren: »[A]ber wir haben die unbedingte Absicht und Überzeugung gehabt, das deutsche Schrifttum wieder zu einer antifaschistischen Waffe im geistigen Kampfe der Menschheit zu machen«.249 Zweig beschwor jene Formeln, die die Politik der DDR-Regierung ausgegeben hatte – Wille zum Frieden und Wunsch nach deutscher Einheit. Ein Treueeid folgte. Entschlossen stellte Zweig fest, »daß wir aber in der Öffentlichkeit zu unserem Staate stehen und daß dieser PEN-Club Ost und West, seitdem es wieder eine öffentliche Diskussion der Dinge des geistigen Lebens gibt, seinen Mann steht in der Öffentlichkeit und auch im privaten Leben«250 . Der Leipziger Literaturprofessor Hans Mayer bemühte sich, von BeheimSchwarzbachs allgemeinen Betrachtungen zur Situation der Schriftsteller in der Bundesrepublik, denen direkte Seitenhiebe auf die DDR-Autoren lediglich eingestreut waren, auf die besondere Situation im P.E.N.-Club unter den Bedingungen des Kalten Krieges zu fokussieren: Und da will ich denn doch vielleicht vom PEN-Club anfangen und fragen, was heißt denn die Frage – […] –, was heißt denn eigentlich die Fragestellung Der PEN-Club in unserer Zeit ? Es kann doch wohl nur folgende Frage meinen, gestellt und beantwortet wissen: Ist es möglich, in einer Welt, die gespalten ist, […], daß Schriftsteller, die diesen beiden Blocks angehören, trotzdem als Schriftsteller einem gemeinsamen Verband angehören, miteinander eine Form gemeinsamer Arbeit finden?251
Die Bedeutung des Internationalen P.E.N.-Clubs liege darin, das Gespräch zwischen Schriftstellern mit ungleichen Ansichten und Meinungen aufrecht zu erhalten; dabei könne es nicht das Ziel sein, die Mitglieder der kommunistisch geprägten Machtsphäre zu veranlassen, die Prinzipien der bürgerlichen Liberalität oder der bürgerlichen Demokratie nach westlichen Vorstellungen zu akzeptieren – […]. Das ist sinnlos, das ist unernst. Hier ist eine Dualität, und das Problem ›PEN-Club in unserer Zeit‹ ist nur dann ernsthaft gestellt und diskutiert, wenn wir fragen: Was ist an gemeinsamer Diskussion möglich, wenn diese kontradiktorischen, divergenzhaften Elemente vorhanden sind?252
Für die Position des Schriftstellers in der Gesellschaft eine grundsätzlich negative Haltung gegenüber dem eigenen Gesellschaftssystem einzufordern, sei falsch und unmöglich. Mayer wandte sich, gemäß der DDR-Doktrin von der Aussöhnung zwischen Geist und Macht, gegen das traditionelle Rollenverständnis des Schriftstellers als Gewissen der Nation: »Denn wo steht eigentlich geschrieben, […], daß ein Schriftsteller unbedingt gegen die Gesellschaft sein müßte, in der er lebt? […] [W]arum sollte es heute nicht möglich sein […], daß ein Schrift249 250 251 252
Arnold Zweig in: Müller-Marein, S. 90. Müller-Marein, S. 91. Hans Mayer in: Müller-Marein, S. 93. Müller-Marein, S. 96. 373
steller aus leidenschaftlichem Empfinden und aus klarem Denken – das andere vielleicht ablehnen oder diskutieren oder bekämpfen möchten – sich zu einer konkreten positiven Ordnung bekennt?«253 Als Folgeredner kam Marcel Reich-Ranicki zu Wort. Mit seinem Beitrag geriet die Gesprächsrunde, die zu Beginn von tendenziell theoretischen Beiträgen dominiert worden war, zu einer Diskussion konkreter Probleme. Die Nachrichtenagentur der DDR meldete im Nachgang »stoerversuche durch marcel reich-ranicki«; er habe »dem bei allen meinungsverschiedenheiten doch sachlichen gespraech […] eine der verstaendigung feindliche atmosphäre zu geben«254 versucht. Tatsächlich hatte Reich-Ranicki den zielbewussten Angriff gewagt; er stellte direkte, provozierende Fragen, prangerte die literaturpolitische Situation in der DDR an und traf die neuralgischen Punkte der DDR-Vertreter in Bezug auf die P.E.N.-Charta: Kann ein Schriftsteller die Gesellschaft, wie sie heute in der Deutschen Demokratischen Republik besteht, eindeutig befürworten?255 Ich glaube, daß die Weltliteratur des 20. Jahrhunderts praktisch in der Deutschen Demokratischen Republik unterdrückt, ignoriert, teilweise bekämpft, teilweise totgeschwiegen wird. (Beifall.)256 Im zweiten Punkt ist in der PEN-Charta davon die Rede, die Literatur habe unter allen Umständen von nationalen und politischen Leidenschaften unangetastet zu bleiben. Verehrte Freunde, ich kann es, weiß Gott, nicht begreifen, wie ihr mit dem Thema herkommt: ›Der PEN in unserer Zeit‹, wenn es so eine PEN-Charta gibt. […] dieser Punkt – das ist doch sinnlos!257 Hier ist im Punkt vier [der Charta] die Rede von der Zensur. Es dürfe keinerlei Zensur bestehen, Freiheit der Presse wird gefordert, und es wird von den PEN-Mitgliedern gebieterisch verlangt, daß sie alle Einrichtungen des Staates, Regierung, Verwaltung und so weiter kritisieren. Ja, gibt es eine Zensur in der Deutschen Demokratischen Republik? […] Es gibt keine offizielle Zensur in der Deutschen Demokratischen Republik. Freunde, entweder sprechen wir aufrichtig oder nicht. Das alles hat ja anders keinen Sinn. Es gibt natürlich eine offensichtliche, klare Zensur […].258 Und es gibt in der Deutschen Demokratischen Republik Schriftsteller, die bis heute im Zuchthaus, im Gefängnis sitzen. […] Es ist doch wohl angebracht, die Frage zu stellen, was die Freunde vom PEN-Club getan haben, um die Freilassung dieser Schriftsteller zu erreichen. […] Bitte sagt uns: Was habt Ihr getan, um diese Leute freizubekommen? (Langanhaltender Applaus.)259
Hans Mayer wagte als einziger Vertreter der DDR, auf den ausgedehnten Anklage-Vortrag einzugehen; er wies die pauschale Verurteilung durch ReichRanicki zurück. Mayers Bemerkungen zielten auf eine Warnung vor der generalisierten Gleichsetzung staatlicher Entscheidungen und Vorgaben mit den indi253 254
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Müller-Marein, S. 97. [Meldung des] Kultur-Dienst des ADN vom 8. 4. 1961. Enthalten in SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38, Bl. 46. Marcel Reich-Ranicki in: Müller-Marein, S. 99. Müller-Marein, S. 99. Müller-Marein, S. 103. Müller-Marein, S. 104. Müller-Marein, S. 106f.
viduellen Ansichten der DDR-Vertreter im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West ; sie erlauben einen Einblick in das Verständnis der P.E.N.-Charta durch einen DDR-Vertreter: Die Frage ist doch nicht die Frage der Regierung der DDR, sondern die Stellung der Mitglieder des PEN-Clubs Ost und West, oder sagen wir mal hier: der DDR-Bürger im PEN-Club Ost und West in der Frage der Charta. Und da haben wir ein außerordentlich gutes Gewissen der Charta gegenüber. […] Das Problem ist: Sind wir als Schriftsteller in der DDR gezwungen, einer bestimmten Linie zu folgen, in einer bestimmten Richtung zu denken, in einer bestimmten Richtung zu empfinden oder zu schreiben – bei Strafe des Untergangs? Das ist die Frage, die in der PEN-Charta gestellt wird, meine Damen und Herren. Darauf kann ich sagen: Das sind wir nicht. Es gibt durchaus eine von der Regierung, dem Schriftstellerverband, dem Kulturministerium gewünschte Auffassung für die Entwicklung der Literatur, und es gibt Auffassungen, die in einzelnen, großen und kleineren Punkten davon divergieren. Ich halte vieles davon nicht für richtig. […] Ich vertrete eine Auffassung, die mit der Auffassung, die etwa jetzt in den Thesen eines Schriftstellerverbandes vertreten werden, nicht übereinstimmt, und trotzdem vertrete ich als akademischer Professor diese meine Auffassung. […] Eine Pluralität, die Möglichkeit vieler ästhetischer Standpunkte und ihrer freien Entwicklung, die ist durchaus gegeben. Also, Herr Ranicki: Regierung ist das eine, PEN-Charta ist das andere.260
Nach dieser entschiedenen Zurechtweisung versuchte Mayer, ein wenig hilflos, die Literaturpolitik der DDR gegen Reich-Ranickis Angriffe und provokative Zurufe aus dem Plenum zu verteidigen.261 Ein Wortbeitrag von Hans Magnus Enzensberger bremste den in Gang gekommenen, symptomatischen Schlagabtausch zwischen Ost und West, der den deutsch-deutschen Meinungsaustausch schon in der Vergangenheit bestimmt hatte und auch in der Zukunft bestimmen sollte, ab. Enzensberger lehnte ein Taktieren mit den durch die unterschiedlichen Gesellschaftssysteme bedingten Dualismen, ein wechselseitiges Angreifen und Verteidigen, ein Heischen der Gegenspieler nach Beifall und Zustimmung ab: Für eine Veranstaltung dieser Art, meine Damen und Herren, da bieten sich verschiedene Modelle an. Etwa das Modell einer Sportveranstaltung, bei der jede Partei versucht, möglichst viele Bälle ins Netz zu bringen. Oder das Modell einer Gerichtsverhandlung mit Anklägern und Angeklagten. […] Ich halte diese Modelle […] hier nicht für wünschenswert, und ich habe so ein bißchen das Gefühl gehabt im Lauf der letzten 20 Minuten, daß einige dieser Modelle hier in die Nähe rücken.262
Zwar hielt Enzensberger die Erkundigung nach dem Einsatz für inhaftierte Schriftsteller in der DDR für legitim. Man könne aber nicht verlangen, »daß die jetzt aufstehen und erzählen, was sie dem Herrn Girnus oder wie diese Burschen alle heißen … (Beifall) … zu dem Herrn Abusch … das können die doch nicht sagen! Wir sind doch nicht blöd. Das müssen wir doch begreifen. Die kön-
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Müller-Marein, S. 109–111. Vgl. Hans Mayer in: Müller-Marein, S. 111f. Hans Magnus Enzensberger in: Müller-Marein, S. 113. 375
nen doch nicht sagen: Der Herr Girnus hat zu mir gesagt: ›Kommt gar nicht in Frage‹, oder: ›Nächstes Jahr kommt er ’raus!‹«263 Das Kernproblem, die stetige Konfrontation der beiden divergierenden Gesellschaftssysteme in Deutschland, sei damit jedenfalls nicht zu lösen: »Nun, ich glaube eben, das sind zwei Pferde, die an einem Karren ziehen, aber in verschiedener Richtung. (Gelächter, Beifall.) Ich glaube, wir müssen uns doch über eines im klaren sein. Es ist eine haarsträubend gefährliche Situation. Denn wir sitzen ja auf dem Karren, und das kann sehr schlecht ausgehen.«264 Die mögliche Einflussnahme der Schriftsteller auf die politische Lage in Deutschland beurteilte Enzensberger pessimistisch: »Könnte man sich vielleicht überlegen diese Sache mit dem Karren, mit diesem Dynamitkarren, an dem die beiden Pferde ziehen? Können Schriftsteller – es ist sehr zweifelhaft –, können Schriftsteller überhaupt irgendwie auf diese Sache einwirken?«265 Mit Generalisierungen, wie sie die P.E.N.-Charta enthalte, war nach Enzensbergers Ansicht kein Fortkommen möglich: »Das ist ein Vokabular, mit dem wir nicht weiterkommen, ganz bestimmt nicht. Wir können nicht jetzt die Realität der DDR oder unsere Realität, die Realität […], wo auch immer, an diesem Dokument vergleichen. Da wird man immer zu dem gleichen Resultat kommen. Die Leute, die da herumlaufen, die sind nicht damit beschäftigt, dauernd Ideale hochzuhalten.«266 Notwendig sei eine Spezifizierung – auf die konkrete Situation: »[W]enn wir für den Frieden sind und gegen den Krieg, sollte man sich hier in diesem Kreis die Frage stellen: Sind wir als Schriftsteller für oder gegen den deutschen Bürgerkrieg, zu dem Vorbereitungen getroffen werden?«267 Auf diese provokative Frage erhielt Enzensberger keine Antwort. Der Folgeredner, Carl August Weber, Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West aus der Bundesrepublik, nahm lediglich Bezug auf die konkrete Frage der in der DDR inhaftierten Autoren. Seine Argumentation deckte sich mit jener, die auch späterhin von Seiten der DDR immer wieder Anwendung finden sollte. Die Verhaftungen stünden nicht im Zusammenhang mit der Literatur der Betroffenen, sondern mit politischen Vergehen. Deshalb sei ein Einsatz des P.E.N. undenkbar: »Kann man einen Literaten einfach über die Gesetze stellen, weil er Literat ist? Das geht nicht.«268 Auch für den Schriftsteller seien die Gesetze verbindlich. Gleichwohl zeigte Enzensbergers Redebeitrag Wirkung. Nach einer kurzen Pause nahm die Debatte einen ruhigeren Verlauf. Die Teilnehmer hatten die vorgebrachten Argumente überdacht und ihre eigenen Gedanken neu geordnet. Mayer versuchte nicht länger, Reich-Ranickis gezielten Fragenkatalog mit einem Gegenkatalog zu beantworten. Gleichwohl machte er noch einmal seine liberale 263 264 265 266 267 268
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Müller-Marein, S. 115. Müller-Marein, S. 114f. Müller-Marein, S. 115. Müller-Marein, S. 115f. Müller-Marein, S. 116. Carl August Weber in: Müller-Marein, S. 117.
Auffassung von der Positionierung des Schriftstellers im Staatssystem der DDR deutlich: Es ist selbstverständlich so: Jeder Staat hat Normen, jeder Schriftsteller ist Mitglied einer staatlichen Organisation, er ist eben Staatsbürger. Er ist Mitglied einer Gesellschaft; die allgemeinen Gesetze bestehen; er hat sich nach ihnen zu richten – als Schriftsteller und als Mensch. Ein anderesist es, die Auffassung, die der Staat, etwa der Staatsapparat, unser Ministerium für Kultur, von der Literatur hat, ein anderes, was der einzelne Schriftsteller dazu meint. Daß er hier eine durchaus kritische, divergierende Meinung haben kann, ist selbstverständlich, und solange die vorhanden ist, wie für mich etwa in meiner Tätigkeit als akademischer Lehrer auf dem Gebiete der Germanistik, solange ist für mich die PEN-Charta in ihrem entscheidenden Punkte erfüllt.269
Mayers freiheitliche Auffassung war, im Rückblick betrachtet, mehr Wunschvorstellung denn reale Situationsbeschreibung. Dass sich seine Vorstellung nur bedingt mit den Auffassungen der Kulturfunktionäre traf, hatte Mayer schon in den fünfziger Jahren feststellen müssen. Schon 1956 war er in Konflikt mit den literaturpolitischen Beobachtern geraten. Gleichwohl muss Mayer eine konsequente Haltung attestiert werden – auch wenn seine Abkehr von der SEDDiktatur ein langer Prozess war. 1963 blieb Mayer nach einer Vortragsreise in der Bundesrepublik. Öffentliche Angriffe und kulturpolitische Auseinandersetzungen gegen seine Person und Arbeit hatten ihm endgültig deutlich gemacht, dass in der DDR eine freiheitliche Meinungsäußerung ohne Kompromiss mit der politischen Führung gänzlich unmöglich geworden war.270 Sein Credo, eine individuelle und kritische Haltung äußern zu dürfen, war unter diesen Umständen nicht länger haltbar und der Fortgang aus der DDR folgerichtig. In der Hamburger Diskussion übte schließlich Martin Walser grundlegende Kritik an Reich-Ranickis kompromisslosem Vorgehen, das die Atmosphäre angeheizt und die Fortführung des Gesprächs zwischen Ost und West gefährdet hatte.271 Walser plädierte für eine Akzeptanz des »grundsätzliche[n] Unterschied[s]«272 , der die gesellschaftlichen Systeme der DDR und der Bundesrepublik voneinander trennte; insbesondere müsse »das Recht für [das] Modell [der DDR] anerkannt«273 werden. Die Fortführung des verständigen Dialogs verhieß aus Walsers Sicht die größte Aussicht auf langfristige Erfolge: Die DDR ist, glaube ich, nicht der beste aller möglichen sozialistischen Staaten, so wenig wie die Bundesrepublik die beste mögliche Demokratie ist. Wir Deutschen […] haben offensichtlich gewisse Schwierigkeiten. Aber da sollten wir freundlich miteinander reden und die Schwierigkeiten des anderen zugestehen und nicht immer auf seine schlimmsten Wunden hinweisen.Ich glaube, es besteht eine Chance auch für uns, diese
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Hans Mayer in: Müller-Marein, S. 125f. Vgl. Andreas Kölling: Hans Mayer. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 562f., hier S. 562. Vgl. Martin Walser in: Müller-Marein, S. 127f. Müller-Marein, S. 127. Müller-Marein, S. 128. 377
Diskussion mit Ihnen weiterzuführen. Denn es gibt andere sozialistische Beispiele in der östlichen Welthälfte.274
Walsers Aufforderung, die Eigenart des eigenen Staatssystems mit Selbstbewusstsein zu vertreten, kam der Ost-Berliner Dramatiker Peter Hacks humorvoll nach: »Wir haben halt einen Sozialismus. Sie haben einen Kapitalismus. Beide haben ihre Nachteile. Ich würde sagen, unser Sozialismus ist zu vergleichen einem sauren Apfel und ihrer einem etwas verfaulten, das sind Geschmacksfragen.«275 Er war der Ansicht, daß die Tatsache der beiden verschiedenen Gesellschaftsordnungen nicht automatisch zur Tatsache des Kalten Krieges führen muß. Ich glaube, ich rede gar nicht über Politik, denn ich bin der Meinung, daß der Kalte Krieg der Literatur nicht günstig ist und jedem Schriftsteller, in welchem Lande er lebt, die Freiheit, die man für Literatur braucht, verwehrt, weil ein Feind auf der anderen Seite steht. Und wie soll man, wo ein Feind steht, frei sein? Ich halte wirklich die Idee für eine ganz PEN-würdige und hier vortragenswürdige, daß wir alle alles tun sollten, was den Kalten Krieg behindert und die Abschaffung des Kalten Krieges befördert.276
Hacks erhoffte von einer aktiv beförderten politisch-ideologischen Entspannung, die nicht den Sieg eines Systems über das andere bedeuten sollte, Freiheit für die Literatur – auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Einen kurzzeitigen Aufruhr im Publikum hatte lediglich der Auftritt von Heinz Kamnitzer, Mitglied im Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, provoziert. Er war entschieden aufgetreten: »Ich bitte Sie, mich vollends und ohne Abstriche mit dem System zu identifizieren, das ich hier zu vertreten beabsichtige.«277 Seine eindeutige Positionierung manifestierte er durch eine implizite Anklage der Bundesrepublik, die mit dem in der DDR gepflegten Mythos des Antifaschismus in engem Zusammenhang stand; er zielte konkret auf die Besetzung von Spitzenämtern mit Personen, die unter dem nationalsozialistischen System führende Positionen eingenommen hatten: »[I]ch möchte voranstellen, daß wir bei allem und jedem in der Deutschen Demokratischen Republik einen Hauptfehler nicht gemacht haben, nämlich diejenigen wieder an die Spitze zu lassen, die Deutschland …«278 Buh-Rufe und Pfiffe folgten. Trotz des zu erwartenden Protests konnte Kamnitzer sich eine gezielte KapitalismusKritik nicht verkneifen: »Sie können es uns nicht verübeln, wenn unsere Literatur einer Welt entsprechen soll, die wir für besser halten, nämlich einer Welt ohne Großindustrielle. Und wir sind der Überzeugung, daß nur dort, wo nicht statt des Herzens eine Brieftasche schlägt, sich auch eine würdige Gemeinschaft herausbilden kann und daß eine Literatur ihr entsprechen soll.«279
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Müller-Marein, S. 128. Peter Hacks in: Müller-Marein, S. 136. Müller-Marein, S. 136. Heinz Kamnitzer in: Müller-Marein, S. 129. Müller-Marein, S. 129. Müller-Marein, S. 131.
Eine politische Propagandarede lieferte Kamnitzer jedoch nicht. Obgleich Kamnitzer seine Vorbehalte gegenüber der Bundesrepublik mehr als deutlich gemacht hatte, signalisierte er Bereitschaft zum gemeinsamen Gespräch: »Wir glauben, daß eine Verständigung mit dem anderen darin besteht, dass man die andere Meinung respektiert und dann bereit ist, einen Boden der Gemeinsamkeit zu suchen. Daß man diesen Raum der Gemeinsamkeit ausmessen soll und ihn mit Leben erfüllen soll.«280 Als Medium dieses notwendigen Austauschs begriff Kamnitzer den Internationalen P.E.N.-Club : Und deswegen, glaube ich, ist es für uns lebenswichtig: nicht, daß wir die Unvollkommenheiten des PEN herausstellen, sondern daß wir die Möglichkeiten des PEN als eine Stätte der Begegnung nutzen, und gerade in Deutschland ist es noch eine der wenigen Klammern, die uns zusammenführen. Wir sollten bei allem Wenn und Aber nicht auf diese bescheidene Möglichkeit verzichten. (Beifall.) Ich glaube, daß, wenn wir zu einer Entspannung unser Scherflein beitragen, daß wir dann auch auf den Spielraum der geistigen Freiheit einen Beitrag geleistet haben. Denn vieles, was uns hüben und drüben mißfällt, auch in Fragen der Kulturpolitik,läßt sich zurückführenauf die Situation der Gefahr oder des Mißtrauens in bezug auf die Gefahr.281
Ein Plädoyer für die Fortführung der gemeinsamen Gespräche folgte, das Hans Mayer untermauerte. Er formulierte als »Quintessenz der Gespräche«: Es ist sehr turbulent zugegangen, ich find’s großartig. […] (Beifall.) … ich find’s großartig, daß wir uns nicht Höflichkeiten gesagt haben, daß wir nicht Dinge verkleistert haben, daß wir auch nicht untereinander immer so vollkommen einig sind. […] Aber, daß wir hier diese Fragen einmal diskutiert haben, mit Buh-Rufen, mit Beifall, mit Gegenbeifall, das ist doch notwendig, das zeigt, daß im Rahmen des PEN dieses Gespräch möglich ist.282
Der Versuch einer Fortsetzung, vielleicht in Leipzig, schien Mayer sehr erstrebenswert: »Denn der Sinn dieser ganzen Fragen muß doch darin bestehen, daß man einmal hört, was der eine sagt, was der andere sagt, und daß das Gespräch weitergeht.«283 In diese im Grunde schon sehr versöhnliche Stimmung trat schließlich der im Publikum anwesende Dauervermittler zwischen Ost und West, Robert Neumann, in der »Funktion eines Friedensengels« auf: »Ich bin hierhergekommen als ein neugieriger Mensch, und deshalb, weil ich zufällig der internationalen Seite dieses PEN-Vereins ein bißchen nahe stehe, über den Sie diskutieren. Ich dachte mir, ich müßte mal herkommen und sehen, wie Sie uns verwursten. (Gelächter.) Von da aus gesehen, bin ich sozusagen ein Repräsentant des Verfassungsschutzes. (Gelächter.)«284 Neumann bemühte sich, der erregten Auseinandersetzung die Schärfe zu nehmen und die Atmosphäre zu entspannen; dies gelang ihm, nicht zuletzt auf Grund der ihm eigenen humorigen Art. Anliegen 280 281 282 283 284
Müller-Marein, S. 131. Müller-Marein, S. 131f. Hans Mayer in: Müller-Marein, S. 139. Müller-Marein, S. 139. Robert Neumann in: Müller-Marein, S. 140. 379
seines Redebeitrages war es, die Besonderheit des Internationalen P.E.N. hervorzuheben: Schriftsteller,im Gegensatz zu Zahnärzten,sind das, was Engländernon-clubbable nennen. Man kann sie einer Organisation nur zusammenfassen, wenn man nicht einen Unterschied zwischen Großen und Kleinen macht und – vor allem andern – wenn man der wesentlichen Berufskrankheit der Schriftsteller Rechnung trägt, die darin besteht, daß sie größenwahnsinnig sind. (Gelächter.) […] Darum ist es über die Maßen schwierig, eine Organisation zustande zu bringen. Das Argument, daß Große fehlen oder Kleine nicht da sind, darf infolgedessen nicht hineinkommen.285
Sogleich kam Neumann auf das Kernproblem zu sprechen, das den Diskurs des Internationalen P.E.N. seit Jahrzehnten dominierte – die Auseinandersetzung zwischen Ost und West, bei der »der eine dem anderen [die] Charta vor die Nase hält und sagt: Du bist ein Heretiker [sic], das stimmt alles nicht auf dich, du bist weder frei noch willst du den Frieden, noch irgend etwas dergleichen.«286 Neumann warnte vor einer allzu starren Ausdeutung und ideologischen Vereinnahmung der P.E.N.-Charta, ohne sich auf eine Seite zu stellen: Je edler und je abstrakter eine Charta ist, desto mehr wird jedes einzelne Wort […] so deutbar sein oder so. Es hat sich leider in der Ost-West-Auseinandersetzung des Kalten Krieges herausgestellt, daß gewisse Monopolisierungen vorkommen. Im Westen ist man der Ansicht, daß man ein Monopol auf die Freiheit hat – im Osten ist man der Ansicht, daß man ein Monopol auf den Friedenswillen hat. Beides ist natürlich Unsinn, aber beides ist gefährlich […].287
Für Neumann gab es in diesem Konflikt nur einen Ausweg, den der gegenseitigen Akzeptanz: »In dieser schwierigen Welt gibt es nur eine Möglichkeit, und das ist die demokratische Möglichkeit: die Tatsache, daß die bona fide keine Monopol einer Seite ist, sondern daß es bona fides da und dort gibt, daß man versucht, den Fall des anderen zu verstehen. Das ist das demokratische Ideal der Toleranz.«288 Genau dies sei der Weg, den der Internationale P.E.N. beschreite: »Wir versuchen nicht, Partei zu nehmen.«289 Neumann fasste damit seine langjährige Position zusammen, die er vehement zum Grundstein seines Handelns auf P.E.N.-Ebene gemacht hatte. Zwar gab er unumwunden zu, dass es östlich des Eisernen Vorhanges Verstöße gegen die P.E.N.-Charta gab. Lediglich einen Nachweis über den Verstoß zu erbringen, verweigerte er indes. Ihm war es wichtiger, die Tür offen zu halten: Deshalb, weil wir in einer fehlerhaften Welt leben, in der wir einerseits diese hohen Ideale vor Augen haben müssen, andererseits aber Realpolitik treiben müssen – ein sehr peinliches Wort. Und diese Realpolitik zeigt uns, daß wir […] ein Fenster nach der westlichen Welt, nach der demokratischen Welt offen halten, das für diese Menschen über die Maßen wichtig ist. Es ist nicht nur wichtig, weil das eine offene Tür oder 285 286 287 288 289
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Müller-Marein, S. 140f. Müller-Marein, S. 141. Müller-Marein, S. 141f. Müller-Marein, S. 142f. Müller-Marein, S. 143.
ein offenes Fenster ist, weil da eine Anbahnungsmöglichkeit vorhanden ist, weil es eine Erfahrung ist, daß Menschen so lange nicht schießen, als sie reden, und weil wir darum im Gespräch bleibenwollen,sondern es ist darüber hinaus von enormer Wichtigkeitim Zusammenhang mit einer Sache, die auch [in der Diskussion] aufgenommen wurde.290
Neumann zielte auf Marcel Reich-Ranickis scharfe Attacke gegen die DDRVertreter in Bezug auf die inhaftierten Autoren. Er plädierte – aus der langjährigen Erfahrung als Vizepräsident des Internationalen P.E.N. – auf eine leise Einwirkung für die Betroffenen: »Wenn wir offiziell dagegen protestieren, daß das Land X zwei Leute eingesperrt hat, können wir nichts erreichen. Es ist unsere Praxis, mit den betreffenden Freunden, wenn wir das dann hören privat zu sprechen – die Leute sprechen privat ganz anders.«291 Neumann signalisierte großes Vertrauen in die DDR-Autoren: Ich möchte […] von unseren Freunden in der DDR […] hier keine Bekenntnisse haben, daß sie bei ihren Behörden intervenieren.Ich weiß, daß sie nach diesem Gespräch intervenieren werden. Ich habe den guten Glauben […], daß sie intervenieren werden, daß sie ständig intervenieren werden. Vielleicht wird es ihnen gelingen. Sie sind nicht allmächtig dort. Aber es spielt eine Rolle, daß das hier ausgesprochen wird von uns, ohne daß wir Protestaktionen machen, ohne daß wir es den Leuten an den Kopf werfen. Es genügt voll kommen, wenn wir nachher zusammensitzen und es ihnen sagen, und ich bin überzeugt […], daß die Leute natürlich tun werden, was sie können. Wir müssen ihnen das glauben. Die ganze Organisation, die wir haben, basiert auf dem guten Glauben für die andere Seite.292
Dass Neumann vor einem spezifischen Hintergrund sprach, ließ er außen vor. Denn unmittelbar vor der Hamburger Ost-West-Diskussion hatte der Internationale P.E.N. dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West eine Liste mit Namen in der DDR inhaftierter Autoren mit der Bitte um Klärung eingereicht. Mit Neumanns Lob für die Hamburger Veranstaltung endete die Diskussion. Der internationale Vizepräsident sah die Aufgabenstellung des P.E.N. voll und ganz erfüllt – die Aufrechterhaltung eines offenen, wenngleich von kontroversen Standpunkten geprägten Gesprächs unter Schriftstellern.293 Die Reaktionen auf das öffentliche Streitgespräch zwischen den Schriftstellern aus Ost und West waren erwartungsgemäß geteilt. Unter den Teilnehmern herrschte weitgehendes Einvernehmen. Der Kultur-Dienst des ADN meldete eine positive Einschätzung der Hamburger Veranstaltung durch Willi Bredel; es sei »bewiesen [worden], dass das von der DDR angestrebte sachliche Gespräch zwischen Ost und West möglich ist«294 . Rudolf Walter Leonhardt zog ebenfalls eine positive Bilanz; er sah in der Tatsache, dass eine solche Diskussion möglich geworden war, einen entscheidenden Beleg für den guten Zustand der bundesdeutschen Demokratie: 290 291 292 293 294
Müller-Marein, S. 143f. Müller-Marein, S. 144. Müller-Marein, S. 144f. Vgl. Müller-Marein, S. 146f. [ADN/ND]: Das Gespräch war erfolgreich. In: Neues Deutschland vom 11. 4. 1961. 381
Bei Diskussionen erfahren die miteinander diskutierenden Parteien manches übereinander; Freiheit ist dort, wo noch frei diskutiert werden kann. Erraten: einen größeren, einen tieferen Sinn beanspruchen wir nicht für eine Diskussion. […] 1. Hätte es wirklich das Idealziel der Diskussion sein sollen, daß entweder die OstBerliner in Hamburg blieben oder die Hamburger nach Ost-Berlin übersiedelten? 2. Dieses wunderbare Hamburger Diskussions-Publikum, das genau an den richtigen Stellen lachte, Beifall spendete, protestierte (ein Besucher aller größeren Veranstaltungen dieser und ähnlicher Art nannte es: ›das intelligenteste Publikum, das ich je erlebt habe‹) – hätte es nicht anders reagiert, wenn Ort der Veranstaltung nicht Hamburg, sondern, sagen wir, Leipzig gewesen wäre? 3. Wir glauben, wir haben manches voneinander erfahren und frei miteinandergeredet. Solange man in diesem Lande frei diskutieren kann, brauchen wir eine Gefährdung unseres Staates nicht zu fürchten. […] Man sehe sich um in den Staaten dieser Welt: je freier diskutiert wird, desto sicherer in ihrer Freiheit sind diese Staaten. Das klingt so romantisch blauäugig – und ist glücklicherweise so ganz banal-alltäglich einfach wahr!295
Auch die Herausgeber des Dokumentationsbandes Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager?, der im Frühsommer 1961 im Verlag Rütten & Loening erschien,296 urteilten: »Was hier stattfand, war ein echtes Kreuzen der Klingen, in dem die Gegensätze zeitweise hart aufeinanderstießen, in dem sich aber doch – selten genug in diesen Jahren allseitiger innerdeutscher Infiltrationsangst! – das eine zeigte: Man k a n n miteinander reden, man h ö r t sogar noch den anderen, auch wenn man ihm in der Sache nicht zu ›folgen‹ vermag.«297 Dem stellte sich Hermlin entgegen; er gestand: »[I]ch [wurde] mehreren meiner Partner gegenüber – […] – das Gefühl nicht los […], sie wären nicht da, um das Ziel eines jeden Gesprächs, nämlich eine gewisse Verständigung, sei es auch nur in irgendeinem Punkt, zu erreichen, sondern vielmehr, um zu demonstrieren, daß dieses Gespräch gerade nicht möglich sei.«298 Die öffentliche Resonanz in der Presse der Bundesrepublik divergierte; sie spiegelt die unterschiedlichen Standorte der bundesdeutschen Gesellschaft in der Frage des deutsch-deutschen Verhältnisses zu Beginn der sechziger Jahre trefflich wider. Die meisten Blätter orientierten sich an dem in weiten Teilen sachlichen, ansatzweise aber deutlich tendenziösen Bericht der Nachrichtenagenturen UPI und dpa: Diese fassten die wesentlichen Punkte der Diskussion zusammen, stellten aber heraus, dass im Gespräch die völlig unterschiedlichen Auffassungen von Ost und West offenbart worden seien und eine Verständigung 295
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Leo [d. i. Rudolf Walther Leonhardt]: Haben Diskussionen einen Sinn? In: Die Zeit 16 (14. 4. 1961). Lob zollte auch Hermlin dem Publikum: »Es war ein nettes Publikum übrigens, sehr interessiert, sehr aufmerksam, in seiner übergroßen Mehrheit bereit, uns anzuhören.« Stephan Hermlin: Rede auf dem V. Schriftstellerkongreß 1961. In: Sonntag vom 11. 6. 1961. Abgedruckt in: Stephan Hermlin. Äußerungen1944–1982, S. 323– 330, hier S. 327. F. B.: [d. i.?]: Ost-West-Dokument. In: Echo der Zeit 24 (11. 6. 1961). Müller-Marein, S. U4. Hermlin: Rede auf dem V. Schriftstellerkongreß 1961. In: Sonntag vom 11. 6. 1961. Abgedruckt in: Stephan Hermlin. Äußerungen 1944–1982, S. 323–330, hier S. 326.
im Grunde unmöglich sei. Auffällig sind die anprangernden Titulierungen, die zur Vorstellung der DDR-Vertreter genutzt wurden. So ist die Rede vom »SEDLiteraturpapst Heinz Kamnitzer«299 und dem »jugendlichen Preisdichter Peter Hacks«, dessen »Sprechweise […] an die Diktion des ersten SED-Sekretärs Walter Ulbricht erinnert«300 . Es sind Nuancen, die eine Vorverurteilung der DDRAutoren ahnen lassen. Dem Leser blieb wenig Möglichkeit, zu einem eigenen Urteil zu finden. Dem wirkte die Zeit entgegen. Hier wurden umfangreiche Auszüge aus beiden Streitgesprächen zur Lektüre angeboten.301 Einzelne Zitate aus der Diskussion druckte auch die Wochenschrift Der Spiegel auf einer Seite ab.302 Das gesamte Spektrum der Auffassungen zur deutsch-deutschen Verständigung in allen Extremen liefern die Artikel, die von Einzelbeobachtern verfasst worden waren. Zu Wort kamen jene, die das geführte Gespräch positiv sahen und eine Fortsetzung wünschten: »Am Ende konnte die Freude, daß das Gespräch stattgefunden hatte, auch nicht von der Tatsache getrübt werden, daß dabei keinerlei Ansätze für einen gemeinsamen Standpunkt aufgedeckt wurden. Das aber konnten doch die größten Optimisten wohl kaum von dieser Diskussion erwartet haben. Es blieb die Hoffnung, daß dieses erste Gespräch zwischen Schriftstellern aus beiden Teilen Deutschlands nicht das letzte sein wird.«303 Ein differenziertes, positives Urteil wurde auch im Frankfurter Börsenblatt für den deutschen Buchhandel abgedruckt: Zieht man ein Resümee der Hamburger Diskussionen, so tauchen zahlreiche Aspekte auf. Sei es, daß von den meisten Teilnehmern völlig selbstverständlich von den beiden deutschen Staaten gesprochen wurde. Sei es, daß es für die westdeutschen Teilnehmer einer Offenbarung gleichkam, daß auch Schriftsteller der DDR unterschiedliche Ansichten haben. Sei es, daß diese oder jene Vorurteile in der Beurteilung des Anderen ausgeräumt wurden. Sei es die Erkenntnis, daß es bei aller Gegensätzlichkeit genügend Verbindendes gibt, um miteinander reden zu können, daß aber Mittel des Kalten Krieges untauglich sind, um den Kalten Krieg abzubauen. Hervorstechendes Ergebnis der Hamburger Begegnung ist jedoch der beiderseits überwiegende Wille zur Diskussion
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[UPI]: Ost und West sprachen zwei Sprachen.Unvereinbarkeit der Ansichten zwischen deutschen Literaten aus Ost und West. In: Westdeutsche Rundschau (Wuppertal) vom 10. 4. 1961. [dpa/UPI]: Auch Schriftsteller verstanden sich nicht. Starke Gegensätze bei PenGespräch in Hamburg. SED-Literaten streng marxistisch. In: Saarbrücker Zeitung vom 10. 4. 1961. Vgl. Siegfried Lenz: Der Schriftsteller und die Volksmassen. Das Eröffnungsreferat unserer PEN-Diskussion über ›Tolstoj – Die Krise der Kunst und wir‹. In: Die Zeit 17 (21. 4. 1961); Der Schriftsteller und das Volk. Das zweite Hamburger Streitgespräch zwischen deutschen Autoren aus Ost und West. In: Die Zeit 17 (21. 4. 1961), S. 4–7; Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager? Das Streitgespräch der ZEIT – In Hamburg diskutieren deutsche Autoren aus Ost und West. In: Die Zeit 16 (14. 4. 1961), S. 3f. Vgl. Sind wir alle Ja-Sager? Aus einer Diskussion zwischen Literaten der DDR und der BRD. In: Der Spiegel vom 19. 4. 1961. Hans-Günther Freitag: Pen-Diskussion Ost-West. Die Geister schieden sich – Bereitwilligkeit zum Gespräch bleibt. In: Badische Neueste Nachrichten (Karlsruhe) vom 10. 4. 1961. 383
und zur Verständigung. Und allein darum waren die Hamburger Schriftstellergespräche eines der bedeutsamsten Ereignisse im deutschen Kulturleben der letzten Jahre.304
Daneben gab es Beobachter, die zwar erkannten, dass es den DDR-Vertretern nicht überzeugend gelungen war, die handfesten Vorwürfe gegen die literaturpolitische Praxis der SED-Diktatur zu entkräften. Sie signalisierten gleichwohl Sympathie mit Einzelnen: »Hans Mayer war tapfer, aber er konnte ReichRanickis Fragen nicht überzeugend beantworten.«305 Dieser moderaten Haltung stand eine extreme, antikommunistisch geprägte Einschätzung gegenüber, die jedes Gespräch mit den DDR-Vertretern als sinnlos erachtete; scharfe Kritik ernteten auch diejenigen, die im Hamburger Streitgespräch um Verständigung geworben hatten: Aus dem Gebiet Pankows kamen die Literaturverfertiger mit einem massiven Propaganda-Auftrag.Sie plapperten die üblichendumm-dreistenParolen herunter,die jeden Tag im Leitartikel des ›Neuen Deutschland‹ stehen. Ein Teil der westdeutschen Autoren nickte dazu beifallsfreudig.Robert Neumann war sich nicht dumm genug, um zu brüllen: ›Solange wir noch miteinander reden, wird nicht geschossen.‹ […] Auch Hans Magnus Enzensberger brillierte wieder als teilweise unverständlich kauderwelschender Streiter für den Staat Ulbrichts.306
Den westdeutschen Schriftstellern habe der »Bekennermut zu[r] jungen Demokratie« gefehlt: »Takt und Samthandschuhe sind keine Antwort auf die Argumentation von Kommunisten. Es wäre notwendig gewesen, daß sich unsere Schriftsteller hart, wie die Angriffe der PEN-Genossen kamen, hinter die Ideale gestellt hätten, die wir in der Bundesrepublik vertraten, weil wir an sie glauben.«307 Stattdessen seien Enzensberger und Walser dem einzigen Angreifer aus ihren Reihen in den Rücken gefallen: Sie hätten »zeigen können, daß mehr in ihnen steckt als die Rollen glänzend honorierter Hofnarren. Sie hätten dieses Mal ein bißchen Zivilcourage haben müssen – unter anderem vielleicht gewisse Kontakte stören statt fördern müssen. Was taten sie? Sie fielen dem einzigen Mann ihrer Equipe, der dies tat, in den Rücken. Es war schon ein böses Schauspiel.«308 Uneingeschränktes Lob gab es indes für Marcel Reich-Ranicki: »Wenn Ranicki nicht zum Podium gehört hätte, wäre die gesamte Veranstaltung für
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Rüdiger Brüdigam: Das Gespräch von Hamburg muß weitergehen. Begegnung der Schriftsteller wurde zu einem kulturpolitischen Ereignis. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Frankfurter Ausgabe) 17 (2. 5. 1961), S. 262f., hier S. 263. Vgl. den Abdruck des gesamten Artikels in: Die Andere Zeitung 15 (2. April-Ausgabe) 1961, S. 14. k. w. [d. i.?]: Pen-Club zwischen Ost und West. Ein Streitgespräch in Hamburg. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. 4. 1961. P. H. [d. i.?]: Ostkontakte. In: Deutsche Tagespost (Würzburg) vom 11. 4. 1961. HJO [d. i.?]: Schriftsteller aus Ost und West in Hamburg im Streitgespräch. ReichRanicki legte die Bombe. Warum lügen wir jetzt? – Takt und Samthandschuhe sind keine Antwort. In: Welt der Arbeit (Köln) vom 21. 4. 1961. Hans Pölter: Es liesse sich schon diskutieren.Zu dem Gespräch zwischenost- und westdeutschen Intellektuellen in Hamburg. In: Handelsblatt (Düsseldorf) vom 14. 1. 1961.
die Bundesrepublik und vor allem natürlich die Schriftsteller ein Fiasko geworden.«309 Das Gesamturteil fiel hart aus: Die Quintessenz dieses kläglichen Treffens ist einfach: Man kann zu den Propagandarednern von Pankow ebenso wenig eine Brücke bauen wie vor 16 Jahren zu den Lobsängern um Goebbels.Der Graben ist viel zu tief. Zu Schreibern,die die Unmenschlichkeit und den politischen Mord als Staatsprinzip verherrlichen, gibt es keinen Kontrast. CDU-Bundestagsabgeordneter Dr. Bucerius hätte besser daran getan, das Geld für dieses Treffen der Zonen-Flüchtlingshilfe zur Verfügung zu stellen.310
Trotz dieser negativen Einschätzungen kam es zu einer Fortsetzung der deutschdeutschen Gespräche – auf dem Terrain der DDR. In direktem Zusammenhang mit dem Bemühen der Zeit -Redaktion, den DDR-Autoren nach der verhinderten Generalversammlung in Hamburg die Möglichkeit zum Gespräch zu offerieren, stand auch die Einladung des Deutschlandsenders (Ost-Berlin) zu einer Diskussionsrunde mit dem Thema Wege und Möglichkeiten der Wiedervereinigung. Teilnehmer aus der Bundesrepublik waren Gerd Bucerius, Marion Gräfin Dönhoff und Theo Sommer. Die DDR vertraten Gerhard Eisler, Karl-Eduard von Schnitzler und Kurt Ehrich.311 Schon im Dezember 1960 hatte Bucerius in einer durchaus hitzigen Korrespondenz mit dem Intendanten des Deutschlandsenders gestanden. Kurt Ehrich hatte in Reaktion auf Bucerius’ Bestreben, ein deutsch-deutsches Gespräch zu realisieren, mit einer Gegeneinladung an die Redakteure der Zeit geantwortet: »Wir stellen unsere Mikrofone gern für ein öffentliches Streitgespräch zur Verfügung, wenn es darum geht, dass Deutsche über dt. Fragen deutsch miteinander reden«312 . Bucerius hatte in der Folge starke Zweifel an der Möglichkeit zur freien, unzensierten Meinungsäußerung und einem echten Meinungsaustausch im Rundfunk der DDR geltend gemacht. Der Deutschlandsender antwortete öffentlich, in einer seiner Sendungen auf diese Vorwürfe; Bucerius schaltete wiederum RIAS ein, der über die Auseinandersetzungen berichtete und nutzte auch die Zeit als Medium.313 Schlussendlich fand die Debatte am 20. April 1961 doch statt und wurde zwei Tage später »in vollem Wortlaut in die Zone aus[ge]strahlt[ ] – natürlich nicht, ohne einen giftigen Kommentar anzufügen.«314 Mit der P.E.N.-Thematik stand die Debatte in keinerlei Zusammenhang; sie konzentrierte sich inhaltlich auf ein hochbrisantes Thema deutsch-deutscher Politik – die Möglichkeiten einer deutsch-deutschen Vereinigung. Marion Gräfin Dönhoff zog ein Resümee, das auch für die P.E.N.-Gespräche Geltung hat: »Die Kommunisten sprechen gerne 309
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Leserbrief von Rolf Albers. Abgedruckt in der Rubrik: Aus Briefen an die Redaktion. In: Die Welt vom 14. 4. 1961. P. H. [d. i.?]: Ostkontakte. In: Deutsche Tagespost (Würzburg) vom 11. 4. 1961. Vgl. Das Streitgespräch in Ost-Berlin. Wenn Kommunisten diskutieren, müssen sie Farbe bekennen. In: Die Zeit 18 (28. 4. 1961), S. 5. Sendebeitrag im RIAS am 20. 1. 1961 (19.10 Uhr). SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38, Bl. 99–101, hier Bl. 99. Vgl. Sendebeitrag im RIAS am 20. 1. 1961 (19.10 Uhr). SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38, Bl. 99–101. Marion Gräfin Dönhoff: Bilanz nach der Debatte. In: Die Zeit 18 (18. 4. 1961), S. 5. 385
von Annäherungsgesprächen. Es sind jedoch Entlarvungsgespräche, und darum sollten sie von Zeit zu Zeit geführt werden. […] Nein, ermutigend sind solche Gespräche gewiß nicht. Und doch tun sie beiden Seiten von Zeit zu Zeit ganz gut.«315 In der DDR verlief die öffentliche Auseinandersetzung mit den Hamburger Streitgesprächen wesentlich zaghafter als in der Bundesrepublik. Während dort unmittelbar nach den Veranstaltungen flächendeckend berichtet wurde, waren die Informationen in den DDR-Organen dünn gesät. Für eine propagandistische Ausschöpfung gibt es keine Anzeichen. Alfred Kurella zeigte sich unzufrieden mit dem Presseecho in der DDR. Seine Kritik zielte insbesondere auf das zentrale Parteiorgan. Im Neuen Deutschland war »außer einer kurzen ADN-Meldung zum Anfang nicht eine Zeile über die Hamburger PEN-Tagung erschienen«316 . Kurellas Kritik, die er gegenüber dem Leiter der Agitationskommission beim Politbüro des ZK der SED, Albert Norden, äußerte, betraf vor allem das an die teilnehmenden Schriftsteller ausgesendete, negative Signal: Das Resultat ist, daß unsere Schriftsteller […], die sich sehr gut engagiert und geschlagen haben, sich desavouiert fühlen, so als würde die Partei ihr Auftreten nicht billigen. Im Westen muß derselbe Eindruck entstehen. Das ist ein Schlag gegen unsere Intelligenzpolitik und eine politische Blindheit wenn nicht Dummheit. Die einzelnen Verschiebungen der Stellungnahme des ND werden mit Weltraumflug und Gagarin begründet. Wenn von dem vorgesehenen Material ein Zehntel nicht im ND erscheinen würde, würden weder die Leser noch die Sowjetunion noch andere davon berührt werden. Es erscheint in einigen Tagen im Rundfunk, im Fernsehen, in der Presse sehr gutes und sehr vieles Material. Ein weiterer Ausfall der Stellungnahme zur Hamburger Tagung, gerade vor dem Schriftstellerkongreß, ist politisch wirklich nicht gerechtfertigt.317
Zwei Tage später erschien im Neuen Deutschland ein umfassender Artikel von Hermann Kant. Er schlug milde Töne an und hob das gemeinsame deutschdeutsche Gespräch in den Vordergrund: »Wer auch immer es ist, der den Deutschen zum friedlichen Gespräch verhilft, und was er auch immer an persönlichem Gepäck dabei auf den Wagen lädt, wir wollen seine Tat vermerken und mit gerechten Augen sehen.«318 In seinen Augen haltlose Mutmaßungen über die Unterdrückung der Literatur in der DDR sah er in Hamburg erfolgreich abgewehrt:
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Marion Gräfin Dönhoff: Bilanz nach der Debatte. In: Die Zeit 18 (18. 4. 1961), S. 5. Vgl. auch die Mitschrift der Debatte. Abgedruckt unter dem Titel: Das Streitgespräch in Ost-Berlin. Wenn Kommunisten diskutieren, müssen sie Farbe bekennen. In: Die Zeit 18 (18. 4. 1961), S. 5–7. Alfred Kurella an Albert Norden [13. 4. 1961]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38 Fiche 1–2, Bl. 52. Alfred Kurella an Albert Norden [13. 4. 1961]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38 Fiche 1–2, Bl. 52. Hermann Kant. Das erste Wort. Zum PEN-Club-Gespräch in Hamburg. In: Neues Deutschland 103 (15. 4. 1961), S. 4.
Wen die Hoffnung getragen hatte, er werde doch wenigstens ein, zwei Indizien für seine Unterdrückungshistörchen nach Hause tragen können, der hatte die Zeit vertan. Hingegen konnte ein jeder guten Gewinn verbuchen, der mit dem Wunsch gekommen war, einmal in praxi das mit Recht so viel beschworene Lösungsmittel des deutschen Gespräches zu erleben. Hier war es, möglich und wirklich, kein Wunschbild nur, kein unerreichbares Ideal, sondern beeindruckende, beispielgebende Wirklichkeit.319
Marcel Reich-Ranicki wurde zwar anonymisiert als »Störenfried«320 apostrophiert. Seine »völlig unangemessene und unberechtigte [ ] Anklage«321 blieb, nach Kants Darstellung, indes wirkungslos: »Es war sehr wohltuend zu erleben, daß ihn nicht nur von Angehörigen des PEN-Zentrums Ost und West, sondern auch von den beiden jungen westdeutschen Schriftstellern Enzensberger und Walser Antworten zuteil wurden, die deutlich machten, wozu man hier zusammengekommen war: nicht, um den kalten Krieg zu schüren, sondern um ihn abzubauen.«322 Dass die DDR-Vertreter keineswegs in der Lage gewesen waren, die vorgebrachten Kritikpunkte überzeugend zu entkräften, ließ Kant unkommentiert. Im Sinne der politischen Friedenspropaganda waren die Veranstaltungen als wegweisend zu bewerten: »In Hamburg ist das erste Worte eines Gesprächs gefallen, das nun nicht mehr abreißen sollte. Sein Nutzen darf als erwiesen gelten. […] Je mehr das Gespräch üblich wird, umso mehr wird der Friede möglich. Und wirklich.«323 Intern äußerte Kant eine umfassendere Kritik. Gegenüber einem Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit schätzte er die Veranstaltung insgesamt als Erfolg ein: Die Ausführungender DDR-Vertreterfanden Resonanz, und viele Vorurteilegegen die DDR wurden entkräftet. Nach seiner Meinung wurden jedoch lange nicht alle Möglichkeiten für ein offensives Auftreten ausgenutzt. Die Ursachen dafür sind darin zu suchen, daß sich die Delegation schlecht vorbereitet hatte. Es herrschte vor der Reise die Auffassung vor, daß man die Probleme schon bewältigen werde und alles aus dem Ärmel schüttelt. So wußte man von vorneherein, daß Fragen kommen werden, warum bestimmte Literatur bei uns nicht erscheintoder weshalb [Personen] verhaftetwurde[n] usw. Auf alle diese Probleme hat man sich jedoch nicht ernsthaft vorbereitet.324
Lobende Worte fand Kant für Mayer; er habe Reich-Ranicki »am stärksten […] angegriffen und geschickt gekontert. MEYER [sic], der bei uns sonst eine schwankende Haltung einnimmt und mitunter aggressiv gegen unsere Linie auf319
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Hermann Kant. Das erste Wort. Zum PEN-Club-Gespräch in Hamburg. In: Neues Deutschland 103 (15. 4. 1961), S. 4. Hermann Kant. Das erste Wort. Zum PEN-Club-Gespräch in Hamburg. In: Neues Deutschland 103 (15. 4. 1961), S. 4. Hermann Kant. Das erste Wort. Zum PEN-Club-Gespräch in Hamburg. In: Neues Deutschland 103 (15. 4. 1961), S. 4. Hermann Kant. Das erste Wort. Zum PEN-Club-Gespräch in Hamburg. In: Neues Deutschland 103 (15. 4. 1961), S. 4. Hermann Kant. Das erste Wort. Zum PEN-Club-Gespräch in Hamburg. In: Neues Deutschland 103 (15. 4. 1961), S. 4. [o. V.]: Treffbericht. Betr. Treff mit KP »Kant« am 25. 4. 1961 von 9.00–10.30 in der Wohnung [25. 4. 1961]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/1, Bl. 206–209, hier Bl. 206. 387
tritt, vertrat dort sehr konsequent unsere Auffassungen. Da man die sonstige Haltung von MEYER in Westdeutschland gut kennt, lösten seine Ausführungen Bewegung unter den Zuhörern aus und seine Diskussion kam […] gut an.«325 Nach Kants Dafürhalten hatte von den Teilnehmern aus der DDR »keiner die festgelegte Linie«326 verletzt. Weniger Schönfärberei, denn harte politische Analyse betrieb man im ZK der SED. Dort wurde eine differenzierte »Einschätzung der PEN-Diskussion in Hamburg«327 erstellt. Positiv bewertet wurden die äußeren Rahmenbedingungen, etwa das Stattfinden der Diskussion nach Verbot im Vorjahr, die Bereitschaft zum sachlichen Gespräch, die Zurückweisung westlicher Provokationen und das interessierte Hamburger Publikum. Die Kritik an den Vertretern der DDR war jedoch groß; konstatiert wurde das »Versagen [d]er Delegation«328 . Eingeschränktes Lob gab es lediglich für das Verhalten von Arnold Zweig, der sich in der Diskussion weitgehend zurückgehalten hatte, und dessen getreuen Begleiter und »Adlatus«, Heinz Kamnitzer. Zweig habe eine positive Haltung zur DDR demonstriert; Kamnitzer habe »versucht, die Grundfragen […] auf die Tagesordnung zu setzen, und hat dabei den Beifall des Publikums gefunden. Um so schwerwiegender ist es, daß die von ihm eingeschlagene Linie nicht von anderen Genossen fortgesetzt wurde.«329 Die Liste der Kritikpunkte war demgegenüber lang: 1. Es wurde von vorneherein von Seiten der Vertreter des PEN-Zentrums Ost-West nicht auf die Grundfragenorientiert.Statt im Sinne des Deutschlandplanesden Gegensatz zwischenden friedliebendenKräften des Volkes und der klerikalenmilitaristischen Führungin Westdeutschlandherauszuarbeitenund hierbeiklar die Solidaritätmit dem Auftreten des westdeutschen PEN-Präsidenten Erich Kästner (der Ostern sich klar gegen die Atombewaffnung ausgesprochen hatte) zu bekunden, wurde der Gegensatz zwischen Sozialismus und Kapitalismus in den Vordergrund gerückt und daher dabei die Provokation von Reich-Ranicki nicht eindeutig zurückgewiesen. Dabei ließen sie es zu, daß der grundsätzliche Gegensatz zwischen dem Charakter unseres Staates und dem Bonner Staat zu einem Gegensatz zwischen der DDR und der westdeutschen Bevölkerung verfälscht wurde. Dabei traten sie auch nicht entschieden genug den Verdächtigungen entgegen als bestünde auch zwischen den Schriftstellern der DDR und ihrem Staate ein Widerspruch. […] 2. Die Vertreter des PEN-Zentrums Ost-West haben die PEN-Charta nicht verteidigt, sondern diese ›Verteidigung‹ dem Renegaten und Demagogen Reich-Ranicki überlassen. Anstatt von den grundsätzlichen Forderungen der PEN-Charta nach einer humanistischen und friedliebenden Literatur auszugehen, die sich auch in den besten Tra325
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[o. V.]: Treffbericht. Betr. Treff mit KP »Kant« am 25. 4. 1961 von 9.00–10.30 in der Wohnung [25. 4. 1961]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/1, Bl. 206–209, hier Bl. 207. [o. V.]: Treffbericht. Betr. Treff mit KP »Kant« am 25. 4. 1961 von 9.00–10.30 in der Wohnung [25. 4. 1961]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/1, Bl. 206–209, hier Bl. 207. Einschätzung der PEN-Diskussion in Hamburg [o. D.; erstellt im ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 350–354. Einschätzung der PEN-Diskussion in Hamburg [o. D.; erstellt im ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 350–354, hier Bl. 353. Einschätzung der PEN-Diskussion in Hamburg [o. D.; erstellt im ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 350–354, hier Bl. 350.
ditionen des internationalen PEN äußert und nachzuweisen, daß die Literatur in der DDR die legitime Fortsetzerin der humanistischen antifaschistischen Literatur ist, die in den Zeiten der Hitlerherrschaft das deutsche PEN-Zentrum bildete, ließen sie sich von Reich-Ranicki die verlogenen Behauptungen vorwerfen, als würde die Literatur unterdrückt, während in Westdeutschland sich Kunst und Literatur frei entfalten können. […] Sie folgten Reich-Ranicki auf das Glatteis einer abstrakten Diskussion über Freiheit in der Literatur. 3. In der Auseinandersetzung mit Reich-Ranicki wurde nicht die absolute Überlegenheit unserer Literaturdargelegt […]. Sie legten nicht die Prinzipien unsererKultur- und Literaturpolitik dar, nach der bei uns alles Humanistische und Fortschrittliche entwickelt und alles Faschistische, Militaristische, Schund- und Schutzliteratur unterdrückt wird. Sie legten nicht dar, daß bei uns die staatlichenMachtmittel dazu ausgenutztwerden, um die Freiheit der humanistischen Literatur zu gewährleisten und daß gerade die Existenz unseres Staates und unserer Literatur die Voraussetzung ist für die Entwicklung der bürgerlich-demokratischen Kräfte in Westdeutschland. 4. Auf die provokatorische Frage von Reich-Ranicki nach in der DDR inhaftierten Schriftstellern (Harich usw.) ist von unserer Seite nicht eindeutig geantwortet worden. […] Auch bei dieser Frage gab es die Möglichkeit darzulegen, daß Harich und Konsorten mit dem Kriege gespielt haben und daß ihre Verhaftung und Verurteilung ein Beitrag zur Erhaltung des Friedens durch unseren Staat war. In diesem Zusammenhang wäre es leicht gewesen, darauf hinzuweisen, daß in Westdeutschland die aktivsten Kämpfer für den Frieden hinter Kerkermauern sitzen.330
Aus den Ergebnissen der Analyse wurden umfassende Schlussfolgerungen gezogen, die nicht nur die direkte Nacharbeit zur Hamburger Veranstaltung betrafen, sondern auch die Rahmenbedingungen zukünftiger Arbeit nach Westdeutschland durch das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West festlegten und eine grundlegende Politisierung forderten: 1. In unserer Presse sollen jetzt in breitem Maße Artikel veröffentlicht werden, die sich mit den Hauptargumentendes Gegners bzw. der Gesprächspartner auseinandersetzen. Diese Artikel müssen so geschrieben sein, daß sie die Aufgeschlossenheit der positiven westdeutschen Kräfte für uns erweitern und solche Provokateure wie Reich-Ranicki isolieren. Die Artikel müssen gleichzeitig der politischen Festigung unserer Schriftsteller dienen. 2. In Auswertung der Hamburger Gespräche sollte zwischen den Genossen Kurella als PEN-Mitglied und der Delegation unter Hinzuziehung weiterer hervorragender PENMitglieder (Abusch, Seghers, Girnus usw.) eine gründliche Aussprache über den Verlauf der PEN-Tagung und die weitere Arbeit stattfinden. 3. Diese Gespräche sollten weiter geführt werden. Zunächst in Leipzig, aber dann auch regelmäßig in Westdeutschland. Hierbei ist dafür zu sorgen, daß in erster Linie ernsthafte humanistische und oppositionelleSchriftstellerWestdeutschlands als Gesprächspartner gewonnen werden. Der weitere Verlauf dieser Diskussion muß so sein, daß die Bindung zwischen den fortschrittlichen Kräften hüben und drüben fester wird und es solchen Provokateuren wie Reich-Ranicki unmöglich wird, weiterhin aufzutreten. 4. Zur besseren Vorbereitung solcher Gespräche ist es notwendig, a) die Zusammensetzung des PEN-Zentrums Ost und West durch politisch feste und zuverlässige Schriftsteller zu verbessern und diese im weiteren stärkeren Maße für die Arbeit nach Westdeutschland heranzuziehen und
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Einschätzung der PEN-Diskussion in Hamburg [o. D.; erstellt im ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 350–354, hier Bl. 351f. 389
b)in der Vorbereitung dieser Tagung mit unserer Delegation die politischen Grundfragen klären. Dasselbe gilt für die Probleme unserer Kulturpolitik.331
Was hatten die Veranstaltungen in Hamburg tatsächlich gebracht? War man, wie es Bucerius erhofft hatte, nun informierter darüber »wie […] sich angesehene Dichter und Schriftsteller diesseits und jenseits des Eisernen Vorhanges mit dem System diesseits und jenseits – und [di]e Neugier bezog sich natürlich vor allem auf das System jenseits –, mit dem totalitären System auseinander[setzen][,] [w]ie […] sie mit dem Kommunismus fertig [werden]«?332 Hatte man etwas über das Verständnis der P.E.N.-Charta jenseits der deutsch-deutschen Demarkationslinie hinzugelernt? Im Grunde nicht oder nur wenig. Mayer hatte versucht, eine individuelle Anwendung der P.E.N.-Charta glaubhaft zu versichern. Die literaturpolitischen Zustände in der DDR waren lediglich in Form von harschen Anklagen verhandelt worden. Darauf konnte, wenn auch recht wirkungslos, nur Verteidigung bzw. Gegenangriff folgen. Ein ehrliches Bekenntnis zur schwierigen Situation in der DDR war auf dieser Grundlage von niemandem zu erwarten: nicht von jenen, die Zweifel an ihrer politischen Führung hegten; schon gar nicht von jenen, die treu zur Partei standen. Dazu war auch der äußere Rahmen der Gespräche ungeeignet. Das hatte sich schon in einer Stellungnahme von Walser angedeutet. War die öffentliche Diskussion nicht zwangsläufig ein Hindernis für ein offenes Gespräch? Waren die DDR-Vertreter nicht gezwungen, das Gesicht zu wahren? Ließ sich eine solchermaßen schwierige Situation im Rahmen des P.E.N. entschärfen? Betrachtet man die nachfolgende Analyse durch das ZK der SED, so wird deutlich, wie stark die Anleitung und Kontrolle der Schriftsteller in der DDR fortgeschritten war. Es hätte großen Mutes bedurft, gegen das eigene Regime in der westdeutschen Öffentlichkeit anzusprechen und damit die eigene Person zu gefährden. Die Pessimisten unter den Beobachtern der Hamburger Diskussion sahen sich vor einem unlösbaren Dilemma: »Mit Freunden der Unfreiheit ist kein Gespräch möglich, mit Leuten aber, die sich durch eine freie Meinungsäußerung selbst in höchste Gefahr bringen, sollte man kein öffentliches Gespräch veranstalten. Man stellt sie vor die Frage, zu heucheln oder sich selbst zu gefährden. Das ist die unmenschliche Alternative zwischen Lüge und Selbstmord. Und darum war das Gespräch in Hamburg nicht nur unnötig, sondern auch unmenschlich.«333 Dieser pessimistischen Einstellung lassen sich mit Blick auf die Hamburger Gespräche zwei wesentliche Einsichten anfügen. Scharfe Vorwürfe hinsichtlich der Zustände in einem diktatorisch geführten Staat zeigten keine Wirkung; sie schürten lediglich eine natürliche Reaktion auf den Angriff: unbedingte Verteidigung. Daran änderte auch das Pochen auf die Grundsätze der P.E.N.-Charta nichts. Im Abgleich mit den realen Gegebenheiten 331
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Einschätzung der PEN-Diskussion in Hamburg [o. D.; erstellt im ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 350–354, hier Bl. 353f. Einleitende Worte von Gerd Bucerius. In: Müller-Marein, S. 20. Erich Naumann: Die armen Leute. In: Nürnberger Zeitung vom 10. 4. 1961.
war auf diese Weise kein Fortschritt zu erwarten. Eine geringe Chance, mindestens individuell geprägte Einsichten in die Entwicklung des anderen deutschen Staates zu nehmen, war lediglich die persönliche Kontaktaufnahme und das private Gespräch. Dazu bot der P.E.N. immerhin gewisse Möglichkeiten. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West konnte, ungeachtet seiner zunehmenden politischen Funktionalisierung, der Knüpfung von individuellen Kontakten über die Grenzen hinaus zumindest ansatzweise dienlich sein und auf diese Weise die Aufrechterhaltung des Dialogs mit der Außenwelt unterstützen. Demgemäß war mit dem deutsch-deutschen Gespräch, so zweifelhaft dessen Ergebnisse auch sein mögen, ein Grundstein gelegt – für eine weitere Annäherung der ost- und westdeutschen Schriftsteller im Rahmen des Internationalen P.E.N.-Clubs. Bevor dieser aber im Verlauf der sechziger Jahre zum Tragen kommen konnte, traten für den Internationalen P.E.N. in Bezug auf das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West andere Fragen in den Vordergrund: Zum einen stand die drängende Frage im Raum, wie es um die inhaftierten Autoren in der DDR bestellt war. Zum anderen mussten Antworten gefunden werden auf die Probleme, die sich mit der Errichtung einer Mauer zur Trennung von Ost- und West-Berlin durch das SED-Regime ergaben.
6.4
Unter Druck: Mauerbau und Inhaftierungen von Schriftstellern – Der Internationale P.E.N. verlangt Auskunft vom Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West
Zwar wurde von den Verantwortlichen der Abteilung Kultur beim ZK der SED in der Auswertung des Hamburger Schriftstellergesprächs eine Aufrechterhaltung und Stärkung der Kontakte des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zu Schriftstellerkollegen in Westdeutschland grundlegend gefordert. Die deutsch-deutsche Politik der DDR-Regierung führte indes zu einer dramatischen Entwicklung, die einem solchen Ansinnen entgegenstand. In den Jahren 1960/61 war die DDR erneut in eine allgemeine Krise geraten: Permanente wirtschaftliche Schwierigkeiten, schlechte Versorgungslage der Bevölkerung und harter politischer Kurs der SED hatten die Zahl der Flüchtlinge aus der DDR in den Westen bereits 1960 sprunghaft ansteigen lassen. 1961 stiegen die Flüchtlingsraten weiter an. Allein im Juli 1961 flohen 30.000 Menschen. Mit harten Strafen versuchte man der Fluchtbewegung entgegenzuwirken. Mit umgekehrter Wirkung: Der Flüchtlingsstrom wuchs weiter an – mit verheerenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft der DDR. Anstatt durch »menschliche Erleichterungen, ein Nachlassen des politischen Drucks oder Verbesserungen der Lebenslage die Fluchtbewegung aufzufangen«334 , entschloss sich die Regierung der DDR zur Abriegelung der Grenzen nach West-Berlin, um ein weiteres Ausbluten des Staates zu verhindern. Bereits im März 1961 hatte Ulbricht auf 334
Weber, S. 296. 391
einer Tagung des Warschauer Paktes vergeblich versucht, die Errichtung einer Stacheldrahtbarriere um West-Berlin durchzusetzen. Daraufhin entwickelte das Politbüro der DDR alternative Konzepte. Anfang August 1961 stimmte eine Konferenz des Warschauer Paktes der Lösung »Mauerbau« zu. In der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 sperrten Volkspolizei, Betriebskampfgruppen und Nationale Volksarmee die quer durch Berlin verlaufende Sektorengrenze mit Stacheldrahtverhauen und Steinwällen ab. In den folgenden Monaten wurde rund um West-Berlin eine Mauer errichtet. Am 22. August wurde die »Anwendung der Waffe« an der Mauer zum Beschluss erhoben; damit wurde jeder Fluchtversuch lebensgefährlich. Der Weg von Ost nach West war unmöglich geworden. Die DDR hatte ihr eigenes Volk eingesperrt.335 Derlei Maßnahmen waren weithin sichtbare, von außen unschwer zu erkennende Anzeichen der harten und brutalen Praxis, die die Politik der Parteidiktatur in der DDR bestimmte. Der Mauerbau und seine Auswirkungen auf das deutsch-deutsche Verhältnis beschäftigten Ende des Jahres 1961 auch den Internationalen P.E.N., der schon seit dem Frühjahr 1961 zunehmend den Dialog mit den DDR-Vertretern des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gesucht hatte. Im Blickpunkt stand bei diesen Kommunikationsversuchen das Schicksal einzelner Autoren, die durch ihr Schaffen in Konflikt mit der SED-Führung geraten und mit hohen Haftstrafen belegt worden waren. Damit stand das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West, das von DDR-Seite dominiert wurde, zweifach in der Kritik. Der internationale Druck auf die Verantwortlichen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West erhöhte sich. Die Konzentration des Internationalen P.E.N. auf das Einzelschicksal von Autoren hing eng mit einer neuen Schwerpunktsetzung in der aktiven Arbeit der Schriftstellervereinigung zusammen. Schon in den dreißiger Jahren hatte sich der Internationale P.E.N. in Einzelaktionen für inhaftierte und verfolgte Schriftsteller eingesetzt. Eine Institutionalisierung dieser Arbeit, etwa in Form eines Sonderkomitees, erfolgte jedoch nicht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der den Internationalen P.E.N. verstummen ließ, konzentrierte man sich zunächst darauf, Resolutionen zu verabschieden, die auf einer grundsätzlicheren Basis Kritik an Missständen übten bzw. globale Appelle an die Machthaber aussandten. Aber rasch wurde der Blick auf das Individuum wieder frei. Man setzte sich von Seiten des Internationalen P.E.N. mit Nachdruck für inhaftierte Autoren ein.336 Die massive Intervention für einzelne inhaftierte Schriftsteller, die etwa im Falle Ungarns erfolgreich praktiziert worden war, wies den Weg in ein spezielles Aufgabenfeld des Internationalen P.E.N., dem ein hoher Stellenwert zugewiesen wurde. Das Exekutivkomitee beauftragte auf seiner Tagung im April 1960 den internationalen Generalsekretär, David Carver, mit der Bildung eines 335 336
392
Vgl. Weber, S. 292–298. Vgl. Gerhard Schoenberner: Solidarität mit den Verfolgten. Das Writers in PrisonCommittee. In: P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon. Göttingen 1996, S. 42–56, hier bes. S. 47f.
Dreier-Komitees, das sich ausschließlich mit dem Schicksal inhaftierter Schriftsteller auf der ganzen Welt befassen sollte. Als ausschlaggebender Impuls für die Errichtung des Writers in Prison-Committees (WiPC) wurde von dem im Exil lebenden Ungarn Paul Tabori der Fall des griechischen Schriftstellers Manolis Glézos angesehen;337 hier hatte der Internationale P.E.N. auf Anstoß durch das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West und die tschechoslowakische P.E.N.Sektion erfolgreich interveniert und Haftverbesserung erreicht. Die Möglichkeit einer positiven Beeinflussung der Situation inhaftierter Schriftsteller durch ein konzertiertes Agieren der internationalen Organisation hatte in dieser konkreten Situation Bestätigung gefunden. Die ersten Ergebnisse der Bemühungen, die Carver gemeinsam mit Margret Storm Jameson und Victor van Vriesland im Rahmen des WiPC angestellt hatte, wurden bereits auf der folgenden Sitzung des Exekutivkomitees im Juli 1960 in Rio de Janeiro vorgestellt. Das wenige Monate zuvor begründete WiPC, dessen Berichterstattung fortan und bis auf den heutigen Tag einen festen und immer größeren Raum auf den internationalen Zusammenkünften einnehmen sollte, hatte erste Listen inhaftierter Autoren erstellt. Betroffen waren Albanien, Frankreich, Rumänien, die Tschechoslowakei und Ungarn. Für die Vorgehensweise des WiPC war festgelegt worden, zunächst den Kontakt zum jeweiligen nationalen P.E.N.-Zentrum aufzunehmen, »to urge such a Centre to look into the matter and take all possible steps to improve the position«338 . Im Falle der Nichtexistenz eines P.E.N.-Zentrums in einem betroffenen Staat oblag es dem WiPC, die Verbindung mit den entsprechenden Regierungsstellen für den Internationalen P.E.N. herzustellen. Das WiPC hoffte auf die tätige Unterstützung aller Mitglieder; sie sollten Gerüchte oder Berichte über unrechtmäßige Inhaftierung von Autoren »in any part of the world«339 direkt weiterleiten, um eine unverzügliche Aktion des WiPC zu ermöglichen. Im Laufe der Zeit veränderten sich die Arbeitsmethoden des WiPC: An die Stelle des ursprünglichen Dreier-Komitees trat ein kleines Sekretariat in der Londoner P.E.N.-Zentrale, das zunehmend die nationalen Zentren in seine Arbeit einband. Die anfangs bevorzugte stille Diplomatie wurde später durch publizistische Aktionen ergänzt, wo sich dieses Mittel als wirksamer erwies. Gleichzeitig ging man dazu über, gefährdete und verfolgte Autoren durch einzelne Zentren adoptieren und zu außerordentlichen oder Ehrenmitgliedern ernennen zu lassen, um ihnen auf diese Weise einen gewissen Schutz zu geben. […] [Die nationalen Zentren] intervenieren für ihre Schützlinge auf diplomatischen Kanälen oder durch öffentliche Kampagnen, verfassen Artikel über sie und machen ihre Arbeiten bekannt; sie schreiben ihnen, wo es erlaubt ist, ins Gefängnis, schicken ihnen 337
338
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Vgl. P.E.N. International Executive Committee Meeting in Brussels, in the Martini Centre Place Rogier, on ThursdayMay 3rd , 1962 at 10 o’clocka.m., S. 12. P.E.N.-Archiv London. International P.E.N. ExecutiveCommittee Meeting Rio de Janeiro,July 24, 1960, S. 13. P.E.N.-Archiv London. International P.E.N. ExecutiveCommittee Meeting Rio de Janeiro,July 24, 1960, S. 14. P.E.N.-Archiv London. 393
Bücher und Medikamente, unterstützen deren Angehörige, wenn sie in Not sind, und helfen ihnen oft auch noch nach der Entlassung.340
Die Aktivität des WiPC traf Anfang der sechziger Jahre nicht bei allen nationalen Zentren auf Zustimmung. Der Delegierte des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, Bodo Uhse, charakterisierte die Vorlage der Listen auf dem Kongress in Rio de Janeiro als einen »wahren Skandal«341 . Dass das Deutsche P.E.N.Zentrum Ost und West in Bälde mit ähnlichen Listen konfrontiert werden würde, dürfte für ihn absehbar gewesen sein. Die drastische Verschärfung der kulturpolitischen Situation in der DDR, die von zahlreichen Inhaftierungen schreibender Intellektueller begleitet worden war, konnte der Außenwelt nicht verborgen bleiben. Schon auf der Exekutivkomitee-Tagung im Mai 1961 (London) gehörte das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West zu jenen Sektionen, die um genauere Auskunft über die in ihrem Staat Inhaftierten angegangen werden sollten. Es waren keine Delegierten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf der Tagung anwesend. Wohlweislich – möchte man vermuten –, denn der internationale Vize-Präsident Robert Neumann, unermüdlicher Mittler zwischen Ost und West, hatte in einem persönlichen Gespräch mit Heinz Kamnitzer auf die existente Liste aufmerksam gemacht.342 Kamnitzer war im März 1961 im Auftrag des Präsidiums und in Absprache mit der Abteilung Kultur des ZK der SED zu Verhandlungen mit Carver nach London gereist.343 Die Zusammenkunft war auf Betreiben des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zustande gekommen und diente der Verständigung mit der Londoner Zentrale des Internationalen P.E.N.-Clubs: Kamnitzer überreichte Carver eine aktuelle Mitgliederliste des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West ; Inhalt der Gespräche war auch die erneute Kontaktaufnahme mit dem Deutschen P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik), dessen in London lebender Vize-Präsident, Richard Friedenthal, zeitweise an der Aussprache teilnahm.344 In London hatte Kamnitzer auch Neumann getroffen. Neumanns Hoffnungen, schon vor der Exekutivkomitee-Sitzung eine Stellungnahme zur Liste der Inhaftierten zu erlangen und so der zu erwartenden Diskussion ihre Schärfe nehmen zu können, wurden enttäuscht.345
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Schoenberner: Solidarität mit den Verfolgten, S. 49. Bodo Uhse: Bericht über den XXXI. Internationalen P.E.N.-Kongress in Rio de Janeiro, 23.–31. 7. 1960 [o. D.], S. 3. SAdK Berlin, NL Bodo Uhse 697/2. Vgl. Robert Neumann an Arnold Zweig [o. D.]. Zitiert in einem Brief von Alfred Kurella an Erich Honecker [Vertraulich] [17. 6. 1961]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38 Fiche 1–2, Bl. 54. Ingeburg Kretzschmar an Karl Brauer [ZK der SED, Abt. Finanzverwaltung und Parteibetriebe] [16. 3. 1961]. SAdK Berlin P.E.N.-Archiv (Ost) 73. David Carver an Arnold Zweig [20. 4. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Briefwechsel/Carver–Zweig 2, 1. Alfred Kurella an Erich Honecker [Vertraulich] [17. 6. 1961]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38 Fiche 1–2, Bl. 54.
Auch Carver knüpfte an sein Londoner Gespräch mit Kamnitzer an und übersandte ihm eine Liste von fünf Namen346 : »If at all possible I would like to have your comments or the comments of Dr. Zweig before the Executive meets on May 3rd.«347 Weder Kamnitzer noch ein anderer Vertreter des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West äußerte sich im Vorfeld der Versammlung, ferner erschien kein Delegierter auf der Exekutivkomitee-Sitzung. Die Vertreter des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West hatten ihre Visa-Anträge zu spät eingereicht und konnten – trotz eines Vermittlungsversuchs von Carver bei den englischen Behörden348 – deshalb nicht nach London reisen. Dennoch agierte Neumann, der den Vorsitz der Exekutivkomitee-Tagung übernommen hatte, moderat; man habe die Liste der Inhaftierten an Zweig und das Präsidium weitergegeben. Neumanns Vorschlag, die Diskussion einstweilen zurückzustellen und auf detaillierte sowie aktuelle Informationen aus der DDR zu warten, wurde vom Exekutivkomitee angenommen.349 »[P]ersönlich und vertraulich« wandte sich Neumann wiederum an Zweig: »Da nun kein Vertreter von Euch da war, habe ich die ganze Diskussion darüber unterdrückt – aber auf Dauer läßt sie sich nicht unterdrücken, und ich schicke Ihnen hier […] eine Liste von 21 Namen, die man Ihnen in nächster Zeit vorhalten wird.«350 Eine autonome Reaktion auf die Anfrage des Internationalen P.E.N. trauten sich die Vorstandsmitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West nicht zu; sie sahen sich durch die Auskunftsforderung unter enormen Druck gesetzt: Einerseits war bei Verweigerung einer kooperativen Zusammenarbeit mit dem WiPC die einigermaßen stabilisierte Position des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West innerhalb der internationalen P.E.N.-Gemeinschaft und somit die Mitgliedschaft gefährdet. Andererseits rührte die kritische Auseinandersetzung mit den Schicksalen der in der Liste aufgeführten Autoren an die problematische Strafrechtspraxis der SED-Diktatur und hätte die P.E.N.-Vertreter in eine oppositionelle Haltung gegenüber der eigenen Regierung gesetzt. So beschritt das P.E.N.-Präsidium im Hinblick auf die P.E.N.-Charta einen wenig konsequen346
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Auf der Liste wurden als inhaftierteSchriftstellerWolfgang Harich, Erich Loest, Horst Pelzer, Alfred Wieland und Walter Janka aufgeführt. Vgl. Auszug aus einem Brief [von David Carver] an Heinz Kamnitzer [17. 4. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Briefwechsel/ Kamnitzer – PEN International 3. David Carver an Heinz Kamnitzer [17. 4. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN.Club/PEN-Zentren International 1962–1968/Briefwechsel/Kamnitzer – PEN International 1. Vgl. David Carver an Ingeburg Kretzschmar [5. 5. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/Briefwechsel/Carver – Kretschmar 6, 1. Vgl. International P.E.N. Executive Committee Meeting at 10 a.m. on Wednesday May 3, 1961. At the English-Speaking Union, in Charles Street. London W.1., S. 25. P.E.N.Archiv London. Robert Neumann an Arnold Zweig [o. D.]. Zitiert in einem Brief von Alfred Kurella an Erich Honecker [Vertraulich] [17. 6. 1961]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38 Fiche 1–2, Bl. 54. 395
ten Weg: Zweig setzte sich mit dem ZK der SED in Verbindung, um eine im Sinne der SED politisch korrekte Argumentationslinie für die anstehenden Verhandlungen mit dem Internationalen P.E.N. zu erfragen.351 Mit dem Schicksal der Inhaftierten setzte man sich zunächst in keiner Weise auseinander. Dem von Zweig kontaktierten Kurella war das Dilemma bewusst; er wandte sich an Erich Honecker, der seit 1958 als zweitwichtigster Funktionär der SED galt und bat um Prüfung der Angelegenheit, damit wir bei der nächsten Exekutivtagung […] konkret argumentieren können. Ich bemerke noch, daß das Statut des Internationalen PEN-Klubs den Punkt enthält, wonach sich der PEN-Klub verpflichtet, für Mitglieder oder andere Schriftsteller einzutreten, die in ihren Ländern politisch verfolgt werden. Wir haben in den bisherigenAuseinandersetzungenhauptsächlichdamit argumentiert, daß die bei uns verhafteten und verurteilten Schriftsteller nicht wegen ihrer schriftstellerischenTätigkeit oder Gesinnung verurteilt wurden, sondern wegen Handlungen, die mit den Gesetzen unserer Republik in Widerspruch stehen und der strafrechtlichen Verfolgung unterliegen. Vielleicht lassen sich bei der Prüfung der Liste einige zusätzliche Argumente in diesem Sinn gewinnen.352
Ein wirklicher Einsatz für die inhaftierten Schriftsteller, deren Schicksal den P.E.N.-Mitgliedern in den meisten Fällen nicht oder nicht im Detail bekannt war, wurde erst gar nicht in Aussicht genommen. Im Blickpunkt stand eine adäquate Defensive der Regierungspolitik, die auf internationalem Gebiet die Kritiker wenn nicht überzeugen, so doch verstummen lassen konnte. Eine Reaktion der Funktionärsebene gegenüber Zweig blieb jedoch aus. So hüllte sich der Vorstand des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gegenüber dem Internationalen P.E.N. in Schweigen. Doch die Gegenseite ruhte nicht. In den gärenden Konflikt schaltete sich das österreichische P.E.N.Zentrum ein; es übersandte im September 1961 in der Angelegenheit der in der DDR inhaftierten Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Journalisten eine Anfrage an Arnold Zweig, die um Erhellung der Angelegenheiten bat. Auf Kamnitzers Anraten versuchte man unter fadenscheinigen Begründungen, Zeit zu gewinnen.353 Das österreichische Schreiben wurde letztlich nicht konkret beantwortet. Noch im Oktober 1961 riet Neumann dringlich, die Kommunikation wieder aufzunehmen und zur »römischen Exekutive« zu erscheinen: Ihr seid schon ungeschickte Leute. Warum beantwortet Ihr Briefe nicht? […] Ich rate Euch dringend, nicht wieder wegzubleiben (der Abwesende hat immer unrecht), und ich rate Euch dringend, die seinerzeit von mir vertraulich an Arnold Zweig gesandte 351
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Vgl. Alfred Kurella an Erich Honecker [Vertraulich] [17. 6. 1961]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38 Fiche 1–2, Bl. 54. Alfred Kurella an Erich Honecker [Vertraulich] [17. 6. 1961]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38 Fiche 1–2, Bl. 54. Vgl. Heinz Kamnitzer an Ingeburg Kretzschmar [23. 10. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/O/Österreich 5, sowie [Ilse Lange] Sekretärin von Arnold Zweig an Carry Hauser [Generalsekretär des Österreichischen P.E.N.-Zentrums] [4. 10. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/O/Österreich 6.
Liste der Inhaftierten jetzt tatsächlich zu behandeln und mit irgendwelchen positiven Ergebnissen nach Rom zu kommen. Die Stimmung gegen Euch ist […] in einem Maße aufgepeitscht worden, daß eine freundschaftliche Aussprache und die Erzielung irgendwelcher positiver Resultate von allerhöchster Notwendigkeit sind. Ihr würdet zwar keine Liebe für Ulbricht erwecken können – wohl aber imstande sein, die Überzeugung zu vermitteln, daß weder im Osten noch im Westen ein Schriftsteller die Regierung seines Landes in Händen hat und für sie nicht verantwortlich gemacht werden kann.354
Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West folgte Neumanns Rat nicht. Unmittelbar vor Beginn der Exekutivkomitee-Tagung Anfang November 1961 richtete das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West in Zweigs Namen ein Telegramm an den internationalen P.E.N.-Präsidenten Alberto Moravia, das einen scharfen Angriff auf das internationale Generalsekretariat enthielt. Vehement wurden darin auch die jüngsten Maßnahmen der DDR-Regierung, der Beginn des Mauerbaus am 13. August 1961, verteidigt: I cannot help drawing attention to the evil of abuse and recrimination that is spreading again. Unfortunately such a dangerous trend has not by-passed our International P.E.N.-Secretariat: we had great hopes and still entertain them that this office will serve as a place for exchange, above all, for literary affairs, however we are served less with such matters and most with requests and reproaches that do not concern our Centre. We appeal to you that the International Centre may not be used as a channel for political pressure. The German Centre East and West stands full-square in the Charter and will continue to defend it. Neither the Rules of the International P.E.N., nor our own work, are in any way prejudiced by measures which the Government of the German Democratic Republic found necessary to take in order to guarantee its security and sovereignty. Mr. President, the attitude of the International P.E.N. Secretariat in recent times has caused a good deal of disquiet and resentment on the part of some of our Centres as well as writers. If continued, it cannot but help to loosen the family ties of the International P.E.N.355
Das Telegramm von Zweig an Moravia wurde von Kretzschmar in seinen Inhalten an das ZK der SED übermittelt.356 Eine Verlautbarung solchen Inhalts musste ihre explosive Wirkung auf der internationalen Exekutive entfalten. Hatte das diktatorische SED-Regime mit dem Mauerbau nicht gerade erst ein unübersehbares Zeichen gesetzt? Befürworteten die P.E.N.-Mitglieder aus der DDR tatsächlich die Maßnahme ihrer Regierung, die so offensichtlich die Freiheit und Würde der Menschen in der DDR beschnitt? Bereitschaft zur Kooperation, geschweige denn eine Antwort auf die Frage nach den inhaftierten Kollegen war mit dem Telegramm gleichfalls nicht vermittelt worden. Für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West gab es somit zwei gewichtige Gründe, nicht in 354 355
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Robert Neumann an Stephan Hermlin [4. 10. 1961]. ÖNB HsSlg. Ser. n. 21.842. Arnold Zweig an Alberto Moravia [o. D.]. Zitiert nach: P.E.N. International Executive Committee Meeting in the Palazzetto Venezia, Rome, at 10 a.m. on November 1, 1961, S. 13f. P.E.N.-Archiv London. Durchsage von Ingeburg Kretzschmar aus Budapest betr. Internationales P.E.N.Meeting in Rom an das ZK der SED [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 346. 397
Rom zu erscheinen. Entschuldigt wurde die Abwesenheit wiederum mit VisaSchwierigkeiten.357 Tatsächlich aber hatte unmittelbar vor der Sitzung des Exekutivkomitees eine »Koordinierungsberatung« des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West mit den »volksdemokratischen Zentren« von Ungarn und Bulgarien in Budapest stattgefunden. Dort hatte man die nachträglich als »brauchbar[ ]« beurteilte »Taktik [festgelegt], keinen Delegierten nach Rom zu entsenden.«358 Gleichwohl standen in Rom beide Konfliktpunkte auf der Agenda: der Mauerbau und die Liste der in der DDR inhaftierten Schriftstellerkollegen. Obgleich das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West an der Rom-Exekutive nicht teilnahm, wurden ihm detaillierte Informationen über den Ablauf der Versammlung zuteil. Der Generalsekretär des ungarischen P.E.N.-Zentrums versorgte Kretzschmar mit einem ausführlichen Bericht, der von ihr sogleich an einen Mitarbeiter des ZK der SED weitergeleitet wurde. Sie war mit dem Ergebnis des eigenen Handelns und der »volksdemokratischen« Kooperation überaus zufrieden: Durch die Nichtteilnahme konnten wohlgezielte Provokationen von seiten des Bundes-PEN nicht genau adressiert werden. Umso mehr sahen sich die nicht betroffenen PEN-Zentren von bundesdeutscherAnmaßung belästigt. Eine große Zahl von Delegiertenanderer Zentren (u. a. aus Belgien und Frankreich), die nun als Gesprächspartner herhalten mußten, haben dem Bundes-PEN überraschend gut pariert. Du wirst aus dem Bericht ersehen, welch hübsche Pleite also diesem Angriff auf unser Zentrum beschieden war. Auch bewährte sich aufs beste, daß ich dem Ungarischen PEN-Präsidenten Sötér [sic] und dem Bulgarischen Delegierten Petrow, die ich seit langem als Genossen kenne, genaueste Informationen geben und alle taktischen Fragen darlegen konnte. Der Verlauf des Rom-Meetings ist ein beachtlicher Erfolg unserer Sache im Internationalen PEN, woraus zu resultieren ist, daß der Zusammenarbeit unserer volksdemokratischen Zentren größte Beachtung geschenkt werden sollte, weil die gute Verteilung der Rollen uns endlich eine offensive Taktik im Internationalen PEN ermöglichte.359
Was genau war in Rom verhandelt worden? Die Errichtung einer Mauer, die die Teilung Deutschlands auf drastische Weise visualisierte und die Deutschen unwiderruflich entzweite, hatte im P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik für Wirbel gesorgt. Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass hatten einen offenen Brief an die Vorsitzende des DSV, Anna Seghers, gerichtet, in dem sie die Maßnahme der DDR-Regierung angriffen und den Schriftstellern der DDR Schweigen zu den Vorgängen vorwarfen: »Es komme später keiner und sage, er sei gegen die 357
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Vgl. P.E.N. Executive Committee Meeting in the Palazzetto Venezia, Rome, at 10 a.m. on November 1, 1961, S. 13. P.E.N.-Archiv London. Ingeburg Kretzschmar an [?] Heinze [Stellvertretender Leiter der Abt. Kultur beim ZK der SED] [19. 12. 1961]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) 73, bzw. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1961/Bericht des Generalsekretärs des Ungarischen PEN an den Verantwortlichen 1. Ingeburg Kretzschmar an [?] Heinze [Stellvertretender Leiter der Abt. Kultur beim ZK der SED] [19. 12. 1961]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) 73, bzw. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1961/Bericht des Generalsekretärs des Ungarischen PEN an den Verantwortlichen 1.
gewaltsame Schließung der Grenzen gewesen, aber man habe ihn nicht zu Worte kommen lassen!«360 Die Presse der DDR veröffentlichte daraufhin Antworten von Mitgliedern des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, die den Mauerbau positiv kommentierten.361 In der Folgezeit waren Wolfdietrich Schnurre und einige andere Mitglieder aus dem Deutschen P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) demonstrativ ausgeschieden; sie protestierten damit in aller Öffentlichkeit gegen die ausgebliebene Kritik des eigenen Zentrums an derlei euphemistischen Verlautbarungen von P.E.N.-Mitgliedern hinsichtlich einer politischen Maßnahme, die zweifelsfrei die Menschenrechte massiv verletzte. Schnurre warf dem Präsidium des bundesdeutschen P.E.N. vor, nicht sofort nach Veröffentlichung der »Ergebenheitserklärung der Zonenschriftsteller« einen Dringlichkeitsantrag bei der internationalen Exekutive gestellt zu haben, der den Ausschluss des »Zentrum[s] der ›DDR‹« forderte: »Mag mit Schriftstellern, deren oberster Grundsatz es ist, 16 Jahre nach Hitler wieder einer blutbedeckten deutschen Diktatur zu dienen, zusammen in einem Club, in einem Verband sein, wer will, ich will es nicht«362 . Erich Kästner vertrat als Präsident des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums einen toleranteren Standpunkt. Zwar betrachte man die Vorgänge seit dem 13. August mit »äußerster Sorge«363 . Der Dialog zwischen Ost und West dürfe durch voreilige Schritte nicht unterbrochen werden: »Dem internationalen PEN gehören Schriftsteller und Zentren aus der westlichen und östlichen Hemisphäre an, und der internationale PEN-Club sieht es nach wie vor als eine wichtige Aufgabe an, diesen Kontakt trotz aller Spannungen nicht zu unterbrechen.«364 In Reaktion auf die kontroverse Debatte innerhalb der eigenen Sektion und in der bundesdeutschen Öffentlichkeit überreichte die bundesdeutsche Delegation der internationalen Exekutive in Rom im November 1961 ein umfassen360
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Zitiert nach Erwin Strittmatter: Ein offenes Wort … zu einem Brief westdeutscher Schriftsteller. In: Wochenpost 34 (26. 8. 1961), S. 2. Vgl. Offener Brief [von Franz Fühmann] an Günter Grass und Wolfdietrich Schnurre [26. 8. 1961].Abgedruckt in: Hans Jürgen Schmitt (Hg.): Franz Fühmann. Briefe 1950– 1984. Eine Auswahl. Rostock 1994, S. 31–33; Stephan Hermlin: Einig mit meiner Regierung. Antwort auf den offenen Brief von Schnurre und Grass. In: Sonntag vom 27. 8. 1961. Abgedruckt in: Stephan Hermlin. Äußerungen 1944–1982, S. 331–333; Erwin Strittmatter: Ein offenes Wort … zu einem Brief westdeutscher Schriftsteller. In: Wochenpost 34 (26. 8. 1961), S. 2; Bruno Apitz: Nicht mehr nackt unter Wölfen. In: Neue Deutsche Bauernzeitung vom 1. 9. 1961; Bodo Uhse: Berlin – Kampffeld für den Frieden. In: Neues Deutschland vom 2. 9. 1961 (Beilage 35). Zitiert nach [o. V.]: Streit im westdeutschen PEN-Zentrum. Können sowjetzonale Schriftsteller noch Mitglieder des Internationalen PEN-Clubs sein? In: Nürnberger Zeitung vom 13. 10. 1961. Zitiert nach [o. V.]: Streit im westdeutschen PEN-Zentrum. Können sowjetzonale Schriftsteller noch Mitglieder des Internationalen PEN-Clubs sein? In: Nürnberger Zeitung vom 13. 10. 1961. Zitiert nach [o. V.]: Streit im westdeutschen PEN-Zentrum. Können sowjetzonale Schriftsteller noch Mitglieder des Internationalen PEN-Clubs sein? In: Nürnberger Zeitung vom 13. 10. 1961. 399
des Memorandum, das die interne Problematik erläuterte und den Internationalen P.E.N. um Unterstützung anrief. Wieder einmal standen im P.E.N. jene, die Bereitschaft zur Verständigung zeigten, denen gegenüber, die im Umgang mit den Vertretern totalitärer Systeme kompromisslose Konsequenzen forderten. Wieder einmal sollten die deutsch-deutschen Auseinandersetzungen zum Thema der internationalen Vereinigung werden: Das Deutsche P.E.N.-Zentrum der Bundesrepubliksieht sich nach den politischenEntwicklungen in Berlin und in der DDR nach dem 13. August 1961 einer veränderten Lage gegenüber. Aus dem Kreis seiner Mitglieder wie aus der deutschen Öffentlichkeit wird dem Deutschen P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik die Frage gestellt, inwieweit die Grundsätze der P.E.N.-Charta die Zentren des Internationalen P.E.N. wie auch ihre einzelnenMitglieder heute tatsächlichverpflichten,und mit welchen FolgerungenZentren und Mitglieder zu rechnen haben, die gegen die Charta verstoßen. Die im Zuge der Entwicklung nach dem 13. August 1961 von der Regierung der DDR verfügten Maßnahmen und Gewaltmaßnahmen stellen fraglos Akte ›der Unterdrückung der Äußerungsfreiheit‹ im Sinne des Paragraphen 4 der P.E.N.-Charta dar und sind als solche von der Weltöffentlichkeit erkannt und gebrandmarkt worden. Gleichwohl haben Mitglieder und selbst Präsidialmitglieder des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West die Maßnahmen ihrer Regierung mit ihren harten Konsequenzen für die Freiheit des Einzelnen ausdrücklich und öffentlich gebilligt und dem Geist der Unterdrückung ihre Unterstützung zugesagt. […] Das Deutsche P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik hat im Interesse der ungestörten Solidarität innerhalb des Internationalen P.E.N. und insbesondere im Interesse einer kollegialen Zusammenarbeit mit dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West nach mehrfachen Beratungen im Präsidium zu den Ereignissen des 13. August 1961 eine abwartende Haltung eingenommen. Auch als Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West die Maßnahmen ihrer Regierung öffentlichbilligten,sah das Deutsche P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublikaus den dargelegtenGründen von einem Protestschritt noch immer ab, obwohl ihm klar war, daß das Verhalten der ostdeutschen Schriftsteller einen Verstoß gegen die P.E.N.-Charta darstellte. Diese Haltung unseres Zentrums wurde von einem Teil der deutschen Öffentlichkeit weder gebilligt noch verstanden. Auch innerhalb des Zentrums selbst bestand – und besteht – Opposition gegenüber dieser Haltung, der man vorwirft, sie stelle Solidarität im Internationalen P.E.N. über dessen tragende Grundsätze, wie sie in der Charta verbürgt sind. […] In dieser Situation sieht das Präsidium des deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik die Einmütigkeit und selbst die Existenz der eigenen Vereinigung gefährdet, wenn nicht der Internationale P.E.N. durch seine Exekutive seine Haltung gegenüber flagranten Verletzungen der P.E.N.-Charta deutlich und unmißverständlich definiert.365
Die Antwort der Exekutive auf das Ansinnen der bundesdeutschen P.E.N.Sektion demonstrierte vor allem eines: die »internationale Unlust, gegenwärtig deutsche Sonderprobleme zu erörtern«366 . So wurde von den internationalen
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Zitiert nach einem Rundschreiben von Erich Kästner und Walter Schmiele an alle Mitglieder [15. 11. 1961]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Rundschreiben von Erich Kästner und Walter Schmiele an alle Mitglieder [15. 11. 1961]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
Delegierten beschlossen, die deutsche Sache nicht zu verhandeln.367 Im persönlichen Gespräch mit Robert Neumann und David Carver gelang es den bundesdeutschen Abgeordneten jedoch, eine Absprache hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums zu erreichen: Ein Dossier sollte erstellt werden, das neben dem Memorandum sämtliche den Mauerbau betreffenden Artikel der Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West enthalten und Zweig mit der Bitte um Kommentierung zugesandt werden sollte. Des Weiteren wurde die Bildung einer Kommission erwogen, sollte Zweigs Reaktion ausbleiben. Schließlich verständigte man sich über eine Resolution, die das bundesdeutsche Zentrum auf der nächsten Sitzung der Exekutive vorlegen würde; diese »verlangt, dass das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West seine bisherige Bezeichnung ändert, da diese nach dem 13. August den wahren Vertretungsverhältnissen nicht mehr entspricht.«368 Eine entsprechende Resolution wurde in Brüssel (Mai 1962) indes nicht eingereicht. Hinsichtlich der in der DDR inhaftierten Autoren wurde in Rom über die Vorgehensweise des Internationalen P.E.N. kontrovers diskutiert: Carver beklagte das Schweigen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West ;369 Neumann drang auf eine rasche Reaktion des Internationalen P.E.N. – »we were not discussing empty symbols but living writers who had been reported to be in prison some months ago«370 ; Istvan Sötér vom ungarischen P.E.N. bemühte sich um Vermittlung einer direkten Aussprache zwischen Vertretern des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West und der internationalen P.E.N.-Führung; Paul Tabori (Writers in Exile ) forderte ein zeitliches Ultimatum für eine Reaktion des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Letztlich einigten sich die Teilnehmer an der Exekutive auf Neumanns Vorschlag hin, den Sachverhalt an das WiPC zu übergeben. Zweigs Telegramm sollte von Carver unmissverständlich beantwortet werden.371 So oblag Carver im Auftrag der internationalen Exekutive die schwierige Aufgabe, die Position des Internationalen P.E.N. deutlich zu machen, ohne einen klärenden Dialog mit dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West von vorneherein im Keim zu ersticken. In einem Brief an den Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, Arnold Zweig, arbeitete Carver die wesentlichen Diskussionspunkte der Exekutivkomitee-Sitzung in Rom ab, die das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West betrafen. So interessierte er sich für die Hintergründe, die eine Ausgabe von Visa für die Delegierten Hermlin und Kretzschmar unmöglich gemacht hat367
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Vgl. P.E.N. International Executive Committee Meeting in the Palazzetto Venezia, Rome, at 10 a.m. on November 1, 1961, S. 24–28. P.E.N.-Archiv London. Rundschreiben von Erich Kästner und Walter Schmiele an alle Mitglieder [15. 11. 1961]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. P.E.N. Executive Committee Meeting in the Palazzetto Venezia, Rome, at 10 a.m. on November 1, 1961, S. 13. P.E.N.-Archiv London. P.E.N. Executive Committee Meeting in the Palazzetto Venezia, Rome, at 10 a.m. on November 1, 1961, S. 15. P.E.N.-Archiv London. Vgl. P.E.N. Executive Committee Meeting in the Palazzetto Venezia, Rome, at 10 a.m. on November 1, 1961, S. 13–15. P.E.N.-Archiv London. 401
ten, und bat »dringend« um einen Kommentar zur Liste der inhaftierten Autoren. Den in Zweigs Telegramm enthaltenen Angriff auf die Verfahrensweise des internationalen P.E.N.-Sekretariats wies Carver mit aller Schärfe zurück: »[T]he charges that the International Secretary has allowed himself to be used as a channel for political pressure«372 , sei inakzeptabel. Auch die kritikwürdigen Aussagen einzelner DDR-Schriftsteller zum Mauerbau brachte Carver zur Sprache. Mit Verweis auf das Memorandum des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) teilte er nachdrücklich [ ]mit, daß solche Aussprüche wie die oben erwähnten von prominenten Mitgliedern Ihres Zentrums mit dem Geist der P.E.N.-Charta unvereinbar sind, welchem Sie sich – wie angenommen wird –, doch individuell und kollektiv verschrieben haben müssen. [Er sei] weiterhin ermächtigt, [Zweig] zu fragen, ob [er] es nicht für notwendig halte[ ], daß [das] Exekutiv-Komitee [des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West] irgendwelche Disziplinar-Maßnahmen gegen die[ ] [betroffenen] Schriftsteller ergreift.373
Carvers Schreiben machte mit Bestimmtheit deutlich, dass man in allen kritischen Punkten schleunigst eine Reaktion des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West erwartete; es blieb unbeantwortet.374 Der äußere Druck zeigte seine Wirkung jedoch im Inneren: Arnold Zweig schien äußerst beunruhigt und kündigte wiederholt an, das Amt des Präsidenten niederlegen zu wollen. Er fühlte sich den schwierigen Anforderungen offenbar nicht gewachsen – einer Verwicklung in politische Fragen von höchster Brisanz wollte er sich entziehen. Zweig hatte seit Beginn seiner Präsidentschaft keinen aktiven Part übernommen; seine Rolle im P.E.N. reduzierte sich auf die präsidiale Funktion. Die Betätigung als P.E.N.-Präsident war gewissermaßen eine »angenehme kleine Petersilie auf der Platte«375 seiner sonstigen Ehrenämter. Eine ähnliche Einschätzung lieferte der internationale Vize-Präsident Robert Neumann: »Arnold Zweig is really a honorable president and not an active one. I do not think that letters written to him regarding P.E.N. affairs are even regularly passed on to the secretariat. Only letters written to and by Mrs. Kretzschmar really count.«376 Der plötzliche Rückzug des langjährigen Präsidenten hätte zu unangenehmen Rückfragen von internationaler Seite führen können; er passte nicht in die strategische Planung: Man hatte unmittelbar nach dem Mauerbau Erwägun372
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Zitiert nach: P.E.N. International Executive Committee Meeting in Brussels, in the Martini Centre Place Rogier, on Thursday May 3 1962 at ten o’clock a.m., S. 3. P.E.N.Archiv London. David Carver an Arnold Zweig [Ende 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/ZK der SED/1962/David Carver 1–3, hier 3. Vgl. PEN International Executive Committee Meeting in Brussels, in the Martini Centre Place Rogier, on Thursday May 3rd, 1962 at ten o’clock a.m., S. 3. P.E.N.-Archiv London. Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. Abschrift eines Briefes von Robert Neumann an David Carver [4. 1. 1963]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 13.
gen angestellt, das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West in ein reines DDRZentrum umzuwandeln. Dies konnte nur mit Zustimmung des Internationalen P.E.N. geschehen. Würde genau zu diesem Zeitpunkt der langjährige Präsident zurücktreten, wären Vorbehalte vorprogrammiert gewesen. In dieser verzwickten Lage suchte die Generalsekretärin Kretzschmar Rückendeckung beim ZK der SED, in der Person Alfred Kurellas – nicht ohne einen Strategieplan in Bezug auf die Liste vorzulegen: Nun gibt es bekanntlich Angelegenheiten – auch beim PEN – die sich durch Liegenlassen von allein erledigen. In diesem Falle erweist sich die Methode als unpraktisch. Der InternationalePEN versäumt nicht, schärfer nur und ausführlicherdarauf zurückzukommen. Das bringt unser Zentrum in eine Defensivstellung, die vermeidbar ist. Denn 1. läßt sich auf die fragwürdige Liste sehr präzis antworten mit dem Hinweis auf die Staatsgesetze der DDR, die für jeden Bürger, also auch für den Schriftsteller Gültigkeit haben. 2. läßt sich darauf hinweisen, daß eine Einmischung in politische Angelegenheiten mit der PEN-Charta unvereinbar ist. 3. Bei der Zusammenkunft der PEN-Sekretäre unserer volksdemokratischen Zentren in Budapest wurde beschlossen, daß jedes unser Zentren (und jedes unserer Zentren hat solche Listen erhalten) ein Material zusammenstellt, worin angemerkt wird, in wiefern es sich bei diesen ›Listen‹ um unsachliche, provokatorische Behauptungen handelt, die zurückgewiesen werden. […] [Es sollten] in allernächster Zeit die Genossen des Präsidiums zu einer Aussprache mit Ihnen zusammenfinden, um darüber zu beraten, wie diese aufgeblasene provokatorische Angelegenheit mit kalter Sachlichkeit erledigt wird, damit die Autorität unseres Zentrums im Internationalen PEN gewahrt bleibt. Danach wird der Vorgang dieser ›Liste‹ von allen volksdemokratischen Zentren dem Internationalen PEN gegenüber gemeinsam und offensiv beantwortet. Im Falle einer Beibehaltung solcher politischen Provokationen von Seiten des Internationalen PEN […] soll sogar mit g e m e i n s a m e m Rücktritt gedroht werden. Summa summarum: der Angelegenheit täte gut, käme sie von der langen Bank herunter. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung.377
Mit ihrem Brief erreichte Kretzschmar zwar keine sofortige Reaktion. Die Parteiinstanzen schienen jedoch auf den Plan gerufen. An einer außerordentlichen Präsidiumssitzung Anfang Februar 1962 nahm neben Zweig, Hermlin und Kretzschmar auch der Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED, Siegfried Wagner, teil. Hinsichtlich der vom Internationalen P.E.N. vorgelegten Aufstellungen inhaftierter Personen beschloss man, im März 1962 »eine persönliche Aussprache [des internationalen Generalsekretärs Carver] mit dem Justizminister der DDR herbeizuführen. Dabei könnten anhand der […] ›Inhaftierten‹Listen die Standpunkte demokratischer Gesetzlichkeit an Ort und Stelle wirksam erörtert werden.«378 Das geplante Zusammentreffen kam nicht zustande. Dass ein erneutes Nichterscheinen auf einer Internationalen Exekutivkomitee-
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Ingeburg Kretzschmar an Alfred Kurella [9. 12. 1961]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) Ordner 73, bzw. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1961 1 und 1a. Aktennotiz: Beschlüsse der außerordentlichen Präsidiumssitzung des Deutschen P.E.N.-ZentrumsOst und West vom 7. 2. 1962 [o. D.]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv(Ost) Ordner 73, bzw. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1962 2. 403
Tagung negative Folgen für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West mit sich bringen würde, dürfte den führenden Köpfen klar gewesen sein. Auch der stetige Berater des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West im Inneren der internationalen P.E.N.-Zentrale, Robert Neumann, hatte Anfang 1962 darauf gedrungen, dass die DDR-Vertreter »gerade in dieser schwierigen politischen Situation den persönlichen Kontakt mit dem Internationalen P.E.N. aufrecht erhalte[n] – und natürlich geht das nur im persönlichen Gespräch.«379 Schon Anfang Dezember 1961 hatte er gegenüber Zweig den Wert der Inhaftierten-Listen nachdrücklich hervorgehoben: »Selbstverständlich muß es ›Falschmeldungen‹ in solchen im Ausland produzierten Listen von verhafteten Kollegen geben. Das wirklich relevante ist für uns nicht, daß sie teilweise falsch sind, sondern daß sie teilweise richtig sind.«380 Neumann setzte sich als tätiger Vermittler in der Visa-Frage ein, die nach dem Mauerbau für die Reisenden aus der DDR um ein Vielfaches erschwert war; er schlug in Absprache mit den belgischen Kongress-Veranstaltern eine Reiseroute über Prag vor.381 Dem belgischen P.E.N.-Präsidenten, Robert Goffin, gelang es schließlich, beim Minister für Justiz die Ausgabe spezieller »permets de séjour« für Hermlin und Kretzschmar zu erwirken.382 So reisten Anfang Mai 1962 in Absprache mit der Abteilung Kultur des ZK der SED Kretzschmar und Hermlin als Delegierte zur Exekutivsitzung des Internationalen P.E.N. nach Brüssel,383 um sich dort den drängenden Fragen der Exekutive zu stellen. Vorab hatte man sich mit der Liste der 21 inhaftierten Schriftsteller und der entsprechenden Argumentation eingehend auseinandergesetzt. Ein Ausweichen auf allgemein gehaltene Floskeln hinsichtlich der Situation in der DDR schien aufgrund der Druckerhöhung von Seiten des Internationalen P.E.N. nicht opportun. Die Signalisierung der Bereitschaft zur Kooperation hinsichtlich der vorgelegten Liste hatte sich als einzig gangbarer Weg gezeigt, wollte man die eigene Position im Internationalen P.E.N. nicht gefährden. Als selbstbewusster und rhetorisch gewandter Sprecher des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West trat Stephan Hermlin auf; er nahm sehr deutlich Stellung zu 379
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Robert Neumann an Stephan Hermlin [24. 1. 1962]. DLA A: Stephan Hermlin, Briefe an Hermlin. Robert Neumann an Arnold Zweig [5. 12. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 24. Vgl. Robert Neumann an Stephan Hermlin [24. 1. 1962 und 26. 2. 1962]. DLA A: Stephan Hermlin, Briefe an Hermlin. Vgl. Stephan Hermlin an Robert Neumann [29. 1., 15. 2. 1962]. ÖNB HsSlg. Ser. n. 21.842. Vgl. The Minutes of the P.E.N. International Executive Committee Meeting in the English-SpeakingUnion, CharlesStreet,London W.1. at 10 am on WednesdayOctober 10, 1962, S. 5. P.E.N.-ArchivLondon. Vgl. auch einen differenzierten Bericht von Ingeburg Kretzschmar: Internationale PEN-Exekutive nach Brüssel vom 2.–6. Mai 1962. Einreise in Brüssel [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38, Bl. 86f. Vgl. Ingeburg Kretzschmar an Karl Raab [Leiter der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe des ZK der SED] [27. 4. 1962]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) Ordner 73.
den Vorwürfen, die das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) in seinem Memorandum auf der Rom-Exekutive gegen ihn selbst und einige seiner DDRKollegen vorgebracht hatte. Im Vorfeld der Exekutive hatte ein Artikel von Walter Schmiele die Kontroverse zwischen den beiden deutschen P.E.N.-Zentren zusätzlich angeheizt. Der Generalsekretär des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik hatte unter dem provokatorischen Titel Der PEN-Club und die Lobredner der Mauer Bezug genommen auf die intern und öffentlich durch den Mauerbau ausgelöste Kritik an der Haltung des P.E.N.-Clubs gegenüber totalitären Regimes und Schriftstellerverbänden. Zwar beschwor Schmiele ebenso wie Kästner als oberstes Prinzip des P.E.N. die Toleranz. Im »weltweiten PEN mit seinen 7000 Schriftstellern aller Hautfarben, aller Sprachfamilien, aller Religionen der Welt [habe] sich die Meinung durchgesetzt […], man müsse tolerant auch gegen die Intoleranten sein.«384 Aus seiner kritischen Haltung gegenüber dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West machte er indes kein Hehl. Konsequent ordnete Schmiele das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West der DDR zu, von der offiziell festgelegten Bezeichnung für die Sektion machte er keinerlei Gebrauch. Die erhobene Klage gegen das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West war deutlich: »PEN ist eine Plattform innerhalb des Literarischen, auf der West und Ost noch miteinander sprechen. Freilich machen wir die Erfahrung, daß das Gespräch […] zwischen dem Zentrum der Bundesrepublik und dem der DDR [ ] so gut wie ergebnislos bleibt, – und daß von der in der Charta verbrieften Toleranz wesentlich auf unserer Seite Gebrauch gemacht wird.«385 Die Äußerungen der DDR-Schriftsteller zu den Ereignissen des 13. August wertete Schmiele als »schwere[n] Verstoß«386 gegen die P.E.N.-Charta. In der Konsequenz sei das »Gespräch zwischen [dem bundesdeutschen] Zentrum und dem der DDR praktisch verstummt«387 . Eine scharfe Parade des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West blieb nicht aus. Ingeburg Kretzschmar antwortete mit einem ausführlichen Brief an Schmiele auf eine »Anzahl unrichtiger Bemerkungen und Feststellungen«.388 Kretzschmar sah sich im Einklang mit der P.E.N.-Charta, »in der Mitglieder des PEN – und sicher auch, ohne daß es besonders vermerkt ist, die Generalsekretäre – aufgefordert werden, ›solchen Auswüchsen einer freien Presse, wie wahrheitswidrigen Veröffentlichungen, vorsätzlicher Lügenhaftigkeit und Entstellung von Tatsachen, unternommen zu politischen oder persönlichen Zwe384
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Walter Schmiele: Der PEN-Club und die Lobredner der Mauer. In: Der Tagesspiegel 5039 (5. 4. 1962). Walter Schmiele: Der PEN-Club und die Lobredner der Mauer. In: Der Tagesspiegel 5039 (5. 4. 1962). Walter Schmiele: Der PEN-Club und die Lobredner der Mauer. In: Der Tagesspiegel 5039 (5. 4. 1962). Walter Schmiele: Der PEN-Club und die Lobredner der Mauer. In: Der Tagesspiegel 5039 (5. 4. 1962). Ingeburg Kretzschmar an Walter Schmiele [28. 4. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/B/Bundesrepublik Deutschland 24, 24 a und b, hier 24. 405
cken, entgegenzuarbeiten‹.«389 Aufgespießt wurde von Kretzschmar die durchgängige Zuschreibung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zur DDR: Der Name DEUTSCHES PEN-ZENTRUM OST UND WEST mag Ihnen schwer aus der Feder gehen – nichts destoweniger existiert er, sowie die Institution, die ihn trägt. […] Wissentlich gebrauchen Sie in Ihrem Artikel […] einen falschen Namen, um ein nichtinformiertes Publikum zu täuschen. Man sollte als Generalsekretär eines PENClubs derartige Kindereien, die in einigen Staaten im Zuge des kalten Krieges noch praktiziert werden, doch endlich lassen, zumal in einer Organisation, die in ihren Prinzipien und in ihrer Organisation von jeher an britischen Sinn für Realität, an britische Nüchternheit und Fairness gebunden ist.390
Die von Schmiele geäußerte Kritik, die P.E.N.-Mitglieder aus der DDR seien zur Rom-Exekutive nicht erschienen – »wahrscheinlich wurden die Ausreisevisa verweigert«391 –, polte Kretzschmar zur Anklage des bundesdeutschen P.E.N.Zentrums um. Die politische Realität lieferte ein unumstößliches Argument, das zwar nur zur Hälfte der Wahrheit entsprach: »Wir hatten Ausreisevisa erhalten. Wir erhielten keine Einreisevisa, weil die italienische Regierung – wie alle der NATO angehörenden Regierungen – auf den ganz unverhüllten Druck Ihrer Regierung hin diese Visa nicht erteilen konnte. Wir haben nichts darüber gehört, daß Sie in Bonn gegen eine solche Diskriminierung Ihrer Kollegen protestiert hätten.«392 Im Hinblick auf die durch Wolfdietrich Schnurres Initiative losgetretene Debatte um den Mauerbau, in der auch die Forderung nach Ausschluss des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West aus dem Internationalen P.E.N. eine Rolle spielte, gab sich Kretzschmar stellvertretend für alle Involvierten demonstrativ ungerührt: »Ich darf Ihnen im Namen der betreffenden Mitglieder unseres Zentrums erklären, daß sich an ihrer Meinung bis heute nichts geändert hat und daß die Drohung mit Sanktionen auf sie wie überhaupt auf unser Zentrum gänzlich wirkungslos bleiben muß.«393 Auf dieser Basis argumentierte in Brüssel auch Hermlin für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West ; er machte gleichwohl deutlich, dass er keine Erklärung im Namen seines Zentrums abgebe, sondern lediglich in seinem eigenen Namen spreche. Hermlin berief sich auf das Recht jedes P.E.N.-Mitglieds,
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Ingeburg Kretzschmar an Walter Schmiele [28. 4. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/B/Bundesrepublik Deutschland 24, 24 a und b, hier 24b. Ingeburg Kretzschmar an Walter Schmiele [28. 4. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/B/Bundesrepublik Deutschland 24, 24 a und b, hier 24. Walter Schmiele: Der PEN-Club und die Lobredner der Mauer. In: Der Tagesspiegel 5039 (5. 4. 1962). Ingeburg Kretzschmar an Walter Schmiele [28. 4. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/B/Bundesrepublik Deutschland 24, 24 a und b, hier 24a. Ingeburg Kretzschmar an Walter Schmiele [28. 4. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/B/Bundesrepublik Deutschland 24, 24 a und b, hier 24a.
»to express his individual views on any matter, political or otherwise«.394 Es sei nicht die Aufgabe des bundesdeutschen P.E.N., ein anderes Zentrum auf der Basis dessen zu verdammen, was einzelne seiner Mitglieder gesagt oder geschrieben hätten. Überdies unternahm Hermlin keinen Versuch, seine Äußerungen hinsichtlich des Mauerbaus in irgendeiner Weise zu relativieren oder zurückzunehmen; er blieb loyal gegenüber der DDR-Regierung: »The remarks he had made he still believed to be right, and long reflection had not altered his views that the political steps he approved where still justified under the circumstances.«395 Hermlin rekurrierte auf die problematische Situation in Deutschland. Die Existenz zweier deutscher Staaten sei Realität. Man könne diesen Fakt zwar beklagen. Die realen Gegebenheiten müsse man aber anerkennen. Die Erwartung, die DDR-Schriftsteller müssten sich einer freiheitsfeindlichen Maßnahme ihrer Regierung widersetzen, erfüllte Hermlin mit dieser Haltung freilich nicht. Seine Stellungnahme spiegelte vielmehr das Stimmungsbild wider, das unter den literarischen und künstlerischen Intellektuellen in der DDR vorherrschend war. Es gab »gedämpfte Zustimmung«396 : Die Schriftsteller »erhoffte[n] von der Grenzschließung größere Freiheiten in der Meinungsbildung und in den Publikationen. So glaubte[n] sie, nun sei der Einwand hinfällig geworden, Kritik könne von der ›gegnerischen Seite‹ benutzt und mißbraucht werden. Man gab sich der Illusion hin, nunmehr Probleme ›unter sich‹ austragen und Schwierigkeiten und Widersprüche zur Sprache bringen zu können.«397 Dass diese Hoffnungen trogen, sollte sich erst später herausstellen. Gleichwohl stellte Hermlin an die Schriftsteller, insbesondere die deutschen, hohe Anforderungen: »[I]n these difficult and dangerous times writers should try to admit that their opinions could often be mutually opposed, but they should maintain as much unity as they could among themselves instead of indulging in writers’ quarrels.«398 Hermlin signalisierte Bereitschaft zur deutschdeutschen Verständigung, mindestens auf der Ebene des Internationalen P.E.N.; es sei besser, to try and avoid spite and malice, and try to be friendly as German to German – at least within the framework of P.E.N., where they could get on well together. [Hermlin] hoped it might soon be possible for representatives of the two German Centres to get together and arrange things between them in such a way as not to affect their several 394
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PEN International Executive Committee Meeting in Brussels, in the Martini Centre Place Rogier, on Thursday May 3rd , 1962 at ten o’clock a.m., S. 3. P.E.N.-Archiv London. PEN International Executive Committee Meeting in Brussels, in the Martini Centre Place Rogier, on Thursday May 3rd , 1962 at ten o’clock a.m., S. 3. P.E.N.-Archiv London. Einschätzung des damaligen Kulturministers Hans Bentzien. Zitiert nach Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 171. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 171. PEN International Executive Committee Meeting in Brussels, in the Martini Centre Place Rogier, on Thursday May 3rd , 1962 at ten o’clock a.m., S. 3. P.E.N.-Archiv London. 407
autonomies but to do what was good for them both, and so help to make ›an air fit to breathe‹.399
Bemüht war Hermlin auch darum, das beschädigte Verhältnis zwischen dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West und der internationalen P.E.N.Zentrale zu kitten. Der Großteil der Mitglieder seines Zentrums vertraue Carver. Er bedaure, dass es Missverständnisse gegeben habe.400 Die angespannte Atmosphäre, die sich durch das lange Schweigen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West aufgebaut hatte, schien entschärft. Zwar waren längst nicht alle strittigen Fragen zufrieden stellend geklärt. Hermlin war es aber gelungen, den Dialog wieder aufzunehmen. Sehr gut vorbereitet zeigte sich Hermlin auch auf die Fragen der Delegierten zur Liste der in der DDR inhaftierten Autoren, die das österreichische P.E.N.Zentrum vorgelegt hatte; er entschuldigte sich für die Verzögerung einer Antwort und gab einen langen und ausführlichen Bericht, der die Ergebnisse der Nachforschungen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West darlegte: [N]ot one of the writers named on the Austrians’ list belonged to P.E.N. […] They had been unable to trace six of the persons named; they did not appear to be in prison, and no record could be found of their having been sentenced; these six persons were: Hermann Möhring, Lothar Böttcher, Koslowski, Harro Lucht, Horst Pelzer, Ralf Schröder. It had also been impossible to prove whether or not Dr. Ramlow or Lothar Knaak were citizens of the Republic; it seemed probable they were not. They had been unable to trace Günter Kemnitz, […]. The German Centre greatly regretted the inclusion on the list of two names, Kurt Wallesch and Fritz Ruff. Wallesch was a leader in the ›Hitler Youth‹ movement, and in Rostock in 1955 was sentencedto gaol for fifteen years for murdering war prisoners and spying […] after the war. Under an amnesty, his 15-years sentence had been reduced to ten years. Fritz Ruff sentenced in Leipzig in 1956 for fifteen years (later reduced to 10 by an amnesty), for collaboration with the U.S. Secret Service; […]. Loest had been sentenced to twenty years in 1959, for crimes against the state, and Wolfgang Harich, in 1956, for ten years. […] These listed who had been freed (presumable they were journalists, since they were not known as ›writers‹) were: Robert Jordan, sentenced 1954, freed April 30, 1956; Dieter Zorn, freed in April 1956, and now in the West; Guido Lauer was freed in April 1958, after preliminary investigations had been suspended; Eckert had been freed in October 1959; Wilfried Schröder was freed in September 1960; Heinrich Saar was freed in March 1961; Herbert Crüger was freed in April 1961; Rudolf Kleinfeld was freed on April 5, 1961; now in the West.
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PEN International Executive Committee Meeting in Brussels, in the Martini Centre Place Rogier, on Thursday May 3rd , 1962 at ten o’clock a.m., S. 4. P.E.N.-Archiv London. Vgl. PEN International Executive Committee Meeting in Brussels, in the Martini Centre Place Rogier, on Thursday May 3rd , 1962 at ten o’clock a.m., S. 4. P.E.N.-Archiv London.
Therefore of the 21 listed, eight were free; [nine] were untraced […], two were war and spy criminals respectively, and the only two known as writers Wolfgang Harich and Erich Loest, still in prison for their part in the abortiveattempt to overthrowthe Government in 1956, and it seemed only an amnesty could obtain their release.401
Tatsächlich war die Prüfung der Liste, um die Alfred Kurella bei Erich Honecker schon im Juni 1961 nachgesucht hatte, der Abteilung Agitation im Ministerium für Staatssicherheit übertragen worden. Oberst Halle, Leiter dieser Abteilung, hatte Ende April 1962 an den »Genossen Minister, im Hause« über die Erledigung der Angelegenheit geschrieben: Hermlin habe den Auftrag, auf der Grundlage unseres Prüfungsergebnisses die Verleumdung der Initiatoren dieser Kampagnen energisch zurückzuweisen. Das von uns zur Verfügung gestellte Material wird für so wirkungsvoll gehalten, daß es damit gelingen dürfte, die PEN-Führung – die bestrebt ist, sich neutral zu verhalten – gegen die Initiatoren dieser Kampagnen zu beeinflussen. […] Erst nach Kenntnis der Reaktion auf diesen Schritt der DDR-PEN-Vertreter wird entschieden, inwieweit es notwendig ist, andere öffentliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Verleumdungen zurückzuweisen. Nach Kenntnis der Sachlage haben wir diesem Verfahrensweg zugestimmt.402
Hermlin handelte sicherlich nicht auf direkte Weisung des Ministeriums für Staatssicherheit. Unklar bleibt, auf welchen Wegen das Material zu den Führungspersonen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gelangte. Offenbar hatte das Vorliegende Hermlin aber weitestgehend überzeugt, so dass er die internationalen Vorwürfe in Brüssel entschieden zurückweisen konnte. Einen besonderen Hinweis verdient die von Hermlin in seinem Bericht zur Begründung der Inhaftierung von Schriftstellern verwendete, wenig überzeugende Argumentation; diese fand auch späterhin in ähnlichen Fällen immer wieder Verwendung. Keiner der Genannten sei wegen seiner schriftstellerischen Tätigkeit inhaftiert oder verurteilt worden. Ausschlaggebend sei in allen Fällen ein Verstoß gegen die Gesetze der DDR gewesen.403 Gleichwohl ließ Hermlin seine Solidarität für Harich und Loest durchscheinen: »[B]oth were condemned for attempting to overthrow the Government, in the attempt of 1956; unhappily, the amnesty had not touched them; he had personally particularly hoped that Harich would receive clemency, and feared that at the moment the climate was not favourable.«404 Die Wortwahl zeugt von Hermlins Einsicht hinsichtlich der realpolitischen Situation, die nach dem 13. August 1961 in der DDR bestimmend war. 401
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PEN International Executive Committee Meeting in Brussels, in the Martini Centre Place Rogier, on Thursday May 3rd , 1962 at ten o’clock a.m., S. 11f. P.E.N.-Archiv London. BStU, MfS, ZA, SdM 1111, Bl. 130f. Zitiert nach Walther: SicherungsbereichLiteratur, S. 374f. PEN International Executive Committee Meeting in Brussels, in the Martini Centre Place Rogier, on Thursday May 3rd , 1962 at ten o’clock a.m., S. 11. P.E.N.-Archiv London. PEN International Executive Committee Meeting in Brussels, in the Martini Centre Place Rogier, on Thursday May 3rd , 1962 at ten o’clock a.m., S. 11. P.E.N.-Archiv London. 409
Die SED-Führung verfolgte eine »harte Linie«: Die Monate nach der Mauererrichtung waren bestimmt von politischer Unterdrückung und Verfolgung von »Abweichlern«. Erst Ende des Jahres ebbte der Terror ab.405 Daneben scheint weiterhin bemerkenswert: Dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West war es in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden der DDR gelungen, detailreiche Informationen über die Situation der aufgelisteten Personen an den Internationalen P.E.N. zu liefern und mit dieser partiellen Kooperation die Vorbehalte gegenüber der eigenen Sektion zu mildern. Diese konkreten Ergebnisse spielten aber in der dem Bericht nachfolgenden Diskussion auf der Brüsseler Exekutive keine Rolle. Diese konzentrierte sich nicht länger auf das Schicksal der einzelnen Autoren. Es wurden keine konkreten Beschlüsse zur Unterstützung der in der DDR Inhaftierten gefasst. Zur Debatte stand lediglich der generelle Mangel an produktivem Austausch zwischen WiPC und nationalen Zentren.406 In ihrem Bericht an das ZK der SED über den Verlauf der Exekutive ließ Kretzschmar den empfundenen Triumph mehr als durchscheinen: Bei den unsererersten ArbeitstagungvorausgegangenenEmpfängenhatten wir einigen Delegierten gegenüber bereits zu verstehen gegeben, daß die geplanten Angriffe gegen unser Zentrum eine Blamage ergeben könnten … […] [Hermlins] Mitteilungen schlugen so heftig ein, daß der gesamte Angriffsplan gegen unser Zentrum (Ausschluß oder Suspendierung) von vorneherein zunichte wurde. Derlei Vorhaben wurde überhaupt mit keinem Wort mehr erwähnt. Und man sah die Verfechter der aggressiven Maßnahmen angesichts unserer Mitteilungen verlegen herumsitzen … Das Eintreten des Österreichischen Zentrums zugunsten zweier Kriegsverbrecher (was sich Hermlin als Schlußpointe aufgehoben hatte), verfehlte nicht seine Wirkung bei den übrigen Delegierten,so daß von den restlichensechs Fällen (die sich noch in Prüfung befinden) keine Rede mehr war.407
War damit das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West aus dem Blickpunkt des internationalen Interesses gerückt? Das P.E.N.-Präsidium wusste es besser. Den Wunsch der Abteilung Kultur des ZK der SED, die Ergebnisse der Brüsseler Exekutivkomitee-Sitzung in der Presse publik zu machen, beantwortete Stephan Hermlin im Namen des Präsidiums abschlägig. Eine frühzeitige Veröffentlichung der Ergebnisse hatte es abgelehnt, um »die weiteren bevorstehenden Verhandlungen durch vorzeitige Publizität nicht [zu] gefährden. Das Präsidium des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West hat infolgedessen beschlossen über
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Weber, S. 299–304. Vgl. PEN International Executive Committee Meeting in Brussels, in the Martini Centre Place Rogier, on Thursday May 3rd , 1962 at ten o’clock a.m., S. 12f. P.E.N.-Archiv London. Ingeburg Kretzschmar: Internationale PEN-Exekutive in Brüssel vom 2.–6. Mai 1962. Verlauf der Exekutiv-Sitzung [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/2.026/38, Bl. 88–91, hier Bl. 89.
die Brüsseler Tagung bis auf weiteres nichts zu veröffentlichen und den Sekretär des PEN-Zentrums in diesem Sinne unterrichtet.«408 Tatsächlich zeigte sich der Internationale P.E.N. in der Angelegenheit der inhaftierten Autoren hartnäckig. Mit der schriftlich noch einmal nachgereichten Darstellung, die Hermlin der Exekutive in Brüssel vorgebracht hatte, gab man sich nicht zufrieden. Aufgrund der Visa-Problematik hatten Kretzschmar und Hermlin an der auf Brüssel folgenden Exekutive in London (Oktober 1962) nicht teilnehmen können, um dort noch einmal Rede und Antwort zu stehen.409 Noch Anfang Oktober 1962 galt von DDR-Seite die Teilnahme von Hermlin und Kretzschmar als sicher. Nach Angaben von Kant gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit war Hermlin die Aufgabe übertragen worden, gegen einen »provokatorischen Antrag« des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums vorzugehen: »HERMLIN soll sich nach Angaben der KP ›Martin‹ [d. i. Hermann Kant] gründlich darauf vorbereiten. Die KP ist überzeugt, daß HERMLIN die DDR gut verteidigen wird […].«410 Nach dem Fernbleiben der DDR-Delegation reiste schließlich Robert Neumann im November 1962 nach Ost-Berlin. Im Namen des Präsidiums hatte Kretzschmar Neumann gebeten, Gast des P.E.N. zu sein und einer Einladung zu Zweigs 75. Geburtstag zu folgen. Neumann genoss das uneingeschränkte Vertrauen der DDR-Vertreter im P.E.N.: »Er war uns bekannt als einer, der uns nichts vormachen würde, der uns nicht sozusagen ein Kuckucksei legen wollte.«411 Auf Vermittlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West führte Neumann mit Studenten der Humboldt-Universität ein Streitgespräch über die Frage Was geht uns Eichmann an?.412 Eine Diskussion mit gleich lautendem Thema hatte Neumann bereits im Juli 1961 an der Universität Marburg durchgeführt. In Berlin führte er nun Mitschnitte der Marburger Veranstaltung vor. Auszüge aus der Diskussion in Ost-Berlin diskutierte er nach seiner Rückkehr aus der DDR in einem Oberseminar Politikwissenschaft der Marburger Universität. Schließlich stellte der WDR im Mai 1964 im Rahmen einer Diskussionsrunde Ausschnitte von beiden Veranstaltungen vor. Thematisch ging es 408
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Stephan Hermlin an die Abteilung Kultur beim ZK der SED [26. 5. 1962]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1962 3. Vgl. Abschrift eines Briefes von David Carver an Robert Neumann [31. 10. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 19, 19a und b. Herbert Treike [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA V/1/IV]: Treffbericht mit KP »Martin« [4. 10. 1962]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/1, Bl. 100. Enthalten auch in BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/1, Bl. 213–218, hier Bl. 217. »Post mortem« – Prof. Heinz Kamnitzer im Gespräch mit Reinhard Hübsch zur Diskussion an der Humboldt-UniversitätOst-Berlin. In: Reinhard Hübsch und FriedrichMartin Balzer (Hg.): »Operation Mauerdurchlöcherung«. Robert Neumann und der deutsch-deutsche Dialog. Mit Beiträgen von Robert Neumann, Wolfgang Abendroth u. a. Bonn 1994, S. 201–211, hier S. 203. Die Initiative für die Veranstaltung war von Robert Neumann ausgegangen. Vgl. Robert Neumann an Stephan Hermlin [5. 9. 1962]. ÖNB HsSlg. Ser. n. 21.842. 411
dabei »nicht so sehr um Eichmann und uns […], sondern […] darum […], wie der Nationalsozialismus in beiden Teilen Deutschlands heute beurteilt wird und zwar beurteilt wird, hinsichtlich seiner Fortwirkungen in der Bundesrepublik und der DDR.«413 Kurz vor der Aufzeichnung der Diskussion im WDR hatte in Marburg eine letzte öffentliche Veranstaltung des Debatten-Reigens stattgefunden, die Neumann als großen Erfolg wertete. Neumann war seiner Mittlerrolle zwischen Ost und West, die er auch im Internationalen P.E.N. ausfüllte, ein weiteres Mal gerecht geworden. Auf ungewöhnliche Weise hatte er einen deutschdeutschen Dialog über die geschlossenen Grenzen hinweg forciert, der für »hitzige Debatten«414 sorgte. Für ihn war insbesondere die Veranstaltung in Berlin »ein Überspringen der Mauer, ein zivilistischer Versuch zu vereinen, was die Politiker trennten«415 . Doch mit Neumanns Reise nach Ost-Berlin war eine weitere Mission verbunden. Carver hatte ihm den Auftrag erteilt, anhand einschlägigen Quellenmaterials die Diskussion mit den Vertretern des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West über das Schicksal der in der DDR inhaftierten Schriftstellerkollegen fortzuführen.416 Über die Besonderheit seines Gepäcks informierte Neumann die Generalsekretärin Kretzschmar vorab; er führe eine nun sehr konkret gewordene Fragenliste bezüglich jener bei Euch noch Inhaftierten [mit sich]. Hier gibt es sozusagen eine detaillierte Antwort auf Eure provisorischen Reaktionen – und wie ich Ihnen und Hermlin ja schon sagte, ist es von großer Wichtigkeit nicht nur für diese Inhaftierten selbst sondern für das Ansehen Eures P.E.N.Zentrums innerhalb der Internationalen Organisation, daß hier eine Reihe ganz konkreter Fragen wirklich anläßlich meines Besuches dort durchleuchtet werden. Vielfach handelt es sich bei dem Angestrebten um Erleichterungen für die Verurteilten, die gewährt werden können, ohne die Rechtskraftder Urteile und damit das Prestige Eurer Rechtssprechungauch nur im leisesten zu tangieren.Es wäre mir sehr erwünscht,wenn ich in diesem Zusammenhang gemeinsam mit Ihnen oder sonst einem Vertreter Eures P.E.N.-Zentrums eine direkte Aussprache mit der maßgeblichen Justizbehörde haben könnte. Ich kann dies nach Eurem Ermessen sowohl als Privatperson als auch sozusagen offizieller Person als Vizepräsident des P.E.N. führen. In diesem Zusammenhang wäre es mir besonders erwünscht, mit Ihnen und Ihren Freunden sogleich nach meiner Ankunft ein ausführliches Gespräch führen zu können, um Verzögerungen zu vermeiden. Ich habe Ihnen bei dieser Gelegenheit dann auch Schriftliches zu übergeben.417 413
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Staatliches Rundfunkkomitee [der DDR], Abteilung Information: Abschrift der Sendung »Eichmann und wir«. WDR III (20. 5. 1964, 20.45 Uhr) [Vertrauliches Material. Nur f. d. Dienstgebrauch]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-ZentrenInternational 1962–1968/Robert Neumann 5–5x, hier 5. Vgl. hierzu auch die Dokumentation der beiden Veranstaltungen von Hübsch und Balzer (Hg.): »Operation Mauerdurchlöcherung«. Hübsch, S. 12. Robert Neumann: Die Sorgen und die Macht. Vorläufige Notizen von einer Reise nach dem Fernsten Osten [Typoskript]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PENZentren International 1962–1968/Robert Neumann 16a–16o, hier 16o. Vgl. David Carver an Robert Neumann [31. 10. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/ PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 19, 19 a und b, hier 19a. Robert Neumann an Ingeburg Kretzschmar [3. 11. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/PEN-ZentrenInternational 1962–1968/RobertNeumann 17, 17a und b, hier 17a.
Neumann legte dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West bei seinem Besuch ein Schreiben der österreichischen P.E.N.-Sektion vor, in dem diese nachdrücklich darum bat, »das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West möge sich im Sinne der Verpflichtung der Charta, ›jeder Art der Unterdrückung der Äusserungsfreiheit in der Gemeinschaft, in der sie leben, entgegenzutreten‹, für die inhaftierten Kollegen verwenden.«418 Den Vorwurf des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West, die vorgelegte Liste sei »zum Teil ungerechtfertigt und überholt«, kommentierten Carry Hauser und Franz Theodor Csokor mit Hinweisen auf die problematische Gesetzgebung und Jurisdiktion in der DDR: Die Verhaftungen in der DDR erfolgen in der Regel ohne öffentliche Bekanntgabe, die Prozesse finden unter Ausschluss sowohl der Angehörigen wie der Öffentlichkeit und der westlichen Presse statt, die Urteile werden nur in Ausnahmefällen veröffentlicht, und auch die Entlassung oder Amnestierung geschieht stillschweigend. Angehörige der Verurteilten und entlassene Häftlinge dürfen Personen und humanitären Einrichtungen im Westen keine Nachricht von den Vorgängenin der Justiz und im Strafvollzug der DDR geben; sie machen sich sonst nach den Gesetzen der DDR der Spionage, des Geheimnisverrats, der Boykotthetze, der Staatsverleumdung schuldig.419
Durch den Mauerbau sei es für westliche Beobachter nahezu unmöglich geworden, »stichhaltige und aktuelle Informationen aus der DDR« zu erhalten: »Eben deshalb wäre es wünschenswert, wenn sich das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West um eine Aufklärung strittiger Fälle bemühte.«420 Hauser und Csokor arbeiteten noch einmal die von ihnen erstellte Liste ab, um dem Deutschen P.E.N.Zentrum Ost und West »brauchbare Unterlagen für [die] Bemühungen im Sinne der PEN-Charta«421 zu übergeben. Sie unterbreiteten detailliert ihren Wissensstand über das Schicksal der Benannten; widerlegten und korrigierten die in Brüssel von Hermlin getroffenen Aussagen; zweifelten die Glaubwürdigkeit der gelieferten Haftgründe an; verwiesen auf neue Fälle inhaftierter Autoren.422 Die Aufgabe für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West war eindeutig: »für die Freilassung der einwandfrei zu Zuchthaus und Verurteilten einzutreten, das Schicksal der Verschollenen und Umgekommenen aufzuklären und Akteneinsicht in die Fälle der Personen zu verschaffen, denen Spionage und Kriegs418
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Carry Hauser und Franz Theodor Csokor an Ingeburg Kretzschmar [6. 11. 1962]. P.E.N.-Archiv(Ost) PEN-Club/PEN-ZentrenInternational1962–1968/O/Österreich2, 2a–2d, hier 2. Carry Hauser und Franz Theodor Csokor an Ingeburg Kretzschmar [6. 11. 1962]. P.E.N.-Archiv(Ost) PEN-Club/PEN-ZentrenInternational1962–1968/O/Österreich2, 2a–2d, hier 2. Carry Hauser und Franz Theodor Csokor an Ingeburg Kretzschmar [6. 11. 1962]. P.E.N.-Archiv(Ost) PEN-Club/PEN-ZentrenInternational1962–1968/O/Österreich2, 2a–2d, hier 2. Carry Hauser und Franz Theodor Csokor an Ingeburg Kretzschmar [6. 11. 1962]. P.E.N.-Archiv(Ost) PEN-Club/PEN-ZentrenInternational1962–1968/O/Österreich2, 2a–2d, hier 2d. Vgl. Carry Hauser und Franz Theodor Csokor an Ingeburg Kretzschmar [6. 11. 1962]. P.E.N.-Archiv(Ost) PEN-Club/PEN-ZentrenInternational1962–1968/O/Österreich2, 2a–2d. 413
verbrechen vorgeworfen werden.«423 Dass ein Einsatz des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West für die Betroffenen unter den Bedingungen eines totalitären Systems ein schwieriges Unterfangen darstellte, war Hauser und Csokor wohl bewusst: »Es wäre jedoch schon ein grosser Gewinn, wenn das Zentrum für die Betroffenen einige Erleichterungen durchsetzen könnte: Zum Beispiel die Erlaubnis, in der Haft schriftstellerisch tätig zu sein, Feststellung des Gesundheitszustandes durch das Internationale Rote Kreuz […] und die Genehmigung, […] Sonderpakete von Seiten humanitärer Einrichtungen […] zu empfangen.«424 Die Einsichten, die Neumann bei seinem persönlichen Besuch in Ost-Berlin gewann, gab er in Briefen an den internationalen Generalsekretär, David Carver, und den Ehrenpräsidenten des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums, Kasimir Edschmid, weiter. Neumann war wider Erwarten zu einer positiven Einschätzung der DDR-Schriftsteller gelangt: Die völlig neue, von mir an Ort und Stelle gewonnene Erkenntnis ist, daß es vom P.E.N.-Standpunkt mit diesen Ostschriftstellern viel besser steht, als wir je erwartet hätten: ihre Meinungen sind keineswegs uniform, ihre Bereitwilligkeit zu Interventionen reicht vom stursten ›njet‹ bis zu wirklicher und aktiver Zivilcourage, das Spektrum dieser Zwischentöneist keineswegsenger als das zwischenden kalten Kriegern und den Verständigungswilligen in Westdeutschland – und der Unterschied zwischen West und Ost liegt im wesentlichen nur darin, daß diese Leute […] viel eher bereit sind, etwas stumm zu tun, als es der westlichen Öffentlichkeit bekannt zugeben.425
Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den Autoren und der DDR-Regierung lieferte Neumann eine Einschätzung, die nicht ganz den realen Gegebenheiten entsprach: »They are not popular there with their government and, as far as I could see, receive no grants […]. […] They are more or less out of favour with the political bigwigs because they do not deliver the goods, i.e. satisfactory international contacts.«426 Neumann schien zuversichtlich, dass insbesondere in der Frage der inhaftierten Autoren eine positive Entwicklung zu erwarten sei. Gleichwohl hatten die Vertreter des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, mit denen Neumann zusammengetroffen war, deutlich gemacht, daß man unter allen Umständen nur zur Intervention für wirkliche Schriftsteller im Sinn der P.E.N.-Charta bereit sei, nicht aber zur Intervention für ›Intellektuelle‹ im allgemeinen. Das bezieht sich in erster Linie auf die lange Liste, die der österreichische P.E.N. zusammengestellt hat. Die Ostschriftsteller kennen einander alle (infolge der 423
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Carry Hauser und Franz Theodor Csokor an Ingeburg Kretzschmar [6. 11. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/PEN-ZentrenInternational1962–1968/O/Österreich2, 2a–2d, hier 2d. Carry Hauser und Franz Theodor Csokor an Ingeburg Kretzschmar [6. 11. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/PEN-ZentrenInternational1962–1968/O/Österreich2, 2a–2d, hier 2d. Robert Neumann an Kasimir Edschmid [3. 1. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 14 und 14 a, hier 14. Robert Neumann an David Carver [4. 1. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 13, 13a und b, hier 13.
viel strafferen Organisation), aber eine ganze Anzahl der österreichischen Namen ist dort, wie mir von mehreren Seiten glaubwürdig versichert wurde, in Schriftsteller- und Verlegerkreisen vollkommen unbekannt.427
Bei seinem Besuch in Ost-Berlin hatte sich Robert Neumann insbesondere um die Aufklärung eines einzelnen Schicksals konzentriert. Es ging ihm und dem Internationalen P.E.N. vor allem um Wolfgang Harich, der zum damaligen Zeitpunkt schon seit sieben Jahren im Zuchthaus Bautzen saß: »Meine Gesprächspartner waren nicht die Ostberliner Behörden sondern die Ostberliner Schriftsteller, Menschen also, die es selbst mit ihrer politischen Führung nie auf längere Frist ganz leicht hatten: sie waren ausgezeichnete Kommunisten, aber heute zuviel – morgen zu wenig tauwetterisch, zu viel – zu wenig heroenkultisch, zu kompromißlos – zu kompromißlerisch.«428 Der Philosophie-Professor Wolfgang Harich, der sich zudem als Chefredakteur der Deutschen Zeitschrift für Philosophie und Lektor des Aufbau-Verlags betätigte, hatte innerhalb der antistalinistischen Opposition, die sich in der DDR nach dem Volksaufstand in Ungarn bildete, eine herausragende Position eingenommen; er war »[d]er agilste, weitgehendste aber auch abenteuerlichste Kopf dieser Bewegung«429 . Harich nahm eine wichtige Position innerhalb der Parteiintelligenz ein und hatte schon seit 1952 verstärkt Kritik an kulturpolitischen Missständen geübt. Er beteiligte sich intensiv an der erstarkenden Diskussionstätigkeit in den Kreisen der Intelligenz: So engagierte er sich u. a. im DonnerstagClub, der sich in Anlehnung an den ungarischen Petöfi-Club zusammengefunden hatte und nahm aktiven Anteil am regen Gedankenaustausch innerhalb des Aufbau-Verlags, der sich zu einem Zentrum politischer und philosophischer Diskussionen entwickelt hatte.430 In einem intern diskutierten Reformpapier, der Plattform für einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus, legte Harich schließlich eine umfassende Konzeption der Opposition des »dritten Weges« nieder; diese wurde bei seiner Verhaftung am 29. November 1956 gefunden. In der Öffentlichkeit wurde die Plattform jedoch erst nach 1990 bekannt. Inhaftiert wurden auch Bernhard Steinberger und Manfred Hertwig, die Harich beim Schreiben seiner Plattform als fachliche Berater auf dem Gebiet der Ökonomie hinzugezogen hatte. In einem Schauprozess im März 1957 erfolgte die Verurteilung von Harich durch das Oberste Gericht der DDR zu zehn Jahren Zuchthaus wegen »Bildung einer konspirativ-staatsfeindlichen/konterrevolutionären Gruppe«431 . Zu dieser Gruppierung gehörte(n) nach Ansicht des Gerichtes auch Walter Janka, damaliger Leiter des Aufbau-Verlags und die Redakteure der Zeit-
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Robert Neumann an Kasimir Edschmid [3. 1. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 14 und 14 a, hier 14. Neumann: Vielleicht das Heitere, S. 103. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 127. Vgl. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 130f. Hans-ChristophRauh und Bernd-RainerBarth: Wolfgang Harich. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR? S. 313f., hier S. 313. 415
schrift Sonntag, Gustav Just und Heinz Zöger. Auch sie wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Zu Beginn seiner Reise nach Ost-Berlin stellte sich Neumanns Kenntnisstand über Harichs Schicksal folgendermaßen dar: »Unsere Information war, daß Harich, der bisher sechs Jahre einer zehnjährigen Freiheitsstrafe abgesessen hat (a) rechtswidrig verurteilt worden war, (b) krank sei, (c) einmal im Jahr ein Paket, einmal alle drei Monate Besuch haben könne, (d) unter einem Lese- und Schreibverbot stehe.«432 In seinen Gesprächen mit den Vertretern des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West erhielt Neumann differenziertere Auskunft: Meine Vorbehalte auf dieser Basis führten von offenbar informierter, aber vielleicht nicht ganz legitimierter Seite zu der Versicherung, daß Harich (a) wegen eines versuchten gewaltsamen Umsturzes in der DDR rechtens verurteilt worden sei; mit dem Zusatz: er habe sich, als ein extrem impulsiver Mann (er war damals 32 Jahre alt!) unter dem Eindruck von Chruschtschows Stalin-Entlarvung zu der Torheit verleiten lassen, dem Sowjet-Botschafterseinen ›terroristischenPlan‹ vorzutragen– der die Information sofort an die Behörde der DDR weitergab; (b) Harich schreibe derzeit im Gefängnis ein umfangreiches Werk – seine Autobiographie, (c) darüber hinaus doziere er Marxismus für ein gemischtes Auditorium von Mithäftlingen und Gefängniswärtern.433
Neumann gab sich mit diesen Auskünften nicht zufrieden und so gelang es ihm, nach eigenen Aussagen, zumindest einen sporadischen Einsatz von einzelnen Vertretern des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West für Harich zu provozieren: Mein Verlangen,sie sollten für den Mann im Zuchthausintervenieren,sich exponieren, brachte diese ein kompliziertes Leben Führenden in eine schwierige Situation, der sich denn auch alle so oder so entzogen – bis auf zwei. Der eine: Stefan [sic] Hermlin […] Die andere, die sich stellte und nicht entzog: Ingeburg [Kretzschmar]. Auch sie hatte ich schon vorher bei jenen Kongressengetroffen,ständige zweite Delegierteder Schriftsteller aus der DDR, zweite Geige, gewiß – aber was für eine Geige! […] Auf Hermlins Versicherung, das gerechte und doch auch erträgliche Zuchthausleben Wolfgang Harichs betreffend, und meinen daraufhin geäußerten Wunsch, mir diese Idylle persönlichanzusehen,sagte Ingeburg kühn und kühl: diese Bewilligung für einen Besuch in Bautzen werde sie mir zu beschaffen versuchen. 432
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Robert Neumann: Die Sorgen und die Macht. Vorläufige Notizen von einer Reise nach dem Fernsten Osten [Typoskript]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PENZentren International 1962–1968/Robert Neumann 16a–16o, hier 16f. Robert Neumann: Die Sorgen und die Macht. Vorläufige Notizen von einer Reise nach dem Fernsten Osten [Typoskript]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PENZentren International 1962–1968/Robert Neumann 16a–16o, hier 16f und g. Harich hatte dem sowjetischen Botschafter in Berlin, Georgi Puschkin, ein Memorandum übergeben, das im Oktober 1956 entstanden war. Das von Harich als »Studien zur weltgeschichtlichenSituation«bezeichneteMemorandum enthielt »eine Mischung von sozialistischenGlaubenssätzen,scharfsichtigenEinsichtenin die Schwächendes damaligen sozialistischen Entwicklungsstandes und möglichen Wegen zur Einheit Deutschlands, von ebenso kühn wie naiv anmutenden Forderungen an die Sowjetunion. Was Harich um der gemeinsamen Sache willen von der UdSSR verlangte, hat kein Politiker im Amt je gewagt. […] Man kann sich denken, wie der sowjetische Botschafter Puschkin diese Vorschläge aufgenommen hat.« Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 132f.
Es schlug fehl. Ingeburg engagierte sich ungemein, aber die Prozedur lief langsam und ich konnte nicht warten. […] Ingeburg zahlte für ihr Nichtkonformieren offenbar mit Bedrängnissen: ihre Briefe an mich brachen plötzlich ab. Aber auch von Hermlin, dessen Reaktion mich zunächst enttäuscht hatte, ergab sich wenige Wochen später, daß er gleichzeitig in anderer Sache aus der Reihe getanzt war – es brachte ihm für eine ganze Weile viel Schaden und den Verlust seines Lebensunterhalts.434
Ob und in welcher Weise Hermlin im Fall Harich agiert hatte, bleibt kryptisch. Ein Brief von Neumann an Hermlin liefert lediglich einen Hinweis auf Hermlins verschärfte »persönliche Position«435 . Hermlin hatte im Dezember 1962 auf einer Lesung in der Ost-Berliner Akademie der Künste einige junge Lyriker vorgestellt, deren Arbeiten erregte öffentliche und nichtöffentliche Debatten in der DDR hervorriefen. Nach einer scharfen Partei- und Selbstkritik hatte Hermlin seine Ämter in der Akademie der Künste und im DSV niedergelegt.436 Zwischen Kretzschmar und Neumann bestand nach dem Zusammentreffen in Ost-Berlin eine Korrespondenz, die in erster Linie Privates behandelte. Der Fall Harich blieb darin unerwähnt. P.E.N.-Belange werden in diesen Briefen nicht konkretisiert. Der letzte, im Nachlass von Neumann erhaltene Brief stammt vom Februar 1965.437 Während Neumann der Besuch bei Harich verwehrt blieb, gelang ihm die Kontaktaufnahme zu dessen Mutter. Bei einem persönlichen Besuch ließ er sich deren Eindrücke und Einschätzungen zur Situation ihres Sohnes schildern. Auf diese Weise erfuhr Neumann zahlreiche Details über den Fall Harich, die er der interessierten westlichen Öffentlichkeit mitteilte: 1. Ihr Sohn habe töricht gehandelt, er sei rechtens verurteilt worden, aber die Strafe sei hart. Auch ihr Sohn teile diese Ansicht in jedem Punkt. 2. Man habe ihn vor mehreren Monaten nach Berlin gebracht, um ihn sehr genau medizinisch zu untersuchen,doch habe man keinerleiernsthaftes Gebrechen gefunden. […] 3. [Der] letzte Besuch bei ihm habe am 31. Oktober stattgefunden. Gesprochen werde in Anwesenheit eines Gefängnisbeamten, der sich aber diskret abseits halte.
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Robert Neumann: Vielleicht das Heitere, S. 103–105. Zu Ingeburg Kretzschmars Bemühungen vgl. auch Robert Neumann: Die Sorgen und die Macht. Vorläufige Notizen von einer Reise nach dem Fernsten Osten [Typoskript]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 16a–16o, hier 16g: »Um es kurz zu machen: politischeStellen zeigten sich zugänglich – bis schließlich ein Ministerialjurist eine Strafvollzugsordnung auf den Tisch des Hauses legte, […] der zufolge ein Strafgefangener nur von einem präzisierten Kreis nächster Anverwandter besucht werden dürfe – nicht aber von einem Fremden mit einem fremden (britischen) Paß.« Robert Neumann an Stephan Hermlin [19. 2. 1963]. ÖNB HsSlg. Ser. n. 21.842. Vgl. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 224 und Leonore Krenzlin und Andreas Kölling: Stephan Hermlin. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 343f., hier S. 343. Auskunft über die Inhalte der Korrespondenz erteilte Franz Stadler, Wien, anhand des Nachlasses Robert Neumann (ÖNB HsSlg.). 417
4. Es sei nicht richtig, daß Harich nur ein Paket im Jahr bekommen könne. Sie bekomme in unregelmäßigen Abständen […] von der Gefängnisverwaltung eine Mitteilung dessen, was sie ihm schicken könne; […] 5. Über meine Mitteilung, daß er angeblich einen Kurs über Marxismus lese, war sie verwundert. Das sei gewiß nicht ausgeschlossen, aber davon habe er ihr kein Wort gesagt. Daß er seine Autobiographie schreibe, glaube sie mit Sicherheit verneinen zu können. […] 6. […] 7. Bezüglich der Häufigkeit ist Frau Harich unpräzis […]. Die Gefängnisbeamten seien human. […]438
Eine offizielle Intervention für die vom österreichischen P.E.N. aufgelisteten Inhaftierten, insbesondere für Wolfgang Harich, oder auch nur eine Aufklärung über deren Schicksal lieferte das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West in der Folgezeit nicht. Inoffiziell hatte sich nachweislich aber zumindest ein DDR-Schriftsteller unmittelbar nach Neumanns Besuch in Ost-Berlin für Wolfgang Harich eingesetzt. Am 13. Dezember 1962 verwies Arnold Zweig in einem Brief an den stellvertretenden Justizminister der DDR, Ranke von Liebenstein, nachdrücklich auf die Situation des inhaftierten Harich: »Gleichwohl bleibe ich dabei, wie ich es bei einer Konferenz mit dem Politbüro vorbrachte, daß der Fall Harich vor allem zur Behandlung durch einen Psychiater zu drängen scheine. Wie sehr mir das Strafmaß, zu welchem Harich damals verurteilt wurde, übertrieben scheint, möchte ich auch heute nicht verschweigen.«439 Von dieser Fürsprache drang indes nichts nach außen und sie zeigte wohl auch keine Wirkung. Auf der Exekutivkomitee-Tagung im Mai 1963 (Brighton) klagte der internationale Generalsekretär, er habe in dieser Angelegenheit nichts vom Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West gehört. Beantwortet worden sei von Kretzschmar nur eine Anfrage in Bezug auf den Lyriker und Herausgeber der Zeitschrift Sinn und Form, Peter Huchel; dieser sei nicht inhaftiert und werde auch nicht verfolgt.440 Den Brief des österreichischen P.E.N.-Zentrums, den Neumann in OstBerlin überbracht hatte, schmetterte Kretzschmar mit dem Verweis auf den in Brüssel erbrachten Bericht ab: »Ergänzende Mitteilungen hierzu sind nicht zu machen.«441 Unterdessen hatte es eine erste Reaktion auf Neumanns Bericht von seiner Reise nach Ost-Berlin gegeben, der Ende Februar bzw. Anfang März 1963 in der Zeit abgedruckt worden war. Wolfgang Abendroth, Professor am Institut für wissenschaftliche Politik der Philipps-Universität Marburg, den Neu438
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Robert Neumann: Die Sorgen und die Macht. Vorläufige Notizen von einer Reise nach dem Fernsten Osten [Typoskript]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PENZentren International 1962–1968/Robert Neumann 16a–16o, hier 16h–i. Arnold Zweig an Ranke von Liebenstein [13. 12. 1961]. SAdK Berlin, Arnold ZweigArchiv. Zitiert nach Wilhelm von Sternburg: Um Deutschland geht es uns. Arnold Zweig. Die Biographie. Berlin 1998, S. 280. International P.E.N. Executive Committee Meeting in the Hotel Metropole Brighton Sussex England on Monday May 27 – 1963, S. 16. P.E.N.-Archiv London. Ingeburg Kretzschmar an Carry Hauser [Generalsekretär des Österreichischen P.E.N.Zentrums] [2. 3. 1963]. ÖNB HsSlg. Ser. n. 21.842.
mann im Zusammenhang mit der Eichmann-Diskussion in Marburg kennen gelernt hatte, informierte Neumann über eine Initiative für Harich: Er habe »ein Kollektivschreiben von etwa 30 Professoren an Walter Ulbricht mit der Bitte um Amnestierung Wolfgang Harichs unterzeichnet«442. Auch Neumann selbst wurde aktiv; er trat in Korrespondenz mit dem Präsidenten der Volkskammer der DDR, Johannes Dieckmann, um für Harich einzutreten: Der unglückliche Mann war erst zweiunddreißig Jahre als, als er ins Zuchthaus kam; er sitzt dort seit sieben Jahren; und er ist ja doch für Ihre kommunistischen Freunde nicht ›der Feind‹ sondern ein Häretiker im Rahmen der ›Glaubenskriege‹innerhalb des Kommunismus. Läßt man ihn frei, so wird er bestimmt ein Kommunist und im Lande bleiben und eben hierdurch die widerlegen, die seine unfassbar lange Einkerkerung propagandistisch exploitieren. Es wäre nicht nur ein Akt persönlicher Großzügigkeit, wenn Herr Ulbricht ihn – etwa anläßlich seines siebzigstenGeburtstages – begnadigte,sondern sicherlichauch ein Akt staatsmännischer Weisheit.443
Neumanns Vorstoß brachte ihm lediglich einen scharfen Antwortbrief von Dieckmann ein, der kein Entgegenkommen signalisierte: Sie wünschen also, daß wir ein angebliches Unrecht an einem unserer Staatsbürger bereinigen und uns dadurch wieder ›rehabilitieren‹ sollen. Zu einem solchen Akt wäre ich immer bereit, wenn ich das Erfordernis einer ›Selbstreinigung‹ anerkennen könnte. Ich bedaure jedoch, es nicht erkennen zu können. (Sie dürfen im übrigen ganz beruhigt sein: Wenn ein Geistesschaffender– das gilt natürlichallgemeinst,also für jeden – gegen die Gesetze unseres sozialistischen Friedensstaates verstößt und er deswegen verurteilt wird, so braucht er deswegen nicht ›Steine zu klopfen‹. Strafvollzugsmethoden dieser Art sind in unserem deutschen Rechtsstaat längst überholt und außer Kraft.)444
Sollte Neumann dennoch den Wunsch hegen, ein Gnadengesuch »für einen zu Recht Verurteilten« einzureichen, dann »an die dafür zuständige Stelle […], – also »An den Vorsitzenden des Staatsrates der Deutsche Demokratischen Republik, Herrn Walter Ulbricht, Berlin-Niederschönhausen.«445 Dennoch kam Bewegung in die Sache. Neumann konnte auf einer P.E.N.Exekutive im Oktober 1963, die in Reims tagte, von ansatzweise positiven Entwicklungen im Fall Harich berichten. Harichs Urteil sei reduziert worden, die Haftbedingungen seien bedeutend verbessert worden; er und seine Kollegen seien aber immer noch nicht frei. Neumann bedauerte die dürftigen Ergebnisse, die in der DDR erzielt worden seien und regte an, dem Deutschen P.E.N.Zentrum Ost und West die Unterstützung anderer osteuropäischer Zentren, etwa Ungarns oder der Tschechoslowakei, angedeihen zu lassen; diese seien in ihrer 442 443 444
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Wolfgang Abendroth an Robert Neumann [5. 3. 1963]. ÖNB HsSlg. Ser. n. 21.840. Robert Neumann an Johannes Dieckmann [19. 4. 1963]. ÖNB HsSlg. Ser. n. 21.840. Johannes Dieckmann an Robert Neumann [30. 5. 1963.] P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 9, 9a und b, hier 9 und 9a. Johannes Dieckmann an Robert Neumann [30. 5. 1963.] P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 9, 9a und b, hier 9a. 419
Arbeit für inhaftierte Kollegen sehr erfolgreich gewesen. László Kéry, Vertreter des ungarischen P.E.N., machte darauf aufmerksam, dass die Gesprächsaufnahme mit einem einzelnen Mitglied, etwa mit Stephan Hermlin, möglich gewesen sein würde. Da Hermlin aber seinen Wohnsitz in Moskau genommen habe, könne er wohl nicht länger hilfreich sein. Auf Neumanns Drängen gab Kéry nach; er werde bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit das Gespräch mit einzelnen Mitgliedern des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West suchen.446 In den vorliegenden Quellen ist weder eine Kontaktaufnahme zwischen Kéry und den führenden Köpfen des P.E.N.-Präsidiums, noch irgendeine autonome Aktivität für Harich von Seiten des DDR-P.E.N. oder eines seiner Mitglieder belegt – mit Ausnahme von Zweigs Schreiben an von Liebenstein. Neben der Frage der inhaftierten Autoren in der DDR stand auf der ReimsExekutive auch der umgekehrte Fall zur Diskussion: Ein Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, der Verleger Günter Hofé, war Anfang Oktober 1963 auf dem Weg zur Frankfurter Buchmesse verhaftet und schließlich in der Nähe von Hannover inhaftiert worden. Daraufhin liefen Telegramme im internationalen Generalsekretariat ein: Das erste sandte Ingeburg Kretzschmar, die die wesentlichen Informationen übermittelte. Das zweite folgte von dem Schriftsteller Maximilian Scheer, der Identisches berichtete. Schließlich hatte sich auch der österreichische P.E.N. in diesem Zusammenhang an Carver gewandt. Bis zur Exekutive hatte Carver nicht viel erreichen können; er hatte bei Bruno E. Werner, dem Präsidenten des Bundes-P.E.N. angefragt, aber noch keine Antwort erhalten. Auch der als Vertreter des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums auf der Tagung anwesende Robert Schnorr konnte keine Aussagen treffen, sicherte jedoch zu, sich an den Pflichtverteidiger von Hofé zu wenden, um Einzelheiten zu erfragen und zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu berichten. In Reaktion auf Schnorrs Anruf aus Reims setzte sich Werner mit dem Oberstaatsanwalt in Karlsruhe in Verbindung; dieser hatte daraufhin erklärt, dass gegen Hofé bereits bei seinem Grenzübertritt nach Westdeutschland ein Haftbefehl vorgelegen habe. Man glaube, dass er ein Geheimagent sei. Bis zur Gerichtsverhandlung werde er wegen Auftrags zur Spionage festgehalten. Die Exekutive entschloss sich daraufhin, ein Telegramm zu entsenden, dass den Wunsch nach einer so schnell wie möglich stattfindenden Verhandlung ausdrücken sollte. Robert Neumann dankte dem Vertreter des Bundes-P.E.N. aufs herzlichste für seinen raschen und effektiven Einsatz; dieser sei a »vivid demonstration of the true spirit of P.E.N.«447 Im Juni 1964 saß Hofé immer noch in Haft, die gerichtliche Voruntersuchung war eröffnet und ein Prozess vor dem Bundesgerichts446
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International P.E.N. Executive Committee Meeting in Rheims [sic] France in the Hotel de Ville at 9.30 a.m., on Thursday October 17th , 1963, S. 22f. P.E.N.-Archiv London. Extra Session of Executiveat 2 p.m. on SaturdayOctober 19th , 1963. Enthalten in International P.E.N. Executive Committee meeting in Rheims [sic] France in the Hotel de Ville at 9.30 a.m., on Thursday October 17th , 1963, S. 23f., hier S. 24. P.E.N.-Archiv London. Vgl. hierzu auch David Carver an Ingeburg Kretzschmar [15. 11. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1963 1a und b.
hof wahrscheinlich: »Der Bundesgerichtshof hatte sich überzeugt, daß Hofé – im Zweiten Weltkrieg Offizier und Überläufer zu den Sowjets, hernach Chef des Ostberliner ›Verlages der Nation‹ und nebenberuflich Romancier (›Roter Schnee‹) – jahrelang Agent östlicher Geheimdienste gewesen sei.«448 Anfang August wurde der Haftbefehl gegen Hofé bestätigt. Wenige Wochen später meldeten die Medien seine Freilassung. Im Gegensatz zu der Protest-Kampagne der DDR-Medien in Folge von Hofés Verhaftung wurde die Haftentlassung im Neuen Deutschland »mit einer nüchternen 13-Zeilen-Notiz und einem HoféFamilienbild« gemeldet: »Auf die sonst bei der Heimkehr treuer Söhne aus westdeutschen Gefängnissen obligate Behauptung, die Freilassung sei durch den Volks-Sturm der Empörung ›erkämpft‹ worden, verzichtete Ulbrichts Sprachrohr«449 . Über die Gründe der Bundesanwaltschaft, Hofé zu entlassen, gab es im Westen nur Gerüchte. Spekuliert wurde über einen möglichen Zusammenhang zwischen der Entlassung von 40 Häftlingen aus DDR-Gefängnissen und der Freisetzung von Hofé. Die Bundesanwaltschaft aber hütete ihre Beweggründe wie ein Staatsgeheimnis.450 Der Fall Harich nahm im Folgejahr eine weitere Wendung: Im November 1964 nahm Neumann noch einmal Verbindung mit Johannes Dieckmann auf und übersandte ihm einen Brief, den er kurz zuvor von Anne-Lise Harich erhalten hatte. Seit seinem Besuch in Ost-Berlin stand er im regelmäßigen Austausch mit Harichs Mutter, die vor allem über ihre Gefängnisbesuche berichtete. Neumann verband seinen Brief an Dieckmann nicht mit einem Gnadengesuch für Harich: »Er ist lediglich die Übermittlung einer Information an Sie. Weder Frau Harich noch sonst wer in West und Ost wird erfahren, daß ich ihn geschrieben habe.«451 Anne-Lise Harichs Brief an Robert Neumann und seine Frau zeugte eindrucksvoll von der emotionalen Belastung, die mit der Inhaftierung ihres Sohnes in engem Zusammenhang stand: Es waren in den letzten Monaten zu viel der Aufregungen. Das hält man einfach nicht aus. Durch eine unglückselige Falschorientierung von privater, aber man sollte meinen gut orientierter Seite wartete ich im September Tag für Tag, von Klingelzeichen zu Klingelzeichen – vergeblich! Dazwischen kam die Falschmeldung der Entlassung in der westlichen Presse. […] das war einfach zu viel. […] Wie sehr mich die Amnestie auf eine baldige Heimkehr hoffen lässt, werden Sie sich denken können. Wissen allerdings tue ich nichts.452
Ob Neumanns subtiler Beeinflussungsversuch das laufende Verfahren beschleunigte, sei dahingestellt. Tatsächlich wurde Wolfgang Harich am 18. De448
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[o. V.]: Dürr und schwach. Hofé-Entlassung. Spionage. In: Der Spiegel 36 (2. 9. 1964), S. 20. [o. V.]: Dürr und schwach. Hofé-Entlassung. Spionage. In: Der Spiegel 36 (2. 9. 1964), S. 20. Vgl. [o. V.]: Dürr und schwach. Hofé-Entlassung. Spionage. In: Der Spiegel 36 (2. 9. 1964), S. 20. Robert Neumann an Johannes Dieckmann [21. 11. 1964]. ÖNB HsSlg. Ser. n. 21.840. Anne-Lise Harich an Robert Neumann [16. 11. 1964]. ÖNB HsSlg. Ser. n. 21.840. 421
zember 1964 nach jahrelanger Haft im Rahmen einer Amnestie aus dem Gefängnis entlassen.453
6.5
Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West im Netz der SED-Politik? (1959/60–1966)
6.5.1 Strikter Ausbau der parteipolitischen Kontrolle durch das ZK der SED und personelle Veränderungen im Sinne der Kaderpolitik Im Inneren der DDR setzte sich Anfang 1964 die staatliche Maschinerie in Gang, um die finanzielle und ideologische Kontrolle des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West neu und endgültig zufrieden stellend zu regeln. Zwar galt seit dem Ausscheiden aus dem Kulturbund die Übereinkunft, dass der P.E.N. durch die Abteilung Kultur beim ZK der SED anzuleiten sei und in Geldangelegenheiten durch den Kulturfonds der DDR unterstützt werden sollte. Ein Ende 1963 durch das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West beim Kulturfonds eingereichter Haushaltsplan für das Jahr 1964 stieß jedoch eine innerstaatliche Neuregelung an, die den P.E.N. stärker als bislang in die Nähe der parteipolitischen Instanzen rückte. Zur Erfüllung der Aufgaben hatte das Deutsche P.E.N.Zentrum Ost und West für das Jahr 1964 die stattliche Summe von DM 76.000,– veranschlagt. Der in wenigen Sätzen dokumentierte Arbeitsplan liest sich wie ein literaturpolitisches Richtlinienprogramm der SED: Das Zentrum sieht seine Hauptaufgabe für das Jahr 1964 in der propagandistischwirksamen Erweiterung seiner kulturpolitischen Arbeit nach dem kapitalistischen Ausland zur Verbreitung unserer sozialistischen Literatur, im Kampf gegen die Neofaschisierung der Literatur in Westdeutschland und in der kritischen Auseinandersetzung mit dem bundesdeutschen PEN. Dazu gehört ferner der Kampf gegen reaktionäre Strömungen im Internationalen PEN ebenso wie eine Erweiterung der operativen Arbeit mit progressiven Autorengruppen im kapitalistischen Ausland.454
In der Anlage findet sich ein »Aufgaben- und Arbeitsplan«455 , der laufende und außerordentliche Kosten differenziert kalkuliert. Der zuständige Sekretär des Kulturfonds, Walter Maschke, stieß sich an der äußeren Form des Plans; »auf Grund einer solchen unverbindlichen Unterlage [sei es unmöglich,] einen so wesentlichen Betrag wie die geforderten DM 76.000,– zur Verfügung zu stellen.«456 Aus einem Schreiben, das Maschke an Erich 453
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Vgl. handschriftlicheNotiz von Robert Neumann auf seinem Brief an Johannes Dieckmann [21. 11. 1964]. ÖNB HsSlg. Ser. n. 21.840. [Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West]: Haushaltplan 1964. SAPMO-BArch DR 1/7747, Bl. 395. Vgl. [Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West]: Aufgaben- und Arbeitsplan für das Jahr 1964. SAPMO-BArch DR 1/7747, Bl. 396f. Walter Maschke [Sekretär des Kulturfonds der DDR] an Erich Wendt [Staatssekretär im Ministerium für Kultur] [2. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Bl. 394f., hier Bl. 393.
Wendt, Staatssekretär im Ministerium für Kultur, richtete und zusätzlich in Kopie an Bruno Haid, Leiter der Hauptverwaltung (HV) Verlage und Buchhandel, und die Abteilung Kultur des ZK der SED sandte,457 lässt sich deutliche Kritik an der vom Kulturfonds als unzureichend empfundenen Anleitung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West ablesen. Noch immer schien eine eindeutige Zuständigkeit für das P.E.N.-Zentrum offiziell nicht geklärt zu sein bzw. nicht zu greifen. Offenkundig fürchteten die Verantwortlichen des Kulturfonds, dass mit der Finanzierung automatisch die »politische Verantwortung für die in dem sogenannten Haushaltsplan erwähnten Aufgaben«458 auf sie übergehen würde; dazu sei das Sekretariat des Kulturfonds der DDR […] nicht berufen und auch nicht in der Lage«459 . Ein eigenständiges Agieren des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West ohne kontrollierende Instanz schien man nicht akzeptieren zu wollen: Wenn ein verantwortliches Organ in unserem Staat die Tätigkeit des Deutschen PENZentrums Ost und West in dem genannten Umfang für erforderlich hält, so müßte von dieser Stelle auch ein entsprechender Antrag an das Kuratorium des Kulturfonds auf Bereitstellung der erforderlichen Mittel eingereicht werden.460
Dem Sekretariat des Kulturfonds lagen nach Maschkes Ausführungen keine Informationen über die Verwendung von bereits zugeteilten KulturfondsMitteln durch das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West vor; dies war möglicherweise auf die unzureichende Kontrolle der P.E.N.-Aktivität zurückzuführen. Maschke machte am Ende seines Schreibens noch einmal mit Nachdruck seine grundlegende Forderung deutlich: Wenn es bis zu der für März vorgesehenen Kuratoriumstagung nicht möglich ist, endlich Klarheit darüber zu schaffen, wer eigentlich die Verantwortung für die Aufgabenstellung an das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West trägt, würde ich mich veranlaßt sehen, der Kuratoriumssitzung vorzuschlagen, keine Mittel für das PEN-Zentrum in den Haushaltsplan 1964 einzusetzen.461
Das Schreiben des Kulturfonds lag Anfang Januar auch dem Deutschen P.E.N.Zentrum Ost und West vor; es wies in sofortiger Reaktion die »aufgestellten
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Vgl. Ingeburg Kretzschmar an Erich Wendt [6. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Bl. 387–389, hier Bl. 387. Walter Maschke [Sekretär des Kulturfonds der DDR] an Erich Wendt [Staatssekretär im Ministerium für Kultur] [2. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Bl. 394f., hier Bl. 393. Walter Maschke [Sekretär des Kulturfonds der DDR] an Erich Wendt [Staatssekretär im Ministerium für Kultur] [2. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Bl. 394f., hier Bl. 393. Walter Maschke [Sekretär des Kulturfonds der DDR] an Erich Wendt [Staatssekretär im Ministerium für Kultur] [2. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Bl. 394f., hier Bl. 393. Walter Maschke [Sekretär des Kulturfonds der DDR] an Erich Wendt [Staatssekretär im Ministerium für Kultur] [2. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Bl. 394f., hier Bl. 394. 423
Behauptungen als unsachlich«462 zurück. Kretzschmars Qualitäten kamen hier unzweifelhaft zum Zuge: Selbstbewusst und wortgewandt stellte sie sich Maschkes Ausführungen entgegen. Die Arbeit des P.E.N. sei »in allen Bereichen, und das seit Bestehen des Zentrums [was de facto nicht korrekt ist], stets mit der Kulturabteilung des Zentralkomitees beraten und abgestimmt worden.«463 Unter Hervorhebung der besonderen Bedeutung, die dem Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auch auf internationaler Ebene zukam, nahm Kretzschmar sich die Freiheit, den Staatssekretär über notwendige Verfahren hinsichtlich einer möglichen Auflösung der Sektion zu belehren: Sollte aus der Mitteilung des Kulturfonds jedoch abzulesen sein, daß das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West, dessen Präsident Heinrich Mann, Johannes R. Becher und Bertolt Brecht gewesen sind und das gegenwärtig unter der Präsidentschaft von Arnold Zweig steht, seine Arbeit liquidieren soll, bedarf dies eines entsprechenden Beschlusses und einer ordnungsgemäßen Mitteilung an den Internationalen PEN.464
Dass Kretzschmar diese Mitteilung nur einsetzte, um die Wichtigkeit des Unternehmens zu betonen, steht außer Frage. Implizit schwingt der Vorwurf mit, wie man auf die Idee kommen könne, einer Vereinigung den Geldhahn zuzudrehen, der sich solch bedeutende Schriftsteller wie Brecht und Zweig verschrieben hatten. Im Schlussteil ihres Briefs widmete sich Kretzschmar der Schilderung der stetigen Geldsorgen des P.E.N.-Zentrums, das das Jahr 1963 nur mit »Borgen und Betteln«465 durchgebracht habe. Darunter habe die »Kontinuierlichkeit der Arbeit […] außerordentlich gelitten«466 . Einige Raffinesse muss Kretzschmar in ihrem Vorgehen zugebilligt werden. Ihre plastische Schilderung der finanziellen Missstände im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West spielte bewusst auch mit dem Bild des schwachen Geschlechts, um das Mitgefühl des Staatssekretärs anzusprechen: Ferner ist für die Mitarbeiter des Sekretariats (beides alleinstehende Frauen, die Familien zu ernähren haben) keine geeignete Grundlage mehr gegeben, die Arbeit auf dem erforderlichen Niveau zu halten. ([…] Auch mußten die beiden Mitarbeiter des Sekretariats beispielsweise den letzten Jahresurlaub antreten, ohne die fällige Entlohnung zu erhalten. Von anderen Arbeitsbedingungen, sozialen Einrichtungen, gesperrten Telefonen etc. ganz zu schweigen.) Vielleicht wäre es an der Zeit, einmal zu überprüfen, wie sich derlei Arbeitsbedingungen mit dem Frauenkommuniqué vereinbaren.467
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Ingeburg Kretzschmar an Bl. 387–389, hier Bl. 388. Ingeburg Kretzschmar an Bl. 387–389, hier Bl. 387. Ingeburg Kretzschmar an Bl. 387–389, hier Bl. 388. Ingeburg Kretzschmar an Bl. 387–389, hier Bl. 388. Ingeburg Kretzschmar an Bl. 387–389, hier Bl. 388. Ingeburg Kretzschmar an Bl. 387–389, hier Bl. 388.
Erich Wendt [6. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Erich Wendt [6. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Erich Wendt [6. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Erich Wendt [6. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Erich Wendt [6. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Erich Wendt [6. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747,
Kretzschmar wurde von Wendt, wie gewünscht, eine »Aussprache über die Weiterführung [d]er Arbeit«468 des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zugesagt.469 Das Ministerium für Kultur übernahm in der Folgezeit dennoch keinerlei Verantwortung für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West ; es unterstand weiterhin der Abteilung Kultur beim ZK der SED. Im Verlaufe des Jahres 1964 wurde die Arbeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West durch die Kulturabteilung einer umfangreichen Überprüfung unterzogen. An deren Anfang stand eine gründliche Bestandsaufnahme, die auch das bisherige Verhältnis zwischen Kulturabteilung und P.E.N. resümierte: Eine Verbindung bestand von Seiten der Abteilung nur zur Genn. Kretzschmar. Die anderen Genossen wurden nur zufällig konsultiert. Innerhalb der Abteilung beschäftigten sich seit meinem [d. i. Arno Röder] Hiersein (1. 9. 1962) mit diesen Fragen des PEN Gen. Schröder (bis zu seinem Weggang ins Büro Hager), Gen. Scherner und Gen. Baumgart. Ich habe an den verschiedenen Beratungen der Gen. Wagner, Schröder, Heinze und Scherner teilgenommen. Fest steht, daß in diesen Beratungen der Genn. Kretzschmar immer konkrete Hinweise und Aufgaben erteilt wurden. Fest steht aber auch, daß wir mehrereMale über ein und dieselbeArbeit gesprochenhaben, weil Genn. Kretzschmar entweder die Aufträge nicht ernst genommen hatte, oder […] nicht termingemäß ausgeführt hatte, so daß sich erneute Beratungen ergaben.470
Ein Blick zurück: Obgleich aus den fünfziger Jahren kaum Belege für die Anleitung des P.E.N.-Zentrums durch die Abteilung Kultur vorliegen und die Quellen vom Anfang der sechziger Jahre vor allem die Kontaktaufnahme von Kretzschmars Seite belegen, dürfte diese Darstellung den Tatsachen entsprechen. Kretzschmar nahm als Generalsekretärin eine Schlüsselrolle ein. Mit Uhses Ausscheiden aus der aktiven P.E.N.-Arbeit zwischen 1959/60 nahm sie verstärkt die Verbindung zum ZK der SED auf. So trat sie im März 1960 an Siegfried Wagner von der Abteilung Kultur heran mit der Bitte, an verantwortlicher Stelle eine Entscheidung herbeizuführen über die Konzeption, Perspektive und Jahresarbeit unseres Zentrums für 1960. Diese Entscheidung steht bis heute aus. Wir hängen seither in der Luft, ohne unserer laufenden Arbeit noch gebührend nachkommen zu können. […] Auch sind wir in Fragen unserer Haushaltsmittel in bedrängter Lage.471
Einige Monate später übersandte Kretzschmar einen »Aufgaben- und Arbeitsplan des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West« an die Abteilung Kultur. Ohne Unterstützung der verantwortlichen Stelle waren Vorhaben des P.E.N.Zentrums, etwa die Teilnahme an den internationalen Veranstaltungen, nicht 468
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Ingeburg Kretzschmar an Erich Wendt [6. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Bl. 387–389, hier Bl. 388. Vgl. [?] Rakotz [Zuständiger Referent des Staatssekretärs Erich Wendt] an Ingeburg Kretzschmar [8. 1. 1964]. SAPMO-BArch DR 1/7747, Bl. 386. [Arno] Röder [Abt. Kultur beim ZK der SED]: Betr. Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West [14. 9. 1964]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Ingeburg Kretzschmar an Siegfried Wagner [Abt. Kultur beim ZK der SED] [19. 3. 1960]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) Ordner 73. 425
durchführbar; Visaanträge und Valuta wurden ohne Absegnung durch die Abteilung Kultur nicht bewilligt. Die Kommunikation mit den zuständigen Abteilungen des ZK der SED blühte in der Folgezeit vor allem dann auf, wenn die Finanzierung von Reisen und Veranstaltungen sichergestellt werden musste.472 Im Verlaufe des Jahres 1961 entwickelte sich eine engere Zusammenarbeit. Ein Bericht über eine Beratung des P.E.N.-Präsidiums Anfang August 1961 vermerkt die Teilnahme von Vertretern der Abteilung Kultur, Siegfried Wagner und [?] Schröder. Offensichtlich war man gewillt, die P.E.N.-Arbeit zielgerichteter zu gestalten: Dem Präsidium wurde aufgetragen, einen »Rahmenarbeitsplan für 1962«473 aufzustellen. Untersuchen sollten die Präsidiumsmitglieder zudem, »welche Möglichkeiten der PEN hat, um die Belange der DDR bei internationalen Anlässen darzulegen und welche internationalen Beziehungen anzuknüpfen oder zu pflegen sind.«474 Gefordert wurde schließlich eine »Analyse, die sich mit dem West-Ost-Profil des Zentrums beschäftigt, seinen Vorteilen, seinen Nachteilen etc.«475 Unmittelbar nach dem Mauerbau wurden »Erwägungen des Präsidiums zur Frage einer Umwandlung des Ost-West-PEN in ein DDR-Zentrum«476 schriftlich niedergelegt. Im Februar 1962 plante das Präsidium in Absprache mit dem ZK der SED, den internationalen Generalsekretär nach Berlin einzuladen, um die Bildung eines DDR-P.E.N. vorzubereiten.477 Die Argumente gegen die Bildung eines DDR-Zentrums überwogen zunächst – eine Umbenennung wurde erst Jahre später vollzogen. Die Teilnahme von Mitarbeitern der Abteilung Kultur an Präsidiumsveranstaltungen schien eher die Ausnahme, denn die Regel zu sein: »Man hat das sehr vermieden. Man hat höchstens den einen oder anderen unter den Präsidiumsmitgliedern zu Hause angerufen und ein paar Andeutungen gemacht. Man hat sich bei uns nicht blicken lassen. Diese Verquickung wollte man nicht mani472
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Beispielhaft sei auf die Vorbereitung einer Reise von Kamnitzer nach London im März 1961, sowie der Zeit-Veranstaltung in Hamburg Anfang April 1961 verwiesen. Vgl. Ingeburg Kretzschmar an Karl Brauer [Abt. Finanzverwaltung und Parteibetriebe beim ZK der SED] [16. und 29. 3. 1961], sowie an Erich Mückenberger [29. 3. und 24. 4. 1961]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) Ordner 73. Bericht über eine Beratung des P.E.N.-Präsidiums[des Deutschen P.E.N.-ZentrumsOst und West] am 7. 8. 1961 in der Deutschen Akademie der Künste [o. D.]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) Ordner 73. Bericht über eine Beratung des P.E.N.-Präsidiums[des Deutschen P.E.N.-ZentrumsOst und West] am 7. 8. 1961 in der Deutschen Akademie der Künste [o. D.]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) Ordner 73. Bericht über eine Beratung des P.E.N.-Präsidiums[des Deutschen P.E.N.-ZentrumsOst und West] am 7. 8. 1961 in der Deutschen Akademie der Künste [o. D.]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) Ordner 73. Erwägungen des Präsidiums zur Frage einer Umwandlung des Ost-West-PEN in ein DDR-Zentrum [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 347. Vgl. Aktennotiz. Beschlüsse der Außerordentlichen Präsidiumssitzung vom 7. 2. 1962. Anlage zu einer Mitteilung von Ingeburg Kretzschmar an Siegfried Wagner [Abt. Kultur beim ZK der SED] [Februar 1962]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) Ordner 73.
festiert wissen. Das ging immer sozusagen hinter den Türen«478 , so Ingeburg Kretzschmar. Die Beratungen wurden von Seiten der Abteilung Kultur nicht protokolliert, schriftliche Anweisungen an Kretzschmar gab es nicht; dies bestätigt auch die persönliche Darstellung der Generalsekretärin: Alles, was den P.E.N. betraf, kam von [der Kulturabteilungbeim ZK der SED]. Niemals etwas schriftlich, niemals per Telefon. Ich wurde hinzitiert, und es wurde mir mündlich mitgeteilt, so dass keiner von uns schriftlicheBelege hatte. Wir bekamen alles mündlich mitgeteilt – niemals mit einer schriftlichen Anweisung, damit man nichts in der Hand hatte. Das war eine Taktik.479
Insgesamt schien die Abteilung Kultur in den Jahren 1961–1963/64 umfänglich über die P.E.N.-Arbeit informiert; sie erhielt durch Kretzschmar Berichterstattungen über internationale Exekutiven und Kongresse, Kontaktaufnahmen mit P.E.N.-Zentren anderer sozialistischer Länder, Arbeit nach Westdeutschland sowie Infos über laufende Anthologie-Projekte. Um verstärkten Kontakt bemühte sich die Generalsekretärin, wenn es galt, sich in schwierigen Situationen abzusichern. Beispielhaft verwiesen sei etwa auf die nachdrücklich erhobenen, internationalen Vorwürfe wegen der in der DDR inhaftierten Autoren oder der Verbindungsaufnahme mit dem bundesdeutschen P.E.N.-Zentrum. Gleichwohl bestätigte Kretzschmar im rückblickenden Gespräch für die späten fünfziger und die ersten sechziger Jahre »erstaunliche Freiräume«480 , die dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West zugestanden worden seien; erst später sei eine deutliche Verschärfung der Situation eingetreten. So wurde im April 1964 von Kretzschmar die Erstellung einer »Grundsatzerklärung für die weitere Arbeit des PEN-Zentrums Ost und West«481 gefordert, die diese im September schließlich vorlegte.482 Aus Kretzschmars umfangreicher Darstellung zur Situation im Internationalen P.E.N. und im Deutschen P.E.N.Zentrum Ost und West filterte der zuständige Mitarbeiter der Abteilung Kultur die Einschätzung heraus, dass in der Vergangenheit die Möglichkeiten, durch das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West auf den Internationalen P.E.N. und nach Westdeutschland zu wirken, nicht genügend ausgeschöpft worden seien: Selbst wenn man den Charakter des PEN-Clubs berücksicht [sic], der keine straffe Organisation ist und auch keine Aufgaben im Inneren unserer Republik von großer Bedeutung hat, so ist es dennoch so, daß von Seiten des PEN keinerlei offizielle Stellungnahmen zu nationalen und internationalen Ereignissen zu verzeichnen sind, wo die Stimme von hervorragenden Persönlichkeiten oft einen gewichtigen Wert gehabt hätte.483 478 479 480 481
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Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. [Arno] Röder [Abt. Kultur beim ZK der SED]: Betr. Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West [14. 9. 1964]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Ingeburg Kretzschmar: Anmerkungen über das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West. Weg und Ziel [2. 9. 1964]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. [Arno] Röder [Abt. Kultur beim ZK der SED]: Betr. Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West [14. 9. 1964]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. 427
Der Katalog der Kritik war lang; er untersuchte in erster Linie die inneren Strukturen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West : 1. [Es] gibt im PEN-Zentrum keine kontinuierliche und zielstrebige Arbeit nach einem beschlossenen Plan. Außer der Generalversammlung gibt es fast keine Zusammenkünfte und Veranstaltungen, an denen alle Mitglieder teilnehmen. 2. Das Präsidium tagt nur unregelmäßig und ist kein kollektives Arbeitsorgan. Die Präsidiumstagungen werden von der Generalsekretärin vorbereitet und es bleibt ihrer Initiative überlassen, welche Probleme bearbeitet werden. Eine Parteigruppe gibt es weder im Präsidium noch in der Generalversammlung. Die Genossen verständigen sich nur gelegentlich. 3. Die Arbeit des PEN-Zentrum wurde in der Vergangenheit nur ungenügend und vor allen Dingen nicht straff genug angeleitet. […] 4. In der Vergangenheit gab es einige objektive Schwierigkeiten, die […] mit dem Fehlen eines Büros, einer Sekretärin […] und mit den fehlenden Finanzen zusammenhängen.484
In der Konsequenz änderte sich die Qualität der Zusammenarbeit zwischen Deutschem P.E.N.-Zentrum Ost und West und ZK der SED. Innerhalb der Abteilung Kultur hatte man einen Maßnahmenplan entworfen, der eine straffere Anleitung des P.E.N.-Zentrums garantieren sollte. Zur Aktivierung des P.E.N. im Sinne der Partei wurde die bewusste Einbindung der Genossen unter den P.E.N.-Mitgliedern vorgesehen; diese sollten mit der Leitung der Abteilung Kultur zusammenkommen, um auf der Grundlage der Kretzschmarschen Vorlage ein geeignetes Konzept für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West zu erstellen.485 Eine Sicherung wollte man auch im Präsidium einbauen: Die politische Anleitung und Überprüfung der Generalsekretärin Kretzschmar sollte durch deren Anbindung an die Parteiorganisation des DSV gewährleistet werden. Im Hinblick auf die Tätigkeit des P.E.N.-Zentrums wollte man jedoch nicht gänzlich auf eine gezielte Kaderpolitik vertrauen. Weitere Kontrollmechanismen wurden vorgeschaltet, so dass ohne genaue Information und Zustimmung der parteilichen Instanzen die regulären Veranstaltungen weder organisiert noch besucht werden konnten: [ ] Die genaue Konzeption für die Durchführung der Generalversammlung Ende September muß spätestens am 20. September mit der Abteilungsleitung abgesprochen werden. Es ist eine arbeitsfähige Parteigruppe für diese Zeit zu bilden. [ ] Die Konzeption für die Teilnahme unserer Mitglieder an der Exekutive des Internationalen PEN in Budapest [Oktober 1964], sowohl an der Exekutive als auch an der Kontaktberatung mit dem Bundes-PEN muß bis 1. Oktober als Vorlage für die Ideolog. Kommission vorliegen.486 484
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[Arno] Röder [Abt. Kultur beim ZK der SED]: Betr. Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West [14. 9. 1964]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Vgl. hierzu auch die Einladung von [?] Heinze [Stellvertretender Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Ingeburg Kretzschmar zu einer Beratung über »Fragen der weiteren Arbeit des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West« [22. 9. 1964]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1964 2. [Arno] Röder [Abt. Kultur beim ZK der SED]: Betr. Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West [14. 9. 1964]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156.
Was als Anweisung in akuten Einzelfällen beschlossen worden war, wurde zur jahrelangen Routine: Die gewohnheitsmäßige Vorlage von Konzeptionen und Plänen beim ZK der SED im Vorfeld von Generalversammlungen, Exekutivkomitee-Tagungen sowie internationalen Kongressen war zur Erlangung der Genehmigungen unumgänglich. Als organisatorisches Auffangbecken für den P.E.N. stand 1964 der politisch verlässliche DSV zur Diskussion: Das Verhältnis beider Organisationen sollte grundsätzlich neu geklärt werden. Angedacht hatte man etwa eine erneute organisatorische und haushaltsmäßige Angliederung des P.E.N. an den DSV. Bis zu einer endgültigen Klärung der finanziellen Fragen sollte das P.E.N.-Zentrum zur Deckung der dringendsten Ausgaben weiterhin Mittel vom Kulturfonds erhalten. Die Finanzierung des P.E.N.-Zentrums schien allerdings noch im März 1965 unsicher. Siegfried Wagner, Abteilung Kultur beim ZK der SED, wandte sich mit der Bitte um Unterstützung in den Verhandlungen mit dem Ministerium für Finanzen an den Leiter der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe des ZK der SED: Eine weitere Förderung des P.E.N.-Zentrums durch den Kulturfonds sei nicht mehr möglich, da das den Statuten des Kulturfonds widerspricht und weitere Zuwendungen vom Kuratorium abgelehnt wurden mit der Begründung, daß die Kulturfondsmittel in erster Linie für die Entwicklung neuer Kunstwerke und nicht zur Finanzierung gesellschaftlicher Organisationen verausgabt werden dürfen. Die Lage im PEN-Zentrum hat sich unseres Erachtens stabilisiert. Die Genossen des Präsidiums haben viele gute und kulturpolitisch (besonders ins Ausland reichende) wichtige Vorhaben, die dem Ansehen unserer sozialistischen Literatur und unserer Republik nützlich sein können. Aus diesem Grunde unterstützen wir dieses Vorhaben und bitten Dich um Unterstützung auch beim Ministerium für Finanzen. Wir werden mit Euch rechtzeitig vereinbaren, wie wir für das nächste Haushaltsjahr eine endgültige Lösung finden und zur Beschlussfassung vorlegen.487
Wagner befürwortete damit eine Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED, die Kretzschmar formuliert hatte. Demnach hatte man als kurzfristige Lösung für das Jahr 1965 beschlossen, dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West »Mittel in Höhe von MDN 100.000,– über den Deutschen Schriftstellerverband zur Verfügung«488 zu stellen. Der Schriftstellerverband sollte »aus diesem Grunde für das Jahr 1965 MDN 100.000,– zusätzlich«489 erhalten. Ein differenzierter Haushaltsplan sollte in Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen des DSV ausgearbeitet werden. Gleichwohl oblag die Verwaltung der Haushaltsmittel dem
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Siegfried Wagner [Abt. Kultur beim ZK der SED] an Karl Raab [Leiter der Abt. Finanzverwaltung und Parteibetriebe des ZK der SED] [11. 3. 1965]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [9. 3. 1965; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [9. 3. 1965; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. 429
P.E.N.-Zentrum.490 Langfristig wurden für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West eigenständige Haushaltspläne erstellt. Schon im Anschluss an die Überprüfung hatte im letzten Quartal des Jahres 1964 eine »Anzahl von Beratungen der Genossen des Präsidiums des PENZentrums mit den Mitarbeitern der Kulturabteilung«491 stattgefunden. Mit deren Ergebnissen zeigte man sich Anfang 1965 durchweg zufrieden; es sei eine »wesentliche Veränderung der Arbeit des PEN-Zentrums in der DDR und im Ausland«492 erreicht worden. Verbindlich war festgelegt worden: »Für die Anleitung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West ist die Kulturabteilung des ZK der SED verantwortlich. Alle Auslandsvorhaben sind mit der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK abzustimmen, alle Vorhaben nach Westdeutschland mit der Abteilung 62.«493 Zufrieden stellend dürfte eine wesentliche Neuerung im Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West von den Verantwortlichen aufgenommen worden sein, die noch im Dezember 1964 erfolgt war: Einem Beschluss der Generalversammlung 1964 entsprechend war Heinz Kamnitzer auf einer Präsidiumssitzung in die Position eines Vizepräsidenten im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West gewählt worden.494 Kretzschmars rückblickende Feststellung, er habe sich »mit Hilfe der Partei zum Vizepräsidenten machen lassen«495 , ist nicht konkret belegt. Inwieweit für diese Entscheidung der Einfluss der Abteilung Kultur oder anderer politischer Instanzen maßgeblich gewesen ist, lässt sich anhand des vorhandenen Quellenmaterials nicht entscheiden. Dass die Schaffung des Amts in der Geschichte des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West ein Novum darstellte und den gültigen Statuten nicht entsprach, steht dennoch außer Frage. Ursächlich begründet lag die strukturelle Veränderung in einem Rücktrittsgesuch, das der gesundheitlich angeschlagene Zweig den Teilnehmern der Generalversammlung im September 1964 unterbreitete: Als Präsident des PEN ist ein Mann, der über 77 geht, nicht geeignet, der sich voll geistig und körperlichnicht rühren kann und [man] würde[] besser tun, ihm einen Nachfolger zu geben, der ihm abnimmt, was er nicht kann. [ ] Ich kann nicht vorschlagen wer – Sie werden es viel besser wissen, als ich. Sie werden viele Namen in ihrem Kopf auf490
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Ingeburg Kretzschmar: Weg und Ziel des Internationalen PEN und die Lage im Deutschen PEN-Zentrums Ost und West [9. 3. 1965 bzw. geringfügig überarbeitete Fassung vom 13. 3. 1965]. Anlage zur Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [9. 3. 1965; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Stellungnahme zum vorliegenden Material des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West [o. D., vermutlich Anfang 1965; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Stellungnahme zum vorliegenden Material des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West [o. D., vermutlich Anfang 1965; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [9. 3. 1965; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Mitteilung an ADN. Anlage zu einer Nachricht von Ingeburg Kretzschmar an [Hans] Baumgart [5. 12. 1964]. SAPMO-BARCH DY 30/IV A2/9.06/156. Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin.
tauchen sehen und es wäre schön, wenn Sie mich bald dieser Arbeit entließen. Meine Augen und Nerven sind geneigt, weiter nachzulassen, darum muß ich sehen, daß ich Arbeit abgebe, die von anderen besser gemacht werden könnte.496
Dieser Rückzug sorgte auf der Generalversammlung für eine nachhaltige Diskussion. Die Beteuerungen, die Zweig als einzigen geeigneten Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West herausstellten, mischten sich mit konkreten Lösungsvorschlägen, um ihm ein Verbleiben im Amt schmackhaft zu machen. So stellte Kurella, seit 1963 Mitglied der Ideologischen Kommission beim Politbüro des ZK der SED, »die Funktion eines Ersten Stellvertreters (Vizepräsident)«497 zur Debatte; dieser solle die »[o]perative Arbeit im Kontakt mit Zweig durch[ ]führen.«498 Ähnlich argumentierte auch Willi Bredel: »Ich möchte sagen, daß wir unseren hochverehrten Präsidenten bitten sollten, daß er von seinem Amt weitgehend befreit wird, zwei oder drei Vizepräsidenten zur Seite bekommt, die die praktische Arbeit machen. Aber so lange wir Dich noch haben, möchten wir, daß Dein Name auch im Westen möglichst weit leuchtet, daß dieser Name ein Begriff ist, unter dem wir die Arbeit machen wollen.«499 Durch derlei starken Zuspruch ermutigt, entschied Zweig schließlich, »an der Spitze des PEN Ost und West«500 zu bleiben. Was die Wahl seines Stellvertreters anbelangte, machte Zweig zu diesem Zeitpunkt noch keine verbindlichen Vorgaben: Wir werden es von Fall zu Fall entscheiden. Ich habe nicht aus formellen und nicht aus persönlichenGründen, sondern aus dem Gefühl einer wirklichenUnbrauchbarkeit meinerseits gehandelt … Aber ich gebe zu, daß wir für mich als Schild des PEN Ost und West keinen Ersatz haben. Wenn wir einen finden, werde ich ganz ausscheiden. Wir wollen Klarheit darüber haben, wer an die Spitze gestellt werden kann.501
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Protokoll der XIV. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 28. und 29. September 1964 in Potsdam [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV September 1964 – Potsdam/Protokoll 1–31, hier 6. Wortbeitrag von Alfred Kurella. In: Protokoll der XIV. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 28. und 29. September 1964 in Potsdam [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV September 1964 – Potsdam/ Protokoll 1–31, hier 8. Protokoll der XIV. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 28. und 29. September 1964 in Potsdam [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV September 1964 – Potsdam/Protokoll 1–31, hier 8. Wortbeitrag von Willi Bredel. Protokoll der XIV. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 28. und 29. September 1964 in Potsdam [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV September 1964 – Potsdam/Protokoll 1– 31, hier 13. Protokoll der XIV. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 28. und 29. September 1964 in Potsdam [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV September 1964 – Potsdam/Protokoll 1–31, hier 18. Protokoll der XIV. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 28. und 29. September 1964 in Potsdam [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV September 1964 – Potsdam/Protokoll 1–31, hier 24. 431
Die personelle Entscheidung für Kamnitzer war jedoch innerhalb des Präsidiums, dem die gerade erst in den P.E.N. gewählte Christa Wolf und das langjährige Mitglied Ernst Schumacher als Beirat zur Seite gestellt worden waren, rasch gefallen. Als Vizepräsident fungierte somit seit Ende des Jahres 1964 Heinz Kamnitzer, der sich auf der Generalversammlung mit zahlreichen umfangreichen Wortbeiträgen hervorgetan und sein lebhaftes Interesse an den Geschicken des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West bekundet hatte. Von Seiten der Abteilung Kultur dürfte die Amtseinsetzung begrüßt worden sein, befand sich doch nun im Präsidium ein verlässlicher »Parteisoldat« in führender Position. Dem alternden Präsidenten, der seit seiner Amtsübernahme kaum als Entscheider in Erscheinung getreten war, stand mit Kamnitzer ein linientreuer SED-Genosse zur Seite, der als persönlicher Freund zudem Arnold Zweigs vollständiges Vertrauen besaß; er übernahm in einem schleichenden Prozess schließlich Zweigs Aufgaben ganz und gar. Die zuverlässige Zusammenarbeit zwischen dem P.E.N.-Präsidium und der Abteilung Kultur war durch die Verbreiterung der personellen Grundlage garantiert. Das Deutsche P.E.N.Zentrums Ost und West schien zudem auf andere Weise gehörig in die Mühlen des Parteiapparats geraten: Die Einrichtung einer Parteigruppe innerhalb des Präsidiums war offenbar schon Ende 1964 bzw. Anfang 1965 vorgenommen worden; Angehörige waren nach den Akten des ZK der SED Heinz Kamnitzer, Wieland Herzfelde, Stephan Hermlin und Ingeburg Kretzschmar.502 Es galt von Seiten des ZK sicherzustellen, »daß die Parteigruppe des Präsidiums die politisch richtige Durchführung aller vorgesehenen Maßnahmen sichert.«503 Ein doppeltes Kontrollsystem war damit aktiviert. Gleichwohl ist die Aktivität dieser Parteigruppe nur sehr sporadisch belegt. Die wenigen Quellen dokumentieren gemeinsame Beratungen mit den Mitarbeitern der Abteilung Kultur über den P.E.N. betreffende Fragen. Zweifelhaft scheint, ob zu diesem Zeitpunkt die Parteigruppe offiziell begründet worden und den Genossen im Präsidium die Existenz dieser Gruppe tatsächlich bewusst war. Im Jahr 1966 gab es schließlich aus den Reihen des Präsidiums einen Vorstoß zur Gründung einer Parteigruppe, die sich aus den Parteigängern innerhalb der gesamten Mitgliederschaft des P.E.N.-Zentrums zusammensetzen sollte.504 Diesem Vorschlag wurde von Seiten der Abteilung Kultur stattgegeben.505 Ein erstes Zusammentreffen der Parteigruppe lässt sich im Vorfeld der Generalversamm502
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Stellungnahme zum vorliegenden Material des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West [o. D., vermutlich Anfang 1965; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Stellungnahme zum vorliegenden Material des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West [o. D., vermutlich Anfang 1965; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Vgl. Ingeburg Kretzschmar an Siegfried Wagner [16. 8. 1966]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Vgl. Siegfried Wagner an Ingeburg Kretzschmar [20. 8. 1966]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1966 2.
lung des Jahres 1967 nachweisen.506 Ziel der nunmehr routinemäßigen VorausVersammlungen, die zumeist unmittelbar vor Beginn der Generalversammlungen in Anwesenheit von Vertretern der Abteilung Kultur stattfanden, war die Absicherung von Verlauf und Ergebnis der Generalversammlung gemäß der aktuellen parteipolitischen Linie. 6.5.2 Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West ein »Petöfi-Club« der DDR? Eine umstrittene Veranstaltung und ein unliebsames P.E.N.-Mitglied (1965) Im Verlauf des Jahres 1965 dokumentieren zwei Ereignisse die strenge Überwachung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West durch die Kulturfunktionäre. Zwar gab es weiterhin keine Anweisungen im Vorfeld der Erstellung von Aufgabenplänen. Wohl aber wurde strikt die literaturpolitische Verträglichkeit der geplanten Aktivitäten geprüft und gegen missliebige Entwicklungen im P.E.N.-Zentrum interveniert. Zwei Personen des Kulturbetriebs in der DDR, deren Verhalten genau beobachtet wurde, gerieten auch im Rahmen des P.E.N. ins Visier der parteipolitischen Kontrolleure: Stefan Heym und Wolf Biermann. An ihrem Beispiel lässt sich das Ausmaß der vorbeugenden und nachregulierenden Maßnahmen dokumentieren, die die DDR-Führung gegen missliebige Kulturschaffende anwandte – aus nahezu paranoider Furcht vor deren Auftreten, Worten und öffentlicher Wirkung. Dass die Vorlagen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West nicht nur der Form halber erstellt und beim ZK der SED eingereicht werden mussten, lässt sich am Beispiel eines für den 25. Februar 1965 geplanten Vortrags über Amerika im Werk von Stefan Heym belegen. Beschlossen worden war die interne Veranstaltung durch das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West bereits im Dezember 1964. Im Künstlerclub Möwe, Berlin, sollte im Anschluss an einen einleitenden Vortrag von Prof. Karl-Heinz Wirzberger ein Gespräch über Heyms Werke Kreuzfahrer von heute und Goldsborough oder die Liebe der Miss Kennedy geführt werden.507 In einer Anfang Februar bei der Abteilung Kultur eingereichten Konzeption des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West für das Jahr 1965 wurde namentlich diese Veranstaltung handschriftlich mit einem »geht nicht«508 versehen. Die Maschinerie rollte an: Auf einer Sektorleiterberatung509 wurde im Beisein von Kamnitzer und Kretzsch506
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Vgl. Ingeburg Kretzschmar an Alexander Abusch [25. 4. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967 2. Vgl. Heinz Kimmel an Kurt Hager [18. 2. 1965]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Konzeption des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West für das Jahr 1965 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Anwesend waren die »Gen. Kimmel, Röder, Rossow, Czerny und Baumgart«. Aktennotiz [12. 3. 1965; erstellt von Hans Baumgart]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. 433
mar die eingereichte Vorlage kommentiert und deutlich auf die Missliebigkeit der Heym-Veranstaltung hingewiesen. Es wurde kein direktes Verbot ausgesprochen; gesetzt wurde offenbar auf ein einsichtiges Verhalten der P.E.N.-Vertreter. Man könne nicht verstehen, wie der PEN zum jetzigen Zeitpunkt eine Veranstaltung für Heym durchführen will, wo er in Reden und Äußerungen gegen die Kulturpolitik unseres Staates auftritt, seine Rede auf dem Colloquium in einer antikommunistischen Zeitung und westlichen Rundfunkstationenveröffentlichen läßt und nichts dagegen unternimmt, wenn in einer antikommunistischen Zeitschrift, wie dem ›Spiegel‹, er und sein Werk im Sinne des Antikommunismus, der ›Grundtorheit unserer Epoche‹ ausgenutzt wird.510
Mitte der sechziger Jahre befand sich Stefan Heym in einer schwierigen Lage. Er hatte 1965 in der slowakischen Zeitschrift Kulturni Zivot einen Artikel unter der Überschrift Die Langeweile von Minsk veröffentlicht. Von der Parteiführung wurden die Ausführungen, die Heym darin über die Pflichten des Schriftstellers machte, als Kampfansage gegen die Regierungspolitik gewertet. In der Folge setzte eine Kampagne ein, die von der Furcht der Regierenden vor jeglicher kritischen, von Parteiseite nicht kontrollierten Aussage zeugte.511 Für Heym bedeutete das: »Was er als Schriftsteller zu sagen hatte, stieß immer auf Grenzen, veranlaßte Verbote«512 . Die jüngste Maßregelung hatte Heyms Roman über den 17. Juni 1953 getroffen. Für Der Tag X, später unter dem Titel 5 Tage im Juni erschienen, wurde die Druckgenehmigung nicht erteilt. Die problematische Position Heyms innerhalb des streng kontrollierten Kulturbetriebs der DDR war auf einer Präsidiumssitzung, die der Beratung mit der Abteilung Kultur vorausgegangen war, im Hinblick auf den P.E.N.-Abend bereits thematisiert worden. Kretzschmar hatte vorgeschlagen, die »Veranstaltung zu verschieben, kam nicht durch und wurde überstimmt.«513 Die Einladungen an die P.E.N.-Mitglieder waren nach dieser Entscheidung versandt worden. Kamnitzer und Kretzschmar äußerten im Gespräch mit den Vertretern der Abteilung Kultur ihre Besorgnis, dass das Nichtstattfinden der Veranstaltung »größten Schaden« verursachen könnte. Zweig habe sich einer Absetzung der Veranstaltung vehement entgegengestellt; »[e]r wolle sich aber dafür verwenden, daß Heym von der Veröffentlichung des ›Tag X‹ in Westdeutschland oder im Ausland Abstand nähme und daß ihm gesagt würde, wie er durch sein Verhalten nicht dazu beitrage, die Lage zu normalisieren.«514 Zwei aufschlussreiche Faktoren spielten eine gewichtige Rolle für die Entscheidung der Abteilung Kultur, die Veranstaltung »im Rahmen des PEN« stattfinden zu lassen: die »Vermeidung eines öffentlichen Skandals und eines eventuellen Bruchs mit Arnold Zweig.«515 Die Sorge um Zweig entsprang der 510 511 512 513 514 515
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Heinz Kimmel an Kurt Hager [18. 2. 1965]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Vgl. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 225–227. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 227. Heinz Kimmel an Kurt Hager [18. 2. 1965]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Heinz Kimmel an Kurt Hager [18. 2. 1965]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Heinz Kimmel an Kurt Hager [18. 2. 1965]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156.
Furcht der Kulturfunktionäre, den prominentesten Repräsentanten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zu verlieren. Zweig war nach dem Tode von Brecht »zweifellos der herausragende Autor im östlichen Deutschland, dessen Name noch herüberreichte aus der legendären Weimarer Literaturszene.«516 Eine prägnante Schilderung seiner Rolle im Kulturbetrieb der DDR liefert sein Biograph Wilhelm von Sternburg: »bewundert und hochgeachtet, sich zur DDR bekennend und zu den vielen Kurswechseln und ästhetisch verbrämten Parteianweisungen häufig schweigend«517 . Nach seiner Rückkehr aus dem Exil hatte Zweig in der DDR Ämter und »politische« Funktionen übernommen; er verfügte über Einfluss und seine Meinung fand Gehör. Gleichwohl lassen sich seine Haltung und seine Machtmöglichkeiten […] nicht mit denen eines Becher, Weinert oder Bredel vergleichen. Er blieb letztlich auch in der DDR so etwas wie ein ›Außenseiter‹, ließ sich nicht so einfach einordnen, wurde mit Skepsis von den Mächtigen beobachtet, die sich mit seinem Namen schmückten. Er ergriff nicht selten sehr unorthodox das Wort, wenn ihm bestimmte kulturpolitische Entscheidungen nicht behagten, blieb unberechenbar. Übereinstimmend berichteten […] mehrere Menschen, die ihm in Berlin begegnet waren oder zu seinem engeren Kreis gehörten, häufig habe man ›Zweig vor Zweig schützen‹ müssen. Impulsiv und leicht zu verärgern, neigte er auch zu öffentlichen Äußerungen, die der Parteilinie heftig widersprachen.518
Demzufolge stand Zweig unter steter Überwachung durch den Staatssicherheitsdienst; dieser beobachtete den Schriftsteller, seine Aussagen und Kontakte außerordentlich misstrauisch: Zweig ist ein bürgerlicher Schriftsteller mit kompliziertem Charakter. Er hat eine Fülle falscher Auffassungen, steht aber in den entscheidenden Fragen zur DDR und zur SU […]. Bei der Einschätzung Zweigs ist zu beachten, daß er in seiner Stimmung und politisch-ideologischer Haltung Schwankungen unterliegt und von negativen Kräften durchaus ausgenutzt werden kann. Zweig unterhält zu einer Reihe Künstler und Personen enge Verbindung, in erster Linie zu solchen, die ebenfalls die Kulturpolitik der Partei ablehnen bezw. starken politischen Schwankungen unterliegen.519
Auch im Falle von Stefan Heym wird deutlich, dass Zweig zwar eine eindeutige Grundposition zur DDR vertrat. Im Einzelfall ließ er sich jedoch »die Freiräume der eigenen Meinung nicht nehmen«520 . Hinsichtlich der umstrittenen P.E.N.-Veranstaltung war, neben der Sorge um einen Rückzug Zweigs die Furcht der kulturpolitischen Verantwortlichen vor der Öffentlichkeit immens, zumal vor einer in Bezug auf Heym sensibilisierten westlichen Presse. Welche Dimension die Fragen um den Vortragsabend des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West erreichten, dessen Breitenwirkung auch bei freier Zugänglichkeit zudem stark bezweifelt werden darf, verdeutlicht die Tatsache, dass die Abteilung Kultur um Rückversicherung ihrer Maßnahmen 516 517 518 519
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Sternburg, S. 261. Sternburg, S. 261. Sternburg, S. 262. HA V: Auskunftsbericht [17. 4. 1961]. BStU, MfS, AP 4913/69, Bl. 47–49, hier Bl. 47 und Bl. 49. Sternburg, S. 265. 435
durch den Leiter der Ideologischen Kommission beim Politbüro, Kurt Hager, nachsuchte. Erstellt worden war ein Sicherungsplan, der eine kleinstmögliche Öffentlichkeit garantieren sollte; dieser Plan dokumentiert auf nachdrückliche Weise, wie die Genossen unter den P.E.N.-Mitgliedern in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten und als Sprachrohr der Partei instrumentalisiert werden sollten: Es ist nicht vorgesehen,daß außer den P.E.N.-Mitgliedernjemand an der Veranstaltung teilnimmt. Das sichern die Genossin Kretzschmar […] und Genosse Prof. Dr. Kamnitzer […]. Eine Veröffentlichung über diese Veranstaltung erfolgt ebenfalls in keiner Weise. [ ] Mit folgenden Genossen, die Mitglieder des PEN sind, sollte eine Aussprache in der Kulturabteilung stattfinden: Prof. Kurella, Prof. Herzfelde, Apitz, Hermlin, Christa Wolf, Günter Cwojdrak, Prof. Kamnitzer, Ingeburg Kretzschmar, Prof. Girnus, Schumacher sowie der Referent des Abends, Genosse Prof. Wirzberger. Diese Genossen werden verpflichtet, an der Veranstaltung teilzunehmen und in der Diskussion Heyms falsches Verhalten gegenüber der DDR zu verurteilen.521
Registriert wurden die Vorgänge zudem im Ministerium für Staatssicherheit: Im Mittelpunkt des Interesses stand selbstredend Heym. Das Verwirrspiel um die geplante Veranstaltung hatte nach den Informationen des Ministeriums für Staatssicherheit im April 1965 eine neuerliche Wendung genommen. Ursprünglich auf März verschoben, habe sie nicht stattfinden können, weil der Vortragende Wirzberger seine Mitwirkung abgelehnt habe. In der Folge hätte Kretzschmar versucht, positiv für Heym zu wirken. Laut Darstellung des Ministeriums für Staatssicherheit wollte sie die Thematik noch einmal auf einer Präsidiumssitzung zur Diskussion stellen und Heym dazu einladen, um eine Entscheidung herbei zu führen: Zum taktischen Vorgehen bei dieser Präsidiumssitzung gab HEYM die Empfehlung, sich nicht nur auf ihn, sondern auf mehrere PEN-Mitglieder auszurichten, um damit eher zum Ziel zu kommen. Sein Ziel besteht offenbar darin, unter Abdeckung durch andere Schriftsteller seinen Standpunkt auf dieser Präsidiumssitzung mit Hilfe der KRETSCHMAR [sic], die seinem Vorschlag zustimmte und befürwortete, durchzusetzen.522
Laut einer Aktennotiz von Kretzschmar, datiert vom 25. 2. 1965, hatte Heym in einem Telefonat mit dem P.E.N.-Sekretariat lediglich sein Bedauern über das Ausfallen der Veranstaltung zum Ausdruck gebracht und beklagt, daß er »dem Zentrum abermals Ungelegenheiten verursacht«523 habe. Kretzschmars Schlussbemerkung: »Der Ton war höflich, achtungsvoll und korrekt. Die Angelegenheit
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Heinz Kimmel an Kurt Hager [18. 2. 1965]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Information [zu Stefan] Heym am 15. 4. 1965. BStU, MfS, AP 4589/92, Bl. 18. Aktennotiz. Telefongespräch mit Stefan Heym am 25. 2. 1965. Betr. Absage der Veranstaltung »Amerika im Werk von Stefan Heym« [erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. P.E.N.-Archiv (Ost). CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel allgemein/H/Heym, Stefan 4.
wurde von beiden Seiten als abgeschlossen betrachtet.«524 Die Veranstaltung war damit abgesagt. Mit diesen Vorgängen war spätestens zu diesem Zeitpunkt auch Kretzschmar intensiver ins Visier der Staatssicherheit gerückt. Ein Antrag auf Verlängerung des beim Ministerium für Staatssicherheit laufenden Auftrages »A« 16 143/65 gegen die Generalsekretärin des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West datiert vom August 1965. Kretzschmar unterhalte »sehr umfangreiche Verbindungen und [habe] auch viele Kontakte zu solchen Personen, die operativ bearbeitet werden. Es handel[e] sich dabei vornehmlich um Schriftsteller der DDR, Westdeutschlands und des Auslandes. Mit Hilfe der eingeleiteten Maßnahmen war es möglich eine Reihe bisher unbekannter Verbindungen festzustellen.«525 Erforderlich sei es, »den Charakter der Verbindungen, sowie die Absichten, welche sich gegen die Politik der Partei und Regierung richten aufzuklären.«526 Heym indes glaubte im August 1965, dass sich die Gesamtsituation für ihn gebessert hatte und trat noch einmal an Kretzschmar heran: »Sie werden leicht feststellen können, dass die Bedingungen, in deren Folge Herr Wirzberger sich so sonderbar verhielt, sich geändert haben. Selbst ein regierungsangestellter Professor wie Herr Wirzberger wird nun wieder über mich reden können, ohne Schaden an seiner Seele zu nehmen.«527 Zu diesem Zeitpunkt ahnte Heym noch nicht, dass auf dem 11. Plenum des ZK der SED (15.–18. 12. 1965) ein neuerlicher, heftiger Angriff auf ihn bevorstand. Heym wurde gemeinsam mit Wolf Biermann und Robert Havemann in einen »Kreis von Schriftstellern [eingeordnet], deren Position nicht hingenommen werden könne«528 . Konstruiert wurde eine »neue Gruppierung ›konterrevolutionärer Tätigkeit‹«529 . Am Eröffnungstag des »Kahlschlagplenums«, das in radikalster Weise mit den Künstlern und Schriftstellern der DDR abrechnete, schrieb Heym einen in zynischem Ton gehaltenen Brief an Kretzschmar: Dieser Wirzberger hat doch eine phantastische Nase – es ist ja oft so, dass wir bei Benachteiligung eines Körperteils eine Überentwicklung eines andern vorfinden; hier also mangels Rückgrat einen hypertrophischen politischen Riecher. Er wußte schon im voraus, dass wieder auf mich geschossen werden würde. Natürlich wäre es ganz lustig, jetzt einen PEN-Clubabend über Stefan Heym zu machen. Vielleicht in Form einer Diskussion statt eines Vortrags? Überlegen Sie sich
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Aktennotiz. Telefongespräch mit Stefan Heym am 25. 2. 1965. Betr. Absage der Veranstaltung »Amerika im Werk von Stefan Heym« [erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel allgemein/H/Heym, Stefan 4. [Herbert] Treike [Oberleutnant Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/1]: Begründung zur Verlängerung des Auftrages »A« 16143/65. BStU, MfS, AP 4589/92, Bl. 19. [Herbert] Treike [Oberleutnant Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/1]: Begründung zur Verlängerung des Auftrages »A« 16143/65. BStU, MfS, AP 4589/92, Bl. 19. Stefan Heym an Ingeburg Kretzschmar [17. 8. 1965]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel allgemein 1963–1965/H/Heym, Stefan 3. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 219. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 225. Vgl. auch Weber, S. 335–337. 437
das doch einmal! Ich bin bereit, mit sämtlichen Berliner Kulturredakteuren gleichzeitig zu diskutieren. Das würde einen bummelvollen Saal garantieren.530
Eine gezielte Ausbremsung seines persönlichen Engagements im Rahmen des P.E.N. hatte Heym bereits im Dezember 1964 vermutet. Ursprünglich als Delegierter für die Budapester Tagung (Oktober 1964) vorgesehen, konnte er schließlich doch nicht reisen. Als Begründung hatte Kretzschmar ihm ein Versehen des P.E.N. mitgeteilt. Heym jedoch machte seine kritische Haltung gegenüber den parteilichen Regulierungsversuchen sehr deutlich: Wie mir von mehr als einer Seite bestätigt wurde, sind die bedauerlichen Vorgänge um meine Reise zum BudapesterPEN-Kongress keineswegsauf Ihre Übermüdung zurückzuführen, sondern auf völlig außerhalb Ihrer Kontrolle stehende Maßnahmen. Sie werden es mir daher nicht übel nehmen, wenn ich darauf bestehe, dass die Angelegenheit vor den Mitgliedern unseres PEN-Zentrums Ost und West geklärt wird. Es geht mir dabei, wie Ihnen klar sein wird, nicht um meine Person. Es geht um unseren PEN, um die Demokratie und um die Sauberkeit in unserem Organisationsleben. Der Schriftsteller muss mit seinem Namen zu seinem Werk stehen; mögen die Leute, die sich in die Angelegenheiten der Schriftsteller einmischen, ohne irgendeine Legitimation dazu zu haben, wenigstens zu ihren administrativen Anordnungen stehen und aufhören, sich hinter dem zerbrechlichen Rücken einer Frau zu verstecken.531
Die Veranstaltung mit Heym fand in der geplanten Weise niemals statt. Im April 1965 geschah auf der Generalversammlung des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West dann etwas, das nicht nur einzelne Mitglieder des P.E.N., sondern auch die Verantwortlichen des ZK der SED und das Ministerium für Staatssicherheit nachhaltig beschäftigen sollte. Es wurde ein Künstler als Mitglied zugewählt, dessen provokative Haltung gegenüber den Regierenden in seinen Texten unverhohlen zum Ausdruck kam. Eine treffliche Vorstellung seiner Kunst lässt sich bei Mittenzwei nachlesen: Ein junger Mann von seltener Begabung drängte sich vor. Das lyrische Ich erreichte in Vers, Melodie und Vortrag eine Authentizität, die das Publikum für diesen Dichter einnahm. Seine Gedichte, Lieder und Balladen waren ebenso grob und frech, wie empfindlich und empfindungsreich. Selbst wenn er Rednerpultlöwen, Arschkriecher, Stalinisten geißelte, den Kunstschweinefraß verspottete, geschah das mit einer Überlegung und Souveränität, die auch die Kritischen im Publikum überzeugte. Er verfügte über Humor und Ironie. Sein Vers berührte auch das Tragische, das sich aus den neuen Verhältnissen ergab. Die Provokation paarte er mit Charme. Ein neuer Ton, ein neues Lied wurde da angestimmt. Der Verfasser stand in der großen Tradition von Villon, Heine und Brecht. Die DDR-Literatur präsentierte einen Chanson- und Balladendichter von großem Format: Wolf Biermann.532
Auf besagter Mitgliederversammlung stand nun eine ganze Reihe von Schriftstellern aus der DDR und der Bundesrepublik Deutschland auf der Zuwahlliste; 530
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Stefan Heym an Ingeburg Kretzschmar [15. 12. 1965]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel allgemein 1963–1965/H/Heym Stefan 1. Stefan Heym an Ingeburg Kretzschmar [7. 12. 1964]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel allgemein 1963–1965/H/Heym, Stefan 6. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 228f.
diese war zusammengestellt worden aus Vorschlägen des Präsidiums und einzelner Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Die auf diese Weise erstellte Liste hatte dem ZK der SED im Vorfeld der Generalversammlung zur Prüfung vorgelegen.533 Röder hatte die Namen von Hans-Joachim Bunge und Hartmut Lange angestrichen und handschriftlich vermerkt: »Mit Kretzschmar telefonisch vereinbart, beide vorerst zurückstellen, da Mitgliedschaft im Verband (DSV) nicht klar.«534 Wolf Biermann tauchte bei diesen Vorschlägen nicht auf, ebenso wenig wie in Kretzschmars Tätigkeitsbericht, der die Kandidaten gleichfalls aufführte. Dennoch war Biermann durch das Präsidiumsmitglied Peter Hacks vorgeschlagen worden. Hacks’ Antrag auf Mitgliedschaft hatte im Vorfeld der Generalversammlung dem Präsidium vorgelegen, war aber nicht befürwortet worden. Wie Kretzschmar späterhin Kurella mitteilte, musste aus diesem Grund der Antrag der Mitgliederversammlung vorgelegt werden.535 Laut Protokoll entspann sich auf der Generalversammlung um die Kandidatur von Biermann eine »langwierige Debatte«: »Seine Kandidatur wurde wegen eines zu geringen literarischen Oeuvres stark angefochten. Peter Hacks bestand auf der Weiterführung der Diskussion und Aufnahme in die Wahllisten.«536 Kretzschmar hatte versucht, eine Vertagung des Antrags zu erwirken. Die versammelten Mitglieder verlangten jedoch die Abstimmung.537 In geheimer Wahl entschieden die 19 Stimmberechtigten über die Kandidaten. Biermann wurde mit neun Gegenstimmen gewählt.538 Laut Hermann Kants Berichterstattung gegenüber Oberleutnant Herbert Treike vom Ministerium für Staatssicherheit war unmittelbar vor dem Wahlverfahren das Abstimmungsverhalten der anwesenden Genossen abgesprochen worden: »Vor der Wahl erfolgte eine kurze Aussprache der Genossen der Partei. Auf dieser Aussprache wurde beschlossen, gegen die Kandidatur BIERMANNS auf Grund seines in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens zu stimmen. Da jedoch die Genossen im PEN-Zentrum nicht in der Mehrheit sind, konnte es vorkommen,
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Vgl. Vorschläge des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West für die Zuwahl neuer Mitglieder [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Vorschläge des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West für die Zuwahl neuer Mitglieder [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Vgl. Ingeburg Kretzschmar an Alfred Kurella [4. 1. 1966]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel allgemein 1963–1965/K/Kurella Alfred 1. Protokoll [zur Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 28. 4. 1965] [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1965 Berlin/Protokoll 1–7, hier 5. Vgl. Ingeburg Kretzschmar an Alfred Kurella [4. 1. 1966]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel allgemein 1963–1965/K/Kurella Alfred 1. Vgl. Protokoll [zur Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 28. 4. 1965][o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1965 Berlin/Protokoll 1–7, hier 4. 439
dass B. als Mitglied gewählt wurde.«539 Auf der Wahlliste, die den Teilnehmern der Generalversammlung vorgelegt wurde, standen auch die Namen Bunge und Lange. Über die Vorgabe der Abteilung Kultur, Lange und Bunge nicht zur Wahl zu stellen, hatte sich das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West entweder großzügig hinweggesetzt oder doch noch eine Zustimmung der parteilichen Instanzen erwirkt. Beide wurden mit Stimmenmehrheit in den P.E.N. gewählt.540 Die Resonanz auf Biermanns Wahl fiel denkbar unterschiedlich aus. Der neu gewählte Hans-Joachim Bunge fragte en passant bei Kretzschmar an: »Ich lese gerade im N[euen] D[eutschland] von der Erweiterung des PEN-Zentrums. Wurde nicht auch Biermann gewählt? Und wurde er nicht bestätigt? Oder wurde er nur vergessen – oder ›vergessen‹?«541 Tatsächlich hatte Kretzschmar in der Mitteilung an den ADN von Anfang August 1965 Biermann nicht als neu zugewähltes Mitglied erwähnt;542 sie hatte ihn zu diesem Zeitpunkt nicht einmal von seiner Wahl in Kenntnis gesetzt. Dass die knappe Wahl Biermanns in den P.E.N. missliebig war, lässt sich auch aus der wenig später an ihn gerichteten Benachrichtigung über die Wahl herauslesen. Während alle übrigen von der Generalversammlung bestätigten Kandidaten Briefe erhielten, in denen salbungsvoll die Güte ihres Werkes gelobt und ehrerbietig um die Annahme der Wahl angefragt wurde,543 erhielt Biermann durch Kretzschmar eine kurze Mitteilung, deren eigentliches Anliegen sich dem Leser rasch erschließt: »[D]ie Mitgliederversammlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West hat Ihre Zuwahl in unser Zentrum zur Diskussion gestellt. Ihre Kandidatur wurde mit einer Stimme Mehrheit angenommen. Ich habe die Pflicht, bei Ihnen anzufragen, ob Sie eine Wahl, die sich nur auf eine Stimme Mehrheit stützt, annehmen wollen.«544 Diese Nachricht empfand offenbar auch Hermlin, der von Biermann um Rat gefragt worden war, mehr als Aus- denn als Einladung: Ich finde, dieser Brief legt eher den Verzicht auf eine Annahme als Mitglied nahe; nach einer Bitte, die Wahl anzunehmen, klingt er eigentlich nicht. Ich bin damit nicht einverstanden. Die Zahl der Gegenstimmen bei einer Wahl ist höchst bedeutungslos, meiner Meinung nach. Biermann verdient die gleiche Höflich539
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Herbert Treike [Oberleutnant,Ministerium für Staatssicherheit,HA XX/1/III]: Aktenvermerkbetr. PEN-Zentrum Ost-West [16. 9. 1965].BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. II/1, Bl. 176f., hier Bl. 176. Vgl. Protokoll [zur Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 28. 4. 1965][o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1965 Berlin/Protokoll 1–7, hier 4. Hans-JoachimBunge an Ingeburg Kretzschmar [20. 8. 1965].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel allgemein 1963–1965/B/Bunge Hans 1a. Ingeburg Kretzschmar an ADN [16. 8. 1965]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel allgemein 1963–1965/A/ADN 2. Vgl. beispielsweise Ingeburg Kretzschmar an Hans-Joachim Bunge [23. 7. 1965]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1965 Berlin/Neue Kandidaten/Hans Joachim Bunge 1. Ingeburg Kretzschmar an Wolf Biermann [31. 8. 1965]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1965 Berlin/Neue Kandidaten/Wolf Biermann 1.
keit und Herzlichkeit wie jeder andere, den wir wählen. Vielleicht ein bisschen mehr, weil einige Leute, die einflussreich sind (und auf die ich meinerseits wenig Wert lege), ihn nicht gerade gut behandeln. Glücklicherweise hat Biermann seinen Humor behalten und dem PEN-Club eine Biermann-Antwort erteilt.545
Tatsächlich hatte Biermann schlagfertig reagiert: Ich sagte Ihnen schon am Telephon, daß es mir eine Ehre und ein Vergnügen ist, Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West zu sein. Daß meine Wahl mit nur einer Stimme Mehrheit zustande kam, ist mir ein Grund mehr, die Wahl anzunehmen, wird doch der nächste Kandidat meiner Spezies auf diese Weise mit wahrscheinlich zwei Stimmen Mehrheit gewählt werden.546
Noch im Dezember 1965 gab es Anfragen wegen Biermanns Wahl in den P.E.N. – auch aus den oberen Parteiriegen: Gerüchteweise aber aus ernst zu nehmender Quelle erfuhr ich, daß Wolf Biermann in diesem Jahre in den PEN-Club aufgenommen worden sein soll. Soviel ich mich erinnere, erfolgt die Aufnahme neuer Mitglieder bei uns durch Ballotage, d. h. durch Abstimmung aller bisherigen Mitglieder. Ich kann mich an keine solche Abstimmung erinnern. Da ich Biermann seit mehreren Jahren sowohl aus seinen Arbeiten als auch persönlich kenne, kann ich mir kaum vorstellen, daß ich etwa in einer von mir vergessenen Routine-Abstimmung für ihn gestimmt haben sollte[,]547
mutmaßte Alfred Kurella. Durch Biermanns Wahl in den P.E.N. wurde eine gezielte Einschätzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West durch das Ministerium für Staatssicherheit angestoßen. In der Berichterstattung des IM »Martin«, d. i. Hermann Kant, war die Aufnahme von Wolf Biermann in den P.E.N. »inoffiziell« erst im September 1965 zur Sprache gekommen. Eruiert wurden im entsprechenden Aktenvermerk zunächst die Umstände der Zuwahl. In den Blickpunkt geriet in diesem Zusammenhang auch wieder die Generalsekretärin Kretzschmar. Laut Aktenvermerk wurde Kretzschmars öffentliches Auftreten auf Tagungen und Beratungen des P.E.N.-Zentrums durch den Berichterstatter Kant »als sehr parteilich«548 eingeschätzt. Auskunft über Kretzschmar hatte man aber auch beim DSV eingezogen; dort urteilte man, »daß die Genossin KRETZSCHMAR den Verband negiert und nicht interessiert ist, mit dem Verband gut zusammenzuarbeiten.«549 545
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Stephan Hermlin an Ingeburg Kretzschmar [7. 10. 1965]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel allgemein 1963–1965/H/Hermlin Stephan 1. Wolf Biermann an Ingeburg Kretzschmar [3. 9. 1965]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1965 Berlin/Neue Kandidaten/Wolf Biermann 2. Alfred Kurella an Ingeburg Kretzschmar [27. 12. 1965]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel allgemein 1963–1965/K/Kurella, Alfred 2. Herbert Treike [Oberleutnant,Ministerium für Staatssicherheit,HA XX/1/III]: Aktenvermerk. Betr. Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West [16. 9. 1965]. BStU, MfS, AP 4589/92, Bl. 20f., hier Bl. 21. Herbert Treike [Oberleutnant,Ministerium für Staatssicherheit,HA XX/1/III]: Aktenvermerk. Betr. Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West [16. 9. 1965]. BStU, MfS, AP 4589/92, Bl. 20f., hier Bl. 21. 441
Auch für die Abteilung Kultur beim ZK der SED war das leidige Thema »Biermann« nicht so schnell vom Tisch. Ob und in welcher Weise in direkter Reaktion auf Biermanns Wahl Druck auf das Präsidium, insbesondere auf Ingeburg Kretzschmar, ausgeübt wurde, lässt sich nur bruchstückhaft nachweisen. Von Kamnitzer forderte die Abteilung Kultur Ende 1965 eine Einschätzung der Folgen, »wenn vom Deutschen PEN-Zentrum Ost und West im Falle W. B. disziplinarische Maßregelung gutgeheißen oder vorgenommen wird«550 . Die lange Verlustrechnung, die Kamnitzer aufmachte, riet von Disziplinierungsmaßnahmen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gegenüber Biermann, etwa einer Nichtaufnahme in das Zentrum, implizit ab: Fest steht, daß noch in diesem Jahre mit dem Fall sich beschäftigen werden 1) Das Internationale Sekretariat des PEN in London 2) Die Internationale Exekutivtagung im April 1966 unter Vorsitz von Arthur Miller 3) Der Internationale PEN-Kongreß in New York im Juni 1966 unter Vorsitz von Arthur Miller 4) Die Generalversammlung des PEN-Zentrums der Bundesrepublik 5) Die Generalversammlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West Auf allen Tagungen würde nicht W. B., sondern das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West des Bruches von Charta und Statut bezichtigt werden und Entschließungen sind gewiß, die sich gegen das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West richten. So gut wie sicher ist in Rechnung zu stellen: 1) Rücktritt von Arnold Zweig 2) Rücktritt von Mitgliedern des Präsidiums, darunter des einzigen Vertreters West, Graf Stenbock-Fermor 3) Austritt von Peter Weiss und einer weiteren Zahl von westdeutschen Mitgliedern aus Überzeugung oder auf Grund von Druck […] Allgemeine Auswirkungen: Der Einfluß und das Ansehen, das sich das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West in den vergangenen Jahren erworben hat, nicht zuletzt die Beschlüsse, die es nicht nur im Sinnen, sondern ausdrücklich für die Deutsche Demokratische Republik durchsetzen konnte, werden entwertet. Eine rückläufige Bewegung würde sich Bahn brechen. Bisher konnte das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West auf den internationalen Tagungen im Vergleich zum Deutschen PEN-Zentrum Bundesrepublik die Vorteile für sich buchen. Wenn die Entwicklung radikal umschlägt, wird es nicht zuletzt dem Bundesdeutschen Zentrum zugute kommen.551
An Biermanns Mitgliedschaft im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West änderte sich in der Folgezeit nichts. Er galt als gewähltes Mitglied, dem gleichwohl eine stetige Spezialbehandlung widerfuhr. Für die parteiliche Anleitung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West ist indes in Reaktion auf Biermanns Zuwahl eine langfristige Verschärfung dokumentiert. Die Kontrolle nahm zu: Anfang Februar 1966 ging Kretzschmar eine Einladung der Abteilung Kultur zur »Zusammenkunft leitender Genossen 550
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Heinz Kamnitzer an Arno Röder [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [4. 1. 1966]. SBBPK NL Heinz Kamnitzer, Ordner PEN bis 1968. Heinz Kamnitzer an Arno Röder [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [4. 1. 1966]. SBBPK NL Heinz Kamnitzer, Ordner PEN bis 1968.
des kulturellen Bereiches (Arbeitsgruppe Kultur)« zu, bei der sie Auskunft »[z]ur Lage und zu einigen Problemen der Arbeit im PEN-Zentrum Ost und West«552 erteilen sollte. Im März 1966 fand eine »Beratung zu politisch-ideologischen Problemen und zu Prinzipien der Arbeit des PEN-Zentrums Ost/West«553 in der Abteilung Kultur beim ZK der SED statt. Zur Teilnahme an der Besprechung war kulturpolitische Prominenz aufgeboten – Hans Rodenberg, ehemals stellvertretender Minister für Kultur, Klaus Gysi, neu ins Amt gehobener Minister für Kultur, der Sekretär des DSV, Gerhard Henniger, und Eberhard Günther als Vertreter der HV Verlage beteiligten sich an der Aussprache unter der Leitung von Siegfried Wagner. Als Vertreter der Parteiorganisation des Berliner Schriftstellerverbands waren Walter Gerrich, Fritz Erpenbeck und Eduard Klein anwesend, die eigens mit der »Untersuchung der Aufnahme von Biermann in das PEN-Zentrum«554 beauftragt worden waren. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West vertraten Heinz Kamnitzer, Ingeburg Kretzschmar, Günther Cwojdrak, Stephan Hermlin und Wieland Herzfelde. Die Zusammenkunft stand unter dem Zeichen des 11. Plenums des ZK der SED vom Dezember 1965, in dessen Folge sich innerhalb der künstlerischen Intelligenz eine enorme Unruhe ausgebreitet hatte. Die parteipolitischen Verantwortlichen waren gewillt, den P.E.N. noch stärker als bislang unter Kontrolle zu bringen. Als Ziel der Beratung war formuliert worden, auf der Grundlage des 11. Plenums – die politische Verantwortung, die unsere Genossen als Parteimitglieder in dieser internationalen Organisation tragen, nachdrücklich zu fordern; – Klarheit in den Arbeitsprinzipien des PEN-Zentrums in Hinblick auf eine enge Zusammenarbeit mit dem Sekretariat des DSV und dem Ministerium für Kultur zu schaffen; – die Auseinandersetzung über das Verhalten der leitenden Genossen des PENZentrums bei der Aufnahme solcher Mitglieder wie Biermann, des republikflüchtigen Hartmut Lange und des ehemaligen Mitarbeiters der Zeitschrift ›Sinn und Form‹ Bunge zu führen.555
Im Mittelpunkt der Beratung stand zunächst das Ergebnis der Zuwahlen auf der Generalversammlung des Jahres 1965 – ein deutliches Signal für die nach dem 11. Plenum verstärkte Angst der SED-Funktionäre vor der Infragestellung des parteilichen Führungsanspruchs durch kritische Intellektuelle. Auch die Sorge 552
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Siegfried Wagner [Leiter der Abt. Kultur beim ZK der SED] [4. 2. 1966]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1966 10. Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. 443
um das Erstarken oppositioneller Kräfte, vor dem Entstehen einer unkontrollierten Öffentlichkeit im P.E.N.-Zentrum ging damit einher. Dass ausgerechnet ein bis zum äußersten provokativer Dichter wie Biermann, der mit der Gitarre durchs Land reiste und große Popularität beim Publikum genoss, Einlass in den international organisierten P.E.N. gefunden hatte, sorgte für Missstimmung bei den kulturpolitisch Verantwortlichen. Das Sicherungssystem durch die Genossen im P.E.N. hatte offenkundig nicht zuverlässig funktioniert. Biermann war bereits 1963 aus der SED ausgeschlossen worden. 1964 hatte er weiterhin auftreten können, musste aber auch Verbote in Kauf nehmen. 1965 war sein erster, reichlich provokativer Gedichtband Die Drahtharfe bei Wagenbach in West-Berlin erschienen. In der Folge war Biermann auf dem 11. Plenum auf massive Weise angegriffen worden. Vor diesem Hintergrund erschien seine P.E.N.-Mitgliedschaft aus parteipolitischer Sicht ganz und gar unmöglich. Die Ablehnung von Hartmut Lange gründete sich vor allem auf eine Tatsache; er galt als »Fahnenflüchtiger«. Der Dramaturg, der in der Tradition Brechts arbeitete, hatte bereits 1964 die DDR verlassen und lebte in West-Berlin. Bis dahin hatte er zwei seiner wichtigsten Stücke, die Senftenberger Erzählungen und Marski, geschrieben, die bezeichnenderweisein der DDR weder aufgeführt noch gedruckt worden waren. Mit seiner Flucht in den Westen war er zur Unperson geworden. Die Mitgliedschaft im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West war laut Statut vollkommen legitim, aus Parteisicht jedoch untragbar, negierte Lange doch durch seinen Wohnortwechsel den SED-Staat. Auch Hans-Joachim Bunge war im Sinne der Partei negativ aufgefallen. Seit Januar 1963 war er im Anschluss an seine Tätigkeit im Brecht-Archiv der Ost-Berliner Akademie der Künste als Sonderheftredakteur der Zeitschrift Sinn und Form eingesetzt worden. Er »nutzte diese praktisch unkontrollierte Stellung, um einige der Tabus offenzulegen, die sich in der kurzen Geschichte der DDR bereits aufgestaut hatten.«556 Er plante »hochbrisantes Material über die [kulturpolitischen] Debatten der fünfziger Jahre«557 , erbat Beiträge von seinen Freunden Wolf Biermann, Heiner Müller sowie Georg Lukács. Für ein Heft über Thomas Mann vergab er Aufträge an Stefan Heym und Walter Janka. An den zögernden Heym schrieb er: »›Es wäre jedenfalls das größte Vergnügen für mich gewesen, der Akademie ein solches Heym-Ei ins Nest zu legen!‹«558 Der Chefredakteur Girnus versuchte die »Ein-Mann-Rebellion«559 niederzuschlagen. Im Januar 1966 wurde Bunge schließlich fristlos entlassen. Alle disziplinarischen Maßnahmen hatten versagt.
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Stephen Spender: Sinn und Form unter Wilhelm Girnus. Verfügbar unter URL: http://www.sinn-und-fom.de/texte/Parker girnus.html [Zugriff am 23. 1. 2006]. Spender: Sinn und Form unter Wilhelm Girnus. Zitiert nach Spender: Sinn und Form unter Wilhelm Girnus. Spender: Sinn und Form unter Wilhelm Girnus.
Laut Aktenotiz übten in der Aussprache mit der Abteilung Kultur »fast alle[ ] Anwesenden«560 Kritik an der Aufnahme solcher Mitglieder wie Biermann, Lange und Bunge. Gefragt wurde nach der »staatsbürgerlichen Sicherung aller DDR-Mitglieder« und nach den »Möglichkeiten, Biermann, Bunge und Lange auf der nächsten Generalversammlung wieder aus dem PEN-Zentrum zu wählen«561 . Die Debatte drehte sich vor allem um die Frage, wie ein besserer Mechanismus bei zukünftigen Wahlgängen installiert werden könnte. Gefordert wurde von Klein die Bildung einer Parteigruppe, die sich auch mit dieser Frage zu beschäftigen habe. Cwojdrak schlug eine Abstimmung der Neuaufnahmen »sowohl mit der Leitung des DSV als auch mit der zu bildenden Parteigruppe des PEN-Zentrums«562 im Vorfeld der Wahlen vor. Kamnitzer äußerte sich zu diesen spezifischen Fragen nicht; er fürchtete offenbar einen Generalangriff auf die Arbeit des P.E.N.-Zentrums und machte vehement deutlich, »daß das Präsidium des PEN-Zentrums immer für die Anerkennung der DDR im Ausland gewirkt habe und daß das Prinzip der Arbeit immer auf das politische Auftreten gerichtet worden sei.«563 Insbesondere bemühte er sich, die im Raum stehenden Bedenken zu zerstreuen, dass das P.E.N.-Zentrum ein Sammelbecken subversiver Kräfte sei; er wehre sich »gegen die Auffassung, von einer ›Gruppe‹ im PEN zu sprechen«.564 Besonders bemerkenswert erscheint die ausführliche Stellungnahme, die Hermlin lieferte. Hermlin gilt gemeinhin als Förderer Biermanns; er hatte ihn im Dezember 1963 bei einer Lyrik-Lesung in der Akademie der Künste gemeinsam mit anderen jungen Dichtern vorgestellt. Bei der Beratung in der Abteilung Kultur nahm Hermlin die Verantwortung für die Zuwahl von Biermann auf sich und unterzog sich einer umfangreichen Selbstkritik, die jedoch gekonnt auf den eigentlich Schuldigen zurückverwies – Biermann hatte die ihm gebotene Chance ausgeschlagen und den falschen Weg beschritten. So erscheint Hermlin wie ein enttäuschter Unterstützer eines widerspenstigen jungen Kollegen: Auf Grund von persönlichen Erfahrungen müsse er heute feststellen, daß es ein Fehler von ihm gewesen sei, Biermann für die Mitgliedschaft im Deutschen PEN-Zentrum Ost/West vorgeschlagen zu haben. Er bedauere sein Eintreten für Biermann im PEN560
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Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. 445
Zentrum. Es sei von ihm damals in bester Absicht getan worden, er wollte Menschen für uns gewinnen und gesellschaftlich einreihen, noch zumal, wenn sie Einfluß nach außen haben. Von der ›Drahtharfe‹ habe er nichts gewußt und bedaueredieses Erscheinen. Er wünschte sich einen Biermann, den er damals im PEN vorstellte, ein Junge, der schwankend,weich und Schmeicheleienzugänglich war, sollte aufgefangenwerden, ein Talent, das die PEN-Arbeit bereichern könne. Er habe […] vorher auch Christa Wolf, Hermann Kant, Kirsch, Kunert und andere junge Schriftsteller für die Arbeit im PEN-Zentrum vorgeschlagen. Ihm sei es darauf angekommen, Biermann von Havemann wegzuziehen.565
Aus welchen Beweggründen Hermlin diese »Beichte« ablegte, unterliegt der Spekulation. Wollte er weitere Sanktionen gegen das P.E.N.-Zentrum abwenden, in dem er ganz persönlich die Schuld auf sich nahm? Oder distanzierte er sich bewusst, weil Biermann, den er gegenüber Kretzschmar noch impulsiv verteidigt hatte, auf dem 11. Plenum unwiderruflich zur Zielscheibe der Partei geworden war und Hermlin die scharfen Texte der Drahtharfe tatsächlich verurteilte? Noch im November 1965 hatte sich Hermlin hinter den Kulissen für Biermann eingesetzt und in einem Brief an Siegfried Wagner, Abteilung Kultur, für Toleranz gegenüber Biermann plädiert: [E]s möge alles getan werden, damit Wolf Biermann bei der Ausübung seiner höchst originellen und notwendigen Kunst ausreichende Freiheit erhält. Ich plädiere dafür, unter vergangene Konflikte einen Schlusstrich zu ziehen und ihn in Zukunft so zu sehen, wie er ist; als einen erwachsenen Künstler, der in der Konfrontation mit der Republik sich selber korrigiert und die Realität dieser Republik verändern hilft.566
Offenbar bejahte Hermlin Anfang 1966 die offensive Auseinandersetzung mit der DDR nicht länger als korrigierendes Regulativ für Biermann. Am Ende der Beratungen standen zahlreiche Beschlüsse, die die Arbeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in neue Bahnen lenken sollten. In der Frage der Mitgliedschaft von Biermann, Lange und Bunge wurde das Präsidium beauftragt, »alle Möglichkeiten für eine Korrektur [ihr]er Mitgliedschaft […], einschließlich der Möglichkeit einer erneuten Abstimmung in der Generalversammlung«567 zu überprüfen. Die Kulturfunktionäre fürchteten eine negative Wahrnehmung der Vorgänge in der internationalen Öffentlichkeit: Vorbeugende Maßnahmen sollten vermeiden, »daß die kommende Tagung des Internationalen PEN in New York Möglichkeiten eines Protestes für Biermann und andere erhält.«568 565
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Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Stephan Hermlin an Siegfried Wagner [Abt. Kultur beim ZK der SED] [13. 11. 1965]. DLA A: Stephan Hermlin, Briefe von Hermlin. Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156.
Grundsätzliche Übereinstimmung unter den Anwesenden wurde in altbekannten Fragen erzielt; notwendig sei eine enge Zusammenarbeit mit dem DSV, die bislang nicht vorhanden gewesen sei; alle wichtigen Vorhaben seien »parteimäßig vorzubereiten und rechtzeitig auf der staatlichen Linie abzustimmen«569 . Zu diesem Zweck sollte eine »ordentliche Parteigruppe« gebildet werden, »besonders zur Vorbereitung wichtiger Vorhaben und der Generalversammlungen«570 . Die Autonomie des P.E.N.-Zentrums wurde extrem beschnitten: Beschlossen wurde die Bildung einer Arbeitsgruppe, der Kretzschmar, Henniger (DSV) und Günther (HV Verlage und Buchhandel) angehörten und deren Aufgabe in der Ausarbeitung folgender Punkte bestand: a) Die Prinzipien der Zusammenarbeit zwischen PEN-Zentrum und dem DSV sowie der Abstimmung mit dem Ministerium für Kultur; b) die Konzeption für die Teilnahme am Internationalen PEN-Kongreß in New York; c) die Schwerpunkte für den Jahresarbeitsplan 1966 des PEN-Zentrums Ost/West.571
Damit war in die Arbeitsplanung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West eine massive Kontrolle von außen eingebaut. Gefordert wurde vom Präsidium schon im April 1966 ein Vorschlag zur Veränderung der Statuten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, die »dem neuen gesellschaftlichen Entwicklungsstand der DDR Rechnung«572 tragen sollte. Wie eine solche Änderung aussehen sollte, bleibt ungewiss. Zwar legte Kamnitzer einen Vorschlag vor. Eine tatsächliche Änderung wurde aber nicht beschlossen. Im Spätsommer 1966 wurde über die Bildung einer Parteigruppe durch die Abteilung Kultur beim ZK der SED positiv entschieden.573 Im April 1967 sollte die Parteigruppe im Vorfeld einer Generalversammlung erstmals zusammentreten.574 Weitere Vorgaben betrafen vor allem die regulären Aktivitäten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West : Ein reibungsloser Ablauf der bevorstehenden Generalversammlung sollte durch eine entsprechende Konzeption gesichert werden; für die Delegation zum Kongress in New York (1966) wurden eine fixe Teilnehmerzahl vorgegeben und personelle Empfehlungen ausgesprochen. 569
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Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über die Beratung der Abteilung mit Genossen des PEN-Zentrums Ost/West [4. 4. 1966; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Siegfried Wagner [Abt. Kultur beim ZK der SED] an Ingeburg Kretzschmar [20. 8. 1966]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1966 2. Ingeburg Kretzschmar an Alexander Abusch [25. 4. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967 2. 447
Wolf Biermann blieb das »enfant terrible« des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Seine Aktivität innerhalb des P.E.N. wurde über ein Jahrzehnt hinweg mit Argusaugen überwacht, jegliche Regung minutiös dokumentiert. So vermerkte etwa ein Bericht der Abteilung Kultur vom Oktober 1972: »Wolf Biermann sagte in dieser Diskussion nichts, meldete sich lediglich später mit einer Anfrage zu den Wahlvorschlägen zu Wort.«575 Die »Lösung« des Problemfalls Biermann sollte den P.E.N. einige Jahre später intensiv beschäftigen; er erfolgte auf höchster staatlicher Ebene. 6.5.3 Die Auswirkungen der parteipolitischen Kontrolle auf die Arbeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Beispiel des New Yorker P.E.N.-Kongresses (Juni 1966) Die Folgen, die die verstärkte Anbindung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West an die parteilichen und staatlichen Instanzen nach sich zog, lassen sich am Beispiel der Teilnahme am 34. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York (Juni 1966) deutlich zeigen. Als offizielle Delegierte sollten an der dortigen Exekutive Heinz Kamnitzer und Wieland Herzfelde teilnehmen, Günther Weisenborn sollte den Verhandlungen als Beobachter beiwohnen.576 Als weiterer Delegierter war Wilhelm Girnus benannt worden. Im Hintergrund plante das P.E.N.-Mitglied Hermann Kant eine Intrige gegen die Delegierten. Dazu nutzte er nicht nur seine Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit, die seit März 1963 mit seiner Erfassung als IM »Martin« bestanden. Bei einem Treffen mit Oberleutnant Herbert Treike teilte er seine Bedenken mit: Der GI hält die Zusammensetzungdieser Delegation als sehr unglücklichzum Nachteil der DDR. Wenn man bedenkt, daß die Delegation die erste offizielle DDR-Delegation in den USA sein wird. Die Gründe für die ungünstige Zusammensetzung sieht der GI in folgendem: 1. Der Delegation gehört kein Schriftsteller an, der bereits mehrere schriftstellerische Arbeiten nachweisen kann und international bekannt und anerkannt ist. 2. Die altersmäßige Zusammensetzung der Delegation ist äußerst ungünstig, z. B. […] ist geistig nicht besonders rege. 3. Prof. Girnus kommt mehr aus der wissenschaftlichen Arbeit, hat sich selbst nicht schriftstellerisch betätigt. Auf dieser Sachlage hat der GI sich beim Gen. Prof. Hager, Mitglied des Politbüros, zu einer Aussprache angemeldet, um seine Bedenken als Genosse und Schriftsteller sowie Funktionär des DSV über die Zusammensetzung der Delegation zum Ausdruck zu bringen.577
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Hans-Joachim Hoffmann [Leiter der Abt. Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [31. 10. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Vgl. International P.E.N. Executive Committee Meeting in New York USA on Sunday June 12 1966 – Summary Report of Business Transacted. P.E.N.-Archiv London. Herbert Treike [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/1/III]: Treffbericht mit GI »Martin« am 2. 5. 1966 [3. 5. 1966]. BStU, MfS, AIM 2173/70. Bd. II/1, Bl. 1–9, hier Bl. 4.
Kants versuchte Einflussnahme blieb ohne Folgen; er hatte das Ministerium für Staatssicherheit nicht erfolgreich für seine Ränkespiele nutzen können. Nach der Rückkehr aus New York wurde die Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zu einer Aussprache bei Alexander Abusch, Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, geladen.578 Der P.E.N. war zur wichtigen Staatssache geworden: Neben Abusch und seinem Büroleiter Kurt Reppe nahm Hans Rodenberg als Mitglied des Staatsrates teil. Alle kulturpolitisch wesentlichen Einrichtungen waren darüber hinaus vertreten: Karl Hossinger, Direktor der Deutschen Akademie der Künste; Bruno Haid, Leiter der HV Verlage und Buchhandel des Ministeriums für Kultur, Gerhard Henniger, geschäftsführender Sekretär des DSV. Die Abteilung Kultur des ZK der SED spielte hier interessanterweise keine Rolle. Als Vertreter des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West waren Girnus und Herzfelde erschienen, um Auskunft über den Kongress zu erteilen. Nach ausführlicher Diskussion wurde ihnen durch Abusch die Ausfertigung eines »kurzen, internen Bericht[s]« auferlegt, der zur Vorlage bei den »Genossen der Parteiführung und der Regierung sowie des DSV«579 vorgesehen war. In diesem Bericht sollte zum Ausdruck kommen 1. die politische Einschätzung des Kongresses. Unser Auftreten auf dem Kongreß, vor und hinter den Kulissen. Wie war die Zusammenarbeit mit den anderen sozialistischen Ländern. Was wird im allgemeinen festgestellt über die Informiertheit über die DDR. 2. Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit im Internationalen PEN. Wie waren die Beziehungen zum westdeutschen PEN und welche Taktik ist für das weitere Vorgehen notwendig, um die ›Gruppe 47‹ in die Enge zu treiben bzw. herunterzuspielen? Welche Maßnahmen sind notwendig für unsere Teilnahme am nächsten PENKongreß 1967 in Afrika (Elfenbeinküste)?580
Informationen forderte man auch über die Gespräche und Verbindungen, die von den Delegationsmitgliedern der DDR am Rande des Kongresses mit internationalen Kollegen geführt bzw. geknüpft worden waren. Darüber hinaus hatte man sich zum Ziel gesetzt, positiv auf die Heranführung der sowjetischen Schriftsteller an den Internationalen P.E.N. zu wirken. Vertreter des sowjetischen Schriftstellerverbandes waren als Beobachter des Kongresses erwartet worden;
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Aktenvermerk über eine Aussprache beim Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates Alexander Abusch in Auswertung des PEN-Kongresses Juni 1966 in New York am 4. Juli 1966 [6. 7. 1966; erstellt von Kurt Reppe]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273. Aktenvermerk über eine Aussprache beim Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates Alexander Abusch in Auswertung des PEN-Kongresses Juni 1966 in New York am 4. Juli 1966 [6. 7. 1966; erstellt von Kurt Reppe]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273. Aktenvermerk über eine Aussprache beim Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates Alexander Abusch in Auswertung des PEN-Kongresses Juni 1966 in New York am 4. Juli 1966 [6. 7. 1966; erstellt von Kurt Reppe]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273. 449
sie hatten, wie schon so oft, »kurzfristig abgesagt«581 . Herzfelde, Girnus und Kamnitzer sollten wesentliche Details aus ihrem Bericht herausgreifen, die für die sowjetischen Kollegen von Interesse sein könnten; man wünschte, »Informationen über den PEN-Kongreß aus erster Hand«582 weiterzuleiten. Mit der Übermittlung an den sowjetischen Schriftstellerverband wurde Henniger beauftragt. Wie wesentlich das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West darauf ausgerichtet worden war, für die Belange der DDR einzutreten, beweist der umfassende Bericht über den New Yorker Kongress, den Kamnitzer, Girnus und Herzfelde schließlich Mitte Juli vorlegten. Die Verfasser ließen bei ihren Kontrolleuren keine Zweifel an einer geradlinigen Vertretung der DDR auf internationalem Parkett aufkommen. Noch immer war die DDR international als Staat nicht anerkannt. Umso bemerkenswerter erscheint der Hinweis, den die Berichterstatter hinsichtlich der Akkreditierung ihrer Delegation machten: »Als Novum auf einem PEN-Kongreß muß vermerkt werden, daß die Namensschilder, die jeder Teilnehmer erhielt, nicht nur den persönlichen Namen aufwiesen, sondern neben der Angabe des Zentrums ausdrücklich der Zusatz ›DDR‹ vermerkt war. Auch die New York Times hat hiervon mit Betonung Kenntnis genommen.«583 Laut der Darstellung durch Kamnitzer, Girnus und Herzfelde war man selbstbewusst aufgetreten und hatte in allen Veranstaltungen darauf geachtet, sich »klar und unmißverständlich«584 als Bürger der DDR vorzustellen. Es sei gelungen, »nicht nur in den Geschäftssitzungen, sondern auch in den literarischen Veranstaltungen [d]en sozialistischen Standpunkt«585 zu vertreten. Die Wirkung des eigenen Auftretens beurteilten Kamnitzer und die Co-Autoren nahezu enthusiastisch: Die internationalenPressestimmen, die sich mit dem New Yorker PEN-Kongreß befassen, vermerken – wenn einzelne Delegationen überhaupt erwähnt werden – an erster, 581
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Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 9. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktenvermerk über eine Aussprache beim Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates Alexander Abusch in Auswertung des PEN-Kongresses Juni 1966 in New York am 4. Juli 1966 [6. 7. 1966; erstellt von Kurt Reppe]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273. Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 2. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 2. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 8. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156.
meist an einziger Stelle die DDR-Delegation, oft mit besonderen Hinweis die Teilnahme von Prof. Dr. Girnus. Aus der internationalen Presse geht hervor, daß die Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West nicht nur als absolut gleichberechtigter Partner in New York aufgetreten ist, sondern daß die DDR-Mitglieder in entscheidenden Verhandlungsfragen des Kongresses im Mittelpunkt des Interesses standen.586
Dass das besondere Interesse an Girnus weniger mit einer Bewunderung für seine Person, als mit einer wenig schmeichelhaften Verdächtigung in Zusammenhang stand, lässt eine Anmerkung in einem Bericht des bundesdeutschen P.E.N.-Mitglieds Rudolf Krämer-Badoni vermuten: »Man raunt, Girnus sei als Aufpasser der Ostberliner Delegation mitgekommen. Wieland Herzfelde lacht darüber und sagt: ›Wie oft haben Sie ihn mit uns gesehen?‹ In der Tat ist Girnus fortwährend auf eigene Faust in New York unterwegs.«587 Die Berichterstatter des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zeigten sich auch mit dem westdeutschen Delegationsmitglied, Günther Weisenborn, durchaus zufrieden; er habe »mit allem Nachdruck die Tätigkeit unserer Delegation unterstützt[ ] und jede Gelegenheit wahr[genommen], sich ausdrücklich zu[m] [Deutschen P.E.N.-]Zentrum [Ost und West] zu bekennen. Auch das ist ein bemerkenswerter Erfolg unserer Delegation, die auf vorangegangenen Kongressen mit westdeutschen Mitgliedern unseres Zentrums nicht immer erfreuliche Erfahrungen gemacht hat.«588 Betonung legten Kamnitzer, Girnus und Herzfelde auf die »sehr gute Zusammenarbeit mit den volksdemokratischen Zentren […], sowohl in den vorbereitenden Absprachen wie auch spontan während der öffentlichen Debatten. Hierbei haben die Delegierten unseres Zentrums eine führende Rolle gespielt.«589 Die Bemühungen der DDR-Delegierten, ihr eigenes Wirken auf dem New Yorker Kongress im Vergleich zu den Leistungen der bundesdeutschen Delegation hervorzuheben, zielten implizit nicht zuletzt auf den eigenen Vorteil: »Es muß besonders daraufhin gewiesen werden, daß diese Ergebnisse von drei Delegierten erreicht wurden, während das PEN-Zentrum der Bundesrepublik mit einer massiven Gruppe von siebzehn Vertretern anwesend war. Es wurde mehrfach 586
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Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 7. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Rudolf Krämer-Badoni: Gespräche, die sich im Kreise drehen. Schriftsteller aus Ost und West treffen sich in New York – Zweiter Bericht vom Pen-Weltkongreß. In: Die Welt vom 28. 6. 1966. Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 5. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 5. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. 451
darauf hingewiesen, daß unsere Delegation zu klein war, um alle Chancen zu nützen, die ein solcher Internationaler Kongreß für die Propagierung unserer Standpunkte bietet.«590 Neben diesen allgemein gehaltenen Lobhudeleien enthielt der Bericht der DDR-Delegation auch handfeste Informationen über den Verlauf des New Yorker Kongresses. Besonderes Augenmerk wurde dabei, wie von den Parteifunktionären gewünscht, auf die Belange der sowjetischen Schriftsteller gelegt. Verwiesen wurde auf die kurzfristige Absage der für New York angekündigten Beobachterdelegation des sowjetischen Schriftstellerverbandes, die mit den in Moskau geführten Prozessen gegen die russischen Schriftsteller Julij Daniel und Andrej Sinjavsky in Zusammenhang stand. Die Sorge der sowjetischen Abgesandten, dass aus dem New Yorker Kongress ein Tribunal werden würde, habe Arthur Miller unberechtigt genannt: »Die Schriftsteller der UdSSR hätten vielmehr den Kongreß als Tribüne für ihre Sache ausnützen können, und die Angriffe gegen den Prozeß wären weit schneller und besser in den Hintergrund getreten.«591 Die DDR-Vertreter, namentlich Heinz Kamnitzer, hatten in New York eine deutlich prosowjetische Position vertreten. So wurde die Arbeit des WiPC gezielt torpediert. Kamnitzer äußerte im Plenum die provokative Ansicht, dass die Fälle inhaftierter Autoren in der UdSSR im Vergleich zu Fällen in anderen Ländern unverhältnismäßige Beachtung fänden.592 Während der Bericht der DDRDelegierten vermerkt, der internationale Generalsekretär habe »mit hektischer Nervosität«593 reagiert, vermittelt das offizielle Protokoll des internationalen P.E.N.-Sekretariats einen anderen Eindruck. Demnach war die Kritik sachlich zurückgewiesen worden: »The Committee had always taken equal interest in
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Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 10. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 9. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Vgl. International P.E.N. Executive Committee Meeting in New York USA on Sunday June 12 1966 – Summary Report of Business Transacted. P.E.N.-Archiv London. Vgl. auch Heinz Kamnitzer,Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde:Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 4. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 4. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156.
cases of restrictions of writers’ freedom in east and west, and would continue to act impartially.«594 An die Kongress-Teilnahme knüpften sich konkrete Ergebnisse: Kamnitzer hatte mit dem internationalen Präsidenten ausführlich über die Tätigkeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gesprochen. Gegenüber einem Besuch der DDR zeigte sich Miller aufgeschlossen: »Er […] würde bei einer künftigen Europareise versuchen, einen solchen Aufenthalt in der DDR zu nehmen.«595 Am Rande des Kongresses war es den DDR-Delegierten zudem gelungen, zahlreiche weitere Gespräche zu führen. Übermittelt wurden im Anhang des Berichts umfangreiche Namenslisten, die Auskunft erteilten über die »Verbindungen, die Prof. Dr. Heinz Kamnitzer geknüpft hat mit Schriftstellern, die besonderes Interesse für [das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West] haben und die zum Teil gern die DDR besuchen würden«; »Verbindungen, die Prof. Dr. Wilhelm Girnus in den USA geknüpft hat«596 . Aus den generellen Erkenntnissen ihrer USA-Reise zogen die Delegierten Schlüsse, die weit über den P.E.N.-Rahmen hinausgingen und in engem Zusammenhang mit der internationalen Anerkennung der DDR als Staat standen: Zur Verbesserung der nationalen DDR-Repräsentanz in den USA, die »außerordentlich mangelhaft«597 sei, schlugen die Vertreter des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West eine Generaloffensive vor – mit der Herausgabe einer englischsprachigen Zeitschrift, die offiziell einen literarischen Charakter hat, etwa mit dem Titel ›German Quarterly Review‹ und die auch für Kanada, England, Australien und die englischsprachigen Gebiete Afrikas und Asiens geeignet wäre. Sie sollte enthalten: Hochqualifizierte Artikel über politische und philosophische Fragen, Erzählungen, Novellen, Essays über literarische und künstlerische Fragen, Reportagen, Buchbesprechungen, Ausstellungsbesprechungen, Berichte über Schulwesen, Erziehung, Gesundheitswesen, Hochschulbildung und viele sachliche Informationen.598
Welche Resonanz der Bericht über den New Yorker Kongress erzielte, ist nicht verbürgt. Am Rande der Kongress-Auswertung gab es indes Entwicklungen, die 594
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International P.E.N. Executive Committee Meeting in New York USA on Sunday June 12 1966 – Summary Report of Business Transacted. P.E.N.-Archiv London. Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 9. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Anhang zum Bericht des New Yorker Kongresses. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/ 156. Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 11. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 [19. 7. 1966], S. 11. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. 453
einen tiefen Einblick in die Kaderpolitik der SED bieten. Aus unerfindlichem Grund war Kamnitzer nicht zur Aussprache bei Abusch eingeladen worden. Zudem war ein Interview, das er im Nachgang des Kongresses für die Berliner Zeitung gegeben hatte, nicht gedruckt worden. Kretzschmars Nachforschungen ergaben, dass es auf Weisung der Chefredaktion nicht erscheinen würde. Einige Äußerungen von Kamnitzer stünden im Widerspruch zur Auffassung der Redaktion. Über diesen Sachverhalt war Kamnitzer erst durch Kretzschmar informiert worden – »Kamnitzer [war] außer sich und suchte sofort eine Verbindung mit der Nicht-Einladung beim Gen. Abusch.«599 Kamnitzer fühlte sich in »seine[r] aufopferungsvollen Arbeit« ignoriert und kokettierte mit dem Rückzug aus dem P.E.N.: »Er wisse ja nicht, ob man ihm von offizieller Seite überhaupt noch Vertrauen entgegenbringen möchte.«600 Kretzschmar, die mit den empfindsamen Gemütszuständen ihrer (Vize-)Präsidenten wohl vertraut war, wandte sich an die Abteilung Kultur; dort wurden sogleich geeignete Strategien diskutiert, um Kamnitzer zu besänftigen. Obwohl Kamnitzer und Kretzschmar bereits beim Staatssekretär im Ministerium für Kultur Bericht über New York erstattet hatten, sollte in der Abteilung Kultur ein weiteres Auswertungsgespräch stattfinden – allein zur Umwerbung Kamnitzers. Auch die Vorwürfe gegen die Berliner Zeitung sollten geprüft und gegebenenfalls eine entsprechende Entschuldigung der Redaktion veranlasst werden. Diese Maßnahmen erachtete der Vertreter der Abteilung Kultur als sinnvoll, weil gerade Gen. Kamnitzer – bei allen persönlichen Eigenheiten, die ihm anhaften – sich vorbildlich für den PEN eingesetzt und besonders auch in New York gut ›geschlagen‹ hat. Seine dort geführten Gespräche und sein Auftreten in offiziellen Veranstaltungen des PEN sind einwandfrei. Er hat vielseitige Verbindungen, die bei richtiger Arbeit mit ihm weitgehend für die Republik genutzt werden können. Außerdem hat er sich immer bereit erklärt, für die Partei und Regierung Aufträge zu übernehmen.601
Man scheute keine Mühen, um einen willigen Parteisoldaten an einer entscheidenden Schaltstelle einer Organisation wie dem P.E.N. zu erhalten.
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Aktenvermerk [27. 7. 1966; erstellt von Hans Baumgart, Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktenvermerk [27. 7. 1966; erstellt von Hans Baumgart, Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktenvermerk [27. 7. 1966; erstellt von Hans Baumgart, Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156.
6.6
»[E]igentlich doch immer am Rande eines Versandens … «602 – Der Ständige Verbindungsausschuss zwischen den deutschen P.E.N.-Zentren (1964–1968)603
6.6.1 Der Internationale P.E.N. als Mittler zwischen Ost und West: Die Schaffung eines Ständigen Verbindungsausschusses Bei Betrachtung der sechziger Jahre darf der Blick indes nicht nur auf die zunehmende parteipolitische Inanspruchnahme des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gelenkt werden. Das Augenmerk muss auch auf das deutsch-deutsche Verhältnis gerichtet werden. Tatsächlich gab es Mitte der sechziger Jahre erste Schritte einer verbindlicheren Annäherung, die sich in der Bildung eines Ständigen Verbindungsausschusses zwischen den beiden deutschen P.E.N.-Zentren manifestierte. Dessen konkrete Arbeitsergebnisse waren bis auf wenige Einzelereignisse kaum fassbar. So verwundert es kaum, dass der Präsident der bundesdeutschen Sektion, Dolf Sternberger, am Ende seiner Amtszeit das Ergebnis der steten Bemühungen um eine gedeihliche Zusammenarbeit resignativ beschrieb: »[D]ie Kommunikation mit dem PEN-Zentrum der DDR – […] – die unter internationalem Protektorat […] eingeleitet wurde, [hat sich] nur hingeschleppt, sie ist eigentlich doch immer am Rande eines Versandens entlang gelaufen. […] Wir hatten […] große Mühe, viel Geduld daran gewendet und doch nicht das erreicht, was wir erhofft hatten.«604 Die Annäherung der deutschen P.E.N.-Zentren war bei einem Londoner Besuch von Heinz Kamnitzer im März 1961 angestoßen worden.605 Zu Kamnitzers Unterredung mit dem internationalen Generalsekretär war zeitweise Richard Friedenthal hinzugekommen. Thematisiert wurde dabei eine verstärkte Kontaktaufnahme zwischen dem Deutschen P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) und dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West.606 Die internationale Exekutivkomitee-Tagung im Oktober 1962 (London) beschäftigte sich am Rande auch mit einem potentiellen Treffen zwischen den beiden deutschen P.E.N.-Zentren. Obwohl ein solches erwünscht sei, habe es bislang noch nicht 602
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Begrüßungsrede von Dolf Sternberger [= Anlage 1 des Protokolls der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland am 16./17. 4. 1970 in Darmstadt]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Ausführungen zum Ständigen Verbindungsausschuss finden sich auch bei Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 263–272. Begrüßungsrede von Dolf Sternberger [= Anlage 1 des Protokolls der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland am 16./17. 4. 1970 in Darmstadt]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanuschek bezeichnet den Ständigen Verbindungsausschuss zu Recht als »mißratene und weitgehend erfolglose Institution«. Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 263. Vgl. David Carver an Robert Neumann [31. 10. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 P.E.N.-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 19,19 a und b, hier 19b. David Carver an Arnold Zweig [20. 4. 1961]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 P.E.N.Club/PEN-Zentren International 1962–1968/Briefwechsel/Carver–Zweig 2, 1. 455
stattgefunden. Für das Zusammentreffen der beiden Zentren war lediglich vereinbart worden, dass beide Sektionen eigene Vertreter entsenden und zwei neutrale Beobachter hinzukommen sollten. Schon in Brüssel (Mai 1962) hatte man dafür plädiert, einen Nicht-NATO-Staat für die Zusammenkunft von bundesdeutschem P.E.N. und Deutschem P.E.N.-Zentrum Ost und West zu wählen, z. B. Schweden oder die Schweiz, um die Visavergabe an die DDR-Vertreter sicherzustellen.607 Da jedoch aufgrund der Visa-Problematik wiederum kein Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in London (Oktober 1962) anwesend war, konnte über die Konkretisierung des Vorhabens nicht detailliert gesprochen werden. Zwar waren Kamnitzer und Kretzschmar nach Prag gereist, um dort englische Visa zu erhalten. Dieser Versuch war jedoch gescheitert. Auf der Londoner Exekutive rückten daher die generellen Schwierigkeiten, die sich für DDR-Bürger mit einer erwünschten Einreise in NATO-Staaten ergaben, in den Vordergrund;608 sie sollten zukünftig eine Fortentwicklung in der Kooperation beider deutscher P.E.N.-Zentren maßgeblich hemmen. Der Delegierte des tschechischen P.E.N.-Zentrums regte an, den Teilnehmern an den internationalen Exekutiven die Erlangung von Einreisegenehmigungen zu erleichtern durch die Ausstellung eines »special piece of paper entitling delegates to stay for a certain set time while the authorities turned a blind eye on their passports«609 . Dieser Vorschlag wurde von Carver kurz kommentiert; es sei Fakt, dass die Bürger der DDR Papiere des Alliierten Reisebüros (Allied Travel Board) in Westdeutschland benötigten, um in einen dem westlichen Sicherheitsbündnis zugehörigen Staat einreisen zu können.610 Nach dem Mauerbau war es jedoch nicht mehr ohne weiteres möglich, das Allied Travel Board in West-Berlin aufzusuchen und dort die notwendigen Formalitäten zu erledigen. Ohne entsprechende Nachweise wurde die Grenzüberschreitung in einen NATO-Staat verweigert. Carver hatte sich bei den zuständigen Londoner Regierungsstellen vergeblich um Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen für Kamnitzer und Kretzschmar bemüht. Die Exekutive verabschiedete in der Folge eine Resolution, die Bedauern darüber ausdrückte, dass »delegates from certain countries without diplomatic representation are unable to attend P.E.N. meetings by reason of the difficulty they encounter in obtaining the necessary visas – particu607
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Vgl. Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) an alle Mitglieder [Juli 1962]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. The Minutes of the P.E.N. International Executive Committee Meeting in the English-Speaking Union. Charles Street. London W 1 at 10 a.m. on Wednesday October 10th , 1962, S. 5f. P.E.N.-Archiv London. Wortbeitrag von Eduard Goldstücker. In: The Minutes of the P.E.N. International Executive Committee Meeting in the English-Speaking Union. Charles Street. London W 1 at 10 a.m. on Wednesday October 10th , 1962, S. 6. P.E.N.-Archiv London. Vgl. The Minutes of the P.E.N. International Executive Committee Meeting in the English-Speaking Union. Charles Street. London W 1 at 10 a.m. on Wednesday October 10th , 1962, S. 6. Das Allied Travel Board unterstand den amerikanischen, französischen und britischen Aufsichtsbehörden in Berlin.
larly from certain authorities; they hope that in the future such authorities will respond favourably to requests made by International P.E.N.«611 Diese Stellungnahme des Internationalen P.E.N. sandte Carver im November 1962 mit Bezug auf die Verweigerung der Visa für Kretzschmar und Hermlin an das Londoner Home Office und bat um Kommentierung.612 Die umfassende Antwort machte deutlich, dass in der Visa-Frage keine Lösung in Sicht war. Verwiesen wurde auf die Beschränkungen in Bezug auf temporäre Reisedokumente für Bürger der DDR; diese seien in Reaktion auf die illegalen Maßnahmen der SU und der ostdeutschen Regierungsstellen zur Beschränkung der Reisefreiheit in Berlin aufgestellt worden. Der Mauerbau in Berlin wurde als offene Aggression gegen die alliierten Kräfte und zutiefst verachtenswürdige, unmenschliche Maßnahme empfunden und verurteilt: Travel by private citizens from East Germany to West remains rigorously banned and the unhappiness which has been caused to many thousands of innocent people has been greatly increased by the ruthlessness with which the regulations are enforced, and by the readyness of the East German authorities to shoot down in cold blood those who seek to escape.613
Der Under Secretary of State machte die Haltung der Regierung Großbritanniens sehr deutlich; man erkenne das ostdeutsche Regime und damit die von ihm ausgestellten Reisepässe nicht an. Nach Lage der Dinge dürften nur Personen Ostdeutschland verlassen, »who the authorities think might further their claim to international recognition or serve otherwise to make politicial capital for their regime.«614 Aus diesem Grund schließe man sich der Haltung der NATOVerbündeten an und gebe keine Visa an ostdeutsche Reisende aus. Die Restriktionen seien ein direktes Ergebnis der kommunistischen Politik und Aktivität in Deutschland: »The remedy lies in the hands of the East Germans and their Russian masters.«615 Auf seiner Reise nach Ost-Berlin, die der internationale Vizepräsident Robert Neumann im November 1962 antrat, hatte er nicht nur jene konkretisierte Liste der Inhaftierten in der DDR im Gepäck, sondern auch »gewisse Fragen des bundesrepublikanischen P.E.N. an [das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West ] 611
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Zitiert nach: International P.E.N. Executive Committee meeting in the Hotel Metropole Brighton Sussex England on Monday May 27th , 1963, Appendix I. P.E.N.-Archiv London. David Carver an Secretary of State, Home Office [28. 11. 1962]. Zitiert nach International P.E.N. Executive Committee meeting in the Hotel Metropole Brighton Sussex England on Monday May 27th , 1963, Appendix I. P.E.N.-Archiv London. The Under Secretary of State [Foreign Office] an David Carver [27. 12. 1962]. Zitiert nach International P.E.N. Executive Committee meeting in the Hotel Metropole Brighton Sussex England on Monday May 27th , 1963, Appendix III. P.E.N.-Archiv London. International P.E.N. Executive Committee meeting in the Hotel Metropole Brighton Sussex England on Monday May 27th , 1963, Appendix III. P.E.N.-Archiv London. International P.E.N. Executive Committee meeting in the Hotel Metropole Brighton Sussex England on Monday May 27th , 1963, Appendix III. P.E.N.-Archiv London. 457
über die Möglichkeit einer Zusammenarbeit«616 . Carver hatte Neumann gegenüber deutlich gemacht, dass alles getan werden müsse, um ein Treffen der beiden deutschen P.E.N.-Zentren zustande zu bringen. Zwar zeigte sich Carver nicht sehr zuversichtlich, was die Ergebnisse einer solchen Zusammenkunft anbelangte. Er schien aber endlich etwas in Gang bringen zu wollen – »the idea of such a meeting has now been on the tapsis for a considerable time«617 . Carver stand zu diesem Zeitpunkt in Austausch mit dem neu gewählten Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik ), Bruno E. Werner, und dem neu ins Amt berufenen Generalsekretär Rudolf Krämer-Badoni; beide hatten sich auf eine Zusammenkunft mit den Vertretern des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West eingestellt. Bereits im September 1962 hatte Krämer-Badoni einen Fragenkatalog an Carver übersandt, der auf die Agenda eines potentiellen Treffens gesetzt werden sollte und den Neumann nun in Ost-Berlin überbringen sollte: Do you see any possibilities to complain together about the Berlin wall as decision of German writers and people without apologizing by individual comments? Could you agree to an identical text to be published in eastern and western papers, where each centre says it hopes its government will make the greatest efforts to abolish such things as the Berlin wall and restriction of free circulation? Are you willing to send to your government a petition for clemency for all imprisoned writers, no matter he stole silver spoons or committed acts against political laws? Each centre should publish such a text in the papers of its region.618
Vor dem Hintergrund der Gespräche mit den Vertretern des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West sah Neumann hinsichtlich des Fragenkatalogs von Krämer-Badoni durchaus eine Verständigungsmöglichkeit – »wenn man sich einmal mit gutem Willen an einen Tisch setzt. Konkret: 1) eine gemeinsame Erklärung über die Mauer ist wahrscheinlich formulierbar – […]; – 2) das gilt auch für den Punkt 2. 3) diesbezüglich sind die Leute – […] – wohl zu Aktionen zu veranlassen, nicht aber zur Anerkennung ›westlich-frivoler‹ Formulierungen wie der mit den ›silbernen Löffeln‹.«619 Von Seiten der P.E.N.-Vertreter aus der DDR war gegenüber Neumann deutlich gemacht worden, »dass auch die Produktion genialster Gedichte niemandem einen Freibrief gebe, ungestraft silberne Löffel stehlen zu dürfen – wozu noch kommt, daß man unter allen Umständen nur zur Intervention für wirkliche Schriftsteller im Sinn der P.E.N.-Charta bereit sei, nicht aber zur Intervention für ›Intellektuelle‹ im allgemeinen.«620 616
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Robert Neumann an Ingeburg Kretzschmar [3. 11. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 17 und 17a, hier 17a. David Carver an Robert Neumann [31. 10. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-ZentrenInternational 1962–1968/Robert Neumann 19, 19a und b, hier 19b. David Carver an Robert Neumann [31. 10. 1962]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-ZentrenInternational 1962–1968/RobertNeumann 19, 19a und b, hier 19a. Robert Neumann an Kasimir Edschmid [3. 1. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 14 und 14a, hier 14. Robert Neumann an Kasimir Edschmid [3. 1. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 14 und 14a, hier 14.
Neumanns Hoffnung, bei seinem Berlin-Besuch einige Dinge ans Laufen gebracht zu haben, war Anfang Februar 1963 bereits zusammengeschmolzen. Enttäuscht wandte er sich an Hermlin. Sein neu gewonnenes, durchweg positives Bild von den Ost-Berliner P.E.N.-Akteuren war ins Wanken geraten; er antwortete auf die offenbare Diskrepanz zwischen Wollen und Wirken mit Verdruss: Rätselhaft bleibt mir, wieso Ihr P.E.N.-Zentrum die zahlreichen […] angebahnten oder fest vereinbarten Dinge in diesen drei Monaten einfach nicht weiter verfolgt hat. Da war ein offizieller Brief an mich zu schreiben, in Sachen der Vorbereitung einer Aussprache Ihres Zentrums mit dem Zentrum der Bundesrepublik; […]; da war der lange Brief des Österreichischen P.E.N. direkt zu beantworten – mit einem Durchschlag an mich. In all diesen Dingen habe ich in Erwartung, alles von Ihrem Zentrum vereinbarungsgemäß in kurzer Frist zu bekommen, erste Schritte getan, und ich habe hier erste Reaktionen – aber ich kann und will das ohne den von Euch zu liefernden Rückhalt nicht weiter verfolgen. Im ganzen erweckt dieses rätselhafte Verhalten auf Eurer Seite in mir den Eindruck einer Frustration, einer Untüchtigkeit, die ich nicht erwartet hätte; das von Ihnen und Ihren Freunden in den Gesprächen mit mir unter großem Einsatz an sachlicher Überzeugungskraft und persönlicher Herzlichkeit kostspielig Angebahnte scheint nun im Sande verlaufen zu sollen. Es ist ein Vergeben von Chancen, das mit meinen […] gewonnenen positiven Vorstellungen einfach nicht in Einklang zu bringen ist.621
Zwar gab sich Kretzschmar daraufhin Mühe, den aufgebrachten Neumann wieder zu beruhigen: [Z]unächstmöchte ich noch einmal ganz offiziell um Entschuldigungbitten, daß unsere gemeinsamen Angelegenheiten so unzulässig ins Schleifen geraten sind. Es entstand durch ungewöhnlich widrige Umstände. […] In Vorbereitung der ersten Präsidiumssitzung dieses Jahres gelang es dann, ein leidliches Budget zusammenzukratzen, […] und die hierzulande erforderliche administrative Unterstützung für Ausreisevisa, Valuta etc. zu erwirken, so daß wir nun für das laufende Jahr freie Fahrt haben. Wir bedauern es außerordentlich, daß Dich dieser enorme Zeitverlust selbstverständlich in Harnisch bringen mußte und Deine gute Bereitschaft auf Eis legte. Wir wissen nur zu gut, was wir Dir und Deiner persönlichen Hilfe zu verdanken haben; auch in internationaler Hinsicht. Sie zu entbehren, wäre für uns ein ernsthafter Verlust. Ich bitte deshalb, und das ausdrücklich im Namen des gesamten Präsidiums, gehörig um Entschuldigung, und ich bitte Dich zugleich, uns künftighin Dein Wohlwollen nicht zu versagen.622
Die Zusammenkunft mit dem Bundes-P.E.N. sei in Vorbereitung, so Kretzschmar: »Es bedürfte Deines Rates, wie die Angelegenheit nun am besten einzuleiten sei. Vielleicht könntest Du uns hierzu Hinweise geben.«623 621
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Robert Neumann an Stephan Hermlin [1. 2. 1963]. DLA A: Stephan Hermlin, Briefe an Hermlin. Ingeburg Kretzschmar an Robert Neumann [6. 3. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 10 und 10a, hier 10. Ingeburg Kretzschmar an Robert Neumann [6. 3. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 10 und 10a, hier 10. 459
In der Folgezeit kamen die Bestrebungen des Internationalen P.E.N., beide deutsche Zentren einander näher zu bringen, jedoch nicht wirklich voran. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) signalisierte auf der Frühjahrsexekutive 1963 durch die explizite Benennung seiner Vertreter, Kasimir Edschmid, Richard Friedenthal und Harry Pross, und die Verabschiedung einer offiziellen Stellungnahme die Bereitschaft zur Gesprächsaufnahme mehr als deutlich.624 Diese Haltung gegenüber einer Kontaktaufnahme mit dem Deutschen P.E.N.Zentrum Ost und West war auf der Generalversammlung des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums diskutiert und mit einer Gegenstimme angenommen worden. Was sich vordergründig als Friedensangebot an das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West liest, war nicht zuletzt ein strategisches Unternehmen; dies verdeutlicht die protokollierte Diskussion der Generalversammlung. In der Frage einer Wiedervereinigung gingen die Meinungen stark auseinander. Winfried Sabais forderte als Voraussetzung für ein Gespräch mit Nachdruck »die Schaffung klarer Verhältnisse zwischen Ost und West«: Ulbricht und Chruschtschow betonen, die Existenz zweier deutscher Staaten ist Realität. Daher sollten wir dem Int. PEN vorschlagen, Voraussetzung eines solchen Gesprächs ist die saubere Trennung, und zwar in der Weise, daß sich der unsere, ganz einfach der Realität entsprechende PEN-Klub DEUTSCHES PEN-ZENTRUM WEST nennt, und der andere DEUTSCHES PEN-ZENTRUM OST. Entscheidend für die Mitgliedschaft müßte der geographische Wohnsitz des Mitglieds sein.625
Schütz hingegen plädierte für eine subtilere Erledigung des Falls; er sah eine Stärkung der eigenen Position durch vordergründige Kooperationsbereitschaft viel eher gegeben. Die Konkurrenzsituation beider deutscher Zentren wird an dieser Stelle evident. So empfahl Schütz, »daß wir einige konkrete Gesichtspunkte aufstellen. Auf diese Weise haben wir die Initiative, und wenn es zu einer Ablehnung kommen sollte – was zu befürchten ist –, dann ist es der Osten, der ablehnt und nicht wir.«626 Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West zeigte sich wenig kooperativ. Die Delegation zur Exekutivkomitee-Tagung konnte aufgrund des Tagungsortes Brighton (Großbritannien) wieder nicht teilnehmen. Zwar sprach sich Kretzschmar gegenüber den parteilichen Instanzen dafür aus, »daß die bei dieser Exekutive erforderlichen zwei Vertreter unseres Zentrums formal alles versuchen, um diesen Punkt der internationalen Tagesordnung [gemeint ist das Verhältnis der
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Vgl. Stellungnahme des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) zur Wiederaufnahme der Gespräche mit dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West (Mai 1963). Enthalten in International P.E.N. Executive Committee Meeting in Hotel Metropole Brigthon Sussex England on Monday May 27th , 1963, S. 3f. P.E.N.-Archiv London. Wortbeitrag von Winfried Sabais. In: Protokoll der Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) am 11. 5. 1963 [29. 5. 1963]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Wortbeitrag von [?] Schütz. In: Protokoll der Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) am 11. 5. 1963 [29. 5. 1963]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
beiden deutschen Zentren] selbst zu verhandeln.«627 Dabei handelte es sich aber lediglich um ein taktisches Vorgehen, eine tatsächliche Teilnahme schien von vorneherein ausgeschlossen: »Obwohl Mitteilungen vorliegen, daß das britische Home Office einer Einreise unserer Vertreter nicht zustimmen will, muß offiziell beim Britischen Generalkonsulat in Westberlin der Antrag auf Einreise gestellt werden, um die notwendig werdenden Erklärungen gegenüber dem Internationalen PEN entsprechend zu fundieren.«628 Im Namen von Arnold Zweig entsandte das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West im Vorfeld der Exekutive schließlich ein Telegramm, das die Streichung des Tagungsordnungspunktes forderte, der die Kooperation zwischen den beiden deutschen Zentren betraf: Not being present and therefore not in a position to make proposals we propose the motion that the item […] should be struck from the agenda. We shall not accept any Resolutions voted upon on this subject in our absence; we are ready at any moment to embark upon a discussion on cooperation between the two German P.E.N. Centres wherever the representatives of the two German P.E.N. Centres can take part; at the time of such a meeting, we will make our proposals.629
Innerhalb der Exekutive einigte man sich darauf, dass man weder eine Resolution, noch eine Diskussion erzwingen wollte und respektierte Zweigs Wunsch. Gleichwohl wurde die konstruktive Haltung des bundesdeutschen P.E.N. als besonders beachtenswert hervorgehoben; man müsse ihm für diesen Schritt in einer schwierigen Lage herzlich danken.630 Eine direkte Kommunikation zwischen den beiden deutschen P.E.N.-Zentren gab es in dieser Zeit nicht. Im August 1963 führte Kamnitzer gegenüber Neumann Klage über ein derartiges Vorgehen: »Warum, in aller Welt, erfährt man ihre Vorschläge, sich mit uns zu vereinigen, nur aus zweiter und dritter Hand. […] Ein solches Gebaren ist nicht nur unhöflich, sondern nimmt uns die Möglichkeit, darauf direkt zu antworten. […] Wenn man mit dem falschen Fuß auftritt, ehe man wieder die ersten Gehversuche unternehmen will, kann das nichts werden. Man muß sich endlich abgewöhnen, uns als Staat wie als PEN-Brüder mit Passagieren dritter Klasse zu verwechseln.«631 Neumann bemühte sich, Kamnitzer zu beruhigen; er riet ihm »ad personam«, »auf Fragen der Form keinerlei Gewicht [zu] legen«: »Die Internationale Exekutive hatte dem Westdeutschen PEN eine Auflage erteilt und es war für die Leute nahe liegend, den Bericht
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Vorlage [betr. Exekutive in Brighton (25.–29. 5. 1963); erstellt von Ingeburg Kretzschmar] [15. 5. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1963 3. Vorlage [betr. Exekutive in Brighton (25.–29. 5. 1963); erstellt von Ingeburg Kretzschmar] [15. 5. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1963 3. International P.E.N. Executive Committee meeting in the Hotel Metropole Brighton Sussex England on Monday May 27th , 1963, S. 4. P.E.N.-Archiv London. Vgl. International P.E.N. Executive Committee meeting in the Hotel Metropole Brighton Sussex England on Monday May 27th , 1963, S. 5. P.E.N.-Archiv London. Heinz Kamnitzer an Robert Neumann [12. 8. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 8 und 8a, hier 8. 461
über ihren Beschluß daraufhin über London zu publizieren. Natürlich hätten die Leute auch mit euch direkt in Verbindung treten sollen.«632 Obgleich Neumanns Optimismus »seit [d]er letzten Begegnung in Ostberlin beträchtlich reduziert«633 worden war, sah er gute Chancen für die Verhandlungen zwischen den beiden P.E.N.-Zentren. Er wertete seinen eigenen Anteil an deren ideeller Vorbereitung recht unbescheiden: »Was zunächst Euch anlangt, so haben Sie ja wohl die Quersumme meiner Eindrücke in der ZEIT gelesen – sie liefen darauf hinaus, daß zu der früher im Westen verbreiteten Tendenz, die ostdeutschen Schriftsteller als automatische Ja-Sager abzuwerten, keinerlei Anlaß vorliegt. Diese meine positive Wertung hat sich (nach Konflikten) auch recht weitgehend durchgesetzt – […].«634 Hinsichtlich der personellen Besetzung einer potentiellen Unterredung gab Neumann einen Rat, der deutlich machte, dass Kamnitzers Position auf internationalem Terrain zu diesem Zeitpunkt keineswegs gefestigt war: Diese relative Günstigkeit Eurer Position ist allerdings nur dann vorhanden und auswertbar, wenn Ihr nicht etwa neue Leute zu Verhandlungen schickt (die wieder als Apparatschiks gewertet würden) sondern die vorher Bekannten – also Arnold Zweig und Ingeburg Kretzschmar. Hermlin fällt ja wohl leider durch seine Umsiedlung nach Moskau weg, und was Sie selbst anlangt, so sind Sie zwar Carver und mir bekannt, nicht aber unserem breiteren Gremium, und das heißt: Sie wären als mitreisender Beobachter durchaus willkommen, hätten aber als Hauptunterhändler einen schweren Stand.635
Neumann legte den Vertretern des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West die Teilnahme an der kommenden Exekutive nahe und versprach, sich in jedem Falle vermittelnd einzusetzen.636 Die folgende Exekutivkomitee-Tagung im Oktober 1963 (Reims) widmete sich in einer ausführlichen Debatte dem Treffen der beiden deutschen Zentren – ohne Anwesenheit der DDR-Vertreter. Während der internationale Präsident, Victor van Vriesland, und der Generalsekretär, David Carver, sich besorgt zeigten hinsichtlich des Zustandekommens einer solchen Zusammenkunft, bekräftigte der Abgeordnete des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums, Robert Schnorr, das starke Interesse seiner Sektion an einem baldigen Gespräch mit den Kollegen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Gemeinsam suchte die Exekutive 632
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Robert Neumann an Heinz Kamnitzer [7. 9. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 7 und 7a, hier 7. Robert Neumann an Heinz Kamnitzer [7. 9. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 7 und 7a, hier 7. Robert Neumann an Heinz Kamnitzer [7. 9. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 7 und 7a, hier 7. Neumann spielte auf den Artikel über seine DDR-Reise im November 1962 an. Vgl. Robert Neumann: Auf den Spuren Wolfgang Harichs. Wie leben und leiden die Intellektuellen in der DDR? – Eine Reisebericht. In: Die Zeit 9 (1. 3. 1963), S. 5. Robert Neumann an Heinz Kamnitzer [7. 9. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 7 und 7a, hier 7. Robert Neumann an Heinz Kamnitzer [7. 9. 1963]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/Robert Neumann 7 und 7a, hier 7a.
nach Möglichkeiten, Zeitpunkt und Ort zu bestimmen. Bislang war die Vermittlung des Gesprächs weitgehend über den Internationalen P.E.N. gelaufen – mit mäßigem Erfolg. Im Raum stand nun die Frage, ob eine direkte Kontaktaufnahme zwischen beiden Zentren nicht zu einer schnelleren Abstimmung führen könnte. Schnorr propagierte ein direktes Zusammentreffen: »[A] meeting with writers of the opposite Centre would be more valuable than any interchange of letters with ›functionaries‹«637 . Nach einer kurzen Auseinandersetzung um Schnorrs unglückliche Formulierung einigte sich die Exekutive darauf, dass ein baldiges Treffen wünschenswert sei. Durch den internationalen Generalsekretär sollte in den kommenden Monaten ein Treffen in Wien oder in der Schweiz vorgeschlagen werden. Käme ein solches nicht zustande, solle die Zusammenkunft am Rande des Budapester Kongresses im Herbst 1964 stattfinden.638 Die Budapester Tagung stellte eine Besonderheit dar: Zum ersten Mal sollte die internationale P.E.N.-Gemeinschaft in einem Ostblockstaat zusammenkommen. Zwar war man mit diesem Vorhaben auf Skepsis bei zahlreichen westlichen Mitgliedern gestoßen. Für die Delegation der DDR aber eröffnete der Kongressort eine ungehinderte Teilnahme an der internationalen Veranstaltung. Die internationale Exekutive am 15. April 1964 (London) hielt schließlich fest, dass das Treffen für den 13. oder 14. Oktober 1964 in Budapest erwartet werde.639 In der Zwischenzeit betätigte sich David Carver als Vermittler. Mitte Mai 1964 fand auf Einladung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West eine Aussprache mit dem internationalen Generalsekretär in Ost-Berlin über Fragen der Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen P.E.N.-Zentren statt, die zu positiven Ergebnissen führte.640 Die DDR-Vertreter akzeptierten Carver als Vermittler »für eine erste beratende Fühlungsnahme zwischen Vertretern«641 beider deutscher P.E.N.-Zentren. Auf dem Kongress in Oslo (21.–27. Juni 1964) konkretisierte man das Vorhaben: Endgültig wurde der Termin auf den 13. Oktober festgesetzt, der internatio-
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International P.E.N. ExekutiveCommittee Meeting in Rheims [sic] France in the Hotel de Ville at 9.30 a.m. on Thursday, October 17th , 1963, S. 6. P.E.N.-Archiv London. International P.E.N. ExekutiveCommittee Meeting in Rheims [sic] France in the Hotel de Ville at 9.30 a.m. on Thursday, October 17th , 1963, S. 4–6. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Summary of the proceedings of the P.E.N. International Executive Committee Meeting held in London on Wednesday April 15th , 1964. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Arnold Zweig und Alexander Stenbock-Fermor an David Carver [7. 5. 1964]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/International PEN/To the General Secretay 7. Vgl. weiterhin Protokoll der Erfahrungsaustausches über Fragen der Zusammenarbeit der PEN-Zentren im Klubhaus des Kulturbundes ›Johannes R. Becher‹, Berlin, Otto-Nuschke-Straße 2 am Dienstag, dem 12. Mai 1964 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/International PEN/Protokoll 1, 1a–h. Aktennotiz. Betr. Aussprache mit dem Internationalen PEN-Sekretär David Carver, London, im Berliner Club der Kulturschaffenden, am 12. 5. 1964 [o. D.; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/International PEN/Deutsches PEN-Zentrum Ost und West 1. 463
nale P.E.N.-Präsident Victor van Vriesland sollte den Vorsitz führen. Eigentlich hatte man für Oslo mit der Teilnahme von Mitgliedern aus der DDR gerechnet; sie scheiterte, wie seit Jahren, an der Visa-Frage. Tatsächlich hatte das Sekretariat des ZK der SED der Entsendung einer Delegation zugestimmt. Unter der Leitung von Alfred Kurella sollten Bruno Apitz, Peter Hacks, Wieland Herzfelde und Kurt Stern nach Oslo reisen. Ein klarer Auftrag war mit der geplanten Reise verbunden: »Unsere Delegierten werden zu offensivem Auftreten im Sinne der antimilitaristischen, auf internationale Entspannung zielende Politik der DDR verpflichtet. Das soll im engen Kontakt mit den Vertretern der PEN-Zentren der anderen sozialistischen Länder geschehen.«642 Doch dazu kam es nicht: Auch Norwegen war Mitglied der NATO und damit an die vereinbarten Restriktionen gebunden. Damit kam wieder einmal die Diskussion auf, in welcher Weise man für eine Lockerung der Regularien eintreten könnte. Nach Carvers Vorstoß beim Foreign Office hatte der P.E.N in dieser Frage geschwiegen.643 Die Teilnehmer der Exekutive beschlossen auf Carvers Vorschlag hin einhellig, dass sofort nach der Rückkehr aus Oslo »every Centre should make representations to its own Government on this subject, and should also send Mr. Carver letters to support his next move to the Foreign Office in London«644 . Carvers neuerliche Eingabe beim Foreign Office führte zu keinem wirklichen Fortschritt; er bekräftigte aber auch im Oktober 1964 wiederum sein Ansinnen, die Behörden weiterhin mit der Problematik zu konfrontieren.645 Auf dem internationalen P.E.N.-Kongress in Bled (Juli 1965) konnte Carver nur vermelden, dass es trotz mehrerer Eingaben keine Bewegung in der VisaFrage gegeben habe. Unter diesen Umständen bliebe weiterhin nur der Weg, temporäre Reisedokumente über das Allied Travel Board zu erlangen. Diese Lösung, die eine Anerkennung der DDR als Staat weiterhin negierte, empfanden die DDR-Delegierten als unbefriedigend; es sei an der Zeit, ostdeutsche Pässe als gültige Dokumente anzuerkennen. Sollte diese Situation nicht eintreten, sei es am P.E.N., Kongresse und Exekutiven nur noch an Orten einzuberufen, die in Nicht-NATO-Staaten stattfänden.646 Mit der fixen Terminierung des Sondierungsgesprächs in Budapest (Oktober 1964) liefen die konkreten Vorbereitungen an. Auf bundesdeutscher Seite 642
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Anlage Nr. 4 zum Reinschriftenprotokoll 50/64 vom 17. 6. 1964 [erstellt vom Sekretariat des ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/J IV 2/3 988, Bl. 34. Vgl. Minutes of the Meeting of the P.E.N. International Executive Committee held during the XXXII. P.E.N. Congressin the Universityof Blindern Oslo Norway, Sunday June 21th, 1964, S. 4f. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the P.E.N. International Executive Committee held during the XXXII. P.E.N. Congress in the University of Blindern Oslo Norway, Sunday June 21th, 1964, S. 4f. P.E.N.-Archiv London. Condensed Minutes of the Meeting of the International P.E.N. Executive Committee meeting in the Picture Hall of the Academy of Sciences, Budapest, Hungary, at ten c’clock on Thursday October 15th , 1964, S. 5f. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Summary of Proceedings of the P.E.N. International Executive Committee Meetings held in Bled Yugoslavia on July 2 and July 3 – 1965, S. 3. P.E.N.-Archiv London.
bemühte man sich bei Richard Friedenthal, Hellmut Jaesrich, Harry Pross und Winfried Sabais um tätige Mitwirkung an dem vereinbarten Zusammentreffen: »Als einzigen Gesprächspunkt wollen wir […] vorschlagen, Wege zum freien literarischen Austausch. Es ist ungeheuer wichtig, dass wir eine wortgewandte, mit den kommunistischen Anschauungen vertraute Gruppe zusammenbekommen. Der Vorstand wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das Opfer an Zeit auf sich nehmen könnten.«647 In Vorbereitung des Gesprächs unternahm der internationale P.E.N.Präsident, Victor van Vriesland, einen Versuch, eine Brücke zum Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West zu bauen, das sich bislang weitgehend zurückgehalten hatte. Van Vriesland bemühte sich, die Scheu vor allzu hoch geschraubten Erwartungen hinsichtlich einer Fusion der beiden deutschen P.E.N.-Zentren in Relation zur Realität zu setzen und etwaiges Unbehagen der DDR-Mitglieder aufzufangen. Gleichwohl unterbreitete er einen Kompromissvorschlag: Ein Utopist bin ich nicht und verspreche mir keine unrealisierbaren Ideale von diesem Treffen. Ich glaube also nicht, daß es möglich wäre, ein einziges deutsches Zentrum mit einem einzigen Vorstand zu gründen. Mit viel gutem Willen und im Geiste des P.E.N. wäre es aber allerdings möglich, ein deutsches Zentrum zu gründen mit einer Branche Bundesrepublik und einer Branche D.D.R., mit zwei verschiedenen Vorständen, aber mit einem gemeinsamen Reglement und vielleicht einem einzigen Votum auf Kongressen.648
Als weiterer Ratgeber meldete sich Robert Neumann zu Wort. Er sah die bevorstehenden Verhandlungen mit Skepsis und versorgte die DDR-Vertreter mit Information und Unterweisung hinsichtlich einer adäquaten Verhandlungsführung: Mein Pessimismus gründet sich nicht auf einer Beurteilung Eurer Seite (ich kenne Eure Position und halte Eure Beschwerdenmit Ausnahme gewisserExtremwünschefür recht und billig) – sondern darauf, daß Sternberger (wie ich glaube: in echter Naivität unseren internationalen Problemen gegenüber) vor seiner Abreise nach Amerika von sich aus ›autoritär‹ eine Dreier-Kommission für Budapest bestimmt hat, die neben dem (mir persönlich wenig bekannten, aber nach seinen Publikationen vermutlich durchaus verständnisfreudigen) Harry Pross auch noch zwei Leute präsentiert, mit denen Ihr Euch nicht oder nur mit großen Hemmungen an einen Tisch setzen und jedenfalls Krach haben werdet: Erstens Jaesrich vom MONAT und zweitens Friedenthal […]. Mein Rat ist, daß Ihr zwar gegen diese beiden Leute von vorneherein Bedenken anmeldet, aber doch zu verhandelnversucht,Euch dabei vernünftigund gemäßigt zeigt – und es der anderen Seite überlasst, die Verantwortung für das Scheitern zu übernehmen. Übrigens wird sich in kleinen Dingen nicht grundsätzlicher Natur eine Verständigung erzielen lassen – also etwa Austausch von Informationen, wechselseitige Einladung zu Generalversammlungen und dergleichen. Ein Punkt, den Friedenthal sicher aufs Tapet bringen wird, ist sein Wunsch nach Bekanntgabe Eurer Mitglieder in der Bundesrepublik – ich habe wiederholt abgewehrt mit der Feststellung, daß David (Carver) und mir 647
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[Dolf Sternberger] an Richard Friedenthal, Hellmut Jaesrich, Harry Pross und Heinz Winfried Sabais [19. 7. 1964]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Victor van Vriesland an Arnold Zweig [28. 7. 1964]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Ständiger Verbindungsausschuß/Arnold Zweig 2. 465
die Liste dieser Schriftsteller bekannt ist, daß sie meiner Ansicht nach durchschnittlich durchaus dem Niveau des West-PEN entsprechen, und daß die Veröffentlichungen ihrer Namen zwar nicht zu einer politischen oder gar kriminalistischen, sehr wohl aber zu einer wesentlichen wirtschaftlichen Benachteiligung dieser Personen in Westdeutschland (vor allem bei Rundfunken und Redaktionen) führen würde.649
In Budapest trafen schließlich unter dem Vorsitz von Victor van Vriesland als Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) Harry Pross, Hellmut Jaesrich und Richard Friedenthal mit den Vertretern des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West, Wieland Herzfelde, Heinz Kamnitzer und Alexander Stenbock-Fermor, zusammen. Die Sondierungsgespräche führten zu einem raschen Erfolg. Beschlossen wurde die Bildung eines Ständigen Verbindungsausschusses zwischen den beiden Zentren. In den Ausschuss sollte jedes Zentrum zwei Vertreter und je einen Stellvertreter entsenden. Die Beschlussfähigkeit sollte bei Anwesenheit von je zwei Vertretern gegeben sein. Von den internationalen Vermittlern emanzipierte man sich: Den Vorsitz sollte bei den künftigen Treffen, die mindestens zwei Mal im Jahr stattfinden sollten, jeweils ein Vertreter übernehmen. Die Aufgaben des Ständigen Verbindungsausschusses wurden in einer Vereinbarung zwischen den beiden deutschen P.E.N.-Zentren unmissverständlich festgelegt: 1. Der Ausschuß soll den Austausch von Informationen und Publikationen veranlassen, die von der Tätigkeit der beiden Zentren Zeugnis ablegen. 2. Der Ausschuß soll vereinbaren, daß gemeinsame literarische Veranstaltungen (Lesungen, Vorträge, Aussprachen) stattfinden. 3. Der Ausschuß soll dafür Sorge tragen, daß die beiden deutschenZentrensich gegenseitig zu ihren eigenen literarischen Veranstaltungen einladen. 4. Der Ausschuß soll versuchen, Angelegenheiten, die zwischen den beiden Zentren strittig sind, zu schlichten. 5. Der Ausschuß soll durch seine Tätigkeit ein enges Zusammengehen der beiden deutschen PEN-Clubs vorbereiten.650
In der Öffentlichkeit zeigten sich beide Seiten mit dem Ergebnis zufrieden. Friedenthal sprach in einer Stellungnahme für den Hessischen Rundfunk von einem »recht erfreulichen Resultat«651 ; man habe sich »eigentlich recht rasch und erfreulich geeinigt unter Hilfe des Internationalen Präsidenten«652 . Hoff649
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Auszug aus einem Brief von Robert Neumann an Ingeburg Kretzschmar [2. 10. 1964]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2156. Vereinbarung zwischen dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West und dem Deutschen P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) [14. 10. 1964]. PEN-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Ständiger Verbindungsausschuss/Protokoll 14. 10. 1964 1 und 2. Zitiert nach Alfred Unger: Bericht über die Internationale Tagung des P.E.N.-Clubs in Budapest. Sendereihe »In diesen Tagen«. Hessischer Rundfunk. Abschrift des Sendungsmanuskripts durch Abt. Information beim Staatlichen Rundfunkkomitee der DDR [1. 11. 1964]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2156. Zitiert nach Alfred Unger: Bericht über die Internationale Tagung des P.E.N.-Clubs in Budapest. Sendereihe »In diesen Tagen«. Hessischer Rundfunk. Abschrift des Sendungsmanuskripts durch Abt. Information beim Staatlichen Rundfunkkomitee der DDR [1. 11. 1964]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2156.
nungsfroh konstatierte Herzfelde, daß »von beiden Seiten vom ersten Wort an das Verständnis schon in der Luft lag, so daß es auch nur verhältnismäßig weniger Stunden bedurfte, um zu einer Abmachung zu kommen, die im Wortlaut von beiden Seiten unterschrieben wurde und daher zweifellos eine Art Meilenstein in der Entwicklung der beiden PENs in der Richtung des besser Verstehens und des Miteinandergehens und vielleicht zuletzt auch des wieder Zusammenwachsens ist.«653 Gleichwohl war man sich von bundesdeutscher Seite bewusst, dass mit der Schaffung des Ständigen Verbindungsausschusses die deutsch-deutschen Probleme noch längst nicht geklärt waren. So warnte Harry Pross den bundesdeutschen Generalsekretär, Heinz Winfried Sabais, vor einer allzu großen Euphorie: Wir haben – wie Sie inzwischen festgestellt haben dürften – eine Politik der kleinen Schritte beschlossen und in Gang gebracht. Ich meine, dass mehr nicht möglich ist und dass die euphoristische [sic] Auffassung der Times in ihrem Bericht, dass der PEN stärker ist als eine Mauer, eine leichte Übertreibung darstellt. […] Wenn ich zu der praktischen Arbeit, die nun folgen soll, etwas sagen darf, so erkläre ich mich dafür, möglichst bald den einen oder anderen der Genossen von drüben zu einem literarischen Vergnügen hierher einzuladen, etwa nach Darmstadt oder nach München, wo genügend PEN-Brüder sitzen. Wenn ich aber beispielsweise ermächtigt werde, könnte ich sogar in Bremen beispielsweise eine Lesung von Stenbock oder Hermlin arrangieren. Man vergisst ja bei uns so leicht, wie begierig diese Helden sind, sich von ihrem stalinistischen Makel zu befreien, viel begieriger jedenfalls als unsere Nazis oder auch Patentdemokraten sich von ihren braunen Flecken zu säubern wünschen. Das verdient Unterstützung, wie ich meine.654
Auch im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West rieb man sich an der Formulierung, dass der P.E.N. sich mächtiger als die Mauer erwiesen habe. Der internationale Generalsekretär hatte dieses Bild auf dem internationalen P.E.N.-Kongress in Bled (Juli 1965) noch einmal aufgegriffen, um seine Genugtuung über die Schaffung eines Ständigen Verbindungsausschusses zum Ausdruck zu bringen. Während Kamnitzer in Bled das Zustandekommen einer solchen deutschdeutschen Kooperation lobend auf »the polite pressure and persistence of the International President and Secretary«655 zurückführte und sich mit der Entwicklung zufrieden zeigte, spielte ein Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West aus der DDR, Günther Cwojdrak, in einem Bericht über den Bleder Kongress in der Weltbühne die Bedeutung des Ständigen Verbindungsausschusses herab: »Ich vermag nicht zu sehen, was diese Vereinbarung zwischen den beiden deutschen Zentren [mit der Mauer] zu tun haben soll: was uns angeht, so waren wir vor und nach dem 13. August für Kontakte, Gespräche, Begeg653
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Zitiert nach Alfred Unger: Bericht über die Internationale Tagung des P.E.N.-Clubs in Budapest. Sendereihe »In diesen Tagen«. Hessischer Rundfunk. Abschrift des Sendungsmanuskripts durch Abt. Information beim Staatlichen Rundfunkkomitee der DDR [1. 11. 1964]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2156. Harry Pross an Heinz Winfried Sabais [13. 11. 1964]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Summary of Proceedings of the P.E.N. International Executive Committee Meetings held in Bled Yugoslavia on July 2 and July 3 – 1965, S. 3. P.E.N.-Archiv London. 467
nungen mit humanistischen westdeutschen Schriftstellern.«656 Nach wirklicher Versöhnlichkeit klang das nicht. Probleme waren vorprogrammiert. 6.6.2 Die Aktivitäten des Ständigen Verbindungsausschusses Gegenüber der langen und komplizierten Vorgeschichte nahm sich die Tätigkeit des Ständigen Verbindungsausschusses relativ bescheiden aus. Während der Jahre 1964 bis 1968, in denen das Gremium faktisch existierte, traten die Vertreter der beiden deutschen Zentren nur zwei Mal zusammen: am 20. März 1965 in Darmstadt und am 15. Oktober 1966 in Leipzig. Von Seiten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West schien man gewillt, die Arbeit des Ständigen Verbindungsausschusses in erster Linie auf eine verbindliche Festlegung konkreter literarischer Veranstaltungen zu konzentrieren. Nach Absprache mit der Abteilung Kultur entsandte das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West zur ersten Zusammenkunft des Ständigen Verbindungsausschusses im März 1965 die beiden ständigen Delegierten Kamnitzer und Herzfelde; sie sollten differenzierte Vorschläge für eine Zusammenarbeit [unterbreiten], d. h. für die gemeinsame Durchführung der folgenden Veranstaltungen: a) Eine öffentliche literarische Veranstaltung über das Thema ›Brecht und der zweite Weltkrieg‹ aus Anlaß des 20. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus; b) Eine öffentliche literarische Veranstaltung in der Bundesrepublik zu Ehren von Thomas Mann (aus Anlaß seines 90. Geburtstages); Thomas Manns politische Ansichten (vornehmlich in der Zeit von 1933 bis zu seinem Tode). c) Eine öffentliche literarische Veranstaltung in der Bundesrepublik über das Thema ›Kampf gegen den Antisemitismus in der deutschen Literatur nach 1945‹. d) Eine literarische Veranstaltung über Fragen der zeitgenössischen Dramatik […].657
Eine Präsidiumssitzung am 18. März erweiterte die Vorschlagsliste um »je eine Veranstaltung in der Bundesrepublik und in der DDR über G o e t h e«658 , eine Lesung aus Werken von Arnold Zweig in Hamburg und einen Vortrag über Else Lasker-Schüler. Als Gäste zu Lesungen wünschte das Präsidium »unbedingt« Erich Kästner und Kasimir Edschmid.659 Die von der Abteilung Kultur vorgegebene Stoßrichtung war deutlich. Die für die gemeinsame Aktivität des deutsch-deutschen Gremiums vorgeschlagenen Veranstaltungen zielten 656
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Günther Cwojdrak: Bericht aus Bled (II). In: Die Weltbühne 30 (28. 7. 1965), S. 940– 943, hier S. 941. Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED. Betr.: Entsendung einer Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West zur ersten Zusammenkunft des Ständigen Verbindungsausschusses der beiden deutschen PEN-Zentren [3. 3. 1965; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Auszug aus dem Protokoll der Präsidiumssitzung am 18. 3. 1965 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Ständiger Verbindungsausschuß/Auszug aus dem Protokoll 18. 3. 1965 1. Vgl. Auszug aus dem Protokoll der Präsidiumssitzung am 18. 3. 1965 [o. D.]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/StändigerVerbindungsausschuß/Auszugaus dem Protokoll 18. 3. 1965 1.
in erster Linie auf kulturpolitische Propaganda-Arbeit in der Bundesrepublik. Für die Verhandlungsführung war ein klares Konzept erstellt worden: »Sollten die Vertreter des Bundes-PEN ihre Zustimmung zu den Vorschlägen des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West verweigern, versucht das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West, die geplanten Veranstaltungen in der Bundesrepublik allein, ohne die Beteiligung des Bundes-PEN-Zentrums durchzuführen.«660 Der Handlungsspielraum der DDR-Delegierten war eng begrenzt; sie arbeiteten »auf der Grundlage der vom Zentralkomitee ausgearbeiteten Richtlinien über die kulturpolitische Arbeit in Westdeutschland […] [–] mit Anleitung und Konsultation der Kulturabteilung.«661 Demgegenüber beabsichtigte man im bundesdeutschen P.E.N.-Zentrum, den eigenen Vertretern im Ständigen Verbindungsausschuss weitgehend freie Hand zu lassen, um flexibel auf die Erfordernisse der jeweiligen Situation eingehen zu können: »Es hat keinen Zweck, daß wir den Mitgliedern dieser Kommission eine vorgeschriebene Marschroute mitgeben.«662 Im Angebot hatte das P.E.N.Zentrum der Bundesrepublik: Leseabende von Mitgliedern in Ost und West Zug um Zug Austausch der Mitgliederverzeichnisse Vermittlung von Publikationsaustausch zwischen den Mitgliedern der beiden Zentren Zusendung westdeutscher Bücher an Mitglieder des PEN-Zentrums Ost und West Vermittlung westdeutscher kulturpolitischer und literarischer Zeitschriften an Mitglieder des PEN-Zentrums Ost und West663
Ganz abgehoben von der politischen Ebene agierte auch der Bundes-P.E.N. nicht. Der Vorstand beschloss Anfang 1965: »Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium sollen von der Budapester Vereinbarung vom 14. 10. 1964 über die Bildung des Verbindungsausschusses unterrichtet werden.«664 Als ständige Vertreter hatte das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) die West-Berliner Harry Pross und Hellmut Jaesrich bestimmt. Auf Anraten von Pross665 zeigte sich der amtierende Generalsekretär, Heinz Winfried Sabais, im 660
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Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED. Betr.: Entsendung einer Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West zur ersten Zusammenkunft des Ständigen Verbindungsausschusses der beiden deutschen PEN-Zentren [3. 3. 1965; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED. Betr.: Entsendung einer Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West zur ersten Zusammenkunft des Ständigen Verbindungsausschusses der beiden deutschen PEN-Zentren [3. 3. 1965; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Bericht von Richard Friedenthal: Formen und Aufgaben des Kontaktes mit dem PENZentrum Ost und West. Enthalten im Protokoll der Generalversammlung des Deutschen PEN-Zentrums der Bundesrepublik am 30. 4. 1965 [o. D.]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik [11. 1. 1965]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik [11. 1. 1965]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Harry Pross an Heinz Winfried Sabais [26. 1. 1965]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 469
Vorfeld des ersten Treffens diplomatisch: »Bequemster Ort für diese Zusammenkunft wäre Berlin. Falls Sie in seiner Wahl jedoch Schwierigkeiten sehen«, die sich bekanntermaßen für die DDR-Vertreter bei einem Treffen in West-Berlin ergeben würden, »bieten wir Frankfurt/M. oder Darmstadt an.«666 Kamnitzer, Herzfelde, Pross und Jaesrich trafen schließlich im alten Rathaus von Darmstadt zusammen, um in »harmonischer Stimmung«667 über die zukünftige Arbeit des Ständigen Verbindungsausschusses zu beraten. Zentrales Thema war die Planung gemeinsamer Veranstaltungen. Durch die detaillierte Vorbereitung der DDR-Vertreter wurden in erster Linie deren Vorschläge beraten; so berichtete Pross auf der Jahresversammlung des bundesdeutschen P.E.N.Zentrums im April 1965: »Wie man es häufig beobachten kann, hatten sich die Marxisten die Sache vorher sehr viel genauer überlegt und kamen mit einem Spickzettel voll Ideen, während wir ganz harmlos und unbewaffnet erschienen waren. Infolgedessen überwogen die praktischen Vorschläge der Gegenseite.«668 Auf die zweite Tagung des Ständigen Verbindungsausschusses im Oktober 1966 waren die Vertreter des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) besser vorbereitet. Gemäß ihres Wunschs, weniger »personalaufwendige[ ] Veranstaltungen« mit einem Einzelredner bzw. höchstens zwei Rednern zu planen, unterbreiteten Jaesrich und Pross zahlreiche konkrete Vorschläge: Geschichtsschreibung als Literatur Über die Rhetorik Der Expressionismus Liebe und Sexualität in der Literatur Der Unterhaltungsroman Das Wesen des Feuilletons Hugo von Hofmannsthal Bert Brecht Neo-afrikanische Literatur Literaturzeitschriften in Ost und West
Golo Mann Walter Jens Fritz Usinger Martin Walser Walter von Hollander Hans Bender Gerhard Hering Gerhard Szczesny [sic] Janheinz Jahn vertreten durch ihre Herausgeber.669
Die beiden gemeinsamen Beratungen erbrachten konkrete Ergebnisse. Die Vorgabe der kulturpolitischen Funktionäre der DDR, über den Ständigen Verbindungsausschuss in erster Linie nach Westdeutschland zu wirken, war jedoch aufgeweicht worden. Alle geplanten Veranstaltungen wurden parallel in der DDR und in der Bundesrepublik durchgeführt: 666 667
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Heinz Winfried Sabais an Heinz Kamnitzer [15. 2. 1965]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Protokoll zur Sitzung des Ständigen Verbindungsausschusses der beiden deutschen P.E.N.-Zentren am 20. 3. 1965 [Abschrift] [5. 4. 1965; erstellt von Harry Pross]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Ständiger Verbindungsausschuß/Protokoll am 20. 3. 1965 1–3, hier 3. Harry Pross: Formen und Aufgaben des Kontaktes mit dem PEN-Zentrum Ost und West. Bericht. Enthalten im Protokoll der Generalversammlung des Deutschen PENZentrums der Bundesrepublik am 30. 4. 1965. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hellmut Jaesrich: Protokoll der Sitzung des Ständigen Verbindungsausschusses am 15. 10. 1966 in Leipzig. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Ständiger Verbindungsausschuss/Protokoll am 15. 10. 1966 1–5, hier 3.
Goethe und seine Zeit mit Richard Friedenthal und Gerhard Scholz am 4. bzw. 16. November 1965 in Berlin670 und Frankfurt am Main;671 Thomas Mann und die Politik mit Maximilian Scheer, Inge Diersen, Harry Pross und Heinz Kamnitzer am 26. Januar 1966 in Leipzig672 und mit Janheinz Jahn, Inge Diersen, Heinz Kamnitzer, Horst Rüdiger (Bonn) und Gerhard Storz (Tübingen) am 11. November 1966 in München673 ; eine Lesung von Anna Seghers am 9. Februar 1967 in Heidelberg674 und von Erich Kästner am 17. Februar in Dresden. Für einige der gemeinsamen Veranstaltungen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West und des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) liegen Nachweise für die akribische Kontrolle der DDR-Vertreter durch die Abteilung Kultur beim ZK der SED vor. Eine Durchführung bzw. Teilnahme ohne Kommunikation mit den parteipolitischen Verantwortlichen schien unmöglich. Für den Antrag auf Entsendung einer Delegation nach Frankfurt am Main zur Goethe-Veranstaltung, den die Generalsekretärin Kretzschmar an die Abteilung Kultur beim ZK der SED richtete, orientierte sie sich wohlweislich an den parteipolitischen Vorgaben: Die Delegation hat die Aufgabe, den bisherigenerfolgreichenVorstoß unsererTätigkeit in der Bundesrepublik weiter auszubauen, um im Sinne unserer Kulturpolitik […] in Westdeutschland wirksam zu werden. Da zu erwarten steht, daß diese erste gemeinsame Veranstaltung in der Bundesrepublik spektakulären Charakter tragen wird, ist es dringend erforderlich, eine ausreichende Vertretung zu entsenden.675
Als Kostenträger eingesetzt war die Finanzabteilung des ZK der SED. Die Sicherung des parteipolitisch korrekten Auftretens war opportun: »Die Konzeption für das Auftreten in Frankfurt/Main erhalten die genannten Teilnehmer vom 670
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Vgl. [Protokoll der] Veranstaltung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in der Deutschen Staatsbibliothek am 4. November 1965. Thema: Goethe und seine Zeit [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982– 1983/Goethe und seine Zeit – November 1965 1–39. Vgl. hierzu auch Hanuschek:Geschichte des bundesdeutschenPEN-Zentrums, S. 264f. Vgl. [Protokoll der] Gemeinsame[n] Veranstaltung der beiden deutschen PEN-Zentren in Leipzig, Alte Handelsbörse,am 26. 1. 1966.»Thomas Mann und die Politik«. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/Gemeinsame Veranstaltung der deutschen PEN-Zentren 1966 1–29. Vgl. weiterhin Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 265. Vgl. Günther Cwojdrak: PEN-Gespräch in München. In: Die Weltbühne 48 (30. 11. 1966), S. 1524f. Vgl. auch Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 265f. Auf die Schwierigkeiten bei der Organisation der Lesung von Seghers geht Hanuschek ausführlich ein; er deutet diese als Beleg für die »kafkaesk[en] Umgangsformen der deutschen PEN-Zentren«. Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 266–268, hier S. 266. Antrag auf Entsendung einer Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West nach Frankfurt/Main vom 15.–18. 11. 1965 [o. D.; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. 471
Sekretariat des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Verantwortlich: Ingeburg Kretzschmar.«676 Die Generalsekretärin war auch im Hinblick auf die anderen Veranstaltungen Hauptansprechpartnerin der Kulturfunktionäre. Ihr oblag es, die Weisungen an die Abgesandten des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West weiterzugeben. Ob und in welcher Weise sie das tat, lässt sich nicht nachweisen. Im Vorfeld der Podiumsdiskussion über Thomas Mann und die Politik, die im November 1966 in Leipzig stattfand, wurde Kretzschmar z. B. darauf »aufmerksam gemacht, daß unsere Seite bei allen Gesprächen nur auf der Grundlage der Rede des Gen. Ulbricht auf dem 13. Plenum verfahren kann.«677 Die Sicherung der Veranstaltung wurde an die zuständige Bezirksleitung übertragen und Kretzschmar »verpflichtet, sich in Zweifelsfragen an die Genossen der BL Leipzig zu wenden.«678 Entsprechendes galt für die im Februar 1967 geplante Lesung von Erich Kästner in Dresden; sie sollte von Kretzschmar »gründlich mit den Genossen der Bezirksleitung Dresden beraten werden.«679 Zwar zeigten sich beide Seiten mit dem Verlauf der Veranstaltungen zufrieden. Gerade von Seiten der DDR-Teilnehmer schien man positiv angetan. Günther Cwojdrak lieferte diesbezüglich eine viel sagende Einschätzung: Ich möchte sagen, was mir an den PEN-Gesprächen, ohne daß ich sie überschätzen möchte, exemplarisch erscheint. Sie gehen von der hier schon selbstverständlich gewordenen Einsicht aus, daß es zwei deutsche PEN-Zentren und zwei deutsche Staaten gibt. Sie basieren, in jeder Hinsicht, auf dem Prinzip der völligen gegenseitigen Gleichberechtigung. Aus unterschiedlichen, manchmal entgegengesetzten Standpunkten wird kein Hehl gemacht. Jeder vertritt seinen Standpunkt, und jeder kann versuchen, einen Standpunkt zu widerlegen, jeder kann die gegenseitigen Argumente prüfen und abwägen. In dem Sinn sind diese Gespräche entschieden, sie streben aber zugleich Sachlichkeit an; es fehlt zum Glück fast völlig jener missionarische Eifer, der, wie die Erfahrung zeigt, solche Debatten ungemein erschwert, sie leicht steril werden läßt: hier geht es nicht um Bekehrung, sondern um Auseinandersetzung und Verständigung. Man weiß schon etwas mehr, wenn man weiß, worin Übereinstimmungen und worin Nichtübereinstimmungen bestehen. Man setzt sich zusammen, um sich auseinanderzusetzen: so kann man sich näherkommen.680
Die Korrespondenzen zwischen den beiden P.E.N.-Zentren, die sich in der Hauptsache auf den Austausch von Höflichkeiten und technischen Details der Verabredungen konzentrierten, dokumentieren jedoch auch, dass eine kulturelle 676
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Antrag auf Entsendung einer Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West nach Frankfurt/Main vom 15.–18. 11. 1965 [o. D.; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über ein Gespräch mit der Genn. Ingeburg Kretzschmar, PEN-Zentrum [10. 10. 1966; erstellt von Hans Baumgart]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über ein Gespräch mit der Genn. Ingeburg Kretzschmar, PEN-Zentrum [10. 10. 1966; erstellt von Hans Baumgart]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. Aktennotiz über ein am 10. Januar geführtes Gespräch mit der Genn. Ingeburg Kretzschmar [11. 1. 1967; erstellt von Hans Baumgart]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1968 13. Günther Cwojdrak: PEN-Gespräch in München. In: Die Weltbühne 48 (30. 11. 1966), S. 1524f., hier S. 1525.
Arbeit über die deutsch-deutsche Grenze hinweg Schwierigkeiten barg. Unmittelbar nach der ersten Goethe-Veranstaltung, die am 4. November 1965 in der Deutschen Staatsbibliothek Berlin stattgefunden hatte, verwies Heinz Winfried Sabais in einem Schreiben auf die Klage des West-Berliner P.E.N.-Mitglieds Walther Karsch, »daß unsere Berliner Mitglieder in größerer Zahl an der Veranstaltung teilgenommen hätten, aber keine Passierscheine hatten«681 . Daran knüpfte Sabais eine unmissverständliche Aufforderung zum Handeln: Es wäre sicherlich eine dankenswerte Aufgabe für Sie, bei Ihren Behörden darauf hinzuwirken, daß der zwischen uns begonnene literarische Verkehr durch eine Aufhebung der Reisebeschränkungen befördert wird. Unsere beiderseitigen Anstrengungen, Hindernisse im literarischen Leben Deutschlands zu beseitigen, würden besser verstanden werden, wenn die Einreise nach Ost-Berlin für unsere Mitglieder ohne bürokratische Hemmungen vonstatten gehen könnten.682
Von diesen Problemen war auch der internationale Generalsekretär David Carver unterrichtet worden; er brachte gegenüber Kretzschmar indes lediglich seine Freude darüber zum Ausdruck, dass ein Treffen des Ständigen Verbindungsausschusses, sowie Veranstaltungen in der Bundesrepublik und der DDR stattgefunden hatten, und bedauerte die »difficulties of ingress and egress«.683 Auf der Londoner Exekutive im März 1966, an der kein DDR-Vertreter teilnahm, wurde die Problematik noch einmal diskutiert. Friedenthal machte deutlich, »that it would be helpful if official letters supporting such meetings could be sent on behalf of International P.E.N. urging both relevant governments to make it easier for members in both the Federal and the Democratic Republics to attend on both sides of the border; he felt the present initiative deserved all support.«684 Carver sicherte solche Schreiben zu; er sei glücklich, »that the bridge between the two Germanies was being strengthened in this way.«685 Der Nachweis einer solchen Initiative ist jedoch nicht gelungen. Die partnerschaftliche Kooperation hinsichtlich der literarischen Veranstaltungen trübte den Blick der Verantwortlichen im bundesdeutschen P.E.N.Zentrum für die »freiheitsbehindernden Maßnahmen des Ulbricht-Regimes gegenüber ostzonalen Schriftstellern«686 nicht. Zwar ging man behutsam vor. Bekannte Fälle sollten nach Beschluss des Vorstands vom Januar 1966 »im Ver681
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Heinz Winfried Sabais an Ingeburg Kretzschmar [8. 11. 1965]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Ständiger Verbindungsausschuß/Ingeburg Kretzschmar 20. Heinz Winfried Sabais an Ingeburg Kretzschmar [8. 11. 1965]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Ständiger Verbindungsausschuß/Ingeburg Kretzschmar 20. David Carver an Ingeburg Kretzschmar [2. 12. 1965].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/PEN-ZentrenInternational 1962–1968/International PEN/Executive Committee 13 und 13a, hier 13a. Zitiert nach: Minutes. P.E.N. International Executive – English-Speaking Union 11 Charles Street London W1 at 10 – Wednesday 30. 3. 1966, S. 6. P.E.N.-Archiv London. Zitiert nach Minutes. P.E.N. International Executive – English-Speaking Union 11 Charles Street London W1 at 10 – Wednesday 30. 3. 1966, S. 6. P.E.N.-Archiv London. Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik [24. 1. 1966]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 473
bindungsausschuß von unseren Delegierten beanstandet werden, eine grundlegende Erörterung hingegen den internationalen Gremien vorbehalten bleiben.«687 Schon Ende Dezember 1965 hatte Sabais mit Beunruhigung auf die Angriffe gegen die Kulturschaffenden auf dem 11. Plenum des ZK der SED reagiert. Sorge bereitete ihm auch die Situation von Peter Huchel: In literarischen Kreisen bei uns hört man auch mancherlei Gerüchte darüber, daß dem Mitglied des Internationalen PEN, Herrn Peter Huchel, Reisebeschränkungen auferlegt worden seien. Ich würde solchen Gerüchten gerne entgegentreten, wenn Sie mir eine entsprechende Information zukommen lassen könnten. Daß ich Sie danach frage, wollen Sie, bitte, nicht als politisches Manöver verstehen; ich fühle mich aus alter Verehrung für Huchel und aus Sorge um unsere beginnende Verständigung dazu verpflichtet.688
Vom Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West gab es auf diese Nachfrage keine Antwort. Auch beim zweiten Zusammentreffen des Ständigen Verbindungsausschusses in Leipzig wurde der Fall Huchel nicht diskutiert; es gibt zumindest im Protokoll keine Hinweise auf eine solche Aussprache.689 Einen weiteren Vorstoß hinsichtlich der DDR-Kulturpolitik wagte Janheinz Jahn, der Heinz Winfried Sabais in seinem Amt als Generalsekretär des bundesdeutschen P.E.N. im Frühjahr 1966 abgelöst hatte. Er erkundigte sich im Juni 1966 nach einer vom Kulturministerium der DDR erlassenen Bestimmung, durch die Nachdrucke und Sendungen von Autoren der DDR in der Bundesrepublik und im Ausland einer formellen Genehmigung bedürfen. Wir haben auf unserer Generalversammlung darüber diskutiert, inwieweit diese Bestimmung als Behinderung des freien Austauschs angesehen werden kann und deshalb den Grundsätzen der PENCharta zuwiderläuft. Bitte lassen Sie uns wissen, bevor wir unsererseits Beschlüsse fassen, wie Sie über diese Bestimmung denken und was Sie unternehmen wollen. Wir rechnen in dieser Angelegenheit mit Ihrer Antwort noch vor Beginn des Kongresses in New York.690
Aus Ost-Berlin kam keine Antwort. Eine Stellungnahme zur aktuellen Regierungspolitik war den Verantwortlichen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West nicht zu entlocken, sie ließen sich, auch durch einen herannahenden internationalen P.E.N.-Kongress, offenbar nicht unter Druck setzen. Obgleich die Vertreter der beiden deutschen P.E.N.-Zentren im Oktober 1966 noch einmal in Leipzig zusammengetreten waren, dort eine ganze Reihe von Vorhaben diskutiert und zuversichtlich auf ein gedeihliches Zusammenwirken von Fall zu Fall gehofft hatten, schien sich das Verhältnis in den letzten Monaten 687
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Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik [24. 1. 1966]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Heinz Winfried Sabais an Ingeburg Kretzschmar [28. 12. 1965]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Protokoll der Sitzung des Ständigen Verbindungsausschusses am 15. 10. 1966 in Leipzig [o. D.; erstellt von Hellmut Jaesrich]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Ständiger Verbindungsausschuss/Protokoll am 15. 10. 1966 1–5. Janheinz Jahn an Ingeburg Kretzschmar [1. 6. 1966]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Ständiger Verbindungsausschuß/Janheinz Jahn 12.
des Jahres abgekühlt zu haben. Zwar zeigte das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West Ende Dezember 1966 Entgegenkommen, indem es nach langer Zeit dem Wunsch des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) nachkam, ihm ein »Verzeichnis [d]er in der Deutschen Demokratischen Republik und im Ausland lebenden Mitglieder«691 zuzusenden. Anfang Januar 1967 sah sich die in den neu gegründeten Beirat des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums aufgenommene West-Berliner Autorin Ingeborg Drewitz indes berufen, die Vermittlerrolle zwischen Ost und West zu übernehmen: [W]ie vorbesprochen wollen wir versuchen, die eingefrorenen Beziehungen zwischen den PEN-Gruppen hier in Berlin ein wenig ›aufzutauen‹. […] Kamnitzer hat der Einladung in meine Wohnung zum Freitag, dem 13. Januar […] zugesagt. Es würde mich freuen, wenn der ein oder andere von Ihnen [den Mitgliedern des Deutschen P.E.N.Zentrums der Bundesrepublik ]die Gelegenheitzu diesem ersten Gespräch wahrnehmen würde, da ich annehmen darf, daß den meisten von uns daran gelegen ist.692
Ob ein solcher Gesprächskreis zustande kam, ist nicht verbürgt. Im Februar 1967 fanden schließlich die geplanten Lesungen mit Anna Seghers und Erich Kästner statt; es waren die letzten Veranstaltungen des Ständigen Verbindungsausschusses. Seghers las am 9. Februar in Heidelberg. Die Lesung war »brillant besucht«: »Wir mußten vor der Zeit anfangen und die Türen vor Beginn schließen, wegen Überfüllung Hunderte von Personen wegschicken.«693 Kästners Lesung in Dresden hingegen schien den Vertretern des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums die gravierenden Verschiedenheiten zwischen Ost und West nachdrücklich verdeutlicht zu haben: Ganz offenkundig ist die Sache so – das ist kein Geheimnis –, daß der PEN-Club drüben noch nicht das gleiche ist, wie wir hier, jedenfalls nicht in der gleichen Position. Und ganz offenkundig wird – und ich glaube, das ist kein Verrat an der gemeinsamen geplanten Sache – wird das, was wir outriert [sic] und zum Teil schon durchgeführt haben, nicht gewürdigt. Das ist ganz eklatant zum Ausdruck gekommen in der Behandlung der paritätisch gedachten Veranstaltungen, die eben nicht so recht paritätisch gehandhabt worden sind. Die Publizität, die hier im Westen, in der Bundesrepublik, selbstverständlichzur Verfügunggestellt wurde, ist auf der anderenSeite gebremst oder negiert worden. Unser Freund Erich Kästner hat hier im kleinsten Kreise nicht einmal seinen noch lebenden Verwandten, sondern mehr oder weniger vor Funktionären seinen Vortrag halten ›dürfen‹, und so ähnlich war auch [Friedenthals] Veranstaltung in Berlin abgelaufen. Es wird alles pro forma abgehandelt, aber nicht im Sinne der gemeinsamen Aktion, die wir mit den Segenswünschen und nach den Intentionen des Internationalen PEN und der Beschlüsse, die wir bei verschiedenen internationalen Kongressen gefaßt haben [sic]. Das entspricht nicht unseren Absichten. Ich glaube
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[Sekretariatsmitarbeiterin] an Janheinz Jahn [9. 12. 1966]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Ständiger Verbindungsausschuß/Janheinz Jahn 10. Ingeborg Drewitz an alle Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums(Bundesrepublik) [7. 1. 1967]. SAdK Berlin, NL Günther Weisenborn 1347/2. Janheinz Jahn: Bericht. Enthalten im Protokoll der Generalversammlung des PENZentrums Bundesrepublik in Darmstadt [29./30. 4. 1967]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 475
aber auch nicht, daß wir, wenn wir mit einem Kollegen sprechen, d. h. wenn wir ihn überhaupt zu fassen bekommen, daß wir da sehr viel weiter kommen.694
Zusätzlicher Auslöser dieser negativen Einschätzung durch Friedenthal war die kurzfristige Absage eines seit Beginn der Ausschusstätigkeit geplanten Vortrags von Wieland Herzfelde über Else Lasker-Schüler, der Anfang April 1967 in Bremen stattfinden sollte. Zeitgleich war eine weitere Zusammenkunft des Ständigen Verbindungsausschusses in Bremen/Worpswede anberaumt worden, die ebenfalls nicht zustande kam. Vor diesem Hintergrund konstatierte Jaesrich auf der Generalversammlung des bundesdeutschen Zentrums am 29./30. April 1967 »eine gewisse Abkühlung und Entfremdung zwischen den beiden Partnern«695 und vermutete einen zumindest temporären Rückzug des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West aus dem internationalen Geschehen. Als Symptom wertete er auch die Abwesenheit von DDR-Vertretern auf der Londoner Exekutive Mitte April 1967: »Ich glaube, wir gehen einer Non-Internationalität in Ost-Berlin entgegen, einer Non-Koexistenz.«696 In der Folge entbrannte auf der Jahresversammlung des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums eine Diskussion um die Beziehungen zum Deutschen P.E.N.Zentrum Ost und West. Die Meinungen waren vielfältig. Hellmut Jaesrich plädierte für eine abwartende Haltung; Dolf Sternberger fragte nach den Entwicklungsmöglichkeiten der Beziehungen; Rudolf Krämer-Badoni schlug den Besuch »drüben« vor. In der Debatte aufgeworfen wurde auch die bedeutsame Frage nach der Zukunft des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West im Hinblick auf die jüngsten politischen Maßnahmen, die die DDR-Regierung vorgenommen hatte. War sein Status als Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West überhaupt noch tragbar? Eben dieser Sachverhalt beschäftigte auch die beinahe zeitgleich, am 28. April 1967, tagende Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Hier schien man im Hinblick auf die Aktivität des Ständigen Verbindungsausschusses eher abschließend zu urteilen: Der Wert dieser Unternehmungen [gemeint sind die Veranstaltungen] lag nicht allein im versuchsweisenDialog zwischenbeiden deutschenPEN-Zentren, sondern vor allem auch in der Tatsache, daß das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West, das unsere Republik mit jedem Satz unmißverständlich und nachdrücklich vertreten hat, von bundesdeutschen Behörden voll anerkannt und voll respektiert wurde, was auf westdeutschem Boden nicht immer und nicht ohne weiteres der Fall war. Wir dürfen mit Recht sagen, die literarische Geltung unseres Zentrums ist unumstritten, das literarische Niveau, mit dem es sich vortrug, fand Anerkennung.
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Stellungnahmevon Richard Friedenthal.Enthalten im Protokoll der Generalversammlung des PEN-Zentrums Bundesrepublik in Darmstadt [29./30. 4. 1967]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Janheinz Jahn: Bericht. Enthalten im Protokoll der Generalversammlung des PENZentrums Bundesrepublik in Darmstadt [29./30. 4. 1967]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Janheinz Jahn: Bericht. Enthalten im Protokoll der Generalversammlung des PENZentrums Bundesrepublik in Darmstadt [29./30. 4. 1967]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
Von der Tätigkeit unseres Zentrums ist ohne falsche Bescheidenheit zu vermerken, daß es uns gelungen ist, den bis vor einigen Jahren verbissen verteidigtenAlleinvertretungsanspruch des Zentrums der Bundesrepublik unwirksam zu machen und aufzuheben. Dieser Erfolg verstärkte zugleich auch die internationale Geltung unseres Zentrums.697
6.6.3 Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West als nationale Repräsentanz der DDR – Das »Aus« für den Ständigen Verbindungsausschuss Die Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West waren an den Ergebnissen, die der Ständige Verbindungsausschuss bislang erzielt oder verfehlt hatte, offenkundig nicht sonderlich interessiert. Die Arbeit des Ständigen Verbindungsausschusses wurde auf der im April 1967 abgehaltenen Mitgliederversammlung mit Ausnahme der obigen Stellungnahme nicht behandelt bzw. auch nicht von den Mitgliedern aufgegriffen. Im Zentrum der Beratungen dieser Generalversammlung stand vordergründig eine ganz andere Frage, deren Lösung aber sehr wohl Einfluss auf die Zukunft des Ständigen Verbindungsausschusses haben sollte. Beschlossen werden sollte die Umbenennung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Bereits unmittelbar nach der definitiven Schließung der deutsch-deutschen Grenzen am 13. August 1961 war eine Änderung der Namensgebung angedacht worden, die unzweifelhaft die staatliche Zugehörigkeit des P.E.N.-Zentrums dokumentieren sollte. Schriftlich fixiert wurden umfangreiche »Erwägungen des Präsidiums zur Frage einer Umwandlung des Ost-West-PEN in ein DDR-Zentrum«.698 Erst im Jahr 1967 aber nahm man die Vorbereitungen einer konsequenten Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein DDRZentrum erneut auf. In einem umfassenden thesenartigen Papier, das offenbar auf das Drängen der Verantwortlichen aus dem ZK antwortete, setzte sich das P.E.N.-Präsidium Anfang Februar 1967 fast ausschließlich mit den negativen Auswirkungen einer Umbenennung des P.E.N.-Zentrums auseinander.699 Demnach schien man im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West keineswegs überzeugt, dass eine Umwandlung in ein DDR-Zentrum in der bestehenden Situation eine richtige Entscheidung war. Zur Diskussion stand in der Folge auch die Mitgliedschaft der westdeutschen Autoren. Zwar hatte man einen differenzierten Maßnahmenkatalog zur notwendigen Vorgehensweise im Falle einer Umwandlung festgelegt: 697
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Auszug aus dem von Ingeburg Kretzschmar gegebenen Tätigkeitsbericht anläßlich der XVI. Generalversammlung am 28. 4. 1967 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Ständiger Verbindungsausschuß/Tätigkeitsbericht am 28. 4. 1967 1. Erwägungen des Präsidiums zur Frage einer Umwandlung des Ost-West-PEN in ein DDR-Zentrum [23. 8. 1961]. SAPMO-BArch DY 30/IV 2/9.06/273, Bl. 347f. Vgl. [Darlegung zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR] [7. 2. 1967; erstellt vom Präsidium des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28.0.4.1967/Umbenennung PEN/PEN 1–5. 477
Eine Umwandlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in ein PEN-Zentrum DDR bedarf des Zusammentritts sämtlicher Genossen. Vor Umwandlung in ein DDR-Zentrum müssen die PEN-Mitglieder aus der Bundesrepublik gehört werden. Die Umwandlung in ein DDR-Zentrum erfordert die Behandlung dieser Frage auf einer Generalversammlung. Die Umwandlung in ein DDR-Zentrum bedarf der Einwilligung des Präsidenten. Die Umwandlung muß auch dem internationalenPEN-Sekretariatbegreiflichgemacht werden.700
In der Argumentation aber bemühten sich die Verfasser, das Deutsche P.E.N.Zentrum Ost und West als wichtiges Instrument im Kampf des zur politischen Doktrin erhobenen Antifaschismus gegen den [Neo-]Faschismus zu stilisieren; es sei eine »Zusammenfassung der antifaschistischen deutschen Schriftsteller«, eine »antifaschistische geistige Heimstätte«.701 Für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland stelle die Mitgliedschaft im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West ein »klare[s] Bekenntnis zum Antifaschismus«702 dar. Der Internationale P.E.N. biete Rückendeckung für bundesdeutsche Schriftsteller mit eindeutig antifaschistischer Haltung. Durch das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West sei die Entwicklung eines »breitgefächerten Widerstand[s]« in der Bundesrepublik Deutschland möglich geworden, »eine Einflussmöglichkeit, die mit der Umwandlung ende[n]«703 würde. Faktisch sei damit die Unterstützung antifaschistischer Bemühungen in der Bundesrepublik am Ende: »Das Ausgliedern oder Abschieben [der West-Mitglieder] muß von diesen als Niederlage gewertet werden, auch von den antifaschistischen Kreisen im Bundes-PEN.«704 In engem Zusammenhang mit dem Rückzug aus der Bundesrepublik stand auch die Fortexistenz des Ständigen Verbindungsausschusses, dessen Liquidierung gleichfalls nicht befürwortet wurde: »Eine Tätigkeit unseres Zentrums in 700
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[Darlegung zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR] [7. 2. 1967; erstellt vom Präsidium des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28.0.4.1967/ Umbenennung PEN/PEN 1–5, hier 3. [Darlegung zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR] [7. 2. 1967; erstellt vom Präsidium des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28.0.4.1967/ Umbenennung PEN/PEN 1–5, hier 1. [Darlegung zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR] [7. 2. 1967; erstellt vom Präsidium des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28.0.4.1967/ Umbenennung PEN/PEN 1–5, hier 1. [Darlegung zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR] [7. 2. 1967; erstellt vom Präsidium des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28.0.4.1967/ Umbenennung PEN/PEN 1–5, hier 2. [Darlegung zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR] [7. 2. 1967; erstellt vom Präsidium des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28.0.4.1967/ Umbenennung PEN/PEN 1–5, hier 2.
der Bundesrepublik ist nach Annullierung des [Budapester] Abkommens nicht mehr gegeben.«705 Zudem sei kein »sachliche[r] PEN-Anlaß«706 für die Beendigung des Übereinkommens zwischen Deutschem P.E.N.-Zentrum Ost und West und Deutschem P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) gegeben. Obgleich die DDRVertreter auf den internationalen Exekutiven seit der Gründung des Verbindungsausschusses kaum aufgetreten waren, wurde dessen Bedeutung für die Repräsentanz der DDR in aller Welt hochgespielt. Der Ständige Verbindungsausschuss sei Gegenstand der internationalen Exekutiven und werde »außergewöhnlich beachtet«707 , was zweifellos stimmt. Übertrieben erscheint indes die folgende Darstellung: »Berichte dieser Art boten Gelegenheit, die FriedensPolitik, die Deutschland-Politik und die Kultur-Politik der DDR mit beträchtlichem Erfolg plausibel zu machen und innerhalb dieser UNESCO-Organisation ins Licht zu rücken. Das erwies sich als ein Stück Mithilfe zur staatlichen Anerkennung der DDR.«708 Die Argumentation zeigte wenig Wirkung. Schlussendlich war trotz der bewussten Probleme für die Durchsetzung einer nationalen Kennzeichnung entschieden worden. Eine entsprechende Vorlage wurde vom P.E.N.-Präsidium beim Sekretariat des ZK der SED Anfang März 1967 eingereicht.709 Mit einer Namensänderung sollte den strukturellen Gegebenheiten innerhalb des Zentrums Rechnung getragen werden: »Das Schwergewicht innerhalb des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West liegt seit Jahren eindeutig auf der Seite der DDR.«710 Auch die politischen Rahmenbedingungen im deutsch-deutschen Verhältnis wurden zur Argumentation herangezogen: »Die Kiesinger-StraußRegierung der Bundesrepublik, die im wachsenden Maße das Mittel des Allein705
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[Darlegung zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR] [7. 2. 1967; erstellt vom Präsidium des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28.0.4.1967/ Umbenennung PEN/PEN 1–5, hier 3. [Darlegung zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR] [7. 2. 1967; erstellt vom Präsidium des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28.0.4.1967/ Umbenennung PEN/PEN 1–5, hier 3. [Darlegung zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR] [7. 2. 1967; erstellt vom Präsidium des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28.0.4.1967/ Umbenennung PEN/PEN 1–5, hier 2. [Darlegung zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR] [7. 2. 1967; erstellt vom Präsidium des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28.0.4.1967/ Umbenennung PEN/PEN 1–5, hier 2. Ingeburg Kretzschmar an Arno Hochmuth [Abt. Kultur beim ZK der SED] [21. 2. 1967]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) Ordner 73. Vorlage des Sekretariats des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West an das Sekretariat des ZK der SED. Betr. Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein PEN-Zentrum der Deutschen DemokratischenRepublik [1. 3. 1967; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967/ Umbenennung PEN/Vorlage 1–3, hier 2. 479
vertretungsanspruches auszuüben und dabei gleichzeitig alle kulturellen Verbindungen dieser Alleinvertretungsanmaßung unterzuordnen sucht. Eine solche Grundhaltung ist für die Schriftsteller der DDR, die innerhalb des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West 63,6% der gesamten Mitgliedschaft ausmachen, unannehmbar.«711 Die geplante Namensgebung – P.E.N.-Zentrum Deutsche Demokratische Republik – zeugte zudem von einem erstarkten Selbstbewusstsein in Bezug auf die Position innerhalb der internationalen P.E.N.-Gemeinschaft. Hatte man bis zu diesem Zeitpunkt vorgeblich neutral als Deutsches P.E.N.Zentrum Ost und West firmiert, wünschte man nun die Zugehörigkeit zum Staat DDR für alle sichtbar zum Ausdruck zu bringen. Es »soll auch innerhalb des Internationalen P.E.N. die staatliche Autorität der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik deutlich gemacht werden. Dadurch wird eine Repräsentanz gezeigt wie sie auch von anderen nationalen Staaten wahrgenommen wird.«712 Diese Haltung hing eng mit den verstärkten Bemühungen der politischen Führung zusammen, die internationale Anerkennung der DDR zu erlangen. Seit 1965 hatte die DDR-Regierung verstärkt am Aufbau staatlicher Beziehungen »unterhalb des Niveaus der diplomatischen Anerkennung«713 gearbeitet. Sie unterstützte den wiederholten Vorschlag des Politischen Beratenden Ausschusses der Warschauer-Pakt-Staaten zur Einberufung einer Konferenz aller europäischen Staaten über Maßnahmen zur Gewährleistung der kollektiven Sicherheit in Europa (KSZE). Über eine solche Konferenz hoffte man, als Staat in Westeuropa anerkannt zu werden. Das zunehmend erstarkte außenpolitische Selbstbewusstsein dokumentiert auch der Ende Februar 1966 von Walter Ulbricht gestellte Antrag auf Aufnahme in die Vereinten Nationen (UN), der jedoch schon im Sicherheitsrat scheiterte. Eine Empfehlung an die UN-Vollversammlung, die DDR aufzunehmen, wurde verweigert. Mit dem Beschluss eines Gesetzes über die Staatsbürgerschaft der DDR durch die Volkskammer am 20. Februar 1967 wurde die Abgrenzungspolitik der DDR konsequent fortgesetzt. Der Übergang zu einer »Politik der zwei Staatsbürgerschaften in Deutschland«714 war damit vollzogen. Im Internationalen P.E.N. war die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft indes bereits auf der Exekutive in Avignon im Oktober 1965 beschlossen worden. 711
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Vorlage des Sekretariats des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West an das Sekretariat des ZK der SED. Betr. Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein PEN-Zentrum der Deutschen DemokratischenRepublik [1. 3. 1967; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967/ Umbenennung PEN/Vorlage 1–3, hier 1f. Vorlage des Sekretariats des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West an das Sekretariat des ZK der SED. Betr. Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein PEN-Zentrum der Deutschen DemokratischenRepublik [1. 3. 1967; erstellt von Ingeburg Kretzschmar]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967/ Umbenennung PEN/Vorlage 1–3, hier 2. Fischer Chronik Deutschland, S. 370. Fischer Chronik Deutschland, S. 403.
Das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West hatte dem internationalen Generalsekretariat einen entsprechenden Resolutionsantrag vorgelegt, der mit nur wenigen Gegenstimmen nach kurzer Diskussion angenommen worden war: »All references to the German Democratic Republic and its citizens who are members of the International P.E.N. shall employ the official title ›The German Democratic Republic‹.«715 Im Internationalen P.E.N. war man somit auf dem Weg zur Anerkennung einer eindeutigen Repräsentanz der DDR vorangekommen – und den staatspolitischen Bemühungen sogar einen Schritt voraus. Zur Vorbereitung der Vorlage in Bezug auf die Umbenennung des P.E.N.Zentrums war wenige Tage vor deren Abfassung eine Beratung mit allen Genossen des P.E.N. von der Abteilung Kultur beim ZK der SED durchgeführt worden. Einhellig stimmte man einer Umbenennung des P.E.N.-Zentrums zu.716 Eine von der Abteilung Kultur ausgearbeitete Stellungnahme in Bezug auf die Vorlage des P.E.N.-Präsidiums sollte das Vorhaben positiv unterstützen und eine Zustimmung des Sekretariats des ZK der SED befördern. Für die Verantwortlichen der Abteilung Kultur war die Frage der Umbenennung eng verbunden mit der Arbeit des Ständigen Verbindungsauschusses. Seine bisherige Konstitution schien im Falle einer Umbenennung hinfällig. Ein P.E.N.-Zentrum DDR, das auf die deutliche Repräsentanz des eigenen Staates ausgerichtet war, konnte aus Sicht der Verantwortlichen unmöglich Verbindung zu einer Organisation der Bundesrepublik Deutschland suchen – noch dazu in einem Gremium, dass dazu angetan war, potentiell gesamtdeutsche Hoffnungen zu schüren. Die Demonstration von Autonomie im Internationalen P.E.N. weist starke Parallelen zur Deutschlandpolitik der DDR auf: Die SED hatte nach der Bildung einer Großen Koalition in Bonn Ende 1966 ihren Umgang mit der Deutschlandfrage geändert. Die früheren Bundesregierungen hatten eine starre und gegen die DDR gerichtete Politik verfolgt. Demzufolge hatte die SED Entspannungspolitik betrieben. Unter der Großen Koalition von Kiesinger und Brandt kam es zu einer beweglicheren Ost-Politik, die die SED in Schwierigkeiten brachte: »Die neue Ostpolitik der Regierung Kiesinger-Brandt, die auf eine Verbesserung des Verhältnisses zu den osteuropäischen Staaten und eine Entkrampfung in Deutschland zielte, stieß auf den erbitterten Widerstand der SED-Führung, die – nicht ganz zu Unrecht – vermutete, Bonn wolle sie isolieren. […] Die Partei bemühte sich, vor allem den Beweis zu erbringen, daß es keine Wiedervereinigung mehr geben könne.«717 Das Staatssekretariat für gesamtdeutsche Fragen wurde 1967 demonstrativ in Staatssekreta715
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Zitiert nach: Minutes of the International P.E.N. Executive Committee Meeting in the Salle des petites audiencesin the Palace of the Popes, Avignon, France,Wednesday13th , 1965. P.E.N.-Archiv London. Stellungnahme der Abteilung Kultur des ZK der SED zur Vorlage des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West an das Sekretariat des ZK der SED [3. 3. 1967; erstellt von Hans Baumgart]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Umbenennung/ Abteilung Kultur 1–2, hier 1. Weber, S. 340. 481
riat für westdeutsche Fragen umbenannt. Auf Druck der DDR wurde von den Außenministern der Warschauer-Pakt-Staaten eine »Richtlinie zur Außenpolitik staatssozialistischer Länder gegenüber der Bundesrepublik«718 verabschiedet. Die als Ulbricht-Doktrin bekannt gewordene Vereinbarung besagte, dass alle staatssozialistischen Länder so lange auf eine Normalisierung ihrer Beziehungen zu Westdeutschland verzichten sollten, wie die DDR keine normalen Beziehungen zur Bundesrepublik unterhielt. Das Streben nach anerkannter Eigenstaatlichkeit der DDR hatte die Zielsetzung eines wiedervereinigten Deutschland unter der Bedingung einer staatssozialistischen Ordnung abgelöst. An dieser Stelle wird deutlich, warum das Präsidium des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West mit seiner Darstellung zu den Negativ-Folgen einer Umwandlung keinen Erfolg hatte. Zwar hatten sich die Verfasser bemüht, ihre Thesen zur antifaschistischen Bedeutung ihres Zentrums an der Deutschlandpolitik der DDR-Regierung zu orientieren. Diese hatte sich Ende 1966/Anfang 1967 darauf konzentriert, die Bundesrepublik als Brutstätte neofaschistischer Bewegungen und Hort von Altnazis zu entlarven. Dass die SED-Regierung indes in erster Linie darauf abzielte, mit negativer Propaganda gegen die Bundesrepublik die eigene Abgrenzungspolitik zu legitimieren, war den Verantwortlichen des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West offenbar entgangen. Ein P.E.N.-Zentrum mit gesamtdeutschem Anspruch passte nicht zur Konzentration auf die internationale Anerkennung des DDR-Staates. Deutliche Distanzierung von allen gesamtdeutschen Bestrebungen wurde somit auch im P.E.N. zum Programm. Gleichwohl wertete die Abteilung Kultur die zurückliegenden und anvisierten Veranstaltungen durchaus positiv, sie zeigten, »daß dadurch einige Grundfragen [der DDR-]Kulturpolitik in der Bundesrepublik dargelegt werden können.«719 Daher richtete die Abteilung Kultur an das Sekretariat des ZK der SED die Bitte, diese Arbeit durch einen ›Ständigen Verhandlungsausschuß‹ weiterführen zu lassen, unter Einhaltung folgender Prinzipien durch die Genossen des PEN-Zentrums der DDR: a) Unsere Seite wird weiterhin bestimmend in den Beratungen und Veranstaltungen sein; b) Durch die Arbeit des Ausschusses kann keineswegs der Eindruck und die Illusion einer ›gesamtdeutschen Literatur‹ genährt werden; c) Der westdeutschen Seite ist unmißverständlich klarzumachen, daß hier kein ›gesamtdeutsches Gremium‹ arbeitet.720
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Fischer Chronik Deutschland, S. 408. Stellungnahme der Abteilung Kultur des ZK der SED zur Vorlage des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West an das Sekretariat des ZK der SED [3. 3. 1967; erstellt von Hans Baumgart]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Umbenennung/ Abteilung Kultur 1–2, hier 1. Stellungnahme der Abteilung Kultur des ZK der SED zur Vorlage des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West an das Sekretariat des ZK der SED [3. 3. 1967; erstellt von Hans Baumgart]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Umbenennung/ Abteilung Kultur 1–2, hier 1.
Die Abteilung Kultur schlug eine weitere Beratung mit Kamnitzer, Herzfelde, Kretzschmar und Arno Hochmuth als Vertreter der Kulturabteilung vor.721 Den Beschluss zur Umbenennung des P.E.N.-Zentrums fasste das Sekretariat des ZK der SED.722 Ohne die Zustimmung der Mitglieder konnte die beschlossene Veränderung jedoch nicht vonstatten gehen. Eine positive Abstimmung musste auf einer wohl vorbereiteten Generalversammlung erreicht werden. Ein kritischer Punkt war die Frage, ob die äußere Umbenennung strukturelle Veränderungen nach sich ziehen musste bzw. sollte. Wie war mit den in der Bundesrepublik und im Ausland wohnenden Mitgliedern hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit im Falle einer Umwandlung zu verfahren? Die Vorbereitung zur Durchsetzung des Vorhabens innerhalb der Mitgliedschaft übernahm das Sekretariat des P.E.N.-Zentrums. In einem Rundschreiben an die Mitgliedschaft bat Arnold Zweig um Stellungnahmen hinsichtlich einer Namensänderung. Antworten aus Ost und West liefen ein. Man war sich weitgehend einig; es sei an der Zeit, das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West umzubenennen. Es gab von vielen Seiten »absolute Zustimmung«723 – nicht nur durch DDR-Mitglieder. Aus dem Westen äußerten sich positiv Richard Cahen, Ruth Schaumann und Fritz Helling. Selbst Johannes Tralow, der langjährige geschäftsführende Präsident, signalisierte Zustimmung: Nun, da die DDR mit ihren neuen Gesetzen der Staatsbürgerschaft den anmaßenden AlleinvertretungsanspruchBonns eindeutigzurückwies, ergibt sich auch im Falle unseres Zentrums die Notwendigkeit eines neuen Namens. Es erscheint mir durchaus gerechtfertigt, etwa PEN-Zentrum der Deutschen Demokratischen Republik zu verwenden. Eine Bedingung würde ich jedoch stellen: aus dieser Maßnahme darf k e i n e m Mitglied – heute und künftig – ein Nachteil erwachsen.724
Der Österreicher Hugo Huppert machte konkrete Vorschläge zur künftigen Benennung des P.E.N.-Zentrums. Völlige Ablehnung des Vorhabens signalisierten der West-Berliner Alexander Graf Stenbock-Fermor und Konrad Winkler aus Walldorf bei Heidelberg. Winkler berief sich auf die Tradition des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West : Einer Änderung der Namensgebung muss ich widersprechen. Dieses PEN-Zentrum Ost und West hat bewusst […] das Bekenntnis zur Unteilbarkeit der Deutschen Literatur formuliert. […] 721
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Stellungnahme der Abteilung Kultur des ZK der SED zur Vorlage des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West an das Sekretariat des ZK der SED [3. 3. 1967; erstellt von Hans Baumgart]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Umbenennung/ Abteilung Kultur 1–2, hier 2. [?] Heinze [Stellvertretender Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [3. 5. 1967]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157 Fiche 1–3. Protokoll der XVI. Generalversammlung [des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West] am 28. April 1967 in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Protokoll 1–20, hier 7. Johannes Tralow an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West [31. 3. 1967]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2156. 483
Ich widersprach einer Absplitterung des Zentrums Bundesrepublik, obgleich in diesem Zentrum gute Freunde, achtenswerte Kollegen sind. Ich widerspreche heute einer geplanten Absplitterung der Autoren der DDR, unter denen ich auch gute Kollegen und Freunde habe. Ich wünsche, dass dieses PEN-Zentrum Platzhalter des alten Deutschen PENZentrums bleibt, damit es bei einer eventuellen Wiedervereinigung der Teile Deutschlands das Stammzentrum des PEN-Clubs in Deutschland guten Gewissens bleiben kann.725
Auch Stenbock-Fermor erinnerte an die Vergangenheit des Zentrums: Eine Umwandlung unseres PEN-Zentrums Ost und West in ein Zentrum DDR würde ich als verhängnisvoll ansehen! Dadurch würde das Zentrum in zwei Teile gerissen und ganz gewiß an internationaler Bedeutung verlieren. […] Unser Zentrum setzt […] die Tradition fort. Man kann sagen, daß das erfolgreich geschah. Es besteht – nach meiner Meinung – nicht der geringste Grund, den Namen und den Charakter zu ändern. Heute ist unser Zentrum eine Vereinigung von progressiven Schriftstellern aus der DDR, Westberlin und der Bundesrepublik. Diese einzigartige Gemeinschaft müßte nicht gespalten, sondern gepflegt werden. Darf ich mir die Frage erlauben, was aus den westdeutschen und westberliner Schriftstellern, denen das ›Herz links schlägt‹ und die sich im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West zuhause fühlen, werden wird, wenn ihr Zentrum zusammenschrumpfen sollte? Sollen sie, da sie keine Bürger der DDR sind, ein eigenes Zentrum gründen? Oder sollen sie Mitglied des Zentrums Bundesrepublik werden? Ich kann nur dringend vor einer solchen Entwicklung warnen!726
Der westdeutsche Romanistik-Professor Erich Köhler zeigte sich nicht übermäßig überrascht, zugleich jedoch bestürzt über die geplante Maßnahme. Zwar begriff er die Umbenennung des Zentrums als »logische Folge« der »anachronistischen Weigerung der Regierung der Bundesrepublik, die DDR als Staat anzuerkennen«.727 Gleichwohl gab er die Lage der westdeutschen Mitglieder zu bedenken, die durch ihre Mitgliedschaft ihre »Verbundenheit mit dem fortschrittlichen, sozialistischen und humanistischen Geist des PEN-Zentrum Ost und West«728 demonstrieren können: Ich habe Verständnis dafür, wenn die Befürworter der Umwandlung der Ansicht sein sollten, die Lage der Dinge erlaube keine Rücksichtnahme auf die auswärtigen Mitglieder, und dass die Peinlichkeit,in der sich diejenigenbefinden,die sich dereinstoder später für ›Ost und West‹ entschieden haben, in Kauf genommen werden muss. […] [Dennoch:] Ist es wirklich notwendig, dass die noch bestehenden Kontakte, Kontakte, die 725
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Konrad Winkler an Arnold Zweig [10. 4. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 28. 04. 1967/KonradWinkler 1. Enthalten auch in SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2156. Erklärung von Alexander Stenbock-Fermor [12. 4. 1967]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2156. Erich Köhler an Arnold Zweig [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Erich Köhler 1 und 2. Enthalten auch in SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2156. Erich Köhler an Arnold Zweig [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Erich Köhler 1 und 2. Enthalten auch in SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2156.
nicht bloß auf persönlichen und literarischen Sympathien, sondern ebenso auf geistigideologischerVerbundenheit beruhen,abgebrochenwerden? Ich sage Ihnen daher ganz offen, dass ich es vorziehen würde, weiterhin ordentliches Mitglied eines ›Deutschen PEN-Zentrums Ost und West‹ zu sein.729
Eine Lösung für die auswärtige Mitgliedschaft legte in aller Ausführlichkeit das DDR-Mitglied Alfred Kurella dar; er sah die Zukunft der westdeutschen Mitglieder an anderer Stelle – selbstredend im Auftrage des Sozialismus: Ich bin der Meinung, daß es schon seit einiger Zeit nötig gewesen wäre, unsere Sektion des PEN-Klubs als PEN-Zentrum der DDR zu konstituieren. […] Von unseren in Westdeutschland und Westberlin lebenden Mitgliedern haben sich die meisten durch die Zugehörigkeit in unserem Zentrum eher bedrückt als beflügelt gefühlt. Für das eigentliche Leben unserer Sektion haben sie keine Rolle gespielt. Dafür könnten sie dazu beitragen,daß sich endlich im PEN-Zentrum Bundesrepublikeine fortschrittliche Opposition bildet. Die Abneigung, die einige unserer westlichen Mitglieder gegenüber einem Eintritt in das PEN-Zentrum Bundesrepublik bekundet haben, läßt sich politisch nicht rechtfertigen. Wenn man politisch kämpfen will, muß man das da tun, auf dem Boden und in den Institutionen, die sich dafür anbieten. […] Organisatorisch liegen, soviel ich weiß, die Dinge auch günstig: Statutenmäßig ist das Mitglied eines PEN-Zentrums eo ipso Mitglied des Internationalen PEN-Klubs und kann in dieser Eigenschaft der Sektion beitreten, in deren territorialen Bereich er lebt. Der PEN-Klub Bundesrepublik hätte also kein Recht, den Übertritt unserer westdeutschen Mitglieder in die dortige Sektion zu verhindern. Für uns würde dadurch eine politischsaubere Situation geschaffen, die den politischen Realitäten und der Politik unserer Regierung Rechnung trägt. Das würde unsere Stoßkraft in den Beziehungen zur Sektion Bundesrepublik, die unbedingt weiter gepflegt und ausgebaut werden sollten, auf die Dauer nur bestätigen. Ich werde diesen Standpunkt auf der Generalversammlung vertreten.730
Auf der am 28. April 1967 abgehaltenen Generalversammlung kam indes die grundsätzliche Frage einer Umwandlung überhaupt nicht mehr zur Diskussion; die Umbenennung schien aufgrund der politischen Lage hinreichend motiviert und durch die vorausgegangenen Reaktionen der Mitglieder ausreichend bejaht. Die Umwandlung war nach Einschätzung der Verantwortlichen im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West »im Hinblick auf die politische Entwicklung für reif und notwendig«731 erachtet, eine »klare[ ] nationale[ ] Repräsentanz auch innerhalb des PEN«732 positiv bewertet worden. Vorbereitet worden war die Generalversammlung zudem durch eine Sitzung der Parteigruppe, die eine Stunde vor Beginn der regulären Geschäftssitzung des Deutschen P.E.N.-
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Erich Köhler an Arnold Zweig [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Erich Köhler 1 und 2. Enthalten auch in SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2156. Alfred Kurella an Arnold Zweig [10. 4. 1967]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Enthalten auch in SAdK Berlin, NL Alfred Kurella 2621. Ingeburg Kretzschmar: Bericht über die XVI. Generalversammlung [2. 6. 1967]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157, Fiche 1. Ingeburg Kretzschmar: Bericht über die XVI. Generalversammlung [2. 6. 1967]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157, Fiche 1. 485
Zentrums Ost und West zusammentrat.733 An der Tagung nahmen hauptsächlich Mitglieder aus der DDR teil. Aus der Bundesrepublik waren lediglich Dinah Nelken und Herbert Ihering gekommen.734 Am Rande der Generalversammlung wurde das Tagesgeschäft abgewickelt: Der Geschäftsbericht wurde vorgetragen, Resolutionen vorgestellt sowie verabschiedet und das Präsidium (wieder)gewählt. Kamnitzer und Zweig fanden in ihren Ämtern ebenso Bestätigung wie das übrige Präsidium. Lediglich Schumacher schied auf eigenen Wunsch aus. Als neue Präsidiumsmitglieder wurden Günther Cwojdrak, Hermann Kant und Christa Wolf gewählt.735 Im Zentrum der Zusammenkunft stand jedoch die Debatte um die künftige Position der Mitglieder ohne Staatsbürgerschaft der DDR. In welcher Form aber sollte ihre Mitgliedschaft möglich sein? Zugehörigkeit als Voll-, assoziierte oder korrespondierende Mitglieder, wie es sie etwa bei der Deutschen Akademie der Künste gab, waren denkbar. Einig war man sich weitgehend in der grundlegenden Akzeptanz, Befürwortung der Mitgliedschaft von Kollegen aus der Bundesrepublik und West-Berlin, sowie anderen Staaten. Gerade die Brücke in die Bundesrepublik Deutschland sollte nicht abgerissen werden. Am Ende des Meinungsaustauschs stand eine Abstimmung, die schließlich ein eindeutiges Votum ergab.736 Den in der Bundesrepublik und in West-Berlin ansässigen Mitgliedern wurde ein informativer Brief zugesandt, der sie über die Möglichkeiten ihrer weiteren Mitgliedschaft unterrichtete und deutlich machte, dass auf ihre Zugehörigkeit zum P.E.N.-Zentrum DDR weiterhin Wert gelegt wurde: »Das PEN-Zentrum Deutsche Demokratische Republik wünscht sich, daß seine Mitglieder, die in der Bundesrepublik oder in Westberlin wohnen, weiterhin diese ihre Mitgliedschaft aufrechterhalten würden. Ferner wurde für sie die Möglich733
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Vgl. Ingeburg Kretzschmar an Alexander Abusch [25. 4. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967 2. Das Einladungsschreiben ging außerdem an Bruno Apitz, Jurij Brezan, Hermann Budzislawski, Eduard Claudius, Günther Cwojdrak, Stephan Hermlin, Wilhelm Girnus, Wieland Herzfelde, Werner Ilberg, Heinz Kamnitzer, Hermann Kant, Karl Mundstock, Dieter Noll, Jeanne und Kurt Stern, Erwin Strittmatter, Christa Wolf und den Vertreter der Kulturabteilung, Hans Baumgart. An der Generalversammlung nahmen Alexander Abusch, Bruno Apitz, Wolf Biermann, Hans-Joachim Bunge, Günther Cwojdrak, Günther Deicke, Franz Fühmann, Wilhelm Girnus, Gotthold Gloger, Klaus Herrmann, Wieland Herzfelde, Günter Hofé, Werner Ilberg, Heinz Kahlau, Heinz Kamnitzer, Heiner Müller, Karl Mundstock,Herbert Ihering, Kurt Stern, Paul Wiens, Christa Wolf, Max Zimmering, Stefan Heym, Dinah Nelken, Stephan Hermlin, Hermann Kant, Maximilian Scheer und Peter Hacks teil. Vgl. Anwesenheitsliste GV des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am 28. April 1967. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Anwesend 1. Vgl. Protokoll der XVI. Generalversammlung [des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West] am 28. April 1967 in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ GV 28. 04. 1967/Protokoll 1–20, sowie Präsidium[smitglieder] des P.E.N.-Zentrum Deutsche Demokratische Republik [28. 4. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Präsidium 1. Vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Beginn des DiskussionsStenogramms 1–19, hier 1–9.
keit geschaffen, dem PEN-Zentrum Deutsche Demokratische Republik als assoziiertes Mitglied anzugehören.«737 Reaktionen der Mitgliedschaft auf die vollzogene Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum Deutsche Demokratische Republik sind kaum nachweisbar. Lediglich Max von der Grün zeigte aktiven Widerstand; er reagierte auf die Benachrichtigung von der Umbenennung des P.E.N.-Zentrums konsequenterweise mit dem Austritt: Ich selbst halte diese Entscheidung für eine politische Torheit. Ich selbst habe bis heute das PEN-Zentrum Ost und West immer noch als umklammerndesGlied für Schriftsteller deutscher Zunge angesehen; vielleicht war das meine große Illusion, meine Torheit. Als Bürger der Bundesrepublik ist es mir weiterhin unmöglich, dem PEN-Zentrum der jetzigen Deutschen Demokratischen Republik anzugehören. Wenn ich also konsequent davon ausgehe, daß es zwei deutsche Staaten gibt, wie ja auch die Umbenennung dokumentieren soll, so werden Sie auch verstehen, daß ich als Ausländer nicht Ihrem PEN angehören kann.738
Den Internationalen P.E.N. informierte man in einem knappen Telegramm über den Beschluss der Generalversammlung, die Sektion in ein P.E.N.-Zentrum der DDR umzuwandeln.739 Das internationale Generalsekretariat nahm die Entscheidung unbeeindruckt auf. Carver wies in seinem Bestätigungsschreiben lediglich darauf hin, dass er diesen Entschluss in die Agenda der kommenden Exekutive einbringen wolle.740 Weder in Abidjan (Juli 1967) noch auf einer späteren Tagung des Exekutivkomitees kam die Umbenennung jedoch zur Sprache. Die neue Bezeichnung wurde vom Internationalen P.E.N. stillschweigend übernommen. Schon das Protokoll zur Tagung in Abidjan weist als Teilnehmer das P.E.N.-Zentrum DDR aus. Für die Zukunft des Ständigen Verbindungsausschusses ergab sich zunächst kein klares Bild. Die Uneinigkeit der schaltenden Stellen im Hintergrund löste ein uneindeutiges Hin und Her von Seiten des P.E.N.-Zentrums DDR aus. Die Verzögerung von spruchreifen Antworten an die Vertreter des Bundes-P.E.N. sind signifikant für diesen Umstand: Der Beschluss des Sekretariats des ZK der SED ging dahin, den Verbindungsausschuss aufzulösen. Die Verantwortlichen der Abteilung Kultur waren von der Richtigkeit dieser Entscheidung jedoch nicht überzeugt. Anfang Mai 1967 wies der stellvertretende Leiter der Abtei-
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Vgl. Ingeburg Kretzschmar an alle westdeutschen und Westberliner Mitglieder [22. 5. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/GV 28. 04. 1967/An westdeutsche und Westberliner Mitglieder 1f. Max von der Grün an Arnold Zweig [Juni 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 28. 04. 1967/Maxvon der Grün 1. Vgl. auch [o. V.]: »Pen-Zentrum der DDR – eine politische Torheit«. In: Braunschweiger Presse vom 7. 6. 1967. Telegramm von Heinz Kamnitzer an den Internationalen P.E.N. [28. 4. 1967]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/International PEN/DDR/Telegramm 2. David Carver an Heinz Kamnitzer [3. 5. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ PEN-Zentren International 1962–1968/International PEN/DDR 3. 487
lung Kultur, Heinze, seinen Vorgesetzten Hager auf die Ergebnisse einer Sitzung im Politbüro hin. Dort war eindeutig darauf hingewiesen [worden], solche Verbindungen aufrecht zu erhalten, die es uns ermöglichen, auf westdeutsche Kreise Einfluß auszuüben. Da die Vertreter Westdeutschlands im Verbindungsausschuß zum progressiven Flügel des westdeutschenPEN gehören, wurden uns durch den VerbindungsausschußVerhandlungen und Einflußnahme leichter gemacht, als wenn wir mit der offiziellen Leitung des westdeutschen PEN verhandelt hätten.741
Heinze warf deshalb noch einmal die »Frage nach dem Weiterbestehen einer Verhandlungsplattform durch den Verbindungsausschuß«742 auf. Von einem weiteren Mitarbeiter der Abteilung Kultur kam Mitte Mai 1967 telefonisch die folgende Direktive: »Es wird gebeten, die Diskussion über den Verbindungsausschuß nicht zu forcieren, sondern die Sommerpause abzuwarten und danach zu entscheiden. Kommen von der anderen Seite irgendwelche Fragen, ist noch mal Beratung notwendig.«743 Noch im Juli 1967 bewerteten Stephan Hermlin und Janheinz Jahn die Arbeit des Ständigen Verbindungsausschusses vor der internationalen Exekutive in Abidjan positiv. Es bestünde ein enger Kontakt, eine Reihe von Lesungen sei arrangiert worden und ein weiteres Programm von Lesungen und Austauschveranstaltungen in Aussicht genommen.744 Jahn hob bei der Berichterstattung im bundesdeutschen Vorstand das »betont zur Schau getragene freundschaftliche Einvernehmen der beiden deutschen PEN-Zentren«745 auf dem Kongress in Abidjan hervor. Hermlin hatte dort versprochen, sich für das Zustandekommen eines erneuten Arbeitstreffens einzusetzen, bei dem die Mitglieder des Verbindungsausschusses ein neues Austauschprogramm erarbeiten sollten. Bis zum September 1967 hatte sich das P.E.N.-Zentrum DDR jedoch nicht gerührt. Jahn nahm noch einmal Kontakt mit Kretzschmar und auch Hermlin auf.746 Die Ursachen für das Schweigen des P.E.N.-Zentrums DDR lagen in den fehlenden Vorgaben der parteilichen Führungskräfte begründet; es gab keine klare Linie. Anfang Oktober wandte Kretzschmar sich zum wiederholten Male an die Abteilung Kultur: In Bezug auf den Ständigen Verbindungsausschuss »sind wir 741
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[?] Heinze [Stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [3. 5. 1967]. SAPMO-BArch DY 30/IV B2/9.06/60. [?] Heinze [Stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [3. 5. 1967]. SAPMO-BArch DY 30/IV B2/9.06/60. Notiz zu einem Telefonat mit Hans Baumgart [16. 5. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1967 7. Minutes of the International P.E.N. Executive Committee Abidjan, Ivory Coast, 30th July, 1967. P.E.N.-Archiv London. Stellungnahme von Janheinz Jahn. Enthalten im Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik vom 25. 9. 1967 [28. 9. 1967]. P.E.N.Archiv Darmstadt. Vgl. Stellungnahme von Janheinz Jahn. Enthalten im Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik vom 25. 9. 1967 [28. 9. 1967]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
bisher ohne bindenden Bescheid. Es wurde uns vom Genossen Baumgart zugesagt, daß wir hierüber eine schriftliche Mitteilung bekämen. Wir halten eine solche für notwendig, da es sich im Falle der Fortführung dieser Kontakte (in welcher Form auch immer) um eine Abweichung vom Beschluß des Politbüros handelt.«747 Kretzschmar verwies auf die problematische Lage, in der sich das P.E.N.-Zentrum befand: »Eine weitere Hinauszögerung unserer Antwort an den Bundes-PEN bringt uns in eine unnötig defensive Lage. Sofern diese Frage auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantwortbar ist, wäre aus Gründen eines Zeitgewinns nur eine Antwort zu erwägen, in der sinngemäß etwa gesagt würde, daß im Präsidium augenblicklich noch keine einhellige Meinung über die Angelegenheit des Verbindungsausschusses herrsche.«748 Noch im Oktober 1967 machte Kretzschmar, vermutlich auf Weisung der Abteilung Kultur beim ZK der SED, gegenüber Kamnitzer und Herzfelde deutlich, dass die Tätigkeit des StändigenVerbindungsausschusses[…] nach der Umbenennungunseres Zentrums Beschlüsse notwendig [macht], die von zentraler Stelle getroffen werden müssen. Zur Vorbereitung einer knapp formulierten Übersicht, die Auskunft gibt, worin Wert und Ziel, Fragwürdigkeit oder Veränderungeiner eventuellenWeiterführung der Tätigkeit des Verbindungsausschusses zu sehen wären, übersenden wir Ihnen als eine Art Bestandsaufnahme Auszüge aus unseren bisherigen Unterlagen, in denen sich Äußerungen und Gedanken zum Verbindungsausschuß finden. Vielleicht bietet eine solche Übersicht brauchbares Material für die erforderliche schriftliche Formulierung über Sinn und Zweck einer möglichen Wiederaufnahme der Arbeit auf diesem Gebiet. Eine solche Darlegung ist dringend notwendig und soll möglichst rasch in einer Kurzfassung von etwa zwei Schreibmaschinenseiten vorgelegt werden. Wir bitten Sie höflich, in Zusammenarbeit mit Herr Professor Herzfelde [bzw. Herr Professor Kamnitzer] eine solche Analyse sobald wie möglich fertigzustellen.749
Eine Darlegung in diesem Sinne kam wenige Tage später von Wieland Herzfelde. Er schlug vor, den Ständigen Verbindungsausschuss »evtl. in Veranstaltungsausschuß oder Kontaktausschuß«750 umzubenennen. Eine bindende Anweisung der Abteilung Kultur gab es zunächst nicht; so schwieg der DDR-P.E.N. weiter. Zwei Monate später berichtete Friedenthal auf der internationalen Exekutive in Dublin, dass der Ständige Verbindungs-
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Ingeburg Kretzschmar an Arno Hochmuth [6. 10. 1967]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) Ordner 73. Ingeburg Kretzschmar an Arno Hochmuth [6. 10. 1967]. SAdK Berlin, P.E.N.-Archiv (Ost) Ordner 73. Ingeburg Kretzschmar an Heinz Kamnitzer [23. 10. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Ständiger Verbindungsausschuß/Heinz Kamnitzer 1 bzw. Ingeburg Kretzschmar an Wieland Herzfelde [23. 10. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Ständiger Verbindungsausschuß/Wieland Herzfelde 5. Stichworte zum Thema Verbindungsausschuss [26. 10. 1967; erstellt von Wieland Herzfelde. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Ständiger Verbindungsausschuß/ Wieland Herzfelde 1–3, hier 1. 489
ausschuss in einen »rather unfortunate state of affairs«751 geraten sei. Es habe zum Beispiel keine Antworten mehr auf die Briefe des Generalsekretärs Jahn gegeben. Carver ermutigte Friedenthal, die Bemühungen fortzuführen und versprach, selbst an das DDR-Zentrum zu schreiben und die Wiederaufnahme der Aktivitäten zu unterstützen. Vertreter des DDR-Zentrums waren nicht anwesend, Visaprobleme waren von Kretzschmar als Entschuldigung geltend gemacht worden.752 Alle Bemühungen um Wiederaufnahme der Arbeitskontakte waren vergebens: DDR-intern war man spätestens im November 1967 endgültig übereingekommen, das verbindende Gremium zu exekutieren.753 Kamnitzer übernahm die Federführung nach Anweisung »von oben« und bereitete den Weg für eine schleichende Abschaffung des Ständigen Verbindungsausschusses; er teilte Jahn Ende November im Namen seines Präsidiums mit: Wir halten die Zeit für gekommen, künftig alle Angelegenheiten ohne Zwischeninstanz zu regeln. Das würde bedeuten,daß das PEN-Zentrum Deutsche Demokratische Republik und das Deutsche PEN-Zentrum der Bundesrepublik unmittelbar durch beauftragte Vertreter die Beziehungen aufrechterhalten. Wenn Sie dem zustimmen, könnten wir unter diesen Bedingungen in Bremen zusammenkommen und der Vortrag von Prof. Herzfelde über Else Lasker-Schüler daselbst stattfinden. Unser Präsidium würde in diesem Falle Prof. Herzfelde und mich entsenden.754
Von Seiten des Bundes-P.E.N. reagierte man mit Unverständnis. Zwar bestätigte man den Eingang des Schreibens, die darin vorgebrachte Argumentation jedoch nicht. Stattdessen suchte der bundesrepublikanische Generalsekretär Jahn seinerseits eine moderate, zugleich aber klare Grenzen setzende Antwort auf die nicht nachvollziehbaren Ausflüchte der Gegenseite. Jahn verwies auf die im Jahr 1967 mehr oder minder zum Erliegen gekommene Zusammenarbeit des Gremiums und äußerte deutliche Bedenken hinsichtlich der Aufhebung der »s. Zt. in der Exekutivsitzung des Internationalen PEN einstimmig beschlossene[n] Verbindungskommission«755 , deren Arbeit er im Rückblick weitgehend positiv bilanzierte. Das jetzige Ansinnen des DDR-P.E.N. schien ihm vollkommen unverständlich: »Wir können keinerlei rechten Grund erkennen, weshalb jetzt durch ›beauftragte Vertreter‹ der beiden Clubs die ›Beziehungen aufrechterhalten‹ werden sollten – die Mitglieder des Verbindungsausschusses waren ja 751
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., November 2nd, 1967, Dublin. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., November 2nd, 1967, Dublin. P.E.N.-Archiv London. Vgl. den Hinweis auf eine dementsprechendeBeratung zwischendem P.E.N.-Präsidium und den Vertretern der Abteilung Kultur am 18. November 1967 in einem Schreiben von Ingeburg Kretzschmar an Kurt Hager [8. 1. 1968]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1968 4. Heinz Kamnitzer an Janheinz Jahn [28. 11. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Ständiger Verbindungsausschuß/Janheinz Jahn 8. Janheinz Jahn an Heinz Kamnitzer [22. 12. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Ständiger Verbindungsausschuß/Janheinz Jahn 6 und 6a.
doch solche beauftragten Vertreter.«756 Eine solche Änderung konnte nach Einschätzung des Bundes-P.E.N. nur durch Beschlussfassung des internationalen Exekutivkomitees durchgesetzt werden. Dem Angebot des DDR-P.E.N., in Bremen zusammen zu kommen, wenn der Bundes-P.E.N. sein Einverständnis mit der Neuerung signalisierte, erteilte Jahn eine deutliche Absage: »Wir können […] damit nicht einverstanden sein und möchten die Verhandlungen über gegenseitigen Austausch von Rednern weiterhin dem eingesetzten Verbindungs-Ausschuß überlassen sehen.«757 Kamnitzers Antwortschreiben drang wiederum auf die Abschaffung des Verbindungsausschusses, den er als Problem charakterisierte; er verwies darauf, dass man den Verbindungsausschuss als Übergangslösung angesehen [habe], durch die ein gespanntes Verhältnis zwischen uns entkrampft werden sollte. Das scheint uns erfreulicherweise gelungen zu sein, so daß nunmehr, wie allgemein üblich, alles durch unmittelbare Beziehungen zwischen unseren Zentren geregelt werden kann. Wir halten dieses Ansinnen für einen Fortschritt auf dem Wege und können nicht begreifen, aus welchem Grunde man sich gegen eine Normalisierung sperren könnte, es sei denn, man sehe in dem Verbindungsausschuß ein Politikum, an dem man unter allen Umständen festhalten will. Dafür hätte man zwar unser Verständnis, jedoch nicht unsere Zustimmung. In der Tat, Ihr Antwortschreiben hat uns in dem Wunsch bestärkt, das Missverständnis auszuschalten, das offenbar durch diesen Ausschuss erregt wird. Um so mehr besteht also Anlaß, die Unklarheit zu beseitigen, die der Name ›Ständiger Verbindungsausschuß‹ mit sich bringt. Wir möchten glauben, daß Sie sich nicht an diese Bezeichnung klammern wollen, sondern es Ihnen wie uns um den Inhalt der Beziehungen geht. Wir erhoffen dies für eine ersprießlicheTätigkeitund schlagen nochmals vor, unverzüglichdie Veranstaltungüber Else Lasker-Schüler in Bremen durchzuführen. Es wäre also nicht einzusehen, wieso man dieses Vorhaben vereiteln sollte.758
Kamnitzer befürwortete eine Klärung »unter uns«759 – der Internationale P.E.N. sollte nach seiner Ansicht nicht behelligt werden. Realiter fürchtete er eine Konfrontation mit der internationalen P.E.N.-Gemeinschaft. Nach diesem Schreiben fand sich der bundesdeutsche P.E.N. zum Einlenken bereit. Eine Fortführung der schriftlichen Argumentation um den Charakter der Verbindung zwischen beiden Zentren schien zwecklos. Die kleinliche Auseinandersetzung darum, ob sich die »Vertreter [der] beiden Zentren ›Ausschuß‹ nennen oder anders«760 , musste beigelegt werden. Die Aufrechterhaltung der Kontakte sollte in den Vordergrund gerückt werden. Zu diesem Zweck schlug Jahn 756
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Janheinz Jahn an Heinz Kamnitzer [22. 12. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 Club/Ständiger Verbindungsausschuß/Janheinz Jahn 6 und 6a. Janheinz Jahn an Heinz Kamnitzer [22. 12. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 Club/Ständiger Verbindungsausschuß/Janheinz Jahn 6 und 6a. Heinz Kamnitzer an Janheinz Jahn [23. 1. 1968]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 Club/Ständiger Verbindungsausschuß/Janheinz Jahn 5. Heinz Kamnitzer an Janheinz Jahn [23. 1. 1968]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 Club/Ständiger Verbindungsausschuß/Janheinz Jahn 5. Janheinz Jahn an Heinz Kamnitzer [20. 2. 1968]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 Club/Ständiger Verbindungsausschuß/Janheinz Jahn 3.
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ein Treffen der Vertreter des Verbindungsausschusses vor der nächsten Tagung des Exekutivkomitees vor, um ein neues Programm zu vereinbaren.761 Der versöhnliche Vorschlag schlug erneut fehl. Kamnitzer sagte ein Treffen vor der Exekutive ab. Er wich jeder weiteren Absprache vor einer bindenden Entscheidung des Bundes-P.E.N. über die Abschaffung des Verbindungsausschusses aus und wollte diese quasi erzwingen: »Auf jeden Fall müßte man jedoch wohl davon ausgehen, daß die Entscheidung über unsern Vorschlag nicht bei den Mitgliedern eines Verbindungsausschusses, sondern bei der Leitung Ihres Zentrums liegt. Deswegen scheint es uns angemessen, erst diese Entscheidung abzuwarten, um dann alles weitere zu besprechen.«762 Auf der Tagung der internationalen Exekutive, die am 3./4. April 1968 in London stattfand, erschienen die Vertreter des P.E.N.-Zentrums DDR nicht. Gleichwohl machte der DDR-P.E.N. ausreichend von sich reden. Zur Diskussion stand das Verwirrspiel um den Ständigen Verbindungsausschuss, über das Richard Friedenthal berichtete. Er bedauerte resigniert, dass kein direkter Kontakt bestanden habe. Carver indes zeigte sich positiv motiviert; er wollte den Kontakt aufnehmen, um die DDR-Mitglieder von der Wiederbelebung des Verbindungsausschusses zu überzeugen, um ihn zu einem »useful channel for cooperation between the two German Centres«763 zu machen.764 Auf Anregung des ungarischen P.E.N.-Präsidenten, Iván Boldizsár, wollte Carver auch den internationalen P.E.N.-Präsidenten, Arthur Miller, um ein entsprechendes Schreiben bitten. Die Vermittlungsbereitschaft des internationalen Generalsekretärs erstaunt um so mehr, als das P.E.N.-Zentrum DDR im Vorfeld der Exekutive ein Memorandum beim internationalen P.E.N.-Sekretariat eingereicht hatte, in dem heftig und provokativ Beschwerde gegen den Internationalen P.E.N. und das P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik geführt wurde. Darin war auch die Haltung der DDR hinsichtlich der deutsch-deutschen Beziehungen noch einmal klar dargelegt worden.765 Trotz des massiven Angriffs gegen das bundesdeutsche P.E.N.-Zentrum nahm dessen Präsident Dolf Sternberger auf Beschluss des Präsidiums den Kontakt
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Janheinz Jahn an Heinz Kamnitzer [20. 2. 1968]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Ständiger Verbindungsausschuß/Janheinz Jahn 3. Heinz Kamnitzer an Janheinz Jahn [7. 3. 1968]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Ständiger Verbindungsausschuß/Janheinz Jahn 4. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., April 3rd 1968, London, England. P.E.N.-Archiv London. Carver nahm den Kontakt mit Kamnitzer im Mai 1968 auf und bat darum, die Entscheidung bezüglich des Ständigen Verbindungsausschusses noch einmal zu überdenken. David Carver an Heinz Kamnitzer [22. 5. 1968]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-ZentrenInternational 1962–1968/International PEN/ExecutiveCommittee 7 und 7a. Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR an das Exekutiv-Komitee des Internationalen P.E.N. [19. 3. 1968]. Abgedruckt in Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., April 3rd 1968, London, England. P.E.N.-Archiv London.
mit Arnold Zweig auf, um Bereitschaft zur Fortsetzung der gemeinsamen Veranstaltungen zu signalisieren: [W]ir sind hier alle sehr betrübt darüber, daß unsere beiderseitigen Austauschveranstaltungen seit langem ins Stocken geraten sind. Auch für mich persönlich bedeutet das eine schwere Enttäuschung, da ich diesen Plan bei meinem ersten Amtsantritt vor gut vier Jahren zu meiner eigenen Sache gemacht und große Erwartungen daran geknüpft hatte. Wollen wir uns nicht einen Ruck geben und das Boot wieder flott machen?766
Im Blickpunkt stand dabei zunächst die Realisierung des geplanten Vortrags über Lasker-Schüler. Tatsächlich zeigte sich das Gegenüber diesem Vorschlag gegenüber wohl gesonnen. Herzfelde bat um direkte Kontaktaufnahme wegen des Termins in Bremen und hielt seinen Vortrag über »Else Lasker-Schüler – Dichtung und Wirklichkeit« schließlich am 3. Oktober 1968 in Köln.767 Im Oktober 1968 kam die Angelegenheit des Ständigen Verbindungsausschusses in Abwesenheit des DDR-P.E.N. auf einer Tagung der internationalen Exekutive noch einmal zur Sprache. Sternberger konnte nur einen unveränderten Zustand der Beziehungen beider Zentren konstatieren. Robert Neumann warb um Verständnis für die ostdeutschen Schriftsteller; diese seien »besonders abhängig von der Politik ihrer Regierung. Wenn sie deswegen ihre Beziehungen zum Bundes-PEN auf einen Austausch von inoffiziellen Vorträgen beschränken wollten, sollte das zeitweilig akzeptiert werden.«768 Neumanns Intervention trug Früchte. Carver stimmte unter Vorbehalt zu: Das Brachliegen des Ausschusses sollte nur ein vorübergehender Zustand sein. Auch Sternberger erklärte sich mit einem temporären Ruhen des Ausschusses einverstanden.769 Am Rande der folgenden Exekutive im März 1969 waren Richard Friedenthal und Hans Schwab-Felisch mit den Delegierten der DDR – Stephan Hermlin, Heinz Kamnitzer und Maximilian Scheer – zusammengetroffen, um die Beziehungen zwischen beiden Zentren im persönlichen Gespräch zu erörtern. Der Internationale P.E.N. hatte sich aus den Verhandlungen ausgeklinkt – Kontakt zwischen den beiden deutschen Zentren sei »jetzt auch hier eine Angelegenheit von Fall zu Fall«770 . Beide Seiten bekundeten Interesse an »gelegentlichen
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Dolf Sternberger an Arnold Zweig [29. 5. 1968]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Ständiger Verbindungsausschuß/Arnold Zweig 1 und 1a, hier 1. [Heinz Kamnitzer] an Dolf Sternberger [20. 6. 1968].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Ständiger Verbindungsausschuß/Dolf Sternberger 1. Vgl. weiterhin Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 271f. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1968/Protokoll der Exekutiv-Sitzung 1968 Genf 1. Vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1968/Protokoll der Exekutiv-Sitzung 1968 Genf 1. Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Internationalen Exekutiv-Komitees des Internationalen P.E.N. in London am 26. März 1969 [5. 5. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel allg. und ZK der SED/M/Ministerium für Kultur 6, 6b–f, hier 6. 493
Lesungen hüben und drüben«771 . Eine erste Einladung war an Ingeborg Drewitz ergangen, die im Juni 1969 zum Thema Der Schriftsteller und die Hoffnung – zur gegenwärtigen Literatur der Bundesrepublik 772 in Ost-Berlin sprechen sollte. Im Gegenzug zeigte Kamnitzer Interesse, in der Bundesrepublik einen Vortrag über Arnold Zweig zu halten.773 Das Präsidium des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik beschloss, sein Mitglied Martin Walser als persönlichen Mittler auf freundschaftlicher Ebene einzusetzen; er sollte seine guten Bekanntschaften in die DDR zum Kontaktausbau nutzen.774 Die Hoffnung des bundesdeutschen P.E.N., »daß die vorgesehenen Begegnungen am Ende doch wieder dazu führen mögen, daß ein solcher Ausschuß eingerichtet wird«775 , blieben jedoch unerfüllt. Gleichwohl hatte die diplomatisch weise Aussetzung der Ausschuss-Tätigkeit, die de facto dessen Inexistenz besiegelte, die Aufnahme neuer, von Regularien unbelasteter Gespräche ermöglicht.
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Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik vom 25. 4. 1969 [14. 5. 1969; erstellt von Hans Schwab-Felisch]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Rundschreiben [an die Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik] [Ende Juni 1969; erstellt von Hans Schwab-Felisch]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Anfang Februar 1970 hielt Heinz Kamnitzer einen Vortrag über »Die Wandlungen des Arnold Zweig – Zionismus, Psychoanalyse, Sozialismus« in Darmstadt. Vgl. Rundschreiben an die Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik [20. 12. 1969; erstellt von Hans Schwab-Felisch], S. 11. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Das Präsidium des Bundes-P.E.N. vereinbarte mit Kamnitzer, »daß sehr bald eine Einladung von drüben erfolgt, wobei ich ihn gebeten habe, doch darauf hinzuwirken, daß der nächste Referent unsererseits in der DDR nicht nur in Ost-Berlin auftritt, sondern daß er auch einmal in der Provinz zu Wort kommt, in Rostock oder Leipzig oder Frankfurt oder wo auch immer.« Hans Schwab-Felisch: Geschäftsbericht des Generalsekretärs [= Anlage 2 zum Protokoll der Generalversammlung des PEN-Zentrums Bundesrepublik am 16./17. 4. 1970]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik vom 25. 4. 1969 [14. 5. 1969; erstellt von Hans Schwab-Felisch]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. auch Protokoll der Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) am 26. 4. 1969 in Mannheim [o. D.; erstellt von Dolf Sternberger und Janheinz Jahn]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik vom 25. 4. 1969 [14. 5. 1969; erstellt von Hans Schwab-Felisch]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
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»[…] obwohl wir nicht als Ja-Sager uns angenehm machen, sondern durch Entschiedenheit wirken.«776 – Der DDR-P.E.N. auf Konfrontationskurs im Internationalen P.E.N.
Mit der Anerkennung der Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR durch die internationale Exekutive begann ein Prozess zunehmender Emanzipation für die führenden Köpfe des DDR-P.E.N.; man fühlte sich als »gleichberechtigter Partner im Rahmen des Internationalen P.E.N.«777 und bemühte sich auf dieser Basis die Arbeit mitzugestalten. Gleichwohl übten sich die Vertreter des DDR-P.E.N. nicht in williger Zustimmung. Sie nahmen mehr und mehr einen betont sozialistischen Standpunkt ein, um einer dem Internationalen P.E.N. unterstellten antisozialistischen bzw. antisowjetischen Position offen entgegenzuwirken. Mit Blick auf die Zeit nach der Umbenennung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, die als positive Veränderung im Hinblick auf die internationale Wahrnehmung empfunden wurde, urteilte Kamnitzer auf der Generalversammlung im Jahr 1970: »Was wir in Wort und Schrift unterbreiten, erhält mehr als die übliche Aufmerksamkeit, obwohl wir nicht als Ja-Sager uns angenehm machen, sondern durch sachliche Entschiedenheit wirken.«778 Tatsächlich war man von Seiten des Internationalen P.E.N. trotz scharfer und zum Teil ungerechtfertigter Angriffe stets bemüht, sich mit dem P.E.N.-Zentrum der DDR ins Einvernehmen zu setzen. Ein erster Hieb des P.E.N.-Zentrums DDR erfolgte im März 1968 mit der Übersendung eines umfangreichen Memorandums und einer Resolution zur Situation in Vietnam an das internationale P.E.N.-Sekretariat. Die frühzeitig versandte »Botschaft an das Exekutivkomitee des Internationalen P.E.N.«779 , das in London am 3. und 4. April zusammentrat, brachte die betont selbstbewusste Haltung des P.E.N.-Zentrums DDR in aller Form zum Ausdruck. Das Präsidium des DDR-P.E.N. holte in diesem Memorandum zum Rundumschlag aus. Zielscheibe der Kritik war der Internationale P.E.N.; angegriffen wurde insbesondere die Arbeit des WiPC. Im Vorfeld war das Memorandum des P.E.N.-Zentrums DDR an höchster Stelle verhandelt worden: Der Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED übersandte an Walter Ulbricht eine Kopie der Botschaft an
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Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage [Referat auf der Generalversammlung 1970], S. 3. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage [Referat auf der Generalversammlung 1970], S. 3. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage [Referat auf der Generalversammlung 1970], S. 3. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. Arnold Zweig, Heinz Kamnitzer, Günther Cwojdrak, Peter Hacks, Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde, Hermann Kant, Maximilian Scheer und Christa Wolf: Botschaft an das Exekutivkomitee des Internationalen P.E.N., London, 3. und 4. April 1968 [19. 3. 1968]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. 495
die Exekutive und erklärte: »Wir wollen diese Erklärung – zumindest in Teilen – in der Presse veröffentlichen.«780 Gleich zu Beginn deuteten die Verfasser behutsam an, worum es in der Denkschrift gehen sollte: »Unsere Mitglieder verfolgen mit Sorge die Tätigkeit des Internationalen PEN in der letzten Zeit. Sie fürchten, daß der Internationale PEN seinen Ursprung, seine Grundsätze und sein Hauptziel aus den Augen verliert.«781 Zwar würdigte man den in Abidjan (1967) verabschiedeten Appell an alle Regierungen der Welt, sich für die Freilassung inhaftierter Autoren einzusetzen.782 Die Aktivität des Internationalen P.E.N. sah man jedoch im Widerspruch zu diesem Beschluss: So erhob das P.E.N.-Zentrum DDR schwerwiegende Vorwürfe gegen den Internationalen P.E.N., die seine angeblich passive Haltung gegenüber den Ereignissen in Vietnam und Griechenland betrafen. Der Vorwurf der Untätigkeit, den der DDR-P.E.N. gegen den Internationalen P.E.N. in diesen beiden Fällen erhob, war indes rhetorisches Vorgeplänkel zu einer schwerwiegenden Anklage: [W]as im Vordergrund unserer Überlegungen sein sollte, wird nicht nur untergeordnet, sondern ausgelöscht durch andere Probleme, die in einer Weise behandelt werden, welche selbst zu großer Unruhe Anlaß gibt. […] Stattdessen konzentriert der Internationale PEN sich auf eine koordinierte und ununterbrochene Kampagne von weltweitem Ausmaß nur dort, wo die Behörden der Sowjetunion einzubeziehen sind. Ob die einzelnen Mitglieder es so wünschen oder nicht, der Internationale PEN verwandelt sich dadurch in das Zentrum eines Kreuzzuges […].783
Tatsächlich gehörte der Vietnamkrieg neben den unter der Militärdiktatur in Griechenland an der Tagesordnung stehenden Schriftstellerverfolgungen zu den wichtigsten Themen, die den DDR-P.E.N. in dieser Zeit beschäftigten. Schon im April 1967 hatte das P.E.N.-Zentrum DDR in seiner Generalversammlung eine deutlich antiamerikanische Resolution verabschiedet, die punktuell gegen den US-amerikanischen Schriftsteller John Steinbeck gerichtet war; sie verurteilte die Kriegshandlungen der USA in Vietnam. Zugleich forderte die Generalversammlung Steinbecks Ausschluss aus dem Internationalen P.E.N.; er habe die physische Vernichtung aller verlangt, die den Vereinigten Staaten in Viet-
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Arno Hochmuth an Walter Ulbricht [10. 4. 1968]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/ 157. Vgl. Arnold Zweig, Heinz Kamnitzer, Günther Cwojdrak, Peter Hacks, Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde, Hermann Kant, Maximilian Scheer und Christa Wolf: Botschaft an das Exekutivkomitee des Internationalen P.E.N., London, 3. und 4. April 1968 [19. 3. 1968]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. Minutes of the International P.E.N. Executive Committee, Abidjan, Ivory Coast, 30th July, 1967, S. 4. P.E.N.-Archiv London. Arnold Zweig, Heinz Kamnitzer, Günther Cwojdrak, Peter Hacks, Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde, Hermann Kant, Maximilian Scheer und Christa Wolf: Botschaft an das Exekutivkomitee des Internationalen P.E.N., London, 3. und 4. April 1968 [19. 3. 1968], S. 3. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157.
nam Widerstand leisteten.784 Anstoß zu dieser Resolution hatte ein Bericht des P.E.N.-Mitglieds Kurt Stern gegeben, der wie Steinbeck Vietnam bereist hatte und in der Generalversammlung auf Steinbecks veröffentlichte Reiseberichte verwiesen hatte.785 Auf Beschluss der Generalversammlung hatte man den Internationalen P.E.N. zudem aufgefordert, »für die inhaftierten Schriftsteller in Griechenland, insbesondere für Manolis Glézos, geeignete Maßnahmen für deren Befreiung einzuleiten.«786 Das internationale P.E.N.-Sekretariat hatte freundlich auf die Telegramme geantwortet. In Bezug auf Steinbeck wies man darauf hin, dass man von einer solchen Verlautbarung nichts gehört habe und bat um Zusendung der entsprechenden Materialien.787 Für die griechischen Autoren war man unverzüglich in Aktion getreten. Die Sekretärin im internationalen P.E.N.-Sekretariat, Elizabeth Warner, teilte umgehend mit: »I have already cabled to our centre in Athens asking for representations to be made to the authorities on behalf of all those writers who have been imprisoned by the new regime, including Manolis Glézos. The Writers in Prison Committee will do its best, you may be sure, to obtain their release.«788 Schon auf der folgenden Exekutive in Abidjan informierte Carver die Delegierten über ein Telegramm des WiPC an die griechischen Behörden: International P.E.N. representing eight thousand writers throughoutthe world respectful urges your majesty to exercise clemency in regard to the writers Ritsos Vassilicos Glezos and others now believed in prison Stop P.E.N. which stands for freedom for all writers to express themselves whatever their political belief asks your majesty to demonstrate your adherence to these fundamental rights of all creative artists.789
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Telegramm des P.E.N.-Zentrums DDR an den Internationalen P.E.N.-Club [2. 5. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/International PEN/DDR/Telegramm 1. Tatsächlich gehörte John Steinbeck zu den Befürwortern der amerikanischen Invasion in Vietnam. Eine Suchanfrage in der kommentierten Bibliographie auf der Homepage des Martha Keasley Cox Center for Steinbeck Studies, San José State University, ergab zahlreiche Hinweise auf Steinbecks Position zum Vietnamkrieg. Verfügbar unter URL: http://www.steinbeckbibliography.org/ search.html [Zugriff: 19. 10. 2007]. Protokoll der XVI. Generalversammlung am 28. April 1967 in Berlin [o. D.]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Protokoll 1–20, hier 1. Ingeburg Kretzschmar: Bericht über die XVI. Generalversammlung [2. 5. 1967]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. Arnold Zweig: Mitteilung über ein Telegramm an den Internationalen P.E.N. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 28. 04. 1967/Mitteilung 1 und Telegramm von Arnold Zweig an den Internationalen P.E.N. [28. 4. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/International PEN/DDR/Telegramm 3. Vgl. Elizabeth Warner [Internationales Generalsekretariat] an Arnold Zweig [5. 5. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/PEN-Zentren International 1962–1968/International PEN/DDR 1. Elizabeth Warner an Arnold Zweig [3. 5. 1967]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/PEN-Zentren International 1962–1968/International PEN/DDR 2. Minutes of the International P.E.N. Executive Committee Abidjan, Ivory Coast, 30th July, 1967. P.E.N.-Archiv London. 497
Die Frage der griechischen Schriftsteller wurde auch auf der im November 1967 abgehaltenen Tagung des Exekutivkomitees in Dublin thematisiert. Informationen über die Situation der griechischen Schriftsteller seien nur schwer zu erlangen. Gleichwohl waren bereits zwei Proteste abgesetzt worden.790 Vietnam kam auf beiden Exekutiven tatsächlich nicht zur Sprache. Der Vorwurf des DDRP.E.N., der Internationale P.E.N. habe sich für die griechischen Autoren nicht eingesetzt, erscheint dagegen vollkommen haltlos. Der Angriff auf die Arbeit des WiPC, dem der DDR-P.E.N. eine extreme Konzentration auf die Situation in der UdSSR unterstellte, war indes eröffnet. Anklänge einer solchen Kritik von Seiten des Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West hatte es schon auf dem New Yorker Kongress im Juni 1966 gegeben; diese war unbeantwortet geblieben.791 Seinen prosowjetischen Kurs machte das P.E.N.-Zentrum DDR im Memorandum auch in Bezug auf die Verhandlungen zur Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in den Internationalen P.E.N. deutlich. So unterstellte man den Verantwortlichen des Internationalen P.E.N., den Schriftstellern der SU sei mitgeteilt worden, dass sie für eine Mitgliedschaft nicht geeignet und auch nicht länger als Beobachter willkommen seien. Gegenüber derlei Beschlüssen brachte sich das P.E.N.-Zentrum DDR in größtmögliche Distanz: Im Verhältnis zu sowjetischen Schriftstellern ist ein Affront um so ungemäßer und unheilvoller, als dadurch ein bedeutender Teil der Weltliteratur aus dem Internationalen PEN abgewiesen wird und der Verdacht verstärkt wird, daß alles ein Teil eines Programms ist, das von einer einseitigen Politik innerhalb des Internationalen PEN bestimmt wird. Wir wünschen nicht, auch den Partner auf einem solchen Kurs abzugeben und bitten zu Protokoll zu nehmen, daß das PEN-Zentrum Deutsche Demokratische Republik sich von jeder Erklärung, jeder Resolution und jeder Broschüre ausdrücklich distanziert, die in diesem Sinne verfaßtwird. Außerdem verlangenwir, daß unsereablehnende Haltung sowie unsere Begründung dafür klar und öffentlich bekanntgegeben wird.792
Tatsächlich hatte der internationale Generalsekretär auf der Dubliner Exekutive im November 1967 wegen der stockenden Verhandlungen angeregt, die Mitgliedschaft der sowjetischen Schriftsteller im Internationalen P.E.N. zurückzustellen und lediglich freundschaftliche Beziehungen aufrechtzuerhalten.793 Aus diesem Vorschlag eine dezidiert antisowjetische Position konstruieren zu wollen, ging jedoch den Beschuldigten entschieden zu weit. Noch vor der 790
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Minutes of the Meeting of the InternationalExecutiveCommittee of P.E.N., November 2nd, 1967, Dublin. P.E.N.-Archiv London. Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde:B e r i c h t über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen PEN-Kongreß in New York vom 12.–19. Juni 1966 [o. D.], S. 4. SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/156. Arnold Zweig, Heinz Kamnitzer, Günther Cwojdrak, Peter Hacks, Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde, Hermann Kant, Maximilian Scheer und Christa Wolf: Botschaft an das Exekutivkomitee des Internationalen P.E.N., London, 3. und 4. April 1968 [19. 3. 1968], S. 3. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Minutes of the Meeting of the InternationalExecutiveCommittee of P.E.N., November 2nd, 1967, Dublin. P.E.N.-Archiv London.
Exekutive im April 1968 antwortete Arthur Miller in seiner Eigenschaft als internationaler P.E.N.-Präsident auf die schwerwiegenden Vorwürfe des P.E.N.Zentrums DDR. Er war im September 1967 zu Gesprächen nach Moskau gereist, die ergebnislos geblieben waren; »I have done everything in my power, as has David Carver, to bring them into P.E.N.«794 Nach seinem Dafürhalten scheiterte die Aufnahme der Schriftsteller aus der SU an deren unnachgiebiger Haltung; sie seien nicht bereit, die P.E.N.-Charta zu akzeptieren: »They can enter PEN tomorrow if they agree to the Constitution. […] In short, the Soviet Writers have effectively excluded themselves from P.E.N., and I hope they will one day change their minds.«795 Entsprechend empört reagierte auch David Carver. In einem BBC-Interview zeigte er sich erstaunt darüber, dass das P.E.N.-Zentrum DDR sein Memorandum an die Öffentlichkeit gegeben hatte und verurteilte diese Vorgehensweise als P.E.N.-unüblich. Eine einseitige Haltung gegenüber der SU gebe es nicht.796 Auch auf der Exekutive in London (April 1968), an die das Memorandum gerichtet worden war, wurde die Position des Internationalen P.E.N. gegenüber den sowjetischen Schriftstellern erneut ausführlich diskutiert. Carver und Miller zeigten sich ein wenig entmutigt. Das Protokoll der Londoner Exekutive formuliert kein klares Ergebnis.797 Offensichtlich hatte man sich aber entschlossen, die Verbindungen in die Sowjetunion weiterhin zu pflegen. Sowjetische Beobachter wurden zur folgenden Exekutivkomitee-Tagung im Oktober 1968 nach Genf eingeladen. Im Hinblick auf die Arbeit des WiPC machte Carver auf der Londoner Exekutive nachdrücklich deutlich, dass es keine konzentrierte Aktivität gegen die Sowjetunion gebe. Das WiPC habe seit seiner Gründung seine Pflichten präzise erfüllt: Der Vorwurf des DDR-P.E.N. »was an unfair and outrageous accusation against the probity of the Committee.«798 Kein Delegierter des P.E.N.Zentrums DDR war anwesend, um die gegen das WiPC erhobene Klage mit den Vertretern der übrigen nationalen Zentren zu diskutieren. Die Begründung der Nichtteilnahme subsumierte die Punkte der Anklage: »Vor der Exekutivsitzung […] ist nicht nur eine einseitige Atmosphäre, es sind auch fait accomplis geschaffen worden, insbesondere im Verhältnis zu den sowjetischen Schriftstellern, die
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Arthur Miller an Heinz Kamnitzer [24. 3. 1968].Zitiert nach: Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. – April 3rd 1968 – London, England. P.E.N.-Archiv London. Arthur Miller an Heinz Kamnitzer [24. 3. 1968].Zitiert nach: Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. – April 3rd 1968 – London, England. P.E.N.-Archiv London. Vgl. den Verweis auf das BBC-Interview in einem Bericht des RIAS. Staatliches Rundfunkkomitee, Abt. Information: Vertrauliches Material. Rias II, Neues aus Ost und West [2. 5. 1968]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1968/Information 2. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. – April 3rd 1968 – London, England. P.E.N.-Archiv London. Wortbeitrag von David Carver. In: Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. – April 3rd 1968 – London, England. P.E.N.-Archiv London. 499
eine Tagung im Geist der Zusammenarbeit ausschließen. Wir werden deshalb nicht teilnehmen.«799 So geriet die Exekutive zu einem generellen Meinungsaustausch über die Arbeit für inhaftierte Schriftsteller im Rahmen des Internationalen P.E.N., die in einer generellen Vertrauensbekundung für das WiPC mündete.800 Unmittelbar vor der Exekutive, am 28. März 1968, hatte in London auf gemeinsames Betreiben des englischen P.E.N.-Zentrums und des WiPC eine Protestkundgebung gegen die Situation in Griechenland und der Sowjetunion stattgefunden. Aus dieser Initiative hervorgegangen war ein spezielles Defence Committee for Soviet and Greek Writers in Prison. Zwar wurde dessen Existenz auf der Exekutive kontrovers diskutiert, insbesondere die Konstruktion einer Verbindung zwischen griechischen und sowjetischen Schriftstellern. Carver aber stellte sich entschieden hinter die Arbeit des Komitees, auch wenn das »DDR Centre and the Bulgarian, Hungarian & Czechoslovak delegates thought that the linking of the Soviet and Greek writers was a mistake and that they wished to dissociate themselves from the Defence Committee’s action.«801 Deutlich wird an Carvers Haltung hier, aber auch in den anderen Belangen vor allem eines: Der internationale Generalsekretär hielt sich an das Gebot der Toleranz im Internationalen P.E.N.; er respektierte die politisch intendierte Haltung der sozialistischen Vertreter – ohne von der eigenen Position abzurücken. Nach dem Schlagabtausch im Frühjahr 1968 schwiegen beide Seiten. In die unbeendeten Auseinandersetzungen mischten sich politische Ereignisse, die von der gesamten Weltöffentlichkeit mit größtem Interesse wie wachsender Besorgnis beobachtet wurden und den gesamten sowjetisch kontrollierten Machtbereich in Aufruhr versetzten. In der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik waren unmittelbar nach der Wahl von Alexander Dubˇcek zum Ersten ˇ am 5. Januar 1968 wirtschaftliche und politische Reformen Sekretär der KPC eingeleitet worden. Der neue Prager Kurs propagierte eine demokratische Variante des Kommunismus, die dem Freiheitswillen des Volkes Rechnung trug und breite Unterstützung in der Bevölkerung fand. Ein uneingeschränkter und mit allen Mitteln durchgesetzter Machtanspruch der kommunistischen Partei wurde abgelehnt: »Die Kommunistische Partei stützt sich auf die freiwillige Unterstützung durch die Menschen. Sie verwirklicht ihre führende Rolle nicht dadurch, daß sie die Gesellschaft beherrscht, sondern dadurch, daß sie der freien, fort-
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Arnold Zweig, Heinz Kamnitzer, Günther Cwojdrak, Peter Hacks, Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde, Hermann Kant, Maximilian Scheer und Christa Wolf: Botschaft an das Exekutivkomitee des Internationalen P.E.N., London, 3. und 4. April 1968 [19. 3. 1968], S. 6. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. – April 3rd 1968 – London, England. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the International ExecutiveCommittee of P.E.N. – April 3rd 1968 – London, England. P.E.N.-Archiv London.
schrittlichen und sozialistischen Entwicklung am fortschrittlichsten dient.«802 Die Ansätze der tschechoslowakischen Reformer zielten auf eine Trennung von Partei und Staat, somit auf die Durchsetzung einer rechtsstaatlichen Ordnung. Angestrebt wurde eine innerparteiliche Demokratie, die nicht nur die Kaderpolitik verändern, sondern auch eine freie Auseinandersetzung über politische Fragen ermöglichen sollte. Während die Informationsfreiheit etwa in der DDR strikten Beschränkungen unterlag, gewährte die tschechoslowakische Führung die Pressefreiheit. Im Sommer 1968 existierte in der Tschechoslowakei de facto eine freie Presse. Die Ansätze der tschechoslowakischen Reformkommunisten gingen jedoch weiter. Die Hegemonie der sowjetischen KP, die von den anderen ˇ indirekt nationalen kommunistischen Parteien anerkannt wurde, stellte die KPC in Frage; sie forderte die Gleichberechtigung und Selbständigkeit aller Parteien. Mit diesem nur in seinen Grundzügen skizzierten Reformprogramm scherte die Tschechoslowakei aus den Reihen der streng nach sowjetischem Vorbild organisierten Staaten aus und zog deren negatives Interesse auf sich. Die formulierten Thesen wurden von der Moskauer Führung als große Gefahr für ihre Politik eingeschätzt; sie sah die Einheitlichkeit des Ostblocks gefährdet. Die Vertreter eines bürokratisch-diktatorischen Kommunismus, wie er in der DDR praktiziert wurde, empfanden den im Prager Frühling eingeschlagenen neuen Kurs als Preisgabe der Positionen des Sozialismus zugunsten der Konterrevolution. Auch sie fürchteten eine Ausbreitung des Reformkommunismus – auf die DDR. Die unrechtmäßige Invasion der sowjetischen Armee mit massiver propagandistischer Unterstützung der DDR und Truppen aus Polen, Ungarn und Bulˇ garien am 20./21. August 1968 in die CSSR galt in erster Linie der neuen Form des demokratischen Kommunismus. Dubˇcek und das gesamte Politbüro wurden verhaftet und nach Moskau gebracht; dort mussten sie eine Rücknahme der eingeleiteten Reformen versprechen. Die DDR-Führung brachte sich durch die demonstrierte Haltung zur Invasion in Widerspruch zu Teilen der Bevölkerung, vor allem der jüngeren. Auch in der SED gab es unterschiedliche Ansichten. Sympathiebekundungen für die Demokratisierungsversuche in der Tschechoslowakei wurden offen zum Ausdruck gebracht. So kam es in der DDR nach dem 21. August 1968 zu Protesten und der Verteilung von Flugblättern gegen den Einmarsch. Festnahmen, Parteiausschlüsse und Verwarnungen waren die Folge. Die Parteidisziplin obsiegte wieder einmal. Diese Entwicklungen tangierten das P.E.N.-Zentrum DDR zunächst nicht. ˇ Die Ereignisse in der CSSR machten die dort gerade erst erworbene Freiheit des Wortes zunichte und waren damit auch von Interesse für die Arbeit des Internationalen P.E.N., dessen Generalsekretär auf die Entwicklung spontan reagierte; er forderte alle nationalen Zentren zum Protest auf und zog im Einver802
ˇ F. Röll und G. Rosenberger: CSSR 1962–1968. Dokumentation und Kritik. München 1968, S. XIf. Volkszeitung, Prag, vom 19. 4. 1968 (Aktionsprogramm). Zitiert nach Weber, S. 357. 501
nehmen mit dem internationalen P.E.N.-Präsidenten die Einladung sowjetischer Beobachter zur Teilnahme an der Exekutivkomitee-Tagung im Oktober 1968 (Genf) zurück, um damit deutlich Stellung gegen den Aggressor Sowjetunion zu beziehen. Die Konfrontation der kommunistischen und anti- bzw. nichtkommunistischen Mitglieder im Internationalen P.E.N. war mit dieser deutlich antisowjetischen Haltung vorprogrammiert. Das P.E.N.-Zentrum der DDR demonstrierte einmal mehr, dass es der vorgegebenen Linie der SED-Führung folgte. Im Namen des Präsidiums teilte das Sekretariat des DDR-P.E.N. dem internationalen Generalsekretär Carver mit, dass es »seine Intervention als ›unangemessen und keineswegs hilfreich‹ erachte[ ]«803 . Auf der Genfer Tagung des internationalen Exekutivkomitees im Oktober 1968 wurden die Ereignisse und die Situation der Schriftsteller in der Tschechoslowakei nur am Rande erörtert. Im Vordergrund stand wiederum die Diskussion um die Position des Internationalen P.E.N. gegenüber den sowjetischen Schriftstellern. Insbesondere die schwierigen Verhandlungen um eine Mitgliedschaft der Kollegen aus der SU wurden ausführlich dargelegt. Der Vorwurf antisowjetischer Politik im Internationalen P.E.N., wie ihn das P.E.N.-Zentrum DDR nachdrücklich erhob, lässt sich bei Kenntnis der Protokolle nicht aufrechterhalten; die internationale Führungsebene schien jedoch der ewigen Ausflüchte, Meinungswechsel und Vorbehalte der sowjetischen Schriftsteller ein wenig müde zu sein.804 Das P.E.N.-Zentrum DDR nutzte, obgleich die Einreise in die neutrale Schweiz nicht mit den stetig beklagten Visa-Schwierigkeiten einhergegangen wäre, ein weiteres Mal nicht die Chance, am internationalen Meinungsaustausch teilzunehmen. Aus Protest gegen die Ausladung der sowjetischen Schriftsteller hatte man einstimmig beschlossen, keine Delegation zur Teilnahme an der Genfer Exekutive zu entsenden. Man wich der Möglichkeit aus, den eigenen Standpunkt vor der internationalen P.E.N.-Mitgliedschaft zu erörtern und wählte stattdessen propagandistische Mittel. In einer öffentlichen Erklärung, die in Abstimmung mit der Abteilung Kultur des ZK der SED für die Parteipresse der DDR vom P.E.N.-Präsidium herausgegeben wurde, distanzierte man sich von der als vorschnell, eigenmächtig und schädigend verurteilten Reaktion des internationalen Generalsekretärs und thematisierte mögliche Auswirkungen der antisowjetischen Aktion auf den Internationalen P.E.N.-Club. Zwar befürwortete das P.E.N.-Präsidium – namentlich Kamnitzer, Wolf, Cwojdrak, Hacks, Hermlin, Herzfelde, Ilberg, Kant und Scheer – die sowjetische Invasion nicht ausdrücklich. Implizit erscheint sie in ihrer Stellungnahme jedoch beinahe wie ein notwendiger und positiver Lösungsversuch: Der Generalsekretär des Internationalen PEN hat es für nötig befunden, in einer politischen Krise, die uns alle bewegt hat, sofort Stellung zu nehmen, indem er von einer 803 804
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Werner Ilberg an alle Mitglieder [1. 10. 1968]. SAdK Berlin, NL Alfred Kurella 2621. Vgl. Minutes of the Meeting of the InternationalExecutiveCommittee of International P.E.N., held in Geneva, Switzerland, on October 6th, 1968. P.E.N.-Archiv London.
Bedrohung der nationalen und geistigen Freiheit der tschechoslowakischen Schriftsteller sprach. Das PEN-Zentrum ist der Meinung, dass in schwierigen, politischen Situationen, zumal in solchen, die noch durchaus ungeklärt sind, der Generalsekretär des Internationalen PEN die Meinung aller Sektionen einholen muss. Im Augenblick, da sich glücklicherweiseeine Lösung des Konflikts zwischender CSSR und einigen anderen sozialistischen Staaten abzuzeichnen beginnt, bedauern wir die Eile, die der Internationale Sekretär an den Tag gelegt hat. Es war von Anbeginn ersichtlich, dass beide Seiten an einer schnellen und ehrenhaften Lösung des Konflikts interessiert waren. Die Haltung des Internationalen PEN befördert derartige Lösungen nicht. Wir unterbreiten dem Internationalen PEN den Ausdruck unserer Sorge, die der weiteren, gedeihlichen Zusammenarbeit aller Zentren gilt.805
Der moderat formulierte Angriff auf die Politik des Internationalen P.E.N. setzte den Konfrontationskurs des P.E.N.-Zentrums DDR fort, der auch für die Folgezeit bestimmend bleiben sollte. Gleichwohl war eine Kontinuität im DDR-P.E.N. unterbrochen worden. Die langjährige Generalsekretärin, Ingeburg Kretzschmar, die seit den fünfziger Jahren für den P.E.N. gearbeitet hatte, war unter fragwürdigen Umständen aus dem Dienst entlassen worden. Der neu ins Amt des Generalsekretärs gehobene Werner Ilberg sah sich so gleich zu Anfang seiner Amtszeit mit den politischen Problemen des Internationalen P.E.N. konfrontiert.
6.8
Personelle Veränderungen im P.E.N.-Zentrum DDR : Die Abberufung der Generalsekretärin Ingeburg Kretzschmar und der »Tod des Dichters«806 Arnold Zweig (1968)
Für die Umstände, die zur Absetzung von Ingeburg Kretzschmar führten, lässt sich ein vielschichtiges Bild entwerfen. Dessen einzelne Facetten erscheinen zum Teil geheimnisvoll und ungemein spannend. Dieser Eindruck hängt einerseits eng mit der Aura zusammen, die die weltgewandte und elegante Frau umgab bzw. umgibt: »Es blieb Raum für Geheimnisse. Manche […] nannten sie Mata Hari, überzeugt, es mit einer alten Spionin zu tun zu haben. Die Frage war allein: Spionin für wen. Jeder war bereit, die Stasi als Auftraggeber auszuschließen.«807 Andererseits beherrschte Kretzschmar die Fähigkeit – und tut dies noch heute –, entscheidende Episoden ihrer Biographie in pointierter Form darzulegen. Während Karl Corino in seinem Band über Hermann Kant lediglich sachlich bemerkte – »1968 wurde sie […] als Generalsekretärin des PEN abgelöst und vom MfS jahrelang massiv verfolgt«808 –, lieferte Birgit Walter in der Berliner 805
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Erklärungdes Präsidiums des P.E.N.-ZentrumsDDR [o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/1968/Erklärung 1. Heinz Kamnitzer: Der Tod des Dichters Arnold Zweig. Schkeuditz 1998. Birgit Walter: Ich hatte auch viel Glück. Wie Ingeburg Kretzschmar Russenhaft, einen Stasianschlag und 12 Jahre Krankenhaus überlebte. In: Berliner Zeitung 46 (23. 2. 2001), S. 11f, hier S. 11. Corino, S. 217. 503
Zeitung zum 80. Geburtstag der Kretzschmar eine weitaus farbigere Darstellung der Ereignisse: Das war 1968, in Prag war Frühling, Ingeburg Kretzschmar lag im Krankenhaus, als zwei energischeMänner an ihr Bett traten und ihr mitteilten, sie sei nun keine Generalsekretärin mehr, denn sie habe dem PEN eine Schreibmaschine gestohlen. Das PENPräsidium hatte es ihr glücklicherweise schriftlich gegeben, dass es ihr die Maschine für ihre ehrenamtliche Arbeit überlasse. Aber lästige Fakten änderten nichts in solchen Fällen. Auch hatte die Patientin jetzt andere Sorgen, sie wurde nämlich gerade mit täglich 79 Tabletten auf Nieren-Tbc behandelt. Eine für Nicht-Tbc-Kranke auf Dauer tödliche Maßnahme, wie ihr in der Nacht ein couragierter Stationsarzt im Krankenhaus Friedrichshain flüsterte. Kretzschmar flüchtete zu ›ihrem‹ Professor nach Budapest. Diese ›Reparatur‹ dauerte besonders lange. Später fand sie in ihrer fünfbändigen Stasi-Akte den Eintrag: ›Der Fall Kretzschmar ist medizinisch zu erledigen.‹ Was war passiert? Kretzschmar hatte sich für Schriftsteller wie Heym und Biermann eingesetzt, sich geweigert, eine feste Anstellung anzunehmen und sie hatte ihre Sekretärin beim Spionieren erwischt. Mehr, sagt sie, war nicht. ›Aber der Staat muss sich ungeheuer bedroht gefühlt haben.‹809
Diese Version deckt sich in weiten Teilen mit den Angaben, die Kretzschmar im persönlichen Gespräch mit der Verfasserin lieferte – ergänzt um das ein oder andere pikante Detail. So hatte Kretzschmar nach ihren Aussagen die Unterredung mit den beiden »Stasi-Leuten«, die sie aus ihrem Amt entließen, auf Tonband aufgezeichnet.810 Ein Protokoll einer P.E.N.-Präsidiumssitzung vom September 1968 belegt das. Gleichwohl handelte es sich bei den »Stasi-Leuten« um Kretzschmars Nachfolger, Werner Ilberg, und einen Mitarbeiter der Abteilung Kultur: »Genosse Werner Ilberg informierte uns zunächst über seine Reise mit Genossen Dr. Kahle [ZK] zu Frau Kretzschmar. Trotz wiederholter Anmahnungen ist die während des Gesprächs gemachte Tonbandaufnahme bei uns nicht eingetroffen.«811 Die »Enttarnung« ihrer Sekretärin verlief nach Kretzschmars Angaben folgendermaßen: Es geschah, dass ich meine Sekretärin dabei erwischte, dass sie Präsidiumsgespräche unter dem Tisch stenografierte und an die Stasi weiterlieferte. Ich habe sie dabei entdeckt, als sie in meinem Sekretariat diese Dinge aus dem Stenogramm in die Maschine tippte – sie hatte mit meinem Kommen nicht gerechnet. Darauf riss ich ihr das raus und sagte. Das ist wohl ein Missverständnis. Damit können wir das Arbeitsverhältnis beenden. Umgekehrt – sie blieb, ich flog.812
Auch die Weigerung, ein festes Arbeitsverhältnis anzunehmen, präzisierte Kretzschmar im Gespräch:
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Birgit Walter: Ich hatte auch viel Glück. Wie Ingeburg Kretzschmar Russenhaft, einen Stasianschlag und 12 Jahre Krankenhaus überlebte. In: Berliner Zeitung 46 (23. 2. 2001), S. 11f, hier S. 11. Vgl. Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. Protokoll der Präsidiumssitzung am 12. 9. 1968 [13. 9. 1968]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1968/Protokoll der Exekutiv-Sitzung Oktober 1968 3 (= Protokoll der Präsidiumssitzung am 12. 9. 1968). Vgl. Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin.
Ich wurde ins Zentralkomitee gerufen, da man sich mit mir offenkundig schwer tat. Da dachte man, mein Gott, die arbeitet frei, die wird doch froh sein, wenn sie ’ne feste Anstellung bekommt. […] Da schlug man mir vor, ich möchte mich doch bitte anstellen lassen. Darauf fragte ich ganz naiv: ›Bitte, wo denn?‹ Das beantwortete man mir nicht. Na, da hörte ich’s doch klingeln. Und sagte: Nein, ich bin freischaffender Publizist, nein, ich sehe keine Veranlassung.813
Ganz so simpel, wie Kretzschmar die Sachlage in ihren zurückblickenden Betrachtungen darstellte, waren die Dinge indes nicht abgelaufen. Ein Aktenband der Abteilung Kultur des ZK der SED enthält umfangreiches Material, das mit Kretzschmars Entlassung aus dem Amt zusammenhängt.814 Nach Aktenlage war es nicht ein punktuelles Ereignis, sondern ein langsam gärender Prozess, der Kretzschmars Entlassung provozierte. Im Wesentlichen waren es zwei Vorgänge, die Kretzschmars Position im P.E.N.-Zentrum DDR gefährdeten. Zum einen war Ende 1966 zwischen Kretzschmar und ihrer Sekretärin tatsächlich eine Verschlechterung des Arbeitsverhältnisses eingetreten. So berichtete die Sekretärin im Februar 1967 an die Abteilung Kultur von heftigen Auseinandersetzungen, die von Kretzschmar ausgegangen seien und von ihr als versuchte Verdrängung vom Arbeitsplatz begriffen wurden. Anlass für Kretzschmars feindliche Haltung gegenüber der Sekretärin könnte ein wie oben beschriebener Zusammenstoß gewesen sein. Eine Anfrage bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) ergab weder Hinweise auf eine Täter-, noch eine Opferakte der Sekretärin. Demgegenüber berichtete die Sekretariatsmitarbeiterin differenziert von den gegen ihre Person gerichteten Angriffen, die schon im Oktober 1966 ihren Anfang genommen hätten. Unter anderem hatte sich Kretzschmar demnach bei Kamnitzer um eine Unterredung über die Sekretärin bemüht und dabei deren Arbeitsfähigkeit grundlegend in Zweifel gezogen. Ende 1966 habe Kretzschmar zudem eine »gute Freundin« engagiert, die »künftig an den Präsidiumssitzungen teilnehmen und auch sonst zur Mitarbeit im PEN herangezogen würde«815 . Die Sekretärin fühlte sich diskreditiert und kritisierte ihrerseits die mangelhafte Arbeitsmoral der Generalsekretärin. Im Laufe des Jahres 1967 spitzte sich die Situation weiter zu. Eine normale Zusammenarbeit fand nach Aussage der Sekretärin nicht mehr statt. In diese menschlichen Auseinandersetzungen, von denen die Abteilung Kultur durch die Sekretärin detailliert informiert worden war, mischte sich ein finanzpolitisches Verdachtsmoment: Im März 1967 war im P.E.N.-Zentrum 813 814
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Vgl. Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. Vgl. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157, Fiche 3. Einsicht in die gesperrten Akten wurde der Verfasserin nur unter der strengen Auflage gewährt, schutzwürdige Belange Betroffener und Beteiligter angemessen zu berücksichtigen. In der Konsequenz konzentriert sich die folgende Darstellung der Ereignisse lediglich auf die Überprüfung und allgemein gehaltene Ergänzung der von Kretzschmar bereits öffentlich gemachten Details. [Sekretärin des P.E.N.-Zentrums DDR] an Kulturabteilung des ZK der SED [20. 2. 1967]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157, Fiche 3. 505
DDR durch das Ministerium für Finanzen eine Finanzrevision vorgenommen worden. Dabei traten zahlreiche Unregelmäßigkeiten in der Buchführung zutage, die Kretzschmar offenbar auf die Unerfahrenheit der Sekretärin in Buchungsfragen abwälzen wollte. Kretzschmars Mitarbeiterin gab in einem ausführlichen Schreiben an die Abteilung Kultur die Verantwortung für die vom Haushaltsplan abweichenden Ausgaben an Kretzschmar ab und setzte sich vehement gegen eine Verleumdung zur Wehr: »Wenn ich auch für meine Person einen Schutz durch ›höhere Stellen‹ nicht in Anspruch nehmen kann, so bin ich als Bürgerin der DDR, in der ich meine Arbeit nach besten Kräften und gern leiste, nicht gewillt, durch glänzend formulierte Darstellungen eine derartige Herabminderung meiner Arbeit hinzunehmen.«816 Die von Kretzschmar sehr viel später öffentlich gemachte Episode, die den vermeintlichen Diebstahl einer Reiseschreibmaschine betraf, unterscheidet sich vom Bericht der Sekretärin in feinen Nuancen: In einer Präsidiumssitzung am 23. 12. 1960 wurde beschlossen, Frau Kretzschmar eine Reiseschreibmaschine zu ersetzen, da von 1955–1966 durch den gesamten PEN Bürobedarf und das Schreiben von Buchmanuskripten die kleine Privatmaschine für PEN-Zwecke ›verwirtschaftet‹ wurde. – Bis Ende Mai 1957 verfügte der PEN über eine Büromaschine (in den Büroräumen Reinhardtstraße). Danach, bis zum Dezember 1959 wurden größere Manuskripte von mir auf meiner eigenen Maschinegeschrieben.– Vor zwei Jahren wurde die verwirtschaftete Reisemaschine, die bis dahin noch für Privatzwecke genutzt wurde – der PEN hat seit mehreren Jahren eine Büromaschine - und für die Frau Kretzschmar eine Abfindung von MDN 480,– vereinnahmte, auf Kosten des Pen repariert (ca. 70,–) und danach privat zu einem sehr akzeptablen Preis veräußert. (Etwa 300,–).817
In der Folge fand im September 1967 in der Abteilung Kultur eine Unterredung zur »parteimäßigen Auswertung der Prüfungsergebnisse«818 statt, die die Revisionskommission des Ministeriums für Finanzen erarbeitet hatte. Teilnehmer des Gesprächs waren Peter Czerny und Hans Baumgart von der Abteilung Kultur, sowie Ingeburg Kretzschmar und Wieland Herzfelde in seiner Funktion als Präsidiumsmitglied des P.E.N.-Zentrums. Kretzschmar wurde eine Rüge erteilt »wegen ihrer verantwortungslosen Haltung in Finanzfragen des PEN und ihres parteiwidrigen Verhaltens gegenüber Parteibeschlüssen«819 . Gleich816
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[Sekretärin des P.E.N.-Zentrums DDR] an Kulturabteilung beim ZK der SED, [Hans] Baumgart [19. 5. 1967]: Anmerkung zur »Stellungnahme zu den Schlußfolgerungen aus der Revision beim PEN-Zentrum« vom 18. 4. 1967. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157, Fiche 3. [Sekretärin des P.E.N.-Zentrums DDR] an Kulturabteilung beim ZK der SED, [Hans] Baumgart [19. 5. 1967]: Anmerkung zur »Stellungnahme zu den Schlußfolgerungen aus der Revision beim PEN-Zentrum« vom 18. 4. 1967. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157, Fiche 3. Aktennotiz über das am Montag, dem 12. 9. 1967 geführte Gespräch mit der Genn. Ingeburg Kretzschmar, Generalsekretär des PEN-Zentrums DDR [o. D.; erstellt von Hans Baumgart, Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/ 9.06/157. Arno Hochmuth an die ZentraleRevisionskommissionbeim Ministeriumfür Finanzen [12. 12. 1967]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157.
wohl war man von Seiten der Abteilung Kultur gewillt, Kretzschmar im Amt zu belassen – allerdings nur unter Einbau verschärfter Kontrollmechanismen: 1. Es wurde festgelegt, daß das Präsidium des PEN umgehend – spätestens bis zum 15. 10. 1967 – einen zweiten Unterschriftsberechtigten für die finanziellen Belange im PEN zu benennen [sic] (es muß ein Genosse aus dem Präsidium sein). Beim PEN-Zentrum Deutsche Demokratische Republik wird sofort eine Revisionskommission gebildet. Die vorgeschlagenen Mitglieder werden bis zum 15. 10. 1967 mit der Abt. Kultur abgesprochen. 2. Entsprechend der schon vor längerer Zeit gegebenen Hinweise wird das Honorarverhältnis der Genn. Kretzschmar endlich in ein ordentliches Arbeitsverhältnis umgewandelt. Analog den Verhältnissen im DSV wird der Abschluß eines Vertrages zwischen Präsidium und Genn. K. vorbereitet. Vor der endgültigen Beratung und Beschlußfassung im Präsidium erfolgt eine Abstimmung mit der Abt. Kultur und der Abt. Finanzverwaltung und Parteibetriebe. Als Termin für die endgültige Klärung wurde der 15. 10. 1967 festgehalten.820
Über die Rückzahlung von Geldern, die Kretzschmar laut Aktennotiz unrechtmäßig aus dem P.E.N.-Haushalt erhalten hatte, konnte zunächst keine Einigung erzielt werden.821 Ende September 1967 fand ein weiteres Treffen mit Baumgart statt, bei dem dieser auf die Klärung des Arbeitsverhältnisses drang. Kretzschmar forderte im Gegenzug eine schriftliche Aufforderung, die Baumgart verweigerte: Es sei »nicht üblich […], derlei Dinge […] schriftlich aus dem Haus zu geben. Die Fakten seien bekannt und gemeinsam beraten worden, außerdem seien sie aus dem Prüfungsprotokoll und dem Beschluß der ZRK [Zentrale Revisionskommission] zu entnehmen.«822 Ganz offensichtlich taktierte Kretzschmar mit dem Beschluss. Zwar wurde in einer Präsidiumssitzung Anfang 1968 unter Aufsicht von Baumgart und Kahle von der Abteilung Kultur beschlossen, rückwirkend ab 1. Januar 1968 ein Anstellungsverhältnis zwischen Kretzschmar und dem P.E.N.-Präsidium zu schaffen. Als Voraussetzung für ein solches Verhältnis wurde von Kretzschmar verlangt, die »Tätigkeitsmerkmale, Rechte und Pflichten des Generalsekretärs des PEN-Zentrums DDR […] aus[zu]arbeite[n] und dem PEN-Präsidium zur Beschlussfassung«823 vorzulegen. Anfang Februar 1968 teilte die seit Mitte Januar stationär gegen organische Tuberkulose behandelte Kretzschmar der 820
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Aktennotiz über das am Montag, dem 12. 9. 1967 geführte Gespräch mit der Genn. Ingeburg Kretzschmar, Generalsekretär des PEN-Zentrums DDR [o. D.; erstellt von Hans Baumgart, Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. Aktennotiz über das am Montag, dem 12. 9. 1967 geführte Gespräch mit der Genn. Ingeburg Kretzschmar,Generalsekretärdes PEN-Zentrums DDR [o. D.; erstellt von Hans Baumgart, Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Aktennotiz (als Ergänzung zur Aktennotiz vom 14. 9. 1967, betr. PEN) [29. 9. 1967; erstellt von Hans Baumgart, Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Arno Hochmuth an Ingeburg Kretzschmar [9. 2. 1968]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. 507
Abteilung Kultur ihre ordnungsgemäße Abmeldung als freischaffende Publizistin beim Zentralreferat Steuern mit.824 Mit Nachdruck drängte Hochmuth noch einmal auf die Abfassung einer Richtlinie über die Verantwortung und Pflichten des Generalsekretärs.825 Anfang März 1968 übersandte Kretzschmar an Herzfelde schließlich einen »Entwurf für Tätigkeitsmerkmale, Rechte und Pflichten des Generalsekretärs« und bat um eine entsprechende Entscheidung auf der nächsten Präsidiumssitzung.826 Der Kontrakt kam nie zustande. Grund dafür war wohl, dass Kretzschmar aufgrund ihrer langen Krankenhausaufenthalte seit Januar 1968 faktisch ihre Funktion nicht mehr ausgeübt hatte. Kurz vor ihrer Einweisung ins Krankenhaus berichtete Kretzschmar, dass sie in Sachen Revisionskommission vorangekommen sei. Das Präsidium habe Werner Ilberg als Vorsitzenden der Kommission bestätigt, Günter Hofé sei zudem nominiert.827 Erst im Mai 1968 wurden die latenten Schwierigkeiten im P.E.N.-Zentrum DDR erneut akut. Die Sekretärin kündigte gegenüber Kamnitzer ihr Arbeitsverhältnis auf: Die seit November 1966 zwischen dem Generalsekretär des PEN-Zentrums und mir bestehenden Unstimmigkeiten […] machen für mich eine weitere Zusammenarbeit unmöglich […]. Die Verzögerung in der Bereinigung der Frage der schleppenden Arbeitsweise des Sekretariats, zum großen Teil hervorgerufen durch unzureichende bzw. unterlassene Anweisungen des Generalsekretärs, um die ich das Präsidium des PEN gebeten hatte, bestärkt mich in meinem Beschluß, eine Aufhebung des Arbeitsvertrageszu erbitten.828
Nun lief die ZK-Maschinerie zu Hochtouren an. Im Juli 1968 trat schließlich das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR zusammen, um über die Situation im Sekretariat zu beraten. Eine erweiterte Fassung des Protokolls zur Präsidiumssitzung am 16. Juli 1968 dokumentiert eine umfangreiche Liste von Verfehlungen, die Kretzschmar zur Last gelegt wurden.829 Einstimmig beschloss daraufhin das Präsidium, unter Aufsicht der Abteilung Kultur, Ingeburg Kretzschmar durch den Schriftsteller Werner Ilberg zu ersetzen: Genossin Ingeburg Kretzschmar hat durch jahrelange Unregelmäßigkeiten in ihrer Tätigkeit als Generalsekretär des PEN-Zentrums DDR, durch ungesetzliche Finanzmanipulationenzu ihrem persönlichenVorteil und durch unwahre, politisch schädliche Aussagen zu ihrer Person und über Mitglieder des PEN-Zentrums DDR das ihr ent824
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Ingeburg Kretzschmar an Arno Hochmuth [3. 2. 1968]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. auch Ingeburg Kretzschmaran Wieland Herzfelde[6. 3. 1968].SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 905. Vgl. Arno Hochmuth an Ingeburg Kretzschmar [9. 2. 1968].SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Ingeburg Kretzschmar an Wieland Herzfelde [6. 3. 1968]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 905. Ingeburg Kretzschmar an Hans Baumgart [14. 1. 1968]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. [Sekretärin des PEN-Zentrums DDR] an Heinz Kamnitzer [2. 5. 1968]. SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/157, Fiche 3. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am Dienstag, dem 16. 7. 1968 (erweiterte Fassung) [19. 7. 1968]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157, Fiche 3.
gegengebrachte Vertrauen grob missbraucht und durch eine Reihe juristischer Delikte das Ansehen des PEN-Zentrums DDR geschädigt. […] Zur Sicherung einer geregelten und korrekten Arbeitsweise des Sekretariats des PEN-Zentrums DDR und zur Wahrung seiner politisch-moralischenIntegritäterwiesen sich die durchgeführtenMaßnahmen als notwendig und nicht länger aufschiebbar.830
Am 9. August 1968 wurde Kretzschmar ihr Abberufungsschreiben ausgehändigt.831 Das umfangreiche Aktenmaterial lässt gleichwohl manche Frage offen: Ist es denkbar, dass die Sekretariatsmitarbeiterin ihre Aufdeckung als StasiZuträgerin mit einer gezielten Denunziation bei der Abteilung Kultur beantwortete, bei der ihr eine zufällige Finanzrevision zupass kam? Die Vielfalt der gegen Kretzschmar erhobenen Vorwürfe und deren dezidierte Überprüfung durch die Abteilung Kultur und das Präsidium lassen ein solches Szenario eher unwahrscheinlich erscheinen. Kretzschmar wurde offenkundig aus kaderpolitischen Erwägungen abgesetzt. Daraus für ihre Person eine wenig linientreue oder gar oppositionelle Haltung gegenüber der Partei zu konstruieren, gelingt anhand des vorliegenden Aktenmaterials indes nicht recht. Die Vergehen, die Kretzschmar zur Last gelegt wurden, standen nicht originär mit politischen Verfehlungen im Zusammenhang. Kritik an Einsätzen für Biermann und Zweig, die Kretzschmar u. a. als Grund ihrer Entlassung angegeben hat, lassen sich anhand der vorhandenen Quellen nicht belegen und spielten in der Argumentation von Abteilung Kultur und P.E.N.-Präsidium keine Rolle. Beanstandet wurde lediglich ihre Weigerung gegenüber der Abteilung Kultur, Auskunft über die Haltung der Präsidiumsmitglieder zur »Frage von ›Geist und Macht‹«832 zu erteilen. Auch in einem entpolitisierten Arbeitsverhältnis wären aus den übrigen aufgelisteten Fehltritten Schwierigkeiten erwachsen. Kretzschmars Zusammenarbeit mit der Abteilung Kultur beim ZK der SED, die zwangsläufig aus ihrer Funktion als Generalsekretärin erwuchs, ist ausführlich beschrieben worden. Sie belief sich oftmals lediglich auf die Absprache notwendiger Formalitäten, die mit der Aktivität des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West bzw. P.E.N.-Zentrum DDR auf nationaler bzw. internationaler Ebene in Zusammenhang standen. Dem spröden, politisch geprägten Geschäft standen positive Aspekte gegenüber. Kretzschmar genoss, wie andere auch, die Annehmlichkeiten, die mit der P.E.N.-Arbeit verbunden waren: die Nähe der berühmten Autoren, die Reisen in andere Länder, die Empfänge und Diners – kurz das elegante und angenehme Club-Leben. Auch sie selbst hatte sich darum bemüht, dem P.E.N.-Zentrum DDR, damals 830
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Information über kaderpolitische Veränderungen im Sekretariat des PEN-Zentrums Deutsche Demokratische Republik [13. 8. 1968]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/ 157, Fiche 3. Vgl. Information über kaderpolitische Veränderungen im Sekretariat des PENZentrums Deutsche Demokratische Republik [13. 8. 1968]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157, Fiche 3. Protokoll der Präsidiumssitzung am Dienstag, dem 16. 7. 1968 (erweiterte Fassung) [19. 7. 1968], S. 6. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157, Fiche 3. 509
noch Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West, mit der Einrichtung exklusiver Clubräume ein behagliches Gepräge zu verleihen. Die Frage, in welchem Verhältnis Kretzschmar zur Partei stand, lässt sich gleichwohl nicht klar beantworten. In die SED eingetreten war sie kurz nach der Gründung: »Kretzschmar sagt, dass sie den neuen Staat zunächst bewusst als Alternative zu seinem nationalsozialistischen Vorgänger begriffen habe, dann nicht mehr. […] Die Autorin versuchte immer, unpolitisch zu leben und zu arbeiten.«833 Auch im Gespräch mit der Autorin betonte Kretzschmar immer wieder ihre »größte Distance« zur Politik des DDR-Staates, ihre Distanz zu willigen Kulturfunktionären wie Kamnitzer und Kant. Einzelne Quellen zeigen jedoch ein ambivalentes Bild. Kretzschmar schien in ihrer Funktion als Generalsekretärin nicht gänzlich unpolitisch motiviert. So hatte sie etwa im Oktober 1965 bei Siegfried Wagner, Abteilung Kultur, eine »Beratung mit den Genossen [des] Präsidiums herbeizuführen [versucht], um in Fragen unserer innerdeutschen Arbeit und der Auslandsarbeit die für die nächste Zeit gültigen Standpunkte zu erörtern.«834 Auch ein Schreiben, das sie im August 1966 der Abteilung Kultur des ZK der SED ohne Veranlassung von außen vorlegte, lässt das Verhältnis zwischen Kretzschmar und der Partei in einem anderen Lichte erscheinen: Ich werde mit diesem Vorschlag vielleicht nicht alle Genossen des PEN-Präsidiums hinter mir haben, dennoch muß ich diesen Vorschlag erneut und mit allem Nachdruck unterbreiten: Ich meine die Konstituierungeiner Parteigruppe innerhalb unseres PENZentrums, zusammengesetzt aus Präsidiumsmitgliedern u n d anderen Genossen des PEN-Zentrums. Der Stand unsererArbeit, die bevorstehendenund vor allem im innerdeutschenBereich immer komplizierter werdenden Aufgaben und Sachverhalte gestatten es meiner Meinung nach nicht mehr, weiterhin den Standpunkt gelten zu lassen, daß jeder von uns Genossen ja ohnehin einer Parteigruppe angehört. Auch die PEN-Fragen haben ihr Spezifikum und bedürfen wie jedes andere Gebiet unserer Kulturpolitik, einer kontinuierlichen, präzisen, politischen Kontrolle (und nicht nur des politischen Überprüfens und Analysierens von Fall zu Fall). Ich halte einen arbeitsfähigen festen Parteikern im Interesse der Wahrung unserer Parteipolitischen Linie und unserer staatlichen Repräsentanz für unerläßlich. Zu einer konstituierenden Sitzung wäre – im Fall Eurer Zustimmung zu meinem Vorschlag – ein Kreis von Genossen wünschenswert,der über die Nur-PEN-Mitgliedschaft hinausreicht und am besten von Euch einzuberufen wäre.835
Auf die Anfrage vom August 1966 folgte prompt eine positive Antwort aus der Abteilung Kultur: Man sei mit der Bildung einer Parteigruppe
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Birgit Walter: Ich hatte auch viel Glück. Wie Ingeburg Kretzschmar Russenhaft, einen Stasianschlag und 12 Jahre Krankenhaus überlebte. In: Berliner Zeitung 46 (23. 2. 2001), S. 11f, hier S. 12. Ingeburg Kretzschmar an Siegfried Wagner [13. 10. 1965]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1965 2. Ingeburg Kretzschmar an Siegfried Wagner [16. 8. 1966]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156.
nicht nur […] einverstanden […], sondern [habe] ja bereits seit langer Zeit, zumindest seit der Beratung zu Beginn dieses Jahres […] […] konkrete[] Vorschläge dazu gemacht […]. Sprich bitte Deine Vorschläge mit Genossen Kamnitzer ab und schreitet dann – gemäß unserem Parteistatut – bis spätestens Ende September zur Bildung der Parteigruppe. Wir sind der Meinung, daß die Einberufung der Genossen nicht durch uns zu erfolgen braucht. Zur Vorbereitung stehen Dir die Mitarbeiter der Abteilung zur Konsultation zu Verfügung. Wir empfehlen Dir auch eine vorherige Aussprache mit dem Sekretär der Parteiorganisation des Berliner DSV, Genossin Rita Scheerer.836
Die Parteigruppe trat schließlich im April 1967 erstmals zusammen. Muss daher der Rückschluss daher gezogen werden, dass Kretzschmar nicht bloß willfährige Ausführende von Parteivorgaben, sondern aktive Ideengeberin zur konzentrierten Strukturierung der parteipolitischen Arbeit innerhalb des P.E.N.-Zentrums im Inneren der DDR war? Der Widerspruch zwischen Kretzschmars Selbsteinschätzung und einzelnen Quellen lässt sich zumindest nicht ohne weiteres auflösen. Die exemplarische Betrachtung der Position von Ingeburg Kretzschmar zur Partei erfolgt hier nach sorgfältiger Überlegung. Am Beispiel der Generalsekretärin zeigt sich deutlich die grundsätzliche Widersprüchlichkeit, die bei der Beschäftigung mit der Geschichte des DDR-P.E.N., insbesondere mit der Personen-Geschichte des P.E.N. in der DDR kontinuierlich zutage tritt. Eine eindeutige Positionierung im Staatssystem der DDR fällt oftmals schwer oder lässt sich nicht vornehmen. Dabei spielt auch die persönliche Erinnerung und Selbstdarstellung, die subjektive Ausdeutung und Neuordnung der Vergangenheit durch die Betroffenen eine wesentliche Rolle. Die Erinnerungsarbeit wird häufig selektiv verrichtet: Einzelne Episoden treten deutlich hervor, überstrahlen und verdrängen die »negativen« Aspekte der eigenen Vergangenheit. Vorgenommen wird, bewusst oder unbewusst, die »›Organisation von Lebenserfahrung‹ (Peter Sloterdijk)«: »Jeder von uns rationalisiert, selektiert, montiert, verkettet, erfindet Erfahrungspartikel des eigenen Lebens zu einer Sinnkonstruktion, mittels derer dem einzelnen Leben ein bewußter und konsequenter Entwurfscharakter unterstellt bzw. post festum zugemessen wird.«837 Ein natürlicher und menschlicher Mechanismus, der den versöhnlichen Umgang mit der individuellen Geschichte erleichtert und vielleicht erst möglich macht. Er soll an dieser Stelle nicht verdammt, indes für den Umgang mit Zeugnissen der persönlichen Vergangenheitsbewältigung zu bedenken gegeben werden. Wie sah nun nach Kretzschmars Ausscheiden die Situation im P.E.N.Zentrum DDR aus? Der neu ins Amt gehobene Generalsekretär, Werner Ilberg, gehörte zur Generation der kommunistisch geprägten Exilanten, die 1933 Deutschland verlassen hatten. Anfang der dreißiger Jahre war er Mitglied im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS) gewesen und hatte Bei836
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Siegfried Wagner an Ingeburg Kretzschmar [20. 8. 1966]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ZK der SED/1966 2. Emmerich: Selbstbegründungsmythen, S. 2. 511
träge in kommunistischen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. 1947 war er aus seinem Exil in England zunächst in seine Geburtsstadt Wolfenbüttel zurückgekehrt. Seine parteipolitische Aktivität widmete er nach Absprache mit der KPD-Landesleitung der SPD, wurde jedoch wegen Tätigkeit im Vorstand der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und »gesamtdeutscher Betätigung« aus der Partei ausgeschlossen. Daraufhin trat er in die KPD ein, die ihm nach seinem 1957 erfolgten Wohnortswechsel in die DDR wegen »unerlaubter Übersiedlung« die Mitgliedschaft aberkannte. In der DDR arbeitete Ilberg als freischaffender Schriftsteller; er widmete sich hauptsächlich der Prosa und verfasste Biographien von ebenfalls kommunistisch geprägten Schriftstellern wie Romain Rolland, Bernhard Kellermann und Hans Marchwitza. 1959 war er schließlich in die SED eingetreten. Zum Mitglied des P.E.N.-Zentrums Deutschland, dem Vorläufer des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West und P.E.N.-Zentrums DDR, war er bereits 1951 gewählt worden.838 Ende August 1968 gab Werner Ilberg auf eine Veranlassung der Abteilung Kultur beim ZK der SED eine Pressemitteilung an ADN heraus, die über die Ende Juli beschlossene Veränderung im Generalsekretariat des P.E.N.-Zentrums DDR informierte: Das Präsidium des PEN-Zentrums DDR hat einstimmig beschlossen, den Generalsekretär Ingeburg Kretzschmar mit sofortiger Wirkung abzuberufenund den Schriftsteller Werner Ilberg mit dieser Funktion zu betrauen.839
Die Pressemitteilung war offenbar Mitte September 1968 noch immer nicht gedruckt worden. Erst Anfang Oktober sandte Ilberg eine Benachrichtigung an alle Mitglieder, die über Kretzschmars Abberufung und das Ausscheiden der Sekretariatsmitarbeiterin informierte. Ilberg bedauerte die späte Information und gelobte Besserung: »Der Kontakt zwischen dem Sekretariat und den Mitgliedern war in letzter Zeit nicht sehr eng. Wir versprechen Ihnen, uns zu bemühen, darin eine Änderung zu schaffen.«840 Spontan reagierte auf diese Mitteilung Richard Cahen aus Köln: »Wie weit sind wir doch voneinander entfernt und wie lange habe ich nichts von Ihnen gehört. In der Zwischenzeit hörte ich nur Schmerzliches von drüben. Tralow starb [im Februar 1968] – er war mein letzter Freund. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem neuen Amt und hoffe, dass jetzt mehr Leben in die Bude kommt.«841 Das Jahr 1968 wartete mit einer weiteren Veränderung im P.E.N.-Zentrum DDR auf, die dessen personelle Besetzung betraf. Der seit langem kränkelnde und wenig in Erscheinung getretene Präsident Arnold Zweig, der viele Jahre dem P.E.N. Gesicht und Namen geliehen hatte, starb am 26. November. Eine wirk838
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Andreas Kölling: Werner Ilberg. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 383. Werner Ilberg an ADN [27. 8. 1968]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel allgemein 1965–1968/Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst 1. Werner Ilberg an alle Mitglieder [1. 10. 1968]. SAdK Berlin, NL Alfred Kurella 2621. Richard Cahen an Werner Ilberg [11. 10. 1968]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/ Schriftwechsel allgemein 1965–1968/C/Cahen Richard 1.
lich tief greifende Zäsur in der Arbeit des P.E.N. bedeutete der Tod des Dichters nicht. Für die fortlaufenden Arbeiten des P.E.N.-Zentrums spielte weniger seine Person, als vielmehr die des 1964 eingesetzten Vizepräsidenten eine bedeutende Rolle. Kamnitzer führte das Tagesgeschäft des P.E.N.-Zentrums mit Ilbergs Unterstützung kommissarisch fort – aus seiner Position als Vizepräsident. Eine Mitgliederversammlung gab es zunächst nicht, nur die regulären Clubabende fanden mit mehr oder minder reger Beteiligung der Mitglieder statt. Erst auf der Generalversammlung im April 1970 wurde Kamnitzer offiziell ins Amt des Präsidenten gehoben. Für die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR dürften Veränderungen in der Führung kaum spürbar geworden sein, hatte Kamnitzer doch schon nach seiner Einsetzung ins Amt des Vizepräsidenten in Absprache mit der Abteilung Kultur des ZK der SED geschaltet und gewaltet. Auch auf internationalem Feld setzte das P.E.N.-Zentrum DDR zu Beginn der siebziger Jahre den gewählten Kurs offener Konfrontation und demonstrativer Abgrenzungspolitik mit unverminderter Stärke fort.
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7.
Das P.E.N.-Zentrum DDR unter verstärkter parteipolitischer Einflussnahme (1969/70–1979)
7.1
Gegen antisowjetische und antisozialistische Kampagnen im Internationalen P.E.N.: Fortsetzung des offenen Konfrontationskurses durch das P.E.N.-Zentrum DDR (1969/70)
Nachdem das P.E.N.-Zentrum DDR seit dem Kongress in Abidjan (Juli 1967) an keiner internationalen P.E.N.-Versammlung mehr teilgenommen hatte, richtete man sich 1969 auf die Teilnahme an der Frühjahrstagung des Exekutivkomitees in Sofia, Bulgarien, ein. Hier wäre mit Problemen bei der Erlangung von Visa nicht zu rechnen gewesen. Doch es kam anders: Bulgarien hatte im August 1968 ˇ eigene Truppen in die CSSR entsandt, um die sowjetische Armee bei der Niederschlagung des Prager Frühlings zu unterstützen. Nach Absprache zwischen den Bulgaren und dem internationalen P.E.N.-Sekretariat war man Anfang 1969 übereingekommen, die Exekutive von Sofia nach London zu verlegen. In Reaktion auf die bulgarische Beteiligung an der sowjetischen Invasion fürchtete man einen Boykott der Tagung durch die westlichen Zentren. Die Entscheidung zur Verlegung der Tagung war in beiderseitigem Einverständnis zwischen London und Sofia getroffen worden. Der DDR-P.E.N. sah darin Wasser auf die Mühlen seiner Anklage gegen den Internationalen P.E.N.; er empfand die Verlegung der Tagung als »erneute Brüskierung der sozialistischen Zentren«1 . Unmittelbar nach Eintreffen der Nachricht von der Verlegung wurde Kamnitzer aktiv; er nahm den Kontakt mit dem ungarischen P.E.N.-Zentrum auf, zu dem seit langem gute Beziehungen bestanden.2 Der DDR-P.E.N. strebte an, vor dem Zusammentreffen in London alle P.E.N.-Zentren der sozialistischen Länder auf einen einheitlichen Standpunkt in Bezug auf die Entscheidung der Londoner Zentrale einzuschwören. In der Kürze der Zeit kam wenig zustande und so trat das P.E.N.-Zentrum DDR trotz der Anwesenheit der übrigen sozialistischen Zentren in London allein gegen die Maßnahme des Internationalen P.E.N. an: »Unsere Delegation machte noch einmal klar, daß wir eindeutig gegen diese Unterwerfung sind und grundsätzlich die Arbeit des Internationalen P.E.N. infrage gestellt wird, wenn die Beschlüsse der Internationalen Exekutive einseitig und willkürlich ohne Rückfrage und ohne 1
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Werner Ilberg an László Kéry [3. 3. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Int. PEN und Intern. Zentren 1969–1973/U/Ungarn 21. Vgl. Telegramm von Heinz Kamnitzer an László Kéry [12. 2. 1969].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Int. PEN und Intern. Zentren 1969–1973/U/Ungarn 23.
Angabe von Gründen umgeworfen werden können.«3 Die Schwierigkeiten bei der Erlangung von Visa für London waren durch die Fürsprache von Carver bei den britischen Behörden überwunden worden.4 Unerwartete Unterstützung erhielt das DDR-Zentrum ausgerechnet durch einen Resolutionsentwurf des amerikanischen P.E.N.; auch dieser richtete sich gegen die Verlegung der Tagung, kritisierte zudem die Brüskierung der sowjetischen Schriftsteller im Herbst 1968 und insistierte auf die bindenden Beschlüsse der Exekutivsitzung. Die unter den Delegierten der Exekutive entbrannte Diskussion wurde durch die Übergabe der Resolution zur Neufassung an ein Sub-Komitee abgekürzt, dem neben Robert Halsband und Herbert Mitgang (beide USA), Jean de Beer (Frankreich), Leda Mileva (Bulgarien) und Paul Tabori (England) auch Heinz Kamnitzer angehörte.5 Der neue Entwurf konzentrierte sich auf »die absolute Autorität der Internationalen Exekutive gegenüber dem Internationalen Präsidenten und legte fest, daß keine Entscheidungen und Entschließungen aufgehoben oder verändert werden dürfen ohne vorherige Absprache mit den PEN-Zentren.«6 Kamnitzer triumphierte; er wertete die Resolution – noch vor der Annahme durch die Exekutive – als Niederlage des internationalen Generalsekretärs. Die Haltung der USA-Vertreter schätzte Kamnitzer als »Widerschein einer neuen Situation nach der Wahl Nixons ein, als ein Beispiel innerhalb des Internationalen PEN, eine Verständigung mit der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten herzustellen, wobei offensichtlich der internationale Generalsekretär Carver […] sich als der wesentliche Hemmschuh erweist.«7 War der P.E.N. also ein »Wetterhäuschen der Weltgeschichte«? Das Verhältnis der DDR-Vertreter zu den Teilnehmern aus den USA jedenfalls gestaltete sich mindestens für den Moment positiv; man hoffte auf weitere gute Zusammenarbeit.8 3
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Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Exekutiv-Komitees des Internationalen P.E.N. am 26./27. März 1969, London [5. 5. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Schriftwechsel allg. und ZK der SED/M/Ministerium für Kultur 6, 6b–6f, hier 6b. Elisabeth M. Peterson [Sekretärin des internationalen Generalsekretärs] an Heinz Kamnitzer [4. und 14. 3. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Intern. PEN – London + PEN-Zentren International 1969–1973/L/London 34 und 35. Vgl. Minutes of the Meeting of the International ExecutiveCommittee of P.E.N. held in Menton, France, on Sunday, 14th September, 1969, and on Thursday, 18th September. P.E.N.-Archiv London. Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Exekutiv-Komitees des Internationalen P.E.N. am 26./27. März 1969, London [5. 5. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Schriftwechsel allg. und ZK der SED/M/Ministerium für Kultur 6, 6b–6f, hier 6c. Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Exekutiv-Komitees des Internationalen P.E.N. am 26./27. März 1969, London [5. 5. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Schriftwechsel allg. und ZK der SED/M/Ministerium für Kultur 6, 6b–6f, hier 6c. Vgl. Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Exekutiv-Komitees des Internationalen P.E.N. am 26./27. März 1969, London [5. 5. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 515
Nach diesem Verlauf der Exekutivkomitee-Tagung zog Kamnitzer eine positive Bilanz; er sah die entschiedene Haltung des DDR-P.E.N. als »richtig und erfolgreich« an: Unsere eindeutige Stellungnahme hat klargemacht, daß die reaktionären Kräfte im internationalen PEN eine Spaltung heraufbeschwören […]. Wir haben zweifellos auch Vertretern aus sozialistischen Ländern bewiesen, daß klare und offensive Politik sich bewährt, Respekt einbringt und dazu führt, daß mit einem solchen Mitglied mehr gerechnet wird als mit jemand, der klein beigibt. […] Wir sind der gemeinsamen Ansicht, daß unser Auftreten stark beachtet, mit Sympathie aufgenommen wurde und seinen äußeren Eindruck darin gefunden hat, daß der Vizepräsident des PEN-Zentrums der DDR zu enger Mitwirkung herangezogen worden ist.9
Dementsprechend hatten die sozialistischen Vertreter am Rande der Exekutive beschlossen, im Vorfeld der kommenden Herbsttagung eine »Aussprache über die Haltung der sozialistischen Zentren«10 zu führen; dies schien um so dringlicher, als nach Kamnitzers Einschätzung »[n]ach dem guten Verlauf der Exekutivsitzung in London […] mit einem gezielten Gegenangriff der reaktionären Kräfte«11 zu rechnen war. Für Menton (Frankreich, September 1969) stand eine Reihe kritischer Fragen zur endgültigen Entscheidung auf der Tagesordnung: 1. Wahl des neuen Präsidenten des internationalen PEN; 2. Resolutionsentwurf der USA, Frankreichs, der Volksrepublik Bulgarien und der DDR über die Rolle des Generalsekretärs; 3. Teilnahme der sowjetischen Beobachter in Zukunft; 4. Tagung in Sofia 1970; 5. Kongreß in Südkorea 1970; 6. […] 7. Außerdem wird es wahrscheinlich einen Versuch geben, die Lage der Intellektuellen in der CSSR in die Auseinandersetzungen einzuführen.12
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PEN-Club/Schriftwechsel allg. und ZK der SED/M/Ministerium für Kultur 6, 6b–6f, hier 6e. Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Exekutiv-Komiteesdes Internationalen P.E.N. am 26./27. März 1969, London [5. 5. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Schriftwechsel allg. und ZK der SED/M/Ministerium für Kultur 6, 6b–6f, hier 6e. Werner Ilberg an László Kéry [3. 3. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Int. PEN und Intern. Zentren 1969–1973/U/Ungarn 21. Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Exekutiv-Komiteesdes Internationalen P.E.N. am 26./27. März 1969, London [5. 5. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Schriftwechsel allg. und ZK der SED/M/Ministerium für Kultur 6, 6b–6f, hier 6e. Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Exekutiv-Komiteesdes Internationalen P.E.N. am 26./27. März 1969, London [5. 5. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Schriftwechsel allg. und ZK der SED/M/Ministerium für Kultur 6, 6b–6f, hier 6e.
Die Initiative zur Einberufung einer vorbereitenden Zusammenkunft der Zentren aus den sozialistischen Ländern war den Ungarn übertragen worden.13 Obgleich Ilberg schon unmittelbar nach der Londoner Tagung »angesichts der Tagesordnung in Menton«14 auf die verbindliche Absprache eines Termins drängte, kam aus Budapest keine definitive Antwort. Die Schaffung einer geschlossenen sozialistischen Front, wie sie Kamnitzer für die Verhandlungen im Internationalen P.E.N. vorschwebte, war ein problematisches Unterfangen. Das Interesse an einer Kooperation schien bei den P.E.N.-Zentren der sozialistischen Länder nur mäßig ausgeprägt zu sein. Den Verantwortlichen der Abteilung Kultur beim ZK der SED hatte Kamnitzer für Menton die Teilnahme einer repräsentativen Delegation vorgeschlagen. Einen Monat vor Kongressbeginn platzte in die Vorbereitungen eine Pressemeldung, die die Reise der DDR-Delegierten aus Sicht der kulturpolitisch Verantwortlichen grundlegend in Frage stellte. Der internationale P.E.N.-Präsident, Arthur Miller, hatte Mitte August 1969 auf einer Pressekonferenz angekündigt, u. a. die Unterdrückung und Zensur liberaler Schriftsteller in der Sowjetunion auf die Agenda des Kongresses zu setzen. Aktueller Anstoß für dieses Ansinnen waren mehrere Artikel des Schriftstellers Anatolij Kusnezow15, der aus der Sowjetunion geflohen war. Miller, der gerade ein Buch über die Verfolgung von Autoren durch die sowjetische Geheimpolizei veröffentlicht hatte,16 sah sich durch die Berichte von Kusnezow veranlasst, »die Meinungsfreiheit überall in der Welt, nicht nur in der Sowjetunion, zu überprüfen«17 . Obgleich Miller den Eindruck einer betont antisowjetischen Stoßrichtung mit dieser Aussage milderte, rief die Ankündigung die Kulturabteilung des ZK der SED auf den Plan. War unter diesen Umständen eine Teilnahme am Kongress politisch zu verantworten? Ein bürokratischer Prozess setzte sich in Gang, der alle politischen Ebenen, von der zu kontrollierenden Organisation bis zum Politbüro, tangierte. Der Vizepräsident des P.E.N.-Zentrums DDR, Heinz Kamnitzer, lieferte kurz nach Erscheinen der Pressenotiz eine umfassende Stellungnahme an die Abteilung Kultur, die die Teilnahme einer DDR-Delegation am Kongress in Menton uneingeschränkt befürwortete: Wir sind dafür, wie die ungarischen und bulgarischen PEN-Zentren nach Mentone [sic] zu reisen und durch eine gemeinsame Haltung und ein klares Auftreten den Geg13
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Vgl. Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Exekutiv-Komitees des Internationalen P.E.N. am 26./27. März 1969, London [5. 5. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel allg. und ZK der SED/M/Ministerium für Kultur 6, 6b–6f, hier 6e. Werner Ilberg an László Kéry [18. 4. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Int. PEN und Intern. Zentren 1969–1973/U/Ungarn 19. Der russische Schriftsteller Anatolij Kusnezow war 1969 nach London emigriert. Bekannt geworden war er durch den Roman Im Gepäcknetz nach Sibirien (1957) und vor allem durch den dokumentarischen Roman Babij Jar (1966). Vgl. Arthur Miller: In Russia. London 1969. Zitiert nach D[ie] W[elt]: Meinungsfreiheit als Thema des PEN-Kongresses. In: Die Welt 188 (15. 8. 1969), S. 3. 517
nern nicht die Initiative zu überlassen. Wie einer der Vertreter des ungarischen PENZentrums soeben erklärte: Hinfahren, Krach schlagen, gegebenenfalls die Exekutivsitzung verlassen oder überhaupt ausziehen. (N.B. das bulgarische Zentrum wird mit sieben Delegierten vertreten sein!) Ich selbst teile die Ansicht, daß es richtiger ist, die Delegation der DDR, die kämpferisch und kompromisslos auftreten wird, zu entsenden als fern zu bleiben.18
Kamnitzer verwies noch einmal auf die zu erwartende Eskalation jener antisowjetischen Kampagne im Internationalen P.E.N., die er seit 1968 beklagte. Als verstärkende Auslöser hatte Kamnitzer einerseits den Fall Anatolij Kusnezow, andererseits die Kandidatur des Franzosen Pierre Emmanuel für das Amt des internationalen P.E.N.-Präsidenten ausgemacht. Letztere wurde von der kommunistischen Welt als deutlicher Affront aufgefasst: Emmanuel hatte sich im Oktober 1949 anlässlich des Schauprozesses gegen László Rajk in Ungarn von der Kommunistischen Partei losgesagt. Von orthodoxen Kommunisten wurde er seitdem als Verräter angesehen. Emmanuel war 1967 zum französischen Direktor des bis dahin zum Teil von der CIA finanzierten und kontrollierten CCF ernannt worden19 – jenem Sammelbecken der nichtkommunistischen Linken, das schon in der Spaltungsgeschichte des deutschen P.E.N. eine Rolle gespielt hatte. Dem DDR-P.E.N. war indes entgangen, dass der CCF eine tief greifende Erschütterung erfahren hatte. Nach der Aufdeckung der Zusammenhänge um die Tarnorganisationen des CIA im Frühjahr 1966 war unter den Mitgliedern des CCF eine Welle der Empörung über die verborgene Verbindung zu den amerikanischen Regierungsbehörden losgebrochen, die Veränderungen in der Führungsebene des CCF provozierte. Der Amerikaner Shepard Stone wurde als Präsident eingesetzt, Emmanuel zum französischen Direktor berufen.20 Als Finanzier stand nunmehr die Ford Foundation in vorderster Reihe; der CCF »hatte anscheinend […] Unabhängigkeit gewonnen«21 . Die von Kamnitzer empfohlene Strategie für das Auftreten der DDR-Delegation in Menton war nicht neu; sie sollte die aus seiner Sicht reaktionäre Tendenz im Internationalen P.E.N. entlarven und zu diesem Zweck dessen Untätigkeit hinsichtlich der Situation in Vietnam, Griechenland, Spanien, Portugal, Südafrika und Lateinamerika aufdecken: »Während der Internationale PEN in diesen Ländern niemals zu weltweiten und ununterbrochenen Großkampagnen aufruft, nimmt die Leitung jeden Anlaß und jede Gelegenheit wahr, um zum Kreuzzug gegen die Sowjetunion zu blasen.«22 Kamnitzers Analyse der Ursachen für diese angebliche Entwicklung innerhalb des Internationalen P.E.N. ging weit über die Grenzen der Schriftstellervereinigung hinaus; er führte die 18
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Heinz Kamnitzer an die Abteilung Kultur des ZK der SED [20. 8. 1969]. SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. Saunders, S. 386. Vgl. Saunders, S. 382–386. Saunders, S. 386. Heinz Kamnitzer an die Abteilung Kultur des ZK der SED [20. 8. 1969]. SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/157.
von ihm konstatierte »Großkampagne« im Internationalen P.E.N. auf die Entwicklung der Weltpolitik zurück: Was sich abspielt, ist das Werk von Kreisen, die eine internationale Entspannung und eine sachliche Verständigung fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Gerade im Augenblick erkennen sie, daß dafür in Europa – und auch anderswo – die realistischen Möglichkeiten gewachsen sind. Um so mehr sind sie bestrebt, den kalten Kulturkrieg wieder aufleben zu lassen, um auf diese Weise die politischen Beziehungen des kalten Krieges zwischen den Staaten zu beeinflussen. Ihr Leitgedanke ist verständlich: Sie wollen den Grundwiderspruch zwischen Krieg und Frieden, Armut und Reichtum, zwischen Kultur und Barbarei, kurzum zwischen dem kapitalistischen System und der sozialistischen Gesellschaft verwischen, um stattdessen mittels ausschließlicher Großangriffe gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten von den entscheidenden Gegensätzen unserer Epoche abzulenken.23
Kamnitzer war offensichtlich überzeugt, dass eine Teilnahme an der Mentoner Exekutive auch von den Vertretern der Abteilung Kultur befürwortet werden würde. Am Tag seiner Eingabe an die Abteilung Kultur meldete er nach London die Namen der beiden offiziellen Delegierten – Hermlin und Kamnitzer –, sowie der weiteren Vertreter der DDR: Maximilian Scheer und Hermann Kant.24 Übermittelt hatte er auch zwei Resolutionen des P.E.N.-Zentrums DDR, die der Exekutive vorgelegt werden sollten: Resolution I PEN Centres ought to pay more attention to literary affairs in relation between each other. They should encourage and arrange among themselves more than hither to the mutual presentations of writings and writers of their respective countries. […] Resolution II The proposal to hold a PEN Congress at Seoul be removed from agenda until such a time when conditions in South Korea warrant a re-appraisal.25
Zur Verhandlung dieser Entschließungen kam es indes nicht. Die Abteilung Kultur des ZK der SED zeigte sich in den Grundzügen mit Kamnitzers Darstellung einverstanden; man war mit der Analyse der Situation zufrieden. Die Probleme und Gefahren des Kongresses seien »durchaus erkannt und in den richtigen Zusammenhang gestellt worden«26 . Auch die politisch-ideologische Reaktion auf die »neuerlichen Machenschaften« beurteilte man als »progressiv und parteilich«.27 Die grundsätzliche Frage, ob eine Teilnahme oder eine Nichtteilnahme
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Heinz Kamnitzer an die Abteilung Kultur des ZK der SED [20. 8. 1969]. SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. Heinz Kamnitzer an David Carver [20. 8. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/Int. PEN – London + Intern. Zentren 1968–1973/L/London 28. Heinz Kamnitzer an David Carver [20. 8. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/Int. PEN – London + Intern. Zentren 1968–1973/L/London 28. [?] Rossow an Kurt Hager [21. 8. 1969]. SAPMO-BArch DY 30/IV A 2/9.06/157. [?] Rossow an Kurt Hager [21. 8. 1969]. SAPMO-BArch DY 30/IV A 2/9.06/157. 519
den Protest des P.E.N.-Zentrums DDR politisch wirksamer zur Geltung bringen konnte, beantwortete die Abteilung Kultur jedoch anders als Kamnitzer: Unsere Abteilung ist hingegen der Auffassung, daß durch Nichtteilnahme und öffentlich publizierten Protest gegen das fortschreitend reaktionäre Verhalten der Leitungen des Internationalen PEN die Delegation bzw. das gesamte PEN-Zentrum DDR politisch und international wirksamer agieren kann, als in der eindeutig antikommunistischen Atmosphäre des Kongresses von Menton, wo sie bestenfalls als protestierende Minderheit in Erscheinung treten könnte. Hinzu kommt, daß nicht absehbar ist, ob die teilnehmenden Zentren anderer sozialistischer Länder (Ungarn, Bulgarien, evtl. Polen und CSSR) eine genauso konsequente Haltung gegenüber antikommunistischen Attacken an den Tag legen werden, wie sie der Konzeption unserer Delegation entspricht. Bisherige Erfahrungen erlauben hier keine allzu hohen Erwartungen.28
Eine bindende Entscheidung erwartete die Abteilung Kultur von Kurt Hager. Er vermerkte handschriftlich auf der Mitteilung: »Ich bin dafür nicht teilzunehmen«.29 Sein Beschluss war maßgeblich. Zwischen Kamnitzer und den Mitarbeitern der Abteilung Kultur fand schließlich Ende August ein Gespräch statt, »um den Standpunkt des PENZentrums DDR zum Internationalen PEN-Kongreß in Menton/Frankreich zu präzisieren«.30 Kamnitzer musste die Argumentation der Abteilung Kultur akzeptieren, die eine Nichtteilnahme empfahl. Im Vordergrund stand die »angesichts einer eindeutig antikommunistisch manipulierten Kongreßatmosphäre« geringe politische Wirkungsmöglichkeit des P.E.N.-Zentrums DDR, das zudem aufgrund der »labilen politischen Haltung einiger PEN-Zentren sozialistischer Länder«31 nicht mit einmütiger Unterstützung seines Standpunktes rechnen konnte. Dass Ende der sechziger Jahre die wirtschaftliche Situation des DDRStaates, d. h. »die durch Ernteschwierigkeiten in der DDR hervorgerufene, angespannte Devisensituation«32 , die Finanzierung von Delegationen mit wenig Aussicht auf politischen Erfolg nicht erlaubte, erschien als Begründung nur am Rande. Die Nichtteilnahme des P.E.N.-Zentrums DDR sollte nach Festlegung durch die Abteilung Kultur von einem »eindeutige[n] Protestschreiben«33 an den internationalen P.E.N.-Kongress begleitet werden. Als »politisch wirksamste Maßnahme« nahm man die »Nichtteilnahme möglichst aller PENZentren sozialistischer Länder und ihr[en] öffentliche[n] Protest gegen die antikommunistische Manipulierung des Internationalen P.E.N.«34 in Aussicht. In Reaktion auf das Gespräch mit der Abteilung Kultur nahm Kamnitzer den Kontakt mit dem ungarischen und dem bulgarischen P.E.N. auf, um diese Zentren mit der bekannten Argumentation zur Nichtteilnahme zu bewegen: »The more 28 29 30 31 32 33 34
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[?] Rossow an Kurt Hager [21. 8. 1969]. SAPMO-BArch DY 30/IV A 2/9.06/157. Vgl. [?] Rossow an Kurt Hager [21. 8. 1969]. SAPMO-BArch DY 30/IV A 2/9.06/157. [Arno Hochmuth] an Kurt Hager [8. 9. 1969]. SAPMO-BArch DY 30/IV A 2/9.06/157. [Arno Hochmuth] an Kurt Hager [8. 9. 1969]. SAPMO-BArch DY 30/IV A 2/9.06/157. [Arno Hochmuth] an Kurt Hager [8. 9. 1969]. SAPMO-BArch DY 30/IV A 2/9.06/157. [Arno Hochmuth] an Kurt Hager [8. 9. 1969]. SAPMO-BArch DY 30/IV A 2/9.06/157. [Arno Hochmuth] an Kurt Hager [8. 9. 1969]. SAPMO-BArch DY 30/IV A 2/9.06/157.
so do the better.«35 Die Hoffnung auf die Schaffung einer sozialistischen Front, die innerhalb des Internationalen P.E.N. geschlossen auftreten sollte, wurde enttäuscht. Das P.E.N.-Zentrum DDR stand als Verweigerer der Teilnahme am Kongress in Menton einsam da. Die Delegierten von Bulgarien, Polen, Rumänien und Ungarn waren erschienen36 – ein gemeinsamer Protest war gescheitert. Das Protokoll der Exekutivkomitee-Tagung in Menton lässt Kamnitzers Analysen der Situation im Internationalen P.E.N. als völlig überzogene Bewertungen der tatsächlichen Bestrebungen innerhalb der Schriftstellervereinigung erscheinen. Der Vorwurf einer dezidiert antisowjetischen Kampagne ist nicht haltbar. Bis zur letzten Minute hatte man sich um die Teilnahme einer sowjetischen Beobachterdelegation bemüht. Sowohl das gastgebende französische P.E.N.-Zentrum als auch der internationale Generalsekretär hatten die Einladung vergeblich vorgebracht. Die Rückfrage des französischen P.E.N. beim Sowjetischen Kulturattaché in Paris brachte Gewissheit: Die Pressemitteilungen über Millers Äußerungen zum Fall Kusnezow hatten aus Sicht der sowjetischen Schriftsteller zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen dem Sowjetischen Schriftstellerverband und dem Westen geführt. Aus diesem Grund war die Einladung vom Schriftstellerverband zurückgewiesen worden. Wie frühere Darstellungen ließ auch der Mentoner Bericht des WiPC keine besondere Schwerpunktsetzung erkennen. Weder auf die Sowjetunion, noch andere osteuropäische Länder konzentrierte sich demnach die Aufmerksamkeit des WiPC. Kamnitzers Vorwürfe hinsichtlich der Untätigkeit des Internationalen P.E.N. erscheinen grotesk. Das WiPC bemühte sich um inhaftierte Autoren in Griechenland, Vietnam, Spanien und Mexiko, sowie den afrikanischen Länder Nigeria und Uganda. Die Berichterstattung über die Situation in der UdSSR erscheint demgegenüber vollkommen gleichberechtigt. Carver verwies auf einen Brief an Fedin, der sich mit dem Schicksal einiger ukrainischer Schriftsteller befasste. Das WiPC sei weiterhin sehr besorgt um die Schriftsteller Sinyavsky und Daniel, die in Arbeitslagern interniert seien. Nur an dieser Stelle erlaubte sich Carver eine kleine Spitze gegenüber den sowjetischen Schriftstellern: »As usually happened these days, there had been no reply.«37 Eine Manipulation der Darstellung zur Entkräftung der Vorwürfe wäre theoretisch zwar denkbar. Sie erscheint jedoch weitestgehend ausgeschlossen. Am Ende des WiPC-Tätigkeitsberichts reagierte Carver nachdrücklich auf die Vorwürfe des DDR-P.E.N., die 35
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Heinz Kamnitzer an Anna Kamenova [1. 9. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Int. PEN – London + Intern. Zentren 1968–1973/B/Bulgarien 9, 9a–c, hier 9c. Vgl. auch Heinz Kamnitzer an László Kéry [1. 9. 1969]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Int. PEN – London + Intern. Zentren 1968–1973/U/Ungarn 17, 17a–d. Vgl. Minutes of the Meeting of the International ExecutiveCommittee of P.E.N. held in Menton, France, on Sunday, 14th September, 1969, and on Thursday, 18th September. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Menton, France, on Sunday, 14th September, 1969, and on Thursday, 18th September. P.E.N.-Archiv London. 521
dieser in einem Protestbrief an ihn deutlich gemacht hatte,38 und wies jegliche Tendenz in der humanitären Arbeit zurück: »[The] report would have shown that the activities of the Writers in Prison Committee were very far-reaching and not confirmed to protests against any particular type of regime. Their concern was with the right of the writer to express himself freely.«39 Die Angriffe des P.E.N.-Zentrums DDR waren abgeprallt. Die Pflege des Feindbildes Kapitalismus/Imperialismus indes bestimmte nicht nur die Aktivität der führenden Köpfe des P.E.N.-Zentrums DDR ; sie sollte unter Anleitung der Abteilung Kultur beim ZK der SED auch an die Mitgliederschaft des DDR-P.E.N. weiter getragen werden.
7.2
Dominanz von Kader- und Außenpolitik auf der Generalversammlung am 2. April 1970
7.2.1 Die Wahl von Heinz Kamnitzer zum Präsidenten des P.E.N.-Zentrums DDR Anfang April 1970 fand nach beinahe dreijähriger Pause eine Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR statt, die mit Akribie vorbereitet worden war. Zur politisch-ideologischen Vorbereitung hatten, neben einer Beratung der Parteigruppe des Präsidiums, zwei vorbereitende Gespräche der Abteilung Kultur mit dem Vizepräsidenten Heinz Kamnitzer und dem Generalsekretär Werner Ilberg sowie eine Zusammenkunft aller Genossen unter den P.E.N.-Mitgliedern unmittelbar vor dem Beginn der Generalversammlung stattgefunden.40 Bei letzterer handelte es sich um die erste dokumentierte »Voraus-Versammlung« im Zusammenhang mit einer Generalversammlung. In ihrer Gesamtheit dienten die Gespräche in erster Linie einer Abstimmung über die kadermäßige Besetzung des Präsidiums. In der »internen Besprechung«41 zwischen einem Mitarbeiter der Abteilung Kultur, Werner Kahle, und den Präsidiumsmitgliedern Christa Wolf, Wieland Herzfelde, Stephan Hermlin, Günther Cwojdrak und Werner Ilberg wurde der Kandidatur von Heinz Kamnitzer als Präsident einstimmig zugestimmt. Die Begründung zur Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED
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Vgl. den Protestbrief von Heinz Kamnitzer an den Internationalen P.E.N. [16. 9. 1969]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Menton, France, on Sunday, 14th September, 1969, and on Thursday, 18th September. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/157. Roe [d. i. Arno Röder, Abteilung Kultur beim ZK der SED?]: Aktennotiz über eine interne Besprechung am 28. 1. 1970 [3. 2. 1970]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Generalversammlung 2. 4. 1970/Aktennotiz 1.
zeichnete von Kamnitzer das Bild eines in jeglicher Hinsicht unentbehrlichen Zugpferds für das P.E.N.-Zentrum DDR : Schon in den letzten Lebensjahren Arnold Zweigs hat Genosse Kamnitzer die Geschäfte des Präsidenten des PEN-Zentrums praktisch geführt. Seiner konsequenten Haltung und Aktivität ist es wesentlich zu verdanken, dass sich das internationale Ansehen des PEN-Zentrums DDR kontinuierlich erhöht hat. Genosse Kamnitzer bringt mit seinen reichenErfahrungen in der internationalen Arbeit, mit seinen Kenntnissen als Historiker sowie mit seinem in letzter Zeit erworbenen Namen als Autor von Fernsehspielen alle erforderlichen Voraussetzungen mit, die Arbeit und internationale Wirksamkeit des PEN-Zentrums DDR auf der Grundlage der Politik von Partei und Regierung weiter zu entfalten. Genosse Kamnitzer geniesst in den Reihen der progressiven Mitglieder des Internationalen PEN bedeutendes Ansehen.42
Kamnitzer verkörperte die ideale Besetzung des Präsidentenamtes; er war ein treuer Gefolgsmann der SED, war bereit, sich für die Belange des DDR-P.E.N. einzusetzen und kannte sich durch seine langjährige P.E.N.-Arbeit auf internationalem Terrain aus. Die Akzeptanz seiner Kandidatur war nur eine Formsache. In Absprache mit der Abteilung Kultur verständigten sich die Präsidiumsmitglieder weiterhin über den Vorschlag, den auf der Jahrestagung versammelten Mitgliedern Jeanne Stern und Henryk Keisch als neue Mitglieder zur Ergänzung des Präsidiums vorzuschlagen. Die vom Präsidium vorgelegte Liste für die Neuwahlen wurde von der Abteilung Kultur akzeptiert. Beschlossen wurde weiterhin, die Mitglieder um weitere Vorschläge zu bitten, die der Liste zugefügt und der Generalversammlung zur Abstimmung vorgelegt werden sollten. Für das Procedere der Wahl wurde geheime Abstimmung vereinbart.43 Ein Materialblatt für die Parteigruppe des P.E.N.-Zentrums DDR enthielt im wesentlichen dieselben Inhalte; es informierte die Parteigruppenmitglieder über die Bestätigung von Kamnitzers Kandidatur durch das Sekretariat des ZK der SED und das Einverständnis mit der kadermäßigen Zusammensetzung des Präsidiums. Hier fanden sich auch die Zuwahlvorschläge des Präsidiums gelistet: Volker Braun Günter de Bruyn Peter Edel Jens Gerlach Helmut Hauptmann Rainer Kerndl Heinz Knobloch44
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Wolfgang Kohlhaase Irmtraud Morgner Benno Pludra Achim Roscher Günther Rücker Benito Wogatzki
Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED] und Werner Ilberg: Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Generalversammlung am 2. 4. 1970/Vorlage für das Sekretariat des ZK der SED 1 und 2. Vgl. Roe [d. i. Arno Röder, Abteilung Kultur beim ZK der SED?]: Aktennotiz über eine interne Besprechung am 28. 1. 1970 [3. 2. 1970]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Generalversammlung 2. 4. 1970/Aktennotiz 1. Material für die Parteigruppe GV 2. 4. 1970. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Generalversammlung am 2. 4. 1970 2. 523
Des Weiteren wurde auf die personelle Zusammensetzung der Revisionskommission verwiesen: Heinz Kahlau, Paul Wiens und Günter Hofé hatten sich zur Übernahme dieser Aufgabe bereit erklärt.45 Der Auftrag an die Mitglieder der Parteigruppe wurde klar formuliert: »Alle Genossen der Parteigruppe des PENZentrums DDR werden aufgefordert, sich mit diesen Vorschlägen zu identifizieren [und sie im Wahlakt zu unterstützen].«46 Auf der Generalversammlung kam es dennoch zu einer kurzen Diskussion um die Besetzung des Präsidentenamtes. Peter Hacks schlug als Gegenkandidatin die Historikerin und Schriftstellerin Liselotte Welskopf-Henrich vor, »da er die Fähigkeiten von Prof. Kamnitzer voll anerkennt und bewundert, aber als P.E.N.-Präsidenten eine Größe, bzw. Bekanntheit auf dem Gebiet der Literatur haben will.«47 Sein Antrag blieb ohne Kommentar; Welskopf-Henrich war nicht einmal Mitglied des P.E.N.-Zentrums DDR.48 Von Biermann kam der provokative Vorschlag, Stephan Hermlin zu wählen – er habe den »Vorzug, ein Dichter zu sein.«49 Hermlin selbst lehnte eine Kandidatur ab; er argumentierte im Sinne der Absprache: Kamnitzer sei auf alle Fälle der »Klügere, Weitsichtigere, Fähigere«; er »wisse das aus Erfahrung, auch müsse der Präsident durchaus kein Dichter sein.«50 Eine Gefährdung von Kamnitzers Präsidentschaft durch eine Gegenkandidatur war damit abgewendet. Kamnitzer wurde als einziger Kandidat aufgestellt und mit einer Gegenstimme von der Generalversammlung gewählt. Das vorgeschlagene Präsidium wurde ebenso wie die Revisionskommission ohne weitere Debatte bestätigt.51 Die Kaderpolitik war somit unproblematisch durchgesetzt worden. Doch nicht alle Präsidiumsmitglieder waren mit 45
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Vgl. Material für die Parteigruppe GV 2. 4. 1970. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Generalversammlung am 2. 4. 1970 2. Material für die Parteigruppe GV 2. 4. 1970. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Generalversammlung am 2. 4. 1970 2. Bericht zur Generalversammlung am 2. 4. 1970 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung am 2. 4. 1970/Diskussionsthemen und Anträge 1–5, hier 3. Vgl. Mitgliederliste des P.E.N.-Zentrums DDR [20. 5. 1970]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Intern. PEN – London + PEN-Zentren International 1968–1973/L/ London 20, 20a und b. Bericht zur Generalversammlung am 2. 4. 1970 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung am 2. 4. 1970/Diskussionsthemen und Anträge 1–5, hier 3. Bericht zur Generalversammlung am 2. 4. 1970 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung am 2. 4. 1970/Diskussionsthemen und Anträge 1–5, hier 3. Bericht zur Generalversammlung am 2. 4. 1970 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung am 2. 4. 1970/Diskussionsthemen und Anträge 1–5, hier 4. Der Bericht zur Generalversammlung verzeichnet eine einstimmige Wahl von Kamnitzer. Der Bericht im BStU-Archiv erwähnt eine Gegenstimme; dies erscheint aufgrund der Anwesenheit von Biermann durchaus plausibel. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant,Ministerium für Staatssicherheit,HA XX/7]: Treffberichtmit IMS »Martin«: Generalversammlung des P.E.N. der DDR am 2. 4. 1970. BstU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 199–204. Abgedruckt in Corino, S. 258–264, hier S. 261.
der Arbeitsweise des Präsidenten zufrieden: Schon wenige Monate nach der offiziellen Amtseinsetzung mäkelte Hermann Kant gegenüber der Staatssicherheit, er habe »den Eindruck, daß Prof. KAMNITZER mit Stefan [sic] HERMLIN sein eigenes Süppchen kochen möchte und es beiden sehr angenehm ist, wenn in die PEN Arbeit so wenige wie möglich hineinschauen. Diese Einstellung von KAMNITZER und HERMLIN beziehe sich auch auf die übrigen Präsidiumsmitglieder. Somit sei der Generalsekretär IHLBERG [sic] KAMNITZER ganz angenehm, da er keine sonderlichen Aktivitäten entwickelt.«52 Im Vorfeld der Generalversammlung 1970 war es, trotz der peniblen Vorarbeiten, zu einer Panne gekommen, die maßgeblich durch die Unachtsamkeit des Generalsekretärs Ilberg verursacht worden war und diesen fast sein Amt kostete. Zum Vorwurf wurde Ilberg gemacht, dass seine organisationspolitische Vorbereitung der Generalversammlung […] grobe Versäumnisse und Eigenmächtigkeiten[aufgewiesenhabe], verbundenmit politischerSorglosigkeit […]. So [habe] er ohne konkrete Abstimmung mit dem amtierenden Präsidenten des PEN-Zentrums DDR, Genossen Kamnitzer, sowie mit der Kulturabteilung des ZK und dem Ministerium für Kultur Einladungen auch an alle listenmäßig vorhandenen Mitglieder des PEN-Zentrums DDR aus Westdeutschland und anderen Ländern [verschickt], darunter Ernst Fischer […].53
Ernst Fischer war nach seinem Protest gegen den Einmarsch der Warschauer ˇ Pakt-Truppen in die CSSR 1969 aus der KPÖ ausgeschlossen worden. Seine Einladung in die DDR musste daher als Fauxpas gelten.54 Offenbar hatte Kamnitzer erst einen Tag vor der Generalversammlung Kenntnis von diesen unerwünschten Einladungen erhalten. Kurzfristig leitete die Abteilung Kultur entsprechende Gegenmaßnahmen ein. Über das Ministerium für Kultur und das Ministerium für Staatssicherheit wurden Vorkehrungen getroffen, um eine Einreise unerwünschter Tagungsteilnehmer zu verhindern. Zur weiteren Sicherung erhielt Kamnitzer den Auftrag, »bei Erscheinen der Genannten sie aus der Versammlung zu weisen (Diese strikte Empfehlung des Gen. Hochmuth traf auf das völlige Einverständnis der Gen. Kamnitzer und Kant sowie der gesamten Parteigruppe.).«55 Die Anreise von Fischer und anderen missliebigen P.E.N.Mitgliedern unterblieb jedoch. Ein Bericht des IMS »Martin«, d. i. Hermann Kant, führte den Ärger um Ilberg noch weiter aus. Demnach hatte Ilberg »es fertig gebracht, die parteilosen Schriftsteller Dr. Hacks und Heiner Müller als Genossen anzuschreiben und zur Parteigruppenversammlung, zu welcher auch 52
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Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IM »Martin« am 29. 9. 1970 [3. 10. 1970]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 250–253, hier Bl. 251. Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. Corino, S. 264. Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. 525
die Genossen des ZK eingeladen waren, einzuladen.«56 Hacks war laut Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit erschienen und hatte geäußert, »daß er an so einer Verschwörung nicht teilnehme.«57 Ilbergs »grobe[ ] Versäumnisse« sollten »parteimäßig geklärt«58 werden. Auf Empfehlung der Abteilung Kultur wurde Ilberg als Generalsekretär durch die Generalversammlung nicht bestätigt. Bis zur Klärung der Vorgänge wurde ihm das Amt des Generalsekretärs lediglich kommissarisch übertragen.59 Die Auseinandersetzung um Ilberg erscheint einigermaßen merkwürdig, hatte er seine Position doch auf Berufung durch die Abteilung Kultur erlangt. Eine Bestätigung durch die Mitgliederversammlung hatte es nie gegeben. Das Präsidium wurde im Einverständnis mit den Genossen Kamnitzer, Kant und Hermlin mit der baldigen Berufung eines neuen Generalsekretärs beauftragt.60 Möglicherweise traten Schwierigkeiten auf, den Posten des Generalsekretärs neu zu besetzen. Offensichtlich gelang es Ilberg aber, die vorgebrachten Anschuldigungen zu entkräften, denn er blieb im Amt. 7.2.2 Funktionalisierung des P.E.N.-Zentrums für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR Die vielfältigen Absprachen im Vorfeld der Generalversammlung 1970 dienten jedoch nicht nur der Durchsetzung der beschlossenen Kaderpolitik, sondern vielmehr der Vorbereitung einer massiven Indoktrination der Generalversammlung. Die Wahlvorgänge standen ganz am Ende der Versammlung. Die vorausgegangenen Beschlüsse der Generalversammlung bewegten sich auf dem Boden der aktuellen Weltpolitik. Als ein »konzeptionelle[s] Hauptanliegen der Versammlung« formulierte der Leiter der Abteilung Kultur, Arno Hochmuth, »die Präzisierung der Grundlinien der weiteren internationalen Arbeit des PENZentrums der DDR zur Unterstützung der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR vor allem durch Festigung der Beziehungen zu progressiven Kräften in 56
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Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS »Martin«: Generalversammlung des P.E.N. der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 199–204. Abgedruckt in Corino, S. 258–264, hier S. 259. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS »Martin«: Generalversammlung des P.E.N. der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 199–204. Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS »Martin«: Generalversammlung des P.E.N. der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 199–204. Abgedruckt in Corino, S. 258– 264, hier S. 261. Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157.
einigen nationalen PEN-Zentren und durch Auftreten auf internationalen PENKongressen«61 . Die Zielrichtung dieser strategischen Anweisungen war deutlich: Angestrebt war die erfolgreiche Funktionalisierung des P.E.N.-Zentrums DDR für die außenpolitischen Ziele der DDR; diese wurde von Kamnitzer in seinem Bericht zur Lage 62 vor den versammelten P.E.N.-Mitgliedern präzisiert. Dem Internationalen P.E.N. wurde die Bedeutung einer Instanz zur Vorbereitung staatspolitischer Kontakte zugeschrieben: »Sinn und Wert des Internationalen PEN bestehen nicht zuletzt darin, daß mehr und mehr Staaten dem Internationalen PEN eine Rolle für internationale Kontakte beimessen, hier einen Plan und ein Prüffeld erkennen, wo man für das Verständnis seiner Eigenart und seines eigenen Wertes werben kann.«63 Die berechtigte Frage, was der DDR-P.E.N. eigentlich sei – »ob politisch, oder im traditionellen P.E.N.-Sinne literarisch oder vertreten wir die DDR kulturpolitisch nach außen?«64 – kam auf der Generalversammlung im Laufe der Diskussion zur Sprache. Kamnitzers Ansicht zu dieser Frage spiegelt sich in einem Antrag wider, den er in der Versammlung jedoch nicht durchbringen konnte: »Es soll zu Protokoll und in die Statuten: Das P.E.N.Zentrum DDR soll mit allen Möglichkeiten die DDR vertreten.«65 In diesem Zusammenhang spielte die innerdeutsche Politik eine wesentliche Rolle. Die jüngsten Entwicklungen der deutsch-deutschen Beziehungen wiesen einen Weg aus der Isolierung der DDR. Das von der DDR-Regierung lange Jahre verfolgte Ziel einer deutschen Wiedervereinigung war schon seit dem Ende der sechziger Jahre einer neuen Linie gewichen. Der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht hatte auf die Gewaltverzichtserklärung des Bundeskanzlers Kiesinger vom 11. März 1968 mit einer Ablehnung der Verhandlungen reagiert: »Es gibt nun einmal die beiden deutschen Staaten«66 . Gefordert wurde mit Unterstützung der Sowjetunion die völkerrechtliche Anerkennung der DDR. Die »Sieben Vorschläge zur friedlichen Koexistenz«67 zwischen beiden deutschen Staaten, die Ulbricht der Volkskammer im August 1968 unterbreitet hatte, untermauerten das Autonomiestreben der DDR; dieses wurde befördert durch die
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Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage [2. 4. 1970]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/ 9.06/157. Enthalten auch in P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung am 2. 4. 1970/Bericht zur Lage 1–12. Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage [2. 4. 1970]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/ 157. Enthalten auch in P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung am 2. 4. 1970/Bericht zur Lage 1–12. Bericht zur Generalversammlung am 2. 4. 1970. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Generalversammlung am 2. 4. 1970/Diskussionsthemen und Anträge 1–5, hier 2. Bericht zur Generalversammlung am 2. 4. 1970. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Generalversammlung am 2. 4. 1970/Diskussionsthemen und Anträge 1–5, hier 2. Zitiert nach Fischer Chronik Deutschland, S. 427. Vgl. Fischer Chronik Deutschland, S. 427. 527
Konstituierung eines Internationalen Komitees für die Anerkennung der DDR in Helsinki (Februar 1969). In die deutsch-deutschen Beziehungen war schon zu Beginn des Jahres 1969 Bewegung gekommen: Ein erster schriftlicher Austausch über die Behinderungen des Reiseverkehrs durch die DDR wurde geführt; die Ausfuhr von Zeitungen und Zeitschriften der DDR in die Bundesrepublik wurde für zwei weitere Jahre genehmigt; das Hissen von Nationalflaggen und das Abspielen von Nationalhymnen, insbesondere der DDR, sollte nach Beschluss der Bundesregierung bedingt zugelassen werden. Mit dem Amtswechsel vom Christdemokraten Kiesinger zum Sozialdemokraten Willy Brandt im September 1969 wurde ein politischer Klimawandel eingeleitet, der eine Verbesserung der Beziehungen der Bundesrepublik zum Ostblock mit sich bringen und die Entspannung in Europa maßgeblich vorantreiben sollte. Die neue sozialliberale Koalition begann unverzüglich mit der Neuordnung der Beziehungen zur Sowjetunion, DDR und zu Polen. Der Entwurf eines »Vertrags über die Aufnahme gleichberechtigter Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik«, den Ulbricht im Dezember 1969 übersandt hatte, wurde von Brandt abgelehnt; er vertrat seine in der Regierungserklärung vertretene Maxime »Zwei Staaten – eine Nation«68 : »›Die deutsche Nation‹ sei ›auf dem Boden Deutschlands in seinen tatsächlichen Grenzen von 1970 in zwei Staaten gegliedert.‹ Zwischen diesen beiden Staaten könne es aber nur besondere Beziehungen geben.«69 Das erste Treffen der Regierungschefs beider deutscher Staaten, Willy Brandt und Willi Stoph, im März 1970 führte zu keinen greifbaren Ergebnissen. Zwar bot sich der DDR durch die Politik der neuen Bundesregierung die »Chance, die außenpolitische Isolierung zu überwinden und als Staat mit gesicherten Grenzen anerkannt zu werden«70 . Die Angst der DDR-Führung vor einer innenpolitischen Krise, hervorgerufen durch die Hoffnung der Bevölkerung auf Demokratisierung oder gar Wiedervereinigung, überwog: Die SED zog sich auf eine »Politik der Maximalforderung«71 zurück; sie verlangte, dass vor weiteren Verhandlungen zunächst die völkerrechtliche Anerkennung der DDR stehen müsse. Man beharrte auf der Position, die DDR sei ein eigener Nationalstaat. Diese Position fand ihren Widerschein in der Aktivität des P.E.N.-Zentrums DDR, das nach dem Willen seines Präsidenten die DDR mit allen Möglichkeiten vertreten sollte. Auf der vorbereitenden Zusammenkunft der Parteigruppe unmittelbar vor der Generalversammlung 1970 stand auch das Erfurter Treffen zwischen Brandt und Stoph auf der Tagesordnung. Hochmuth gab eine Einschätzung, die wiederum auf Ausführungen des Parteiideologen Hager fußte.72 68 69 70 71 72
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Fischer Chronik Deutschland, S. 434. Fischer Chronik Deutschland, S. 462. Weber, S. 367. Weber, S. 367. Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157.
Diese Maßnahmen zielten auf die Vorbereitung einer Entschließung, die in der Mitgliederversammlung durchgebracht werden sollte und sich auf den Status der deutsch-deutschen Beziehungen bezog: Während die Politik der Bundesrepublik auf Gleichberechtigung und Unverletzbarkeit der Grenzen zielte und den Zusammenhalt der Nation bewahren wollte, forderte die DDR eine völkerrechtliche Regelung. Der Rückbezug des P.E.N.-Zentrums DDR auf die 1956 von Lenin ausgegebene Richtlinie der friedlichen Koexistenz erscheint aufgrund der aktuellen Entwicklungen konstruiert und anachronistisch. Gleichwohl unterstützte das P.E.N.-Zentrum DDR mit seiner darauf bezogenen Verlautbarung die offizielle Deutschlandpolitik der DDR-Regierung unmissverständlich: Die Generalversammlungdes P.E.N.-ZentrumsDeutscheDemokratischeRepublikfindet statt am Vorabend und im Zeichen zweier Gedenktage von weltgeschichtlicher Bedeutung: des 100. Geburtstags von Wladimir Iljitsch Lenin, des 25. Jahrestags der Befreiung vom Faschismus. Wir handeln im Geist der Leninschen Politik der friedlichen Koexistenz, wir sind dem Andenken aller im Kampf gegen den Faschismus Gefallenen treu, wenn wir unsere ernste Verantwortung darin sehen, die Gefahr eines von deutschem Boden ausgehenden neuen Krieges bannen helfen [sic]. Dies erfordert die vorbehaltlose Anerkennung der durch den Sieg der Antihitlerkoalition geschaffenen politischen Realitäten. Es erfordert insbesondere die Herstellung normaler Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten durch einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag. Ein solches Verlangen entspricht dem Geist der P.E.N.-Charta. Das P.E.N.-Zentrum Deutsche Demokratische Republik wird alles tun, diesem Geist Geltung zu verschaffen.73
7.2.3 Vorbereitung einer weiteren sozialistischen Offensive: Protest gegen Seoul als Tagungsort des Internationalen P.E.N. Mit der Überlegung, den für 1970 geplanten Kongress in Seoul abzuhalten, hatte sich der Internationale P.E.N. auf politisch problematisches Terrain begeben. In das Bild, das Kamnitzer in seinem Bericht zu Lage 74 von der einseitig orientierten Politisierung des Internationalen P.E.N. gezeichnet hatte, fügte sich eine Einladung in die südkoreanische Hauptstadt trefflich ein. In der Situation in Korea spiegelten sich, ähnlich wie in Deutschland, die Folgen der weltpolitischen Entwicklungen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Auch hier spielte die Ausbildung der weltpolitischen Machtblöcke eine maßgebliche Rolle für die Entwicklung des Landes. Die Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg beendete dessen Herrschaft über Korea. Anfang August 1945 wurde Südkorea von amerikanischen Truppen besetzt. Im Norden marschierten sowjetische Einheiten ein. Als Demarkationslinie zwischen Nord und Süd 73
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Entschließung des P.E.N.-Zentrums Deutsche Demokratische Republik [2. 4. 1970]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage [2. 4. 1970]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. 529
wurde der 38. Breitengrad festgelegt. In Nordkorea wurde von der Kommunistischen Koreanischen Arbeiterpartei unter sowjetischem Schutz eine kommunistische Ordnung aufgebaut. Die USA errichteten im Süden des Landes eine Militärregierung. Dort wurde Anfang August 1948 die Republik Korea ausgerufen. Im September 1948 konstituierte sich die Demokratische Volksrepublik Korea im Norden. Nach dem Rückzug der amerikanischen und sowjetischen Truppen 1948/49 brach 1950 infolge der nationalen und internationalen Spannungen durch den Kalten Krieg der Koreakrieg aus. Friedensverhandlungen im Zuge des 1953 geschlossenen Waffenstillstands blieben erfolglos. Die Verbindungen zwischen Nord- und Südkorea wurden abgebrochen. Während in NordKorea ein Wiederaufbau des Landes mit Unterstützung der Sowjetunion und der Volksrepublik China angestrebt wurde, lehnte sich Südkorea wirtschaftlich und militärisch stark an die USA an. In der Volksrepublik Korea garantierte die jahrzehntelange Führung des Ministerpräsidenten Kim Il Sung politische Kontinuität. Der Süden des Landes erlebte eine autoritäre Regierung unter Syng-man Rhee. Nach dessen erzwungenem Rücktritt brachten Neuwahlen den Sieg der Demokratischen Partei. Der Putsch einer Militärjunta beendete die kurzzeitige Phase der Liberalisierung und führte zur Beseitigung der demokratischen Institutionen. Nach einem weiteren Militärputsch gelangte General Park Chung-hee an die Macht, der im Laufe der sechziger Jahre die autoritären Strukturen des Staatswesens mehr und mehr stärkte. Auf der Generalversammlung 1970 führte Kamnitzer für alle Anwesenden seine Theorie von der einseitigen Politisierung des Internationalen P.E.N. noch einmal in aller Schärfe aus, um gemäß der in Absprache mit der Abteilung Kultur erstellten Konzeption den geschlossene[n] Protest der Mitglieder des PEN-Zentrums der DDR gegen die imperialistische Manipulierung des Internationalen PEN im Dienst der psychologischen Kriegsführung gegen den Sozialismus (antikommunistische Praktiken des neuen Präsidenten des Internationalen PEN, Pierre Emmanuel; Vorbereitung des nächsten Internationalen PEN-Kongresses in Seoul, Korea)75
vorzubereiten. Zum Gegenstand der Anklage wurde wiederum die »Zurückhaltung und […] Askese« des Internationalen P.E.N. hinsichtlich der Situation in Vietnam, Griechenland und anderen Staaten in Kontradiktion zu »Kardinalangriffen und weltweiten Dauerkampagnen«76 in Bezug auf die sozialistische Welt. Als »richtige[n] Tiefpunkt«77 wertete Kamnitzer die Wahl von Emmanuel im Herbst 1969 zum internationalen P.E.N.-Präsidenten. Ein weiteres Glied in der Kette war die Aufrechterhaltung der Einladung nach Seoul, die bereits auf 75
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Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage [2. 4. 1970]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/ 157. Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage [2. 4. 1970]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/ 157.
der Londoner Exekutive im April 1969 diskutiert worden war. Hermlin hatte dort bereits den Protest des DDR-P.E.N. gegen Seoul als Tagungsort formuliert. Kamnitzer analysierte die Entwicklung als programmatisches Prinzip: »Nehmen wir alles nun in allem, so kann kein Zweifel bestehen: diese Eskalation ist nicht eine Kette von Zufällen. Es handelt sich um eine einseitige Ausrichtung und um eine Kraftprobe, die mehr ist als eine Herausforderung. Das ist nicht mehr Kreuzzug auf leisen Sohlen, sondern ein Kollisionskurs mit Paukenschlag.«78 Dieser Tendenz konnte und musste man sich nach Kamnitzers Einschätzung jedoch entschieden entgegen stellen: Machen wir uns und den andern nichts vor. Es geht um das Profil und die Zukunft des Internationalen PEN. Aber so wie es ist, braucht es bekanntlich nicht zu bleiben. Was wird, ist letzthin offen, zumal die Gewichte sich verlagert haben. […] Mit dem Zustrom aus den sozialistischen Ländern und den Ländern der sogenannten Dritten Welt hat sich […] manches […] geändert. Der Kurs von oben läßt sich nicht mehr ohne Widerspruch und Widerstand durchsetzen. Die Internationale Exekutive ist zu einem Kampfplatz geworden, auf dem unsere Widersacher oft Mühe haben, sich zu behaupten.79
Eine kommunistische Machtübernahme im Internationalen P.E.N. war indes nicht intendiert; sie hätte, so unwahrscheinlich sie auch war, unweigerlich das Ende einer weltumspannenden Vereinigung bedeutet. Diese Gefahr war Kamnitzer wohl bewusst; er mahnte zur Mäßigung: Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Der Internationale P.E.N. hat seine Grundsätze. Sie verschieben seinen Wert, aber auch seine Grenzen als kulturpolitische Vereinigungmit einem breitenund bunten Spektrum. Er verträgtes ebensowenig,wenn Ex-Kommunisten und Antikommunisten ihm ihren Stempel aufprägen, wie den Versuch, ihn in eine Organisation des Ultra-Radikalismus umzufunktionieren. Was man erstreben sollte, muß sich im gegebenen Rahmen halten. Wir müssen dafür sorgen, daß sich der Internationale PEN auf seine Statuten und auf seine Grenzen besinnt. Er muß sich vor allem daran erinnern, daß der Gegenstand einer Vereinigung,die mit Literatur zu tun hat, die Literatur ist.80
Zielvorgabe war die Selbstbehauptung der sozialistischen P.E.N.-Zentren zur Erlangung einer nicht nur tolerierten, sondern anerkannten und gleichberechtigten Existenz innerhalb des Internationalen P.E.N.-Clubs. Die Einladung in den ehemals von US-Truppen besetzten Teil Koreas war hervorragend geeignet, um gegen eine Entscheidung des Internationalen P.E.N. zu opponieren. Ein Affront gegen die kommunistischen P.E.N.-Mitglieder war leicht feststellbar und zum Inhalt einer erneuten Protestnote des DDR-P.E.N. zu machen. Von der Mitgliederversammlung 1970 diskutiert wurde jene grundlegende Frage, die schon in Bezug auf die Exekutive in Menton die Verant78
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Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage [2. 4. 1970]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/ 157. Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage [2. 4. 1970]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/ 157. Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage [2. 4. 1970]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/ 157. 531
wortlichen hinter den Kulissen beschäftigt hatte: Wie war eine wirkungsvollere Agitation zu erreichen? Sollte der Protest durch Nichtteilnahme zum Ausdruck kommen oder war es sinnvoller, durch Teilnahme eine Stärkung der progressiven Kräfte zu gewährleisten? Die Versammlung kam zum Schluss, »daß man jeweils, von [den] Grundinteressen ausgehend, mit höchster Flexibilität und sorgfältigster Erwägung diese Frage lösen müsse […], den optimalsten Nutzen bedenkend.«81 Für Seoul war die Antwort durch die im Vorfeld erarbeitete Konzeption längst gegeben. Die Generalversammlung verabschiedete eine zweiseitige Resolution, die unter konkreten Hinweisen auf die menschenrechtliche Situation in Südkorea nicht nur generell die Wahl des Tagungsortes, sondern auch die geplante Besichtigung des 38. Breitengrads unter Eskortierung durch UN-Truppen verurteilte: Die Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutsche Demokratische Republik erklärt einmütig, daß die Wahl von Seoul als Tagungsort des nächsten Internationalen P.E.N.-Kongresses eine eklatante Abkehr von den humanistischen Aufgaben des P.E.N. bedeutet. […] Im Machtbereich eines solchen unmenschlichen Regimes soll der Internationale P.E.N. tagen. Mit dem Präsidenten dieses Regimes will der Präsident des Internationalen P.E.N. den Kongreß eröffnen. Mit einer militaristischen Eskorte will dieses Regime P.E.N.-Delegierte an die Grenze der Volksrepublik Korea befördern lassen. In der makabren Dämmerung dieses Regimes soll das Hauptthema des Kongresses diskutiert werden, und das Hauptthema ist ›Humor in der Literatur‹. […] Der diesjährige Kongreß soll den faschistischen Machthabern in Seoul, die – das sei nicht vergessen – 60 000 Soldaten zur blutigen Niederschlagung des vietnamesischen Volkes außer Landes schickten, zu einem Mittel der Rechtfertigung ihres Regimes dienen. Das P.E.N.-Zentrum Deutsche Demokratische Republik fordert vom Internationalen P.E.N., unzweideutig zur friedlichen, humanistischen Tradition zurückzukehren. Es ruft alle Zentren des P.E.N. auf, sich dieser unausweichlichen Forderung anzuschließen.82
Besondere Unterstützung erhoffte man sich selbstredend von den P.E.N.-Zentren der sozialistischen Länder: Schon Anfang März hatte Ilberg bei Kéry, Generalsekretär des ungarischen P.E.N.-Zentrums, »in Anbetracht der für unsere Auffassung provokatorischen Tagung in Seoul«83 um die Realisierung einer Beratung nachgesucht, die die P.E.N.-Zentren der sozialistischen Länder zusammenführen sollte. Vor dem für Juni 1970 geplanten Seoul-Kongress fand Anfang Mai eine Tagung des internationalen Exekutivkomitees in London statt; diese bot die Chance, in direkte Konfrontation einzutreten und einen Kongress in Seoul zu verhindern. Der DDR-P.E.N. setzte alles daran, die Protestresolution in London zur Verhandlung zu bringen. Seine Delegierten hatten wieder einmal mit Einrei81
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Bericht zur Generalversammlung am 2. 4. 1970 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung am 2. 4. 1970/Diskussionsthemen und Anträge 1–5, hier 1. Entschließung der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR [2. 4. 1970]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Werner Ilberg an László Kéry [4. 3. 1970]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Int. PEN + Intern. Zentren 1968–1973/U/Ungarn 14.
seschwierigkeiten zu kämpfen. Um die Behandlung des Protestes zu sichern, bat Ilberg die Verantwortlichen des bulgarischen und ungarischen P.E.N.-Zentrums, die Resolution im Falle der Abwesenheit als »Ausserordentliche Entschliessung« des P.E.N.-Zentrums DDR vorzubringen.84 Für derlei Vorsorge bestand wenig später keine weitere Notwendigkeit: Der internationale Generalsekretär Carver sicherte sowohl die Behandlung der Eingabe, als auch die Unterstützung bei der Erlangung von Visa zu.85 Schließlich erschienen Kamnitzer und Scheer in London. Dieses Mal war die Realisierung einer vorbereitenden Zusammenkunft der P.E.N.-Zentren aus den sozialistischen Ländern geglückt. Einen Tag vor Beginn der Exekutive traten die Vertreter der P.E.N.-Zentren Bulgarien, Polen, Ungarn und der DDR in der Botschaft der Ungarischen Volksrepublik, London, zu einer »offizielle[n] Sitzung aller sozialistischen Zentren«86 zusammen. Kamnitzer zeigte sich mit den Ergebnissen zufrieden: Die Aussprache und die Beschlüsse standen eindeutig im Zeichen der Partei- und Regierungspolitik der vertretenen Staaten. […] In allen Einzelheiten wurde Verlauf und Zielsetzung für die Internationale Exekutivsitzung durchberaten und in jedem Punkt der Tagesordnung eine gemeinsame Auffassung und eine bindende Richtlinie erreicht. [ ] Die Vorbesprechung fand in einer Atmosphäre von herzlicher Kameradschaftlichkeit und gegenseitigem Verständnis statt.87
Die Eingabe des DDR-P.E.N. wurde von der Londoner Exekutive ausführlich diskutiert – mit geringem Erfolg. Scheer erläuterte, warum das P.E.N.-Zentrum DDR sich gegen einen Kongress in Seoul wandte: »Es gehe dabei nicht nur um ein Spannungsgebiet der Weltpolitik, sondern die Regierung dieses faschistischen Staates nimmt offiziell am Krieg gegen Vietnam teil. [Scheer] verwies darauf, daß Südkorea eine Armee von 650 000 Mann unter Waffen hat und de facto von der US-Generalität befehligt wird.«88 Eine Reihe der internationalen Delegierten wies die Entschließung des P.E.N.-Zentrums DDR trotz dieser massiven Vorwürfe entschieden zurück. In Menton sei Gelegenheit gewesen, ausführlich über die Einladung nach Korea zu sprechen. Dort sei eine bindende Entscheidung getroffen worden, die nun nicht revidiert werden könne. Zwar gestand die Versammlung die Notwendigkeit zu, die in der DDR-Resolution angeführten Schicksale von inhaftierten, verschleppten und unterdrückten Schriftsteller84
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Vgl. Werner Ilberg an Anna Kamenova [15. 4. 1970]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Int. PEN – London + Intern. Zentren 1968–1973/B/Bulgarien 8. Vgl. auch Werner Ilberg an László Kéry [15. 4. 1970]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Int. PEN – London + Intern. Zentren 1968–1973/U/Ungarn 13. Vgl. David Carver an Werner Ilberg [23. 4. 1970]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Int. PEN – London + Intern. Zentren 1968–1973/L/London 21. Heinz Kamnitzer: Bericht. Tagung des Internationalen Exekutivkomitees des PEN in London 4. Mai 1970. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Heinz Kamnitzer: Bericht. Tagung des Internationalen Exekutivkomitees des PEN in London 4. Mai 1970. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Heinz Kamnitzer: Bericht. Tagung des Internationalen Exekutivkomitees des PEN in London 4. Mai 1970. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. 533
kollegen in Südkorea zu überprüfen. Der internationale Generalsekretär Carver forderte eine Unterredung mit dem Präsidenten der Republik Korea, General Park Chung-hee, um die Vorwürfe des DDR-P.E.N. Punkt für Punkt zu widerlegen. Eine Abstimmung über die grundsätzliche Zulassung der Resolution, die das P.E.N.-Zentrum DDR eingebracht hatte, erbrachte jedoch deren Ablehnung; sie wurde zur Abstimmung im Kongress gar nicht zugelassen.89 In der Diskussion um Seoul erhielt das P.E.N.-Zentrum DDR keine Unterstützung von den übrigen Kommunisten. Kamnitzer resümierte: Unsere Delegation mußte sich – wiederum – besonders anstrengen. Das bulgarische Zentrum ist in allen Fragen prinzipienfest und auch Genosse Kéry (Ungarn) zieht mit, wenn das Beispiel gegeben wird. Aber die polnischen und jugoslawischen Delegierten schwiegen und in der Auseinandersetzung über den Präsidenten, über Südkorea […] waren wir das sozialistische Zentrum, das allein das Wort nahm.90
Die Offensive des P.E.N.-Zentrums DDR war gescheitert. Der P.E.N.-Kongress in Seoul fand wie geplant statt. Der Koreanische P.E.N. fühlte sich durch das Agieren des DDR-Zentrums diskreditiert; er antwortete mit deutlichen Worten und lud zugleich zur Versöhnung ein: In this point we regret very much what you have done. Because the measures taken by you, are against the P.E.N. Charter and contradict those principles. According to them one should not interfere with the internal affairs of other countries. […] we must stress that your Centre […] is in reality disseminating unknown facts. In doing so, you are damaging without reason our Centre. […] Our Centre tries to avoid taking any extreme and rash measure in spite of your imprudent action. Our Centre wishes rather only that you and your P.E.N. members would participate in the Seoul Conference like the other P.E.N. members and see the real scene of Korea.91
Zu diesem Sprung über den eigenen Schatten war die DDR-Seite indes nicht bereit. Die Vertreter des P.E.N.-Zentrums DDR verweigerten die Teilnahme am internationalen Kongress in Seoul. Die Solidarität der P.E.N.-Zentren aus ˇ Ungarn, Bulgarien, Polen und der CSSR hatte man dabei erringen können; auch aus diesen Ländern erschienen keine Delegierten in Seoul.92 Ein stiller Protest war damit angestrebt. Das Fehlen sämtlicher P.E.N.-Zentren aus sozialistischen Ländern musste mindestens wahrgenommen werden. Gegenüber dem gastgebenden Zentrum übte der Internationale P.E.N. keine Rücksichtnahme; er
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in London on Monday, 4th May, 1970. P.E.N.-Archiv London. Heinz Kamnitzer: Bericht. Tagung des Internationalen Exekutivkomitees des PEN in London 4. Mai 1970. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Bok-nock Kwack an Werner Ilberg [19. 5. 1970]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Int. PEN – London + Intern. Zentren 1968–1973/K/Korea 2. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., held in Seoul, Republic of Korea, on Sunday, 28th June, 1970. P.E.N.-Archiv London.
brachte den Fall eines jungen inhaftierten Dichters, Kim Jee-ha, zur Sprache und verlangte entsprechende Interventionen des koreanischen P.E.N.93
7.3
Schlagabtausch im Internationalen P.E.N.: Die »Problemfälle« Wolf Biermann und Peter Huchel (1970/71)
Nach der Verweigerung der Teilnahme am internationalen Kongress in Seoul war das P.E.N.-Zentrum DDR entschlossen, an der folgenden Exekutive in Edinburgh (Oktober 1970) wieder teilzunehmen. Zwar machten sich die finanziellen Engpässe der DDR-Regierung bemerkbar – die Zahl der Delegierten war vom Ministerium für Kultur aufgrund finanzieller Erwägungen auf zwei Teilnehmer zusammengestrichen worden. Von der Notwendigkeit der Teilnahme schien das P.E.N.-Präsidium jedoch überzeugt. Man plante, in Edinburgh die gegen Carver und Emmanuel gerichtete Politik fortzusetzen. Um eine adäquate Delegation entsenden zu können, besprach das Präsidium die Möglichkeiten, anderweitig finanzielle Unterstützung zu erlangen. Es bediente sich der Argumentation, die die regierungsbehördlichen und parteipolitischen Stellen ihrerseits in Anspruch nahmen, um den P.E.N. in ihrem Sinne zu funktionalisieren. In Absprache mit dem Ministerium für Kultur, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und dem ZK der SED sei unbedingt zu prüfen, ob im Zusammenhang mit den Bestrebungender DDR um Aufnahme in die UNESCO ein Interesse des Außenministeriums der DDR vorliegt, diese Reise des PEN nach Edinbourg [sic] zu unterstützen. Es wäre insofern für die DDR eine günstige Gelegenheit diese Reise für die Aufnahme der DDR in die UNESCO auszunutzen, indem ein Teil der Teilnehmer an der PEN Tagung in England [!] anschließend nach Paris zur UNESCO fährt. Zwar könne nicht in den internationalen PEN Debatten über dieses Thema gesprochen werden aber außerhalb der offiziellen Sitzungen und Gespräche besteht die Möglichkeit Teilnehmer an der UNESCO Sitzung in Paris zu sprechen und für die Aufnahme der DDR zu beeinflussen, damit sie die Aufnahme der DDR befürworten.94
Nach einer Aussage von Kant gegenüber einem Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit war Kamnitzer der Anregung des Präsidiums jedoch nicht gefolgt.95 Schon in seinem Bericht über die Londoner Exekutive im Mai 1970 hatte Kamnitzer auf einen möglichen Gegenschlag des Internationalen P.E.N. in Edinburgh hingewiesen. Der Internationale P.E.N. schien mehr denn je Austragungs93
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Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., held in Seoul, Republic of Korea, on Sunday, 28th June, 1970. P.E.N.-Archiv London. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7/II]: Treff mit IMS »Martin« [betr. Präsidiumssitzungvom 11. 9. 1970] [16. 9. 1970]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 248f., hier Bl. 248. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IM »Martin« am 29. 9. 1970 [3. 10. 1970]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 250–253, hier Bl. 251. 535
ort eines ideologischen Kleinkrieges zu sein, angeheizt durch die Präsidentschaft des umstrittenen Pierre Emmanuel: Es ist nicht wahrscheinlich, daß nach der Tagung in London der Gegenangriff bereits in Seoul erfolgt, sondern erst in Edinbourgh [sic] im Herbst dieses Jahres. Das PENZentrum DDR muß sich schon jetzt darauf vorbereiten, nicht zuletzt durch die systematische Pflege von Kontakten zu sozialistischen wie kapitalistischen PEN-Zentren, durchgezielte Besuche sowie die Herausgabe eines Bulletins.Dabei muß vor allem Kurs genommen werden, nicht nur unsere kulturpolitischenAnsichten zu erläutern,sondern auch unseren politischen Standpunkt zu deutschen und internationalen Fragen klarzustellen.96
Tatsächlich hatten in London erste Kontaktaufnahmen zwischen dem P.E.N.Zentrum DDR und den Niederlanden, Schottland, Irland und Belgien (Flamen) stattgefunden; diese blieben aber zunächst auf lose Absprachen von Austausch und Vortrag beschränkt. Gleiches galt für die unverbindlichen Gespräche mit Londoner Germanisten, die sich an Vorträgen und Lesungen von DDR-Autoren interessiert gezeigt hatten.97 Zwei wesentliche Angriffspunkte hatte das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR bereits im Vorfeld der Exekutivkomitee-Tagung ausgemacht. Zum einen sollte die direkte und persönliche Konfrontation mit David Carver ihre Fortsetzung finden. Auf einer Präsidiumssitzung im September 1970 war Kamnitzer die Aufgabe übertragen worden, eine Resolution einzubringen, die sich indirekt gegen die behaupteten antisowjetischen Tendenzen im Internationalen P.E.N. richtete: »Inhalt der Resolution sollte nichts weiter sein, als die kurze Formulierung, daß das Generalsekretariat beauftragt wird, bei einer künftigen Abfassung von Protokollen mehr Fairnes [sic] und Sachlichkeit an den Tag zu legen.«98 Eine oppositionelle Haltung wollten die Vertreter des DDR-P.E.N. auch in einer weiteren Angelegenheit einnehmen, die auf der Agenda der Exekutive stand und mit großer Wahrscheinlichkeit den mehrheitlichen Zuspruch der Delegierten finden würde: Behandelt werden sollte die Aufnahme des sowjetischen Schriftstellers Alexander Solschenizyn als Ehrenmitglied in den Internationalen P.E.N.; er war im November 1969 aus dem Schriftstellerverband der Sowjetunion ausgeschlossen worden. Der Internationale P.E.N. hatte auf diese Nachricht umgehend mit einem Brief an den Präsidenten des Sowjetischen Schriftstellerverbandes, Konstantin Fedin, reagiert und um seinen persönlichen Einsatz für Solschenizyns Rehabilitation gebeten. Fedin hatte dieses Schreiben scharf zurückgewiesen und sich die Einmischung des Internationalen P.E.N. in die inneren Angelegenheiten
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Heinz Kamnitzer: Bericht. Tagung des Internationalen Exekutivkomitees des PEN in London 4. Mai 1970. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. Heinz Kamnitzer: Bericht. Tagung des Internationalen Exekutivkomitees des PEN in London 4. Mai 1970. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7/II]: Treff mit IMS »Martin« [betr. Präsidiumssitzungvom 11. 9. 1970] [16. 9. 1970].BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 248f.
des Verbandes verbeten. In der Folge hatte der Internationale P.E.N. ein weiteres Telegramm an Fedin gesandt, das Bedauern über Form und Inhalt seiner Antwort Ausdruck verlieh.99 Als Zeichen der Solidarität mit Solschenizyn plante der Internationale P.E.N. nun dessen Ehrenmitgliedschaft. Eine außerordentliche Präsidiumssitzung des DDR-P.E.N. unmittelbar vor der Exekutive legte die Möglichkeiten fest, wie man dagegen ankommen könne, wobei ganz klar ist, daß die erfolgsversprechende Linie die ist, daß erstens klar gemacht wird, daß es sich hierbei um ein absolut einseitig politisch provokatorisches Unternehmen handelt, daß gegen den Geist und die Statuten des PEN-Clubs läuft und daß man zum Zweiten klar machen muß, daß eine solche Maßnahme der Entwicklung des PEN außerordentlich gefährlich wäre, da sie provokatorisch ist und den PEN zu einem Instrument des kalten Krieges macht.100
Das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR plante aber nicht nur einen Angriff, es fürchtete auch, selbst zum Zielpunkt von Kritik zu werden. Anlass waren mögliche Attacken der internationalen Delegierten wegen des ewigen Sorgenkindes Biermann. Hinweise auf die Bestrebungen, ihn aus dem P.E.N. auszuschließen, waren an die Öffentlichkeit durchgesickert. Biermann hatte in der Zeitschrift Stern ein Interview gegeben, in dem er über die Generalversammlung 1970 berichtete. Biermann war dort scharf angegriffen worden. Das P.E.N.-Mitglied Otto Gotsche101 hatte »eindeutig die bisherige Haltung des anwesenden Biermann zur DDR zurück[gewiesen] und […] seine westdeutschen Publikationen (Bücher, Schallplatten, Fernsehen) als für einen DDRBürger unwürdig«102 gekennzeichnet. Tatsächlich waren nach der Drahtharfe weitere provokative Titel in der Bundesrepublik erschienen und auf inoffiziellen Wegen in der DDR verbreitet worden, u. a. das Buch Mit Marx- und Engelszungen (1968) und die Langspielplatte Chausseestraße 131 (1969). Biermann selbst hatte harsche Beschwerde über die Inaktivität des P.E.N.-Zentrums DDR geführt: »Es gäbe nichts Lebendiges in dem Verein. Nicht mal Informationen bekäme man. Haben die privilegierten Reisenden das Recht, zu reisen und in aller Namen zu sprechen? Ein lebendiger PEN gäbe auch den Reisenden mehr
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Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., held in Seoul, Republic of Korea, on Sunday, 28th June, 1970. P.E.N.-Archiv London. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treff mit IMS »Martin« [betr. AusserordentlichePräsidiumssitzungam 6. 10. 1970]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 282–284, hier Bl. 282. Bei dieser Sitzung waren Kamnitzer, Ilberg, Scheer, Cwojdrak, Kahlau, Hermlin, Kant, Keisch und J. Stern anwesend. Hacks, C. Wolf, Wiens und Hofé fehlten. Otto Gotsche wurde ab Dezember 1969 als P.E.N.-Mitglied geführt – ohne sich je der Wahl durch die Generalversammlung gestellt zu haben. Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 in Berlin [o. D.]. SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/157. 537
Gewicht.«103 Aus den im Protokoll – »Nur für vertrauliche Anwendung«104 – notierten Äußerungen spricht deutlich Biermanns kulturpolitische Isolation, in die man ihn in der DDR bereits getrieben hatte: Er habe Interesse am P.E.N.Zentrum, »da er in der DDR nur noch an der Arbeit des PEN teilnehmen könne.«105 Der Generalangriff auf Biermann ließ ob dieser deutlichen Kritik nicht auf sich warten. Dabei kam ein Zufall zur Hilfe. Am Vortag war im Westfernsehen eine Sendung ausgestrahlt worden, in der auch ein Lied von Biermann gesendet worden war. Hermann Kant, Bruno Apitz und Bruno Kaiser prangerten Biermanns Beteiligung an einer »infamen, antisozialistischen und gegen die DDR gerichteten Sendung«106 an. Von Biermann wurde eine deutliche Stellungnahme gefordert. Biermann zeigte sich unwissend. Er habe von dieser Sendung weder gewusst, noch habe er sie gesehen. Seit Jahren habe er keinen Auftritt mehr gehabt – weder in West noch in Ost. Er fühlte sich desavouiert: »Es sei eine ungeheure Anschuldigung, seine Werke als antikommunistisch zu bezeichnen.«107 Die Kritiker gaben sich indes nicht zufrieden. Apitz verlangte gar einen Protest von Biermann gegen seine ungewollte Mitwirkung. Ansonsten sei es ihm unmöglich, »›mit einem solchen Menschen an einem Tisch zu sitzen‹«108 . Auf Betreiben von Kant und Kaiser wurde schließlich an die Generalversammlung der Antrag gestellt, dass das neu zu wählende Präsidium sich mit den Aktivitäten Biermanns beschäftigen solle. Mit dreizehn Ja-Stimmen wurde der Antrag angenommen. Sechs Anwesende hatten dagegen gestimmt, drei Enthaltung geübt.109 103
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Protokoll der Generalversammlung der Mitglieder des PEN-Zentrums Deutsche DemokratischeRepublikam 2. April 1970 im Ermeler-Haus [Berlin][Nur für vertrauliche Verwendung!][o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung 2. 4. 1970/Protokoll 2. 4. 1970 – Nur für vertrauliche Anwendung 1–18, hier 9. Protokoll der Generalversammlung der Mitglieder des PEN-Zentrums Deutsche DemokratischeRepublikam 2. April 1970 im Ermeler-Haus [Berlin][Nur für vertrauliche Verwendung!][o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung 2. 4. 1970/Protokoll 2. 4. 1970 – Nur für vertrauliche Anwendung 1–18, hier 1. Protokoll der Generalversammlung der Mitglieder des PEN-Zentrums Deutsche DemokratischeRepublikam 2. April 1970 im Ermeler-Haus [Berlin][Nur für vertrauliche Verwendung!][o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung 2. 4. 1970/Protokoll 2. 4. 1970 – Nur für vertrauliche Anwendung 1–18, hier 9. Protokoll der Generalversammlung der Mitglieder des PEN-Zentrums Deutsche DemokratischeRepublikam 2. April 1970 im Ermeler-Haus [Berlin][Nur für vertrauliche Verwendung!][o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung 2. 4. 1970/Protokoll 2. 4. 1970 – Nur für vertrauliche Anwendung 1–18, hier 13. Protokoll der Generalversammlung der Mitglieder des PEN-Zentrums Deutsche DemokratischeRepublikam 2. April 1970 im Ermeler-Haus [Berlin][Nur für vertrauliche Verwendung!][o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung 2. 4. 1970/Protokoll 2. 4. 1970 – Nur für vertrauliche Anwendung 1–18, hier 13. Protokoll der Generalversammlung der Mitglieder des PEN-Zentrums Deutsche DemokratischeRepublikam 2. April 1970 im Ermeler-Haus [Berlin][Nur für vertrauliche Verwendung!][o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung 2. 4. 1970/Protokoll 2. 4. 1970 – Nur für vertrauliche Anwendung 1–18, hier 11. Vgl. Protokoll der Generalversammlung der Mitglieder des PEN-Zentrums Deutsche DemokratischeRepublikam 2. April 1970 im Ermeler-Haus [Berlin][Nur für vertrauli-
Implizit schwang darin der Auftrag mit, Biermanns Verhalten und dessen Vereinbarkeit mit der Mitgliedschaft im P.E.N.-Zentrum DDR auf den Prüfstand zu stellen. De facto zielte das Bemühen darauf, einen Weg für den Ausschluss des missliebigen Biermann aus dem P.E.N.-Zentrum DDR zu finden.110 Nach einem Bericht von Hermann Kant für die Staatssicherheit hatte das Präsidium in der Folge drei Kollegen benannt, die mit BIERMANN sprechen sollten, soweit […] erinnerlich, HERMLIN, KEISCH, und noch ein dritter […]. Das ist jedoch im weiteren Verlauf unwichtig geworden, denn von diesen dreien, die offiziell beauftragt waren, dieses Gespräch zu führen, wurde wiederum HERMLIN beauftragt, dieses Gespräch zustande zu bringen. HERMLIN hat angerufen bei BIERMANN und ihm die Mitteilung gemacht daß dieser Beschluß des Präsidiums vorläge und hat ihn aufgefordert einen Zeitpunkt zu benennen wann dieses Gespräch stattfinden könnte. BIERMANN muß diesen Vorschlagin brüskesterForm abgelehnt haben. Er gebrauchte, wie HERMLIN […] sagte solche Worte, er gedächte gar nicht sich mit der Inquisition zu treffen und es käme überhaupt nicht infrage, er unterhielte sich einfach nicht mit solchen Leuten und er dächte nicht daran sich diesem Beschluß zu fügen.111
Biermanns Angebot, sich allein mit Hermlin zu treffen, lehnte dieser wiederum ab; es handele sich nicht um eine Privatangelegenheit, sondern um einen Auftrag des P.E.N.-Präsidiums. Nach diesem gescheiterten Vermittlungsangebot entschloss sich das Präsidium laut Bericht des Staatssicherheitsdienstes zu einer anderen Lösung: Da es einerseits darauf ankommt nicht das zu tun, was BIERMANN wahrscheinlich sehr gerne möchte, ihn mit einem großen öffentlichen Knall hinauszufeuern, so daß wieder einmal überall herumgeschrien werden kann – Weiterhin Biermann untertrückt [sic] – nun auch durch den PEN usw. – was evtl. die internationale Arbeit des PEN enorm erschweren könnte, wir uns andererseits aber die Sache auch nicht gefallen lassen können, haben wir das Sekretariat beauftragt einen ganz kurzen Brief an BIERMANN zu schreiben, des Inhalts: Sie haben den Beschluß der Generalversammlung verschlossen [sic], Sie haben sich geweigert, das Gespräch, das dort festgelegt worden war zu führen, dieses ihr Verhalten wird unser künftiges bestimmen. Was für uns praktisch darauf hinausläuft, daß er kein Schriftstück in der Hand hat, mit dem er irgendjemandem kommen kann und sagen kann, die haben mich ausgeschlossen, uns aber auch die Möglichkeit wiederum gibt ihn weder zu benachrichtigen oder irgendwo einzulassen, weil wir jetzt auch vor der Generalversammlung die absolut demokratische Handhabe haben, daß ein Mann, der sich weigert, mit dem gewählten Organ der Orga-
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che Verwendung!][o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Generalversammlung 2. 4. 1970/Protokoll 2. 4. 1970 – Nur für vertrauliche Anwendung 1–18, hier 13. Vgl. hierzu auch Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 in Berlin [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157: »Die Generalversammlung beauftragte das neue Präsidium, die Frage der weiteren Mitgliedschaft Biermanns im PENZentrum DDR zu prüfen.« Abschrift vom Tonband. Bericht [von IM »Martin«] über Verhältnis zwischen Biermann und Hermlin. Aufgezeichnet am 3. 4. 1970 [21. 7. 1970]. BStU, MfS, AIM 2173/ 70, Bd. I/3, Bl. 227f. 539
nisation, der er angehört zu reden, von dieser Organisation entsprechend behandelt werden muß.112
Biermanns Äußerungen in der westdeutschen Presse zum Verlauf der Generalversammlung 1970 wurden vom P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik mit Besorgnis aufgenommen. Dort hatte 1970 der Kölner Schriftsteller Heinrich Böll die Federführung übernommen; er war an fruchtbaren Kontakten mit dem P.E.N.-Zentrum der DDR durchaus interessiert. Gleichwohl erkundigte er sich nachdrücklich wegen der Nachrichten in Bezug auf Biermann: »Sie können sich denken, daß die Nachricht über den Ausschluß Wolf Biermanns aus dem PEN der DDR hier ziemliche Bestürzung ausgelöst hat und noch weitere auslösen wird. Die Mitglieder des Westdeutschen PEN werden Auskunft über die Gründe verlangen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir diese mitteilen könnten.«113 Kamnitzer telegrafierte umgehend an Böll: »Mitteilung stimmt nicht – […] – Wer hat die Nachricht verbreitet«114 . Die Furcht vor unangenehmen Rückfragen aus dem Gremium der internationalen P.E.N.-Mitglieder in Edinburgh war insofern durchaus begründet. Eine Abwehr musste verabredet werden. Laut Bericht des IM »Martin« empörten sich alle auf der außerordentlichen Präsidiumssitzung Anwesenden, insbesondere Stephan Hermlin, über die entstandene Situation. Hermlin erklärte sich bereit, in Edinburgh »gegen jegliche Provokation wegen Biermann aufzutreten«115 . Er sagte zugleich zu, an Biermann einen Brief zu schreiben, um ihn zurechtzuweisen. Entscheidend für Biermanns Mitgliedschaft im P.E.N.-Zentrum DDR erscheint jedoch die grundsätzliche Linie, die vom Präsidium beschlossen wurde. Biermann sollte methodisch zum Schweigen gebracht, in die Isolation getrieben werden: »Ihm nichts als Handhabe geben, daß einzigste [sic], was ihn z. Zt. kränkt, trifft, ärgert und in seiner Wirkung behindert, ist, daß er kein Echo bekommt, wenn man ihn kalt stellt und ihn echt isoliert. Das wird ihn eher treffen als alles andere.«116 Der Fall Biermann kam auf der Exekutivkomitee-Tagung in Edinburgh jedoch gar nicht zum Tragen. Unmittelbar vor dem Beginn der Exekutive wurden die Delegierten des P.E.N.-Zentrums DDR mit einem Vorstoß des Internationalen P.E.N. konfrontiert, den sie nicht vorhergesehen hatten. Das internatio112
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Abschrift vom Tonband. Bericht [von IM »Martin«] über Verhältnis zwischen Biermann und Hermlin. Aufgezeichnet am 3. 4. 1970 [21. 7. 1970]. BStU, MfS, AIM 2173/ 70, Bd. I/3, Bl. 227f., hier Bl. 228. Heinrich Böll an Heinz Kamnitzer [4. 6. 1970]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Enthalten auch in P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Schriftwechsel allg. und ZK der SED/B/Böll Heinrich/Böll-Besuch 12. Heinz Kamnitzer an Heinrich Böll [14. 10. 1970]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Schriftwechsel allg. und ZK der SED/B/Böll Heinrich/Böll-Besuch 11. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treff mit IMS »Martin« [betr. AusserordentlichePräsidiumssitzungam 6. 10. 1970].BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 282–284, hier Bl. 283. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treff mit IMS »Martin« [betr. AusserordentlichePräsidiumssitzungam 6. 10. 1970].BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 282–284, hier Bl. 283.
nale P.E.N.-Sekretariat hatte einen Brief an den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht gerichtet, der sich mit dem Schicksal des Lyrikers Peter Huchel befasste. Huchel war 1962 nach heftigen Anfeindungen wegen seiner parteiunabhängigen künstlerisch-verlegerischen Konzeption von seiner Position als Chefredakteur der Zeitschrift Sinn und Form zurückgetreten.117 Er lebte seit diesem Zeitpunkt unter schwierigen Bedingungen; er war politisch, literarisch und privat kalt gestellt worden. Huchel unterlag seit 1963 einem faktischen Publikationsverbot sowie einem generellen Reiseverbot. Seine lyrischen Arbeiten konnte er nur noch in der Bundesrepublik veröffentlichen. Einem Ruf nach Frankfurt am Main an den Lehrstuhl für Poetik konnte Huchel nicht folgen; die Ausreisegenehmigung wurde von den DDR-Behörden nicht erteilt. Zu Preisverleihungen in der Bundesrepublik durfte er nicht reisen. Ab 1968 hatte sich Huchel in Wilhelmshorst bei Potsdam vollkommen isoliert zurückgezogen. Er unterlag strengster Observation: Konfiszierung der Post und Überwachung der Familie durch das Ministerium für Staatssicherheit gehörten zum umfassenden Kontrollprogramm der DDR-Behörden. Obgleich Huchel sich Anfang der siebziger Jahre schon im Rentenalter befand, wurde ihm eine Ausreisegenehmigung weiterhin nicht erteilt.118 Das Schicksal des Lyrikers Huchel beschäftigte den Internationalen P.E.N. schon seit einiger Zeit. Als Huchels Fürsprecher vor dem Internationalen P.E.N. war das bundesdeutsche P.E.N.-Zentrum hervorgetreten; es hatte den internationalen Generalsekretär bereits im Februar 1969 detailliert über Huchels prekäre Lebenssituation informiert und »nach gründlicher Beratung aller Möglichkeiten, die wahrgenommen werden könnten, ohne Huchel zu schaden«119 , den Internationalen P.E.N. um eine direkte Kontaktaufnahme mit der DDRRegierung gebeten. Von Seiten des bundesdeutschen P.E.N. riet man jedoch von einem offiziellen Protest ab. Man dachte an eine ausgefeilte Strategie, die Huchel aus seinem Gefängnis befreien und die Ausreise ins europäische Ausland protegieren sollte: Wir fragen uns, ob nicht der Internationale PEN sich die Pläne zur Gründung einer Zeitschrift des Internationalen PEN in dieser Angelegenheit zunutze machen könnte und der Regierung der DDR mitteilen könnte, es sei vorgesehen, Peter Huchel zum Chefredakteur dieser PEN-Zeitschrift zu machen mit Sitz entweder in London oder irgendwo anders in Europa, nicht aber in der Bundesrepublik.120
Eine Aktion für Huchel wurde zunächst aber zurückgestellt. Nach sorgfältigen Überlegungen und vielfältigen Konsultationen des bundesdeutschen P.E.N.117
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Über Huchels Zeit als Chefredakteurder ZeitschriftSinn und Form informiert ausführlich Uwe Schoor: Das geheime Journal der Nation. Die Zeitschrift »Sinn und Form«. Chefredakteur: Peter Huchel 1949–1962. Berlin 1992. Vgl. Hans Mayer: Erinnerungen eines Mitarbeiters von »Sinn und Form«. In: Hans Mayer (Hg.): Über Peter Huchel. (edition suhrkamp 647) Frankfurt am Main 1973, S. 173–180, hier S. 180. Hans Schwab-Felisch an David Carver [24. 2. 1969]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hans Schwab-Felisch an David Carver [24. 2. 1969]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 541
Zentrums waren der internationale Generalsekretär Carver und der internationale P.E.N.-Präsident Emmanuel in Absprache mit den Mitgliedern Henry Miller, Graham Greene und Heinrich Böll schließlich zu der Ansicht gelangt, dass nur ein direkter Brief an Ulbricht Einfluss auf Huchels Schicksal ausüben konnte. Mehrere Versuche des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) mit dem DDR-P.E.N. auf persönlicher Ebene, d. h. von Mitglied zu Mitglied, in Verbindung zu treten, waren ergebnislos verlaufen; Huchels Situation war unverändert.121 Der Brief, der von den oben Genannten unterzeichnet und am 15. Oktober 1970 abgesendet worden war, fragte nach den Ursachen für die Huchel auferlegten Restriktionen. Zugleich enthielt er den an Ulbricht gerichteten Appell, die Arbeits- und Lebensbedingungen für Huchel zu erleichtern. Der Internationale P.E.N. hatte das Schreiben nicht publiziert; es wurde in The Times jedoch ausführlich kommentiert.122 Die Empörung im P.E.N.-Zentrum DDR war damit vorprogrammiert. Der Brief an Ulbricht war unmittelbar vor der Edinburgher Exekutive am 19./20. Oktober 1970 losgeschickt und in Auszügen der Öffentlichkeit bekannt gemacht worden. Die Teilnahme an der Exekutive stand bevor; es musste wirkungsvoll reagiert werden. Die Delegierten, Kamnitzer und Hermlin, sorgten für einen theatralischen Abgang von der P.E.N.-Bühne: In einer Stellungnahme vor den Delegierten der Exekutivkomitee-Tagung brachte Kamnitzer drei Kritikpunkte vor, die Ilberg später in einem Rechenschaftsbericht resümierte: »Das war ein klarer Affront unseres Staatsoberhauptes, unseres PEN-Zentrums, das vorher weder informiert noch konsultiert worden war und nicht zuletzt des Exekutivkomitees, dem keine Gelegenheit gegeben wurde, die Angelegenheit zu diskutieren, obwohl es nur Stunden nach der Veröffentlichung zusammentrat.«123 Für Kamnitzer ergab diese Vorgehensweise ein klares Bild; es handelte sich aus seiner Sicht um ein weiteres Glied in der Kette antisozialistischer Aktivitäten innerhalb des Internationalen P.E.N., die er den Delegierten in London ein weiteres Mal vor Augen zu führen versuchte. Er verwies einmal mehr auf seine Sorge, »that the outstanding role of the International P.E.N. in assembling under its roof writers of all countries and persuasions seemed […] to be in danger, even in danger of
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Vgl. Thilo Koch im Gespräch mit Horst Thiemer in der Sendung Deutschlandecho im Deutschlandfunk [22. 10. 1970/19.05–20.00 Uhr; Wiederholung 23. 10. 1970/3.10 Uhr]. Sendemanuskript. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Thilo Koch im Gespräch mit Horst Thiemer in der Sendung Deutschlandecho im Deutschlandfunk [22. 10. 1970/19.05–20.00 Uhr; Wiederholung 23. 10. 1970/3.10 Uhr]. Sendemanuskript. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. weiterhin Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., held in Edinburgh, Scotland, on Monday, 19th October and Tuesday, 20th October, 1970. P.E.N.-Archiv London. Werner Ilberg: Rechenschaftsbericht anläßlich der Generalversammlung 1972 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Referat Werner Ilberg 1–8, hier 2.
coming to an end.«124 Der implizite Schlag gegen den Generalsekretär folgte: Die Exekutive werde in wichtigen Angelegenheiten oftmals einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Aus diesem Grund sei man zu der Überzeugung gelangt, dass die Delegierten des P.E.N.-Zentrums DDR lediglich an den literarischen Veranstaltungen, nicht aber an den Sitzungen des Exekutivkomitees teilnehmen könnten. Nach dieser Mitteilung verließ Kamnitzer gemeinsam mit Hermlin die Versammlung.125 In der von Carver nachfolgend angeregten Diskussion kamen zunächst die Hintergründe des Briefes an Ulbricht zur Sprache, in der auch Thilo Koch die ergebnislosen Bestrebungen des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums erläuterte. Die Front innerhalb des Gremiums verlief zwischen Ost und West: Kritische Nachfragen an Carver stellte vor allem der Generalsekretär des ungarischen P.E.N.; er monierte den Zeitpunkt des Schreibens und erkundigte sich eingehend nach der vorausgegangenen Konsultation des P.E.N.-Zentrums DDR. Kérys Einwände wurden zurückgewiesen. Auch in anderen Fällen, etwa in Bezug auf Griechenland, habe man in der Vergangenheit die Kontaktaufnahme des WiPC mit den Regierenden nicht in Abhängigkeit von Exekutivkomitee-Tagungen gesetzt. Das WiPC sei zu eigenverantwortlichem Handeln ermächtigt. Insbesondere der Fall Huchel sei mit dem DDR-P.E.N. seit 1962 immer wieder diskutiert worden – in persönlichen Gesprächen und auch auf den Exekutiven. Provokativ schaltete sich Leda Mileva vom bulgarischen P.E.N. in die Auseinandersetzung ein: »[W]hy, since Peter Huechel [sic] was not in prison, he should be the concern of the Writers in Prison Committee, and, further, why the International Secretary should apparently trust the word of the West German Centre and not that of the DDR Centre. Did he consider some Centres more trustworthy than others?«126 Den Angriff auf seine Position als Generalsekretär ließ Carver abprallen; er verweigerte eine Antwort. Gleichwohl zeigte er sich versöhnlich: Er demonstrierte Verständnis für die schwierige Situation mancher nationaler Zentren, in einem Fall wie Huchels einzugreifen. Im Interesse einer aussichtsreicheren Debatte bat er Kéry um seine Mittlerdienste, um die DDR-Delegierten zur Rückkehr an den Verhandlungstisch zu bewegen. Unterstützt wurde er in diesem Bestreben von Carlos de Radzitzky, Abgesandter des französischsprachigen Zentrums Belgien, der einen offiziellen Auftrag an Kéry befürwortete, um »in a spirit of fra-
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., held in Edinburgh, Scotland, on Monday, 19th October and Tuesday, 20th October, 1970. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., held in Edinburgh, Scotland, on Monday, 19th October and Tuesday, 20th October, 1970. P.E.N.-Archiv London. Vgl. auch Abschrift einer Information von Heinz Kamnitzer und Stephan Hermlin über die auf der Exekutive am 19. 10. 1970 abgegebene Erklärung. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., held in Edinburgh, Scotland, on Monday, 19th October and Tuesday, 20th October, 1970. P.E.N.-Archiv London. 543
ternal co-operation«127 eine vollständige Erörterung des Sachverhalts möglich zu machen. Dieser Vorschlag wurde von der Mehrheit der Abgeordneten angenommen. Kamnitzer und Hermlin folgten Kérys Ruf und »wurden mit Applaus empfangen«128 . Ob Kamnitzer und Hermlin mit dem demonstrativen Verlassen der Sitzung tatsächlich jeder weiteren Diskussion des Sachverhaltes vorbeugen wollten, wie Jacob Popper vom New Yorker Exil-Zentrum spekulierte, lässt sich nur vermuten. Sie waren der Debatte über Huchel jedenfalls entgangen. Nach ihrer Rückkehr in die Versammlung fiel laut Protokoll kein Wort mehr über diesen Fall.129 Gleichwohl traten Kamnitzer und Hermlin in die weiteren Diskussionen ein. Zwei Resolutionen des DDR-P.E.N. standen auf der Tagesordnung. Die eine betraf regelmäßige Tätigkeitsberichte der P.E.N.-Zentren vor der internationalen Exekutive: »It is proposed that P.E.N. Centres should in turn report to the International Executive regularly on their own activities in order to give other P.E.N. Centres the benefit of their experience.«130 Dieser unverfängliche Vorschlag wurde von den Delegierten mit Interesse auf- und mit lediglich einer Gegenstimme angenommen. Der zweite Resolutionsvorschlag formulierte den sanft verpackten, doch unübersehbaren Hieb gegen das internationale Generalsekretariat: »The Minutes of the Executive meetings of International P.E.N. should in future give a more comprehensive and balanced coverage of all contributions from the floor in order to provide a fair reflection of different opinion.«131 Der Vorstoß des DDR-P.E.N. wurde in einem kurzen Meinungsaustausch abgeschmettert. Charles Flood (USA) und Jean de Beer (Frankreich) lehnten den in der Entschließung formulierten Vorwurf ab. Die Protokolle der Tagungen seien stets zusammenfassend und objektiv. Ungleichgewichtige Tendenzen in der Berichterstattung könnten nicht festgestellt werden. Die Abstimmung ergab ein eindeutiges Votum: Lediglich die DDR, Ungarn, Bulgarien und Holland stimmten für die Annahme. Die Exekutive verhinderte eine Eskalation der Konfrontation mit Carver.
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., held in Edinburgh, Scotland, on Monday, 19th October and Tuesday, 20th October, 1970. P.E.N.-Archiv London. Werner Ilberg: Rechenschaftsbericht anläßlich der Generalversammlung 1972 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Referat Werner Ilberg 1–8, hier 2. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., held in Edinburgh, Scotland, on Monday, 19th October and Tuesday, 20th October, 1970. P.E.N.-Archiv London. Zitiert nach Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., held in Edinburgh, Scotland, on Monday, 19th October and Tuesday, 20th October, 1970. P.E.N.-Archiv London. Zitiert nach Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N., held in Edinburgh, Scotland, on Monday, 19th October and Tuesday, 20th October, 1970. P.E.N.-Archiv London.
Die Maßnahmen im Fall Huchel, die maßgeblich auf Betreiben des bundesdeutschen P.E.N. zustande gekommen waren, wirkten sich auf das deutschdeutsche Verhältnis zunächst negativ aus, bewirkten mittelfristig aber eine nahezu freundschaftliche Annäherung der Präsidenten Böll und Kamnitzer. Öffentliche Ausführungen des bundesdeutschen Generalsekretärs Thilo Koch über den Fall Huchel im Deutschlandfunk verstärkten den Unmut, der schon in Edinburgh von den Delegierten des DDR-P.E.N. deutlich zum Ausdruck gebracht worden war. In einem Brief an den Präsidenten des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums formulierte Kamnitzer noch einmal seine persönliche Enttäuschung über die Entwicklung der Dinge: Ich hatte mich auf unsere Begegnung [in Edinburgh] ehrlich gefreut. Ich habe mir vorgestellt, wir würden uns gegenseitig anhören, Tatsachen überprüfen und überdenken; also erst bereden, dann notfalls handeln. Leider ist umgekehrt verfahren worden. Was als strittig und ungeklärt zu besprechen gewesen wäre, ist in dem einen Fall [gemeint ist Peter Huchel] vorweg ohne Überprüfung, Rückfrage oder Mitteilung an unser PEN-Zentrum der Öffentlichkeit unterbreitet worden. Selbst jetzt noch hält es der Generalsekretär des PEN Bundesrepublik für angemessen im Deutschlandfunk am 22. Oktober 1970 zu verschweigen, was wir ihm in Edinburgh mitteilten: Weder ich noch irgendein Mitglied unseres Präsidiums ist jemals um offizielle Auskunft oder Fürsprache gebeten worden, sei es schriftlich oder mündlich. In dem anderen Fall [gemeint ist Biermann] wurde ein Gerücht sofort für bare Münze genommen und Folgen angekündigt, ebenfalls ohne sich bei uns vorher durch eine Anfrage zu vergewissern.132
Im weiteren Verlauf seines Schreibens untergrub Kamnitzer seine eigene Argumentation; er verwies auf ein Treffen mit dem bundesdeutschen P.E.N.-Mitglied Karl Dedecius im September 1970 in Berlin, bei dem er gebeten habe, »beide Angelegenheiten als Stoff unserer vertraulichen Unterredung zu betrachten.«133 Also hatte de facto doch eine Aussprache stattgefunden, in der das P.E.N.Zentrum DDR seinen Standpunkt hatte erörtern können!? Kamnitzer klagte indes den Vertrauensbruch an und stellte die ungetrübte Fortsetzung einer deutsch-deutschen Annäherung in Frage: [M]an hat es vorgezogen, was mancherorts oft und gern ›besondere Beziehungen‹ genannt werden, auf eine widersinnige Weise kundzutun. Indem man für überflüssig hielt, was selbstverständlich sein müßte, machte man überflüssig, was erörtert werden sollte. Dadurch hat man ein Klima geschaffen, das nicht geeignet ist, das Verhältnis zu normalisieren, geschweige denn zu verbessern. Nun bleibt mir leider nicht anderes übrig, als zu bitten, einen ruhigeren Zeitpunkt für unser Gespräch abzuwarten.134
Heinrich Böll ließ die entstandene Situation nicht auf sich beruhen; er reiste noch im November 1970 nach Berlin, um sich zu einer Aussprache mit Kamnitzer zu treffen. Die vordringlichen Reizthemen standen auf der Agenda – Biermann und Huchel. 132 133 134
Heinz Kamnitzer an Heinrich Böll [6. 11. 1970]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Heinz Kamnitzer an Heinrich Böll [6. 11. 1970]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Heinz Kamnitzer an Heinrich Böll [6. 11. 1970]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 545
Obgleich Böll einen Privatbesuch angekündigt hatte, wurde das Gespräch zwischen ihm und Kamnitzer zum Gegenstand eines Berichtes135 an die Abteilung Kultur des ZK der SED. In der Berichterstattung hob Kamnitzer seinen betont entschiedenen Standort innerhalb des Meinungsaustauschs hervor; er habe gegenüber Böll unmissverständlich deutlich gemacht, dass eine offensive Einmischung in die inneren Angelegenheiten des P.E.N.-Zentrums DDR zur Verschlechterung bzw. gar zum Abbruch der Beziehungen zwischen beiden deutschen P.E.N.-Sektionen führen müsse. Im Hinblick auf Huchel schien Kamnitzer vollkommen uninformiert. Die (außen)politischen Zielsetzungen der DDR waren maßgeblich für die Aktivität des P.E.N.-Zentrums DDR, nicht das Schicksal eines einzelnen Schriftstellerkollegen; Kamnitzer schien propagandistisch vollkommen verblendet und einem totalen Feindbilddenkenverhaftet. Die Kernproblematik, nämlich die massive Unterdrückung der Meinungsfreiheit eines Einzelnen, übersah er bei seiner Darstellung – wissentlich(?) – vollkommen: 1. Über den Fall selbst weiß ich zu wenig, um etwas sagen zu können. Ich vermag mir aber vorzustellen, daß man sich gut überlegt hat, wie auch in diesem Falle im Ausland ein Schriftsteller dieser Art dazu mißbrauchtwird, um in der Öffentlichkeit ein Negativbild zu vervollständigen. 2. möchte Böll verstehen, daß wir darauf Wert legen, in erster Linie mit unseren Leistungen gewürdigt zu werden. Das heißt vor allem durch die historische Tatsache, daß zum ersten Male auf deutschem Boden eine Gesellschaft und ein Staat existiert, der nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholt hat, sondern im Gegenteil durch seine Politik die große Alternative zur Fehlentwicklung der Vergangenheit darstellt.136
Bölls Qualitäten als vorsichtiger Verhandlungsführer kamen in dieser Unterredung voll zum Tragen; er musste sich nicht auf brachiale Weise Gehör für die eigene Position verschaffen; er konnte offenkundig zuhören und war ernsthaft bestrebt, die Argumentation der Gegenseite zu verstehen. Böll hatte begriffen, dass mit massiver Druckausübung weder ein Fortschritt in den Beziehungen zwischen beiden deutschen P.E.N.-Zentren, noch zwischen den nationalen Zentren und dem Internationalen P.E.N. zu erreichen war. So war er zu Zugeständnissen bereit: Er sagte im Hinblick auf die Fälle Huchel und Biermann zu, dass man zukünftig statt einer direkten Anklage den Weg einer mündlichen, inoffiziellen Nachfrage beschreiten wolle. Böll ließ auch Kamnitzers langwierige Ausführungen über die notwendige Anerkennung der DDR als eigener Nationalstaat, ihre Aufnahme in die UNESCO und die Dringlichkeit einer Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) gelten. Er sah die Kohärenz zwischen den politischen und kulturellen Beziehungen der europäischen Staaten. Nur eine politische Entspannung konnte langfristig die Situation im Internationalen P.E.N. entschärfen – ohne Verlust der P.E.N.-Zentren aus sozialistischen 135
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Vgl. Heinz Kamnitzer: Begegnung mit Heinrich Böll am 25. 11. 1970. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Heinz Kamnitzer: Begegnung mit Heinrich Böll am 25. 11. 1970. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157.
Ländern: »Böll erklärte, daß er alles tun will, um die Beziehungen zu verbessern, sich bemühen wird, keine Angriffe gegen die DDR und die Sowjetunion zu richten und im westdeutschen PEN zuzulassen, soweit es in seiner Macht steht.«137 Bölls Haltung entsprach der veränderten Ost-Politik, die von der neuen sozialliberalen, durch Willy Brandt geführten Koalition in der Bundesrepublik betrieben wurde; diese erkannte die Realität der deutschen Teilung an, ohne das Ziel der deutschen Einheit aufzugeben. Eine deutliche Intensivierung der Ost-West-Entspannungspolitik war in der deutsch-sowjetischen Gewaltverzichterklärung zum Ausdruck gekommen, die im August 1970 unterzeichnet wurde. Deutsch-polnische Gespräche zum Vertrag über die Grundlagen der Normalisierung der Beziehungen kamen im Dezember 1970 zu einem positiven Abschluss. Erste Annäherungen zwischen Bundesrepublik und DDR waren, wenn auch ohne konkreten Verhandlungserfolg, durch Treffen der Regierungschefs beider Staaten zustande gekommen.138 Der erfolgreiche Abschluss der Ostverträge bildete schließlich die »Grundlage für erste vertragliche Regelungen mit der DDR auf staatlicher Ebene, die zur Normalisierung des deutsch-deutschen Verhältnisses sowie einem Viermächteabkommen über Berlin führ[t]en.«139 Zwischen Böll und Kamnitzer entwickelte sich in der Folge tatsächlich eine nahezu freundschaftliche Beziehung; sie tauschten Material und Bücher aus. Böll schien mit dem Gespräch im November 1970 nachhaltig zufrieden. Dass Kamnitzer eine Einladung nach Nürnberg zu einer Tagung des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums im April 1971 ausschlug, bedauerte er zwar. Er zeigte aber Verständnis: »Ich hoffe, daß ich bei späterer Gelegenheit Sie noch einmal aufsuchen werde und mich so ausführlich mit Ihnen unterhalten kann wie beim letzten Mal.«140 Zu einem Wiedersehen kam es im Februar 1972. Böll hatte eine Reise in die ˇ Sowjetunion und die CSSR mit einem Besuch in der DDR verknüpft und war in Berlin mit Kamnitzer und den übrigen Präsidiumsmitgliedern des P.E.N. zusammengetroffen.141 Die geplanten Inhalte der Unterredung wurden im Vorfeld der Zusammenkunft an das Ministerium für Kultur übermittelt; sie betrafen vor allem die innerdeutschen Beziehungen. Weiterhin war der offizielle Kurs größtmöglicher Autarkie bindend für die Annäherung der beiden deutschen P.E.N.Zentren: 137
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Heinz Kamnitzer: Begegnung mit Heinrich Böll am 25. 11. 1970. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Vgl. Fischer Chronik Deutschland, S. 455ff. und S. 462f. Fischer Chronik Deutschland, S. 471. Heinrich Böll an Heinz Kamnitzer [2. 4. 1971]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Heinrich Böll weilte vom 10.–15. Februar 1972 in Berlin: Unterstützung bei der Erlangung einer Einreisegenehmigung hatte er durch das P.E.N.-Zentrum DDR erhalten. Dass seine Reise DDR-intern akribisch vorbereitet worden war, belegt auch die Organisation eines Besuchs bei Christa Wolf. Dazu war eine gesonderte Genehmigung des Präsidiums der Volkspolizei vonnöten. Vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Korrespondenz allgemein 1972–1974/B/Böll Heinrich/Einreise 6. 547
Gleichzeitig liegt eine Einladung vor, daß wir einige Delegierte zur Generalversammlung des Bundes-PEN entsenden mögen. Unser Standpunkt dazu ist der, daß wir derartige Einladungen nur annehmen können, falls sie im Rahmen von Einladungen anderer sozialistischer Länder erfolgen. Daraus geht schon hervor, daß einer der wesentlichen Gesprächsstoffe zwischen Böll und unserem Präsidenten, resp. Präsidiumsmitgliedern, der sein wird, daß wir Böll mit Entschiedenheit klar machen, daß es keinerlei innerdeutsche Beziehungen zwischen unseren beiden Zentren geben kann. Andererseits sind wir natürlich daran interessiert, den fortschrittlichen Flügel beim Bundes-PEN zu stärken, und auch Böll bei der Überwindung noch vorhandener Unklarheiten behilflich zu sein […].142
Sehr viel weniger bürokratisch klang eine persönliche Nachricht von Kamnitzer an Böll im Nachgang des Treffens: »Ich hoffe, Sie haben ein wenig gemerkt, wie sehr wir uns über ihren Besuch gefreut haben.«143 Böll war es offenkundig gelungen, die Kollegen auf der anderen Seite der Mauer mit seinem ehrlichen und toleranten Wesen für sich einzunehmen. Mitte Januar 1972 waren Bölls Reisepläne im Ministerium für Staatssicherheit bekannt geworden. In der Folge wurde die Überwachung von Bölls Aufenthalt in der DDR, aber auch seiner Reise nach Moskau vom Ministerium für Staatssicherheit akribisch vorbereitet. Eine Sicherung durch das ZK der SED genügte offenbar nicht.144 Schon im Vorfeld des Besuchs wurde der IMS »Dichter«, d. i. Paul Wiens, instruiert, »Pläne und Absichten von Böll zu dem beabsichtigten Gespräch mit dem PEN-Zentrum der DDR in Erfahrung zu bringen.«145 Wenig später berichtete Wiens von einer gescheiterten Kontaktaufnahme seinerseits mit Stephan Hermlin: Er »ließ nicht erkennen, was seitens des PEN Zentrums der DDR mit Böll beabsichtigt ist.«146 Wiens gelang es schließlich, zu Beginn seines Besuchs in der DDR ein Gespräch mit Böll zu führen. Thema der Unterredung war in erster Linie Bölls Planung für seinen ˇ Besuch in der UdSSR und der CSSR. Besonderes Augenmerk richtete Wiens bei 142
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Werner Ilberg an Bruno Haid [Stellvertretender Minister für Kultur, Leiter der HV Verlage][12. 1. 1972].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenzallgemein 1972–1974/B/Böll Heinrich 20. Heinz Kamnitzer an Heinrich Böll [30. 3. 1972]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1972–1974/B/Böll Heinrich 3a. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information [17. 1. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 95. Angesetzt worden war auf Heinrich Böll der IM »Wolfgang Köhler«, d. i. Prof. Dr. Werner Neubert, »zeitweilig Chefredakteur der Zeitschrift ›neue deutsche literatur‹, Vorstandsmitglied des Schriftstellerverbandes und ordentlicher Professor, Lehrstuhl Kulturpolitik, an der Hochschule für Staat und Recht in Potsdam-Babelsberg«. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 318. Neubert flog »[m]it der gleichen Maschine […] nach Moskau, [um] Böll in Moskau über seinen DDR-Besuch abzuschöpfen.« Rolf Pönig [Oberleutnant,Ministerium für Staatssicherheit,HA XX/7]: Informationüber den Aufenthalt des Präsidenten des Internationalen PEN-Zentrums, den westdeutschen Schriftsteller Heinrich Böll in der DDR. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 244f., hier Bl. 245. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffen mit IMS »Dichter« [20. 1. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 67–69, hier Bl. 68. [Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: [Treffbericht mit IMS »Dichter«] [9. 2. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 88–94, hier Bl. 94.
der Berichterstattung auf die Kontaktaufnahmen, die Böll mit DDR-Kollegen wünschte. Avisiert war von Bölls Seite ein Gespräch mit Hermlin und Seghers. Dass Stefan Heym den Versuch startete, eine Verbindung zu Böll herzustellen, wurde mit besonderem Interesse verfolgt.147 Die Informationen, die das Ministerium schließlich über Bölls Unterredung mit dem Präsidium des P.E.N.Zentrums DDR über inoffizielle Quellen erhielt, waren von geringem Wert. Demnach hatte Böll die Lage im Internationalen P.E.N. behandelt; dabei ging es zum einen um die Position des internationalen Generalsekretärs, zum anderen um die der Exil-Zentren. Für Peter Huchel sollte die Intervention des Internationalen P.E.N. positive Resultate zeigen. Auch die Akademie der Künste Berlin (West), Hamburg und Bayern unterstützte den Einsatz für Huchel. Im April 1971 durfte Huchel zunächst aus der DDR nach Italien ausreisen und wohnte dort als Ehrengast der Villa Massimo. Schließlich siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland um und unternahm in der Folgezeit zahlreiche Reisen in westeuropäische Länder.148 Im Internationalen P.E.N. kam der Fall indes noch einmal im Mai 1971 zur Sprache. Robert Neumann hatte auf der Exekutive in Portoroz, Jugoslawien, eine Resolution eingebracht, die das P.E.N.-Zentrum DDR aufforderte, sich bei den Regierungsstellen für die Ausstellung von Ausreisevisa für Huchel einzusetzen. Im Hinblick auf Huchel war die Eingabe obsolet. Neumann hatte jedoch in die Resolution Biermann eingeschlossen, der ebenfalls seit vielen Jahren die DDR nicht verlassen durfte. Gegen eine Verabschiedung der Resolution wirkten zwei Vertraute des P.E.N.-Zentrums DDR : In der Aussprache verwies der ungarische Präsident Iván Boldizsár auf die Abwesenheit der DDR-Vertreter, die eine Diskussion der Resolution verbiete; Heinrich Böll machte sich für eine direkte Kontaktaufnahme mit Biermann stark. Schließlich beauftragte die Exekutive Carver mit der Informationsbeschaffung über Biermanns konkrete Position hinsichtlich einer Ausreise aus der DDR. Daraufhin erklärte sich Neumann bereit, die Resolution fallen zu lassen.149 In diesem Sinne informierte Carver das P.E.N.-Zentrum DDR über die Nichtverhandlung der Resolution und bat to ascertain from Herr Biermann whether, if he received an invitation to travel, he would accept. It seems to be a crucial point, and I should be glad to have any information on it you are able to send me. I should like to thank you for, and indeed con-
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Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information zum Aufenthalt des westdeutschen Schriftstellers und Präsidenten des Internationalen PEN-Zentrum Heinrich Böll in der DDR. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 100– 102. Vgl. auch Rolf Pönig: Information zum Aufenthalt des Präsidenten des Internationalen PEN, dem westdeutschen Schriftsteller Heinrich Böll in der Hauptstadt der DDR. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 103. Vgl. Andreas Kölling: Peter Huchel. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 380f. Vgl. Minutes of Meeting of International Executive Committee of P.E.N. held in Portoroz, Yugoslavia, on Saturday, 8th May, and Sunday, 9th May, 1971. P.E.N.-Archiv London. 549
gratulate you on any action you were able to take which resulted in Peter Huchel being allowed to travel.150
Auf hilfreiche Unterstützung im Falle Huchel hatte auch Böll auf der Exekutive in Portoroz verwiesen151 – das Quellenmaterial indes gibt keinen Hinweis auf irgendeine Aktivität des DDR-P.E.N. für Huchels Ausreise. Eine Reaktion des P.E.N.-Zentrums DDR auf Carvers Nachfrage in Bezug auf Biermann blieb – kaum verwunderlich – aus.
7.4
Zunehmende parteipolitische Instrumentalisierung des P.E.N.-Zentrums DDR (1971/72–1975)
7.4.1 Verstärkte Anleitung und verschärfte Sicherungsmaßnahmen … Obgleich nach der Ablösung von Walter Ulbricht als Erstem Sekretär des ZK der SED durch Erich Honecker im Mai 1971 auf dem Gebiet der Kultur eine Phase der Liberalisierung einzusetzen schien, entwickelte sich das Verhältnis zwischen dem P.E.N.-Zentrum DDR, vertreten durch Kamnitzer und Ilberg, und der Abteilung Kultur des ZK der SED umso enger. Schon in seiner Bewertung der Generalversammlung 1970 hatte Arno Hochmuth eine Intensivierung und Konzentration der Parteiarbeit innerhalb des P.E.N.-Zentrums gefordert, um eine erfolgreiche und offensive Arbeit durchzusetzen. Obschon die »konzeptionellen Hauptanliegen« der Generalversammlung erreicht worden waren, zeigte sich der Leiter der Abteilung Kultur in einer abschließenden »Gesamteinschätzung« noch nicht zufrieden mit der politisch-ideologischen Ausrichtung des P.E.N.-Zentrums DDR : Obgleich sich Gen. Kamnitzer mit Unterstützung einiger Genossen bemüht, im PENZentrum DDR die richtige politische Linie durchzusetzen, erschwert die sehr differenzierte Zusammensetzung dieser Organisation – mit einer Reihe von rechten und versöhnlerischen Kräften – eine in allen Punkten erfolgreiche und offensive Arbeit. Es sind vor allem zwei widersprüchliche Tendenzen festzustellen: – zu den Problemen der internationalen Arbeit des PEN-Zentrums DDR ist eine konstruktive, verantwortungsbewußte und politisch klare Haltung fast aller Mitglieder festzustellen; – zur Kunstpolitik von Partei und Regierung sowie zur Entwicklung des sozialistischen Kunstprozesses gibt es eine Reihe abweichender Auffassungen, die sich direkt oder indirekt auswirken und eine zielgerichtete Arbeit oftmals hemmen.152
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David Carver an Heinz Kamnitzer [22. 6. 1971]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Int. PEN – London + Intern. Zentren 1968–1973/L/London 11 und 11a. Vgl. Minutes of Meeting of International Executive Committee of P.E.N. held in Portoroz, Yugoslavia, on Saturday, 8th May, and Sunday, 9th May, 1971. P.E.N.-Archiv London. Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157.
Hochmuth entwarf in der Konsequenz einen Maßnahmenkatalog, der im Wesentlichen auf eine verstärkte Parteiarbeit und eine aktive Einflussnahme auf die Mitgliedschaft des P.E.N.-Zentrums zielte. Als wichtigste Aufgabe sah er es an a) die Parteiarbeit im Präsidium und im Parteiaktiv des PEN-Zentrums wesentlich zu intensivieren und die Zeitabstände der Zusammenkünfte zu verkürzen; b) alle positiven Kräfte des PEN-Zentrums unter der Leitung des Präsidiums fest zu formieren, zu einer offensiven Arbeit auf der Grundlage der Politik von Partei und Regierung zu befähigen und sie damit zur Überwindung hemmender Auffassungen bei einigen Mitgliedern zu führen; neue Kräfte, die auf dem Boden der Kultur- und Kunstpolitik der Partei stehen, in das PEN-Zentrum zu drücken.153
Im September 1971 richtete sich die Aufmerksamkeit der Abteilung Kultur verstärkt auf die Außenwirkung des P.E.N.-Zentrums DDR ; dies hing zum einen mit der sozialistischen Offensive innerhalb des Internationalen P.E.N. zusammen. Zum anderen erforderte das verstärkte Interesse des Auslands, speziell am P.E.N.-Zentrum DDR bzw. grundsätzlich an der Literatur der DDR, eine erhöhte Kontrolle: »Das DDR-PEN-Zentrum erhält immer mehr Angebote bzw. Einladungen zum Austausch von Schriftsteller-Delegationen. Diese Tendenz scheint sich in letzter Zeit zu verstärken. Es sollte darum bald eingehender geprüft werden, wie in diesen Fällen zu verfahren ist«154 . In der Folge wurde festgelegt, dass die »Auslandsarbeit des PEN-Zentrums […] in Zukunft noch enger mit der Abteilung abzustimmen«155 sei. Konkret im Blick hatte die Abteilung Kultur zunächst den bevorstehenden Kongress in Dublin (September 1971), der eine Entscheidung über die Präsidentschaft im Internationalen P.E.N. erbringen sollte. Der vom DDR-P.E.N. angefeindete Pierre Emmanuel, der in seiner Eigenschaft als europäischer Direktor der Internationalen Vereinigung für die Freiheit der Kultur, ehemals CCF, unter den internationalen P.E.N.-Mitgliedern durchaus umstritten war, stand zur Wiederwahl. Die Neuwahl des internationalen P.E.N.-Präsidenten geriet für die kommunistischen Mitglieder zu einer ideologischen Grundsatzentscheidung, die die Zukunft des P.E.N. maßgeblich beeinflussen konnte. Heinz Kamnitzer stellte in einer Einschätzung für die Abteilung Kultur fest, dass eine Wiederwahl von Pierre Emmanuel zum Präsidenten des Internationalen P.E.N. auf dem Kongress in Dublin (September 1971) kaum zu verhindern sei. Selbst die ansonsten treuen 153
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Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über ein Gespräch mit Genossen Kamnitzer über Fragen des PEN-Kongresses 1971. Anwesend Genosse Hochmuth, Löffler, Sladczyk und Kamnitzer [14. 9. 1971]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über ein Gespräch mit Genossen Kamnitzer über Fragen des PEN-Kongresses 1971. Anwesend Genosse Hochmuth, Löffler, Sladczyk und Kamnitzer [14. 9. 1971]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. 551
Bündnispartner des ungarischen P.E.N.-Zentrums befürworteten Emmanuels Kandidatur. Unterstützung fand das P.E.N.-Zentrum DDR durch das P.E.N.Zentrum Bulgariens; dort hatte man sich ebenfalls gegen Emmanuel ausgesprochen und um eine Konsultation der DDR-Delegation im Vorfeld des Kongresses gebeten.156 Die geringen Hoffnungen auf einen Führungswechsel ruhten auf dem Gegenkandidaten Heinrich Böll; er genoss die volle Sympathie der DDR-Delegation. Bei der schriftlichen Stimmabgabe für die Wahl des Präsidenten vor Beginn des Kongresses fügte Kamnitzer eine Erklärung hinzu, die größtmögliche Achtung für Böll und die mit seiner Kandidatur verknüpften Hoffnungen zum Ausdruck brachte: Im Falle von Heinrich Böll entschieden wir uns für einen Schriftsteller von internationalem Ruhm und Rang, der durch seine Ansichten und seinen Charakter besonders geeignetist, den InternationalenPEN als eine überparteilicheEinrichtung zu vertreten. Sollte er gewählt werden, so würde das gewünschte Rapprochement zwischen Ost und West nicht durch Vorurteile verhindert, sondern im Gegenteil durch seine Großzügigkeit gefördert werden. Er ist frei von jeglicherÜberheblichkeitgegenüberanderen Ländern und Überzeugungen. Er respektiert mit allem Ernst die Unverwechselbarkeit und Eigenart nicht nur des Schriftstellers, sondern auch des Staates, aus dem er kommt. Diese Vorzüge allein schon empfehlen ihn uns – und wir sind sicher, auch anderen – als einen Präsidenten, der den Einfluß und das Ansehen des Internationalen PEN vergrößern würde. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie es möglich machten, unsere Gründe dem Internationalen PEN auf seinem Kongreß in Dublin zur Kenntnis zu bringen.157
Der Dubliner Kongress erbrachte ein überraschendes Ergebnis: Die Auszählung der schriftlichen Stimmabgaben hatte ein Patt ergeben. Unvorhergesehenerweise musste in Dublin noch einmal abgestimmt werden. Die Abstimmung brachte die Mehrheit für Böll und die Abwahl von Emmanuel.158 Von Bölls Wahl zum internationalen P.E.N.-Präsidenten ging ein positives Signal aus, das auf eine Entspannung der Verhältnisse innerhalb der Schriftstellervereinigung hoffen ließ.159 Wie eng sich die Zusammenarbeit zwischen Abteilung Kultur und Führung des P.E.N.-Zentrums DDR gestaltete, lässt sich an Details ablesen: Über den aus Sicht der DDR-Delegation erfreulichen Ausgang der Präsidentschaftswahl informierte Kamnitzer seinen Generalsekretär Ilberg noch aus Dublin; dieser
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Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über ein Gespräch mit Genossen Kamnitzer über Fragen des PEN-Kongresses 1971. Anwesend Genosse Hochmuth, Löffler, Sladczyk und Kamnitzer [14. 9. 1971]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Heinz Kamnitzer an David Carver [31. 8. 1971]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/Int. PEN London – Intern. Zentren 1969–1973/L/London 9. Vgl. Minutes of Meeting of International P.E.N. Executive Committee of P.E.N., held in Dun Laoghaire, Ireland, on Monday, 13th September, and Tuesday, 14th September 1971. P.E.N.-Archiv London. Vgl. hierzu auch Christian Ferber: Viel Wissenswertes, aber wenig Erkenntnis. Fünfzig Jahre internationaler PEN-Club – Jubiläumsversammlung in Dublin. In: Die Welt 218 (20. 9. 1971), S. 20. Enthalten in SAPMO-BArch vorl. SED 12922.
leitete die Nachricht unverzüglich an den Verantwortlichen in der Kulturabteilung, Leo Sladczyk, weiter.160 Im Nachgang von Dublin kam es zu Aussprachen, die sich weniger mit den Ergebnissen des Kongresses als vielmehr mit der zukünftigen Positionierung und Aktivität des P.E.N.-Zentrums DDR im internationalen Raum befassten. In Vorbereitung einer Zusammenkunft mit Kamnitzer und Ilberg Ende Oktober 1971 erstellte Leo Sladczyk für seinen Kollegen Siegfried Löffler eine Art Thesenpapier, das als wichtigste Aufgabe des P.E.N.-Zentrums DDR die »internationale Arbeit, die Wirkung nach ›außen‹« noch einmal hervorhob: »Darum ist hier Planung in unserem Sinne und kluges Vorgehen notwendig. Nicht die ev. zufällige Einladung des Auslands sollte unser Handeln zuerst bestimmen. Insofern ist die mehr oder weniger kommentarlose Mitteilung an uns, daß Einladungen aus Schweden, Norwegen, Holland und Finnland vorliegen, nicht ausreichend. Der PEN sollte hier mehr argumentieren!«161 Erwartet wurde vom P.E.N.-Präsidium eine zielgerichtete, strategische Aufnahme von Verbindungen ins Ausland, die den Prozess der staatlichen Anerkennung befördern helfen sollte. Das P.E.N.-Zentrum wurde in den Dienst der außenpolitischen Bestrebungen der DDR gestellt; es wurde einer Funktionalisierung unterworfen. Im Gespräch mit Kamnitzer und Ilberg kamen die Möglichkeiten einer positiven Einwirkung des P.E.N.-Zentrums DDR auf die Außenpolitik der DDR umfassend zur Sprache. Von den Vertretern des P.E.N.-Zentrums wurde auf die vorhandene Anerkennung und das Interesse verschiedener nationaler P.E.N.Sektionen verwiesen; man sah sich durchaus in der Lage, Türen ins Ausland zu öffnen. Entscheidenden Einfluss auf die Resultate der Kontaktaufnahme billigten Kamnitzer und Ilberg den zu Lesungen und Vorträgen ausgesandten Repräsentanten zu; Christa Wolf und Stephan Hermlin etwa seien literarisch im internationalen Raum sehr anerkannt. Zur Sprache kam jedoch auch die Rolle des P.E.N.-Zentrums in der »Innenpolitik«, d. h. im Literaturleben der DDR. Welche Aufgabe sollte das P.E.N.-Zentrum in der DDR erfüllen? Diese Frage wurde deutlich geklärt: Konzentration auf die regelmäßigen Clubabende; vierteljährliche Erstellung einer literaturpolitischen Analyse; Vorstellung ausländischer Gäste – so die Anweisung von oben.162 Rat suchten Kamnitzer und Ilberg auch für den Umgang mit den kulturpolitischen Sorgenkindern der DDR: Welche Position sollte man gegenüber Stefan Heym und Wolf Biermann einnehmen? Biermann galt als »enfant terrible« schlechthin; er veröffentlichte seine ungeschminkte Kritik an der DDR160
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Vgl. Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Mitteilung über einen Telefonanruf des Genossen Werner Ilberg, Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums der DDR vom 14. 9. 1971. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Für Genossen Löffler. Probleme, die möglicherweise am 28. 10. 1971 mit Gen. Kamnitzer und Ilberg (PEN) zu besprechen wären [o. D.]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Vgl. Handschriftliche Notizen über eine Beratung mit Prof. Kamnitzer und Prof. [sic] Ilberg am 28. 10. 9.00 [o. D.]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. 553
Führung seit Jahren in der Bundesrepublik und befand sich mehr und mehr abgedrängt in einer isolierten Position. Heym war erst 1969 wieder mit den Regierungsbehörden zusammengestoßen, weil er seinen Roman Lassalle in der Bundesrepublik veröffentlicht hatte und zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Im Hinblick auf die bevorstehende Generalversammlung machten Kamnitzer und Ilberg sich Gedanken darüber, welches Verhalten man den beiden gegenüber an den Tag legen sollte. Schließlich entstand mit dem Zusammentreten der Mitglieder eine – wenn auch kleine – Öffentlichkeit, die »Quertreibereien« sehr wohl wahrnahm und weiter nach außen tragen konnte. Genau das versuchte man im Fall Biermann längst zu vermeiden: das Zugeständnis öffentlicher Wirkung. Eine handschriftliche Notiz vermerkt keine Vorgabe der Abteilung Kultur in dieser Frage. Schon in Sladczyks vorbereitendem Thesenpapier hatte sich jedoch eine Maßnahme angedeutet, die eine straff organisierte Anleitung des P.E.N.Präsidiums gerade im Hinblick auf die Generalversammlung zum Ziel hatte. Gefordert wurde nicht nur wie gewohnt eine differenzierte Vorbereitung der Mitgliederversammlung, sondern die Wahl eines Sekretärs für die Parteigruppe des Präsidiums.163 In der Folge veränderte sich die Qualität der Zusammenarbeit zwischen P.E.N.-Zentrum und Abteilung Kultur. Waren es zunächst meist Kamnitzer und Ilberg gewesen, die den Kontakt pflegten, begann man Anfang 1972, die Parteigruppe des P.E.N.-Präsidiums verstärkt in die direkte Zusammenarbeit mit der Abteilung Kultur einzubeziehen. Die geforderte Verstärkung der Parteiarbeit innerhalb des Führungsgremiums wurde damit konkret angegangen. Mitte Dezember 1971 fand ein vorbereitendes Gespräch zwischen Kamnitzer und Mitarbeitern der Abteilung Kultur, Löffler und Sladczyk, statt, in dem das gegenseitige Vertrauensverhältnis beschworen wurde: »Genosse Kamnitzer wurde noch einmal unserer kameradschaftlichen und parteimäßigen Unterstützung bei der Bewältigung der schwierigen Probleme im PEN versichert«.164 Die weitere Absprache diente der Erläuterung der Vorschläge, die die Abteilung Kultur dem Parteiaktiv des Präsidiums in einer Sitzung unterbreiten wollte; sie wurden von Kamnitzer akzeptiert.165 Sladczyk und Löffler besprachen sich auch mit dem Präsidiumsmitglied Heinz Kahlau;166 ihm sollte die Position des Parteigruppensekretärs angetragen werden.
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Vgl. Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Für Genossen Löffler. Probleme, die möglicherweise am 28. 10. 1971 mit Gen. Kamnitzer und Ilberg (PEN) zu besprechen wären [o. D.]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über ein Gespräch der Genossen Löffler und Sladczyk mit Genossen Heinz Kamnitzer [21. 12. 1971]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Vgl. Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über ein Gespräch der Genossen Löffler und Sladczyk mit Genossen Heinz Kamnitzer [21. 12. 1971]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Vgl. Aktennotiz über ein Gespräch der Genossen Löffler und Sladczyk mit dem Genossen Heinz Kahlau am 4. 1. 1972. SAPMO-BArch vorl. SED 12922.
Zur Aussprache mit den Mitarbeitern der Abteilung Kultur Anfang Januar 1972 erschien schließlich die Parteigruppe des P.E.N.-Präsidiums vollständig: Ilberg, Kamnitzer Herzfelde, Keisch, J. Stern, Cwojdrak, Hermlin, C. Wolf, Kant und Kahlau. Die parteilosen Mitglieder Scheer und Hacks nahmen an der Besprechung nicht teil. Die vorgestellten Prinzipien für die P.E.N.-Arbeit konzentrierten sich erwartungsgemäß auf die Abstimmung mit der Außenpolitik der DDR; sie brachten keine wesentliche Neuerung: – Der PEN konzentriert sich auf Länder, die noch keine diplomatischen Beziehungen zur DDR unterhalten, insbesondere Frankreich, Finnland, Schweden, Norwegen. Keine Konkurrenz zum DSV. – Zusammenarbeit mit PEN-Zentren der sozialistischen Länder, um eine bessere Koordinierung der internationalen Arbeit zu erreichen.167
Die Aktivität des P.E.N.-Zentrums innerhalb der DDR wurde indes noch stärker eingegrenzt »auf die Abhaltung der Generalversammlung, Sitzungen des Präsidiums und nichtöffentliche Clubabende in Berlin.«168 Gleichwohl entwickelte sich die Aussprache ein wenig überraschend zu einer lebhaften Diskussion über grundsätzliche Probleme des Literaturbetriebs in der DDR. Das Signal einer Neuorientierung in der Kulturpolitik, das nach dem Amtswechsel von Ulbricht zu Honecker gegeben worden war, versuchte Löffler den Mitgliedern des Präsidiums noch einmal deutlich zu machen: »Die Aufgabenstellung des VIII. Parteitages der SED erfordert die erhöhte Aktivität aller Genossen, auch jener, die bisher sich zurückgehalten haben, weil sie Vorbehalte gegen einige Seiten unserer Kulturpolitik hatten. Ausgehend von den unveräußerlichen Prinzipien unserer Politik kann man über alle Probleme sprechen. Da gibt es keine Tabus.«169 Mit dieser Aussage verwies Löffler auf jenen viel zitierten Teil einer Rede, die Honecker auf einer Tagung des ZK der SED im Dezember 1971 gehalten hatte; sie wird gemeinhin als Einleitung zu einer Periode der kulturpolitischen Offenheit der DDR interpretiert: »Wenn man von der festen Position des Sozialismus ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben.«170 Der Kulturbetrieb hatte die Veränderung positiv aufgenommen: »Daß sie die Ulbricht-Zeit hinter sich 167
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[Leo Sladczyk] [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Notiz über eine Aussprache der Genossen Löffler und Sladczyk in der Parteigruppedes Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR am 6. 1. 1972 [31.1.1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. [Leo Sladczyk] [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Notiz über eine Aussprache der Genossen Löffler und Sladczyk in der Parteigruppedes Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR am 6. 1. 1972 [31. 1. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. [Leo Sladczyk] [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Notiz über eine Aussprache der Genossen Löffler und Sladczyk in der Parteigruppedes Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR am 6. 1. 1972 [31. 1. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Erich Honecker: Schlußwort auf der 4. Tagung des ZK der SED [17. 12. 1971]. In: Neues Deutschland vom 18. 12. 1971. Zitiert nach Matthias Judt (Hg.): DDR-Geschichte in Dokumenten. Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse. (Schriftenreihe Bundeszentrale für politische Bildung Bd. 350) Berlin 1998, S. 300. 555
hatten, ließ die literarische und künstlerische Intelligenz aufatmen. Doch ihre Hoffnungen setzten sie mehr auf den Wechsel als auf den neuen Mann. Manches würde weiter wirken, aber diese kleinlich bevormundende Art, die Ulbricht charakterisierte, die war mit ihm verschwunden.«171 Die Schriftsteller blickten in das Jahr 1972 mit großen Hoffnungen. In diesem optimistischen Klima wagten die Mitglieder des P.E.N.-Präsidiums den offenen Wortwechsel mit den Vertretern der kulturpolitischen Instanzen; die Klage richtete sich in erster Linie gegen die Organisation des Literaturbetriebs. Gerügt wurde der geringe Bekanntheitsgrad der DDR-Literatur in den westlichen, aber auch den sozialistischen Ländern. Die Kritik zielte insbesondere auf die starre Vertriebsorganisation ins Ausland, die über Deutscher Buch-ImportExport organisiert war und eine rasche Auslieferung verhinderte. Hermlin griff die verfehlte Literaturpolitik der DDR scharf an und monierte die durch eigenes Verschulden provozierte selektive Wahrnehmung der DDR-Literatur im Ausland: »Was ist eigentlich DDR-Literatur? Haben wir nicht eine Auswahl getroffen und die ›unangenehmen‹ Autoren aussortiert (Kunert, Heym). Diese wurden dann praktisch den westdeutschen Verlagen überantwortet, die nun ein Bild der DDR-Literatur im Ausland schufen, das gewissermaßen mit umgekehrten Vorzeichen zustandekam.«172 Er wagte auch den Vorstoß gegen die Publikationsverbote in ganz konkreten Fällen: »Warum kann Kants ›Impressum‹ nicht in der F[rankfurter] A[llgemeinen] Z[eitung] erscheinen? […] Warum muß Heym in der Schweiz publizieren? Sein Lassalle-Roman könnte doch in der DDR erscheinen. Erich Honecker hat mich gefragt, was steht denn darin. Ich sagte ihm es geht um die Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung. Da hat Honecker gesagt: Das kann man doch bei uns veröffentlichen!«173 Auch wenn Kant Hermlins Einwand im Hinblick auf seinen eigenen Roman mit ideologischen Vorbehalten gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu begründen suchte, so war die kritische Frage doch laut und deutlich formuliert. Zur Sprache kam schließlich die Ausreisepolitik der DDR. Die diesbezüglichen Äußerungen behandeln nicht die mangelnde Erteilung von Reisegenehmigungen; sie zeugen vielmehr von dem enormen mentalen Druck, der auf jene ausgeübt wurde, die reisen durften. Christa Wolf forderte, den Kulturvertretern der DDR mehr Vertrauen entgegen zu bringen:»Man sollte mit dem Mißtrauen Schluß machen. Wenn man in die BRD fuhr, mußte man schwören, daß man kein Interview gibt, mit keinem spricht und sich da und dort nicht sehen läßt. Ich 171 172
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Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 262. Wortbeitrag von Stephan Hermlin. In: [Leo Sladczyk] [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Notiz über eine Aussprache der Genossen Löffler und Sladczyk in der Parteigruppe des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR am 6. 1. 1972 [31. 1. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Wortbeitrag von Stephan Hermlin. In: [Leo Sladczyk] [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Notiz über eine Aussprache der Genossen Löffler und Sladczyk in der Parteigruppe des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR am 6. 1. 1972 [31. 1. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922.
habe mich peinlich daran gehalten und habe immer regelrechte Angst bekommen, wenn einer von mir etwas wollte. So habe ich den Villon-Preis, den jetzt Jurek Becker völlig berechtigt erhielt, ohne zu überlegen abgelehnt, als er mir angetragen wurde.«174 Ähnlich ließ sich Hermlin vernehmen: »Du warst zwar einerseits in der BRD, durftest aber andererseits dort nicht anwesend sein. Das ist doch Schizophrenie.«175 Während einige Präsidiumsmitglieder demnach eine grundsätzliche Debatte über den Literaturbetrieb anstrebten, konzentrierten sich Ilberg und Kamnitzer auf die P.E.N.-Arbeit. Sie nutzten die avisierte Mobilisierung des P.E.N.-Clubs für die DDR-Politik, um ihrerseits konkrete Forderungen zur Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten zu stellen: Wenn der PEN aktiver und beweglicher werden soll, muß die Prozedur der Reisegenehmigung vereinfachtwerden.Weniger Unterschriften.Wir brauchenein Bulletin in Englisch und Französisch, um international noch wirksamer werden zu können. Eine größere Aktivität erfordert natürlichauch mehr Devisen. Zur Zeit ist der Weg unserer Post zu lang. Kann man das nicht ändern? Wir können manchmal gar nicht reagieren, weil die Zeit zu vernünftigen Überlegungen und Vorbereitungen bereits fehlt.176
In Sladczyks Notiz zum Gesprächsverlauf sind lediglich die Äußerungen der Präsidiumsmitglieder notiert. Ob und in welcher Weise die Mitarbeiter der Abteilung Kultur auf die Klagen der Präsidiumsmitglieder reagierten, bleibt ungewiss. Eine handschriftliche Notiz über den Verlauf der Besprechung vermerkt eine »Gesamteinschätzung: Positive Haltung – der größte Teil will mit uns arbeiten, fassen den VIII. Parteitag + 4. Plenum als ›neuen Wind‹ auf.«177 Es habe »an keiner Stelle Widerspruch zu [d]en ku[ltur]po[litischen] Prinzipien«178 gegeben. Als konkretes Ergebnis der Aussprache wurde lediglich die einstimmige Wahl von Heinz Kahlau zum Sekretär der Parteigruppe des Präsidiums festgehalten.179 174
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Wortbeitrag von Christa Wolf. In: [Leo Sladczyk] [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Notiz über eine Aussprache der Genossen Löffler und Sladczyk in der Parteigruppe des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR am 6. 1. 1972 [31. 1. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Wortbeitrag von Stephan Hermlin. In: [Leo Sladczyk] [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Notiz über eine Aussprache der Genossen Löffler und Sladczyk in der Parteigruppe des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR am 6. 1. 1972 [31. 1. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Wortbeitrag von Werner Ilberg und Heinz Kamnitzer. In: [Leo Sladczyk] [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Notiz über eine Ausspracheder Genossen Löffler und Sladczyk in der Parteigruppe des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR am 6. 1. 1972 [31. 1. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Information über PEN-Präsidiumssitzung [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/ 2.024/2 Fiche 1 und 2. Information über PEN-Präsidiumssitzung [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/ 2.024/2 Fiche 1 und 2. Vgl. hierzu auch mündliche Aussagen von Heinz Kahlau. In: Deutsches P.E.N.Zentrum (Ost) (Hg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92. Dokumentation nach Tonbandkassetten. Berlin 1992, S. 185–187. Deutlich wird hier die Diskrepanz zwischen 557
Mit der Einsetzung eines Parteigruppensekretärs war die Sicherung einer kontinuierlichen und strukturierten Arbeit der Parteigruppe intendiert. Im Aktenmaterial spielt Kahlau in seiner Funktion als solcher eine untergeordnete Rolle; es sind kaum Hinweise auf seine Aktivität enthalten. Maßgeblich hängt das sowohl mit der grundlegenden Anlage als auch der zeitlichen Begrenztheit dieser Aufgabe zusammen, die Kahlau aus der Erinnerung heraus folgendermaßen beschreibt: Ich hatte, über das Sekretariat des PEN, die Versammlungen einzuberufen, hatte diese zu leiten und danach einen mündlichen Bericht zu geben. Protokolle wurden von mir nicht angefertigt. […] Ich hatte an den Präsidiumssitzungen mit beratender Stimme teilzunehmen. […] Mehrmals bei meinen mündlichen Berichten wurde mir vorgehalten, daß ich die Ergebnisse der Versammlungen zu wenig im Sinne der Anweisungen beeinflusst hätte. Eines Tages wurde mir mitgeteilt, daß die Parteigruppe aufgelöst sei. Damit war ich diesen Posten los und niemals kam jemand wieder darauf zu sprechen.180
Die Einsetzung von Heinz Kahlau in das Amt des Parteigruppensekretärs hatte möglicherweise einen »pädagogischen« Hintergrund – sie könnte als eine Art parteiliche Bewährungsprobe gemeint gewesen sein. Kahlaus parteipolitischer Weg war durchaus Schwankungen unterworfen: 1948 in die SED eingetreten, wurde Kahlau bereits 1949 wieder von der Mitgliederliste gestrichen.181 Sein Wiedereintritt in die SED fiel zeitlich mit seiner Wahl zum Sekretär der Parteigruppe zusammen: »Ein Mitglied der SED war der strikten Parteidisziplin verpflichtet. Das wurde mir klar gemacht, als ich 1949 von der Mitgliederliste gestrichen wurde. Als ich in den siebziger Jahren zum 2. Mal Mitglied dieser Partei wurde, unterwarf ich mich dieser Forderung bewusst, um meinen Freunden zu zeigen, daß nicht die Vorteile der Parteilosigkeit mein Verhalten bestimmten.«182 Wann genau die Auflösung der Parteigruppe innerhalb des Präsidiums vorgenommen wurde, ist anhand des vorhandenen Quellenmaterials nicht zu bestimmen. Die reale Aktivität des Gremiums ist nur punktuell feststellbar. 7.4.2
… und die konkreten Auswirkungen auf die (inter)nationale P.E.N.-Arbeit (1972/73)
7.4.2.1 Durchsetzung einer Resolution für die Aufnahme der DDR in die UNESCO, April 1972 Die Ergebnisse der ersten Exekutivkomitee-Tagung, die im April 1972 unter Heinrich Bölls Vorsitz in London stattfand, konnte von den DDR-Delegierten als Erfolg verbucht werden. Die neue Präsidentschaft veränderte den Ton – gleichwohl blieben die Kontrahenten dieselben. Die ideologische Barriere zwi-
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persönlicher Erinnerung und Aktenlage. Kahlau datiert die Installierung der Parteigruppe irrtümlicherweise auf die Folgezeit der Biermann-Ausbürgerung. Schriftliche Mitteilung von Heinz Kahlau an die Autorin vom 24. 7. 2003. Vgl. Andreas Kölling: Heinz Kahlau. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR, S. 403f. Schriftliche Mitteilung von Heinz Kahlau an die Autorin vom 24. 7. 2003.
schen den Delegierten war nicht so leicht zu überwinden. Dennoch sprach Bölls Wunsch, im Internationalen P.E.N. für eine Balance zwischen Ost und West einzutreten, bereits aus seinen Eröffnungsworten sehr deutlich. Der neu gewählte P.E.N.-Präsident mahnte, eingeflochten in seinem Bericht über die Reise durch ˇ die Sowjetunion und die CSSR, eine ausgewogene Betrachtung der Schriftstellerschicksale in aller Welt an; er verwies auf seinen Eindruck, dass dem Schicksal der in Osteuropa inhaftierten Schriftsteller mehr Aufmerksamkeit zukomme als dem von Kollegen in anderen Ländern. Intendiert war von Böll keine Ablenkung von den osteuropäischen Staaten. Ganz im Gegenteil: Er zeigte sich sehr besorgt über die Situation in der Tschechoslowakei. Vor diesem Hintergrund forderte Böll to start a list, or a booklet, in which all writers in prison, in difficulties, under curfew, under publishing restrictions all over the world are listed: from Indonesia to South Africa, Brazil and Greece – and we have to make clear that the last unknown Indonesian intellectual in prison is as important as any Czech or Soviet author. This list would show that the blame is an international one.183
Die persönlichen Begegnungen und Erfahrungen auf seiner Reise hatten ihn zu dem generellen Hinweis bewegt, dass in der Beurteilung und Hilfestellung von Menschen, die unter einen Regime leben, eine behutsame und überdachte Vorgehensweise unentbehrlich sei; man müsse eine wesentliche Tatsache bedenken: [I]t is alright for everyone to take risks for themselves, whether calculated or not, but as soon as it becomes a matter of other’s people’s risk, caution and silence are not cowardice, not even diplomacy. Nobody should take risks for other people, nobody can know exactly what other people risk. I cannot take risks for other people.184
Obgleich Bölls Aussagen eine zurückhaltende Position gegenüber der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten demonstrierten und seine Forderung nach gleichberechtigter Behandlung der Verstöße gegen die Meinungsfreiheit den Kern der steten Kritik am Internationalen P.E.N. aus dem sozialistischen Lager traf, triumphierten Kamnitzer und Hermlin in ihrem Bericht über die Exekutive nicht; sie verwiesen lediglich darauf, dass in einem solchen Bulletin der inhaftierten Autoren die »Gewichtsverteilung zwischen sozialistischen und imperialistischen Staaten klar zum Ausdruck kommen würde«185 . Besonderes Gewicht wurde der Londoner Exekutive aus Sicht der DDRDelegierten durch die Durchsetzung einer Resolution beigemessen, die die For183
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the English-speaking Union, London W.1, on Wednesday, 19th April and Thursday, 20th April, 1972. P.E.N.-Archiv London. Wortbeitrag von Heinrich Böll. In: Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the English-speaking Union, London W.1, on Wednesday, 19th April and Thursday, 20th April, 1972. P.E.N.-Archiv London. Bericht über die Exekutivratstagung des internationalen P.E.N. in London und die nächsten Aufgaben des DDR-PEN-Zentrums (Der Bericht stützt sich auf ein Gespräch mit den Genossen Prof. Kamnitzer und Hermlin am 3. 5. 1972.) SAPMO-BArch vorl. SED 12922. 559
derung der Abteilung Kultur nach außenpolitischer Unterstützung der DDR erfüllte: We welcome that UNESCO has convened a ›Regional Intergovernmental Conference on Cultural Policies of European Member States‹ to take place at Helsinki from June 19th to 28th , 1972. We are glad that International P.E.N. as a non-governmental institution has been invited together with non-member states such as Liechtenstein, San Marino and Vatican City. Since International P.E.N., like UNESCO, is prompted by the spirit of equality and universality, it lends its support to the request that the German Democratic Republic be officially represented as well, mindful that only the practice of non-discrimination can encourage cultural contacts between the states of Europe.186
Im September 1970 hatte der Exekutivrat der UNESCO einen Aufnahmeantrag der DDR abgelehnt.187 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum der Wortlaut der Entschließung die Delegierten irritierte. Die uneindeutige Formulierung ließ offen, ob die Teilnahme von DDR-Vertretern auf der UNESCO-Beratung in Helsinki (Juni 1972) oder die gleichberechtigte Aufnahme der DDR in die UNESCO unterstützt werden sollte. Die im Protokoll wiedergegebene Diskussion dokumentiert die Unsicherheit der Delegierten über den tatsächlichen Inhalt: Ging es um die Unterstützung einer Forderung der DDR-Regierung oder einer Delegation des DDR-P.E.N.? Kritik an der Resolution kam vor allem von den Writers in Exile -Zentren. Pavel Tigrid (Paris) und Josef Josten (London) lehnten die Entschließung wegen ihres hochpolitischen Charakters ab. Auch Theun van Vries (Holland) pflichtete ihnen bei: »[T]his was a matter on a political level between States and outside P.E.N.’s field«.188 Unterstützung erhielten die DDR-Delegierten in erster Linie von den bulgarischen und ungarischen Kollegen – der Zusammenschluss schien dieses Mal zu funktionieren. Es hatte keine vorbereitende Zusammenkunft gegeben, jedoch »enge Konsultationen mit den Vertretern der PEN-Zentren Bulgariens, Ungarns«189 am Rande der Exekutive. Eine Resolution des Writers in Exile-Zentrums, die eine entschlossene Intervention des Internationalen P.E.N. wegen der Situation der Schriftsteller in der Tschechoslowakei forderte, lehnten DDR, Bulgarien und Ungarn – wenn auch in der Minorität – geschlossen ab. Die UNESCO-Resolution wurde von der Exekutive nach kurzer Beratung mit 21 Stimmen bei acht Enthaltungen angenommen. Befürwortet worden war sie 186
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the English-speaking Union, London W.1, on Wednesday, 19th April and Thursday, 20th April, 1972. P.E.N.-Archiv London. Fischer Chronik Deutschland, S. 468. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the English-speaking Union, London W.1, on Wednesday, 19th April and Thursday, 20th April, 1972. P.E.N.-Archiv London. Bericht über die Exekutivratstagung des internationalen P.E.N. in London und die nächstenAufgaben des DDR-PEN-Zentrums (Der Bericht stützt sich auf ein Gespräch mit den Genossen Prof. Kamnitzer und Hermlin am 3. 5. 1972.)[o. D.]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922.
u. a. von Heinrich Böll und Thilo Koch. Die Annahme wertete Kamnitzer als bemerkenswerte Tatsache, »als es sich um einen Präzedenzfall handelte; denn bisher war es nicht üblich, daß der PEN Entschließungen annahm, in denen es sich um Zusammenkünfte von Staatsorganen handelt.«190 Der Einwand der bulgarischen Abgeordneten Leda Mileva, dass sie von der baldigen Aufnahme der DDR in die UNESCO überzeugt sei,191 sollte sich binnen kurzem bestätigen. Nachdem die Vier Mächte Anfang November 1972 zugesagt hatten, den Beitritt der beiden deutschen Staaten in die Vereinten Nationen zu unterstützen, gelang der DDR auch bei ihren Bemühungen um die Aufnahme in internationale Organisationen der Durchbruch. Noch im November 1972 wurde sie als Mitglied in die UNESCO aufgenommen. Das Fazit der DDR-Delegierten im Hinblick auf die Ergebnisse der Londoner Exekutivkomitee-Sitzung zeugte von der Hoffnung auf eine veränderte Situation im Internationalen P.E.N.: Die Annahme der UNESCO-Resolution, »die Tatsache, daß es keine Entschließung gegen die Sowjetunion und nur eine abgemilderte CSSR-Resolution gegeben hat, scheinen uns für den Augenblick von einem neuen Klima zu zeugen.«192 Kamnitzer schien nach einem Bericht von IM »Martin«, d. i. Hermann Kant, geneigt, »die bisherige Einschätzung der DDR zum Generalsekretär des Internationalen PEN David CAVER [sic] zu revidieren. CAVER hätte sich sehr für die DDR eingesetzt. Wir müssten sein ab und zu hin und her gerissenes Auftreten verstehen, er könne nicht immer so wie er wolle.«193 Mit der Durchsetzung der UNESCO-Resolution war ein erster Durchbruch bei der Unterstützung der Regierung auf dem Weg zur internationalen Anerkennung gelungen: Das DDR-Zentrum schien innerhalb der internationalen P.E.N.Gemeinschaft mehr und mehr akzeptiert; es gab deutlich weniger Vorbehalt. In der nachbereitenden Aussprache mit dem ZK der SED über die Ergebnisse der Exekutive stand die zukünftige Kontaktpflege mit ausländischen P.E.N.-Zentren im Mittelpunkt. Auf der Tagung hatte es Signale gegeben, die auf ein verstärktes Interesse an der DDR und ihren Autoren hindeuteten: Konkrete Einladungen gegenüber den Vertretern der DDR waren von Finnland, Schweden, Holland und der Bundesrepublik auf der Exekutive ausgesprochen worden. Derlei Kontakte entsprachen exakt der Zielvorgabe der Abteilung Kultur. In der Folge wurde mit Finnland ein Delegationsaustausch vereinbart; zunächst sollten die DDR-Vertreter nach Finnland reisen. In der Beziehung zum bundesdeutschen 190
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Heinz Kamnitzer: Berichtüber die Tagung des InternationalenPEN-Exekutivkomitees in London vom 19.–20. April 1972 [9. 5. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the English-speaking Union, London W.1, on Wednesday, 19th April and Thursday, 20th April, 1972. P.E.N.-Archiv London. Heinz Kamnitzer: Berichtüber die Tagung des InternationalenPEN-Exekutivkomitees in London vom 19.–20. April 1972 [9. 5. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IM »Martin« am 5. 5. 1972 [8. 5. 1972]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/4, Bl. 52– 56, hier Bl. 52. 561
P.E.N. ließ man Vorsicht walten: Eine Entscheidung über den Besuch der Jahresversammlung im Jahr 1973 wurde zurückgehalten; es sei die Entwicklung des Verhältnisses zwischen beiden deutschen Staaten abzuwarten.194 Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR waren bis Ende 1971 im Zuge der Ost-West-Entspannungspolitik erste vertragliche Regelungen getroffen worden, u. a. ein Transitabkommen, Vereinbarungen über Erleichterungen und Verbesserungen des Reise- und Besucherverkehrs sowie zur Regelung von Grenzfragen und ein Post- und Fernmeldeabkommen.195 Deren Inkrafttreten stand jedoch in direktem Zusammenhang mit der Ratifizierung der Ostverträge. Zum Zeitpunkt der Londoner Exekutive im April 1972 war dieser Prozess noch nicht abgeschlossen. Erst im Mai 1972 gelang es, die Annahme der Ostverträge im deutschen Bundestag durchzusetzen.196 Am 21. Dezember 1972 unterzeichneten Egon Bahr197 und Michael Kohl198 schließlich den Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik.199 Obwohl die Vertreter des P.E.N.-Zentrums DDR vor dem Hintergrund der schwebenden Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Staaten von allzu engen Beziehungen zum P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik absahen, wurde in London ein Austausch von Autoren von Fall zu Fall in Aussicht genommen: Der neue Präsident des bundesdeutschen P.E.N., Hermann Kesten, sollte nach Berlin eingeladen werden; angedacht war die Einladung von Siegfried Lenz zu einer Lesung; Hermlin nahm Einladungen zu Lesungen im geschlossenen P.E.N.-Rahmen für Darmstadt und Köln im September 1972 an,200 sagte jedoch wenige Tage vor Antritt seiner Reise aus gesundheitlichen Gründen ab.201 Während die deutsch-deutschen P.E.N.-Beziehungen trotz der politischen Fortschritte nahezu zum Erliegen kamen, gab es Kontakte zu anderen europäi194
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Vgl. Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Internationalen PEN-Exekutivkomitees in London vom 19.–20. April 1972 [9. 5. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Vgl. Fischer Chronik Deutschland, S. 478f. Vgl. Fischer Chronik Deutschland, S. 488. Egon Bahr war von 1969 bis 1972 Staatssekretär im Bundeskanzleramt der Bundesrepublik Deutschland. Michael Kohl war von 1968 bis 1973 Staatssekretär für westdeutsche Fragen beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR und Verhandlungsführer der DDR in den Verhandlungen zum Transitabkommen, zum Verkehrs- und zum Grundlagenvertrag DDR–Bundesrepublik Deutschland. Vgl. Helmut Müller-Enbergs und Bernd-Rainer Barth: Michael Kohl. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 452. Vgl. Fischer Chronik Deutschland, S. 503. Vgl. Bericht über die Exekutivratstagung des internationalen P.E.N. in London und die nächstenAufgaben des DDR-PEN-Zentrums (Der Bericht stützt sich auf ein Gespräch mit den Genossen Prof. Kamnitzer und Hermlin am 3. 5. 1972.)[o. D.]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Vgl. auch Stephan Hermlin an Thilo Koch [28. 7. 1972]. P.E.N.Archiv Darmstadt. Vgl. Stephan Hermlin an Deutsches P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) [11. 9. 1972]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
schen Zentren zumindest von Fall zu Fall. Im Mai 1972 hatte Kamnitzer noch einmal das Ansinnen bekräftigt, Verbindungen im europäischen Raum aufzunehmen bzw. auszubauen: Wir müssen nunmehr mit allem Nachdruck die Besuche betreiben, die seit langem zur Debatte stehen, bzw. beschlossen sind. Rücksprachen in London mit Delegierten aus Finnland, Holland, Schweden, Belgien u. a. haben wiederum gezeigt, daß es nur an unserer Initiativeliegen wird. Ich gebe jedoch zu bedenken, ob es nicht am besten wäre, unsere Generalversammlung, die wir etwa Mitte Oktober durchführen sollten, mit einer Einladung an Präsidenten und Generalsekretäre der europäischen PEN-Zentren zu verbinden. Mir scheint die Zeit dafür reif.202
Bislang war die Kontaktpflege mit anderen europäischen P.E.N.-Zentren nur schleppend angelaufen. Ein Kontakt mit dem niederländischen P.E.N. bestand seit 1970. Die Konkretisierung von Einladungen einer Delegation nach Holland wurde durch die DDR-Seite hinausgezögert. So ließ Theun de Vries im April 1972 verlauten: »Es läuft noch immer eine Einladung unseres Zentrums an die [sic] PEN der DDR!«203 Auch nach Kamnitzers erneuter Beschwörung der europäischen Verbindungen im Mai 1972 ließ deren Aufnahme auf sich warten: Erst im September 1973 folgte das Ehrenmitglied des französischen P.E.N.-Zentrums, Yves Gandon, einer Einladung des P.E.N.-Zentrums DDR nach Ost-Berlin. Empfangen wurde Gandon durch Keisch und Ilberg. Für den einwöchigen Aufenthalt hatte man ein Kulturprogramm allererster Güte zusammengestellt. Auf dem Programm standen nicht nur Berlin und seine Sehenswürdigkeiten, sondern auch Weimar, Dresden, Meißen und Potsdam. Programmatische Gespräche standen im Hintergrund. Das Bemühen um die Zeichnung eines repräsentativen Bildes von der DDR stand unübersehbar an erster Stelle. Lediglich am letzten Besuchstag kam es zu einem Treffen mit Kamnitzer, bei dem internationale P.E.N.-Angelegenheiten zumindest zur Sprache kamen.204 Ein Besuch der ungarischen P.E.N.-Freunde, avisiert für den Herbst 1973, wurde erst im darauf folgenden Jahr realisiert.205 Zusammenkünfte mit den Vertretern anderer europäischer P.E.N.-Zentren unabhängig von den Veranstaltungen des Internationalen P.E.N. kamen somit nur sehr sporadisch zustande. Die Entwicklungen auf außenpolitischer Ebene machte sich das P.E.N.-Zentrum DDR demnach kaum zunutze und wurde dem Anspruch der kulturpolitischen Instanzen damit nur mäßig gerecht. Mit dem Abschluss des Grundlagenvertrages hatte sich die außenpolitische Situation der DDR maßgeblich verändert. Zwar war die DDR noch immer nicht 202
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Heinz Kamnitzer an Werner Ilberg [17. 5. 1972]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1972–1974/I/Ilberg Werner 1. Theun de Vries an Werner Ilberg [8. 4. 1973]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Intern. PEN London + Intern. Zentren 1969–1973/H/Holland 18. Vgl. Protokollarische Aufzeichnungen des Berichtes von Pierre Baron über den Besuch von [Yves] Gandon. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Int. PEN London – Intern. Zentren 1969–1973/F/France 5 und 5a. Henryk Keisch an alle Präsidiumsmitglieder [30. 7. 1974]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1972–1974/M/Ministerium für Kultur 2 und 2a. 563
völkerrechtlich anerkannt. Zumindest aber hatte die DDR ein »entscheidendes Ziel ihrer Politik erreicht, ihre Souveränität und ihre Grenzen waren anerkannt.«206 Dies drückte Artikel 6 des deutsch-deutschen Grundlagenvertrages deutlich aus: »Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik gehen von dem Grundsatz aus, daß die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten sich auf sein Staatsgebiet beschränkt. Sie respektieren die Unabhängigkeit und Selbständigkeit jedes der beiden Staaten in seinen inneren und äußeren Angelegenheiten.«207 Ost-Berlin gelang der außenpolitische Durchbruch. Die Bundesregierung hatte den Widerstand gegen die internationale Aufwertung der DDR aufgegeben. Die Entwicklung, die sich 1969 in Gang gesetzt hatte, beschleunigte sich nun um ein Vielfaches. Immer mehr Staaten nahmen diplomatische Beziehungen zur DDR auf. Waren es 1969 viele Regierungen des Nahen Ostens, 1970/71 vor allem afrikanische und südamerikanische Staaten, die der DDR Anerkennung signalisierten, erklärten bereits im Dezember 1972 auch zahlreiche europäische Länder wie Schweiz, Schweden, Österreich und Belgien die Aufnahme diplomatischer Verbindungen mit der DDR.208 Nach der positiv bewerteten Teilnahme an der Londoner Exekutive nahmen vor allem zwei Dinge das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR in Anspruch: Zum einen die Organisation der eigenen Generalversammlung, die auf den 17. Oktober 1972 festgesetzt worden war; zum anderen die Vorbereitung der Teilnahme an der internationalen Exekutivkomitee-Sitzung, die für den Herbst 1972 in West-Berlin angesetzt worden war. 7.4.2.2 Positionsbestimmung auf der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR, Oktober 1972 Die vorbereitenden Maßnahmen für die Mitgliederversammlung verliefen nach dem üblichen Schema: Der Ablauf wurde in Absprache mit der Abteilung Kultur des ZK der SED akribisch geplant. Im Mittelpunkt stand dabei die Zuwahl neuer Mitglieder; es ging vor allem um die »Frage der Verjüngung«209 . Auf einer Präsidiumssitzung im Juni 1972 benannte Ilberg als mögliche Kandidaten: Annemarie Auer, Sarah Kirsch, Jürgen Kuczynski, Lothar Kusche, Eduard Zak, Fred Wander, John Peet und Fritz Klein. Zur Diskussion stand auch die Erweiterung des Mitgliederstandes über Belletristen hinaus durch Germanisten und Journalisten, die von den Anwesenden einmütig begrüßt wurde. Diese Zielsetzung entsprang möglicherweise einer strategischen Überlegung. Die Mitgliedschaft von Journalisten konnte zumindest theoretisch eine wirk206 207
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Weber, S. 394. Der Grundlagenvertrag. Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Deutschen DemokratischenRepublik. Seminarmaterial des Gesamtdeutschen Instituts. Bonn 1973, S. 3. Zitiert nach Weber, S. 394. Fischer Chronik Deutschland, S. 509. Protokollzur Präsidiumssitzungam 12. Juni 1972, 15 Uhr [o. D.]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922.
same Öffentlichkeitsarbeit erleichtern. In der Präsidiumssitzung wurden »[p]rovisorisch […] einige Namen genannt: Robert Weimann, Helmut Hock, Gerhard Wolf, Friedrich Dieckmann, Fritz Mierau, Jurek Becker, Fritz Rudolf Fries.«210 Dabei handelte es sich aber keineswegs um eine endgültige Liste; weitere »Überlegungen jedes Einzelnen«211 sollten damit angeregt werden. Mit Ausnahme von Weimann und Hock wurden die provisorischen Vorschläge schließlich akzeptiert. Von den übrigen Vorschlägen lehnte Kamnitzer in einer Mitteilung an den stellvertretenden Leiter der Abteilung Kultur, Siegfried Löffler, Fritz Klein und den in einem wechselvollen Verhältnis zur Partei stehenden Gesellschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski212 ab, »weil nicht dem PEN entsprechend«213 . Ende August 1972 lag die Eingabe für das Sekretariat des ZK der SED vor. Die Vorlage präzisierte Anlage und Ziel der Generalversammlung und verwies auf die Verantwortlichkeiten: [ ] Durch die Parteigruppedes PEN-Zentrums DDR ist die politische, ideologischeund organisatorische Durchführung zu gewährleisten. [ ] Die Abteilung Kultur des ZK der SED wird beauftragt, die Durchführung der Generalversammlung zu unterstützen.214
Die für das P.E.N.-Zentrum DDR formulierten Ziele entsprachen der bekannten Notation. Aufgabe der Organisation sollte es sein 1. gegen die reaktionären Tendenzen im Internationalen PEN anzukämpfen und 2. für die von der Reaktion verfolgtenund zum Teil sogar eingekerkerten Schriftsteller einzutreten, 3. die fortschrittlichen Tendenzen im Internationalen PEN zu unterstützen, 4. alles zu tun, um das Ansehen der DDR-Literatur in diesem Gremium zu fördern. Das erfordert eine prinzipienfeste Haltung unserer Delegierten in ihrem Auftreten, insbesondere auch gegen die antisowjetischen und antisozialistischen Strömungen der Exilzentren.215
Mit der Konzentration auf die Exilzentren hatte sich die Stoßrichtung der propagierten Gegenwehr ein wenig verschoben: Als Zielscheibe der Kritik diente nun weniger der internationale Generalsekretär David Carver. Tatsächlich schien Bölls Präsidentschaft das angespannte Verhältnis zwischen Ost-Berlin und London zu entkrampfen. Informationsaustausch und Briefverkehr weisen einen milderen Ton auf; Zusammenarbeit in einzelnen Fällen deutet sich an. 210
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Protokoll zur Präsidiumssitzungam 12. Juni 1972, 15 Uhr [o. D.]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Protokoll zur Präsidiumssitzungam 12. Juni 1972, 15 Uhr [o. D.]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Vgl. Jürgen Kuczynski: »Ein linientreuer Dissident«. Memoiren 1945–1989. Berlin 1999. Heinz Kamnitzer an Siegfried Löffler [29. 9. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Werner Ilberg: Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [30. 8. 1972]. SAPMOBArch vorl. SED 12922. Werner Ilberg: Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [30. 8. 1972]. SAPMOBArch vorl. SED 12922. 565
Die geglückte Beziehungsaufnahme zu P.E.N.-Zentren in »einigen […] kapitalistischen Staaten« sollten nach Ilbergs Vorlage »in der kommenden Periode weiter ausgebaut und auf die Zentren anderer Staaten, wie Belgien, Italien, Norwegen, Schweden, Schweiz, zu denen wir jetzt schon ein korrektes Verhältnis haben, ausgedehnt werden.«216 In Bezug auf das Verhältnis zum bundesdeutschen P.E.N. war man weiterhin zurückhaltend. Eine besondere Beziehung kam nicht in Frage. Gleichwohl wirkten die außenpolitischen Bestrebungen der Bundesrepublik, die sich vor allem auf die Ratifizierung der Ostverträge (Mai 1972) konzentriert hatten und in der Folge eine Intensivierung der Kontakte zur Sowjetunion und Polen ermöglichten, auf die grundsätzliche Einschätzung der eigenen Position im Internationalen P.E.N. aus. Der von Entspannung gekennzeichnete Dialog von Ost und West konnte das Eintreten des DDR-P.E.N. »für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR und das Zustandekommen einer europäischen Sicherheitskonferenz«217 im Rahmen des Internationalen P.E.N. sehr erleichtern. In diese Richtung orientierte sich auch das von Kamnitzer für die Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR konzipierte Referat des Präsidenten mit dem Thema »Europäische Sicherheit und kulturelle Freiheit«; es lag exakt auf der Linie der regierungspolitischen Interessen. Der begonnene Kurs der Konzentration auf den außenpolitischen Einsatz des P.E.N.-Zentrums für die DDR wurde somit unvermindert fortgesetzt. Routinemäßig hatte wenige Tage vor der Generalversammlung ein Treffen der Parteigruppe stattgefunden, in dessen Themenkreis die Einladung zur nächsten internationalen Exekutivkomitee-Sitzung nach West-Berlin breiteren Raum einnahm als die bevorstehende Zusammenkunft des P.E.N.-Zentrums DDR.218 Die Überwachung der Aktivitäten im P.E.N.-Zentrum DDR griff jedoch über die enge Vorbereitung der Generalversammlung in Kooperation mit dem ZK der SED hinaus. Das Ministerium für Staatssicherheit sammelte im Vorfeld der Generalversammlung wesentliche Informationen durch den entsprechend eingesetzten IM »Dichter«, d. i. Paul Wiens.219 Nach Auswertung seiner Angaben wurde IM »Martin«, d. i. Hermann Kant, hinsichtlich einer »Sicherung der
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Werner Ilberg: Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [30. 8. 1972]. SAPMOBArch vorl. SED 12922. Werner Ilberg: Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [30. 8. 1972]. SAPMOBArch vorl. SED 12922. Vgl. Hans-Joachim Hoffmann an Kurt Hager [12. 10. 1972].SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Paul Wiens’ Karriere als Zuträger des Ministeriums für Staatssicherheit hatte im November 1961 begonnen und brach Anfang 1968 ab. Ende 1971 trug Wiens dem Ministerium für Staatssicherheit seine erneute Mitarbeit selbst an. Schon im Januar 1972 schlug Oberleutnant Pönig die Wiederaufnahme der Verbindung mit dem ehemaligen IMS vor. Wiens empfahl sich durch seine russischen, englischen, französischen, italienischen und serbokroatischen Sprachkenntnisse. Vgl. Hans Schiller [Leutnant, Ministeriumfür Staatssicherheit]:Abschlußberichtzum GI-Vorgang »Dichter« [o. D.]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. I/3, Bl. 46f.
Generalversammlung des PEN der DDR«220 instruiert. Besondere Aufmerksamkeit sollte auf der Generalversammlung des Jahres 1972 einem einzelnen Mitglied des P.E.N.-Zentrums DDR zuteil werden: Wolf Biermann war auch 1972 noch Mitglied. Nachdem die Zuwahl von 1965 auch nach den harschen Angriffen auf der Mitgliederversammlung 1970 nicht rückgängig zu machen war, blieb Biermanns Gegnern nichts anderes übrig, als dessen Mitgliedschaft widerwillig zu akzeptieren. Noch Anfang des Jahres 1972 hatte die Abteilung Kultur aus einem Gespräch mit dem Sekretär der Parteigruppe des Präsidiums die Überlegung abgeleitet, »sich zu einem späteren Zeitpunkt und aus gegebenem Anlaß über Kahlau ev. um Biermann wieder zu bemühen.«221 Kahlau hatte in der Unterredung erwähnt, daß er ab und an mit Biermann Kontakt hätte und mit diesem offen spreche. Es sei offensichtlich, daß auch Biermann Möglichkeiten sucht, aus seiner Isolierung herauszufinden. Dies falle ihm aber schwer. Biermann glaubt, durch Veröffentlichungen im Westfernsehen, z. B. über Fragen des antifaschistischen Schutzwalls der DDR zu nutzen. Kahlau hält es für möglich, daß die Zeit kommt, wo man auch mit Biermann wieder reden könnte.222
Von Siegfried Löffler wurde auf der entsprechenden Aktennotiz handschriftlich angemerkt, dass laut Absprache mit Hagers Referentin Hinckel zunächst »keine bes. Initiative« von der Abteilung Kultur ausgehen solle. Die Entwicklung sei »aber immer [zu] beobachten, damit alle Möglichkeiten offen bleiben«223 . Offenbar war jedoch wenige Monate später Biermanns endgültige Kaltstellung auf anderen Wegen beschlossen worden. Geplant gewesen war, Biermann, entsprechend der Absprache unmittelbar nach dem Eklat der Mitgliederversammlung 1970, erst gar keine Einladung zur Generalversammlung im Oktober 1972 zukommen zu lassen, um seine Anwesenheit zu verhindern. Die selektive Versendung der Einladungen zur Generalversammlung war indes misslungen. Der Generalsekretär Ilberg hatte irrtümlich auch an Biermann ein entsprechendes Schreiben gesandt. Innerhalb der Parteigruppe war aus diesem Grund beschlossen worden, einen Sicherungsmechanismus einzubauen: »Sollte Biermann anwesend sein und in irgendeiner Weise Veranlassung zur Auseinandersetzung geben, werden die Genossen Heinz Kahlau und Stephan Hermlin zu 220
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Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit Dichter am 8. 9. 1972 betr. PEN Präsidiumssitzung am 7. 9. 1972 [11. 9. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 209–214, hier Bl. 214. [Leo] Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über ein Gespräch der Genossen [Siegfried] Löffler und Sladczyk mit dem Genossen Heinz Kahlau am 4. 1. 1972. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. [Leo] Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über ein Gespräch der Genossen Löffler und Sladczyk mit dem Genossen Heinz Kahlau am 4. 1. 1972. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Handschriftliche Anmerkung von [Siegfried] Löffler. Enthalten in: [Leo] Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über ein Gespräch der Genossen Löffler und Sladczyk mit dem Genossen Heinz Kahlau am 4. 1. 1972. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. 567
seinem Verhalten Stellung nehmen.«224 Auch das Ministerium für Staatssicherheit war nicht untätig geblieben: »[Z]ur Sicherung einer möglichen Teilnahme von Biermann«225 hatte man einen entsprechenden Hinweis auf die Generalversammlung des P.E.N. an das Referat IV gegeben. Dabei handelte es sich um eine 1969 eingerichtete »Diensteinheit, die sich ausschließlich der operativen Vorgangsarbeit gegen Personen aus dem Kulturbetrieb widmete. Das Referat führte anfänglich zwei bedeutende Vorgänge aus dem Literaturbetrieb: gegen Wolf Biermann (Z[entraler]O[perativer] V[organg] »Lyriker«) und Stefan Heym (O[perativer] V[organg] »Diversant«).226 Die auf Biermann angesetzten P.E.N.Mitglieder Kahlau und Hermlin mussten jedoch nicht in Aktion zu treten. Die Angst vor einem provokativen Auftreten Biermanns war unbegründet. Zwar war Biermann anwesend. Er »sagte in dieser Diskussion [jedoch] nichts, meldete sich lediglich später mit einer Anfrage zu den Wahlvorschlägen zu Wort.«227 Mit dem Verlauf der umfassend vorbereiteten und kontrollierten Mitgliederversammlung zeigte man sich von Seiten der Abteilung Kultur zufrieden: »Der Ablauf der Versammlung entsprach den in der Parteigruppe und mit dem Präsidenten getroffenen Vorbereitungen.«228 Kamnitzer hatte in seinem Referat die Bemühungen des P.E.N.-Zentrums DDR für den stärkeren Einbezug von »Fragen der europäischen Sicherheit in das Wirken der Internationalen PENZentren« und für eine Stärkung des internationalen Ansehens der DDR ebenso hervorgehoben wie die Forderung, »konsequent auf der Grundlage [d]er sozialistischen Position, die Politik unserer Republik offensiv zu propagieren und zu vertreten«.229 Für die DDR-interne Arbeit des P.E.N.-Zentrums in der DDR waren in Ilbergs Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED verbindliche Festlegungen getroffen worden: Intern wird es unsere Aufgabe sein, das literarische Leben unserer Mitglieder zu entwickeln und die bisherigen monatlichen Clubabende mit Lesungen unveröffentlichter Arbeiten unserer Mitglieder durchzuführen und durch vorbereitete Aussprachen über
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Hans-Joachim Hoffmann an Kurt Hager [12. 10. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit Dichter am 8. 9. 1972 betr. PEN Präsidiumssitzung am 7. 9. 1972 [11. 9. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 209–214, hier Bl. 214. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 163. Beim Referat IV handelte es sich um eine Diensteinheit, die im Zuge der Errichtung der Abteilung 7 in der HA XX des Ministeriums für Staatssicherheit eingerichtet worden war. Hauptaufgabe der im September 1969 etablierten »Linie XX/7« war es, »das kulturelle Leben der DDR mit allen seinen Einrichtungen zu kontrollieren und für eine reibungslose Durchsetzung der Kulturpolitik der SED zu sorgen«. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 157. Hans-Joachim Hoffmann an Kurt Hager [31. 10. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Hans-Joachim Hoffmann an Kurt Hager [31. 10. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Hans-Joachim Hoffmann an Kurt Hager [31. 10. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922.
kulturpolitische Probleme zu ergänzen. Die Clubabende stehen nur unseren Mitgliedern offen. Dadurch unterscheidet sich unsere öffentliche Arbeit von der des DSV.230
Wirksamkeit bzw. Nutzen der in diesem engen Rahmen seit etwa 1970 stattfindenden Lesungen sind kaum belegbar. Den Vortragenden bot sich die Möglichkeit, Unveröffentlichtes vor einem kleinen Gremium, vor einer kleinen wohl definierten Öffentlichkeit zu Gehör zu bringen. War damit eine Chance gegeben, potenzielle Schubladenliteratur zu präsentieren? Stand ein Freiraum zur Verfügung? War es der Abteilung Kultur durch entsprechende Instruktion willfähriger P.E.N.-Mitglieder möglich, eine kontrollierte Beeinflussung der Literaturschaffenden im Schaffensprozess einzusetzen? Im Quellenmaterial gibt es wenig Information über diese Clubabende. Sie fanden in regelmäßigen Abständen statt; das belegen die Veranstaltungslisten. Über den Ablauf existieren indes fast keine Berichte oder Aktennotizen, sondern lediglich die wiederkehrenden Klagen über das geringe Interesse der P.E.N.-Mitglieder an den Veranstaltungen.231 Die Frage nach der weiteren Aufrechterhaltung der Clubabende wurde von Ilberg auf der Generalversammlung im Oktober 1972 aufgeworfen. Sie entfachte eine Grundsatzdiskussion über Anlage und Ausrichtung der regelmäßigen Veranstaltungsabende, die die widerstrebenden Ansichten der einzelnen P.E.N.-Mitglieder deutlich machte.232 Während das West-Berliner Mitglied Dinah Nelken für eine Öffnung der Lesungen plädierte und den Grundsatz »Nur für Mitglieder« als »großes Hemmnis«233 empfand, plädierten Keisch und Hermlin einmütig für eine Beibehaltung des »fast privaten Charakters«234 . Hermlin hob die Möglichkeit, ungezwungene Aussprachen zu führen, deutlich hervor: »Es war von Anfang an gedacht an Lesungen und Diskussionen unter Kollegen, ohne Öffentlichkeit, ohne weitere Öffentlichkeit, von noch nicht veröffentlichter Literatur, die die einzelnen vorzulegen haben. Und das gibt uns die Möglichkeit, unter uns zusammenzukommen, wirklich Wesentliches zu hören, was der einzelne macht und ganz ungehindert dort darüber zu diskutieren. […] Öffentliche Lesungen gibt es genug.«235 Günter de Bruyn schloss sich Hermlin an, mutmaßte jedoch, dass das Mitbringen von je einem Begleiter den Rahmen der Veranstaltungen nicht sprengen würde. Keisch zeigte sich einer sol-
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Werner Ilberg: Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [30. 8. 1972]. SAPMOBArch vorl. SED 12922. Vgl. etwa Heinz Kahlau in seinem Bericht für die Revisionskommission auf der Generalversammlung im Oktober 1972. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 60. Vgl. [Protokoll der Generalversammlung 1972]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 60. Vgl. [Protokoll der Generalversammlung 1972]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 60. [Protokoll der Generalversammlung 1972]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 61. [Protokoll der Generalversammlung 1972]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 62. 569
chen Regelung gegenüber einigermaßen aufgeschlossen. Offenbar hatte es in dieser Hinsicht schon früher unverbindliche Absprachen gegeben: »Auf dieser Ebene hatten wir uns schon einmal geeinigt, und dann hat Ilberg lauter geladene Gäste hinausgeworfen!« – so Peter Hacks; er forderte einen deutlichen Beschluss: »Ein Klub ist eine Organisation, wo Mitglieder und ihre Gäste hingehen dürfen. Ich glaube, jeder von uns hat den Geschmack, nur solche Leute hinzubringen, die nicht verhindern, dass die Diskussion noch eine ehrliche und in einem höheren Sinne auch eine interne bleibt!«236 Am Ende der Debatte stand fest: Die Bezeichnung »Clubabende« sollte weiter verwendet werden; »was an diesen Klubabenden stattfindet, darüber soll sich jeder Gedanken machen.«237 Eingeladen werden sollte von nun an mit dem Zusatz »Nur für Mitglieder und deren persönliche Gäste«238 – eine Aufweichung der strengen Begrenzung auf Mitglieder war damit gelungen. In P.E.N.-internen Angelegenheiten hatten sich auf der Generalversammlung 1972 keine entscheidenden Veränderungen ergeben: Als Präsident war schon in Ilbergs Vorlage wiederum Kamnitzer vorgeschlagen worden; das Präsidium stellte sich geschlossen zur Wiederwahl. Die Wahlen von Präsidium und Präsident liefen dementsprechend unspektakulär ab: Nach einer kurzen Auseinandersetzung über den Wahlakt, in der Peter Hacks und Stefan Heym nachdrücklich eine Wahl per Akklamation ablehnten, wurde Kamnitzer in geheimer Wahl mit 20 Stimmen erneut als Präsident bestätigt. Mit Heiterkeit wurde eine zweifache Stimmvergabe für Paul Wiens zur Kenntnis genommen, der gar nicht zur Wahl gestanden hatte. Wiens gab sich zur Erheiterung der Anwesenden »zähneknirschend«239 geschlagen. Auf Vorschlag von Peter Hacks wurde Günter de Bruyn als zusätzlicher Kandidat für das zur Wiederwahl stehende Präsidium benannt. Da mit de Bruyn elf Kandidaten für das Präsidium zur Verfügung standen, vereinbarte die Versammlung wegen der Beschränkung des Präsidiums auf zehn Mitglieder das Ausscheiden desjenigen mit den wenigsten Stimmen. Ausgerechnet Wieland Herzfelde, ein P.E.N.-Mitglied der ersten Stunde, traf diese Regelung. Kamnitzer reagierte auf dieses Ergebnis betroffen: Demokratie in allen Ehren, aber jemanden wie Wieland Herzfelde, der in den 20er Jahren bereits Mitglied des PEN gewesen ist, und der auch sonst, ich möchte fast sagen dem Typ nach, vielleicht besser hineinpasst als mancher von uns, nun herauszuwählen, tut mir in der Seele weh. Ich finde also, wir sollten noch einmal überlegen,daß wir nicht so pingelig sind und uns auf elf Mitglieder für das Präsidium einigen. Und ich möchte
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[Protokoll der Generalversammlung1972]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 63. Wortbeitragvon Henryk Keisch. In: [Protokollder Generalversammlung1972]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 68. [Protokoll der Generalversammlung1972]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 64. Wortbeitrag von Paul Wiens. In: [Protokoll der Generalversammlung 1972]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 72.
auch eines sagen. Wir würden ihn alle sehr schwer missen, weil er eigentlich sozusagen eine Art Ehrenmitglied werden müßte.240
In der Folge wählte die Versammlung Herzfelde in einer offenen Wahl zum Ehrenpräsident.241 Die Revisionskommission bestand nach dem Votum der Mitglieder aus Volker Braun, Paul Wiens und Günter Hofé. Lediglich bei der Wahl der Neuaufnahmen kam es zu einer Unregelmäßigkeit. Auf der vorgefertigten Liste standen Annemarie Auer, Jurek Becker, Friedrich Dieckmann, Peter Biel, Fritz Rudolf Fries, Helmut Hauptmann, Rainer Kerndl, Sarah Kirsch, Lothar Kusche, Karl Mickel, Fritz Mierau, John Peet, Ulrich Plenzdorf, Wolfgang Schreyer, Harry Thürk, Berta Waterstradt, Fred Wander, Robert Weimann, Liselotte Welskopf-Henrich, Gerhard Wolf und Eduard Zak.242 Während der Vorbereitung des Wahlvorganges setzten sich die Mitglieder Alexander Abusch und Otto Gotsche über die geltende Regel hinweg, nach der nur auf schriftlichen Vorschlag mit entsprechender Begründung Kandidaten zur Neuwahl aufgestellt werden konnten; sie schlugen durch Zuruf Helmut Baierl, Helmut Sakowksi und Bernhard Seeger vor. Die spontanen und unvorbereitet eingebrachten Vorschläge erhielten jedoch im Gegensatz zu den übrigen Kandidaten nicht genügend Stimmen.243 Weder die Wahlkommission noch die Versammlung schien sich an der nachträglichen Nominierung der Kandidaten zu stoßen. Von Seiten der Abteilung Kultur wurde ein solches »undisziplinierte[s] Verhalten«244 nachträglich jedoch nicht gebilligt. Hoffmann beabsichtigte ein klärendes Gespräch mit Abusch und Gotsche. In seinem Bericht an Hager verdeutlichte Hoffmann den Plan der Abteilung Kultur, das in seiner Zusammensetzung ambivalente P.E.N.-Zentrum DDR auf lange Sicht hin noch stärker parteilich zu fixieren. Vorgesehen war eine schleichende Einwirkung auf die Mitgliedschaft: »Wir haben eine Vorstellung ausgearbeitet, die gewährleistet, daß das PEN-Zentrum DDR schrittweise in der Zusammensetzung verändert wird und der Anteil der Genossen und Parteilosen, die die Politik unserer Partei konsequent vertreten, sich ständig erhöht.«245
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Wortbeitrag von Heinz Kamnitzer. In: [Protokoll der Generalversammlung 1972]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 79. Vgl. [Protokoll der Generalversammlung 1972]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 81. Vgl. Heinz Kahlau in seinem Bericht für die Revisionskommission auf der Generalversammlung im Oktober 1972. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 83. Vgl. [Protokoll der Generalversammlung 1972]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 1972 in Berlin/Protokoll1–93, hier 92. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant,Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht 27. 10. 1972 [7. 11. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 239–241, hier Bl. 239. Hans-Joachim Hoffmann an Kurt Hager [31. 10. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Hans-Joachim Hoffmann an Kurt Hager [31. 10. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. 571
Die inhaltliche Diskussion der Generalversammlung konzentrierte sich in weiten Teilen auf eine Frage, die in engem Zusammenhang mit der bevorstehenden Exekutivkomitee-Tagung in West-Berlin (November 1972) stand. Laut Agenda sollte dort eine Abänderung der internationalen P.E.N.-Charta beraten werden, die auf Betreiben des bundesdeutschen, finnischen und niederländischen P.E.N.-Zentrums angestoßen worden war. Beim internationalen P.E.N.Sekretariat war von einer gemeinsamen Kommission der bundesdeutschen und niederländischen Sektion ein Zusatz zur Charta eingereicht worden, der eine zeitgemäße Ergänzung der ursprünglichen Grundsätze bieten sollte.246 Vor dem Hintergrund der weltgeschichtlichen Entwicklung wurde die Verpflichtung des Schriftstellers zu größerer sozialer und politischer Verantwortlichkeit dabei herausgestellt. Politische Stellungnahme sei vor dem Hintergrund der weltgeschichtlichen Entwicklung für den Schriftsteller ganz und gar unumgänglich: »Mitglieder des PEN können angesichts der allgemeinen sozialen Veränderungen nicht neutral bleiben.«247 Auf der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR ging es in erster Linie nicht um die Inhalte des Abänderungsvorschlags; die politische Verantwortung des Schriftstellers stand nicht zur Debatte. Zwar wurde vereinzelt Unzufriedenheit mit der geltenden Charta geäußert; sie basiere auf grundlegend veränderten Voraussetzungen. Gestritten wurde jedoch um die Position, die zu einer internationalen Auseinandersetzung um das Grundsatzpapier des Internationalen P.E.N.-Clubs eingenommen werden sollte. Wieder einmal ging es um die generelle Positionierung des Ostens innerhalb des internationalen P.E.N.-Gefüges. Kamnitzer sah zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Grundsatzdiskussion der P.E.N.-Charta als verfehlt an und befürwortete deren Ablehnung durch das P.E.N.-Zentrum DDR. Auch Wieland Herzfelde plädierte im Hinblick auf die im Gang befindlichen Veränderungen in der europäischen Politik für eine Zurückstellung der internationalen Debatte über die Charta.248 Dieser Haltung schlug indes Kritik aus den eigenen Reihen entgegen. Einer Erörterung der Charta nur mit einem harschen »Nein« entgegen zu treten, schien einigen im Hinblick auf die Position im Internationalen P.E.N. eine ungeschickte, wenn nicht gar schädliche Stellungnahme. So mahnte Stefan Heym eine kooperativere Haltung an: Ich glaube nicht, daß wir uns, indem wir alle Änderungen ablehnen, uns da viele Freunde machen werden erstens und zweitens, daß wir damit eine konservative Haltung einnehmen, die uns gar nicht steht: denn auch wir sind doch, wenn ich mich nicht täusche, wenn auch schon angegraut, revolutionär.
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Vgl. Entwurf [zur Veränderung der PEN-Charta] [Abschrift] [o. D.]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 189. Entwurf [zur Veränderung der PEN-Charta] [Abschrift] [o. D.]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 189. Wortbeitrag von Wieland Herzfelde. In: [Protokoll zur Generalversammlung 1972]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 14.
Ich meine, wir sollten wenigstens folgendes unternehmen, uns diese […] Vorschläge ganz gründlich zu überlegen und sie dort, wo sie unklar sind oder wo sie Gefahren bergen für die Revolution, umzuformulieren suchen. Ich bin überzeugt, daß man bei den anderen Kollegen im PEN da sicher ein offenes Ohr finden wird, und das würde auch dem sehr guten Grundsatz entsprechen, den Kamnitzer ausgesprochen hat, nämlich, daß wir gesteigert und im gesteigerten Maße mitarbeiten im Internationalen PEN und im PEN-Leben überhaupt.249
Der Versammlungsleiter Keisch spitzte Heyms Vorschlag zu; er forderte »einen neuen Entwurf mit all dem, was aus dem alten Text und dem heute Notwendigen für uns erkennbar ist«: »Dann sind wir weder konservativ, noch lassen wir uns auf diesen allzu platten Boden locken, der uns bereitet ist.«250 Ähnlich urteilte auch Kurt Stern. Man könne »nicht unvorbereitet nur mit einem Nein [nach Berlin] kommen«251 ; konkrete Verbesserungsvorschläge seien unabdinglich. Peter Hacks forderte Aktivität, um die eigene Position zu behaupten: Es ist einfach so, wir würden jetzt eine neue Charta bekommen, die ganz und gar nicht unsere, sondern die ganz und gar die Charta der Westseite ist. Mit wie guten Absichten auch immer – es wären die guten Absichten der anderen Seite! Deswegen meine ich auch, es ist erstens nicht möglich, sie anzunehmen, wie sie ist, und zweitens scheint es so zu sein, als ob die Diskussion nicht aus der Welt zu schaffen geht. Also bleibt uns übrig ein Gegenschmus, wobei ich damit meine, unsere Meinung so verbindlich wie möglich und für andere Menschen so akzeptabel wie möglich zu formulieren, also unsere Meinung – jetzt lasse ich den Begriff ›Schmus‹ beiseite – natürlich auf der Basis der Koexistenz formulieren.252
Im Blick hatte Hacks dabei eine Kooperationsform, aus der die noch immer akute Konfrontation zwischen Ost und West deutlich sprach: »Ich glaube auch, daß es nicht hilft, und ich glaube, daß ein, zwei oder mehrere sozialistische PEN sich zusammensetzen müssen und eine Gegenaktion – Parallelaktion heißt es – starten müssen. Wir müssen auch einen Vorschlag machen, nicht einer allein und nicht wir hier, sondern wer immer es tut: einer von uns.«253 Auch Otto Gotsche sah nur in einer konzertierten, gemeinsamen Aktion der sozialistischen Zentren eine Aussicht auf Erfolg. Eine bindende Entscheidung über die Position, die die Delegierten des P.E.N.-Zentrums DDR auf der Exekutive in West-Berlin vertreten sollten, wurde von der Mitgliederversammlung letztlich nicht getroffen. Unabhängig von der Diskussion innerhalb des P.E.N.-Zentrums DDR zeigte sich das Ministerium für Staatssicherheit über die bevorstehende Auseinandersetzung im Internationalen P.E.N. gut informiert. Der Entwurf der deutsch249
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Wortbeitrag von Stefan Heym. In: [Protokoll zur Generalversammlung 1972]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 10. Wortbeitrag von Henryk Keisch. In: [Protokollzur Generalversammlung1972]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 27. Wortbeitrag von Kurt Stern. In: [Protokoll zur Generalversammlung 1972]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 32. Wortbeitrag von Peter Hacks. In: [Protokoll zur Generalversammlung 1972]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 29. Wortbeitrag von Peter Hacks. In: [Protokoll zur Generalversammlung 1972]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1972 in Berlin/Protokoll 1–93, hier 29. 573
niederländischen Kommission lag vor, ebenso wie weiteres Material für die bevorstehende Exekutive. Als notwendige Maßnahme wurde vorgeschlagen, das »Material ohne detaillierte Auswertung der vorliegenden Information der Partei zur Verfügung zu stellen, um eine koordinierte Verhaltenskonzeption der Vertreter der sozialistischen Staaten im Internationalen PEN zu diesen Vorschlägen zu beraten«.254 Überlagert wurde die Frage von der generellen Problematik, die sich aus Kamnitzers Sicht mit der Entscheidung zur Abhaltung einer internationalen P.E.N.-Veranstaltung in West-Berlin verband. 7.4.2.3 Im Zeichen der DDR-Abgrenzungspolitik: Internationale Exekutive in West-Berlin, November 1972 Seit September 1972 war die Exekutive auf West-Berliner Terrain Gegenstand der Besprechungen zwischen Kamnitzer und dem Präsidium, sowie der Abteilung Kultur des ZK der SED. Die Ausrichtung der für November geplanten Exekutive des Internationalen P.E.N., die ursprünglich in Manila hatte stattfinden sollen, war aufgrund mehrheitlichen Einspruchs an das P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik übertragen worden. Als Tagungsort hatte Heinrich Böll West-Berlin vorgesehen. Diese Wahl wurde von Seiten der DDR mit Misstrauen beäugt. Zwar hatten die Außenminister der Vier Mächte Anfang Juni 1972 das Schlussprotokoll zum Berlin-Abkommen unterzeichnet. Damit waren die 1970 begonnenen Gespräche über eine »Berlin-Regelung« beendet worden. Mit diesem Abkommen waren die engen und besonderen Bindungen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin anerkannt worden. West-Berlin galt allerdings nicht als Bestandteil der Bundesrepublik und war nicht den Weisungen der Bundesregierung unterstellt. Die DDR reagierte darauf mit der Fortsetzung ihrer strikten Abgrenzungspolitik gegenüber der Bundesrepublik: »Ab 6. 6. [1972] sind Bundesbürger verpflichtet, beim Besuch Ost-Berlins statt der bisherigen Aufenthaltsgenehmigung ein reguläres DDR-Visum vorzuweisen. – Am 15. 6. wird eine neue Grenzordnung erlassen, die ab 1. 9. in Kraft tritt.«255 Für das P.E.N.-Zentrum DDR stand die generelle Teilnahme an einer Exekutive in West-Berlin zur Disposition. Der Beantwortung dieser grundsätzlichen Frage wurde im Hinblick auf die Außenpolitik der DDR strategische Bedeutung beigemessen. Die auseinanderstrebende Politik der beiden deutschen Staaten kam bei den Überlegungen überdeutlich zum Tragen: Von bundesrepublikanischer Seite wurde seit Brandts Regierungsübernahme vieles daran gesetzt, den Gedanken an eine deutsche Nation zu erhalten, der auch im Grundlagenvertrag klar zum Ausdruck gebracht worden war: »[…] die Regierung der Bundesrepublik Deutschland [beehrt sich] festzustellen, daß dieser Vertrag nicht im 254
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Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information betr. Präsidiumssitzung 12. 6. 1972 [15. 6. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 186–189, hier Bl. 188. Fischer Chronik Deutschland, S. 508.
Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.«256 Demgegenüber strebte die DDR verstärkt nach Autonomie. Man war ängstlich bemüht, jeglichen Eindruck einer deutsch-deutschen Gemeinschaftlichkeit zu vermeiden. So fiel auch die in Absprache mit der Abteilung Kultur festgelegte Antwort auf Bölls freundschaftlich gemeintes Angebot, einen Teil der Veranstaltungen nach Ost-Berlin zu verlegen, negativ aus: »In der Hauptstadt der DDR Berlin sind keinerlei Veranstaltungen der Exekutivtagung durchzuführen, um eine eindeutige Ablehnung jedes sogenannten ›gemeinsamen oder gesamtdeutschen Charakters‹ zu demonstrieren.«257 Diese Haltung wurde von den Präsidiumsmitgliedern mitgetragen; man war »einstimmig der Ansicht […], daß es nicht in Frage kommt, daß das PEN Zentrum der DDR sich an dieser Aktion beteiligt. Abgesehen davon, daß keine paritätische Zusammensetzung des Veranstaltungsplanes gewährleistet ist, ist auch nach Ansicht aller Präsidiumsmitglieder nicht die politische Voraussetzung zu dem Vorhaben des W[est]D[eutschen]-PEN gegeben. Es wird von allen als eine Provokation betrachtet.«258 Dass die Präsidiumssitzung erst nach Absprache zwischen Kamnitzer und der Abteilung Kultur stattfand, sei nur am Rande vermerkt. Die Frage nach der tatsächlichen Entscheidungsmacht des Präsidiums stellt sich in diesem Zusammenhang verstärkt. Vorausgegangen war der abschlägigen Entscheidung ein ausführlicher Briefwechsel zwischen Kamnitzer und Böll. Obgleich Kamnitzer den freundlichen Vermittlungsversuch des internationalen P.E.N.-Präsidenten Böll durchaus anerkannte, machte er in einem privaten Brief an ihn seine Bedenken gegenüber einer Tagung in West-Berlin deutlich: Das PEN-Zentrum der Bundesrepublik ist der Gastgeber, jedoch nicht, wie üblich, innerhalb des eigenen Landes. Es hat einen Ort vorgezogen, der geographisch und völkerrechtlich außerhalb liegt und über den man sich als Stätte für Internationale Tagungen mit den Institutionen und Organisationen in den sozialistischen Staaten bisher nicht geeinigt hat. Jedoch nicht nur aus diesem Grunde ist Westberlin weiterhin ein ›sensitive spot‹ – keineswegs im guten Sinne des Wortes. Nirgendwo anders ist der politische Missbrauch so wahrscheinlich wie dort, wo immer noch Parteien lauthals oder hinter der vorgehaltenenHand meinen, man sei hier auf Vorposten,um gen Osten Licht in die Finsternis auszustrahlen. Nirgendwo anders kontrolliert und lenkt das Haus Springer so konkurrenzlos die öffentliche Meinung im Sinne eines erbarmungslosen Feldzuges gegen die europäische Entspannung und eines heiligen Kreuzzuges wider die sozialistischen Staaten. 256
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Der Grundlagenvertrag. Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Deutschen DemokratischenRepublik. Seminarmaterial des Gesamtdeutschen Instituts. Bonn 1973, S. 4. Zitiert nach Weber, S. 394. Siegfried Löffler [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über eine Aussprache mit dem Präsidenten des PEN-Zentrums DDR Genossen Prof. Dr. Kamnitzer am 5. 9. 1972 [6. 9. 1972]. SAPMO-BArch vor. SED 12922. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit Dichter am 8. 9. 1972 betr. PEN Präsidiumssitzung am 7. 9. 1972 [11. 9. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 209–214, hier Bl. 211. 575
Dort zu tagen, zumal während der Hitze des Wahlkampfes, erweckt bei mir mehr als nur Bedenken.Wenn – was nicht auszuschließenist – gar noch Entschließungen,Erklärungen und Reden von der Internationalen Exekutivsitzung des PEN hinausgehen, die trotz gepflegter Ausdrucksweise, in die östliche Richtung weisen, wird die kulturelle Zusammenarbeit Schaden leiden – auch was Westberlin selbst betrifft. Gegen diesen Hintergrund bitte ich nachzuempfinden, wie mir zumute ist. Auch wenn man unser Zentrum im Nachhinein auffordert, für einen Tag das Programm zu übernehmen, wird mir nicht besser. Selbstverständlich weiß ich, wie freundlich Ihr Vorschlag gemeint ist. Aber nichts und niemand kann verhindern, daß daraus eine gesamtdeutsche Gastgeberschaft und eine gemeinsame Tagung in Ost- und Westberlin abgeleitet wird, das Verhältnis von drei Tagen West und einem Tag Ost als Sinnbild eingeschlossen. Nicht zuletzt muß man einkalkulieren, daß an einer Tagung auf unserer Seite vielleicht einige Delegierte nicht teilnehmen wollen oder können. Ich denke dabei vor allem an jene, die sich die Sowjetunion und andere sozialistische Staaten nicht nur wegwünschen, sondern tätig sind, um zu erreichen, was sie erstreben.259
Kamnitzers Vorbehalt gründete sich demnach vorwiegend auf zwei Aspekten: Mit der Entscheidung für West-Berlin als Tagungsort einer Exekutive, die der bundesdeutsche P.E.N. ausrichten sollte, hatte man einen empfindlichen Punkt getroffen. (Ost-)Berlin war die Hauptstadt der DDR. Der Streit um den Status des Westteils war – trotz des Übereinkommens der Vier Mächte – in den Köpfen längst nicht beendet. Der auf Verständigung zielende Vorstoß, der maßgeblich von Böll in seiner Eigenschaft als internationaler P.E.N.-Präsident gewagt wurde, fiel zudem in eine innenpolitisch schwierige Situation der Bundesrepublik Deutschland. Bundeskanzler Willy Brandt hatte im September 1972 im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt. Wenige Tage später wurde der Bundestag aufgelöst und Neuwahl angesetzt. Mit Brandt war die von ihm eingeleitete Ost-WestEntspannungspolitik auf dem Prüfstand: »Der anschließende Wahlkampf steht ganz im Zeichen der Auseinandersetzung über die Deutschland- und Ostpolitik, so daß die Wahl zum 7. Deutschen Bundestag den Charakter einer Abstimmung über den künftigen Kurs der deutschen Außen- und Deutschland-Politik gewinnt.«260 Bölls Versuch, die Bedenken der DDR-Seite zu zerstreuen, schlugen fehl. Zwar bemühte sich Böll, die positiven Aspekte einer in West-Berlin abgehaltenen Exekutive deutlich zu machen: Vorgeschlagenhabe ich es auch, weil mir dieser Kongressort eben jene Möglichkeitbot, Ihnen – dem PEN-Zentrum der DDR – eine Art Partizipierung vorzuschlagen, die es Ihnen ermöglichen könnte, zahlreiche, z. T. recht primitive Vorurteile zu korrigieren. Ich fürchte weder Springer-Presse noch irgendwelche Demonstrationen. Über die fast schon üblichen Kontroversenhinaus, die bei Resolutionenfällig sind, sehe ich keinerlei Komplikationen, und was mir am wenigsten vorschwebt, ist irgendeine Form gesamtdeutscher Täuschung oder Vortäuschung. Bedenken Sie, daß es eine Veranstaltung des 259
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Vgl. Heinz Kamnitzer an Heinrich Böll [24. 8. 1972]. Anlage 1 zu Siegfried Löffler [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über eine Aussprache mit dem Präsidenten des PEN-Zentrums DDR Genossen Prof. Dr. Kamnitzer am 5. 9. 1972 [6. 9. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Fischer Chronik Deutschland, S. 490.
Internationalen PEN ist. […] ich bitte Sie herzlich, in der Proportion 2:1, was die drei zur Verfügung stehenden Tage betrifft, keine politische Dimension in Gestalt größerer oder kleinerer ›Zuteilung‹ zu sehen. […] Die Springer-Presse, lieber Heinz Kamnitzer, kann, wenn es sich um eine internationaleOrganisation handelt, nur sich selbst blamieren, nicht uns. Für viele Tagungsteilnehmer aus dem westlichen Ausland wäre es ja die erste direkte Begegnung mit dieser Art von speziell in Berlin betriebener Demagogie – und wem schadet das? Doch nicht dem PEN, weder dem internationalen noch dem PEN der DDR. […] Bitte besprechen Sie alles noch einmal mit den Kolleginnen und Kollegen im Präsidium Ihres Zentrums und bedenken Sie auch, daß eine Ablehnung meiner Einladung möglicherweise politisch gewissen ›Typen‹ mehr Futter böte als eine Annahme. […] Noch einmal: ich verstehe Ihre Bedenken, teile sie sogar, aber gerade all dieser ›Bedenken‹ wegen erscheint mir West-Berlin als geeigneter Ort.261
Kamnitzer bekräftigte jedoch seine Bedenken; es sei eine »Situation, in der noch keine Übereinstimmung herrscht«262 . Eine Kooperation zwischen dem P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik und dem der DDR hinsichtlich des Tagungsprogramms kam nicht zustande. Auf DDR-Seite stand weiter die generelle Teilnahme an der Exekutive zur Diskussion. Obgleich nach Kamnitzers Auffassung die Programmpunkte der Agenda die Entsendung von Delegierten ratsam erscheinen ließ, sprach die offizielle Beteiligung des Bundespräsidenten Heinemann, und damit des Amtsinhabers des höchsten politischen Amtes in der Bundesrepublik Deutschland, dagegen. Dieser Einwand wog schwer; man wollte peinlich jegliche Verbindungsaufnahme außerhalb der offiziellen deutsch-deutschen Gespräche vermeiden. Dahinter musste die erfolgreich begonnene Anbahnung internationaler Kontakte zurückstehen. Die anlässlich der Exekutive gebotene Möglichkeit, mit Böll, Carver und den »Vertretern der Nationalen PEN-Zentren der sozialistischen Länder und progressiver PEN-Zentren aus anderen Staaten«263 über Fragen der weiteren Zusammenarbeit zu sprechen, erschien zweitrangig: Genosse Prof. Kamnitzer ist der Auffassung, daß unter Berücksichtigung des Auftretens des BRD-Präsidenten Heinemann im offiziellen Programm der Tagung eine Teilnahme durch Delegierte unseres Zentrums nicht erfolgen sollte, obwohl dadurch die auf den letzten Tagungen des Exekutivkomitees begonnene Initiative für eine Unterstützung der Bestrebungen unserer Republik nach gleichberechtigter Teilnahme am Wirken internationaler Organisationen abnehmen könnte.264 261
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Vgl. Heinrich Böll an Heinz Kamnitzer [28. 8. 1972]. Anlage 2 zu Siegfried Löffler [Abteilung Kultur]: Aktennotiz über eine Aussprache mit dem Präsidenten des PENZentrums DDR Genossen Prof. Dr. Kamnitzer am 5. 9. 1972 [6. 9. 1972]. SAPMOBArch vorl. SED 12922. Heinz Kamnitzer an Heinrich Böll [14. 9. 1972]. Anlage 2 zu Siegfried Löffler [Abteilung Kultur]: Aktennotiz über eine Aussprache mit dem Präsidenten des PENZentrums DDR Genossen Prof. Dr. Kamnitzer am 5. 9. 1972 [6. 9. 1972]. SAPMOBArch vorl. SED 12922. Siegfried Löffler [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über eine Aussprache mit dem Präsidenten des PEN-Zentrums DDR Genossen Prof. Dr. Kamnitzer am 5. 9. 1972 [6. 9. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Hans-Joachim Hoffmann an Kurt Hager [19. 9. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. 577
Dieser Standpunkt wurde von der Abteilung Kultur an Hager mit der Bitte um Billigung weitergeleitet. Er entsprach indes in keiner Weise der Haltung, die vom Präsidium Anfang September festgelegt worden war; demnach sollte »eine möglichst zahlreiche Delegation des PEN-Zentrums der DDR zusammen[ge]stell[t] [werden], damit ein stärkeres politisches Auftreten gewährleistet wird. Es wurde in Erwägung gezogen, daß nach Möglichkeit das ganze Präsidium des PENZentrum der DDR an dieser Tagung in W[est]D[eutschland] teilnimmt.«265 Ende September war von den parteipolitischen Instanzen noch keine bindende Entscheidung getroffen. Im Hinblick auf eine »Beratung der PEN-Zentren der sozialistischen Länder«266 , die Mitte Oktober stattfinden sollte, erbat Kamnitzer eine endgültige Weisung.267 Insbesondere das ungarische P.E.N.Zentrum zeigte sich bestrebt, in enger Koordination mit dem P.E.N.-Zentrum DDR zu agieren. Es machte seine Teilnahme von der Haltung des DDR-P.E.N. abhängig.268 Eine Beratung der Parteigruppe des P.E.N.-Zentrums DDR, die am 10. Oktober mit den Verantwortlichen der Abteilung Kultur stattfand, brachte schließlich einen erneuten Wandel in der Haltung gegenüber der WestBerliner Exekutive: »Unserer Auffassung nach sollte – Ergebnis dieser Diskussion und von Konsultationen mit PEN-Zentren anderer sozialistischer Länder – die Teilnahme einer Delegation erwogen werden. Die Delegation dürfte natürlich nicht an Empfängen teilnehmen, die etwa von Dienststellen der BRD gegeben werden.«269 Das Ministerium für Staatssicherheit hatte bereits im September vorsorgliche Maßnahmen getroffen: IM »Martin«, d. i. Hermann Kant, sollte durch Oberleutnant Pönig »zur Sicherung der Vorbereitung und Teilnahme der DDR Schriftsteller an der Exekutivtagung in Westberlin«270 instruiert werden; IM »Dichter«, d. i. Paul Wiens, wurde beauftragt, mit Kamnitzer und Hermlin »im Gespräch zu bleiben, um über alle op[e]r[ativ]. wichtigen Probleme im Zusammenhang der [Berliner Exekutive] sofort informiert zu sein.«271
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Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IM »Dichter« am 8. 9. 1972 betr. PEN Präsidiumssitzungam 7. 9. 1972 [11. 9. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 209–214, hier Bl. 212. Heinz Kamnitzer: Aktennotiz [20. 9. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Vgl. Heinz Kamnitzer an Siegfried Löffler [25. 9. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Heinz Kamnitzer: Aktennotiz [20. 9. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Hans-Joachim Hoffmann an Kurt Hager [12. 10. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IM »Dichter« am 8. 9. 1972 betr. PEN Präsidiumssitzungam 7. 9. 1972 [11. 9. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 209–214, hier Bl. 214. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IM »Dichter« am 8. 9. 1972 betr. PEN Präsidiumssitzungam 7. 9. 1972 [11. 9. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 209–214, hier Bl. 214.
An den Verhandlungen des Exekutivkomitees nahmen schließlich als offizielle Delegierte Heinz Kamnitzer und Stephan Hermlin teil.272 Insgesamt war die DDR durch zwölf Schriftsteller vertreten, darunter Christa Wolf, Peter Hacks und Hermann Kant. Eine Instruktion der Delegation war unmittelbar vor Beginn der Exekutivkomitee-Tagung auf einer Präsidiumssitzung durch die Mitarbeiter der Abteilung Kultur, Siegfried Löffler und Leo Sladczyk, erfolgt. Beide betonten, dass »jeder individuell bewusst als Staatsbürger der DDR auftrete. Das Auftreten solle nicht uniformiert wirken.«273 Als bindende Weisung wurde dabei die Nichtteilnahme der Delegation am Empfang des Bundespräsidenten Gustav Heinemann in Schloss Bellevue ausgegeben. Eine zweifelhafte Argumentation wurde den DDR-Vertretern an die Hand gegeben: Jeder solle »dazu eine individuelle Ablehnung [geben], wenn er diesbezüglich angesprochen wird, die aber u. a. mit beinhalten solle, daß die PEN Mitglieder der DDR gern an einer solchen Veranstaltung des gastgebenden Landes teilgenommen hätten, z. Bsp. wenn die Tagung in Stuttgart stattgefunden hätte, da aber die Verträge gegenwärtig erst paraphiert seien würde es sie in eine unangenehme Lage bzw. Situation bringen. Eine Teilnahme für sie sei einfach peinlich.«274 Die Zurückweisung der Einladung durch die Delegierten der DDR, Bulgariens und Ungarns wurde von einem Sprecher des Berliner Senats prompt als »Symptom politischer Dummheit« gewertet; sie sei eine »Kinderei«.275 Laut Bericht des IM »Dichter« war eine klare Aufgabenverteilung vorgenommen worden. Demnach wurden folgende Verantwortlichkeiten festgelegt. Kümmern sollten sich Prof. Kamnitzer und Stephan HERMLIN um Heinrich Böll und David CAVER [sic] Hermann KANT und Dr. Peter HACKS um die Teilnehmer des PEN der BRD Jeane [sic] STERN, Henryk KEISCH um die Teilnehmer des französischen PEN John PEET und Henryk KEISCH um die Teilnehmer des PEN von Großbritannien Christa WOLF und Günter Czwojdrak [sic] um die Teilnehmer des PEN der skandinavischen Länder Paul WIENS um die Teilnehmer der PEN Zentren Italien und Jugoslawien Maximilian SCHEER und Wieland HERZFELDE um die Teilnehmer des PEN der USA[.]276
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Akademie der Künste, West Berlin, on Tuesday, 14th November, Wednesday, 15th November, and Friday, 17th November, 1972. P.E.N.-Archiv London. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS »Dichter« am 13. 11. 1972 [13. 11. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 247–250, hier Bl. 249. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS »Dichter« am 13. 11. 1972 [13. 11. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 247–250, hier Bl. 248. Zitiert nach [o. V.]: Östliche PEN-DelegiertebrüskiertenHeinemann.In: BerlinerMorgenpost vom 18. 11. 1972. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht. Treff mit IMS »Dichter« am 13. 11. 1972 [13. 11. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 247–250, hier Bl. 249. 579
Ein wesentliches Ergebnis erbrachte die Tagung des Exekutivkomitees: Die befürchtete Änderung der P.E.N.-Charta blieb aus. Eine bindende Entscheidung über die Modifikation oder Ergänzung des Grundsatzprogramms konnte nicht erzielt werden; es blieb beim reinen Meinungsaustausch zwischen den nationalen Zentren: »[D]a entwickelte sich ein trotzig-neurotisches Kinderspiel, ein Sackhüpfen mit Argumenten, jeder hatte stets nur sich selbst am Wickel, und keiner kam dem anderen zu Hilfe.«277 Wie nach dem Verlauf der Generalversammlung zu erwarten, vertrat Kamnitzer in der Diskussion die Konzeption, entweder die Charta in ihrer alten Form beizubehalten oder eine gänzlich neue Version zu schaffen – »›zum Schutze der guten Schriftsteller vor den schlechten à la Waggerl oder Simmel‹, zur Abgrenzung der wertvollen Literatur von den Landserheften des westdeutschen Kulturbetriebes«278 , wie die Welt zynisch formulierte. Das Ergebnis der Aussprache über die Charta beurteilte der internationale P.E.N.Präsident Heinrich Böll dennoch positiv: »›Aber das Gespräch ist auf jeden Fall sinnvoll. Sogar die Bibel wird doch manchmal diskutiert.‹«279 Eine mögliche Entscheidung über die Charta-Bearbeitung wurde auf den für Ende 1973 geplanten Kongress in Israel vertagt. Schon während der Tagung des Internationalen P.E.N. lieferte Wiens einen wenig erhellenden Zwischenbericht an das Ministerium für Staatssicherheit. Sein Auftrag war indes mehr oder minder klar formuliert worden: »Dichter« sollte Hinweise durch Abschöpfen der Teilnehmer der PEN-Tagung in West-Berlin erarbeiten und feststellen, welche ausländischen Teilnehmer Stefan Heym aufsuchten.280 Überprüft werden sollte auch das Verhalten der DDRTeilnehmer. Wer von ihnen hatte etwa an einer Party von Hans Werner Richter, dem führenden Kopf der Gruppe 47, teilgenommen?281 Die für die Anleitung und Kontrolle des P.E.N.-Zentrums DDR zuständige Abteilung Kultur zeigte sich über die reibungslose Kooperation mit dem P.E.N.Präsidenten Kamnitzer sehr erfreut und bekräftigte ihre Zufriedenheit mit einer materiellen Bestätigung. Tätige Mitarbeit im Sinne der Partei ließ man sich gern etwas kosten: Beiliegendem Antrag, Genossen Prof. Dr. Heinz Kamnitzer als Anerkennung einen Beitrag von DM 500,- zukommen zu lassen, stimmen wir zu. In den letzten Wochen, besonders bei der Vorbereitung der DDR-Teilnahme an der PEN-Exekutivberatung in 277
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Sybille Wirsing: Zeitnöte schweigen, Zeitnot hat das Wort. Zur Tagung des Internationalen PEN in West-Berlin. In: Der Tagesspiegel 8266 (19. 11. 1972), S. 5. [Eigenbericht der Welt]: Cliquen in sanften Sesseln. Siebzig Delegierte aus sechsunddreißig PEN-Zentren tagen in Berlin. In: Die Welt vom 20. 11. 1972. Zitiert nach Schr. [d. i.?]: Literatur und Politik sind nicht zu trennen. In: Berliner Morgenpost vom 17. 11. 1972, S. 25. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht vom 16. 11. 1972 [17. 11. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 251–254, hier Bl. 254. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht vom 23. 11. 1972 [23. 11. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83 Bd. II/1, Bl. 255–259, hier Bl. 255.
Westberlin, entwickelte sich eine gute Zusammenarbeit mit Gen. Prof. Dr. Kamnitzer, der auch in dieser Angelegenheit eine hohe Einsatzbereitschaft zeigte.282
Es scheint, als sei die Tätigkeit des P.E.N.-Zentrums DDR nach der West-Berliner Exekutivkomitee-Tagung im November 1972 ein wenig zum Erliegen gekommen. Die Arbeit im eigenen Land schleppte sich auf minimalem Niveau dahin. Lediglich Anfang Februar 1973 lässt sich eine bemerkenswerte Initiative des Präsidiums feststellen, die implizit gegen die Zensurmaßnahmen der kulturpolitischen Instanzen eintrat. Die Präsidiumsmitglieder richteten eine Mitteilung an den Minister für Kultur, Hans-Joachim Hoffmann, in der sie sich für das umstrittene P.E.N.-Mitglied Stefan Heym einsetzten, der mit den Zensurbehörden der DDR in argem Widerstreit stand. Heym hatte auf einer Sitzung des Präsidiums die Probleme bei der Veröffentlichung seiner Arbeiten geschildert. Das Präsidium gab die gewonnenen Eindrücke an Hoffmann weiter: Im Laufe des Gesprächs machte uns Stefan Heym dokumentarisch belegte Mitteilungen, die selbst jene unter uns, die seinen Fall zu kennen glaubten, erschütterten. Es geht um Heyms Bücher ›Lassalle‹ und ›Die Schmähschrift‹, sowie um den ›KönigDavid-Bericht‹; das letztgenannte Werk, das der internationale Präsident des PEN, Heinrich Böll, in einem großen Aufsatz gewürdigthat, wurdevon dem Autor in begreiflicher Entmutigung gar nicht mehr einem DDR-Verlag angeboten. Die für eine VeröffentlichungzuständigenInstanzenhatten sich bisher,konsultiertman sie einzeln, nicht unbedingt gegen eine Publizierung ausgesprochen, sie äußerten sich sogar wohlwollend und weckten Hoffnungen. Geschehen war daraufhin aber nichts. Auf freundlicheUnterhaltungenfolgte neues Schweigen. Heyms Bücher blieben unveröffentlicht. Wir bitten Sie, lieber Genosse Minister, um eine schnelle Entscheidung in dem unserer Meinung nach einzig möglichen Sinn: zugunsten der neuen Bücher eines Autors, der nicht nur bei uns, sondern allgemein zwischen Moskau und New York schon lange als ein repräsentativer Erzähler unseres Landes gilt.283
Heym selbst empfand allein die Möglichkeit, seine Auseinandersetzung mit den Zensurbehörden im Kreise namhafter Schriftstellerkollegen diskutieren zu können, als wertvoll und dankte speziell Stephan Hermlin für seine positive Einwirkung: Die Diskussion mit dem Präsidium des PEN über LASSALLE etc. war, wie Du Dir denken kannst, für mich außerordentlich interessant und aufschlußreich. Wenn etwas Positives dabei herausgekommen ist, so ist das vor allem Dir zu verdanken, und ich muß Dir nicht extra sagen, wie hoch ich das schätze. Ich hatte die Dokumentation mit ihrer Zusammenstellung lange nicht mehr gelesen (das ist schon ein oder zwei Jahre her), und ich war selber erstaunt über die geballte Bosheit, die sich zeigt,
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Hans-Joachim Hoffmann [Minister für Kultur] an Karl Raab [Leiter der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe des ZK der SED] [27. 12. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. [Stephan Hermlin im Namen des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums DDR] an HansJoachim Hoffmann [Minister für Kultur] [12. 2. 1973]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 P.E.N.-Club/Korrespondenz allgemein 1972–1974/H/Heym, Stefan 11. 581
wenn man die Dinge im Zusammenhang liest. Das Ganze ist ein Thema für einen Gogol.284
Die Vorgeschichte des Gesprächs zwischen Heym und den Präsidiumsmitgliedern hatte bereits im Dezember 1971 begonnen. Der Generalsekretär des DDRP.E.N., Ilberg, hatte auf eine Nachfrage des amerikanischen Schriftstellerkollegen Alvah Bessier in Bezug auf die in der DDR unveröffentlichten Werke Heyms mit dem Hinweis reagiert, dass Heym keinerlei Probleme bei der Publikation seiner Bücher habe. Von dieser Äußerung hatte Heym offenkundig erfahren, denn er reagierte gewohnt unverblümt mit einem harschen Angriff auf Ilberg; dabei hatte er keine Probleme, das Tabu-Wort »Zensur« zu gebrauchen: Es ist dem PEN abträglich, einem solchen Mann einen derart leicht durchschaubaren Unsinn zu schreiben. Es ist sogar Aufgabe des PEN und in der Charta verankert, daß der PEN sich für die Freiheit der Werke und gegen die Zensur einsetzt. Statt mir und anderen Autoren zu helfen, ihre verbotenen Werke hier durchzusetzen, scheinen Sie, lieber Freund Ilberg, es sich noch zur Aufgabe zu machen, unsere engstirnige und den Sozialismus schädigende Zensur zu verteidigen. Ich habe Verständnis für die Schwierigkeiten Ihrer Aufgabe als Sekretär des PEN, aber Ihre Methode, sich mit diesen Schwierigkeitenauseinanderzusetzen,kann von niemandem gebilligt werden.285
Seine Beschwerde richtete er auch an den Präsidenten Kamnitzer; er bat diesen, die Angelegenheit im Vorstand zur Sprache zu bringen und »dem Kollegen Ilberg Richtlinien zu geben, wie er sich in Zukunft zu solchen Fragen zu verhalten hat. Es ist sicher nicht das erste Mal gewesen und wird auch nicht das letzte Mal sein, daß das Problem der Zensur im Zusammenhang mit der Arbeit des PEN aufs Tapet kommt; die Ilberg’sche Methode, sich damit auseinanderzusetzen, ist äußerst ungenügend.«286 In einer Präsidiumssitzung Anfang 1972 kam dieser Sachverhalt zur Sprache und es wurde beschlossen, Heym im Namen des Präsidiums zu einer Aussprache einzuladen. Ilberg schrieb an Heym in Anlehnung an Bertolt Brecht: »Vielleicht sollten wir einmal im Präsidium mit Ihnen zusammen die Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit wie bei der Veröffentlichung unter die kritische Lupe nehmen.«287 Diese Aufforderung deutete Heym als Einladung zu einer grundlegenden Erörterung der kulturpolitischen Problematik: »Bitte teilen Sie dem Präsidium mit, daß ich die Frage nicht als persönliche, nur mich betreffende behandelt sehen möchte. Ich bin lediglich ein Beispiel für einen Zustand, der viele betrifft und der einen unheilvollen Einfluß auf
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Stefan Heym an Stephan Hermlin [9. 2. 1973]. DLA A: Stephan Hermlin, Briefe an Hermlin. Stefan Heym an Werner Ilberg [17. 12. 1971]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Korrespondenz allgemein 1972–1974/H/Heym, Stefan 24. Stefan Heym an Heinz Kamnitzer [17. 12. 1971]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1972–1974/H/Heym, Stefan 23. Werner Ilberg an Stefan Heym [6. 3. 1972]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Korrespondenz allgemein 1972–1974/H/Heym, Stefan 20.
die Entwicklung unserer Kunst und Literatur hat.«288 So weit vor wagte sich das P.E.N.-Präsidium indes nicht. Eine kulturpolitische Diskussion war aus Sicht seiner Mitglieder nicht zu verantworten. Und so erhielt Ilberg wieder einmal einen Tadel. Sein Ansinnen, Heym mit einer »literarischen« Formulierung entgegenzukommen, wurde gnadenlos abgestraft. Auf einem Buchbasar am 1. Mai 1972 sollte Ilberg mit Heym ein klärendes Gespräch führen. Man wolle gern über die Bücher Lassalle und Defoe sprechen, beabsichtige aber keine allgemeine kulturpolitische Diskussion.289 Zustande kam das Gespräch schließlich im Februar 1973. IM »Dichter« gab den Bericht von Heinz Kahlau an seinen Führungsoffizier weiter: »Nach den Ausführungen von HEYM seien die Mitglieder des Präsidiums des PEN alle wie geklatscht gewesen«290 . Auch Jeanne und Kurt Stern wurden von IM »Dichter« abgeschöpft. »Sie hätten sich alle an den Kopf gegriffen, wie so etwas überhaupt möglich gewesen sei. Es wäre einstimmig die Meinung vertreten worden, so könne man mit unseren Schriftstellern nicht umgehen, das schadet unserer Literatur, dagegen muß man unbedingt etwas unternehmen.«291 Von den Sterns erfuhr Wiens, dass Stephan Hermlin mit der Abfassung eines Brief-Entwurfs an den Minister beauftragt worden war. Hermlin war dann anlässlich der BrechtFesttage persönlich mit Hoffmann in Kontakt gekommen; dieser habe in diesem und einem späteren Gespräch eine rasche Erledigung des Falls Heym zugesagt.292 Was letztlich die Publikation von Heyms Büchern in der DDR beförderte, bleibt ungewiss. War es die Eingabe des DDR-P.E.N. an den Minister oder schlicht der bevorstehende runde Geburtstag des Schriftstellers, Jahrgang 1913, der im Westen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gebührende Erwähnung finden würde? Vielleicht wirkte beides zusammen. Zu konstatieren ist im Jahr 1973 jedenfalls eine bewusste Hervorhebung des lange totgeschwiegenen Autors in der Parteipresse. Das Generalsekretariat des P.E.N. hatte beim Ministerium für Kultur die Aufmerksamkeit der Zeitungen und Zeitschriften angemahnt: Man »halte es […] für ratsam, daß unsere Presse (vor allem das 288
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Stefan Heym an Werner Ilberg [13. 3. 1972]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1972–1974/H/Heym, Stefan 19. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IM »Martin« am 5. 5. 1972 [8. 5. 1972]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 52–56, hier Bl. 53f. Über das Gespräch berichtet IMS »Dichter«. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IM »Dichter« am 12. 5. 1972 [15. 5. 1973]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 171. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IM »Dichter« am 1. 3. 1973 [1. 3. 1973].BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 293– 297, hier Bl. 293. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS »Dichter« am 9. 3. 1973 [19. 3. 1973]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 298–301, hier Bl. 299. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS »Dichter« am 9. 3. 1973 [19. 3. 1973]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 298–301, hier Bl. 299f. 583
N[eue] D[eutschland]) von diesem buchenswerten Ereignis Notiz nimmt, vor allem ehe vielleicht die ausländischen Zeitungen darüber berichten.«293 Heym selbst berichtete rückblickend im Spiegel : Zu meinem 60. Geburtstag 1973 kam der stellvertretende Kulturminister Klaus Höpcke mit einem Blumentopf und fragte, ob ich heute das ›Neue Deutschland‹ gelesen hätte. […] Die [Geburtstags-] Rosine war eine zweispaltige Würdigung meiner Person auf der Kulturseite, nachdem ich jahrelang in dem Blatt überhaupt nicht erwähnt werden durfte. Am Ende dieser Würdigung stand, daß mein neuer Roman ›Der König David Bericht‹ in Vorbereitung sei. Danach kamen alle drei bis dahin unterdrückten Bücher auf einmal.294
Die Ursache des Sinneswandels konnte Heym jedoch nicht erklären. IM »Dichter«, der das P.E.N.-Zentrum DDR aktiv nutzte »zur Realisierung seines Auftrages, seinen Kontakt zu dem Schriftsteller Stefan Heym zu festigen«295 , wertete die Entwicklung um Heyms Bücher als lediglich temporären Fortschritt bei der ideologischen Beeinflussung des literarischen Querdenkers: Heym ist gegenwärtig erfreut, daß seine Bücher ›Lassalle‹ ›Defoe‹ und ›König David Bericht‹ in der DDR verlegt werden. Er verbucht dies als einen Erfolg seines Kampfes. Dies wird dazu beitragen, daß einige Probleme und Vorbehalte Heyms zur Kulturpolitik von Partei und Regierung abgebaut werden. [Es] werden bei Heym nach einer kürzeren oder längeren Zeit neue Probleme und Konflikte auftreten, wo dieser in Widerspruch mit der Politik von Partei und Regierung kommt.296
Immerhin aber war das Präsidium des P.E.N. endlich einmal geschlossen für einen Autor im eigenen Land eingetreten – auch wenn es »nur« um die Aufhebung von Zensurmaßnahmen ging. Eine Liberalisierung der Arbeitsvoraussetzungen für das P.E.N.-Zentrum DDR zog dieser Vorstoß nicht nach sich. Im Gegenteil: Die parteipolitischen Versuche, zunehmend Einfluss auf das P.E.N.Zentrum zu gewinnen, wurden in der Folgezeit intensiviert.
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Henryk Keisch an Kurt Löffler [Ministerium für Kultur] [16. 4. 1973]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1972–1974/H/Heym, Stefan 5. »Warum kein Sozialismus mit zwei Parteien?« Der DDR-Schriftsteller Stefan Heym über Abgrenzung und Sozialismus. In: Der Spiegel 44 (1980), S. 54–67, hier S. 54. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht vom 10. 5. 1973 [28. 5. 1973]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/2, Bl. 26–32, hier Bl. 26. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS »Dichter« am 10. 5. 1973 [28. 5. 1973]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/2, Bl. 26–32, hier Bl. 31.
7.4.3
Fortgesetzte Regulierungsmaßnahmen der Abteilung Kultur im ZK der SED gegenüber dem P.E.N.-Zentrum DDR (1974/75)
7.4.3.1 Personeller Wechsel im Generalsekretariat: Ablösung von Werner Ilberg durch den »Hardliner« Henryk Keisch Nach dieser durchaus bemerkenswerten Initiative für Stefan Heym kam erst zu Beginn des Jahres 1974 wieder Bewegung in das P.E.N.-Zentrum DDR. Eine personelle Neuerung brachte eine entscheidende Veränderung in der Führungssituation: Der nicht unumstrittene Generalsekretär Werner Ilberg, dessen politisch instinktloses Verhalten bereits zu Beginn seiner Amtszeit kritisiert worden war, wurde durch das Präsidiumsmitglied Henryk Keisch abgelöst. Eine Absetzung von Werner Ilberg war bereits Mitte Dezember 1971 in einer Aussprache mit der Abteilung Kultur angesprochen worden. Eine nebenamtliche Beschäftigung Ilbergs im P.E.N.-Zentrum DDR solle überdacht werden. Als mögliche Nachfolger waren Heinz Kahlau, Henryk Keisch und Günther Cwojdrak benannt worden.297 Nachdrücklich wiederholt und konkretisiert worden war dieses Ansinnen im Mai 1972 in einem Gespräch zwischen Kamnitzer, Hermlin und Mitarbeitern der Abteilung Kultur: »Als unmittelbare Aufgabe zur Verbesserung der Arbeit des DDR-PEN ist in der nächsten Zeit ein Wechsel in der Funktion des Generalsekretärs vorzunehmen. Genosse Ilberg ist aus gesundheitlichen und Altersgründen (75) nicht mehr in der Lage, die gestellten Aufgaben zu erfüllen. Es wird angestrebt, Genossen Henryk Keisch für die Funktion des Generalsekretärs zu gewinnen.«298 Eine Sekretariatsvorlage vom September 1972 benannte schließlich als Ilbergs Nachfolger den freischaffenden Autor und Übersetzer Henryk Keisch, der seit 1970 dem Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR angehörte.299 Erst Mitte Januar 1974 fasste das Präsidium jedoch den bindenden Beschluss, »dem Ersuchen des Genossen Ilberg stattzugeben, aus seiner Funktion des Generalsekretärs des PEN auszuscheiden. Für ihn wurde Genosse Henryk K e i s c h in diese Funktion mit Wirkung vom 1. 2. 1974 berufen.«300 Diese kadermäßige Veränderung wurde in Abstimmung mit der Abteilung Kultur beim ZK der SED vorgenommen.
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Vgl. Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über ein Gespräch der Genossen [Siegfried] Löffler und [Leo] Sladczyk mit Genossen Heinz Kamnitzer am 15. 12. 1971. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Bericht über die Exekutivratstagung des internationalen P.E.N. in London und die nächsten Aufgaben des DDR-PEN-Zentrums (Der Bericht stützt sich auf ein Gespräch mit den Genossen Prof. Kamnitzer und Hermlin am 3. 5. 1972) [o. D.]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Vgl. SiegfriedLöffler [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Aktennotiz über eine Aussprache mit dem Präsidentendes P.E.N.-Zentrums der DDR Genossen Prof. Dr. Heinz Kamnitzer am 5. 9. 1972 [6.9.1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Ursula Ragwitz [StellvertretendeAbteilungsleiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Karl Raab [Leiter der Abteilung Finanzverwaltungund Parteibetriebedes ZK der SED] [28. 1. 1974]. SAPMO-BArch DY 30/IV B2/9.06/60. 585
Im Gegensatz zu Kretzschmar, die wegen Unregelmäßigkeiten in der Geschäftsführung ihren Posten hatte räumen müssen, schied Ilberg als verdienter Genosse aus der Funktion des Generalsekretärs aus. Einen »alten, bewährten Genossen, […] [der] sein Amt in all den Jahren mit Ernst und Gewissenhaftigkeit wahrnahm«301 , ließ man jedoch nicht einfach ziehen: Nach Auffassung von Ursula Ragwitz, stellvertretende Leiterin der Abteilung Kultur, sollte sein »Rat und seine Erfahrung bei der Übergabe der Geschäfte voll genutzt und dem Präsidium auch weiterhin voll zur Verfügung stehen.«302 Damit einher ging die zukünftige finanzielle Absicherung des Genossen. Ragwitz unterbreitete Karl Raab in Übereinkunft mit Heinz Kamnitzer die folgende Regelung: 1.) Genosse Keisch erhält ab 1. 2. 1974 das Gehalt des Generalsekretärs(1.100 + 200,–) 2.) Wir bitten, Genossen Ilberg ungeachtet der Gehaltszahlung an den Genossen Keisch für die Monate Februar und März 1974 noch sein Gehalt als Generalsekretär weiter zu zahlen. 3.) Genosse Ilberg wird dem Präsidium als ›Schatzmeister‹ angehören und sollte dafür monatlich (personengebunden) einen Aufwand in Höhe von M 400,– ab 1. 4. 1974 erhalten.303
Die Gehaltszahlung aus der Parteikasse war somit nicht an das Amt des Schatzmeisters gebunden; es ging lediglich um die Entlohnung des alt gedienten SED-Mitglieds Ilberg. Eine Mitteilung an das Stadtkontor der I[ndustrie- und] H[andels]B[ank] der DDR belegt die Einrichtung eines Dauerauftrags über 400,– an Werner Ilberg, mit Wirksamkeit ab 15. September 1974.304 Wie lange Ilberg diese Bezüge erhielt, ist nicht belegt. P.E.N.-intern bewegte sich unmittelbar nach Keischs Einsetzung nicht übermäßig viel; er nahm Kontakt mit den kulturpolitischen Verantwortlichen auf. Mit Nachdruck verwies er etwa gegenüber dem stellvertretenden Minister für Kultur, Klaus Höpcke, auf die ausstehende Genehmigung einer Vorlage; diese betraf die Teilnahme von DDR-Delegierten an einer Kommissionssitzung des Internationalen P.E.N., in der die Nominierung eines neuen internationalen Generalsekretärs besprochen werden sollte. Daran hatte das P.E.N.-Zentrum DDR, das sich an der Person Carvers von jeher gerieben hatte, ein verständliches Interesse. Keisch bat Höpcke, sich für eine beschleunigte Genehmigung der Vorlage einzusetzen, um die Anwesenheit der DDR-Vertreter in London 301
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Ursula Ragwitz [Stellvertretende Abteilungsleiterinder Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Karl Raab [Leiter der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebedes ZK der SED] [28. 1. 1974]. SAPMO-BArch DY 30/IV B2/9.06/60. Ursula Ragwitz [Stellvertretende Abteilungsleiterinder Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Karl Raab [Leiter der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebedes ZK der SED] [28. 1. 1974]. SAPMO-BArch DY 30/IV B2/9.06/60. Ursula Ragwitz [Stellvertretende Abteilungsleiterinder Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Karl Raab [Leiter der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebedes ZK der SED] [28. 1. 1974]. SAPMO-BArch DY 30/IV B2/9.06/60. Henryk Keisch an Berliner Stadtkontor der IHB der DDR [19. 8. 1974]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1972–1974/B/Berliner Stadtkontor der IHB 1.
zu garantieren.305 Auch zum 1973 ins Amt des Ministers für Kultur ernannten, ehemaligen Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED, Hans-Joachim Hoffmann, ließ sich ein guter Kontakt des P.E.N.-Zentrums herstellen. Einem Gespräch zwischen Hoffmann und Kamnitzer, das auf Betreiben des letzteren zustande gekommen war, folgte eine Unterredung des Präsidiums mit dem Kulturminister. In der Folge dankte Keisch überschwänglich. Hoffmann schien sich in der Aussprache als entgegenkommender und interessierter Gesprächspartner erwiesen zu haben, in den das Präsidium große Hoffnung setzte: Sie können sicher sein, daß der Überblick, den wir erhalten haben, nachwirken wird. Auch die Gelegenheit vorzubringen, womit wir hauptsächlich und ständig vor allem in unserer Auslandsarbeit konfrontiert sind, ist äußerst wichtig gewesen. Dann und wann möchte unser Präsidium empfinden,daß man nicht nur redet,sondern von jemand angehört wird, von dem wir wissen, daß er alles bedenken und, wo er zustimmen kann, auch im Rahmen seiner Möglichkeiten handeln wird. Wenn die erste Aussprache vor allem unsere Probleme zur Sprache brachte, sollte sich die nächste Zusammenkunft, auf die wir uns jetzt schon freuen, vielleicht damit befassen, was wir von uns aus tun können und sollten.306
Mit der Einsetzung von Keisch war das System der politischen Selbstkontrolle im P.E.N.-Zentrum DDR endgültig installiert. Sein öffentliches Debüt gab der neu eingesetzte Generalsekretär mit »Bemerkungen zu einigen Fehlspekulationen um den P.E.N.« in der Ost-Berliner Wochenzeitung Sonntag,307 die den bundesdeutschen Tageszeitungen eine Meldung wert waren. Mit einer gewissen Skepsis wurde Keischs Plädoyer für eine weitgehende politische Neutralität der internationalen Schriftstellervereinigung aufgenommen: »Ausgerechnet in der DDR, wo ›Parteilichkeit‹ zur höchsten Künstlertugend zählt, ruft man jetzt nach politischer Abstinenz«308 . Tatsächlich hatte Keisch als Ziel des Internationalen P.E.N. »[n]icht die Austragung ohnehin unüberbrückbarer weltanschaulich-politischer Gegensätze […], sondern […] die Suche nach Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten«309 formuliert. Für 305
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Vgl. Henryk Keisch an Klaus Höpcke [Stellvertretender Minister für Kultur] [14. 6. 1974]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1972– 1974/M/Ministerium für Kultur 5 und 5a. Henryk Keisch an Hans-Joachim Hoffmann [Minister für Kultur] [9. 9. 1974]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1972–1974/M/Ministerium für Kultur 1. Henryk Keisch: Die Schreibfeder – nicht nur ein Symbol. Bemerkungen zu einigen Fehlspekulationen um den P.E.N. In: Sonntag 35 (1. 9. 1974), S. 11. [o. V.]: Politik-Abstinenz für den PEN-Club? In: Münchner Merkur vom 2. 9. 1974. Vgl. auch [o. V.]: Pen-Club neutral? DDR plädiert für politische Enthaltsamkeit. In: Generalanzeiger für Bonn und Umgebung vom 2. 9. 1974. Sachliche Darstellungen zu Keischs Artikel erschienen in der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Vgl. [dpa]: DDR wünscht einen politisch neutralen PEN-Club. In: SüddeutscheZeitung 202 (3. 9. 1974) und [FAZ]: Kritik für den PEN. Ost-BerlinerAntwort. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 204 (4. 9. 1974). Henryk Keisch: Die Schreibfeder – nicht nur ein Symbol. Bemerkungen zu einigen Fehlspekulationen um den P.E.N. In: Sonntag 35 (1. 9. 1974), S. 11. 587
sich genommen, klang diese Forderung positiv und verständigungsbereit. Die Lektüre von Keischs Artikel in seiner Gesamtheit deckt indes auf, worauf der Schreiber wirklich abzielte: Keisch offenbarte sich als harter und kompromissloser Vertreter des sozialistischen Gesellschaftssystems, der seine Gegner in der Bundesrepublik wähnte. Es ging Keisch nicht nur darum, generell hinzuweisen auf zahlreiche Versuche, »unter Berufung auf Passagen der Charta, aus dem Internationalen P.E.N. ein Instrument des Kalten Krieges gegen die sozialistischen Ländern zu machen«310 . Er griff, mit Blick auf die im Mai 1974 in Ohrid (Jugoslawien) abgehaltene Exekutive des Internationalen P.E.N., gezielt P.E.N.Zentrum und Presse der Bundesrepublik an. Dem P.E.N.-Zentrum DDR war es dort gelungen, »gegen den chilenischen Faschismus gerichtete Resolutionen ohne Gegenstimme zur Annahme zu bringen«311 . Das Interesse der bundesdeutschen Presse an der Exekutive interpretierte Keisch lediglich als Signal, dass man in Ohrid eine scharfe Konfrontation im Sinne des Kalten Krieges erwartete: Nur so scheint jedenfalls die große Zahl von aus der BRD angereisten Pressereportern erklärlich. Sie alle waren offensichtlich auf Konfrontation, Konflikt, Bruch programmiert. Als diese Erwartung unerfüllt blieb, als die Exekutive des P.E.N. wohl antifaschistische, aber keine antisozialistischen Beschlüsse faßte, geschah etwas Bemerkenswertes. Der P.E.N., bis dahin als hochachtbare Organisation von Streitern für die Freiheit und Demokratie dargestellt, erschien nun auf einmal in westdeutschen Presseberichten als eine Versammlung naiver und bornierter Vereinsmeier, deren Stimme ohne Belang sei und die sich überdies von gerissenen östlichen Literaturfunktionären düpieren und manipulieren ließen. Ein plötzlicher Wandel, der viel darüber aussagt, wo tatsächlich Düpierer und Manipulierer zu suchen sind.312
Eine deutliche Antwort auf derlei massive Anfeindungen erteilte Rolf Michaelis in der Zeit ; er griff die wunden Punkte der sozialistischen Staaten, insbesondere der DDR, auf: Niemand hat die Berechtigung der (von der DDR eingebrachten) Resolution gegen die Militärdiktatur in Chile bezweifelt. Wohl aber mag es sein, daß jemand die Ausweisung mißliebiger Schriftsteller aus der Sowjetunion oder die Einweisungin Irrenhäuser noch nicht vergessen hat. Oder, um nur ein Beispiel aus Henryk Keischs Geschäftsbereich zu erwähnen, es könnte sich ja einer fragen, wieso die DDR Herzflattern kriegt, wenn ein Liedersänger nur die Gitarre stimmt – weshalb Wolf Biermann in der DDR verboten bleibt, ohne daß man bislang von Resolutionen des DDR-PEN gehört hätte. Nach der ›Charta‹, die auch Herr Keisch unterschrieben hat, wären Mitglieder immerhin ›verpflichtet, jeder Art der Unterdrückung der Äußerungsfreiheit in ihrem Lande entgegenzutreten … und Zensurwillkür überhaupt zu verwerfen‹.313
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Henryk Keisch: Die Schreibfeder – nicht nur ein Symbol. Bemerkungen zu einigen Fehlspekulationen um den P.E.N. In: Sonntag 35 (1. 9. 1974), S. 11. Henryk Keisch: Die Schreibfeder – nicht nur ein Symbol. Bemerkungen zu einigen Fehlspekulationen um den P.E.N. In: Sonntag 35 (1. 9. 1974), S. 11. Henryk Keisch: Die Schreibfeder – nicht nur ein Symbol. Bemerkungen zu einigen Fehlspekulationen um den P.E.N. In: Sonntag 35 (1. 9. 1974), S. 11. Rolf Michaelis: Ohrfeige aus Ostberlin: Was die DDR fordert, ist nichts anderes als eine Blindenbrille für den PEN. In: Die Zeit 38 (13. 9. 1974).
Keisch hatte in seinem Artikel viel sagende Kritik an der P.E.N.-Charta geäußert; sie sei ein von hoher ethischer Auffassung des Schriftstellerberufs zeugendes Dokument. Mancher dort verwendete Begriff jedoch, manche Denkkategorie, einem damals zeitgemäßen Bezugssystems entnommen, damals in seiner progressiven Zielsetzung unmißdeutbar, wird den heutigen Weltverhältnissen nur ungenügend gerecht. Die vornehme Tugend der Toleranz gegenüber Andersmeinenden beispielsweise kann, losgelöst von ihrem realen politischen und Klasseninhalt, leicht als Freibrief für jegliche Art von literarischem Amokläufertum mißdeutet werden.314
Michaelis deutete die verklausulierte Auslassung als das, was sie war: eine Forderung nach »noch mehr Zensur«: »Deshalb darf man gespannt sein, ob das neue Präsidium des Internationalen PEN auf die Provokation reagiert oder schweigend hinnimmt, daß einer der nationalen Geschäftsführer ihm die Grundlage entzieht.«315 London schwieg. Dass man es künftig mit einem politischen Hardliner als Vertreter des P.E.N.-Zentrums DDR zu tun haben würde, dürfte indes unmissverständlich klar geworden sein. 7.4.3.2 »Sorgen um die Aufnahme jener in den PEN, mit denen wir Meinungsverschiedenheiten haben«316 – Steuerungsversuche der Abteilung Kultur im Vorfeld der Generalversammlung 1975 DDR-intern stand für Keisch zunächst die Vorbereitung einer fälligen Generalversammlung im Zentrum seiner Arbeit. Die Zusammenkunft war ursprünglich für Mitte Dezember 1974 geplant. Im Vorfeld waren jene Mitglieder in den Blick der Abteilung Kultur des ZK der SED geraten, die nicht in der DDR lebten. Offenkundig überdachte man die Legitimation ihrer Mitgliedschaft in einem P.E.N.-Zentrum der DDR. Auf Anfrage informierte Keisch über die kleine Gruppe, bestehend aus Herbert Ihering und Dinah Nelken (WestBerlin), Heinz Becker-Trier, Erich Köhler, Heinrich Christian Meier, André Müller, Arno Peters, Ruth Schaumann und Konrad Winkler (Bundesrepublik), Bruno Frei und Hugo Huppert (Österreich), Friedrich Hagen (Frankreich) und Peter Weiss (Schweden).317 Keisch betätigte sich als ihr Fürsprecher: Es handelt sich […] um Mitglieder des ehemaligen P.E.N.-Zentrums Ost und West, die Wert darauf legten, ihre Mitgliedschaft im P.E.N.-Zentrum DDR aufrecht zu erhalten und uns damit ihre freundschaftliche Sympathie bekunden wollten. Die meisten
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Henryk Keisch: Die Schreibfeder – nicht nur ein Symbol. Bemerkungen zu einigen Fehlspekulationen um den P.E.N. In: Sonntag 35 (1. 9. 1974), S. 11. Rolf Michaelis: Ohrfeige aus Ostberlin: Was die DDR fordert, ist nichts anderes als eine Blindenbrille für den PEN. In: Die Zeit 38 (13. 9. 1974). Peter Heldt: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Henryk Keisch an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [25. 10. 1974]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/SED 4 und 4a. 589
von ihnen sind recht bejahrt, und in keinem Fall hat einer von ihnen uns irgendwelche Komplikationen verursacht. Angesichts dieser Umstände glaube ich, daß wir ihnen die Einladung zur Generalversammlung wie bisher zugehen lassen sollten. Wahrscheinlich werden nur einige wenige von ihnen überhaupt den Wunsch haben oder in der Lage sein, nach Berlin zu kommen.318
Von der Abteilung Kultur wurde schließlich zumindest teilweise grünes Licht gegeben. Ende November 1974 versandte Keisch die Einladungen an die westdeutschen Mitglieder mit dem Hinweis, dass das P.E.N.-Zentrum DDR die Kosten für die Unterkunft in Berlin übernehme, jedoch nicht die Reisekosten.319 Der Termin der Mitgliederversammlung war zu diesem Zeitpunkt bereits in den Januar 1975 verschoben worden. Keisch hatte alle Mitglieder um Vorschläge für die Zuwahlen gebeten, zugleich aber die Anforderungen an potentielle Kandidaten deutlich gemacht: Hierbei kommt es nicht auf eine Vielzahl von Kandidaturen an, die unser Zentrum unnötig aufblähen würden.Vielmehr wollen wir solche Kollegen heranziehen,die nicht nur durch literarische Leistung ausgewiesen, sondern auch durch ein enges Verhältnis zur Kultur anderer Völker befähigt sind, die spezifischen Aufgaben unseres Zentrums auf dem Gebiet der internationalen Literaturbeziehungen wahrzunehmen. Wenn Sie Kandidaturen vorzuschlagen wünschen, die diesen Kriterien entsprechen, so reichen Sie sie bitte mit schriftlicher Begründung bis spätestens Ende November ein, damit sie dem Präsidium bei seiner vorbereitenden Sitzung Anfang Dezember vorliegen.320
Doch auch im Januar 1975 kam es nicht zur Abhaltung einer Generalversammlung. Erst im Oktober 1975 trat das P.E.N.-Zentrum DDR zusammen. Dazwischen lag eine Phase intensiver Auseinandersetzung zwischen der Parteigruppe, dem Führungsduo des P.E.N.-Zentrums DDR und der Abteilung Kultur des ZK der SED. Die Zuwahl neuer Mitglieder hatte sich zu einem zentralen Problem entwickelt. Noch Anfang Januar 1975 schien man von Seiten der Abteilung Kultur am 15. Januar, dem vereinbarten Termin, festhalten zu wollen. Zwar informierte Peter Heldt, Leiter der Abteilung Kultur, in einem Schreiben an Kurt Hager über das Problem der Zuwahl neuer Mitglieder und erörterte auch das »Problem der Mitgliedschaft Wolf Biermann«.321 Im September 1974 hatte der Generalsekretär Keisch einen letzten Versuch gestartet, sich Biermanns zu entledigen. Als Vorwand diente die jahrelange Nichtzahlung von Mitgliedsbeiträgen; Keisch formulierte in einem Schreiben an Biermann: 318
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Henryk Keisch an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [25. 10. 1974]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/SED 4 und 4a. Henryk Keisch an alle Mitglieder in Westdeutschland [26. 11. 1974]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/An alle Mitglieder 3. Henryk Keisch an alle Mitglieder [15. 11. 1974]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Oktober 1975 Berlin/An alle Mitglieder 1. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [2. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Zitiert nach Staadt, S. 73.
Damit sind, formal gesehen, die Voraussetzungen gegeben, Ihre Mitgliedschaft als erloschen zu betrachten, und zwar ausschließlich durch Ihr eigenes Verschulden. Möglicherweise ist ebendies Ihre Absicht, und möglicherweise würden wir dann eines Tages irgendwo lesen, wir hätten Sie aus politischen Gründen ausgeschlossen. Um Ihnen jeden Vorwand zu einer solchen Deutung zu nehmen, geben wir Ihnen noch einmal die Gelegenheit, Ihre Beitragszahlung nachzuholen. Aus Gründen der Billigkeit betrachten wir Ihre Beitragsschuld bis einschließlich 1972 als verjährt, müssen aber auf Zahlung in voller Höhe für 1973 und 1974 bestehen. Sollten Sie auch diese Mahnung bis Ende September unbeantwortet lassen, werden wir dies als Bekundung Ihres Nichtinteresses an einer weiteren Mitgliedschaft betrachten müssen.322
Keischs Vorhaben wurde jedoch von einer Mehrheit der Präsidiumsmitglieder gestoppt. Das Schreiben trägt als handschriftlichen Vermerk den Hinweis: »Nicht abgeschickt gemäß Präsidiumsbeschluß v. 2. 10. 74.«323 Ein Teil des Präsidiums war offenkundig nicht gewillt, Biermann in noch größere Isolation zu treiben. Möglicherweise wog jedoch die Furcht vor den Reaktionen auf internationaler Ebene schwerer als der aufrichtige Wille zur Unterstützung eines notorischen Systemkritikers. Mindestens für Biermann hatte Heldt im Vorfeld der Generalversammlung 1975 eine Strategie entwickelt: Im Falle seines ungeladenen Erscheinens sollte er möglichst ignoriert werden. Das Prinzip der Nicht-Einladung sollte demnach gegenüber Biermann dieses Mal tatsächlich praktiziert werden. Für Stefan Heym hatte man eine andere Sicherung erdacht; er »wurde als Mitglied des PEN ordnungsgemäß eingeladen. Wenn er auf der Generalversammlung seine bekannten Argumente vorbringt, werden diese in aller Form zurückgewiesen. […] Zur Formierung der Genossen des PEN-Zentrums wird mit Unterstützung der Abteilung eine Parteigruppensitzung durchgeführt.«324 Die Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung 1975 fand dann am 8. Januar 1975 statt. Erschienen waren 23 Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR. Die Leitung hatte Heinz Kahlau in seiner Funktion als Parteigruppenorganisator übernommen. Von der Abteilung Kultur nahmen Peter Heldt, Leo Sladczyk und Franz Hentschel teil. Zu Beginn erläuterte Kamnitzer die Grundzüge seines Referates »über die Rolle des PEN und die Durchsetzung der Politik der friedlichen Koexistenz«; Heldt legte den Beschluss des ZK-Sekretariats zur Durchführung der Generalversammlung dar und machte die »Hauptrichtung der Wirksamkeit des PENZentrums der DDR auf der Grundlage der Beschlüsse des VIII. Parteitages und der Tagungen des ZK innerhalb seines Wirkungsbereiches, insbesondere in den
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Henryk Keisch an Wolf Biermann [4. 9. 1974]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Korrespondenz allgemein 1972–1974/B/Biermann Wolf 1. Henryk Keisch an Wolf Biermann [4. 9. 1974]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Korrespondenz allgemein 1972–1974/B/Biermann Wolf 1. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [2. 1. 1975]. SAPMO-Barch vorl. SED 18514. Zitiert nach Staadt, S. 73. 591
nichtsozialistischen Ländern«325 deutlich. Keisch verwies auf die positive Bilanz seines Geschäftsberichtes. Weitere Informationen über den geplanten »Ablauf der Generalversammlung sowie über Kaderfragen (Wahl des Präsidenten und Präsidiums)«326 folgten. Das Problem der Zuwahl von neuen Mitgliedern sollte ausgeklammert bleiben, »da darüber auf einer weiteren Parteigruppensitzung vor der GV am 15. 1. 1975 beraten werden sollte.«327 Die von den Organisatoren geplante Aussprache über die Referate von Kamnitzer, Keisch und Heldt kam nicht in Gang. Offenbar wagte niemand, Kritik an der vorgegebenen Parteilinie zu üben. Eine Auseinandersetzung entzündete sich indes an der Frage, wie mit den Zuwahlen und Biermann umgegangen werden sollte. Dezidierte Vorwürfe kamen von Jurek Becker; er äußerte die Auffassung, »daß wir [Biermann] falsch behandeln. Unter Umständen weiß Biermann gar nicht, so führte Genosse Becker aus, daß mit seiner PEN-Mitgliedschaft etwas nicht in Ordnung ist.«328 Daraufhin legten Kamnitzer und Kant den Standpunkt des P.E.N.Präsidiums dar: Von einem Ausschluß Biermanns sei bisher abgesehen worden, weil kein internationales Aufsehen erregt werden und Biermann selbst nicht die Chance gegeben werden sollte, sich erneut zu einem vieldiskutierten ›Fall‹ hochzuspielen. Es sei eine Kommission des Präsidiums eingesetzt worden, mit der Biermann seine Probleme bereden und mit deren Hilfe er seine Beziehungen zum Pen in Ordnung bringen sollte. Biermann habe diese ›ausgestreckteHand‹ ignoriert,aber in der SchweizerPresse erklärt,er denke nicht daran, vor diesem ›Tribunal‹ zu erscheinen, das die ›Sache der DDR-Staatsmacht besorge.‹ Biermann bezahle trotz Aufforderung keine Beiträge. Aus all diesen Gründen werde Biermann nicht als Mitglied behandelt und sei daher zur Generalversammlung nicht eingeladen worden.329
Weitere Anfragen und Bedenken, die Becker äußerte, wurden laut Bericht der Abteilung Kultur zurückgewiesen. Ein scharfer Angriff kam von Kant: »Wenn du auch erst zwei Jahre im PEN bist und vielleicht manches nicht weißt, mußt du nicht immer wieder Fragen auf den Tisch legen, die für uns geklärt sind!«330 Als 325
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Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514.
bindende Linie wurde festgelegt, »Biermann, wenn er uneingeladen kommt, zu ignorieren und jeden Anlaß zu Provokationen und Diskussionen zu vermeiden. Genosse [Peter] Edel und Genosse [Wilhelm] Girnus sagten, daß sie von dieser jahrelangen ›Eierei‹ um Biermann nun genug hätten. Die Sache müsste nun mal zu Ende gebracht werden!«331 In der Folge erzwangen mehrere Mitglieder der Parteigruppe eine Diskussion über die Neuaufnahmen in den P.E.N., die zum Teil heftige Züge annahm. Die von den Parteifunktionären in Aussicht genommene »Verringerung der Kandidatenliste«332 misslang. Die Debatte um einzelne Kollegen, die zur Aufnahme in das P.E.N.-Zentrum DDR vorgeschlagen worden waren, machte widerstrebende Auffassungen deutlich: Alexander Abusch machte darauf aufmerksam, dass Rainer Kirsch »vor kurzem aus der Partei ausgeschlossen worden ist und daß seine Aufnahme in den PEN als eine Provokation verstanden werden kann. Die Genossen Kurt und Jeanne Stern, die Rainer Kirsch vorgeschlagen hatten, erklärten ihre Absicht, Kirsch durch die Aufnahme in den PEN aus einer möglichen Isolierung herauszuführen.«333 Heldt appellierte an das parteiliche Verantwortungsbewusstsein der Anwesenden. Es sei doch »Aufgabe der Genossen, darüber zu beraten, welche Genossen in den PEN müssen, um die führende Rolle der Partei zu stärken.«334 Schließlich gebe es »zu viele Sorgen um die Aufnahme jener in den PEN, mit denen wir Meinungsverschiedenheiten haben.«335 In die Auseinandersetzung griff Kamnitzer ein; er bemühte sich, das generelle Zuwahlprinzip des DDR-P.E.N. positiv herauszustellen: »Die Einsendung von Vorschlägen an das Präsidium bis zu einem bestimmten Termin und die Zusammenstellung von Namen zu einer geschlossenen Liste, ist noch die beste Möglichkeit, um sich vor den schlimmsten Überraschungen zu schützen. Wir sind ja demokratischer als der BRD-PEN, wo nur das Präsidium über Neuaufnahmen entscheidet.«336
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Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. 593
Nachfolgend bemühte sich Heldt, innerhalb der Parteiversammlung zu einem alle Seiten einigermaßen zufrieden stellenden Ergebnis zu gelangen. Sein Kompromissvorschlag verfolgte zwei Ziele: Einerseits sollte die parteimäßige Stärkung der Mitgliedschaft gesichert, andererseits den Parteigruppenmitgliedern eine gewisse Freiheit bei der Wahl zugestanden werden. Zu diesem Zweck sollten sich alle »Genossen […] verpflichten, ihre Stimmen den vorgeschlagenen Genossen zu geben«337 , die Entscheidung gegenüber Parteilosen sollte hingegen freigestellt sein. Diese vorgebliche Liberalisierung der Wahl stieß auf starken Widerspruch. Wieder war es Jurek Becker, der sich deutlich gegen die vorgegebene Linie stellte: »Warum muß ich evtl. Genossen meine Stimme geben, die ich gar nicht schätze? Ich würde z. B. den Genossen [Bernhard] Seeger von der Liste streichen, obwohl er Mitglied meiner Partei ist!«338 Auch Wilhelm Girnus signalisierte in einem vertraulichen Gespräch nach der Parteigruppensitzung, dass er einer Kollegin entgegen der Parteivorgabe seine Stimme nicht geben werde: »Was sie schreibt, ist unqualifiziert. Jeden Beitrag, den sie bisher für ›Sinn und Form‹ schrieb, mußten wir ablehnen!«339 Deutlich wird an dieser Stelle, dass die P.E.N.-Mitglieder aus eigener Überzeugung über die neuen Mitglieder ihres Zentrums entscheiden wollten; sie verweigerten eine blinde Gefolgschaft. Als zentrales Kriterium ihrer Entscheidung galt die subjektive Beurteilung der Kandidaten und ihrer literarischen Leistungen. So stand bei Becker nicht, wie zu vermuten wäre, eine grundsätzliche Entscheidung gegen die Parteilinie im Vordergrund. Viel weniger dürfte eine solche Haltung für Girnus gelten; er war bislang der Parteilinie stets treu gefolgt. Maßgeblich für eine Wahl sollte das individuelle Urteil über Person und Werk sein. Der Widerstand zumindest einzelner Mitglieder der Parteigruppe gegen eine Indoktrination durch die Abteilung Kultur war mehr als deutlich geworden. Ein wirkliches Druckmittel hatten die Kulturfunktionäre nicht in der Hand: Da die Wahlen laut Statut geheim vonstatten gehen sollten, war eine allumfassende Kontrolle nicht möglich. Letztlich gelang es nicht, die Parteimitglieder auf ein einheitliches Votum einzuschwören. Der Plan, massiv Einfluss auf die Mitgliederschaft des P.E.N.-Zentrums DDR zu nehmen, war gescheitert. Die Parteigruppenversammlung musste abgebrochen werden. Auf das untragbare Ergebnis wenige Tage vor der geplanten Generalversammlung reagierten die Parteifunktionäre mit größter Besorgnis. Die »Aufregung über die erlebte Diszi-
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Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514.
plinlosigkeit [war] sogar für bewährte Kadernerven zu groß«340 : »Im Anschluß an die Parteigruppenversammlung erlitt Genosse […] eine Herzattacke.«341 Peter Heldt empfahl am nächsten Tag in einem Schreiben an das ZKSekretariat die Verschiebung der P.E.N.-Generalversammlung, weil bis zum 15. Januar 1975 eine dem Parteiauftrag entsprechende Vorbereitung dieser Zusammenkunft nicht mehr zu gewährleisten war.342 Das ZK-Sekretariat stimmte einer Verlegung der Generalversammlung auf April 1975 zu.343 Damit war für die kulturpolitischen Funktionäre Zeit geschaffen, eine gründlichere Vorarbeit für die Mitgliederversammlung zu leisten. Hager drängte Ende Januar 1975 jedoch auf eine grundsätzliche Entscheidung: Was die Generalversammlung des PEN-Zentrums anbetrifft, so ist zwar der Termin verschoben, aber es muß doch prinzipiell entschiedenwerden, ob eine Zuwahl von Mitgliedern erfolgt. Nach meiner Meinung kann man damit nicht einverstanden sein, daß sich das PEN-Zentrum de facto in einen 2. Schriftstellerverband der DDR entwickelt. Eine Zuwahl käme höchstens infrage, falls ein Mitglied ausscheidet bzw. falls wir ein Interessehaben, daß bestimmte Genossen im PEN-Zentrum tätig sind (das vorwiegend nach außen arbeitet).344
Offenkundig sollte das P.E.N.-Zentrum DDR möglichst klein gehalten werden. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein: Angst vor einer Konkurrenz für den Schriftstellerverband; Furcht vor einem Sammelbecken oppositioneller Kräfte; Devisenprobleme in Bezug auf die Zahlung des internationalen Mitgliedsbeitrags etc. Dem stand die Vorschlagsfreudigkeit der P.E.N.-Mitglieder entgegen. Sie hatten in Reaktion auf die Einladung zur Generalversammlung im Januar 1975 insgesamt 22 Vorschläge schriftlich beim P.E.N.-Präsidium eingereicht. Noch im Vorfeld der Parteigruppenversammlung hatte das P.E.N.Präsidium »ausgehend von [d]er Empfehlung [der Abteilung Kultur], die Zahl der Kandidaten unbedingt zu verringern«345 , zehn Kandidaten von der Liste gestrichen: Die Abteilung Kultur hatte »die Empfehlung für die Absetzung einiger Kandidaten gegeben (Bernd Jentzsch, Elke Erb, Rainer Kirsch) und festgelegt, daß die Kandidatur weiterer sehr gründlich überlegt werden müsse ([Wolfgang] Harich, [Joachim] Seyppel).«346 Mit dieser Praxis hatten sich die Präsidiumsmitglieder Stephan Hermlin, Christa Wolf und Peter Hacks nicht 340 341
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Staadt, S. 74. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [9. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Vgl. Staadt, S. 73. Kurt Hager an Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [27. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [9. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [9. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. 595
einverstanden gezeigt. Heldt fürchtete, dass bei einer neuen Diskussion der Vorschläge für die Zuwahl »auch weitere, uns nicht genehme Kandidaten […] auf die Listen kommen.«347 Nach der unbefriedigenden, gar misslungenen Parteigruppenversammlung war schließlich von der Abteilung Kultur in Absprache mit Kurt Hager eine bindende Weisung herausgegeben worden: Auf der Generalversammlung 1975 sollten überhaupt keine neuen Mitglieder zugewählt werden. In einer Beratung über diese Anweisung zeigten sich Kamnitzer und Keisch Ende Februar 1975 laut einem Bericht von Peter Heldt an Kurt Hager ratlos: Die Genossen teilen die Auffassung, daß das PEN-Zentrum der DDR die Zahl seiner Mitglieder in Grenzen halten sollte und in Zukunft nur noch Mitglieder aufnehmen wird, wenn eine besondere Dringlichkeit vorliegt bzw. wenn Plätze durch Tod oder Ausscheiden frei geworden sind. Für die bevorstehende Generalversammlung kann nach Meinung der Genossen dieses Prinzip noch nicht angewandt werden, da bereits zur Einreichung von Kandidaten aufgerufen worden war und im November 1974 eine Liste von Vorschlägen im Präsidium behandelt und später in der Parteigruppe bekannt gemacht worden ist. Es wurde im Gespräch versucht, Gründe und Argumente für eine Absetzung des Tagesordnungspunktes›Zuwahlen‹zu erarbeiten,die alle Mitgliederdes PEN überzeugen. Die Genossen Kamnitzer und Keisch wußten keinen Rat. Sie wissen nicht, wie sie dies den Genossen und Parteilosen nun ›post festum‹ begründen sollten. Sie bitten dringend darum, diesmal noch eine Neuaufnahme zu ermöglichen.348
Eine Klärung sollte in einem erneuten Gespräch herbeigeführt werden, »um einen entsprechenden Weg zu finden und eine geeignete Argumentation auszuarbeiten.«349 Auch das Problem um die Mitgliedschaft von Wolf Biermann sollte hier noch einmal erörtert werden; es war nämlich um eine Facette reicher: Biermann hatte, vielleicht auf den Wink eines P.E.N.-Kollegen, seine ausstehenden Mitgliedsbeiträge gezahlt. Die gesonderte Behandlung ging weiter: Bei Heldt fragten Kamnitzer und Keisch an, »ob man Biermann zur Generalversammlung einladen und ihm das neue Mitgliedsbuch aushändigen sollte.«350 Überraschenderweise waren beide »der Meinung dies zu tun.«351 Biermann
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Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [9. 1. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager: Information über ein Gespräch mit den Genossen Kamnitzer und Keisch über die Vorbereitung der PEN-Generalversammlung im April 1975 [29. 2. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager: Information über ein Gespräch mit den Genossen Kamnitzer und Keisch über die Vorbereitung der PEN-Generalversammlung im April 1975 [29. 2. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager: Information über ein Gespräch mit den Genossen Kamnitzer und Keisch über die Vorbereitung der PEN-Generalversammlung im April 1975 [29. 2. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager: Information über ein Gespräch mit den Genossen Kamnitzer und Keisch über die Vorbereitung
nahm schließlich an der Generalversammlung 1975 teil – ohne sonderlich aufzufallen. Die avisierte Beratung fand am 20. März 1975 statt. Erneut trafen Kamnitzer und Keisch mit Heldt zusammen. Heldt hatte auf der Streichung der Zuwahlen von der Agenda der Generalversammlung bestanden. Kamnitzer übergab Heldt im Verlauf des Gesprächs eine Aktennotiz, die seine massiven Bedenken gegen die kulturpolitischen Direktiven der Abteilung Kultur deutlich machten: Ich mache darauf aufmerksam: 1. Die Vorlage, die mit Datum vom 27. 11. 1974 vom ZK abgezeichnet worden ist, enthält als Punkt 4: Zuwahl der Mitglieder; bestätigt und verpflichtet somit dementsprechend zu handeln. 2. Sowohl die Kriterien der Neuaufnahmen wie die Namensliste der Kandidaten sind in jeder Phase nach sorgfältiger Beratung und völliger Übereinstimmung mit dem zuständigen Vertreter des ZK zustande gekommen und im Dezember 1974 gebilligt worden. 3. Die Vorschläge für Neuaufnahmen sind im Einklang mit den Statuten des P.E.N. DDR und in Übereinstimmung mit der zuständigen Parteiinstanz angefordert, eingereicht, geprüft und verabschiedet worden. 4. Was am 20. März 1975 offiziell übermittelt wurde, ist ohne Aussprache und Absprache mit den Genossen des P.E.N. DDR (Präsident, Präsidium, Mitglieder) geschehen. 5. Falls man die vereinbarte Grundlage verläßt, dann muß ein autorisierter Vertreter des ZK den Standpunkt vor den Genossen des Präsidiums des P.E.N. DDR sowie vor den Genossen der Mitgliedschaft vertreten und begründen. 6. Der Termin für die Generalversammlung kann dann erst festgelegt werden, nachdem mit den Genossen des P.E.N. DDR (Präsidium und Mitglieder) beraten und beschlossen worden ist, wie zu verfahren sei. 7. Wenn man nachträglich und rückwirkend Zuwahlen untersagt, nachdem in voller Übereinstimmung die Vorschläge angefordert und eingereicht worden sind, so muß man damit rechnen, daß auf der Generalversammlung darüber Auskunft verlangt wird. Wie soll sie lauten? 8. Das P.E.N.-Präsidium hat in den letzten Jahren in relativer Ruhe und mit gewissem Erfolg seine Tätigkeit leisten können, weil die Richtlinien der Partei und die Satzungen des P.E.N.-Zentrums stets vor wichtigen Tagen in eine verpflichtende Übereinstimmung gebracht wurden, an die man sich hielt. So sollte es auch diesmal sein. Ich schlage deshalb vor, wie beschlossen zu verfahren und zur Generalversammlung im Jahre 1977 die Frage der Zuwahlen grundsätzlich wie zeitig zu klären.352
Zwar antwortete Peter Heldt auf die deutliche Kritik durch Kamnitzer mit einer scharfen Zurechtweisung: »Diese Aktennotiz entspricht nicht dem in unserer Partei üblichen Stil der Arbeit. […] Sie widerspricht dem Charakter unserer Zusammenarbeit und den zwischen uns bestehenden Beziehungen.«353 Heldt schien aber ob der Bedenken von Kamnitzer verunsichert. Am 2. April 1975
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der PEN-Generalversammlung im April 1975 [29. 2. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Heinz Kamnitzer: Aktennotiz [20. 3. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Heinz Kamnitzer [26. 3. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. 597
schrieb er an Kurt Hager: »Ich teile voll Deine Meinung, daß sich das PENZentrum nicht in einen zweiten Schriftstellerverband der DDR entwickeln kann und soll und daß ausgehend von den Aufgaben des PEN eine Zuwahl nur dann in Frage kommt, wenn ein Mitglied ausscheidet bzw. die Aufgabenstellung es erfordert oder wir Interesse an der Mitgliedschaft bestimmter Genossen haben.«354 Heldt verwies auf die mit Kamnitzer und Keisch auf dieser Grundlage geführten Gespräche – »selbstverständlich ohne Berufung auf Dich«355 –, und orientierte sich bei der Darstellung der Ergebnisse an Kamnitzers Aktennotiz. Kamnitzer und Keisch stimmten der von Heldt im Auftrag von Hager vertretenen Position zu; sie halten jedoch ihre Durchsetzung für die bevorstehende Generalversammlung nicht für möglich. Sie verwiesen darauf, daß Ende vergangenen Jahres von einer Reihe Mitglieder Vorschläge entsprechend der bisherigen Verfahrensweise unterbreitet wurden und diese im Präsidium (nach den Dir bekannten schwierigen Abstimmungen und Prozeduren) auch bestätigt wurden. Zudem sei in der dem Politbüro vorgelegten Konzeption für die Durchführung der Generalversammlung die Neuzuwahl von Mitgliedern bestätigt worden. Die Genossen Kamnitzer und Keisch befürchtenungünstige Diskussionen und Konfrontationenund sehen sich selbst nicht in der Lage, die Nichtzuwahl neuer Mitgliederzu begründen.Die Begründung dafür müsste dann ihrer Meinung nach offiziell von einem kompetenten Vertreter der Partei erfolgen.356
Die Sachlage zwang zur Korrektur der Direktiven. Heldt schlug »angesichts d[ ]er Umstände vor«: 1. Die dargelegte prinzipielle Linie wird für die künftige Praxis angewendet und von den Genossen Kamnitzer und Keisch auch durchgesetzt. 2. Für die Generalversammlung 1975 sollten wir einer begrenzten Zuwahl von Mitgliedern zustimmen. Von den ehemals 22 vorgeschlagenen Kandidaten stehen demnach folgende zur Neuwahl an. Adolf Endler (parteilos) Wolfgang Harich (parteilos) Prof. Dr. Hans Kaufmann (SED) Walter Kaufmann (Mitglied der KP Australiens, DDR-Bürger) Dr. Kurt Kauter (SED) Rainer Kirsch (parteilos) Walter Püschel (SED) Prof. Dr. Rita Schober (SED) Joachim Seyppel (parteilos) 3. Wie bekannt, hat Genosse Abusch nachträglich die Genossen Helmut Baierl, Erik Neutsch, Helmut Sakowski und Bernhard Seeger vorgeschlagen. Ich empfehle, diese Vorschläge im Interesse der Durchsetzung unserer Position und der Vermeidung zusätzlicher Konfrontationen abzusetzen.
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Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [2. 4. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [2. 4. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [2. 4. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514.
Zudem ist zu erwarten, daß die Genossen Erik Neutsch und Bernhard Seeger nicht die notwendigen Stimmen für die Aufnahme erhalten.357
Die Generalversammlung wurde schließlich unter geringer Beteiligung der Mitglieder am 22. Oktober 1975 abgehalten. Anwesend waren lediglich 25 Mitglieder. Als Gäste nahmen Leo Sladczyk, Abteilung Kultur, und Gerhard Henniger vom Schriftstellerverband teil. Das Präsidium war nur gut zur Hälfte vertreten durch Kamnitzer, Kant, Hermlin, Keisch, Cwojdrak und de Bruyn. Das Ehrenmitglied Herzfelde war erschienen, sowie einige der 1972 Zugewählten, darunter Annemarie Auer, Jurek Becker, Rainer Kerndl, Karl Mickel, Berta Waterstradt und Eduard Zak.358 Eine Stunde vor Beginn der Generalversammlung hatte eine Beratung der Parteigruppe stattgefunden, »in der noch einmal auf die Verpflichtung der Genossen hingewiesen wurde, für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Veranstaltung und für die Wiederwahl des Präsidiums und des Präsidenten Heinz Kamnitzer zu sorgen«359 . Die Leitung der Zusammenkunft war Leo Sladczyk, Mitarbeiter der Abteilung Kultur, in Vertretung für den Parteigruppensekretär Heinz Kahlau übertragen worden. Hauptpunkt der Unterredung war die Bestätigung der »noch ausstehenden Liste der Kandidaturen für Neuwahlen im Sinne der […] erfolgten Klärung«360 . Über die Liste der Neuaufnahmen war schließlich Einigkeit erzielt worden: Zur Wahl standen von den ursprünglichen 22 Vorgeschlagenen noch acht: Joachim Seyppel,361 Adolf Endler, Wolfgang Harich, Rainer Kirsch, Hans Kaufmann, Walter Kaufmann, Rita Schober und Kurt Kauter. Der Parteigruppe gelang die Durchsetzung zweier weiterer Kandidaten: »Nach Diskussion bestanden die Genossen darauf, auch die beiden ausländischen Schriftsteller [Jean] Villain und [Allan] Winnigton, die in der DDR leben und schreiben, auf die Kandidatenliste zu setzen.«362 Dieses Ergebnis kann als 357
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Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [2. 4. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit »Martin« am 22. 10. 1975 [28. 10. 1975]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/4, Bl. 162–166, hier Bl. 162f. Abgedruckt in: Corino, S. 331–337. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [30. 10. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. [?] Sigbjoernsen [Sekretariat des P.E.N.-Zentrums DDR] an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [9. 10. 1975]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/SED 1. Die Aufnahme von Joachim Seyppel hatte Wieland Herzfelde bereits im Dezember 1974 befürwortet; er richtete an Keisch die Aufforderung, »daß wir uns schlüssig werden sollten, ob wir Joachim Seyppel in den PEN aufnehmen wollen. Er hat mir ein Blatt über sein Leben und seine Arbeiten übersandt, und ich glaube, das genügt für einen solchen Vorschlag.« Wieland Herzfelde an Henryk Keisch [10. 12. 1974]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2157. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [30. 10. 1975].SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Jean Villain hatte schon im März 1973 den Kontakt zum P.E.N.-Zentrum DDR gesucht; er schrieb an Kamnitzer: »Das, was Sie mir [über die Aktivitäten des P.E.N.-Zentrums] berichteten, beschäftigt mich nach 599
Zugeständnis der Abteilung Kultur gewertet werden, die eine erneute Auseinandersetzung innerhalb der Parteigruppe, und dies unmittelbar vor der Generalversammlung, vermeiden wollte, um deren parteimäßig geplanten Ablauf nicht zu gefährden. Die Generalversammlung verlief ohne besondere Zwischenfälle. Heinz Kamnitzer hielt, wie geplant, das Hauptreferat; [e]r legte die Konzeption für die Tätigkeit unseres PEN dar und war bestrebt, ausgehend von den Ergebnissen der Konferenz von Helsinki, die Aufgaben des PENZentrums der DDR herauszuarbeiten. Ausführlich ging er auf die Situation in der Bundesrepublik ein, mit der die Vertreter der DDR auf internationalen Tagungen immer wieder konfrontiert werden. Sein Referat stieß jedoch bei einigen Schriftstellern auf Unverständnis. Genosse Kamnitzer wirkte bei seinem Vortrag überanstrengt und unkonzentriert.363
Kamnitzer verdeutlichte vor allem die Zusammenhänge zwischen Literatur und Weltpolitik. Die im August 1975 erfolgte Ratifizierung der KSZE-Schlussakte, die das Verhältnis der europäischen Staaten umfassend regelte, werde auch Einfluss auf die Kultur- und Literaturpolitik zeigen. Den Internationalen P.E.N. sah Kamnitzer im Hinblick auf internationale Zusammenarbeit als eine Art Vorreiter: »Trotz gegensätzlicher Weltanschauungen und unterschiedlicher Absichten ist internationale Zusammenarbeit nötig, und sie ist möglich, wenn keiner dem anderen abverlangt, was mit dessen Anschauungen nicht vereinbar ist. Nach diesem Grundsatz ist im Internationalen P.E.N. bei der Beschlussfassung über Erklärungen und Maßnahmen in der Mehrzahl der Fälle Übereinkunft erreicht worden.«364 Gleichwohl war damit keine Uniformierung intendiert. Die Repräsentation des eigenen Staates und seiner Kultur stand für Kamnitzer weiterhin im Vordergrund: »Zugleich galt es und wird es weiterhin gelten, die eigenen Auffassungen deutlich zu vertreten, Eigenart und Eigenwert unseres Staates sichtbar zu machen, auch was seine Kultur und im besonderen seine Literatur angeht. Dies erst recht, wo wir Gelegenheit haben, uns in Presse, Funk und Fernsehen des Auslandes zu äußern.«365 Ein ähnliches Ziel formulierte auch Keisch; er deutete in diesem Zusammenhang die Konsequenzen an, die aus der Auseinandersetzung mit der Abteilung
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wie vor sehr und weckte in mir den Wunsch, in irgendeiner Form an den Veranstaltungen des hiesigen Pen-Klubs teilnehmen zu können, weil ich mir von den Diskussionen, die in diesem Kreis geführt werden, wertvolle Anregungen und Impulse für meine eigene schriftstellerische Arbeit verspreche.« Jean Villain an Heinz Kamnitzer [27. 3. 1973]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1972– 1974/V/Villain Jean 2. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [30. 10. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Zitiert nach: Information [zur Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR im Oktober 1975] [November 1975]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/Information 1–5, hier 2. Zitiert nach: Information [zur Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR im Oktober 1975] [November 1975]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/Information 1–5, hier 2.
Kultur erwuchsen: Auftrag des P.E.N. müsse es sein, »die Literatur der DDR in ihrer Eigenart nach außen zu vertreten, insbesondere gegenüber der nichtsozialistischen Welt. Es wird eine Aufgabe der nächsten Zeit sein, diese Arbeitskonzeption genauer zu formulieren. Daraus wird sich auch die künftige Frage bei der Zuwahl neuer Mitglieder ergeben müssen.«366 Eine rechte Diskussion über die angesprochenen Sachverhalte entspann sich nicht; sie »zielte nur in geringem Maße auf grundsätzliche Probleme und bewegte sich z. T. auf keinem allzu hohen Niveau.«367 Generelle Kritik äußerte Jurek Becker am Präsidium des P.E.N.-Zentrums, insbesondere an der geringen Transparenz der Arbeit: »Er hätte den Eindruck, daß das PEN der DDR nur aus dem Präsidium besteht und so könne es seiner Ansicht nach nicht weiter gehen.«368 Die Pausen zwischen den Versammlungen seien zu lang und die Einbeziehung der Mitglieder in die Aktivitäten des P.E.N. zu schwach. Nachdrücklich unterstützt wurde Becker in seinem Vorwurf durch Auer, Herzfelde, Kusche und Zak.369 Die Literaturkritikerin Annemarie Auer machte die Situation der »einfachen« P.E.N.-Mitglieder eindrücklich deutlich: Die Mitglieder des P.E.N. selbst sind nicht einbezogen in die Arbeit nach außen und mit außen. […] Aber wenn wir einen Bericht bekommen, welche Dinge außen passieren, wissen wir gar nichts. Wir sitzen da wie die Konfirmanden und lassen uns etwas erzählen. Das ist ein Zustand, der für die Schriftsteller und einen Meinungsaustausch zwischen Schriftstellern nicht hinreichend ist. Wir müssen einen anderen Stand von Information bekommen und müssen uns die Mittel überlegen.370
Infolge der vorgetragenen Unzufriedenheit bemühte sich Keisch, Entgegenkommen zu signalisieren – ohne allzu große Hoffnungen zu schüren: »Auch ich empfinde den Mangel an Informiertheit. Ich glaube nicht, daß es möglich sein wird, ihn in dem Maße und in der Weise zu überwinden, wie wir alle uns das wünschen würden.«371 Als Kompromisslösung schlug der Generalsekretär die Versendung von Rundschreiben und Mitteilungen, »die in Gestalt einer Zusammenfassung von Fall zu Fall ein Minimum an Information geben.«372 366
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Zitiert nach: Information [zur Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR im Oktober 1975] [November 1975]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/Information 1–5, hier 2. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [30. 10. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit »Martin« am 22. 10. 1975 [28. 10. 1975].BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/4, Bl. 162– 166, hier Bl. 164. Vgl. Information [zur Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR im Oktober 1975] [November 1975]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/Information 1–5, hier 3. Stenografisches Protokoll zur Generalversammlung 1975 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/Stenografisches Protokoll 1–33, hier 9. Stenografisches Protokoll zur Generalversammlung 1975 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/Stenografisches Protokoll 1–33, hier 11. Stenografisches Protokoll zur Generalversammlung 1975 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/Stenografisches Protokoll 1–33, hier 11. 601
Herzfelde beklagte die einseitige Beschickung der Kongresse durch wenige ausgewählte Delegierte und bat, auf eigene Kosten zu den P.E.N.-Tagungen reisen zu dürfen. In dieser Frage meldete sich auch Biermann, den man also offenkundig eingeladen hatte, zu Wort »und rief, daß er auch auf diese Weise gern mitfahren würde.«373 Seine Chancen standen schlecht – »Henryk Keisch antwortete spontan: ›Bei Ihnen würden wir das aber ganz anders beurteilen als bei Herzfelde!‹«374 Eine spezielle Behandlung war Biermann weiterhin sicher. Vollkommen unspektakulär verlief die Annahme einer Resolution, die den Internationalen P.E.N. aufforderte, »Schritte zu unternehmen, um gefährdete spanische Schriftsteller gegenüber Repressalien des vor seinem Zusammenbruch besonders terrorwütigen Franco-Regimes zu schützen.«375 Bestätigt wurde außerdem eine Resolution des Internationalen P.E.N., die Freiheit für den chilenischen Schriftsteller Luis Corvalán forderte.376 Die Wahlvorgänge verliefen nach Plan: Präsidium und Präsident wurden wiedergewählt.377 Als Mitglieder der Revisionskommission standen Jurek Becker, Günter Hofé und Paul Wiens zur Wahl; sie wurden bestätigt. Die Kandidaturen für die Neuwahlen wurden nur kurz besprochen. Lediglich gegen die Kandidatur von Wolfgang Harich wurden von Stephan Hermlin Vorbehalte geäußert: »Ich gebe zu, daß ich da ein gewisses Bedenken habe, und nicht seiner Leistung wegen, die durchaus angemessen ist. […] Was Harich in den letzten Jahren – früher schon –, aber gerade in den letzten Jahren sehr deutlich gezeigt hat, ist eine Gesinnung, die dem P.E.N. fremd sein sollte, nämlich die Gesinnung der absoluten Intoleranz.«378 Von der Mitgliederversammlung wurden mit der erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit schließlich Endler, R. Kirsch, H. Kaufmann, W. Kaufmann, Schober, Seyppel, Villain und Winnigton gewählt. Lediglich Kurt Kauter und Wolfgang Harich erhielten nicht die für eine Aufnahme notwendigen Stimmen.379 Mit Rainer Kirsch und Adolf Endler waren Autoren in den P.E.N. aufgenommen worden, die der politischen Linie keineswegs 373
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Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [30. 10. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [30. 10. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Information [zur Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR im Oktober 1975] [November 1975]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/Information 1–5, hier 5. Vgl. Stenografisches Protokoll zur Generalversammlung 1975. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/Stenografisches Protokoll 1–33, hier 32. Vgl. Stenografisches Protokoll zur Generalversammlung 1975. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/Stenografisches Protokoll 1–33, hier 23. Wortbeitrag von Stephan Hermlin. In: Stenografisches Protokoll zur Generalversammlung 1975. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/StenografischesProtokoll 1–33, hier 28. Vgl. auch Rolf Pönig [Oberleutnant,Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit »Martin« am 22. 10. 1975 [28. 10. 1975]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/4, Bl. 162–166, hier Bl. 165. Peter Heldt [Leiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [30. 10. 1975]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Vgl. auch Information [zur General-
blinden Gehorsam zollten. Noch am Abend der Generalversammlung hatte sich Hermann Kant (IMS »Martin«) mit Oberleutnant Pönig vom Ministerium für Staatssicherheit getroffen, um Bericht zu erstatten. Er schien mit den Vorgaben der Abteilung Kultur unzufrieden. Seine Kritik traf dabei nicht die generelle Instruierung durch die kulturpolitischen Funktionäre: Zur Frage der Neuaufnahmen erklärte der IM, daß er nicht verstehe, wieso sich die Kulturabteilung des ZK dafür hergebe, vor die PEN-Mitglieder zu treten und diesen zu empfehlen, solche Schriftsteller wie Adolf Endler, Rainer Kirsch und Wolfgang Harich in den PEN aufzunehmen. Er selbst habe zwar bei der Abstimmung mit vielen Bauchschmerzen Endler und Kirsch seine Stimme gegeben. Aber Harich sei ihm absolut zuviel gewesen und er habe gegen die Aufnahme des Harich gestimmt.380
Mit Blick auf die Ergebnisse der Generalversammlung 1975 lässt sich feststellen, dass es den kulturpolitischen Funktionären mindestens zum Teil gelungen war, Kontrolle über die Zuwahl von neuen Mitgliedern in das P.E.N.-Zentrum DDR auszuüben. Gleichwohl war nur eine Reduktion, nicht ein gänzlicher Stopp bei der Aufnahme geglückt. Dieser war am Widerspruch von Kamnitzer und Keisch gescheitert. Deren Motivation allerdings entsprang wohl eher der Furcht vor den zu erwartenden heftigen Reaktionen der P.E.N.-Mitgliederschaft auf die kulturpolitischen Direktiven, denn einem Widerspruchsgeist gegen die Indoktrination durch die Partei. Die Wahl der Neuzugänge verursachte, wie schon im Vorfeld, auch im Nachgang der Generalversammlung Turbulenzen. Wolfgang Harich zeigte sich empört über seine Nichtwahl und zielte mit seiner Kritik konkret auf die Außensteuerung des P.E.N.-Zentrums DDR durch die parteipolitische Führung. Erbost und zutiefst verletzt warf Harich dem Generalsekretär Keisch vor, daß dieser Antrag den Teilnehmern an der Generalversammlung nicht zur Abstimmung vorgelegt wurde – u. zw. auf Empfehlung höherer Stellen, die den Mitgliederkreis des PEN begrenzt zu sehen wünschen –, und bei derselben Gelegenheit die Herren Endler und Kirsch in den PEN gewählt worden sind. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß ich diesen Vorgang als Brüskierung des Antragstellers, als schwere, durch nichts zu rechtfertigende Diskriminierung meiner Person und als absolut maßstabslose Herabsetzung meiner Leistungen als Kritiker, Essayist, Literaturwissenschaftler und Herausgeber betrachte. Das Eingreifen höherer Stellen empfinde ich als ebenso befremdend wie aufschlußreich, die Argumente, mit denen da eingegriffen wird, als fadenscheinig und Ihre Interpretation dieser Argumente als leere Ausflüchte. Unter diesen Umständen muß ich Sie, in Wahrung meiner Ehre, darum bitten, mich von der Warteliste derer zu streichen, deren Aufnahme in den PEN auf späteren Generalversammlungen erneut zur Debatte gestellt werden soll. Eine Wahl in den PEN werde ich, solange ich lebe, niemals mehr annehmen.
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versammlung des P.E.N.-Zentrums DDR im Oktober 1975] [November 1975]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1975 Berlin/Information 1–5, hier 5. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit »Martin« am 22. 10. 1975 [28. 10. 1975].BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/4, Bl. 162– 166, hier Bl. 166. 603
Bitte übermitteln Sie dies auch besagten höheren Stellen sowie der Leitung des PENZentrums der DDR und dem internationalen leitenden Gremium des PEN-Clubs.381
Zuvor hatte es bereits ein lautstarkes Telefonat zwischen Harich und Keisch gegeben, das schließlich von Harich durch das Aufknallen des Hörers beendet worden war. In seinem Antwortbrief machte Keisch diese impulsive Reaktion in sarkastischer Weise lächerlich. Er selbst stellte sich als denjenigen dar, der in dieser Situation bravourös die Nerven behalten hatte. Noch einmal legte er die Umstände der Kandidatur für den P.E.N. nieder – nicht ohne jegliche Beeinflussung von oben zu negieren: Der von Peter Hacks zeitgerecht eingebrachte Vorschlag, Sie als Mitglied zu wählen, ist entsprechend dem üblichen Verfahren, nachdem er die Zustimmung des Präsidiums gefunden hatte, von der Vollversammlung am 22. Oktober 1975 behandelt worden. Er erreichte jedoch bei der geheim vorgenommenen Abstimmung mit 14 Stimmen nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit von 17 Stimmen. […] Das Ergebnis der Abstimmung mag unerfreulich sein, ich für meinen Teil fand es sogar bedauerlich, es ist aber vielleicht nicht ganz unverständlich angesichts des von Ihnen selbst nicht ohne eine gewisse Genugtuung betonten Umstandes, daß Sie wegen eigenwilliger Auffassungen und Veröffentlichungen umstritten sind. Jedenfalls aber ist es, und darum geht es mir hier, in keiner Weise das Ergebnis einer ›Manipulation‹ oder eines ›Komplotts‹ wie Sie mir gegenüber meinten. Auch meine ursprüngliche, irritierende Darstellung des Hergangs implizierte übrigens keinerlei ›Manipulation‹. Ich weise diese Verdächtigungen für mich persönlich und für die diversen Gremien des P.E.N. mit aller Entschiedenheit zurück. Sie haben sich einer Wahl gestellt und sind nicht gewählt worden – das ist alles.382
Tatsächlich handelte es sich bei der Nichtwahl von Harich um das reale Ergebnis einer Abstimmung. Gleichwohl erscheint dieses Resultat mit Blick auf Harichs individuelle Geschichte ein wenig befremdlich: Während Harichs langjähriger Haft hatte sich der Internationale P.E.N. nachdrücklich für seine Freilassung eingesetzt. Und nun, Jahre nach seiner Haftentlassung, versagte ihm ein nationales P.E.N.-Zentrum die Mitgliedschaft.
7.5
Solidarität mit verfolgten und inhaftierten Kollegen? (1973–1976/77)
7.5.1 Konzentriertes Engagement für chilenische Autoren Zentrales Element der internationalen P.E.N.-Arbeit war jedoch auch in den siebziger Jahren das Engagement für Schriftstellerkollegen in aller Welt, die in irgendeiner Weise an der Ausführung ihrer Arbeit gehindert wurden. Die grundsätzliche Solidarität mit Schriftstellerkollegen, die in massiven Konflikt 381
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Wolfgang Harich an Henryk Keisch [10. 3. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/H/Harich Wolfgang 1. Henryk Keisch an Wolfgang Harich [17. 3. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/H/Harich Wolfgang 2 und 2a.
mit (inter)nationalen regierungsbehördlichen Stellen geraten waren, hielt sich bei den führenden Köpfen des P.E.N.-Zentrums DDR in sehr engen Grenzen. Es gibt nur wenige Beispiele positiver Einflussnahme, zumal im Hinblick auf den eigenen Staat. Hier konzentrierte man sich, namentlich Kamnitzer und Keisch, in erster Linie auf die Abwehr kritischer Nachfragen aus dem Ausland, nicht auf eine nachdrückliche Unterstützung verfolgter Autoren. Auf internationaler Ebene hingegen verstärkte sich in den siebziger Jahren das Interesse des DDRZentrums für inhaftierte und verfolgte Schriftsteller zumindest in Einzelfällen. Ob diese Entwicklung ursächlich mit der Aufnahme in eine 1972 gegründete Unterkommission des WiPC in Zusammenhang stand, ist schwerlich zu beweisen. Die Zusammenhänge um die auf der West-Berliner Exekutive des Internationalen P.E.N. im November 1972 aktivierte Subkommission, die eine konzentrierte Arbeit des WiPC ermöglichen sollte, erscheinen verworren. Auch das P.E.N.-Zentrum DDR war in diesem Gremium vertreten. Schon im Herbst 1973 ließ Stephan Hermlin jedoch die Klage über die geringe Aktivität der Kommission verlauten; sie sei seit ihrer Gründung niemals zusammengetreten und erscheine in keiner Weise als eine arbeitende Einrichtung. Von Seiten des DDR-P.E.N. hatte man offenbar eine Niederlegung des eigenen Mandats in Betracht gezogen. Ob dieser Gedanke allerdings in die Tat umgesetzt wurde, bleibt unklar.383 Inwieweit die eingesetzte Kommission des WiPC tatsächlich untätig blieb, ist ebenfalls kaum nachweisbar. Zu konstatieren ist jedoch ein engagierter Einsatz des WiPC für den sowjetischen Schriftsteller Andrei Amalrik, der im Mai 1973 nach Ablauf einer dreijährigen Inhaftierung in einem Arbeitslager nicht freigelassen worden war. Eine Reaktion auf die nachdrücklichen Aufforderungen des internationalen Generalsekretärs384 zur Teilnahme an einer Protestaktion gegenüber den Moskauer Behörden ist für das P.E.N.Zentrum DDR – erwartungsgemäß – nicht belegt. Dies entsprach den Ausführungen, die Kamnitzer auf einer Präsidiumssitzung Mitte September 1973 laut Bericht des IM »Dichter« machte. Die Haltung stimmte mit der seit 1969 vertretenen Theorie einer antisozialistischen Kampagne innerhalb des Internationalen P.E.N.-Clubs überein: Das PEN der DDR wird auf diese Aktivitäten in keiner Weise reagieren. Sie wollen jede Polemik dazu vermeiden. Da es ihrer Meinung nach den sowjetfeindlichen Kräften nicht unbedingt darauf ankommt für ihre Aktivitäten Unterstützung zu erhalten sondern auch eine Zurückweisung ihrer Handlungen Stoff bietet um sich weiter polemisch in Zeitschriften und anderen Kommunikationsmitteln breit über diese Angelegenheiten auszulassen und ihre sowjetfeindliche Kampagne fortzusetzen. Dies könne sich ungünstig auf die bevorstehende Sicherheitskonferenz [gemeint ist die Konferenz 383
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Vgl. Heinrich Böll an Stephan Hermlin [11. 7. 1973]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz Generalsekretär 1973/Heinrich Böll 1a. Vgl. auch Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht [mit IM »Dichter«] vom 13. 9. 1973 [14. 9. 1973]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/2, Bl. 59–63, hier Bl. 62. David Carver an alle nationalen P.E.N.-Zentren [24. 7. 1973]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Int. PEN London – Intern. Zentren 1969–1973/L/London 3. 605
über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa] auswirken. Dazu möchten wir jedoch keinen Grund geben.«385
Internationalen Einsatz zeigte das P.E.N.-Zentrum DDR, speziell Kamnitzer, hingegen für die chilenischen Schriftsteller. In Chile war im September 1973 die Regentschaft des Sozialisten Salvador Allende Gossens, der sich mit Reformen für eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation seines Landes eingesetzt hatte, gewaltsam durch einen Militärputsch beendet worden. Eine Militärjunta unter General Augusto Pinochet Ugarte übernahm die Regierungsgewalt. Die Verfassung wurde in weiten Teilen außer Kraft gesetzt. Die Situation für die Anhänger Allendes war schwierig. Viele Menschen, darunter auch zahlreiche Schriftsteller und Journalisten, wurden inhaftiert, in Lagern gefangen gehalten, erschossen oder retteten sich durch die Flucht außer Landes.386 Im Oktober 1973 forderte Kamnitzer den internationalen P.E.N.-Präsidenten zur Unterstützung auf: Ich »[b]itte Sie […] öffentliche Aufmerksamkeit auf das ungewisse Schicksal von Pablo Neruda und andere chilenische Schriftsteller zu lenken.«387 Bereits im September hatte Kamnitzer eine Mitteilung an ADN übergeben, die eindringlich auf Pablo Neruda aufmerksam machte. Im November 1973 reagierte der internationale Generalsekretär auf Kamnitzers Eingabe; er verwies auf die Behandlung der Angelegenheit auf der Exekutive im Dezember 1973 und machte zugleich deutlich, dass er sich intensiv mit dem Sachverhalt auseinandersetzte: »I trust that a very strong worded resolution will emerge from that meeting. I was very disturbed to be informed that the Chilean P.E.N Centre has publicy supported the military dictatorship in Santiago. I do not know whether this is bona fide information, but am making enquiries. If the Chilean Centre has done this, of course, we shall have to consider suspending the Centre.«388 Auf der Londoner Exekutive im Dezember 1973 erschienen die Delegierten des DDR-Zentrums »armed with informations about the harassment of writers in Chile«389 . Kamnitzer hatte eine lange Liste mit Namen von Autoren vorgelegt, die von der Militärjunta verfolgt, bedroht wurden oder bereits umgebracht worden waren.390 Die Situation in Chile sei katastrophal, so Kamnitzer. Er sei der Meinung, »that more must be done by P.E.N. in this case than in other recent 385
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Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht [mit IM »Dichter«] vom 13. 9. 1973 [14. 9. 1973]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/2, Bl. 59–63, hier Bl. 62. Vgl. Der große PLOETZ. Die Daten-Enzyklopädieder Weltgeschichte.Daten, Fakten, Zusammenhänge. Darmstadt 1998, S. 1921–1923. Heinz Kamnitzer an Heinrich Böll [13. 9. 1973]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Heinrich Böll 4. David Carver an Heinz Kamnitzer [9. 3. 1973]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Int. PEN London – Intern. Zentren 1969–1973/L/London 1. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held in London on Wednesday and Thursday, December 12th and 13th , 1973, S. 12. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Chilean Authors Murdered or in Danger of Their Lives. Annexe C der Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held in London on Wednesday and Thursday, December 12th and 13th , 1973. P.E.N.-Archiv London.
case.«391 Die Exekutive befürwortete die Bildung einer Kommission, bestehend aus Heinz Kamnitzer, Per Wästberg und Lászlo Kéry, die sich mit der Abfassung einer Resolution befassen sollte.392 Am zweiten Verhandlungstag stellte Kamnitzer das Ergebnis der Arbeit vor: The reign of violence that has come to Chile knows no exceptions. The carnage has claimed its victims among writers as well. Their offence: to have been in sympathy with the legal government that was overthrown by the Junta. For no other reasons are they arrested, imprisoned, tortured and murdered. To the cruelty of those in power is added their [?]athless in silencing a press that was free to spread the spirit of humanism and socialism. What happened in Chile is a challenge to us all. Our anger must be matched by our efforts. International P.E.N. calls all the writers of the world to speak for those that have been silenced. We ask them to help us to save our colleagues who live in fear of their lives. We call upon every P.E.N. Centre to rally writers in a camp of protest and solidarity that knows no let-up until liberty return to Chile.393
Ohne weitere Diskussion wurde diese eindringliche Resolution von den Delegierten der Exekutive zur Weitergabe an die Presse einstimmig angenommen.394 Auf der Tagesordnung der Londoner Exekutive stand im Zusammenhang mit der Situation in Chile zusätzlich die Frage, wie mit dem dortigen P.E.N.-Zentrum umzugehen sei. Das chilenische P.E.N.-Zentrum hatte öffentlich und gegenüber dem Internationalen P.E.N. eine Stellungnahme abgegeben, die nach Ansicht der Londoner Delegierten nicht nur die gestürzte Allende-Regierung und seine Arbeit verurteilte, sondern den Regierungswechsel und das neue Militärregime mit Enthusiasmus begrüßte – ohne die begangenen Grausamkeiten auch nur zu erwähnen.395 Die Exekutive beschloss nach langwieriger Debatte die Suspendierung des chilenischen P.E.N.-Zentrums, ohne einen Vertreter angehört zu haben. Lediglich eine Frist von sechs Wochen wurde eingeräumt, um die erhobenen Vorwürfe zu klären.396 Auch 1974 setzte sich die Führung des P.E.N.-Zentrums DDR weiterhin für die verfolgten chilenischen Autoren ein. Böll hatte im Austausch mit Kamnitzer zu »eine[r] weitere[n], umfassende[n] und möglichst ›energische[n]‹ Chile391
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held in London on Wednesday and Thursday, December 12th and 13th , 1973, S. 13. P.E.N.-ArchivLondon. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held in London on Wednesday and Thursday, December 12th and 13th , 1973, S. 16. P.E.N.-ArchivLondon. Zitiert nach Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held in London on Wednesday and Thursday, December 12th and 13th , 1973, S. 19. P.E.N.Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held in London on Wednesday and Thursday, December 12th and 13th , 1973, S. 19. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held in London on Wednesday and Thursday, December 12th and 13th , 1973, S. 13. P.E.N.-Archiv London. Vgl. auch Annexe D. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held in London on Wednesday and Thursday, December 12th and 13th, 1973, S. 13–16. P.E.N.-Archiv London. 607
Resolution [geraten] […], damit eben die Aufmerksamkeit nicht einschläft.«397 Auf der Exekutivkomitee-Tagung im jugoslawischen Ohrid (Mai 1974) forderte das P.E.N.-Zentrum DDR erneut zur Intervention durch den Internationalen P.E.N. auf: In view of the reliable report that the Chilean Junta continues its policy of wanton arrest, cruel torture and outright murder, bearing in mind that authors, publishers and editors continue to suffer under prevailing conditions, the International Executivecalls upon the President and the General Secretary of International P.E.N. to present an official protest to the present-day rulers of Chile and to request P.E.N. Centres to do the same.398
Die vorgebrachte Resolution wurde durch die Exekutive bei zwei Enthaltungen angenommen. Eine gesonderte Verlautbarung, die sich auf das individuelle Schicksal des chilenischen Schriftsteller Luis Corvalán bezog, erhielt uneingeschränkte Zustimmung der Delegierten.399 Die Situation der chilenischen Autoren und die Position des chilenischen P.E.N.-Zentrums zu den Vorgängen im eigenen Lande beschäftigte den Internationalen P.E.N. auch in den Folgejahren. Wieder und wieder stand die Suspendierung des chilenischen P.E.N. auf der Tagesordnung.400 Auf der Wiener Tagung im November 1975 sollte schließlich eine endgültige Entscheidung über die Zukunft des chilenischen P.E.N.-Zentrums gefällt werden. Befunden werden sollte über einen endgültigen Ausschluss. Die im Anschluss an die Anhörung einer chilenischen Abgesandten vorgenommene Abstimmung versank jedoch im Chaos. Ein eindeutiger, von allen akzeptierter Beschluss wurde in Wien nicht gefasst.401 Besonderes Interesse an den Vorgängen in Chile hatte schon auf der Ohrider Exekutive im Mai 1974 der Vertreter des US-amerikanischen P.E.N.-Zentrums, Talat Halman, gezeigt.402 Auch Heinz Kamnitzer stand im steten Austausch mit
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Heinrich Böll an Henryk Keisch [10. 4. 1974]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1974–1977/B/Bundesrepublik Deutschland 21 und 21a, hier 21a. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held at Lake Ohrid, Macedonia (Yugoslavia) on 19th and 20th May, 1974, S. 12. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the InternationalExecutiveCommittee of P.E.N. held at Lake Ohrid, Macedonia (Yugoslavia) on 19th and 20th May, 1974, S. 13. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Jerusalem on December 16th , 17th , 19th und 20th 1974; Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Paris on May 23rd and 24th , 1975. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Vienna on November 17, 18, 19 and 21, 1975, S. 35–42. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held at Lake Ohrid, Macedonia (Yugoslavia) on 19th and 20th May, 1974, S. 12. P.E.N.-Archiv London.
dem internationalen Generalsekretariat.403 Durch Vermittlung von Peter Elstob, dem im Mai 1974 provisorisch und im Dezember 1974 schließlich im Wahlverfahren das Amt des internationalen Generalsekretärs in der Nachfolge von Carver übertragen worden war, kam es im Laufe des Jahres 1976 zu einer konzentrierten Zusammenarbeit zwischen dem P.E.N.-Zentrum DDR und dem USamerikanischen P.E.N.-Club. Gemeinsames Interesse war die Lösung der ChileFrage. Gegenstand der brieflichen Konsultationen war die Verständigung über einen Resolutionsentwurf, der auf der Frühlings-Exekutive 1976 in Den Haag zur Debatte gestellt werden sollte. In einem Schreiben an Kirsten Michalski vom amerikanischen P.E.N.-Zentrum signalisierte Keisch grundsätzliche Verständigungsbereitschaft; er machte die generelle Zielsetzung der geplanten Resolution deutlich: »Uns kommt es, wie sicher auch Ihnen und vielen anderen Zentren, vor allem darauf an, daß der Zynismus, mit dem das chilenische Zentrum auftritt, nicht vom Internationalen PEN durch Verzeihen und Vergessen honoriert wird.«404 Keisch nahm damit u. a. Bezug auf den Auftritt von Lucia Gevert Parada, die als Vertreterin des chilenischen P.E.N.-Zentrums in Wien vergeblich versucht hatte, die nach wie vor problematische Situation in Chile herunterzuspielen.405 Keischs weitere Ausführungen an Michalski verdeutlichen, dass man von Seiten des P.E.N.-Zentrums DDR entschieden die Befürwortung des Regimes unter Pinochet durch den Chile-P.E.N. verurteilte: Unsere Mißbilligung und Verurteilung des chilenischen P.E.N. gründet sich […] nicht darauf, daß die Chilenen sich politisch geäußert haben. Sie gründet sich vielmehr darauf, daß ihre Äußerung eine bösartige Attacke gegen das soeben durch einen illegalen Putsch gestürzte Volksfront-Regime und eine Verteidigung der Verbrechen der Pinochet-Junta war. Hieran aber hat sich in den seither vergangenen zweieinhalb Jahren nichts geändert. Alle im Internationalen P.E.N. aufgetretenen chilenischen Sprecher haben mit schamlosen Lügen und im Widerspruch zu notorischen Fakten das Pinochet-Regime in Schutz genommen, ihm ein demokratisches Alibi zu verschaffen gesucht. Das ist in unseren Augen der eigentliche Grund dafür, daß wir sie unbefristet suspendierenmüssen. Sollte Peter Elstob sich mit seiner Ansicht durchsetzen, daß Suspendierung nur für eine bestimmte und nicht zu lange Dauer ausgesprochen werden kann, so müßte eben der Ausschluß des chilenischen Zentrums erfolgen.406
In Den Haag kam schließlich eine Entschließung zur Verhandlung, die ein Konglomerat aller Resolutionen bildete, die von verschiedenen P.E.N.-Zentren zum Thema Chile beim internationalen Generalsekretariat eingegangen waren. Demnach forderten die P.E.N.-Zentren Amerikas, Ungarns, Jugoslawiens, der Nie403
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Vgl. etwa Report from Acting Chairman of the Writers in Prison Committee. Annexe F der Minutes of the Meeting of the InternationalExecutiveCommittee held in Jerusalem on December 16th, 17th , 19th und 20th 1974. P.E.N.-Archiv London. Henryk Keisch an Kirsten Michalski [26. 3. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1974–1977/A/Amerika 9a. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Vienna on November 17, 18, 19 and 21, 1975, S. 35f. P.E.N.-Archiv London. Henryk Keisch an Kirsten Michalski [26. 3. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1974–1977/A/Amerika 9a. 609
derlande sowie die beiden deutschen Sektionen eine temporäre Suspendierung des chilenischen P.E.N.-Clubs: Considering that a number of writers in Chile have been assassinated and that many others are still being held in prison without trial and otherwise persecuted, and considering that the Chilean Centre is not only not prepared to help its colleagues, but denies that this situation exists, International P.E.N. suspends the Chilean Centre until the first meeting of the Executive Committee in 1977 and will investigate the conduct and activities of the Chilean P.E.N. Centre.407
Die nachfolgende Diskussion machte deutlich, dass viele der Anwesenden nicht an eine Übereinstimmung des von einem auf der Exekutive anwesenden chilenischen Vertreter gezeichneten Bild mit der realen Situation in Chile glaubten. Besonders scharf wurde er von Keisch angegriffen: [H]e was getting bored with Senor Hübner Gallo’s finding a legal answer to every point. Pinochet’s government had had time to make suitable laws. The facts of the situation in Chile, however were well known and it was pointless to go on discussing them. The question was Chilean P.E.N.’s attitude to these facts. […] Some of the writers in prison in Chile had not had time to be guilty of subversive activities because they had been thrown into prison in the day of the Coup. No doubt they had been arrested because of their possible future subversive activity.408
Die Exekutive stimmte schließlich mit 20 Stimmen für die Annahme der Resolution. Dagegen gestimmt hatte Chile, enthalten hatten sich die Zentren Australien, Belgien (französischsprachig), Estland und Taipai Chinese. Zu den Befürwortern der Entschließung zählten u. a. die beiden deutschen P.E.N.-Zentren, England, Frankreich, Niederlande, Ungarn, Schweden und die USA.409 Die Vertreter der DDR hatten im Falle der drangsalierten chilenischen Schriftstellerkollegen klare Front bezogen; sie verurteilten die fortgesetzte Verletzung der Menschenrechte in einem diktatorischen Staatssystem entschieden. Denkbar erscheint, dass sich die Kritik, insbesondere bei Henryk Keisch, an der Tatsache aufheizte, dass es sich beim Pinochet-Regime um eine, von kommunistischem Blickwinkel betrachtet, »reaktionäre« Regierung handelte. Aus der Sicht der Verantwortlichen des P.E.N.-Zentrums DDR bestand ein Unterschied in der Beurteilung von Verstößen gegen die Menschenrechte – je nach politischer Ausrichtung der verantwortlichen Regierungen. Die differenzierte Betrachtung des Umgangs mit den Ereignissen des Jahres 1976 und der Folgejahre, die die kulturpolitische Situation in der DDR grundlegend verschärften, lässt diesen Standpunkt noch deutlicher erkennbar werden. Eine entschiedene Verteidigung der menschlichen Freiheiten, insbesondere mit Blick auf die Schriftsteller, und
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in The Hague on 10th , 11th , 13th and 14th May, 1976, S. 10. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in The Hague on 10th , 11th , 13th and 14th May, 1976, S. 11. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in The Hague on 10th , 11th , 13th and 14th May, 1976, S. 13. P.E.N.-Archiv London.
eine generelle Verurteilung diktatorischer Staatssysteme, gleich welcher Couleur, leistete das P.E.N.-Zentrum DDR in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre nicht. 7.5.2
Der verweigerte Einsatz für die Schriftsteller des eigenen Landes (1976/77)
7.5.2.1 »[E]in Häftling namens Siegmar Faust«?410 – Kein Engagement für »Faustus Simplicissimus«411 In der DDR zeigte sich in gesellschaftspolitischer Hinsicht Mitte der siebziger Jahre kein gänzlich verändertes Bild. Zwar hatte der Wechsel von Ulbricht zu Honecker im Mai 1971 einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der DDR gebracht. Die führende Rolle der SED wurde jedoch auch unter Honecker weiterhin gefordert: »Die Partei baute ihre dominierende Stellung in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft weiter aus. Alle Bereiche des öffentlichen Lebens waren von ihr straffer zu reglementieren und genauer zu kontrollieren, freilich mit flexibleren Methoden.«412 Eine Anhebung des Lebensniveaus war gelungen, gleichwohl hatte die Wirtschaft der DDR nach wie vor mit großen Problemen zu kämpfen. Die Schere zwischen Ostblockstaaten und westlichen Industriestaaten klaffte immer weiter auseinander. Obgleich es vielen Menschen in der DDR besser ging, wuchs die Unzufriedenheit in der Bevölkerung weiter an. Für innenpolitischen Zündstoff sorgte auch die durch die DDR-Führung vorgenommene Unterzeichnung der Schlussakte, die von der KSZE im August 1975 verabschiedet worden war. Darin legten die Teilnehmerstaaten nicht nur die Regeln des friedvollen Umgangs miteinander fest, sondern verpflichteten sich zur Achtung der Menschenrechte: »Die Teilnehmerstaaten werden die Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion achten. Sie werden die wirksame Ausübung der zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen sowie der anderen Rechte und Freiheiten, die sich alle aus der dem Menschen innewohnenden Würde ergeben und für seine freie und volle Entfaltung wesentlich sind, fördern und ermutigen.«413 Immer mehr Menschen in der DDR forderten unter Berufung auf die KSZE-Akte ihre Menschenrechte und Ausreisemöglichkeiten dezidiert ein. In der Konsequenz zeigte sich die DDR in den Jahren 1976 bis 1980 wiederum als ein Staat, der nur durch den rigiden Einsatz von Machtmitteln funktionierte.414 Das ließ sich auch an der Kunst- und Kulturpolitik ablesen. Zwar schien nach 1971 eine Phase leichter Entspannung einzusetzen: »Bürokratische 410
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Henryk Keisch an Tineke van Til [22. 7. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Korrespondenz allgemein 1975–1977/T/Keisch an van Til 1f. Siegmar Faust: Die Knast- und Wanderjahre des Faustus Simplicissimus. Berlin 1979. Weber, S. 371. Zitiert nach Weber, S. 396. Weber, S. 399. 611
Engstirnigkeit [wurde] teilweise durch eine flexiblere Haltung ersetzt«415 ; zuvor verbotene Werke konnten endlich erscheinen; verfemte Künstler durften wieder an die Öffentlichkeit treten. Gegen Ende des Jahres 1976 nahm die kulturpolitische Situation der DDR aber eine Wendung, die alle Hoffnungen auf Liberalisierung endgültig zunichte machte. Der mit dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker scheinbar einsetzende Liberalisierungsprozess der Kulturpolitik war schon in den Jahren bis 1976 abgebremst worden. Eine wirkliche Zäsur aber brachte der November 1976: Wie der Vorbote für das Ende einer Phase relativer Freiheiten auf kulturellem Gebiet wirkte der Ausschluss des bereits lange totgeschwiegenen Lyrikers Reiner Kunze aus dem Schriftstellerverband Anfang November. Nur wenige Tage später wurde auf direkte Anweisung Erich Honeckers dem von der Regierung ungeliebten Liedermacher Wolf Biermann die Staatsbürgerschaft entzogen. Dieser Schritt beendete die Phase relativer Freiheit in der ostdeutschen Kulturpolitik und erschütterte viele künstlerische und literarische Intellektuelle in ihrer Identifikation mit dem eigenen Staat. Die unmittelbare Reaktion einer kleinen Künstlergruppe auf die Ausbürgerung Biermanns versetzte die Parteiführung und schließlich ihren gesamten Apparat in höchste Alarmbereitschaft. Das »Problem Biermann«, das die Kulturpolitiker seit 1963 beschäftigte, war keineswegs gelöst; es trat nun verschärft hervor: »Was als Befreiungsschlag gedacht war, schlug allerdings mit einer von SED und Ministerium für Staatssicherheit nicht vorhergesehenen Protestbewegung in der DDR auf die Urheber zurück und bestimmte wesentlich das kulturpolitische Klima der nächsten Jahre.«416 Die Kulturpolitik zeigte sich durch neue und schärfere Repressionen des Staates gegen kritische und opponierende Künstler gekennzeichnet, die einen regelrechten Exodus der Kulturschaffenden aus der DDR auslöste. Auf das P.E.N.-Zentrum DDR wirkten die kulturpolitischen Ereignisse zweifach nach. Einerseits wurde das Präsidium von den linientreuen Anhängern der SED-Politik versuchsweise instrumentalisiert, um Abtrünnige und Andersdenkende von der Fehlerhaftigkeit ihres Verhaltens in kulturpolitischen Fragen zu überzeugen und Sicherungen gegen die Verbreitung oppositionellen Denkens einzubauen. Andererseits musste sich die Führung des DDR-P.E.N. kritischen Nachfragen aus dem Ausland stellen und adäquate Antworten finden. Die problematische Situation der Schriftsteller in der DDR, die sich seit 1974/75 sukzessive verschärft hatte, war dem Ausland nicht verborgen geblieben; sie wurde dort vielmehr mit großer Besorgnis wahrgenommen. Zwar waren die Informationen, die ins Ausland drangen, nicht immer auf dem aktuellsten Stand und häufig nur vage. Dennoch folgten den nach außen gedrungenen Hinweisen gezielte Interventionen. Das P.E.N.-Zentrum DDR, das durch seine Mitgliedschaft im Internationalen P.E.N. vom Nimbus der humanitären P.E.N.-Charta umgeben war, diente als Anlaufstelle für dezidierte Nachfragen, Proteste und 415 416
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Weber, S. 391. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 88.
Aufforderungen zum direkten Einsatz für die Betroffenen. Und es war gerade das P.E.N.-Zentrum DDR, das mit unfassbarer Härte kontinuierlich einen Einsatz für Schriftstellerkollegen im eigenen Lande verweigerte. So wurde etwa das Schicksal des jungen inhaftierten Schriftstellers Siegmar Faust, der außerhalb der DDR geringeren Bekanntheitsgrad besaß, von der internationalen Öffentlichkeit durchaus wahrgenommen. Im Juni 1976 hatte sich eine junge Niederländerin, Tineke van Til, im Namen der Adoptionsgruppe 180N an Keisch gewandt, um Unterstützung für Faust einzufordern; sie verfügte über relativ differenzierte Angaben zu Gründen und Länge der verhängten Haftstrafe sowie Fausts desolaten Gesundheitszustand: »Wir möchten Ihnen bitten Ihren Einfluss einzuwenden um Herrn Faust seine Freiheit zurückzugeben, jedenfalls ihn ins Spital überzubringen damit er medizinisch behandelt werden kann. Wir sind überzeugt, dass Sie Humanität und Solidarität primär achten und danken Ihnen im Voraus für die Mühe die Sie sich geben werden die Situation worin Ihr Kollege Siegmar Faust sich befindet, zu verbessern.417 Das P.E.N.-Zentrum DDR reagierte auf Anfragen dieser Art allerdings in einer Weise, die symptomatisch für die Position seiner führenden Köpfe war. Ähnlich wie im Zusammenhang mit der Liste der inhaftierten Schriftsteller, die dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West 1961/62 vorgelegt worden war, zielte deren Reaktion in erster Linie auf die Abwehr der impliziten Kritik an der DDR-Regierung. Die Ergründung des Sachverhalts stand dahinter zurück. Ein Einsatz für die inhaftierten oder mit Repressionen belegten Schriftsteller wurde durch die Gesuche von außen gar nicht angestoßen. Das Vertrauen der Adoptionsgruppe 180N in die humanitären Überzeugungen der Verantwortlichen im P.E.N.-Zentrum DDR musste durch den Antwortbrief des Generalsekretärs Keisch mehr als stark getrübt werden. Keischs Argumentation lief nach einem klaren Muster ab. Er stellte die Glaubwürdigkeit der Quellen, auf die sich die Anfragenden stützten, mit Nachdruck in Frage: »Ich möchte Ihnen empfehlen, Nachrichten dieser Art stets sehr kritisch aufzunehmen.«418 Kaltschnäuzig stellte der Generalsekretär gar die Existenz von Siegmar Faust in Frage: »Möglicherweise existiert tatsächlich ein Häftling namens Siegmar Faust. Von einem Schriftsteller dieses Namens habe ich jedoch nie gehört – und ich glaube die in der DDR lebenden Autoren einigermaßen zu kennen. Übrigens sagen Sie selbst, er habe nichts publiziert. Aber Schriftsteller oder nicht, darauf kommt es im Grunde nicht an.«419 Wesentlich erschien ihm lediglich die Entkräftung der gegen die DDR-Behörden vorgebrachten Vorwürfe. Hatte er von den Vorgängen tatsächlich keine Ahnung? Oder unterlag er einer ideologischen Verblendung, die ihn zum bedingungslosen Verteidiger eines inhumanen Regimes wer417
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Tineke van Til an Henryk Keisch [14. 6. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/T/Tineke van Til. Henryk Keisch an Tineke van Til [22. 7. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/T/Keisch an van Til 1f. Henryk Keisch an Tineke van Til [22. 7. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/T/Keisch an van Til 1f. 613
den ließ? Seine Auskünfte an die Niederländerin Tineke van Til lassen Letzteres sehr wahrscheinlich erscheinen. Keisch benutzte ein gebräuchliches Argumentationsschema, um Angriffen auf die eigene Regierung zu begegnen; er »entlarvte« den gesamten Fall als Propaganda gegen die DDR und verwies auf dringlichere Probleme: Die eigentliche Frage ist, ob in der DDR jemand zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird, weil er ›Briefe an die Organisation für Menschenrechte in der DDR geschrieben hat‹. Ich bestreite dies entschieden. Es entspricht in keiner Weise den Verhältnissen in der DDR, die zu verleumden somit der einzige Zweck einer solchen Behauptung ist. Noch dünner ist die Behauptung, ein erkrankter Häftling bliebe in der DDR ohne ärztliche Pflege. Die ganze Geschichte ist unglaubwürdig, den Urhebern geht es offensichtlich weder um Wahrheit noch um Humanität, sondern um politische Stimmungsmache, vielleicht auch um Ablenkung von antidemokratischen Erscheinungen wie den Berufsverboten in der BRD, um die Ihre ›Adoptionsgruppe‹ sich einmal kümmern sollte. Desgleichen sehe ich leider ein sehr weites Betätigungsfeld für Ihre ›Adoptionsgruppe‹ in zahlreichen faschistischen oder halbfaschistischen Staaten, Chile oder Uruguay, Südafrika oder Rhodesien, Südkorea oder Indonesien – in diesen und weiteren Ländern sind unzählige Menschen, darunter viele Schriftsteller, wegen demokratischer, antifaschistischer, antirassistischer, antikolonialistischer, antiimperialistischer Gesinnung unterdrückt, ihrer Rechte beraubt, eingesperrt. Das ist aus besten, wirklich zuverlässigen, jedermann zugänglichen Quellen weltbekannt. Meinen Sie nicht, daß Ihre Aufmerksamkeit, Fürsorge und Fürsprache dort besser am Platze wäre?420
Interesse am Fall Siegmar Faust zeigte auch Kathleen von Simson, die als korrespondierende Sekretärin des WiPC in London eingesetzt worden war; sie bat im Juli 1976 Heinz Kamnitzer um Unterstützung bei der Erlangung weiterer Informationen über den Fall Faust: We understand that he is in solitary confinement (Einzelhaft) in Cottbus, and further that he is ill, and in need of hospital treatment. If there is nothing which you yourself can tell us, perhaps you would still know whom we could apply to for help for this fellow-writer who appears to have been sentenced to four and a half years’ imprisonment, under what charge we do not know? Whom should we write to?421
Henryk Keisch oblag die Beantwortung der Nachfrage; er ging in die Offensive. Statt Kooperation wenigstens zu versuchen, startete er einen Angriff auf von Simsons Legitimität. Dem P.E.N.-Zentrum DDR sei weder die Existenz ihrer Funktion noch ihr Name bekannt gewesen. Was folgte, war die arrogante Zurechtweisung der Londoner Sekretärin, die nach Keischs dargelegter Ansicht in politischer Naivität platten Gerüchten über einen ganz und gar unspektakulären Sachverhalt aufgesessen war: Ich hätte mir gewünscht, daß Sie in dieser gewissermaßen P.E.N.-offiziellen Eigenschaft etwas weniger bereitwillig Gerüchten und Legenden zweifelhaften Ursprungs Glauben schenkten. Schon allein die Behauptung, in einem DDR-Gefängnis könne 420
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Henryk Keisch an Tineke van Til [22. 7. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/T/Keisch an van Til 1f. Kathleen von Simson an Heinz Kamnitzer [11. 7. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1975–1977/S/Simson, Kathleen von 2.
ein erkrankter Insasse ohne ärztliche Versorgung bleiben, hätte Sie gegen die Ihnen zugegangene Nachricht mißtrauisch machen müssen (die in der letzten Zeit bekannt gewordenenFälle von Häftlingstotenoder -selbstmorden hatten ja nicht die DDR zum Schauplatz).422
Immerhin hatte sich Keisch inzwischen bemüht, Informationen zu Faust zu erarbeiten; diese dienten jedoch lediglich der Verharmlosung der wahren Umstände: Faust sei in keiner Weise als Schriftsteller bekannt und habe nirgends etwas veröffentlicht. Es sei deshalb schwierig gewesen, etwas über ihn zu erfahren. Das P.E.N.-Zentrum sei »ja keine Privatdetektei, sondern eine Vereinigung von Autoren.«423 Erfahren habe er lediglich, dass Faust in der Bundesrepublik »[e]inen gewissen Grad von Bekanntheit […] vermittels einer organisierten Pressekampagne erlangt«424 habe. Lapidar rekonstruierte Keisch die Ursachen für Fausts Differenzen mit den Regierungsbehörden: »Handlungen, die in keinem Zusammenhang mit der Literatur stehen, haben wohl zeitweilig zu einem Untersuchungsverfahren gegen ihn geführt. Das Verfahren wurde schon vor längerer Zeit eingestellt, jedenfalls lange bevor Sie Ihren Brief an uns richten zu sollen glaubten. Herr Faust ist auf freiem Fuß, beneidenswert gesund und scheint nicht einmal mehr den Wunsch zu haben, anderswo zu leben als in der DDR.«425 Was folgte, war wiederum ein Schlag gegen die angeblichen Verleumder des DDR-Regimes und der selbstgerechte Ratschlag zu kritischerer Prüfung der an das WiPC herangetragenen Fälle, um eine politpropagandistische Ausnutzung des eigenen Engagements zu vermeiden: Für manche Leute, die nur glücklich sind, wenn sie auf möglichst vielen ›Fällen‹ möglichst lange herumreitenkönnen, mag bedauerlichsein, daß hier für sie nichts zu gewinnen ist. Ich bin überzeugt, daß Sie selbst nicht zu diesen Leuten zählen, vielleicht sollten Sie sich aber in Zukunft bei der Ausübung Ihrer neuen Funktion diesen Aspekt der Dinge und die Gefahr des Mißbrauchs bester humanitärer Empfindungen zu platten politischen Zwecken stärker bewußt machen.426
Mit einer noch knapperen Antwort wurde der Generalsekretär des US-amerikanischen P.E.N.-Zentrums bedacht; er hatte im Oktober 1976 nach dem Grund von Fausts »initial detention« nachgesucht: »If indeed Mr. Faust has been imprisoned for expressing dissident views, we wonder if an appeal would be in order? If the German P.E.N. Center has been active in this case, we would
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Henryk Keisch an Kathleenvon Simson [10. 8. 1960].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/S/Simson, Kathleen von 1 und 1a. Henryk Keisch an Kathleenvon Simson [10. 8. 1960].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/S/Simson, Kathleen von 1 und 1a. Henryk Keisch an Kathleenvon Simson [10. 8. 1960].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/S/Simson, Kathleen von 1 und 1a. Henryk Keisch an Kathleenvon Simson [10. 8. 1960].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/S/Simson, Kathleen von 1 und 1a. Henryk Keisch an Kathleenvon Simson [10. 8. 1960].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/S/Simson, Kathleen von 1 und 1a. 615
be grateful for a copy of any protest or statement issued in his behalf.«427 Ihm wurde durch Kamnitzer lediglich mitgeteilt, es seien keine Schriften von einem gewissen Herrn Faust bekannt; dieser sei nirgends erwähnt.428 Dass Siegmar Faust bereits im März 1976 aus der Strafvollzugsanstalt Cottbus entlassen und im September 1976 aus der DDR ausgewiesen worden war, schien Kamnitzer nicht zu wissen. Der Vorlage zur »beabsichtigen Übersiedlung des ehemaligen Strafgefangenen Siegmar Faust in die BRD« war entsprochen worden: »Nach R[ücksprache] mit Spitze Antrag stattgegeben, Ausweisung aussprechen. Mielke 16.VIII.76.«429 Doch selbst nach seiner Übersiedlung war Faust vor der Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR nicht sicher. Schon im November 1976 wurde wiederum Haftbefehl gegen Faust erlassen wegen »staatsfeindlicher Hetze im schweren Fall«, der allerdings nicht vollstreckt werden konnte, da »sich der Beschuldigte außerhalb des Staatsgebietes der DDR aufhält«.430 Ursache dieses erneuten Haftbefehls war sicherlich auch die Berichterstattung der westdeutschen Presse nach einer Pressekonferenz der Arbeitsgemeinschaft 13. August; hier hatte Faust nach seiner Entlassung detaillierte Auskunft über die menschenunwürdigen Haftbedingungen gegeben. Von besonderem Interesse für das Ministerium für Staatssicherheit waren die so genannten Feindorganisationen wie die Arbeitsgemeinschaft 13. August, Fausts Verbindungen zu Personen in der Bundesrepublik sowie Rückverbindungen in die DDR. Siegmar Faust blieb als OV »Mephisto« weiterhin erfasst.431 7.5.2.2 Keine »wunderbaren Jahre« für Reiner Kunze Ein eindrückliches Beispiel für die Position des P.E.N.-Zentrums DDR in Hinsicht auf die (Nicht-)Unterstützung von Schriftstellerkollegen, die mit Repressionen des SED-Regimes belegt waren, bietet das Schicksal von Reiner Kunze. Der Ausschluss des Lyrikers aus dem Schriftstellerverband im November 1976 stand am Ende einer langen Auseinandersetzung mit den kulturpolitischen ˇ Instanzen der DDR, deren Beginn mit den Ereignissen in der CSSR (1968) in engem Zusammenhang stand. Die gewaltsame Beendigung des Prager Frühlings durch den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen war von Kunze entschieden verurteilt worden; er erklärte in der Folge demonstrativ seinen Ausˇ tritt aus der SED, die den in der CSSR eingeleiteten Reformkurs von Anfang 427
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Mel Mendelssohn an Heinz Kamnitzer [12. 10. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/A/Amerika 4b. Mel Mendelssohn an Henryk Keisch [22. 10. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1974–1977/A/Amerika 4a. BStU, MfS, ZA, AOPK 15672/89, Bl. 35. Zitiert nach Walther: SicherungsbereichLiteratur, S. 373. BStU, MfS, ZA, AOPK 15672/89, Bl. 35. Zitiert nach Walther: SicherungsbereichLiteratur, S. 373. Vgl. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 372f.
an mit negativer Propaganda begleitet hatte, und machte immer wieder auf die ˇ bedrückende Situation der Schriftsteller in der CSSR nach 1968 aufmerksam. In der Konsequenz gelang es Kunze nicht mehr, seine Werke in der DDR zum Druck zu bringen; man hatte ihm »offiziell mitgeteilt, sein Name werde in der DDR nicht mehr gedruckt, und gültige Verträge mit ihm wurden annulliert.«432 Mit der Veröffentlichung seines Gedichtbandes Sensible Wege im westdeutschen Rowohlt Verlag (1969) brachte sich Kunze endgültig in Misskredit. Im Ministerium für Staatssicherheit wurde eingeschätzt: Der soeben erschiene Gedichtband ›Sensible Wege‹ von Reiner Kunze stellt eine politische Provokation gegenüber unserem Staat und seiner Politik dar. Die in diesen Gedichten bezogene Position des Autors muß als weit negativer als die bisher bekannte Position eingeschätzt werden. Aus den Gedichten werden im Wesentlichen drei Thesen sichtbar, die der Verfasser vertritt: 1. Die DDR ist ein großes Gefängnis, worunter nicht nur die Beschränkung der Bewegungsfreiheit, sondern auch eine Einengung des geistigen Lebens und der Entwicklung der Persönlichkeit und des Talents verstanden wird. […] 2. Die Kulturpolitik der DDR ist eng und dogmatisch. Sie ist gegen die Entwicklung der Kunst gerichtet. […] 3. Sympathie für revisionistische und konterrevolutionäre Auffassungen.433
In Sensible Wege hatte sich Kunze als »verletzlicher und sensibler Dichter [gezeigt], der in knappen Worten seine Lage skizziert – ›Ausgesperrt aus büchern / ausgesperrt aus zeitungen / ausgesperrt aus sälen // eingesperrt in dieses land / das ich wieder und wieder wählen würde ‹ –, der sich in kritischer Liebe zu seinem Land bekennt, es aber verbessern, das Leben in ihm menschlicher für die Menschen machen möchte.«434 Das aber erkannten die Dogmatiker der DDR nicht. Ein öffentlicher Angriff auf Reiner Kunze erfolgte auf dem VI. Kongress des Schriftstellerverbandes der DDR im Mai 1969 durch den Kulturfunktionär Max Walter Schulz. In dem Gedichtband Sensible Wege sei es der »nackte, vergnatzte, bei aller Sensibilität aktionslüsterne Individualismus, der aus dieser Innenwelt herausschaut und schon mit dem Antikommunismus, mit der böswilligen Verzerrung des DDR-Bildes kollaboriert – auch wenn das Reiner Kunze, wie anzunehmen, nicht wahrhaben will.«435 Was folgte, war die systematische Ausgrenzung Kunzes aus dem literarischen Leben der DDR: Man ging »daran, Reiner Kunze zur ›Unperson‹« zu machen, seine Arbeit zu behindern, ihm Publikationen unmöglich zu machen, seinen Namen im Bewußtsein der Öffentlichkeit auszulöschen und intern diffamierende Behauptungen gegen ihn auszustreuen.«436 Die Überwindung der völligen literarischen Isolation, in die man Kunze getrieben hatte, gelang lediglich durch die Publikation seiner Werke im Westen.
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Jürgen P. Wallmann: Reiner Kunze in der DDR. In: DeutschlandArchiv 7 (1974) 11, S. 1158–1168, hier S. 1158. Reiner Kunze: Deckname »Lyrik«. Eine Dokumentation. Frankfurt am Main 1990, S. 20f. Wallmann: Kunze, S. 1160. Zitiert nach Wallmann: Kunze, S. 1160. Wallmann: Kunze, S. 1160. 617
Der einsetzende Liberalisierungsprozess zu Beginn der siebziger Jahre ließ auch Kunze hoffen. Tatsächlich kam es 1972 zur Wiederaufnahme von Gesprächen zwischen Kunze und verschiedenen DDR-Verlagen, um die Möglichkeit einer Publikation seiner Arbeiten erneut zu prüfen. Eine besondere Rolle spielte in diesem Zusammenhang der Verlag Volk und Welt, dessen Leiter, Jürgen Gruner, in Verhandlungen mit Kunze eingestiegen war. Die Bemühungen um Kunze kamen auch in einer Unterredung des P.E.N.-Präsidiums mit den Mitarbeitern der Abteilung Kultur Anfang Januar 1972 zur Sprache. Der erneuten Kontaktaufnahme mit Reiner Kunze stimmten die Präsidiumsmitglieder Christa Wolf und Stephan Hermlin unumwunden zu: »Es ist völlig richtig, daß man sich um Kunze bemüht. Wir sind gern bereit, dieses Bestreben zu unterstützen.«437 Im Protokoll zur Zusammenkunft zwischen Mitarbeitern der Abteilung Kultur und den Präsidiumsmitgliedern des P.E.N. erscheint dies nur als Randnotiz zum Fall Kunze. Ein »Vermerk«438 in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit gibt nähere Auskunft über den gesamten Vorgang und offenbart zugleich eindrucksvoll die internen Schwierigkeiten des Kulturbetriebs, mit einer neuen kulturpolitischen Linie der Partei umzugehen. Die von der Kulturkommission beim Politbüro des ZK der SED ausgegebene Losung lautete »Keinen Zurücklassen«439 . Hager hatte deutlich gemacht: »In unserer Kunst muß sowohl ein CREMER, SITTE, NEUTSCH, wie auch ein HEYM Platz haben.«440 Eine neue Gesprächsbereitschaft wurde von den führenden Kulturfunktionären signalisiert. Geprüft wurde demzufolge in der Abteilung Kultur gar die Möglichkeit, »auch an Wolf Biermann wieder heranzutreten, damit dieser wieder voll in unser gesellschaftliches Leben einbezogen wird.«441 Indessen stieß ein solcher Richtungswechsel auf Skepsis in der Basis des Kulturbetriebs. Unverständnis über das plötzliche Einlenken gegenüber den zuvor erbarmungslos ausgegrenzten Systemkritikern machte sich breit. Es »befremdete, daß […] nicht auf die Klärung der ideologischen Positionen mit den angeführten Personen orientiert wurde.«442 Ob die Gegenwehr gegen Annäherungsversuche an bislang als missliebig eingestufte Schriftsteller tatsächlich immer ideologischen Vorbehalten entsprang oder aus niederen Beweggründen nach dem Prinzip »Einmal draußen – immer draußen« erwuchs, sei dahingestellt. Schwierigkeiten bei der Durchsetzung einer liberaleren Linie gab es reichlich: »Die mittleren Kader auf staatlicher und gesellschaftlicher Ebene sabotieren ja diese ganze Linie. Von
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Notiz über eine Aussprache der Genossen [Siegfried] Löffler und [Leo] Sladczyk in der Parteigruppe des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR am 6. 1. 1972 [31. 1. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922. Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242. Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242, hier Bl. 242. Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242, hier Bl. 241. Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242, hier Bl. 241. Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242, hier Bl. 241.
allen Ecken wird die große Linie torpediert«443 , klagte Hagers Referentin Hinkel gegenüber Hermlin. Am Fall Kunzes lässt sich das Gegenspiel dieser Kräfte eindrucksvoll demonstrieren. Angestoßen worden war die erneute Kontaktaufnahme zu Kunze durch zwei Faktoren: Stephan Hermlin hatte mit Hager ein persönliches Gespräch geführt, in dem er u. a. das Schicksal Kunzes thematisierte. Druck kam aber auch von außen. Das ungarische P.E.N.-Zentrum hatte den DDR-P.E.N. darum gebeten, sich für Kunze als Nachdichter einer Lyrikanthologie zu verwenden. Auch diese Tätigkeit war Kunze von den staatlichen Behörden verwehrt worden.444 In der Folge hatte Hager entschieden, den Kontakt zu Kunze wieder aufzunehmen. Hager beauftragte Hermlin, ein Gespräch mit Kunze zu führen. Der Leiter der HV Buchhandel und Verlage, Bruno Haid, intervenierte gegen dieses Vorhaben. Daraufhin wurde dem Leiter des Verlages Volk und Welt, Jürgen Gruner, ein entsprechender Auftrag erteilt. Als ehemaliger Fachgebietsleiter im Ministerium für Kultur schien er für diese Aufgabe geeigneter als der Schriftstellerkollege Hermlin, der in regelmäßigen Abständen durch kritische Äußerungen auffiel. Erst an diesem Punkt kam das P.E.N.-Zentrum DDR ins Spiel. Die oben erwähnte Aussprache zwischen den Mitarbeitern der Abteilung Kultur und dem Präsidium nutzte man als Gelegenheit, um die Schriftsteller Hermlin und Christa Wolf als positive Vermittler einzusetzen. Sie sollten einen Brief an Kunze richten und »für die bevorstehende Aussprache […] um gutes Wetter für Gen. Gruner […] bitten.«445 Dieses Vorhaben zog indes weite Kreise: Zwar erklärten sich Hermlin und Wolf ohne Vorbehalte einverstanden. Das ebenfalls anwesende Präsidiumsmitglied Hermann Kant jedoch verstand die Welt nicht mehr; er wandte sich ohne Umschweife an Gerhard Henniger, den Sekretär des Schriftstellerverbandes und klagte, »daß er die gegenwärtige Kulturpolitik der DDR nicht begreife, die Genossen [Siegfried] LÖFFLER und SLAZIK [gemeint ist Leo Sladczyk] hätten im PEN eine ganz neue Linie der Kulturpolitik entwickelt.«446 Kant witterte offenkundig eine intrigante Unterwanderung der kulturpolitischen Linie: »Das wesentlichste aber sei dabei gewesen, daß man mit Kunze Gespräche führen will und ihn aktiv in das arbeitschaftliche Leben einbeziehen will ohne ideologische Meinungsverschiedenheiten prinzipiell parteilich zu klären.«447 Auch Henniger, der in der Folge zu seiner eigenen Aufklärung ein Gespräch mit Sladczyk führte, sah sich desorientiert: Wie war mit solchen Schriftstellern wie Kunze umzugehen? Sollten sie ohne kritische Auseinandersetzung wieder eingereiht werden? 443 444
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Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242, hier Bl. 241. László Kéry an Werner Ilberg [3. 12. 1971]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Int. PEN – London + Intern. Zentren 1968–1973/U/Ungarn 2. Vgl. auch Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242, hier Bl. 240. Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242, hier Bl. 240. Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242, hier Bl. 239. Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242, hier Bl. 239. 619
Eine Präsidiumssitzung des Schriftstellerverbandes, der auch Sladczyk und Haid beiwohnten, sollte diese Fragen klären. Die im »Vermerk« des Ministeriums für Staatssicherheit protokollierte Aussprache enthüllt das Gerangel um Kunze als Auslöser grundsätzlicher Kritik an der Auslegung der vom Politbüro ausgegebenen Weisungen durch die Abteilung Kultur. Zwar stellte sich der Vorstand des Schriftstellerverbandes hinter die Politik des Politbüros. Ihre konsequente Umsetzung, sprich eine wirkliche Liberalisierung des Kulturlebens, befürwortete sie indes nicht. Die Losung »Keinen zurücklassen« bedeute nicht die »Preisgabe politischer Positionen, um die jahrelang gerungen worden sei«,448 so der Tenor der Anwesenden. Unmut hatte auch der Einbezug des P.E.N.Präsidiums in die Angelegenheit Kunze hervorgerufen. Einzelne Mitglieder des Vorstands im Schriftstellerverband sahen sich zurückgesetzt, vermuteten eine Bevorzugung des P.E.N.-Clubs, die gar keine war. So äußerte Heinz Sakowski, »er habe kein Verständnis dafür, daß der Schriftstellerverband über solche wichtigen Fragen der Arbeit mit Schriftstellern nicht informiert wird. Er hat den Eindruck, daß es zwei Mannschaften gibt, eine Mannschaft zum kritisieren – den Schriftstellerverband, die zweite zum Streicheln – das PEN.«449 Haid äußerte sein Unverständnis, »wieso sich das PEN so für Kunze einsetze, obwohl dieser nicht Mitglied des PEN ist«450 . Dass in Wirklichkeit gar nicht der P.E.N. als solcher die Initiative ergriffen hatte, sondern vielmehr zwei seiner Mitglieder vor allem in ihrer Eigenschaft als Schriftstellerkollegen um vermittelnde Worte von den Jongleuren der Kulturpolitik angegangen worden waren, drang nicht ins Bewusstsein der Kläger vor. Das avisierte Gespräch zwischen Gruner und Kunze fand dennoch statt. Über die Interna der Unterredungen zeigte sich der Parteigruppensekretär des P.E.N., Heinz Kahlau, bestens informiert; er zweifelte an, »[o]b der Genosse Gruner der richtige Gesprächspartner für Kunze ist«451 . Mit Paul Wiens hatte Heinz Kahlau intensiver über Kunzes Situation gesprochen. Diensteifrig gab Wiens an Rolf Pönig, Oberleutnant des Ministeriums für Staatssicherheit, die abgeschöpften Informationen weiter. Kahlau hatte berichtet, daß das geplante Gespräch mit Kunze durch den Leiter des Verlages Volk und Welt, Jürgen Gruner und dem Lyriker Günter Deike [sic] geführt wurde. Dieses Gespräch sei ausgegangen wie das Hornberger Schießen. Kunze habe erklärt, daß er nicht bereit sei, in W[est]D[eutschland] nicht mehr zu veröffentlichen. Unter keinen Umständen wolle er auf Veröffentlichungen in WD verzichten. In nächster Zeit wird von ihm in WD ein neuer Gedichtband erscheinen, der ihm sicherlich weitere Unannehmlichkeiten bringen wird und die DDR Kunze dann noch böser sein wird. Kahlau zweifelte an, daß dieses Gespräch in einer sachlichen und vernünftigen Form mit Kunze geführt wurde und er hätte kein Vertrauen zu den Gesprächspartnern Gruner und Deike. Seiner Mei448 449 450 451
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Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242, hier Bl. 242. Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242, hier Bl. 242. Vermerk [25. 1. 1972]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/2, Bl. 239–242, hier Bl. 242. Notiz über eine Aussprache der Genossen [Siegfried] Löffler und [Leo] Sladczyk in der Parteigruppe des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR am 6. 1. 1972 [31. 1. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922.
nung nach sei bei beiden von vorneherein klar gewesen, daß sie mit Kunze zu keinem Kompromiss bereit sind und daher das Gespräch zum scheitern [sic] verurteilt war. Kahlau sprach die Quelle noch an, ob sie bereit sei, mit Kunze ein weiteres Gespräch zu führen. Die Quelle erklärte sich nur unter der Bedingung einverstanden, wenn er zu diesem Gespräch den Auftrag des PEN-Zentrums der DDR erhält.452
Ein solcher Auftrag des P.E.N.-Zentrums DDR an Paul Wiens wurde schriftlich nicht fixiert. Ob sich in der Folge einzelne P.E.N.-Mitglieder für Kunze einsetzten, lässt sich nicht nachweisen. Kunze blieb in der DDR unveröffentlicht. 1972 erschien im Westen der Gedichtband Zimmerlautstärke ; er charakterisierte nach Ansicht des Ministeriums für Staatssicherheit »erneut die antisozialistische Haltung des Kunze zur DDR und zur Sowjetunion«453 . Es gab jedoch geringfügige »Anzeichen für eine kulturpolitische Klimaverbesserung«:454 Im Juli 1973 konnte Kunze eine Auswahl seiner Gedichte in dem Band Brief mit blauem Siegel im Leipziger Reclam Verlag publizieren. Im selben Jahr durfte er zwei Mal in die Bundesrepublik reisen.455 In den Folgejahren lässt sich jedoch anhand der publizierten staatssicherheitsdienstlichen Dokumente eine stetige Verschärfung der Situation für Kunze feststellen. Das Erscheinen der Wunderbaren Jahre im Frankfurter S. Fischer Verlag (1976) ohne ausdrückliche Genehmigung des Büros für Urheberrechte wurde schließlich zum äußeren Anlass genommen, um im Fall Reiner Kunze ein deutliches Signal zu setzen. Der Ausschluss aus dem Bezirksverband Gera/Erfurt wegen Verstoßes gegen das Statut war auf kulturpolitischer Ebene eine deutliche Machtdemonstration von SED und Staatssicherheitsdienst. Die Einschätzung der Wirkung von Kunzes neuem Werk, das ungeschönt das beengte Leben der Jugendlichen in der DDR darstellt, war vernichtend; es ist der Entwicklung der DDR und insbesondere der Ideologie des Marxismus-Leninismus nicht nur schädlich, weil es in einem BRD-Verlag erscheint, sondern weil es in wirkungsvollerForm bewußt nihilistischgeschürteTendenzen unterstützt.Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß sich dieses Buch mit gefährlichen Entwicklungsformen von einem sehr freien Gammlertum bis hin zu bewußten staatsgefährdenden und staatsverneinenden Aktionen verirrter Jugendlicher trifft.456
Man fürchtete eine »im negativen Sinne explosive Wirkung«457 des Werkes. Die Entscheidung zum Ausschluss war Ende September im ZK der SED gefallen458 und wurde von langer Hand vorbereitet. Eine Information der Hauptabteilung XX/7 über »beabsichtigte Maßnahmen des Schriftstellerverbandes zu dem Schriftsteller Reiner Kunze aus Anlaß der Veröffentlichung des Buches von ihm ›Die wunderbaren Jahre‹ in der BRD« vom 13. Oktober 1976 fasste zusammen: 452
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Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information [17. 2. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 116f., hier Bl. 117. Kunze, S. 39. Wallmann: Kunze, S. 1159. Wallmann: Kunze, S. 1168. Kunze, S. 66. Kunze, S. 66. Kunze, S. 67. 621
Es ist beabsichtigt, daß der Schriftsteller Hermann Kant einen Artikel für das ND schreibt. […] In diesem Artikel soll Hermann Kant auch die feindlichen Aktivitäten von Kunze mit behandeln. Es ist beabsichtigt, daß dieser Artikel am 25. 10. 1976 im ›ND‹ veröffentlicht wird. Es ist vorgesehen, mit Kunze in der Zeit vom 26. 10.– 28. 10. 1976 vor dem Vorstand des Schriftstellerverbandes – Bezirk Gera/Erfurt ein Gespräch durchzuführen. […] In dem Gespräch wird Kunze durch den Bezirksvorsitzenden, Genossen Harry Thürk, mitgeteilt, daß er am 29. 10. 1976 auf der Wahlberichtsversammlung des Bezirksverbandes auf das Verhalten von Kunze eingehen wird und gleichzeitig den Vorschlag unterbreitet, Kunze aus dem Schriftstellerverband auszuschließen. […] Am 3. 11. 1976 wird das Präsidium des Schriftstellerverbandes zu einer Sondersitzung zusammengerufen, um den Ausschluß Kunzes aus dem Schriftstellerverband der DDR zu bestätigen. Genosse Henniger erklärte dazu, daß er bei der Bestätigung des Ausschlusses aus dem Schriftstellerverband mit keinerlei Schwierigkeiten durch die Mitglieder des Präsidiums rechnet, da Hermann Kant und Erwin Strittmatter der Ansicht sind, daß der Ausschluß Kunzes aus dem Schriftstellerverband wohl das mindeste sei und es ihrer Ansicht nach an der Zeit wäre, Kunze aus der DDR auszuweisen.459
Am 9. November konnte die Hauptabteilung XX/7 des Ministeriums für Staatssicherheit weitgehende Zustimmung zum Ausschluss aus den Kreisen der Schriftsteller vermelden; sie seien »der Ansicht, daß der Ausschluß Kunzes eine dringende Notwendigkeit war, auch wenn er den einen oder anderen schmerze.«460 Auf die Arbeit des P.E.N.-Zentrums DDR wirkten die Vorgänge um Kunze nur bedingt nach. Im Inneren regte sich kein Widerstand gegen Kunzes Behandlung. Das Präsidiumsmitglied Hermann Kant verteidigte bei einer Veranstaltung in West-Berlin entschieden die Maßnahme gegen Kunze;461 er hatte schließlich zu den Befürwortern und praktischen Vorbereitern des Ausschlusses gehört. Lediglich einzelne P.E.N.-Mitglieder traten als Schriftstellerkollegen bzw. Privatpersonen für Kunze ein. Eine öffentliche Distanzierung von der Verfahrensweise wagte Christa Wolf; sie erklärte anlässlich einer Lesung im Deutschen Theater, dass sie mit dem Ausschluss nicht einverstanden sei.462 Stephan Hermlin reagierte unmittelbar auf den Ausschluss mit einer Protesterklärung an den Vorstand des Schriftstellerverbandes: Ich erfahre, daß das Präsidium des Schriftstellerverbandes Reiner Kunze aus dem Verband ausgeschlossen hat. Ich erlaube mir, dem Präsidium mein Bedauern über diese Entscheidung und meinen Protest dagegen mitzuteilen. Unmut kann verständlich sein, aber ich halte es, im Hinblick auf kulturpolitische Tatsachen und Zusammenhänge nicht für weise, einem solchen Unmut nachzugeben.463 459
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622
BStU, MfS, ASt Gera, AOP 1434/77, Bd. 6, Bl. 101. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 739f. BStU, MfS, ZA, AP 1516/92, Bl. 57f. Zitiert nach Walther: SicherungsbereichLiteratur, S. 741. Corino, S. 46. Vgl. Jörg Magenau: Christa Wolf. Eine Biographie.Reinbek bei Hamburg 2003, S. 268. Stephan Hermlin an das Präsidium des Schriftstellerverbandes der DDR [5. 11. 1976]. DLA Marbach A: Hermlin, Briefe von Hermlin.
Eine Anfrage von außen zwang den Generalsekretär schließlich zu einer Stellungnahme im Namen des P.E.N.-Zentrums DDR, die hinsichtlich der Ausrichtung des P.E.N.-Zentrums keinen Zweifel offen ließ. In unmittelbarer Reaktion auf Kunzes Ausschluss hatte sich der Generalsekretär des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums, Martin Gregor-Dellin, mit einer behutsam vorgetragenen Bitte an Henryk Keisch gemeldet: Kunzes Ausschluss aus dem Schriftstellerverband hat uns im P.E.N. der Bundesrepublik mit größter Besorgnis erfüllt, da dies praktisch das Ende seiner Berufsausübung in seinem Lande bedeuten kann. Wir wollen uns hier in keine Erörterungen des Falles einlassen und gehen nach den uns bekannten öffentlichen Erklärungen Reiner Kunzes aus, daß er sich durchaus zur DDR bekennt, und daß es uns nicht ansteht, daran zu zweifeln. Dennoch möchten wir eine Bitte aussprechen, Reiner Kunze zu helfen. Wenn internationale Solidarität unter Schriftstellerkollegen noch einen Sinn hat, wenn der P.E.N. mehr sein soll als ein geselliger Club und seine Charta mehr als ein Schriftstück von rhetorischem Charakter, so sollten wir auf Ihre Bereitschaft rechnen dürfen, sich vor den Gemaßregelten zu stellen. VersuchenSie bitte, ihn vor Nachteilen zu bewahren, auch wenn er nicht Mitglied des P.E.N. ist, wie wir es in vergleichbaren Fällen auch tun.464
Mitte November 1976 kam schließlich das Präsidium des DDR-P.E.N. zusammen, um neben dem Tagesgeschäft, angestoßen durch den Brief des bundesdeutschen P.E.N., Kunzes Ausschluss aus dem Schriftstellerverband zu diskutieren. Eine »Information über Reaktionen zum Ausschluß Reiner Kunzes aus dem Schriftstellerverband der DDR durch die Mitglieder des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR«465 gibt Auskunft über den Verlauf dieser Zusammenkunft. Das Präsidium war beinahe vollzählig erschienen: Kamnitzer, Keisch, Ilberg, Kant, Christa Wolf, de Bruyn, Scheer, Hacks, Herzfelde und Wiens saßen zusammen am Tisch. Lediglich Kahlau und Cwojdrak fehlten. Niemand der Anwesenden ergriff bedingungslos Partei für Kunze. Vorbehalte gegen die ergriffene Maßnahme äußerten Hermlin, Christa Wolf und de Bruyn. Hermlin kritisierte den Ausschluss als zu voreilig; man sei »im Falle Kunze nicht geduldig genug gewesen«466 . Wolf zweifelte, »ob es weise gewesen sei, Kunze aus dem Verband auszuschließen.«467 Ein deutliches Urteil fällte sie jedoch laut dem Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit über Kunzes Wunderbare Jahre ; sie halte es
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Martin Gregor-Dellin an Henryk Keisch [6. 11. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/Bundesrepublik/B/Bundesrepublik Deutschland 1. Vgl. Information über Reaktionen zum Ausschluß Reiner Kunzes aus dem Schriftstellerverband der DDR durch die Mitglieder des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR [15. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 16578/89, Bd. 31, Bl. 339–342. Information über Reaktionen zum Ausschluß Reiner Kunzes aus dem Schriftstellerverband der DDR durch die Mitglieder des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR [15. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 16578/89, Bd. 31, Bl. 339–342, hier Bl. 340. Information über Reaktionen zum Ausschluß Reiner Kunzes aus dem Schriftstellerverband der DDR durch die Mitglieder des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR [15. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 16578/89, Bd. 31, Bl. 339–342, hier Bl. 340. 623
»für schlechte Literatur und darüber hinaus für tendenziös.«468 De Bruyn empfand den Ausschluss als vom Westen inspirierte Handlung. Scharfe Anklagen gegen Kunze folgten. Paul Wiens näherte sich der Frage von ideologischer Seite; er sah in Kunze einen weltanschaulichen Gegner, »einen Menschen, der immer weiter vom Marxismus abrückte und der den Marxismus als eine Ideologie unter vielen hält, die von den Mächten gebraucht wird, um die Menschen hier wie dort zu manipulieren. Kunze glaubt, sich als Dichter dagegen erheben und die Menschen aufrütteln zu müssen. Kunze sieht im Marxismus einen der vielen Irrwege, deswegen ist Kunze philosophisch unser Gegner«469 . Mit dieser Haltung stelle sich Kunze »auf eine andere Seite«470 . Wiens brandmarkte Kunze als den Verursacher des Konflikts; er habe das intensive und geduldige Entgegenkommen der staatlichen Stellen schlichtweg missbraucht. Die schärfste und vernichtende Anklage gegen Kunze brachte Hacks hervor; er zeigte sich als absoluter Verteidiger der Maßnahme gegen Kunze, der aus seiner Sicht gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen hatte. Probleme von Schriftstellern mit der Staatsmacht waren bestenfalls intern zu behandeln, keinesfalls aber nach außen zu tragen: Der Ausschluß aus dem Schriftstellerverband ist für mich eine völlig klare Sache. Ich stimme dieser Entscheidung zu. Ich erinnere mich noch an eine Sache, wo wir bei HEYM mit Böll zusammengetroffen sind. Dort hat sich Kunze an den Böll in einer derartig widerlichen Form rangeschmissen. Er hat Böll drei Stunden nur von seinen Schwierigkeiten berichtet und sein Leid geklagt. Ihm, Hacks sei dort deutlich geworden, daß Kunze ganz bewußt mit einer fremden Macht kollaboriert. Aus diesem Grunde halte ich den Ausschluß Kunzes aus dem Schriftstellerverband […] für eine weise Entscheidung. Es war absolut notwendig, dieses Zeichen zu setzen. Nirgends gibt es absolute Freiheit. Um unserer Literatur den Frei- und Spielraum, den sie braucht zu erhalten, muß sich jeder von uns an die Spielregeln halten. Es gibt gewisse Grenzen, die man nicht überschreiten darf.471
Wirklichen Rückhalt erfuhr Kunze im Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR demnach nicht. Seine Art der kritischen Auseinandersetzung mit dem Gesellschaftssystem der DDR fand keine Unterstützung. Kunze hatte seine Konfrontation mit den staatlichen Behörden bzw. dem staatlich kontrollierten Schriftstellerverband selbst zu verantworten. Demzufolge war Keischs Antwort an das P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik im Namen des P.E.N.-Präsidiums der DDR 468
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Information über Reaktionen zum Ausschluß Reiner Kunzes aus dem Schriftstellerverband der DDR durch die Mitglieder des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR [15. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 16578/89, Bd. 31, Bl. 339–342, hier Bl. 340. Information über Reaktionen zum Ausschluß Reiner Kunzes aus dem Schriftstellerverband der DDR durch die Mitglieder des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR [15. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 16578/89, Bd. 31, Bl. 339–342, hier Bl. 340. Information über Reaktionen zum Ausschluß Reiner Kunzes aus dem Schriftstellerverband der DDR durch die Mitglieder des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR [15. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 16578/89, Bd. 31, Bl. 339–342, hier Bl. 341. Information über Reaktionen zum Ausschluß Reiner Kunzes aus dem Schriftstellerverband der DDR durch die Mitglieder des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR [15. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 16578/89, Bd. 31, Bl. 339–342, hier Bl. 341.
unmissverständlich; sie negierte die Notwendigkeit des Einsatzes für Reiner Kunze. Die Nichtmitgliedschaft im Schriftstellerverband der DDR wirke sich nicht zwingend hinderlich auf das schriftstellerische Tun aus: Es existiert keinerlei Verbindung zwischen dem jedermann a priori anstehenden Recht zu schreiben und zu veröffentlichen und der Zugehörigkeit zu irgendeiner Organisation. In der DDR leben nicht wenige Autoren, darunter mehr erfolgreiche, die nicht dem Schriftstellerverband angehören, sogar solche, die irgendwann einmal aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen wurden oder ausgetreten sind. Umgekehrt verleiht die Mitgliedschaft einem Autor keineswegs den Anspruch, ein aus irgendwelchen Gründen als unzulänglich beurteiltes Werk veröffentlicht zu sehen. Da sich also […] die Frage eines Schutzes gegen berufliche Beeinträchtigung nicht stellt, hat unser Zentrum, formal gesehen, eigentlich keinen Anlaß, sich für die Angelegenheit Kunze näher zu interessieren.472
Keisch führte die entstandene Situation allein auf das Eigenverschulden von Kunze zurück; er erscheint als der Schuldige – eine kritische Reflexion der kulturpolitischen Rahmenbedingungen ließ die Linientreue zur Politik der SED in keiner Weise zu. Keisch war bemüht, Kunzes Ausschluss aus dem Schriftstellerverband als legitime und logische Folge dauerhaft provokativen Verhaltens darzustellen: Von d[ ]en Auffassungen und Zielsetzungen [des Schriftstellerverbandes], die im Statut niedergelegt sind, hat sich Reiner Kunze unbestritten im Verlauf einer langen Entwicklung nicht nur entfernt, er ist ihr offener Gegner gewordenund verhält sich als ihr Gegner. Im Grunde ist nicht verständlich, warum er überhaupt Wert darauf legen sollte, Mitglied zu bleiben. Mehr als verständlich ist hingegen,daß die ständigen Gremien des Schriftstellerverbandes, zu denen enge persönliche Freunde Kunzes zählen, nach vielen Bemühungen um eine Verständigung, nach Versöhnungsangeboten, die mit immer neuen Provokationen beantwortet wurden, zuletzt der Tatsache ins Auge blicken mußten: Reiner Kunze hatte sich endgültig von allem getrennt, was ihn mit seinen Kollegen verbunden hatte. Der Ausschluß ist somit die Antwort auf offensichtliche, von Kunze gar nicht bestrittene Verstöße gegen das Grundgesetz des Schriftstellerverbandes. Er ist außerdem von vielen als längst fällig empfundene Empfangsbestätigung für unzählige hinuntergeschluckte Beleidigungen, das Echo, das aus dem Walde zurückschallt. Ich gestehe, daß ich, hätte es sich um einen Konflikt auf persönlicher Ebene gehandelt, eine vergleichbare Geduld keineswegs aufgebracht hätte.473
Was folgte, war eine üble Diffamierung von Kunzes Prosaband Die wunderbaren Jahre. In kurzen prägnanten Episoden demonstriert Kunze darin seine kritische Auseinandersetzung mit den vielfältigen Realitäten der DDR. Eine grundsätzliche Ablehnung der DDR spricht aus Kunzes Prosa jedoch nicht. Keisch hingegen zweifelte Kunzes Bekenntnis zur DDR an; er verurteilte Die wunderbaren Jahre als »borniertes Anklageplädoyer gegen den Sozialismus und speziell die 472
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Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [17. 11. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/Bundesrepublik/Brief Keisch– Gregor-Dellin 2, 1a–1h, hier 1a und b. Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [17. 11. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/Bundesrepublik/Brief Keisch– Gregor-Dellin 2, 1a–1h, hier 1b und c. 625
DDR«, das lediglich der »Denunzierung der DDR« und einer »zur Zeit wieder einmal überschwappende[n] Anti-DDR-Kampagne« diene: Mit Geschichtchen dieser Qualität aber nährt und kultiviert man jenen Gespensterglauben, der noch immer so viele Menschen in der Bundesrepublik für die Anti-DDRKampagne empfänglich macht. […] So wie die ›Wunderbaren Jahre‹ sich darbieten, sind sie […] nachweisbar verleumderisch und in vielem schlicht gelogen. Ihrem Verfasser kann nicht unbekannt sein, welchen politischen Gebrauch man davon bei den Gegnern des Sozialismus und der DDR machen würde.474
Die Chancen für eine literarische Existenz in der DDR lagen nach Keischs Darstellung ganz in Kunzes Hand: »[E]s ist ein Nachteil, als Schriftsteller in der DDR außerhalb der Gemeinschaft der Schriftsteller zu stehen und nicht im eigenen Lande zu veröffentlichen. Aber wer anders als Kunze selbst hat sich freiwillig dafür entschieden, diesen Nachteil auf sich zu nehmen? […] Was Reiner Kunze in Zukunft schreibt und ob es zur Veröffentlichung in der DDR geeignet ist, entscheidet er selbst.«475 Kunze hatte die Wahl: Angepasstes Schreiben oder von oben verordnetes Schweigen, das nur durch die Publikation im Westen und den Re-Import in die DDR ansatzweise zu durchbrechen war. Von Seiten des P.E.N.-Zentrums DDR hatte er als kritischer Sozialist keine Unterstützung zu erwarten. Dem Schreiben an den bundesdeutschen Generalsekretär hatte Keisch prophylaktisch ein Post Scriptum vom 22. November angehängt, das den aktuellen Entwicklungen in der Kulturpolitik der DDR, konkret der »Affäre Biermann«,476 Rechnung trug. Um einem weiteren Brief des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums vorzubeugen, versicherte Keisch, daß die überwiegende Mehrheit meines Präsidiums wie ich der Meinung ist, daß der neue Fall grundsätzlich nicht anders liegt als der erste, der eigentlich nur dessen Ergänzung bildet. Ein Unterschied besteht höchstens darin, daß Biermann seit noch viel längerer Zeit und mit noch größerer Unverfrorenheit die Geduld seiner Mitbürger auf die Probe gestellt hat. Ein weiterer, äußerlicher Unterschiedmag darin liegen, daß man von Biermann auch Bekenntnisse zum Sozialismus zu hören bekommt, deren Fehlen bei seinem Freund Kunze er sogar beklagt und kritisiert.477
Gleichwohl sei Biermann nicht im Sinne der P.E.N.-Charta in Schutz zu nehmen: »Biermanns einziges Betätigungsfeld ist unbestreitbar die direkte politi474
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Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [17. 11. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/Bundesrepublik/Brief Keisch– Gregor-Dellin 2, 1a–1h, hier 1c und d. Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [17. 11. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/Bundesrepublik/Brief Keisch– Gregor-Dellin 2, 1a–1h, hier 1f und g. Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [17. 11. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/Bundesrepublik/Brief Keisch– Gregor-Dellin 2, 1a–1h, hier 1g. Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [17. 11. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/Bundesrepublik/Brief Keisch– Gregor-Dellin 2, 1a–1h, hier 1h.
sche Agitation, deshalb ist er auch ein Fall der Politik, nicht der Literatur. Verzerrung, Verfälschung, Verleumdung sind neben charakterlichen Eigenarten wie Eitelkeit, Selbstüberschätzung und einem grenzenlosen Allwissenheitsanspruch auf politischem Gebiet, der mit einem ebenso grenzenlosen Dilettantismus einhergeht, die Grundelemente, mit denen er arbeitet.«478 Der P.E.N. müsse endlich wieder »unterschieden lernen, welche Meinungen mit seinen Zielen in Einklang stehen und Schutz beanspruchen können, und welche nicht.«479 So einmütig, wie Keisch mehr hoffte denn glaubte, war die Meinungsfindung innerhalb des P.E.N.-Präsidiums jedoch nicht zu erreichen. Die Biermann-Ausbürgerung und noch mehr die nachfolgende Protestresolution waren zum erbitterten Streitpunkt einer Auseinandersetzung geworden, die im Inneren der DDR nicht nur das Interesse der Abteilung Kultur, sondern auch des Ministeriums für Staatssicherheit nachhaltig erregte. 7.5.2.3 Die Ausbürgerung von Wolf Biermann – Zündstoff für das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR und Auslöser verstärkter sicherheitspolitischer Maßnahmen Im November 1976 hatte die einem steten Wechsel von Ausgrenzung und Wiederannäherung unterworfene Beziehung zwischen Biermann und der DDRFührung eine mindestens zum Teil unerwartete Entwicklung genommen. Biermann hatte 1976 eine Einladung erhalten, um in der Bundesrepublik aufzutreten. Niemand erwartete, dass ihm ein Reisevisum erteilt würde; es war ihm in den vergangenen Jahren konsequent verweigert worden. Doch »zur allgemeinen Verwunderung«480 erhielt er die Genehmigung zur Reise und trat am 13. November 1976 in Köln auf. Drei Tage später erfuhr Biermann – aus dem Autoradio –, dass die Behörden der DDR ihm die Rückkehr verweigerten. Das Politbüro der SED hatte am 16. November 1976 beschlossen, Wolf Biermann die Staatsbürgerschaft der DDR abzuerkennen. In einer Pressemeldung teilte die Parteiführung mit: Die zuständigen Behörden der DDR haben Wolf Biermann, der 1953 aus Hamburg in die DDR übersiedelte, das Recht auf weiteren Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik entzogen. Diese Entscheidung wurde auf Grund des ›Gesetzes über die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik – Staatsbürgerschaftsgesetz – vom 20. Februar 1967‹, Paragraph 13, nach dem Bürgern wegen grober Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt werden kann, gefaßt.
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Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [17. 11. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/Bundesrepublik/Brief Keisch– Gregor-Dellin 2, 1a–1h, hier 1h. Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [17. 11. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/Bundesrepublik/Brief Keisch– Gregor-Dellin 2, 1a–1h, hier 1h. Jay Rosellini: Wolf Biermann. (Beck’sche Reihe 626) München 1992, S. 85. 627
Biermann befindet sich gerade in der Bundesrepublik Deutschland. Mit seinem feindseligen Auftreten gegenüberder Deutschen DemokratischenRepublik hat er sich selbst den Boden für die Gewährung der Staatsbürgerschaft der DDR entzogen.481
Die Parteipresse hob Biermanns Eigenverschulden hervor; er habe in seinem Kölner Konzert lediglich Hass, Verleumdungen, Beleidigungen und massive Angriffe gegen die DDR vorgebracht.482 Biermanns Beteuerungen, er habe bei seinem Auftritt in der Kölner Sporthalle »kritische Solidarität mit dem Sozialismus in der DDR, mit den Menschen, die dort leben«483 geübt, verhallten ungehört. Das Politbüro zeigte keine Bereitschaft, den gefassten Beschluss zu revidieren. Die Parteiführung hatte gehofft, mit der rigorosen Maßnahme gegen Biermann den Schlusspunkt in einer langwierigen Konfrontation zu setzen. Die Ausbürgerung löste indes neben absehbaren Reaktionen auch solche aus, mit denen offenkundig keiner der Verantwortlichen gerechnet hatte. Die westliche Öffentlichkeit reagierte – erwartungsgemäß – mit Entsetzen und Protest auf Biermanns Behandlung. Für wirklichen Wirbel sorgte jedoch die Petition einer kleinen Schriftstellergruppe aus der DDR, die zur Veröffentlichung an die westlichen Medien weitergegeben worden war: Unter Federführung von Stephan Hermlin hatten sich zwölf DDR-Autoren und ein Bildhauer zusammengefunden, um schon am 17. November gegen Biermanns Ausbürgerung zu protestieren.484 Bis zum 21. November unterzeichneten mehr als 100 Künstler und Schriftsteller die Petition. Zwar handelte es sich nicht um »ein[en] flammende[n] Aufruf, sondern eher [um] eine diplomatische Note«,485 die sowohl Kritik an der Entscheidung des Politbüros als auch an Biermann übte, und die Regierung zur Revidierung ihrer Maßnahme aufforderte: Wolf Biermann war und ist ein unbequemerDichter – das hat er mit vielen Dichtern der Vergangenheit gemein. Unser sozialistischer Staat, eingedenk des Wortes aus Marxens ›18. Brumaire‹, demzufolge die proletarische Revolution sich unablässig selbst kritisiert, müßte im Gegensatzzu anachronistischenGesellschaftsformeneine solche Unbequemlichkeit gelassen nachdenkend ertragen können. Wir identifizieren uns nicht mit jedem Wort und jeder Handlung Wolf Biermanns und distanzieren uns von den Versuchen, die Vorgänge um Biermann gegen die DDR zu missbrauchen. Biermann selbst hat nie, auch nicht in Köln, Zweifel daran gelassen, für welchen der beiden deutschen Staaten er bei aller Kritik eintritt.
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Pressemitteilung. Anlage Nr. 2a zum Protokoll der Sitzung des Politbüros des ZK der SED (Auszug) [16. 11. 1976]. Zitiert nach Roland Berbig, Arne Born, Jörg Judersleben, Holger Jens Karlson, Dorit Krusche, Christoph Martinkat und Peter Wruck (Hg.): In Sachen Biermann. Protokolle, Berichte und Briefe zu den Folgen einer Ausbürgerung. (Armin Mitter und Stefan Wolle (Hg.): Forschungen zur DDR-Geschichte Bd. 2) Berlin 1994, S. 68f., hier S. 69. Vgl. Rosellini, S. 86. Peter Roos (Hg.): Exil. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR. Köln 1977, S. 41. Über die Entstehung der im Protest einigen Künstlergruppe berichtet als einer der Beteiligten Stefan Heym: Nachruf. München 1988, S. 797ff. Rosellini, S. 87.
Wir protestieren gegen seine Ausbürgerung und bitten darum, die beschlossenenMaßnahmen zu überdenken. Sarah Kirsch, Christa Wolf, Volker Braun, Franz Fühmann, Stephan Hermlin, Stefan Heym, Günter Kunert, Heiner Müller, Rolf Schneider, Gerhard Wolf, Jurek Becker, Erich Arendt, [Fritz Cremer]486
Die eigentliche Sensation war die Tatsache, dass eine Gruppe von DDR-Bürgern, zumeist Mitglieder der SED, ihren Einwand gegen eine Entscheidung der politischen Führung gezielt in die internationale Weltöffentlichkeit trug und auf diese Weise von der Praxis einer internen Problemlösung zwischen Staat und Schriftstellern abrückte. Eine solche offene Konfrontation der obersten Führungsebene hatte es seit dem Arbeiteraufstand 1953 nicht mehr gegeben. Dieser Sachverhalt wurde in den westlichen Medien mit größtem Interesse wahrgenommen und versetzte den gesamten Führungs- und Kontrollapparat der DDR in höchste Alarmbereitschaft.487 Auf die überraschende Bildung einer Gruppe, die mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit einen ungeheuerlichen Schritt getan hatte, reagierte die Partei mit Nachdruck; sie konzentrierte sich einerseits auf die Erstunterzeichner, andererseits bemühte sie sich um Eindämmung der Protestwelle: »Unsere Hauptaufgabe besteht darin, so mit allen Künstlern und Kulturschaffenden zu arbeiten, daß die Zahl der Unterzeichner nicht größer wird und alle, auch die, die mit unterschrieben haben, sich der politischen Tragweite dieser Vorgänge bewußt werden und sich dementsprechend verhalten.«488 Die Furcht der Führung, dass der Protest gegen die Ausbürgerung nur Auftakt eines umfassenden Widerstands sein könnte, war immens: »Man ging vor, als habe man es mit einer Gruppe zu tun, die so gefährlich werden konnte, dass von ihrer Ausschaltung das Schicksal des Landes abhing.«489 Die unverzüglich eingeleiteten Sicherungsmaßnahmen der Parteiführung durchdrangen alle Bereiche des kulturellen Lebens: Die politischideologische Arbeit wurde verstärkt über die Parteiorganisationen in die Verbände, Theater, Verlage etc. hineingetragen, auf entsprechenden Versammlungen Druck auf die Unterzeichner ausgeübt, persönliche Gespräche auf höchster Ebene mit den Unterzeichnern der Petition geführt, Parteiverfahren gegen die SED-Mitglieder unter den Petenten eingeleitet. Alle Versuche, die Insurgenten zu einer Revidierung ihrer Stellungnahme zu bewegen, scheiterten jedoch; sie distanzierten sich, bis auf wenige, nicht von ihrer Unterschrift. 486
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Zitiert nach Berbiget. al. (Hg.): In SachenBiermann, S. 70. Abgedrucktauch als Dokument 90: Über hundert Unterschriften: Der offene Brief in Sachen Wolf Biermann. In: Peter Lübbe (Hg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED 1975–1980. Stuttgart 1984, S 310f. Berbig et al. (Hg.): In Sachen Biermann, S. 11f. und Rosellini, S. 87. Mitteilung der SED-Bezirksleitung Berlin an untergeordnete Parteigliederungen [19. 11. 1976]. Abgedruckt in Berbig et al. (Hg.): In Sachen Biermann, S. 289–295, hier S. 295. Roland Berbig und Holger Jens Karlson: »Leute haben sich eindeutig als Gruppe erwiesen«. Zur Gruppenbildung bei Wolf Biermanns Ausbürgerung. In: Berbig et al. (Hg.): In Sachen Biermann, S. 11–28, hier S. 24. 629
Auch die Verantwortlichen im P.E.N.-Zentrum DDR sahen sich nach der Ausbürgerung in der Pflicht, klare Stellung zum Mitglied Wolf Biermann zu beziehen. Die regelmäßigen Diskussionen um den Liedermacher Wolf Biermann, die im P.E.N.-Zentrum DDR verstärkt im Zusammenhang mit bevorstehenden Mitgliederversammlungen losbrachen, sind bereits dargestellt worden. Wiederkehrendes Element der Debatten war seit Biermanns Aufnahme in den P.E.N. die Frage, ob und wie ein Ausschluss des unliebsamen Barden zu realisieren sei. Noch 1975 hatte Biermann nach langem Hin und Her an der Generalversammlung teilgenommen, ohne dass es zu besonderen Vorkommnissen gekommen wäre. Ein Jahr später musste sich das Präsidium mit der rigorosen Maßnahme der Regierung und dem nachfolgenden Protest auseinandersetzen, der aus den eigenen Reihen kam. Alle Erstunterzeichner der Protestresolution gehörten, mit Ausnahme des Bildhauers Fritz Cremer, dem P.E.N.-Zentrum DDR an. Von den amtierenden Präsidiumsmitgliedern hatten Stephan Hermlin und Christa Wolf unterzeichnet. Günter de Bruyn hatte sich am 18. November angeschlossen. Die Mitgliedschaft im P.E.N.-Zentrum DDR als einen entscheidenden Faktor bei der Gruppenbildung heranzuziehen, käme indes einer Überbewertung gleich. Wesentlich bedeutsamer dürfte das Netzwerk persönlicher Beziehungen und Freundschaften zwischen den DDR-Autoren gewesen sein, dessen Pflege intensiverer Kontakte bedurfte als sporadischer Zusammentreffen auf streng kontrollierten Mitgliederversammlungen und schlecht besuchten Clubabenden. Hermlin hatte eine wohldurchdachte Auswahl hinsichtlich der Unterzeichner getroffen: »Es handelte sich fast durchweg um Schriftsteller, deren Rang in der DDR, in der Bundesrepublik und im Ausland unbestritten war. Sie hatten sich ein Ansehen erworben, das ihrer Erklärung größte öffentliche Aufmerksamkeit garantierte – im Westen wie im Osten.«490 Ihre Mitgliedschaft im P.E.N. kam zu diesen Auswahlkriterien lediglich ergänzend hinzu und spielte eine untergeordnete Rolle. Die durch den Wirbel um Biermann ausgelöste angespannte Lage im Inneren der DDR zwang das P.E.N.-Zentrum DDR zu einer gezielten Auseinandersetzung mit der Problematik. Die führenden Köpfe sahen sich aus zweierlei Hinsicht vor die Aufgabe einer klärenden Aussprache gestellt. Durch die Anbindung an den Internationalen P.E.N. waren kritische Nachfragen ausländischer P.E.N.-Zentren vorprogrammiert; eine unmissverständliche Argumentationslinie musste gefunden werden. Die Tatsache, dass sich ausgerechnet unter den Vorstandsmitgliedern einige Petenten von internationalem Rang und Namen befanden, verkomplizierte die Situation. Das Präsidium des P.E.N.Zentrums zerfiel nach der Biermann-Ausbürgerung in zwei ungleichgewichtige Lager: Eine Majorität der Präsidiumsmitglieder, inklusive der Inhaber der Schlüsselpositionen Präsident und Generalsekretär, billigte die diktatorische Maßnahme der Regierung rückhaltlos. Lediglich Christa Wolf, Günter de Bruyn 490
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Berbig und Karlson: »Leute haben sich eindeutig als Gruppe erwiesen«. In: Berbig et al. (Hg.): In Sachen Biermann, S. 11–28, hier S. 13.
und Stephan Hermlin gehörten zu den Unterzeichnern der Petition, die trotz vielfältiger Einflussnahme hartnäckig auf der von ihnen vertretenen Position verharrten. Diese Ausgangslage erschwerte eine glaubwürdige Stellungnahme zu den Ereignissen. Nach außen hin war ohne Revidierung der Petition eine überzeugende Unterstützung der DDR-Regierung in ihrer Haltung zu Biermann nahezu unmöglich. Nach innen hin schien es unabdinglich, jeglichen Verdacht zu zerstreuen, das P.E.N.-Zentrum arbeite in irgendeiner Weise mit den Ausbürgerungsgegnern zusammen. Eine Lösung dieses Konflikts schien im Grunde nur möglich über eine dezidierte Aussage, die die Maßnahmen der Regierung ausdrücklich befürwortete. Auch das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR wurde somit zum Ort gezielter Einflussnahme auf die Mitglieder jener temporären Gruppierung, die sich zum deutlichen Protest gegen eine Entscheidung des obersten Politgremiums zusammengefunden hatte. Auf einer Präsidiumssitzung am 29. November 1976 stand das Thema »Biermann« ganz oben auf der Agenda. Teilnehmer waren Kamnitzer, Keisch, Hermlin, Jeanne Stern, Cwojdrak, Wiens, Kant, Hacks, Herzfelde, de Bruyn, Kahlau, Ilberg und Scheer.491 Christa Wolf war der Zusammenkunft ferngeblieben. Henryk Keisch hatte vorbereitende Gespräche mit Hermlin und de Bruyn geführt; er war mit seinem Versuch, »mittels einer ausgleichenden Erklärung eine gewisse Übereinkunft im PEN-Präsidium […] zu erzielen«492 , jedoch kläglich gescheitert. Vorgewarnt durch diesen Misserfolg, bemühte sich Kamnitzer bei der Verhandlungsführung um die Vermeidung einer Grundsatzdiskussion über Biermann. Er war bestrebt, die Angelegenheit Biermann im Rahmen des P.E.N. möglichst klein zu halten und der weltöffentlichen Diskussion keinen weiteren Stoff zu liefern: »Ziel dabei war, nicht noch zusätzliche Versammlungen (wie sie Jurek Becker gefordert hatte), Erklärungen und Diskussionen im PEN heraufzubeschwören, die dann international bekannt werden und dem Gegner Gelegenheit geben, sich bei uns einzumischen.«493 Eine Absicherung gegen mögliche Angriffe war daher unabdinglich: »Wenn seitens der ausländischen PENZentren Anfragen eingehen, so sollten sie […] möglichst kurz und lakonisch, beantwortet werden.«494 In diesen Punkten konnte er die Billigung von Hermlin und de Bruyn erreichen. Schon in einem »vertrauliche[n] Gespräch« am 20. November mit einem Vertreter des Politbüros, Werner Lamberz, hatten namhafte Unterzeichner des Auf491
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Vgl. Information [30. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/17, Bl. 30–34, hier Bl. 30. Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über die gegenwärtige Situation im Präsidium des PEN-Zentrums der DDR [4. 12. 1976]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über die gegenwärtige Situation im Präsidium des PEN-Zentrums der DDR [4. 12. 1976]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über die gegenwärtige Situation im Präsidium des PEN-Zentrums der DDR [4. 12. 1976]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. 631
rufs bekräftigt, »dass ihnen unwohl sei, wenn ihre Unterschrift im Westen propagandistisch gegen die DDR gewendet werde.«495 Nach Aussagen von Christa Wolf hatten die Erstunterzeichner nicht auf eine Kampagne abgezielt und jegliche Eskalation vermeiden wollen. Es sei ihnen »lediglich darum gegangen, ihre Meinung zu äußern. Es müsse in der DDR doch eine Möglichkeit geben, ›auch anders lautende, sogar kontroverse, aber meistens ja differenzierte Meinungen zu Beschlüssen oder zu bevorstehenden Beschlüssen in der Presse oder anderen Massenmedien zu diskutieren‹.«496 Von diesem grundsätzlichen Standort wollten Hermlin und de Bruyn auch im Präsidium des P.E.N. nicht abrücken. Das zeigte sich in den Reaktionen auf Kamnitzers Bemühen, »herauszuarbeiten, welcher gemeinsame Standpunkt zu Biermann für alle Präsidiumsmitglieder vertretbar ist.«497 Zu diesem Zweck legte er Textvorschläge vor, die in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit sinngemäß zitiert werden: Es gibt bei uns in der DDR in der Verfassung die Aberkennung der Bürgerrechte, was damit eine gesetzliche Grundlage ist. Diese Maßnahme gegen Biermann angewandt, ist der Endpunkt eines langen Prozesses, in dessen Verlauf sich die Konfrontation zwischen Biermann und den Behörden in der DDR, denen gegenüber er sich nicht loyal verhielt, immer mehr zuspitzte. Biermanns Konfrontation mit den Behörden der DDR, die Biermann beabsichtigte, trieb er mit seinem Auftreten in Köln auf den Höhepunkt.498
Diese Formulierung, die die Ausbürgerung auf der Basis des Bürgerschaftsgesetzes der DDR legitimierte und zudem Biermann als den eigentlichen Schuldigen darstellte, war mit der Argumentation des Politbüros identisch. Ob Kamnitzer ernsthaft glaubte, bei Hermlin und de Bruyn Zustimmung für derlei Erklärungen zu finden, ist zweifelhaft. War es der hilflose Versuch, der über allem wachenden Partei die eigene Linientreue zu demonstrieren? Oder hoffte er tatsächlich auf ein spätes Einsehen der Aufrührer? Hermlin trat indes als energischer Wortführer hervor, der konsequent die eigene Position verteidigte. Noch einmal wiederholte er, was er bereits am 23. November auf einer Parteiversammlung des Berliner Schriftstellerverbandes deutlich ausgesprochen hatte: »Parteidisziplin gehört zum Parteimitglied. Aber ich sage jetzt offen, daß mir andere Werte höher sind.«499 Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft habe es bislang nur in faschis495
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Magenau: Christa Wolf, S. 273f. Das Gespräch zwischen Lamberz und elf Unterzeichnern der Petition wurde von Manfred Krug heimlich auf Tonband aufgezeichnet und als Dokument veröffentlicht. Vgl. Manfred Krug: Abgehauen. Ein Mitschnitt und ein Tagebuch. Düsseldorf 1998. Magenau: Christa Wolf, S. 274. Vgl. Information über die Verhaltensweisen und das Auftreten der Unterzeichner der Protestresolution zur Ausbürgerung Biermanns, Stephan Hermlin, Günter de Bruyn und Heinz Kahlau auf der Präsidiumssitzung des PEN-Zentrums der DDR am 29. 11. 1976 [30. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/17, Bl. 30–34, hier Bl. 30. Information über die Verhaltensweisen und das Auftreten der Unterzeichner der Protestresolution zur Ausbürgerung Biermanns, Stephan Hermlin, Günter de Bruyn und Heinz Kahlau auf der Präsidiumssitzung des PEN-Zentrums der DDR am 29. 11. 1976 [30. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/17, Bl. 30–34, hier Bl. 30. Zitiert nach Berbig et al. (Hg.): In Sachen Biermann, S. 19 bzw. S. 172.
tischen Staaten gegeben; es gebe »in der Welt nur einen einzigen Staat, in dem ein Bürger nicht ohne weiteres aus- und wieder einreisen kann. Bei diesem Staat handelt es sich um die Sowjetunion. Die Sowjetunion hat diese Praxis nahtlos vom Zarismus übernommen.«500 Er könne sich mit solchen diktatorischen Maßnahmen nicht abfinden. Es komme ihm darauf an, »daß diktatorisches Vorgehen in unserem Staat, das unserem Ansehen im Ausland schadet, beseitigt wird.«501 Notwendig sei es, endlich einen »demokratischen Sozialismus«502 zu machen. Zum Schutz der eigenen Person griff Hermlin zu einem Mittel, das ihm von seinen Gegnern in der Sache als Arroganz und Anmaßung angekreidet wurde; er verwies auf seine guten Kontakte in die obersten Politkreise. Tatsächlich verfügte Hermlin über eine besondere Verbindung zu Erich Honecker, die er Anfang der neunziger Jahre folgendermaßen beschrieb: »Wir haben uns in vielen Dingen nicht verstanden. Aber wenn ich Wert darauf legte, ihn zu sprechen, rief ich ihn an, und weil ich gewissermaßen zur alten Garde gehörte, war er immer bereit, mit mir zu reden. […] Es ging entweder um Kulturpolitik oder um sogenannte humanitäre Angelegenheiten. Es ging um Bücher von Kollegen, die nicht erscheinen durften, oder um Verhaftungen.«503 Nach Biermanns Ausbürgerung hatte Erich Honecker seinen »Intimus« in zwei langen Gesprächen konsultiert, über deren Verlauf Hermlin berichtet: Erich Honeckerhätte dabei in einer ›Art Verzweiflung‹gesagt: ›Aber wenn ich das nicht gemacht hätte, dann hätte ich ihn verhaften müssen.‹ Darauf habe Stephan Hermlin erwidert: ›Dann hätten wir gegen seine Verhaftung protestiert.‹ Und weiter: ›Hör mal zu, was mutest du Menschen eigentlich zu und zwar Menschen, die du gut kennst, wie mich zum Beispiel? […] […]. Ich bin ein Ausgebürgerter gewesen. Und du mutest mir zu, zu etwas zu schweigen, das eine Schande für jeden Staat ist, für jeden zivilisierten Staat? Kein zivilisierterStaat hat jemals einen eigenen Staatsangehörigenausgebürgert, keine bürgerlicheDemokratie hat das jemals gemacht […]. Und ausgerechnetder Staat, der sich als deutscherArbeiter- und Bauernstaatproklamiert hat, macht das! Und dazu noch mit dem Sohn eines Auschwitz-Opfers? Seid Ihr wahnsinnig geworden?‹504 500
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Information über weitere Reaktionen von Verbindungen Biermanns und anderer Kulturschaffender in der DDR. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/17, Bl. 65–70, hier Bl. 66. Information über die Verhaltensweisen und das Auftreten der Unterzeichner der Protestresolution zur Ausbürgerung Biermanns, Stephan Hermlin, Günter de Bruyn und Heinz Kahlau auf der Präsidiumssitzung des PEN-Zentrums der DDR am 29. 11. 1976 [30. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/17, Bl. 30–34, hier Bl. 32. Information über die Verhaltensweisen und das Auftreten der Unterzeichner der Protestresolution zur Ausbürgerung Biermanns, Stephan Hermlin, Günter de Bruyn und Heinz Kahlau auf der Präsidiumssitzung des PEN-Zentrums der DDR am 29. 11. 1976 [30. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/17, Bl. 30–34, hier Bl. 32. An Allem ist zu zweifeln. Gespräch mit Günter Kaindlstorfer. In: Stephan Hermlin: In den Kämpfen meiner Zeit. Berlin 1995, S. 91–98, hier S. 93. Wortbeitrag von Stephan Hermlin. Zitiert nach Renate Chotjewitz-Häfner, Carsten Gansel, Andreas Kalckhoff, Olav Münzberg und Till Sailer (Hg.): Die BiermannAusbürgerung und die Schriftsteller. Ein deutsch-deutscher Fall. Protokoll der ersten Tagung der Geschichtskommission des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) Berlin 28. Februar bis 1. März 1992. (Bibliothek Wissenschaft und Politik Bd. 52) Köln 1994, S. 171. 633
Seinen Angreifern auf der Präsidiumssitzung teilte Hermlin als Ergebnis seiner Unterredungen mit Honecker mit, dieser habe ihn wissen lassen, daß die Unterzeichnerder Protestresolutionmit keinen Repressalienzu rechnenhaben. Auch [habe] ihm Gen. Honecker garantiert, daß er nach wie vor seine Visa benutzen kann und in das kapitalistische Ausland ungehindert aus- und einreisen darf. Im übrigen möchte er den Genossen sagen, daß nur das Gespräch mit Genossen Honecker für ihn bedeutsam war, alles andere ist nichts. Für ihn habe sich damit die Angelegenheit erledigt.505
Damit war den übrigen Präsidiumsmitgliedern jegliches Druckmittel genommen. Hermlin hatte sich unter die schützende Hand des Regierungschefs gestellt. Ein Abrücken von seiner Position zur Ausbürgerung von Biermann schien ausgeschlossen. Eine »grundsätzliche Distanzierung aller Tagungsteilnehmer von Biermann zu erreichen«506 , wie von Kamnitzer ursprünglich intendiert, gelang nicht. Nach Einschätzung des Ministeriums für Staatssicherheit wurde das Erreichen dieses Ziels »vor allem durch das Auftreten Hermlins verhindert«507 . Die gespannte Atmosphäre entlud sich in heftigen Auseinandersetzungen zwischen Hermlin und dem Generalsekretär Keisch; dieser fühlte sich persönlich durch Hermlins Auftreten »in einer derart arroganten, überheblichen und […] zurechtweisenden Form« so sehr beleidigt, dass er jede weitere Zusammenarbeit, »eine weitere konstruktive Arbeit des PEN-Zentrums DDR«508 für unmöglich hielt und mit der Niederlegung seines Amtes drohte. Erst ein regulierender Eingriff der Abteilung Kultur Anfang Dezember 1976 schwächte den Konflikt ab. Mit Kamnitzer und Keisch wurde ein »Gespräch in dem Sinne geführt, daß Genosse Keisch nach wie vor im Amt bleibt und Genosse Hermlin veranlaßt wird, seine Beleidigungen zurückzunehmen.«509 Die Bearbeitung der Petenten im Rahmen des P.E.N.-Präsidiums konnte als gescheitert gelten. Die von Kamnitzer telefonisch an den zuständigen Mitarbeiter der Abteilung Kultur, Leo Sladczyk, weitergegebene Einschätzung, die »Beratung des Präsidiums [sei] insgesamt gut verlaufen« bezog sich wohl in der Hauptsache auf den geringen Verhandlungserfolg, dass Hermlin das »erklärte Ziel unseres PEN [gebilligt 505
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Information über die Verhaltensweisen und das Auftreten der Unterzeichner der Protestresolution zur Ausbürgerung Biermanns, Stephan Hermlin, Günter de Bruyn und Heinz Kahlau auf der Präsidiumssitzung des PEN-Zentrums der DDR am 29. 11. 1976 [30. 11. 1976]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/17, Bl. 30–34, hier Bl. 32. Vgl. auch Information über weitere Reaktionen von Verbindungen Biermanns und anderer Kulturschaffender in der DDR. BStU, MfS, AOP 3707/87, Bd. V/17, Bl. 65–70, hier Bl. 67. Information über weitere Reaktionen von Verbindungen Biermanns und anderer Kulturschaffender in der DDR. BStU, MfS, AOP 3707/87, Bd. V/17, Bl. 65–70, hier Bl. 66. Information über weitere Reaktionen von Verbindungen Biermanns und anderer Kulturschaffender in der DDR. BStU, MfS, AOP 3707/87, Bd. V/17, Bl. 65–70, hier Bl. 66. Information über weitere Reaktionen von Verbindungen Biermanns und anderer Kulturschaffender in der DDR. BStU, MfS, AOP 3707/87, Bd. V/17, Bl. 65–70, hier Bl. 68. Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über die gegenwärtige Situation im Präsidium des PEN-Zentrums der DDR [4. 12. 1976]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514.
hatte], für Ruhe in der Sache zu sorgen und nichts mehr ins Ausland zu tragen«.510 Nach dieser Aussprache im Präsidium wurde das Thema Biermann im P.E.N. zunächst nicht mehr thematisiert. Die Abteilung Kultur hatte jedoch noch Ende November klare Vorgaben zur generellen »Weiterführung der Auseinandersetzung«511 auf kulturellem Gebiet formuliert. Eine notwendige Konsequenz betraf die Schriftstellerverbände: »Unterzeichner, die sich nicht revidieren, können nicht Mitglieder von Vorständen bleiben.«512 Dieser Beschluss zielte auch auf Hermlin. Vorbeugende, letztlich nicht zur Anwendung gebrachte Maßnahmen wurden beschlossen, um ihn innerhalb des P.E.N.-Zentrums DDR in seiner oppositionellen Positionierung zu bremsen und ein Übergreifen auf Teile der P.E.N.-Mitgliedschaft zu vermeiden. Offenbar hielten es die Kulturfunktionäre für möglich, dass Hermlins Haltung bei einigen P.E.N.-Mitgliedern Anklang und Unterstützung finden könnte. Dass das P.E.N.-Zentrum DDR zur Keimzelle eines konzertierten Protests hätte werden können, schien hingegen ausgeschlossen. Das einzige aktive Gremium des DDR-P.E.N., das Präsidium, war durch linientreue Anhänger der SED-Politik dominiert: Sie werden zu verhindern wissen, daß Genosse Hermlin im PEN eine Plattform seiner Ziele und Auffassungenfindet.Sollte sich der Konflikt mit ihm auch im PEN zuspitzen, muß die Auseinandersetzung mit Hermlin auch dort geführt und damit begonnen werden, ihn aus dem Präsidium des PEN-Zentrums auszuschließen, oder ihn zur nächsten Generalversammlung, die Mitte 1977 stattfinden müßte, nicht wieder zur Wahl zu stellen.513
Bis zur nächsten Generalversammlung im April 1978 hatte die Aufregung nachgelassen. Hermlin erschien wiederum auf der Namensliste des Präsidiums, das von den anwesenden Mitgliedern en bloc bestätigt wurde.514 Gleichwohl waren die Parteifunktionäre des P.E.N.-Zentrums DDR, Kamnitzer und Keisch, denen nach dem Wirbel im Vorfeld der Tagung von 1975 eine klare Konzeption für die »künftige Praxis« auferlegt worden war, bei der Vorbereitung der nächsten Generalversammlung akribisch vorgegangen. Schon im Mai 1977 hatte Keisch eine Konzeption zur Generalversammlung bei der Abteilung Kultur vorgelegt: »Nach dem zur Zeit geltenden Statut unseres Zentrums 510
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Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über die Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums der DDR am 29. 11. 1976 [30. 11. 1976]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Mitteilung der Abteilung Kultur im ZK der SED [30. 11. 1976]. Abgedruckt in Berbig et al. (Hg.): In Sachen Biermann, S. 304f., hier S. 305. Mitteilung der Abteilung Kultur im ZK der SED [30. 11. 1976]. Abgedruckt in Berbig et al. (Hg.): In Sachen Biermann, S. 304f., hier S. 305. Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Information über die gegenwärtige Situation im Präsidium des PEN-Zentrums der DDR [4. 12. 1976]. SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Vgl. P.E.N.-Zentrum Deutsche Demokratische Republik. Generalversammlung am 5. April 1978/Zusammenfassung [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/GV – Zusammenfassung 1–24, hier 23. 635
hat alljährlich eine Generalversammlung mit Neuwahl des Präsidiums und des Präsidenten sowie Zuwahl neuer Mitglieder stattzufinden. Diese Festlegung ist schon seit langem nicht mehr eingehalten worden und sollte nach meiner Meinung demnächst in aller Form geändert werden. Stattdessen hat sich ein zweijähriger Turnus stillschweigend durchgesetzt.«515 Demnach sei eine Generalversammlung zum Jahresende 1977 fällig: »Genosse Kamnitzer und ich meinen, daß wir keinen Grund haben, dem auszuweichen. Was an politischen Problemen in unserer Mitgliedschaft vorhanden ist, sollte zu diesem Zeitpunkt entweder restlos ausgeräumt sein, oder aber es verlangt eine klare, entschieden politische Behandlung und Antwort.«516 Auf Hagers Vorgabe, die Zuwahlen künftig drastisch zu beschränken, ließ man sich ein: »Wir beabsichtigen, mit größerem Nachdruck als in der Vergangenheit darauf hinzuweisen, daß die Zuwahlen sich in Grenzen halten müssen, um unser Zentrum vor unangebrachter Aufblähung zu bewahren.«517 Die »Lage im Präsidium« hatte sich nach Keischs Meinung beruhigt; sie »ist zur Zeit so, daß von Seiten der Unterzeichner der bekannten Erklärung in Sachen Biermann eine gewisse Bereitschaft zum Einlenken erwartet werden kann. Dies würde auch bedeuten, daß sie darauf verzichten, unangenehme Kandidaten für die Zuwahl vorzuschlagen oder sich der Zuwahl willkommener Kandidaten zu widersetzen.«518 Gleichwohl musste eine Sicherung eingebaut werden: »Sollten sie es dennoch tun, müssen die Beschlüsse gegen sie mit Mehrheit gefaßt werden. Nach dem gleichen Prinzip müssen die Wahlvorgänge in der Mitgliederversammlung abrollen: Wenn nötig, auf Grund entsprechender Mehrheitsabschlüsse der Parteigruppe. Keinesfalls darf es wieder geschehen, daß Kandidaten, deren Zuwahl die Position der Partei zu verstärken geeignet sind, zu spät benannt werden, […] und deshalb zurückgestellt werden müssen.«519 Das galt auch für die Neuwahl des Präsidiums: Das Präsidium wird wie üblich der Mitgliederversammlung einen Vorschlag für die Wahl eines neuen Präsidiums zu machen haben. Genosse Kamnitzer und ich schlagen vor, zunächst alle bisherigenMitglieder des Präsidiums zu befragen, ob sie für das neue Präsidium zu kandidieren wünschen. Ist dies der Fall, dann sollten wir der Mitgliederversammlung vorschlagen, das bisherige Präsidium wiederzuwählen. Falls Rücktritte erfolgen, ist der hinzukommende Kandidat sorgfältig auszuwählen. Über alle Fragen, die im Zusammenhang mit den Zuwahlen und mit der Neubesetzung der Funktionen auftreten, sollte also nach unserer Ansicht klar, konkret und offensiv entschieden werden. Gegebenenfalls sollte mit aller Deutlichkeit erklärt werden, daß 515
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Henryk Keisch an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 5. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/SED 2 und 2a, hier 2. Henryk Keisch an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 5. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/SED 2 und 2a, hier 2. Henryk Keisch an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 5. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/SED 2 und 2a, hier 2. Henryk Keisch an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 5. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/SED 2 und 2a. Henryk Keisch an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 5. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/SED 2 und 2a, hier 2a.
jemand wegen seiner falschen Position in Sachen Biermann und danach unser Vertrauen nicht verdient.520
Für die Lösung der Frage um Biermanns Mitgliedschaft schlug Keisch vor: »Biermann selbst sollte durch Beschluß des zur Zeit amtierenden Präsidiums aus der Mitgliederliste gestrichen und diese Streichung im Bericht an die Generalversammlung mitgeteilt werden.«521 Eine Vorlage an das ZK der SED vom Juli 1977, die noch eine Durchführung der Generalversammlung im November 1977 vermerkte, garantierte die entschiedene Vermittlung der parteilichen Linie gegenüber den Mitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR. Noch immer fürchteten die Funktionäre negative Rückwirkungen der Biermann-Affäre. Keischs Tätigkeitsbericht soll[te] mit nach vorn gerichteter Tendenz Schlußfolgerungen ziehen, die sich für das P.E.N.-Zentrum DDR aus den kulturpolitischenDiskussionendes vergangenenHerbstes und Winters ergeben. Die Aussprache soll allenfalls die in den Parteibeschlüssen vorgezeichnete Linie bestätigen: Sammlung und Zusammenschluß aller auf dem Boden der DDR stehenden und zur Mitarbeit am weiteren sozialistischen Aufbau bereiten Kräfte. EntschlosseneZurückweisungmöglicherAngriffe und Isolierungvon deren Urhebern.522
Die Generalversammlung war schließlich in das Jahr 1978 verschoben worden. Anfang 1978 blickte die Führung des P.E.N.-Zentrums DDR der Durchführung gelassener entgegen: »Der Klärungsprozeß unter den Mitgliedern ist inzwischen so weit vorangeschritten, daß wesentliche Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Durchführung der Generalversammlung gegeben sind.«523 Dennoch war eine strikte Vorbereitung vorgesehen. So war »sicher[zu]stellen, daß aktive Genossen auf der Generalversammlung anwesend sind.«524 Für den Rechenschaftsbericht gab es klare Vorgaben: »Sachlich, keine Polemik, kein Anlaß für scharfe Widerrede geben, keine Probleme aufwerfen, die dazu führen.«525 In Bezug auf die Zuwahlen hatte man sich innerhalb des Präsidiums im März 1978 darauf geeinigt, »der Generalversammlung 13 Kandidaturen für Zuwahl vorzulegen, mit der Perspektive, daß nur ein Teil davon die nötige 2/3-Mehrheit erreichen wird (Anliegen unserer Parteigruppe muß sein, daß es die rich-
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Henryk Keisch an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 5. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/SED 2 und 2a, hier 2a. Henryk Keisch an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 5. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/SED 2 und 2a, hier 2a. Henryk Keisch: Vorlage an das Sekretariatdes ZK der SED [19. 7. 1977].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/Vorlage 19. 7. 1977 1–3, hier 2f. Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [19. 1. 1978]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/Vorlage 19. 7. 1977. Generalversammlung II [o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/ Entwurf 2. Generalversammlung II [o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/ Entwurf 2. 637
tigen sind, die sie erreichen).«526 Die Kandidatenliste umfasste in der Konsequenz »alle Vorschläge, die fristgerecht und mit Begründung eingereicht worden sind. Das Präsidium hat[te] von seinem Recht auf Vorauswahl keinen Gebrauch gemacht. Nach seiner einmütigen Ansicht sollte jedoch, zwecks Einhaltung einer angemessenen Proportion, die Zahl neuer Mitglieder 8 oder 9 nicht übersteigen. Das Präsidium empfiehlt den Mitgliedern entsprechende Streichungen.«527 Die Mitgliederversammlung verlief schließlich wie geplant. Das Präsidium, bestehend aus de Bruyn, Cwojdrak, Hacks, Hermlin, Ilberg, Kamnitzer, Kant, Keisch, J. Stern und C. Wolf wurde en bloc wiedergewählt, Kamnitzer erneut im Amt bestätigt. Der in der Zwischenzeit verstorbene Maximilian Scheer wurde nicht ersetzt. Den Unterzeichnern der Biermann-Petition, die dem Präsidium angehörten, war offenkundig noch einmal das Vertrauen der Partei entgegengebracht worden. Wie im Vorfeld festgelegt, standen 13 Kandidaten auf der Vorschlagsliste zur Zuwahl in den P.E.N.: Helmut Baierl, Alma Csongar, Elke Erb, Harald Hauser, Wolfgang Joho, Eduard Klein, Ruth Kraft, Werner Mittenzwei, Herbert Nachbar, Ernst Schwarz, Rudi Strahl, Eva Strittmatter und Benito Wogatzki. Den Sprung über die erforderliche Zweidrittel-Hürde schafften nur vier Kandidaten: Joho, Mittenzwei, Nachbar und Schwarz.528 Das Ziel, möglichst nur wenige neue Mitglieder aufzunehmen, war erreicht worden. Auch eine unangenehme Diskussion über kulturpolitische Entscheidungen der DDRRegierung war gänzlich vermieden worden.529 Und so sprach Kamnitzer am Ende der Tagung ein implizites Lob aus: »Wir wollen auch in Zukunft so harmonisch und fruchtbar wie möglich zusammenwirken.«530 Doch so harmonisch, wie sich die Situation im P.E.N.-Zentrum DDR im April 1978 vordergründig darstellte, war die Situation für Biermanns Fürsprecher nach der Unterzeichnung der Petition nicht. Sie waren in der Folge auf allen Ebenen einem enormen Druck ausgesetzt. Die Maßregelung der Petenten durch die Partei reichte vom Parteiausschluss bzw. -austritt (Jurek Becker, Gerhard Wolf, Sarah Kirsch) bis zur »strengen Rüge« für Stephan Hermlin und Christa Wolf. Parteiliche Disziplinierungsmaßnahmen erfolgten vor allem auf der Ebene des Schriftstellerverbandes; diese sind in der Literatur umfassend
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[Henryk Keisch] an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [9. 3. 1978]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/GV April 1978/SED/Leo Sladczyk 1. Ablaufplan zur Generalversammlung am 2. 4. 1978 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/Ablaufplan 1–3, hier 2. Vgl. P.E.N.-Zentrum Deutsche Demokratische Republik. Generalversammlung am 5. April 1978/Zusammenfassung [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/GV – Zusammenfassung 1–24, hier 1–12. P.E.N.-Zentrum Deutsche DemokratischeRepublik. Generalversammlung am 5. April 1978/Zusammenfassung [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/GV – Zusammenfassung 1–24, hier 12–24. P.E.N.-Zentrum Deutsche DemokratischeRepublik. Generalversammlung am 5. April 1978/Zusammenfassung [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/GV – Zusammenfassung 1–24, hier 24.
dokumentiert.531 Jurek Becker und Sarah Kirsch verließen im Laufe des Jahres 1977 die DDR. Beckers Mitgliedschaft im P.E.N.-Zentrum DDR »ruht[e] bis auf weiteres«,532 Kirschs galt Anfang 1978 als »erloschen«.533 Das überraschende Ausmaß der Reaktionen auf die Ausbürgerung Biermanns provozierte härtere Maßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit: Neue Operative Vorgänge gegen Schriftsteller wurden angelegt, so u. a. der OV »Zyniker« gegen Günter Kunert und der OV »Filou« gegen Franz Fühmann. Letzterer hatte nach Information des Ministeriums für Staatssicherheit »einen verhärteten Standpunkt« eingenommen; er empfinde »›immer weniger Verbundenheit mit der DDR‹. Bis zur Veröffentlichung seiner Protestbriefe an Genossen [Willi] Stoph und an Institutionen der DDR werde er in der DDR den Druck seiner Manuskripte verweigern und nur noch für die ›Schublade‹ schreiben.«534 Die Hauptabteilung XX/7 übernahm von der Bezirksverwaltung Potsdam den OV »Doppelzüngler« gegen Christa und Gerhard Wolf.535 Als federführender Initiator der Protestresolution geriet Stephan Hermlin verstärkt unter die Kontrolle des Ministeriums für Staatssicherheit. Gegen ihn wurde der OV »Leder« eingerichtet. Schon am 13. Dezember 1976 war in der Hauptabteilung XX/7 ein differenzierter »Maßnahmeplan zur operativen Bearbeitung des Hermlin, Stephan« erstellt worden, der auch Christa Wolf, Günter de Bruyn und Jeanne Stern betraf. Als »Zielstellung der operativen Bearbeitung« wurde formuliert: 1. Schaffungund DokumentierungstrafprozessualverwertbarerBeweisefür die staatsfeindliche Tätigkeit des HERMLIN. 2. Einschränkungbzw. Verhinderungweiterer feindlicherAktivitäten des HERMLIN; zu diesem Zweck sind alle Möglichkeiten zu prüfen, um im Freundes- und Verbindungskreis von HERMLIN glaubhaft zu verbreiten, daß er ein treuer der Partei überaus ergebener Genosse ist. 3. Aufdeckung und Beseitigung begünstigender Bedingungen für die Feindtätigkeit des HERMLIN. 4. Aufklärung der Hintermänner der Feindtätigkeit des Hermlin sowie seiner Rolle als Inspirator und Mitorganisator feindlicher Aktivitäten. […] Maßnahmen 10. Erarbeitung eines Vorschlages zur Einleitung von Maßnahmen, die eine op. Kontrolle HERMLINS während seiner Reisetätigkeit im Auftrag des PEN-Zentrums der DDR ermöglichen. […]
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Vgl. vor allem Berbig et al. (Hg.): In Sachen Biermann. [P.E.N.-Zentrum DDR]: Aktenvermerk [Januar 1978]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1968/Aktenvermerk 1. [P.E.N.-Zentrum DDR]: Aktenvermerk [Januar 1978]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/1968/Aktenvermerk 1. Information über weitere Reaktionen von Verbindungen Biermanns und anderer Kulturschaffender in der DDR. BStU, MfS, AOP 3707/87, Bd. V/17, Bl. 65–70, hier 66. Vgl. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 90. 639
Einsatz inoffizieller Kräfte: 14. Zur op. Kontrolle der feindl. Aktivitäten im Präsidium des PEN-Zentrums der DDR durch Stephan HERMLIN, Chr. Wolf, Günter de Bruyn und Jane STON [d. i. Jeanne Stern] wird der IME ›Dichter‹ eingesetzt. […] 15. Zur Zurückdrängung feindlicher Aktivitäten der Mitglieder des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR Stephan HERMLIN, Ch. WOLF, Günter de BRUYN und Jane STON [sic] ist der Kontakt zu dem ………… weiter auszubauen und zu festigen. […] 18. Der IME ›Dichter‹ wird seinen Kontakt zu der Unterzeichnerin Sarah KIRSCH nutzen, um deren Misstrauen gegen HERMLIN und Chr. WOLF systematisch weiterzuschüren. – Es soll erreicht werden, daß die KIRSCH sich selbst von HERMLIN trennt und gleichzeitig weitere Personen auffordert ihren Kontakt zu HERMLIN und WOLF ebenfalls abzubrechen.536
Die Angst der Regierenden vor dem Erstarken einer oppositionellen Bewegung, insbesondere auf kultureller Ebene, war nach den Ereignissen des November 1976 groß. Davon zeugen die umfassenden Sicherungsmaßnahmen, die in der Folge konzipiert und zur Anwendung gebracht werden sollten. Unmittelbar nach Biermanns Ausbürgerung hatte das Ministerium für Staatssicherheit ein umfangreiches Papier mit »Hinweisen über einige Probleme im Zusammenhang mit feindlich-negativen Aktivitäten von Personenkreisen auf dem Gebiet Kunst und Kultur«537 erarbeitet. Darin wurde der gesamte Kulturbereich einer differenzierten Analyse unterzogen, um Bestrebungen des »Gegners« entgegenzuwirken, »feindlich-negative Kräfte in den sozialistischen Ländern, insbesondere der DDR, noch stärker zu staatsfeindlichen Handlungen und Aktivitäten zu mobilisieren und mehr als bisher politisch nicht gefestigte, labile, schwankende Personen in derartige Machenschaften einbeziehen zu können«538 : Insbesondere seit Ende 1976 wurde offensichtlich, daß in der DDR seit Jahren bestimmte Kräfte, insbesondere unter Kulturschaffenden vorhanden sind, deren politische und ideologische Vorstellungen und Aktivitäten in wesentlichen Teilen den vom Gegner verfolgten Zielen und Absichten zur Unterwanderung der DDR und zu ihrer Zersetzung von innen heraus, zur Schaffung und Aktivierung einer sogenannten inneren Opposition bzw. zur Forcierung der politischen Untergrundtätigkeit entsprachen bzw. damit übereinstimmten. Konkreter Ausdruck dafür sind die ›Forderungen‹ und Handlungen jener Personen in der DDR, die diesen Personenkreisen angehörten bzw. auf deren Positionen standen und die eindeutig darauf gerichtet waren,
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Maßnahmeplanzur operativenBearbeitungdes Hermlin, Stephan[13. 12. 1976].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/17, Bl. 144–149. Hinweise über einige Probleme im Zusammenhangmit feindlich-negativenAktivitäten von Personenkreisen auf dem Gebiet Kunst und Kultur [8. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 115–139. Hinweise über einige Probleme im Zusammenhangmit feindlich-negativenAktivitäten von Personenkreisen auf dem Gebiet Kunst und Kultur [8. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 115–139, hier Bl. 115.
– in der DDR eine Basis für reformistische bzw. revisionistische, gegen die Beschlüsse des VIII. und IX. Parteitages der SED und damit gegen die Grundpositionen des Sozialismus gerichtete Linie zu schaffen, – schrittweise die Forderungen nach ›Liberalisierung‹, nach größerer ›Freizügigkeit‹, nach einem ›demokratischen Sozialismus‹ u. a. m. durchzusetzen. Zu diesen Personen, die durch systematische und zielgerichtete Einwirkung von außen unterstützt wurden und werden, gehörten auch ideologisch aufgeweichte, politisch schwankende Kräfte, die in zunehmendem Maße in die feindliche Tätigkeit einbezogen wurden. Bestimmte Personengruppen, bei denen die politischen Auffassungen von Havemann und Biermann eine wesentliche Rolle spielten, setzten sich vorwiegend aus Kulturschaffenden, vor allem Schriftstellern, und anderen ›oppositionell eingestellten‹ Personen zusammen, die auf der Grundlage ihrer feindlich-negativen Positionen wechselseitig zusammenwirkten und vorgingen (z. B. Heym, Hermlin, Becker, Kunert, Schlesinger, Plenzdorf). […] Als gegen Biermann staatliche Maßnahmen beschlossen wurden, hielten diese feindlich-negativen Kräfte den Zeitpunkt und die Bedingungen für günstig, mit offenen, teilweise demonstrativen Handlungen unmittelbar gegen die Partei und Staatsmacht vorzugehen und zu versuchen, diese unter Druck zu setzen.539
Ein differenzierter Maßnahmenplan sollte »in allen staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen der DDR eine einheitliche, aufeinander abgestimmte Durchsetzung der Beschlüsse von Partei und Regierung auf dem Gebiet der Kulturpolitik gewährleisten«540 . Gefordert wurde eine strikte Verbesserung der Kaderpolitik, auch im Hinblick auf die »internationale Arbeit, insbesondere die Reisetätigkeit in das nichtsozialistische Ausland«: Maßstab ist die Repräsentation der sozialistischen Nationalkultur der DDR im Ausland. […] Mit Kulturschaffenden, die sich während Auslandsaufenthalten nicht entsprechendden an sie zu stellenden politischen Anforderungen verhalten, sollten prinzipielle politisch-ideologische Auseinandersetzungen geführt und weitere Ausreisen von ihrem Verhalten abhängig gemacht werden. […] Es sollten konkrete Konzeptionen für die Reisetätigkeitzur Repräsentation unserer sozialistischen Kultur im westlichenAusland erarbeitet werden,in denen in erster Linie klassenbewußte,parteiverbundene,progressive Kulturschaffende zu berücksichtigen sind.541
In diesem Zusammenhang geriet auch das P.E.N.-Zentrum DDR ins Visier der parteipolitischen Analysten: »Die Tätigkeit im Internationalen PEN wird fast vollständig verselbständigt durch Personen wie Hermlin, Prof. Kamnitzer u. a., die an der Spitze des DDR-PEN stehen, durchgeführt. Es gibt keine klare politische Konzeption, wie das DDR-PEN im Internationalen PEN wirksam wer539
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Hinweise über einige Probleme im Zusammenhang mit feindlich-negativenAktivitäten von Personenkreisen auf dem Gebiet Kunst und Kultur [8. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 115–139, hier Bl. 116–119. Hinweise über einige Probleme im Zusammenhang mit feindlich-negativenAktivitäten von Personenkreisen auf dem Gebiet Kunst und Kultur [8. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 115–139, hier Bl. 130. Hinweise über einige Probleme im Zusammenhang mit feindlich-negativenAktivitäten von Personenkreisen auf dem Gebiet Kunst und Kultur [8. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 115–139, hier Bl. 134f. 641
den soll. Dadurch kam es z. B. zu solchen Erscheinungen, daß Hermlin während der Tagung des Internationalen PEN im September 1976 in London einer Petition zustimmte, in der zur Solidarität mit in der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern inhaftierten Feinden aufgerufen wird.«542 Der Anfang 1977 erstellte Jahresarbeitsplan der Hauptabteilung XX/7 des Ministeriums für Staatssicherheit für das Jahr 1977 formulierte die Befehle und Weisungen »zur allseitige[n] politisch-operative[n] Sicherung der sozialistischen […] Kultur«: Die Hauptaufgabe der gesamten politisch-operativen Tätigkeit der D[ienst]E[inheit] besteht darin, alle politisch-operativen Potenzen zu entfalten, um alle Versuche des Feindes, einen politischen Untergrund in kulturellen Personenkreisen zu formieren, oppositionelle Bestrebungen und Bewegungen auszulösen und konterrevolutionäre Aktionen vorzubereiten, rechtzeitig aufzudecken und mit den geeignetsten [sic] politisch-operativen Mitteln wirkungsvoll zu unterbinden. […] Die Ausgangspunkte und Zentren der subversiven Tätigkeit gegen die DDR in den kulturellen Bereichen sind durch verstärkten Einsatz geeigneter inoffizieller Kräfte und Möglichkeiten aufzuklären, ihre Pläne und Absichten zu erforschen, zu dokumentieren und mit geeigneten politisch-operativen Maßnahmen unwirksam zu machen.543
Zum »Operative[n] Schwerpunkt« wurde die umfassende Überwachung der »Schriftsteller mit politisch-negativen Persönlichkeitsmerkmalen«;544 dazu gehörten auch die »Mitglieder des PEN-Zentrums u. a. internat. Organisationen«.545 Die Vorgaben zur »Realisierung des Kampfprogramms der DE« waren eindeutig: Die Prozesse der op. Vorgangsbearbeitung gegen Stephan Hermlin OV »Leder« Rolf Schneider OV »Germanist« Günter Kunert OV »Zyniker« Sarah Kirsch OV »Milan« Christa und Gerhard Wolf OV »Doppelzüngler« Ulrich Plenzdorf OV »Dramatiker« Franz Fühmann OV »Filou« […] sind auf der Grundlage der vom Leiter der HA XX bestätigten Bearbeitungskonzeption so zu realisieren, daß – die feindlichen Kräfte keinen einheitlichen konterrevolutionären Block bilden können 542
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Hinweise über einige Probleme im Zusammenhangmit feindlich-negativenAktivitäten von Personenkreisen auf dem Gebiet Kunst und Kultur [8. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 115–139, hier Bl. 135. Karl Brosche [Oberleutnant, Ministerium für Kultur, HA XX/7]: Jahresarbeitsplander Hauptabteilung XX/7 für das Jahr 1977 [3. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 196– 242, hier Bl. 198. Karl Brosche [Oberleutnant, Ministerium für Kultur, HA XX/7]: Jahresarbeitsplander Hauptabteilung XX/7 für das Jahr 1977 [3. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 196– 242, hier Bl. 211. Karl Brosche [Oberleutnant, Ministerium für Kultur, HA XX/7]: Jahresarbeitsplander Hauptabteilung XX/7 für das Jahr 1977 [3. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 196– 242, hier Bl. 211.
– keinen bedeutenden Einfluß zur Sammlung und Aktivierung feindlicher, negativer und politisch schwankender Kräfte auszuüben vermögen – ihre feindlichen Pläne, Absichten und Verbindungen so wie Kanäle und Hintermänner aufgedecktund beweismäßiggesichert werden, insbesondere zu feindlichenZentren und Geheimdiensten – wirksame Maßnahmen zur Zersetzung, Verunsicherung und des Herausbrechens einzelner Personen durchgesetzt werden, um die feindliche Wirksamkeit dieser Kräfte einzuschränken.546
Es folgen genaue Angaben über den Einsatz von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit. Vorgesehen war etwa »1 IM mit dem Ziel des unmittelbaren Eindringens in den feindlichen Personenkreis«547 , zu dem Stephan Hermlin und Franz Fühmann gehörten. Diesem oblag die »Aufdeckung ihrer Pläne, Absichten und Verbindungen zu feindlichen Zentren und Einzelpersonen sowie d[ie] Nachweisführung, daß sie im Auftrag oder in Abstimmung mit dem äußeren Feind oppositionelle Aktivitäten, sogenannte Bürgerrechtsaktionen und andere Feindhandlungen begehen.«548 Auch das P.E.N.-Zentrum DDR geriet unter verstärkte Kontrolle. Festgelegt wurde der Einsatz von »1 IM zur Aufdeckung der Rolle, die Hermlin im Internationalen PEN im Zusammenhang der Organisierung feindlicher Angriffe gegen die DDR u. a. sozialistische Staaten spielt (z. B. ›Amnestie [sic] International‹)«. Aufgabe sollte es zudem sein, die Hintermänner aufzudecken, »die feindliche Aktionen unter Ausnutzung des Internationalen PEN und des PEN-Zentrums der DDR organisieren (Hermlin ist Vizepräsident des Internationalen PEN und keiner DDR-Institution rechenschaftspflichtig).«549 Wen die Hauptabteilung XX/7 des Ministeriums für Staatssicherheit auf das P.E.N.-Zentrum DDR, und insbesondere Stephan Hermlin, ansetzte, geht aus dem Jahresarbeitsplan nicht hervor. Dass in der Folge eine verschärfte Überwachung des P.E.N.-Zentrums einsetzte, vor allem bei seiner Aktivität auf internationaler Ebene, belegen die im Aktenmaterial aufgefundenen Berichte. Vereinzelt lassen sich Hinweise auf die Ergebnisse der strikten Überwachungspläne des Ministeriums für Staatssicherheit auffinden. Ein Bericht über eine Präsidiumssitzung im April 1977 etwa konstatiert: »Weitere Probleme gab es bei dieser Präsidiumssitzung nicht. Jeanne STERN verhielt sich bei dieser Sitzung ruhig und provozierte nicht, wie bei vorangegangenen Präsidiumssitzun546
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Karl Brosche [Oberleutnant,Ministerium für Kultur, HA XX/7]: Jahresarbeitsplander Hauptabteilung XX/7 für das Jahr 1977 [3. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 196– 242, hier Bl. 229. Karl Brosche [Oberleutnant,Ministerium für Kultur, HA XX/7]: Jahresarbeitsplander Hauptabteilung XX/7 für das Jahr 1977 [3. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 196– 242, hier Bl. 230. Karl Brosche [Oberleutnant,Ministerium für Kultur, HA XX/7]: Jahresarbeitsplander Hauptabteilung XX/7 für das Jahr 1977 [3. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 196– 242, hier Bl. 230. Karl Brosche [Oberleutnant,Ministerium für Kultur, HA XX/7]: Jahresarbeitsplander Hauptabteilung XX/7 für das Jahr 1977 [3. 1. 1977]. BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 196– 242, hier Bl. 231. 643
gen.«550 Eine »Einschätzung des IME ›Dichter‹ [d. i. Paul Wiens]« vom 29. Dezember 1977 dokumentiert dessen Einsatz bei der Überwachung von Hermlin: »So gelang es dem IM z. Bsp. seinen Kontakt zu der im OV ›Leder‹ bearbeiteten Person [d. i. Stephan Hermlin] wesentlich auszubauen und op[e]r[ativ] bedeutsame Informationen über die weiteren Pläne und Absichten dieser Person zu erarbeiten.«551 Die künftige Auftragserteilung stand ebenfalls fest: In der weiteren operativen Arbeit mit dem IM sind zielgerichtet folgende Aufgaben zu realisieren. – weiterer Ausbau des Kontaktes zu der Person des OV ›Leder‹ um dessen feindliche Pläne und Absichten in Erfahrung zu bringen. […] – Darüberhinaus wird der IM zur opr. Kontrolle der im PEN Zentrum der DDR opr. bearbeitetenSchriftstellereingesetzt.Gleichzeitigmuß der IM so eingesetztsein, daß er feindliche Pläne und Absichten deren Ausgangspunkt im Internationalen PEN liegt rechtzeitig in Erfahrung bringt.552
Schon im Oktober 1977 hatte IME »Dichter« Hermlin zu einer Veranstaltung des serbischen P.E.N.-Zentrums nach Bled begleitet, um »seinen Kontakt mit Hermlin auszubauen«.553 In der Folge wurde Wiens vermehrt als Reisekader des Ministeriums für Staatssicherheit zur Observierung operativ interessierender Personen eingesetzt; er war auf Grund seiner guten Fremdsprachenkenntnisse für eine solche Tätigkeit hervorragend geeignet.554 Eine »Auftragskonzeption für den IME ›Dichter‹« vom Mai 1978 vermerkt für Wiens Teilnahme am internationalen P.E.N.-Kongress in Stockholm (1978): Diese Reise des IM wird mit der Durchführung nachfolgenden politisch-operativen Auftrages verbunden: – Durchführung einer politisch-operativen Kontrolle der Schriftsteller Christa und Gerhard WOLF sowie Günter KUNERT, die ebenfalls als Gäste zu diesem Kongreß durch das schwedische PEN-Zentrum eingeladen werden. – Feststellung von Verbindungen, des Charakters der Verbindungen, ihr Auftreten bei Veranstaltungen, Lesungen u. ä., – Einflußnahme auf die Vorgenannten mit der Zielstellung, bei diesen Schriftstellern eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Vertretern westlicher Medien zu erwirken und sich jeglicher gegen die DDR gerichteter Aktivitäten […] zu enthalten.
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Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Bericht [nach IME »Dichter«] [1. 5. 1977]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/16, Bl. 81. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Einschätzung des IME »Dichter« [29. 12. 1977]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. I/3, Bl. 352f., hier Bl. 352. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Einschätzung des IME »Dichter« [29. 12. 1977]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. I/3, Bl. 352f., hier Bl. 353. Vgl. Zwischenbericht zum gegenwärtigen Stand der operativen Bearbeitung des OV »Leder« gegen den Schriftsteller Stephan HERMLIN für die Zeit vom 3. 8. bis 17. 10. 1977 [22. 10. 1977]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/18, Bl. 88–92, hier Bl. 92. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Vorschlag zur Wiederaufnahmeder Verbindungmit dem ehemaligen IMS [d. i. Paul Wiens] [13. 1. 1972]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. I/3, Bl. 48–53, hier Bl. 49.
– Feststellung und Sammlung aller auf dem PEN-Kongreß durch Exil-PEN-Zentren oder andere reaktionäre Kräfte verbreiteten provokatorischen Materialien mit antisozialistischen, antikommunistischen und antisowjetischen Inhalt [sic].555
Mit Wiens’ Arbeit war man offenkundig zufrieden. Im Januar 1980 wurde er als IM B (= Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit Feindverbindung bzw. zur unmittelbaren Bearbeitung im Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen) eingestuft. Zu seinen Aufgaben zählten: Der Einsatz zur Aufklärung feindlicher Pläne und Absichten von Personen, die im Rahmen des Internationalen PEN wirken und Verbindungen zu Personen in der DDR unterhalten, die von unserer D[ienst]E[inheit] in O[perativen] V[orgängen] bearbeitet werden. […] Zur politisch-operativen Kontrolle der im PEN-Zentrum der DDR operativ bearbeiteten Schriftsteller und zur Einflußnahme auf diese sich im Rahmen des PEN neutral zu verhalten und das PEN nicht zu antisozialistischen und antisowjetischen Aktivitäten zu mißbrauchen.556
Im Mai 1980 wurde IM B »Dichter« »ausdrücklich und umfassend zur op. Kontrolle des Schriftstellers Stephan Hermlin in Bled instruiert sowie zur Aufklärung und Zurückweisung antisowjetischer Aktivitäten von feindlichen Kräften im Internationalen PEN sowie Ausbau des Kontaktes zu op. interessierenden Kräften im PEN.«557 Anfang der achtziger Jahre vermerkt eine Information über Hermlin: »Im Ergebnis der politisch-operativen Bearbeitung des OV ›Leder‹ auf der Grundlage des bestätigten Maßnahmenplanes und der damit verbundenen offensiven Einflußnahme auf Hermlin, hält dieser weiter an seiner bisherigen Verhaltensweise, es zu keiner neuen Konfrontation mit der Partei- und Staatsführung kommen zu lassen, fest.«558 War Hermlin von seinem politischen »Fehltritt« überzeugt worden? Der Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit vermerkt: »Unabhängig davon beharrt Hermlin auf seiner Haltung, daß seine Aktivitäten im Zusammenhang mit den Maßnahmen der DDR richtig waren und er seine Parteistrafe 1977 zu Unrecht erhielt. Aus diesem Grund konnte bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt Hermlins Parteistrafe noch nicht gelöscht werden.«559 Hermlins Rückzug aus der P.E.N.-Arbeit bedeutete das indes nicht: Es sei, so das Ministerium für Staatssicherheit, »durch die Einflussnahme de[s] IM »Georg« [d. i. Heinz Kamnitzer] […] gelungen, Hermlin zur Mitarbeit im kulturellen Bereich der DDR […], im PEN-Zentrum der DDR […] zu veranlassen.560 Dass Hermlins 555
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Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Auftragskonzeption für den IME »Dichter« [16. 5. 1978]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. I/3, Bl. 430f. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Einschätzung des IME »Dichter« [9. 1. 1980]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. I/3, Bl. 480f., hier Bl. 481. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht IMB »Dichter« [9. 1. 1980]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/4, Bl. 92f., hier Bl. 93. [o. A.]. BstU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/9, Bl. 497. [o. A.]. BstU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/9, Bl. 497. [o. A.]. BstU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/9, Bl. 497. 645
fortgesetztes Engagement für den P.E.N. tatsächlich allein auf eine erfolgreiche Bearbeitung durch den Präsidenten des P.E.N.-Zentrums DDR zurückzuführen ist, darf bezweifelt werden. Doch nicht nur die prominenten Schriftsteller und Künstler, die die Biermann-Petition unterzeichnet hatten, gerieten unter Druck. Weniger bekannte Künstler wurden verhaftet und zu einem späteren Zeitpunkt in die Bundesrepublik abgeschoben. So nahm das Ministerium für Staatssicherheit am 19. November 1976 Jürgen Fuchs in Haft, am 21. November den Leipziger Liedermacher Gerulf Pannach und das ehemalige Mitglied der verbotenen Renft-Combo, Christian Kunert.561 Alle drei waren bereits 1974/75 ins Visier des Staatssicherheitsdienstes geraten; sie waren durch ihre radikale Kritik an den Missständen in der DDR aufgefallen. Abstrus erscheint es, dass ausgerechnet Reiner Kunze, der selbst unter den repressiven Maßnahmen von Partei und Staatssicherheit litt, eine Intervention bei Erich Honecker wagte: [V]erzeihen Sie mir, daß ich Sie belästige, und verzeihen Sie, daß ich unterstelle, in der DDR könnte Unrecht geschehen (es geschieht viel Unrecht, und es geschieht nicht selten gnadenlos). Meine dringende Bitte, helfen Sie zu verhindern, daß dem jungen hochbegabten Schriftsteller Jürgen Fuchs und all den unbekannten Bürgern in der DDR, die sich im Zusammenhang mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns und meinem Ausschluß aus dem Schriftstellerverband eine eigene Meinung gebildet und dieses geäußert haben, weiterhin Leid zugefügt wird.562
Das P.E.N.-Zentrum DDR als Institution setzte sich indes für keinen der in Untersuchungshaft einsitzenden Künstler ein. Eine Anfrage des P.E.N. Centre de Suisse Romande im Mai 1977,563 die sich auf Fuchs, Pannach und Kunert bezog, blieb unbeantwortet. Obgleich Hermlin einen öffentlichen Konfrontationskurs mit der politischen Führung nach seinen Erfahrungen in der BiermannAngelegenheit vermied, hatte er sich als Privatperson auf eine weniger Aufsehen erregende Weise für Jürgen Fuchs eingesetzt. Laut Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit ließ Hermlin auf einer Präsidiumssitzung im Januar 1978 seinen Verhandlungserfolg durchblicken: Ich kann diesem Kreise hier mitteilen, daß es auch etwas nützt, sich für die Freiheit Andersdenkender einzusetzen. Deutlich auf sich bezogen, fuhr HERMLIN fort, könne er mitteilen, daß Jürgen FUCHS durch die harte Intervention eines Mitgliedes des PEN-Präsidiums bei einem führenden Funktionär freigelassen wurde. HERMLIN gab diese Darstellung in einer solchen Form, daß alle Anwesenden zu dem überein-
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Vgl. hierzu Jürgen Fuchs: Gedächtnisprotokolle.Mit Liedern von Gerulf Pannach und einem Vorwort von Wolf Biermann. Reinbek bei Hamburg 1977. Kunze, S. 85. Vgl. Suzanne Deriex an das P.E.N.-Zentrum DDR [26. 5. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/Sch/Schweiz 1.
stimmenden Schluß kamen, HERMLIN habe mit der Formulierung ›einem führenden Funktionär‹ auf Genossen Erich Honecker angespielt.564
Dass Hermlin im Fall Fuchs eine erfolgreiche Intervention bei Honecker gelungen sein könnte, ist nicht unwahrscheinlich. Auf seine Gespräche mit Honecker, in denen es oft um Verhaftungen gegangen sei, hat Hermlin mehrfach hingewiesen. Seine Vermittlungsversuche bei Honecker seien »ziemlich erfolgreich« gewesen: »[E]r hat mich kaum einmal enttäuscht.«565 Bei Honecker interveniert hatte Hermlin schon Anfang Dezember 1976, als das Ausmaß der Disziplinierungsmaßnahmen gegenüber den Unterzeichnern der Biermann-Petition deutlich wurde. Hermlin verwies auf die fristlose Entlassung der Schauspielerin Eva-Maria Hagen, der Regieassistentin Petra Grote und Ingolf Gorges’ (?) und erinnerte Honecker an seine Versprechung: »Ich kenne keinen der Genannten persönlich. Wenn ich Dir die Bitte übermittle, diese Maßnahmen zurücknehmen zu lassen, so deshalb, weil Du selbst und auch andere Genossen mir gegenüber mehrmals in den letzten Tagen versicherten, es werde keinerlei Repressionen geben.«566 Eva-Maria Hagen verließ 1977 die DDR. Jürgen Fuchs reiste im August 1977 nach neunmonatiger Untersuchungshaft in Berlin-Hohenschönhausen in die Bundesrepublik aus, wurde aber als »Feindperson« weiterhin durch den Staatssicherheitsdienst der DDR bearbeitet.567 Stephan Hermlin nahm in der Zusammenarbeit mit dem WiPC des Internationalen P.E.N. unter den DDR-Autoren eine Sonderrolle ein. Er war Ende der siebziger Jahre zu einem direkten Ansprechpartner für Michael Scammell, Vorsitzender des WiPC, geworden. Dafür gab es gute Gründe: Für Hermlin bestand aufgrund seiner seit 1975 bestehenden internationalen Vizepräsidentschaft eine besondere Verpflichtung, für die Belange des Internationalen P.E.N. einzutreten; Hermlin besaß bekanntermaßen gute Kontakte in die obere Führungsetage der DDR und er war bereit, Solidarität mit verfolgten Schriftstellerkollegen zu üben – im Gegensatz zu den Hardlinern Kamnitzer und Keisch, die ihre Treue zur Partei über jeglichen moralischen Grundsatz stellten. Durch die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit ist ein Einsatz von Hermlin für den nicht etablierten Autor Frank Schöne568 dokumentiert. Am 1. Dezember 1978 führte Hermlin demzufolge ein Gespräch mit Honecker, in 564
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Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Bericht zum Auftreten Stephan HERMLINS während der Präsidiumssitzung des PEN Zentrums der DDR am 20. 1. 1978 [IME ›Dichter‹] [2. 2. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/16, Bl. 269–272, hier Bl. 271. An Allem ist zu zweifeln. Gespräch mit Günter Kaindlstorfer. In: Stephan Hermlin: In den Kämpfen meiner Zeit, S. 91–98, hier S. 94. Stephan Hermlin an Erich Honecker [10. 12. 1976]. DLA A: Stephan Hermlin, Briefe von Hermlin. Vgl. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 183. Über Frank Schöne ist wenig zu erfahren. Emmerich schreibt ihn der Gruppe der »[n]ichtetablierte[n], überwiegend jüngeren Autoren« zu, die nach 1976 zur Zielscheibe der Einschüchterungs- und Sanktionierungsmaßnahmen der DDR-Regierung wurden und zumeist im Gefängnis landeten. Vgl. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 61. 647
dem er seine Bitte auf Prüfung der Freilassung von Frank Schöne vorbrachte. Er reagierte damit auf ein Schreiben von Scammell. Er tat dies eigenmächtig, denn eine Aussprache mit seinen P.E.N.-Kollegen hatte es nicht gegeben: »Die Überprüfung dieses Sachverhaltes ergab, daß Hermlin ohne den Präsidenten oder Generalsekretär zu informieren oder abzustimmen diese Initiative selbst entwickelte.«569 Dem Ministerium für Staatssicherheit war es offensichtlich gelungen, Hermlins Antwort an Scammell abzufangen. So war man über den Verlauf des Gesprächs bestens informiert: Hermlin habe Scammell mitgeteilt, »daß er […] eine Unterredung in dieser Angelegenheit mit einer führenden Persönlichkeit hatte, diesen Fall dargelegt und um Milde ersucht habe. Jetzt hoffe er auf eine günstige Entscheidung.«570 Über Schönes Arbeiten urteilte Hermlin kritisch; er habe »bei Schöne nicht die leiseste Spur von Talent finden können.«571 Den Einsatz des Internationalen P.E.N. wollte Hermlin indes auf einen elitären Kreis beschränken: »Die Leute, denen wir versuchen sollten zu helfen, sollten wirkliche Schriftsteller sein. Auf sie müssten die gleichen Kriterien angewandt werden, wie wir sie für die Aufnahme als Mitglied des PEN voraussetzen. Schöne ist bisher weder Dichter noch Autor.«572 Dennoch hatte er die humanitäre Hilfe nicht verweigert. Weniger milde urteilte er in einem anderen Fall. Scammell hatte im Februar 1979 wegen einer jungen Frau namens Bärbel Sänger bei Hermlin nachgefragt, die nach Informationen des Internationalen P.E.N. 1978 zu vier Jahren Haft verurteilt worden war. Nachforschungen über Sänger haben keine erhellenden Informationen erbracht; es liegt die Vermutung nahe, dass sie publizistisch nicht besonders hervorgetreten ist. Auch Hermlin scheiterte bei seiner Suche nach Anhaltspunkten zu Sänger; er beschwor Scammell in der Folge noch einmal, den Einsatz des Internationalen P.E.N. zu konzentrieren: My personal opinion is that International P.E.N. should become active any time when real writers are being imprisoned or harassed. Only this attitude is in full accordance with the Charta. Mrs. Sänger’s case is obviously different. I have never heard Mrs. Sänger’s name. Mr. Erich Sänger from West Germany in his letter joined to your own one mentions ›the so-called plays‹ of his sister-in-law. And the very fact that a young woman tries quite naively to turn her personal fate into a play proves sufficiently by itself that she cannot be a writer. Once again: I believe that International P.E.N. should abstain from getting mixed into affairs which should be dealt with by other organisations. […] In spite of this, I shall do my best in order to obtain something useful.573 569
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Zwischenbericht zum OV »Leder« [9. 1. 1979]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/18, Bl. 179–180, hier Bl. 179. Zwischenbericht zum OV »Leder« [9. 1. 1979]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/18, Bl. 179–180, hier Bl. 179. Zwischenbericht zum OV »Leder« [9. 1. 1979]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/18, Bl. 179–180, hier Bl. 179. Zwischenbericht zum OV »Leder« [9. 1. 1979]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/18, Bl. 179–180, hier Bl. 180. Stephan Hermlin an Michael Scammell [16. 3. 1979]. DLA A: Stephan Hermlin, Briefe von Hermlin.
Über das Schicksal von Bärbel Sänger ist nichts bekannt. Frank Schöne wurde kurze Zeit nach der Unterredung zwischen Hermlin und Honecker aus der Haft in die Bundesrepublik entlassen; dies vermerkt eine Notiz der Hauptabteilung XX/7 vom 29. März 1979.574 Innerhalb der Mitgliedschaft des P.E.N.-Zentrums DDR blieben die Ereignisse des November 1976 undiskutiert; es gab keine Möglichkeit einer Debatte im P.E.N.-Rahmen. Eine außerordentliche Mitgliederversammlung, wie sie Jurek Becker gefordert hatte, war verweigert worden. Über die Clubabende ließ sich keine größere Öffentlichkeit herstellen. Die Frequenz dieser Zusammenkünfte war 1976 stark zurückgegangen, nicht zuletzt aufgrund des mangelnden Interesses unter den Mitgliedern.575 Auch dort wäre durch das linientreue FührungsDuo Kamnitzer und Keisch eine sich spontan entwickelnde Aussprache über die kulturpolitische Situation mit großer Wahrscheinlichkeit sofort unterbunden worden. Die mangelhafte Beteiligung der P.E.N.-Mitglieder an der Arbeit des eigenen Zentrums brachte Eduard Zak in einem Brief an Keisch deutlich zum Ausdruck: Es scheint mir aber, daß die Mitglieder stärker an der kulturpolitischen Arbeit und den Beschlüssen unseres PEN zu interessieren wären, wenn sie dazu auch herangezogen würden. Die geübte Praxis, sie erst im nachhinein über die anstehenden Fragen, die zu erarbeitendenStandpunkteund Lösungsversuchezu informieren– mag sie in manchen Fällen auch vonnöten sein – kann kaum etwas dazu beitragen, dem Schriftsteller das Gefühl zu geben, daß er im PEN-Zentrum etwas zu sagen habe oder auch nur dazu beitragen könnte, dessen Ziele zu vertreten und durchzusetzen.576
Die Enttäuschung über die erzwungene Passivität der P.E.N.-Mitglieder war bei einzelnen groß. Kamnitzer und Keisch unternahmen jedoch, noch dazu in der schwierigen kulturpolitischen Situation der DDR nach dem November 1976, keinerlei Anstrengung, transparenter und offener zu arbeiten – weder auf nationaler noch internationaler Ebene.
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Internationale Reaktionen auf die kulturpolitische Situation in der DDR nach dem November 1976 und Positionierung des P.E.N.-Zentrums DDR auf internationaler Ebene
Erwartungsgemäß liefen im ersten Quartal des Jahres 1977 beim P.E.N.-Zentrum DDR Anfragen nationaler P.E.N.-Zentren ein, die sich auf die jüngsten kulturpolitischen Entwicklungen in der DDR bezogen; deren Beantwortung oblag allein den führenden Köpfen des Präsidiums. Einen wahren Sturm der Ent574
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Ergänzung zum Sachstandsbericht [29. 3. 1979]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/18, Bl. 190. Vgl. Henryk Keisch an Friedrich Dieckmann [8. 12. 1976]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1975–1977/D/Dieckmann Friedrich 1. Eduard Zak an Henryk Keisch [12. 3. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/Z/Eduard Zak 1 und 2. 649
rüstung hatten die Verantwortlichen des P.E.N.-Zentrums DDR zunächst nicht abzuwehren. Nachgefragt hatte im Fall Biermann der niederländische P.E.N., auch der finnische P.E.N. interessierte sich für die Hintergründe. Um eine umfassende Information zur Situation einer ganzen Reihe von inhaftierten oder mit anderen Repressionen belegten Autoren hatte der Präsident des US-amerikanischen P.E.N. nachgesucht. Die Antworten, die von Kamnitzer und Keisch versandt wurden, hatten eines gemeinsam; sie waren wenig kooperativ und signalisierten keine Bereitschaft, sich ernsthaft einzusetzen. Kamnitzer gab sich in seinem Schreiben an den amerikanischen P.E.N.Präsidenten ein wenig beleidigt: »Sie erwarten sicherlich nicht von mir, daß ich die Fälle, die Sie erwähnen, innerhalb von drei bis vier Wochen überprüfen kann. In der Tat läuft es auf ein Ultimatum heraus, wenn man eine solche Zeitgrenze setzt.«577 Immerhin ließ er sich zu Sachangaben herab. Dabei kam ihm eine aktuelle Entwicklung sehr gelegen. Er konnte mitteilen, dass Reiner Kunze am 13. April 1977 in die Bundesrepublik Deutschland umgesiedelt war578 – »auf Grund seines eigenen Wunsches«579 . Dass Kunze die Ausreise aus der DDR, die er nach wie vor als seine Heimat betrachtete, als letzten Ausweg aus einer durch Bespitzelung und Berufsverbot unerträglich gewordenen Lebenssituation gewählt hatte, sprach aus dieser Mitteilung nicht. Die Behandlung der in U-Haft sitzenden Liedermacher Fuchs, Pannach und Kunert erklärte Kamnitzer nach dem üblichen Argumentationsschema: »In anderen Fällen […] handelt es sich tatsächlich um Personen, denen kriminelle Verstöße angelastet werden und die sich in Untersuchungshaft befinden, während weitere Überprüfungen vorgenommen werden.«580 Die scharfen Repressionen, die Robert Havemann durch faktisches Berufsverbot, Hausarrest und stetige Überwachung zu erleiden hatte, verharmloste Kamnitzer: »Was Herrn Havemann anlangt, so war er nicht verhaftet, sondern hatte sich lediglich von den Behörden eine Verwarnung abzuholen.«581 Eine generelle Aussage am Schluss verdeutlichte Kamnitzers Position, die das Feindmodell des Kalten Krieges – Kapitalismus versus Sozialismus – zu Grunde legte. Demnach waren Repressionen gegen Autoren in beiden Gesellschafts577
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Heinz Kamnitzer an den Präsident des US-Amerikanischen P.E.N.-Zentrums [26. 4. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/A/Amerika 3b. Vgl. [o. V.]: Interviews mit Reiner Kunze. In: DeutschlandArchiv 10 (1977) 6, S. 660– 669, hier S. 660. Heinz Kamnitzer an den Präsident des US-Amerikanischen P.E.N.-Zentrums [26. 4. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/A/Amerika 3b. Heinz Kamnitzer an den Präsident des US-Amerikanischen P.E.N.-Zentrums [26. 4. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/A/Amerika 3b. Heinz Kamnitzer an den Präsident des US-Amerikanischen P.E.N.-Zentrums [26. 4. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/A/Amerika 3b.
systemen völlig unterschiedlich zu bewerten: »Grundsätzlich verwahren wir uns dagegen, daß Sie einen Index zusammenstellen, auf dem Sie gleichzeitig solche Schriftsteller anführen, die in kapitalistischen Ländern wegen ihrer Gesinnung gefoltert und getötet werden zusammen mit jenen, die in Haft genommen werden, weil sie die geltenden Gesetze in sozialistischen Ländern gebrochen haben.«582 Damit verweigerte Kamnitzer jede kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Regime. Wer in der DDR inhaftiert wurde, hatte gegen die geltende Gesetzgebung verstoßen. Eine Unterdrückung der Meinungsäußerung wurde mit dieser Art der Darstellung verneint. Die traurige Realität blendete Kamnitzer aus seinem Denken aus oder negierte sie im Dialog mit außen stehenden Kritikern aus Loyalität gegenüber den Regierenden. Was Keisch in seinen Antwortbriefen nach Holland und Finnland vermeldete, ähnelte in Grundzügen der Argumentation, die er in früheren Rechtfertigungsversuchen angewandt hatte. Er zog zunächst die Qualität der Informationsquellen in Zweifel: Wir wissen […], wie schwer es für Euch ist, über die Verhältnisse und Ereignisse in sozialistischen Ländern wirklich tiefgründig informiert zu sein […]. Wirklich, das eben seid Ihr nicht, und könnt es auch nicht sein. Erstens aus dem schon genannten Grund, weil nämlich Eure Informationsmedien euch systematisch uninformiert lassen oder sogar desinformieren; zweitens aber auch weil man die Verhältnisse in unseren Ländern, die bewegenden Kräfte, die Perspektiven, auch die Schwierigkeiten und Widersprüche eigentlich nur von innen her erkennen und kennen kann, und natürlich auch von innen her nur, wenn man auf Seiten des Sozialismus steht.583
Die Schuldigen im Konflikt zwischen Regierung und Künstlern waren nach Keischs fester Überzeugung jene, die die drakonischen Maßnahmen der politischen Führung getroffen hatten: Die Biermanns […] sind Gegner der real bestehenden, an ihrer steten Entwicklung und Vervollkommnung arbeitenden sozialistischen Staaten, und sie bekämpfen diese im Bündnis mit den offen antikommunistischen Kräften in aller Welt. Ihre subjektiven Motive oder was sie dafür halten, treten demgegenüber in den Hintergrund. Vielleicht ist es ihre persönliche Tragik, daß sie dem Sozialismus als einer Utopie anhängen, für seine Realität aber eigentlich gar keine Verwendung haben, weil sie mit dem Kapitalismus ganz gut zurechtkommen. […] Ich bin ziemlich sicher, daß in ein bis zwei Jahren auch die Meinung, daß Biermann ein Kommunist sei, und gar der bessere Kommunist, als Irrtum erkannt sei. Schon jetzt zeigt er ja charakteristische Symptome perfekten Renegatentums.584
Nach Keischs Ansicht hatte Biermann gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen; er hatte seine stete Kritik am System nach außen getragen: »Tatsächlich hat 582
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Heinz Kamnitzer an den Präsident des US-Amerikanischen P.E.N.-Zentrums [26. 4. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1974–1977/A/Amerika 3b. Henryk Keisch an Ankie Peypers [18. 2. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1974–1977/H/Holland 1, 1a und b, hier 1 und 1a. Henryk Keisch an Ankie Peypers [18. 2. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1974–1977/H/Holland 1, 1a und b, hier 1 und 1a. 651
er sich seit vielen Jahren über die Rundfunk- und Fernsehstationen der westdeutschen Bundesrepublik [sic] als deren willkommener Verbündeter bei ihrer permanenten Kampagne gegen die DDR beteiligt.«585 Dass Biermann eine DDRinterne Meinungsäußerung schon seit 1965 mehr oder minder umfassend verweigert worden war, verschwieg Keisch. Er sah in Biermanns »Verbleiben in der Bundesrepublik die optimale Lösung des Konflikts. Er ist nun dort, wo er hingehört.«586 Auf internationaler Ebene nahm sich das P.E.N.-Zentrum DDR in seiner Aktivität stark zurück; es trat auf den internationalen Zusammenkünften des Jahres 1977 nicht in Erscheinung. Der Wirbel um die Biermann-Ausbürgerung und ihre Folgen spielte dabei allerdings nicht die entscheidende Rolle. Die Frühjahrs-Exekutive sollte im Mai 1977 stattfinden. Grund für die Absage der Teilnahme durch das P.E.N.-Zentrum DDR waren die Rahmenbedingungen: Das Writers in Exile-Zentrum hatte den Vorschlag gemacht, in Hamburg eine Konferenz auszurichten, in deren Rahmen auch das Exekutivkomitee tagen sollte. Schon auf der Exekutive in Den Haag (Mai 1976) hatte Henryk Keisch seine Ablehnung deutlich gemacht,587 die er in der Folgezeit zahlreichen Adressaten umfassend darlegte. In einem Rundbrief an die Mitglieder des P.E.N.Zentrums DDR subsumierte er seine Vorbehalte: Das Zentrum ›Schriftsteller im Exil‹ ist Instrument einer konterrevolutionären Strategie. Es zählt ausschließlich Emigranten aus sozialistischen Ländern zu seinen Mitgliedern. Keiner der vielen exilierten Schriftsteller aus Ländern mit faschistischen oder rassistischen Regimes gehört ihm an. Dieses Zentrum tritt ständig als Motor antisozialistischer Initiativen auf. Offenbar soll es durch die geplante Hamburger Tagung eine öffentliche Aufwertung erfahren, die zugleich den in Westdeutschland tätigen Revanchistenorganisationen in die Hand spielen soll.588
Tatsächlich traten die Mitglieder des Zentrums Writers In Exile – naturgemäß – als scharfe Kritiker der Kulturpolitik in den osteuropäischen Staaten an und forderten dementsprechend entschieden den Einsatz der jeweiligen Sektionen. Besonders in der fortdauernden Debatte um die schwierige Position der Schriftˇ steller und Künstler in der CSSR nach 1968 waren die exilierten Autoren hervorgetreten. Die Konfrontation mit den kritiklosen Befürwortern der sozialistischen Regimes war daher nur eine logische Folge. Gleichwohl herrschte auch in anderen nationalen Sektionen Verunsicherung aufgrund der ungewöhnlichen Verknüpfung einer eigenständigen Konferenz mit der Zusammenkunft des internationalen Exekutivkomitees. Die Verantwortlichen der deutschsprachigen Sek585
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Henryk Keisch an Outi Pakkanen [20. 4. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1974–1977/F/Finnland 1 und 1a, hier 1. Henryk Keisch an Outi Pakkanen [20. 4. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1974–1977/F/Finnland 1 und 1a, hier 1a. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in The Hague on 10th , 11th , 13th and 14th May, 1976, S. 25. P.E.N.-Archiv London. Henryk Keisch an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR [Ende Februar 1977]. SAdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2157.
tion Writers In Exile bemühten sich nach Kräften, die Bedenken zu zerstreuen. Der Präsident, Gabriel Laub, hatte auf dem Londoner P.E.N.-Kongress im August 1976 über die gut vorangeschrittenen Vorbereitungen für Hamburg berichtet und ein herzliches Willkommen an alle P.E.N.-Mitglieder formuliert. Mitorganisator George Mikes sprach eine Versicherung an alle osteuropäischen Delegierten aus, dass es auf der Konferenz keine »Fallstricke« geben werde. Alle Delegierten seien gleich willkommen. Nachdrücklich bat Mikes darum, die Entscheidung gegen die Tagung zu überdenken.589 Für die Führung der DDR-Sektion stand der Entschluss, nicht teilzunehmen, unumstößlich fest. Keisch war jedoch bemüht, Schadensbegrenzung zu betreiben und das Fernbleiben in einen propagandistischen Coup umzumünzen. Die eingeschlagene Marschrichtung begründete er auch in einem Schreiben an Ursula Ragwitz, die seit 1976 als Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED die politische Verantwortung für die Arbeit des P.E.N.-Zentrums trug. Hier stellte Keisch die Tagung der Writers in Exile in einen weltpolitischen Zusammenhang: »Am Vorabend der Belgrader KSZE-Folgekonferenz erscheint die ganze Veranstaltung als Teil einer entspannungsfeindlichen Kampagne, die das Ziel verfolgt, die sozialistischen Staaten zu verleumden. Es ist für uns selbstverständlich, daß wir uns daran nicht nur nicht beteiligen, sondern alles tun, um das Manöver zu vereiteln.«590 Der zu diesem Zweck in Aussicht genommene Maßnahmenkatalog griff auf mehreren Ebenen an. Ein Schreiben an die internationale P.E.N.-Führung sollte die Begründung für das Fernbleiben liefern und die Forderung nach Verlesung vor der Exekutive enthalten, um eine größtmögliche Öffentlichkeitswirkung zu erzielen.591 Die Front gegen die Writers in Exile sollte schon im Vorfeld gezielt aufgebaut werden: Wir wenden uns ferner schriftlich an einige westeuropäische Zentren, von denen wir wissen, daß sie ursprünglich unsere Bedenken teilten, die aber jetzt (vielleicht als Folge der Stimmungsmache anläßlichder Biermann-Affäre)beschlossenhaben, an der Hamburger Veranstaltung teilzunehmen. Wir versuchen diese Kollegen, deren antifaschistische Gesinnung nach wie vor einen Boden der Gemeinsamkeit mit uns bildet, zur Wachsamkeit zu veranlassen, damit man sie wenigstens nicht für die revanchistischen und gegen die Entspannung gerichteten Aktionen, mit denen zu rechnen ist, vereinnahmen kann.592
Avisiert hatte Keisch, auch die übrigen P.E.N.-Zentren aus sozialistischen Ländern zum Fernbleiben zu veranlassen, um eine gemeinsame Linie zu demonstrie589
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee held in London on August 23rd , 25th and 26th , 1976, S. 36. P.E.N.-Archiv London. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [9. 3. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/W/Zentralkomitee der SED 1 und 2. Vgl. Henryk Keisch an Peter Elstob [13. 5. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1974–1977/L/Übersetzung/Original Französisch 13. 5. 1977. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [9. 3. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1975– 1977/W/Zentralkomitee der SED 1 und 2, hier 2. 653
ren: Wir schreiben ihnen in diesem Sinne, selbstverständlich sehr zurückhaltend, so daß nicht der Eindruck entstehen kann, als versuchten wir Druck auf sie auszuüben.«593 Offenbar zweifelte Keisch jedoch am politischen Feingefühl seiner P.E.N.-Kollegen. Die bisherigen Erfahrungen hatten gezeigt, dass eine übereinstimmende Position nur selten realisierbar war. Keisch bat Ursula Ragwitz um Einwirkung auf höchster parteipolitischer Ebene und nahm eine Indoktrination seiner Schriftstellerkollegen bewusst in Kauf: Es könnte jedoch sicher von Nutzen sein, wenn die Parteiführungen in den betreffenden Ländern (Bulgarien, Polen, Rumänien, Ungarn, Jugoslawien/Serbien, Jugoslawien/Mazedonien, Jugoslawien/Kroatien, Jugoslawien/Slowenien), die natürlich den politischen Aspekten des Problems gegenüber aufgeschlossener und wachsamer sind als die P.E.N.-Führungen, auf deren Verhalten Einfluß nehmen würden. Ein geschlossenes Fernbleibender P.E.N.-Zentren aller sozialistischen Ländern von der Hamburger Tagung wäre ein Warnzeichen, durch welches unmißverständlich bestimmte Grenzen dessen sichtbar gemacht würden, was man uns zumuten kann. Das würde nach unserer Ansicht unsere Stellung in den auch künftig zu erwartendenAuseinandersetzungen stärken. Es würde auch dazu beitragen, das gemeinsame Auftreten der sozialistischen Delegationen zu einer festen Gewohnheit werden zu lassen. Wir wären Dir deshalb dankbar, liebe Genossin Ursula Ragwitz, wenn Du über die der Parteiführung zugänglichen Kanäle in den befreundeten Ländern unsere Auffassung übermitteln und um Unterstützung unserer Haltung bitten würdest.594
Ob Ragwitz in der erwünschten Weise tätig wurde, konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Zumindest hatte sie bei Hager um Rat nachgesucht: »Ich bitte Dich um Deine Meinung, ob Du es für richtig hältst, wenn ich in Verbindung mit unserer Abteilung Internationale Verbindungen den Wunsch der Genossen unseres P.E.N. zur Aufnahme von Kontakten mit den Bruderparteien bespreche.«595 Nach Hamburg waren schließlich, laut Tagungsprotokoll, lediglich die Sektionen Jugoslawien/Slowenien und Jugoslawien/Serbien gekommen.596 Für Aufmerksamkeit der bundesdeutschen Tagespresse sorgte die Meldung, dass den beiden polnischen Delegierten, Wladyslaw Bartoszewski und Andrzej Szczypiorski, die Genehmigung für die Reise nach Hamburg von den polnischen Behörden nicht erteilt worden war.597 Die Presseartikel über die Hamburger Tagung (16.–18. 5. 1977) deuten indes in keiner Weise an, dass das Fernbleiben 593
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Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [9. 3. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1975– 1977/W/Zentralkomitee der SED 1 und 2, hier 2. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [9. 3. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1975– 1977/W/Zentralkomitee der SED 1 und 2, hier 2. Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager [23. 3. 1977]. SAPMO-BArch vorl. SED 25884. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Hamburg on Tuesday, May 17th and Wednesday, May 18th 1977, S. 2. P.E.N.-Archiv London. Vgl. [zel] [d. i.?]: Ausreiseverbotzum PEN. In: Die Welt vom 16. 5. 1977. Vgl. auch [pth] [d. i.?]: Literaturim Konflikt mit der Wirklichkeit.PEN-Tagung in Hamburg ohne Teilnehmer aus Polen. In: Hamburger Abendblatt vom 18. 5. 1977.
der osteuropäischen Sektionen in der Öffentlichkeit als massive Demonstration gegen die Veranstalter wahrgenommen wurde. Von den Kontaktaufnahmen mit westeuropäischen P.E.N.-Zentren im Vorfeld der Hamburger Veranstaltung ist im Archiv des Ost-P.E.N. lediglich die mit dem P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik dokumentiert. Keischs Kontaktperson war zum einen Bernt Engelmann, Beirat des bundesdeutschen P.E.N.Präsidiums, zum anderen Martin Gregor-Dellin, Generalsekretär des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums. Auch das P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik hatte sich von einer Teilnahme an der Hamburger Zusammenkunft zunächst distanziert, schließlich jedoch sein Kommen für die Sitzungen der Exekutive zugesagt. Der Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums DDR nutzte seine persönlichen Kontakte zu Engelmann, den er bei der Realisierung eines Buch-Projektes in Zusammenarbeit mit einem DDR-Verlag unterstützte, um ihn auf eine Stellungnahme für die DDR einzuschwören. Keisch trieb die Sorge um, die BiermannAffäre und ihre Folgen könnten der DDR-Sektion innerhalb der internationalen Organisation zum Verhängnis werden. Er suchte nach Verbündeten: Ich kann nur die Hoffnung aussprechen, daß es den besonnenen Kräften im Exekutivkomitee (zu denen ich Sie zähle) gelingen möge, einen allzu negativen, die Gegensätze verschärfenden Ablauf und dessen Ausschlachtung für entspannungsfeindliche Zwecke zu verhindern. Nachdem die anfänglich um den Fall Biermann entfachte Hysterie sich einigermaßen gelegt hat […], sollte doch, meine ich, auch Ihr Zentrum einige Bedenken tragen, diesen bereits abgehalfterten Gaul noch einmal aufs Kampffeld zu jagen. […] Daß unsere Nichtteilnahme an der Hamburger Veranstaltung schon beschlossene Sache war, bevor die Biermann-Affäre ausbrach, wissen Sie ja. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie daran erinnern würden, falls jemand auf den Gedanken kommt, unsere Abwesenheit mit der Biermann-Sache in Zusammenhang zu bringen. So wichtig ist der Herr in unseren Augen nicht, daß er Entschlüsse solcher Größenordnung beeinflussen könnte. Ich möchte aber auch hoffen dürfen, daß man die Tagung nicht ausnützt, um in unserer Abwesenheit mit einschlägigen Resolutionen über uns herzufallen.598
In seinem Antwortbrief signalisierte Engelmann eine grundlegend positive Einstellung gegenüber dem P.E.N.-Zentrum DDR ;599 dies entsprach offenbar der Haltung des Präsidiums. Auch der Generalsekretär Martin Gregor-Dellin mahnte in seinem Tätigkeitsbericht auf der Mitgliederversammlung des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums, die wenige Tage vor der Hamburger Tagung in Mannheim stattfand, eine gemäßigte Vorgehensweise an: [W]ir müssen unterscheiden, was den Betroffenen wirklich nützt und was nur rhetorische Pflichtübungen sind, und wir dürfen durch unsere Aktionen nicht die zum Teil einzigen Zufahrtswege oder Kontaktstellen gefährden, die uns noch in einem wenigs-
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Henryk Keisch an Bernt Engelmann [7. 4. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/E/Engelmann Bernt 3 und 3a. Bernt Engelmann an Henryk Keisch [26. 4. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1975–1977/E/Engelmann Bernt 2 und 2a. 655
tens lockeren Gedankenaustausch ermöglichen, etwas zu tun, und das sind natürlich die PEN-Zentren, die erfahrungsgemäß nicht oder nicht immer mit der Kulturpolitik ihres Landes zu identifizieren sind. Dies muß auch unsere Politik im Internationalen PEN bleiben, denn sonst hätte die Organisation ihren Sinn verloren. In dem Sinn werden auch die beiden Delegierten, die für Hamburg bestimmt sind, im internationalen Exekutiv-Komitee arbeiten.600
Gelegenheit zu einer Aussprache mit den führenden Köpfen des Internationalen P.E.N., Präsident Mario Vargas Llosa und Generalsekretär Peter Elstob, bot sich für Keisch anlässlich einer Tagung in Bled (Jugoslawien), die der Hamburger Exekutive unmittelbar vorausging. Dort trat das so genannte DevelopmentCommittee des Internationalen P.E.N. vom 11. bis 14. Mai 1977 zusammen, um sich mit einer Neufassung der internationalen Statuten und Verfahrensregeln auseinanderzusetzen.601 In Absprache mit dem Minister für Kultur, HansJoachim Hoffmann, wollte Keisch die »günstige Gelegenheit«602 nutzen, um mit Elstob über Hamburg zu sprechen. Ziel war eine positive Einflussnahme auf Elstobs Haltung gegenüber DDR-spezifischen Fragen. Ein für Hamburg zu erwartender Resolutionsantrag wegen Biermann sollte abgewendet werden.603 Die sachliche Zusammenarbeit der Teilnehmer von Bled gestaltete sich aus Sicht von Keisch zufrieden stellend. Der in London im August 1976 neu gewählte internationale P.E.N.-Präsident Vargas Llosa konnte nach Keischs Dafürhalten als positive Erscheinung bewertet werden: »Er erklärte mir, daß er danach strebe, den P.E.N. zu einem echten Boden der Begegnung und des Dialogs, auch der Diskussion, nicht aber der systematischen Polemik und Konfrontation zu machen. Alle müssten Meinungen und Standpunkte, die von den eigenen abweichen, akzeptieren und tolerieren, andernfalls würde der P.E.N. auseinanderbrechen.«604 Vargas Llosa schien einer Kontaktaufnahme mit den Schriftstellern in der östlichen Machtsphäre durchaus zugeneigt. So berichtete er von einer geplanten Reise nach Moskau und nahm eine Einladung in die DDR an. Nichtsdestotrotz war im Internationalen P.E.N. eine Auseinandersetzung mit den Ereignissen in der DDR nach Biermanns Ausbürgerung unumgänglich. Im Gespräch mit Vargas Llosa und Elstob erhielt Keisch Kenntnis von einer Eingabe des 600
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Martin Gregor-Dellin: Tätigkeitsbericht. Anlage zu Gregor-Dellin: 6. Rundbrief an alle Mitglieder und Freunde des P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland [2. 7. 1977]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Nach Informationdes Ministeriums für Staatsicherheit (HA XX/7) durch IME »Dichter« waren mögliche Änderungsvorschläge der Charta auf einer Präsidiumssitzung des DDR-P.E.N. am 21. 4. 1977 diskutiert worden. An einem von Keisch eingebrachten Veränderungsvorschlag brach der Konflikt zwischen Hermlin und Keisch erneut auf. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Bericht [nach IME »Dichter«] [21. 4. 1977]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/16, Bl. 80f. Henryk Keisch an Hans-Joachim Hoffmann [Minister für Kultur] [10. 2. 1977]. SAPMO-BArch vorl. SED 25884. Henryk Keisch an Hans-Joachim Hoffmann [Minister für Kultur] [10. 2. 1977]. SAPMO-BArch vorl. SED 25884. Henryk Keisch an Hans-Joachim Hoffmann [Minister für Kultur] [10 . 2.1977]. SAPMO-BArch vorl. SED 25884.
schwedischen P.E.N.-Zentrums an die internationale Zentrale, die auf der Hamburger Tagung zur Diskussion stehen würde. Darin hatte die schwedische P.E.N.Sektion Auskünfte des DDR-P.E.N. über seinen Einsatz für die aus dem eigenen Land ausgewiesenen bzw. dort in Haft genommenen Schriftsteller, insbesondere Fuchs, Pannach und Kunert, gefordert. Man erinnerte an die Pflicht jedes P.E.N.-Zentrums, »to investigate every case of an arrested writer with a view to find out if the interference of the police has any relation to his writings.«605 Der Hintergrund der Inhaftierungen von Fuchs, Pannach und Kunert gebe Anlass zu der Vermutung, »that behind their arrest is an attempt to limit, through the means of the police, the freedom of expression in the DDR. It is in confidence and good faith that we ask the DDR P.E.N. to explain.«606 Noch in Bled hatte Keisch eine schriftliche Antwort auf das Begehren des schwedischen P.E.N. formuliert und an Elstob übergeben.607 Dieser Brief lag schließlich der Hamburger Exekutive vor und wurde von den Delegierten aufgrund seines Inhalts mit Entsetzen aufgenommen. Carlos de Radzitzky formulierte überspitzt, was viele vermutlich ähnlich empfanden; er habe »seldom read a more shocking document«.608 Die Kritik an Keischs Schreiben war groß. Im Grunde hatte Keisch sein übliches Argumentationsschema aufgenommen; er begann mit einer Kritik an den Quellen – »one-sided, incomplete and unchecked«609 –, und verleugnete grundsätzlich, dass die Inhaftierung eines Schriftstellers wegen seiner Arbeiten in der DDR möglich sei. Was folgte, war die ungeheuerliche Verdrehung der Charta-Grundsätze zur Rechtfertigung der eingeschränkten Meinungsfreiheit der DDR. Laut Artikel 4 der Charta sei die Meinungsfreiheit an den »notwendige[n] Fortschritt der Welt zu einer höher organisierten politischen und wirtschaftlichen Ordnung« gebunden. Im selben Artikel sei jedoch festgelegt, dass der Freiheit eine »freiwillig geübte Zurückhaltung« auferlegt werden müsse, um ernsthaften Auswüchsen vorzubeugen. Die Verhinderung von Literatur in der DDR, die sich feindlich gegenüber den humanistischen Grundwerten der Gesellschaft zeige, stelle sich daher nicht als inkompatibel mit der P.E.N.-Charta dar:
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Hamburg on Tuesday, May 17th and Wednesday, May 18th 1977, S. 23. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Hamburg on Tuesday, May 17th and Wednesday, May 18th 1977, S. 23. P.E.N.-Archiv London. Henryk Keisch an Peter Elstob [13. 5. 1977]. SAPMO-BArch vorl. SED 25884. Abgedruckt auch als Annexe D der Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Hamburg on Tuesday, May 17th and Wednesday, May 18th 1977. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Hamburg on Tuesday, May 17th and Wednesday, May 18th 1977, S. 25. P.E.N.-Archiv London. Henryk Keisch an Peter Elstob [13. 5. 1977]. SAPMO-BArch vorl. SED 25884. 657
Thus in establishing a link between freedom of expression and the use which is made of it, we know ourselves to be in agreement with the Charter. We are not unaware of the problems which can follow from this. They seem to us much less serious than those which follow from ill-conceived freedom of expression, freedom turning back upon itself, which has so often permitted the triumph of the enemies of all freedom. A quick glance at publisher’s catalogues is sufficient to confirm that this system effectively protects the true freedom of literature against the false.610
Aus Sicht jener Schriftsteller, die unter den Folgen des rigiden Zensursystems der DDR tagtäglich zu leiden hatten, musste Keischs Schönrederei eines diktatorischen Mittels zum Machterhalt wie blanker Hohn wirken. Naiv erscheint Keischs Versuch, durch ungebührliche Reduktion der Charta eine Argumentation aufzubauen, die ausgerechnet die Mitglieder des P.E.N.-Clubs überzeugen sollte. Der Inhalt von Artikel 4 sei noch einmal in Erinnerung gerufen: Der P.E.N. steht zu dem Grundsatz des ungehinderten Gedankenaustausches innerhalb einer jeden Nation und zwischen allen Nationen, und seine Mitglieder verpflichten sich, jeder Art der Unterdrückung der Äußerungsfreiheit in ihrem Lande oder in einer Gemeinschaft, in der sie leben, entgegenzutreten. Der P.E.N. erklärt sich für die Freiheit und verwirft die Zensurwillkür überhaupt, und erst recht in Friedenszeiten. Er ist des Glaubens, dass der notwendige Fortschritt der Welt zu einer höher organisierten politischen und wirtschaftlichen Ordnung hin eine freie Kritik gegenüber den Regierungen, Verwaltungen und Einrichtungen gebieterisch verlangt. Und da Freiheit auch freiwillig geübte Zurückhaltung einschließt, verpflichten sich die Mitglieder, solchen Auswüchsen einer freien Presse, wie wahrheitswidrigen Veröffentlichungen, vorsätzlicher Lügenhaftigkeitund Entstellungvon Tatsachen,unternommen zu politischenund persönlichen Zwecken, entgegenzuarbeiten.611
Die eigentliche Frage, die das Schicksal der Inhaftierten betraf, behandelte Keisch lediglich am Rande. Auch hier nahm der Angriff auf den Gegner, in diesem Falle der schwedische P.E.N., breiten Raum ein. Seine mit spöttelndem Grundton verfassten Auslassungen über Fuchs, Pannach und Kunert waren von zynischer Arroganz: Now as far as the young poet ›of undoubted literary importance‹ (according to our Swedish friends) is concerned, I confess myself a little amused, ruefully amused, at the ease and the alacrity with which some people, to serve the ends of their political campaigns, fabricate out of nothing, out of a few poems dug out of the depths of a bottom drawer, these ›poets of undoubted importance‹. Has it ever occurred to anyone how dramatically these young people will be affected when one day they understand that the talent they possess is not perhaps equal to the glory which they have been credited? This last consideration is equally valid for the two young singers mentioned in the Swedish statement. About them too I will take pains to get information, not because of their importance in the artistic world, but for simple reasons of humanity.612 610 611
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Henryk Keisch an Peter Elstob [13. 5. 1977]. SAPMO-BArch vorl. SED 25884. Charta des Internationalen P.E.N. Zitiert nach P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon 1996, S. 7f. Henryk Keisch an Peter Elstob [13. 5. 1977]. Abgedruckt in: Annexe D der Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Hamburg on Tuesday, May 17th and Wednesday, May 18th 1977. P.E.N.-Archiv London.
Die Reaktion der Exekutive war eindeutig. Zwar folgte sie den Einwänden von Martin Gregor-Dellin und Mineke Schipper (P.E.N.-Zentrum Niederlande), dass eine Verhandlung des Sachverhaltes in Abwesenheit der DDR-Delegierten eigentlich nicht möglich sei. Sie beauftragte Elstob jedoch, Keisch in einem Schreiben die strikte Ablehnung seiner Argumentation durch die Delegierten unmissverständlich deutlich zu machen. Zugleich sollte das WiPC in den Fällen der in der DDR inhaftierten Schriftsteller tätig werden.613 An die Öffentlichkeit drang von diesen Verhandlungsergebnissen wenig. Ein Pressebericht notiert: Noch öffentlichkeitsscheuer wird das Exekutiv-Komitee des P.E.N. da, wo die Rede von den schreibenden Kollegen im Osten und also auch von den Regierungen des Warschauer Paktes ist: Kein offizielles, aber auch kaum ein privates Wort darüber, wie erbittert und hilflos sich die rund hundert anwesenden Delegierten aus einunddreißig Zentren gegenüber dem DDR-P.E.N.-Chef Kamnitzer und seiner Anti-BiermannKampagne gefühlt haben mögen.614
Gleichwohl ließ Keisch in einem Artikel, den er in der Weltbühne veröffentlichte, keinen Zweifel an seiner Einstellung gegenüber den »außer Landes gegangenen« Kritikern des DDR-Regimes; diese hätten sich »auf die Seite der schlimmsten Menschheitsfeinde gestellt« und seien lediglich »geltungssüchtige Außenseiter«.615 Von der Entrüstung, die sein Brief hinsichtlich der schwedischen Eingabe ausgelöst hatte, zeigte er sich in einem Bericht für die Abteilung Kultur im ZK der SED gänzlich unbeeindruckt – nicht zuletzt aufgrund des Diskussionsergebnisses: Die Aufregung »kommt für mich nicht unerwartet, denn der Brief enthält in der Tat einige Schärfen und eine grundsätzliche Argumentation, die mir notwendig schien. Von Seiten des internationalen Sekretärs und des internationalen Präsidenten geschah nichts, was geeignet gewesen wäre, die Stimmung anzuheizen. Sie veranlaßten im Gegenteil, daß die Debatte abgebrochen wurde.«616 Eine persönliche Aussprache der internationalen P.E.N.-Exekutive mit Vertretern des P.E.N.-Zentrums DDR über die Kulturpolitik ihres Regimes, die von den meisten Delegierten als dringlich erachtet wurde, fand auch im weiteren Verlauf des Jahres nicht statt. Das P.E.N.-Zentrum DDR verweigerte auch die Teilnahme am internationalen P.E.N.-Kongress, der vom 11. bis 17. Dezember 1977 in Sydney tagte. Ausschlaggebendes Argument für die Nichtteilnahme war laut Keisch, »daß wegen der ungewöhnlich großen Entfernung des Tagungsortes der 613
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Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Hamburg on Tuesday, May 17th and Wednesday, May 18th 1977, S. 25–28. P.E.N.Archiv London. Jürgen Schmidt: Unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Zur Hamburger Tagung des internationalen P.E.N. In: Stuttgarter Zeitung vom 27. 5. 1977. Zitiert nach [dpa]: PEN-Generalsekretär der DDR: Geltungssüchtige Außenseiter. In: Frankfurter Rundschau vom 26. 5. 1977. Henryk Keisch: Bericht über die Teilnahme von Henryk Keisch an der Arbeitssitzung des Development-Committees des Internationalen P.E.N. in Bled (Jugoslawien) vom 11. bis 14. Mai 1977 [16. 5. 1977]. SAPMO-BArch vorl. SED 25884. 659
finanzielle Aufwand in Devisen unverhältnismäßig hoch gewesen wäre. Obwohl wir grundsätzlich unsere ständige Teilnahme an den internationalen Zusammenkünften als eine Voraussetzung für aktives Wirken betrachten, glaubten wir im vorliegenden Falle darauf verzichten zu sollen.«617 Es handelte sich somit nur um einen temporären Rückzug aus dem internationalen Geschehen. Schon in seiner Begründung an Irene Gysi, Leiterin der Hauptverwaltung Internationale Beziehungen im ZK der SED, verwies Keisch auf die Pläne des P.E.N.Präsidenten, »im Hinblick auf den kommenden Kongreß in Stockholm (Mai [1978])«618 , die Kontakte zum Präsident des schwedischen P.E.N.-Zentrums, Per Wästberg, aufzunehmen. Der gezielte Verbindungsaufbau zu Wästberg stand nicht im Zusammenhang mit der Nachfrage des schwedischen P.EN. zur kulturpolitischen Situation der DDR. Das wahrscheinlichere Motiv lag wohl darin begründet, dass Wästberg als zukünftiger Präsident des Internationalen P.E.N. gehandelt wurde.619 Zudem hatte das schwedische P.E.N.-Zentrum die Ausrichtung des bevorstehenden internationalen Kongresses im Mai 1978 übernommen. Eine positive Beziehung konnte sich daher für das P.E.N.-Zentrum DDR als vorteilhaft für die eigene Position in der internationalen P.E.N.-Gemeinschaft erweisen. Der Kongress in Australien zeigte schon rein äußerlich ein deutlich anderes Gepräge als die P.E.N.-Tagungen in Europa: Ein Gros der Delegierten kam aus Japan, Korea, Indonesien und Indien. Die literarischen Sitzungen befassten sich ausgiebig mit südostasiatischen und pazifischen Kulturen. Dennoch stand ein stetes Reizthema des Internationalen P.E.N. auf der Agenda – die Begründung eines sowjetischen P.E.N.-Zentrums. Obgleich außer den jugoslawischen Sektionen Serbien und Slowenien keine Vertreter der Ostblockstaaten nach Sydney gereist waren, musste sich die dort tagende Exekutive mit Wortmeldungen der P.E.N.-Zentren Bulgarien, DDR und Ungarn befassen. Sie hatten nach gemeinsamer Absprache620 mit Telegrammen auf Erklärungen westeuropäischer P.E.N.-Mitglieder621 reagiert, die schon vor dem Kongress vorgelegen 617
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Henryk Keisch an Irene Gysi [Leiterin der Hauptverwaltung Internationale Beziehungen beim ZK der SED] [26. 5. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Korrespondenz allgemein 1975–1977/M/Ministerium für Kultur 5. Henryk Keisch an Irene Gysi [Leiterin der Hauptverwaltung Internationale Beziehungen beim ZK der SED] [26. 5. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Korrespondenz allgemein 1975–1977/M/Ministerium für Kultur 5. Vgl. Henryk Keisch an Irene Gysi [Leiterinder Hauptverwaltung InternationaleBeziehungen beim ZK der SED] [26. 5. 1977]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Korrespondenz allgemein 1975–1977/M/Ministerium für Kultur 5. Vgl. Leda Mileva [Bulgar. PEN] an P.E.N.-Zentrum DDR [18. 11. 1977].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenzinternational1974–1977/B/Bulgaria1 und 1a. Zu den Unterzeichnern einer antisowjetischen Erklärung zählten die beiden internationalen VizepräsidentenA. den Doolaard und Pierre Emmanuel, das französischsprachige belgische Zentrum und das französischsprachige Schweizer Zentrum. Eine weitere Deklaration hatte das flämische P.E.N.-Zentrum eingebracht. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of PEN held in Sydney on Monday, Tuesday, Wednesday and Thursday, December 12, 13, 14 and 15, 1977, S. 22. P.E.N.-
hatten und die Gründung eines P.E.N.-Zentrums unter den in der Sowjetunion gegebenen Bedingungen in Zweifel zogen. Die finanziell bedingte Abwesenheit vom Kongress ließ sich vor diesem Hintergrund »als Ausdruck des Protestes gegen eine beabsichtigte antisowjetische Initiative […] deklarieren.«622 Der DDR-P.E.N. verwahrte sich in seiner Eingabe entschieden gegen eine Diskriminierung der sowjetischen Schriftstellerkollegen: WE CONSIDER INADMISSABLE AND UNFORTUNATE STATEMENTS REFUSING POSSIBLE SOVIET ADHERENCE […] WE PROTEST STRONGLY AGAINST ATTEMPT TO DISCRIMINATE AGAINST SOVIET WRITERS LOYAL TO THEIR COUNTRY […] WE SUPPORT ACTION OF INTERNATIONAL PRESIDENT AND SECRETARY IN FAVOUR OF UNIVERSALITY OF PEN CENTRE OF GERMAN DEMOCRATIC REPUBLIC623
Am Ende einer langwierigen Diskussion innerhalb des Exekutivkomitees bemühte sich der internationale P.E.N.-Präsident, Mario Vargas Llosa, schließlich um Vermittlung. In Bezug auf ein P.E.N.-Zentrum in der UdSSR hatte Llosa bereits im Vorfeld des Kongresses in einem Brief an Pierre Emmanuel, der zu den Unterzeichnern der antisowjetischen Deklarationen zählte, deutliche Worte gefunden: [Ich] bezweifle die Gründung eines Zentrums in der U.d.S.S.R. vor der Änderung des Charakters der sowjetischen Gesellschaft nicht. Solch ein Herangehen erscheint mir nicht nur pessimistisch, sondern auch für die Interessen derjenigen schädlich zu sein, die am meisten aus der Schaffung eines Zentrums in der U.d.S.S.R. Vorteile ziehen könnten, nämlich die unabhängigen sowjetischen Schriftsteller und jene, die aus dem einen oder anderen Grund zu den Außenstehenden zählen. […] Ich glaube, daß, wenn ein sowjetisches P.E.N.-Zentrum gebildet werden könnte, darin, zusammen mit den unvermeidlichen offiziellen Schriftstellern, all die unabhängigen Schriftsteller vertreten sein würden, und das würde denjenigen unserer Kollegen in der Sowjetunion unschätzbare Hilfe geben, die infolge ihres moralischen Eintretens diskriminiert und zum Schweigen verurteilt sind. Ein P.E.N.-Zentrum zu haben bedeutet auch, daß es jemand gibt, den wir um Informationen bitten und sogar ermuntern können, in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Charta, die sie unterzeichnet haben, zu handeln. Es kann sein, daß diese Idee zu optimistisch ist. Auf jeden Fall denke ich, daß das Risiko der Untätigkeit vorzuziehen ist.624
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Archiv London. Enthalten auch in BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/16, Bl. 320–322 und Bl. 325f. Vgl. auch die Deklaration des französischsprachigen P.E.N.-Zentrums zur Berücksichtigung auf dem 42. internationalen Kongreß in Sydney [12. 10. 1977]. Enthalten in BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/16, Bl. 324f. Henryk Keisch an Oskar Fischer [Minister für auswärtige Angelegenheiten der DDR] [4. 5. 1978]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1978– 1981/M/Ministerium für Kultur 13b und c. Zitiert nach: Minutes of the Meeting of the International ExecutiveCommittee of PEN held in Sydney on Monday, Tuesday, Wednesday and Thursday, December 12, 13, 14 and 15, 1977, S. 22. P.E.N.-Archiv London. Mario Vargas Llosa an Pierre Emmanuel [Übersetzung aus dem Spanischen] [30. 10. 1977]. Enthalten in BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/16, Bl. 327–330, hier Bl. 328f. 661
Sein umsichtiger und wohl durchdachter Redebeitrag in Sydney versuchte den Blick der Delegierten indes für die grundsätzliche Problematik des P.E.N. zu öffnen, die in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder auf der Agenda gestanden hatte: »The central question was the possibility of the existence of P.E.N. Centres under dictatorial regimes.«625 In seinen Ausführungen machte Vargas Llosa deutlich, dass eine einseitig gerichtete Auseinandersetzung wenig produktiv sein konnte. Die Existenz von Diktaturen sei ein globales Problem: »There were dictatorships of the right and the left […]. The democracies, which respected freedom of expression, were a very small minority in the world.«626 Der P.E.N. müsse entscheiden, wie er mit dieser Realität umgehen wolle. Vargas Llosa selbst sah gerade die Universalität als Stärke des Internationalen P.E.N.; er glaube, »even at the risk of P.E.N. becoming rather a loose organisation, it would have more power to put its ideals into effect if it became more universal than if, by clinging rigorously to the letter of the Charter, it dwindled with the dwindling number of democracies.«627 Würde man darauf bestehen, dass nur in demokratischen Ländern ein P.E.N.-Zentrum bestehen dürfe, wäre der Internationale P.E.N. bald »a very small organisation.«628 Vargas Llosa rief die wesentlichen Elemente der P.E.N.-Arbeit in Erinnerung: Der Internationale P.E.N. müsse das Möglichste tun, um verfolgten Schriftstellern zu helfen. Zugleich sei aber die Fortsetzung des Dialogs mit Schriftstellern, die anderer Meinung seien als man selbst, ein Weg zur Bekämpfung der unterdrückenden Autoritäten. Ein einseitiger Stoß gegen den Sozialismus war damit abgewendet. Vargas Llosa hatte sich als ein Präsident erwiesen, »der es geschickt verst[and], diese schwer zu steuernde Organisation zwischen rechts und links hindurchzumanövrieren«629 und einen zum Teil thematisch hochexplosiven Kongress »mit rhetorischer Eleganz, hoher sprachlicher Formulierungskunst, diplomatischem Geschick und großer Toleranz«630 zu leiten.
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Wortbeitrag von Mario Vargas Llosa. Abgedruckt in den Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of PEN held in Sydney on Monday, Tuesday, Wednesday and Thursday, December 12, 13, 14 and 15, 1977, S. 42f., hier S. 42. P.E.N.Archiv London. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of PEN held in Sydney on Monday, Tuesday,Wednesdayand Thursday,December 12, 13, 14 and 15, 1977, S. 42f., hier S. 42. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of PEN held in Sydney on Monday, Tuesday,Wednesdayand Thursday,December 12, 13, 14 and 15, 1977, S. 43, hier S. 42. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of PEN held in Sydney on Monday, Tuesday,Wednesdayand Thursday,December 12, 13, 14 and 15, 1977, S. 42f., hier S. 43. P.E.N.-Archiv London. Otto F. Beer: Der PEN bei den Antipoden. Internationaler Kongreß in Sydney – mit Blick auf Asien. In: Süddeutsche Zeitung vom 28. 12. 1977, S. 12. Thaddäus Troll: 42. internationaler PEN-Kongreß in Sydney – Zentrum auch in der UdSSR? Sowjet-Beobachter im Hintergrund. In: Nürnberger Zeitung vom 29. 12. 1977.
Die Diskussion um ein sowjetisches P.E.N.-Zentrum, die in Sydney ohne greifbares Ergebnis vertagt worden war, kam auf dem folgenden Kongress in Stockholm (Mai 1978) wiederum zur Sprache. Anstoß der Debatte war ein Brief des P.E.N.-Zentrums DDR vom 28. März 1978 an Elstob und Vargas Llosa, in dem Kamnitzer, Keisch und Hermlin im Namen ihrer Sektion Vorwürfe gegen die jüngste Entwicklung im Internationalen P.E.N.-Club formulierten. Abgesendet worden war der Brief »im Einvernehmen mit den ungarischen und bulgarischen Freunden«.631 Mit Hermlins Unterschrift verband sich für Keisch die Hoffnung, dem Brief »in den Augen der Empfänger zusätzliches Gewicht«632 zu geben. Aus staatssicherheitsdienstlicher Sicht war die Unterzeichnung des Schreibens durch Hermlin in erster Linie durch die Einwirkung der »inoffiziellen Kräfte ›Heinz‹ [d. i. Heinz Kamnitzer?] und ›Henryk‹ [d. i. Henryk Keisch?] möglich«633 geworden. Vargas Llosa hatte das Schreiben, dem Wunsch des DDR-P.E.N. entsprechend, an die Delegierten weitergegeben und auf die Tagesordnung von Stockholm gesetzt. Die DDR-Vertreter wagten sich mit ihrer Eingabe wieder aufs internationale Parkett und traten sogleich mit Entschlossenheit und Selbstbewusstsein in die Auseinandersetzung um die Daseinsberechtigung der kommunistischen Schriftsteller im Internationalen P.E.N. ein. Die erhobene Klage war nicht neu: Die Vertreter des P.E.N.-Zentrums DDR verwiesen auf ihre Sorge um die Zukunft des Internationalen P.E.N., in dem allzu oft der »antikommunistische Widerschein […] über den traditionellen Geist des P.E.N. zu siegen drohe«634 und »Gedanken des kalten Krieges wieder aufgeweckt«635 würden. Konkreter Ansatzpunkt der Kritik waren erwartungsgemäß die in Sydney diskutierten Deklarationen, die von Kamnitzer, Keisch und Hermlin als »nicht akzeptierbar«636 abgelehnt wurden. Nach ihrem Verständnis der internationalen Statuten dürfe bei der Zulassung eines Zentrums das politische Regime oder die inneren Angelegenheiten eines Landes keinerlei Berücksichtigung finden. Eine Unterscheidung zwischen »sogenannten ›unabhängigen‹ Schriftstellern und den sogenannten ›offiziellen‹ 631
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Henryk Keisch an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [2. 5. 1978]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenzallgemein 1978–1981/Z/ZK der SED 10 und 10a. Henryk Keisch an Leo Sladczyk [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [2. 5. 1978]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenzallgemein 1978–1981/Z/ZK der SED 10 und 10a. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Sachstandsbericht zum gegenwärtigen Stand der politisch-operativen Bearbeitung des OV »Leder« [18. 9. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/18, Bl. 140–144, hier Bl. 140. P.E.N.-Zentrum DDR an Peter Elstob und Mario Vargas Llosa [28. 3. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/16, Bl. 331–335, hier Bl. 333. P.E.N.-Zentrum DDR an Peter Elstob und Mario Vargas Llosa [28. 3. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/16, Bl. 331–335, hier Bl. 332 und 333. In englischer Fassung abgedruckt als Annexe E in Minutes of the Meeting of the International Executive held in Stockholm on May 21th , 22nd and 25th , 1978. P.E.N.-Archiv London. P.E.N.-Zentrum DDR an Peter Elstob und Mario Vargas Llosa [28. 3. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/16, Bl. 331–335, hier Bl. 333. 663
Schriftstellern«637 dürfe nicht getroffen werden; sie sei eine der Charakteristiken des kalten Krieges auf dem Gebiet der Literatur gewesen. Vargas Llosas Argumentation, die für die Bildung eines sowjetischen P.E.N.-Zentrums aufgebaut worden war, wurde mit diesen Anmerkungen stark angegriffen. Doch die Attacke ging noch weiter: »Im Internationalen P.E.N. sollte es, werter Präsident, unmöglich sein, solch eine Phrase zu benutzen, daß jemand ›die Schaffung eines Zentrums in der U.d.S.S.R. vor der Änderung des Charakters des sowjetischen Systems nicht bezweifelt‹.«638 Das diktatorische Prinzip sozialistischer Staatssysteme, das diametral zu den grundlegenden Menschenrechten stand, wurde bei der Bewertung von Llosas Aussagen bewusst ausgeblendet: [W]enn das internationale P.E.N.-Zentrum nichts mehr als ein Spiegel des Antagonismus sein möchte, durch den die Welt leidet, wenn es diesen Antagonismus reflektieren oder sogar vergrößern sollte, dann ist es auf dem Wege, seinen Charakter zu verlieren. Wenn es Aufspaltungen zu vermeiden wünscht und sich stattdessen zur Universalität hinbewegt, die wünschenswert ist, dann muß es zu den inspirierenden Idealen der Harmonie, die seine Gründer beseelt haben, zurückkehren. Nur dann wird es seine Daseinsberechtigung in der Zukunft beibehalten.639
Der Brief von Kamnitzer, Keisch und Hermlin wurde im Protokoll der Exekutivkomitee-Tagung zur Kenntnisnahme durch die nationalen P.E.N.-Zentren zugänglich gemacht und löste eine rege Debatte der Stockholmer Delegierten ohne greifbares Ergebnis aus. Zur Verhandlung kam jedoch auch ein Resolutionsentwurf des P.E.N.-Zentrums DDR, der eine Anfang der dreißiger Jahre verabschiedete Verlautbarung des Internationalen P.E.N. rezitierte und alle Regierungen der Welt zur Abrüstung und Ächtung der Neutronenwaffe aufforderte: The Executive Committee of International P.E.N., meeting in Stockholm for its 43rd Congress recalls the text of the resolution unanimously passed at the 9th Congress in the Hague in June 1931: ›The 9th Congress … expresses its deep disgust at all forms of brutal violence, especially war, which destroys the most precious moral and spiritual values of humanity. It calls upon the Disarmament Conference to imbue itself with the longing for peace which is everywhere so deeply rooted in the peoples, with their ardent hope that, by an effective reduction of the armaments of the states, the Conferencewill take the first step towards the disappearance of war and the establishment of lasting peace.‹ As a result of the appearance of nuclear weapons and the menace of their increasing perfection, disarmament has become today, more than ever before, an imperative necessity. For this reason the Executive Committee takes up again the appeal made in 1931, and encourages and supports all efforts toward the conclusion of international disarmament agreements.640
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P.E.N.-Zentrum DDR an Peter Elstob und Mario Vargas Llosa [28. 3. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/16, Bl. 331–335, hier Bl. 334. P.E.N.-Zentrum DDR an Peter Elstob und Mario Vargas Llosa [28. 3. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/16, Bl. 331–335, hier 334. P.E.N.-Zentrum DDR an Peter Elstob und Mario Vargas Llosa [28. 3. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/16, Bl. 331–335, hier Bl. 334f. Zitiert nach: Minutes of the Meeting of the International Executive held in Stockholm on May 21th , 22nd and 25th , 1978, S. 18. P.E.N.-Archiv London.
Die Resolution wurde von der Exekutive ohne Diskussion mit zwei Enthaltungen angenommen. Keisch triumphierte; er empfand die Annahme als Vergeltung für die Ablehnung einer inhaltlich ähnlichen Verlautbarung, die das P.E.N.Zentrum DDR im Mai 1976 auf einer Exekutive in Den Haag vorgeschlagen hatte. Damals waren die DDR-Vertreter in Bezug auf den Inhalt und die Verhältnisse im eigenen Lande scharf angegriffen worden. Keisch hatte daraufhin den Textentwurf zurückgezogen.641 Aus diesem Grunde empfand er den Erfolg von Stockholm als persönliche Genugtuung: Der Kongress sei nicht nach den Wünschen einiger Strategen des Antikommunismus verlaufen: Es hat sich gezeigt, nicht zum ersten Mal übrigens, daß der Geist eines progressiven Humanismus, aus dem der PEN einst hervorging, der aber zuweilen erloschen schien, auf zielstrebige Wiederbelebungsbemühungen gern reagiert. Eine solche erfolgreiche Wiederbelebung guter PEN-Traditionen sehe ich in der Tatsache, daß es der DDRDelegation gelang, in der internationalen Exekutive eine Resolution zur Annahme zu bringen, mit der die Bemühungen um das Zustandekommen von Abrüstungsvereinbarungen zwischen den Staaten begrüßt und unterstützt und expressis verbis gegen den Bau der Neutronenbombe Stellung genommen wird. Vielleicht glaubt man, das sei eine Selbstverständlichkeit für eine Organisation wie den PEN. Das ist es leider nicht. Eine Resolution gleichen Inhalts, eine Resolution zur Abrüstung, die wir bereits im Sommer 1976 eingebracht hatten, stieß damals auf verdrossene Unlust und Mäkelei, so daß wir sie zurückzogen, um dem PEN die Schande zu ersparen, sie per Abstimmung ausdrücklich abgelehnt zu haben. Dann aber, ein Weilchen später, kam eines Tages unsere Revanche […]. Wir entdeckten in alten PEN-Materialien den Text einer Entschließung, die die Väter und Großväter der jetzigen PEN-Generation im Jahre 1931 in Den Haag gefaßt hatten. Darin war dem Sinne nach genau das enthalten, was wir vorgeschlagen hatten und was man als kommunistische Propaganda glaubte ablehnen zu müssen. Wir legten jetzt in Stockholm einen Text vor, der jene Resolution in Erinnerung brachte und sie bestätigte, und siehe da, diesmal ging er durch […].642
In die Öffentlichkeit der DDR drang die Nachricht von der in Stockholm durchgesetzten Resolution nicht. Seine Enttäuschung darüber verriet Keisch in einer Rede auf dem VIII. Schriftsteller-Kongress der DDR (29.–31. 5. 1978): »Natürlich waren wir stolz und glücklich, als wir unseren Erfolg aus Stockholm nach Hause melden konnten. Wir waren überzeugt, daß unsere Presse sich auf die Nachricht, die wirklich eine kleine Sensation war, stürzen würde. Vielleicht erfahren wir eines Tages, welche Gründe dazu geführt haben, daß die Sensation so gut wie unter sämtliche Redaktionstische gefallen ist; sie wartet noch heute darauf, daß jemand sie dort aufhebt.«643 Ungeteiltes Lob für die geleistete Arbeit der DDR-Delegation gab es schließlich Ende Juli 1978 doch noch.
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Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Hague on 10th , 11th , 13th and 14th May, 1976, S. 15f. P.E.N.-Archiv London. Henryk Keisch: Redebeitrag auf dem VIII. Schriftstellerkongress der DDR. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/15, Bl. 99–104, hier Bl. 103f. Henryk Keisch: Redebeitrag auf dem VIII. Schriftstellerkongress der DDR. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/15, Bl. 99–104, hier Bl. 104. 665
Klaus Höpcke sprach den P.E.N.-Vertretern Anerkennung ihrer Arbeit durch die Führungskräfte des Ministeriums für Kultur aus: Deinen Bericht über die Aktivitäten des P.E.N.-Zentrums der DDR hat der Minister mit größter Aufmerksamkeit und Befriedigung gelesen und nun auch noch ich. Ich möchte es nicht versäumen, Dir sowie den Mitgliedern der Delegation auch in seinem Namen für das politisch kluge und umsichtsvolle Auftreten zu danken, mit dem Ihr in einer nicht unkomplizierten Situation die konstruktive Haltung der DDR bewiesen habt. Dadurch konntet Ihr der Stimme unseres Landes in diesem Gremium Geltung und Ansehen verschaffen. Wir sind überzeugt, daß Ihr die schwierige Arbeit im P.E.N. auch künftig mit Fingerspitzengefühl wie mit Gründlichkeit meistern werdet. In diesem Sinne nehmt den herzlichen Wunsch entgegen für weitere Erfolge in Eurer verantwortungsvollen Tätigkeit.644
Keischs öffentliches Frohlocken auf dem Schriftstellerkongress wurde nach Informationen des Ministeriums für Staatssicherheit nicht von allen P.E.N.Mitgliedern positiv aufgenommen. Stephan Hermlin rieb sich demnach an den »Äußerungen des Henryk Keisch in dessen Diskussionsbeitrag auf dem VIII. Schriftstellerkongreß«645 ; diese »seien nach Hermlins Meinung mit der Funktion des Generalsekretärs des ›PEN-Zentrum‹ der DDR nicht vereinbar und ›überhaupt würde Henryk Keisch Schaden anrichten‹.«646 Dem Bericht zufolge suchte Hermlin nach »Wegen […], den Schriftsteller Henryk KEISCH aus dessen Funktion als Generalsekretär des PEN-Zentrums der DDR zu entfernen«647 und wirkte auf Kamnitzer ein; er sollte ein entsprechendes Gespräch mit Leo Sladczyk, Mitarbeiter der Abteilung Kultur, führen.648 In diesem Zusammenhang wurde auch ein »intern bekanntgewordene[s] Gespräch zwischen Günter KUNERT und Stephan Hermlin«649 angeführt. Aus diesem gehe hervor, »dass Peter ELSTOP [sic] – Generalsekretär des Internationalen PEN und Thomas von VEGESACK – Sekretär des schwedischen PEN-Zentrums während des 43. Kongresses des Internationalen PEN in Stockholm/Schweden im Mai 1978 die Auffassung vertraten, daß Henryk Keisch als Generalsekretär des ›PENZentrums‹ der DDR nicht geeignet sei.«650 In der Folgezeit wurden jedoch keine Anstrengungen unternommen, Keisch aus dem Amt des Generalsekretärs zu entfernen. Der strikte Kurs des P.E.N.-Zentrums DDR in Fragen inhaftierter, 644
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Klaus Höpcke an Henryk Keisch [31. 7. 1978]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1978–1981/M/Ministerium für Kultur 12. [Ministerium für Staatssicherheit, HA XX]: Information [4. 7. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/15, Bl. 98. [Ministerium für Staatssicherheit, HA XX]: Information [4. 7. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/15, Bl. 98. [Ministerium für Staatssicherheit, HA XX]: Information [4. 7. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/15, Bl. 98. Vgl. [Ministerium für Staatssicherheit, HA XX]: Information [4. 7. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/15, Bl. 98. [Ministerium für Staatssicherheit, HA XX]: Information [4. 7. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/15, Bl. 98. [Ministerium für Staatssicherheit, HA XX]: Information [4. 7. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/15, Bl. 98.
verfolgter und mit Repressionen belegter Schriftstellerkollegen wurde unverändert weitergeführt. Daran änderte auch die kulturpolitische Katastrophe des Jahres 1979 nichts.
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»Ich bin überzeugt, daß wir auf verlorenem Posten stehen; nun ja.«651 – Das P.E.N.-Zentrum DDR und die Eskalation der kulturpolitischen Situation in der DDR (1979)
Die innenpolitische Lage der DDR war nach der Biermann-Ausbürgerung angespannt. Im Laufe des Jahres 1977 verließ eine Reihe von Schriftstellern, Künstlern und Musikern, die wegen ihres Protests gegen die Ausbürgerung massiv unter Druck gesetzt worden waren, die DDR – auf Zeit oder für immer. Andere blieben in der DDR, legten aber wichtige öffentliche Ämter nieder: So schieden Franz Fühmann und Christa Wolf aus dem Vorstand des DDRSchriftstellerverbandes im August 1977 aus. Die Repressionen der DDR-Führung gegen kritische Geister wurden dessen ungeachtet unvermindert fortgesetzt. Ein prominenter Fall der nachhaltigen Unterdrückung war die Inhaftierung von Rudolf Bahro durch das Ministerium für Staatssicherheit wegen des Verdachts einer angeblichen nachrichtendienstlichen Tätigkeit. Hintergrund der Inhaftnahme war die auszugsweise Publikation des Manuskripts Die Alternative in der Hamburger Wochenschrift Der Spiegel, die seiner scharfen Kritik am bestehenden Sozialismus größtmögliche Öffentlichkeit garantierte. Bahros Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit hatte 1976 mit der Schaffung der Operativgruppe der Hauptabteilung XX (OG/HA XX) begonnen, die sich ausschließlich auf die operative Vorgangs-Arbeit gegen Personen konzentrierte und auf »Aufklärung, Bekämpfung und Liquidierung der Feindtätigkeit«652 ausgerichtet war. Zu ihren operativen Schwerpunktvorgängen gehörte neben dem ZOV »Lyriker« (Wolf Biermann), OV »Diversant« (Stefan Heym) und OV »Leitz« (Robert Havemann) auch der OV »Konzeption« gegen Rudolf Bahro.653 Der Verdacht gegen die von der OG/HA XX bearbeiteten Personen wog schwer: Sie »wurden verdächtigt, dem ›politischen Untergrund‹ zuzuarbeiten.«654 Die Veröffentlichung eines »antisozialistischen Pamphlets« durch Bahro, noch dazu in der Westpresse, konnte in der sich stetig zuspitzenden Krisensituation des DDR-Staates von der Parteiführung nicht hingenommen werden. Der Inhaftierung folgte im Juni 1978 die Verurteilung durch das Stadtgericht Berlin zu acht Jahren Freiheitsentzug wegen
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Franz Fühmann an Stephan Hermlin [23. 5. 1979]: DLA A: Stephan Hermlin, Briefe an Hermlin. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 183. Vgl. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 183. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 184. 667
»Übermittlung von Nachrichten für eine ausländische Macht und Geheimnisverrat«.655 Bahro wurde zum Strafvollzug nach Bautzen verbracht. Obgleich die internationale P.E.N.-Gemeinschaft weder in Stockholm (Mai 1978), noch auf der folgenden Exekutive in Barcelona (Oktober 1978) in eine direkte Aussprache mit den Vertretern des P.E.N.-Zentrums DDR über die inhaftierten Schriftsteller im eigenen Land eintrat, blieb sie doch nicht untätig. Unmittelbar nach der Verurteilung hatte der Internationale P.E.N. ein Protestschreiben mit der Forderung nach Freilassung von Bahro und anderen Inhaftierten formuliert. Von diesem hatte nach Informationen der Hauptabteilung XX/7 im Ministerium für Staatssicherheit auch Stephan Hermlin Kenntnis erhalten: »In einem intern bekanntgewordenen Gespräch schloß sich HERMLIN der Auffassung an, diesen Brief zurückzuweisen. BAHRO sei Ökonom und habe keine Beziehung zur Literatur«.656 Die Unterstützung des Internationalen P.E.N. für Bahro ging weiter. Im Oktober 1978 enthielt Michael Scammells WiPCBericht neben Hinweisen auf Rolf Mainz,657 Thomas Steinberg658 und Bärbel Sänger auch eine Notiz zu Rudolf Bahro; er wurde noch in Barcelona als »associate member« in die schwedische Sektion des Internationalen P.E.N. aufgenom-
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Hubert Laitko: Rudolf Bahro. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 37. [Ministerium für Staatssicherheit, HA XX]: Information [1. 7. 1978]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/15, Bl. 94. Enthalten auch in BStU, MfS, HA XX, ZMA 4043, Bl. 11f., hier Bl. 11. Der Journalist Rolf Mainz hatte 1976 einen Artikel für die bundesdeutsche Wochenschrift Die Zeit verfasst, der die Berufsverbote in der DDR behandelte. 27 Monate Untersuchungshaft waren die Folge. Der »fervente[] Antikommunist[ ] und scharfzüngige[] Gegner von Honecker« wurde »freigekauft«, entlassen in die Bundesrepublik. Dort konnte er als Journalist nicht Fuß fassen, studierte Soziologie und promovierte schließlich über ein altägyptisches Thema. Vgl. Aufruf an Ägyptologen: Co-Autor gesucht. Verfügbar unter URL: http://www.zeit.de/archiv/1996/27/ kasten.txt.19960628.xml [Zugriff: 3. 5. 2006]. Um Mainz hatte es innerhalb des P.E.N.Präsidiums eine scharfe Auseinandersetzung gegeben. Auf dem Kongress in Sydney (1977) war ein Schreiben einer französischen Exilgruppe an alle nationalen P.E.N.Zentren gerichtet worden mit der Aufforderung, sich für die Freilassung von Mainz einzusetzen.Keisch schlug in einer Präsidiumssitzungam 20. 1. 1978 vor, das Schreiben als Provokation zurückzuweisen. Hermlin stellte sich dieser Auffassung entschieden entgegen: »Er halte es für die Pflicht des PEN-Zentrums der DDR, daß es der Aufforderung, sich für die Freiheit des MAINZ einzusetzen, nachkomme.« Zwischenbericht zum gegenwärtigen Stand der operativen Bearbeitung des OV »Leder« gegen den Schriftsteller Stephan HERMLIN für die Zeit vom 18. 10. bis 26. 1. 1978 [28. 1. 1977]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/18, Bl. 100–112, hier Bl. 111. Dass hier Werner Steinberg gemeint sein könnte, erscheint eher unwahrscheinlich. Er war 1956 aus der Bundesrepublik in die DDR übergesiedelt und wurde von den DDRVerlagen stark gefördert. Nach Biermanns Ausbürgerung distanzierte er sich von der Kulturpolitikder DDR, allerdingsohne die Biermann-Petitionmit zu tragen. Erst 1986 trat er durch seinen Roman Die Mördergrube, der nur in der Bundesrepublikerschienen ist, als kritischer Autor hervor. Vgl. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 323.
men.659 Im März 1979 griff der dänische P.E.N. das P.E.N.-Zentrum DDR scharf an: Die Argumentation, dass Bahro nicht wegen seiner kritischen Schriften, sondern wegen eines Vergehens gegen den DDR-Staat verurteilt worden sei, könne man nicht akzeptieren. Das P.E.N.-Zentrum wurde aufgefordert, sich gezielt für Bahro einzusetzen und ihm die Ausreise in die Bundesrepublik zu ermöglichen: »Please do what you can. Nobody is helped by his staying in prison for seven years.«660 Der Antwortbrief folgte dem bekannten Muster. Keisch stellte das Urteil des Gerichts in Kontrast zu den »Interpretationen und Spekulationen aus tendenziösen Quellen«: »Die Auffassung des Gerichts, die dem Urteil zugrunde liegt, beruht hingegen auf belegten Fakten, Einverständnissen und materiellen Beweisen, die alle Gegenstand des Prozesses waren. Können Sie ernstlich glauben, daß eine Demarche sinnvoll wäre, die das nicht zur Kenntnis nimmt, die stattdessen der Rechtsprechung der DDR ein Willkürurteil unterstellt?«661 Gleichwohl enthielt Keischs Ausführung eine neue Facette. Er unterstellte Bahro eine gezielte Kooperation mit den Gegnern der DDR im Ausland, deren Instrument er geworden sei: »Es handelt sich nicht um Literatur, es handelt sich um politische Aktionen gegen die Verfassung der DDR im Zusammenwirken mit fremden Geheimdiensten. Wie immer man über die jeweiligen Verfassungen denken mag, es gibt keinen Staat, der auf den Schutz der Seinen verzichtet – am wenigsten tut dies bekanntlich die BRD.«662 Die Fürsprache für Bahro, auch der P.E.N. der Bundesrepublik hatte um Unterstützung für ihn nachgesucht, entspringe lediglich einem einzigen Motiv: Das Interesse, das man für Bahro zeigt, gilt also nicht der Freiheit der Literatur. Es gilt nicht einmal der Freiheit Bahros, dem mit dem Rummel um ihn sicher nicht gedient ist. Es gilt – und das trifft auf alle vergleichbaren Fälle zu – seiner Benutzbarkeit für die permanente Stimmungsmache gegen die DDR. Wer Bahro und manchem anderen ernsthaft helfen möchte, muß sich über diese Zusammenhänge klar werden.663
Wiederum verweigerte die Führung des P.E.N.-Zentrums DDR jegliche Unterstützung für einen Autor, der ganz offensichtlich wegen seiner kritischen Haltung gegenüber den herrschenden Bedingungen inhaftiert worden war. Keisch unterstützte die politische Strafverfolgung statt Solidarität mit einem verfolgten Kollegen zu üben. Im Rahmen einer Amnestie, die aus Anlass des 30. Jahrestags der DDR am 7. Oktober 1979 verkündet wurde, kamen fast 22 000 Inhaftierte 659
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Vgl. Minutes of the Meeting of the P.E.N. International Executive Committee held in Barcelona on Friday, 13th October, 1978, S. 9 und Annexe B, S. 4. P.E.N.-Archiv London. Erik Vagn Jensen an Henryk Keisch [20. 3. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Briefwechsel mit Jensen, Erik Vagn 2. Henryk Keisch an Erik Vagn Jensen [1. 6. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Briefwechsel mit Jensen, Erik Vagn 1. Henryk Keisch an Erik Vagn Jensen [1. 6. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Briefwechsel mit Jensen, Erik Vagn 1. Henryk Keisch an Erik Vagn Jensen [1. 6. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Briefwechsel mit Jensen, Erik Vagn 1. 669
frei, darunter dank internationaler Proteste auch Rudolf Bahro; er reiste Mitte Oktober in den Westen aus.664 Die restriktive Kulturpolitik war unterdessen fortgesetzt worden. Im Mai 1978 hatte der Ost-Berliner SED-Chef Konrad Naumann in aller Schärfe vor allem gegen jene Künstler polemisiert, die nach der Biermann-Ausbürgerung die DDR in Richtung Westen verlassen hatten. Sie machten, »statt die jederzeit mögliche offene Diskussion mit Genossen und Kollegen zu suchen, ›Verbesserungsvorschläge‹ für den realen Sozialismus, die sie dann über bürgerliche Massenmedien servieren. Dafür haben sie dann aber noch ein entsprechendes Geldkonto.«665 Auch Hermann Kant, der Anna Seghers als Präsident des Schriftstellerverbandes ablöste, kritisierte die Übersiedlung der DDR-Autoren in die Bundesrepublik als »Rückwärtsbewegung«, »aus sozialistischem Leserland nach Bestseller-Country«666 . Der Exodus der kritischen Intellektuellen und Künstler ging dennoch weiter. Während sich die DDR-Führung im darauf folgenden Jahr außenpolitisch sehr aktiv zeigte und erfolgreich das eigene Prestige in den westeuropäischen Staaten verbessern konnte, verhärtete sich die ideologische Situation im Inneren immer mehr. Das Jahr 1979 wurde zu einem der »finstersten Kapitel[ ] im kulturpolitischen Schwarzbuch der DDR-Geschichte«667 , das auch das P.E.N.-Zentrum DDR in keinem günstigen Licht zeigt. Die DDR-Führung erweiterte 1979 ihr Instrumentarium zur Einschüchterung und Sanktionierung von Schriftstellern um ein Mittel, das bis zu diesem Zeitpunkt in einer solchen Schärfe nicht zum Einsatz gekommen war. Bislang hatten die DDR-Behörden auf die Umgehung des Büros für Urheberrecht (BfU), das 1965 zur Prüfung und Freigabe von Manuskripten für den Druck im Ausland eingerichtet worden war, meist großzügig reagiert. 1979 statuierte man unter dem wachsenden Druck im Inneren ein Exempel. In drei Fällen wurde das 1973 verschärfte Gesetz gegen Devisenvergehen zur Anwendung gebracht. Stefan Heym wurde wegen der Veröffentlichung seines Collin, den er dem langwierigen und von ihm als aussichtslos eingeschätzten Druckgenehmigungsverfahren in der DDR nicht ausgesetzt, sondern direkt im Westen angeboten hatte, am 22. Mai 1979 wegen Verstoßes gegen das Devisengesetz zu einer Geldstrafe von 9 000 Mark verurteilt. Einen Tag später erschien in der Kriminalspalte der Berliner Zeitung eine entsprechende Meldung.668 Gegen Robert Havemann wurde eine hohe Geldstrafe von 10 000 Mark verhängt. Wolfgang Hilbig musste wegen der nicht genehmigten Publikation von anwesenheit 2 000 Mark zahlen. Heym »sah man als Haupt der Widerspenstigen, für ihn schuf man eigens eine ›Lex Heym‹, die ihn und alle künftigen Missetäter mittels eines juristischen Maulkorbs, der die Zensur mit dem Strafrecht koppelte, kriminalisieren und mundtot machen sollte, jedoch, wie oft in der Praxis der poststalinistischen Zau664 665 666 667 668
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Fischer Chronik Deutschland, S. 666. Zitiert nach Fischer Chronik Deutschland, S. 642. Zitiert nach Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 260. Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 7. Vgl. Berbig et al. (Hg.): In Sachen Biermann, S. 27.
berlehrlinge, das Gegenteil bewirkte.«669 Das Urteil gegen Heym, das als deutliche Drohung gegenüber seinen Sympathisanten gemeint war, heizte die innenpolitische Situation weiter auf. Der Prozess gegen Stefan Heym war mit einer gezielten Kampagne in der Presse der DDR vorbereitet worden. Nach der Einleitung des Ermittlungsverfahrens druckte der Sonntag in einer Ausgabe gleich mehrere Angriffe auf Heym und dessen »›ganz privaten Antikommunismus‹ [ab], der die Funktion habe, Stimmung zu machen gegen den Sozialismus, Haß zu erzeugen gegen die DDR, um schließlich in der Frage zu gipfeln: ›Warum bleibt er weiter in der DDR, die er ja in all den Jahren ohne Risiko verlassen konnte?‹«670 Die Intention schien klar; man wollte den unliebsamen Querdenker außer Landes treiben oder, sollte dies nicht gelingen, wenigstens ein abschreckendes Beispiel statuieren. Am Verhandlungstag erschien im Neuen Deutschland jener liebedienerische Brief des staatstreuen Schriftstellers Dieter Noll an Erich Honecker, der Heym, Joachim Seyppel und Rolf Schneider als »kaputte Typen« bezeichnete, die »da so emsig mit dem Klassenfeind kooperieren, um sich eine billige Geltung zu verschaffen, weil sie offenbar unfähig sind, auf konstruktive Weise Resonanz und Echo bei unseren arbeitenden Menschen zu finden«.671 Nolls Angriff auf einen »kleine[n] Klüngel von sogenannten Literaten, der nach seiner Überzeugung »verzweifelt von sich reden machen will, indem er sich vor den Karren des Westfernsehens spannen läßt oder die Partei mit unverschämten offenen Briefen traktiert«672 , zielte einerseits auf Stefan Heym, der den ZDF-Korrespondenten Peter van Loyen eine Erklärung in eigener Sache hatte aufzeichnen lassen.673 Andererseits meinte er die Schriftstellerkollegen Jurek Becker, Klaus Poche, Erich Loest, Adolf Endler, Klaus Schlesinger, Kurt Bartsch, Dieter Schubert und Martin Stade; sie hatten in Reaktion auf die massive Vorgehensweise staatlicher Organe gegenüber den Schriftstellern am 16. Mai einen Brief an Erich Honecker verfasst und an westliche Medien weiter gegeben, der sich kritisch mit der Kulturpolitik der DDR auseinandersetzte:
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Joachim Walther: Die Amputation. Zur Vor- und Nachgeschichte der Ausschlüsse. In: Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 7–24, hier S. 9. Stefan Heym hatte den Begriff der Lex Heym bzw. Lex Collin in einem Interview mit dem Spiegel selbst geprägt. Vgl. »Warum kein Sozialismus mit zwei Parteien?« Der DDR-Schriftsteller Stefan Heym über Abgrenzung und Sozialismus. In: Der Spiegel 44 (1980), S. 54–67, hier S. 55. Zitiert nach Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 10. Vgl. auch [o. V.]: Warten auf Post. Mit einer Propaganda-Kampagne und handfesten Drohungen will die SED den ostdeutschen Schriftsteller Stefan Heym aus dem Land treiben. In: Der Spiegel 21 (1979). Dieter Noll an Erich Honecker[22. 5. 1979].Zitiert nach Walther et. al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 97f., hier S. 97. Walther et. al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 97. [o. V.]: Warten auf Post. Mit einer Propaganda-Kampagne und handfesten Drohungen will die SED den ostdeutschen Schriftsteller Stefan Heym aus dem Land treiben. In: Der Spiegel 21 (1979). 671
Immer häufiger wird versucht,engagierte kritischeSchriftstellerzu diffamieren,mundtot zu machen oder, wie unseren Kollegen Stefan Heym, strafrechtlich zu verfolgen. Der öffentliche Meinungsstreit findet nicht statt. Durch die Kopplung von Zensur und Strafgesetzen soll das Erscheinen kritischer Werke verhindert werden. Wir sind der Auffassung, daß der Sozialismus sich vor aller Öffentlichkeit vollzieht; er ist keine geheime Verschlußsache.674
Der ZDF-Korrespondent wurde aus Ost-Berlin ausgewiesen. Ein entsprechender Kommentar im Neuen Deutschland und anderen Presseorganen der DDR, erschienen am 13. Mai 1979, diffamierte Stefan Heym als »ehemaligen USABürger, der die Staatsbürgerschaft der DDR besitzt«675 . Besorgt wandte sich Christa Wolf, die sich nach der Biermann-Ausbürgerung sukzessive zurückgezogen hatte, am Tag nach Heyms Verurteilung an Henryk Keisch in seiner Funktion als Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums DDR und bat um eine kritische Auseinandersetzung des Präsidiums mit dem Artikel vom 13. Mai: Dieser Kommentar versuchte, einer breiten Öffentlichkeit durch zwielichtige Formulierungen einen sehr weitreichenden Verdacht gegen unser Mitglied Stefan Heym zu suggerieren, indem er Heym als ›ehemaligen USA-Bürger‹ bezeichnete, der mit einem westlichen Korrespondenten einen ›konspirativen Treff‹ gehabt hat. Die Leser […] sind naturgemäß weniger genau als wir über das Leben Stefan Heyms informiert und können nicht wissen, unter welchen Umständen er die Staatsbürgerschaft des Großdeutschen Reiches verlor, das ihm wie den anderen emigrierten deutschen Schriftstellern nach dem Leben trachtete.676
Christa Wolf wusste, dass der scharf zielende Angriff nur der Auftakt einer konzertierten Aktion gegen Heym gewesen war und wünschte doch zugleich, dass es nicht so sei: Ich will nicht hoffen, daß ein Artikel wie der von mir beanstandete darauf angelegt ist, eine Person für politisch-kriminelle Beschuldigungen zu präparieren; dennoch halte ich es für richtig, daß in einem solchen Fall das Präsidium unseres PENZentrums diffamierende Formulierungen zurückweist, denen ein PEN-Mitglied in der Öffentlichkeit ausgesetzt ist, auch dann, wenn einige oder die Mehrzahl der Präsidiumsmitglieder gegen einige Handlungen oder Äußerungen des Betroffenen Vorbehalte haben sollten.677
Wolf beschränkte sich auf einen moralischen Einwand; sie kritisierte Stil und Wortwahl. Vergeblich hatte sie versucht, einen Brief an den Staatsratsvorsitzenden zu formulieren. Kopien ihres Schreibens an Keisch sandte sie jedoch an Hager und Hermlin. Hager antwortete nicht; er ließ sich zunächst weitere Informationen zutragen und erhielt auch einen Durchschlag von Keischs Antwort-
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Zitiert nach Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 65. Zitiert nach [o. V.]: Warten auf Post. In: Der Spiegel 21 (1979). Vgl. auch Walther: Protokoll eines Tribunals, S. 10. Christa Wolf an Henryk Keisch [23. 5. 1979]. ]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Briefwechsel mit Christa Wolf 3. Christa Wolf an Henryk Keisch [23. 5. 1979].]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Briefwechsel mit Christa Wolf 3.
schreiben an Wolf.678 Keisch schrieb am 1. Juni 1979, nachdem sich die Situation bereits weiter zugespitzt hatte. Auch er nahm kaum Bezug zur Sache. Vielmehr wurde Christa Wolf selbst zur Zielscheibe seines Angriffs. Die Bedenken wegen Heyms Behandlung in der DDR ließ er nicht gelten; er hege »keine Befürchtungen von der Art, wie Du sie andeuten zu müssen glaubst.«679 Mit perfider Argumentation versuchte Keisch, die sich sorgende Wolf in die Ecke der Staatsgegner abzudrängen, ihr die Parteinahme für die falsche Seite unterzuschieben: [I]ch wundere mich ein bißchen über das Mißverhältnis zwischen der Empfindlichkeit für einen falschen Ton, die Du in diesem Fall beweist, und Deinem Schweigen angesichts unzähliger Maßlosigkeiten, Verdächtigungen, Verleumdungen und Pöbeleien aus der Feder oder dem Munde einiger Kollegen (darunter Stefan Heym), die sich gegen Staat, Gesellschaft, Einzelpersonen in der DDR richten und von den westdeutschen Publikationsmedien verbreitet wurden. Was diffamierende Formulierungen angeht, denen ein PEN-Mitglied in der Öffentlichkeit ausgesetzt wird, so könnte ich mindestens eine nennen, bei der Du versäumt hast, zu fordern, das Präsidium solle sie zurückweisen. Sie betraf den Generalsekretär unseres Zentrums und war in ausdrücklichem Zusammenhang mit dessen Funktion in der ›Zeit‹ enthalten. Empfindlichkeiten auf der einen, Indifferenz auf der anderen Seite, das ist nicht mehr überzeugungskräftig.680
Dass mit dem Führungsduo des P.E.N.-Zentrums DDR keine konzertierte Kritik an der Behandlung unbequemer Schriftsteller durch die kulturpolitischen Instanzen zu initiieren war, sprach aus diesen Zeilen unmissverständlich. Keischs Schreiben lässt vielmehr darauf schließen, dass den kritischen Geistern im P.E.N.-Zentrum DDR kein weiterer Raum für Diskussion gegeben werden sollte. Eine Aussprache über Heym gab es im Rahmen des P.E.N. nicht; er brachte sich späterhin jedoch selbst ins Gespräch. Wolf indes ließ sich von Keisch nicht mundtot machen; sie wies ihn in einer kurzen Antwort zurecht. Die Grundlage ihrer Meinungsbildung sah sie in der generellen Beurteilung eines Sachverhaltes – unabhängig von der ideologischen Ausprägung der Berichterstattung. Zwar ließ sie keinen Zweifel an ihrer Identifikation mit dem eigenen Staat. Moralische Verfehlungen wogen hier aber doppelt schwer: Ich »empfinde eine besondere Verantwortung für das, wenn in u n s e r e r Presse Verdächtigungen, Verleumdungen z. B. von Kollegen gedruckt werden – das, was Du ›falsche Töne‹ nennst. Wenn ich kann, sage ich dazu meine Meinung. Diese Presse habe ich abonniert, im Gegensatz zu den Presseerzeugnissen, auf deren sicherlich nicht selten diffamierende Formulierungen Du mich hinweisen zu müssen glaubst: […] Wenn ich Kenntnis bekomme von derartigen Erzeugnissen, so reagiere ich durchaus – nicht so empfindlich wie bei der einheimischen Presse: ich erwarte dort nichts anderes und trage dafür keine Ver-
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Henryk Keisch an Kurt Hager [1. 6. 1979]. SAPMO-BArch vorl. SED 25884. Henryk Keisch an Christa Wolf [1. 6. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Schriftwechsel 1975–1979/Briefwechsel mit Christa Wolf 4. Henryk Keisch an Christa Wolf [1. 6. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Schriftwechsel 1975–1979/Briefwechsel mit Christa Wolf 4. 673
antwortung.«681 Auch wenn Christa Wolf in einen Dialog mit Keisch eingetreten war, so hatte sie doch begriffen, dass eine fruchtbringende Verständigung in kulturpolitischen Fragen mit ihm aussichtslos war: »Die Meinungsverschiedenheiten, die in der Beurteilung bestimmter Vorgänge sicherlich zwischen uns bestehen, liegen nicht auf dem Gebiet der Empfindlichkeit für falsche Töne.«682 Sie gründeten auf dem unüberwindbaren Dissens zwischen einem linientreuen Parteifunktionär und einer kritischen sozialistischen Autorin, deren Gespür für die Fehleinschätzungen der politischen Führung nicht verkümmert war. Neben der unmissverständlichen Kritik der acht Briefschreiber an den Zensurmaßnahmen der DDR-Behörden wirkt Wolfs Intervention verhältnismäßig bescheiden. Das Schreiben von Becker, Loest, Endler und den anderen Unterzeichnern provozierte eine erneute Eskalation der kulturpolitischen Situation, bei der »die Interessenvereinigung der Autoren, der Schriftstellerverband, eine unrühmliche, ja sogar der Staatsmacht sekundierende Rolle«683 spielte. Am 23. Mai wies das Präsidium des Schriftstellerverbandes »mit aller Entschiedenheit die Kampagne westlicher Medien und einiger Leute, die ihre Mitgliedschaft im Schriftstellerverband mißbrauchen, zurück, die auf eine Verleumdung der DDR-Kulturpolitik gerichtet ist.«684 Der Vorstand des Schriftstellerverbandes tagte am 30. Mai und forderte die Bezirksverbände explizit auf, in eine Auseinandersetzung mit den Unterzeichnern des Briefes zu treten. Das richtungweisende Grundsatzreferat des Präsidenten, Hermann Kant, erschien anderntags ganzseitig im Neuen Deutschland ; es führte die Delinquenten namentlich vor. Der Berliner Bezirksverband des Schriftstellerverbandes rechnete in der Folge nicht nur mit den ihm angehörenden Petenten, sondern zugleich mit einigen weiteren missliebigen Mitgliedern ab. In enger Abstimmung mit der Abteilung Kultur des ZK der SED, der HV Verlage und Buchhandel und dem Ministerium für Staatssicherheit inszenierte der Berliner Bezirksverband eine perfekte »Mischung aus Parteiverfahren und Schauprozeß«685 , um ein spektakuläres Urteil zu fällen: Die Mitgliederversammlung, die am 7. Juni 1979 im Ost-Berliner Roten Rathaus zusammenkam, schloss die Briefschreiber Bartsch, Endler, Poche, Schlesinger und Schubert sowie außerdem Heym, Karl-Heinz Jakobs, Rolf Schneider und Joachim Seyppel aus dem Schriftstellerverband aus. Ein Ausschluss von Becker und Stade war nicht nötig, weil nicht mehr möglich; sie gehörten schon seit 1977 beziehungsweise 1978 dem Verband nicht mehr an. Loest war dem Leipziger Bezirks681
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Christa Wolf an Henryk Keisch [17. 6. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Briefwechsel mit Christa Wolf 1. Christa Wolf an Henryk Keisch [17. 6. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Briefwechsel mit Christa Wolf 1. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 259. Information über die Sitzung des Präsidiums des Schriftstellerverbandes der DDR am 23. Mai 1979 in Berlin. Abgedruckt in: Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 99f., hier S. 99. Zitiert nach: Zu diesem Buch. In: Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 2.
verband zugehörig; er erhielt dort eine strenge Rüge. Für seinen Ausschluss hatte sich in Leipzig jedoch keine Mehrheit gefunden. Die Veranstaltung in Ost-Berlin war manipuliert: Die Rednerliste stand im Vorhinein fest. Die Ausschlüsse, über die entschieden werden sollte, waren längst beschlossen. Günter de Bruyn erinnert sich: »Es gab strenge Einlasskontrollen, Stasi-Wächter auf Treppen und Gängen und im Saal, neben Partei-, Stadt- und Staatsfunktionären, viele unbekannte Gesichter; durch sie wurde wohl das Heer der Claqueure verfügt. Obwohl man sich der Fügsamkeit der Massen sicher sein konnte, war alles auf Einschüchterung angelegt.«686 An der Stimmberechtigung mancher Anwesender darf gezweifelt werden. Von den Anwesenden stimmten schließlich etwa 250 für den Ausschluss, nur ca. 50 dagegen. Genaue Zahlen existieren nicht. Die Verantwortlichen hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Gegenstimmen und Enthaltungen zu zählen. Stephan Hermlin wagte als einziger, sich in seinem Wortbeitrag im Vorfeld der Abstimmung gegen die drakonische Disziplinierungsmaßnahme zu wenden: Ein Verein, ein Verband besitzt Statuten, die man achten und einhalten soll. Aber man sollte Statuten auch nicht zu einem Götzen machen, vor dem man sich in den Staub zu werfen hat. Man sollte mit dem Stolz, meinetwegen auch mit dem Trotz der Menschen rechnen. Man sollte in unserem Verband freimütig diskutieren, man sollte nur danach streben zu überzeugen, sonst könnte es geschehen, daß wir schließlich mehr Statuten, aber weniger Schriftsteller besitzen. Ich weiß, daß ich da zu manchem rede wie zu einer Wand, das sind jene, die Verluste nicht hoch achten, die sie manchmal, einige, vielleicht erhoffen, weil sie die naive Erwartung haben, ihre eigene Geltung würde vermehrt, wenn andere nichts mehr gelten. Aber ich möchte doch hoffen, daß es sich dabei um sehr wenige handelt. Liebe Kollegen, ich fordereSie auf, niemanden auszuschließen(Beifall ) und auch keine Bedingungen zu schaffen, die Ausschlüsse gewissermaßen automatisch nach sich ziehen. Dies wäre nicht das Ende unserer Sorgen, sondern vielmehr der Beginn der nächsten Schraubendrehung. Wir haben die Pflicht, im dreißigsten Jahr der Republik nicht das zu tun, was unsere Gegner zufriedenstellen würde.687
Andere Gegner des Ausschlussverfahrens, wie etwa Joachim Walther, ließ man gar nicht erst zu Wort kommen. Am selben Tag schrieb Franz Fühmann resigniert an Hermlin: »Ich bin der tiefen Überzeugung, daß wir auf verlorenem Posten stehen; nun ja.«688 Gegen die Maßnahmen des Schriftstellerverbands, der zu einem Instrument parteipolitischer Schikane verkommen war, erhob sich im Nachgang der Mitgliederversammlung vereinzelter Protest von Schriftstellerkollegen. Das Präsidium des Schriftstellerverbandes erhielt Briefe, die forderten, »den Beschluß des B[ezirks]V[erbandes] Berlin vom 7. 6. nicht zu bestätigen«689 . Neben den P.E.N.Mitgliedern Günter de Bruyn, Christa Wolf, Franz Fühmann, Ulrich Plenzdorf 686 687 688
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Günter de Bruyn: Vierzig Jahre. Ein Lebensbericht. Frankfurt am Main 1996, S. 227. Zitiert nach Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 58. Franz Fühmann an Stephan Hermlin [23. 5. 1979]. DLA A: Stephan Hermlin, Briefe an Hermlin. Zitiert nach: Zeittafel. In: Chotjewitz-Häfner et al. (Hg.): Biermann-Ausbürgerung, S. 29. 675
und Rainer Kirsch meldeten sich Kita Lorenc, Wulf Kirsten und Elke Erb zu Wort.690 Günter de Bruyn, der in Absprache mit Wolf und Fühmann geschrieben hatte, solidarisierte sich in seinem Schreiben mit Hermlins Rede. Er mahnte die weit reichenden Folgen des Beschlusses über die Ausschlüsse an: Er schädigt das Ansehen des Verbandes in der Öffentlichkeit und vertieft Zwistigkeiten unter den Mitgliedern. Er löst keine Probleme, sondern reißt nur neue auf. Die (in meinen Augen traurige) Tatsache, daß er die Zustimmung der Mehrheit gefunden hat, entfremdet die (literarisch nicht unwichtige) Minderheit noch weiter von ihrer Organisation. Ich fürchte, daß in diesem Fall die Macht siegt, nicht aber die Klugheit. Nicht nur mir, sondernauch anderen[…] wird sich die Frage aufdrängen,ob sich unter diesen Umständen eine weitere Mitarbeit im Verband noch lohnt.691
Im Rückblick urteilte er kritisch, seine briefliche Aufforderung habe »nur die Drohung eines eventuellen Austritts […], nicht aber eine Austrittserklärung [enthalten]. Die Klugheit, oder anders betrachtet: das Ruhebedürfnis hatte gesiegt.«692 Auch Christa Wolf warnte in einem »ernst gemeinten, von schwerer Sorge diktierten Appell« vor den »verhängnisvollen Folgen« der Ausschlüsse: Nicht nur für die Betroffenen, auch für den Verband, für unser kulturelles Leben, für jeden einzelnen von uns. Menschen von sich zu entfernen ist immer einfacher, als sich mit ihnen auseinanderzusetzen und dabei Gefahr zu laufen, auch die eigene Meinung teilweiserevidieren zu müssen. Ausschlußverfahrensind keine Mittel, Widersprüche zu erkennen und zu lösen, aber ein ziemlich sicheres Rezept, die Polarisierung im Verband weiterzutreiben. Anstatt jene Kollegen vor die Alternative zu stellen: Widerruf oder Bestrafung!, würde ich es nützlicher finden, nach ihren Motiven zu forschen und den Konflikten auf den Grund zu gehen, die auch viele von uns immer schärfer erleben.693
Wolf mahnte an, noch einmal das Gespräch mit den Ausgeschlossenen zu suchen. Was Wolf als potenzielle Stärkung der Autorität und des Ansehens von Präsidium und Präsident wertete, wurde von den Vorstandsmitgliedern aus Angst vor vermeintlicher Schwäche abgelehnt. Im Sekretariat des Schriftstellerverbands wurde Mitte Juni 1979 eine entsprechende Reaktion festgelegt: Mit allen Briefschreibern, die auf den Beschluss vom 7. Juni 1979 mit Kritik reagiert hatten, sei ein Gespräch zu führen, das »ihnen Klarheit verschafft […] über die Konsequenzen ihrer Solidarisierung.«694 Dokumentiert ist in den Akten der Abteilung Kultur beim ZK der SED etwa das Ergebnis eines Gesprächs mit Christa Wolf. Im Juni 1979 schickte die Partei einen Genossen zu Wolf, um sie zum Einlenken zu bewegen. Das Gespräch nahm nicht den Verlauf einer »schroffe[n] Konfrontation«695 , sondern den eines Gesprächsversuchs. Wolfs Vorbehalte konzentrierten sich auf den fehlerhaften 690 691
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Chotjewitz-Häfner et al. (Hg.): Biermann-Ausbürgerung, S. 29 und S. 251. Günter de Bruyn: Brief vom 9. Juni 1979. In: Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 114f. Bruyn, S. 228. Christa Wolf: Brief vom 10. Juni 1979. In: Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 116f. Chotjewitz-Häfner et al. (Hg.): Biermann-Ausbürgerung, S. 29. Magenau: Christa Wolf, S. 313.
Umgang der politischen Führung mit Kritik und das mangelnde Zugeständnis von öffentlicher Auseinandersetzung in der DDR; letztere hatte Wolf schon nach der Biermann-Ausbürgerung beklagt. Christa Wolf gab ihre »tiefe Resignation«696 angesichts der gesellschaftlichen Lage zu erkennen; sie sah für sich selbst nur noch »die Möglichkeit, sich zurückzuziehen und sich nicht mehr zu äußern.«697 Schon in ihrem Brief an den Schriftstellerverband hatte sie ihren Rückzug angekündigt. Tatsächlich nahm sie erst 1988 wieder an einem Kongress des Schriftstellerverbandes teil.698 Dieser Versuch, mittels »stiller Diplomatie«699 etwas zu bewirken, wurde Christa Wolf nach 1989 heftig vorgeworfen. Sicherlich kann an dieser Haltung Kritik geübt werden. Wolfs Biograph Jörg Magenau bringt indes einen berechtigten Einwand vor: »In der Gesprächsnotiz vom 13. Juni 1979 jedoch den ›Kriechgang einer letztendlich zur Instrumentalisierung durch das SED-Regime bereiten Genossin‹ zu erkennen, wie das Jürgen Serke Anfang 1991 in der ›Welt‹ tat, sagt mehr über die Atmosphäre der Wendezeit aus als über Christa Wolfs Verhalten in der DDR.«700 Trotz massiver Proteste, die auch aus dem Ausland einliefen, bestätigte das Präsidium des Schriftstellerverbandes den Ausschluss der neun Autoren vom 7. Juni 1979 wegen groben Verstoßes gegen das Statut des Verbandes einstimmig – der Beschluss wurde rechtskräftig.701 Einen Tag später erschien eine entsprechende ADN-Meldung in den Zeitungen der DDR. Eine gezielte Propaganda im Sonntag folgte, die den Beschluss des SV-Präsidiums mit einer Flut von Zustimmungen aus der Literatur- und Kulturszene als eine notwendige und richtige Maßnahme zu untermauern suchte. Die Protestbriefe gelangten nicht an die Öffentlichkeit.702 Obgleich das P.E.N.-Zentrum DDR direkt von den Ausschlüssen betroffen war, meldete es sich als Institution nicht zu Wort. Von den ausgeschlossenen Autoren gehörten Stefan Heym, Rolf Schneider und Joachim Seyppel dem P.E.N.-Club an. Zwar erreichten die Nachfragen aus dem Ausland auch das P.E.N.-Zentrum DDR. Deren Beantwortung oblag wiederum Henryk Keisch, der in altbewährter Manier jeglichen Einwand gegen die demonstrative Disziplinierungsmaßnahme eines ad absurdum geführten Interessenverbandes aufzulösen suchte. In einem Antwortbrief an den dänischen P.E.N. hob Keisch die aus seiner Sicht fehlerhafte Einschätzung von Ursache und Wirkung der Ausschlüsse hervor: Es trifft nicht zu (und es ist zumindest ein Irrtum, in vielen Fällen auch eine bewußte Lüge), wenn behauptet wird, die Ausschlüsse aus dem Schriftstellerverband seien 696 697 698 699 700 701
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Magenau: Christa Wolf, S. 313. Magenau: Christa Wolf, S. 313. Magenau: Christa Wolf, S. 312. Magenau: Christa Wolf, S. 313. Magenau: Christa Wolf, S. 313f. Vgl. Walther: Die Amputation. Zur Vor- und Nachgeschichte der Ausschlüsse. In: Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 7–24, hier S. 9. Chotjewitz-Häfner et al. (Hg.): Biermann-Ausbürgerung, S. 29. 677
durch die literarische Tätigkeit der betreffenden Autoren verursacht, und sie hätten zur Folge, daß die Betreffenden nicht mehr das Recht hätten, in der DDR zu veröffentlichen. Hier die von jedermann leicht zu kontrollierenden Tatsachen: Nach wie vor findet man die Bücher der ausgeschlossenenAutoren in den Buchhandlungen,für neue Manuskripte, die sie in Zukunft vorlegen, gelten ohne jeden Unterschied die gleichen Kriterien und Regeln wie für alle Manuskripte aller Autoren in der DDR.703
Zwar bedeutete der Ausschluss aus dem Schriftstellerverband tatsächlich kein vollständiges Berufsverbot für die betroffenen Autoren. De facto mussten sie aber mit der starken Einschränkung ihrer Publikationsmöglichkeiten in der DDR rechnen. In Hinsicht auf die bereits druckgelegten Werke hatte der Leiter der HV Verlage und Buchhandel, Klaus Höpcke, versucht, eine Art Schadensbegrenzungspolitik zu betreiben und in Gesprächen mit Verlagen und Buchhandel dafür plädiert, vorhandene Bücher der ausgeschlossenen Autoren auch künftig der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.704 Die Situation der gebrandmarkten Schriftsteller entschärfte dies nur unwesentlich. »Warum bleiben?« – diese grundsätzliche Frage mussten sie sich stellen in einem Land, in dem die politische Führung jeglichen öffentlichen Meinungsstreit kategorisch ablehnte und gegebenenfalls mit drakonischen Gegenmaßnahmen unterband. Kurt Bartsch, Karl-Heinz Jakobs, Klaus Poche, Joachim Seyppel und Klaus Schlesinger verließen in den Monaten nach dem Ausschluss die DDR. Stefan Heym, Rolf Schneider, Dieter Schubert und Adolf Endler blieben; sie hatten »jedoch diverse, individuell differenzierte Schikanen und Sanktionen zu ertragen wie: Visa-Verweigerung, Paßentzug […], gravierende Behinderungen ihrer Publikationsmöglichkeiten bis hin zur generellen Verbannung ihrer Bücher aus ihren bisherigen Verlagen.«705 Als aufschlussreich für die Einschätzung der Haltung, die der Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums DDR gegenüber den kritischen Geistern der Republik einnahm, erweist sich auch ein Brief an den bundesdeutschen Generalsekretär Martin Gregor-Dellin; dieser hatte in Reaktion auf die Anklagen gegen Heym, Havemann u. a. eine behutsame Anfrage an Keisch gerichtet.706 Keisch beschrieb mit Bezug auf die Vorgänge im Schriftstellerverband die Auseinandersetzung »zwischen bestimmten DDR-Autoren auf der einen, dem Großteil ihrer Kollegen sowie gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen auf der anderen Seite« als einen notwendigen und heilsamen »Prozess sachlicher Klärung«707 . Dabei ging es in seinen Augen nicht darum, mit den Regimekritikern ein offe703
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Henryk Keisch an Erik Vagn Jensen [9. 7. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Danish PEN 1. Vgl. Chotjewitz-Häfner et al. (Hg.): Biermann-Ausbürgerung, S. 177–179. Walther: Die Amputation. Zur Vor- und Nachgeschichte der Ausschlüsse. In: Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 7–24, hier S. 21. Martin Gregor-Dellin an Henryk Keisch [10. 5. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Schriftwechsel 1975–1979/Henryk Keisch/Briefwechsel mit Gregor-Dellin 3. Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [1. 6. 1979].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Henryk Keisch/Briefwechsel mit Gregor-Dellin 1.
nes Gespräch zu suchen. Das Ziel der Konfrontation sah Keisch in der deutlichen Distanzierung von jenen, die sich nicht loyal gegenüber dem Staat verhielten; es bestehe »in der Herstellung neuer Klarheit und Gemeinsamkeit zwischen Gleichgesinnten«708 , zwischen den treuen Anhängern des Regimes. Eine einvernehmliche Verständigung mit den notorischen Kritikern des Systems, »die ihren Kollegen, der Gesellschaft der DDR und dem Staat Schwierigkeiten bereiten und sich dafür Kritik gefallen lassen müssen«709 , schien für ihn indiskutabel. Er ging soweit, die im Westen publizierenden Autoren als Störenfriede einer Verständigung zwischen östlicher und westlicher Machtsphäre zu charakterisieren, die den Gegnern der Entspannung Argumente lieferten: Vor dem Hintergrunddes weltgeschichtlichen Antagonismus, der unsere Epoche kennzeichnet und in der den beiden deutschen Staaten als den vorgeschobenen Posten der großen politischenund militärischen Verständigungeine besondere Verantwortung für die Aufrechterhaltung eines dem Frieden und der Verständigung förderlichen Klimas zufällt, wollen und suchen sie den Konflikt, provozieren sie ihn mit Bedacht, nähren sie ihn unentwegt im Zusammenspiel mit allem, was in der Bundesrepublik zur Wiederbelebung des kalten Kriegs drängt. Es ist ein Konflikt nicht literarischer, es ist ein Konflikt politischer Natur. Sie wollen angeblich eine andere, eine bessere, dem Sozialismus gemäßere DDR. Glauben sie die zu erreichen im Bündnis mit Leuten, die gar keine DDR wollen?710
Das Hauptkriterium für die Übernahme eines DDR-Autors in das Programm eines bundesdeutschen Verlags sei ein entscheidendes Verdachtsmoment: Dissidententum. Wer indes der vorgegebenen Linie der Partei nicht folgen mochte, sollte sich getrost distanzieren – ob gezwungen oder ungezwungen. Dies galt für den SV – und zweifelsohne auch für die Staatsbürgerschaft der DDR: Der Schriftstellerverband ist eine Organisation, keine Behörde. Er hat ein Statut, und er hat ein Programm. Aus dem Programm und dem Statut geht hervor, daß er eine Vereinigung von sozialistischen Schriftstellernist, die auf ihre Weise und mit ihren Mitteln an der in der DDR herrschenden gesellschaftlichen und politischen Ordnung mitwirken wollen. Wer dies nicht will, braucht nicht einzutreten, kann austreten und im Konfliktfall ausgeschlossen werden.711
Keischs Haltung stimmte selbstverständlich überein mit der Position, die das Präsidium des Schriftstellerverbandes schon in seiner Information vom 23. Mai 1979 eingenommen hatte: Ein Verbandsmitglied, das mit öffentlich bekundetem Vorsatz geltendes Recht bricht, kann nicht erwarten, daß sich der Verband in dem von ihm gewollten Konflikt auf seine Seite stellt. Gesetzestreue ist von jedem Staatsbürger gefordert, also auch von 708
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Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [1. 6. 1979].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Henryk Keisch/Briefwechsel mit Gregor-Dellin 1. Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [1. 6. 1979].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Henryk Keisch/Briefwechsel mit Gregor-Dellin 1. Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [1. 6. 1979].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Henryk Keisch/Briefwechsel mit Gregor-Dellin 1. Henryk Keisch an Erik Vagn Jensen [9. 7. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Danish PEN 1. 679
jedem Schriftsteller. Wer Loyalität aufkündigt, kann in dieser Sache nicht unsere Solidarität haben. Der Schriftstellerverband begreift sich als eine sozialistische Organisation in einer sozialistischenGesellschaft. Hieraus ergeben sich seine Möglichkeitenund Pflichten. Wer diese verletzt, schränkt jene ein und stört das Vertrauensverhältnis, auf dem die BeziehungenzwischenVerband und Gesellschaftberuhen. […] Dieses Bündnis lassen wir uns von niemandem gefährden.712
Die quantitativen und qualitativen Verluste, die die DDR-Literatur infolge der rigiden kulturpolitischen Linie zu verzeichnen hatte, schienen Keisch nicht zu schmerzen; er befand sich in Übereinstimmung mit dem »amtliche[n] Urteil über den bis 1979 erfolgten Künstlerexodus […], der an sich gesunde DDRVolkskörper habe sich durch die ›schmerzlose Amputation erkrankter Glieder‹ regeneriert.«713 Von einer Einflussnahme auf die zum Abschluss gekommenen Prozesse im Schriftstellerverband der DDR distanzierte sich Keisch gegenüber dem Dänen Erik Vagn Jensen deutlich: »Der Schriftstellerverband der DDR und das PENZentrum DDR sind zwei verschiedene Organisationen mit verschiedenen Aufgaben und Zielsetzungen. Das PEN-Zentrum DDR hat keinen Anlaß, in die Auseinandersetzung zwischen dem Schriftstellerverband und einigen seiner bisherigen Mitglieder einzugreifen.«714 Mehr noch: Keisch sah sich als führender Kopf des P.E.N.-Zentrums DDR dazu berufen, die repressive Kulturpolitik eines diktatorischen Systems vorbehaltlos zu bejahen und gegen jegliche Kritik von außen in Schutz zu nehmen. Eine im Sinne der Partei »positive[ ] Beeinflussung« der Delinquenten durch das P.E.N.-Zentrum DDR schien nach Einschätzung von Fritz Rudolf Fries jedoch kaum wahrscheinlich: »Erstens sind sie nicht allein im PEN, zweitens ist das PEN-Zentrum in den letzten Jahren völlig müde geworden und drittens sind Kamnitzer und Keisch Gallionsfiguren. Die ehemals hemmungslose Diskussion im PEN-Zentrum ist seit einigen Jahren nicht mehr vorhanden.«715 Doch dieses Mal kam die Führung des P.E.N.-Zentrums DDR auf internationaler Ebene mit ein paar Briefen nicht davon. Während die Ausbürgerung Biermanns auf der nachfolgenden Tagung des internationalen Exekutivkomitees zwar zur Sprache kam, aber nicht mit einer konkreten Maßnahme beantwortet wurde, setzte sich das bundesdeutsche P.E.N.-Zentrum auf dem Kongress in Rio de Janeiro (Juli 1979) mit einer scharfen Resolution durch. Die mit Unterstützung des schwedischen P.E.N. spontan eingebrachte Entschließung klagte ganz 712
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Information über die Sitzung des Präsidiums des Schriftstellerverbandes der DDR am 23. Mai 1979 in Berlin. Zitiert nach Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 99f., hier S. 100. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 262. Henryk Keisch an Erik Vagn Jensen [9. 7. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Schriftwechsel 1975–1979/Danish PEN 1. Gerhard Hoffmann [Oberleutnant, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Information zu Reaktionen über die Ausschlüsseaus dem Schriftstellerverbandder DDR im Juni 1979 [10. 7. 1979].BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/I, Bl. 251f., hier Bl. 252.
ˇ allgemein die Situation der Menschenrechte in der DDR und der CSSR an und brachte zugleich deutlichen Protest gegen die jüngsten kulturpolitischen Entwicklungen in beiden Ländern zum Ausdruck: The P.E.N. Centre of the Federal Republic of Germany feels urged to draw the attention of all delegates to this Congress as well as of the public to two developments which can observed in the middle Europe. We believe them to fall within the borderlines of the writers in prison discussion. We are deeply concerned about these tendencies, since they are bound to threaten the good understanding and mutual respect between nations (Article 3 of the Charter) and the unhampered transmission of thought and freedom of expression (Article 4 of the Charter). We refer to the latest development in the German Democratic Republic where – by setting up special currency regulations and applying them repressively to wellknown writers such as Robert Havemann and Stefan Heym; – by threatening with imprisonment unauthorised dispatch of manuscripts; – by forbidding travel abroad; – by expelling colleagues from the writers’ association of the GDR (which in practice means restricting their means of publishing in their own country) freedom of expression becomes more and more affected. At the same time we refer to the forthcoming trial in the CSSR, for which preparations are under way at present,against ten civil-rights-defendants,among them Vaclav Havel who was arrested again recently. In almost all cases the charge ›subversive activities‹ is based on the distribution of literary or musical products within the CSSR or adjacent countries. International P.E.N. is called upon to protest against these increasingattacks from freedom of expression and to inaugurate whatever measures the P.E.N. Executive deems apt and possible for the help and support of the colleagues concerned.716
Dieser Textentwurf fand rege Zustimmung unter den Delegierten der Exekutive. Was die offiziellen Delegierten des P.E.N.-Zentrums DDR, Keisch und Wiens, den Vorwürfen entgegenzuhalten hatten, überzeugte nicht. Wiens mühte sich, die Resolution als ein Produkt ideologischer Kriegführung darzustellen. Mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung des Schriftstellers habe dies nichts zu tun. Während Wiens zumindest ansatzweise auf die Inhalte der Resolution einzugehen versuchte, erstickte Keisch eine effektive Diskussion im Keim: »He dismissed the facts given in the resolution as inexact, incomplete and tendentious.«717 Die schwachen Versuche, die in der Resolution enthaltenen Vorwürfe zu entkräften, verhinderten die Annahme der Resolution mit 29 zu vier Stimmen bei fünf Enthaltungen nicht.718 Die Position der anwesenden DDR-Vertreter war
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Zitiert nach: Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Rio de Janeiro on 16th, 17th , 19th and 20th July, 1979, S. 25. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Rio de Janeiro on 16th, 17th , 19th and 20th July, 1979, S. 27. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Rio de Janeiro on 16th, 17th , 19th and 20th July, 1979, S. 25f. P.E.N.-Archiv London. 681
deutlich geworden; sie waren nicht bereit, auch nur ein »kleines bißchen Solidarität«719 für ihre unterdrückten Schriftstellerkollegen aufzubringen. Gleichwohl war die Atmosphäre auf dem P.E.N.-Kongress nicht von grundsätzlicher Ablehnung der DDR-Delegierten geprägt: Das P.E.N.-Zentrum DDR hatte eine Resolution eingebracht, die die amerikanisch-russischen AbrüstungsVerhandlungen (SALT) als wichtigen Beitrag zur Erhaltung des Friedens in der Welt begrüßte. Das bundesdeutsche P.E.N.-Zentrum unterstützte das Anliegen ausdrücklich. Außen stehende Beobachter machten die zustimmende Haltung der bundesdeutschen Delegierten als wesentliche Ursache für die fast einstimmige Verabschiedung der Entschließung durch die Exekutive aus: »Die Tatsache, daß hier die beiden deutschen Abordnungen einmal nicht gegeneinander votierten, fand starke Zustimmung.«720 Auch Ingeborg Drewitz, die sich seit Jahren für eine deutsch-deutsche Verständigung stark machte, bekräftigte die Aussagekraft der gemeinsam getragenen Verlautbarung: »Eine gemeinsame Erklärung beider deutscher Delegationen zum SALT-Abkommen bringt zum Ausdruck, daß hier auf dem internationalen Forum keine deutsch-deutschen Querelen ausgetragen werden«.721 Drewitz ließ aber keinen Zweifel daran, dass die »Sorge um [die] Schriftstellerkollegen in der DDR tief beunruhig[e].«722 In der DDR sollte die Nachbereitung des Rio-Kongresses Anfang Oktober 1979 im Rahmen einer Veranstaltung erfolgen, zu der alle Mitglieder des P.E.N.Zentrums DDR eingeladen waren. Es erschienen, außer den Berichterstattern Keisch und Wiens lediglich zwei Geladene: Ernst Schwarz und – ausgerechnet Stefan Heym, der in die DDR-internen Konflikte tief verstrickt war. Was von Keisch und Wiens wohl als Klagestunde über die »deutliche Zunahme bzw. Verstärkung der antisozialistischen und antisowjetischen Aktivitäten reaktionärer Kräfte im Internationalen P.E.N.«723 geplant war, geriet zu einer massiven Anklage gegen das P.E.N.-Zentrum DDR. Die vorausgegangenen, demonstrativ ergriffenen Disziplinierungsmaßnahmen, die gegenüber Heym zur Anwendung gekommen waren, hatten diesen nicht zum Schweigen gebracht; er forderte von Keisch eine klare Aussage über die Reaktion des P.E.N.-Zentrums DDR auf die internationalen Proteste gegen die Devisenverfahren und die Ausschlüsse aus dem Schriftstellerverband und verlangte Einsicht in dessen Antwortschreiben. Eine besondere Brisanz erhielt Heyms kategorische Forderung nach Aushändigung der Briefe durch die Anwesenheit der niederländischen Autorin Maria Dickmann, die auf Einladung des Ministeriums für Kultur an 719
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Susanne Ulrici: Kulturexport nach Brasilien. Impressionen vom Internationalen PENKongreß in Rio de Janeiro. In: Mainzer Allgemeine Zeitung vom 31. 7. 1979. Uwe Friesel: Dem Wort die Wirklichkeit.Zum Weltkongreßdes PEN in Rio de Janeiro. In: Stuttgarter Zeitung vom 11. 8. 1979. Ingeborg Drewitz: Zwischen Bankpalästen und Elendsquartieren. Impressionen vom PEN-Kongreß in der Stadt unterm Zuckerhut. In: Der Tagesspiegel vom 29. 7. 1979. Ingeborg Drewitz: Zwischen Bankpalästen und Elendsquartieren. Impressionen vom PEN-Kongreß in der Stadt unterm Zuckerhut. In: Der Tagesspiegel vom 29. 7. 1979. [Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Bericht [27. 9. 1979]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/3, Bl. 313–315, hier Bl. 313.
einem Übersetzerseminar in der DDR teilnahm. Sollte sie Zeuge einer scharfen kulturpolitischen Auseinandersetzung werden? Auf Keischs strikte Weigerung, Einsicht in die Briefe zu gewähren, reagierte Heym mit einer generellen Bewertung der Situation in der DDR. Das Verfahren gegen ihn »werte er als die Einleitung einer ganzen Reihe von Repressalien. So verletze die DDR die Menschenrechte in grober Form, in dem persönliche Freiheiten durch administrative Maßnahmen immer weiter eingeschränkt werden.«724 Eine konstruktive Diskussion mit dem vielfach von Restriktionen betroffenen Heym zuzulassen, empfand Keisch »auf Grund dessen provokativen und unsachlichen Verhaltens unzweckmäßig«725 und brach die Veranstaltung ab. Schon wenige Tage zuvor hatte Stefan Heym den Rahmen des P.E.N. gezielt genutzt, um seine Kritik an den aktuellen Entwicklungen in der DDR nach außen zu tragen. Ende September hatte in den Räumen des P.E.N.-Zentrums ein Literaturabend mit der Präsidentin des serbischen P.E.N., Jara Ribnikar, stattgefunden, die auf Einladung des Schriftstellerverbandes in der DDR weilte; sie las aus autobiographischen Werken. Der Besuch der P.E.N.-Mitglieder war gewohnt dürftig. Erschienen waren Heinz Kamnitzer, Henryk Keisch, Paul Wiens, Walter Kaufmann, Stephan Hermlin, die West-Berlinerin Dinah Nelken und Stefan Heym. Hatte Heym gehofft, bei seinen Kollegen Rückhalt zu finden für sein scharfes Urteil über das im Juni 1979 von der Volkskammer verabschiedete 3. Strafrechtsänderungsgesetz, das insbesondere für die Schriftsteller eine weitere gravierende Drohung des Regimes darstellte, musste er sich enttäuscht sehen. Kamnitzer, Keisch und Wiens traten seiner Auffassung »konsequent entgegen«726 . Hermlin zeigte sich laut Wiens’ Bericht für den Staatssicherheitsdienst nicht einverstanden mit Heym. Kaufmann und Nelken schwiegen.727 Die Änderung des Strafgesetzes ließ weit reichende Folgen für kritische Literatur befürchten. »Staatsfeindliche Hetze«, »ungesetzliche Verbindungsaufnahme« und »öffentliche Herabwürdigung« konnten nun mit hohen Strafen geahndet werden. Insbesondere der 2. Abschnitt, Absatz 2 des § 219 war auf Schriftsteller anwendbar: »Ebenso wird bestraft, […] wer Schriften, Manuskripte oder andere Materialien, die geeignet sind, den Interessen der Deutschen Demokratischen Republik zu schaden, unter Umgehung von Rechtsvorschriften an Organisationen, Einrichtungen oder Personen im Ausland übergibt oder übergeben lässt.«728 Waren die anwesenden P.E.N.-Mitglieder angesichts dieser 724
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Über erneutes provokatorisches Auftreten von Stefan Heym im PEN-Zentrum der DDR. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/3, Bl. 318f., hier Bl. 319. Über erneutes provokatorisches Auftreten von Stefan Heym im PEN-Zentrum der DDR. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/3, Bl. 318f., hier Bl. 319. Informationüber feindlichesAuftretenvon Stefan HEYM im PEN-Zentrum der DDR [nach Bericht von IM »Dichter«] [27. 9. 1979]. BStU, MfS, AIM 7781/93, Bd. II/3, Bl. 316f., hier Bl. 317. Vgl. Information über feindliches Auftreten von Stefan HEYM im PEN-Zentrum der DDR [nach Bericht von IM »Dichter«] [27. 9. 1979]. BStU, MfS, AIM 7781/93, Bd. II/3, Bl. 316f., hier Bl. 317. Zitiert nach Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals, S. 9. 683
überdeutlichen Disziplinierungsmaßnahme eingeschüchtert? Fehlte ihnen der Mut, Heym beim Wort zu nehmen und die unerträgliche Situation auch nur zu beklagen? Oder hielten sie die drakonische Maßnahme für ein unerlässliches Instrumentarium des Staates, um die Sicherung des eigenen Systems zu garantieren? Darauf gibt es wohl lediglich individuelle Antworten. Für das P.E.N.-Zentrum DDR als Institution lassen sich jedoch einige grundsätzliche Merkmale aufstellen. Es war am Ende der siebziger Jahre, die von extrem schwierigen Situationen für die Schriftsteller der DDR gekennzeichnet waren, kein Forum der offenen Aussprache. Den P.E.N.-Mitgliedern stand keine Teilnahme an Grundsatzdiskussionen offen. Das Interesse am P.E.N. ging offenkundig stark zurück; beklagt wurde die mangelnde Transparenz der eigentlichen P.E.N.-Arbeit. Auch im P.E.N.-Zentrum DDR war der massive Exodus der Künstler in den Westen durch den Fortgang von Günter Kunert, Jurek Becker und anderen zu spüren. Der DDR-P.E.N. wurde im Wesentlichen beherrscht von den SED-Getreuen Kamnitzer und Keisch, sekundiert von zuverlässigen Gefolgsleuten des Ministeriums für Staatssicherheit. Präsident und Generalsekretär arbeiteten eng mit den kulturpolitisch Verantwortlichen zusammen, die mehr und mehr Einflussnahme ausübten. Das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR schien einer Rumpfgruppe zu gleichen. Waren Anfang der siebziger Jahre meist alle Präsidiumsmitglieder bei gemeinsamen Aussprachen und Sitzungen präsent, konzentrierte sich die Teilnahme am Ende des Jahrzehnts meist auf Kamnitzer, Keisch und Wiens. Dazu stieß noch Stephan Hermlin. Auf internationaler Ebene hatte das P.E.N.-Zentrum DDR in erster Linie die kritischen Nachfragen in Bezug auf die Situation von Schriftstellerkollegen, die mit dem SED-Regime in Konflikt geraten waren, abzuwehren. DDR-intern ist kein offizieller Einsatz des P.E.N.-Zentrums DDR für inhaftierte, verfolgte oder mit Repressionen belegte Autoren nachweisbar. Lediglich einzelne verwendeten sich auf persönlicher Ebene für bedrohte Kollegen. Damit ging das P.E.N.Zentrum DDR in desolatem Zustand in das letzte Jahrzehnt der DDR, die in zunehmender Erstarrung ihrem Niedergang entgegensah.
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8.
Zwischen innerer Erstarrung, politischer Willfährigkeit und partiellem Neuanfang: Das P.E.N.-Zentrum DDR in den achtziger Jahren (1979/80–1988/89)
8.1
»Betätigungsfeld zweier vom Aussterben bedrohter alter Herren«1 ? – Das P.E.N.-Zentrum DDR in den Jahren 1979/80 bis 1985
8.1.1 Zunehmende Erstarrung des DDR-P.E.N. auf nationaler Ebene Zu Beginn der achtziger Jahre zeigte sich deutlich, wie die Ereignisse des literaturpolitischen Katastrophenjahrs 1979 auf das P.E.N.-Zentrum DDR nachwirkten. Zwar sah die P.E.N.-Führung weiterhin die Nichteinmischung in die Auseinandersetzungen zwischen Schriftstellern und Staat, die einen verstärkten »Dichter-Exodus« aus der DDR provoziert hatte, als Mittel der Wahl: Wir haben als Zentrum dazu nicht Stellung genommen, weil es uns darum ging diese Konflikte nicht zu verschärfen, sondern im Gegenteil den betreffenden Kollegen einen Boden zu bieten,auf dem sie sich weiterhinmit uns und mit der DDR verbundenfühlen konnten. Einige haben diese Möglichkeit wahrgenommen, andere legten wohl darauf keinen Wert. Ich denke, wir haben recht daran getan, als P.E.N.-Zentrum größtmögliche Zurückhaltung zu üben. Aber natürlich können und wollen wir unseren Mitgliedern nicht das Recht zu einer persönlichen Meinung verwehren. Sie wissen sicher, daß es unter uns sehr verschiedene Ansichten zu den Fragen gibt, aus denen die jeweiligen Konflikte entstanden sind.2
Unter den Präsidiumsmitgliedern bildete sich jedoch, mindestens bei einigen wenigen, eine kritische Haltung aus. Die Konsequenz trat im entschiedenen Rückzug aus der Präsidiumsarbeit mehr oder minder verdeckt zutage. So teilten Christa Wolf und Jeanne Stern noch im Dezember 1979 in einer vorbereitenden Präsidiumssitzung zur Generalversammlung 1980 mit, nicht mehr für das Präsidium kandidieren zu wollen.3 Heinz Kamnitzer hatte Wolfs Ablehnung einer erneuten Kandidatur aufgrund der gegebenen kulturpolitischen Umstände wohl geahnt. Am 11. Dezember 1979 telegrafierte er: »Liebe Christa, bitte gib mir keinen Korb wenn ich um Deine Zusage bitte für das neue Präsidium zu kan1
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Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Zur Arbeit des Präsidiums des P.E.N.Zentrums DDR [20. 10. 1982]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 181–183, hier Bl. 182. Abgedruckt in: Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 807. Henryk Keisch an Joachim Müller [28. 10. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/M/Müller Joachim 1 und 1a. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 12. 12. 1979 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. Februar 1980 in Berlin/Protokoll 1–3, hier 1f. 685
didieren.«4 Doch Wolfs Entschluss stand fest: »Es ist unwiderruflich.«5 Daran konnte auch Kamnitzers wenig redlicher Hinweis auf die Möglichkeit einer rein nominellen Mitgliedschaft nichts ändern: »In anderen Zentren ist es auch so, daß Mitglieder im Präsidium sind, die nicht hinkommen, aber ihr Gesicht geben.«6 Wolf zog sich bei ihrer Absage hinter die Entschuldigung zurück, sie sei »sieben Monate im Jahr nicht in Berlin«7. De facto entsprach ihre Entscheidung in Bezug auf den P.E.N. ihrem kontinuierlichen Rückzug aus Partei und Schriftstellerverband, der nach der Biermann-Ausbürgerung eingesetzt hatte; sie lebte »[z]urückgezogen im eigenen Land« und verspürte eine »zunehmende Distanz zu ihrem Staat«8 . Noch im Oktober 1978 war sie privat, nicht als offizielle Delegierte, zum internationalen P.E.N.-Kongress nach Kopenhagen gereist.9 Zeitgleich fand der VIII. Schriftstellerkongress in Berlin statt – Wolfs »Entscheidung für den PEN war damit zwangsläufig eine Entscheidung gegen den DSV.«10 Ende 1979 entschied Wolf sich auch gegen die Arbeit im Präsidium des P.E.N.Zentrums DDR ; sie hatte mit dem P.E.N. als Wirkungsstätte vorläufig abgeschlossen. In der Folge musste sich die Führung des DDR-P.E.N. mit der Suche nach geeigneten Kandidaten beschäftigen. Ersatz musste gefunden werden für Stern und Wolf. Ein weiterer Sitz war durch den Tod des langjährigen Mitglieds Werner Ilberg frei geworden. Die Präsidiumssitzung im Dezember 1979 verlief in dieser Hinsicht ergebnislos. Ein überraschender Vorschlag kam vom Ehrenpräsident Wieland Herzfelde; er schlug Stefan Heym als Kandidat für das Präsidium vor. Dass ein solcher Gedanke, noch dazu vor dem Hintergrund der Ausschlüsse aus dem Schriftstellerverband, keine positive Resonanz finden würde, musste Herzfelde im Grunde klar gewesen sein. Keisch schmetterte den Vorschlag ab: »Er ist Mitglied, aber unter den gegebenen Umständen wäre das eine Geste, die Missverständnisse hervorrufen muss.«11 Der Rückzug von Stern und Wolf kam Keisch hingegen sehr zupass. Er hatte schon im Oktober 1979 gegen die bislang übliche Praxis, das Präsidium geschlossen zur Wiederwahl zu stellen, beim ZK der SED interveniert; er spekulierte auf eine Art natürlichen Schwund, der die Möglichkeit zu kadermäßiger Besetzung eröffnen würde:
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Heinz Kamnitzer an Christa Wolf [11. 12. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 27. Februar 1980 in Berlin/Neue Mitglieder/Vorschläge und Kandidaten 18. Protokoll der Präsidiumssitzung am 12. 12. 1979 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. Februar 1980 in Berlin/Protokoll 1–3, hier 2. Protokoll der Präsidiumssitzung am 12. 12. 1979 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. Februar 1980 in Berlin/Protokoll 1–3, hier 1. Protokoll der Präsidiumssitzung am 12. 12. 1979 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. Februar 1980 in Berlin/Protokoll 1–3, hier 2. Magenau: Christa Wolf, S. 303 und 305. Vgl. Magenau: Christa Wolf, S. 305. Magenau: Christa Wolf, S. 306. Protokoll der Präsidiumssitzung am 12. 12. 1979 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. Februar 1980 in Berlin/Protokoll 1–3, hier 3.
Wir sollten die Präsidiumsmitglieder einzeln befragen, ob sie wieder zu kandidieren wünschen. […] Wer es nicht wünscht, sollte nicht gedrängt werden. Für die Sitze im Präsidium, die dann vakant sind, werden wir die geeigneten Kandidaten vor allem unter den jüngeren Mitgliedern suchen müssen. Das politische Kriterium wird hierbei […] wesentlich ins Gewicht fallen müssen, und […] es muß über die Parteigruppe gesichert werden, daß alle Parteimitglieder für die so zustande kommende Kandidatenliste eintreten.12
In der Vorlage des P.E.N.-Zentrums DDR zur Generalversammlung an das Sekretariat des ZK der SED erfolgte die Präzisierung dieser Zielvorgabe auch im Hinblick auf die Wahl neuer Mitglieder: »[B]ei der Neuwahl des Präsidiums wie auch bei der Zuwahl neuer Mitglieder [sei] durch Aktivierung der SEDParteigruppe eine spürbare Verbesserung der politischen Zusammensetzung dieser Gremien zu erreichen.«13 Doch nicht nur die Wahlvorgänge beschäftigten Keisch bei der konzeptionellen Vorbereitung der Mitgliederversammlung im Oktober 1979. Nach den deutlich ablehnenden Reaktionen einer ganzen Reihe von P.E.N.-Mitgliedern auf die jüngste Konfrontation von Geist und Macht fürchtete er ein Übergreifen des Konflikts auf das P.E.N.-Zentrum DDR : Solche Sorgenkinder werden höchstwahrscheinlich anwesend sein. Es ist möglich, wenn auch keineswegs mit Sicherheit vorauszusagen, daß sie die Versammlung zum Anlaß nehmen, die bekannten Auseinandersetzungen um das Verhalten einiger mit Staat und Gesellschaft in Konflikt stehender Autoren in den PEN hineinzutragen. Wir wollen dies, soweit es von uns abhängt, vermeiden,müssen aber darauf vorbereitet sein, solchen Versuchen entgegenzutreten.14
Offenkundig hielt Keisch das P.E.N.-Zentrum durch die nach kulturpolitischer Ansicht und Einsicht bunt durchmischte Zusammensetzung seiner Mitgliederschaft für unsicheres Terrain; Kritik an kulturpolitischen Entscheidungen und Angriffe auf die Regierung der DDR waren hier nicht völlig auszuschließen. Eine Sicherung der Generalversammlung sah er nur gegeben durch eine »besonders sorgfältige Vorbereitung der Parteigruppe und absolute Disziplin der Parteimitglieder«15 . Altbewährtes Mittel zur Darlegung der bindenden Linie für die SED-Mitglieder waren die Vorausversammlungen, die meist unmittelbar vor Beginn der Mitgliederversammlungen stattfanden. Die Einladung war stets von Seiten des P.E.N.-Sekretariats erfolgt. Wie kritisch Keisch die Situation 1979/80 12
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Henryk Keisch an Franz Hentschel [StellvertretenderLeiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 10. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/SED 1–3, hier 2. Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [o. D.; erstellt von Henryk Keisch]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/Entwurf 1. Henryk Keisch an Franz Hentschel [StellvertretenderLeiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 10. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/SED 1–3, hier 1f. Henryk Keisch an Franz Hentschel [StellvertretenderLeiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 10. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/SED 1–3, hier 2. 687
beurteilte, zeigte sich in seinem nachdrücklichen Rückzug hinter die Autorität der Parteizentrale: Die Anstöße […] müssen nach unserer Ansicht direkt von den Führungsinstanzen der Partei kommen. Es muß das ZK sein, das nicht lange vor der Versammlung (aber nicht am selben Tag!) und mit dem gebotenen Nachdruck die Parteigruppe einberuft. Die politischen Fragepunkte müssen dort mit aller erforderlichen Deutlichkeit zur Diskussion gestellt und die Genossen zu disziplinierter Verwirklichung der Beschlüsse veranlasst werden.16
Ziel der vorbereitenden Parteigruppenversammlung, die potentiell jedes SEDMitglied im P.E.N.-Club erfasste, war einerseits eine strategische Planung zur Zurückweisung jeglicher »gegnerische[r] Auffassung[ ]«: »Falls es zu den angedeuteten politischen Auseinandersetzungen kommt, wird die Parteigruppe sich darin zu bewähren haben.«17 Den Parteimitgliedern im P.E.N. oblag es, in der Generalversammlung gegebenenfalls deutlich zu machen, »daß Versuche, [das] Zentrum als Stützpunkt für Aktionen gegen die DDR zu gebrauchen, aussichtslos sind.«18 Andererseits zielte die P.E.N.-Führung darauf ab, ein Schlupfloch zumindest ansatzweise zu schließen, das die Statuten des Internationalen P.E.N. offen hielten und nicht durch die Bürokratie der DDR geschlossen werden konnte. Die Zuwahl neuer Mitglieder erfolgte nach den Auseinandersetzungen um die Wahlprozedur im Jahr 1975 noch immer auf Vorschlag durch Angehörige des P.E.N.-Zentrums DDR. War dieser ausreichend begründet und fristgemäß beim Präsidium eingegangen, gab es kaum Mittel zur Streichung eines Kandidaten. Zwar wurden die Vorschlagslisten beim ZK der SED eingereicht. Eine Streichung ließ sich aber nur in wenigen Fällen nachweisen. Alle anderen Kandidaten fanden sich auf den Wahllisten, über die bei der betreffenden Generalversammlung anwesende Mitglieder zu befinden hatten. Die Verpflichtung der SED-Mitglieder auf die Parteidisziplin schien der einzige Weg, um den DDRP.E.N. nicht zu einem Sammelbecken kritischer Geister mutieren zu lassen, die die »Parteisoldaten« als potentielle Aufrührer einschätzten: Die Abstimmungen über die Aufnahme neuer Mitglieder dürfen keinesfalls dazu führen, daß unter dem Vorwand angeblich hoher oder angeblich unzureichender literarischer Qualität eines Kandidaten der jetzt schon unverhältnismäßig hohe Anteil der erwähnten Sorgenkinder an der Gesamtmitgliedschaft sich weiter vergrößert. Dieses politische Kriterium soll nicht schamhaft verschwiegen, sondern es soll gegebenenfalls
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Henryk Keisch an Franz Hentschel [StellvertretenderLeiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 10. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/SED 1–3, hier 2. Henryk Keisch an Franz Hentschel [StellvertretenderLeiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 10. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/SED 1–3, hier 2f. Henryk Keisch an Franz Hentschel [StellvertretenderLeiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 10. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/SED 1–3, hier 2.
offen benannt werden. Die Parteimitgliedermüssen sich dazu bekennen und ihm Rechnung tragen.19
Obgleich Keisch durchaus Unsicherheitsfaktoren in seiner Konzeption erkannte, vertraute er voll und ganz auf die Autorität des Zentralkomitees. An einem positiven Ausgang der Generalversammlung sei nicht zu zweifeln.20 Das Interesse der Abteilung Kultur an Keischs Anliegen hielt sich in Grenzen. Im Dezember 1979 hatte der Generalsekretär noch keine Reaktion von den für die Anleitung des P.E.N.-Zentrums Verantwortlichen erhalten. Teilte man seine Sorgen nicht? Oder gab es wichtigere Dinge? Maß man dem P.E.N. keine übermäßige Bedeutung zu? Obgleich Keisch noch einmal eindringlich bat, die Zusammenkunft der Parteimitglieder durch die Abteilung Kultur einberufen zu lassen, ist ein entsprechendes Einladungsschreiben bislang nicht aufgefunden worden. Auch über den etwaigen Ablauf einer Parteigruppenversammlung existiert kein Material. Feststellbar ist indes die Beobachtung der Generalversammlung durch das Ministerium für Staatssicherheit. IM »Dichter«, d. i. Paul Wiens, hatte einen detailreichen Bericht geliefert. Daraus geht deutlich hervor, wer von den Anwesenden »als operativ interessierende[r] Schriftsteller« ins Visier der Staatssicherheit geraten war: Erwartungsgemäß waren dies Stephan Hermlin, Stefan Heym und Günter de Bruyn, hinzu kamen Rainer Kirsch, Adolf Endler, Kurt und Jeanne Stern sowie Volker Braun. Im Blickpunkt standen auch – keineswegs überraschend – die nicht anwesenden Christa und Gerhard Wolf, Franz Fühmann und Ulrich Plenzdorf.21 Die Brisanz der Generalversammlung, die am 27. Februar 1980 tagte, blieb weit hinter Keischs Befürchtungen zurück: Heinz Kamnitzer hielt ein »sehr parteiliches, klare politische Aussagen enthaltendes Referat«22 . Die Ausschlüsse aus dem Schriftstellerverband fanden in der Aussprache keine explizite Erwähnung. Es gab keine scharfe oder auch nur kontroverse Diskussion über die gravierenden Entwicklungen in der Kulturpolitik. Einen provokativen Wortbeitrag wagte lediglich Heym; er verwies auf ein Grundproblem, an dem das System DDR krankte – die Unmöglichkeit des öffentlichen Meinungsaustauschs. Die in jeder Hinsicht regulierte Öffentlichkeit erzwang den resignierten Rückzug in den privaten Raum: »Aber man [spricht] nur ungern in einer Versammlung, weil man ja ungefähr die Standpunkte kennt, weil man nicht allzu viel an Empfindlichkeiten rühren möchte und auch weil es irgendwie anfängt, sinnlos zu werden, weil es 19
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Henryk Keisch an Franz Hentschel [StellvertretenderLeiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 10. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/SED 1–3, hier 2. Henryk Keisch an Franz Hentschel [StellvertretenderLeiter der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 10. 1979]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/SED 1–3, hier 3. Vgl. Information über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR [28. 2. 1980]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/3, Bl. 22–27, hier Bl. 22. Information über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR [28. 2. 1980]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/3, Bl. 22–27, hier Bl. 23. 689
ja nichts ändert.«23 Heym nahm konkreten Bezug auf den Schriftsteller-Exodus aus der DDR, der auch das P.E.N.-Zentrum getroffen hatte. Er erhob Klage gegen die ungeführte Diskussion der gegenwärtigen kulturpolitischen Situation und ihrer Ursachen: Ich hätte mir zum Beispiel vorstellen können, daß in den Ausführungen von Keisch etwas davon gesagt worden wäre, daß wir nicht nur die durch den Tod von uns gegangenen Kollegen zu betrauern haben, sondern auch einige andere, die nicht mehr unter uns sind, und daß das auch seine Gründe hat und daß das natürlich auch Gründe sind, mit denen der P.E.N. sich beschäftigen könnte, wenn es irgendeinen Sinn hätte. Und das ist das Traurige daran, daß man also eigentlich daran verzweifelt, daß die Situation sich so ändern könnte, daß da eine Besserung eintritt. […] Was können wir tun, damit nicht noch mehr Kollegen sich veranlaßt sehen, den berühmten Antrag zu stellen? Das wäre ein Thema.24
Die Hoffnung auf eine aktive und eigenverantwortliche Mitgestaltung der sozialistischen Gesellschaft durch die Literatur und ihre Urheber war in sich zusammengeschmolzen: »Aber Tendenzen der Literatur werden nicht nur von den Schriftstellern gemacht, sondern auch von den Umständen unter denen sie leben.«25 Heyms Vorstoß fand keinen Widerhall unter seinen Kollegen – alle schwiegen. Ein besserer Beleg für die notorische Diskussionsmüdigkeit unter den Schriftstellern, die im P.E.N. zusammenkamen, hätte sich nicht finden lassen können. Für einen unvermittelten Themenwechsel sorgte Wieland Herzfelde; er regte eine vollkommen unmotivierte Aussprache über den Komplex P.E.N. und Massenmedien an. Wollte er damit eine mögliche kulturpolitische Kontroverse im Sinne der Parteilinie abwenden, so tat er dies auf reichlich plumpe Weise. Erstaunlicherweise griff Kamnitzer nach Herzfeldes Redebeitrag auf Heyms Aussagen zurück und signalisierte in bescheidenem Maße Bereitschaft zum Gespräch mit anders denkenden Kollegen – gleichwohl im engen Rahmen des P.E.N.: Ich glaube, obwohl wir gegenseitig von uns sagen würden, wir wissen so halbwegs, was wir von uns denken, halte ich es dennoch für alles andere als überflüssig, daß man sich austauscht. Es besteht immer eine gewisse Möglichkeit, daß man sich gegenseitig nachdenklich stimmt. So ganz abschreiben, wie es vielleicht im Augenblick klang […], das möchte ich nicht; dann können wir eigentlichden Laden zumachen. Ich würde eher sagen, daß, wenn Sie solche Gedanken haben, auch wenn Sie meinen, daß es vielleicht nicht sehr aussichtsvoll ist, wir es doch hineinnehmen in unsere Mittwochgespräche; natürlich nicht, wo aus dem Fenster gesprochen werden kann. […] 23
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Stenographisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR am 27. 2. 1980 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/Stenographisches Protokoll 1–73, hier 36. Stenographisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR am 27. 2. 1980 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/ Stenographisches Protokoll 1–73, hier 36f. Stenographisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR am 27. 2. 1980 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/Stenographisches Protokoll 1–73, hier 37.
Es ist mehr mein Wunsch, daß wir im P.E.N. während des Jahres – wir sind nicht da, um Erklärungen abzugeben – versuchen, ob wir vitale Themen erkennen und uns mit ihnen trotz der geringen Aussicht, zu einer Übereinstimmung zu kommen – ich finde das auch gar nicht nötig – beschäftigen.26
Kamnitzers Intention scheint eindeutig; er wünschte die Revision des Urteils, in der DDR sei ein kontroverser Meinungsaustausch weder erwünscht noch möglich. Und er hoffte, durch sein Gesprächsangebot ein kleines Ventil für den sich langsam aufbauenden Druck gefunden zu haben. Die Aussprache schwenkte nach diesem Angebot hin zu einem kurzen Meinungsaustausch zwischen Kamnitzer und Keisch über die Form der Clubabende. Alle anderen Anwesenden blieben seltsam unbeteiligt. Den Großteil der Zeit nahm der Wahlprozess in Anspruch. Eine Grundsatzdebatte über die Regularia der Zuwahl entzündete sich am Einspruch von Stefan Heym; er hatte Kurt Bartsch als Kandidaten vorgeschlagen. Durch eine auf dem Postweg entstandene zeitliche Verzögerung war sein Vorschlag nicht fristgerecht beim P.E.N.-Sekretariat eingegangen. Obgleich die Nichtaufnahme Bartschs auf die Kandidatenliste den geltenden Statuten entsprach, hatte Heym beschlossen, »durch seinen Protest während der Generalversammlung ›einen kleinen Knatsch‹ auszulösen. Man hätte dann etwas, worüber man reden könne.«27 Mindestens das war Heym gelungen. Eine im Grunde ergebnislose, jedoch sehr lebhafte Debatte entwickelte sich, in der erstaunlich angriffslustige Positionen gegenüber dem Präsidium vertreten wurden. Peter Hacks, selbst nominelles Präsidiumsmitglied, befürwortete eine Aufstellung von Bartsch: »Warum zum Teufel sollen wir nicht wählen, für oder gegen Kurt Bartsch, wie wir es eben gerade wollen? […] Der Unterscheid zwischen Bartsch und allen anderen Vorschlägen wäre, daß das Präsidium über ihn nicht geplaudert hat.«28 Den im Raume schwebenden Vorwurf der Kandidaten-Auslese durch das Präsidium formulierte Volker Braun explizit: Nach seiner Ansicht sei es »eine kaum vertretbare Prozedur […], daß das Präsidium eine Art Vorabstimmung über einen Kandidaten absolviert.«29 Diese Kritik lässt sich anhand des vorhandenen Quellenmaterials nicht bestätigen. Das Präsidium des P.E.N. sammelte alle fristgerecht eingereichten Vorschläge und gab eine entsprechende Liste an das ZK der SED weiter, dem die Entscheidung über die Kandidaturen letztlich oblag. 26
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Stenographisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR am 27. 2. 1980 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/ Stenographisches Protokoll 1–73, hier 38 und 39f. Reaktionen und Meinungen feindlich-negativer Schriftsteller und weiterer politischoperativ interessierender Personen [29. 2. 1980]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/3, Bl. 28–31, hier Bl. 29. Stenographisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR am 27. 2. 1980. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/ Stenographisches Protokoll 1–73, hier 50. Stenographisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR am 27. 2. 1980. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/ Stenographisches Protokoll 1–73, hier 55. 691
Am Ende stand Bartsch auf der Generalversammlung nicht zur Abstimmung. Mit 2/3-Mehrheit in den P.E.N. gewählt wurden Jürgen Gruner, Jürgen Rennert, Rosemarie Schuder, Rudi Strahl und Heinz Knobloch. Eine zu geringe Stimmenzahl erzielten Walter Nowojski, Richard Christ, Eduard Klein und Ruth Kraft. Unspektakulär verliefen die Wiederwahl des Präsidenten sowie die Wahl des vorgeschlagenen Präsidiums. Als Ersatz für Wolf, Stern und Ilberg hatte man Fritz Rudolf Fries, Paul Wiens und Rita Schober als Kandidaten für das Präsidium gewonnen. Sie wurden von der Generalversammlung bestätigt. Mit Fries und Wiens erhielten auf diesem Wege zwei weitere IM des Ministeriums für Staatssicherheit freien Eintritt in das P.E.N.-Präsidium. Wiens hatte die staatssicherheitlichen Behörden der DDR bereits seit den siebziger Jahren über internationale P.E.N.-Kongresse und -Exekutiven verlässlich informiert. Zugang zu den Sitzungen des Präsidiums war ihm schon zuvor durch die Zugehörigkeit zur P.E.N.-internen Revisionskommission gewährt worden. Fries’ Beziehung zum Ministerium für Staatssicherheit, die seit den siebziger Jahren bestand, hatte sich recht wankelmütig gestaltet. Der »Kampf um die Seele«30 , wie es Joachim Walther nennt, währte über zehn Jahre. Fries zeigte sich mal aufgeschlossen, dann wieder völlig ablehnend gegenüber der Zusammenarbeit mit seinem Führungsoffizier Gerhard Hoffmann.31 Im März 1979 hielt der Treffbericht fest: »Der IM war aufgeschlossen, interessiert, informierte auch relativ freimütig zu den aufgeworfenen Problemen. Es ist jedoch festzustellen, daß vom IM nach wie vor Vorbehalte deutlich gemacht werden, was sich insbesondere dann äußert, wenn er konkret berichten soll. Vom IM wird der letzte Schritt, bedingungslos mit dem M[inisterium] f[ür] S[taatssicherheit] zu gehen, nicht vollzogen.«32 Vom Mai 1979 an entwickelte sich das Verhältnis im Sinne des Ministeriums für Staatssicherheit positiv. Ende 1982 gelang es, Fries eine verbindliche schriftliche Verpflichtung abzuringen.33 Offensichtlich sahen weder Fries noch Wiens einen Widerspruch darin, an der Arbeit des P.E.N.-Präsidiums teilzuhaben und gleichzeitig für das Ministerium für Staatssicherheit tätig zu sein. Die Annahme, dass die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit in jedem Fall frei von emotionaler Belastung gewesen sei, ist nicht haltbar. Die Motive, die zur Aufrechterhaltung der Verbindung und Zusammenarbeit veranlassten, waren individuell. Einblick in ein möglicherweise beispielhaftes Denkschema gibt ein Bericht von einem Treff zwischen Hoffmann und Fries vom 15. September 1982. Besondere Betonung kam dem Vertrauensverhältnis zu, das sich zwischen Fries und Hoffmann aufgebaut hatte. Für Fries bot der Kontakt mit seinem Führungsoffizier eine Art Ersatz für fehlende Gesprächspartner:
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Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 539. Vgl. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 539–550. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 544. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 479.
Er sei als Autor isoliert, d. h. er sehe weder im Schriftstellerverband noch im PEN solche Partner, mit denen er alle ihn bewegenden Fragen offen bereden könne. Durch den Kontakt zum MfS sei das, nachdem gegenseitigesMißtrauen abgebaut wurde,gegeben, und er erachte das als wertvoll. […] Da bei den Treffs eine Atmosphäre gegenseitigen Nehmens und Gebens entstanden sei, fühle er sich verpflichtet, auch zu geben […].34
Fries hatte in Hoffmann »einen Partner gefunden, den er schätzt und achtet.«35 Seine Informationsweitergabe an das Ministerium für Staatssicherheit hinterfragte Fries durchaus kritisch. Zum Zeitpunkt des Treffs schien er jedoch endgültig sicher, für den Fortschritt der sozialistischen Gesellschaft zu wirken; er »sei heute der Überzeugung, daß er, wenn auch in bescheidenem Umfang, mit dazu beiträgt, bestimmte Erscheinungen, die für die Entwicklung der DDR negativ werden könnten, zu durchleuchten und sichtbar zu machen. Die Befürchtung, in die Rolle des Denunzianten gedrängt zu werden, sei völlig beseitigt, er sei der Überzeugung, es werde Nützliches geleistet, das sich nicht gegen den einen oder anderen Kollegen richtet.«36 Dass er mit dieser Denkweise einem Selbstbetrug aufsaß, der der Zurückdrängung eines sich regenden Gewissens diente, schien Fries nicht bewusst. War er der Sache des Sozialismus tatsächlich ergeben – blind für alle negativen Erscheinungen, die er hervorbrachte? Oder war die Lockung, die die materielle Unterstützung seiner Reisen ins Ausland mit sich brachte, nicht doch größer? Die Aufmerksamkeit, die ihm in dieser Hinsicht zukam, schmeichelte seinem Selbstbewusstsein: Besonders stimulierend sei für ihn das Interesse und die Unterstützung für seine Reisen nach Spanien, Portugal, USA. In diesem Zusammenhang sei ihm überaus deutlich geworden, daß seine Sicherheit im Vordergrund stand, und das habe ihn beeindruckt […]. Er sei auch zu der Auffassung gelangt, daß die Erkenntnisse, die er dem MfS nach diesen Reisen übermitteln konnte, nicht unbedeutsam waren.37
Im Hinblick auf den P.E.N. zeigte sich insbesondere seine Teilnahme als offizieller Delegierter am internationalen P.E.N.-Kongress des Jahres 1983 in Caracas (Venezuela) bedeutsam; hier lieferte Fries einen detailreichen Bericht. Mit den Wahlergebnissen der Generalversammlung 1980 war die Durchsetzung des P.E.N.-Präsidiums mit IM des Ministeriums für Staatssicherheit wieder verstärkt worden. Hermann Kant, der als IM »Martin« zu den eifrigsten Berichterstattern innerhalb des P.E.N. gehört hatte, durfte seit 1976 vom Ministerium für Staatssicherheit nicht mehr als IM geführt werden, weil er innerhalb der Partei in die Berliner Bezirksleitung der SED aufgestiegen war.38 Auch Henryk Keisch war als IM registriert, in seiner Akte sind nach 1980 jedoch keine P.E.N.-relevanten Berichte enthalten. Aktive Berichterstatter waren der Präsi34 35 36 37 38
Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 546. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 547. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 547. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 547. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Beschluß zum Einstellen eines IM [8. 4. 1976]. BStU, MfS, AIM 2173/70, Bd. I/3, Bl. 248f., hier Bl. 249. 693
dent Kamnitzer als IM »Georg« und Fries als IM »Pedro Hagen«. Wiens blieb als IM »Dichter« bis zu seinem Tod Anfang April 1982 aktiv. Die Konzentration ihrer Berichterstattung auf P.E.N.-Veranstaltungen im internationalen Raum lässt vermuten, was sich bei Studium der P.E.N.-Akten bestätigt: Die Aufmerksamkeit für die Geschehnisse auf internationaler Ebene dominierte. Das P.E.N.Zentrum schien im Inneren der DDR weiter an Bedeutung zu verlieren. Das Interesse der Präsidiumsmitglieder war kontinuierlich zurückgegangen, womöglich auch wegen der Dominanz von Präsident und Generalsekretär. Schon in seinem Revisionsbericht von 1980 hatte Wiens beklagt, dass im Durchschnitt von zehn Präsidiumsmitgliedern lediglich vier an den Sitzungen des Präsidiums teilgenommen hätten: »Das ist bedauerlich; denn das ist natürlich zu wenig. Es hat auch Präsidiumssitzungen gegeben, wo nur zwei anwesend waren.«39 Die P.E.N.-Arbeit oblag beinahe ausschließlich Kamnitzer und Keisch, gelegentlich beteiligte sich Hermlin. Konstruktiver Austausch mit den übrigen Mitgliedern des Präsidiums fand kaum noch statt. Eine subjektive, indes außerordentlich treffende Innenansicht zur Präsidiumsarbeit, die den Eindruck des Betrachters von außen nur bestätigt, liefert Günter de Bruyn in seinem Lebensbericht Vierzig Jahre : Die Vorstandssitzungen des [Schriftsteller]Verbandes […] waren so langweilig, daß ich mich still für mich auf Lektüre konzentrieren konnte, während die Zusammenkünfte des PEN-Präsidiums, das nur zwölf Leute umfaßte, von denen oft nur fünf oder sechs anwesend waren, sich interessanter gestalteten durch häufigen, sehr persönlichen Streit. Henryk Keisch, der Generalsekretär, der seine Parteiergebenheit ständig im Munde führte, dem Geist des PEN nur dürftige Zugeständnisse machte und zu cholerischen Aufwallungen neigte, stritt sich entweder mit Heinz Kamnitzer, dem Präsidenten, der zwar in Parteigläubigkeit mit ihm wetteifern konnte, diese aber PEN-gemäß in weitherzigen Wendungen und gentlemenhafte Wohlerzogenheit hüllte, oder mit Stephan Hermlin, der die Werte der PEN-Charta hochzuhalten versuchte und dabei den polternden Keisch, dem er geistig haushoch überlegen war, von oben herab behandelte, was dieser verständlicherweise nur schlecht vertrug. Die Antipathie, die Keisch mir gegenüber hegte und zeigte, wurde von mir aus vollem Herzen erwidert, aber des Friedens wegen geheimgehalten. Doch nutzte das wenig, da ich ihn nicht nur durch seltene Widerworte, sondern allein durch Schweigen schon wütend machte, so daß er mir einmal zornig erklärte: Er könne in meinem Gesicht ständig Belustigung über sich lesen – worin ich ihm zustimmte, dabei aber nicht ehrlich war. Denn ich bemühte mich zwar, ihn komisch zu finden, doch mußte die Mühe vergeblich bleiben, da er mir, wie alle fanatischen und humorlosen Leute, unheimlich erschien.40
So mochte es auch anderen ergangen sein. Ein Streit zwischen Hermlin und Keisch, dokumentiert in einer »Information über eine Präsidiumssitzung des PEN-Zentrums DDR« vom April 1980, entzündete sich an der Frage, wie mit den P.E.N.-Mitgliedern, die sich als Staatsbürger der DDR mit einem langfristigen Visum im Ausland aufhielten, verfahren werden sollte; diese hatten schon 39
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Stenographisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR am 27. 2. 1980 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 27. 2. 1980 in Berlin/ Stenographisches Protokoll 1–73, hier 19. Bruyn, S. 225.
seit längerer Zeit keine Beiträge mehr entrichtet. Das betraf die Schriftsteller Jurek Becker, Günter Kunert, Sarah Kirsch und Joachim Seyppel. Da Keisch die aktuellen Anschriften der Genannten nicht bekannt waren, schlug er vor, den Autoren an ihre DDR-Anschriften Mahnbriefe zu schicken und sie aufzufordern, innerhalb von zwei Monaten ihre Beitragsschulden zu begleichen. Sollte nach diesem Zeitraum keine Antwort eingegangen sein, wollte Keisch das Problem nochmals im Präsidium zur Diskussion stellen, um dann über Ausschluss oder Streichung der Genannten als Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR zu entscheiden.41 Keisch stellte mit seinem Vorschlag ein probates Mittel zum Ausschluss missliebiger Mitglieder vor. Widerstand ließ nicht auf sich warten: Hermlin fuhr hierauf Keisch in schroffer Form an, daß dies unter keinen Umständen ginge. Noch seien diese Autoren DDR-Bürger. Als solche hätten sie ein Recht darauf, daß mit ihnen nicht anders als mit anderen DDR-Bürgern bzw. Autoren, die gleichfalls Beitragsrückstände haben, verfahren wird. Er […] fordere, daß Keisch allen einen sehr freundlichen Brief an ihre gegenwärtige Adresse schreibe. Keisch erwiderte hierauf, daß er in keiner Weise daran denke, freundschaftliche Briefe zu verschicken, denn er empfinde für die Genannten keinerlei freundschaftliche Gefühle. Daher werde er kein Wort mehr als unbedingt nötig schreiben. Hermlin schrie darauf Keisch an: ›Immer noch bist du Generalsekretär und hast das zu machen, was wir im Präsidium beschließen.‹ Diese Auseinandersetzung zwischen Hermlin und Keisch, die an Schärfe zunahm, wurde durch Gen. Kamnitzer und Paul Wiens geschlichtet.42
Die gesamte Angelegenheit geriet wieder in Vergessenheit. Auch wenn die Debatte hitzig schien, die allgemeine Lähmung des P.E.N.-Zentrums DDR wurde immer spürbarer. Clubveranstaltungen waren selten. Im Jahr 1980 fand lediglich eine Lesung von Walter Kaufmann statt. Im darauf folgenden Jahr lässt sich eine Steigerung auf vier Termine vermerken und das Bemühen, in Kooperation mit dem Club der Kulturschaffenden das Prinzip der Nichtöffentlichkeit zu durchbrechen und einen höheren Wirkungsgrad zu erzielen. Dies war offensichtlich gelungen, denn eine Aktennotiz zu einer Gedenkveranstaltung zum 100. Geburtstag von Stefan Zweig enthält den Vermerk »gut besucht«43 . Um kooperatives Veranstaltungswesen bemühte sich die P.E.N.-Führung angesichts der erzielten Erfolge auch 1982 und brachte es so auf insgesamt sechs Veranstaltungen. Nur zwei entsprachen dabei den üblichen Clubgesprächen, die ausschließlich den Mitgliedern offen standen und gewöhnlich geringen Zulauf zu 41
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Information über eine Präsidiumssitzung des PEN-Zentrums der DDR zu Problemen der Vorbereitung der Internationalen PEN-Tagung vom 6.–11. 5. 1980 in der jugoslawischen Stadt Bled [12. 4. 1980]. BStU, MfS, AIM 7781/73, Bd. II/4, Bl. 65–68, hier Bl. 67. Information über eine Präsidiumssitzung des PEN-Zentrums der DDR zu Problemen der Vorbereitung der Internationalen PEN-Tagung vom 6.–11. 5. 1980 in der jugoslawischen Stadt Bled [12. 4. 1980]. BStU, MfS, AIM 7781/73, Bd. II/4, Bl. 65–68, hier Bl. 67. Vgl. Aktennotiz [zur Gedenkveranstaltung zum 100. Geburtstag von Stefan Zweig] [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Veranstaltungen 1968–1991/Aktennotiz 1. 695
verzeichnen hatten. Wichtiger Kooperationspartner blieb der Club der Kulturschaffenden. Besondere Hervorhebung verdient ein Literaturgespräch anlässlich des 100. Geburtstages von Johannes Tralow, das gemeinsam von Kulturbund, P.E.N. und Verlag der Nation ausgerichtet worden war. Nichtsdestotrotz gibt eine Information des Ministeriums für Staatssicherheit vom Oktober 1982 ein vernichtendes Urteil wieder, das Fritz Rudolf Fries über den DDR-P.E.N. gefällt hatte: Die Arbeit des PEN-Zentrums DDR beschränkt sich im Grunde genommen auf Aktivitäten von Kamnitzer und Keisch, zwei alte Herren, die auch gegenwärtige Erscheinungen aus der revolutionären Sicht der fünfziger Jahre beurteilen. Das PEN-Zentrum existiert zwar und bemüht sich um internationale Präsenz, erscheint aber für die Öffentlichkeit kaum präsent.44
Wiederum wird die mangelhafte Beteiligung der Präsidiumsmitglieder an den Sitzungen hervorgehoben. Nach Fries’ Empfinden hatten sich Kamnitzer und Keisch in diesen Verhältnissen eingerichtet und schienen eher überfordert, wenn sie bei ihren Zusammenkünften Besuch erhielten: »Erscheint ein Präsidiumsmitglied zusätzlich, ist das für sie ungewöhnlich und sie werden dieses Zustandes kaum noch Herr.«45 Die Tätigkeit der beiden alternden Führungskräfte beurteilte Fries als mangelhaft: »Die wenig fruchtbringende Beschäftigung von Kamnitzer und Keisch hat Auswirkungen auf die Ausstrahlungskraft des P.E.N. Die Jahresversammlungen werden beispielsweise nur noch alle zwei Jahre durchgeführt und verlaufen ohne jede Brisanz; man ist da, redet freundlich miteinander und ist wieder einmal erinnert, daß man auch dem P.E.N. angehört.«46 Kritisch bewertete Fries die unklare Haltung gegenüber Mitgliedern, die sich offen gegen die Kulturpolitik der DDR ausgesprochen hatten wie etwa Rolf Schneider, Stefan Heym und Günter de Bruyn. Ein entschlossenes Vorgehen gegen sie hätte er wohl entschieden befürwortet.47 Auch die aus seiner Sicht mangelnde Anleitung durch parteiliche und staatliche Instanzen kritisierte Fries: »Überhaupt entsteht der Eindruck, daß das DDR-P.E.N. geduldet existiert, ohne daß seitens der Partei oder des Staates ernsthaftes Interesse an diesem Club besteht, so daß 44
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Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Zur Arbeit des Präsidiums des P.E.N.Zentrums DDR [20. 10. 1982]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 181–183, hier Bl. 181. Abgedruckt auch in Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 807. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Zur Arbeit des Präsidiums des P.E.N.Zentrums DDR [20. 10. 1982]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 181–183, hier Bl. 181. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Zur Arbeit des Präsidiums des P.E.N.Zentrums DDR [20. 10. 1982]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 181–183, hier Bl. 181. Vgl. GerhardHoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltungdes Ministeriumsfür Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Zur Arbeit des Präsidiums des P.E.N.Zentrums DDR [20. 10. 1982]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 181–183, hier Bl. 181.
die beiden Alten ihre eigene Politik ungehindert durchsetzen und einige ›windige‹ Autoren mit dem Schutzschild P.E.N. agieren können – und das vorrangig im Ausland.«48 So sehr sich Fries ein aktives P.E.N.-Zentrum DDR wünschte, so gering beurteilte er die Chance auf Veränderung der Situation: Es ist wichtig, international, daß das P.E.N.-Zentrum DDR existiert und am Leben bleibt, da spielen Traditionen unbedingt eine Rolle. Kaum jemand wird sich aber finden, P.E.N.-Arbeit lebendig zu machen, so daß dieses Zentrum auch öffentlichkeitswirksam wird. Somit bleibt der Zustand erhalten, das P.E.N.-Zentrum DDR als Betätigungsfeld zweier vom Aussterben bedrohter alter Herren zu sehen.49
Die schriftlich niedergelegte Vorarbeit zur Generalversammlung 1982 offenbart eindringlich die Schwierigkeiten, mit denen der Generalsekretär Keisch zu kämpfen hatte. Wieder einmal musste er die Einberufung einer Präsidiumssitzung zur Vorbereitung der Mitgliederversammlung wegen mangelnder Resonanz als gescheitert erklären. Ohne Kenntnisnahme der Meinungen wollte Keisch jedoch nicht vorgehen, so versuchte er auf schriftlichem Wege eine Klärung der wesentlichen Fragen herbeizuführen. Keischs Brief an die Kollegen des Präsidiums zeigt dessen maroden Zustand aufs deutlichste: Ich bitte Sie um Verständnis für die Schwierigkeit, in die Ihr Generalsekretär gerät, wenn Sie sich hier zu den aufgeworfenen Fragen nicht äußern sollten. Ich brauche in diesem Falle einen Anhaltspunkt für mein praktisches Handeln. Sollten Sie mir also bis Mitte Juni nicht geantwortet haben, so werde ich dies als bejahende Antwort auf die drei genannten Fragen auffassen. Ich werde dann annehmen, daß Sie einer Generalversammlung im Oktober zustimmen, daß Sie für das neue Präsidium kandidieren und daß Sie den Punkten 2 bis 5 des Ihnen bereits übermittelten Entwurfs eines neuen Statuts zustimmen.50
Schriftliche Reaktionen liefen daraufhin nur von Hacks und de Bruyn ein.51 Beide wandten sich gegen die Annahme der veränderten Statuten. Während de Bruyn seinen Rückzug aus dem Präsidium mitteilte, erklärte der »blendende Polemiker«52 Hacks sich bezeichnenderweise »weiterhin bereit, den Honorar-
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Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Zur Arbeit des Präsidiums des P.E.N.Zentrums DDR [20. 10. 1982]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 181–183, hier Bl. 182. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Zur Arbeit des Präsidiums des P.E.N.Zentrums DDR [20. 10. 1982]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 181–183, hier Bl. 182. Henryk Keisch an alle Präsidiumsmitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR [27. 5. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1982/An alle Präsidiumsmitglieder 1 und 1a. Vgl. Peter Hacks an Henryk Keisch [9. 6. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Oktober 1982/Peter Hacks 3, sowie Günter de Bruyn an Henryk Keisch [20. 5. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1982/Günter de Bruyn 1. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 349. 697
Titel eines Präsidiums-Mitglieds zu erleiden.«53 Ersatz musste zudem für den verstorbenen Paul Wiens und für Hermann Kant gefunden werden, der ebenfalls seinen Rückzug angemeldet hatte. Keisch trieb die Vorbereitung der Generalversammlung gegenüber der Abteilung Kultur des ZK der SED erfolgreich voran. Anfang Oktober teilte er einem Mitarbeiter mit, dass er es [a]ngesichts der Liste und auch der vorbereiteten Vorschläge für die Zuwahl des Präsidiums […] für wenig wahrscheinlich [halte], daß sich heftige Kontroversen oder Konfliktstoffe ergeben. Es wird also nach meiner Auffassung genügen,wenn die an der Versammlung teilnehmenden Parteimitglieder von der Kulturabteilung des ZK zu einer Besprechung der Parteigruppe eine Stunde vor Beginn […] eingeladen werden.54
Daraufhin informierte die Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED, Ursula Ragwitz, alle Parteimitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR : »Zur politischen Unterstützung der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums der DDR führen wir […] die Konstituierung der Parteigruppe der Generalversammlung durch.«55 Hieraus wird deutlich, dass es sich bei der Parteigruppe nicht um eine festgelegte Gruppierung handelte. Vielmehr entstand vor der Generalversammlung eine zufällige Konstellation, in der jene zusammengefasst waren, die der Einladung des P.E.N. und der Kulturabteilung gefolgt waren. Inwieweit eine Indoktrination der anwesenden Mitglieder möglich und wirksam war, ist schwerlich nachzuprüfen. Walter Kaufmann, der als Nichtmitglied der SED zu den Vorausversammlungen nicht geladen wurde, etwa mutmaßte: »Aber sie können auch keinen großen Einfluß gehabt haben, denn die Leute haben sich kaum nach irgendwelchen Beschlüssen gerichtet. Das muß über ganz andere Ecken gegangen sein.«56 Die Sprengkraft der Generalversammlungen, deren Mangel Fries in seinem Bericht vom 20. Oktober noch beklagt hatte, trat bei der Zusammenkunft der Mitglieder wenige Tage später unvermittelt hervor. Das bemerkte auch Fries in seinem Bericht über die Tagung; sie »hatte, wie lange Zeit keine, ein wenig Brisanz.«57 Erschienen war etwa die Hälfte der Mitgliederschaft, d. h. ungefähr 30 Personen. Darunter die »operativ interessierenden Schriftsteller« Günter de Bruyn, Adolf Endler, Rolf Schneider, Jürgen Rennert, Rainer Kirsch, Stephan Hermlin und Karl Mickel. Aus dem Westen war die 85-jährige Dinah Nelken 53
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Peter Hacks an Henryk Keisch [9. 6. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1982/Peter Hacks 3. Henryk Keisch an Ulrich Frank [Abteilung Kultur beim ZK der SED] [6. 10. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1982/ZK der SED 1. Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED] an alle Parteimitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR [15. 10. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Oktober 1982/ZK der SED 2. Unveröffentlichtes Interview von Therese Hörnigk mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Jahreshauptversammlung des P.E.N.Zentrums DDR [IM Pedro Hagen] [22. 11. 1982]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 192f., hier Bl. 192.
dazu gestoßen. Als Beobachter des ZK der SED wohnte Ulrich Franz der Versammlung bei. Im Mittelpunkt der Aussprache stand einerseits, angestoßen durch Rainer Kirsch, eine Debatte über die Behandlung kritischer Autoren durch die Institutionen bzw. Organisationen der DDR. Kirsch zeigte sich besorgt über die Angriffe auf »illoyale« Schriftsteller, die von einer Kulturkonferenz der FDJ im Oktober 1982 ausgegangen waren; er verwies insbesondere auf Hartmut König, Sekretär des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend (FDJ), der die innerkommunistischen Kritiker scharf angegangen war: »Die Treue zu den Prinzipien sozialistisch-realistischen Kunstschaffens, die für die große Mehrheit unserer Künstler typisch ist, stellt die einzig richtige Antwort auf die gegnerische Taktik einer Erosion des Sozialismus dar. Der Gegner attackiert unsere produktive Widerspruchs- und Konfliktdarstellung und fördert Leute, die an unsere Entwicklung destruktiv herangehen.«58 Königs Referat zielte auf die Diffamierung »langjähriger Verräter«59 , namentlich solcher unbequemen Autoren wie Rolf Schneider oder Klaus Poche. Endler charakterisierte die FDJ-Kulturkonferenz bezeichnenderweise als »revuehaften Drohgebärdezirkus«60 . Das kam nicht von ungefähr: Die FDJ galt »mit 2,3 Millionen jugendlichen Mitgliedern […] als ›Kampfreserve‹ der Partei«61 ; sie ging Anfang der achtziger Jahre besonders forsch vor, um die Linie der Partei deutlich zu machen und diente auf diese Weise als kulturpolitisches Instrument. Kirsch bekundete nun im Forum des P.E.N. sein Unbehagen gegenüber solchen unmissverständlichen Abqualifizierungen: Ich kann nicht billigen, wenn ich höre: ›Verräter!‹ Mein Kollege Schneider ist kein Kriegshetzer und der Kollege Poche auch nicht. Jurek Becker ist keiner, Kunert ist keiner und wer anders da noch gemeint sein mag. […] Das Zum-Gegner-Erklärenhalte ich […] für bedenklich. Und ich bin der Meinung, daß der PEN, auf welche Weise, müßte man besprechen, auch seine Bedenken, falls die Kollegen meiner Ansicht zuneigen, erheben sollte.62
Einem solchen Begehren stellte sich Keisch erwartungsgemäß entgegen und konstatierte ein gewissesUngleichgewicht für diese Empfindlichkeitin einigen Fällen und der Indifferenz, die in anderen Fällen gezeigt wurde. Wenn einige Kollegen, die sich über Jahre hinweg sehr rücksichtslos über andere Kollegen und über Zustände geäußert haben, nun auch einmal Gegenstand von Äußerungensind, so sehe ich nicht, was daran besonders dramatisch ist. Das scheint mir durchaus den Namen ›Auseinandersetzung‹ oder 58 59
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Zitiert nach Schroeder, S. 262. Wortbeitrag von Rainer Kirsch. In: Stenografisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-ZentrumsDDR am 25. Oktober 1982 [o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1982/Stenografisches Protokoll 1–90, hier 2. Adolf Endler: Tarzan am Prenzlauer Berg. Sudelblätter 1981–1983. Leipzig 1994, S. 260. Weber, S. 430. Stenografisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR am 25. Oktober 1982 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1982/ Stenografisches Protokoll 1–90, hier 4. 699
›Diskussion‹ zu verdienen. Und wennschon empfindlich, dann würde ich doch meinen, daß sich die Empfindlichkeit auf allen Seiten wiederfinden sollte und wennschon Robustheit, dann Robustheit auf allen Seiten.63
Dass die propagandistisch eingesetzte Kritik durch DDR-Instanzen kaum eine öffentliche Auseinandersetzung in Gang setzte, sondern in der Regel eine existentielle Bedrohung für einen Schriftsteller darstellte, klammerte Keisch in seiner Darstellung aus; er versuchte einen seiner üblichen Winkelzüge, um vom Kern der Vorwürfe abzulenken. Keisch wollte das von Kirsch beklagte Opfer, in diesem Falle Rolf Schneider, wegen eines im Spiegel veröffentlichten Artikels über Hermann Kants Zu den Unterlagen seinerseits anklagen. Dieses Unterfangen misslang. Wortbeiträge von Jürgen Rennert, Karl Mickel und Rolf Schneider stützten Kirsch in seiner Argumentation. Auch Hermlin trat als kritischer Beobachter in die Diskussion ein. Auf Keischs Seite schlugen sich Jürgen Gruner und Günther Rückert. Ein wirkliches Ergebnis erzielte die Debatte nicht – hier ist Fries’ Einschätzung für das Ministerium für Staatssicherheit zu folgen: »Und das ist kennzeichnend für die Diskussionen im P.E.N.-Zentrum DDR. Fragen wurden aufgeworfen, gelangen ins Bewußtsein, man redet darüber, eine Klärung wird nicht herbeigeführt.«64 Fries hoffte offenkundig auf politisch klare Ansagen und sah sich wieder einmal enttäuscht: »Man geht mit den Fragen und die Möglichkeit für Spekulationen ist geschaffen.«65 Bemerkenswert für den gesamten Verlauf der Generalversammlung war etwas, das auch Fries betonte: »Es zeigte sich aber auch, daß man zum Gespräch bereit ist, darin bestand das Besondere dieser Tagung. Seit langem wurden wieder Standpunkte erklärt und bei allen Differenzen: Man sprach miteinander, auch gegeneinander.«66 Breiten Raum nahm zudem der Meinungsaustausch über einen Vorwurf ein, der von Endler kam; er kritisierte relativ zaghaft, die P.E.N.-Charta liege einer Vielzahl von Mitgliedern nicht vor und sei ihnen nicht einmal bekannt. Das sei »sagenhaft und absurd[,] es ist doch kein Problem […] die Charta zu verviel-
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Redebeitrag von Henryk Keisch. In: Stenografisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-ZentrumsDDR am 25. Oktober 1982 [o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1982/Stenografisches Protokoll 1–90, hier 21. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Jahreshauptversammlung des P.E.N.Zentrums DDR [IM Pedro Hagen] [22. 11. 1982]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 192f., hier Bl. 193. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Jahreshauptversammlung des P.E.N.Zentrums DDR [IM Pedro Hagen] [22. 11. 1982]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 192f., hier Bl. 193. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Jahreshauptversammlung des P.E.N.Zentrums DDR [IM Pedro Hagen] [22. 11. 1982]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 192f., hier Bl. 192.
fältigen«67 . In seinen Sudelblättern hatte Endler im September 1982 schwarzhumorig seine Befürchtungen zugespitzt, die ihn beim zufälligen Auffinden der P.E.N.-Charta in einem westdeutschen Literaturkalender beschlichen: Die PEN-Charta, uns Mitgliedern des PEN in der DDR offenkundig vorenthalten von Sekretariat und Präsidium. Da ich das hoch-edle Dokument wieder und wieder und immer erstaunter lese, kristallisiert sich immer schärfer die Frage heraus: Mensch, bist du überhaupt richtig ›drin‹ im Club, sind es die Mitschwestern und Mitbrüder aus Berlin/DDR, aus Potsdam, aus Rostock oder Leipzig alle? […] Ich ziele mit meiner vielleicht ein wenig absonderlich klingenden Frage auf einen gravierenden und für die Verhältnisse überaus charakteristischen Formfehler bei der ›Zuwahl‹: Weder sind wir (bin ich) über die Existenz einer P.E.N.-Charta aufgeklärt noch ist sie uns zur Unterschrift vorgelegt worden, diese, gemessen an den Gesetzen der DDR, zu allerlei Untaten ermunternde, ja verpflichtende, internationale Charta des PEN. Eines weiß ich genau: Mein Friedrich Wilhelm steht nicht unter diesem Dokument. Wessen Unterschrift überhaupt? - // - Oh, wunderschöne und ritterlich-edle PEN-Charta, der Heilige Gral dieser literarischen Artus-Runde gewissermaßen, ach, wie fern, wie weltenfern dem letztendlich immer noch stalinistischen Statut des literarischen UNTERHAUSES, des Schriftstellerverbandsder DDR! […] Tja, sind wir überhauptMitglieder des internationalen PEN? Gaukeln wir uns die Mitgliedschaft nur vor, von den führenden Gauklern dazu animiert? Wie ich der entsprechendenINFORMATION entnehme (aber vielleicht ist selbst der nicht zu trauen), wurde der geschmeichelte Verfasser – Schande über mein Haupt – im November 1975 der unerwarteten Pseudo-Ehreteilhaftig, […] vorgeschlagen und dann tatsächlich von der Mehrzahl der Anwesenden gekürt zu werden […]. […] Summa summarum: Obwohl damals ›zugewählt‹, gehe ich davon aus, daß ich kein PEN-Club-Mitglied geworden bin; ich werde mich hüten, es weiterzusagen. Ich wäre schön blöd, das Schutzschild ›Mitglied des PEN-Clubs‹ leichtfertig niederzulegen.68
Johannes Tralow hatte während seiner Amtszeit akribisch darauf geachtet, dass die P.E.N.-Charta von den neu gewählten Mitgliedern unterzeichnet wurde. Davon zeugen zahlreiche Schreiben in seinem Nachlass, in denen er die Unterschrift einforderte, sowie Exemplare der unterzeichneten Charta. Auch Heinz Kamnitzer hatte die Charta seinerzeit unterschrieben.69 Nach Tralows Ausscheiden aus der führenden Position wurde diese Praxis nur lax weiter geführt und geriet mehr und mehr in Vergessenheit. Eine bewusste Geheimhaltung der P.E.N.-Charta vor den Mitgliedern, wie von Endler unterstellt, kann jedoch nicht bestätigt werden. Schließlich wurden potentielle Änderungen an der Charta auch im Gremium der Mitgliederversammlung beraten. An Rita Schober etwa hatte Henryk Keisch die P.E.N.-Charta » wunschgemäß«70 bereits im Mai 1980 gesandt. So muss angenommen werden, dass die Charta nicht routinemäßig, sondern nur auf direkte Nachfrage an die Mitglieder ausge67
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Stenografisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR am 25. Oktober 1982 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1982/ Stenografisches Protokoll 1–90, hier 12. Endler, S. 141–143. Vgl. P.E.N.-Charta, unterzeichnet von Heinz Kamnitzer [1958]. SBBPK NL Johannes Tralow K 48 Konv. Kamnitzer. Henryk Keisch an Rita Schober [5. 5. 1980]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1978–1981/Sch/Schober Rita 1. 701
geben wurde. Dass es sich angesichts der zentralen Bedeutung der P.E.N.-Charta gleichwohl um eine inakzeptable Unterlassung handelte, steht dabei außer Frage. Die Auseinandersetzung über die Verfahrensweise hinsichtlich der P.E.N.Charta trug zumindest kleine Früchte. Keisch lud alle Mitglieder zu einem Clubtreffen im Dezember 1982 ein: Erstens zur Einführung der zugewählten Mitglieder, zweitens zur Diskussion über P.E.N.-Charta und Tätigkeit des Internationalen P.E.N.! Bemerkenswert ist das P.S.: »Für unsere neuen Mitglieder anbei ein Exemplar der P.E.N.-Charta.«71 Auch Adolf Endler war, zumindest laut Adressenliste, eine Einladung zugegangen.72 Ob er mit gleicher Post auch ein Exemplar der Charta erhielt, lässt sich nicht nachweisen. Die Zusammenkunft fand mit hoher Wahrscheinlichkeit statt,73 über ihren Verlauf existiert jedoch keinerlei Information. So lebhaft sich das P.E.N.-Zentrum DDR bei seiner Zusammenkunft 1982 gezeigt hatte, so erstarrt schien es im Januar 1985. Das P.E.N.-Präsidium war nicht aus seiner Lethargie zu reißen. Noch im August 1984 hatte der Generalsekretär auf die »untragbar schwach[e] Beteiligung« an den Zusammenkünften des Präsidiums hingewiesen und gebeten, »die wenigen Termine, auf die ich Ihre Verpflichtungen zu begrenzen bestrebt bin, wenn irgend möglich wahrzunehmen.«74 Auch der Umfang des Protokolls zur Generalversammlung 1985 deutet auf eine gewisse Apathie hin.75 Die durch das Ministerium für Staatssicherheit vorgenommene »Instruierung [von Heinz Kamnitzer] zur Vorbereitung und Durchführung der Generalversammlung […] insbesondere zu op. bekannten Mitgliedern Heym, Hermlin, Ch. und Gerhard Wolf, de Bruyn, R. Schneider«76 schien mit Blick auf die geringe Brisanz der P.E.N.-Zusammenkunft hinfällig. Die Lieferung stichhaltiger Informationen »aus Kreisen der Schriftsteller und Kulturschaffenden zur Erforschung der gegenwärtigen politisch op. Lage«77 dürfte Kamnitzer schwer gefallen sein. Die Aussprache beschäftigte sich in loser Folge mit den bekannten Problemen hinsichtlich der Clubveranstaltungen: Beteiligung, Themen, Kooperationen etc.; verwiesen wur71
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Henryk Keisch an alle Mitglieder [1. 12. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Veranstaltungen 1968–1991/An alle Mitglieder 11. Vgl. Adressenliste. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Veranstaltungen 1968– 1991/An alle Mitglieder 11a. Vgl. Rede Prof. Kamnitzer zum Empfang neuer Mitglieder am 15. 12. 1982 [handschriftlicher Vermerk: 1 Ex. an M[inisterium]f[ür]K[ultur] Hoffmann 2[?]0. 12. 1982] [o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Oktober 1982/Kamnitzer/Rede1–5. Henryk Keisch an alle Präsidiumsmitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR [28. 8. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenzallgemein 1982–1984/A/An alle Mitglieder 3. Vgl. Protokoll der Generalversammlungdes P.E.N.-Zentrums der DDR am 16. 1. 1985, im Club der Gewerkschaft Kunst ›Die Möwe‹ in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Januar 1985 Berlin/Protokoll 1–11. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS »Georg« am 12. 1. 1985 [14. 1. 1985]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 204f. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS »Georg« am 12. 1. 1985 [14. 1. 1985]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 204f.
de auf ein Buchprojekt zur Geschichte des DDR-P.E.N., das angedacht sei; angeregt wurde eine neue P.E.N.-Anthologie; angesprochen wurden mögliche Würdigungen von Egon Erwin Kisch zu seinem 100. Geburtstag.78 Dem knappen Revisionsbericht von Walter Kaufmann folgte der unspektakuläre Wahlakt, der lediglich durch eine kurze Diskussion über die Form der Wahl – offen oder geheim – verzögert wurde. Das bisherige Präsidium wurde wiedergewählt, Kaufmann in seinem Amt als Revisionsbeauftragter bestätigt. Auch die Führung Kamnitzer-Keisch blieb im Amt. Hinsichtlich der Aufnahme neuer Mitglieder in das P.E.N.-Zentrum DDR war Kamnitzer durch seinen Führungsoffizier beauftragt worden, »progressive Schriftsteller für eine Aufnahme in den PEN vorzubereiten«79 . Eine direkte Einflussnahme von Kamnitzer auf die Wahlvorschläge ist jedoch nicht nachweisbar. Alle Vorschläge zur Zuwahl, die aus den Reihen der Mitglieder zugegangen waren, wurden von der Generalversammlung bestätigt. Als neue Mitglieder wurden Richard Christ, John Erpenbeck, Renate Feyl, Peter Gosse, Eckart Krumbholz, Joochen Laabs, Bernd Leistner, Max Walter Schulz, Eva Strittmatter und Walter Werner aufgenommen. Auch Christoph Hein, vorgeschlagen von Friedrich Dieckmann, hatte die Hürde geschafft.80 Ihm war eine besondere Behandlung zuteil geworden. Im Auftrag von Kamnitzer sollte Keisch bei der Zusendung der Vorschlagsliste an die Abteilung Kultur beim ZK der SED explizit »[a]uf Christoph Hein hinweisen«81 . Offenbar hegte die Abteilung Kultur keine Bedenken gegenüber Hein, auch andere regulierende Eingriffe lassen sich nicht nachweisen. So stand Hein für die P.E.N.-Mitglieder zur Wahl und wurde mit 30 von 31 abgegebenen Stimmen aufgenommen. Heins Reaktion auf die Zuwahl sprach Bände hinsichtlich des öffentlichen Bekanntheitsgrads des P.E.N.-Clubs: Die Aufnahme »ehrt mich sehr. Bedauerlicherweise übersteigt meine Unkenntnis jedes Maß. Und zu meiner Schande muß ich Ihnen gestehen, daß ich so gut wie gar nichts über und vom P.E.N. weiß.«82 Ein wenig Koketterie mag bei dieser Antwort im Spiel gewesen sein, denn Hein war die Existenz der P.E.N.-Charta wohlbekannt; er bat im selben Schreiben um deren Zusendung. Zwischen den beiden Generalversammlungen hatte das P.E.N.-Zentrum im Inneren der DDR im Wesentlichen durch Veranstaltungen auf sich aufmerksam 78
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Vgl. Protokoll der Generalversammlungdes P.E.N.-Zentrumsder DDR am 16. 1. 1985, im Club der Gewerkschaft Kunst ›Die Möwe‹ in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Januar 1985 Berlin/Protokoll 1–11, hier 1–8. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS »Georg« am 12. 1. 1985 [14. 1. 1985]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 204f. Vgl. Protokoll der Generalversammlungdes P.E.N.-Zentrumsder DDR am 16. 1. 1985, im Club der Gewerkschaft Kunst ›Die Möwe‹ in Berlin [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Januar 1985 Berlin/Protokoll 1–11, hier 9–11. Notiz von Heinz Kamnitzer an Henryk Keisch [27. 12. 1984].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Januar 1985 Berlin/Vorschläge für neue Mitglieder/Heinz Kamnitzer 3. Christoph Hein an Henryk Keisch [26. 1. 1985]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Januar 1985 Berlin/Vorschläge für neue Mitglieder/Christoph Hein 1. 703
gemacht. Im Jahr 1983 brachte man es auf neun, 1984 nur mehr auf vier Einladungen.83 Ein besonderer Anteil kam dabei dem kooperativen Veranstaltungswesen zu. Es gab weiterhin Zusammenarbeit mit dem Club der Kulturschaffenden und dem Kulturbund, aber auch mit dem Schriftstellerverband und dem Haus der Ungarischen Kunst. Eine weitere Besonderheit bot die Ausrichtung von Clubveranstaltungen durch P.E.N.-Mitglieder, die als Führungskraft in Verlagen eingesetzt waren. So lud Jürgen Gruner im März 1983 in den Verlag Volk und Welt, um Aufgaben, Programm und Praxis des Verlages vorzustellen.84 Hans Marquardt, Leiter des Reclam-Verlages, setzte die begonnene »lockere Folge«85 fort und stellte im April 1984 eine neue Edition zum Werk von Max Beckmann vor. Ansatzweise bemühte sich die P.E.N.-Leitung um die mehrfach eingeklagte größere Transparenz der Aktivität auf internationalem Terrain. Im Juni 1984 lud Keisch zum Beispiel zu einer Berichterstattung über einen Kongress in Tokio.86 Eine Initiative der frühen achtziger Jahre verdient aufgrund ihrer Herausgehobenheit aus den typischen P.E.N.-Aktivitäten besondere Erwähnung. Sie diente nicht unmittelbar dem Interesse des P.E.N.-Zentrums DDR, sondern entsprang einem sehr privaten Anliegen des Generalsekretärs Henryk Keisch, das sich gleichwohl mit dem in der DDR gepflegten Mythos »Antifaschismus« in Einklang befand. Im Mai 1983 vermeldete Henryk Keisch der Abteilung Kultur beim ZK der SED den erfolgreichen Abschluss eines Projektes, das ihn seit Ende des Jahres 1980 beschäftigt hatte – der Errichtung einer »Gedenkstätte für die antifaschistische deutsche Exilliteratur in Frankreich«87 . Es handelte sich dabei um ein Vorhaben, das in engem Zusammenhang mit Keischs Biographie stand. Keisch gehörte zum Kreis jener, die aus dem nationalsozialistischen Deutschland ins Exil nach Frankreich gegangen waren und am antifaschistischen Widerstand partizipiert hatten. Was Keisch vorschwebte, war die öffentlichkeitswirksame Würdigung der exilierten Schriftsteller. Ins Auge gefasst hatte er zunächst das Dorf Sanary-sur-mer; dorthin hatte sich nach 1933 eine Reihe bedeutender deutscher Schriftsteller zurückgezogen, u. a. Lion Feuchtwanger. Keischs Bemühungen zielten auf die Errichtung einer Gedenktafel an jenem Haus, in dem Feuchtwanger gewohnt hatte, »um in geeigneter Form auf den solidarischen Zusammenhalt von französischen und deutschen Schriftstellern im antifaschistischen Widerstand hinzuweisen«88 . Sein Interesse konzentrierte sich 83 84
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Vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Veranstaltungen 1968–1991. Henryk Keisch an alle Mitglieder [11. 2. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Veranstaltungen 1968–1991/An alle Mitglieder 10. Henryk Keisch an alle Mitglieder [1. 2. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Veranstaltungen 1968–1991/An alle Mitglieder 4. Vgl. Henryk Keisch an alle Mitglieder [25. 5. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PENClub/Veranstaltungen 1968–1991/An alle Mitglieder 3. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [3. 2. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1978– 1981/Z/ZK der SED 3 und 3a, hier 3. Henryk Keisch an Marta Feuchtwanger[6. 11. 1980].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1978–1981/F/Feuchtwanger Marta 8.
auch auf die Hauptstadt Paris, die Mitte der dreißiger Jahre zu einem Zentrum des deutschsprachigen Exils geworden war. Durch das unermüdliche Engagement von Alfred Kantorowicz war dort 1934 am Boulevard Arago die Deutsche Freiheitsbibliothek eingerichtet worden, die als politisch-propagandistisch aktive Einrichtung des literarischen Exils unter kommunistischer Ägide gearbeitet hatte.89 Keisch selbst hatte »in den Vorkriegsjahren als junger Emigrant diese Bibliothek oft besucht«; sie hatte nach eigenen Aussagen »auf [s]ein politisches Werden ohne Zweifel starken Einfluß aus[ge]übt[ ]«90 . Aus diesem Grund betrieb er seinen Plan, auch dort eine Gedenktafel anzubringen, »mit besonderer Anteilnahme«91 . Im Februar 1981 hatte Keisch für sein Unternehmen die Unterstützung der Freundschaftsgesellschaft DDR-Frankreich und der Schwestergesellschaft Frankreich-DDR sichergestellt und hoffte auf eine aktive Kooperation des französischen P.E.N.-Zentrums. Schwierigkeiten sah er in der technischorganisatorischen Durchführung des Vorhabens und rief die Leiterin der Abteilung Kultur, Ursula Ragwitz, um organisatorische Hilfe an.92 Die Einweihung der Pariser Gedenktafel sollte nach Keischs Dafürhalten öffentlichkeitswirksam mit der für den September 1981 in Paris angesetzten Abschlusssitzung des internationalen P.E.N.-Kongresses gekoppelt werden: Dieser Kongreß wird mit dem 60. Jahrestag der Gründung des P.E.N. zusammenfallen. Es ergibt sich damit die Möglichkeit, dem Jubiläum einen antifaschistischfortschrittlichen Akzent zu verleihen, wie er in der sonstigen öffentlichen Tätigkeit des InternationalenP.E.N. leider sehr selten gewordenist. Sicher wird es Euch möglich sein, für eine solche Zeremonie bei solchem Anlaß öffentliche Aufmerksamkeit bei Presse, Fernsehen usw. zu gewinnen.93
Dieser ursprüngliche Plan scheiterte. Anfang Mai 1983 konnte Keisch schließlich den »Schlusspunkt mehrjähriger Bemühungen und Demarchen«94 setzen. 89
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Zur Geschichte der Deutschen Freiheitsbibliothek vgl. die bisher unveröffentlichte Magisterarbeit der Autorin: »Wir hüten Erbe und Zukunft«. Die Deutsche Freiheitsbibliothek in Paris 1934 bis 1939. Bericht des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums DDR über die Einweihung einer Gedenktafel am 15. Mai 1983 an der ehemaligen antifaschistischen deutschen Freiheitsbibliothek in Paris sowie über seine Teilnahme an der Delegiertenversammlung des Internationalen P.E.N. in Venedig (11.–15. Mai 1983). P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/Bericht über die Einweihung einer Gedenktafel 1–4, hier 1. Henryk Keisch an einen ehemaligen Bewohner der Künstlerkolonie am Boulevard Arago [23. 10. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1978–1981/W/Weiß K 1. Vgl. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [3. 2. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1978–1981/Z/ZK der SED 3 und 3a. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED] [3. 2. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1978– 1981/Z/ZK der SED 3 und 3a. Bericht des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums DDR über die Einweihung einer Gedenktafel am 15. Mai 1983 an der ehemaligen antifaschistischen deutschen Freiheitsbibliothek in Paris sowie über seine Teilnahme an der Delegiertenversammlung 705
Wenige Tage vor dem 50. Jahrestag der Bücherverbrennung fand die Einweihungszeremonie statt, die zugleich zu einer Gedenkveranstaltung für die verbotenen Schriftsteller und ihre Literatur wurde. Etwa fünfzig Personen waren anwesend, darunter der Botschafter der DDR in Paris, Presse-, Rundfunk- und Fernsehkorrespondenten, Vertreter der Freundschaftsgesellschaft France-RDA, Mitglieder des französischen P.E.N.-Clubs, Mitglieder der von Gilbert Badia geleiteten Forschungsgruppe über das deutschsprachige Exil in Frankreich und Bewohner der Künstlersiedlung am Boulevard Arago, in deren Räumlichkeiten die Deutsche Freiheitsbibliothek untergebracht gewesen war. Als konkreten Erfolg empfand Keisch, »daß nunmehr die Tafel am Eingang zu dem Gelände an den antifaschistischen Kampf erinnert und daß sie das P.E.N.-Zentrum der Deutschen Demokratischen Republik zusammen mit dem französischen P.E.N.Club als Träger und Verfechter der antifaschistischen Tradition ausdrücklich nennt.«95 Auch heute befindet sich eine Tafel am Eingang der Künstlersiedlung; sie informiert aber lediglich über deren Geschichte. Ein Hinweis auf die Deutsche Freiheitsbibliothek findet sich dort nicht mehr. Offensichtlich war nach dem Niedergang der DDR die in Kooperation von DDR-P.E.N. und französischem P.E.N. errichtete Gedenktafel wieder abgenommen worden. 8.1.2 Weiterhin kein Einsatz für Schriftstellerkollegen im eigenen Land Um die Belange inhaftierter Schriftstellerkollegen, insbesondere im eigenen Lande, kümmerte sich das P.E.N.-Zentrum DDR in den Jahren zwischen 1980 und 1985 aus eigenem Antrieb nicht. Anstöße für die Auseinandersetzung mit Einzelfällen kamen in der Regel von außen. Im Januar 1980 hatte sich der Schwede Thomas von Vegesack, der sich sehr für in Not geratene Schriftsteller einsetzte, an den DDR-P.E.N. gewandt, um nähere Auskünfte im Fall von Manfred Bartz zu erhalten.96 Eingeschaltet hatte sich auch das WiPC. Bartz war im November 1979 von der Staatssicherheit verhaftet und zur Untersuchungshaft nach Berlin-Hohenschönhausen verbracht worden; er hatte »außer KabarettSzenen und Geschichten für den ›Eulenspiegel‹ und die ›Berliner Zeitung‹ Texte verfasst, die den realen Sozialismus zu authentisch widerspiegelten: Erzählungen und Fernsehspiele über korrupte Parteifunktionäre und ausgebeutete DDRBürger, über die ›Sklavenarbeit‹ der DDR für die Sowjetunion, über die Irrtümer
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des Internationalen P.E.N. in Venedig (11.–15. Mai 1983). P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/Bericht über die Einweihung einer Gedenktafel 1–4, hier 1. Bericht des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums DDR über die Einweihung einer Gedenktafel am 15. Mai 1983 an der ehemaligen antifaschistischen deutschen Freiheitsbibliothek in Paris sowie über seine Teilnahme an der Delegiertenversammlung des Internationalen P.E.N. in Venedig (11.–15. Mai 1983). P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/Bericht über die Einweihung einer Gedenktafel 1–4, hier 3. Thomas von Vegesack an Heinz Kamnitzer [29. 1. 1980]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz International 1978–1983/S/Schweden 2.
von Marx und die dunklen Flecken in der Vergangenheit der SED-Führer.«97 In der DDR einen Verlag für seine Texte zu finden, war nicht nur schwierig, es war auch außerordentlich gefährlich. Also begann Bartz, seine Manuskripte in den Westen zu schmuggeln. Doch auch diese Bemühungen blieben vergeblich: »Bartz schrieb böse Sachen, satirisch überzogen, verletzend, schockierend. Texte, die im Osten keiner lesen durfte und im Westen keiner lesen wollte.«98 Selbstverständlich erfuhr die Staatssicherheit von Bartz’ Postverkehr in den Westen, stellte ihn unter strenge Überwachung und schlug schließlich zu. Diese Angaben waren in der DDR kaum zu erlangen. Kamnitzer antwortete im Februar 1980 an Vegesack, er habe sich redlich bemüht, aber keine Informationen gefunden.99 Ende März 1980 übermittelte Vegesack detaillierte Erkenntnisse an Kamnitzer – wohl in der Hoffnung, eine spürbare Aktivität des DDR-P.E.N. anzustoßen.100 In Vorbereitung der internationalen P.E.N.-Tagung in Bled, Jugoslawien, vom 6.–11. Mai 1980 beschäftigte sich dann das P.E.N.-Präsidium mit dem Fall Bartz101 – schließlich waren kritische Nachfragen zu erwarten. Immerhin hatte Keisch recherchiert, konnte aber Vegesacks Hinweise auf Bartz nicht bestätigen. Er sei kein Bibliothekar, kein Mitglied des Schriftstellerverbandes und seine Mitarbeit im Kabarett Die Distel sei ungewiss:102 Außer einigen kleineren Texten für die Berliner Zeitung, sowie Kabaretttexten habe er nichts Bedeutendes geschrieben. Die Staatsanwaltschaft habe ihm mitgeteilt, daß es sich um ein noch schwankendes Verfahren handelt, wo in der Regel keine Auskunft erteilt wird. In diesem Fall würde jedoch mitgeteilt, daß das Strafverfahrengegen Bartz nichts mit dessen literarischer Arbeit zu tun hat, Bartz hat sich gegen die Gesetze der DDR vergangen […].103
Keisch empfahl eine Abwiegelung etwaiger Kritik nach dem üblichen Muster des Kalten-Krieg-Denkens. Anhand der genannten Hinweise sei deutlich zu machen, »daß sich Bartz als Feind gegen die Gesetze der DDR vergangen hat, diese Anfragen wieder eine typische Form der Einmischung in die inne97
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Andreas Förster: Er war einmal der Gefangene des Monats. Ein Satiriker, für dessen Freilassung aus DDR-Haft sich Amnesty International einsetzte, lebt heute vergessen in Hamburg. In: Berliner Zeitung vom 27. 7. 1998, S. 3. Verfügbar unter URL: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1998/0727/blickpunkt/ 0001/index.html [Zugriff: 30. 5. 2006]. Förster: Er war einmal der Gefangene des Monats. Heinz Kamnitzer an Thomas von Vegesack [13. 2. 1980]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz International 1978–1983/S/Schweden 7. Thomas von Vegesack an Heinz Kamnitzer [21. 3. 1980]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz International 1978–1983/S/Schweden 6. Information über eine Präsidiumstagung des PEN-Zentrums der DDR zu Problemen der Internationalen PEN-Tagung vom 6.–11. 5. 1980 in der jugoslawischen Stadt Bled [11. 4. 1980]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 92–95. Henryk Keisch: Notiz für Herrn Prof. Kamnitzer [8. 4. 1980].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1978–1981/K/Kamnitzer Heinz 1. Information über eine Präsidiumstagung des PEN-Zentrums der DDR zu Problemen der Internationalen PEN-Tagung vom 6.–11. 5. 1980 in der jugoslawischen Stadt Bled [11. 4. 1980]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 92–95, hier Bl. 93. 707
ren Angelegenheiten der DDR darstellen und daher rein politischer Natur sind. Es seien die typischen Aktivitäten unserer Gegner.«104 Mit dieser Argumentation stieß Keisch auf Hermlins starken Widerstand; es folgte eines jener Streitgespräche, die nach de Bruyns Aussage den P.E.N. interessant machten. Hermlin machte deutlich, dass einer solchen Argumentation im Internationalen P.E.N. keine Geltung verschafft werden könne. Er erinnerte an die Ideale der Charta und versuchte, den von Keisch empfundenen Widerspruch zwischen dem Eintreten für Schriftstellerkollegen und der Loyalität gegenüber dem eigenen Staat aufzulösen: Als Mitglieder des PEN sind wir verpflichtet, uns für solche Leute einzusetzen. Das bedeutet nicht, daß ich oder wir als PEN-Mitglieder nicht für die Einhaltung der Gesetze der DDR sind oder daß wir gegen unseren Staat und dessen Gesetze sind. Was wir können und müssen ist, die entsprechenden staatlichen Stellen um Milde zu bitten. Wie dann individuell entsprechend der Sachlage von diesen Institutionen oder Verantwortlichen entschieden wird, ist eine ganz andere Frage.105
Eine bindende Entscheidung für das Verhalten wurde nicht getroffen. In einem Brief, den Kamnitzer unmittelbar vor Beginn der Tagung in Bled an Vegesack richtete, deutete sich ein Einsatz des P.E.N.-Zentrums DDR für Bartz nicht an, im Gegenteil. Kamnitzer spielte auf die Legitimität des Verfahrens an: »Es gibt noch zusätzliche Angaben über Beweismittel zu ungunsten von Herrn Bartz, die ich jedoch nicht nennen will, weil es sich um ein schwebendes Verfahren handelt.«106 Am Rande der Exekutivkomitee-Tagung kam es dann zu einer Auseinandersetzung zwischen den DDR-Delegierten und Thomas von Vegesack. Er hatte sich mit den üblichen Ausflüchten nicht zufrieden gegeben und versuchte, Druck auf die Mitglieder des DDR-P.E.N. auszuüben, indem er einen öffentlichen Protest gegen die Behandlung der Schriftsteller in der DDR ankündigte. Die DDR-Vertreter ließen sich davon nicht beeindrucken, kritisierten im Gegenzug vehement Vegesacks offensives Vorgehen. Sie vertraten den altbekannten Standpunkt: »Es gebe in einem jeden Land Gesetze. Werden diese verletzt, folge eine strafrechtliche Ahndung. Das DDR-PEN-Zentrum habe vom zuständigen Staatsanwalt glaubhaft und verbindlich, trotz des schwebenden Verfahrens, die Auskunft erhalten, daß Bartz nicht wegen seiner literarischen Arbeit inhaftiert wurde und vor Gericht gestellt wurde.«107 Vegesack zog sich von seiner aggressiven Position zurück; er hatte offensichtlich begriffen, dass so kein Fortschritt in 104
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Information über eine Präsidiumstagung des PEN-Zentrums der DDR zu Problemen der Internationalen PEN-Tagung vom 6.–11. 5. 1980 in der jugoslawischen Stadt Bled [11. 4. 1980]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 92–95, hier Bl. 93. Information über eine Präsidiumstagung des PEN-Zentrums der DDR zu Problemen der Internationalen PEN-Tagung vom 6.–11. 5. 1980 in der jugoslawischen Stadt Bled [11. 4. 1980]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 92–95, hier Bl. 94. Heinz Kamnitzer an Thomas von Vegesack [28. 4. 1980]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz International 1978–1983/S/Schweden 5. Information über operativ interessierende Fragen während der Internationalen PENTagung in der Zeit vom 6. 5.–11. 5. 1980 in Bled/Jugoslawien [11. 6. 1980]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/3, Bl. 97–106, hier Bl. 100.
der Sache zu erwarten war. Der Kompromiss zwischen Vegesack und den DDRVertretern umfasste schließlich die folgenden Punkte: Einstellen aller Aktivitäten, Abwarten des Prozesses und eventuell Nachsuchen um Milde. Der Fall wurde vor dem internationalen Gremium nicht verhandelt.108 Der Internationale P.E.N. ruhte indessen nicht. Das WiPC fragte im August 1980 bei Gregor Gysi, der die Verteidigung von Bartz übernommen hatte, an, »in welcher Anstalt er einsitze, weshalb er angeklagt sei und wie sein Gesundheitszustand sei.«109 Auch das bundesdeutsche P.E.N.-Zentrum verwendete sich für Bartz. Der Satiriker wurde nach fünfzehn Monaten Untersuchungshaft schließlich vor Gericht gestellt und wegen »staatsfeindlicher Hetze, Hetze gegen befreundete Staaten und Herabwürdigung führender Persönlichkeiten«110 zu sechs Jahren Haft verurteilt. Daraufhin übergab das WiPC den Fall an amnesty international. Im September 1981 wurde Bartz amnesty-»Häftling des Monats«. Protestbriefe aus aller Welt trafen in der Folge bei Honecker in Ost-Berlin ein. Zehn Monate später wurde Bartz aus der Haft entlassen.111 Im August 1982 kaufte die Bundesregierung Bartz frei, der nach Hamburg ausreiste.112 Von diesem Ergebnis erfuhr der Generalsekretär Keisch durch seinen bundesdeutschen Kollegen Hanns Werner Schwarze.113 An den Bemühungen um die Freilassung von Bartz hatte das P.E.N.-Zentrum DDR als Institution keinen Anteil. Verdeckten Einsatz für inhaftierte Schriftstellerkollegen zeigte noch 1980 wiederum Stephan Hermlin. Im November 1980 forderte das WiPC das P.E.N.Zentrum DDR auf, geeignete Schritte einzuleiten, um die Freilassung von Thomas Erwin sicherzustellen. Erwin war, nach Aufdeckung seiner Verbindungen zum Piper-Verlag in der Bundesrepublik, unter dem Vorwurf der »ungesetzlichen Verbindungsaufnahme«, § 219 des Strafrechtsänderungsgesetzes, durch die Staatssicherheit in Haft genommen worden. Aus diesem Verdachtsgrund waren auch Frank-Wolf Matthies und Lutz Rathenow festgesetzt worden.114 Matthies, Rathenow und Erwin gehörten zur Gruppe der jüngeren Schriftsteller. Geboren in der DDR, aufgewachsen unter den Bedingungen einer sozialistischen Diktatur, hatte Matthies sich zum Repräsentanten einer neuen Schrift108
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Information über operativ interessierende Fragen während der Internationalen PENTagung in der Zeit vom 6. 5.–11. 5. 1980 in Bled/Jugoslawien [11. 6. 1980]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/3, Bl. 97–106, hier Bl. 99–101. Förster: Er war einmal der Gefangene des Monats. Förster: Er war einmal der Gefangene des Monats. Vgl. Sigrid Averesch: Einsatz für die Menschenrechte in der DDR. Ausstellung zeigt das Engagement von Amnesty. In: Berliner Zeitung vom 29. 5. 2001, S. 6. Verfügbar unter URL: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump. fcgi/2001/0529/politik/0033/index.html [Zugriff: 30. 5. 2006]. Vgl. Förster: Er war einmal der Gefangene des Monats. Vgl. Hanns Werner Schwarze an Henryk Keisch [21. 9. 1982].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/B/Bundesrepublik 16. Vgl. Kathleen von Simson an Henryk Keisch [15. 11. 1980].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/L/London 27a und b. Vgl. weiterhin Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 259 und 550. 709
stellergeneration entwickelt, die radikal mit den Traditionen der DDR-Literatur brach: Die Radikalität der Jungen in der Ablehnung der Vätergeneration bestand darin, daß sie sich nicht mit deren Idealen auseinandersetzte, sich nicht in Polemik einließ und auch nicht ihren Haß zum Ausdruck brachte, sondern der Vorstellungswelt der Alten den Rücken zukehrte. Sie ließen die Vergangenheit einfach Vergangenheit sein, als ob sie nicht dazugehörte und sie nicht berührte. Die neue Generation suchte nach einer anderen Gemeinsamkeit, die mehr eine Entgegensetzung ohne Auseinandersetzung war. Sie beging keinen ›literarischen Vatermord‹, sondern ließ die Vätergeneration stehen.115
Matthies schuf mit den Lesungen und Diskussionsveranstaltungen, zu denen er von 1978 bis 1980 monatlich in seine Wohnung einlud, das Modell einer literarischen Gegenöffentlichkeit. Dort trafen einander Elke Erb, Robert Havemann, Adolf Endler und andere.116 Auch Rathenow brachte sich gern mit der alternativen Szene in Verbindung, obgleich er eigentlich nicht zu ihr gehörte: »[Sascha] Anderson wies ihn mit dem Spruch zurück ›schuster bleib bei deinen leisten‹. Für Jan Faktor besaß er nicht die literarische Qualität, die die Szene verlangte. Rathenow war der Intellektuelle, der überall dabeisein wollte, bei den Arrivierten wie bei den Außenseitern.«117 Er erschien daher auch bei den Veranstaltungen in Matthies’ Wohnung. Rathenow unterlag in der DDR bereits seit 1978 starken Publikationsbeschränkungen, die Mittenzwei in erster Linie auf die unzureichende Qualität seiner literarischen Arbeiten zurückführte,118 und wurde im November 1980, nachdem sein Prosadebüt Mit dem Schlimmsten wurde schon gerechnet in der Bundesrepublik Deutschland erschienen war, zusammen mit Matthies und Erwin festgenommen.119 Mit Schikanierungen und Kriminalisierungen versuchte das Ministerium für Staatssicherheit, die alternative Szene zu verunsichern und einzuschränken. Eine vorsichtige Mahnung des bundesdeutschen P.E.N.-Präsidenten, die an Heinz Kamnitzer gerichtet war, bezog sich auf Matthies und Rathenow. Walter Jens war darauf bedacht, die auf der Bremer Jahresversammlung des BundesP.E.N. angegangene Annäherung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren nicht zu gefährden: 115 116
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Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 326. Klaus Michael: Frank-Wolf Matthies. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 558f. Vgl. auch Jan Faktor: Was ist neu an der jungen Literatur der achtziger Jahre. In: Ilko-Sascha Kowalczuk (Hg.): Freiheit und Öffentlichkeit. Politischer Samisdat in der DDR 1985–1989. (Schriftenreihedes Robert-Havemann-Archivs Bd. 7) Berlin 2002, S. 372–392, hier S. 376. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 328. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 328. Jan Wielgohs, Klaus Michael und Bernd-Rainer Barth: Lutz Rathenow. In: MüllerEnbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 681f. Zu RathenowsWirken als »eine der wichtigsten Kontaktpersonen für westliche Journalisten« vgl. »Wir tun einfach so, als gäbe es Pressefreiheit«. Interview mit Roland Jahn von Ilko-Sascha Kowalczuk am 8. März 2001 in Berlin. Abgedruckt in: Kowalczuk, S. 137–147, hier S. 138–140.
Als Feind öffentlicher Deklarationen, die oft eher schaden als nützen, hat sich unser P.E.N. in Sachen Rathenow und Matthies nicht erklärt. Ich habe aber betont, daß ich Ihnen privatim zu schreiben gedächte: etwas nicht zur Veröffentlichung Bestimmtes, anknüpfend an hoffnungsvoll-zarte Bande zwischenP.E.N.- und P.E.N.-Präsident.Das geschieht hiermit: Ich bitte Sie, lieber Heinz Kamnitzer, sich für die Autoren im Sinn unserer gemeinsamen Charta auf dem Ihnen am geeignetsten erscheinenden Wege zu verwenden.120
Kamnitzer blieb passiv, tätig wurde Stephan Hermlin. Die Akten des OV »Leder«, die die Überwachung von Hermlin durch die Staatssicherheit dokumentieren, vermerken eine Zusammenkunft mit Erich Honecker Ende November. Hermlin hatte wieder einmal eigenmächtig gehandelt. In einer Präsidiumssitzung am 5. Dezember 1980 wollte Kamnitzer eine Beratung der Problematik anregen. Hermlin konnte nicht umhin, seinen Erfolg in der Sache zu vermelden; er habe diese Angelegenheit bereits geregelt und seinen ›heißen Draht‹ benutzt, um darüber ausführlich mit seinem Freund, Genossen Honecker, zu beraten. In dem Gespräch mit Genossen Honecker habe sich herausgestellt, daß Genosse Honecker offensichtlich über diese Leute falsch informiert worden sei. So sei er sehr erstaunt gewesen, daß es sich […] um Schriftsteller handelt. Im Ergebnis seines Gespräches habe Genosse Honecker diese Angelegenheit sofort bereinigt, und beide seien jetzt auf freiem Fuß.121
Tatsächlich waren Matthies, Rathenow und Erwin nach kurzer Haft wieder entlassen worden. Ursache dafür war jedoch nicht allein Hermlins Vorsprache bei Honecker. Der Protest hatte sich auf breiterer Ebene erhoben. Für die Freilassung von Matthies, Rathenow und Erwin hatten sich auch andere Schriftstellerkollegen eingesetzt, darunter Franz Fühmann, Christa Wolf und Heiner Müller.122 Christa Wolf wandte sich mit eindringlichen Worten an Erich Honecker, um diesem ihre Sorge um die jungen Schriftstellerkollegen Matthies, Rathenow und Erwin mitzuteilen und dessen positive Einflussnahme auf die Verfahren zu erbitten: »Persönlich kenne ich sie wenig oder gar nicht, aber ich habe Arbeiten von ihnen gelesen, aus denen ihr literarisches Talent klar hervorgeht. Dieses Talent kann zusammen mit der Person im Gefängnis schwer geschädigt werden. Mein Brief an Dich ist ein Versuch, das zu verhindern.«123 Als im Land Verbliebene empfand Christa Wolf eine besondere Verpflichtung; »diejenigen, die sich entschieden hatten, in der DDR zu leben und zu arbeiten, [haben] eine umso 120
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Walter Jens an Heinz Kamnitzer [25. 11. 1980]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/B/Bundesrepublik 26. Zwischenbericht zum OV »Leder« [23. 1. 1981]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/18, Bl. 260–262, hier Bl. 261. Vgl. Auskunft zum OV »Leder« [2. 4. 1981].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/18, Bl. 272f., hier Bl. 272. Das Gespräch zwischen Hermlin und Honecker fand demnach am 26. 11. 1980 statt. Klaus Michael: Frank-Wolf Matthies. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 558f. Christa Wolf an Erich Honecker [23. 11. 1980]. Abgedruckt in: Angela Drescher (Hg.): Christa Wolf Franz Fühmann. Monsieur – wir finden uns wieder. Briefe 1968–1984. Berlin 1998, S. 114–116, hier S. 114f. 711
stärkere Verantwortung für den Bestand dieser Literatur, also auch und gerade für ihre jüngeren Kollegen auf sich genommen.«124 Den Fortbestand der DDRLiteratur sah Wolf durch die repressiven Maßnahmen der Regierung in Gefahr gebracht. Provokativ stellte sie die Frage in den Raum, »ob einem sozialistischen Staatswesen nicht andere Mittel gegeben sind, sich mit seinen jungen kritischen Köpfen auseinanderzusetzen, als die, sie zu kriminalisieren.«125 Wolf mahnte mit einem eindringlichen Bild zu einer adäquaten Umgangsweise mit den jungen Autoren: »Seit Tagen geht mir ein Wort von Käthe Kollwitz durch den Kopf, das sie in anderem Zusammenhang oft aussprach: Saatfrüchte dürfen nicht vermahlen werden. Ich wüßte nicht, womit ich meiner Bitte mehr Eindringlichkeit verleihen könnte.«126 Wie Wolf empfand auch Fühmann zunehmend Bedrückung und Verstörtheit in Anbetracht der staatlichen Vorgehensweise; diese wirkte sich bei beiden hemmend auf das eigene Schaffen aus, begann »nicht nur [die] Arbeitskraft verhängnisvoll zu lähmen«127 . Fühmann richtete seine Eingabe an Kurt Löffler, den Staatssekretär im Ministerium für Kultur; er schrieb aus sehr persönlicher Anteilnahme am Schicksal von Frank Matthies, für den er eine Zeit lang als Mentor gewirkt hatte. Unverhohlen bekannte er sich zu Matthies: »Ich stehe zu Frank. Ich weiß nicht, was man ihm konkret vorwirft, aber ich habe das staatsbürgerliche Recht wie die selbstverständliche Pflicht, bis zum Beweis einer Schuld an seine Integerheit zu glauben und darüber hinaus mich zu einer Bindung zu bekennen, die sich von einer gusseisernen dadurch unterscheidet, daß sie nicht bei dem ersten Schlag in Stücke springt.«128 Mehr als deutlich zeigte Fühmann seine Bereitschaft, mehr noch seine entschiedene Forderung, in aller Öffentlichkeit für Matthies einzutreten bzw. eintreten zu dürfen, um alles [ihm] Mögliche zu tun, zu einer raschen Aufklärung beizutragen, wozu auch gehört, Klarheit über die Persönlichkeit des Festgenommenen zu gewinnen. […] Ich habe mich über die Schwierigkeiten dieser seiner Dichtergeneration öffentlich geäußert, ich möchte es auch gegenüber den Führern der Untersuchung oder wenn möglich auch an höherer Stelle tun können. Ich möchte es hierzulande tun können, und an der richtigen, der kompetenten, der Verantwortung tragenden Stelle. […] Und wenn es zu einem Prozeß kommen sollte, bitte ich jetzt schon darum, dort als Zeuge für Frank aufzutreten.129
Es war kein untertäniges Bitten um Gnade für seinen Schüler, das Fühmann formulierte. Es war ein mit Nachdruck vermitteltes Anliegen, aktiv auf die Rehabilitierung von Frank Matthies Einfluss nehmen zu dürfen.
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Drescher, S. 115. Drescher, S. 115. Drescher, S. 115f. Franz Fühmann an Kurt Löffler [Staatssekretär im Ministerium für Kultur] [20. 11. 1980]. Abgedruckt in: Drescher, S. 112–114, hier S. 112. Drescher, S. 112f. Drescher, S. 113f.
Im P.E.N.-Präsidium entflammte, ausgelöst durch Hermlins Vorgehensweise, ein heftiger Meinungsstreit um den Einsatz des P.E.N. für verfolgte Schriftsteller. Deutlicher konnte die Diskrepanz zwischen Wirken der Institution P.E.N. und individuellem Handeln einzelner P.E.N.-Mitglieder nicht aufbrechen. Kontrahenten waren in diesem Fall Hermlin und Keisch. Für letzteren kam der Einsatz für Matthies und Rathenow einem Staatsverrat gleich: »Es könne nicht angehen, daß sich der PEN einsetze, sogenannten ›Schriftstellern‹ in der DDR Sonderrechte einzuräumen. Seiner Auffassung zufolge müsse jeder DDR-Bürger vor dem Gesetz gleich behandelt werden.«130 Mit dieser Aussage sprach Keisch, über dessen Kenntnis der alternativen Literaturszene nur spekuliert werden kann, den genannten Autoren jegliche literarische Qualifikation ab. Er interessierte sich nicht im Mindesten für eine Klärung der Sachlage. Seine Treue zu SEDPartei und -Staat machte ihn gegenüber jedem Zweifel am disziplinarischen Vorgehen der staatlichen Instanzen immun. Der blinden Gefolgschaft, aus der die unbedingte Verteidigung der strafrechtlichen Verfolgung resultierte, stellte sich Hermlin unter Verweis auf die Charta-Grundsätze entschieden entgegen. Die Auseinandersetzung gipfelte in einem Angriff auf Keisch in seiner Position als Generalsekretär; er tauge nicht als solcher. Hermlin zeigte sich nicht bereit, weiterhin mit Keisch im Präsidium zusammenzuarbeiten. Erst Kamnitzers Vermittlung bewegte Hermlin zum Einlenken.131 Der gesamte Komplex erscheint symptomatisch für die Arbeitsbedingungen des Präsidiums: Keisch und Kamnitzer lenkten, die übrigen Präsidiumsmitglieder konnten, wenn sie es denn überhaupt wünschten, nur in eigener Initiative tätig werden. Das P.E.N.-Zentrum DDR blieb auf Kurs zur Verteidigung der Regierungspolitik. So wurde auf dem internationalen P.E.N.-Kongress in Caracas (Venezuela), September 1983, der Hinweis des WiPC-Beauftragten, Michael Scammell, auf die Inhaftierungen von Uwe Keller und Rolf Becker empört zurück gewiesen; es sei nicht wahrheitsgemäß, »daß sich auch nur ein Autor in der DDR in Haft befindet, daß der Staat mit Repression gegen Autoren vorgeht.«132 Schriftsteller, die in der Vergangenheit mit den Verhältnissen in der DDR unzufrieden waren, hätten ungehindert und ohne Schwierigkeiten die DDR verlassen können bzw. lebten mit langfristigen Visa im Ausland. Nahezu irrwitzig erscheint dieser Versuch des DDR-Delegierten Fritz Rudolf Fries, den Exodus der Schriftsteller aus der DDR als Zeichen der Liberalität eines Staates erscheinen zu lassen, der doch in Wahrheit Resultat einer diktatorischen Kulturpolitik war. Im Fall von Keller und Becker bemühte Fries die altbekannte Argumenta130
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Zwischenbericht zum OV »Leder« [23. 1. 1981]. BStU, MfS, AOP 3707/86, Bd. V/18, Bl. 260–262, hier Bl. 261. Vgl. Zwischenbericht zum OV »Leder« [23. 1. 1981]. BStU, MfS, AOP 3707/86, Bd. V/18, Bl. 260–262, hier Bl. 261. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Bericht über den Kongreß des Internationalen P.E.N. in Caracas 25. 9. bis 1. Oktober 1983 (II) [5. 10. 1983]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 287–293, hier Bl. 292. 713
tion, kriminelle Gesetzesverletzungen seien die Ursache der Verurteilung, nicht literarische Arbeiten.133 Auch Hilferufe aus dem Inneren der DDR blieben ohne Resonanz oder wurden von Keisch in der ihm eigenen, kompromisslosen Manier zurückgewiesen. Die Bitte um Unterstützung blieb folgenlos – sofern keine kritischen Nachfragen von außen kamen. Auch diese provozierten in der Regel keinen Einsatz für die Betroffenen, sorgten im besten Falle für ein wenig interne Aufregung. Ein solcher Sturm im Wasserglas, der in einer Auseinandersetzung zwischen Henryk Keisch und dem WiPC-Beauftragten Michael Scammell gipfelte, brach Ende des Jahres 1983 los. Die Führung des P.E.N.-Zentrums DDR musste sich erneut mit Lutz Rathenow auseinandersetzen, der durch sein Wirken in der unabhängigen Friedens- und Bürgerrechtsbewegung ein weiteres Mal in Konfrontation mit den DDR-Behörden geraten war. Seit 1979 hatte sich in der DDR eine starke Friedensbewegung entwickelt, die ein Großteil der politischen Gegner in eine systemimmanente Opposition integrieren konnte. Die Entstehung der Friedensbewegung stand im Zusammenhang mit der ins Stocken geratenen Entspannungspolitik der weltpolitischen Machtblöcke. Am 12. Dezember 1979 hatte das westliche Verteidigungsbündnis den so genannten NATO-Doppelbeschluss gefasst, der vorsah, als Reaktion auf die sowjetische Überrüstung im atomaren Mittelstreckenbereich im Falle erfolgloser Verhandlungen mit der Sowjetunion ab Herbst 1983 neue amerikanische Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II und Cruise Missiles in Westeuropa zu stationieren. Das durch die Wettrüstung hervorgerufene individuelle Gefühl drohender Kriegsgefahr führte die Menschen in Ost und West zusammen. In der DDR nahm in den achtziger Jahren zugleich die Unzufriedenheit in der Bevölkerung kontinuierlich zu. Zwar war der Lebensstandard in der DDR im Vergleich zu anderen sozialistischen Staaten hoch. Mit Blick auf die Bundesrepublik wuchs bei den DDR-Bürgern dennoch die Verdrossenheit; sie resultierte aus dem deutlich empfundenen »Mißverhältnis zwischen der Propaganda eines angeblich blühenden und dem Westen überlegenen Sozialismus einerseits und den anhaltenden Versorgungsengpässen […] und dem raschen Anstieg der [Staats-] Verschuldung andererseits«134 . Hinzu kam die fortgesetzte Abgrenzungspolitik der DDR-Regierung, aus der Anfang der achtziger Jahre statt einer Lockerung eine Verschärfung der Reisebeschränkungen folgte. Das System des Sozialismus schien nicht in der Lage, aus eigener Kraft ein besseres Leben zu garantieren. Ein »innere[r] Erosionsprozess« war in Gang gesetzt, »der sich […] an drei Faktoren ablesen [ließ]: Kritische Stimmen, besonders zur Friedens- und Umweltpolitik der SED, wurden immer lauter, trotz aller Repressalien stieg die Zahl der Ausreisewilligen und selbst unter Parteimitgliedern nahm die Bereitschaft zu aktivem 133
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Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang der 46. Delegiertenkonferenz des Internationalen P.E.N.-Club in der Zeit vom 25. bis 30. 9. 1983 in Caracas, Venezuela. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 524–532, hier Bl. 527. Ehrhard Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949–1989. (Schriftenreihe Bundeszentrale für politische Bildung Bd. 346) Bonn 2000, S. 337.
Eintreten für den Machterhalt der SED-Diktatur ab.«135 Teile der Bevölkerung wollten nicht ein anderes gesellschaftliches System, sondern eine Reform der DDR; sie mischten sich in die dringlichen Probleme ein. Vor allem die weitere militärische Aufrüstung der beiden Weltsysteme empfanden viele junge Menschen in der DDR als Bedrohung des Friedens; sie sprachen sich gegen die Stationierung von SS 20-Raketen in der DDR aus und sahen die »innere und äußere Bedrohung in einem Zusammenhang.«136 Die Friedensinitiativen richteten sich auch gegen die zunehmende Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens, mit der die SED das Bedrohungsgefühl zu kompensieren suchte. Die SED betonte seit langem die Einheit von Frieden und Sozialismus. Sie hielt nach wie vor daran fest, dass die tieferen Ursachen einer Kriegsbedrohung im Wesen des kapitalistischen Gesellschaftssystems liegen würden und definierte die DDR als Ergebnis des für den Sozialismus siegreichen Zweiten Weltkrieges und den ersten deutschen »Friedensstaat«. So nahm der »Friedenskampf« in der Politik der SED eine zentrale Stellung ein. Ihr Meinungsmonopol in der Friedensbewegung wollte die DDR-Regierung nicht aufgeben. Die Herausbildung oppositioneller Friedensbewegungen versetzte SED und Ministerium für Staatssicherheit in höchste Alarmbereitschaft. Die Furcht der SED-Führung vor der Entstehung einer übergreifenden Bewegung, die neben dem Frieden auch Freiheit und Demokratie fordern könnte, war groß. Aus dieser Sorge heraus ging die politische Führung gegen jede andere Initiative vor. Die als Staatsfeinde geltenden Gruppen und zugehörigen Personen standen unter ständiger Überwachung und waren stetigen Repressionen ausgesetzt: »Die Mittel zu ihrer Unterdrückung reichten von der Einflussnahme auf die Kirchen zur Zurückdrängung über inoffizielle Zersetzungsmaßnahmen, Verbote von Veranstaltungen und Demonstrationen bis hin zu Zuführungen, Verhaftungen und Abschiebungen von Initiatoren der Bewegung […] in den Westen.«137 Unterstützung erhielt die unabhängige Friedensbewegung der DDR aus dem Westen. Im Mai 1983 demonstrierten fünf prominente Vertreter der bundesdeutschen Grünen, darunter Petra Kelly und Gert Bastian, auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz. Im Anschluss an ein Gespräch mit Erich Honecker kam es Ende Oktober 1983 zu einer weiteren Demonstration, an der wiederum Petra Kelly, Gert Bastian sowie Lucas Beckmann, Otto Schily, Dirk Schneider, Antje Vollmer und Gustine Johannsen beteiligt waren. Beim Gespräch mit Honecker setzten sich die Grünen-Vertreter für Inhaftierte ein. Demonstrativ solidarisierte sich Kelly mit den Friedensinitiativen der DDR durch das Tragen eines T-Shirts, das mit dem Symbol der DDR-Friedensbewegung »Schwerter zu Pflugscharen« bedruckt war. Anfang November 1983 eskalierte die Situation. Bundesdeutsche Friedensaktivisten hatten mit führenden DDR-Bürgerrechtlern vereinbart, am 4. November Petitionen an die Ost-Berliner Botschaften der UdSSR und der 135 136 137
Schroeder, S. 274. Weber, S. 448. Neubert, S. 336. 715
USA zu übergeben. Die SED-Organe schlugen in der Nacht zuvor zu, um die Bewegung zu zerschlagen und weitere Aktionen zu unterbinden: 118 Personen wurden festgesetzt und verhört oder am Verlassen ihrer Wohnung gehindert, weitere 260 Personen an der Anreise aus anderen Orten der DDR gehindert oder mit Berlin-Verbot belegt. Die oppositionellen Aktivisten sollten unter Druck gesetzt werden. Unter den kurzzeitig in Haft Genommenen befanden sich die literarischen Friedensaktivisten Sascha Anderson, Detlev Opitz, Rüdiger Rosenthal und auch Lutz Rathenow, die gemeinsam an einer Friedensanthologie arbeiteten.138 Letzterer wandte sich am 9. November an P.E.N. und Schriftstellerverband der DDR unter Verweis auf deren »Friedensbemühungen«, mit der Bitte »um öffentliche Intervention gegen die Festsetzung von Bürgern wegen ihres (tatsächlichen oder vermuteten) Friedensengagements.«139 Rathenow zeigte sich empört über die Sicherheitsorgane, die flächendeckend Prophylaxe betrieben: An sich schon empört über diese Maßnahme, ärgerte es mich besonders,zweimal wegen etwas vernommen zu werden, an dem ich mich gar nicht beteiligt hätte. Anderen Festgesetzten ging es ähnlich. Die Argumentation, aus den Friedensmanifestationen vom 22. [10.] und 4. [11.] h ä t t e n Störungen der öffentlichen Ordnung erwachsen k ö n n e n, so daß man vorbeugendjene Leute einsammeln mußte, die sich e v e n t u e l ldaran beteiligen w o l l t e n, lehne ich ab. Die zweifache Möglichkeitsform zur Begründung einer Maßnahme scheint mir ein Missbrauch der gesetzlichen Möglichkeiten. Nach dieser Logik dürfte kein Fußballspiel, kein Rockkonzert stattfinden, wenn nicht zuvor alle Fans festgenommen sind.140
Rathenow führte die Festsetzung in erster Linie auf die Missliebigkeit seiner literarischen Betätigung zurück und spekulierte über weitere Behinderungen seiner Arbeit: Da ich mich an den angesprochenen Aktionen nicht zu beteiligen vorhatte, kann die Festsetzung nur auf Grund meines Bekanntenkreises und der sich in einer literarischen Arbeit entäußerten Haltung erfolgt sein. […] Somit kann ich wohl künftig öfter damit rechnen in eine Art ›Vorbeugehaft‹ genommen zu werden, wenn ich nicht aufhöre zu schreiben. Dagegen sollten Sie im Besonderen protestieren.141
Rathenows Hoffen auf Unterstützung durch den DDR-P.E.N. blieb unerfüllt. Angehörige der unabhängigen Friedensbewegung zu unterstützen, die Kritik an der Politik der DDR-Regierung übten, war für Kamnitzer und Keisch indiskutabel. Sie hatten Ende November die Reaktion auf einen weiteren Brief zu verhandeln, den der bundesdeutsche Generalsekretär Hanns Werner Schwarze 138
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Vgl. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 265. Lutz Rathenow hatte das P.E.N.Zentrum DDR bereits Ende September 1983 über sein Anthologie-Projekt unterrichtet. Vgl. Lutz Rathenow an das P.E.N.-Zentrum DDR und den Schriftstellerverband der DDR [9. 11. 1983]. BStU, MfS, HA II/13 Nr. 316, Bl. 47f., hier Bl. 48. Lutz Rathenow an das P.E.N.-Zentrum DDR und den Schriftstellerverband der DDR [9. 11. 1983]. BStU, MfS, HA II/13 Nr. 316, Bl. 47f., hier Bl. 48. Lutz Rathenow an das P.E.N.-Zentrum DDR und den Schriftstellerverband der DDR [9. 11. 1983]. BStU, MfS, HA II/13 Nr. 316, Bl. 47f., hier Bl. 47. Lutz Rathenow an das P.E.N.-Zentrum DDR und den Schriftstellerverband der DDR [9. 11. 1983]. BStU, MfS, HA II/13 Nr. 316, Bl. 47f., hier Bl. 48.
anlässlich einer Friedensmanifestation im Berliner Ensemble an Keisch übergeben hatte. Schwarze verkannte nicht, dass die von der Bevölkerung getragenen, unabhängigen Friedensinitiativen in der DDR von gänzlich anderen Ansätzen ausging als die Friedensbewegung von Partei und Regierung. Nichtsdestotrotz wies Schwarze nachdrücklich auf die Verpflichtung der Zentren beider deutscher Staaten [hin], im Kampf um den Frieden gegen alle Rückschläge und Hindernisse zusammenzuwirken: In diesem Sinne wäre es […] hilfreich, wenn Sie wohl weiterhin als auch künftig darauf einwirken könnten, 1. dass ›vorsorgliche‹ Festnahmen oder auch ›vorsorgliche‹ Hausarreste (zum Beispiel Sascha Andersohn) künftig unterbleiben 2. dass Schriftsteller, die derartigen Maßnahmen ausgesetzt wurden, erfahren, womit solche Schritte begründet werden 3. dass der Schriftsteller Rüdiger Rosenthal, dem Arbeitsunterlagen und Manuskripte weggenommen wurden, diese Unterlagen zurück erhält. Wir stimmen überein, dass niemand in der Lage sein sollte, zu behaupten, DDRSchriftsteller würden Repressalien ausgesetzt, weil sie etwas für den Frieden schreiben, geschrieben oder unterschrieben haben.142
Zwar reichte Keisch die erhaltenen Briefe weiter an Ursula Ragwitz mit der Bitte um Rat.143 Intern hatte er sich mit dem Präsidenten Kamnitzer indes darauf verständigt, dass man auf Rathenows Anliegen in keiner Weise reagieren sollte. Kamnitzer verneinte auch eine Antwort an Schwarze,144 während Keisch noch schwankte: »Ich für mein Teil würde dazu neigen, ihm den […] Tenor meiner mündlichen Antwort auch in einem Brief zu bestätigen. […] Dies hätte die in meinen Augen erwünschte Wirkung, daß wir der Höflichkeitspflicht genügt hätten, die verlangt, auf eine Zuschrift einzugehen.«145 Im vorausgegangenen Gespräch mit Schwarze hatte Keisch die Existenz einer unabhängigen Friedensbewegung in der DDR abgestritten. Die Beschwörung ihres Vorhandenseins hatte er, mehr schlecht als recht, als politisches Manöver des Gegners zu entlarven versucht: Man deklariere die diversen Versuche, in der DDR eine oppositionelle politische Kraft zu etablieren, fälschlicherweise als unabhängige Friedensbewegung. Es sei in Wirklichkeit aber eine List, »mit deren Hilfe die Friedensbewegung in Ost und West gespalten und von ihren Hauptzielen abgelenkt werden solle. In dieser Absicht präsentiere man auch nicht selten Personen, die nie als Schriftsteller in Erscheinung getreten sind, als schutzwürdige Opfer von Verletzungen
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Hanns Werner Schwarze an Heinz Kamnitzer [18. 11. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/B/Bundesrepublik 2, 2a und b, hier 2a und b. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [28. 11. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/B/Bundesrepublik 1. Vgl. Henryk Keisch: Aktenvermerk [22. 11. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/B/Bundesrepublik 4, 4a und b. Henryk Keisch: Aktenvermerk [22. 11. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClubKorrespondenz P.E.N. International 1978–1983/B/Bundesrepublik 4, 4a und b, hier 4b. 717
der schriftstellerischen Wirkungsmöglichkeiten.«146 Als P.E.N.-Zentrum wolle man sich an »solchen durchsichtigen Manövern«147 nicht beteiligen. Die Angelegenheit Rathenow war damit nicht vom Tisch. Auf Umwegen war Rathenows Brief dem amerikanischen P.E.N.-Zentrum übermittelt worden. Die Generalsekretärin, Karen Kennerly, teilte Keisch Anfang 1984 die Besorgnis über die Behandlung von Rathenow, Anderson, Opitz, Rosenthal und Rainer Flügge mit: »The American Center is most eager to know what position the GDR Center has taken in regard to these violations of writers’ rights. We trust in your desire to do all that is in your power«148 . Der DDR-P.E.N. geriet unter internationalen Druck – Kennerly hatte vermerkt, dass eine Kopie ihres Schreibens an den internationalen Generalsekretär Alexandre Blokh gegangen war. Parallel hatten Galwy Kinnell, Präsident des amerikanischen P.E.N., und weitere Mitglieder des amerikanischen P.E.N., Kurt Vonnegut, Edward Albee und Bernard Malamud, den Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, in einem Telegramm zur Unterstützung der wegen ihres Engagements in der Friedensbewegung unterdrückten Schriftsteller aufgefordert. Das Augenmerk richteten Kinnell und die übrigen Unterzeichner u. a. auf das Schicksal von Bärbel Bohley und Ulrike Poppe, die als Aktivistinnen der Initiative »Frauen für den Frieden« am 12. Dezember 1983 inhaftiert worden waren. Keischs Reaktion kann als symptomatisch für das Funktionieren des im P.E.N. installierten Systems der Selbstkontrolle gelten. Zwar war Anfang Februar der Stein des Anstoßes beseitigt. Bohley und Poppe waren nach Protesten am 25. Januar 1984 wieder aus der Haft entlassen worden. Eine grundsätzliche Positionseinnahme gegenüber dem impliziten Vorwurf, die DDR missachte die grundlegenden Menschenrechte, war aus Keischs Sicht jedoch unabdinglich. Das Ergebnis war ein Paradebeispiel der Keisch’schen Argumentation, die sich ergeben an der Parteilinie orientierte. Unvermeidlich war die Kritik an der Qualität der Informationen, verbunden mit dem obligatorischen Schlag gegen die westlichen Medien: »Ein aufmerksamer Leser erkennt sehr schnell: sie sind lückenhaft, unpräzis und, milde ausgedrückt, tendenziös. Sie laufen sämtlich darauf hinaus, die DDR als ein Land hinzustellen, in dem es keine Meinungsfreiheit gibt und wo die Bürger, speziell die Schriftsteller, in willkürlicher Weise verfolgt werden.«149 Die Verfolgung der unabhängigen Friedensbewegung wies Keisch entschieden zurück. In der DDR habe die Bewegung für Frieden, Entspannung und Abrüstung eine lange Tradition: 146
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Henryk Keisch: Aktenvermerk [22. 11. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/B/Bundesrepublik 4, 4a und b, hier 4a. Henryk Keisch: Aktenvermerk [22. 11. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/B/Bundesrepublik 4, 4a und b, hier 4a. Karen Kennerly an Henryk Keisch [12. 1. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz International 1984–1990/A/Amerika 9. Henryk Keisch an Karen Kennerly [6. 2. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz International 1984–1990/A/Amerika 6, 6a und b, hier 6.
In diesem Land ist die Erinnerung an die Schrecken des letzten Krieges und an die Schuld, die der deutsche Faschismus daran trägt, nach wie vor lebendig. Es gibt hier niemanden, der Interesse daran haben könnte, sie zu verdrängen, um sich an neuen Rüstungen für neue Eroberungszüge zu bereichern. Daß von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf, ist eine unwandelbare Leitlinie der Politik dieses Staates. Deshalb ist es nur natürlich, daß die Friedensbewegung, die anderswo bekanntlich mit Mißtrauen betrachtet, verleumdet, behindert und attackiert wird, hierzulande bei den Organen des Staates und der Gesellschaft jede Unterstützung findet.150
Ursache für die staatlichen Maßnahmen gegen Personen und Gruppen, die sich als unabhängige Friedensbewegung bezeichneten, sei die Tatsache, dass diese sich oftmals für den Missbrauch des Friedensgedankens mit dem Ziel antisozialistischer Agitation einbinden ließen und damit als Teil des gegen die DDR gerichteten Kalten Krieges wirkten. Verfassungsfeindliche Aktivitäten aber könne kein Staat der Welt gestatten, auch nicht die DDR. Alle Maßnahmen der Justiz bewegten sich im Rahmen der geltenden Gesetze: »Daß in einem sozialistischen Staat die Gesetze darauf gerichtet sind, den Sozialismus zu schützen, darf niemanden verwundern. Es ist unzulässig und für uns beleidigend, die daraus folgenden Maßnahmen auf eine Stufe mit dem Staatsterror volksfeindlicher faschistischer Regimes zu stellen.«151 Zwar räumte Keisch seine Unwissenheit über die benannten Fälle ein. Eines wurde er jedoch nicht müde, zu beteuern: »[W]egen literarischer Äußerungen wird in diesem Land niemand behelligt. Käme ein solcher Fall zu unserer Kenntnis, so würden wir dem Betroffenen auf jede Weise zur Seite stehen.«152 In einem Brief an Edward Albee, Mitunterzeichner des Telegramms an Honecker, griff Keisch nicht nur die Vorgehensweise des amerikanischen P.E.N.-Zentrums, sondern auch explizit die Arbeit des WiPC, insbesondere den Hauptverantwortlichen Michael Scammell, an. Dieser habe in aller Öffentlichkeit zugegeben, dass er weiterhin Anklage erheben werde, ohne diese beweisen zu können. Dieser Vorwurf gelangte ohne große Umwege zu Scammell. Seine Richtigstellung des Vorwurfs, aus purer Lust an der antisozialistischen Kampagne ohne stichhaltige Beweise Anklage gegen die DDR zu erheben, geriet zu einer scharfen, indes berechtigten Kritik am P.E.N.-Zentrum DDR : I pointed out that we had repeatedly written to the DDR PEN Centre for information about the cases of imprisonedwriters brought to our attention,and had never once had the courtesy of an informative reply. On the contrary, instead of answering our queries, the DDR Centre has invariably treated our inquiries as accusations. It is precisely because of this lack of cooperation on the part of the DDR Centre that we have obliged to seek our information elsewhere; and I would like to point out to you that never once have we been wrong so far. On the contrary, the DDR Centre has consistently
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Henryk Keisch an Karen Kennerly [6. 2. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz International 1984–1990/A/Amerika 6, 6a und b, hier 6a. Henryk Keisch an Karen Kennerly [6. 2. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz International 1984–1990/A/Amerika 6, 6a und b, hier 6a und b. Henryk Keisch an Karen Kennerly [6. 2. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz International 1984–1990/A/Amerika 6, 6a und b, hier 6b. 719
denied that writers have been sent to prison in DDR even after its own government has admitted it.153
Scammell deckte einen wesentlichen Mechanismus auf, der die Kooperation zwischen WiPC und DDR-Zentrum maßgeblich behinderte bzw. unmöglich machte. Die Führungskräfte des P.E.N.-Zentrums DDR, insbesondere Keisch, begriffen jede Nachfrage in Bezug auf einen inhaftierten Autor als Anklage; sie agierten nicht als Anwalt der Schriftsteller, sondern als blinde Verteidiger der staatlichen Politik. Keischs Versuch, die erhobene Kritik zu entkräften, geriet zu einem weiteren Beleg seiner akritischen Gefolgschaft: Sie halten es für selbstverständlich, wenn nicht erwiesen, daß in Wirklichkeit nicht das in dem Urteil genannte Delikt vorliegt, sondern ein Fall von verfolgter Literatur. Worauf können Sie eine solche Annahme stützen? Ist Ihnen bewußt, daß Sie damit die DDR zu einem Unrechtsstaat erklären, das Urteil eines ordentlichen Gerichts zu einem Willkürakt? Erwarten Sie von uns, daß wir uns diese Betrachtungsweise zu eigen machen? Daß wir ein Detektivbüro konstituieren, um Behauptungen obskurer Quelle nachzugehen, die durch nichts belegt sind?154
In der Beweispflicht sah Keisch das WiPC; er verstand sich nicht als dessen Kooperationspartner. Den DDR-P.E.N. stilisierte Keisch als Opfer subversiver Bestrebungen, die sich aus seiner Sicht in ihrer Intention mit den ununterbrochenen, gegen die DDR gerichteten »Angriffe[n] auf politischer, ökonomischer, psychologischer, propagandistischer Ebene«155 deckten. Der scharfe Ton blieb nicht auf den Briefverkehr beschränkt. Auf dem darauf folgenden Kongress in Tokio (Mai 1984) vertrat der DDR-P.E.N. in der öffentlichen Diskussion seine Position weiterhin offensiv. Zielobjekt des Angriffs war wiederum Scammell; er solle zukünftig den »Wahrheitsgehalt seiner Behauptungen beweisen und nicht andere Staaten aufgrund fadenscheiniger Hinweise verleumden.«156 Keisch trat als überzeugter Fürsprecher der sozialistischen Staaten auf. Die DDR »was doing its very best to achieve […] human rights, not only for writers but for many other groups […] The idea of dealing with the Soviet Union as a place where the existence of the writer was the most dangerous and difficult in the world was incongruous and yet it was constantly being said and made the Writers in Prison Committee Report seem very unilateral.«157 Der WiPC-Beauftragte ließ sich nicht einschüchtern; er habe von Keisch noch nie eine Anfrage wegen detaillierter Informationen über einen Inhaftierten erhal153
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Michael Scammell an Heinz Kamnitzer [20. 3. 1984]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz International 1984–1990/W/Writers in Prison 6. Henryk Keisch an Kathleenvon Simson [20. 3. 1984].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz International 1984–1990/W/Writers in Prison 4–4c, hier 4b. Henryk Keisch an Kathleenvon Simson [20. 3. 1984].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz International 1984–1990/W/Writers in Prison 4–4c, hier 4b. Informationzu operativinteressierendenFragenim Zusammenhang mit dem 47. Internationalen PEN-Kongreß im Mai 1984 in Tokio/Japan [23. 6. 1984]. BStU, MfS, A 175/ 86, Bd. II/2, Bl. 557–564, hier Bl. 557. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Tokyo on 15th , 16th and 17th May, 1984, S. 9. P.E.N.-Archiv London.
ten. Falls Keisch etwa im Fall Alexander Richter Beweise erbringen könne, dass dieser nicht wegen seiner literarischen Arbeiten inhaftiert worden sei, streiche er diesen mit Freude von der Liste.158 Bereits im März 1984 hatte das WiPC das P.E.N.-Zentrum DDR auf Alexander Richter aufmerksam gemacht.159 Richter war 1982 durch das Bezirksgericht Potsdam zu sechs Jahren Haft verurteilt worden; er hatte versucht, seine literarischen Arbeiten ins Ausland zu versenden, weil er in der DDR nichts veröffentlichen konnte.160 Das P.E.N.-Zentrum DDR hatte nicht reagiert. In Tokio bekräftigte Keisch noch einmal seine Kooperationsunwilligkeit: »[H]e did not feel that it was part of his job as Secretary of a P.E.N. Centre to act as a lawyer or detective and he had no talent for it. Richter had never published anything, in fact he was an agronomist. He did not doubt that Richter was in prison, but he did not see what he could do about it. He had no basis to act on.«161 Im November 1984 brachte Scammell den Fall schließlich noch einmal vor. Richters Schicksal wurde von Kamnitzer nachhaltig bestritten: »To suggest that [Alexander Richter] had been sentenced to six years imprisonment for writing a few poems was too silly for words. This simply did not happen in the German Democratic Republic.«162 Die Offensive gegen Scammell und das WiPC, die mit dem Briefwechsel 1984 begonnen hatte und in Tokio fortgesetzt worden war, führte der DDR-P.E.N., namentlich der Präsident Kamnitzer, auf anderer Ebene fort. Im März 1985 besuchten der internationale Generalsekretär, Alexandre Blokh, und der französische P.E.N.-Präsident, René Tavernier, Ost-Berlin und trafen dort auch mit Kamnitzer zusammen. Nach einer Information des Ministeriums für Staatssicherheit nutzte Kamnitzer den Aufenthalt, »um […] die Haltung des DDR PEN-Zentrums zu den Aktivitäten des Vorsitzenden des Komitees Schriftsteller in Haft beim Internationalen PEN-Club insbesondere zu den ständigen Provokationen gegenüber der UdSSR und den anderen sozialistischen Staaten darzulegen.«163 Kamnitzers Kritik wurde von Blokh zur Kenntnis genommen. Mehr als eine Versicherung, dass er Hinweise entgegen nehme und überlege, wie Konfrontationen auf internationaler Ebene vermieden werden können, war 158
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Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Tokyo on 15th , 16th and 17th May, 1984, S. 5 und 10. P.E.N.-Archiv London. Kathleen von Simson an Heinz Kamnitzer [20. 3. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz International 1984–1990/W/Writers in Prison 5. Information zu operativ interessierenden Fragen und Problemen im Zusammenhang mit dem 48. PEN-Kongreß im November 1984 in London/Großbritannien [29. 1. 1985]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. 1, Bl. 264–270, hier Bl. 265. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Tokyo on 15th , 16th and 17th May, 1984, S. 10. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in London on November 3 and 4, 1984, S. 6. P.E.N.-Archiv London. Information zum Aufenthalt des Generalsekretärs des Internationalen PEN-Clubs, des französischen Schriftstellers Alexandre Blokh in der Zeit vom 11. bis 15. 3. 1985 in der DDR [19. 3. 1985]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. 1, Bl. 273–277. 721
Blokh jedoch nicht abzuringen. Auf Scammells Arbeit hatte Kamnitzers versuchte Einflussnahme keinerlei Auswirkung. Im Rahmen der Exekutive vom Mai 1985 in San Marino konnte Scammell schließlich die Entlassung von Richter aus dem Strafvollzug nach West-Berlin vermelden: »In a letter he had said that he had been arrested solely on account of his writings and that his sin had been merely that he was unknown.«164 Der als DDR-Vertreter anwesende Walter Kaufmann bedauerte die Nennung der DDR im Bericht des WiPC. Gleichwohl folgte er der vorgegebenen Argumentationslinie. Ihm erscheine es unwahrscheinlich, dass ein Autor in der DDR wegen seiner unveröffentlichten Arbeiten ins Gefängnis wandere: »Authors there could write very freely and there was no record of repression.«165 Kaufmann forderte die Streichung der DDR aus dem WiPC-Report, sollte Scammell für den tatsächlichen Vorgang keine weiteren Belege erbringen können, die über das Bekannte hinausgingen. Scammell sicherte daraufhin aufgrund der Freilassung von Richter die Streichung seines Namens von der Liste zu.166 8.1.3
Gegen antisowjetische und antisozialistische Aktionen – Das P.E.N.-Zentrum DDR in der Offensive
8.1.3.1 Uneingeschränkte Solidarität mit der UdSSR Was sich in den gezielten Angriffen auf Michael Scammell und das WiPC andeutet, lässt sich bei näherer Betrachtung als durchgängiges Muster für die Positionierung des P.E.N.-Zentrums DDR im Internationalen P.E.N. feststellen. Zeugnisse der Instruierung für das Auftreten auf den internationalen Kongressen durch die Abteilung Kultur des ZK der SED sind nicht oder kaum in schriftlicher Form erhalten. Vereinzelte Quellen weisen aber darauf hin, dass die Teilnahme an den internationalen Aktivitäten des P.E.N. durch die Verantwortlichen im ZK der SED gesteuert und kontrolliert wurde. Die Überwachung der Vorgänge auf internationaler Ebene wurde zusätzlich durch die Sicherheitsbehörde der DDR garantiert: Insbesondere aus den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit, die in den 80er Jahren entstanden, lässt sich ablesen, mit welcher Intensität die Arbeit des Internationalen P.E.N. beobachtet, seine »Feindtätigkeit« gegenüber dem von der UdSSR dominierten Machtbereich ausgewertet und dieser entgegenzuarbeiten versucht wurde. Dies entsprach den Zielsetzungen einer zwischen Staatssicherheit der DDR und KGB bereits 1978 getroffe164
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Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in San Marino May 29 and 30, 1985, S. 10. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in San Marino May 29 and 30, 1985, S. 14. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in San Marino May 29 and 30, 1985, S. 16. P.E.N.-Archiv London. Vgl. auch Information über die Delegiertenversammlung des Internationalen PEN-Clubs am 29./30. 5. 1985 in San Marino [26. 7. 1985]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 5, Bl. 12–16, hier Bl. 15.
nen »operativen Arbeitsvereinbarung« zur »Aufklärung und Einschränkung der subversiven Aktivitäten des Internationalen P.E.N.-Clubs«: Durch die Prüfung und Ausnutzungvon Möglichkeiten,die sich aus der Mitgliedschaft der DDR im internationalen PEN ergeben, sind Informationen über – die Zusammensetzung und die differenzierte politische Interessenlage der politischen Gruppierungen im Internationalen PEN; – Pläne, Absichten und Vorhaben insbesondere solcher Kräfte im internationalen PEN, den verschiedenen nationalen PEN-Zentren und den Exil-PEN-Gruppen, von denen antisozialistische, antikommunistische und antisowjetische Initiativen im internationalen Maßstab ausgehen; – die Wirksamkeit und inspirierenden Einflüsse sowie materielle Zuwendungen feindlicher Zentren, Geheimdienste und volksfeindlicher Organisationen auf das internationale PEN oder einflussreichen Kräften dieser Organisation zu erarbeiten. […] Durch die Mobilisierung und Nutzung von IM und patriotischen Kräften im nationalen PEN-Zentrum der DDR sind offensive Maßnahmen durchzusetzen und zu unterstützen, um gegnerische Aktivitäten und Kampagnen zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten der sozialistischen Länder und antisozialistische/antisowjetische Verleumdungs- und Diskriminierungsaktionen rechtzeitig zu durchkreuzen, zurückzuweisen und öffentlichkeitswirksam zu machen. Es sind geeignete Protestresolutionen, Briefe und Presseveröffentlichungen anzuregen, um antisozialistische/ antisowjetische Verleumdungskampagnen feindlicher Kräfte im internationalen PEN zurückzuweisen und ihre Verfasser bloßzustellen.167
Im Internationalen P.E.N. sollte von den DDR-Vertretern nach Möglichkeiten der gezielten Einflussnahme gesucht werden: Im Prozeß der Arbeit des nationalen PEN-Zentrums der DDR, bei Kongressen und Tagungen sind solche Vertreter im internationalen PEN zu ermitteln, die in positiver Weise beeinflusst und für die Zurückdrängung antisozialistischer Aktivitäten rechter Kräfte im internationalen PEN gewonnen werden können. Es sind inoffizielle Möglichkeiten und Kanäle zu ermitteln und zu nutzen, um antisozialistische und antisowjetische Kräfte im internationalen PEN öffentlich zu kompromittieren.168
Vereinzelt finden sich in den Akten Hinweise auf Informationsweitergabe an die Geheimdienste anderer Länder. In einer »Anlage zum Arbeitsplan des Leiters der HA XX [des Ministeriums für Staatssicherheit] für 1978« vom 11. Juni 1979 wurde vermerkt: »Über wichtige Aktivitäten sind Informationen für die Sicherˇ heitsorgane der UdSSR und der CSSR zu fertigen.«169 Im Nachgang des Lyoner P.E.N.-Kongresses im September 1981 etwa wurde für die Sicherheitsorgane der ˇ CSSR eine »gesonderte Information« angefertigt »[ü]ber das Auftreten von Stephan HERMLIN während dieses Internationalen PEN-Kongresses sowie Aktivitäten, die sich gegen die CSSR richten«170 . Auch für die Zusammenarbeit mit 167
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BStU, MfS, ZA, HA XX, AKG 781, Bl. 369–373. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 809. BStU, MfS, ZA, HA XX, AKG 781, Bl. 369–373. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 809. BStU, MfS, ZA, HA XX, AKG 96, Bl. 2. Zitiert nach Walther: SicherungsbereichLiteratur, S. 810. Information zu operativ-interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 45. Internationalen PEN-Kongreß in der Zeit vom 21. 09. 1981 bis zum 25. 09. 1981 in 723
den bulgarischen Sicherheitsorganen gibt es Anzeichen; diese hatten z. B. ein Protokoll vom P.E.N.-Kongress in Venedig im Mai 1983 erbeten. Verbindungen bestanden zudem zum polnischen Geheimdienst.171 Eine informelle Kooperation des Ministeriums für Staatssicherheit existierte im Hinblick auf den Internationalen P.E.N. somit nicht nur mit dem KGB, sondern sehr wahrscheinlich auch mit den Sicherheitsdiensten der meisten sozialistischen Staaten. Daran lässt sich deutlich ablesen, dass man dem Internationalen P.E.N. einen gewissen Wirkungsgrad zubilligte. Die Präsenz im internationalen Feld schätzte man unerlässlich für die Durchsetzung der eigenen politischen Linie ein. Zugleich aber schien die Sicherung dieser Ebene notwendig, um Angriffe gegen das eigene Lager abzuwehren oder mindestens zu schwächen. Die Erfüllung des umfangreichen Aufgabenkatalogs konnte nur durch den Einsatz verlässlicher Kader auf internationalem Terrain angegangen werden. Eine Festlegung in dieser Hinsicht traf die »operative Arbeitsvereinbarung« von 1978: »Für die Realisierung vorgenannter Maßnahmen werden durch die HA XX/7 die IM/GMS der HA XX/7 ›Heinz‹ (Präsidiumsmitglied im PENZentrum DDR), ›Henryk‹ (Präsidiumsmitglied im PEN-Zentrum DDR), ›Dichter‹, ›Thomas‹, ›Martin‹ (Präsidiumsmitglied im PEN-Zentrum DDR) zum Einsatz gebracht.«172 Besondere Aufmerksamkeit wurde dem Internationalen Vize-Präsident Stephan Hermlin zuteil. Auf ihn sollte der IM ›Heinz‹ »Einfluß aus[ ]üb[en], um ihn von der Mitarbeit an antisozialistischen Resolutionen reaktionärer Kräfte im internationalen PEN zurückzuhalten und ihn zu gewinnen, gegen solche Vorhaben im internationalen PEN Stellung zu nehmen.«173 Die Identifizierung der IM/GMS ist nicht ganz geklärt. Bei »Dichter«, »Thomas« und »Martin« handelte es sich um Paul Wiens, Peter Edel und Hermann Kant. Mit »Heinz« hatte man vermutlich Heinz Kamnitzer bezeichnet, obgleich dieser eigentlich den Decknamen »Georg« trug. Wer mit »Henryk« gemeint ist, lässt sich nicht entschlüsseln.174 Zwar läge die Vermutung nahe, dass es sich hier um den Generalsekretär Henryk Keisch handeln müsse. Eine Verifizierung des Klarnamens ist indes nicht gelungen. Die Beispiele für die Versuche zur Aufklärung und Einschränkung der subversiven Aktivitäten des Internationalen P.E.N.-Clubs sind zahlreich. Wie ein roter Faden ziehen sich die Klagen über die »[a]ntisozialistischen Angriffe und Verleumdungen unter dem Vorwand der angeblichen ständigen Verletzung
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Lyon und Paris/Frankreich [9. 11. 1981]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 96–101, hier Bl. 101. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht IMB »Georg« vom 13. 10. 1983 [18. 10. 1983]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 539f., hier Bl. 539. BStU, MfS, ZA, HA XX, AKG 781, Bl. 369–373. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 810. BStU, MfS, ZA, HA XX, AKG 781, Bl. 369–373. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 810. Vgl. BStU, MfS, ZA, HA XX, AKG 781, Bl. 369–373. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 810.
der Menschenrechte in den sozialistischen Ländern«175 durch die Berichte des Ministeriums für Staatssicherheit; diese basieren meist auf den Informationen, die Kamnitzer in der ersten Hälfte der achtziger Jahre an seine Kontaktperson im Ministerium für Staatssicherheit bereitwillig weitergegeben hatte. Positiv schätzte Kamnitzer Anfang der achtziger Jahre die 1979 erfolgte Wahl des Schweden Per Wästberg zum internationalen P.E.N.-Präsidenten ein; daraus ergeben sich nach Einschätzung der Quelle einige günstigere Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Zurückdrängung reaktionärer und antisozialistischer, antisowjetischer feindlicher Kräfte im Internationalen PEN-Klub. […] Auf der Grundlage der bisherigen politisch-ideologischen Position WÄSTBERGS zeigen sich in Bezug auf die Außenpolitik der UdSSR und der sozialistischen Staatengemeinschaft in folgenden politischen Fragen positive Anknüpfungspunkte. – Er ist für die Politik der friedlichen Koexistenz und gegen nukleares Wettrüsten und trat diesbezüglich öffentlich auf. […] – er hat in einem öffentlichen Artikel die Politik der UdSSR zu Afghanistan unterstützt und die Politik der USA verurteilt. […] Dennoch sei es nicht auszuschließen, daß Wästberg sich an antisowjetischen und antisozialistischen Aktionen betätigt, wenn dies den sozialdemokratischen Positionen entspricht.176
Für die internationale Tagung in Bled, Jugoslawien, im Mai 1980 kündigte Keisch die Vertreter des P.E.N.-Zentrums DDR bei Wästberg an – als Delegierte »mit dem Auftrag und der Absicht, nach Kräften für eine Atmosphäre der Verständigung und der Kooperation im Dienst positiver Ziele zu wirken.«177 Die Berichte des Ministeriums für Staatssicherheit sprechen hingegen für eine generalstabsplanmäßige Vorbereitung der internationalen P.E.N.-Tagung. Laut Bericht der Hauptabteilung XX/7 hatte der IM »Georg« Hinweise erarbeitet, die sich gegen den WiPC-Vorsitzenden Michael Scammell richteten; dieser stütze sich »in seiner Tätigkeit immer stärker auf eingefleischte Antikommunisten und langjährige Agenten imperialistischer Geheimdienste.«178 Scammell war längst in den Status einer »Feindperson« gerückt, deren Handeln bedingungslos observiert wurde. Wie weit das Interesse der Geheimdienste ging, lässt eine Meldung aus dem Jahr 1983 erahnen: »Es gelang der inoffiziellen Quelle [d. i. Heinz Kamnitzer] erstmals, die Privatadresse von Scammell in Erfahrung zu bringen. Sie lautet: Scammell, Michael […] Wie die inoffizielle Quelle weiter in Erfahrung
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Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang der Delegiertenkonferenz des Internationalen PEN-Club in der Zeit vom 20. und 21. 3. 1982 in London/England [8. 2. 1983]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 513–523, hier Bl. 513. Bericht vom 7. 4. 1980. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 87–91, hier Bl. 87f. Enthalten auch in BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 36–40. Henryk Keisch an Per Wästberg [10. 4. 1980]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/L/London 28a und 28b. Bericht vom 7. 4. 1980. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 87–91, hier Bl. 88. 725
bringen konnte, bewahrt Scammell vertrauliche Materialien, die seine Tätigkeit betreffen, nicht in seinem Büro, sondern in seiner Privatwohnung auf.«179 Nach Einschätzung durch Kamnitzer war in Bled damit zu rechnen, »daß diese Veranstaltung zu antisowjetischen Aktionen in Bezug auf [Andrei] Sacharow und Lew Kopelew von den […] feindlichen Kräften genutzt wird. Zur Zurückweisung derartiger feindlicher Aktionen wird durch die Quelle [d. i. Heinz Kamnitzer] im PEN-Zentrum der DDR eine Resolution vorbereitet, die dem internationalen Gremium zur Verabschiedung unterbreitet werden kann.«180 Als adäquates Mittel zur Abwehr von Kritik an der Kulturpolitik der UdSSR und anderer Staaten begriff man demnach die Durchsetzung von Resolutionen aus dem sozialistischen Lager. Diese mussten so formuliert werden, dass sie von der Mehrheit der Delegierten getragen werden konnten. Im Falle von Bled hatte Kamnitzer eine Resolution zum »35. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus« ausgearbeitet, »die die heroischen Leistungen der UdSSR bei der Zerschlagung des Faschismus würdigte und den großen Anteil der UdSSR für die dadurch geschaffenen Bedingungen der Wiederaufnahme der Arbeit des Internationalen PEN auf dem europäischen Kontinent hervorhob.«181 In einer vorbereitenden Präsidiumssitzung, die Anfang April 1980 stattfand, hatten sich Kamnitzer, Keisch, Schober, Fries, Cwojdrak und Hermlin über »Maßnahmen zur Abwendung antisowjetischer Angriffe« verständigt: »Nach Einschätzung der anwesenden Mitglieder des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR bestehen reale Chancen, eine derartige Resolution erfolgreich zu verabschieden, da von der überwiegenden Mehrheit der nationalen PEN-Zentren das historische Verdienst der UdSSR bei der Zerschlagung des Faschismus anerkannt wird.«182 Wie sehr Heinz Kamnitzer bei seiner Informationsübergabe an das Ministerium für Staatssicherheit darauf bedacht war, die eigene Tätigkeit hinsichtlich des politisch-ideologischen Erwartungshorizontes in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen, zeigt ein Vergleich der eigentlichen Resolution mit der inhaltlichen Beschreibung für die Akten der Sicherheitsbehörde. Die UdSSR tauchte im Wortlaut gar nicht explizit auf.183 Dennoch: Die Delegierten Günther Cwojdrak, Paul Wiens und Stephan Hermlin erhielten den Auftrag, die Entschließung vor 179
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Information zu opr. interessierenden Fragen im Zusammenhang der 46. Delegiertenkonferenz des InternationalenPEN-Club in der Zeit vom 25. bis 30. 9. 1983 in Caracas, Venezuela. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 524–532, hier Bl. 527. Bericht vom 7. 4. 1980. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 87–91, hier Bl. 90. Information über eine Präsidiumstagung des PEN-Zentrums der DDR zu Problemen der Vorbereitung der Internationalen PEN-Tagung vom 6.–11. 5. 1980 in der jugoslawischen Stadt Bled [11. 4. 1980]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 92–95, hier Bl. 92. Information über eine Präsidiumstagung des PEN-Zentrums der DDR zu Problemen der Vorbereitung der Internationalen PEN-Tagung vom 6.–11. 5. 1980 in der jugoslawischen Stadt Bled [11. 4. 1980]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 92–95, hier Bl. 93. Vgl. Resolution zum 35. Jahrestag des Kriegsendes, vorgelegt vom P.E.N.-Zentrum DDR auf der internationalenExekutivein Bled, Jugoslawien,9. Mai 1980. Abgedruckt in Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N., held in Bled, Jugoslavia, on 9th May, 1980, S. 39f. P.E.N.-Archiv London.
der Delegiertenversammlung vorzubringen und zu einer positiven Abstimmung zu führen.184 Eine besondere strategische Bedeutung billigte Heinz Kamnitzer in dieser Hinsicht dem Delegationsmitglied Stephan Hermlin aufgrund seiner herausgehobenen Position innerhalb des Internationalen P.E.N.-Clubs zu. Eine gezielte Einflussnahme im Vorfeld der Exekutivkomitee-Tagung war beabsichtigt: »Von der Quelle [d. i. Heinz Kamnitzer] wird gegenwärtig geprüft, inwieweit der Vizepräsident des Internationalen PEN, Stephan HERMLIN, gewonnen werden kann, die vorgenannte Resolution der DDR-Delegation dem internationalen PEN zur Verabschiedung vorzuschlagen.«185 Im Nachgang der Tagung erhielt Hermlin eine positive Bewertung: »Insgesamt wurde inoffiziell eingeschätzt, daß sich HERMLIN an die offizielle Linie des DDR-PEN-Zentrums hielt, keinerlei provokative Aktivitäten, Handlungen […] entwickelte und unter Ausnutzung seiner Verbindungen mit dazu beitrug, daß die von der DDR eingebrachte Resolution als offizielles Dokument verabschiedet wurde.«186 Auseinandersetzungen hatte es während des Tagungsverlaufs offenbar zwischen Peter Elstob, Generalsekretär des Internationalen P.E.N., und den Delegierten des DDR-P.E.N. gegeben. Elstob hatte nach Informationen des Ministeriums für Staatssicherheit versucht, eine Abstimmung über die DDR-Resolution zu verhindern, war letztlich aber gescheitert. Der internationale Generalsekretär hatte aufgrund der jüngsten außenpolitischen Aktivitäten der UdSSR Bedenken gegenüber der Entschließung des DDR-P.E.N. geäußert: »Bei Diskussion und Abstimmung zu dieser Erklärung werde ja regelrecht eine Polemik provoziert. Er wisse nicht, was er dann machen solle, wenn andere PEN-Zentren die Fragen stellen: ›Und was machen die Russen in Afghanistan?‹«187 Nach innenpolitischen Unruhen hatte die afghanische Regierung Ende 1978 einen weitgehenden Beistandspakt mit der Sowjetunion geschlossen. Die Niederschlagung jeglicher Opposition führte zu einem Bürgerkrieg. Nach weiteren internen Auseinandersetzungen war, angeblich auf Grund des Beistandspaktes zu Hilfe gerufen, Ende Dezember 1979 die sowjetische Armee in Afghanistan einmarschiert. Die Delegierten des Internationalen P.E.N. reagierten indes auf diese Ereignisse
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Vgl. Information über operativ interessierende Fragen während der Internationalen PEN-Tagung in der Zeit vom 6. 5.–11. 5. 1980 in Bled/Jugoslawien [11. 6. 1980]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/15, Bl. 490–499, hier Bl. 490. Bericht vom 7. 4. 1980. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 87–91, hier Bl. 90. Information über operativ interessierende Fragen während der Internationalen PENTagung in der Zeit vom 6. 5.–11. 5. 1980 in Bled/Jugoslawien [11. 6. 1980]. BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/3, Bl. 97–106, hier Bl. 105. Vgl. auch Information über das Auftreten des Schriftstellers Stephan HERMLIN während der Tagung des Internationalen PEN-Clubs vom 6.–11. 5. 1980 in Bled/Jugoslawien [16. 6. 1980]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/13, Bl. 198–200, hier Bl. 199. Information über operativ interessierende Fragen während der Internationalen PENTagung in der Zeit vom 6. 5.–11. 5. 1980 in Bled/Jugoslawien [11. 6. 1980]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/15, Bl. 490–499, hier Bl. 491. 727
nicht: »Provokatorische Resolutionen, Anfragen oder Diskussionen gegenüber der UdSSR zu Afghanistan […] gab es auf dieser PEN-Tagung nicht.«188 Waren in Bled die befürchteten Angriffe ausgeblieben, so wurde der darauf folgende P.E.N.-Kongress in Lyon (September 1981) nach Einschätzung des Ministeriums für Staatssicherheit von den »feindliche[n] Kräften im Internationalen PEN« ausgenutzt, um die »UdSSR und die anderen sozialistischen Staaten als hauptsächliche Verletzer der Menschenrechte zu verleumden«: »Ausdruck der Verschärfung dieser Angriffe waren die Verabschiedungen von Protestresolutionen an die Regierung der UdSSR und anderer sozialistischer Staaten.«189 So war durch die P.E.N.-Zentren Dänemark, Norwegen und Schweden eine Resolution eingebracht worden, die sich mit der kulturpolitischen Situation in Estland, Lettland und Litauen auseinandersetzte: Eine der wichtigsten Aufgaben des Internationalen PEN besteht darin, die Kulturen der Minoritäten zu erhalten. Die drei skandinavischen PEN-Zentren sind sehr besorgt über Nachrichten betreffend Schwierigkeiten, denen Kollegen in den drei Ländern an den östlichen Gestaden der Ostsee, oftmals Meer des Friedens genannt, ausgesetzt sind. Während der letzten Jahre haben wir Informationen erhalten über die Bedrohung der Kultur in Estland, Lettland und Litauen, sowie über die Verhaftung von Intellektuellen, die die Erhaltung dieser Kulturen verteidigen. Wir fordern alle Mitglieder des Internationalen PEN auf, sich mit uns zu vereinigen in der Verurteilung dieser unfreundlichen Politik, die in ausgesprochenem Gegensatz steht zu den Grundsätzen aller internationalen Abkommen auf dem Gebiet der Kultur.190
Die Kritik an der sowjetischen Regierungspolitik gegenüber den ehemaligen baltischen Staaten, die unter sowjetischem Druck der UdSSR im Jahr 1940 angegliedert worden waren, wurde in dieser Resolution zwar nicht explizit ausgesprochen, schwang aber deutlich mit. Für die DDR-Delegation ergriff Hermlin das Wort; er »sprach sich öffentlich gegen die Annahme dieser Resolution aus, da sie eine absolute Verleumdung der UdSSR darstelle und jeglicher realer Grundlage entbehre.«191 Hermlins aktive Verteidigung der UdSSR erzielte keine durchschlagende Wirkung. Die Resolution wurde bei fünf Gegenstimmen und sieben Enthaltungen angenommen. Eine überraschende Position hatten die 188
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Information über operativ interessierende Fragen während der Internationalen PENTagung in der Zeit vom 6. 5.–11. 5. 1980 in Bled/Jugoslawien [11. 6. 1980]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/15, Bl. 490–499, hier Bl. 498. Information zu operativ-interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 45. Internationalen PEN-Kongreß in der Zeit vom 21. 09. 1981 bis zum 25. 09. 1981 in Lyon und Paris/Frankreich [9. 11. 1981]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 96–101, hier Bl. 96. Information zu operativ-interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 45. Internationalen PEN-Kongreß in der Zeit vom 21. 09. 1981 bis zum 25. 09. 1981 in Lyon und Paris/Frankreich [9. 11. 1981]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 96–101, hier Bl. 98. Information zu operativ-interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 45. Internationalen PEN-Kongreß in der Zeit vom 21. 09. 1981 bis zum 25. 09. 1981 in Lyon und Paris/Frankreich [9. 11. 1981]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 96–101, hier Bl. 98.
ungarischen P.E.N.-Vertreter eingenommen. István Bart und Iván Boldizsár hatten geäußert, daß sie nicht gegen diese Resolution stimmen werden, da sie sich ihrer Auffassung nach gegen Zustände in der UdSSR richte, die den Tatsachen entsprechen. Als die Quelle [d. i. Heinz Kamnitzer] versuchte, die Vorgenannten von ihrer Haltung abzubringen, äußerten sie, daß sie als Ungarn höflich mit den Russen sind, sie sich aber so gut es geht vom Leibe halten. Unter diesem Aspekt werden sie für die Annahme dieser Resolution stimmen.192
Eine lückenlose Allianz der kommunistisch regierten Staaten war demnach im Internationalen P.E.N. nicht zu realisieren. Nicht alle verfolgten wie das SEDRegime einen Kurs bedingungsloser Loyalität gegenüber der UdSSR. In Lyon kamen zwei weitere Resolutionen zur positiven Abstimmung, die in der geheimdienstlichen Berichterstattung als »antisowjetisch« eingestuft wurden. Die eine befasste sich mit dem Schicksal des russischen Schriftstellers Anatoli Marchenko, der »nach fünf Jahren innerer Verbannung«193 erneut zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt worden war. Die andere machte auf die problematische Situation der jüdischen Minderheit in der Sowjetunion aufmerksam und forderte die Delegierten auf, »bei der Sowjetregierung in entschiedenster Weise zu protestieren gegen diese bösartigen Bemühungen, das Geistesleben der sowjetischen Judenschaft auszulöschen.«194 Beide Entschließungen wurden mit Stimmenmehrheit angenommen; Abwehraktionen des P.E.N.-Zentrums DDR sind nicht verbürgt. Gleichwohl ließ IM »Georg« keine Chance ungenutzt, aus eigener Sicht positive Entwicklungen im Internationalen P.E.N. mindestens versuchsweise zu beeinflussen: Alexandre Blokh äußerte gegenüber der inoffiziellenQuelle, daß er mit der Übernahme seiner Funktion als Generalsekretär des internationalen PEN nicht in das Generalsekretariat des internationalen PEN nach London übersiedeln werde, sondern beabsichtige, diese Geschäfte und Aufgaben in Paris wahrzunehmen. Er verfolge damit die Absicht, das Generalsekretariat des internationalen PEN etwas von der Arbeit des Komitees ›Schriftsteller in Haft‹ abzugrenzen. Seiner Ansicht zufolge müsse der internationale PEN sich im Rahmen der UNESCO stärker mit den Problemen der Erhaltung des Friedens beschäftigen. Die inoffizielle Quelle bestärkte Blokh in dieser Haltung.195 192
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Information zu operativ-interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 45. Internationalen PEN-Kongreß in der Zeit vom 21. 09. 1981 bis zum 25. 09. 1981 in Lyon und Paris/Frankreich [9. 11. 1981]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 96–101, hier Bl. 99. Information zu operativ-interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 45. Internationalen PEN-Kongreß in der Zeit vom 21. 09. 1981 bis zum 25. 09. 1981 in Lyon und Paris/Frankreich [9. 11. 1981]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 96–101, hier Bl. 99. Information zu operativ-interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 45. Internationalen PEN-Kongreß in der Zeit vom 21. 09. 1981 bis zum 25. 09. 1981 in Lyon und Paris/Frankreich [9. 11. 1981]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 96–101, hier Bl. 100. Information zu operativ-interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 45. Internationalen PEN-Kongreß in der Zeit vom 21. 09. 1981 bis zum 25. 09. 1981 in Lyon 729
Über die Londoner Exekutive im März 1982 konnte Kamnitzer seinem Führungsoffizier im Ministerium für Staatssicherheit nicht aus eigener Anschauung berichten; er hatte sich jedoch »über den Verlauf dieses Kongresses über seine persönlichen Verbindungen im internationalen PEN-Club informiert und auch Einsicht in das Protokoll dieser Delegiertenkonferenz erhalten.«196 Als wiederkehrendes Element trat hier die Kritik an dem als »Feindorganisation« kategorisierten WiPC und seinem Vorsitzenden Michael Scammell besonders deutlich hervor: Antisozialistische Angriffe und Verleumdungen unter dem Vorwurf der angeblichen ständigen Verletzung der Menschenrechte in den sozialistischen Ländern wurden in konzentrierter Form durch den operativ bekannten Vorsitzenden des Ausschusses ›Schriftsteller in Haft‹ beim Internationalen PEN, den Scammell, Michael, vorgetragen. Scammell vertrat die Auffassung, daß es ohne eine Regelung in Fragen der Menschenrechte und deren Verletzungen in den sozialistischen Ländern zu keinen Erfolgen in den Verhandlungen mit der UdSSR um Abrüstung kommen wird. Die ›freiheitliche Welt‹ könne nicht darauf verzichten, diese Fragen immer wieder in den Mittelpunkt der Verhandlungen zu stellen.197
IM »Georg« referierte weitere »antisowjetische« Attacken: »Der UdSSR warf Scammell vor, daß keinerlei Anzeichen abzusehen seien, daß die UdSSR den Schriftstellern elementare Freiheiten in ihrer literarischen Arbeit einräume und immer wieder neue Fälle bekannt würden, wo Schriftsteller durch Verbannung, Inhaftierung oder anderweitige Repressalien an der Ausübung ihres Berufes gehindert würden.«198 In der Tat hatte Scammell in seinem Bericht explizit auf die beiden sowjetischen Autoren Evgeny Kozlovsky und Alfred Zarins hingewiesen; er tat dies allerdings nicht mehr und nicht weniger sachlich und akzentuiert als er das hinsichtlich von bekannt gewordenen Fällen in anderen Ländern handhabte.199 Kamnitzer deutete indes die Auseinandersetzung mit der Situation von Schriftstellern in nichtsozialistischen Ländern als reines Ablenkungsmanöver: »Zur Verschleierung seiner antisozialistischen Angriffe befaßte sich Scammell noch ausführlicher mit der Lage inhaftierter Schriftsteller in Ländern wie der Türkei, Südkorea, Pakistan, Argentinien, Uruguay, El Salvador, Guatemala und
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und Paris/Frankreich [9. 11. 1981]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 96–101, hier Bl. 101. Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang der Delegiertenkonferenz des Internationalen PEN-Club in der Zeit vom 20. bis 21. 3. 1982 in London/England [8. 2. 1983]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 513–523, hier Bl. 513. Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang der Delegiertenkonferenz des Internationalen PEN-Club in der Zeit vom 20. bis 21. 3. 1982 in London/England [8. 2. 1983]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 513–523, hier Bl. 513. Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang der Delegiertenkonferenz des Internationalen PEN-Club in der Zeit vom 20. bis 21. 3. 1982 in London/England [8. 2. 1983]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 513–523, hier Bl. 517. Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held at London on March 20th and 21st , 1982, S. 9. P.E.N.-Archiv London.
Südafrika.«200 Minutiös berichtete Kamnitzer über die Themen der Tagung, hob »weitere feindliche Aktivitäten«201 von Per Wästberg, Thomas von Vegesack, René Tavernier, Pierre Emmanuel und anderen Repräsentanten des Internationalen P.E.N. hervor. Eine aktive Gegenwehr referierte er allerdings nicht. Die Berichte über den internationalen Kongress, der im September 1983 tagte, offenbaren eine offensivere Haltung des entsendeten DDR-Vertreters. In Caracas (Venezuela) stemmte sich der Delegierte Fritz Rudolf Fries gegen eine Resolution des französischen P.E.N.-Zentrums, die sich für eine Aufhebung des gegen den sowjetischen Physiker, Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger Andrei Sacharow verhängten Hausarrests einsetzte. Fries enthielt sich gemeinsam mit seinen bulgarischen Kolleginnen, Liliana Stefanova und Ilinda Markova, der Stimme202 und nahm »öffentlich gegen diese Resolution Stellung«: »Fries äußerte, daß er und seine bulgarischen Freunde gegen die zunehmende Tendenz, den internationalen PEN-Club mit Problemen zu belasten, die nicht zu seinen erklärten Zielen und Aufgaben gehörten, sei. Es entstünde immer mehr der Eindruck, daß das Ansehen des Internationalen PEN Club verliere, da er für viele Außenstehende dem äußeren Anschein nach durch diese Aktivitäten zu einer Abteilung von ›Amnesty International‹ werde.«203 Fries hatte das politisch-ideologische Ungleichgewicht im Internationalen P.E.N. deutlich wahrgenommen: »Die politische Richtung des Internationalen P.E.N. ist insofern fragwürdig, als praktisch jeder alles äußern kann. Da es ein massives Übergewicht von P.E.N.-Zentren nicht sozialistischer Staaten gibt, sind die Mehrzahl der Entscheidungen und Äußerungen den sozialistischen Staaten gegenüber nicht gerade wohlwollend, ja gegen sozialistische Staaten gerichtet.«204 Er habe gemeinsam mit seinen bulgarischen Kolleginnen einer »Mafia gegenüber«205 gestanden. Die Wirkkraft des Internationalen P.E.N. schien Fries dennoch relativ; er warnte vor ihrer Überschätzung: »Es entstand 200
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Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang der Delegiertenkonferenz des Internationalen PEN-Club in der Zeit vom 20. bis 21. 3. 1982 in London/England [8. 2. 1983]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 513–523, hier Bl. 518. Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang der Delegiertenkonferenz des Internationalen PEN-Club in der Zeit vom 20. bis 21. 3. 1982 in London/England [8. 2. 1983]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 513–523, hier Bl. 514. Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Caracas on 28th and 29th September, 1983, S. 35. P.E.N.-Archiv London. Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang der 46. Delegiertenkonferenzdes InternationalenPEN-Club in der Zeit vom 25. bis 30. 9. 1983 in Caracas, Venezuela. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 524–532, hier Bl. 526. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder/Referat XX/7]: Bericht über den Kongreß des Internationalen P.E.N. in Caracas 25. September bis 1. Oktober 1983 (I) [5. 10. 1983]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 284–286, hier Bl. 284. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder/Referat XX/7]: Bericht über den Kongreß des Internationalen P.E.N. in Caracas 25. September bis 1. Oktober 1983 (I) [5. 10. 1983]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 284–286, hier Bl. 284. 731
auch der Eindruck, daß das [sic] Internationale PEN sich zwar gewaltig gebärdet, real aber kaum umfassende Wirkungen auslöst.«206 Das Ministerium für Staatssicherheit beurteilte die Wirkung von Fries’ Erscheinen auf dem P.E.N.Kongress positiv: »Einzuschätzen ist, daß das Auftreten des DDR-Delegierten Eindruck hinterließ, nicht zuletzt deshalb, weil er sich in mehreren Sprachen ohne Dolmetscher äußern konnte und wie verschiedentlich gesagt wurde, nicht so bösartig wie Keisch und Kamnitzer aufgetreten sei. Teilweise wurde der Vergleich zu Paul Wiens hergestellt, der bei einigen P.E.N. Delegierten in sehr hoher Achtung steht.«207 Der Fall Sacharow stand auf dem darauf folgenden Kongress in Tokio (13.–20. Mai 1984) wiederum auf der Agenda. Das dänische P.E.N.-Zentrum brachte eine Resolution ein, die die Ausreisegenehmigung für den oppositionellen Physiker und seine Ehefrau fordern und an den Generalsekretär des ZK der KPdSU, Konstantin Ustinowitsch Tschernenko, per Telegramm übermittelt werden sollte. Begründet wurde die Forderung mit Sacharows besorgniserregendem Gesundheitszustand. Laut Information des Ministeriums für Staatssicherheit, die sich auf Kamnitzers Auskünfte stützte, hatten die Delegierten des DDRP.E.N., Walter Kaufmann und Henryk Keisch, gegen eine solche Entschließung Stellung bezogen. Sie hatten ihre ablehnende Haltung damit begründet, – daß für einen Physiker der PEN nicht zuständig sei, – die Behauptung,daß sich Sacharow nicht äußern könne, falsch sei, fast täglich werde seine Meinung über westliche Medien verbreitet, – der PEN sich für die Erhaltung des Friedens einsetze, aber Sacharow durch seine Äußerungen eine Intensivierung der Rüstung des Friedens fordere, was nicht der Entspannung diene, – die UdSSR über ein gutes Gesundheitssystem verfüge, was international nicht anzuzweifeln und daher eine medizinische Betreuung Sacharows im Ausland nicht gerechtfertigt ist.208
Die Einwände von Henryk Keisch und Walter Kaufmann fielen bei der Abstimmung nicht ins Gewicht. Die Resolution wurde mit überwiegender Mehrheit von den Delegierten angenommen.209
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Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder/Referat XX/7]: Bericht über den Kongreß des Internationalen P.E.N. in Caracas 25. September bis 1. Oktober 1983 (I) [5. 10. 1983]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 284–286, hier Bl. 285. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder/Referat XX/7]: Bericht über den Kongreß des Internationalen P.E.N. in Caracas 25. September bis 1. Oktober 1983 (II) [5. 10. 1983]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 287–293, hier Bl. 292. Informationzu operativinteressierendenFragenim Zusammenhang mit dem 47. Internationalen PEN-Kongreß im Mai 1984 in Tokio/Japan [23. 6. 1984]. BStU, MfS, A 175/ 86, Bd. II/2, Bl. 557–564, hier Bl. 561. Vgl. Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 47. Internationalen PEN-Kongreß im Mai 1984 in Tokio/Japan [23. 6. 1984]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 557–564, hier Bl. 561.
In Tokio nahm die »Schärfe der Auseinandersetzungen« zu. Hatte das P.E.N.Zentrum DDR zuvor vor allem durch Stimmenthaltung oder Gegenstimme versucht, gewisse Resolutionen auszubremsen, trat es nun in eine geplante Offensive ein. Ziel des Angriffs war Michael Scammell. Sein Bericht zur Situation in der UdSSR war umfangreich. Überdies tauchte auch die DDR wieder im WiPCReport auf. Die übliche Schlussfolgerung lag nahe: Scammell »verfolgt […] die Absicht, im Interesse der operativ bekannten Feindorganisation ›Amnesty international‹, deren Mitglied Scammell ist, die UdSSR und die anderen sozialistischen Länder vor dem Gremium der Schriftsteller aus aller Welt als Länder darzustellen, in denen der ›Staatsterror zur Regierungsmethode‹ erhoben wurde.«210 Vor dem Hintergrund der schriftlichen Debatte, die der Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums DDR mit Michael Scammell bereits vor dem Kongress in Tokio geführt hatte (s. Kap. 8.1.2), hob Keisch zur scharfen Kritik am WiPC an; er stellte dessen Arbeitsweise, etwa hinsichtlich der Zusammenstellung der Inhaftiertenlisten, mehr als deutlich in Frage.211 Insbesondere die Verfahrensweise gegenüber der UdSSR kritisierte Keisch heftig.212 Die bulgarische Abgeordnete Liliana Stefanova sprang Keisch bei; sie kritisierte die generalisierte Sichtweise, dass in den sozialistischen Staaten Autoren wegen ihrer Schriften inhaftiert seien: It was not necessary to prove that in Bulgaria, as well as in the other socialist countries, including the Soviet Union, writers did have freedom of expression and were not persecuted for their literary ideas and convictions. […] The list of names presented to the meeting had no precise proof behind them and might be lists of people guilty of crimes or other acts deserving of punishment. They did not to any extent represent the real state of affairs in socialist countries.213
Scammell wehrte die Attacke versiert ab. Er ließ sich auf ein Streitgespräch gar nicht erst ein, erinnerte lediglich die Möglichkeit zur aktiven Mitarbeit in seinem Gremium. Mit seinen Anklagen war Keisch nicht wirklich erfolgreich gewesen. In der Nachbereitung des Kongresses durch die Verantwortlichen des P.E.N.Zentrums DDR wurden weitergehende Maßnahmen durchdacht. Davon erfuhr auch das Ministerium für Staatssicherheit: Zur weiteren offensiven Zurückdrängung der feindlichen Angriffe des Scammell wird gegenwärtig durch das Präsidium des PEN-Zentrums DDR in Erwägung gezogen, auf dem nächsten Internationalen PEN-Kongreß den Kongreßdelegierten ein Memorandum zur Diskussion vorzulegen, in welchem von einer marxistisch-leninistischen
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Informationzu operativinteressierendenFragen im Zusammenhang mit dem 47. Internationalen PEN-Kongreß im Mai 1984 in Tokio/Japan [23. 6. 1984].BStU, MfS, A 175/ 86, Bd. II/2, Bl. 557–564, hier Bl. 560. Vgl. Minutes of the Assembly of the Meeting of Delegates of International P.E.N. held in Tokyo on 15th , 16th and 17th May, 1984, S. 8f. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Assembly of the Meeting of Delegates of International P.E.N. held in Tokyo on 15th , 16th and 17th May, 1984, S. 9. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Assembly of the Meeting of Delegates of International P.E.N. held in Tokyo on 15th , 16th and 17th May, 1984, S. 10f. P.E.N.-Archiv London. 733
Position die Auffassung der DDR zu den grundsätzlichen Fragen der Menschen- und Bürgerrechte dargelegt wird.214
Zu einer solchen Offensive kam es aber nicht. Auf dem folgenden Kongress im November 1984 (London) trat der Delegierte des P.E.N.-Zentrums DDR in dieser Frage nicht in Erscheinung. In der »Information zu operativen Fragen und Problemen im Zusammenhang mit dem 48. PEN-Kongreß« dominieren die Auskünfte über die »antisozialistischen und antisowjetischen Aktivitäten« im Internationalen P.E.N.-Club. Die Berichterstattung ist nahezu identisch: Wie auch bei dem vorangegangenen PEN-Kongreß in Tokio im Mai 1984 war dieser Bericht von Scammell so abgefaßt, daß der Eindruck entsteht, die UdSSR und die anderensozialistischenLänder seien Länder,in denen der ›Staatsterrorzur Regierungsmethode‹ erhoben wurde. Zu diesem Zweck wurde eine geschickte Gegenüberstellung dieser Länder mit faschistischen Staaten oder dem Rassistenregime in Südafrika vorgenommen.215
Einen Vorstoß zur Zurückdrängung der Kritik an der UdSSR unternahm Heinz Kamnitzer noch einmal beim DDR-Besuch des internationalen Generalsekretärs, Alexandre Blokh, im März 1985. Der Präsident des P.E.N.-Zentrums DDR rührte an einen wunden Punkt des Internationalen P.E.N.; er verwies im persönlichen Gespräch auf die bislang missglückte Aufnahme der sowjetischen Autoren in den Internationalen P.E.N. und führte diese Tatsache maßgeblich auf die Aktivitäten von Scammell zurück: »Wenn [Blokh] dafür sorge, daß der Internationale PEN aufhört, ständig die UdSSR zu verleumden und zu diskreditieren, wird auch eine günstigere Gelegenheit der Beziehungen zur UdSSR möglich sein.«216 Blokh ging auf diesen Vorschlag nicht ein; er brachte lediglich eine geplante Veranstaltung zu Ehren Maxim Gorkis zur Sprache, der auch sowjetische Autoren beiwohnen sollten.217 Eine erkennbare Wirkung zeigte Kamnitzers versuchte Einflussnahme auf das Mitglied der internationalen P.E.N.-Führung im Hinblick auf die Arbeit des WiPC nicht. Ein weiteres Manöver zur Stärkung des sozialistischen Lagers im Internationalen P.E.N. war man bereits 1984 angegangen. Nach der geglückten, mehr oder weniger erfolglosen Kooperation der Delegierten aus der DDR und Bulgarien auf den P.E.N.-Kongressen in Caracas und Tokio hatte man eine Reaktivie214
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Informationzu operativinteressierendenFragenim Zusammenhang mit dem 47. Internationalen PEN-Kongreß im Mai 1984 in Tokio/Japan [23. 6. 1984]. BStU, MfS, A 175/ 86, Bd. II/2, Bl. 557–564, hier Bl. 560. Vgl. Information zu operativen Fragen und Problemen im Zusammenhang mit dem 48. Kongreß im November 1984 in London/Großbritannien [29. 1. 1985]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 264–269, hier Bl. 266. Information zum Aufenthalt des Generalsekretärsdes InternationalenPEN-Clubs, des französischen Schriftstellers Alexandre Blokh in der Zeit vom 11. bis 15. 3. 1985 in der DDR [19. 3. 1985]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 273–277, hier Bl. 276. Vgl. Information zum Aufenthalt des Generalsekretärs des Internationalen PENClubs, des französischen Schriftstellers Alexandre Blokh in der Zeit vom 11. bis 15. 3. 1985 in der DDR [19. 3. 1985]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 273–277, hier Bl. 276.
rung der engeren Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen P.E.N.-Zentren ins Auge gefasst, wie sie in den siebziger Jahren von Zeit zu Zeit bestanden hatte. Zu diesem Zweck plante das bulgarische P.E.N.-Zentrum für den Herbst 1984 eine »Beratung von Vertretern der PEN-Zentren der sozialistischen Länder in Sofia«218 . Sie sollten dort »[z]ur Abstimmung einer gemeinsamen offensiven Politik im Rahmen des Internationalen PEN«219 zusammenkommen. Schwierig dürfte es gewesen sein, alle Vertreter an einen Tisch zu bekommen. Das P.E.N.ˇ Zentrum der CSSR war international seit langem nicht mehr in Erscheinung getreten. Die Ungarn nahmen, wie in der Debatte um die Resolution zur Situation in Estland, Lettland und Litauen, häufig eine eigenständige, tendenziell dem westlichem Lager zugewandte Position ein und ließen sich nicht zu einem einheitlichen Auftreten mit den übrigen Vertretern sozialistischer Länder bewegen. Das polnische P.E.N.-Zentrum war 1983 infolge der kulturpolitischen Veränderungen in Polen in den »Ruhestand« versetzt worden und kämpfte um die Anerkennung durch den Internationalen P.E.N.-Club. Die Realisierung eines Treffens in Sofia ist im vorliegenden Aktenmaterial nicht verbürgt. Gleichwohl verdient die Position, die durch das P.E.N.-Zentrum DDR innerhalb des Konflikts um die polnische P.E.N.-Sektion eingenommen wurde, besondere Beachtung. Der DDR-P.E.N. vertrat in dieser Auseinandersetzung nicht nur, wie auch im Fall der UdSSR, die offizielle Linie der eigenen Regierungspartei, sondern startete den Versuch, aktiv auf die Entwicklung im Internationalen P.E.N. einzuwirken. 8.1.3.2 Gezielte Einflussnahme auf den Internationalen P.E.N. im Sinne der polnischen Regierungspolitik Zu den außenpolitischen Entwicklungen, die die DDR-Administration mit Sorge beobachtete, zählte Anfang der achtziger Jahre auch die veränderte Situation in Polen. Die Furcht vor dem Übergreifen der polnischen Demokratiebewegung, die aus den landesweiten Streiks vom Sommer 1980 mit der Entstehung des Dachverbands der neuen unabhängigen Gewerkschaften Solidarnosc unter Lech Walesa hervorgegangen war, wirkte sich auf die Politik der SEDFührung aus. Die Parteispitze der DDR schätzte die Lage im Herbst 1980 »als schlimmer als 1968 in der CSSR«220 ein. Demzufolge standen die polnischen Ereignisse fortlaufend zur Debatte. Eine Mitwirkung an einer militärischen Intervention wurde von der Regierung der DDR nicht ausgeschlossen. 218
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Vgl. Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 47. Internationalen PEN-Kongreß im Mai 1984 in Tokio/Japan [23. 6. 1984]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 557–564, hier Bl. 564. Vgl. Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 47. Internationalen PEN-Kongreß im Mai 1984 in Tokio/Japan [23. 6. 1984]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 557–564, hier Bl. 564. Michael Kubina und Manfred Wilke (Hg.): »Hart und kompromißlos durchgreifen«. Die SED contra Polen 1980/81. Geheimakten der SED-Führung über die Unterdrückung der polnischen Demokratiebewegung. Berlin 1995, S. 341. Zitiert nach Weber, S. 421. 735
Honecker hatte im September 1981 gegenüber Fidel Castro in Kuba deutlich gemacht: »Wir sind zu jeder Hilfe bereit. Mit den sowjetischen Genossen besteht volle Übereinstimmung. Polen werde auf keinen Fall preisgegeben, denn das würde das Kräfteverhältnis der Welt verändern. Das wissen natürlich auch die USA, und deshalb halten sie die Konterrevolution zurück. Sie haben Angst vor unserem Eingreifen.«221 Erst mit der Verhängung des Kriegsrechts in Polen im Dezember 1981 schienen die führenden Köpfe der SED mit der Situation einigermaßen einverstanden:222 Unter General Jaruzelski war ein Militärrat der Nationalen Rettung gebildet worden, der auf allen Verwaltungs- und Wirtschaftsebenen Militärkommissare einsetzte, um die Macht der polnischen Regierung gegenüber der wachsenden Demokratiebewegung zu sichern. Streiks und andere Aktivitäten der Gewerkschaften und gesellschaftlichen Organisationen wurden verboten; Tausende wurden interniert. Anfänglicher Widerstand wurde gewaltsam unterbunden. Die rigide Politik der Militäradministration unter Jaruzelski traf auch die oppositionellen Schriftsteller. Mehr als 100 Autoren wurden in Haft genommen und in Lager verbracht. Diese Entwicklung wurde im Internationalen P.E.N. mit größter Aufmerksamkeit verfolgt, zumal die Militärführung neben vielen anderen gesellschaftlichen Organisationen nicht nur den Schriftstellerverband, sondern auch das polnische P.E.N.-Zentrum suspendiert hatte. Von den polnischen Mitgliedern des P.E.N. waren 17 inhaftiert worden. So stand das Thema »Polen« in den achtziger Jahren beinahe ununterbrochen auf der Agenda der internationalen Exekutiven. Während sich die Führungspersönlichkeiten des Internationalen P.E.N., insbesondere Per Wästberg und Alexandre Blokh, aber auch einzelne nationale Zentren intensiv mit der polnischen Problematik auseinandersetzten und Unterstützung der polnischen Kollegen propagierten, nahm das P.E.N.-Zentrum DDR eine konträre Position ein. Ähnlich wie im Hinblick auf die Kritik an den Verhältnissen in der UdSSR versuchte das P.E.N.-Zentrum DDR, Einfluss auf die Positionen des Internationalen P.E.N. zu nehmen bzw. geplante Aktivitäten zu bremsen. Symptomatisch erscheint in dieser Hinsicht die Haltung, die das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR im Januar 1982 zur Situation in Polen vertrat. Zu einer Stellungnahme veranlasst sahen sich die DDR-Vertreter durch ein Telegramm des Schweden Thomas von Vegesack; er hatte mit Bezug auf eine Resolution des Internationalen P.E.N. vom September 1981 darum gebeten, für den polnischen P.E.N. tätig zu werden.223 Die besagte Resolution, die in Lyon von den P.E.N.-Zentren Polen und Schweden eingebracht worden war, verurteilte jede Art von äußerem militärischem Druck, der sich gegen die freie Entwicklung des 221
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Kubina und Wilke (Hg.): »Hart und kompromißlos durchgreifen«. Zitiert nach Weber, S. 421. Vgl. Weber, S. 421. Vgl. Marion Brandt: »Eure kulturpolitischenProbleme können wir nicht lösen« Dokumente zur Haltung des PEN-Zentrums DDR zu Polen (1981 bis 1988). In: DeutschlandArchiv 35 (2002) 4, S. 618–628, hier S. 618.
kulturellen und gesellschaftlichen Lebens eines Landes richtet. Obgleich der Vertreter des polnischen P.E.N. bestrebt war, die Entschließung als eine grundsätzliche erscheinen zu lassen, lag doch der direkte Bezug zur damaligen Situation in Polen nahe. Die Furcht vor einer militärischen Intervention der sozialistischen Staaten wog schwer.224 Ein wenig überraschend erscheint es, dass in Lyon auch der Vertreter des DDR-P.E.N., Paul Wiens, für die Resolution stimmte. Diese Entscheidung führte in der Folge allerdings zu »erheblichen Kontroversen zwischen […] Kamnitzer und Keisch sowie Paul Wiens«225 . Kamnitzer und Keisch hatten versucht, telegrafisch die Zustimmung zur Resolution zu verhindern. Dieser Versuch schlug fehl; Wiens war in der Folge einer scharfen Kritik der Führungsspitze im P.E.N.-Zentrum DDR ausgesetzt. Die Auseinandersetzung um Wiens’ Fehlverhalten auf einer Präsidiumssitzung im Oktober 1981 eskalierte: Kamnitzer und Keisch drohten mit Rücktritt; Kant verließ die Zusammenkunft.226 Der Druck, stets Konformität mit der politischen Administration zu demonstrieren, war enorm. Auch aus dem Rat, den Keisch Wiens hinsichtlich der Berichterstattung erteilte, lässt sich der Anspruch ablesen, die eigene Aktivität in jedem Falle als korrekt und regierungskonform erscheinen zu lassen: »Bei der Arbeit an dem Bericht bitte ich Dich, Dir immer die Adressaten vor Augen zu halten; es sind nicht die über die Zusammenhänge informierten Präsidiumsmitglieder, sondern unsere beratenden Instanzen, für die das politisch und sachlich Wesentliche herausgearbeitet werden muß.«227 Hinsichtlich des Einsatzes für die polnischen P.E.N.-Kollegen erteilte Kamnitzer dem schwedischen P.E.N.-Präsidenten, Thomas von Vegesack, nach Konsultation des Präsidiums am 6. Januar 1982 eine abschlägige Antwort: Unser Präsidium ist einstimmig der Auffassung, daß die Resolution, auf die Sie sich beziehen, in keiner Weise auf die Lage in Polen anwendbar ist. Die Resolution wendet sich gegen ›militärischen Druck von außen auf die soziale und kulturelle Entwicklung eines Landes‹. Von einer solchen Situation war zur Zeit, als die Resolution angenommen wurde und auch heute in Polen nicht auszugehen – es sei denn, man hätte den wirtschaftlichen und politischen Druck im Sinn, den die Regierung der USA auszuüben versucht. Die Vorgänge in Polen, wie immer man sie auch beurteilen mag, sind eine innere Angelegenheit und die jüngsten Maßnahmen stehen eindeutig im Einklang mit der Verfassung. Mehr noch, sie sind getroffen worden, um die Verfassung zu verteidigen angesichts der unbestrittenen Drohung, das Wirtschaftsleben lahmzulegen und einen
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Minutes of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Lyon [September 1981], S. 12. P.E.N.-Archiv London. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Tagung des Präsidiums des PEN-Zentrums DDR am 9. 10. 1981 [16. 10. 1981]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 94f. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Tagung des Präsidiums des PEN-Zentrums DDR am 9. 10. 1981 [16. 10. 1981]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 94f. Henryk Keisch an Paul Wiens [26. 10. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/ Korrespondenz allgemein 1978–1981/W/Wiens 1. 737
Bürgerkrieg auszulösen, falls das Parlament eine Verordnung verabschiedet, die von der Regierung eingebracht worden ist.228
Kamnitzer verschwieg hier, dass es sich [b]ei dieser Verordnung […] um eine Art Notstandsgesetz[handelte],welches die Regierung berechtigen sollte, den Ausnahmezustand zu verhängen. Die Möglichkeit, den Ausnahmezustand zu verhängen, gab es nach der polnischen Verfassung nicht. Aus diesem Grund wurde am 13. 12. 1981 das Kriegsrecht verhängt, was rechtmäßig nur bei einer militärischen Bedrohung von außen möglich gewesen wäre. Solidarnosc hatte für den Fall, dass ein Notstandsgesetz beschlossen würde, den Generalstreik angekündigt.229
Mit dieser Einschätzung bewertete Kamnitzer die rigide Vorgehensweise der polnischen Militäradministration als richtig und notwendig, um die bestehende politische Ordnung zu erhalten. Implizit negierte er damit auch das Erfordernis, sich für die inhaftierten Schriftstellerkollegen in Polen einzusetzen. Lediglich Stephan Hermlin schien nach Aufforderung durch den bundesdeutschen Generalsekretär Martin Gregor-Dellin in Erwägung gezogen zu haben, sich für die Freilassung des polnischen Generalsekretärs, Wladyslaw Bartoszewski, einzusetzen.230 Im März 1982 kamen die Delegierten des Internationalen P.E.N. wiederum in London zusammen. Sie wurden hier über die Situation des polnischen P.E.N. und die inhaftierten Schriftsteller informiert, erhielten Informationen über die Aktivität des internationalen P.E.N.-Sekretariates in Bezug auf die polnischen Kollegen und erfuhren von den Solidaritätsaktionen zahlreicher nationaler P.E.N.-Zentren. Als Delegierter des P.E.N.-Zentrums DDR meldete sich Henryk Keisch zur Situation in Polen zu Wort; er legitimierte nachdrücklich die polnische Regierungspolitik: All that had been said so far about the Polish situation had suggested that P.E.N.’s reaction to it was a matter of professional solidarity. This was to ignore an important aspect of the affair. Liberty must belong to everybody, not only to writers. The Polish situation must not be thought of only as it related to freedom of speech but in its whole political context. The Polish government was not imprisoning writers for fun. It had itself faced with a projected coup d’etat aimed at changing the whole system, which would have led to a bloody civil war, perhaps an international war. […] Whateverwould best help Poland emerge from its crisis would best help Polish writers too.231
In seiner Argumentation orientierte sich Keisch höchstwahrscheinlich an den »Gedanken zur Tagung in London März 1982«, die Heinz Kamnitzer vorab 228
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Heinz Kamnitzer an Thomas von Vegesack [11. 1. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/S/Schweden 1. Abgedruckt in Brandt, S. 623. Unter den hier abgedruckten Dokumenten findet sich auch das Protokoll der Präsidiumssitzung vom 6. 1. 1982. Vgl. Brandt, S. 621f. Brandt, S. 623, FN 16. Vgl. Brandt, S. 619. Wortbeitrag von Henryk Keisch. In: Minutes of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in London on March 20th and 21st , 1982, S. 20. P.E.N.-Archiv London.
formuliert hatte.232 Darin kam nicht nur die Unterstützung des sowjetischen »Friedenskampfes« deutlich zum Ausdruck, sondern auch die Kritik am polnischen Demokratisierungsbestreben. Auf der Exekutive in London stand ein Resolutionsentwurf von Mario Vargas Llosa und dem amerikanischen P.E.N.Zentrum zur Diskussion, der mit Nachdruck die Freilassung der inhaftierten polnischen Schriftsteller forderte. Die anwesenden sozialistischen P.E.N.Zentren Bulgarien, DDR und Ungarn berieten zu Beginn der Tagung ihr Abstimmungsverhalten. Während Ungarn eine positive Haltung gegenüber dem Text einnahm, sahen Keisch und die bulgarische Kollegin Liliana Stefanova diesen kritisch. Als Gründe für die Ablehnung formulierte Keisch: 1. Der bloße Hinweis auf internierte oder verhaftete Schriftstellerist zwar in der Sache zutreffend,er unterstelltaber stillschweigend,es seien gewissermaßenmutwillig und ohne jeden Anlaß unschuldige Leute eingesperrt. 2. Eine Organisation wie der P.E.N. kann der polnischen Regierung gegenüber keine Forderungen erheben, sie kann bestenfalls den Wunsch aussprechen, man möge die Möglichkeit prüfen, die betreffenden Schriftsteller freizulassen.233
In der Konsequenz entwarf Keisch eine veränderte, vollkommen entschärfte Fassung des vorliegenden Entwurfs, die zwar die Situation der polnischen Schriftsteller zur Sprache brachte. Sie demonstrierte gleichwohl Verständnis für die Maßnahmen der polnischen Regierung. Die Verfasser der ursprünglichen Resolution lehnten Keischs Vorschlag entschieden ab. Vermittelnd wirkte schließlich der ungarische Delegierte Iván Boldizsár; er arbeitete mit den Erstverfassern eine Formulierung aus, die weniger »scharf und schroff«234 klang, sich aber entschieden für die Belange der polnischen Autoren und den polnischen P.E.N. verwandte: Die Delegiertenversammlung des Internationalen P.E.N. 1. hat die Lage der Schriftsteller in Polen ausführlich beraten; 2. bedauert, daß trotz zahlreicher Interventionen diese Situation unverändert ist; erinnert daran, daß über 100 Schriftsteller in Haft sind, wovon 17 Mitglieder des polnischen P.E.N. sind; 3. wendet sich erneut an die polnischen Behörden mit der Forderung (ebenfalls mögliche Übersetzung: Bitte) nach Freilassung ihrer Schriftstellerkollegen;
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Vgl. Heinz Kamnitzer: Gedanken zur Tagung in London März 1982 [15. 3. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/Bericht über die Tagung in London 19.–21. 3. 1982 13. Abgedruckt in Brandt, S. 623. Bericht über die Teilnahme des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums DDR Henryk Keisch an der Tagung der internationalen P.E.N.-Delegiertentagung in London (19.– 21. 3. 1982). P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982– 1983/Bericht über die Tagung in London 19.–21. 3. 1982 1–11, hier 3. Bericht über die Teilnahme des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums DDR Henryk Keisch an der Tagung der internationalen P.E.N.-Delegiertentagung in London (19.– 21. 3. 1982). P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982– 1983/Bericht über die Tagung in London 19.–21. 3. 1982 1–11, hier 3. Abgedruckt in Brandt, S. 625. 739
4. drängt außerdem darauf, daß das polnische P.E.N.-Zentrum die Erlaubnis erhält, seine Tätigkeit wiederaufzunehmen und seine Rechte und seine kulturellen Aufgaben wahrzunehmen.235
Noch einmal versuchte Keisch entschieden gegen eine Abstimmung über diesen Entwurf zu intervenieren; er wurde schließlich mit zwei Enthaltungen (DDR und Bulgarien) von den Delegierten angenommen. Von einer Gegenstimme hatten Keisch und Stefanova aus zwei Gründen abgesehen: »Der erste war, daß wir uns nicht gern in offenen Gegensatz zu der ungarischen Delegation stellen wollten. Zweitens aber hatten wir zu bedenken, daß in der Tat die Erstverfasser der Resolution in gewissem Maße Bereitschaft gezeigt hatten, uns entgegenzukommen.«236 Es wird deutlich, wie sehr Keisch bestrebt war, die Politik des sozialistischen Lagers gegenüber Polen zu unterstützen und gleichzeitig kritischen Stellungnahmen wirkungsvoll entgegenzutreten. Obgleich sein Erfolg in London nur mäßig war, zeigte sich Keisch nicht unzufrieden mit dem Verlauf. Er hatte schlimmere Angriffe befürchtet: »Der Gesamtablauf der Debatte über die polnischen Angelegenheiten ist somit als relativ maßvoll einzuschätzen, jedenfalls viel maßvoller als erwartet.«237 Insgesamt war aus seiner Sicht die Tagung »positiver als erwartet verlaufen […]. Die Konfrontation der politischen Standpunkte, mit der gerechnet werden mußte, hat nur in sehr abgeschwächter Form stattgefunden, auf dem niedrigstmöglichen Niveau von Schärfe und Aggressivität, und im Zeichen einer erkennbaren Bereitschaft, den Kontakt zu wahren. Ich selbst war bemüht, ebenfalls eine solche Bereitschaft zu zeigen, ohne im Prinzipiellen eine Mißdeutung zuzulassen.«238 Auf der nächsten Tagung der internationalen P.E.N.-Delegierten, die im November 1982 wiederum in London zusammenkamen, stand die Situation in Polen erneut auf der Tagesordnung. Auf Initiative des französischen P.E.N.Zentrums wurde eine Resolution eingebracht, die der Hoffnung auf die baldige Freilassung der polnischen Schriftsteller und die Wiederaufnahme der Arbeit durch das polnische P.E.N.-Zentrum Ausdruck verlieh. Aus der DDR war niemand zur Exekutive erschienen. Dennoch versuchte Keisch, auf anderem Wege zu bremsen. Eine Notiz zu einem Telefonat nach London vermerkt zum Tagesordnungspunkt »Polnischer P.E.N.-Club«: Es ist für jedermann offensichtlich, daß dieser Punkt sich nur scheinbar auf P.E.N.Angelegenheiten bezieht. In Wirklichkeit wird damit der gesamte Komplex der politischen Lage in und um Polen zum Gegenstand einer Debatte gemacht. Dieser Gegenstand aber liegt außerhalb jeder Kompetenz unserer Versammlung. Seine Erörterung wäre eine unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten eines Staates. Sie könnte im 235 236 237 238
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Zitiert nach Brandt, S. 624. Brandt, S. 624. Brandt, S. 625. Bericht über die Teilnahme des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums DDR Henryk Keisch an der Tagung der internationalen P.E.N.-Delegiertentagung in London (19.– 21. 3. 1982). P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982– 1983/Bericht über die Tagung in London 19.–21. 3. 1982 1–11, hier 11.
übrigen nur die Wende zur Beruhigung, die sich in Polen abzeichnet, ungünstig beeinflussen. Wem kann daran gelegen sein?239
Keisch stellte den Antrag, den Punkt von der Agenda zu streichen. Im Protokoll zur Tagung wurde schließlich vermerkt, dass die Mitglieder des DDR-P.E.N. mitgeteilt hätten, »that they wished to dissociate themselves from any resolution about Poland as they considered that it would be ill-timed.«240 Für den polnischen P.E.N. verschärfte sich die Lage weiterhin. Schon nach der Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 hatte sowohl die polnische Regierung als auch die polnische Regierungspartei PVAP versucht, die personelle Besetzung im Präsidium des P.E.N.-Zentrums Polen zu verändern: »Sein Präsidium sollte sich von den Mitgliedern trennen, die in der Solidarnosc aktiv gewesen waren oder mit ihr sympathisiert hatten, sowie von solchen, die mit ›ideologischen Diversionszentren‹ im Ausland (hier war vor allem die polnische Sektion von Radio Freies Europa gemeint) zusammenarbeiteten.«241 Der P.E.N. hatte auf der Einberufung einer Mitgliederversammlung bestanden, um ein neues Präsidium zu wählen. In Reaktion darauf wurde dem polnischen P.E.N. auch nach der Aufhebung des Kriegsrechts zum 22. Juli 1983 weiterhin jede Aktivität untersagt. Einen Monat später setzte das polnische Kulturministerium ein neues P.E.N.-Präsidium ein, das jedoch vom Internationalen P.E.N. nicht anerkannt wurde. Ende September 1983 fand in Caracas ein internationaler P.E.N.-Kongress statt, der derlei staatliche Regulierungsmaßnahmen entschieden ablehnte. Auf Anregung des englischen P.E.N.-Zentrums verabschiedete die Versammlung eine Resolution, die die Amtsenthebung des ursprünglichen Präsidiums mit Besorgnis zur Kenntnis nahm und deutlich machte, dass nur ein von den Mitgliedern des polnischen P.E.N. gewählter Vorstand vom Internationalen P.E.N. anerkannt werden könne. Zugleich verurteilten die Delegierten nahezu geschlossen die Prozesse gegen die polnischen Schriftsteller Jazec Kuron, Adam Michnek, Henryk Wujec und Jan Josef Lipski.242 Der Stimme enthalten hatten sich bei beiden Resolutionen lediglich der Vertreter des P.E.N.-Zentrums DDR, Fritz Rudolf Fries, und die bulgarischen Delegierten Liliana Stefanova und Ilinda Markova. Über die Zusammenarbeit mit den bulgarischen Kolleginnen äußerte sich Fries in seinem umfangreichen Bericht für das Ministerium für Staatssicherheit sehr positiv:
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Henryk Keisch: Notizen zur telefonischen Übermittlung nach London für Per Wästberg und Alexandre Blokh betr. Delegiertenversammlung 18./19. 11. 1982 [14. 11. 1982].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresseund Exekutiven1982– 1983/Delegiertenversammlung 18.–19. 11. 1982 1f. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in London on November 18th and 19th , 1982, S. 14. P.E.N.-Archiv London. Brandt, S. 619f. Vgl. Minutes of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Caracas on 28th and 29th September, 1983, S. 34. P.E.N.-Archiv London. 741
[E]s entwickelte sich ein ausgezeichnetes Verhältnis. Es erfolgte eine konzeptionelle Abstimmung dahingehend, daß alles unterstützt wird, in Richtung Friedenssicherung und VerurteilungamerikanischerFriedensbedrohung.Die Einigung wurdesehr schnell und prinzipiell erzielt. Beide Bulgarinnen unterstützten diese Linie aktiv. Weiter wurde Klarheit geschaffen, alles abzulehnen, was sich gegen sozialistische Staaten richtet. Dabei, so wurde festgelegt, müsse vertretbare Toleranz und Kompromißbereitschaft gezeigt werden, um nicht ins Abseits zu geraten und die Spielregeln des P.E.N. nicht zu verletzen.243
Fries war kurzfristig nach Caracas delegiert worden. Zunächst war in Absprache mit der Abteilung Kultur des ZK der SED eine Teilnahme des P.E.N.-Zentrums DDR abgelehnt worden. Dabei spielten einerseits mangelnde Devisen eine Rolle. Andererseits fürchtete man die Aktivitäten in Bezug auf die Situation der polnischen Autoren: Nach Kenntnis des Ministeriums für Staatssicherheit stand zu befürchten, »daß [in Caracas] ein Komitee polnischer Schriftsteller gegründet werden soll, um praktisch international Druck auf die Regierung Polens auszuüben, den polnischen Schriftstellerverband als legale Organisation wieder zuzulassen. Das sollte nicht unterstützt werden und andererseits sollte Konfrontation vermieden werden.«244 Keisch hatte jedoch mit Blick auf die Entsendung einer starken Delegation des bulgarischen P.E.N.-Zentrums bei Ragwitz schließlich doch auf eine Teilnahme des DDR-P.E.N. gedrungen.245 Mit klarem Auftrag war Fries nach Caracas gereist: »Es wurde die Aufgabe gestellt, […] gegen sozialistische Länder gerichtete Aktivitäten zurückzuweisen.«246 Mit der Erfüllung des Auftrags zeigten sich die Führungspersonen des P.E.N.-Zentrums DDR zufrieden. Gegenüber seinem Führungsoffizier beim Ministerium für Staatssicherheit äußerte Kamnitzer, dass sich Fries, obgleich zum ersten Mal auf einem internationalen Kongress, »exakt an die Instruktionen des ZK der SED sowie des Präsidenten [gehalten habe]«; es sei ihm gelungen, »alle Möglichkeiten zu nutzen und offensiv gegen antisozialistische Aktionen aufzutreten bzw. zu deren Verhin-
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Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Bericht über den Kongreß des Internationalen P.E.N. in Caracas 25. September bis 1. Oktober 1983 (II) [5. 10. 1983]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 287–293, hier Bl. 287. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder,Referat XX/7]: Internationaler Kongreß des P.E.N. in Venezuela, Caracas [5. 9. 1983]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II Bl. 265–267, hier Bl. 265. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [8. 7. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/Z/ZK der SED 5. Wenige Tage zuvor hatte auch Kamnitzer um ein Überdenken der Entscheidung gebeten. Vgl. Heinz Kamnitzer an Ursula Ragwitz [5. 7. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1982–1984/Z/ZK der SED 6. Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder,Referat XX/7]: Internationaler Kongreß des P.E.N. in Venezuela, Caracas [5. 9. 1983]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 265–267, hier Bl. 265.
derung beizutragen.«247 Fries hatte einen ausführlichen »Bericht über [s]einen Aufenthalt in Caracas«248 verfasst, der nicht nur an Ursula Ragwitz im ZK der SED, sondern auch an den stellvertretenden Minister für Kultur, Klaus Höpcke, und einen Mitarbeiter der Abteilung Grundsatzfragen und Internationale Organisationen im Ministerium für Kultur versandt wurde. Auch hier gab es uneingeschränktes Lob für Fries: Die schriftliche Fassung des Berichts und ein von Heinz Kamnitzer und mir [d. i. Henryk Keisch] geführtes Gespräch mit ihm zeigen, daß der Kollege Fritz Rudolf Fries ungeachtet des Fehlens einschlägigerErfahrungen sich sehr gut in die schwierige Materie hineingedacht hat und in engem Kontakt mit den bulgarischen Delegierten unsere politischen Positionen aktiv vertreten hat. Wir sehen in dieser Bewährung eine Bestätigung unseres in ihn gesetzten Vertrauens.249
Den von Fries angefertigten Bericht übergab Heinz Kamnitzer seinem Führungsoffizier Rolf Pönig bei einem Treffen am 13. Oktober 1983. Er war laut »Treffbericht« von der Hauptabteilung II des Ministeriums für Staatssicherheit, zuständig für Spionageabwehr, und von den polnischen Sicherheitsbehörden angefordert worden. Hier gibt es auch einen Hinweis auf die Zusammenarbeit mit den bulgarischen Sicherheitsorganen; diese hatten ein Protokoll vom P.E.N.Kongress in Venedig im Mai 1983 erbeten.250 Die informelle Kooperation zwischen den verschiedenen nationalen Geheimdiensten funktionierte offenkundig. Im Ministerium für Staatssicherheit der DDR schöpften die Verantwortlichen indes aus mehreren Quellen Informationen über den Kongress in Caracas. Hauptmann Hoffmann von der Bezirksverwaltung Franfurt/Oder hatte Fries im Vorfeld der Reise instruiert.251 Er fertigte im Nachgang auch einen vierteiligen Bericht an, der die wesentlichen Erkenntnisse aus Fries’ Auskünften zusammenfasste.252 Weitergeleitet wurden diese Berichte an die Hauptabteilung XX, mit 247
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Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang der 46. Delegiertenkonferenz des Internationalen PEN-Clubs in der Zeit vom 25. bis 30. 9. 1983 in Caracas, Venezuela [o. D]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 524–532, hier Bl. 528f. Fritz Rudolf Fries: Bericht über meinen Aufenthalt in Caracas [8. 10. 1983]. Enthalten in BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 541–550. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [13. 10. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/Z/ZK der SED. Vgl. auch Henryk Keisch an [?] Dill [13. 10. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1982–1984/M/Ministerium für Kultur 10. Vgl. Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht IMB »Georg« vom 13. 10. 1983 [18. 10. 1983]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 539f., hier Bl. 539. Vgl. GerhardHoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltungdes Ministeriums für StaatssicherheitFrankfurt/Oder, Referat XX/7]: Maßnahmen zur Berichterstattungdes IMB »Pedro Hagen« über seinen Aufenthalt in Venezuela [6. 10. 1983]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 303. Vgl. GerhardHoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltungdes Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Bericht über den Kongreß des Internationalen P.E.N. in Caracas 25. September bis 1. Oktober 1983 (I–IV) [5. 10. 1983]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 284–297. 743
der Bitte um Bewertung.253 Die erfolgte durch Paul Kienberg, Leiter der Hauptabteilung XX/7: Es kann unsererseits eingeschätzt werden, daß der IM ›P. Hagen‹ […] große Bemühungen unternommen hat, die Gesamtproblematik der Arbeitsweise, Regimefragen und politischer Zusammenhänge innerhalb des PEN-Clubs zu erfassen. Er hat sich auch entsprechend seiner Reisedirektive verhalten, feindliche Angriffe gegen die DDR und die anderen sozialistischenStaaten während dieses Kongresseszurückzuweisenbzw. zu verhindern. Andererseits berichtet der IM über spezifische, operativ bedeutsame Fragen […] ziemlich allgemein. Es wird daher vorgeschlagen, Fragen der Instruierung und Berichterstattung bei künftigen derartigen Einsätzen des IM in enger Zusammenarbeit mit der Hauptabteilung XX/7 abzustimmen.254
Die Situation des polnischen P.E.N.-Zentrums gestaltete sich nach wie vor kompliziert: Das von der polnischen Regierung eingesetzte Präsidium wurde von der Zentrale des Internationalen P.E.N. nicht anerkannt. Man versetzte das polnische P.E.N.-Zentrum in den »Ruhestand«. Solange das rechtmäßig gewählte Präsidium an seiner Arbeit gehindert wurde, sollte keine Maßnahme des P.E.N.Zentrums Polen anerkannt werden. Die Mitglieder des eingesetzten Präsidiums bemühten sich um internationale Anerkennung. Der internationale P.E.N.Präsident, Per Wästberg, folgte schließlich einer Einladung nach Polen, um sich über die Situation des polnischen P.E.N. zu informieren. Auf der darauf folgenden Tagung des Internationalen P.E.N. in London (3./4. 11. 1984) berichtete Wästberg über die Gespräche mit den legal gewählten Mitgliedern des polnischen P.E.N.-Präsidiums, mit dem polnischen Kulturminister und General Jaruzelski. Wästberg hatte in Polen die Reaktivierung des ursprünglichen P.E.N.-Präsidiums gefordert. Ein weiteres Mal versuchte man von Seiten des P.E.N.-Zentrums DDR gegen eine Rehabilitierung der oppositionellen Kräfte im P.E.N.-Zentrum Polen zu wirken. In der Aussprache der Delegiertenversammlung beschuldigte Heinz Kamnitzer die bisherigen Präsidiums-Mitglieder des Verstoßes gegen die internationale P.E.N.-Charta und wiederholte seine Anwürfe noch einmal im persönlichen Gespräch mit Per Wästberg.255 Als Beweis verwies er auf Ausführungen des von der polnischen Regierung abgesetzten Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums Polen, Wladyslaw Bartoszewski, auf einer Veranstaltung im Juni 1984 im Literarischen Colloquium in Berlin. Er habe dort die Liquidierung der Oder-Neiße-Grenze und Polens Beitritt in die NATO gefor253
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Major Heydel [Leiter der Abt. XX, Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Frankfurt/Oder] an Generalleutnant Paul Kienberg [Leiter der HA XX/7 des Ministeriums für Staatssicherheit] [13. 10. 1983]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 304. Paul Kienberg [Leiter der HA XX/7, Ministerium für Staatssicherheit] an Major Heydel [Leiter der Abt. XX, Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Frankfurt/Oder] [20. 10. 1983]. BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 305. Informationen zu operativen Fragen und Problemen im Zusammenhang mit dem 48. PEN-Kongreß im November 1984 in London/Großbritannien [29. 1. 1985]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 264–270, hier Bl. 268.
dert, »das hieß in der damaligen politischen Sprache: er hatte zum Krieg gehetzt […].«256 Auch gegenüber Alexandre Blokh, der im März 1985 zu einem Besuch in der DDR weilte, wiederholte Kamnitzer seine Verleumdungen gegenüber Bartoszewski, und lehnte die vom Internationalen P.E.N. geforderte Einsetzung des alten Präsidiums ab: »Wenn der Internationale P.E.N. wirklich an der Mitarbeit des polnischen PEN Club interessiert sei, müsse er den Polen schon die Gelegenheit einräumen, ihre inneren Probleme selbst zu klären.«257 Auf der Exekutive in San Marino (29./30. Mai 1985) brachte Kamnitzer seine Anklage gegen Bartoszewski erneut vor258 , die er in einem Schreiben an Wästberg im Nachgang der Delegiertenversammlung ein weiteres Mal bekräftigte.259 Das P.E.N.-Zentrum DDR versuchte aber nicht nur über den Internationalen P.E.N. Einfluss auf die Situation des polnischen P.E.N. zu nehmen; man nahm auch direkten Kontakt nach Polen auf, um auf die innere Entwicklung einzuwirken. Bereits Ende 1984 hatten Kamnitzer und Keisch in Ost-Berlin ein Gespräch »über die mit der Neukonstituierung des polnischen P.E.N. zusammenhängenden Fragen«260 mit zwei polnischen Autoren geführt, die vermutlich dem von der polnischen Regierung eingesetzten Präsidium angehörten. Keisch teilte Ragwitz mit: »Das Gespräch verlief sehr positiv und ergab gemeinsame Auffassungen in allem Grundsätzlichen. Bezüglich des praktischen Verhaltens der polnischen Kollegen in ihrer gegenwärtigen Situation gegenüber dem Internationalen P.E.N. konnten wir Ratschläge geben, die auf bereitwilliges Gehör stießen.«261 Anfang 1986, wenige Tage vor Beginn der internationalen Exekutive in New York (14./15. 1. 1986), kam es im Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR zu einem Zusammentreffen mit den polnischen P.E.N.-Kollegen Tadeusz Sawic und Wladzimierz Lowicki, dem auch ein Vertreter der Abteilung Kultur des ZK der SED beiwohnte. Die polnischen Vertreter informierten über die festgefahrene Situation, in der sich der polnische P.E.N. befand: Die ehemaligen Mitglieder des P.E.N.-Präsidiums waren zu Zugeständnissen nicht bereit; die polnische Regierung verweigerte freie Wahlen, denn deren Ergebnis hätte den Einfluss der PVAP im P.E.N. keineswegs gestärkt; der Internationale P.E.N. lehnte die Anerkennung eines staatlich eingesetzten Präsidiums ab. In dieser Lage erbaten die polnischen Vertreter vom P.E.N.-Zentrum DDR »Unterstützung für die Bildung und Anerkennung eines neuen, regierungstreuen PEN256 257
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Brandt, S. 620. Information zum Aufenthalt des Generalsekretärs des Internationalen PEN-Clubs, des französischen Schriftstellers Alexandre Blokh in der Zeit vom 11. bis 15. 3. 1985 in der DDR [19. 3. 1985]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 273–277, hier Bl. 274. Vgl. Information über die Delegiertenversammlung des Internationalen PEN-Clubs am 29./30. 5. 1985 in San Marino [26. 7. 1985]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 5, Bl. 12–16, hier Bl. 14. Vgl. Brandt, S. 621. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [11. 12. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/Z/ZK der SED 1 und 1b. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [11. 12. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/Z/ZK der SED 1 und 1b. 745
Präsidiums.«262 Kamnitzer sicherte den Beistand des P.E.N.-Zentrums DDR zu: »Wir werden uns gemeinsam bemühen, herauszufinden, wie das polnische PENZentrum wieder zurückkehren kann in den intern. PEN.«263 Aber: »Eure kulturpolitischen Probleme können wir nicht lösen.«264 In den Folgejahren beschäftigte sich die internationale Exekutive stets auch mit der Situation im polnischen P.E.N. und verabschiedete entsprechende Entschließungen. Die P.E.N.-Zentren der DDR und Bulgariens stimmten den Resolutionen nicht zu. Seit 1986 hielten sich die Delegierten der DDR mit Angriffen auf den polnischen P.E.N. zurück und verteidigten auch die polnische Regierungspolitik nicht länger. Im Mai 1987 beschloss der Internationale P.E.N. die Reaktivierung des polnischen P.E.N.-Zentrums, allerdings gekoppelt an demokratische Wahlen des Präsidiums. Erst nachdem ein Großteil der polnischen P.E.N.-Mitglieder sich im April 1988 an die polnische Regierung wandte, wurde dem P.E.N.-Zentrum Polen eine Vollversammlung bewilligt. Auf der Versammlung, die am 19. September 1988 tagte, wurden alle noch lebenden Mitglieder des alten Präsidiums in das neue hinein gewählt. Nach jahrelanger Zwangspause nahm das polnische P.E.N.-Zentrum seine Tätigkeit wieder auf.265 8.1.4
In »Frage[n] der Friedenserhaltung, der Rüstungsbegrenzung und der Abrüstung«266 – Einsatz des P.E.N.-Zentrums DDR für Friedenspolitik in Kooperation mit dem P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland
8.1.4.1 Vorsichtige Annäherung, Erfolg und Misserfolg in der gemeinsamen Friedensarbeit (1979/80–1983) Die internationale Aktivität des P.E.N.-Zentrums DDR in den achtziger Jahren konzentrierte sich, wie in den vorangegangenen Kapiteln dargestellt, auf die aufmerksame Beobachtung der Entwicklungen im Internationalen P.E.N.; dies betraf insbesondere die möglichen Verschiebungen in der politisch-ideologischen Kräftekonstellation. Durch gezielte Gegenmaßnahmen und direkte Einflussnahme versuchten die DDR-Vertreter im Sinne ihres politischen Machtbereichs zu agieren. Eine weitere Facette dieser Arbeit im Sinne der DDR-Regierung betraf den von der DDR-Führung Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre verstärkt propagierten »Friedenskampf«. Die meisten Resolutionen, die das P.E.N.-Zentrum DDR nach 1980 vor der internationalen Exekutive zur Diskussion stellte, befassten sich mit der problematischen Friedensthematik. Die weltpolitische Situation, die durch das atomare Wettrüsten der beiden Welt262 263
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746
Brandt, S. 621. PEN-Präsidium der DDR: Protokoll einer Zusammenkunftmit polnischen Gästen am 7. Januar 1986, 9.00 Uhr [o. D.]. Zitiert nach Brandt, S. 627f., hier S. 628. Brandt, S. 628. Vgl. Brandt, S. 621. Henryk Keisch an Ingeborg Drewitz [16. 4. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 25a.
mächte USA und UdSSR in ein Stadium lebensbedrohender Konfrontation von globalem Ausmaß eingetreten war, betraf die beiden deutschen Staaten in besonderer Weise: Hier prallten die beiden Machtsysteme direkt aufeinander; hier standen sich die militärischen Maschinerien der beiden Weltmächte gegenüber. Eine direkte Konfrontation war hier am wahrscheinlichsten. Rüstungsbegrenzung, -stopp oder gar Abrüstung gehörten aufgrund der unmittelbaren Bedrohungssituation zu den vordringlichen Themen der politisch Verantwortlichen: »Auch die DDR-Führung sah die Friedenssicherung in Europa als vorrangiges Ziel an und traf sich in diesem Bemühen mit der Bundesregierung.«267 Entsprechend agierten die Vertreter des P.E.N.-Zentrums DDR auf internationaler Ebene. Sie versuchten, dort im Sinne des »Friedenskampfes« zu wirken und scheuten dabei auch eine Kooperation von Fall zu Fall mit dem P.E.N.Zentrum Bundesrepublik Deutschland nicht. Dabei nahmen die Verantwortlichen des DDR-P.E.N. häufig Bezug auf die aktuelle Entwicklung der Verhandlungen zwischen Ost und West. Schon im Juli 1979 hatte das P.E.N.-Zentrum DDR mit Unterstützung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland eine Resolution eingebracht, die auf die aktuelle Entwicklung in der Nachrüstungsdiskussion einging: The Executive Committee considering: – that the P.E.N.-Charter, in Article 3, firmly promulgates the ideal of mankind living in peace, the condition indispensable for all creative activity and for the freedom of expression stipulated by Article 4; – welcomes with relief the agreement on the limitation of strategic weapons recently concluded between the heads of state of the U.S.A. and the U.d.S.S.R.; – expresses the desire that this agreement may be implemented, and may result in further agreements along the same lines; – calls upon writers of all countries and all opinions to support such efforts.268
Die Entschließung bezog sich auf den SALT II-Vertrag, der Mitte Juni durch den US-Präsident Jimmy Carter und den sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew unterzeichnet worden war. Dabei handelte es sich nach SALT I vom Mai 1972 um den zweiten Vertrag über die Begrenzung der strategischen Rüstung. Die Unterzeichner verpflichteten sich darin, die Anzahl der nuklearen Trägersysteme auf eine maximale Anzahl zu begrenzen. Nicht einbezogen waren die in Europa stationierten Mittel- und Langstreckenraketen. Der Vertrag wurde aber wegen des Einmarschs der sowjetischen Truppen in Afghanistan vom US-Kongress im Dezember 1979 nicht ratifiziert. Die Delegierten des Internationalen P.E.N. standen einer solchen Resolution, die sich mit den politischen Verhandlungen zwischen den Großmächten USA und UdSSR auseinandersetzte, skeptisch gegenüber: »It is not P.E.N.’s business to concern itself with
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Weber, S. 420. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Rio de Janeiro on 16th , 17th , 19th und 20th July, 1979, S. 30. P.E.N.-Archiv London. 747
high politics.«269 Als Vertreterin des Bundes-P.E.N. erklärte Ingeborg Drewitz ihre Zustimmung zur Entschließung des P.E.N.-Zentrums DDR mit der besonderen Situation der beiden deutschen Staaten in Bezug auf die Konfrontation der weltpolitischen Machtblöcke: »[H]er Centre has supported this resolution because they wanted to show that there were no quarrels between the two Germanies and because, living in the middle of Europe, they knew the importance of disarmament.«270 Der Vorbehalt vieler Delegierter spiegelte sich im Abstimmungsergebnis deutlich wider. Zwar stimmten 21 für und nur acht gegen die Annahme des Textentwurfs. Die Zahl von 44 Enthaltungen sprach hingegen für die deutliche Verunsicherung der Stimmberechtigten gegenüber einer Resolution, die sich zur aktuellen Weltpolitik äußerte.271 Resolutionen für Frieden und Rüstungsbegrenzung bzw. -stopp fielen auch in den Folgejahren in das Ressort des P.E.N.-Zentrums DDR. Die Entschließung zum 35. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, die in Bled (Mai 1980) verabschiedet worden war, beschwor »cooperation between the nations and the peoples in the service of peace.«272 Auf der Kopenhagener Exekutivratstagung im Februar 1981 waren die Kontakte zwischen den beiden deutschen P.E.N.-Zentren, die auf der bundesdeutschen Jahrestagung in Bremen (September 1980) wieder aufgenommen worden waren, auf persönlicher Ebene vertieft worden. Insbesondere die Friedensproblematik, die in beiden deutschen Staaten seit Ende der siebziger Jahre mit zunehmender Intensität von der Bevölkerung öffentlich thematisiert und diskutiert wurde, hatte sich als Anknüpfungspunkt für gemeinsame Gespräche erwiesen. Obgleich Fortschritte in der Deutschlandpolitik wegen internationaler Spannungen erschwert wurden, äußerten die bundesdeutschen P.E.N.-Vertreter Zuversicht hinsichtlich einer besseren Verständigung von P.E.N. zu P.E.N.: Bei allen bestehenden Differenzen ist es uns doch glücklicherweise gelungen, wenigstens ein Minimum kollegialer Kontakte zum DDR-P.E.N. […] wiederherzustellen, und ich [d. i. Martin Gregor-Dellin] habe das Gefühl, dass sich diese Beziehungen – übrigens auch im Interesse vieler betroffener Autoren in Ost und West – schnell verbessern ließen, wäre das Verhältnis DDR-Bundesrepublik im Augenblick nicht überlagert von weiter ausgreifenden Spannungen und Konflikten.273
Dass einer Mehrzahl der Mitglieder des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums an einer Verständigung mit dem deutschen Nachbarstaat gelegen war, belegt auch die von der Jahresversammlung in Freiburg (Mai 1981) verabschiedete Auf269
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Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Rio de Janeiro on 16th , 17th , 19th und 20th July, 1979, S. 30. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Rio de Janeiro on 16th , 17th , 19th und 20th July, 1979, S. 30. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Rio de Janeiro on 16th , 17th , 19th und 20th July, 1979, S. 30. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Bled, Yugoslavia, on 9th May, 1980, S. 40. P.E.N.-Archiv London. Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland am 8. 5. 1981 in Freiburg [o. D.]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
forderung an die Bundesregierung, sich um den Abschluss eines Kulturabkommens mit der DDR zu bemühen und auf diese Weise »endlich offizielle Kontakte zwischen den Kulturorganisationen beider deutscher Staaten«274 zu ermöglichen. Auf der Grundlage der am Rande der Kopenhagener Tagung geführten Gespräche hatte das bundesdeutsche Präsidiumsmitglied Ingeborg Drewitz schon im März 1981 die Initiative zur generellen Intensivierung der Verbindung ergriffen. Drewitz hatte gemeinsam mit Heinrich Albertz die Schirmherrschaft einer Unterschriftenaktion übernommen, die für einen gemeinsamen Nationalfeiertag in beiden deutschen Staaten votierte: »Die Vorüberlegungen zu dieser Unterschriftenaktion gehen natürlich auf unser Mißbehagen am 17. Juni als Feiertag zurück. Und so haben wir auf das Datum zurückgegriffen, das ja für die beiden deutschen Nachkriegsstaaten von gleicher Bedeutung ist und in den unmittelbaren Nachkriegsjahren, insbesondere am 10. März 1948 festlich begangen wurde«275 . Ob Drewitz wirklich auf die Unterstützung der P.E.N.Mitglieder aus der DDR hoffte, sei dahingestellt. Auf eine engere Kontaktpflege war sie sicherlich orientiert: Ich würde es für glücklich halten, wenn wir aus beiden deutschen PEN-Zentren einmal zu einem Gespräch darüber zusammenkommen könnten, Historiker und Autoren, gleichviel ob in den schönen Räumen bei Ihnen […] oder hier bei uns. Mit Prof. Dr. Kamnitzer habe ich oft überlegt, wie die beiden PEN-Zentren zu einem engen kulturellen Austausch finden könnten. Und die Bremer Tagung vom Herbst 80 war ja durchaus gelungen. Sollten wir nicht neben den großen Tagungen auch den kleineren Austausch wiederbeleben?276
Der Aktion für einen gemeinsamen Feiertag erteilte Keisch eine Absage. Zwar bekundete er Sympathie für das Vorhaben, »die Erinnerung an die Märzrevolution von 1848 in Ehren [zu] halten und [zu] pflegen«: »Sie sollte aber, meine ich, Ihre Angelegenheit bleiben. Ob die Schaffung eines neuen Feiertags nötig oder gerechtfertigt ist, diese Frage stellt sich ja bei uns nicht in derselben Weise wie in der BRD. Wir haben ja keinen fragwürdigen Feiertag wie den 17. Juni, an dessen Stelle ein neuer gesetzt werden könnte. […] Ich sehe also vorläufig nicht, welche Art Zusammenwirken in dieser Hinsicht möglich wäre.«277 Gleichwohl bot er Zusammenarbeit auf einem anderen Feld an: Große Möglichkeiten des Zusammenwirkens gibt es aber sicher in allem, was die Lebensfrage unserer Zeit betrifft: die Frage der Friedenserhaltung, der Rüstungsbe274
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[o. V.]: PEN-Zentrum der BRD fordert Kulturabkommen mit der DDR. In: Neues Deutschland vom 11. 5. 1981. Ingeborg Drewitz an Henryk Keisch [19. 3. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 25. Enthalten auch in SAPMO-BArch vorl. SED 32785. Ingeborg Drewitz an Henryk Keisch [19. 3. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 25. Enthalten auch in SAPMO-BArch vorl. SED 32785. Henryk Keisch an Ingeborg Drewitz [16. 4. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 25a. 749
grenzung und der Abrüstung. Bei unseren Kopenhagener Gesprächen schien mir, daß in diesem Bereich unsere Auffassungen sehr nahe sind. Meinen Sie nicht auch, daß wir versuchen sollten, mit dem Blick auf den bevorstehenden Internationalen P.E.N.Kongreß hier gemeinsam zu handeln, z. B. in dem wir einen Text unterstützen, der anläßlich des 60. Jahrestages der Gründung des P.E.N. die in der Charta enthaltenen, aber fast in Vergessenheit geratenen Prinzipien der Völkerverständigung und der Friedensverteidigung in Erinnerung ruft?278
Mit der Absendung des Briefes hatte sich Keisch offenbar über eine Weisung von Ursula Ragwitz hinweggesetzt. Er hatte das Schreiben an die Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK der SED weiter geleitet, weil er es erst abschicken wollte, »nachdem Ihr davon Kenntnis genommen und ihm zugestimmt habt, denn wir sind uns natürlich klar darüber, daß er nicht von dem gesamtpolitischen Zusammenhang getrennt werden kann.«279 In einer Absprache lehnte Ragwitz ab: »Weder das eine noch das andere. Es gibt keinen Grund für das Zusammenwirken.«280 Keischs Nachricht hatte Drewitz dennoch erreicht. Anfang Mai signalisierte sie Interesse an einer gemeinsam vorbereiteten Eingabe an den Internationalen P.E.N.: »Eine Friedensresolution bei der 60. Jahrestagung des PEN ist jedenfalls von Nutzen. Wir könnten sie zwischen den beiden Zentren vorher austauschen, um über Formulierungen überein zu stimmen. Wir werden nur zu sehr wenigen dort sein (ich auch nicht), weil die Tagung ja ungemein teuer ist. Aber unser PEN-Präsidium ist fast komplett in der Friedensarbeit in der Bundesrepublik Deutschland aktiv.«281 Vermutlich unter dem Eindruck des 19. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Hamburg (17.–21. 6. 1981), der durch Manifestationen gegen die militärische Aufrüstung geprägt gewesen war, bestärkte Drewitz den DDR-Kollegen in seinem Vorhaben: »Die Friedensbewegung hier ist so überwältigend gewachsen, der Schriftstellerverband trägt sie mit, der PEN auch. Vielleicht läßt sich gerade in Frankreich JETZT eine internationale Erklärung durchsetzen.«282 Ermutigt wandte sich Keisch mit Verweis auf seinen Briefwechsel mit Drewitz an den Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik,283 der seinerseits Interesse an dem Vorhaben bekundete und um Zusendung
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Henryk Keisch an Ingeborg Drewitz [16. 4. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 25a. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [16. 4. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 25b. Enthalten auch in SAPMO-BArch vorl. SED 32785. Vermerk. Nach Absprache mit Ursula Ragwitz [27. 4. 1981]. SAPMO-BArch vorl. SED 32785. Ingeborg Drewitz an Henryk Keisch [11. 5. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1978–1981/D/Drewitz Ingeborg 3. Ingeborg Drewitz an Henryk Keisch [25. 6. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1978–1981/D/Drewitz Ingeborg 2. Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [16. 7. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 23 und 23a, hier 23a.
eines Textentwurfs bat.284 In der Zwischenzeit war dem DDR-P.E.N. das englische P.E.N.-Zentrum zuvorgekommen und hatte einen Entschließungsantrag zur selben Thematik formuliert. Von Seiten der DDR entschied man sich daher für Zurückhaltung. Keisch informierte Drewitz und Gregor-Dellin über die veränderte Situation und teilte mit: Der englische Entschließungsantrag lautet: ›On the occasion of its Diamond Jubilee International P.E.N., meeting in Lyons at a time when world peace is endangered in many places, reaffirms that all his members pledge themselves to champion the ideal of one humanity living in peace and freedom.‹ Unser Zusatz zu diesem Text lautet: ›This requires to stop the present arms race and to start immediately serious negotiations in order to reduce the level of armaments on the basis of equal security for all.‹285
Drewitz sandte ein positives Signal zurück: »Der Zusatz zur Englischen Resolution, den Sie vorschlagen und den Paul Wiens verteidigen wird, kann eigentlich bei uns nur auf Zustimmung stoßen, da wir ja alle in der Friedensbewegung arbeiten. Ich werde bitten, daß unser Delegierter, Gert Hoffmann, die Position mit vertritt. Wir fahren alle nicht, weil uns das französische Treffen zu teuer ist.«286 In Lyon stellten die P.E.N.-Zentren England, DDR und Schweden den stilistisch geglätteten Resolutionsantrag zur Verhandlung. Eine minimale Ergänzung des Textes durch den ungarischen Delegierten Iván Boldiszár wurde von allen drei Zentren akzeptiert. Ohne weitere Diskussion wurde die Resolution mit einer Enthaltung angenommen.287 Am Ende des Jahres 1981 kam auch auf der Ebene der Politik Bewegung in die deutsch-deutschen Beziehungen. Der mehrfach verschobene DDR-Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt war im Dezember 1981 zustande gekommen; Honecker hatte den Bonner Regierungschef zu Gesprächen am Werbellinsee empfangen. Dementsprechend standen auch in der deutsch-deutschen P.E.N.-Politik die Zeichen auf freundschaftliche Annäherung der beiden Zentren – vor allem von Seiten der DDR. Keisch hatte eine Einladung zur bundesdeutschen Generalversammlung Anfang April 1982 erhalten, die er aber aus »zeitlichen, technisch-organisatorischen und anderen«288 Gründen ablehnen musste. Gleichwohl sparte er nicht an guten Wünschen: »Ich wünsche Ihrer Versammlung einen im Sinne der P.E.N.-Ziele erfolgreichen, der Friedensbewahrung 284
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Martin Gregor-Dellin an Henryk Keisch [31. 7. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 22 und 22a. Henryk Keisch an Ingeborg Drewitz [27. 7. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1978–1981/D/Drewitz Ingeborg 1 und Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [27. 7. 1981]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Ingeborg Drewitz an Henryk Keisch [4. 8. 1981]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1978–1981/D/Drewitz Ingeborg. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Lyons on 21st September 1981, S. 12f. P.E.N.-Archiv London. Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [24. 3. 1982]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Enthalten auch in P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 20. 751
und der internationalen Verständigung förderlichen Verlauf.«289 Den im April 1982 neu gewählten Führungspersönlichkeiten des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland, Martin Gregor-Dellin als Präsident und Hanns Werner Schwarze als Generalsekretär, offerierte Keisch ein eindeutiges Angebot der Zusammenarbeit und gemeinsamen Verantwortung: Ich bin sicher, daß Ihnen die Mitverantwortung unserer Zentren für die Herstellung eines Klimas der guten Nachbarschaft zwischen unseren Staaten und damit für die Förderung und Sicherung des Friedens in Europa ebenso wie uns bewußt ist. Auf einer solchen Grundlage ist, meinen wir, ein gedeihliches Zusammenwirken in den internationalen P.E.N.-Gremien durchaus denkbar und sollte unser Ziel sein, so oft der Anlaß es ermöglicht.290
Schwarzes Reaktion war durchweg positiv: »Wir sollten in der Tat auf dieser Basis in den internationalen P.E.N.-Gremien wirken.«291 Er meldete Interesse an einem persönlichen Gespräch mit Kamnitzer und Keisch an. Im Juli 1982 kam das Zusammentreffen zustande. Aufschlussreich sind die Protokolle bzw. Aktenvermerke, die von allen Diskutanten im Nachgang verfasst worden sind – nicht nur in Hinblick auf die konkreten Ergebnisse, sondern auch hinsichtlich der unterschiedlichen Wahrnehmungen des Gesprächsverlaufs. Kamnitzer stellte Schwarze ein negatives Urteil aus: Schwarze ist 1. ein Gast gewesen, der sich selbst eingeladen hat. 2. Er ist augenfällig nicht bereit gewesen, daß wir grundsätzlich unsere Gemeinsamkeiten verdeutlichen und Gegensätze zurückstellen. 3. Er ist nicht eingegangendarauf,daß die erste VerpflichtungunseresZentrums darin besteht, sich im Kampf gegen den Krieg und für die Wahrung des Friedens einzusetzen. Mit einer fast beleidigenden Gleichgültigkeit ging er darüber hinweg, als an die Geburtsurkunde des Internationalen P.E.N. erinnert worden ist. Dagegen legte er außerordentlichen Wert auf seine Ansicht, dass der P.E.N. kein Teil der Friedensbewegung ist. […] 6. Ich empfinde es als sehr aufschlußreich, welchen Charakter einer Zusammenarbeit er erreichen möchte. Als ich darauf verwies, daß am 10. Mai 1983 man sich an die Bücherverbrennungvor 50 Jahren erinnernsollte, wobei ich nicht von einer gemeinsamen Veranstaltung ausging, hatte er sofort ein übergreifendesProgramm im Sinn und die Antwort parat. Er meinte, wir könnten uns doch einer Veranstaltung der Akademie der Künste (West) anläßlich dieses Tages anschließen. Dabei machte er noch nicht einmal klar, daß es sich hier um eine Kundgebung im Rahmen der Veranstaltungsreihe des Senats von Westberlin unter Herrn Weizsäcker handelt. […]
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Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [24. 3. 1982]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Enthalten auch in P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 20. Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin [8. 4. 1982]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze an das P.E.N.-Zentrum DDR [29. 4. 1982]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
10. Sein Hauptinteresse gilt eindeutig allem, was die sogenannten Menschenrechte in den sozialistischen Staaten angeht. (Dazu gehört auch sein Fall Bartz).292
Abschließend äußerte Kamnitzer den Eindruck, dass man »weniger konstruktive Zusammenarbeit, abgesehen von allgemeinen Resolutionen, zu erwarten habe[ ]«293 . Die Einschätzung über die Zusammenkunft, die Keisch an Ragwitz weitergab, klang versöhnlicher und traf, vergleicht man sie mit Schwarzes Notizen, den tatsächlichen Charakter der Unterredung wohl eher: Das Gespräch war allgemeiner Art. Schwarze war deutlich bemüht, seine realistische persönliche Haltung gegenüber der DDR […] und seine kritische Haltung zu militant-reaktionären Kräften in der BRD zu betonen. Er ließ auch Sympathien für die Friedensbewegung erkennen, meinte aber, der P.E.N. als solcher könne nicht Teil der Friedensbewegungsein. Er schien die Hoffnung zu haben, man könne irgendwelche gemeinsamen Aktionen unternehmen, war aber weder überrascht noch verärgert über unsere Zurückhaltung in dieser Hinsicht. Mit der ausdrücklichen Bemerkung, dieses Thema sei ihm ›von außen‹ nahe gelegt worden, kam er auf den Fall des Autors Bartz zu sprechen, der sich in Strafhaft befindet. Auf unsere Frage, welchen Anlaß es denn gäbe, diesen abgeschlossenen Fall neu aufzuwerfen, wiederholte er die Beteuerung, die Initiative dazu komme nicht von ihm.294
Schwarze hatte laut seiner eigenen Aktennotiz den Fall Bartz in Absprache mit dem WiPC aufgeworfen. Ihm ging es in erster Linie um die grundlegende Erörterung humanitärer Fragen.295 Obgleich Schwarze damit einen wunden Punkt getroffen hatte, relativierte Keisch den »vorwiegend negativen Eindruck«, den Kamnitzer von dem Gespräch hatte: Mein Eindruck ist weniger negativ, ich fand der Sache nach in der Haltung unseres Gesprächspartners nichts, was nicht zu erwarten gewesen wäre, und ich bin bereit, den verbindlichenTon anzuerkennen, den er einhielt. Mir scheint, daß wir auf dieser Ebene und im Hinblick auf mögliche gemeinsame Stellungnahmen zu Gunsten von Friedenserhaltung und Abrüstung den Kontakt von Fall zu Fall nicht scheuen sollten.296
So schätzte auch Schwarze das Verhältnis ein: »Allgemeiner Eindruck: begrenzte formale Kooperationsbereitschaft.«297 Thematisiert hatten Kamnitzer, Keisch und Schwarze auch eine Einladung der deutschsprachigen P.E.N.-Zentren nach Wien im November 1982. Das Vorhaben des österreichischen P.E.N.-Zentrums stieß zunächst auf die Skepsis beider deutscher Sektionen. Im bundesdeutschen P.E.N. schien man mit der 292
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Heinz Kamnitzer an Henryk Keisch [12. 7. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/K/Keisch Henryk 4 und 4a. Heinz Kamnitzer an Henryk Keisch [12. 7. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/K/Keisch Henryk 4 und 4a. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [21. 7. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/Z/ZK der SED 11, 11b und c, hier 11b. Vgl. Hanns Werner Schwarze: Aktennotiz. Gespräch mit dem Präsidenten und dem Generalsekretär des PEN-Zentrums der DDR [9. 7. 1982]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [21. 7. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/Z/ZK der SED 11, 11b und c, hier 11c. Hanns Werner Schwarze: Aktennotiz. Gespräch mit dem Präsidenten und dem Generalsekretär des PEN-Zentrums der DDR [9. 7. 1982]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 753
Absicht, »Überlegungen zum ethischen und praktischen Auftrag der Literatur anzustellen«298 , nicht viel anfangen zu können. Die DDR-Kollegen trieb eher die Sorge um, auf Grund der Veranstaltungsanlage einen »gesamtdeutschen«299 Eindruck nicht vermeiden zu können. Schließlich aber war Kamnitzer von der Teilnahme überzeugt; er bat Ragwitz um Zustimmung »zumal viel dafür spricht, in einem neutralen Staat, insbesondere in Österreich zusammenzukommen«300 . Der Einladung folgten schließlich Vertreter der Bundesrepublik, der DDR, Liechtensteins, Österreichs, der Schweiz und Luxemburgs. Aus der DDR reisten Hermlin, Kamnitzer und Keisch. Kamnitzer sprach über das Thema Die Sprache als Verantwortung. Keisch referierte über Die Literatur als Friedensarbeit. In einem Bericht über das Wiener Treffen urteilten Kamnitzer und Keisch nahezu euphorisch, es sei ein »Erfolg für die Sache der internationalen Zusammenarbeit wie auch für das Ansehen der DDR« gewesen: »Unsere Delegierten waren in jeder Phase des Treffens, sowohl als Referenten als auch bei den Diskussionen und bei der öffentlichen Autorenlesung, stets aktiv präsent, sie fanden Aufmerksamkeit und vielfach ausdrückliche Zustimmung. Eine ›Einvernahme‹ der Veranstaltung für ›gesamtdeutsche‹ Ansprüche, wie man sie hätte befürchten können, fand nicht statt.«301 Damit sahen Präsident und Generalsekretär des DDR-P.E.N. ein »wichtiges Ziel unserer Teilnahme ohne Zweifel erreicht«302 . Auf der Grundlage von Aussagen des IM »Georg« erstellte das Ministerium für Staatssicherheit eine »Information zu operativ interessierenden Fragen während der Begegnung der deutschsprachigen PEN-Zentren«303 , die die nutzbringende Teilnahme der DDR-Vertreter bestätigte. Kamnitzer agierte demnach auch auf politischer Ebene. Er nutzte das Rahmenprogramm der Veranstaltung, um im Sinne der außenpolitischen Bestrebungen der DDR zu wirken. Im November 1980 hatte Honecker als erstes westliches Industrieland Österreich besucht. Im Gespräch mit dem österreichischen Vizekanzler Sinowatz und dem Pressereferenten des österreichischen Bundespräsidenten Kirchschläger thematisierte Kamnitzer den Ausbau der guten Beziehungen zwischen 298
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Zitiert nach Hanns Werner Schwarze an die Mitglieder des Präsidiums des P.E.N.Zentrums Bundesrepublik Deutschland [23. 7. 1982]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze: Aktennotiz. Gespräch mit dem Präsidenten und dem Generalsekretär des PEN-Zentrums der DDR [9. 7. 1982]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Heinz Kamnitzer an Ursula Ragwitz [30. 8. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/Z/ZK der SED 10. Bericht des Präsidenten und des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums DDR über das Treffen deutschsprachiger P.E.N.-Zentren in Wien (3.–6. 11. 1982) [o. D.]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/Bericht über Treffen in Wien 1–5, hier 1. Bericht des Präsidenten und des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums DDR über das Treffen deutschsprachiger P.E.N.-Zentren in Wien (3.–6. 11. 1982) [o. D.]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/Bericht über Treffen in Wien 1–5, hier 1. Information zu operativ interessierenden Fragen während der Begegnung der deutschsprachigen PEN-Zentren in der Zeit vom 3.–6. 11. 1982 in Wien/Österreich [16. 11. 1982]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 365–368.
Österreich und der DDR. Einschätzungen über das Ende der sozialliberalen Koalition in der Bundesrepublik waren den Gesprächspartnern indes nicht zu entlocken: »Einer Unterhaltung zur gegenwärtigen Lage in der BRD wichen beide mit dem Hinweis auf ihre Neutralität aus.«304 Kamnitzer selbst sah laut Information des Staatssicherheitsdienstes vom 23. September in der […] Regierungskrise in der BRD das Ergebnis des verstärkten Zusammenwirkens der reaktionärstenKreise der deutschen Bourgeoisiemit der Reagan-Administration der USA. Es ist auf weitere Konfrontation der NATO mit der UdSSR und den Staaten des Warschauer Paktes in außenpolitischer Richtung gerichtet. Innenpolitisch wird das Ziel verfolgt, die ständig wachsende Friedensbewegung weiter zurückzudrängen und mit aller Konsequenz die Nachrüstungsbeschlüsse der NATO durchzusetzen. Im Falle eines vollendeten Rechtsbruchs, der Regierungsübernahme der CDU/CSU in der BRD, sei es an der Zeit, durch die UdSSR, aber auch die DDR und die anderensoz. Staaten in einer eindeutigen Weise diesen Kräften eine eindeutige Antwort zu erteilen und zu zeigen, wo unsere Geduld aufhört, um sie in ihre Grenzen zu weisen.305
Besonderes Augenmerk wurde im geheimdienstlichen Bericht über Wien auf Hermlin gerichtet; es waren jedoch »keinerlei Äußerungen Hermlins fest[zu] stellen, die sich gegen die DDR oder die Partei- und Staatsführung richteten.«306 Im Gegenteil: Hermlin hatte nach Auffassung des Ministeriums für Staatssicherheit der offiziellen Friedensbewegung in der DDR einen Dienst erwiesen; er habe »in überzeugender Form dargelegt, daß Friedenskampf und Friedenspolitik ureigenstes Anliegen der Politik der Regierung der DDR sind, dass Friedenspolitik die Politik der Regierung der DDR ist und daher diese Politik mit der Friedensbewegung in der DDR identisch ist.«307 Ein kleines Manko gab es allerdings. Hermlin räumte die Existenz einer inoffiziellen Friedensbewegung ein, die etwa von Keisch kategorisch verleugnet wurde. Dem Verhältnis zwischen den beiden deutschen P.E.N.-Zentren hatte die Wiener Veranstaltung nicht geschadet; man hoffte weiterhin auf gute Zusammenarbeit. Die Entzweiung der ohnehin brüchigen Allianz ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Unmittelbar im Anschluss an das Wiener Zusammentreffen fand in London eine Tagung des internationalen Exekutiv-Komitees (18./19. 11. 1982) statt, deren Ergebnisse zum Stein des Anstoßes wurden. Das P.E.N.-Zentrum DDR hatte Ende August 1982 eine Entschließung an den internationalen P.E.N.Präsidenten Wästberg gesandt, die vor der Gefahr eines weltumspannenden 304
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Information zu operativ interessierenden Fragen während der Begegnung der deutschsprachigen PEN-Zentren in der Zeit vom 3.–6. 11. 1982 in Wien/Österreich [16. 11. 1982]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 365–368, hier Bl. 367. Information über Reaktionen aus Kreisen der Schriftsteller auf die gegenwärtige Regierungskrise in der BRD [23. 9. 1982]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 356f. Information über Reaktionen aus Kreisen der Schriftsteller auf die gegenwärtige Regierungskrise in der BRD [23. 9. 1982]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 356f., hier Bl. 365. Information über Reaktionen aus Kreisen der Schriftsteller auf die gegenwärtige Regierungskrise in der BRD [23. 9. 1982]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 356f., hier Bl. 366. 755
Krieges warnte und gegen die fortschreitende atomare Aufrüstung in Ost und West gerichtet war: Die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR empfinden höchste Besorgnis über die lokalen und regionalen Kriege, die bereits allzu viele Menschenleben auslöschen und die Länder verwüsten. Die Gefahr eines globalen Kriegs, in welchem auf nicht wieder gutzumachende Weise die Atomschwelle überschritten würde, wächst und rückt näher. In einer solchen Katastrophe würde mit der gesamten übrigen Menschheitskultur auch jedes literarische Schaffen sein Ende finden. Dem Geist der P.E.N.-Charta getreu, lehnen wir uns auf gegen den verbrecherischen Wahnsinn der Überrüstung, insbesondere auf dem Gebiet der Nuklearwaffen. Die Staatsmänner aller Nationen müssen stattdessen die Gewähr gleicher Sicherheit für alle in Abrüstungsvereinbarungen suchen. Wir unterstreichen die Notwendigkeit, sofort alle Atomrüstungen einzufrieren, keine neuen Atomwaffen in Europa anzuhäufen und öffentlich die Verpflichtung einzugehen, keinesfalls als erste solche Waffen einzusetzen.308
Wästberg unterstützte die DDR-Resolution »vorbehaltlos«309 und regte an, Übersetzungen ins Englische und Französische anzufertigen, um sie den Delegierten in London vorzulegen. Nach seiner Empfehlung sollte das P.E.N.Zentrum DDR auch den Präsidenten des schwedischen P.E.N., Thomas von Vegesack, um Unterstützung der Entschließung bitten.310 Über diesen ersten Erfolg informierte Keisch auch die Behörden der DDR; er wandte sich direkt an den Minister für Kultur, Hans-Joachim Hoffmann.311 Auf der Generalversammlung des DDR-P.E.N. im Oktober 1982 wurde die Friedensresolution einstimmig durch alle Anwesenden angenommen – ein seltsamer Winkelzug, war die Vorlage in London doch längst beschlossene Sache! Ärger kündigte sich jedoch schon vor der Tagung an. Von Vegesack taktierte mit seiner Zustimmung zur Resolution: »Natürlich sind wir damit einverstanden. Nur gibt es ein Problem: Gerade haben wir im INDEX on Censorship [über den Fall Uwe Trieschmann] gelesen.«312 Der Medizinstudent war wegen Aktivität in der inoffiziellen Friedensbewegung in Haft genommen worden. Vegesack äußerte versteckte Kritik am Friedensengagement des P.E.N.-Zentrums DDR : »Eine Friedensbewegung die im voraus von oben sich diktieren lässt wie man für den Frieden propagieren darf und wer das Recht dazu hat ist nicht glaub308
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Henryk Keisch und Heinz Kamnitzer an Per Wästberg [24. 8. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/An den Präsidenten des Int. PEN 3f., hier 3. Per Wästberg an das P.E.N.-Zentrum DDR [10. 9. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/An den Präs. des Int. PEN 2. Vgl. Per Wästberg an das P.E.N.-Zentrum DDR [10. 9. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/An den Präs. des Int. PEN 2. Vgl. weiterhin Henryk Keisch an Thomas von Vegesack [5. 10. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/P.E.N.Zentrum Schweden 2. Henryk Keisch an Hans-Joachim Hoffmann [5. 10. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1982–1984/M/Ministerium für Kultur 18. Thomas von Vegesack an Henryk Keisch [8. 11. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/P.E.N.-Zentrum Schweden 3.
würdig.«313 Er forderte mit Nachdruck die Klärung des Hintergrundes. Diese Mühe machte sich Keisch nicht; er beeilte sich, den Vorwurf zu entkräften und stellte jegliche strafrechtliche Verfolgung von Friedensanhängern entschieden in Abrede: Ich kenne Ihr Interesse an Fällen dieser Art, muß aber gestehen, daß ich nicht erkennen kann, inwiefern diese Angelegenheit mit dem Gegenstand unserer Resolution zusammenhängt. Es kann doch sicher nicht Ihre Absicht sein, einer Resolution, mit deren Inhalt Sie einverstanden sind, Ihre Zustimmung deswegen zu verweigern, weil wir möglicherweise in einer anderen Frage nicht übereinstimmen? Was nun diese von Ihnen aufgeworfene Frage angeht: Die Darstellung, die ›Index‹ gibt, ist in dieser Form mit Sicherheit unzutreffend. Eine Verurteilung wegen ›Kontakten zur inoffiziellen Friedensbewegung‹ ist in der DDR undenkbar. Ich weiß auch nicht was mit der Bezeichnung ›inoffizielle Friedensbewegung‹ gemeint sein kann. Die Friedensbewegung ist hier von der öffentlichen Meinung ebenso wie von den gesellschaftlichen Organisationen und staatlichen Institutionen gemeinsam getragen, dies ist ein wichtiger Unterschied gegenüber der Lage in vielen Ländern des Westens. Sie umschließt Menschen und Gruppen verschiedenster weltanschaulicher, sozialer und politischer Zugehörigkeit, darunter natürlich auch und sogar in vorderster Reihe christlicher Gesinnung. […] Im vorliegenden Fall ist mit absoluter Sicherheit zu sagen, daß eine Verurteilung wie die von ›Index‹ genannten nur wegen eines gravierenden strafrechtlichen Deliktes ausgesprochen worden sein kann. Das Tragen des Abzeichens ›Schwerter zu Pflugscharen‹ war niemals ein Delikt und niemand ist deswegen verurteilt worden.314
Nach London reiste Keisch wegen einer plötzlichen Erkrankung schließlich nicht. Telefonisch hatte er noch einmal Wästberg eindringlich um Unterstützung der Resolution gebeten. Vorbeugend versuchte er, dem zu erwartenden Angriff durch von Vegesack entgegen zu wirken und übermittelte an die internationale P.E.N.-Führung eine ähnlich lautende Argumentation wie oben.315 Auf der Exekutive kam die Entschließung des DDR-P.E.N. zur Verhandlung. Wästberg hatte sich ihrer angenommen: »Such general resolutions about peace have often been passed before, but many Centres might feel it appropriate, as he himself did, to pass one again now.«316 Der vorgeschlagene Text stieß weder auf sonderliche Ablehnung, noch besondere Zustimmung der Delegierten. Von Vegesack brachte erwartungsgemäß seine Anklage vor: »[A]ny Centre which put forward such a resolution should themselves act in the spirit of it.«317 Anderen 313
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Thomas von Vegesack an Henryk Keisch [8. 11. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/P.E.N.-Zentrum Schweden 3. Henryk Keisch an Thomas von Vegesack [12. 11. 1982]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresseund Exekutiven1982–1983/P.E.N.-ZentrumSchweden 1 und 1a. Henryk Keisch: Notizen zur telefonischen Übermittlung nach London für Per Wästberg und Alexandre Blokh betr. Delegiertenversammlung 18./19. 11. 1982. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/ Delegiertenversammlung 18.–19. 11. 1982 1f. Zitiert nach: Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in London on November 18th and 19th , 1982, S. 20f. P.E.N.-Archiv London. Wortbeitrag von Thomas von Vegesack. In: Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in London on November 18th and 19th , 1982, S. 21. P.E.N.-Archiv London. 757
erschien die Resolution lediglich eine Wiederholung der Charta-Prinzipien und deshalb »absurd and pointless«, zudem sei »the English […] gobbledygook«318 . Unterstützung kam vom ungarischen P.E.N.; István Bart schlug eine Streichung und Ersetzung der beiden letzten Sätze vor: »We ask and encourage all writers in every country, every language and every literary genre to express their anxiety and also their hope for the future of the human race.«319 Vor der Abstimmung machte Wästberg sich noch einmal stark für die Resolution, die zwar »selfevident und obvious«320 erscheine. Im gegenwärtigen Zustand der weltpolitischen Lage sei sie aber wertvoll. Mit 13 Pro-Stimmen, sechs Gegenstimmen und sechs Enthaltungen wurde die Resolution von der Delegiertenversammlung angenommen.321 Zu jenen, die sich in London der Stimme enthalten hatten, gehörte auch der bundesdeutsche Generalsekretär Hanns Werner Schwarze. Keisch quittierte dieses Abstimmungsverhalten mit einem scharf formulierten Brief, der auf moralischer Ebene zu argumentieren suchte: Keisch begriff die Enthaltung des westdeutschen Delegierten als Verrat an der gemeinsamen Sache: Sie stelle doch wohl eine deutliche Distanzierung dar[…]. Ich kann nicht umhin, meiner Überraschung und Befremdung über dieses Votum Ausdruck zu geben. Es steht im Widerspruch zu einem zentralen Punkt, über den wir uns bei unserem […] Gespräch am 7. Juli einig waren. Wir bestätigten einander damals, daß wir ungeachtet divergierender Auffassungen in vielen Fragen jede Bemühung um Entspannung, Abrüstung und Friedenssicherung als ein mit allen Kräften zu unterstützendes Anliegen elementarer Vernunft betrachteten. Es ist mir unverständlich, wie Sie diese Haltung, die auch in Ihrem Teil der Welt bis in die konservativen Kreise hinein geteilt wird und bei immer mehr Menschen jeder Herkunft Zustimmung findet, mit Ihrer Stellungnahme in London vereinbaren können. Ich kann darin nur ein Abrücken von dem erkennen, was sich als zwar begrenzte, aber reale Möglichkeit eines Zusammenwirkens unserer Zentren auf dem Gebiet der Friedensförderung abzuzeichnen schien. Daß ich eine solche negative Entwicklung sehr bedaure, brauche ich nicht zu betonen.322
Schwarze setzte sich zur Wehr; er verwies auf das Ergebnis der Abstimmung, »das die Umstrittenheit Ihrer Vorlage im Vergleich zu allen anderen einmütig verabschiedeten Erklärungen deutlich macht. Ursache war sowohl Ihre Abwesenheit als auch – bitte verzeihen Sie mir – der relativ belanglose Inhalt. Bei-
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Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in London on November 18th and 19th , 1982, S. 21. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in London on November 18th and 19th , 1982, S. 21. P.E.N.-Archiv London. Wortbeitrag von Per Wästberg. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in London on November 18th and 19th , 1982, S. 21. P.E.N.Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in London on November 18th and 19th , 1982, S. 21. P.E.N.-Archiv London. Henryk Keisch an Hanns Werner Schwarze [5. 1. 1982].P.E.N.-Archiv Darmstadt. Enthalten auch in P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 14.
des führte zu jener Unschlüssigkeit, die sich im Ergebnis dokumentiert.«323 Die Enthaltung sei keineswegs mit einer Ablehnung gleichzusetzen, aber man habe einer derart zurückhaltenden Aussage nicht zustimmen können. Ähnlich sei es auch anderen Delegierten in London ergangen: »Ich weiss […], dass sie bei einer […] pointierteren Vorlage mitgegangen wären, anstatt unentschlossen gegenüber einer als zu üblich wirkenden Erklärung zu bleiben, die ohnehin keine Beachtung finden würde.«324 Bedauernd verwies Schwarze auf die ungenutzte Chance, schon bei der Abfassung der Resolution mit den Kollegen anderer Zentren in Kontakt zu treten. Trotz aller Kritik am Vorgehen des DDR-P.E.N. bemühte sich Schwarze am Ende um vermittelnde Worte, die gleichwohl die Grenzen der Zusammenarbeit klar absteckten: Bitte lassen Sie uns in künftigen Fällen subjektive und schwer haltbare Interpretationen des Verhaltens anderer vermeiden und konsequent darauf verzichten, aus solchen subjektiven Interpretationen Schlussfolgerungen zu ziehen, die unsere gemeinsamen Überzeugungen und Absichten in Frage stellen. Seien Sie versichert, dass alle Mitglieder unseres Präsidiums und nicht zuletzt ich selbst, wie in unserem Gespräch vereinbart, jede Bemühung um Entspannung, Abrüstung und Friedenssicherung als ein mit allen Kräften zu unterstützendes Anliegen elementarer Vernunft betrachten.325
Der Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums DDR setzte uneinsichtig die Auseinandersetzung fort; er sah Schwarzes Kritik als ungerechtfertigt, seine Überlegungen als wenig hilfreich an: »Entspannung, Abrüstungsbegrenzung, Abrüstung, Friedenssicherung, das sind konkrete Forderungen an konkrete Adressaten. Sie dürfen, wenn sie von allen mit dem nötigen Nachdruck vertreten werden sollen, nichts enthalten, was für die einen oder die anderen nicht annehmbar wäre. Eben dieses Ziel verfolgte unser Resolutionsentwurf. Ich kann nur weiterhin bedauern, daß wir dafür so wenig Unterstützung gefunden haben.«326 Mit einem Höchstmaß an Diplomatie mühte sich Schwarze, einen Schlusspunkt unter einen unerquicklichen und unlösbaren Konflikt zu setzen: »Vielleicht sollten wir uns mit der gemeinsamen Feststellung begnügen, dass wir in der besprochenen Sache unterschiedliche Standpunkte haben, die wir uns jedoch ebenso wenig wie andere Meinungsverschiedenheiten daran hindern sollten, weiterhin für gemeinsame Ziele einzutreten und im Interesse dieser Zielsetzung, wann immer es möglich ist, Absprachen zu treffen.«327
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Hanns Werner Schwarze an Henryk Keisch [9. 2. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze an Henryk Keisch [9. 2. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze an Henryk Keisch [9. 2. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Henryk Keisch an Hanns Werner Schwarze [8. 3. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze an Henryk Keisch [31. 3. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 759
8.1.4.2 Ein neuerlicher Störfall: Die Affäre »Seyppel« (1983)328 Eine erneute Verkrampfung im Verhältnis der beiden deutschen P.E.N.-Zentren löste ein Artikel aus, den ein ehemaliges Mitglied des P.E.N.-Zentrums DDR in der Hamburger Tageszeitung Die Welt publiziert hatte. Am 31. März 1983 hatte sich Joachim Seyppel329 , 1973 in die DDR übergesiedelt, im Dezember 1982 wieder ausgebürgert und ins bundesdeutsche P.E.N.-Zentrum übernommen worden, unter dem Titel Oberstleutnant der inneren Reserve 330 zu einem von Günter Grass geplanten Friedensgespräch von Autoren aus Ost und West verbreitet. Die Veranstaltung diente Seyppel lediglich als Aufhänger eines konzertierten Angriffs auf führende DDR-Autoren und das P.E.N.-Zentrum DDR. Das Friedensgespräch wertete Seyppel als »geplante Farce«, die »in ihrer Dürftigkeit und Verlogenheit kaum noch übertroffen werden«331 könne. Dem Initiator der Zusammenkunft, Günter Grass, bescheinigte Seyppel niedere Beweggründe: »Da er ja genau weiß, mit wem [von den DDR-Schriftstellern] er es zu tun hat, könnten am Ende doch wieder nur persönliche Eitelkeit und nicht mehr zu überbietendes Geltungsbedürfnis den Ausschlag gegeben haben.«332 Attacken gegen Stephan Hermlin und Hermann Kant folgten. Seyppel warf Hermlin getreue Gefolgschaft und aktive Mitarbeit an der Verfolgung missliebiger Regimekritiker vor: Er selbst hat Stalin angehimmelt. […] Kollegen, die er ins Arbeitslager Workuta schicken ließ, hat er auf dem Gewissen; er erblasste, als einer von ihnen, entlassen, plötzlich an seine Haustür klopfte. Nach wie vor tritt er als Denunziant, Einpeitscher, AltStalinist auf. Den Verfasser dieser Zeilen wollte er seinerzeit aus dem PEN entfernt haben. Er zeichnet verantwortlich für Hinauswürfe aus dem Verband. Als Intimus von Honecker tritt er nach außen als ›Friedensfürst‹ auf. Doch schon Brecht hatte ihn erkannt: ›Außen Marmor, innen Gips!‹333
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Vgl. hierzu auch Hanuschek: Geschichtedes bundesdeutschenPEN-Zentrums, S. 477– 479. Joachim Seyppel hatte bis Ende 1982 seinen Mitgliedsbeitrag an das P.E.N.-Zentrum DDR entrichtet. Nach der Aberkennung seiner Staatsbürgerschaft hatte er sich im Dezember 1982 an das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland gewandt: »Da nicht anzunehmen ist, daß das P.E.N.-Zentrum der DDR gegen meine Ausbürgerung Verwahrung einlegen wird, und da mir also zumindest de facto die Einreise […] zu Tagungen des PEN verweigert werden wird, bitte ich, mich in den PEN der Bundesrepublik Deutschland bis auf weiteres zu übernehmen.« Joachim Seyppel an das P.E.N.Zentrum BundesrepublikDeutschland[Abschrift] [20. 12. 1982].BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 378. Dieser Bitte hatte das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland schließlich entsprochen. Joachim Seyppel: Oberstleutnant der inneren Reserve. J. Seyppel zum »Friedensgespräch« der Autoren. In: Die Welt 76 (31. 3. 1983), S. 21. Joachim Seyppel: Oberstleutnant der inneren Reserve. J. Seyppel zum »Friedensgespräch« der Autoren. In: Die Welt 76 (31. 3. 1983), S. 21. Joachim Seyppel: Oberstleutnant der inneren Reserve. J. Seyppel zum »Friedensgespräch« der Autoren. In: Die Welt 76 (31. 3. 1983), S. 21. Joachim Seyppel: Oberstleutnant der inneren Reserve. J. Seyppel zum »Friedensgespräch« der Autoren. In: Die Welt 76 (31. 3. 1983), S. 21.
Seyppel spielte hier auf eine von Karl-Heinz Jakobs kolportierte These an, die besagte, »daß die scheinliberalen Auftritte Hermlins dazu bestimmt seien, junge ostdeutsche Intellektuelle aus der Reserve zu locken, damit sie anschließend vom Staatssicherheitsdienst eingesammelt werden könnten.«334 Schwerwiegende, gleichwohl nicht unbegründete Vorwürfe erhob Seyppel auch gegen den Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes, Hermann Kant; er trete als »Honeckers Apparatschik nach außen hin als ›Friedensvertreter‹ auf. Aber immerhin bekleidet er das hohe Amt eines Oberstleutnants des Ministeriums für Staatssicherheit, der Stasi. Mehrere Personen können dies eidesstattlich bekunden. Er selber hat sich damit gebrüstet.«335 Auch der Unmut über die regulierte Arbeit des P.E.N.-Zentrums DDR brach sich Bahn: Ins Ausland reisen nur Vorstandsmitglieder mit staatlich gespendeten Geldern. Das Fußvolk bleibt zu Haus. Es erfährt nicht einmal von Kongressen, geschweige, daß es Pässe dafür erhält. Die Verbitterung bei den Mitgliedern ist groß. Der Verfasser war selber jahrelang Mitglied und weiß, daß Treffs in kleinstem Kreis unter Ausschluß jeder Öffentlichkeit nur in den Klubräumen Friedrichstraße stattfinden […]. Eine politische Funktion […] hat der Ost-PEN nicht, außer, daß er Aufmüpfige zur Räson ruft.336
Ein Appell an den Internationalen P.E.N. schloss die Kampfansage ab, die das P.E.N.-Zentrum DDR als Brutstätte nationaler Aggression erscheinen ließ: Der Ost-PEN sollte auf seine Schuld und Schuldigkeit verwiesen werden: Mitverantwortung an der Erziehung der Bevölkerung zu Haß, Feindschaft, also Aggression, Militarismus […]. Die Geschäftsführer in der Friedrichstraße 194–199, IV. Stock, die Kamnitzer, Keisch, Hermlin, Dr. Kant, dürfen sich darauf verlassen, daß nicht vergessen wird, welche Rolle sie bei der Einpeitschung angriffswütiger Thesen in ihrer Literatur, Presse, Ideologie spielen. Diese Funktionäre haben alle hohen Ansprüche, die der PEN seit 1922 stellt, immer wieder zynisch verraten.337
Der Aufschrei in der Führungsetage des P.E.N.-Zentrums DDR angesichts dieser öffentlich erhobenen Anklage war groß. Während man im bundesdeutschen P.E.N. von diesen Wortmeldungen zunächst keine Notiz nahm, holte die DDR-Seite auf mehreren Ebenen zur Gegenwehr gegen den Angriff durch Seyppel aus. Kamnitzer und Keisch richteten ein Telegramm an das P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik, in dem mit drastischen Formulierungen die Wirkungsabsicht von Seyppels Artikel dargelegt und in der Konsequenz eine »offizielle und oeffentliche erklaerung des pen zentrums bundesrepublik deutschland«338 gefordert wurde. Eine deutlich vernehmbare Drohung schwang mit: »ihre stellungnahme wird ueber unsere beziehungen hinaus 334 335
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gaz [d. i.?]: Anstand und Wende. In: Die Welt 119 (25. 5. 1983), S. 21. Joachim Seyppel: Oberstleutnant der inneren Reserve. J. Seyppel zum »Friedensgespräch« der Autoren. In: Die Welt 76 (31. 3. 1983), S. 21. Joachim Seyppel: Oberstleutnant der inneren Reserve. J. Seyppel zum »Friedensgespräch« der Autoren. In: Die Welt 76 (31. 3. 1983), S. 21. Joachim Seyppel: Oberstleutnant der inneren Reserve. J. Seyppel zum »Friedensgespräch« der Autoren. In: Die Welt 76 (31. 3. 1983), S. 21. Heinz Kamnitzer und Henryk Keisch an das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland [8. 4. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 761
von grosser bedeutung sein und wir behalten uns weitere schritte vor auch im rahmen des internationalen pen«339 . Im P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland reagierte man verhalten. Dort hatte man bereits bei Seyppels Übernahme in den bundesdeutschen P.E.N. nach dessen Ausbürgerung aus der DDR gefürchtet, dass es Ärger geben würde. Seyppels angriffslustige Auslassungen in der Welt begriffen die Verantwortlichen des Bundes-P.E.N. in erster Linie als Störfall, der die empfindsamen Bindungen zwischen P.EN. Ost und West bedrohte. In der Führungsspitze hatte man sich zunächst darauf verständigt, die Sache auszusitzen und auf Seyppels »unangenehmen Artikel« gar nicht zu reagieren; er war »ohne jedes Echo geblieben. Insofern war es richtig, ihn überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen.«340 Das Telegramm des DDR-P.E.N. machte diese Haltung unmöglich. Gleichwohl lehnte Martin Gregor-Dellin ein Verfahren weiterhin ab, das dem Sachverhalt übermäßige Beachtung in der Öffentlichkeit zukommen lassen würde: »Ich reagiere nicht auf Drohungen, und wir können uns auch von einem P.E.N.-Zentrum, das nichts gegen die Ausbürgerung von Seyppel und anderen unternommen hat, nicht unter Druck setzen lassen. Weder können wir einem wild um sich schlagenden Autor das Wort verbieten, noch können wir Ehrenerklärungen für DDRSchriftsteller abgeben.«341 Mitte April wandte sich Gregor-Dellin an Kamnitzer und bemühte sich, »die Sache in die ihr angemessenen Dimensionen«342 zu rücken. Er lehnte die Verantwortung des bundesdeutschen P.E.N. für die Äußerungen eines Mitglieds ab und erteilte der Forderung des DDR-P.E.N. eine unmissverständliche Absage: Die internationalen Gepflogenheiten im P.E.N. lassen uns gar keine Möglichkeit, […] [Seyppel] ohne weiteres wieder auszuschließen, schon gar nicht wegen eines einzigen Artikels. Unser Zentrum kann auch keine Kollektivverantwortung für die Äußerungen eines Mitglieds übernehmen oder in solche Kollektivhaft genommen werden; unser Zentrum veröffentlicht vor allem keine Abmahnungen, Sanktionen und Distanzierungen, selbst, wenn dazu satzungsgemäß begründeter Anlaß gegeben wäre. Daß sich dieses Prinzip bewährt hat, zeigt im vorliegenden Fall, daß der Artikel in der ›Welt‹ gänzlich unbeachtet blieb. […] Es wäre gewiß nicht in beiderseitigem Interesse, dem Vorgang jene Bedeutung in der Öffentlichkeit zu geben oder erst zu verschaffen, die Sie ihm beimessen – von der notwendigerweise voranzugehenden Erklärung der darin erhobenen Vorwürfe, wozu ja jedermann verpflichtet wäre, ganz abgesehen.343
Der Präsident des bundesdeutschen P.E.N. lehnte es ab, die Äußerungen eines Einzelnen einem Zentrum des P.E.N. anzulasten, »weder in der einen noch in 339
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Heinz Kamnitzer und Henryk Keisch an das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland [8. 4. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Martin Gregor-Dellin an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [nach dem 8. 4. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Martin Gregor-Dellin an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [nach dem 8. 4. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Martin Gregor-Dellin an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [nach dem 8. 4. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Martin Gregor-Dellin an Heinz Kamnitzer [18. 4. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
der anderen Richtung«344 . Eine Verhandlung des Sachverhalts auf internationaler Ebene schien ihm »sehr bedenklich und zu unserer aller Schaden«: »Nur ein weiteres Mal würden die deutsch-deutschen Querelen die anderen Delegierten verstimmen.«345 Gregor-Dellin sah nur in der internen Beschäftigung mit den Ursachen der deutsch-deutschen Gegensätze, insbesondere auf dem Gebiet der Literatur, die einzige Chance, zu einem »›inneren Frieden‹ zwischen den Schriftstellern beider deutscher Staaten« zu gelangen; er mahnte ein »genügendes Maß Weisheit und Diplomatie [an], um mit störenden Kontroversen wie dieser fertig zu werden und es nicht auf Weiterungen anzulegen, sondern sie eher zu vermeiden.«346 Sein Vorschlag, den Fall durch einen neutralen Ehrenschiedsrichter, etwa den Schweden Thomas von Vegesack, klären zu lassen, blieb auf DDRSeite ungehört. Auch die Teilnahme an der Jahrestagung des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums im Mai 1983, die von Kamnitzer und Keisch ernsthaft in Erwägung gezogen und im Vorfeld der Seyppel-Affäre schließlich zugesagt worden war,347 wurde unter den gegebenen Umständen verweigert. So urteilte Hanns Werner Schwarze in seinem Bericht über die Jahrestagung über das »Verhältnis P.E.N.-DDR zu uns«: Es ist trotz all dieser Bemühungen schwierig geblieben, weil drüben nach wie vor jene Unbefangenheit fehlt, die ich zumindest für mich selbst in Kontakt mit DDR-Kollegen voraussetzen will. Eine der Hauptursachen für die Befangenheit unserer Partner liegt nach meiner Einschätzung darin, daß sie die Spielregeln unserer Gesellschaftsordnung einfach schwer verstehen wollen. Sie zu akzeptieren, hat übrigens niemand von uns verlangt. Genau gesagt, das Verhältnis zum DDR-P.E.N. ist ebenso wie das deutschdeutsche Verhältnis nicht besser geworden, wir reden miteinander, ziemlich oft übrigens per Telefon, wir haben auch Streit miteinander, wir bitten einander um Hilfe, Erfolgskontrollen gibt es nicht, aber von einer gutnachbarlichen Szene kann auch zwischen den deutsch-deutschen P.E.N.-Zentren bisher nicht die Rede sein.348
Schließlich musste sich die internationale Exekutive in Venedig (11.–14. 5. 1983) mit Seyppels Artikel und den Folgen auseinandersetzen. Thomas von Vegesack oblag die Einleitung in den Sachverhalt; er betonte seine tiefe Sympathie für Hermlin. Als Vertreter des DDR-P.E.N. hob Henryk Keisch die Stoßkraft von Seyppels Worten hervor: »It was an article by a psychopath, but it had been published in a great newspaper.«349 Werner von Simson, der den BundesP.E.N. in Venedig vertrat, versuchte, den Fall klein zu halten. In verkürzter Form 344 345 346 347
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Martin Gregor-Dellin an Heinz Kamnitzer [18. 4. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Martin Gregor-Dellin an Heinz Kamnitzer [18. 4. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Martin Gregor-Dellin an Heinz Kamnitzer [18. 4. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Henryk Keisch: Aktenvermerk [für Heinz Kamnitzer] [17. 3. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 11 sowie Heinz Kamnitzer an Martin Gregor Dellin [29. 3. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz international 1978–1983/B/Bundesrepublik 11a. Hanns Werner Schwarze: Bericht über die Jahrestagung in Berlin am 9./10. 5. 1983. Anlage C zum 5. Rundbrief an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [31. 7. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Venice on 11th , 13th and 14th May, 1983, S. 20. P.E.N.-Archiv London. 763
bediente er sich dabei jener Argumentation, die Gregor-Dellin entwickelt hatte; er plädierte für Zurückhaltung in dieser Angelegenheit. Unter jenen Delegierten, die der internationalen Führungsriege nahe standen bzw. angehörten, bildete sich hingegen die Meinung aus, dass man sich für den internationalen Vizepräsidenten Stephan Hermlin sehr wohl verwenden müsse.350 Von Vegesack beschwor die Integrität von Hermlin: »[T]hat what [the article] said about him was absolutely untrue. Whenever writers had been put in prison in the Democratic Republic Hermlin had always been ready to help them.«351 An diesem Punkt war keine Einigung zu erzielen: Die internationale Führung erklärte die Verteidigung des internationalen Vizepräsidenten Hermlin zur Sache des Internationalen P.E.N. und legte die Abwehr des Angriffs auf die anderen DDR-Autoren in die Verantwortlichkeit des nationalen P.E.N.-Zentrums. Eine Stellungnahme des Internationalen P.E.N., die lediglich Hermlin gegen die vorgebrachten Anschuldigungen in Schutz nahm, wurde indes von Keisch abgelehnt; er forderte eine Ehrenerklärung für alle von Seyppel namentlich benannten Autoren. Anderenfalls drohte er, die Tagung zu verlassen. Eine Vertagung des Sachverhalts brachte schließlich die Lösung des Konflikts.352 Keisch legte eine Resolution vor, die in Berufung auf die P.E.N.-Charta nicht nur den in der Welt abgedruckten Artikel, sondern generell gegen das P.E.N.-Zentrum DDR und seine Mitglieder gerichtete Presse nachdrücklich verurteilte;353 sie wurde von der Exekutive einstimmig angenommen. Des Weiteren wurde beschlossen, per Telegramm eine Solidaritätserklärung an Stephan Hermlin abzugeben.354 Im Nachgang der Exekutive rührte sich auch eine Reihe namhafter Autoren aus der DDR auf Veranlassung von Hans Marquardt, Leiter des Leipziger Reclam-Verlages.355 Volker Braun, Günter de Bruyn, Adolf Endler, Franz Fühmann, Heiner Müller, Christa Wolf und 16 weitere Autoren wiesen gemeinsam mit den Verlagsmitarbeitern Elmar Faber, Jürgen Gruner und Hans Marquardt die »Anfeindungen« zurück, »die Stephan Hermlin, Hermann Kant, Heinz Kamnitzer und andere Autoren unseres Landes diskreditieren, auf Ruf-
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Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Venice on 11th , 13th and 14th May, 1983, S. 20. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Venice on 11th , 13th and 14th May, 1983, S. 21. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Venice on 11th , 13th and 14th May, 1983, S. 20f. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Resolution des P.E.N.-Zentrums DDR, betr. Seyppels Artikel in der Welt, angenommen auf der Exekutive in Venedig (11., 13. und 14. Mai 1983). In: Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Venice on 11th , 13th and 14th May, 1983, S. 14. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Venice on 11th , 13th and 14th May, 1983, S. 14. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Elvira Pradel [Cheflektorin des Reclam-Verlages, Leipzig] an Henryk Keisch [13. 6. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1982– 1984/M/Marquardt Hans 1.
mord und die Erzeugung einer Pogromstimmung hinauslaufen.«356 Sie appellierten an das »offene, konstruktive, vertrauensfördernde Gespräch«: »Wir werden miteinander für Entspannung und Frieden arbeiten – oder alles, wofür wir leben und arbeiten, wird zunichte werden.«357 Keisch fühlte sich durch die Nichtnennung seines Namens kompromittiert; er mutmaßte, dass man sich nicht mit ihm habe solidarisieren wollen. Er teilte daraufhin Marquardt mit, dass er der Weltbühne ein Interview gegeben habe, »das dem Inhalt nach mit Eurer Erklärung übereinstimmt, allerdings einen schärferen, polemischeren Ton anschlägt wie er mir meiner subjektiven Sicht entsprechend angemessen erschien.«358 Auch Hermann Kant hatte sich persönlich zur Wehr gesetzt. Anfang Mai druckte Die Welt seine Gegendarstellung. Er wies den Vorwurf, er bekleide das Amt eines Oberstleutnants des Ministeriums für Staatssicherheit, zurück: »Diese Behauptung ist falsch. Ich bin nicht Oberstleutnant oder sonstiger Agent des Ministeriums für Staatssicherheit.«359 Tatsächlich hatte Kant seit 1976 nicht mehr als IM gearbeitet.360 Die Tagung in Venedig konnte das P.E.N.-Zentrum DDR durchaus als Erfolg verbuchen – zumal es gelungen war, auf Vorschlag des DDR-Zentrums eine Resolution zu verabschieden, die sich an die 1982 initiierte Genfer Konferenz zur Begrenzung und Reduzierung der nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa richtete.361 Die Idee zur Formulierung der Entschließung war in einem persönlichen Gespräch zwischen Keisch und Blokh entstanden; Keisch hatte darin seiner Enttäuschung über das unentschiedene Abstimmungsergebnis zur Londoner Abrüstungsresolution Ausdruck verliehen. Gemeinsam hatte man den Gedanken verfolgt, die Frage der Abrüstung in einer Resolution an die Teilnehmer der START-Verhandlungen (Strategic Arms Reduction Talks) wieder aufzubringen.362 Der in Venedig vorgelegte Text basierte auf einem Entwurf des DDR-P.E.N., war jedoch von Blokh modifiziert worden: »Seine Fassung unterschied sich inhaltlich von [Keischs] Entwurf dadurch, daß a) eine konkrete Forderung an die verhandelnden Mächte, zu einem Ergebnis zu gelangen, vermieden war; b) zusätzlich der Gedanke aufgenommen worden war, daß 356
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DDR-Autoren und Verleger weisen Verleumdungenzurück: »Weiter miteinandersprechen«. In: Unsere Zeit 123 (31. 5. 1983), S. 7. DDR-Autoren und Verleger weisen Verleumdungenzurück: »Weiter miteinandersprechen«. In: Unsere Zeit 123 (31. 5. 1983), S. 7. Henryk Keisch an Hans Marquardt [7. 6. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/M/Marquardt Hans 8 und 9. Hermann Kant: Gegendarstellung. In: Die Welt 102 (3. 5. 1983), S. 17. Vgl. Kap. 8.1.1, S. 693. Vgl. Resolution des P.E.N.-Zentrums DDR, betr. Seyppels Artikel in der Welt, angenommen auf der Exekutive in Venedig (11., 13. und 14. Mai 1983). Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Venice on 11th , 13th and 14th May, 1983, S. 14f. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Resolution des P.E.N.-Zentrums DDR, betr. Seyppels Artikel in der Welt, angenommen auf der Exekutive in Venedig (11., 13. und 14. Mai 1983). Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Venice on 11th , 13th and 14th May, 1983, S. 15. P.E.N.-Archiv London. 765
sich der Internationale P.E.N. für Initiativen im Sinne des Erfolgs der Konferenz zur Verfügung stelle.«363 Vor der Delegiertenversammlung forderte Keisch einen Zusatz, »der darauf dr[a]ng[ ], daß die Genfer Konferenz zum Abschluß eines Übereinkommens gelangt, welches auf der Grundlage eines echten Gleichgewichts der Kräfte allen Teilen gleiche Sicherheit gewährt.«364 Scharfe Kritik kam vom P.E.N. der Niederlande. Der Resolutionsentwurf »legitimiere die Nuklearwaffen und sanktioniere die Weltherrschaft der Großmächte«365 . Auch René Tavernier vom französischen P.E.N. äußerte Bedenken. Mit der speziellen Stoßrichtung gegen die nuklearen Waffen gerieten die konventionellen Waffen aus dem Blick; dies sei skandalös. Es gelang Keisch, diesen Vorwurf mit dem Hinweis zu entkräften, dass der P.E.N. bereits früher gegen konventionelle Waffen protestiert habe. In der Abstimmung entschieden 20 Delegierte für die Entschließung. Nur einer stimmte dagegen, sieben enthielten sich der Stimme.366 Die Delegiertenversammlung in Venedig zeigte somit ein deutliches Ergebnis: Das P.E.N.-Zentrum DDR war in der internationalen Gemeinschaft durchaus präsent; es erschien als gleichberechtigte Sektion und wurde auch als solche anerkannt. Nicht zu verkennen war dabei die Kooperationsbereitschaft der internationalen P.E.N.-Führung. Die Position und die Kontakte im Internationalen P.E.N. wurden von der Führung des DDR-P.E.N. konsequent genutzt, um Einsatz und Indoktrination im Sinne der nationalen Regierungspolitik voranzutreiben. Der beiderseitigen Diplomatie der beiden deutschen P.E.N.-Zentren war es zu verdanken, dass die Kontakte zwischen den deutschen Sektionen in der Folgezeit
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Bericht des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums DDR über die Einweihung der Gedenktafel am 15. Mai 1983 an der ehemaligen antifaschistischen Freiheitsbibliothek in Paris sowie über seine Teilnahme an der Delegiertenversammlung des Internationalen P.E.N. in Venedig (11.–15. Mai 1983). P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/Bericht über die Einweihung einer Gedenktafel 15. Mai 1983 1–4, hier 3. Bericht des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums DDR über die Einweihung der Gedenktafel am 15. Mai 1983 an der ehemaligen antifaschistischen Freiheitsbibliothek in Paris sowie über seine Teilnahme an der Delegiertenversammlung des Internationalen P.E.N. in Venedig (11.–15. Mai 1983). P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/Bericht über die Einweihung einer Gedenktafel 15. Mai 1983 1–4, hier 3. Vgl. auch Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Venice on 11th , 13th and 14th May, 1983, S. 15. P.E.N.-Archiv London. Bericht des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums DDR über die Einweihung der Gedenktafel am 15. Mai 1983 an der ehemaligen antifaschistischen Freiheitsbibliothek in Paris sowie über seine Teilnahme an der Delegiertenversammlung des Internationalen P.E.N. in Venedig (11.–15. Mai 1983). P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Kongresse und Exekutiven 1982–1983/Bericht über die Einweihung einer Gedenktafel 15. Mai 1983 1–4, hier 4. Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Venice on 11th , 13th and 14th May, 1983, S. 16f. P.E.N.-Archiv London.
nicht abrissen. Keisch hatte nach Venedig einen »relativ vernünftigen Brief«367 an Gregor-Dellin geschrieben, den Schwarze als Anzeichen einer Klimaverbesserung wertete. Die Führung des Bundes-P.E.N. nahm eine durch Hermlin über den Leiter der Kulturabteilung der bundesdeutschen Ständigen Vertretung in Ost-Berlin arrangierte Einladung368 zu einem Treffen mit Kamnitzer und Keisch an, »um [die] ›deutsch-deutschen Querelen‹ und ihre Folgen […] aus der Welt zu schaffen«369 . Ein solches Zusammentreffen war auf DDR-Seite nur im Einklang mit der Partei möglich: »Nach Konsultation der Leitung des PEN-Zentrums der DDR mit der Abteilung Kultur des ZK der SED wurde durch die Partei dem Gespräch zugestimmt.«370 Am 28. Juni 1983 trafen Gregor-Dellin und Schwarze mit Kamnitzer und Keisch zusammen. Beide Seiten schienen nach den Unterredungen positiv gestimmt. Schwarze urteilte: Dieses Gespräch war nach übereinstimmender Ansicht nützlicher, als es ein inhaltsloses Kommuniqué verrät, das sowohl in allen DDR-Zeitungen als auch in vielen unserer Blätter veröffentlicht wurde, und die Absichtserklärung enthält, ›in Zukunft ein Höchstmass an gegenseitiger Verständigung anzustreben‹. Denn wir haben uns einmal mehr klar gemacht, wo die Pflichten der P.E.N.-Charta mit den Usancen der Gesellschaftsordnungen kollidieren.371
Zwar wurden nach Schwarzes Einschätzung keine »überraschenden Ergebnisse« erzielt: »Auffallend war dennoch das Bemühen und die Bereitschaft der DDR-Kollegen, die Misshelligkeiten ohne Aufrechterhaltung ihrer Forderungen an uns ad acta zu legen und auch gegenüber dem internationalen P.E.N. den Eindruck der Rückkehr zu einem ›vernünftigen Nebeneinander‹ zu bieten.«372 Informationen über die Zusammenkunft der P.E.N.-Vertreter interessierten auch den Staatssicherheitsdienst der DDR. Ein Bericht hob als wesentliches Ziel der Besprechung »die Normalisierung der Beziehungen zwischen den PEN Zentren der DDR und der BRD«373 hervor. Man sei übereingekommen, »in Zukunft strittige Fragen, Probleme und Sachverhalte sowie Misshelligkeiten durch die Aufnahme persönlicher Kontakte beider Leitungen der PEN-Zentren als erstes zu beraten und öffentliche Angriffe durch Massenmedien zu vermeiden, um auf
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Hanns Werner Schwarze an alle Mitglieder des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [13. 6. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze an alle Mitglieder des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [13. 6. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 5. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [31. 7. 1983]. P.E.N.Archiv Darmstadt. Information [24. 6. 1983]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 123. 5. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [31. 7. 1983]. P.E.N.Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze an alle Präsidiumsmitglieder [29. 6. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Information zu operativ-interessierenden Fragen des Gesprächs zwischen den Leitungen der P.E.N.-Zentrender DDR und der BRD [30. 6. 1983].BStU, MfS, HA XX, AKG 3163, Bl. 426f., hier Bl. 426. 767
diese Weise nicht eine weitere Zuspitzung der Beziehungen zwischen der DDR und BRD zu unterstützen.«374 8.1.4.3 Gleichklänge und Dissonanzen: Fortsetzung der gemeinsamen Initiativen für den Weltfrieden (1983/84) Die Zusammenarbeit der beiden deutschen P.E.N.-Zentren im Zeichen der Friedenspolitik ging weiter. Man war bereit, im Sinne des Friedens miteinander zu kooperieren und über mancherlei ideologisch begründete Meinungsverschiedenheit hinwegzusehen. Beide P.E.N.-Sektionen schlossen sich einer Erklärung zum Jahrestag des Kriegsausbruchs am 1. September 1939 an, den die Vorstände des Schriftstellerverbandes der DDR und des Verbandes deutscher Schriftsteller der BRD gemeinsam beraten und beschlossen hatten; sie appellierten an alle Mitbürger und Mitbürgerinnen, insbesondere an alle europäischen Schriftstellerkollegen, die Friedensbewegung weiterhin einmütig zu unterstützen, um die Gefahr eines drohenden Atomkrieges zu bannen.375 Hintergrund des Aufrufs war die in Folge des NATO-Doppelbeschlusses drohende Nachrüstung von Mittelstreckenwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Über den geplanten Appell war auch die Leitung des P.E.N.-Zentrums DDR in Kenntnis gesetzt worden. Keisch hatte gegenüber dem Schriftstellerverband der DDR umgehend Zustimmung signalisiert und auch das P.E.N.-Zentrum in der Bundesrepublik informiert »[i]n der selbstverständlichen Annahme, daß der politische Sinn der Erklärung darin besteht, möglichst viele und möglichst gewichtig ähnlich zustimmende Äußerungen hervorzurufen«376 . Hanns Werner Schwarze signalisierte schließlich die Bereitschaft des bundesdeutschen P.E.N.Zentrums, sich der Erklärung anzuschließen. Erfreut teilte Keisch seinen Erfolg, »der […] keineswegs als selbstverständlich zu erwarten war«377 , der Leiterin der Abteilung Kultur im ZK der SED mit. Fraglich schien lediglich, in welcher Weise die Zustimmung zum Ausdruck gebracht werden sollte.378 Schwarze hatte Kamnitzer in einem Telefonat vorgeschlagen, den Appell direkt durch die Präsiden-
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Information zu operativ-interessierenden Fragen des Gesprächs zwischen den Leitungen der P.E.N.-Zentrender DDR und der BRD [30. 6. 1983].BStU, MfS, HA XX, AKG 3163, Bl. 426f., hier Bl. 426f. Vgl. Zum Weltfriedenstag. Erklärung der Schriftstellerverbände der DDR und der BRD. In: Neues Deutschland 206 (1. 9. 1983), S. 1. Henryk Keisch an Hermann Kant [26. 8. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/B/Bundesrepublik Deutschland/Erklärung der Schriftstellerverbände der DDR und der BRD 5a. Henryk Keisch an Ursula Ragwitz [26. 8. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/B/Bundesrepublik Deutschland/Erklärung der Schriftstellerverbände der DDR und der BRD 5. Vgl. Henryk Keisch an Hermann Kant [26. 8. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/B/Bundesrepublik Deutschland/Erklärung der Schriftstellerverbände der DDR und der BRD 5a.
ten der beiden P.E.N.-Zentren unterschreiben zu lassen.379 Am 1. September 1983 veröffentlichten zahlreiche Zeitungen in Ost und West, darunter auch das Neue Deutschland auf dem Titelblatt, die Erklärung der Schriftstellerverbände der DDR und der BRD.380 Die implizite Aufforderung zum Rüstungsstopp blieb ungehört; alle politischen Verhandlungsbemühungen um die nukleare Mittelstreckenraketenrüstung in Europa blieben erfolglos. Am 22. November 1983 billigte der Bundestag die »Entscheidung der Bundesregierung, entsprechend ihrer Verpflichtung aus dem zweiten Teil des NATO-›Doppelbeschlusses‹ fristgerecht den Beginn des Stationierungsprozesses einzuleiten«381. Einen Tag später wurden unter strengster Geheimhaltung die ersten Komponenten der amerikanischen Pershing-II-Raketen in die Bundesrepublik eingeflogen. Die Außenminister der Warschauer Pakt-Staaten hatten bereits im Oktober für den Fall der Stationierung nuklearer Mittelstreckenwaffen in Westeuropa einen eigenen Nachrüstungsbeschluss gefasst. Am 25. Oktober erklärte der Nationale Verteidigungsrat, dass »in diesem Fall operativ-taktische Atomwaffen der Sowjetunion auf dem Gebiet der DDR stationiert werden«382 . Eine positive, wenngleich in Relation zu der weltpolitischen Bedrohungssituation verschwindend gering erscheinende Auswirkung brachte die gemeinsame Aktion der Schriftstellerverbände doch. Keisch setzte sich bei Klaus Höpcke für das westdeutsche P.E.N.-Mitglied Walter Kempowski ein. Schwarze hatte den Generalsekretär des DDR-P.E.N. schon im August 1983 darauf aufmerksam gemacht, dass Kempowski von den Behörden der DDR die Einreiseerlaubnis verweigert worden war, und bat um unbürokratische Vermittlungshilfe. Der bundesdeutsche P.E.N. hielt sich damit an die Absprache, in Problemfällen zunächst nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, sondern »andere Wege [zu] [ ]such[en]«383 . Obschon Keisch die Unabhängigkeit der beiden Sachverhalte im Schreiben an Höpcke betonte, scheint es doch, als sei er um Ausgleich für das Entgegenkommen des P.E.N. der Bundesrepublik bemüht gewesen. Gegenüber Höpcke wertete Keisch die gemeinsame Erklärung der deutschen Schriftstellerverbände als »beachtenswertes Signal für relative Bereitschaft zu korrekten Beziehungen zwischen unseren Zentren«384 und bat um Prüfung des Falls Kempowski: Der Grund für die Verweigerung der Einreise liegt vermutlich darin, daß Kempowski vor langer Zeit in den 40er oder 50er Jahren, wie ich glaube, wegen staatsfeindlicher Tätigkeit in der DDR verurteilt war, nach seiner Entlassung in den Westen gegangen ist und seine Erlebnisse zum Gegenstand autobiographischer Bücher gemacht hat. In 379
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Vgl. Heinz Kamnitzer: Aktennotiz [26. 8. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz P.E.N. International 1978–1983/B/Bundesrepublik Deutschland/Erklärung der Schriftstellerverbände der DDR und der BRD 4. Vgl. Zum Weltfriedenstag. Erklärung der Schriftstellerverbände der DDR und der BRD. In: Neues Deutschland (206) 1. 9. 1983, S. 1. Fischer Chronik Deutschland, S. 737f. Fischer Chronik Deutschland, S. 749. Hanns Werner Schwarze an Henryk Keisch [22. 8. 1983]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Henryk Keisch an Klaus Höpcke [1. 9. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/M/Ministerium für Kultur 13. 769
Kenntnis dieser Vergangenheit Kempowskis, zugleich in Anbetracht des Umstandes, daß er im übrigen nicht zu den aggressivsten antikommunistischen Schriftstellern in der BRD gehört, würden wir es für angebracht halten zu überprüfen ob eine positive Behandlungdes Reisewunsches,die der Behandlungaller anderenAnträge entsprechen würde, möglich ist.385
Bedeutsam war auch die Kooperation der beiden deutschen P.E.N.-Zentren in einem eigenständigen internationalen Gremium, das sich explizit mit dem Einsatz für Frieden zu befassen hatte. Auf dem internationalen P.E.N.-Kongress 1983 in Caracas, Venezuela, war ein »Friedenskomitee« (P.E.N. Committee of Writers for Peace) gegründet worden, in dem Bulgarien, die Bundesrepublik Deutschland, die DDR, Holland, Japan, Senegal und das slowenische P.E.N.Zentrum vertreten waren. Seine grundlegenden Zielsetzungen stellte das Writers for Peace Committee (WfPC) auf dem Kongress in Tokio (14.–18. Mai 1984) vor: (1) To stimulate writers from every country of the world to work for peace, for disarmament and for peaceful co-existence; for the freedom, equality and independence of all nations as a necessary condition for the prevention of all conflicts and wars; against violence, militarism and similar phenomena, wherever they may occur. (2) To print and to circulate a regular bulletin to provide an exchange of information on the activities of writers for peace. (3) To stimulate publications, probably in collaboration with reputable publishing houses, of collections of literary works for peace, including every possible kind of text – from protest poems to political or science fiction. (4) Once a year, in May, at Bled in Yugoslavia, a meeting of the Committee will take place: meditating upon violence, hate, militarism as we writers see it; evaluating peace actions by writers; appealing for unified action by all the writers of the world […].386
Schon in Caracas war eine »Resolution zum Frieden« ins Auge gefasst worden, die in Tokio vorgebracht werden sollte; sie sollte »vielleicht ein Leitantrag sein […]: a) im Hinblick auf das Friedensjahr der UN, an dem sich der Internationale P.E.N. bereits beteiligt, b) im Hinblick auf das Thema und den Ort des 47. Kongresses«387 . Die Vertreter des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums im WfPC übernahmen die Verantwortung für einen ersten Textentwurf. Anfang Dezember 1983 übersandten Gert E. Hoffmann und Angelika Mechtel ihren Entwurf einer Resolution für den 47. P.E.N.-Kongress in Tokio: – Angesichts der Tatsache, daß der 47. Internationale P.E.N.-Kongreß in einem Land stattfindet,das durch die Zerstörungder Städte Hiroshima und Nagasaki jenes Grauen
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Henryk Keisch an Klaus Höpcke [1. 9. 1983]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1982–1984/M/Ministerium für Kultur 13. Aufgaben und Aktivitätendes Writers for Peace Committees, formuliertauf der Exekutive in Tokio, 15.–17. Mai 1984. Zitiert nach: Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Tokyo on 15th , 16th and 17th May, 1984, S. 23. P.E.N.-Archiv London. Gert E. Hoffmann und Angelika Mechtel an P.E.N. Bulgarien/P.E.N. DDR/P.E.N. Island/P.E.N. Japan/P.E.N. Niederlande/P.E.N. Schweden/P.E.N. Senegal/P.E.N. USA (New York) [1. 12. 1983]. SAdK Berlin, NL Ingeborg Drewitz Korr. PEN 1975–1986.
erfahren hat, das der Einsatz nuklearerWaffen für jeden einzelnen und die menschliche Gesellschaft bedeutet; – Angesichts der Tatsache, daß Entscheidungen über Krieg und Frieden im nuklearen Zeitalter und mit dem Einsatz nuklearer Waffen Leid, Elend und Tod nicht nur über einzelne Völker sondern über die gesamte Menschheit bringen; – Angesichts der Tatsache, daß solche Entscheidungen heute nicht mehr allein vom Menschen abhängen, sondern auch durch Fehler der Computertechnik herbeigeführt werden können; – Angesichts der Verantwortung, die jeder von uns trägt – und angesichts der Verpflichtung auf die P.E.N.-Charta, die aus der Erinnerung an einen ersten schrecklichen und in Furcht vor einem zweiten, noch entsetzlicheren Weltkrieg geboren wurde, appellieren die Delegierten dieses Kongresses in Tokio an alle Atommächte in Ost und West, – die nukleare Hochrüstung abzubauen – einen Einsatz nuklearer, aber ebenso chemischer und bakteriologischer Waffen mit allen Kräften und nach bestem Wissen und Gewissen zu verhindern – die Gefahr eines technischenVersagensder militärischenComputersystemezu beseitigen. Wir fordern gleichzeitig die Kolleginnen und Kollegen des Internationalen P.E.N. in aller Welt auf, mit Person und Werk verantwortungsvoll und im Sinne unserer Charta darauf hinzuwirken, – daß Verständigung und Freundschaft der Völker untereinander zunehmen; – daß Kriegsgefahren abnehmen; – daß die Generationen nach uns noch eine Chance haben, in Frieden und Freiheit zu leben und kulturelle Ansprüche zu verwirklichen; noch nie war die Chance für die Menschheit so groß wie heute, sich auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse vom täglichen Überlebenskampf zu befreien und sich verstärkt kulturellen Aufgaben zuzuwenden; noch nie in unsererGeschichtewar aber auch die Gefahr so groß wie heute, die Menschheit auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse so radikal zu vernichten, daß jedes weitere Leben auf dem Planeten Erde in Frage gestellt scheint.388
Vom P.E.N.-Zentrum DDR kam eine rasche, durchweg positive Stellungnahme; man war bereit, die Resolution zu unterstützen. Kamnitzer gefiel der Resolutionsentwurf: Er läßt aus, was die verschiedenenAnsichten nicht zu einer Übereinstimmungveranlassen könnten und faßt zusammen, worin wir uns einig sind. Ein Zusatzvorschlagscheint mir jedoch wichtig zu sein: Wir befürworten als Sofortmaßnahme den Verzicht auf den atomaren Erstschlag und ein Einfrieren (Freeze) der Rüstungen. Vielleicht könnte man diesen Zusatz in den Abschnitt einfügen, der mit der Aufforderung beginnt ›die nukleare Hochrüstung abzubauen‹.389
Das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland beschloss jedoch, den Ergänzungsantrag des DDR-P.E.N. zunächst nicht einzuarbeiten und
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Entwurf einer Resolution für den 47. P.E.N.-Kongress in Tokio. Vgl. Gert E. Hoffmann und Angelika Mechtel an P.E.N. Bulgarien/P.E.N. DDR/P.E.N. Island/P.E.N. Japan/P.E.N. Niederlande/P.E.N. Schweden/P.E.N. Senegal/P.E.N. USA (New York) [1. 12. 1983]. Anhang. SAdK Berlin, NL Ingeborg Drewitz Korr. PEN 1975–1986. Heinz Kamnitzer an Gert E. Hoffmann und Angelika Mechtel [12. 12. 1983]. SAdK Berlin, NL Ingeborg Drewitz Korr. PEN 1975–1986. 771
dem WfPC die Entscheidung zu überlassen.390 Letztlich brachten die P.E.N.Zentren Bundesrepublik Deutschland, DDR und Schweden die mit dem Erstentwurf übereinstimmende Eingabe vor die internationale Exekutive in Tokio. Der Text war vom WfPC zur Kenntnis genommen und akzeptiert worden. Folgt man einer »Information [des Ministeriums für Staatssicherheit] zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 47. Internationalen PEN-Kongreß im Mai 1984 in Tokio« vom 23. 6. 1984, so war es durch operative Einflußnahme gelungen, im Verlauf einer langwierigen Debatte und Auseinandersetzung mit proamerikanischen Kräften gemeinsam mit dem Vertreter des PEN-Zentrums der BRD, Generalsekretär Hanns Werner Schwarze, und dem Vertreter des schwedischen PEN, Generalsekretär Thomas von Vegesack (operativ bekannt), eine Resolution zur Diskussion zu stellen, die wesentliche Bestandteile der Friedensvorschläge der UdSSR und der anderen Warschauer Vertragsstaaten enthielt.391
Der tätige Anteil der Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland wurde in dieser Darstellung völlig ausgeblendet. Schwarze und Vegesack erscheinen hier als willige Werkzeuge im Sinne des sozialistischen Friedenskampfes. De facto zeigen sich beide aber in ihrer Korrespondenz und ihrem Auftreten auf den internationalen Zusammenkünften als mündige, keineswegs fernlenkbare Individuen, die ihren persönlichen Einschätzungen und Ideen folgten. Vor der Exekutive trat Keisch als Fürsprecher der Resolution hervor; er bemühte sich, den universellen Charakter der Resolution hervorzuheben.392 Gerade dieser wurde aber von Pavel Tigrid (Writers in Exile) scharf kritisiert: »[N]o-one present could vote against this resolution because it was generous as well as general, all-embracing as well as shallow, full of wisdom and studded with cliches. These characteristics gave it its weakness as well as its strength.«393 Tigrid forderte die Auseinandersetzung mit den Ursachen, nicht den Konsequenzen der weltpolitischen Krisensituation. Auch von anderen Delegierten wurde die breite Anlage der Resolution kritisch gesehen; man erwartete lediglich eine geringe bis gar keine Wirkung. Kritisiert wurden Länge und daraus resultierende mangelhafte mediale Verwertbarkeit des Textes. Änderungsanträge wurden formuliert, diskutiert, verworfen. Zustimmung gab es indes vom internationalen P.E.N.Präsidenten Wästberg und seinem Generalsekretär Blokh. Erfolgreich abgestimmt wurde schließlich über einen Verbesserungsvorschlag, den das englische 390
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Vgl. Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland am 8./9. 2. 1984 [23. 4. 1984; erstellt von Christa Scharf]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Informationzu operativinteressierendenFragenim Zusammenhang mit dem 47. Internationalen PEN-Kongreß im Mai 1984 in Tokio [23. 6. 1984]. BStU, MfS, HA XX, AKG II, Nr. 524, Bl. 149–156, hier Bl. 153. Enthalten auch in BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 557–564. Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Tokyo on 15th , 16th and 17th May, 1984, S. 32. P.E.N.-Archiv London. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Tokyo on 15th , 16th and 17th May, 1984, S. 32. P.E.N.-Archiv London.
P.E.N.-Zentrum eingebracht hatte.394 Zufrieden schienen schließlich alle, einschließlich der deutschen P.E.N.-Sektionen. Hanns Werner Schwarze wertete das Ergebnis – auch im Hinblick auf das Verhältnis der deutschen P.E.N.-Zentren – durchweg positiv: Doch wenn Hunderte von Schriftstellern aus über vierzig Staaten die Mächtigen dieser Welt auffordern, die Produktion von Nuklearwaffen zu stoppen, wenn sie fordern,dass bakteriologische und Giftgaswaffen geächtet werden, wenn fast tausend Schriftsteller aus aller Welt sich verpflichten für Völkerverständigung einzutreten, die Kriegsgefahr immer wieder beim Namen zu nennen und alles zu tun, um die nächste Generationzum Frieden zu erziehen, dann muss man das nicht nur als schöne Worte abtun, sondern kann es zumindest teilweiseauch als Selbstverpflichtung ansehen, die Langzeitwirkung haben kann. Es ist wohl nicht unwichtig, dass diese wichtigsteEntschliessungin Japan, nicht weit von Hiroshima und Nagasaki, angenommen wurde, und dass die Initiative dazu von drei Delegationen ausging: Von uns (Angelika Mechtel, Gerd Hoffmann), von der DDR und vom neutralen Schweden. Vielleicht sollte dazu gesagt werden, dass es zwischen den beiden deutschen Zentren auch in Tokio jenes vernünftige Miteinander gab, was zwischen den Regierenden noch nicht funktioniert. Es ist – so meine Bewertung – ohnehin besserer Stil, vor der eigenen Türe zu kehren.395
Für Keisch gab es höchstes Lob aus dem Ministerium für Kultur, Abteilung Internationale Beziehungen. Man schätzte sein »großes Engagement bei der Propagierung und Realisierung der politischen und kulturpolitischen Prinzipien unserer Republik« und war von der Wirksamkeit seines Handelns überzeugt: Durch Ihre reichen Erfahrungen, Ihr umfangreiches Wissen und Ihr hervorragendes schriftstellerisches Können haben Sie seit vielen Jahren national und international Beispielhaftes geleistet, um das literarische Schaffen unseres Landes als aktiven Beitrag zum Kampf um die Erhaltung des Friedens wirksam werden zu lassen. Wir schätzen sehr, daß Sie ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten sind, die politischen Aktivitäten des P.E.N. positiv zu beeinflussen.396
Auch die Mitwirkung des P.E.N.-Zentrums DDR an der Institutionalisierung der Kommission »Schriftsteller für den Frieden« wurde lobend anerkannt und um dahingehende Einwirkung gebeten, »die Teilnahme der nationalen Zentren d[ ]er [sozialistischen] Länder an der Arbeit der Kommission zu erhöhen«: »Damit wäre eine breitere Basis für die Verbreitung fortschrittlichen Gedankengutes im P.E.N. gegeben.«397 So wesentlich man offensichtlich die Manipulation internationaler Organisationen im Sinne der DDR-Regierung schätzte, Geld stand 394
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Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Tokyo on 15th , 16th and 17th May, 1984, S. 32–35. P.E.N.-Archiv London. Hanns Werner Schwarze: Impressionen und Ergebnisse des Internationalen P.E.N.Kongresses in Tokio vom 14.–18. Mai 1984 [20. 6. 1984]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. [?] Tautz [Ministerium für Kultur, HA Internationale Beziehungen] an Henryk Keisch [11. 9. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1985– 1987/M/Ministerium für Kultur 3a und b, hier 3a. [?] Tautz [Ministerium für Kultur, HA Internationale Beziehungen] an Henryk Keisch [11. 9. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1985– 1987/M/Ministerium für Kultur 3a und b, hier 3a. 773
aufgrund des wirtschaftlichen Desasters in der DDR für diese Zwecke nicht zur Verfügung: »Was den Jahresbeitrag von 200,- US$ für die Kommission ›Schriftsteller für den Frieden‹ betrifft, ist es leider nicht möglich, diese Summe in den Plan aufzunehmen. Die uns staatlicherseits vorgegebene Gesamtsumme für die Arbeit in internationalen Organisationen gestattet es in keiner Weise, zusätzliche Beitragszahlungen zu realisieren.«398 Die fehlenden Valuten sollten jedoch kein Hinderungsgrund für die ertragreiche Mitarbeit in den internationalen Organisationen sein – ganz im Gegenteil; gefragt war erhöhte Disziplin und Effizienz nach dem Prinzip »Weniger Kosten – mehr Leistung«: In der gegenwärtigen finanziellen Situation erfordern die jährliche Steigerung der Kosten für bereits existierende Mitgliederbeiträge, für Aufenthalt und Reise zu Tagungen der internationalen Organisationen hohes politisches Verantwortungsbewußtsein und strengste Sparsamkeit, um die Mitarbeit in den nichtstaatlichen internationalen Organisationen trotz der sehr begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel in ihrer Effektivität zu steigern.399
Die Fortsetzung der aktiven Mitarbeit im internationalen Gremium WfPC durch das P.E.N.-Zentrum DDR kann anhand des vorhandenen Aktenmaterials nicht bestätigt werden. Weitergeführt wurde hingegen die Zusammenarbeit der deutschen P.E.N.-Zentren in Friedensfragen. Der Bericht des Generalsekretärs Hanns Werner Schwarze, den dieser auf der Jahrestagung des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums im Juli 1984 abgab, versuchte die Grenzen des Verhältnisses zwischen den beiden deutschen P.E.N.Sektionen auszuloten: [D]as Verhältnis ist genauso formal und noch genauso wenig normal wie das Verhältnis der beiden deutschen Staaten, und sicher ist auch von uns P.E.N.-Leuten zu sagen, was für die beiden Regierungen gilt: Man ist im Umgang miteinander etwas natürlicher geworden, etwas weniger verklemmt. […] Unabhängig von der schon geschilderten Kooperationsbereitschaft in Friedensfragen, unabhängig auch von Polemiken, manchmal bösartigen Polemiken einzelner P.E.N.-Mitglieder aus Ost und West, habe ich den Eindruck, daß vor allem Hermlin, aber auch Kamnitzer und Keisch, in Einzelfällen durchaus versuchen, bedrängten Kollegen zu helfen […]. […] Punktuelle Zusammenarbeit bleibt also machbar, wenn man Gegensätze ausklammert, ohne Grundsätze zu verleugnen.400
Schwarze spielte auf zwei Wortmeldungen aus der DDR an, auf die Hans Christoph Buch das Präsidium aufmerksam gemacht und eine deutliche Reaktion gefordert hatte: »Diese Äußerungen von Seiten führender Repräsentanten des DDR-PEN verstoßen gegen Buchstaben und Geist der Charta des Inter398
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[?] Tautz [Ministerium für Kultur, HA Internationale Beziehungen] an Henryk Keisch [11. 9. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1985– 1987/M/Ministerium für Kultur 3a und b, hier 3a und b. [?] Tautz [Ministerium für Kultur, HA Internationale Beziehungen] an Henryk Keisch [11. 9. 1984]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1985– 1987/M/Ministerium für Kultur 3a und b, hier 3b. Hanns Werner Schwarze: Bericht des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschlandauf der Jahrestagung am 6./7. 7. 1984.P.E.N.-Archiv Darmstadt.
nationalen PEN […] und gegen die dort geforderte Fairneß und Toleranz im Umgang miteinander. Ich erwarte deshalb von unserem PEN-Zentrum, daß es derartige Diffamierungen unmißverständlich zurückweist.«401 Konkret wandte sich Buch gegen Heinz Kamnitzer und Stephan Hermlin; beide hatten in der Presse gegen die von Günter Grass organisierten »Flüchtlingsgespräche« polemisiert, die einige Westautoren und eine Reihe ehemaliger DDR-Bürger in WestBerlin zusammengeführt hatten. Beide taten dies in einer Weise, die Anstoß erregen musste. Aus den Bemerkungen, die Kamnitzer und Hermlin verlautbaren ließen, sprach deutlich die lebenslange Verletztheit jener Generation, die aus dem nationalsozialistischen Deutschland geflohen war. Sie begriffen ihre Flucht als erzwungene, unausweichliche Konsequenz zur Rettung ihres Lebens. Eine Gleichsetzung ihres Schicksals mit dem zumeist jüngerer Zeitgenossen, die nun die DDR verließen, schien ihnen unzulässig: »Flüchtlinge damals und Leute von heute, die von hier nach drüben wechselten. Der Unterschied ist so groß wie Leben und Tod. Jene, die einst gejagt wurden aus bösem Grund, waren Kommunisten und Sozialisten, Juden und Christen, die sich gegen den Volksdünkel, den Größenwahn und die Raubkriege wehrten. Deswegen wollte man sie nicht nur einfangen, sondern ausrotten.«402 So empfand auch Hermlin: »Flüchtlinge sind wir. Nur wir, niemand sonst. Nur wir Antifaschisten. Diese Herrschaften sind Ausreiser. Ausreiser mit Sack und Pack, bei hellichtem Tage, mit schönen Papieren, auf eigene Veranlassung und oft mit freundlicher Verabschiedung.«403 Dass jene, die die DDR verließen, dies oftmals erst nach zähem Ringen mit sich selbst in Reaktion auf jahrelange Restriktionen, Berufsbehinderungen, Verhöre, Bespitzelungen, Inhaftierungen und andere Schikanen hin taten, blendeten beide aus. Das Verlassen der DDR begriff insbesondere Hermlin als Verrat an der gemeinsamen Sache. Er wertete das Gespräch zwischen den DDR»Dissidenten« und den bundesdeutschen Autoren als »Aktion des kalten Krieges«; als Hemmnis des mühsam in Gang gekommenen Friedensprozesses; als direkte Kampfansage gegen die DDR: Denn denen kommt es ja nicht auf den Frieden an. Das haben sie von Anfang an sehr deutlich gemacht. Ich dagegen habe immer den Standpunkt vertreten:Wer den Frieden will, ist dazu verdammt, mit der anderen Seite zu verhandeln,zu reden usw. Es ist völlig uninteressant, mit sich selber Frieden zu machen, das heißt, mit den Leuten Frieden zu machen, die sowieso so denken wie man selber denkt. Das ist das Einfachste von der Welt. […] Diese Leute werden einmal mit Stolz, einem sehr zweifelhaften Stolz, sagen können, daß sie der gesamten Entwicklung entgegengearbeitet haben. Was diese Leute letzten Endes wollen, das ist zwar schwer zu sagen, aber sie werden auch selbst noch genötigt sein, es zu sagen: Sie wollen die DDR weghaben, eliminieren.404 401
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Hans Christoph Buch an Hanns Werner Schwarze [30. 5. 1984]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Heinz Kamnitzer: Flüchtlingsgespräche. In: Die Weltbühne 10 (6. 3. 1954), S. 303. UZ-Interview mit Stephan Hermlin: »… denen kommt es ja nicht auf den Frieden an«. In: Unsere Zeit vom 23. 4. 1984. UZ-Interview mit Stephan Hermlin: »… denen kommt es ja nicht auf den Frieden an«. In: Unsere Zeit vom 23. 4. 1984. 775
Im Präsidium des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums hatte man sich trotz der harschen Angriffe auf die P.E.N.-Mitglieder unter den Teilnehmern an der Tagung »Flüchtlingsgespräche«, darunter Günter Grass, Erich Loest, Hans Joachim Schädlich und Hans Christoph Buch, entschieden, den Vorgang auf der Jahresversammlung nicht mehr zu diskutieren und auch keine öffentliche Stellungnahme mehr abzugeben: »Es sollte kein Präzedenzfall für solche Stellungnahmen geschaffen werden, da sich die Angegriffenen grundsätzlich persönlich gegen Diffamierungen wehren sollten.«405 In der Beziehung zwischen den deutschen P.E.N.-Zentren dominierte, zumal von bundesdeutscher Seite, der Wunsch, »miteinander im Gespräch zu bleiben«406 . Aus diesem Bemühen heraus unterstützte das bundesdeutsche P.E.N.Zentrum eine Resolution zum »40. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus«, die der DDR-P.E.N. der Londoner Exekutive im November 1984 vorlegte.407 Mit entschiedener Mehrheit bei zwei Enthaltungen hatten die Delegierten die folgende Verlautbarung angenommen, die auch vom WfPC einstimmig gebilligt worden war: Wir rufen alle Schriftsteller auf, 1985 als Gedenkjahr des Friedens und der Befreiung zu begehen. 40 Jahre zuvor wurde das Ungeheuer der Menschheit von den Alliierten Armeen und dem Triumph der Widerstandsbewegung zur Strecke gebracht. Dadurch wurde es möglich, daß die Menschenrechte auf den europäischen Kontinent und in viele Länder Asiens zurückkehren konnten. Vereinigungen, wie auch der Internationale P.E.N., konnten ihre Arbeit dort ebenfalls wieder aufnehmen und ihre Botschaft verbreiten von der Verständigung zwischen den Menschen und den Nationen, von der rassischen und ethnischen Gleichberechtigung und von einer Welt ohne Krieg. Heute, da die Wolken wieder dunkler werden, dürfen wir um so weniger vergessen, daß in dem gleichenJahr der atomare Terrorismusbegann. Um so mehr Grund, alle Schriftsteller, wo immer sie leben, zu beschwören, nicht ihre Gegensätze überzubetonen, sondern der Übereinstimmung den Vorrang zu geben, da unsere Überlebenschance nun wortwörtlich eine Frage von Leben und Tod gewordenist. Frieden mag nicht alles sein, aber alles ist nichts ohne den Frieden.408
Auch die bundesdeutschen Delegierten, Ingeborg Drewitz und Helmut Hirsch, hatten in London dieser Resolution zugestimmt. Kritik an dieser Entscheidung meldete das bundesdeutsche P.E.N.-Mitglied Alfred Grosser an. Er empfand die
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Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung [des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland] am 5. 7. 1984 [o. D.]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Ingeborg Drewitz an Alfred Grosser. Zitiert nach Hanns Werner Schwarze: 11. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [20. 5. 1985]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. hierzu Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN, S. 479–481. Abgedrucktin Heinz Kamnitzer: LondonerRechenschaft.In: Sinn und Form 4 (1985), S. 798–816, hier S. 803f. Zitiert auch in: Information zu operativen Fragen und Problemen im Zusammenhang mit dem 48. P.E.N.-Kongreß im November 1984 in London/Großbritannien [29. 1. 1985]. BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 264–270, hier Bl. 270. Vgl. auch den englischen Text in den Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in London on November 3 and 4, 1984, S. 16f. P.E.N.-Archiv London.
Zustimmung als »nicht vertretbar«; man hätte aus seiner Sicht gut daran getan, sich der Stimme zu enthalten: Und dies aus Respekt für die 17 Millionen Landsleute in der DDR, die 40 Jahre nach der Befreiung immer noch nicht in Besitz jener Grundfreiheiten sind, die nur von solchen Leuten als ›formell‹ oder ›bürgerlich‹bezeichnetwerden,die sie nie verlorenhaben oder von ihrer Abwesenheit profitieren. Die Londoner Erklärung erwähnt überhaupt nicht den Begriff der Freiheit in Bezug auf die vierzig Nachkriegsjahre. […] Ich sehe keinen Widerspruch zwischen der Betrachtung des 8. Mai als Befreiung, als Ende der Terror-Herrschaft,und dem Bedauerndarüber,daß einer der Sieger den Befreitendann die Freiheit gleich wegnahm. Wer dies beiseite läßt, sei es im Namen des Friedens, zeigt sich verständnislos für Leute meiner Art, die nach Kriegsende nach Deutschland kamen aus einem Gefühl der Mitverantwortung für eine freiheitlich-demokratische Zukunft.409
In einem Antwortbrief an Grosser verteidigte Drewitz entschieden ihre Zustimmung zur Resolution des DDR-P.E.N.; sie hob ihre tiefe Überzeugung von der historischen Vertretbarkeit des Textes hervor und wies den Vorwurf einer Bejahung aus übersteigertem Harmoniestreben entschieden zurück. Der deutliche Hinweis auf die Bedrohung durch die atomare Aufrüstung in Europa erschien Drewitz als zentrales und wichtigstes Element der Resolution: Wir haben uns also nicht etwa aus Kompromißbereitschaftoder aus dem Bedürfnis,vor dem internationalen Gremium deutsch-deutsche Freundschaft zu demonstrieren, der Zustimmung angeschlossen, sondern aus dem Respekt vor der gemeinsamen Leistung der Siegermächte von 1945 und aus einer […] Einschätzung des atomaren Holocaust, wie sie in der Bundesrepublik seit ihrem Bestehen gewachsen ist und sich bereits in den heftigen Debatten aus Anlaß der Wiederbewaffnung, also mitten im Kalten Krieg, gespiegelt hat. Wir haben, mitten in Europa, allen Anlaß, den atomaren Holocaust zu fürchten und daher auch zu benennen, um ihn als Mittel der Politik zu entschärfen, um das Menschenrecht auf Leben zu verteidigen.410
Die Kontakte zwischen Bundes-P.E.N. und DDR-P.E.N. wurden fortgeführt. Zu Beginn des Jahres 1985 traf Hanns Werner Schwarze mit einer ganzen Reihe von Kollegen des P.E.N.-Zentrums DDR zu einer Unterredung zusammen, darunter Kamnitzer, Keisch und Hermlin sowie weitere Präsidiumsmitglieder. Thematisiert wurden u. a. die »Grenzen und Möglichkeiten eines Kulturabkommens«411 der beiden deutschen Staaten, sowie die Möglichkeit, wechselseitig AutorenLesungen zu veranstalten. Zur Sprache brachte Schwarze auch die Einreiseverbote, die von der DDR-Regierung gegen bundesdeutsche P.E.N.-Mitglieder ver-
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Zuschrift von Alfred Grosser an das P.E.N.-Zentrum Deutschland. Zitiert nach Hanns Werner Schwarze: 11. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [20. 5. 1985], S. 7f. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Ingeborg Drewitz an Alfred Grosser. Zitiert nach Hanns Werner Schwarze: 11. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [20. 5. 1985]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze: 10. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [28. 2. 1985], S. 4. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 777
hängt worden waren, in diesem Fall gegen Yaak Karsunke und Urs Jaeggi.412 In einem späteren Bericht an die Präsidiumsmitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland äußerte Schwarze die »Hoffnung, dass Hermlin und Kamnitzer innerhalb ihrer Möglichkeiten zu helfen versuchen werden.«413 Im Zentrum der Gespräche stand die Anregung des bundesdeutschen P.E.N.Zentrums, eine gemeinsame Entschließung der deutschsprachigen P.E.N.-Zentren zum 8. Mai 1945 auf den Weg zu bringen. Das Interesse auf DDR-Seite war groß. Den Text-Entwurf übernahm Martin Gregor-Dellin. Keisch hatte telefonisch »einige diskutable Aenderungswünsche«414 durchgegeben. Mitte März ging dem P.E.N.-Zentrum Deutschsprachiger Autoren im Ausland mit Sitz in London und dem P.E.N.-Zentrum Österreich der gemeinsame Entwurf beider deutscher Zentren zu. Unter Verweis auf den neutralen Status Österreichs sagten die Wiener P.E.N.-Kollegen ab. Die gemeinsame Entschließung der P.E.N.-Zentren Bundesrepublik Deutschland, Deutsche Demokratische Republik und Deutschsprachiger Autoren im Ausland, die an die »besondere Verpflichtung [erinnerte], die […] aus dem 8. Mai 1945 erwächst«415 , stieß auf ein breites Medienecho. Tageszeitungen in Ost und West druckten die Erklärung, die die Wahrung des Friedens als »erste Aufgabe«416 beschwor, im vollen Wortlaut ab.417 Ein gemeinsames Plädoyer für »Frieden, Abrüstung, Versöhnung und mehr Menschlichkeit«418 war gelungen. Getrübt worden war der gemeinsame Erfolg wieder einmal durch eine Wortmeldung auf der DDR-Seite. Kamnitzer hatte in der Zeitschrift Sinn und Form in einem ungemein pathetischen Artikel über den Londoner Kongress im November 1984 berichtet; dieser war mehr zu einem tendenziösen politischen Pamphlet, denn einem präzisen Bericht über die Londoner Verhandlungen geraten. Kamnitzer äußerte sich darin ausführlich zur weltpolitischen Lage; er attackierte die aktuelle Deutschlandpolitik der Bundesregierung, geißelte die amerikanischen 412
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Vgl. Hanns Werner Schwarze an alle Mitglieder des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [9. 2. 1985]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze an alle Mitglieder des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [9. 2. 1985]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze an alle Mitglieder des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [9. 2. 1985]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Zitiert nach: 8. Mai kann Signal werden. In: Frankfurter Rundschau vom 12. 4. 1985. 8. Mai kann Signal werden. In: Frankfurter Rundschau vom 12. 4. 1985. Vgl. 8. Mai: Nein zu Wettrüsten und Militarisierung des Weltraums. Gemeinsame Erklärung der P.E.N.-Zentren der BRD, der DDR sowie der Deutschsprachigen Autoren im Ausland. In: Neues Deutschland vom 12. 4. 1985; Deutsche Autoren mahnen zum Frieden. Gemeinsame Erklärung der PEN-Zentren aus Ost und West zum 8. Mai. In: SüddeutscheZeitung 85 (12. 4. 1985),S. 8; »Dem Wahnsinn des WettrüstensEinhalt gebieten«. P.E.N.-Erklärung deutschsprachiger Autoren zum 8. Mai. In: die tageszeitung 1583 (12. 4. 1985), S. 4; 8. Mai kann Signal werden. In: Frankfurter Rundschau vom 12. 4. 1985. Zitiert nach: Deutsche Autoren mahnen zum Frieden. Gemeinsame Erklärung der PEN-Zentren aus Ost und West zum 8. Mai. In: Süddeutsche Zeitung 85 (12. 4. 1985), S. 8.
Aufrüstungsbestrebungen und hob die UdSSR in ihrer Rolle als gescheiterter Vermittler im Wettstreit der Atommächte hervor.419 Die Delegierten des bundesdeutschen P.E.N. fühlten sich persönlich angegriffen. Ingeborg Drewitz äußerte sich empört: Kamnitzer geht »mit uns als Unpersonen um – spricht vom Chefdelegierten (wir pflegen solche Bezeichnungen nicht öffentlich anzuwenden!)«420 ; zudem »weiß er, daß der bundesdeutsche P.E.N. sich mit Deckung der Mehrheit seiner Mitglieder kritisch gegenüber der Politik der derzeitigen Bundesrepublik verhält, er prügelt also die Falschen«421 . Drewitz empfahl trotz aller Entrüstung, sich einer Wortmeldung zu Kamnitzers provozierenden Äußerungen zu enthalten: Ich bin der Meinung, wenn wir antworten würden und n i c h t nach den Behinderungspraxen für Schriftsteller in der DDR fragen würden, machten wir uns zu kuschenden Lügnern. W i r als PEN BRD haben das Feindbild nicht aufgebaut. W i r k ö n n e n uns gar nicht in einem Brief an Kamnitzer dazu äußern, da er uns ja nicht anspricht. Ich halte es auch nicht für gut, irgendwo einen polemischen Artikel als Antwort zu veröffentlichen,der wieder nur die alten PEN-PEN-Querelen hochbringenwürde.Solange ich mit Kamnitzer verhandelt habe (fast die 70er Jahre hindurch) hat er immer darauf bestanden, den PEN als Instrumentarium für literarischen und kulturellen Austausch zu benutzen. Nun bricht er sein Konzept selbst entzwei. W I R sollten ihn dabei nicht unterstützen. Auch Schweigen ist eine politische Handlung.422
Die Führungsspitze des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland entschied schließlich, offiziell nicht auf Kamnitzers Anwürfe zu reagieren. Beschritten werden sollte der Weg mündlicher Übermittlung.423 Auf der Jahrestagung des bundesdeutschen P.E.N. im September 1985 kam Kamnitzers Artikel nicht zur Sprache. Die zaghafte Annäherung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren, die erste Verhandlungserfolge erbracht hatte, wollten die bundesdeutschen Vertreter nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. So vermerkte Schwarze in seinem Bericht zum Verhältnis der deutschen Sektionen: Es hat »Fortschritte auf dem Wege zur Normalisierung gemacht. Er habe den Eindruck, dass die DDR-Kollegen den ihnen möglichen Spielraum für die gemeinsamen Aufgaben des P.E.N. nutzten, dass sie beweglicher, kompromiss- und hilfsbereiter geworden seien«424 . Von bundesdeutscher Seite schöpften die Verantwortlichen Hoffnungen auf eine kooperative Haltung der DDR-Vertreter. Diese gründete sich wohl nicht zuletzt auf einen 419 420
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Vgl. Kamnitzer: Londoner Rechenschaft. Ingeborg Drewitz an Martin Gregor-Dellin, Hanns Werner Schwarze und Helmut Hirsch [24. 7. 1985]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Ingeborg Drewitz an Martin Gregor-Dellin, Hanns Werner Schwarze und Helmut Hirsch [24. 7. 1985]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Ingeborg Drewitz an Martin Gregor-Dellin, Hanns Werner Schwarze und Helmut Hirsch [24. 7. 1985]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Hanns Werner Schwarze an die Mitglieder des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [9. 8. 1985]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze: Anlage, betr. Jahresversammlung in Saarbrücken (September 1985), zum 13. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [20. 12. 1985], S. 6. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 779
personellen Wechsel im Präsidium des DDR-P.E.N., die das langjährige Führungsduo Kamnitzer – Keisch entzweite und nachhaltige Veränderungen bringen sollte.
8.2
Ein neuer Generalsekretär – Eine Chance, die Erstarrung zu überwinden? (1985–1989)
8.2.1 Das P.E.N.-Zentrum unter Walter Kaufmann im Inneren der DDR Das P.E.N.-Zentrum DDR hatte Mitte des Jahres 1985 eine einschneidende Veränderung ereilt. Der gesundheitliche Zustand des Generalsekretärs Henryk Keisch hatte sich Ende März 1985 abrupt verschlechtert. In Absprache mit der Abteilung Kultur des ZK der SED war festgelegt worden, dass »bis zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Gen. Keisch die Geschäfte des Generalsekretärs«425 durch Kamnitzer übernommen werden sollten. Keisch konnte, trotz seiner Erkrankung und der klaren kulturpolitischen Direktive, von der Arbeit nicht lassen. Vom Krankenbett aus versuchte er, die Amtsgeschäfte in eigener Regie weiter zu führen. Konkret befasste Keisch sich mit dem Fall Detlev Opitz. Opitz gehörte zu den Autoren der alternativen Literaturszene am Prenzlauer Berg und war zum Opfer jener Zersetzungsmaßnahmen geworden, die von den staatlichen Institutionen angewandt wurden, um oppositionelle Aktivitäten zu unterbinden. Unmittelbar nach seiner Verurteilung im März 1985 vor dem Stadtbezirksgericht Prenzlauer Berg, Berlin und das angrenzende Gebiet auf die Dauer von vier Jahren nicht zu betreten, hatte sich Opitz an den P.E.N. gewandt. Das gegen ihn verhängte Urteil begriff er als »die letzten schritte einer bereits seit jahren andauernden gegen mich gerichteten politik staatlicher stellen, gegen die ich mich ebenfalls seit jahren erfolglos zur wehr setze. um dem verdacht der diffamierung zu entgehen, möchte ich ihnen gern eine aus eingaben, den beantwortungen und protokollnotizen bestehende, etwa 50-seitige dokumentation hierzu zur einsichtnahme überlassen.«426 Wenige Tage später richteten die P.E.N.-Mitglieder Adolf Endler und Heinz Czechowski einen Brief an Kamnitzer und Keisch, in dem sie ihre Sorge um Opitz mitteilten. Bis Anfang April 1985 hatte der P.E.N. weder auf das eine noch das andere Schreiben reagiert. Am 3. April vermeldete Opitz im P.E.N. die Rechtskräftigkeit des Urteils. Daraufhin sah sich Keisch immerhin veranlasst, bei Opitz’ Strafverteidiger, Lothar de Maizière, nachzufragen, der indes wegen seiner Schweigepflicht keine Auskunft erteilte. In der Zwischenzeit hatte Opitz in der Hoffnung auf das Schutzschild »Öffentlichkeit«, sein Schreiben an den P.E.N. weitergeleitet an die bun425
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Vermerk über die gegenwärtige Situation im PEN-Zentrum der DDR [9. 7. 1985]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 140f., hier Bl. 140. Detlev Opitz an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR [14. 3. 1985]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1985–1987/O/Opitz Detlev 10 und 10a, hier 10a.
desdeutsche Presse. Erbost über dieses Vorgehen verfasste Keisch ein Schreiben, das nach bekanntem Muster kompromisslos mit Opitz abrechnete; er teilte ihm mit, dass er in der Kampagne der BRD-Presse als Opfer von behördlicher Willkür und indirekt auch als Opfer der Untätigkeit des P.E.N.-Zentrums DDR erscheine[ ]. […] Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihnen der mehr als fragwürdige Gesamtzusammenhang, in den Sie sich damit stellen, nicht bewußt wäre. Ohne unserem Zentrum, an das Sie sich mit dem Ersuchen gewandt hatten, wir sollten uns für Sie einsetzen, Gelegenheit zu einem Einblick in Ihren Fall zu geben, stellen Sie sich für eine jener zur Genüge bekannten Kampagnen zur Verfügung, deren einziges Ziel es ist, die DDR als ein Land zu verunglimpfen, in dem Schriftsteller, und natürlich vor allem die begabtesten, willkürlichen Schikanen ausgesetzt sind. Vielleicht befriedigt es Ihren Ehrgeiz, auf diesem Umwege ohne jede weitere konkrete Bemühung in die Reihen der angeblich Hochbegabten aufgenommen zu werden. Ich kann Ihnen aber versichern, daß Sie nicht der erste wären, dessen so billig erkaufter Ruhm schon nach allerkürzester Zeit verblaßt ist. Ich kann auch nicht erkennen, daß Ihr Verhalten den Gerichtsinstanzen, die mit Ihrem Fall zu tun haben und darüber mehr wissen, als ich wissen kann, irgendeinen Anlaß geben könnte, ihn nunmehr positiver zu sehen als vorher. Und ich muß auch befürchten, daß eine Demarche zu Ihren Gunsten, wenn wir uns dazu entschlössen, jetzt größere Aussicht auf Erfolg hätte als zuvor.427
Eine Kopie dieses Schreibens hatte Keisch an einen Mitarbeiter der Abteilung Kultur weitergeleitet. So handelte Keisch nicht ohne Wissen der Abteilung Kultur, jedoch in vorauseilendem Gehorsam. Was in der Abteilung Kultur hinsichtlich des Falles Opitz tatsächlich verabredet worden war, bleibt ungewiss. Über Keischs Antwortschreiben dürfte man jedoch nicht glücklich gewesen sein, eignete sich dieses doch hervorragend, den DDR-P.E.N. durch Publikation in der westlichen Presse in Misskredit zu bringen. Dass die Abteilung Kultur ein Agieren »im Widerspruch zu [den getroffenen] Festlegungen und teilweise in Unkenntnis von Zusammenhängen und Absprachen zwischen der Abt. Kultur des ZK der SED und Gen. Kamnitzer« nicht billigte, zeigte die Konsequenz: Es wurde »zwischen der Leiterin der Abt. Kultur des ZK der SED, Genn. Ursula Ragwitz, und Gen. Kamnitzer festgelegt, Gen. Keisch von seiner Funktion aus gesundheitlichen Gründen zu entbinden.«428 Zwar hatte man zuvor noch versucht, Aussprachen mit Keisch zu führen. Dieser hatte sich jedoch vollkommen uneinsichtig gezeigt und musste aus seinem Amt ausscheiden. Ungefragt hinsichtlich dieser Entscheidung blieben zunächst die Mitglieder des Präsidiums. Lediglich Hermlins Ansicht interessierte. Er nahm unter den Präsidiumsmitgliedern offenkundig eine Sonderstellung ein. Das Ausscheiden von Keisch stieß bei Hermlin, der sich in der Vergangenheit heftige verbale Gefechte mit Keisch geliefert hatte, erwartungsgemäß auf Zustimmung. Laut Informationen des Ministeriums für Staatssicherheit hatte Hermlin gemeinsam mit Hermann Kant bereits seit Jahren versucht, eine Ablö427
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Henryk Keisch an Detlev Opitz [9. 4. 1985]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1985–1987/O/Opitz Detlev 5 und 5a. Vermerk über die gegenwärtige Situation im PEN-Zentrum der DDR [9. 7. 1985]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 140f., hier Bl. 140. 781
sung von Keisch zu erreichen: »Die ablehnende Haltung Hermlins und Kants gegenüber Gen. Keisch resultiert aus dessen kompromißloser und konsequenter Haltung gegenüber oppositionellen Kräften im literarischen Bereich.«429 Hermlin erklärte sich mit dem Vorschlag einverstanden, einem Redakteur des Neuen Deutschland, Gerhard Leo, das Amt zu übertragen. Ein Gespräch wurde von Kamnitzer und Hermlin mit Leo geführt, allerdings ohne greifbares Ergebnis. Schon Mitte April 1985 war Keischs Ausscheiden beschlossene Sache und Walter Kaufmann hatte, mindestens zum Teil, administrative Aufgaben im P.E.N.Sekretariat in der Nachfolge Keisch übernommen; er kümmerte sich beim Ministerium für Kultur um die Gewährung einer Ehrenpension für Keisch,430 die dieser als angemessene Entschädigung für seine geleistete Arbeit billigte: »Ich würde sie […] ohne schlechtes Gewissen annehmen, weil ich sie durchaus als gerechtfertigte Anerkennung vieljähriger Tätigkeit in gesellschaftlichen Funktionen betrachten dürfte, in denen ich mein Bestes gegeben und denen ich manchen eigenen Autorenehrgeiz geopfert habe. Den Wortbestandteil ›Ehre‹ in ›Ehrenpension‹ finde ich als mindestens gleichgewichtig mit dem Wortteil ›Pension‹.«431 Mitte Juni 1985 teilte die Leiterin der Abteilung Arbeitsökonomie und -rechte der Hauptabteilung Planung und Finanzen im Ministerium für Kultur, Spaeth, die Bewilligung einer Ehrenpension mit Wirkung ab 1. Januar 1986 mit.432 Anfang Juli 1985 trat das P.E.N.-Präsidium zusammen – ohne Keisch. Die Aufgabe der Präsidiumsmitglieder bestand darin, die auf politischer Ebene längst entschiedene Entlassung Keischs als internes Gremium des P.E.N. zu bestätigen und ihm »für seine langjährige Arbeit zu danken«433 . Obgleich Keisch schon Mitte April mit seiner Entlassung konfrontiert worden war, fiel ihm der Abschied vom P.E.N. nicht leicht. Im August 1985 vermeldete Kamnitzer an Ragwitz, dass ein Schreiben von »Henryk Keisch […] seine Tätigkeit als Generalsekretär eindeutig auch von ihm als beendet erklärt und auf seinen Wunsch an [die] Mitglieder bekannt gegeben worden«434 war. Wenig ehrenhaft hatte Keisch sein Ausscheiden aus dem P.E.N. empfunden; er fühlte sich vom Präsidium hintergangen: 429
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Vermerk über die gegenwärtige Situation im PEN-Zentrum der DDR [9. 7. 1985]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 140f., hier Bl. 140. Walter Kaufmann an [?] Pinckvos [Ministerium für Kultur, Abteilung Arbeitsökonomie und Rechte] [28. 4. 1985]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz 1985–1987/K/Keisch Henryk 6. Henryk Keisch an Walter Kaufmann [18. 4. 1985]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz 1985–1987/K/Keisch Henryk 6a. [?] Spaeth [Leiterin der Abteilung Arbeitsökonomie und Rechte, HA Planung und Finanzen, Ministerium für Kultur] an Walter Kaufmann [17. 6. 1985]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz 1985–1987/K/Keisch Henryk 5. Vermerk über die gegenwärtige Situation im PEN-Zentrum der DDR [9. 7. 1985]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 140f., hier Bl. 141. Heinz Kamnitzer an Ursula Ragwitz [Leiterinder Abteilung Kultur beim ZK der SED] [26. 8. 1985]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz 1985–1987/Z/ZK der SED 8.
[E]ine […] über eine formelhafteMitteilung hinausgehendeBekundung durch das Gremium, von dem es am ehesten zu erwarten gewesenwäre, nämlich unser Präsidium, [ist] nicht erfolgt […]. Mehr noch als um meinetwillen verletztmich diese schnöde Undankbarkeit wegen des erschreckenden Mangels an Anstand und Lebensart, von dem sie zeugt (und der sich auch darin äußerte, daß man an jenem 2. Juli, wie mir mitgeteilt wurde, einen mich betreffendenBericht in meiner Abwesenheit entgegennahm und ›billigt‹ ohne daß ich Gelegenheit gehabt hätte, meine Sicht der Dinge darzustellen).435
Das Neue Deutschland meldete Kaufmanns offizielle Berufung ins Amt des Generalsekretärs erst im September 1985.436 Dass Kamnitzer bzw. das Präsidium nur in Absprache mit der Abteilung Kultur des ZK der SED über die Besetzung dieser Schlüsselposition entscheiden konnte, ist sicher. Die Idee, Kaufmann mit dem Amt des Generalsekretärs zu betrauen, bot sich aus Sicht des P.E.N. jedenfalls an. Als Revisionsbeauftragter des P.E.N. war er mit den internen Vorgängen bereits bestens vertraut, hatte den DDR-P.E.N. schon auf internationalen Tagungen vertreten und konnte so reibungslos die Amtsgeschäfte aufnehmen. Eine offizielle Bestätigung von Kaufmann durch eine Generalversammlung gab es zunächst nicht. Erst im Februar 1987 trat der DDRP.E.N. wieder zu einer Tagung zusammen und bestätigte Kaufmann als Generalsekretär.437 Kaufmann selbst nahm an, dass es sich bei der Besetzung des Postens mit seiner Person um einen Irrtum gehandelt haben müsse: »Ich glaube, es war sowieso ein Fehlentscheid, oder ein Kurzschluß, daß ich es überhaupt zum Generalsekretär gebracht habe. Irgend jemand muß gedacht haben, daß ich in der Partei wäre, denn später war es offensichtlich ein Schock für die Ragwitz in der ZK-Abteilung der SED. Aber, als sie das erfuhr, war es zu spät. Ich war nominiert und gewählt worden.«438 Walter Kaufmann war nicht nur kein Mitglied der SED,439 er besaß zudem einen australischen Pass und war Mitglied der KP Australien.440 Seine bewegte Biographie sei an dieser Stelle kurz vorgestellt: 1924 in Berlin geboren, wurde Kaufmann von seiner arbeitslosen Mutter in die Pflegschaft einer jüdischen Familie nach Duisburg gegeben. Als die jüdischen Pflegeeltern 1938 in der »Reichskristallnacht« verhaftet wurden, flüchtete Kaufmann über die Niederlande nach Großbritannien. 1940 wurde er schließ435
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Henryk Keisch an Walter Kaufmann [9. 10. 1985]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz 1985–1987/K/Keisch Henryk 13. Vgl. [o. V.]: Walter Kaufmann zum Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums der DDR gewählt. In: Neues Deutschland vom 11. 9. 1985, S. 4. Vgl. weiterhin Walter Kaufmann: Tätigkeitsbericht.P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 3. Vgl. Protokoll über die Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR [am 25. 2. 1987] [6. 3. 1987; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Februar 1987 Berlin/Protokoll 1–11, hier 11. Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. Vgl. etwa die Liste der Parteimitglieder im P.E.N.-Zentrum DDR, die in Vorbereitung der Generalversammlung 1987 erstellt worden war. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Februar 1987 Berlin/Einladung/Liste 1 und 2. Vgl. Vorschlag für die Zusammensetzung des neuen Präsidiums des P.E.N.-Zentrums DDR. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Vorlage 3. 783
lich nach Australien evakuiert. Erst 1955 kehrte er nach Europa zurück und ließ sich schließlich in der DDR nieder, wo er zunächst als Seemann, dann als freier Schriftsteller arbeitete. Der Schauspieler Manfred Krug war ein Freund Kaufmanns; er schreibt über ihn: [Kaufmann] spricht noch heute den niederrheinischen Anklang, heimatlicheLaute aus dem Mund eines Australiers. Aber er schreibt in englischer Sprache. Er war Matrose, Anstreicher, Landstreicher, nur Goldwäscher war er nicht. Solche Leute werden oft Schriftsteller, weil sie hoffen, die Abenteuer ihres Lebens würden für viele dicke Bände reichen. Noch heute [1977] muß Walter herumfahren und Geschichten sammeln. Er kann nur Geschichten schreiben, die er irgendwo gesammelt hat. Außer daß er ein bißchen sparsam ist, ist er ein prima Kerl. Er besitzt einen australischen Paß, etwas Kostbareres kann man nicht besitzen, wenn man in der DDR lebt.441
Mit Walter Kaufmann als Generalsekretär war man, offenbar unbeabsichtigt, in eine besondere Situation eingetreten. Der Kontakt zwischen Kaufmann und dem ZK der SED war nach eigenen Aussagen nur ganz gering, in meinen Fall von dem Moment an, als die Ragwitz erfuhr, daß ich nicht Mitglied der SED sei. Ich wurde nicht mehr zu den von ihr einberufenen Versammlungen eingeladen und sie siezte mich von einem Tag zum anderen wieder. Ich bin nur ein einziges Mal [bei ihr] gewesen und habe schon eine kräftige Einflußnahme gespürt. Der Mann, der vom ZK zu uns kam, war ein sehr bescheidener und zugänglicher Mensch, der uns wenig eingeredet hat und mit dem man auch ganz offen und verständnisvollredenkonnte und der ging dann wieder seiner Wege und gab uns grünes Licht für unsere Arbeit.442
Tatsächlich lassen sich im Archiv des P.E.N.-Zentrums DDR kaum Korrespondenzen zwischen Kaufmann und der Abteilung Kultur beim ZK der SED auffinden. Auch in den Akten des ZK der SED gibt es ab 1981 kaum mehr Material. Dafür kann es verschiedene Erklärungen geben: Die Anleitung des P.E.N.Zentrums DDR durch die Abteilung Kultur wurde weitgehend über undokumentierte persönliche Zusammentreffen und Telefonate geregelt; die persönliche Kontaktaufnahme konzentrierte sich auf Kamnitzer; das Interesse der Abteilung Kultur am P.E.N.-Zentrum DDR war rapide abgesunken, wie es sich Anfang der achtziger Jahre schon während Keischs Amtstätigkeit abzeichnete. Für ein funktionierendes P.E.N.-Zentrum war der Kontakt zur Abteilung Kultur indes unerlässlich: »Unbedingt, denn ohne das ZK war überhaupt nichts möglich. Es ging darum, Gelder locker zu machen, Visa zu bekommen. Ohne die Hilfe der Kulturabteilung des ZK wären wir ohne finanzielle Basis gewesen, denn die hatten doch die Devisen. Nur über diese Abteilung konnten wir die Mitgliedschaft im internationalen PEN bezahlen.«443 Gleichwohl veränderte sich die Arbeit des P.E.N.-Zentrums DDR nach Walter Kaufmanns Einsetzung in mancherlei Hinsicht ganz eindeutig. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass sich unmittelbar nach der Übernahme des Generalsekretariats durch Kaufmann das Inter441 442 443
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Krug, S. 156f. Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995.
esse des Ministeriums für Staatssicherheit regte: »In dieser Funktion macht sich die Herstellung eines offiziellen Kontaktes durch Hauptabteilung XX/7 erforderlich.«444 Die Kontaktaufnahme mit Kaufmann war, so zeigen es die Akten, wenig ertragreich. Vereinzelt hatte Kaufmann, wohl kalkuliert, Informationen über die Arbeit des WiPC weitergegeben. Nach eingehender Prüfung der Akten scheint es sachlich gerechtfertigt, der nachträglichen Darstellung von Kaufmann zu folgen: Während die Kontaktaufnahme der Stasi zu mir in den frühen sechziger Jahren bis hin zu meiner Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit richtig dargestellt wurde, vermisse ich die Tatsache, daß ich auch als Generalsekretär des PEN Zentrums der DDR die Zusammenarbeit verweigerte. Ich wurde deswegen beim Präsidenten des PEN Prof. Kamnitzer vorstellig, der mir die Entscheidung überließ, ging danach zur Kulturabteilung des ZK der SED und beschwertemich bei Ursula Ragwitz über das Ansinnen der Stasi, mich zum Informanten zu machen. Frau Ragwitz paßte das nicht, aber sie intervenierte […]. Zuträgerei ist mir zuwider. Ich betone, daß es mir ein Anliegen war, dem Stasi Major [Rolf] Pönig über die Bemühungen des Internationalen PEN für inhaftierte Schriftsteller Bescheid zu geben und ihm Material zur Verfügung zu stellen, das nicht nur öffentlich war, sondern größtmögliche Öffentlichkeit erlangen sollte. Mehr bekam der Mann nie von mir. Er war kein Gesprächspartner und mir suspekt. Seine Dummheit zeigt sich an der Tatsache, daß er mir ohne mein Wissen den Decknamen Sally gab: das war der Name meines Vaters. Meine Eltern sind beide im Gas umgekommen und nie hätte ich den Namen meines Vaters derart mißbrauchen lassen. Die Akten sind schlecht informiert und eignen sich nicht zur Wahrheitsfindung.445
Walter Kaufmann machte keine Anstalten, das P.E.N.-Zentrum DDR von Grund auf zu reformieren. Es gelang auch mit ihm als Generalsekretär nicht, den DDR-P.E.N. seiner Lethargie zu entreißen. Über die Präsidiumssitzungen in der Zeit zwischen Mitte 1985 und Anfang 1989 existieren keine Protokolle; Zusammenkünfte fanden aber statt. Die Aktivität des Präsidiums konnte angekurbelt werden, zumindest im Zeitraum 1985 bis 1987: Es fanden »11 Zusammenkünfte statt, die jeweils eine Mehrheit der Präsidiumsmitglieder besuchte. […] [Es] lässt sich feststellen, daß die Mehrheit der Präsidiumsmitglieder, den durch ihre Wahl erteilten Auftrag auch tatsächlich angenommen hat.«446 Eine tätige Mitarbeit der Präsidiumsmitglieder am Tagesgeschäft des P.E.N., und sei es nur in Form von Anregungen, Nachfragen oder Ähnlichem, ist allerdings anhand des vorliegenden Quellenmaterials kaum nachweisbar. Auch die Mitglieder des P.E.N. hegten kein besonderes Interesse an dem Club, dem sie zugehörten. Kaufmann attestierte ihnen eine »gewisse Trägheit und Gleichgültigkeit«: »Leute, die nicht im PEN waren, legten größten Wert darauf hineinzukommen. Sobald sie im PEN waren, ließ das Interesse nach. Sobald sie drin waren und merkten, es tut sich 444
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Paul Kienberg [Generalmajor, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX]: Notiz betr. Walter Kaufmann [18. 9. 1985]. BStU, MfS, AIM 6996/91, Bd. 1/1, Bl. 34. Walter Kaufmann: Gegendarstellung [29. 4. 1992]. BStU, MfS, AOP 2642/64, Bd. 1, Bl. 228. Werner Liersch: Revisionsbericht [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Revisionsbericht – Werner Liersch 1. 785
gar nicht viel.«447 Erst Ende der achtziger Jahre lässt sich geringfügig verstärktes Interesse an den Belangen des P.E.N. verzeichnen. Auf eine kritische Nachfrage von Jean Villain, selbst Präsidiumsmitglied, antwortete Kaufmann: »Wir befinden uns in keinem Dornröschenschlaf, es gab nur nichts wesentliches zu berichten.«448 Kritik an Kaufmanns zurückhaltender Einbindung des Präsidiums in die Vorbereitung der Tagesgeschäfte machte das Mitglied Werner Liersch Ende 1988 deutlich: Werter Kollege Kaufmann, die Generalversammlung des P.E.N. stellt innerhalb der Arbeit des Zentrums der DDR das höchste Verständigungsorgan über seine Tätigkeit dar. Entsprechend bedarf ihre Vorbereitung nicht nur ›notfalls‹ und nicht nur zur Zuarbeit zum Referat, sondern in jedem Falle einer Zusammenkunft des Präsidiums als von den Mitgliedern gewählten Leitungsorgans, um dort alle im Zusammenhang mit der abgelaufenen und bestehenden Tätigkeitsperiode stehenden Fragen erörtern zu können.449
Es gab aber auch Präsidiumsmitglieder, die lediglich nominell dem P.E.N.Zentrum DDR dienten; darauf lässt eine Stellungnahme schließen, die das langjährige Präsidiumsmitglied Peter Hacks in Bezug auf die Vorbereitung der Generalversammlung 1989 formulierte; er schien die Situation mit Gleichmut zu ertragen: Lieber Herr Kaufmann, es gab wohl eine Zeit, da PENs Generalversammlungen keine Vereins-Pflicht-Übungen waren, sondern Höhepunkte:gesellige und gelehrte Feste mit Schmaus und gemeinsamen öffentlichen Denken. Aber mir ist klar, dass ich in meinem Stand als Präsidiumsmitglied i. A. (in Abwesenheit) kein Recht habe, gross mitzureden und mich mit Tadel und Vorschlägen wichtig zu machen. Ich beantworte die Frage, die mich betrifft. Ich bin, falls PEN das für richtig hält, bereit, in diesem Ehren-Stand eines Präsidiums i. A. zu verbleiben. Wenn ich es nicht mit besonderem Behagen bin, so stört es mich doch auch nicht besonders: ich habe in der Sache keine eigene Meinung.450
Die Hauptarbeit lastete nach Kaufmanns Amtsübernahme nach wie vor auf Präsident und Generalsekretär. Zwar deutete im Februar 1986 Kamnitzer seinen gesundheitlich bedingten, zeitweiligen Rückzug an und ließ Kaufmann freie Hand: Schon jetzt kann ich nicht mehr mitwirken. […] Unser neuer Generalsekretär kann, aber muß mich nicht konsultieren. Ob jemand ad interim ihm zur Seite stehen soll, können die Mitglieder des Präsidiums entscheiden.
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Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. Walter Kaufmann an Jean Villain [20. 7. 1988]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/V/Villain Jean 1. Werner Liersch an Walter Kaufmann [14. 11. 1988]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/L/Liersch Werner 4. Peter Hacks an Walter Kaufmann [21. 11. 1988]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz 1988–1990/H/Hacks Peter 2.
Auf keinen Fall werde ich in meinem Zustand auf irgendeine Weise in die laufenden Arbeiten ›hineinregieren‹.451
Schon bei der Vorbereitung der Mitgliederversammlung 1987, dem ersten DDRinternen Markstein in Kaufmanns Amtszeit, mischte Kamnitzer jedoch wieder kräftig mit. Gemäß dem stillschweigenden Übereinkommen eines Zweijahres-Rhythmus trat die Mitgliederschaft im Februar 1987 zusammen. Die Organisation der Generalversammlung entsprach im Wesentlichen den üblichen Regularia: Eine Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED wurde verfasst, Ragwitz lud nach einer Liste des P.E.N.-Präsidiums die Parteimitglieder zur üblich gewordenen Vorausversammlung452 ein, zu der Kaufmann nicht geladen wurde. Gleichwohl erscheint der Ablauf der Generalversammlung bemerkenswert. Ein Novum war die Verlesung der P.E.N.-Charta durch Walter Kaufmann zu Beginn der Versammlung. Danach lief zunächst die bekannte Routine ab: Begrüßung, Totenehrung, Referat von Kamnitzer453 , Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs und nachfolgende Aussprache. Schon diese geriet mäßig ertragreich. Zu den Ausführungen von Kamnitzer und Kaufmann mochte sich niemand so recht äußern. Kamnitzer hatte sich in dem ihm eigenen Pathos über die Notwendigkeit des Einsatzes für den Frieden verbreitet, Kaufmann lediglich einige Details von internationalen Exekutivkomitee-Tagungen hervorgehoben, die ohne interne Kenntnisse kaum zu kommentieren waren. Erst beim Eintritt in die Wahlvorgänge kam eine Diskussion in Gang. Unstrittig blieben dabei die Vorschläge zur Wiederwahl des Präsidenten und des bisherigen Präsidiums, sowie die Bestätigung von Walter Kaufmann in seinem Amt als Generalsekretär. Für Unmut sorgte die Praxis des Präsidiums bei der Behandlung der Zuwahlvorschläge. Der in den vorausgegangenen Jahren immer wieder aufgebrochene Diskurs ging in eine neue Runde. Bislang war stets in der Weise vorgegangen worden, dass alle fristgerechten und mit ausreichender Begründung eingereichten Vorschläge der Generalversammlung zur Abstimmung vorgelegt wurden und jeder, der eine Zwei-Drittel-Mehrheit auf sich vereinigen konnte, als neu gewähltes Mitglied galt. Vor der Generalversammlung 1987 waren zahlreiche Vorschläge eingegangen. Vorgeblich wegen der beschränkten Verfügbarkeit von Devisen musste die Zahl der Neu-Mitglieder auf Geheiß der Abteilung Kultur reduziert werden. Die Vorgabe war zunächst sieben; »[d]as Entgegenkommen war so groß, daß die Zahl erweitert wurde auf 11. Dann war[ ] 451
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Heinz Kamnitzer an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR [10. 2. 1986]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1985–1987/K/Kamnitzer Heinz 8. Vgl. Ernst Schumacher an Ursula Ragwitz [11. 2. 1987]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Ernst Schumacher 1 und 1a, hier 1. Zur Liste der Parteimitglieder im P.E.N.-Zentrum DDR vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Februar 1987 Berlin/Einladung/Liste 1 und 2. Vgl. Heinz Kamnitzer: Die Literatur wird durchforscht werden. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/H. Kamnitzer/Referat 1–19. 787
[das Präsidium] in einer Situation, eine Liste durchzugehen und eine Empfehlungsliste herauszuarbeiten.«454 Eine erste Liste mit 15 Vorschlägen455 war von der Abteilung Kultur zurückgewiesen, und eine den Richtlinien entsprechende Kürzung gefordert worden. Auf einer Präsidiumssitzung am 13. Januar 1987 reduzierte man schließlich die ursprüngliche Vorschlagsliste auf 9 Namen. Eine Aktennotiz, die Heinz Kamnitzer einen Tag vor der entscheidenden Präsidiumssitzung verfasst hatte, lässt keinen Zweifel an der parteilichen Vorgabe hinsichtlich der Auswahlkriterien zu.456 Oberstes Kriterium war die zuverlässige Parteilichkeit des Kandidaten: »[N]eue Kandidaten [kommen] nur in Frage […], wenn man ihre Mitarbeit in unserem Sinne erwarten darf und sie auch nicht als tote Seelen nur auf die Ehre aus sind oder auf diese Weise sich einen persönlichen Einfluß im Ausland erwerben wollen.«457 Nach den Streichungen wandte sich Kamnitzer persönlich betroffen an Ursula Ragwitz: »[M]ir tut es immer noch in der Seele weh, daß wir Rudolf Hirsch als Kandidat für die Mitgliedschaft im PEN-Zentrum nicht aufgenommen haben. Sowohl seine Frau Rosemarie Schuder als auch er, werden darüber mehr als betrübt sein. Falls sich seine Zufügung als ein Kandidat doch noch rechtfertigen läßt, wäre ich für eine diesbezügliche Mitteilung dankbar.«458 Ragwitz ließ sich erweichen: Hirsch tauchte auf der endgültigen Vorschlagsliste auf.459 Auch Gisela Kraft wurde nachträglich hinzugefügt. Ihr Pate, Ernst Schumacher, hatte sich auf direktem Wege bei Ragwitz beschwert und nachdrücklich darauf verwiesen, »daß [sie] gerade wegen ihrer Leistung und ihres Engagements für die Literatur ein Recht darauf hat, in den PEN aufgenommen zu werden.«460 Diejenigen, deren Vorschlag nicht berücksichtigt wurde, erhielten von Kaufmann eine entsprechende Information.461 Daraufhin liefen Proteste von mehreren Seiten im P.E.N.-Sekretariat ein, die auch auf der Generalversammlung wiederholt wurden. Jürgen Rennert fühlte sich befremdet wegen der
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Erläuterung von Walter Kaufmann. In: Protokoll über die Generalversammlung des P.E.N.-ZentrumsDDR [am 25. 2. 1987] [6. 3. 1987; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Protokoll 1–11, hier 7. Vgl. Vorschläge für Zuwahlen [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Vorschlag für neue Mitglieder/Liste 2. Vgl. Heinz Kamnitzer: Aktennotiz. Betr. Neuaufnahmen [12. 1. 1987]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Aktennotiz 1. Heinz Kamnitzer: Aktennotiz. Betr. Neuaufnahmen [12. 1. 1987]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Aktennotiz 1. Heinz Kamnitzer an Ursula Ragwitz [29. 1. 1987]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Februar 1987 Berlin/Vorschlag für neue Mitglieder/Ursula Ragwitz – SED 1. Vgl. Vorschlag für die Wahl neuer Mitglieder [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Februar 1987 Berlin/Vorschlag für neue Mitglieder/Liste 1. Ernst Schumacher an Ursula Ragwitz [11. 2. 1987]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Februar 1987 Berlin/Ernst Schumacher 1 und 1a, hier 1a. Vgl. Walter Kaufmann an Rainer Kirsch [3. 2. 1987].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Februar 1987 Berlin/Vorschlag für neue Mitglieder/Rainer Kirsch 1.
Praxis, nach welcher das Präsidium Vorentscheidungen über das dem Plenum vorbehaltene Wahlrecht trifft. Notgedrungen stelle ich fest, daß Sie in Ihrer vorwiegenden Mehrheit zumindest gegen den Geist der ›Charter of International P.E.N.‹ verstoßen haben. Das Plenum des P.E.N.-Zentrums der DDR ist sehr wohl in der Lage, durch die bislang üblich gewesene Form des geheimen und freien Wahlakts über die – wie mir durchaus bekannt ist – in ihrer Gesamtzahl limitierte Zuwahl von Mitgliedern zu bestimmen.462
Zwar akzeptierte man die Notwendigkeit einer nominell begrenzten Aufnahme in das P.E.N.-Zentrum DDR. Eine der Wahl vorausgehende »Siebung« der Kandidatenvorschläge empfand man indes als »keine besonders nützliche und notwendige Sache«463 und forderte demokratische Wahlvoraussetzungen. Friedrich Dieckmann empfahl die frühzeitige Bekanntgabe der Kandidatenliste, um eine »qualifizierte Stimmabgabe«464 , das meint die informelle Vorbereitung der Wahlberechtigten, zu ermöglichen. Rainer Kirsch, dessen Kandidatin Elke Erb zurückgewiesen worden war, forderte, »daß Stimme gleich Stimme ist, und dieses kleine Stückchen Demokratie in unserer kleinen Körperschaft durchgesetzt werden sollte.«465 Kirsch regte mit Nachdruck eine Vorgehensweise an, die sich letztlich für die Mitgliederversammlung 1987 durchsetzen ließ: [E]s wäre vernünftig und aufs leichteste zu bewerkstelligen, alle bis zu einem bestimmten Termin eingegangenen Zuwahl-Vorschläge der Generalversammlung vorzulegen; jeder Stimmberechtigte könnte dann nur eine Höchstzahl von Kandidaten ankreuzen (etwa neun, oder wie viel jeweils der Schlüssel erlaubt); wer von den Kandidaten dann zwei Drittel der Stimmen hat, ist zugewählt. Stimmzettel, auf denen mehr als neun Kandidaten angekreuzt sind, wären ungültig. Natürlich müßte auch der Schlüssel auf irgendeinerGrundlage errechnetwerden, und nicht jeweiligem Dafürhalten überlassen sein.466
Die schriftliche Kritik hatte Kamnitzer vorgewarnt. Eine Auseinandersetzung innerhalb der Generalversammlung war zu erwarten. Beim Internationalen P.E.N. holte er sich im Vorfeld der Generalversammlung Rückendeckung. Die Praxis, durch das Präsidium eine Vorauswahl hinsichtlich der Zuwahlvorschläge treffen zu lassen, war nach internationalem Statut zulässig und in anderen
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Jürgen Rennert an Heinz Kamnitzer [10. 2. 1987]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Februar 1987 Berlin/Vorschlag für neue Mitglieder/Jürgen Rennert 1 und 1a. Wortbeitrag von Rainer Kirsch. In: Protokoll über die Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR [am 25. 2. 1987] [6. 3. 1987; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Protokoll 1–11, hier 6. Friedrich Dieckmann an Walter Kaufmann [9. 2. 1987]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Friedrich Dieckmann 4. Wortbeitrag von Rainer Kirsch. In: Protokoll über die Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR [am 25. 2. 1987] [6. 3. 1987; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Protokoll 1–11, hier 6. Rainer Kirsch an Walter Kaufmann [11. 2. 1987]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Februar 1987 Berlin/Vorschlag für neue Mitglieder/Rainer Kirsch 2 und 2a, hier 2a. 789
nationalen Zentren durchaus üblich.467 Dieses Argument brachte Kamnitzer in der Mitgliederversammlung mehrfach vor. Die Kritik an der Vorgehensweise des Präsidiums verhallte indessen nicht; sie verebbte auch nach der Generalversammlung nicht. Friedrich Dieckmann listete die wesentlichen Punkte noch einmal auf: Was hinderte das Präsidium, sich über den Unterschied zwischen einer Empfehlung von Kandidaten und der Streichung von als unzweckmäßig erachteten Kandidaten von der Wahlliste (das eine ist ein positiv anheim stellender, das andere ein vetohaftprohibitiver Vorgang) […] klarzuwerden und, unbeschadet des Geltendmachens präsidialer Empfehlungen, dementsprechend alle vorgeschlagenen Kandidaten auf die Wahlliste zu setzen? Und warum nicht von vorneherein jene ökonomische Schranke für die Wahl neuer Mitglieder erläutern, die ein einleuchtendes Argument ist? Den Vorschlag, die Namen der Kandidaten den Mitgliedern so rechtzeitig bekanntzugeben, daß jeder sich vorher sachkundig machen kann, habe ich [wiederholt] gemacht; warum läßt man ihn einfach unter den Tisch fallen?468
Kaufmann nahm Dieckmanns kritische Äußerungen ernst und gelobte deren Berücksichtigung vor der nächsten Wahl. In der Generalversammlung hatten die Verantwortlichen dem enormen Druck nachgegeben. Die Vorschlagliste wurde handschriftlich durch die Namen der zuvor Gestrichenen ergänzt und nach dem von Kirsch vorgeschlagenen Prinzip gewählt. Die erforderlichen Stimmen erhielten schließlich Wolfgang Heise, Rudolf Hirsch, Helga Königsdorf, Kito Lorenc, Herbert Otto, Helga Schubert und Gisela Kraft.469 Auch die vielfach kritisierte Wahl des »Oberzensors«, Klaus Höpcke, in das P.E.N.-Zentrum DDR war auf diese Weise erfolgt. Heinz Kamnitzer hatte Klaus Höpcke für die Zuwahl vorgeschlagen und der Triumph über die geglückte Wahl war groß: »Es ist mir ein Bedürfnis, Dir herzlich dafür zu danken, daß Du mich für die ›Zuwahl‹ in den P.E.N. vorgeschlagen hast, und – gewissermaßen – uns gemeinsam zu gratulieren, daß der Vorschlag erfolgreich war. Was in meinen Kräften steht, will ich gern tun, um auch im Rahmen des P.E.N. nun als sein Mitglied für unsere Ziele zu wirken.«470 An dieser Stelle wird in der Tat die »eklatante Mißachtung der internationalen PEN-Charta [überdeutlich], die in Punkt 4 jedes Mitglied verpflichtet, ›jeder Art der Unterdrückung der Äußerungsfreiheit‹ entgegenzutreten, und expressis verbis die ›Zensurwillkür überhaupt‹ verwirft.«471 Nach seinem Amtsantritt hatte Kaufmann sich bemüht, die Präsenz des P.E.N.-Zentrums DDR im eigenen Land zu stärken. So investierte er viel Kraft und Zeit in die Bemühungen, Vortragende für die Clubabende zu gewinnen. Das 467
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Vgl. Heinz Kamnitzer: Aktennotiz [23. 2. 1987]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Februar 1987 Berlin/Aktennotiz 2 und 2a. Friedrich Dieckmann an Heinz Kamnitzer [27. 2. 1987]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Friedrich Dieckmann 1 und 1a, hier 1. Vgl. Vorschlag für die Wahl neuer Mitglieder [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV Februar 1987 Berlin/Vorschlag für neue Mitglieder/Liste 1. Klaus Höpcke an Heinz Kamnitzer [27. 3. 1987]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Generalversammlung Februar 1987 Berlin/Neue Mitglieder/Klaus Höpcke 2. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 802.
schon von Keisch eingeführte kooperative Veranstaltungswesen setzte Kaufmann fort. Partner waren wiederum Schriftstellerverband der DDR, Club der Kulturschaffenden und Kulturbund. Um der stetigen Klage über geringe Beteiligung an den Lesungen, Vorträgen und Aussprachen entgegenzuwirken, brach Kaufmann mit einer ungeschriebenen Regel. Er machte die Veranstaltungen frei zugänglich. Über den daraus resultierenden Erfolg berichtete er Gerhard Wolf: »Du magst es nicht erfahren haben, daß in den vergangenen Jahren all unsere Veranstaltungen sehr gut besucht waren. […] Seit wir in die Öffentlichkeit gegangen sind und die Presse eingeschaltet haben, konnten wir uns über Zulauf nicht beklagen und hatten im Schnitt mehr als 100 Teilnehmer«472 . Gleichwohl gründeten sich die höheren Publikumszahlen nicht auf ein gesteigertes Interesse der eigenen Mitglieder; deren Beteiligung war weiterhin »verhältnismäßig gering«473 . Bis 1988 gelang es Kaufmann, das Angebot von fünf im Jahr 1985 auf neun Veranstaltungen zu steigern. Erst 1989 gab es wieder einen Einbruch hinsichtlich der Veranstaltungszahlen – die innenpolitischen Ereignisse forderten die gesamte Aufmerksamkeit. Neben den Lesungen und Vorträgen von Schriftstellern und Wissenschaftlern aus der DDR verdienen jene Veranstaltungen besondere Hervorhebung, die Raum boten für den Austausch mit Kollegen aus der Bundesrepublik. So reiste Gert von Paczensky an; Wilhelm von Sternburg sprach über Lion Feuchtwanger; Max von der Grün las zur Kindheit und Jugend im Dritten Reich; Einblicke in den Roman Die Bertinis gewährte Ralph Giordano.474 Starkes Interesse bestand an einer Lesung von Günter Gaus im Juni 1987475 – auch von Seiten des Staatssicherheitsdienstes.476 Gaus war durch seine langjährige Tätigkeit als Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin eng vertraut mit dem Leben der Menschen in der DDR. Neben amtlichen Empfängen hatte Günter Gaus in dieser Funktion »Einladungen zu Gesprächen, Lesungen, Vorstellungen und zu Abendessen in engem Kreis« ausgesprochen: »Die da zusammenkamen, waren höchst unterschiedliche Persönlichkeiten, Vertreter des Staatsapparats wie der Kirche, sowie Schriftsteller unterschiedlichster politi472
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Walter Kaufmann an Gerhard Wolf [21. 10. 1988]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/W/Wolf Gerhard 3. Werner Liersch: Revisionsbericht [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV Februar 1987 Berlin/Revisionsbericht – Werner Liersch 1. Vgl. Walter Kaufmann an alle Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR [25. 3. 1986]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Veranstaltungen 1968–1991/An alle Mitglieder 2. Vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Veranstaltungen 1968–1991/Einladungskarten 18, 16 und 13. Vgl. Walter Kaufmann an alle Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR [25. 3. 1986]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Veranstaltungen 1968–1991/An alle Mitglieder 2. Vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/Veranstaltungen 1968–1991/Einladungskarten 18, 16 und 13. Vgl. weiterhin P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 2 PEN-Club/ Veranstaltungen 1968–1991/Einladungskarten 25. Vgl. Information über eine Lesung des ehemaligen BRD-Politikers Günter Gaus am 11. 6. 1987 im Klub der Kulturschaffenden»JohannesR. Becher«in Berlin[12. 6. 1987]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 130–133. 791
scher und literarischer Gruppierungen. Neben Funktionären […] trafen sich hier auch Menschen, die gesellschaftlich ein Nischendasein führten. Wer sich sonst aus dem Weg ging, traf sich hier.«477 Die Ständige Vertretung wurde damit zum »Beobachtungsfeld der Geheimdienste beider Staaten«478 . Im Juni 1987 durfte Gaus nun im P.E.N. aus seinem Buch Die Welt der Westdeutschen lesen. Etwa 65 Personen waren gekommen, darunter Klaus Höpcke, Stephan Hermlin, Hermann Kant und Dieter Noll, aber auch Christa und Gerhard Wolf, die sich weitgehend vom P.E.N. verabschiedet hatten. Die an die Lesung anschließende Diskussion bewegte sich laut Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit um die Frage, welche Entwicklung der SED-Staat in Zukunft nehmen würde. Hermlin zeigte sich optimistisch: »[I]n der DDR wie in der UdSSR [habe] eine ›neues Denken‹ begonnen […]. Das ›neue Denken‹ sei in der DDR zwar noch nicht offiziell wahrnehmbar, werde sich aber unbedingt durchsetzen.«479 Mit dieser positiven Einschätzung stand Hermlin offenbar allein; viele Veranstaltungsteilnehmer sahen ein »neues ›kritisches‹ Selbstverständnis«480 der DDR als unabdinglich für wirkliche Fortschritte an. Gaus selbst wertete schon seine Einladung als ein Zeichen des Wandels: »[N]och vor wenigen Jahren habe er es für unmöglich gehalten, daß er vom PEN-Zentrum zu einer Lesung eingeladen werde. Die Tatsache allein, daß er hier lesen und diskutieren dürfe, spreche für gewisse Veränderungen zum Guten während der letzten 10 Jahre.«481 Die Freiräume wurden tatsächlich größer: Stefan Heym, der seit Jahrzehnten Auseinandersetzungen mit den staatlichen Institutionen geführt hatte, durfte im P.E.N.-Zentrum lesen – 1986 aus den Reden an den Feind, 1988 aus Unveröffentlichtem. Auf Vermittlung von Gerhard Wolf482 kam schließlich im Mai 1989 eine öffentliche Lesung von Jurek Becker zustande, der zu jenen P.E.N.-Mitgliedern zählte, die das Land bereits Ende der siebziger Jahre verlassen hatten. Eine solche Veranstaltung wäre noch in der ersten Hälfte der achtziger Jahre unterbunden worden. Zustande kamen diese Veranstaltungen nach Kaufmanns Erinnerung ohne größere Probleme; er nutzte seinen Kontakt zur Abteilung Kultur des ZK der SED: [I]ch ging hin wegen Ralph Giordano und sagte: laß den hier auftreten, das gebührt uns und er soll das tun. Vergeßt mal, daß er irgendwann mal wegen der Mauer ein 477 478 479
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Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 266. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 266. Information über eine Lesung des ehemaligen BRD-Politikers Günter Gaus am 11. 6. 1987im Klub der Kulturschaffenden»JohannesR. Becher« in Berlin [12. 6. 1987]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 130–133, hier Bl. 132. Information über eine Lesung des ehemaligen BRD-Politikers Günter Gaus am 11. 6. 1987im Klub der Kulturschaffenden»JohannesR. Becher« in Berlin [12. 6. 1987]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 130–133, hier Bl. 132. Information über eine Lesung des ehemaligen BRD-Politikers Günter Gaus am 11. 6. 1987im Klub der Kulturschaffenden»JohannesR. Becher« in Berlin [12. 6. 1987]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 130–133, hier Bl. 133. Vgl. den Briefwechsel zwischen Walter Kaufmann und Gerhard Wolf. P.E.N.-Archiv (Ost) PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/W/Wolf Gerhard 1–4.
Schriftstück verfaßt hat, das Euch nicht gefällt, laßt ihn her. Der Mann hat so viele positive Aspekte, daß wir den nicht draußen vor der Tür lassen können. Und schon war er hier. Oder: es geht nicht, daß ein Stefan Heym keine öffentlichen Auftritte hat. Das wurde dann über den PEN, wenn auch nicht öffentlich, so doch schnell behoben. Weiter als bis zum Sekretär der Ragwitz brauchte ich nicht vorzudringen.483
Über diese relativ rege Veranstaltungstätigkeit ging die Aktivität des P.E.N.Zentrums DDR in den letzten Jahren des SED-Regimes nicht hinaus. Eine P.E.N.-Anthologie war Anfang 1988 durch den Verlag der Nation angeregt worden. Aufgenommen wurde dieser Vorschlag von Kaufmann und dem Präsidium mit Begeisterung. Achim Roscher und Walter Nowojski hatten bereits seit längerem Interesse an einem solchen Projekt bekundet. Letzten Endes kam es nicht zustande.484 Die tief greifenden gesellschaftspolitischen Entwicklungen, die die DDR bis zum Ende der achtziger Jahre durchlief, spiegeln sich im vorhandenen Quellenmaterial kaum wider. Lediglich eine Information des Ministeriums für Staatssicherheit vom Januar 1989 belegt, dass es innerhalb des P.E.N.-Präsidiums sehr wohl Versuche gab, aktuelle kulturpolitische Entwicklungen zu diskutieren. So reagierte der Generalsekretär Kaufmann, angeregt durch Hermann Kant und Stephan Hermlin, auf den im November 1988 durch die Abteilung Kultur im ZK der SED verfügten Auslieferungsstopp der sowjetischen Zeitschrift Sputnik mit der an Kamnitzer gerichteten Bitte, über diesen Vorgang eine Diskussion auf die Tagesordnung des Präsidiums zu setzen. Die Streichung der Zeitschrift Sputnik von der Postzeitungsliste, mit der die Auslieferung missliebiger Blätter gestoppt werden konnte, gehörte in der Endphase der DDR zu jenen administrativen Maßnahmen, die von der Furcht der Machthaber vor Glasnost und Perestroika diktiert worden waren. Die UdSSR war aus Sicht der DDRRegierung längst in den Verdacht geraten, ein gefährlich Andersdenkender zu werden. Die Sorge, das in einer deutschsprachigen Ausgabe erscheinende sowjetische Magazin könne auch die Opposition in der DDR stärken, war groß. Das Verbot rief indes in der DDR Unverständnis und lautstarken Widerspruch hervor. Kaufmanns Vorstoß, über das umstrittene Handeln der kulturpolitischen Funktionäre zu sprechen, traf bei dem linientreuen Kamnitzer auf Widerstand, setzte zugleich aber einen Erkenntnisprozess in Gang: In diesem Gesprächmit Walter KAUFMANN sei Gen. KAMNITZER klar geworden, daß der Einfluß der westlichenMedien auf Intellektuelleder DDR immer stärkerwirke und teilweise regelrecht zu ›verkrusteten‹ feindseligen Haltungen und Auffassungen führe. So haben Kaufmann, Kant und Hermlin in dem Verbot der Zeitschrift ›Sputnik‹ einen antisowjetischen [Vorstoß] der DDR-Führung und gleichzeitig eine ›Entmündigung‹ der DDR-Bürger gesehen, die seitens der Führung der DDR angeblich als ›unfähig, sich eine Meinung bilden zu können‹, betrachtet würden.485 483 484
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Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. Vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Gesondert abgelegte Briefwechsel 1984– 1988/Anthologie 1 und 2. [Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information [19. 1. 1989]. BStU, MfS, AIM 6996/91, Bd. 1/1, Bl. 195f., hier Bl. 195. 793
Der Präsident des P.E.N.-Zentrums DDR war demnach nicht in der Lage, eine kritische Sicht auf die Politik des SED-Regimes zu entwickeln. Kamnitzer versuchte im Gegenteil, jegliche kritische Auseinandersetzung innerhalb seines Machtbereiches zu unterbinden. Mit fragwürdigen Mitteln: Nicht Kamnitzers argumentative Leistung überzeugte Kaufmann, von seinem Vorhaben zurückzutreten, sondern die plumpe Drohung, »von seiner Funktion [als Präsident] zurückzutreten.«486 Ob es weitere, ähnliche Versuche von Kaufmann gab, kulturpolitische Sachverhalte im Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR zur Verhandlung zu bringen, lässt sich nicht nachweisen. Nach Aktenlage wird jedoch deutlich, dass Kaufmanns Engagement für das P.E.N.-Zentrum DDR verstärkt auf das internationale Feld zielte: »Was das literarische Leben in der DDR anbelangte, hatte das ja geringe Bedeutung. Ich bin bis heute der Meinung, daß das der eigentliche Bereich des PEN ist.«487 8.2.2 Ein neuer Auftritt auf der Ebene des Internationalen P.E.N. Bei der Repräsentation des P.E.N.-Zentrums DDR auf internationaler Ebene kam Walter Kaufmann bald nach seiner Amtsübernahme eine tragende Rolle zu. Tatsächlich zog sich Heinz Kamnitzer aus der internationalen P.E.N.-Arbeit mehr und mehr zurück. Kongressbesuche, die mit weiten Flugreisen verbunden waren, hatte der Präsident schon vor 1986 weitestgehend vermieden. Nach Hamburg zum 49. Internationalen P.E.N.-Kongress im Juni 1986 reiste Kamnitzer noch mit, alle folgenden Tagungen und Kongresse musste Kaufmann von da an allein, höchstens in Begleitung eines weiteren Delegierten absolvieren. Finanzielle Engpässe der DDR-Administration spielten dabei höchstwahrscheinlich eine nicht unbedeutende Rolle. Dem Hamburger P.E.N.-Kongress kommt in mehrfacher Hinsicht eine herausragende Bedeutung zu: Schon der Tagungsort in der Bundesrepublik Deutschland verlieh der Veranstaltung aus Perspektive der Mitglieder des DDRP.E.N. eine gewisse Brisanz. Über die Beteiligung am Hamburger Kongress entschied selbstverständlich die Parteizentrale; sie hielt eine demonstrative Präsenz der DDR-Schriftsteller für unerlässlich. Im Protokoll einer Sitzung des Sekretariats des ZK der SED vom 21. 5. 1986 wurde folgende Beschlussfassung festgehalten: 1. Der Teilnahme einer repräsentativen Delegation des P.E.N.-Zentrums DDR von 14 Mitgliedern unter Leitung des Präsidenten des P.E.N.-Zentrums DDR, Genossen Prof. Dr. Heinz Kamnitzer, am 49. Kongreß des Internationalen P.E.N. in Hamburg (BRD) wird zugestimmt. 2. Die Zusammensetzung der Delegation wird zur Kenntnis genommen. […] 3. Die notwendigen finanziellen Mittel in Höhe von 17.500 DM werden von der Hauptkasse des ZK der SED zur Verfügung gestellt. 486
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[Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information [19. 1. 1989]. BStU, MfS, AIM 6996/91, Bd. 1/1, Bl. 195f., hier Bl. 195. Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995.
4. Die parteimäßige Vorbereitung der Delegation des P.E.N.-Zentrums ist durch die Abteilung Kultur des ZK der SED zu gewährleisten. Verantwortlich: Genossin Ursula Ragwitz488
Hinsichtlich der Delegationszusammensetzung hatte es im Vorfeld Aufregung gegeben. In einer dpa-Meldung war Christa Wolf, die sich aus dem P.E.N. seit Ende der siebziger Jahre konsequent zurückgezogen hatte und Distanz zu Partei und Staat wahrte, als offizielle Delegierte der DDR gehandelt worden, obgleich der DDR-P.E.N. noch keinen Vertreter für Hamburg benannt hatte. Nach Rücksprache mit der Parteizentrale wurde von der P.E.N.-Leitung, ergo Kamnitzer, festgelegt, die Nachricht von Christas Wolfs Delegation »als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR«489 zu kritisieren. Von den Verantwortlichen des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland sollte eine Richtigstellung erzwungen werden. Andernfalls sollte mit einer Absage der Teilnahme gedroht werden.490 Dank der besonnenen Diplomatie der West-Vertreter glätteten sich die Wogen jedoch rasch. Als offizielle Delegierte, die an den Tagungen der Exekutive teilnehmen und für die DDR stimmen sollten, wurden schließlich Walter Kaufmann und Rita Schober benannt. Zur Delegation gehörten weiterhin Stephan Hermlin, Günther Deicke, Fritz Rudolf Fries, Volker Braun, Heinz Kahlau, Hermann Kant, Heinz Knobloch, Irmtraud Morgner, Heiner Müller, Günther Rücker und Christa Wolf.491 Irmtraud Morgner sagte die Teilnahme aus persönlichen Gründen ab. Ohne ideologische Vorgaben der Partei durften die DDR-Vertreter nicht in die Bundesrepublik fahren: »Das politische Auftreten der Delegation zum 49. Kongreß des Internationalen PEN-Clubs in Hamburg wird in einer Beratung am 19. 6. 1986 in der Abteilung Kultur des ZK der SED mit den DDR-Teilnehmern festgelegt und abgestimmt.«492 Unbeeinflusst von solchen Indoktrinationen reiste lediglich der ideologische Querdenker Stefan Heym nach Hamburg; er gehörte der von der SED legitimierten Delegation nicht an, nahm jedoch auf persönliche Einladung des bundesdeutschen P.E.N.Zentrums am Kongress teil. Wie stark das Interesse der Staatssicherheit an diesem internationalen Großereignis war, belegt das umfangreiche Aktenmaterial, das sich zum Hamburger Kongress in verschiedenen Konvoluten im Archiv der BStU-Behörde auffinden 488
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Sekretariat des ZK der SED: Anlage Nr. 8 zum Protokoll Nr. 14 vom 21. 5. 1986. SAPMO-BArch DY 30/J IV 2/3 3969, Bl. 28. Information über bevorstehende Gespräche mit der Leitung des PEN-Zentrums DDR mit Vertretern des PEN-Zentrums der BRD [4. 4. 1986]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 127f., hier Bl. 128. Vgl. Information über bevorstehende Gespräche mit der Leitung des PEN-Zentrums DDR mit Vertretern des PEN-Zentrums der BRD [4. 4. 1986]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 127f., hier Bl. 128. Sekretariat des ZK der SED: Anlage Nr. 8 zum Protokoll Nr. 14 vom 21. 5. 1986. SAPMO-BArch DY 30/J IV 2/3 3969, Bl. 29. Information über den bevorstehenden 49. Kongreß des Internationalen PEN-Clubs in Hamburg/BRD [4. 6. 1986]. BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 5, Bl. 29–32, hier Bl. 32. 795
lässt. Die umfangreiche Berichterstattung stand im Zusammenhang mit dem »Plan für die Zusammenarbeit zwischen der Hauptabteilung XX des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und der V. Verwaltung des Komitees für Staatssicherheit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken für den Zeitraum 1986–1990«493 , der von den jeweiligen Abteilungsleitern und den Leitern der staatssicherheitlichen Behörden unterzeichnet worden war. Er knüpfte an bilaterale Kooperationsabkommen an, die bereits 1978 geschlossen worden waren.494 Nach dem Plan von 1986 sollten sich die Hauptabteilung XX des Ministeriums für Staatssicherheit und die V. Verwaltung des KGB »bei der Abwehr der imperialistischen Konfrontationspolitik, der rechtzeitigen Aufdeckung und Vereitelung der subversiven Pläne, Absichten und Aktivitäten des Gegners auf die gemeinsame Lösung [einer Reihe von] Hauptaufgaben«495 konzentrieren. Unter Punkt 1 »Bearbeitung subversiver und anderer operativ bedeutsamer ideologischer Zentren und Organisationen des Gegners sowie bestimmter antisozialistischer Elemente im Operationsgebiet«496 fiel auch der Internationale P.E.N.: Verabredet worden war die Durchführung abgestimmter Maßnahmen zur Aufklärung und vorbeugenden Verhinderung des politischen Mißbrauchs des Internationalen Schriftstellerverbandes ›PENClub‹ und Bearbeitung seines Komitees ›Schriftsteller in Haft‹, des Koordinierungskomitees ›Help and Action‹ und solcher nationaler PEN-Zentren, die oppositionelle Schriftsteller der UdSSR als Ehrenmitglieder führen bzw. die antisowjetische Tätigkeit von Emigranten unterstützen.497
In dieser Hinsicht war vom Hamburger Kongress einiges zu erwarten. Schon im Vorfeld wurden auf der Grundlage der Berichterstattung durch IM »Georg«, d. i. Heinz Kamnitzer, kritische Einschätzungen formuliert und an die »Freunde« weitergeleitet: Das von Ministerium für Staatssicherheit und KGB als »Feindorganisation« kategorisierte WiPC, das stets auch die drangsalierten und inhaftierten Autoren in den sozialistischen Staaten benannte, blickte in diesem Jahr auf 25 Jahre Tätigkeit zurück. Eine ausführliche Beschäftigung mit der Rolle politisch verfolgter Schriftsteller war daher vorauszusehen. Kamnitzer hatte davor gewarnt, »daß der Kongreß seitens feindlicher Kräfte, insbesondere des Komitees ›Schriftsteller in Haft‹ […], dazu benutzt wird, um unter Bezugnahme auf sogenannte authentische Beispiele die Sowjetunion, die CSSR, die VR Polen und andere sozialistische Staaten zu diskreditieren.«498 Nach Ansicht von Kamnitzer schien es wahrscheinlich, »daß dieser Kongress zu einem ›DissidentenKongreß‹ gestaltet werden soll«: 493 494 495 496 497 498
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BStU, MfS, BdL/Dok. 001861, Bl. 1–15. Vgl. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 808. BStU, MfS, BdL/Dok. 001861, Bl. 1–15, hier Bl. 1. BStU, MfS, BdL/Dok. 001861, Bl. 1–15, hier Bl. 2. BStU, MfS, BdL/Dok. 001861, Bl. 1–15, hier Bl. 3. Information über den bevorstehenden 49. Kongreß des Internationalen PEN-Clubs in Hamburg/BRD [4. 6. 1986]. BStU, MfS, HA XX, AKG II, Bd. 156, Bl. 80–83, hier Bl. 82.
Aus diesem Grund sind eine Reihe von Veranstaltungen mit Renegaten und anderen ehemaligen Bürgern sozialistischer Staaten, denen in ihren Heimatländern Repressalien widerfahren seien, im Rahmen des PEN-Kongresses vorgesehen. Beispielsweise werde der durch vielfältig feindliche Aktivitäten gegen die UdSSR und andere sozialistische Staaten operativ bekannte ehemalige Sowjetbürger Lew KOPELEW auf dem PEN-Kongreß in Hamburg auftreten.499
Kritisch im Blick hatte man die Massenmedien der Bundesrepublik: Es »sei vorgesehen, der Berichterstattung über die Arbeit des Komitees ›Schriftsteller in Haft‹ breiten Raum zu geben und in diesem Zusammenhang auf eine Kampagne zur Freilassung angeblich inhaftierter Schriftsteller und Intellektueller besonders in der Sowjetunion, der CSSR und der VR Polen, zu orientieren.«500 Einen weiteren Angriff auf die Sowjetunion erwartete das Ministerium für Staatssicherheit im Hinblick auf den Reaktorunfall in Tschernobyl: »Weiterhin wurde bekannt, daß im Rahmen der Diskussion zu ›Problemen der internationalen Informationspolitik‹ vorgesehen ist, die Havarie im Kernkraftwerk Tschernobyl zum Anlaß zu nehmen, der Sowjetunion vorzuwerfen, die Welt in Fragen der Sicherheit der Menschheit nicht rechtzeitig zu informieren«501 und ihre »Friedenspolitik […] zu diskreditieren«502 . Eine umfangreiche »I n f o r m a t i o n über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PEN-Clubs in Hamburg/BRD« vom 11. Juli 1986 sah die Vermutungen weitgehend bestätigt: Zwar bescheinigte man dem Präsident des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland, dass er sich in seiner Eröffnungsansprache antisozialistischer und antisowjetischer Äußerungen enthielt.503 Ebenso habe Francis King, Präsident des Internationalen P.E.N., ver-
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Information über weiter bekanntgewordene Aktivitäten feindlicher Kräfte im Zusammenhang mit der Vorbereitung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs vom 22. 6. bis 27. 6. 1986 in Hamburg/BRD (Ergänzung zur Information vom 4. 6. 1986, Nr. 418/86) [19. 6. 1986].BStU, MfS, HA XX, AKG II, Bd. 156, Bl. 327–329, hier Bl. 327. Information über weiter bekanntgewordene Aktivitäten feindlicher Kräfte im Zusammenhang mit der Vorbereitung des 49. Kongresses des Internationalen PEN-Clubs vom 22. 6. bis 27. 6. 1986 in Hamburg/BRD (Ergänzung zur Information vom 4. 6. 1986, Nr. 418/86) [19. 6. 1986].BStU, MfS, HA XX, AKG II, Bd. 156, Bl. 327–329, hier Bl. 328. Information über den bevorstehenden 49. Kongreß des Internationalen PEN-Clubs in Hamburg/BRD [4. 6. 1986]. BStU, MfS, HA XX, AKG II, Bd. 156, Bl. 80–83, hier Bl. 82. Information über weiter bekanntgewordene Aktivitäten feindlicher Kräfte im Zusammenhang mit der Vorbereitung des 49. Kongresses des Internationalen PEN-Clubs vom 22. 6. bis 27. 6. 1986 in Hamburg/BRD (Ergänzung zur Information vom 4. 6. 1986, Nr. 418/86) [19. 6. 1986].BStU, MfS, HA XX, AKG II, Bd. 156, Bl. 327–329, hier Bl. 329. Vgl. Informationüber die Durchführungdes 49. Kongressesdes Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 55. 797
sucht, »betont unparteilich und klassenneutral zu wirken.«504 Auch der Bundespräsident Richard von Weizsäcker habe seine Ansprache darauf angelegt, »politische Provokationen«505 zu vermeiden: »Querelles allemandes sind auf diesem Kongreß kaum zu erwarten«506 – diese hoffnungsvolle Feststellung blieb allerdings ungehört. Gleich zwei Mal gerieten die DDR-Vertreter ins Kreuzfeuer der Kritik. Es kam zur befürchteten »Hackerei zwischen Ost-Pen-ern und West-Penern«507 (Wolf Biermann), die von den bundesdeutschen Medien dankbar aufgegriffen und breit getreten, ansonsten aber in der »Flut der endlosen Statements und Erklärungen [des Kongresses] wieder untergingen«508 : »So gab es also, […] deutsch-deutsche Auseinandersetzung[en], zur Freude der deutschen Journalisten, die etwas ›Griffiges‹ zu berichten hatten, zur Langeweile der meisten ausländischen PEN-Delegierten.«509 Stephan Hermlin hatte, in Abwandlung des Kongressthemas Zeitgeschichte im Spiegel zeitgenössischer Literatur, anhand der eigenen Biographie nachzuzeichnen versucht, wie sich Zeitgeschichte in einem Schriftsteller widerspiegelt. Im Zuge dessen hatte er ein unverhohlenes Bekenntnis zum real existierenden Sozialismus abgegeben. Heftige Kritik kam von Hans Joachim Schädlich, der 1977 unter dem anwachsenden Druck nach der Mitunterzeichnung der Biermann-Petition aus der DDR ausgereist war. Er verwies auf die »›eingeschränkte Äußerungsfreiheit‹, die Zensur und die mangelnde Bewegungsfreiheit im deutschen Staat jenseits der Elbe«510 – ein Vorwurf, der von den DDRAutoren nur schwerlich zu entkräften war. Auch der aus der Sowjetunion ausgebürgerte Schriftsteller Lew Kopelew, der vom P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik als Ehrenmitglied aufgenommen worden war, meldete sich mit kritischen Anmerkungen zu Wort, ebenso Ralph Giordano. Besondere Empörung rief jener Teil von Hermlins Ausführungen hervor, in dem er auf einen Angriff von Mario Vargas Llosa antwortete; dieser hatte auf dem New Yorker Kongress im 504
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Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 56. Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 55. Zitiert nach Arnim Juhre: Wer baute Babylon wieder auf ? Hamburg: Rückblick auf den 49. Internationalen P.E.N.-Kongreß im Juni. In: Deutsches Sonntagsblatt vom 6. 7. 1986. Zitiert nach Jürgen Schmidt-Missner: Und einer mußte weinen. Nachbetrachtung zum 49. Internationalen PEN-Kongreß in Hamburg. In: Kieler Nachrichten 148 (30. 6. 1986). Jürgen Schmidt-Missner: Und einer mußte weinen. Nachbetrachtung zum 49. Internationalen PEN-Kongreß in Hamburg. In: Kieler Nachrichten 148 (30. 6. 1986). Frank J. Heinemann: Fünf Tage, die die literarische Welt nicht erschütterten. Der 49. Internationale PEN-Kongreß in Hamburg. In: Frankfurter Rundschau vom 30. 6. 1986. Peter Engel: Wirklichkeit im Spiegel der Literatur. Auch deutsch-deutsche Dispute beim PEN-Kongreß – aber keine Konfrontation. In: Donau-Kurier vom 27. 6. 1986.
Januar 1986 geäußert, sozialistische Schriftsteller stünden lediglich vor der Wahl, »entweder die Rolle von Hofschranzen zu spielen oder Dissidenten zu sein«511 . Hermlin griff nun in Hamburg die von Vargas Llosa benutzten Vokabeln auf: Wenn man an die zehn, fünfzehn bekanntesten Schriftsteller der Deutschen Demokratischen Republik denkt, deren Arbeit auch jenseits der Grenzen ihres Landes etwas gilt, so befindet sich unter ihnen keine einzige Hofschranze, freilich auch keiner, den man als Dissidentenbezeichnen könnte, sie sind samt und sonders, zum Kummer mancher ihrer Landsleute, kritische, ihrem künstlerischen und philosophischen Gewissen folgende Schriftsteller.512
Hermlins Versuch, die Position der anerkannten Schriftsteller in der DDR zu umreißen, scheiterte kläglich. Eine Positionierung zwischen absoluter Regimeloyalität und rigoroser Regimekritik ließen die Gegner einer sozialistischen Gesellschaftsordnung nicht zu. Für sie war das Verschweigen der Menschenrechtsverletzungen, die unter solcher Diktatur an der Tagesordnung standen, vollkommen inakzeptabel. Scharfe Worte kamen von Yaak Karsunke, Mitglied des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums. Der Satz müsse wohl vielmehr lauten, »daß es ›keine Dissidenten mehr‹ gebe, weil sie nämlich – wie Biermann und andere – die DDR verlassen mußten. Es sei gerade die Qualität eines Staates, ›Außenseiter und Abweichler‹ ertragen zu können. ›Schade um das Land, das keine Dissidenten mehr hat‹«513 . Hermlins Versuch, seine ambivalente Position gegenüber dem eigenen Staat deutlich zu machen, blieb ohne Wirkung. Er »habe sein Land, die DDR, stets verteidigt und auch stets kritisiert«514 , so etwa ˇ beim Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR im Jahr 1968. Derlei Zugeständnisse wurden in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit akribisch vermerkt. Auch hier wurden die Vorgänge um Hermlin in aller Ausführlichkeit referiert. Beklagt wurde freilich die Rolle der bundesdeutschen Medien, die den »feindlich-negativen Kräften aus der BRD und West-Berlin« den Raum gaben, »ihre gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR gerichteten Grundhaltungen zum Ausdruck«515 zu bringen. Die zu erwartende Kritik an Hermlin blieb nicht aus. Mit Skepsis sah die Sicherheitsbehörde die 511
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Zitiert nach Arnim Juhre: Wer baute Babylon wieder auf ? Hamburg: Rückblick auf den 49. Internationalen P.E.N.-Kongreß im Juni. In: Deutsches Sonntagsblatt vom 6. 7. 1986. Zitiert nach Volker Skierka: Nach den Querelen gemeinsamen Schweigens. In: Süddeutsche Zeitung vom (25./26. 6. 1986). Peter Engel: Wirklichkeit im Spiegel der Literatur. Auch deutsch-deutsche Dispute beim PEN-Kongreß – aber keine Konfrontation. In: Donau-Kurier vom 27. 6. 1986. Vgl. auch Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PEN-Clubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53– 69, hier Bl. 63. B. [d. i. ?] Meier-Grolman: Schade um das Land, das keine Dissidenten mehr hat. Nun doch noch deutscheQuerelen beim Hamburger PEN-Kongreß.In: Südwest Presse Ulm vom 26. 6. 1986. Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 63. 799
»politisch unklare und zwiespältige Haltung Hermlins«516 . Doch auch Hermlin zeigte sich – laut Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit – enttäuscht, dass ihn keiner der anderen DDR-Autoren gegen die Angriffe verteidigt hatte: »Das habe ihn sehr verwirrt, er habe eigentlich mit dieser Unterstützung gerechnet.«517 Im Verlaufe des Kongresses wurde auch der Präsident des P.E.N.-Zentrums DDR, Heinz Kamnitzer, zur Zielscheibe der Kritiker. Er hatte vom Standort des überzeugten Sozialisten angesichts der atomaren Bedrohung die zeitgenössische Literatur aufgefordert, die kapitalistische Rüstungslobby zu entlarven und in Novelle, Drama, Lyrik und Roman zum Thema zu machen. Leise Kritik an dieser einseitigen Darstellung, die das sozialistische Gesellschaftssystem aus der Rüstungsproblematik völlig ausklammerte, kam von Dieter Wellershoff. Unbemäntelt griff hingegen Wolf Biermann an – nicht bloß Kamnitzer, sondern auch die DDR; er beschwerte sich über den »pfäffischen Ton«518 von Kamnitzers Rede. Ein »Gestank von Heuchelei«519 sei in seinem Diskussionsbeitrag zu verspüren: »Es sei nicht hinreichend […] wenn seitens der DDRLiteratur allgemeine Lehren zum Wohlverhalten erteilt würden. Man müsse immer gegen den Drachen kämpfen, unter dem man zu leben gezwungen sei. Schließlich habe er, Biermann, der vor zehn Jahren aus der DDR Ausgebürgerte, die Erfahrung gemacht, wie dort Berufsverbote praktiziert und mißliebige Autoren mundtot gemacht würden.«520 Er sei ja gerade aus der DDR hinausgeworfen worden, weil er entsprechend des »Primats radikaler Aufklärung in der Literatur«521 gehandelt habe, das »sein Präsident«, Heinz Kamnitzer, in seinem Referat gefordert habe. Kurioserweise war Biermann noch immer Mitglied des P.E.N.Zentrums DDR. Durch das Präsidium des DDR-P.E.N. war eine Streichung seines Namens aus der Mitgliederliste nicht erwirkt worden. Und Biermann selbst hatte eine solche nie erbeten. Der Stellenwert von Biermanns Äußerungen auf 516
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Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 63. Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 63. Vgl. hierzu auch [?] Große [Hauptmann, Ministerium für Staatssicherheit, HV A Abt. X]: Abwehrinformation. Wertungen zum PEN-Kongreß in Hamburg [1. 9. 1986]. BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/21, Bl. 76f. Zitiert nach Wolf Scheller: Den Drachen bekämpfen, unter dem man lebt. Deutschdeutsche Streitigkeiten am Ende des Internationalen PEN-Kongresses in Hamburg. In: Schwäbische Zeitung vom 27. 6. 1986. Zitiert nach Peter Engel: Wirklichkeit im Spiegel der Literatur. Auch deutsch-deutsche Dispute beim PEN-Kongreß – aber keine Konfrontation. In: Donau-Kurier vom 27. 6. 1986. Wolf Scheller: Den Drachen bekämpfen, unter dem man lebt. Deutsch-deutsche Streitigkeiten am Ende des Internationalen PEN-Kongresses in Hamburg. In: Schwäbische Zeitung vom 27. 6. 1986. Frank J. Heinemann: Fünf Tage, die die literarische Welt nicht erschütterten. Der 49. Internationale PEN-Kongreß in Hamburg. In: Frankfurter Rundschau vom 30. 6. 1986.
dem Hamburger Kongress wurde durch die Berichterstatter für das Ministerium für Staatssicherheit heruntergespielt: »Nach Einschätzung der Quellen nimmt BIERMANN trotz seines, vorrangig auf die Medien ausgerichteten, Auftretens unter den Autoren eine relativ isolierte Stellung ein. Er werde kaum beachtet und seine Äußerungen finden außerhalb der Medien wenig Resonanz. Bei seinen Auslassungen gegen die DDR war nur eine geringe Zahl von Teilnehmern des PEN-Kongresses anwesend.«522 Die beiden deutsch-deutschen Zusammenstöße zeigen, wie stark die Vorbehalte der bundesdeutschen Autoren gegenüber ihren Kollegen aus der DDR waren; wie frisch die Wunden jener noch immer waren, die Ende der siebziger Jahre die DDR freiwillig oder gezwungen verlassen hatten; wie sehr die Gegensätzlichkeit der ideologischen Systeme das gemeinsame Gespräch erschwerte; wie weit eine deutsch-deutsche Annäherung und Verständigung, und sei es nur auf der Ebene der Literatur, entfernt war. Die Kontroversen des Hamburger Kongresses weisen voraus auf jene Diskussionen, die nach dem Fall der Mauer, ungehemmt und durch die immer neuen Enthüllungen gestärkt, entflammten. Doch die deutsch-deutschen Auseinandersetzungen dominierten den Kongress nicht in dem Maße, wie es manche Kongressberichte erscheinen ließen. Andere wichtige Dinge standen auf der Agenda. Wie in den vorab erstellten Informationen des Ministeriums für Staatssicherheit bereits gemutmaßt, wurden die jüngsten zeitgeschichtlichen Ereignisse zum Thema des Kongresses. Gemeint ist hier der zum Zeitpunkt des Kongresses kaum zwei Monate zurückliegende Reaktorunfall in Tschernobyl, Ukraine. Durch den bislang folgenschwersten Unfall in der Geschichte der nichtmilitärischen Kernenergienutzung waren weite Teile Europas, vor allem UdSSR, Finnland, Schweden, Polen und Rumänien, radioaktiv belastet worden. Der Internationale P.E.N. reagierte mit einer Resolution zur Abkehr von der Kernenergie. In der Diskussion um diese Entschließung trat auch ein DDR-Autor entschieden hervor, dessen Äußerungen in der bundesdeutschen Presse besondere Aufmerksamkeit erfuhren. Ausgerechnet der missliebige Stefan Heym, der nicht in die offizielle DDRDelegation aufgenommen worden war, unterstützte die Resolution ausdrücklich. Er forderte seine Schriftstellerkollegen aus aller Welt auf, zu einer Abkehr von der Atomenergie beizutragen. Die Schriftsteller müssten nach »Tschernobyl« umdenken. Nach seiner Ansicht sei das Umdenken gerade auch in den sozialistischen Ländern notwendig. Vielleicht sei eine Umstellung dort eher möglich. Heym bekannte, er habe bislang »zu den Menschen gehört, die ›an diese Energie geglaubt haben, an das Leitbild von der sauberen Energie‹. Er müsse sich nach Tschernobyl jedoch fragen, ob die Energie, an die er geglaubt
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Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 64. 801
hat, viel schmutziger ist als jedes Braunkohlekraftwerk.«523 Heyms Appell traf auf weitgehende Zustimmung. Auch Lew Kopelew schloss sich Heyms Ansicht an. Breiten Raum nahm, wie erwartet, aus gegebenem Anlass, die Arbeit des WiPC ein. Die Sorge, »daß der Kongress vor allem im Zeichen der Schriftsteller in Haft stehen würde«524 , zeigte sich aus Sicht des Ministeriums für Staatssicherheit bestätigt. Ein Benefiz-Konzert und eine weitere Benefiz-Veranstaltung im Hamburger Thalia-Theater zugunsten des WiPC wurden als direkter Angriff auf die sozialistischen Länder begriffen: »Die antisozialistische Stoßrichtung […] wurde durch den Intendanten des Thalia-Theaters Hamburg [Jürgen] FLIMM unterstrichen, indem er es als eine grausame Ironie bezeichnete, wenn in der UdSSR ein Autor wegen antisowjetischer Propaganda in Haft gerät, seinem türkischen Schriftstellerkollegen aber prokommunistische Einstellungen zum Verhängnis werden.«525 Den Wirkungsgrad der Benefiz-Veranstaltung schätzte man insgesamt jedoch gering ein. Als ein Indiz dafür benannte man die »geringe Teilnehmerzahl«, die »darauf zurückzuführen sei, daß dem überwiegenden Teil der Schriftsteller der ständige ›Rummel‹ um ›Dissidenten‹ und angeblich verfolgte Schriftsteller in sozialistischen Ländern gleichgültig ist und sie nur sehr oberflächlich berührt.«526 Wie stets wurde die reguläre Arbeit des WiPC, das seinen Ausdruck in den regelmäßig vorgelegten Berichten über die Situation der weltweit inhaftierten Schriftsteller fand, als gezielte antisowjetische und antisozialistische Aktivität bewertet, und die Ergebnisse des WiPC-Berichts in Bezug auf die UdSSR wie auf andere sozialistische Staaten abschätzig in Zweifel gezogen: »Nach den angeblichen Erfahrungen des Komitees ›Schriftsteller in Haft‹ stehe die Sowjetunion an der Spitze der Länder, in denen Schriftsteller verfolgt seien. Scammell zufolge seien in der UdSSR die meisten Schriftsteller inhaftiert, in Arbeitslagern kaserniert oder hinter den Mauern psychiatrischer Anstalten verschwunden.«527 Als Beispiel für die antisowjetische Aggression bewertete man etwa die von den internationalen P.E.N.-Delegierten verabschiedete Resolution mit der Forderung zur sofortigen Freilassung der sowjetischen Schriftstellerin 523
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Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 65. Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 59. Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 59. Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 61. Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 59.
Irina Ratuschinskaja.528 Die Einschätzung der zukünftigen WiPC-Arbeit war eindeutig: Durch Quellen wird eingeschätzt, daß sich das 1960 gebildete Komitee ›Schriftsteller in Haft‹ […] weiterhin zielgerichtet mit der Suche und Sammlung von Informationen über angeblicheVerfolgungenund Behinderungenvon Autoren und Schriftstellern aus sozialistischen Ländern beschäftigt und bei entsprechend günstig erscheinenden Möglichkeiten, wie internationalen Konferenzen und Kongressen, gegen die sozialistischen Länder verwendet, um die antisozialistische, und besonders antisowjetische, Politik aggressivster Kreise des Imperialismus zu unterstützen.529
In dieser Weise wurde hinsichtlich des Kräfteverhältnisses im Internationalen P.E.N. durch die Sicherheitsbehörden der DDR ein klares Feindbild konstruiert, entsprechend die Zuträger des Ministeriums für Staatssicherheit innerhalb der DDR-Delegation instruiert. Mit der Arbeit der auf dem Kongress eingesetzten IM zeigte man sich indes nicht unzufrieden. Hervorgehoben wurde deren erfolgreiche Einflußnahme […] auf die Leitung des PEN-Zentrums BRD, einen sachlichen Kongreßverlauf zu gewährleisten und sich gegen die Sowjetunion, die DDR und andere sozialistische Staaten gerichteter Angriffe zu enthalten. […] Weiterer Einfluß der Quellen wurde […] auf die Abfassung von Resolutionen des PEN-Kongresses ausgeübt. Zwar konnte beispielsweise eine Resolution zu Tschernobyl nicht verhindert werden, jedoch wurden scharfe antisowjetische Attacken, wie sie feindliche Kräfte um Scammell mit Hilfe dieser Resolution vorgesehen hatten, unterbunden.530
Gleichwohl kam der Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit über die Hamburger Tagung zu dem Schluss, daß der Internationale PEN-Club und seine regelmäßigenKongresse immer mehr zum Spielball der imperialistischenMedien und durch reaktionäreund extrem rechte Kräfte zur Ablenkung von weltpolitisch viel bedeutsameren Ereignissen und Vorgängen mißbraucht wird. Vor allem feindliche Stellen und Einzelpersonen und deren Auftreten und Äußerungen werden seitens der Medien benutzt, um die Konfrontationspolitik auch im künstlerisch-schriftstellerischen Bereich ständig zu beleben.531
Eine solche Einschätzung ließe entsprechend offensive Gegenmaßnahmen für folgende internationale Zusammenkünfte erwarten. Tatsächlich aber kann ab 1986 ein verändertes Auftreten des P.E.N.-Zentrums DDR auf internationaler Ebene beobachtet werden. Dies hing unmittelbar mit den personellen Verände528
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Vgl. Informationüber die Durchführungdes 49. Kongressesdes Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 59f. Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 61. Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 69. Information über die Durchführung des 49. Kongresses des Internationalen PENClubs in Hamburg/BRD [11. 7. 1986].BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. 21, Bl. 53–69, hier Bl. 62f. 803
rungen im Generalsekretariat des DDR-P.E.N. zusammen. Walter Kaufmann vertrat keine aggressive Verteidigungsposition; er zeigte sich insbesondere sehr aufgeschlossen gegenüber der Arbeit des WiPC, die bislang von DDR-Seite fast ausschließlich kritisiert worden war. Der internationale Auftritt des P.E.N.-Zentrums DDR erhielt durch Walter Kaufmann eine Prägung, die dessen persönlichen Interessen entsprach. Diese Entwicklung hing eng mit zwei Faktoren zusammen: Einerseits dürfte die parteiliche Einflussnahme auf Kaufmann durch dessen fehlende Parteibindung weniger nachhaltig gewirkt haben. Andererseits muss Kamnitzers partieller Rückzug aus dem internationalen P.E.N.-Geschehen konstatiert werden. Das schriftliche Quellenmaterial belegt kaum Einwirkungen von Kamnitzer auf Kaufmanns internationale P.E.N.-Arbeit; Kamnitzer äußerte sich Anfang 1989 zufrieden über seinen Generalsekretär, der eine irdische Dreieinigkeit darstellt. 1. Du bist vom Fach, sogar zugehörig der Literatur, die sich aus irgendeinem Grunde die Schöne nennt. 2. Du bist, jedenfalls in unserem Kreis, freundlich und friedlich. 3. Du hast Dir im Inter-PEN Ansehen erworben, mehr noch, wie Arnold Zweig zu sagen pflegte: ›He has acquired merit‹ – ohne unsere Aussagen zu verwischen oder sogar zu unterschlagen, wofür man sofort donnernden Applaus von der falschen Seite bekommen würde. Wenn ich an Deinem Geburtstag noch einen Wunsch für mich offen habe, dann ist es eine Bitte: melde Dich mehr zu Fragen der Zeit in Wort und Schrift innerhalb und außerhalb unseres Landes noch öfter und kräftiger.532
Diese Einschätzung verwundert ein wenig. Kaufmann hatte schon ab 1986, mindestens auf dem internationalen Terrain, eigene Wege beschritten. Symptomatisch für Kamnitzers Abkehr von der direkten Mitwirkung auf internationaler Ebene erscheinen die Veränderungen im Auftreten von Kaufmann auf den Tagungen der internationalen Exekutive. Im Januar 1986, also vor Kamnitzers angekündigtem Rückzug, reiste er mit einem Paket von fünf Resolutionen im Gepäck nach New York; sie alle trugen unverkennbar die Handschrift des langjährigen Präsidenten und stießen bei den Delegierten auf wenig Anklang bzw. Unverständnis. In den folgenden Jahren präsentierte das P.E.N.-Zentrum DDR keine vorformulierten Resolutionen mehr. Kaufmann war offensichtlich kein Freund dieser öffentlichen Eingaben, die sozialistischen Interessen dienen sollten. Gleichwohl blieb Kaufmann bei den internationalen Versammlungen kein stummer Vertreter der DDR. Er veränderte den Ton, mit dem die DDR international repräsentiert wurde. Kaufmann trat ruhig und sachlich auf; er war kein Gegner des sozialistischen Regimes, aber auch kein blinder Verfechter um jeden Preis. Kategorische Leugnungen der Verfolgung von Regimekritikern in den sozialistischen Ländern kamen ihm nicht von den Lippen. Sein besonderes Interesse für die Tätigkeit des WiPC erscheint in dieser Hinsicht bezeichnend. Schon 532
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Heinz Kamnitzer an Walter Kaufmann [19. 1. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/K/Kaufmann Walter 2.
Ende September 1985, wenige Monate nach Kaufmanns Amtsantritt, hatte sich der bundesdeutsche Kollege Schwarze vorsichtig optimistisch hinsichtlich der Entwicklung im DDR-P.E.N. geäußert: Das Verhältnis zum P.E.N. der DDR […] habe Fortschritte auf dem Weg zur Normalisierung gemacht. Er habe den Eindruck, dass die DDR-Kollegen den ihnen möglichen Spielraum für die gemeinsamen Aufgaben im P.E.N. nutzten, dass sie beweglicher, kompromiss- und hilfsbereiter geworden seien: Nun bin ich nicht naiv genug, daran zu zweifeln, dass diejenigen, die wir bei P.E.N.-Gesprächen als Gegenüber erleben, eher Konformisten ihrer Gesellschaftsordnung sind und keinesfalls repräsentativ für jenen Teil des breiten Spektrums der DDR-Schriftsteller, der im eigenen Staat mundtot gemacht worden ist. Doch solche Einsicht vorausgesetzt, halte ich es für bemerkenswert, wie sich unsere Gesprächspartner zumindest darum bemühen, in aller Stille darum bemühen, dass es in der DDR keine Writers-in-Prison gibt. […] Und falls wir heute oder morgen von neuen Fällen hören sollten, bei denen der Begriff ›Verfolgte Autoren‹ anwendbar erscheint, … ich bin sicher, mit dem Präsidenten Kamnitzer oder seinem neuen Generalsekretär Kaufmann mit Hoffnung auf deren Hilfsbereitschaftreden zu können … vor zwei … ja noch vor einem Jahr hätte ich diesen Satz so noch nicht zu formulieren gewagt.533
In der Tat zeigte Kaufmann rasch verstärktes Interesse an der Arbeit des WiPC. Zwar hatte er in New York (Januar 1986) noch eine Resolution vorgelegt, die, in der für Kamnitzer und Keisch üblichen Art, Kritik an der Tätigkeit des WiPC äußerte: The Writers in Prison Committee’s report should not give the impression that International P.E.N. is a tribunal passing judgement on matters which it has not investigated itself. It must in all circumstances satisfy itself that a person has not committed a criminal offence, even if he is, or considers himself, a writer. Moreover it must not insinuate that there has been a miscarriage of justice unless it has full proof evidence for such an allegation.534
Schon in seiner Begründung der Resolution versuchte Kaufmann deren Aussage abzuschwächen, die ihm selbst offensichtlich nicht behagte; sie sei kein Angriff auf die »diligence, sincerity and integrity of Michael Scammell and his staff, which he personally highly appreciated and supported to the hilt«535 . Die Stellungnahmen seiner internationalen P.E.N.-Kollegen machten es Kaufmann schließlich leicht, die Resolution ohne Abstimmung zurückzuziehen: »It was far more important that the work of the Writers in Prison Committee should con-
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Anlage (betr. Jahresversammlung Saarbrücken 1985) zum 13. Rundbrief des P.E.N.Zentrums Bundesrepublik Deutschland [20. 12. 1985], S. 6. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Resolution IV des P.E.N.-Zentrums DDR, vorgelegt auf der Exekutive in New York (1986). Zitiert nach: Minutes of the Assembly of the Delegates of International P.E.N. held in New York on 14th and 15th January, 1986, S. 63. P.E.N.-Archiv London. Wortbeitrag von Walter Kaufmann. In: Minutes of the Assembly of the Delegates of International P.E.N. held in New York on 14th and 15th January, 1986, S. 63. P.E.N.Archiv London. 805
tinue unhampered.«536 Kaufmann selbst wertete im Rückblick den New Yorker Kongress als entscheidende Zäsur: In den Anfangsjahren [meiner Mitarbeit auf internationaler P.E.N.-Ebene] gab es für mich durchausGewissenskonflikte, wenn wir gegen Unrecht stimmten, das in der westlichen Welt stattfand und schwiegenoder uns der Stimme enthielten,wenn es um sozialistische Länder ging. Da gab es für mich den entscheidenden Bruch mit dieser Art von Handhabung auf dem Kongreß in New York. Nachdem ich mich überzeugt hatte von der Wahrscheinlichkeit dieser Wahrheit, von der Richtigkeit konnte man sich ja nie überzeugen, in Bezug auf die Inhaftierung von sowjetischen Schriftstellern, wo Namen genannt wurden, Schriften, Beweise vorgetragen wurden,case histories publiziertwurden,daß ich nicht mehr wie früher nachfragte: ist das überhaupt ein Schriftsteller oder handelt es sich um einen kriminellen Fall. All diese Machenschaften habe ich dann nicht mehr mitgemacht und es ist mir nicht wohl dabei gewesen, aber ich habe sie nicht mehr mitgemacht. Und ich war froh, daß ich zum Hermlin gehen konnte und ihn um Rat bitten. Er hat mir gesagt: stimme nach deinem Gewissen ab. Ich war irgendwie froh, daß ich mit dieser Art der Abstimmung mit mir ins Reine gekommen bin.537
In Hamburg (Juni 1986) wiederholte Kaufmann sein Bekenntnis zum WiPC und sicherte im Namen seiner Delegation kompromisslose Unterstützung zu: »Even though there were names in this report about which they knew nothing, they did not withhold their support from it.«538 Auch die Situation in den sozialistischen Ländern bagatellisierte er nicht: »It saddened and alarmed them to find in the report names from socialist countries. Some of them they knew of; many others they did not. They still supported the report because they felt the WiPC carried out a very important task.«539 Schon im Februar 1987 hatte der bundesdeutsche Generalsekretär positive Worte für die Arbeit des DDR-Kollegen gefunden: »Nach wie vor laufe in aller Stille manches, was trotz der bekannten Schwierigkeiten, diesem oder jenem Autor in beiden Staaten helfen konnte und auch künftig helfen kann.«540 Auch auf der Luganer Tagung im Mai 1987 zeigte Kaufmann reges Interesse am WiPC-Bericht und forderte nachhaltig die Aufnahme von Nelson Mandela in den Report, die er bereits in Hamburg angeregt hatte. Erfreut zeigte sich Michael Scammell: »He had notified with gratification the increasing interest of Mr. Kaufmann and others in the work of the WiPC. He would be grateful if, in future, Mr. Kaufmann had any information, he would forward it to the International Headquarters in good time so that it 536
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Minutes of the Assembly of the Delegates of International P.E.N. held in New York on 14th and 15th January, 1986, S. 65. P.E.N.-Archiv London. Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. Wortbeitrag von Walter Kaufmann. In: [Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Hamburg, 1986], S. 22. P.E.N.-Archiv London. Wortbeitrag von Walter Kaufmann. In: [Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Hamburg, 1986], S. 22. P.E.N.-Archiv London. Protokoll der Generalversammlung [des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland] am 20./21. 2. 1987 in Darmstadt [o. D.]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
could be included in the report.«541 Kaufmann hatte sich von der Indoktrination durch Kamnitzer befreit, der den WiPC-Beauftragten Michael Scammell mit Penetranz antisozialistischer und antisowjetischer Machenschaften beschuldigt hatte: »Ich bin sehr stark von [Kamnitzer] beeinflusst worden mit Blick […] auf Scammell […]. [Ich] kam [Scammell] immer näher […]. Irgendwann dachte ich mir, […] alles, was er hier sagt, entspricht meinen eigenen Empfindungen, Gefühlen und Vermutungen. Es hat ein bis zwei Jahre gedauert, bis ich so dachte. Der Einfluß von hier war stark. Ich habe an den Versammlungen von Writers in Prison teilgenommen, ohne daß wir schon Mitglied waren.«542 Eine aktive Mitarbeit im WiPC, d. h. die unaufgeforderte Weitergabe von Informationen über Inhaftierungen von Autoren, ist anhand des P.E.N.-Archivs (Ost) nicht nachweisbar. Gleichwohl zeitigte die politische Wende in der UdSSR, die mit Gorbatschows Amtsübernahme 1985 angestoßen worden war, auch Veränderungen im Bewusstsein von Kaufmann. Während die politische Führung der DDR die Entwicklung in der UdSSR mit ablehnender Haltung beobachtete, fühlte sich Kaufmann motiviert: »[H]is Centre was very much in favour of acclaiming glasnost in the Soviet Union, and, in the spirit of glasnost, suggested that a letter be written to the Governor of Camp 36/1 asking for the alleviation of the conditions of the writers imprisoned there.«543 Kaufmanns Vorschlag richtete sich gegen die rigiden Disziplinierungspraktiken der UdSSR und regte damit in aller Öffentlichkeit Kritik am sowjetischen Mutterstaat der DDR an: ein bis dahin undenkbarer Vorgang! Der Generalsekretär des P.E.N.Zentrums DDR hatte eine Emanzipation von den staatlichen Regulierungsbehörden durchlaufen; sie war das Ergebnis eines Prozesses, der langsam fortschritt und im Wesentlichen durch die Anbindung an den Internationalen P.E.N. und die auf internationaler Ebene gemachten Erfahrungen möglich geworden war: Der Einfluß auf unsere Arbeit […] war in der Wirklichkeit verschwindend klein. Man konnte frei entscheiden, ohne daß irgendwelche Repressalien zu befürchten gewesen wären. Bei all diesen Entscheidungen konnte man seinem Verstand und seinem Gewissen folgen, wenn es sich um Kongresse handelte, die außerhalb [der DDR] stattfanden. Das habe ich sehr schnell herausgefunden, aber nicht schnell genug. Ich wurde erst nach ein, zwei Jahren freier in meinen Entscheidungen, weil ich merkte: der PEN wird nicht angefasst, da halten sie doch noch Distanz. Wir hatten uns doch eine gewisse Unabhängigkeit erhalten. Das spürte man doch immer deutlicher.544
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Wortbeitrag von Michael Scammell. In: Minutes of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Lugano on 13th , 14th and 15th May, 1987, S. 20. P.E.N.-Archiv London. Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. Zitiert nach: Minutes of the Meeting of Delegates of International P.E.N. held in San Juan, Puerto Rico, on December 2nd , 3rd and 4th , 1987, S. 12. P.E.N.-Archiv London. Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. 807
Die jahrzehntelang erhobene Klage, im P.E.N. werde unaufhaltsam antisowjetische und antisozialistische Propaganda betrieben, schien verklungen und einer gewissen Aufbruchsstimmung gewichen. Im April 1988 tauchten erstmals nach langer Zeit wieder Namen aus der DDR im Report des WiPC auf: There have been during the last three months many arrests of intellectuals. Most were released after a short period and some were forced to emigrate. On January 17, 200 people were arrested in East Berlin in connection with a demonstration in memory of Rosa Luxemburg and Karl Liebknecht. One of those arrested was the singer and lyricist Stefan Krawcyk [sic] who was forced to emigrate as an alternative to a prison sentence. On 1 March another 5 people were arrested and held a short time for having protested against these forced emigrations; among them was the young literary critic Peter Böthig. On 9 March Stefan Krawcyk [sic] was prevented from crossing East Germany his way from West Berlin to Hannover. The only case of a journalist being sentencedof which we heard was that of an editor of a samizdat magazine, André Theil who according to representatives of the German Protestant Church has been condemned to 1 year in prison. It is not clear if he is in prison at present. Theil had circulated pamphlets asking for total press freedom. Other forms of repression have recently been applied critics of the regimes. The writer Monika Maron who had made critical statements to West German journalists was told that permission to print her latest novel had been withdrawn.545
Das WiPC nahm mit diesen Anmerkungen Bezug auf die rigorose Unterdrückung öffentlicher Kritik durch die Staatsmacht der DDR. Sie traf vor allem die »vielen namenslosen aus der jungen pazifistischen und ökologischen Alternativbewegung und der ihr nahe stehenden Literatur«546 . Höhepunkt der repressiven Zugriffe war eine der größten Massenverhaftungen der letzten DDR-Jahre im Anschluss an den traditionellen Gedenkmarsch anlässlich des Jahrestags der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 17. Januar 1988. Junge oppositionelle Bürger hatten sich mit eigenen Losungen beteiligen und auf Transparenten u. a. Luxemburgs Grundsatz Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden mitführen wollen. Eine solche Antidemonstration am Rande der offiziellen Veranstaltung wurde von den Organen der Staatssicherheit verhindert. Hunderte wurden festgesetzt; Ausreisewillige durften die DDR verlassen; Oppositionelle, die bleiben wollten, schob man zwangsweise ab.547 Auch Stephan Krawczyk und seine Frau Freya Klier hatte man kurzfristig verhaftet und in die Untersuchungsanstalt Berlin-Hohenschönhausen verbracht. Unter Androhung einer langjährigen Haftstrafe wurde Krawczyk dazu genötigt, der Ausreise in den Westen zuzustimmen. Gemeinsam mit Freya Klier wurde er Anfang Februar 1988 nach West-Berlin abgeschoben.548 545
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International PEN Writers in Prison Committee Report [18. 3. 1988]. Annexe C der Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held at Cambridge on 7th and 8th April, 1988. P.E.N.-Archiv London. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 270. Vgl. Weber, S. 466. Vgl. Kurzbiographie von Stephan Krawczyk. Verfügbar unter URL: http://www.stiftung-hsh.de/page.php?cat id=CAT 226&con id=CON 666&page id=
Die jüngsten Vorgänge in der DDR sorgten erneut für ein angespanntes Verhältnis zwischen den beiden deutschen P.E.N.-Zentren, die sich gerade ein wenig angenähert hatten.549 Ursache des Konflikts waren zwei staatskonforme Kommentare, die Heinz Kamnitzer im Neuen Deutschland zu den Ereignissen des 17. Januar lanciert hatte. Er verglich die Aktivität der Oppositionellen mit einer »Gotteslästerung« und legitimierte das rigorose Vorgehen der Staatsmacht: »Ebensowenig kann man uns zumuten, sich damit abzufinden, wenn jemand das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht absichtlich stört und schändet. […] Übrigens in jedem zivilisierten Land treten in einem solchen Fall Gesetze in Kraft, die ahnden, wenn jemand das Andenken von Verstorbenen beleidigt.«550 Den oppositionellen Demonstranten sprach er das Recht der freien Meinungsäußerung ab. Befremdlich wirkt die sinnentstellende Umdeutung jener bekannten Losung, die mit der Erinnerung an Luxemburg maßgeblich verbunden ist: »Nicht immer und für alle sollte die Freiheit des Andersdenkenden die Freiheit sein, die wir meinen, verlangen, schützen und bewahren wollen. Man muß stets genau prüfen, wofür und wogegen sie sich richtet, um zu entscheiden, wer das Recht hat, sie für sich zu beanspruchen.«551 Im bundesdeutschen P.E.N.-Zentrum erhob sich gegen die Vorgänge in der DDR und Kamnitzers Äußerungen ein massiver Protest. Carola Stern und Yaak Karsunke drangen auf eine klare Stellungnahme: »Man könne sich auch in der Not damit abfinden, daß der DDR-P.E.N. geschwiegen habe, wenn aber die einzige offizielle Reaktion vom Präsidenten des DDR-Zentrums käme, sei der bundesdeutsche P.E.N. gefordert, etwas zu unternehmen.«552 Das Präsidium entschloss sich, eine Resolution sowie einen Brief an Heinz Kamnitzer zu verfassen und nach der Übergabe zu veröffentlichen.553 Am 26. Februar 1988 erschien beides in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.554 Das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland erinnerte an die Grundsätze der Charta und kritisierte Kamnitzer wegen seiner Aussagen, aber auch das P.E.N.-Zentrum DDR in aller Schärfe: Unerträglich ist es aber, vor allem angesichts der deutschen Geschichte, wenn die einzige öffentliche Reaktion des Präsidiums eines deutschen P.E.N.-Zentrums auf staat-
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441&subcat id=CAT 226&re3centcat=CAT 165&back=1&special=0&html=0 [Zugriff: 11. 6. 2006]. Vgl. auch Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 481–484. Heinz Kamnitzer: Die Toten mahnen. In: Neues Deutschland vom 28. 1. 1988, S. 2. Heinz Kamnitzer: »… immer nur die Freiheit der Andersdenkenden.« In: Neues Deutschland vom 2. 2. 1988, S. 2. Protokollnotizen der Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [12./13. 2. 1988]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Protokollnotizen der Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [12./13. 2. 1988]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Auch für die Freiheit der Andersdenkenden. Das PEN-Zentrum der Bundesrepublik appelliert an das PEN-Zentrum der DDR. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. 2. 1988. Vgl. den vollständigen Abdruck des Briefes von Martin GregorDellin und Hanns Werner Schwarze an Heinz Kamnitzer [13. 2. 1988]. Die Freiheit des Andersdenkenden. Antwort an den Präsidenten des P.E.N.-Clubs der DDR. In: Der Tagesspiegel vom 27. 2. 1988. 809
liche Zwangs- und Willkürmaßnahmen darin besteht, daß sich ausgerechnet der Präsident dieses Zentrums zum Verteidiger dieser Maßnahmen aufwirft – anstatt ›eine freie Kritik gegenüber Regierungen, Verwaltungen und Einrichtungen‹, wie sie unsere Charta ›gebieterisch verlangt‹, zu unterstützen. Eine Wiederholung derartiger Vorfälle muß das P.E.N.-Zentrum DDR unweigerlich international isolieren und das gutnachbarliche Verhältnis zwischen den beiden deutschen Zentren nachhaltig stören. Da wir eine solche Entwicklung verhindernmöchten, ersuchen wir das P.E.N.-Zentrum DDR, sich in Zukunft an Geist und Buchstaben der für uns alle verbindlichen Charta zu halten.555
In einem direkt an Kamnitzer gerichteten Brief lehnte das bundesdeutsche P.E.N.-Zentrum vor allem die befremdliche Auslegung von Rosa Luxemburgs Aussage ab: »Es kann doch in der Deutschen Demokratischen Republik keine Teilung der Gesellschaft in solche Menschen geben, die sich auf Rosa Luxemburg berufen dürfen, und in solche, die kein Anrecht darauf haben. […] Es kann doch die Berufung auf Rosa Luxemburg nicht dazu führen, mit dem Hinauswurf aus der DDR bestraft zu werden.«556 Gregor-Dellin und Schwarze forderten Kamnitzer auf, nicht nur auf den internationalen Kongressen, sondern gerade im eigenen Land für alle Ziele des P.E.N. einzutreten: Uns ist bewußt, daß die unterschiedlichen Verhältnisse in beiden deutschen Staaten unterschiedliche Formen dieses Eintretens bedingen. Doch wer Verfolgung aus politischen Gründen, erzwungeneAusreisenund Ausbürgerungenrechtfertigt,stört das gutnachbarliche Verhältnis zwischen den beiden deutschen P.E.N.-Zentren. Da wir eine solche Entwicklung verhindern möchten, ist es zwingend, daß sich beide deutschen Zentren an Geist und Buchstaben der für uns alle verbindlichen Charta halten und unsere Gegensätze in einer Kultur des politischen Streits austragen.557
Positiv reagierte der internationale P.E.N.-Präsident Francis King: »I was glad to see […] that the West German PEN Zentrum had written to protest to Dr Kamnitzer about recent remarks of him.«558 King selbst hatte ebenfalls an Kamnitzer geschrieben, »indicating that I do not think his attitude to freedom to be in accordance to our Charter«559 . Blokh hatte sich in derselben Angelegenheit an Hermlin gewandt.560 Kamnitzer antwortete mit einem 12-Punkte-Katalog, in dem er erwartungsgemäß seinerseits Unterlassungsklage gegen das P.E.N.Zentrum Bundesrepublik Deutschland erhob und ihm eine fälschliche Darstel-
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Auch für die Freiheit der Andersdenkenden. Das PEN-Zentrum der Bundesrepublik appelliert an das PEN-Zentrum der DDR. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. 2. 1988. Martin Gregor-Dellin und Hanns Werner Schwarze an Heinz Kamnitzer [13. 2. 1988]. Zitiert nach: Die Freiheit des Andersdenkenden. Antwort an den Präsidenten des P.E.N.-Clubs der DDR. In: Der Tagesspiegel vom 27. 2. 1988. Martin Gregor-Dellin und Hanns Werner Schwarze an Heinz Kamnitzer [13. 2. 1988]. Zitiert nach: Die Freiheit des Andersdenkenden. Antwort an den Präsidenten des P.E.N.-Clubs der DDR. In: Der Tagesspiegel vom 27. 2. 1988. Francis King an Martin Gregor-Dellin [1. 3. 1988]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Francis King an Martin Gregor-Dellin [1. 3. 1988]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Francis King an Martin Gregor-Dellin [1. 3. 1988]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
lung der von ihm getroffenen Aussagen unterstellte.561 Schwarze nahm diese Reaktion gelassen auf: Kamnitzer hat in einer Art reagiert, in der ich es von ihm erwartet habe. Ich möchte [dem Präsidium] den Genuss nicht ersparen, wobei besonders zu beachten ist, dass er ohne Briefkopf sowie mit dem zweimaligen Hinweis auf ›persönliche Äusserung‹ deutlich macht, dass seine Obrigkeit offenbar ebenso wenig hinter ihm steht wie sein Präsidium. DPA hat eine kurze Mitteilung gebracht […]. In der DDR-Presse habe ich bisher nichts gesehen. Wenn auch von dort nicht viel kommt, wie ich vermute, sollten wir uns Zeit mit einer kühlen und kurzen Antwort lassen.562
Anfang April äußerten Gregor-Dellin und Schwarze schließlich schriftlich ihre Enttäuschung über Kamnitzers Auslassungen: Sie beschuldigen uns, ›niederträchtig‹ gegen Sie gehandelt zu haben, Sie äussern die Überzeugung, nicht Sie, sondern wir verletzten die Grundsätze des Internationalen P.E.N., und formulieren offenbar ungerührt von all unseren Einwänden und Bedenken, von all unseren Sorgen um ein gedeihliches Miteinander einen Zehn-PunkteUnterlassungskatalog mit anschliessenden ultimativen Forderungen, der uns eher an eine Anklageschrift denn an einen Briefwechsel unter Freunden erinnert. Auf diese Weise werden Sie schwerlich Verständnis in unserem P.E.N.-Zentrum gewinnen können.563
Noch im Mai 1988 setzte sich die bundesdeutsche Mitgliederversammlung mit dem Vorgang auseinander. In Bezug auf das P.E.N.-Zentrum DDR erklärten sich die Anwesenden zur »begrenzten Kooperation«564 bereit. Ende Mai trafen Kamnitzer und Schwarze in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland aufeinander. Für Kaufmann notierte Kamnitzer in Bezug auf den »Störfall«: »Er war froh, daß ich auf ihn zuging und hält den Streit für abgeschlossen.«565 In der Tat stand Kamnitzer mit seiner kompromisslosen, staatskonformistischen Haltung im P.E.N. einsam da. Jene beiden, die sich noch für den DDRP.E.N. verwandten, agierten auf eigene Verantwortung. Kaufmann hatte mit dem WiPC in schriftlicher Verbindung gestanden, um den Fall Krawczyk zu klären. Hermlin korrespondierte mit Alexandre Blokh. Auf der internationalen Exekutive im April 1988 (Cambridge) stand der WiPC-Report zur Diskussion, der auch die Vorgänge in der DDR näher beschrieb. Eine Auseinandersetzung 561
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Heinz Kamnitzer an Martin Gregor-Dellin und Hanns Werner Schwarze [3. 3. 1988]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze an alle Mitglieder des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [15. 3. 1988]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze und Martin Gregor-Dellin an Heinz Kamnitzer [2. 4. 1988]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Verleumdung von Böll. PEN übt Kritik an Alsamer Dissertation. In: Aachener Volkzeitung vom 9. 5. 1988. Vgl. dazu Ulrich Schacht: Dichter gegen den Zeitgeist? Nein danke! In: Die Welt vom 9. 5. 1988 und [dpa]: »Schmähschrift« bestellt? PEN kritisiert Bundeszentrale für politische Bildung. In: Darmstädter Echo vom 9. 5. 1988. Heinz Kamnitzer an Walter Kaufmann [30. 5. 1988]. P.E.N.-Archiv (Ost) PENClub/Korrespondenz 1988–1990/K/Kamnitzer Heinz 1. 811
um die Rolle des DDR-P.E.N., die nach dem Disput mit dem bundesdeutschen P.E.N. zu erwarten gewesen wäre, erfolgte indes nicht. Zurückzuführen war dies darauf, dass mit Kaufmann und Hermlin in der Sache zusammengearbeitet worden war. Die Verantwortlichen des Internationalen P.E.N. hatten die schwierige Situation erkannt, in der sich der DDR-P.E.N. befand. Blokh bemühte sich um die beiden kooperationswilligen DDR-Autoren, deren Bereitschaft zur Zusammenarbeit er nicht durch unbedachte Angriffe auf internationaler Ebene zerstören lassen wollte. Nach der Exekutive in Cambridge schrieb er an Hermlin, der sich offenbar besorgt über die Situation im Internationalen P.E.N. gezeigt hatte: I did my very best to soothe and calm things down, […] the Heinz Kamnitzer affair. I know very well that serves you have rendered in your country to improve writers’ conditions and to fight for their freedom during the very difficult years of the recent past. I think all of us in International P.E.N. are deeply conscious of your role. Allow me to be more optimistic than you are. I think the Cold War is definitely behind us. We are facing a new world, where there will be new difficulties, but nothing, for men of our age, to compare with what we have lived through.566
In der Sitzung der Exekutive machte Kaufmann keinen Versuch, die vom WiPC berichteten Fälle zu verharmlosen oder gar abzustreiten. Lediglich hinsichtlich Krawczyk verwies Kaufmann auf die Korrespondenz mit der internationalen Zentrale. Man habe deutlich gemacht, »that Krawczyk has wanted to leave the Democratic Republic and had gone of his own free will, merely making use of the demonstration for this purpose.«567 Auch wenn die Korrespondenz über Krawczyk nicht im Aktenmaterial enthalten ist und die Freiwilligkeit seiner Ausreise entschieden anzuzweifeln ist, zeichnet sich eines ab: Kaufmann hatte ohne Kamnitzers Dazutun endlich jene kooperative Funktion übernommen, die der Internationale P.E.N. schon so lange vom Zentrum der DDR gefordert hatte; er versuchte in geringem Umfang – auf Aufforderung und im Rahmen seiner Möglichkeiten – Informationen über im eigenen Lande inhaftierte Autoren zu ermitteln und an das WiPC weiter zu leiten. Die Einflussnahme im eigenen Land schilderte Kaufmann folgendermaßen: [I]ch wußte […] auch, daß unter der Oberfläche eine ganze Menge getan wurde, um eine [längerfristige Inhaftierung eines Autors wegen seiner schriftstellerischen Arbeit] zu verhindern. Es ist auch immer sehr schnell Abhilfe geschaffen worden. Sobald über den Internationalen PEN ruchbar wurde, daß es in der DDR Schriftsteller gab, die inhaftiert worden sind wegen ihrer schriftstellerischen Arbeit oder aus welchen Gründen auch immer. Schon vor meiner Zeit, aber auch in meiner Zeit konnte man sich für solche Leute verwenden, und es hat nicht lange gedauert, dann war die Sache behoben. Manchmal auf eine Weise, die nicht immer die eleganteste war, aber meistens so, daß die Schriftsteller, um die es ging, des Landes verwiesen wurden, außer Landes gebracht wurden, oder die Möglichkeit hatten, die DDR zu verlassen. Eines haben wir immer geschafft: schnell raus aus dem Gefängnis, denn es sollte nie ruchbar werden, daß wir 566
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Alexandre Blokh an Stephan Hermlin [29. 4. 1988]. DLA Marbach A: Stephan Hermlin, Briefe an Hermlin. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held at Cambridge on 7th and 8th April, 1988. P.E.N.-Archiv London.
[…] Schriftstellerim Gefängnis haben. Wir hatten dann ja auch international einen sehr guten Ruf. Man hätte uns vorwerfen können, ja Ihr holt die Leute raus und schiebt sie dann nach Westdeutschland ab, hat aber keiner gesagt. Es wurde so gehandhabt, weil wir diesen Druck ausgeübt haben, nicht daß die Leute in den Westen abgeschoben werden, sondern daß unser Ruf gewahrt bleibt als ein Land, wo keine Schriftsteller im Gefängnis sitzen.568
Wesentliche Kontaktstelle in diesen Angelegenheiten war für Kaufmann die Abteilung Kultur beim ZK der SED. Sein »heißer Draht« ging allerdings nicht in die Führungsebene: »Nein, nicht einmal zu Ragwitz, es hat schon genügt, zu deren Sekretär zu gehen und ihm klarzumachen: du hör mal, das geht nicht. Leite das mal weiter, denn das schadet unserem Ruf.«569 Dann galt es abzuwarten, »und einige Tage oder Wochen später erfuhr [man]«, so Kaufmann, »die Sache hat sich erledigt, wir haben das geregelt.«570 Im November 1988 wurde durch das WiPC ein Vorgang um Matthias Holst an Kaufmann herangetragen. Holst war eine schillernde Figur der Untergrundszene in der DDR; er war als radikaler Anarcho-Dichter und Vortragskünstler sowie als Herausgeber der Samisdat-Zeitschrift Galeere in den achtziger Jahren hervorgetreten.571 Ende Oktober 1988 geriet er in Berlin-Lichtenberg in eine Polizeikontrolle; Holst wurde verhaftet und verhört. Die von ihm mitgeführten Texte wurden konfisziert wegen »gesellschaftswidrigen Inhalts«572 . Wenige Tage später fragte die WiPC-Beauftragte, Kathleen von Simson, beim P.E.N.-Zentrum DDR an, um sich nach der Entwicklung des Falles zu erkundigen.573 Auch Holst selbst wandte sich an den DDR-P.E.N. und informierte über den Sachverhalt. Er kritisierte das Vorgehen der Transportpolizei: »Ich betrachte Angehörige der Transportpolizei nicht als Lektoren oder ›interessiertes Publikum‹, ich halte sie nicht für kompetent über WERT oder Unwert von Literatur zu befinden. Ich sehe das Geschehene als einen Übergriff gegen den ich mich entschieden verwahre.«574 Anfang Januar 1989 sicherte Kaufmann zu, der Sache weiter nachzugehen, »und zwar so lange, bis [er] einen klärenden Bescheid geben«575 könne. Welche Schritte Kaufmann in der Folge unternahm, ist anhand des schriftlichen Quellenmaterials nicht nachzuvollziehen. Ende Januar war er noch immer mit 568 569 570 571
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Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. [o. V.]: Fallbeil statt Beifall. Brachialromantische Revolte gegen das »Sinnregime«: »Matthias« BAADER Holst als radikaler Punkdichter und dadaistischer Terrorist. Verfügbar unter URL: http://www.dhm.de/ausstellungen/boheme/katalog zentren/ halle/halle 3.html [Zugriff: 13. 6. 2006]. Matthias Holst an das P.E.N.-Zentrum DDR [21. 11. 1988]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/H/Holst Matthias 3. Kathleen von Simson an Walter Kaufmann [6. 11. 1988]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz PEN International 1984–1990/W/Writers in Prison 3. Matthias Holst an das P.E.N.-Zentrum DDR [21. 11. 1988]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/H/Holst Matthias 3. Walter Kaufmann an Matthias Holst [5. 1. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/H/Holst Matthias 2. 813
dem Fall befasst und teilte Kathleen von Simson mit, dass er hoffe, den Vorgang bald zu klären. Er verwies auf den bestehenden Kontakt zu Holst. Soweit er wisse, sei keine Anklage gegen Holst erhoben worden.576 Über den tatsächlichen Ausgang der Angelegenheit ist wenig zu erfahren. Hinsichtlich einer längerfristigen Inhaftierung von Holst ist in der einschlägigen Forschungsliteratur kein Hinweis aufzufinden. Auf internationaler Ebene trat das P.E.N.-Zentrum DDR nach der Cambridger Exekutive im April 1988 kaum mehr in Erscheinung. Lediglich der lautstarke Protest gegen die Abhaltung eines Kongresses in Seoul sorgte für ein kleines Aufsehen. Ähnlich wie in den siebziger Jahren war unter den nationalen Zentren wiederum eine Diskussion darüber ausgebrochen, ob eine KongressVeranstaltung in Süd-Korea zu verantworten sei. Schon in Hamburg (Juni 1986) war über den umstrittenen Tagungsort diskutiert, aber nicht endgültig entschieden worden. Die innenpolitische Lage in der Republik Korea stellte sich alles andere als beruhigt dar. Noch immer saßen zahlreiche Autoren in Haft, die gesamte Menschenrechtssituation war weiterhin fragwürdig. Die koreanische Delegation appellierte indes auf der Tagung in Lugano Anfang Mai 1988, »im Interesse der inhaftierten Autoren unbedingt nach Seoul zu kommen«577 . Auch die deutschen P.E.N.-Zentren debattierten eine Teilnahme. Das Präsidium des bundesdeutschen P.E.N. befürwortete eine generelle Absage des Kongresses, nahm aber schließlich doch teil.578 Das P.E.N.-Zentrum DDR teilte schon im Januar 1988 seine demonstrative Nichtteilnahme mit. Die Absage gründete sich weniger auf menschenrechtlichen Bedenken, denn politischen Vorbehalten. Gegenüber Schwarze berief sich Kamnitzer auf einen Passus in einem Brief der koreanischen P.E.N.-Präsidentin, indem diese wissen ließ, dass sie ziemlich sicher sei, viele der noch inhaftierten Autoren würden zu gegebener Zeit frei gelassen, mit »exception for those who have professed themselves to be ›communists, killers or incendaries‹«579 . Dieser Hinweis war im WiPC-Report vom 1. November 1987 abgedruckt worden. Schon auf der Exekutivkomitee-Sitzung vom Dezember 1987 hatte Kaufmann seinen Protest gegen eine derartige Formulierung erhoben, die auch im WiPC missbilligend zur Kenntnis genommen worden war.580 Im Telefonat mit Schwarze plädierte Kamnitzer deutlich für eine generelle Absage eines Kon576
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Walter Kaufmann an Kathleen von Simson [23. 1. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz PEN International 1984–1990/W/Writers in Prison 1. Hanns Werner Schwarze: 19. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [5. 8. 1987], S. 4f. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of the International P.E.N. held in Seoul on 31st August and 1st September, 1988. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Thomas von Vegesack: Writers in Prison Report [1. 11. 1987]. Annexe C der Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in San Juan, Puerto Rico, on December 2nd , 3rd and 4th , 1987. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in San Juan, Puerto Rico, on December 2nd , 3rd and 4th , 1987, S. 12. P.E.N.-Archiv London.
gresses in Seoul: »Die empörende Erklärung widerspreche dem Grundsatz der Charta und den Statuten des P.E.N., da sie sich mit der Verurteilung, der Verfolgung, Diffamierung und des Ausschlusses ›unseres politischen Glaubens‹ solidarisch erklärt. Diese Haltung eines gastgebenden Zentrums lasse keine andere Möglichkeit, als den Kongress in Seoul abzusagen und die Ausrichtung einem anderen Zentrum zu übertragen.«581 In diesem Sinne hatte sich der Präsident des DDR-P.E.N. auch an den internationalen Präsidenten gewandt – allerdings ohne greifbaren Erfolg: »Obgleich er diesen Satz ebenfalls empörend finde, sei die Verlegung in so kurzer Zeit nicht mehr durchführbar.«582 Weder ein Entschuldigungsschreiben des südkoreanischen P.E.N., noch ein um Vermittlung bemühter Brief des französischsprachigen P.E.N.-Zentrums der Schweiz konnten die Entscheidung des DDR-P.E.N. positiv beeinflussen.583 Man blieb dem Tagungsort Seoul fern. Während in der DDR die politischen Umwälzungen in vollem Gange waren, rückten die internationalen Bestrebungen mehr und mehr in den Hintergrund. In Maastricht (Mai 1989) war Kaufmann als Vertreter der DDR noch erschienen und hatte nach gewissenhafter Rücksprache mit den sowjetischen Schriftstellerkollegen einer Resolution der P.E.N.-Zentren Dänemark und Schweden zugestimmt, die u. a. die Regierung der SU aufforderte, »to respect the freedom of expression and the right to cultural heritage, values and language of all their subjects.«584 Dank der erfolgreichen Vermittlung des internationalen Präsidenten, Francis King, war es endlich gelungen, ein P.E.N.-Zentrum in der UdSSR zu installieren. Nach einer Information des Ministeriums für Staatssicherheit vom 3. Februar 1987 hatte es im Vorfeld der sowjetischen Annäherung an den Internationalen P.E.N. auf kulturpolitischer Ebene Kontakte zwischen der DDR und UdSSR gegeben: Wie inoffiziell bekannt wurde, informierte Genn. Ragwitz die Leitung des PENZentrums der DDR, daß sie in der UdSSR zwecks Abstimmung weiterer Aktivitäten auf kulturellem Gebiet war. Im Ergebnis dieser Gespräche sei deutlich geworden, daß die UdSSR ernsthaft in Erwägung ziehe, sich nicht länger vom PEN fernzuhalten, sondern mit eigenen Vertretern an dieser Internationalen Tagung im Mai 1987 teilzunehmen. Noch unklar sei, ob sie zuerst mit einer Beobachterdelegation teilnehmen werden oder ob sie bereits den Antrag auf Mitgliedschaft […] stellen. [Es] ist vorgesehen, daß 581
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Hanns Werner Schwarze: 21. Rundbrief des PEN-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [14. 3. 1988], S. 10. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze: 21. Rundbrief des PEN-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [14. 3. 1988], S. 10. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Walter Kaufmann an Liliana Stefanova [P.E.N.-Zentrum Bulgarien] [2. 5. 1988]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1984– 1990/B/Bulgarien PEN 2, sowie Juliette Monnin-Honung [sic ?] [Generalsekretär des P.E.N.-Club Centre de Suisse Romande] an Heinz Kamnitzer, Walter Kaufmann und Stephan Hermlin [28. 3. 1988]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1984–1990/S/Schweiz 1, 1a und b. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Maastricht, The Nederlands, May 9 and 10, 1989, S. 49 und 59f. P.E.N.-Archiv London. 815
entsprechende sowjetische Repräsentanten im März bzw. April 1987 in die DDR kommen, um sich mit Vertretern der Leitung des PEN-Zentrums der DDR zu konsultieren. Genn. Ragwitz führte in diesem Zusammenhang aus, daß die sowjetischen Genossen offenbar zu der Einsicht gekommen sind, daß es nicht richtig ist, wegen der ›Exilzentren und Dissidenten‹ nicht an der Arbeit des Internationalen PEN-Clubs teilzunehmen. Besser sei es, daß die UdSSR ihre Positionen unabhängig von der Anwesenheit von Dissidenten auch durch eigene Vertreter darlegen kann und die antisowjetischen Angriffe der Dissidenten nicht unwidersprochen im Raum bleiben. Wie inoffiziell weiterhinbekannt wurde, haben die Mitglieder des Präsidiums des PENZentrums der DDR einen Beitritt der UdSSR zum Internationalen PEN begrüßt, da es ein offensiveres Auftreten der sozialistischen Bruderländer im Internationalen PENClub zur Folge haben wird.585
Ob ein Zusammentreffen der DDR-Vertreter mit sowjetischen Kollegen stattfand, ist nicht verbürgt. Von den Delegierten der Maastrichter Versammlung wurde das neu formierte Zentrum der UdSSR im Mai 1989 offiziell anerkannt.586 Die von den Beobachtern erhoffte Allianz der sozialistischen Bruderländer kam nicht mehr zum Tragen. An der internationalen P.E.N.-Tagung im September 1989, die in Montréal und Toronto stattfand, nahm kein Vertreter des DDRZentrums teil.587 Die demokratische Revolution im eigenen Land beanspruchte die Aufmerksamkeit der gesamten Bevölkerung – insbesondere der Schriftsteller.
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Information zum bevorstehenden Internationalen PEN-Kongreß im Mai 1987 in Lugano/Schweiz [3. 2. 1987]. BStU, MfS, AIM 6996/91, Bd. 1/1, Bl. 146f., hier Bl. 147. Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Maastricht, The Nederlands, May 9 and 10, 1989, S. 50f. P.E.N.-Archiv London. Vgl. Minutes of the Meeting of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Toronto and Montréal in 26th and 28th September, 1989.
9.
Die friedliche Revolution in der DDR – Auswirkungen auf das P.E.N.-Zentrum (1989–1991)
9.1
Am Vorabend des Mauerfalls
9.1.1 In das P.E.N.-Zentrum DDR kommt Bewegung: Generalversammlung am 1. März 1989 Die politischen Veränderungen in den achtziger Jahren, die mit der Gründung von Solidarnosc in Polen und den durch Michael S. Gorbatschow in der UdSSR eingeleiteten Reformbestrebungen von Perestroika und Glasnost begonnen hatten und zahlreiche sozialistische Staatsgefüge – selbst ein verkrustetes System wie das der DDR – ins Wanken brachten, wirkten in alle Gesellschaftsbereiche hinein. Während die Führungsspitze der DDR sich den von Gorbatschow propagierten Ideen verschloss und einen Kurs der Abgrenzung gegenüber der UdSSR einschlug, schöpfte die Bevölkerung Hoffnung auf die Realisierung des längst als dringend notwendig erachteten Umbaus des Sozialismus.1 Mit der Distanzierung von Gorbatschows Politik entfernte sich die SED-Führung jedoch nicht nur von der Schutzmacht Sowjetunion und verunsicherte damit Funktionäre wie Mitglieder, sondern brachte zugleich das Volk gegen sich auf.2 Die Bürgerbewegungen erfuhren eine Stärkung ihrer Aktivität und verzeichneten in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre immer mehr Zulauf; sie boten Raum für offene Diskussion, Kritik und Entwicklung neuer Ideen. Doch nicht nur diese Vereinigungen wurden zum Forum der freien Aussprache kritischer Gedanken und somit zum Ventil der immer stärkeren Spannungen im Verhältnis zwischen Führenden und Volk. In vielen Institutionen der DDR ließ sich die Entfaltung einer »neue[n] Diskussionskultur« ausmachen: »Was auch verkündet wurde, nahm man nicht einfach hin. Die Mitglieder und Besucher zeigten sich selbstbewußt, widersprachen und kritisierten. […] In immer mehr Foren ging die Bevölkerung dazu über, ohne Scheu ihre vom offiziellen Meinungsmonopol abweichende Meinung auszusprechen, ihre Sorgen und Ängste vorzutragen.«3 Gleichwohl unterschieden sich interne Diskussion und mediale Öffentlichkeit deutlich; was im kleinen Kreis besprochen, kritisiert und vorgeschlagen wurde, drang kaum nach außen – »undenkbar in den Zeitungen, im Rundfunk oder Fernsehen« – und wirkte in der »großen« Politik kaum nach.4 1 2 3 4
Vgl. Lindner, v. a. S. 15–24. Vgl. Weber, S. 454–456 und Lindner, S. 15–24. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 352. [Vgl.] Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 353. 817
Dieses »Diskussionsklima«, in dem die »Leute […] sich Luft [machten], […] sich von jeglicher Vormundschaft [befreiten]«5 , wurde in den Intellektuellenkreisen und damit auch im P.E.N.-Zentrum DDR spürbar. Die neue Motivation der P.E.N.-Mitglieder ist aufgrund der Quellenlage nur punktuell zu belegen. Konstatiert werden kann eine veränderte Gesprächsatmosphäre unter den Mitgliedern des Zentrums. Offensichtlich wird dieser Wandel der Diskussionskultur erstmals im Protokoll der letzten Generalversammlung vom März 1989, die vor dem Umsturz der politischen Verhältnisse stattfand. Symptomatisch für die veränderte Situation in der DDR erscheint die Tatsache, dass Mitglieder an der Generalversammlung teilnahmen, die sich nach den kulturpolitischen Ereignissen der siebziger Jahre konsequent aus dem P.E.N. zurückgezogen hatten, etwa Christa Wolf. Eine ungewohnt offene Debatte unter den Teilnehmern, die harsche Kritik an den Missverhältnissen des eigenen Literaturbetriebs und eindeutig formulierte Forderungen an das Präsidium zuließ, kennzeichnete die Tagung; Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten anwesender Kulturfunktionäre – etwa den Leiter der staatlichen Zensurbehörde, Klaus Höpcke – zeigten die Kritiker kaum. Schon der Einstieg in die Tagung geriet impulsiv: Die Reizthemen des literarischen Marktes in der DDR brannten den Teilnehmern offenbar regelrecht unter den Nägeln; eine revolutionär angehauchte Stimmung brach sich Bahn. Den Stein des Anstoßes bot zu Beginn das Referat des stellvertretenden Ministers für Kultur, Klaus Höpcke: Wortgewaltiglegt er sich ins Zeug, redet eine halbe Stunde über Wirkungender neueren DDR-Literatur im Ausland. Die mögen ja durchaus beachtlich sein, doch uns drückt der Schuh woanders. […] Kaum hat der ›Bücherminister‹ seine Arie beendet, wird er zur lebenden Klagemauer, muss er Red und Antwort stehen. Erst nach mehr als einer Stunde kommt man zurück auf Höpckes eigentliches Thema, – und wieder muss er sich verteidigen.6
Nach zunächst noch thematisch anknüpfenden Ausführungen von Ernst Schumacher zur Rolle der DDR-Literatur in China, sah sich Höpcke sehr bald nicht nur Klagen und Fragen der Anwesenden gegenüber gestellt, sondern vor allem handfesten Forderungen, die deklarierten Missstände abzustellen. Rainer Kirsch stemmte sich am Beispiel der bundesdeutschen Goethe-Institute gegen das doktrinäre Vorgehen der DDR-Regierung in literaturpolitischen Zusammenhängen und holte zum Schlag gegen eine staatliche Einrichtung zur Reglementierung des Literaturmarktes aus: Das Büro für Urheberrechte »ist eine dem Kulturministerium unterstehende Institution. Es benimmt sich aber, als ob es dem Finanzministerium untersteht. Das Präsidium wird gebeten, hier Veränderungen zu schaffen.«7 Werner Liersch rührte an eins der Tabuthemen 5 6 7
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Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 352f. Jean Villain: Vineta 89 – Tagebuch einer Wende. [o. O.] 2001, S. 25. Wortbeitrag von Rainer Kirsch. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 3.
der DDR – die Zensur; sie sei »eine Behinderung kultureller Aktivitäten«8 . Die mit dem Beginn des Jahres eingetretene Neuregelung des Druckgenehmigungsverfahrens, die als Reaktion auf die zunehmende Protesthaltung der Schriftsteller zu verstehen ist, genügte offenbar nicht; man wünschte die völlige Abschaffung, nicht die scheinbare Entschärfung der Zensur. Auch Hermlin interessierte dieses Problem, zumal im Kontext der weltpolitischen Veränderungen. Nicht ohne einen gewissen Sarkasmus äußerte er seine Bedenken und formulierte zugleich seinen Veränderungsvorschlag: Jede Regierung hat das Recht, sich vor der Welt mit ihrer Zensur zu blamieren. Schlimm wird es, wenn sie diese Zensur auf andere Länder ausweiten will. Es gibt ein ungeschriebenes Abkommen zwischen den sozialistischen Ländern. Das Buch eines Autors darf nicht woanders erscheinen, wenn es in seinem eigenen Land nicht gedruckt worden ist. Ich möchte dafür plädieren, da jetzt sich Perestrojka auch in einigen sozialistischen Staaten durchzusetzenbeginnt, daß dieses Abkommen geändert wird.9
Zu diesem Sachverhalt meldete sich auch Christa Wolf sehr entschlossen zu Wort; sie forderte die Drucklegung der Schriftstellerkollegen aus sozialistischen Staaten in der DDR ungeachtet der Behandlung in deren eigenem Land. Die Anerkennung literarischer Qualität unter der Prämisse weltanschaulicher Toleranz, die Bereitschaft zum Austausch divergierender Meinungen erklärte Wolf zur Voraussetzung einer europäischen Einigung: Ich glaube, wir kommen in eine sehr zwiespältige Situation.In der CSSR werden meine Bücher gedruckt. Von vielen guten Autoren des eigenen Landes werden die Bücher nicht gedruckt, und solange die Bücher dieser Autoren in ihrem eigenen Land nicht veröffentlicht werden, werden sie auch bei uns nicht gedruckt. Ich frage mich, wie soll das Haus Europa gebaut werden, wenn wir nach wie vor mit den Leuten nicht reden, die in Ungnade gefallen sind. Ich werde mich an diese Vereinbarung nicht halten.10
Von verschiedenen Rednern wurden im Folgenden die immer längeren Fristen zwischen Manuskriptabgabe und Drucklegung, zunehmende Papierknappheit, mangelnde Papierqualität, heimliche Papierkürzungen und die schwindende mediale Öffentlichkeit moniert: »Wir müssen unter ständig verschlechterten Bedingungen schreiben. […] Das Abnehmen der geistigen Atmosphäre insgesamt muß in Betracht gezogen werden.«11
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Wortbeitrag von Werner Liersch. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 3. Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 4. Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 4. Wortbeitrag von Renate Feyl. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 11. 819
Den größten Widerhall unter den Versammelten aber fand Renate Feyls gedankliche Anknüpfung an Höpckes Vortrag; sie verwies auf die massiven Reisebeschränkungen für DDR-Autoren und stellte selbstbewusst einen Antrag auf Ausstellung von Jahresvisa für P.E.N.-Mitglieder: »Schließlich verdient die DDR an unseren Lizenzen, nur bewegen können wir uns nicht. Wir sind mündig genug, um allein entscheiden zu können, wohin wir fahren und was wir machen.«12 Dieser geballten Kritik stand Klaus Höpcke allein gegenüber; viel hatte er den Anklagen nicht entgegenzusetzen. Lediglich in Bezug auf ein mehrfach gefordertes Mitteilungsblatt des P.E.N.-Zentrums zur verbesserten Information seiner Mitglieder konnte Höpcke, entgegen Kaufmanns Einwand mangelnder technischer Möglichkeiten, in Aussicht stellen, »daß mit seiner Unterstützung etwa 2× im Jahr ein solches Bulletin erscheinen könnte.«13 Die Darstellung hinsichtlich der Papierknappheit jedoch bezeichnete Höpcke als falsch. Im Falle der VisaErteilung wandte er sich gegen eine »Kollektiventscheidung«14 . Zwar bejahte er generell die Erteilung von Jahresvisa; allerdings werde »[e]s […] nicht möglich sein, kollektiv eine Visaerteilung vorzunehmen, es wird immer individuell gehandhabt werden, und daran wird sich auch nichts ändern.«15 Der Zwischenruf »Woanders gibt es auch keine Ausreisebeschränkungen!«16 blieb von Höpcke unkommentiert. Stefan Heym verlieh seiner Überraschung über das Schweigen zu diesem Problem Ausdruck und startete moderat einen Versuch, auf dessen Lösung zu drängen: »Wir sollten uns ernsthaft fragen, ob es nicht Wege gibt, die solche Dinge normal und unkompliziert erledigen können.«17 Damit traf Heym den Nerv der Anwesenden; Villain erinnert die Reaktion: »Nun schnellt ein ganzer Wald von Armen hoch. Zum Thema Reisefreiheit hat fast jeder etwas vorzubringen.«18 Doch es gab nicht nur unbedingte Unterstützung für Heyms Haltung. Der Kollege Jürgen Rennert stand der Forderung nach Reisefreiheit kritisch gegenüber. Zwar verneinte er diese nicht generell. Die Gesamtsituation, insbesondere das Verhältnis zwischen Fordernden und Führenden schätzte Rennert skeptischer, vielleicht realistischer (?) ein; er sah 12
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Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 11. Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 14. Wortbeitrag von Klaus Höpcke. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 11. Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll1–15, hier 11f. Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 12. Wortbeitrag von Stefan Heym. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 12. Villain, S. 26.
in dem Antrag eher ein riskantes Unterfangen, vor dessen möglichen Folgen die P.E.N.-Mitgliedschaft nicht schützen würde: »Ich halte das Schweigen für das Normalste, was zu denken ist. Mir wäre sehr unwohl, wenn wir für uns alle das Recht in Anspruch nehmen, ein Jahresvisum zu erhalten. Ich glaube nicht, daß wir es mit einem Staatswesen zu tun haben, dem gegenüber wir solche konkreten Forderungen aufmachen können.«19 Höpcke plädierte noch einmal entschieden gegen eine generelle Visa-Erteilung, »und da laut Tagesordnung […] noch der Rechenschaftsbericht verlesen und genehmigt werden muss, wird die Debatte abgebrochen und die Revolution vertagt.«20 Der eigentliche »Paukenschlag« aber stand noch bevor. Leitend für die Thematik der weiteren Besprechungen innerhalb des Plenums erwiesen sich die jüngsten Ereignisse der Weltgeschichte; diese betrafen Schriftsteller, deren literarisches Schaffen bzw. politisches Wirken das Interesse der Öffentlichkeit erregte: Es handelte sich um den britisch-indischen Autor Salman Rushdie und den Tschechen Václav Havel, deren Bedrohung bzw. repressive Behandlung in der Weltöffentlichkeit enorme Empörung und großen Widerhall erzeugten. Mit der Veröffentlichung seines Romans Die satanischen Verse (London, 1988) hatte Rushdie sich den Zorn vieler Muslime zugezogen, die sich in ihrem religiösen Empfinden verletzt fühlten. In einer Fatwa vom 14. Februar 1989 hatte das iranische Staatsoberhaupt Ajatollah Khomeini das Todesurteil gegen Rushdie verkündet und zu dessen Vollstreckung aufgerufen; dies zwang Rushdie schließlich zu einem Leben im Versteck. Václav Havel, der bereits seit Jahren sowohl schriftstellerisch als auch politisch aktiv gewesen war und zu den Begründern und Ideengebern der Charta 77 gehört hatte, war nach einer Meinungsbekundung von symbolischem Gehalt inhaftiert worden; er hatte mit der Niederlegung eines Kranzes am 20. Jahrestag der Selbstverbrennung Jan Palachs auf dem Prager Wenzelsplatz (16. Januar 1969) aus Protest gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes ein deutliches Zeichen setzen wollen. Er war am 21. Februar 1989 zu neun Monaten verschärfter Haft verurteilt worden. Eine Welle der Solidarität erfasste daraufhin den gesamten Ostblock.21 Im Vorfeld der Generalversammlung hatten einzelne Mitglieder in direkter Reaktion auf die Vorkommnisse deutlich gemacht, dass sie eine Stellungnahme ihres P.E.N.-Zentrums in Bezug auf die Repression der Schriftstellerkollegen Rushdie und Havel erwarteten. Jürgen Rennert richtete deutliche Kritik an das Präsidium, die er mit einer Aufforderung zur unmissverständlichen Erklärung verband:
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Wortbeitrag von Jürgen Rennert. In: Protokoll der Generalversammlung [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 12. Villain, S. 26. Vgl. Lindner, S. 24. 821
Scharf beunruhigt, vermisse ich seit Tagen Ihre Wortmeldung! Die satanisch gewürzte Aufforderung des Ayatollah Chomejni, unseren Kollegen Salman Rushdie umzubringen, schreit nach entschlossenem Widerstand und Protest. Ich fordere Sie auf, unverzüglich und unüberhörbar satzungsgemäß zu handeln. Ich erwarte mit gebotener Ungeduld die sofortige Artikulation unseres unbedingten Neins zu diesem Vorgang. Sollte Ihr bisheriges Schweigen gute und triftige Gründe haben (dies können nur Gründe sein, die auf Lebenssicherung unseres Kollegen abzielen), müssen Sie mich das wissen lassen.22
Im Neuen Deutschland vom 24. 2. 1989 war, wenige Tage nach Rennerts Eingabe, ein von der Redaktion modifizierter Resolutionstext des P.E.N.-Zentrums DDR erschienen, der sich für Rushdie verwandte.23 In einem Schreiben vom selben Tag begrüßte Christa Wolf die Solidarität mit Rushdie, bat zugleich aber um den Einsatz des Präsidiums für den inhaftierten Václav Havel. Sie ersuchte die ˇ Präsidiumsmitglieder, sich an das P.E.N.-Zentrum der CSSR zu wenden und eine solidarische Stellungnahme für Havel zu fordern. Gleichzeitig sollte der DDRP.E.N. selbst seine Solidarität mit Havel öffentlich bekunden. Sie zeigte sich überzeugt, »daß eine solche Aktivität unbedingt zu den Aufgaben des P.E.N. Clubs gehört.«24 Auf der Generalversammlung am 1. März 1989 verstärkte Rennert seine Kritik an der Passivität des P.E.N.-Präsidiums im Fall Rushdie. Er beklagte »einige[ ] Schläfrigkeit«25 ; die Reaktion sei viel zu spät erfolgt, die Information der Mitglieder mangelhaft gewesen. Dieser Wortmeldung schloss sich eine Aussprache der Mitgliederversammlung über ein adäquates Verhalten des P.E.N.-Zentrums in beiden Fällen an, die die ambivalente Stimmungslage unter den Anwesenden deutlich widerspiegelte. Die Diskussion um die Rushdie-Erklärung weitete sich rasch auf eine generelle Kritik an der Menschenrechtssituation im Iran aus: Es geht nicht nur um den Fall Rushdie, sondern es geht um die unmenschlichenVerbrechen, es geht um die 1.200 in Iran eingekerkerten Menschen, die inzwischen alle hingerichtet worden sind. Es geht um einen Generalangriff. Hier steht die internationale Solidarität mit den Kommunisten zur Diskussion. Wir als P.E.N.-Mitglieder sollten eine Resolution abfassen, da wir gegen alle unmenschlichen Verbrechen sind.26
Die Forderung nach einer erneuten Meinungsäußerung wurde laut. So betraute man die Mitglieder Gisela Kraft, Jean Villain, Ernst Schumacher und Friedrich Dieckmann mit der Abfassung einer Entschließung wegen der Vorgänge im 22
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Jürgen Rennert an Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR [21. 2. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Jürgen Rennert 1. Vgl. Protokoll der Generalversammlung [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 9. Christa Wolf an Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR [24. 2. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Christa Wolf 1. Wortbeitrag von Jürgen Rennert. In: Protokoll der Generalversammlung [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 5. Wortbeitrag von Ernst Schumacher.In: Protokoll der Generalversammlung [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 9.
Iran. Am Ende der Generalversammlung wurde die Protestresolution der Kommission einstimmig angenommen, die um geeignete Maßnahmen der DDRFührung und aller anderen Staaten der Welt zur Rettung des Lebens von Salman Rushdie nachsuchte;27 sie »hat keinen Adressaten, sie gilt als Verlautbarung für die Presse und als Stellungnahme an den Internationalen P.E.N.«28 Auf die Ereignisse in der Tschechoslowakei und die betreffenden Gesuche einzelner Mitglieder hatte das P.E.N.-Präsidium bis zur Generalversammlung noch in keiner Weise reagiert. Auf der Tagung provozierte schließlich der Mut einzelner zur kompromisslosen Forderung einer zielgerichteten Aktion eine ungewohnt offene Diskussion; man intervenierte nachdrücklich gegen die bisherige Inaktivität des Vorstandes – trotz der Anwesenheit von Vertretern des ZK der SED und des Ministeriums für Kultur.29 Villain notierte: »Die Nachmittagssession beginnt mit einem Paukenschlag. Rolf Schneider hält ein fulminantes Plädoyer für Vaclav Havel. […] [Gegen seine Verhaftung] müsse der DDR-P.E.N. etwas unternehmen. Hier und heute. Jetzt. Sofort!«30 Gleichermaßen überraschend wie erschreckend musste dieser Vorstoß für alle Anwesenden gewesen sein: »Für Sekunden wird es derart still im Raum, dass ich meinen Nachbarn atmen höre. Dann die ersten Wortmeldungen.«31 Christoph Hein, der im Vorfeld der Tagung einen Resolutionsentwurf zum Fall Rushdie vorgelegt hatte, verlas einen vorbereiteten Resolutionstext und betonte die Dringlichkeit der Angelegenheit Havel: »Es ist angebracht, daß wir heute hier in dieser Vollversammlung zu einer Entscheidung kommen.«32 Dem entgegen nahmen v. a. führende Präsidiumsmitglieder wie Kamnitzer, Kaufmann und zunächst auch Hermlin eine abwartende, ja bremsende Haltung ein; man müsse »erst Einzelheiten erfahren« und könne sich »nicht in die Angelegenheit einmischen«33 , so Walter Kaufmann. Heinz Kamnitzer zog sich auf die Aktivität des Internationalen P.E.N. zurück; dieser habe sich im Namen seiˇ ner Mitglieder an den Staatspräsidenten der CSSR gewandt und die Freilassung Havels gefordert. Kamnitzer verwies zudem auf die unklare Nachrichtenlage in diesem Fall – »[e]s liegen nur zeitungsgemäße Mitteilungen vor« – und bat darum, »sich zunächst sachkundig zu machen und sich nicht emotio-
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Vgl. Resolution für Salman Rushdie [1. 3. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV März 1989/Salman Rushdie – Fall 2. Protokoll der Generalversammlung [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 14. Vgl. Villain, S. 25. Villain, S. 26. Villain, S. 26. Wortbeitrag von Christoph Hein. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 6. Wortbeitrag von Walter Kaufmann. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 6. 823
nell und impulsiv zu verhalten.«34 Kamnitzer und Kaufmann nutzten den Verweis auf mangelnde Informationen zur Begründung ihrer Zurückhaltung. An den Äußerungen der übrigen Tagungsteilnehmer zum Fall Havel lässt sich ablesen, dass es für die DDR-Bürger unmöglich war, über die staatlich kontrollierten Medien umfassende und objektive Informationen zu den Vorgängen in der Tschechoslowakei zu erlangen. In seinem Tagebuch einer Wende rezitiert Villain einen gleich lautenden Einwurf eines »Redners«, der sich in Abgleichung mit dem Tagungsprotokoll als Villain selbst identifizieren lässt: » Der nächste Redner wünscht zwar ebenfalls Genaueres über Havel zu erfahren, jedoch nicht wie bis dahin, im Westfernsehen, sondern, bitte, durch die hiesigen Medien!«35 Der zögerlichen Vorgehensweise stellten sich – trotz der lückenhaften Information – einige der Versammlungsteilnehmer entschieden entgegen. Villains Erinnerungen verdeutlichen die Situation: »Unruhe. Erste Zwischenrufe. Als sich ein älterer Kollege Kamnitzers Meinung anschließt, schwellen die Unmutsäußerungen zu zornigem Protestgemurmel an. Verwirrt verstummt der ältere Kollege.«36 Christa Wolf insistierte auf einer eigenständigen Aktivität des DDRZentrums, losgelöst von der Stellungnahme der internationalen Organisation: Es gehe darum, »daß unser [Hervorhebung durch die Autorin] P.E.N. sich dazu äußert.«37 Ohne das Zugeständnis jeglicher Rücksichtnahme auf die zu erwartenden bzw. vorliegenden Vorgaben einer offiziellen Linie bestand Wolf auf der Kundgabe ihrer ganz persönlichen Parteinahme für den inhaftierten Václav Havel: »Ich habe die allerhöchste Hochachtung vor diesem Mann, und ich wünsche, daß er entlassen wird.«38 Der stets ein wenig unbequeme Stefan Heym nutzte indes die Auseinandersetzung über das »richtige« Vorgehen, um beiläufig zu einem verbalen Schlag gegen die von der Staatsführung propagierte Position auszuholen. Provokativ und ein wenig spöttisch verwies er auf deren Weisung, um zugleich seiner eigenen Befürwortung einer Resolution des P.E.N.-Zentrums Ausdruck zu verleihen: Ich bitte, die Angelegenheit nicht zu zerreden. Der Vorschlag, weitere Informationen einzuholen, erscheint mir unpraktisch. Wir haben eine Information, daß der Mann 9 Monate Haft bekommen hat. Das ist nicht das erste Mal. Eine Information stand im N[euen]D[eutschland] – eine Übersetzung – mit der Überschrift, ›Man soll sich doch nicht einmischenin die Angelegenheitender CSSR‹. Das ist eine sonderbareÄußerung
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Wortbeitrag von Heinz Kamnitzer. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 6. Villain, S. 26. Villain, S. 26. Wortbeitrag von Christa Wolf. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 7. Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 7.
einer Regierung. Wir wollen ja nicht einmarschieren, wir wollen bitten, den Vaclav Havel aus dem Gefängnis zu entlassen.39
Heym befürwortete gleichzeitig Villains generellen Vorstoß in Sachen WiPC; dieser hatte gefordert, man dürfe es nicht bei dem Einsatz für Havel bewenden lassen: »Wirksamer als Proteste aus gegebenem Anlass und von Fall zu Fall sei Mitarbeit im internationalen ›writers in prison‹-Komitee. Schließlich würden weltweit nicht nur Havel oder Rushdi [sic], sondern Tausende von Andersdenkenden verfolgt, bedroht, gehetzt, verurteilt!«40 Ähnlich wie Heym hatte Rolf Schneider zu Beginn der Diskussion zum indirekten Seitenhieb auf die Regression der sozialistischen Staaten ausgeholt, indem er im Hinblick auf Havels Person die von Gorbatschow zumindest propagierten Veränderungen in der UdSSR andeutete: »Der Autor der CSSR, Vaclav Havel, ist zu neun Monaten Haft verurteilt worden, weil er auf dem Wenzelsplatz einen Kranz niedergelegt hat, und zwar an der Stelle, wo sich vor einigen Jahren ein junger Mann öffentlich verbrannt hat. Havel vertritt Positionen, mit denen man heute problemlos in den Obersten Sowjet gewählt werden könnte.«41 Zu einer separaten Resolution, die – wie von Heym gefordert – die Mitarbeit des DDR-P.E.N. im WiPC beschließen sollte, kam es jedoch nicht mehr, denn jetzt entbrennt der Kampf um Heins Entwurf. Es hagelt Änderungsvorschläge. Den einen ist der Text zu lasch, den anderen geht er zu weit; der verbissene Streit um dieses oder jenes Wort droht auszuufern, die Form den Inhalt zu ersticken, doch, was sich da abspielt, stundenlang, ist nur scheinbar müßiger Streit um Termini. Auch geht es längst nicht mehr allein um Havel. Gekämpft wird so erbittert um einen hochbrisanten ›Nebeninhalt‹ unserer Verlautbarung. Volker Braun benennt ihn.42
Braun erwartete eine Funktionalisierung der Havel-Resolution im Sinne der eigenen Interessen; er unterstrich die weit reichende Bedeutung einer solchen kritischen Äußerung, deren grundlegende Aussage – die Ablehnung einer represˇ siven Behandlung von Kulturschaffenden in der CSSR – gleichermaßen als Auflehnung gegen die Verhältnisse im eigenen Land interpretiert werden könne: »Wir müssen uns vor Augen halten, daß wir damit auch einen eigenen Standpunkt zu unserer eigenen Kulturpolitik herbeiführen. Es muß eine Kundgabe sein, daß hier bei uns bestimmte Dinge unannehmbar sind.«43 Bedenken ob einer
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Wortbeitrag von Stefan Heym. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 7. Villain, S. 26. Wortbeitrag von Rolf Schneider. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waldtraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 5. Villain, S. 27. Wortbeitrag von Volker Braun. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 6. 825
solchen Meinungsäußerung blieben nicht aus: »Prompt meldet darauf jemand sein ›tiefes Unbehagen an der ganze [sic] Sache‹ an.«44 Der Präsident Heinz Kamnitzer spürte die Aufbruchsstimmung der P.E.N.Mitglieder, die ihren Ausdruck in deren offensivem Auftreten innerhalb der Diskussion fand, sehr deutlich. Offenbar fürchtete er einen Glaubwürdigkeitsverlust und eine damit einhergehende Untergrabung seiner Autorität. Laut Protokoll »bat [er] alle darum, ihm zu glauben und nicht mit dem Unterton des Mißtrauens vorzugehen. Er bekräftigte noch einmal, daß man sich immer erst sachkundig machen muß, bevor irgendwelche Schritte eingeleitet werden.«45 Letztlich ließ sich die Forderung nach einer Resolution entgegen dem Widerspruch von Kamnitzer und Kaufmann durchsetzen; man hatte während der Versammlung – nach einer bejahenden Wortmeldung durch Hermlin – »ad hoc« eine Redaktionskommission gebildet, der Christoph Hein, Christa Wolf, Peter Gosse und Wolfgang Kohlhaase angehörten. Deren Resolutionstext wurde schließlich ohne Gegenstimme angenommen und umgehend an das Sekretariat des Internationalen P.E.N. gesandt: »Die Generalversammlung des P.E.N.Zentrums DDR unterstützt Ihre Bemühungen um unseren tschechischen Kollegen Vaclav Havel. Frieden, Literatur, Sozialismus brauchen nach unserer Überzeugung das kontroverse öffentliche Gespräch. Das P.E.N.-Zentrum DDR setzt sich für die umgehende Entlassung von Vaclav Havel ein.«46 Villains Erinnerung an die Tagungsatmosphäre vor der Annahme der Resolution und während der Abstimmung belegt eindrucksvoll die emotionale Spannung und das beinahe ungläubige Staunen über das eindeutige Votum: Wir quälen uns dieweil durch die nächstfolgenden Traktanden. Träge plätschert nun der Redestrom dahin, träge lasse ich mich auf ihm treiben […]. […] [l]ang kann es nicht mehr dauern, bis die Tür aufgehen und … Tatsächlich, die Tür geht auf, Christa Wolf verliest den fertigen Havel-Text; abgestimmt wird offen, drei Kollegen zählen einmal, noch einmal, zum dritten Mal die hochgereckten Arme; klar ist, die Jahresversammlung hat die Resolution beschlossen; einstimmig, jeder Irrtum ausgeschlossen. Und sie enthält zwei Forderungen statt nur einer: Havels Freilassung und – im dringenden Interesse von »Frieden, Literatur, Sozialismus« – den kontroversen, öffentlichen Dialog zwischen Obrigkeit und Basis …47
Am Verlauf der Mitgliederversammlung wie an der Durchsetzung der Resolutionen, vor allem derjenigen für Havel, lässt sich vielfältige Veränderung ablesen: Eine nicht geringe Anzahl von Mitgliedern bewies Mut gegenüber der 44 45
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Villain, S. 27. Wortbeitrag von Heinz Kamnitzer. In: Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 10. Vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Resolution 1. Vgl. weiterhin Magenau: Christa Wolf, S. 364: »Statt den Protest gegen Havels Verhaftung lautstark vorzutragen,[…] einigte man sich darauf, die Angelegenheit an den Internationalen PEN in London zu delegieren und Unterstützung anzubieten. Ein halbes Mütchen also nur, aber immerhin.« Villain, S. 27.
Tagungssituation; man zeigte keinen übermäßigen Respekt vor den anwesenden staatlichen Funktionsträgern; man wagte den freien Meinungsaustausch; man forderte unbedingte Einmischung – auch gegenüber einem sozialistischen Bruderland; man nahm den konkreten Fall zum Anlass weit reichender Kritik am eigenen System. Nach langen Jahren oftmals schweigender Hinnahme hatten die P.E.N.-Mitglieder aus eigener Initiative Diskussionspunkte auf die Agenda gesetzt und konkrete Maßnahmen gegen den Willen des linientreuen Präsidenten durchgebracht. Die Erklärung für Havel sollte Folgen haben. In den Medien der DDR fand die Resolution, die sich der zwischen den sozialistischen Staaten geschlossenen Vereinbarung der »Nichteinmischung in innere Angelegenheiten« widersetzte, erwartungsgemäß keine Erwähnung – verwiesen wurde lediglich auf den gleichzeitigen Protest gegen die Massenhinrichtungen im Iran.48 Dem ausdrücklichen Wunsch der Redaktionskommission, »daß diese Erklärung auch bei uns in der Presse publiziert wird«49 , wurde damit nicht entsprochen. Die Berichterstattung der DDR-Medien über die Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR kam dementsprechend nicht über eine ADN-Meldung im Neuen Deutschland hinaus, die ausschließlich die offiziellen Programmpunkte – Referat von Höpcke zur Wirkung der DDR-Literatur im Ausland, Tätigkeitsbericht von Kaufmann und Ergebnisse der Präsidiums- und Mitgliederwahlen – resümierte.50 Gemeldet wurde die Verlautbarung für Havel jedoch im Deutschlandfunk51 – mit erheblichen Auswirkungen. Rolf Schneider, der seit Ende der siebziger Jahre mit einem mehrjährigen Visum in der Bundesrepublik arbeitete, kam hier zu Wort: Die Annahme des Resolutionstextes im Fall Havel »finde ich ebenso erstaunlich wie erfreulich. Es ist während der Diskussion dieses Textes auch davon gesprochen worden, daß wir mit diesem Protest auch unsere eigene kulturpolitische Identität verteidigen. Und da das so ist und daß das so ist, ist ein erstaunliches und erfreuliches Zeichen der augenblicklichen kulturpolitischen Situation in der DDR.«52 Schneider vertraute auf den Erfolg des Protestes: Ich glaube, daß Solidaritätsadressen aus dem sozialistischen Nachbarland sehr viel wirksamer sind, als Proteste aus Westeuropa, an die man sich, wie ich fürchte, in Prag schon gewöhnt hat. Wenn aber ein Mann wie der polnische Ministerpräsident Rakowski in die Premiere eines Havel-Stücks demonstrativ in Warschau geht oder wenn ein
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Vgl. Hz. [d. i. ?]: Kecke Literaten. In: Süddeutsche Zeitung 53 (4./5. 3. 1989), S. 4. Vgl. auch Dieter Schlenstedt: Zur Einführung. In: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Autorenlexikon. Geschichte und Gegenwart. Berlin 1995, S. 7–26, hier S. 21. Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 13. Vgl. [ADN]: Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums der DDR in Berlin. In: Neues Deutschland 53 (3. 3. 1989), S. 4. Vgl. Schlenstedt: Zur Einführung, S. 21. [Mitschrift] einer Sendung der Redaktion Monitor. 8. Beitrag, Harald Kleinschmidt. Deutschlandfunk, 12.05 Uhr am 2. März 1989. BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 469, Bl. 26f., hier Bl. 26. 827
Gremium wie das PEN-Zentrum der DDR einen solchenBrief verfaßt,dann wird das – hoffe ich – die Verantwortlichen in Prag zum Nachdenken bringen.53
Im Westen nahm man das Ergebnis der Vollversammlung der DDR-P.E.N.Mitglieder mit Interesse und einer gewissen Überraschung zur Kenntnis: »Die Entscheidung und vor allem ihre Einstimmigkeit sind ein erstaunlicher Vorgang. Ein Teilnehmer sagte, es habe ihm die ›Sprache verschlagen‹. Immerhin wird hier das sozialistische Bruderland Tschechoslowakei aufs Korn genommen, zu dem der DDR-Staat beste Beziehungen unterhält.«54 Zwar sei die Solidarität mit Havel im Hinblick auf die P.E.N.-Charta einerseits verständlich; »[a]ndererseits mute[ ] die demonstrative Unterstützung doch politisch gewagt an.«55 Den Mut der P.E.N.-Mitglieder führte der Kommentator darauf zurück, dass »unter den sonst staatsloyalen DDR-Intellektuellen schon seit geraumer Zeit Glasnost- und Perestrojka-Keckheit«56 herrsche. Die Brisanz der einstimmig angenommenen Havel-Resolution und deren Akzeptanz durch den stellvertretenden Minister für Kultur und Leiter der HV Verlage und Buchhandel, Klaus Höpcke, lässt sich an der offiziellen Reaktion ablesen. Die Tschechoslowakei wurde aufgrund der »vermeintlichen Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten ganz massiv bei der DDR vorstellig«57 – Handlungsbedarf war gegeben. Höpcke wurde für die politische Panne zur Verantwortung gezogen und verschwand für kurze Zeit aus seinem Amt.58 Auf die näheren Hintergründe der kurzfristigen Entlassung Höpckes verweist Villain: Rolf Schneider habe in dem Interview des Deutschlandfunks am 2. März Interna über den Verlauf der GV preisgegeben und damit ernste internationale Verwicklungenprovoziert.Unter anderem,indem er sich gezielt und äußerst indiskretüber Höpckes Stimmabgabe zugunsten Havels ausließ. Was der CSSR-Führung mächtig in den falschen Hals geraten sei. Da man in Prag davon ausgehe, dass Höpcke als Stellvertretender Kulturminister handelte, habe man noch am selben Tag bei einer gerade in Prag weilenden hochrangigen DDR-Delegation energisch gegen sein Verhalten protestiert und sich jede weitere Einmischung in die inneren Angelegenheiten der CSSR verbeten. Was wiederum die Parteiführung der DDR gezwungen habe, Höpcke noch am selben Tag […] von seiner Funktion zu entbinden. Allerdings sei die Vorlage zu seiner Abberufung später zurückgezogen worden. Höpcke werde seine Amtsgeschäfte also demnächst weiterführen können.59
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[Mitschrift] einer Sendung der Redaktion Monitor. 8. Beitrag, Harald Kleinschmidt. Deutschlandfunk, 12.05 Uhr am 2. März 1989. BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 469, Bl. 26f., hier Bl. 27. Hz. [d. i.?]: Kecke Literaten. In: Süddeutsche Zeitung 53 (4./5. 3. 1989), S. 4. Hz. [d. i.?]: Kecke Literaten. In: Süddeutsche Zeitung 53 (4./5. 3. 1989), S. 4. Hz. [d. i.?]: Kecke Literaten. In: Süddeutsche Zeitung 53 (4./5. 3. 1989), S. 4. MZ [d. i.?]: Rätselraten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 67 (20. 3. 1989), S. 33. Vgl. MZ [d. i.?]: Rätselraten.In: FrankfurterAllgemeine Zeitung 67 (20. 3. 1989), S. 33. Vgl. auch Schlenstedt: Zur Einführung, S. 21f. Villain, S. 25. Zu diesem Interview steht kein Mitschnitt des Senders zur Verfügung. Mitteilung an die Autorin durch Cosima Hawemann, DeutschlandRadio Marketing & Service GmbH (20. 8. 2004).
Die maßgebliche Einflussnahme auf die Wiedereinsetzung Höpckes in sein Amt schreibt sich Hermann Kant, Präsident des Schriftstellerverbands und P.E.N.Mitglied, in seinen Erinnerungen zu. Höpcke kam nur davon, weil Kant […] dem Staatsratsvorsitzenden [d. i. Erich Honecker] in letzter Minute einen Brief geschrieben hat. Auch diese Siege haben viele Väter, und es ist mein Ehrgeiz nicht, in einen Streit der Anteilseigner einzutreten, aber im Falle Havel/Höpcke möchte ich doch Zeugungszeugnisse sehen. Meines ist jener Brief […]. Geschrieben hatte ich über PEN-Versammlung, Václav Havel und Klaus Höpcke: ›Lieber Genosse Erich Honecker … Nur bestimmte Zwänge meines Kalenders haben meine Teilnahme an jener Versammlung verhindert. Wäre ich aber dagewesen, trüge das Dokument jetzt auch meine Unterschrift. Daß man in einem sozialistischen Lande einen sehr beachtlichen Schriftsteller ins Gefängnis wirft, ist ungefähr das Letzte, was wir gebrauchen können. … Nur besteht die sozialistische Welt ja nicht aus uns allein, und die schlechten Einfälle eines Nachbarn belasten nicht nur ihn. Alle haben wir die Folgen zu tragen, deshalb müssen wir einander die Meinung sagen. Mag sein, das geht nicht immer auf höchster Ebene, aber in einer Organisation, wie sie der PEN darstellt, muß das gehen. … Aus jahrzehntelanger Zusammenarbeit mit Genossen Höpcke kann ich die Behauptung ableiten, daß dieser ein vorzüglicher Mann ist, den ich durch keinen anderen ersetzt sehen möchte.‹60
Villain beruft sich in seiner Darstellung der Amtsentlassung auf die Aussagen eines Abgesandten der Abteilung Kultur des ZK der SED, Genosse F. (?), der dem Präsidium des P.E.N. in einer Sitzung am 16. März einen in zweifacher Weise informativen Besuch abstattete; Genosse F. berichtete nicht nur über die Folgen der Havel-Resolution, sondern versuchte eine Klärung der – aus seiner Sicht – parteipolitischen Panne beim Abstimmungsverfahren: »[A]uf welche Art und Weise und durch wen [die Resolution] lanciert worden sei. Und – vor allem – wie es zu ihrer einstimmigen Gutheißung habe kommen können. […] ›Wo blieb da der Standpunkt der Genossen?!‹«61 Offenbar war man jedoch nicht gewillt, vom neuen Kurs der Einmischung abzugehen und berief sich auf die Charta des Internationalen P.E.N., der man folge. Damit seien »Weisungen staatlicher Organe oder internationale Übereinkünfte von Regierungen, Parteien […] für P.E.N.Mitglieder, unabhängige Schriftsteller, nicht bindend«62 . Schlenstedt mutmaßte: »Wenige Jahre zuvor hätte er [der Abgesandte des ZK der SED] wohl das Verbot des Zentrums überbracht, nun versprach er zu lernen.«63 So stellt sich das Ergebnis des Besuchs verkürzt dar; Villains Schilderung des Gesprächsverlaufs zeichnet ein ungleich farbigeres Bild der Situation, die der Authentizität halber im Folgenden wörtlich wiedergegeben wird: Die Frage nach dem fehlenden Standpunkt der Genossen ist eins zuviel für uns. Gleichzeitig beginnen mehrere zu reden, einer wütender und lauter als der andere, doch schon bald fügt sich das Durcheinander zu einem regelrechten 60
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Hermann Kant: Abspann. Erinnerung an meine Gegenwart. Berlin 2003, S. 158–162, hier S. 160. Villain, S. 27f., hier S. 28. Schlenstedt: Zur Einführung, S. 22. Schlenstedt: Zur Einführung, S. 22. 829
Argumente-Pingpong. So schnell spielen wir einander die Bälle zu, dass ich einzelnen Schlägen kaum folgen, geschweige denn, sie mit all ihren Finessen merken kann. Hier, wenigstens, grosso modo, was wir unserem Besucher aus dem ›Großen Haus‹ während des vielleicht zwanzig Minuten währenden Disputs entgegensetzen: – Niemand habe irgendwas ›lanciert‹. Heraufbeschworen worden sei der ›programmwidrige‹ Ablauf der GV einzig und allein durch die eigenartige Handhabung DDRinterner Informationspolitik … – Die Alternative zur Einstimmigkeit wäre eine Kampfabstimmung gewesen. Sie hätte unweigerlich zur Spaltung des DDR-P.E.N. geführt: Perestroika-Freunde in- und außerhalb der Partei gegen Perestroika-Gegner in der Partei. Ob denn dies dem ZK lieber gewesen wäre …? – Was man denn im ›Großen Haus‹ überhaupt wolle: Habe doch die am 9. März von Prag nachgereichteregierungsamtlicheErklärungzu Havel nicht den geringstenGrund für dessen strafrechtliche Verfolgung zu liefern vermocht und somit die Richtigkeit unserer Havel-Resolution vollauf bestätigt … – Vor allem aber sei die Havel-Resolution der GV kein ›Vorkommnis‹ gewesen, sondern ein verdammt ernst zu nehmender Versuch, gravierende politische Defizite abzubauen! … Bis dahin hat Hermlin, an seiner kalten Pfeife nuckelnd, zugehört. Endlich bittet auch er ums Wort. In wenigen Sätzen weist er auf die vier gleichberechtigten Punkte der P.E.N.-Charta hin und ersucht F. mit freundlicher Schärfe, den Genossen im ZK doch noch einmal den Unterschied zwischen dem P.E.N.-Club und anderen Künstlerverbänden der DDR zu erläutern. Der P.E.N. sei nun mal keine staatliche Organisation, sondern ein internationaler Verein bürgerlich-demokratischer Prägung, was seine Vereinbarkeit mit den Zielen des Sozialismus indes keineswegs ausschließe. Zu diesen in Widerspruch stehe vielmehr die Härte und Verachtung der CSSR-Führung gegenüber den Intellektuellen ihres Landes. Was sie betreibe, sei, um mit Aragon zu reden, ›ein Biafra des Geistes‹!64
Dieser Phalanx stand der Abgesandte des ZK hilflos gegenüber: Seine versuchte Einflussnahme im parteipolitisch positiven Sinne schien gescheitert; ihm blieb nur der geordnete Rückzug. Er sei völlig missverstanden worden: »Sollte er den Eindruck erweckt haben, dass die Genossen des P.E.N. in ihren Beschlüssen von der Partei abhingen, bedauere er dies sehr. Für das, was im DDR-P.E.N.Zentrum geschehe seien allein wir verantwortlich, und unsere Meinung wiege schwer, werde ernst genommen von den Genossen des ZK. Auch von denen, die andere Ansichten verträten …«65 Genosse F. signalisierte Verständigungsbereitschaft: »›Wir alle müssen lernen, dass auch andere Sichten möglich sind!‹«66 Man wünsche eine Intensivierung des Meinungsaustausches zwischen Präsidium und ZK, allerdings müsse die Initiative dazu – nicht nur vor den Generalversammlungen – vom Präsidium ausgehen. Für die eigenen Reihen konstatierte er: »›Not tut jetzt, zu lernen, was P.E.N. ist …‹«67 In der Forschungsliteratur findet die verabschiedete Resolution meist Berücksichtigung – in kritischer Abwägung zum vorherigen Engagement des P.E.N.Zentrums DDR. So wertete Dieter Schlenstedt in einem Versuch zur Auf64 65 66 67
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Villain, S. 29. Villain, S. 29f. Villain, S. 30. [Vgl.] Villain, S. 30.
arbeitung der Geschichte des Zentrums den Vorstoß positiv als »Bruch mit lange eingehaltenen Tabus«68 . Wolfgang Emmerich hingegen bemerkte ein wenig missbilligend: »Erst am 1. März 1989 raffte sich der PEN zu einer Resolution auf, in der ›für die umgehende Freilassung Václav Havels‹ votiert wurde – und sogar Klaus Höpcke stimmte zu.«69 Der Fall Höpcke – insbesondere die nach dem Mauerfall einsetzende, grundsätzliche Diskussion um seine Zuwahl in den P.E.N. als »Oberzensor« der DDR – wurde von Friedrich Dieckmann ausführlich diskutiert; er bewertete die oftmals als viel zu verspätet einsetzend kritisierte generelle Einmischung des P.E.N.-Zentrums im Zusammenhang mit dem Fall Havel unter einem gänzlich neuen Blickwinkel. Dieckmann verwies auf die zweckdienliche Zurückhaltung der P.E.N.-Mitglieder, indem er als Voraussetzung für deren Handeln von literarischen Maßstäben abstrahierte und die Anlehnung an politische Strategien voraussetzte: Wenn man an die Urheber von Literatur die Maßstäbe politischen Handelns anlegt, wie sie in Kraft treten, wenn man das Augenmerk statt auf den einzelnen Text des einzelnen Autors auf das Tun und Lassen von Kongregationen richtet, hat man die Gesetze politischen Handelns in Betracht zu ziehen. Sie entsprechen denen der Strategie, nicht denen der Literatur, und besagen, daß man in aussichtsloser Situation keinen Angriff unternehmen soll; tut man es dennoch, arbeitet man der Übermacht in die Hände. 1989 war die Situation erstmals nicht aussichtslos; es war darum völlig vernünftig, daß Christa Wolf erst zu diesem Zeitpunkt – und nicht bei einer der früheren Inhaftierungen Havels – jene Resolution einbrachte, der dann auch Kamnitzer nur widersprach, nicht entgegenstimmte und Höpcke nicht einmal widersprach.70
Eine nachträgliche Bewertung der Chancen, die eine früher eingenommene oppositionelle Haltung gehabt hätte, erscheint rein spekulativ. Die Reaktionen der weisungsbefugten Instanzen – Abteilung Kultur im ZK der SED und Ministerium für Kultur – auf einen früheren Vorstoß sind im Nachhinein schwer einzuschätzen. Wahrscheinlich ist in dieser Hinsicht Dieckmann zu folgen: Repressive Maßnahmen wären die Folge gewesen. Umgekehrt wäre aber auch zu fragen, warum die Führungsebene der DDR auf den Vorstoß des P.E.N.-Zentrums, der ˇ zudem einen Angriff auf den sozialistischen Bruderstaat CSSR bedeutete und die Beziehungen zwischen beiden Staaten belastete, vergleichsweise milde reagierte. Beachtet werden muss in diesem Zusammenhang sicherlich der besondere Status des P.E.N.-Zentrums im Hinblick auf die internationale Anbindung; dieser bot einen gewissen Schutz. Immerhin – dem äußeren Druck musste man etwas entgegnen: Die Amtsenthebung eines Mitglieds in einem Regierungsamt war plakativ und wurde von den Entscheidungsträgern vermutlich weniger »gefährlich« eingeschätzt als die Abstrafung einer ganzen Reihe in In- und Ausland renommierter Literaten.
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Schlenstedt: Zur Einführung, S. 21. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 454. Friedrich Dieckmann: Der P.E.N., die Hochregale und die Utopie. Anmerkungen zu einem Schriftstellerclub. In: Freibeuter 45 (1990), S. 23–31, hier S. 29. 831
Der Zeitpunkt der Offensive im P.E.N.-Zentrum DDR jedenfalls passt sich in das Bild der gesamtgesellschaftlichen Situation ein: Die DDR befand sich in einem Zustand der fortschreitenden Desorganisation in allen Bereichen, gepaart mit dem aufkeimenden Widerstand der Bevölkerung. Ein solches Umfeld stärkte die literarischen Intellektuellen in ihrem Bestreben, Missstände nicht länger nur verklausuliert in ihren Texten auf Papier, sondern offensiv im Gespräch zu thematisieren. Politische Willfährigkeit bestimmte die Entschließungen der Teilnehmer auf dieser denkwürdigen Tagung nachweislich nicht; man löste sich von den kalkulierbaren Maßstäben der Partei. Die Anwesenheit von politischen Beobachtern aus dem ZK der SED und dem Ministerium für Kultur verhinderte den offenen Meinungsaustausch ebenso wenig wie die Durchführung der Generalversammlung in Abstimmung mit dem ZK der SED71 : Die Beschlüsse über Präsidiumskandidaturen und Mitgliederzuwahlen erwiesen sich für die Lenkbarkeit der Zusammenkunft – bei einem hinreichend aufgebauten Druck im Inneren – als unzureichend. Menschliche (Re)aktion konnte nicht bis ins Detail vorausgesehen, ebenso wenig erforderliche Gegenmaßnahmen vorbereitet werden. Zudem existierte eine inhaltliche Planung nach Aktenlage nicht; vermutlich erwarteten die Verantwortlichen eine ihrem Verlauf nach gewöhnliche Generalversammlung. In Bezug auf die vorzunehmenden Wahlen traf dies durchaus zu: Die Vorschlagsliste für das neue Präsidium wurde – bis auf die ausscheidenden Mitglieder Peter Hacks und Karl Mundstock – in geheimen Wahlen bestätigt, Kaufmann als Generalsekretär und Kamnitzer als Präsident wiedergewählt. Bemerkenswert für die Wahl des Präsidenten ist zweierlei: Kamnitzer erlangte nur 36 Ja-Stimmen gegenüber 11 Nein-Stimmen – ein Indiz für die freie Wahl –, und hatte in Knobloch einen, wenngleich chancenlosen, Gegenkandidaten.72 Über die Gründe für Kamnitzers Wiederwahl kann nur spekuliert werden. War seine Präsidentschaft gewissermaßen ein Gewohnheitsrecht geworden? Vertraute man vor allem auf seine (inter)nationale P.E.N.-Erfahrung? Demgegenüber zeigte sich der Verlauf der Generalversammlung beinahe spektakulär: Die kritischen Äußerungen der P.E.N.-Mitglieder auf der Generalversammlung im März 1989 bezogen sich nicht nur auf punktuelle Begebenheiten der Weltgeschichte; sie zielten direkt auf Zu- bzw. Missstände im eigenen Land und beinhalteten die klare Forderung von Reformen. Eine generelle Abkehr vom Sozialismus bedeutete die Opposition der Mitgliederversammlung indes nicht. Eine nennenswerte Systemgegnerschaft lässt sich für die Zeit nach dem Mauerfall innerhalb der literarischen Intelligenz nicht konstatieren. Die einflussreichen Autoren teilten ihren Wunsch nach einer veränderten DDR mit, stellten sich gegen die Führung der SED. Antisozialistisch kann ihre Einstellung 71
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Vgl. Beschlußentwurf zur Durchführung der G[eneral]V[ersammlung] des P.E.N.Zentrums der DDR [19. 12. 1988]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/SED 4. Vgl. Protokoll der Generalversammlung am 1. 3. 1989 [1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/GV März 1989/Protokoll 1–15, hier 13– 15.
jedoch nicht bewertet werden;73 dies zeigte sich auch in den weiteren Bestrebungen des P.E.N.-Zentrums DDR deutlich. 9.1.2 »Zeichen der Zeit«74 : Zwei umstrittene Erklärungen des DDR-P.E.N. und die Amtsniederlegung des langjährigen Präsidenten Heinz Kamnitzer Nach diesem Vorstoß an mehreren Fronten, der ein Engagement der Mitglieder entgegen der offiziellen Linie erforderte, erscheint eine öffentliche Erklärung des P.E.N.-Zentrums DDR im September des Jahres 1989 anlässlich des 40. Jahrestages der Staatsgründung auf den ersten Blick wie ein kaum nachvollziehbarer Rückschritt – nicht zuletzt angesichts der sich immer weiter zuspitzenden Krisensituation der DDR. Die vergreiste handlungs- und wandlungsunfähige Politikerriege stand den Folgen ihrer mangelhaften Staatsführung tatenlos gegenüber: Die Flucht von ˇ DDR-Bürgern über Ungarn, die CSSR und Polen hatte massenhafte Züge angenommen; die Organisierung der politischen Opposition war weit vorangeschritten; die Demonstrationen gegen die Regierung und ihre Politik nahmen weiter zu.75 All dies waren problematische Voraussetzungen für die Feier des 40. Jahrestages der Staatsgründung, deren Vorbereitung die Regierung ungeachtet der Problemlage unbeirrt fortsetzte.76 Mit der Abfassung der üblichen Ergebenheitsadressen dürften sich die meisten Institutionen der DDR schwer getan haben: Statt Lob für die Regierenden schienen kritische Anmerkungen zum maroden Zustand des Staates angezeigt. So diskutierten die Teilnehmer an der Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums DDR am 12. September 1989 über einen angemessenen Wortlaut. Der von Kamnitzer vorgeschlagenen Grußadresse an den Staatsratsvorsitzenden Honecker setzten die Präsidiumsmitglieder Friedrich Dieckmann und Werner Liersch einen »Gegenentwurf [entgegen], der auf der Notwendigkeit einer kritischen öffentlichen Diskussion über die Lage von Staat und Gesellschaft insistierte«77 – mehr oder minder erfolglos: »Das kam bei der Mehrheit der Anwesenden nicht durch; immerhin war der Kamnitzer-Text damit zu Fall gebracht«78 ; dieser habe »im wesentlichen Dankesworte an die Regierung«79 enthalten. Einen »Minimal73 74
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Vgl. Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 363. Bericht des Generalsekretärs [Walter Kaufmann] [30. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 1. Vgl. Weber, S. 465–468 und Lindner, S. 39–47 (Fluchtbewegung), S. 48–62 (Organisierung der Opposition) und S. 63–73 (Demonstrationen). Vgl. Lindner, S. 74. Friedrich Dieckmann: Wo wir angekommen sind. Berliner Schriftstellerresolutionen im Vorfeld der DDR-Umwälzung. In: Freitag 4 (17. 1. 1997), S. 12f., hier S. 13. Friedrich Dieckmann: Wo wir angekommen sind. Berliner Schriftstellerresolutionen im Vorfeld der DDR-Umwälzung. In: Freitag 4 (17. 1. 1997), S. 12f., hier S. 13. Bericht des Generalsekretärs [Walter Kaufmann] [30. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. Januar 1990/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 2. 833
konsens«, der die langwierige Diskussion um eine geeignete Formulierung beendete, brachte schließlich Stephan Hermlins Vorschlag: Die Richtlinien des internationalen P.E.N. verlangen von uns, die Friedenspflicht der Staaten anzumahnen,sich gegen rassistischeVorurteilezu wenden, nationalenGrößenwahn zurückzuweisen und die Freiheit des Wortes zu verteidigen. Wir haben die Deutsche Demokratische Republik immer als einen Ort angesehen, an dem sich unsere Grundsätze verwirklichen lassen.80
Von Rita Schober und Jean Villain, beide hatten der Sitzung nicht bewohnen können, holte man das Einverständnis zur Veröffentlichung per Telefon bzw. Eilbrief ein. Villains Schilderung deutet die Interpretationsbedürftigkeit des Textes voraus: Ich bitte um langsame Wiederholung, erfasse den sanften Hermlin’schen Doppelsinn des Textes, nämlich, dass die Verwirklichung der P.E.N.-Grundsätze gerade in der DDR noch lange nicht vollendet und speziell in Sachen Meinungsfreiheit hierzulande etliches noch einzulösen wäre. Ob sie meinen Namen mit unter die Erklärung setzen solle, will die Sekretärin wissen. Selbstverständlich, sage ich.81
Die in der zitierten Form verabschiedete Erklärung wurde an Honecker gesandt82 und mit einer Sperrfrist bis 5. Oktober an ADN übergeben. Es geschah zunächst einmal – gar nichts. Am 20. September sendete das DDR-Fernsehen den Text des P.E.N.-Präsidiums in der »›Aktuellen Kamera‹, groß aufgemacht als Spitzenmeldung und unter Bruch der vorgegebenen Sperrfrist.«83 Die Problematik der verklausulierten Resolution wurde bei der Verlesung offenbar. Selbst den Mitunterzeichner Villain beschlichen leise Zweifel: Mein erster Eindruck: Was das wirklich unser Text? Fehlte da nicht etwas, und wäre es nur ein einziges Wort? Oder lag es an der Sprecherin, dass das, was in ihm steckt, nicht raus kam? Noch läuft die Aktuelle Kamera, da klingelt schon das Telefon. Am Apparat ein mittlerer Funktionär des Außenministeriums […]. Mit vor Zorn vibrierender Stimme schnauzt er, wie ich denn dazu komme, ›so etwas‹ zu unterschreiben! Er empfinde die Erklärung als ›ein intellektuelles Attentat auf ’s Politbüro!‹ Und ich bin über seine Reaktionen heilfroh. Demnach hat die Fernsehsprecherin unseren Text wohl doch nicht manipuliert.84 80
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Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR. Erklärung zum 40. Jahrestag der DDR. In: Neues Deutschland 224 (22. 9. 1989), S. 1. Villain, S. 56. Vgl. Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR an Erich Honecker [12. 9. 1989]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/H/Honecker Erich 1. Villain, S. 57. Villain, S. 57f. Bei einem weiteren Zusammentreffen mit dem Funktionär ging es abermals um die Resolution: »Wie ich, um alles in der Welt, dazu gekommen sei, dieses ›pflaumenweiche Gelaber‹ mit zu unterschreiben … Ob ich denn wirklich nicht begreife, dass ›die da drüben‹ im Begriffe stünden, die DDR ›kaputt zu spielen‹.« Villain, S. 59.
Zwei Tage später erschien die Stellungnahme des P.E.N.-Zentrums DDR auf der ersten Seite des Neuen Deutschland, fett gedruckt.85 Im Hinblick auf die Situation in der DDR, verwiesen sei nur auf die zum Teil brutale Niederschlagung der zahlreichen Demonstrationen, musste vielen Lesern die Nennung der Meinungsfreiheit in positiver Verknüpfung mit dem DDR-Staat aus der Feder des P.E.N. merkwürdig erscheinen; zumal gerade Schriftsteller, und also auch die P.E.N.-Mitglieder, oft genug die Beschränkung der Meinungsäußerung durch die hinlänglich bekannten Vorgaben der Zensur erfahren haben mussten. Von manchen wurde die Erklärung »wie ein Kniefall vor der damaligen Staatsführung gelesen«86 . So auch von Richard Christ: Er verstand die Wortmeldung des P.E.N. als »Ergebenheitsadresse«, »worin unterschriftlich bestätigt wurde, u. a., daß die DDR ein Ort sei, wo sich die Freiheit des Wortes verwirklichen lasse! Ich wollte damals bereits anfragen: Wer von den Unterzeichnern hat den Aufruf tatsächlich gekannt, wer hat ihn veranlasst, wer formuliert?«87 Vielen war vermutlich die kritische Nuance der scharfsinnig erdachten Formulierung entgangen, deren Aussageabsicht Friedrich Dieckmann im Rückblick erläuterte: Daß diese Grundsätze in der DDR realisierbar seien (nicht, daß sie realisiert wären), war die Botschaft eines Textes, der auf genaue Leser rechnete, einen Horizont eröffnend, dessen Erreichung die allzu feinsinnige Prägung im Dunkeln ließ. Zweifellos rechnete Hermlin, der seine Verzweiflung über die politische Apathie der SEDFührung einige Monate zuvor in einem Spiegel-Interview dargetan hatte, auf einen einschneidendenKurs- und Führungswechsel im Rahmen des bevorstehendenGesamtsystems.88
Auf die Notwendigkeit der rechten Interpretation verwies ein Briefschreiber aus Leipzig; er richtete Dank an die Unterzeichner der Erklärung, »die man allerdings zu lesen verstehen mußte. Mir persönlich war sie so etwas wie ein Alarmsignal, was etwas Mutzuwachs zur Folge hatte.«89 Auch Dieter Schlenstedt interpretierte die Wortmeldung des P.E.N. als »[e]in[en] Kompromiß zwischen schon aufgelösten und noch haltenden Banden frommer Scheu – wer lesen konnte in der DDR, las in der Selbstbeschreibung die Kundgabe von Normen, in der Affirmation die Mahnung, in der Bekräftigung das Gefühl schon von Vergeblichkeit.«90 85
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Vgl. Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR. Erklärung zum 40. Jahrestag der DDR. In: Neues Deutschland 224 (22. 9. 1989), S. 1. Bericht des Generalsekretärs [Walter Kaufmann] [30. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. Januar 1990/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 2. Richard Christ an Walter Kaufmann [30. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/C/Christ Richard 1. Friedrich Dieckmann: Wo wir angekommen sind. Berliner Schriftstellerresolutionen im Vorfeld der DDR-Umwälzung. In: Freitag 4 (17. 1. 1997), S. 12f., hier S. 12. Brief von Thomas Gerdes [Leipzig] [2. 11. 1989]. Zitiert nach Bericht des Generalsekretärs [Walter Kaufmann] [30. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. Januar 1990/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 2. Vgl. auch Thomas Gerdes an Walter Kaufmann [2. 11. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/G/Gerdes Thomas 1, 1a–d, hier 1. Dieter Schlenstedt: Zur Einführung, S. 22. 835
Die Präsidiumsmitglieder Werner Liersch und Friedrich Dieckmann sahen im Hinblick auf die zahlreichen befremdeten Reaktionen zu der putativen Treuebekundung gegenüber dem DDR-Staat eine Verknüpfung zu der am 14. September 1989 verabschiedeten Entschließung des Schriftstellerverbandes (Bezirksverband Berlin); diese sei – im Gegensatz zur Erklärung des P.E.N.-Zentrums – eine »Erklärung zur aktuellen Lage«91 gewesen. Tatsächlich hatte der Schriftstellerverband in seiner Resolution scharfe Kritik an den bestehenden Missständen geübt: Angesichts der gegenwärtigen massenhaften Abwanderung von DDR-Bürgern können wir offizielle Verlautbarungen nicht hinnehmen, die behaupten, ›nichts, aber auch gar nichts‹ spreche ›für die Notwendigkeit einer Kurskorrektur‹. Es ist uns unerträglich, wie die Verantwortung für die Situation abgeschoben wird, obwohl die Ursachen in nicht ausgetragenen Widersprüchen im eigenen Land liegen. Das schließt die Auseinandersetzung mit westlichen Massenmedien ein. Der Exodus ist nur ein Zeichen für angestaute grundsätzliche Probleme in allen Bereichen der Gesellschaft. Es fehlt inzwischen nicht an Analysen und Ideen, sondern an Möglichkeiten, sich öffentlich über sie zu verständigen und sie wirksam zu machen. Aus Sorge um die weitere Entwicklung zum Sozialismus fordern wir, daß dieser demokratische Dialog auf allen Ebenen sofort beginnt.92
Liersch und Dieckmann unterstellten eine politische Instrumentalisierung der P.E.N.-Adresse: Auch dieser Text [des Schriftstellerverbandes] ist an ADN gegeben worden, aber er wurde nicht veröffentlicht; als er acht Tage später im Westen ruchbar wurde, kamen Fernsehen und Presse der DDR anderntags in großer Aufmachung mit der JahrestagsErklärung des P.E.N.-Präsidiums heraus, gleichsam als wäre dies eine Erwiderung auf die unterschlagene Resolution des Bezirksverbands.93
Ob den Verantwortlichen dieser Informationspolitik die Spitzfindigkeit Hermlins zu wenig offensichtlich erschien oder schlichtweg entgangen war, sei dahingestellt. Jean Villain unterstützt die Dieckmann’sche These; er betrachtet die Veröffentlichung – »[s]icherlich nicht ohne einen Wink von oben«94 – ebenfalls in direktem Zusammenhang mit der wesentlich radikaleren Erklärung des Schriftstellerverbandes. Ausschlaggebend erscheint ihm der Zeitpunkt der Veröffentlichung für die Deutungsweise der P.E.N.-Erklärung; er führt die kurzlebige Legitimität der Wortmeldung in dieser Zeit sich überstürzender Ereignisse an, 91
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Friedrich Dieckmann und Werner Liersch an Walter Kaufmann [7. 10. 1989]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Dossier (Wende)/Briefe/An das Präsidium des PENZentrums DDR 1. Auch Kaufmann betonte dies noch einmal in seinem Jahresbericht auf der Generalversammlung im darauf folgenden Jahr. Vgl. Bericht des Generalsekretärs [Walter Kaufmann] [30. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. Januar 1990/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 2. Resolution des Berliner Verbandes des Schriftstellerverbandes der DDR vom 14. 9. [1989]. In: die tageszeitung 2917 (22.9.1989). Friedrich Dieckmann und Werner Liersch an Walter Kaufmann [7. 10. 1989]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Dossier (Wende)/Briefe/An das Präsidium des PENZentrums DDR 1. Villain, S. 69.
[d]enn was am 12. 9. von uns noch als vertretbar betrachtet und von einigen Leuten als ›systemkritisch‹ übel genommen wurde, war inzwischen zu fast schon beschämender Sanftheit abgewelkt. Und als die Westberliner Medien weitere sechs Tage später unsere zwei dürren Sätze der inzwischennach drüben geschmuggeltenBerliner Resolution des Verbandes gegenüberstellten, standen wir gar als die letzten Stalinisten da …95
In einem Brief an den Generalsekretär Walter Kaufmann forderten Dieckmann und Liersch eine Sondersitzung des Präsidiums, um eine klärende Stellungnahme zu erwirken; diese sollte die kryptische Wortmeldung des P.E.N. in ihrem eigentlichen Aussagegehalt unterstützen und die kritische Position der P.E.N.Mitglieder gegenüber den Verhältnissen in der DDR deutlich machen. Das P.E.N.-Zentrum DDR sollte bei dem sich verstärkt und auf breiterer Basis formierenden Widerstand in den Reihen der Künstler, die bislang eher in Einzelaktionen gegen das Staatssystem revoltierten, nicht länger unbeteiligt außen vor stehen: Zu der Freiheit des Wortes, für deren Verwirklichung an dem Staatsort DDR wir uns öffentlich ausgesprochen haben, gehört die Veröffentlichung einer so wichtigen und so konstruktiven Erklärung, wie sie mit den Stimmen auch vieler P.E.N.-Mitglieder auf jener Versammlung des Bezirksverbandsangenommen wurde. Um dem durch manipulatorische Informationspolitik erzeugten Mißverständnis unserer Erklärung zu begegnen, um deren Inhalt mit Leben zu erfüllenund uns nicht abtrennenzu lassen von der in diesen Tagen von vielen Künstlern öffentlich geäußertenSorge über den Zustand unseres Landes und unserer Gesellschaft, halten wir es für erforderlich, daß sich das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR der Resolution des Bezirksverbands in aller Form anschließt und das denselben Adressen – dem Vorsitzenden des Staatsrats und dem ADN – kundgibt.96
Gleichwohl zielte dieses Begehren – ebenso wie die Erklärung vom 12. 9. – nicht auf die völlige Infragestellung der DDR als Staat ab: Noch immer herrschte der Glaube an die Verbesserung der Lage durch eine umfassende Umformung des sozialistischen Staatssystems vor. Zwar brachte eine dementsprechende Erklärung, die auf der von Dieckmann und Liersch geforderten SonderPräsidiumssitzung beschlossen wurde, dem P.E.N.-Zentrum DDR »mit der Post mehr böses als gutes«97 ein; zugleich bewirkte sie eine Bahn brechende Veränderung der seit Jahren festgeschriebenen personellen Strukturen in der Führung des P.E.N.-Zentrums. Die von Dieckmann und Liersch geforderte außerordentliche Präsidiumssitzung, für die »unbedingte Teilnahme« erbeten wurde, fand am 26. Oktober 1989 statt. Erschienen waren nach Information des Ministeriums für Staatssicherheit alle Präsidiumsmitglieder, mit Ausnahme von Rita Schober: Kamnitzer, Hermlin, Fries, Dieckmann, Liersch, Kerndl, Königsdorf, Villain, 95 96
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Villain, S. 69. Friedrich Dieckmann und Werner Liersch an Walter Kaufmann [7. 10. 1989]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Dossier (Wende)/Briefe/An das Präsidium des PENZentrums DDR 1. Bericht des Generalsekretärs [Walter Kaufmann] [30. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. Januar 1990/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 3. 837
Cwojdrak und der Generalsekretär Kaufmann.98 Villain empfand die Zusammenkunft als »Krisensitzung«; er ahnte interne Konsequenzen für das P.E.N.Zentrum: Der Briefentwurf »wird unser Gremium polarisieren, vielleicht spalten.«99 Die Befürchtungen bestätigten sich mindestens zum Teil. Während die Mitglieder des Präsidiums im Kern der Sache übereinstimmten, dass das P.E.N.Zentrum klare Stellung beziehen musste, um zumindest den mit der Erklärung zum 40. Jahrestag erwiesenen »Bärendienst« auszugleichen, äußerte Heinz Kamnitzer arge Bedenken gegen den von Dieckmann und Liersch eingereichten Vorschlag. Zwar sei er mit vielem, was in dem Brief stehe, einverstanden. Die Erklärung des Schriftstellerverbandes allerdings sei nach seiner Meinung unvereinbar mit den Grundsätzen der P.E.N.-Charta; man denke an Galsworthys Grundsatz: »No politics in the P.E.N. at all!« Dieser Haltung stellten sich die übrigen Anwesenden entschlossen entgegen; man lese die Charta völlig anders und schäme sich, erst jetzt zu reagieren. Der Vorschlag, sich der Erklärung des Schriftstellerverbandes einfach anzuschließen, wurde schließlich verworfen. Zur Diskussion stand nun der Entwurf eines klärenden Briefes an den nach Honeckers Abwahl als SED-Generalsekretär amtierenden Egon Krenz: Den Anwesenden war durchF. Dieckmann eine von ihm und Werner Liersch erarbeitete›Erklärungdes Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR‹ unterbreitet worden, in der neue gesellschaftliche Strukturen, eine grundlegende Öffnung der Gesellschaft, die Zulassung oppositioneller Zusammenschlüsse, die Einrichtung eines unabhängigen Verwaltungsgerichtes, die Ahndung von Polizeiwillkür und die Offenlegung persönlicher und kollektiver Verantwortung der staatlichen Leiter gefordert werden.100
Was folgte, war das Ringen um die Endfassung des Briefes. Mitten in diesen »Wortklaubereien« resignierte Kamnitzer; »er sehe sich außerstande«101 , das Entstehende mit zu tragen. Kamnitzers Versuche, »die Präsidiumsmitglieder an ihre, durch die PEN-Charta bestimmten Verpflichtungen zu ermahnen, zu größerer Besonnenheit, Sachlichkeit und Konstruktivität aufzufordern sowie von derartigen Versuchen der Einmischung in die Politik des Staates Abstand zu nehmen, blieben ohne Erfolg.«102 Zwar unternahmen Fries und Kerndl »zag98
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Rolf Pönig [Major, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information zu Aktivitäten des PEN-Zentrums der DDR [27. 10. 1989]. BStU, MfS, HA XX Nr. 4813, Bl. 1f., hier Bl. 1. Villain, S. 69. Rolf Pönig [Major, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information zu Aktivitäten des PEN-Zentrums der DDR [27. 10. 1989]. BStU, MfS, HA XX Nr. 4813, Bl. 1f., hier Bl. 2. Rolf Pönig [Major, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information zu Aktivitäten des PEN-Zentrums der DDR [27. 10. 1989]. BStU, MfS, HA XX Nr. 4813, Bl. 1f., hier Bl. 2. Rolf Pönig [Major, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information zu Aktivitäten des PEN-Zentrums der DDR [27. 10. 1989]. BStU, MfS, HA XX Nr. 4813, Bl. 1f., hier Bl. 2.
hafte Versuche«103 , Kamnitzer in seiner Position zu unterstützen; diese blieben ohne Einfluss. Hermlin und Königsdorf griffen die »ewig Gestrigen«104 scharf an. Hermlin signalisierte Zustimmung zu der vorgeschlagenen Erklärung; er sah die Gegenkräfte der gegenwärtigen Entwicklung in der DDR noch lange nicht ausgeschaltet. Königsdorf attackierte Kamnitzer mit der Bemerkung, »›ein Mann, der sich nicht von der Vergangenheit trennen kann, habe hier und heute nichts mehr zu sagen.‹«105 Mit dem Bekenntnis, »[e]r brauche Bedenkzeit, habe Schwierigkeiten mit der Wende, könne nun mal nicht bis an die Grenze seiner Selbstverleugnung gehen. Unmöglich, 40 Jahre einfach durchzustreichen«, verließ Kamnitzer trotz eines angebotenen Aufschubs106 die Versammlung: »Grußlos, gramgebeugt.«107 Die Teilnehmer an der Präsidiumssitzung zeigten sich trotz des Rückzugsverhaltens ihres Präsidenten sehr zielbewusst und stimmten nach langen Debatten einstimmig für die Veröffentlichung des Offenen Briefes.108 Gegen den Brief zu stimmen, wäre Kamnitzer möglich gewesen; er hatte aber wohl begriffen, dass er mit seiner Stimme allein gegen die übrigen Präsidiumsmitglieder gestanden hätte. Dass das Verlassen der Sitzung nicht bloß die einmalige Flucht vor einer Entscheidung, sondern den sofortigen und endgültigen Abschied vom Präsidentenamt bedeutete, darüber klärte Kamnitzer am folgenden Tag in einem Brief an Kaufmann auf: Ich möchte auch schriftlich klar machen: 1. Ich stehe nicht mehr als Präsident des P.E.N.-Zentrums DDR für eine Wiederwahl zur Verfügung. 2. ich bin gleichfalls nicht bereit, für die Mitgliedschaft im Präsidium in Zukunft zu kandidieren; 3. meine Tätigkeit ruht ab sofort.109
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Rolf Pönig [Major, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information zu Aktivitäten des PEN-Zentrums der DDR [27. 10. 1989]. BStU, MfS, HA XX Nr. 4813, Bl. 1f., hier Bl. 2. Rolf Pönig [Major, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information zu Aktivitäten des PEN-Zentrums der DDR [27. 10. 1989]. BStU, MfS, HA XX Nr. 4813, Bl. 1f., hier Bl. 2. Rolf Pönig [Major, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Information zu Aktivitäten des PEN-Zentrums der DDR [27. 10. 1989]. BStU, MfS, HA XX Nr. 4813, Bl. 1f., hier Bl. 2. In einer letzten Stellungnahme zu seinem Rücktritt erklärte Kamnitzer allerdings genau das Gegenteil: »Selbst eine Karenz bis zum nächsten Morgen ist mir verweigert worden, obwohl ich darum mit gutem Grund gebeten hatte.« Heinz Kamnitzer an Walter Kaufmann [22. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/ Heinz Kamnitzer 3 und 3a, hier 3. Villain, S. 71. Unterzeichnet war der Aufruf an Krenz durch die Präsidiumsmitglieder Cwojdrak, F. Dieckmann, Fries, Hermlin, Kaufmann, Kerndl, Königsdorf, Villain und den Revisionsbeauftragten Liersch. Es fehlten die Unterschriften von Deicke und Schober. Heinz Kamnitzer an Walter Kaufmann [27. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Heinz Kamnitzer 1. 839
Nach langen Jahren als führender Kopf des P.E.N.-Zentrums DDR schien Kamnitzer von der Zeitgeschichte überrannt. Er war nicht wendig genug, die sich überstürzenden Veränderungen – politisch, gesellschaftlich und kulturell – gutzuheißen, wohl auch nicht willens; dies war immerhin konsequent.110 Auch späterhin war Kamnitzer nicht zu klärenden Gesprächen über sein Handeln bereit; er nahm an keiner Zusammenkunft des P.E.N.-Zentrums DDR mehr teil.111 Im Vorfeld der ersten Generalversammlung nach seinem Rücktritt und dem Zusammenbruch der DDR machte er deutlich, dass er »keine Sitzung mehr aus[halte]« und verteidigte noch einmal seine frühere Position: Mir liegt gar nichts daran, diese Vorgänge aufzurühren, zumal ich verstehe, wenn in dramatischenTagen nicht alles abläuft, wie es vorgeschriebenist. Aber ich hatte damals in meinem Amt darauf zu bestehen, daß die Grenzen der Grundsätze jederzeit eingehalten werden, so sicher ich mir auch gewesen bin, daß meine Pflicht nicht den Sympathien der meisten Mitglieder entsprechen würde. Aber ich habe nicht zwanzig Jahre lang mich dagegen verwahrt und gewehrt, daß alles, was Staat und Gesellschaft in der DDR betrifft, uns im P.E.N. unter keinen Umständen zu bestimmen hat, um am Ende diese Maßstäbe selbst zu verletzen.112
Inhaltlich bezog die von Kamnitzer abgelehnte Erklärung Stellung zu den Vorgängen der jüngsten DDR-Geschichte: Was mit vereinzelten Demonstrationen begonnen hatte, geriet Anfang Oktober in einen Fluss, der immer mehr an Geschwindigkeit und Stärke zunahm. Die Protestkundgebungen bewiesen die Geschlossenheit nicht nur der politischen Opposition, sondern auch der breiten Masse der Bevölkerung. Die Teilnehmerzahlen der Massenkundgebungen stiegen stetig an, gleichzeitig ebbte die Ausreisewelle – nun vor allem über ˇ Ungarn und die CSSR – nicht ab.113 Bekannteste Losung der Demonstranten war Wir sind das Volk! Die Sprechchöre erhoben Forderungen nach Demokratie, freien Wahlen unter UN-Kontrolle, (Presse)freiheit und durchgreifenden Reformen des Staatsapparates. Begleitet wurden die Proteste gegen die Politik der Parteiführung von den massiven Eingriffen der »Ordnungskräfte«. Von besonderer Schärfe waren diese Maßnahmen ausgerechnet am 7. Oktober, dem Jahrestag der Staatsgründung. Während die Sicherheitsdienste der DDR in 18 Städten mit Gewalt gegen die demonstrierenden Bürger agierten – »Gummiknüppel, Wasserwerfer, Zuführungen, z. T. in extra vorbereitete, abseits gelegene Objekte (wie Turnhallen, Großgaragen, Pferdeställe), Schikanen gegen 110
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Vgl. hierzu auch die Interpretation eines Pressekommentators. heb [d. i.?]: DDRKünstler proben den Aufstand. Radikale Erklärungen des PEN-Zentrums und der Akademie der Künste. In: StuttgarterZeitung vom 28. 10. 1989: »Daß [Kamnitzer] und nicht der wendige Hermann Kant erstes Opfer einer literarischen Perestrojka wurde, gehört zur seltsamen Ironie der Geschichte. Er hat nicht schnell genug gelernt, oder besser: er ist seinen Prinzipien treu geblieben.« Vgl. Friedrich Dieckmann: Wo wir angekommen sind. Berliner Schriftstellerresolutionen im Vorfeld der DDR-Umwälzung. In: Freitag 4 (17. 1. 1997), S. 12f., hier S. 13. Heinz Kamnitzer an Walter Kaufmann [22. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 30. 1. 1990/Heinz Kamnitzer 3 und 3a, hier 3a. Vgl. Weber, S. 474–476.
die Verhafteten …«114 –, tat Gorbatschow »wenige Kilometer entfernt vom Ort der Prügelorgien«115 seinen viel zitierten Ausspruch: »›Wenn wir zurückbleiben, bestraft uns das Leben sofort‹«116 . Ungeachtet der befürchteten Eskalation setzten die Kritiker die Kundgebungen in den folgenden Tagen und Wochen fort. Der zunehmende Druck im Inneren des Landes zwang die Regierenden zum Handeln: Am 18. Oktober wurde Honecker »›auf eigenen Wunsch‹«117 von allen politischen Ämtern entbunden und Egon Krenz zum neuen Generalsekretär erhoben; er wurde am 24. Oktober auch zum Staatsratsvorsitzenden und Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrates gewählt – ohne Rücksicht auf die Proteste des Volkes gegen diese »neue ›Machtkonzentration‹«118 . Vor diesem Hintergrund war die Erklärung des P.E.N.-Präsidiums entstanden. Diesem lag zu den Vorkommnissen des 7./8. Oktober eine 29 Seiten umfassende Sammlung von zum Teil erschütternden Augenzeugenberichten vor, die die Kontakttelefongruppe der evangelischen Jugendarbeit zusammengefasst und zur Verfügung gestellt hatte.119 Den Einstieg in den Text für den Krenz-Brief wählte man jedoch über die Situation im Land, die man verhalten kommentierte; man verwies auf die Bürgerproteste und deren Forderungen, die veränderte Haltung der Führungsebene und die Notwendigkeit, einen durchgreifenden Umbau des Staates und weiter Bereiche der Gesellschaft durchzuführen. Antithetisch deutete man die Folgen stagnierender Reformen an: »Ein weiteres Anwachsen der Probleme könnte den Bestand des Sozialismus gefährden und unser Land zu einem Gefahrenherd in Europa werden lassen.«120 An diese allgemeine Bestandsaufnahme schloss sich der breit gefächerte Forderungskatalog des Präsidiums mit detaillierten Vorstellungen an: Notwendig seien »neue, qualitativ erweiterte Strukturen« politischer Meinungsund Willensbildung und die Möglichkeit zu einer »Vielfalt politischer Meinungen und Organisationsformen«, weiterhin »die sofortige Einrichtung einer unabhängigen Rechtsinstanz, die bestehende Gesetze, Verordnungen, Verfügungen, Praktiken auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüft«121 . Schließlich nahmen die Unterzeichner die Verantwortlichen für die Krise des Staates in die Pflicht; sie
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Lindner, S. 74. Lindner, S. 77. Lindner, S. 77. Weber, S. 478. Weber, S. 478. Vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Dossier (Wende)/Gedächtnisprotokolle Tage und Nächte 1–29. ADN: P.E.N.-Präsident stellt seine Tätigkeit ein. Auseinandersetzung um Erklärung von Präsidiumsmitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR an Egon Krenz. In: Neues Deutschland 254 (28./29. 10. 1989), S. 4. ADN: P.E.N.-Präsident stellt seine Tätigkeit ein. Auseinandersetzung um Erklärung von Präsidiumsmitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR an Egon Krenz. In: Neues Deutschland 254 (28./29. 10. 1989), S. 4. 841
forderten »die Offenlegung persönlicher und kollektiver Verantwortung für die Leitung der Staatsangelegenheiten«122 . Deutlichen Ausdruck verliehen die Präsidiumsmitglieder ihrer Empörung und Bestürzung über das Verhalten der Staatsführung gegenüber der politisch organisierten wie bürgerlichen Opposition und drängten im Gegenzug auf die umfassende Gewährung der Grundrechte. An die eigenen Mitglieder appellierte man, »an öffentlichen Bekundungen zur Gewährleistung der Artikel 27–30, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, das Recht auf Vereinigung und die Unantastbarkeit der Persönlichkeit «123 , teilzunehmen. Ungeachtet aller Kritik legten die Unterzeichner das klare Ziel der Verlautbarung dar: »Wir setzen uns für rasche und entschiedene Schritte ein, die das Verhältnis von Staat und Bürgern auf eine neue, wahrhaft demokratische Grundlage stellen.«124 Die Vorgänge im Präsidium des P.E.N.-Zentrum DDR gerieten rasch an die Öffentlichkeit. Zwei Tage nach der Präsidiumssitzung erschien die Verlautbarung auf breiter Basis in den Medien der DDR – stets gepaart mit der Rücktrittserklärung des langjährigen Präsidenten. Die Verknüpfung der beiden Sachverhalte allerdings variierte je nach Ausrichtung des meldenden Blattes. Das Neue Deutschland akzentuierte in seinem Titel in erster Linie den Rücktritt Kamnitzers und die Auseinandersetzung im P.E.N.-Zentrum um den Brief an Krenz. Zwar brachte es darunter den vollen Wortlaut der Erklärung sowie die von Kamnitzer an ADN übermittelte Entgegnung ohne weiteren redaktionellen Kommentar.125 Dem Leser aber blieb die Krux – der deutliche Forderungskatalog des P.E.N.-Präsidiums an die Regierung – beim flüchtigen Überfliegen der Meldung vermutlich verborgen. Eine differenziertere Wertung nahm etwa die Neue Zeit vor; sie veröffentlichte den Text des Präsidiums unter »prägnanter Überschrift« und brachte Kamnitzers Rücktritt als gesonderte Meldung.126 Dies sind lediglich Nuancen, für die äußere Wahrnehmung des Vorganges dürften sie aber eine Rolle gespielt haben. Die Konfrontation von Präsidium und Präsident fand ihre Fortsetzung wiederum im öffentlichen Rahmen: Auf Kamnitzers publizierte Äußerungen, in denen er den Brief an Krenz als Verstoß gegen die Prinzipien der internatio122
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ADN: P.E.N.-Präsident stellt seine Tätigkeit ein. Auseinandersetzung um Erklärung von Präsidiumsmitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR an Egon Krenz. In: Neues Deutschland 254 (28./29. 10. 1989), S. 4. ADN: P.E.N.-Präsident stellt seine Tätigkeit ein. Auseinandersetzung um Erklärung von Präsidiumsmitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR an Egon Krenz. In: Neues Deutschland 254 (28./29. 10. 1989), S. 4. ADN: P.E.N.-Präsident stellt seine Tätigkeit ein. Auseinandersetzung um Erklärung von Präsidiumsmitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR an Egon Krenz. In: Neues Deutschland 254 (28./29. 10. 1989), S. 4. ADN: P.E.N.-Präsident stellt seine Tätigkeit ein. Auseinandersetzung um Erklärung von Präsidiumsmitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR an Egon Krenz. In: Neues Deutschland 254 (28./29. 10. 1989), S. 4. [Vgl.] Friedrich Dieckmann an Walter Kaufmann [30. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/D/Dieckmann Friedrich 10.
nalen P.E.N.-Charta wertete – Mitglieder dürften »sich weder für noch gegen eine Gesellschaftsordnung oder Staatsverfassung aussprechen«127 –, folgte ein Schlagabtausch, der die Problematik der P.E.N.-Grundsätze und die Elastizität hinsichtlich ihrer Ausdeutung beispielhaft vorführt. Kamnitzer griff in seiner Darstellung auf die Kernpunkte der Charta zurück. Die Grundsätze des Internationalen P.E.N. seien »eindeutig und eingegrenzt auf das Plädoyer für eine Welt ohne Krieg, ohne Rassenwahn und Nationaldünkel zwischen allen Staaten und die Freiheit des Wortes.«128 Punkt 4 der Charta, der die Mitglieder nicht nur verpflichtet, »jeder Art der Unterdrückung der Äußerungsfreiheit in ihrem Lande […] entgegenzutreten«, sondern auch auf die Überzeugung einschwört, »daß der notwendige Fortschritt der Welt zu einer höher organisierten politischen und wirtschaftlichen Ordnung hin eine freie Kritik gegenüber den Regierungen, Verwaltungen und Einrichtungen gebieterisch verlangt«, ließ Kamnitzer damit wohlweislich außen vor. Gerade letzterem Ansinnen waren die Präsidiumsmitglieder mit ihrem konkreten Forderungskatalog an Krenz gefolgt; sie hofften auf eine Verbesserung der staatlichen und gesellschaftlichen Situation. Eine diffuse Erklärung des Generalsekretärs Walter Kaufmann im Neuen Deutschland vom 30. Oktober war kaum dazu angetan, dem Außenstehenden die nuancierten Feinheiten der Charta näher zu bringen und Kamnitzers Anschuldigung zu entkräften129 : Das P.E.N.-Zentrum legt Wert darauf festzustellen,daß die Stellungnahme unseresehemaligen Präsidenten Prof. Heinz Kamnitzer auf einem Irrtum beruht. Die Charta des Internationalen P.E.N. behandelt die Beziehungen zwischen den nationalen Zentren. Dies hat nichts zu tun mit den Standpunkten eines beliebigen P.E.N.-Zentrums, die das eigene Land betreffen.130
Zwar hatte das Präsidium gemeinsam die Formulierung der Erklärung erarbeitet.131 Kritik erntete Kaufmann dennoch von Friedrich Dieckmann, dessen Protest gegen Kamnitzers Rücktrittsbegründung vermutlich den Anstoß zu Kaufmanns Entgegnung vom 30. Oktober gegeben hatte und dieser als Vorlage diente.132 Die Wendung »Dies hat nichts zu tun …« in Kaufmanns Antwort 127
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ADN: P.E.N.-Präsident stellt seine Tätigkeit ein. Auseinandersetzung um Erklärung von Präsidiumsmitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR an Egon Krenz. In: Neues Deutschland 254 (28./29. 10. 1989), S. 4. ADN: P.E.N.-Präsident stellt seine Tätigkeit ein. Auseinandersetzung um Erklärung von Präsidiumsmitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR an Egon Krenz. In: Neues Deutschland 254 (28./29. 10. 1989), S. 4. Ähnliche Kritik formulierte das Mitglied Richard Christ: »Heute letztlich die konfuse Information über die Irrtümer des Präsidenten … Welcher Leser soll daraus noch schlau werden?« Richard Christ an Walter Kaufmann [30. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/C/Christ Richard 1. ADN: Erklärung des Generalsekretärs des P.E.N.-Zentrums der DDR. In: Neues Deutschland 255 (30. 10. 1989), S. 6. Walter Kaufmann an Friedrich Dieckmann [13. 11. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/D/Dieckmann Friedrich 7. Friedrich Dieckmann an Walter Kaufmann [28. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/D/Friedrich Dieckmann 3. 843
habe die Sachlage uneindeutig gemacht und Kamnitzer Gelegenheit »zu seiner albernen zweiten Entgegnung«133 geboten; diese war in der Ausgabe des Neuen Deutschland vom 31. Oktober erschienen und berief sich auf die Zentrale des Internationalen P.E.N.-Clubs: Was für ein Ansehen würde ein Sachverband besitzen, wenn seine Richtlinien beliebig eingeschränkt oder erweitert werden könnten? Das Sekretariat des Internationalen P.E.N. in London hat mir auf Anfrage erklärt und wird schriftlich bestätigen: Die Behauptung, die Charta des Internationalen P.E.N. behandelt die Beziehungen zwischen seinen Zentren,ist unrichtig.Wie in den VereintenNationen sind die Grundsätze verbindlich für alle Gliederungen und alle Mitglieder, unabhängig von Zeit und Ort. Jede andere Auslegung würde der Willkür einen Freibrief ausstellen […].134
Im Grunde agierte Kamnitzer, zumindest im Hinblick auf das Publikum der Auseinandersetzung, sehr geschickt. Gestärkt durch die Autorität des Internationalen P.E.N., musste seine Position dem unbedarften Betrachter plausibel erscheinen, die des Präsidiums bzw. Generalsekretärs indes zweifelhaft. Zur Erhellung des eigentlichen Problems, der (un)berechtigten Kritik am Handeln der Staatsführung der DDR, trug seine Stellungnahme jedenfalls wenig bei. Die Reaktionen auf den Offenen Brief an Krenz, die beim P.E.N.-Präsidium einliefen, waren vielfältiger Art. Schärfste Kritik fand sich neben ungetrübter Zustimmung. So äußerte etwa das Mitglied Annemarie Auer in einem Brief an den Generalsekretär Kaufmann in wahrem Begeisterungssturm für die Revolution des Volkes ihre äußerste Zufriedenheit mit der P.E.N.-Erklärung: »Und sehr gut fand ich dann auch, daß Du der Stellungnahme von Kamnitzer eine Richtigstellung hinterher geschickt hast.«135 Mehrfach erreichte das Sekretariat Dank und Lob für die deutlichen Worte: »Ebenfalls möchte ich Ihnen und Ihren Kollegen danken für die Erklärung an Egon Krenz, in der Sie unmißverständlich fordern, was nötig ist zu fordern, um wirkliche neue Qualität für unsere Gesellschaft zu erreichen.«136 Ein weiterer Briefschreiber gratulierte »zu dem Mut und der Konsequenz«; er habe »in der letzten Zeit keinen so prägnant das Wichtigste ansprechenden und begründenden Text gelesen«137 . Kamnitzers Verhalten verurteilte er hingegen und rührte an jenen unauflöslichen Widerspruch, der die Geschichte des DDR-P.E.N. wie ein roter Faden durchzieht; er verwies auf die Kluft zwischen der vielfach beschworenen Charta und deren Nichtanwendung im eigenen Land trotz ausreichend vorhandener Beweggründe: »Die 133
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Friedrich Dieckmann an Walter Kaufmann [9. 11. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/D/Dieckmann Friedrich 8 und 8a. Erklärung von Prof. Dr. Heinz Kamnitzer, Präsident a. D. des P.E.N.-Zentrums DDR. In: Neues Deutschland 256 (31. 10. 1989), S. 4. Annemarie Auer an Walter Kaufmann [31. 10. 1989].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/A/Annemarie Auer 2. Thomas Gerdes an Walter Kaufmann [2. 11. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/G/Gerdes Thomas 1, 1a–d, hier 1. D. Rüdinger [?] an Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR [28. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/R/Rüdigies 1 und 1a, hier 1.
Erklärungen Ihres (ehem.) Präsidenten dagegen sind enttäuschend und doch sehr nach Drückebergerei anmutend. Wenn schon eine derartige Begründungsebene: Warum meint er denn nicht eben, um die ›Freiheit des Wortes‹ bei uns kämpfen zu müssen!?«138 Das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR ermunterte der Briefschreiber, den begonnenen Weg fortzusetzen: »Bleiben Sie dran!! Bitte kämpfen Sie mit uns um die konsequente Durchsetzung von Reformen in unserem Land! Zu viele scheinen schon ausgesöhnt, zufrieden. Dabei steht das Wichtigste noch vor uns. Vielen Dank für Ihren so fundierten Beitrag!«139 Die Eigenmächtigkeit des Präsidiums, ohne »Einvernehmen mit der PENBasis« gehandelt zu haben, beklagte das Mitglied Richard Christ: »Tut das Präsidium nicht eben das, was es in seiner Erklärung nachdrücklich und zu Recht verurteilt?«140 Christ zweifelte an der demokratischen Grundlage des P.E.N.Zentrums; sein Vertrauen war geschwunden: »Ich wäre nicht erstaunt, demnächst meiner Morgenzeitung zu entnehmen, daß mit meiner Stimme ein neuer Präsident gewählt wurde.«141 Wortmeldungen kamen aber auch von Nicht-P.E.N.-Mitgliedern; sie brachten keine Einwände gegen das generelle Vorgehen des P.E.N.-Präsidiums, sondern straften die Stellungnahme inhaltlich ab. Die Äußerung hinsichtlich notwendiger Reformen brachte den Verfassern des Krenz-Briefes die mal mehr, mal weniger implizite Verdächtigung der Sozialismus-Gegnerschaft ein; man könne nicht herausfinden, »wofür und wogegen« sie seien: Ihre Einschätzung, daß ›nur‹ ein Umbau des Staates die bestehenden Schwierigkeiten beheben könnte, Ihre Einschätzung, daß die DDR zu einem ›Gefahrenherd in Europa‹ werden könnte, Ihre Forderung nach ›neuen, qualitativ erweiterten Strukturen‹ und einer grundlegenden ›Öffnung‹ machen es mir schwer, Sie von den Feinden des Sozialismus zu unterscheiden, die ja gleiche ›Empfehlungen‹ geben.«142
Es bedürfe in der gegenwärtigen Situation »wirklich nicht des Mitgeheules des P.E.N.-Zentrums mit den Wölfen der Feinde des Sozialismus«143 , gefragt sei die Unterstützung des Sozialismus durch die Schriftsteller. Stattdessen redeten diese »genau d a s nach, was aus westlichen Medien, von Rühe bis Löwenstein, vom 138
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D. Rüdinger [?] an Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR [28. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/R/Rüdigies 1 und 1a. D. Rüdinger [?] an Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR [28. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/R/Rüdigies 1 und 1a, hier 1a. Richard Christ an Walter Kaufmann [30. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/C/Christ Richard 1. Richard Christ an Walter Kaufmann [30. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/C/Christ Richard 1. Helmut Auerswald an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR [1. 11. 1989]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/A/Auerswald Helmut 1, 1a und b, hier 1. Helmut Auerswald an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR [1. 11. 1989]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/A/Auerswald Helmut 1, 1a und b, hier 1. 845
erfinderischsten ZDF-Reporter bis zum randalierenden DDR-Krawaller, vom Dreck schleudernden Biermann bis zum phrasigen Dragger aus Extrabuk zu uns eskaliert wird. […] Stünde nicht ›PEN-Zentrum der DDR‹ vornean, könnte Ihr Produkt Produkt des Springer-Verlages oder des RIAS sein.«144 Gleichwohl waren die Kritiker des P.E.N.-Zentrums keine Reformgegner; sie sahen jedoch das »auf der Straße rumlatschen« und die Aufforderung zu weiteren Protesten nicht als adäquates Mittel zur Verbesserung der Lage: »Die ›Wende‹ braucht fleissiges [sic] und diszipliniertes Arbeiten ALLER, braucht Produktion, Produkte, Handel, Konsum – und nicht mehr und mehr zum Klischee werdende Straßenwandereien und vulgäre, superlativgeile Briefe und zerredende Reden.«145 Von der negativen Wirkung der P.E.N.-Erklärung zeigte man sich überzeugt: Das Präsidium des PEN der DDR schickte Erich Krenz einen Brief – der sogar alle Bürger dieses Landes beeinflußen und ›wenden‹ soll –, der allenfalls den Gegnern der ›Wende‹ und des Sozialismus gefällt. Das Präsidium des PEN peitscht damit allenfalls Gemüter und Leidenschaften auf, Negativismen und Krakehl zeugend – und gerade d a s brauchen wir nicht. Gerade d a s braucht die andere Seite, von Biermann bis Löwenstein. Von wessen ›Geist‹ ist das Präsidium des PEN der DDR ›in Obhut genommen‹ worden?Legen Sie ihre Feder und Ihren Geist lieber in Produktivitätfür die Sache der Menschen in der DDR an. Für die Abgehauenen und die Hiergebliebenen.146
Die Mitglieder des P.E.N. gerieten damit in einen Zwiespalt, der die (literarischen) Intellektuellen der DDR während und nach dem Zusammenbruch ihres Staates in besonderer Weise betraf. Die Anklage war ihnen sicher; je nach Blickwinkel variierte nur deren Inhalt: Die Befürworter eines unveränderten sozialistischen Systems bezichtigten sie der Nachrede westlicher »Vokabeln, Phrasen, Gehässigkeiten«147 . Von anderer Seite wäre ihnen in dem skizzierten Fall Untätigkeit vorgehalten worden. Ihr Schweigen zu den Vorgängen wäre Anlass für den Vorwurf des moralischen Versagens gewesen. In den folgenden Jahren verschärfte sich im Hinblick auf das Verhältnis der Schriftsteller zum diktatorischen SED-Staat die Kritik enorm – allerdings maßgeblich von westlicher Seite. Vom Scheitern der Intellektuellen war nun die Rede. Die Beantwortung der »bösen Briefe« überließ Kaufmann wohlweislich dem wortgewandten Dieckmann; dieser allerdings befand: Eine ausführliche Ant144
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Bernhardt André an P.E.N.-Zentrum der DDR [30. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/André Bernhardt 1 und 1a, hier 1. Bernhardt André an P.E.N.-Zentrum der DDR [30. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/André Bernhardt 1 und 1a, hier 1a. Bernhardt André an P.E.N.-Zentrum der DDR [30. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/André Bernhardt 1 und 1a, hier 1a. Bernhardt André an P.E.N.-Zentrum der DDR [30. 10. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/André Bernhardt 1 und 1a, hier 1.
wort sei nicht erforderlich, lediglich eine kurze Bestätigung des Eingangs verbunden mit dem Hinweis auf »richtiges« Lesen der Texte.148 In der Außenwelt wurde der Wirbel um den Krenz-Brief mit mäßigem Interesse wahrgenommen. Die überregionalen Zeitungen in der Bundesrepublik berichteten an den Fakten orientiert über den Aufruf und den in der Folge eingetretenen Rücktritt des P.E.N.-Präsidenten. Die Meldungen konzentrierten sich auf die inhaltliche Wiedergabe des Textes und verwiesen auf Kamnitzers Entgegnung.149 Lediglich die Frankfurter Allgemeine Zeitung verwies auf »dogmatische Äußerungen« Kamnitzers »in der jüngsten Vergangenheit«150 und dokumentierte seine harsche Stellungnahme anlässlich der Vorkommnisse, die die Luxemburg/LiebknechtDemonstration in Ost-Berlin begleitet hatten. Der Brief an Krenz zeigte dennoch Wirkung. Zwar ist weder eine Reaktion des Staatsratsvorsitzenden, noch von anderer offizieller Stelle dokumentiert. Die Briefe an das P.E.N.-Zentrum DDR aber machen deutlich: Man nahm die Tätigkeit des Zentrums wahr und reagierte darauf – in zustimmender wie ablehnender Weise. Die Wortmeldung des P.E.N. hatte eine kleine Diskussion losgetreten; es war keine federführende, aber: Die prominente Stimme schien dazu angetan, das Gespräch offen zu halten und Erwiderung herauszufordern. Positiv ausgedeutet, konnte die Erklärung des P.E.N.-Zentrums als Signal gewertet werden, dass die Literaten sich als »Wortgewaltige« in den Prozess der Veränderungen einschalteten, um die aus ihrer Sicht notwendigen Zielsetzungen präzise zu formulieren. Sie übernahmen mit dieser einmaligen Stellungnahme jedoch keineswegs die geistige Führungsrolle, die man ihnen gemeinhin zuschreiben möchte. Negativ betrachtet, unterstützte die späte Meinungsäußerung die These, die Schriftsteller hätten des Massenprotestes bedurft, ehe sie sich zu Wort meldeten – entgegen der ihnen traditionell zugesprochenen Funktion als Gewissen der Nation, die ihnen eine sehr viel frühere Einmischung in die gesellschaftlichen Entwicklungen abverlangt hätte.
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Friedrich Dieckmann an Walter Kaufmann [9. 11. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/D/Dieckmann Friedrich 8 und 8a. Vgl. Ws. [d. i.?]: Protest gegen Protest. Heinz Kamnitzer will zurücktreten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 252 (30. 10. 1989), S. 33 und [dpa]: Aufruf an Krenz entzweit PEN in der DDR. Präsident legt Amt nieder, weil ›Schriftsteller sich nicht einmischen dürfen‹. In: Süddeutsche Zeitung 249 (29. 10. 1989), S. 2. Darüber hinaus heb [d. i.?]: DDR-Künstler proben den Aufstand. Radikale Erklärungen des PEN-Zentrums und der Akademie der Künste. In: Stuttgarter Zeitung 250 (28. 10. 1989), S. 41. Der Verfasser bewertete den DDR-P.E.N. wohlwollend: »Lange Jahre war die DDR-Sektion […] die einzige im gesamten Ostblock. Leise wurden hier, abseits des direkten Zugriffs der Partei, geheime Freiräume erprobt, ein kleines Korrektiv neben dem Schriftstellerverband Hermann Kants.« [Vgl.] Ws. [d. i.?]: Protest gegen Protest. Heinz Kamnitzer will zurücktreten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 252 (30. 10. 1989), S. 33. 847
9.2
Nach dem Mauerfall
9.2.1 Die Reorganisation des P.E.N.-Zentrums DDR Kamnitzers Rücktritt bedeutete für das P.E.N.-Zentrum DDR eine tief greifende Zäsur, die die Kontinuität vieler Jahre abbrach; eine Neuorientierung war notwendig geworden. Diese betraf nicht nur die Besetzung des Präsidentenamtes, sondern die gesamte Ausrichtung des Zentrums in seinen Vorhaben und Zielsetzungen. Bedingt und zugleich möglich geworden war diese Reorganisation durch die äußeren Umstände: Während sich im P.E.N.-Zentrum DDR nach den Auseinandersetzungen um die Verabschiedung des Krenz-Briefes nicht viel bewegte, spitzte sich die innenpolitische Lage der DDR weiter zu. Der Druck der Massen erzwang eine zuvor kaum für möglich gehaltene Entwicklung. Nach der Inthronisierung von Krenz stoppten die Proteste der Bevölkerung nicht. Mit Losungen wie Neue Männer braucht das Land! machten die Demonstrierenden deutlich, dass sie nicht länger gewillt waren, sich ungefragt eine politische Führung vorsetzen zu lassen. Der Alleinvertretungsanspruch der SED wurde massiv in Frage gestellt. Anfang November näherte sich die Protestwelle ihrem Höhepunkt. Neben den fortgeführten Demonstrationen eröffneten auch Foren und Podiumsdiskussionen den nötigen öffentlichen Raum für die Divergenz zwischen Volk und Staat. Besondere Bedeutung erlangte die Großkundgebung der Künstler auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November, die maßgeblich von den Berliner Bühnen initiiert worden war. Mehr als eine halbe Million Menschen hatten sich versammelt und hörten die Reden von Vertretern der Bürgerbewegungen und Schriftstellern, unter ihnen die P.E.N.-Mitglieder Christa Wolf, Heiner Müller, Stefan Heym und Christoph Hein. Die Demonstration richtete sich gegen die reformunwillige Führung, die trotz der Ausreisewelle ihren Kurs kaum korrigierte. Christa Wolf verlieh ihrer Enttäuschung über die starre Haltung der Politiker wie ihrer Hoffnung auf einen reformierten sozialistischen Staat Ausdruck, als sie sagte: »›Also träumen wir mit hellwacher Vernunft: Stell Dir vor, es ist Sozialismus und keiner geht weg! Wir sehen aber die Bilder der immer noch Weggehenden und fragen uns: Was tun? Und hören als Echo die Antwort: Was tun!‹«151 Unter den Künstlern und Schriftstellern herrschte zu diesem Zeitpunkt Aufbruchsstimmung; man hatte den Höhepunkt der politischen Initiative erreicht. Gleichwohl deuteten sich bereits hier die unterschiedlichen Meinungen über die Zukunft der DDR an. Nun überstürzten sich die Ereignisse: Am 6. November 1989 legte die Regierung den Entwurf eines neuen Reisegesetzes vor, der mit Protesten beantwortet wurde. Am darauf folgenden Tag trat der gesamte Ministerrat unter Willi Stoph zurück. Es folgte die Berufung des als reformfreudig gehandelten Hans Modrow zum Ministerpräsidenten. Wiederum gab es Proteste, die Ausreisewelle 151
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Zitiert nach Lindner, S. 98.
ebbte keineswegs ab. Einen Tag später nahm das ZK der SED den Rücktritt des Politbüros an; das neu gewählte Politbüro bestand nur noch aus elf, statt bisher einundzwanzig Mitgliedern. Christa Wolfs an die Bürger der DDR gerichteter Medien-Appell vom 8. November 1989, im Lande zu bleiben, verhallte ungehört. Noch immer flüchteten pro Tag etwa 10 000 Menschen aus der DDR. Am 9. November 1989 verkündete Günter Schabowski auf der allabendlich stattfindenden und live im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz den Beschluss des Politbüros, kurzfristige Visa ohne Nennung triftiger Voraussetzungen zu vergeben. Daraufhin versammelten sich Tausende von Ost-Berlinern an den Grenzübergängen nach West-Berlin: Unter dem Druck der Massen öffnete der Übergang Bornholmer Straße als erster, die übrigen folgten. Die Mauer war gefallen.152 So sehr die freudigen Emotionen anlässlich des Mauerfalls zunächst hoch kochten, so schnell veränderte sich das Stimmungsbild wenig später. Die Frage nach der Zukunft des eigenen Landes, die Frage nach dem Wohin drängte auf Antwort. Die Meinung der Öffentlichkeit differenzierte sich; es gab unterschiedliche Vorstellungen über die künftige Entwicklung der DDR: Während die einen ihrer Sehnsucht nach einem Leben wie im Westen deutlich Ausdruck verliehen und die schnelle Wiedervereinigung forderten – Wir sind ein Volk! –, brachten die anderen ihre Gegnerschaft gegenüber einer solchen Lösung vor. Die Intellektuellen standen – aus ihrer Sicht – dem »Verrat an der friedlichen Revolution« gegenüber. Stefan Heym etwa fand sich in einer »Aschermittwochsstimmung« ob der Konsumsucht seiner Landsleute wieder: Aus dem Volk …, das sein Schicksal in die eigenen Hände genommen hatte und das soeben noch, edlen Blicks, einer verheißungsvollen Zukunft zuzustreben schien, wurde eine Horde von Wütigen, die, Rücken an Bauch gedrängt … mit kannibalischer Lust, in den Grabbeltischen von westlichen Krämern wühlten.153
Heym gehörte schließlich ebenso wie Christa Wolf zu den 31 Erstunterzeichnern des Aufrufs Für unser Land. Der Text, der am 28. November auf einer Pressekonferenz durch Heym vorgestellt worden war, drückte jenen Zwiespalt aus, in den durch die tiefe Krise der DDR viele Menschen geraten waren: Zwar herrschte das Bewusstsein vor, dass etwas geschehen musste. Gleichwohl überwog die Angst vor einem »Ausverkauf« und einer Vereinnahmung der DDR durch die Bundesrepublik. Dem entgegen formulierte der Aufruf ein klares Plädoyer für die »Eigenständigkeit der DDR«, für die Entwicklung einer »sozialistischen Alternative zur Bundesrepublik«154 . Auf der anderen Seite stellte der Kanzler der Bundesrepublik, Helmut Kohl, zeitgleich sein Zehnpunkteprogramm zur schrittweisen Überwindung der Zweiteilung Deutschlands und Europas vor, das mittelfristig die Wiedervereinigung Deutschlands als Endpunkt der Entwicklung 152 153 154
Vgl. Lindner, S. 84–105. Stefan Heym. In: Der Spiegel 49 (1989), S. 55. Zitiert nach Lindner, S. 110f. Für unser Land. In: Neues Deutschland vom 29. 11. 1989, S. 2. Vgl. den Abdruck des Zeitungsausschnitts bei Lindner, S. 118. 849
vorsah. Die Frage nach der Haltung zum westlichen bzw. östlichen Gegenüber, die die deutsche Öffentlichkeit nach dem Mauerfall zunehmend beschäftigte, rückte für das P.E.N.-Zentrum DDR im Hinblick auf das bundesrepublikanische Pendant zeitverzögert in den Vordergrund. Zunächst drängte im P.E.N.-Zentrum DDR mehr die notwendige Entscheidung über die Nachfolge für Kamnitzer im Präsidentenamt, denn die Diskussion der großpolitischen Lage. Die erste Präsidiumssitzung ohne Präsident, am 5. Dezember 1989, stand somit im Zeichen der Neuorientierung; »Erste Versuche, unsere neue Lage auszuloten, uns in ihr zurechtzufinden.«155 Der Rücktritt des langjährigen Präsidenten, Heinz Kamnitzer, wurde kontrovers diskutiert; er spaltete das Präsidium: Bedauerlich die Art und Weise, wie er weggegangen sei, meint ein Kollege. Von einem Augenblick zum andern alles hinzuschmeißen, sei seiner eigentlich nicht würdig. Im Gegenteil, da habe jemand konsequentgehandelt, meint der Nächste. Das sei unbedingt zu respektieren und zu würdigen. Zumal Autoritäten wie er bestimmte Auseinandersetzungen zuletzt ja eher gehemmt als vorangetrieben hätten.156
Der Generalsekretär Walter Kaufmann bremste schließlich die entbrennende Diskussion um die Ursachen für die jüngste Entwicklung im P.E.N.-Zentrum. Er verwies auf neue Freiheiten, die zugleich eine dringende Notwendigkeit darstellten: Bislang habe das ZK der SED seinen Segen zur Nominierung des Vorsitzenden gegeben, nun sei das Präsidium in der Pflicht, eine Empfehlung für das Amt des Präsidenten auszusprechen. Statt Vorschlägen gab es zunächst Kritik: Das Recht, Kandidaten zu benennen, solle allen Mitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR eingeräumt werden. Für die Fortsetzung der Arbeit sei eine »gründliche Verjüngung durch Zuwahl«157 ebenso wichtig wie die Wahl eines Präsidenten. Auf diese Forderungen hin »hagelte« es »[v]on allen Seiten«158 Namen – über die Notwendigkeit der Verjüngung waren sich die Teilnehmer der Präsidiumssitzung einig. Allerdings wurden weit mehr Nachwuchsautoren für eine Mitgliedschaft benannt, als sich das P.E.N.-Zentrum DDR aufgrund des an den Internationalen P.E.N. zu entrichtenden Obolus leisten konnte.159 Jean Villains Tagebuchnotizen, die über die Zusammenkunft des Vorstands berichten, ist keine Information über den Ausgang der Präsidiumssitzung zu entnehmen. Welchen Modus man zur Benennung eines Kandidaten für das Präsidentenamt gewählt hatte, bleibt unklar. Fakt ist, dass von Mitte Dezember 1989 bis Mitte Januar 1990 zahlreiche schriftliche Vorschläge von Mitgliedern des Zentrums bei Kaufmann einliefen. Offenbar hatte man mit der Einladung zur Generalversammlung um Namensnennungen für das Präsidentenamt und die Zuwahlen gebeten. Kaufmann selbst hatte sich unmittelbar im Anschluss an die 155 156 157 158 159
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Villain, S. 80. Villain, S. 80. Villain, S. 81. Villain, S. 81. Die Darstellung (und Zitate) folgt(en) den Tagebucheinträgen von Villain, S. 80f. Protokolle der Präsidiumssitzung sind leider nicht geführt worden bzw. nicht erhalten.
Vorstandssitzung bemüht, den Posten Stefan Heym anzutragen: »Ich fände es gut, bin auch sicher, daß Du gewählt werden würdest und wüßte nur gern, ob Du bereit bist zu kandidieren«160 ; Heym aber lehnte – nach längerer Bedenkzeit – die Akzeptanz des »freundliche[n] Anerbieten[s]« ab: »[M]eine Zeit und meine Kräfte gestatten es mir doch nicht, als Präsident zu fungieren. Ich schlage vor, daß Ihr de Bruyn den Posten antragt.«161 Unabhängig von diesem Briefwechsel verwiesen auch Christa und Gerhard Wolf auf de Bruyn.162 Als weitere Kandidaten benannte Walter Beltz das langjährige P.E.N.-Mitglied Stephan Hermlin und die Schriftstellerin Eva Strittmatter.163 Empfehlungen für eine Kandidatur des Präsidiumsmitglieds Friedrich Dieckmann kamen von Rainer Kirsch164 , Richard Pietraß165 und Fritz Rudolf Fries166 . Eine überraschende Stellungnahme lieferte Jürgen Rennert; er glaubte offensichtlich weder recht an eine Zukunft des P.E.N.-Zentrums DDR, noch an die der DDR, und bemerkte sarkastisch: Und zuguterletzt votiere ich für Heinz Kamnitzer als den altneuen Präsidenten eines sich womöglich häutenden, aber letztlich doch unläuterbaren P.E.N.-Zentrums der DDR. Er hat – was ihm weder in den Künstlerverbänden noch in den Regierungsinstanzen der DDR jemand ohne persönliche Not nachmachen wollte – frühzeitig getan: Sein Protest und sein Rücktritt empfehlen ihn mir wie keinen zweiten für das Amt der ersten Person des P.E.N.-Zentrumsder materiell und substanziellkolossal verendenden DDR.167
Dieser Vorschlag, der wahrscheinlich von kaum einem Mitglied ernsthaft unterstützt worden wäre, am allerwenigsten von Kamnitzer selbst, blieb ohne Resonanz. John Erpenbeck hingegen sprach eine Empfehlung für Heinz Knobloch aus, dessen Kandidatur letztlich von den P.E.N.-Mitgliedern positiv beantwortet wurde. Knobloch, der als Feuilletonist der Wochenpost und Autor viel beachteter Bücher bekannt geworden war, stellte nach Erpenbecks Ansicht die erste Wahl; er begründete seinen Rat ausführlich: Ich weiß, daß viele unserer P.E.N.-Mitglieder dafür in Frage kämen – vor allem, was den internationalen Bekanntheitsgrad und die Qualität ihrer Werke betrifft. Ich denke 160
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Walter Kaufmann an Stefan Heym [6. 12. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 30. 1. 1990/Stefan Heym 2. Stefan Heym an Walter Kaufmann [13. 12. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 30. 1. 1990/Stefan Heym 1. Vgl. Christa Wolf an Walter Kaufmann [15. 12. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Vorschläge für die Wahl des Präsidenten/Christa Wolf 1. Vgl. Walter Beltz an Walter Kaufmann [11. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 30. 1. 1990/Walter Beltz 1. Vgl. Rainer Kirsch an Walter Kaufmann [19. 12. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Rainer Kirsch 1. Vgl. Richard Pietraß an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR [o. D.]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Richard Pietraß 1. Vgl. Fritz Rudolf Fries an Walter Kaufmann [15. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Vorschläge für Neuzuwahlen/Fritz Rudolf Fries 1. Jürgen Rennert an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR [15. 1. 1990]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Jürgen Rennert 1 und 1a, hier 1a. 851
aber, daß in der gegenwärtigen Zeit eine Qualität wichtiger ist als alles andere. Die Fähigkeit, integrierend zu wirken, Konsens zu fördern, Vertrauen zu fördern. In dieser Hinsicht halte ich nun Heinz Knobloch für einen idealen Kandidaten. Seine literarische Arbeit ist zweifellos von hohem Rang, er ist in der Bundesrepublik sehr und auch im angloamerikanischenSprachraum leidlichbekannt, er ist ein weitgereisterund weltgewandter Mann, ein sehr deutscher und zugleich jedem Nationalismus feindlich gesonnener Schriftsteller. Vor allem aber: Er ist in keine Parteiungen verwickelt, ist allen Polarisierungen abhold, wäre, meiner Meinung nach, eine wirkliche IntegrationsPersönlichkeit; andererseits ist er ein Mensch mit klaren Meinungen und erklärten Haltungen. Da er in Kürze das Rentenalter erreicht, würde seine außer-literarische Arbeitszeit dem P.E.N. großenteils zur Verfügung stehen.168
Erpenbecks Einschätzung orientierte sich an der veränderten Position des P.E.N.-Zentrums DDR nach dem Mauerfall. Weitsichtig formulierte er die Ansprüche, denen ein künftiger Präsident des DDR-P.E.N. genügen musste, um Anerkennung im eigenen Zentrum, im deutsch-deutschen und internationalen Bezugsrahmen zu erlangen. In seinen Augen schien Knoblochs Persönlichkeit den Anforderungen des Präsidentenamtes in jeder Hinsicht gewachsen. Heinz Knobloch überzeugte die Mehrheit der P.E.N.-Mitglieder, denn auf der ersten Generalversammlung nach dem Zusammenbruch der DDR im Januar 1990 wurde er als Präsident des P.E.N.-Zentrums DDR von der Mehrheit der Versammlungsteilnehmer – mit 32 von 37 Stimmen – gewählt.169 Er nahm seine Wahl an, »legte dar, im Sinn der Charta zu arbeiten und wünschte allen viel Glück.«170 Routinemäßig stand die Neuwahl des Präsidiums an. Im Vorfeld der Generalversammlung hatten einige Briefschreiber ihre Wunschkandidaten vorgeschlagen. Bevor die Wahlen stattfinden konnten, gab es unter den Teilnehmern der Versammlung schier endlose Diskussionen über die Regularia der Wahl. Diese für das P.E.N.-Zentrum DDR typisch detailverhaftete Auseinandersetzung lässt Villain mit bissigem Humor in seinem Tagebucheintrag als teilhabender, zugleich aber merkwürdig unbeteiligter Beobachter aufleben: Danach endlose Krümelkackereien über die Frage, wieviele Mitglieder das Präsidium in Zukunft haben und ob es das Zentrum in der Öffentlichkeit zu repräsentieren oder nur zu vertreten habe, und schließlich über stilistische Details, die mir selber absolut unwichtig vorkommen, um die indes so leidenschaftlich gerungen wird, als hinge von ihnen unser aller ewige Seligkeitab. Endlich,da die Finessender einen oder andern Formulierung auf dem Spiele stehen, kommt Leben in die Bude, fällt man sich ins Wort, redet, ruft, schreit derart grimmig durcheinander, dass der Versammlungsleiter im vergeblichenBemühen, die Ordnung wieder herzustellen,ein übers andere Mal verzweifelt
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John Erpenbeck an Walter Kaufmann [24. 12. 1989].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 30. 1. 1990/John Erpenbeck 1. Vgl. Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 12. Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 14.
mit dem Flaschenöffner an sein leeres Glas klopft. Doch auch dieser späte kollektive Temperamentsausbruch ist nicht von Dauer.171
Auf der Vorschlagsliste fanden sich schließlich die altbewährten Präsidiumsmitglieder Günther Cwojdrak, Günther Deicke, Friedrich Dieckmann, Fritz Rudolf Fries, Stephan Hermlin, Walter Kaufmann, Rainer Kerndl, Helga Königsdorf, Werner Liersch – zuvor Revisionsbeauftragter – und Jean Villain172 , sowie Gerhard Wolf und Peter Gosse.173 Heinz Kamnitzer und Rita Schober standen nicht mehr zur Verfügung. Von den Genannten erlangten Gerhard Wolf, Günther Deicke und Rainer Kerndl die erforderliche Stimmenanzahl nicht und schieden damit als Mitglieder des Präsidiums aus.174 Für die Zuwahl neuer Mitglieder waren bereits auf der Präsidiumssitzung vom 5. Dezember 1989 zahlreiche Namen junger Nachwuchsautoren genannt worden. Weitere schriftliche Vorschläge gingen vor der Jahrestagung bei Kaufmann ein, sodass die Vorschlagsliste insgesamt 22 Personen aufwies. Dies stand in deutlichem Missverhältnis zu der Zahl, die sich das Zentrum »leisten« konnte. Mit Blick auf die miserable Finanzlage führte Kaufmann aus, dass ein Gespräch mit dem Minister für Kultur keine weiteren Gelder eingebracht hatte: »Und schon gar keine zusätzlichen Devisen, so daß wir heute nur fünf neue Mitglieder aufnehmen können – für mehr reichen die uns gewährten Devisen nicht.«175 Dennoch geriet man nicht in die Verlegenheit, eine Rangliste der Zugewählten erstellen zu müssen, »denn die allzu große Zahl der zum Teil Unbekannten führt[e] zur Zersplitterung des Stimmenpotentials. Resultat: Nur einer [Thomas Reschke]
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Villain, S. 104. Villain kandidierte erst nach reiflicher Überlegung; er dokumentiert sein Bedenken im Eintrag vom 26. Januar, S. 102: »Wenig später aus Berlin ein weiterer Anruf. Ob ich bereit wäre, noch einmal für das Präsdidium [sic] des DDR-P.E.N.-Zentrums zu kandidieren. Dabei haben wir doch gerade erst ein neues Statut entworfen, das die Ausübung von derlei Funktionen auf maximal drei Wahlperioden à zwei Jahre limitiert … Die habe ich schon hinter mir. ›Da galt noch das alte Statut‹, argumentiert der Anrufer. – ›Nach dem neuen könntest Du weitere drei Mal gewählt werden …‹ Da mir diese Art Logik erst einmal die Sprache verschlägt, tönt’s nach einer Weile ungeduldig fordernd aus dem Hörer, ob denn nun auch ich mich drücken wolle, ausgerechnet jetzt … Will ich? Wenn ich’s nur selber wüsste! Die Neugier, mit dabei zu sein, vor Ort, als Augenzeuge sozusagen, zu erleben, wie es weiter geht, ist so stark wie je. Das ist die eine Seite.« Vgl. Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 12. Vgl. Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 12. Bericht des Generalsekretärs [Walter Kaufmann ] [30. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 6. 853
erreicht[e] das Ziel, alle anderen, darunter etliche sehr fähige Leute, fallen mit Pauken und Trompeten durch …«176 Die von allen gewünschte Verjüngung des Mitgliederkreises, die nach außen hin ein deutliches Signal des Aufbruchswillens und des vorwärts gerichteten Blicks des Zentrums gegeben hätte, war gescheitert. Die missglückte Vergrößerung der Mitgliederzahl, deren Ursache die ungünstige Kombination zu vieler Wahlvorschläge und wenig bekannter Kandidaten zu sein schien, demonstrierte auch, dass die jüngeren Autoren bisher das Gesichtsfeld der überwiegenden Mehrheit im P.E.N.-Zentrum DDR nicht erreicht hatten. Erst die Generalversammlung des darauf folgenden Jahres sollte die gewünschte Veränderung der Gruppenzusammensetzung leisten. Trotz dieses Rückschlags blickte die Mitgliederversammlung nach vorne; man versuchte eine Debatte zur grundsätzlichen Orientierung des Zentrums und seiner Zielsetzung: Was bedeutet mir das PEN-Zentrum DDR? Wie stelle ich mir dessen zukünftige Arbeit vor? 177 Gewohnheitsmäßig stand am Tagungsbeginn Kaufmanns Rechenschaftsbericht. Einen besonderen Schwerpunkt setzte Kaufmann auf die verstärkte Aktivität des P.E.N.-Zentrums DDR ; er verwies auf die verschiedenen, z. T. umstrittenen Resolutionen und illustrierte mit ausgewählten Zitaten die diversen Reaktionen von außen. Das »Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit« reflektierte er trotz der daraus für das P.E.N.-Zentrum DDR erwachsenen Schwierigkeiten positiv: Wie stünden wir heute da, hätten wir zu der Verhaftung Vaclav Havels geschwiegen. Die einstimmige Entscheidung für Christa Wolfs Resolution bei unserem letzten Treffen hat uns im Land und auch weltweit Achtung eingebracht. Die uns damals unter Druck setzten und einen von uns, Klaus Höpcke, maßregeln wollten, sind ihrer Ämter enthoben. Es ist gut, sagen zu können, daß wir unserer Schuldigkeit als PENMitglieder gerecht werden und zur Verteidigung Vaclav Havels eingetreten sind.178
Den eng mit der veränderten Haltung des Präsidiums zusammenhängenden Rücktritt Kamnitzers nahm Kaufmann zum Anlass, sein eigenes Verhältnis zum langjährigen Präsidenten zu charakterisieren: »Let us agree, or agree to disagree.«179 Diese Haltung habe die Zusammenarbeit zwischen ihnen geprägt: »Wir sind fünf Jahre auf das Beste miteinander ausgekommen. Ich habe ihn als Freund und Präsidenten unseres PEN schätzen gelernt. Er nahm sein Amt sehr ernst, vertrat uns mit Würde und trug entscheidend zum internationalen Ansehen unseres PEN-Zentrums bei.«180 Das Ausscheiden Kamnitzers schien 176 177
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Villain, S. 104. Ablaufplander Generalversammlungdes P.E.N.-ZentrumsDDR am 30. 1. 1990[o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Ablaufplan 1 und 2. Bericht des Generalsekretärs [Walter Kaufmann] [30. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 4. Bericht des Generalsekretärs [Walter Kaufmann] [30. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 1. Bericht des Generalsekretärs [Walter Kaufmann] [30. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 1.
bei Kaufmann kein Gefühl großer Erleichterung zu hinterlassen; er nahm es ein wenig bedrückt als untrügliches Signal der veränderten Gesamtsituation an und zeigte sich versöhnlich: »Mich schmerzt, wie er ging und gleichzeitig respektiere ich seine Entscheidung. Sie ist ein Zeichen der Zeit und ich wünsche ihm sehr einen erfüllten Lebensabend.«181 Kein Wort der Kritik an Kamnitzers linientreuem Verhalten während seiner langen Amtszeit schwang darin mit. Die Aussprache zu den eingangs erwähnten Fragestellungen brachte wenig grundsätzlich Neues. Überschäumend vor Tatendrang und Innovation wirkten die Tagungsteilnehmer ob der gänzlich umgeworfenen Ausgangssituation nicht. Dieser beim Lesen des Tagungsprotokolls entstehende Eindruck deckt sich mit Villains Schilderung: »Mühsam, temperamentlos und merkwürdig gedämpft, als stünden wir alle unter Faustan, kämpft sich die Versammlung weiter durch die Tagesordnung.«182 Dennoch trugen die Tagungsteilnehmer einige Gedanken zusammen. So wünschte man sich den P.E.N. als »Ort der Toleranz«183 , als »geistige[n] Ort«184 , an dem die Diskussion brennender Themen möglich sein sollte. Wichtig erschien die Offenheit der geistigen Auseinandersetzung und deren Vermittlung an die Öffentlichkeit – Banalitäten einer Demokratie, herbeigesehnter Freiraum für die Menschen in der DDR: Erwartet wurden Veranstaltungen, »bei denen eine echte Kontroverse denkbar ist, und wo unterschiedliche und gegensätzliche Meinungen hervorgebracht werden. Dies sollte verbunden werden mit einer Publizität nach außen.«185 Weiterhin wurde die Funktion des P.E.N. als »moralische Instanz«186 erörtert, die sich bei Verletzung der Humanität zu Wort melde.187 Mit dieser Aufgabe verknüpfte sich die mehrfach, auch schon früher vorgebrachte Aufforderung zum Eintritt des P.E.N.-Zentrums DDR in das WiPC.188 Villain gehörte zu den nachdrücklichen Befürwortern des in seinen 181
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Bericht des Generalsekretärs [Walter Kaufmann] [30. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 4. Villain, S. 103. Wortbeitrag von Rainer Kirsch. In: Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 3. Wortbeitrag von Richard Pietraß. In: Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von ChristinaKnothe]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 7. Wortbeitrag von Günther Cwojdrak. In: Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von ChristinaKnothe]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 9. Wortbeitrag von Helga Schubert. Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 8. Vgl. Wortbeitrag von Renate Feyl. In: Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von ChristinaKnothe]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 7. Vgl. Wortbeiträge von Jean Villain und Helga Schubert. In: Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 3 und 8. 855
Augen »seit Jahren überfälligen Eintritt[s]«189 in dieses Gremium. Die Mitgliedschaft sei leider für das Zentrum unerschwinglich, lautete die abschlägige Antwort einmal mehr. Immerhin beschloss das Plenum, das neue Präsidium »mit einer gründlichen Prüfung der Möglichkeiten [d]er Mitgliedschaft im ›writers in prison committee‹ zu beauftragen …«190 Unter diese generellen Ansprüche an das P.E.N.-Zentrum DDR mischten sich explizite Forderungen politischer Aktivität. Moderat wirkt die Position des zukünftigen Präsidenten Heinz Knobloch; er mahnte vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Deutschland lediglich die Nutzung der Möglichkeiten zur öffentlichen Wirkung des P.E.N. an, und verwies auf die aufkeimenden Problematiken Neofaschismus, Intellektuellenfeindlichkeit und Ausländerhass als Betätigungsfeld. Friedrich Dieckmann indes brachte unverblümt sein politisches Interesse vor und betonte die Notwendigkeit der Einmischung in die laufenden politischen Prozesse: Wir stehen in einem starken Umbruch. Die Grundfunktion der Schriftsteller bleibt, die in der Verteidigung des Individuums gegen die Allmacht der Gesellschaft besteht. Die politischen Funktionen werden sich verändern. Das P.E.N.-Zentrum sollte sich in die Verfassungsdiskussion einmischen und Vorschläge einbringen.191
Von verschiedenen Seiten wurde die Forderung einer genauen Positionsbestimmung der Parteien zur Kultur laut: Rainer Kirsch schlug einen Appell an die Parteien vor, der diese zum Einsatz für die Kultur auffordern sollte; Dieckmann sah die Erarbeitung eines Kulturprogramms durch die Parteien als notwendig an; Villain wünschte eine differenzierte Positionierung der Parteien zur Kultur.192 Diese Ansinnen hatten ein konstruktives Ergebnis: Die Präsidiumsmitglieder verabschiedeten Anfang Februar 1990 einen »dringende[n] Appell« an »alle sich um Volkskammermandate am 18. März bewerbenden Parteien und politischen Gruppierungen«, in dem sie diese aufforderten, »angesichts der sich im Lande abzeichnenden verhängnisvollen Mißachtung von Kunst und Kultur verbindliche Aussagen zu kulturpolitischen Programmen zu treffen«193 . Die Mitglieder des Präsidiums verdeutlichten ihre »Bestürzung über den fortschreitenden Abbau wichtiger kultureller Positionen des Landes und die zunehmende Bedrohung der sozialen Lage vieler Kulturschaffender« und warnten vor dem drohenden »kulturelle[n] Kahlschlag«: »Hüten wir uns, das im Laufe vieler Jahre 189 190 191
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Villain, S. 103. Villain, S. 103. Wortbeitrag von Friedrich Dieckmann. In: Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 5. Wortbeiträge von Rainer Kirsch, Friedrich Dieckmann und Jean Villain. In: Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 2 und 6f. [o. V.]: Pen-Zentrum mit neuem Präsidium … und dringendem Appell. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Frankfurt am Main) 17 (27. 2. 1990), S. 646.
im Lande organisch Gewachsene wegzuwerfen«. Gemeinsames Ziel müsse das »Bewahren der Vielfalt kultureller und künstlerischer Angebote«194 sein. Der Generalversammlung im Januar 1990 wohnten zwei Gäste bei, deren Wortmeldungen erwähnenswert scheinen. Der neu ernannte Minister für Kultur, Dietmar Keller, äußerte sich überraschend zur Position des P.E.N. im Staatsgefüge der DDR: Er gehe davon aus, »daß der P.E.N. ein unabhängiges autonomes Organ«195 sei. Keller sprach dem P.E.N.-Zentrum die volle Verantwortung für seine Aktivität zu; es müsse sich öffentlich zu den drängenden Fragen der Zeit äußern. Keller erwartete intellektuelle Unterstützung von den Schriftstellern im P.E.N. beim notwendigen Umbau des gesellschaftlichen Systems, dessen verkrustete Strukturen aufzubrechen waren. Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit wurde angemahnt: Das Volk müsse von der Arbeit des P.E.N. erfahren. In einem leisen Nebensatz sicherte Keller den P.E.N.-Mitgliedern indirekt volle Souveränität zu: »Es wird ohne einen bestimmten Plan gearbeitet.«196 Damit war das P.E.N.Zentrum DDR aus der Kontrolle des Ministeriums entlassen; diese hatte nach dem Mauerfall zunächst indirekt fortgewirkt. So schien Kaufmann beispielsweise für die Vorbereitung der Generalversammlung eine persönliche Absprache mit dem Minister unerlässlich.197 Als Zeichen für die Annäherung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren nach dem Mauerfall kann die Anwesenheit von Hanns Werner Schwarze, Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland, gelesen werden. Dieser hatte in seiner bisherigen Amtszeit stets den fairen Kontakt mit dem Pendant der DDR gesucht. Er betonte in seinen Worten an die Versammelten, es habe »zwischen beiden P.E.N.-Zentren eine auf Vernunft basierende Zusammenarbeit gegeben« und bot deren Fortführung an: »Die gegenseitige Unterstützung ist ausschlaggebend für die weitere Zusammenarbeit.«198 Ein Rundbrief an die Mitglieder und Freunde des bundesdeutschen P.E.N. vom 2. Dezember 1989, der auch an Kaufmann gesandt worden war, erhellt die Stellungnahme; man sicherte in diesem Schreiben den »Autorinnen und Autoren des DDR-P.E.N. […] Solida-
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[ADN]: P.E.N.-Zentrum DDR warnt vor kulturellem Abbau. In: Neues Deutschland 36 (12. 2. 1990),S. 4. Die ADN-Meldung erschienu. a. auch in: FrankfurterAllgemeine Zeitung 48 (26. 2. 1990), S. 37; Frankfurter Rundschau 36 (12. 2. 1990), S. 17; Die Welt 36 (12. 2. 1990), S. 21; Tagesspiegel 13493 (11. 2. 1990), S. 7. Wortbeitrag von Dietmar Keller [Minister für Kultur]. In: Protokoll der GV des P.E.N.Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 5. Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 5f. Walter Kaufmann an Dietmar Keller [Minister für Kultur] [5. 12. 1989]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/M/Minister für Kultur 2. Wortbeitrag von Hanns Werner Schwarze. In: Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Protokoll1–14, hier 1. Vgl. hierzu weiterhinVillain,S. 102. 857
rität«199 zu. Zurückhaltung wurde zum Programm: Man sei nach »Gespräche[n] mit wichtigen und untadeligen Kolleginnen und Kollegen in der DDR […] in der Ansicht bestärkt, die Zahl meist gutgemeinter Ratschläge nicht zu vergrössern, zumal viele derer in der DDR, die sich ihre Freiheit erkämpfen, manche Kommentare und Adressen als unerbeten, zuweilen sogar als Bevormundung empfinden.«200 Nach der Mitgliederversammlung werde man mit dem neuen Präsidium über »intensive Kooperation« sprechen, »die den Autoren und der Verbreitung ihrer Bücher in beiden deutschen Staaten dienen soll«201 : Lesungen in der DDR und gemeinsame Veranstaltungen wurden angedacht. Einen Vorstoß für die »DDR-Dissidenten« in den eigenen Reihen hatte man entgegen aller Rücksichtnahme gewagt: »Ungeachtet dessen war es zwingend, die Rehabilitierung derjenigen unseres Zentrums zu fordern, die in der DDR aus politischen Gründen verurteilt worden sind. Entsprechende Programme an zuständige Justizminister wurden abgeschickt und einige Tage später veröffentlicht.«202 Die Presse-Meldung über die Versendung von Telegrammen durch den bundesdeutschen P.E.N.-Präsidenten Carl Amery und den Generalsekretär Hanns Werner Schwarze an den Justizminister der DDR, Hans-Joachim Heusinger, mit der Forderung nach Rehabilitation der Autoren Erich Loest und Jürgen Fuchs hatte im DDR-P.E.N. Wirkung gezeigt. Kaufmann hatte an den Nachfolger Heusingers, Kurt Wünsche, die höfliche Bitte gerichtet, »den Verurteilungen von JÜRGEN FUCHS und ERICH LOEST noch einmal nachzugehen und [diese] zu überprüfen.«203 Dass zwischen den Pressemeldungen über die Telegramme des bundesdeutschen P.E.N. und der Aktivität des DDRP.E.N. beinahe zwei Monate lagen, und zudem Kaufmanns Gesuch in den Tagen vor der Generalversammlung abgesandt worden war, legt die Vermutung nahe, dass man eigenen Einsatz vorweisen wollte – zumal bei Anwesenheit Schwarzes. In seinem Rechenschaftsbericht verwies Kaufmann explizit auf das Engagement für die Rehabilitierung von Erich Loest und Jürgen Fuchs, sowie von Horst Bienek und Walter Kempowski.204 Für die beiden Letzteren hatte sich das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland in einem Schreiben an den sowjetischen Justizminister ebenfalls stark gemacht.205 Zumindest in Bezug auf die 199
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26. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [2. 12. 1989]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Rundbrief 1–2, hier 1. 26. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [2. 12. 1989]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Rundbrief 1–2, hier 1. 26. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [2. 12. 1989]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Rundbrief 1–2, hier 1. 26. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [2. 12. 1989]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Rundbrief 1–2, hier 2. Walter Kaufmann an Kurt Wünsche [Minister für Justiz] [19. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/M/Minister für Justiz 1. Vgl. Bericht des Generalsekretärs [Walter Kaufmann] [30. 1. 1990]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 30. 1. 1990/Bericht von Walter Kaufmann 1–6, hier 6. Vgl. [o. V.]: PEN-Zentrum. Rehabilitierungen gefordert. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. 11. 1989. Horst Bienek war bereits 1951 von der Staatssicherheit ver-
Autoren Fuchs und Loest konnte der DDR-P.E.N. eine Reaktion der verantwortlichen Stellen verbuchen. Sowohl der Staatssekretär des Justizministeriums als auch der Generalstaatsanwalt informierten in Schreiben über den Stand der Überprüfungsverfahren und verwiesen auf das in Vorbereitung befindliche Rehabilitierungsgesetz.206 Wenig mehr bleibt von dieser Generalversammlung zu berichten. Regularia wurden angesprochen, darunter ein Entwurf eines neuen Statuts, die Forderung nach Mitgliederversammlungen in einem jährlichen Turnus und die Frage der Veranstaltungsaktivität im P.E.N.-Zentrum DDR. Einzig über die Änderungen im Statut – nach Villain »zweifellos der ausgewogenste und demokratischste, der je in einem deutschen P.E.N.-Zentrum entstand«207 – wurde positiv abgestimmt. Alles Weitere blieb ohne konkrete Entscheidung. Die meisten Wortbeiträge dieser Jahresversammlung wiesen in die Zukunft, wenige blickten zurück in die Vergangenheit des P.E.N.-Zentrums DDR. Lediglich Knobloch und Hermlin äußerten sich zu den zentralen Fragen, die in den kommenden Jahren immer wieder die Anklage des P.E.N.-Zentrums DDR bestimmten: Dazu zählte einerseits der Vorwurf, die Mitgliedschaft im DDRZentrum sei stets nur den linientreuen Schriftstellern vorbehalten gewesen; andererseits habe das P.E.N.-Zentrum DDR die Charta des Internationalen P.E.N. innerhalb des diktatorischen Staatssystems nicht befolgen können bzw. nicht befolgt. Dem entsprach Hermlin nicht; man habe alle Forderungen erfüllt und Einsatz gezeigt: Von der Seite des internationalen P.E.N. gab es niemals eine Anklage gegen den DDRP.E.N., die Bestimmungen der Charta nicht erfüllt zu haben, für den DDR-P.E.N. gab es 14-tägige Vorstellungen bei Vertretern der Staatsmacht (für die Freiheit von Schriftstellern, für das Erscheinen von Büchern). Der DDR-P.E.N. genießt international ein hohes Ansehen. Im P.E.N.-Klub gab es keine Vertreter der ›hölzernen Sprache‹.208
Knobloch verwies auf das im P.E.N.-Zentrum DDR geltende Prinzip der freien geheimen Wahlen.209 Nachträglich bestätigt wurde er in dieser Aussage durch Villain: »Er hat Recht, sowohl neue Mitglieder wie auch die Präsidien sind, zumindest auf den Jahreshauptversammlungen, an denen ich teilgenommen
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haftet und wegen angeblicher antisowjetischer Hetze zu 25 Jahren Zwangsarbeit in einem russischen Arbeitslager verurteilt worden. Nach vier Jahren Haft wurde er im Rahmen einer Amnestie entlassen und übersiedelte in die Bundesrepublik Deutschland. Vgl. Staatssekretär [?] Wittenbeck an Walter Kaufmann [20. 2. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/M/Ministerrat der DDR 1 und Generalsstaatsanwalt der DDR [? Busse] an P.E.N.-Zentrum der DDR [Walter Kaufmann] [7. 3. 1990].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/G/Generalstaatsanwalt der DDR 1. Villain, S. 103. Wortbeitrag von Stephan Hermlin. In: Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von ChristinaKnothe]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/GV 30. 1. 1990/Protokoll 1–14, hier 9. Vgl. Villain, S. 103. 859
habe, allemal streng demokratisch, in geheimer Urnenwahl, bestimmt worden. Und stets waren mehr Kandidaten im Rennen als Sitze vakant.«210 In den folgenden Monaten und Jahren sollten diese und ähnliche Fragenstellungen, die allesamt die Stellung des P.E.N.-Zentrums innerhalb des diktatorischen Staatssystems der DDR betrafen, viele Zusammenkünfte der deutschen P.E.N.-Mitglieder bestimmen. Ob im kleinen Rahmen des Präsidiums, ob im größeren Kreis der Jahresversammlungen – die Vergangenheitsbewältigung stand in Ost wie West wieder und wieder auf der Agenda. Eine erste Annäherung im deutsch-deutschen P.E.N.-Dialog war bereits durch den Besuch des Generalsekretärs Hanns Werner Schwarze auf der Generalversammlung des DDR-P.E.N. gegeben; sie fand ihre Fortsetzung im Verlaufe des Jahres 1990 – unter wechselnden Vorzeichen. 9.2.2
»Nicht Einheit, sondern Gemeinsamkeit.«211 – Erste Stellungnahmen zur Zukunft der beiden deutschen P.E.N.-Zentren
9.2.2.1 »Kieler Schock« – Der Konflikt um die Vergangenheit des P.E.N.-Zentrums DDR bricht auf Das politische wie wirtschaftliche Kollabieren der DDR forcierte die Bemühungen um eine Herstellung der deutschen Einheit; diese wurde im Verlauf des Jahres 1990 mit Vehemenz vorangetrieben. Bereits am 1. Februar stellte Hans Modrow, Ministerpräsident der DDR, nach Gesprächen mit Gorbatschow eine Erklärung über den Weg zur deutschen Einheit vor, die die schrittweise Entwicklung von der Konföderation hin zur Bildung eines einheitlichen deutschen Staates vorsah. Es sollte aber schneller gehen: »Der Wille, die Vereinigung ganz rasch zu vollziehen, war in der DDR 1990 nicht mehr aufzuhalten.«212 Die desolate Situation der DDR-Wirtschaft und die damit verbundene Ausreisewelle legte die Aufnahme von Gesprächen mit der Bundesregierung nahe, als deren Ergebnis die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 in Kraft trat. Der erste Schritt zur deutschen Einheit war damit getan. Nach langen Verhandlungen wurde am 29. September schließlich der Einigungsvertrag rechtskräftig; die Einheit vollzog sich mit dem Beitritt der »neuen« Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990. Im Rückblick erscheint die Entwicklung Deutschlands in allen gesellschaftlichen Bereichen – Kultur, Politik und Wirtschaft – in der Zeit nach dem Mauerfall von 1989 kompliziert und verwirrend. So wie im Großen die beiden Teile Deutschlands zueinander Stellung beziehen, sich einander annähern mussten, so durchliefen diesen Prozess im Kleinen – keineswegs mühelos – alle kleineren 210 211
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Villain, S. 103. Aussage von Hanns Werner Schwarze. Zitiert nach R. G. [d. i.?]: Gibt es bald einen vereinten deutschen PEN? Jahrestagung der Schriftsteller mit Gästen aus der DDR in Kiel. In: Kieler Nachrichten vom 9. 5. 1990. Weber, S. 483.
und größeren Institutionen und Organisationen mit nunmehr doppelter nationaler Existenz. Auf dem Gebiet der Literatur traf diese hinsichtlich der historischen Grundlagen nicht unproblematische Notwendigkeit drei verschiedene Organisationsformen: Dazu zählten neben den beiden Schriftstellerverbänden sowie den beiden Akademien der Künste auch die beiden deutschen Sektionen des P.E.N.-Clubs. Jene vielfältige Problematik aber, die sich um die deutschen Zweigstellen einer internationalen Vereinigung von Schriftstellern entfaltete, entfachte eine Auseinandersetzung, deren Intensität, Dauerhaftigkeit und öffentlicher Widerhall die Diskussionen um Akademien und Schriftstellerverbände bei weitem übertraf. Die Auseinandersetzung um das Verhältnis der deutschen P.E.N.-Zentren erregte zunächst ungeheures öffentliches, mediales Interesse. Über die Rolle der Medien für die Entwicklung kann wenigstens spekuliert werden. Schließlich empfanden viele Medienvertreter nurmehr Spott für jene scheinbar widerspenstigen Literaten, die zu einer gütlichen Einigung unfähig schienen. Schon 1993 glaubten viele außen stehende Beobachter nicht mehr an eine Vereinigung. So dürfte die bissige Anmerkung eines Berichterstatters zu einer Generalversammlung des Ost-P.E.N. die Auffassung breiterer Kreise widerspiegeln: »Das Problem ist nur, daß sich bald niemand mehr für [d]en exklusiven Club interessiert. Sollte eines Tages die Meldung von der Vereinigung der PEN-Zentren auf den Tisch kommen, wird man sie vermutlich als Zeitungsente abtun.«213 Und tatsächlich: Bis eine akzeptable Lösung gefunden war, sollten noch einmal weitere fünf Jahre vergehen. Auch im Jahr 1998, das schließlich die Vereinigung der beiden Zentren brachte, war der Prozess der Klärung nicht abgeschlossen; seine Linien führen weiter bis ins Jahr 2002. Während die meisten Institutionen und Organisationen nach dem Vollzug der deutschen Einheit auf politischem Gebiet, meist bereits im Vorfeld der sich abzeichnenden Vereinigung, konkrete Gespräche um einen künftigen Zusammenschluss aufnahmen und diesen baldmöglichst in die Tat umsetzten, reagierten die deutschen P.E.N.-Zentren eher verhalten. Anfang Februar 1990 fand auf Knoblochs Initiative hin ein informelles Zusammentreffen mit Vertretern des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums, der Vizepräsidentin Carola Stern und dem Generalsekretär Hanns Werner Schwarze, in Berlin statt. Eine Aktennotiz von westlicher Seite spiegelt vorsichtiges Aufeinanderzugehen wider: Gemeinsame Erklärungen und Veranstaltungen wurden erwogen, gegenseitige Informationspflicht versichert, die Möglichkeit »öffentlich[er] und nicht-öffentlich[er]« Aktivität des bundesdeutschen Zentrums für die Kollegen in der DDR angedacht.214 Schnell und unbürokratisch stellte man materielle Unterstützung der Arbeit im DDR-P.E.N. sicher in Form eines Fotokopierers, dessen Finanzierung durch eine Spendensammlung 213
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R. S. [d. i.?]: Von Schnecken und Enten. In: Süddeutsche Zeitung 287 (13. 12. 1993), S. 11. [Vgl.] Aktennotiz betr. Abendessen Carola Stern, Hanns Werner Schwarze und Heinz Knobloch am 16. 2. 1990 in Ostberlin [16. 2. 1990; erstellt von Ursula Setzer]. P.E.N.Archiv Darmstadt. 861
möglich geworden war.215 Der generellen Eile in der Entwicklung des deutschdeutschen Verhältnisses, die vor allem auf politischer Ebene durch ein wie auch immer geartetes Zusammenführen, Zusammengehen und Vereinigen bestimmt war, stellte man sich im bundesdeutschen P.E.N.-Zentrum in internen Unterredungen entgegen. Als notwendig erachtete man »grösste Behutsamkeit beim Thema ›Zusammenwachsen‹«: »[V]iel Kooperation und langsames Zusammenwachsen«216 sei Grundlage für das Verhältnis der beiden deutschen Sektionen. Schwarze distanzierte sich von jeglicher Hast; man müsse »nicht mit den Politikern um die Wette laufen«217 . Personelle Vorbehalte traten bei Yaak Karsunke, Mitglied des Präsidiumsbeirats, hervor; »mit bestimmten Personen des DDRP.E.N. wolle er nicht in einem gesamtdeutschen Club sein.«218 Carola Stern und Walter Jens mahnten jedoch vorsichtige Zurückhaltung an und lehnten eine vorzeitige Be- bzw. Verurteilung ab; »die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus sei zuerst Sache des DDR-P.E.N., von unserer Seite sei keine SpruchkammerPraxis, sondern Behutsamkeit angesagt.«219 Eine erste Probe für den behutsamen Umgang mit dem Gegenüber stellte die Jahresversammlung des P.E.N.Zentrums Bundesrepublik Deutschland im Mai 1990 (Kiel), zu der man sich eine »möglichst große Beteiligung von DDR-Autoren«220 wünschte. Die Kieler Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland markierte den Auftakt jenes langwierigen Annäherungsprozesses, an dessen formalem Ende die Vereinigung der deutschen P.E.N.-Sektionen stehen sollte. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt spielte die mediale Öffentlichkeit eine nicht unbedeutende Rolle für die Entwicklung der innerdeutschen P.E.N.Debatte: Raumgreifendes Element der medialen Berichterstattungen und Kommentare zur Kieler Jahresversammlung war das Verhältnis zwischen DDRund bundesdeutschem P.E.N., dessen Brisanz durch eine Auseinandersetzung über einen Wortbeitrag Knoblochs gegen Ende der Tagung zusätzlich verstärkt wurde. Die darüber entbrannte Diskussion zwischen den Teilnehmern der Versammlung, die zudem interne Querelen des Bundespräsidiums provozierte, führte in der Tagespresse zu plakativen Überschriften: »Zündstoff«221 ,
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Vgl. Kurzprotokoll der Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [26./27. 2. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Kurzprotokoll der Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [26./27. 2. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Kurzprotokoll der Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [26./27. 2. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Kurzprotokoll der Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [26./27. 2. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Kurzprotokoll der Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [26./27. 2. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Kurzprotokoll der Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [26./27. 2. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Werner Lewerenz: Elegant durch die Tagesordnung, aber dann gab es noch Zündstoff. In: Kieler Nachrichten 111 (14. 5. 1990), S. 16.
»Gewitter«222 , »Dialogprobleme«223 und »PEN-Eklat«224 waren dominierende Vokabeln, die den Eindruck einer Zusammenkunft ausschließlich explosiven Charakters hinterlassen. Gleichwohl hatte die Versammlung ruhig begonnen. Die Frage nach der zukünftigen Zusammenführung beider Zentren beantwortete man abschlägig; Solidarität wurde beschworen: Zwischen den Zentren steht zur Zeit nicht Zusammenschluß auf der Tagesordnung, sondern Zusammenarbeit. Nicht Einheit, sondern Gemeinsamkeit. Es sind auch zwei Zentren in einem vereinigten Deutschland denkbar. Wir wollen niemanden überrollen oder gar anschließen. Wir wollen dort helfen, wo unsere Hilfe gewünscht und möglich ist.225
Zwar stand die unerlässliche und schwierige Thematik »Vergangenheitsaufarbeitung« auf der Agenda. Die westdeutschen Autoren zeigten sich jedoch zurückhaltend; man rief vielmehr dazu auf, sich »in die Vergangenheitsbewältigung der DDR nicht einzumischen«226 . Hanns Werner Schwarze machte deutlich: »Die Auseinandersetzung mit dem Honecker-Regime ist dort jetzt dringend erforderlich.«227 Das sei aber nicht die Aufgabe der Autoren im Westen. Gleichwohl war in Kiel über die P.E.N.-Mitgliedschaft des einstigen »Oberzensors« Klaus Höpcke eine massive Diskussion entbrannt, die den generellen Vorbehalten gegenüber den DDR-Autoren Tür und Tor öffnete und zugleich für Widerstreit innerhalb des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums sorgte. Der Generalsekretär Hanns Werner Schwarze hatte, ohne Absprache mit dem gesamten Präsidium, die Hinterlegung einer schriftlichen Stellungnahme des bereits abgereisten Präsidenten Heinz Knobloch zum Fall Höpcke im Tagungsbüro zugelassen: In der Diskussion am Vormittag ist der Name Höpcke in einem Zusammenhang genannt worden, der der Wahrheit nicht entspricht. Am 1. März 1989 hat das P.E.N.DDR-Mitglied Klaus Höpcke beiden Resolutionen, die einstimmig angenommen wurden […] seine Stimme gegeben. Er wurde wegen der Zustimmung zur HavelEntschließung, die in der DDR-Presse nicht veröffentlicht wurde, seiner Funktion als Stellvertreter des Ministers für Kultur enthoben. Die entsprechende Urkunde war ausgefertigt. Auf Grund des Protestes der P.E.N.-DDR-Mitglieder Christa Wolf und Hermann Kant […] mußte diese Entscheidung zurückgenommen werden. Das P.E.N.-
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Michael Scheffel: Gewitter. Beim Kieler P.E.N.-Treffen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. 5. 1990. Gerhard Schoenberner: Dialogprobleme. Nach dem deutschen P.E.N.-Eklat. In: Frankfurter Rundschau 114 (17. 5. 1990), S. 10. Gerhard Schoenberner: Dialogprobleme. Nach dem deutschen P.E.N.-Eklat. In: Frankfurter Rundschau 114 (17. 5. 1990), S. 10. Aussage von Hanns Werner Schwarze. Zitiert nach R. G. [d. i.?]: Gibt es bald einen vereinten deutschen PEN? Jahrestagung der Schriftsteller mit Gästen aus der DDR in Kiel. In: Kieler Nachrichten vom 9. 5. 1990. [dpa]: Keine Einmischung. PEN zur Vergangenheitsbewältigung der DDR. In: Rheinische Post 110 (12. 5. 1990). Aussage von Hanns Werner Schwarze. Zitiert nach [dpa]: Keine Einmischung. PEN zur Vergangenheitsbewältigung der DDR. In: Rheinische Post 110 (12. 5. 1990). 863
Zentrum DDR hätte sich zu damaliger Zeit eine Bestrafung seines Mitglieds Klaus Höpcke nicht bieten lassen.228
Der Protest der Kritiker richtete sich zum einen gegen die ungewöhnliche Vorgehensweise, einem Äußerungswunsch eines nicht mehr Anwesenden zu entsprechen. Yaak Karsunke griff den Generalsekretär scharf an; er habe das Papier »durch die Hintertür« eingeführt: »[D]iese Versuche Hanns Werner Schwarzes auf eigene Faust Harmonisierungspolitik zu betreiben, die mißbillige ich auf das Schärfste. […] [W]enn hier gemauschelt werden soll, dann ohne mich.«229 Zum anderen war Karsunke, ohne genaue Kenntnis der Aussage von Knobloch, überzeugt, es handele sich dabei um eine »Ehrenerklärung« für Klaus Höpcke. Sein Vorwurf gegen das P.E.N.-Zentrum DDR wog schwer: Das DDR-Zentrum hat leider die Zeit nicht genutzt, die wir angeboten haben, um nachzudenken, sondern will uns hier doch als Waschanlage benutzen. Das bedeutet, daß das Gespräch für uns ziemlich unmöglich gemacht wird. Wenn wir weiter reden wollen, dann sollten Sie das zurückziehen und sollten nachdenken, bevor Sie anfangen weiß zu waschen. Wenn Sie weiter weiß waschen wollen,können Sie gleich noch Ehrenerklärungen für Ihre Mitglieder Dieter Noll und Harry Thürk deponieren, Leute, mit denen ich nicht an einem Tisch und erst recht nicht in einem Club sitzen möchte.230
Erst nach der durchaus umstrittenen Verlesung des Textes vor dem Plenum musste Karsunke einräumen, dass an der Richtigkeit der Darstellung durch Knobloch nicht zu zweifeln sei. Der grundsätzliche Vorbehalt gegenüber Höpcke blieb indes bestehen. Fraglich sei es, wie Höpcke in seiner Position als Kulturminister eines diktatorischen Systems die Charta des Internationalen P.E.N. überhaupt habe unterschreiben können. Auch die Unterzeichnung von zwei Resolutionen »in der letzten Minute«231 , gemeint waren die Erklärungen für Havel und Rushdie vom März 1989, könne daran nichts ändern. Eine Grundsatzdebatte über das P.E.N.-Zentrum DDR und seine Position im SED-Regime brach sich Bahn, in der die DDR-Autoren kaum mehr zu Wort kamen. Abgebogen wurde diese schließlich vom Präsidenten des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums. Einerseits war er nicht bereit, die Knobloch-Erklärung als diskussionswürdiges Argument zu akzeptieren. Andererseits verwahrte er sich gegen Karsunkes Vorwurf von Gemauschel. Ganz so abrupt ließ sich die Diskussion nicht beenden. Das Protokoll der Generalversammlung doku228
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Zitiert nach Auszug aus dem Protokoll zur Mitgliederversammlung des P.E.N.Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Kiel [12. 5. 1990; erstellt von Ursula Setzer]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Wortbeitrag von Yaak Karsunke. In: Auszug aus dem Protokoll zur Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Kiel [12. 5. 1990; erstellt von Ursula Setzer]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Auszug aus dem Protokoll zur Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Kiel [12. 5. 1990; erstellt von Ursula Setzer]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Auszug aus dem Protokoll zur Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Kiel [12. 5. 1990; erstellt von Ursula Setzer]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
mentiert nach Amerys Schlusswort eine kurzfristige, von Zwischenrufen gekennzeichnete Fortsetzung des Streitgesprächs.232 Die Pressekommentare zur Kieler Versammlung spiegeln das breite Spektrum möglicher Argumentationen im Umgang mit der Vergangenheit des DDRP.E.N. wider. Auch hier wurde deutliche Anklage gegen Höpcke erhoben.233 Mancher ging gar so weit, Knoblochs Erklärung als direkten Auftrag von Höpcke und »eine Art getarntes Aufnahmeansinnen«234 zu stilisieren. Anderen war die Auseinandersetzung mit den DDR-Autoren längst nicht weit genug gegangen; sie beklagten die »Leisetreterei, die deutsche Sucht nach Harmonie eines gemütlichen Vereinsfestes, bei dem Polemik, Satire, Kritik und spöttisches Gelächter als Eklat gelten, als Vergiftung der Atmosphäre.«235 Gewarnt wurde vor einer vorschnellen Geschichtsverdrängung. Die Verantwortung für die Aufarbeitung wurde allein den DDR-Bürgern übertragen. Nur vereinzelt wurde auf den berechtigten Einwand verwiesen, ob dies angesichts der gemeinsamen Gegenwart nicht eine »neue Teilung […], nämlich eine Teilung der Vergangenheit«236 bedeute. Die Forderungen waren indes klar gestellt. Die kommunistische Verstrickung müsse »drüben«, nicht im Westen, geklärt werden: »Die Verantwortlichen des DDR-PEN werden sich die Gretchenfrage gefallen lassen müssen: Nun sag, wie hast du’s mit der Vergangenheit? Wie hast du dich verhalten, als so viele Autoren aus euren Reihen Opfer wurden? Wer mitschuldig geworden ist, hat die Konsequenzen zu ziehen. Den Versuch, das Schlimme schlichtweg unter den Teppich zu kehren, können wir nicht hinnehmen.«237 Gleichwohl klang die Warnung vor »eilfertiger Vor-Verurteilung« aus dem »sicheren Port einer komfortablen Wohlstandsdemokratie«238 mit: »Es wäre eine reine Anmaßung, wollten wir das Verhalten von Menschen in uns weitgehend unbekannten Verhältnissen be- oder verurteilen, die wir selbst unter jedenfalls ungleich leichteren Bedingungen auch keineswegs immer getan haben, was die Stunde wie die politische Moral verlangt und was unserer besseren Einsicht entsprochen hätte.«239 232
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Vgl. Auszug aus dem Protokoll zur Mitgliederversammlungdes P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Kiel [12. 5. 1990; erstellt von Ursula Setzer]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Paul F. Reitze: Nachdenken über Autoren. In: Die Welt 116 (19. 5. 1990), S. 2 und schi [d. i.?]: Der Minister. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 119 (23. 5. 1990), S. 33. Vgl. schi [d. i.?]: Der Minister. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 119 (23. 5. 1990), S. 33. Manfred Jäger: Schreiben und Streiten. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt 20 (18. 5. 1990), S. 25. Inka Bohl: Im Beichtstuhl des P.E.N. Jahrestagung in Kiel: Eine neue Teilung der Vergangenheit? In: der literat 32 (15. 6. 1990), S. 153f., hier S. 154. Günther Engels: Der PEN und die Waschaktion. In: Kölnische Rundschau vom 15. 5. 1990. Günther Engels: Der PEN und die Waschaktion. In: Kölnische Rundschau vom 15. 5. 1990. Gerhard Schoenberner: Dialogprobleme. Nach dem deutschen PEN-Eklat. In: Frankfurter Rundschau 114 (17. 5. 1990), S. 10. 865
Einzelne Kommentatoren hatten in Kiel die gegenseitige Fremdheit und Verständnislosigkeit von Menschen aus Ost und West gespürt; sie ahnten die bevorstehenden Anstrengungen einer Annäherung, insbesondere der Autoren aus Ost und West, voraus: Das langjährige Leben dies- und jenseits der Mauer hat die Köpfe eben doch auf ganz unterschiedliche Weise geformt, die verschiedene Vergangenheit läßt sich noch lange nicht unter den Teppich einer gemeinsamen Gegenwart kehren. Am Ende des Kieler Treffensjedenfallsstand – übrigensauch im buchstäblichenSinne – ein kräftigesGewitter. Bis die Luft wieder rein ist, wird es noch häufiger blitzen und donnern müssen.240
Dass der Westen nach den Kieler Vorkommnissen auf deutliche Distanz zum DDR-P.E.N. ging, wurde recht bald deutlich. Während auf der unmittelbar vor der Kieler Jahresversammlung stattgefundenen Präsidiumssitzung des P.E.N.Zentrums Bundesrepublik Deutschland eine gemeinsame Resolution beider Zentren über Antifaschismus, Neonazismus und Fremdenfeindlichkeit nicht für ausgeschlossen gehalten wurde,241 ergab eine neuerliche Diskussion Anfang Juni im selben Kreis die Zurückstellung der geplanten gemeinsamen Entschließung auf Bitten von Yaak Karsunke und Gert Heidenreich; sie wurde dem DDR-P.E.N. gar nicht erst zugeleitet.242 Karsunke schätzte im Hinblick auf eine geplante Aussprache des Präsidiums zur Klärung des generellen Verhältnisses zum P.E.N.Zentrum DDR eine vorab verabschiedete gemeinsame Erklärung als kontraproduktiv ein und fürchtete eine Verschärfung der Unstimmigkeiten im eigenen Präsidium; die Besprechung über die Beziehung zum DDR-P.E.N. könne man »nicht vorher durch eine gemeinsame Erklärung mit diesem Zentrum präjudizieren. Nach [Karsunkes] Ansicht werde auf diese Weise der Konflikt im Präsidium weiter eskaliert.«243 Die Verantwortlichen des DDR-P.E.N. bewahrten Contenance. Trotz der scharfen Angriffe in der jüngsten Vergangenheit und der Zurückhaltung des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums bei der Planung gemeinsamer Aktionen, die den Vorsitzenden des P.E.N.-Zentrums DDR kaum entgangen sein dürfte, zeigten sie sich im Nachgang der Kieler Tagung diplomatisch; Knobloch und Kaufmann demonstrierten Bereitschaft zur Verständigung: »Ungeachtet aller Spannungen und Meinungsverschiedenheiten, die bei solcher ersten Begegnung nach vielen Jahren schwerwiegender persönlicher Erfahrungen wohl verständ-
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Michael Scheffel: Gewitter. Beim Kieler P.E.N.-Treffen, In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. 5. 1990.Vgl. auch GerhardSchoenberner:Dialogprobleme.Nach dem deutschen PEN-Eklat. In: Frankfurter Rundschau 114 (17. 5. 1990), S. 10. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland am 10. 5. 1990 in Kiel [25. 5. 1990; erstellt von Ursula Setzer]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Hanns Werner Schwarze an die Mitglieder des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [1. 6. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze an die Mitglieder des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [1. 6. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
lich sind, geht es uns nach wie vor um das gute kollegiale Verhältnis und den anregenden Gedankenaustausch.«244 Im Inneren dagegen herrschte Krisenstimmung. Am 7. Juni 1990 war das ostdeutsche Präsidium zu einer »Krisensitzung« zusammengekommen: »Knoblochs missglückte Kieler Rede, der große Katzenjammer nach den Prügeln, die wir dort bezogen haben.«245 Zur Debatte stand zuvorderst die umstrittene Mitgliedschaft von Höpcke: Gewiss sei seine Zuwahl unentschuldbar falsch gewesen, räumt jemand von uns ein. Der Jahresversammlung, die ihn wählte, hätte es freigestanden, nein zu sagen, bestätigt ihm sein Gegenüber. ›… Doch sie wählte ihn, wogegen Manfred Wekwerth damals durchfiel!‹ Trotzdem bleibe zu bedenken, dass Höpcke als Vermittler zwischen den Autoren und den Funktionären auch Positives vorzuweisen habe. Darauf der erste Sprecher bitter: ›P.E.N.-Wahlen sind geheime, freie Wahlen. Dennoch stimmten 1987 drei Viertel der Anwesenden für den, der über Zulassung und Nichtzulassung ihrer Manuskripte zu entscheiden hatte!‹ Hermlin gibt zu bedenken, dass sich Menschen wandeln können, wir sollten dies in Rechnung stellen. In den 41 Jahren, die er nun im P.E.N. sei, habe er in dieser Hinsicht allerhand erlebt, und nicht nur in der DDR. – ›Mit Höpcke hatte ich mehrmals großen Streit, zweimal beispielsweise Biermanns wegen, doch für Argumente war er stets empfänglich. Auch ergriff er in den letzten Jahren mutig Partei in höchst komplizierten Angelegenheiten. Um eine davon zu nennen: Er trat für die Veröffentlichung des von gewissen höheren Instanzen kategorisch abgelehnten Hinze-Kunze-Romans von Volker Braun ein. Wie wir alle wissen, mit Erfolg. Auch sollten wir das Umfeld der Kampagne gegen Höpcke nicht vergessen …‹ Gerade dieser Tage würden wir doch in den Feuilletons der großen bundesdeutschen Meinungsblätter immer wieder heftig angegriffen. Plötzlich werde da gepredigt, man habe sich geirrt, es gäbe weder eine Literatur der DDR noch wichtige DDR-Autoren. ›… Hier geht es doch in Wahrheit um die Negierung, die Zerstörung einer ganzen kulturellen Tradition. Höpcke dient dabei als Vorwand. Wenn es ihn nicht gäbe, würde, stellvertretend für das Ganze, ein anderer aufs Korn genommen …‹246
Eine Marschrichtung wurde auf dieser Sitzung nicht vorgegeben. Gleichwohl schien es dem DDR-Präsidium, wie auch dem bundesdeutschen, zu diesem Zeitpunkt an einer internen Verständigung über strittige Punkte gelegen. Das Interesse am Verhältnis der beiden deutschen Zentren war jedoch längst über die Grenzen der P.E.N.-Mitgliedschaft hinausgewachsen. Das Handeln beider Sektionen wurde von den Medien kritisch beäugt: Das gesamte P.E.N.-Zentrum DDR stand – wie alle Einrichtungen des zusammengebrochenen SED-Staates – von vorneherein unter Generalverdacht. Das bundesdeutsche Präsidium zog mehr oder minder ungewollt, mehr oder minder ungeschickt die Aufmerksamkeit der Feuilleton-Redakteure auf die Thematik des (un)geeinten P.E.N. in Deutschland – obgleich sowohl von westlicher Seite durch Gert Heidenreich, als auch von östlicher durch Werner Liersch noch im März des Jahres auf einer Zusammenkunft des Internationalen P.E.N. in Wien die Frage einer baldigen Ver244
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Heinz Knobloch und Walter Kaufmann an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [23. 6. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Villain, S. 135. Villain, S. 135f. 867
einigung der beiden Sektionen eindeutig abschlägig beantwortet worden war.247 Was in Kiel noch relativ sachte begonnen, die Feuilletons allerdings für die Thematik sensibilisiert hatte, gewann rasch an Fahrt: Dreh- und Angelpunkt der Kritik war die Vorgehensweise beim Umgang mit der Vergangenheit der DDR. Richtete sich nach der Jahresversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland die öffentliche Schelte in erster Linie gegen Heinz Knobloch und seine Äußerung in Bezug auf Klaus Höpcke, so geriet wenig später das Präsidium des bundesrepublikanischen P.E.N. in die Schusslinie. Zwar taten die Präsidiumsmitglieder den ersten Schritt. Der außerordentliche Widerhall wurde von ihnen jedoch kaum vorausgesehen. In indirekter Folge wurden sie entgegen der eigentlich intendierten inneren Klärung gewissermaßen in die Öffentlichkeit gezwungen. Den grundsätzlichen Nährboden für die in und von der Tagespresse angekurbelte Debatte um die beiden deutschen P.E.N.-Zentren bot der nach der Veröffentlichung von Christa Wolfs Was bleibt Anfang Juni 1990 an Verrissen von Ulrich Greiner, Die Zeit, und Frank Schirrmacher, Frankfurter Allgemeine Zeitung, entzündete Streit, der sich von der scharfen Kritik am engen Verhältnis der DDR-Intellektuellen zu ihrem Staat hin zu einem generellen Totalitarismus-Streit auswuchs.248 Die Anschuldigungen gegenüber prominenten, ehemals auch in Westdeutschland angesehenen DDR-Autoren, namentlich Christa Wolf, reichten von der Degradierung zum »Staatsdichter« und Günstling des SED-Staates bis hin zur Etikettierung als privilegierter Mittäter.249 Dieser in den Feuilletons ausgetragene Streit bot zugleich konkreten Anlass für eine Wortmeldung des bundesrepublikanischen P.E.N.-Präsidiums – mit weit reichenden Konsequenzen. Auf einer Sitzung des Präsidiums Ende Juni 1990 war die Herausgabe einer Meinungsäußerung zu den jüngsten Beiträgen in den Feuilletons beschlossen worden. Die Präsidiumsmitglieder versuchten sich an einer Positionierung fern von der Methodik der vornehmlich westdeutschen medialen Öffentlichkeit, die im Hinblick auf die DDR-Literatur und ihre Verfasser weniger der Aufklärung des Gewesenen als vielmehr der moralischen Anklage diente. Die P.E.N.-Erklärung befürwortete die Auseinandersetzung zur Vergangenheit der Literatur in der DDR, demonstrierte zugleich aber Distanzierung von einer grundsätzlich negativen Beurteilung der DDR-Autoren: Wir begrüß[en] engagierte und scharfe Diskussionen unter den Schriftstellern beider deutscher Staaten, verwahr[en] [uns] aber zugleich gegen jene selbstgerechte moralische Abqualifizierung, die in zahlreichen Feuilletons mittlerweile modisch geworden ist als Spielart eines postmodernen McCarthyismus. Im Sinne seiner Charta verweist das
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Vgl. [dpa]: Deutsche PEN-Zentren bleiben getrennt. In: Süddeutsche Zeitung 51 (2. 3. 1990), S. 49. Vgl. Karl Deiritz und Hannes Krauss: Der deutsch-deutsche Literaturstreit oder »Freunde, es spricht sich schlecht mit gebundener Zunge«. Hamburg und Zürich 1991. Vgl. Magenau: Christa Wolf, S. 398–414, bes. S. 402–404.
PEN-Zentrum darauf, daß leidenschaftliche Kritik und Toleranz, harte Sachdebatte und Urbanität einander nicht ausschließen, sondern bedingen.250
Herausgegeben worden war die Verlautbarung nur an zwei bundesdeutsche Tageszeitungen: Frankfurter Rundschau und Süddeutsche Zeitung brachten eine kurze Notiz.251 Vermutlich hatte man die Frankfurter Allgemeine Zeitung, bedeutend als Medium auf Seiten der DDR-Kritiker, mit Bedacht ausgeklammert. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Johannes Willms nahm im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland aufs Korn; er startete seine P.E.N.-Schelte am Beispiel eines langjährigen Generalsekretärs und Ehrenpräsidenten des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums, Kasimir Edschmid. Willms parallelisierte geschickt die Intention von Edschmids Roman Das gute Recht, erschienen 1947, mit Christa Wolfs Was bleibt : Die »höchst durchsichtige[ ] Absicht«252 , das Wunschdenken vom gelebten Widerstand gegen das herrschende Regime – NS- bzw. DDR-Diktatur – als Wahrheit darzustellen, sah Willms als gründlich gescheitert und folgerichtig die harsche Kritik an Wolf als gerechtfertigt an. Auf die nicht unproblematische Gleichsetzung von totalitären Systemen sei nur verwiesen. Willms’ Rückgriff auf die viel diskutierte Problematik der »inneren Emigration« diente letztlich der Einleitung seines Angriffs auf die »Anwälte und Anhänger von Christa Wolf im besonderen und der DDR-Literatur im allgemeinen«253 , zu denen er auch das bundesdeutsche P.E.N.-Präsidium zählte. Zielgenau richtete Willms im Hinblick auf die Presse-Erklärung seine Kritik auf den sensibelsten Punkt des P.E.N.-Konstruktes – auf die seit der Formulierung in ihrer Auslegung strittige Charta: [D]er ebenso überzogene wie verleumderischeund höchst törichte Vorwurf eines ›postmodernen McCarthyismus‹, der in dieser Stellungnahme pauschal gegen zahlreiche Feuilletons erhoben wird, verrät einen apodiktischen Anspruch, der sich seinerseits kaum mit Geist und Buchstaben jener Charta vereinbaren läßt.254
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Zitiert nach [o. V.]: PEN zur Diskussion über DDR-Autoren. In: Süddeutsche Zeitung 148 (30. 6./1. 7. 1990), S. 46 und [fr]: PEN gegen postmodernen Mc Carthyismus«. In: Frankfurter Rundschau 148 (29. 6. 1990), S. 10. Vgl. [o. V.]: PEN zur Diskussion über DDR-Autoren. In: Süddeutsche Zeitung 148 (30. 6./1. 7. 1990), S. 46 und [fr]: PEN gegen postmodernen Mc Carthyismus«. In: Frankfurter Rundschau 148 (29. 6. 1990), S. 10. Wenig später erschien die Meldung unter der Überschrift: PEN-Zentrum gegen Diffamierung. In: Neues Deutschland 152 (3. 7. 1990), S. 5. Johannes Willms: Die maßlose Empörung. Im Streit um die DDR-Literatur meldet sich das deutsche PEN-Präsidium zu Wort. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 152 (4. 7. 1990), S. 29. Johannes Willms: Die maßlose Empörung. Im Streit um die DDR-Literatur meldet sich das deutsche PEN-Präsidium zu Wort. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 152 (4. 7. 1990), S. 29. Johannes Willms: Die maßlose Empörung. Im Streit um die DDR-Literatur meldet sich das deutsche PEN-Präsidium zu Wort. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 152 (4. 7. 1990), S. 29. 869
Willms drang auf die Notwendigkeit einer »offene[n] und ohne falsche Rücksichten geführte[n] kritische[n] Auseinandersetzung mit der geistig-kulturellen Hinterlassenschaft der DDR«255 . Mit dieser öffentlichen Ohrfeige für das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland endete der Medienrummel um die deutschen P.E.N.-Zentren jedoch nicht; er hatte gerade erst begonnen. Auf jener Präsidiumssitzung vom 27. Juni 1990, die zur Abgabe der umstrittenen Presse-Erklärung führte, fasste das bundesdeutsche P.E.N.-Präsidium einen weiteren Beschluss; dieser regelte die künftige Vorgehensweise in einem »Vier-Punkte-Programm für die eventuelle Zusammenlegung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren«, das einstimmig angenommen wurde: 1.) 2.) 3.) 4.)
Gespräch des Präsidiums mit Dissidenten Gespräch mit DDR-Autoren, auch Kinderbuchautoren Treffen der Präsidiumsmitglieder beider Zentren zu einer Klausurtagung Ergebnisse werden der nächsten Mitgliederversammlung vorgetragen.256
Dieses Programm schien sachlich und handhabbar, die Durchführung – insbesondere von Punkt 1 – bereitete ungeahnte Schwierigkeiten. Dem P.E.N.Präsidium war die spezielle Problematik einer potenziellen Zusammenführung der deutschen P.E.N.-Zentren bewusst: Eine gemeinsame Mitgliedschaft von ehemaligen DDR-Autoren, die in die Bundesrepublik geflohen, übersiedelt oder ausgebürgert worden waren, und jenen, die in der DDR geblieben waren, wäre die logische Folge. Dass in diesem Falle der erbitterte Widerstand der ehemaligen DDR-Bürger zu erwarten sein würde, hatte schon der Kieler Eklat gezeigt. Um nicht unvorbereitet diesem zunächst nur konstruierten Szenario gegenüber zu stehen, das z. B. im Falle einer Vereinigungsanfrage des DDR-P.E.N., etwa aus finanziellen Nöten heraus, sehr schnell Realität werden konnte, wünschte das Präsidium auf Anregung Sterns einhellig eine interne Aussprache mit den Verfolgten und Vertriebenen der SBZ bzw. DDR unter den Mitgliedern ihres Clubs.
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Johannes Willms: Die maßlose Empörung. Im Streit um die DDR-Literatur meldet sich das deutsche PEN-Präsidium zu Wort. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 152 (4. 7. 1990), S. 29. Beschlussprotokoll der Präsidiumssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) [27. 6. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
9.2.2.2 »Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der DDR zusammengehen sollte«257 – Eine Meinungsumfrage unter ehemaligen DDR-Autoren Zum Zweck des offenen Meinungsaustausches lud Hanns Werner Schwarze zu einer Begegnung »des gewählten Präsidiums mit allen Kolleginnen und Kollegen, die in den letzten 45 Jahren Opfer des Besatzungs- oder DDR-Regimes waren«258 . Die Gesprächsrunde sollte nach Schwarzes Vorstellung vor allem eine Klärung der Frage herbeiführen, wer von den gegenwärtigen Mitgliedern des DDR-P.E.N. für Sie aus welchem Grund unzumutbar als Mitglied eines gemeinsamen P.E.N.-Zentrums ist. Wir haben alle angeschrieben, die seit 1945 zu den Opfern gezählt werden können, […] wollen die Gespräche [so] protokollieren, dass auch jene, die nicht dabei sein können, eine Basis für schriftliche Stellungnahmen haben.259
Diese Einladung, deren Wortwahl sicher nicht geschickt gewählt war und von Schwarze selbst im Nachhinein als »falscher Versuch«260 bezeichnet wurde, rief zunächst ein geringes Echo hervor: Von 28 geladenen Autoren sagten Sarah Kirsch und Günter Kunert ihr Kommen zu; Hans Joachim Schädlich erbat Presse-Anwesenheit; Absagen häuften sich; schriftliche Stellungnahmen der Verhinderten liefen beim bundesdeutschen P.E.N.-Präsidium ein.261 Schließlich sagte auch Kunert ab: »Mir ist bei dieser Angelegenheit immer unbehaglicher zumute geworden. Also orientiere ich mich an meiner ›inneren Stimme‹.«262 Die Zusammenkunft kam letztlich nicht zustande. Was als offenes Gespräch in vertraulicher Runde geplant worden war, geriet zur öffentlichen Deklamation: Am 27. Juli 1990, einen Tag nach dem eigentlichen Gesprächstermin, veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter der Hauptüberschrift Keine Vereinigung Stellungnahmen von ehemaligen DDR-Schriftstellern zur Fragestellung »Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der
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Vgl. JGJ [d. i. Jens Jessen (?)]: Keine Vereinigung. Spitzel und Zensoren mit Schriftstellern traut vereint? – Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der DDR zusammengehen sollte / Eine Umfrage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 172 (27. 7. 1990). Hanns Werner Schwarze an alle Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) [2. 7. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Hanns Werner Schwarze an alle Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) [2. 7. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. »Der PEN der BRD sollte nicht Sittenwächter spielen«. Interview von Reinhard Mohr mit Hanns Werner Schwarze. In: die tageszeitung 3173 (2. 8. 1990), S. 3. Vgl. Schriftliche Stellungnahme von Carola Stern im Artikel: Es war doch noch gar nichts geplant. Das Präsidium des westdeutschen PEN äußert sich zur Frage einer möglichen Vereinigung der beiden deutschen PEN-Zentren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 176 (1. 8. 1990), S. 21. Zitiert nach Es war doch noch gar nichts geplant. Das Präsidium des westdeutschen PEN äußert sich zur Frage einer möglichen Vereinigung der beiden deutschen PENZentren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 176 (1. 8. 1990), S. 21. 871
DDR zusammengehen sollte«263 . Neben den Meinungsbekundungen von Sarah Kirsch, Hans Joachim Schädlich, Joachim Seyppel, Walter Kempowski, Günter Kunert und Bernd Jentzsch kamen Wortmeldungen von Guntram Vesper und Gert Loschütz zum Druck; ob die Autoren mit ihren Äußerungen direkt auf die Einladung des bundesdeutschen P.E.N. reagierten oder auf eine von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung angestoßene Umfrage, bleibt unklar.264 Schockiert zeigte sich die Vizepräsidentin des bundesdeutschen P.E.N., Carola Stern, zum einen über die in die Öffentlichkeit gezerrte Diskussion, zum anderen über die Charakterisierung des bundesdeutschen P.E.N.-Präsidiums und die Interpretation seines Ansinnens durch den Verfasser der einleitenden Zeilen; ihr sei bisher nicht bekannt gewesen, »was für abgefeimte Leute die Mitglieder des bundesdeutschen PEN-Präsidiums«265 seien, stellte Stern selbstironisch fest. JGJ, den Stern als den Redakteur Jens Jessen identifiziert, hatte in seinem Artikel die Ursachen für das Unbehagen der ehemaligen DDR-Autoren zusammengefasst: Das » – gelinde gesagt – merkwürdige Verfahren« des Bundes-Präsidiums mute den Denunzierten von einst zu, zu Denunzianten von heute zu werden; es schiebe »den früheren Verfolgten des DDR-Regimes den Schwarzen Peter der Vergangenheitsbewältigung zu[ ]«266 . Vieles spräche dafür, »daß das hiesige Präsidium den DDR-PEN gerne an sein weites Herz geschlossen und auf eine Diskussion der Vergangenheit verzichtet hätte.«267 Diese Vereinigungspläne seien 263
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Vgl. JGJ [d. i. Jens Jessen (?)]: Keine Vereinigung. Spitzel und Zensoren mit Schriftstellern traut vereint? – Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der DDR zusammengehen sollte / Eine Umfrage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 172 (27. 7. 1990). Die Stellungnahmen erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Zusatz »Eine Umfrage«, Stern verwies in ihrer Reaktion jedoch auf die Äußerungen der Kollegen hinsichtlich der Einladung: »Kollegen, die zu ihrem Bedauern verhindert waren, ließen uns schriftlich ihre Meinung wissen (jetzt als F.A.Z.-Umfrage deklariert).« Mindestens Kirsch und Kunert hatten aber zunächst zugesagt. In Bezug auf Kunert bedauerte Stern: »Was ihm [seine innere Stimme] sagte, teilte er dem PENPräsidium nicht direkt, sondern über das Feuilleton der F.A.Z. mit.« Schriftliche Stellungnahme von Carola Stern im Artikel: Es war doch noch gar nichts geplant. Das Präsidium des westdeutschen PEN äußert sich zur Frage einer möglichen Vereinigung der beiden deutschen PEN-Zentren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 176 (1. 8. 1990), S. 21. Vermutlich handelte es sich bei den abgedruckten Stellungnahmen um eine Mischung direkter Absagen an das P.E.N.-Präsidium und Meinungsäußerungen auf Nachfrage der Frankfurter AllgemeinenZeitung. Wie allerdingserstere den Weg in die Presse fanden, bleibt ungeklärt. [Vgl.] Schriftliche Stellungnahme von Carola Stern im Artikel: Es war doch noch gar nichts geplant. Das Präsidium des westdeutschen PEN äußert sich zur Frage einer möglichen Vereinigung der beiden deutschen PEN-Zentren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 176 (1. 8. 1990), S. 21. JGJ [d. i. Jens Jessen (?)]: Keine Vereinigung. Spitzel und Zensoren mit Schriftstellern traut vereint? – Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der DDR zusammengehen sollte / Eine Umfrage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 172 (27. 7. 1990). JGJ [d. i. Jens Jessen (?)]: Keine Vereinigung. Spitzel und Zensoren mit Schriftstellern traut vereint? – Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der
jedoch auf den sofortigen ernsthaften Protest der ehemaligen DDR-Autoren gestoßen. Schließlich könnten diese eine gemeinsame Mitgliedschaft mit im PEN-Zentrum DDR reichlich vorhandenen Funktionären und Zensoren, Verfolgern und Unterdrückern kaum hinnehmen. Beispielhaft benannt und ihrer Vergehen beschuldigt wurden der bereits in Kiel zum Stein des Anstoßes gewordene Höpcke, der ehemalige Vorsitzende des Schriftstellerverbandes, Hermann Kant, und schließlich der Autor Max Walter Schulz. Sie zählten zu den anvisierten Schuldigen – als Verantwortungsträger einer diktatorischen Regierung, kulturpolitische Funktionäre bzw. Zuträger des Staatssicherheitsdienstes. Unmittelbar in diese Reihe eingestellt musste sich Stephan Hermlin wieder finden: Mitglied des DDR-PEN sind, wer weiß, noch andere, die den exilierten Autoren geschadet haben und von denen sie noch gar nichts ahnen. Was, zum Beispiel, weiß man von Stephan Hermlin, der noch kürzlich seine Stalin-Oden verteidigte und dessen Loyalität zum Regime so weit ging, daß er den Aufstand vom 17. Juni in der Erzählung ›Die Kommandeuse‹ als faschistischen Putsch denunzierte? Mag sein, das [sic] er der Ehrenmann ist, als der er auftritt. Doch mit Sicherheit hat er niemals im Sinne jener PEN-Charta gehandelt, die ›eine freie Kritik gegenüber den Regierungen, Verwaltungen und Einrichtungen verlangt.‹268
Die darunter wiedergegebenen Erklärungen der ehemaligen DDR-Autoren befassten sich im Wesentlichen mit drei Kernfragen: Wie war das Vorgehen des Bundes-Präsidiums zu bewerten, wie war darauf zu reagieren und welche Variante erachtete man im Verhältnis der deutschen P.E.N.-Zentren für akzeptabel bzw. unumgänglich? Eine direkte Benennung missliebiger Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR vermieden die meisten.269 Sarah Kirsch empfand diese Aufforderung als »unzumutbares Ansinnen. Weil ich weder Gottvater noch für Selektionen zuständig bin«; den »Schwarzen Peter« wollte sie sich in dieser Angelegenheit nicht zuschieben lassen. Kirsch nannte keine Namen; mit Verweis auf Erich Loests Nachforschungen in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR270
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DDR zusammengehen sollte / Eine Umfrage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 172 (27. 7. 1990). JGJ [d. i. Jens Jessen (?)]: Keine Vereinigung. Spitzel und Zensoren mit Schriftstellern traut vereint? – Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der DDR zusammengehen sollte / Eine Umfrage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 172 (27. 7. 1990). Die im Folgenden wiedergegebenen Zitate folgen dem Wortlaut der Dokumentation von JGJ [d. i. Jens Jessen (?)]: Keine Vereinigung. Spitzel und Zensoren mit Schriftstellern traut vereint? – Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der DDR zusammengehen sollte / Eine Umfrage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 172 (27. 7. 1990). Erich Loest hatte seine Forschungsergebnisse Anfang Juni der Öffentlichkeit vorgestellt und die Frage einer gemeinsamen Mitgliedschaft in einem deutschen P.E.N.Zentrum abschlägig beantwortet: »Der PEN hat seine Charta, und der Höpcke kann meinetwegen in einen internationalen Verband ehemaliger Stasi-Spitzel oder Geheimdienstleute eintreten, falls es das gibt, aber im PEN hat so einer nichts zu suchen. Es gibt auch andere Schriftsteller, die gegen mich tätig geworden sind, die mein Schreiben 873
deutete sie lediglich dezent auf »manch ehrenwerte PEN-Mitglieder des DDRZentrums[, die] als hochgeschätzte Spitzel erscheinen«. Günter Kunert trieb seine ganz ähnlichen Bedenken kunstvoll auf die Spitze: Moderat begann er seine Ausführungen zur Einladung des bundesdeutschen Präsidiums, »die mir im ersten Moment recht vernunftvoll erschien, im zweiten schon nicht mehr ganz geheuer und im dritten mehr als bedenklich«, und schraubte sie langsam höher; sie sei doch eher ein Aufruf an die »›Opfer‹«, eine Art »›Spruchkammer‹« zu bilden oder vielleicht »eine Einladung zum moralischen Suizid […], eine zur Selbstzerstörung des eigenen Gewissens, mit dem Ergebnis, daß der solcherart zum ›Richter‹ avancierte Schriftsteller den von ihm zu beurteilenden und zu verurteilenden Personen gleichwertig, das heißt, gleich unwertig wird.« Hans Joachim Schädlich stand den Vorständen beider deutscher P.E.N.Zentren misstrauisch gegenüber; die vom Bundes-Präsidium in Aussicht gestellte Kooperation und Hilfestellung für den DDR-P.E.N. sah er skeptisch – war sie schon der erste Anklang »halblaute[r] Vereinigungswünsche«? Die Loestschen Forschungsergebnisse nutzte Schädlich als zentrale Argumentationshilfe in der Vereinigungsfrage; er benannte Klaus Höpcke und Max Walter Schulz explizit: Mitglieder einer verbrecherischen Regierung und [n]achweisliche Stasi-Spitzel als Mitglieder eines gemeinsamen deutschen PEN-Zentrums? Das ist eine wenig erheiternde Vorstellung; für ehemalige DDR-Autoren, die zu den Leidtragenden der DDR-Zensur und der StasiVerfolgung gehören und die heute Mitglied des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums sind, ist diese Vorstellung ausgeschlossen.
Die unbesehene Übernahme aller Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR in den P.E.N. der Bundesrepublik wurde skeptisch gesehen: Bernd Jentzsch zweifelte die juristische Möglichkeit eines Beitritts an und hielt ihn »auch nicht für wünschenswert«; Walter Kempowski wunderte sich angesichts der sonst strengen Modalitäten bei der Zuwahl in den bundesdeutschen P.E.N. über die – allerdings vom Präsidium keineswegs erklärte – Bereitschaft, »en bloc eine Hundertschaft von Autoren willkommen zu heißen, deren Qualifikation man nicht kennt und über deren ›gesellschaftliche Vergangenheit‹ man nichts Näheres weiß.« Von der Mehrzahl der Befragten wurde nur einzig eine Vorgehensweise als denkbare Lösung angesehen – die Selbstauflösung des DDR-Zentrums und potenzielle Mitgliedschaft seiner Angehörigen im bundesdeutschen P.E.N.-Zentrum durch Einzelanträge. Bei Zuwahlen sei die politisch-literarische Integrität von Fall zu Fall sehr genau zu prüfen, so Jentzsch. Auch Kunert rechnete mit der Redlichkeit der westlichen P.E.N.-Mitglieder. Nach der Selbstauflösung würden die missliebigen P.E.N.-Mitglieder aus der DDR untergehen: »Mitglieder des Ost-PEN, die es durch Willfährigkeit und Intrigantentum geworden sind, verschwinden verunterdrückt haben, bewußt unterdrückt haben […], und wenn ich noch ein bißchen in diesen Akten herumsehe und herumdenke, dann muß ich mir auch überlegen, ob ich meinem PEN hier in der Bundesrepublik sage, mit diesen will ich nicht in einem Verein sein.« Erich Loest: Enthüllungen über Stasi und Höpcke. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. 6. 1990. 874
mutlich von selber aus diesem Zirkel, sobald ihr Verein sich aufgelöst hat und sie für ihren Beitritt in einen gesamtdeutschen späterhin Bürgen benötigen.« »[A]nständige Menschen« würden sie nicht unterstützen. Einzig Joachim Seyppel vertraute mindestens partiell auf die Fähigkeit zur Selbstkritik und schlug »in Kenntnis der eigenen Fehlbarkeit« vor: a) zunächst einmal alle DDR-PEN-Mitglieder als solche zu akzeptieren;b) diese DDRPEN-Mitglieder in Kenntnis ihres Gewissens und ihrer Kritikfähigkeit gegenüber sich selbst aufzufordern, kritische Gewissensschau zu halten und selber zu befinden, ob sie nach Wissen um die DDR-Geschichte, um deren Opfer (von Erich Arendt bis [Gerhard] Zwerenz), um das Zustandekommen ihrer PEN-Mitgliedschaft weiterhin PEN-Mitglied sein können, wollen oder dürfen; c) und dann Einsprüche von BRDPEN-Mitgliedern gegenüber einzelnen DDR-PEN-Mitgliedern zu hören, von denen ich einem gewiß mein Vertrauen entziehe, Ex-Kulturminister Klaus Höpcke […].
Erstaunlich ist die Selbstverständlichkeit, mit der die meisten der ehemaligen DDR-Autoren von einem Anschluss des DDR-P.E.N. an das bundesrepublikanische P.E.N.-Zentrum ausgingen; es zeigt sich eine Parallele zum staatlichen Einigungsvertrag. Von einer gleichberechtigten Stellung bei den zunächst einmal theoretisch durchgespielten Szenarien der Vereinigung kann keine Rede sein. Bereits in diesem frühen Stadium erscheinen die Mitglieder des DDRP.E.N. zumindest im Lichte der öffentlichen Diskussion als Bittsteller, über deren Moralität von westlicher Seite geurteilt werden sollte. Lediglich Loschütz dachte ein mögliches Nebeneinanderbestehen beider P.E.N.-Zentren an, verwarf diesen Gedanken aber im Hinblick auf die Führung des P.E.N.-Zentrums DDR gleich wieder. Denn in der Praxis »hieße das nichts anderes, als daß auf der Präsidiumsebene Kontakt mit ebenjenen Leuten gepflegt wird, die man im eigenen Zentrum nicht haben will.« Mit Verweis auf Knoblochs Äußerungen in Kiel, die er als »degoutant« bezeichnete, schlussfolgerte Loschütz, dass man »nicht nur den Zusammenschluss, sondern auch die Zusammenarbeit mit [dem DDR-P.E.N.] ausschließen sollte«. Ähnlich sah das auch Schädlich: Knoblochs »Ehrenerklärung« für Höpcke, »[d]iese traurige Farce[,] verstärkte den Eindruck, daß der DDR-PEN kein geeigneter Partner für Verhandlungen und Zusammenarbeit sein kann.« Ein wenig versöhnliche Anklänge gab es schließlich doch: Vielen Mitgliedern des DDR-P.E.N. stünde man unverhohlen skeptisch gegenüber, man würde jedoch »etliche willkommen« heißen, meinte Kempowski. Und auch Jentzsch freute sich »[a]uf die künftige Mitgliedschaft einer Reihe von Kollegen aus der DDR in einem gesamtdeutschen PEN-Zentrum […] ganz entschieden.« Eine zurückhaltende und überlegte Position, die mangelnde Kenntnis und Information einräumte, nahm Guntram Vesper ein. Zwar hielt er die Frage nach einer Vereinigung der Zentren für verfrüht. Er sei für Diskussionen und Auseinandersetzungen. Sicherlich habe das P.E.N.-Zentrum DDR »Gründe, über seine Existenz, Funktion und Rolle« in einem diktatorischen System nachzudenken, aber auch für den P.E.N. in der Bundesrepublik gebe es Anlass zum kritischen Rückblick. Vesper betonte, im Gegensatz zu den übrigen Wortfüh875
rern, die gemeinsame Verantwortung für die Aufarbeitung der Vergangenheit: »Unsere Zeitgeschichte ist so wenig teilbar wie unsere Geschichte überhaupt und die Zuständigkeit für sie. Wir alle, bis heute, sind Betroffene und dürfen reden.« Das Medienecho auf die Umfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der darin entfalteten Problematik war enorm. Es äußerten sich: ehemalige und amtierende Verantwortungsträger des bundesdeutschen P.E.N., Mitglieder des bundesdeutschen P.E.N. und des DDR-P.E.N. – zumeist in Interviews –, und etliche Journalisten, die glaubten, das Problem der deutschen P.E.N.-Zentren erkannt, zutreffend bewertet und einen gangbaren Lösungsweg entworfen zu haben. Die Argumentationsmuster der einzelnen Verlautbarungen betrafen unterschiedliche Ebenen der Auseinandersetzung. Die Vorstandsmitglieder des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums gingen einmütig gegen die Darstellung des Sachverhaltes in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an; Amery, Stern und Heidenreich machten deutlich, dass eine umstandlose Vereinigung nicht der Wunsch des bundesdeutschen P.E.N. sei. Heidenreich griff zu diesem Zweck Formulierungen der »grob irreleitenden Einleitung« zur Umfrage noch einmal auf: Weder gab oder gibt es im Präsidium des bundesdeutschen PEN ›Vereinigungspläne‹, noch hätte das ›hiesige Präsidium den DDR-PEN gern an sein weites Herz geschlossen und auf eine Diskussion der Vergangenheit verzichtet‹; sowenig ein solcher Verzicht in der Macht des Präsidiums läge, so herzlich wenig war er gewünscht …271
Eine direkte Antwort auf die harschen Angriffe, die die ehemaligen DDRAutoren gegen ihre Kollegen, die im SED-Staat geblieben waren, formulierte lediglich Hermlin. Er wandte sich gegen Kunerts überspitzte Anklage, eine Aufnahme in das P.E.N.-Zentrum DDR sei nur auf »Stasi-Empfehlung« möglich gewesen: Weiß Kunert nicht, daß er in all den Jahren seit seiner Ausreise stets in den Listen des DDR-P.E.N. als Mitglied geführt wurde, bis zum heutigen Tage? Weiß er nicht, daß Stefan Heym stets Mitglied blieb, weil der P.E.N. sich einen feuchten Staub darum scherte, ob der Schriftstellerverband Heym ausschloß und die Staatssicherheit ihn schwerstens behinderte? Hat er vergessen, daß ich […] Wolf Biermann als Mitglied vorschlug und dieser in einer Kampfabstimmung mit einer Stimme Mehrheit, also gewissermaßen meiner eigenen, gewählt wurde? Die Mitglieder des P.E.N. schlugen andere Schriftsteller zu Mitgliedern vor, die Vorschläge wurden in geheimer Wahl entschieden. Es gab allerdings drei oder vier Vorschläge in einer Reihe von Jahren, die als manipulierte Vorschläge erkennbar waren – sie wurden sämtlich zurückgewiesen. Es handelte sich da um sogenannte ›Hofdichter‹ – ich könnte Namen nennen.272
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Schriftliche Stellungnahme von Gert Heidenreich. In: Es war doch noch gar nichts geplant. Das Präsidium des westdeutschen PEN äußert sich zur Frage einer möglichen Vereinigung der beiden deutschen PEN-Zentren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 176 (1. 8. 1990), S. 21. Stephan Hermlin an Hanns Werner Schwarze [5. 8. 1990]. In: P.E.N.-Zentrum DDR: Mitteilungsblatt 1/1990 [14. 10. 1990], S. 2f. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
Das scharfe Urteil, das der Autor des Artikels in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über ihn gefällt hatte, stellte Hermlin zur Diskussion: »[JGJ] schreibt über mich: ›Mag sein, daß er der Ehrenmann ist, als der er auftritt.‹ Ich könnte ihm mit Karl Liebknecht erwidern: ›Ihre Ehre ist nicht meine Ehre. Meine Ehre ist nicht Ihre Ehre.‹ Das Urteil über diese Frage überlasse ich anderen. Er schreibt weiter: ›Mit Sicherheit hat er niemals im Sinne jener P.E.N.-Charta gehandelt …‹ Da müsste er schon einiges nachlesen, in dem, was ich geschrieben und gesprochen habe. Alles das ist gedruckt.«273 Den Zusammenschluss des DDR-Zentrums mit dem der Bundesrepublik lehnte Hermlin entschieden ab: »Was mir als Person aber sicher ist: ich werde für das Weiterbestehen des DDR-P.E.N. mit allen Kräften eintreten. Einer westdeutschen Spruchkammer werde ich mich in keinem Falle aussetzen. Einem gesamtdeutschen P.E.N. werde ich nicht angehören. Ein Internationaler Vizepräsident bin ich auf Lebenszeit wie auch die anderen Vizepräsidenten. Gemäß den Bräuchen des P.E.N. werde ich, falls mir der Sinn danach steht, einem anderen Club beitreten.«274 Während Hermlin nur Möglichkeiten zukünftigen Verhaltens aufzeigte, zog der Präsident des DDR-P.E.N., durchaus selbstkritisch, die Konsequenz aus den harschen Angriffen auf seine Person. 9.2.2.3 »Ich bin nicht der Politiker, den dieses Amt wohl braucht«275 – Heinz Knoblochs Rücktritt als Präsident des P.E.N.-Zentrums DDR Der erst im Januar 1990 gewählte Heinz Knobloch empfand seine Person aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften als ungeeignet im Hinblick auf das Anforderungsprofil eines P.E.N.-Präsidenten in Zeiten der wechselvollen deutsch-deutschen Beziehungen – vor allem angesichts des Drucks, der damals auf diesem Amt lastete. So teilte er am 22. August 1990 in einer Eilsendung den Mitgliedern des ostdeutschen P.E.N.-Präsidiums seine Rücktrittsentscheidung kurz und knapp mit: Mißverständliche und mißverstandene Äußerungen von mir haben zu weiteren Spannungen zwischen Autoren und den beiden deutschen PEN-Zentren geführt. Deshalb trete ich als Präsident des P.E.N.-Zentrums DDR zurück. Ich bin nicht der Politiker, den dieses Amt wohl braucht. Diese Erklärung geht in den nächsten Tagen an ADN. Ich bitte um Ihr Verständnis. Die psychische Belastung in den letzten Wochen hat mich zu diesem Schritt veranlaßt.276
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Stephan Hermlin an Hanns Werner Schwarze [5. 8. 1990]. In: P.E.N.-Zentrum DDR: Mitteilungsblatt 1/1990 [14. 10. 1990], S. 2f. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Stephan Hermlin an Hanns Werner Schwarze [5. 8. 1990]. In: P.E.N.-Zentrum DDR: Mitteilungsblatt 1/1990 [14. 10. 1990], S. 2f. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Heinz Knobloch an die Präsidiumsmitglieder [22. 8. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/K/Knobloch Heinz 3. Heinz Knobloch an die Präsidiumsmitglieder [22. 8. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/K/Knobloch Heinz 3. 877
Parallel sandte Knobloch ein Schreiben an das Sekretariat des P.E.N.-Zentrums DDR, dem er eine entsprechende ADN-Meldung beilegte; diese bat er »so zur Post [zu] geben […], daß sie nicht vor Sonnabend bei ADN eintrifft. – Unsere Präsidiumsmitglieder sollen es nicht zuerst aus der Presse erfahren.«277 Ein Brief, den Knobloch im Januar 1994 an Dieter Schlenstedt richtete, verdeutlicht rückblickend die Beweggründe seiner Entscheidung zum Rückzug: Ich – arglos und naiv – hatte mich in der 89/90-Euphorie auf dieses Amt eingelassen. Hatte, wie manche, die Vorstellung von der Besseren DDR, die wir nun machen wollten. Aber schon als auf der Tagung Ende Januar ’90 die Namen der Berühmten verlesen wurden,die nicht nach Kamnitzer Präsident werden wollten, wurde mir etwas unheimlich. Ich dachte aber, wir könnten nun tatsächlich fortan LITERATUR machen und fördern, und uns, was uns verwehrt war – um die VERFOLGTEN AUTOREN kümmern. Ich begriff erst nach Kiel, daß es im PEN nicht um Belletristik geht, sondern um Politik. Daß dort die deutschen Kämpfe ausgetragen wurden und werden. Muß ich der Sparringspartner [?] jener sein? Also bin ich nach sechs Monaten, noch zu DDRZeiten, zurückgetreten. Aber die Präsidiumsmitglieder haben es brieflich, nicht zuerst durch die Presse erfahren. Ich war die ganze Zeit auch sehr allein. Warum soll ich mich erneut ins Politische mischen? Ich bin dazu nicht geeignet.Warum soll ich einen wunderbaren Arbeitstag in einer Versammlung vergeuden? Ich mußte an so vielem teilnehmen im Leben. […]. Lieber Dieter Schlenstedt,ich sehe wirklichnicht ein, warum sich Autoren zerfleischen. Für wen? Etwa für den anderen PEN? Für »Report« oder »BILD«, und warum? Und warum soll ich dabei sitzen? Etwa als Beisitzer? Nein! Man muß nicht teilnehmen. Seinerzeit, als der Berliner Verband die oft Erwähnten ausschloß, ging ich nicht hin. Das war keine honorige, aber immerhin seinerzeit mir mögliche Form der Ablehnung. Für die ich danach Unfreundliches hörte. Helf er sich. Ich bin es gewohnt.278
Die Reaktionen des Präsidiums auf Knoblochs Entschluss waren moderat; man akzeptierte Knoblochs einsam gefällte Entscheidung ohne weitere Rückfragen. Vielleicht hielten auch die übrigen Vorstandsmitglieder den Entschluss unter den gegebenen Umständen für das Klügste. Der Generalsekretär Walter Kaufmann regierte betroffen: »[I]ch bedaure so unvorbereitet mit Deiner Entscheidung konfrontiert worden zu sein, bin Dir aber nicht gram und wünsche Dir Gutes.«279 Für die Regelung hinsichtlich der Fortführung der Amtsgeschäfte berief sich Knobloch auf das Präsidiumsmitglied Friedrich Dieckmann; dieser habe ihn darauf aufmerksam [gemacht], daß er – da es keinen Vizepräsidenten gebe – einen geschäftsführenden Präsidenten ernennen müsse. Da er auch nicht als amtierender Präsident wirken wolle, ernenne er nachträglich den Schatzmeister Werner Liersch für das Amt des geschäftsführenden Präsidenten, falls das mög-
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Heinz Knobloch an Andrea Doberenz [22. 8. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/K/Knobloch Heinz 5. Heinz Knobloch an Dieter Schlenstedt [13. 1. 1994]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein Oktober 1993 bis 31. 12. 1994/Knobloch Heinz 1 und 1a. Walter Kaufmann an Heinz Knobloch [28. 8. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/K/Knobloch Heinz 4.
lich sei und vom Präsidium akzeptiert werde. Anderenfalls solle Walter Kaufmann als Generalsekretär die Geschäfte führen.280 Schließlich einigte man sich darauf, dass das Präsidium bis »zur Einberufung einer Mitgliederversammlung […] die Aufgaben eines Präsidenten kollektiv«281 wahrnehmen sollte. Parallel zu Knoblochs Rücktritt hatte sich die finanzielle Lage des P.E.N.-Zentrums DDR ein wenig entspannt. Vom Ministerium für Kultur war eine Überweisung von 10.000,– DM getätigt worden, die die materielle Existenz des DDR-P.E.N. zumindest bis Jahresende sichern konnte.282 Gleichwohl mahnte Liersch zur Sparsamkeit: [E]in Grund zur Entwarnungbesteht nicht. Im Gegenteil. Es gibt also keinen Anlaß leider, von unseren Verabredungen im Juli abzuweichen, wo eine Halbierung mindestens der Bezüge des Generalsekretärs vorgesehen war. Da Kno. zurückgetreten ist, sollte auch unser/re PräsidentIn der Zukunft mit der Hälfte der bisherigen Entschädigungen auskommen. Ich weiß aus meiner eigenen Tätigkeit für den PEN, was man alles zusetzt, aber es wird nicht anders gehen. […] An Miete ist auch zu denken. Wir sollten vorbereitet sein, ohne eigene Räume auszuharren, mit kleinsten Entschädigungen, als Briefkastenfirma sozusagen, wo das eigene Telefon auch die Telefonadresse des PEN ist […].283
Der Wille, ein eigenständiges und funktionierendes P.E.N.-Zentrum fortzuführen, war bei Liersch durch die scharfen Angriffe aus dem Westen gestärkt worden; er konnte auch durch die finanziellen Schwierigkeiten nicht geschwächt werden: »Zu viel steht auf dem Spiel, zu infam sind die Angriffe, so werden wir denn am Ende vielleicht ein richtiger Club. Das Geld brauchen wir wohl besser für unsere Eigenständigkeit, Versammlungen, Veranstaltungen, Rundbriefe und ich bin sehr für eine Mitgliederanthologie, die zeigt, (mit Beiträgen auf hohem Niveau): wir leben und wir haben in der Literatur etwas zu sagen. Unter den jetzigen Umständen werden sich unsere Mitglieder wohl gern beteiligen.«284 Auf einer Präsidiumssitzung am 26. September 1990 stand die Zukunft des P.E.N.-Zentrums DDR ganz oben auf der Tagesordnung. Die individuellen Empfindungen gingen dabei offensichtlich weit auseinander. Jean Villain schien resigniert: ›Wir sind am Ende!‹ […] Das[ ] gilt wohl für unser P.E.N.-Zentrum.«285 Deprimiert hatte ihn die desolate finanzielle Lage. Noch gravierender empfand
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Vgl. Heinz Knobloch an die Präsidiumsmitglieder [29. 8. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/K/Knobloch Heinz 2. Fritz Rudolf Fries an Walter Kaufmann [19. 9. 1990].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz 1988–1990/F/Fries Fritz Rudolf 1. Vgl. auch Bericht von Werner Liersch. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar 1991 [sic]/Protokoll 1–120, hier 13. Vgl. Walter Kaufmann an Werner Liersch [28. 8. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein 1988–1990/K/Liersch Werner 3. Werner Liersch an Walter Kaufmann [19. 9. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/K/Liersch Werner 1. Werner Liersch an Walter Kaufmann [19. 9. 1990]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein 1988–1990/K/Liersch Werner 1. Villain, S. 146. 879
er eine Mitteilung von Carl Amery, Präsident des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland, und seinem Generalsekretär Hanns Werner Schwarze; »[d]arin die tiefgekühlte Mitteilung, dass man den Zusammenschluss mit uns nicht wünsche.«286 Der Wortlaut war unmissverständlich: 1. Im Präsidium besteht Einvernehmen darüber, dass ein Zusammenschluss der beiden deutschen P.E.N.-Zentren in Deutschland von uns nicht gewünscht wird. 2. Falls die Mitglieder des DDR-P.E.N. von sich aus einen Zusammenschluss wünschen, haben sie zunächst die schwierige Aufgabe zu lösen, akzeptable Voraussetzungen eines solchen Zusammenschlusses zu schaffen, der ohnehin der Zustimmung unserer Mitglieder sowie des Internationalen P.E.N. bedürfte. 3. Überlegungen zur Frage einer Selbstauflösung des DDR-P.E.N. stehen zwar jedem frei, sind jedoch vor allem Sache des DDR-P.E.N. Unser Präsidium betrachtet es nicht als seine Aufgabe, dazu unerbetene Ratschläge zu geben.287
Andere schienen optimistischer. Hermlin etwa bekräftigte gegenüber seinen Präsidiumskollegen die Ansicht, die er schon in seiner Antwort auf die Angriffe in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an Schwarze formuliert hatte. Er schlug vor, die nächste Vollversammlung vor die Frage zu stellen, »ob wir nicht gut beraten wären, Kurs auf eine längere autonome Existenz unseres P.E.N.Zentrums zu nehmen.«288 Von dieser Ansicht konnten auch die übrigen Präsidiumsmitglieder überzeugt werden. Man war offenkundig nicht bereit, sich dem impliziten Alleinvertretungsanspruch, den das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland in seinen Verlautbarungen demonstrierte, zu beugen. Verbunden mit Nerven zehrenden »Wortklaubereien«289 formulierte das Präsidium schließlich die folgende ERKLÄRUNG Das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Deutsche Demokratische Republik, das sich auf seiner Zusammenkunft am 26. 09. 1990 mit der Situation dieser Vereinigung beschäftigte, kam darin überein, die Mitglieder über die zukünftige Arbeit auf einer für Januar einzuberufenden Generalversammlung befinden zu lassen. Auf dieser Zusammenkunft gedenkt das Präsidium den Fortbestand des DDR-P.E.N.Zentrums, das künftig den Namen Deutsches P.E.N.-Zentrum (Berlin) tragen sollte, nahezulegen. Das Präsidium bedauert, daß Heinz Knobloch unter dem Eindruck von gegen ihn erhobenen Vorwürfen das Amt des Präsidenten niedergelegt hat; die Neuwahl erfolgt im Januar. Berlin, den 26. 09. 1990 Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR Walter Kaufmann, Generalsekretär Peter Gosse Stephan Hermlin Werner Liersch
286 287 288 289
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Villain, S. 147. Zitiert nach Villain, S. 246, FN 42. Villain, S. 147. Villain, S. 147.
Helga Königsdorf Jean Villain290
Die Hoffnungen des Präsidiums ruhten somit auf der Mitgliederversammlung 1991, die den künftigen Kurs des P.E.N.-Zentrums bestimmen sollte. An eine Selbstauflösung war nicht gedacht. Die emotionale Belastung, die aus der Sorge um das P.E.N.-Zentrum und die scharfen Beschuldigungen gegenüber den DDR-Autoren erwuchs, war groß. Villain ließ in den Eintragungen seines Tagebuchs daran keinen Zweifel: »Die nächtliche Nachhausefahrt [von der Präsidiumssitzung] schaffe ich zum ersten Mal nur mit Mühe. Ich fühle mich wie durchgekaut und ausgespuckt.«291
290
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Erklärung des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums DDR [26. 9. 1990]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/ Korrespondenz allgemein 1988–1990/E/Erklärung 1. Villain, S. 147. 881
10. Die (Wieder)Vereinigung – Notwendige Neuorientierung und Vereinigungsquerelen (1991–1998)
Streit ist nützlich, unversöhnliche Arroganz aber von Übel – und ein wenig lächerlich dazu. Weiß Gott, man wünschte sich etwas mehr Witz, scharfsinnige Munterkeit, Esprit und parlando im deutschen P.E.N., weniger Ingrimm und teutonischen Ernst, mehr Ironie und, dies vor allem, ein Bekenntnis zu jener Eigenschaft, die Fontane die menschlichste nannte: der Selbstironie. Walter Jens Soll die deutsche Einheit, die in der wirtschaftlichen Sphäre so düster begann, in der intellektuellen besser gelingen, muß die vergangene deutsche Trennung kritisch analysiert werden, damit die Vergangenheitsbewältigung nicht wieder einer nächsten Generationüberlassen bleibt. Nicht Harmonie ist das Ziel, sondern Klarheit. Ehrlichkeit ist gefragt, nicht Profilierungssucht oder Selbstschutz. Nur so könnte sich die Diskussion einer Wahrheit nähern, die Schuld und Irrtum erkennbar macht. Günter de Bruyn1
Vorbemerkung Die Vereinigung der deutschen P.E.N.-Zentren war ein langwieriger und schwieriger Prozess. Im Folgenden sollen die wesentlichen Etappen der komplexen Auseinandersetzung beleuchtet werden. Dabei soll es nicht darum gehen, minutiös jede einzelne Äußerung von West nach Ost – und umgekehrt – nachzuzeichnen. Vielmehr ist eine Darstellung der wesentlichen Entwicklungslinien angestrebt, die die Befindlichkeiten der Literaten in Ost- wie Westdeutschland deutlich machen, Kommunikationsfehler aufzeigen, die fraglichen Kernpunkte erkennen lassen, ein Panoptikum der widerstrebenden Gefühle zeichnen sollen. Im Zentrum des Konflikts zwischen Ost und West standen (mutmaßliche) Verbindungen von Mitgliedern des ostdeutschen P.E.N.-Zentrums zur Staatssicherheit der DDR. Vorsorglich ist anzumerken: Die Vorwürfe gegen die einzelnen Mitglieder werden hier behandelt, ebenso der Umgang des Deutschen P.E.N.Zentrums (Ost) mit den Anklagen. Die Darstellung dient jedoch nicht der Aufklärung oder letztendlichen Festschreibung einer Anklage oder Entlastung der Betroffenen. Es geht hier nicht um Täterschelte oder Opfer-Fürsprache, sondern um die Darstellung des Umgangs mit der Vergangenheitsaufarbeitung des SED1
882
Zitiert nach [o. V.]: Ehrlichkeit ist gefragt. Bundesdeutscher PEN vor einem Votum über die Zukunft beider Zentren. In: Der Tagesspiegel 13670 (12. 9. 1990), S. 4.
Staates. Die besondere Rolle der Medien, insbesondere einzelner Presseorgane, im Einigungsprozess der beiden deutschen Staaten kann hier nur unzureichend analysiert werden. Eine differenzierte Betrachtung hierzu wäre wünschenswert.
10.1 »[E]in bißchen Geduld und Zeit«2 – Kursbestimmung und Positionierung unter neuem Namen: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) Die erste Generalversammlung des ostdeutschen P.E.N.-Zentrums nach der Wiedervereinigung der deutschen Staaten tagte am 1. Februar 1991 in Berlin. Von den 83 Mitgliedern nahmen 53 an der Tagung teil. Erklärtes Ziel des Präsidiums war es, gemeinsam mit den Mitgliedern eine richtungsweisende Aussprache über die Zukunft des eigenen P.E.N.-Zentrums zu führen. Eine Alternative zum eigenständigen Fortbestehen stand nach der deutlichen Absage eines Zusammenschlusses der deutschen P.E.N.-Zentren durch die bundesdeutsche Sektion im Grunde nicht zur Diskussion. Das machten auch die Wortbeiträge der Präsidiumsmitglieder auf der Generalversammlung mehr als deutlich. Der Generalsekretär Walter Kaufmann richtete einen deutlichen Appell an die Anwesenden: »Fehlte unser Zentrum in Zukunft, die Lücke [im Internationalen P.E.N.] wäre empfindlich. Schlichter gesagt, wir sind international zunehmend einbezogen worden, man rechnet mit uns und erwartet künftig unsere Mitarbeit. Ausschlaggebend für unser Bestehen sind der Wunsch und der Wille dazu – der Wunsch und der Wille der Mitglieder. Und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.«3 Kaufmann sah positive Anzeichen für die Fortführung der Arbeit: Die Sitzungen des Präsidiums waren seit der Wende kontinuierlich und konstruktiv durchgeführt worden, es gab finanzielle Unterstützung und vielfache Bereitschaft, als neues Mitglied des ostdeutschen P.E.N.-Zentrums mitzuwirken: Es ermutigte, daß nicht nur uns der Fortbestand unseres Zentrums sinnvoll erschien, sondern wohl auch den achtunddreißig Autorinnen und Autoren in unserem Land, die uns geantwortet haben, daß sie eine PEN-Mitgliedschaft begrüßen würden. Mir wäre es eine Freude, sie alle in diesem Jahr willkommen zu heißen – denn nicht nur bestehen wir noch, wir hoffen auch, mit den uns verbliebenen 80.000 DM aus einer PDS Spende, die uns vor der Währungsunionvom Kulturministerium überwiesen wurde, und den zu erwartenden Mitgliedsbeiträgen weiter bestehen zu können.4
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Katalog zur Vorgehensweise bei der Annäherung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren [erstellt von Dieter Schlenstedt]. Zitiert nach: Protokoll über die am 1. 10. 1991 stattgefundene Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [o. D.]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. 10. 1991/Protokoll 1–13, hier 9f. Wortbeitrag von Walter Kaufmann. In: Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 8. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 11. 883
Werner Liersch, der stellvertretend für das Präsidium sprach, plädierte für eine angemessene Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit; sie war nach seiner Ansicht einer vorschnellen Einigungsbewegung vorzuziehen: Sich über das Geschehene zu verständigen, es wenigstens zu versuchen, um neue Herausforderungen zu bestehen, besser zu bestehen, das sollte nach den Würdeverletzungen der Vergangenheit wenigstens versucht werden. Es ist wohl für manche zu schwer. Für die einen, sich zu ihrer Verantwortung im gehörigen Maße zu bekennen. Für die anderen,so etwas anzunehmen. Dafür sind die Wunden zu frisch. Vielleicht muß man wirklich erst schreien. Nicht schreien dürfen, macht krank. Deshalb erscheint mir der Vorschlag sich zunächst dem allgemein vorgelegten Tempo nicht zu unterwerfen und sich noch eine Weile getrennt zu bewegen, aber nicht wie feindliche Brüder, sondern im Sinne eines Aufeinanderzugehens, sinnvoll.5
Liersch sah die Gegenwart der P.E.N.-Sektion »in höchstem Maße von der Vergangenheit in Anspruch genommen«: »Und es sieht ganz danach aus, als hinge die Zukunft davon ab, wie mit dieser Vergangenheit umgegangen wird. […] Es mag deutlich geworden sein: ein kritisches Verhältnis zu dem, was das Zentrum während seines Bestehens geleistet und versäumt hat, tut not.«6 Von Seiten des Präsidiums war man in die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bereits eingestiegen. Die Wertung der gewonnenen Erkenntnisse war durchaus ambivalent. Unumwunden bestätigte Liersch dass der P.E.N.-Club der DDR insgesamt seiner von der Charta des Internationalen P.E.N. formulierten Aufgabe nur unzureichend nachgekommen sei. Dies sei allerdings »schlichtweg unmöglich« gewesen: »Dazu war das System viel zu repressiv, und es wäre im Ernstfall ganz gut ohne Literatur ausgekommen.«7 Auch im P.E.N. sei spätestens Mitte der sechziger Jahre die führende Rolle der Partei durch die Besetzung der Schlüsselpositionen gesichert gewesen. Die Wahrnehmung der Ämter habe jedoch in Abhängigkeit der einzelnen Persönlichkeiten stark variiert: »Zum Beispiel gab es gravierende Unterschiede zwischen der Tätigkeit unseres Präsidenten und unseres Generalsekretärs in der Zeit vor der Wende.«8 Hervorhebung verdiente nach Lierschs Ansicht auch Stephan Hermlin; dieser habe seine persönlichen Beziehungen genutzt, um sich für bedrohte und gefährdete Kollegen einzusetzen.9
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Wortbeitrag von Werner Liersch. In: Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 13f. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 18 und 37. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 15. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 15. Vgl. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 15f.
Die Lösung der Frage, wie angesichts der auf politischer Ebene vollzogenen deutschen Einheit mit der Existenz zweier deutscher P.E.N.-Zentren umzugehen sei, bestand für Liersch nicht in der Einzelaufnahme der DDR-Mitglieder nach eingehender Prüfung durch das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland : »Warum sollen Schriftsteller, die bereits Mitglied des Internationalen P.E.N. sind, noch einmal Mitglied werden? Das ergibt keinen Sinn, am wenigsten unter dem Aspekt der deutschen Einheit.«10 Liersch plädierte für die Neugründung eines deutschen P.E.N.-Zentrums: Denn es handelt sich um zwei Zentren mit ganz eigener Geschichte. Man kann diese beiden Geschichten nur schwer vergleichen; dazu waren die Bedingungen zu verschieden, denen sie jeweils unterstanden. Man kann diese beiden Geschichten erst recht nicht vereinigen; das ist im Großen der beiden Staaten so wenig möglich wie im Kleinen zweier Schriftsteller-Clubs. Man kann aber versuchen, eine neue, gemeinsame Geschichte zu begründen – mit den Menschen, die, auf ihre je eigene Weise, die alte Geschichte trugen und erfuhren. Es gibt keinen anderen Weg zur deutschen Einheit: wenn er verfehlt wird, wird die deutsche Einheit verfehlt werden. Denn sie steht bisher nur auf dem Papier. Darum sind PEN-Fragen mehr als PEN-Fragen: sie haben einen über sich hinausgehenden Sinn. Noch einmal: uns scheint der Blick auf die Gründung eines neuen gesamtdeutschenPEN-Zentrums auf der Basis bestehenderMitgliedschaften die richtige Perspektive.11
Zu diesem Zweck sei ein Mandat der Mitglieder zur Gesprächsführung mit dem Präsidium des westdeutschen P.E.N.-Zentrums unerlässlich. Auch wenn von dort Ablehnung einer Zusammenführung deutlich signalisiert worden sei, halte man »es jedoch der neuen staatlichen Situation Deutschlands für angemessen, dem Darmstädter Zentrum gegenüber [die] Bereitschaft zu erklären, Möglichkeiten der Schaffung eines deutschen PEN zu erkunden.«12 Der anwesende Generalsekretär des westdeutschen P.E.N.-Zentrums, Hanns Werner Schwarze, zeigte sich keineswegs gesprächsunwillig; er schlug die Schaffung eines Koordinierungsausschusses zwischen beiden Zentren vor.13 Die Idee, einen »Koordinierungsausschuss (unter Einbeziehung des Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland)«14 zu begründen, war vom Präsidium des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland bereits Ende 1990 gebilligt worden. In der Diskussion unter den Mitgliedern des ostdeutschen P.E.N. zeigte sich die Unsicherheit über die vom Westen erhobenen Vorwürfe. So erachtete Christa Wolf die Fortexistenz des eigenen P.E.N.-Zentrums zur Aufarbeitung der eigenen 10
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Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 30. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 37. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 38. Vgl. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 47. Carl Amery an alle Präsidiumsmitglieder [3. 12. 1990]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 885
Geschichte durchaus als sinnvoll. Zugleich aber forderte sie aktiven Austausch, intensive Diskussion mit dem westdeutschen P.E.N.-Zentrum: Mir wäre es eigentlich lieb, daß wir darüber noch reden sollten, etwas offener als bisher und daß wir einfach wirklich alle erfahren, worum es eigentlich geht, um was oder wen. Welche Vorbehalte es dort gibt und in welcher Lage sich dabei das Präsidium des bundesdeutschen P.E.N. befindet. Wie sie darüber denken, wie wir untereinander und miteinander umgehen können. Ob überhaupt eine Annäherung möglich ist. Ob z. B. dieser Koordinierungsausschuß, den ich unterstützen würde, ein geeignetes Mittel wäre. Es ist wirklich nicht nur eine äußere, formale Frage, wie stehen die beiden Deutschen P.E.N.-Zentren zueinander.15
Die Versammlung stimmte schließlich mit eindeutigem Votum für die Schaffung eines deutsch-deutschen Koordinierungsausschusses.16 Gleichwohl war der Wille zur eigenständigen Fortexistenz ungebrochen. Das spiegelten auch die intensiven Bemühungen um eine adäquate Namensfindung für das ehemalige P.E.N.-Zentrum DDR wider. Der Vorschlag Deutsches P.E.N.-Zentrum (Berlin) war von mehreren Seiten wegen seiner Uneindeutigkeit auf Widerstand gestoßen. Auch Darmstadt hatte sich eingeschaltet. Von dort kam der Vorschlag P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland Ost. Dieser wiederum missfiel den Verantwortlichen des ostdeutschen P.E.N.-Zentrums: Schon der Name ›P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland‹ ist sprachlich so unschön wie unser einstiger: der Staatsname lässt den Club wie eine Staatsorganisation erscheinen. Mit dem Zusatz der Himmelsrichtung würde der Name monströs. […] Terminologisch korrekt wäre ›P.E.N.-Zentrum der neuen (bzw. alten) Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland‹. Aber das ist noch monströser. Dagegen ist Deutsches P.E.N.-Zentrum ein guter, klarer Name. Er ist übrigens unser alter, der – mit dem Zusatz ›Ost und West‹ – bis 1965 [sic] bestand. ›Deutsches P.E.N.-Zentrum‹ – wenn auch das Darmstädter Zentrum diesen Namen annimmt, könnte man die Sekretariatsorte in präzisierter Form dazusetzen:Darmstadt und Berlin-Mitte. Oder die Himmelsrichtungen. Es wäre eine Frage von Vereinbarungen.17
Im Laufe einer lebhaften Diskussion einigte sich die Mitgliederversammlung schließlich auf die Annahme des »vorläufigen Namen ›Deutsches P.E.N.Zentrum (Ost)‹«18 . Die Selbstdefinition war ein Stück vorangeschritten: Das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) wurde beschrieben als »eins der beiden P.E.N.Zentren innerhalb des Staatsgebietes der BRD.«19 Das P.E.N.-Zentrum Bundes15
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Wortbeitrag von Christa Wolf: In: Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 99. Vgl. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 99. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 40. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 62. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 62.
republik Deutschland entzog sich einer symmetrischen Lösung der Namensfrage. Eine Umbenennung in Deutsches P.E.N.-Zentrum (West) wurde nicht vollzogen. Als wichtigste Aufgabe der Versammlung empfand Liersch die Wahl neuer Mitglieder, um den eigenen Fortbestand zu sichern. Die Zukunft des Zentrums hänge vom Gelingen ab, sich bei der anstehenden Wahl ein »Reservoir neuer Kräfte zuzuführen«20 . Er warnte, mit Blick auf die Versammlung des Vorjahres, vor einem abermaligen Scheitern der Zuwahlen; dies würde den Fortbestand des Zentrums gefährden. Es galt, die Fehler der Vergangenheit zu tilgen: Es ist lange Jahre von uns allen versäumt worden, Autoren mittleren und jüngeren Alters in die PEN-Arbeit einzubeziehen. Aber auch vielen verdienten älteren Kollegen ist der Zugang zum PEN nicht eröffnet worden.Die Abriegelunggegenüberder Jugend gehörte zu jenen Übeln, die maßgeblich zu dem Zusammenbruch des alten Regimes beigetragen haben. Es ist nicht zu übersehen: das PEN-Zentrum und seine einstige Leitung haben diese Haltung auf ihre Weise reproduziert, was auch damit zusammenhing, daß die jüngere Generation in der Arbeit unserer Verlage völlig ungenügend vertreten war. Die Tendenz des Clubs, die Zuwahlen knapp zu halten, ergab sich auch aus der Beschränkungder vom Staat zur Verfügung gestelltenValuta-Mittel; für jedes Mitglied mußte ja in London ein Jahresbeitrag bezahlt werden.21
Für die Wahlvorgänge der Versammlung im Februar vermerkt das Protokoll die Aufnahme von immerhin 29 neuen Mitgliedern, zehn Vorschläge waren von der Versammlung abgelehnt worden. Zu den Neuaufnahmen zählten u. a. Werner Heiduczek, Erich Köhler, Waldtraut Lewin, Rainer Schedlinski, Dieter Schlenstedt, Helga Schütz und B. K. Tragelehn.22 Unter den Zugewählten befanden sich »auch einige Autoren, die zu SED-Zeiten Schwierigkeiten hatten«23 . Die angestrebte Verjüngung der Mitgliedschaft war mindestens partiell gelungen. Zu den Jüngeren, um 1950 und später Geborenen, zählten Daniela Dahn, Kerstin Hensel, Andrej Jendrusch, Christoph Links, Steffen Mensching, Jens Sparschuh und Hans-Eckardt Wenzel.24 Für Turbulenzen sorgte die Nichtwahl von Joachim Walther – einem freischaffenden Schriftsteller, der seit Ende der sechziger Jahre ins Visier der Staatssicherheit gerückt und wiederholt mit den parteipolitischen Instanzen in Konflikt geraten war. Er hatte unmittelbar nach der Wende mit der Aufarbeitung der politischen Einflussnahme auf den kulturellen, insbesondere schriftstellerischen 20
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Wortbeitrag von Werner Liersch. In: Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 41. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 41f. Vgl. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 95. P. F. B. [d. i.?]: Uneinige PEN-Brüder. In: Die Welt 29 (4. 2. 1991), S. 15. Vgl. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 95. 887
Wirkungsbereich begonnen.25 Walther beschäftigte sich unter anderem mit der dezidierten Klärung der Vorgänge um die Ausschlüsse aus dem Schriftstellerverband im Jahr 1979. Just im Januar 1991 war das Protokoll eines Tribunals 26 erschienen, zu dessen Herausgebern auch Joachim Walther zählte. Die Verweigerung von Walthers Aufnahme in den ostdeutschen P.E.N. bot Vorbehalten gegenüber der Integrität der ostdeutschen P.E.N.-Mitglieder massiv Vorschub. Der seit Jahren in der Bundesrepublik lebende Schriftsteller Erich Loest, der selbst zu den Betroffenen des »Tribunals« gehörte und Mitherausgeber der Dokumentation war, brachte im Nachgang der Generalversammlung Walthers Nichtwahl in direkte Verbindung mit dem Erscheinen des politischen Zündstoff enthaltenden Bandes: Diese Veröffentlichung begegnete im Vorfeld wütenden Widerständen, auch juristischer Art. Einige von denen, die damals zum Sturm geblasen hatten, wolltenihre Reden als persönliches Eigentum bewertet wissen. […] Nun trifft ihn die Rache. In diesem PEN sitzt immer noch Klaus Höpcke, der oberste Zensor der DDR, eine der schwersten politischen Altlasten, […] und denkt nicht an Austritt, was am einfachsten wäre. Er ist dort nicht allein, mehr als zwei Drittel der PEN-Mitglieder fühlen mit ihm und ließen Joachim Walther vor der Tür. Vor der werden sie nun zu kehren haben: in der Öffentlichkeit.27
Auch Joachim Walther selbst meldete sich direkt bei Kaufmann zu Wort und machte seine Ablehnung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) in seiner derzeitigen Zusammensetzung und dessen offenkundige Unfähigkeit zur kritischen Selbstbetrachtung sehr deutlich: Er habe bei Schwarze um Aufnahme in das westdeutsche P.E.N.-Zentrum gebeten, weil ich dem Zentrum Ost solange nicht angehören möchte, solange die Mehrheiten offenbar von Kollegen bestimmt sind, die eine Art sentimentalen Separatismus betreiben bzw. noch immer die Wahrheit über die vergangenenJahrzehnte hierzulandebehindern möchten. Sie dürfen mir glauben, daß ich weiß, wovon ich schreibe, habe ich doch genügend Erfahrungen sammeln können bei der Herausgabe der Dokumentation ›Protokoll eines Tribunals‹. Ich finde es absurd angesichts der neuen gesellschaftlichen Situation, daß die einstigen Exekutoren und Vollzugsgehilfen der SED-Politik offenbar in einigen Gremien noch immer über genügend Einfluß verfügen, um ihre Interessen zu wahren. Ich darf Ihnen sagen, daß ich nicht bereit bin, dies schweigend hinzunehmen.28
Kaufmann antwortete, auf Beschluss des Präsidiums, mit dem zu erwartenden Hinweis auf die demokratischen Wahlbedingungen und lehnte eine poli25
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Vgl. Andreas Kölling: Joachim Walther. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 886f. Vgl. Joachim Walther et al. (Hg.): Protokoll eines Tribunals. Die Ausschlüsse aus dem Schriftstellerverband 1979. Reinbek bei Hamburg 1991. Erich Loest. Die Rache der Alten. Warum das PEN-Zentrum Ost Joachim Walther nicht haben will. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 32 (7. 2. 1991), S. 27. Abgedruckt in: Erich Loest: Als wir in den Westen kamen. Gedanken eines literarischen Grenzgängers. Stuttgart und Leipzig 1997, S. 166f. Joachim Walther an Walter Kaufmann [7. 2. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein Januar 1991–September 1993/W/Walther Joachim 1.
tische Begründung der Nichtwahl entschieden ab. Er brachte das Bedauern des Präsidiums über Walthers Nichtwahl zum Ausdruck, machte aber zugleich deutlich, dass weitere zehn Kollegen »verschiedenste[r] ästhetische[r] und politische[r] Positionen« die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht erreicht hätten. Im Namen des Präsidiums warnte Kaufmann davor, »solche demokratischen Entscheidungen als das Werk von ›einstigen Exekutoren und Vollzugsgehilfen der SED-Politik‹ zu bezeichnen. Wir leben in einer Zeit schonungsloser Hysterie und hemmungsloser Medisence. Ein Teil der Öffentlichkeit glaubt einen anderen Teil der Öffentlichkeit hemmungslos verdächtigen zu können. Wir sind davon überzeugt, daß das nicht dauern wird.«29 Gerhard Zwerenz, der gemeinsam mit Erich Loest die Bürgschaft für Walthers Aufnahme in das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland übernommen hatte, sah die Entwicklungen eher pragmatisch. Für ihn, der 1957 aus Furcht vor einer Verhaftung in den Westen geflohen war, schien die politische Dimension der P.E.N.-Mitgliedschaften von zweitrangiger Bedeutung, er spekulierte über eine Art »natürlicher« Lösung des deutschen-deutschen P.E.N.Konfliktes: »Warum sollen manche von ›drüben‹ nicht in den hiesigen PEN und andere von hier nicht in Ihren dortigen Club gehen. So vermischt es sich, bis es sich ganz vermischen mag. Auch ist J[oachim] W[alther] einer der wenigen aus der vormaligen DDR, den ich kurz kennenlernte. Ich dachte, der müßte rein, es sind sowieso zu viele drinnen, die nicht reingehören. Doch was soll’s, es ist eh nur viel internes Gezänk.«30 Weniger gelassen betrachtete Dieter Schubert die Vorgänge um Walther. Auch er gehörte zu den Autoren, die 1979 aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen worden waren. Mit Blick auf Walthers Nichtwahl erklärte er im Mai 1991 seinen Austritt aus dem Deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost). In einem Brief an Kaufmann erhob er Protest gegen diese »›politische Entscheidung‹«: »Die Vorstellung, daß zum Beispiel der ehemalige, für Literatur verantwortliche stellvertretende Kulturminister der DDR (Klaus Höpcke) über die Aufnahme von Walther, anderen oder auch mir mit zu entscheiden haben könnte, bereitet mir bei differenzierter Betrachtung dieses ministeriellen Wirkens Unbehagen.«31 Aus- und Übertritte hatte es schon zuvor gegeben: Peter Hacks hatte das P.E.N.-Zentrum DDR bereits im März 1990 verlassen; de Bruyn war im November 1990 gefolgt, Heinz Czechowski war im Januar 1991 gegangen.32 Eine Auskunft über die Argumente seines Austritts hatte Günter de Bruyn verweigert – 29
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Walter Kaufmann an Joachim Walther [18. 2. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein Januar 1991–September 1993/W/Walther Joachim 2 und 2a. Gerhard Zwerenz an Walter Kaufmann [28. 2. 1991]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein Januar 1991–September 1993/W/Walther Joachim 3. Zitiert nach [dpa]: Dieter Schubert. Austritt aus dem P.E.N.-Zentrum (Ost). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 102 (3. 5. 1991), S. 36. Vgl. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 41f. Vgl. weiterhin[o. V.]: SchriftstellerverlassenPEN. In: Die Welt 33 (8. 2. 1991),S. 17. 889
»›Eine Begründung möchte ich nicht geben, weil diese Polemik hervorrufen würden, und dieser will ich mit diesem Schritt gerade aus dem Weg gehen‹«33 – und stieß dabei auf Unverständnis: »Warum müsste die Begründung eines solchen Schrittes Polemik hervorrufen? Vielleicht wäre es eine einleuchtende Begründung! Auf jeden Fall könnte man darüber reden. Ein wortloser Einzelrückzug hilft Probleme nicht lösen, die sich aus der Existenz zweier PEN-Zentren auf Staatsboden ergeben. Es sind objektive Probleme und nur durch Mitwirkung aller zu lösen.«34 Die Gründe seiner Distanzierung vom ehemaligen DDRZentrum offenbarte de Bruyn erst im Oktober 1991, anlässlich der Jahrestagung des westdeutschen Zentrums in Hannover: Da ich beim [ostdeutschen P.E.N.-Zentrum] eine Neigung zur kritischen Aufarbeitung seinerVergangenheitnicht feststellenkonnte, wäre mir lieber gewesen,wenn es sich aufgelöst hätte. Sein demokratisch zustande gekommener Entschluß, bestehen zu bleiben, muß aber respektiert werden; nur ist das kein Grund für mich, weiterhin dazuzugehören. Ich fürchte, daß dort noch waltet, was in DDR-Zeiten Abgrenzung hieß. Den letzten Anstoß für mich, das Zentrum-Ost zu verlassen, gab aber im Herbst letzten Jahres ein Interview des Generalsekretärs Walter Kaufmann, der zur Begründung des Selbständigbleibens sagte: es gäbe zwischen den beiden deutschen Zentren zwar geographisch nur geringe, ideell aber große Distanzen, die schwerwiegender seien. Und das schien mir doch eine, dem PEN nicht anstehende, politische Festlegung auf einen der gemeinsamen Zukunft nicht dienlichen DDR-Korpsgeist zu sein. Den mitzutragen ist mir leider unmöglich. Ich bin aber dafür, die Distanz nicht zu betonen, sondern sie zu verringern. Ich bin auch nicht Heiner Müllers Meinung, der kürzlichaus anderem Anlaß sagte, ihm käme es darauf an, den Riß, der durch Deutschland geht, offenzuhalten. Mir scheint richtiger, daß er mit Toleranz und Verständnis so bald wie möglich geschlossen wird.35
Die erhobenen Anklagen gegen die nunmehr unter der Bezeichnung Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) firmierenden rechtlichen Nachfolgeorganisation des P.E.N.-Zentrums DDR waren formuliert: Zentraler Vorwurf an die AltMitglieder war die mangelnde Distanz zur SED-Diktatur und die fortgesetzte Mitgliedschaft jener, die im DDR-Staat führende politische Positionen übernommen hatten. Deren Einflussmöglichkeiten auf zentrale Entscheidungen im P.E.N.-Zentrum waren nach Ansicht der Kritiker noch immer ungebrochen. Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum agierte aus ihrer Sicht als Hort einstiger DDRMentalität. Nicht wahrgenommen wurde der vorhandene Wille zur kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und Veränderung der alten Strukturen.
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Wortbeitrag von Günter de Bruyn. In: Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 35. Wortbeitrag von Werner Liersch. In: Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 35. Günter de Bruyn: Der Riß und die Literatur. Auch eine Antwort an Heiner Müller. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 246 (23. 10. 1991), S. 33.
Die Generalversammlung im Februar 1991 hatte diesbezüglich deutliche Signale ausgesandt: Junge, unbelastete Autoren waren zugewählt worden; die Notwendigkeit der Geschichtsaufarbeitung war deutlich hervorgehoben worden. Auch neuerliche personelle Veränderungen waren angekündigt worden. Die Wahl eines neuen Präsidenten und eines neuen Präsidiums wurde für eine weitere Generalversammlung im Herbst 1991 in Aussicht gestellt. Diese Entscheidung hing in der Hauptsache damit zusammen, dass bis zum Februar 1991 kein geeigneter Kandidat für das Amt des Präsidenten gefunden worden war. Die Suche gestaltete sich schwierig. Im Verlauf des Jahres 1991 wurden viele Vorschläge gemacht. Zur Diskussion standen jeweils kurzzeitig Karl Mickel36, Jean Villain37 und Hans Marquardt38 . Diskutiert wurde die Möglichkeit, Walter Kaufmann zum Präsidenten zu machen und einen neuen Generalsekretär zu wählen. Angefragt werden sollte auch bei Volker Braun und Stefan Heym.39 Im September 1991 hatte sich die Situation zugespitzt. Noch immer war kein Präsident gefunden. Werner Liersch verwies »mit Besorgnis auf die prekäre Lage des ostdeutschen PEN’s. Die Realitäten müssen endlich gesehen und pragmatische Lösungen gefunden werden. Ohne Präsident geht es nicht mehr weiter. Wenn die Mitgliederversammlung schon zum 2. Mal keinen Präsidenten finden kann, bedeutet es das Aus für den PEN.«40 Die profilierten Autoren hatten allesamt eine Kandidatur abgelehnt. Auch Kaufmann lehnte ab: Es sei »keine gute Lösung. Er wäre als Präsident nicht repräsentativ genug.«41 In der Folgezeit gelang es nicht, einen Kandidaten zu benennen. Am 1. Oktober 1991 wurde von der Generalversammlung schließlich nach langer Diskussion Dieter Schlenstedt, der erst im Januar in den P.E.N. gewählt worden war, als neuer Präsident des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) vorgeschlagen und mit 39 Stimmen bestätigt. Seine Gegenkandidatin Gisela Kraft erhielt, bei drei Enthaltungen lediglich sieben Ja-Stimmen. Kaufmann wurde erneut das Amt des Generalsekretärs übertragen. Das Präsidium erfuhr eine 36
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Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 21. 1. 1991 [22. 1. 1991; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1991/ Präsidiumssitzung 21. 1. 1991/Protokoll 1–3, hier 2. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 29. 5. 1991 [1. 6. 1991; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1991/ Präsidiumssitzung 29. 5. 1991/Protokoll 1–4, hier 3. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 4. 7. 1991 [10. 7. 1991; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1991/ Präsidiumssitzung 4. 7. 1991/Protokoll 1–4, hier 1. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 4. 7. 1991 [10. 7. 1991; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1991/ Präsidiumssitzung 4. 7. 1991/Protokoll 1–4, hier 1. Wortbeitrag von Werner Liersch. In: Protokoll der Präsidiumssitzung am 9. 9. 1991 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Präsidium ab 1991 bis 1994/1991/Präsidiumssitzung 9. 9. 1991/Protokoll 1–4, hier 3. Wortbeitrag von Walter Kaufmann. In: Protokoll der Präsidiumssitzung am 9. 9. 1991 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Präsidium ab 1991 bis 1994/1991/Präsidiumssitzung 9. 9. 1991/Protokoll 1–4, hier 4. 891
wesentliche, demonstrative Veränderung. Ihm gehörten fortan neben den erfahrenen P.E.N.-Mitgliedern Joochen Laabs und Werner Liersch, die beide dem P.E.N.-Zentrum DDR seit den achtziger Jahren zugehörig waren, ausschließlich Vertreter der im Februar 1991 Zugewählten an. Dies waren Kerstin Hensel, Beate Morgenstern, Steffen Mensching, Brigitte Struzyk, B. K. Tragelehn und Christine Wolter.42 Diese Zusammensetzung des Präsidiums ergab eine stärkere Altersdurchmischung als bisher. Mit Hensel und Mensching waren erstmals zwei Vertreter der jüngeren Generation von DDR-Autoren aufgenommen worden, die ausschließlich in den Verhältnissen des etablierten SED-Staates aufgewachsen waren. Das allgemein begrüßte Ergebnis wurde indes durch eine andere Entscheidung der Versammlung entscheidend getrübt. Bei der Wahl neuer Mitglieder hatte Pfarrer Friedrich Schorlemmer, verdienter Bürgerrechtler und Friedensaktivist, die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit verfehlt. Dieses Ergebnis rief bei vielen anwesenden Mitgliedern Enttäuschung und Unverständnis hervor. Thomas Reschke sah Schwierigkeiten voraus: »Ich schäme mich, daß Friedrich Schorlemmer nicht gewählt worden ist. Das wird uns außerordentlich schaden.«43 Explizit gegen Schorlemmer hatte sich im Vorfeld der Wahl das langjährige P.E.N.-Mitglied Hermann Kant ausgesprochen. Zwar war es durchaus üblich, über die Wahlvorschläge zu diskutieren. Eine von persönlicher Befindlichkeit geprägte Stellungnahme wie die Kants bleibt jedoch ohne Beispiel: Da ich es im politischen Leben immer gehaßt habe, wenn bei Abstimmungen dieser oder jener Gegenstimmen hatte – ohne Diskussion –, möchte ich hier etwas sagen zu einer Kandidatur, weil einem der Kandidaten mindestens eine Stimme fehlen wird, und das wird meine sein. Ich will ausdrücklich sagen, daß ich selbstverständlich nach Zuwahl dieses Kandidaten mich ihm gegenüber benehmen werde wie gegenüber den anderen Gewählten. Es handelt sich um Herrn Schorlemmer. Begründung: Ich bewundere, wie wohl alle hier, die Rolle von Herrn Schorlemmer in der Zeit vor 89 und um 89, er hat meinen tiefen Respekt, aber Herr Schorlemmer hat in mehreren öffentlichen Erklärungen und Verlautbarungen die Einberufung oder Gründung eines Tribunals zur Bewältigung der DDR-Geschichte gefordert und versucht, an Beispielen zu erläutern, mit wem sich dieses Tribunal zu befassen habe; zumindest immer drei Namen fielen: Honecker, Mielke und Kant. Es fehlt mir die Seelenstärke, diesem Kandidaten zuzustimmen, und ich will Sie nicht mit Rätseln allein lassen.44
Bei der Abstimmung lag Schorlemmer mit nur 58 Stimmen weit abgeschlagen hinter den übrigen Kandidaten.45 Über die Wirkung von Kants Aussage kann 42 43
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Vgl. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. 10. 1991/Beschlußprotokoll 1–2. Wortbeitrag von Thomas Reschke. In: Protokoll über die am 1. 10. 1991 stattgefundene Generalversammlungdes DeutschenP.E.N.-Zentrums(Ost) [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. 10. 1991/Protokoll 1–13, hier 8. Wortbeitrag von Hermann Kant. In: Protokoll über die am 1. 10. 1991 stattgefundene Generalversammlungdes DeutschenP.E.N.-Zentrums(Ost) [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. 10. 1991/Protokoll 1–13, hier 3. Vgl. Protokoll über die am 1. 10. 1991 stattgefundene Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. 10. 1991/Protokoll 1–13, hier 5.
nur spekuliert werden, ein tatsächlicher Nachweis der Manipulation ist nicht zu führen. Schorlemmer selbst äußerte ein halbes Jahr nach der Mitgliederversammlung, »daß [Kant] [s]eine Aufnahme in den P.E.N. nicht verhindert«46 habe. Der neu gewählte Präsident Schlenstedt bedauerte schon auf der Generalversammlung die Nichtwahl von Schorlemmer ausdrücklich; er hatte sich positive Impulse von Schorlemmers Mitgliedschaft erhofft, »weil er eine Person ist, die oft unbequem, aber kritisch-produktiv ist.«47 In Reaktion auf die Pressemeldungen, die in Kants Äußerungen die Ursache für die Nichtwahl Schorlemmers belegt sahen,48 verfassten Kaufmann und Schlenstedt eine umfassende Erklärung für die Presse. Darin brachten sie noch einmal mit Nachdruck ihr Bedauern über Schorlemmers Nichtwahl zum Ausdruck, »in Achtung vor seinem Wirken in der politischen und kulturellen Öffentlichkeit, in der Überzeugung, daß er in den Prozessen notwendiger Auseinandersetzung unter uns eine wichtige Rolle zu spielen vermochte.«49 Gleichzeitig machten sie auf den Wahlmodus aufmerksam: »Bei der Abstimmung […] erhielt Friedrich Schorlemmer eine starke einfache Mehrheit, die für ihn abgegebenen Stimmen blieben knapp unter der erforderlichen Zahl. Eine geheime und freie Wahl schließt das Risiko von Fehlentscheidungen ein. Dieses Risiko gehört zur Demokratie, soweit sie auf Wahlvorgängen beruht. Um Demokratie in einem weiten Sinne geht es uns in unseren neuen Bemühungen.«50 Die Kritik an der Berichterstattung der Presse war deutlich: Sachlichkeit gebietet festzustellen, daß es sich hier um eine persönliche Bekundung handelte, welche sich auf den Vorschlag zu einem Tribunal bezog und nicht – wie in der Presse zu lesen – um einen wortführerischen Aufruf zur Nichtwahl von Friedrich Schorlemmer. Wir brauchen und wollen die entschiedene sachliche und differenzierte Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit und Gegenwart. Dabei können spektakulär verwendete Nachrichten, vermischt mit Fehlinformationen in den Medien nicht dienlich sein.51
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Zitiert nach Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92. Dokumentation nach Tonbandkassetten. Berlin 1993, S. 61. Wortbeitrag von Dieter Schlenstedt. In: Protokoll über die am 1. 10. 1991 stattgefundene Generalversammlungdes DeutschenP.E.N.-Zentrums(Ost) [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. 10. 1991/Protokoll 1–13, hier 9. Vgl. [dpa]: Kant will Schorlemmer nicht im PEN. Bürgerrechtler nicht gewählt. In: Süddeutsche Zeitung 245 (23. 10. 1991), S. 6; DW. [d. i.?]: Schorlemmer nicht im PEN. In: Die Welt 247 (23. 10. 1991), S. 19. Dieter Schlenstedt und Walter Kaufmann: Erklärung [23. 10. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. 10. 1991/Erklärung 1f., hier 1. Dieter Schlenstedt und Walter Kaufmann: Erklärung [23. 10. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. 10. 1991/Erklärung 1f., hier 1. Dieter Schlenstedt und Walter Kaufmann: Erklärung [23. 10. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. 10. 1991/Erklärung 1f., hier 2. 893
In den Medien fand die Erklärung kaum Beachtung. Die Berichterstattung über Schorlemmers Nichtwahl erregte, erwartungsgemäß, die Gemüter. Empört meldete sich Christa Wolf zu Wort: Erst heute ist mir durch die Presse klar geworden, was sich im Zusammenhang mit der gescheiterten Kandidatur von Friedrich Schorlemmer bei der letzten Plenartagung unseres PEN-Zentrums abgespielt hat, bei der ich nicht anwesend sein konnte. Ich empfinde es als unerträglich, daß [so viele] anwesende[] Mitglieder gegen die Wahl von Schorlemmer gestimmt und damit seine Aufnahme in das deutsche PEN-Zentrum Ost verhindert haben. Wenn Friedrich Schorlemmer nach Meinung dieser [Mitglieder] nicht die Voraussetzungen erfüllt, in unserem PEN-Zentrum Mitglied zu sein, erkläre ich, diese Voraussetzungen auch nicht zu erfüllen. Selbstverständlich kann jedes PEN-Mitglied seine Stimme geben oder verweigern, wem es will. Ich möchte aber nicht schweigend zusehen, wie sich in diesem eklatanten Fall noch einmal ein Geist durchsetzt, den ich schädlich finde. Ich will nicht in einem Augenblick, da ein neuer Präsident und ein neues Präsidium, da eine Menge jüngerer Mitglieder sich um die Erneuerung des PEN bemühen, meinen Austritt erklären. Aber ich mache meine weitereMitgliedschaftim PEN davon abhängig, daß, ausgehend vom Fall Schorlemmer, innerhalb unseres Zentrums eine Auseinandersetzung stattfindet, die zum Ziel haben sollte, nach einer rückhaltlosen Diskussion über alle Fragen, die sich aus der Geschichte des PEN und einzelner seiner Mitglieder ergeben, unserer Organisation ein Gesicht zu geben, das sich vor der nationalen und internationalen Öffentlichkeit sehen lassen kann.52
In einem persönlichen Brief an Schlenstedt warnte Wolf eindringlich davor, unter dem wachsenden Druck von außen eine Art Phalanx gegen die westlichen Angreifer zu bilden und forderte nachdrücklich eine intensive und offene Auseinandersetzung mit der institutionellen wie persönlichen Vergangenheit: Mir ist heute schlagartig klar geworden, daß ich nicht dazu schweigen kann, wenn eine Gruppe im PEN immer noch oder schon wieder ihr Spielchen mit uns treibt. Ich glaube auch, daß wir nicht mehr lange warten sollten, sondern sehr bald deutlich miteinander reden, und daß wir auch an einzelne Mitglieder deutliche Fragen stellen müssen, die sich darauf beziehen, ob ihr Verhalten mit der PEN-Charta zu vereinbaren war. Dies müßte nicht auf Ausschließen oder Ausgrenzen hinauslaufen, sondern auf gegenseitige Offenheit. Ich kann und will’s nicht mehr anders aushalten. […] Ich glaube, Du verstehst meine Unruhe und Empörung, die will ich mir nicht mehr durch unangemessene Reaktionen aus dem Westen beschwichtigen lassen. Wir dürfen uns nicht durch Angriffe, die undifferenziert und dumm sind, davon abhalten lassen, hier nun selber zu differenzieren und uns plötzlich zu einer Art von Schicksalsgemeinschaft zusammendreschen lassen, die wir ja vorher weiß Gott nicht gewesen sind. Ich möchte die Differenzen von früher ganz deutlich auf den Tisch des Hauses haben – danach kann man sehen, mit wem man dann noch oder eben nicht mehr an einem Tisch sitzen kann.53
Die Diskussionen um Schorlemmers Nichtwahl hatten eine unmittelbare Folge. Hermann Kant trat noch 1991 aus dem Deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost) aus, 52
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Christa Wolf an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [23. 10. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein Januar 1991– September 1993/W/Wolf Christa 1. Christa Wolf an Dieter Schlenstedt [23. 10. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein Januar 1991–September 1993/W/Wolf Christa 2.
»›um die Situation zu entlasten‹«54 . Schlenstedt sah diesen Austritt kritisch: »Er empfindet ihn als negativ, da einer geht, der dem Verein einen problematischen Aspekt gibt und positiv, weil Kant dem PEN weitere Scherereien vermeiden wollte.«55 Über die Wege, die zur Verständigung und Aufklärung über die Vergangenheit beschritten werden sollten, herrschte nach der zweiten Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) offenkundig noch starke Unsicherheit. Zwar hatte Schlenstedt am Ende der Generalversammlung im Oktober 1991 eine Zielvorgabe, einen Punkte-Katalog für die deutsch-deutsche Annäherung ausgegeben. Dabei stand für ihn die langfristige, keineswegs übereilte Einigung mit dem westdeutschen P.E.N.-Zentrum weit oben auf der Agenda. Eine klare Marschrichtung für die eigene Vergangenheitsbewältigung aber musste erst gefunden werden: 1. Gegenseitige Verständigung über die Vergangenheit und Gegenwart, Aufklärung über sie. Ich glaube, es wäre angebracht, daß wir darüber nachsinnen, wie das in intensiverer Form als bisher zustande gebracht werden könnte und sollte. […] 2. Die Erkundung von Wegen einer Zusammenarbeit, einer Verständigung mit unseren Kollegen in anderen deutschen und deutschsprachigen PEN-Zentren. […] Es muß Überlegungen geben, wie wir zu einer neuen Form der Zusammenarbeit und dann vielleicht zum Zusammenschluß mit dem anderen deutschen Zentrum kommen. […] Ich hoffe, es kann vom P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik akzeptiert werden, daß wir die Überhastungen, die im Augenblick den Prozeß bestimmen, nicht mitmachen, daß wir uns gegenseitig eine gewisse Zeit einräumen für die Klärung von gemeinsamen Aufgaben und Verantwortungen, Differenzen und notwendigen Grenzziehungen. Dazu ist ein bißchen Geduld und Zeit notwendig – was nicht heißen kann, daß diese Geduld und Zeit sozusagen gemütlich sein sollte und bis in alle Ewigkeit zu dauern hätte. Ich hoffe sehr, daß alle diesen Appell auch weiterleiten mit der Bitte, Kooperationsmöglichkeiten auszukundschaften.56
Der Prozess der Geschichtsaufarbeitung gärte. Das Wechselspiel von innerem Bestreben und äußerem Druck war längst in Gang gesetzt: Ideen, Vorschläge und Ansätze einer Beschäftigung mit der DDR-Vergangenheit waren bereits auf der Generalversammlung im Januar 1991 und den nachfolgenden Präsidiumssitzungen ansatzweise diskutiert, jedoch in den meisten Fällen noch nicht konkretisiert worden. Dass die Bewältigung der Vorbehalte, die der ehemaligen DDR-Sektion von westlicher Seite entgegengebracht wurden, keineswegs ange54
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Protokoll zur Präsidiumssitzung am 18. 11. 1991 [24. 11. 1991; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1991/ Präsidiumssitzung 18. 11. 1991/Protokoll 1–7, hier 3. Wortbeitrag von Dieter Schlenstedt. In: Protokoll zur Präsidiumssitzung am 18. 11. 1991 [24. 11. 1991; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1991/Präsidiumssitzung 18. 11. 1991/Protokoll 1–7, hier 3. Katalog zur Vorgehensweise bei der Annäherung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren [erstellt von Dieter Schlenstedt]. Zitiert nach: Protokoll über die am 1. 10. 1991 stattgefundene Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [o. D.]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. 10. 1991/Protokoll 1–13, hier 9f. 895
nehm werden würde, hatten die beiden Arbeitstagungen des gemeinsamen Koordinierungsausschusses demonstriert, der seine Arbeit im April 1991 aufgenommen hatte.
10.2 Gescheitertes Aufeinanderzugehen der Literaten aus Ost und West? Auf der Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) im Januar 1991 hatte Hanns Werner Schwarze, Generalsekretär der westdeutschen Sektion, für die Bildung eines gemeinsamen Koordinierungsausschusses der beiden bundesdeutschen P.E.N.-Zentren unter Einbezug des P.E.N.-Zentrums Deutschsprachiger Autoren im Ausland plädiert. Wenig später bat er, mit der Bildung eines Koordinierungsausschusses noch zu warten.57 Am 29. April 1991 trat der Koordinierungsausschuss schließlich erstmals in Berlin zusammen. Als Vertreter der ostdeutschen Sektion waren Walter Kaufmann, Peter Gosse, Werner Liersch und Andrea Doberenz, Sekretariatsmitarbeiterin, angetreten. Von westlicher Seite kamen Hanns Werner Schwarze, Gert Heidenreich, Adalbert Podlech und die Geschäftsführerin Ursula Setzer. Fritz Beer vertrat in seiner Eigenschaft als Präsident das P.E.N.-Zentrum Deutschsprachiger Autoren im Ausland. Zu Beginn der Zusammenkunft machten Kaufmann und Schwarze zunächst die Haltung des Internationalen P.E.N. zur Situation der beiden deutschen P.E.N.-Zentren deutlich. Sowohl der internationale Präsident György Konrad, als auch der internationale Generalsekretär Alexandre Blokh hatten in den Unterredungen mit den Generalsekretären der deutschen Sektionen eine tolerante Haltung eingenommen: »Die Existenz zweier Zentren in Deutschland sei für den Internationalen P.E.N. auch auf längere Sicht kein Problem! Die Londoner Zentrale begrüße die in beiden Zentren erkennbare Bereitschaft einer Kooperation, bzw. die Bildung eines Koordinierungsausschusses, der Veränderungen des gegenwärtigen Zustandes prüfen und ohne jeden Zeitdruck diskutieren solle.«58 Vermutlich hoffte die internationale Führung, dass es den deutschen Literaten dieses Mal gelingen würde, eigenständig und zügig zu einer geeigneten Lösung zu kommen. Eine offene Aussprache, die gemeinsame Wege einer deutsch-deutschen Annäherung hätte aufzeigen können, kam beim ersten Zusammentreffen des Koordinierungsausschusses nicht über vage Ansätze hinaus. Die gemeinschaftliche Suche nach Antworten, wie die Aufarbeitung der DDR-Geschichte, die so vehement gefordert wurde, aussehen könnte oder sollte, kam nicht recht in Gang. 57
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Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 18. 2. 1991 [20. 2. 1991; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1991/Präsidiumssitzung 18. 2. 1991/Protokoll 1f., hier 2. Protokoll zum ersten Zusammentreffen des Koordinierungsausschusses am 29. 4. 1991 [10. 5. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Protokoll 2 29. 4. 1991 1–6, hier 1.
Fritz Beer äußerte in einem einführenden Referat umfangreiche Gedanken über die notwendigen Voraussetzungen der Annäherung von ost- und westdeutschen Schriftstellern. Seine unverhohlen kritische Haltung gegenüber den Schriftstellern der ehemaligen DDR erklärte Beer durch die Prägung von zwei Lebenserfahrungen, die für die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Deutschsprachiger Autoren im Ausland symptomatisch seien – die Erfahrung »der nationalsozialistischen und der kommunistischen Vernichtung d[er] [Gedankenf]reiheit«59 . Man habe seit Kriegsende eine nicht immer populäre Fehde gegen die Verniedlicher und Beschöniger des Nazismus geführt, gegen die niemals Bekehrten und die ihm ewig und reuelos Verfallenen. So wie unsere westdeutschen PEN Freunde mahnten wir, daß ohne eine echte Bewältigung der Vergangenheit keine gerechte Zukunft möglich ist. Wir können jetzt nicht schweigen, wenn Kollegen aus der früheren DDR sich ähnlich verhalten; wenn sie darauf beharren, daß nichts zu bewältigen sei; daß ihr untertäniges Verhältnis zur Macht, und vielleicht auch eine Mitarbeit an ihren Unterdrückungsmaßnahmen gerechtfertigt war.60
Beer forderte die »immerwährende[ ], unbarmherzige[ ] Suche nach Wahrheit, wie schmerzlich sie auch […] sein mag«61 , die Suche nach den Schuldigen. In deren Beurteilung durch die Nichtbetroffenen der SED-Diktatur lag aus seiner Sicht die Antwort auf die Frage, ob es eine Chance der Wiederannäherung geben konnte. Zwei Erwägungen sollten dabei leitend sein. Einerseits die Beurteilung des Verhaltens von Menschen, die in einer Diktatur lebten, andererseits deren Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle in dieser Diktatur. Beer erhob die Außenstehenden zum Richter über die DDR-Bürger: »Wer verdient Anerkennung oder zumindest Toleranz? Wem müßten wir unsere Hand verweigern, so lange er nicht einsieht, daß er mithalf, unsere Ideale, die humane Orientierung des Schriftstellers, zu unterdrücken, für die er ja, so wie die Gewalt, der er diente, immer ein Lippenbekenntnis gab?«62 Die Anklage gegen die Schriftsteller, die in der DDR gelebt und gearbeitet hatten, verdichtete sich: Hat keiner von ihnen in seinem inneren seelischen und moralischen Haushalt Bedenken gegen seine Unterstützung des Systems der Unfreiheit gehabt, sich nach seiner Mitschuld am Verfall und der Diskreditierung des Sozialismus gefragt? Hat er niemals entdeckt, daß sein System und er selbst verrieten, wofür unzählige Generationen einen opferschweren Kampf führten? Waren seine Auflageziffern, die Größe seiner Wohnung, die Möglichkeit, ins Ausland zu reisen, seine Stellung in der Gesellschaft für seine Existenz so unabkömmlich, daß er ihre moralische Substanz gefährdete; sich
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Fritz Beer: Zur Debatte im Koordinierungsausschuß West-Ost [5. 4. 1991]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Fritz Beer 1–1c, hier 1. Fritz Beer: Zur Debatte im Koordinierungsausschuß West-Ost [5. 4. 1991]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Fritz Beer 1–1c, hier 1. Fritz Beer: Zur Debatte im Koordinierungsausschuß West-Ost [5. 4. 1991]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Fritz Beer 1–1c, hier 1. Fritz Beer: Zur Debatte im Koordinierungsausschuß West-Ost [5. 4. 1991]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Fritz Beer 1–1c, hier 1a. 897
nicht gegen die innere Korrumpierung wahrte und schließlich zu glauben begann, was er ohnehin schreiben zu müssen glaubte? Es gab doch eine Alternative.63
Beer war bewusst, dass er mit seinem gleichermaßen provokativen wie suggestiven Fragenkatalog die Realität der Autoren in einem diktatorischen Staatssystem nur unzureichend beschrieb. Er forderte eine differenzierende Sicht auf das Verhalten der Schriftstellerkollegen. Bei der »Verurteilung« von Kollegen aus der früheren DDR dürfe man nicht »bloß Schwarz und Weiß« sehen: »Wir sollten gelernt haben, daß man in einem Gewaltsystem mutig und feige zugleich sein konnte, am gleichen Tag ein Kollaborant und ein Widerständler war, manchmal ein Schwein und ein andermal ein hilfreicher Engel; daß man heute den Mund hielt und morgen, meist flüsternd, die Wahrheit sagte. Nur wer die Kollegen, deren Mitgliedschaft in einem künftigen gesamtdeutschen PEN umstritten ist, genau kennt, kann beurteilen, ob sie dieser Mitgliedschaft würdig sind.64 Vollkommen inakzeptabel erschien ihm jedoch eine unkritische, unehrliche und verharmlosende Sicht auf die Vergangenheit: Unsere Kollegen, die so tun, als hätte es nur eine Fehleinschätzung bei der Bedeutung der Gedankenfreiheit gegeben, die noch heute den Bau der Mauer als Errungenschaft preisen, die ihre Rolle im ostdeutschen Kulturleben verniedlichen, ihre direkte oder indirekte Mitschuld an der Verfolgung von Autoren und Unterdrückung von Büchern leugnen,tun sich, der deutschenLiteratur und den Überlegungenüber eine Alternative zu unserer unvollkommenen Gesellschaft nichts Gutes, wenn sie sich jetzt blind stellen. Ich suche keine Rache, keine Vergeltung. Aber es würde sich ziemen, daß sie bescheidener auftreten; daß sie zumindest schweigen, wenn sie ihre Verfehlungen nicht, oder so möchte ich hoffen, noch nicht sehen können, oder aus menschlicher Schwäche nicht eingestehen wollen.65
Eine Kompromisslösung gab es nach Beers Ansicht nicht. Die Trennung zwischen ostdeutschen und westdeutschen Autoren könne nur »durch eine ehrliche Abrechnung dieser Kollegen mit ihrer Vergangenheit [aufgehoben werden], durch die Einsicht, daß es das Reich der Freiheit, von dem sie immer redeten, vielleicht niemals geben kann, aber daß sie mithelfen würden, sich ihm zumindest zu nähern, wenn sie ihren Lesern die Wolfsgruben auf dem Weg dahin schildern würden, die sie bewußt oder unbewußt, selbst gegraben haben.«66 Unvermittelt aber waren Beers Überlegungen, die sich dem Problem der deutsch-deutschen Annäherung bislang auf einer allgemeinen Ebene durchaus konstruktiv genähert hatten, in eine Fokussierung auf ein personales Ziel gemündet. Beer forderte unumwunden den Rückzug von Stephan Hermlin: »Ich glaube für die Mehrheit unserer Mitglieder zu sprechen, wenn ich es für wünschenswert, ehrenhaft und 63
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Fritz Beer: Zur Debatte im Koordinierungsausschuß West-Ost [5. 4. 1991]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Fritz Beer 1–1c, hier 1b. Fritz Beer: Zur Debatte im Koordinierungsausschuß West-Ost [5. 4. 1991]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Fritz Beer 1–1c, hier 1c. Fritz Beer: Zur Debatte im Koordinierungsausschuß West-Ost [5. 4. 1991]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Fritz Beer 1–1c, hier 1c. Fritz Beer: Zur Debatte im Koordinierungsausschuß West-Ost [5. 4. 1991]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Fritz Beer 1–1c, hier 1c.
der Zukunft des deutschen PEN nützlich betrachte, daß Stefan [sic] Hermlin freiwillig von seinem Amt als internationaler Vizepräsident zurücktritt.«67 Beers Vorstoß gegen Hermlins Vizepräsidentschaft wurde von den übrigen Mitgliedern des Koordinierungsausschusses zurückgewiesen. Niemand unterstützte seine Forderung. Kaufmann reagierte verhalten, gleichwohl sehr entschieden auf Beers Darlegungen: »Er sei dem Referat von Beer bis zum Punkt Hermlin aufmerksam und nachdenklich gefolgt. Sein Zentrum sei in einem Prozeß des Nachdenkens, es werde sich aber nie von Hermlin trennen, dessen Haltung und Arbeit für dieses Zentrum so wichtig sei, daß es geschlossen hinter ihm stehe.«68 Zwar gaben die westdeutschen Vertreter keine ausdrückliche Erklärung ab, »wonach Hermlin nicht als konformistischer Helfer des DDRRegimes betrachtet werde«69 . Sie machten aber deutlich, dass sie eine personalisierte Auseinandersetzung als wenig sinnvoll erachteten. »Die gegenwärtige Personalisierung verdecke mehr als sie helfe. […] Er wolle keine […] Personalisierung von Opfern oder Tätern oder ›Opfertätern‹«70 , so Heidenreich. Dem stimmte auch Podlech zu: »Man dürfe sich nicht in erster Linie moralisch mit Personen beschäftigen, […] jetzt seien strukturelle Probleme wichtiger, z. B., wie sich moderne Diktaturen der Kultur bedienen«71 . Gegenüber Beers ausführlichem und zum Nachdenken anregendem Referat, das in weiten Teilen von allen Teilnehmern mit Interesse aufgenommen worden war, nahmen sich die greifbaren Ergebnisse des ersten Zusammentreffens eher bescheiden aus. Während Beer versucht hatte, Maßgaben für den Umgang der ehemaligen DDR-Autoren mit ihrer Vergangenheit auszugeben, gegen die sich ein Teil der ostdeutschen Schriftsteller, allen voran Werner Liersch, entschieden verwahrte, nahmen die westdeutschen Teilnehmer einen gemäßigten, beinahe zurückhaltenden Standort ein. Zwar mahnte Heidenreich die interne Beschäftigung mit der DDR-Vergangenheit an.72 Der West-P.E.N. »könne zur notwendigen Auseinandersetzung im Ost-P.E.N. wenig beitragen. Doch wenn sie nicht stattfinde, würde sie in westlichen Feuilletons stellvertretend geführt. Der WestP.E.N. müsse jedoch den aus der DDR Ausgewiesenen oder Verdrängten das 67
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Fritz Beer: Zur Debatte im Koordinierungsausschuß West-Ost [5. 4. 1991]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Fritz Beer 1–1c, hier 1c. Wortbeitrag von Walter Kaufmann. In: Protokoll zum ersten Zusammentreffen des Koordinierungsausschusses am 29. 4. 1991 [10. 5. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Protokoll 2 29. 4. 1991 1–6, hier 1. Hanns Werner Schwarze, Adalbert Podlech und Gert Heidenreich: Aktennotiz [4. 6. 1991]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Aktennotiz1. Wortbeitrag von Gerd Heidenreich. In: Protokoll zum ersten Zusammentreffen des Koordinierungsausschusses am 29. 4. 1991 [10. 5. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Protokoll 2 29. 4. 1991 1–6, hier 3. Wortbeitrag von Adalbert Podlech. In: Protokoll zum ersten Zusammentreffen des Koordinierungsausschusses am 29. 4. 1991 [10. 5. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Protokoll 2 29. 4. 1991 1–6, hier 4. Vgl. Wortbeitrag von Gerd Heidenreich. In: Protokoll zum ersten Zusammentreffen des Koordinierungsausschusses am 29. 4. 1991 [10. 5. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Protokoll 2 29. 4. 1991 1–6, hier vor allem 1–3. 899
berechtigte Interesse zugestehen, eine Aufarbeitung der jüngeren Geschichte, die ihre eigene sei, durchzusetzen.«73 Auch Schwarze neigte der Ansicht zu, zunächst allein dem Deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost) die Verantwortung für die Vergangenheitsbewältigung zu übertragen: »Vielleicht sollte der Ost-P.E.N. erst einmal allein mit der Aufarbeitung beginnen.«74 Von Schwarze intendiert war damit sicherlich nicht, das ostdeutsche Zentrum mit dieser schwierigen Aufgabe allein zu lassen. Ihm war vermutlich daran gelegen, dass eigene Zentrum, im besten Falle vor der Position des (ungefragten) Ratgebers, im schlimmsten Falle vor der Position des über Recht und Unrecht Richtenden zu bewahren. Um einen konkreten Ansatz für die Aufarbeitung der Vergangenheit bemühte sich Peter Gosse; er erinnerte an den »Vorschlag seines eigenen Zentrums, Autoren aus beiden Zentren sollten gemeinsam lesen und eventuell auch über Vergangenheit diskutieren. Beide Zentren sollten ›ohne Eifer und Zorn‹ die Geschichte des P.E.N. aufarbeiten.«75 Intendiert war eine behutsame Annäherung der ostund westdeutschen P.E.N.-Mitglieder auf der Ebene persönlicher Kontaktaufnahme. Eine Konkretisierung dieses Vorhabens erfolgte nicht. Die Teilnehmer am Treffen des Koordinierungsausschusses verständigten sich auf Bemühungen zur gesicherten Finanzierung solcher regelmäßigen Veranstaltungen. Ohne erkennbares Ergebnis wurden zudem »Ausmaß, Kosten und Finanzierung der gemeinsamen Absicht diskutiert, die Geschichte der beiden P.E.N.-Zentren in Deutschland zu dokumentieren, bzw. wissenschaftlich aufzuarbeiten.«76 Die Reaktionen im Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) auf den wenig befriedigenden Verlauf der ersten Zusammenkunft des Koordinierungsausschusses waren geteilt. Hermlin zeigte sich erregt über die gegen seine Person gerichteten Angriffe von Beer, verzichtete aber auf eine öffentliche Gegenreaktion. Eine Mitwirkung im Koordinierungsausschuss lehnte er nach der Lektüre des Tagungsprotokolls entschieden ab. Beers Forderung empfand er als »schlichte Unverschämtheit. Er tut dies ohne einen näheren Grund anzugeben. Begründen könnte er sein Ansinnen nur durch genaue Benennung von Taten oder Ausführungen meinerseits, die in schroffem Gegensatz zur Charta standen. In Wirklichkeit verteidigte ich die Freiheit von Schriftstellern und Werken viele Jahre hindurch unter Bedingungen, die schwieriger waren als jene, die ein
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Protokoll zum ersten Zusammentreffen des Koordinierungsausschusses am 29. 4. 1991 [10. 5. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Protokoll 2 29. 4. 1991 1–6, hier 3. Wortbeitrag von Hanns Werner Schwarze. In: Protokoll zum ersten Zusammentreffen des Koordinierungsausschusses am 29. 4. 1991 [10. 5. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Protokoll 2 29. 4. 1991 1–6, hier 6. Wortbeitrag von Peter Gosse. In: Protokoll zum ersten Zusammentreffen des Koordinierungsausschusses am 29. 4. 1991 [10. 5. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Koordinierungsausschuss/Protokoll 2 29. 4. 1991 1–6, hier 4. Vgl. Protokoll zum ersten Zusammentreffen des Koordinierungsausschusses am 29. 4. 1991 [10. 5. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Protokoll 2 29. 4. 1991 1–6, hier 6.
Schriftsteller in dem glücklicheren England findet.«77 Hermlin zeigte sich durchaus offen für Diskussionen. Jedoch war er nicht bereit, als reuiger Sünder zu agieren: Die gegenwärtige Situation in Deutschland ist geprägt von unwidersprochenen Lügen, von Spekulationen und Ambitionen, und da wir uns in Deutschland befinden, herrscht das Verhalten von Siegern und Besiegten, und was die Letzteren betrifft, hält man den gesenkten Kopf und die gebückte Haltung für die selbstverständliche Voraussetzung für alles weitere. Unter diesen Leuten wird man mich nicht finden. Zu vernünftigen Gesprächen unter Leuten, die sich gegenseitig achten, werde ich immer bereit sein.78
Mit Blick auf den Verlauf des ersten Treffens machte Gosse deutlich, dass es unerlässlich sei, die Position des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) entscheidend zu stärken. Die Notwendigkeit, als aktives und lebendiges P.E.N.-Zentrum zu agieren, schien ihm opportun: »Der PEN braucht ein regelmäßiges Forum – einen ›jour fixe‹, auch die Mitarbeit im Writers in Prison-Komitee ist wichtig.«79 Bis zum zweiten Treffen des Koordinierungsausschusses im Juni 1991 hatte sich jedoch wenig bewegt. Die Tagung verlief im Grunde unerquicklich. Beers Forderung in Bezug auf Hermlin wurde noch einmal entschieden abgelehnt. Uwe Westphal, der als Vertreter des P.E.N.-Zentrums Deutschsprachiger Autoren im Ausland angereist war, startete einen Versuch, das Anliegen seines Zentrums zu relativieren: »Es gehe nicht um einen Angriff auf den Sozialismus von London aus, ebenso wenig um persönliche Debatten, sondern um 50 Jahre Vergangenheit. Man könne doch nicht so tun, als wären diese ein Lapsus der Geschichte gewesen.«80 Die Antworten der DDR-Vertreter signalisierten unmissverständlich, dass man wohl zur gemeinsamen Geschichtsaufarbeitung, nicht aber zur Unterwerfung unter einen von außen auferlegten Rechtfertigungszwang bereit war. Schwarzes vermittelndes Bemühen wendete schließlich die sich andeutende Eskalation ab.81 Die weitere Aussprache diente in erster Linie der Abstimmung über Inhalte, Vorgehensweise und Finanzierung der wissenschaftlichen Forschungsarbeit zur Geschichte des deutschen P.E.N.-Clubs, die von Heidenreich als »ein Weg der Annäherung«82 apostrophiert wurde. Podlech wurde beauftragt, das Thema des 77
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Stephan Hermlin an Walter Kaufmann [27. 5. 1992]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Koordinierungsausschuss/Stephan Hermlin 1 und 1 a, hier 1. Stephan Hermlin an Walter Kaufmann [27. 5. 1992]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Koordinierungsausschuss/Stephan Hermlin 1 und 1 a, hier 1a. Wortbeitrag von Peter Gosse. In: Protokoll der Präsidiumssitzung am 29. 5. 1991 [1. 6. 1991; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Präsidium ab 1991–1994/1991/Präsidiumssitzung 29. 5. 1991/Protokoll 1–4, hier 3. Wortbeitrag von Uwe Westphal. In: Protokoll zur Tagung des Koordinierungsausschusses [10. 6. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Protokoll 10. 6. 1991 1–6, hier 2. Vgl. Protokoll zur Tagung des Koordinierungsausschusses [10. 6. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Protokoll 10. 6. 1991 1–6. Wortbeitrag von Gert Heidenreich. In: Protokoll zur Tagung des Koordinierungsausschusses [10. 6. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Protokoll 10. 6. 1991 1–6, hier 3. 901
Projektes exakt zu formulieren, dessen Schwerpunkte in der Zeit nach 1945 liegen und vor allem die Berührungspunkte der deutschen P.E.N.-Zentren in der Zeit nach der Trennung deutlich machen sollten. Der erneute Vorstoß der ostdeutschen Teilnehmer, konkret zu praktischen Formen der Annäherung zwischen Ost und West zu gelangen, scheiterte im Grunde an der Unentschlossenheit der westdeutschen Vertreter. Zwar bejahten sie generell das persönliche Zusammentreffen, auf eine zeitliche Eingrenzung für die Aufnahme solcher Kontakte ließen sie sich indes nicht ein.83 Eine Hinhaltetaktik zu unterstellen, käme einer Überbewertung nahe. Offenkundig aber herrschte auf westdeutscher Seite starke Verunsicherung: darüber, wie mit dem ostdeutschen Pendant nun wirklich umzugehen sei; darüber, wie die eigene Sektion mit einer wie auch immer gearteten Annäherung zurande kommen würde. Der Umgang mit dem ehemaligen DDR-Zentrum barg enorme Gefahren für die innere Stabilität des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland. Dort saßen ehemalige »Dissidenten«, die einer auch nur in Aussicht genommenen Vereinigung mehr als ablehnend gegenüberstanden. Mit deren demonstrativem Austritt war im Falle einer Annäherung der deutschen P.E.N.-Zentren durchaus zu rechnen. Die Tagung des Koordinierungsausschusses endete ohne jedes erkennbare Ergebnis: Vieles wurde angedeutet, angetippt, aber wirklich gelöst? In dieser Hinsicht sprach Walter Kaufmanns Schlusswort Bände. Die Vagheit dominierte: »Es besteht die Absicht, gemeinsam etwas zu veranstalten und jeder muß an [sic] seiner eigenen Tür kehren.«84 Einen weiteren Markstein in der Entwicklung der Beziehung zwischen den deutschen P.E.N.-Zentren setzte die Jahresversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland Mitte Oktober 1991. Während sich das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) auf seiner Mitgliederversammlung Anfang Oktober mit der Wahl eines neuen Präsidenten und wesentlich verjüngten Präsidiums um Konsolidierung im Inneren bemüht und den Willen zur Eigenständigkeit demonstriert hatte, rief das westdeutsche P.E.N.-Präsidium seine Mitglieder zusammen, um gemeinsam Grundsätze für die zukünftige Zusammenarbeit der beiden deutschen P.E.N.-Zentren [zu] erarbeiten. Das künftige Präsidium muss wissen, wie sich die Mitglieder des bundesdeutschen P.E.N. eine solche Zusammenarbeit vorstellen, welche Themen Ihnen dabei besonders wichtig sind, welche Probleme Sie dabei sehen, ob Sie einem möglichen späteren Zusammenschluss, der gegenwärtig ja nicht auf der Tagesordnung stehe, eher zustimmend oder ablehnend gegenüberstehen und welches Procedere Ihnen dabei angemessen erscheint.85
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Vgl. Protokoll zur Tagung des Koordinierungsausschusses [10. 6. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Koordinierungsausschuss/Protokoll 10. 6. 1991 1–6. Wortbeitrag von Hanns Werner Schwarze. Zitiert nach: 31. Rundbrief des P.E.N.Zentrums Bundesrepublik Deutschland [28. 8. 1991], S. 1–3, hier S. 3. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Carola Stern. Zitiert nach: 31. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [28. 8. 1991], S. 1–3, hier S. 5. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
Im westdeutschen Präsidium hatte es bereits im Vorfeld von Hannover schwer wiegende Veränderungen gegeben. Carl Amery hatte seinen Abschied vom Präsidentenamt des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland genommen. Hanns Werner Schwarze, der schon vor der Wende trotz aller Widrigkeiten beharrlich auf eine Verständigung mit den ostdeutschen Kollegen hingearbeitet hatte, hatte im August 1991 sein Amt als Generalsekretär niedergelegt. In einem eindringlichen Abschiedsbrief an die Mitglieder des westdeutschen P.E.N.-Zentrums mahnte er zur Besonnenheit: Es wird von mir weder unerlaubte Vermächtnisse noch unerwünschte Ratschläge geben. Aber da ja nun das eigentliche Politikum der bisherige Verzicht, die bisherige Unmöglichkeit des Zusammenschlusses waren: Gehen Sie den weiteren Weg ohne Hass. Niemand verlangt Verdrängung erlittenen Unrechts, Leidens. Niemand sollte auf Empörung über Versäumnisse verzichten. Aber dies muss in Formen geschehen, meine ich, ohne dass wir unsere häufig bekundete Selbstdarstellung,wir seien ein Kreis von Freundinnen und Freunden, der sich der Internationalen P.E.N.-Charta verpflichtet wisse, nicht schon dann über Bord werfen, wenn es überhaupt noch nicht um die wichtigen Argumente für die wichtigen Antworten geht.86
Schwarzes Nachfolge trat schließlich Manfred Bissinger an. Als Nachfolger von Carl Amery wurde in Hannover Gert Heidenreich gewählt; er vertrat die Fortsetzung der noch von Walter Jens ausgegebenen Generallinie: »Keine überstürzte Vereinigung, freundliche Kooperation, keine Spruchkammer-Installation von westlicher Seite, wohl aber die dringende Bitte an den Ost-PEN, die eigenen Reihen zu ordnen und dort Konsequenzen zu ziehen, wo es im Hinblick auf die Charta notwendig ist.«87 In einer entsprechenden Resolution wurden weitere Gespräche mit dem Deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost) avisiert, die auf eine öffentliche Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit hinwirken sollten. Im Blickpunkt sollten dabei die Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) stehen, die aktiv an Repressionen gegenüber jenen ehemaligen DDR-Autoren beteiligt gewesen waren, die nach ihrer Ausreise Aufnahme im West-P.E.N. gefunden hatten. Auf ihr Handeln zu DDR-Zeiten sollte von Seiten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) mit deutlichen Konsequenzen, sprich dem Ausschluss aus dem P.E.N., reagiert werden. Solidarität stellte das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland denjenigen Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus der ehemaligen DDR in Aussicht, »die sich offensiv und kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen.«88 Die Arbeit des gemeinsamen Koordinierungsausschusses sollte demnach fortgesetzt werden. Ein Antrag, den Carola Stern in Hannover vorgelegt hatte und der einstimmig angenommen worden war, forderte vom gemeinsamen Koor86
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Hanns Werner Schwarze. Zitiert nach: 31. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [28. 8. 1991], S. 1–3, hier S. 3. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Zitiert nach Jörg Magenau: Gegenwart ohne Literatur. In: Freitag 44 (25. 10. 1991), S. 17. Resolution. Anlage 6 zum Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [16. 12. 1991]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 903
dinierungsausschuss größtmögliche Transparenz für alle Mitglieder, entzog diesem zugleich jedoch jegliche Möglichkeit einer direkten Handlung. Demnach durfte der Koordinierungsausschuss keine Beschlüsse fassen, sondern den Präsidien nur Vorschläge unterbreiten. Über Themen, Vorschläge und Verlauf der Gespräche sollten die Mitglieder in den Briefen des Generalsekretärs ausführlich informiert werden.89 Von Seiten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) wurde dieser Beschluss als »Antrag auf Abschaffung des Koordinierungsausschusses«90 interpretiert. Die Reaktionen der in Hannover anwesenden Vertreter des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) demonstrierten erneut, was schon auf der Tagung des Koordinierungsausschusses im Juni 1991 sichtbar geworden war. Sie sahen sich unter ungebührlichen Druck gesetzt. West säße über Ost zu Gericht, so empfand es Beate Morgenstern. Liersch warnte in der Konsequenz vor dem Abbruch des Dialogs: »Wenn es so weitergehe, werde das P.E.N.-Zentrum West bald keinen Partner mehr zum Auseinandersetzen haben.«91 Die vom WestP.E.N. demonstrierte Haltung traf offenkundig den Nerv der DDR-Autoren empfindlich. Sie hatten auf eine offenere Aufnahme durch ihre westlichen P.E.N.Kollegen gehofft und sahen sich scharfen Angriffen und deutlichen Forderungen gegenüber. Demgegenüber betrachtete der schon vor Hannover ausgeschiedene westdeutsche P.E.N.-Präsident Carl Amery, der einer raschen Einigung der beiden Zentren analog zu den Bestrebungen der »Großen Politik« entschieden entgegengetreten war, den Status Quo am Ende des Jahres 1991 vorläufig als das geringste Übel […]. Eine formale Vereinigung der beiden TerritorialPENs würde zu schweren Krankheitsausbrüchen führen – die Verletzungen der Vergangenheit, die jeden, aber auch jeden Respekt verdienen, würden in langwierige Abszesse umschlagen; das bißchen Kraft zur Selbstreinigung und (dann) möglichen Versöhnung würde vollends aufgezehrt werden. Ich wiederhole: den gegenwärtigen Stand der Dinge betrachtet das Präsidium als das geringste Übel – keinesfalls mehr, aber auch nicht weniger.92
Nach der Jahrestagung des westdeutschen P.E.N.-Zentrums in Hannover trat der Koordinierungsausschuss nicht mehr zusammen. Er werde sich »wahrscheinlich auch nicht so schnell treffen«93 , mutmaßte der neu gewählte Generalsekre89
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Vgl. Manfred Bissinger. In: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [16. 12. 1991]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Protokoll der Präsidiumssitzung am 22. 10. 1991 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991–1994/1991/Präsidiumssitzung 22. 10. 1991/Protokoll 1– 8, hier 1. Zitiert nach Sabine Brand: Utopie und Tellerklappern. Neuwahlen, Streitigkeiten, Kapitalismuskritik auf der Tagung des westdeutschen P.E.N.-Zentrums. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. 10. 1991. Carl Amery: Abschied vom PEN-Präsidium [o. D.]. Anlage 3 zum Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [16. 12. 1991], S. 2f., hier S. 3. P.E.N.Archiv Darmstadt. Mitteilung von Manfred Bissinger. Zitiert nach Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Deutschland [16. 12. 1991]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
tär Manfred Bissinger im Rundbrief am Ende des Jahres 1991. Gert Heidenreich und er hatten am Rande des internationalen P.E.N.-Kongresses in Wien mehrere Gespräche mit dem neu ins Amt gesetzten Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost), Dieter Schlenstedt, geführt: »Er hat uns über Pläne informiert, die eigene Geschichte selbst aufrollen zu wollen. Vom Ergebnis dieser Treffen werden dann die Termine und Inhalte kommender gemeinsamer OstWest-Verabredungen abhängen.«94 Eine entsprechende Information hatte auch das P.E.N.-Zentrum Deutschsprachiger Autoren im Ausland erhalten. Mit einem neuerlichen Antrag von Carola Stern, die Arbeit des Koordinierungsausschusses ruhen zu lassen, erklärte sich das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) im Januar 1992 einverstanden.95 De facto war damit das Ende des gemeinsamen Ausschusses besiegelt, der in der kurzen Phase seiner Existenz niemals zu einer ertragreichen Arbeit gelangt war. Während sich das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) mühte, in zähem Ringen zu einer internen Verständigung über die umstrittene Aufarbeitung der Vergangenheit zu gelangen, beschritt das westdeutsche P.E.N.-Zentrum eigene Wege: Im Januar 1992 teilte es mit, dass die Geschichte des deutschen P.E.N.-Clubs seit seiner Wiedergründung nach dem Zweiten Weltkrieg an der Universität München wissenschaftlich erforscht werde. Analysiert werden solle auch die Haltung des westdeutschen und des ostdeutschen P.E.N. zueinander. Thema des Forschungsprojekts sei zunächst die Phase des vereinten deutschen P.E.N. bis 1951 und die Geschichte des bundesdeutschen P.E.N. seitdem.96 Im ostdeutschen Präsidium reagierte man auf diese Meldung mit Befremden, weil in früheren Gesprächen eine gemeinsame Aufarbeitung der Geschichte vereinbart worden war. Man sah eine Chance zu einer gemeinsamen Arbeit vertan. Im Gegenzug berieten die Präsidiumsmitglieder Ende Januar 1992 das Vorhaben, eine eigene Darstellung der P.E.N.-Geschichte zu erarbeiten. Nicht alle waren damit einverstanden: Brigitte Struzyk und Joochen Laabs sprachen sich »gegen ein Abbrechen der Zusammenarbeit beider Zentren und […] gegen gekränkte Attacken unsererseits aus.«97 Ein enttäuschter Brief von Dieter Schlenstedt an Gert Heidenreich folgte.98 Die Suche nach einer Lösung brachte 94
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Mitteilung von Manfred Bissinger. Zitiert nach Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Deutschland [16. 12. 1991]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 30. 1. 1992 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991–1994/1992/Präsidiumssitzung 30. 1. 1992 1–5, hier 1. Vgl. [o. V.]: P.E.N.-Geschichte wird wissenschaftlich aufgearbeitet [20. 1. 1992]. Anlage 3. Manfred Bissinger:Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.Archiv Darmstadt. Vgl. auch [dpa]: PEN-Geschichte wird jetzt erforscht. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung 45 (22. 2. 1992). Protokoll der Präsidiumssitzung am 30. 1. 1992 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991–1994/1992/Präsidiumssitzung 30. 1. 1992 1–5, hier 3. Dieter Schlenstedt an Gert Heidenreich [31. 1. 1992].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz mit PEN-Zentrum BRD/Dieter Schlenstedt 8 und 8a. 905
ein für alle Seiten zufrieden stellendes Ergebnis. Noch im Frühjahr 1992 zeichnete sich die Durchführung eines Parallelprojekts an der Berliner HumboldtUniversität, in Kooperation mit der Universität München, ab.99 Das weitere Verhältnis der beiden P.E.N.-Zentren im Verlauf des Jahres 1992 schien, mit Blick auf eine deutsch-deutsche Annäherung, von einer »Art Stillhalteabkommen« geprägt. Die Gespräche zwischen ost- und westdeutschem P.E.N. ruhten. An mangelnder Bereitschaft auf einer der beiden Seiten liege das nicht, so urteilte Manfred Bissinger in einem Rundbrief vom September 1992. Der Ost-P.E.N. sei dabei, seine eigene Rolle zu definieren. Dabei solle er so wenig wie möglich gestört werden.100 Gleichwohl gelang den deutschen P.E.N.-Zentren im Verlauf des Jahres 1992 mindestens vereinzelt, jenseits der strittigen Rahmenbedingungen für eine adäquate Vergangenheitsaufarbeitung, kooperatives Handeln zu demonstrieren. Zum dritten Jahrestag der iranischen Mordhetze gegen den Schriftsteller Salman Rushdie unterzeichneten beide P.E.N.-Zentren Mitte Februar gemeinsam eine Resolution, die die Bundesregierung zu entschiedenen Maßnahmen gegenüber der Regierung des Iran aufrief: »Die beiden P.E.N.-Zentren fordern die Bundesregierung dazu auf, […] öffentlich und auf diplomatischer Ebene ihren Protest einzulegen, die Revidierung des Todesurteils zu verlangen, und klarzustellen, wie weit sie bereit ist, für die Durchsetzung dieser Forderung wirtschaftliche und politische Konsequenzen gegenüber der Regierung des Iran zu ziehen.«101 Manfred Bissinger zeigte sich über diese erste gemeinsame Entschließung nach dem Mauerfall erfreut: »Ein guter Anfang.«102 Auch auf die besorgniserregende Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland reagierten die deutschen P.E.N.-Zentren gemeinsam. Mitte August 1992 hatte eine neue Welle von Gewalt gegen Ausländer, Aussiedler und Asylbewerber in Rostock ihren Anfang genommen, die sich in der Folge auf zahlreiche ost- und westdeutsche Städte ausbreitete.103 Die dramatische Zunahme der rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen Straftaten, die im Ausland mit äußerster Besorgnis aufgenommen wurde, veranlasste das westdeutsche Präsidium zur Abfassung einer entsprechenden Erklärung. Gert Heidenreichs Vorschlag an das ostdeutsche P.E.N.-Präsidium, die Entschließung zu unterstützen und gemeinsam mit dem West-P.E.N. zu verabschieden, wurde angenommen. Mitte September 1992 erschien die umfassende Erklärung in der bundesdeut99
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Vgl. [Elisabeth Bauschmid und Albrecht Roeseler]: Auf der Stasi-Schiene gegen die kritische Literatur. Gespräch mit dem PEN-Präsidenten Gert Heidenreich. In: Süddeutsche Zeitung 51 (2. 3. 1992), S. 27. Vgl. Manfred Bissinger: Bericht. Anlage 1 zum Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [7. 9. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Drei Jahre Mordaufruf: Die beiden deutschen P.E.N.-Zentren fordern Konsequenzen von der Bundesregierung [14. 2. 1992]. Anlage 5 zu Manfred Bissinger: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Manfred Bissinger: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Fischer Chronik Deutschland, S. 957f.
schen Presse.104 Eingebracht und angenommen wurde die Resolution schließlich auch auf dem 58. Internationalen P.E.N.-Kongress in Rio de Janeiro im Dezember 1992. Die Delegierten richteten einen Aufruf an Deutschland, »gegen die wachsende Fremdenfeindlichkeit und politische Gewalttätigkeit, die auf lange Sicht die Grundrechte der Verfassung gefährden, endlich Maßnahmen zu ergreifen«105 und zur Mobilisierung jener Kräfte beizutragen, die gegen den Rechtsextremismus und für die Demokratie in Deutschland positiv wirken konnten. Ein weiteres Zeichen gegen die zunehmende Gewalt gegenüber Fremden und Ausländern setzten die beiden P.E.N.-Zentren in Kooperation mit dem P.E.N.Zentrum der Roma und Sinti. Sie luden am 19. Oktober 1992 zu einer »Veranstaltung im Widerstand gegen Ausländerfeindlichkeit« in die Berliner Akademie der Künste am Robert-Koch-Platz. Unter dem Motto Und so kam ich unter die Deutschen lasen in- und ausländische Autoren, darunter Stephan Hermlin, Volker Braun, Carmen Francesca Banciu (Rumänien) und Ujjawal Bhattacharya (Indien).106 Am selben Tag hatte ein Zusammentreffen der beiden P.E.N.-Präsidien stattgefunden, das die Fragen des beiderseitigen Verhältnisses klären sollte. Die Ergebnisse der Gespräche, die schließlich im Oktober 1992 stattfanden, ließen auf positive Einigung der beiden P.E.N.-Zentren hoffen. Zwar sah sich keiner der Verhandlungspartner unter Handlungszwang: Die Finanzierung beider Einrichtungen war geklärt. Als künftiges Arbeitsprinzip wurde von beiden Seiten »intensivere Kommunikation«107 gefordert. Insgesamt zeigte man sich einander positiv zugetan. So vermeldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass im Laufe des Jahres 1993 die technischen Fragen eines für die kommenden Jahre avisierten Zusammenschlusses geklärt werden sollten. Auch die Frage der problematischen Mitgliedschaften im Deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost), deren Klärung vom westdeutschen P.E.N. so vehement eingefordert worden war, schien keine unüberbrückbaren Konflikte mehr aufzubrechen.108 Gleichwohl machte Schlenstedt deutlich, dass man sich nicht ohne weiteres Forderungen des Westens unterwerfen wollte. Er verwies darauf, dass sein P.E.N.-Zentrum in der Geschichte niemals ein Mitglied ausgeschlossen habe und nun, unter den neuen Bedingungen, ungern damit beginnen wolle. Allerdings signalisierte er die 104
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Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 16. 9. 1992 [25. 9. 1992; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991– 1994/1992/Präsidiumssitzung 16. 9. 1992 1–5, hier 1. Resolution gegen Ausländerfeindlichkeit, eingebracht auf dem 58. Internationalen PEN-Kongress in Rio de Janeiro im Dezember 1992. Anlage zu einem Schreiben von Ursula Setzer an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [17. 1. 1993]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. [BM und ADN]: Pen-Präsidien bei gemeinsamer Tagung in Berlin. In: Berliner Morgenpost vom 20. 10. 1992. [dpa]: Gemeinsamkeit im Doppel-PEN. In: Frankfurter Rundschau vom 20. 10. 1992. Vgl. [FAZ]: Verlobungsanzeige. Die beiden deutschen PEN-Zentren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. 10. 1992, sowie [dpa]: Zwei PEN-Zentren nicht auf Dauer. In: Der Tagesspiegel vom 20. 10. 1992. 907
Bereitschaft, »›über manches zu reden‹«109 , und lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Fortschritte des Ost-P.E.N. bei der von westlicher Seite mehrfach angemahnten kritischen Abrechung mit der DDR-Vergangenheit. In der Tat hatte das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) auf mehreren Ebenen mit der kritischen Selbstbetrachtung begonnen.
10.3
»Selbstreinigung« des Ostens?
10.3.1
Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 und Lesereihe Literatur in veränderter Landschaft
Die Suche nach geeigneten Formen der Vergangenheitsaufarbeitung hatte das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) schon auf seiner Generalversammlung im Januar 1991 begonnen. Erwogen worden waren gemeinsame Gespräche mit dem P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland, deren Vorbereitung sich im Rahmen des Koordinierungsausschusses allerdings als schwierig bis unmöglich erwiesen hatte. Vorgeschlagen und sofort zurückgewiesen worden war auch die Versendung von »Empfehlung[en] an Spitzenbelastete […], sich irgendwie doch ein bißchen zurückzuhalten oder sogar ganz zurückzuziehen.«110 Nachgedacht worden war über eine »literarische« Lösung.111 Auch Christa Wolf sah in der Veranstaltung von nichtöffentlichen Lesungen eine Chance zum Anstoß einer generellen Diskussion über die Vergangenheit: Wenn man also wirklich literarische Abende machen würde, ohne Öffentlichkeit, nur unter uns, tatsächlich wie einen Rechenschaftsbericht, ohne daß man das nur so vordergründig sagt. Leute, die Gelegenheit hätten, das was noch gar nicht öffentlich ist, hier öffentlich zu machen. Vor einem Kreis, in dem sie es vielleicht bis zu einem gewissen Grad voraussetzen könnten, daß es sich eben nicht darum handeln soll, Material zu sammeln. In dem Moment, wo ein Gericht da ist, ist ein Angeklagter da, in dem Moment wird Wahrheitsfindung nicht nur erschwert, sondern unmöglich. Vielleicht ist so etwas möglich. Vielleicht können wir dafür Formen finden. Das würde für mich die zweite Existenz dieses P.E.N.-Zentrums ganz besonders rechtfertigen.112
Erst nach der Jahresversammlung des westdeutschen P.E.N.-Zentrums in Hannover (Oktober 1991), auf der noch einmal die Distanz zwischen den beiden Sektionen deutlich hervorgetreten war, konkretisierten sich die Pläne im Präsidium 109
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Zitiertnach [FAZ]: Verlobungsanzeige.Die beiden deutschenPEN-Zentren.In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. 10. 1992. Vgl. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 101. Vgl. Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 101. Wortbeitrag von Christa Wolf. In: Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 [5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 1. Januar [sic] 1991/Protokoll 1–120, hier 106.
des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost). Als unbedingt notwendig erachtet wurde es, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nun tatsächlich offensiv zu führen. Allerdings empfand man es als wichtig, deren Inhalte eigenständig zu bestimmen. Die deutlichen Forderungen nach Ausschluss aus dem P.E.N.-Club, die von westlicher Seite mit zielgerichteten Angriffen auf einzelne Personen einhergingen und als unerlässliche Voraussetzung einer wie auch immer gearteten Annäherung verlangt wurden, lehnte das ostdeutsche Präsidium ab, trotz des drohenden Schwindens von Kooperationsmöglichkeiten mit dem westdeutschen P.E.N.-Zentrum. Dieter Schlenstedt regte auf einer Präsidiumssitzung Ende Oktober 1991 eine Reihe von Veranstaltungen zur Geschichte des P.E.N. und zur Literatur in der DDR unter dem Titel Hearing zur Selbstaufklärung an.113 Schon im November 1991 konkretisierten sich die Vorstellungen. Vermieden werden sollte in jedem Falle eine tribunalartige Situation. Ins Zentrum der Veranstaltungen sollten die differenzierte Untersuchung des reglementierten Literatursystems und das »Verhalten der Individuen darin (es sollen keine Personen im Mittelpunkt stehen)«114 gerückt werden. Aus diesem Grund plädierte Schlenstedt dafür, die Problematik »Staatssicherheit« zunächst auszuklammern, »um sich nicht auf die Ebene der allgemeinen Verdächtigungen einzulassen«115 . Gleichwohl hatte intern die Auseinandersetzung mit dieser schwierigen Thematik bereits begonnen. Im Vorfeld der für Januar 1992 angesetzten Generalversammlung ging es nun darum, konkrete Themen für die geplante Veranstaltungsreihe zu bestimmen. Zwar gab es vereinzelt Kritik an den Plänen, gezielte Geschichtsaufarbeitung im P.E.N. zu betreiben. So betonte Friedrich Dieckmann, mit Blick auf die Konzentration des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) auf den Standort Berlin, die Funktion als literarischer Club auch außerhalb der Jahrestagungen. Die Aufarbeitung von Geschichtsfragen erachtete er durchaus als wichtig; sie sei aber keine Frage von Versammlungen, Clubabenden und dergleichen: »Es ist die Sache von Aktenordnung, aufgezeichneten Befragungen, zusammenfassenden Analysen. Am nicht zu fernen Ende muß eine Publikation stehen – Debatten sind Augenblicksereignisse.«116 Das Vorhaben, an frühere Formen der Clubarbeit anzuknüpfen, wurde von der Generalversammlung einhellig begrüßt. Indes schien, anders als Dieckmann, die Mehrheit der anwesenden Mitglieder 113
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Vgl. Protokoll zur Präsidiumssitzung am 22. 10. 1991 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1991/Präsidiumssitzung 22. 10. 1991/1–8, hier 2. Protokoll zur Präsidiumssitzung am 18. 11. 1991 [24. 11. 1991; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1991/ Präsidiumssitzung 18. 11. 1991/ Protokoll 1–7, hier 5. Wortbeitrag von Dieter Schlenstedt. In: Protokoll zur Präsidiumssitzung am 18. 11. 1991 [24. 11. 1991; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1991/Präsidiumssitzung 18. 11. 1991/ Protokoll 1–7, hier 6. Friedrich Dieckmann an Dieter Schlenstedt [5. 1. 1992]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 9. 1. 1992/Friedrich Dieckmann 1 und 1a, hier 1a. 909
mit einer kritischen Selbstbetrachtung durchaus einverstanden. Am Anfang der geplanten regelmäßigen Zusammenkünfte von Angehörigen des Zentrums und Gästen sollten die Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 stehen: In ihnen sollen heutige Lebens- und Arbeitsprobleme in dem Wissen erörtert werden, daß die Gegenwart kritische Arbeit an der Vergangenheitverlangt.Es geht um den Versuch, Einsichten in die Geschichte zu gewinnen, die eine kritische Selbsterkenntnis der Beteiligten fördern und für die Gestaltung von Gegenwart produktiv werden können, die der Klärung gemeinsamer Interessen und Verantwortungen, bereichernder Differenzen und notwendiger Grenzziehungen dienen. Es geht speziell um eine Aufklärung des literarischen Lebens in der DDR, die abstraktes Moralisieren ebenso vermeidet wie abstrakte Systembetrachtung, die dem Zusammenhang zwischen den reglementierten sozialistischen Literaturverhältnissen und dem literarischen individuellen Verhalten wie den Widersprüchen nachgeht, die auf diesem Felde auszutragen waren.117
Vorgesehen war eine Reihe von Rundtischdebatten, »in denen Angehörige [des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost)] und Gäste aus den neuen und alten Bundesländern, Repräsentanten verschiedener Positionen Ansichten vortragen und eine zum größeren Kreis der Versammelten sich öffnende Diskussion beginnen«118 . Geboten werden sollte eine Auseinandersetzung, »die die Chance einer gegenseitigen Befragung, einer sachlichen Polemik, einer auf Differenzierung drängenden Debatte wahrt.«119 Als Kooperationspartner der Veranstaltungen hatte sich die literaturWERKstatt Berlin, mit Sitz am Majakowskiring, bereit gefunden. Die Bewerbung bei der Stiftung Deutscher Kulturfonds um eine finanzielle Unterstützung für geplante Veranstaltungen war erfolgreich verlaufen.120 Vor diesem Hintergrund waren für 1992 insgesamt sechs Gespräche angesetzt worden. Vier Veranstaltungen wurden tatsächlich durchgeführt. Eine vollständige Dokumentation nach Tonbandmitschnitten legte das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) im Jahr 1993 unter dem Titel Gespräche zur Selbstaufklärung 121 vor. Parallel zu den thematischen Gesprächen hatte man auch literarische Veranstaltungen geplant. Anfang März 1992, wenige Tage vor der ersten Veranstaltung der Gespräche zur Selbstaufklärung 1992, hatte das Deutsche P.E.N.Zentrum (Ost) die Lesereihe Zeitberührung. Literatur in veränderter Landschaft eröffnet. Sie zielte darauf, Autoren aus den alten und neuen Bundesländern sowie deren osteuropäische Nachbarn zusammenzubringen. Auf Einladung des 117
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Dieter Schlenstedt:Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 [o. D.]. Anlage 7 zu Manfred Bissinger: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Dieter Schlenstedt:Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 [o. D.]. Anlage 7 zu Manfred Bissinger: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Dieter Schlenstedt:Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 [o. D.]. Anlage 7 zu Manfred Bissinger: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Protokoll über die am 9. 1. 1992 stattgefundene Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV 9. 1. 1992/Protokoll 1–22, hier 22. Vgl. Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92.
ostdeutschen P.E.N. lasen Günter Grass, Tadeusz Rozewicz und Christoph Hein in der Berliner Stadtbibliothek unter dem Motto Deutsche und Polen heute.122 Weitere Leseabende folgten. Als erste Veranstaltung der Gespräche zur Selbstaufklärung war unter dem Titel Dageblieben – Weggegangen eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage avisiert, ob »Recht und Unrecht im geschichtlichen Gang mit einem einfachen Spruch zuzuerkennen ist, nach dem Weggehen Widerstand und Dableiben Anpassung war«123 . Am 12. März 1992 diskutierten unter Moderation von Dieter Schlenstedt über Motive und Konsequenzen von Fortgang und Bleiben Fritz Rudolf Fries, Bernd Jentzsch, Joochen Laabs, Katja LangeMüller, Klaus Schlesinger, Brigitte Struzyk und Gerhard Zwerenz.124 Mitte Mai 1992 standen die Voraussetzungen und Realitäten des reglementierten DDRLiteraturbetriebs auf der Agenda. Klaus Höpcke, Werner Liersch, Hans Marquardt, Dieter Schlenstedt und B. K. Tragelehn sollten sich gemeinsam den Fragen stellen, weshalb die [reglementierten]Verhältnissedurchgesetztwerden konnten,[…] wann und wie gegen sie die Idee einer Autonomie der literarischen Arbeit, einer vielfältigen ›Literatur im Sozialismus‹ oder einer sich vom Sozialismus lösenden Literatur gestellt und praktiziert wurden, […] welche Konflikte und Konfliktlösungsstrategien der Widerspruch bei Autoren, Lektoren, Verlegern, Kritikern, Zensoren und Kulturpolitikern produzierte, welche Motive sie bewegten und in welche Zwänge sie kamen, […] wie heute das damit verbundene Verhalten, seine Prinzipien und seine Taktiken, seine Resultate einzuschätzen sind.125
In Aussicht genommen worden war eine weitere Veranstaltung, die sich mit der inoffiziellen Literaturszene der DDR auseinandersetzen sollte, sowie eine Podiumsdiskussion zu den Erfahrungen der ehemaligen DDR-Autoren mit den Bedingungen des westlichen Buchmarktes.126 Beide wurden aus organisatorischen Gründen nicht durchgeführt. Zwei weitere Themenabende standen im April und November 1992 auf der Agenda. Das zwischen Hermann Kant und Friedrich Schorlemmer zustande 122
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Vgl. Ulrike Grohmer: Die Zeit auf Tuchfühlung mit der Literatur. Neue Lesereihe des P.E.N. Ost. In: Neues Deutschland 59 (10. 3. 1992), S. 6. Dieter Schlenstedt: Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 [o. D.]. Anlage 7 zu Manfred Bissinger: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Dieter Schlenstedt: Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 [o. D.]. Anlage 7 zu Manfred Bissinger: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. weiterhin Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92, S. 9–56. Dieter Schlenstedt: Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 [o. D.]. Anlage 7 zu Manfred Bissinger: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. hierzu auch Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92, S. 107–161. Vgl. Dieter Schlenstedt: Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 [o. D.]. Anlage 7 zu Manfred Bissinger: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 911
gekommene Gespräch war nur bedingt P.E.N.-spezifisch ausgerichtet. Lediglich als Ansatzpunkt der Diskussion kamen die Vorgänge während und nach der Jahresversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) zum Tragen, die mit dem Namen Schorlemmer verbunden waren. Die Inhalte des Gesprächs sollten aber allgemeiner Natur sein: »Hatte Schorlemmer das Recht, den Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes in die Reihe der Macht-, Sicherheits- und Medieninhaber der DDR zu stellen, hatte Kant ein Recht, seine Empörung über diese Zuordnung zum Ausdruck zu bringen?«127 Speziell der problematischen Vergangenheit des P.E.N. in der DDR war eine eigene Veranstaltung unter dem Titel Widerspruchsgeschichte des P.E.N. im November 1992 vorbehalten. Auf dem Podium saß eine bunte Mischung von P.E.N.-Mitgliedern: Günther Deicke, Stephan Hermlin, Heinz Kahlau und Walter Kaufmann als Mitglieder älterer Präsidien; Kerstin Hensel, Steffen Mensching, Brigitte Struzyk und B. K. Tragelehn als Mitglieder des amtierenden Präsidiums.128 Der langjährige Präsident Heinz Kamnitzer hatte eine Teilnahme entschieden abgelehnt.129 Weitere Teilnehmerin war Therese Hörnigk, die zu dieser Zeit die wissenschaftliche Aufarbeitung der P.E.N.-Geschichte in der DDR aufgenommen hatte und am Anfang ihrer Nachforschungen stand. Die Moderation hatte wiederum Dieter Schlenstedt übernommen. Die Erweiterung des Gesprächskreises durch das anwesende Publikum war erwünscht.130 Dem einführenden Referat von Therese Hörnigk, welches das Fragenspektrum an den P.E.N. der DDR in aller Breite vor Augen führte, folgten individuelle Schlaglichter auf die Geschichte der Schriftstellervereinigung in der SEDDiktatur. Als Wortführer trat hier vor allem Stephan Hermlin hervor; er verfügte von den Anwesenden über die längste P.E.N.-Erfahrung. Beleuchtet wurde die Wirkung einzelner Ereignisse auf die Situation im P.E.N., so etwa Mauerbau, Niederschlagung des Prager Frühlings und Biermann-Ausbürgerung. Ansatzweise erklärt wurden auch generelle Zusammenhänge, die eng mit der Struktur des P.E.N. in einem diktatorischen System in Verbindung standen: Ablauf und Zweck der Parteiversammlungen, Zuwahlpraxis, stetige Wiederwahl derselben Persönlichkeiten, Agitation auf internationalem Feld. Ein besonderes Augenmerk richtete man auf die gesellschaftliche Bedeutung des P.E.N.-Zentrums DDR : Gab es öffentliche Wirkung? Welche Rolle spielte die Öffentlichkeit für die Arbeit des P.E.N.? Erwartungsgemäß kam auch der Frage nach dem huma127
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Dieter Schlenstedt:Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 [o. D.]. Anlage 7 zu Manfred Bissinger: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. hierzu auch Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92, S. 57–105. Vgl. Widerspruchsgeschichte des P.E.N. In: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92, S. 163–222. Vgl. Wortbeitrag von Dieter Schlenstedt. In: Widerspruchsgeschichte des P.E.N. In: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92, S. 163– 222, hier S. 208. Vgl. Widerspruchsgeschichte des P.E.N. In: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92, S. 163–222.
nitären Engagement einzelner P.E.N.-Mitglieder innerhalb des Gesprächs eine gewichtige Rolle zu. Prädestiniert für Ausführungen zu diesem Thema war Hermlin. Auskunft über die Mitarbeit im WiPC in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, die damals an die Stelle einer stetigen Verweigerung getreten war, erteilte Walter Kaufmann. Kritische Nachfragen – etwa, ob die Chancen des P.E.N., dem in der DDR offensichtlich ein gewisser Sonderstatus gewährt worden war, nicht ungenutzt geblieben seien – stellten vor allem die jüngeren Autoren, die in Bezug auf die Vergangenheit des DDR-P.E.N. weitgehend unbelastet waren. Die älteren P.E.N.-Kollegen stellten vor allem die positiven Aspekte heraus; jene Dinge, die geglückt oder umgangen worden waren, obwohl die äußeren Umstände widrig waren.131 Die gesamte Dokumentation offenbart die Schwierigkeiten, eine so komplexe und umfassende Thematik wie die über vierzigjährige Geschichte des P.E.N.Zentrums DDR in einem zeitlich befristeten Gespräch adäquat zu behandeln. Viele Fragen waren nur gestellt, ansatzweise und unzureichend beantwortet worden. Individuelle Erfahrungen und Empfindungen der direkt Betroffenen hatten grundsätzlichere Aussagen zu Funktion und Position des P.E.N. in der DDR überlagert. Schwierige Sachverhalte, etwa die Frage der Zusammenarbeit einzelner Mitglieder mit der Staatssicherheit der DDR, waren mit Bedacht gar nicht angestoßen worden. Freilich war eine abschließende Beurteilung von den Veranstaltern auch gar nicht intendiert. Das Ziel, ein Gespräch zu führen, offene Fragestellungen aufzuwerfen und neue Ansatzpunkte für die Fortführung der Diskussion zu gewinnen, war indessen mit Sicherheit erreicht worden. Und eines wurde dabei gewiss: Die Debatte hatte, mit Blick auf ihre im Vorfeld vergebene Überschrift, deutlich vor Augen geführt, dass die Geschichte des P.E.N. nur als »Widerspruchsgeschichte« zu lesen sein würde. Ein einfaches Urteil über den P.E.N. in der DDR konnte es nicht geben. Die Gespräche zur Selbstaufklärung fanden keine konkrete Fortsetzung; sie endeten mit der Diskussion zur Geschichte des P.E.N.-Zentrums in der DDR im November 1992. Stärker als die Frage nach der generellen Positionierung des P.E.N.-Zentrums im Staatssystem der DDR drang die Problematik der Verstrickung von Autoren in die Arbeit der Staatssicherheit hervor. Diese spezifische Thematik war in den öffentlichen Veranstaltungen vom ostdeutschen P.E.N.-Präsidium bewusst ausgeklammert worden. Der diffizile Gegenstand schien für diese offene Form der Beschäftigung mit der Vergangenheit ungeeignet. Zu groß schien das Risiko, dass ein Gespräch mit Betroffenen, Opfern und Tätern, in eine tribunalartige Situation umschlagen könnte. Zu gering schienen den Verantwortlichen der augenblickliche eigene Wissensstand und der zu erwartende Ertrag. Gleichwohl beschäftigte die ostdeutschen Vorstandsmitglieder die Frage nach dem Umgang mit mutmaßlichen und tatsächlichen Zuträgern der Staatssicherheit unter den P.E.N.-Mitgliedern seit 1991 kontinuierlich. Die 131
Vgl. Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92, S. 163–222. 913
Wege, die das P.E.N.-Zentrum (Ost) in den Folgejahren beschritt, um eine Klärung der grundsätzlichen Fragen hinsichtlich der Verstrickung in staatssicherheitliche Zusammenhänge und der oftmals undifferenzierten Anklagen gegen Einzelne seiner Mitglieder herbeizuführen, sollen im Folgenden gesondert vorgestellt werden. 10.3.2
Aufarbeitung der Vorwürfe gegen einzelne Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost)
Auf der Mitgliederversammlung im Januar 1992 hatte das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) eine umfassende Stellungnahme zum Umgang mit den Vorwürfen hinsichtlich einer Zusammenarbeit einzelner Mitglieder mit der Staatssicherheit der DDR vorgelegt. Hierin äußerten sich die Präsidiumsmitglieder durchaus selbstkritisch; man habe bereits »zuviel Zeit bis zu einer Verständigung in dieser Angelegenheit verstreichen lassen.«132 Gleichwohl machten sie in ihrer Erklärung deutlich, dass die »Etablierung einer Art Spruchkammer, die sich selbst um Akteneinsicht bemüht und dann entsprechend reagiert«133 , ebenso wenig als Lösungsweg angesehen wurde wie die Einnahme einer abwartenden Haltung, die nur im Falle von Enthüllungen von außen aufgegeben würde. Das Präsidium vertraute auf einen eigenverantwortlichen Umgang der Mitglieder mit der persönlichen Vergangenheit: »Wir appellieren, bauend auf die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung, zur kritischen Lebensbilanz, bauend auf eine Kollegialität, die die Belange der anderen, die Interessen des Zentrums ins Auge zu fassen vermag, an eine kritische Selbstprüfung eines jeden (wie man jetzt wohl sagen muß) und an selbst zu ziehende Konsequenzen.«134 Für die kritische Selbstbefragung der Mitglieder hatte man ein entscheidendes Kriterium ausgesprochen. Als unvereinbar mit der P.E.N.-Mitgliedschaft galt demnach »eine Tätigkeit im Umkreis des M[inisteriums] f[ür] S[taatssicherheit], die dazu dienlich war, anderen zu schaden, die insbesondere zu Zensurmaßnahmen gegen einzelne Werke, zu Bespitzelungen, Maßregelungen, Publikationsverbot, Inhaftierung, Ausbürgerung von Schriftstellern führte«135 . Der Aufforderung zur eigenständigen Gewissensprüfung folgte das Gesprächsangebot: »[J]ede[m], der in Selbstzweifeln in dieser Sache lebt und über seinen Fall und dessen Ge132
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Auszug aus dem Bericht des Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) auf der Mitgliederversammlung am 9. Januar 1992. Anlage 8 zum Rundbrief des P.E.N.Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Auszug aus dem Bericht des Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) auf der Mitgliederversammlung am 9. Januar 1992. Anlage 8 zum Rundbrief des P.E.N.Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Auszug aus dem Bericht des Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) auf der Mitgliederversammlung am 9. Januar 1992. Anlage 8 zum Rundbrief des P.E.N.Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Auszug aus dem Bericht des Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) auf der Mitgliederversammlung am 9. Januar 1992. Anlage 8 zum Rundbrief des P.E.N.Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
schichte das klärende Gespräch wünscht«136 , wurde die Möglichkeit eröffnet, sich an eine Person seines Vertrauens aus dem Präsidium zu wenden. Zugesichert wurde dabei die umfassende und differenzierte Bewertung des Sachverhalts unter Einbezug aller äußeren und biographischen Details. Nicht alle Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) waren einverstanden mit dieser Regelung. Christoph Hein und Christoph Links etwa machten unmissverständlich deutlich, dass »Stasi-Mitarbeit allein«137 für sie schon die P.E.N.-Mitgliedschaft ausschließe. Der Präsidiumsvorschlag wurde schließlich gegen diese Vorbehalte durchgebracht. Dass eine kritische Selbstbetrachtung durchaus zu konsequenten Schlussfolgerungen führen konnte, zeigt der Fall Dieter Noll. Er war seit 1964 Mitglied des P.E.N.-Clubs gewesen. Der freischaffende Schriftsteller gehörte zu den ersten, die in der deutsch-deutschen P.E.N.-Debatte einer IM-Tätigkeit für die Staatssicherheit der DDR bezichtigt worden waren. Tatsächlich war Noll, mit Unterbrechungen, von 1957 bis 1989 unter den Decknamen »Schreiber«, »Romanze«, »Georg« und »Klaus-Dieter« als IM registriert gewesen und hatte bereitwillig Informationen aus dem Kreis der Kulturschaffenden weitergegeben. Insbesondere am Ende des Jahres 1988 planten die Verantwortlichen im Ministerium für Staatssicherheit einen zielgerichteten Einsatz von Noll im P.E.N.-Club: Perspektivisch kann der Kandidat, da er ein bestätigter N[icht]S[ozialistisches]W[irtschaftsgebiet]-Reisekader ist und ständig über ein Mehrfachvisum verfügt, zielgerichtet zur Kontaktaufnahmeund Bearbeitungvon Personen im Operationsgebiet[gemeint sind Günter de Bruyn, Stephan Hermlin, Christa Wolf, Volker Braun, Heiner Müller, Irmtraud Morgner und Peter Hacks], die im Rahmen des internationalen PEN-Clubs Kontakte zu Feindobjekten u. a. operativer internationaler Einrichtungen und Institutionen unterhalten, eingesetzt werden. In dieser Richtung sind mit Hilfe des Kandidaten, insbesondere Pläne, Absichten und Methoden äußerer feindlicher Kräfte im Zusammenwirken mit inneren feindlichen Kräften in der DDR bzw. anderen sozialistischen Staaten aufzuklären und feindliche Angriffe rechtzeitig zu erkennen.138
Ob Noll in den wenigen Monaten bis zum Mauerfall dieser Aufgabe gerecht wurde, sei dahingestellt. Ein Blick in seine Akte hat weder Hinweise über eine Berichterstattung aus dem Innenleben des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West bzw. P.E.N.-Zentrums DDR noch des Internationalen P.E.N.-Clubs ergeben. Schon Ende 1991, noch bevor das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum eine eindeutige Stellungnahme zum Umgang mit ehemaligen IM ausgegeben hatte, erklärte Noll indes seinen freiwilligen Rückzug. Dieser schien nicht nur Folge des zunehmenden äußeren Drucks, sondern auch individueller Gewissensregungen zu sein: »Im Nachdenken über die gegenwärtige allgemeine Situation, desgleichen 136
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Auszug aus dem Bericht des Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) auf der Mitgliederversammlung am 9. Januar 1992. Anlage 8 zum Rundbrief des P.E.N.Zentrums Bundesrepublik Deutschland [6. 4. 1992]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Klaus-Dieter Schönewerk: Übers Vergangene nicht die Zukunft vergessen. »StasiConnection« und das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost). In: Neues Deutschland 10 (13. 1. 1992), S. 6. Vgl. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 282 und S. 486–491. 915
über mich selbst, bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß ich dem Internationalen P.E.N. aus persönlichen Gründen fernerhin nicht mehr angehören möchte. […] Nachdrücklich betone ich, daß mein Austritt keinerlei Geringschätzung des hochansehnlichen und -verdienten Internationalen P.E.N.-Clubs und seiner Mitgliedschaft ausdrücken soll.«139 Eine selbstkritische Haltung veranlasste auch den freischaffenden Schriftsteller Helmut Baierl im März 1992, seine Mitgliedschaft im Deutschen P.E.N.Zentrum (Ost) in Frage zu stellen. Er hatte von Oktober 1968 an als Kontaktperson (KP) »Flinz« mit dem Ministerium für Staatssicherheit (HA XX/1) zusammengearbeitet und Hinweise zur Situation im Bereich der Dramaturgie in Ost-Berlin weitergegeben. Bis 1970 hatten nach Aktenlage die offiziellen Verbindungen zu Baierl bestanden. Mitte 1971 wurde er an die HA XX/7 übergeben. Dort hatte man offenbar keine Verwendung für ihn, denn im November 1972 wurde die »Abverfügung zur Archivierung« des Vorgangs erteilt.140 Baierl hatte zum 25. Jahrestag des Ministeriums für Staatssicherheit ein hoch lobendes Gedicht über die »Tschekisten« geschrieben.141 Als er erfuhr, dass seine Zeilen von 1975 in einer Präsidiumssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) zur Sprache gekommen waren, ließ er Schlenstedt wissen: Ich habe erkannt, daß ich für den P.E.N. eine Altlast bin. Als ich das [Gedicht] schrieb, entsprach es meiner Überzeugung. Heute, da ich um vieles weiß und auch meine Haltung zu vielem revidiert habe, muß ich feststellen, daß ich zu naiv und zu gläubig war. Damit will ich mich nicht reinwaschen. Ich möchte dem Ost-P.E.N. helfen, ihn akzeptabler zu machen für das Miteinander mit den westdeutschen P.E.N.-Kollegen und stelle meine Mitgliedschaft zur Disposition.142
Helmut Baierl wurde noch bis 1993 als Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) geführt.143 Ende Juni 1993 schrieb er einen neuerlichen Brief an das Präsidium, in dem er seinen Austritt mit detaillierten Selbstanklagen begründete. Er habe sich immer auch als politischen Menschen verstanden, »der einer guten Sache dienen wollte, und habe aus dieser Haltung heraus, einer falsch verstandenen Parteidisziplin gehorchend und wohl auch aus Feigheit, Dinge getan, die [s]eine Seele belasten.«144 Er verstehe, dass er heute nicht mehr in den Reihen 139
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Dieter Noll an Walter Kaufmann [17. 12. 1991]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein Januar 1991–September 1993/N/Noll Dieter 1. Vgl. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 636. Vgl. den Abdruck des Gedichts bei Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 831–836. Die Bezeichnung »Tschekisten« ging auf das Bedürfnis der Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit nach »verklärender Überhöhung« zurück; sie bekannten sich selbst »kultisch zur Tradition der ›Tscheka‹« und verliehen sich den Namen »Tschekist«. Vgl. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 470. Helmut Baierl an Dieter Schlenstedt [11. 3. 1992]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein Januar 1991–September 1993/B/Baierl Helmut 1. Vgl. Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Autorenlexikon. Geschichte und Gegenwart, S. 112. Helmut Baierl an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [28. 6. 1993]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidiumab 1991 bis 1994/1993/Helmut Baierl 1 und 1a.
des P.E.N. geduldet werden könne: »[Ich] muß diese Seite meiner Seele aus dem P.E.N. entfernen. Da ich aber nicht einfach mit dieser Seele weggehen und die andere, die faire und freundliche dalassen kann, muß ich mit beiden gehen. Ich trete aus dem P.E.N. aus. Das Programm des P.E.N. aber nehme ich mit für mein weiteres Leben.«145 In Einzelfällen schien demnach das vom ostdeutschen Präsidium vorgegebene Prinzip der kritischen Selbstbefragung zu funktionieren. Das Vertrauen des ostdeutschen P.E.N.-Präsidiums in die selbstkritische, eigenständige Auseinandersetzung seiner Mitglieder mit der persönlichen Vergangenheit teilte man im Westen jedoch nicht. Bernd Jentzsch, einer der Vizepräsidenten des West-P.E.N. und ehemaliger freischaffender Lektor eines DDR-Verlages146 , zeigte sich mit den differenzierenden Vorgaben des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) zum Umgang mit den IM nicht einverstanden. Im Gespräch mit dem ostdeutschen P.E.N.-Präsidenten hatte er eine kompromisslose Haltung gezeigt, wie dieser auf einer Präsidiumssitzung im Januar 1992 referierte: »[A]lles, was IM war, hat im PEN nichts zu suchen.«147 Wieder wurde im ostdeutschen P.E.N.-Präsidium die Frage aufgeworfen, welche Position gegenüber den IM unter den P.E.N.-Mitgliedern einzunehmen sei. Obgleich eine »Etablierung einer Spruchkammer«148 weiterhin abgelehnt und die vorgeschlagene Vorgehensweise bestätigt wurde, fasste das Präsidium den Beschluss, beim BStU eine Überprüfung der Präsidiumsmitglieder zu beantragen.149 Nach der Antragstellung im Februar 1992 kam die Bearbeitung der Vorwürfe im Zusammenhang mit der Staatssicherheit mehr oder minder zum Erliegen. Bis zur Generalversammlung im Januar 1993 hatte kein Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) vom Angebot des Präsidiums Gebrauch gemacht, sich ihm hinsichtlich seiner Verbindungen zum Ministerium für Staatssicherheit anzuvertrauen. Im Nachgang der Mitgliederversammlung, die insgesamt die Schwierigkeiten der ostdeutschen P.E.N.-Mitglieder im öffentlichen Umgang 145
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Helmut Baierl an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [28. 6. 1993]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidiumab 1991 bis 1994/1993/Helmut Baierl 1 und 1a. Bernd Jentzsch hatte sich zeitgleich zu Biermanns Ausbürgerung aus der DDR auf einer Dienstreise in der Schweiz befunden. Von dort hatte er gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann und den Ausschluss Reiner Kunzes aus dem Schriftstellerverband protestiert.Wegen Strafandrohungkehrte Jentzschnicht in die DDR zurück. Vgl. Siegmar Faust und Bernd-Rainer Barth: Bernd Jentzsch. In: Müller-Enbergs et al. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, S. 394f., hier S. 394. Protokoll der Präsidiumssitzung am 30. 1. 1992 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1992/Präsidiumssitzung am 30. 1. 1992 1–5, hier 2. Auszug aus dem Bericht des Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [Dieter Schlenstedt]auf der Mitgliederversammlung am 9. 1. 1992. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1992/Auszug aus dem Bericht des Präsidenten des Deutschen PEN 9. 1. 1992 1. Protokoll der Präsidiumssitzung am 30. 1. 1992 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1992/Präsidiumssitzung am 30. 1. 1992 1–5, hier 5. 917
mit der DDR-Vergangenheit deutlich hatte zutage treten lassen, bildete sich im Präsidium die Meinung aus, dass gerade für den Umgang mit den IM-Beschuldigungen neue Möglichkeiten und Wege zur Selbstaufklärung gefunden werden müssten. Der öffentliche Rahmen schien dafür gänzlich ungeeignet. Kurs genommen wurde nun auf eine personenbezogene, direkte Klärung der vorhandenen Vorhaltungen: »Wir sollten diejenigen einladen, die aus der Akteneinsicht anderer namhaft geworden sind.«150 Im Zentrum der Anklagen standen zu diesem Zeitpunkt die Mitglieder Hans Marquardt, Erich Köhler und Rainer Schedlinski. Im Fall von Schedlinski, der brisanterweise als tragende Persönlichkeit der inoffiziellen Literaturszene von 1979 bis 1989 als IM »Gerhard« beim Ministerium für Staatssicherheit erfasst gewesen war, wurde das Präsidium einer näheren Betrachtung der Sachlage enthoben. Zwar war Schedlinski 1991 zugewählt worden. Er hatte aber weder die Charta unterzeichnet, noch Mitgliedsbeiträge bezahlt oder aktiv am Clubleben teilgenommen. Kurzerhand beschloss das Präsidium im Februar 1993, satzungsgemäß, Schedlinski von der Mitgliederliste zu streichen.151 In der Folgezeit gab es innerhalb des Präsidiums vereinzelte Vorstöße, die Auseinandersetzung mit der IM-Problematik voranzutreiben. So schlugen Brigitte Struzyk, Kerstin Hensel und Steffen Mensching vor, in Abstimmung mit der BStU-Behörde eine Art »jour fixe« einzurichten, der dem Sachgespräch zu spezifischen Fragen der Aufarbeitung und Auswertung der staatssicherheitsdienstlichen Unterlagen zuträglich sein sollte.152 Struzyk und Hensel erklärten sich auch bereit, für die nächste Mitgliederversammlung ein Diskussionsangebot zu Fragen der IM-Tätigkeit für die Staatssicherheit vorzubereiten.153 Konkrete Ergebnisse erbrachten diese Vorhaben nicht. Erst Mitte des Jahres 1993 kam wieder Bewegung in die Angelegenheiten. Im Juni 1993 lagen die ersten Ergebnisse zur Überprüfung des Präsidiums vor: Aus den Unterlagen für Beate Morgenstern, Christine Wolter, Werner Liersch und Steffen Mensching hatten sich keine Hinweise auf die Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit ergeben. Über Kerstin Hensel, Brigitte Struzyk, Walter Kaufmann, Joochen Laabs und B. K. Tragelehn gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine Auskünfte durch den BStU. Von außerordentlicher Brisanz, vor allem im Hinblick auf die öffentliche Reaktion, war die Mitteilung über Dieter Schlenstedt; er sei in den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicher150
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Beschlussprotokoll der Präsidiumssitzung am 27. 1. 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Beschlussprotokoll Präsidiumssitzung 27. 1. 1993 1–5, hier 2. Vgl. Beschlussprotokoll der Präsidiumssitzung am 17. 2. 1993 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Beschlussprotokoll Präsidiumssitzung 17. 2. 1993 1–4, hier 3. Vgl. Beschlussprotokoll der Präsidiumssitzung am 5. 5. 1993 [12. 5. 1993; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Präsidiumssitzung 5. 5. 1993 1–2, hier 2. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 24. 5. 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Präsidiumssitzung 24. 5. 1993 1–2, hier 2.
heit erfasst gewesen.154 Intern wurden damit Gerüchte, die schon im Umfeld der Darmstädter Mitgliederversammlung des westdeutschen P.E.N. im Mai 1993 kursiert hatten,155 bestätigt. Zwar kamen die auf der Präsidiumssitzung im Juni 1993 anwesenden Mitglieder zu der Auffassung, dass der »Präsident Dieter Schlenstedt nicht gegen die PEN-Charta verstoßen hat.«156 Das Ergebnis der Überprüfung stürzte Schlenstedt jedoch in tiefe, quälende Selbstzweifel. Schon vor der Auskunft durch die BStU-Behörde hatten sich die Präsidiumsmitglieder untereinander über ihr Verhältnis zum Ministerium für Staatssicherheit ausgetauscht. Schlenstedt hatte in diesen Gesprächen wohl erinnert, dass er vereinzelte Kontakte zu Mitarbeitern des Sicherheitsapparates gehabt hatte. Dass er mit einer Unterschrift seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit quittiert hatte, wie es das ausgehobene Aktenmaterial belegte, war Schlenstedt indes nicht erinnerlich.157 Nach Aktenlage war das Ministerium für Staatssicherheit erstmals 1960 mit Schlenstedt in Kontakt getreten, um ihn zu einer Verbindungsaufnahme mit seinem 1957 in den Westen geflohenen Lehrer Alfred Kantorowicz zu veranlassen. Im Juni 1960 hatte Schlenstedt handschriftlich eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit gegeben. In der Folge lieferte er den im Auftrag der Staatssicherheit geschriebenen Brief an Kantorowicz. Die Beziehung zwischen Schlenstedt und seinem Führungsoffizier entwickelte sich offenbar aber nicht wie gewünscht. Nach Übergabe an eine andere Abteilung stellte deren Leiter fest, dass Schlenstedts Berichte »operativ wenig wertvoll«158 seien. Der Kontakt brach 1966 ab. Anfang Mai 1978 fanden neuerliche Kontaktgespräche statt. Schlenstedt besetzte mittlerweile eine leitende Position am Zentralinstitut für Literaturwissenschaften der Akademie der Künste. Das Ministerium für Staatssicherheit gab sich schließlich mit den Ergebnissen der Gespräche auf offizieller Ebene zufrieden, die mit Personen in leitenden Positionen in der DDR durchaus üblich 154
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Vgl. Beschluss des Präsidiums des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [17. 6. 1993]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1992/Beschluss des Präsidiums 17. 6. 1993 1. Vgl. Verena Auffermann: Gesamtdeutscher Clinch. Nachdenken über die Angst. Die PEN-Tagung in München. In: Süddeutsche Zeitung 112 (17. 5. 1993), S. 11. Auslöser der Gerüchte war ein Brief von Hans Joachim Schädlich an Uwe Westphal [5. 5. 1993], der am Rande der Darmstädter Tagung kursierte. Enthalten in P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein Januar 1991–September 1993/Sch/Schädlich Hans Joachim 1 und 1a. Vgl. hierzu auch Protokoll der Präsidiumssitzung am 24. 5. 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidien ab 1991 bis 1994/1993/Präsidiumssitzung 24. 5. 1993 1–2, hier 1. Beschluss des Präsidiums des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [17. 6. 1993]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1992/Beschluss des Präsidiums 17. 6. 1993 1. Vgl. Dieter Schlenstedt an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [4. 6. 1993]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/ Dieter Schlenstedt/An das Präsidium 1–4. BStU, MfS, ZA, Vorlauf-AIM 10826/85, Bd. I/1, Bl. 88. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 723. 919
waren. Im April 1985 wurde vorgeschlagen, den seit den sechziger Jahren bestehenden IM-Vorlauf abzubrechen.159 Für Schlenstedt brachen starke Widersprüche zwischen den Angaben seiner Akten und der eigenen Erinnerung auf, die er durchaus selbstkritisch betrachtete: Einerseits sehe ich – […] – eine Reihe von Ungereimtheiten, die eine Dauer von Beziehungen zum MfS suggerieren, weiß jedoch nicht, wie diese Reihe zustande kam: andererseits habe ich offenbar, und dies zu meinem Erschrecken, Wichtiges vergessen, verdrängt, vielleicht auch – ich taste – verschont, womöglich im unbewußten Bestreben, früheresVerhaltenmit späterem in Einklang zu bringen.[…] Nichts kann ich heute mitteilen zu Begegnungen mit dem MfS, die über die hinausgingen, von denen ich erzählt habe – […]. […] ich habe diese Gespräche, falls es denn wirklich welche waren, völlig vergessen. Weshalb? Vielleicht, weil ich mich damals nicht klar artikulieren, sondern mich lediglich durchwursteln wollte und weil mir das im Grunde unangenehm war. – Und nur vermuten kann ich, weshalb mir ganz und gar aus dem Gedächtnis gefallen ist, daß die ersten Gespräche mit MfS-Leuten von der Abnahme einer Erklärung zur Zusammenarbeit und zum Stillschweigen begleitet waren.160
Schlenstedt empfand es als verstörend, auf »blinde Flecken in der Erinnerung«161 zu stoßen; er fürchtete um seine Glaubwürdigkeit und den möglichen Schaden für das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost). Erster Impuls war der Gedanke an den Rücktritt vom Amt des Präsidenten. Die Mitglieder des Präsidiums lehnten einen solchen Schritt ab. Sie stärkten Schlenstedt auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung im Juni 1993, in der die Stasi-Problematik eine zentrale Stellung einnahm, ganz entschieden den Rücken. Die Vorwürfe gegen Schlenstedt, er habe als IM mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet, wurden nach eingehender Prüfung der Akten entschieden zurückgewiesen. Das Präsidium stellte sich geschlossen hinter seinen Präsidenten. Es verurteilte auch die öffentlichen Angriffe auf Heiner Müller und Christa Wolf; sie wurden als ignorant und heuchlerisch bezeichnet.162 Ehrengerichtsverfahren und Ausschlussverfahren, wie sie von den Kritikern der Vergangenheitsaufarbeitung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) immer wieder gefordert wurden, schlossen die anwesenden Mitglieder weiterhin aus.163 Unter der viel sagenden Fragestellung Wer mit wem? wurde auch die Beziehung zum westdeutschen P.E.N. diskutiert. Am Ende der lebhaften Debatte stand fest, dass die inhaltliche Zusammenar-
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Vgl. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 722–724. Dieter Schlenstedt an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [4. 6. 1993]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Dieter Schlenstedt/An das Präsidium 1–4, hier 2f. Dieter Schlenstedt an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [4. 6. 1993]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Dieter Schlenstedt/An das Präsidium 1–4, hier 4. Vgl. [ADN/ND]: P.E.N.-Zentrum (Ost) tagte in Berlin. In: Neues Deutschland 149 (30. 6. 1991), S. 10. Vgl. [Protokoll der Jahrestagung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) am 9. 12. 1993]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Jahrestagung 9. 12. 1993 1–81, hier 21.
beit mit dem West-P.E.N. ausgebaut werden sollte bis einem organisatorischen Zusammenschluss beider Zentren keine Hindernisse mehr im Wege stünden.164 Schlenstedts Beispiel, das hier nur in seinen Grundzügen angedeutet ist, demonstriert zweierlei. Zum einen tritt hervor, wie sehr die persönliche Wahrnehmung der Kontakte zu den staatssicherheitsdienstlichen Mitarbeitern gegenüber den in den Akten niedergelegten Berichten variierte. Dass dabei auch Selbstschutz und eine (un)bewusste Selbsttäuschung eine Rolle spielen, steht außer Frage. Zum anderen zeigt sich, wie facettenreich die Beziehungen zwischen Ministerium für Staatssicherheit und dem einzelnen Menschen waren. Eine einfache Lesart, gestützt auf die einschlägigen Akten, ist in vielen Fällen nicht nur unmöglich, sondern scheint auch unredlich. Ein klares Urteil zu fällen, erfordert genaue Kenntnis des Einzelfalls und dessen sachliche, unemotionale Bewertung. Zu dieser Erkenntnis gelangte auch eine Beobachterin einer Veranstaltung über die IM-Problematik, die im September 1993 stattfand. Entgegen der Prämisse, die Fragen zum Verhältnis von Schriftstellern und Staatssicherheit nur noch intern zu klären, hatte sich das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) noch einmal der Aufgabe gestellt, eine öffentliche Diskussion der Vergangenheit herbeizuführen. Aufgrund der immer lauter werdenden Vorwürfe hinsichtlich der IMTätigkeit von Künstlern und Schriftstellern organisierte man gemeinsam mit der Kulturbrauerei Berlin eine Abend-Veranstaltung unter dem Thema Nichts Menschliches ist mir fremd. Über Moral und Selbstgerechtigkeit der Künstler in der Stasi-Debatte. Die Mischung aus Lesung und Gespräch, an der sich u. a. Klaus Schlesinger, Freya Klier und Bert Papenfuß-Gorek beteiligten, bot reichlich Zündstoff. Die Diskussion wurde, obgleich sie »aufgeregt, teilweise wirr«165 verlief, auch positiv beurteilt: [D]ennoch war [das Gespräch] nützlich, weil die verschiedenen Standpunkte vorgetragen wurden, das breite Spektrum von Fragen zumindest anklang, und vielleicht bei manchem die Einsicht wuchs, daß auch bei diesem heiklen Thema mehr Kenntnis als Emotion vonnöten ist und Unterstellung und schnelle Verallgemeinerungschaden. […] Kann man alle IM über einen Kamm scheren? Sollte – und wenn ja, wie lange – IM das Auftreten in der Öffentlichkeit verboten sein? […] Wer soll richten? Was ist selbstgerecht?166
Diese und andere Fragen drängten sich insbesondere für das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) mehr und mehr in den Vordergrund. Bis zum Herbst 1993 hatten sich dezidierte Anschuldigungen gegen einzelne P.E.N.Mitglieder gehäuft. Klaus Schlesinger beschuldigte Erich Köhler der Spitzeltätigkeit; Wulf Kirsten klagte gegen Harry Thürk; Vorwürfe gegen Hans Mar164
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Vgl. [ADN/ND]: P.E.N.-Zentrum (Ost) tagte in Berlin. In: Neues Deutschland 149 (30. 6. 1991), S. 10. Gret Hofmann: Moral und Ästhetik, IM und Schriftsteller. P.E.N.-Zentrum (Ost) lud in die Berliner Kulturbrauerei ein. In: Neues Deutschland vom 21. 9. 1993, S. 13. Gret Hofmann: Moral und Ästhetik, IM und Schriftsteller. P.E.N.-Zentrum (Ost) lud in die Berliner Kulturbrauerei ein. In: Neues Deutschland vom 21. 9. 1993, S. 13. 921
quardt und Günther Rücker erhielten Untermauerung durch ein Feature des Deutschlandfunks über Franz Fühmann im Netz der DDR-Staatssicherheit 167 , dessen Sendetermin auf Anfang Oktober angesetzt war.168 Das ostdeutsche Präsidium sah sich in die Offensive gedrängt. Einerseits sollte das Präsidium nicht zu einem Untersuchungsausschuss werden. Andererseits gefährdeten die sich häufenden Verdachtsfälle zunehmend die Reputation des Vereins.169 Um die eigene Glaubwürdigkeit nicht zu beschädigen, musste das Präsidium handeln. Als Ausweg sahen die Präsidiumsmitglieder nur das offene Gespräch mit den Betroffenen unter Ausschluss der Öffentlichkeit.170 Anfang November 1993 erschien Günther Rücker, dem der Einsatz gegen Franz Fühmann im Operativen Vorgang »Filou« nachgesagt worden war, aus eigenem Antrieb zu einer Präsidiumssitzung. Er wollte zu den in Hans-Jürgen Schmitts Feature erhobenen Vorwürfen gegen ihn Stellung nehmen. Unterstellt wurde Rücker, dass er vom Ministerium für Staatssicherheit den Auftrag erhalten hätte, eine von Fühmann geplante Anthologie mit Texten junger Autoren mit allen Mitteln zu verhindern. Im Vorfeld seiner Ausführungen machte Rücker deutlich, dass er den P.E.N. als Nicht-Öffentlichkeit betrachte und aus diesem Grund seine Erklärung nicht protokolliert werden solle. In der Konsequenz verzeichnet das Protokoll nur Rückers Anwesenheit und zwei weitere Hinweise, die auf seine prinzipielle Haltung zu den Vorhaltungen schließen lassen: »Er bittet nicht um Entschuldigung, da es für ihn nichts zu entschuldigen gibt. Er hat nicht für das MfS gearbeitet (auch keine Erklärung unterschrieben).«171 Auf die nachfolgende Diskussion des Präsidiums wird verwiesen. Das Protokoll bleibt jedoch ohne Hinweis auf Inhalte oder Tendenzen. Auch der einstige Verlagsleiter des Leipziger Reclam-Verlages Hans Marquardt suchte unter dem zunehmenden öffentlichen Druck im Dezember 1993 das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) auf. Die von Schmitt 167
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Hans-Jürgen Schmitt: Der Operative Vorgang Filou. Franz Fühmann im Netz der DDR-Staatssicherheit. Feature für den Deutschlandfunk, Sendung am 5. 10. 1993, 19.15–20.00 Uhr. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Franz Fühmann/HansJürgen-Schmitt/Der Operative Vorgang Filou 1–31. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 29. 9. 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Präsidiumssitzung 29. 9. 1993 1–3, hier 2. Vgl. Beschlussprotokoll der Präsidiumssitzung am 2. 11. 1993 [22. 11. 1993; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Beschlussprotokoll Präsidiumssitzung 2. 11. 1993 1–2, hier 1. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 29. 9. 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Präsidiumssitzung 29. 9. 1993 1–3, hier 2. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 1. 11. 1993 [22. 11. 1993; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Beschlußprotokoll Präsidiumssitzung 22. 11. 1993 1–2, hier 1. Zu Rückers Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit im Fall Fühmann vgl. auch die Ausführungen im Nachwort zu Schmitt (Hg.): Franz Fühmann. Briefe 1950–1984, S. 545– 562, hier S. 560.
gegen ihn erhobenen Vorwürfe wogen schwer: Er sei IM gewesen, habe auf der Grundlage von Tonbandprotokollen Berichte über Fühmann an die Staatssicherheit weitergegeben und sei im Rahmen eines operativen Vorgangs in die Bundesrepublik gereist, um eine Publikation von Fühmann im Westen zu verhindern.172 Im Gespräch mit dem Präsidium verneinte Marquardt eine aktive Rolle als IM der Staatssicherheit; es habe offizielle Kontakte des Ministeriums für Staatssicherheit zu ihm gegeben. Er sei in seiner Position als Verlagsleiter »abgeschöpft« worden. In seiner Gegenwart seien keine Tonbänder gelaufen, er habe keine Unterschrift geleistet und keine schriftlichen Berichte bei der Staatssicherheit abgeliefert.173 Später veröffentlichte Nachforschungen weisen darauf hin, dass Marquardt von der HA XX/7 als IMB »Hans« geführt wurde. Seine teilvernichtete AIM-Akte dokumentiert einen IM-Vorlauf vom Februar 1970 bis Dezember 1975. Schon seit November 1975 hatte er demzufolge, nach einer »durch Handschlag eingegangene[n] Verpflichtung«174 , konspirativ mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet. Eingesetzt werden sollte er zur – operativen Bearbeitung feindlich-negativer Schriftsteller und Kulturschaffender; – Aufklärung der Pläne und Absichten,angewandtenMittel und Methoden sowie Inhalt, Methodik und Zielrichtung der gegnerischen Kontaktpolitik und Informationsabschöpfung durch Mitarbeitervon Verlagen und Massenmedien der BRD und Westberlins; – vorbeugenden Aufklärung begünstigender Bedingungen und gegen die Kulturpolitik gerichteter Tendenzen im Bereich des Verlagswesens, der Literaturwissenschaft und unter Schriftstellern.175
Eine undatierte Beurteilung des IMV »Hans« bescheinigt Marquardt die Erarbeitung einer »Reihe operativ wertvoller Informationen«. Die Hinweise auf Qualität und Quantität von Marquardts Zuarbeit für die Staatssicherheit aber bleiben diffus. Zwar liegen im OV »Filou« gegen Franz Fühmann Berichte vor, die dem IMB »Hans« zugeschrieben werden. Deren Inhalte lassen aber Zweifel an Marquardts Position innerhalb des staatlichen Überwachungsapparates 172
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Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 1. 12. 1993 [15. 12. 1993; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Beschlußprotokoll Präsidiumssitzung 1. 12. 1993 1–7, hier 1. Vgl. weiterhin Hans-Jürgen Schmitt: Der Operative Vorgang Filou. Franz Fühmann im Netz der DDR-Staatssicherheit. Feature für den Deutschlandfunk, Sendung am 5. 10. 1993, 19.15–20.00 Uhr. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Franz Fühmann/HansJürgen-Schmitt/Der Operative Vorgang Filou 1–31 und Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 289f. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 1. 12. 1993 [15. 12. 1993; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Beschlußprotokoll Präsidiumssitzung 1. 12. 1993 1–7, hier 2f. BStU, MfS, ZA, AIM 9203/91, Bd. I/1, Bl. 13. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 790. BStU, MfS, ZA, AIM 9203/91, Bd. I/1, Bl. 13. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 790. Vgl. zu diesem Themenkomplex auch die Ausführungen zu Hans Marquardts Tätigkeit als IM »Hans« im Nachwort zu Schmitt (Hg.): Franz Fühmann. Briefe 1950–1984, S. 545–562, hier S. 558f. 923
zu. Neben diesen offiziellen und inoffiziellen Kontakten zur Staatssicherheit, die als Fakt angesehen werden müssen, musste in die Bewertung auch sein Handeln als profilierter Verlagsleiter einbezogen werden. Marquardt hatte in seinem Verlag immer wieder Titel durchgesetzt, die die Grenzen der engen ideologischen Vorgaben überschritten. Marquardts Beispiel demonstriert, wie kompliziert und komplex das Leben von Menschen in einer Führungsposition in der DDR sein konnte, wie schwierig bis unmöglich eine gerechte Beurteilung ihres Tuns und Lassens sich darstellte.176 Auch nach Einschätzung von Joachim Walther, der zu den scharfen Kritikern von Marquardt zählte, gab es bei den Kontaktpersonen der Staatssicherheit qualitative Unterschiede, die es genau zu untersuchen galt: Grenzfälle dieser Sonderform der Zu- oder Zusammenarbeit finden sich nicht selten auch bei Verlegern, bei denen Besuche des M[inisteriums] f[ür] S[taatssicherheit] auf Grund ihrer beruflichen Stellung zum normalen Alltag gehörten. Hier ist konkret zu prüfen, ob sich der Besuchte oder Befragte in seinen Auskünften auf das Notwendige beschränkte, oder ob er sich darauf einließ, mehr als das zu liefern. Einige Verleger (zum Beispiel Hans Marquardt vom Reclam Verlag), die derartige Besuche empfingen und gleichzeitig als IM registriert waren, geben heute vor, sie hätten damals lediglich unvermeidliche Besucher empfangen und mit ihnen geplaudert, von einer Verpflichtung als IM sei ihnen nichts bekannt gewesen. Ob dies nun ein von den Führungsoffizieren gepflegtes subjektives Empfinden gewesen ist, oder eine heutige Schutzbehauptung, ob die offizielle Quelle ohne ihr Wissen nur deshalb als IM registriert wurde, um deren Informationen in einer MfS-Ablageform sammeln zu können, kann nur über die konkrete Aktenlage geklärt werden.177
Vor dieser schwierigen Aufgabe stand das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost). Im Fall Marquardt fiel, aufgrund der uneindeutigen Aktenlage, eine klare Urteilsfindung schwer. Die Beurteilung von Marquardts Verbindungen zur Staatssicherheit stand bis zur Vereinigung mit dem P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland wieder und wieder auf der Agenda. Als weiterer Gast der Präsidiumssitzung im Dezember 1993 war Klaus Höpcke erschienen. Er war bereits 1991 zu einem Problemfall für das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) geworden – nicht wegen seiner Mitarbeit bei der Staatssicherheit, sondern wegen seiner langjährigen Funktion als Leiter der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel, ergo der obersten Zensurbehörde der DDR. Im Gespräch zwischen ihm und den Präsidiumsmitgliedern kristallisierten sich im Wesentlichen zwei grundsätzlich verschiedene Sichtweisen im Umgang mit der umstrittenen Mitgliedschaft heraus. Walter Kaufmann tendierte dazu, Höpckes Mitgliedschaft nicht als Problem anzusehen. Aus seiner Sicht hatte Höpcke unter den Bedingungen der DDR das Mögliche getan, den Raum für Publikation geweitet und als Vermittler zwischen Literatur und Macht gewirkt. Trotz seiner Eingebundenheit in die Strukturen des Machtapparats habe er sich zum Anwalt der Autoren gemacht. Die Ergebnisse seiner Initiative 176 177
924
Vgl. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 791. Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 636f.
für die Literatur der DDR überwögen die negativen Entscheidungen. Grundsätzlich einzubeziehen sei zudem Höpckes persönliche Entwicklung bis hin zur Unterzeichung der Resolution für Havel im Februar 1989. Dieser Auffassung traten die übrigen Präsidiumsmitglieder entschieden entgegen. Die »Aufrechnung des Literatur Fördernden gegen das repressive Verhalten«178 könne so nicht vorgenommen werden. Höpckes Amt sei gegen die Freiheit von Literatur und Meinungsäußerung gerichtet gewesen. Er habe in der »Amtsausübung der Machthabenden«179 gestanden, er sei Zensor gewesen, und habe diese Funktion erfüllt. Dass es die Verhinderung von ganzen Büchern, bis hin zu einzelnen Sätzen und Begriffen gab, für die Klaus Höpcke die Verantwortung übernehmen musste, stand für sie außer Frage. Zwar wurde Höpcke zugestanden, dass er in Einzelfällen durchaus Courage bewiesen hatte, die Eingriffe seines Amtes im Laufe der Jahre zurückgegangen waren und er an der Beseitigung der herrschenden Zensurpraxis mitgewirkt hatte. Aber die Verwendung für die Neue Herrlichkeit lösche nicht den Ausschluss von Flugasche oder Collin aus dem Kreis der DDR-Editionen aus, der Einsatz für den Hinze-Kunze-Roman habe Wolfgang Hilbig und Gerd Neumann keine gedruckte Zeile beschert.180 Das Urteil fiel eindeutig aus: »Jeder Fall von Unterdrückung der Äußerungsfreiheit ist ein Verstoß gegen die Charta und zählt für sich.«181 Die Kritik richtete sich aber auch gegen das P.E.N.-Zentrum selbst. Nach dem Ende der DDR erfordere es wenig Mut, Höpckes Mitgliedschaft in Frage zu stellen; »Courage hätte es verlangt, ihn 1987 nicht zu wählen.«182 Eine endgültige Entscheidung über Höpckes Zukunft im P.E.N. fällte das Präsidium nicht. Höpcke sollte eigenverantwortlich zu einem bindenden Entschluss finden. Auf der Präsidiumssitzung Anfang Dezember hatte Höpcke noch keinen Grund für ein Ausscheiden aus dem P.E.N. gesehen.183 Einen Tag vor der Mitgliederversammlung am 9. Dezember 1993 nahm er seinen Abschied:
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Joochen Laabs: Rechenschaftsbericht. Enthalten in Protokoll der Jahresversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) am 9. 12. 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Jahrestagung 9. 12. 1993 1–6, hier 5. Joochen Laabs: Rechenschaftsbericht. Enthalten in Protokoll der Jahresversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) am 9. 12. 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Jahrestagung 9. 12. 1993 1–6, hier 5. Vgl. Joochen Laabs: Rechenschaftsbericht. Enthalten in Protokoll der Jahresversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) am 9. 12. 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Jahrestagung 9. 12. 1993 1–6, hier 5. Joochen Laabs: Rechenschaftsbericht. Enthalten in Protokoll der Jahresversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) am 9. 12. 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Jahrestagung 9. 12. 1993 1–6, hier 5. Joochen Laabs: Rechenschaftsbericht. Enthalten in Protokoll der Jahresversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) am 9. 12. 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Jahrestagung 9. 12. 1993 1–6, hier 5. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung am 1. 12. 1993 [15. 12. 1993; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991–1994/1993/ Beschlußprotokoll Präsidiumssitzung 1. 12. 1993 1–7, hier 5. 925
Obwohl ich mich nach wie vor mit vielen Mitgliedern des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) herzlich verbunden fühle und obwohl ich weiß, daß sie den Schritt, den ich jetzt tue, bedauern – wie ich ihn selber bedauere –, erkläre ich hiermit meinen Austritt aus dem P.E.N. Ich halte für denkbar, daß dadurch eine Versachlichung von Diskussionen über DDRLiteraturpolitik begünstigt wird. Der Streit um das Für und Wider dieser Politik kann so ohne den verengendenBlick auf die Frage nach der Mitgliedschaft im P.E.N. geführt werden. Vielleichtermöglicht das auch, die Wechselwirkungenvon individuellem Handeln und gesellschaftlichen Umständen in der DDR sowie Leistungen und Versagen bei der Wahrnehmung von persönlicher Verantwortung im Bereich der Kultur wirklichkeitsnah […] zu beurteilen.184
Sehr viel weniger Bereitschaft, persönliche Interessen mit Blick auf die äußeren Gegebenheiten zurückzustellen, zeigte das Mitglied Erich Köhler. Auch er war zu der Präsidiumssitzung im Dezember 1993 eingeladen worden. Die indirekte Anklage seiner Tätigkeit als IM »Heinrich« hatte Klaus Schlesinger bereits im Sommer 1992 in der Presse lanciert. Eine von Schlesinger verfasste »Erinnerung an den IM ›Heinrich‹« und eine umfangreiche Montage aus IM-Berichten und persönlichen Briefen, die aus dem Zeitraum 1974 bis 1979 stammten, überließ es dem Leser, den Zuträger der Staatssicherheit zu identifizieren.185 Diffuse Hinweise auf einen »Kollegen X«, der im Zusammenhang mit einer AutorenAnthologie als IM »Heinrich« Berichte an die Staatssicherheit gegeben hatte, machte Schlesinger auch in einer Ausgabe der neuen deutschen literatur des Jahres 1993.186 Genau diese Vorgehensweise machte Köhler seinem Ankläger Schlesinger zum Vorwurf: Die Welt geht aus den Fugen, aber dieser zurückhaltendaufgeregteSchriftstellerKlaus Schlesinger tingelt seit fast zwei Jahren landauf, landab, mit einer lächerlichen Lederjackenstory durch alle einschlägig interessierten, daher gut zahlenden Medien. Diese unendliche, geringfügig variierte Geschichte zehrt von der Entdeckung eines IM Heinrich. Ohne Namensnennung richtet Sch. seinen Text so her, daß Kenner mit der Nase auf den Genannten stoßen müssen, wobei der Texter es, mit Verlaub, zu einem beachtlichen Finessement gebracht hat. Der Sache nach befindet er sich mit Heinrich in einer unauflöslichen und elastischen Ontologie: Ohne Heinrich kein interessanter Schlesinger und umgekehrt. […] Schlesinger muß Namen nennen, offen und nicht hinter vorgehaltener Hand. Danach wird er seine Anschuldigung beweisen und das Maß seines Opfertumes (durch wen und was) vorwiegenmüssen. Ohne dem ist eine Stellungnahme von mir nicht zu bekommen. Es gab von Anbeginn der Kampagne um Heinrich zwischen Klaus Schlesinger und mir einen Briefwechsel, auf den er verschiedentlich selektiv anspielt. Wenn ich ihm im Interesse seines Oeuvres über den bis zum Erbrechen wiedergekäuten Aktenfraß hinaus etwas Gutes antun kann, so diesen Rat, daß er unseren Briefwechsel ungekürzt
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Vgl. Klaus Höpcke an Dieter Schlenstedt [8. 12. 1993]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein Oktober 1993 bis 31. 12. 1994/Höpcke Klaus 2. Vgl. Hallo Klaus, sei vielmals gegrüßt! OV »Schreiberling« – Der Schriftsteller Klaus Schlesinger erkannte den Kollegen als Spitzel. In: Wochenpost vom 4. 6. 1992. Vgl. Klaus Schlesinger: Die Akte. In: neue deutsche literatur 8 (1993). Abgedruckt in Klaus Schlesinger: Von der Schwierigkeit, Westler zu werden. Berlin 1998, S. 61–87, hier S. 69f.
veröffentlicht.Mangels anderweitigerKreativitätkönnte er damit das Feuerchenseiner Öffentlichkeit noch ein Weilchen unterhalten.187
Köhler erschien trotz Zusage seines Kommens nicht, weil er das Berliner P.E.N.Büro nach eigenen Angaben nicht gefunden hatte. In einem Entschuldigungsbrief an Dieter Schlenstedt stellte er eine dezidierte Stellungnahme zu den von Schlesinger erhobenen Beschuldigungen für die bevorstehende Generalversammlung am 9. Dezember 1993 in Aussicht. Gleichwohl machte er deutlich, dass er von den Versuchen, auf äußeren Druck hin zu einer Klärung der Vergangenheit zu kommen, wenig hielt. Als Problem des Ost-P.E.N. avisierte er »eine mögliche Mehrheit solcher Mitglieder, die sich eines ständigen Druckes von außen opportunistisch entledigen möchten. Vom Stichwort Selbstaufklärung unter dem ständigen Hereinregieren von Gauklern in die inneren Angelegenheiten des P.E.N. halte ich nichts.«188 Noch einmal verlangte er dezidierte Beweise seiner IM-Tätigkeit, die Schlesinger zu erbringen habe: »Sollte inzwischen ein solches Stück Papier vorliegen, so stelle ich mich zur Abwahl aus der Mitgliedervereinigung des P.E.N. Geht diese für die Exkommunikatoren befriedigend aus, so gratuliere ich den Letzteren. Dem P.E.N. (Ost) als Ganzes hätte ich damit ein Pendant zu jenen Vorgängen damals im Berliner Schriftstellerverband verschafft.«189 Mit diesem Schreiben überkreuzte sich eine Anfrage von Werner Liersch, der in die Offensive ging: »Ich habe an Sie zwei einfache Fragen […]. Trifft es zu, daß Sie mit dem MfS als IM ›Heinrich‹ zusammengearbeitet und Klaus Schlesinger observiert haben? Ich denke, diese Fragen sind von Ihnen zu beantworten und nicht von Schlesinger. Wenn Sie zu einem erleichternden ›Nein‹ in der Lage sind, sehe ich keinen Grund, es nicht auch auszusprechen.«190 Auch gegenüber Liersch ließ Köhler keinen Zweifel daran, dass von ihm kein klares Bekenntnis, weder für noch gegen eine IM-Tätigkeit, zu erwarten sei: »Wie, wenn ich das IM-Thema für differenzierter halte, als es in das vorgegebene Ja-NeinSchema paßt? Werde ich dann vom Ost-P.E.N. in vorauseilender Hörigkeit zur Inquisitionsbehörde gegauckt? Das wäre schade, nicht um mich, sondern um das Gremium.«191 Was sich hier schon andeutet, traf ein. Köhler stellte sich unnachgiebig auf den Standpunkt, man müsse ihm seine IM-Tätigkeit erst einmal nachweisen. Der Fall Köhler sollte das P.E.N.-Präsidium über lange Jahre hin beschäftigen. 187
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Erich Köhler an Dieter Schlenstedt [16. 11. 1993]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 Club/Erich Köhler 4 und 4 a. Erich Köhler an Dieter Schlenstedt [2. 12. 1993]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 Club/Erich Köhler 2. Erich Köhler an Dieter Schlenstedt [2. 12. 1993]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 Club/Erich Köhler 2. Werner Liersch an Erich Köhler [2. 12. 1993]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Werner Liersch 1. Erich Köhler an Werner Liersch [3. 12. 1993]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 Club/Erich Köhler 3.
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Wenige Tage nach den Aussprachen im Präsidium wurden die Vorwürfe gegen Köhler, Marquardt und Rücker entgegen der eigentlichen Planung zum dominierenden Thema der Mitgliederversammlung am 9. Dezember 1993. Eigentlich hatte das Präsidium lediglich über die Ergebnisse der intern geführten Gespräche berichten wollen. Der Tagesordnungspunkt entwickelte jedoch eine starke Eigendynamik. B. K. Tragelehn kam mit seinen Ausführungen über die Anhörungen von Rücker und Marquardt nicht weit. Eine mehr als chaotische Debatte entspann sich, deren Protokoll die beinahe verzweifelte Suche nach Orientierung und Wertmaßstäben in der Beurteilung vermeintlicher oder tatsächlicher Täterschaft deutlich hervortreten ließ. Genügte es, die Frage nach der IM-Mitarbeit mit Ja oder Nein zu beantworten? Welche Rolle spielten die Rahmenbedingungen? Sollte man die Erörterung individueller Lebensumstände zulassen? Waren erklärende Ausführungen Betroffener lediglich Versuche, die eigene Handlung ins Recht zu setzen? Genügte das einfache Schuldeingeständnis oder verhinderte ein solches nicht gerade die differenzierte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit? Was brachte die Diskussion öffentlich gemachter Anklagen hinter verschlossenen Türen?192 An die ausgeschlossene Öffentlichkeit drang von der im Grunde ergebnislosen Auseinandersetzung wenig. Irmtraud Gutschke, stete Beobachterin der deutschen P.E.N.-Zentren im Auftrag des Neuen Deutschland, deutete die Außensicht an: »Die Journalisten haben, während sie draußen warteten, immer mal wieder verbitterte, verstörte Leute aus dem Saal kommen sehen …«193 Eine Innensicht der Debatte zum Thema Staatssicherheit lieferte das P.E.N.-Mitglied Christoph Dieckmann in einem Artikel für Die Zeit. Das Bild, das Dieckmann von der Versammlung zeichnete, reduziert die Diskussion auf so gekonnte Weise, dass es wenigstens in Auszügen wiedergegeben werden soll: Tragelehn referierte Gespräche des Präsidiums mit Günther Rücker und Ex-ReclamVerleger Hans Marquardt, denen vorgeworfen wird, sie hätten durch Stasi-Kontakte Franz Fühmann behindert. Alles falsch! riefen die Beschuldigten und drängten vor ans Mikrophon, auf daß niemand deute, was gewesen, als sie selbst. Konvolute wurden ausgebreitet;ein Aquaplaning von Details schwemmte die schlichtenFragen der Moral beiseite. ›Das gibt’s doch nicht!‹ tobte Tragelehn. ›Ihr wollt immer noch recht haben!‹ Jürgen Rennert erklärte, er schäme sich für Marquardt und Rücker. ›Dieses Anleben gegen den schlechten Ruf! Das ist es doch, was unseren Westkollegen den Umgang mit uns so schwer macht.‹ Wolfgang Kohlhasse: ›Anschuldigungen gehen heute einen sehr kurzen Weg. Aber die Betroffenen sind mit ihrem ganzen Leben betroffen. Man kann nicht mal ein bißchen drüber reden, und dann ist wieder Schluß.‹ Christa Wolf: ›Es geht nicht, daß der PEN zu Vorwürfen schweigt, um jemanden zu schonen. Mit Schweigen schont man keinen, auch nicht mit ewigem Geseiere von beiden Seiten. […] Es muß konkret werden.‹
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Vgl. [Protokoll der] Jahrestagung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) am 9. Dezember 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Jahrestagung 9. 12. 1993 1–81, hier 21–50. Irmtraud Gutschke: Literatur, Moral – und Menschen. Jahrestagung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost). In: Neues Deutschland 289 (11./12. 12. 1993), S. 6.
Konkret wurde einstweilen befunden, Marquardt und Rücker hätten die sittlichen Gemarkungen des PEN gewahrt und dürften bleiben. Da hielt es Erich Köhler nicht auf seinem Platz. Er begehrte unverzüglich aufzuklären, ob er, Köhler, Klaus Schlesingers ›IM Heinrich‹ gewesen sei. Und orakelte vier Seiten lang im Stile des Hieronymus vom Walde. […] Köhler schloß, und man war dümmer als zuvor. […] Christoph Links: ›Erich Köhler, haben Sie die IM-Heinrich-Berichte über Klaus Schlesinger verfaßt oder nicht?‹ Köhler stellte anheim, Interessenten möchten doch ihre guten Kontakte zur Gauck-Behörde nutzen. Christoph Hein sprach das Schlußwort. ›Das heißt: Ich verweigere die Aussage.‹ Am Ende waren die PEN-Brüder und -Schwestern nicht minder deprimiert als der einsame alte Köhler. Man habe doch milde gefragt, fand Horst Drescher,nicht als Polizei und nicht als Ehrengericht. ›Aber kaum wird Klartext gesprochen, da ist hier eine Luft, als ginge es übers Minenfeld oder an den Galgen.‹194
Am Ende der turbulenten Mitgliederversammlung hatte das Plenum eher halbherzig als Ergebnis für die Öffentlichkeit formuliert, dass Marquardt und Rücker nach gegenwärtiger Einschätzung nicht gegen die Regeln des P.E.N. verstoßen hätten und Köhler die Aussage, ob er IM gewesen sei oder nicht, verweigert habe.195 Ein allgemeingültiger Lösungsansatz, wie mit künftigen Vorwürfen gegenüber P.E.N.-Mitgliedern im Zusammenhang mit der Staatssicherheit umzugehen sei, war nicht gefunden worden. Auch den Vertretern des westdeutschen P.E.N., die der Auseinandersetzung über die IM-Problematik beiwohnen durften, war deutlich geworden, »wie schwer das alles ist.«196 Immerhin aber bot der Ost-P.E.N., wie Dieckmann abschließend urteilte, »einen der wenigen Räume, wo Gläubige und Leidtragende der DDR sich noch beäugen und belauschen, ohne einander abzuschießen.«197 Für die eigene Existenz sandte das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) positive Signale. Schlenstedt wurde trotz seiner wiederholten Aufforderung, einen anderen Kandidaten zu finden,198 im Amt bestätigt, Tragelehn als Vizepräsident eingesetzt. Joochen Laabs übernahm das Amt des Generalsekretärs, Beate Morgenstern wurde Schatzmeisterin. Als weiteren Ehrenpräsidenten neben Ste194
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Christoph Dieckmann: Auf mit Gebrüll! Der totgeglaubte PEN hat sich bewegt. In: Die Zeit 51 (17. 12. 1993), S. 55. Erich Köhler gab seine »Geringverursachte Schutzred«, die er unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf der Jahrestagung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) am 9. 12. 1993 gehalten hatte, zur Veröffentlichung an die Münchener Kommunistische Arbeiterzeitung weiter. Vgl. Erich Köhler: Ich sehe IM-Tätigkeit anders. Geringverursachte Schutzred. In: Kommunistische Arbeiterzeitung 262 (20. 1. 1995). Verfügbar unter URL: http://www.erich-koehler-ddr.de/penausschluss(pen/Schutzred.htm [Zugriff: 3. 5. 2007]. Vgl. Irmtraud Gutschke: Literatur, Moral – und Menschen. Jahrestagung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost). In: Neues Deutschland 289 (11./12. 12. 1993), S. 6 und Christoph Dieckmann: Auf mit Gebrüll! Der totgeglaubte PEN hat sich bewegt. In: Die Zeit 51 (17. 12. 1993), S. 55. Christa Dericum: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [16. 2. 1994]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Christoph Dieckmann: Auf mit Gebrüll! Der totgeglaubte PEN hat sich bewegt. In: Die Zeit 51 (17. 12. 1993), S. 55. Vgl. [Protokoll der] Jahrestagung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) am 9. Dezember 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Jahrestagung 9. 12. 1993 1–81, hier 61f. 929
phan Hermlin wählte die Versammlung Stefan Heym. Im neu gewählten Beirat dominierten die Jungen. Werner Creutziger, Christoph Dieckmann, Michael P. Hamburger, Kerstin Hensel, Sebastian Kleinschmidt, Steffen Mensching, Thomas Reschke, Brigitte Struzyk und KD Wolff arbeiteten fortan gemeinsam für die Geschicke des ostdeutschen P.E.N.-Zentrums.199 Die Fortexistenz des OstP.E.N. stand damit, trotz Unsicherheiten in finanzieller Hinsicht, außer Frage. Gleichwohl wurde der Wunsch nach deutsch-deutscher Annäherung deutlich ausgesprochen.200 Man ging mit frischem Mut ins neue Jahr. Über die zum Teil sehr heftigen Reaktionen auf westlicher Seite, die die Anklagen gegen das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) neu aufleben ließen, soll gesondert berichtet werden. Im Verlauf des Jahres 1994 kam das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) in den Fragen um die IM-Tätigkeit einzelner Mitglieder aber nicht zu einer befriedigenden Lösung. Alte und neue Anklagen standen unbeantwortet im Raum. Zwar gab es Überlegungen, sich der Mitglieder mit Vergangenheit als Mitarbeiter der Staatssicherheit zu entledigen. Weiterhin herrschte jedoch Unentschlossenheit unter den Präsidiumsmitgliedern. Mit Erich Köhler hatte ein Gespräch stattgefunden, das sich erwartungsgemäß schwierig dargestellt und letztlich zu keinem greifbaren Ergebnis geführt hatte.201 Schließlich wurde die Bildung einer Ehrenkommission in Erwägung gezogen, der die letztgültige Klärung der Vorwürfe obliegen sollte. Es war offenbar geworden, dass die nötig gewordene Aufklärung einer geregelten und durchschaubaren Form bedurfte. In Vorbereitung der Mitgliederversammlung am 16. Dezember 1994 reichte Schlenstedt einen dementsprechenden Antrag ein. Die Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) beschloss daraufhin die Konstitution einer Ehrenkommission. Ihre Aufgabe sollte darin bestehen, den Fragen nachzugehen, »die sich auf das Verhältnis von einzelnen Mitgliedern zu den Prinzipien der Charta des Internationalen PEN und des Status des Zentrums beziehen.«202 Den Mitgliedern der Kommission, die von den Mitgliederversammlungen in offener Abstimmung gewählt werden sollten, oblag die Beratung der Mitglieder, der Mitgliederversammlungen und des Präsidiums bei der Entscheidungsfindung. Für die Aktivität und Arbeitsweise des Gremiums hatte Schlenstedt klare Vorstellungen entwickelt: Die Ehrenkommission – tritt nach begründetem Verlangen von Mitgliedern und/oder auf eigenen Beschluß in Aktion, 199
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Vgl. [Protokoll der] Jahrestagung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) am 9. Dezember 1993 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Jahrestagung 9. 12. 1993 1–81, hier 60–81. Vgl. [dpa]: Deutsche PEN-Zentren: »Einigung von unten«. In: Süddeutsche Zeitung 7 (11. 1. 1993), S. 11. Vgl. Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 12. 12. 1994 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1994/Beschlußprotokoll 1. Dieter Schlenstedt: Antrag zur Bildung einer Ehrenkommission [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1994/Anträge 2.
– strebt eine differenzierte Prüfung von Vorwürfen und Vorgängen an und erwirkt das Recht, dafür gegebenenfalls Akteneinsicht zu nehmen; – rät Betroffenen zu Konsequenzen und veröffentlicht nach angemessener Zeit im Kreis des Zentrums ihre Schlußfolgerungen, sofern denen keine Beachtung gegeben wird.203
Das Präsidium des West-P.E.N. sollte dazu eingeladen werden, ein Mitglied seines Zentrums als Gast zu den Beratungen der Kommission zu entsenden, um die Beratungen und Erkenntnisse der Kommission über den Rahmen des Zentrums hinaus einsehbar und nachvollziehbar zu halten. Durch die Einrichtung der Ehrenkommission hoffte das ostdeutsche Präsidium, die eigene Glaubwürdigkeit zu untermauern und die öffentliche Position des Ost-P.E.N. zu stärken. Auch das Vertrauensverhältnis unter den eigenen Mitgliedern sollte bewahrt und gefestigt werden.204 Im Februar 1995 konstituierte sich schließlich der Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost). Ihm gehörten Horst Drescher, Kerstin Hensel, Steffen Mensching, Thomas Reschke und der auf der Jahresversammlung 1995 als Ehrenmitglied kooptierte Pfarrer Martin Weskott an.205 Auf der ersten Sitzung war die Arbeitsordnung des Ehrenrats beschlossen worden: 1. Der Ehrenrat versteht sich als beratendes Gremium des Präsidiums und der Mitgliederversammlung ohne eigene Maßnahmebefugnisse. 2. Er begreift es als seine Aufgabe, gegen Mitglieder erhobene Vorwürfe betreffend Verstöße gegen das Statut und die Charta zu erörtern und zu klären. 3. Zu den Sitzungen des Ehrenrats können Mitglieder des PEN-Zentrums Bundesrepublik eingeladen werden. […] 4. Der Ehrenrat hat keinen Vorsitzenden, die 5 Mitgliedersind gleichberechtigteSprecher.206
Für die Untersuchung der Einzelfälle hatte der Ehrenrat einen Fragenkatalog erarbeitet, der nicht nur die historischen Fakten, sondern auch den Umgang der Betroffenen mit der eigenen Vergangenheit berücksichtigte: »Welcher Art war die Zusammenarbeit? Wann erfolgte sie? War der oder die Betreffende damals schon Mitglied des PEN? Wie lange dauerte die Zusammenarbeit? Wie endete sie? Wurden dadurch Literatur und/oder Literaten geschädigt? Und: Wie steht der- oder diejenige heute zu den Vorwürfen und der eigenen Geschichte?«207 Für 203
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207
Dieter Schlenstedt: Antrag zur Bildung einer Ehrenkommission [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1994/Anträge 2. Vgl. Dieter Schlenstedt: Antrag zur Bildung einer Ehrenkommission [o. D.]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1994/Anträge 2. Vgl. Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Abschlußbericht 1995–1997. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.– 4. 4. 1998/Abschlußbericht 1–7, hier 1. Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Abschlußbericht 1995–1997. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.– 4. 4. 1998/Abschlußbericht 1–7, hier 1. Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Abschlußbericht 1995–1997. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.– 4. 4. 1998/Abschlußbericht 1–7, hier 1. 931
die Meinungsbildung im Ehrenrat galt der Grundsatz, der schon auf der Mitgliederversammlung 1992 Konsens gefunden hatte: »Eine Tätigkeit im Umkreis des MfS, die dazu dienlich war, anderen zu schaden, die insbesondere Zensurmaßnahmen gegen einzelne Werke, zu Bespitzelungen, Maßregelungen, Publikationsverbot, Inhaftierung, Ausbürgerung von Schriftstellern führte, ist mit der Zugehörigkeit zum PEN nicht vereinbar.«208 Die Arbeit selbst lief nur schleppend an. Von den alten Fällen hatte sich bis März 1995 einer durch Austritt gelöst. Günther Rücker hatte sich mit Blick auf eine mögliche Vereinigung der deutschen P.E.N.-Zentren zurückgezogen.209 An den nach wie vor wenig kooperativen Köhler sollte nochmals ein Brief geschrieben werden, der seine Situation zusammenfassen sollte. In Aussicht genommen worden war auch die dezidierte Einsichtnahme in die Akten.210 Kaum hatte der Ehrenrat Bemühungen unternommen, sich in die schwebenden Verfahren einzuarbeiten, sah er sich mit einem neuerlichen Verdachtsfall von besonderer Brisanz konfrontiert. Der Focus hatte Ende April 1995 gemeldet, dass der langjährige Präsident des P.E.N.-Zentrums DDR, Heinz Kamnitzer, unter dem Decknamen »Georg« für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet und Informationen aus dem (inter)nationalen P.E.N. preisgegeben hatte.211 Ehrenrat und Präsidium reagierten auf diese Nachricht unverzüglich, um den kaum abwendbaren Schaden für das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) wenigstens so gering wie möglich zu halten. Man wandte sich an Kamnitzer mit der Bitte, baldmöglichst den Austritt aus dem P.E.N. zu erklären, sollten die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zutreffen. Andernfalls bitte man ihn zu einer Sitzung des Ehrenrates, um sich zu erklären. Kamnitzer wurde ein deutliches Ultimatum gestellt: »Da in der nächsten Woche mit Dokumenten belegte Enthüllungen zu Ihrer Tätigkeit in der Vergangenheit zu erwarten sind – und in diesem Zusammenhang auch erneute Angriffe auf unser PEN-Zentrum – bitten wir Sie umgehend […] um eine telefonische Vorinformation über Ihren Entschluß.«212 Kamnitzer reagierte rasch; er leugnete die Vorwürfe nicht ab, entzog sich der Auseinandersetzung mit den P.E.N.-Kollegen jedoch auf seine Weise: »Ich bin weder aus dem Pen-Zentrum DDR ausgetreten noch in ein deutsches Pen-Zentrum eingetreten. Deswegen ist jede Verfügung, Vorladung oder Entschliessung für jemand, der nicht Mitglied eines deutschen Pen-Zentrums ist 208
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211 212
932
Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Abschlußbericht 1995–1997. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.– 4. 4. 1998/Abschlußbericht 1–7, hier 1f. Günther Rücker an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [19. 12. 1994 (Eingang)]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz allgemein Oktober 1993 bis 31. 12. 1994/Rücker Günther 1. Vgl. Beschlußprotokoll zur Präsidiumssitzung am 20. 3. 1995 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Beschlußprotokoll 1–2, hier 2. [o. V.]: Stasi. Spitzel an der Spitze des PEN-Clubs. In: Focus 17 (1995), S. 14. Thomas Reschke an Heinz Kamnitzer [26. 4. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 5. 5. 1995/Heinz Kamnitzer 1.
und sein will, nicht statthaft und unrechtsmässig.«213 Tags darauf distanzierte sich das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) in aller Deutlichkeit von Kamnitzer. In einer Pressemitteilung verwies man auf Kamnitzers Stellungnahme und bezog unmissverständlich Position gegen Kamnitzer; er habe sich den Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit in der Zeit nach dem Mauerfall entzogen. Die »konspirative, mit den Grundsätzen des P.E.N. nicht zu vereinbarende Tätigkeit und damalige Versuche, den P.E.N. für die Zwecke des MfS und KGB zu instrumentalisieren«214 , verurteilte man entschieden. Mitte des Jahres 1995 schien die Vorgehensweise des Ehrenrates bei der Klärung der Verdachtsfälle noch immer nicht letztgültig geklärt. Das Präsidium drängte auf ein durchsichtiges Verfahren und rasche, eindeutige Festlegungen. Neue Verdächtigungen gegenüber Fritz Rudolf Fries und Waldtraut Lewin standen im Raum. Ungelöst war weiterhin der Fall Köhler.215 Thürk war inzwischen ausgetreten. Unklarheit herrschte über die Zugänglichkeit der in der BStUBehörde lagernden Akten. Ein Gespräch mit Joachim Walther, der im Rahmen seiner Forschungsarbeit zur Überwachung der Schriftsteller durch die Staatssicherheit beste Aktenkenntnis besaß, hatte keine weiterführenden Ergebnisse erbracht.216 Im Oktober 1995 bestand endlich Klarheit über die Möglichkeiten der Akteneinsicht. Die Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) konnten nicht auf Veranlassung durch das Präsidium einer Überprüfung unterzogen werden. Nur in Verbindung mit einem konkreten Forschungsauftrag, der wiederum an eine Publikation gekoppelt sein musste, konnte Einsichtnahme in das Material gewährt werden. Im Präsidium wurde beschlossen, diesen Weg in allen fraglichen Fällen zu beschreiten, unter der Voraussetzung, dass der Betroffene sein Einverständnis erklärt hatte.217 In der Folgezeit verquickte sich die noch immer stockende Arbeit des ostdeutschen Ehrenrates mehr und mehr mit den Versuchen der beiden P.E.N.Zentren, zu einer Vereinigung zu gelangen. Schließlich konstituierte sich 1996 ein gemeinsamer Ehrenrat zur Überprüfung jener Mitglieder, die sich wegen Verstoßes gegen die P.E.N.-Charta zu verantworten hatten. Dessen Arbeit kann jedoch nicht losgelöst von den Problemen bei der Wiedervereinigung der beiden deutschen Zentren, die von personellen Umbesetzungen und schwierigen Einigungs213
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217
Heinz Kamnitzer an Dieter Schlenstedt [27. 4. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 5. 5. 1995/Heinz Kamnitzer 2. Pressemitteilung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [28. 4. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 5. 5. 1995/ Heinz Kamnitzer 3. Vgl. Dieter Schlenstedt: Agenda nach der Vorstandssitzung am 14. 6. 1995 für Präsidiumssitzung am 25. 6. 1995 [20. 6. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 25. 6. 1995/Protokoll 1–5, hier 4. Vgl. B. K. Tragelehn an Ingrid Bachér [23. 5. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz mit PEN-Zentrum BRD ab 1995 bis 1996/Ingrid Bachér 5. Vgl. Beschlußprotokoll zur Präsidiumssitzung am 24. 10. 1995 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 24. 10. 1995/ Beschlußprotokoll 1 und 2, hier 1. 933
prozessen gekennzeichnet waren, betrachtet werden. Die Arbeitsergebnisse des Ehrenrates wurden insbesondere in der letzten Phase des Vereinigungsprozesses von den westlichen Verhandlungspartnern als Druckmittel instrumentalisiert. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle der Blick zunächst zurückgelenkt werden auf das Verhältnis der deutschen Zentren Ost und West, das in den Jahren 1993 bis 1998 zahlreichen Turbulenzen ausgesetzt war.
10.4
Auf dem langen Weg zur Einheit der deutschen P.E.N.-Zentren
10.4.1
Vorsichtige Annäherung
Am Ende des Jahres 1991 und im Frühjahr 1992 hatten die Positionen der beiden deutschen P.E.N.-Zentren zueinander festgestanden: Beide wollten eigenständig bleiben. Im West-P.E.N. sah man die Notwendigkeit einer baldigen Vereinigung nicht. Es sollte, auch auf längere Sicht, zwei P.E.N.-Zentren in Deutschland geben. Zwar stellte der im Oktober 1991 gewählte Präsident Gert Heidenreich eine größere Kooperation und möglicherweise auch eine Vereinigung in Aussicht. Vorausgegangen sein müsse aber die notwendige Selbsterforschung, die Selbstaufklärung innerhalb des ostdeutschen P.E.N.-Zentrums.218 Auch auf der Jahresversammlung des West-P.E.N., die vom 21. bis 23. Mai 1992 in München tagte, wurde die Ansicht bekräftigt, dass beide P.E.N.-Zentren getrennt bleiben sollten: »Man möchte hier wie dort erst einmal mit sich selbst zurechtkommen.«219 Erste gemeinsame Gespräche der beiden Präsidien waren im Oktober 1992 aufgenommen worden. Verständigen konnten sich die Teilnehmer über zwei Punkte: Zum einen sollte die Existenz zweier P.E.N.-Zentren in Deutschland nicht als Dauereinrichtung aufgefasst werden. Zum anderen sollte gelegentliche Kooperation in Aussicht genommen werden. Weitere Gespräche über »Wege der Vereinigung«220 sollten folgen. Gleichwohl machte das Präsidium des Ost-P.E.N. auf seiner Mitgliederversammlung im Januar 1993 deutlich, dass die Trennung nicht durch »Vereinigungshast mit unvermeidbaren Fehlern und Problemen im Schlepptau«221 überwunden werden sollte. Vielmehr sollte zur gegenseitigen Annäherung das »Doppelprinzip«, Gespräche zur Vereinigung einerseits und Kooperation in wichtigen Fragen andererseits, beibehalten werden. In Teilen 218
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221
934
Vgl. [ElisabethBauschmid und Albrecht Roeseler]: Auf der Stasi-Schienegegen die kritische Kultur. Gespräch mit dem PEN-Präsidenten Gert Heidenreich. In: Süddeutsche Zeitung 51 (2. 3. 1992), S. 27. Elisabeth Endres: Gemeinplätze und Erfahrungen. Der westdeutsche PEN tagte in München zum Thema »Das Eigene, das Fremde – die Nähe, die Ferne«. In: Süddeutsche Zeitung 120 (25. 5. 1992), S. 13. Dieter Schlenstedt an Gert Heidenreich[5. 10. 1993].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz mit PEN-Zentrum BRD/Dieter Schlenstedt 6, 6a–c, hier 6. Formulierung von Joochen Laabs. Zitiert nach [dpa]: Deutsche PEN-Zentren: »Einigung von unten«. In: Süddeutsche Zeitung 7 (11. 1. 1993), S. 11.
des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) sorgte die fortgesetzte westliche Kritik an einzelnen Mitgliedern wegen »Staatsnähe« für zunehmende Verärgerung. Anderen, etwa dem Verleger Christoph Links, ging die bisherige Beschäftigung mit der Vergangenheit nicht weit genug; er forderte entschieden eine »›neue Qualität kritischer Auseinandersetzung‹ mit der Vergangenheit unter Einschluß der ›leidigen Fragen nach Staatssicherheit und Staatsnähe‹«222 . Diese Ansicht wurde vor allem von den jüngeren Mitgliedern geteilt; sie zeigten eine »wachsende Ungeduld«223 hinsichtlich der Debatte zur Selbstaufklärung. So urteilte Brigitte Burmeister: Haltungen wie Selbstreflexion, Fehlereinsicht, Schuldgefühl, Bewußtsein vor (zumindest objektiver) Kompromittierung oder auch deren genaues Gegenteil mögen vorhanden sein, aber sie werden, ›unter uns‹, weder ausgesprochen, noch wird nach ihnen gefragt. Als wäre gerade diese elementare Komponente von Selbstaufklärung/Selbstbestimmung tabu. Sollte es so sein bzw. so bleiben, haben wir die Chance vertan, die unsere relative Selbständigkeit uns noch bietet: nicht unter dem Druck von Personen, Medien, finanziellen oder sonstigen Notlagen, Maßnahmen zu ergreifen bzw. zu erdulden, sondern von uns aus Klärungen zu erreichen.224
Die interne Diskussion, wie mit der umstrittenen Vergangenheit einzelner Mitglieder umzugehen sei, wurde im Präsidium des Ost-P.E.N. im Verlauf des Jahres 1993 unvermindert fortgesetzt. Die Annäherung der deutschen P.E.N.-Zentren indes stagnierte. Im August 1993 analysierte Schlenstedt in einem Schreiben an das Ost-Präsidium zutreffend die Befindlichkeiten der Mitglieder auf beiden Seiten: (1) Es gibt im West-PEN eine lautstarke Gruppe […], die auf strikte Abgrenzung hinaus will, die Selbstauflösung des Ost-PEN fordert und nur den Weg der individuellen, vom PEN-West zu entscheidenden Übernahme kennt […]. (2) Die liberale Gruppe im West-PEN (seine Mehrheit?) hat eine andere Haltung. Doch läßt sich vermuten: Diese Gruppe will weder eine Vereinigung mit dem PEN-Ost im jetzigen Zustand […] noch die Auflösung des PEN-Ost. Im ersten Fall stünden sie unter der Kritik derer, die auf Abgrenzung bestehen […]. Im zweiten Fall müßten sie die Entscheidungen über die PEN-Zuträglichkeit von Personen treffen, d. h. de facto Ausschlüsse vornehmen. Also spielt man auf Zeit – vielleicht, weil man mit einer allmählichen Abflachung der Probleme rechnet, und sicher, weil man erwartet, daß die Arbeit des ›Ordnens der Reihen‹ (W[alter] Jens) von den in ›Tribunalen‹ erfahrenen Ostmenschen erledigt wird. Unsere bisherige Meinung, wir wollten keine Ausschlußverfahren, stört aus diesem Grunde […]. (3) Es gibt in unserem PEN eine Gruppe, die meint, man soll gar nicht an eine Zusammenführung denken – die Gründe dafür sind m. E. historischer und aktueller Art […]. (4) Andere sehen die Notwendigkeit des Zusammengehens, aber es gibt unterschiedliche Vorstellungen über den zeitlichen Ablauf und die Gründe. […] Ich vermute […] die Existenz einer Gruppe, die zur Auflösung unseres PEN oder auch zum indi222
223
224
[dpa]: Deutsche PEN-Zentren: »Einigung von unten«. In: Süddeutsche Zeitung 7 (11. 1. 1993), S. 11. Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 17. 2. 1993 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/ Beschlußprotokoll Präsidiumssitzung 17. 2. 1993 1–4, hier 2. Brigitte Burmeister an Joochen Laabs [24. 1. 1993]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz allgemein Januar 1991 bis September 1993/B/Burmeister 1a. 935
viduellen Austritt bereit sein wird, wenn die Schwierigkeiten wachsen und wenn uns allen die Art unserer Diskussionen zum Hals heraushängt […].225
Zu einer letztgültigen Schlussfolgerung, wie nun weiter vorzugehen sei, gelangten weder Schlenstedt noch das Präsidium. Anfang Oktober 1993 nahm Schlenstedt den Kontakt mit Heidenreich wieder auf, um an die ein Jahr zurückliegenden gemeinsamen Gespräche zu erinnern und deren Fortsetzung anzuregen. Heidenreich signalisierte grundsätzliche Zustimmung. Er stehe »nach wie vor zu [de]r Lesart, daß die beiden Zentren keine Einrichtung auf Dauer sein sollten – freilich [trete] immer deutlicher zutage […], daß der Weg der Annäherung nicht von oben, vom Präsidium her angelegt sein kann.«226 Zwischen Mitgliedern und dem Präsidium träten, in beiden Zentren, unterschiedliche Meinungen zutage: »Konsens läßt sich derzeit nicht finden, verordnen kann und will ihn niemand«227 . Ein weiteres Treffen der Präsidien erschien Heidenreich zur Klärung der gegenseitigen Vorbehalte nicht erfolgversprechend; er lud die Ost-Kollegen herzlich zur Jahresversammlung des westdeutschen P.E.N. im Mai 1994 ein. Geplant war ein »umfängliches Symposium«, »auf dem Autoren und Autorinnen aus dem deutschen Sprachraum und aus anderen Sprachräumen ihre Erfahrungen über Bedingungen austauschen, unter denen sich ihr Schreiben vollzog und vollzieht.«228 Zielpunkt sei es, »ein Gespräch in Gang zu bringen«: »Wo bisher die Äußerungen über andere im Vordergrund standen, sollen hier alle Beteiligten ausschließlich über sich selbst sprechen. Ich wünsche mir, daß daraus größere Kenntnis voneinander und vielleicht Verständnis erwachsen kann.«229 Unter dem gewichtigen Thema Sprache ist niemals unschuldig – Schreiben in gewalttätiger Zeit trafen schließlich die Mitglieder des West-P.E.N. in Düsseldorf zu ihrer Jahresversammlung 1994 zusammen. Die Wiedervereinigung der beiden Zentren stand dort nicht zur Debatte, kam lediglich am Rande zur Sprache.230 Das Präsidium kündigte ein Arbeitspapier zum Verhältnis beider P.E.N.-Zentren zueinander und zur Frage einer möglichen Vereinigung und eventueller Alterna225
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936
Dieter Schlenstedt an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums (Ost) [19. 8. 1993]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Dieter Schlenstedt/An die Mitglieder des Präsidiums 1–9, hier 5f. Gert Heidenreich an Dieter Schlenstedt [26. 10. 1996]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Gert Heidenreich 1 und 1a, hier 1. Gert Heidenreich an Dieter Schlenstedt [26. 10. 1996]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Gert Heidenreich 1 und 1a, hier 1. Gert Heidenreich an Dieter Schlenstedt [26. 10. 1996]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Gert Heidenreich 1 und 1a, hier 1. Gert Heidenreich an Dieter Schlenstedt [26. 10. 1996]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1993/Gert Heidenreich 1 und 1a, hier 1. Vgl. Eva Pfister: Geistige Blauhelme? In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 42 (27. 5. 1994), S. 5f.; Bernd Herbon: Der »Skinhead in uns«. PEN-Tagung in Düsseldorf. In: Darmstädter Echo vom 24. 5. 1994; Christof Siemes: Falsche Bescheidenheit. Die deutschen PEN-Mitglieder suchen nach ihrem Selbstverständnis. In: Die Zeit vom 27. 5. 1004.
tiven an.231 Am 12. November 1994 verabschiedete das westdeutsche Präsidium in einer internen Sitzung schließlich das Arbeitspapier zur Vereinigung des PEN Bundesrepublik Deutschland (West) und des Deutschen PEN-Zentrums (Ost). In der Zwischenzeit hatten keinerlei Verhandlungen zwischen den Präsidien beider P.E.N.-Zentren stattgefunden.232 Die Bereitschaft, gemeinsame Gespräche anzustreben, war jedoch vorhanden. 10.4.2
Versuch einer strikten Abgrenzungspolitik
Ende 1994, Anfang 1995 aber brach, maßgeblich von den Mitgliedern des WestP.E.N. getragen, eine erbitterte Diskussion um die Zukunft der beiden deutschen P.E.N.-Zentren los. Das Arbeitspapier zur Vereinigung verschwand, ohne zur Kenntnis der Mitglieder gelangt zu sein, in der Versenkung. Für den lauten öffentlichen Aufschrei gab es zwei auslösende Faktoren: Zum einen hatten die Medien über die Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) (Dezember 1994) und die Teilnahme von Gert Heidenreich in einer Weise berichtet, die bei vielen den Eindruck hinterließ, dass eine baldige Vereinigung der beiden Zentren bereits beschlossene Sache sei. Tatsächlich hatte die Mitgliederversammlung des Ost-P.E.N. seinem neu gewählten Präsidium den Auftrag erteilt, für die Bildung eines gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrums tätig zu werden und unter diesem Ziel Verhandlungen mit dem West-P.E.N. anzustreben.233 In einer Gastrede vor der Mitglieder-Versammlung des P.E.N.-Ost hatte Heidenreich erklärt, dass Gespräche durchaus wünschenswert seien. Für den Fall ihres Zustandekommens waren von Heidenreich aber zugleich die Probleme benannt worden: Ein vereinterP.E.N. sollte nicht durch Mitgliederbelastet werden,die den Forderungen dieser Charta massiv zuwiderhandeln oder zuwidergehandelt haben und dies nach wie vor für gerechtfertigt halten. Wer Zensur und die Unterdrückung des freien Wortes zur Beförderung vermeintlich höherer Ziele für wünschenswert hält, kann schon aus Gründen der Logik nicht Teilnehmer eines Projektes sein, das den Kampf gegen Zensur und Unterdrückung zum Ziel hat.234
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Vgl. Christa Dericum: Bericht der Generalsekretärin zur Jahrestagung 1993/94 in Düsseldorf [20. 5. 1994], S. 6. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Christa Dericum: Bericht für die Mitgliederversammlung 1995. Anlage zu Ingrid Bachér und Manfred Schlösser: Rundbrief an alle Mitglieder und Freunde des P.E.N.Zentrums Deutschland [27. 7. 1995]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. Antrag zur Vorbereitung eines Deutschen P.E.N.-Zentrums [o. D., angenommen auf der Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) am 16. 12. 1994]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1991 bis 1994/1994/ Anträge 3. Zitiert nach Gert Heidenreich: Bericht vor der Mitgliederversammlung des P.E.N. in Mainz 1995. Anlage zu Ingrid Bachér und Manfred Schlösser: Rundbrief an die Mitglieder und Freunde des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [27. 7. 1995]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. 937
Zum anderen hatte Heidenreich in einem Rundbrief an die Mitglieder des P.E.N.Zentrums Bundesrepublik Deutschland vom Dezember 1994 versucht, eine Klärung der Position gegenüber einer Vereinigung auch auf westlicher Seite behutsam anzustoßen. Vor konkreten Verhandlungen mit dem Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) sei es unerlässlich, so Heidenreich, sich innerhalb des eigenen Zentrums eindeutig über die Voraussetzungen zu einigen.235 Die Entscheidung über eine Vereinigung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren legte das Präsidium damit in die Verantwortung der Mitglieder. Das westdeutsche Präsidium hatte im Vorfeld keineswegs die Vereinigung beschlossen, sondern lediglich geplant, auf der Mitgliederversammlung des Jahres 1995 »eine demokratische Entscheidung über die Frage: ›Gespräche ja oder nein?‹ herbeizuführen.«236 In der medialen Öffentlichkeit wurde indes die »Schimäre von einer bevorstehenden und geheim bereits eingeleiteten P.E.N.-Vereinigung«237 genährt und von heftigen Pressegefechten begleitet. Die zahlreichen Reaktionen von West-Mitgliedern, die zum Großteil in offenen Briefen mitgeteilt wurden, demonstrierten eine veränderte Argumentation der Vereinigungsgegner. Es ging ihnen nicht länger um einzelne Problemfälle in der Mitgliedschaft des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost). Vielmehr sprachen sie dem Ost-P.E.N., als direkter Nachfolgeorganisation des DDR-P.E.N., generell die Legitimität ab. Einzig gangbarer Weg sei die Selbstauflösung der ostdeutschen Sektion. Begleitet wurden die harschen Anklagen gegen das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) von den obligatorischen Austrittsdrohungen, sollte es zu einer Vereinigung der beiden Zentren kommen.238 Als Wortführer der Vereinigungsgegner traten insbesondere jene ehemaligen DDR-Autoren hervor, die schon Ende der siebziger Jahre aus der DDR ausgereist waren und Aufnahme im westdeutschen P.E.N. gefunden hatten. Die Anklage wurde klar und deutlich erhoben: Der DDR-P.E.N. sei eine abhängige und gesteuerte Institution, ein kulturpolitisches Instrument des Unrechtsstaates DDR gewesen, das sich niemals für die inhaftierten, verbotenen, zensurierten oder vertriebenen Schriftsteller des eigenen Landes eingesetzt und die Prinzipien des Internationalen P.E.N. permanent missachtet habe. Die personellen und strukturellen Veränderungen, die im Deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost) vorgenommen worden waren, wurden von ihnen nicht anerkannt: »Die kleinen vorgenommenen Retuschen lassen den ehemaligen DDR-P.E.N. nicht verändert 235
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Vgl. Gert Heidenreich an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [Dezember 1994]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Gert Heidenreich: Bericht vor der Mitgliederversammlung des P.E.N. in Mainz 1995. Anlage zu Ingrid Bachér und Manfred Schlösser: Rundbrief an die Mitglieder und Freunde des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [27. 7. 1995]. P.E.N.Archiv Darmstadt. Gert Heidenreich: Bericht vor der Mitgliederversammlung des P.E.N. in Mainz 1995. Anlage zu Ingrid Bachér und Manfred Schlösser: Rundbrief an die Mitglieder und Freunde des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [27. 7. 1995]. P.E.N.Archiv Darmstadt. Vgl. PEN-Stimmen. In: europäische ideen 94 (1995), S. 37–71.
erscheinen. Ein paar Figuren sind unter den Tisch gefallen, ein paar neue neben vorhandene nahezu unbescholtene eingebaut worden – es ist das gleiche Scheißspiel geblieben«239 . Massive Kritik kam von Günter Kunert; er wischte die Versuche zur Klärung der Vergangenheit, wie etwa die Einrichtung eines Ehrenrates, mit einem Satz vom Tisch: »Ach, man weiß, die Funktion von derlei hauptsächlich auf dem Papier existierenden Gremien gleicht der eines Rangierbahnhofs, um alles Wesentliche auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben.«240 Von den Tätern sei kein ehrliches Bekenntnis zu erwarten. Gedeckt durch die Unbelasteten würde es den Schuldigen im Falle einer Vereinigung gelingen, »unter die West-Pen-Fittiche zu schlüpfen und somit aller ehemaligen Sünden los und ledig zu sein.«241 Die Leidtragenden stünden schon fest: »Es werden erneut die Störenfriede, die Nestbeschmutzer, die Meckerer und Klassenfeinde den Club verlassen, um nicht mit den kaum wend- und wandelbaren Spitzeln, Denunzianten und Halunken von gestern an einem Tisch sitzen zu müssen.«242 Wie allerdings aus Kunerts Sicht eine akzeptable Behandlung der Geschichte aussehen sollte, beantwortete sein von Anwürfen nach allen Seiten gespicktes Schreiben nicht. Eines sprach aus allen Briefen deutlich: die Ignoranz der zweifellos vorhandenen, wenngleich nicht von spektakulären Urteilen gekennzeichneten Versuche der ostdeutschen P.E.N.-Sektion, die eigene Geschichte mindestens in Teilen zu beleuchten, zu bewerten. Gewiss entsprach die unbestritten zaghafte Aufarbeitung der Vorwürfe gegen einzelne Mitglieder keineswegs den kategorischen Forderungen der einstigen Opfer nach konsequenter Verurteilung der Beschuldigten. Hass und Rachegefühle gegenüber den Mitverantwortlichen, die geistigen Verwundungen der einst Verfolgten waren und sind nachvollziehbar. Offen aber blieb die Frage, was die geschlagenen Wunden heilen konnte. Auch die vorgeschlagene Variante der Selbstauflösung und nachfolgenden Antragstellung der einzelnen Mitglieder an den West-P.E.N. barg im Grunde nicht die Lösung der Probleme. Wer sollte sich zum moralischen Richter über die ostdeutschen Kollegen erheben? Was sollte das Maß sein? Im Präsidium des Ost-P.E.N. zeigte man sich bestürzt über die veränderte Qualität der Diskussion. Wie war den harschen Vorwürfen zu begegnen? Schlenstedt drängte auf einen Grundkonsens: »Der Ost-PEN war ein PEN-Club in einer Diktatur und nicht Werkzeug der Diktatur.«243 Man war bereit, öffentlich 239
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241
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243
Sarah Kirsch [9. 1. 1995]. Zitiert nach PEN-Stimmen. In: europäische ideen 94 (1995), S. 41f., hier S. 42. Vgl. auch Hans Joachim Schädlich. Abgedruckt in: PEN-Stimmen. In: europäische ideen 94 (1995), S. 40f. Günter Kunert. In: Die Welt vom 17. 1. 1995. Zitiert nach PEN-Stimmen. In: europäische ideen 94 (1995), S. 43f., hier S. 43. Günter Kunert. In: Die Welt vom 17. 1. 1995. Zitiert nach PEN-Stimmen. In: europäische ideen 94 (1995), S. 43f., hier S. 43. Günter Kunert. In: Die Welt vom 17. 1. 1995. Zitiert nach PEN-Stimmen. In: europäische ideen 94 (1995), S. 43f., hier S. 44. Wortbeitrag von Dieter Schlenstedt. In: Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 30. 1. 1995 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 939
einzugestehen, dass die Charta nicht immer eingehalten wurde. Die Daseinsberechtigung aber wollte man sich nicht absprechen lassen.244 Abzuwarten blieb die Jahrestagung des westdeutschen P.E.N.-Zentrums, die für den Mai 1995 angesetzt worden war. Hier sollte Klarheit über die Position des West-P.E.N. gewonnen werden. Noch im Februar 1995 zeichnete sich ab, dass der westdeutsche Präsident Gert Heidenreich mit Blick auf die Fülle der zum Teil auch gegen seine Person und das Präsidium gerichteten öffentlichen Stellungnahmen und Berichte nicht bereit war, ein weiteres Mal die Führung des West-P.E.N. zu übernehmen. Zuletzt hatte Reiner Kunze schwer wiegende Vorwürfe gegen Heidenreich erhoben und war aus dem P.E.N. ausgetreten.245 Entschlossen vermeldete Heidenreich seinen Rückzug: Mit einigen […] Äußerungen wurde, teilweise durch wahrheitswidrige und entstellende Behauptungen über meine Absichten und über die Vorschläge des P.E.N.-Präsidiums, eine schwer erträgliche Polemik und Polarisierung erzeugt. […] Mit d[ ]er Entscheidung, [nicht mehr zu kandidieren], hoffe ich zu einer besonnenen und von gegenseitiger Achtung getragenen Diskussion im P.E.N. beizutragen. Versachlichung und Beruhigung dieser Debatte scheinen mir dringend nötig zu sein.246
Deutliche Kritik am Stil der öffentlich geführten P.E.N.-Debatte kam auch von anderen Mitgliedern des westdeutschen Zentrums. Klaus Staeck empfand den »Alleinvertretungsanspruch eines ruhelosen Moral-Komitees aus eigener Gnade mit höchstrichterlicher Diskurshoheit«247 als unerträglich. Besonders erschreckend sei die »anschwellende moralische Rigorosität [d]er ehemaligen DDRBürger unter den Anklägern«248 . Im gegenwärtig herrschenden Klima von Denunziation und Verdächtigung sei eine ernsthafte Auseinandersetzung kaum noch möglich.249 Die Kluft im Inneren des West-P.E.N. hatte sich breit aufgetan.
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1998/Präsidiumssitzung 30. 1. 1995/Beschlußprotokoll 1–4, hier 2. Vgl. auch die Stellungnahme von Generalsekretär Joochen Laabs. Abgedruckt unter dem Titel Wie bei den Kaninchenzüchtern? Zwei Stellungnahmen zu den Vereinigungsquerelen in den deutschen PEN-Clubs. In: Süddeutsche Zeitung 46 (24. 2. 1995), S. 13. Vgl. Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 30. 1. 1995 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 30. 1. 1995/ Beschlußprotokoll 1–4, hier 2. Vgl. Der Streit um den PEN. Eine Erklärung von Reiner Kunze. In: Süddeutsche Zeitung 44 (22. 2. 1995), S. 13. Der Streit um den PEN. Eine Erklärung von Gert Heidenreich. In: Süddeutsche Zeitung 44 (22. 2. 1995), S. 13. Zitiert nach Wie bei den Kaninchenzüchtern? Zwei Stellungnahmen zu den Vereinigungsquerelen in den deutschen PEN-Clubs. In: Süddeutsche Zeitung 46 (24. 2. 1995), S. 13. Zitiert nach Wie bei den Kaninchenzüchtern? Zwei Stellungnahmen zu den Vereinigungsquerelen in den deutschen PEN-Clubs. In: Süddeutsche Zeitung 46 (24. 2. 1995), S. 13. Zitiert nach Wie bei den Kaninchenzüchtern? Zwei Stellungnahmen zu den Vereinigungsquerelen in den deutschen PEN-Clubs. In: Süddeutsche Zeitung 46 (24. 2. 1995), S. 13.
Indessen hatte sich auch der Internationale P.E.N. zu Wort gemeldet, mit der eindringlichen Aufforderung, trotz aller Konflikte zu einer Einigung zu finden und »der neuen Realität ins Auge zu blicken«250 . Gründungsprinzip des P.E.N. sei es gewesen, »den Weg zu Frieden und Versöhnung zu weisen. Wir bitten die deutschen Schriftsteller dringend, auf dieses Ideal hinzuarbeiten.«251 Doch schon die Vorbereitung der westdeutschen Mitgliederversammlung, die zu einer Verständigung hätte beitragen können, verlief nicht in allen Teilen glücklich. Im Präsidium des Ost-P.E.N. zeigte man sich enttäuscht, dass von östlicher Seite niemand offiziell als Diskussionspartner zur geplanten Thematik Die geteilte Erinnerung geladen worden war. Zunächst wurde jedoch die Teilnahme einer kleinen Delegation in Aussicht genommen.252 Vom OstP.E.N. war zudem eine Art »Hearing« am Rande der Tagung angedacht worden, bei dem die ostdeutschen Autoren ihren westdeutschen Kollegen Rede und Antwort zur Vergangenheit ihres Zentrums stehen wollten.253 Offenbar war es aber nicht gelungen, diesen Vorschlag nachdrücklich genug an das westdeutsche P.E.N.-Präsidium heranzutragen. Dort hatte man den Vorschlag nicht in seiner Ernsthaftigkeit erfasst, sondern bloß als einen beiläufigen Gedanken wahrgenommen.254 Anfang Mai entschloss sich das Präsidium des Deutschen P.E.N.Zentrums (Ost), keine Vertreter nach Mainz zu entsenden und lediglich ein Grußschreiben zu verfassen.255 In diesem wurden die Motive für den Rückzug des Ost-P.E.N. deutlich. Zwar demonstrierte das Präsidium weiterhin entschieden den Willen, langfristig für die Bildung eines P.E.N.-Zentrums in Deutschland und die Fortsetzung des deutsch-deutschen Dialogs zu wirken. Mit Blick auf die jüngsten internen Auseinandersetzungen im P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland schien es den ostdeutschen Präsidiumsmitgliedern jedoch angezeigt, die notwendige Selbstverständigung nicht durch eine als Provokation aufzufassende Anwesenheit ostdeutscher Delegierter zu behindern: »Wir möch250
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[dpa]: Internationaler PEN ruft zur Vereinigung auf. In: Süddeutsche Zeitung 43 (21. 2. 1995), S. 11. [dpa]: Internationaler PEN ruft zur Vereinigung auf. In: Süddeutsche Zeitung 43 (21. 2. 1995), S. 11. Vgl. Beschlussprotokoll zur Präsidiumssitzung am 20. 3. 1995 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 20. 3. 1991 1–2, hier 1. Vgl. Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 30. 1. 1995 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 30. 1. 1995/ Beschlußprotokoll 1–4, hier 3. Christa Dericum: Bericht für die Mitgliederversammlung 1995. Anlage zu Ingrid Bachér und Manfred Schlösser: Rundbrief an alle Mitglieder und Freunde des P.E.N.Zentrums Deutschland [27. 7. 1995]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Vgl. auch Richtigstellung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [10. 5. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz mit PEN-Zentrum BRD ab 1995 bis 1996/Vorstand des Deutschen PEN-Zentrums (Ost) 1. Vgl. Beschlussprotokoll zur Präsidiumssitzung am 5. 5. 1995 [9. 5. 1995; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 5. 5. 1991 1–2, hier 2. 941
ten zu der Beruhigung und Versachlichung beitragen, die im Interesse einer geistigen Kultur dringend geboten ist. Ohne sie werden Schriftsteller ihre Glaubwürdigkeit verlieren.«256 Dass die Entscheidung zur Nichtteilnahme von den Kritikern als mangelnde Courage ausgedeutet werden würde, war abzusehen. Für ausreichenden Zündstoff auf der Tagung war ohnehin gesorgt. Zwar hatte das Präsidium unter Heidenreich bereits im Februar 1995 den Antrag an die Mitgliederversammlung, über potentielle Verhandlungen zur Fusion von Ost- und West-P.E.N. abzustimmen, unter dem Druck der öffentlichen Diskussion fallen gelassen.257 Im Vorfeld der Mitgliederversammlung waren jedoch zahlreiche Anträge eingegangen, die das Verhältnis zwischen den beiden deutschen P.E.N.-Zentren betrafen. Gefordert wurde u. a. die Aussetzung der seit der politischen Wiedervereinigung schwelenden Debatte: »Es gibt keinen zwingenden Grund, vorschnell Brüche zuzudecken. Auch könnten sie fruchtbar sein. […] Wir wollen uns Zeit lassen, Entwicklungen abzuwarten.«258 Einen ähnlichen Antrag hatte Walter Neumann unter dem Eindruck der heftigen Debatte zu Beginn des Jahres 1995 schon am 12. Februar an das Präsidium gerichtet; er fürchtete nicht nur Spaltung und Austritte, sondern einen irreparablen Schaden für das öffentliche Ansehen des P.E.N.: »Jede weitere Beschädigung des ohnehin ramponierten Bildes, das unser Club in der Öffentlichkeit abgibt, muß daher unter allen Umständen vermieden werden. Sie wird vermieden, wenn wir der Öffentlichkeit nicht das Schauspiel einer Selbstzerfleischung bieten, die das einzige Ergebnis einer unter derzeitigen Prämissen völlig aussichtlosen Diskussion sein kann.«259 Uwe Wesel hingegen forderte, eine Vereinigung der beiden P.E.N.-Zentren durch Verhandlungen vorzubereiten.260 Ein weiterer Antrag, den die amtierenden Präsidiumsmitglieder mit Ausnahme von Bernd Jentzsch und Friedrich C. Delius eingereicht hatten, plädierte für die Verständigung zwischen Ost und West auf der Ebene der Mitglieder. Dem neu zu wählenden Präsidium sollte demnach der Auftrag erteilt werden, »gemeinsame Veranstaltun-
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Dieter Schlenstedt und Joochen Laabs: Gruß an die Jahrestagung ’95 des PENZentrums Bundesrepublik Deutschland [10. 5. 1995]. Anlage zum Rundbrief an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [27. 7. 1995]. P.E.N.Archiv Darmstadt. [Roland Mischke]: »Es gibt keinen Dialog«. Nach den Ost-West-Vereinigungsquerelen: PEN-Präsident Gert Heidenreich gibt auf. In: Die Woche vom 24. 2. 1995, S. 41. Ingrid Bachér, P. O. Chotjewitz, Walter Neumann et al.: Antrag zur Jahresversammlung des P.E.N. Zentrums BRD am 19./20. Mai 1995 [o. D.]. Anlage zum Rundbrief an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [27. 7. 1995]. P.E.N.Archiv Darmstadt. Walter Neumann an das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland [12. 2. 1995]. Anlage zum Rundbrief an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [27. 7. 1995]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Unterzeichnet worden war der Antrag von Peter Härtling, Hermann Kinder, Jürgen P. Wallmann, Jochen Kelter, Eckart Kleßmann und Josef Reding. Uwe Wesel: Antrag [o. D.]. Anlage zum Rundbrief an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [27. 7. 1995]. P.E.N.-Archiv Darmstadt.
gen zu initiieren, um über Übereinstimmungen und Differenzen miteinander zu reden.«261 Diese positive Grundeinstellung gegenüber den ostdeutschen Kollegen, die Bereitschaft zum gemeinsamen Gespräch über die schwierige Vergangenheit demonstrierte, vertrat der scheidende Präsident Gert Heidenreich auch in seiner Abschiedsrede vor dem Plenum der Mainzer Mitgliederversammlung; er zeigte sich enttäuscht, dass eine grundsätzliche Diskussion über die Aufnahme von Gesprächen verhindert worden war. Für das Problem sah er indes nur eine Lösungsmöglichkeit – das offene Gespräch: »Ich halte vom Aussitzen, vom Stillhalten, Abwarten genauso wenig wie vom Verdrängen. Ich glaube auch nicht, daß es redlich ist, das heutige deutsche P.E.N.-Zentrum in Bausch und Bogen mit dem DDR-P.E.N. oder gar dem Zensursystem der DDR gleichzusetzen. […] Was mir sinnvoll zu sein scheint, ist eine kritische, den historischen Belegen verpflichtete Diskussion, deren Kriterien unsere Charta vorgibt.«262 Heidenreichs Mahnung verhallte ungehört. Die Argumente der in Mainz geführten Debatte über eine potentielle Vereinigung oder auch nur Annäherung an das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) waren vielfältig: Es gibt Anträge, Reden und Abstimmungen. Die Mikrophone piepen und rauschen. Der Kongreß tanzt. Hans Joachim Schädlich sagt, der Ost-PEN soll sich ein Ende machen. Walter Neumann will das Thema lieber nicht verhandeln. Hilde Domin will beide Zentren auflösen. Yaak Karsunke findet, der Ost-PEN muß zunächst mit seinem Laden aufräumen. Arnfrid Astel gibt zu bedenken, daß weiße Westen im Westen schon immer günstiger zu haben waren. Lea Rosh findet das unerhört. Klaus Staeck glaubt, daß, wer sich fünf Jahre nicht entscheiden kann, sich nie verlobt. Ingrid Bachér sagt, es geht nicht. F. C. Delius hält den Ost-PEN nicht für vereinigungsreif. Uwe Wesel will mit dem Ost-PEN in Verhandlungen treten. […] Harry Pross will kein Siegerverhalten weiterführen. Friedrich Schorlemmer hat die schmerzliche Einsicht in die Realität der fortgesetzten Spaltung. Johano Strasser will sich auf kein hohes Roß setzen. Rüdiger Safranski geht es um den Charme der PEN-Prinzipien, nicht um einzelne Mitglieder. Hildegard Hamm-Brücher erinnert daran, daß ein bißchen Unter-den-TeppichKehren zur Politik gehört. Gerhard Zwerenz wünscht sich die Einheit der Gegensätzlichkeiten. So geht das hin, so geht das her. Wo das hingeht, weiß man nicht.263
Schließlich nahmen die in Mainz anwesenden Mitglieder mehrheitlich einen Initiativ-Antrag von Yaak Karsunke an, der das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) in aller Deutlichkeit als Rechtsnachfolger des DDR-P.E.N. apostrophierte, des261
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Fritz Deppert, Christa Dericum, Margarete Hannsmann, Gert Heidenreich, Walter Hinck, Hans Georg Noack, Adalbert Podlech, Michel Raus, Gerhard Schoenberner, Carola Stern und Elsbeth Wolffheim: Antrag [o. D.]. Anlage zum Rundbrief an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [27. 7. 1995]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Gert Heidenreich: Bericht vor der Mitgliederversammlung des P.E.N. in Mainz 1995. Anlage zum Rundbrief an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [27. 7. 1995]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Iris Radisch: Wieviel Moral braucht der Mensch? PEN-Tagung in Mainz. Kämpfe, Debatten, Wahlen, Erinnerungen. Das Präsidium hat sich erneuert. Die Vereinigung der beiden PEN-Zentren wurde vertagt. In: Die Zeit vom 16. 5. 1995. 943
sen aktive Verstöße gegen die Charta des Internationalen P.E.N. herausstellte und in der Konsequenz von einer baldigen Vereinigung absah: Da das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) sich weigert, […] der Internationalen Charta in den eigenen Reihen Respekt und Geltung zu verschaffen, muß seine Bereitschaft, sich ernsthaft auch den dunklen Seiten seiner Vergangenheit zu stellen, zweifelhaft bleiben. So lange sich das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) nicht unzweideutig und konsequent von der Staatsverstrickung des DDR-Zentrums […] distanziert,kann es keine Gemeinsamkeit geben.264
Alle übrigen Anträge, die eine gewisse Gesprächsbereitschaft signalisiert hatten, waren bereits im Vorfeld aufgrund der allgemeinen Stimmungslage zurückgezogen worden. Die Reaktion des verständigungsbereiten Präsidiums war abzusehen; es stellte sich nicht zur Wiederwahl. Ingrid Bachér wurde neue Präsidentin, Manfred Schlösser übernahm das Amt des Generalsekretärs. Dem neuen Präsidium gehörten Eva Demski, Ralph Giordano, Wolfgang Hegewald, Urs Jaeggi, Lea Rosh, Said, Johano Strasser und Joachim Walther an.265 Die entscheidenden Fragen aber waren weiterhin offen geblieben. Wie sollte mit der Vergangenheit der Schriftsteller in einer Diktatur umgegangen werden? War deren Klärung allein Sache der ostdeutschen Autoren? Auf welche Weise sollte den Opfern des SED-Regimes Gerechtigkeit zuteil werden? Wie sollte das Verhältnis der beiden P.E.N.-Zentren künftig aussehen? Die Nachwirkungen der Mainzer Mitgliederversammlung waren immens. Während Ingrid Bachér den beiden P.E.N.-Zentren vorsichtig eine zweijährige Denkpause verordnet hatte, reagierten einige der westdeutschen Mitglieder mit einem überraschenden Vorstoß. Auf Veranlassung durch Klaus Staeck und Uwe Wesel beantragten sie in Reaktion auf den Mainzer Beschluss ihre zusätzliche Aufnahme in das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost). In ihrer Erklärung hieß es: »Wir treten ein für einen ebenso fairen wie konsequenten Selbstklärungsund Entscheidungsprozeß, der das Ziel hat, daß überall nur jene Mitglieder im PEN sein können, die sich der Charta entsprechend verhalten oder verhalten haben.«266 Unter den über sechzig Antragstellern befanden sich etliche namhafte Mitglieder, etwa Marion Gräfin Dönhoff, Günter Grass, Hildegard HammBrücher, Walter Jens, Leonie Ossowski, Peter Rühmkorf, Friedrich Schorlemmer, Dorothee Soelle, Joseph von Westfalen und Ulrich Wickert.267 Bei der neu gewählten Präsidentin stieß der Versuch der Mitglieder, Gesprächsbereitschaft 264
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Text des angenommenen Antrags zitiert nach: Ingrid Bachér an alle Mitglieder und Freunde des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [14. 6. 1995]. P.E.N.Archiv Darmstadt. Vgl. Helmut Schmitz: Vor der Vereinigung die Abbitte. Der westdeutsche PEN zeigt dem ostdeutschen die Zähne. In: Frankfurter Rundschau 118 (22. 5. 1995). Zitiert nach [Manfred Bissinger]: Im deutschen Muspott. Gespräch mit Günter Grass über den Beschluß des West-PEN, sich nicht mit dem Ost-PEN zu vereinigen. In: Die Woche 23 (2. 6. 1995), S. 42. Vgl. [Manfred Bissinger]:Im deutschenMuspott. Gespräch mit Günter Grass über den Beschluß des West-PEN, sich nicht mit dem Ost-PEN zu vereinigen. In: Die Woche 23 (2. 6. 1995), S. 42. Vgl. auch Hanno Rauterberg-Simmel: »Ich bin gegen Sippen-
mit den Ost-Kollegen zu demonstrieren, auf wenig Gegenliebe. Sie bezeichnete die Kampagne der Mitglieder als eine »große sentimentale Umarmung«268 des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost). Ein Kommentator der Süddeutschen Zeitung sah mit Blick auf das bundesdeutsche Zentrum dessen »Selbstauflösung von innen«269 voraus. Eines war tatsächlich gewiss: Eine geschlossene Position des West-P.E.N. gegenüber dem Ost-P.E.N. gab es nicht mehr. Bachér und andere empfanden den »organisierten Masseneintritt«270 als eine inszenierte Aktion gegen einen demokratisch entstandenen Entschluss, eine »Demonstration des Unwillens einer auf dem PEN-Kongreß unterlegenen Minderheit«271 . So deutete ein Autorenkreis unter Federführung von Günter Kunert den Beitritt als »unfaßbare Verachtung von demokratischen Mechanismen« und »nachträgliche Solidarisierung mit dem DDR-Regime«272 . Implizit unterstellte Bachér den Doppelmitgliedern gar ein minderes Interesse, sich ernsthaft mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und eine gewisse Neigung zur »Einebnung« derselben.273 Moderat äußerte sich der neu gewählte Generalsekretär Schlösser. Zwar stellte er das eindeutige Votum der Mitgliederversammlung nicht in Frage. Wohl aber mahnte er mit Blick auf das Verhältnis der beiden deutschen Zentren »zur Behutsamkeit, zur Differenzierung, zum sensiblen Umgang miteinander«274 . Vom Ost-P.E.N. wurden die künftigen Doppelmitglieder freundlich empfangen. Das Präsidium begrüßte den Beitritt, weil man sich davon »Bewegung« in der deutsch-deutschen Auseinandersetzung erhoffte: »Die Erweiterung der Mitgliedschaft wird als Chance zu einem größeren Gespräch gewertet. Sie wird die Auseinandersetzungen über die Geschichte und die Verständigung über künftige Wege des PEN in Deutschland beleben. Das Deutsche PEN-Zentrum (Ost) freut sich auf die produktive Mitwirkung der neuen Mitglieder«275 . Gegenüber der neu gewählten Präsidentin Bachér machte Schlenstedt unmissverständlich deut-
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haft«. 62 Mitglieder wollen die Doppelmitgliedschaft. Die Debatte ist neu entbrannt. In: Berliner Zeitung 126 (1. 6. 1995), S. 30. Zitiert nach Jan R. Egel: Tolle Tage in Mainz. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 45 (7. 6. 1995), S. 8–14, hier S. 13. Zitiert nach Jan R. Egel: Tolle Tage in Mainz. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 45 (7. 6. 1995), S. 8–14, hier S. 13. Ingrid Bachér an alle Mitglieder und Freunde des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [14. 6. 1995]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Zitiert nach [dpa]: 62 West-PEN-Mitglieder jetzt auch im Ost-PEN. In: Süddeutsche Zeitung 124 (31. 5. 1995), S. 13. Autorenkreis der Bundesrepublik, unterschrieben von Günter Kunert: Erklärung [1. 6. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 25. 6. 1995/Erklärung 1. Vgl. Ingrid Bachér: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [8. 11. 1995], S. 1. P.E.N.-Archiv Darmstadt. Manfred Schlösser an alle Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [14. 6. 1995]. P.E.N.-Archiv Darmstadt. [Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Presseerklärung zur Doppelmitgliedschaft] [o. D.]. Enthalten in Protokoll zur Präsidiumssitzung am 29. 5. 1995 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Beschlußprotokoll 29. 5. 1995 1–3, hier 2f. 945
lich, dass man im Ost-P.E.N. die in Mainz de facto beschlossene Abgrenzungspolitik keineswegs billige und eine von einzelnen vehement geforderte Selbstauflösung des eigenen Zentrums entschieden ablehne. Schlenstedt griff Bachér wegen ihrer Zurückhaltung hinsichtlich einer wie auch immer gearteten Annäherung der beiden Zentren massiv an: »Teilen Sie, wenn Sie davon sprechen, Sie wollten sich ›Zeit lassen, Entwicklungen abwarten‹, die Hoffnung auf unser Verschwinden? Was wird in zwei Jahre geschehen, wenn wir den Selbstmord immer noch nicht vollzogen haben?«276 Beiden Seiten aber wurde offensichtlich rasch klar, dass mit der Verfolgung einer rigorosen Abgrenzungspolitik in der Sache wenig gewonnen werden konnte. Parallel und unabhängig voneinander beschäftigten sich beide Präsidien mit Möglichkeiten, nach den Mainzer Beschlüssen die Kommunikation zwischen beiden Zentren vorsichtig wieder anzukurbeln. Das ostdeutsche Präsidium hatte seit Mitte Juni 1995 auf Vorschlag von Günter Grass intern die Wiederaufnahme der Gespräche am Runden Tisch erwogen.277 Schon Anfang Juli 1995 ließ indes das West-Präsidium nach einer Sitzung in der Presse verlautbaren, ostdeutsche P.E.N.-Mitglieder sollten Mitte November mit Mitgliedern des deutschen Exil-P.E.N. und dem West-P.E.N. zur Klärung interner Probleme zusammentreffen. Auf der Agenda sollten auch die Doppelmitgliedschaften stehen.278 In Reaktion auf diese öffentliche Mitteilung verwies Schlenstedt in einem Schreiben an Bachér auf die bislang inoffiziellen, jedoch bereits weit gediehenen Vorbereitungen eines ähnlichen Projektes. Der Förderkreis des Verlages Volk und Welt und das Literarische Kolloquium, Berlin, luden für Anfang September 1995 zu einem Runden Tisch der ost- und westdeutschen P.E.N.-Mitglieder. Zum Gespräch zusammengebracht werden sollten die Sprecher der verschiedenen Interessenkreise. In seinem Brief an Bachér bemühte sich Schlenstedt, etwaige Bedenken gegenüber der Veranstaltung zu zerstreuen: »Es scheint mir so angelegt, daß zugleich die Bindung an den Mainzer Beschluß respektiert und ein Gespräch über Literatur und PEN in Deutschland ermöglicht wird.«279 Schlenstedt war darauf bedacht, jegliches Verdachtsmoment auszuräumen. Es handele sich um keine »Gegenaktion«: »Das ist von der Genesis überhaupt nicht der Fall, und ich hoffe, wir können gemeinsam dazu beitragen, daß es auch in der Funk-
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Dieter Schlenstedt an Ingrid Bachér [8. 6. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz mit PEN-Zentrum BRD ab 1995 bis 1996/Ingrid Bachér 4 und 4a, hier 4a. Vgl. Dieter Schlenstedt: Agenda nach der Vorstandssitzung am 14. 6. 1995 für Präsidiumssitzung am 25. 6. 1995 [20. 6. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/ Präsidium ab 1995–1998/Präsidiumssitzung 25. 6. 1995/Protokoll 1–5, hier 3. [dpa]: PEN diskutiert die Doppelmitgliedschaft. In: Süddeutsche Zeitung 152 (5. 7. 1995), S. 14. Dieter Schlenstedt an Ingrid Bachér [12. 7. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz mit PEN-Zentrum BRD ab 1995 bis 1996/Ingrid Bachér 3 und 3a, hier 3.
tion nicht so wird.«280 Schlenstedt schlug vor, das Berliner Treffen als eine Art Vorgespräch oder vorbereitende Diskussion zu markieren. In jedem Falle sollte vermieden werden, »den immerhin möglichen Eindruck von irgendeiner Konkurrenz oder gar Konfrontation«281 zu verhindern. Schlenstedts Bemühungen blieben erfolglos. Bachér und Schlösser sagten ihre Teilnahme am Gespräch ab und rieten anderen Mitgliedern, ebenso zu handeln.282 Alle Erklärungsversuche von Schlenstedt waren sinnlos gewesen. Bachér und Schlösser hatten zahlreiche Kritikpunkte erwogen: Sie waren gegen ein öffentliches Gespräch, das so gar nicht intendiert war; Schlösser hatte sich zu der Ansicht verstiegen, der Förderkreis des Verlages Volk und Welt und das Literarische Colloquium seien lediglich Marionetten, die Auferlegtes zur Durchführung brächten, und bezichtigte das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) des Plagiats283 – ein Vorwurf, den Schlenstedt bereits frühzeitig hatte ausräumen wollen. Schließlich waren zum Deutschen Gespräch in Berlin 32 Autoren aus Ost und West erschienen, die unter der Moderation des internationalen P.E.N.-Vizepräsidenten Thomas von Vegesack diskutierten. Die schärfsten Ankläger des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost), ehemalige DDR-Autoren wie Sarah Kirsch, Hans Joachim Schädlich und Günter Kunert, fehlten. Kern der mehrstündigen Diskussion war die Frage, wie mit der DDR-Vergangenheit adäquat umzugehen sei. Einhellige Zustimmung fand, mit Blick auf eine mögliche Vereinigung der beiden P.E.N.-Zentren, die Ansicht, dass die Verstrickungen einzelner P.E.N.-Mitglieder mit der Staatssicherheit der DDR offen diskutiert werden müssten. Die Ergebnisse der Auseinandersetzung mit einzelnenFällen im Ost-P.E.N. sollten in jedem Fall einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Um konkrete Diskussionspunkte zu eröffnen, sollte der West-P.E.N. konkret die Namen der Mitglieder benennen, deren Verbleiben im P.E.N. eine Zusammenführung der beiden P.E.N.-Zentren unmöglich machte.284 Als Lösungsansatz der schier aus280
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Dieter Schlenstedt an Ingrid Bachér [12. 7. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz mit PEN-Zentrum BRD ab 1995 bis 1996/Ingrid Bachér 3 und 3a, hier 3a. Dieter Schlenstedt an Ingrid Bachér [12. 7. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Korrespondenz mit PEN-Zentrum BRD ab 1995 bis 1996/Ingrid Bachér 3 und 3a, hier 3a. Vgl. Dieter Schlenstedt an Ingrid Bachér [19. 8. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz mit PEN-Zentrum BRD ab 1995 bis 1996/Dieter Schlenstedt 8 und 9, hier 8. Vgl. Dieter Schlenstedt an Ingrid Bachér [19. 8. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz mit PEN-Zentrum BRD ab 1995 bis 1996/Dieter Schlenstedt 8 und 9, hier 8. Vgl. Frauke Meyer-Gosau: Raus aus den Ecken. Die beiden deutschen PEN-Zentren blockieren sich gegenseitig – ein Autorentreffen brachte jetzt Bewegung in das Vereinigungsdebakel. In: Die Woche vom 8. 9. 1995, S. 39. Vgl. weiterhin Jost Nolte: Wie können Literaten das Kriegsbeil begraben? Vom PEN-Treffen in Darmstadt. Man gelobte West-Ost-Friedfertigkeit, doch was die schönen Worte bringen, bleibt abzuwarten. In: Die Welt vom 20. 11. 1995. Verfügbar unter URL: http://www.welt.de/archiv/1995/11 /20/1120ku01.htm [Zugriff: 21. 2. 1998]. 947
weglosen Situation im Verhältnis der deutschen P.E.N.-Zentren brachte Günter Grass den Vorschlag auf, eine paritätisch besetzte Kommission aus Mitgliedern des Ost- und des West-P.E.N. zu installieren, die ohne jeden Zeitdruck die »Bedingungen für einen sich vereinigenden deutschen PEN«285 schaffen sollte. Was als Neuaufnahme von unverbindlichen Gesprächen gedacht war, wurde durch öffentliche Äußerungen des westdeutschen Generalsekretärs Manfred Schlösser massiv diskreditiert. In einer vorab ausgegebenen Presseerklärung hatte Schlösser seine im Grunde von Schlenstedt längst entkräfteten Anklagen gegen den Ost-P.E.N. noch einmal artikuliert.286 Über die Motive kann nur spekuliert werden. Schlenstedt aber reagierte mit Verärgerung; er verstand die kolportierten Unwahrheiten als gezielte Diffamierung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost), um »auf diese Weise der Verweigerung von Kontakten und Gesprächen den Schein der Begründetheit zu geben.«287 Die Chance, eine Entspannung im Verhältnis der beiden P.E.N.-Zentren zu erreichen, insbesondere auf Führungsebene, schien vertan. Für die am 19. November 1995 geplante Veranstaltung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland ließ Schlenstedt zunächst keine Entscheidung seines Präsidiums erkennen. Man werde die Mitglieder über die Einladung informieren und über die Reaktionen zu gegebener Zeit informieren.288 Einen Vermittlungsversuch unternahm in der Folge das westdeutsche Präsidiumsmitglied Ralph Giordano; er signalisierte Interesse und Bereitschaft zu Gesprächen, »um Überlegungen, Motive und Vorgänge im Ost-PEN genauer einzuschätzen und berücksichtigen zu können.«289 Zugleich aber verwies er mit Nachdruck auf die notwendige Aufarbeitung der Vergangenheit. Einen Beitrag zur Wiederannäherung zwischen den beiden Zentren wollte auch der frühere Präsident des WestP.E.N., Gert Heidenreich, leisten; er bewarb sich um Mitgliedschaft im Deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost): Ich hoffe, daß ich mit diesem Schritt zu einem kritischenGesprächzwischenden beiden deutschen P.E.N.-Zentren beitragen kann, an dessen Ende ein gemeinsamer deutscher P.E.N. stehen sollte. Die derzeit bestehende Lage, die einer Blockade gleichkommt, 285
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Zitiert nach Frauke Meyer-Gosau: Raus aus den Ecken. Die beiden deutschen PENZentren blockieren sich gegenseitig – ein Autorentreffen brachte jetzt Bewegung in das Vereinigungsdebakel. In: Die Woche vom 8. 9. 1995, S. 39. Vgl. Frauke Meyer-Gosau: Raus aus den Ecken. Die beiden deutschen PEN-Zentren blockieren sich gegenseitig – ein Autorentreffen brachte jetzt Bewegung in das Vereinigungsdebakel. In: Die Woche vom 8. 9. 1995, S. 39. Vgl. weiterhin [dpa]: Grass schlägt Gremium zur PEN-Vereinigung vor. In: Süddeutsche Zeitung 204 (5. 9. 1995), S. 13. Dieter Schlenstedt an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [4. 9. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz mit PENZentrum BRD ab 1995 bis 1996/Dieter Schlenstedt 6 und 7, hier 7. Vgl. Dieter Schlenstedt an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [4. 9. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz mit PEN-Zentrum BRD ab 1995 bis 1996/Dieter Schlenstedt 6 und 7, hier 7. Dieter Schlenstedt: Gesprächsnotiz zu einem Anruf von Ralph Giordano [7. 9. 1995]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 12. 12. 1995/Dieter Schlenstedt 2.
halte ich für unerträglichund sehe sie – für Schriftsteller, die beruflich auf die Kraft des Dialogs und des Diskurses setzen müssen – als unwürdigenZustand an. Ich werde mich nach Kräften einmischen, um für einen auf der Grundlage unserer Charta vereinten deutschen P.E.N.-Club zu wirken.290
In Darmstadt wurden schließlich tatsächlich Möglichkeiten einer Annäherung diskutiert. Unter den etwa fünfzig P.E.N.-Mitgliedern, die zum internen und nicht öffentlichen Gespräch unter der Fragestellung Wie gegenwärtig ist das Vergangene? zusammentrafen, befand sich auch der ostdeutsche Generalsekretär Joochen Laabs mit einer Delegation. Als Redner traten vor allem Joachim Gauck, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, und Günter Grass hervor. Gauck mahnte in aller Deutlichkeit die Notwendigkeit der historischen Klärung an; Grass präsentierte sich als unbedingter Fürsprecher der Einigung und strikter Gegner einer westlichen Aburteilung: Man habe kein Recht über Kollegen zu urteilen, die während Jahrzehnten den alltäglichen Pressionen einer Diktatur ausgesetzt gewesen sind und die, falls sie zeitweilig schwach wurden, mit ihrer Schwäche,auch uneingestanden,leben müssen. Deshalb sollten wir nicht im Dreck wühlen und den Nachlaß eines Sicherheitsdienstes aufwerten, als seien wir die Urteilsvollstrecker jenes Staates, der nicht zuletzt an seiner menschenverachtenden Praxis zugrunde gegangen ist.291
Grass warnte vor einem blinden Vertrauen in die säubernde Kraft der staatssicherheitsdienstlichen Unterlagen und empfahl eindringlich, den Blick auf das Individuum, auf die individuelle Biographie zu richten. Nur auf diese Weise sei etwas über die ostdeutschen Kollegen zu lernen, über deren »Verzweiflung und Ausdauer, von Zorn beförderte[m] Mut und schlimmste[n] Befürchtung[en], Trotz […] und Resignation«: »Im Zweifelsfall haben sie jenen Mut bewiesen, den viele von uns, weil begünstigt, nicht unter Beweis stellen mußten oder an dem es mangelte«292 . Schon sah sich der West-P.E.N. vor seinen nächsten internen Zwist, der in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde.293 In der Zeitschrift Die Woche reagierte Bachér barsch auf Grass’ Plädoyer für eine rasche Einigung, der nicht Abrechnung und Verurteilung Einzelner vorausgehen, sondern eine gemein290
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Gert Heidenreichan Dieter Schlenstedt [8. 11. 1995].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 21. 11. 1995/Gert Heidenreich 1 und 1a. Günter Grass: »Wir sind als Richter untauglich.« Rede zur Verleihung der HermannKesten-Medaille am 20. 11. 1995 in Darmstadt. Abgedruckt in: Die Woche vom 24. 11. 1995, S. 46f., hier S. 47. Günter Grass: »Wir sind als Richter untauglich.« Rede zur Verleihung der HermannKesten-Medaille am 20. 11. 1995 in Darmstadt. Abgedruckt in: Die Woche vom 24. 11. 1995, S. 46f., hier S. 47. Grass’ Plädoyer für eine Zusammenführungder beiden deutschenP.E.N.-Zentren stieß auf breiten Widerhall. Ein Zusammenschnitt kritischer Reaktionen ist dokumentiert unter dem Titel »Günter Grass und der PEN«, enthalten in: europäische ideen 97 (1996), S. 24–29. 949
same Aufarbeitung der Vergangenheit folgen sollte; dies sei eine vereinfachende Forderung. Der notwendige Diskurs über die Vergangenheit war zwischen den deutschen Schriftstellern aus Bachérs Sicht noch längst nicht ausreichend geführt: »Wir müssen die Anstrengung nicht scheuen, ja, wir müssen sie bringen, wenn nicht, machen wir uns überflüssig. Das ist kein Gesinnungsschnüffeln, nicht Nötigung zu Geständnissen. Es wäre großartig, gäbe es Schuldeingeständnisse. Nur dann kann Schuld verstanden und vergeben werden. Mir mißfallen die großen Worte der Vergebung, wenn sie von jenen ausgesprochen werden, die nichts zu vergeben haben.«294 Bachér verstand sich als Anwältin jener P.E.N.-Mitglieder, die unter dem Druck des Regimes die DDR verlassen hatten; sie dürften nicht, wie es Grass vorschlage, übergangen werden. Er sortiere, wer als Verfolgter noch genehm und wer störend bei der Vereinigung sei und darum nicht mehr beachtet werden solle. Grass’ Haltung erstaunte Bachér, umso mehr, als vom westdeutschen Präsidium bei dem Darmstädter Gespräch vorgeschlagen worden war, eine paritätische Kommission zu bilden, »besetzt mit einem Ost-PEN-Mitglied, einem West-PEN-Mitglied und drei von beiden Zentren unabhängigen Kollegen, um nur schweres, persönliches Verschulden in der Vergangenheit im Ost-PEN wie im West-PEN zu klären.«295 Auch der WestP.E.N. hatte seinen IM-Fall, um dessen Klärung er sich mühte: Monika Maron, 1980 in die Bundesrepublik übergesiedelt, waren Kontakte mit dem Ministerium für Staatssicherheit nachgewiesen worden.296 Bachér ließ den andiskutierten und zur weiteren Verhandlung zwischen den beiden P.E.N.-Zentren anheim gegebenen Vorschlag als weitestgehend beschlossene Sache erscheinen, über die auf der nächsten Jahresversammlung des West-P.E.N. zu befinden sei. Darauf wiederum reagierte Schlenstedt säuerlich; nicht nur, weil Bachér in Grass einen potenten Vereinigungswilligen und Fürsprecher des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) massiv angegriffen, sondern auch weil sie die Idee einer gemeinsamen Kommission als Faktum dargestellt hatte. Gleichwohl zeigte sich Schlenstedt zu weiteren Verhandlungen bereit: Er erwarte einen konkreten Vorschlag zur Bildung einer gemeinsamen Kommission. Über weitere Wege der Verständigung werde das Ost-Präsidium in der Folge beraten.297 Die Kommunikation zwischen Ost und West war, wie sich in den skizzierten Auseinandersetzungen deutlich zeigt, auch am Ende des Jahres 1995 weiterhin schwierig, geprägt von gegenseitigem Missverstehen, Misstrauen und Vorbehalt. Zu Beginn des Jahres 1996 unterbreitete Bachér den ausgearbeiteten Vorschlag 294 295 296
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Ingrid Bachér: »Grass vereinfacht!« In: Die Woche vom 24. 11. 1995, S. 46. Ingrid Bachér: »Grass vereinfacht!« In: Die Woche vom 24. 11. 1995, S. 46. Der Fall Maron war Gegenstand von Gesprächen zwischen Schlenstedt und Bachér. Vgl. Bericht über ein Treffen zwischen Ingrid Bachér und Dieter Schlenstedt im Oktober 1995. Enthalten in Beschlußprotokollzur Präsidiumssitzungam 24. 10. 1995[o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 24. 10. 1995/Beschlußprotokoll 1 und 2, hier 1. Vgl. Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 21. 11. 1995 [10. 12. 1995; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 21. 11. 1995/Beschlußprotokoll 1–3, hier 2.
zur Bildung einer gemeinsamen Kommission. Das West-Präsidium avisierte, gemäß der Haltung »Einigung durch Reinigung«298 , eine zeitlich begrenzte Arbeit der Kommission. In dieser Zeit sollten Kritiker die Gelegenheit erhalten, Vorbehalte gegen einzelne Personen zu äußern. Nach Ablauf der Frist war nach Bachérs Auffassung die Vergangenheitsaufarbeitung abzuschließen und der Einigungsprozess aufzunehmen.299 Das entsprach nicht den Vorstellungen des ostdeutschen Präsidiums. Aus seiner Sicht war die Kommission als »Begleitmaßnahme der Vereinigung bzw. Neukonstituierung eines deutschen PEN«300 zu sehen, entsprechend dem Vertrauen in eine »Reinigung durch Einigung«301 . Der Wille zur raschen Bildung eines gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrums war auch auf der im Januar 1996 abgehaltenen Mitgliederversammlung noch einmal bekräftigt worden.302 Eine bindende Entscheidung über die gemeinsame Kommission wurde zunächst nicht gefällt. Abzuwarten blieb die Jahrestagung des WestP.E.N., die im Mai 1996 in Heidelberg tagte. Einstweilen sollte, laut Beschluss des Ost-Präsidiums, die Arbeit des eigenen Ehrenrates unverändert fortgesetzt werden.303 Auch zu Beginn des Jahres 1996 liefen beim Ost-P.E.N. wieder Anträge auf Doppelmitgliedschaften ein. Interessanterweise kamen die Anfragen nicht nur von Mitgliedern des West-P.E.N.; auch Zugehörige des P.E.N.-Zentrums Deutschsprachiger Autoren im Ausland, dessen Vorstand sich bislang sehr ablehnend gegenüber der Nachfolgeorganisation des DDR-P.E.N. gezeigt hatte, fragten wegen einer Doppelmitgliedschaft an. Aufgenommen wurden im Laufe des Jahres unter anderen Hans Christian Oeser und Alexander Stephan, beide P.E.N.-Zentrum Deutschsprachiger Autoren im Ausland, sowie Ulrich Janetzki, Volker Kühn, Ruth Rehmann und Valentin Senger, alle P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland.304 Ab Februar 1996 signalisierte die personelle Zusam298
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Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 11. 1. 1996 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung am 11. 1. 1996 1. Vgl. Beschlußprotokollder Präsidiumssitzungam 23. 2. 1996[o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung am 23. 2. 1996/Beschlußprotokoll 1 und 2, hier 1. Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 23. 2. 1996 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung am 23. 2. 1996/Beschlußprotokoll 1 und 2, hier 2. Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 11. 1. 1996 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung am 11. 1. 1996 1. Vgl. Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Antrag. Beschluss der Mitgliederversammlung [Januar 1996]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 11. 1. 1996/Anträge 4. Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 23. 2. 1996 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung am 23. 2. 2006/ Beschlußprotokoll 1 und 2, hier 1. Vgl. Beschlußprotokollder Präsidiumssitzungam 11. 1. 1996[o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Prä951
mensetzung der Präsidiumssitzung die veränderte Situation: Zusätzlich zu den gewählten Präsidiumsmitgliedern nahm nun als Vertreter der Doppelmitglieder Gerhard Schoenberner, Mitglied des Ost-P.E.N. seit 1995, in unregelmäßigen Abständen an den Sitzungen teil.305 Etwa zeitgleich mit dem Eintritt von Schoenberner in das Ost-Präsidium gab es eine Offensive in umgekehrter Richtung. Christoph Dieckmann hatte den Vorschlag zu einer ostdeutschen »Initiative für Doppelmitgliedschaft im West-PEN« eingebracht, »um die Absurdität der Situation zu zeigen«306 . Zur Jahresversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland im Mai 1996 (Heidelberg) lag ein gemeinsamer Antrag von zehn ostdeutschen P.E.N.-Mitgliedern auf Doppelmitgliedschaft vor, die ihren Willen zur Einigung von unten kundtaten: Uns erscheint die anhaltende Trennung der PENs als Relikt einer vorigen Zeit. Sie behindert die Zusammenschau deutscher Nachkriegsgeschichten. Sie fördert Selbstgerechtigkeit. In den letzten Monaten sind achtzig Mitglieder des West-PEN auch dem OstPEN beigetreten. Umgekehrt ersuchen die unterzeichnenden Autoren aus dem Deutschen PEN-Zentrum (Ost) um Mitgliedschaft auch im PEN-Zentrum Bundesrepublik Deutschland. Unser Stimmrecht möchten wir weiterhin im Ost-PEN ausüben. Schriftsteller sind Einzelne. Individuell möchten wir vorwegnehmen, was den beiden deutschen PENs noch nicht gelang. Mögen uns viele folgen.307
Acht von diesen waren von der Mitgliederversammlung des West-P.E.N. sofort akzeptiert worden. Die Antragsteller Rolf Schneider und Michael P. Hamburger waren zunächst vertröstet, schließlich aber noch 1996 ebenfalls aufgenommen worden.308 Damit war im Grunde eine groteske Situation geschaffen: Bei einem Teil der ost- wie westdeutschen Mitglieder schien die Bereitschaft zu einer Einigung relativ groß. Die Präsidien zögerten. Vor allem im westdeutschen Präsidium schien man von einer klaren Meinungsfindung weit entfernt. Die uneinheitliche Positionierung in Fragen der Vereinigung, von Seiten der Mitglieder und des
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sidiumssitzung am 11. 1. 1996 1 und Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 23. 2. 1996 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung am 23. 2. 1996/Beschlußprotokoll 1 und 2, hier 2, sowie Protokoll zur Präsidiumssitzung am 5. 6. 1996 [o. D.]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 5. 6. 1991 1. Vgl. Beschlußprotokollder Präsidiumssitzungam 23. 2. 1996[o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung am 23. 2. 1996/Beschlußprotokoll 1 und 2, hier 1. Zitiert nach Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 23. 2. 1996 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung am 23. 2. 1996/Beschlußprotokoll 1 und 2, hier 2. Brigitte Burmeister, Christoph Dieckmann, Horst Drescher, Michael P. Hamburger, Christoph Hein, Sebastian Kleinschmidt, Christoph Links, Thomas Reschke, Rolf Schneider und Brigitte Struzyk an Ingrid Bachér [o. D.]. Abgedruckt in [Die Zeit]: Tauben-Zentrum (Ost). In: Die Zeit 13 (22. 3. 1996), S. 57. Vgl. Beschlußprotokoll zur Präsidiumssitzung am 14. 5. 1996 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 14. 5. 1996/Beschlußprotokoll 1–3, hier 1.
Präsidiums, demonstrierte einmal mehr die Heidelberger Tagung des westdeutschen P.E.N.-Zentrums. 10.4.3
Der Wille zur Einheit des deutschen P.E.N.-Clubs obsiegt
Die Ergebnisse der Heidelberger Jahresversammlung im Mai 1996 läuteten eine Wende im bislang gescheiterten Einigungsprozess der beiden P.E.N.-Zentren ein. Von den in Heidelberg anwesenden Mitgliedern war nach heftigen Debatten mit 35 Stimmen bei 25 Gegenstimmen und vier Enthaltungen ein Antrag des Präsidiums angenommen worden, der eine ordnungsgemäße schriftliche Befragung aller Mitglieder über den künftigen Kurs in der Vereinigungsfrage vorsah. In der geplanten Urabstimmung sollten die knapp 600 Mitglieder des West-P.E.N. über zwei Alternativen befinden – den vorläufigen Fortbestand zweier deutscher Zentren bzw. eine rasche Vereinigung, deren Modalitäten durch eine paritätisch von Ost- und West-P.E.N. besetzte Kommission vorbereitet werden sollten. Außerdem wurde der Einrichtung eines gesamtdeutschen Ehrenrates zugestimmt, der darüber entscheiden sollte, »ob Mitglieder der deutschen P.E.N.-Clubs in so schwerwiegender Form gegen den Geist der Charta des Internationalen P.E.N. verstoßen haben, daß den anderen Mitgliedern eine gemeinsame Mitgliedschaft in den deutschen P.E.N.-Clubs mit ihnen nicht zugemutet werden kann.«309 So lauten die faktischen Ergebnisse der Jahrestagung; diese erscheinen, »[g]anz nachrichtlich«310 vorgetragen, als nüchterner Ertrag einer sachlichen und konstruktiven Debatte. Ein Blick in die Presseberichterstattung offenbart ein anderes Bild. Von einem »große[n] Tohuwabohu«311 ist hier die Rede, von einer variierten Aufführung eines Stücks mit dem Titel »Wiedervereinigung – Ein Dramolette«312 . In der Tat hatten sich sowohl Vereinigungsgegner als auch -befürworter in ihre Rollen eingefunden: Die einstigen »Dissidenten«, allen voran Günter Kunert, hatten mit Nachdruck deutlich gemacht, dass sie ein Zusammengehen mit dem Ost-P.E.N. auf keinen Fall akzeptieren würden. Die begonnene Vergangenheitsaufarbeitung des Ost-P.E.N. sei unzureichend. Daran konnte auch der ausführliche Bericht des ostdeutschen Ehrenratsmitglieds Thomas Reschke nichts ändern. Dieser kompromisslosen Haltung entgegen standen jene, die auf eine baldige Vereinigung drängten, um eine gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit und eine Aufhebung der Selbstblockade voranzutreiben. Dazu gehör309
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Zitiert nach [ND – Irmtraud Gutschke]: Vor Urabstimmung. Entscheidungsfrage für den West-P.E.N. In: Neues Deutschland vom 13. 5. 1996. Markus Clauer: Halbtoter Club der zerstrittenen Dichter. Der West-P.E.N. hat sich in Heidelberg wieder über die Vereinigung mit dem Ost-P.E.N. gestritten, jetzt entscheiden die Mitglieder. In: Die Rheinpfalz vom 13. 5. 1996. Elisabeth Endres: Der Terror des Geschwätzes. Zur diesjährigen PEN-Tagung in Heidelberg. In: Süddeutsche Zeitung 110 (13. 5. 1996), S. 9. Jörg Magenau: Vereint im Streit. Zur Jahrestagung des westdeutschen PEN-Zentrums in Heidelberg. In: Wochenpost 21 (15. 5. 1996), S. 40. 953
ten Carola Stern, Gert Heidenreich, Johannes Mario Simmel, Klaus Staeck und Friedrich Schorlemmer.313 Eine unklare Position demonstrierte das in sich uneinige Präsidium um Bachér; es »laviert[e] […] mit Lippenbekenntnissen zur Vereinigung und t[a]t gleichzeitig alles, sie so lange wie möglich hinauszuzögern.«314 Kritik wurde vor allem an Präsidentin und Generalsekretär laut. Bachér hatte sich »fortwährend ›beleidigt‹, ›angegriffen‹, von konspirativen ›Kadern‹ aufs Korn genommen gefühlt«315 und entsprechend gekontert. Manfred Schlösser, »der mit beachtlicher Sicherheit in alle verfügbaren Fettnäpfe [ge]tr[e]ten und für viel Unwillen [ge]sorgt[ ]«316 hatte, trat unmittelbar nach der Jahresversammlung zurück. Er hatte in einem vielfach als skandalös empfundenen Rechenschaftsbericht unter anderen die westdeutschen Doppelmitglieder als »Mitläufer« und ihren Übertritt als eine »Mißachtung demokratischer Regeln«317 bezeichnet. Deutliche Kritik an den deutsch-deutschen Auseinandersetzungen war im Verlauf und Nachgang der Heidelberger Tagung zum ersten Mal aus dem Internationalen P.E.N. gekommen; der internationale Vizepräsident Thomas von Vegesack führte, im Einvernehmen mit dem internationalen Präsidenten Ronald Harwood, im wesentlichen drei Kritikpunkte an: Die Existenz zweier deutscher P.E.N.-Zentren aus politischen Gründen untergrabe die Idee des Internationalen P.E.N.; die öffentliche Auseinandersetzung um den deutschen P.E.N. beschädige das Ansehen der gesamten Organisation; die internationale Aktivität der deutschen Zentren sei gegenüber früher stark zurückgegangen. Vegesack mahnte eine baldige Lösung des Konfliktes an. Je länger die ungeklärte Situation andauere, desto größer sei der Schaden. Unverständnis äußerte von Vegesack darüber, dass die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit nicht in einem vereinigten deutschen PEN-Zentrum stattfinden könne. Er sei inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass die Mehrheit der deutschen P.E.N.-Mitglieder eine Vereinigung wünsche. Das Hindernis für eine Wiedervereinigung sei nicht die Furcht einiger Schriftsteller mit unangenehmen Erinnerungen an ihre Jahre in der DDR, gemeinsam mit denen, die sie verrieten, Mitglied in ein und demselben Club zu werden, sondern das Gefühl der Leere, das 313
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Vgl. Jörg Magenau: Vereint im Streit. Zur Jahrestagung des westdeutschen PENZentrums in Heidelberg. In: Wochenpost 21 (15. 5. 1996), S. 40. Jörg Magenau: Vereint im Streit. Zur Jahrestagung des westdeutschen PEN-Zentrums in Heidelberg. In: Wochenpost 21 (15. 5. 1996), S. 40. Jens Balzer: Stirb langsam (West). Terror und Aktualität beim Treffen des West-PEN in Heidelberg. In: Die Zeit vom 16. 5. 1996. Paul Ingendaay: Ich habe immer nach vorne geguckt. Mal sehen, was die anderen tun: Das deutsche PEN-Zentrum (West) tagt in Heidelberg und beschließt eine Urabstimmung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. 5. 1996. Zitiert nach Cornelia Geißler: Untauglich für eine Talk-Show. Wie sich die Schriftsteller auf der PEN-Tagung heftig stritten und schließlich einigten. In: Berliner Zeitung vom 13. 5. 1996. Vgl. weiterhin Helmut Schmitz: Die Würstchenbude. Blamable Jahrestagung des westdeutschen PEN-Clubs. In: Frankfurter Rundschau 111 (13. 5. 1996) und Elisabeth Endres: Der Terror des Geschwätzes. Zur diesjährigen PEN-Tagung in Heidelberg. In: Süddeutsche Zeitung vom 13. 5. 1996.
nach dem Verschwinden der Schuldfrage von der Tagesordnung folgen würde und die deutschen Schriftsteller zwingen würde, sich den Problemen des Tages zuzuwenden.318 Der West-P.E.N., der im Streit um die Wiedervereinigung in eine tiefe Krise geraten war, stand vor einer Zerreißprobe. Fast ein wenig überraschend scheint es daher, dass am Ende der Heidelberger Streitigkeiten, die von Beleidigungen und Unterstellungen gekennzeichnetwaren, ein eindeutiges Abstimmungsergebnis zustande gekommen war. Die Entscheidung über die grundsätzliche Haltung gegenüber einer Vereinigung mit dem ostdeutschen P.E.N.-Zentrum lag nun in der Verantwortung der westdeutschen P.E.N.-Mitglieder. Das Präsidium des Ost-P.E.N. nahm in allen Fragen eine abwartende Haltung ein. Der West-P.E.N. sollte den ersten Schritt tun. Schon im Juli 1996 vermeldete die Presse die ersten scharfen Reaktionen auf den Versuch des westdeutschen Präsidiums, eine Urabstimmung über die Vereinigungsfrage durchzuführen. Sarah Kirsch, Hans Joachim Schädlich und Richard Wagner waren aus dem P.E.N. ausgetreten, um strikte Ablehnung jeder Art von Zusammenschluss deutlich zu machen. Nach Ansicht der Ausgetretenen hatte die schriftliche Befragung keine Möglichkeit zur generellen Ablehnung des Zusammengehens offen gelassen.319 Herta Müller und Bernd Jentzsch folgten. Damit war, mindestens zum Teil, eingetreten, was man unbedingt hatte verhindern wollen: der Austritt ehemaliger DDR-Autoren, die in den Westen geflohen waren. Lutz Rathenow, selbst »ehemaliger DDR-Dissident«, warnte eindringlich vor einem »dissidentenfreien PEN«320 . Der Rückzug der »Dissidenten« bedeute »ein weiteres Verschwinden ihrer Erfahrungen aus der öffentlichen Debatte«321 . Mitte September 1996 stand das Ergebnis der Mitgliederbefragung fest. Mehr als 300 Mitglieder hatten ihr Votum abgegeben. Eine Mehrheit von 232 Mitgliedern hatte sich dafür ausgesprochen, »eine paritätisch besetzte Kommission einzuberufen, die eine Verständigung über die Modalitäten einer Vereinigung beider deutscher PEN-Zentren herbeizuführen versucht.«322 97 Mitglieder waren für ein Weiterbestehen zweier Zentren eingetreten, zehn hatten sich enthalten. Der kommissarisch berufene Generalsekretär, Johano Strasser,
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Vgl. Thomas von Vegesack: Why is it that the present division of the German P.E.N. constitutes a matter for the International P.E.N. as a whole? [14. 6. 1996]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 5. 6. 1996/ Thomas von Vegesack 1–3. [dpa]: Austritt von PEN-Mitgliedern. In: Süddeutsche Zeitung 166 (20./21. 7. 1996), S. 41. [dpa]: Rathenow befürchtet »dissidentenfreien PEN«. In: Süddeutsche Zeitung 179 (5. 8. 1996), S. 17. [dpa]: Rathenow befürchtet »dissidentenfreien PEN«. In: Süddeutsche Zeitung 179 (5. 8. 1996), S. 17. Zitiert nach gs. [d. i.?]: Zu früh. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 223 (24. 9. 1996), S. 35. 955
bekundete »Respekt [des Präsidiums] vor der demokratischen Entscheidung«323 , sprach aber die Zuständigkeit für die Einberufung der Kommission dem auf der nächsten Jahresversammlung im folgenden Jahr neu zu wählenden Präsidium zu. Versuchte das amtierende westdeutsche Präsidium, das in der Vereinigungsfrage noch immer keine einheitliche Position einnahm, lediglich eine neuerliche Verzögerung der unumgänglich erscheinenden Vereinigung zu bewirken? Die so offensichtlich bei einigen Mitgliedern des westdeutschen Präsidiums vorhandene Ablehnung der nunmehr in Augenschein zu nehmenden Einigung führte in der Folgezeit zu entscheidenden Veränderungen im P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland. Mitte Oktober 1996 erklärte Bachér gemeinsam mit fünf weiteren Präsidiumsmitgliedern ihren vorzeitigen Rücktritt.324 Mit Blick auf Bachérs durchweg zögerliche, skeptische bis ablehnende Haltung gegenüber einem raschen Zusammenschluss der deutschen Zentren muss ihre Entscheidung als konsequent bewertet werden. Neuen Nährstoff für die Skepsis der Vereinigungsgegner dürfte auch Joachim Walthers mit Spannung erwartete Studie zum Sicherungsbereich Literatur geboten haben, die nach mehrjähriger Arbeit im Oktober 1996 vorlag und das Ausmaß der Verstrickung zwischen Staatssicherheit und Literaturbetrieb der DDR nicht nur strukturell, sondern auch personell detailliert darlegte.325 Auf einer eilends einberufenen, außerordentlichen Mitgliederversammlung des West-P.E.N., die Mitte November 1996 in Berlin tagte, sollte nun ein neues Präsidium und, gemäß dem Ergebnis der Urabstimmung, die Vereinigungskommission gewählt werden. Bezeichnenderweise erschienen nur 84 Mitglieder im Berliner Literaturhaus.326 Die Wahl des Präsidiums verlief ohne Zwischenfälle. Der emeritierte Germanistikprofessor Karl Otto Conrady setzte sich gegen den Schriftsteller Guntram Vesper durch und wurde zum neuen Präsidenten berufen. Johano Strasser blieb Generalsekretär, Fritz Deppert Schatzmeister. Vizepräsidenten wurden Wend Kässens, Friedrich Schorlemmer und Elsbeth Wolffheim. Im Beirat saßen nun Christa Dericum, Jörg Drews, Hans-Georg Noack, Klaus Staeck und Herbert Wiesner. Der beinahe schon zur Regel gewordene Eklat auf den Mitgliederversammlungen des West-P.E.N. brach schließlich bei der Diskussion um die Besetzung der paritätischen Kommission los. Uneinigkeit herrschte darüber, wer sich zur Wahl stellen dürfe. Waren Doppelmitglieder nicht per se befangen?327 Mitten im verbalen Gerangel erklärte Hans Christoph Buch sei323
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[o. V.]: Pen-Zentrum West kritisiert den ›Großen Lauschangriff‹. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Frankfurt) 82 (11. 10. 1996), S. 63. Vgl. [o. V.]: Lüge: Streit im PEN verschärft. In: AZ vom 16. 10. 1996, S. 7. Joachim Walther: Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik. (Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Bd. 6) Berlin 1996. Vgl. Helmut Böttiger: Die Stunde der Funktionäre. Der West-PEN geht nun eindeutig auf Vereinigungskurs. In: Frankfurter Rundschau 276 (26. 11. 1996), S. 7. Vgl. Hans Scherer:Melancholieim Doppel. Das PEN-Zentrum wählt einen neuen Vorstand. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 276 (26. 11. 1996), S. 41.
nen Austritt aus dem P.E.N. und verließ den Saal; er warf dem neu gewählten Präsidium »Scheinharmonie«328 vor. Schließlich wurden Irina Liebmann und Adalbert Podlech als Vertreter des West-P.E.N. gewählt. An den Ergebnissen der Berliner Versammlung wurde schnell Kritik laut. Die »Pragmatiker der Vereinigung«329 hätten das Ruder übernommen; erwartet und befürchtet wurde eine rasche Zusammenführung der Zentren ohne allzu kritische Haltung gegenüber der Vergangenheit der Ost-Autoren. Ein neues Argument wurde ins Feld geführt, das die Konstruktion der Organisation P.E.N. im Grunde ad absurdum zu führen versuchte: Der West-P.E.N. sei von »Publizisten, Germanisten und anderen Freunden der Literatur«330 dominiert. Die Schriftsteller könnten gar nicht mehr die Mehrheit haben. Der Konflikt innerhalb des westdeutschen P.E.N. schwelte. In Reaktion auf die Ergebnisse der außerordentlichen Mitgliederversammlung schrumpfte die Mitgliederzahl weiter. Nach Hans-Christoph Buch erklärten neben der abgetretenen Präsidentin Ingrid Bachér auch Lea Rosh, Eva Demski, Libuˇse Moníková, Karl Corino, Katja Lange-Müller, Adolf Endler, Oskar Pastior, Wolfgang Hegewald und Marcel Reich-Ranicki ihren Austritt. Hauptargument der Ausgetretenen war die Sorge, der westdeutsche P.E.N. gerate auf Abwege und wolle zu schnell die Vereinigung mit dem ostdeutschen P.E.N.-Zentrum.331 Insgesamt waren im Zuge der Vereinigungsdebatte seit 1995 mehr als fünfzig Mitglieder aus dem westdeutschen P.E.N. ausgetreten. Der neue Präsident Conrady, von manchem als der »Friedenfürst«332 apostrophiert, der die Vereinigung verwirklichen sollte, reagierte gelassen. Zwar sei jeder Austritt ein Austritt zu viel. Die Furcht vor einer schnellen, unkritischen Einigung schien ihm indes unbegründet.333 Unter Conradys Ägide arbeitete das westdeutsche Präsidium kontinuierlich auf eine Verständigung mit den ostdeutschen Kollegen hin. Die konstruktive Zusammenarbeit zwischen beiden Zentren wurde aufgenommen. Ende Februar 1997 trat die paritätische Kommission, die sich primär mit den rechtlichen Formalitäten der Vereinigung auseinandersetzen musste, zum ersten Mal zusammen. Ziel war es, die beiden Zentren miteinander zu verschmelzen, um eine gewisse Kontinuität zu gewährleisten. Beiseite geschoben war damit der zeitweilig verfolgte Gedanke, die beiden Zentren aufzulösen und eine Neugrün328
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[dpa]: Scheinharmonie? Conrady neuer PEN-Präsident. In: Süddeutsche Zeitung 272 (25. 11. 1996), S. 13. Helmut Böttiger: Die Stunde der Funktionäre. Der West-PEN geht nun eindeutig auf Vereinigungskurs. In: Frankfurter Rundschau 276 (26. 11. 1996), S. 7. Wortbeitrag von Katja Lange-Müller. Zitiert nach Helmut Böttiger: Die Stunde der Funktionäre. Der West-PEN geht nun eindeutig auf Vereinigungskurs. In: Frankfurter Rundschau 276 (26. 11. 1996), S. 7. Vgl. [o. V.]: Westdeutscher PEN schrumpft. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 99 (10. 10. 1996), S. 3. Elisabeth Endres: Ende der Rosenkriege? In Berlin tagte und wählte der PEN. In: Süddeutsche Zeitung 273 (26. 11. 1996), S. 13. Vgl. Johannes Breckner: »Jeder Austritt ist ein Austritt zu viel«. PEN-Präsident Karl Otto Conrady im Gespräch. In: Darmstädter Echo vom 6. 12. 1996. 957
dung des deutschen P.E.N. vorzunehmen.334 Joochen Laabs, Klaus Wischnewski, Dietger Pforte und Werner Liersch vertraten den Ost-P.E.N.; Christa Dericum, Irina Liebmann, Adalbert Podlech und Johano Strasser standen für die Interessen des West-P.E.N. ein. Das erste Gespräch schien zu aller Zufriedenheit verlaufen zu sein. Ein neuerliches Treffen wurde für Mitte Mai 1997 avisiert. Weitere Treffen fanden im Juni und Oktober 1997 statt.335 Zur Debatte standen jeweils der juristisch notwendige Verschmelzungsvertrag und die künftige Satzung, die von beiden Zentren angenommen werden musste. Die Weichen waren nun endgültig in Richtung Vereinigung gestellt. Als »Zwischenstation«336 auf dem Weg zur Einigung mochten viele die Jahresversammlung des West-P.E.N. verstehen, die im April 1997 in Quedlinburg zusammentrat. Zum ersten Mal tagte das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland in einem der neuen Bundesländer. Ein hoffnungsfrohes Signal? Unwillkürlich – denn den Tagungsort hatte noch das wenig vereinigungsbereite Präsidium unter Bachér bestimmt. Die Feuilletons spiegelten in ihren Berichten von der Quedlinburger Tagung eine ungewohnte Harmonie wider, die offenbar kaum gestört wurde.337 Lag es daran, dass von den strikten Gegnern der Einigung nach der Berliner Mitgliederversammlung kaum mehr einer übrig geblieben war? Der Vereinigungskurs des West-Präsidiums wurde in Quedlinburg jedenfalls von niemandem mehr ernsthaft in Zweifel gezogen. Als Mitglied der ost-westdeutschen Vereinigungskommission legte Strasser einen groben Zeitplan und Eckwerte für eine Vereinigung der beiden Verbände vor. »[D]ie notwendigen Entscheidungen«338 des West-P.E.N. wurden demnach für die Jahresversammlung 1998 in Aussicht gestellt, die Vereinigung war in greifbare Nähe gerückt. Gewichtigster Streitpunkt aber blieb die Arbeit des gemeinsamen Ehrenrates. Der Heidelberger Beschluss vom Mai 1996, ein solches gemeinsames Gremium zu begründen, hatte rasch konkrete Formen angenommen. Im Juni 1996 fanden sich die westdeutschen Mitglieder Lea Rosh und Joachim Walther zur
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Vgl. Beschlußprotokoll zur Präsidiumssitzung am 25. 9. 1997 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Beschlußprotokoll 1–3, hier 2. Vgl. Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost): Rundbrief 1/1998 [22. 1. 1998]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.–4. 4. 1998/Rundbrief 1–3, hier 1. Kristina Maidt-Zinke: Unterwegs zur Einigkeit. Der Pen-Club tagte in Quedlinburg. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. 4. 1997. Vgl. u. a. Gregor Zielkowski: Harmonie hat ihren Preis. 1998 könnten die deutschen PEN-Zentren fusionieren – noch streitet man über zwei Stasi-Fälle. In: Berliner Zeitung 92 (21. 4. 1997), S. 28; Rainer Hoffmann: Entgegenkommen. Jahrestagung des West-PEN-Zentrums. In: Neue Zürcher Zeitung vom 21. 4. 1997; Elmar Krekeler: Dichtung und Wahrheit. Im siebten Jahr der Einheit gehen Deutschlands Literaten aufeinander zu. In: Die Welt vom 21. 4. 1997. Kristina Maidt-Zinke: Unterwegs zur Einigkeit. Der Pen-Club tagte in Quedlinburg. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. 4. 1997.
Mitarbeit im Ehrenrat bereit.339 Nach Roshs Austritt aus dem West-P.E.N. Ende 1996 übernahm Ernest Wichner deren Sitz im Ehrenrat. Von Seiten des OstP.E.N. waren Thomas Reschke und Steffen Mensching entsandt worden. Ein erstes Treffen des gemeinsamen Ehrenrats hatte Mitte 1996 stattgefunden, das in erster Linie der Klärung der generellen Arbeitsweise diente. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Ehrenrat des Ost-P.E.N. mit insgesamt acht Verdachtsfällen auseinandergesetzt, von denen eine Reihe durch Austritt der Betroffenen gelöst worden war: Harry Thürk war nach der Ankündigung einer bevorstehenden Befragung ausgetreten; Waldtraut Lewin (IM »Wald«) hatte sich dem Gespräch mit dem Ehrenrat gestellt und Kooperation mit der Staatssicherheit eingeräumt; Fritz Rudolf Fries konnte nach Akteneinsicht langjährige intensive Zusammenarbeit nachgewiesen werden (Mai 1996); der Österreicher Ernst Schwarz war jahrelang bemüht gewesen, in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit Kontakte zwischen der DDR-Führung und der österreichischen Regierung herzustellen und verließ den P.E.N., obgleich nach Ansicht des Ehrenrats kein Verstoß gegen die Charta vorlag; Achim Roscher verweigerte das Gespräch und trat aus; Kamnitzer hatte seine Mitgliedschaft im Deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost) in Abrede gestellt. Ungelöst geblieben waren die Anschuldigungen gegen Köhler und Marquardt.340 Im November 1996 konnte Mensching im Ost-Präsidium von einer weiteren Zusammenkunft des Ehrenrats berichten. Im Zentrum der Beratungen hatten alte und neue Verdächtigungen gestanden, die im Zusammenhang mit dem Erscheinen von Walthers Forschungsarbeit Literatur und Staatssicherheit genährt worden waren. Der Ehrenrat hatte sich mit der Vergangenheit von elf Mitgliedern des Ost-P.E.N. zu befassen, darunter waren wiederum Köhler und Marquardt. Mit Jürgen Rennert, John Erpenbeck, Jürgen Engler, Jurij Koch und Rudi Strahl mussten klärende Gespräche in Aussicht genommen werden. Unter den Mitgliedern des Ehrenrates bestand unterdessen Einigkeit, dass im Fall von Christa Wolf, Dieter Schlenstedt, Heinz Kahlau und Ruth Werner keine weiteren Unterredungen geführt werden müssten. Ein letztes Arbeitstreffen des gemeinsamen Ehrenrates fand im April 1997 statt. Berichtet wurde dort über den Versuch der westdeutschen Ehrenratsmitglieder, die Anschuldigungen gegenüber Monika Maron zu klären; diese hatte jedoch ein Gespräch verweigert und war aus dem West-P.E.N. ausgetreten. Erst der Abschlussbericht der ostdeutschen Ehrenratsmitglieder, der Ende 1997 abgefasst worden war, erläuterte die Ergebnisse der gesamten Untersuchung: Jürgen Engler, John Erpenbeck, Jurij Koch, Jürgen Rennert und Rudi Strahl waren nach eingehendem Gespräch und Prüfung der Aktenlage nicht des Verstoßes gegen die P.E.N.-Charta für schuldig
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Vgl. Protokoll zur Präsidiumssitzung am 5. 6. 1996 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 5. 6. 1996 1. Vgl. Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Abschlußbericht 1995–1997 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.–4. 4. 1998/Abschlußbericht 1–7, hier 4f. 959
befunden worden.341 Diese Ergebnisse wurden von den westdeutschen Ehrenratsmitgliedern akzeptiert. Als »fusionswidrig« bezeichnete man aus westlicher Sicht lediglich die Mitgliedschaft von Erich Köhler und Hans Marquardt. Nach Auffassung von Joachim Walther und Ernest Wichner waren die Mitglieder Köhler und Marquardt eindeutig stasibelastet. Die Tendenz deutete sich an, den Austritt bzw. Ausschluss der beiden missliebigen Mitglieder zur Bedingung der Fusion zu erheben. Schon auf der ansonsten so harmonisch verlaufenen Quedlinburger Mitgliederversammlung im April 1997 hatten eben diese beiden strittigen Fälle zur Diskussion gestanden. Während Generalsekretär Strasser der Auffassung von Walther und Wichner zu folgen geneigt schien, gab es auch warnende Stimmen. Günter Grass sah sich nicht in der Lage, abschließend zu beurteilen, wie [Marquardt] dazu gekommen ist, als IM tätig zu werden.Ich kann nicht erkennen,daß diese Tätigkeit,die ihm nachgewiesen worden ist und die er wohl auch nicht abstreitet, irgend jemandem Schaden gebracht hat. Wenn wir vor dieser Entscheidung [›zwei Ost-PEN-Mitglieder aufzufordern, auszutreten oder sie auszuschließen‹] hier stehen – wir müssen das diskutieren –, bitte ich darum, die Konsequenzen zu bedenken, die mit einem Ausschluß verbunden sind.342
Karl Otto Conrady mahnte, dass es unerlässlich sei, sich dem gesamten Lebenswerk eines Menschen zuzuwenden.343 Und auch Uwe Wesel plädierte für eine umfassende Betrachtung der Zusammenhänge. Auch die Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit müsse differenziert beurteilt werden.344 Zu einer eindeutigen Entscheidung kam man in Quedlinburg nicht. Köhler, Marquardt und die generelle Debatte zum Umgang mit den Stasiverstrickungen boten weiterhin Stoff für Konflikte. Während die Feuilletons der großen Tageszeitungen die ungewohnte Verträglichkeit im West-P.E.N. wohlwollend zur Kenntnis nahmen, gab es im Nachgang der Quedlinburger Versammlung einen neuen westdeutschen Eklat. Medienwirksam verabschiedete sich Ralph Giordano aus dem P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland. Mit seinem öffentlich gemachten Austritt reagierte er auf die von ihm empfundenen »Stigmata der Quedlinburger PEN-Tagung«345 und 341
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Vgl. Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Abschlußbericht 1995–1997 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.–4. 4. 1998/Abschlußbericht 1–7, hier 6. Wortmeldung von Günter Grass auf der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Quedlinburg, April 1997. Zitiert nach Karl Otto Conrady an Andreas W. Mytze [7. 5. 1997]. Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997), S. 23. Vgl. Markus Deggerich: Grünes Licht für einen vereinten PEN. In Quedlinburg ging die Jahrestagung des PEN-Zentrums West harmonisch zu Ende. In: Berliner Morgenpost vom 21. 4. 1997. Vgl. Uwe Wesel: Vom Reich des Bösen? Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997), S. 25. Ralph Giordano: Ich trete aus! Offener Brief an Karl Otto Conrady, Präsident des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [25. 4. 1997]. Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997), S. 20f., hier S. 21.
protestierte gegen eine »möglichst schmerzlose Vereinigung«346 mit dem ostdeutschen P.E.N.-Zentrum. Giordano machte sich zum Fürsprecher der ausgetretenen DDR-Dissidenten; er bezichtigte all jene, die für einen maßvollen Umgang mit der DDR-Vergangenheit geworben hatten, der »feindseligen Einstellung zu den DDR-Dissidenten«, der »Verniedlichung des Verfolgungsapparates« und der »Entsorgungssucht«347 . Auch Präsident und Präsidium wurden zum Ziel seiner Anklage: »Wieso haben Sie […] geschwiegen zu dem unsäglichen Kondensat aus Täteraffinität bei gleichzeitig klar erkennbarer Sympathie- und Verständigungsabstinenz gegenüber ihren Opfern? Wieso sind Sie den Stasi-Minimierungsaktionen von Grass und Wesel nicht in die Parade gefahren?«348 »[O]hne Abschiedsschmerz« zog sich Giordano unter das »ehrenvolle[ ] Dach des Londoner Exil-PEN, Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland«349 zurück. Ihm folgten die Doppelmitglieder Ota Filip und Uwe Friesel.350 Ein öffentlicher Schlagabtausch folgte: Karl Otto Conrady wies Giordanos Vorwürfe entschieden zurück mit dem pointiert gesetzten Hinweis, Giordano sei bei der Quedlinburger Tagung gar nicht persönlich anwesend gewesen. Er habe einzelne Äußerungen lediglich bruchstückhaft zitiert und auf diese Weise für seine Aussage instrumentalisiert.351 Empört meldete sich Jürgen Fuchs zu Wort; er sah Giordano über jeden Zweifel an seiner Integrität erhaben.352 Dass Giordanos Zitate die Äußerungen von Grass und Wesel nur unzureichend wiedergegeben hatten, belegen Auszüge aus den Quedlinburger Redebeiträgen.353 Vorausgesetzt, Giordano kannte tatsächlich nur die von ihm wiedergegebenen, durchaus verfänglich zu interpretierenden Passagen, bleibt die spannende Frage, ob er bei Kenntnis der Gesamtzusammenhänge auch aus dem West-P.E.N. ausgetreten wäre. In den Feuilletons wurde der neuerliche Zank zunächst nur am 346
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Ralph Giordano: Ich trete aus! Offener Brief an Karl Otto Conrady, Präsident des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [25. 4. 1997]. Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997), S. 20f., hier S. 20. Ralph Giordano: Ich trete aus! Offener Brief an Karl Otto Conrady, Präsident des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [25. 4. 1997]. Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997), S. 20f., hier S. 20f. Ralph Giordano: Ich trete aus! Offener Brief an Karl Otto Conrady, Präsident des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [25. 4. 1997]. Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997), S. 20f., hier S. 20. Ralph Giordano: Ich trete aus! Offener Brief an Karl Otto Conrady, Präsident des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland [25. 4. 1997]. Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997), S. 20f., hier S. 21. Vgl. Beschlußprotokoll zur Präsidiumssitzung am 3. 6. 1997 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 3. 6. 1997/ Beschlußprotokoll 1 und 2, hier 1. Vgl. Karl Otto Conrady: Antwort an Ralph Giordano [26./27. 4. 1997]. Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997), S. 21f. Jürgen Fuchs an Karl Otto Conrady [25. und 27. 4. 1997]. Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997), S. 22. Wiedergegeben durch Karl Otto Conrady an Andreas W. Mytze [Hg. der europäischen ideen] [7. 5. 1997]. Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997), S. 23 und Uwe Wesel: Vom Reich des Bösen? Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997), S. 25. 961
Rande wahrgenommen. Lediglich in der Süddeutschen Zeitung erschien eine bitterböse Polemik des westdeutschen P.E.N.-Kollegen Herbert Riehl-Heyse, der sich nicht genug »wundern« konnte, dass den Vertretern aller großen deutschen Tageszeitungen die Brisanz der Quedlinburger Tagung entgangen war: [E]s ist nämlich so, daß es die Kollegen nur nicht mitgekriegt haben, so wenig wie die allermeisten Teilnehmer der Tagung. Mitgekriegt hat es dafür der Schriftsteller Ralph Giordano, der zwar nicht anwesend war, aber jemanden kennt, der da war: Weshalb nun doch – ein offener Brief war da hilfreich, bekannt geworden ist, daß in Quedlinburg ›Verhöhnung der Verfolgten‹ stattfand, […] mit einem Wort: ›Ungeheuerliche Verlautbarungen‹. Unsäglich, ungeheuerlich – darunter ist es nicht zu machen, wenn ein Dichter erklärt, warum er einen Verein verläßt.354
Riehl-Heyses Auslassungen signalisieren vor allem eines: Die Nerven im WestP.E.N. waren angespannt – nicht schon wieder endloser Streit wegen (un)berechtiger (Über)Empfindlichkeiten! Für zusätzliche Schlagzeilen sorgte schließlich eine Erklärung des P.E.N.-Zentrums Deutschsprachiger Autoren im Ausland, die auf der Grundlage von Giordanos offenem Brief den Verlauf der Quedlinburger Tagung und das Verhalten des Präsidiums attackierte: »Die infamen Anschuldigungen gegen die dissidenten DDR-Schriftsteller und die Verfälschung der literarischen Nachkriegsgeschichte in beiden Teilen Deutschlands drücken den gleichen Ungeist aus wie die Verfolgung und Vertreibung vieler unserer Vorkriegsmitglieder durch die Nazis.«355 Aus Sorge um eine ähnliche Vorgehensweise sagte der Exil-P.E.N. die Teilnahme an einem vom West-P.E.N. organisierten Symposium zum Thema Verlegen im Exil ab: »Wer zu […] Diffamierung und Schuldverdrängung schweigt, hat das moralische Recht verwirkt, sich zur deutschen Exilliteratur zu äußern.«356 Der West-P.E.N. antwortete mit einer scharfen Parade: Die Verzweiflung der Vereinigungsgegner angesichts der erfolgreichen und harmonischen Jahrestagung des westdeutschen P.E.N. in Quedlinburg ist offenbar so groß, daß sie sich nur noch mit üblen Diffamierungen zu helfen wissen. […] Wie die große Zahl der in Quedlinburg anwesenden Journalisten jederzeit bezeugen kann, hat es dort keinerlei ›freiheitsfeindliche und den toleranten Geist des P.E.N. verletzende Reden‹ gegeben. Niemand hat dissidente Schriftsteller diffamiert. […] Wer […] sich nicht scheut, frei erfundene Anschuldigungen auch noch mit ›Verfolgung und Vertreibungdurch die Nazis‹ zu vergleichen, bringt sich um den letzten Rest an Glaubwürdigkeit.357
Das Verhältnis der beiden deutschen P.E.N.-Zentren wurde von diesen heftigen Auseinandersetzungen nicht direkt berührt. Die Vorbereitung der Fusion 354
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Herbert Riehl-Heyse: Zwischenzeit. Wehender Schal. In: Süddeutsche Zeitung 103 (6. 5. 1997), S. 17. Fritz Beer und Uwe Westphal: Erklärung des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, London [5. 5. 1997]. Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997), S. 23f, hier S. 24. Beer und Westphal: Erklärung des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland. Karl Otto Conrady und Johano Strasser: Erklärung des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland vom 5. Mai 1997. Abgedruckt in: europäische ideen 104 (1997).
schritt ungehindert voran. Im August 1997 lag ein erster Entwurf des Verschmelzungsvertrages der beiden deutschen Zentren vor: Zwar bestand für diesen noch Diskussionsbedarf. Unlösbare Gegensätze in den Auffassungen von Ost- und Westpräsidium existierten indes nicht.358 Störend wirkte sich vielmehr die entschiedene Haltung des West-P.E.N. hinsichtlich der Fälle Köhler und Marquardt aus. In einem Rundbrief vom Oktober 1997 hatte das westdeutsche P.E.N.-Präsidium nachdrücklich auf den Austritt bzw. Ausschluss der beiden Ost-Mitglieder im Vorfeld der P.E.N.-Fusion gedrängt.359 Auch im direkten Briefverkehr mit dem ostdeutschen Präsident und seinem Generalsekretär hatte der West-Präsident Conrady diese Haltung deutlich gemacht: Eine Mitgliedschaft von Köhler und Marquardt in einem gemeinsamen P.E.N.-Zentrum lehne man auf Grund ihrer langjährigen und intensiven Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit ab.360 Im November 1997 erhob Conrady schließlich die abschließende Klärung der Fälle Köhler und Marquardt, ergo deren Austritt bzw. Ausschluss, zur Bedingung der Fusion: »Unausweichlich ist es deshalb […], daß wir uns […] nur dann für die Verabschiedung von Vertrag und Satzung aussprechen können, wenn die bekannten Schwierigkeiten behoben sind.«361 Im Ost-P.E.N. fühlte man sich ungebührlich unter Druck gesetzt. Schlenstedt machte aus seiner Empörung über die Vorbedingungen einer Fusion in einem Schreiben an Conrady kein Hehl und teilte zugleich seine Sorge über das mögliche Scheitern des Zusammenschlusses mit: »Noch ein paar Kurven auf dieser Bahn, und wir werden das Bedauern hören, daß eine Vereinigung trotz aller Anstrengungen nicht möglich sei.«362 Sachlich informierte er jedoch über den Stand der Untersuchungen in den Fällen Köhler und Marquardt, die Mensching und Reschke in ihrem Abschlussbericht am Ende des Jahres 1997 noch einmal zusammengefasst hatten: Das vorliegende Material gegen Marquardt reiche nicht aus, um ihm ein Verhalten wider die Charta zu beweisen. Unbestreitbar seien die Kontakte zur Staatssicherheit, aber man sehe »keinen einzigen Fall der 358
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Vgl. Dieter Schlenstedt an die Mitglieder des Präsidiums [10. 8. 1997]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz ab 1997 bis 30. 4. 1999/Schlenstedt Dieter 2, 2a–2d. Vgl. weiterhin Friedrich Dieckmann an Joochen Laabs [27. 8. 1997]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz ab 1997 bis 30. 4. 1999/Dieckmann Friedrich 1, sowie Gerhard Schoenberner:Anmerkungen zu den Textentwürfen (PEN»Verschmelzung«)[31. 9. 1997].P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz ab 1997 bis 30. 4. 1999/Gerhard Schoenberner 1, 1a und b. Vgl. Beschlußprotokoll zur Präsidiumssitzung am 19. 12. 1997 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 19. 12. 1997/ Beschlußprotokoll 1 und 2, hier 1. Vgl. Karl Otto Conrady an Dieter Schlenstedt und Joochen Laabs [19. 9. 1997]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenzab 1997 bis 30. 4. 1999/Karl Otto Conrady 6, 6a und 6b. Karl Otto Conrady an Dieter Schlenstedt [22. 11. 1997]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz ab 1997 bis 30. 4. 1999/Karl Otto Conrady 5. Dieter Schlenstedt an Karl Otto Conrady [11. 12. 1997]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz ab 1997 bis 30. 4. 1999/Schlenstedt 1 und 1a, hier 1. 963
Schädigung von Literatur und/oder Literaten. Im Gegenteil: Marquardt ha[be] die Literatur gefördert wie kaum ein anderer.«363 Gleichwohl hatte Marquardt, »der Querelen sicherlich müde und wohl auch um der höheren Priorität der Fusion willen, die Bereitschaft angedeutet, sich unter bestimmten Voraussetzungen aus dem PEN zurückzuziehen.«364 Sehr viel schwieriger stellte sich noch immer die Sachlage im Fall Köhler dar. Köhler weigerte sich, wie bereits ganz zu Beginn der Gespräche, eine klare Stellungnahme zu den Vorwürfen abzugeben. Zwischenzeitlich lag dem Ehrenrat zwar der Nachweis seiner Identität als IM »Heinrich« vor, »in Gestalt zweier Karteikarten (Klarname und Deckname) mit gleicher Registriernummer.«365 Die Suche nach einschlägigem Aktenmaterial hatte sich hingegen schwierig gestaltet.366 Eine Zusammenarbeit mit dem Ehrenrat hatte Köhler weiterhin abgelehnt und verschärfte mit diversen Auftritten, die in erster Linie einer Selbststilisierung, nicht aber der Klärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe dienten, den Konflikt. Die Bitte des Ehrenrats, seine P.E.N.-Mitgliedschaft zu beenden, beantwortete Köhler halsstarrig: »Ich verbleibe im P.E.N. und mit freundlichen Grüßen«367 . Der Beschluss, keine Ausschlüsse vorzunehmen, hatte für das Präsidium weiterhin bindende Geltung. Im Grunde stand der Ost-P.E.N. damit vor einem unlösbaren Dilemma. Für Köhler gab es lediglich ein Argument: Er war erst 1991 in den P.E.N. zugewählt worden. Seine Tätigkeit für die Staatssicherheit wurde in die siebziger Jahre datiert. Laut Ehrenratsbericht sollte das Präsidium darüber befinden, ob die Mitgliederversammlung des Jahres 1998 eine Entscheidung in diesem Fall fällen sollte.368 Offenkundig setzte man im West-Präsidium alles daran, ein Scheitern der bevorstehenden Vereinigung zu verhindern. Ein wenig betroffen über Schlenstedts Verärgerung versicherte Conrady noch im Dezember 1997 nachdrücklich, dass sich Präsidium, Präsident und Generalsekretär des West-P.E.N. einer
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Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Abschlußbericht 1995–1997 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.– 4. 4. 1998/Abschlußbericht 1–7, hier 7. Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Abschlußbericht 1995–1997 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.– 4. 4. 1998/Abschlußbericht 1–7, hier 7. Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Abschlußbericht 1995–1997 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.– 4. 4. 1998/Abschlußbericht 1–7, hier 7. Vgl. etwa Beschlußprotokoll zur Präsidiumssitzung am 17. 1. 1997 [o. D.]. P.E.N.Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 17. 1. 1997/Beschlußprotokoll 1–3, hier 1f. Zitiert nach Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Abschlußbericht 1995– 1997 [o. D.]. P.E.N.-Archiv(Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidiumab 1995’bis 1998/Jahrestagung 3.–4. 4. 1998/ Abschlußbericht 1–7, hier 7. Vgl. Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Abschlußbericht 1995–1997 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995’bis 1998/Jahrestagung 3.–4. 4. 1998/ Abschlußbericht 1–7, hier 7.
baldigen Fusion der beiden deutschen Zentren verpflichtet fühlten.369 Anfang Februar 1998 signalisierte der westdeutsche Generalsekretär Strasser schließlich, dass die Entscheidung über Köhler und Marquardt nunmehr in der alleinigen Verantwortung des Ost-P.E.N. liege: »Wir sind übereingekommen, daß wir von uns aus nun nichts mehr unternehmen können, um in der Angelegenheit Köhler und Marquardt zu einer akzeptablen Lösung zu kommen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als Eure Entscheidung in der Sache abzuwarten.«370 Der OstP.E.N. beharrte auf seinem Standpunkt. Den Ausschluss von Köhler und Marquardt als Voraussetzung der Einigung lehnte er ab, auch nach dem gesundheitsbedingten Rücktritt von Dieter Schlenstedt als Präsident im Dezember 1997.371 Das Präsidium, dem nunmehr kommissarisch B. K. Tragelehn als Präsident vorsaß, hatte den Mitgliedern im Vorfeld der entscheidenden Mitgliederversammlung, die im April 1998 über die Vereinigung endgültig abstimmen sollte, die Annahme des Fusionsvertrages empfohlen.372 Eine Verknüpfung der Probleme um die Vergangenheit einzelner Mitglieder mit der Vereinigungsfrage könne es jedoch nicht geben, so B. K. Tragelehn: »Das sind zwei Paar Schuhe. Im Namen sogenannter höherer Prinzipien sogenannte schwarze Schafe zu opfern, das erinnert zu sehr an die Riten für Einheit und Reinheit.«373 Die »Klärung der beiden ambivalenten Fälle« sollte »interne Angelegenheit des Ost-PEN«374 bleiben, der Ehrenrat sollte auch nach einem etwaigen Zusammenschluss fortbestehen. Hinsichtlich der Haltung zur Einheit blieben die Jahresversammlungen der beiden P.E.N.-Zentren abzuwarten. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) verabschiedete auf seiner Berliner Mitgliederversammlung im April 1998 den Verschmelzungsvertrag mit dem West-P.E.N und die künftige Satzung des neu zu schaffenden P.E.N.-Zentrums Deutschland mit entschiedenen Mehrheiten. Sitz des geeinten deutschen P.E.N. sollte, aufgrund der praktischen und vor allem finanziellen Bedingungen, Darmstadt sein. Die Satzung eröffnete aber die Möglichkeit, an anderen Orten Büros für regionale Tätigkeiten einzurichten. Hinsichtlich der Zuwahl neuer Mitglieder 369
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Karl Otto Conrady an Dieter Schlenstedt [15. 12. 1997]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Korrespondenz ab 1997 bis 30. 4. 1999/Karl Otto Conrady 4 und 4a, hier 4. Johano Strasser an Joochen Laabs [8. 2. 1998]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 6. 3. 1998/Johano Strasser 1. Dieter Schlenstedt an die Mitglieder des Präsidiums [11. 12. 1997]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 19. 12. 1997/Dieter Schlenstedt 1–4, hier 1. Vgl. B. K. Tragelehn an alle Mitglieder [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PENClub/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.–4. 4. 1998/B. K. Tragelehn 1 und Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost): Rundbrief 1/1998 [22. 1. 1998]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.–4. 4. 1998/Rundbrief 1–3, hier 1. Irmtraud Gutschke: Wird der PEN bald gesamtdeutsch? Nachgefragt bei B. K. Tragelehn. In: Neues Deutschland vom 3. 4. 1998. Beschlußprotokoll zur Präsidiumssitzung am 6. 3. 1998 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Präsidiumssitzung 6. 3. 1998/Beschlußprotokoll 1 und 2, hier 1. 965
hatte sich die Kommission für das Verfahren des Ost-P.E.N. entschieden, d. h. jedes neue Mitglied musste vor dem eigentlichen Wahlvorgang von mindestens zwei Mitgliedern vorgeschlagen und durch das Präsidium bestätigt werden.375 Eine Entscheidung über Köhler und Marquardt fiel auf der Mitgliederversammlung nicht. Noch einmal wiederholte Ehrenratsmitglied Thomas Reschke mit Verweis auf eingehende Gespräche, dass bei Marquardt keine Verstöße gegen die Charta vorlägen. Schwieriger lagen die Dinge bei Köhler; dieser war selbst erschienen und hatte einen eigensinnigen Text verlesen, der in der Hauptsache seine Ablehnung gegenwärtiger bundesdeutscher Verhältnisse zum Ausdruck brachte.376 Eine eindeutige Stellungnahme zu den IM-Vorwürfen verweigerte Köhler weiterhin, ebenso wie einen freiwilligen Austritt. Noch einmal machte Tragelehn deutlich, dass der Ost-P.E.N. bisher niemanden ausgeschlossen habe und auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht willens sei, dies zu tun.377 Die Einsicht, dass sich auf diese Weise keine Vergangenheit bewältigen lasse, überwog auch bei den Teilnehmern der Mitgliederversammlung. Köhler blieb P.E.N.-Mitglied. Einen Monat später tagte der West-P.E.N. in München. Mit einer Mehrheit von 95 Prozent beschloss die Versammlung die Vereinigung mit dem Ost-P.E.N. – ohne die Streitfälle Köhler und Marquardt für sich letztgültig zu klären.378 Eine Zusatzresolution schrieb fest, »daß in der Verurteilung geheimdienstlicher Tätigkeiten keine Abstriche gemacht werden«379 würden. Im Fall Marquardt hatte sich auch aus westdeutscher Sicht eine uneindeutige und komplexe Sachlage ergeben; Köhler hingegen galt erwiesenermaßen als IM. Gleichwohl lagen auch hier die Dinge nicht eindeutig. Der von Köhler bespitzelte Schlesinger, Mitglied des West-P.E.N., war der Meinung, dass Köhler nicht ausgeschlossen werden sollte. Die Entscheidung über Köhlers (Nicht-)Ausschluss aus dem P.E.N. erwartete man auf der für Oktober 1998 avisierten Vereinigungssitzung der beiden Zentren.380 Kaum hatte die westdeutsche Mitgliederversammlung den Zusammenschluss mit dem Ost-P.E.N. mehrheitlich gebilligt, folgte die öffentlichkeitswirksame Austrittsdrohung des Hamburger Autors Jost Nolte, der sich schon 375
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Vgl. Joochen Laabs: Erläuterungen zu den Entwürfen [der gemeinsamen Satzung] [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995 bis 1998/Jahrestagung 3.–4. 4. 1998/Erläuterungen zu den Entwürfen 1 und 2. Vgl. Eine Wortmeldung von Erich Köhler. Stellungnahme auf der PEN (Ost)Tagung am 3./4. April 1998. In: junge Welt vom 8. 5. 1998. Verfügbar unter URL: http://www.jungewelt.de/1998/05-08/016.htm [Zugriff: 4. 11. 1998]. Irmtraud Gutschke: Und nun ins Offene. Tagung des Ost-PEN: Beinahe einstimmig für ein gesamtdeutsches Zentrum. In: Neues Deutschland vom 6. 4. 1998. Vgl. Peter Michalzik: Was sein wird, stiften die Dichter. Die Mitgliederversammlung des westdeutschen PEN beschließt die Vereinigung: Beginnt eine neue Zeit? In: Süddeutsche Zeitung 113 (18. 5. 1998), S. 14. Peter Michalzik: Was sein wird, stiften die Dichter. Die Mitgliederversammlung des westdeutschen PEN beschließt die Vereinigung: Beginnt eine neue Zeit? In: Süddeutsche Zeitung 113 (18. 5. 1998), S. 14. Vgl. Peter Michalzik: Was sein wird, stiften die Dichter. Die Mitgliederversammlung des westdeutschen PEN beschließt die Vereinigung: Beginnt eine neue Zeit? In: Süddeutsche Zeitung 113 (18. 5. 1998), S. 14.
im Vereinigungsstreit plakativ als Ankläger des Ost-P.E.N. und der westlichen Einigungsbefürworter in Szene gesetzt hatte. Mit ins Boot nahm er Kay Hoff, Joachim Walther und Ulrich Schacht. Die Kritik zielte in erster Linie auf den Ost-P.E.N., der nicht konsequent genug mit den »Stasispitzeln unter [sein]en Mitgliedern«381 umgegangen sei. Hoff, Walther382 und Schacht gingen tatsächlich. Hauptgrund für Schacht war die von ihm als unerträglich empfundene Verharmlosung der SED-Diktatur nach dem durchsichtigen Legitimations-Motto: Aber die gut gemeinte ›Deutsche Demokratische Republik‹ war mehr als nur die böse geratene SED-Diktatur! Weil dies redlicherweise nicht geht, aber wieder und wieder geltend gemacht wird und angewendet wurde, auch im P.E.N., auch auf bestimmte Ost-Biographien mit MfS-Grundierung – in welcher Reduktionsform und Interpretationsweise auch immer –, darum mußten und müssen wir gehen.383
Weniger konsequent agierte Nolte. Bei seiner Austrittsdrohung handelte es sich mehr um ein öffentliches Kettenrasseln. Er blieb Mitglied des deutschen P.E.N.,384 auch nach der von ihm angefeindeten Vereinigung der deutschen Zentren, die noch 1998 vollzogen wurde. Nach fast acht Jahre währendem öffentlichen Streit wurde in Dresden (29.– 31. 10. 1998) die Verschmelzung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren formaljuristisch besiegelt. Eine »kabarettreife Debatte um Vereinsparagraphen«385 ging der endgültigen Vereinigung voraus. Zwar war ursprünglich die Dresdner Tagung als erste gemeinsame Versammlung der beiden Zentren geplant gewesen. Aufgrund fehlender notarieller Aufsicht bei den getrennten Abstimmungen von Berlin und München, die für einen Eintrag ins Vereinsregister verbindlich war, musste zunächst das Abstimmungsprocedere zur Vereinigung wiederholt werden.386 Mit breiten Mehrheiten stimmten die ost- und westdeutschen P.E.N.-Mitglieder, jeweils für sich, dem Zusammenschluss ein weiteres Mal zu: 381
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[dpa]: Reaktionen. Autoren drohen mit Austritt. In: Süddeutsche Zeitung 113 (18. 5. 1998), S. 13. Zum Austritt von Kay Hoff lassen sich keine gesicherten Nachweise erbringen. Im Gegensatz zum Autorenlexikon1996/97 findet sich im Autorenlexikon2000/2001 sowie im aktuellen Mitgliederverzeichnis des P.E.N.-Zentrums Deutschland kein Eintrag. Joachim Walthers Austritt im Jahr 1998 ist in der Biographie auf der persönlichen Homepage des Autors vermerkt. Verfügbar unter URL: http://www.taulos.de [Zugriff: 11. 1. 2007]. Ulrich Schacht: Wahrheit im Exil. Erklärung: Zum Austritt aus dem P.E.N.Deutschland. In: junge freiheit 35 (21. 8. 1998). Verfügbar unter URL: http://www.jfarchiv.de/archiv 98/358aa05.htm [Zugriff: 11. 1. 2007]. Schacht trat nicht generell aus dem P.E.N. aus; er wechselte zum P.E.N.-Zentrum Deutschsprachiger Autoren im Ausland mit Sitz in London. Vgl. Bio-bibliographischer Eintrag zu Jost Nolte. In: P.E.N.-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2000/2001. Wuppertal 2000, S. 302. Karin Großmann: Erste Probe bestanden.Fast hätte sich das Vereinigenin juristischen Fußangeln verfangen. In: Sächsische Zeitung vom 31. 10./1. 11. 1998, S. 18. Vgl. Albert von Schirnding:Im alten Fahrwasser.Utopia in Dresden: Die beiden PENZentren sind vereint. In: Süddeutsche Zeitung 254 (4. 11. 1998), S. 20. 967
»Für die Vereinigung plädierten 97,1 Prozent der anwesenden Mitglieder des West-PEN und 96,87 Prozent aus dem Ost-PEN. Da gab es Gelächter. Das sei doch wie bei einer Volkskammerwahl.«387 Den wenigsten war bewusst, dass sie mit ihrer Zustimmung zum Verschmelzungsvertrag zugleich, gemäß den gesetzlichen Vorgaben des Vereinsrechts, ein von den alten Präsidien zusammengestelltes, neues Präsidium bestätigten. Widerspruch regte sich. Der neu ins Amt des Präsidenten eingesetzte Schriftsteller Christoph Hein, der als eins der ersten ostdeutschen P.E.N.-Mitglieder die Doppelmitgliedschaft im West-P.E.N. beantragt hatte, löste das Dilemma schließlich pragmatisch; er setzte ad hoc ein nachträgliches Vertrauensvotum zur (pseudo-)demokratischen Legitimation des neuen Präsidiums an, das einhellige Zustimmung erhielt.388 Somit konnte sich Christoph Hein als Präsident zwar nicht formell gewählt fühlen. Immerhin war er jedoch von den anwesenden 130 Mitgliedern mit großer Mehrheit bestätigt worden; er galt gemeinhin »als moralisch integere Person«389 , als geeignete Integrationsfigur an der Spitze eines ersten gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrums nach der Spaltung von 1951. Hein war nicht nur seit einigen Jahren Mitglied beider deutscher Sektionen. In seinem literarischen Werk hatte er bereits vor dem Mauerfall Kritik am System der DDR geübt und war in Ost und West als zeitkritischer Autor hervorgetreten. Bekannt war er auch für seine öffentliche Einmischung in politische Debatten. 1987 hatte er scharfe Kritik an der Zensurpraxis im Verlagswesen der DDR geübt; im November 1989 gehörte er zu den Rednern auf dem Alexanderplatz. Heins Ernennung zum Präsidenten setzte aber auch ein »Zeichen gegenseitiger Akzeptanz«390 . Zur Seite gestellt wurde Hein der in P.E.N.-Dingen erfahrene Johano Strasser; er übernahm auch im vereinten deutschen P.E.N. das Amt des Generalsekretärs. Schatzmeister wurde Sigfrid Gauch. Elsbeth Wolffheim und Joochen Laabs übernahmen die Vizepräsidentschaften. Das Präsidium als Beisitzer ergänzten Brigitte Burmeister, Jörg Drews, Michael P. Hamburger, Wend Kässens, Burkhard Spinnen, Herbert Wiesner und KD Wolff.391 Es war gelungen, ein sorgsam zwischen Ost und West austariertes Präsidium zu installieren, dessen Mitglieder, wenn nicht über Präsidiums- so doch über mehrjährige Club-Erfahrung verfügten. Mit dem Ende des Vereinigungsstreits verband sich die Hoffnung, dass der nunmehr auf dem Papier geeinte deutsche P.E.N., der jahrelangen Selbstblockade enthoben, zu seinen eigentlichen Aufgaben, der Hilfe für inhaftierte 387
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Irmtraud Gutschke: Wenn der Sturm sich legt. Das PEN-Zentrum Deutschland tagte zum ersten Mal in Dresden. In: Neues Deutschland vom 2. 11. 1998. Vgl. Nils Kahlefendt: Endlich geeint. In: Börsenblattfür den deutschen Buchhandel 89 (6. 11. 1998), S. 6f., hier S. 6 und Karin Großmann: Erste Probe bestanden. Fast hätte sich das Vereinigen in juristischen Fußangeln verfangen. In: Sächsische Zeitung vom 31. 10./1. 11. 1998, S. 18. Jörg Magenau: Von der Oder bis zu Saar. In: die tageszeitung 5675 (2. 11. 1998), S. 16. Irmtraud Gutschke: Unbeirrbar. Christoph Hein. In: Neues Deutschland 198 (31. 10./ 1. 11. 1998), S. 2. Vgl. Karin Großmann: Erste Probe bestanden. Fast hätte sich das Vereinigen in juristischen Fußangeln verfangen. In: Sächsische Zeitung vom 31. 10./1. 11. 1998, S. 18.
Autoren und dem Einsatz für Freiheit von Kunst und Literatur, zurückkehren könne. Das neu zusammengefundene P.E.N.-Zentrum Deutschland musste sowohl national als auch international für die Rückgewinnung seines Ansehens eintreten und sich verstärkt den aktuellen Problemen widmen. Als Kernstück der P.E.N.-Aufgaben sah Hein die Arbeit des Writers in Prison-Komitees: »Es gibt noch immer zu viele Länder, wo Schriftsteller mit Arbeitsverbot, Gefängnis und Tod bedroht werden.«392 Auch Generalsekretär Strasser sah in der Unterstützung der weltweit verfolgten, insbesondere der ins Exil gegangenen Autoren ein gewichtiges Arbeitsfeld: »Wir müssen dafür sorgen, daß sie Publikationsmöglichkeiten erhalten, damit sie als Schriftsteller leben können und nicht als Taxifahrer. Das ist ein berufliches und ein menschliches Problem.«393 Doch mit der geglückten Einigung sollte die problematische Vergangenheitsbewältigung, die nicht als abgeschlossen gelten konnte, keineswegs zum Erliegen kommen. Einhellig gefordert wurde eine Fortsetzung des kritischen, ja streitbaren Dialogs und des notwendigen Erfahrungsaustausches über die Vergangenheiten in den beiden Teilen Deutschlands. Nur auf diese Weise könne ein Miteinander erreicht werden, so B. K. Tragelehn.394 Das P.E.N.-Zentrum Deutschland stand, als zukünftiger Dachverband von Autoren aus Ost- und Westdeutschland, vor vielfältigen und schwierigen Aufgaben, deren (Nicht)Bewältigung eng mit der Reputation der angeschlagenen Vereinigung verbunden war.
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[Ingo Arend und Detlev Lücke]: Erschöpfung ist eine Produktivkraft. Christoph Hein über die unendliche Geschichte der Pen-Vereinigung. In: Freitag 47 (13. 11. 1998), S. 3. Zitiert nach Karin Großmann: Erste Probe bestanden. Fast hätte sich das Vereinigen in juristischen Fußangeln verfangen. In: Sächsische Zeitung vom 31. 10./1. 11. 1998, S. 18. Vgl. Karin Großmann: Erste Probe bestanden. Fast hätte sich das Vereinigen in juristischen Fußangeln verfangen. In: Sächsische Zeitung vom 31. 10./1. 11. 1998, S. 18. 969
11.
Der P.E.N.-Club in der DDR: Intellektueller Freiraum? Politisches Instrument?
Mit Blick auf die Geschichte des vereinigten P.E.N.-Zentrums Deutschland soll zu Beginn der abschließenden Betrachtungen auf ein Ereignis eingegangen werden, das die innere Widersprüchlichkeit der Institution P.E.N. in der DDR exemplarisch vor Augen führt. Nach der 1998 erfolgten Vereinigung der deutschen P.E.N.-Zentren waren die Fragen um die Verbindungen einzelner P.E.N.Mitglieder mit der Staatssicherheit der DDR zunächst in den Hintergrund getreten. Auf der Erfurter Jahrestagung im Mai 2001 brach die Diskussion erneut auf. Der seit Beginn der neunziger Jahre der IM-Tätigkeit verdächtigte Schriftsteller Erich Köhler, dem in Vorbereitung der Jahrestagung der freiwillige Rückzug aus dem P.E.N. nahe gelegt worden war, demonstrierte in einer Stellungnahme vor den in Erfurt anwesenden P.E.N.-Mitgliedern mehr als deutlich seinen Unwillen, die Schriftstellervereinigung wegen der gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe zu verlassen. Zwar ließ er seine P.E.N.-Kollegen hier nicht mehr, wie noch in seiner »Geringverursachte[n] Schutzred«1 auf der Jahrestagung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) von 1993, über seine Verknüpfung mit dem Ministerium für Staatssicherheit im Unklaren. Ohne jegliche Reue stilisierte er sich indes als überzeugten Verteidiger der »Idee von Hammer, Zirkel und Ährenkranz«2 und stellte die einstige Notwendigkeit eines Staatssicherheitsdienstes zum Schutz der DDR gegen innere und äußere Feindtätigkeit deutlich heraus. Der »von vielen als gespenstisch empfundenen Rede«3 folgte eine Debatte um Köhlers IMTätigkeit, die jedoch ohne konkretes Ergebnis blieb. Auf der darauf folgenden Jahresversammlung in Darmstadt (April 2002) legte der Ehrenrat des P.E.N.-Zentrums Deutschland auf der Grundlage von Martin Weskotts Forschungsarbeiten im BStU-Archiv4 den Abschlussbericht 1
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Vgl. Erich Köhler: Ich sehe IM-Tätigkeit anders. Geringverursachte Schutzred«. In: Kommunistische Arbeiterzeitung 262 (20. 1. 1995). Verfügbar unter URL: http:// www.erich-koehler-ddr.de/pen-ausschluss/pen/ Schutzred.htm [Zugriff: 3. 5. 2007]. Erich Köhler: Zweite Stellungnahme. Verfügbar unter: URL: http://www.erichkoehler-ddr.de/pen-ausschluss/pen/2001.htm [Zugriff: 3. 5. 2007]. Stephan Niemegk: Verjüngt. Linksbündig. Beim P.E.N. tagte man in diesem Jahr pragmatisch, effizient. In: Freitag 19 (3. 5. 2002). Verfügbar unter URL: http://www. Freitag.de/2002/19/01191102.php [Zugriff: 4. 5. 2007]. Vgl. Martin Weskott: Hinter den Aktenbergen. Schriftsteller und Staatssicherheit am Beispiel Erich Köhler. Ein Forschungsbericht. Catlenburg 2002. Scharfe Angriffe auf Weskotts Forschungsbericht, der aus wissenschaftlicher Sicht durchaus Mängel aufweist, gab es etwa durch Wolfgang Schmidt, Sprecher des Insiderkomitees zur kriti-
zum Fall Köhler vor, der ein deutliches Urteil fällte: »Eine weitere Mitgliedschaft Erich Köhlers im P.E.N. ist nicht zumutbar.«5 Weskotts Nachforschungen hatten eindeutige Belege ergeben, dass Köhler von 1972 bis 1975 als IM »Fritz«, ab 1975 als IME »Heinrich« für die Staatssicherheit der DDR tätig gewesen war und zahlreiche Berichte über Schriftstellerkollegen abgeliefert hatte.6 Fraglich erschien demnach lediglich die Dauer seiner Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst. Ob seine Zuträgerdienste bis ins Jahr 1989 vom Ministerium für Staatssicherheit in Anspruch genommen worden waren, ist aufgrund der schwierigen Aktenlage bis heute ungeklärt. Nach Einschätzung des Ehrenrates machten die vorliegenden Dokumente jedoch deutlich, »daß Erich Köhler nicht irgendein IM war, sondern einer der IMs, die die Maschinerie der Denunziation in Gang hielten und durch ihre mündlichen Berichte – über viele Schriftsteller – und schriftlichen Gutachten ein Mosaik von belastenden Details schufen, das je nach Situation gegen die Betroffenen verwendet werden konnte.«7 Laut Abschlussbericht des Ehrenrats zeigten die aufgefundenen Akten, dass Köhlers IM-Berichte »nicht das Ergebnis eines kauzigen Seitensprungs [seien], sondern Teil einer kontinuierlichen Feindaufspürung, bei der das Vertrauensverhältnis von Freundschaften und persönlichen Bekanntschaften nachrichtendienstlich genutzt und instrumentalisiert wurde.«8 Noch in Darmstadt meldete sich der derart massiv Beschuldigte, der sich offenkundig nach dem Mauerfall weiterhin in einem eindeutig kommunistisch orientierten Milieu bewegte,9 in einer wiederum eigenwilligen Stellungnahme zu Wort. Er unternahm nicht bloß den Versuch, seine IM-Tätigkeit zu bagatellisieren und sich selbst als Opfer einer politischen Rufmordkampagne darzustellen, sondern blies zugleich zum Angriff auf den »edel-einfältigen Pfarrer[ ]«10 Mar-
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schen Aneignung der Geschichte des MfS. Vgl. Wolfgang Schmidt: Zu dem fragwürdigen Forschungsbericht des Pfarrers Martin Weskott ›Hinter den Aktenbergen‹. Verfügbar unter URL: http://www.erich-koehler-ddr.de/pen-ausschluss/pen/Weskott.html [Zugriff: 8. 5. 2007]. Schmidt selbst entlarvt sich indes durch seine Ausführungen als rückwärtsgewandter Befürworter und Verteidiger des DDR-Staatssicherheitsdienstes. Thomas Reschke, Thomas von Vegesack und Martin Westkott: Abschlussbericht des Ehrenrates des P.E.N. Zentrum Deutschland e. V. wegen des gegenüber Erich Köhler erhobenen Vorwurfes, gegen die Charta des Internationalen P.E.N. verstoßen zu haben. Verfügbar unter URL http://www.erich-koehler-ddr.de/pen-ausschluss/pen/ AbschlBer.htm [Zugriff: 3. 5. 2007]. Vgl. Weskott, S. 5. Thomas Reschke, Thomas von Vegesack und Martin Westkott: Abschlussbericht des Ehrenrates. Reschke, von Vegesack und Westkott: Abschlussbericht des Ehrenrates. Erich Köhler war noch 2003 aktives Mitglied der D[eutsche]K[ommunistische]P[artei]Gruppe Niederleusitz und publizierte in deren Parteiorgan Das kleine Blatt (DKB), Zeitung der deutschen kommunistischen Partei Deutschlands Niederleusitz. An der kategorischen Bejahung der kommunistischen Ideologie lassen seine dort niedergelegten Äußerungen keine Zweifel zu. Erich Köhler: Dritte Stellungnahme vor dem P.E.N.-Zentrum Deutschland, Vollversammlung Darmstadt [April 2002]. Verfügbar unter URL: http://www.erich-koehlerddr.de/pen-ausschluss/pen/2002.html [Zugriff: 3. 5. 2007]. 971
tin Weskott und den Ehrenrat. Letzterer sei ein »verlängerter Arm einer NichtP.E.N.-Behörde«, »fremdgesteuertes Implantat des deutschen P.E.N.«, und seinen Mitgliedern eigne eine »pathologisch mittelalterliche Verfolgungsneurose«11 . Doch wogegen sich Köhler erbittert zur Wehr zu setzen versuchte, geschah: Die in Darmstadt versammelten Mitglieder stimmten mit deutlicher Zweidrittelmehrheit für seinen Ausschluss.12 Die Tatsache, dass Köhler erst 1991 in den Ost-P.E.N. gewählt worden war, de facto also zum Zeitpunkt seiner Zuwahl die Mitarbeit beim Ministerium für Staatssicherheit beendet gewesen war, fand bei dieser Entschließung keine Berücksichtigung. Ausschlaggebendes Moment für den Ausschluss war die Tatsache, dass Köhler weder Reue noch Einsicht hinsichtlich seiner keineswegs geleugneten Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst gezeigt hatte. Der scheidende P.E.N.-Präsident Said sah die Beweiskraft der gegen Köhler vorgelegten Dokumente als übermächtig an. Er knüpfte an Köhlers Ausschluss die Hoffnung auf eine Entspannung des Verhältnisses zwischen Ost- und West-Autoren im deutschen P.E.N.-Club. Mit Köhlers Ausschluss sei der »letzte bislang bekannte Stasi-Fall im PEN gelöst und damit ein Hindernis für das Zusammenrücken der ost- und westdeutschen Autoren aus dem Weg geräumt«13 . Während die einen Köhlers Ausschluss als notwendige Konsequenz des erwiesenen Charta-Verstoßes und eine Befreiung des P.E.N. von den »Schatten der jüngsten deutschen Geschichte«14 werteten, die den Weg für die drängenden Fragen der Gegenwart freimachen würde, begegneten einzelne der Darmstädter Entscheidung mit Skepsis. Gerhard Zwerenz etwa, 1957 wegen drohender Inhaftierung aus der DDR in den Westen geflohen, empfand das Vorgehen gegen Köhler als ungerecht: »Ein Mulm von Verdächtigungen, Vorwürfen, Anklagen. […] Vor 1989 wäre ich [Köhler] als Feind begegnet. Jetzt könnte er mir wie ich ihm Gegner sein, ist aber auch Kollege, dazu alt, leidend, schwach, offensichtlich sozial auf Null. Die versammelte Masse scheint absolut kontra zu stehen. Die schmierigsten Opportunisten geiern am heftigsten auf ihn ein. Das Establishment hat längst die Weichen auf Ausschluß gestellt. Ich bin sauer. Alle gegen einen – das ist mies, würde Mama sagen.«15 Zwerenz interpretierte Köhlers Ausschluss als Zeichen des im P.E.N.-Zentrum Deutschland vorherrschenden Bestrebens, eine Beschäftigung mit der (eigenen) Vergangenheit in der DDR zum 11 12
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Köhler: Dritte Stellungnahme. Vgl. [dpa]: Konsequenz. Der Pen schließt Erich Köhler aus. In: Süddeutsche Zeitung 99 (29. 4. 2002), S. 15. [dpa]: PEN schließt Köhler aus. In: Hamburger Abendblatt vom 29. 4. 2002. Verfügbar unter URL: http://www.abendblatt.de/daten/2002/04/29/18276.htmlprx=1 [Zugriff: 4. 5. 2007]. Stephan Niemegk: Verjüngt. Linksbündig. Beim P.E.N. tagte man in diesem Jahr pragmatisch, effizient. In: Freitag 19 (3. 5. 2002). Verfügbar unter URL: http://www. Freitag.de/2002/19/01191102.php [Zugriff: 4. 5. 2007]. Gerhard Zwerenz: Letzter Ausschluß aus dem PEN? In: Ossietzky 24 (2002). Verfügbar unter URL: http://www.sopos.org/aufsaetze/3e11df5541cc7/1.phtml [Zugriff: 3. 5. 2007].
Abschluss zu bringen bzw. gänzlich zu verweigern und für Harmonie zwischen Ost und West zu sorgen: Der PEN vermeint, mit Erich Köhlers Abgang die Vereinigungskonflikte beendet zu haben, und dokumentiert doch nur seine Unfähigkeit im Umgang mit essentiellen Differenzen. […] Im PEN von 2002 ist nicht mal mehr ein Schatten vergangener Kämpfe und Erkenntnisse wahrzunehmen. Ein alter Dichter wird per Ausschluß an den Pranger gestellt. Den westlichen Mitgliedern war’s leicht peinlich, den östlichen Herzensangelegenheit.In Darmstadt hörte ich zwei Kollegendiesen Köhler so heftig beschimpfen, wie ich sie vor 1989 Moskau und Ostberlin belobigen hörte. Per Finger auf den anderen weisend spielen sie Versteck mit dem eigenen Gewissen.16
Die widerstrebenden Meinungen hinsichtlich des Falls Köhler zeigen, dass auch einige Jahre nach der Vereinigung die Grundfrage des Konfliktes, nämlich die höchst umstrittene Frage nach der moralischen Integrität der einstigen OstSektion und ihrer Mitglieder, noch immer nicht letztgültig und einheitlich geklärt war. Sie unterlag vor dem Hintergrund des persönlichen Erfahrungshorizonts weiterhin der subjektiven Einschätzung und Entscheidung jedes einzelnen Mitglieds. Zwar war mit Köhlers mehrheitlich beschlossenem Ausschluss der vorläufig letzte Stein des Anstoßes beiseite geräumt. Daran änderten im Nachgang von Darmstadt auch Erich Köhlers mehrfache Versuche, gegen den Ausschluss vorzugehen, nichts. Im September 2002 legte Köhler einen ausführlichen Protest gegen seinen Ausschluss vor und beantragte »Wiederaufnahme des Ausschlussverfahren, Wiederherstellung [s]einer Ehre und Kassation des Darmstädter Ergebnisses«17 . Auf der Jahrestagung 2003 trat er als Gastredner mit einer weiteren Stellungnahme zu seiner eigenen Verteidigung auf18 und beantragte Wiederaufnahme in das P.E.N.-Zentrum Deutschland 19 . Im Juli 2003 verstarb Erich Köhler. Eine von Freunden des Schriftstellers begründete »Poetik-Initiative Erich Köhler« bemühte sich weiterhin, auf dessen Rehabilitierung hinzuwirken. Die Auseinandersetzung mit der komplexen Vergangenheit der DDR-Sektion, die sich innerhalb des P.E.N. im Wesentlichen auf die Klärung des Verdachts auf Zusammenarbeit mit dem staatlichen Sicherheitsdienst konzentriert hatte, war jedoch im P.E.N.-Zentrum Deutschland schon mit der Darmstädter Entscheidung vom April 2002 endgültig beiseite gedrängt worden. Man wandte sich dem tagesaktuellen Geschehen zu. Ein neuer Impuls für die Diskussion der P.E.N.-Geschichte wäre nur von der Erhebung eines neuerlichen IM-Vorwurfs bzw. der Vorlage belastender historischer Fakten zu erwarten. 16 17
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Zwerenz: Letzter Ausschluß aus dem PEN? Erich Köhler: Erklärung gegen den Ausschluss aus dem P.E.N. [5. 9. 2002]. Verfügbar unter URL: http://www.erich-koehler-ddr.de/pen-ausschluss/pen/ausschluss.html [Zugriff: 3. 5. 2007]. Vgl. Erich Köhler: Vierte Stellungnahme vor dem P.E.N.-Zentrum Deutschland [Mai 2003]. Verfügbar unter URL: http://www.erich-koehler-ddr.de/pen-ausschluss/pen/ 2003.html [Zugriff: 3. 5. 2007]. Vgl. Erich Köhler: Antrag auf Wiederaufnahme in das P.E.N.-Zentrum Deutschland [Mai 2003]. Verfügbar unter URL: http://www.erich-koehler-ddr.de/pen-ausschluss/ pen/antrag.htm [Zugriff: 3. 5. 2007]. 973
Während die Arbeit des Ehrenrates auf die Klärung individueller Verdachtsfälle im Zusammenhang einer Tätigkeit für den DDR-Staatssicherheitsdienst konzentriert war, stand für die vorliegende Studie, über diese spezifischen Anklagepunkte hinaus, eine genauere Einordnung des P.E.N.-Zentrums in das Staatssystem der DDR im Vordergrund. Doch auch nach differenzierter Betrachtung der P.E.N.-Geschichte im Osten Deutschlands fällt das Urteil hinsichtlich der zentral diskutierten Aussage »P.E.N.-Club in einer Diktatur und nicht Werkzeug einer Diktatur«20 nicht völlig eindeutig aus. Für die Untersuchung des P.E.N.-Zentrums in der DDR hat sich indes mindestens eine Prämisse als sinnvoll erwiesen – die Forderung nach Unterscheidung von Personenund Institutionengeschichte. Zwar hat sich die Vermutung bestätigt, dass die Institutionengeschichte eng mit der individuellen ideologischen Ausrichtung der einzelnen Führungspersönlichkeiten verwoben bleibt und nicht voneinander getrennt gedacht werden kann. Gleichwohl kann das Urteil über die Institution nicht unbesehen auf das einzelne Mitglied übertragen werden. Aus diesem Grund soll der Rückblick zunächst auf die Geschichte der Institution P.E.N. gerichtet werden, um deren Entwicklung in knapper Form nachzuzeichnen, Zäsuren hervorzuheben und eine abschließende Bewertung vorzunehmen. Erst danach kann unter Rückbezug auf die eingangs vorgestellten theoretischen Überlegungen zur Position des Intellektuellen in der DDR eine Aussage hinsichtlich der P.E.N.-Mitglieder in der DDR getroffen werden. Am Anfang der zusammenfassenden Betrachtung zur Geschichte des P.E.N.Clubs im Osten Deutschlands muss eine grundlegende Feststellung stehen, die sich aus der differenzierten Betrachtung der Spaltungsgeschichte des deutschen P.E.N. ergibt: Beim P.E.N.-Zentrum DDR handelte es sich nicht um eine originäre Gründung des DDR-Staates, wie gerade in der Vereinigungsdebatte häufig (un)bewusst suggeriert wurde. Hervorgegangen war die Institution durch Namensänderung aus den Vorgängerinstitutionen P.E.N.-Zentrum Deutschland und Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West. Nach Abspaltung einer westdeutschen Mehrheit im Oktober 1951 kämpfte das P.E.N.-Zentrum Deutschland, bei deutlichem Überhang an Ost-Mitgliedern, unter dezidiert gesamtdeutschem Anspruch um seine Fortexistenz, während sich in der Bundesrepublik Deutschland eine eigenständige P.E.N.-Sektion bildete. Die Spaltung war eine Folge des Kalten Krieges, der auf dem Boden der Kultur nicht weniger intensiv als auf jenem der Weltpolitik ausgefochten wurde. Daher ist Jörg Magenau zu folgen, wenn er den bundesdeutschen P.E.N. als »eine Gründung aus dem Geist des kalten Krieges, Ausdruck des Adenauerschen Alleinvertretungsanspruches« bewertet, den aus dem gesamtdeutschen P.E.N. hervorgegangenen Ost-P.E.N. indes »historisch gesehen [als] legitime[n] PEN«21 charakterisiert. Dass der DDR20
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Wortbeitrag von Dieter Schlenstedt. In: Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 30. 1. 1995 [o. D.]. P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/Präsidium ab 1995–1998/ Präsidiumssitzung 30. 1. 1995/Beschlußprotokoll 1–4, hier 2. Jörg Magenau: Vereint im Streit. Zur Jahrestagung des westdeutschen Zentrums in Heidelberg. In: Wochenpost 21 (15. 5. 1996), S. 40f., hier S. 41.
P.E.N. diese Legitimität jedoch moralisch und politisch durch das Paktieren mit den Mächtigen des SED-Systems verspielt hat, vermerkt Magenau ebenfalls zu Recht.22 Die Annäherung des P.E.N.-Zentrums Deutschland an die parteipolitischen Instanzen der DDR ging indes nicht schlagartig vonstatten. Mit der Ablösung eines Großteils der westdeutschen Mitglieder setzte sich ein langsamer Prozess in Gang, an dessen Ende die umfassende parteiliche Kontrolle des P.E.N.-Zentrums stand. Das Fortbestehen des P.E.N.-Zentrums Deutschland nach der Begründung eines bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums mit Sitz in Darmstadt (Dezember 1951) kann dem unermüdlichen Engagement des in München ansässigen Schriftstellers Johannes Tralow zugeschrieben werden. Als geschäftsführender Präsident setzte er sich auf nationaler wie internationaler Ebene mit Nachdruck für die Aufrechterhaltung einer gesamtdeutschen Sektion ein. Dass er sich höchstwahrscheinlich auf Vermittlung von Johannes R. Becher, in Personalunion Präsident des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und des P.E.N.-Zentrums Deutschland, schon sehr bald nach der Sezession auf die finanzielle und organisatorische Anbindung an eine originäre SBZ/DDR-Organisation wie den Kulturbund einließ, war zuvorderst seinem Hoffen auf die Erhaltung einer Vereinigung von Schriftstellern aus Ost und West zuzuschreiben. Auf seine zum Teil unkritische, zum Teil deutlich sympathisierende Haltung gegenüber dem SED-Regime sei nur am Rande verwiesen. Unmittelbarer Ausdruck der grundlegenden Zielsetzung, die durch das entschiedene Bekenntnis zur »Unteilbarkeit der deutschen Literatur« unterstrichen wurde, war die international forcierte Umbenennung des P.E.N.Zentrums Deutschland in Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West mit Sitz in München (Juni 1953). Das gesamtdeutsche Bestreben des P.E.N.-Zentrums Deutschland bzw. Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West traf sich mit der offiziellen Politik der DDR-Regierung zu Beginn der fünfziger Jahre, die die Wiederherstellung der deutschen Einheit propagierte. Ein direkter (partei)politischer Einfluss auf die inhaltliche Arbeit des P.E.N.-Zentrums Deutschland lässt sich indes in der ersten Zeit nach der Spaltung nicht nachweisen. Doch die Einbindung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in das kulturpolitische System der DDR schritt voran. Daran änderte auch die sich in der Verteilung der präsidialen Ämter widerspiegelnde Polarität zwischen Ost und West nichts. Zwar waren die parteipolitischen Zuständigkeiten zunächst vollkommen ungeklärt. Der Kulturfunktionär Johannes R. Becher hatte sich bald nach der Spaltung und Reorganisation des P.E.N.-Zentrums Deutschland aus dem Präsidentenamt zurückgezogen und den Platz für eine repräsentative Integrationsfigur, Bertolt Brecht, frei gemacht. Mit Brechts Wahl im Mai 1953 veränderte sich an der regulären Arbeit des P.E.N.-Zentrums zunächst wenig: Brecht übernahm in erster Linie repräsentative Funktionen und ver22
Vgl. Jörg Magenau: Vereint im Streit. Zur Jahrestagung des westdeutschen Zentrums in Heidelberg. In: Wochenpost 21 (15. 5. 1996), S. 40f., hier S. 41. 975
folgte nur sehr wenige, seinen persönlichen Interessen entsprechende Zielsetzungen innerhalb der internationalen P.E.N.-Strukturen. Seine Einwirkung auf die Alltagsgeschäfte des P.E.N. erscheint nach Quellenlage marginal; Brechts Steuerung durch politische Instanzen ist nahezu auszuschließen. Eine Kontrolle des P.E.N.-Zentrums in den frühen fünfziger Jahren war demnach lediglich durch die Anbindung an den Kulturbund gegeben, dessen Sekretäre Erich Wendt und Carlfriedrich Wiese, ebenfalls im Mai 1953, als Kassenrevisoren eingesetzt worden waren. Als tätiger Präsident wirkte nach wie vor in erster Linie Johannes Tralow, ein Wanderer zwischen Bundesrepublik Deutschland und DDR. Die Zusammenarbeit mit den östlichen Präsidiumsmitgliedern gestaltete sich aus seiner Sicht schwierig. Brecht trat in lenkender Funktion wenig in Erscheinung. Gleiches galt auch für Stephan Hermlin; er wirkte kaum in seiner ihm übertragenen Funktion als Schatzmeister. Die Zuständigkeiten im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West sollten sich aber schon bald mehr und mehr in Richtung DDR verschieben. Schon Ende 1953, Anfang 1954 stand die bisherige Angliederung an den Kulturbund zur Diskussion und wurde schließlich durch eine engere Anbindung an den Deutschen Schriftstellerverband ersetzt. Dessen Verantwortliche erhofften sich durch die Einschaltung in die Arbeit des P.E.N. eine Aktivierung der eigenen gesamtdeutschen Arbeit. In diesem Ansinnen befand man sich durchaus auf einer Linie mit dem geschäftsführenden Präsidenten Johannes Tralow. Während sich das P.E.N.-Zentrum die breite Infrastruktur des Schriftstellerverbandes, insbesondere in der Zusammenarbeit mit dessen Referat Gesamtdeutsche Arbeit, für die Vorbereitung und Durchführung seiner (inter)nationalen Aktivitäten zunutze machen konnte, funktionierte dies umgekehrt nicht; es lassen sich keine Einflussnahmen des Schriftstellerverbands auf die Inhalte der (inter)nationalen P.E.N.-Arbeit ausmachen. Vom Schriftstellerverband forcierte Versuche, eine Einbindung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West als eigenständige Organisation in den Haushaltsplan der DDR-Regierung zu erwirken, scheiterten. Für die Verantwortlichen des P.E.N.-Zentrums war daher die Finanzierung der (inter)nationalen Arbeit lange Jahre von permanenter Ungewissheit gekennzeichnet. Einen geregelten Finanzplan gab es zunächst nicht. In den fünfziger und Anfang der sechziger Jahre flossen die benötigten Gelder zum Teil aus dem Kulturfonds der DDR direkt an das P.E.N.-Zentrum, zum Teil lief die Finanzierung durch das Ministerium für Finanzen mittelbar über den Schriftstellerverband. Geringere laufende Kosten, die bei der Aufrechterhaltung der alltäglichen Arbeit anfielen, etwa Porto-, Telefonkosten etc., deckte nach eigenen Aussagen oftmals der geschäftsführende Präsident aus seinem persönlichen Etat. Mit dem Ausscheiden aus dem Kulturbund war zwar die Übereinkunft getroffen worden, dass die Zuständigkeit für die politische Kontrolle und Steuerung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West der Abteilung Kultur beim ZK der SED übertragen werden sollte. Direkte Einwirkungen dieser parteipolitischen Instanz lassen sich aber zunächst nicht belegen. Gleichwohl hatte 976
schon das Jahr 1954 einschneidende Veränderungen hinsichtlich der Anleitung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West gebracht. Mit der Wahl des kulturpolitisch sehr aktiven DDR-Schriftstellers Bodo Uhse ins Amt des Schatzmeisters, deren kaderpolitische Veranlassung nicht nachgewiesen werden kann, setzte aber in jedem Fall eine machtpolitische Verschiebung innerhalb des P.E.N.Präsidiums von West nach Ost ein. Deren konsequente Fortsetzung spiegelte sich in der Einrichtung eines Berliner P.E.N.-Büros mit einer eigenen Sekretärin, Ingeburg Kretzschmar, im November 1954 wider. In der Folge sahen sich der geschäftsführende Präsident Johannes Tralow und der ohnehin kaum in Erscheinung tretende westdeutsche Generalsekretär Herbert Burgmüller immer häufiger unzureichend informiert über aktuelle Entwicklungen in der Arbeit des eigenen Zentrums. Daran änderte sich auch nach Brechts Tod im August 1956, der im Jahr 1957 die Besetzung des Präsidentenamtes durch Arnold Zweig nach sich zog, nichts. Trotz zunehmender Verärgerung über die eigenmächtige Aktivität von Uhse und Kretzschmar bemühte sich Tralow bis ins Jahr 1960 mit allen Mitteln, die deutsch-deutsche Koexistenz innerhalb des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West aufrechtzuerhalten und in diesem Sinne weiterhin als geschäftsführender Präsident zu wirken. Erst nach mehrfachen, letztlich vergeblichen Vorstößen des Präsidenten Arnold Zweig, das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West in eine reine DDRSektion umzuwandeln, zog sich Tralow resigniert aus dem P.E.N. zurück; er sah keine Chance mehr, eine Parität zwischen Ost- und West-Mitgliedern auch nur ansatzweise herzustellen. Im Zuge der Auseinandersetzungen um die Struktur des P.E.N.-Zentrums, die das Jahr 1959 bestimmten, lässt sich erstmals eine direkte Einwirkung von kulturpolitischen Verantwortlichen der DDR auf personelle Entscheidungen bei der Besetzung von Vorstandsämtern im P.E.N. nachweisen. Man war bestrebt, den geschäftsführenden Präsidenten Tralow, der sich als durchaus belastbares Bindeglied zur Bundesrepublik erwiesen hatte, für das östlich dominierte P.E.N.-Zentrum zu erhalten. Im März 1960 reichte Tralow indes sein endgültiges Rücktrittsgesuch ein. Damit war die paritätische Machtverteilung zwischen Ost und West, die allerdings de facto seit Mitte der fünfziger Jahre nicht mehr bestanden hatte, definitiv aufgehoben. Zwar gab es im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West weiterhin Mitglieder aus der Bundesrepublik; diese spielten aber eine zunehmend untergeordnete Rolle. Zumindest jene, die sich eine Eingebundenheit in die Aktivität des P.E.N.-Zentrums dringlich wünschten, sahen sich zurückgesetzt. Vereinzelte Initiativen zur Gründung eines weiteren P.E.N.-Zentrums in der Bundesrepublik, angestoßen durch die Hamburger Mitglieder Heinrich Christian Meier und Günther Weisenborn, blieben ohne Resultat. Die veränderte Situation im Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West wurde nur allzu bald offenbar: Nach der polizeibehördlichen Verhinderung einer Generalversammlung, die für Dezember 1960 in Hamburg geplant gewesen war, trat das P.E.N.-Zentrum, entgegen der üblichen Regelung, sich alljährlich zu versammeln, erst im Oktober 1962 wieder zu einer Generalversammlung zusam977
men. Jenseits regulärer Wahlen hatten sich in der Zwischenzeit entscheidende Modifikationen in der Zusammensetzung des Präsidiums ergeben: Zweig füllte weiterhin das Amt des Präsidenten aus; Uhse war ausgeschieden. Von besonderer Bedeutung war die Tatsache, dass mit Heinz Kamnitzer schon seit 1960 ein parteitreuer Funktionär präsidiale Aufgaben, auch auf internationaler Ebene, übernommen hatte. Kamnitzer war nicht nur ein zuverlässiger SED-Anhänger, sondern zudem ein persönlicher Freund des Präsidenten Zweig, der jenem großes Vertrauen entgegenbrachte und überdies im P.E.N. weniger in leitender, denn in repräsentativer Funktion in Erscheinung getreten war. Eine Festigung von Kamnitzers Position im Präsidium kam durch einen Beschluss der Generalversammlung des Jahres 1964 zustande, der die Benennung eines Vizepräsidenten zur Entlastung des alternden Präsidenten Zweig vorsah. Mit der schließlich durch das Präsidium vorgenommenen Einsetzung von Kamnitzer in das Amt des Vizepräsidenten im Dezember 1964 war aus kaderpolitischer Sicht ein funktionelles System parteipolitischer Kontrolle im P.E.N.-Zentrum installiert. Eine Intensivierung der Kontakte zwischen dem Sekretariat des P.E.N.Zentrums und der Abteilung Kultur lässt sich allerdings schon für Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre konstatieren. Mit Uhses Rückzug aus der aktiven P.E.N.-Arbeit hatte die Sekretärin Ingeburg Kretzschmar mehr und mehr die Schlüsselrolle in der Verbindung zwischen P.E.N. und Partei übernommen: Sie erbat von den Kulturfunktionären bindende Entscheidungen über Konzeption, Perspektive und Jahresarbeit des P.E.N.; vermittelte Aufgaben- und Arbeitspläne; beantragte Genehmigungen von Visaanträgen und Valuta; sandte Berichterstattungen über internationale Exekutiven und Kongresse. Insgesamt war die Abteilung Kultur beim ZK der SED in den Jahren 1961 bis 1963/64 umfänglich über die Arbeit des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West informiert. Den parteipolitisch Verantwortlichen aber ging die Kontrolle nicht weit genug: 1964 wurde das P.E.N.-Zentrum einer umfassenden Überprüfung unterzogen, die in erster Linie die in der Vergangenheit ungenügende Anleitung monierte. In der Folge nahmen die Steuerungsversuche zu: Die kaderpolitische Sicherung innerhalb der Mitgliederschaft und des Präsidiums sollte gezielt verstärkt werden; Vorlagen von differenzierten Konzeptionen und Plänen im Vorfeld von Generalversammlungen, Exekutiven und internationalen Kongressen beim ZK der SED gehörten von nun an zur Routine. Die Zuständigkeit für die Anleitung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West durch das ZK der SED war verbindlich festgeschrieben worden; die Finanzierung des P.E.N.Zentrums wurde langfristig über eigenständige Haushaltspläne garantiert. Prägnante Beispiele der verschärften Kontrolle und Anleitung des P.E.N.-Zentrums bieten einerseits die letztlich erfolglosen Regulierungsmaßnahmen der kulturpolitischen Instanzen im Nachgang der Zuwahl von Wolf Biermann, sowie andererseits die Verhinderung einer P.E.N.-Veranstaltung mit Stefan Heym, der sich durch kritische Äußerungen in Misskredit gebracht hatte. Dass das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West trotz seines gesamtdeutschen Anspruchs auf internationaler Ebene mehr und mehr als DDR-Institution 978
angesprochen wurde und auch als solche agierte, zeigte sich schon zu Beginn der sechziger Jahre. Von Seiten des Internationalen P.E.N.-Clubs wurde den Verantwortlichen des »DDR-P.E.N.« eine Liste von in der DDR inhaftierten Autoren vorgelegt und um eine entsprechende Stellungnahme gebeten. Zur Debatte stand auch die bejahende Haltung zahlreicher DDR-Schriftsteller zur Errichtung der Mauer im August 1961. Deutlich wurde in beiden Fällen die Solidarität der P.E.N.-Verantwortlichen mit dem SED-Staat. In enger Abstimmung mit den parteilichen Instanzen trat Stephan Hermlin als wortgewandter Repräsentant des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf, um die Vorwürfe zu entkräften; er bemühte sich, die Bedenken wegen der Inhaftierungen mit stichhaltigen Informationen zu zerstreuen und machte sogleich seine Solidarität mit den drakonischen Maßnahmen der DDR-Regierung deutlich. Auch er schien in seinem Handeln, wie viele seiner Kollegen, von dem letztlich irrigen Glauben an einen durch die Schließung der Grenzen eingeleiteten Liberalisierungsprozess im Inneren der DDR geleitet. Im Vordergrund der öffentlichen Auftritte auf internationaler Ebene stand nicht die humanitäre Hilfe für im eigenen Land inhaftierte Schriftstellerkollegen, sondern das Bestreben, das SED-Regime gegenüber kritischen Nachfragen zu verteidigen. Lediglich Anfang der sechziger Jahre erfuhr der Internationale P.E.N. im Fall des seit Jahren inhaftierten Wolfgang Harich auf dem Wege persönlicher Kontaktaufnahme tätige Unterstützung, im Sinne informativer Kooperation durch Kretzschmar und Hermlin. Am Ende der sechziger Jahre standen einschneidende Veränderungen: Zweig starb 1968; Kretzschmar wurde im selben Jahr aus dem Amt des Generalsekretärs entlassen. Kamnitzer übernahm zunächst kommissarisch, dann 1970, kaderpolitisch mit Akribie vorbereitet und durch geheime Wahlen der Generalversammlung bestätigt, die Funktion des Präsidenten. Als Generalsekretär zur Seite gestellt worden war ihm auf Veranlassung durch die Abteilung Kultur beim ZK der SED der Parteigenosse Werner Ilberg, der allerdings während seiner Amtszeit wiederholt durch politische Instinktlosigkeit hervortrat. Das Anleitungs- und Überwachungssystem der SED in Bezug auf den P.E.N. zeigte sich somit Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre durch die personelle Besetzung der Schlüsselpositionen im Präsidium fest installiert. Generalsekretär und Präsident hielten ihrerseits engen Kontakt zur Abteilung Kultur des ZK der SED, deren Mitarbeiter kontrollierten umgekehrt Tun und Lassen der Führungspersonen im P.E.N. streng: Sie drangen immer wieder auf eine Intensivierung der Parteiarbeit und forderten eine verstärkte Kontrolle der internationalen Arbeit des P.E.N.-Zentrums DDR, die auf die Außenpolitik der Regierung abgestimmt werden sollte. Sie berieten im Hinblick auf den Umgang mit politischen Problemfällen innerhalb der Mitgliederschaft und nahmen Einfluss auf Größe und Zusammensetzung der Delegationen für die Einsätze im Ausland, die sie mitunter auch entsprechend politisch instruierten. Hinzu kamen spätestens ab diesem Zeitpunkt vorbereitende, maßgebliche Beratungen zu wichtigen Entscheidungen zwischen den Verantwortlichen im ZK der SED und den Parteigenossen des gesamten Präsidiums, sowie Vorausver979
sammlungen der Parteimitglieder innerhalb der P.E.N.-Mitgliederschaft unmittelbar vor Beginn der Generalversammlungen; diese Zusammenkünfte wurden in den folgenden Jahrzehnten zur planmäßigen Routine. Hier wurden die wesentlichen Inhalte der Mitgliederversammlungen, vor allem der entsprechende parteiliche Standpunkt erörtert, sowie insbesondere im Hinblick auf die Zuwahlen neuer Mitglieder wünschenswerte Abstimmungsergebnisse dargelegt. Damit war eine sporadisch zusammentretende Parteigruppe des P.E.N.-Zentrums DDR initiiert worden, die aufgrund der wechselnden Beteiligung an ihren Zusammenkünften stark variierte; sie sollte die »politische, ideologische und organisatorische Durchführung«23 der Generalversammlungen gewährleisten und u. a. der Absprache von Sicherungsmechanismen zur Entschärfung unerwünschter Auftritte von politisch missliebigen Mitgliedern dienen. Über den Erfolg der auf diese Weise versuchten Beeinflussung der Parteigänger unter den P.E.N.Mitgliedern, der von Einzelnen im Rückblick wiederholt in Frage gestellt worden ist, kann tatsächlich keine definitive Aussage getroffen werden. Im Blick hatten die Parteifunktionäre unter anderem die kaderpolitische Zusammensetzung des P.E.N.-Zentrums: Langfristig sollte durch die stetige Erhöhung des Anteils von »Genossen und Parteilosen, die die Politik [d]er Partei konsequent vertreten«24 , die politische Sicherung des DDR-P.E.N. durchgesetzt werden. Am deutlichsten trat dieses Ansinnen bei der Vorbereitung der Generalversammlung des Jahres 1975 zutage. Die intensive Einflussnahme auf die Liste potentieller Neumitglieder, insbesondere Anzahl und Personen betreffend, scheiterte jedoch am Widerstand der Parteigruppe. Mit diesen Problemen sah sich der neu eingesetzte Generalsekretär Henryk Keisch konfrontiert, der Ilberg Anfang 1974 abgelöst hatte. Die kaderpolitisch vorbereitete Amtsübernahme durch Keisch bedeutete für das P.E.N.-Zentrum DDR einen weiteren Schritt in Richtung der parteipolitischen Absicherung seiner Arbeit. Keisch darf als politischer »Hardliner« bezeichnet werden. Mit seinem Eintritt ins Präsidium wurde das System politischer Selbstkontrolle im P.E.N.-Zentrum DDR weiter gefestigt. Mit der Übernahme des Präsidentenamtes durch Heinz Kamnitzer, der de facto schon in den Jahren seiner Vizepräsidentschaft die Fäden in Händen gehalten hatte, zeichnete sich eine Akzentverschiebung in der internationalen P.E.N.-Arbeit ab. Bereits 1967 hatte das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West durch die international ohne Vorbehalt anerkannte Umbenennung in P.E.N.Zentrum DDR seinen Standort deutlich gemacht. Zwar durften die außerhalb der DDR lebenden Mitglieder weiterhin der Sektion angehören. Ihre Mitwirkung blieb aber verschwindend gering. Kennzeichnend für die Positionierung im Internationalen P.E.N. war seit diesem Zeitpunkt ein verstärktes Selbstbewusstsein der DDR-Sektion, das mit zunehmender Anerkennung des eigenen 23
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Werner Ilberg: Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [30. 8. 1972]. SAPMOBArch vorl. SED 12922. Hans-Joachim Hoffmann an Kurt Hager [31. 10. 1972]. SAPMO-BArch vorl. SED 12922.
Staates auf politischer Ebene einherging. Mit dem Jahr 1968 setzten Initiativen des P.E.N.-Zentrums DDR ein, im Internationalen P.E.N. gezielt gegen vorgeblich antisozialistische und antisowjetische Tendenzen anzugehen bzw. sozialistische Offensiven vorzubereiten. Versuchte Allianzen mit den P.E.N.-Zentren anderer sozialistischer Länder zur Durchsetzung der eigenen Auffassungen auf internationalem Terrain blieben zwar häufig ohne Erfolg. Dem DDR-P.E.N. wurde jedoch im Konflikt zweier gesellschaftlicher Systeme, der den Kalten Krieg bedingte und stetig nährte, eindeutig eine unterstützende, prosozialistische Funktion zugewiesen; er sollte mindestens auf kultureller Ebene der »psychologischen Kriegsführung gegen den Sozialismus«25 entschieden entgegenwirken. Zielsetzung war somit eine dezidierte Verteidigung des Sozialismus im Rahmen des Internationalen P.E.N.-Clubs; dessen Umwandlung in eine kommunistisch dominierte Organisation war aber nicht angestrebt. Man war sich sehr wohl bewusst, dass eine derartige Veränderung der Strukturen die globale Position des P.E.N. nur schwächen würde. Dieser Konfrontationskurs, der sich in Teilen sehr stark auf die Person des internationalen Generalsekretärs David Carver konzentrierte, wurde in den siebziger Jahren und in der ersten Hälfte der achtziger Jahre konsequent fortgesetzt. Die Abteilung Kultur beim ZK der SED nahm dabei die Position einer beratenden, korrigierenden und richtungweisenden Instanz ein. Anfang der siebziger Jahre ging es von Seiten der Parteiinstanzen vor allem darum, die internationale Arbeit des P.E.N.-Zentrums für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR zu instrumentalisieren. Die internationalen Kontakte, die über den P.E.N. zustande kamen, sollten dazu dienen, die grundsätzliche Haltung anderer Staaten gegenüber der DDR zu überprüfen. Man erhoffte von den auf dem Gebiet der Kultur geknüpften Verbindungen gar positive Effekte hinsichtlich der Anbahnung verstärkter zwischenstaatlicher Beziehungen. Insbesondere in der ersten Hälfte der achtziger Jahre konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der P.E.N.-internen und -externen parteipolitischen Kontrolleure auf das internationale Feld. Die Haltung des DDR-P.E.N. orientierte sich dabei an der offiziellen Linie der Regierung: So unterstützten die Verantwortlichen im P.E.N., in erster Linie Präsident und Generalsekretär, zwar den von der SED propagierten »Friedenskampf«, nicht aber die von Repressionen betroffenen Bürgerrechtler und Friedensaktivisten der DDR, etwa Lutz Rathenow. Im Internationalen P.E.N. demonstrierten sie ungebrochene Solidarität mit der Sowjetunion. Kritik an deren Kulturpolitik akzeptierten die Vertreter des DDR-P.E.N. nicht. Die Führungsspitze des P.E.N.Zentrums DDR ging vollkommen konform mit der sozialistischen Politik. Im Falle der Auseinandersetzungen um das polnische P.E.N.-Zentrum zeigte sich dies besonders deutlich; Kamnitzer und Keisch versuchten sich an einer geziel-
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Arno Hochmuth [Abteilung Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157. 981
ten Einflussnahme auf den Internationalen P.E.N.-Club, ganz im Sinne der von der SED unterstützten polnischen Regierungspolitik. Blickt man auf die siebziger Jahre, so rückt vor allem der durch die Führungspersonen des P.E.N.-Zentrums DDR verweigerte Einsatz für die Schriftsteller des eigenen Landes in den Vordergrund. Zwar setzte sich die Führung des Zentrums für von der »Reaktion« verfolgte Schriftsteller, etwa in Chile, wiederholt ein. Für die in der DDR drangsalierten Kollegen gab es indes keine Hilfestellung – obgleich es, gerade in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, reichlich Anlass zum Engagement gegeben hätte. Doch weder für Reiner Kunze, noch Wolf Biermann oder die neun aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossenen Autoren verwandte sich die P.E.N.-Sektion der DDR. Anfragen aus dem Ausland wurden abgeschmettert, die offizielle Linie als korrekt verteidigt. Über die Fälle Kunze und Biermann wurde im Präsidium des P.E.N. zwar diskutiert, allerdings ohne positives Ergebnis für die Betroffenen. Für Kunze fand sich im Präsidium des P.E.N. keine einhellige Unterstützung; im Fall Biermann fungierte das Präsidium gar als Ort letztlich erfolgloser Regulierungsversuche. Die dort um Revision des eigenen Standpunktes angegangenen Mitglieder, die die Petition gegen Biermanns Ausbürgerung unterzeichnet hatten, verweigerten die geforderte Selbstkritik. Die Position zur Biermann-Ausbürgerung wurde in der Folgezeit, auch im P.E.N., zum Maß parteilicher Loyalität. Biermann-Befürwortern sollte der Weg ins Präsidium und, im Hinblick auf Neuaufnahmen, in den Club generell verschlossen bleiben. Zielvorgabe des P.E.N. war es, die in den Parteibeschlüssen vorgezeichnete Linie zu bestätigen: Der Club sollte auf die »Sammlung aller auf dem Boden der DDR stehenden und zur Mitarbeit am weiteren sozialistischen Aufbau bereiten Kräfte«26 ausgerichtet werden. Die unerwartet heftige und öffentlich gemachte Kritik der Intellektuellen an der BiermannAusbürgerung verursachte in der politischen Führung enorme Verunsicherung und verstärkte die Furcht vor oppositionellen Aktivitäten. In der Folge wurden verschärfte Kontrollen des kulturellen Bereichs angeordnet. Ins Blickfeld des Ministeriums für Staatssicherheit geriet dabei vor allem die Arbeit der kulturellen Organisationen bzw. Personen im internationalen Raum, und damit auch das P.E.N.-Zentrum DDR. Die Überwachung durch den Staatssicherheitsdienst war nicht nur auf das Zentrum in seiner Gesamtheit ausgerichtet. Im Visier der Beobachter standen vielmehr zahlreiche Einzelpersonen, von denen eine kritische Haltung gegenüber der SED-(Kultur-)Politik zu erwarten stand. Einsatz für verfolgte und inhaftierte Schriftstellerkollegen, etwa Jürgen Fuchs, gab es auch in der Folgezeit nur auf persönlicher Ebene: Stephan Hermlin nutzte seine persönlichen Kontakte zum Staatschef Erich Honecker. Dieses eigenmächtige Handeln provozierte in der Folge scharfe Auseinandersetzungen zwischen Hermlin und Keisch, in der die größtmögliche Diskrepanz in der Auslegung der P.E.N.-Charta offen zutage trat. Der politische Hardliner und 26
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Henryk Keisch: Vorlage an das Sekretariatdes ZK der SED [19. 7. 1977].P.E.N.-Archiv (Ost) CDR 1 PEN-Club/GV April 1978/Vorlage 19. 7. 1977 1–3, hier 2f.
der, zumindest in diesen Angelegenheiten, kritische Intellektuelle stießen hier in größtmöglicher Unversöhnlichkeit aufeinander. Auch das kulturpolitische Krisenjahr 1979 hinterließ im P.E.N. seine Spuren. Eine gewisse Furcht vor missliebigen Diskussionen und scharfer Kritik an der Kulturpolitik auf dem Boden des P.E.N. leitete Keisch bei der Vorbereitung der nächsten Generalversammlung; er versuchte, sich verstärkt hinter die Autorität der Parteizentrale zurückzuziehen. Gleichwohl erscheint mit Beginn der achtziger Jahre das Interesse der parteipolitischen Verantwortlichen am P.E.N.Zentrum DDR, nach bekannter Aktenlage, leicht rückläufig. Die Gründe dafür sind nur schwer auszumachen. Zwei Faktoren könnten eine Rolle gespielt haben: Zum einen ein gewisses Vertrauen in das Handeln des politisch zuverlässigen Führungsduos Kamnitzer – Keisch, zum anderen die durch die immer desolatere Situation im Inneren der DDR bedingte destabilisierende Wirkung auf die politischen Führungsmechanismen. Verschärfte Regulierungsmaßnahmen der Kulturfunktionäre, wie sie für die siebziger Jahre nachzuweisen waren, gab es nach gegenwärtigem Wissensstand im Zeitraum von 1980 bis 1989 nicht. Dennoch war man von Seiten der Abteilung Kultur bemüht, durch klare Vorgaben auf die personelle Zusammensetzung des P.E.N.-Zentrums im Sinne parteilicher Kriterien einzuwirken. Der Parteigruppe wies man, im Rahmen der Vorausversammlungen, weiterhin die Funktion eines sichernden Elements im Hinblick auf wesentliche Entscheidungen zu. In Keischs Augen galt es vor allem ein drohendes Szenario abzuwenden: Die Entwicklung des P.E.N.-Zentrums hin zu einem Sammelbecken kritischer Geister; dies sollte mit Unterstützung der loyalen Parteigenossen unter den P.E.N.-Mitgliedern verhindert werden. Daneben war die Aufmerksamkeit des Ministeriums für Staatssicherheit für die Unternehmungen des P.E.N.-Zentrums DDR, insbesondere im internationalen Raum, unvermindert groß: Mit der Wahl von zwei weiteren IM, Paul Wiens und Fritz Rudolf Fries, in das Präsidium des P.E.N. war der potentielle Zugriff auf interne Informationen abgesichert. Intern steuerte das P.E.N.-Zentrum DDR in der ersten Hälfte der achtziger Jahre, wie schon im Jahrzehnt zuvor, auf eine gewisse Stagnation zu. Die Beteiligung der Präsidiumsmitglieder an der Arbeit des Zentrums war insgesamt eher rückläufig und konzentrierte sich in erster Linie auf Kamnitzer und Keisch. Hinzu kamen Wiens und Hermlin. Immerhin gelang es, durch Kooperation – u. a. mit dem Club der Kulturschaffenden und dem Kulturbund – und der damit einhergehenden teilweisen Öffnung einen höheren Wirkungsgrad der Veranstaltungen zu erzielen. Hervorhebung verdient das ausgeprägte Friedensengagement des P.E.N.-Zentrums DDR in diesen Jahren. Mutmaßlich im Einvernehmen mit den Kontrollinstanzen, setzte es sich konsequent für die Erhaltung des Friedens ein; dies geschah, viele Jahre nach dem Scheitern des gemeinsamen Verbindungsausschusses in den sechziger Jahren, auch in Kooperation mit dem bundesdeutschen P.E.N.-Zentrum. Zwar gab es immer wieder »Störfälle« bei der deutsch-deutschen Zusammenarbeit, etwa die Affäre Seyppel. Aber man ging doch immer wieder von neuem aufeinander zu. Insgesamt lässt sich spätes983
tens Mitte der achtziger Jahre eine Normalisierung im Verhältnis der beiden deutschen Zentren konstatieren, die gegenseitige Akzeptanz zur Voraussetzung hatte. Die Verhandlungserfolge, die ein vorsichtiges Herantasten, Zusammenfinden und erneutes Aufeinanderzugehen brauchten, waren nicht zuletzt ein persönliches Verdienst des bundesdeutschen Generalsekretärs Hanns Werner Schwarze27 . Deutlich wird an dieser Stelle, dass das Verhältnis der deutschen P.E.N.-Zentren nicht nur vom jeweiligen Stand der staatspolitischen Beziehungen abhing, sondern auch vom diplomatischen Willen und Vermögen der jeweiligen Führungspersönlichkeiten – in Ost und West. Eine neuerliche Zäsur in der Geschichte des P.E.N.-Zentrums DDR wurde durch eine personelle Veränderung verursacht. Obgleich der Generalsekretär Keisch in den Jahren seiner Amtszeit relativ frei agieren konnte, duldete die Abteilung Kultur beim ZK der SED allzu eigenmächtiges Handeln nicht: Mitte 1985 wurde Keisch, nach Auseinandersetzungen um sein unberechtigtes Wirken im Fall von Detlev Opitz, gegen seinen Willen aus dem Amt des Generalsekretärs entlassen. Eine untergeordnete Rolle hatte bei dieser Entscheidung auch Keischs verschlechterter Gesundheitszustand gespielt. Mit dem Wechsel von Henryk Keisch zu Walter Kaufmann im Jahr 1985 veränderte sich die P.E.N.interne Situation. Zwar konzentrierte sich die Aktivität des P.E.N.-Zentrums DDR weiterhin auf das Engagement der führenden Persönlichkeiten im Präsidium, nun Kamnitzer und Kaufmann. Die übrigen Präsidiumsmitglieder zeigten nur ein geringfügig verstärktes Interesse an den laufenden Arbeiten; eine rein nominelle Zugehörigkeit zum Präsidium war keineswegs ungewöhnlich. Aber der neue Generalsekretär Kaufmann war kein willfähriger Parteigänger, nicht einmal Mitglied der SED. Auch er musste den Kontakt zum ZK der SED aufrechterhalten, schon um die finanzielle Unterstützung für den P.E.N. sicherzustellen. Gewisse Kontinuitäten blieben: So berief etwa die Abteilung Kultur beim ZK der SED auch zur Generalversammlung im Jahr 1987 die routinemäßige Vorausversammlung der Parteimitglieder ein. Das vorliegende Quellenmaterial lässt jedoch den Schluss zu, dass das Interesse der parteipolitischen und staatlichen Institutionen an den Aktivitäten des DDR-P.E.N. nach 1985 merklich zurückging. Verstärkte Aufmerksamkeit, vor allem von Seiten des Ministeriums für Staatssicherheit, kam lediglich dem in Hamburg durchgeführten internationalen P.E.N.-Kongress (1986) zu. Grundsätzliche Regulierungsmaßnahmen sind für den kurzen Zeitraum bis zum Fall der Berliner Mauer kaum nachweisbar. In diesem Klima nachlassender Kontrolle lotete Kaufmann mehr und mehr die Freiräume des P.E.N.-Zentrums DDR aus, insbesondere im Hinblick auf die internationale Mitarbeit. Erleichternd wirkte hier auch die kontinuierliche Reduktion von Kamnitzers Aktivität auf der Ebene des Internationalen P.E.N.Clubs. Kaufmann und Hermlin wurden zu verlässlichen Ansprechpartnern der 27
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Auf die Vermittlerrolle von Hanns Werner Schwarze hat auch schon Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 481, hingewiesen.
internationalen P.E.N.-Kollegen, die sich im Sinne des WiPC engagierten. Freilich prangerten sie DDR-interne Missstände nicht aus eigener Initiative an; sie zeigten sich jedoch interessiert an der WiPC-Arbeit und versuchten, die Erwartungen des Internationalen P.E.N. im Sinne eines kooperativen Informationsaustauschs über die Situation inhaftierter und reglementierter Kollegen in der DDR zu erfüllen. Gezielte prosozialistische bzw. prosowjetische Offensiven gab es in dieser Zeit nicht mehr. Eine grundlegende Reformierung im Inneren des P.E.N.-Zentrums DDR erreichte Kaufmann indes nicht. Zwar gelang es ihm, das Veranstaltungswesen, häufig in Zusammenarbeit mit anderen kulturellen Institutionen, anzukurbeln. Nicht nur die Zahl der Veranstaltungen stieg, nach einem gewissen Rückgang in den siebziger Jahren, wieder an. Auch inhaltliche und organisatorische Aspekte zeugten von gewissen Liberalisierungstendenzen: Autoren aus dem Westen, z. B. Günter Gaus und sogar der »Dissident« Jurek Becker, durften im Rahmen der nunmehr zumeist öffentlichen (!) P.E.N.-Veranstaltungen lesen und mit den Anwesenden diskutieren. Der vereinzelte Versuch von Kaufmann, eine P.E.N.-interne Diskussion über das umstrittene Verbot der Zeitschrift Sputnik anzuregen, scheiterte am Widerstand des Parteisoldaten Kamnitzer. Nichtsdestotrotz zeichneten sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zarte Anklänge einer veränderten Position des P.E.N.Zentrums DDR ab – mehr aber nicht: Der P.E.N. in der DDR war noch immer kein Hort kritischer Gedanken. Der Standort des DDR-P.E.N. veränderte sich erst ganz am Ende der achtziger Jahre. Die sich auf breiter Ebene innerhalb der DDR-Gesellschaft entwickelnde Diskussionskultur brach sich auch im P.E.N.-Zentrum Bahn: Auf der Generalversammlung im März 1989 wurde, ohne Rücksicht auf parteiliche Befindlichkeiten, offen über die literaturpolitische Situation im eigenen Lande debattiert. Zum ersten Mal wurde von verschiedenen Mitgliedern aber auch ein dezidiertes Engagement des DDR-P.E.N. für verfolgte Schriftstellerkollegen, in diesem Falle Salman Rushdie und Václav Havel, eingefordert. Die Mitglieder traten wieder in die Diskussion ein; sie erhofften wie Christa Wolf, die sich nach den Ereignissen von 1979 konsequent aus dem P.E.N. zurückgezogen hatte, von der krisenhaften Situation in der DDR, die Tausende zu Demonstrationen auf die Straßen trieb, positive Impulse für eine notwendige Reformierung des Sozialismus. Sie sahen den Zeitpunkt gekommen, auch im P.E.N. den Meinungsaustausch über drängende Fragen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Grundsätze der P.E.N.-Charta, aufzunehmen. Doch zur Umgestaltung der eigenen in Trägheit versunkenen Sektion in ein lebendiges und relevantes P.E.N.-Zentrum DDR blieb nach dem Niedergang des SED-Staates keine Zeit mehr. Die rasche Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten stellte die Schriftsteller vor eine gänzlich andere Problemstellung. Auf die das Kapitel überschreibenden Fragen – »Intellektueller Freiraum? Politisches Instrument?« – lässt sich nur eine vorsichtig abwägende Antwort geben. Aufgrund der vorgelegten Forschungsergebnisse kann die Institution P.E.N. in der DDR, insbesondere mit Blick auf die siebziger und achtziger Jahre, 985
nicht vom Vorwurf des Verstoßes gegen die internationale P.E.N.-Charta freigesprochen werden. Von Seiten des P.E.N. gab es, außer im Fall Heym, bis zur Generalversammlung im März 1989 zu keiner Zeit aktiven Widerstand gegen die immer schärferen staatlichen Zensurmaßnahmen. Unterstützung für verfolgte und inhaftierte Schriftstellerkollegen im eigenen Land wurde, zumal auf Nachfrage aus dem Ausland, explizit verweigert, kulturpolitische Zwangsmaßnahmen der DDR-Regierung wurden vehement gegen Kritik von außen und innen verteidigt. Versuchsweise wurde das Präsidium des P.E.N.-Zentrums gar zur Disziplinierung oppositioneller Denker, etwa im Fall der BiermannAusbürgerung, funktionalisiert. Der Instrumentalisierung für die außenpolitischen Zielsetzungen des SED-Staates wurde nicht nur widerspruchslose Hinnahme, sondern vielmehr eilfertige Unterstützung zuteil. Gezielte prosozialistische und prosowjetische Offensiven auf der Ebene des Internationalen P.E.N. waren die Folge. Zwar ist auf Institutionsebene die aktive bzw. passive Verletzung der bindenden Grundsätze im Wesentlichen den Führungspersönlichkeiten des P.E.N.-Zentrums in der DDR zuzuschreiben, deren Handeln auf vorauseilendem Gehorsam bzw. enger Absprache mit parteipolitischen Verantwortlichen basierte. Die Mitgliederschaft aber wirkte kaum im Sinne eines korrigierenden Regulativs. Dürfen deshalb die »normalen« Mitglieder vorbehaltlos in die negative Bewertung einbezogen werden? Kann und muss gerade ihnen zum Vorwurf gemacht werden, dass sie kaum den Mut besaßen, den Spielraum für Kritik und Opposition innerhalb des P.E.N.-Zentrums DDR zu erkunden? Gab es also, wie Heinz Czechowski mutmaßt, »[u]nter dieser sich selbst wählenden […] Elite […] keine Widerstandskämpfer und Dissidenten«28 ? Ein Großteil des Quellenmaterials lässt in der Tat nur eine Schlussfolgerung zu: Die Grenzen der politischen Freiheiten wurden von den Mitgliedern keinesfalls ausgelotet, geschweige denn ausgereizt. Sie traten von ihrer Seite aus kaum in einen Diskurs über (kultur)politische Problematiken ein. Die offensichtlichen Verletzungen humanitärer Grundsätze, zu deren Abwehr die P.E.N.-Charta ausdrücklich auffordert(e), etwa die durch das SED-Regime veranlassten massiven Zensurmaßnahmen und offensichtlichen Verfolgungen von Schriftstellerkollegen, waren Tabuthemen. Das P.E.N.-Zentrum diente kaum als Ort eines kritischintellektuellen Diskurses – im Sinne einer geistigen Auseinandersetzung mit dem herrschenden System. In Kenntnis dieser belastenden Fakten bleiben weitere Fragen offen: Wie ernst nahmen die DDR-Mitglieder die Aufgabenstellung des P.E.N. und welchen grundsätzlichen Stellenwert maßen sie ihrer Mitgliedschaft bei? Letztlich ist nur sehr schwer feststellbar, welche grundlegende Bedeutung das P.E.N.-Zentrum im Bewusstsein seiner Mitglieder einnahm. An dieser Stelle kann es nur individuelle 28
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Beitrag von Heinz Czechowski. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. 11. 1995. Zitiert nach: Günter Grass und der PEN. In: europäische ideen 97 (1996), S. 25f., hier S. 25.
Antworten geben. Gleichwohl bieten sich mehrere Denkmodelle an, deren Vermischung durchaus wahrscheinlich ist. Zunächst unterschied sich der P.E.N. in seiner grundsätzlichen Anlage, nicht zuletzt durch die internationale Anbindung, eindeutig vom Schriftstellerverband der DDR, dem die meisten Schriftsteller angehörten. Zwar wurde den Neuzugängen des P.E.N. in den siebziger und achtziger Jahren offenbar keine Unterschrift unter die Charta des Internationalen P.E.N. mit ihren hohen moralischen Zielsetzungen abverlangt. Sie mussten sich aber hier nicht, wie im Falle des Schriftstellerverbandes, auf ein Statut verpflichten, das sie anhielt, mittels ihrer »schöpferischen Arbeit aktive Mitgestalter der entwickelten sozialistischen Gesellschaft« zu sein und die »führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei in der Kulturpolitik«29 anzuerkennen. Der P.E.N. verordnete seinen Mitgliedern nicht per se einen gesellschaftlichen Auftrag im Sinne des Sozialismus; er konnte, aufgrund seiner grundsätzlichen Anlage, kein Bekenntnis »zur Schaffensmethode des sozialistischen Realismus« und kein entschiedenes Eintreten »gegen alle Formen der ideologischen Koexistenz und das Eindringen reaktionärer und revisionistischer Auffassungen in die Bereiche der Literatur«30 fordern. In gewisser Weise stellte der P.E.N. für seine Mitglieder somit einen Gegenpol zum staatlichen Monopolverband (D)SV und in subjektiver Wahrnehmung so etwas wie einen Freiraum dar. Gleichwohl handelte es sich beim P.E.N. keineswegs um eine frei wählbare Alternative zum Schriftstellerverband. Dem standen die strikten Aufnahmekriterien entgegen. Dass im P.E.N. zudem parteipolitische Steuerungsmechanismen griffen und aktive Mitwirkung nur in eingeschränkten Maßen möglich war und in Anspruch genommen wurde, ist bereits deutlich herausgestellt worden. Begriffen die Angehörigen des P.E.N. ihre Mitgliedschaft also lediglich als besondere Ehre im Hinblick auf ihre literarischen Leistungen? War die Mitgliedschaft vor allem genehm, weil mit der Wahl in den P.E.N., der auch in der DDR Bedeutung als Vorzeigeinstitution erlangt hatte, eine Literaturkarriere »weitgehend als gesichert gelten«31 konnte? Immer wieder mussten und müssen sich die P.E.N.-Mitglieder nicht nur aus der ehemaligen DDR, sondern aus aller Welt den Vorwurf machen lassen, dass sie zwar die Auszeichnung, Mitglied des P.E.N. zu sein, angenommen hätten, die Aktivität im Zeichen der P.E.N.Charta jedoch verschwindend gering (gewesen) sei. Genossen die DDR-Autoren also lediglich die Mitgliedschaft in einem elitären Verein, dessen hauptsächliche Beschäftigung sich in Zusammenkünften mit Clubcharakter und geringem gesellschaftlichen Nutzen erschöpfte und die ursprünglichen humanitären Ansprüche hintan stellte? Mit Blick auf die kulturpolitische Situation in der DDR wiegt dieser Vorwurf schwer. Die Diskrepanz zwischen dem Anspruch der 29 30 31
Zitiert nach Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 43f. Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 44. Beitrag von Heinz Czechowski. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. 11. 1995. Zitiert nach: Günter Grass und der PEN. In: europäische ideen 97 (1996), S. 25f., hier S. 25. 987
P.E.N.-Charta und dem tatsächlichen Handeln auf offizieller Ebene erscheint in Bezug auf das P.E.N.-Zentrum in der DDR groß. Ausgenommen werden muss hier persönliches Engagement einzelner Mitglieder. Letztlich kann die Frage, welcher Stellenwert der Zugehörigkeit zum P.E.N. beigemessen wurde, nur von jedem Mitglied persönlich beantwortet werden. Folgt man vereinzelten Hinweisen, wie etwa jenem von Adolf Endler, so muss auch zur Diskussion gestellt werden, ob die Mitgliedschaft im DDR-P.E.N. eine gewisse Schutzschildfunktion mit sich brachte. Die stichhaltige Beweisführung hinsichtlich einer solchen Funktion fällt schwer. An den grundsätzlichen Gedanken schließen sich aber in logischer Folge kritische Erwägungen an. Wenn es einen solchen Schutzmechanismus gab: Wurde er von den Mitgliedern in Anspruch genommen, gar ausgeschöpft? Auf dem offiziellen Terrain des P.E.N.Zentrums DDR nach Aktenlage wohl nicht. Auf individueller Ebene gab es sehr wohl Vorstöße gegen die kulturpolitischen Restriktionen der Regierung, die aber ohne Folgen blieben. Blickt man etwa auf die Interventionen von Autoren wie Stephan Hermlin und Christa Wolf, so muss kritisch hinterfragt werden, ob diese wirklich aufgrund der Mitgliedschaft im P.E.N. ohne Sanktionen blieben, oder ob bei ihnen nicht auch generell der internationale Bekanntheitsgrad, ihre Geltung als renommierte DDR-Autoren, die ihnen per se einen privilegierten Status einräumte, eine entscheidende Rolle spielte. Anlass zur Kritik ergibt sich auch aus der Frage, warum die kaderpolitische Besetzung des Präsidenten- und Generalsekretärsamtes, die die Aktivität des P.E.N.-Zentrums auf nationaler wie internationaler Ebene nachhaltig prägte, über lange Jahre hinweg durch die geheimen Wahlen nicht etwa verhindert, sondern mitgetragen wurde. Auch hier liegen die Antworten weiterhin im Dunklen: Vertraute man auf Kamnitzer aufgrund seiner langjährigen P.E.N.Erfahrung, funktionierte die politische Einflussnahme auf die Wahlberechtigten tatsächlich so perfekt oder gab es schlicht keine geeigneten Gegenkandidaten? Lediglich in der Frage der Zuwahlen muss den P.E.N.-Mitgliedern die Wahrung einer gewissen Autonomie zugebilligt werden: Zwar wurden die von ihnen unterbreiteten Vorschläge einer Prüfung durch P.E.N.-Präsidium und Kulturabteilung beim ZK der SED unterzogen. Durch einschlägiges Aktenmaterial belegte Streichungen von Namen gab es indes kaum, sodass die auf den Generalversammlungen anwesenden Mitglieder in geheimer Wahl über die aus den Empfehlungen zusammengestellten Vorschlagslisten entscheiden konnten. Auf die zweifelhafte Wirkung der von parteipolitischer Seite unternommenen Versuche, durch vorausgehende Versammlungen der SED-Genossen unter den P.E.N.Mitgliedern Einfluss auf deren Wahlentscheidungen auszuüben, ist bereits hingewiesen worden. Deutlich wird jedoch, etwa im Falle der Zuwahl von Wolf Biermann, Hartmut Lange und Hans-Joachim Bunge im Jahr 1965, dass das System parteipolitischer Indoktrination nicht perfekt funktionierte. Nachträgliche Korrekturversuche solcher demokratisch herbeigeführter Entscheidungen blieben aufgrund fehlender Mechanismen im Grunde wirkungslos. Ein Ausschluss des missliebigen Wolf Biermann konnte, trotz mehrfacher Anläufe, nicht 988
durchgesetzt werden; er blieb auch nach seiner Ausbürgerung weiterhin Mitglied im P.E.N.-Zentrum DDR. Gegen verstärkte Regulierungsmaßnahmen der parteipolitischen Funktionäre auf die Zuwahlen, wie etwa im Vorfeld der Generalversammlung 1975, setzten sich die Mitglieder mit einigem Erfolg zur Wehr. Dennoch muss konstatiert werden: Der P.E.N. in der DDR war mit Sicherheit keine Keimzelle des organisierten Widerstandes gegen die (kultur)politischen Restriktionen eines diktatorischen Staatssystems; er war, mindestens auf offizieller Ebene, kein unbeschränkter intellektueller Freiraum. Dazu taugte das P.E.N.-Zentrum DDR allein aufgrund seiner organisatorischen Anlage kaum. P.E.N. war im individuellen Leben der Mitglieder lediglich eine Facette, die schon durch die geringe Frequenz der Zusammentreffen keine herausragende Bedeutung erlangte. Die mehr oder weniger regelmäßigen Clubveranstaltungen verzeichneten eine geringe Resonanz, die Generalversammlungen traten in großen zeitlichen Abständen zusammen. Erstere boten zwar die Möglichkeit, Unveröffentlichtes im engen Kreis der P.E.N.-Mitglieder zu präsentieren. Ob daraus fruchtbringende Diskussionen gesellschaftlicher Probleme erwuchsen, lässt sich aber aufgrund der fehlenden Quellen über die Abläufe der P.E.N.-Veranstaltungen nicht überprüfen. Letztere behandelten häufig Themen von internationaler Tragweite, die nur mit entsprechendem Hintergrundwissen, das dem einfachen Mitglied im Normalfall fehlte, überhaupt zu kommentieren waren. Von den regulären Mitgliedern kamen in der Regel keine oder kaum eigenständige Vorschläge zur Tagesordnung der Generalversammlungen. Die Teilnahme an den internationalen Kongressen und Exekutiven stand zwar theoretisch allen Mitgliedern offen. De facto wurden aber, schon aufgrund der mangelnden Devisen, neben den offiziellen Abgeordneten, meist Präsident und/oder Generalsekretär sowie ausgewählte Präsidiumsmitglieder, nur selten größere Delegationen entsandt. Diese setzten sich üblicherweise aus politisch einigermaßen verlässlichen Mitgliedern zusammen, deren Instruktion durch die Abteilung Kultur beim ZK der SED in einigen Fällen am Quellenmaterial nachgewiesen werden kann. Eine nicht unbedeutende Rolle spielten bei der Delegiertenwahl aber auch die individuellen Sprachkenntnisse. Ein Mann wie Paul Wiens, der »russisch, englisch, französisch, italienisch und serbokroatisch aktiv und passiv«32 beherrschte und sich loyal gegenüber dem Staatswesen verhielt, war demnach, aus Sicht des P.E.N. wie des Ministeriums für Staatssicherheit, für den Einsatz als Reisekader auf internationaler Ebene geradezu prädestiniert. Eine Möglichkeit zur spezifischen Mitwirkung im Rahmen des Internationalen P.E.N. eröffnete sich somit nur wenigen Mitgliedern. Auf dieser Grundlage scheint eine intensive und kritische Kommunikation im Rahmen des DDR-P.E.N. kaum vorstellbar. Was sich am Rande der offiziellen Zusammenkünfte an tragfähigen Kontakten und Verbindungen ergab, ist in seiner Wirksamkeit nur schwer festzustellen. Vielfach kann anhand der offiziellen Tagungsprotokolle eine gewisse Lethargie der P.E.N.-Mitglieder beobachtet 32
Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 597. 989
werden, die sich kontinuierlich steigerte und erst am Ende der achtziger Jahre überwunden wurde. Eine aktive und effektive Mitgliedschaft schien im Grunde nur über die Zugehörigkeit zum Präsidium möglich. Doch auch für die Angehörigen des Präsidiums lässt sich Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre zweifellos Passivität konstatieren. Die Verantwortlichkeit für die (In)Aktivität des P.E.N.-Zentrums lag im Wesentlichen bei Präsident und Generalsekretär – ergänzt um die kontinuierliche Mitarbeit des langjährigen Präsidiumsmitglieds Stephan Hermlin. Die Mitgliedschaft im Präsidium hatte in diesen Jahren häufig bloß den Charakter einer rein nominellen Zugehörigkeit. Auch mit dem Mitte der achtziger Jahre vollzogenen Wechsel von Keisch zu Kaufmann änderte sich an der Konzentration der Aktivität auf Generalsekretär und Präsident zunächst wenig. Erst unter dem Eindruck der weltpolitischen Veränderungen am Ende der achtziger Jahre, insbesondere im Wendejahr 1989, bewegte sich das P.E.N.Zentrum DDR in Richtung eines Forums, dessen Mitglieder, zumindest zu einem Teil, eine klare Diskussion der (welt)politischen Ereignisse und eine adäquate öffentliche Reaktion ihrer Sektion mit Vehemenz einforderten. In der Folge brachen die verkrusteten Strukturen in der Führung des P.E.N.-Zentrums auf. Der langjährige Präsident Heinz Kamnitzer zeigte sich wenig wendig; er reagierte mit gänzlichem Rückzug aus der P.E.N.-Arbeit auf die Aktivität der sich zunehmend emanzipierenden Vorstandsmitglieder. Das gesamte Präsidium war nach der viel beschriebenen Generalversammlung im März 1989 aktiv in die P.E.N.Arbeit eingetreten. Erst jetzt war der Weg für Veränderungen frei geworden. Bei zusammenfassender Betrachtung aller Ergebnisse erscheint eine dezidierte Kritik an der Institution P.E.N. in der DDR hinsichtlich der ChartaGrundsätze durchaus plausibel, eine pauschale Verurteilung der einzelnen P.E.N.-Mitglieder und ihrer moralischen Befindlichkeit, wie sie zum Teil in der emotional geprägten Wiedervereinigungsdebatte nach 1989 erfolgt ist, verbietet sich indes. Die Vereinigung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren war ein langsamer und schmerzhafter Prozess, der sich zwischen extremen Polen bewegte. Breit angelegten Vorwürfen auf der Basis von Verallgemeinerung und Selbstgerechtigkeit auf der einen Seite standen beleidigte Rechtfertigungsversuche auf der anderen Seite gegenüber. Die Frage, »ob man Differenzen, sogar Unvereinbares mit einiger Toleranz nebeneinander stehen lassen kann«, wurde, wohl aus Furcht vor »falsche[r] Versöhnung und Zudecken«33, zunächst nicht gestellt. Zwar versuchte sich das 1990 in Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) umgewandelte P.E.N.Zentrum DDR anfänglich im Rahmen von Gesprächen an einer breiter angelegten Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Deren Ergebnisse machten aber schnell deutlich, dass eine pauschale Aufarbeitung der Vergangenheit im Rahmen des P.E.N. mehr Schwierigkeiten bereitete denn Nutzen brachte; sie war 33
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Gunter Hofmann: Schmerzen einer deutschen Familie. Die neue Unversöhnlichkeit unter den Schriftstellern ist eine Chiffre für den Zustand der Republik. In: Die Zeit 40 (29. 9. 1995).
weder nebenbei vom Präsidium zu leisten noch in sporadischen Gesprächskreisen unter Einschluss der Öffentlichkeit. Der weitgehend aus der persönlichen Erinnerung gespeiste Diskurs entbehrte einer fundierten Grundlage. Erst die konsequente Konzentration auf die individuelle Vergangenheit einzelner Mitglieder des DDR-P.E.N. vermochte die Selbstblockade der deutschen P.E.N.-Zentren, zumindest ansatzweise, zu lösen. Was der Ehrenrat des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) begonnen hatte, führte der gemeinsame Ehrenrat nach 1995, begleitet von diversen Meinungsverschiedenheiten, fort. Die Diskussion hatte sich aber auf eine sachlichere Ebene begeben – weg von bloßen Generalisierungen und Spekulationen. Man startete (gemeinsam) den Versuch, den Teufelskreis aus öffentlicher Diffamierung und daraus folgender Unversöhnlichkeit, der den deutschen Literaturstreit nach 1990 kennzeichnete, zu durchbrechen: »[D]er Literaturkrieg ist, wie alle Kriege, ein Gleichmacher. Was nicht zusammenpaßt, wird über einen Leisten geschlagen. Gelernt hat man, daß sich mit Verallgemeinerung wenig begreifen läßt. Es hilft nur, zu individualisieren.«34 Gleichwohl erfasste die Arbeit des (gemeinsamen) Ehrenrats lediglich eine Facette des individuellen Schriftstellerlebens in der DDR. Die nachgewiesene Nicht-Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst des SED-Regimes wurde zum Ausweis moralischer Tugend – und vice versa. Dass die Auswertung des von der DDR-Staatssicherheit hinterlassenen Aktenmaterials durchaus Probleme barg, sei hier nur am Rande vermerkt. Weitgehend ausgeblendet blieb eine umfassende Einordnung der Beschuldigten in den Kontext des literarischen Lebens in der DDR; eine solche war in dieser Form vom Ehrenrat jedoch nicht zu leisten. Auch die vorliegende Forschungsarbeit kann ein solches abschließendes Ergebnis nicht für sich in Anspruch nehmen. Wohl aber dürfen, anhand des ausgewerteten Quellenmaterials, die eingangs vorgestellten theoretischen Überlegungen zur Position der Schriftsteller bzw. Intellektuellen in Diktaturen mit den im engeren Rahmen des P.E.N. festgestellten Realitäten abgeglichen werden. Berücksichtigung finden muss hier aber, soweit möglich, auch die individuelle Dimension der in der P.E.N.-Charta niedergelegten Grundsätze. Wie gingen die Mitglieder, auch abgelöst von der Ebene des DDR-P.E.N., auf ihre ganz persönliche Weise mit Fragen geistiger Freiheit um? Waren sie in der Tat allesamt und ausnahmslos intellektuelle Versager und opportunistische Ja-Sager eines diktatorischen Systems? Oder lässt sich ihr Verhalten differenzierter betrachten? Wie kaum anders zu erwarten, sind unter den Mitgliedern der P.E.N.-Zentren in der DDR, vornehmlich in der Führungsebene, überzeugte Ideologen auszumachen, die sich mit Staat und Partei identifizierten, deutlich Position für das Regime bezogen und zur Übernahme wichtiger Funktionen in der Kulturbürokratie bereit waren. Stärkste Beispiele für diese Gruppe sind Heinz Kamnitzer 34
Gunter Hofmann: Schmerzen einer deutschen Familie. Die neue Unversöhnlichkeit unter den Schriftstellern ist eine Chiffre für den Zustand der Republik. In: Die Zeit 40 (29. 9. 1995). 991
und Henryk Keisch; beide arbeiteten eng mit den parteipolitischen Instanzen zusammen und waren bemüht, deren steigenden Ansprüchen und Zielsetzungen zu entsprechen. In der Folge ließen sie etwa eine außenpolitische Instrumentalisierung des P.E.N.-Zentrums DDR klaglos zu bzw. unterstützten diese und trieben sie entschieden voran. Mit Blick auf die sanktionierten und unter den Repressalien des SED-Regimes leidenden Schriftstellerkollegen wird überdeutlich, dass beide dem Typus des Ideologen voll entsprachen: Sie nutzten ihre Wortgewandtheit, wie es Dahrendorf formuliert, lediglich zur »Rechtfertigung, Überhöhung und Lobpreisung des Bestehenden.«35 Jede kritische Nachfrage zum Schicksal einzelner Schriftsteller im eigenen Lande wurde wortgewaltig als notwendige, sinnvolle und jedenfalls legale Maßnahme der DDR-Regierung abgeschmettert. Die gezielte Verteidigung prosowjetischer und prosozialistischer Positionen bzw. die Vorbereitung dezidierter Offensiven gegen vermeintliche oder tatsächliche antisowjetische und antisozialistische Tendenzen gehörten zeitweise zur alltäglichen Arbeit. Die Kooperation mit dem Ministerium für Staatssicherheit, etwa im Fall von Kamnitzer, ergänzte die bereitwillige Zusammenarbeit mit den parteipolitischen Instanzen. Blickt man auf Kamnitzers Vorgänger im Amt des Präsidenten, so lässt sich ein grundsätzlicher Unterschied feststellen: Während diese – Arnold Zweig noch mehr als Bertolt Brecht, der zumindest seine auf internationaler Ebene angesiedelten persönlichen Interessen verfolgte – in erster Linie repräsentative Amtsausübung praktizierten, führte Heinz Kamnitzer als (Vize-)Präsident in stetiger Abstimmung mit der Parteizentrale die gesamten Alltagsgeschäfte des P.E.N.-Zentrums. In der Amtszeit von Brecht und Zweig gab es andere, die diese Aufgaben wahrnahmen: Johannes Tralow, Bodo Uhse und Ingeburg Kretzschmar. Gerade die beiden letzteren standen im Austausch mit der politischen Führung; sie kamen der zwangsläufigen Informationspflicht gegenüber der Abteilung Kultur beim ZK der SED nach, nicht zuletzt um die Bewilligung der für die (inter)nationale P.E.N.-Arbeit notwendigen Gelder und Genehmigungen zu sichern. In den Dienst von Partei und Staat stellten sich, auf andere Weise, zweifellos noch weitere Mitglieder des Präsidiums bzw. des P.E.N.-Zentrums. Verwiesen sei hier beispielhaft auf Hermann Kant und Paul Wiens, die als Zuträger mit den sicherheitsdienstlichen Behörden des SED-Staates zusammenarbeiteten und interne Informationen über die (inter)nationale Arbeit des P.E.N.-Zentrums weitergaben und, wie im Fall von Hermann Kant, auch vor intrigantem Ränkespiel nicht zurückschreckten. Ihnen muss daher eine Nähe zum System staatlicher Unterdrückung attestiert werden, eine Nähe, die eine Einordnung in die Gruppe der Ideologen nahe legt. Sie glaubten an den politischen Nutzen ihres Einsatzes für den Staatssicherheitsdienst. Kritische Distanz zu einem Staatswesen, das sich unter anderem durch die geheime Überwachung seiner Bürger als Diktatur zu erkennen gab, war ihnen fremd. Sie stellten ihre Staatstreue im illusorischen Glauben an tätige Mitwirkung beim Aufbau eines sozialistischen Sys35
992
Dahrendorf, S. 312.
tems zum Teil über mitmenschliche Loyalität. Zwar lässt sich die tatsächliche Wirkung ihrer Zuträgerdienste in Bezug auf den P.E.N. nur schwer abschätzen. Mit ihrem Handeln leisteten sie indes, auch auf der Ebene des P.E.N., einen Beitrag zur Aufrechterhaltung und Absicherung des diktatorischen SED-Staates. Im völligen Gegensatz dazu stand etwa P.E.N.-Mitglied Stefan Heym. Als immerfort kritischer Geist fiel er, nicht nur im P.E.N., unter die Kategorie »politisches Sorgenkind«. Obgleich er, auch nach 1989, beharrlich an den Sozialismus glaubte, stellte er (kultur)politische Entscheidungen und Vorgaben in Frage und teilte kritische Gedanken, soweit es ihm in der kontrollierten Öffentlichkeit der DDR möglich war, mit. Stetige Überwachung und gezielte Restriktionen bei der Veröffentlichung seiner Werke waren die Folge. Auch im Rahmen des P.E.N. traf ihn die Reaktion auf geäußerte Kritik. So wurde etwa eine durch das P.E.N.Zentrum DDR geplante Lesung von der Abteilung Kultur beim ZK der SED unter enormem Aufwand verhindert. Ein schlecht besuchter Clubabend, bei dem er seine Empörung über die auch ihn selbst betreffenden kulturpolitischen Ereignisse des Jahres 1979 deutlich machte und ein entschiedenes Eintreten des DDRP.E.N. für die drangsalierten Schriftsteller forderte, wurde unvermittelt abgebrochen. Vor allzu scharfen Disziplinierungsmaßnahmen schützte den ehemaligen Hitler-Emigranten jedoch vermutlich sein guter Ruf als international bekannter DDR-Autor. Eingereiht in die Reihe der kritischen Intellektuellen innerhalb des P.E.N.Zentrums DDR erwartet man auch Wolf Biermann. Für ihn muss jedoch eine, hinsichtlich seiner durchaus ambivalenten Haltung gegenüber dem SED-Staat, überraschende Feststellung getroffen werden. Biermann wurde von den Kulturfunktionären, wohlgemerkt mit Blick auf den P.E.N., in die Position des notorischen »Querulanten« gedrängt und mit einer steten Spezialbehandlung belegt. Tatsächlich aber fiel er im Rahmen des P.E.N. kaum auf – weder positiv noch negativ im Sinne der Parteipolitik. Sämtliche vorbeugend beschlossenen Sicherungsmaßnahmen liefen ins Leere: Biermann verzichtete als Teilnehmer an den Generalversammlungen auf Provokationen. Im Einzelfall verteidigte er sich lediglich gegen gezielte Angriffe auf seine Person. Ein weiterer kritischer Denker nahm nur für kurze Zeit am Clubleben teil: Jurek Becker, 1972 in den P.E.N. gewählt, scheute Konfrontation nicht; er brachte auf Generalversammlungen und Vorausversammlungen rückhaltlos kritische Gedanken vor und drängte vergebens auf Veränderungen. Indes zog Becker aus den realen politischen Gegebenheiten für sein Leben einen anderen Schluss: Während Heym sich einen Rest Loyalität zum Unrechtsregime der SED bewahrte, die DDR bis zu ihrem Zusammenbruch nicht verließ und auch nach dem Fall der Mauer auf einen reformierten Sozialismus hoffte, reiste Becker nach den kulturpolitischen Ereignissen des Jahres 1976, gegen die er Protest eingelegt hatte, in die Bundesrepublik aus. Er gehörte somit zu jenen Schriftstellern, die letztlich für sich in der DDR keine Perspektive mehr sahen und ins Exil gingen – in dem Bewusstsein, mit der Ausreise alle potentiellen politischen Einwirkmöglichkeiten auf ein Minimum reduziert zu haben. An Beckers Beispiel wird 993
einmal mehr deutlich, dass bei der Beurteilung einzelner Personen Pauschalisierung vermieden werden muss. An verschiedenen weiteren Beispielen lassen sich, wenn auch nur punktuell, Überschneidungen der einzelnen Verhaltenskategorien, die für Schriftsteller in diktatorischen Staaten aufgestellt werden können, nachzeichnen. In dieser Hinsicht liefert das langjährige Präsidiumsmitglied Stephan Hermlin, ab 1975 auch Vizepräsident des Internationalen P.E.N., ein eindrückliches Beispiel. Bei ihm erscheint die Diskrepanz zwischen uneingeschränkter Loyalität zum DDR-Staat und kritischer Haltung gegenüber einzelnen (kultur-)politischen Entscheidungen der Machthaber sehr ausgeprägt. Hermlins Verhalten hinterlässt beim Betrachter den Eindruck eigentümlicher Ambivalenz: Grundsätzlich verhielt er sich loyal gegenüber der Staatsmacht. So präsentierte er sich etwa Anfang der sechziger Jahre im Internationalen P.E.N. als entschiedener Befürworter des Mauerbaus in Berlin und entkräftete die zahlreichen gegen die DDR gerichteten Vorwürfe wegen Inhaftierungen von Schriftstellerkollegen; er machte sich somit zum Fürsprecher eines diktatorischen Systems, dessen politische Entscheidungen er nach außen in der ihm eigenen starken Rhetorik verteidigte. Mit der Erfahrung zunehmender kulturpolitischer Repression in den siebziger Jahren wuchs auch die punktuelle Kritikfähigkeit gegenüber dem System. Hermlin gehörte zu den Hauptinitiatoren der Petition gegen die Biermann-Ausbürgerung, die erstmals deutliche Kritik an einer Maßnahme der DDR-Regierung über die eigenen Landesgrenzen hinaus in die Öffentlichkeit trug und ihren Unterzeichnern in der Folge verschärfte Kontrolle durch das Ministerium für Staatssicherheit und massive Regulierungsversuche auf allen kulturpolitischen Ebenen, auch über das P.E.N.-Zentrum DDR, eintrug. Gleichwohl setzte sich Hermlin, auch auf Anstoß durch den Internationalen P.E.N., für in der DDR verfolgte Schriftstellerkollegen ein. Dabei agierte er zunehmend am P.E.N.-Präsidium vorbei. Er nutzte seine guten, beinahe freundschaftlichen Verbindungen zur obersten Führung, in Person Erich Honeckers, um Haftentlassungen zu erwirken. In den achtziger Jahren avancierte Hermlin, gemeinsam mit Generalsekretär Walter Kaufmann, zum verlässlichen Ansprechpartner für das WiPC. Obgleich Hermlin sich also in einzelnen Punkten durchaus als Kritiker staatlicher Entscheidungen erwies, stellte er doch niemals das SEDRegime grundsätzlich in Frage. Auch der Weggang aus der DDR wäre für ihn undenkbar gewesen. Im Gegenteil: Zu prägend war die Erfahrung des Exils nach 1933, zu gering das Verständnis für jene, die aus der DDR fort gingen und damit jede Chance auf Mitgestaltung des Sozialismus fahren ließen, zu ausgeprägt blieb die Hoffnung auf die sozialistische Utopie bis zum Zusammenbruch des SED-Staates. Komplex erscheint ebenfalls die Position von Christa Wolf. Auch sie ließ sich zunächst auf das sozialistische Experiment ein. Sie erklärte sich mit der Übernahme von Ämtern in den Führungsgremien von Schriftstellerverband und P.E.N.-Zentrum einverstanden, die als Schaltstellen zwischen Kulturschaffenden und Politfunktionären fungierten, und nahm in diesem Rahmen an Gesprä994
chen mit den parteipolitisch Verantwortlichen teil. Zwar zeigte sie sich dort zum Teil durchaus kritisch. Sie versuchte jedoch in den vorgegebenen Strukturen zu wirken und vertrat, als erfolgreiche Schriftstellerin, die DDR auch auf internationaler Ebene. Eine grundsätzliche Kritik, die eine definitive Ablehnung der DDR nach sich gezogen hätte, leistete sie demnach nicht. Ihre Erfassung als IM »Margarete« durch das Ministerium für Staatssicherheit (1959–1962) bleibt an dieser Stelle ohne Bewertung, da dieser Zusammenhang für die Geschichte des P.E.N. nicht relevant erscheint. Gleichwohl lässt sich festhalten: Wolf ließ sich zunächst in das kulturpolitische System der DDR einbinden. Jedoch setzte bei ihr aufgrund der zunehmenden kulturpolitischen Schärfen ein Umdenken ein. Nach der Unterstützung der Biermann-Petition zeichnete sich für Wolf, anders als bei Hermlin, der trotz Auseinandersetzungen mit den Parteifunktionären kulturpolitisch aktiv blieb und seine Verbindung in die politische Machtzentrale zum Einsatz für verfolgte Schriftstellerkollegen nutzte, eine andere Entwicklung ab. Ein kontinuierlich fortschreitender Prozess war in Gang gesetzt, der Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre deutlich erkennbar wurde. Wolf hatte für ihre Existenz in der DDR einen neuen Weg eingeschlagen; sie hatte schon nach dem Konflikt um die Biermann-Ausbürgerung begonnen, sich sukzessive aus Partei und Schriftstellerverband zurückzuziehen. Aus dem Vorstand des Schriftstellerverbands schied sie 1977 aus.36 Im P.E.N. blieb sie zunächst Mitglied des Präsidiums. Sie äußerte vereinzelt Kritik an der Kulturpolitik, etwa an der negativen Propaganda, die den wegen Devisenvergehens verurteilten Heym zu kriminalisieren suchte. Nach den Ausschlüssen der Schriftstellerkollegen aus dem Schriftstellerverband im Jahr 1979, die sie vehement verurteilt hatte, führte sie den Rückzug aus der Verbandsarbeit konsequent zu Ende; sie nahm danach an den Kongressen des Schriftstellerverbandes nicht mehr teil und lehnte eine Wiederwahl ins Präsidium des P.E.N. ab. Im Grunde hatte sie sich dem in der DDR etablierten sozialistischen System entfremdet und sah aufgrund der realen Gegebenheiten desillusioniert von einer aktiven Mitgestaltung des eigenen Staates ab. Die Konzentration auf ihre literarische Arbeit überwog; sie empfand die Konflikte, die sie in der DDR erlebte, als Impulse, die sie »›zum Schreiben trieben‹«37 . »Lange unentschlossen«38 , blieb sie deshalb in der DDR; sie lebte »[z]urückgezogen im eigenen Land«39 . Ihr Umgang mit der Diktatur lässt sich in diesem Zeitraum als Rückzug in eine gemilderte Art der inneren Emigration beschreiben. Denn Wolf befand sich in der glücklichen Lage trotz ihrer ablehnenden Haltung als Privilegierte des Systems behandelt zu werden. Gleichwohl agierte sie punktuell als kritische Intellektuelle im Sinne der P.E.N-Charta; sie ergriff etwa Anfang der achtziger Jahre auf individueller Ebene Initiative für die jungen inhaftierten Schriftstellerkolle36 37 38 39
Vgl. Magenau: Christa Wolf, S. 289. Zitiert nach Magenau: Christa Wolf, S. 285. Zitiert nach Magenau: Christa Wolf, S. 287. Magenau: Christa Wolf, S. 303. 995
gen Matthies, Rathenow und Erwin. Auf Verbandsebene trat sie erst am Ende der achtziger Jahre wieder in Erscheinung: 1988 nahm sie erstmals seit 1979 an einem Kongress des Schriftstellerverbandes teil, um sich für die Rücknahme der Ausschlüsse von 1979 einzusetzen; Anfang 1989 forderte sie auf einer Generalversammlung dezidiert den Einsatz des P.E.N.-Zentrums DDR für Václav Havel. Offenkundig deutete sie die Zeichen der Zeit als günstig, um sich als kritische Intellektuelle in den (kultur)politischen Prozess auf breiterer Basis erneut einzuschalten. Auch Wolf gehörte zu jenen Intellektuellen der DDR, die sich kurz vor dem Zusammenbruch der DDR in ihrer Hoffnung auf einen reformierten Sozialismus engagierten. Die Utopie zog auch sie noch immer in ihren Bann. Der intellektuelle Einsatz kam indes zu spät. Der geeignete Zeitpunkt für Reformen war verpasst. Zwar werden auch hier die exemplarisch herausgegriffenen, individuellen Lebensläufe nur ansatzweise beleuchtet. Bei zusammenfassender Betrachtung der herausgearbeiteten Beispiele für das intellektuelle Handeln von P.E.N.Mitgliedern wird jedoch offensichtlich, dass in Abgleich von Theorie und Praxis die in der Einleitung vorgestellten Schemata der Verhaltensweisen von Schriftstellern bzw. Intellektuellen unter den Lebens- und Arbeitsbedingungen einer Diktatur nur relative Geltung haben. Zwar lassen sich Einzelne eindeutig einer Kategorie zuschreiben. Bei vielen Schriftstellern gelingt eine solche eindeutige Zuordnung jedoch nicht. Es finden sich demzufolge zahlreiche Belege für die Gültigkeit der zentralen Hypothese, dass jeder Intellektuelle bzw. jeder Schriftsteller in jeder (kulturpolitischen) Situation vor einer jeweils neu zu treffenden, individuellen Entscheidung stand, die in Bezug auf das Staatssystem der DDR unter Abwägung der persönlichen Risiken bzw. Sicherheiten sehr unterschiedlich ausfallen konnte. Daran änderte auch die Mitgliedschaft im P.E.N.-Club nichts. Die Individualität der Schriftsteller wirkte einer kollektiven und, zumindest in vielen Fällen, endgültigen Entscheidung pro oder contra Konformismus/Opportunismus bzw. Opposition/Widerstand entgegen. Die Feststellung ambivalenten Verhaltens bei einem Einzelnen, und somit die Zuordnung in mehrere Kategorien, ist daher nur folgerichtig. Somit verbietet sich ein pauschales Urteil über die Mitglieder des P.E.N.-Clubs in der DDR. Das P.E.N.-Zentrum DDR als Institution stand ohne Zweifel unter starkem parteipolitischem und staatlichem Einfluss. Nonkonformistisches Auftreten von P.E.N.-Mitgliedern mag im Einzelfall durch die hohen Ziele der P.E.N.-Charta gestützt worden sein. Den entscheidenden Ausschlag für die Haltung des Einzelnen gegenüber den Unrechtstaten des Regimes dürfte jedoch das ganz persönliche ethischmoralische Wertesystem gegeben haben. Doch auch hier klaffte die Schere zwischen Anspruch und Tat weit auf. Das konkrete Handeln im Sinne der eigenen Grundsätze erforderte mehr als das Erkennen des Unrechts, nämlich ein Höchstmaß an charakterlicher Stärke – wie sie nicht jedem gegeben war. Eine Antwort auf die in der Einleitung behandelte prinzipielle Frage, ob von Schriftstellern um jeden Preis und in jeder Situation ein Verhalten im Sinne eines positiv besetzten Intellektuellenbildes erwartet werden darf, steht auch an die996
sem Punkt noch aus. Gleichwohl bildet diese Frage den Kern des an moralischen Grundwerten entzündeten Meinungsstreits um die Vergangenheit des P.E.N.Clubs in der DDR. Eine objektiv gültige Klärung dieser fundamentalen Problematik ist jedoch nicht herbeizuführen – auch nicht von der hier vorgelegten Studie. Vielleicht kann sie aber einen Beitrag dazu leisten, die sachliche Grundlage für eine zukünftige Bewertung des DDR-P.E.N. zu verbreitern, indem sie differenzierte Erkenntnisse über den Standort des P.E.N. im DDR-Staat wie auch im internationalen Raum bereit stellt und darüber hinaus grundsätzliche Überlegungen zu den konkreten Handlungsräumen der Schriftsteller in diktatorischen Staatssystemen anstößt.
997
Anhang
A1
Zeittafel
zur Geschichte des P.E.N.-Zentrums Deutschland, Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, P.E.N.-Zentrums DDR und Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) (1946–1998) 10.9.1946
12.1.1947 Juni 1947
Mai/Juni 1948
18.–20.11.1948
12.4.1949
2.–4.6.1949
September 1949
15.–18.11.1949
998
Zusammentreffen der Schriftsteller Johannes von Günther, Curt Thesing und Johannes Tralow in Gauting bei München: Begründungeiner »losen Arbeitsgemeinschaft zum Zwecke der Wiederaufrichtung der Deutschen Gruppe des P.E.N.«. Formierung der »Münchner Vereinigung des Internationalen PENClubs«; Lizenzantrag an die zuständige Militärverwaltung. Internationaler P.E.N.-Kongress in Zürich: Teilnahme von JohannesR. Becher, Erich Kästner und Ernst Wiechert als deutsche Vertreter: Einsetzung einer internationalen Kommission zur Prüfung der Wiederaufnahme von deutschen Mitgliedern in den Internationalen P.E.N.-Club. Internationaler P.E.N.-Kongress in Kopenhagen: Teilnahme von Johannes R. Becher als deutscher Vertreter: Anerkennung der Gründungsmitglieder für ein deutsches P.E.N.-Zentrum. Gründungsversammlung in Göttingen: Konstituierung des P.E.N.-Zentrums Deutschland mit Sitz in München; Hermann Friedmann, Ernst Penzoldt und Johannes Tralow werden Präsidenten; Erich Kästner und Rudolf Schneider-Schelde werden Sekretäre. Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Hamburg: Verhandlungvon Organisationsfragen(Mitgliedsbeiträge,Gelder, Satzungen, Ehren- und Schiedsgericht); Wahl von Johannes Tralow zum Schatzmeister. Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Bielefeld: Diskussion eines Resolutionsentwurfs für den internationalen P.E.N.Kongress in Venedig betr. Freizügigkeit des deutschen Buches; Beratung von Finanzfragen; Erörterung zur Frage der Gründung einer Akademie der deutschen Sprache. Internationaler P.E.N.-Kongress in Venedig: Anerkennung und vollständige Gleichberechtigung des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in München: Festlegung der Statuten, Regelung der Finanzierungsfragen, Zuwahlen neuer Mitglieder; Wahl von Hermann Friedmann zum geschäftsführenden Präsidenten; Wahl von Johannes R. Becher und Erich
4.–7.12.1950
April 1951 Mai 1951
Anfang Juni 1951 22.–27.6.1951
[Juli] 1951
Oktober 1951
23./24.10.1951
31.10.1951 27.11.1951
Kästner zu weiteren Präsidenten; Bestellung von Ernst Penzoldt zum Sekretär; Bestätigung von Johannes Tralow als Schatzmeister; Verabschiedung einer Resolution betr. Plan eines Schmutz- und Schundgesetzes für Bundesrepublik Deutschland. Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Wiesbaden: Eklat um Johannes R. Becher – Anklageschreiben von Günther Birkenfeld, Rudolf Pechel und Theodor Plievier; Wiederwahl von Hermann Friedmann, Johannes R. Becher und Erich Kästner als Präsidenten; Wahl von Kasimir Edschmid zum Generalsekretär; Bestätigung von Johannes Tralow als Schatzmeister. Verweigerungeiner Entscheidung im Streitfall Becher durch den Internationalen P.E.N.-Club. Anstrengung eines schriftlichen Wahlverfahrens über die Besetzung der Präsidiumsämter durch Kasimir Edschmid; Herausgabe der Broschüre »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club« durch das Bundesministeriumfür gesamtdeutsche Fragen unter Ägide von Minister Jakob Kaiser. Protestbrief von Peter Huchel, Bernhard Kellermann und Anna Seghers gegen das schriftliche Wahlverfahren. Internationaler P.E.N.-Kongress in Lausanne: Teilnahme von Hermann Friedmann, Erich Kästner, Kasimir Edschmid, Johannes R. Becher, Stephan Hermlin und Arnold Zweig; Auseinandersetzung der ost- und westdeutschen Teilnehmer um eine Resolution betr. Frieden (kontroverse Diskussion der Begriffe Freiheit und Frieden). Herausgabe der Broschüre »Standort des deutschen Geistes. Oder: Friede fordert Entscheidung. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Eine Antwort« durch den Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Versendung der Broschüre »Über Toleranz und Geistesfreiheit an die Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Clubs« durch Martin BeheimSchwarzbach, Karl Friedrich Borée, Hermann Kasack, Ernst Kreuder, Wilhelm Lehmann, Georg von der Vring, Rudolf Alexander Schröder. Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf: Diskussion und Ablehnung der Lausanner Friedensresolution; Wahl von Johannes Tralow zum geschäftsführenden Präsidenten; Wahl von Johannes R. Becher und Günther Weisenborn zu weiteren Präsidenten; Wahl von Hans Henny Jahnn zum Generalsekretär; Wahl von Axel Eggebrecht in Abwesenheit zum Schatzmeister; Bestellung von Martin Beheim-Schwarzbach und Hans Erich Nossack als Revisoren; Austritt von Karl Friedrich Borée; Abspaltung einer westdeutschen Gruppe (Hermann Friedmann, Erich Kästner, Kasimir Edschmid, Emil Barth, Walter Bauer, Martin Beheim-Schwarzbach, Karl Friedrich Borée,Hanns Braun, Hans Hennecke,Hermann Kasack, Wilhelm Lehmann, Martha Saalfeld, Georg von der Vring). Ablehnung der Wahl ins Präsidium des P.E.N.-Zentrums Deutschland durch Axel Eggebrecht und Hans Erich Nossack. Öffentliche Rücktrittserklärung von Günther Weisenborn.
999
10.12.1951
20.12.1951 11./12.3.1952 Juni 1952 [Juni] 1952 6.9.1952 8.10.1952 10.5.1953
Juni 1953
Juli 1953
September 1953
Januar 1954
4./5.3.1954
Mai 1954
1000
Zusammenkunft des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Berlin Charlottenburg: Bestätigung von Johannes Tralow als geschäftsführender Präsident und Schatzmeister; Wahl von Rüdiger Syberberg zum Präsident; Bestätigung von Hans Henny Jahnn als Generalsekretär. Johannes Tralow: »Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N.«. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in Paris: Vorläufige Anerkennung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren. Internationaler P.E.N.-Kongress in Nizza: Endgültige Bestätigung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren. Rücktrittserklärung von Hans Henny Jahnn, Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Öffentlichkeitswirksamer Austritt des in der Bundesrepublik lebenden Mitglieds Wilhelm von Scholz aus dem P.E.N.-Zentrum Deutschland. Rücktrittserklärung vom Amt des Präsidenten und Austrittserklärung aus dem Internationalen P.E.N. durch Rüdiger Syberberg. [5.] Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Berlin Charlottenburg: Rückzug vom Präsidentenamt durch Johannes R. Becher; Wahl von Bertolt Brecht zum Präsidenten; Johannes Tralow bleibt geschäftsführender Präsident; Herbert Burgmüller (Bundesrepublik Deutschland) wird Generalsekretär, Stephan Hermlin Schatzmeister; Sekretäre des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Erich Wendt und Carlfriedrich Wiese, werden als Kassenrevisoren eingesetzt; Bekenntnis der Mitgliederversammlung zur »Unteilbarkeit der deutschen Literatur«. Internationaler P.E.N.-Kongress in Dublin: Verbindliche Namensgebung für die beiden deutschen P.E.N.-Zentren – Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West (Sitz München) und Deutsches P.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik) mit Sitz in Darmstadt. Aufnahme der Bestrebungen, Berlin als Kongressort für den Internationalen P.E.N. im Jahr 1955 durchzusetzen; letztlich wird der Vorschlag auf internationaler Ebene durch das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West aber gar nicht eingebracht. Überlegungen zur Angliederung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West an den DSV: Annäherung an dessen Abteilung Gesamtdeutsche Arbeit; Verwaltung der Mitgliederbeiträge durch den Bundessekretär Carlfriedrich Wiese. Beschluss des DSV: Entwurf eines eigenständigenFinanzplans für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West zur Vorlage beim Finanzministerium der DDR, letztlich nicht bewilligt. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Berlin (Ost- und Westteil): Bertolt Brecht, Johannes Tralow und Herbert Burgmüller bleiben im Amt; Bodo Uhse wird Schatzmeister; Zuwahlen; Zusammenführung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren als deutliches Ziel formuliert. Erfolgreiche Kontaktaufnahme mit den sowjetischen Schriftstellern zur Vermittlung ihrer Mitgliedschaft im Internationalen P.E.N.: Interesse an Entsendung einer sowjetischen Delegation zum interna-
20.–26.6.1954
August/ September 1954 Oktober 1954
15.11.1954
22./23.3.1955
April 1955
12.–19.6.1955
Februar 1956
9./10.3.1956
Juli 1956 14.8.1956 November 1956
27.–29.3.1957
tionalen Kongress in Amsterdam; Scheitern der Teilnahme sowie darauf folgenderweitererVermittlungsversuchedes DeutschenP.E.N.Zentrums Ost und West. Internationaler P.E.N.-Kongress in Amsterdam: Teilnahme einer repräsentativen Delegation von DDR-Schriftstellern unter Führung des Präsidenten Brecht; Durchsetzung einer Resolution betr. Verbreitungsfreiheit; Mobilisierung anderer »volksdemokratischer« Zentren für die Teilnahme am Kongress; Vorstellung des Almanachs »Deutsches Wort in dieser Zeit«. Einrichtung eines P.E.N.-Kontos für das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West durch Bodo Uhse: Transferierung der beim Kulturbund vorhandenen Gelder. Einreichung eines eigenständigen Haushaltsplans des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West durch Bodo Uhse beim Finanzministerium, dem nicht stattgegeben wird. Übernahme der Sekretariatsarbeiten im neu einzurichtenden Berliner Büro des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West durch Ingeburg Kretzschmar (-Djacenko). Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Hamburg: Bestätigung des Präsidiums von 1954; inhaltliches Schwerpunktthema: Die Auswirkungen der Atomenergie. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in London: Ablehnung einer von Bertolt Brecht vorgelegten Anti-Atom-Resolution. Internationaler P.E.N.-Kongress in Wien: Provokation einer Diskussion um die Grundfrage Internationaler P.E.N. und Kommunismus durch die Eröffnungsrede des internationalen Präsidenten Charles Morgan; Rückstellung der erneut durch das Deutsche P.E.N.-Zentrum Ost und West vorgelegten Anti-AtomResolution. Gründung eines Münchener Arbeitskreises für Zeitgeschichte durch Johannes Tralow (Zusammenarbeit mit dem Deutschen P.E.N.Zentrum Ost und West). Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Sacrow bei Potsdam: Klage über mangelnde Präsenz von Vertretern osteuropäischer Nationen; Beratung über Anschluss der sowjetischenKollegen an den Internationalen P.E.N.; Bestätigung des Vorstands von 1955; Kooptierung von Heinrich Christian Meier als Sekretär. Internationaler P.E.N.-Kongress in London: Annahme der Anti-Atom-Resolution. Tod von Bertolt Brecht; Gedenkfeiern in Berlin und München. Verweigerung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, sich mit den ungarischen Schriftstellern solidarisch zu erklären (verfasst durch Johannes Tralow). Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Weimar: Wahl von Arnold Zweig zum Präsidenten;Bestätigungvon Bodo Uhse
1001
4.5.1957
17.–18.10.1958
Mai 1959
13.11.1959 25.11.1959
26.–28.11.1959
28.3.1960 7.–9.12.1960
11.12.1960
13.12.1960
7./8.4.1961
1002
als Generalsekretär;Berufungvon Heinrich ChristianMeier und Alexander Graf Stenbock-Fermorin den Vorstand; Ernennungvon Johannes Tralow zum Ehrenmitglied. Vorstoß des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zur Kontaktaufnahme mit dem DeutschenP.E.N.-Zentrum (Bundesrepublik):Vorschlag einer gemeinsamen Erklärung gegen atomare Aufrüstung auf dem Boden der beiden deutschen Staaten; Ablehnung durch das bundesdeutsche P.E.N.-Zentrum. Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Weimar: Aus Angst vor regulierenden Maßnahmen des Bundesamts für Verfassungsschutz und zur Zerstreuung jeglichen Verdachts von Verbindungen zwischen dem P.E.N.-Zentrum und Institutionen der DDR Erwirkung einer Änderung der offiziellen P.E.N.-Anschrift von der Ost-Berliner Akademie der Künste auf Ingeburg KretzschmarsPrivatadresse durch Johannes Tralow; Beschlussfassung über Ergänzung der Statuten; Verlängerung des Mandats für den Vorstand von 1957; Diskussion zum Thema »Gibt es mehr als eine deutsche Literatur?«. Vorstoß von Arnold Zweig zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West in ein reines DDR-Zentrum; vehemente Gegenwehr von Johannes Tralow. Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West: Erneuter Vorstoß zur Umwandlung in ein reines DDR-Zentrum. Klärung des Vorhabens auf ministerieller Ebene: Beschlussfassung durch Erich Wendt, Alexander Abusch und Bodo Uhse; Verbleib von Johannes Tralow im Amt, Abwahl von Heinrich Christian Meier, Amtsübernahme durch Wieland Herzfelde. Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Berlin: Umsetzung der durch das Ministerium für Kultur am Vortag ausgegebenen personellen Direktiven. Offizielles Rücktrittsgesuch von Johannes Tralow. Verbot der für Hamburg geplanten Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West; polizeiliche Auflösung einer Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zur Klärung der vorgebrachten Vorbehalte. Gespräch zum Verbot der Hamburger Generalversammlungim DDRFernsehfunk mit Alfred Kurella, Arnold Zweig, Heinz Kamnitzer, Peter Hacks und Stephan Hermlin unter der Leitung von Wolfgang Böttner. Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West zu den Hamburger Ereignissen im Deutschen Presseklub, Berlin: Kritik an Politik und geistigem Klima in der BundesrepublikDeutschland und Beschwörung der Integrität des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. »Streitgesprächdeutscher Autoren aus Ost und West« in Hamburg auf Einladung der Zeit-Redaktion, u. a. zum Thema »Die Rolle des PENClubs in unserer Zeit« unter Teilnahme von Carl August Weber, Hans Mayer und Arnold Zweig (Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West) sowie Hans Magnus Enzensberger, Martin Beheim-Schwarzbach und
April 1961
Mai/Juni 1961 September 1961 1.11.1961
2.–6.5.1962
2./3.10.1962
November 1962
10.5.1963
28./29.9.1964
Marcel Reich-Ranicki (Bundesrepublik Deutschland). Als Diskussionsleiter agierte der Feuilleton-Chef der Zeit, Rudolf Walter Leonhardt. Vorlage einer Liste von fünf in der DDR inhaftierten Schriftstellern und Publizisten durch den internationalen Generalsekretär David Carver: Bitte um offizielle Stellungnahme des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Übersendung einer erweiterten Liste von 21 Inhaftiertendurch Robert Neumann. Übersendung einer weiteren Inhaftierten-Liste durch das Österreichische P.E.N.-Zentrum mit der Bitte um Stellungnahme. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in Rom: Keine Teilnahme von Vertretern des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West. Im Vorfeld Übersendung eines Telegramms des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West im Namen von Arnold Zweig: Angriff auf das internationale Generalsekretariat und Verteidigung des Mauerbaus vom August 1961. In Rom Diskussion über die positiven Stellungnahmen führender DDR-Schriftsteller zu den jüngsten Maßnahmen der DDR-Regierung und zur Verfahrensweise hinsichtlich der in der DDR inhaftierten Schriftstellerkollegen. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in Brüssel: Teilnahme von Stephan Hermlin und Ingeburg Kretzschmar als Vertreter des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West; dezidierte Stellungnahme zu den Vorwürfen hinsichtlich der Mauerbau-Diskussion, sowie differenzierte Auskunftserteilung zu den gelisteten Inhaftierungs-Fällen. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Weimar: Berichterstattung zu den Hamburger Ereignissen (Dezember 1960 und April 1961) durch Wieland Herzfelde; Berichterstattung über Exekutivkomitee-Tagung in Brüssel (Mai 1962) durch Stephan Hermlin; Beratung zum Verhältnis der beiden deutschen P.E.N.-Zentren; Informationen zur Herausgabe einer zweibändigen Anthologie durch Ingeburg Kretzschmar; Anregung der Herausgabe einer weiteren Anthologie durch Günter Hofé. Besuch des internationalen Vizepräsidenten Robert Neumann in OstBerlin: Durchführung eines Streitgespräches mit Studenten der HumboldtUniversität zum Thema Was geht uns Eichmann an? ; Teilnahme an einer Matinee zum 75. Geburtstag von Arnold Zweig (11.11.1962); Nachforschungen zum Schicksal der in der DDR inhaftierten Schriftsteller, insbesondere zu Wolfgang Harich; Erkundigungen zu den Chancen einer Verständigung zwischen den beiden deutschen P.E.N.Zentren. Gedenkstunde in der Humboldt-Universität mit führenden deutschen Schriftstellern anlässlich des 30. Jahrestages der Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten. Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Potsdam: Abwendung eines Rücktrittsgesuchs von Arnold Zweig durch Be-
1003
14.10.1964
20.3.1965
28.4.1965
4. bzw. 16.11.1965 26.1.1966
Juni 1966
15.10.1966 11.11.1966
9.2.1967 17.2.1967 28.4.1967
1004
schluss zur Ernennung eines Vizepräsidenten (Einsetzung von Heinz Kamnitzer auf einer Präsidiumssitzung im Dezember 1964); als Präsidiumsmitglieder werden Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde und Heinz Kamnitzer bestätigt; Ernst Schumacher (und Christa Wolf) wird/werden in den Beirat gewählt. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in Budapest: Treffen von Vertretern des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West und Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik): Beschluss zur Bildung eines Ständigen Verbindungsausschusses (informeller Austausch, gemeinsame Veranstaltungen, Vermittlung zwischen beiden Zentren). Zusammentreffen des Ständigen Verbindungsausschusses in Darmstadt: Planung gemeinsamer Veranstaltungen. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Berlin: Umstrittene Zuwahl von Wolf Biermann, Hartmut Lange und Hans-Joachim Bunge, die in der Folge disziplinarische Maßnahmen der parteipolitischen Instanzen gegenüber dem Deutschen P.E.N.Zentrum Ost und West provozieren; Gedenkveranstaltung für Willi Bredel. Gemeinsame Veranstaltung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren in Berlin bzw. Frankfurt am Main: Goethe und seine Zeit mit Richard Friedenthal und Gerhard Scholz. Gemeinsame Veranstaltung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren in Leipzig: Thomas Mann und die Politik mit Maximilian Scheer, Inge Diersen, Harry Pross und Heinz Kamnitzer. Internationaler P.E.N.-Kongress in New York: Minutiöse Vor- und Nachbereitung in Zusammenarbeit mit den parteilichen und staatlichen Instanzen der DDR. Zusammentreffen des Ständigen Verbindungsausschusses in Leipzig: Planung gemeinsamer Veranstaltungen. Gemeinsame Veranstaltung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren in München: Thomas Mann und die Politik mit Janheinz Jahn, Inge Diersen, Heinz Kamnitzer, Horst Rüdiger (Bonn) und Gerhard Storz (Tübingen). Gemeinsame Veranstaltung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren in Heidelberg: Lesung von Anna Seghers. Gemeinsame Veranstaltung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren in Dresden: Lesung von Erich Kästner. Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in Berlin: Beschluss zur Umbenennung in P.E.N.-Zentrum Deutsche Demokratische Republik; Resolutionen betr. Vietnamkrieg und Schriftstellerverfolgungen unter der griechischen Militärdiktatur; Wiederwahl von Arnold Zweig; Bestätigung von Heinz Kamnitzer als Vizepräsident; Bestätigung der übrigen Präsidiumsmitglieder;Ausscheiden von Ernst Schumacher und Alexander Graf Stenbock-Fermor; Wahl von Gün-
13.10.1967
19.3.1968
Juli/August 1968
6.10.1968
14.10.1968
10.11.1968 26.11.1968 September 1969
27.10.1969
26.6.1969
2.4.1970
ther Cwojdrak, Hermann Kant (und Christa Wolf) als neue Präsidiumsmitglieder. Autorenlesung zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution in Zusammenarbeit mit dem Klubhaus der Dresdner Pentaeon Kamera und Kino. Übersendungeiner »Botschaftan das Exekutivkomiteedes Internationalen P.E.N.« durch das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR anlässlich einer bevorstehenden Tagung in London (3./4.4.1968): Dezidierte Kritik am Internationalen P.E.N., insbesondere an der Arbeit des WiPC, wegen antikommunistischer und antisowjetischer Tendenzen; eindrückliches Dokument für den fortan verfolgten Kurs offener Konfrontation und demonstrativer Abgrenzungspolitik im Sinne der DDR-Regierung. Beschlussfassung durch das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR: Abberufung der Generalsekretärin Ingeburg Kretzschmar und Einsetzung von Werner Ilberg als Nachfolger. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in Genf: Nach monatelangen Verhandlungen um die Zukunft des Ständigen Verbindungsausschusses Einverständnis der internationalen P.E.N.Führung und bundesdeutscher Vertreter bei Abwesenheit von DDRDelegierten mit dem temporären Ruhen des Ausschusses. De facto bedeutete dies sein Ende. Zusammenkunft anlässlich des 10. Todestages von Johannes R. Becher im Club der Kulturschaffenden: Lesung von Gedichten durch Stephan Hermlin, Gespräch mit der Witwe Lilly Becher. Matinee aus Anlass des Jahrestages der Reichskristallnacht. Tod von Arnold Zweig. Internationaler P.E.N.-Kongress in Menton: Demonstratives Fernbleiben der DDR-Sektion im Sinne der fortgesetzten Kritik an Internationalem P.E.N. und WiPC (Vorwurf antikommunistischer und antisowjetischer Tendenzen). Veranstaltung in Kooperation mit der Volksbühne: »Und jede Stunde schlug und traf« – Rudolf Leonhard in Gedichten, Szenen, Prosa, Aphorismen, Briefen, Tagebüchern. Gemeinsame Veranstaltung mit dem Club der Kulturschaffenden: Vortrag von Ingeborg Drewitz – »Der Schriftsteller und die […]. Zur gegenwärtigen Literatur in der Bundesrepublik«. Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR in Berlin: Umfassende politisch-ideologische Vorbereitung durch Beratung der Parteigruppe des Präsidiums, vorbereitende Gespräche der Abteilung Kultur beim ZK der SED mit Heinz Kamnitzer und Werner Ilberg, sowie eine Zusammenkunftaller Genossen unmittelbar vor Beginn der Generalversammlung (Vorausversammlung); planmäßige Wahl von Heinz Kamnitzer ins Amt des Präsidenten; Ergänzung des bestätigten Präsidiums durch Henryk Keisch und Jeanne Stern; Zuwahlen nach Billigung der Vorschlagsliste durch Abteilung Kultur beim ZK der SED; Funktionalisierung des P.E.N.-Zentrums DDR zur Unterstützung der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR (Verabschiedung einer Resolution betr. insbesondere das Verhältnis der beiden deutschen Staaten); Fortsetzung des Konfrontationskurses auf inter1005
15.9.1970 19./20.10.1970
November 1970
16.12.1970 20.1.1971 27.3.1971
8.4.1971 21.4.1971
26.5.1971 23.6.1971 19.7.1971 September/ Oktober 1971 22.9.1971 Dezember 1971/ Januar 1972 6.1.1972
1006
nationaler Ebene: Protestresolution gegen den für Seoul geplanten internationalen P.E.N.-Kongress (1970); Angriffe auf Wolf Biermann (Überprüfung seiner P.E.N.-Mitgliedschaft); nachfolgende Bewertung der Abteilung Kultur beim ZK der SED: ForderungverstärkterParteiarbeit und umfassender Einflussnahme auf die Zusammensetzung der Mitgliederschaft des P.E.N.-Zentrums DDR. Gemeinsame Veranstaltung mit dem Club der Kulturschaffenden: Vortrag von Karl Dedecius – »Übersetzung und Gesellschaft«. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in Edinburgh: Auseinandersetzung um einen unmittelbar vor Beginn der Exekutive abgesendeten Brief von David Carver, Pierre Emmanuel, Heinrich Böll, Henry Miller und Graham Greene an den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, betr. Peter Huchel; Annahme einer Resolution des DDR-P.E.N. betr. regelmäßige Auskunftsberichte der nationalen Zentren vor dem internationalen Gremium; Ablehnung einer Resolution des DDR-P.E.N. betr. Angriff auf den internationalen Generalsekretär. Besuch von Heinrich Böll in der DDR: Versöhnliches Zusammentreffen mit Heinz Kamnitzer: Vereinbarung vertraulichen Informationsaustausches zwischen den deutschen Zentren. Clubabend: Lesung von Paul Wiens. Lesung: Volker Braun – »Lenins Tod« (Drama). Veranstaltung zum 100. Geburtstag von Heinrich Mann: Vortrag von Pierre Bertaux (Sorbonne, Paris) – »Erinnerungen an Heinrich Mann«. Gemeinsame Veranstaltung mit dem Club der Kulturschaffenden: Lesung von Wieland Herzfelde – Eigene Werke. Gemeinsame Veranstaltung mit Verlag der Nation, Friedensrat der DDR und Volksbühne Berlin: Lesung anlässlich des 75. Geburtstages von Maximilian Scheer – »Spaziergang durch Jahrzehnte« und »Vergnügliches und Ernstes«. Clubabend: Peter Hacks – Gedichte. Clubabend: Stefan Heym – Neue Prosa. Veranstaltung zum 75. Geburtstag von Werner Ilberg: Lesung aus seinen Werken durch Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR. Anordnung verstärkter Anleitung und Kontrolle der Auslandsarbeit im P.E.N.-Zentrum DDR durch die Abteilung Kultur beim ZK der SED. Clubabend: Maximilian Scheer – »Das Testament des Ermordeten« und »Briefe aus US-Gefängnissen«. Einbezug der Parteigruppe des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums DDR in die Zusammenarbeit mit der Abteilung Kultur beim ZK der SED. Aussprache zwischen Abteilung Kultur beim ZK der SED und der Parteigruppe des Präsidiums, betr. vor allem Auslandsarbeit. Diese entwickelt sich zu einer lebhaften Aussprache über die gegenwärtigen Probleme im Kulturbetrieb der DDR. Einstimmige Wahl von Heinz Kahlau zum Parteigruppensekretär.
21.1.1972
Februar 1972
9.2.1972 13.3.1972 19./20.4.1972
24.5.1972 21.9.1972 11.10.1972 17.10.1972
10.11.1972 14.–18.11.1972
22.11.1972 18.1.1973 7.2.1973 12.2.1973
21.3.1973 17.4.1973 18.4.1973 9.5.1973 20.6.1973 23.8.1973 12.9.1973 22.9.–2.10.1973
Veranstaltung zum 50. Geburtstag von Franz Fühmann: Lesung aus seinen Werken durch Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR (Museum für Deutsche Geschichte/Zeughaus). Besuch von Heinrich Böll in der DDR in Verbindung mit einer Reise ˇ in die Sowjetunion und die CSSR: Zusammentreffen mit den Präsidiumsmitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR zur Besprechung der innerdeutschen Beziehungen. Clubabend: Gotthold Gloger – Romanmanuskript. Clubabend: Heiner Müller – Neues Stück. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in London: Durchsetzung einer Resolution des P.E.N.-Zentrums DDR betr. Aufnahme der DDR in die UNESCO. Clubabend: Christa Wolf – Erzählung. Clubabend: Günter Hofé – Lesung. Clubabend: Hugo Huppert – Lesung. Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR in Berlin: Differenzierte politisch-ideologische Vorbereitung im Vorfeld der Versammlung (betr. Zuwahlen, Wolf Biermann); Referat von Heinz Kamnitzer betr. außenpolitischeFunktiondes P.E.N.-ZentrumsDDR; Diskussion zur Funktion der Clubabende; Debatte über bevorstehende Änderung der internationalen P.E.N.-Charta auf der Exekutive in West-Berlin (November 1972); Bestätigung von Präsident und Präsidium (ergänzt durch Günter de Bruyn); Wahl von Wieland Herzfelde zum Ehrenpräsidenten. Kranzniederlegung am Grab von Arnold Zweig (85. Geburtstag). Internationale Exekutivkomitee-Tagung in West-Berlin: Verweigerung einer kooperativen Vorbereitung der Tagung mit Veranstaltungen in Ost- und West-Berlin durch das P.E.N.-Zentrum DDR; Teilnahme mit einer Delegation von 12 Schriftstellern. Clubabend: Heinz Kamnitzer – »Die letzten Tage des Arnold Zweig«. Einführung neuer Mitglieder. Clubabend: Lothar Kusche – »Der gerissene Film«. Einsatz des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums DDR für Stefan Heym: Eingabe beim Minister für Kultur, Hans-Joachim Hoffmann betr. Zensurierungsmaßnahmen gegen Heyms Werk. Clubabend: Peter Edel – »Begegnung mit Liebermann«. Feier zum 60. Geburtstag von Stefan Heym. Clubabend: Fred Wander – »Ein Zimmer in Paris«. Mitgliederversammlung: Bericht über Exekutive in Stockholm. Clubabend: Dinah Nelken – »Kleine Prosa«. Feier zum 65. Geburtstag von Jeanne Stern. Clubabend: Jurek Becker – Lesung aus einem unveröffentlichten Roman. Besuch der DDR durch Yves Gandon, Ehrenmitglied des französischen P.E.N.-Zentrums.
1007
17.10.1973 21.11.1973 26.11.1973 4.12.1973 12./13.12.1973
19.12.1973 23.1.1974 1.2.1974 13.2.1974 20.3.1974 17.4.1974 19./20.5.1974
10.9.–17.9.1974 16.10.1974 20.11.1974 12.3.1975 14.4.1975 14.5.1975 22.10.1975
21.11.1975 18.12.1975 14.1.1976 25.2.1976 17.3.1976 22.–27.4.1976 24.4.1976
1008
Clubabend: Heiner Müller – Lesung aus einem unveröffentlichten Stück. Clubabend: Heinz Kahlau – »Dichtung und Nachdichtung«. Kranzniederlegung zum 5. Todestag von Arnold Zweig. Feier zum 50. Geburtstag von Günther Cwojdrak. Internationale P.E.N.-Exekutive in London: Annahme einer Resolution des P.E.N.-Zentrums DDR betr. Situation der Schriftsteller in Chile. Clubabend: Günther Cwojdrak – »Beim Wort genommen« (Aphorismen). Clubabend: Annemarie Auer aus einer Studie über den Essay von Günther Cwojdrak. Ablösung des Generalsekretärs Werner Ilberg durch Henryk Keisch. Clubabend: Wolfgang Kohlhaase – Zwei Erzählungen. Clubabend: Karl Mickel – Gedichte. Clubabend: Irmtraud Morgner – Lesung aus einem neuen Roman. Internationale Exkutivkomitee-Tagung in Ohrid: Durchsetzungeiner Resolutiondes P.E.N.-ZentrumsDDR betr. Situation der Schriftsteller in Chile. Ungarische P.E.N.-Delegation in der DDR. Clubabend: Robert Weimann – Eindrücke aus den USA. Clubabend: Ernst Schumacher. Clubabend: Liselotte Welskopf-Henrich. 60. Geburtstag von Stephan Hermlin. Clubabend: Bruno Apitz – »Der Regenbogen«. Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR in Berlin: Im Vorfeld intensive Auseinandersetzung zwischen Parteigruppe, Leitung des P.E.N.-Zentrums DDR und der Abteilung Kultur beim ZK der SED um die Zuwahlen; Kritik der Mitglieder an der geringen DDR-internen Arbeit des Zentrums; Annahme einer Resolution betr. Situation der spanischen Schriftsteller; Bestätigung von Präsident und Präsidium; Zuwahlen ohne besondere Vorkommnisse (Nichtwahl von Wolfgang Harich provoziert in der Folge scharfe Auseinandersetzung zwischen Harich und Keisch). Clubabend: [Klaus?] Gysi über UNESCO. 75. Geburtstag von Anna Seghers. Mitgliederversammlung: Bericht über den Kongress in Wien. Clubabend: Rainer Kirsch – Gedichte und essayistische Texte. Clubabend: Adolf Endler – Prosa über Georgien und Gedichte über Berlin-Mitte. Besuch einer holländischen P.E.N.-Delegation: Besuch in Potsdam; Arbeitsgespräch mit Klaus Höpcke. 80. Geburtstage von Wieland Herzfelde und Maximilian Scheer zusammen mit der holländischen Delegation, Ermeler Haus.
4.5.1976 10./11. und 13./14.5.1976
22.7.1976 15.11.1976
29.11.1976
19.1.1977 16.3.1977 12.10.1977 23.11.1977
11.–17.12.1977
14.12.1977 18.1.1978 15.2.1978 5.4.1978
April 1978 21./22. und 25.5.1978 Juni 1978 November 1978
Mitgliederversammlung: Bericht über bevorstehende internationale Exekutive in Den Haag. Internationale Exekutivkomiteee-Tagung in Den Haag: Annahme einer Resolution, eingebracht von beiden deutschen P.E.N.Sektionen sowie den P.E.N.-ZentrenAmerikas, Ungarns, Jugoslawiens und der Niederlande betr. temporäre Suspension des chilenischen P.E.N.-Zentrums. 80. Geburtstag von Werner Ilberg. Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums DDR: Diskussion über Reiner Kunzes Ausschluss aus dem SV; Äußerung von Vorbehalten gegen die Entscheidung durch Stephan Hermlin, Christa Wolf und Günter de Bruyn; Anklagen von Reiner Kunze durch Paul Wiens und Peter Hacks; insgesamt keine Unterstützung von Kunze durch das P.E.N.-Zentrum DDR (Ablehnung einer solchen auch gegenüber dem bundesdeutschen P.E.N.). Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums DDR: Regulierungsversuche hinsichtlich der Initiative von Stephan Hermlin u. a. in Reaktion auf die Ausbürgerung von Wolf Biermann; Ablehnung einer Rücknahme der Biermann-Petition durch Stephan Hermlin. Kulturrat der FranzösischenBotschaft:»Strömungenin der zeitgenössischen Literatur Frankreichs«. Clubabend: Hans Kaufmann – »Versuch über das Erbe«. Clubabend: Heinz Kamnitzer – »Heim-Suchung«. Clubabend: Henryk Keisch – »Möglichkeiten und Grenzen satirischer Lyrik«. Kranzniederlegung zum 90. Geburtstag von Arnold Zweig. Internationaler P.E.N.-Kongress in Sydney: Demonstrative Nichtteilnahme des P.E.N.-Zentrums DDR; Einreichung einer Resolution betr. Diskriminierung der sowjetischen Schriftstellerkollegen hinsichtlich einer Aufnahme in den Internationalen P.E.N. (Vertagungder Frage nach einem SowjetischenZentrum). Clubabend: Erich Arendt – Neuere und ältere Gedichte. Clubabend: Helmut Hauptmann – »Standpunkte und Spielraum«. Clubabend: Hans-Joachim Bunge – Tonbandaufnahmen von Brechts Theaterproben. Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR in Berlin: Bestätigung von Präsident und Präsidium; Vermeidung jeglicher Diskussion über die Vorgänge im kulturpolitischen Bereich nach Biermanns Ausbürgerung aus der DDR. Clubabend: Kurt Stern. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in Stockholm: Durchsetzung einer Resolution betr. Aufforderung aller Regierungen zur Abrüstung und Ächtung atomarer Waffen. Vortrag von Wilhelm Girnus zum 200. Todestag von Voltaire und Rousseau. Clubabend: Heinz Kamnitzer und Gerhard Wolf zum Briefwechsel von Franz Fühmann und Arnold Zweig. 1009
März 1979 April 1979 Mai/Juni 1979
Juni 1979 7.6.1979
16./17. und 19./20.7.1979
September 1979
Oktober 1979
November 1979 12.12.1979
27.2.1980
16.4.1980 18.4.1980 6.–11.5.1980
21.5.1980 18.6.1980 22.10.1980
1010
Zusammenkunft der neuen Mitglieder des P.E.N.-Zentrums DDR. Clubabend: Hugo Huppert. Schriftliche Auseinandersetzung zwischen Christa Wolf und Henryk Keisch zu den Vorgängen um Stefan Heym (Verurteilung von Heym wegen Devisenvergehens und begleitende Pressekampagne). Clubabend: Jean Villain. Ausschlüsse aus dem SV: keine Reaktion des P.E.N.-Zentrums DDR (Anfragen aus dem Ausland erhalten abschlägige Beantwortung durch Henryk Keisch – Unterstützung der kulturpolitischen Maßnahmen). Internationale Exekutivkomitee-Tagung in Rio de Janeiro: Annahme einer Resolution des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums betr. Anklage der menschenrechtlichen und kulturpolitischen Situaˇ tion in der DDR und der CSSR (Nachbereitung der Tagung auf einer Veranstaltung des DDR-P.E.N. Anfang Oktober 1979). Zusammenkunft mit Jara Ribnikar vom Serbischen P.E.N.-Zentrum: Auftritt von Stefan Heym, um bei seinen Kollegen Rückhalt für den Protest gegen das von der Volkskammer verabschiedete 3. Strafrechtsänderungsgesetzzu finden; strikte Ablehnungdurch Heinz Kamnitzer, Henryk Keisch und Paul Wiens. Zusammenkunft mit Maria Dickmann vom holländischen P.E.N.: Vortrag von Heinz Kamnitzer zum 30. Jahrestag der Staatsgründung; Auftreten von Stefan Heym als entschiedener Ankläger des P.E.N.Zentrums DDR (betr. wiederholtes Schweigen zu den kulturpolitischen Vorgängen in der DDR). Clubabend: Hans-Joachim Bunge. Rückzug von Christa Wolf und Jeanne Stern aus dem Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR, vermutlich infolge der krisenhaften kulturpolitischen Situation nach den Ausschlüssen aus dem Schriftstellerverband. Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR in Berlin: Keine Diskussion der Ausschlüsse aus dem Schriftstellerverband und der weiteren kulturpolitischen Entwicklung; Bestätigung des Präsidenten; Wiederwahl des Präsidiums; Ersetzung von Christa Wolf und Jeanne Stern durch Fritz Rudolf Fries und Paul Wiens, beide IM des MfS; Kooptierung von Rita Schober ins Präsidium. Clubnachmittag: Einführung neuer Mitglieder; Vortrag von Rita Schober: »Literatur – Machen, Aufnehmen, Bewerten«. Präsidiumstreffen zum 65. Geburtstag von Stephan Hermlin. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in Bled: Teilnahme von Günther Cwojdrak, Paul Wiens und Stephan Hermlin; Auseinandersetzungzwischenden Vertreterndes DDR-P.E.N. und Thomas von Vegesackum den Fall des in der DDR inhaftiertenAutors Manfred Bartz (Auskunftsverweigerung);Durchsetzungeiner Resolution zum »35. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus«. Clubnachmittag: Walter Kaufmann – »Drei Reisen ins Gelobte Land«. Clubnachmittag: Heinz Knobloch – »Herr Moses in Berlin«. Clubnachmittag: Rosemarie Schuder – »Miguel Servete«.
13.11.1980 November 1980
5.12.1980
14.1.1981 18.2.1981 18.3.1981 12.4.1981 15.4.1981
14.5.1981 September 1981
26.11.1981 4.2.1982 31.3.1982 5.5.1982 20./21.3.1982
12.5.1982
13.5.1982
3.–11.6.1982
Veranstaltung zum 80. Geburtstag von Anna Seghers: »Drei Frauen aus Haiti«. Kritische Nachfragen des WiPC und des bundesdeutschen P.E.N. beim P.E.N.-Zentrum DDR wegen der Inhaftierungen von Thomas Erwin, Frank-Wolf Matthies und Lutz Rathenow; Proteste von Stephan Hermlin, Christa Wolf, Franz Fühmann und Heiner Müller. Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums DDR: Heftiger Meinungsstreit um den Einsatz für in der DDR verfolgte Schriftsteller (Kontrahenten: Stephan Hermlin und Henryk Keisch). Clubnachmittag: Ernst Schwarz – Gespräch über seine Chinareise. Clubnachmittag: Wilhelm Girnus – Lesung aus einem Essay-Manuskript. Clubnachmittag: Henryk Keisch – Gespräch über Fragen des Internationalen P.E.N.-Clubs. Präsidiumstreffen zum 85. Geburtstag von Wieland Herzfelde. Gemeinsame Veranstaltung mit dem Club der Kulturschaffenden und dem Zentrum DDR der Europäischen Kulturgesellschaft: »Literatur und Gesellschaft in Frankreich« (Gast: Jacques Gaucheron, Paris). Gemeinsame Veranstaltung mit dem Club der Kulturschaffenden: Vorstellung einer dänischenP.E.N.-Delegation,Lesung und Gespräch. Internationaler P.E.N.-Kongress in Lyon: Teilnahme von Paul Wiens als Vertreterdes DDR-P.E.N.; Zustimmung zu einer Resolution betr. Verurteilung jeder Art von äußerem militärischem Druck, der sich gegen die freie Entwicklungdes kulturellenund gesellschaftlichen Lebens eines Landes richtet (in der Folge erhebliche Kontroversen zwischen Heinz Kamnitzer, Henryk Keisch und Paul Wiens); Durchsetzung einer gemeinsamen Friedensresolution durch die beiden deutschen Zentren und das englische P.E.N.-Zentrum. Gemeinsame Veranstaltung mit dem Club der Kulturschaffenden zum 100. Geburtstag von Stefan Zweig: »Die Welt von gestern«. Gemeinsame Veranstaltung mit dem Club der Kulturschaffenden zum 60. Geburtstag von Franz Fühmann. Podiumsgespräch im Club der Kulturschaffenden: »Kein Goethe auf Berliner Bühnen? Podiumsgespräch zum Goethe-Jahr 1982«. Clubtreffen mit Guy Périer de Féral: Bericht über Nachforschungen zu Voltaire, Vorlage bislang unbekannter Dokumente usw. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in London: Teilnahme von Henryk Keisch; nachdrücklicheLegitimierungder polnischen Regierungspolitik; Ablehnung einer Resolution betr. Freilassung inhaftierter polnischer Schriftsteller. Zusammentreffen der Präsidiumsmitglieder mit Arno Reinfrank, Generalsekretärdes P.E.N.-Klubs DeutschsprachigerAutoren im Ausland. Gemeinsame Veranstaltung mit Club der Kulturschaffenden: Öffentlicher Literaturabend mit einer Lesung von Arno Reinfrank – »Sommerlied und Technik« (Neue Gedichte) und anschließendem Gespräch. Treffen der deutschsprachigen P.E.N.-Zentren in Wien. 1011
10.6.1982 Juli 1982
28.9.1982
25.10.1982
18./19.11.1982
Dezember 1982
23.3.1983 4.5.1983
11.–14.5.1983
15.5.1983
28.6.1983
1.9.1983
22.9.1983
1012
Clubnachmittag: Rolf Schneider – »Annäherung in Mainz«. Gespräch zwischen Hanns Werner Schwarze, Generalsekretär des bundesdeutschen P.E.N., Heinz Kamnitzer und Henryk Keisch in OstBerlin betr. Chancen der Zusammenarbeit. Gemeinsame Veranstaltung mit dem Kulturbund und Verlag der Nation: Literaturgesprächanlässlich des 100. Geburtstages von Johannes Tralow – Einführungzum Schaffen (Bruno Brandl, Verlag der Nation) und Lesung aus Werken (Peter Borgelt). Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR in Berlin: Kontroverse Diskussion über die von einer Kulturkonferenz der FDJ (ebenfalls Oktober 1982) ausgegangenenAngriffe auf einzelne,»illoyale« Schriftsteller, u. a. Rolf Schneider und Klaus Poche; Diskussion um die (Un)Zugänglichkeit der Internationalen P.E.N.-Charta, ausgelöst durch Adolf Endler; Wiederwahl von Präsident und Generalsekretär; Bestätigungdes Präsidiums unter Hinzuwahl von Günther Deicke, Rainer Kerndl, Karl Mundstock und Jean Villain sowie Ausscheiden von Günter de Bruyn und Hermann Kant. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in London: Keine Teilnahme von DDR-Vertretern; Durchsetzung einer Resolution des P.E.N.-Zentrums DDR betr. Warnung vor der Gefahr eines globalen Krieges und Ablehnung der weltweiten atomaren Aufrüstung. Clubveranstaltung: Einführung der zugewählten Mitglieder; Diskussion über die P.E.N.-Charta und Tätigkeit des Internationalen P.E.N.Clubs. Clubveranstaltung: Einladung in den Verlag Volk und Welt. Clubgespräch in Kooperation mit dem Club der Kulturschaffenden anlässlich des Jahrestages der Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten: Heinz Kamnitzer – »Durch Licht zur Nacht«. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in Venedig: Teilnahme von Henryk Keisch; Diskussion um die Angriffe des bundesdeutschen P.E.N.-Mitglieds Joachim Seyppel auf Stephan Hermlin und andere Mitglieder des DDR-P.E.N.; Durchsetzung einer Resolution betr. Seyppels Angriff und Beschluss zur Abgabe einer Solidaritätserklärung für Hermlin durch die internationale Exekutive; Durchsetzung einer Resolution des DDR-P.E.N. an die Genfer Konferenz zur Begrenzung und Reduzierung der nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa. Einweihung einer Gedenktafel an der ehemaligen Deutschen Freiheitsbibliothek (Paris) auf Betreiben des Generalsekretärs Henryk Keisch. Zusammentreffen von Martin Gregor-Dellin und Hanns Werner Schwarze mit Heinz Kamnitzer und Henryk Keisch: Normalisierung der Beziehungen zwischen den deutschen Zentren. Unterstützung einer gemeinsamen Erklärung des VS und SV zum Jahrestag des Kriegsausbruchs durch die beiden deutschen P.E.N.Zentren. Gemeinsame Veranstaltung mit dem SV: Lesung anlässlich des 10. Todestages von Pablo Neruda – »Ich bekenne, ich habe gelebt«.
25.–30.9.1983
5.10.1983 9.11.1983
23.11.1983 18.1.1984 21.3.1984 13.4.1984
13.–20.5.1984
7.6.1984 22.10.1984 3./4.11.1984
5.12.1984 Dezember 1984
Internationaler P.E.N.-Kongress in Caracas (Venezuela): Vertretungdes P.E.N.-ZentrumsDDR durch Fritz Rudolf Fries; Rückweisung jeglicher Kritik wegen Repressionen gegenüber Schriftstellern der DDR (betr. insbesondere die Fälle Uwe Keller und Rolf Becker); Ablehnung einer Resolution des französischen P.E.N.-Zentrums betr. Aufhebung des gegen Andrei Sacharow verhängten Hausarrests; Ablehnung von zwei Resolutionen betr. Situation des polnischen P.E.N. und polnischer Schriftstellerkollegen. Clubabend: Adolf Endler – Prosa-Collagen. Brief von Lutz Rathenow an P.E.N.-Zentrum DDR und SV: Bitte um »öffentliche Intervention gegen die Festsetzung von Bürgern wegen ihres (tatsächlichen oder vermuteten) Friedensengagements« – Verweigerung durch Henryk Keisch und Heinz Kamnitzer, in der Folge Auseinandersetzung mit dem Vorsitzenden des WiPC, Michael Scammell. Gemeinsame Veranstaltung mit Haus der Ungarischen Kunst: Literaturabend mit Iván Boldizsár. Clubveranstaltungzum 60. Geburtstag von Walter Kaufmann: Bericht über dessen jüngste Reise durch Australien. Clubgespräche: Jürgen Rennert – Jiddische Literatur und Judaica heute. Clubgespräche: Hans Marquardt (Reclam-Verlag) – Vorstellung einer neuen Edition zu Max Beckmann, gemeinsam mit dessen Sohn Peter Beckmann. Internationaler P.E.N.-Kongress in Tokio: Teilnahme von Henryk Keisch und Walter Kaufmann; kritische Nachfragen durch das WiPC zum Fall des inhaftierten Alexander Richter, strikte Zurückweisung der Vorwürfe durch Henryk Keisch, Rückweisung jeglicher Verantwortung auch auf der darauf folgenden internationalen Exekutivkomitee-Tagung in London (3./4.11.1984); Ablehnung der Fürsprache des Internationalen P.E.N. für Andrei Sacharow durch die Vertreter des DDR-P.E.N.; Äußerung scharfer Kritik an der WiPC-Arbeit durch Henryk Keisch (insbesondere in Bezug auf UdSSR); Unterstützung einer Resolution des WfPC betr. Weltfrieden. Clubveranstaltung: Walter Kaufmann und Henryk Keisch – Bericht über die Teilnahme am Kongress in Tokio (Mai 1984). Clubveranstaltung: Karl Mundstock – »Meine 1000 Jahre Jugend« (2. Teil, unveröffentlicht). Internationale Exekutivkomitee-Tagung in London: Teilnahme von Heinz Kamnitzer; Versuch, die Rehabilitierung der oppositionellen Präsidiumsmitglieder des polnischen P.E.N.-Zentrums zu verhindern; Durchsetzung einer Resolution zum »40. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus« mit Unterstützung des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums. Clubveranstaltung: Rainer Kerndl – »Ein Morgen in Masnaa« (abgeschlossenes Romanmanuskript). Gespräch zwischen Heinz Kamnitzer und Henryk Keisch mit polnischen Autoren über die Neukonstituierung des polnischen P.E.N.Clubs. 1013
16.1.1985
März 1985
8.5.1985
29./30.5.1985
Juli 1985 Oktober 1985 7.1.1986
14./15.1.1986
30.1.1986 6.3.1986 8.4.1986 22.4.1986
22.–27.6.1986
1014
Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR in Berlin: Diskussion über Probleme der Clubveranstaltungen (Beteiligung, Themen, Kooperationen), ein Buchprojekt zur Geschichte des DDRP.E.N., Anregung einer neuen P.E.N.-Anthologie;Wiederwahl des Präsidiums; Bestätigung aller Wahlvorschläge. Besuch von Alexandre Blokh, internationaler Generalsekretär, und René Tavernier, französischer P.E.N.-Präsident, in Ost-Berlin: Zusammentreffen mit Heinz Kamnitzer. Gemeinsame Erklärung der P.E.N.-Zentren Bundesrepublik Deutschland, DDR und deutschsprachiger Autoren im Ausland (London) betr. »Frieden, Abrüstung, Versöhnung und mehr Menschlichkeit«. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in San Marino: Teilnahme von Heinz Kamnitzer; Anklage gegen den suspendierten Generalsekretär des polnischen P.E.N., Wladyslaw Bartoszewski. Abberufung von Henryk Keisch aus dem Amt des Generalsekretärs. Offizielle Übernahme des Generalsekretariats durch Walter Kaufmann. Zusammenkunft des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums DDR mit den polnischen Autoren Tadeusz Sawic und Wladizimierz Lowicki: Informeller Austausch über die Situation im polnischen P.E.N.-Club. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in New York (parallel P.E.N.Kongress): Rückzug einer Resolution betr. Kritik an WiPC durch den offiziellen Delegierten Walter Kaufmann; Wertung des New Yorker Kongresses durch Kaufmann als entscheidende Zäsur: keine prinzipielle Infragestellung der internationalen Kritik an den sozialistischenLändern hinsichtlich ihrer kulturpolitischen Maßnahmen. Öffentliche Clubveranstaltung: Albrecht Schönherr – »Der Widerstand der Kirche im Dritten Reich« (Vortrag und Gespräch). Öffentliche Clubveranstaltung (»Die Möwe«): Heinz Knobloch – »Meine liebste Mathilde«. Clubveranstaltung anlässlich des Besuchs von Gert von Paczensky: Lesung und Diskussion. Öffentliche Veranstaltung in Kooperation mit dem Club der Kulturschaffenden und dem Kulturbund: Staat und Schriftsteller. PEN tagte in New York – Gesprächspartner: Stephan Hermlin, Walter Kaufmann, Günther Cwojdrak,Heiner Müller,unter Gesprächsleitungvon Günther Klotz (Club der Kulturschaffenden). Internationaler P.E.N.-Kongress in Hamburg: Entscheidung über die Teilnahme des P.E.N.-Zentrums DDR durch das ZK der SED; Teilnahme von Walter Kaufmann und Rita Schober als offizielle Delegierte; Delegationsmitglieder: Stephan Hermlin, Günther Deicke, Fritz Rudolf Fries, Volker Braun, Heinz Kahlau, Hermann Kant, Heinz Knobloch, Heiner Müller, Günther Rücker und Christa Wolf; Gast auf Einladung des bundesdeutschen P.E.N.: Stefan Heym; Bekräftigung der Kooperationsbereitschaft gegenüber dem WiPC durch Walter Kaufmann; Angriffe auf Stephan Hermlin und Heinz Kamnitzer; Unterstützung einer Resolution des Internationalen P.E.N. betr. Abkehr von der Atomenergie (Reaktion auf Tschernobyl) durch Stefan Heym.
26.9.1986 21.11.1986 10.12.1986 14.1.1987
25.2.1987
10.5.1987 13.–15.5.1987
11.6.1987 14.10.1987 9.11.1987 18.12.1987 17.1.1988
20.1.1988 27.5.1988 14.9.1988 19.10.1988 2.11.1988 28.11.1988 1.3.1989
Clubveranstaltung im Haus der Jungen Talente: Arno Reinfrank – »Poesie der Fakten«. ÖffentlicheClubveranstaltung: Stefan Heym – »Reden an den Feind«. Öffentliche Clubveranstaltung: Gisela Kraft – »Von West nach Ost«. Öffentliche Clubveranstaltung: Helmut Hirsch (P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland) und Heinz Knobloch (P.E.N.-Zentrum DDR) – »Rosa Luxemburg. Aus der Sicht von zwei Autoren«. Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR in Berlin: Wiederwahl von Präsident und Präsidium; Bestätigung von Walter Kaufmann im Amt des Generalsekretärs; Proteste und nachfolgende Diskussionen um die Praxis bei der Behandlung der Zuwahlvorschläge, in der Folge Wiederaufnahme zuvor gestrichener Vorschläge. Clubveranstaltung zum 70. Geburtstag von Heinz Kamnitzer: »Ich bin, wer ich bin. Streifzüge durch literarische Landschaft«. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in Lugano: Nachhaltige Initiative von Walter Kaufmann für die Aufnahme von Nelson Mandela in den Report des WiPC. Öffentliche Clubveranstaltung: Günter Gaus – »Die Welt der Westdeutschen«. Öffentliche Clubveranstaltung: Klaus Höpcke – »Stimmen ihrer Zeit. Aitmatow, Bek, Granin, Rasputin, Rybakow«. ÖffentlicheLesung zum 100. Geburtstag von Arnold Zweig (Kammerspiele des Deutschens Theaters): »Traum ist teuer«. Öffentliche Clubveranstaltung: Hans Pichner – Vorstellung seiner Autobiographie und Kostprobe seiner Kunst auf dem Cembalo. Traditioneller Gedenkmarsch anlässlich des Jahrestags der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Ost-Berlin: Massenhafte Inhaftierung junger Oppositioneller, die mit eigenen Transparenten demonstrieren wollten, darunter Stephan Krawczyk, Freya Klier und Peter Böthig; in der Folge Kritik des bundesdeutschen P.E.N. an Heinz Kamnitzer, der die Haltung der Oppositionellen in kompromittierender Weise öffentlich angegriffen hatte; Beilegung der Auseinandersetzung erst Ende Mai 1988 durch persönliches Zusammentreffen von Heinz Kamnitzer und Hanns Werner Schwarze in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin. Öffentlicher Vortrag: Gisela Kraft – »Angst vor Allah?«. Öffentliche Clubveranstaltung: Stefan Heym – Lesung aus Unveröffentlichtem. Öffentliche Clubveranstaltung: Max von der Grün – »Wie war das eigentlich? Kindheit und Jugend im Dritten Reich«. Öffentliche Clubveranstaltung: Vorstellung der Ingeborg BachmannPreisträger 1987/88 – Angela Krauß und Uwe Saeger. Öffentliche Clubveranstaltung: Heinz Kamnitzer – »Kristallnacht – Eine Motivsuche«. Öffentliche Clubveranstaltung: Ralph Giordano – »Die Bertinis«. Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR in Berlin: Verabschiedung von Resolutionen für Salman Rushdie und Václav Havel; Diskussion zur literaturpolitischen Situation in der DDR. 1015
26.4.1989 9.5.1989 9./10.5.1989
20./22.9.1989
25.9.1989 26.10.1989
15.11.1989 30.1.1990
12.2.1990
16.2.1990
Mai 1990
27.7.1990
22.8.1990 31.1.1991
1016
Öffentliche Clubveranstaltung: Dieter Lattmann – »Die Erben der Zeitzeugen. Wider die Vertreibung der Geschichte«. Öffentliche Clubveranstaltung: Jurek Becker – Erzählungen. Internationale Exekutivkomitee-Tagung in Maastricht: Teilnahme von Walter Kaufmann; Zustimmung zu einer Resolution betr. Meinungsfreiheit in der UdSSR. Veröffentlichung einer Erklärung des P.E.N.-Zentrums DDR zum 40. Jahrestag der DDR (Sendung in der Aktuellen Kamera/Abdruck in Neues Deutschland). Öffentliche Clubveranstaltung: Fritz Klein – »Der Europagedanke bei Carl von Ossietzky« (Vortrag und Aussprache). Außerordentliche Präsidiumssitzung: Verabschiedung eines Offenen Briefes an Egon Krenz zur Situation in der DDR (Veröffentlichung am 28.10.1989). In direkter Folge: Rücktritt von Heinz Kamnitzer. Öffentliche Clubveranstaltung: Wulf Kirsten und Richard Pietraß – Gedichte. Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR in Berlin: Wahl von Heinz Knobloch zum Präsidenten; Mitglieder des Präsidiums werden Günther Cwojdrak, Friedrich Dieckmann, Fritz Rudolf Fries, Stephan Hermlin, Walter Kaufmann, Helga Königsdorf, Werner Liersch und Jean Villain; Scheitern der geplanten »Verjüngung« des P.E.N.-Zentrums durch Zuwahlen;Diskussion über zukünftige Aufgaben des DDR-P.E.N. (Politik, Gesellschaft, Club-intern); Beschluss zur Prüfung der Mitgliedschaft im WiPC. Appell des P.E.N.-Zentrums DDR an alle sich bei der bevorstehenden Wahl der Volkskammer im März 1990 um Mandate bewerbende Parteien und politischen Gruppierungen: Aufforderung zur Darlegung von verbindlichen Aussagen zu den kulturpolitischen Programmen. Informelles Zusammentreffen von Vertretern des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums, Carola Stern und Hanns Werner Schwarze, mit Heinz Knobloch in Berlin: Erwägung gemeinsamer Erklärungen und Veranstaltungen, Zusicherung materieller Unterstützung von West nach Ost. Mitgliederversammlung des P.E.N-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Kiel: Auseinandersetzung um die Vergangenheitsbewältigung der DDR am Beispiel von Klaus Höpcke. Publikation einer Umfrage unter ehemaligen DDR-Autoren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der DDR zusammengehen sollte«. Rücktrittserklärung von Heinz Knobloch. Öffentliche Lesung am Vorabend der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR unter Beteiligung von Fritz Rudolf Fries, Christoph Hein, Wolfgang Hilbig, Rainer Kirsch, Kito Lorenc und Thomas Rosenlöcher.
1.2.1991
29.4.1991
30.5.1991 10.6.1991
1.10.1991
Mitte Oktober 1991
Januar 1992
14.2.1992 5.3.1992
12.3.1992
14.4.1992 21.–23.5.1992
Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR in Berlin: Umbenennung in Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost); Beschluss zur Schaffung eines deutsch-deutschen Koordinierungsausschusses; »Verjüngung« des P.E.N.-Zentrums durch umfangreicheZuwahlen (Wirbel um Nicht-Zuwahl von Joachim Walther). 1. Treffen des deutsch-deutschenKoordinierungsausschussesin Berlin (Walter Kaufmann, Peter Gosse, Werner Liersch, Andrea Doberenz, Hanns Werner Schwarze, Gert Heidenreich, Adalbert Podlech, Ursula Setzer, Fritz Beer): Referat von Beer mit Angriff auf Stephan Hermlin; Übertragung der Verantwortung für die Vergangenheitsbewältigung auf das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost); Überlegungen zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der deutschen P.E.N.-Geschichte. Öffentliche Lesung: Horst Hussel, Jurij Koch, Fritz-Jochen Kopka, Waldtraut Lewin, Beate Morgenstern. 2. Treffen des deutsch-deutschen Koordinierungsausschusses: Abstimmung über Inhalte, Vorgehensweise und Finanzierung der wissenschaftlichen Aufarbeitung der deutschen P.E.N.-Geschichte; Überlegungen zur Annäherung der beiden deutschen Sektionen ohne greifbares Ergebnis. Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) in Berlin: Wahl von Dieter Schlenstedt zum Präsidenten; Wahl von Joochen Laabs, Werner Liersch, Kerstin Hensel, Beate Morgenstern, Steffen Mensching, Brigitte Struzyk, B. K. Tragelehn und Christine Wolter ins Präsidium; Zuwahlen (Wirbel um Nicht-Zuwahl von Friedrich Schorlemmer). Jahresversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Hannover: Wahl von Gert Heidenreich zum Präsidenten; Wahl von Manfred Bissinger zum Generalsekretär. Einvernehmen der beiden deutschen P.E.N.-Zentren über zeitweilige Aussetzung des deutsch-deutschen Koordinierungsausschusses, de facto dessen Abschaffung. Gemeinsame Resolution der deutschen P.E.N.-Zentren zum dritten Jahrestag der iranischen Mordhetze gegen Salman Rushdie. Eröffnung der Lesereihe Zeitberührung. Literatur in veränderter Landschaft : Öffentliche Lesung zum Thema »Deutsche und Polen heute« mit Günter Grass, Christoph Hein und Tadeusz Rosewicz. 1. Veranstaltung der Gespräche zur Selbstaufklärung ’92 : »Dageblieben – weggegangen« (Moderation: Dieter Schlenstedt; Teilnehmer: Fritz Rudolf Fries, Bernd Jentzsch, Joochen Laabs, Katja Lange-Müller,Klaus Schlesinger,BrigitteStruzyk, GerhardZwerenz). 2. Veranstaltung der Gespräche zur Selbstaufklärung ’92 : »Ein Gespräch. Hermann Kant – Friedrich Schorlemmer«. Jahrestagung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in München: Vorläufige Aufrechterhaltung zweier deutscher P.E.N.-Zentren bestätigt.
1017
27.5.1992
30.9.1992
September/ Oktober 1992 19.10.1992
13.11.1992
8./9.1.1993
23.6.1993
[20].9.1993
1.11.1993
1.12.1993
8.12.1993
1018
3. Veranstaltung der Gespräche zur Selbstaufklärung ’92 : »Autor, Verleger, Zensor, Kritiker« (Moderation: Karin Hirdina; Teilnehmer: Klaus Höpcke, Werner Liersch, Hans Marquardt, Dieter Schlenstedt, B. K. Tragelehn). Lesung in Zusammenarbeit mit der Galerie parterre: Wieland Förster, Kerstin Hensel, Jens Sparschuh, Brigitte Struzyk (Moderation: Werner Liersch). Gemeinsame Erklärung der deutschen P.E.N.-Zentren gegen Ausländerfeindlichkeit (Veröffentlichung in der bundesdeutschen Presse und Vorlage auf dem internationalen P.E.N.-Kongress in Rio de Janeiro). Zusammentreffender deutschenP.E.N.-Präsidienzur Klärung des beiderseitigen Verhältnisses: Positive Signale hinsichtlich einer Annäherung. Gemeinsame Veranstaltung der deutschen P.E.N.-Zentren in Kooperation mit dem P.E.N.-Zentrum der Roma und Sinti in der Akademie der Künste, Berlin: »Und so kam ich unter die Deutschen«. 4. Veranstaltung der Gespräche zur Selbstaufklärung ’92 : »Widerspruchsgeschichte des P.E.N.« (Moderation: Dieter Schlenstedt; Teilnehmer: Günther Deicke, Kerstin Hensel, Stephan Hermlin, Therese Hörnigk, Heinz Kahlau, Walter Kaufmann, Steffen Mensching, Brigitte Struzyk, B. K. Tragelehn). Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Bekräftigung des »Doppelprinzips« Gespräche zur Vereinigung einerseits, Kooperation in wichtigen Fragen andererseits, aber keine »Vereinigungshast«. Außerordentliche Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.Zentrums (Ost): »Wer mit wem?« Stärkung der Position von Dieter Schlenstedt nach Aufdeckung von dessen Kontakten zur Staatssicherheit der DDR; Ablehnung von Ehrengerichts- und Ausschlussverfahren; Ausbau der inhaltlichen Zusammenarbeit mit dem bundesdeutschen P.E.N.-Zentrum. Öffentliche Veranstaltung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) in Kooperation mit der Kulturbrauerei Berlin: »Nichts Menschliches ist mir fremd. Über Moral und Selbstgerechtigkeit der Künstler in der Stasi-Debatte« – Lesung und Gespräch mit Klaus Schlesinger, Freya Klier, Bert Papenfuß-Gorek u. a. Teilnahme von Günther Rücker an einer Präsidiumssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) zur Klärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe wegen IM-Tätigkeit. Präsidiumssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Teilnahme von Hans Marquardtzur Klärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe wegen IM-Tätigkeit; Teilnahme von Klaus Höpcke zur Diskussion und Bewertung seiner Position im kulturpolitischen System der DDR; Nichterscheinen des ebenfalls unter IM-Verdacht stehenden Erich Köhler. Austrittserklärung von Klaus Höpcke.
9.12.1993
Mai 1994
16.12.1994
Februar 1995
April 1995
Mai 1995
Juni 1995
September 1995
19.11.1995
Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) in Berlin: Debatte um die spezifischen Vorwürfe gegen Erich Köhler, Hans Marquardt und Günther Rücker sowie die generelle Verfahrensweise hinsichtlich der IM-Täterschaft innerhalb der P.E.N.-Mitgliederschaft; Bestätigung von Dieter Schlenstedt im Amt des Präsidenten; Wahl von Joochen Laabs zum Generalsekretär; Wahl des Ehrenpräsidenten Stefan Heym; Wahl von Werner Creutziger, Christoph Dieckmann, Michael P. Hamburger, Kerstin Hensel, Sebastian Kleinschmidt, Steffen Mensching, Thomas Reschke, Brigitte Struzyk, KD Wolff in den Beirat. Jahrestagung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Düsseldorf unter dem Thema »Sprache ist niemals unschuldig – Schreiben in gewalttätiger Zeit«: Vereinigung der P.E.N.-Zentren lediglich am Rande angesprochen. Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) in Berlin: Beschluss zur Bildung einer Ehrenkommission, die Vorwürfe zur IMTätigkeit von P.E.N.-Mitgliedern klären soll; Auftrag der Mitgliederversammlung an das Präsidium, für die Bildung eines gesamtdeutschen Zentrums tätig zu werden; Teilnahme des bundesdeutschen P.E.N.-Präsidenten Gert Heidenreich: Signalisierung von Gesprächsbereitschaft hinsichtlich einer möglichen Vereinigung. Konstituierung eines Ehrenrats des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) durch Horst Drescher, Kerstin Hensel, Steffen Mensching, Thomas Reschke und Martin Weskott. Rückzugserklärung des bundesdeutschen P.E.N.-Präsidenten Gert Heidenreich nach scharfen Angriffen auf seine Person. Verdacht der IM-Tätigkeit von Heinz Kamnitzer: Distanzierung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) vom langjährigen Präsident der Vorgängerinstitution P.E.N.-Zentrum DDR. Jahrestagung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Mainz: Annahme einer Entschließung betr. Ablehnung einer baldigen Vereinigung der beiden P.E.N.-Zentren; Rücktritt des Präsidiums; Wahl von Ingrid Bachér zur Präsidentin; Wahl von Manfred Schlösser zum Generalsekretär; Wahl von Eva Demski, Ralph Giordano, Wolfgang Hegewald, Urs Jaeggi, Lea Rosh, Said, Johano Strasser und Joachim Walther ins Präsidium. Antrag von über 60 westdeutschen P.E.N.-Mitgliedern auf zusätzliche Aufnahme in das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost) (= Reaktion auf den Mainzer Beschluss): Zerreißprobe für den bundesdeutschen P.E.N. »Deutsches Gespräch« von 32 Autoren aus Ost und West auf Initiative des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) im Literarischen Colloquium Berlin; Verweigerung der Teilnahme durch Ingrid Bachér und Manfred Schlösser. Veranstaltung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Darmstadt: »Wie gegenwärtig ist das Vergangene?« – Diskussion zu den Möglichkeiten einer Annäherung zwischen den deutschen P.E.N.Zentren; Auftreten von Günter Grass als entschiedener Fürsprecher der P.E.N.-Einigung. 1019
Januar 1996 19./20.1.1996
Mai 1996
Juni 1996
Juli 1996 September 1996
Mitte Oktober 1996 Mitte November 1996
24./25.1.1997
Ende Februar 1997
1020
Vorschlag von Ingrid Bachér zur Bildung einer gemeinsamen Kommission (Aufarbeitung der IM-Vorwürfe gegen einzelne Mitglieder). Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) in Berlin: Bekräftigung des Wunsches nach rascher Bildung eines gesamtdeutschen P.E.N.-Zentrums; Einnahme einer abwartenden Haltung. Jahrestagung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Heidelberg: Annahme des Antrags von 10 ostdeutschen Mitgliedern auf DoppelMitgliedschaft im West-P.E.N.; Annahme eines Antrags betr. schriftliche Befragung aller westdeutschen P.E.N.-Mitglieder über künftigen Kurs in der Vereinigungsfrage; Rücktritt von Manfred Schlösser im Anschluss an die Tagung. Konstitution eines gemeinsamen Ehrenrats der deutschen P.E.N.Zentren zur Klärung der IM-Vorwürfe gegen einzelne Mitglieder (Thomas Reschke, Steffen Mensching, Lea Rosh (später ersetzt durch Ernest Wichner), Joachim Walther); weiteresTreffen im Oktober 1996. Austritte aus dem West-P.E.N.: Sarah Kirsch, Hans Joachim Schädlich, Richard Wagner, Herta Müller, Bernd Jentzsch. Ergebnis der Mitgliederbefragung im West-P.E.N.: Mehrheit für die Einberufung einer paritätisch besetzten Kommission zur Verständigung über die Modalitäten einer Vereinigung der beiden P.E.N.Zentren. Rücktrittserklärung von Ingrid Bachér und weiteren Präsidiumsmitgliedern. Außerordentliche Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Berlin: Wahl von Karl Otto Conrady zum Präsidenten; Bestätigung von Johano Strasser als Generalsekretär; Wahl von Wend Kässens, Friedrich Schorlemmer und Elsbeth Wolffheim zu Vizepräsidenten; Berufung von Christa Dericum, Jörg Drews, Hans-Georg Noack, Klaus Staeck und Herbert Wiesner in den Beirat; Austrittserklärung von Hans Christoph Buch. In der Folge: Austritte von Ingrid Bachér, Lea Rosh, Eva Demski, Libuˇse Moníková, Karl Corino, Katja LangeMüller, Adolf Endler, Oskar Pastior, Wolfgang Hegewald und Marcel Reich-Ranicki. Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) in Berlin Wannsee: Beiträge zum Themenschwerpunkt »Dichters Ort«; Diskussion um den Umgang mit der DDR-Vergangenheit, insbesondere mit der IMTätigkeit einzelner Mitglieder; Beschluss zur Mitarbeit an der Gründung und Tätigkeit der gemeinsamen Kommission zur Verständigung über die Modalitäten einer Vereinigung der beiden P.E.N.-Zentren; Zuwahlen neuer Mitglieder. 1. Zusammentreffen der paritätischen Kommission zur Klärung der Vereinigungsmodalitäten (Joochen Laabs, Klaus Wischnewski, Dietger Pforte, Werner Liersch, Christa Dericum, Irina Liebmann, Adalbert Podlech und Johano Strasser); weitere Treffen im Juni und Oktober 1997.
April 1997
August 1997 Dezember 1997 3./4.4.1998
Mai 1998
29.–31.10.1998
Jahrestagung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Quedlinburg: Vorlage eines Zeitplans für die Vereinigung der beiden Zentren; Austritt von Ralph Giordano in der Folge; Treffen des gemeinsamen Ehrenrats. Vorlage eines ersten Entwurfes für den Verschmelzungsvertragder beiden Zentren. Rücktrittserklärungvon Dieter Schlenstedtvom Amt des Präsidenten; kommissarische Übernahme des Amtes durch B. K. Tragelehn. Mitgliederversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) in Berlin: Verabschiedung des Verschmelzungsantrags und der künftigen Satzung. Jahrestagung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in München: Beschluss zur Vereinigung mit dem Ost-P.E.N. Erste gemeinsame Versammlung der beiden P.E.N.-Zentren in Dresden: Formaljuristische Besiegelung der Verschmelzung; Bestätigung von Christoph Hein als Präsident; Bestätigung von Johano Strasser als Generalsekretär; Vizepräsidenten: Elsbeth Wolffheim und Joochen Laabs; Wahl von Brigitte Burmeister, Jörg Drews, Michael P. Hamburger, Wend Kässens, Burkhard Spinnen, Herbert Wiesner und KD Wolff in den Beirat.
A 2 Tabellarische Übersicht zu den Präsidien des P.E.N.-Zentrums Deutschland (1948–1951), des ostdeutschen P.E.N.Zentrums (1951–1998), des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (1989–1998), sowie des vereinigten P.E.N.-Zentrums Deutschland (1998/99)
P.E.N.-Zentrum Deutschland Göttingen, 18.–20.11.1948 Präsidium (gleichberechtigte Mitglieder): Sekretäre:
Hamburg, 12. April 1949 Bestellung zum Schatzmeister: München, 15.–18. November 1949 Geschäftsführender Präsident: 1. weiterer Präsident: 2. weiterer Präsident: Generalsekretär: Schatzmeister: Revisoren:
Hermann Friedmann Johannes R. Becher Ernst Penzoldt Erich Kästner Rudolf Schneider-Schelde
Johannes Tralow
Hermann Friedmann Johannes R. Becher Erich Kästner Ernst Penzoldt Johannes Tralow Rudolf Schneider-Schelde Wilhelm Hausenstein 1021
Wiesbaden, 4.–7. Dezember 1950 Geschäftsführender Präsident: Weitere Präsidenten: Generalsekretär: Schatzmeister: Revisoren:
Düsseldorf, 23./24. Oktober 1951 Geschäftsführender Präsident: 2. Präsident: 3. Präsident: Generalsekretär: Schatzmeister: Revisoren:
Hermann Friedmann Johannes R. Becher Erich Kästner Kasimir Edschmid Johannes Tralow Hanns Braun Rudolf Schneider-Schelde
Johannes Tralow Johannes R. Becher Günther Weisenborn Hans Henny Jahnn Axel Eggebrecht Martin Beheim-Schwarzbach Hans Erich Nossack
Berlin Charlottenburg, 10. Dezember 1951 Einstimmige Wahl von Rüdiger Syberberg anstelle des zurückgetretenen Günther Weisenborn. Berlin (Ost- und West-Teil), 10. Mai 1953 Präsident: Bertolt Brecht Geschäftsführender Präsident: Johannes Tralow Generalsekretär: Herbert Burgmüller Schatzmeister: Stephan Hermlin
Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West Berlin (Ost- und Westteil), 4./5. März 1954 Präsident: Geschäftsführender Präsident: Generalsekretär: Schatzmeister:
Bertolt Brecht Johannes Tralow Herbert Burgmüller Bodo Uhse
Hamburg, 22./23. März 1955 Präsident: Geschäftsführender Präsident: Generalsekretär: Schatzmeister:
Bertolt Brecht Johannes Tralow Herbert Burgmüller Bodo Uhse
Sacrow bei Potsdam, 9./10. März 1956 Präsident: Geschäftsführender Präsident: Generalsekretär: Sekretär: Schatzmeister:
Bertolt Brecht († 14. August 1956) Johannes Tralow Herbert Burgmüller Heinrich Christian Meier Bodo Uhse
Weimar, 27.–29. März 1957 Präsident: Geschäftsführender Präsident:
Arnold Zweig Johannes Tralow
1022
Vorstand: Schatzmeister: Weimar, 17./18. Oktober 1958 Präsident: Geschäftsführender Präsident: Schatzmeister: Generalsekretariat:
Berlin, 26.–28. November 1959 Präsident: Geschäftsführender Präsident: Schatzmeister: Generalsekretariat:
Heinrich Christian Meier Alexander Graf Stenbock-Fermor Bodo Uhse Arnold Zweig Johannes Tralow Bodo Uhse Heinrich Christian Meier Alexander Graf Stenbock-Fermor
Arnold Zweig Johannes Tralow Bodo Uhse Wieland Herzfelde Alexander Graf Stenbock-Fermor
Weimar, 2./3. Oktober 1962 Das Protokoll der Generalversammlung vermerkt zwar die Wiederwahl des Präsidiums, allerdings ohne konkrete Namensnennung. Diese Angabe erscheint aus mehreren Gründen zweifelhaft: Die für Dezember 1960 geplante Generalversammlung in Hamburg war verboten worden. Eine Wahl des Präsidiums hatte daher nicht stattfinden können. Johannes Tralow hatte sich bereits Ende 1959/Anfang 1960 aus dem Vorstand zurückgezogen. Heinz Kamnitzer übernahm schon seit 1960 präsidialeAufgaben und trat im Oktober 1962 als Berichterstatter über Verhandlungen mit der internationalen P.E.N.-Führung auf. Eine Notiz vom November 1962 nennt als Präsidiumsmitglieder Heinz Kamnitzer, Stephan Hermlin und Wieland Herzfelde. Kamnitzer und Hermlin wurden auf der Generalversammlung vom September 1964 als Präsidiumsmitglieder vorgestellt. Potsdam, 28./29. September 1964 Präsident: Präsidiumsmitglieder:
Beirat:
Arnold Zweig Stephan Hermlin Wieland Herzfelde Heinz Kamnitzer Alexander Graf Stenbock-Fermor Ernst Schumacher (Christa Wolf) (Nennung auf der Vorschlagsliste zum Präsidium; Diskussion über Möglichkeit ihrer Wahl, weil sie erst auf GV 1964 zum Mitglied gewählt worden war, Wahlergebnis bleibt unklar; auf GV im April 1967 wird sie als »neu« gewähltes Mitglied des Präsidiums benannt.)
Berlin, 28. April 1965 Keine Präsidiumswahl (Protokoll der Tagung vom 28. April 1967 lässt erkennen, dass in der Zwischenzeit Maximilian Scheer und Peter Hacks ins Präsidium aufgenommen worden waren.)
1023
P.E.N.-Zentrum Deutsche Demokratische Republik Berlin, 28. April 1967 Präsident: Vizepräsident: Präsidiumsmitglieder:
Generalsekretär (ab Oktober 1968): Berlin, 2. April 1970 Ehrenpräsident: Präsident: Generalsekretär: Präsidiumsmitglieder:
Berlin, 17. Oktober 1972 Ehrenpräsidenten: Präsident: Generalsekretär: Präsidiumsmitglieder:
Berlin, 22. Oktober 1975 Präsident: Generalsekretär: Präsidiumsmitglieder:
1024
Arnold Zweig († 26. November 1968) Heinz Kamnitzer Günther Cwojdrak Peter Hacks Stephan Hermlin Wieland Herzfelde Hermann Kant Maximilian Scheer Alexander Graf Stenbock-Fermor (Ablehnung seiner Wahl: Kooptierung von Prof. Erich Köhler) Christa Wolf Werner Ilberg
Ludwig Renn Heinz Kamnitzer Werner Ilberg Günther Cwojdrak Peter Hacks Stephan Hermlin Wieland Herzfelde Hermann Kant Henryk Keisch Maximilian Scheer Jeanne Stern Christa Wolf
Ludwig Renn Wieland Herzfelde Heinz Kamnitzer Werner Ilberg Günter de Bruyn Günther Cwojdrak Peter Hacks Stephan Hermlin Hermann Kant Henryk Keisch Maximilian Scheer Jeanne Stern Christa Wolf
Heinz Kamnitzer Henryk Keisch Günter de Bruyn Günther Cwojdrak Peter Hacks Stephan Hermlin
Werner Ilberg Hermann Kant Maximilian Scheer Jeanne Stern Christa Wolf Berlin, 5. April 1978 Präsident: Generalsekretär: Präsidiumsmitglieder:
Berlin, 27. Februar 1980 Präsident: Generalsekretär: Präsidiumsmitglieder:
Berlin, 25. Oktober 1982 Präsident: Generalsekretär: Präsidiumsmitglieder:
Berlin, 16. Januar 1985 Präsident: Generalsekretär: Präsidiumsmitglieder:
Heinz Kamnitzer Henryk Keisch Günter de Bruyn Günther Cwojdrak Peter Hacks Stephan Hermlin Werner Ilberg Hermann Kant Jeanne Stern Christa Wolf
Heinz Kamnitzer Henryk Keisch Günter de Bruyn Günther Cwojdrak Fritz Rudolf Fries Peter Hacks Stephan Hermlin Hermann Kant Rita Schober Paul Wiens
Heinz Kamnitzer Henryk Keisch Günther Cwojdrak Günther Deicke Fritz Rudolf Fries Peter Hacks Stephan Hermlin Rainer Kerndl Karl Mundstock Rita Schober Jean Villain
Heinz Kamnitzer Henryk Keisch (Spätestens Oktober 1985 Amtsübernahme durch den Revisionsbeauftragten Walter Kaufmann) Günther Cwojdrak Günther Deicke Fritz Rudolf Fries Peter Hacks
1025
Stephan Hermlin Rainer Kerndl Karl Mundstock Rita Schober Jean Villain Berlin, 25. Februar 1987 Präsident: Generalsekretär: Präsidiumsmitglieder:
Berlin, 1. März 1989 Präsident: Generalsekretär: Präsidiumsmitglieder:
Berlin, 30. Januar 1990 Ehrenpräsident: Präsident: Generalsekretär: Präsidiumsmitglieder:
1026
Heinz Kamnitzer Walter Kaufmann Günther Cwojdrak Günther Deicke Fritz Rudolf Fries Peter Hacks Stephan Hermlin Rainer Kerndl Karl Mundstock Rita Schober Jean Villain
Heinz Kamnitzer (Rücktritt 27. Oktober 1989) Walter Kaufmann Günther Cwojdrak Günther Deicke Friedrich Dieckmann Fritz Rudolf Fries Stephan Hermlin Rainer Kerndl Helga Königsdorf Rita Schober Jean Villain
Stephan Hermlin Heinz Knobloch (Rücktritt 22. August 1990) Walter Kaufmann Günther Cwojdrak Friedrich Dieckmann Fritz Rudolf Fries Peter Gosse Stephan Hermlin Helga Königsdorf Werner Liersch Jean Villain
Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) Berlin, 1. Februar 1991 Generalsekretär: Präsidiumsmitglieder:
Berlin, 1. Oktober 1991 Vorstand: Beirat:
Berlin, 9. Dezember 1993 Ehrenpräsidenten: Vorstand:
Beirat:
Berlin, 19./20. Januar 1996 Ehrenpräsident: Vorstand:
Walter Kaufmann Günther Cwojdrak Friedrich Dieckmann (Rücktritt 6. Februar 1991) Fritz Rudolf Fries Peter Gosse Stephan Hermlin Helga Königsdorf (Rücktritt 6. Februar 1991) Werner Liersch Jean Villain
Dieter Schlenstedt (Präsident) Walter Kaufmann (Generalsekretär) Werner Liersch (Schatzmeister) Kerstin Hensel Joochen Laabs Steffen Mensching Beate Morgenstern Brigitte Struzyk B. K. Tragelehn Christine Wolter
Stephan Hermlin Stefan Heym Dieter Schlenstedt (Präsident) B. K. Tragelehn (Vizepräsident) Joochen Laabs (Generalsekretär) Beate Morgenstern (Schatzmeisterin) Werner Creutziger Christoph Dieckmann Michael P. Hamburger Kerstin Hensel Sebastian Kleinschmidt Steffen Mensching Thomas Reschke Brigitte Struzyk KD Wolff
Stephan Hermlin Stefan Heym Hans Mayer Dieter Schlenstedt (Rücktritt im Dezember 1997) B. K. Tragelehn (Vizepräsident, kommissarischer Präsident nach Schlenstedts Rücktritt) 1027
Beirat:
Joochen Laabs (Generalsekretär) Beate Morgenstern (Schatzmeisterin) Wilhelm Bartsch Brigitte Burmeister Christoph Dieckmann Michael P. Hamburger Kerstin Hensel Steffen Mensching Thomas Reschke Brigitte Struzyk Klaus Wischnewski KD Wolff Gerhard Schoenberner (Doppelmitglied mit beratender Stimme)
Berlin, 24./25.1.1997 und 3./4.4.1998 Keine Neuwahlen
P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland (1989–1998) 1989 Ehrenpräsidenten: Präsident: Generalsekretär: Schatzmeister: Vizepräsidenten: Beiräte:
Justitiar: Geschäftsführerin: 1991 Ehrenpräsidenten: Präsident: Generalsekretär: Schatzmeister: Vizepräsidenten: Beiräte:
1028
Walter Fabian Walter Jens Hermann Kesten Carl Amery Hanns Werner Schwarze Adalbert Podlech Angelika Mechtel Carola Stern Yaak Karsunke Irina Korschunow Gert Heidenreich Tomas Kosta Ingrid Bachér Margarete Hannsmann Urs Jaeggi Ulrich Klug Ursula Setzer
Walter Fabian Walter Jens Hermann Kesten Gert Heidenreich Manfred Bissinger Adalbert Podlech Carola Stern Gerhard Schoenberner Bernd Jentzsch Günter de Bruyn Heinz Czechowski Friedrich C. Delius
Justitiar: Geschäftsführerin: 1993 Ehrenpräsidenten: Präsident: Generalsekretärin: Schatzmeister: Vizepräsidenten:
Justitiar: Geschäftsführerin: 1994 Ehrenpräsidenten: Präsident: Generalsekretärin: Schatzmeister: Vizepräsidenten: Beiräte:
Justitiar: Geschäftsführerin: 1995 Ehrenpräsidenten: Präsidentin: Generalsekretär (kommissarisch): Schatzmeister: Vizepräsidenten:
Margarete Hannsmann Walter Hinck Irina Kurschunow Elsbeth Wolffheim Ulrich Klug Ursula Setzer
Walter Jens Hermann Kesten Gert Heidenreich Christa Dericum Fritz Deppert Bernd Jentzsch Gerhard Schoenberner Carola Stern Beiräte: Friedrich C. Delius Wolfgang Hegewald Walter Hinck Elsbeth Wolffheim Hans-Georg Noack Margarete Hannsmann Michel Raus Adalbert Podlech Ursula Setzer
Walter Jens Hermann Kesten Gert Heidenreich Christa Dericum Fritz Deppert Bernd Jentzsch Gerhard Schoenberner Carola Stern Friedrich C. Delius Wolfgang Hegewald Walter Hinck Elsbeth Wolffheim Hans-Georg Noack Margarete Hannsmann Michel Raus Uwe Wesel Ursula Setzer
Walter Jens Carola Stern Ingrid Bachér Johano Strasser Fritz Deppert Wolfgang Hegewald
1029
Beiräte: Justitiar: Geschäftsführerin: 1996 Ehrenpräsidenten: Präsident: Generalsekretär: Schatzmeister: Vizepräsidenten: Beiräte:
Justitiar: Geschäftsführerin:
Lea Rosh Joachim Walther Eva Demski Ralph Giordano Urs Jaeggi Manfred Schiedermair Ursula Setzer
Walter Jens Carola Stern Karl Otto Conrady Johano Strasser Fritz Deppert Wend Kässens Friedrich Schorlemmer Elsbeth Wolffheim Christa Dericum Jörg Drews Hans-Georg Noack Klaus Staeck Herbert Wiesner Adalbert Podlech Ursula Setzer
Vereinigtes P.E.N.-Zentrum Deutschland (1998/99) Ehrenpräsidenten:
Präsident: Generalsekretär: Schatzmeister: Vizepräsident: Beiräte:
Justitiar: Geschäftsführerin:
1030
Stefan Heym Walter Jens Hans Mayer Carola Stern Christoph Hein Johano Strasser Sigfrid Gauch Elsbeth Wolffheim Joochen Laabs Brigitte Burmeister Jörg Drews Michael P. Hamburger Wend Kässens Burkhard Spinnen Herbert Wiesner KD Wolff Adalbert Podlech Ursula Setzer
A 3 Mitgliederliste Die Aufstellung verzeichnet alle nachweisbaren Mitgliedschaften des P.E.N.-Zentrums Deutschland (1948–1951/53), Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West (1953–1967), P.E.N.-Zentrums DDR (1967–1991) und Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) (1991–1998). Für das P.E.N.-Zentrum Deutschland gilt: Aufgenommen wurden alle Personen, die vor der Abspaltung einer bundesdeutschen P.E.N.-Sektion Mitglied waren. Spalte 1 listet die Namen in alphabetischer Reihenfolge. Bei den Mitgliedern des P.E.N.Zentrums Deutschland bzw. Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, die in der Bundesrepublik, West-Berlinoder im Ausland lebten, findet sich dort eine entsprechende Angabe. In Spalte 2 folgt das Aufnahmejahr mit Verweis auf das Zentrum, in das der Betreffende eintrat. Spalte 3 gibt Auskunft über die weitere »P.E.N.-Biographie«: Ausdrücklich verwiesen wird an dieser Stelle auf fortgesetzte Mitgliedschaft(en) infolge Sezession bzw. Namensänderung(en), sowie Aus- und Übertritte, zusätzliche Mitgliedschaften in anderen Zentren und gegebenenfalls das Todesjahr. Explizit vermerkt wird auch die Fortsetzung der Mitgliedschaft im vereinigten P.E.N.-Zentrum Deutschland (1998). Die Angaben in Spalte 3 sind immer so vollständig wie möglich. Findet sich z. B. kein Hinweis auf eine fortgesetzte Mitgliedschaftnach einer Namensänderung,so ist in der Regel davon auszugehen,dass es jene nicht gab. Nur im Einzelfall deuten keine bzw. lückenhafte Angaben in Spalte 3 darauf hin, dass diese nicht verlässlich nachgewiesen werden konnten. Alle Personen, die Mitte der neunziger Jahre im Zuge der Streitigkeiten um eine Vereinigung der beiden Zentren aus Solidarität zusätzlich Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) wurden, sind hinter ihrem Namen mit einem Stern gekennzeichnet. Ausgewertet wurden für die Aufstellung die im Nachlass Tralow (SBBPK) enthaltenen Mitgliederlisten, die vom Deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost) und P.E.N.-Zentrum Deutschland herausgegebenenMitgliederverzeichnisseinklusiveder aktuellen Liste auf der Homepage des P.E.N.-Zentrums Deutschland (URL: http://www.P.E.N.-deutschland.de/htm/ verein/mitglieder.php) sowie die Protokolle der Mitgliederversammlungen von 1951 bis 1997. Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Abusch, Alexander
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1982 †
Andres, Stefan
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1970 †
Apitz, Bruno
1958 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1979 †
Arendt, Erich
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1984 †
Arnheim, Rudolf
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
2007 †
Auer, Annemarie
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1995 Austritt, 2002 †
Bahro, Rudolf
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1978 Mitglied des Schwedischen und Dänischen P.E.N.Zentrums, 1994 Austritt, 1997 † 1031
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Baierl, Helmut
1982 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1993 Austritt
Barth, Emil
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1958 †
Barthel, Kurt (Kuba)
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1967 †
Bartsch, Wilhelm
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Bauer, Walter
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1976 †
Becher, Johannes R.
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1958 †
Becker, Jurek
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
1979 Übersiedlung in die Bundesrep., Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1997 †
Becker-Trier, Heinz (Bundesrep., München)
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1984 †
BeheimSchwarzbach, Martin
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1985 †
Beltz, Walter
1989 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2006 †
Belzner, Emil
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
später P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1979 †
Bender, Hans *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1962 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl.
Bender, Peter *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1982 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Benz, Richard
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1966 †
Bereska, Henryk
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl., 2005 †
Berg, Jochen
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Bergengruen, Werner
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1964 †
Bieler, Manfred
1964 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1967 Übertritt ins P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl., 2002 †
1032
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Biermann, Wolf
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 2007 P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland
Bingel, Horst *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1966 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Birkenfeld, Günther
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1966 †
Bissinger, Manfred *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1988 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Bittner, Wolfgang
1997 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Bloch, Ernst
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1961 Rückkehr in die Bundesrep., später P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl., auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1977 †
Bobrowski, Johannes
1964 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1965 †
Böhme, Thomas
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Böthig, Peter
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Borée, Karl Friedrich
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1964 †
Braun, Hanns
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1966 †
Braun, Volker
1970 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Brecht, Bertolt
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1956 †
Brecht, Ulrich *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1974 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Bredel, Willi
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1964 †
Brender, Irmela *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1977 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
1033
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Brenner, Hans Georg (Bundesrep., Hamburg)
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1961 †
Brìzan, Jurij
1964 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.Zentrum Dtl., 2006 †
Bronnen, Arnolt
1958 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1959 †
Bronnen, Barbara *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1994 Österreichisches P.E.N.Zentrum, P.E.N.-Zentrum Dtl.
Bruyn, Günter de
1970 P.E.N.-Zentrum DDR
1990 Austritt, 1991 P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Budzislawski, Hermann
1956 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1978 †
Bunge, HansJoachim
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1990 †
Burgmüller, Herbert (Bundesrep., Mülheim/Ruhr)
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1970 †
Burmeister, Brigitte
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1996 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Cahen, Richard (Bundesrep., Köln)
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1974 †
Chotjewitz, Peter O.
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1969–1995 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.Zentrum Dtl.
Christ, Richard
1985 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Cibulka, Hanns
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl., 2004 †
Claudius, Eduard
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1976 †
Creutziger, Werner
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Curtius, Ernst Robert
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1956 †
Cwojdrak, Günther
1964 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1991 †
1034
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Czechowski, Heinz
1982 P.E.N.-Zentrum DDR
1991 Austritt, 1991 P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl., 2007 P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland
Dahn, Daniela
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Damm, Sigrid
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Degenhardt, Franz Josef *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1971 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Deicke, Günther
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.Zentrum Dtl., 2006 †
Deutschkron, Inge
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dieckmann, Christoph
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dieckmann, Friedrich
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Distelbarth, Paul Heinrich (Rittelhof P. Löwenstein?)
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1963 †
Döblin, Alfred
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1957 †
Dönhoff, Marion Gräfin *
1995 Deutsches P.E.N.Zentrum (Ost)
1967 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl., 2002 †
Domaˇscyna, Róˇza
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Drescher, Horst
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dresen, Adolf
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl., 2001 †
Drews, Richard
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
Ebert, Wolfgang *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1971 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1997 †
Edel, Peter
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
1983 †
1035
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Edschmid, Kasimir
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1966 †
Eggebrecht, Axel
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
nach 1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1991 †
Ehrensperger, Serge *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1982 Deutschschweizerisches P.E.N.-Zentrum, P.E.N.Zentrum Dtl.
Endler, Adolf
1975 P.E.N.-Zentrum DDR
1991 Austritt, 1991 P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl.
Engler, Jürgen
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Ensikat, Peter
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Eppelsheimer, Hanns W.
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1972 †
Erpenbeck, John
1985 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
Eulenberg, Hedda (Bundesrep.)
1954 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1960 †
Eulenberg, Herbert
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1949 †
Falkenberg, Hans-Geert *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1972 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl., 2005 †
Farner, Konrad (Schweiz)
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1974 †
Fetscher, Iring *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1973 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Feuchtwanger, Leon (USA)
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1958 †
Feyl, Renate
1985 P.E.N.-Zentrum DDR
1991 Austritt
Filip, Ota *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1979 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Fischer, Ernst (Österreich)
1956 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1970 Austritt, 1972 †
Flake, Otto
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1963 †
Förster, Wieland
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
1036
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Foss, Öyvind *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1975 Norwegisches P.E.N.Zentrum, 1991 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.Zentrum Dtl.
Frank, Karlhans *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1993 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Frei, Bruno
1958 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1975 Austritt, 1988 †
Frey, Alexander Moritz
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1957 †
Friedmann, Hermann
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1957 †
Fries, Fritz Rudolf
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1996 Austritt
Friesel, Uwe *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1972 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl., auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland
Fühmann, Franz
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1984 †
Gaus, Günter *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1966 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl., 2004 †
Gerlach, Harald
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl., 2001 †
Gersch, Christel
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Girnus, Wilhelm
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1985 †
Gloger, Gotthold (Bundesrep., Bündingen)
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.Zentrum Dtl., 2001 †
Gosse, Peter
1985 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Gotsche, Otto
1970 P.E.N.-Zentrum DDR
1985 †
Graf, Oskar Maria
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1967 † 1037
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Grambow, Jürgen
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Grass, Günter *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1968 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Greffrath, Mathias
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Groll, Gunter
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1982 †
Grün, Max von der *
1964 P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1967 Austritt, dann P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl., 1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2005 †
Grunenberg, Nina *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1972 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Grüning, Uwe
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1991 Austritt, 1991 P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl.
Gruner, Jürgen
1980 P.E.N.-Zentrum DDR
1991 Austritt
Gumpert, Martin (USA)
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1955 †
Haas, Willy
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1973 †
Hacks, Peter
1956 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1990 Austritt, 2003 †
Hagelstange, Rudolf
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1984 †
Hagen, Friedrich (Paris)
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1979 †
Hamburger, Michael (Maik) P.
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Hamm-Brücher, Hildegard *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1984 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Hannsmann, Margarete *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1973 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl., 2007 †
Hardekopf, Ferdinand
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1954 †
1038
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Hassoon, Ikbal
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Hatzfeld, Adolf von
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1957 †
Hauptmann, Elisabeth
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1973 †
Hauptmann, Helmut
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
Heidenreich, Gert *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1984 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Hausenstein, Wilhelm
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1957 †
Heiden, Konrad
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1966 †
Heiduczek, Werner
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Hein, Christoph
1985 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Heinrich, Klaus
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Heinze de Lorenzo, Ursula *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1989 Galicisches P.E.N.-Zentrum, P.E.N.-Zentrum Dtl.
Heise, Wolfgang
1987 P.E.N.-Zentrum DDR
1987 †
Helling, Fritz (Schweiz)
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1973 †
Hennecke, Hans
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1977 †
Henniger, Heinfried
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Hensel, Kerstin
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Hermlin, Stephan
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1997 †
Herrmann, Horst *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1977 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Herrmann, Klaus
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1972 †
1039
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Herzfelde, Wieland
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1988 †
Herzog, Wilhelm
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1960 †
Heym, Stefan
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2001 †
Hildebrandt, Dieter *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1988 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Hinck, Walter *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1986 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Hirdina, Karin
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Hirsch, Karl Jakob
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1952 †
Hirsch, Rudolf
1987 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1998 †
Höpcke, Klaus
1987 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1993 Austritt
Hörnigk, Frank
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Hofé, Günter
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1988 †
Hoffmann, Gerd E. *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1971 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Hollander, Walther von
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1973 †
Huchel, Peter
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1972 Übersiedlung in die Bundesrep., dann auch P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl., 1981 †
Huppert, Hugo
1958 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1982 †
1040
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Hussel, Horst
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Ihering, Herbert (West-Berlin)
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1977 †
Ilberg, Werner (Bundesrep., Wolfenbüttel)
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1956 Übersiedlung in die DDR, P.E.N.-Zentrum DDR, 1978 †
Jähn, Karl-Heinz
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Jahnn, Hans Henny
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1959 †
Janetzki, Ulrich *
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1996 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Jansen, Johannes
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Jasper, Willi *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1995 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Jendrusch, Andrej Sascha
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Jendryschik, Manfred
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Jens, Inge *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1983 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Jens, Walter *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1961 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Jirgl, Reinhard
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Joho, Wolfgang
1978 P.E.N.-Zentrum DDR
1991 †
Jordan, Robert (Bundesrep., Braunschweig)
1954 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1970 †
Juhre, Arnim *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1980 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl.
Just, Gustav
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Kästner, Erich
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1974 †
1041
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Kahlau, Heinz
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.Zentrum Dtl.
Kaiser, Bruno
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1982 †
Kamnitzer, Heinz
1958 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1995 Nichtzugehörigkeitserklärung zum Deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost), 2001 †
Kant, Hermann
1964 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1991 Austritt
Kantorowicz, Alfred
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1957 Übersiedlung in die Bundesrep., 1979 †
Karasholi, Adel
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Karge, Manfred
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Karlach, Hanuˇs (Prag) *
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1989 Tschechisches P.E.N.Zentrum, P.E.N.-Zentrum Dtl.
Kasack, Hermann
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1966 †
Kaschnitz, Marie Luise
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1974 †
Kaufmann, Hans
1975 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 2000 †
Kaufmann, Walter
1975 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Kebir, Sabine
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Keisch, Henryk
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1986 †
Kellermann, Bernhard
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 †
Kern, Elga (Bundesrep., Karlsruhe)
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1955 †
Kerndl, Rainer
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
1042
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Kessel, Martin
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1990 †
Kesten, Hermann
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., auch Amerikanisches P.E.N.-Zentrum, 1996 †
Keun, Irmgard
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1982 †
Kirsch, Rainer
1975 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Kirsch, Sarah
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
dann auch P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Deutschland, 1994 Nichtzugehörigkeitserklärung zum Deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost)
Kirsten, Wulf
1989 P.E.N.-Zentrum DDR
1991 Austritt, 1991 P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Kleinschmidt, Sebastian
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Klemperer, Victor
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1960 †
Klipstein, Editha
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1953 †
Klotz, Günther
1982 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2001 †
Knobloch, Heinz
1980 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2003 †
Koch, Jurij
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Köhler, Erich
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl., 2002 Ausschluss, 2003 †
Köhler, Erich (Bundesrep.)
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1981†
Köhler, Otto *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1995 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Königsdorf, Helga
1987 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Körner, Matthias
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Kogon, Eugen
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1987 †
1043
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Kohlhaase, Wolfgang
1970 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Kolb, Annette
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1967 †
Kopka, Fritz-Jochen
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Kracauer, Siegfried
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1966 †
Kraft, Gisela
1987 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Krauß, Angela
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Krauss, Werner
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1967 Austritt, 1976 †
Krese, Maruˇsa
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Kreuder, Ernst
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1972 †
Kreuzer, Helmut *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1971 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl., 2004 †
Krumbholz, Eckart
1985 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1994 †
Kuby, Erich
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1992 bis 1995 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.Zentrum Dtl., 2005 †
Kühn, Volker *
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1995 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Kuhnert, Adolf-Arthur (Bundesrep., Hohenfeld über Kitzingen)
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1958 †
Kunert, Günter
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, ab 1979 auch P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1994 Austrittserklärung aus dem Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland
Kurella, Alfred
1956 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1975 †
1044
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Kurz, Robert
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Kurzeck, Peter
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Kusche, Lothar
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Laabs, Joochen
1985 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Lampel, Peter Martin (Bundesrep., Hamburg)
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1965 †
Lange, Hartmut (West-Berlin)
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
Lange, Horst
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1971 †
Langgässer, Elisabeth
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1950 †
Langhoff, Wolfgang
1956 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1966 †
Ledig, Gert (Bundesrep., München)
1958 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1999 †
Lehmann, Wilhelm
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1968 †
Leip, Hans
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1983 †
Leising, Richard
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1997 †
Leistner, Bernd
1985 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Leonhard, Rudolf
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1953 †
Lettau, Reinhard
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1996 †
Lewin, Waldtraut
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1995 Austritt
Lichnowsky, Mechthilde Fürstin
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
auch Englisches P.E.N.Zentrum, 1958 †
Liersch, Werner
1982 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Links, Christoph
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Lion, Ferdinand
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1965 †
1045
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Lodemann, Jürgen *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1978 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Lorenc, Kito
1987 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Ludwig, Volker (eigentl. Eckart Hachfeld jr.) *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1979 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Lüdke, Martin *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1994 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Luft, Friedrich
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1990 †
Lukács, Georg
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann auch Ungarisches P.E.N.Zentrum, 1971 †
Maass, Joachim
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1972 †
Mann, Heinrich
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1950 †
Marchwitza, Hans
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1965 †
Marcuse, Ludwig
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1971 †
Marquardt, Hans
1982 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
Matter, Harry
1989 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
Maurer, Georg
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1971 †
Mayer, Hans
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), auch P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl., 2001 †
Mechtel, Angelika *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1970 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 2000 †
Mehring, Walter
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1981 †
1046
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Meier, Heinrich Christian (Bundesrep., Hamburg)
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR
Meissinger, Karl August
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1950 †
Mensching, Steffen
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Meuter, Hanna (Bundesrep., Lobberich)
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1964 †
Meyer-Clason, Curt *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1975 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Michel, Detlef
1997 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Mickel, Karl
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2000 †
Mierau, Fritz
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1991 Austritt
Milch, Werner Johannes
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1950 †
Mittenzwei, Werner
1978 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1994 Austritt
Morgenstern, Beate
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Morgner, Irmtraud
1970 P.E.N.-Zentrum DDR
1990 †
Mülbe, Wolfheinrich von der (Bundesrep., München)
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1965 †
Müller, André (Bundesrep., Köln)
1964 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR
Müller, Heiner
1958 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1995 †
Müller, Inge
1958 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1966 †
Müller, Joachim
1958 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1986 †
Müller-Schlösser, Hans (Bundesrep.)
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1956 †
1047
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Mundstock, Karl
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.Zentrum Dtl.
Nachbar, Herbert
1978 P.E.N.-Zentrum DDR
1980 †
Nelken, Dinah (West-Berlin)
1954 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1989 †
Neumann, Alfred
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1952 †
Neumann, Walter *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1973 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Niekisch, Ernst
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1963 Übersiedlung nach West-Berlin, 1967 †
Noack, Hans-Georg *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1977 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Noll, Dieter
1964 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1991 Austritt
Nossack, Hans Erich
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1977 †
Nowojski, Walter
1982 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1996 Austritt
Oelfken, Tami (eigentlich Minna Wilhelmine) (Bundesrep., Überlingen)
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1957 †
Oeser, Hans-Christian *
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1989 P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, P.E.N.-Zentrum Dtl.
Opitz, Karlludwig (Bundesrep., Hamburg)
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1964 Austritt
Osang, Alexander
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Ossowski, Leonie *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1978 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Otto, Herbert
1987 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2003 †
Paczensky, Gert von *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1972 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
1048
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Papenfuß, Bert
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Pech, Kristian
1997 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Pechel, Rudolf
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1950 Austritt, dann P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl., 1961 †
Peet, John Scott
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
1988 †
Penzoldt, Ernst
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1955 †
Pestum, Jo *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1978 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Peters, Arno (Bundesrep.)
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 2002 †
Petersen, Jan
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1969 †
Pforte, Dietger
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Pietraß, Richard
1987 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Pinthus, Kurt
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1975 †
Piwitt, Herrmann Peter *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1982 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Plenzdorf, Ulrich
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2007 †
Plievier, Theodor
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1950 Austritt, dann P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl., 1955 †
Pludra, Benno
1970 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Poche, Klaus
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl., 2007 †
Podlech, Adalbert *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1977 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Pohl, Gerhart
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1966 †
Pörksen, Uwe *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1992 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
1049
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Preuß, Gunter
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Pross, Harry *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1959 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Radecki, Sigismund von
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1970 †
Raus, Michel (Luxemburg)
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1973–1995 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.Zentrum Dtl.
Reding, Josef *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1973 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Regler, Gustav
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1963 †
Rehfisch, Hans José
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1960 †
Rehmann, Ruth *
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1972 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Reich, Jens Georg
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Reinfrank, Arno (London)
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1957 P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, P.E.N.-Zentrum Dtl., 2001 †
Reisiger, Hans
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1968 †
Remarque, Erich Maria
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1970 †
Renn, Ludwig
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1979 †
Rennert, Jürgen
1980 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Reschke, Thomas
1990 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Riezler, Walter
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1965 †
Rilla, Paul
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1954 †
Rinser, Luise
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
ab 1972 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 2002 †
1050
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Roch, Herbert
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1978 †
Roscher, Achim
1982 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1996 Austritt
Rosenlöcher, Thomas
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
Rosmus, Anna Elisabeth
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Rowohlt, Ernst (Bundesrep., Hamburg)
1956 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1960 †
Rücker, Günther
1970 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1994 Austritt, 2008 †
Rugel, Eugen (Bundesrep., Memmingen)
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1960 †
Rühmkorf, Peter *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1973 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Runge, Erika *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1970 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Saalberg, Christian *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1991 Österreichisches P.E.N.Zentrum, P.E.N.-Zentrum Dtl., 2005 †
Saeger, Uwe
1997 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
Saller, Karl (Bundesrep., München)
1954 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1969 †
Sattler, D. E.
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schaefer, Oda
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep., 1988 †
Schaeffer, Albrecht
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1950 †
Schaumann, Ruth (Bundesrep., München)
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1975 †
Scheer, Maximilian
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1978 †
Scheffler, Karl
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 †
1051
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Scheidt-Saalfeld, Martha von
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1976 †
Schirmer, Bernd
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schlenstedt, Dieter
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schlenstedt, Silvia
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schlesinger, Klaus *
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1984 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl., 2001 †
Schmidt, Kathrin
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schmidtbonn, Wilhelm
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1952 †
Schneider, Franz Paul
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1970 †
Schneider, Michael *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1987 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schneider, Reinhold
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1958 †
Schneider, Rolf
1964 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.Zentrum Dtl.
Schneider-Schelde, Rudolf
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1956 †
Schnetz, Wolf Peter *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1985 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schober, Rita
1975 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schoeller, Wilfried F. *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1993 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schoen, Ernst (West-Berlin)
1954 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1960 †
Schoenberner, Franz
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann auch Amerikanisches P.E.N.-Zentrum, 1970 †
Schoenberner, Gerhard *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1975 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schoeps, Julius H. *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1987 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Scholz, Wilhelm von
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1952 Austritt, 1969 †
1052
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Schorlemmer, Friedrich *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1991 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schreck, Joachim
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schreiber, Hermann (Österreich, Baden bei Wien)
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
dann österreichisches P.E.N.Zentrum
Schreyer, Wolfgang
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schroeder, Max
1956 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1958 †
Schröder, Rudolf Alexander
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1962 †
Schubert, Hansdieter *
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1991 Austritt, 1991 P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl., 1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schubert, Helga
1987 P.E.N.-Zentrum DDR
1991 Austritt, 1991 P.E.N.Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schuder, Rosemarie
1980 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schütz, Helga
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schütz, Wilhelm Wolfgang *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1974 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Schulz, Jo
1982 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2007 †
Schulz, Max Walter
1985 P.E.N.-Zentrum DDR
1991 †
Schumacher, Ernst (Bundesrep., München)
1958 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.Zentrum Dtl.
Schwarz, Ernst
1978 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1995 Austritt, 2003 †
Schwarzer, Alice *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1984 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Seghers, Anna
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1983 †
1053
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Seide, Adam *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1990 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl., 2004 †
Senger, Valentin *
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1992 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1997 †
Seyppel, Joachim *
1975 P.E.N.-Zentrum DDR
dann auch P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., Dt. P.E.N.Zentrum (Ost), 1994 Austritt, P.E.N.-Zentrum Dtl.
Sidow, Max (Bundesrep., Hamburg)
1954 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1965 †
Simmel, Johannes Mario *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1989 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., auch Österreichisches P.E.N.-Zentrum, P.E.N.Zentrum Dtl.
Simon, Dietrich
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Singh, Rajvinder
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Skirecki, Hans
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Sölle, Dorothee *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1971 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl., 2003 †
Sommer, Klaus-Dieter
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1996 †
Sparschuh, Jens
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Speyer, Wilhelm
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1952 †
Stade, Martin
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Staeck, Klaus *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1982 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Stenbock-Fermor, Alexander Graf (West-Berlin)
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1972 †
Stepun, Fedor
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1965 †
Stephan, Alexander (USA)
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1990–1996 P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, P.E.N.-Zentrum Dtl.
1054
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Stern, Jeanne
1958 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1992 Austritt
Stern, Kurt
1956 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1989 †
Sternberger, Dolf
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1989 †
Strahl, Rudi
1980 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2001 †
Streubel, Manfred
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1992 †
Strittmatter, Erwin
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, Deutsches P.E.N.Zentrum DDR, Dt. P.E.N.Zentrum (Ost), 1991 Austritt, 1994 †
Strittmatter, Eva
1985 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Struzyk, Brigitte
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Syberberg, Rüdiger
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1952 Austritt, 1978 †
Taube, Otto Freiherr von
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1973 †
Teschke, Holger
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Tetzner, Gerti
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Thesing, Curt
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1956 †
Theweleit, Klaus
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Thomas, Adrienne
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
auch Österreichisches und Amerikanisches P.E.N.Zentrum, 1980 †
Thürk, Harry
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1995 Austritt, 2005 †
Timm, Uwe *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1981 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Tontiæ, Stevan
1994 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1992 Serbisches P.E.N.Zentrum, P.E.N.-Zentrum Dtl.
1055
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Tragelehn, B(ernhard) K(laus)
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Tralow, Johannes (Bundesrep., München)
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, 1968 †
Trolle, Lothar
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Uhde-Bernays, Hermann
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1965 †
Uhse, Bodo
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1963 †
Usinger, Fritz
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1982 †
Uzarski, Adolf (Bundesrep., Düsseldorf)
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1970 †
Villain, Jean (d. i. Marcel Bruns)
1975 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2006 †
Völker, Klaus
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Voigt, Jutta
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Vormweg, Heinrich *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1970 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl., 2004 †
Vring, Georg von der
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1968 †
Wagenbach, Klaus *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1969 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Walter, Robert (Bundesrep., Ahrensburg/Holstein)
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, um 1970 †
Wander, Fred
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2006 †
Waterstradt, Berta
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
1990 †
Wawerzinek, Peter
1997 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Weber, Carl August (Bundesrep., München)
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1962 Austritt
1056
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Wedding, Alex (d. i. Grete Weiskopf)
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1966 †
Wegner, Arnim T(heophil)
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1978 †
Weimann, Robert
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Weinert, Erich
1951 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1953 †
Weisenborn, Günther (Bundesrep., Hamburg)
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, auch P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1969 †
Weiskopf, F(ranz) C(arl)
1954 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1955 †
Weismantel, Leo
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1964 †
Weiss, Peter (Schweden)
1965 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, auch P.E.N.-Zentrum Bundesrep., 1982 †
Welk, Ehm (eigentlich Thomas Trimm)
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1966 †
Wellm, Alfred
1970 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2001 †
Welms, Hans G.
1997 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
Welskopf-Henrich, Liselotte
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
1979 †
Wendt, Erich
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1965 †
Wenzel, Hans-Eckardt
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Werner, Ruth
1982 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl., 2000 †
Werner, Walter
1985 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1995 †
Wesel, Uwe *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1986 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Weskott, Martin
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
1057
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Westphalen, Joseph Graf *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1993 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Weyrauch, Wolfgang (Bundesrep., Hamburg)
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
dann P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1980 †
Wiechert, Ernst
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1950 †
Wickert, Ulrich *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1983 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Wiegler, Paul
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1949 †
Wiens, Paul
1964 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, 1982 †
Wiese, Carlfriedrich
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Wildenhain, Michael
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Wille, Hanns Julius
1955 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
1961 †
Winkler, Konrad (Bundesrep., Heidelberg)
1953 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), 1993 †
Winnington, Alan
1975 P.E.N.-Zentrum DDR
1983 †
Wischnewski, Klaus
1982 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Wohlfahrt, Thomas
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Wolf, Christa
1964 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.Zentrum Dtl.
Wolf, Friedrich
1948 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, 1953 †
Wolf, Gerhard
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost), P.E.N.-Zentrum Dtl.
Wolff, Karin
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Wolff, KD
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Wolter, Christine
1991 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
1058
Name
Zuwahljahr
Zugehörigkeit/Austritt/ Übertritt/Tod
Wolter, Manfred
1993 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1999 †
Wüstefeld, Michael
1996 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
P.E.N.-Zentrum Dtl.
Zak, Eduard
1972 P.E.N.-Zentrum DDR
1979 †
Ziegler, Leopld
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
1951 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., 1958 †
Zimmering, Max
1954 Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West
P.E.N.-Zentrum DDR, auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1973 †
Zitelmann, Arnulf *
1995 Dt. P.E.N.-Zentrum (Ost)
1993 P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., P.E.N.-Zentrum Dtl.
Zuckmayer, Carl
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
dann P.E.N.-Zentrum Bundesrep. Dtl., auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1977 †
Zweig, Arnold
1949 P.E.N.-Zentrum Dtl.
Dt. P.E.N.-Zentrum Ost u. West, P.E.N.-Zentrum DDR, auch P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, 1968 †
1059
Quellen- und Literaturverzeichnis
Die verwendeten Artikel aus Zeitschriften und Zeitungen finden auf Grund ihrer Vielzahl im Quellenverzeichnis keine gesonderte Aufnahme. Die bibliographischen Angaben finden sich in den entsprechenden Fußnoten. Wegen der zahlreichen verschiedenen Herkunftsquellen variieren die Angaben in ihrer Genauigkeit. Eine Autopsie aller Artikel und ihrer Nachweise war in Anbetracht der Fülle nicht zu leisten. Die Fußnoten bieten jedoch in jedem Falle ausreichende Information, um einen Artikel eindeutig auffinden zu können.
1.
Quellen
1.1
Archivbestände
1.1.1 BStU Berlin Günter de Bruyn AIM 822/84 »Roman«, Bd. I/1 und II/1 AOPK 19171/85 »Roman« Günther Cwojdrak AP 14158/92 Günther Deicke V-AIM 10774/84 »Heinrich«, Bd. 1 Fritz Rudolf Fries FfO V 1106/72 »Pedro Hagen«, Bd. I/2, II/1 und II/2 Peter Hacks AOPK 2666/77 AOP 1958/71, Bd. XI Stephan Hermlin AOP 3706/87 »Leder«, Bd. V/1–3, V/9, V/12, V/13, V/16–18, V/20 und V/21 AOPK 8573/91 »Leder«, Bd. I Heinz Kamnitzer A 175/86 »Georg«, Bd. II/1 und II/2 Hermann Kant AIM 2173/70 »Martin« Bd. I/1, I/3, I/4, I/6, II/1 und II/2 Walter Kaufmann AP 9886/92 Pts (Potsdam) AOP 2642/64, Bd. 1 und 2 AIM 6996/91 »Sally«, Bd. 1/1
1060
Rainer Kerndl ANS 12447/89 »Rita«, Bd. 1 Ingeburg Kretzschmar AP 4589/92 Dieter Noll AGMS 5323/85 »Georg«, Bd. 1–3 AIM 86/02 »Klaus Dieter«, Bd. 1 AIM 6700/71 »Romanze«, Bd. 1 Paul Wiens AIM 771/68 »Dichter«, Bd. A AIM 771/68 »Dichter«, Bd. P, 1 AIM 7781/83 »Dichter«, Bd. I/3, II/1–5 Christa Wolf AOP 16578/89, Bd. 2, 14, 27, 28, 31, 33, 39 und 41 Arnold Zweig AP 4913/69 Weitere Einzelakten BdL/Dok. Nr. 008456 BdL/Dok. Nr. 004861 HA II/6 Nr. 223 HA II/13 Nr. 316 HA XX Karteikarten HA XX/AKG Nr. 103 HA XX/AKG Nr. 153 HA XX/AKG Nr. 154 HA XX/AKG Nr. 156 HA XX/AKG Nr. 469 HA XX/AKG Nr. 524 HA XX/AKG Nr. 779 HA XX/AKG Nr. 1130 HA XX/AKG Nr. 3163 HA XX/AKG Nr. 5395 HA XX/AKG Nr. 5650 HA XX Nr. 209 HA XX Nr. 2202 HA XX Nr. 2256 HA XX Nr. 3067 HA XX Nr. 4130, Bd. 1, 3 und 4 HA XX Nr. 20488, Bd. 1 HA XX/9 Nr. 139 HA XX/9 Nr. 217 HA XX ZMA 401, Bd. 1a und 5 HA XX ZMA 4043 ZAIG Z 362 ZAIG 4592
1061
1.1.2 DLA Marbach am Neckar N: Kasimir Edschmid (Konv. P.E.N.) N: Stephan Hermlin
1.1.3 ÖNB Wien HsSlg. Ser. n. 21.840 und 21.842
1.1.4 SAPMO-BArch Berlin Bestand Erinnerungen – Alexander Abusch Sg Y 30/1084/3 Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands DY 27/96, 189, 736, 857, 882, 913, 3217, 3724, 3726, 3811 Ministerium für Kultur DR 1/7732, 7747, 7867 ZK der SED – Büro Kurella DY 30/IV 2/2.026/38 ZK der SED – Büro Hager DY 30/IV A2/2.024/2 ZK der SED – Abteilung Kultur Vorl. SED 12922, 18514, 25884, 26039, 32785 DY 30/IV 2/9.06/273 DY 30/IV A2/9.06/156, 157 DY 30/IV B2/9.06/60, 128
1.1.5 SAdK Berlin Archive von Alexander Abusch Johannes R. Becher Bertolt Brecht Willi Bredel Ingeborg Drewitz Deutscher Schriftstellerverband Wieland Herzfelde Alfred Kurella Bodo Uhse Günther Weisenborn Erich Wendt Arnold Zweig
1.1.6 SBBPK [Potsdamer Platz] Arnold Zweig-Sammlung 3, Kasten 1, Mappe 9–11 NL Heinz Kamnitzer NL Johannes Tralow 1062
1.1.7 Archiv beim P.E.N.-Zentrum Deutschland, Sitz Darmstadt Archiv des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West, P.E.N.-Zentrums DDR, Deutsches P.E.N.-Zentrums (Ost) in digitalisierter Form (CDR 1 und 2); Archiv des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) [bearbeitet nach der von Sven Hanuschek getroffenen Auswahl, inklusive Pressespiegel 1945–1998].
1.1.8 P.E.N.-Archiv London Minute Books (= Protokolle der internationalen Exekutiven) 1951–1990.1
1.2
Interviews2
Günther Deicke* Walter Kaufmann* Rainer Kerndl* Ingeburg Kretzschmar Rita Schober* Ernst Schumacher*
1.3
Quellen- und Werkeditionen, Dokumentationen und Sammlungen
»Als der Krieg zu Ende war«. Literarisch-politische Publizistik 1945–1950. Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum. (Sonderausstellungen des Schiller-Nationalmuseums, Katalog 23) Marbach a. N. 1973. Becher, Johannes R.: Publizistik III 1946–1951. (Johannes R. Becher-Archiv der Akademie der Künste (Hg.): Johannes R. Becher. Gesammelte Werke Bd. 17) Berlin und Weimar 1979. Berbig, Roland, Arne Born, Jörg Judersleben, Holger Jens Karlson, Dorit Krusche, Christoph Martinkat und Peter Wruck (Hg.): In Sachen Biermann. Protokolle, Berichte und Briefe zu den Folgen einer Ausbürgerung. (Armin Mitter und Stefan Wolle (Hg.): Forschungen zur DDR-Geschichte Bd. 2) Berlin 1994. Bitz, Ulrich (Hg.): Hans Henny Jahnn. Briefe. Hamburger Ausgabe. Teil 2. Granly, Granly – Reisen nach Deutschland, Hamburg-Blankenese:1941–1959. Hamburg 1994. Brecht, Bertolt: Leben des Galilei. (edition suhrkamp 1) Frankfurt am Main: Suhrkamp: 1967. Caspar, Günther (Hg.): Bodo Uhse. Versuche Berichte Erinnerungen. (Günther, Caspar (Hg.): Bodo Uhse. Gesammelte Werke in Einzelausgaben Bd. 6) Berlin 1983. Chotjewitz-Häfner, Renate, Carsten Gansel, Andreas Kalckhoff, Olav Münzberg und Till Sailer (Hg.): Die Biermann-Ausbürgerung und die Schriftsteller.Ein deutsch-deutscher Fall. Protokoll der ersten Tagung der Geschichtskommission des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) Berlin 28. Februar bis 1. März 1992. (Bibliothek Wissenschaft und Politik Bd. 52) Köln 1994. Chotjewitz-Häfner, Renate und Carsten Gansel (Hg.): Verfeindete Einzelgänger. Schriftsteller streiten über Politik und Moral. Berlin 1997.
1
2
Kopien dieser Protokolle wurden freundlicherweise von Herrn Sven Hanuschek zur Auswertung überlassen. Die mit * versehenenInterviewpartnersind von Frau ThereseHörnigk befragt worden, die freundlicherweise die Typoskripte zur Auswertung überlassen hat. 1063
Corino, Karl (Hg.): Die Akte Kant. IM »Martin«, die Stasi und die Literatur in Ost und West. Reinbek bei Hamburg 1995. Deutscher Bundestag (Hg.): Materialien der Enquete-Kommission »Aufarbeitung und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«. Neun Bände in 18 Teilbänden. Frankfurt am Main 1995. Drescher, Angela (Hg.): Christa Wolf Franz Fühmann. Monsieur – wir finden uns wieder. Briefe 1964–1984. Berlin 1998. Gansel, Carsten (Hg.): Der gespaltene Dichter. Johannes R. Becher. Gedichte, Briefe, Dokumente 1945–1958. Berlin 1991. Goldmann, Bernd (Hg.): Hans Henny Jahnn. Schriftsteller Orgelbauer. 1894. 1959. Eine Ausstellung. Wiesbaden 1973. –: Hans Henny Jahnn Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959. Mainz 1974. Harder, Rolf (Hg.): Johannes R. Becher. Briefe 1909–1958. Berlin und Weimar 1993. – (Hg.): Briefe an Johannes R. Becher 1910–1958. Berlin und Weimar 1993. Heider, Magdalena und Kerstin Thöns (Hg.): SED und Intellektuelle in der DDR der fünfziger Jahre. Kulturbund-Protokolle. Köln 1990. Hübsch, Reinhard und Friedrich-Martin Balzer (Hg.): »Operation Mauerdurchlöcherung«. Robert Neumann und der deutsch-deutsche Dialog. Mit Beiträgen von Robert Neumann, Wolfgang Abendroth u. a. Bonn 1994. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hg.): Otto Grotewohl. Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik.Reden und Aufsätze. Bd. II: Auswahl aus den Jahren 1950 und 1951. Berlin 1959. Judt, Matthias (Hg.): DDR-Geschichte in Dokumenten. Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse. (Schriftenreihe Bundeszentrale für politische Bildung Bd. 350) Berlin 1998. Knopf, Jan (Hg.): [Bertolt Brecht]. Schriften, Journale, Briefe. (Brecht-Handbuch in fünf Bänden Bd. 4) Stuttgart und Weimar 2003. Krug, Manfred: Abgehauen. Ein Mitschnitt und ein Tagebuch. Düsseldorf 1998. Kunze, Reiner: Deckname »Lyrik«. Eine Dokumentation. Frankfurt am Main 1990. Loest, Erich: Als wir in den Westen kamen. Gedanken eines literarischen Grenzgängers. Stuttgart und Leipzig 1997. Lübbe, Peter (Hg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED 1975– 1980. Stuttgart 1984. Müller-Marein, Josef und Theo Sommer (Hg.): Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager? Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West. Das vollständige Tonbandprotokoll. (Das aktuelle Thema Bd. 7) Hamburg 1961. Reinhold, Ursula, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger (Hg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß. 4.–8. Oktober 1947. Protokolle und Dokumente. Berlin 1997. Schlenstedt, Silvia (Hg.): Briefe an Hermlin 1946–1984. Berlin und Weimar 1985. Schmitt, Hans-Jürgen (Hg.): Franz Fühmann. Briefe 1950–1984. Eine Auswahl. Rostock 1994. Schubbe, Elimar (Hg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED [1946–1970]. Stuttgart 1972. – (Hg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED 1971–1974. Stuttgart 1976. Stephan Hermlin. Äußerungen 1944–1982. Berlin und Weimar 1983. –: In den Kämpfen dieser Zeit. Berlin 1995. Walther, Joachim, Wolf Biermann, Günter de Bruyn, Jürgen Fuchs, Christoph Hein, Günter Kunert, Erich Loest, Hans-Joachim Schädlich und Christa Wolf (Hg.): Protokoll eines Tribunals. Die Ausschlüsse aus dem DDR-Schriftstellerverband 1979. Reinbek bei Hamburg 1991.
1064
Weskott, Martin: Hinter den Aktenbergen. Schriftsteller und Staatssicherheit am Beispiel Erich Köhler. Ein Forschungsbericht. Catlenburg 2002.
1.4
Zeitgenössische Einzelveröffentlichungen
Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Bonn 1951. Burgmüller, Herbert (Hg.): Deutsches Wort in dieser Zeit. Ein Almanach des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West. München 1954. Charta des InternationalenP.E.N. In: P.E.N.-Zentrum BundesrepublikDeutschland.Autorenlexikon 1996/97, S. 7f. Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92. Dokumentation nach Tonbandkassetten. Berlin 1992. – (Hg.): Autorenlexikon. Geschichte und Gegenwart. Berlin 1995. – (Hg.): Autorenlexikon. Zwischenbilanzen. Berlin 1996. Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West (Hg.): … aber die Welt ist verändert. Ein Almanach. Zusammengestellt und redigiert v. Ingeborg Kretzschmar. Berlin 1959. – (Hg.): … daß die Zeit sich wende! Ein Almanach. Berlin 1957. Gregor-Dellin, Martin (Hg.): P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München 1978. Herzfelde, Wieland und Günther Cwojdrak (Hg.): Cross-Section. Anthology of the PEN Centre German Democratic Republic. Leipzig 1970. Hoffmann, Gerd (Hg.): P.E.N. International. München 1986. Ilberg, Werner und Henryk Keisch (Hg.): Réflets. 47 auteurs de P.E.N. Club de la République Démocratique Allemande. Leipzig 1975. Kretzschmar, Ingeburg (Hg.): In unserer Sprache. Anthologie des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West. Mit einer Autographensammlung. 2 Bde. Berlin 1962. – (Hg.): Literatur im Zeitalter der Wissenschaft. Deutsches PEN-Zentrum Ost und West. Öffentliche Diskussion. Berlin 1959. Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (Hg.): Standort des deutschen Geistes. Oder: Frieden fordert Entscheidung. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Eine Antwort. [Berlin] 1951. [o. V.]: Über Toleranz und Geistesfreiheit an die Mitglieder des Internationalen P.E.N.Club. Berlin 1951. P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon. Göttingen 1993. –. Autorenlexikon 1996/97. Göttingen 1996. P.E.N. Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2000/2001. Wuppertal 2000. Saller, Karl (Hg.): Von der Verantwortung des deutschen Geistes. Die Deutsche Kulturtagung in Bayreuth vom 24.–26. Oktober 1952. Sombart, Nicolaus: Buchstabe und Geist der Charta des P.E.N.-Clubs. Der Ort der Literatur in einer Gesellschaft im Wandel. Vortrag gehalten am 12. April 1996 auf Einladung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland und des Literaturhauses Berlin. Tralow, Johannes: Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N. München [und Berlin] 1951.
1.5
(Auto-)Biographien, Erinnerungen, Memoiren, Tagebücher
Abusch, Alexander: Mit offenem Visier. Memoiren. Berlin 1986. Becher, Johannes R.: Auf andere Art so große Hoffnung. Tagebuch 1950. Eintragungen 1951. (Deutsche Akademie der Künste (Hg.): Johannes R. Becher. Gesammelte Werke Bd. 12) Berlin und Weimar 1969. Bruyn, Günter de: Vierzig Jahre. Ein Lebensbericht. Frankfurt am Main 1996.
1065
Caspar, Günter (Hg.): Über Bodo Uhse. Ein Almanach. Aufsätze und Erinnerungen. Mit Karikaturen, Photographien und Faksimiles. Berlin und Weimar 1984. Endler, Adolf: Tarzan am Prenzlauer Berg. Sudelblätter 1981–1983. Leipzig 1994. Freie Akademie der Künste Hamburg (Hg.): Hans Henny Jahnn. Buch der Freunde. Hamburg 1960. Friedmann, Hermann: Sinnvolle Odyssee. Geschichte eines Lebens und einer Zeit. 1873– 1950. München 1950. Fuchs, Jürgen: Gedächtnisprotokolle. Mit Liedern von Gerulf Pannach und einem Vorwort von Wolf Biermann. Reinbek bei Hamburg 1977. Goldmann, Bernd (Hg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959. Mainz 1974. –: Hans Henny Jahnn. Schriftsteller, Orgelbauer. 1894–1959. Eine Ausstellung. Wiesbaden 1973. Gross, Babette: Willi Münzenberg. Eine politische Biographie. Mit einem Vorwort von Arthur Koestler. (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Nr. 14/15) Stuttgart 1967. Hager, Kurt: Erinnerungen. Leipzig 1996. Hecht, Werner: Brecht Chronik. 1898–1956. Darmstadt 1997. Hermand, Jost: Arnold Zweig mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. (rowohlts monographien 381) Reinbek bei Hamburg 1990. Heym, Stefan: Nachruf. München 1988. Janka, Walter: … bis zur Verhaftung. Erinnerungen eines deutschen Verlegers. Berlin und Weimar 1993. Kamnitzer, Heinz: Der Tod des Dichters Arnold Zweig. Schkeuditz 1998. –: Ein Mann sucht seinen Weg. Über Arnold Zweig. Schkeuditz 2001. Kant, Hermann: Abspann. Erinnerung an meine Gegenwart. Berlin 2003. Kantorowicz, Alfred: Deutsches Tagebuch. Erster Teil. München 1959. –: Deutsches Tagebuch. Zweiter Teil. München 1961. Kesting, Marianne: Bertolt Brecht mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. (rowohlts monographien 50037) Reinbek bei Hamburg 2003. Knobloch, Heinz: Mit beiden Augen. Mein Leben zwischen den Zeilen. Autobiographie. Frankfurt am Main 1999. Koestler, Arthur und Cynthia: Auf fremden Plätzen. Bericht über die gemeinsame Zeit. Hg., mit einem Vorwort und einem Epilog versehen von Harold Harris. Übersetzt von Liesl Nürenberger. Wien, München und Zürich 1984. Kuczynski, Jürgen: »Ein linientreuer Dissident«. Memoiren 1945–1989. Berlin 1999. Magenau, Jörg: Christa Wolf. Eine Biographie. Reinbek bei Hamburg 2003. Mayer, Hans: Über Peter Huchel. (edition suhrkamp 647) Frankfurt am Main 1973. –: Ein Deutscher auf Widerruf. 2 Bde. Frankfurt am Main 1982 und 1984. –: Der Turm von Babel. Frankfurt am Main 1991. –: Erinnerung an Brecht. Frankfurt am Main 1996. Mittenzwei, Werner: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln. Zweiter Band. Frankfurt am Main 1986. Neumann, Robert: Ein leichtes Leben. Bericht über mich selbst und Zeitgenossen. Berlin und Weimar 1975. –: Vielleicht das Heitere. Tagebuch aus einem andern Jahr. München, Wien und Basel 1968. Piper, Klaus (Hg.): Richard Friedenthal … und unversehens ist es Abend. Von und über R. F.: Essays, Gedichte, Fragmente, Würdigung, Autobiographisches. München und Zürich [1976]. Pross, Harry: Memoiren eines Inländers 1923–1993. München 1993. Rosellini, Jay: Wolf Biermann. (Beck’sche Reihe 626) München 1992. Scheer, Maximilian: Ein unruhiges Leben. Erlebnisse auf vier Kontinenten. Berlin 1975. 1066
Schlesinger,Klaus: Von der Schwierigkeit,Westler zu werden. Zweite Auflage. Berlin 1998. Seyppel, Joachim: Ich bin ein kaputter Typ. Bericht über Autoren in der DDR. Wiesbaden und München 1982. Spiel, Hilde: Welche Welt ist meine Welt? Erinnerungen 1946–1989. Reinbek bei Hamburg 1992. Stadt Darmstadt (Hg.): Kasimir Edschmid 1890–1966. Eine Ausstellung der Stadt Darmstadt zum 100. Geburtstag des Dichters und Schriftstellers. Zusammengestellt und eingerichtetvon Claus K. Netschil. Ateliers des Museums KünstlerkolonieMathildenhöhe Darmstadt. 5. Oktober – 4. November 1990. Darmstadt 1990. Sternburg, Wilhelm von: Um Deutschland geht es uns. Arnold Zweig. Die Biographie. Berlin 1998. Stötzer, Helga (Hg.): JohannesTralow. Leben u. Werk. Mit einer Bibliographievon Christa und Willy Unger. Berlin 1968. Tralow, Johannes:Gelebte Literatur.AutobiographischeSkizze. In: J. T. (Hg.): Der Beginn. Berlin 1958, S. 7–79. Villain, Jean: Vineta 89 – Tagebuch einer Wende. [o. O.] 2001. Wagener, Hans: Richard Friedenthal. Biographie des großen Biographen. Gerlingen 2002. Wallmann, Jürgen P.: Reiner Kunze in der DDR. In: DeutschlandArchiv 7 (1974) 11, S. 1158–1168. Walther, Klaus: Bodo Uhse. Leben und Werk. (Schriftsteller der Gegenwart 13) Berlin 1984. Weisenborn, Günther: Memorial. Der gespaltene Horizont. Niederschriften eines Außenseiters. Berlin und Weimar 1974. Wolffheim, Elsbeth: Hans Henny Jahnn. (rowohlts monographien 432) Reinbek bei Hamburg 1989.
1.6
Offene Briefe, Reden, Reflexionen, Gespräche, Interviews
Der PEN-Streit. In: europäische ideen 104 (1997), S. 20–25. Günter Grass und der PEN. In: europäische ideen 97 (1996), S. 24–29. Hermlin, Stephan: Der PEN-Club in Buchenwald. In: Aufbau 3/4 (1957). Abgedruckt in: Stephan Hermlin. Äußerungen 1944–1982. Berlin und Weimar 1983, S. 246–250. –: Meine Zeit. Rede vor dem PEN, Juni 1986. In: Stephan Hermlin. In den Kämpfen dieser Zeit. Berlin 1995, S. 62–70. Hörnigk, Therese:Interviewmit STEPHAN HERMLIN am 30.9.1995 über die Geschichte des PEN nach 1945. In: Zeitschrift für Germanistik NF VII, 1 (1997), S. 140–154. –: Interview mit HERMANN KANT über die Geschichte des PEN nach 1945 (8.10.1995). In: Zeitschrift für Germanistik NF VII, 2 (1997), S. 357–371. Kamnitzer, Heinz: Londoner Rechenschaft. In: Sinn und Form 4 (1985), S. 798–816. Kunert, Günter: Stockholmer Rede 1978. In: G. K. (Hg.): Diesseits des Erinnerns. München und Wien 1982, S. 77–84. Mayer, Hans: Zum PEN (= Auszüge aus der (verlesenen)Eröffnungsrede zur Jahrestagung des Deutschen PEN-Zentrums (Ost) im Januar 1997). In: europäische ideen 103 (1997), S. 28f. Müller-Marein, Josef und Theo Sommer (Hg.): Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager? Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West. Vollständiges Tonbandprotokoll. (Das aktuelle Thema Bd. 7) Hamburg 1961. [o. V.]: Interviews mit Reiner Kunze. In: DeutschlandArchiv 10 (1977) 6, S. 660–669. PEN-Stimmen. In: europäische ideen 94 (1995), S. 37–73. Schlenstedt, Dieter: Toleranz und Vigilance. Vortrag auf der Jahrestagung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost). In: Argonautenschiff 3 (1994), S. 11–15. –: Einheit der Kultur? Kultur der Einheit! Rede auf der Jahrestagung des Deutschen PENZentrums (Ost) im Januar 1996. In: neue deutsche literatur 507 (1996), S. 189–200. 1067
Spiegel-Gespräch: »Ich vermisse die alte BRD«. Der Schriftsteller Christoph Hein über die Zukunft des deutschen PEN-Zentrums, den Reiz der Erinnerung und die Gefahr der Verklärung. In: Spiegel 46 (1998), S. 277–281. Uhse, Bodo: Literatur und Nation. Rede, gehalten am 11. Mai 1953 vor der Generalversammlung des PEN-Zentrums Deutschland in Berlin. Abgedruckt in: Günther Caspar (Hg.): Bodo Uhse. Versuche, Berichte, Erinnerungen. (Günther Caspar (Hg.): Bodo Uhse. Gesammelte Werke in Einzelausgaben Bd. 6) Berlin 1983, S. 360–367. –: Von alter und neuer Weisheit. Rede zum Gedenken Bertolt Brechts, gehalten am 6. September 1957 auf dem InternationalenPEN-Kongreß in Tokio. Abgedruckt in: Günther Caspar (Hg.): Bodo Uhse. Versuche, Berichte, Erinnerungen. (Günther Caspar (Hg.): Bodo Uhse. Gesammelte Werke in Einzelausgaben Bd. 6) Berlin 1983, S. 241–252.
2.
Nachschlagewerke, Lexika und (Bio-)Bibliographien
Brauer,Ilse und WernerKayser: Günther Weisenborn.(Hamburger BibliographienBd. 10) Hamburg 1971. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hg.): SBZ von A bis Z. Ein Taschen- und Nachschlagebuch über die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands. Siebente, bearbeitete und erweiterte Auflage. Bonn 1962. Conze, Werner und Volker Hentschel (Hg.): PLOETZ. Deutsche Geschichte.Epochenund Daten. Sechste, aktualisierte Auflage. Darmstadt 1998. Enzyklopädie der DDR. Personen, Institutionen und Strukturen in Politik, Wirtschaft, Justiz, Wissenschaft und Kultur. (Digitale Bibliothek 32) Berlin 2000. Jacob, Herbert: Literatur in der DDR. Bibliographische Annalen 1945–1962. 3 Bde. Berlin 1986. Kussmaul, Ingrid: Die Nachlässe und Sammlungen des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Marbach am Neckar 1999. Mählert, Ulrich (Hg.): Vademekum der DDR-Forschung. Ein Leitfaden zu Archiven,Forschungseinrichtungen, Bibliotheken, Einrichtungen der politischen Bildung, Vereinen, Museen und Gedenkstätten. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. (Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung Bonn) Opladen 1999. Müller-Enbergs, Helmut, Jan Wiegohs und Dieter Hoffmann (Hg.): Wer war wer in der DDR? Ein biographisches Lexikon. Unter Mitarbeit von Olaf W. Reimann und BerndRainer Barth. (Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung) Berlin 2000. Ploetz, Der große. Die Daten-Enzyklopädie der Weltgeschichte. Daten, Fakten, Zusammenhänge. 33., neu bearbeitete Auflage. Darmstadt 2003. Riedel, Herbert: Heute und morgen. Bibliographie einer Zeitschrift. Schwerin 1947–1954. (Analytische Bibliographien deutschsprachiger literarischer Zeitschriften Bd. 11) Berlin und Weimar 1987. Rost, Maritta und Rosemarie Geist [Bearb.]: Stephan Hermlin. Bibliographie. Zum 70. Geburtstag. Leipzig 1985. Scheibe, Siegfried: Aufbau. Berlin 1945–1958. Bibliographie einer Zeitschrift. Mit einem Vorwort von Dieter Noll. (Analytische Bibliographien deutschsprachiger literarischer Zeitschriften Bd. 10) Berlin und Weimar 1978. Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin (Hg.): Nachlässe und Sammlungen zur deutschen Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts. Die Bestände der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin. München, New Providence, London und Paris 1995. Weltalmanach-Redaktion, Die (Hg.): Die Fischer Chronik Deutschland. Ereignisse, Personen Daten. Frankfurt am Main 2001.
1068
3.
Forschungsliteratur
3.1
Intellektuelle/Schriftsteller
3.1.1 Allgemein Benda, Julien: Der Verrat der Intellektuellen (La trahision des clercs). Mit einem Vorwort von Jean Améry. Aus dem Französischen von Arthur Merin. (Ullstein Buch 35181) Frankfurt am Main, Berlin und Wien 1983. Bering, Dietz: Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes. Stuttgart 1978. –: »Intellektueller« – in Deutschland ein Schimpfwort? Historische Fundierung einer Habermas-Lübbe Kontroverse. In: Sprache in Wissenschaft und Literatur 54 (1984), S. 57–72. Bourdieu, Pierre: Das intellektuelle Feld: Eine Welt für sich. Interview mit Karl-Otto Maue, Klaus Jarchow und H. G. Winter für den Norddeutschen Rundfunk (Hamburg, Dezember 1985). In: Pierre Bourdieu. Rede und Antwort. Aus dem Französischen von Bernd Schwibs. Frankfurt am Main 1992, S. 155–166. Broch, Hermann: Die Intellektuellenund der Kampf um die Menschenrechte.In: Literatur und Kritik 54/55 (1971), S. 193–197. Dahrendorf, Ralf: Deutsche Intellektuelle, Politik und Status. In: R. D. (Hg.): Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München 1964, S. 308–324. Foucault, Michel: Der sogenannteLinksintellektuelle.Gesprächmit M. Fontana. In: alternative 118 (1978), S. 74–85. Gehlen, Arnold: Das Engagement der Intellektuellen gegenüber dem Staat. In: A. G. (Hg.): Einblicke. Frankfurt am Main 1978, S. 9–24. Geiger, Theodor: Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft. Stuttgart 1949. Hanuschek, Sven, Therese Hörnigk und Christine Malende (Hg.): Schriftsteller als Intellektuelle. Politik und Literatur im Kalten Krieg. (Wolfgang Frühwald et al. (Hg.): Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur Bd. 73) Tübingen 2000. Jäger, Georg: Der Schriftstellerals Intellektueller.Ein Problemaufriß.In: Sven Hanuschek, Therese Hörnigk und Christine Malende (Hg.): Schriftsteller als Intellektuelle. Politik und Literatur im Kalten Krieg. (Wolfgang Frühwald et al. (Hg.): Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur Bd. 73) Tübingen 2000, S. 1–25. König, René: Intelligenz. In: R. K. (Hg.): Soziologie. Lexikon. Frankfurt am Main: Fischer 1958, S. 140–147. Lepenies, Wolf: Aufstieg und Fall der Intellektuellen in Europa. (Edition Pandora, Europäische Vorlesungen I) Frankfurt am Main, New York und Paris 1992. Lepsius, M. Rainer: Kritik als Beruf. Zur Soziologie der Intellektuellen. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie 16 (1964), S. 75–91. Mannheim, Karl: Ideologie und Utopie. (Schriften zur Philosophie und Soziologie Bd. 3) Bonn 1929. Sabais, Heinz-Winfried: Der Intellektuelle. Versuch einer moralischen Definition. In: Studium Generale 12 (1959) 11, S. 690–693. Scheideler, Britta: Zwischen Beruf und Berufung. Zur Sozialgeschichte der Schriftsteller 1880–1933: Professionalisierung und Berufsstandspolitik zwischen Wilhelminismus und Weimarer Republik. In: Archiv für Geschichte des Buchwesen 46 (1997). Schelsky, Helmut: Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen. Opladen 1975. Schlich, Jutta (Hg.): Geschichte(n) des Begriffs Intellektuelle. In: J. S. (Hg.): Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland. (11. Sonderheft IASL) Tübingen 2000, S. 1–113. – (Hg.): Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland. (11. Sonderheft IASL) Tübingen 2000.
1069
Schumpeter, Joseph A.: Soziologie der Intellektuellen. In: J. A. S. (Hg.): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Bern 1946, S. 235–251. Wagner, Wolfgang: Der Intellektuelle und die Politik. In: Wort und Wahrheit 1. Halbjahr 1958, S. 154–157.
3.1.2 DDR Abusch, Alexander: Der Schriftsteller und der Plan. In: A. A. (Hg.): Literatur und Wirklichkeit. Berlin 1953, S. 139–149. Bogdal, Klaus Michael: Wer darf sprechen? Schriftsteller als moralische Instanz – Überlegungenzu einem Anfang und zu einem Ende. In: WeimarerBeiträge 37 (1994), S. 597– 603. Bohrer, Karl Heinz: Kulturschutzgebiet DDR? In: Merkur 1990, S. 1015–1018. Buch, Hans Christoph: Ideologische Irrungen und Wirrungen der Literatur im 20. Jahrhundert. In: Gerd Langguth (Hg.): Autor, Macht, Staat. Literatur und Politik in Deutschland. Ein notwendiger Dialog. Düsseldorf 1994, S. 55–69. Domdey, Horst: Die DDR als Droge. Wie kritisch war DDR-Literatur? In: DeutschlandArchiv 2 (1993), S. 161–169. Emmerich, Wolfgang: Zwischen Hypertrophie und Melancholie. Die literarische Intelligenz der DDR im historischen Kontext. In: Universitas 8 (1993), S. 778–792. –: Selbstbegründungsmythen der literarischen Intelligenz in Ost und West nach 1945. In: H. Hastedt, H. Lethen und Thomä (Hg.): Orientierung – Gesellschaft – Erinnerung. (Rostocker Philosophische Manuskripte. Neue Folge, Heft 4) Rostock 1997, S. 95– 114. Verfügbar unter URL: http://www.deutschlandstudien.uni.bremen.de [Zugriff: 28. 1. 2003]. Erbe, Günter: Schriftsteller in der DDR. Eine soziologische Untersuchung der Herkunft, der Karierrewege und der Selbsteinschätzung der literarischen Intelligenz im Generationenvergleich. In: DeutschlandArchiv 20 (1987) 11, S. 1162–1172. Grüning, Uwe: Deutschland – Deutschland. Politische Wirklichkeit und dichterische Gegenwelt. In: Gerd Langguth (Hg.): Autor, Macht, Staat. Literatur und Politik in Deutschland. Ein notwendiger Dialog. Düsseldorf 1994, S. 162–177. Grunenberg, Antonia: Das Ende der Macht ist der Anfang der Literatur. Zum Streit um die SchriftstellerInnen in der DDR. In: Aus Politik und Zeitgeschichte44 (1990), S. 17– 26. Hannemann, J., Pawlowitz, I. und L. Zschuckelt: Literatur im Selbstverständnis. Zur Verständigungsdebatteder Schriftstellerüber die Funktionund die Aufgaben der Literatur in der DDR (1949–1969). In: Weimarer Beiträge 10 (1977), S. 161–182. Heidenreich, Gert: Volk ohne Traum. Die deutsche Intellektuellen-Debatte. In: neue deutsche literatur 40 (1992), S. 56–67. Hoerning, Erika M. und Feiwel Kupferberg: Die anhaltende Loyalität der ostdeutschen Intelligenz. In: BIOS 12 (1999) 1, S. 28–49. Ihme-Tuchel, Beate: Die SED und die Schriftsteller 1946 bis 1956. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 13 (2000), S. 3–10. Jäger, Manfred: Avantgarde im Nachtrab. Der Juni-Aufstand 1953 und die Intellektuellen in der DDR. In: DeutschlandArchiv 36 (2003) 4, S. 673–684. Krüger, Hans-Peter: Ohne Versöhnung handeln, nur nicht leben. In: Sinn und Form 1 (1992), S. 40–50. Land, Rainer und Possekel, Ralf: Namenlose Stimmen waren uns voraus. Politische Diskurse von Intellektuellen in der DDR. (Wolfgang Schmale (Hg.): Herausforderungen. Historisch-politische Analysen Bd. 1) Bochum 1994. Luckscheiter, Roman: Intellektuelle in der SBZ/DDR 1945–1989. In: Jutta Schlich (Hg.): Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland. (11. Sonderheft IASL) Tübingen 2000, S. 343–366. 1070
–: Intellektuelle nach 1989. In: Jutta Schlich (Hg.): Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland. (11. Sonderheft IASL) Tübingen 2000, S. 367–388. Mittenzwei, Werner: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945– 2000. Berlin 2003. Rüther, Günther: Überzeugungen und Verführungen. Schriftsteller in der Diktatur. In: DeutschlandArchiv 37 (2004) 4, S. 602–611. Städtke, Klaus: Zwischen staatlicher Förderung und Lesererwartung. Hat die literarische Intelligenz in der DDR versagt? In: Neophilologus 3 (1993), S. 457–466. Winckler, Lutz: Kulturnation DDR – Ein intellektueller Gründungsmythos. In: Argonautenschiff 1 (1992), S. 141–149.
3.2
P.E.N.
Blokh, Alexandre: Der Internationale P.E.N. und sein Sekretariat. In: Gerd Hoffmann (Hg.): P.E.N. International. München 1986, S. 28–31. Brandt, Marion: »Eure kulturpolitischen Probleme können wir nicht lösen«. Dokumente zur Haltung des PEN-Zentrums der DDR zu Polen (1981 bis 1988). In: DeutschlandArchiv 35 (2002) 4, S. 618–628. Dericum, Christa: Wächterrolle gegen Intoleranz. Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. In: P.E.N. BundesrepublikDeutschland.Autorenlexikon.Göttingen 1993, S. 17– 35. Dieckmann, Friedrich: Der P.E.N., die Hochregale und die Utopie. Anmerkungen zu einem Schriftstellerclub. In: Freibeuter 45 (1990), S. 23–31. Erschienen auch in F. D. (Hg.): Glockenläuten und offene Fragen. Berichte und Diagnosen aus dem anderen Deutschland. Frankfurt am Main 1991, S. 246–265. –: Die jakobinische Krankheit. Anmerkungen zum deutschen PEN-Wesen. In: neue deutsche literatur 5 (1995), S. 176–181. –: PENNIANA SECRETA. Eine Akten-Lese. In: neue deutscheliteratur2 (1996), S. 173– 201. Hanuschek, Sven: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums von 1951–1990. (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur Bd. 98) Tübingen 2003. Heukenkamp, Ursula: Der Beitrag der Berliner Schriftsteller zur Spaltung des PENZentrums Deutschland. In: Weimarer Beiträge 38 (1992) 3, S. 340–353. Hochgeschwender, Michael: Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen. (Dietrich Beyrauch, Anselm Doehring-Manteuffel und Lutz Raphael (Hg.): Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit Bd. 1) München 1998, bes. das Kapitel Die Spaltung des deutschen PEN, S. 335–346. Hörnigk, Therese: PEN-Bruder Brecht. Für Werner Mittenzwei. In: Simone Barck und Inge Muenz-Koenen (Hg.): Im Dialog mit Werner Mittenzwei. Beiträge und Materialien zu einer Kulturgeschichte der DDR. (Abhandlungen der Leibniz-Sozietät Bd. 3) Berlin 2002, S. 19–27. Jäger, Manfred: Schriftsteller aus der DDR beim Hamburger PEN-Kongreß. In: DeutschlandArchiv 29 (1996) 8, S. 788–790. Kesten, Hermann: Zielsetzung und Problematik des P.E.N. In: Martin Gregor-Dellin (Hg.): P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München 1978, S. 28–31. Kleinschmid, Harald: Die unendliche Geschichte der PEN-Vereinigung. In: DeutschlandArchiv 31 (1998), S. 882–884. Krenzlin, Leonore: Dialogbemühungen mitten im kalten Krieg. Johannes R. Becher und der PEN-Club im Jahre 1950. In: Weimarer Beiträge 34 (1988) 10, S. 1749–1753.
1071
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Zimmermann, Hans Dieter: Wozu PEN und Akademie? Die Spaltung nach der Einheit. In: H. D. Z. (Hg.): Literaturbetrieb Ost/West. Die Spaltung der deutschenLiteratur von 1948 bis 1998. Stuttgart, Berlin und Köln 2000, S. 139–146.
3.3
Deutsche Geschichte nach 1945 [Schwerpunkt DDR (Kultur/Literatur)]
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1076
Verzeichnisse
1.
Personenverzeichnis
Abendroth, Wolfgang 418 Abusch, Alexander 213, 234, 235, 239, 254, 261, 276, 346, 450, 454, 571 Adam, Willi 237 Albee, Edward 719 Allmeroth, Heinrich 358 Amalrik, Andrei 605 Amery, Carl 858, 876, 903, 904 Anderson, Sascha 39, 710, 718 Andres, Stefan 130, 191 Apitz, Bruno 357, 436, 538 Arendt, Erich 239, 280, 357, 629 Auer, Annemarie 564, 571, 599, 601, 844 Bachér, Ingrid 947, 951, 954, 957 Bahro, Rudolf 670 Baierl, Helmut 571, 598, 638, 917 Banciu, Carmen Francesca 907 Bart, István 729, 758 Barth, Emil 148, 149, 151, 175 Barth, Max 69 Barthel, Kurt 190, 254, 257, 264 Bartoszewski, Wladyslaw 654, 738, 744 Bartsch, Kurt 671, 674, 678, 692 Bartz, Manfred 709, 753 Bastian, Gert 715 Bauer, Walter 151, 176 Baum, Werner 345 Baumeister, Heinz 131 Baumgart, Hans 507 Becher, Johannes R. 51, 63, 70, 74, 77, 102, 116, 123, 134, 141, 167, 173, 186, 188, 196, 200, 205, 209, 212, 213, 226, 236, 242, 254, 262, 322, 975 Becher, John T. 130 Becher, Lilly 99
Becker, Jurek 571, 592, 594, 601, 629, 639, 671, 674, 695, 993 Becker, O. E. H. 59 Becker, Rolf 713 Becker-Trier, Heinz 239, 589 Beckmann, Lucas 715 Beckmann, Max 704 Beer, Fritz 900 Beer, Jean de 255, 275, 297, 314, 515, 544 Beheim-Schwarzbach, Martin 90, 97, 144, 176, 372 Beltz, Walter 851 Belzner, Emil 99, 128, 157, 187 Bentley, Phyllis 56 Bernal, John Desmond 311 Bessier, Alvah 582 Bhattacharya, Ujjawal 907 Biel, Peter 571 Bienek, Horst 858 Biermann, Wolf 437, 448, 524, 540, 550, 553, 554, 568, 593, 597, 602, 612, 618, 641, 646, 651, 652, 655, 667, 798, 801, 982, 993 Birkenfeld, Günther 60, 66, 77, 90, 109, 112, 128 Bissinger, Manfred 903, 906 Blecha, Kurt 356 Bloch, Ernst 74, 114 Blokh, Alexandre 721, 722, 729, 734, 745, 765, 812, 896 Boehow-Blüthgen, Hansi 59 Bohley, Bärbel 718 Böhm, Karl Ewald 265 Boldizsár, Iván 492, 549, 729, 739 Böll, Heinrich 542, 552, 559, 577, 579, 607 Borée, Karl Friedrich 91, 97, 150, 151, 157 Böthig, Peter 808 Böttcher, Lothar 408 1077
Böttner, Wolfgang 356 Bourdin, Paul 59 Braun, Hanns 105, 151, 175, 209, 217 Braun, Volker 523, 629, 689, 691, 764, 795, 825, 915 Brecht, Bertolt 37, 38, 74, 114, 117, 166, 184, 187, 189, 244, 254, 260, 265, 267, 270, 290, 294, 299, 320, 323, 975, 992 Bredel, Willi 190, 323, 381, 431 Breschnew, Leonid 747 Bruyn, Günter de 523, 624, 632, 640, 676, 689, 694, 698, 764, 851, 882, 890, 915 Bucerius, Gerd 372, 385, 390 Buch, Hans Christoph 23, 956 Bunge, Hans-Joachim 446 Burgmüller, Herbert 189, 227, 243, 263, 321 Burman, Ben Lucien 133, 198 Burmeister, Brigitte 935 Burnham, James 101
Dedecius, Karl 545 Deicke, Günther 620, 912 Delius, Friedrich C. 943 Demetz, Peter 2 Deppert, Fritz 943 Dericum, Christa 943, 958 Déry, Tibor 325, 336 Dickmann, Maria 682 Dieckmann, Christoph 929, 952 Dieckmann, Friedrich 41, 571, 790, 831, 839, 843, 846, 856, 909 Dieckmann, Johannes 421 Diersen, Inge 471 Dilschneider, Otto A. 59 Döblin, Alfred 261 Domin, Hilde 943 Dönhoff, Marion Gräfin 368, 386, 944 Drescher, Horst 929 Drewitz, Ingeborg 475, 682, 751, 779 Drews, Richard 60 Dubˇcek, Alexander 500, 501
Cahen, Richard 239, 483, 512 Caillois, Roger 302 Carter, Jimmy 747 Carver, David 202, 205, 209, 215, 253, 280, 295, 334, 402, 458, 463, 473, 487, 490, 493, 500, 502, 515, 521, 534, 536, 544, 549, 565, 586, 609, 981 Chamson, André 296, 304, 329, 335 Christ, Richard 835, 845 Claudius, Eduard 190, 323 Connolly, Marc 133, 198 Conrady, Karl Otto 957, 961, 965 Corino, Karl 957 Corvalán, Luis 602, 608 Cremer, Fritz 629 Crüger, Herbert 408 Csokor, Franz Theodor 414 Csongar, Alma 638 Cwojdrak, Günther 445, 467, 472, 522, 579, 727 Czechowski, Heinz 780, 889, 986 Czerny, Peter 506
Eberlein, Ludwig 59 Edel, Peter 593, 724 Edschmid, Kasimir 98, 102, 117, 127, 141, 149, 151, 176, 182, 192, 248, 460 Eggebrecht, Axel 66, 108, 149, 169 Ehrenburg, Ilja 294 Ehrich, Kurt 385 Einstein, Albert 309 Eipper, Paul 52 Eisler, Gerhard 385 Elstob, Peter 609, 657, 666, 727 Emmanuel, Pierre 518, 530, 542, 552 Endler, Adolf 602, 603, 671, 674, 689, 698, 699, 702, 764, 780, 957 Engelmann, Bernt 655 Engler, Jürgen 959 Enzensberger, Hans Magnus 372, 376, 387 Erb, Elke 595, 638 Erman, Hans 59 Erpenbeck, Fritz 443 Erpenbeck, John 703, 851, 852, 959 Erwin, Thomas 709, 712 Eulenberg, Herbert 51, 58, 66
Dahn, Daniela 887 Daniel, Julij 452 Dawson-Scott, Catherine Amy 32 Deauville, Max 55 1078
27,
Faber, Elmar 764 Fadejew, Alexander Alexandrowitsch 293
Faesi, Robert 135 Faktor, Jan 710 Farrell, James T. 213, 214 Faust, Siegmar 616 Fedin, Konstantin 298, 521, 536, 537 Fehling, Dora 59 Feuchtwanger, Lion 261 Feyl, Renate 703 Filip, Ota 961 Fischer, Ernst 330, 525 Flake, Otto 53, 114 Flesch, Hans 281 Flimm, Jürgen 802 Flood, Charles 544 Flügge, Rainer 718 Franz, Ulrich 699 Frei, Bruno 330, 589 Friedenthal, Richard 110, 207, 335, 466, 473, 489, 490, 493 Friedmann, Hermann 60, 66, 75, 91, 98, 109, 115, 124, 128, 138, 139, 151, 175, 181, 203, 207 Fries, Fritz Rudolf 571, 680, 693, 698, 700, 713, 726, 732, 744, 795, 839, 851, 911, 959, 983 Friesel, Uwe 961 Fuchs, Jürgen 647, 858, 961 Fühmann, Franz 629, 639, 642, 643, 675, 689, 712, 764, 923, 928 Galsworthy, John 29, 30, 32, 838 Gandon, Yves 563 Gassner-Hirsch, Ruth 340 Gauck, Joachim 949 Gaus, Günter 792 Gerlach, Jens 523 Gerrich, Walter 443 Gevert Parada, Lucia 609 Giehse, Therese 319 Giordano, Ralph 948, 962 Girnus, Wilhelm 239, 436, 444, 453, 594 Glaser, Hugo 329 Glézos, Manolis 393, 497 Goffin, Robert 404 Gorbatow, Boris 59 Gorges, Ingolf 647 Gorki, Maxim 293, 734 Gosse, Peter 703, 826, 901 Gotsche, Otto 537, 571, 573 Grass, Günter 398, 944, 950, 960 Greene, Graham 214, 542
Gregor-Dellin, Martin 623, 655, 678, 763, 767, 811 Greiner, Urich 868 Grindel, Gerhard 59 Grosser, Alfred 776 Grote, Petra 647 Grotewohl, Otto 275, 286 Grün, Max von der 487 Gruner, Jürgen 621, 704, 764 Gysi, Gregor 709 Gysi, Irene 660 Gysi, Klaus 60, 358, 443 Günther, Eberhard 443, 447 Günther, Johannes von 51, 225 Hacks, Peter 360, 378, 439, 526, 570, 573, 579, 624, 691, 697, 786, 889, 915 Hagelstange, Rudolf 112, 124, 130 Hagen, Eva-Maria 647 Hagen, Friedrich 589 Hager, Kurt 520, 578, 596, 619, 636, 672 Haid, Bruno 449, 620 Halman, Talat 608 Hamburger, Michael P. 2, 952 Hamm-Brücher, Hildegard 944 Hanel, Erika 329 Hannsmann, Margarete 943 Harich, Anne-Lise 421 Harich, Wolfgang 395, 408, 409, 422, 595, 598, 604 Härtling, Peter 942 Harwood, Ronald 954 Hauptmann, Helmut 523, 571 Hausenstein, Wilhelm 74 Hauser, Carry 413 Hauser, Harald 638 Havel, Václav 831 Havemann, Robert 437, 446, 641, 650, 667, 670, 678 Háy, Gyala 325, 336 Hegewald, Wolfgang 957 Heidenreich, Gert 23, 867, 876, 899, 903, 938, 940, 943, 948, 954 Heiduczek, Werner 887 Hein, Christoph 703, 823, 826, 915, 968 Heise, Wolfgang 790 Heisenberg, Werner 311 Heldt, Peter 599 Helling, Fritz 239, 483 Hennecke, Hans 151, 175 1079
Henniger, Gerhard 443, 447, 619, 622 Hensel, Kerstin 887, 892, 912, 918, 931 Hentschel, Franz 591 Hering, Gerhard 317 Herking, Ursula 320 Hermlin, Stephan 74, 114, 119, 138, 147, 153, 211, 212, 242, 259, 280, 337, 350, 359, 382, 414, 417, 420, 432, 436, 440, 443, 446, 488, 493, 522, 540, 544, 549, 557, 559, 569, 579, 583, 595, 602, 619, 623, 635, 649, 668, 675, 683, 689, 695, 702, 708, 713, 727, 728, 738, 754, 755, 761, 765, 767, 775, 777, 778, 781, 782, 792, 795, 800, 812, 819, 830, 839, 859, 867, 873, 877, 880, 898, 899, 901, 912, 915, 982, 994 Herrmann, Joachim 356 Hertwig, Manfred 415 Herzfelde, Wieland 189, 190, 337, 345, 352, 432, 436, 443, 451, 470, 483, 490, 506, 522, 555, 572, 579, 602, 631, 686, 690 Heusinger, Hans-Joachim 858 Heuss, Theodor 182, 195 Heym, Stefan 189, 190, 239, 323, 438, 444, 553, 554, 568, 572, 580, 584, 591, 629, 641, 667, 674, 678, 684, 686, 691, 702, 792, 793, 795, 801, 820, 824, 825, 851, 876, 993 Hilbig, Wolfgang 670 Hildebrand, Rainer 59 Hinck, Walter 943 Hingorani, Rochi 335 Hirsch, Helmut 776 Hirsch, Karl Jakob 189, 340 Hirsch, Rudolf 788, 790 Hochmuth, Arno 483, 527, 551 Hock, Helmut 565 Hoegner, Wilhelm 229 Hofé, Günter 239, 262, 280, 290, 357, 421, 524, 602 Hoff, Kay 967 Hoffmann, Gerhard 692 Hoffmann, Gert 751, 773 Hoffmann, Hans-Joachim 571, 581, 587, 656, 756 Höhne, Paul Hermann 261 Holst, Matthias 814 Honecker, Erich 396, 409, 556, 634, 649, 672, 711, 718, 829, 834, 982 1080
Hook, Sidney 80 Höpcke, Klaus 4, 584, 586, 666, 678, 743, 769, 790, 821, 831, 863, 867, 875, 889, 911, 926 Hossinger, Karl 449 Hörnigk, Therese 912 Huchel, Peter 74, 114, 121, 141, 184, 211, 280, 418, 474, 546, 550 Hunt, John 333 Huppert, Hugo 329, 330, 362, 369, 483, 589 Huxley, Aldous 214 Ihering, Herbert 357, 486 Ilberg, Werner 239, 290, 504, 508, 512, 526, 532, 533, 555, 564, 567, 570, 586, 631 Jaeggi, Urs 778, 944 Jaesrich, Hellmut 59, 465, 470, 476 Jahn, Janheinz 471, 474, 488, 492 Jahnn, Hans Henny 66, 118, 149, 162, 164, 168, 174, 184, 187, 205, 212 Jakobs, Karl-Heinz 674, 678, 761 Jancke, Oskar 65, 97, 291 Janetzki, Ulrich 951 Janka, Walter 395, 415, 444 Jaruzelski, Wojchiech 744 Jendrusch, Andrej 887 Jens, Walter 2, 31, 711, 862, 882, 903, 944 Jensen, Erik Vagn 680 Jentzsch, Bernd 595, 872, 875, 911, 917, 942, 955 Jessen, Jens 872 Johannsen, Gustine 715 John T. Becher 130 Joho, Wolfgang 638 Joliot-Curie, Frédéric 313 Jordan, Robert 282, 408 Josselson, Michael 80, 333 Josten, Josef 560 Just, Gustav 255, 265, 266, 416 Kádár, János 336 Kahlau, Heinz 45, 524, 554, 555, 557, 558, 568, 591, 621, 795, 912, 959 Kahnert, Walter 59 Kaiser, Bruno 538 Kaiser, Jakob 128, 246, 278 Kalenter, Ossip 292
Kamnitzer, Heinz 4, 349, 352, 357, 359, 360, 379, 388, 394, 395, 436, 445, 457, 461, 466, 468, 471, 475, 483, 492, 493, 513, 533, 540, 548, 554, 557, 561, 563, 565, 568, 570, 581, 593, 600, 609, 616, 638, 651, 664, 680, 685, 690, 691, 696, 703, 708, 711, 717, 722, 731, 734, 739, 742, 743, 746, 755, 762, 768, 771, 775, 784, 790, 797, 800, 811, 815, 823, 824, 826, 832, 840, 844, 850, 851, 854, 933, 978, 992 Kant, Hermann 1, 4, 388, 441, 448, 519, 526, 539, 555, 556, 566, 579, 592, 599, 603, 619, 623, 631, 670, 674, 693, 724, 737, 761, 765, 781, 795, 829, 863, 873, 895, 911, 912, 992 Kantorowicz, Alfred 72, 74, 88, 114, 184, 187, 210, 261, 274, 705, 919 Karsch, Walther 61, 473 Karsunke, Yaak 778, 799, 809, 864, 866, 943 Kasack, Hermann 60, 66, 121, 143, 146, 151, 156, 176, 209 Kästner, Erich 52, 55, 58, 66, 70, 75, 89, 91, 96, 105, 110, 115, 123, 127, 132, 134, 141, 145, 149, 151, 175, 178, 194, 199, 203, 209, 231, 301, 317, 318, 399, 475 Katajew, Valentin 59 Kaufmann, Hans 599, 602 Kaufmann, Walter 598, 602, 698, 722, 732, 787, 795, 808, 814, 823, 826, 838, 843, 850, 855, 858, 866, 878, 883, 888, 893, 896, 902, 912, 918, 924 Kauter, Kurt 599, 602 Keisch, Henryk 523, 539, 555, 569, 573, 579, 591, 599, 602, 604, 611, 615, 623, 627, 631, 637, 660, 666, 669, 673, 684, 691, 709, 714, 721, 726, 733, 742, 745, 758, 767, 770, 773, 774, 777, 783, 980, 982, 984, 992 Keller, Dietmar 857 Keller, Uwe 713 Kellermann, Bernhard 114, 118, 119, 122 Kelly, Petra 715 Kelter, Jochen 942 Kemnitz, Günter 408
Kempowski, Walter 769, 858, 872, 875 Kennerly, Karen 718 Kern, Elga 239 Kerndl, Rainer 571, 599, 838 Kerr, Alfred 51 Kéry, László 420, 534, 543, 544, 607 Kessel, Martin 156, 176, 209, 246 Kesten, Hermann 31, 75, 85, 216, 292 Kienberg, Paul 744 Kim, Jee-ha 535 Kinder, Hermann 942 King, Francis 797, 810, 815 Kinnell, Galwy 718 Kirsch, Rainer 1, 593, 595, 598, 603, 676, 689, 698, 699, 789, 818, 851 Kirsch, Sarah 564, 571, 629, 638– 640, 642, 695, 871, 873, 947, 955 Kirsten, Wulf 676, 921 Kisch, Egon Erwin 703 Klages, Victor 59 Klein, Eduard 443, 445, 638, 692 Klein, Fritz 564, 565 Kleinfeld, Rudolf 408 Klemperer, Victor 279 Kleßmann, Eckart 942 Klier, Freya 808, 921 Klipstein, Editha 191 Kluger, Karl Walther 59 Knaak, Lothar 408 Knobloch, Heinz 523, 692, 795, 832, 851, 852, 856, 859, 865–867, 875, 877, 879 Koch, Jurij 959 Koch, Thilo 543, 545, 561 Koestler, Arthur 82, 101, 113, 213 Kogon, Eugen 82, 85 Köhler, Erich 39, 887, 918, 921, 932, 960, 966, 973 Köhler, Erich (BRD) 484, 589 Kohlhaase, Wolfgang 523, 826 Kollwitz, Käthe 712 König, Hartmut 699 Königsdorf, Helga 790, 839 Konrad, György 896 Kopelew, Lew 726, 798, 802 Kozlovsky, Evgeny 730 Kraft, Gisela 788, 790, 822, 891 Kraft, Ruth 638, 692 Krämer-Badoni, Rudolf 451, 458, 476 1081
Krawczyk, Stephan 808, 812 Krenz, Egon 838, 847 Kretzschmar, Ingeburg 45, 244, 273, 306, 329, 344, 346, 349, 351, 352, 357, 406, 411, 418, 420, 430, 443, 447, 457, 461, 472, 483, 488, 490, 503, 512, 978, 992 Kreuder, Ernst 143, 175, 209 Krug, Manfred 784 Krumbholz, Eckart 703 Kuczynski, Jürgen 564 Kühn, Volker 951 Kukowka, Robert 59 Kunert, Christian 646, 650, 657, 658 Kunert, Günter 2, 446, 629, 641, 644, 666, 695, 871, 872, 874, 876, 939, 945, 947, 953 Kunze, Reiner 3, 612, 626, 646, 650, 940, 982 Kurella, Alfred 335, 337, 356, 358, 369, 386, 389, 396, 403, 431, 436, 441, 464, 485 Kuron, Jazec 741 Kusche, Lothar 564, 571, 601 Kusnezow, Anatoli 518, 521 Laabs, Joochen 703, 905, 911, 918, 949, 958 Lamberz, Werner 631 Lampel, Peter Martin 239 Landahl, Heinrich 352 Lange, Hartmut 440, 446 Lange, Horst 72 Lange-Müller, Katja 911, 957 Langgässer, Elisabeth 66 Langner, Ilse 51 Lasky, Melvin Jonah 59, 65, 80, 112, 130 Laub, Gabriel 653 Lauer, Guido 408 Laux, Karl 358 Lehmann, John 314 Lehmann, Wilhelm 143, 151, 162, 175, 209 Leip, Hans 53, 58, 66 Leistner, Bernd 703 Lenz, Siegfried 371 Leo, Gerhard 782 Leonhard, Rudolf 184 Leonhardt, Rudolf Walter 372, 381 Lewin, Waldtraut 887, 933, 959 Liebmann, Irina 957 1082
Liersch, Werner 786, 818, 833, 838, 867, 879, 887, 891, 896, 904, 911, 918, 927, 958 Links, Christoph 887, 915, 929, 935 Lipski, Jan Josef 741 Loest, Erich 395, 409, 671, 674, 859, 873, 888 Löffler, Siegfried 556, 565, 567, 579, 619 Loos, Irma 189 Lorenc, Kita 676, 790 Loschütz, Gert 872, 875 Lowicki, Wladzimierz 745 Loyen, Peter van 671 Lucht, Harro 408 Luft, Friedrich 156 Lukacs, Georg 74 Maaß, Joachim 191 Mainz, Rolf 668 Malamud, Bernard 718 Mandela, Nelson 806 Mann, Thomas 55 Marchenko, Anatoli 729 Markova, Ilinda 731, 741 Maron, Monika 808, 950, 959 Marquardt, Hans 704, 764, 911, 918, 929, 960, 966 Maschke, Walter 423 Matsuoka, Yoko 304 Matthies, Franz-Wolf 713, 996 Mayer, Hans 74, 114, 153, 184, 280, 285, 292, 377, 379, 384, 387, 390 Mechtel, Angelika 773 Meckauer, Walter 317 Meier, Heinrich Christian 236, 239, 318, 340, 343, 349, 364, 367, 589 Membré, Henri 57, 58, 68, 69, 162, 205 Mendelssohn, Peter de 66 Mensching, Steffen 887, 892, 912, 918, 931, 959, 963 Meyer-Dietrich, Helmut 59 Michalski, Kirsten 609 Michnek, Adam 741 Mickel, Karl 571, 599, 700 Mielke, Erich 616 Mierau, Fritz 565, 571 Mikes, George 653 Mileva, Leda 515, 543, 561 Miller, Arthur 453, 499, 517 Miller, Henry 542 Mittenzwei, Werner 638
Möglich, Theodor 313 Möhring, Hermann 408 Molo, Walter von 189 Moníková, Libuˇse 957 Moravia, Alberto 307 Morgan, Charles 303 Morgenstern, Beate 929 Morgner, Irmtraud 523, 795, 915 Mückenberger, Erich 356 Mülbe, Wolfheinrich von der 189 Müller, André 589 Müller, Heiner 525, 629, 711, 764, 795, 848, 890, 915, 920 Müller, Rudolf 369 Müller-Jabusch, Maximilian 59, 63 Mundstock, Karl 832 Münzenberg, Willi 80, 82 Nachbar, Herbert 638 Naumann, Konrad 670 Nelken, Dinah 282, 486, 569, 589, 683, 698 Neruda, Pablo 606 Neumann, Günter 59 Neumann, Robert 204, 215, 246, 253, 280, 281, 289, 297, 314, 381, 397, 404, 422, 462, 465, 493, 549 Neumann, Walter 942 Neutsch, Erik 598 Niekisch, Ernst 190 Nixon, Richard 515 Noack, Hans-Georg 943 Noll, Dieter 671, 864, 916 Nolte, Jost 967 Norden, Albert 386 Nossack, Hans Erich 149, 160, 169, 206 Nowojski, Walter 692, 793 Oeser, Hans Christian 951 Opitz, Detlev 716, 781 Opitz, Karlludwig 346 Ossowski, Leonie 944 Otto, Herbert 790 Ould, Herman 51, 54, 69, 198 Palach, Jan 821 Pannach, Gerulf 646, 650, 658 Papenfuß-Gorek, Bert 921 Passos, John dos 214 Pastior, Oskar 957 Pechel, Rudolf 51, 89, 102, 109, 124 Peet, John 571, 579
Pelzer, Horst 395, 408 Penzoldt, Ernst 52, 58, 66, 70, 105, 115, 178 Peters, Arno 589 Petersen, Jan 279, 280 Pfeiffer, Herbert 59 Pforte, Dietger 958 Pietraß, Richard 851 Plenzdorf, Ulrich 571, 642, 675, 689 Plievier, Theodor 51, 89, 109, 124 Pludra, Benno 523 Poche, Klaus 671, 674, 678, 699 Podlech, Adalbert 899, 901, 943, 958 Pohl, Gerhart 148, 155 Polewoi, Boris 305 Pönig, Rolf 578, 603, 620, 743, 785 Poppe, Ulrike 718 Popper, Jacob 544 Pross, Harry 467, 469, 470, 943 Püschel, Walter 598 Raab, Karl 266, 586 Radzitzky, Carlos de 543, 657 Ragwitz, Ursula 586, 654, 698, 705, 745, 750, 782, 785, 788, 793, 813, 815, 816 Rajk, László 518 Rathenow, Lutz 718, 955 Ratuschinskaja, Irina 803 Raus, Michel 943 Reding, Josef 942 Redslob, Edwin 59 Rehfisch, Hans José 191 Rehmann, Ruth 951 Reich-Ranicki, Marcel 372, 375, 390, 957 Reinowski, Hans 92 Renn, Ludwig 66, 114, 339, 357 Rennert, Jürgen 692, 698, 788, 820, 822, 851, 928, 959 Reppe, Kurt 449 Reschke, Thomas 853, 892, 931, 959, 963 Reuter, Ernst 80 Rhee, Syng-man 530 Ribnikar, Jara 683 Richter, Alexander 722 Richter, Hans Werner 580 Riehl-Heyse, Herbert 962 Rilla, Paul 190 Rinser, Luise 149, 225 Rodenberg, Hans 443, 449 Röder, Arno 425, 439 1083
Roscher, Achim 523, 793, 959 Rosenthal, Rüdiger 718 Rosh, Lea 943, 959 Rousset, David 75 Rovere, Richard 214 Rubinyi, Mózes 281 Rücker, Günther 523, 795, 922, 928, 932 Rüdiger, Horst 471 Ruff, Fritz 408 Rugel, Eugen 239, 242, 280 Rühle, Jürgen 369 Rühmkorf, Peter 944 Rupé, Hans 52 Rushdie, Salman 823, 906 Russell, Bertrand 316 Rychner, Max 54 Saalfeld, Martha 151, 175 Saar, Heinrich 408 Sabais, Heinz Winfried 460, 465, 469, 474 Sacharow, Andrei 726, 732 Safranski, Rüdiger 943 Said 944, 972 Sakowski, Heinz 620 Sakowski, Helmut 598 Saller, Karl 282, 356 Salter, Ernest J. 101 Sander, Otto 2 Sänger, Bärbel 648 Saurat, Denis 215, 281 Sawic, Tadeusz 745 Scammell, Michael 648, 722, 725, 726, 730, 734, 803, 807 Schacht, Ulrich 967 Schädlich, Hans Joachim 798, 871, 875, 943, 947, 955 Schaumann, Ruth 239, 483, 589 Schedlinski, Rainer 39, 887, 918 Scheer, Maximilian 190, 420, 493, 533, 579, 638 Schily, Otto 715 Schipper, Mineke 659 Schirrmacher, Frank 868 Schlenstedt, Dieter 830, 835, 887, 891, 895, 907, 911, 921, 930, 935, 939, 947, 950, 959, 965 Schlesinger, Klaus 641, 671, 674, 678, 911, 921, 929, 966 Schlösser, Manfred 948, 954 Schmiele, Walter 317, 405 Schneider, Dirk 715 1084
Schneider, Reinhold 58, 66, 157, 261 Schneider, Rolf 629, 642, 671, 674, 678, 700, 702, 825, 827, 952 Schneider-Schelde, Rudolf 52, 58, 66, 69, 74 Schnitzler, Karl-Eduard von 385 Schnorr, Robert 420, 462 Schnurre, Wolfdietrich 406 Schober, Rita 598, 602, 726, 795, 834 Schoen, Ernst 282 Schoenberner, Gerhard 943, 952 Scholz, Gerhard 471 Scholz, Wilhelm von 189, 220 Schorlemmer, Friedrich 895, 911, 912, 944, 954 Schreyer, Wolfgang 571 Schröder, Ralf 408 Schröder, Rudolf Alexander 66, 143, 176 Schröder, Wilfried 408 Schubert, Dieter 671, 674, 678, 889 Schubert, Helga 790 Schuder, Rosemarie 692, 788 Schulberg, Budd 214 Schulz, Max Walter 617, 703, 873 Schumacher, Ernst 309, 432, 436, 788, 818, 822 Schwab-Felisch, Hans 493 Schwalm, Hans 280 Schwarz, Ernst 638, 682, 959 Schwarze, Hanns Werner 718, 753, 759, 763, 769, 779, 805, 811, 864, 871, 880, 885, 896, 900, 903, 984 Schweitzer, Albert 261, 291 Schöne, Frank 649 Schönlank, Bruno 134 Schütz, Helga 887 Seeger, Bernhard 571, 594, 598, 599 Seghers, Anna 63, 66, 88, 110, 114, 119, 166, 184, 187, 280, 323, 398, 475 Semjonow, Wladimir S. 286, 293 Senger, Valentin 951 Setzer, Ursula 896 Seyppel, Joachim 38, 595, 599, 602, 671, 674, 678, 695, 760, 764, 875 Shdanow, Andrej 81 Siebert, Eva 59 Silone, Ignazio 113, 302, 314 Simmel, Johannes Mario 954 Simonow, Konstantin M. 295, 298 Simson, Kathleen von 614, 813, 814
Simson, Werner von 763 Sindermann, Horst 356 Sinjavsky, Andrej 452 Sintenis, Renée 83 Sladczyk, Leo 554, 579, 591, 599, 619, 620, 634 Soelle, Dorothee 944 Solchenizyn, Alexander 537 Sommer, Theo 385 Sötér, Istvan 398, 401 Sparschuh, Jens 887 Spender, Stephen 214 Speyer, Wilhelm 96, 191 Spiel, Hilde 83, 143, 178, 203 Stade, Martin 671 Staeck, Klaus 940, 944, 954 Stalin, Josef W. 293 Stefanova, Liliana 731, 733, 740, 741 Steinbeck, John 496 Steinberg, Thomas 668 Steinberger, Bernhard 415 Stemmler, Toni 264, 269 Stenbock-Fermor, Alexander von 190, 345, 350, 442, 466, 484 Stephan, Alexander 951 Stern, Carola 809, 862, 872, 876, 905, 943, 954 Stern, Jeanne 523, 555, 579, 583, 593, 631, 640, 643, 685, 689 Stern, Kurt 497, 573, 583, 593, 689 Sternberger, Dolf 66, 86, 455, 465, 476, 492, 493 Sternfeld, Wilhelm 52, 54, 99, 111, 113, 114, 182, 203, 205, 287 Stone, Shepard 518 Stoph, Willi 639 Storm Jameson, Margaret 215, 280, 296, 336, 393 Storz, Gerhard 471 Strahl, Rudi 638, 692, 959 Strasser, Johano 943, 944, 955, 958, 965, 969 Strittmatter, Erwin 280, 293, 337, 622 Strittmatter, Eva 638, 703, 851 Struzyk, Brigitte 892, 905, 912, 918 Suhrkamp, Peter 286 Surkow, Alexej 304, 305 Syberberg, Rüdiger 184, 187, 189, 224 Szczypiorski, Andrzej 654
Tabori, Paul 314, 332, 335, 393, 401, 515 Tavernier, Réné 721, 731, 766 Theil, André 808 Thesing, Curt 51, 52, 91, 135, 175 Theunissen, Gert H. 71 Thielicke, Helmut 352 Thürk, Harry 571, 622, 864, 921, 959 Tigrid, Pavel 560, 772 Til, Tineke van 613 Tillich, Ernst 131 Toller, Ernst 28 Tolstoi, Leo 351 Tragelehn, B. K. 887, 892, 912, 918, 928, 965, 966, 969 Tralow, Johannes 38, 54, 58, 62, 75, 105, 115, 124, 142, 148, 159, 173, 236, 267, 285, 300, 303, 315, 319, 320, 329, 331, 334, 336, 349, 364, 368, 483, 512, 701, 977 Treike, Herbert 439, 448 Trieschmann, Uwe 756 Uhde-Bernays, Hermann 191 Uhse, Bodo 189, 254, 278, 282, 306, 318, 323, 327, 334, 337, 339, 340, 345, 347, 350, 394, 977, 992 Ulbricht, Walter Ernst Paul 286, 419, 495, 543 Ullstein, Heinz 63 Usinger, Fritz 72, 91, 179, 317 Vargas Llosa, Mario 656, 664, 739, 798 Vegesack, Thomas von 666, 709, 731, 736, 757, 764, 772, 947, 955 Vercors d. i. Jean Bruller 55 Vesper, Guntram 872, 875, 956 Villain, Jean 599, 602, 824, 829, 838, 852, 855, 859, 881 Vollmer, Antje 715 Vonnegut, Kurt 718 Vries, Theun van 560, 563 Vriesland, Victor E. van 279, 335, 393, 465 Vring, Georg von der 143, 144, 151, 175, 209 Wagner, Richard 955 Wagner, Siegfried 368, 403, 426, 429, 443, 446, 510 1085
Wallesch, Kurt 408 Wallmann, Jürgen P. 942 Walser, Martin 377, 387, 494 Walther, Joachim 889, 924, 960, 967 Wandel, Paul 264, 275 Wander, Fred 564, 571 Warner, Elizabeth 497 Wästberg, Per 607, 660, 725, 731, 744, 745, 758 Waterstradt, Berta 571, 599 Weber, Carl August 239, 283, 353, 357, 372, 376 Weimann, Robert 565, 571 Weinert, Erich 190 Weisenborn, Günther 51, 54, 60, 66, 77, 148, 152, 168, 173, 206, 363, 448, 451 Weiskopf, Carl Friedrich 282, 318 Weismantel, Leo 51, 175 Weiss, Peter 442, 589 Weizsäcker, Richard von 798 Wekwerth, Manfred 867 Welk, Ehm 74, 148, 184 Wellershoff, Dieter 800 Wells, H. G. 293 Welskopf-Henrich, Liselotte 524, 571 Wendt, Erich 164, 213, 239, 243, 255, 258, 262, 346 Wenzel, Hans-Eckardt 887 Werner, Bruno E. 420, 458 Werner, Ruth 959 Werner, Walter 703 Wesel, Uwe 944, 960 Weskott, Martin 931, 972 Westfalen, Joseph von 944 Westphal, Uwe 901 Weyrauch, Wolfgang 60 Wichner, Ernest 959 Wickert, Ulrich 944 Wiechert, Ernst 51, 55, 58, 66 Wiegand, Hans-Joachim 59 Wiegler, Paul 66 Wieland, Alfred 395 Wiens, Paul 524, 548, 566, 570, 578–580, 583, 602, 621, 624, 645,
1086
684, 689, 694, 724, 726, 737, 983, 989, 992 Wiese, Carlfriedrich 164, 197, 213, 221, 224, 231, 237, 239, 243, 254, 260, 262, 264 Willmann, Heinz 258 Willms, Johannes 869 Winkler, Konrad 483, 589 Winnigton, Allan 599, 602 Wirzberger, Karl-Heinz 433, 437 Wischnewski, Klaus 958 Wischnewski, Wsewolod 59 Witsch, Josef 131 Wogatzki, Benito 523, 638 Wolf, Christa 436, 522, 547, 555, 556, 579, 595, 619, 624, 632, 640, 642, 644, 674, 677, 686, 689, 711, 764, 795, 819, 822, 824, 831, 850, 863, 870, 885, 894, 908, 915, 920, 928, 959, 996 Wolf, Friedrich 66, 88, 114, 184 Wolf, Gerhard 565, 571, 629, 639, 642, 644, 689, 702, 792 Wolffheim, Elsbeth 943 Wolter, Christine 892, 918 Wujec, Henryk 741 Wünsche, Kurt 858 Zak, Eduard 564, 571, 599, 601, 649 Zarins, Alfred 730 Zehder, Hugo 59 Zimmering, Max 282, 337 Zivier, Georg 59 Zöger, Heinz 416 Zorn, Dieter 408 Zweig, Arnold 74, 114, 117, 133, 137, 166, 184, 187, 280, 284, 314, 339, 341, 345, 349, 350, 353, 356, 359, 367, 373, 388, 397, 404, 418, 431, 435, 442, 461, 512, 978, 992 Zweig, Beatrice 280 Zweig, Stefan 695 Zwerenz, Gerhard 889, 911, 943, 972
2.
Ortsverzeichnis
Abidjan 487, 496, 497 Ahrenshoop 197, 258 Amsterdam 268, 274, 280, 282, 285, 297 Barcelona 668 Bayreuth 164, 233 Berlin-Hohenschönhausen 706 Bielefeld 72, 73 Bled 464, 467, 645, 657, 709, 728, 748, 770 Bremen 491, 710, 748 Brüssel 401, 404, 411, 418, 456 Budapest 307, 329, 398, 438, 467, 469 Cambridge 811 Caracas 713, 732, 744, 770 Darmstadt 176, 470, 949, 972 Den Haag 610, 652, 665 Dresden 475, 967 Dublin 244, 247, 251, 275, 279, 287, 489, 498, 553 Düsseldorf 155, 163, 936 Edinburgh 537, 540, 542, 545 Erfurt 970 Frankfurt am Main 306, 338, 471 Freiburg 748 Gauting 51 Genf 499, 502 Göttingen 70 Hamburg 72, 159, 236, 312, 391, 659, 803, 806, 814 Hannover 890, 903, 904, 908 Heidelberg 475, 955 Helsinki 313, 560 Kiel 867 Kopenhagen 67, 70, 749 Lausanne 138 Leipzig 472, 475 London 246, 278, 295, 312, 316, 335, 350, 394, 411, 455, 456, 463, 473, 492, 495, 499, 516, 534, 536,
562, 607, 642, 653, 656, 731, 734, 741, 745, 759 Lübeck 67 Lugano 814 Lyon 729, 751 Maastricht 816 Mainz 945 Mannheim 655 Menton 522, 531, 533 Montréal 816 Moskau 306 München 77, 234, 934, 966 New York 447, 454, 498, 745, 798, 806 Nizza 187, 205, 215, 226 Ohrid 588, 608 Oslo 463 Ost-Berlin 414, 415, 457 Paris 198, 207 Portoroz 550 Quedlinburg 962 Ragusa 51 Reims 419, 420, 462 Rio de Janeiro 307, 394, 683, 907 Rom 398, 402, 406 San Marino 560, 722, 745 Sanary-sur-mer 704 Seoul 519, 535, 815 Sofia 514, 516 Stockholm 51, 644, 660, 666, 668 Sydney 664 Tel Aviv 275, 278 Tokio 305, 334, 721, 734, 773 Toronto 816 Venedig 73, 766 Weimar 340, 343 West-Berlin 581 Wien 303, 318, 608, 755, 867, 905 Wiesbaden 100 Zürich 54 1087